Strategisches und operatives Logistikmanagement: Beschaffung [2. Aufl.] 9783658274665, 9783658274672

Dieses Buch bietet anhand zahlreicher Beispiele einen grundlegenden Überblick zum Themengebiet Beschaffung. Es verdeutli

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German Pages XXIII, 326 [345] Year 2019

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Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XXIII
Strategische Beschaffung (Rainer Lasch)....Pages 1-97
Materialbedarfsplanung (Rainer Lasch)....Pages 99-193
Lagerhaltung (Rainer Lasch)....Pages 195-248
Qualitätskontrolle der Lieferantenleistung (Rainer Lasch)....Pages 249-292
Planungssoftware Logistik-Toolbox (Rainer Lasch)....Pages 293-312
Back Matter ....Pages 313-326
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Strategisches und operatives Logistikmanagement: Beschaffung [2. Aufl.]
 9783658274665, 9783658274672

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Rainer Lasch

Strategisches und operatives Logistikmanagement: Beschaffung 2. Auflage

Strategisches und operatives ­Logistikmanagement: Beschaffung

Rainer Lasch

Strategisches und operatives Logistikmanagement: Beschaffung 2., überarbeitete und erweiterte Auflage

Rainer Lasch Technische Universität Dresden Dresden, Deutschland

ISBN 978-3-658-27466-5 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Gabler © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2017, 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

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Vorwort zur 2. Auflage

Das vorliegende Lehrbuch wurde erfreulicherweise von Lehrenden und Lernenden sehr gut nachgefragt. Das vielseitige, sehr positive Feedback und die große Akzeptanz haben mich veranlasst, die zweite Auflage des Buches „Strategisches und operatives Logistikmanagement: Beschaffung“ in einer erweiterten und überarbeiteten Form vorzulegen. Dazu wurde Kapitel 1 um die Internet-basierte Optimierung von Beschaffungsprozessen erweitert. In diesem Unterkapitel wird auf E-Procurement, die verschiedenen Geschäftsmodelle des elektronischen Einkaufs sowie die Potenziale und Risiken von E-Procurement-Lösungen eingegangen. Ein weiteres Unterkapitel beschäftigt sich mit den Arten, Zielen, Vorteilen, Problemen sowie dem Ablauf von Einkaufsauktionen. In Kapitel 2 wurde durch die Kombination des Lieferantenportfolios mit dem Beschaffungsgüterportfolio das resultierende Beschaffungsgüter-Lieferantenportfolio ergänzt. Dieses Portfolio ermöglicht einerseits eine übersichtliche Darstellung der bestehenden Material- und Lieferantenstruktur in einem Gesamtportfolio und dient andererseits der Ableitung von differenzierten Beschaffungsstrategien je Materialgruppe. Des Weiteren wurde die Möglichkeit genutzt, kleinere Fehler zu beseitigen. Ein herzlicher Dank im Rahmen der Überarbeitung und Erweiterung gilt meinen Mitarbeitern. Insbesondere möchte ich mich bei meiner Assistentin Frau Christin Peschel bedanken, die wiederum alle Ergänzungen und Korrekturen des Werkes professionell und mit großer Sorgfalt übernahm. Schließlich bedanke ich mich bei Frau Susanne Kramer und dem Springer Gabler Verlag für die stets reibungslose und gute Zusammenarbeit.

Dresden, im August 2019

Rainer Lasch

V

Vorwort zur 1. Auflage

Durch den Trend zur Konzentration auf die Kernkompetenzen wurde in vielen Unternehmen die Wertschöpfungstiefe wesentlich reduziert. Dies hat zur Folge, dass mehr Güter und Dienstleistungen fremdbezogen werden. Daher ist in den vergangenen Jahren die Bedeutung der Beschaffung für den Unternehmenserfolg signifikant gestiegen. Die Beschaffung wandelt sich vom Kostendrücker zum Kostengestalter und wird somit in den Unternehmen zunehmend als strategischer Erfolgsfaktor gesehen. Da strategische Beschaffungsentscheidungen der Überlebensfähigkeit des Unternehmens dienen, erfolgt zunächst der Fokus auf die Wahl der richtigen Beschaffungsstrategien, um die Unternehmens- und Wettbewerbsstrategie für die Versorgungsprozesse festzulegen. Anschließend werden die Entscheidungen bzgl. Eigenfertigung und Fremdbezug in einem strategischen Zusammenhang und nicht nur unter reinen Kostenaspekten betrachtet. Für die optimale Ausgestaltung langfristiger und partnerschaftlicher Zulieferer-Abnehmer-Beziehungen kommt dem strategischen Lieferantenmanagement eine wesentliche Rolle zu, sodass der Prozess des Lieferantenmanagements ausführlich behandelt wird. Des Weiteren hat die strategische Beschaffung einen enormen Einfluss auf die Innovationstätigkeit im Unternehmen, da die Beschaffung die Schnittstelle zum Innovationspartner Lieferant darstellt. Somit wird im Rahmen des Lieferanteninnovationsmanagements auf den Zugang zu sowie den Nutzen und die Bewertung von Lieferanteninnovationen eingegangen. Neben der Behandlung strategischer Beschaffungsaufgaben folgt eine problembezogene, quantitativ orientierte Darstellung logistischer Planungsaufgaben, die sich aus der Versorgung eines Unternehmens mit den benötigten Materialien ergeben. Für alle in das Endprodukt eingehenden Erzeugnisse werden die konkreten Bedarfe nach Art, Menge und Termin aus der Produktionsprogrammplanung abgeleitet. Ein Schwerpunkt des vorliegenden Lehrbuchs liegt zunächst in den verbrauchs- und programmorientierten Verfahren der Materialbedarfsplanung. Nachdem im Rahmen der Materialbedarfsplanung der Materialbedarf für die zukünftigen Perioden ermittelt wurde, wird im Rahmen der Lagerhaltung bestimmt, wann und wie viel bestellt werden soll. Bei der Bestimmung optimaler Bestellpolitiken geht es um die Berechnung optimaler Bestellzeitpunkte und optimaler Bestellmengen, sodass ein weiterer Fokus auf der Behandlung deterministischer und stochastischer Lagerhaltungsmodelle liegt. Da exzellente Lieferanten mit fehlerfreien Produkten die Qualität der eigenen Produkte im Markt unterstützen und finanzielle Schäden sowie einen Imageverlust verhindern, kommt der Abnahmeprüfung im Rahmen der Qualitätskontrolle eine wichtige Rolle zu. Zur Kontrolle der Qualität der Produkte der Zulieferer werden Prüfpläne für eine zählende und messende Abnahmeprüfung konstruiert, mit deren Hilfe über die Annahme oder die Ablehnung einer Lieferung entschieden wird.

VII

Vorwort zur 1. Auflage

Alle in diesem Lehrbuch behandelten quantitativen Planungsmethoden werden zunächst in ihrem Verfahrensablauf algorithmisch beschrieben und an logistischen Anwendungsbeispielen anschaulich verdeutlicht. Da auch die Verständlichkeit und Anwendung der Modelle und Verfahren im Vordergrund steht, werden diese an vielen Beispielen ausführlich dargestellt. Für weiterführende Aufgaben mit Lösungen wird außerdem in den jeweiligen Kapiteln auf das vom Autor verfasste „Übungsbuch Logistik“ verwiesen, in dem Klausuraufgaben mit Musterlösungen enthalten sind. Die behandelten Verfahren erheben nicht stets den Anspruch die aktuellsten Forschungsergebnisse zu präsentieren, sondern sollen dem Leser praxistaugliche Konzepte zur Lösung der vorgestellten Probleme im Bereich der Beschaffung aufzeigen. Praxisorientierte beschaffungslogistische Planungsprobleme sind i. d. R. datenintensiv und umfangreich, sodass sie ohne den Einsatz geeigneter Softwarewerkzeuge kaum gelöst werden können. Aus diesem Grund wird mit diesem Lehrbuch auch die anwendungsfreundliche Planungssoftware „Logistik-Toolbox“ zum Download zur Verfügung gestellt. In dieser Planungssoftware sind sämtliche in diesem Lehrbuch vorgestellten Planungsverfahren implementiert, sodass mit Hilfe dieser Software auch praxisrelevante Problemstellungen gelöst werden können. Dieses Lehrbuch ist entstanden aus meinen Vorlesungen zum Beschaffungsmanagement, die ich für Studierende der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre, der Wirtschaftsinformatik und -mathematik sowie des Wirtschaftsingenieurwesens an der Technischen Universität Dresden, aber auch an anderen Universitäten im In- und Ausland gehalten habe. Somit richtet sich das Lehrbuch primär an Studierende der Betriebswirtschaftslehre, des Wirtschaftsingenieurwesens, der Wirtschaftsmathematik und der Ingenieurwissenschaften mit dem Schwerpunkt Beschaffung bzw. Supply Management an Universitäten, Fachhochschulen und Akademien. Andererseits können Dozenten die Planungsmethoden dieses Lehrbuchs sowie die Planungssoftware „Logistik-Toolbox“ auch im Rahmen von Vorlesungen, Seminaren und Übungen zielführend einsetzen. Ein ganz besonderer Dank für die kritische Durchsicht des vorliegenden Lehrbuchs geht an meine Mitarbeiterin Frau Dr. Sophia Keil und meine Mitarbeiter Herrn Dipl.Wi.-Ing. Niels Bugert sowie Herrn M.Sc. Christian Hein. Des Weiteren möchte ich mich ganz herzlich bei meiner Assistentin Frau Christin Peschel bedanken, die trotz umfangreicher Sekretariatsaufgaben in mühevoller Kleinarbeit Korrekturen sowie das Zusammenführen des Lehrbuchs übernahm und dabei Änderungswünsche stets verständnisvoll hinnahm. Schließlich bedanke ich mich bei Frau Susanne Kramer und dem SpringerGabler Verlag für die stets reibungslose und gute Zusammenarbeit.

Dresden, im August 2016

VIII

Rainer Lasch

Inhaltsverzeichnis

Vorwort ..................................................................................................................................... V Abbildungsverzeichnis ....................................................................................................... XIII Tabellenverzeichnis ............................................................................................................ XVII Abkürzungsverzeichnis ...................................................................................................... XIX Symbolverzeichnis ............................................................................................................... XXI 1

Strategische Beschaffung ................................................................................................ 1 1.1 Abgrenzung der Beschaffung ............................................................................... 1 1.2

1.3

1.4

Sourcing-Strategien ................................................................................................ 3 1.2.1

Lieferantenanzahl ...................................................................................... 4

1.2.2

Beschaffungsobjekt .................................................................................... 5

1.2.3

Beschaffungszeit ........................................................................................ 7

1.2.4

Beschaffungssubjekt .................................................................................. 9

1.2.5

Technologie .............................................................................................. 10

1.2.6

Beschaffungsareal .................................................................................... 10

1.2.7

Ort der Leistungserbringung ................................................................. 12

1.2.8

Zentralisierungsgrad ............................................................................... 13

Outsourcing als strategische Option ................................................................. 14 1.3.1

Ausprägungsformen des Outsourcing ................................................. 15

1.3.2

Chancen und Risiken durch Outsourcing ............................................ 17

1.3.3

Ansätze zur Unterstützung der Outsourcing-Entscheidung ............. 22

Lieferantenmanagement ..................................................................................... 37 1.4.1

Lieferantenvorauswahl ........................................................................... 39

1.4.2

Lieferantenanalyse und -bewertung ..................................................... 40

1.4.3

Steuerung der Lieferantenbeziehung.................................................... 55

IX

Inhaltsverzeichnis

1.5

1.6

1.7 2

Lieferanteninnovationsmanagement ................................................................. 57 1.5.1

Nutzen von Lieferanteninnovationen ................................................... 57

1.5.2

Zugang zu Lieferanteninnovationen..................................................... 59

1.5.3

Bewertung von Lieferanteninnovationen ............................................. 63

Internet-basierte Optimierung von Beschaffungsprozessen .......................... 66 1.6.1

Electronic Procurement........................................................................... 67

1.6.2

Einkaufsauktionen................................................................................... 84

Literaturhinweise ................................................................................................. 95

Materialbedarfsplanung ............................................................................................... 99 2.1

Verfahren zur Klassifikation von Materialien................................................. 100 2.1.1 ABC-Analyse .......................................................................................... 100 2.1.2

XYZ-Analyse ........................................................................................... 105

2.1.3 Teileklassifikation ................................................................................... 108 2.1.4

Portfolio-Analyse ................................................................................... 111

2.2

Bedarfsarten ........................................................................................................ 115

2.3

Programmorientierte Verfahren ....................................................................... 117 2.3.1

Darstellungsformen des Erzeugniszusammenhangs ........................ 119

2.3.2 Analytische Bedarfsermittlung ............................................................. 128 2.3.3 Weiterführende Aufgaben..................................................................... 140 2.4

Verbrauchsorientierte Verfahren ...................................................................... 140 2.4.1

Kriterien zur Prognosebeurteilung ...................................................... 142

2.4.2 Prognoseverfahren bei konstantem Bedarfsverlauf........................... 146 2.4.3 Prognoseverfahren bei trendförmig ansteigendem Bedarfsverlauf ........................................................................................ 157 2.4.4

Prognoseverfahren bei saisonal schwankendem Bedarfsverlauf ..... 171

2.4.5 Prognoseverfahren bei sporadischem Bedarfsverlauf ....................... 183 2.4.6 Weiterführende Aufgaben..................................................................... 192 2.5

X

Literaturhinweise .............................................................................................. 192

Inhaltsverzeichnis

3

Lagerhaltung ................................................................................................................ 195 3.1

Deterministische Lagerhaltungsmodelle ........................................................ 196 3.1.1 Statische Lagerhaltungsmodelle .......................................................... 196 3.1.2

Dynamische Lagerhaltungsmodelle .................................................... 213

3.1.3 Weiterführende Aufgaben..................................................................... 227 3.2

3.3 4

Stochastische Lagerhaltungsmodelle .............................................................. 227 3.2.1

Bestandsarten und Servicegrad ............................................................ 227

3.2.2

Lagerhaltungspolitiken ......................................................................... 235

3.2.3

Weiterführende Aufgaben..................................................................... 247

Literaturhinweise ............................................................................................... 247

Qualitätskontrolle der Lieferantenleistung .............................................................. 249 4.1

Qualitätsmanagement ....................................................................................... 249 4.1.1

Qualitätsmerkmale und Qualitätsschwankungen ............................. 253

4.1.2 Statistische Qualitätskontrolle .............................................................. 255 4.2

Zählende Abnahmeprüfung ............................................................................ 257 4.2.1 Beurteilung und Konstruktion von Prüfplänen ................................. 258 4.2.2

Berechnung der Annahmekennlinie .................................................... 261

4.2.3

Konstruktion einfacher Prüfpläne durch Vorgabe zweier Punkte auf der Annahmekennlinie ................................................................... 264

4.2.4

Konstruktion eines einfachen Prüfplans mit dem Philips-Verfahren ................................................................................... 267

4.2.5

Konstruktion von der Losgröße abhängiger bzw. unabhängiger Prüfpläne ................................................................................................. 270

4.2.6

Prüfplansammlung Military Standard 105D (MIL-STD 105D) ........ 273

4.2.7 Maximaler mittlerer Durchschlupf und mittlerer Prüfaufwand...... 277 4.2.8 Weiterführende Aufgaben..................................................................... 281 4.3

Messende Abnahmeprüfung ........................................................................... 282 4.3.1 Ausschusswahrscheinlichkeit und minimale Ausschussquote ........ 282 4.3.2

Konstruktion einfacher Prüfpläne bei einem Grenzwert .................. 286

4.3.3 Weiterführende Aufgaben..................................................................... 291

XI

Inhaltsverzeichnis

4.4 5

Literaturhinweise .............................................................................................. 291

Planungssoftware Logistik-Toolbox ......................................................................... 293 5.1

Einführung .......................................................................................................... 293

5.2

Einsatzmöglichkeiten der Logistik-Toolbox ................................................... 297

5.3

5.4

5.2.1

Einsatzmöglichkeiten für Studierende ............................................... 297

5.2.2

Einsatzmöglichkeiten für Lehrende .................................................... 298

Allgemeine Funktionen ..................................................................................... 299 5.3.1

Menüstruktur und Seitenmanagement............................................... 299

5.3.2

Hilfetexte (Menü „Hilfe“) ..................................................................... 300

5.3.3

Daten speichern und laden (Menü „Daten“/„Graph“) ..................... 300

5.3.4

Die Tauschmatrix - externer und interner Datenaustausch ............. 301

Anwendung der Logistik-Toolbox................................................................... 304 5.4.1

Beispiel Distributionslogistik ............................................................... 305

5.4.2

Beispiel Beschaffungs- und Produktionslogistik ............................... 307

5.5

Download der Logistik-Toolbox ...................................................................... 312

5.6

Literaturhinweise ............................................................................................... 312

Anhang................................................................................................................................... 313 Stichwortverzeichnis ............................................................................................................ 321

XII

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1-1

Sourcing-Strategien ..................................................................................... 3

Abbildung 1-2

Modular Sourcing........................................................................................ 6

Abbildung 1-3 Ausprägungsformen des Outsourcing.................................................... 16 Abbildung 1-4

Outsourcing-Entscheidung nach dem Transaktionskostenansatz ...... 28

Abbildung 1-5

Outsourcing-Entscheidung auf Basis des marktorientierten Ansatzes ..................................................................................................... 31

Abbildung 1-6

Kompetenzportfolio nach Hinterhuber/Stuhec ..................................... 33

Abbildung 1-7

Phasen des Beschaffungsprozesses ......................................................... 38

Abbildung 1-8

Prozessschritte des Lieferantenmanagements ....................................... 39

Abbildung 1-9

Polaritätenprofil......................................................................................... 48

Abbildung 1-10 Polarprofil................................................................................................... 49 Abbildung 1-11 Lieferanten-Gap-Analyse ......................................................................... 50 Abbildung 1-12 Voraussetzungen für das Einbringen von Lieferanteninnovationen .............................................................................................. 60 Abbildung 1-13 Teilaspekte der Bewertungssituation ...................................................... 63 Abbildung 1-14 Mehrstufiger Bewertungsprozess ........................................................... 65 Abbildung 1-15 Traditioneller Beschaffungsprozess ........................................................ 68 Abbildung 1-16 Beispiel UN/SPSC – CD Tasche ............................................................... 72 Abbildung 1-17 Sell-Side-Lösung ........................................................................................ 76 Abbildung 1-18 Buy-Side-Lösung ....................................................................................... 77 Abbildung 1-19 Elektronischer Marktplatz ........................................................................ 78 Abbildung 1-20 Vor- und Nachteile der Geschäftsmodelle ............................................. 81 Abbildung 1-21 Phasen einer Einkaufsauktion ................................................................. 88 Abbildung 2-1

Darstellung der ABC-Analyse mit der Lorenzkurve .......................... 103

Abbildung 2-2

Beschaffungsgüterportfolio .................................................................... 111 XIII

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 2-3

Lieferantenportfolio ................................................................................ 113

Abbildung 2-4

Beschaffungsgüter-Lieferantenportfolio .............................................. 114

Abbildung 2-5

Rollierende Planung ................................................................................ 118

Abbildung 2-6

Erzeugnisbaum ........................................................................................ 120

Abbildung 2-7

Gozinto-Graph ......................................................................................... 121

Abbildung 2-8

Grundformen von Erzeugnisstrukturen .............................................. 122

Abbildung 2-9 Erzeugnisbaum mit Baukästen .............................................................. 125 Abbildung 2-10 Prognoseverfahren in Abhängigkeit des Bedarfsverlaufs .................. 141 Abbildung 2-11 Prognose eines trendförmigen Bedarfsverlaufs .................................. 143 Abbildung 2-12 Konstanter Bedarfsverlauf...................................................................... 146 Abbildung 2-13 Konstante Nachfrage- und Prognosewerte mit gleitendem Durchschnitt ............................................................................................ 150 Abbildung 2-14 Zusammenhang zwischen Glättungsparameter und Datenalter ...... 154 Abbildung 2-15 Zeitreihe mit Impuls ............................................................................... 154 Abbildung 2-16 Zeitreihe mit Niveauänderung .............................................................. 155 Abbildung 2-17 Nachfrage- und Prognosewerte mit exponentieller Glättung 1. Ordnung ............................................................................................... 157 Abbildung 2-18 Trendförmiger Bedarfsverlauf ............................................................... 158 Abbildung 2-19 Nachfrage- und Prognosewerte mit exponentieller Glättung 2. Ordnung ............................................................................................... 165 Abbildung 2-20 Nachfrage- und Prognosewerte mit dem Verfahren von Smith ........ 170 Abbildung 2-21 Additiver bzw. multiplikativer Saisoneinfluss .................................... 171 Abbildung 2-22 Nachfragewerte und Prognosewerte durch Saisonbereinigung ....... 178 Abbildung 2-23 Nachfrage- und Prognosewerte mit dem Verfahren von Winters ..................................................................................................... 183 Abbildung 2-24 Sporadischer Bedarfsverlauf .................................................................. 184 Abbildung 3-1

Mögliche Kundenreaktionen auf Fehlmengen .................................... 197

Abbildung 3-2

Losgrößenmodell mit Fehlmengen ....................................................... 199

Abbildung 3-3

Losgrößenmodell ohne Fehlmengen .................................................... 204

Abbildung 3-4

Kostenverläufe zur Ermittlung der optimalen Bestellmenge ............ 205

XIV

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 3-5 Sprungweiser Kostenverlauf bei einer Rabattstaffel ........................... 209 Abbildung 3-6

Typische Gesamtkostenverläufe bei einer Rabattstaffel ..................... 210

Abbildung 3-7

Verlauf verschiedener Bestandsarten.................................................... 228

Abbildung 3-8

Ursachen für Fehlprognosen.................................................................. 229

Abbildung 3-9

Dichtefunktion der Normalverteilung.................................................. 230

Abbildung 3-10 Bestellpunktverfahren............................................................................. 236 Abbildung 3-11

s q -Bestellpolitik ................................................................................. 237

Abbildung 3-12

s S -Bestellpolitik ................................................................................. 238

Abbildung 3-13 t q -Bestellpolitik.................................................................................. 239 Abbildung 3-14 t S -Bestellpolitik ................................................................................. 240 Abbildung 3-15

t s q -Bestellpolitik .............................................................................. 241

Abbildung 3-16 t s S -Bestellpolitik .............................................................................. 242 Abbildung 4-1 Qualitätsmerkmale .................................................................................. 253 Abbildung 4-2 Ursachergruppen für Qualitätsschwankungen ................................... 255 Abbildung 4-3

Ideale Annahmekennlinie ( ).............................................................. 259

Abbildung 4-4

Reale Annahmekennlinie ( ) ............................................................... 259

Abbildung 4-5

Fehler 1. Art und Fehler 2. Art ............................................................... 260

Abbildung 4-6

Geforderter Verlauf der Annahmekennlinie ........................................ 265

Abbildung 4-7

Annahmekennlinie für die ʺ10%-Regelʺ ............................................... 271

Abbildung 4-8 Zweistufiger Prüfplan ............................................................................. 272 Abbildung 4-9

Annahmekennlinie für einen zweistufigen Prüfplan mit c = 0 .......... 272

Abbildung 4-10 Festlegung eines Prüfplans nach DIN 40080........................................ 274 Abbildung 4-11 Sprunganweisungen ............................................................................... 276 Abbildung 4-12 Rektifizierende Prüfung ......................................................................... 278 Abbildung 4-13 Mittlerer Durchschnitt ............................................................................ 279 Abbildung 4-14 Ausschusswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit vom Fertigungsniveau .................................................................................... 284 Abbildung 5-1

Logistik-Toolbox: Eingangsbildschirm ................................................. 294

XV

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 5-2

Importdialog ............................................................................................ 301

Abbildung 5-3

Datenübertragung aus der Tabellenkalkulation .................................. 303

Abbildung 5-4

Kundengebiet ........................................................................................... 305

Abbildung 5-5

Gozinto-Graph ......................................................................................... 308

XVI

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1-1

Strategische Chancen und Risiken durch Outsourcing .............................. 18

Tabelle 1-2

Operative Chancen und Risiken durch Outsourcing .................................. 20

Tabelle 1-3

Informationsasymmetrien beim Prinzipal-Agenten-Ansatz ...................... 35

Tabelle 1-4 Kaufsituationen ................................................................................................ 41 Tabelle 1-5 Ausgewählte Haupt- und Subkriterien der Lieferantenbewertung .......... 43 Tabelle 1-6

Qualifiziertes Notensystem ............................................................................ 51

Tabelle 1-7

Höchstpunktzahlverfahren ............................................................................. 52

Tabelle 1-8

Scoring-Modell ................................................................................................. 54

Tabelle 1-9

Aspekte bei der Konfiguration elektronischer Marktplätze....................... 79

Tabelle 1-10 Probleme bei Einkaufsauktionen für den Einkäufer ................................... 92 Tabelle 1-11 Probleme bei Einkaufsauktionen für die Lieferanten.................................. 94 Tabelle 2-1

Handlungsanweisungen für A- und C-Materialien................................... 104

Tabelle 2-2

Kombination von ABC- und XYZ-Analyse................................................. 108

Tabelle 2-3

Merkmale verbrauchs-, plan- und auftragsgesteuerter Teile ................... 110

Tabelle 2-4

Klassifikation der Beschaffungsmaterialien ............................................... 112

Tabelle 2-5

Mengenübersichtsstückliste.......................................................................... 123

Tabelle 2-6

Strukturstückliste ........................................................................................... 124

Tabelle 2-7

Baukastenstücklisten ..................................................................................... 125

Tabelle 2-8

Gozinto-Liste .................................................................................................. 126

Tabelle 2-9

Mehrfachstückliste ......................................................................................... 127

Tabelle 2-10 Mengenübersichtsstücklisten ....................................................................... 127 Tabelle 2-11 Teileverwendungsnachweise ........................................................................ 128 Tabelle 2-12 Zusammenhang zwischen Ordnung n und Glättungsparameter

.... 153

Tabelle 2-13 Prognose mit dem Verfahren von Croston und dessen Modifikationen ............................................................................................... 190

XVII

Tabellenverzeichnis

Tabelle 2-14 Häufigkeitsverteilung beim Bootstrapping-Verfahren von Teunter/Duncan ...................................................................................... 191 Tabelle 3-1

Stochastisch basierte Bestellpolitiken .......................................................... 235

Tabelle 4-1

AQL-Werte in Prozent ................................................................................... 273

Tabelle 4-2

Besondere und allgemeine Prüfniveaus ...................................................... 274

Tabelle 4-3

Kennbuchstaben und zugeordnete Stichprobenumfänge ........................ 275

Tabelle 4-4

Bestimmung der Parameter n und c eines einfachen Prüfplans (normale Prüfung) ....................................................................... 276

Tabelle 5-1

Verfahren der Logistik-Toolbox ................................................................... 295

Tabelle 5-2

Bedarfsdaten EP1 ........................................................................................... 308

Tabelle 5-3

Disponible Bestände ...................................................................................... 309

XVIII

Abkürzungsverzeichnis

AFI

Average Fraction Inspection

ANSI ASC

American National Standards Institute Accredited Standards Committee

AOQ

Average Outgoing Quality

AOQL

Average Outgoing Quality Limit

ATI

Average Total Inspection

AQL

Acceptable Quality Level

DPS

Desktop-Purchasing-System

EDIFACT

Electronic Data Interchange for Administration, Commerce and Transport

EFQM

European Foundation for Quality Management

EOQ

Economic Order Quantity

FuE

Forschung und Entwicklung

i. Allg.

im Allgemeinen

i. d. R.

in der Regel

i. e. S.

im engeren Sinne

i. w. S.

im weiteren Sinne

IQL

Indifferent Quality Level

JiS

Just-in-Sequence

JiT

Just-in-Time

K.-o.- Kriterien

Knock-out Kriterien

MAD

Mittlere absolute Abweichung (mean absolute deviation)

MD

Mittlere Abweichung (mean deviation)

ME

Mengeneinheit

MLK

Multi-Lieferanten-Katalog

XIX

Abkürzungsverzeichnis

MRAD

Mittlere absolute prozentuale Abweichung (mean relative absolute deviation)

MRD

Mittlere prozentuale Abweichung (mean relative deviation)

MSD

Mittlere quadratische Abweichung (mean squared deviation)

RMSD

Wurzel der mittleren quadratischen Abweichung (root mean squared deviation)

RQL

Rejectable Quality Level

TUL

Transport, Umschlag, Lager

TQM

Total Quality Management

u. a.

unter anderem

u. U.

unter Umständen

VMI

Vendor Managed Inventory

XML

Extensible Markup Language

ZE

Zeiteinheiten

z. B.

zum Beispiel

XX

Symbolverzeichnis A

aij

Direktbedarfsmatrix mit Direktbedarfskoeffizienten aij

a

konstanter Koeffizient (Achsenabschnitt)

a

Schätzwert für den konstanten Koeffizienten (Achsenabschnitt)

at

Schätzwert des Achsenabschnitts in Periode t

aij

Direktbedarfskoeffizient zwischen Produkt i und Produkt j Glättungsparameter

b

Steigung

bt

Schätzwert der Steigung in Periode t

c

Annahmezahl

c

fixe Bestellkosten [€]

cB q

variable Bestellkosten [€]

cF

Fehlmengenkostensatz [€/(ME ZE)]

cL

Lagerhaltungskostensatz [€/(ME ZE)]

d

statische Nachfragerate [ME/ZE]

dj

statischer Primärbedarf für Produkt j [ME/ZE]

Dj

feste Eindeckzeit für Produkt j [ZE]

d

N jt

E E et

Nettobedarf für Produkt j in Periode t [ME]

A

Technologiematrix Pfeilmenge Prognosefehler in Periode t Elastizität

t

Irreguläre Komponente in Periode t , normalverteilt

f k

Dichtefunktion der Standardnormalverteilung

F

Fehlmenge [ME]

k

Sicherheitsfaktor bzw. Annahmefaktor

kts

Bewertung des Pfeils t s

K

Kosten [€] XXI

Symbolverzeichnis

lt

Lagerbestand in Periode t [ME]

L

Saisonlänge

Lj

Mindestlosgröße für Produkt j [ME]

Lj

feste Losgröße für Produkt j [ME]

L jt

Losgröße für Produkt j in Periode t [ME]

L p

Operationscharakteristik Wiederbeschaffungszeit

LZ

Lieferzyklus

M

Länge des Prognosezeitraums

M

Anzahl der Elemente einer endlichen Menge M Fertigungsniveau

N

Losumfang

Nk

Menge der direkten Nachfolgerknoten des Knotens k

p

Ausschusswahrscheinlichkeit

q

statische Bestellmenge [ME] Verteilungsfunktion der Standardnormalverteilung

qt

Bestellmenge in Periode t [ME]

R ri

Risikozeitraum statischer Gesamtbedarf für Produkt i [ME]

S

Lagerauffüllgrenze [ME]

st

Saisonkoeffizient für Periode t

SB

Sicherheitsbestand

sk

Schwankungskoeffizient Fertigungsvarianz

R

Standardabweichung der Nachfrage im Risikozeitraum R

eR

Standardabweichung der Prognosefehler im Risikozeitraum R

T

Bestellzykluslänge [ZE] bzw. Länge des Planungszeitraums [ZE]

T'

Länge der Bestellzykluslänge mit nicht-leerem Lager [ZE]

T uj

Länge der Bestellzykluslänge mit leerem Lager [ZE] Dispositionsstufe für Produkt j

V

Knotenmenge

XXII

Symbolverzeichnis

V

E

A

Verflechtungsbedarfsmatrix

Vk

Menge der direkten Vorgängerknoten des Knoten k

X

stochastischer Bedarf

x

Größte ganze Zahl größer oder gleich x

xj

statischer Sekundärbedarf für Produkt j [ME]

yt

Beobachtungswert in Periode t

yt

Prognosewert für Periode t

Z

Anzahl der Zyklen

z

Zinssatz [%]

XXIII

1

Strategische Beschaffung

Strategische Beschaffungsentscheidungen dienen der Überlebensfähigkeit des Unternehmens durch den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit und die Sicherung der Marktposition. Durch die Wahl der richtigen Beschaffungsstrategien wird die Unternehmensund Wettbewerbsstrategie für die Versorgungsprozesse festgelegt. Auch die Entscheidungen bzgl. Eigenfertigung und Fremdbezug müssen in einem strategischen Zusammenhang und nicht nur unter reinen Kostenaspekten betrachtet werden. Durch die optimale Ausgestaltung langfristiger und partnerschaftlicher Zulieferer-Abnehmer-Beziehungen, unterstützt durch ein strategisches Lieferantenmanagement, wird die Beschaffungsfunktion zum integralen Bestandteil der Supply Chain. Des Weiteren hat die strategische Beschaffung einen enormen Einfluss auf die Innovationstätigkeit im Unternehmen, da die Beschaffung die Schnittstelle zum Innovationspartner Lieferant darstellt. Die strategische Beschaffung stellt heute somit in erfolgreichen Unternehmen einen strategischen Erfolgsfaktor dar und wird nicht nur als Erfüllungsgehilfe für die Umsetzung operativer und administrativer Aufgaben gesehen.

Lernziele: Aufgaben der Beschaffung und der Beschaffungslogistik Auswahl geeigneter Sourcing-Strategien Ökonomisch fundierte Ansätze zur Unterstützung von Outsourcing-Entscheidungen Prozess des Lieferantenmanagements und Methoden zur Lieferantenbewertung Zugang zu Lieferanteninnovationen und deren Bewertung Internet-basierte Optimierung der Beschaffungsprozesse

1.1

Abgrenzung der Beschaffung

Die strategische Bedeutung der Beschaffung hat in den letzten Jahren stark zugenommen. In der Vergangenheit wurde die Beschaffung oftmals als Erfüllungsgehilfe mit einer starken Konzentration auf operative und administrative Aufgaben verstanden, wobei Ad-hoc-Beziehungen zu und intensive Preisverhandlungen mit den Lieferanten im Vordergrund standen. Aufgrund einer zunehmenden Konzentration auf die Kern-

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 R. Lasch, Strategisches und operatives Logistikmanagement:Beschaffung

1

1

Strategische Beschaffung

kompetenzen, verbunden mit einer Verringerung der Fertigungstiefe, sowie einer zunehmenden Globalisierung ist der Anteil der zu beschaffenden Güter und Dienstleistungen in den Unternehmen stark angestiegen. Des Weiteren beeinflussen die Lieferanten mit ihrer Innovationsfähigkeit die Technologie und die Qualität von Produkten aber auch von Prozessen immer stärker. Somit wird die Beschaffung heute als strategischer Erfolgsfaktor und Kostengestalter gesehen, sodass strategische Aktivitäten stärker im Mittelpunkt stehen. Im Gegensatz zu den transaktionsorientierten Adhoc-Beziehungen dominiert heute und morgen eine langfristige, partnerschaftliche Beziehungsorientierung, charakterisiert durch gemeinsame Anstrengungen zur Kostenreduktion und Prozessverbesserung. Die Auswahl leistungsfähiger, innovativer und nachhaltiger Lieferanten und die Gestaltung der Beziehungen zu diesen Lieferanten haben somit einen entscheidenden Einfluss auf die Größen Kosten, Zeit, Qualität und Flexibilität einer Supply Chain. Die Beschaffung i. w. S. umfasst sämtliche Aktivitäten der Versorgung eines Unternehmens mit Produktionsfaktoren, d. h. mit der Beschaffung und Bereitstellung von Personal, Anlagen, Kapital, Material und Informationen. Zum Funktionsumfang der Beschaffung gehören die Beschaffungsmarktforschung, die Beschaffungspolitik und das Beschaffungsmarketing. Im Rahmen der Beschaffungsmarktforschung erfolgt eine Marktanalyse, d. h. eine systematische Gewinnung und Aufbereitung von Informationen über aktuelle und potenzielle Beschaffungsmärkte und über deren Beeinflussbarkeit zur Erhöhung der Transparenz sowie eine Marktbeobachtung zum Erkennen beschaffungsrelevanter Entwicklungen. Die Beschaffungspolitik legt die Kommunikations-, die Konditionen-, Produkt- und Bezugspolitik fest. Aufgabe des Beschaffungsmarketings ist die Ausgestaltung der Lieferanten-Abnehmer-Beziehung. Beschaffung i. e. S. bzw. der Einkauf umfasst die operativen Tätigkeiten des betrieblichen Versorgungssystems wie z. B. die Bestellung und Marktabklärung mit dem Ziel der Reduktion des Einstandspreises der Beschaffungsgüter und Dienstleistungen. Die Materialwirtschaft erweitert den Aufgabenbereich der Beschaffung um die Materialbereitstellung, zu der die Teilfunktionen Lagerhaltung und Förderung gehören. Somit umfasst die Materialwirtschaft die objektbezogene, innerbetriebliche Materialplanung und -disposition, die Materialbereitstellung und -entsorgung und zwar unabhängig davon, für welche betrieblichen Teilbereiche diese vollzogen werden1. Die Aufgaben der Materialwirtschaft umfassen die Bereitstellung der für die Gütererzeugung benötigten Materialien in der richtigen Menge und richtigen Qualität, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, mit den richtigen Informationen sowie die Minimierung der mit der Materialbereitstellung anfallenden Kosten. Zur Beschaffungslogistik gehören die Planung, Steuerung, Koordination, Kontrolle und physische Behandlung des Material- und Kaufteileflusses von den Lieferanten bis zur Bereitstellung für die Produktion einschließlich des dazu erforderlichen Informa-

1 Vgl. GROCHLA (1978, S. 15); ARNOLD (1989, S. 48).

2

Sourcing-Strategien

tionsflusses zur zielgerechten Versorgung der Produktion. Der Zuständigkeitsbereich der Beschaffungslogistik erstreckt sich vom Warenausgang der Lieferanten am Beschaffungsmarkt bis zum Eingangslager oder aber auch bis zur Bereitstellung für die Produktion des abnehmenden Unternehmens, wobei das richtige Material in der richtigen Qualität zur Aufrechterhaltung der Produktion zur richtigen Zeit, am richtigen Ort und in der richtigen Menge bereitzustellen ist. Die Beschaffungslogistik bildet somit die Schnittstelle zwischen den Beschaffungsmärkten und dem Unternehmen.

1.2

Sourcing-Strategien

Die Beschaffungsstrategie legt die grundsätzliche Ausrichtung der Beschaffung im Unternehmen fest und konkretisiert die Unternehmens- und Wettbewerbsstrategie bzgl. des Versorgungsprozesses. In Abhängigkeit der Wettbewerbssituation und den Eigenschaften der zu beschaffenden Objekte werden von den Unternehmen Beschaffungsstrategien als Kombination von verschiedenen Sourcing-Strategien formuliert. Die Sourcing-Strategien lassen sich in die folgenden Dimensionen unterteilen: Lieferant, Beschaffungsobjekt, Beschaffungszeit, Beschaffungssubjekt, Technologie, Beschaffungsareal, Ort der Leistungserbringung und Zentralisierungsgrad (vgl. Abbildung 1-1). Beschaffungsstrategien werden anhand ihrer Fähigkeiten beurteilt, wie sie zum Erfolg der Beschaffung durch z. B. eine Leistungsverbesserung, einem geringen Beschaffungsrisiko oder einer Erhöhung der Beschaffungsflexibilität beitragen.

Abbildung 1-1 Sourcing-Strategien

Sourcing-Strategien Lieferanten -anzahl

Beschaffungsobjekt

Beschaffungszeit

Beschaffungssubjekt

Technologie

Beschaffungsareal

Leistungserbringung

Zentralisierungsgrad

Sole

Unit

Stock

Individual

Manual

Local/Regional

Internal

Central

Single

Modular

Demand tailored

Cooperative

Electronic

(Inter-) National

External

Decentral

Parallel

System

Just-in-Time/ Just-inSequence

Global

Hybrid

Double/Dual

Multiple

3

1.2

1

Strategische Beschaffung

1.2.1

Lieferantenanzahl

Die Lieferantendimension bezieht sich auf die Anzahl der Bezugsquellen, von denen eine bestimmte Materialart bezogen werden soll. In der Praxis werden die Konzepte Sole, Single, Parallel, Dual/Double und Multiple Sourcing angewandt2. Sole Sourcing bezeichnet eine Beschaffungssituation, bei der aufgrund der monopolistischen Anbietersituation keine Entscheidungsalternative vorliegt, sodass die Bündelung des gesamten Bedarfs auf einen Zulieferer erzwungen wird. Durch die monopolistische Stellung des Lieferanten verfügt dieser über eine hohe Verhandlungsmacht und es besteht eine sehr hohe Abhängigkeit von diesem Lieferanten. Diese Abhängigkeit kann durch den Abschluss langfristiger Rahmenverträge mit einer Preisfestsetzung, durch die Suche nach Substitutionsprodukten oder durch die Entwicklung neuer Lieferanten reduziert werden. Beim Single Sourcing wird der gesamte Bedarf freiwillig von einem Lieferanten bezogen, obwohl alternative Bezugsquellen existieren. Single Sourcing zeichnet sich durch eine intensive Beziehungsgestaltung zwischen den Partnern, durch gegenseitige Abhängigkeiten mit gegenseitigen Vorteilen, durch aufeinander abgestimmte Organisationen sowie eine abgestimmte materialfluss- und datentechnische Infrastruktur und durch gemeinsame Investitionen und Mitarbeiterteams aus. Dieser Beziehungstyp empfiehlt sich meistens dann, wenn Kosten für die Entwicklung neuer Komponenten aufgeteilt und Qualitätsvorteile im Vordergrund stehen. Single Sourcing spielt insbesondere bei der Just-in-Time oder der Just-in-Sequence Anlieferung eine große Rolle. Die Vorteile dieser Sourcing-Strategie bestehen in der Reduzierung der Beschaffungskosten (z. B. Preisvorteile durch größere Einkaufsmengen, Senkung der Transportkosten und der Kosten für die Qualitätskontrolle, sowie durch geringeren administrativen Aufwand), in einer einfacheren Beherrschbarkeit der Materialströme, in einer Sicherstellung einer gleichmäßigen Qualität sowie in einer Erhöhung der Transparenz des Beschaffungsprozesses. Als Nachteile des Single Sourcing werden die Streikanfälligkeit des einzigen Lieferanten, der Wegfall des Wettbewerbs unter Zulieferern, eine eventuelle Vernachlässigung der technologischen Entwicklung beim Zulieferer und die hohen Austrittsbarrieren (hohe Wechselkosten) beim Wechsel des Zulieferers gesehen. Eine Variante des Single Sourcing stellt das Parallel Sourcing dar, das sich durch eine Kombination von Kooperations- und Wettbewerbsvorteilen auszeichnet. Beim Parallel Sourcing wird der Bedarf produktionsstandort- oder produktmodellspezifisch von jeweils einer Bezugsquelle bezogen. Die Abhängigkeit von nur einem Lieferanten wird reduziert, da nun mehrere Lieferanten zur Lieferung einer Leistung herangezogen werden können. Durch die produktionsstandort- oder produktmodellspezifische Aufteilung sind jedoch mengenbedingte Skaleneffekte im Vergleich zum Single Sourcing nur eingeschränkt realisierbar. 2 Vgl. KONRAD (2005, S, 126ff).

4

Sourcing-Strategien

Als Dual oder Double Sourcing bezeichnet man eine Sourcing-Strategie, bei welcher der Bedarf einer Materialart zur Erhöhung der Versorgungssicherheit von zwei Lieferanten bezogen wird. Während beim Double Sourcing das Bestellvolumen in fixe oder variable Anteile erfolgt, wird beim Dual Sourcing eine anteilige Aufteilung des Gesamtbedarfs in drei Anteile vorgenommen, wobei zwei Anteile fix zugeordnet werden und ein Anteil wettbewerbsinduziert vergeben wird. Somit wird beim Dual Sourcing der Wettbewerb zwischen den beiden Lieferanten gefördert, da der aktuell bessere Lieferant den freien Anteil für die folgende Periode erhält. Als Nachteile des Double oder Dual Sourcing können die teilweise Abhängigkeit von beiden Lieferanten, eine mittlere Flexibilität sowie ein Know-how-Transfer in Richtung des Lieferanten genannt werden. Beim Multiple Sourcing wird der gesamte Bedarf auf mehrere Lieferanten aufgeteilt, wobei die Lieferantenauswahl bei feststehenden Beschaffungsobjektanforderungen i. Allg. über die Beschaffungskosten erfolgt. Die Vorteile werden in einer größeren Unabhängigkeit von den Lieferanten und einer höheren Versorgungssicherheit, im intensiveren Wettbewerb sowie in einer größeren Flexibilität bzgl. der Beschaffungsmengen gesehen. Als Nachteile zeigen sich höhere administrative Kosten für die Kontrolle und Pflege der Lieferanten, hohe Bestellkosten sowie geringe Mengenrabatte aufgrund fehlender Bündelung.

1.2.2

Beschaffungsobjekt

Im Rahmen des Beschaffungsobjekts steht die Komplexität des zu beschaffenden Bedarfs im Vordergrund. Es wird somit das Beschaffungsobjekt nach der Wertschöpfungstiefe im abnehmenden Unternehmen in Unit, Modular und System Sourcing unterschieden3. Beim Konzept des Unit Sourcing werden sämtliche benötigte Rohstoffe oder Einzelteile separat beschafft und anschließend im Unternehmen zu einem Endprodukt verarbeitet. Bei Unternehmen, die Unit Sourcing einsetzen, sind die eigene Fertigungstiefe und die Anzahl der Lieferanten sehr hoch. Durch die geringe Komplexität und i. Allg. auch geringe Spezifität der Beschaffungsobjekte ist die Substituierbarkeit einzelner Lieferanten gewährleistet, sodass eine relative Unabhängigkeit gegenüber Lieferanten gesichert werden kann. Als weitere Vorteile ergeben sich eine Vermeidung eines Know-how-Transfers in Richtung des Lieferanten, die Minimierung von Abstimmungs- und Integrationskosten, eine Vereinfachung der Leistungsvergleichbarkeit sowie eine Erhöhung der Markttransparenz. Nachteile des Unit Sourcing sind der hohe Koordinationsaufwand aufgrund der vielen Lieferanten, die hohe Anzahl an Bestellvorgängen und die damit verbundenen hohen Beschaffungskosten sowie die Bewältigung der gesamten Montagekomplexität im eigenen Unternehmen. 3 Vgl. ARNOLD (2007, S. 24f).

5

1.2

1

Strategische Beschaffung

Eine Reduktion der Anzahl der Lieferanten kann durch Modular Sourcing erreicht werden, indem komplexere und fertigungstechnisch zusammenhängende Einheiten (Baugruppen, Module) beschafft werden4 (vgl. Abbildung 1-2). Voraussetzung für Modular Sourcing ist ein enges, vertrauensvolles und längerfristiges Verhältnis zwischen Abnehmer und dem Modullieferanten. Als Vorteile ergeben sich eine Kostenreduktion durch die Spezialisierungseffekte der Lieferanten, eine Reduktion der internen Komplexität durch eine Verringerung der Teileanzahl (Rohstoffe, Komponenten, Baugruppen) und eine Standardisierung von Endproduktvarianten. Weiterhin lassen sich Administrations- und Abstimmungskosten durch eine Reduktion der Lieferantenbasis und Standardisierung der Beschaffungsprozesse (Schnittstellenreduktion und -standardisierung) senken. Ebenso wird eine Erreichung hoher Qualitätsstandards der Beschaffungsobjekte bei sinkenden Kosten der Qualitätskontrolle ermöglicht und es erfolgt eine Bindung des Lieferanten an das eigene Unternehmen bedingt durch die Spezifität der Beschaffungsobjekte und die spezifischen Investitionen. Als nachteilig erweist sich die steigende Abhängigkeit von den Lieferanten, ein schwieriger Lieferantenwechsel, die Gefahr der Aufgabe von Kernkompetenzen sowie des Verlusts von Fertigungs-Know-how.

Abbildung 1-2 Modular Sourcing

Traditionelle Beschaffungsstruktur Lieferant 1

Hersteller

Lieferant 2 Lieferant 3 Lieferant 4 Lieferant 5

Modular Sourcing Lieferant 1

Systemlieferant

Lieferant 2

Hersteller

Lieferant 3

Lieferant 5

Systemlieferant 4

Systemlieferant

Beim System Sourcing steigt im Vergleich zum Modular Sourcing die Komplexität und der Umfang der Beschaffungsobjekte weiter an, da mehrere Module ein System 4 Vgl. ARNOLD (2007, S. 24f).

6

Sourcing-Strategien

ergeben. Weiterhin erfolgt im Gegensatz zum Modular Sourcing eine Verlagerung von Entwicklungsumfängen zu den Lieferanten, verbunden mit einer Senkung der Entwicklungskosten und Verkürzung der Entwicklungszeiten durch Parallelisierung. Die Anbindung von System- bzw. Modullieferanten hat zur Folge, dass ehemals direkte Lieferanten nun das Unternehmen nur noch indirekt über Systemlieferanten beliefern.

1.2.3

Beschaffungszeit

Bei der Dimension Beschaffungszeit erfolgt eine Entscheidung bzgl. der Höhe der Lagerbestände, wobei als Ausprägungsformen die traditionelle Lagerhaltung (Stock Sourcing), die fallweise Beschaffung (demand tailored) und die produktionssynchrone Beschaffung (Just-in-Time bzw. Just-in-Sequence) unterschieden werden5. Das Ziel der Vorratsbeschaffung besteht darin, die Versorgung der Produktion bei stärker schwankenden Bedarfen bewusst mit Hilfe von Lagerbeständen sicherzustellen und somit die Unabhängigkeit der Beschaffung von der Produktion zu gewährleisten. Da mit dieser Strategie hohe Kapital- und Lagerhaltungskosten verbunden sind, eignet sie sich für Güter mit geringer Wertigkeit (C-Teile) oder mit einem hohen Versorgungsrisiko. Neben der hohen Versorgungssicherheit bestehen weitere Vorteile in niedrigeren Fertigungskosten durch optimale Produktionslose und in der Ausnutzung günstiger Konditionen (z. B. Preise und Kurse) durch die Beschaffung größerer Mengen. Als Nachteile ergeben sich hohe Kosten durch Kapitalbindung sowie Zins- und Lagerhaltungskosten, ein größerer Flächen-, Raum- und Personalbedarf sowie eine größere Schwundgefahr. Eine Variante, die ebenfalls eine kurzfristige Verfügbarkeit der Materialien für die Produktion gewährleistet und zu einer Verringerung der Kapitalbindungskosten führt, stellt das Konsignationslager dar6. Beim Konsignationslager unterhält der Lieferant ein direkt in den Räumlichkeiten des Abnehmers oder aber in dessen unmittelbarer Nähe angesiedeltes Warenlager. Üblicherweise wird ein Konsignationslager durch einen Logistikdienstleister eingerichtet, in das dann mehrere Lieferanten ihre Teile für den Abnehmer einlagern. Die bereitgestellte Ware (Kommissionsware) bleibt hierbei solange im Eigentum des Lieferanten, bis eine tatsächliche Entnahme durch den Abnehmer stattfindet. Der Lieferant füllt das Lager eigenverantwortlich auf, d. h. er kann im Rahmen festgelegter Mindest- und Maximalbestände den Lieferzeitpunkt und die Liefermengen selbst bestimmen. Als sehr wirkungsvoll erweist sich ein Konsignationslager, wenn es mit Vendor Managed Inventory (VMI) verknüpft wird7. Somit erhält der Lieferant Zugriff auf das ERP- oder Lagerverwaltungssystem des Kunden und disponiert Bestände und Nachlieferungen eigenverantwortlich innerhalb definierter

5 Vgl. ARNOLD/EßIG (2000, S. 126f). 6 Vgl. MOHR (2010, S. 259ff). 7 Vgl. WERNER (2013, S. 127ff).

7

1.2

1

Strategische Beschaffung

Regeln und Grenzen. Dies ermöglicht dem Lieferanten die auf ihn übertragenen Kapitalbindungskosten durch eine prozessübergreifende Optimierung seiner Produktion und Distribution möglichst gering zu halten. Neben der Verringerung der Kapitalbindungskosten bestehen weitere Vorteile für den Abnehmer in der Einsparung der Investitionskosten für ein eigenes Warenlager und im geringeren Abwicklungsaufwand, da die Berechnung auf Basis der Entnahmebedingungen häufig nur monatlich abgewickelt wird. Während der Hauptvorteil eines Konsignationslagers für den Lieferanten in der stärkeren Kundenbindung zu sehen ist, kann sich die höhere Kapitalbindung, welche sich durch die Führung eines oder mehrerer Konsignationslager für den Lieferanten ergibt, als nachteilig erweisen. Insbesondere bei kundenspezifischen Teilen, für die es außerhalb der Geschäftsbeziehung keine oder nur geringe Absatzmöglichkeiten gibt, steigt für den Lieferanten das Risiko. Bei der fallweisen Beschaffung wird das Material erst dann beschafft, wenn ein mit einem Auftrag verbundener Bedarf vorliegt. Bei dieser Strategie fällt der Terminplanung eine wichtige Rolle zu und sie bietet sich für schlecht prognostizierbare Bedarfe sowie bei der Leistungserstellung in Einzelfertigung an. Somit werden Kapitalbindungs-, Zins- und Lagerhaltungskosten vermieden. Die Anforderungen an die Lieferanten bzgl. Mengen- und Termineinhaltung sind hoch, da sonst Störungen in der Produktion beim Abnehmer die Folge sein können. Die Nachteile dieser Strategie bestehen in verspäteten Lieferungen, Nichtlieferungen, qualitativ unzureichenden Lieferungen und in höheren Beschaffungskosten durch schlechte Konditionen. Die am Pull-Prinzip orientierte produktionssynchrone Beschaffung setzt einen vorhersehbaren Bedarf über einen längeren Zeitraum voraus. Es wird versucht eine Synchronisation der Beschaffung und Produktion sicherzustellen, um somit die Kosten der Beschaffungslogistik möglichst gering zu halten. Die Beschaffungs- und Bedarfsmengen sind weitgehend identisch und es findet eine Lagerhaltung nur in Form von Übergangslagern statt. Somit wird eine Reduzierung der Bestands-, Lager- und Umschlagskosten sowie der Durchlaufzeiten angestrebt. Als Nachteile der produktionssynchronen Beschaffung ergeben sich eine hohe Abhängigkeit von den Lieferanten, steigende Transportkosten durch eine Erhöhung der Anzahl der Lieferungen sowie erhöhte ökologische Belastungen durch eine Zunahme der LKW-Transporte. Werden die bestellten Produkte nicht in der richtigen Qualität oder Menge angeliefert, so kommt es aufgrund der mangelnden Vorratshaltung zu Produktionsschwierigkeiten. Bei der produktionssynchronen Beschaffung ist somit das Versorgungsrisiko hoch. Mit den Lieferanten wird eine Rahmenvereinbarung mit einer Laufzeit von i. d. R. zwölf Monaten abgeschlossen, die vierteljährlich aktualisiert wird. Die Rahmenvereinbarung beinhaltet eine Bedarfsvorausschau auf Quartalsbasis und fixiert die Qualitätsanforderungen. Der Rahmenauftrag an den Lieferanten erfolgt für einen Zeitraum von drei Monaten und wird monatlich aktualisiert. Mit dem Rahmenauftrag werden beim Lieferanten die von ihm benötigten Materialien für seine Fertigung freigegeben. Beim Direktabruf erfolgt auf der Basis der im Rahmenauftrag geplanten Mengen eine verbindliche Lieferung unter Angabe von Menge, Termin und Ort.

8

Sourcing-Strategien

Als Voraussetzung der produktionssynchronen Beschaffung werden vom Lieferanten hohe Qualitätsanforderungen und eine hohe Lieferbereitschaft gefordert. Weiterhin muss er in der Lage sein, auch kleine Losgrößen wirtschaftlich zu fertigen. Um kurze Lieferzeiten zu gewährleisten, erfolgt meistens eine Ansiedlung des Lieferanten in Werksnähe des Abnehmers. Weiterhin wird ein abgestimmtes Informations- und Planungssystem benötigt, welches den Lieferanten über die benötigte Menge und den richtigen Lieferzeitpunkt informiert. Grundidee der produktionssynchronen Beschaffung ist eine Just-in-Time oder Just-inSequence Anlieferung der Materialien durch eine sehr enge Abstimmung mit den Lieferanten. Unter Just-in-Time versteht man eine produktionssynchrone SourcingStrategie, welche die Abnehmer mit bedarfsgerechten Teilmengen unter Verzicht auf eine Warenannahme und -prüfung versorgt und sich somit für Materialien mit geringer Verbrauchsabweichung und hohem Volumen eignet. Werden die Abnehmer mit bedarfsgerechten Teilmengen sequenzgenau, d. h. in der Reihenfolge des Einbaus am Bedarfsort unter Verzicht auf eine Warenannahme und -prüfung versorgt, dann spricht man in diesem Fall von einer Just-in-Sequence Belieferung. Die informationstechnische Steuerung der Just-in-Sequence gelieferten Umfänge ist mit einem hohen Aufwand verbunden. Entscheidend für eine effiziente Anwendung von Just-in-Time bzw. Just-in-Sequence ist ein intensiver Informationsaustausch, sodass Änderungen des Produktionsprozesses beim Abnehmer direkt an den Lieferanten weitergeleitet werden.

1.2.4

Beschaffungssubjekt

Eine Unterscheidung der Sourcing-Strategie nach den Beschaffungssubjekten überprüft, ob ein Unternehmen seine Beschaffungsaktivitäten individuell (Individual Sourcing) oder innerhalb einer Kooperation von Nachfragern (Cooperative Sourcing) durchführt8. Individual Sourcing liegt vor, wenn die Bedarfe unabhängig von anderen Unternehmen oder Organisationseinheiten beschafft werden. Erfolgen die Beschaffungsaktivitäten im Rahmen einer Kooperation, um nachhaltig Preis- und Prozesskostenvorteile zu erreichen, dann spricht man von Cooperative Sourcing. Die Ausprägungen dieser Kooperationen können sehr vielfältig sein und von einem losen Zusammenschluss bis hin zu der Gründung einer Einkaufsgesellschaft gehen und somit unterschiedliche Intensitäten der Zusammenarbeit aufweisen. Von dieser kooperativen Bedarfsbündelung profitieren insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen, da sie oftmals nicht entsprechend hohe Mengen nachfragen, um Kostenvorteile durch höhere Abnahmemengen zu erreichen. Die Bedarfsbündelung führt zu einer Verbesserung der Nachfragemacht und somit zu einer Stärkung der Verhandlungsmacht kleinerer Unternehmen gegenüber Lieferanten. Neben diesen Kostenvorteilen können durch 8 Vgl. ARNOLD/EßIG (2000, S. 127).

9

1.2

1

Strategische Beschaffung

eine Standardisierung auch Zeitvorteile im Rahmen des Collective Sourcing realisiert werden. Ein wesentliches Problem bei der Umsetzung des Collective Sourcing liegt in der Auswahl geeigneter Kooperationspartner auf der Basis einer gemeinsamen Zielsetzung. Hilfreich erscheint dabei die Schaffung eines Anreizsystems für die potenziellen Kooperationspartner, um das Interesse an einer Zusammenarbeit zu stärken.

1.2.5

Technologie

Unterscheidet man die Sourcing-Strategien bzgl. der eingesetzten Beschaffungstechnologien, dann wird eine Unterteilung in Electronic bzw. Manual Sourcing vorgenommen9. Erfolgt die Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen mit Hilfe moderner Informations- und Kommunikationstechnologien durch die Nutzung von webbasierten Markt- und Austauschsystemen, dann spricht man von Electronic Sourcing. Werden keine webbasierten Technologien für die Beschaffung eingesetzt, dann liegt Manual Sourcing vor. Electronic Sourcing kann z. B. mit Electronic Procurement, d. h. den Einsatz von Technologien, die mit dem Internet in Verbindung stehen (z. B. TCP/IP, HTML, XML), umgesetzt werden. Durch Electronic Procurement können Unternehmen ihre Bestellaufträge direkt in das ERP-System des Lieferanten übermitteln, sodass die Auftragsabwicklungskosten gesenkt werden können. Durch die erhöhte Automatisierung ergeben sich weniger repetitive Aufgaben, der Kontrollbedarf wird reduziert und Redundanzen werden vermieden. Auch lassen sich durch Bedarfsbündelungen oder über reverse Online-Auktionen Reduzierungen bei den Einstandspreisen erzielen. Weiterhin führt der Einsatz von Electronic Procurement zu einer Entlastung der Beschaffungsabteilung von operativen und administrativen Aufgaben, sodass man sich vermehrt auf strategische Aufgaben konzentrieren kann.

1.2.6

Beschaffungsareal

Werden die Sourcing-Strategien bzgl. der geografischen Ausdehnung des Beschaffungsmarktes unterteilt, dann lassen sich die Konzepte Local/Regional, National bzw. International und Global Sourcing unterscheiden10. Beim Local bzw. Regional Sourcing erfolgt die Beschaffung bei lokal bzw. regional ansässigen Lieferanten. Aufgrund der geringen Entfernung zum Lieferanten, verbunden mit niedrigen Transportkosten, kann eine hohe Versorgungssicherheit gewährleistet werden. Weitere Vorteile ergeben sich durch dasselbe Rechtssystem, der gleichen Sprache und Währung, in der Reduktion der Bestands- und Kapitalbindungskosten

9 Vgl. ARNOLD (2007, S. 32f). 10 Vgl. ARNOLD (2007, S. 29f); KONRAD (2005, S, 128).

10

Sourcing-Strategien

durch die Anwendung produktionssynchroner Bereitstellungskonzepte und eine Senkung der Administrationskosten durch eine räumlich-organisatorisch enge Lieferantenanbindung und Definition einheitlicher Rahmenbedingungen. Als nachteilig erweisen sich oftmals der fehlende Bezug zu internationalen Marktpreisen und höhere Einkaufspreise, da lokal bzw. regional eine geringere Wettbewerbssituation, verglichen mit dem globalen Markt, vorliegt. In der Praxis erfolgt oftmals eine Ansiedlung von Lieferanten in Werksnähe des Abnehmers in Form von sogenannten Lieferantenparks. Somit kann eine hohe Versorgung von besonders hochwertigen Beschaffungsobjekten gewährleistet werden, die für die Aufrechterhaltung der Produktion des Abnehmers unbedingt notwendig ist. Erfolgt eine Beschränkung der Versorgung auf einen relativ homogenen Wirtschaftsraum, dann spricht man von National bzw. International Sourcing. Kennzeichnend ist die Beschränkung der Beschaffungsmarktaktivitäten auf einen mehr oder weniger homogenen Wirtschaftsraum (z. B. der Europäische Wirtschaftsraum), um somit die bei Global Sourcing auftretenden Probleme zu vermeiden. Als Vorteile resultieren aufgrund des Wegfalls der Zollabwicklung geringere Transportzeiten sowie – je nach Ausdehnung des Beschaffungsmarkts – einheitliche rechtliche Rahmenbedingungen. Werden die strategischen Aufgaben der Beschaffung auf den globalen Beschaffungsmarkt ausgeweitet, dann spricht man von Global Sourcing. Zu den wesentlichen Anforderungen für ein erfolgreiches Global Sourcing zählen eine intensive Marktforschung, die Handels- und Rechtssicherheit sowie die politische Stabilität des globalen Zuliefererlands, eine gute interkulturelle Kompetenz der Beschaffungsmitarbeiter sowie eine entsprechende datentechnische und logistische Infrastruktur. Als Vorteile ergeben sich durch die Erschließung globaler Lieferanten eine Reduktion der Beschaffungsobjektkosten durch das Ausnutzen von globalen Einkaufspreisdifferenzen (z. B. durch Wechselkursschwankungen, unterschiedliche Kostenstrukturen oder Konjunkturzyklen), eine Versorgung mit im eigenen Land knappen bzw. nicht vorhandenen Gütern, eine Erhöhung der Markttransparenz und Technologiezufuhr, Schaffung von Absatzmärkten durch Kontakte im Rahmen der Beschaffungsaktivitäten, eine Verringerung der Abhängigkeit von inländischen Lieferanten sowie die Erfüllung von LocalContent-Anforderungen11. Zu den Nachteilen des Global Sourcing zählen Transportrisiken, Zollprobleme, hohe bürokratische Hürden, Wechselkursschwankungen, ein unterschiedliches Qualitätsverständnis, ein anderes Rechtssystem sowie politische und wirtschaftliche Instabilitäten.

11 Unter Local-Content-Anforderungen werden Vorschriften von ausländischen Staaten zur

Verwendung von Wertschöpfung aus diesen Staaten verstanden. Somit muss ein bestimmter Anteil der Zulieferteile in diesem Land gefertigt werden. Es gibt mengen-, gewichts- oder wertbezogene Ansätze zur Bestimmung des Vor-Ort-Wertschöpfungsanteils, wobei der wertbezogene Ansatz häufig zur Anwendung kommt. Die von den Unternehmen zu erfüllenden Quoten reichen von 15% bis 100%, sodass ein Unternehmen sein Produkt bei einer Quote von 100% vollständig mit Vor-Ort-Ressourcen herstellen muss.

11

1.2

1

Strategische Beschaffung

Global Sourcing kann in verschiedenen Formen auftreten, wobei eine Unterscheidung durch die Stärke des Engagements des betrachteten Unternehmens im Ausland vorgenommen werden kann. Die schwächste Form umfasst die Beschaffung von Gütern im Inland, die im Ausland gefertigte Komponenten enthalten. Eine indirekte internationale Beschaffung im Ausland kann durch im Ausland ansässige Beschaffungsmittler erfolgen, die für die ausgewählten Lieferanten den Preis, die Qualität und die Lieferzuverlässigkeit garantieren. Des Weiteren kann bei guter Marktkenntnis eine direkte internationale Beschaffung bei ausländischen Lieferanten erfolgen. Die umfassendste Form der globalen Beschaffung umfasst die Errichtung von unternehmenseigenen Beschaffungsinstitutionen im Ausland.

1.2.7

Ort der Leistungserbringung

Bezüglich der Dimension Ort der Leistungserbringung werden die Sourcing-Strategien nach dem Integrationsgrad des Lieferanten in die Fertigung des Abnehmers in Internal und External Sourcing unterteilt12. Bei der traditionellen Form des External Sourcing sind der Produktions- und Bedarfsort nicht identisch, sodass eine räumliche Trennung zwischen Lieferant und Abnehmer besteht. Der Lieferant erbringt seine Wertschöpfung in seinen eigenen Produktionsstätten und liefert anschließend die bestellten Bedarfsobjekte aus. Bei dieser Sourcing-Strategie sind somit die mit dem Transport verbundenen Kosten, Zeitdauern und Risiken zu beachten. Die beschaffungsseitige Integration zwischen Lieferant und Abnehmer führt zu einer räumlichen Annäherung zwischen Lieferant und seinem Hauptabnehmer. Beim Internal Sourcing wird die Wertschöpfung des Lieferanten in die unmittelbare Nähe des Abnehmers verlagert, sodass sich die Produktions- und Logistikaktivitäten optimal aufeinander abstimmen lassen. In Abhängigkeit vom Grad der Integration lassen sich beim Internal Sourcing verschiedene Ausprägungen unterscheiden. Mit der Gründung eines Industrieparks verfolgt der Abnehmer das Ziel, dass sich mehrere Schlüssellieferanten in unmittelbarer Nähe zur eigenen Produktionsstätte ansiedeln. Insbesondere komplexe Leistungsverflechtungen zwischen Lieferant und Abnehmer können aufgrund der räumlichen Nähe besser koordiniert werden. Eine Intensivierung der Zusammenarbeit kann durch das Konzept factory-within-a-factory erreicht werden. Hierbei erfolgt eine Verlagerung der Produktionsprozesse des Lieferanten in die Räumlichkeiten des Abnehmers. Die für die Leistungserbringung benötigten Mitarbeiter sind beim Lieferanten angestellt und die benötigten Betriebsmittel sind Eigentum des Lieferanten. Durch diese sehr enge Integration zwischen Lieferant und Abnehmer lassen sich Transaktions-, Transport-, Umschlags- und Lagerkosten deutlich reduzieren. Der höchste Grad der Integration wird erreicht, wenn der Lieferant neben der

12 Vgl. ARNOLD (2007, S. 30ff).

12

Sourcing-Strategien

Fertigung des Bedarfsobjekts auch noch dessen Montage in das Endprodukt erbringt. Somit werden neben der Wertschöpfung auch die Transaktionsrisiken auf den Zulieferer übertragen. Mit steigender Intensivierung der Zusammenarbeit sind jedoch auch hohe gegenseitige Abhängigkeiten verbunden, sodass keiner der beteiligten Partner kurzfristig die Beziehung beenden kann.

1.2.8

Zentralisierungsgrad

Die Dimension der Zentralisierung unterteilt die Sourcing-Strategien in zentrale, dezentrale und hybride Beschaffungsentscheide13. Beim Central Sourcing erfolgt eine Zentralisierung der strategischen und operativen Beschaffungsaufgaben in einer Organisationseinheit. Die sich daraus ergebenden Vorteile bestehen in klaren Verantwortlichkeiten, in einheitlichen Beschaffungsprozessen, in bereichs- und standortübergreifenden Bündelungseffekten durch größere Beschaffungsmengen und einer Standardisierung der Beschaffungsprozesse. Des Weiteren werden für zentrale Beschaffungsentscheide weniger Personalressourcen benötigt, da eine einzige, zentrale Beschaffungsabteilung für das gesamte Unternehmen zuständig ist. Mit zentralen Beschaffungsentscheiden lassen sich auch Bedarfsschwankungen in den einzelnen Unternehmensbereichen ausgleichen und somit der Gesamtbedarf besser planen. Als nachteilig erweist sich die Distanz zwischen Einkäufer und Anwender, sodass sich Entscheidungswege verlangsamen und somit die Flexibilität bzgl. individueller, standortbezogener Bedarfe vermindert wird. Auch besteht die Gefahr von Zielkonflikten zwischen zentraler Beschaffung und den dezentralen Einheiten. Mit einer Dezentralisierung der Beschaffungsentscheide im Rahmen des Decentral Sourcing kann durch eine direkte Kommunikation zwischen Lieferant und Anwender eine effektivere Lösung von Problemen durch eine bessere Nutzung des dezentralen Know-hows erfolgen. Die Entscheidungsprozesse sind dezentral schneller und es kann flexibler auf veränderte Bedingungen reagiert werden. Bei dezentralen Beschaffungsstrukturen besteht aufgrund von unklaren Verantwortlichkeiten jedoch die Gefahr einer unkoordinierten Beschaffung, die oftmals mit einer Zunahme der Anzahl der Lieferanten verbunden ist. Da bei einer dezentralen Beschaffung kleinere Mengen beschafft werden, gehen somit auch Skaleneffekte verloren. Des Weiteren erhöht die Reduktion der Standardisierung von Produkten und Prozessen die Transaktionskosten. Um die Vorteile der zentralen und dezentralen Beschaffungsentscheide zu kombinieren, erfolgt beim Hybrid Sourcing der strategische Einkauf zentral, während die operative Disposition dezentral abgewickelt wird. Bei hybriden Strukturen werden somit Rahmenverträge mit einzelnen Lieferanten zentral für das gesamte Unternehmen 13 Vgl. LEENDERS ET AL. (2006, S. 37); LARGE (2013, S. 266ff).

13

1.2

1

Strategische Beschaffung

abgeschlossen, die konkreten Beschaffungsmengen werden jedoch von den jeweiligen Bereichen oder Standorten festgelegt. Somit erfolgt eine Kombination von lokaler Kompetenz mit einer übergeordneten Koordination. Diese Koordination zwischen zentralen und dezentralen Einheiten kann durch persönliche Weisung, Selbstabstimmung, Pläne oder der Unternehmenskultur erreicht werden.

Beispiel 1.1: Die optimale Beschaffungsstrategie für ein zu beschaffendes Objekt lässt sich nun gemäß Abbildung 1-1 als Kombination jeweils einer Ausprägung der acht Dimensionen beschreiben. Zu beachten ist jedoch, dass einzelne Ausprägungen wie z. B. Global Sourcing und Internal Sourcing nicht kombiniert werden können. Für Beschaffungsbedarfe, die sich durch einen geringen Wert und eine geringe Komplexität auszeichnen (z. B. Standardteile), eignet sich die Kombination Multiple, Unit, Stock, Cooperative, Electronic, Global, External und Central Sourcing:

Sollen dagegen hochwertige und komplexe Bedarfsgüter beschafft werden, dann ist eine Kombination von Single, System, Just-in-Time, Individual, Electronic, Local, Internal und Decentral Sourcing geeignet:

1.3

Outsourcing als strategische Option

Die Konzentration auf die Kernkompetenzen in den Unternehmen führt zu einer Verringerung der Wertschöpfungstiefe und somit zu der Entscheidung, welche Leistungen im eigenen Unternehmen erstellt (Eigenerstellung) und welche Leistungen zuge-

14

Outsourcing als strategische Option

kauft (Fremdbezug) werden sollen. Diese Entscheidungen müssen in einem strategischen Zusammenhang und nicht nur unter reinen Kostenaspekten betrachtet werden. Beim Begriff Outsourcing handelt es sich um ein Kunstwort, welches sich aus den Worten „outside“, „resource“ und „using“ zusammensetzt und demnach die Nutzung externer Ressourcen beschreibt. Der Begriff umfasst die direkt oder indirekt für eine Leistungserstellung erforderliche Versorgung des Unternehmens (Outsourcing-Geber) mit Inputfaktoren aus einer externen Bezugsquelle (Outsourcing-Nehmer), wobei sich der Prozess grundsätzlich auf alle Sach- und Dienstleistungen beziehen kann. Um beim Bezug einer externen Leistung von Outsourcing sprechen zu können, müssen die folgenden Kriterien erfüllt sein: Die fremdbezogene Leistung wurde bisher im Unternehmen selbst erbracht. Es muss mindestens ein externes, rechtlich und wirtschaftlich eigenständiges Unternehmen oder eine rechtlich selbstständige Tochtergesellschaft am Leistungserstellungsprozess beteiligt sein, das auch Kundenbeziehungen zu anderen Unternehmen unterhält. Die Leistungsübertragung ist permanent oder auf lange Zeit befristet. Mit der Übertragung von Leistungen an Externe tritt an Stelle der Weisungsbefugnis gegenüber eigenen Mitarbeitern eine im Voraus geschlossene, vertragliche Vereinbarung, was Auswirkungen auf die Kontrolle von Abläufen und die Reaktionsfähigkeit des Unternehmens hat.

Das Antonym zum Outsourcing ist das Insourcing, bei dem eine Leistung, die bislang teilweise oder vollständig extern wahrgenommen wurde, nun im Unternehmen selbst erbracht wird. Die Umkehrung der Fremdvergabe wird als Re-Insourcing bezeichnet, d. h. es kommt zu einer Wiedereingliederung einer Leistung, die vormals bereits ausgegliedert worden ist. Das Outsourcing unterscheidet sich vom Make-or-Buy dadurch, dass bisher selbst erbrachte Leistungen fremdvergeben werden. Bei Make-or-BuyEntscheidungen handelt es sich um die Fremdvergabe von Leistungen, die im Unternehmen bisher nicht selbst erbracht wurden.

1.3.1

Ausprägungsformen des Outsourcing

Eine allgemeine Form der Einteilung von Outsourcing lässt sich bzgl. der rechtlichen Beziehung zum Outsourcing-Nehmer in eine Auslagerung oder Ausgliederung vornehmen14 (vgl. Abbildung 1-3).

14 In Anlehnung an HODEL ET AL. (2006, S. 18f).

15

1.3

1

Strategische Beschaffung

Abbildung 1-3 Ausprägungsformen des Outsourcing

Outsourcing

Auslagerung

Fremdvergabe

Ausgliederung

Rechtlich eigenständig Tochtergesellschaft

Rechtlich nicht eigenständig

Profit-Center

Beteiligung

Kooperation

Bei einer Auslagerung handelt es sich um eine Übertragung von zuvor im Unternehmen ausgeführten Leistungen an ein wirtschaftlich unabhängiges Unternehmen. Die Regelung der Geschäftsbeziehung basiert nicht auf hierarchischen Bindungen im Sinne einer Leitungsbefugnis, sondern nur auf der Vertragsgestaltung. Werden Leistungen auf einen Outsourcing-Nehmer übertragen zu dem eine kapitalmäßige Beziehung besteht, aus der sich wiederum eine entsprechende Leitungsbefugnis ableitet, dann spricht man von einer Ausgliederung. Es erfolgt eine Übertragung von Leistungen in Kombination mit einem Übergang von Vermögen auf ein selbstständiges Unternehmen, sodass eine kapitalmäßige Verflechtung entsteht. Eine Ausgliederung kann in eine Tochtergesellschaft, Beteiligung oder Kooperation als rechtlich selbstständiges Unternehmen oder in ein rechtlich nicht eigenständiges Profit-Center erfolgen. Bei einer rechtlich eigenständigen Tochtergesellschaft ist die Leitungsmacht sehr hoch, da die Muttergesellschaft als alleiniger Kapitalgeber über die vertraglichen Bestimmungen nach eigenem Ermessen entscheidet. In der Vertragsgestaltung sind insbesondere die Gewinnabführung und Verlustübernahme sowie die Überlassung von Betriebsvermögen zu regeln. Erfolgt eine Ausgliederung in Form einer Beteiligung, dann werden zusammen mit anderen Kapitalgebern Leistungen und Vermögen einer einzigen Unternehmung übertragen. Da bei einer Beteiligung mehrere Kapitalgeber mit unterschiedlichen Interessen beteiligt sind, muss das vertraglich zu lösende Problem der Verteilung der Leitungsmacht in Abhängigkeit der gewählten Rechtsform gelöst werden. Eine Kooperation oder ein Gemeinschaftsunternehmen entsteht, wenn die Übertragung von Leistungen und Vermögen durch mehrere Unternehmen erfolgt.

16

Outsourcing als strategische Option

Analog zur Beteiligung erweist sich die Verteilung der Leitungsmacht als schwierig. Da die Größe und das Leistungsprogramm der Kapitalgeber stark voneinander abweichen können, muss die Einflussnahme und der Finanzierungsbedarf der Gesellschafter beispielsweise durch die Zusammensetzung eines Leitungsgremiums oder die Verteilung der Stimmgewichte gesteuert werden. Als rechtlich nicht eigenständige und gleichzeitig schwächste Form der Ausgliederung gilt das Profit-Center. Ein Profit-Center stellt eine virtuelle, eigenständige Unternehmung innerhalb des Unternehmens mit dem Ziel dar, einen eigenständigen Periodenerfolg zu generieren. Bei einem Profit-Center besteht bzgl. der Zielerreichung eine Entscheidungsfreiheit bezüglich Leistungsangebot, Qualität, Service und Investitionsvolumen. Im Unterschied zu üblichen Abteilungsstrukturen weist ein Profit-Center eine höhere Flexibilität auf und es besteht das Potenzial zur Optimierung interner Prozesse.

1.3.2

Chancen und Risiken durch Outsourcing

Um Kernkompetenzen zu erhalten und deren Leistungsfähigkeit zu steigern, ist eine kontinuierliche Identifikation, Entwicklung, Integration, Nutzung und ein Transfer von Kernkompetenzen notwendig. Outsourcing wird von Unternehmen als eine Möglichkeit angesehen, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Die ausgelagerten Leistungen sollten dabei grundsätzlich zu den Kernkompetenzen des OutsourcingNehmers gehören. Die Beweggründe für oder gegen eine Outsourcing-Entscheidung lassen sich in strategische und operative Chancen und Risiken unterteilen. Zu den strategischen Gründen für eine Outsourcing-Entscheidung zählen die Konzentration auf Kernkompetenzen, eine Verringerung der Komplexität, eine Steigerung der Flexibilität sowie eine Verlagerung von Risiken. Strategische Risiken einer OutsourcingEntscheidung bestehen in der Abhängigkeit vom Outsourcing-Nehmer, der Preisgabe von Betriebsgeheimnissen, dem Verlust falsch eingeschätzter Kernkompetenzen und im Imageverlust (vgl. Tabelle 1-1). Da Unternehmen nur über knappe Ressourcen verfügen, sollten die vorhandenen Kapazitäten sinnvoll auf strategisch relevante Kompetenzfelder konzentriert werden. Outsourcing führt zu einer Entlastung von Aktivitäten, die für Unternehmen nur Randbereiche darstellen. Durch die Fremdvergabe von Nebentätigkeiten generiert das Unternehmen mehr freie Ressourcen für das eigentliche Kerngeschäft. Diese Ressourcen können dabei sowohl materiellen als auch immateriellen Charakter besitzen. Eine Auslagerungsentscheidung kann durch einen Kapazitätsengpass notwendig werden, wenn die betreffende Ressource einen langfristigen Engpass darstellt. Neben der Konzentration auf die Kernkompetenzen führt Outsourcing durch die Entlastung des Managements und die geringere Bindung personeller Ressourcen auch zu einer Verringerung der Komplexität. Außerdem kann die organisatorische Flexibilität erhöht werden, da der Steuerungsaufwand für einen Outsourcing-Partner meist geringer ist

17

1.3

1

Strategische Beschaffung

als für die eigene Abwicklung der fremdvergebenen Leistung. Manager können ihre Aufmerksamkeit auf diejenigen Prozesse richten, die den Wettbewerbsvorteil des Unternehmens stärken. Im Bereich der Flexibilität kann z. B. die internationale Präsenz eines Outsourcing-Nehmers genutzt werden, um Zugang zu neuen Absatz- oder Beschaffungsmärkten zu erhalten. Durch Outsourcing lassen sich auch Risiken auf den Outsourcing-Nehmer verlagern. Es wird nicht nur eine mögliche fehlerhafte Eigenausführung der Leistung vermieden, sondern auch risikoreiche Investitionen, die im Zusammenhang mit der fremdvergebenen Leistung stehen, und Auslastungsrisiken der Infrastruktur werden auf den Outsourcing-Nehmer übertragen. Des Weiteren lassen sich Verkaufspreis- bzw. Deckungsbeitragsrisiken auf der Absatzseite, die durch auf Gewinn oder Umsatz basierenden Vergütungskonzepte entstehen, und Faktorkostensteigerungsrisiken wie z. B. eine Rohstoffpreiserhöhung auf der Beschaffungsseite vermeiden.

Tabelle 1-1 Strategische Chancen und Risiken durch Outsourcing Strategische Chancen Konzentration auf Kernkompetenzen Generierung freier Ressourcen Vermeidung von Kapazitätsengpässen Komplexitätsverringerung

Strategische Risiken Abhängigkeit vom OutsourcingNehmer

Verlust von Kernkompetenzen

Entlastung des Managements Verringerte Bindung personeller Ressourcen Flexibilitätssteigerung

Preisgabe von Betriebsgeheimnissen

Verringerter Steuerungsaufwand Zugang zu neuen Absatz- und Beschaffungsmärkten Risikoverlagerung

Imageverlust

Vermeidung risikoreicher Investitionen Auslagerung von Verkaufspreisbzw. Deckungsbeitragsrisiken Auslagerung von Mehrverbrauchs- bzw. Faktorkostensteigerungsrisiken Ein wesentliches, strategisches Risiko einer Outsourcing-Entscheidung besteht in der Abhängigkeit vom Outsourcing-Nehmer. Insbesondere die hohe Spezifität der ausge-

18

Outsourcing als strategische Option

lagerten Leistung hat zur Folge, dass ein späterer Wechsel des Outsourcing-Nehmers nur mit einem hohen Aufwand verbunden ist. Kernkompetenzen eines Unternehmens stellen Differenzierungsmerkmale gegenüber der Konkurrenz dar und wirken sich somit entscheidend auf dessen Wettbewerbsfähigkeit aus. Werden Kernkompetenzen jedoch nicht als solche erkannt und fremdvergeben, dann kann sich dies für das Unternehmen sehr nachteilig auswirken. Da sich der Outsourcing-Geber in der fremdvergebenen Leistung nicht mehr weiterentwickelt, kommt es zu einem Verlust des Know-hows. Gerät der Outsourcing-Nehmer in finanzielle Schwierigkeiten oder droht seine Insolvenz, dann muss der mit einer Fremdvergabe verbundene Kompetenz- und Know-how-Verlust kosten- und zeitintensiv wieder aufgebaut oder ein kostspieliger Wechsel des Outsourcing-Nehmers vorgenommen werden. Somit trägt der Knowhow-Verlust wesentlich zur Irreversibilität der Outsourcing-Entscheidung bei. Möglicherweise müssen vertraulich zu behandelnde Informationen oder sogar Betriebsgeheimnisse in einer Outsourcing-Beziehung offengelegt werden, die es dem Outsourcing-Nehmer ermöglichen, langfristig als neuer Konkurrent aufzutreten und in das Kerngeschäft des Outsourcing-Gebers vorzudringen. Ein falsch ausgewählter Outsourcing-Nehmer kann auch durch opportunistisches Verhalten, eine schlechte Leistungsfähigkeit oder durch eine nicht passfähige Unternehmenskultur dem Outsourcing-Geber schaden und zu einem Imageverlust führen. Outsourcing wird als eine Möglichkeit der Verringerung der Kosten und der Verbesserung der Leistung und der Qualität gesehen. Diesen operativen Chancen stehen jedoch auch operative Risiken gegenüber, die zu einer Kostenerhöhung, Leistungsverminderung oder zu Problemen bei den Mitarbeitern führen können (vgl. Tabelle 1-2). Kostenvorteile entstehen durch die sich mit einer Auslagerung ergebenden erhöhten Kostentransparenz und -kontrolle, da insbesondere nicht direkt zurechenbare Kosten (z. B. Logistikkosten) nun als eindeutig zurechenbare Einzelkosten anfallen, welche die Kostenermittlung und -zurechenbarkeit unterstützen. Weiterhin werden durch die Fremdvergabe die Fixkosten variabilisiert, da bisher angefallene Fixkosten nun durch den Outsourcing-Nehmer nach tatsächlicher Inanspruchnahme verrechnet werden. Weitere Möglichkeiten der Kosteneinsparung liegen in der Ausnutzung einer eventuellen Branchenarbitrage, durch die geringere Personalkosten in der Branche des Outsourcing-Nehmers ausgenutzt werden können. Kostenvorteile des OutsourcingNehmers können auch auf günstigeren Standortbedingungen beruhen, da Preise für Rohstoffe, Energie, Mieten oder Personal geringer sind oder steuerliche Vorteile bzw. Subventionen geboten werden. Der bei interner Leistungserstellung fehlende Wettbewerbsdruck verursacht vergleichsweise hohe Kosten, die sich beim OutsourcingNehmer durch die bestehende hohe Konkurrenz reduzieren lassen. Auch führt eine Auslagerung von TUL-Aktivitäten zu einer Bestandssenkung, wodurch sich die Kapitalbindung reduzieren lässt. Der Outsourcing-Nehmer ist durch seine Spezialisierung in einer bestimmten Leistung auf einen großen Kundenkreis ausgerichtet und kann die Auftragsvolumina der verschiedenen Outsourcing-Geber bündeln, um Größendegressionseffekte durch eine verbesserte Kapazitätsauslastung zu erreichen.

19

1.3

1

Strategische Beschaffung

Tabelle 1-2 Operative Chancen und Risiken durch Outsourcing Operative Chancen Kostenvorteile Verbesserte Kostentransparenz Variabilisierung der Fixkosten Geringere Personalkosten Hohe Konkurrenz Abbau der Kapitalbindung Economies of Scale Leistungsverbesserung Zugang zu externem Know-how und technischem Fortschritt Wettbewerbsdruck Ausweitung des Leistungsspektrums Qualitätsverbesserung Verkürzung der Durchlaufzeiten Entlastungswirkungen Verstetigung der Auslastung Flexible Kapazitätsanpassung

Operative Risiken Kostenbezogene Risiken Unterschätzung der Transaktionskosten Preiserhöhung beim OutsourcingNehmer Mangelnde Kostentransparenz Leistungsbezogene Risiken Schnittstellenprobleme Qualitätsprobleme

Personelle Risiken Widerstand gegen OutsourcingEntscheidungen Arbeitsplatzverlust

Aus Qualitätssicht spricht für eine Fremdvergabe an einen Outsourcing-Nehmer dessen erhöhte Innovationskraft und folglich der Zugang zu hochqualifizierten Ressourcen. Da die fremdvergebenen Bereiche Kernkompetenzen des Outsourcing-Nehmers darstellen, verfügt dieser durch seine Spezialisierung meist über höher qualifizierte Fachkräfte, aktuelleres Know-how und modernere Technologien. Der OutsourcingNehmer kann auch Leistungen anbieten, die im eigenen Unternehmen bisher nicht angeboten worden sind, sodass Outsourcing eine Ausweitung des Leistungsspektrums ermöglicht. Des Weiteren ist der Outsourcing-Nehmer im Gegensatz zum auslagernden Unternehmen in seinen Kernkompetenzen einer ständigen Konkurrenz ausgesetzt und muss seine Leistungsprozesse permanent optimieren. Als weiterer Effekt des Konkurrenzdrucks kann eine gesteigerte Servicementalität festgestellt werden, da Qualitätsansprüche und Servicebewusstsein gegenüber internen Kunden bei einer Eigenerstellung der Leistung in der Regel niedriger sind als bei einer Fremdvergabe. Durch die Zusammenarbeit mit dem Outsourcing-Nehmer können bestimmte Leistungen schneller bereitgestellt werden, als es in Eigenfertigung möglich wäre, beispielsweise weil der Outsourcing-Nehmer über größere Kapazitäten oder modernere Technologien verfügt.

20

Outsourcing als strategische Option

Zu den operativen Entlastungswirkungen trägt eine Verstetigung der Auslastung bei, da stark schwankende Leistungsvolumina an einen Outsourcing-Nehmer übertragen werden können. Dadurch wird eine flexible Kapazitätsanpassung beim OutsourcingGeber möglich. Durch eine Bündelung der Leistungsvolumina verschiedener Kunden kann der Outsourcing-Nehmer Synergieeffekte erzielen und seine Ressourcen optimal einsetzen. Eine der wichtigsten operativen Risiken stellt eine Unterschätzung der Transaktionskosten dar. Einerseits können aufgrund einer mangelnden Kostentransparenz der internen Leistungserstellung ungewollte Kostensteigerungen nach der OutsourcingEntscheidung entstehen, da eine falsche Einschätzung der Kosten der Eigenerstellung und des Kostensenkungspotenzials des Fremdbezugs vorliegt. Andererseits kann eine mangelhafte kostenrechnerische Basis, z. B. durch eine falsche Bezugsgrößenbestimmung bei der Entgeltfestsetzung für die Leistungen des Outsourcing-Nehmers, zu einer Kostenerhöhung und nicht zu einer Kostensenkung führen. Ebenso können die Kosten der Eigenerstellung der Leistung überschätzt werden und eine unvorteilhafte Outsourcing-Entscheidung zur Folge haben. Es ist auch zu beachten, dass die erwünschten Kostensenkungspotenziale in der Regel erst mittel- bis langfristig zu erzielen sind, da die Fixkosten oftmals nicht sofort abgebaut werden können. Werden beispielsweise Sachmittel nach einer Fremdvergabe nicht mehr ausgelastet und können auch nicht veräußert werden, dann entstehen sogenannte sprungfixe Kosten. Ein weiteres Risikopotenzial bei der Kostenbetrachtung liegt in der falschen Vorhersage der tatsächlichen Kosten des Fremdbezuges. Wesentliche Einflussgrößen sind hierbei die Unterschätzung des Koordinationsaufwandes und die Gefahr nachträglicher Preiserhöhungen des Outsourcing-Nehmers, die jedoch in der Ausgestaltung des Leistungsvertrages berücksichtigt werden können. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Outsourcing-Nehmer neben den vertraglichen Vereinbarungen noch andere Ziele verfolgt wie z. B. bei einer Leistungserbringung für andere Unternehmen. Somit gilt es, dass sich der Outsourcing-Geber stärker vor opportunistischem Verhalten des Outsourcing-Nehmers schützen muss, als bei einer Eigenerstellung, da eigene Mitarbeiter seiner Weisungsbefugnis unterliegen. Leistungsbezogene Risiken bestehen in einer möglichen Störung zusammengehöriger Prozesse, sodass Schnittstellenprobleme bei der Überwindung räumlicher und zeitlicher Disparitäten zum Outsourcing-Nehmer zu berücksichtigen sind. Es können Reibungspunkte entstehen, wenn Informationen an den Schnittstellen absichtlich verfälscht oder verweigert werden. Darüber hinaus können auch Probleme qualitativer Art die Performance des Outsourcing-Gebers mindern. Gründe dafür sind eine mangelnde oder nachlassende Qualifikation des Outsourcing-Nehmers, insbesondere wenn Leistungen in Niedriglohnländer verlagert werden. Oftmals ist eine Outsourcing-Entscheidung mit einer Entlassung oder Schlechterstellung des eigenen Personals bei Übernahme durch den Outsourcing-Nehmer verbunden. Personelle Probleme bestehen insbesondere in der Angst der Mitarbeiter vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, sodass Demotivation und ein verschlechtertes Unternehmensklima die Folge sein

21

1.3

1

Strategische Beschaffung

können. In manchen Fällen kann dies sogar Widerstände des Personals gegen Auslagerungsentscheidungen hervorrufen.

1.3.3

Ansätze zur Unterstützung der OutsourcingEntscheidung

Eine Outsourcing-Entscheidung kann dazu beitragen die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen zu erhöhen. Jedoch sind die im vorherigen Abschnitt aufgeführten Probleme zu beachten, um die Wettbewerbsfähigkeit des Outsourcing-Gebers nicht zu gefährden. In der Literatur stehen für oder gegen eine Outsourcing-Entscheidung insbesondere pragmatische Ansätze zur Verfügung, die mögliche Chancen und Risiken gegenüberstellen oder einfache kostenrechnerische Überlegungen anstellen. Für eine strategische Entscheidung für oder gegen eine Outsourcing-Entscheidung müssen jedoch auch ökonomisch fundierte Ansätze herangezogen werden. Neben dem kostenrechnerischen Ansatz werden im Folgenden der Transaktionskostenansatz, der marktorientierte Ansatz, der ressourcenbasierte Ansatz sowie der Prinzipal-Agenten-Ansatz behandelt.

1.3.3.1

Kostenrechnerische Ansätze

Im Rahmen der kostenrechnerischen Ansätze erfolgt eine Gegenüberstellung der Kosten für den Fremdbezug einer Leistung mit den entscheidungsrelevanten Kosten einer Eigenfertigung. Die Kosten für die Eigenfertigung hängen von der Fristigkeit der Entscheidung und von der Kapazitätsauslastung ab. Bei einer kurzfristigen Entscheidung wird zwischen einer Engpasssituation und einer Situation, bei der Unterbeschäftigung vorliegt, unterschieden. Beispiele für einen solchen Engpass bzw. eine Unterbeschäftigung sind die zur Verfügung stehenden Arbeitnehmer und der Maschinenpark. Bei kurzfristigen Entscheidungen können diese Kapazitäten evtl. nicht sofort geändert werden, wodurch einige Kostenarten (z. B. Gehälter) konstant bleiben und somit nicht in die Entscheidung einfließen. Somit werden im Rahmen kurzfristiger Entscheidungen bei freien Kapazitäten nur die variablen Kosten (z. B. für Rohstoffe) berücksichtigt, bei einer Engpasssituation spielen dagegen auch die Opportunitätskosten eine Rolle, die bei einer Eigenfertigung für das Bereitstellen zusätzlicher Kapazitäten entstehen. Im Fall einer Unterbeschäftigung wird der Einstandspreis inklusive der beim Outsourcing-Geber noch anfallenden Kosten mit den eigenen Stückkosten verglichen. Sind diese geringer als der Einstandspreis einschließlich der im eigenen Unternehmen noch zu berücksichtigenden Kosten, dann ist die Eigenfertigung vorzuziehen.

22

Outsourcing als strategische Option

Beispiel 1.2: Ein mittelständisches Familienunternehmen stellt metallische Gehäuse für hochwertige Armbanduhren her. Die Rohlinge für die Uhrengehäuse werden im ersten Produktionsschritt mittels eines Stanzverfahrens gefertigt. Steigende Kosten haben die Geschäftsführerin dazu veranlasst, über einen Fremdbezug der Rohlinge des Einsteigermodells „1956“ nachzudenken. In der Eigenproduktion betragen die Materialkosten pro Rohling des 1956er Modells 0,35 €. An Fertigungskosten fallen pro Stück 1,30 € an. Außerdem müssen 0,10 € Verwaltungskosten anteilig für einen Rohling berücksichtigt werden. Würden die Rohlinge fremdbezogen, dann wäre der Einstandspreis bei 1,75 € pro Rohling. Zusätzlich würden Kosten von 0,25 € für Versand, Qualitätskontrolle und verschiedene Verwaltungsaufgaben anfallen. Bei der oben dargestellten kurzfristigen Entscheidungssituation der Unterbeschäftigung werden der Einstandspreis und die zusätzlich anfallenden Kosten eines Fremdbezuges mit den Kosten der Eigenfertigung (pro Rohling) verglichen: Einstandspreis bei Fremdbezug: 1,75 € + zusätzliche, anteilige Verwaltungskosten: 0,25 € Summe 2,00 € Materialkosten bei Eigenfertigung: + Fertigungskosten + anteilige Verwaltungskosten Summe

0,35 € 1,30 € 0,10 € 1,75 €

Der Vergleich der Ergebnisse zeigt, dass sich ein Fremdbezug aus Kostengründen für das Modell „1956“ nicht empfiehlt.

Im Gegensatz zu einer Unterbeschäftigung muss bei einer Engpasssituation noch die Kapazitätsbelastung als weiteres Entscheidungskriterium berücksichtigt werden. Beispiel 1.3: In einem weiteren Fertigungsschritt der Uhrengehäuseherstellung aus Beispiel 1.2 werden aus den Rohlingen die komplexen Geometrien des Gehäuses gefräst. Insgesamt stellt das Unternehmen neben dem 1956er Modell noch vier weitere Grundmodelle der Uhrengehäuse her, wobei der Fräsaufwand entsprechend des Uhrendesigns variiert.

23

1.3

1

Strategische Beschaffung

In der Herstellungsstufe „Fräsen“ ist seit einiger Zeit ein Kapazitätsengpass aufgetreten. Da Termintreue im Uhrengeschäft äußerst wichtig ist, hat sich die Geschäftsführerin dazu entschlossen, eine Fremdfirma mit den Fräsarbeiten zu beauftragen. Es soll eine Entscheidung getroffen werden, welche Grundmodelle in welchen Mengen dabei selbst- bzw. fremdgefertigt werden sollen. In der folgenden Tabelle sind die Kosten für die Eigenfertigung und den Fremdbezug, sowie die Bearbeitungszeiten für die fünf Grundmodelle dargestellt. Außerdem ist angegeben, wie viele Uhrengehäuse je Modell in der folgenden Periode bestellt worden sind. Für die Eigenproduktion verfügt das Unternehmen mit den vorhandenen Fräsmaschinen über eine Kapazität von insgesamt 150 Stunden pro Periode.

Modell 1617 Modell 1797 Modell 1812 Modell 1956 Modell 2000

Kosten EigenKosten Fremdbe- Bearbeitungszeit (t) Produktionsfertigung (k) zug (p) [€] pro Stück [min] menge in Stück [€] 7,50 10,00 20 200 10,00 12,00 15 150 3,50 5,00 5 450 1,75 2,00 2,5 1000 27,50 25,00 30 75

Im ersten Schritt ist bei einer kurzfristigen Engpasssituation der Kostenvorteil der Eigenfertigung gegenüber dem Fremdbezug bezogen auf eine Zeiteinheit zu ermitteln. Anhand dieses engpassbezogenen Kostenvorteils kann eine Entscheidung über die Reihenfolge der Eigenfertigung getroffen werden. In der Tabelle ist zu sehen, dass das Modell „2000“ im Fremdbezug 2,50 € günstiger ist bei einer Eigenfertigung, weshalb hier eine sofortige Entscheidung für den Fremdbezug gefällt wird. Bei den anderen Modellen entstehen Kostenvorteile zwischen 0,1 und 0,3 € je Minute.

Modell 1617 Modell 1797 Modell 1812 Modell 1956 Modell 2000

Kostenvorteil (p-k) [€] 2,50 2,00 1,50 0,25 -2,50

Engpassbezogener Eigenfertigungsvorteil (p-k)/t 0,125 0,133 0,300 0,100

Rang 3 2 1 4

Im nächsten Schritt ist zu ermitteln, wie viele Produkte unter Beachtung der eben ermittelten Reihenfolge und der zur Verfügung stehenden Kapazitäten eigengefertigt werden können. Dazu werden die verbrauchte Kapazität (Produkt aus der Anzahl eigengefertigter Gehäuse und der Bearbeitungszeit) sowie die verbleibende Kapazität sukzessive ermittelt. Es ist zu beachten, dass die gegebene Kapazität von 150 Stunden in Minuten umzurechnen ist (150 Stunden = 9000 Minuten).

24

Outsourcing als strategische Option

Modell 1812 Modell 1797 Modell 1617 Modell 1956 Summe

Eigenfertigung in verbrauchte Kapazi- verbleibende KapaziStück tät [min] tät [min] 450 2.250 6.750 150 2.250 4.500 200 4.000 500 200 500 0 9.000

Im Ergebnis ist zu erkennen, dass der gesamte Bedarf an Uhrengehäusen des Modells „2000“, sowie 800 Stück des Modells „1956“ fremdbezogen werden. Die restlichen Modelle, sowie 200 Stück des Modells „1956“ werden selbst gefertigt.

Modell 1617 Modell 1797 Modell 1812 Modell 1956 Modell 2000 Summe

Produktionsmenge in Stück 200 150 450 1.000 75 1.875

Eigenfertigung in Fremdbezug in Stück Stück 200 150 450 200 800 75 1.000 875

Im Gegensatz zu den kurzfristigen Entscheidungen sind bei langfristigen Entscheidungen in der Regel zusätzlich noch Investitionsentscheidungen zu berücksichtigen. Für eine Entscheidung muss berechnet werden, ab welchem Stückpreis die Eigenfertigung günstiger ist und ab welcher Stückzahl ein Fremdbezug vorzuziehen ist.

Beispiel 1.4: Die Geschäftsführerin des Familienunternehmens aus Beispiel 1.2 ist seit der Berechnung der Kostenvorteile der verschiedenen Gehäusemodelle unschlüssig, wie sie mit dem Gehäusemodell „2000“ weiter verfahren soll. In der aktuellen Situation würde sich ein Fremdbezug augenscheinlich lohnen. Allerdings bestünde auch die Möglichkeit der Investition in eine moderne CNC-Fräsmaschine, die speziell für das futuristische Design des Modells „2000“ geeignet wäre. Ein Fremdbezug von 3900 Stück würde sich mit einem Stückpreis von 25,00 € (Einstandspreis) realisieren lassen. Für die neue Fräsmaschine wäre eine einmalige Investition von 300.000 € notwendig, wobei durch die höheren Anforderungen an das Personal zusätzliche Kosten von 10.000 € pro Jahr entstünden. Die Nutzungsdauer der neuen Maschine wird mit n Jahren angesetzt, außerdem wird mit einem gerechnet. Der Vorteil der neuen Maschine liegt kalkulatorischen Zinssatz von i

25

1.3

1

Strategische Beschaffung

in der wesentlich schnelleren Bearbeitung der Uhrengehäuse, sodass ein Gehäuse des 2000er Modells mit Kosten von 15,00 € kalkuliert werden könnte. Im ersten Schritt ist der Annuitätenfaktor

ANFn i

i n i i n

zu bestimmen. Die Annuität ist eine regelmäßige Rückzahlung, die sich aus Tilgung und Zins zusammensetzt. Der kritische Preis x lässt sich über die folgende Formel bestimmen:

x Der kritische Preis beträgt 27,53 €, sodass ein Fremdbezug um 2,53 € günstiger ist. Die kritische Menge y berechnet sich wie folgt:

Die kritische Menge liegt bei 4.886 Stück pro Jahr, sodass sich ab dieser Menge die Investition aus Kostengründen empfehlen würde. Aus Kostengründen würde sich also die Investition unter den hier genannten Voraussetzungen nicht lohnen. Allerdings ist eine Investitionsentscheidung sehr vielschichtig. So könnte beispielsweise noch geprüft werden, ob auch andere Uhrengehäuse auf der neuen Maschine gefräst werden könnten und somit eine Reduktion der Kosten entstünde. Außerdem sollten auch strategische Überlegungen in die Entscheidung einbezogen werden. Die kostenrechnerischen Ansätze sind sehr kritisch zu betrachten. Einerseits ist die Datenbasis nicht objektiv, da bei der Auswahl und Zuordnung der Größen zu den Kostenstellen insbesondere bei den Gemeinkosten großer Interpretationsspielraum besteht. Andererseits sind die Preise für eine Fremderstellung nur bedingt für einen Vergleich zwischen Eigen- und Fremdfertigung geeignet. Oftmals werden Preise von Outsourcing-Nehmern teilweise unter ihren Selbsterstellungskosten angeboten, um sie später zur Kompensation der Anfangsverluste zu erhöhen. Auch werden bei einer reinen Kostenbetrachtung andere Aspekte wie z. B. Macht, Know-how, wirtschaftliche Lage, Liefertreue, Qualität oder Flexibilität beim Lieferanten nicht berücksichtigt. Aus diesem Grund sollte eine Outsourcing-Entscheidung nicht ausschließlich auf Kostenaspekten basieren. Die rein kostenorientierte, taktisch-operative Entscheidungsfundierung ist als nicht mehr ausreichend zu betrachten und muss um qualitative und strategische Größen erweitert werden.

26

Outsourcing als strategische Option

1.3.3.2

Transaktionskostenansatz

Während der kostenrechnerische Ansatz die Produktionskosten einer Eigenfertigung den Kosten für einen Fremdbezug gegenüberstellt, berücksichtigt der Transaktionskostenansatz diejenigen Kosten, die im Zuge einer Transaktion anfallen. Die Theorie der Transaktionskosten geht auf COASE (1937) zurück, der die Frage nach der Existenz von Unternehmen in der Marktwirtschaft behandelt und auf die optimale Organisation der Austauschbeziehungen zwischen verschiedenen Unternehmen eingeht15. Unter der Annahme, dass die Koordination ökonomischer Aktivitäten mit Kosten verbunden ist und die Produktionstechnologien und Produktionskosten gegenüber Veränderungen der Organisationsform eines Unternehmens invariant sind, werden die Transaktionskosten in Bezug auf die Aufteilung von Aktivitäten entscheidungsrelevant. Die Transaktionskostentheorie wurde besonders durch WILLIAMSON (1985) weiterentwickelt16. WILLIAMSON verfeinerte die extreme Sichtweise auf die beiden Koordinationsformen Markt bzw. Fremdbezug und Hierarchie bzw. Eigenfertigung, indem er ein dazwischenliegendes Spektrum von Organisationsformen aufzeigt, das die Ausprägungen von marktlichen und hierarchischen Elementen vereint17. Die Vorteilhaftigkeit der gewählten Organisationsform ist auch bei WILLIAMSON von der Höhe der Transaktionskosten abhängig, da die Produktionskosten als invariant angesehen werden. Somit zeigt die Transaktionskostentheorie Bedingungen auf, unter denen Leistungen effizienter über den Markt fremdbezogen bzw. innerhalb von Hierarchien (d. h. eine Eigenerstellung) hergestellt werden sollen, und liefert somit eine Entscheidungsgrundlage für die Outsourcing-Entscheidung. Die Transaktionskostentheorie unterscheidet zwischen ex-ante und ex-post Transaktionskosten. Zu den ex-ante Transaktionskosten gehören die Anbahnungskosten, d. h. die Kosten für die Informationssuche zu potenziellen Outsourcing-Nehmern sowie die Vereinbarungskosten, die im Zusammenhang mit Verhandlungen und Vertragsformulierungen anfallen. Ex-post-Transaktionskosten umfassen die Abwicklungskosten, die im Zusammenhang mit der laufenden Leistungserstellung entstehen, Kontrollkosten für die Überwachung von Qualitäts-, Mengen-, Termin-, Preis- und Geheimhaltungsvereinbarungen, sowie die Anpassungskosten, die im Rahmen von Vertragsänderungen aufgrund veränderter Bedingungen während der Laufzeit auftreten. Weiterhin gehören zu den ex-ante-Transaktionskosten noch die Auflösungskosten, die mit der Vertragsaufhebung entstehen. Die Höhe der Transaktionskosten hängt von den drei Umweltfaktoren Spezifität von Transaktionen, Grad und Art der vorherrschenden Unsicherheit der Umwelt sowie der Häufigkeit der Transaktion ab (vgl. Abbildung 1-4).

15 Vgl. COASE (1937). 16 Vgl. WILLIAMSON (1985). 17 Vgl. WILLIAMSON (1996, S. 28).

27

1.3

1

Strategische Beschaffung

Abbildung 1-4 Outsourcing-Entscheidung nach dem Transaktionskostenansatz Umweltfaktoren

Spezifität

Unsicherheit

Häufigkeit der Transaktion

Bestimmung der Transaktionskosten in Abhängigkeit der Umweltfaktoren und der organisatorischen Umsetzung

Entscheidung für transaktionskostenminimale Organisationsform

Organisatorische Umsetzung

Eigenerstellung Hierarchie

Hybride Form

Fremderstellung Markt

Das wichtigste Entscheidungskriterium bildet die Spezifität der für die Transaktion benötigten Faktoren. Dabei handelt es sich um die Verwendungsbreite eines Vermögensgegenstandes aus Sicht des Nutzers, d. h. es liegt hohe Spezifität vor, wenn der betrachtete Faktor nur für den besonderen Zweck im Unternehmen nutzbar ist und anderweitig am Markt nicht verwertet werden kann. Als Faktorspezifitäten können die Standortspezifität (z. B. hohe Einrichtungs- und/oder Verlagerungskosten infolge der Unbeweglichkeit von Anlagen), die Sachkapitalspezifität (z. B. spezielle Maschinen, Anlagen, Werkzeuge, unternehmensübergreifende Informationssysteme), die Humankapitalspezifität (z. B. besondere Personenqualifikationen in Form spezieller Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse), das markenspezifische Kapital in Form von bestimmten Markennamen und zweckgebundene Vermögensgegenstände (z. B. Kapazitätserweiterungen für einen bestimmten Abnehmer) unterschieden werden. Wegen des geringen Marktwertes erhöht sich mit zunehmender Spezifität einer Transaktion die gegenseitige Abhängigkeit der Transaktionspartner und damit ihr Sicherungsbedürfnis, um opportunistisches Verhalten eines Partners zu verhindern. Im Fall einer hohen Spezifität ist somit eine Eigenfertigung mit entsprechenden Weisungs- und Kontrollstrukturen mit geringeren Transaktionskosten verbunden als der Fremdbezug über den Markt. Im Gegensatz dazu sind standardisierte Leistungen als Fremdbezug günstiger zu beziehen, da ein Wechsel des Outsourcing-Nehmers bei unspezifischen Leistungen einfacher und die Opportunismusgefahr geringer ist. Die Unternehmen sollten überprüfen, ob bestimmte spezifische Leistungen, die nur einen geringen spezifischen Wert haben, nicht standardisiert und somit fremdvergeben werden können.

28

Outsourcing als strategische Option

Die Unsicherheit einer Transaktion, die wesentlich von der Faktorspezifität abhängig ist, bestimmt als ein weiterer wichtiger Faktor die Höhe der Transaktionskosten. Bei geringer Spezifität der Faktoren ist die Unsicherheit des ökonomischen Umfeldes gering, da der Vermögenswert in diesem Fall von einer anderen Quelle über den Markt bezogen werden kann. Unsicherheit kann hinsichtlich der ökonomischen Unsicherheit einer Transaktion bestehen oder auch die Leistungserstellung durch den Outsourcing-Nehmer betreffen. Mit zunehmender Unsicherheit gelingt es den Transaktionspartnern immer weniger, umfassende vertragliche Absicherungen zu treffen. Somit ist bei zunehmender Unsicherheit eine Eigenerstellung aufgrund der Weisungsbefugnis gegenüber Mitarbeitern günstiger als kurzfristige marktliche Verträge, da bei diesen mit jeder Veränderung neue Anpassungskosten anfallen. Die Höhe und Art der Transaktionskosten werden auch von der Häufigkeit der Transaktionen determiniert, die wiederum in engem Zusammenhang mit der Faktorspezifität steht. Sind Leistungen spezifisch und haben eine strategische Relevanz, d. h. sie dienen zur Erfüllung marktstrategischer Aufgaben, dann sollten sie mit zunehmender Häufigkeit eher im Unternehmen verbleiben. Durch eine hohe Häufigkeit der Transaktionen können im Unternehmen auch Skalen- und Lerneffekte realisiert werden. Dagegen sollten einmalige oder seltene Leistungen mit geringer Spezifität über den Markt bezogen werden, da sie keine charakteristischen Investitionen benötigen. Nach dem Transaktionskostenansatz ist eine Eigenerstellung dann sinnvoll, wenn aufgrund hoher Spezifität ein hohes Abhängigkeitsrisiko besteht, wenn wegen hoher Unsicherheit hohe Kontroll- und Anpassungskosten entstehen und wenn sich im Unternehmen aufgrund der Häufigkeit der Transaktionen Skaleneffekte realisieren lassen. Eine Outsourcing-Entscheidung ist dann zu befürworten, wenn eine standardisierte Leistung vorliegt, die nur geringen Änderungen unterliegt und aufgrund der Seltenheit der Transaktion keine Mengenvorteile realisiert werden können.

1.3.3.3

Marktorientierter Ansatz

Der marktorientierte Ansatz (Market-based-view) nach PORTER18 fokussiert die strategische Ausrichtung eines Unternehmens auf seine Wettbewerbs- und Marktpotenziale und sieht den Unternehmenserfolg als von Märkten und Branchen vorbestimmt an. Somit sind primär externe Erfolgsfaktoren wie beispielsweise die Umweltsituation, Marktstrukturmerkmale und die relative Wettbewerbsposition für überdurchschnittlichen Erfolg verantwortlich. Die Wahl der Wettbewerbsstrategie einer Unternehmung wird unter Kenntnis und Bewertung der Wettbewerbsregeln getroffen. Ziel ist es diese zu beherrschen und möglichst zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Die Wettbewerbsregeln werden von PORTER durch die fünf Wettbewerbskräfte „Gefahr des Markteintritts neuer Wettbewerber“, „Grad der Rivalität unter bestehenden Wettbewerbern“, „Verhandlungsstärke der Lieferanten“, „Verhandlungsstärke der Abnehmer“ und „Bedrohung durch Substitutionsprodukte“ bestimmt. Je ausgeprägter diese Wett18 Vgl.

29

1.3

1

Strategische Beschaffung

bewerbskräfte sind, desto höher ist die Wettbewerbsintensität und demzufolge sind die individuellen Erfolgsaussichten der Unternehmen gering. Gemäß dem marktorientierten Ansatz kann eine Wettbewerbsstrategie defensiv oder offensiv auf den Umgang mit den genannten Wettbewerbskräften und Marktstrukturmerkmalen ausgelegt sein. Während eine defensive Strategie auf den Schutz vor Wettbewerbskräften ausgerichtet ist, versucht eine offensive Strategie die Stellung des Unternehmens auf dem Markt zu verbessern. In diesem Zusammenhang hat PORTER die Kostenführerschafts-, die Differenzierungsstrategie sowie die aus den strategischen Motiven der Outsourcing-Entscheidung bekannte Konzentration auf Kernkompetenzen vorgeschlagen. Im Rahmen einer Kostenführerschaft strebt das Unternehmen beispielsweise durch Kostendegressionseffekte die Position des kostengünstigsten Anbieters auf dem Markt an. Die Differenzierungsstrategie verfolgt das Ziel, branchenweit einzigartige Leistungen anzubieten, die durch ihre Eigenschaften einen höheren Nutzen bieten als die der Konkurrenz. Eine Konzentration auf Kernkompetenzen führt bei erfolgreicher Ausführung zu einem Wettbewerbsvorteil durch die Fokussierung der unternehmerischen Abläufe auf Nischen in der Branche, wenn diese individuell besser bedient werden können. Die Strategie der Konzentration kann einen Kosten- oder Differenzierungsvorteil erbringen, oder auch beides gleichzeitig generieren. Eine Fokussierung kann auf Abnehmergruppen, auf einen Teil des Produktprogramms oder auf ein geographisches Gebiet erfolgen. Ein geeignetes Instrument zur Untersuchung der Wettbewerbsvorteile ist die Wertkettenanalyse, bei der die materiellen Verflechtungspotenziale der Wertaktivitäten untersucht werden. Da eine Outsourcing-Entscheidung eine für den Wettbewerb vorteilhafte, vertikale Verknüpfung der beteiligten Wertaktivitäten bedeutet, untersucht die Wertkettenanalyse die einzelnen Aktivitäten und Verknüpfungen der Kette, um zu einer Outsourcing-Entscheidung zu gelangen. Zunächst erfolgt die Erfassung der eigenen Wertketten und derjenigen der Konkurrenten, Lieferanten und Abnehmer. Anschließend werden diese bewertet und mittels einer Stärken-Schwächen-Analyse können potenzielle Wettbewerbsvorteile identifiziert werden. Auf der Grundlage der gewonnenen Ergebnisse erfolgt abschließend durch die Gegenüberstellung von Chancen und Risiken eine Outsourcing-Entscheidung (vgl. Abbildung 1-5). Können Vorteile durch vertikale Verknüpfungen im Sinne einer kostenwirksamen Win-win-Situation für das Unternehmen und dessen externen Partner generiert werden, wird eine Fremdvergabe in Betracht gezogen. Es besteht jedoch die Gefahr, dass der Outsourcing-Geber durch eine Fremdvergabe auch Leistungen mit Wettbewerbsvorteilen verliert, sodass seine Marktmacht geschwächt wird. Ein hoher vertikaler Integrationsgrad stellt hingegen auch erhöhte Markteintrittsbarrieren dar, die eine Bedrohung durch potenzielle Konkurrenten reduzieren. Inwiefern die Fremdvergabe oder der gewählte Integrationsgrad zu einer Kostensenkung oder zum Ausbau der Differenzierungsstrategie beiträgt, ist vorrangig durch die betreffende Leistung abhängig und kann durch die Wettbewerbsanalyse transparent gemacht werden.

30

Outsourcing als strategische Option

Abbildung 1-5 Outsourcing-Entscheidung auf Basis des marktorientierten Ansatzes19

Wettbewerbsstrategie

Wertkettenanalyse Ermittlung der Wertketten des eigenen Unternehmens, der relevanten Wettbewerber und der externen Funktionsträger

Wertung der Wertkettensysteme und Identifikation potenzieller Wettbewerbsvorteile durch Outsourcing von Wertaktivitäten

Outsourcing-Entscheidung durch Gegenüberstellung von Wettbewerbsvorteilen und strategischen Risiken unter Berücksichtigung der Fähigkeiten im Verknüpfungsmanagement

1.3.3.4

Ressourcenbasierter Ansatz

Im Gegensatz zum wettbewerbs- und umweltorientierten marktorientierten Ansatz wird beim ressourcenbasierten Ansatz (Resource-based-view) der Erfolg eines Unternehmens durch das Vorhandensein unternehmensspezifischer, einzigartiger Ressourcen erklärt. Der ressourcenbasierte Ansatz geht auf PRAHALAD/HAMEL zurück, die eine rein externe Sichtweise beim marktorientierten Ansatz als nicht zufriedenstellend angesehen haben20. Der ressourcenbasierte Ansatz fokussiert den Aufbau und Schutz unternehmensspezifischer Fähigkeitspotenziale und sieht ein Ressourcenmanagement als Schlüsselrolle für das Erzielen dauerhafter Wettbewerbsvorteile an. Unternehmen generieren einen Vorteil, wenn sie die internen Ressourcen in Bezug auf deren Qualität, Verfügung, Nutzung, Auswahl und Kombination im Vergleich zur Konkurrenz besser und schneller gestalten können. Allerdings erzielen nur diejenigen Ressourcen einen Wettbewerbsvorteil, die21

19 In Anlehnung an RAUBENHEIMER (2010, S. 60). 20 Vgl. PRAHALAD/HAMEL (1990). 21 Vgl. PRAHALAD/HAMEL (1990, S. 83f).

31

1.3

1

Strategische Beschaffung

einen werterzeugenden Charakter besitzen, einzigartig und nicht imitierbar sind, eine gewisse Seltenheit aufweisen und nicht substituierbar sind. Der Wert einer Ressource hängt neben der Seltenheit auch entscheidend von der Kundennachfrage ab, d. h. die Kunden müssen den für sie wertstiftenden Charakter der Ressource an der Leistung auch erkennen. Die Einzigartigkeit ist mit der Seltenheit verbunden, da seltene Ressourcen meist nur wenigen der konkurrierenden Unternehmen zugänglich sind. Technischer Fortschritt gefährdet die Einzigartigkeit jedoch, da durch Innovationen eine Substitution des ursprünglichen Gutes möglich wird. Die Ressourcen können materieller Art (tangible Ressourcen) sein, die sich zumeist über Faktormärkte beziehen lassen, kurzfristig kopierbar sind und deshalb selten eine Quelle für Wettbewerbsvorteile sind. Zu den tangiblen Ressourcen zählen z. B. Rohstoffe, Produktionsanlagen, Grundbesitz und Fabriken. Die immateriellen Ressourcen (intangible Ressourcen) sind meist spezifisch und kurzfristig nicht imitierbar, sodass sie sich für den Aufbau langfristiger Wettbewerbspotenziale eignen. Wichtige intangible Ressourcen stellen beispielsweise Patente, Marken, die Firmenreputation und Unternehmenskultur oder das Know-how der Mitarbeiter dar. Der ressourcenbasierte Ansatz beruht auf der Annahme der Heterogenität der Ressourcenausstattung der Unternehmen und der Unvollkommenheit der Märkte. Grundlage der Heterogenität ist die zeitliche Entwicklung der Unternehmung, innerhalb derer die Ressourcenausstattung einzigartig gewachsen ist und das Potenzial eines langfristigen Wettbewerbsvorteils erbringen kann. Die Unvollkommenheit der Märkte hat zur Folge, dass bestimmte Marktteilnehmer einen Informationsvorsprung haben, der es ihnen ermöglicht sich Ressourcen zugänglich zu machen, die anderen Unternehmen verwehrt bleiben22. Ein Outsourcing sollte das Ziel verfolgen, bei genauer Analyse und Kenntnis der eigenen Kernkompetenzen unwichtige Teilbereiche auszulagern, um so neue Ressourcen für die Stärkung der eigenen Kernkompetenzen zu schaffen. Erfolgt eine aktive Strategie der Erschließung innovativer Kompetenzfelder und Zukunftsmärkte unter Berücksichtigung der Auswirkungen von Fremdvergabemaßnahmen auf das Kompetenzportfolio des Unternehmens, dann spricht man von einem offensiven Outsourcing. Im Gegensatz dazu erfolgt beim defensiven Outsourcing eine passive Absicherung der erreichten Produkt- und Marktposition, ohne dabei die Entwicklungsmöglichkeiten neuer Kompetenzvorteile in Betracht zu ziehen23. Für die Identifikation von Kernkompetenzen aus Ressourcen, der Positionierung von Kompetenzen und der daraus resultierenden Outsourcing-Entscheidung kann das 22 Vgl. RAUBENHEIMER (2010, S. 64). 23 Vgl. RAUBENHEIMER (2010, S. 66).

32

Outsourcing als strategische Option

Kompetenzportfolio nach HINTERHUBER/STUHEC in der Abbildung 1-6 herangezogen werden.

Abbildung 1-6 Kompetenzportfolio nach HINTERHUBER/STUHEC24 hoch

Kundenwert

Kompetenz-Gaps

Kernkompetenzen

Selektives Outsourcing

Eigenfertigung

Kompetenz-Standards

Kompetenz-Potenziale

Fremdbezug

Selektives Outsourcing

niedrig niedrig

Relative Kompetenzstärke

hoch

Im zweidimensionalen Portfolio erfolgt eine Einteilung der Ressourcen anhand der Merkmale relative Kompetenzstärke und Kundenwert. Die Kompetenzstärke beinhaltet die schwierige Imitierbarkeit der Ressource und wird durch den Vergleich der eigenen Fähigkeiten mit denen der Konkurrenz festgestellt. Der Kundenwert misst den Grad der Kundenzufriedenheit an gegenwärtigen und zukünftigen Kriterien wie z. B. die Produkt- und Beratungsqualität. Der Quadrant der Kompetenz-Standards repräsentiert schwache Kompetenzen, die sich auf unbedeutende Leistungseigenschaften beziehen, von den Wettbewerbern besser oder gleich gut beherrscht werden und für die Kunden keine große Bedeutung haben. Da mit diesen Leistungen keine Wettbewerbsvorteile generiert werden können, sind sie für ein Outsourcing prädestiniert. Kompetenz-Gaps weisen einen hohen Kundenwert durch Leistungs- oder Begeisterungsmerkmale der Ressource bei niedriger relativer Kompetenzstärke auf, sodass eine Lücke zwischen der Forderung des Marktes und der Leistung des Unternehmens entsteht. Wird eine defensive Auslagerung, d. h. ohne dabei die Entwicklungsmöglichkeiten neuer Kompetenzvorteile in Betracht zu ziehen, aus Rentabilitätsgründen getroffen, dann kann ein kurzfristiger Erfolg zu weiteren Auslagerungsentscheidun24 Vgl. HINTERHUBER/ STUHEC (1997, S. 11).

33

1.3

1

Strategische Beschaffung

gen führen. Dadurch können jedoch Kompetenzprobleme noch verstärkt werden, da Synergie- und Mengeneffekte innerhalb des Unternehmens reduziert und möglicherweise Wettbewerbspotenziale und Kernkompetenzen latent von OutsourcingNehmern übernommen werden. Bei einem offensiven Outsourcing, bei dem Auswirkungen von Fremdvergabemaßnahmen auf das Kompetenzportfolio des Unternehmens berücksichtigt werden, sollten Potenziale der betrachteten Ressourcen in einer selektiven Entscheidung berücksichtigt werden. Neben dem Fremdbezug kann auch eine Eigenfertigung fortgesetzt werden, falls durch Stärkung der Kompetenzen diese in gewinnbringende Kernkompetenzen transferiert werden können. Der Quadrant der Kompetenz-Potenziale beinhaltet Ressourcen, bei denen das Unternehmen eine führende Position einnimmt, der Kundenwert jedoch als gering angesehen wird. Auch hier besteht die Möglichkeit eines selektiven Outsourcings. Können die bestehenden Potenziale mit zukünftigen Marktentwicklungen verbunden werden, dann sollten diese Potenziale durch weitere Investitionen zu einer Kernkompetenz ausgebaut werden. Werden keine positiven Marktentwicklungen gesehen, dann sollten die vorhandenen Ressourcen und Kapazitäten auf die entscheidenden Kernkompetenzen konzentriert und die Kompetenz-Potenziale durch die Weitergabe von Know-how an einen Outsourcing-Nehmer fremdvergeben werden. Gewinnbringende Kernkompetenzen zeichnen sich durch eine hohe relative Kompetenzstärke gegenüber den Konkurrenten aus und diesen Ressourcen wird gegenwärtig und zukünftig ein hoher Kundenwert zugemessen. Deshalb stellen diese Ressourcen einen Wettbewerbsvorteil dar und sind von einem Fremdbezug auszuschließen. Der ressourcenbasierte Ansatz ermöglicht eine systematische Analyse der eigenen Ressourcenpotenziale und -defizite. Es ist jedoch zu beachten, dass die Kausalzusammenhänge zwischen den Unternehmensressourcen und den ableitbaren Wettbewerbsvorteilen oftmals nicht klar zu erkennen sind, da Ressourcen aus vielen Elementen bestehen, die interagieren und nicht getrennt voneinander untersucht werden können.

1.3.3.5

Prinzipal-Agenten-Ansatz

Der Prinzipal-Agenten-Ansatz analysiert eine Kooperation zwischen ökonomischen Akteuren, sodass er dazu geeignet ist die spezifischen Probleme in der partnerschaftlichen Zusammenarbeit von Outsourcing-Geber (Prinzipal) und Outsourcing-Nehmer (Agent) in einer außenorientierten Sichtweise zu erklären25. Im Mittelpunkt der Betrachtungen des Prinzipal-Agenten-Ansatzes stehen die Austauschbeziehungen zwischen den Outsourcing-Partnern, der Interessenkonflikt und die vertraglich geregelten Steuerungssysteme der Kooperation unter Annahme einer ungleichen Informationsverteilung.

25 Vgl. ALPARSLAN (2006, S. 11).

34

Outsourcing als strategische Option

Innerhalb einer Lieferanten-Abnehmer-Beziehung liegen die Informationen bezüglich der Durchführung der ausgelagerten Leistung zwischen den Parteien unsymmetrisch vor. Einerseits ist diese Informationsasymmetrie eine gewollte Konsequenz aus der Spezialisierung des Lieferanten, da dieser vorrangig durch sein spezielles Wissen bezüglich der fremdvergebenen Leistung beauftragt wird. Andererseits kann der Lieferant durch opportunistisches Handeln diesen Informationsvorsprung ausnutzen, um seine individuellen Interessen durchzusetzen. Durch die Informationsasymmetrie ergeben sich Problemfelder für den Outsourcing-Geber, mit Hilfe derer man die Kooperationsbeziehungen nach Hidden Characteristics, Hidden Action/Information und Hidden Intention klassifizieren kann (vgl. Tabelle 1-3)26.

Tabelle 1-3 Informationsasymmetrien beim Prinzipal-Agenten-Ansatz27 Unterscheidungskriterien Informationsproblem des Principals Problemursache/ wesentl. Einflussgröße Verhaltensspielraum des Agenten Problem

Art der Problembewältigung

Hidden Characteristics Qualitätseigenschaften der Leistung des Vertragspartners unbekannt

Hidden Action / Hidden Information Anstrengungen des Vertragspartners nicht beobachtbar

Verbergbarkeit von Eigenschaften

Überwachungsmöglichkeiten und -kosten

Vor Vertragsabschluss

Nach Vertragsabschluss

Adverse Selection Moral Hazard Interessenangleichung Interessenangleichung Reduzierung der InforBeseitigung der Inmationsasymmetrie formationsasym(Monitoring) metrie durch Signalling/ Screening Self-Selection

Hidden Intention Absichten des Vertragspartners unbekannt Ressourcenabhängigkeit Nach Vertragsabschluss Hold up Interessenangleichung

Die Informationsasymmetrie Hidden Characteristics tritt noch vor Vertragsabschluss auf und bezeichnet diejenigen Informationsungleichheiten hinsichtlich der Eigenschaften des Agenten, die für den Principal nicht festzustellen sind. Für das auslagernde Unternehmen besteht somit das Risiko einen schlechten Vertragspartner auszuwählen (Adverse Selection). Zur Lösung dieses Konfliktes schlägt der Prinzipal-AgentenAnsatz das Signalling oder Screening vor. Während beim Signalling der OutsourcingNehmer die Eigenschaften seiner Leistung offenlegt, fordert beim Screening der Outsourcing-Geber diese in Form von detaillierten Informationen bereits in der Aus26 Vgl. HAUPTMANN (2007, S. 35f). 27 Vgl. HAUPTMANN (2007, S. 36).

35

1.3

1

Strategische Beschaffung

schreibung vom Outsourcing-Nehmer ein. Eine weitere Möglichkeit bietet das SelfSelection, bei der der Outsourcing-Geber den Vertrag so gestaltet, dass sich nur adäquate Outsourcing-Nehmer dafür entscheiden. Allgemein sollte eine Angleichung der Interessen und Ziele der Vertragspartner stattfinden, die ein opportunistisches Handeln des Outsourcing-Nehmers unattraktiv macht. Von Hidden Action oder Hidden Information wird gesprochen, wenn das auslagernde Unternehmen nach Vertragsabschluss die Handlungen zur Erfüllung der Logistikleistung nicht beobachten oder aufgrund fehlenden Know-hows nicht einschätzen kann. Der Outsourcing-Geber kann bei Hidden Action vom Ergebnis der Leistung nicht auf die Aktion des Outsourcing-Nehmers zurückschließen, sodass der OutsourcingNehmer diejenige Handlungsalternative anwenden kann, die seinen Interessen am nächsten kommt. Der Outsourcing-Nehmer kann somit seinen Wissensvorsprung in Bezug auf seine Handlungsmöglichkeiten ausnutzen. Bei dieser Form der Informationsasymmetrie kann der Outsourcing-Geber nicht beurteilen, ob das Ergebnis auf Umwelteinflüsse oder auf die Leistung des Outsourcing-Nehmers zurückzuführen ist. Er ist also einem moralischen Risiko (Moral Hazard) ausgesetzt, da der OutsourcingNehmer seine Handlungsspielräume opportunistisch ausnutzen und den Interessen des Outsourcing-Gebers zuwiderhandeln kann. Zur Lösung dieses Problems kann eine Interessenangleichung erfolgen oder durch umfangreiche Controlling-Systeme kann der Handlungsspielraum des Outsourcing-Nehmers eingeengt und dadurch die Informationsungleichheit reduziert werden (Monitoring). Steht der Outsourcing-Geber z. B. durch transaktionskostenspezifische Vorleistungen (z. B. umfangreiche Investitionen) nach Vertragsabschluss in Abhängigkeit des Outsourcing-Nehmers, dann sind die Absichten des Outsourcing-Nehmers dem Outsourcing-Geber unbekannt (Hidden Intention) und das Abhängigkeitsverhältnis kann opportunistisch ausgenutzt werden. In diesem Zusammenhang spricht man von der Hold-up-Gefahr, wenn der Outsourcing-Nehmer dies ausnutzen kann, um sich selbst einen Vorteil auf Kosten des Outsourcing-Gebers zu verschaffen. Ähnlich dem Transaktionskostenansatz ist die Spezifität der zu tätigenden Investition das Risiko auslösende Moment. Eine Lösung findet sich innerhalb des Prinzipal-Agenten-Ansatzes nur in der Interessenangleichung der Parteien und durch Abschluss langfristiger Vertragsbeziehungen. Bei einer Outsourcing-Entscheidung sind die geschilderten Probleme des PrinzipalAgenten-Ansatzes zu berücksichtigen und anhand der durch sie verursachten Kosten zu bewerten. Beispielhafte Agency-Kosten für den Outsourcing-Geber sind die Überwachung und Kontrolle der Verhaltensweisen des Outsourcing-Nehmers sowie Kautions- oder Garantiekosten. Des Weiteren entstehen auch Kosten des Wohlfahrtverlustes, d. h. der mögliche Nutzenentgang des Outsourcing-Gebers, da der OutsourcingNehmer nicht die den Nutzenerwartungswert des Outsourcing-Gebers maximierende Handlungsalternative wählt. Der Outsourcing-Geber sollte zur Wahrung seiner Interessen und Ziele geeignete Anreiz- und Kontrollsysteme vertraglich einbinden.

36

Lieferantenmanagement

1.4

Lieferantenmanagement

Die Erschließung unternehmensübergreifender Erfolgspotenziale über alle Wertschöpfungsstufen hinweg dient der Leistungserstellung qualitativ hochwertiger und leistungsfähiger Produkte, um die individuellen Kundenwünsche zu befriedigen. Beschaffungsseitige Zulieferer-Abnehmer-Beziehungen entwickeln sich vor diesem Hintergrund zu strategischen Erfolgsfaktoren, wodurch die Beschaffungsfunktion ihre heutige strategische Ausrichtung erlangt und zum integralen Bestandteil der Supply Chain wird. Die Ausgestaltung effizienter leistungs- und wettbewerbsfähiger, langfristiger Lieferantenbeziehungen wird somit zu einem wesentlichen Aufgabenschwerpunkt der Beschaffung. Ausgehend von den verschiedenen Schwerpunktsetzungen wird die Gesamtheit aller Beschaffungsaufgaben mit ihren komplexen und vielfältigen Aufgaben als Phasenoder Prozessmodell dargestellt (vgl. Abbildung 1-7). Diese Teilprozesse können einer strategischen oder einer operativen Ebene zugeordnet werden, da sie einerseits einen langfristigen Bezugsrahmen zur Versorgung des Unternehmens mit den notwendigen Inputfaktoren darstellen und andererseits einen administrativ-verwaltenden Beitrag zur durchgängigen Versorgung des unternehmerischen Tagesgeschäfts leisten. Die normative Ebene des Beschaffungsprozesses beinhaltet den Beitrag der Beschaffung zur Beantwortung der Wertfragen des unternehmerischen Handelns, den Normen, Visionen, Leitlinien, Prinzipien, Verhaltensregeln und die Stellung in Beziehung zu den anderen betrieblichen Funktionsbereichen. Die langfristige Sicherstellung der Versorgung des Unternehmens mit ausgewählten Beschaffungsobjekten unter Beachtung von Kosten-, Flexibilitäts-, Qualitäts- und Zeitzielen stellt die wesentliche Aufgabe der Beschaffung dar. Das Management von Lieferanten wird somit zur Kernaufgabe der Beschaffung, da erst durch entsprechende Lieferanten-Abnehmer-Beziehungen die vorgestellten Ziele realisiert werden können. Die erfolgreiche Realisierung von Zielsetzungen erfolgt im Rahmen von definierten Beschaffungsstrategien, welche als Funktionalstrategie von der Unternehmens- oder Geschäftsbereichsstrategie, die z. B. Qualitäts-, Kosten-, Flexibilitäts- oder Innovationsstrategien subsumieren, abgeleitet werden. Das Lieferantenmanagement, das die einzelnen Schritte von der Identifikation potenzieller Partner bis hin zur Steuerung der Lieferantenbeziehung umfasst, lässt sich mit dem Management von Lieferanten-Abnehmer-Beziehungen gleichsetzen und bildet den Kern des strategischen Beschaffungsmanagements. Die Auswahl eines neuen Lieferanten löst einen Identifikations- und Auswahlprozess aus, da über dessen Leistungsfähigkeit bisher keinerlei Informationen vorliegen. Im Gegensatz dazu erfolgt für bestehende Lieferanten eine kontinuierliche Bewertung mit dem Ziel des Lieferantencontrollings. Die jeweilige Ausprägung dieser Teilprozesse ist von der Beschaffungsstrategie bezüglich der Beschaffungsobjekte sowie den Kaufsituationen abhängig. Den abschließenden Teilprozess stellt die Lieferantensteuerung dar, welche neben beste-

37

1.4

1

Strategische Beschaffung

henden Lieferanten auch neu integrierte Lieferanten berücksichtigt. Im Rahmen der gestalteten Lieferanten-Abnehmer-Beziehungen erfolgen Verhandlungen mit dem Ziel, die Bedarfe des Unternehmens mit den Lieferleistungen abzustimmen. Hierbei müssen Forderungen, Interessen und Erwartungshaltungen der beiden Parteien so abgestimmt werden, dass für beide eine Win-win-Situation bzgl. der benötigten Beschaffungsobjekte realisiert wird. Geeignete produkt-, service-, bezugs-, kommunikations- oder preispolitische Instrumente werden im Verhandlungsprozess als anreizoder forderungsorientierte Methoden eingesetzt, wobei das Ziel darin besteht, mit möglichst geringem Aufwand Anreize zu setzen und möglichst hohe Forderungen zu realisieren.

Abbildung 1-7 Phasen des Beschaffungsprozesses Normen, Ziele und Strategien Situations-, Bedarfsanalyse und -planung Beschaffungsmarktanalyse und -auswahl Lieferantenmanagement Lieferantenvorauswahl

Lieferantenidentifikation Lieferanteneingrenzung Lieferantenanalyse Lieferantenbewertung Lieferantenauswahl

Management der Lieferantenbasis

Lieferantencontrolling

Beschaffungsabwicklung

Steuerung der Lieferantenbeziehung

Beschaffungskontrolle

Lieferantenpflege Lieferantenerziehung Lieferantenförderung Lieferantenentwicklung Lieferantenwechsel

Die Verhandlungsergebnisse werden durch den Abschluss eines Rahmenvertrags fixiert. Die sich anschließende operative Beschaffungsabwicklung umfasst vornehmlich verwaltende, dispositive Tätigkeiten von der Bestellauslösung über die Bestellüberwachung hinweg bis zur Kontrolle von Modalitäts-, Mengen- und Leistungsvorgaben sowie die abschließende Rechnungsprüfung und Zahlung. Der gesamte Be-

38

Lieferantenmanagement

schaffungsprozess wird von Informations-, Kontroll- und Entscheidungsaktivitäten in allen Teilprozessen begleitet. Das Lieferantenmanagement stellt einen Schwerpunkt des übergeordneten Beschaffungsprozesses dar und ist als integraler Bestandteil dessen zu verstehen. Im Folgenden wird Lieferantenmanagement als Prozess verstanden, der bei der Identifikation von Lieferanten beginnt und zur strategischen Lieferantensteuerung führt, die als Instrumente die Lieferantenpflege, -erziehung, -förderung und -entwicklung sowie den Lieferantenwechsel beinhaltet (vgl. Abbildung 1-8)28.

Abbildung 1-8 Prozessschritte des Lieferantenmanagements

Lieferantenvorauswahl

Lieferantenidentifikation Lieferanteneingrenzung Lieferantenanalyse Lieferantenbewertung Lieferantenauswahl

Management der Lieferantenbasis

Lieferantencontrolling

Steuerung der Lieferantenbeziehung Lieferantenpflege Lieferantenerziehung Lieferantenförderung Lieferantenentwicklung Lieferantenwechsel

1.4.1

Lieferantenvorauswahl

Die Lieferantenvorauswahl umfasst die ersten beiden Prozessschritte Lieferantenidentifikation und -eingrenzung des Lieferantenmanagements und zeichnet sich durch einen situationsbezogenen Informationsbedarf hinsichtlich lieferantenspezifischer Daten aus. Nach Feststellung des Beschaffungsbedarfs und Durchführung einer systematischen Beschaffungsmarktforschung wird im Rahmen der Lieferantenidentifikation bestimmt, welche Lieferanten die geforderten Leistungen anbieten. Zuerst sollten im vorhandenen Lieferantenstamm geeignete Lieferanten identifiziert werden, da für 28 Vgl. JANKER (2008, S. 33).

39

1.4

1

Strategische Beschaffung

diese Zulieferer bereits Informationen im eigenen Unternehmen vorliegen. Können keine geeigneten Lieferanten im vorhandenen Lieferantenstamm gefunden werden, die den Anforderungen des Abnehmers gerecht werden, dann muss der in Frage kommende Beschaffungsmarkt abgesteckt und nach potenziellen Lieferanten abgesucht werden. Bei der Informationsgewinnung bedient man sich zunächst sekundärer Quellen, d. h. bereits vorhandener Daten, die für einen anderen Zweck ermittelt wurden. Erfolgversprechend sind Recherchen in Lieferantendatenbanken und in elektronischen Marktplätzen, Informationen aus Katalogen, Publikationen, Statistiken, Börsen- und Marktberichte, Fachzeitschriften, Branchenhandbücher sowie Bezugsquellenverzeichnisse. Zu den primären Quellen, die Daten direkt auf den Beschaffungsmärkten zum Zweck der Erkundung erheben, gehören z. B. persönliche Kontakte innerhalb und außerhalb des Unternehmens, Messekontakte, Kongressbegegnungen, Lieferantenbefragungen oder Lieferantenselbstauskünfte. Aus diesen Informationsquellen stehen insbesondere bei der Identifikation neuer Lieferanten keine gesicherten, vergangenheitsbezogenen Daten im Unternehmen zur Verfügung, sodass die zukünftigen Leistungspotenziale im Rahmen einer Lieferantenbewertung regelmäßig überprüft werden müssen. Die auf den Beschaffungsmärkten identifizierten Anbieter sind grundsätzlich als potenzielle Lieferanten anzusehen. Um den Bewertungsaufwand zu begrenzen, ist eine Beschränkung auf ausgewählte Lieferanten notwendig. Als geeignete Methoden zur Lieferanteneingrenzung können K.-o.-Kriterien (z. B die JiT-Fähigkeit, finanzielle Lage), Zertifikate bzgl. Qualitäts- und Umweltmanagementsysteme oder die Lieferantenselbstauskunft anhand eines Lieferantenfragebogens herangezogen werden.

1.4.2

Lieferantenanalyse und -bewertung

Mit der Lieferantenanalyse wird der Grundstein für die Bewertung der in der Vorauswahl ausgewählten Lieferanten gelegt, indem die Ergebnisse aus der Beschaffungsmarktforschung, der Selbstauskunft und gegebenenfalls einer Auditierung (z. B. System-, Verfahrens-, Qualitätsaudit) zusammengetragen und für die endgültige Lieferantenbewertung aufbereitet werden. In Form einer Momentaufnahme erfolgt eine Querschnittsbetrachtung der wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen und technischen Leistungsfähigkeit potenzieller Lieferanten. Im Rahmen der Lieferantenanalyse wird das gesamte Marktleistungsangebot der Lieferanten untersucht sowie die LieferantenAbnehmer-Beziehungen bzgl. der Machtverhältnisse und der gegenseitigen Abhängigkeiten beurteilt. Die Lieferantenanalyse ist somit eine notwendige Voraussetzung für die sich anschließende Lieferantenbewertung. Unter Einbeziehung verschiedener Fachbereiche werden mit der Lieferantenbewertung zwei Zielsetzungen verfolgt. Zum einen soll zur Auswahl der besten Lieferanten eine fundierte Entscheidungsgrundlage geliefert werden, aus der sich eindeutige Aus-

40

Lieferantenmanagement

sagen über die Leistungsfähigkeit einzelner Anbieter ableiten lassen. Zum anderen sollen in Form einer permanenten bzw. in Intervallen stattfindenden Kontrolle der Leistungsfähigkeit die Bewertungsergebnisse zur Steuerung der Lieferantenbeziehung dienen und somit zur Minimierung von Versorgungsstörungen beitragen29. Durch das Bewertungsmotiv, d. h. ob eine Lieferantenbewertung für die Auswahl von Lieferanten oder für das Lieferantencontrolling durchgeführt wird, werden auch die Wahl der Informationsquellen und die Festlegung der Bewertungskriterien beeinflusst. In Abhängigkeit davon, ob der Lieferant bzw. das Beschaffungsobjekt bekannt ist oder nicht, ergeben sich als mögliche Kaufsituationen die Routinebeschaffung, der Lieferanten- oder Sortimentswechsel sowie die Neuprodukteinführung30.

Tabelle 1-4 Kaufsituationen

Bekannter Lieferant

Neuer Lieferant

Bekanntes Beschaffungsobjekt

Routinebeschaffung

Lieferantenwechsel

Neues Beschaffungsobjekt

Sortimentswechsel

Neuprodukteinführung

Bei einer Routinebeschaffung handelt es sich um einen Wiederholungskauf (engl. rebuy), da das Beschaffungsobjekt und der Lieferant bekannt sind. Eine kontinuierliche Überwachung der Leistungsfähigkeit des Zulieferers erfolgt anhand der bisherigen Erfahrungen, sodass Schwachstellen rechtzeitig erkannt und entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden können. Wird für ein bereits bezogenes Produkt ein neuer Lieferant ausgewählt, dann liegt ein Lieferantenwechsel vor. Aufgrund fehlender Erfahrungen mit dem neuen Lieferanten besteht ein erhöhter Informationsbedarf, wobei als Vergleichsmaßstab für die Bewertung das Leistungsprofil des bisherigen Zulieferers heranzuziehen ist. Bei einem Sortimentswechsel wird ein neues Beschaffungsobjekt von bekannten Lieferanten aus dem Lieferantenstamm bezogen. Die vorhandenen Erfahrungen und Leistungen der bekannten Lieferanten können jedoch nicht ohne Weiteres auf das neue Beschaffungsobjekt übertragen sondern nur geschätzt werden. Der größte Informationsbedarf liegt bei einer Neuprodukteinführung 29 Vgl. GLANTSCHNIG (1994, S. 19). 30 Vgl. ARNOLD (1997, S. 176).

41

1.4

1

Strategische Beschaffung

vor, da es weder Erfahrungswerte über den Lieferanten noch über das Beschaffungsobjekt gibt. Bei dieser Erstkaufsituation sollten zunächst die Anforderungen an das neue Beschaffungsobjekt festgelegt werden, um darauf aufbauend das benötigte Leistungspotenzial des Lieferanten zu bestimmen31. Bevor mit der Lieferantenbewertung begonnen werden kann, muss ein Lieferantenanforderungsprofil definiert werden. Es umfasst eine Reihe von überschneidungsfreien Kriterien, anhand derer die Leistungsfähigkeit der Lieferanten im Zuge eines Mehrfaktorenvergleiches bewertet wird. Bei der Festlegung der Bewertungskriterien für Mehrfaktorenvergleiche gilt es zu berücksichtigen, dass einerseits eine möglichst große Anzahl von Kriterien zu einer besseren Aussagefähigkeit der Bewertungsergebnisse führt, andererseits jedoch ein hoher Informationsbedarf entsteht. Damit nimmt die Komplexität des Bewertungsvorganges zu und die inhaltliche Abgrenzung der Kriterien untereinander wird erschwert. Ein erhöhter Informationsaufwand erscheint immer dann als gerechtfertigt, wenn die aus einer Fehlentscheidung resultierenden Opportunitätskosten sehr hoch sind. Bei Beschaffungen mit einem geringen Einkaufsvolumen sowie einem niedrigen Versorgungsrisiko erscheint die Lieferantenauswahl anhand eines einzigen Beurteilungskriteriums, d. h. Einfaktorvergleiche z. B. anhand der Preise, der Lieferzeit oder der Kosten, sinnvoll. Bei der Auswahl der Bewertungskriterien sollten jene Kriterien herausgefiltert werden, die zu einer prägnanten Charakterisierung der am häufigsten vorkommenden jeweiligen Kaufsituation beitragen und mit angemessenem Zeit- und Kostenaufwand bewertet werden können. Die Auswahl und Gewichtung der Bewertungskriterien erfolgt in der Regel anhand der unternehmensspezifischen Gegebenheiten und den mit der Lieferantenbewertung verfolgten Zielen. So kann beispielsweise die Qualitätszuverlässigkeit des Lieferanten für den Abnehmer von größerer Bedeutung sein als dessen Angebotspreis, sodass das Qualitätsmerkmal eine höhere Gewichtung als der Preis erhält. In der Tabelle 1-5 ist ein Katalog verschiedener Kriterien dargestellt, der die wesentlichen Leistungsbereiche der Zulieferer abzudecken versucht. Für eine umfassende Bewertung der Lieferanten sollten die Mengen-, Qualitäts-, Logistik-, Entgelt-, Service-, Informations-, Innovations- und Umweltleistung sowie die soziale Leistung als Hauptkriterien herangezogen werden. Diese Hauptkriterien werden zusätzlich in die wichtigsten operativen und strategischen Subkriterien weiter unterteilt und liefern somit eine Basis für die unternehmensindividuelle Gestaltung eines Kriterienkatalogs32.

31 Vgl. ARNOLD (1997, S. 176f). 32 Vgl. JANKER (2008, S. 96); GLANTSCHNIG (1994, S. 54ff).

42

Lieferantenmanagement

Tabelle 1-5 Ausgewählte Haupt- und Subkriterien der Lieferantenbewertung Mengenleistung Mindestliefermenge Mengenflexibilität Hohe Auftragsmengen Mengenkonstanz

Qualitätsleistung Produktqualität Erfahrung des Lieferanten Qualifikationsniveau der Mitarbeiter Technologiestand Zertifizierung (ISO 9000:2000) Leistungskonstanz Einsatzvariabilität Werbewert des Lieferanten Qualitätsphilosophie

Logistikleistung Zeitleistung Kurze Lieferzeiten Maßnahmen zur Durchlaufzeitoptimierung Terminzuverlässigkeit Flexible Termingestaltung Ortsleistung Entfernung zum Abnehmer Lagerstellenzugänglichkeit Transportanbindung Lieferortflexibilität Lieferleistung Lieferzuverlässigkeit Liefertreue Exklusivbelieferung Verarbeitungsgerechte Anlieferung Verpackungs- und Transportschutz

Serviceleistung Objektgarantie Kulanzverhalten Nachkaufsicherheit Kundendienst

Informations- / Kommunikationsleistung Kooperationsbereitschaft Kommunikationsbereitschaft Know-how-Transfer Anwendungsberatung Internet-Technologien www-Angebot Datenschutz

Innovationsleistung Technologische Kompetenz Entwicklungspotenzial F&E-Kapazitäten

Entgeltleistung Angebotspreis Konditionengestaltung Zahlungsziel Kostenanalyse Kostenreduktionsaktivitäten

Soziale Leistung Arbeits-, Gesundheitsschutz Kinderarbeit und Ausbeutung Korruptionsbekämpfung Arbeitszeitregeln Engagement in soziale Projekte

Umweltleistung Umweltverträglichkeit Recyclingbereitschaft

43

1.4

1

Strategische Beschaffung

Die Verfahren zur Lieferantenbewertung sollten für den Bewerter transparent und möglichst einfach in der Anwendung sein, sodass er jederzeit die einzelnen Verfahrensschritte nachvollziehen kann. Es sollten vom Bewerter unabhängige und objektive Ergebnisse erzielt werden, die zuverlässig und jederzeit reproduzierbar sind. Im Folgenden werden ausgewählte Verfahren zur Lieferantenbewertung vorgestellt, die für die Auswahl von Lieferanten und für das Lieferantencontrolling gleichermaßen geeignet sind. Die Verfahren der Lieferantenbewertung lassen sich in quantitative und qualitative Verfahren unterteilen. Während quantitative Verfahren auf metrisch skalierten Daten basieren, können qualitative Verfahren entweder generelle Einflüsse auf die Ziele erfassen, oder sie verarbeiten subjektive Einschätzungen und Meinungen.

1.4.2.1

Quantitative Verfahren der Lieferantenbewertung

Quantitative Verfahren berücksichtigen ausschließlich metrisch skalierte Daten, sodass eine Einbeziehung subjektiver Einschätzungen nicht möglich ist. a)

Preis-Entscheidungsanalyse

Die Preis-Entscheidungsanalyse zählt zu den unikriteriellen Verfahren, da eine Entscheidung ausschließlich auf der Basis des Preises getroffen wird. Bezüglich des Preises kann ein Preisvergleich, eine Preisstrukturanalyse oder eine Preisbeobachtung vorgenommen werden33. Ein Preisvergleich kann angewendet werden, wenn Produkte zu unterschiedlichen Preisen und unterschiedlicher Qualität von mehreren Lieferanten angeboten werden. Zu beachten ist, dass eine Umrechnung der Preise auf einen einheitlichen Einstandspreis notwendig ist, um Angebote mit vergleichbaren Konditionen zu bewerten. Bei der Preisstrukturanalyse wird die Preisstruktur des Beschaffungsobjekts auf seine Kosten- und Gewinnbestandteile untersucht. Durch die Analyse der Kalkulation des Preises soll dessen Angemessenheit beurteilt werden, die dann bei Preisverhandlungen genutzt werden kann. So kann beispielsweise der Angebotspreis transparent in die Material-, Fertigungs- und interne Verwaltungskosten sowie den Gewinnaufschlag aufgeschlüsselt werden. Die Preisstrukturanalyse kommt bei denjenigen Produkten (z. B. bei Spezialanfertigungen) zum Einsatz, bei denen der Abnehmer Einfluss auf die Preisgestaltung nehmen kann. Die Veränderung der Beschaffungsobjektpreise im Zeitablauf ist Gegenstand der Preisbeobachtung. Durch Prognosen über die zukünftige Preisentwicklung soll eine Grundlage für Beschaffungsdisposition und Kontraktpolitik des Abnehmers geschaffen werden. Insbesondere für Beschaffungsobjekte mit einer hohen Preisvariabilität erscheint eine fortlaufende statistische Erfassung und Auswertung der Preise sinnvoll. Im Gegensatz zu den meisten international gehandelten Rohstoffen existieren für den Großteil der industriell gefertigten Erzeugnisse keine öffentlich notierten Marktpreise. 33 Vgl. ARNOLDS ET AL. (1998, S. 136ff).

44

Lieferantenmanagement

Eine Preisstrukturanalyse und ein Preisvergleich kommen vor allem bei der Lieferantenauswahl zum Einsatz, die Preisbeobachtung ist dagegen beim Lieferantencontrolling sinnvoll. Bei allen drei Methoden wird jeweils der Lieferant mit dem günstigsten Preis ausgewählt. b)

Kosten-Entscheidungsanalyse

Die Preisstrukturanalyse untersucht nur die Kostenbestandteile am Beschaffungsobjekt. Darüber hinaus sollten im Rahmen einer Kosten-Entscheidungsanalyse auch diejenigen Kosten betrachtet werden, die dem beschaffenden Unternehmen zusätzlich zum reinen Beschaffungspreis entstehen. Zum Einsatz kommen die Cost-RatioMethod34 sowie das das Total Cost Supplier Selection Model35. Bei der Cost-Ratio-Method werden die durch den Lieferanten während eines Beschaffungsvorganges entstehenden Kosten bezüglich Qualität, Lieferung und Service ermittelt und jeweils zum gesamten Einkaufsvolumen ins Verhältnis gesetzt. Die hieraus resultierenden Prozentsätze werden als „Cost-Ratios“ bezeichnet und ergeben in Summe die „Overall-Cost-Ratio“. Abschließend wird der angebotene Einstandspreis mit diesem Prozentsatz multipliziert und damit entsprechend korrigiert. In Summe ergeben sich somit alle durch die Geschäftsbeziehung entstehenden Kosten. Auch das Total Cost Supplier Selection Model basiert auf einem Vergleich der bei der Beschaffung anfallenden Kosten, wobei zusätzlich zur Cost-Ratio-Method noch Risikofaktoren, wie z. B. die finanzielle Situation des Lieferanten, oder Sicherheitsfaktoren, wie z. B. die vorhandene Just-in-Time-Erfahrung berücksichtigt werden. Diese qualitativen Faktoren werden zu einer Vorselektion der Lieferanten genutzt, die eigentliche Entscheidung wird auch wieder anhand der intern und extern anfallenden Kosten durchgeführt. c)

Optimierungsverfahren

Die beiden zuvor beschriebenen Verfahren der Preis- und Kosten-Entscheidungsanalyse bilden die Grundlage für das Verfahren der Linearen Optimierung. Zunächst wird das wichtigste Beschaffungsziel, beispielsweise das „günstigste Preisangebot“, innerhalb der Zielhierarchie als Zielfunktion definiert. Die übrigen Bereichsziele werden als Nebenbedingungen zur gewählten Zielfunktion formuliert. Für diese Nebenbedingungen werden Minimal- oder Maximalanforderungen festgelegt. Im nächsten Schritt werden die vorliegenden Angebote hinsichtlich der Erfüllung der Nebenbedingungen überprüft. Angebote, die außerhalb der festgelegten Anforderungen liegen, werden nicht weiter berücksichtigt. Alle verbleibenden Angebote werden bzgl. der

34 Vgl. ELLRAM (1990, S. 10). 35 Vgl. SMYTKA/CLEMENS (1993, S. 42ff).

45

1.4

1

Strategische Beschaffung

gewählten Zielfunktion in eine Rangfolge gebracht und derjenige Lieferant mit dem besten Zielfunktionswert erhält den Zuschlag36. Da die Festlegung auf eine Zielfunktion sehr problematisch ist, können im Rahmen von Goal-Programming-Ansätzen auch mehrere Zielsetzungen optimiert werden. Beim Goal-Programming wird angenommen, dass für alle Ziele vorab festgelegte Zielvorgaben erreicht werden sollen. Nach Festlegung dieser Zielvorgaben bzw. Anspruchsniveaus wird nach derjenigen Lösung gesucht, welche den Abstand zwischen einem idealen Zielvektor und den tatsächlichen Werten minimiert. Dabei wird angenommen, dass nicht alle Ziele gleichzeitig erreicht werden und daher Abweichungen in Kauf zu nehmen sind. Auch bei diesem Ansatz erfolgt eine Rangfolge als Basis für die Lieferantenauswahlentscheidung37. d)

Kennzahlenverfahren

Die meisten Kennzahlenverfahren bewerten die Leistungsfähigkeit eines Lieferanten anhand einer einzigen Kennzahl. Im Folgenden soll auf das Gesamtwertzahlverfahren und auf Zuverlässigkeitskennzahlen eingegangen werden. Beim Gesamtwertzahlverfahren werden verschiedene Anforderungskriterien zu einer Gesamtwertzahl verdichtet. Dazu wird ein Anforderungskriterium als Hauptkennzahl definiert und alle anderen Kriterien werden derart gewichtet, dass die Summe der Gewichte eins ergibt. Anschließend wird diese Hauptkennzahl mit der gewichteten Summe der anderen Kriterien multipliziert38. Beispielsweise kann mit einer Verdichtung der Merkmale Qualität und Termintreue die Lieferantenqualität zum Ausdruck gebracht werden. Hierzu werden die Qualitätswertzahl (z. B. Anzahl der Lieferungen mit guter Qualität/Gesamtzahl der Lieferungen) und die Terminwertzahl (Anzahl der Lieferungen innerhalb der Lieferfrist/Gesamtzahl der Lieferungen) miteinander multipliziert. Anschließend wird die Gesamtwertzahl mit Hilfe von Vergleichswerten in Kategorien (z. B. hervorragende Leistung bis nicht tolerierbare Leistung) eingeteilt. In Abhängigkeit von der Art der Zuverlässigkeit können auch sogenannte Zuverlässigkeitskennzahlen gebildet werden. Zur Ermittlung der Terminzuverlässigkeit wird die Anzahl der nicht verspäteten Lieferungen zur Gesamtzahl der Lieferungen ins Verhältnis gesetzt. Die Qualitätszuverlässigkeit ergibt sich aus der Division der Anzahl der nicht zu bemängelnden Lieferungen durch die Gesamtzahl aller Lieferungen eines Lieferanten. Als Maß für die Preistreue des Lieferanten ist dessen Preiszuverlässigkeit zu ermitteln, indem der an einem bestimmten Stichtag vereinbarte Preis durch den Lieferpreis dividiert und mit der jeweiligen Bestellmenge multipliziert wird. Durch die Zusammenfassung dieser Zuverlässigkeitskennzahlen ergibt sich ein Zuverlässigkeitsindex.

36 Vgl. HAPKE (1989, S. 97). 37 Vgl. ZIMMERMANN/GUTSCHE (1991, S. 121). 38 Vgl. HARTMANN ET AL. (1997, S. 91).

46

Lieferantenmanagement

e)

Bilanzanalyse

Bilanzanalysen ermöglichen anhand ausgewählter finanzwirtschaftlicher Kennzahlen basierend auf Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen oder Geschäftsberichten einen Überblick über die Liquidität, Investitionen, Kapital-, Kosten- und Umsatzstrukturen sowie Wirtschaftlichkeit der Lieferanten. Bezogen auf einen Zeitpunkt haben diese Kennzahlen jedoch keinen Aussagewert und sollten deshalb über mehrere Jahre betrachtet werden, um somit Entwicklungen aufzeigen zu können. Die Qualität dieser Werte lässt sich durch Vergleiche mit Branchendurchschnittswerten oder Analyseergebnissen anderer Anbieter feststellen. Mit der Bilanzanalyse kann allerdings nur ein Teil des Leistungsspektrums der Lieferanten analysiert werden. Für eine umfassende Bewertung sind Zusatzinformationen zwingend erforderlich. Daher erscheint eine Auswahlentscheidung anhand der Ergebnisse der Bilanzanalyse wenig sinnvoll39.

1.4.2.2

Qualitative Verfahren der Lieferantenbewertung

Sofern Informationen oder Daten nicht quantifizierbar sind, handelt es sich um sogenannte weiche Daten. Qualitative Verfahren können neben quantifizierbaren Kriterien insbesondere subjektive Einschätzungen basierend auf plausiblen, validen und nachvollziehbaren inhaltlichen Meinungen und Argumenten in der Lieferantenbewertung berücksichtigen. Zu den wichtigsten qualitativen Verfahren der Lieferantenbewertung gehören graphischen Verfahren (z. B. Profilanalyse, Lieferanten-Gap-Analyse), numerische Verfahren (z. B. Notensysteme, Punktbewertungsverfahren) und verbale Verfahren (z. B. Checklistenverfahren). a)

Profilanalyse

Zur graphischen Visualisierung der Leistungsfähigkeit verschiedener Lieferanten eignet sich die Profilanalyse. Auf der Grundlage von qualitativen und quantitativen Merkmalen kann ein direkter Vergleich verschiedener Lieferanten vorgenommen werden, indem deren Stärken und Schwächen vergleichend in einem Polaritäten- oder Polarprofil dargestellt werden. In der Profilanalyse erfolgt eine ungewichtete Berücksichtigung verschiedener Merkmale. Somit hängt die Auswahl des besten Lieferanten davon ab, welche Hauptkriterien für das abnehmende Unternehmen am bedeutsamsten sind. Des Weiteren kann in Form von Minimalanforderungen ein Soll-Profil definiert werden, mit dem die individuellen Ist-Profile der Lieferanten verglichen werden. Es wird derjenige Lieferant ausgewählt, dessen Profil die größte Übereinstimmung mit dem Soll-Profil aufzeigt. In der Abbildung 1-9 ist ein Polaritätenprofil dargestellt, in dem die Merkmale aufgelistet und deren Ausprägungen auf einer Skala von 0 (sehr schlecht) bis 8 (ausgezeichnet) für jeden Lieferanten durch Linien verbunden werden. Es ist ersichtlich, dass

39 Vgl. GLANTSCHNIG (1994, S. 25).

47

1.4

Lieferant 1 nur bei der Innovations- und Serviceleistung sowie bei der sozialen Leistung besser als Lieferant 2 abschneidet.

Abbildung 1-9 Polaritätenprofil 8 Lieferant 1

6

Lieferant 2 4

Soziale Leistung

Umweltleistung

Entgeltleistung

Informationsleistung

Serviceleistung

Logistikleistung

Qualitätsleistung

0

Innovationsleistung

2 Mengenleistung

Ausprägung

1

Strategische Beschaffung

Leistungsmerkmal

Im Polarprofil werden die Merkmalsausprägungen sternförmig abgetragen und verbunden. In der Abbildung 1-10 sind die beiden Lieferanten aus der Abbildung 1-9 in einem Polarprofil dargestellt. Auch hier ist die Überlegenheit von Lieferant 2 bei fünf der neun Hauptkriterien erkennbar. Wesentliche Nachteile der Profilanalyse sind die Unübersichtlichkeit beim Eintragen vieler Lieferanten bzw. Merkmale sowie die mangelnde Eindeutigkeit der Auswahlentscheidung. Aufgrund der Überlagerung der Profile gibt es in den wenigsten Fällen einen dominanten Lieferanten, sodass eine eindeutige Auswahl nur über eine Gewichtung der Merkmale möglich ist.

48

Lieferantenmanagement

Abbildung 1-10 Polarprofil

Soziale Leistung

Mengenleistung 8 Innovationsleistung

6 4 Umweltleistung

2

Qualitätsleistung

0

Entgeltleistung

Logistikleistung

Informationsleistung

Lieferant 1

b)

Serviceleistung

Lieferant 2

Lieferanten-Gap-Analyse

Die Lieferanten-Gap-Analyse basiert auf einem reinen Soll-Ist-Vergleich, der auf einem umfangreichen Lieferantenmerkmalskatalog basiert40. Dieser setzt sich aus Hauptkriterien zusammen, welche jeweils durch verschiedene Merkmale konkretisiert werden (vgl. Tabelle 1-5). Falls ein Lieferant die geforderten Leistungsaspekte eines Hauptkriteriums vollständig erfüllt, dann wird seine Ist-Leistung mit 100% bewertet. Werden dagegen Subkriterien nicht vollständig erfüllt, dann vermindert sich dieser Wert entsprechend. Für eine Visualisierung der Leistungslücke im Rahmen der LieferantenGap-Analyse müssen zunächst in Abhängigkeit von der Entscheidungssituation die relevanten Hauptkriterien, die damit verbundenen Anforderungen sowie das aktuelle Leistungsniveau des Lieferanten je Hauptkriterium bestimmt werden. Eine hundertprozentige Leistungserfüllung hinsichtlich der Hauptkriterien muss nicht immer wünschenswert sein, vor allem dann nicht, wenn einige der konkretisierenden Merkmale in der aktuellen Entscheidungssituation nicht von Bedeutung sind. Zusätzlich kann auch eine Bandbreite definiert werden, innerhalb derer sich die Leistungen des Lieferanten bewegen dürfen, um noch als ausreichend bewertet zu werden. Anschließend erfolgt die Gegenüberstellung von Ist- und Soll-Leistung in einem Diagramm (vgl.

40 Vgl. GLANTSCHNIG (1994, S. 186ff.)

49

1.4

Abbildung 1-11). Je geringer die Leistungslücke ausfällt, desto bedenkenloser kann die Auswahlentscheidung für einen Lieferanten getroffen werden.

Abbildung 1-11 Lieferanten-Gap-Analyse 8

Soll-Leistung Leistungslücke

Ist-Leistung

6 4

Soziale Leistung

Umweltleistung

Entgeltleistung

Informationsleistung

Serviceleistung

Logistikleistung

Qualitätsleistung

0

Innovationsleistung

2 Mengenleistung

Ausprägung

1

Strategische Beschaffung

Leistungsmerkmal

Im Gegensatz zur Profilanalyse erlaubt die Lieferanten-Gap-Analyse auch die Einbeziehung des zeitlichen Aspekts. Hierzu wird die aktualisierte Ist-Leistung eines späteren Bewertungszeitpunktes in das Diagramm eingetragen. Auf diesem Wege lassen sich Leistungszuwächse aufzeigen, die beispielsweise durch Steuerungsmaßnahmen des Abnehmers induziert wurden. Aber auch Verschlechterungen der Leistungsfähigkeit können hierbei offensichtlich werden. Im Gegensatz zur Profilanalyse ist eine Erfassung der Leistungsfähigkeit mehrerer Lieferanten aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht möglich. c)

Notensysteme

Analog zu den graphischen Verfahren verzichten auch die Notensysteme auf eine individuelle Gewichtung der Anforderungskriterien, bei denen es sich i. d. R. um nicht quantifizierbare Kriterien handelt. Im Folgenden wird auf das Drei-Notensystem und das qualifizierte Notensystem eingegangen. Beim Drei-Notensystem werden die Lieferanten anhand der Anforderungskriterien in drei Kategorien eingeteilt, die z. B. mit folgenden Attributen oder Punkten (DreiPunktesystem) bewertet werden41:

41 Vgl. HARTMANN ET AL. (1997, S. 75).

50

Lieferantenmanagement

immer

häufig

selten

gut

durchschnittlich

schlecht

problemlos

einige Probleme

überwiegend Probleme

+1

0

-1

Diese Ausprägungen entsprechen den Schulnoten 1, 2 bzw. 3 und ausgewählt wird derjenige Lieferant, dessen Notensumme am geringsten oder dessen Punktsumme am höchsten ist. Im Vergleich zum Drei-Notensystem erlaubt das qualifizierte Notensystem eine differenziertere Beurteilung der Lieferantenleistung, da Abstufungen innerhalb der Notenskala vorgesehen sind (vgl. Tabelle 1-6). Beim qualifizierten Notensystem werden die Einzelnoten aufaddiert und der Lieferant mit der höchsten Notensumme erhält den Zuschlag.

Tabelle 1-6 Qualifiziertes Notensystem42 Lieferantenbewertung Lieferant: ...

immer

häufig

selten

9-7

6-4

3-1

1. liefert einwandfreie Qualität 2. hält Liefertermine ein 3. treibt vernünftige Preispolitik 4. beachtet Versandanweisungen 5. beantwortet Anfragen prompt 6. bestätigt Bestellungen prompt 7. beantwortet Mahnungen umgehend 8. bearbeitet Mangelrügen schnell 9. hilft in Notfällen 10. bietet nützliche Vertreterbesuche Ein wesentlicher Schwachpunkt der Notensysteme ist die fehlende Gewichtung der Bewertungskriterien, da somit eine der Entscheidungssituation angemessene Bewertung der Lieferanten kaum möglich ist.

42 Vgl. HARTMANN ET AL. (1997, S. 76).

51

1.4

1

Strategische Beschaffung

d)

Punktbewertungsverfahren

Im Gegensatz zu den Notensystemen ermöglichen Punktbewertungsverfahren eine Gewichtung der Auswahlkriterien gemäß ihrer jeweiligen Bedeutung für den Entscheidungsträger. Im Rahmen der Punktbewertungsverfahren werden Höchstpunktzahlverfahren (bzw. 100-Punkte-Bewertungssystem), Prozentbewertungsverfahren sowie Scoring-Modelle unterschieden. Beim Höchstpunktzahlverfahren erhalten die relevanten Bewertungskriterien eine ihrer Bedeutung entsprechende Maximalpunktzahl, sodass die Summe aller Maximalpunktzahlen 100 ergibt. Die Leistungsfähigkeit der Lieferanten wird anhand einer Bewertungsmatrix beurteilt, wobei jede Merkmalsausprägung eine in Abhängigkeit der zugeteilten Maximalpunktzahl entsprechende Bewertung erhält. Ausgewählt wird derjenige Lieferant, der die höchste Punktzahl erhält. In der Tabelle 1-7 erhält somit der Lieferant 2 den Vorzug.

Tabelle 1-7 Höchstpunktzahlverfahren

Zielkriterien

max

Punkte Lieferant 1

Punkte Lieferant 2

Mengenleistung

5

5

4

3

2

1

5

4

3

2

1

Innovationsleistung

20

20

16

12

8

4

20

16

12

8

4

Qualitätsleistung

15

15

12

9

6

3

15

12

9

6

3

Logistikleistung

15

15

12

9

6

3

15

12

9

6

3

Serviceleistung

10

10

8

6

4

2

10

8

6

4

2

Informationsleistung

10

10

8

6

4

2

10

8

6

4

2

Entgeltleistung

10

10

8

6

4

2

10

8

6

4

2

Umweltleistung

5

5

4

3

2

1

5

4

3

2

1

Soziale Leistung

10

10

8

6

4

2

10

8

6

4

2

Summe

100

70

74

Prozentbewertungsverfahren zeichnen sich durch „relativierte“ Gewichtungsfaktoren je Merkmal aus. Hierzu wird der Gewichtungsfaktor mit dem Erfüllungsgrad des jeweiligen Kriteriums multipliziert. Liegen quantifizierbare Merkmalskriterien vor, dann wird der Erfüllungsgrad in Form von Kennzahlen ermittelt. Bei nicht quantifizierbaren Kriterien wird der Erfüllungsgrad mittels subjektiver Einschätzungen bestimmt, indem der erreichte Punktwert durch den maximal erreichbaren dividiert wird43. Hinsichtlich der Gewichtungsfaktoren ist zwischen zwei Varianten zu unterscheiden: einerseits können die Anforderungskriterien gleichgewichtig behandelt 43 Vgl. HARTMANN ET AL. 1997, S. 80ff).

52

Lieferantenmanagement

werden, andererseits ist auch eine differenzierte Gewichtung möglich, um damit deren Bedeutung im Vergleich zu allen anderen relevanten Merkmalen herauszustellen. Die Summe der Gewichtungsfaktoren muss 100 ergeben. Das Scoring-Modell stellt ein erweitertes, qualifiziertes Notensystem bzw. eine Kombination aus Notensystem und prozentualer Gewichtung der Kriterien dar, durch deren Multiplikation ein Punktewert gebildet sowie ein Gesamtpunktewert ermittelt werden kann (vgl. Tabelle 1-8). Die Vorgehensweise beim Scoring-Modell kann durch folgende drei Schritte beschrieben werden: Schritt 1)

Die Auswahlkriterien werden hinsichtlich ihres jeweiligen Erfüllungsgrads mit einem Punktwert (z. B. zwischen 1 und 10) bewertet, der die lieferantenspezifische Ausprägung des Merkmals im Sinne einer objektivierten Einschätzung (z. B. durch ein bereichsübergreifendes Team) misst.

Schritt 2)

Gemäß seiner Bedeutung für den Abnehmer wird jedes Auswahlkriterium mit einem objektivierten Gewicht (z. B. zwischen 0 und 1) versehen. Dieses wird mit dem Punktwert multipliziert.

Schritt 3)

Durch Addition der gewichteten Punktwerte je Lieferant ergibt sich ein Scoring-Index, der als Entscheidungsgrundlage dient.

Scoring-Modelle ermöglichen die gleichzeitige Bewertung quantitativer und qualitativer Kriterien, indem letztere quantifiziert und damit vergleichbar gemacht werden. e)

Checklistenverfahren

Beim Checklistenverfahren werden in Abhängigkeit von der Entscheidungssituation alle relevanten Auswahlkriterien in einer Liste zusammengefasst. Liegen messbare Kriterien vor, dann kommen i. d. R. mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantwortende Fragestellungen zur Anwendung. Die nicht messbaren Kriterien werden mittels verbal differenzierter Urteile in verschiedene Bewertungsklassen eingeordnet. Die Auswahlkriterien werden in unerlässliche K.-o.-Kriterien und erlässliche Kriterien unterteilt. Ausgewählt wird letztendlich derjenige Lieferant, der alle K.-o.-Kriterien und die meisten erlässlichen Kriterien erfüllt hat44. Mit den für verschiedene Kaufsituationen aufgestellten Checklisten wird sichergestellt, dass wichtige Fragestellungen nicht vergessen werden, Schwächen des Lieferanten erkannt und seine Stärken genutzt werden. Die Checklisten können auch als Basis für die Profilanalyse und Punktbewertungsverfahren dienen. Kritisch anzumerken ist jedoch, dass alle erlässlichen Merkmale als gleichgewichtig angesehen werden und die unterschiedlichen Merkmalsausprägungen bei einzelnen Lieferanten keine Berücksichtigung finden.

44 Vgl. WESTERMANN (1989, S. 50).

53

1.4

1

Strategische Beschaffung

Tabelle 1-8 Scoring-Modell45 Hauptkriterien Subkriterien 1. Mengenleistung 1.1 Mindestliefermenge 1.2 Mengenflexibilität 1.3 Mengenkonstanz 1.4 hohe Menge Gewichteter Teilpunktwert Gewichteter Punktwert 2. Qualität 2.1 Erfahrung des Lieferanten 2.2 Leistungskonstanz 2.3 Produktqualität 2.4 Mitarbeiter-Qualifikation Gewichteter Teilpunktwert Gewichteter Punktwert 3. Logistikleistung 3.1 Lieferzuverlässigkeit 3.2 Liefertreue 3.3 Lieferortflexibilität 3.4 Terminzuverlässigkeit 3.5 kurze Lieferzeiten 3.6 Entfernung zum Abnehmer 3.7 Verpackung Gewichteter Teilpunktwert Gewichteter Punktwert 4. Entgeltleistung 4.1 Angebotspreis 4.2 Konditionengestaltung 4.3 Kostenanalyse 4.4 Kostenreduktionsaktivitäten Gewichteter Teilpunktwert Gewichteter Punktwert 5. Serviceleistung 5.1 Objektgarantie 5.2 Nachkaufsicherheit 5.3 Kulanzverhalten 5.4 Kundendienst Gewichteter Teilpunktwert Gewichteter Punktwert 6. Informationsleistung 6.1 Kommunikationsbereitschaft 6.2 Know-how-Transfer Gewichteter Teilpunktwert Gewichteter Punktwert 7. Innovationsleistung 7.1 Technologische Kompetenz 7.2 Entwicklungspotential 7.3 F&E-Kapazitäten Gewichteter Teilpunktwert Gewichteter Punktwert 8. Umweltleistung 8.1 Umweltverträglichkeit 8.2 Recyclingbereitschaft Gewichteter Teilpunktwert Gewichteter Punktwert Summe

45 Vgl. JANKER (2008, S. 121).

54

Punktzahl

Gewicht

Lieferant 1 Punktzahl gewichtet

Lieferant 2 PunktPunktzahl zahl gewichtet

5% 25 % 25 % 25 % 25 %

10 10 10 14 11

11 11 11 6 9,75 0,550

0,4875

25% 30% 30% 30% 10%

12 14 13 11 12,8

14 8 11 15 11,4 3,200

2,850

20% 15% 15% 20% 20% 5% 10% 15%

13 14 9 15 14 9 7 11,5

6 11 9 11 11 5 13 9,55 2,300

1,910

15% 40% 30% 15% 15%

8 14 9 10 12,25

11 13 5 6 9,95 1,838

1,493

10% 30% 20% 20% 30%

14 14 12 15 13,9

10 7 8 8 8,4 1,390

0,840

10% 70% 30%

15 10 13,5

11 11 11 1,350

1,100

10% 50% 25% 25%

10 13 12 11,25

13 14 15 13,75 1,125

1,375

5% 60% 40%

4 4 4,00

15 14 14,6 0,200

100%

11,953

0,730 10,795

Lieferantenmanagement

1.4.3

Steuerung der Lieferantenbeziehung

Aus der Lieferantenbewertung mit dem Ziel des Lieferantencontrollings ergibt sich u. a. als wesentliches Ziel die Optimierung von Lieferantenbeziehungen. Um die Leistungsstruktur des bestehenden Lieferantenstamms kontinuierlich zu verbessern und den sich ändernden Bedingungen anzupassen, ergibt sich für den Abnehmer die Notwendigkeit, die Leistungsfähigkeit seiner Zulieferer durch gezielte Steuerungsmaßnahmen zu beeinflussen. Damit die Steuerungsmaßnahmen auch zum gewünschten Erfolg führen, ist der Abnehmer auf die Kooperation der Lieferanten und auf deren Akzeptanz hinsichtlich der Art und Weise der Leistungserfassung angewiesen. Die an die Lieferanten gestellten Anforderungen sowie die Qualitätsrichtlinien des Abnehmers sollten in Form eines Lieferantenleitfadens festgehalten und offengelegt werden. Den Lieferanten sollen hiermit Ansatzpunkte über die ihm entgegengebrachte Erwartungshaltung sowie die Art der Zusammenarbeit gegeben werden. Weiterhin sollten auch die Kriterien und Verfahren der Lieferantenbewertung allen Lieferanten bekannt sein und jeder Lieferant sollte neben den eigenen Ergebnissen auch die Ergebnisse der Zuliefererkonkurrenz als Anreiz zur Leistungsverbesserung erhalten. Somit wird den Lieferanten die Möglichkeit eines Leistungsvergleichs im Sinne eines funktionalen Benchmarking46 zwischen Lieferanten gegeben. Im Hinblick auf partnerschaftliche Lieferanten-Abnehmer-Beziehungen ist eine offene Kommunikations- und Informationskultur über die Lieferantenbewertung, -steuerung und -überwachung vorteilhaft. Zur zweckmäßigen Gestaltung der Lieferanten-Abnehmer-Beziehung kommen als Steuerungsinstrumente die Lieferantenpflege, -erziehung, -förderung, -entwicklung und der Lieferantenwechsel zum Einsatz, mit denen eine Anreiz- und Sanktionsfunktion zur Verfügung steht. Bei einer bereits bestehenden Lieferantenbeziehung wird im Rahmen der Lieferantenpflege ein partnerschaftliches Verhältnis aufgebaut, um dadurch das Leistungspotenzial des Lieferanten zu erhalten bzw. zu erhöhen. Insbesondere der Aufbau von Vertrauen, ein fairer Umgang mit den Lieferanten, die Einhaltung von Verpflichtungen, Aufgeschlossenheit und Verständnis für Probleme des Lieferanten, ein diskreter Umgang mit sensiblen Daten und Informationen sowie keine zu starke Betonung der Machtverhältnisse stärken das Verhältnis zum Lieferanten und motivieren zu eigenständigen Leistungsverbesserungen47. Da nicht bei jeder schlechten Leistung eines Lieferanten sofort ein Wechsel des Lieferanten zweckmäßig ist, kann zunächst versucht werden mit erzieherischen Maßnahmen die Leistung des Lieferanten zu verbessern und ihn zu besseren Leistungen zu motivieren. Bei einer niedrigen Leistungsfähigkeit können entsprechende Schreiben mit den festgestellten Mängeln bzw. Schwachstellen versendet werden, die Sperrung des Lieferanten bzw. eine Androhung der Sperrung erfolgen, das Liefervolumen reduziert oder Konkurrenz durch die Entwicklung neuer Lieferanten für die jeweiligen 46 Vgl. LASCH (2018, S. 177ff). 47 Vgl. ARNOLDS ET AL. (1998, S. 300f).

55

1.4

1

Strategische Beschaffung

Beschaffungsobjekte aufgebaut werden. Des Weiteren können auch die vertraglichen bzw. gesetzlichen Möglichkeiten wie z. B. Konventionalstrafen oder Schadensersatz genutzt werden, um den Lieferanten zur vertragskonformen Erfüllung zu veranlassen. Bei einer sehr guten Leistung des Lieferanten bieten sich Anerkennungsschreiben, die Vergabe von Auszeichnungen, eine Erhöhung der Lieferquote, die Empfehlung des Lieferanten an andere Unternehmen und/oder die verstärkte Integration der Lieferanten in die Wertschöpfungskette an48. Mit Hilfe der Lieferantenförderung sollen bestehende Lieferanten bei der Bewältigung schwieriger betrieblicher Probleme, zu deren Lösung der Zulieferer aus eigenen Mitteln nicht in der Lage ist, durch das abnehmende Unternehmen beraten und aktiv unterstützt werden. Hiermit verbundene Maßnahmen, wie die Vermittlung von Know-how, die Schulung von Personal oder die Gewährung von Krediten, zielen auf eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit ab49. Im Gegensatz zur Lieferantenförderung zielt die Lieferantenentwicklung auf den Aufbau eines neuen Lieferanten ab, der bislang auf einem bestimmten Beschaffungsmarkt noch nicht vertreten ist. Die Entwicklung von neuen Lieferanten ist immer dann notwendig, wenn eine Eigenfertigung ausgeschlossen ist und durch Abwesenheit geeigneter Anbieter der Bezug eines wichtigen Beschaffungsobjektes unmöglich wird. Dabei sollte der potenzielle Lieferant möglichst frühzeitig in die Produktentwicklung integriert werden. Geeignete und häufig eingesetzte Maßnahmen im Rahmen der Lieferantenförderung und -entwicklung sind die Bereitstellung von Fertigungseinrichtungen, die Beschaffung von Vormaterial, die Entsendung von eigenem Personal und die Analyse von Schwachpunkten im Leistungsvermögen des Lieferanten. Auch durch eine gemeinsame Optimierung der Geschäftsprozesse können beide Partner enorme Kostensenkungspotenziale realisieren50. Besteht eine Unzufriedenheit mit der Leistung des Lieferanten über einen längeren Zeitraum, dann bleibt als letzte Steuerungsmaßnahme der Lieferantenwechsel, der durch den Abbruch der bisherigen nicht zufriedenstellenden Lieferanten-AbnehmerBeziehung und den Aufbau einer neuen Beziehung herbeigeführt wird. Ein Lieferantenwechsel führt i. d. R. zum Verlust der Kompetenz, die in jahrelanger Zusammenarbeit aufgebaut wurde. Vor allem bei technologisch und logistisch anspruchsvollen Beschaffungsartikeln entstehen hohe Wechselkosten und der Aufbau einer neuen Bezugsquelle kann sehr lange dauern. Bevor ein Lieferantenwechsel durchgeführt wird, sollten zunächst eine Lieferantenförderung oder Lieferantenerziehung als weichere Maßnahme ergriffen werden. Die Wahl der konkreten Maßnahmen zur Steuerung der Lieferantenbeziehung ist abhängig von den Ergebnissen der Lieferantenbewertung und dem beschaffungspolitischen Handlungsspielraum des Abnehmers. 48 Vgl. ARNOLDS ET AL. (1998, S. 302ff). 49 Vgl. CORSTEN (1999, S. 678). 50 Vgl. LARGE (2013, S. 256f).

56

Lieferanteninnovationsmanagement

1.5

Lieferanteninnovationsmanagement

Durch die sinkende Fertigungs- und Entwicklungstiefe steigt die Relevanz der Lieferanten als Innovationsquelle. Die Verlagerung der Wertschöpfung auf die Lieferanten führt zu einer Verlagerung der Erzeugung von Innovationen, sodass nach einer Studie bereits ca. 20-40% der Innovationen durch Lieferanten generiert werden51. Für den Eingang, die Bewertung und die Umsetzung von Ideen und Innovationen von Lieferanten sollten deshalb definierte Kanäle und Prozesse im Unternehmen eingesetzt werden. Die gute Zusammenarbeit mit Lieferanten bei Innovationen ist meistens verbunden mit einem geringen Risiko und schnellen Erfolgen. Dies ist darin begründet, dass eine Lieferantenbeziehung meist schon besteht und der Lieferant mit der Unternehmensstrategie und dem Geschäft des Abnehmers sowie dessen Bedürfnissen bereits Erfahrung hat. Weiterhin verfügen Lieferanten über Spezialwissen, eigene Marktkenntnisse, eine eigene FuE-Abteilung sowie Produkt- und Verfahrensinnovationen und über Mechanismen zur Wissensübertragung. Von Nachteil ist allerdings die Gefahr, dass Lieferanten die Innovation auch an eigene Konkurrenten verkaufen, sich die Abhängigkeit vom Lieferanten aufgrund des Outsourcings von intellektuellen Ressourcen erhöht und die Koordinations- und Transaktionskosten steigen.

1.5.1

Nutzen von Lieferanteninnovationen

Bei Lieferanteninnovationen kann es sich gemäß der verschiedenen Gegenstandsbereiche um Produkt-, Prozess- und Serviceinnovationen handeln. Weiter gefasst umfassen Lieferanteninnovationen neue Produkte, neue Produktionsmethoden, neue Märkte, neue Lieferquellen und neue Geschäftsprozesse, also alle relevanten Aspekte, welche die Leistung des Abnehmerunternehmens in irgendeiner Art beeinflussen52. Lieferanteninnovationen können auch in Verbindung mit dem Innovationsprozess klassifiziert werden. Dieser unterscheidet die Stufen Bedarfserkennung, Ideenformulierung, Entwicklung und Kommerzialisierung bzw. Diffusion. Eine Lieferanteninnovation liegt vor, wenn der Lieferant alle vier Stufen des Innovationsprozesses eigenständig bearbeitet. Wird hingegen der Bedarf vom Anwender angestoßen, dann handelt es sich um eine anwenderinduzierte Lieferanteninnovation. Erfolgt die Bedarfserkennung und Ideenformulierung durch das Abnehmerunternehmen wird die Innovation der Gruppe Anwenderinnovation zugeordnet53. Eine weitere Unterscheidung beinhaltet die Verfügbarkeit am Markt, d. h. ob eine Lieferanteninnovation speziell für das Abnehmerunternehmen entwickelt wurde oder 51 Vgl. ERNST & YOUNG/FRAUNHOFER IPT (2009), S. 10. 52 Vgl. AZADEGAN ET AL. (2008, S. 15). 53 Vgl. VOSS (1985, S. 115).

57

1.5

1

Strategische Beschaffung

ob es sich um etwas Neues handelt, das ein Abnehmerunternehmen beziehen kann. Während speziell für das Abnehmerunternehmen entwickelte Lieferanteninnovationen exklusiv zur Verfügung stehen können, ist für die zweite Kategorie meist keine Exklusivität mehr gegeben54. Entsprechend dem Veränderungsumfang können inkrementelle und radikale Innovationen differenziert werden. Während sich inkrementelle Innovationen in bestehenden oder verwandten Märkten und Anwendungsgebieten ereignen, haben radikale Innovationen einen hohen Neuheitsgrad und erzeugen einschneidende Veränderungen im Unternehmen. Bei radikalen Innovationen ist eine Bewertung der Wirtschaftlichkeit aufwendiger, da notwendige Daten schlechter ermittelbar sind. Dagegen ist bei inkrementellen Innovationen eventuell ein Rückgriff auf Vergangenheitswerte möglich. Unternehmen verlassen sich zunehmend auf Innovationen ihrer Lieferanten, um Kosten, Qualität und Pünktlichkeit ihrer Produkte zu verbessern. Hierbei können Produkt-, Prozess- und Serviceinnovationen dem Abnehmer verschiedenartige Vorteile bringen. Nützliche Produktinnovationen sind beispielsweise, dass das Produkt besser, sicherer, einfacher, schneller oder billiger wird, leichter einzubauen ist als zuvor, es eine modulare Bauweise besitzt oder eine Standardisierung erreicht wird. Das Produkt des Lieferanten stellt hierbei ein Teilprodukt beim Abnehmerunternehmen dar, welches in das Endprodukt eingebaut wird. Hierbei kann der Nutzen auf zwei verschiedene Arten entstehen. Einerseits kann ein Beitrag zum Produktinnovationserfolg durch Erhöhung der Zuverlässigkeit der Komponenten oder durch Steigerung der Leistungsfähigkeit der Komponenten erreicht werden, andererseits können Prozessoptimierungen durch Produktmodifikationen beim Abnehmerunternehmen ermöglicht werden, beispielsweise ein einfacheres Handling bei der Montage55. Weitere Produktinnovationen des Lieferanten können eingesetzte Investitionsgüter beim Abnehmerunternehmen sein, welche dann für den Abnehmer innerbetriebliche Prozessinnovationen darstellen. Der Lieferant kann hierbei durch verbesserte oder durch neue Maschinen zum Prozessinnovationserfolg des Abnehmers beitragen. Verbesserte Maschinen führen beispielsweise zu Einsparungen an Arbeitszeitaufwand je produzierter Einheit, zur Steigerung der Produktivität der Maschinen, zur Verkürzung der Prozessdauer oder zu Einsparungen an Material und Energie. Neue Maschinen befähigen den Abnehmer neue Fertigungsverfahren anzuwenden und können somit Wettbewerbsvorteile, zum Beispiel durch eine kosten- bzw. leistungsoptimierte Produktion, erzeugen56. Des Weiteren können auch Prozessinnovationen beim Lieferanten dem Abnehmerunternehmen einen Nutzen bringen. Nützliche Prozessinnovationen im Produktionsbereich des Lieferanten zielen hierbei aus Abnehmersicht auf die Senkung der Herstellungskosten ab, damit das Produkt günstiger angeboten werden kann, oder fokussie54 Vgl. WINTER (2014), S. 27. 55 Vgl. LASCH/WINTER (2010, S. 27). 56 Vgl. DISSELKAMP/SCHÜLLER (2004, S. 144).

58

Lieferanteninnovationsmanagement

ren auf die Realisierung von Zeiteinsparungen, um das Produkt früher liefern zu können. Prozessinnovationen sind auch im zwischenbetrieblichen Bereich für das Abnehmerunternehmen relevant. Hierbei handelt es sich um Serviceinnovationen des Lieferanten. Nützliche Prozessinnovationen umfassen hierbei die Verbesserungen in Bezug auf die logistische Weiterentwicklung des Lieferanten (logistische Innovationen), beispielsweise durch eine zeitgerechte Anlieferung57.

1.5.2

Zugang zu Lieferanteninnovationen

Die Beschaffung hat die Aufgabe Lieferanteninnovationen in das Unternehmen einzubringen. Diese können von bestehenden oder neuen Lieferanten eingebracht werden. Es lassen sich hierbei zwei Möglichkeiten unterscheiden. Einerseits kann eine Beschaffungsmarktforschung durchgeführt und andererseits kann die bestehende Lieferantenbasis für den Bezug von Lieferanteninnovationen genutzt werden. Um das Innovationspotenzial von Lieferanten auszuschöpfen, müssen Unternehmen Innovationen auf den Beschaffungsmärkten identifizieren können. Die Beschaffung hat hierbei eine Monitoring-Aufgabe, denn sie muss sich über die Ideen von Lieferanten informieren und den Beschaffungsmarkt nach innovativen Lösungen absuchen. Als Informationsquellen können beispielsweise Fachartikel, Veröffentlichungen, Presse- und Geschäftsberichte, Patentanmeldungen und Internet-Quellen systematisch auf neue Ideen bzw. Innovationen untersucht werden. Weiterhin können öffentliche Messen dazu dienen Ideen zu sammeln, wobei jedoch zu beachten ist, dass hierbei eine exklusive Ideenverwertung meist nicht möglich ist. Neben der Beschaffungsmarktforschung sollte vor allem die bestehende Lieferantenbasis genutzt werden, um Innovationen einzubringen. Der Auslöser für eine Innovation kann hierbei vom Lieferanten oder vom Abnehmer ausgehen. Die Beschaffung dient hierbei als Ansprechpartner für die Ideen von Lieferanten, welche diese an das Unternehmen herantragen wollen. Die Beschaffung kann passiv darauf warten, bis die Lieferanten von sich aus mit Innovationsideen auf das eigene Unternehmen zugehen. Dies ist jedoch nicht ausreichend, da Innovationsanstrengungen auch gezielt stimuliert werden müssen, d. h. ausgewählte Lieferanten müssen proaktiv aufgefordert werden, Innovationen beizusteuern. Beim Warten auf Lieferanteninnovationen besteht die Gefahr, dass auch Wettbewerber angesprochen werden könnten. Deshalb müssen Lieferanteninnovationen von der Beschaffung eingefordert und gefördert werden, um einen Wettbewerbsvorteil aufzubauen. Unternehmen sollten deshalb nicht nur offen für die Innovationen ihrer Lieferanten sein (Push-Lieferanteninnovations-Strategie), sondern auch Lieferanteninnovationen einfordern und fördern (Pull-Lieferanten-

57 Vgl. LASCH/WINTER (2010, S. 27).

59

1.5

1

Strategische Beschaffung

innovations-Strategie), um Lieferanteninnovationen in das Unternehmen einzubringen und das Innovationspotenzial von Lieferanten auszuschöpfen58. Damit ein Unternehmen Lieferanteninnovationen erfolgreich einbringen kann, müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein (vgl. Abbildung 1-12)59.

Abbildung 1-12 Voraussetzungen für das Einbringen von Lieferanteninnovationen60

zwischenbetriebliche Voraussetzungen

beziehungsbezogene Voraussetzungen • aufbaubezogene Aspekte • managementbezogene Aspekte

innerbetriebliche Voraussetzungen Anreize als Voraussetzungen • Kommunikation von Bewertungsergebnissen • besondere Geschäftsbeziehungen • Vergütung von Innovationen

unternehmensbezogene Voraussetzungen • strategiebezogene Aspekte • strukturbezogene Aspekte • kulturbezogene Aspekte • prozessbezogene Aspekte

Kanäle als Voraussetzungen • Lieferantengespräche • Networking • Präsentationen des Lieferanten • Lieferantentage • Innovationsworkshops • Innovationswettbewerbe • Internetportal

Lieferanteninnovation

projektbezogene Voraussetzungen • personenbezogene Aspekte • informationsbezogene Aspekte

lieferantenmanagementbezogene Voraussetzungen • Management der Lieferantenbasis • Lieferantenintegration • Lieferantenentwicklung

Unternehmensbezogene Voraussetzungen stellen hierbei die Grundvoraussetzungen dar. Diese sind notwendig, damit die Beschaffung überhaupt effektiv arbeiten kann. Hierzu müssen einige Aspekte im Zusammenhang mit der Strategie, der Struktur, der Kultur und den Prozessen des Unternehmens erfüllt sein. Die Beschaffung sollte an der Formulierung der Innovationsstrategie des Unternehmens beteiligt sein, um einen Beitrag zur Zielerreichung leisten zu können. Weiterhin sollte ein wertorientiertes Innovationsverständnis über den reinen Kostenfokus hinaus im Unternehmen vorliegen, welches auch den Kundennutzen beinhaltet. Außerdem benötigen die Mitarbeiter 58 Vgl. WINTER (2014, S. 35). 59 Vgl. im Folgenden WINTER (2014, S. 33ff). 60 Vgl. WINTER (2014, S. 88).

60

Lieferanteninnovationsmanagement

Freiräume für Lieferanteninnovationen. Deshalb sollte ein „Advanced Sourcing Team“ eingerichtet oder bei kleineren Unternehmen zumindest eine Aufgabenbeschreibung einzelner Mitarbeiter für das Einbringen von Lieferanteninnovationen definiert werden. Des Weiteren sollte eine innovationsorientierte Unternehmenskultur, die sich durch eine Offenheit bzgl. Innovationen von außen auszeichnet, vorliegen. Diese geht mit der funktionsübergreifenden Zusammenarbeit im Unternehmen einher. Abschließend werden klare Prozesse und Regeln im Unternehmen empfohlen wie z. B. ein formalisierter Produktentwicklungsprozess mit definierten Schnittstellen zur Einbindung des Einkaufs. Notwendig ist auch, dass als Instrumente das Lieferantenmanagement sowie Kanäle und Anreize für Lieferanteninnovationen eingesetzt werden. Zur Ausschöpfung des Innovationspotenzials von Lieferanten wird ein umfassendes und systematisches Lieferantenmanagement im Unternehmen benötigt. Zunächst sollte die Beschaffung im Rahmen des Managements der Lieferantenbasis die Lieferanten in Bezug auf das Innovationspotenzial anhand geeigneter Kriterien bewerten und anschließend die Lieferantenbasis strukturieren, um innovative Lieferanten zu identifizieren. Des Weiteren sollten die Lieferanten frühzeitig und umfangreich in die Produktentwicklung integriert werden, damit diese ihre volle Innovationskraft entfalten können. Hierzu werden Lieferanten mit außerordentlichen Fähigkeiten der Spitzenklasse benötigt. Außerdem ist die Lieferantenentwicklung ein wichtiger Bestandteil für das Innovationsmanagement in der Beschaffung. Hierbei können beispielsweise aktive Maßnahmen wie die Auditierung des Lieferanten hinsichtlich Innovationsmanagementstandards eingesetzt werden. Es werden auch Kanäle zum Einbringen von Lieferanteninnovationen benötigt. Einerseits können regelmäßige Lieferantengespräche und die Vernetzung von Mitarbeitern auf unterschiedlichen Ebenen eingesetzt werden, um sich über Innovationen auszutauschen. Andererseits können auch ausgewählte Lieferanten zur Präsentation ihrer Innovationen ins Unternehmen eingeladen werden. Als Instrumente dienen weiterhin Lieferantentage, Innovationsworkshops und Innovationswettbewerbe, um zielgerichtet Innovationen voranzutreiben. Auch kann ein Internetportal für Lieferanteninnovationen eingesetzt werden, welches es den Lieferanten ermöglicht jederzeit Innovationen einfließen zu lassen. Um Lieferanten für das Einbringen von Innovationen zu motivieren und den interorganisatorischen Innovationsprozess zu ermöglichen, werden Anreize benötigt. Anreize lassen sich in die folgenden drei Kategorien unterteilen: Mitteilen des Bewertungsergebnisses, besondere Geschäftsbeziehungen, Vergütung von Innovationen. Als passiver Anreiz kann dem Lieferanten zunächst ein Feedback über die Angebotsanalyse bzw. den Angebotsvergleich gegeben werden, damit dieser einen Anreiz hat, sich das nächste Mal zu verbessern. Weiterhin können hier auch die Lieferantenklassifikation, das Lieferantenranking und die Lieferantenauszeichnung – beispielsweise die Vergabe von Innovationspreisen – eingesetzt werden. Ebenso stellt die Aussicht auf besondere Geschäftsbeziehungen einen Anreiz für Innovationen dar. Dies beginnt mit der Auf-

61

1.5

1

Strategische Beschaffung

nahme eines Lieferanten in den Lieferantenpool als erster Anreiz, geht über Folgeaufträge, den Status eines bevorzugten Lieferanten, die Erhöhung des Beschaffungsvolumens, die Vergrößerung der Zuliefererverantwortung und endet mit Anreizen wie dem Imageaufbau beim Endkunden bzw. ein gemeinsames Marketing für fortgeschrittene Lieferantenbeziehungen. Als stärkster Anreiz kann die Vergütung für Innovationen eingesetzt werden. Diese umfasst die direkte Vergütung von Entwicklungsleistungen, die Übernahme von Verantwortung bei Stückzahlenschwankungen, kombinierte Entwicklungs- und Lieferverträge, die Gewährung von Geldprämien und Geschenken sowie die Beteiligung an Erlösen und Kosteneinsparungen. Des Weiteren müssen die zwischenbetrieblichen Voraussetzungen berücksichtigt werden, die beziehungsbezogene Voraussetzungen und projektbezogene Voraussetzungen umfassen. Gute und enge Lieferanten-Abnehmer-Beziehungen haben einen positiven Einfluss auf Lieferanteninnovationen, wobei aufbau- und managementbezogene Aspekte beachtet werden müssen. Zunächst sind der Aufbau und die Erhaltung von Vertrauen wichtig, welches Voraussetzung für die Zusammenarbeit bei Innovationen ist. Außerdem ist der Status als bevorzugter Kunde (Preferred-Customer-Status) Voraussetzung, damit der Lieferant überhaupt für das Unternehmen innovativ tätig wird. In bestehenden Lieferanten-Abnehmer-Beziehungen muss mit Lieferanten fair – beispielsweise durch eine faire Vergütung – umgegangen werden, da diese es bevorzugen mit Unternehmen zusammenzuarbeiten, welche sie gut behandeln. Weiterhin ist der Know-how-Schutz von Bedeutung, da ein mangelnder Know-how-Schutz als großes Innovationshemmnis von Lieferanten angesehen wird. Zum Beispiel sollten technische Dokumente nur nach Absprache an andere Lieferanten weitergegeben werden. Auf Projektebene sind personenbezogene und informationsbezogene Aspekte für ein erfolgreiches Innovationsprojekt von Bedeutung. Es werden robuste Projektteams und zueinander passende Teammitglieder auf personeller Ebene benötigt. Weiterhin sollte die Unternehmensführung beider Unternehmen die Innovationskooperation unterstützen. Bezüglich der informationsbezogenen Aspekte ist der offene und zeitige Austausch von vertraulichen Informationen wichtig. Hierzu müssen auch geeignete Ansätze zur Kommunikation eingerichtet werden. Außerdem muss ein gegenseitiges Verständnis über die als wertvoll erachteten Innovationen bei den Teammitgliedern vorliegen. Abschließend sollten technisch-inhaltliche und finanziell-rechtliche Fragen voneinander getrennt behandelt werden. Die Berücksichtigung der Voraussetzungen ist kein chronologischer, sondern ein parallel stattfindender Prozess. Zu Beginn sollte sich ein Unternehmen auf die Erfüllung der unternehmensbezogenen Voraussetzungen konzentrieren. Nachdem Beschaffungsaktivitäten erfolgt sind, ist das Vorhandensein von Instrumenten der Beschaffung von Bedeutung. Sind Beziehungsaktivitäten mit einem Lieferanten begonnen worden, müssen die beziehungsbezogenen Voraussetzungen berücksichtigt werden. Nach Start der Projektaktivitäten, muss auf die projektbezogenen Voraussetzungen geachtet werden.

62

Lieferanteninnovationsmanagement

1.5.3

Bewertung von Lieferanteninnovationen

Aufgabe der Bewertung ist es aus einer Gesamtheit an Innovationsideen diejenigen zu selektieren, welche realisiert werden sollen. Die Entscheidung für eine Innovation sollte auf einer Bewertung basieren und nicht intuitiv gefällt werden. Für die Bewertung von Lieferanteninnovationen muss ein Unternehmen die Teilaspekte der Bewertungssituation analysieren und festlegen. Des Weiteren muss das Unternehmen einen Bewertungsprozess ausgestalten, welcher für Lieferanteninnovationen eingesetzt werden kann. Bei der Bewertung von Innovationen spielen die Teilaspekte der Bewertungssituation eine wesentliche Rolle. Die Bewertungssituation kann durch das Bewertungsobjekt, das Bewertungsziel, den Bewertungszeitpunkt, die Bewertungsreferenz, den Bewertungsträger, den Bewertungsempfänger, die Bewertungskriterien und die Bewertungsverfahren charakterisiert werden. Hierbei können zur Erfassung der Teilaspekte verschiedene Fragen verwendet werden (vgl. Abbildung 1-13)61.

Abbildung 1-13 Teilaspekte der Bewertungssituation62

Bewertungsobjekt

Bewertungsziele

Bewertungszeitpunkte

Was wird bewertet?

Weshalb wird bewertet?

Wann wird bewertet?

Bewertungssituation

Womit wird das Ergebnis verglichen?

Bewertungskriterien

Bewertungsempfänger

Bewertungsträger

Wodurch wird bewertet?

Für wen wird bewertet?

Wer bewertet?

Bewertungsverfahren Wie wird bewertet?

Bewertungsreferenzen

Das Bewertungsobjekt stellt eine Lieferanteninnovation dar, wobei es sich hierbei um eine Produktinnovation, eine Prozessinnovation oder eine Serviceinnovation des Lieferanten handeln kann. Diese ist relevant für die Bewertung, wenn sie einen Einfluss auf die Leistung des Abnehmerunternehmens hat. Die Lieferanteninnovation kann in Anlehnung an den Reifegrad im Ideenstadium oder bereits fertig einsetzbar vorliegen. 61 Vgl. im Folgenden WINTER (2014, S. 99ff). 62 Vgl. WINTER (2014, S. 100).

63

1.5

1

Strategische Beschaffung

Unternehmen sollten hierbei nicht nur auf ausgereifte Innovationen des Lieferanten warten. Vielmehr sollten auch mögliche Lieferanteninnovationen im Ideenstadium bewertet werden, sodass eventuell Exklusivitätsvereinbarungen geschlossen werden können. Das grundsätzliche Bewertungsziel ist es, die Vorteilhaftigkeit einer Lieferanteninnovation im Vergleich zum alten Zustand (z. B. altes Lieferantenprodukt) zu ermitteln, da nur vorteilhafte Innovationen umgesetzt werden sollten. Beispielsweise sind Lieferanteninnovationen relevant, welche zu Einsparungen im Unternehmen führen und/ oder einen Mehrwert für den Endkunden liefern. Liegen verschiedene mögliche Lieferanteninnovationen vor – beispielsweise durch Suche auf dem Beschaffungsmarkt oder nach Durchführung von Innovationswettbewerben – ist es sinnvoll diese in eine Reihenfolge zu bringen. Deshalb ist es ein weiteres Bewertungsziel ein Ranking durchzuführen, um die beste Lieferanteninnovation auszuwählen. Abschließend sollte eine Archivierung der Lieferanteninnovation und der Bewertungsergebnisse durchgeführt werden, damit später auf die Lieferanteninnovation zurückgegriffen werden kann. Die Bewertung einer Lieferanteninnovation sollte vor deren Umsetzung im Abnehmerunternehmen (ex ante) erfolgen, damit eine Entscheidungsgrundlage geschaffen wird. Als weitere Bewertungszeitpunkte kommen dann anschließend die Bewertung während der Umsetzung (ex nunc) und nach der Umsetzung (ex post) zur Kontrolle in Betracht. Als Referenz vor der Umsetzung ergibt sich für die Bewertung der Vorteilhaftigkeit der ursprüngliche Zustand. Dies kann das alte Lieferantenprodukt sein, aber auch ein Prozess oder ein Service des Lieferanten. Weiterhin kommen alternative Lieferanteninnovationen als Lösungsmöglichkeit bei deren Vorliegen in Betracht. Die Bewertung sollte von einem interdisziplinären Team durchgeführt werden und nicht nur von einer einzelnen Person. Dies ermöglicht es unterschiedliche Sichtweisen einzubeziehen und Subjektivität weitestgehend zu vermeiden. Es kann beispielsweise die Beschaffung, die Entwicklung, der Vertrieb, die Qualitätsabteilung und die Logistik einbezogen werden. Beispielsweise übernimmt die technische Bewertung die Entwicklung und die Marktseite wird vom Vertrieb bewertet. Entscheidungen sollten grundsätzlich ebenfalls in einem interdisziplinären Team stattfinden. Hierdurch kann wiederum Spezialwissen eingebracht und die Akzeptanz sowie die Motivation zur Umsetzung erhöht werden. Eine pauschale Aussage ist hier allerdings nicht möglich, da beispielsweise bei Mehrkosten eine höhere Instanz oder sogar die Geschäftsführung herangezogen werden muss. Die Entscheidungspersonen sind also von den Auswirkungen der Lieferanteninnovation und von den Richtlinien im Unternehmen abhängig. In jedem Fall ist es wichtig entscheidungsrelevante Informationen für die Bewertungsempfänger aufzubereiten. Für eine umfassende Bewertung sollten neben quantitativen Kriterien auch qualitative Kriterien in die Bewertung einbezogen werden. Quantitative Kriterien sind zur Bewertung der Wirtschaftlichkeit notwendig. Mit Hilfe von qualitativen Kriterien können

64

Lieferanteninnovationsmanagement

weitere nicht quantifizierbare Aspekte einbezogen werden, sodass hierdurch auch weniger ausgereifte Ideen beurteilt werden können. In jedem Fall muss bei den Bewertungskriterien der Teilproduktcharakter berücksichtigt werden. Es muss beispielsweise berücksichtigt werden, dass ein Lieferantenprodukt in verschiedene Endprodukte eingeht. Weiterhin muss die externe Quelle der Innovation – der Lieferant – in die Betrachtung einbezogen werden, da dieser für die Innovation verantwortlich ist. Durch die externe Quelle der Innovation besteht auch ein höheres Risiko. Es müssen deshalb die Auswirkungen der Lieferanteninnovation auf die klassischen Lieferantenbewertungskriterien wie beispielsweise die Qualitäts- und die Logistikleistung bewertet werden, um dieses Risiko zu berücksichtigen. Als Bewertungsverfahren kommen qualitative, semi-quantitative und quantitative Bewertungsverfahren in Betracht. Für die Bewertung von qualitativen und quantitativen Kriterien sollten sowohl qualitative als auch quantitative Verfahren für eine ganzheitliche Bewertung angewendet werden. Des Weiteren können mit Hilfe von qualitativen Verfahren auch unausgereiftere Innovationen beurteilt werden, bei welchen quantitative Informationen eventuell noch nicht vorliegen. Der Auswahlprozess besteht aus den beiden Aktivitäten Bewertung und Entscheidung. Bei der Bewertung handelt es sich meist um einen mehrstufigen Prozess (vgl. Abbildung 1-14). Dies ermöglicht einerseits unterschiedliche Kriterien einzubeziehen und andererseits den Bewertungs- und Auswahlprozess schnell sowie effizient gestalten zu können. Des Weiteren dient ein mehrstufiger Prozess auch zur schrittweisen Reduzierung von Ideen. Als Entscheidungsmöglichkeiten können grundsätzlich das Verwerfen, Zurückstellen, Überarbeiten und Verfolgen genutzt werden.

Abbildung 1-14 Mehrstufiger Bewertungsprozess63

Vorauswahl

• Checklisten • Scoring-Modell

Feinauswahl

• Statische Verfahren • Dynamische Verfahren

• • • •

Verwerfen Zurückstellen Überarbeiten Verfolgen

63 Vgl. WINTER (2014, S. 112).

65

1.5

1

Strategische Beschaffung

Es sollte einen definierten, systematischen und umfassenden Bewertungsprozess im Unternehmen geben. Die Durchführung einer Vorauswahl hat den Vorteil, dass unausgereiftere Lieferanteninnovationen mit qualitativen Verfahren bewertet werden können. Weiterhin können durch geeignete Selektionsmechanismen schlechte Lieferanteninnovationen bereits vorzeitig ausselektiert werden, sodass eine detaillierte Wirtschaftlichkeitsanalyse nicht mehr durchgeführt werden muss und hierdurch Bewertungsressourcen eingespart werden können. Außerdem kann eine größere Anzahl von Lieferanteninnovationen durch geeignete Selektionsmechanismen berücksichtigt werden. Zur Selektion eignet sich zunächst als qualitatives Verfahren eine Checkliste mit K.-o.-Kriterien. Wichtige K.-o.-Kriterien umfassen beispielsweise, ob das Lieferantenprodukt die Anforderungen an die Sicherheit erfüllt, ob diese mit den Unternehmensgrundsätzen überhaupt vereinbar sind, ob es unternehmensinterne Widerstände gegen die Umsetzung der Lieferanteninnovation gibt und ob sich das Unternehmen durch die Innovation zu sehr abhängig von einem Lieferanten macht. Anschließend kann die Punktbewertung als semi-quantitatives Verfahren eingesetzt werden, welche die Bewertung von Alternativen und ein Ranking der Lieferanteninnovationen ermöglicht. Checklisten und Punktbewertungsverfahren haben den Vorteil, dass diese relativ einfach anzuwenden sind. Nach der Vorauswahl sollte dann eine Wirtschaftlichkeitsanalyse durchgeführt werden. Hierbei sollten nicht nur Einsparungen oder Mehrkosten durch die Lieferanteninnovation untersucht werden, sondern auch mögliche Umsatzeffekte. Durch eine Verbesserung des Kundennutzens können möglicherweise ein höherer Preis und/oder mehr Endprodukte abgesetzt werden.

1.6

Internet-basierte Optimierung von Beschaffungsprozessen

Durch den technologischen Wandel verlagern Unternehmen ihre Geschäftsprozesse ins Internet und realisieren ihre Kundenbeziehungen mit Unterstützung elektronischer Informations- und Kommunikationsmittel. Electronic Business bezeichnet die Anbahnung, Vereinbarung und Abwicklung elektronischer Geschäftsprozesse über das Internet, d. h. den Leistungsaustausch zwischen Marktteilnehmern mit Hilfe öffentlicher oder privater Kommunikationsnetze zur Erzielung einer Wertschöpfung in Form eines monetären oder immateriellen Beitrages64. Informationen, die Kommunikation und die Transaktion als die zentralen Bausteine des Electronic Business werden über digitale Netzwerke transferiert. Electronic Commerce als Teilgebiet des Electronic Business umfasst die Leistungsaustauschbeziehungen Business-to-Business (B2B) und Business-to-Consumer (B2C). 64 Vgl. MEIER/STORMER (2012, S. 2).

66

Internet-basierte Optimierung von Beschaffungsprozessen

Electronic Government bezeichnet die Kommunikations- und Austauschbeziehungen Administration-to-Administration (A2A), Administration-to-Business (A2B) sowie Administration-to-Consumer (A2C). Unter Electronic Procurement (E-Procurement) wird der elektronische Einkauf von Produkten bzw. Dienstleistungen verstanden, d. h. eine Integration von innovativen Informations- und Kommunikationstechnologien zur Unterstützung bzw. Abwicklung von operativen, taktischen und strategischen Aufgaben im Beschaffungsbereich65. Die Ursprünge der elektronischen Unterstützung von Geschäftsprozessen im Einkauf liegen in den eingesetzten Material Requirements Planning (MRP) Tools in den 1970er Jahren mit deren Hilfe es erstmalig möglich wurde, Bedarfsdaten aus der Produktion mit der Materialversorgung bzw. der Beschaffungsabteilung elektronisch auszutauschen. Im nächsten Schritt wurde die Beschaffung in den weiterentwickelten Enterprise Resource Planning (ERP) Systemen auch mit den anderen Funktionsbereichen wie der Rechnungsabteilung oder dem Vertrieb unternehmensintern vernetzt.

1.6.1

Electronic Procurement

Grundsätzlich lässt sich der Beschaffungsprozess in einen strategischen und einen operativen Aufgabenbereich unterteilen. Die vorgelagerte strategische Beschaffung (Sourcing) ist für die Bedarfsermittlung, die Auswahl der Lieferanten und die Ausgestaltung der entsprechenden vertraglichen Vereinbarungen zuständig. Die eigentliche Abwicklung des Bestellprozesses liegt in der Verantwortung der operativen Beschaffung (Purchasing). Der Beschaffungsprozess setzt sich aus der katalogbasierten Bedarfserfassung, der anschließenden Bedarfsanforderung und -freigabe, dem Bestellvorgang und dem Wareneingang mit den dazugehörigen Belegflüssen zusammen. Die anschließende Rechnungsbearbeitung umfasst die Rechnungserstellung und -prüfung, den Zahlungsvorgang mit der Erfassung von Rabatten oder Gutschriften sowie die Kontierung auf die entsprechenden Kostenstellen (vgl. Abbildung 1-15). Der komplexe Prozess von der Bestellung bis zur elektronischen Bezahlung mit zahlreichen involvierten Stakeholdern aus verschiedenen Abteilungen innerhalb und außerhalb des Unternehmens wird in der Literatur gerade im Zusammenhang mit dem Einsatz von unterstützenden E-Tools auch als Requisition-to-Pay (R2P) oder Procure-to-Pay (P2P) Prozess bezeichnet.

65 Vgl. KOLLMANN (2013, S. 109).

67

1.6

1

Strategische Beschaffung

Abbildung 1-15 Traditioneller Beschaffungsprozess

Ein Hauptproblem beim traditionellen Beschaffungsprozess ist in dem häufig anzutreffenden undifferenzierten Beschaffungsablauf für unterschiedliche Produkte zu sehen. Somit ergeben sich beim traditionellen Beschaffungsablauf folgende Ineffizienzen: Der Beschaffungsprozess ist stark an produktiven und hochwertigen Beschaffungsobjekten orientiert, d. h. auch unproduktive und geringwertige Güter unterliegen denselben Freigabemodi wie produktive Güter. Die hohe Anzahl der Beteiligten, unabhängig von der Art des zu bestellenden Produkts, verursacht durch die sehr hohe Inanspruchnahme von Arbeitszeit insbesondere für die Beschaffung geringwertiger Produkte hohe Beschaffungsprozesskosten. Oftmals übersteigen die Abwicklungskosten für indirekte Güter den Wert der eingekauften Güter. Die Beschaffung der Produkte erfolgt über die zentrale Einkaufsabteilung, was zu einem erhöhten Vermittlungsaufwand zwischen Lieferant, zentraler Einkaufsabteilung und Bedarfsträger führt. Beispielsweise muss die zentrale Einkaufsabteilung aus mangelnder technischer Kompetenz bei eventuellen Fragen eines Lieferanten wieder auf den Besteller zurückgreifen. Darüber hinaus kann bei sehr komplexen Produkten eine Warenprüfung durch die Einkaufsabteilung bzw. den Wareneingang nur rudimentär durchgeführt werden. Aufgrund mangelnder Kommunikation sowie Transparenz über Beschaffungsprozesse und Rahmenverträge, fehlendem Vertrauen in die Einkaufsabteilung, mangelnder Geschwindigkeit bei dringendem Bedarf sowie persönlichen Präferenzen und Beziehungen zu anderen Herstellern umgehen Mitarbeiter die definierten Beschaffungsprozesse und kaufen ohne Wissen der zentralen Beschaffungsabteilung über ihre Abteilungsbudgets direkt bei den Lieferanten ein. Dieses sogenannte Maverick Buying führt zu höheren Anschaffungs- und Wartungskosten, zu einer steigenden Anzahl an Lieferanten und zu einer fehlenden Kostentransparenz.

68

Internet-basierte Optimierung von Beschaffungsprozessen

Durch die Dominanz der indirekten Produkte ist der zentrale Einkauf stark auf transaktionsorientierte Routinetätigkeiten fokussiert. Strategische Aufgaben der Beschaffung, wie z. B. die Auswahl neuer Lieferanten oder die Festlegung neuer Rahmenverträge werden somit vernachlässigt. Eine umfassende technische Unterstützung des Beschaffungsprozesses durch Electronic Data Interchange (EDI) fehlt besonders in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Zu den hohen Implementierungskosten für die Netzwerke, die entweder als private Punkt-zu-Punkt-Netzwerke oder als Value Added Networks (VAN) aufgebaut werden, fallen zusätzlich noch hohe Datenübertragungskosten an, sodass KMU in der Regel EDI nur auf Druck ihrer Kunden einführen. Der elektronische Austausch von Daten wird durch verschiedene proprietäre Standards erschwert. Während in Deutschland EDIFACT dominiert, ist in den USA ANSI ASC X12 am weitesten verbreitet. Darüber hinaus lassen sich per EDI nur bestimmte Formate übertragen, die Übermittlung von technischen Zeichnungen, Grafiken oder dynamischen Daten wird nicht unterstützt.

Das Ziel des Einsatzes von E-Procurement-Lösungen ist eindeutig in der Beseitigung der genannten Schwächen des traditionellen Beschaffungsprozesses zu sehen. Durch die Implementierung von E-Procurement können marktorientierte Beschaffungsstrategien zum Einsatz kommen, welche den Einkauf von operativen Aufgaben entlasten und einen positiven Beitrag zum Unternehmensergebnis leisten. Derartige Strategien zeichnen sich durch eine Vereinfachung von Prozessen und Verfahren und die Eliminierung von nicht wertschöpfenden Aktivitäten aus. E-Procurement bietet auf der Basis bewährter Internet-Technologien erfolgversprechende Möglichkeiten bei der Umgestaltung von Beschaffungsprozessen und der Neuausrichtung der Beschaffung als strategische Unternehmensfunktion. Die grundlegenden Gestaltungsmöglichkeiten beim E-Procurement gliedern sich in Electronic Purchasing und Electronic Sourcing. Diese Differenzierung beschreibt gleichzeitig die unterschiedlichen Ausprägungen zwischen einem operativen (Purchasing) und strategischen (Sourcing) Beschaffungsprozess. Auf operativer Ebene bestehen beim E-Purchasing durch Nutzung von IT-Tools die Ziele vorrangig in der Senkung der Kosten des Beschaffungsprozesses. Die erhöhte Automatisierung führt zu weniger repetitiven Aufgaben, sodass sich durch die resultierende Straffung des Beschaffungsprozesses Personalkosten reduzieren lassen. Daüber hinaus führen reduzierte Genehmigungs- und Bearbeitungsschritte zu einer Beschleunigung der Prozesse. Der sich daraus ergebende Zeitvorteil durch kürzere Lagerdauern für beschaffte Artikel und die Verbesserung der Bereitstellungszeit für georderte Güter bringt ebenfalls positive Kostenwirkungen mit sich. Weiterhin können durch die Bündelung des Bestellvolumens mit den Lieferanten günstigere Preise vereinbart werden und auch die automatisch durchführbaren Preis- und Produktvergleiche ermöglichen die Auswahl des günstigsten Lieferanten. Eindeutig definierte Profile, 69

1.6

1

Strategische Beschaffung

Rechte und Genehmigungsverfahren führen zu einer effektiveren Kontrolle und Steuerung der Einkaufstätigkeiten der einzelnen Mitarbeiter, sodass die überteuerten Einkäufe außerhalb der Beschaffungsrichtlinien deutlich gesenkt werden können. Electronic Sourcing bezeichnet den Einsatz überwiegend webbasierter Applikationen zur Rationalisierung und Verbesserung strategischer Einkaufsprozesse. E-SourcingTools ermöglichen eine computergestützte Abwicklung einzelner Arbeitsabläufe, wobei die Suche und (Vor-) Auswahl geeigneter Lieferanten sowie eine Unterstützung von der Verhandlung bis zum Vertragsabschluss die wesentlichen Einsatzgebiete sind. Auf strategischer Ebene wirken sich die auf der operativen Seite beschleunigten Prozesse positiv auf die Wettbewerbsposition des Unternehmens aus, da Durchlaufzeiten von Aufträgen nachhaltig verkürzt werden. Dies schafft eine Erhöhung der Flexibilität und Reaktionsfähigkeit in Unternehmensabläufen. Entstehende Freiräume für Mitarbeiter ermöglichen die Steigerung der Effektivität und der Qualität durch verstärkte Konzentration auf Beschaffungsstrategien. Die Erhöhung der Markttransparenz ermöglicht zudem eine Optimierung der Lieferantenbeziehungen. Die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien dürfen jedoch nicht dazu dienen, ineffiziente Prozesse zu automatisieren, sondern durch intelligente Anwendungen sollen neue zeit- und ressourcensparende Abläufe realisiert werden. Business Process Reengineering strebt nach fundamentaler und schneller Neugestaltung von Geschäftsabläufen, wobei vorhandene Abläufe zunächst in Frage gestellt, völlig neu definiert und somit den neuen technologischen Gegebenheiten sowie Marktanforderungen angepasst werden. Dabei steht nicht allein der verstärkte Technologieeinsatz im Vordergrund dieses Konzepts, sondern vielmehr das Durchdenken vorhandener Abläufe unter Berücksichtigung der modernen IT-Möglichkeiten. Ein solch ganzheitlicher Ansatz verlangt im Rahmen des transformatorischen Prozesses die Veränderung und Neuabstimmung aller relevanten Aspekte der betrieblichen Leistungserstellung. Um Business Process Reengineering konkret auf den Beschaffungsbereich anzuwenden ist es notwendig, sowohl unternehmensinterne als auch unternehmensexterne Prozesse zu verändern. Der Schwerpunkt darf hierbei ausdrücklich nicht auf der Führung neuer Preisverhandlungen liegen, sondern bei den folgenden Veränderungen: Ein effizienteres Auswahlverfahren neuer Lieferanten und Produkte verringert den Aufwand für die Suche und den Vertragsabschluss. Somit ist dem effizienten Suchen, Auswählen und vertraglichen Binden von Lieferanten aufgrund des hohen Zeitbedarfs bei der Neugestaltung des Beschaffungsprozesses besondere Beachtung zu widmen. Die Restrukturierung des Prozessablaufs hat die Beseitigung überflüssiger Kontrollinstanzen zum Ziel, indem Kompetenzen sowie Verantwortung zum Bedarfsträger verlagert werden. Durch die resultierende Entlastung des Einkaufs von Routinetätigkeiten können verstärkt strategische Aufgabenstellungen wahrgenommen werden.

70

Internet-basierte Optimierung von Beschaffungsprozessen

Im Gegensatz zum traditionellen Beschaffungsprozess ist bei einer Restrukturierung des Beschaffungsprozesses eine Differenzierung der Produkte unbedingt erforderlich. Bei der Implementierung einer E-Procurement-Lösung sollte mit Gütern mit geringer strategischer Bedeutung, einer hohen Bestellhäufigkeit sowie einem geringen Bestellwert begonnen werden. Zu diesen MRO-Gütern (Maintenance, Repair and Operations) zählen z. B. Werkzeuge, Ersatzteile oder Verbrauchsartikel. Erst nach Eintreten der gewünschten Ergebnisse kann eine Ausweitung der Veränderungen auf die Beschaffung strategisch wichtiger Güter erfolgen. Der Beschaffungsprozess kann effektiver kontrolliert werden, da die Abwicklung der Beschaffungsvorgänge über ein einziges Beschaffungssystem erfolgt. Durch den Abschluss von Rahmenverträgen mit ausgewählten Lieferanten, die von den Mitarbeitern ausschließlich über die E-Procurement-Lösung angesprochen werden können, wird gewährleistet, dass alle Bestellungen auch online abgewickelt werden. Die effektivere Kontrolle der Beschaffungsvorgänge hat auch eine verbesserte Planungsgenauigkeit der indirekten Produkte zur Folge, die gezieltere Vereinbarungen mit den Lieferanten zur optimalen Befriedigung des Bedarfs ermöglichen. Die Konsolidierung der Lieferantenbeziehungen resultiert aus einer Aufwertung der vertikalen Logistikkette, insbesondere durch eine Verstärkung der partnerschaftlichen Beziehungen zu bevorzugten Lieferanten. Bisher manuelle Abläufe der Beschaffung lassen sich durch den Einsatz neuer Informationstechnologien ablösen. Unterstützung finden die Anforderungs- und Bestellabwicklung, die Kommunikation, der Datenaustausch sowie der elektronische Zahlungsverkehr. Um den Beschaffungsprozess effizient und effektiv zu unterstützen, sind gewisse Anforderungen an ein E-Procurement-System zu stellen. Ein E-Procurement-System sollte die folgenden Basisdienste abdecken: Management der Kataloginhalte (Content Management), Katalogsuche und Produktauswahl, Bestelldienste, Administration des Systems sowie Integration mit bestehenden Informationssystemen66. a)

Content Management

Als Content Management bezeichnet man die Pflege der integrierten Produktkataloge mit dem Ziel der bestmöglichen Aktualität und Vollständigkeit der enthaltenen Produktdatensätze. Zwischen Kunde und Lieferant müssen einheitliche Datenformate festgelegt werden. Die Daten mehrerer Lieferanten sollten in einem einzigen MultiLieferanten-Katalog (MLK) integriert werden. Hierzu kann sich der Einsatz eines Content Providers anbieten, der sich mit dem Management und der Aggregation des MLK beschäftigt. Dazu gehören das erstmalige Abstimmen der Katalogformate, das initiale 66 Vgl. EYHOLZER (1999, S. 15ff).

71

1.6

1

Strategische Beschaffung

Einpflegen der Produktdaten der Lieferanten in MLK und ein regelmäßiges Update der Lieferantenproduktdaten bzgl. neuer Preise und neuer Produkte. Zur Vereinfachung der Suchmöglichkeiten im MLK ist es notwendig, einen anbieterunabhängigen Klassifizierungsvorschlag für die Kataloginhalte zu definieren. Zur Klassifikation von Produkten und Dienstleistungen entwickelten die Vereinten Nationen (UN) den UN/SPSC-Standard (Standard Products and Service Codes) der von der UNO verabschiedet worden ist. Hierbei erfolgt eine hierarchische Produktklassifikation mit fünf Ebenen (Segment, Family, Class, Commodity, Business Function), wobei jede Ebene durch zwei Stellen repräsentiert wird. Während die ersten vier Ebenen standardisiert sind, kann die fünfte Ebene der Business Function als unternehmensspezifische Stufe ergänzt werden, um z. B. zusätzliche Dienstleistungen des Herstellers wie Wartung oder Leasing darstellen zu können. In der Abbildung 1-16 ist beispielsweise der Klassifikationscode für eine CD-Tasche angegeben. Mit dem UN/SPSCStandard werden die meisten Produkttypen abgedeckt, nicht aber Attribute wie Farbe, Größe, Leistung oder Anwendungsbereiche.

Abbildung 1-16 Beispiel UN/SPSC – CD Tasche

Standards für Produktkataloge müssen die schnelle Adaption komplexer Produkte und unterschiedlichster Produktgruppen ermöglichen. Sie müssen so konzipiert sein, dass der Beschaffungsvorgang von der Bestellung bis zur Abrechnung nicht nur abgebildet, sondern unterstützt wird. Der vom Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) und dem Fraunhofer Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation (IAO) entwickelte BMEcat ist ein standardisiertes Austauschformat für Katalogdaten im Katalogmanagement. Das BMEcat-Format basiert auf der XMLTechnologie und erlaubt den standardisierten Austausch von Katalogdaten sowie von Produktklassifikationssystemen wie z. B. eCl@ss, ETIM, proficl@ss oder UN/SPSC. Die Lieferanten können dem beschaffenden Unternehmen durch die Verwendung des BMEcat-Formats eine Vielzahl von Informationen in Form von Bildern, Grafiken, Videos und Dokumenten etc. in den Katalogen zur Verfügung stellen. Mit dem Datenstrukturstandard BMEcat können komplette Kataloge übertragen sowie Produkte und Preise aktualisiert werden.

72

Internet-basierte Optimierung von Beschaffungsprozessen

Über eine Personalisierung sollten die Inhalte der Kataloge unternehmensspezifisch angepasst werden, um z. B. kundenindividuelle Preise und Rabatte zu ermöglichen. Darüber hinaus sollte jeder Besteller eine seinem Profil entsprechende Oberfläche angezeigt bekommen. Zwischen dem einkaufenden Unternehmen und ausgewählten Lieferanten werden für bestimmte Produkte und Dienstleistungen spezielle Verträge abgeschlossen, die dem Kunden besondere Konditionen gewähren. Auch bei einer elektronischen Beschaffung müssen jedem Bedarfsträger auf dem Bildschirm die im Rahmenvertrag vereinbarten Preise und Konditionen angezeigt werden. 
 Eine Modifikation der Inhalte kann über einen Information Manager erfolgen, der auch die Qualität der Inhalte gewährleistet. Alternativ können die Lieferanten auch über einen Online-Zugriff auf ihren Katalog die Daten selbst eingeben oder abändern (Self-Administration). b)

Katalogsuche und Produktauswahl

Mit den folgenden Funktionalitäten eines E-Procurement-Systems kann der Bestellprozess effektiv unterstützt werden. Im Rahmen der Produktkonfiguration soll der Kunde die Möglichkeit haben, ein Produkt nach seinen Bedürfnissen zu konfigurieren. Das System unterstützt den Kunden bei der Zusammenstellung des Produkts und weist im Bedarfsfall auch darauf hin, dass bestimmte Komponenten nicht zusammenpassen oder vergessen worden sind. Die Recherche nach Produkten kann durch stufenweises Suchen in Produktkategorien oder durch Suchen nach Schlüsselwörtern bzw. Attributen erfolgen. Werden Produkte von mehreren Lieferanten angeboten, dann erfolgt eine Auflistung gemäß den Prioritäten der Beschaffungsgrundsätze (z. B. mit aufsteigenden Preisen). Insbesondere für höherwertige Produkte und Dienstleistungen besteht die Möglichkeit der Ausschreibung. Über eine Ausschreibung kann das beschaffende Unternehmen die gewünschten Beschaffungsobjekte online veröffentlichen, sodass die Lieferanten ihre Angebote über einen einfachen Webbrowser direkt in das System des beschaffenden Unternehmens senden können. Des Weiteren ermöglichen Einkaufsauktionen den Einkäufern das Erschließen neuer Potenziale. Durch das Ausschreiben des Bedarfs auf einer Auktionsplattform können für viele Güter und Dienstleistungen neue wettbewerbsfähige Märkte erschlossen werden, wo im Rahmen des traditionellen Einkaufsprozesses noch keine Märkte existierten. Durch eine Integration der E-Procurement-Lösung mit den lieferantenseitigen Informationssystemen erhält der Kunde bei seiner Suche im Katalog verlässliche und aktuelle Angaben über Lagerbestände, Verfügbarkeit, Preise und Lieferfristen der gewünschten Produkte.

73

1.6

1

Strategische Beschaffung

c)

Anforderungs- und Bestelldienste

Der Bedarfsträger wählt mit Hilfe der oben beschriebenen Suchfunktion das gewünschte Produkt bzw. die gewünschte Dienstleistung aus, und generiert eine Bestellanforderung. Weiterhin sollten Standardbestellungen festgelegt werden können, um sie als individuelle Warenkörbe zu speichern. Die Bestellanforderung wird mit Hilfe des Warenkorbinhaltes und der Benutzeridentität vom System generiert und kann um administrative Informationen (z. B. die zu verwendende Zahlungsart) erweitert werden. Anschließend durchläuft die Bestellanforderung in Abhängigkeit des Produkttyps, des Wertes und des Volumens sowie des festgelegten Benutzerprofils des Bestellers einen elektronisch unterstützten Genehmigungsworkflow. Dies bedeutet, dass die Bestellanforderung z. B. per E-Mail an verschiedene Entscheidungsträger weitergeleitet wird und als Ergebnis zu einer Genehmigung oder Ablehnung des Antrags führt. Nach einer Genehmigung der Bestellanforderung wird vom System eine Bestellung generiert und an das interne Warenwirtschaftssystem oder ERP-System und den Lieferanten übermittelt. Sind von der Bestellung mehrere Lieferanten betroffen, dann wird die Bestellung automatisch gesplittet. Die Lieferanten öffnen und prüfen den Bestellauftrag und transformieren ihn gegebenenfalls in ihr internes Datenformat. Über Tracking-Funktionen hat der Besteller jederzeit einen Überblick über den Stand seiner Bestellanforderung. Falls eine Integration in das lieferantenseitige Informationssystem erfolgt, dann kann auch der Bestellstatus beim Lieferanten überprüft werden. Der beauftragte Lieferant beschafft sich unter Umständen Informationen über die Kreditwürdigkeit des Kunden (z. B. durch Überprüfung der Kreditkartennummer), beginnt mit der Auftragsausführung und liefert im Anschluss die gewünschten Produkte. Über die Trackingsysteme der eingesetzten Transportdienstleister kann der gegenwärtige Standort der Lieferung ermittelt werden. Die Lieferung erfolgt entweder im Falle eines Desktop Receiving an den Arbeitsplatz des Bestellers oder an den zentralen Wareneingang. Nach Empfang der Produkte erfolgt empfängerseitig eine Überprüfung. Die E-Procurement-Lösung soll den Prozess der Wareneingangskontrolle durch Erstellung eines elektronischen Lieferscheins unterstützen. Weiterhin soll auch ein Beschwerdemanagement zur Verfügung gestellt werden, sodass der Besteller im Fall von festgestellten Mängeln direkt online mit dem Lieferanten kommunizieren kann. Am Ende des Beschaffungsprozesses generiert das System in festgelegten Zeitintervallen (z. B. monatlich) eine elektronische Rechnung. Die Integration mit internen ERPund Warenwirtschaftssystemen ermöglicht hierbei eine automatische Verbuchung dieser Rechnungen. Die Bezahlung erfolgt mittels eines elektronischen Zahlungsverfahrens (z. B. elektronische Sammelrechnungen, Gutschriftverfahren, Lastschriftverfahren per EDIFACT, Purchasing-Card-Systeme) oder per Banküberweisung. Sämtliche getätigten Bestellungen müssen durch eine Archivierungsfunktion sowohl für den Kunden als auch für den Lieferanten abrufbar sein.

74

Internet-basierte Optimierung von Beschaffungsprozessen

d)

Administration des E-Procurement-Systems

Im Rahmen der Systemadministration müssen zunächst die Unternehmensrichtlinien in der Beschaffung in Form von Business Rules festgelegt werden. Die für die Gestaltung der Workflows notwendigen Business Rules geben Auskunft über die Priorisierung bestimmter Lieferanten, über Grenzen bei Bestellpreisen, Restriktionen bei Bestellabständen und der Zuordnung bestimmter Güter nur zu bestimmten Lieferanten. Oftmals werden von den Systemen bereits vorgefertigte Business Rules zur Verfügung gestellt. Weiterhin müssen die Benutzerprofile festgelegt werden. Diese umfassen zum einen sämtliche Restriktionen bezüglich Menge, Wert oder Art der zu bestellenden Produkte bzw. Dienstleistungen. Zum anderen muss eine personalisierte Darstellung des Katalogs erfolgen, d. h. dem Bedarfsträger werden nur diejenigen Produkte bzw. Dienstleistungen angezeigt, die er bestellen darf. Durch die Nutzung digitalisierter Informationen steigen auch die Missbrauchsmöglichkeiten, sodass der Datensicherheit und Integrität eine sehr hohe Bedeutung beizumessen ist. Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass bei den Maßnahmen zur Gewährleistung einer hohen Datensicherheit auch Zielkonflikte mit der gewünschten Nutzerflexibilität auftreten. Um die Sicherheit bei der Übertragung von Daten und bei den Finanzierungstransaktionen zu gewährleisten, sollte auf den Einsatz von Firewalls (um Teilnetze des Systems gegen unberechtigte Zugriffe zu schützen), Verschlüsselungssoftware sowie auf digitale Zertifikate und Unterschriften nicht verzichtet werden. Im Fall einer symmetrischen Verschlüsselung verwenden der Sender und Empfänger ein- und denselben Schlüssel zur Ver- und Entschlüsselung. Somit muss neben der verschlüsselten Information auch der Schlüssel über einen sicheren Kanal übertragen werden, denn die Sicherheit des Verfahrens hängt von der Geheimhaltung des Schlüssels ab. Vorteilhaft ist die schnelle Ver- und Entschlüsselung, als nachteilig erweist sich jedoch das aufwendige Schlüsselmanagement, da für jeden Kommunikationspartner spezielle Schlüssel generiert werden müssen. Im Gegensatz zur symmetrischen Verschlüsselung verfügen bei einer asymmetrischen Verschlüsselung der Sender und Empfänger über einen öffentlichen (bekannten) und einen privaten Schlüssel. Der Sender verwendet den öffentlichen Schlüssel des Empfängers, um seine Nachricht zu verschlüsseln oder erzeugte Signaturen auf ihre Authentizität zu überprüfen. Nur der richtige Empfänger verfügt über den privaten Schlüssel, mit dem er die Nachricht entschlüsseln oder eine digitale Signatur erzeugen kann. Durch die automatische Bestellabwicklung können im Rahmen eines Reporting verschiedene Statistiken erstellt werden. Beispielsweise können Analysen bzgl. der Leistungs- und Reaktionsfähigkeit der Lieferanten aber auch bzgl. dem Wert, Volumen oder Anzahl der Bestellungen für jeden Bedarfsträger durchgeführt werden.

1.6.1.1

Geschäftsmodelle des elektronischen Einkaufs

Zur Unterstützung der Aufgabenbereiche im Beschaffungsprozess spielen elektronische Produktkataloge eine entscheidende Rolle. Elektronische Produktkataloge er-

75

1.6

1

Strategische Beschaffung

möglichen eine Dezentralisierung des Beschaffungsprozesses, indem sie den Bedarfsträgern sämtliche Informationen zur Bedarfserkennung und Bestellabwicklung bereitstellen. Die Möglichkeiten der elektronischen Beschaffung unterscheiden sich vor allem in der Art des Zugangs zu diesen Katalogen. Dabei werden im Wesentlichen drei grundsätzliche Modelle unterschieden, die als Geschäftsmodelle des elektronischen Einkaufs bezeichnet werden. Die Auswahl einer auf einem derartigen Geschäftsmodell beruhenden Lösung richtet sich dabei nach den unternehmensspezifischen Anforderungen und den strategischen Zielen. a)

Sell-Side-Lösung

Dieses Geschäftsmodell basiert auf Katalogsystemen einzelner Anbieter, die in die eigene Internetpräsenz integriert und vom Anbieter oder einem beauftragten ServiceProvider gepflegt werden (vgl. Abbildung 1-17). Abnehmer haben entweder unbeschränkten Zugang zum Katalog oder erhalten ihn nach vorheriger Registrierung. Der Lieferant übernimmt die Produktbeschreibung und -klassifikation und legt die Aktualisierungsabläufe fest. Es existieren eine Suchfunktion für Artikel und Dienstleistungen, ein virtueller Warenkorb sowie eine Möglichkeit zum Entgegennehmen von Aufträgen und Bestellungen. Die Bestell- und Abwicklungsprozesse sowie die Rechnungslegung werden durch die Software elektronisch unterstützt. Derartige Systeme sind heute relativ häufig anzutreffen, stellen jedoch aus Sicht des Einkäufers keinen optimalen Zustand dar, da sie die Marktmacht des Anbieters erhalten oder ausbauen sollen. Auch für den Lieferanten birgt dieses Modell Gefahren. Diese bestehen in der zusätzlichen finanziellen Aufwendung für das Katalogmanagement und der möglichen Abwanderung von Abnehmern zu anderen Lieferanten aufgrund der geringen Bindung zum Anbieter.

Abbildung 1-17 Sell-Side-Lösung67

67 In Anlehnung an BRENNER (2000, S. 161).

76

Internet-basierte Optimierung von Beschaffungsprozessen

b)

Buy-Side-Lösung

Buy-Side-Lösungen stellen das zum vorigen Modell spiegelbildliche Geschäftsmodell dar, d. h. die Kataloge befinden sich auf der Seite des einkaufenden Unternehmens. In diese Multi-Lieferanten-Kataloge werden vom Abnehmer Daten von denjenigen Zulieferern eingestellt, mit denen zuvor Rahmenverträge vereinbart wurden. Der MultiLieferanten-Katalog befindet sich innerhalb der unternehmenseigenen IT-Infrastruktur (Intranet). Der Bedarfsträger kann somit selbst die von ihm benötigten Produkte unabhängig vom Hersteller in einem Katalog finden und bestellen (vgl. Abbildung 1-18). Die Benutzerverwaltung inkl. der Administration der Berechtigungen und Zugriffsrechte ist Aufgabe des beschaffenden Unternehmens. Das Hauptproblem solcher Lösungen besteht in der Integration zu internen Systemen und der umfassenden Unterstützung aller Auswahl- und Bestellprozesse, die nur durch die Installation von proprietärer Zusatzsoftware ermöglicht wird.

Abbildung 1-18 Buy-Side-Lösung68

c)

Elektronische Marktplätze

Das dritte Geschäftsmodell sieht das Katalogmanagement auf einem neutralen, elektronischen Marktplatz vor. Der Betreiber des Marktplatzes übernimmt die Aufgabe, aus den Katalogen der Zulieferer einen standardisierten Multi-Lieferanten-Katalog zu erstellen. Jedem Unternehmen, das auf dem Marktplatz als Käufer auftritt, wird ein individuell angepasster Katalog bereitgestellt (vgl. Abbildung 1-19). Ein elektronischer Marktplatz zeichnet sich durch Ubiquität aus, d. h. jeder Teilnehmer kann unabhängig von Ort und Zeit am Marktgeschehen teilnehmen. Des Weiteren erhöht ein elektronischer Marktplatz die Transparenz, da die Informationsbeschaffung erleichtert wird und die Informationen jedem in gleicher Weise und zur selben Zeit zur Verfügung stehen. Zentrales Charakteristikum elektronischer Marktplätze ist die Möglichkeit, Verträge auf dieser Plattform selbst vorzunehmen oder zumindest den Vertragsab68 In Anlehnung an BRENNER (2000, S. 162).

77

1.6

1

Strategische Beschaffung

schluss in grundlegenden Aspekten vorzubereiten69. Die Marktplatzbetreiber werden auch als Intermediäre bezeichnet, die sich durch Anteile am Transaktionsvolumen und/oder an eingesparten Kosten, durch zeitlich gestaffelte Teilnahmebeträge bzw. Pauschalen sowie durch transaktions- bzw. aktivitätsbezogene Gebühren finanzieren. Diese Lösung wird häufig von kleineren Unternehmen genutzt, welche beschränkte Möglichkeiten der Ausgestaltung ihrer eigenen IT-Strukturen haben. Der Intermediär ist für die Festlegung aller Rahmenbedingungen und das komplette Katalogmanagement zuständig. Durch eine Marktplatzstruktur lässt sich die Komplexität deutlich verringern, da die Kataloginhalte nur einmal zentral verwaltet werden.

Abbildung 1-19 Elektronischer Marktplatz70

Marktplätze lassen sich hinsichtlich der Breite des angebotenen Produktangebots unterscheiden. Vertikale Marktplätze beschränken sich auf eine oder wenige verwandte Branchen, horizontale Marktplätze bieten dagegen ein branchenübergreifendes Angebot an. Insbesondere MRO-Artikel sollten branchenübergreifend angeboten werden, da dadurch das Transaktionsvolumen des Marktplatzes erhöht werden kann, was wiederum zusätzliche Kostensenkungspotenziale für die Kunden bzw. erhöhte Gewinne für die Lieferanten und Intermediäre zur Folge hat. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal bildet der Zugang zu den Marktplätzen. Man spricht von einem offenen Marktplatz, wenn die Zugangsvoraussetzung nur durch eine Registrierung mit eventuell durchzuführender Prüfung der Seriosität verbunden ist. Bei einem geschlossenen Marktplatz wird dagegen die Zahl der Teilnehmer von vornherein beschränkt. 69 Durch die Vereinbarung von Verträgen bzw. die Vorbereitung von Vertragsabschlüssen unter-

scheiden sich Marktplätze von den mittlerweile recht zahlreichen Portalen, die Informationsverzeichnisse im Internet darstellen und somit nur die Informationsphase einer geschäftlichen Transaktion unterstützen. 70 In Anlehnung an BRENNER (2000, S. 163).

78

Internet-basierte Optimierung von Beschaffungsprozessen

Die Generierung eines Mehrwertes auf einem elektronischen Markt kann auf verschiedene Art und Weise erfolgen. Durch Aggregation wird versucht, auf dem Marktplatz eine große Anzahl von Einkäufern und Verkäufern zu integrieren, sodass die Transaktionskosten durch „one-stop-shopping“ reduziert werden. Weiterhin wird durch eine erhöhte Markttransparenz ein Mehrwert generiert, da Käufer und Verkäufer dynamisch in Echtzeit Preise und Mengen verhandeln und somit geeignete Partner finden können. Zusätzlich besteht die Möglichkeit der Nachfragebündelung insbesondere für kleine und mittelständische Einkäufer, wobei der Mehrwert durch die Zusammenfassung gleichartiger Güter über die Realisierung von Mengenrabatten geschaffen wird. Bei der Errichtung eines Marktplatzes müssen verschiedene Aspekte bedacht werden (vgl. Tabelle 1-9).

Tabelle 1-9 Aspekte bei der Konfiguration elektronischer Marktplätze Modell Spezialisierung

Möglichkeiten Horizontaler bzw. vertikaler Marktplatz

Produkte

Dienstleistungen, MRO, Investitionsgüter, Restposten, etc.

Teilnahme

Offen, geschlossen für Käufer, geschlossen für Verkäufer, geschlossen für Käufer und Verkäufer

Vertragsabschluss

Vertragsabschluss auf dem Marktplatz möglich, bilateraler Vertragsabschluss

Preismodelle

Festpreis, kundenspezifische Preise, Power Buying, Auktion, Börse

Kostenmodelle

Zeitlich gestaffelte Teilnahmebeträge bzw. Pauschalen, transaktions- bzw. aktivitätsbezogene Gebühren

Transaktionsphasen Kooperation

Austausch von Planungs-, Konstruktionsdaten

Bewertung

Bewertung der Teilnehmer, Zertifizierung der Güter, etc.

Bezahlung

Purchasing Card, elektronische Überweisung, Treuhandkonto

Logistik

Exklusive oder optionale logistische Dienstleister

Dienstleistungen Technologie Sicherheit

Versicherungen, Finanzierungen Verschlüsselung, elektronische Signatur

Produktklassifikation

Proprietäre Lösung, UN/SPSC, keine

Güterangebot Entscheidungsunterstützung

Per Katalog, E-mail, schwarzes Brett Bewertung der Marktteilnehmer, Produktzertifizierung, automatische Käufe

Kundenbezogenheit

Allgemeiner bzw. kundenspezifischer Katalog

Schnittstellen

Zu Warenwirtschaftssystemen, ERP-Systemen

Kommunikation

E-mail, EDI, Mailbox, Fax, Telefon

79

1.6

1

Strategische Beschaffung

Die handelbaren Güterkategorien lassen sich in Dienstleistungen, Produktionsgüter, Investitionsgüter, MRO-Güter, Restposten und gebrauchte Investitionsgüter unterteilen, die über allgemeine oder kundenspezifische Produktkataloge, „schwarze Bretter“ oder direkt den potenziellen Nachfragern angeboten werden können. Eine exakte Spezifizierung der Produkte ist zur besseren Orientierung der Nutzer dabei unabdingbar. Zusätzlich besteht die Möglichkeit der Ausschreibung von Gütern. Bei „schwarzen Brettern“ und Ausschreibungen erleichtert eine Kategorisierung der Güter das Auffinden geeigneter Partner. Bezüglich der Kosten ist zu differenzieren, ob die Kosten entweder dem Ein- oder dem Verkäufer oder beiden angelastet werden. Um Vorbehalte gegenüber Marktplätzen hinsichtlich der rechtlichen und technischen Sicherheit weitestgehend auszuschließen, sollten Verschlüsselungsverfahren und die digitale Signatur sichergestellt werden. Eine Überprüfung der Handelspartner über Kreditinstitute oder Wirtschaftsauskunfteien entscheidet über die Seriosität eines Marktplatzes. Zusätzlich gilt es zu klären, ob der Vertragsabschluss auf dem Marktplatz oder bilateral zwischen den Handelspartnern erfolgen soll. In diesem Zusammenhang muss auch hinterfragt werden, ob der Marktplatzbetreiber lediglich die Infrastruktur bereitstellt oder als Zwischenhändler auftritt. Zur Verbesserung der Auswahl von und der Zusammenarbeit zwischen den Verhandlungspartnern sollten Marktplätze auch Bewertungssysteme für Marktpartner, die Zertifizierung der Güter sowie den Austausch von Planungsdaten ermöglichen. Die physische Abwicklung des Vertrages sollte durch Statusinformationen über den Auftrags- und Lieferstatus, eine Abwicklung der Zahlung über ein Treuhandkonto oder auf elektronischem Weg sowie durch die Bereitstellung logistischer Dienstleistungen unterstützt werden. Zusätzlich besteht die Möglichkeit der Vermittlung von Finanzierungs- und Versicherungsleistungen. Bezüglich der technischen Seite ist die Integrationsfähigkeit in die betrieblichen ERPund Warenwirtschaftssysteme über XML-basierte Schnittstellen zu gewährleisten. Eine über Schnittstellen definierte Vernetzung mit anderen Marktplätzen, die hinsichtlich der angebotenen Güter überschneidungsfrei sind, erhöht die Anwenderfreundlichkeit dieses Marktplatzes für den Einkäufer. Vergleicht man die drei Geschäftsmodelle des elektronischen Einkaufs, dann werden aus einer Gegenüberstellung die großen Nachteile der Sell-Side-Lösungen ersichtlich (vgl. Abbildung 1-20). Zur Umsetzung von Electronic-Procurement-Konzepten werden in Unternehmen zunehmend Buy-Side-Lösungen gewählt, die durch sogenannte Desktop-PurchasingSysteme (DPS) realisiert werden. Unter einem DPS wird eine Softwareapplikation verstanden, welche die automatisierte Abwicklung von Beschaffungstätigkeiten von Gütern mit geringer strategischer Bedeutung und einem hohen Automatisierungspotenzial unterstützt. Mit diesen Systemen können vor allem Bedarfsträger aus Fachabteilungen über eine einheitliche Benutzeroberfläche Katalogmaterialien direkt und

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Internet-basierte Optimierung von Beschaffungsprozessen

ohne Einbindung des operativen Einkaufs beschaffen. Bei derartigen Lösungen befindet sich der Produktkatalog im Intranet des beschaffenden Unternehmens.

Abbildung 1-20 Vor- und Nachteile der Geschäftsmodelle

Der Einsatz von DPS bietet sich vor allem bei der elektronischen Unterstützung und Abbildung von Beschaffungsprozessen mit folgenden Eigenschaften an: Der Wert der zu beschaffenden Güter und die strategische Bedeutung für die Investitionspolitik des Unternehmens sind gering. Es liegt eine unregelmäßige aber hohe Bestellfrequenz vor. Die Beschaffungsprozesse werden von sehr vielen Bedarfsträgern im Unternehmen initiiert. Bei vielen Gütergruppen besteht Nachfrage nach Artikeln unterschiedlicher Hersteller. Berechtigungsverfahren bezüglich des Zugangs der Mitarbeiter zur Beschaffung sind zu berücksichtigen. Der strategische Einkauf hat in Abstimmung mit den Bedarfsträgern die Entscheidungshoheit, welche Produkte von welchen Lieferanten und zu welchen vorher ausgehandelten Konditionen in die Kataloge eingepflegt werden. In den webbasierten

81

1.6

1

Strategische Beschaffung

Katalogen sind die Produkte durch Bilder, Texte, Videos und/oder Ton beschrieben. Weiterhin hat der strategische Einkauf die Kontrolle darüber, welcher Mitarbeiter auf welche Katalogbestandteile welcher Lieferanten Zugriff hat. Die Genehmigung oder auch Ablehnung einer Bestellanforderung kann durch einen Vorgesetzten der einzelnen Fachabteilungen oder vom Einkauf selbst erteilt werden. Die Bedarfsträger der jeweiligen Fachabteilungen können über das DPS die benötigten Produkte in den elektronischen Produktkatalogen, die im DPS eingebunden sind, direkt am Arbeitsplatz suchen, ansehen und bestellen. Hierfür erhält der Bedarfsträger der jeweiligen Fachabteilung eine Berechtigung bis zu einer bestimmten Wertgrenze für die zu beschaffenden Objekte. Als vorteilhaft erweist sich, dass die Kontrolle über den Datenbestand beim einkaufenden Unternehmen liegt. Spontane Preisänderungen von Seiten der Lieferanten können nur mit einer Autorisierung des Einkaufs erfolgen. Weiterhin wird die Bindung zwischen Lieferant und einkaufendem Unternehmen verstärkt, da das beschaffende Unternehmen die Lieferantenzahl im Zuge der Einführung von DPS reduzieren muss, um den Aufwand für die Erstellung und die Pflege des Multi-LieferantenKatalogs zu bewältigen. Betrachtet man die am Markt angebotenen DPS, dann zeigen sich Unterschiede vor allem beim Katalogdatenmanagement sowie bei der Integration in interne Informationssysteme. Bezüglich der Behandlung des Managements der Kataloginhalte müssen die Anzahl der einzubeziehenden Lieferanten und deren IT-Infrastruktur berücksichtigt werden. Bei der Integration in andere Informationssysteme gilt es die Einbindungsmöglichkeiten in verschiedene ERP-Systeme und die EDI-Unterstützung zu beachten.

1.6.1.2

Potenziale und Risiken einer Electronic-Procurement-Lösung

Durch den Einsatz einer E-Procurement-Lösung ergeben sich sowohl beim einkaufenden Unternehmen als auch beim verkaufenden Unternehmen deutliche Verbesserungen, die sich in Kosten- und Zeiteinsparungen ausdrücken. Die Nutzung der Internet-Technologie ermöglicht eine schnelle, direkte und kostengünstigere Übertragung von Informationen, eine umfassende inner- und überbetriebliche IT-Integration im Beschaffungsbereich sowie die nicht unerhebliche Steigerung der Markttransparenz. E-Procurement-Systeme führen bei richtiger Implementierung zu einer Verbesserung der Effizienz und Effektivität. Eine Effizienzsteigerung kann durch die Senkung der Beschaffungskosten, schnellere Durchlaufzeiten, reduzierte Maverick-Buying-Quoten, gute Reportinformationen und engere Anbindung der E-Procurement-Software an kunden- und lieferantenseitige Informationssysteme erreicht werden. Eine Steigerung der Effektivität hingegen ist durch die erhöhte Kontrolle der Lieferkette, die proaktive Behandlung von Schlüsseldaten und die höhere Qualität der Beschaffungsentscheidungen realisierbar.

82

Internet-basierte Optimierung von Beschaffungsprozessen

Ein traditioneller Bestellprozess verursacht in den Unternehmen durchschnittlich Kosten zwischen 100 und 200 Euro. Mit einer E-Procurement-Lösung lassen sich diese fixen Bestellkosten halbieren und bei einer nahezu vollständigen Automatisierung sind noch weitere Kostenreduktionen möglich. Die Senkung der Prozesskosten soll vor allem durch die Straffung des Beschaffungsvorganges und die Verlagerung der operativen Tätigkeiten zu den Bedarfsträgern erreicht werden. Durch die erhöhte Automatisierung der Abläufe ergeben sich weniger repetitive Aufgaben, der Kontrollbedarf wird reduziert und Redundanzen vermieden. Somit lassen sich die Durchlaufzeit um mindestens 50% reduzieren. Da in den Einkaufsabteilungen durchschnittlich 70% der Zeit für Routineaufgaben verwendet wird und für strategische Beschaffungsaufgaben nur 30% der Zeit zur Verfügung steht, werden somit Kapazitäten für strategische Aufgaben der Beschaffung (z. B. das Suchen und Auswählen neuer Lieferanten sowie strategisch bedeutender Produkte) freigesetzt. Durch den Abbau unnötiger Kontrollinstanzen erhöht sich der Grad der Autonomie und Selbstbestimmung der einzelnen Mitarbeiter, da sie mehr Freiheiten und Kompetenzen erhalten. Durch eindeutig festgelegte Profile, Rechte und Genehmigungsworkflows resultieren eine transparentere Kontrolle und Steuerung der Einkaufstätigkeiten der einzelnen Mitarbeiter. Infolgedesssen können die Maverick-Buying-Quote und somit die Einkaufspreise deutlich reduziert werden. Weiterhin können durch eine Bündelung des Bestellvolumens günstigere Preise mit den ausgewählten Lieferanten ausgehandelt werden. Die besseren Informationen, die man beiderseits über den Geschäftspartner erhält und die Festlegung von bevorzugten Lieferanten, können die Qualität der Beziehung unabhängig von der Entfernung der jeweiligen Partner verbessern. Weiterhin reduziert die durchgängige Datenverarbeitung Fehler und Redundanzen. Die Automatisierung operativer Tätigkeiten führt bei den Lieferanten zu einer Verkürzung der Auftragsbearbeitungszeit und somit zu einer Verbesserung des Kundenservice und der Kundenbindung. Insbesondere auf den elektronischen Marktplätzen wird den Lieferanten der Zugang zu neuen Märkten erleichtert, da die Anzahl der potenziellen Kunden deutlich ansteigt. Die Risiken bei der Umsetzung von E-Procurement-Lösungen lassen sich in die Bereiche rechtliche Unsicherheiten, Vertraulichkeits- und Sicherheitsmängel und organisatorische Probleme unterteilen. Bei den rechtlichen Unsicherheiten erscheint insbesondere die Haftung bei und die Beweisbarkeit von Vertragsabschlüssen als problematisch. Aus diesem Grund sollten bei regelmäßigen Geschäftsbeziehungen Rahmenvereinbarungen bzgl. Recht, Haftung, Gewährleistung, Datenschutz und dem anzuwendenden Recht abgeschlossen werden. Falls keine Rahmenvereinbarung abgeschlossen wird, dann sollte der Einkäufer seine Bestellung bestätigen, deren Eingang wiederum vom Lieferanten bestätigt werden sollte. Weiterhin sollten alle elektronischen Transaktionen mit einer digitalen

83

1.6

1

Strategische Beschaffung

Signatur verschlüsselt und die allgemeinen Geschäftsbedingungen dem jeweiligen Partner zugänglich gemacht werden. Die Vertraulichkeits- und Sicherheitsmängel zu unbekannten, nur elektronisch kontaktierten Geschäftspartnern umfassen die Aspekte der Kommunikationsvertraulichkeit, der Integrität, die Echtheit des Absenders, die Nachweisbarkeit der Kommunikation und den Identitätsnachweis des Partners, die durch geeignete Verschlüsselungsverfahren zu beheben sind. Im Rahmen der Datensicherheit muss auch geklärt werden, in welchem Umfang welcher Lieferant Informationen einsehen oder im Einzelfall ändern darf. Als weitere Anforderung ergibt sich die Bonitätsprüfung, sodass hier in der Regel Unternehmen des Kreditwesens als Trusted Third Parties zwischengeschaltet werden sollten. Im Rahmen der organisatorischen Probleme fehlt bei der unternehmensinternen Einführung oftmals das Know-how und die Ressourcen, um die technischen und organisatorischen Änderungen durchzuführen. Viele Unternehmen beklagen auch eine mangelnde interne Datentransparenz und -strukturierung, die als ungenügend oder fehlend empfundenen Standards sowie eine mangelnde Motivation bzw. das mangelnde Erkennen von Chancen. Durch die papierlose Abwicklung der Geschäftsprozesse sind die Softwareschnittstellen entsprechend zu gestalten, sodass Daten z. B. aus dem unternehmensinternen Planungs- und Steuerungssystem in die E-Procurement Anwendungen übernommen werden können. Eine fehlerhafte Integration kann zu einem erheblichen manuellen Zeitaufwand führen. Durch die Nutzung der elektronischen Systeme werden sich grundsätzlich auch die traditionellen Geschäftsprozesse im Bereich der Beschaffung ändern. Somit sind die Tätigkeiten und Kompetenzen des Personals an das Medium Internet anzupassen was sich bspw. in den Zugriffsrechten und der elektronischen Unterschrift widerspiegelt. Die eigenen Mitarbeiter sind im Umgang mit den EProcurement Systemen zu schulen, um zukünftig die Beschaffungsprozesse zu realisieren.

1.6.2

Einkaufsauktionen

Die beim großen E-Business-Boom zur Jahrtausendwende angekündigte Revolution des Einkaufsmanagements durch E-Procurement und B2B-Marktplätze ist bis heute nicht eingetreten. Jedoch haben sich Einkaufsauktionen, die erstmals Mitte der 1990er Jahre eingesetzt wurden, trotzdem fest im Einkaufsmanagement etabliert und sind zu einem weit verbreiteten Instrument geworden, das gleichzeitig den Wettbewerbsdruck auf die anbietenden Lieferanten erhöht und den prozessualen Aufwand für Einkaufsverhandlungen verringert. Traditionell initiiert der Verkäufer die (Verkaufs-) Auktion und fordert interessierte Käufer dazu auf, Gebote für das zu verkaufende Gut abzugeben. Dagegen ist bei einer

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Internet-basierte Optimierung von Beschaffungsprozessen

Einkaufsauktion (reverse auction) nicht das Angebot der erste Schritt, sondern die Artikulation der Nachfrage. Die im Einkauf verwendete Auktionsform erfolgt somit im Gegensatz zur klassischen Variante, bei der die Interessenten jeweils einen höheren Preis bieten müssen, genau entgegengesetzt. Eine elektronisch durchgeführte Einkaufsauktion wird als „electronic reverse auction“ (eRA) bezeichnet. Meist kennen sich die Auktionsteilnehmer untereinander nicht. Die Lieferanten unterbieten sich dabei mit ihren Geboten gegenseitig. Somit wird der geringstmögliche Preis generiert und das Ziel des Einkäufers erreicht. Bei einer elektronischen Einkaufsauktion handelt es sich um eine organisierte Marktveranstaltung, bei der (ausgewählte) Lieferanten innerhalb einer Auktionsfrist ihre Gebote zu einem spezifizierten Bedarf via Internet nach exakten Regeln abgeben und im Verlauf der Auktion ihre Gebote anpassen. Da mit einer Auktion lediglich der Preis festgelegt wird, müssen alle anderen für die Vergabeentscheidung relevanten Aspekte zum Zeitpunkt der Auktion bereits geklärt sein. Zu einer eindeutigen Beschreibung der Produkte und Dienstleistungen gehören technische (z. B. Spezifikation, Qualität), kaufmännische (z. B. Zahlungsbedingungen, Vertragsstrafen, Incoterms etc.) und logistische (z. B. Lieferorte, Sendungsgrößen, Mindestmengen etc.) Vorgaben. Aus ökonomischer Sicht ist dabei der für eine eindeutige Objektbeschreibung notwendige Aufwand abzuschätzen. Je besser die Beschreibbarkeit des Auktionsobjekts und je höher die relative Macht des beschaffenden Unternehmens, desto erfolgreicher ist der Einsatz einer Auktion. Einkaufsauktionen sind vor allem für unkritische Artikel und Hebelprodukte geeignet (vgl. Abbildung 2-2, Tabelle 2-4). Mit zunehmendem Beschaffungsrisiko werden Produkte und Dienstleistungen für Einkaufsauktionen immer ungeeigneter, können aber Teil einer differenzierten Beschaffungsstrategie bei Engpassartikeln sein. Bei strategischen Artikeln sollten die Verhandlungen auf konventionelle Art durchgeführt werden. Das zu beschaffende Produkt oder die Dienstleistung muss klar definierte Eigenschaften besitzen, sodass die Lieferanten wissen wofür sie bieten. Als Beispiele können Rohstoffe (z. B. Erdgas, Rohöl, Eisenerz etc.), Einsatzstoffe (z. B. Chemikalien, Kunststoffe, Stahl etc.), Dienstleistungen (z. B. Reinigungsleistungen, Buchhaltung, Reisen, Druckerzeugnisse etc.), Komponenten und Baugruppen (z. B. elektronische Bauteile, Halbfertigerzeugnisse etc.) sowie Investitionsgüter (z. B. Anlagen, Laborausrüstung etc.) genannt werden. Einkaufsauktionen, die von Einkäufern in der Phase der Preisverhandlung und in der nachfolgenden Angebotszusammenstellung genutzt werden, verändern die Aufgabenfelder und Arbeitsschwerpunkte der Einkäufer wie folgt: Die eine Verhandlung vorbereitenden Phasen steigen erheblich in ihrer Bedeutung und in ihrem Aufwand, da eine einmal eingeleitete Einkaufsauktion gänzlich selbstständig abläuft und mögliche Vorbereitungsfehler nicht mehr korrigiert werden können. Zur Vorbereitung gehören die Information und Einbindung des Managements sowie die Schulung der beteiligten Einkäufer, Fachbereiche und Liefe-

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1.6

1

Strategische Beschaffung

ranten. Die Spielregeln und deren Einhaltung während der Auktion sollten vor Beginn der Auktion eindeutig allen Bietern kommuniziert werden. Einkaufsauktionen verlaufen im Gegensatz zu den traditionell sequentiell ablaufenden Verhandlungen zeitlich streng begrenzt sowie simultan ab. Die Simultanität des Auktionsprozesses und die parallel sichtbaren Gebote der Mitbietenden erhöhen die Wettbewerbsintensität, da die Bieter direkt auf die Gebote der Konkurrenten reagieren und so stärker an individuelle Leistungsgrenzen herangehen. Die Reichweite für Einkaufsorganisationen bezüglich der Einbeziehung global verteilter, qualifizierter Lieferanten steigt beachtlich und ermöglicht einen effektiven und zügigen Lieferantensuchmechanismus. Die vorher üblichen Preiskämpfe zwischen Lieferanten und Einkäufern finden weniger in ihrer traditionellen Form statt.

1.6.2.1

Arten, Ziele, Vorteile und Ablauf von Einkaufsauktionen

Einkaufsauktionen lassen sich anhand der Art der Gebote, der Vergabe- und der Entgeltregel in folgende Grundformen unterscheiden71: Englische Auktion: Bei der Englischen Einkaufsauktion handelt es sich um die am meisten eingesetzte Auktionsform. Der Nachfrager gibt einen Höchstpreis und einen Mindestverminderungssatz vor Auktionsbeginn vor, den die Bieter während des Bietprozesses nicht überschreiten werden. Die Gebote müssen gleich niedrig oder niedriger sein als das führende Gebot, wobei jeder Bieter jederzeit ein besseres Gebot abgeben kann. Die Auktion wird beendet, sobald niemand mehr bietet und der Auftrag geht an den Bieter mit dem besten Gebot. Japanische Auktion: Diese Form ist identisch zur englischen Auktion, allerdings nennen die Bieter ihren Preis nicht selbst. Dieser sinkt kontinuierlich, bis nur noch ein Bieter den Zuschlag bekommt. Holländische Auktion: Die Holländische Auktion ist eine „umgekehrte“ Englische Auktion. Zu Beginn wird ein unrealistisch niedriger Preis gesetzt, der in vordefinierten Zeit- und Preisintervallen gesteigert wird. Derjenige Bieter, der zuerst auf den Preis eingeht, erhält den Zuschlag. Verdeckte Höchstpreisauktion: Jeder Bieter übermittelt seinen Preis, wobei die Preise der anderen Bieter geheim bleiben. Die Auktion verläuft im Gegensatz zur Englischen Auktion nicht sequentiell, da die Bieter gleichzeitig ein einziges und nicht veränderliches Gebot abgeben. Der Bieter mit dem niedrigsten Preis erhält den Auftrag.

71 Vgl. MEIER/STORMER (2012, S. 63f).

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Internet-basierte Optimierung von Beschaffungsprozessen

Vickrey-Auktion: Wie bei einer Höchstpreisauktion gibt jeder Teilnehmer ein verdecktes Gebot ab. Bei dieser Form der Einkaufsauktion erhält der Bieter mit dem niedrigsten Preis den Vertragszuschlag zum Entgelt des zweitniedrigsten Gebots. Da die Bieter nicht auf die Höhe des Entgelts Einfluss nehmen können, besteht für Sie der Anreiz, ihre tatsächliche individuelle Wertschätzung für das Gut offen zu legen. Bei der englischen, japanischen und holländischen Auktionsform erfolgt die Bekanntgabe des Preises über den Bieterverlauf. Dagegen wird der Preis bei der Höchstpreisauktion und der Vickrey-Auktion erst am Ende der vorerst geheimen Auktion bekanntgegeben. Die wesentlichen Kosten bei der Durchführung von Einkaufsauktionen entstehen in Form von Kommunikations- und Informationsverarbeitungskosten. Die Höhe der Kommunikationskosten wird vom Umfang der auszutauschenden Informationen während des Bietprozesses bestimmt. Somit weisen verdeckte Einkaufsauktionen die geringsten Kommunikationskosten auf, da pro Bieter nur ein einziges Angebot abgegeben wird. Die Informationsverarbeitungskosten sind für Anbieter bei der Englischen Einkaufsauktion am höchsten, da sich jene über mehrere Runden erstreckt und stets neue Gebote bei der Festlegung der eigenen Position zu berücksichtigen sind. Grundsätzlich sind Einkaufsauktionen im strategischen Beschaffungsmanagement so zu gestalten, dass sie die übergeordneten Unternehmensziele effizient und effektiv unterstützen. Beschaffende Unternehmen verfolgen mit der Einführung von Beschaffungsauktionen folgende Ziele: Erhöhte Produktivität der Beschaffung, da mehr Verträge intensiver verhandelt werden können. Verbesserung der Struktur der Beschaffungsprozesse und der Spezifikation der Bedarfe. Entpersonalisierung der oft als unangenehm empfundenen Preisverhandlungsphase. Optimierung internationaler Verhandlungen und größere kulturelle Akzeptanz durch die Entpersonalisierung der Preisverhandlung. Steigerung der Transparenz über die Preisverhandlungen für das Management und bessere Steuerungsmöglichkeiten der Mitarbeiter in der Beschaffung. Erweiterung der Lieferantenbasis durch neue Zulieferer. Verbesserte Qualität bei der Angebotseinholung und Kooperation mit den Lieferanten. Effizientere Einkaufsprozesse sowie niedrige Einstandspreise nahe den tatsächlichen Marktpreisen. Erhöhung der Zuverlässigkeit der Lieferanten durch Qualifizierungsprozesse.

87

1.6

1

Strategische Beschaffung

Einsparungen in der Administration, um Freiräume für strategische Einkaufsaufgaben zu schaffen. Für eine erfolgreiche Durchführung von Einkaufsauktionen müssen deren Vorzüge auch für Lieferanten transparent sein. Für die Lieferanten ergeben sich folgende Vorteile: Auktionen fördern einen fairen, von der Marktdynamik getragenen Wettbewerb. Kürzere Verkaufszykluszeiten sind realisierbar, da Zuschläge sehr schnell nach Abschluss der Angebotsabgabe erfolgen. Die Teilnahme an einer Auktion ermöglicht den Einblick in wertvolle Informationen der Konkurrenz und kann Verkaufsmöglichkeiten in anderen Bereichen des Unternehmens eröffnen. Die Marktpenetration für neue Lieferanten wird einfacher, da der Markteintritt über niedrigere Preise möglich ist. Nach Festlegung der mit den Einkaufsauktionen einhergehenden Ziele und der Berücksichtigung wesentlicher Erfolgsvoraussetzungen (relative Macht des beschaffenden Unternehmens, Beschreibbarkeit des zu beschaffenden Objekts) kann ein Unternehmen mit der Ausgestaltung der Phasen einer Einkaufsauktion beginnen. Dabei werden gemäß Abbildung 1-21 eine Vorbereitungs-, Verhandlungs- und Nachbereitungsphase durchlaufen. Die Zeitspanne für eine Einkaufsauktion beträgt von der Ermittlung der Warengruppe bis zur Analyse der Einsparungen ca. vier bis sechs Wochen. Von zentraler Bedeutung für eine erfolgreiche Auktion sind die Frage des richtigen Einsatzes und die optimale Vorbereitung, wobei die softwaremäßige Umsetzung erst danach geklärt werden sollte. Um die anfänglich notwendigen Investitionen gering zu halten und fehlendes Know-how aufzubauen, bietet sich die Zusammenarbeit mit einem Auktionsdienstleister an.

Abbildung 1-21 Phasen einer Einkaufsauktion

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Internet-basierte Optimierung von Beschaffungsprozessen

a)

Vorbereitungsphase

Die Vorbereitungsphase umfasst die Schulung der Einkäufer, die Auswahl geeigneter Güter oder Dienstleistungen, die Auswahl und Schulung der Lieferanten sowie die Auswahl der Auktionsstrategie und -regeln. Zunächst müssen im Rahmen der Einkäuferschulung die wesentlichen Bewertungskriterien mit dem Einkaufsleiter bestimmt werden. Zusätzlich muss während der Bewertung der einzelnen Bedarfe das Erfahrungswissen des Facheinkäufers hinzugezogen werden. Den Facheinkäufern werden von Schulungsleitern die Wirkungsrichtungen der Bewertungsmerkmale beim Einsatz von Auktionen aufgezeigt, um ihr Know-how über die Gütermärkte optimal einbinden zu können. Die Einkäufer werden mit den Gestaltungsparametern und Spielregeln einer Auktion vertraut gemacht und erstellen nach der Bedarfsidentifikation das entsprechende Auktionssetup, das an die Anforderungen des Bedarfs sowie die Rahmenbedingungen angepasst werden muss. Wichtig ist, dass die Einkäufer ihr Erfahrungswissen über Bedarfsanforderungen und Rahmenbedingungen der Einkaufsmärkte mit den Gestaltungsmöglichkeiten der Auktionssoftware abstimmen, um den Wettbewerb zwischen den Bietern bestmöglich zu intensivieren. Im Rahmen der Auswahl geeigneter Güter und Dienstleistungen wird das eigene Produktportfolio strukturiert und bestehende Lieferantenbeziehungen kritisch hinterfragt, um die Potenziale einer intensiveren Beschaffungsmarktforschung abzuschöpfen. Zu beachten ist, dass das Beschaffungsvolumen aus Sicht der potenziellen Lieferanten eine attraktive Höhe hat. Zunächst muss eine konsistente Datenbasis in Bezug auf das Beschaffungsobjekt durch interne und externe Informationseinholung geschaffen werden. Dazu gehören die Bestimmung der Warengruppe und Informationen über das bisherige bzw. das zu erwartende Beschaffungsvolumen auf Jahresbasis. Weiterhin erfolgt eine umfassende Marktanalyse, bei der detaillierte Angaben zu Einzelpositionen wie z. B. der letzte, der durchschnittliche oder der geschätzte Preis eines Artikels oder einer Dienstleistung sowie entsprechende Entwicklungstendenzen zu recherchieren sind. In die Spezifikation werden die Dokumentation funktionell-technologischer Anforderungen (z. B. in Form von technischen Zeichnungen, notwendigen Zertifizierungen) und Handelsbedingungen (z. B. Zahlungs-, Versandbedingungen) aufgenommen. Generell ist nach der Kaufsituation bezüglich der Beschaffungsobjekte zu differenzieren, da z. B. bei einer Neuprodukteinführung gegenüber einem Lieferantenwechsel ein deutlich höherer Informationsbedarf und eine detailliertere Spezifikation notwendig sind. Im Fall eines möglichen Lieferantenwechsels sollte im Voraus eine konkrete Zielgröße für die notwendige Kostenreduktion festgelegt werden, um anfallende Wechselkosten zu kompensieren. Dementsprechend sind die Auktionsparameter in der vierten Phase zu wählen. Bei einer Versteigerung von Leistungsbündeln kann zwischen Bundle- (der Einkäufer verpflichtet sich stets alle Positionen zu beziehen) und Cherry-Picking-Auktionen (der Bezug einzelner Positionen erfolgt bei verschiedenen Anbietern) differenziert werden. Einkaufsauktionen können somit auslösend für verschiedene Rationalisierungsmaßnahmen wirken. Ihr Potenzial ist nicht nur

89

1.6

1

Strategische Beschaffung

auf die Auktion als solches beschränkt. Nach der Identifikation geeigneter Güter und Dienste muss die Einkaufsorganisation aktuelle Vertragsbarrieren aus bestehenden Rahmenverträgen beachten, da sie die Beschaffung der an einen Vertrag gebundenen Güter über Auktionen momentan unmöglich machen. Für die Auswahl und Schulung der Lieferanten können neben dem bekannten Lieferantenstamm zusätzliche Lieferanten, welche firmeneigene Mindestanforderungen erfüllen, in den Auktionsprozess einbezogen werden. Eine Mindestzahl an teilnehmenden Lieferanten und der Grad der Rivalität unter den Lieferanten sind wichtige Voraussetzungen für einen erfolgreichen Auktionseinsatz. Die Rivalität hängt davon ab, ob die Kapazitäten der Lieferanten wenig ausgelastet sind oder ob es sich um einen wichtigen Referenzkunden handelt und Folgeaufträge wahrscheinlich sind. Nach der Festlegung des potenziellen Lieferantenkreises müssen die Bieter angesichts des oft geringen Erfahrungsschatzes mit Einkaufsauktionen auf die Teilnahme an der Auktion vorbereitet werden. Die Praxis zeigt, dass durch Auktionsdienstleister der Auktionserfolg insgesamt erhöht werden kann. Falls die Einkaufsauktion von einem Auktionsdienstleister unterstützt wird, sollten die Einkäufer dessen Aufgabe und Rolle vorzeitig erläutern. Es erfolgt eine detaillierte Aufklärung der Lieferanten über die Ziele sowie den Ablauf einer Einkaufsauktion. Die potenziellen Bieter erhalten einige Tage vor der Auktion einen Bieter-Leitfaden, der die Funktionalität sowie die Bedienung der Software detailliert beschreibt. Die Bedienung der Auktionssoftware wird wenige Tage vor dem realen Auktionsevent durch Probeauktionen mit „Phantasie-Artikeln“, die möglichst realitätsnah ablaufen sollen, geübt. Somit können alle Fragen bezüglich der Handhabung geklärt sowie technische Schwierigkeiten überwunden werden. Die Auswahl der Auktionsstrategie und -regeln legt ein an die jeweilige Wettbewerbssituation angepasstes Verhandlungsdesign fest. Zur Förderung des Wettbewerbs zwischen den Bietern sollte die Anzahl der konkurrierenden Bieter offen kommuniziert werden. Praktische Erfahrungen zeigen, dass die Bekanntgabe des Rangs der jeweiligen Gebote vorteilhafter ist als die Offenlegung einzelner Preise. Ein festzulegender Startpreis orientiert sich an dem früheren Bezugspreis und der aktuellen Preisentwicklung auf dem Einkäufermarkt. Um bewusste Verzögerungen wie das minimale Unterbieten des eigenen Gebots zu vermeiden, wird eine Schrittweite zwischen zwei Gebotsabgaben eines Bieters festgelegt. Das unerwünschte Phänomen des „LastMinute-Bidding“ kann durch eine Beschränkung der Anzahl möglicher Gebote vermieden werden. Für eine transparente Auktion müssen vor allem die Auswahlkriterien kommuniziert werden. Insbesondere muss angegeben werden, ob für die Auswahl das niedrigste Gebot oder die Gesamtkosten nach dem Ansatz Total Cost of Ownership ausschlaggebend sind. b)

Verhandlungsphase

Bei Beginn der realen Auktion eröffnet und beendet der Auktionsdienstleister die Auktion und sichert die Online-Betreuung sowie technische Funktionsfähigkeit während des Events zu. Der Auktionsdienstleister ist während der gesamten Verhandlung

90

Internet-basierte Optimierung von Beschaffungsprozessen

über eine Hotline erreichbar, um bei technischen Schwierigkeiten zu helfen oder Fragen der Bieter zu beantworten. Die Lieferanten beobachten die Preisentwicklung und geben binnen der Bietfrist ihre Gebote ab, welche das letzte Gebot unterschreiten müssen und binnen der festgesetzten Geltungszeiten gemäß den Allgemeinen Geschäftsbedingungen erlaubt sind. Der Abnehmer beobachtet anonymisiert den Verhandlungsverlauf und erhält sofort nach Schließung eine Auswertung der Auktion. c)

Nachbereitungsphase

Die Auktionsergebnisse, der Auktionsverlauf sowie das Verhalten der Teilnehmer werden in der Nachbereitungsphase ausgewertet. Der Auktionator informiert alle Auktionsteilnehmer über den Endstand der Einkaufsauktion. Der Abnehmer erhält die aufbereiteten Auktionsergebnisse vom Auktionator und vergibt den Zuschlag an den Bieter mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis. Abschließend wird der Erfolg der Auktion durch verschiedene Messgrößen dokumentiert. Somit kann das einkaufende Unternehmen auf jeder Stufe der Auktion Lerneffekte realisieren, um zukünftige Einkaufsauktionen zu verbessern. Weiterhin trägt die Dokumentation dazu bei, dass die internen Widerstände gegenüber dem Einkaufsinstrument Auktion überwunden werden. Die mit einer Auktion realisierten Einsparungen sollten als Anreiz und nicht zur Hinterfragung der bisherigen Einkaufsverhandlungen verwendet werden.

1.6.2.2

Probleme bei Einkaufsauktionen

Einkaufsauktionen sind kein Allheilmittel zur Realisierung von Kosteneinsparungen und niedrigeren Einstandspreisen. Bei ihrer Anwendung müssen die fundierte Lieferantenauswahl und -qualifizierung sowie die situationsspezifische Anpassung des Auktionsdesigns beachtet werden. Bei strategischen Lieferantenpartnerschaften oder bei der Einbeziehung der Lieferanten in die Produktentwicklung stellt der Preis nicht das wichtigste Entscheidungskriterium dar. Da bei solchen Beziehungen weitere Kriterien wie z. B. Flexibilität, Zuverlässigkeit, Garantie, Lieferzeit oder Innovationsfähigkeit eine gleichrangige Wichtigkeit erhalten, können die Vorteile von Auktionen nicht realisiert werden. Andererseits ergeben sich durch die Anwendung von Einkaufsauktionen auch Bewertungsprobleme oder von den Einkäufern bzw. Lieferanten herbeigeführte Probleme. Bewertungsprobleme bei Einkaufsauktionen Im Rahmen der Bewertung werden einzelne Lieferangebote gegenübergestellt, um eine definitive Vorauswahl zwischen den potenziellen Teilnehmern der Auktion vornehmen zu können. Falls die Angebote der Lieferanten nicht eindeutig vergleichbar sind, erfolgt in der Praxis die Bewertung von Angebotsunterschieden mit Hilfe des Bonus/Malus-Modells. Dabei werden einem Begünstigten Quantitäten, wie z. B. Punkte oder Bargeld, zugerechnet oder abgezogen. Bei überdurchschnittlicher Erfüllung der festgelegten Anforderungen erhält der Bieter eine Belohnung und er muss einen

91

1.6

1

Strategische Beschaffung

Malus zahlen, falls er die Soll-Werte nicht einhält. Weicht der Bieter von den vereinbarten Soll-Werten nicht ab, dann werden keine Zahlungen ausgelöst. Somit können neben dem Einstandspreis weitere Eigenschaften als monetäre Vor- oder Nachteile erfasst werden, welche die Kostensituation nach dem Erwerb des Beschaffungsobjekts positiv oder nachteilig beeinflussen. Beim Bonus/Malus-Modell gestaltet das Einkäuferteam einen Vergabemechanismus, bei dem die bestmögliche Preis-Leistungs-Kombination ausschließlich von den Wettbewerbskräften determiniert wird. Um die Unterschiede zwischen den Lieferalternativen zu bewerten, erstellen die Einkäufer eine Vergabematrix, anhand derer die Angebote monetär bewertet werden. Im Rahmen der Bedarfsspezifikation werden Hauptund Teilkriterien festgelegt, die in KO-, Mindestniveau- und Kompensationskriterien oder alternativ in Sollwerte, Toleranzbereiche und Kappungsgrenzen klassifiziert werden können. In Abhängigkeit von der Gewichtung der Kriterien in der Vergabematrix sind unterschiedliche Ergebnisse möglich. Somit sollte anschließend eine Sensitivitätsanalyse durchgeführt werden, welche das Auktionsergebnis überprüft und die Stabilität des Bewertungsergebnisses gegenüber Veränderungen ermittelt. Hierbei ist der damit verbundene Bewertungsaufwand beträchtlich. Insbesondere die subjektive Bestimmung der Bewertungskriterien sowie deren Gewichtungen wirken sich negativ auf die Akzeptanz dieses Verfahrens aus. Probleme auf der Einkäuferseite Abnehmer werden bei der Implementierung von Einkaufsauktionen mit folgenden Problemen konfrontiert, welche mit der Nutzung der Einkaufsauktionen einhergehen (vgl. Tabelle 1-10). Tabelle 1-10 Probleme bei Einkaufsauktionen für den Einkäufer Verursacher

Auktionstool

Lieferant

Einkäufer

92

Probleme Zerstörung etablierter Lieferpartnerschaften Senkung der Investitionsbereitschaft der Lieferanten Kontrollverlust für Einkäufer Nutzung ungeeigneter Software Geheime Absprachen Bieten von Dumpingpreisen Auktionsteilnahme ohne Gebotsabgabe Reduktion der Auktionsdynamik durch Billiggebote Auswahl ungeeigneter Beschaffungsobjekte Mangelnde Gestaltung des Auktionsdesigns Zulassung unqualifizierter Lieferanten Verkennung des Beschaffungsmarktes Auftragsvergabe an Dumpinggebot

Internet-basierte Optimierung von Beschaffungsprozessen

Durch die Einführung von Einkaufsauktionen können etablierte Partnerschaften mit wertvollen Lieferanten zerstört werden. Der Einsatz einer Einkaufsauktion könnte etablierte Lieferanten annehmen lassen, dass sie die Erwartungen der Einkäuferseite nicht länger erfüllen und der Abnehmer infolgedessen die Preise der anderen Lieferanten mit den eigenen vergleicht. Auch wenn der bisherige Lieferant die Auktion gewinnt, kann es zu einem Vertrauensverlust der partnerschaftlichen Beziehung kommen. Die bei Auktionen fehlende Einkäuferbindung hat zur Folge, dass Lieferanten nicht in die Bereitstellung des Instruments, in Schulungen für eigene Mitarbeiter oder anderweitige Ausgaben investieren. Da Zulieferer bei Vertragserneuerung wiederum eine Auktion erwarten, werden sich deswegen eigene Investitionen nicht rentieren. Mitarbeiter des einkaufenden Unternehmens befürchten beim Einsatz von Einkaufsauktionen einen Kontrollverlust im Verhandlungsprozess, sodass deren Einführung auf Widerstand stößt. Falls eine nicht adäquate Software zum Einsatz kommt (z. B. fehlen wichtige Funktionen wie z. B. die geprüfte Rücknahme von Geboten), kann dies den Abbruch einer Auktion herbeiführen. Lieferanten könnten einerseits im Rahmen von Kartellen geheime Absprachen treffen und sorgen dafür, dass der Güterpreis im Auktionsverlauf nicht zu stark sinkt. Andererseits könnten Lieferanten auch unrealistisch niedrige Preise bieten und nach dem Erhalt des Zuschlags einen Ausgleich verlangen, indem sie vom Abnehmer abgeänderte Bestellungen einfordern. Die Bietdynamik kann reduziert werden, wenn Lieferanten lediglich Einblicke in den Markt erhalten, sich an Auktionen beteiligen ohne zu bieten und dadurch die anderen Bieter verärgern. Weiterhin kann die Auktionsdynamik durch Billiglieferanten verringert werden, da sie andere Bieter zu Beginn der Auktion mit einem sehr niedrigen Gebot schocken, sodass sie ihre gebotenen Preise nicht mehr senken. Werden für eine Auktion falsche Waren ausgewählt oder ist das Beschaffungsvolumen zu klein, dann besteht die Gefahr, dass der Markt nicht auf die Ausschreibung entsprechend reagiert und zu wenige Lieferanten ein nicht wettbewerbsfähiges Umfeld ergeben oder Lieferanten die Teilnahme verweigern. Eine mangelhafte Planung, unklare Güterbeschreibungen, mehrdeutige Spielregeln, die Definition eines Reservationspreises weit unterhalb des Marktpreises sowie unzureichende Schulungsmaßnahmen können den Auktionsverlauf negativ beeinflussen. Ändert bspw. der Einkäufer die Spezifikationen der Güter kurz vor dem Bietevent, geht er das Risiko ein, dass Lieferanten unter der Annahme der älteren Spezifikationsversion bieten. Auch können die Lieferanten durch einen zu langen Auktionszeitraum oder die Nichtbekanntgabe der Auswahlkriterien zukünftige Teilnahmen an Auktionen verweigern.

93

1.6

1

Strategische Beschaffung

Eine Zulassung unqualifizierter Lieferanten oder die Verkennung des Beschaffungsmarkts können zu negativen Auktionsergebnissen führen. Falls die Einkäufer zu niedrige Preise im Rahmen einer Auktion akzeptieren, dann können Lieferanten zu Abzügen im Sicherheitsbereich gezwungen sein. Probleme auf der Lieferantenseite Der Einsatz von Einkaufsauktionen führt auch auf der Lieferantenseite zu einigen Problemen (vgl. Tabelle 1-11). Wenn die Informationsrechte der Teilnehmer nicht entsprechend der Einkaufsethik definiert sind, können elektronische Einkaufsauktionen einen Einblick in derartige Informationen ermöglichen. Da Preise der Zulieferer nicht ihren Konkurrenten mitgeteilt werden dürfen, können Einkaufsauktionen den Grundsatz der Einkaufsethik gefährden. Der Preis gibt Auskunft über die lieferantenspezifische Profitmarge, sodass Mitbewerber Material-, Arbeits- und Managementkosten des Konkurrenten einschätzen können. Tabelle 1-11 Probleme bei Einkaufsauktionen für die Lieferanten Verursacher Auktionstool Einkäufer Konkurrierende Mitbewerber

Probleme Gefährdung der Einkaufsethik Verursachen von Preisdruck Geheime Verhandlung mit der Konkurrenz Preiskriege „Winners Curse“ Gebotsabgabe für zu große Mengen

Ein opportunistisches Verhalten der Einkäufer kann für die Lieferanten zu folgenden Problemen führen. Einkäufer könnten Auktionen dazu nutzen, um den Preisdruck auf den vorher schon ausgewählten Lieferanten zu erhöhen. Sie könnten auch die Preise drücken, indem sie verdeckt an der Auktion teilnehmen und vorgeben ein Lieferant zu sein. Weiterhin können Einkäufer durch die Realisierung mehrmaliger, nacheinander stattfindender Auktionen den bisherigen Gewinner unter Druck setzen, damit dieser sein Gebot zusätzlich verbessert. Ein weiteres Problem ergibt sich, wenn ein Konkurrent nach dem Ende der Auktion aus Eigeninitiative oder durch Aufforderung von Seiten des Einkäufers ein besseres Angebot macht und abweichend vom Auktionsergebnis den Zuschlag erhält. Auch können Bieter Preiskriege zwischen den Konkurrenten befürchten, wenn der einzige Verhandlungsparameter der Preis ist und weitere wichtige Kriterien vernachlässigt werden. Das Phänomen „Winners Curse“ führt dazu, dass Lieferanten im Eifer des Wettbewerbs unvernünftig niedrige Preise bieten, die unter ihren Kosten liegen. Auch können

94

Literaturhinweise

Lieferanten nicht nur zu niedrige Preise, sondern auch für zu große Mengen, die sie nicht bereitstellen können, bieten. Dieses Verhalten verlangsamt den gesamten Verhandlungsprozess und beeinträchtigt mögliche künftige Geschäfte zwischen Einkaufsorganisation und Zulieferer.

1.7

Literaturhinweise

Alparslan, A. (2006): Strukturalistische Prinzipal-Agent-Theorie – Eine Reformulierung der Hidden-Action-Modelle aus der Perspektive des Strukturalismus, Deutscher Universitäts-Verlag. Arnold, U. (1997): Beschaffungsmanagement, 2. Auflage, Schäffer-Poeschel. Arnold, U. (1989): Ziele, Aufgaben und Instrumente des Materialmanagements, Beschaffung aktuell, Nr. 9, S. 47-54. Arnold, U. (2007): Strategisches Beschaffungsmanagement, in: Arnold, U.; Kasulke, G. (Hrsg.): Praxishandbuch innovative Beschaffung, S. 13-46, Wiley. Arnold, U.; Eßig, M. (2000): Sourcing-Konzepte als Grundelemente der Beschaffungsstrategie, WiST Wissenschaftliches Studium, 29. Jg., Heft 3, S. 122-128. Arnolds, H.; Heege, F.; Tussing, W. (1998): Materialwirtschaft und Einkauf, 10. Auflage, Gabler. Azadegan, A.; Dooley, K. J.; Carter, P. L.; Carter, J. R. (2008): Supplier innovativeness and the role of interorganizational learning in enhancing manufacturer capabilities, Journal of Supply Chain Management, 44 (4), S. 14-35. Brenner, W., Lux, A. (2000): Virtual Purchasing – Die Revolution im Einkauf, Konradin. Corsten, H. (1999): Beschaffung, in: Corsten, H.; Reiß, M. (Hrsg.): Betriebswirtschaftslehre, 3. Auflage, Oldenbourg, S. 629-721. Coase, R. H. (1937): The Nature of the Firm, Economica, 4. Jg., Heft 16, S. 386-405. Disselkamp, M.; Schüller, R. (2004): Lieferantenrating: Instrumente, Kriterien, Checklisten, Gabler. Ellram, L. M. (1990): The Supplier Selection Decision in Strategic Partnerships, Journal of Purchasing and Materials Management, Fall 1990, S. 8-14. Ernst & Young; Fraunhofer IPT (2009): Innovationsmanagement durch den Einkauf: Gemeinsame Studie des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnologie IPT und Ernst & Young, Ernst & Young.

95

1.7

1

Strategische Beschaffung

Eyholzer, K. (1999): Electronic Purchasing, Arbeitsbericht Nr. 116, Universität Bern, Institut für Wirtschaftsinformatik. Glantschnig, E. (1994): Merkmalsgestützte Lieferantenbewertung, Diss. Köln. Grochla, E. (1978): Grundlagen der Materialwirtschaft, 3. Auflage, Gabler. Hapke, W. (1989): Beschaffungspolitik – insbesondere Lieferantenpolitik – mittelständischer Industrieunternehmen, Diss. Göttingen. Hartmann, H.; Pahl, H.-J.; Spohrer, H. (1997): Lieferantenbewertung – aber wie?, 2. Auflage, Deutscher Betriebswirte-Verlag. Hauptmann, S. (2007): Gestaltung des Outsourcings von Logistikleistungen – Empfehlungen zur Zusammenarbeit von verladenden Unternehmen und Logistikdienstleistern, Deutscher Universitäts-Verlag. Hinterhuber, H.; Stuhec, U. (1997): Kernkompetenzen und strategisches In-/ Outsourcing, Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Ergänzungsheft 1: Marketing, S. 1-20. Hodel, M.; Berger, A.; Risi, P. (2006): Outsourcing realisieren – Vorgehen für IT und Geschäftsprozesse – Nachhaltige Steigerung des Unternehmenserfolgs, 2. Auflage, Vieweg. Janker, C. (2008): Multivariate Lieferantenbewertung – Empirisch gestützte Konzeption eines anforderungsgerechten Bewertungssystems, 2. Auflage, Gabler. Kollmann, T. (2013): E-Business - Grundlagen elektronischer Geschäftsprozesse in der Net Economy, 5. Auflage, Springer Gabler. Konrad, G. (2005): Theorie, Anwendbarkeit und strategische Potenziale des Supply Chain Management, Deutscher Universitäts-Verlag. Koppelmann, U. (2004): Beschaffungsmarketing, 4. Auflage, Springer. Large, R. (2013): Strategisches Beschaffungsmanagement, 5. Auflage, Springer Gabler. Lasch, R. (2018): Strategisches und operatives Logistikmanagement: Prozesse, 2. Auflage, Springer Gabler. Lasch, R.; Winter, S. (2010): Identifikation und Bewertung der Innovationsleistung im Rahmen des Lieferantenmanagements, in: Bogaschewsky et al. (Hrsg.): Supply Management Research: Aktuelle Forschungsergebnisse 2009, Gabler, S. 3-36. Leenders, M. R.; Johnson, P. F.; Flynn, A.; Fearon, H. (2006): Purchasing and Supply Management, 13. Auflage, McGraw Hill. Meier, A.; Stormer, H. (2012): eBusiness & eCommerce: Management der digitalen Wertschöpfungskette, 3. Auflage, Springer Gabler.

96

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97

1.7

2

Materialbedarfsplanung

Die Aufgabe der Materialbedarfsplanung besteht darin, für alle in das Endprodukt eingehenden Erzeugnisse (Komponenten, Module, Einzelteile, Rohstoffe) die konkreten Bedarfe nach Art, Menge und Termin aus der Produktionsprogrammplanung abzuleiten. Im Rahmen der Materialbedarfsrechnung wird aus dem Primärbedarf an verkaufsfähigen Erzeugnissen der Sekundär-, Tertiär- sowie der Zusatzbedarf berechnet. Bei der Planung des Materialbedarfs ist zunächst zu analysieren, von welchen Bedarfsverläufen auszugehen ist und welche Bedarfsermittlungsmethoden für die Erzeugnisse geeignet sind. Dazu erfolgt zunächst eine Klassifikation der Materialien hinsichtlich ihrer wertmäßigen Bedeutung, ihres Bedarfsverlaufs, ihres Ergebniseinflusses oder ihres Beschaffungsrisikos. Die Verfahren zur Materialbedarfsplanung lassen sich in programmorientierte, verbrauchsorientierte und subjektive Verfahren unterteilen. Während bei den programmorientierten Verfahren Bezug zum vorliegenden Produktionsprogramm genommen wird, bilden bei den verbrauchsorientierten Verfahren die in der Vergangenheit beobachteten Bedarfsverläufe die Grundlage für die Materialbedarfsrechnung. Auf subjektive Verfahren wird zurückgegriffen, falls weder ein Produktionsprogramm noch eine Zeitreihe mit in der Vergangenheit beobachteten Bedarfen vorliegen.

Lernziele: Verfahren zur Klassifikation der Materialien Verschiedene Unterteilungsmöglichkeiten von Bedarfen Programmorientierte Verfahren zur deterministischen Bedarfsermittlung Die Bedeutung und Anwendung verschiedener Arten von Stücklisten Analytische Verfahren zur Bedarfsermittlung Verbrauchsorientierte Verfahren zur stochastischen Bedarfsermittlung Unterscheidung der Prognosemodelle und -verfahren in Abhängigkeit eines konstanten, trendförmigen, saisonalen oder sporadischen Bedarfsverlaufs Subjektive Verfahren zur Bedarfsermittlung

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 R. Lasch, Strategisches und operatives Logistikmanagement:Beschaffung

99

2

Materialbedarfsplanung

2.1

Verfahren zur Klassifikation von Materialien

Die Aufgabe der Materialbedarfsrechnung ist es, den zukünftigen Materialbedarf mengen- und terminmäßig mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand so genau wie möglich zu bestimmen. Die große Anzahl der zu beschaffenden Materialien macht es in der Praxis aber unmöglich, den Bedarf aller Materialien mit der gleichen Gründlichkeit zu disponieren. Mit der ABC- und XYZ-Analyse, der Teileklassifikation sowie der Portfoliomethode stehen Verfahren zur Verfügung, mit denen die Materialien nach bestimmten Kriterien klassifiziert werden können, um anschließend geeignete Beschaffungs- und Bereitstellungsprinzipien zu bestimmen. Während mit der ABCKlassifikation ein Mengen-Wert-Verhältnis ermittelt wird, kann mit der XYZ-Analyse der Bedarfsverlauf der Materialien festgelegt werden. Mit der Teileklassifikation kann eine Mischung von Programm- und Auftragsfertigung vorgenommen werden. Die Einkaufsportfolio-Analyse unterteilt die Beschaffungsmaterialien gemäß deren Beschaffungsrisiko und deren Ergebniseinfluss in vier verschiedene Gruppen.

2.1.1

ABC-Analyse

In der Praxis kann häufig das Phänomen beobachtet werden, dass ca. 20% der zu beschaffenden Materialien etwa 80% der gesamten Material- und Beschaffungskosten ausmachen (sog. Pareto-Prinzip72). Die Ermittlung eines Mengen-Wert-Verhältnisses erfolgt mit der ABC-Analyse, wobei eine Unterteilung in drei Kategorien vorgenommen wird. Die Festlegung der Grenzen bei bestimmten kritischen Mengen- bzw. Wertanteilen ist eine subjektive Entscheidung und lässt sich je nach Verwendungszweck differenziert vornehmen. In der Praxis werden die Materialien typischerweise wie folgt in die Kategorien A, B und C eingeteilt:

Kategorie A B C

Mengenanteil an der Gesamtzahl der Materialien ca. 5-20% ca. 15-20% ca. 70-80%

Wertanteil am Gesamtwert aller Materialien ca. 70-80% ca. 15-20% ca. 5-10%

Diese Einteilung spiegelt die relative Bedeutung einer Materialart wider und ist nur als grobes Schema zu verstehen, sodass Präzisierungen unternehmensindividuell vorgenommen werden müssen. Mit Hilfe der ABC-Analyse gelingt es, Transparenz zu schaffen, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden, den gezielten Einsatz von Ressourcen zu erhöhen und den Analyseaufwand zu minimieren. Eine ABC72 Das Pareto-Prinzip wird auch als „80/20-Regel“ bezeichnet und wurde erstmals von VILFREDO

PARETO zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Rahmen einer Vermögensverteilung in Italien beschrieben.

100

Verfahren zur Klassifikation von Materialien

Analyse sollte in regelmäßigen Zeitabständen durchgeführt werden, um die Einteilung in die drei Kategorien zu überprüfen. Die Durchführung der ABC-Analyse erfolgt in folgenden Schritten: 1) 2)

Ermittlung der Jahresverbrauchs-Stückzahl für jede Materialposition Multiplikation der Jahresverbrauchs-Stückzahl jeder Materialposition mit dem Einstands- oder Verrechnungspreis und Sortierung der Materialpositionen in absteigender Reihenfolge

3)

Berechnung des prozentualen Wertanteils jeder Materialposition am Gesamtumsatz

4)

Berechnung des prozentualen Mengenanteils jeder Materialart an der Gesamtmaterialzahl bzw. der prozentualen Anteile der Materialpositionen. Werden homogene Mengenbezeichnungen verwendet (z. B. alle Materialien sind in Kilogramm gegeben), dann lassen sich sinnvoll mengenmäßige Anteile berechnen. Bei inhomogenen Materialmengen (z. B. Mengenangaben in Stück, Paletten, Liter etc.) können nur die Anteile der Materialpositionen berechnet werden.

5)

Kumulation der prozentualen Wertanteile sowie der prozentualen Mengenanteile bzw. der prozentualen Anteile der Materialpositionen

6)

Definition der Grenzen für die Kategorien A, B und C

7)

Zeichnen der Lorenz-Kurve und Berechnung des Gini-Koeffizienten

Als Maß zur Quantifizierung der relativen Konzentration der Wertverteilung der Materialien wird der Gini-Koeffizient herangezogen, der Werte zwischen null und eins annehmen kann. Der Gini-Koeffizient entspricht der Fläche zwischen der Winkelhalbierenden und der entsprechend ermittelten Lorenzkurve in Relation zur Gesamtfläche unterhalb der Winkelhalbierenden (vgl. Abbildung 2-1). Im Falle der maximalen Gleichverteilung der Verbrauchswerte stimmt die Lorenzkurve mit der Winkelhalbierenden überein und der Gini-Koeffizient nimmt den Wert null an. Im umgekehrten Fall einer maximal ungleichen Verteilung der Verbrauchswerte nimmt der GiniKoeffizient den Wert eins an. Je größer der Gini-Koeffizient, desto steiler verläuft die Lorenzkurve und umso stärker konzentriert sich die Bedeutung auf einige wenige Materialpositionen. Im Allgemeinen ist festzustellen, dass die Lorenzkurven umso steiler verlaufen, je stärker das Unternehmen zur Investitionsgüterindustrie gehört und umso flacher, je näher das Unternehmen dem Konsumenten ist (z. B. Einzelhandel). Beispiel 2.1: In einem Unternehmen sollen die Lageraktivitäten schwerpunktmäßig auf den Bereich hoher wirtschaftlicher Bedeutung gelegt werden. Dazu wird in einem kleinen Lager des Unternehmens eine ABC-Analyse durchgeführt. Aus dem Lagerverwaltungssystem liegen die folgenden Materialien mit homogenen Mengenbezeichnungen vor: 101

2.1

2

Materialbedarfsplanung

MaterialNr. M 2021 M 2022 M 2023 M 2024 M 2025 M 2026 M 2027 M 2028 M 2029 M 2030

Jahresbedarf (Stück) 300 1.000 200 300 400 600 250 1.400 50 500

EK-Preis (€) 800,00 15,00 3.000,00 500,00 150,00 30,00 1.560,00 40,71 28.200,00 120,00

5.000

Einstandswert (€) 240.000 15.000 600.000 150.000 60.000 18.000 390.000 57.000 1.410.000 60.000 3.000.000

Nach der Berechnung des Einstandswerts erfolgen in der folgenden Tabelle die absteigende Sortierung der Materialien, die Kumulation der Wert- und Mengenanteile sowie die Klasseneinteilung:

47 20 13

Kumulierter Jahresbedarf in % 1 5 10

Kumulierter Einstandswert in % 47 67 80

6 6 8

8 5 2

16 22 30

88 93 95

B-Artikel 20% / 15%

10 28 12 20

2 1,9 0,6 0,5

40 68 80 100

97 98,9 99,5 100

C-Artikel 70% / 5%

MaterialNr.

Jahresbedarf in %

Einstandswert in %

M 2029 M 2023 M 2027

1 4 5

M 2021 M 2024 M 2025 M 2030 M 2028 M 2026 M 2022

A-Artikel 10% / 80%

Der Tabelle ist zu entnehmen, dass 10% der Materialmengen einen Wertanteil von 80%, weitere 20% der Materialmengen einen Wertanteil von 15% und die restlichen 70% der Materialmengen einen Wertanteil von 5% aufweisen. In der folgenden Abbildung 2-1 wird die Lorenzkurve mit der resultierenden Klasseneinteilung dargestellt. Der Gini-Koeffizient für dieses Beispiel beträgt 0,884. Werden dagegen inhomogene Materialmengen unterstellt, dann können keine mengenmäßigen Anteile sondern nur die Anteile der Materialpositionen berechnet werden. Bei insgesamt zehn Materialpositionen ergeben sich für die Kategorien A und B jeweils ein Anteil von 30% an den Materialpositionen und 40% für die Kategorie C.

102

Verfahren zur Klassifikation von Materialien

Abbildung 2-1 Darstellung der ABC-Analyse mit der Lorenzkurve Wertanteil in % 100 90 80 70 60 50 40 30 20

A

B

C

10 0

Mengenanteil in % 0 10

30

50

70

90 100

Bei den Materialien der Kategorie A handelt es sich um hochwertige und/oder verbrauchsstarke Materialien, die sorgfältig und intensiv kontrolliert werden sollten. In die Kategorie C werden dagegen Güter klassifiziert, die geringe Werte aufweisen und/oder verbrauchsgering sind. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit sollte den Materialien aus der Kategorie A die größte Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die Materialien aus der Kategorie C sollten nicht völlig vernachlässigt werden, sie haben jedoch gemäß der Tabelle 2-1 eine geringe Wichtigkeit. Für B-Materialien wird ein bedarfsorientierter Mittelweg zwischen den Handlungsweisen für A- und denen für CMaterialien empfohlen. Kommt dasselbe Material in verschiedenen Größenordnungen vor, dann kann dies in der Praxis zu unterschiedlichen Materialpositionen führen. Im Rahmen einer ABCAnalyse auf Basis einzelner Materialpositionen kann somit dasselbe Material aufgrund der verschiedenen Materialpositionen in unterschiedliche Klassen eingeteilt werden (z. B. Kategorie A und Kategorie C). Um verschiedene Handlungsanweisungen für dasselbe Material zu vermeiden, sollte eine ABC-Analyse nicht auf der Ebene einzelner Materialpositionen, sondern auf der Ebene der Warengruppen durchgeführt werden. Somit wird dasselbe Material in verschiedenen Größenordnungen als eine Warengruppe behandelt, für die ein durchschnittlicher Einstandswert zu berechnen ist.

103

2.1

2

Materialbedarfsplanung

Tabelle 2-1 Handlungsanweisungen für A- und C-Materialien73

Beschaffungsfunktion Beschaffungsmarktforschung

Disposition

Bestellabwicklung

Bevorratung

Wertanalyse Inventur

Behandlung der A-Materialien Intensive Marktanalysen Beobachtung aller Materialien Benutzung vieler Informationsquellen Programmorientierte Bedarfsrechnung Aufwendige Bestellrechnung Niedrige Sicherheitsbestände Kurzer Anlieferrhythmus Gründliche Kostenanalysen Exakte Bedarfsermittlung Exakte Dispositionsverfahren Disposition in kurzen Zeitabständen Strenge Terminkontrolle Genaue Rechnungsprüfung Genaue Quantitäts- und Qualitätsprüfung Niedrige Lagerbestände Kurze Lagerreichweiten Genaue Festlegung der Sicherheitsbestände Just-in-Time-Bezug Durchführung Permanente Inventur

73 In Anlehnung an ARNOLDS ET AL. (1998, S. 42).

104

Behandlung der C-Materialien Starke Beschränkung in den Materialien und Informationsquellen

Verbrauchsorientierte Bedarfsrechnung Vereinfachte Bestellrechnung Hohe Sicherheitsbestände Langer Anlieferrhythmus Vereinfachte Bestellabwicklung Automatische Beschaffung in größeren Lagerreichweiten Wenig aufwendige Terminkontrolle, Rechnungsprüfung, Qualitätsprüfung Prüfung einer Outsourcing-Entscheidung Hohe Lagerbestände

Keine Durchführung Stichprobeninventur

Verfahren zur Klassifikation von Materialien

2.1.2

XYZ-Analyse

Zur Bildung von Schwerpunkten im Bereich der Materialwirtschaft ist nicht nur der Verbrauchswert der Materialien wichtig, sondern auch ihr Bedarfsverlauf. Die Ermittlung des Bedarfsverlaufs und der Vorhersagbarkeit der Materialien erfolgt mit der XYZ-Klassifikation, wobei die Materialien wie folgt in Kategorien X, Y und Z eingeteilt werden: Kategorie

Bedarfsverlauf konstant

X Y Z

Vorhersagbarkeit hoch

trendmäßig steigend bzw. fallend oder mit saisonalen Schwankungen völlig unregelmäßig

mittel gering

Materialien der Kategorie X können langfristig geplant sowie regelmäßig bestellt werden und ihr Bestandsrisiko ist gering. Auch die Materialien der Kategorie Y sind noch gut planbar, wobei aber mit Bedarfsschwankungen gerechnet werden muss, die z. B. durch saisonale Einflüsse verursacht werden. Der Bedarf für Materialien der Kategorie Z lässt sich dagegen nicht bzw. kaum vorhersagen. Wenn es die Anforderungen des internen oder externen Kunden erlauben, sollte bei Z-Materialien eine kundenauftragsbezogene Beschaffung angewendet werden (vgl. Tabelle 2-3). Ist dagegen eine schnelle Bedarfsbefriedigung zwingend notwendig, z. B. bei Ersatzteilen, dann müssen Sicherheitsbestände gehalten werden. Die Zugehörigkeit bestimmter Materialien zu den Kategorien X, Y und Z kann u. a. mit dem Schwankungskoeffizienten sk berechnet werden74:

k skt

yt yt

skt mit

sk

Dabei gilt:

t:

laufende Periode

k:

Sicherheitsfaktor

yt :

tatsächlicher Materialverbrauch der Periode t

yt :

prognostizierter Materialverbrauch (Planwert) der Periode t

yt : prozentuale Abweichung des tatsächlichen vom prognostizierten Verbrauch yt 74 Vgl. HARTMANN (2002, S. 182f).

105

2.1

2

Materialbedarfsplanung

Das zentrale Element dieser Formel ist der Quotient yt yt , der die Genauigkeit der Vorhersage enthält. Diese prozentuale Abweichung des tatsächlichen vom prognostizierten Materialverbrauch wird mit dem Sicherheitsfaktor k gewichtet, der in Abhängigkeit vom gewünschten Servicegrad festgelegt wird. Beispielhafte Werte für k sind in folgender Tabelle gegeben: Lieferbereitschaftsgrad [%]

50

78,8

94,5

97,7

99,2

Sicherheitsfaktor k

0

1

2

2,5

3

Um den Schwankungskoeffizienten nicht durch einzelne, besonders gute bzw. schlechte Vorhersagen zu verfälschen, wird auch der Schwankungskoeffizient skt der Vorperiode berücksichtigt. Die Kategorien X, Y und Z können folgendermaßen gebildet werden: X-Teile haben einen Schwankungskoeffizienten unter eins, Y-Teile liegen zwischen eins und fünf, und Z-Teile über fünf: X-Material: 0 sk 1 Y-Material: 1 < sk 5 sk > 5 Z-Material: Diese Einteilung ist wiederum als grobes Schema zu verstehen und sollte den speziellen betrieblichen Gegebenheiten angepasst werden. Beispiel 2.2: Für ein Getriebe sind in der folgenden Tabelle der tatsächliche sowie der geplante Verbrauch für die letzten 12 Monate angegeben. Die Unternehmensleitung hat mit den Kunden einen Servicegrad von 99,2% vereinbart, sodass sich ein Sicherheitsfaktor von k ergibt. Unter Verwendung der Formel für den Schwankungskoeffizienten ergeben sich in der folgenden Tabelle für die ersten beiden Monate die folgenden Werte:

sk sk

sk

106

Verfahren zur Klassifikation von Materialien

Monat

Tatsächlicher Verbrauch y

Prognostizierter Verbrauch y

Schwankungskoeffizient sk

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember

300 200 150 200 180 250 180 260 310 250 240 210

250 300 250 180 150 220 200 270 290 240 210 230

0,300 0,650 0,925 0,629 0,615 0,512 0,406 0,259 0,233 0,179 0,304 0,282

Durchschnitt

0,441

Der Mittelwert des Schwankungskoeffizienten beträgt 0,441, sodass das Getriebe der Kategorie X zugeordnet wird. In der Praxis sollte eine Kombination der ABC- mit der XYZ-Analyse vorgenommen werden, da die Wertigkeit und die Vorhersagegenauigkeit von Materialien die Beschaffungsform und Disposition beeinflussen. Als Ergebnis entsteht eine Matrix mit neun Gruppen, mit deren Hilfe grob die Beschaffungsform und die Dispositionsmethode festgelegt werden können (vgl. Tabelle 2-2). Da die Kombination AX diejenigen Materialien mit hohem Wert und gut planbarem Verbrauch repräsentiert, sollten diese Materialien nicht gelagert, sondern produktionssynchron beschafft werden. Grundsätzlich eignen sich die Materialgruppen AX, BX und AY für eine produktionssynchrone Beschaffung. Die Gruppe CZ repräsentiert Materialien mit geringem Wert und niedriger Vorhersagegenauigkeit, sodass eine Vorratsbeschaffung von Vorteil ist. Ebenso sind die Materialien für die Kombinationen BZ und CY zu lagern. Wie in der Tabelle 2-2 angegeben, sind für die Kombinationen AZ, BY und CX Handlungsalternativen zwischen diesen beiden Beschaffungsformen zu wählen.

107

2.1

2

Materialbedarfsplanung

Tabelle 2-2 Kombination von ABC- und XYZ-Analyse

A

B

C

Hoher Wert, stetiger Verbrauch Programmgesteuerte Disposition Kein/geringer Sicherheitsbestand Produktionssynchrone Beschaffung

Mittlerer Wert, stetiger Verbrauch Programm-/ verbrauchsgesteuerte Disposition Geringer Sicherheitsbestand Produktionssynchrone Beschaffung

Geringer Wert, stetiger Verbrauch Verbrauchsgesteuerte Disposition Mittlerer Sicherheitsbestand Automatisierte Beschaffung zu festen Zeitpunkten und festgelegten Mengen

Y

Hoher Wert, schwankender Verbrauch Programmgesteuerte Disposition Geringer Sicherheitsbestand Produktionssynchrone Beschaffung

Geringer Wert, schwankender Verbrauch Verbrauchsgesteuerte Disposition Mittlerer/ hoher Sicherheitsbestand Vorratsbeschaffung

Z

Hoher Wert, sporadischer Verbrauch Personelle Disposition Mittlerer Sicherheitsbestand Schnelle Abrufbarkeit beim Lieferanten sichern (z. B. Konsignationslager)

Mittlerer Wert, schwankender Verbrauch Programm-/ verbrauchsgesteuerte Disposition Mittlerer Sicherheitsbestand Bestandsbezogene Beschaffung Mittlerer Wert, sporadischer Verbrauch Programmgesteuerte/ personelle Disposition Hoher Sicherheitsbestand Vorratsbeschaffung

X

2.1.3

Geringer Wert, sporadischer Verbrauch Programm-/ verbrauchsgesteuerte Disposition Hoher Sicherheitsbestand Vorratsbeschaffung

Teileklassifikation

Die ABC- und die XYZ-Analyse können für eine differenzierte Steuerung des Materialflusses, für eine Umsetzung verschiedener Planungs- und Steuerungsphilosophien sowie für eine Unterteilung in verschiedene Formen der Auftragsabwicklung herangezogen werden75. Hierzu erfolgt eine Unterteilung der Materialien in verbrauchs-, plan- und auftragsgesteuerte Teile. Die ermittelten C-Materialien werden den ver-

75 Vgl. BICHLER ET AL. (2010, S. 98f).

108

Verfahren zur Klassifikation von Materialien

brauchsgesteuerten Teilen zugeordnet. Da es sich um geringwertige Materialien handelt, kann eine Beschaffung bzw. Fertigung auf Lager erfolgen. Ist die Wiederbeschaffungszeit bzw. die Durchlaufzeit länger als die Lieferzeit, erfolgt eine Fertigung auf Lager. Diese kritischen Teile werden als plangesteuerte Teile bezeichnet. A- und BMaterialien sollten aufgrund ihrer Mittelbindung nicht bevorratet werden. Daher werden sie als auftragsgesteuerte Teile klassifiziert, solange sie weder durchlaufzeitnoch wiederbeschaffungskritisch sind. a)

Verbrauchsgesteuerte Teile Die verbrauchsgesteuerten Teile umfassen geringwertige Materialien, die aufgrund ihrer geringen Kapitalbindung gelagert werden können. Erst wenn ein definierter Meldebestand erreicht oder unterschritten ist, wird eine Beschaffung ausgelöst bzw. ein Fertigungslos für ein Teil eingeplant. Erfolgt die wiederholte Fertigung gleicher Teile mit möglichst großer Verbrauchsstetigkeit, so wird die Auftragsbildung durch eine flexible Werkstattfertigung mit dem KANBANPrinzip eingesetzt. Eine Produktionsprogrammplanung für die verbrauchsgesteuerten Teile entfällt in diesem Fall.

b)

Plangesteuerte Teile Plangesteuerte Teile sollten aufgrund ihrer hohen Wertigkeit möglichst bestandslos gehalten werden. Eine Lagerhaltung in Form eines Zwischenlagers kann dennoch notwendig sein, wenn die Durchlaufzeit länger als ihre Lieferzeit ist. Deshalb erfolgt die Ermittlung des Bereitstellungstermins für plangesteuerte Teile durch eine exakte Planvorgabe. Diese Teile werden so eingeplant, dass sie zu demjenigen Zeitpunkt bereitstehen, an dem die Produktionsprogrammplanung einen Kundenauftrag erwartet. Mit Hilfe der rollierenden Planung76 werden die geschätzten Bedarfe immer exakter an den tatsächlichen Bedarf angepasst.

c)

Auftragsgesteuerte Teile Bei den auftragsgesteuerten Teilen handelt es sich um besonders hochwertige Materialien, sodass eine produktionssynchrone Beschaffung bzw. Fertigung zur Anwendung kommen sollte. Sobald ein Kundenauftrag eingeht, erfolgt die Einplanung des Bedarfes. Die Produktionsprogrammplanung hat die Aufgabe ein ausreichendes Angebot an Ressourcen bereitzustellen. Somit kann durch die Auftragsdisposition eine sofortige Einplanung nach Auftragseingang erfolgen.

Ausgewählte Merkmale der verbrauchs,- plan- und auftragsgesteuerten Teile sind in der folgenden Tabelle 2-3 zusammengefasst.

76 Vgl. Kapitel 2.3.

109

2.1

2

Materialbedarfsplanung

Tabelle 2-3 Merkmale verbrauchs-, plan- und auftragsgesteuerter Teile77

Merkmal

Verbrauchsgesteuerte Materialien

Plangesteuerte Materialien

Auftragsgesteuerte Materialien

Art der Planung

Prognosegesteuert, Auslösung bei Meldebestandsunterschreitung

Plangesteuert mit rollierender Planung, hoher Planungsaufwand

Auftragsdisposition, geringerer Planungsaufwand

Kanban, Fortschrittszahlen

Kanban, MRP II

Just-in-Time, Retrograde Terminierung

Kontinuierliche oder diskontinuierliche Fertigung

Fertigung nach Absatzprognose auf Basis kundenneutraler Aufträge

Gezielte Steuerung in Abhängigkeit von den Kundenaufträgen

Fertigung in Abhängigkeit der vorhandenen Kapazität; Ziel: Kostenminimierung

Feste Vorgabe anhand rollierender Planung

Schwankend, da abhängig von den Kundenaufträgen; Losgröße „1“

CX, CY, CZMaterialien

BX, BY, BZ-Materialien, AX, AY, AZMaterialien, die durchlaufzeit- oder wiederbeschaffungskritisch sind

AX, AY, AZMaterialien, BX, BY, BZ-Materialien, die weder durchlaufzeitnoch wiederbeschaffungskritisch sind

Lagerfertigung, verbrauchsgesteuert, Abgang induziert neue Bestellung

Erfolgt anhand rollierender Planung, programmgebunden

Kundenauftragsfertigung, Einplanung erfolgt nach Kundenauftrag

Optimale Losgröße bei minimalen Gesamtkosten, ständige Verfügbarkeit

Erhöhung der Liefertermintreue, Dominanz des Liefertermins vor den Lagerhaltungskosten

Materialflussorientierung bei minimaler Durchlaufzeit und geringen Beständen

Steuerungssystem Fertigungsmenge

Losgröße

Teilestruktur

Entkopplungspunkt bzw. Abruf

Ziele

77 In Anlehnung an BICHLER ET AL. (2010, S. 100).

110

Verfahren zur Klassifikation von Materialien

2.1.4

Portfolio-Analyse

Die Portfolio-Analyse ist eine einfache Methode zur Reduktion von Komplexität durch Betonung zweier wesentlicher Faktoren. Im Rahmen der Materialklassifikation kann die Portfolio-Analyse zur Einteilung der Materialien bzgl. der Kriterien Beschaffungsrisiko und Erfolgsbeitrag herangezogen werden. Das Beschaffungsrisiko eines Materials lässt sich mit Hilfe der Verfügbarkeit des Artikels, der Anzahl und Kapazitäten der Lieferanten, der Anzahl und Bedarfe der Nachfrager, der Möglichkeiten einer Eigenfertigung, der Substitutionsmöglichkeiten durch andere Materialien und durch die Lagerrisiken bestimmen. Die Festlegung des Erfolgsbeitrags eines Materials kann über die Einkaufsmenge, den prozentualen Anteil an den gesamten Einkaufskosten, die Bedeutung des Materials für die Qualität des Endprodukts sowie über die Bedeutung des Endprodukts für das Unternehmen erfolgen. Da beim Beschaffungsrisiko und beim Erfolgsbeitrag vereinfachend nur nach den Ausprägungen niedrig bzw. hoch unterschieden wird, erfolgt eine Klassifikation der Materialien in folgende vier Gruppen (vgl. Abbildung 2-2).

Abbildung 2-2 Beschaffungsgüterportfolio

hoch

Engpassmaterialien

Strategische Materialien

niedrig

Beschaffungsrisiko

Unkritische Materialien

Hebelmaterialien Erfolgsbeitrag

niedrig

hoch

Engpassmaterialien zeichnen sich durch ein hohes Beschaffungsrisiko und einen niedrigen Erfolgsbeitrag aus. Strategische Materialien verfügen über einen hohen Erfolgsbeitrag und weisen ein hohes Beschaffungsrisiko auf. Hebelmaterialien haben einen hohen Erfolgsbeitrag und ein niedriges Beschaffungsrisiko. Unkritische Materialien weisen sowohl ein niedriges Beschaffungsrisiko als auch einen niedrigen Erfolgsbeitrag auf.

111

2.1

2

Materialbedarfsplanung

In der Tabelle 2-4 sind für jede Materialklasse unterschiedliche Handlungsanweisungen sowie die für jede Klasse benötigten Informationen angegeben. Während beispielsweise bei den unkritischen Materialien die Optimierung der Auftragsmengen, eine effiziente Bearbeitung und eine Bestandsoptimierung im Vordergrund stehen, müssen bei strategischen Materialien langfristige Beziehungen zu Lieferanten aufgebaut, eine genaue Bedarfsprognose und Marktforschung sowie eine Risikoanalyse durchgeführt werden.

Tabelle 2-4 Klassifikation der Beschaffungsmaterialien78

Strategische Materialien

Engpassmaterialien

Hebelmaterialien

Unkritische Materialien

Hauptaufgaben

Informationen

Schaffung langfristiger Beziehungen zu Lieferanten genaue Bedarfsprognose und Marktforschung Make-or-buy Analyse Risikoanalyse, Notfallpläne Bestands-, Lieferantenkontrolle

Detaillierte Marktdaten Gute Kenntnis des Wettbewerbs Informationen über langfristige Angebots- und Bedarfsentwicklungen

Mengensicherung (evtl. gegen Aufpreis) Lieferantenkontrolle, Bestandssicherheit Ausweichpläne

Sehr gute Marktdaten Prognosen über mittelfristige Angebots- und Nachfrageentwicklung Bestandskosten

Ausnutzen der vollen Einkaufsmacht Lieferantenauswahl Produktsubstitution Internationaler Preisvergleich Auftragsmengenoptimierung Produktstandardisierung Effiziente Bearbeitung Optimierung der Auftragsmengen Bestandsoptimierung

Gute Marktdaten kurz- bis mittelfristige Bedarfsplanung Preisprognosen

Gute Marktübersicht Kurzfristige Bedarfsprognosen Optimale Bestandshöhe

Analog zum Beschaffungsgüterportfolio in Abbildung 2-2 lassen sich auch die Lieferanten in einem Portfolio positionieren, indem die Marktmacht des Lieferanten dem Lieferanteil gegenübergestellt wird. Während sich der Lieferanteil aus der Lagerbuchhaltung ergibt, wird die Marktmacht des Lieferanten durch den Marktanteil des Liefe78 In Anlehnung an KRALJIC (1985, S. 9).

112

Verfahren zur Klassifikation von Materialien

ranten am relevanten Markt, d. h. von demjenigen Markt, von dem das Unternehmen aktuell seine Produkte bezieht, bestimmt79.

Abbildung 2-3 Lieferantenportfolio

hoch

Engpasslieferanten

Strategische Lieferanten

niedrig

Marktmacht

Unkritische Lieferanten

Hebellieferanten Lieferanteil

niedrig

hoch

Die Kombination dieses Lieferantenportfolios mit dem Beschaffungsgüterportfolio aus Abbildung 2-2 führt zu dem in Abbildung 2-4 dargestellten BeschaffungsgüterLieferantenportfolio. Dieses Portfolio ermöglicht einerseits eine übersichtliche Darstellung der bestehenden Material- und Lieferantenstruktur in einem Gesamtportfolio und dient andererseits der Ableitung von differenzierten Beschaffungsstrategien je Materialgruppe. Es lassen sich die folgenden Normstrategien ableiten80: effizient beschaffen Verfügbarkeit sicherstellen Suche nach alternativen Produkten Position selektiv verbessern Marktpotenzial ausnutzen, dann partnerschaftliche Zusammenarbeit Wertschöpfungspartnerschaft Werden unkritische Produkte oder Hebelprodukte bei unkritischen Lieferanten oder Hebellieferanten beschafft, dann bietet sich die Normstrategie effizient beschaffen bzw. optimieren und ausschöpfen an, da aufgrund der niedrigen Marktbedeutung der Lieferanten und des niedrigen Versorgungsrisikos durch eine effiziente Beschaffungsabwicklung der Aufwand weitgehend minimiert werden soll.

79 Vgl. SCHULTE (2001, S. 386). 80 Vgl. WILDEMANN (2008, S. 99ff).

113

2.1

2

Materialbedarfsplanung

Bezieht man strategisch wichtige Produkte oder Engpassprodukte von strategischen Lieferanten oder Engpasslieferanten, dann sollte aufgrund der hohen Marktbedeutung und der damit verbundenen hohen Marktmacht dieser Lieferanten die Normstrategie Verfügbarkeit sicherstellen gewählt werden, um jedes Versorgungsrisiko zu vermeiden. Bei der Kombination strategischer Produkte oder Engpassprodukte mit Hebellieferanten oder unkritischen Lieferanten wird als Normstrategie Suche nach alternativen Produkten empfohlen, um durch Substitution der Produkte das Versorgungsrisiko zu mindern.

Abbildung 2-4 Beschaffungsgüter-Lieferantenportfolio

Für unkritische Produkte oder Hebelprodukte, die von Engpasslieferanten oder strategischen Lieferanten bezogen werden, bietet sich die Normstrategie Position selektiv verbessern an, um die Abhängigkeit von den Lieferanten zu reduzieren.

114

Bedarfsarten

Werden Hebelmaterialien von Hebellieferanten oder strategischen Lieferanten bezogen, dann empfiehlt sich die Normstrategie Marktpotential nutzen, dann partnerschaftliche Zusammenarbeit. Durch das geringe Versorgungsrisiko der Beschaffungsgüter soll zunächst ein günstiger Einstandspreis erzielt werden, um anschließend durch die nachfolgende, kooperative Ausrichtung der Geschäftsbeziehung das Entwicklungspotential der Lieferanten zum Nutzen des Abnehmers zu erschließen. Werden strategische Produkte von Hebellieferanten oder strategischen Lieferanten beschafft, dann bietet sich die Normstrategie Wertschöpfungspartnerschaft an. Somit kann gezielt eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen Abnehmer und Lieferant aufgebaut werden, um die Versorgungssicherheit für strategische Produkte zu erhöhen.

2.2

Bedarfsarten

Unter dem Materialbedarf wird diejenige Menge an Material verstanden, die periodenbezogen benötigt wird, um einen Absatzplan erfüllen zu können. Die Materialbedarfsarten lassen sich in Primär-, Sekundär-, Tertiär- und Zusatzbedarf unterscheiden. Der Primärbedarf umfasst den Bedarf an Fertigerzeugnissen, verkaufsfähigen Ersatzteilen und Baugruppen und basiert auf bereits bekannten oder prognostizierten Auftragsdaten. Beim Sekundärbedarf handelt es sich um den Bedarf an Baugruppen, Teilen und Rohstoffen, die für die Herstellung des Erzeugnisses notwendig sind. Dieser Bedarf wird aus dem Primärbedarf mit Stücklisten abgeleitet oder mittels statistischer Schätzung berechnet. Zum Tertiärbedarf gehören der Bedarf an Hilfs- und Betriebsstoffen wie z. B. Schrauben, Kleb- oder Schmierstoffe sowie Verschleißwerkzeuge, die für die Herstellung der Erzeugnisse benötigt werden. Der Tertiärbedarf lässt sich i. d. R. nicht exakt erfassen und kann entweder aus dem Sekundärbedarf abgeleitet oder mittels Schätzung festgelegt werden. Der Zusatzbedarf umfasst den zusätzlichen Bedarf, der aufgrund der Entwicklung, durch zerstörende Prüfverfahren oder Ausbeuteverluste notwendig ist und aus Erfahrungswerten bestimmt werden kann. Der Materialbedarf kann weiterhin in einen Brutto- und Nettobedarf unterschieden werden. Der Bruttobedarf setzt sich aus dem periodenbezogenen Primär-, Sekundär-, Tertiär- oder Zusatzbedarf sowie einem Sicherheitszuschlag zusammen. Dagegen wird der Nettobedarf aus dem Bruttobedarf ermittelt, indem von ihm der disponible Bestand abgezogen wird. Der disponible Bestand berechnet sich aus der Addition des physischen Lager-, Bestell- und Werkstattbestands sowie aus der Subtraktion des Vormerk- und des Sicherheitsbestands. Somit gilt: Nettobedarf = max { Bruttobedarf – disponibler Bestand ; 0 }

115

2.2

2

Materialbedarfsplanung

Der physische Lagerbestand umfasst diejenigen Erzeugnisse, die sich bereits im Lager befinden. Unter dem Bestellbestand wird diejenige Menge verstanden, die zwar schon bei den Lieferanten bestellt wurde, aber bisher noch nicht eingetroffen ist. Zum Werkstattbestand gehört diejenige Menge, die sich gerade in der Produktion befindet. Der Vormerkbestand ist diejenige Bedarfsmenge, die vom Kunden (z. B. ein Kunden- oder ein Fertigungsauftrag) bereits angefordert wurde und somit nicht mehr frei verfügbar ist. Der Sicherheitsbestand umfasst schließlich diejenige Menge, die zusätzlich zum geplanten Verbrauch gelagert wird, sodass auch eine Produktion oder eine Lieferung trotz unvorhergesehener Ereignisse, wie z. B. plötzlich eintretende Nachfrageschwankungen, Lieferverzögerungen oder Fehler in der Lagerverwaltung, möglich ist. Beispiel 2.3: Für eine Materialposition liegt ein periodenbezogener Primärbedarf von 400 ME vor. Im Lager befinden sich aktuell 40 ME, der Bestellbestand für diese Periode beträgt 150 ME und der periodenbezogene Werkstattbestand 70 ME. Für Kunden wurden in dieser Periode bereits 120 ME vorgemerkt. Unter Berücksichtigung eines geforderten Sicherheitsbestands von 110 ME berechnet sich der disponible Bestand wie folgt: Lagerbestand

40 ME

+ Bestellbestand

150 ME

+ Werkstattbestand

70 ME

- Vormerkbestand

120 ME

- Sicherheitsbestand

110 ME

= Disponibler Bestand

30 ME

Somit beträgt der periodenbezogene Nettobedarf max {400 – 30 ; 0 } = 370 ME.

Die Aufgabe der Bedarfsermittlung ist es, aus dem Primärbedarf den Sekundär-, Tertiär- und Zusatzbedarf zu berechnen. Die Verfahren zur Bedarfsermittlung lassen sich in drei verschiedene Gruppen einteilen81: a)

Programmorientierte Verfahren Die programmorientierte bzw. deterministische Bedarfsermittlung82 berechnet den Materialbedarf auf der Grundlage konkret vorliegender Kundenaufträge oder Produktionspläne. Diese Verfahren ermitteln den Sekundärbedarf bei gegebenem Primärbedarf. Unter Einbeziehung einer ABC-Analyse werden diese Verfahren z. B. bei allen Gütern der Kategorie A und bei allen oder auch nur bei einigen B-

81 Vgl. HARTMANN (2002, S. 282f). 82 Vgl. Kapitel 2.3.

116

Programmorientierte Verfahren

Gütern angewendet. Die deterministische Bedarfsermittlung kann analytisch oder synthetisch erfolgen. Bei der analytischen Bedarfsauflösung bilden Stücklisten die Grundlage der Berechnung und bei der synthetischen Bedarfsauflösung kommen Teileverwendungsnachweise zur Anwendung. b)

Verbrauchsorientierte Verfahren Liegen keine konkreten Aufträge oder Produktionsprogramme vor, dann erfolgt die Bedarfsermittlung verbrauchsorientiert bzw. stochastisch83. Diese Verfahren kommen i. d. R. bei geringwertigen Materialien (z. B. bei C-Gütern) oder bei Hilfsund Betriebsstoffen oder Verschleißwerkzeugen zum Einsatz. Da für diese geringwertigen Güter eine deterministische Bedarfsermittlung nicht möglich oder zu aufwendig wäre, wird der Bedarf anhand von Vergangenheitsdaten für die Zukunft vorhergesagt.

c)

Subjektive Verfahren Liegen keine Kunden- oder Produktionsaufträge vor und kann auch nicht auf Vergangenheitsdaten zurückgegriffen werden, dann kommt eine subjektive Bedarfsauflösung zur Anwendung. Als Beispiel dafür können völlig neue Artikel, sowie Mode- und Liebhaberprodukte genannt werden, für die weder zukünftige Auftragsdaten noch ausreichende Vergangenheitsdaten vorliegen. In diesen Fällen können entweder die Analog- oder die Intuitivschätzung angewendet werden. Bei der Analogschätzung erfolgt die Bedarfsrechnung durch die Übertragung vergleichbarer Erzeugnisse oder Materialien auf das zu ermittelnde Erzeugnis oder Material, für das der Bedarf bestimmt werden soll. Gibt es keine vergleichbaren Erzeugnisse oder Materialien, dann kann nur noch die Intuitivschätzung angewendet werden, bei der Schätzwerte durch die Befragung sachverständiger Personen gewonnen werden.

2.3

Programmorientierte Verfahren

Die programmorientierte Materialbedarfsplanung ist eine deterministische Planung und basiert auf dem geplanten, mittel- bis kurzfristigen Hauptproduktionsprogramm für Endprodukte, das wiederum auf dem Absatzprogramm basiert. Den Ausgangspunkt für die programmorientierte Bedarfsplanung bildet der Primärbedarf, der sich aus Kunden- und Lageraufträgen zusammensetzt. Da nur bei einer reinen Auftragsfertigung die zu produzierende Menge exakt bekannt ist, setzt die Deterministik der programmorientierten Verfahren häufig erst nach einem prognostizierten Primärbedarf ein. Das bedeutet, dass oft zuerst der zukünftige Marktbedarf geschätzt und danach mit den programmorientierten Verfahren der Sekundärbedarf ermittelt wird.

83 Vgl. Kapitel 2.4.

117

2.3

2

Materialbedarfsplanung

Da mit zunehmendem Planungshorizont die Einschätzung des zukünftigen Marktbedarfs immer unsicherer wird, empfiehlt sich zur Beachtung von Datenunsicherheiten die Anwendung einer rollierenden Planung. Die rollierende Planung ist ein periodenorientiertes Planungsverfahren, bei dem der Planungsabstand kleiner als der Planungszeitraum ist. Die Planung erfolgt zwar bis zum Ende des Planungshorizonts, allerdings ist der Plan nur bis zum Ende des Planungsabstands verbindlich (sog. eingefrorene Perioden). Nach Ablauf des Planungsabstands wird der Planungshorizont über die Zeitachse „weitergerollt“, sodass eine Fortschreibung und Konkretisierung der Planungsergebnisse fortlaufend erfolgt. In der folgenden Abbildung 2-5 ist eine rollierende Planung für einen Planungshorizont von sechs Monaten, einem Planungsabstand von zwei Monaten und monatlicher Periodeneinteilung gegeben. Die erste Planung erfolgt für die Monate Januar bis Juni, wobei nur die Planungsdaten für die Monate Januar und Februar als verbindlich gelten. Die zweite Planung beginnt nach Ablauf des Planungsabstands, wobei der Planungshorizont nun von März bis August reicht und die Planung für die Monate März und April verbindlich ist.

Abbildung 2-5 Rollierende Planung

Planungsabstand Jan.

Feb.

März

April

Mai

Juni

März

April

Mai

Juni

Planungszeitpunkt

Juli

August

Planungszeitraum

Zusätzlich zu den Primärbedarfsdaten werden zur Berechnung des Sekundärbedarfs noch Informationen über die disponiblen Bestände, über die Durchlaufzeiten bei selbst produzierten Teilen bzw. über die Beschaffungszeiten bei zugekauften Teilen sowie über den Erzeugniszusammenhang benötigt. Der Erzeugniszusammenhang gibt Auskunft über die Art der Zusammensetzung der Zwischen- oder Endprodukte aus Bauteilen und Baugruppen.

118

Programmorientierte Verfahren

2.3.1

Darstellungsformen des Erzeugniszusammenhangs

Der Erzeugniszusammenhang kann sowohl graphisch als auch tabellarisch in Form von Listen dargestellt werden. Die graphische Darstellungsform stellt den Erzeugniszusammenhang zwar sehr anschaulich dar, sie eignet sich jedoch nur für einfache Erzeugnisse. In der industriellen Praxis werden die Erzeugniszusammenhänge komplexer Erzeugnisse i. d. R. tabellarisch dargestellt.

2.3.1.1

Graphischer Erzeugniszusammenhang

Bei der graphischen Darstellungsform repräsentieren die Knoten des gerichteten Graph ein bestimmtes Endprodukt, eine Baugruppe, ein Einzelteil oder einen Rohstoff. Die Pfeile zwischen den Knoten beschreiben mengenmäßige Input-OutputBeziehungen zwischen den Erzeugnissen. Die Bewertung aij auf einem Pfeil von Knoten i zum Knoten j gibt an, wie viele Mengeneinheiten des untergeordneten Erzeugnisses i für die Herstellung genau einer Mengeneinheit des übergeordneten Erzeugnisses j erforderlich sind. Diese Bewertung wird als Direktbedarfs- oder als Produktionskoeffizient bezeichnet. Eine Erzeugnisstruktur kann nach Fertigungsstufen oder nach Dispositionsstufen geordnet werden. Erfolgt die Ordnung nach Fertigungsstufen, dann werden die Knoten so angeordnet, dass die Grundstruktur des Herstellungsprozesses des Erzeugnisses erkennbar ist. Üblicherweise werden die Fertigungsstufen entgegen dem Fertigungsablauf nummeriert, d. h. das Endprodukt erhält die Fertigungsstufe 0 und die unmittelbar in das Endprodukt eingehenden Knoten die Fertigungsstufe 1 usw. Bei einer Ordnung nach Dispositionsstufen werden die Knoten so angeordnet, dass die Dispositionsstufe eines Knotens i mit der maximalen Anzahl der Pfeile vom betrachteten Knoten i zum Endprodukt bei einer Anordnung nach Fertigungsstufen übereinstimmt. Die Anzahl der Dispositionsstufen entspricht dabei der Anzahl der Fertigungsstufen. Bezeichnet man mit ui die Dispositionsstufe eines Erzeugnisses i und mit N i die Menge der Nachfolgerknoten des Knotens i , dann lässt sich die Dispositionsstufe für ein Erzeugnis i wie folgt berechnen:

ui

j Ni

uj

Ni Ni

In der Abbildung 2-6 werden in der Ordnung nach Fertigungsstufen maximal drei Pfeile vom Knoten E1 zum Endprodukt P1 benötigt, sodass dem Knoten E1 die Dispositionsstufe drei zugewiesen wird. Durch die Transformation von Fertigungsstufen in Dispositionsstufen wird gewährleistet, dass die Bruttobedarfe identischer Knoten, auch wenn sie in verschiedene übergeordnete Knoten eingehen, zusammen disponiert

119

2.3

2

Materialbedarfsplanung

werden. Als Varianten für die graphische Darstellung des Erzeugniszusammenhangs stehen der Erzeugnisbaum und der Gozinto-Graph zur Verfügung. a)

Erzeugnisbaum Ein Erzeugnisbaum ist ein gerichteter, bewerteter Graph der dadurch gekennzeichnet ist, dass jeder Knoten stets nur einen Nachfolger aber mehrere Vorgänger haben kann. Somit werden Knoten, die in mehrere Nachfolgerknoten eingehen, jeweils an denjenigen Stellen im Erzeugnisbaum aufgeführt, an denen sie in der Erzeugnisstruktur vorkommen. Dieses mehrfache Vorkommen desselben Knotens führt zu Redundanzen bei der Speicherung des Erzeugnisbaums. Vorteilhaft ist, dass beim Erzeugnisbaum mit Fertigungsstufen der Fertigungsablauf klar erkennbar ist. Für die Berechnung des Gesamtbedarfs des Knotens E1 für eine Mengeneinheit des Enderzeugnisses P1 werden zunächst die Direktbedarfskoeffizienten pro Weg vom Knoten E1 zum Knoten P1 multipliziert. Anschließend werden die erhaltenen Werte für jeden Weg vom Knoten E1 zum Knoten P1 addiert. Somit ergibt sich für eine Mengeneinheit von P1 ein Gesamtbedarf für E1 von ME.

Abbildung 2-6 Erzeugnisbaum

Dispositionsstufe

Fertigungsstufe 0 1

5

1

E1

2

2

E2

120

2

B2

E1

3

1

B2

4

2

3

2

B1

E1

5

E2

2

E2

E3

E1

E1

1

4 B2

B2

2

3

2

B1

2

2

E3

0

P1

P1

2

2

E3

E1

E2

2

2

E3

3

Programmorientierte Verfahren

b)

Gozinto-Graph Im Gegensatz zum Erzeugnisbaum kann beim Gozinto-Graph jeder Knoten auch mehrere Nachfolger haben. Durch diese Darstellungsform werden die beim Erzeugnisbaum vorkommenden Redundanzen vermieden, da jedes Erzeugnis unabhängig von seiner Verwendungshäufigkeit nur durch einen Knoten repräsentiert wird. Im Vergleich zum Erzeugnisbaum sind beim Gozinto-Graph die Fertigungsstufen und somit der Fertigungsablauf nicht mehr erkennbar. Der Begriff Gozinto-Graph geht auf VAZSONYI (1962) zurück, der fälschlicherweise einen italienischen Mathematiker ZEPARTZAT GOZINTO erwähnt, der jedoch niemals existiert hat. Eigentlich hat der Begriff Gozinto seinen Ursprung in den englischen Worten „the part that goes into“ und führte aufgrund eines Übersetzungsfehlers zu Zepartzat Gozinto. In der Abbildung 2-7 wird die Erzeugnisstrukur aus Abbildung 2-6 als Gozinto-Graph dargestellt.

Abbildung 2-7 Gozinto-Graph

P1 3 1 2

5

B1 4 B2

2

2 E2

2 E1

E3

Beim Gozinto-Graph lassen sich vier Grundformen (linear, konvergierend, divergierend, allgemein) von Erzeugnisstrukturen unterscheiden84 (vgl. Abbildung 2-8). Eine lineare Erzeugnisstruktur liegt dann vor, wenn jedes untergeordnete Erzeugnis genau einen Nachfolger hat. In diesem linearen Fertigungsprozess entsteht somit auf jeder Stufe ein neues Zwischenprodukt. Bei einer konvergierenden Erzeugnisstruktur hat jedes untergeordnete Erzeugnis genau einen direkten Nachfolger und kann aber mehrere direkte Vorgänger haben. Die konvergierende Erzeugnisstruktur ist typisch für die Montageindustrie. Bei einer divergierenden Erzeugnisstruktur kann ein Erzeugnis

84 Vgl. TEMPELMEIER (2003, S. 107).

121

2.3

2

Materialbedarfsplanung

in mehrere Produkte oder Baugruppen eingehen. Somit hat ein untergeordnetes Erzeugnis bei einer divergierenden Erzeugnisstruktur genau einen direkten Vorgänger, es kann aber mehrere direkte Nachfolger haben. Bei einer generellen Erzeugnisstruktur können lineare, konvergierende und divergierende Erzeugnisstrukturen vorkommen.

Abbildung 2-8 Grundformen von Erzeugnisstrukturen

linear

konvergierend

P1

P1

2

2

B1

1

B1 4

5 T1

2

T1

5

P1 2 B1 2 T1

2.3.1.2

3

T2

5

T3

T4

generell

P3

P1

P2

P3

4

2

4

B2

T5

divergierend

P2

3

2

B2

B1

3

2 T1

3 2

2 B2

B3 4

1

2

3

T2

T3

T4

Tabellarischer Erzeugniszusammenhang

Für die tabellarische Darstellung des Erzeugniszusammenhangs können analytische Stücklisten oder synthetische Teileverwendungsnachweise zur Anwendung kommen. Bei einem synthetischen Teileverwendungsnachweis wird ersichtlich, in welche übergeordneten Erzeugnisse ein bestimmtes Erzeugnis eingeht. Somit können diejenigen Enderzeugnisse identifiziert werden, die z. B. von Qualitätsproblemen oder bei Lieferverzug eines Einzelteils betroffen sind.

122

Programmorientierte Verfahren

Wird der Erzeugniszusammenhang mit einer analytischen Stückliste dargestellt, dann wird ersichtlich, aus welchen untergeordneten Erzeugnissen ein Enderzeugnis besteht. Durch die Angabe des entsprechenden Direktbedarfskoeffizienten kann somit der Gesamtbedarf der benötigten Einzelteile und Baugruppen für die Herstellung des Enderzeugnisses berechnet werden. Analytische Stücklisten können als Mengenübersichtsstückliste, Strukturstückliste, Baukastenstückliste, als Gozinto-Liste oder Variantenstückliste dargestellt werden. a)

Mengenübersichtsstückliste Die Mengenübersichtsstückliste stellt die einfachste Form einer Stückliste dar. In dieser unstrukturierten Liste wird lediglich aufgeführt, aus welchen untergeordneten Erzeugnissen mit welchem Gesamtbedarf eine Mengeneinheit des Endprodukts besteht. Die Liste ist hilfreich um auf einen Blick zu erfahren, welche Menge eines Rohstoffs, Teils oder einer Baugruppe insgesamt pro Mengeneinheit eines Endprodukts notwendig ist. Da die Liste unstrukturiert ist, kann mit ihr nicht auf die Fertigungsstruktur des Endprodukts und der untergeordneten Erzeugnisse geschlossen werden. Somit eignet sich eine Mengenübersichtsstückliste vor allem bei einer einstufigen Fertigung. In der Tabelle 2-5 ist eine entsprechende Mengenübersichtsstückliste für den Erzeugnisbaum in Abbildung 2-6 dargestellt. Mit dieser Liste kann nicht auf die graphische Darstellung des Erzeugnisbaums geschlossen werden.

Tabelle 2-5 Mengenübersichtsstückliste

P1

b)

Bezeichnung

Menge

B1

1

B2

2+4=6

E1

5+8+4=17

E2

2+3=5

E3

8+4=12

Strukturstückliste Bei Strukturstücklisten wird im Gegensatz zur Mengenübersichtsstückliste der hierarchische Gesamtzusammenhang eines Erzeugnisses dargestellt. In einer Strukturstückliste sind somit die Fertigungsstufen mit den dazugehörigen Erzeugnissen und Direktbedarfskoeffizienten erkennbar. Da Erzeugnisse mit ihren untergeordneten Erzeugnissen auf jeder Fertigungsstufe in der Strukturstückliste 123

2.3

2

Materialbedarfsplanung

eingetragen werden, erscheinen öfters vorkommende Erzeugnisse mit ihren untergeordneten Erzeugnissen auch mehrfach. Bei komplexen, mehrstufigen Enderzeugnissen geht mit Strukturstücklisten schnell die Übersichtlichkeit verloren. In der Tabelle 2-6 ist die entsprechende Strukturstückliste für den Erzeugnisbaum in der Abbildung 2-6 angegeben. Durch die Angabe der Fertigungsstufen kann von der Strukturstückliste auch wieder der zugrundeliegende Erzeugnisbaum reproduziert werden.

Tabelle 2-6 Strukturstückliste

Fertigungsstufe 1 1 2 2 3 3 1 2 2 1 c)

P1 Bezeichnung E1 B1 E2 B2 E1 E3 B2 E1 E3 E2

Menge 5 1 2 4 2 2 2 2 2 3

Baukastenstückliste Eine Baukastenstückliste ist eine einstufige Liste, d. h. sie enthält nur diejenigen Erzeugnisse, die direkt in ein übergeordnetes Erzeugnis eingehen. Die Baukastenstückliste versucht somit die Übersichtlichkeit der Mengenübersichtsstückliste und die hierarchische Struktur der Strukturstückliste zu vereinen, ohne aber dabei die Redundanzen der Strukturstückliste zu übernehmen. Dazu wird statt einer Gesamttabelle pro Enderzeugnis nun auch für jedes untergeordnete Erzeugnis eine einstufige Tabelle angelegt, welche die Erzeugnisse und Direktbedarfskoeffizienten der direkten Vorgänger beinhaltet. Somit kann durch das Zusammenfügen aller Baukastenstücklisten auch wieder auf die Erzeugnisstruktur geschlossen werden. In der Abbildung 2-9 ist der Erzeugnisbaum mit den entsprechenden Baukästen angegeben.

124

Programmorientierte Verfahren

Abbildung 2-9 Erzeugnisbaum mit Baukästen Fertigungsstufe P1

0

5

E1

1

1

2

B1

B2

2

4

E2

2

B2

2

E2

2

E1

E3

2

E1

3

2

3

E3

Aus Abbildung 2-9 lassen sich nun die einstufigen Baukastenstücklisten erzeugen (vgl. Tabelle 2-7). Von Vorteil ist nun, dass bei einer Änderung der Baugruppen B1 oder B2 jetzt jeweils nur eine Liste geändert werden muss.

Tabelle 2-7 Baukastenstücklisten P1

B1

B2

Bezeichnung

Menge

Bezeichnung

Menge

Bezeichnung

Menge

B1 B2 E1 E2

1 2 5 3

B2 E2

4 2

E1 E3

2 2

125

2.3

2

Materialbedarfsplanung

d)

Gozinto-Liste Eine weitere strukturierte Stückliste stellt die aus einem Gozinto-Graph abgeleitete Gozinto-Liste dar.

Tabelle 2-8 Gozinto-Liste

j

i

aij

P1 P1 P1 P1

B1 B2 E1 E2

1 2 5 3

B1 B1

B2 E2

4 2

B2 B2

E1 E3

2 2

In einer Gozinto-Liste erfolgt eine nach Knoten sortierte, listenförmige Zusammenfassung der Pfeile eines Gozinto-Graph. Dazu werden in den Spalten der Gozinto-Liste der Zielknoten j , der Startknoten i sowie der Direktbedarfskoeffizient aij eingetragen. Als Ergebnis ergibt sich eine Aneinanderreihung der entsprechenden Baukastenstücklisten. In der Tabelle 2-8 ist die Gozinto-Liste für den Gozinto-Graph in der Abbildung 2-7 angegeben. e)

Variantenstückliste Varianten stellen eine Änderung der Grundausführung eines Erzeugnisses dar, indem untergeordnete Erzeugnisse weggelassen oder hinzugefügt werden. Variantenstücklisten verfolgen das Ziel, mehrere Erzeugnisse, die sich nur durch geringe Unterschiede auszeichnen, in einer Liste zu speichern. Somit kann der Speicher- und Änderungsaufwand niedrig gehalten werden. Es lassen sich die folgenden Variantenstücklisten unterscheiden: Gleichteile- und Endformstückliste Während die Gleichteilestückliste alle Erzeugnisse enthält, die in allen Varianten vorkommen, werden in der Endformstückliste nur diejenigen Erzeugnisse eingetragen, die in der einzelnen Variante vorkommen. Grundtypen- und Plus-/Minusstückliste Die Grundtypenstückliste beinhaltet diejenigen Erzeugnisse, die für alle Varianten als Grundtyp definiert werden. In der Plus- bzw. Minusstückliste werden dann diejenigen Erzeugnisse eingetragen, die gegenüber dem Grundtyp hinzugefügt bzw. weggelassen werden.

126

Programmorientierte Verfahren

Mehrfachstückliste Werden mehrere Varianten eines Erzeugnisses in einer Stückliste zusammengefasst und wird für jede Variante eine Mengenspalte angegeben, dann resultiert daraus eine Mehrfachstückliste. Die Erzeugnisstruktur wird in einer Mehrfachstückliste nicht wiedergegeben. In der folgenden Tabelle 2-9 ist eine Mehrfachstückliste für die beiden Varianten P1 und P3 der divergierenden Erzeugnisstruktur in Abbildung 2-8 wiedergegeben.

Tabelle 2-9 Mehrfachstückliste Erzeugnis B1 B2 T1

P1 2 4 16

P3 2 6

Die synthetischen Teileverwendungsnachweise werden aus Stücklisten oder dem Gozinto-Graph abgeleitet und ermitteln den Materialbedarf durch eine synthetische Bedarfsauflösung. Diese synthetische Form der Darstellung geht nicht von den übersondern von den untergeordneten Erzeugnissen aus, d. h. es werden alle Enderzeugnisse aufgelistet, in die das betrachtete Erzeugnis eingeht. Somit können durch Teileverwendungsnachweise diejenigen Enderzeugnisse ermittelt werden, die von der Änderung eines Einzelteils bzw. aufgrund einer Lieferverzögerung oder wegen Qualitätsproblemen eines Einzelteils betroffen sind.

Tabelle 2-10 Mengenübersichtsstücklisten P1

P2

P3

Bezeichnung

Menge

Bezeichnung

Menge

Bezeichnung

Menge

E1 E2 E3 E4

3 4 1 2

E2 E3 E4

1 5 2

E1 E3 E4 E5

2 3 6 3

Die Tabelle 2-11 enthält die entsprechenden Teileverwendungsnachweise für die in der Tabelle 2-10 angegebenen Mengenübersichtsstücklisten.

127

2.3

2

Materialbedarfsplanung

Tabelle 2-11 Teileverwendungsnachweise E1

E2

E3

Bezeichnung

Menge

Bezeichnung

Menge

Bezeichnung

Menge

P1 P3

3 2

P1 P2

4 1

P1 P2 P3

1 5 3

E4

E5

Bezeichnung

Menge

Bezeichnung

Menge

P1 P2 P3

2 2 6

P3

3

2.3.2

Analytische Bedarfsermittlung

2.3.2.1

Zusammenhang mit der Input-Output-Analyse

Ausgehend von einem Gozinto-Graph lässt sich für jeden Knoten eine Gleichung angeben, welche den Output des Knotens, d. h. die Menge der von dem Knoten ausgehenden Pfeile als eine Funktion des erforderlichen Inputs an allen direkten Nachfolgerknoten beschreibt. Für das Aufstellen dieses Gleichungssystems werden die folgenden Bezeichnungen benötigt: di

= Primärbedarf für Erzeugnis i

xi

= Sekundärbedarf für Erzeugnis i

ri

= Gesamtbedarf (Sekundärbedarf und extern vorgegebener Primärbedarf) für Erzeugnis i

A

aij

= Direktbedarfsmatrix mit aij

, falls Knoten j nicht direkter Nachfol-

ger von Knoten i ist

Ni

= Menge der Nachfolgerknoten von Knoten i

Der Sekundärbedarf eines Erzeugnisses hängt davon ab, in wie viele Nachfolgeerzeugnisse dieses Erzeugnis mit welchen Direktbedarfskoeffizienten eingeht. Beispielsweise gilt für den Sekundärbedarf des Einzelteils E1 im Gozinto-Graph der Ab-

128

Programmorientierte Verfahren

bildung 2-7, dass er sich aus dem Zweifachen des Gesamtbedarfs der Baugruppe B2 und dem Fünffachen des Gesamtbedarfs des Endprodukts P1 berechnet:

xE

dB

dP

Allgemein gilt für den Sekundärbedarf eines Erzeugnisses i i

xi

j Ni

n :

a ij r j ,

wobei N i die Menge der Nachfolgerknoten von Knoten i bezeichnet. Der Gesamtbedarf eines Erzeugnisses i i nen:

ri

xi

di

n lässt sich dann wie folgt berech-

j Ni

aij rj

di

In Matrixschreibweise gilt dann für die Berechnung des Gesamtbedarfs:

r

A r

d

Wird diese Gleichung nach dem Gesamtbedarfsvektor r aufgelöst, dann ergibt sich mit den folgenden Umformungen:

r A r E A r r

E

d d

A

d

Die quadratische Matrix E A heißt Technologiematrix und die Matrix V E A vij nn wird als Verflechtungsbedarfsmatrix bezeichnet. Die Verflechtungsbedarfsmatrix beschreibt die Input-Output-Beziehungen zwischen allen Erzeugnissen der Erzeugnisstruktur und beantwortet die Frage, wie viele Mengeneinheiten für ein Erzeugnis i benötigt werden, um eine Mengeneinheit des Produkts j zu produzieren. Somit gilt:

vij

k Ni

aik vkj

vii Im Gozinto-Graph der Abbildung 2-7 berechnet sich der Wert v E

vE

P

aE aE

P

vP

P

vP

P

aE

P

aE

B B

vB aB

aE

P P

vP

P P

vP aB

aE

P B

aB

B P

aB vP

P

wie folgt:

P

vP

P

aB

B

vB

P

P

129

2.3

2

Materialbedarfsplanung

Beispiel 2.4: Für den in der Abbildung 2-7 angegebenen Gozinto-Graph kann das folgende lineare Gleichungssystem zur Berechnung der Sekundärbedarfsmengen der untergeordneten Erzeugnisse B1, B2, E1, E2 und E3 aufgestellt werden: P1 B1 B2 E1 E2 E3

0 0 4 0 2 0

0 0 0 2 0 2

0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0

1 -1 -2 -5 -3 0

0 1 -4 0 -2 0

0 0 1 -2 0 -2

0 0 0 1 0 0

0 0 0 0 1 0

0 0 0 0 0 1

0 0 0 1 0 0

0 0 0 0 1 0

0 0 0 0 0 1

A=

E–A=

P1

0 1 2 5 3 0

B1 B2 E1 E2 E3

Somit gilt für die Verflechtungsbedarfsmatrix: 1 1 6 17 5 12

V=(E – A)-1 =

0 1 4 8 2 8

0 0 1 2 0 2

In der folgenden Tabelle sind die Primärbedarfe für die Erzeugnisse gegeben: Produkt i Primärbedarf d i

P1

B1

B2

E1

E2

E3

10

5

2

0

0

0

Somit können die folgenden Gesamtbedarfe berechnet werden:

r=

130

1 1 6 17 5 12

0 1 4 8 2 8

0 0 1 2 0 2

0 0 0 1 0 0

0 0 0 0 1 0

0 0 0 0 0 1

10 5 2 0 0 0

=

10 15 82 214 60 164

Programmorientierte Verfahren

Produkt i Gesamtbedarf ri

2.3.2.2

P1

B1

B2

E1

E2

E3

10

15

82

214

60

164

Gozinto-Verfahren

Für die Berechnung des Gesamtbedarfs muss die Verflechtungsbedarfsmatrix und somit die Inverse der Technologiematrix berechnet werden. Da die Berechnung der inversen Matrix für komplexe Gozinto-Graph aufwendig ist, kann mit dem GozintoVerfahren eine einfachere Berechnung des Gesamtbedarfs durchgeführt werden. Das Gozinto-Verfahren benötigt als Grundlage entweder einen zyklenfreien GozintoGraph oder eine daraus abgeleitete Gozinto-Liste. Beim Gozinto-Verfahren wird der Bedarf eines Erzeugnisses bestimmt, indem der Bruttobedarf stets von denjenigen Erzeugnissen auf untergeordnete Erzeugnisse übertragen wird, für die der Bruttobedarf bereits bekannt ist. Zu Beginn der Berechnung ist der Bruttobedarf nur für die Endprodukte bzw. für Ersatzteile von untergeordneten Erzeugnissen bekannt. Ausgehend von einem zyklenfreien Gozinto-Graph kann bei gegebenem Primärbedarf der Gesamtbedarf der untergeordneten Erzeugnisse wie folgt berechnet werden: Schritt 1)

n die Anzahl der ausgehenden Ermittle für jeden Knoten k k Pfeile ek und die Indexmenge der Vorgänger Vk Der Gesamtbedarf rk für jeden Knoten k entspricht dem gegebenen Primärbedarf d k rk

dk

und Vk . Gibt es keinen solchen Schritt 2) Wähle einen Knoten k mit ek Knoten k , dann endet das Verfahren. Andernfalls führe für alle j Vk folgende Berechnungen durch: Für einen Knoten k , der keinen Nachfolger- aber noch Vorgängerknoten besitzt, wird zunächst der Gesamtbedarf aktualisiert. Die so behandelten Vorgänger werden danach aus der Menge Vk gestrichen und der Pfeilzähler um 1 verringert.

rj

rj

ej

ej

Vk

Vk

a jk rk

(neuer Gesamtbedarf) (neuer Pfeilzähler)

j

(neue Vorgängerindexmenge)

Wiederhole Schritt 2.

131

2.3

2

Materialbedarfsplanung

Beispiel 2.5: Für den in der Abbildung 2-7 angegebenen Gozinto-Graph liegen bereits Primärbedarfe für das Enderzeugnis P1 und die Baugruppen B1 und B2 vor. Mit dem GozintoVerfahren ergibt sich für alle untergeordneten Erzeugnisse folgender Bruttobedarf: Schritt 1)

k

dk

ek

Vk

P1

10

0

B ,B ,E ,E

B1

5

1

B ,E

B2

2

2

E ,E

E1

0

2

E2

0

2

E3

0

1

Schritt 2)

k

k k

P :

B1 :

B2 :

r r r r

eB1 eB2 eE1 eE2

; ; ; ;

r r

; ;

r r

; ;

; ; ; ;

eB2 e

;

eE2 eE3

;

;

;

VP1 VP VP1 VP1

B ,E ,E E ,E E

V VB1

E

VB2 VB

E

Somit ergeben sich die folgenden Gesamtbedarfsmengen: Produkt i Gesamtbedarf ri

2.3.2.3

P1

B1

B2

E1

E2

E3

10

15

82

214

60

164

Dispositionsstufenverfahren

Aufgabe der Materialbedarfsplanung ist neben der Berechnung des Gesamtbedarfs der untergeordneten Erzeugnisse auch eine termingerechte Bereitstellung der erforderlichen Bedarfsmengen. Mit der bisher vorgestellten Verflechtungsbedarfsmatrix

132

Programmorientierte Verfahren

bzw. mit dem Gozinto-Verfahren kann der Gesamtbedarf für jedes untergeordnete Erzeugnis berechnet werden. Nachteilig ist jedoch, dass eine termingerechte Zuordnung der Bedarfe, die sich an den Erfordernissen der Fertigung orientiert, bisher nicht möglich ist. Es fehlt somit eine Angabe darüber, wann die errechneten Bedarfsmengen vorliegen müssen. Diesen Nachteil vermeidet das Dispositionsstufenverfahren, da es neben den Bedarfsmengen auch eine an der Fertigung orientierte Terminzuordnung der Bedarfe vornimmt. Ausgangspunkt im Dispositionsstufenverfahren ist eine Erzeugnisstruktur, die auf Dispositionsstufen und nicht auf Fertigungsstufen basiert85. Für einen gegebenen Planungshorizont sind die terminierten Primärbedarfe der Enderzeugnisse und evtl. auch der Ersatzteile der untergeordneten Erzeugnisse bekannt. Die Bedarfsauflösung erfolgt ausgehend von den Enderzeugnissen retrograd. Dies bedeutet, dass der Gesamtbedarf eines untergeordneten Erzeugnisses erst dann bestimmt ist, wenn in der vorliegenden Erzeugnisstruktur alle Pfeile, die von diesem Erzeugnis ausgehen, bearbeitet worden sind. Bei gegebenem Gesamtbedarf eines übergeordneten Erzeugnisses lässt sich der Sekundärbedarf der untergeordneten Erzeugnisse mittels des Direktbedarfskoeffizienten ableiten. Der Bruttobedarf pro Periode des Planungshorizonts des untergeordneten Erzeugnisses ergibt sich dann durch Addition des abgeleiteten Sekundärbedarfs mit dem zugehörigen Primärbedarf (z. B. Ersatzteilbedarf) in dieser Periode. Da für die Fertigung jedoch nicht der Brutto- sondern der Nettobedarf benötigt wird, muss vom Bruttobedarf noch der disponible Bestand86 subtrahiert werden. Die mengenmäßige Ableitung des Sekundärbedarfs aus der gegebenen Erzeugnisstruktur wird als Stücklistenauflösung bezeichnet. Bei einer mehrstufigen Produktion wird für die Fertigung bzw. die Montage der untergeordneten Erzeugnisse eine gewisse Zeitspanne benötigt. Somit müssen die für die Fertigung benötigten Materialien bzw. die für die Montage benötigten Bauteile mindestens um die Fertigungs- bzw. Montagezeit vor dem Fertigstellungszeitpunkt des übergeordneten Erzeugnisses bereitgestellt werden. Diese Zeitspanne wird als Vorlaufzeit oder Vorlaufverschiebung bezeichnet. Das ist diejenige Zeitspanne, um welche die Nettobedarfe an Materialien und Baugruppen früher ausgelöst werden müssen, damit diese rechtzeitig für die Herstellung des übergeordneten Produkts bereitstehen. Bei selbstgefertigten Erzeugnissen wird die Rüst- und Fertigungszeit herangezogen und bei eingekauften Erzeugnissen wird diejenige Zeitspanne berücksichtigt, die zur Beschaffung notwendig ist. Diese Werte werden aus den zur Verfügung stehenden Vergangenheitswerten geschätzt. Im Dispositionsstufenverfahren werden nun die Erzeugnisse beginnend mit der Dispositionsstufe 0 in aufsteigender Reihenfolge der Dispositionsnummern abgearbeitet. Unter Berücksichtigung der Direktbedarfskoeffizienten, der disponiblen Bestände (disp. B.) und der Vorlaufverschiebung erfolgt eine termingerechte Zuordnung der Nettobedarfe. Durch die Abarbeitung der Dispositionsstufen in aufsteigender Reihen85 Vgl. Kapitel 2.3.1.1. 86 Vgl. Kapitel 2.2.

133

2.3

2

Materialbedarfsplanung

folge wird gewährleistet, dass bei der Berechnung des Bedarfs eines Erzeugnisses bereits alle übergeordneten Erzeugnisse behandelt worden sind.

Beispiel 2.6: Für die in der folgenden Abbildung dargestellten Endprodukte P1 und P2 in Form von Fertigungsstufen liegen für einen Planungshorizont von fünf Wochen die folgenden Primärbedarfe, Vorlaufverschiebungen und disponiblen Bestände vor:

Primärbedarf P1 P2 B1 E3

6 30 0 10 100

Woche 8 20 40 10 0

7 10 10 20 150 P1 1 0

Vorlaufverschiebung (VLV) Disponibler Bestand (disp. B.)

P2 1 0

B1 1 50

9 0 30 20 300 B2 1 0

10 0 20 0 0 E1 1 160

E2 2 0

E3 2 600

Fertigungsstufe 0

P1

2

5

1

2

3

134

3

B2 2

E2

1

B1

E1

2

P2

E1 3

E3

3

B2 2

E2

2

E1

B2

3

E3

2

E2

3

E3

2

E3

Programmorientierte Verfahren

Mit dem Dispositionsstufenverfahren können in einer gemeinsamen Tabelle auch mehrere Enderzeugnisse gleichzeitig disponiert werden. Dazu werden die Erzeugnisbäume der beiden Endprodukte in einem gemeinsamen Gozinto-Graph mit Dispositionsstufen dargestellt.

Dispositionsstufe 0

P1

P2 2 1

1

B1

5

2

2

3

2

E1

B2

3

2

3

2

3

E2

E3

In der folgenden Tabelle werden unter Berücksichtigung der Direktbedarfskoeffizienten, der disponiblen Bestände und der Vorlaufverschiebung termingerecht die Nettobedarfe aller Erzeugnisse berechnet. Auf der Dispositionsstufe (DS) 0 werden ausgehend von den gegebenen Primärbedarfen die Nettobedarfe der Endprodukte P1 und P2 unter Berücksichtigung der entsprechenden Vorlaufverschiebung bestimmt.

135

2.3

2

Materialbedarfsplanung

1

2

3

4

Perioden 5 6

7

8

9

10

Primärbedarf Bruttobedarf (VLV=1)

0 0

0 0

0 0

0 0

0 30

30 10

10 20

20 0

0 0

0 0

Nettobedarf (disp. B.=0)

0

0

0

0

30

10

20

0

0

0

Primärbedarf Bruttobedarf (VLV=1)

0 0

0 0

0 0

0 0

0 0

0 10

10 40

40 30

30 20

20 0

Nettobedarf (disp. B.=0)

0

0

0

0

0

10

40

30

20

0

Primärbedarf Sekundärbedarf für P1 Bruttobedarf (VLV=1)

0 0 0

0 0 0

0 0 0

0 0 60

0 60 30

10 20 60

20 40 10

10 0 20

20 0 0

0 0 0

Nettobedarf (disp. B.=50)

0

0

0

10

30

60

10

20

0

0

B2 Sekundärbedarf für P1 Sekundärbedarf für P2 Sekundärbedarf für B1 Bruttobedarf (VLV=1)

0 0 0 0

0 0 0 0

0 0 0 20

0 0 20 90

30 10 20 0 30 120 60 120 20 160 160 130

0 90 40 60

0 60 0 0

0 0 0 0

Nettobedarf (disp. B.=0)

0

0

20

90

160 160 130

60

0

0

E1 Sekundärbedarf für P1 Sekundärbedarf für P2 Sekundärbedarf für B1 Bruttobedarf (VLV=1)

0 0 0 0

0 0 0 0

0 0 0 30

0 150 50 100 0 0 20 80 30 90 180 30 240 250 210 120

0 60 60 40

0 40 0 0

0 0 0 0

Nettobedarf (disp. B.=160)

0

0

0

110 250 210 120

40

0

0

E2 Sekundärbedarf für B2 Bruttobedarf (VLV=2)

0 0 40 180 320 320 260 120 40 180 320 320 260 120 0 0

0 0

0 0

Nettobedarf (disp. B.=0)

40 180 320 320 260 120

0

0

DS

Produkt

0

P1

P2

1

2

3

B1

0

0

E3 Primärbedarf Sekundärbedarf für P2 Sekundärbedarf für B2 Bruttobedarf (VLV=2)

0 0 0 0 0 100 150 0 300 0 0 0 0 0 20 80 60 40 0 0 60 270 480 480 390 180 0 60 270 480 600 620 240 340 0 0

0 0 0 0

Nettobedarf (disp. B.=600)

0

0

0

210 600 620 240 340

0

0

Auf der Dispositionsstufe 1 muss die Baugruppe B1 disponiert werden. Für B1 liegt zunächst ein Primärbedarf in Form eines Ersatzteilbedarfs vor. Der Sekundärbedarf von B1 für P1 ergibt sich, indem der Nettobedarf von P1 mit dem Direktbedarfskoeffizienten a B P multipliziert wird. Der periodengerechte Bruttobedarf resultiert, indem die Primär- und Sekundärbedarfe pro Periode addiert und um die Vorlaufver-

136

Programmorientierte Verfahren

schiebung von einer Periode nach links verschoben werden. Wird vom so ermittelten Bruttobedarf noch der disponible Bestand von 50 ME abgezogen, dann resultiert der periodengerechte Nettobedarf von B1. In den folgenden Dispositionsstufen wird analog vorgegangen. In der Tabelle ist zu beachten, dass die Bedarfswerte nach erfolgter Verschiebung anders zu interpretieren sind als die Bedarfswerte ohne Verschiebung. Die Bedarfswerte vor der Verschiebung sagen aus, dass diese Erzeugnisse in dieser Periode bereits vorhanden sein müssen, wogegen die Bedarfswerte nach der Verschiebung auf die dann notwendige Auslösung, d. h. eine Bestellung bzw. den Start der Produktion dieser Bedarfsmenge hinweisen. In der Praxis werden die Nettobedarfe der einzelnen Perioden häufig noch zu wirtschaftlichen Bestell- oder Produktionslosgrößen nach vorher festgelegten heuristischen Regeln zusammengefasst. Falls eine Berechnung wirtschaftlicher Losgrößen Lit für die Periode t vorgesehen ist, dann muss diese unmittelbar nach der Berechnung der Nettobedarfe d it der jeweiligen Erzeugnisse i erfolgen, da sie Auswirkungen auf diejenigen Erzeugnisse hat, die weiter unten in der Tabelle des Dispositionsstufenverfahrens direkte Vorgänger von Erzeugnis i sind. Für die Berechnung wirtschaftlicher Losgrößen wird auf das Kapitel 3 verwiesen. Im Rahmen des Dispositionsstufenverfahrens sollen im Folgenden einfache heuristische Losbildungsregeln behandelt werden, die häufig in der Praxis zur Anwendung kommen. Diese können sich durch Vorgaben des Lieferanten ergeben (z. B. Mindestlosgröße oder feste Losgröße) oder auch unternehmensintern verursacht werden (z. B. feste Eindeckzeit oder fester Auflagerhythmus). Folgende Regeln kommen zur Anwendung: a)

Los für Los (LfL) Bei der Regel Los für Los entspricht jeder periodenbezogene Nettobedarf d itN genau einem Los Lit , sodass keine Zusammenfassung der Bedarfe zu Losen erfolgt:

d itN

Lit b)

Feste Losgröße (FLG) Eine feste Losgröße Li wird vom Lieferanten z. B. dann vorgegeben, wenn er die Erzeugnisse i nur in festen Gebinden liefern kann. Somit können nur ganzzahlige Vielfache der festen Losgröße Li bestellt werden. Sei t die erste Periode mit Restbedarf Ri eines Erzeugnisses i , d. h.

Ri

t s

d isN

t s

Lis

,

dann muss in der Periode t der folgende Bedarf bestellt werden87:

87 Für eine reelle Zahl

x

ist

x

die kleinste ganze Zahl, die größer oder gleich

x

ist.

137

2.3

2

Materialbedarfsplanung

L c)

Ri Li

Li

it

Mindestlosgröße (MLG) Wird vom Lieferanten bzw. der Produktion eine Mindestlosgröße Li vorgegeben, dann muss in jeder Periode t das Maximum aus Mindestlosgröße Li und dem Restbedarf Ri bestellt bzw. produziert werden:

Lit d)

Li Ri

Feste Eindeckzeit (FEZ) Mit der Festlegung einer festen Eindeckzeit Di für ein Erzeugnis i wird der Bestellaufwand reduziert. Falls in einer Periode t ein Nettobedarf d itN auftritt, dann werden als Losgröße Lit die Nettobedarfe der Periode t bis einschließlich der Periode t Di addiert: t Di

Lit e)

s t

d isN

Fester Auflagerhythmus (FAR) N

Unabhängig davon, ob in der Periode t ein Nettobedarf d it für ein Erzeugnis i besteht, wird immer nach Ablauf einer festgelegten Zeitspanne Z i ein Los bestellt oder produziert. Ausgehend von einer Startperiode t wird jeweils ein Los Lit bestellt bzw. produziert, das den Umfang der Nettobedarfe bis zum Ablauf der festgelegten Zeitspanne Z i umfasst:

Lit

t Zi s t

d isN

für t

to to

Z i to

Z i to

Zi

Beispiel 2.7: Für den Gozinto-Graph im Beispiel 2.6 sollen die Nettobedarfe mit den in der folgenden Tabelle angegebenen heuristischen Losregeln zu Losgrößen zusammengefasst werden.

Heuristische Losregel

138

P1

P2

B1

B2

E1

E2

E3

LfL

LfL

LfL

MLG = 100

FEZ = 2

FAR = 2

FLG = 300

Programmorientierte Verfahren

Für das Dispositionsstufenverfahren ergeben sich unter Berücksichtigung der angegebenen heuristischen Losregeln die folgenden Nettobedarfe und Lagerbestände: Perioden DS 0

1

2

Produkt

1

2

3

4

5

6

7

8

30

10

20

0

0

10

20

0

0

0

20

0

0

0

P1 Primärbedarf

0

0

0

0

0

Bruttobedarf (VLV=1)

0

0

0

0

30

Nettobedarf (disp. B.=0)

0

0

0

0

30

10

9

10

P2 Primärbedarf

0

0

0

0

0

0

10

40

30

20

Bruttobedarf (VLV=1)

0

0

0

0

0

10

40

30

20

0

Nettobedarf (disp. B.=0)

0

0

0

0

0

10

40

30

20

0

B1 Primärbedarf

0

0

0

0

0

10

20

10

20

0

Sekundärbedarf für P1

0

0

0

0

60

20

40

0

0

0

Bruttobedarf (VLV=1)

0

0

0

60

30

60

10

20

0

0

Nettobedarf (disp. B.=50)

0

0

0

10

30

60

10

20

0

0

B2 Sekundärbedarf für P1

0

0

0

0

30

10

20

0

0

0

Sekundärbedarf für P2

0

0

0

0

0

30

120

90

60

0

Sekundärbedarf für B1

0

0

0

20

60

120

20

40

0

0

Bruttobedarf (VLV=1)

0

0

20

90

160

160

130

60

0

0

Nettobedarf (disp. B.=0)

0

0

20

90

160

160

130

60

0

0

Lose (MLG=100)

0

0

100 100 100

130

130 100

0

0

Lagerbestand

0

0

80

90

30

0

0

E1 Sekundärbedarf für P1

0

0

0

0

Sekundärbedarf für P2

0

0

0

0

0

0

40

150

50

100

0

0

0

0

20

80

60

40

0

Sekundärbedarf für B1

0

0

0

30

90

180

30

60

0

0

Bruttobedarf (VLV=1)

0

0

30

240 250

210

120

40

0

0

Nettobedarf (disp. B.=160)

0

0

0

110 250

210

120

40

0

0

Lose (FEZ=2 Perioden)

0

0

0

570

0

160

0

0

0

Lagerbestand

0

0

0

460 210

0

40

0

0

0

0

139

2.3

2

Materialbedarfsplanung

Perioden DS 3

Produkt E2 Sekundärbedarf für B2

2

0

0

3

4

5

6

7

8

260 200

9

10

200 200 200

260

0

0

Bruttobedarf (VLV=2)

200 200 200 260 260

200

0

0

0

0

Nettobedarf (disp. B.=0)

200 200 200 260 260

200

0

0

0

0

Lose (FAR=2 Perioden)

400

0

460

0

460

0

0

0

0

0

Lagerbestand

200

0

260

0

200

0

0

0

0

0

E3 Primärbedarf

0

0

0

0

0

100

150

0

300

0

Sekundärbedarf für P2

0

0

0

0

0

20

80

60

40

0

Sekundärbedarf für B2

0

0

300 300 300

390

390 300

0

0

300 300 300 510 620

360

340

0

0

0

Bruttobedarf (VLV=2)

2.3.3

1

Nettobedarf (disp. B.=600)

0

0

300 510 620

360

340

0

0

0

Lose (FLG=300)

0

0

300 600 600

300

600

0

0

0

Lagerbestand

0

0

10

270

0

0

0

0

90

70

Weiterführende Aufgaben

Zur Vertiefung des Stoffes wird auf die Aufgaben 2.2.9 – 2.2.13 mit ausführlichen Lösungen im Kapitel 2.2 im Übungsbuch Logistik (4. Auflage) verwiesen.

2.4

Verbrauchsorientierte Verfahren

Im Gegensatz zu den programmorientierten Verfahren wird bei der verbrauchsorientierten Bedarfsermittlung kein Bezug auf das kurzfristige Hauptproduktionsprogramm genommen. Stattdessen wird der zukünftige Materialbedarf auf der Grundlage von Vergangenheitsdaten prognostiziert. Eine verbrauchsorientierte Bedarfsermittlung kommt insbesondere dann zur Anwendung, wenn es sich um Materialien des Tertiärbedarfs handelt (C-Materialien) bzw. wenn die programmorientierten Verfahren nicht wirtschaftlich (z. B. bei sporadischem Ersatzteilbedarf) oder aufgrund von Unsicherheiten (z. B. nicht deterministische Liefer- oder Durchlaufzeiten, ungeplant hoher Ausschuss) nicht anwendbar sind. Verbrauchsorientierte bzw. zeitreihenanalytische Verfahren gehören zu den univariaten Verfahren, da sie für den zukünftigen Bedarf auf Basis von beobachteten Nachfragemustern aus der Vergangenheit ausschließlich die Zeit als Erklärungsvariable verwenden. Da die verbrauchsorientierten Verfahren den zukünftigen Materialbedarf prognostizieren, müssen einerseits für die zugrundeliegenden Zeitreihen ausreichend Vergangenheitswerte vorliegen und andererseits muss der Verbrauch gewissen Ge-

140

Verbrauchsorientierte Verfahren

setzmäßigkeiten unterliegen. Darüber hinaus sind vor Beginn der Prognoserechnung noch folgende Überlegungen notwendig: Zunächst erfolgt die Bestimmung der Länge des Vergangenheitszeitraums (Stützbereich), dessen Daten für die Prognose verwendet werden sollen. Ein angemessener Zeitraum hängt vom Nachfrageverhalten ab, d. h. ob beispielsweise eher die vergangenen Monate oder vielmehr der Grundtrend der letzten Jahre für die zukünftigen Bedarfe aussagekräftig sind. Wird der Zeitraum zu kurz gewählt, dann können evtl. zufällige Schwankungen das Ergebnis verfälschen, wogegen bei einem zu langen Zeitraum viele veraltete Daten in die Prognose einfließen, die den aktuellen Bedarf verzerren. Außerdem muss festgelegt werden ob die Prognose anhand von aggregierten Quartals- oder Monatsdaten oder auf der Basis von Tagesdaten erfolgen soll. Bei zu großer Periodenlänge können wichtige Schwankungen übersehen werden, wogegen bei zu kleiner Periodenlänge die Prognosen sehr oft erfolgen müssen und damit evtl. einen unangemessenen Aufwand verursachen.

Abbildung 2-10 Prognoseverfahren in Abhängigkeit des Bedarfsverlaufs

Zeitreihenanalytische Verfahren

Konstanter Bedarfsverlauf

Trendmäßiger Bedarfsverlauf

116

170

115

160

114

150

113

140

112

130

111

120

110

110

109

100

108

90

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12 13

14

15 16

17

18

19

Gleitender Durchschnitt Exponentielle Glättung erster Ordnung

116 115 114

140

113

130

112

120

111

110

110

100

109

90

108 107 106

70

60 1

170

80

70

106 105

105

60 1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12 13

14

15 16

17

18

19

Sporadischer Bedarfsverlauf

160 150

80

107

Saisonaler Bedarfsverlauf

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12 13

14

15 16

17

18

19

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13 14

15

16 17

18

19

Exponentielle Glättung zweiter Ordnung

Phasendurchschnittsmethode

Exponentielle Glättung erster Ordnung

Verfahren von Holt

Saisonbereinigung mit gleitenden Durchschnitten

Verfahren von Croston

Verfahren von Smith

Verfahren von Winters

Modifikation des Verfahrens von Croston Bootstrapping Verfahren

141

2.4

2

Materialbedarfsplanung

Aus den in der Vergangenheit beobachteten Daten muss zunächst ein Modell für die Prognose der zukünftigen Bedarfe entwickelt werden. Auf der Basis einer graphischen Darstellung der Vergangenheitswerte muss bestimmt werden, welcher Bedarfsverlauf unterstellt werden kann. Dabei lassen sich konstante, trendmäßige, saisonale und sporadische Bedarfsverläufe unterscheiden. Je nach Art des in der VergaFngenheit beobachteten Bedarfs können verschiedene zeitreihenanalytische Verfahren angewendet werden. Abbildung 2-10 zeigt in Abhängigkeit des Bedarfsverlaufs jeweils beispielhaft ausgewählte Prognoseverfahren, die in der Praxis häufig zur Anwendung kommen.

2.4.1

Kriterien zur Prognosebeurteilung

Da sich Bedarfsprognosen stets auf zukünftige Bedarfswerte beziehen, ist deren Vorhersage nicht mit Sicherheit möglich. Die auftretenden Prognosefehler können Ursache von Spezifikationsfehlern, Strukturbrüchen oder Schätzfehlern sein: Spezifikationsfehler liegen dann vor, wenn für die Prognose der zukünftigen Bedarfe ein Prognoseverfahren gewählt wird, das den tatsächlichen Verlauf der zu prognostizierenden Zeitreihe nicht widerspiegelt. Dies ist z. B. der Fall, wenn für einen saisonalen Bedarfsverlauf das Verfahren der gleitenden Durchschnitte zur Prognose gewählt wird. Zwischen dem Vergangenheitsbereich und dem zukünftigen Prognosezeitraum ist ein Strukturbruch aufgetreten, sodass sich der Bedarfsverlauf abrupt ändert. Dies kann zur Folge haben, dass die bisher gewählten Parameter im Prognosemodell verändert werden müssen oder dass sogar ein vollständig anderes Prognosemodell ausgewählt werden muss (z. B. anstelle eines konstanten Bedarfsverlaufs liegt nun ein trendmäßig steigender Bedarfsverlauf vor). In den Modellparametern treten Schätzfehler auf. Da die Modellparameter aus einem endlichen Zeitreihenausschnitt geschätzt werden, können bei falscher Wahl des Vergangenheitszeitraums die Parameterschätzwerte mit einem Stichprobenauswahlfehler behaftet sein. Für die Verfahren zur Prognose der verschiedenen Bedarfsverläufe werden die folgenden Variablen verwendet:

yt :

Beobachteter Bedarf in Periode t

yt :

Prognostizierter Bedarf in Periode t

et

yt

yt : Prognosefehler in Periode t

In der folgenden Abbildung 2-11 wird ein trendförmiger Bedarfsverlauf von 18 Periovorliegen. den dargestellt, für den die bekannten Vergangenheitsdaten yt t

142

Verbrauchsorientierte Verfahren

Die Prognosewerte yt können in ex post Prognosewerte ( t ) und in ex ante Prognosewerte ( t ) unterteilt werden. Der einfache Prognosefehler et yt yt (t ) berechnet sich aus der Differenz zwischen dem bekannten und dem prognostizierten Bedarfswert.

Abbildung 2-11 Prognose eines trendförmigen Bedarfsverlaufs Bedarfswerte

35 30 25

y3

20

e3

15 10

ŷ3

5

Zukunft

Vergangenheit

0

Zeit 0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10 11

12 13

14

15

16

17

18

19 20

Prognosezeitpunkt

Die ex post Prognosefehlermessung kann für die Beurteilung und für die Steuerung der Parameter eines ausgewählten Prognoseverfahrens herangezogen werden. Liegen z. B. nur negative Prognosefehler vor, dann erfolgt durch die Prognose eine permanente Überschätzung der gegebenen Bedarfswerte. Eine gute Prognose liegt dann vor, wenn die Prognosefehler um den Wert null schwanken. Des Weiteren werden die Prognosefehler auch für den Vergleich verschiedener Prognoseverfahren und somit für die Auswahl des „besten“ Verfahrens verwendet. Für einfache Prognosefehler, die nur für die Periode t berechnet werden, können die folgenden Fehlermaße unterschieden werden: Prognosefehler (Residuum):

et

yt

Absoluter Fehler:

et

yt

Relativer Fehler:

et yt

yt

yt yt yt yt

143

2.4

2

Materialbedarfsplanung

yt

et

Relativer absoluter Fehler:

yt

yt yt

Absolute Fehlermaße eliminieren das Vorzeichen der Prognosefehler und lassen dadurch eine Über- oder Unterschätzung des Beobachtungswertes nicht mehr erkennen. Durch die Berechnung prozentualer Fehlermaße wird der Prognosefehler auf den Beobachtungswert bezogen. Da sich einfache Fehlermaße nur auf eine beliebig ausgewählte Periode t beziehen, können mit ihnen keine Aussagen über die Qualität der Prognose im gesamten Vergangenheitszeitraum getroffen werden. Aus diesem Grund werden die einfachen Fehlermaße herangezogen, um Aussagen über die Güte der Prognose für einen Vergangenheitszeitraum P der Länge M zu beurteilen: Mittlere Abweichung:

MD

Mittlere prozentuale Abweichung:

MRD

Mittlere absolute prozentuale Abweichung:

M

yt

yt M

M M

t P

t P

M

t P

et

yt yt

t P

yt

MRAD MAD

Mittlere absolute Abweichung:

yt

t P

yt

yt yt yt

M

t P

et

Sind die Prognosefehler normalverteilt, dann gilt für den Zusammenhang zwischen der Standardabweichung e des Prognosefehlers und der MAD :

mit

e

M

t P

et

e

MAD

e

und

MAD

e

M

t P

et

MD

Mittlere quadratische Abweichung:

MSD

bzw. dessen Wurzel:

RMSD

M

t P

yt

yt

M

t P

et

MSD

Die mittlere Abweichung MD weist den Nachteil auf, dass sich positive mit negativen Abweichungen ausgleichen können und sich somit ein Wert von null auch ergeben kann, obwohl keine perfekte Prognose vorliegt (z. B. wenn bei zehn Perioden sich abwechselnd ein Prognosefehler von +5 bzw. -5 ergibt). Mit dem MD kann eine systematische Über- oder Unterschätzung von Prognosen beurteilt werden. Für zeitrei-

144

Verbrauchsorientierte Verfahren

henübergreifende Vergleiche sind jedoch nur prozentuale Fehlermaße wie die MRD und die MRAD sinnvoll. Die Fehlermaße MSD und RMSD gewichten große Abweichungen überproportional, sodass sie eine hohe Ausreißerempfindlichkeit aufweisen. Die Streuung der Prognosefehler erlaubt eine Aussage über den Sicherheitsgrad, mit dem die prognostizierten Bedarfsmengen in der Zukunft auch tatsächlich realisiert werden. Je kleiner die Streuung der Prognosefehler, desto besser liegen die prognostizierten Bedarfe in der Nähe der zukünftigen Bedarfe. Bei Unterstellung von normalverteilten Prognosefehlern gilt, dass mit 95% Wahrscheinlichkeit der tatsächliche Bedarfswert im Intervall yt e yt e liegen wird. Die bisher genannten Fehlermaße weisen keinen Bezug zu einem Referenzwert auf. Somit gilt, dass eine Prognose umso besser ist, je kleiner das entsprechende Fehlermaß ? Erst durch den Vergleich mit dem MSD ist. Aber was besagt z. B. ein MSD eines alternativen Prognoseverfahrens lässt sich auf die Güte des Verfahrens schließen. Als weitere Möglichkeit bietet sich der Vergleich der Güte eines Prognoseverfahrens mit einem Referenzverfahren an. Durch das von THEIL (1971) entwickelte Fehlermaß U wird als Referenzverfahren die Naive Prognose herangezogen:

M

U

Theil’scher Ungleichheitskoeffizient:

M

t P

t P

yt

yt

yt

yt

U wird in der Literatur oftmals als „bestes“ Fehlermaß bezeichnet, da es durch die Verwendung der quadrierten Abweichungen den meisten Prognoseverfahren entspricht, die – trotz unterschiedlicher Vorgehensweisen – auf eine Minimierung der quadratischen Prognosefehler abzielen. Durch die Bezugnahme auf die Naive Prognose im Nenner des Fehlermaßes wird sofort eine Aussage darüber ermöglicht, ob der Einsatz des zu beurteilenden Prognoseverfahrens überhaupt gerechtfertigt ist. Da sich für die Naive Prognose ein Wert U ergibt, sollte dieser Wert von dem verwendeten Prognoseverfahren unterboten werden. Ein Theil’scher Ungleichheitskoeffizient größer eins deutet auf eine schlechtere Prognosegüte hin, als mit dem Verfahren der Naiven Prognose erreicht werden kann, während eine Vorhersage im Falle von Werten kleiner eins einen Informationsgewinn gegenüber der Naiven Prognose beinhaltet. Je kleiner der Wert von U , desto besser ist die Güte der Prognose. Entsprechen die Prognosewerte yt den tatsächlich beobachteten Werten yt , so nimmt bei dieser perfekten Vorhersage der Theil’sche Ungleichheitskoeffizient den Wert null an. Neben quantitativen Fehlermaßen kann in Form von einem qualitativen Fehlermaß auch die Auszählung von Wendepunktfehlern durchgeführt werden. Ein Wendepunkt liegt vor, wenn für die Beobachtungswerte gilt:

yt

yt

und y t

yt

oder

yt

yt

und y t

yt

145

2.4

Ein Wendepunktfehler tritt auf, wenn ein Wendepunkt eingetreten aber nicht vorhergesagt wurde bzw. ein Wendepunkt prognostiziert aber nicht eingetreten ist. Mit Hilfe der folgenden Tabelle kann dann die allgemeine Wendepunktfehlerquote wie folgt berechnet werden: Wendepunktfehlerquote:

2.4.2

B C A B C

kein Fehler kein Treffer

Anzahl von Wendepunkten

vorhergesagt

nicht vorhergesagt

eingetreten

A

B

nicht eingetreten

C

D

Prognoseverfahren bei konstantem Bedarfsverlauf

Im Folgenden wird ein konstanter Bedarfsverlauf unterstellt, sodass die Zeitreihe der ). Bedarfe um ein konstantes Niveau a schwankt (vgl. Abbildung 2-12 mit a

Abbildung 2-12 Konstanter Bedarfsverlauf

116 115 114 113 Materialverbrauch

2

Materialbedarfsplanung

112 111 110 109 108 107 106 105

0

146

1

2

3

4

5

6

7

8

9 10 11 Zeitperiode

12

13

14 15

16 17 18

Verbrauchsorientierte Verfahren

Somit lässt sich die schwankende Nachfrage um ein konstantes Bedarfsniveau a durch folgendes Prognosemodell abbilden:

yt a

t

t

(2.1)

Neben dem zu schätzenden konstanten Koeffizienten a beinhaltet das Modell eine normalverteilte irreguläre Komponente t mit dem Mittelwert E t und der konstanten Varianz Var t . Die irreguläre Komponente beinhaltet diejenigen nicht erklärbaren Einflüsse, mit denen die Zeitreihe unregelmäßig um das konstante Niveau a schwankt. Da der Mittelwert der irregulären Komponente E t beträgt, gleichen sich deren Werte im Zeitablauf aus. Weiterhin wird gefordert, dass für die Kovarianz Cov t t gilt, sodass der Wert der irregulären Komponente der Periode t unabhängig vom Wert der irregulären Komponente in der Periode t ist. Die Aufgabe besteht nun darin, für die Prognosefunktion (2.1) den Parameter a durch einen Schätzwert a bestmöglich zu approximieren. Für die Berechnung des Schätzwertes a werden im Folgenden das Verfahren der ungewogenen gleitenden Durchschnitte und die exponentielle Glättung erster Ordnung vorgestellt.

2.4.2.1

Ungewogene gleitende Durchschnitte

Für die Prognose eines konstanten Bedarfsverlaufs ist gemäß dem Prognosemodell (2.1) lediglich der Parameter a zu schätzen. Somit lautet formal die Schätzfunktion für eine Periode t

yt

a

t

(2.2)

Für die Berechnung von a kann ein Rückgriff auf alle bereits bekannten Bedarfsmengen y yt erfolgen. Da sich mit zunehmender Länge der Zeitreihe das Problem ergibt, dass a nur noch sehr schwach auf Änderungen der Beobachtungswerte reagiert, werden für die Schätzung von a nur die n letzten Bedarfswerte yt n yt herangezogen. Die Schätzung von a soll bestmöglich erfolgen, sodass die Schätzwerte möglichst gut mit dem tatsächlichen Bedarfsverlauf übereinstimmen. Daraus ergibt sich die Forderung, den Prognosefehler ek yk yk für k t n t zu minimieren. Eine Möglichkeit bietet die Minimierung der Summe der quadrierten Prognosefehler. Die resultierende Zielfunktion

Z a

t k t n

ek

t k t n

yk

yk

t k t n

yk

a

a

(2.3)

beinhaltet implizit eine Gewichtung, sodass kleine Prognosefehler schwächer als große Prognosefehler gewichtet werden. Insbesondere werden Prognosefehler kleiner als 1 durch die Quadrierung geringer gewichtet. Das Minimum ergibt sich, indem die Zielfunktion (2.3) nach a abgeleitet und die erste Ableitung gleich null gesetzt wird:

147

2.4

2

Materialbedarfsplanung

t

Z a

k t n

a t

a Für die zweite Ableitung gilt Z a

yk

n

k t n

yk

, sodass ein Minimum vorliegt.

Wird a auf einen beliebigen Zeitpunkt t n bezogen, dann ergibt sich als Schätzung in Zeitreihenform ein n -periodischer ungewogener gleitender Durchschnitt:

a tn

t

n

k t n

y k = yt

t

n n

(2.4)

Wichtig für eine gute Prognose ist die richtige Festlegung des Zeitabschnitts und somit der Ordnung n für die Berechnung des ungewogenen gleitenden Durchschnitts. Je kleiner n gewählt wird, desto stärker reagiert die Prognose auf Bedarfsschwankungen. Wird dagegen n zu groß gewählt, dann werden zu viele Vergangenheitswerte in die Durchschnittsbildung einbezogen und die Prognose hinkt hinter den tatsächlichen Bedarfswerten hinterher. Aus der Prognoseformel (2.4) wird ersichtlich, dass für die Perioden t n keine Prognose und somit auch keine Prognosefehler berechnet werden können. Der für die Berechnung der Prognose notwendige Aufwand lässt sich reduzieren, da atn nicht für jede Periode vollständig neu berechnet werden muss, sondern sich durch die folgende rekursive Formel fortschreiben lässt:

atn

t

n

k t n

yk

at

yt n

yt n

n

t

n n

(2.5)

Der neue Prognosewert ergibt sich aus dem alten Prognosewert, der nur um die mit n gewichteten Randwerte aktualisiert werden muss. Ein wesentlicher Nachteil der Berechnung ungewogener gleitender Durchschnitte besteht darin, dass eine Gleichgewichtung aller Perioden erfolgt. Somit erhalten weiter zurückliegende Perioden und neuere Perioden für die Prognose jeweils die gleiche Aussagekraft.

Beispiel 2.8: Ein Getränkehandel möchte die wöchentlichen Bestellmengen für Bierkästen prognostizieren. Als Datenbasis dient die Anzahl yt der verkauften Kästen der vergangenen 12 Wochen. Für die Prognose wird das Verfahren der ungewogenen gleitenden Durchschnitte mit n gewählt.

148

Verbrauchsorientierte Verfahren

Zunächst werden die Prognosewerte mit der Formel in Zeitreihenform (2.4) berechnet:

y

; y

;

y Unter Verwendung der rekursiven Formel (2.5) gilt für y und y :

y

y

y

y

y

y

y

y

Die Bedarfswerte, Prognosewerte und Prognosefehler sind in der folgenden Tabelle gegeben.

Für die Woche t

t

yt

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

123 125 122 124 130 127 125 129 125 130 127 122

yt

et

123,33 123,67 125,33 127,00 127,33 127,00 126,33 128,00 127,33 126,33 126,33

0,67 6,33 1,67 -2,00 1,67 -2,00 3,67 -1,00 -5,33

gilt dann:

y Als konstanter Bedarf für die folgenden Wochen werden somit aufgerundet jeweils 127 Kästen prognostiziert. Die Bedarfs- und Prognosewerte sind in der folgenden Abbildung dargestellt.

149

2.4

Abbildung 2-13 Konstante Nachfrage- und Prognosewerte mit gleitendem Durchschnitt

130 Nachfrage Prognose 128 Nachfrage [ME]

2

Materialbedarfsplanung

126

124

122

120 1

2

3

4

5

6

7

8

9

10 11

12

13

14

Wochen

Die Beurteilung der Güte der Prognose erfolgt mit dem Theil’schen Ungleichheitskoeffizienten, wobei für die Fehlerberechnung bei der Naiven Prognose ebenfalls die Wochen vier bis zwölf herangezogen werden. Es ergibt sich ein Wert U , sodass der ungewogene gleitende Durchschnitt bessere Prognosen als die Naive Prognose liefert.

2.4.2.2

Exponentielle Glättung erster Ordnung

Den wesentlichen Nachteil der Gleichgewichtung aller Bedarfswerte beim ungewogenen gleitenden Durchschnitt im gewählten Zeitabschnitt mit n versucht die von BROWN (1959) entwickelte exponentielle Glättung erster Ordnung zu beheben. Dazu werden aktuellere Bedarfswerte gegenüber den weiter zurückliegenden Bedarfswerten stärker gewichtet, indem die Gewichte bei weiter zurückliegenden Bedarfswerten exponentiell abnehmen. Für das konstante Modell (2.1) wird folgende Schätzfunktion verwendet:

yt bzw.

yt

yt

yt

yt

yt

yt

mit

yt

et

mit y

(2.6)

y

(2.7)

den Glättungsparameter, d. h. denjenigen Bruchteil des PrognoDabei bezeichnet sefehlers et , der in die neue Prognose yt eingehen soll. Die Schätzfunktion (2.6) beschreibt ein gewogenes arithmetisches Mittel aus dem tatsächlichen Bedarf yt der Periode t , gewichtet mit dem Glättungsparameter , und dem für die Periode t 150

Verbrauchsorientierte Verfahren

prognostizierten Bedarf yt , der mit dem Faktor gewichtet wird. Die exponentiell abnehmende Gewichtung der weiter zurückliegenden Bedarfswerte zeigt sich, wenn die Schätzfunktion (2.6) für frühere Perioden t t aufgestellt und sukzessiv wieder in (2.6) eingesetzt wird:

yt

yt

yt

yt

yt

yt

Durch Einsetzen folgt:

yt

yt

yt

yt

yt

yt

yt

yt

t

yt

k

k

yt

t k

yt

]

yt

y

(2.8)

Aus der Schätzfunktion (2.8) wird ersichtlich, dass der erste Prognosewert y nur t erhält. noch ein sehr kleines Gewicht Eine weitere Möglichkeit zur Berechnung der Schätzfunktion (2.8) besteht in der Minimierung derjenigen Zielfunktion, die sich als Summe der exponentiell gewichteten quadrierten Prognosefehler ergibt:

Z a

t

t k

k t n

ek

t

t k

k t n

yk

a

a

(2.9)

Das Minimum ergibt sich, indem die Zielfunktion (2.9) nach a abgeleitet und die erste Ableitung gleich null gesetzt wird: t

Z a

t k

yk

k t n t

t k

k t n

t

a

k t n t

a t

yk

k t n

t k

t k

a

yk

t k

k t n

Da es sich bei dem Ausdruck im Nenner um eine geometrische Reihe mit Grenzwert n handelt, ergibt sich:

151

2.4

2

Materialbedarfsplanung

t

t k

k t n

a

n

Für die zweite Ableitung gilt Z a

, sodass ein Minimum vorliegt.

Für unendlich lange Zeitreihen (d. h. n sodass gilt: t

a

yk

) strebt das Gewicht

t k

k

k

yk

k

yt

n

k

gegen null,

(2.10)

Werden auch in der Schätzfunktion (2.8) unendlich lange Zeitreihen berücksichtigt t ), dann strebt das Gewicht gegen null und die Schätzfunktion (d. h. t stimmt mit der Formel (2.10) überein. Somit führen die sehr einfach zu handhabende Schätzfunktion (2.7) und das Minimum der Zielfunktion (2.9) zum selben Ergebnis. Im Vergleich zum ungewichteten gleitenden Durchschnitt werden beim exponentiellen Glätten erster Ordnung unterschiedliche Gewichte in Abhängigkeit vom Datenalter verwendet. Ein weiterer Vorteil ergibt sich aus der geringeren Datenmenge, da für den neuen Prognosewert nur der gewichtete Beobachtungswert der letzten Periode zum gewichteten Prognosewert der letzten Periode addiert wird. Der Einfluss früherer Perioden t t ist dabei im Prognosewert yt enthalten. Die Ordnung n beim ungewogenen gleitenden Durchschnitt besagt, wie viele Perioden in die Durchschnittsberechnung einfließen. Dagegen berücksichtigt das exponentielle Glätten erster Ordnung (vgl. Formel (2.10)) die gesamte Vergangenheit. Ein asymptotischer Zusammenhang zwischen dem ungewogenen gleitenden Durchschnitt und dem exponentiellen Glätten erster Ordnung kann über das durchschnittliche Alter der Bedarfsdaten herbeigeführt werden. Dazu wird für jeden Bedarfswert nur das Alter und das Gewicht, mit dem er in die Prognose einfließt, berücksichtigt. Für den ungewogenen gleitenden Durchschnitt mit der Schätzfunktion n

yt

ni

yt

i

gilt somit für das durchschnittliche Datenalter AGD :

AGD

n

n

n n

n

n

Wird für die exponentielle Glättung erster Ordnung mit der Schätzfunktion

yt

152

k

yt

k

Verbrauchsorientierte Verfahren

das durchschnittliche Datenalter AEG berechnet, dann gilt:

AEG

k

i

i

Somit ergibt sich durch Gleichsetzung der durchschnittlichen Datenalter:

n

n n

bzw.

n

für äquivaIn der folgenden Tabelle sind einige Beispiele des Glättungsparameters lente Ordnungen n angegeben. Hieraus folgt, dass mit zunehmender Ordnung n und somit der Einbeziehung weiterer Vergangenheitswerte der Glättungsparameter immer kleiner wird. Beim exponentiellen Glätten erster Ordnung wird somit der aktuelle Bedarfswert nur gering und die letzte Prognose hoch gewichtet.

Tabelle 2-12 Zusammenhang zwischen Ordnung n und Glättungsparameter

n

3 0,5

4 0,4

6 0,286

12 0,154

36 0,054

50 0,039

Aus der Formel (2.10) wird ersichtlich, dass der Einfluss der Bedarfswerte auf den Prognosewert mit zunehmendem Alter exponentiell abnimmt. In der folgenden Abbildung 2-14 wird in Abhängigkeit der Wahl des Glättungsparameters , und gezeigt, wie der Einfluss älterer Beobachtungen mit einem hohen Wert von schneller abnimmt. Die Bestimmung des Glättungsparameters gewinnt beim exponentiellen Glätten erster Ordnung zentrale Bedeutung. Während bei einem Glättungsparameter die letzte Prognose übernommen wird, führt ein Glättungsparameter zur Übernahme der letzten Beobachtung (Naive Prognose). Je kleiner also der Glättungsparameter gewählt wird, desto stärker wird die Zeitreihe geglättet und desto langsamer erfolgt eine Anpassung an aktuelle Bedarfswerte. Je größer der Glättungsparameter gewählt wird, desto stärker schwanken die Prognosewerte mit den jüngsten Bedarfswerten. Somit ist ein großer Wert für bei einer erwarteten grundlegenden Änderung der Zeitreihe (Strukturbruch) sinnvoll. In der Praxis haben sich für den Glättungsparameter Werte zwischen 0,1 und 0,3 als zweckmäßig erwiesen.

153

2.4

Abbildung 2-14 Zusammenhang zwischen Glättungsparameter und Datenalter

Gewicht des Beobachtungswerts

2

Materialbedarfsplanung

0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 0

1

2 3 4 5 6 7 8 9 Alter des Beobachtungswerts

10

Die Abbildung 2-15 zeigt eine Zeitreihe mit – bei sonst konstantem Verlauf – einem einmalig auftretenden Impuls in der Periode k In der folgenden Tabelle sind neben den Bedarfswerten auch die Prognosen und die resultierenden Prognosefehler für die Zeitreihe mit einem einmaligen Impuls angegeben. Es wird ersichtlich, dass der Glättungsparameter möglichst klein gewählt werden sollte, um die Prognosefehler in den Perioden k i möglichst gering zu halten.

Abbildung 2-15 Zeitreihe mit Impuls

yt

a+s a

t

154

Verbrauchsorientierte Verfahren

t

k

k

yt

a

a s

yt

a

a

et

k

k a

k i a

a

a

s

a

s

s

a

s

s

s

i

a

s

i

s

s

Die Abbildung 2-16 zeigt dagegen eine Zeitreihe mit einer Niveauänderung. Ein bisher konstanter Verlauf wird ab der Periode k auf einem höheren Niveau wiederum konstant fortgeführt.

Abbildung 2-16 Zeitreihe mit Niveauänderung

yt

a+s a

t

In der folgenden Tabelle sind neben den Bedarfswerten auch die Prognosen und die resultierenden Prognosefehler für eine Zeitreihe mit Niveauänderung angegeben. Es wird ersichtlich, dass der Glättungsparameter möglichst groß gewählt werden sollte, um die Prognosefehler in den Perioden k i möglichst gering zu halten. Mit einem großen Wert für erfolgt eine schnelle Anpassung an die veränderte Zeitreihe.

t yt

a

k a s

yt

a

a

et

k

s

k a s

a

k a s

s s

a

k i a s

s a

s s

s

a

i

j

j i

s

s

155

2.4

2

Materialbedarfsplanung

Beispiel 2.9: Um eine alternative Prognose der zu erwartenden Nachfrage nach Bierkästen zu erhalten, wird das Verfahren der exponentiellen Glättung erster Ordnung mit einem Glättungsparameter auf die Bedarfswerte des Beispiels 2.8 angewendet. Die Prognosewerte und Prognosefehler sind in der folgenden Tabelle angegeben.

t

yt

yt

et

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

123 125 122 124 130 127 125 129 125 130 127 122

123,00 123,00 123,60 123,12 123,38 125,37 125,86 125,60 126,62 126,13 127,29 127,20 125,64 125,64

0,00 2,00 -1,60 0,88 6,62 1,63 -0,86 3,40 -1,62 3,87 -0,29 -5,20

Für die einzelnen Prognosen und Prognosefehler gilt:

y

y

;

y

y

e

y

y

e

y

y

; ;

e

e

y

y

;

e

y

y

;

e

y

y

;

;

Die Beurteilung der Güte der Prognose erfolgt mit dem Theil’schen Ungleichheitskoeffizienten, wobei für die Fehlerberechnung bei der Naiven Prognose ebenfalls die Wochen zwei bis zwölf herangezogen werden. Es ergibt sich ein Wert U , sodass die exponentielle Glättung erster Ordnung bessere Prognosen als die Naive Prognose liefert. Die Bedarfswerte und die Prognosewerte sind in der folgenden Abbildung 2-17 angegeben.

156

Verbrauchsorientierte Verfahren

Abbildung 2-17 Nachfrage- und Prognosewerte mit exponentieller Glättung 1. Ordnung

130 Nachfrage Prognose

Nachfrage [ME]

128

126

124

122

120 1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

Wochen

2.4.3

Prognoseverfahren bei trendförmig ansteigendem Bedarfsverlauf

Im Folgenden wird ein trendförmiger Bedarfsverlauf, d. h eine längerfristige systematische Änderung der Bedarfswerte unterstellt, sodass die Zeitreihe der Bedarfe um einen stetig steigenden oder stetig fallenden Trend schwankt (vgl. Abbildung 2-18). Somit lässt sich die um einen steigenden oder fallenden Trend schwankende Nachfrage durch folgendes Prognosemodell abbilden:

yt a b t

t

t

(2.11)

Neben dem zu schätzenden konstanten Achsenabschnitt a und der Steigung b unterstellt das Modell eine normalverteilte irreguläre Komponente t mit dem Mittelwert E t und der konstanten Varianz Var t . Die irreguläre Komponente beinhaltet diejenigen nicht erklärbaren Einflüsse, mit denen die Zeitreihe unregelmäßig um den linearen Trendverlauf schwankt. Da der Mittelwert der irregulären Komponente E t beträgt, gleichen sich deren Werte im Zeitablauf aus. Weiterhin wird gefordert, dass für die Kovarianz Cov t t gilt, sodass der Wert der irregulären Komponente der Periode t unabhängig vom Wert der irregulären Komponente in der Periode t ist.

157

2.4

Abbildung 2-18 Trendförmiger Bedarfsverlauf

170 160 150 140 Materialverbrauch

2

Materialbedarfsplanung

130 120 110 100 90 80 70 60

0

1

2

3

4

5

6

7

8

12

9 10 11 Zeitperiode

13

14 15

16 17 18

Die Aufgabe besteht nun darin, für die Prognosefunktion (2.11) den Achsenabschnitt a und die Steigung b durch die beiden Schätzwerte a und b bestmöglich zu approximieren. Für die Berechnung der Schätzwerte a und b werden im Folgenden die exponentielle Glättung zweiter Ordnung, das Verfahren von HOLT (1957) sowie das adaptive Verfahren von SMITH (1974) vorgestellt.

2.4.3.1

Exponentielle Glättung zweiter Ordnung

Bevor das Verfahren der exponentiellen Glättung zweiter Ordnung dargestellt wird, soll im Folgenden zunächst das Fundamentaltheorem von BROWN und MEYER (1961) vorgestellt werden, mit dem eine generelle Aussage über die Möglichkeiten des exponentiellen Glättens höherer Ordnung ermöglicht wird. Ist eine Zeitreihe durch ein Polynom n -ten Grades gegeben, d. h.

yt

n k

ak t k

t

,

so lassen sich die Schätzungen für die Koeffizienten a der Glättungsfaktoren S t S t n darstellen:

158

St

yt

St

St

St

St

a n als Linearkombination

Verbrauchsorientierte Verfahren

St n Somit gilt für die Schätzer a

St n

St n

an : a

f St

St n

an

f n St

St n

Die als Linearkombinationen der Glättungsfaktoren resultierenden Schätzer besitzen des Weiteren die Eigenschaft, die Summe der exponentiell gewichteten quadrierten Prognosefehler zu minimieren. Die Anzahl der Glättungsfaktoren bestimmt die Ordnung des Verfahrens. Wird somit das Fundamentaltheorem von BROWN und MEYER auf das konstante Modell angewendet, dann wird nur der Glättungsfaktor S t verwendet und es gilt für das exponentielle Glätten erster Ordnung:

yt

a

yt

yt

St

yt

St

Im Folgenden wird die exponentielle Glättung zweiter Ordnung für Zeitreihen mit einem linearen steigenden oder fallenden Trend vorgestellt. Die zweite Ordnung folgt aus dem Fundamentaltheorem, denn es wird nun der sich aus der ersten Glättung ergebende Glättungsfaktor S t nach derselben Vorschrift nochmals zu S t geglättet. Für das trendförmige Modell (2.11) wird folgende Schätzfunktion verwendet:

yt

k

at

bt k

mit

at

a bt

(2.12)

Nach dem Fundamentaltheorem ergeben sich die Schätzer für den Achsenabschnitt at und die Steigung bt aus folgenden beiden Glättungsfaktoren:

St

yt

St

St

St St

(2.13) (2.14)

Der Glättungsfaktor S t am Ende der Periode t ergibt sich als gewogener Durchschnitt aus dem Mittelwert erster Ordnung S t am Ende der Periode t und dem Mittelwert zweiter Ordnung S t am Ende der Periode t , d. h. der Glättungsfaktor S t wird nochmals geglättet.

159

2.4

2

Materialbedarfsplanung

Für die Bestimmung der Schätzer für den Achsenabschnitt und die Steigung wird als Zielfunktion wiederum die Summe der exponentiell gewichteten quadrierten Prognosefehler über die letzten n Bedarfswerte minimiert:

Z at bt

t

t k

k t n

n

ek

k

k

et

k

(2.15)

n

t k

k

yt

at

k

bt k

at bt

Das Minimum ergibt sich, indem die partiellen Ableitungen der Zielfunktion (2.15) gleich null gesetzt werden. Anstelle der Berechnung der partiellen Ableitungen soll jedoch im Folgenden die exponentielle Glättung erster Ordnung zur Prognose auf das Trendmodell angewendet werden. Hierbei wird sich zeigen, dass ein systematischer Fehler auftritt, mit dessen Hilfe sich Schätzer für den Achsenabschnitt und die Steigung ableiten lassen werden. Berechnet man den Erwartungswert für eine Zeitreihe mit linearem Trend, dann gilt : unter Berücksichtigung von E t

E yt

Ea bt

a bt b

t

(2.16)

Unter Verwendung der exponentiellen Glättung erster Ordnung gilt mit Formel (2.10): k

yt

k

yt

k

Somit gilt für den Erwartungswert bei Unterstellung eines linearen Trends:

E yt

E St

k k k

k k k

a

a bt b

t k

a bt k

bt

k k

a bt b E yt

160

k

E a bt k

k k

E yt

b

b

k

k

k

Verbrauchsorientierte Verfahren

Bei Anwendung der exponentiellen Glättung erster Ordnung für ein Zeitreihenmodell mit linearem Trend tritt somit ein systematisches „Hinterherhinken“ um den Faktor

b

auf. Somit gilt für die Differenz der Erwartungswerte:

E yt

E St

b

,

(2.17)

d. h. für eine Zeitreihe mit linearem Trend ist der mit dem exponentiellen Glätten kleiner als erster Ordnung berechnete Mittelwert um die konstante Größe b der erwartete Bedarf in der Periode t . Wendet man nun die exponentielle Glättung erster Ordnung wiederum auf die Zeitreihe der Mittelwerte erster Ordnung an, d. h. es ergeben sich gewogene Durchschnitte von Mittelwerten erster Ordnung, dann gilt analog:

E St

a bt

b

E St

b

(2.18)

Gemäß der Formel (2.18) hinkt der Mittelwert zweiter Ordnung durchschnittlich dem Mittelwert erster Ordnung um dieselbe konstante Größe b hinterher, wie der Mittelwert erster Ordnung den Bedarfswerten hinterherhinkt. Aus dieser Systematik lässt sich nun die Steigung b wie folgt berechnen:

b

E St

E St

(2.19)

Verwendet man nun nicht die Erwartungswerte sondern stets den aktuellsten Schätzwert für die Steigung des linearen Trends, dann ergibt sich als Schätzer für bt am Ende der Periode t :

bt

St

St

(2.20)

Für die erwartete Verbrauchsmenge am Ende der Periode t gilt mit den Formeln (2.17) und (2.19):

E yt

E St

b

E St

E St

E St

E St

E St

Mit dieser Gleichung wird der erwartete Abstand der Trendgeraden von der Zeitachse am Ende der Periode t angegeben. Werden wiederum die aktuellsten Schätzwerte und nicht die Erwartungswerte verwendet, dann kann ein Schätzer für den Achsenabschnitt at am Ende der Periode t wie folgt berechnet werden:

at

St

St

(2.21)

161

2.4

2

Materialbedarfsplanung

Dieselben Schätzer für den Achsenabschnitt und die Steigung ergeben sich, wenn die partiellen Ableitungen der Zielfunktion (2.15) gleich null gesetzt werden. Da sich die Schätzer für den Achsenabschnitt und die Steigung durch Linearkombinationen der beiden Glättungsfaktoren S t und S t berechnen lassen, werden für das Verfahren der exponentiellen Glättung zweiter Ordnung somit nur die Formeln (2.13), (2.14) sowie (2.20) und (2.21) benötigt. Allerdings müssen Startwerte für die Periode t , d. h. S S a und b vorgegeben werden, da noch keine empirischen Bedarfswerte zu ihrer Berechnung vorliegen. Aufgrund der äquidistanten Abstände auf der Zeitachse lässt sich eine erste Schätzung für den Trend einfach durch die Differenz der ersten beiden Bedarfswerte angeben. Bei bekannter Steigung b kann der Startwert für den Achsenabschnitt a berechnet werden, indem vom ersten Beobachtungswert die Trendschätzung b subtrahiert wird. Somit gilt:

b

y

y

a

y

b

Aus dieser Vorgehensweise folgt sofort, dass der erste Prognosewert identisch mit dem ersten Beobachtungswert ist. Für die Startwerte der beiden Glättungsfaktoren gilt:

S

S

a

Somit folgt mit der Formel (2.20):

b

S

S S

a

a

a

S

bzw.

b

Sind die Startwerte berechnet, dann erfolgt iterativ die Anwendung der Formeln (2.13), (2.14) sowie (2.20) und (2.21) sowie der Schätzfunktion (2.12). Für den Glättungsparameter werden wiederum Werte zwischen 0,1 und 0,3 empfohlen. Bemerkungen 2.4.1: a)

Bei relativ großen Störungen in den ersten beiden Bedarfswerten y sollte der Startwert b wie folgt berechnet werden:

b

yN N

und y

y

Diese Variante reagiert auf das Vorhandensein von zufälligen Störungen deutlich weniger anfällig und weist somit ein besseres Startverhalten auf.

162

Verbrauchsorientierte Verfahren

b)

Eine exponentielle Glättung höherer Ordnung bringt nur noch marginale Genauigkeitsgewinne bei überproportional steigendem Rechenaufwand. Liegt beispielsweise ein quadratisches Zeitreihenmodell vor, d. h.

yt

a bt ct

t

t

,

dann gilt für die Prognosegleichung

yt

at

k

bt k ct k

t

k

und es müssen nach dem Fundamentaltheorem die Koeffizienten at bt ct als Linearkombination der drei Glättungsfaktoren St St und S t geschätzt werden.

Beispiel 2.10: Die Verkaufszahlen des Sondermodells für das Elektrofahrzeug „DriveEco2015“ steigen jeden Monat kontinuierlich an. Der Filialleiter des Autohauses möchte eine Prognose der folgenden Perioden ermitteln. Hierzu wird das Verfahren der exponentiellen Glättung zweiter Ordnung herangezogen, wobei als Glättungsparameter zur einfachegewählt wurde. ren Berechnung Die Bedarfswerte, Prognosewerte und die beiden Glättungsfaktoren sind in der folgenden Tabelle angegeben. Zunächst müssen die Startwerte festgelegt werden:

b

y

S

y

; â

a

y

b

; S

b

S

a

Daraus ergeben sich die Prognosen für die ersten zwei Perioden:

t

:

y

a

b

S

y

S

S

b

:

y S

S

S S

a t

y

S a

S

S b

y

S

163

2.4

2

Materialbedarfsplanung

S

S

S

b a t

:

y

a

b

usw.

t 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

yt

yt

10,00 11,00 12,00 12,00 14,00 16,00 18,00 18,00 19,00 17,00 17,00 18,00

10,00 11,00 12,00 13,00 13,00 14,75 17,00 19,31 19,56 20,23 18,09 17,29 18,01 18,20

Für die Prognose der Perioden t

y

a

y

a

at

bt

9,00 10,00 11,00 12,00 12,25 13,75 15,69 17,75 18,33 19,14 17,81 17,27 17,82

1,00 1,00 1,00 1,00 0,75 1,00 1,31 1,56 1,23 1,09 0,29 0,01 0,19

und t

St 8,00 9,00 10,00 11,00 11,50 12,75 14,38 16,19 17,09 18,05 17,52 17,26 17,63

St 7,00 8,00 9,00 10,00 10,75 11,75 13,06 14,63 15,86 16,95 17,24 17,25 17,44

gilt somit:

b

b

Die Bedarfswerte und Prognosewerte sind in Abbildung 2-19 angegeben.

164

Verbrauchsorientierte Verfahren

Abbildung 2-19 Nachfrage- und Prognosewerte mit exponentieller Glättung 2. Ordnung

22 Nachfrage

20

Prognose

Nachfragemenge [ME]

18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 1

2.4.3.2

2

3

4

5

6

7 8 Monate

9

10

11

12

13

14

Verfahren von HOLT

Beim exponentiellen Glätten zweiter Ordnung wird zur Berechnung des Achsenabherangezogen. Für eine schnitts und der Steigung derselbe Glättungsparameter flexiblere Anpassung der Prognose auf Schwankungen empfiehlt HOLT80 den Achsenabschnitt und die Steigung getrennt mit einer exponentiellen Glättung erster Ordnung und unterschiedlichen Glättungsparametern zu prognostizieren. Da stets ein periodenbezogener Achsenabschnitt at zu prognostizieren ist, wird der Achsenabschnitt der Vorperiode at um die prognostizierte Steigung der Vorperiode bt erhöht und für eine exponentielle Glättung erster Ordnung mit dem Glättungsparameter verwendet:

at

yt

at

bt

t

(2.22)

Für die Prognose der Steigung bt wird die Differenz des prognostizierten Achsenabschnitts der aktuellen Periode at sowie der Vorperiode at und der letzte Prognosewert der Steigung bt für eine exponentielle Glättung erster Ordnung mit dem Glättungsparameter herangezogen:

bt

at

at

bt

t

(2.23)

80 Vgl. HOLT (1957).

165

2.4

2

Materialbedarfsplanung

Für den Glättungsparameter werden wiederum Werte zwischen 0,1 und 0,3 empfohlen. Unterstellt man eine relativ konstante Steigung, dann sollte der Glättungsparameter klein gewählt werden. Insbesondere sollte zur Stabilität des Verfahrens der Wert von signifikant kleiner als derjenige von sein. Numerische Experimente empfehlen einen Wert für , der bei ca. 10% des Werts von liegen sollte. Die Prognose erfolgt wie bei der exponentiellen Glättung zweiter Ordnung mit folgender Schätzfunktion:

yt

at

k

bt k

(2.24)

Die Startwerte werden beim Verfahren von HOLT analog zum Verfahren der exponentiellen Glättung zweiter Ordnung mit den Formeln

b

y

y

a

y

b

vorgegeben. Im Vergleich zur exponentiellen Glättung zweiter Ordnung liefert das Verfahren von HOLT in vielen Fällen bessere Ergebnisse81.

Beispiel 2.11: Die Verkaufszahlen des Sondermodells für das Elektrofahrzeug „DriveEco2015“ aus dem Beispiel 2.10 sollen nun mit dem Verfahren von HOLT prognostiziert werden. Für die Glättungsparameter werden und gewählt. Die Bedarfswerte und Prognosewerte sind in der folgenden Tabelle angegeben. Für die Berechnung der Startwerte gilt wiederum:

b

y

y

; â

y

b

Daraus ergeben sich die Prognosen für die ersten zwei Perioden:

t

:

y a

a

b y

b t

:

y a

a

a a

a

b

b

y

81 Vgl. GARDNER (1983).

166

b

a

b

Verbrauchsorientierte Verfahren

b

a

a

b

usw. Die weiteren Werte können der folgenden Tabelle entnommen werden:

yt

yt

10 11 12 12 14 16 18 18 19 17 17 18

10,00 11,00 12,00 13,00 13,48 14,73 16,38 18,25 19,18 20,14 19,54 19,18 19,47 20,35

t 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 Für die Prognose der Perioden t

2.4.3.3

und t

y

a

b

y

a

b

at

bt

9,00 10,00 11,00 12,00 12,50 13,74 15,36 17,19 18,13 19,09 18,57 18,27 18,59

1,00 1,00 1,00 1,00 0,98 0,99 1,02 1,06 1,05 1,05 0,97 0,91 0,88

gilt somit:

Verfahren von SMITH

Ein wesentlicher Nachteil der exponentiellen Glättung ist die Verwendung eines über die Zeit konstanten Glättungsparameters Die Grundidee adaptiver Verfahren besteht in der Anpassung des Glättungsparameters während der Prognoserechnung. Dazu wird ein Fehlermaß eingeführt, sodass eine Anpassung des Glättungsparameters in Abhängigkeit dieses Fehlermaßes erfolgt. SMITH verwendet als Fehlermaß zur Anpassung des Glättungsparameters die mittlere Abweichung MD und als Normierung die mittlere absolute Abweichung MAD 82, d. h.

MDt

t

tk

ek

MADt

t

tk

ek .

82 Vgl. SMITH (1974).

167

2.4

2

Materialbedarfsplanung

Diese beiden Fehlermaße werden jedoch noch mit einer exponentiellen Glättung erster folgendermaßen geglättet: Ordnung mit einem Glättungsparameter

MDt

et

MADt

MDt et

(2.25)

MADt

(2.26)

Falls die Prognosefehler nur auf Zufallseinflüssen beruhen, dann nimmt die mittlere Abweichung MDt Werte nahe bei null an. Da sich somit die Residuen in ihrer Summe ausgleichen, scheint ein kleiner Wert des Glättungsparameters für die Prognose sinnvoll zu sein. Bei einer systematischen Über- bzw. Unterschätzung der bekannten Bedarfswerte weist die mittlere Abweichung MDt entweder einen stark negativen oder stark positiven Wert auf und stimmt mit der mittleren absoluten Abweichung MADt überein. In diesen beiden Fällen sollte eine schnelle Anpassung an die Zeitreihe erfolgen, sodass ein großer Wert für den Glättungsparameter gewählt werden sollte. Ein zulässiger Wert für den Glättungsparameter ergibt sich durch eine Division des Absolutbetrags der mittleren Abweichung MDt durch die mittlere absolute Abweichung MADt :

MDt t

MADt

Allerdings unterliegt dieser Glättungsparameter t noch starken Schwankungen, sodass SMITH eine weitere exponentielle Glättung erster Ordnung mit einem Glättungsparameter vorschlägt: t

t

t

(

)

Der resultierende Glättungsparameter t wird für eine exponentielle Glättung zweiter Ordnung verwendet. Wie aus den Formeln (2.25) und (2.26) ersichtlich ist, werden für die Periode t Startwerte benötigt. Da in der Periode t noch keine Prognose durchgeführt wurde, kann MD gesetzt werden. Als Startwerte für MAD sowie für die Glättungsparameter werden die folgenden Werte empfohlen:

MAD

;

;

;

In der Regel zeichnet sich das Verfahren von SMITH durch recht gute Dämpfungseigenschaften aus und ist dem Verfahren der exponentiellen Glättung zweiter Ordnung mit einem starren Glättungsparameter sowie dem Verfahren von HOLT überlegen.

168

Verbrauchsorientierte Verfahren

Beispiel 2.12: Die Verkaufszahlen des Sondermodells für das Elektrofahrzeug „DriveEco2015“ aus dem Beispiel 2.10 sollen nun mit dem Verfahren von SMITH prognostiziert werden. Für die Glättungsparameter werden die Werte , und gewählt sowie MD und MAD gesetzt. Die Startwerte werden aus dem Beispiel 2.10 übernommen. Die Bedarfswerte und die resultierenden Prognosewerte, Glättungsfaktoren sowie Fehlermaße sind in der folgenden Tabelle angegeben.

t 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

yt

yt

10 11 12 12 14 16 18 18 19 17 17 18

10 10,90 11,96 13,04 13,08 14,79 17,12 19,54 19,56 20,20 17,88 17,09 18,01 18,21

t

0,5 0,48 0,48 0,50 0,52 0,51 0,52 0,54 0,52 0,52 0,54 0,56 0,54

at

bt

9 9,97 10,98 12,01 12,26 13,77 15,73 17,83 18,33 19,13 17,69 17,17 17,81

1 0,93 0,98 1,03 0,82 1,03 1,39 1,71 1,23 1,07 0,19 -0,08 0,19

St 8 8,95 9,94 10,97 11,51 12,77 14,45 16,35 17,22 18,15 17,53 17,23 17,65

St

MDt

MADt

7 7,93 8,90 9,94 10,75 11,78 13,17 14,88 16,10 17,18 17,37 17,29 17,49

0 0 0,05 0,05 -0,5 0,21 0,71 0,80 -0,37 -0,47 -1,83 -1,36 -0,22

0,1 0,05 0,08 0,06 0,55 0,73 0,97 0,93 1,23 0,90 2,05 1,46 1,19

Für die ersten beiden Perioden ergeben sich die folgenden Werte:

t

:

y

y ;e

MD

e

MAD

MD e

MAD

S

y

S

S

S

MD MAD

S

169

2.4

b

S

a t

:

S

y

a

S

S b

MD

; e

e

MD

MAD

e

MAD

usw. Für die Prognose der Perioden t

y

a

b

y

a

b

und t

gilt dann:

Die Bedarfswerte und die resultierenden Prognosewerte sind in der Abbildung 2-20 angegeben.

Abbildung 2-20 Nachfrage- und Prognosewerte mit dem Verfahren von SMITH

22 Nachfrage

20

Prognose

18 Nachfragemenge [ME]

2

Materialbedarfsplanung

16 14 12 10 8 6 4 2 0 1

170

2

3

4

5

6

7 8 Monate

9

10

11

12

13

14

Verbrauchsorientierte Verfahren

2.4.4

Prognoseverfahren bei saisonal schwankendem Bedarfsverlauf

Zahlreiche Zeitreihen für Bedarfe auf Monats-, Quartals- und Halbjahresbasis weisen neben einem konstanten Verlauf bzw. Trend auch saisonale Schwankungen auf, die sich relativ gleichförmig wiederholen. Unter saisonalen Schwankungen werden regelmäßig wiederkehrende Auf- und Abwärtsbewegungen einer Zeitreihe in einem definierten Zeitintervall (z. B. Woche, Monat, Quartal, halbes Jahr oder Jahr) verstanden. Somit weisen die Zeitreihen neben einem Trend auch noch einen Saisonkoeffizienten auf. Dieser saisonale Einfluss kann einen Trend additiv oder multiplikativ überlagern. Während bei einem additiven Modell ein konstantes Saisonmuster unterstellt wird, steigen beim multiplikativen Modell die Saisonkoeffizienten mit zunehmendem Trendwert an. In der folgenden Abbildung 2-21 ist eine Zeitreihe mit einem additiven und einem multiplikativen Saisoneinfluss dargestellt.

Abbildung 2-21 Additiver bzw. multiplikativer Saisoneinfluss

additiv

160

Materialverbrauch [ME]

160

Materialverbrauch [ME]

multiplikativ

170

170

150 140 130 120 110 100

150 140 130 120 110 100

90

90

80

80

70

70 60

60 0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15 16

17

18

0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12 13

14

15

16

17

18

Zeitperiode

Zeitperiode

Somit lässt sich die um einen steigenden oder fallenden Trend additiv bzw. multiplikativ saisonal überlagerte schwankende Nachfrage durch folgendes Prognosemodell abbilden: additiv:

y t a b t st

t

t

(2.27)

t

(2.28)

bzw. multiplikativ:

yt

a b t st

t

Neben dem zu schätzenden konstanten Achsenabschnitt a , der Steigung b sowie den Saisonkoeffizienten st unterstellt das Modell eine normalverteilte irreguläre Komponente t mit dem Mittelwert E t und der konstanten Varianz Var t .

171

2.4

2

Materialbedarfsplanung

Die irreguläre Komponente beinhaltet diejenigen nicht erklärbaren Einflüsse, mit denen die Zeitreihe unregelmäßig um den linearen Trendverlauf schwankt. Da der Mittelwert der irregulären Komponente E t beträgt, gleichen sich deren Werte im Zeitablauf aus. Weiterhin wird gefordert, dass für die Kovarianz Cov t t gilt, sodass der Wert der irregulären Komponente der Periode t unabhängig vom Wert der irregulären Komponente in der Periode t ist. Für die Prognose saisonbehafteter Zeitreihen bestehen die folgenden beiden Möglichkeiten: a)

Bei einem dreistufigen Vorgehen wird für die saisonbehaftete Zeitreihe zunächst eine Saisonbereinigung durchgeführt. Die um den Saisoneinfluss bereinigte Zeitreihe enthält einen Trend, sodass im zweiten Schritt die Prognoseverfahren aus Kapitel 2.4.3 verwendet werden können. Anschließend muss den prognostizierten Bedarfen im dritten Schritt der Saisoneinfluss wieder entweder additiv oder multiplikativ hinzugefügt werden.

b)

Anstelle der dreistufigen Vorgehensweise wird ein Prognoseverfahren verwendet, das neben dem Trend auch den Saisoneinfluss prognostiziert.

Für die Verfahren zur Prognose von Zeitreihen mit einer Anzahl von n Bedarfen, die saisonale Einflüsse beinhalten, werden die folgenden Variablen verwendet:

L:

Saisonlänge

Z:

Anzahl der Zyklen mit Z

st :

Konstante Saisonkoeffizienten t

n L L

Die Saisonlänge wird durch eine graphische Abbildung der Zeitreihe bestimmt. Für die beiden Zeitreihen in der Abbildung 2-21 beträgt die Saisonlänge jeweils L Perioden, da sich das Bedarfsmuster alle sechs Perioden wiederholt. Insgesamt lassen sich somit sechs Saisonkoeffizienten bestimmen. Bei insgesamt n Bedarfswerten resultieren Z Zyklen. Üblicherweise werden die Saisonkoeffizienten st nicht für alle Perioden t n bestimmt, sondern werden für die Perioden t t L t L als identisch betrachtet. Für die Bestimmung der Saisonkoeffizienten werden im Folgenden die Phasendurchschnittsmethode und das Verfahren des zentrierten gleitenden Durchschnitts vorgestellt. Werden mit diesen Methoden die Saisonkoeffizienten bestimmt, dann kann eine Saisonbereinigung der Zeitreihe erfolgen und für die resultierende trendbehaftete Zeitreihe können die Prognoseverfahren aus Kapitel 2.4.3 zur Anwendung kommen. Für die Prognose der Trendkomponente und der Saisonkoeffizienten ohne Saisonbereinigung wird auf das Verfahren von WINTERS (1960) eingegangen.

172

Verbrauchsorientierte Verfahren

2.4.4.1

Phasendurchschnittsmethode

Ein einfaches Verfahren zur Ermittlung der Saisonkoeffizienten sowie einer saisonbereinigten Zeitreihe ist die Phasendurchschnittsmethode. Bei dieser Methode wird der Durchschnitt über diejenigen Perioden gebildet, die zur selben Saison gehören. Die Saisonkoeffizienten st t L berechnen sich, indem der Phasendurchschnitt durch den Gesamtdurchschnitt über alle Perioden dividiert (multiplikativer Saisonfluss) bzw. der Gesamtdurchschnitt vom Phasendurchschnitt subtrahiert (additiver Saisoneinfluss) wird. Die Phasendurchschnittsmethode besteht aus folgenden Schritten: Schritt 1) Berechnung des Phasendurchschnitts:

yj

Z

Z

i

yj

iL

für j

L

für j

L

für j

L

Schritt 2) Berechnung des Gesamtdurchschnitts:

y

L

L

j

yj

n

yt

nt

Schritt 3) Berechnung der Saisonkoeffizienten: multiplikativ:

sj

additiv:

sj

yj y yj

y

Schritt 4) Berechnung der saisonbereinigten Bedarfswerte: multiplikativ: additiv:

yt yt

yt st yt

für t

n

für t

n

L

st

L

Beispiel 2.13: Die Verkaufszahlen von Blumentöpfen für die letzten 18 Perioden sind in der folgenden Tabelle gegeben. Die graphische Darstellung in der folgenden Abbildung zeigt einen multiplikativen Saisoneinfluss mit Saisonlänge L sowie Z Zyklen. Es soll eine Saisonbereinigung mit der Phasendurchschnittsmethode durchgeführt werden.

173

2.4

t

yt

yj

sj

yt

1 2 3 4 5 6

3 8 10 9 8 3

9 15 18 17 15 10

0,64 1,07 1,29 1,21 1,07 0,71

4,67 7,47 7,78 7,41 7,47 4,20

7 8 9 10 11 12

10 15 17 16 13 11

15,56 14,00 13,22 13,18 12,13 15,40

13 14 15 16 17 18

14 22 27 26 24 16

21,78 20,53 21,00 21,41 22,40 22,40

33 31 29 27 25 23

Bluementopf [ME]

2

Materialbedarfsplanung

21 19 17 15 13 11 9 7 5 3 0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

Zeitperiode

174

12

13

14

15

16 17 18 19 20

Verbrauchsorientierte Verfahren

Dazu werden zunächst die Phasendurchschnitte berechnet:

y

;

y

;

y

;

y

y

;

y

;

Für den Gesamtdurchschnitt gilt y Die Saisonkoeffizienten berechnen sich bei einem multiplikativen Saisoneinfluss wie folgt:

s

;

s

s

;

s

s

;

;

s

;

Für die saisonbereinigte Zeitreihe yt gilt dann83:

y

;

; y

;

; y

Ein Nachteil der Phasendurchschnittsmethode ist, dass von streng linearen Trends ausgegangen wird. Insbesondere bei sehr starkem und nicht linearem Trend wird dieser in der Durchschnittsbildung nicht ausreichend berücksichtigt. Diesen Mangel versucht das Verfahren des zentrierten gleitenden Durchschnitts zu beheben.

2.4.4.2

Saisonbereinigung mit zentriertem gleitenden Durchschnitt

Beim Prinzip der zentrierten gleitenden Durchschnitte wird entweder eine gerade oder eine ungerade Zykluslänge unterstellt, d. h. L k bzw. L k . Die Saisonkoeffizienten werden wie folgt bestimmt: Schritt 1) Zur Isolierung der glatten Komponente der Zeitreihe wird ein zentrierter gleitender Durchschnitt g t berechnet:

L

k

gt

L

k

gt

L L

yt

yt

k

yt

k

yt

k

yt

k

yt

k

yt

k

k

yt

k

für t

k

n k

für t

k

n k

83 Die Berechnungen erfolgen auf der Basis nicht gerundeter Werte.

175

2.4

2

Materialbedarfsplanung

Schritt 2) Berechnung des Restterms rt : multiplikativ:

rt

yt gt

additiv:

rt

yt

gt

für t

k

n k

für t

k

n k

Schritt 3) Eliminierung der irregulären Komponente durch Mittelung der Restterme:

sj

Z

Z

i

rj

für j

iL

L

Schritt 4) Normierung der Saisonkoeffizienten: multiplikativ:

sj

L

sj

L j

additiv:

sj

sj

L j

sj L

L

j

L

sj

j

sj

L

sj

Schritt 5) Berechnung der saisonbereinigten Zeitreihe: multiplikativ: additiv:

yt

yt

yt st

yt

für t

k

n k

für t

k

n k

L

st

L

Liegt eine saisonbereinigte trendbehaftete Zeitreihe vor, dann kann für diese Zeitreihe yt mit den bekannten Verfahren aus Kapitel 2.4.3 eine Prognose yt durchgeführt werden.

Beispiel 2.14: Für die saisonbehaftete Zeitreihe der Verkaufszahlen für die Blumentöpfe aus Beispiel 2.13 soll eine Prognose mit dem exponentiellen Glätten zweiter Ordnung durchgeführt werden. Da die Zeitreihe einen multiplikativen Saisoneinfluss aufweist (vgl. Abbildung 2-22), wird zuerst eine Saisonbereinigung mit dem Verfahren des zentrierten gleitenden Durchschnitts durchgeführt. Gemäß Schritt 1) wird zunächst die glatte Komponente berechnet:

176

Verbrauchsorientierte Verfahren

g

g rt

sj

sj

yj

7,42 8,58 9,75

1,21 0,93 0,31

0,85 1,19 1,29 1,18 0,90 0,49

0,86 1,21 1,31 1,20 0,92 0,50

3,49 6,61 7,63 7,50 8,70 6,00

3,49 6,61 9,73 11,17 11,02 11,36

3,00 8,00 12,75 13,40 10,14 5,68

10 15 17 16 13 11

10,92 11,92 13,00 14,00 14,92 16,33

0,92 1,26 1,31 1,14 0,87 0,67

11,63 12,40 12,98 13,33 14,13 22,00

8,90 12,05 13,74 14,59 14,92 15,43

7,65 14,58 18,00 17,51 13,73 7,72

14 22 27 26 24 16

18,00 19,75 21,08

0,78 1,11 1,28

16,28 18,18 20,61 21,67 26,09 32,00

21,70 19,43 19,63 21,41 22,77 26,62 32,65 35,24

18,66 23,51 25,72 25,69 20,95 13,31 28,08 42,64

t

yt

1 2 3 4 5 6

3 8 10 9 8 3

7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

gt

yt

yt

Mithilfe der glatten Komponente wird gemäß Schritt 2) der Restterm bestimmt:

r

y g

; …; r

y g

Durch Mittelung der Restterme wird die irreguläre Komponente eliminiert:

s

;…; s

Anschließend erfolgt die Normierung der Saisonkoeffizienten: Mit j

sj

folgt s

;…; s

177

2.4

Nun kann die saisonbereinigte Zeitreihe y j berechnet werden:

y

y s

y s

; y

y s

; y

; usw.

Die resultierende saisonbereinigte Zeitreihe wird nun mit dem exponentiellen Glätten zweiter Ordnung mit prognostiziert. Die resultierenden Werte können der Tabelle entnommen werden84. Für den Achsenabschnitt und die Steigung der Periode t gilt: a ; b

Abbildung 2-22 Nachfragewerte und Prognosewerte durch Saisonbereinigung

33 31 29 27 25 23

Bluementopf [ME]

2

Materialbedarfsplanung

21 19 17 15 13 11 9 Nachfrage

7

Prognose

5 3 0

1

2

3

4

5

7

6

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17 18 19 20

Zeitperiode

Somit können die Prognosen für die Perioden t

y

a

und t

bestimmt werden:

b

84 Die Berechnungen in der Tabelle erfolgen auf der Basis nicht gerundeter Werte.

178

Verbrauchsorientierte Verfahren

y

a

b

Die saisonbehaftete Prognose yt berechnet sich durch Multiplikation der Prognosewerte der saisonbereinigten Zeitreihe yt mit dem entsprechenden Saisonkoeffizienten:

y y

y s y

;

s

;

y

y s

y

y

s

Die Bedarfswerte und die resultierenden Prognosewerte sind in der Abbildung 2-22 angegeben.

2.4.4.3

Verfahren von WINTERS

Bei dem Verfahren von WINTERS85 wird das lineare Trendmodell um einen multiplikativen oder einen additiven Saisoneinfluss erweitert. Die Prognose der Saisonkoeffizienten wird bei diesem Verfahren durch eine exponentielle Glättung erster Ordnung vorgenommen, sodass eine Saisonbereinigung nicht notwendig ist. Da die Saisonkoeffizienten st für die Perioden t t L t L als identisch betrachtet werden, lässt sich die um einen steigenden oder fallenden Trend multiplikativ bzw. additiv saisonal überlagerte schwankende Nachfrage durch folgendes Prognosemodell abbilden: multiplikativ:

yt

a b t s

yt

a b t st

t

t

L

t

(2.29)

t

(2.30)

bzw. additiv:

L

t

Im Folgenden werden die Prognosegleichungen sowie die Prognosen für den Achsenabschnitt, den Trend und die Saisonkoeffizienten jeweils für den multiplikativen und den additiven Saisoneinfluss vorgestellt. Im multiplikativen Fall gilt für die Prognosegleichung:

yt

k

at

bt k st

k L

t

L

L

k

(2.31)

Der Achsenabschnitt, der Trendanstieg sowie der Saisoneinfluss werden getrennt voneinander mit einer exponentiellen Glättung erster Ordnung prognostiziert, wobei das Verfahren von WINTERS auf dem Verfahren von HOLT aufbaut. In der Prognosegleichung (2.31) fällt auf, dass der geschätzte Saisonfaktor s um eine gesamte Saison85 Vgl. WINTERS (1960).

179

2.4

2

Materialbedarfsplanung

länge L rückdatiert wird. Diese notwendige Rückdatierung ergibt sich aus der Reihenfolge der Schätzungen für den Achsenabschnitt und den Saisoneinfluss. Im Falle eines multiplikativen Saisoneinflusses sollte yt st als Beobachtungswert verwendet werden. Aufgrund der Reihenfolge der Schätzungen für den Achsenabschnitt und den Saisoneinfluss liegt jedoch der Saisoneinfluss st für die Periode t noch nicht vor, sodass sein letzter verfügbarer prognostizierter Wert st L verwendet wird. Analog zum Verfahren von HOLT wird der Achsenabschnitt der Vorperiode at um die prognostizierte Steigung der Vorperiode bt erhöht und für eine exponentielle Glättung erster Ordnung mit dem Glättungsparameter verwendet:

yt

at

st

at

bt

L

Für die Prognose des Trendanstiegs bt wird die Differenz des prognostizierten Achsenabschnitts der aktuellen Periode at sowie der Vorperiode at und der letzte Prognosewert der Steigung bt für eine exponentielle Glättung erster Ordnung mit dem Glättungsparameter herangezogen:

bt

at

at

bt

Ebenso wird die exponentielle Glättung erster Ordnung auf die Saisonkoeffizienten übertragen. Der Quotient yt at entspricht dem von der Trendentwicklung rechnerisch bereinigten Bedarfswert, der als aktuelle Schätzung des Saisonkoeffizienten dient. Weiterhin wird die Schätzung des Saisonkoeffizienten st L für eine exponentielle Glättung erster Ordnung mit dem Glättungsparameter herangezogen:

yt at

st

st

L

Das Verfahren von WINTERS kann auch für einen additiven Saisoneinfluss verwendet werden, sodass für die Prognosegleichung gilt:

yt

k

at

bt k

st

t

k L

L

L

k

(2.32)

Im Gegensatz zur multiplikativen Saisonverknüpfung sind für die Schätzung des Achsenabschnitts sowie des Saisoneinflusses die Divisionen durch Subtraktionen zu ersetzen. Die Schätzung für den Trendanstieg bleibt unverändert, sodass folgt:

at

yt

st

st

yt

at

at

L

st

bt

L

Aufgrund der Prognosegleichungen (2.31) und (2.32) ist der Beginn der Prognose erst zum Zeitpunkt L möglich, sodass Startwerte für die Saisonkoeffizienten s sL z. B. mit der Phasendurchschnittsmethode oder mit dem Prinzip der zentrierten glei-

180

Verbrauchsorientierte Verfahren

tenden Durchschnitte zu berechnen sind. Weiterhin sind Startwerte für den Achsenabschnitt und den Trendanstieg für die additive bzw. multiplikative Saisonverknüpfung wie folgt festzulegen:

yL ; sL

aL

multiplikativ:

bL

yL y s L

bzw.

aL

additiv:

yL

sL ;

bL

yL

y L

Für die Startkonfiguration werden für die Glättungsparameter die Werte empfohlen.

Beispiel 2.15: Für die saisonbehaftete Zeitreihe der Verkaufszahlen für die Blumentöpfe aus Beispiel 2.13 soll eine Prognose mit dem Verfahren von WINTERS durchgeführt werden. Da die Zeitreihe einen multiplikativen Saisoneinfluss aufweist, wird die Prognosegleichung (2.31) zugrunde gelegt. Die Saisonkoeffizienten werden mit Hilfe des Prinzips der zentrierten gleitenden Durchschnitte berechnet und aus Beispiel 2.14 übernommen. Als Glättungsparameter werden die Werte und gewählt. Für den Beginn der Prognose in Periode t müssen zunächst noch Startwerte für den Achsenabschnitt und den Trendanstieg der Periode t berechnet werden:

y s

a

; b

Somit ergeben sich für die Perioden t

t

:

y

a

t

:

y s

b

a

y

a a

y a a

und t

y

die folgenden Werte:

b s

a

s

y s

b b

s b s

181

2.4

2

Materialbedarfsplanung

a

y s

b

a

s

a

b

a

b

y a

s

Die weiteren Werte können der folgenden Tabelle entnommen werden86:

t

yt

sj

1 2 3 4 5 6

3 8 10 9 8 3

0,86 1,21 1,31 1,20 0,92 0,50

6

1,36

7 8 9 10 11 12

10 15 17 16 13 11

8,77 11,11 12,98 14,35 15,45 18,67

13 14 15 16 17 18 19 20

14 22 27 26 24 16

18,89 19,56 20,80 22,06 24,41 27,59

Für die Prognose der Perioden t

y

a

b

y

a

b

at

und t

st

yt

1,71 1,87 1,87 1,74 1,58 1,99

0,92 1,24 1,31 1,18 0,90 0,52

6,33 12,68 17,01 17,82 14,81 8,51

1,55 1,33 1,31 1,30 1,56 1,97

0,88 1,22 1,31 1,18 0,92 0,53

18,93 25,30 27,36 26,15 21,12 13,45 26,05 38,31

bt

gilt dann:

s

s

86 Die Berechnungen in der Tabelle erfolgen auf der Basis nicht gerundeter Werte.

182

Verbrauchsorientierte Verfahren

Die Bedarfswerte und die resultierenden Prognosewerte sind in der Abbildung 2-23 angegeben.

Abbildung 2-23 Nachfragewerte und Prognosewerte mit dem Verfahren von Winters

33 31 29 27 25

Bluementopf [ME]

23 21 19 17 15 13 11 9 Nachfrage

7

Prognose

5 3 0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17 18 19 20

Zeitperiode

2.4.5

Prognoseverfahren bei sporadischem Bedarfsverlauf

Ein sporadischer Bedarfsverlauf ist dadurch gekennzeichnet, dass die Zeitreihe der Bedarfe eine nicht vernachlässigbare Anzahl von Perioden aufweist, bei denen kein Bedarf vorliegt. Solche Zeitreihen kommen häufig bei der Ersatzteilbevorratung vor. Weiterhin treten sporadische Bedarfsverläufe auch bei untergeordneten Produkten in einer mehrstufigen Erzeugnisstruktur auf, wenn die Losbildung bei übergeordneten Erzeugnissen zu einer Bündelung der Sekundärbedarfe führt. In der Abbildung 2-24 ist ein sporadischer Bedarfsverlauf dargestellt, bei dem in insgesamt elf Perioden kein Bedarf vorliegt.

183

2.4

Im Folgenden werden zur Prognose sporadischer Bedarfsverläufe das Verfahren von CROSTON (1972) und die Modifikationen von SYNTETOS/BOYLAN (2001), LEVÉN/SEGERSTEDT (2004) und SYNTETOS sowie das Bootstrapping-Verfahren von TEUNTER/DUNCAN (2009) vorgestellt.

Abbildung 2-24 Sporadischer Bedarfsverlauf

20 19 18 Materialverbrauch

2

Materialbedarfsplanung

17 16 15 14 13 12 11 10 0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14 15

16 17 18

Zeitperiode

Für die Verfahren zur Prognose sporadischer Bedarfe werden die folgenden Variablen verwendet:

pt :

Anzahl der Perioden zwischen den letzten beiden Perioden mit positivem Bedarf

pt :

Prognostizierte Anzahl der Perioden zwischen den letzten beiden Perioden mit positivem Bedarf

zt :

Prognostizierte Höhe des in Periode t auftretenden positiven Bedarfs :

184

Glättungsparameter

Verbrauchsorientierte Verfahren

2.4.5.1

Verfahren von CROSTON

Für sporadische Bedarfe entwickelte CROSTON (CR)87 ein Verfahren, das auf der exponentiellen Glättung erster Ordnung basiert und als Standardmethode für die Prognose sporadischer Bedarfsverläufe angesehen wird. CROSTON betrachtet die auftretenden Bedarfsmengen als unabhängig und identisch verteilte Zufallsvariablen einer Normalverteilung. Mit dieser Annahme kann für das Auftreten bzw. Nicht-Auftreten eines positiven Bedarfs in einer Periode ein Bernoulliprozess unterstellt werden. Die Zeitintervalle zwischen dem Auftreten von zwei aufeinanderfolgenden Bedarfsmengen folgen daher unabhängig und identisch verteilten Zufallsvariablen einer Geometrischen Verteilung. Als Voraussetzung für die Anwendung des Verfahrens von CROSTON gilt die stochastische Unabhängigkeit sowohl für aufeinander folgende Bedarfsmengen als auch für die Längen aufeinander folgender Zeitintervalle ohne Auftreten eines Bedarfs. Für die Prognose der Bedarfshöhe zt und der Anzahl der Perioden pt zwischen den letzten beiden Perioden mit positivem Bedarf schlägt CROSTON bei Vorliegen eines positiven Bedarfs yt die exponentielle Glättung erster Ordnung mit dem Glättungsparameter vor, wobei CROSTON für Werte zwischen 0,05 und 0,3 empfiehlt. Das Verfahren von CROSTON basiert auf vier Schritten und kann wie folgt formuliert werden: Schritt 1) Initialisierung: Es werden die ersten n Perioden (z. B. n n t

zn

) betrachtet. Berechne n

yt yt

t

pn

;

pt pt

Schritt 2) Prognose der Bedarfshöhe z t : Falls yt

: zt

Falls yt

: zt

yt

zt

zt

Schritt 3) Prognose des zeitlichen Abstands pt

, zu dem ein positiver Bedarf

auftritt: Falls yt

: pt

Falls yt

: pt

pt

pt

pt

87 Vgl. CROSTON (1972).

185

2.4

2

Materialbedarfsplanung

Schritt 4) Prognose des Bedarfs yt

für die Periode t

:

zt pt

yt

für alle t und das Falls in allen Perioden positive Bedarfe auftreten, dann gilt pt Verfahren von CROSTON entspricht dem Verfahren der exponentiellen Glättung erster Ordnung:

yt

zt pt

zt

zt

yt

zt

z t yt

yt

yt

Der einzige Unterschied zwischen den Prognosewerten mit dem Verfahren von CROSund der exponentiellen Glättung erster Ordnung besteht in der unterschiedlichen Berechnung der Startwerte. TON

2.4.5.2

Verfahren von SYNTETOS und BOYLAN

SYNTETOS und BOYLAN (SB)88 weisen darauf hin, dass das Verfahren von CROSTON, insbesondere für Werte von , zu einer systematischen Über- oder Unterschätzung der tatsächlichen Beobachtungswerte führt. Aufgrund dieser systematischen Verzerrung entwickelten SYNTETOS/BOYLAN89 ein modifiziertes Verfahren, das sich im Vergleich zu dem Verfahren von CROSTON nur durch einen zusätzlichen Term in Schritt 4) unterscheidet. Schritt 4) Prognose des Bedarfs yt

yt

für die Periode t

:

zt pt

Analog zum Verfahren von CROSTON erfolgt eine Aktualisierung der Prognosewerte nur bei Vorliegen eines positiven Bedarfs. Empirische Untersuchungen zeigen eine tendenzielle Verbesserung der Prognosegüte und -stabilität gegenüber dem Vorgehen von CROSTON90. Allerdings konnte auch gezeigt werden, dass das Verfahren von CROSTON bei Bedarfsverläufen mit wenigen Perioden mit Nullbedarf durchschnittlich eine geringere Verzerrung gegenüber der Modifikation von SYNTETOS/BOYLAN aufweist91.

88 Vgl. SYNTETOS/BOYLAN (2001, S. 462f). 89 Vgl. SYNTETOS/BOYLAN (2005, S. 304). 90 Vgl. SYNTETOS/BOYLAN (2005, S. 310ff). 91 Vgl. TEUNTER/ SANI (2006, S. 5).

186

Verbrauchsorientierte Verfahren

2.4.5.3

Verfahren von LEVÉN und SEGERSTEDT

Eine weitere Modifikation des Verfahrens von CROSTON wurde von LEVÉN/SEGERSTEDT (LS)92 vorgeschlagen, mit der, neben sporadisch nachgefragten Bedarfsmengen, auch regelmäßig nachgefragte Bedarfe prognostiziert werden können. Das Ziel dieses Ansatzes ist eine Beschränkung auf unbedingt notwendige Parameter, sodass eine Prognose mit wenig Aufwand möglich ist. Des Weiteren behaupten die Autoren, dass mit ihrem Verfahren auch die mögliche systematische Über- oder Unterschätzung bei dem Verfahren von CROSTON vermieden werden kann. Die vorgeschlagene Modifikation von LEVÉN/SEGERSTEDT basiert ebenfalls auf der exponentiellen Glättung erster Ordnung, allerdings wird auf eine getrennte Prognose von Bedarfshöhe und -zeitpunkt verzichtet. Nach der Initialisierung in Schritt 1) werden die Schritte 2) und 3) beim Verfahren von LEVÉN/SEGERSTEDT nicht durchgeführt und als neuer Schritt 4) wird die folgende Prognosefunktion verwendet: Schritt 4) Prognose des Bedarfs yt

yt

für die Periode t

yt pt

:

yt

Analog zum Verfahren von CROSTON erfolgt eine Aktualisierung der Prognosewerte nur bei Vorliegen eines positiven Bedarfs yt .

2.4.5.4

Verfahren von SYNTETOS

TEUNTER und SANI93 haben 2006 eine weitere Variante des Verfahrens von CROSTON vorgestellt. In einer späteren Veröffentlichung wiesen sie jedoch darauf hin, dass diese Modifikation bereits von SYNTETOS (SY) vorgeschlagen wurde, der sie dann aber nicht weiter verfolgte94. Mit dieser Variante soll die zu starke Kompensierung der positiven Verzerrung, die bei dem Verfahren von SYNTETOS/BOYLAN auftritt und zu einer negativen Verzerrung führt, vermieden werden. Auch zeigen TEUNTER und SANI95, dass die Modifikation von LEVÉN/SEGERSTEDT – entgegen deren Behauptung – ebenfalls eine Verzerrung aufweist, die sogar schwerwiegender als die der anderen Verfahren ist. Zur Vermeidung dieser starken Kompensierung wird ein dämpfender Effekt auf die Verzerrung eingeführt. Die Vorgehensweise des Verfahrens von CROSTON mit einer getrennten Prognose für die Bedarfshöhe und den Bedarfszeitpunkt wird beibehalten. In Schritt 4) wird zur Dämpfung der Verzerrung folgende Prognosefunktion verwendet:

92 Vgl. LEVÉN/SEGERSTEDT (2004). 93 Vgl. TEUNTER/ SANI (2006, S. 5f). 94 Vgl. TEUNTER/ SANI (2009). 95 Vgl. TEUNTER/ SANI (2009, S. 180f).

187

2.4

2

Materialbedarfsplanung

Schritt 4) Prognose des Bedarfs yt

für die Periode t

:

zt

yt pt

Analog zum Verfahren von CROSTON erfolgt eine Aktualisierung der Prognosewerte nur bei Vorliegen eines positiven Bedarfs yt .

2.4.5.5

Bootstrapping-Verfahren

Eine weitere Methode zur Prognose zukünftiger Bedarfe stellen Bootstrapping-Verfahren dar, mit denen statistische Größen wie z. B. der Mittelwert oder die Varianz direkt aus den bisherigen Bedarfswerten abgeleitet werden können. Insbesondere kann auch der Bedarf des jeweiligen Ersatzteils geschätzt werden, der beim Hersteller während seiner eigenen Wiederbeschaffungszeit auftritt. Bootstrapping-Verfahren bieten sich vor allem dann an, wenn Vergangenheitswerte nur in geringem Umfang zur Verfügung stehen. Dazu werden die bisher aufgetretenen Bedarfswerte als Stichprobe betrachtet, aus der die Verteilungsfunktion für den Bedarfsverlauf geschätzt wird96. Für eine verlässliche Schätzung der Verteilung der Bedarfswerte während der Wiederbeschaffungszeit werden wiederholt Stichproben mit Zurücklegen erhoben, wobei die Stichprobenanzahl mindestens 1.000 betragen soll. Im Folgenden wird das Bootstrapping-Verfahren von TEUNTER und DUNCAN vorgestellt97. Bei diesem Verfahren zur Prognose des Bedarfsverlaufs während der Wiederbeschaffungszeit ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines positiven Bedarfs dabei unabhängig vom Bedarf in der vorangegangenen Periode, sodass eine gegebenenfalls vorhandene Autokorrelation vernachlässigt wird. TEUNTER und DUNCAN haben die Qualität verschiedener Prognoseverfahren für sporadische Bedarfsverläufe anhand von Ersatzteilbedarfsmengen der UK Royal Air Force verglichen. Dafür haben sie die Verteilung der Ersatzteilbedarfe in der Wiederbeschaffungszeit zunächst durch 10.000-faches „Ziehen mit Zurücklegen“ aus den Bedarfsmengen während der Wiederbeschaffungszeit in der Vergangenheit geschätzt. Die Zahl von 10.000 begründen die Autoren dabei pauschal durch eine sich dadurch einstellende Konstanz der Prognoseergebnisse.

96 Vgl. REIMER (2009, S. 528). 97 Vgl. TEUNTER/DUNCAN (2009).

188

Verbrauchsorientierte Verfahren

Beispiel 2.16: Für den sporadischen Bedarfsverlauf des elektronischen Steuergerätes in der folgenden Tabelle 2-13 wird eine Bedarfsprognose mit dem Verfahren von CROSTON und geseinen Modifikationen durchgeführt. Für den Glättungsparameter wird wählt. Zunächst erfolgt im ersten Schritt die Initialisierung der Bedarfshöhe und des die ersten vier Perioden herangezogen Bedarfszeitpunkts, wobei hierfür mit n werden:

Schritt 1) z

t

yt und

p

t

pt

Da das Verfahren von LEVÉN/SEGERSTEDT (LS) für die Prognose von yt sewert aus der Vorperiode yt benötigt, wird für y die Prognose beginnt somit in Periode t die verschiedenen Verfahren: CR

y

t

yt

gesetzt und

. Für die Prognose in t

SB

LS

y

y

den Progno-

gilt dann für

SY y

Da in den Perioden t bis t positive Bedarfe vorliegen, erfolgt jeweils eine Aktualisierung der Prognosewerte. Beispielsweise gilt für die Periode t : CR: z

; p

; y

SB: y LS: y SY: y

liegt jeweils ein Nullbedarf vor, sodass keine Aktualisierung In den Perioden t der Prognosewerte erfolgt und es werden in den Perioden t die Prognosewerte aus der Periode t übernommen. Für die verschiedenen Verfahren sind die Prognosewerte für den Ersatzteilbedarf in der Tabelle 2-13 angegeben.

189

2.4

2

Materialbedarfsplanung

Tabelle 2-13 Prognose mit dem Verfahren von CROSTON und dessen Modifikationen Periode

t 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43

190

Bedarfshöhe beob. prog. yt zt 1 1 0 5 5 1 8 3 0 0 1 2 0 3 0 0 0 3 3 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 6 0 0 0 0 3 4 0 0 0 0 … …

2,33 2,60 2,44 3,00 3,00 3,00 3,00 2,80 2,72 2,72 2,75 2,75 2,75 2,75 2,77 2,79 2,79 2,79 2,79 2,79 2,79 2,79 2,79 2,79 2,79 2,79 2,79 3,11 3,11 3,11 3,11 3,11 3,10 3,19 3,19 3,19 3,19 3,19 3,19

Bedarfsabstand beob. prog. pt pt 1 1 2 1 1 1 1

3 1 2

4 1

12

5 1

… ... ...

1,33 1,30 1,27 1,24 1,22 1,22 1,22 1,40 1,36 1,36 1,42 1,42 1,42 1,42 1,68 1,61 1,61 1,61 1,61 1,61 1,61 1,61 1,61 1,61 1,61 1,61 1,61 2,65 2,65 2,65 2,65 2,65 2,89 2,70 2,70 2,70 2,70 2,70 2,70

Prognostizierter Bedarf CR SB LS SY yt yt yt yt

1,75 2,00 1,92 2,41 2,46 2,46 2,46 2,00 2,00 2,00 1,93 1,93 1,93 1,93 1,65 1,73 1,73 1,73 1,73 1,73 1,73 1,73 1,73 1,73 1,73 1,73 1,73 1,18 1,18 1,18 1,18 1,18 1,08 1,18 1,18 1,18 1,18 1,18 1,18

1,66 1,90 1,83 2,29 2,34 2,34 2,34 1,90 1,90 1,90 1,83 1,83 1,83 1,83 1,57 1,65 1,65 1,65 1,65 1,65 1,65 1,65 1,65 1,65 1,65 1,65 1,65 1,12 1,12 1,12 1,12 1,12 1,02 1,12 1,12 1,12 1,12 1,12 1,12

2,33 2,60 2,44 3,00 3,00 3,00 3,00 2,73 2,66 2,66 2,54 2,54 2,54 2,54 2,36 2,42 2,42 2,42 2,42 2,42 2,42 2,42 2,42 2,42 2,42 2,42 2,42 2,23 2,23 2,23 2,23 2,23 2,07 2,26 2,26 2,26 2,26 2,26 2,26

1,73 1,98 1,90 2,39 2,44 2,44 2,44 1,97 1,97 1,97 1,90 1,90 1,90 1,90 1,62 1,70 1,70 1,70 1,70 1,70 1,70 1,70 1,70 1,70 1,70 1,70 1,70 1,14 1,14 1,14 1,14 1,14 1,04 1,15 1,15 1,15 1,15 1,15 1,15

Verbrauchsorientierte Verfahren

Basierend auf den Daten in Tabelle 2-13 wird im Folgenden das BootstrappingVerfahren von TEUNTER/DUNCAN angewendet. Durch 10.000-faches Ziehen mit Zurücklegen wird die Verteilung des Ersatzteilbedarfs während der Wiederbeschaffungszeit von zwei Perioden geschätzt. Daher werden je Wiederbeschaffungszeit zwei Bedarfsmengen „gezogen“, um eine Verteilung zu erhalten, die auf den Beobachtungswerten basiert. In der Tabelle 2-14 ist die resultierende Häufigkeitsverteilung angegeben. In 51,48 % der Fälle tritt während der Wiederbeschaffungszeit eine Nachfrage nach dem elektronischen Steuergerät von kleiner zwei Stück auf. Mit Hilfe der Daten kann nun der Erwartungswert der Nachfrage während der Wiederbeschaffungszeit von zwei Perioden wie folgt berechnet werden:

E y Der durchschnittliche Periodenbedarf beträgt somit 2,3917/2 = 1,19585 Stück. Werden die zur Verfügung stehenden Vergangenheitswerte der 41 Perioden als Grundlage genommen, dann erhält man einen durchschnittlichen Periodenbedarf von 1,19512 Stück. Bei diesem Verfahren ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines positiven Bedarfs dabei unabhängig vom Bedarf in der vorangegangenen Periode, sodass eine gegebenenfalls vorhandene Autokorrelation vernachlässigt wird. Tabelle 2-14 Häufigkeitsverteilung beim Bootstrapping-Verfahren von TEUNTER/DUNCAN Bedarf während der Wiederbeschaffung 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 Summe

Beobachtete Häufigkeit 4.366 782 477 1.554 615 704 564 154 434 154 50 92 12 33 5 0 4 10.000

Prozentuale Häufigkeit 43,66% 7,82% 4,77% 15,54% 6,15% 7,04% 5,64% 1,54% 4,34% 1,54% 0,50% 0,92% 0,12% 0,33% 0,05% 0,00% 0,04% 100%

Kumulierter Anteil 43,66% 51,48% 56,25% 71,79% 77,94% 84,98% 90,62% 92,16% 96,50% 98,04% 98,54% 99,46% 99,58% 99,91% 99,96% 99,96% 100,00% 100,00%

191

2.4

2

Materialbedarfsplanung

2.4.6

Weiterführende Aufgaben

Zur Vertiefung des Stoffes wird auf die Aufgaben 2.2.2 – 2.2.8 mit ausführlichen Lösungen im Kapitel 2.2 im Übungsbuch Logistik (4. Auflage) verwiesen.

2.5

Literaturhinweise

Arnolds, H; Heege, F.; Tussing, W. (1998): Materialwirtschaft und Einkauf, 10. Auflage, Gabler. Bichler, K.; Krohn, R.; Riedel, G.; Schöppach, F. (2010): Beschaffungs- und Lagerwirtschaft: Praxisorientierte Darstellung der Grundlagen, Technologien und Verfahren, 9. Auflage, Springer Gabler. Brown, R. G. (1959): Statistical Forecasting for Inventory Control, McGraw-Hill. Brown, R. G.; Meyer, R.F. (1961): The Fundamental Theorem of Exponential Smoothing, Operations Research, Vol. 9, No. 5, S. 673-687. Croston, J. D. (1972): Forecasting and Stock Control for Intermittent Demand, Operational Research Quarterly, Vol. 23, No. 3, S. 289-303. Gardner, E. (1983): The Trade-offs in Choosing a Time Series Method, Journal of forecasting, Vol. 2, No. 3 , S. 263-267. Hartmann, H. (2002): Materialwirtschaft, 8. Auflage, Deutscher BetriebswirteVerlag. Holt, C. (1957): Forecasting Seasonals and Trends by Exponentially Weighted Moving Averages, Office of Naval Research Memorandum, No. 52, Carnegy Institute of Technology, Pittsburgh. Kraljic, P. (1985): Versorgungsmanagement statt Einkauf, Harvard manager, Heft 1, S. 6-14. Lasch, R.; Janker, C. (2017): Übungsbuch Logistik – Aufgaben und Lösungen zur quantitativen Planung in Beschaffung, Produktion und Distribution, 4. Auflage, Springer Gabler. Levén, E.; Segerstedt, A. (2004): Inventory Control with a Modified Croston Procedure and Erlang Distribution, International Journal of Production Economics, Vol. 90, No. 3, S. 361-367. Reimer, K. (2009): Bootstrapping und andere Resampling-Methoden, in: Albers et al. (Hrsg.): Methodik der empirischen Forschung, 3. Auflage, Gabler, S. 521-536. Schulte, G. (2001): Material- und Logistikmanagement, 2. Auflage, Oldenbourg.

192

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193

2.5

3

Lagerhaltung

Die primäre Aufgabe der Lagerhaltung besteht im zeitlichen und mengenmäßigen Ausgleich zwischen der Bereitstellung und dem Bedarf von Erzeugnissen. Nachdem im Rahmen der Materialbedarfsplanung der Materialbedarf für die zukünftigen Perioden ermittelt wurde, wird im Rahmen der Lagerhaltung bestimmt, wann und wie viel bestellt werden soll. Bei der Bestimmung optimaler Bestellpolitiken geht es um die Berechnung optimaler Bestellzeitpunkte und optimaler Bestellmengen. Als Entscheidungskriterium für die Bestimmung optimaler Bestellpolitiken werden die Kosten herangezogen. Sowohl die Bearbeitung einer Bestellung als auch die Lagerung der Materialien verursachen Kosten, sodass sehr häufige Bestellungen kleiner Mengen, aber auch übergroße Bestellungen auf Lager unwirtschaftlich sein können. Für die Lagerhaltung werden deterministische und stochastische Lagerhaltungsmodelle unterschieden. Im Rahmen der deterministischen Lagerhaltung werden statische Modelle, die in jeder Zeiteinheit konstante Lagerabgangsraten aufweisen, und dynamische Modelle mit zeitlich unterschiedlichen Lagerabgangsraten angewendet. Die stochastischen Lagerhaltungsmodelle untersuchen dagegen Zeitpunkte und Lagerauffüllpolitiken bei zufällig verteilten Lagerabgangsraten. Somit kommen deterministische Lagerhaltungsmodelle dann zum Einsatz, wenn eine programmorientierte (deterministische) Materialbedarfsplanung vorliegt. Stochastische Lagerhaltungsmodelle sind dagegen bei einer verbrauchsorientierten (stochastischen) Materialbedarfsplanung anzuwenden.

Lernziele: Gesamtkosten, bestehend aus Bestellkosten, Lagerkosten und Fehlmengenkosten Optimale Bestellmenge und optimaler Bestellzyklus Berücksichtigung von Mengenrabatten und Preiserhöhungen Das statische Economic Order Quantity-Lagerhaltungsmodell Das dynamische Lagerhaltungsmodell von WAGNER und WHITIN Festlegung von Servicegrad und Sicherheitsbestand Anwendung von Bestellpunkt- und Bestellrhythmusverfahren

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 R. Lasch, Strategisches und operatives Logistikmanagement:Beschaffung

195

3

Lagerhaltung

3.1

Deterministische Lagerhaltungsmodelle

Die deterministischen Lagerhaltungsmodelle gehen von Planungssicherheiten aus, d. h. die Bedarfsmengen der Kunden und die Wiederbeschaffungszeiten sind bekannt. Während statische Lagerhaltungsmodelle einen konstanten Bedarf pro Zeiteinheit unterstellen, berücksichtigen dynamische Modelle einen im Zeitablauf veränderlichen Bedarf.

3.1.1

Statische Lagerhaltungsmodelle

Die statischen Lagerhaltungsmodelle unterstellen die Lagerung eines Gutes während eines unbegrenzten Planungszeitraums. Die Nachfrage d in Mengeneinheiten (ME) pro Zeiteinheit (ZE) wird als bekannt und konstant vorausgesetzt. Jeder Bedarf soll sofort vom Lager bedient werden, wobei im Folgenden zwischen einem Losgrößenmodell mit Fehlmengen und einem Losgrößenmodell ohne Fehlmengen unterschieden wird. Die Wiederbeschaffungszeit betrage Zeiteinheiten (ZE) und das Lager wird auf eine Auffüllgrenze S , gegeben in Mengeneinheiten (ME), aufgefüllt. Die Wiederbeschaffungszeit umfasst die Zeit für die Meldung an den Einkauf, die Zeit für den Bestellvorgang im Einkauf, die Lieferzeit des Lieferanten sowie die Zeit für die Warenannahme und Einlagerung. Die Gesamtkosten setzen sich aus den fixen und variablen Bestellkosten, den Lagerungskosten und den Fehlmengenkosten zusammen. Unter einem Bestellzyklus T wird die Zeitspanne zwischen dem Beginn von zwei aufeinanderfolgenden Bestellungen und unter einem Lieferzyklus LZ die Zeitspanne zwischen dem Eintreffen von zwei aufeinanderfolgenden Lieferungen verstanden. Ist die Wiederbeschaffungszeit gleich null, dann sind Bestellzyklus und Lieferzyklus identisch. Gesucht ist die optimale Bestellmenge q in Mengeneinheiten, sodass die Gesamtkosten pro Zeiteinheit minimiert werden. Die fixen Bestellkosten bzw. Bestellabwicklungskosten c (in €) sind von der Bestellmenge q unabhängig und umfassen die Kosten für die Beschaffungsmarktforschung, Lieferantenauswahl, Materialdisposition, Wareneingangsprüfung, anteilsmäßige Einlagerung, administrative Abwicklung einschließlich Prüfvorgänge und für den internen Transport. Es handelt sich somit um Personal- und Sachmittelkosten für planende, ausführende sowie administrative Tätigkeiten. Legt man eine Prozesskostenrechnung zugrunde, dann betragen die fixen Bestellkosten in der Praxis zwischen 75 € und 150 € je Bestellvorgang. Die variablen Bestellkosten c B q sind proportional zur Bestellmenge q zu bestimmen und umfassen in der Variablen c B den Einstandspreis je gelieferter Menge, d. h. den Einkaufspreis, die Transport- und Versicherungskosten sowie die Zollkosten. Die fixen und variablen Bestellkosten werden im Folgenden als Bestellkosten c c B q (in €) bezeichnet.

196

Deterministische Lagerhaltungsmodelle

Die Lagerkosten sind proportional zur gelagerten Menge und werden mit Hilfe eines Lagerhaltungskostensatzes c L (in €) pro Mengeneinheit und Zeiteinheit verrechnet. Dieser Lagerhaltungskostensatz setzt sich aus den Kapitalbindungskosten und den Lagerungskosten zusammen. Die Kapitalbindungskosten als Hauptbestandteil der Lagerkosten beinhalten die Kosten für die Finanzierung der Lagerbestände und werden durch Multiplikation des Einstandspreises mit einem kalkulatorischen, risikoadäquaten Zinssatz berechnet. In die Kapitalbindungskosten können auch kalkulatorische Kosten für Schwund im Lager mit eingerechnet werden. Die Lagerungskosten umfassen alle Kosten, die durch die Lagerung der Güter entstehen. Dazu gehören die Kosten für die Bereitstellung des Lagerraums, der Lagerflächen, der Lagertechnik sowie die Kosten für Energie, Versicherungen und die Sonderbehandlung der Lagergüter. Des Weiteren gehören zu den Lagerkosten die Personal- und Sachmittelkosten (z. B. ITKosten), die für die Ein-, Aus- und Umlagerung sowie für die Registrierung der Ware anfallen. In der Praxis beträgt der Lagerhaltungskostensatz zwischen 16% und 26% bezogen auf den jeweiligen mittleren Lagerbestand. Fehlmengenkosten entstehen, wenn eine Bedarfsanforderung nicht erfüllt werden kann. Werden Fehlmengen zugelassen, dann wird danach differenziert, ob die nicht zu befriedigende Bedarfsanforderung vorgemerkt und nachträglich bereitgestellt wird (Vormerkung bzw. backorder) oder ob die entsprechende Nachfrage verloren geht (Verlust bzw. lost sales). In der folgenden Abbildung 3-1 sind die zu berücksichtigenden Fehlmengenkosten für den Vormerk-Fall bzw. Verlust-Fall enthalten.

Abbildung 3-1 Mögliche Kundenreaktionen auf Fehlmengen

Vormerk-Fall: Kunde wartet

Fehlmenge zum Zeitpunkt t1

Verlust-Fall: Kunde wartet nicht

Nachlieferung durch Lagerergänzungsbestellung

Fehlmengenkosten durch Konventionalstrafen oder Goodwill-Verluste

Nachlieferung durch zusätzlliche Eilbestellung

Fehlmengenkosten in Höhe des zusätzlichen Aufwands und Konventionalstrafen oder Goodwill-Verluste

Kunde kauft ab Zeitpunkt t2 wie bisher

Fehlmengenkosten in Höhe der entgangenen Deckungsbeiträge in t1

Kunde kauft ab Zeitpunkt t2 weniger als bisher

Fehlmengenkosten in Höhe der entgangenen Deckungsbeiträge in t1 und ab t2

Kunde kauft ab Zeitpunkt t2 nicht mehr

Fehlmengenkosten in Höhe der entgangenen Deckungsbeiträge in t1 und aller weiteren Kundenumsätze

197

3.1

3

Lagerhaltung

Im Fall einer Vormerkung wird unterschieden, ob der Kunde bis zur nächsten regulären Bestellung wartet oder ob er eine Eillieferung möchte. Die für diese beiden Fälle anfallenden Fehlmengenkosten können in der Praxis ohne größere Probleme bestimmt werden. Im Verlust-Fall muss für jeden Kunden antizipiert werden, ob er ab dem nächsten Bestellzeitpunkt t wie bisher bestellt oder ob er weniger bestellt bzw. gar nicht mehr bestellt. Da diese sehr unsichere Einschätzung für jeden Kunden vorgenommen werden muss, können die entstehenden Fehlmengenkosten in der Praxis nur sehr vage bestimmt werden. Der bei den statischen Lagerhaltungsmodellen gegebene und konstante Bedarf d kann entweder durch viele kleine Bestellmengen oder durch wenige große Bestellmengen gedeckt werden. Werden viele (wenige) Bestellungen auf der Grundlage kleiner (großer) Bestellmengen durchgeführt, dann fallen hohe (geringe) fixe Bestellkosten und geringe (hohe) Lagerkosten an. Um minimale Gesamtkosten zu erreichen, muss durch die optimale Bestellmenge q ein Ausgleich zwischen diesen entgegengesetzt verlaufenden fixen Bestellkosten und Lagerkosten erreicht werden.

3.1.1.1

Losgrößenmodell mit Fehlmengen

Zunächst wird im Folgenden ein statisches Lagerhaltungsmodell unter Berücksichtigung von Fehlmengen98 betrachtet. Werden Fehlmengen zugelassen und vorgemerkt, dann ist bei Eintreffen einer Lieferung der Lagerbestand nicht gleich null, sondern gleich dem negativen Lagerbestand F . Die weitere Planungssituation ist durch die folgenden Prämissen gekennzeichnet: Der Bedarf d (ME/ZE) ist konstant, sodass der Lagerabgang kontinuierlich und linear im Zeitablauf erfolgt. Durch den konstanten Bedarf ist auch der Gesamtbedarf innerhalb eines definierten Planungszeitraums konstant. Der Lagerbestand ist am Beginn und Ende des Planungszeitraums gleich null. Das Lager wird ohne Zeitverzug bei Erreichen der Fehlmenge F auf die Auffüllgrenze S aufgefüllt und es bestehen keine Engpässe bei den Lagerkapazitäten. Die Bestellmenge q ist im Fall mehrfacher Bestellungen innerhalb des Planungszeitraums konstant. Jeder Bestellvorgang verursacht losfixe Bestellkosten. In der deterministischen Lagerhaltung mit konstantem Bedarf d (ME/ZE) bestimmt man den optimalen Bestellzyklus T (ZE) und die optimale Bestellmenge q (ME) derart, dass die durchschnittlichen Gesamtkosten K pro Zeiteinheit minimiert werden. ZE unterstellt, sodass der Im Folgenden wird eine Wiederbeschaffungszeit von Bestell- und der Lieferzyklus identisch sind. Nach Eintreffen der Bestellmenge

98 Vgl. HADLEY/WHITIN (1963, S. 42ff).

198

Deterministische Lagerhaltungsmodelle

q

S

F wird der Lagerbestand auf die Lagerauffüllgrenze S aufgefüllt und an-

schließend wieder mit dem konstanten Bedarf d linear abgebaut. Der Bestellzyklus T q d unterteilt sich in eine Zeitspanne der Länge T S d mit nichtnegativem Lagerbestand und in eine Zeitspanne T F d mit negativem Lagerbestand (vgl. Abbildung 3-2). Die Gesamtkostenfunktion setzt sich aus der Bestellkostenfunktion

K BK

c B q , der Lagerkostenfunktion K LK

c

tenfunktion K FK

cF

F

cL

S

T und der Fehlmengenkos-

T zusammen.

Abbildung 3-2 Losgrößenmodell mit Fehlmengen

Lagerbestand

Losgröße q

S

d

T‘ -F

T‘‘ Zeit

2T

T

Die Zielsetzung besteht in der Bestimmung der optimalen Bestellmenge q und der optimalen Lagerauffüllgrenze S , sodass die durchschnittlichen Gesamtkosten pro Zeiteinheit minimiert werden:

Minimiere K q S

T

(Bestellkosten + Lagerkosten + Fehlmengenkosten)

T

co cB q cL

S

T

cF

F

T

199

3.1

3

Lagerhaltung

T

T S d T F d

T q d

co cB q cL

co d q

cB d

cL

S d

S

cF

cF

q

F d

F q

(3.1)

Die Gesamtkostenfunktion K q S ist konvex und differenzierbar für q und S q . Die optimale Bestellmenge q und Lagerauffüllgröße S ergeben sich somit durch Nullsetzen der ersten partiellen Ableitungen:

c d

K qS q

q

c d cL S

q

q S

cF q

q S

q

q S

S cL q

S

cF

cF cF q

q

S q

falls q

S

falls q

S

S

c d cL S co d

c L cF S

bzw.

K qS S

q

q S

cL

q S

S

q S

S cL q

cF

200

S

falls q

S

cL S c F q S cF S cF cL

cF

cF q q

(3.2)

Setzt man (3.2) in q

q

q S q

falls q

cd cF

cL

cF

cF cF

co d

cF cL cF

cL

q

cF S

cd cF

ein, dann gilt:

cF cL

cF

q

Deterministische Lagerhaltungsmodelle

q

cF cL

cF

q

cd cF

cL cL

cF

Für die optimale Bestellmenge q und die optimale Lagerauffüllgrenze S somit mit (3.2):

q

co d cL

S

co d cL

cL

cF

(3.3)

cF cF cL

gelten

(3.4)

cF

Der Wurzelausdruck cL cF c F ist stets größer als 1 und der Wurzelausdruck cF cL cF ist stets kleiner als 1, sodass wie gefordert q S folgt. Für den optimalen Bestellzyklus T sowie für die Zeitspannen mit nichtnegativem bzw. negativem Lagerbestand gelten:

T

q d

co dc L

T

S d

co dcL

T

F d

q

cL

cF

(3.5)

cF cF cL S

(3.6)

cF co dcF

d

cL cL

cF

(3.7)

Setzt man die Formeln (3.3) und (3.4) in die Gesamtkostenfunktion (3.1) ein, dann ergibt sich für die minimalen Gesamtkosten pro Zeiteinheit:

Kq S

co dcL

cF cL

cF

dcB

(3.8)

unterBei den bisherigen Betrachtungen wurde eine Wiederbeschaffungszeit stellt. Betrachtet man eine Wiederbeschaffungszeit T und soll eine Bestellung eintreffen, wenn der Lagerbestand die maximale Fehlmenge F aufweist, dann muss eine Bestellung früher erfolgen. Somit gilt für die optimalen Bestellzeitpunkte:

nT

mit n

(3.9)

Unter Berücksichtigung einer Wiederbeschaffungszeit len Bestellpunkte ein Lagerbestand in Höhe von:

F

d

d

S

q

T

gilt für die optima-

(3.10)

201

3.1

3

Lagerhaltung

Beispiel 3.1: Ein Hersteller von Standheizungen für PKWs möchte die Bestellmengen sowie die Bestellzyklen optimieren. Da die Fertigungstiefe sehr niedrig gehalten werden soll, wird das Heizmodul nicht im eigenen Unternehmen hergestellt. Der Einstandspreis eines Moduls beträgt 150 € pro Mengeneinheit (ME) und die fixen Bestellkosten 120 € je Bestellung. Die Nachfrage beträgt pro Woche (Wo) 80 ME. Der Fehlmengenkostensatz wird mit 1,5 € je Mengeneinheit und Woche kalkuliert. Den Berechnungen sind ein Zinssatz von 26% p. a. und eine Wiederbeschaffungszeit von einer Woche zugrunde zu legen. Mit dem Losgrößenmodell unter Berücksichtigung von Fehlmengen sind die optimale Bestellmenge, die optimale Bestellzykluslänge, die optimale Lagerauffüllgrenze, die maximale Fehlmenge, der optimale Bestellpunkt und die minimalen Gesamtkosten pro Woche zu bestimmen. Für den Lagerhaltungskostensatz sollen nur die Kapitalbindungskosten angesetzt und die physischen Lagerungskosten nicht berücksichtigt werden. Da ein Lagerhaltungskostensatz nicht gegeben ist, wird dieser unter Vernachlässigung der physischen Lagerungskosten nur über die Kapitalbindungskosten berechnet:

cL

ME

Wo

(ME Wo)

Somit können nun mit den Formeln (3.3) bis (3.10) die gewünschten Größen berechnet werden:

q

cd cL

c L cF cF

q d

Die optimale Bestellzykluslänge beträgt T

cd cL

optimale Auffüllgrenze gilt S

Die maximale Fehlmenge beträgt F

q

ME ME/Wo

cF cL

cF

S

……………

Der optimale Bestellpunkt ergibt sich bei einem Lagerbestand von

F

202

d

Wo und für die

ME.

Deterministische Lagerhaltungsmodelle

Die optimalen Bestellzeitpunkte finden alle nT n n Wochen statt. Der Hersteller bestellt somit unter Berücksichtigung der Wiederbeschaffungszeit nach 1,45 Wo bzw. 3,9 Wo bzw. 6,35 Wo usw. eine Losgröße von 196 ME. Sein Lagerbestand ist bei diesen Bestellzeitpunkten auf 15 ME abgesunken. Nach Eintreffen der Lieferung weist sein Lagerbestand eine Fehlmenge von 65 ME auf und sein Lager wird auf insgesamt 131 ME aufgefüllt. Bei dieser optimalen Bestellmenge bzw. optimalen Lagerauffüllgrenze ergeben sich folgende minimale Gesamtkosten pro Woche:

K q S

c dcL

cF cF cL

dcB

ME/Wo ME/Wo

3.1.1.2

(ME Wo) (ME Wo)

€/(ME Wo

€/ME

€/Wo

Losgrößenmodell ohne Fehlmengen

Das klassische Losgrößenmodell ohne Fehlmengen (Economic Order Quantity-Modell, EOQ) geht auf HARRIS (1915) zurück und wurde in Deutschland von STEFANICALLMEYER (1927) und ANDLER (1929) eingeführt99. In diesem Modell wird analog zum Modell mit Fehlmengen von denselben Prämissen ausgegangen. Auf der Grundlage eines konstanten Bedarfs d (ME/ZE) wird das Lager kontinuierlich und linear im Zeitablauf auf den Lagerbestand von null abgebaut. Die Lagerauffüllung erfolgt bei einem Lagerbestand von null ohne Zeitverzug, d. h. für die Wiederbeschaffungszeit gilt wiederum (vgl. Abbildung 3-3). Es bestehen keine Engpässe bei den Lagerkapazitäten. Man bestimmt den Bestellzyklus T und die Bestellmenge q derart, dass die durchschnittlichen Gesamtkosten K pro Zeiteinheit minimiert werden. Der mittlere Lagerbestand während einer Periode ist q . Die Gesamtkosten setzen sich aus den fixen und variablen Bestellkosten K BK c cB q und den Lagerkosten q K LK cL T zusammen. Analog zum Losgrößenmodell mit Fehlmengen gilt dann für die zu minimierenden Gesamtkosten K q pro Zeiteinheit unter Beachtung einer Fehlmenge von F und somit q S mit der Formel (3.1):

K q

co d q

cB d cL

q

(3.11)

99 Vgl. HARRIS (1915); STEFANIC-ALLMEYER (1927); ANDLER (1929).

203

3.1

Abbildung 3-3 Losgrößenmodell ohne Fehlmengen

Lagerbestand

Losgröße q

3

Lagerhaltung

d Mittlerer Lagerbestand

T

2T

Zeit

Die Kostenfunktion (3.11) ist konvex und für q differenzierbar. Das klassische Losgrößenmodell ohne Fehlmengen kann auch als Losgrößenmodell mit unendlich großen Fehlmengen interpretiert werden. Führt man deshalb in den Formeln (3.3), (3.4) und (3.8) den Grenzübergang c F durch, dann gilt:

cL

cF cF

cF

cF

und

cL

cF

cF

und somit gilt für die optimale Bestellmenge q , den optimalen Bestellzyklus T und die minimalen Kosten K q gemäß (3.3), (3.5) und (3.8):

q T

q d

Kq

co d cL

S

(3.12)

co dcL

co dcL

(3.13)

dcB

(3.14)

Vergleicht man die Formeln (3.3) und (3.12) für die optimale Bestellmenge im Modell mit bzw. ohne Fehlmengen, dann wird im Fehlmengenmodell aufgrund von cL cF cF stets eine größere Bestellmenge ausgelöst. Eine größere Bestellmenge im Fehlmengenmodell führt auch zu einem größeren Bestellzyklus T , sodass die Bestellhäufigkeit abnimmt. Die resultierenden durchschnittlichen Gesamtkosten pro Zeiteinheit sind im Fehlmengenmodell stets geringer, da in der Formel (3.8) die

204

Deterministische Lagerhaltungsmodelle

fixen Bestellkosten und die Lagerkosten mit einem Wert ziert werden.

cF cL

cF

multipli-

Unterstellt man eine Wiederbeschaffungszeit T und soll eine Bestellung eintreffen, wenn der Lagerbestand gleich null ist, dann muss eine Bestellung früher erfolgen. Somit gilt für die optimalen Bestellzeitpunkte:

nT

mit n

(3.15)

Unter Berücksichtigung einer Wiederbeschaffungszeit len Bestellpunkte ein Lagerbestand in Höhe von:

d

T

gilt für die optima-

d

(3.16)

Abbildung 3-4 Kostenverläufe zur Ermittlung der optimalen Bestellmenge Kosten

Gesamtkosten K(q)

Lagerkosten cLq/2 Variable Bestellkosten cBd Fixe Bestellkosten c0d/q q*

Bestellmenge

In der Abbildung 3-4 sind die Kostenverläufe der fixen und variablen Bestellkosten, der Lagerkosten sowie der resultierenden Gesamtkosten dargestellt. Aus der Abbildung 3-4 können an der Stelle der optimalen Bestellmenge q insgesamt folgende vier Eigenschaften für das Economic Order Quantity-Modell abgeleitet werden: 1.

Gemäß der zu minimierenden Gesamtkostenfunktion (3.11) werden an der Stelle der optimalen Bestellmenge q die durchschnittlichen Gesamtkosten pro Zeiteinheit minimiert.

205

3.1

3

Lagerhaltung

2.

An der Stelle der optimalen Bestellmenge q werden auch die durchschnittlichen Gesamtkosten pro Stück minimiert. Für die Gesamtkosten pro Stück gilt:

K q q

c

cB q cL

q

T

q

T q d

c q

cB

cL

q d

Setzt man die erste Ableitung dieser Stückkostenfunktion gleich null, dann gilt:

c q

K q q

3.

cL d

cd cL

q

An der Stelle der optimalen Bestellmenge q schneiden sich die Funktion der durchschnittlichen Lagerkosten pro Periode und die Funktion der fixen Bestellkosten:

cL 4.

c q

cL d

q

cL

cd cL

cL c d

und c

d q

cd

cL cd

cL c d

An der Stelle der optimalen Bestellmenge q ist die marginale Verringerung der durchschnittlichen bestellfixen Kosten pro Periode gleich dem marginalen Anstieg der durchschnittlichen Lagerkosten pro Periode, sodass die Steigungen dieser beiden Funktionen betragsmäßig übereinstimmen: Die Steigung der Funktion der durchschnittlichen Lagerkosten pro Periode cL q beträgt c L . Für die Steigung der Funktion der durchschnittlichen bestellfixen Kosten pro Periode c d q gilt :

c

d q

q q

cd cd cL

cL

Die Funktion der Gesamtkosten in der Abbildung 3-4 verläuft an der Stelle der optimalen Bestellmenge q sehr flach, sodass eine Änderung der optimalen Bestellmenge auf die Gesamtkosten nur einen relativ geringen Einfluss hat. Zur Bestimmung der Kostenerhöhung bei Abweichung von der optimalen Bestellmenge berechnet man das Verhältnis der Gesamtkosten K q bei einer Abweichung von der optimalen Bestellmenge q zu den Gesamtkosten K q der optimalen Bestellmenge. Da die variablen Kosten pro Zeiteinheit c B d von der optimalen Bestellmenge unabhängig sind, werden sie bei der Betrachtung des Verhältnisses nicht beachtet:

206

Deterministische Lagerhaltungsmodelle

K q K q

c

d q

cL

q q

c dc L

cd cL

q

cL cd

q

q q

q

Bei einer Abweichung von der optimalen Bestellmenge hängt die Kostenerhöhung nur von der Bestellmenge und nicht von den fixen Bestellkosten, dem Lagerhaltungskostensatz oder der Nachfrage ab. Somit führt eine Abweichung von 20% bzw. 50% von der optimalen Bestellmenge q zu einer Erhöhung der durchschnittlichen Gesamtkosten von 1,67% bzw. 8,33%. Beispiel 3.2: Für den Hersteller von Standheizungen für PKWs aus dem Beispiel 3.1 sollen nun die optimale Bestellmenge, die optimale Bestellzykluslänge, der optimale Bestellpunkt, und die minimalen Gesamtkosten pro Woche für den Fall ohne Fehlmengen bestimmt werden. Für den Lagerhaltungskostensatz gilt wiederum:

cL

Wo

ME

(ME Wo)

Somit können nun mit den Formeln (3.12) bis (3.16) die gewünschten Größen berechnet werden:

q

cd cL

Für die optimale Bestellzykluslänge gilt: T

ME/Wo (ME Wo)

q d

ME

ME ME/Wo

Der optimale Bestellpunkt ergibt sich bei einem Lagerbestand von

Wo d

ME.

n n Wochen Die optimalen Bestellzeitpunkte finden alle nT statt. Der Hersteller bestellt somit unter Berücksichtigung der Wiederbeschaffungszeit nach 1 Wo bzw. 3 Wo bzw. 5 Wo usw. eine Losgröße von 160 ME. Sein Lagerbestand ist bei diesen Bestellzeitpunkten auf 80 ME abgesunken. Bei dieser optimalen Bestellmenge ergeben sich folgende minimale Gesamtkosten pro Woche: K q

c dcL

dcB

207

3.1

3

Lagerhaltung

Im Vergleich zum Beispiel 3.1 mit Fehlmengen ist die Bestellmenge geringer, sodass sich der Bestellzyklus von 2,45 Wochen auf 2 Wochen verkürzt. Die durchschnittlichen Gesamtkosten pro Zeiteinheit erhöhen sich um 22,02 €. Die Prämissen der statischen Losgrößenmodelle mit und ohne Fehlmengen schränken deren Anwendbarkeit in der Praxis ein. Insbesondere der konstante Bedarf pro Zeiteinheit, der konstante Lagerhaltungskostensatz, die konstanten Beschaffungspreise und die fehlenden Restriktionen hinsichtlich der Beschaffungsmenge und Lagerkapazitäten werden in der Praxis kritisch gesehen. Im Folgenden erfolgt zunächst eine Erweiterung des EOQ-Modells bzgl. der Berücksichtigung von Mengenrabatten und von Preiserhöhungen. Anschließend werden dynamische Bedarfe betrachtet.

3.1.1.3

Losgrößenmodell mit Mengenrabatten und ohne Fehlmengen

Im EOQ-Modell wurde unterstellt, dass der Einstandspreis unabhängig von der Beschaffungsmenge konstant ist. In der Praxis gewähren die Lieferanten jedoch häufig Mengenrabattstaffeln, d. h. bei Erreichen einer bestimmten Bestellmenge bietet der Lieferant dem Kunden einen Preisnachlass an. Im Folgenden ist zu beachten, dass der Mengenrabatt stets für die gesamte Bestellmenge gilt und nicht nur für diejenige Menge, die in die entsprechende Rabattstaffel fällt. Zunächst wird der Fall betrachtet, dass der Lieferant nur eine Rabattstaffel gewährt und der Einstandspreis c B q sinkt, wenn mindestens die Menge q bestellt wird:

cB q

cB

q

cB

q

q

q

mit c B

cB

Im Gegensatz zum EOQ-Modell sind nun die variablen Bestellkosten über den variablen Einstandspreis und auch der Lagerhaltungskostensatz über die Kapitalbindungskosten von der Bestellmenge q abhängig. Die fixen Bestellkosten werden durch die Rabattgewährung nicht verändert. Somit ergibt sich im Fall ohne Fehlmenge mit Formel (3.11) die folgende Kostenfunktion:

K q

208

co d q

cB q d

cL q q

(3.17)

Deterministische Lagerhaltungsmodelle

In der Abbildung 3-5 sind die unterschiedlichen Funktionsverläufe für die fixen und variablen Bestellkosten sowie für die Lagerkosten ersichtlich. Da sich ab der Rabattgrenze q aufgrund des geringeren Einstandspreises die Basis für die Berechnung der Kapitalbindungskosten ändert, besitzt die Funktion der Lagerkosten eine geringere Steigung sowie eine Sprungstelle an der Rabattgrenze. Ebenso weist die Funktion der variablen Bestellkosten aufgrund des geringen Einstandspreises ab der Rabattgrenze eine Sprungstelle auf. Die Abbildung zeigt auch, dass die fixen Bestellkosten nicht vom variablen Einstandspreis abhängen. Insgesamt besitzt somit auch die Funktion der Gesamtkosten an der Rabattgrenze eine Sprungstelle.

Abbildung 3-5 Sprungweiser Kostenverlauf bei einer Rabattstaffel Kosten Gesamtkosten

Lagerkosten

Variable Bestellkosten Fixe Bestellkosten

q

Bestellmenge

In der Abbildung 3-6 sind drei verschiedene Fälle für den Verlauf der Gesamtkostenfunktion in Abhängigkeit der Lage der Rabattstaffel dargestellt. Mit q wird wieder die optimale Bestellmenge ohne Mengenrabatt ( c B c B ), mit q die Rabattgrenze und mit q opt die optimale zu bestellende Menge im Fall eines Mengenrabatts bezeichnet. Im Fall 1 liegt die Rabattgrenze q links von der Bestellmenge q Da die minimalen Gesamtkosten mit der Bestellmenge q q resultieren, wird der Mengenrabatt in Anspruch genommen. Zu beachten ist, dass q nun unter Berücksichtigung des Mengenrabatts cB berechnet wird und für die optimale Bestellmenge q opt q gilt. Im zweiten und dritten Fall liegt die Rabattgrenze jeweils rechts von der optimalen Bestellmenge q Der zweite Fall zeigt einen für den Abnehmer nicht interessanten Mengenrabatt, da die mit der höheren Bestellmenge q resultierenden Gesamtkosten K q höher sind als die Gesamtkosten K q der Bestellmenge q Somit wird der Mengenrabatt nicht in Anspruch genommen und wieder q opt q bestellt. Im dritten

209

3.1

3

Lagerhaltung

Fall ist der Mengenrabatt für den Abnehmer lukrativ, da die mit der höheren Bestellmenge q resultierenden Gesamtkosten K q geringer sind als die Gesamtkosten K q der Bestellmenge q Für die optimale Bestellmenge gilt somit q opt q

Abbildung 3-6 Typische Gesamtkostenverläufe bei einer Rabattstaffel Kosten

Kosten

Kosten

Gesamtkosten

K q

Gesamtkosten

K q

K q

K q

K q

q q

Bestellmenge

Fall 1

Gesamtkosten

K q

q

q

Bestellmenge

Fall 2

q

q

Bestellmenge

Fall 3

K q ), dann Falls im Fall q q beide Gesamtkosten identisch sind (d. h. K q sind beide Bestellmengen optimal, d. h. q opt q bzw. q opt q Aufgrund des geringeren Lagerbedarfs empfiehlt sich jedoch die geringere Menge und somit q opt q zu bestellen. Falls der Lieferant mehrere Rabattstaffeln anbietet, dann werden die resultierenden Gesamtkosten für den Fall ohne Mengenrabatt mit der Formel (3.14) und für jede Rabattstaffel mit der Formel (3.17) berechnet. Die optimale Bestellmenge ergibt sich dann bei den geringsten Gesamtkosten. Beispiel 3.3: Für den Hersteller von Standheizungen für PKWs aus dem Beispiel 3.1 sollen nun die optimale Bestellmenge, der optimale Bestellzyklus und die minimalen Gesamtkosten pro Woche unter Berücksichtigung der folgenden Rabattstaffel bestimmt werden.

q cB q

q q q

210

Deterministische Lagerhaltungsmodelle

Ohne Berücksichtigung eines Mengenrabatts ergibt sich aus dem Beispiel 3.2 als optimale Bestellmenge q und K q Gesamtkosten pro Woche. Da alle Rabattgrenzen rechts von q liegen, kann nur der zweite oder dritte Fall aus der Abbildung 3-6 vorliegen. Die resultierenden Gesamtkosten an den Rabattgrenzen können mit der Formel (3.17) berechnet werden. Dazu werden jedoch die veränderten Lagerhaltungskostensätze c L q in Abhängigkeit der verschiedenen Einstandspreise cB q benötigt:

q cL q

q q q

Somit ergeben sich an den Rabattgrenzen mit Formel (3.17) die folgenden Gesamtkosten:

K K K Die minimalen Gesamtkosten von 11.874,25 €/Wo werden somit bei einer Bestellmenge von q opt ME erreicht. Der optimale Bestellzyklus beträgt bei dieser Bestellmenge T opt Wochen.

3.1.1.4

Losgrößenmodell mit Preiserhöhungen und ohne Fehlmengen

Neben den Mengenrabatten beeinflussen auch die vom Lieferanten bereits angekündigten Preiserhöhungen die Bestimmung der optimalen Bestellmenge. Falls der Lieferant Preiserhöhungen angekündigt hat, dann besteht für den Abnehmer die Möglichkeit eine größere Menge vor der Preiserhöhung zu bestellen. Die folgenden Überlegungen gelten unter der Prämisse, dass sich alle anderen Kostengrößen nicht ändern. Die Bestellung einer höheren Menge zum niedrigeren Preis führt einerseits zu einer Erhöhung des zukünftigen Gewinns in derjenigen Periode, in welche die Preiserhöhung fällt. Andererseits führt eine Bestellung einer höheren Menge zu einer Erhöhung

211

3.1

3

Lagerhaltung

der Lagerkosten. Somit muss die Bestellmenge q derart bestimmt werden, dass die Differenz zwischen der Einkaufsersparnis und den Lagerkosten maximal ist. Werden mit c Ba der alte Preis vor der Preiserhöhung und mit c Bn der neue höhere Preis bezeichnet, dann gilt für die Funktion der Einkaufsersparnis E q in Abhängigkeit der Bestellmenge q : E s q c Bn c Ba q . Unterstellt man einen risikoadäquaten kalkulatorischen Zinssatz sich die Lagerkosten wie folgt:

KL q

T

q

c Ba z

T q d

cBa

z , dann berechnen

z q d

Die resultierende zu maximierende Gewinnfunktion G q ergibt sich aus der Differenz zwischen Einkaufsersparnis und Lagerkosten:

Gq

Es q

KL q

cBn cBa q cBa

z q d

max

Durch Nullsetzen der ersten Ableitung ergibt sich für die optimale Bestellmenge q :

G q

c Bn

cBa

cBa z q d

q cBa z d

Da für die zweite Ableitung G q

cBn c Ba

d c Ba z

cBn cBa

d z

gilt, liegt ein Maximum vor.

Beispiel 3.4: Der Lieferant aus Beispiel 3.1 kündigt eine Preiserhöhung von 2% für die nächste Bestellperiode an. Wie viele Mengeneinheiten sollen zum alten Preis bestellt werden, wenn der kalkulatorische Zinssatz pro Jahr wieder bei 26% liegt?

q

d z

Somit sollte der Abnehmer eine Menge von 320 ME bestellen.

212

Deterministische Lagerhaltungsmodelle

3.1.2

Dynamische Lagerhaltungsmodelle

Ein im Zeitablauf konstanter Bedarf, wie er bei den statischen Lagerhaltungsmodellen vorausgesetzt wird, liegt in der Realität oftmals nicht vor. Bei den dynamischen Lagerhaltungsmodellen treten im Planungszeitraum veränderliche Periodenbedarfe auf. Das von WAGNER und WHITIN100 vorgestellte dynamische Losgrößenmodell geht von folgenden Prämissen aus:

T unterteilt. Diese Perioden Der Planungszeitraum ist in T Perioden t können gleiche oder unterschiedliche Längen aufweisen. Die dynamische Nachfrage d t ginn einer Periode bereitzustellen.

t

T ist bekannt und ist jeweils zu Be-

Der Bedarf d t in der Periode t wird dem Lager sofort entnommen, sodass keine Lagerhaltungskosten für den Bedarf d t in dieser Periode t anfallen. sind konstant und bekannt, sodass nach rechtDie Wiederbeschaffungszeiten zeitiger Bestellauslösung die Lieferungen zum jeweiligen Beginn einer Periode gewährleistet sind. Es bestehen keine Engpässe bei den Lagerkapazitäten und geplante Fehlmengen sind nicht zulässig. Jeder Bestellvorgang verursacht losfixe Bestellkosten c Die Materialpreise cB sind konstant, d. h. unabhängig von der Bestellmenge qt und der Bestellperiode t . Die Bestellkosten in der Periode t setzen sich aus fixen und variablen Bestellkosten co qt cB qt zusammen, wobei für die Binärvariable qt gilt:

t

qt

qt

t

qt

Die Lagerkosten in der Periode t ergeben sich aus dem Produkt des Lagerbestands lt zu Beginn dieser Periode mit dem Lagerhaltungskostensatz cl Für den Lagerbestand lt zu Beginn einer Periode t gilt die Lagerbilanzgleichung:

lt

lt

qt

dt

Es liegt eine abgeschlossene Planung vor, d. h. der Lagerbestand zu Beginn der Periode 1 und am Ende der Periode T ist gleich null ( l lT ). Somit entspricht die gesamte Bestellmenge dem gesamten Bedarf für den Planungszeitraum:

cB

T t

qt

cB

T t

dt

In der deterministischen Lagerhaltung mit bekannten dynamischen Bedarfen dt t T bestimmt man eine optimale Bestellpolitik q qT derart, dass die im Planungshorizont anfallenden Gesamtkosten K q qT minimiert werden:

100 Vgl. WAGNER/WHITIN (1958).

213

3.1

3

Lagerhaltung

K q

qT

T

co

t

qt

cB qt

cLlt

(3.18)

Die Gesamtkosten K q qT setzen sich aus der Summe der für jede Periode anfallenden Kosten zusammen. Diese Kosten bestimmen sich durch die von der Anzahl der im Planungshorizont durchgeführten Bestellungen abhängigen fixen Bestellkosten, den variablen Bestellkosten und den Lagerkosten:

K q

qT

T

co

t

co

T t

qt qt

cB

T t

cB

T t

qt dt

cL cL

T t T t

lt (3.19)

qt

dt T t

Da aufgrund der abgeschlossenen Planung die gesamte Bestellmenge mit der gesamten Bedarfsmenge übereinstimmt, können die variablen Bestellkosten vernachlässigt werden. Somit lässt sich die Gesamtkostenfunktion (3.19) wie folgt vereinfachen:

K q

qT

co

T t

qt

cL

T t

qt

dt T t

Wird in jeder Periode t nur der aktuelle Bedarf für diese Periode bestellt ( q t d t für t T ), dann fallen im Planungszeitraum keine Lagerkosten, jedoch aufgrund der großen Anzahl an Bestellungen hohe fixe Bestellkosten an. Die Anzahl der Bestellungen und somit die fixen Bestellkosten lassen sich reduzieren, wenn in einer Periode eine Menge bestellt wird, welche die Bedarfe zukünftiger Perioden umfasst. Dafür müssen jedoch die entstehenden Lagerkosten berücksichtigt werden. Aufgrund der angegebenen Prämissen besitzt das Modell von WAGNER und WHITIN eine spezielle Struktur, die zu folgenden Bedingungen für eine optimale Losgrößenpolitik führt: Bestellungen erfolgen nur in einer Periode, wenn der Lagerbestand zu Beginn dieser Periode gleich null ist. Die Bestellmenge qt in einer Periode t umfasst entweder den aktuellen Bedarf d t dieser Periode oder die Summe vollständiger Bedarfe zukünftiger Perioden. Für jede Periode t s mit s T gilt somit:

qt

dt dt

dt

dt

d

Andernfalls bleibt am Ende einer Periode ein Lagerbestand übrig, der zur vollständigen Deckung des Bedarfs der nächsten Periode nicht ausreicht und daher nur unnötige Lagerkosten verursacht. Für die Bestimmung einer Bestellpolitik für den Planungszeitraum werden in der Praxis exakte und heuristische Verfahren herangezogen. Während heuristische Methoden stets eine zulässige Lösung aber keine optimale Lösung garantieren, führen exakte Lösungsverfahren zu der optimalen Bestellpolitik.

214

Deterministische Lagerhaltungsmodelle

3.1.2.1

Exakte Lösung durch Bestimmung eines kürzesten Weges

Das dynamische Losgrößenproblem lässt sich auch als Problem der Bestimmung eines kürzesten Weges in einem Digraph G V E k mit der Knotenmenge V , der Pfeilmenge E , und den Pfeilbewertungen k darstellen. Für diese Transformation in einen Digraph sind die folgenden Schritte notwendig: a)

b)

Der Digraph G V E k besteht aus der Knotenmenge V T , d. h. er enthält für jede Periode einschließlich der fiktiven Periode T genau einen Knoten. Der Digraph G V E k enthält für jede Periode t und jede Periode s t genau einen Pfeil t s . Somit besteht die Pfeilmenge nur aus folgenden Vorwärtspfeilen:

E

t s

t

T s t

T

Ein Pfeil t s hat die Bedeutung, dass in der Periode t die Bedarfsmengen für die Perioden t bis s zu bestellen sind. Somit fallen in der Periode t fixe Bestellkosten sowie die Lagerkosten für die Bedarfe der Perioden t bis s an. Die Bewertung kts auf dem Pfeil t s lässt sich somit wie folgt angeben:

kts

c

cL

s i t

di i t

(3.20)

Ist die Bewertung für den Pfeil t s bekannt, dann lässt sich die Bewertung des Pfeils t s auch rekursiv bestimmen:

kt s

kts

cL d s s t

(3.21)

Da der erzeugte Digraph G V E k nur Vorwärtspfeile enthält, liegt automatisch ein zyklenfreier Digraph vor. Ein kürzester Weg vom Knoten 1 bis zum Knoten T lässt sich einfach mit dem Verfahren von BELLMAN wie folgt bestimmen101: Startknoten 1: d

d

j

für j

T

für j

T

d

j

k V j

d

k

k kj

Dabei bezeichnet d j die kürzeste Distanz vom Knoten 1 bis zum Knoten j und V j die Menge der unmittelbaren Vorgängerknoten von Knoten j .

101 Vgl. LASCH (2016, S. 41f).

215

3.1

3

Lagerhaltung

Beispiel 3.5: Ein Hersteller handgewebter Leinenstoffe hat die Auftragsmengen der folgenden fünf Wochen ermittelt und möchte nun die optimalen Bestellmengen durch Anwendung eines exakten Verfahrens ermitteln. Pro Bestellung fallen fixe Bestellkosten co in Höhe von € an. Der Lagerhaltungskostensatz c L beträgt € pro ME und Woche. Zu bestimmen ist die optimale Bestellpolitik für den angegebenen Planungshorizont sowie die resultierenden Gesamtkosten. Für den Planungszeitraum von T Wochen sind die in der nachfolgenden Tabelle angegebenen Bedarfe d t in Stoffballen gegeben:

t dt

1

2

3

4

5

10

27

11

9

23

Zunächst wird das dynamische Losgrößenproblem in folgenden Digraph mit sechs Knoten und den notwendigen Vorwärtspfeilen transformiert:

386 202 148

104 1

50

2

3

50

50

96 4

50 68

72

5

50

6

160

108 246

Für die Berechnung der Pfeilbewertungen stellt man eine Matrix mit Zeilen von 1 bis T und Spalten von 2 bis T auf. Auf der Hauptdiagonalen dieser Matrix befinden sich somit die Pfeilbewertungen zwischen zwei aufeinanderfolgenden Knotennummern, d. h. k k k k und k . Diese zwischen zwei aufeinanderfolgenden Knoten t und t eingefügten Pfeile bedeuten, dass in einer Periode t nur der Bedarf für diese Periode bestellt wird. Somit fallen nur die fixen Bestellkosten und keine Lagerkosten an, d. h. auf der Hauptdiagonalen in der Matrix stehen nur die fixen Bestellkosten co . Die weiteren Werte für die erste Zeile können dann mit der rekursiven Formel (3.21) wie folgt berechnet werden:

216

k

k

cL d

k

k

cL d

k

k

cL d

k

k

cL d

Deterministische Lagerhaltungsmodelle

Für die Zeilen 2 bis 5 geht man analog vor. Somit entsteht die folgende Kostenmatrix:

kts

2

3

4

5

6

1

50

104

148

202

386

50

72

108

246

50

68

160

50

96

2 3 4 5

50

Der kürzeste Weg vom Knoten 1 bis zum Knoten 6 lässt sich mit dem Verfahren von BELLMAN wie folgt in einer Tabelle bestimmen. Die erste Spalte der Tabelle enthält die Knoten des Digraphen. In der zweiten Spalte wird jeweils der kürzeste Weg d j vom Knoten 1 bis zum Knoten j j mit dem Verfahren von BELLMAN berechnet. Die dritte Spalte enthält den jeweiligen unmittelbaren Vorgänger vom Knoten j auf dem kürzesten Weg vom Knoten 1 zum Knoten j .

j

d

V j

j

1

0

1

2

50

1

3

2

4

2

5

2

6

5

Als kürzester Weg vom Knoten 1 bis zum Knoten 6 erhält man: 1

2

5

6

Interpretiert man die entsprechenden Pfeile, dann wird in der Periode 1 nur der Bedarf für die erste Periode bestellt, in der Periode 2 der Bedarf für die Perioden 2 bis 4 und in der Periode 5 nur der Bedarf der fünften Periode:

q

q

q

q

q

217

3.1

3

Lagerhaltung

Somit erfolgen insgesamt drei Bestellungen und die Bedarfe der Periode 3 müssen eine Periode und diejenigen der Periode 4 müssen zwei Perioden gelagert werden. Die minimalen Gesamtkosten für diese optimale Losgrößenpolitik betragen 208 € und entsprechen der Länge des kürzesten Weges vom Knoten 1 zum Knoten 6.

3.1.2.2

Heuristische Lösungsverfahren

Mit der im vorangegangenen Abschnitt dargestellten Bestimmung eines kürzesten Weges in einem zyklenfreien Digraph wird die optimale Bestellpolitik für ein Produkt bei gegebenen Bedarfen innerhalb eines Planungshorizonts berechnet. Die Unterteilung des Planungshorizonts in Teilintervalle als auch die oft unsicheren Planzahlen für diese Intervalle stellen die zwingende Überlegenheit des exakten Lösungsverfahrens gegenüber heuristischen Verfahren in der Praxis in Frage. Falls sich die geplanten Bedarfswerte im Verlauf des Planungshorizonts ändern, dann kann mit einem der im Folgenden vorgestellten vier heuristischen Verfahren eine kostengünstigere Lösung berechnet werden. Alle vier heuristischen Verfahren basieren jeweils auf einer der in Abschnitt 3.1.1.2 hergeleiteten vier Eigenschaften des statischen EOQ-Modells. Diese vier heuristischen Lösungsverfahren berechnen für das Modell von WAGNER und WHITIN jeweils eine zulässige Lösung, sie können jedoch keine Optimalität der Lösung garantieren. a)

Verfahren der gleitenden wirtschaftlichen Losgröße

Das Verfahren der gleitenden wirtschaftlichen Losgröße (engl. least unit cost rule) basiert auf der Eigenschaft des EOQ-Modells, dass an der Stelle der optimalen Bestellmenge q die Gesamtkosten pro Stück minimiert werden. Das Verfahren der gleitenden wirtschaftlichen Losgröße überträgt diese Eigenschaft auf die im Modell von WAGNER und WHITIN innerhalb des Planungshorizonts auftretenden dynamischen Bedarfe. Eine Bestellmenge qt in einer Periode t wird somit solange um zukünftige Bedarfsmengen d s s t erhöht, wie dadurch die durchschnittlichen Kosten pro Stück kts verringert werden. Wird in der Periode t eine Bestellmenge ausgelöst, die den Bedarf von der Periode t bis zur Periode s t umfasst, dann fallen in der Periode t die fixen Bestellkosten und für die Perioden t bis s die entsprechenden Lagerkosten an. Die resultierenden Gesamtkosten pro Stück lassen sich wie folgt berechnen:

c kts

cL

s i t s i t

218

di i t (3.22)

di

Deterministische Lagerhaltungsmodelle

In einer Periode t wird somit diejenige Bestellmenge durch Hinzunahme von zukünftigen Bedarfen bestimmt, bei der die resultierenden Stückkosten (3.22) ihr Minimum annehmen. Ausgehend von der Periode t bestellt man solange für aufeinanderfolgende Perioden, bis für eine Periode s gilt:

k

ts

k

und k

ts

ts

k

ts

Da in der Periode s die Stückkosten ansteigen, umfasst die Bestellmenge in der Periode t die Bedarfe der Perioden t bis s . Diese Vorgehensweise wird beginnend mit der Periode s solange wiederholt, bis der Planungshorizont erreicht ist. Beispiel 3.6: Der bereits erwähnte Hersteller von Leinenstoffen in Beispiel 3.5 möchte unter Beachtung der Auftragsmengen nun die Bestellmengen und die resultierenden Gesamtkosten mit dem Verfahren der gleitenden wirtschaftlichen Losgröße bestimmen. Die fixen Bestellkosten c betragen € pro Bestellung und der Lagerhaltungskostensatz c L beträgt € pro ME und Periode. In der folgenden Tabelle sind die Bedarfsmengen der Stoffballen für die nächsten fünf Wochen angegeben:

t dt

1

2

3

4

5

10

27

11

9

23

Ausgehend von der Periode 1 sinken die Stückkosten in der Periode 2 und steigen wieder in der dritten Periode an. Somit umfasst die erste Bestellmenge q die Bedarfe der Perioden 1 und 2. Die Bestimmung der nächsten Bestellmenge beginnt dann in Periode 3 und setzt sich aus den Bedarfen der Perioden 3 und 4 zusammen. Die letzte Bestellung erfolgt in der Periode 5. Mit dem Verfahren der gleitenden wirtschaftlichen Losgröße werden insgesamt drei Bestellungen in den Perioden 1, 3 und 5 ausgelöst. Somit müssen die Bedarfe der Perioden 2 und 4 jeweils eine Periode gelagert werden. Die resultierenden Gesamtkosten betragen € und sind somit um 14 € höher als bei der optimalen Lösung.

219

3.1

3

Lagerhaltung

t

s

k

s

k

s

k

q

t

s

k

s

k

s

k

q t

s

k

q

b)

Verfahren von SILVER und MEAL

Die Heuristik von SILVER und MEAL102 basiert auf der Eigenschaft des EOQ-Modells, dass an der Stelle der optimalen Bestellmenge q die Gesamtkosten pro Zeiteinheit (engl. least period cost rule) minimiert werden. Das Verfahren von SILVER und MEAL überträgt nun diese Eigenschaft auf den Fall von dynamisch schwankenden Bedarfen innerhalb des Planungshorizonts. Eine Bestellmenge qt in einer Periode t wird somit so lange um zukünftige Bedarfsmengen d s s t erhöht, wie dadurch die durchschnittlichen Kosten pro Zeiteinheit kts verringert werden. Wird in der Periode t eine Bestellmenge ausgelöst, die den Bedarf von der Periode t bis zur Periode s t umfasst, dann fallen in der Periode t die fixen Bestellkosten und für die Perioden t bis s die entstehenden Lagerkosten an. Die resultierenden Gesamtkosten pro Zeiteinheit lassen sich wie folgt berechnen:

c kts

102 Vgl. SILVER/MEAL (1969, 1973).

220

cL

s i t

s t

di i t (3.23)

Deterministische Lagerhaltungsmodelle

In einer Periode t wird somit diejenige Bestellmenge durch Hinzunahme von zukünftigen Bedarfen bestimmt, bei der die resultierenden Kosten pro Zeiteinheit (3.23) ihr Minimum annehmen. Ausgehend von der Periode t bestellt man solange für aufeinanderfolgende Perioden, bis für eine Periode s gilt:

k

ts

k

und k

ts

ts

k

ts

Da in der Periode s die Kosten pro Zeiteinheit ansteigen, umfasst die Bestellmenge in der Periode t die Bedarfe der Perioden t bis s . Diese Vorgehensweise wird beginnend mit der Periode s solange wiederholt, bis der Planungshorizont erreicht ist. Im Rahmen von numerischen Untersuchungen wurde festgestellt, dass sich die Lösungsgüte der Heuristik von SILVER und MEAL dann verschlechtert, wenn im Planungshorizont die Bedarfe einen fallenden Trend aufweisen oder viele Perioden mit Nullbedarf vorliegen. Für diese beiden Fälle wurden Modifikationen von SILVER und MILTENBERG zur Verbesserung der Lösungsqualität der Heuristik von SILVER und MEAL vorgeschlagen103. Beispiel 3.7: Der bereits erwähnte Hersteller von Leinenstoffen in Beispiel 3.5 möchte unter Beachtung der Auftragsmengen nun die Bestellmengen und die resultierenden Gesamtkosten mit dem Verfahren von SILVER und MEAL bestimmen. Die fixen Bestellkosten c betragen € pro Bestellung und der Lagerhaltungskostensatz c L beträgt € pro ME und Periode. In der folgenden Tabelle sind die Bedarfsmengen der Stoffballen für die nächsten fünf Wochen angegeben:

t dt

1

2

3

4

5

10

27

11

9

23

Beginnend mit Periode 1 steigen die Kosten pro Zeiteinheit in der Periode 2 an. Somit wird in der ersten Periode nur der Bedarf der Periode 1 bestellt. Ausgehend von Periode 2 werden die minimalen Kosten pro Zeiteinheit bei einer Bestellmenge bis zur Periode 4 erreicht. Die letzte Bestellung erfolgt in der Periode 5.

103 Vgl. SILVER/MILTENBERG (1984).

221

3.1

3

Lagerhaltung

t

s

k

s

k

s

k

s

k

s

k

s

k

s

k

q

t

q t q Mit der Heuristik von SILVER und MEAL werden insgesamt drei Bestellungen in den Perioden 1, 2 und 5 ausgelöst. Somit muss der Bedarf in der Periode 3 eine Periode und der Bedarf in der Periode 4 zwei Perioden gelagert werden. Diese Bestellpolitik stimmt mit der optimalen Bestellpolitik aus dem Beispiel 3.5 überein, sodass die resul€ betragen. tierenden Gesamtkosten ebenfalls c)

Stückperiodenausgleichsverfahren

Das Stückperiodenausgleichsverfahren104 (engl. part period balancing) basiert auf der Eigenschaft des EOQ-Modells, dass an der Stelle der optimalen Bestellmenge q die durchschnittlichen Lagerkosten und die fixen Bestellkosten übereinstimmen und sich somit beide Kostenfunktionen schneiden. Das Stückperiodenausgleichsverfahren erweitert daher die Bestellmenge in einer Periode t solange um zusätzliche Bedarfe, wie die Lagerkosten die fixen Bestellkosten nicht übersteigen. Ausgehend von der Periode t bestellt man solange für aufeinanderfolgende Perioden, bis für eine Periode s gilt:

c

cL

s i t

di i t

104 Vgl. DEMATTEIS (1968); MENDOZA (1968).

222

und c

cL

s i t

di i t

(3.24)

Deterministische Lagerhaltungsmodelle

Die Bedarfsmenge der Periode s , die zum Überschreiten der fixen Bestellkosten führt, wird beim Stückperiodenausgleichsverfahren der neuen Bestellmenge zugerechnet. Da die Summe auf der rechten Seite der Ungleichungen (3.24) die Dimension Mengeneinheiten mal Zeiteinheiten aufweist, wird diese als Stückperiode bezeichnet. Verglichen mit dem Verfahren der gleitenden wirtschaftlichen Losgröße führt das Stückperiodenausgleichsverfahren zu geringeren Gesamtkosten, wenn stark schwankende Bedarfe vorliegen. Ein Grund dafür ist die korrekte Berechnung der Lagerdauer und somit der Kapitalbindungskosten in den Ungleichungen (3.24). Beispiel 3.8: Der bereits erwähnte Hersteller von Leinenstoffen in Beispiel 3.5 möchte unter Beachtung der Auftragsmengen nun die Bestellmengen und die resultierenden Gesamtkosten mit dem Stückperiodenausgleichsverfahren bestimmen. Die fixen Bestellkosten c betragen € pro Bestellung und der Lagerhaltungskostensatz c L beträgt € pro ME und Periode. In der folgenden Tabelle sind die Bedarfsmengen der Stoffballen für die nächsten fünf Wochen angegeben:

t dt

1

2

3

4

5

10

27

11

9

23

Fasst man die konstanten fixen Bestellkosten c und den konstanten Lagerhaltungskostensatz c L in einem Quotienten zusammen, dann folgt aus (3.24):

c cL

Mit dem Kostenquotienten

c cL

s i t

di i t

Vts

als Vergleichskriterium ergeben sich die in

der folgenden Tabelle angegebenen Losgrößen. Beginnend mit Periode 1 ist der Wert der Stückperioden V größer als der Kostenquotient. Somit wird in der ersten Periode nur der Bedarf der Periode 1 bestellt. Ausgehend von Periode 2 überschreitet der Wert der Stückperioden V den Kostenquotienten, sodass die Bestellmenge die Bedarfe der Perioden 2 und 3 umfasst. Die letzte Bestellung erfolgt in der Periode 4 für die Bedarfe der Perioden 4 und 5.

223

3.1

3

Lagerhaltung

t

s

V

s

V

q

t

s

V

s

V

s

V

q

t

s

V

s

V

q Mit dem Stückperiodenausgleichsverfahren werden insgesamt drei Bestellungen in den Perioden 1, 2 und 4 ausgelöst. Somit müssen die Bedarfe der Perioden 3 und 5 jeweils eine Periode gelagert werden. Die resultierenden Gesamtkosten betragen €.

d)

Verfahren von GROFF

Das Verfahren von GROFF105 basiert auf der Eigenschaft des EOQ-Modells, dass an der Stelle der optimalen Bestellmenge q die marginale Verringerung der durchschnittlichen bestellfixen Kosten pro Periode gleich dem marginalen Anstieg der durchschnittlichen Lagerkosten pro Periode ist, sodass die Steigungen dieser beiden Kostenfunktionen betragsmäßig übereinstimmen. Erhöht man eine Bestellmenge, die den Bedarf von der Periode 1 bis zur Periode t umfasst, um den Bedarf der Periode t , dann verringern sich die durchschnittlichen bestellfixen Kosten pro Periode um folgenden Wert:

co t

co t

co tt

(3.25)

Wird eine Bestellmenge, die den Bedarf bis zur Periode t umfasst, um den Bedarf der vergrößert, dann lässt sich der marginale Anstieg der durchschnittlichen Periode t Lagerkosten pro Periode durch folgenden Quotienten annähern:

105 Vgl. GROFF (1979).

224

Deterministische Lagerhaltungsmodelle

dt

cL

(3.26)

Bei dem Verfahren von GROFF wird beginnend mit einer bestimmten Periode t die Losgröße qt dieser Periode solange um zukünftige Bedarfsmengen vergrößert, bis der Anstieg der durchschnittlichen Lagerkosten pro Periode größer ist als die Verringerung der durchschnittlichen bestellfixen Kosten pro Periode. Ausgehend von der Periode t sucht man somit ein s , sodass folgende Ungleichung erfüllt ist:

max s

dt

s

cL

co ss

(3.27)

Fasst man die konstanten fixen Bestellkosten c und den konstanten Lagerhaltungskostensatz c L in einem Quotienten zusammen, dann folgt aus (3.27):

co cL

max s dt s s s

(3.28)

Beispiel 3.9: Der bereits erwähnte Hersteller von Leinenstoffen in Beispiel 3.5 möchte unter Beachtung der Auftragsmengen nun die Bestellmengen und die resultierenden Gesamtkosten mit dem Verfahren von GROFF bestimmen. Die fixen Bestellkosten c betragen € pro Bestellung und der Lagerhaltungskostensatz c L beträgt € pro ME und Periode. In der folgenden Tabelle sind die Bedarfsmengen für die Stoffballen für die nächsten fünf Wochen angegeben:

t dt Mit Vs

dt

s

s s

1

2

3

4

5

10

27

11

9

23

und dem Kostenquotienten

c cL

als Vergleichs-

kriterium ergeben sich die in der folgenden Tabelle angegebenen Losgrößen. Beginnend mit Periode 1 ist der Wert V größer als der Kostenquotient. Somit wird in der ersten Periode nur der Bedarf der Periode 1 bestellt. Ausgehend von Periode 2 überschreitet der Wert von V den Kostenquotienten, sodass die Bestellmenge die Bedarfe der Perioden 2 und 3 umfasst. Die letzte Bestellung erfolgt in der Periode 4 für die Bedarfe der Perioden 4 und 5.

225

3.1

3

Lagerhaltung

t

s

V

s

V

q

t

s

V

s

V

s

V

q

t

s

V

s

V

q Mit dem Verfahren von GROFF werden insgesamt drei Bestellungen in den Perioden 1, 2 und 4 ausgelöst. Somit müssen die Bedarfe der Perioden 3 und 5 jeweils eine Periode €. gelagert werden. Die Gesamtkosten betragen somit In verschiedenen numerischen Untersuchungen wurde die Lösungsqualität der vorgestellten heuristischen Verfahren verglichen106. Die Ergebnisse zeigen, dass das Verfahren von GROFF sowie das Verfahren von SILVER und MEAL deutlich kostengünstigere Bestellpolitiken bestimmen als das Verfahren der gleitenden wirtschaftlichen Losgröße oder das Stückperiodenausgleichsverfahren. Im Mittel lagen die resultierenden Gesamtkosten mit den Verfahren von GROFF bzw. SILVER und MEAL ca. 1% über den mit der exakten Lösungsmethode erzielten Gesamtkosten. Die dargestellten vier Heuristiken bestimmen die Bestellmengen sukzessive, indem sie periodenweise fortschreiten und jeweils das entsprechende Entscheidungskriterium anwenden. Diese Heuristiken stellen sogenannte kurzsichtige bzw. myoptische Verfahren dar, die jeweils ein anderes heuristisches Abbruchkriterium verwenden. Steigen die Kosten beim Übergang von Periode s zur Periode s an, dann wird abgebrochen. Somit wird eine etwaige Kostenreduktion bei einer Betrachtung bis zu der Periode s , welche die Kostenerhöhung bis zur Periode s überkompensieren würde, nicht betrachtet. Diese sukzessive Vorgehensweise kann jedoch gegenüber dem exakten Verfahren auch von Vorteil sein, wenn sich die geplanten Bedarfswerte im Verlauf des Planungshorizonts ändern. Im Folgenden wird in den Beispielen 3.5 bis 3.9 eine Bedarfsänderung in der Periode 4 von 9 auf 12 Stoffballen unterstellt, die in der dritten Periode bekannt wird. Dann führt dies bei der optimalen Lösung dazu, dass in der vierten Periode noch einmal eine 106 Vgl. WEMMERLÖV (1981, 1982); KNOLMAYER (1985); ZOLLER/ROBRADE (1987).

226

Stochastische Lagerhaltungsmodelle

Bestellung von 3 ME benötigt wird, da der ursprüngliche Bedarf von 9 Stoffballen bereits in der zweiten Periode bestellt wurde. Somit entstehen zusätzliche Fixkosten von 50 €, die in ex post Gesamtkosten von 208 € + 50 = 258 € resultieren. Bei Anwendung des Verfahrens von GROFF oder dem Stückperiodenausgleichsverfahren kann auf diese Bedarfsänderung noch adäquat reagiert werden, da in der zweiten Periode noch nicht der Bedarf der vierten Periode mitbestellt wurde. Somit kann auf die Bedarfserhöhung in der vierten Periode reagiert und diese ohne weitere Kosten mitbestellt werden. Somit führen das Stückperiodenausgleichsverfahren und das Verfahren von GROFF zu niedrigeren Gesamtkosten von 218 € im Vergleich zu den ex post Gesamtkosten von 258 €.

3.1.3

Weiterführende Aufgaben

Zur Vertiefung des Stoffes wird auf die Aufgaben mit ausführlichen Lösungen im Kapitel 2.3 im Übungsbuch Logistik (4. Auflage) verwiesen.

3.2

Stochastische Lagerhaltungsmodelle

Im Gegensatz zu den deterministischen Lagerhaltungsmodellen gehen die stochastischen Lagerhaltungsmodelle von Planungsunsicherheiten aus, wobei die Unsicherheiten für die Bedarfsmengen und Wiederbeschaffungszeiten über Wahrscheinlichkeitsverteilungen abgebildet werden. Somit ist ein Einsatz stochastischer Modelle nur dann sinnvoll, wenn sich die Wahrscheinlichkeitsverteilungen mit vertretbarem Aufwand und mit ausreichender Sicherheit ermitteln lassen. In der Praxis werden stochastische Lagerhaltungsmodelle bei Endprodukten und Ersatzteilen mit unbekanntem Bedarf, für B- und C-Artikel sowie für Kaufteile mit langer Lieferzeit eingesetzt.

3.2.1

Bestandsarten und Servicegrad

Im Folgenden werden nur die Bedarfsmengen als stochastische Größen betrachtet und es wird eine Entscheidung über den Zeitpunkt und die Menge des Lagerzugangs derart gesucht, dass die verursachten Kosten möglichst gering sind. Die relevanten zu minimierenden Kosten umfassen die Lagerkosten, die Bestellkosten und die Sicherheitsbestandskosten. Es wird angenommen, dass pro Periode ein stationärer, stochastischer Bedarf X mit bekannter Wahrscheinlichkeitsverteilung vorliegt, wobei gilt:

E X

d

Var X

227

3.2

3

Lagerhaltung

Weiterhin ist die Nachfrage in nicht überlappenden Zeitintervallen unabhängig, sodass der Bedarf einer Periode keine Aussage über den Bedarf in der nächsten Periode zulässt. In der Abbildung 3-7 ist der Verlauf verschiedener Bestandsarten angegeben. Mit dem physischen Bestand wird der im Lager vorrätige Bestand bezeichnet. Der Bestellbestand umfasst den bereits bestellten, aber noch nicht im Lager verfügbaren Bestand und existiert somit nur während der Wiederbeschaffungszeit. Wird der physische Lagerbestand um die Vormerkungen vermindert, dann erhält man den Nettobestand. Wie aus der Abbildung ersichtlich ist, kann der Nettobestand auch negativ sein. Der disponible Bestand ergibt sich aus der Summe des physischen Lagerbestands und des Bestellbestands, vermindert um die Vormerkungen und den Sicherheitsbestand. Während mit dem Bestellzyklus der Zeitraum zwischen der Aufgabe zweier Bestellungen bezeichnet wird, umfasst der Lieferzyklus den Zeitraum zwischen dem Eintreffen zweier Lieferungen.

Abbildung 3-7 Verlauf verschiedener Bestandsarten

Lagerbestand

Disponibler Bestand

Bestellzyklus Lieferzyklus

Vormerkungen Nettobestand Bestellbestand

Bestellmenge q

Wiederbeschaffungszeit

Fehlmenge

Fehlmenge

Zeit

Der geplante Nettobestand am Ende der Lieferzyklen, d. h. unmittelbar vor dem Eintreffen einer neuen Lieferung, wird als Sicherheitsbestand bezeichnet. Mit dem Sicherheitsbestand als Risikoreserve zur Sicherung der Lieferfähigkeit versucht man sich gegen die bei stochastischer Nachfrage unvermeidlichen Fehlprognosen abzusichern.

228

Stochastische Lagerhaltungsmodelle

Die mit dem Sicherheitsbestand überbrückbare Zeit wird als Sicherheitszeit bezeichnet. Als Ursachen für Fehlprognosen treten in der Praxis die Nichteinhaltung der Wiederbeschaffungszeit, eine Abweichung der Lagerzugangsmenge von der Bestellmenge, eine Fehleinschätzung der Nachfrage während der Wiederbeschaffungszeit sowie eine Abweichung der Aufzeichnungen des Lagerbestands mit den tatsächlich vorhandenen Beständen auf (vgl. Abbildung 3-8). Da Fehlprognosen keine Probleme darstellen, solange sie durch eine Bestellung noch korrigiert werden können, sind nur diejenigen Fehlprognosen kritisch, die in einem Risikozeitraum auftreten für den keine Korrektur mehr möglich ist. Der Risikozeitraum umfasst somit denjenigen maximalen Zeitraum, für den der Nettobestand nicht beeinflusst werden kann.

Abbildung 3-8 Ursachen für Fehlprognosen Lagerbestand Liefermengenabweichungen

Mittlerer Bestand

Bestellmenge q

Bestellpunkt

Bestandsabweichungen

Verbrauchsabweichungen Sicherheitsbestand Zeit Sicherheitszeit Wiederbeschaffungszeit Lieferzeitabweichungen

Die Berechnung der Höhe des Sicherheitsbestands kann entweder auf der Basis der Zeitreihe der Lagerabgänge oder mit der Verteilung der Prognosefehler durchgeführt werden. Bedarfe mit einer mittleren Höhe treten i. d. R. häufiger auf als sehr niedrige oder sehr hohe Bedarfe. Für die Verteilung der Lagerabgänge um einen mittleren Bedarf wird häufig eine Normalverteilung unterstellt. Da die Normalverteilung symme-

229

3.2

3

Lagerhaltung

trisch ist, liegen langfristig 50% der tatsächlichen Bedarfswerte über und 50% unter den vorhergesagten Bedarfen (vgl. Abbildung 3-9). Für die Lieferfähigkeit stellt nur diejenige Fehlprognose eine Gefahr dar, bei der eine Unterschätzung vorliegt und der tatsächliche Bedarf höher als der prognostizierte Bedarf ist. So beträgt z. B. die Wahrscheinlichkeit 84,13%, dass der Prognosefehler kleiner oder gleich einer Standardabweichung oder negativ ist. Wird in diesem Fall ein Sicherheitsbestand in Höhe von einer Standardabweichung auf Lager gehalten, dann beträgt das Risiko einer Fehlmenge noch 15,87%.

Abbildung 3-9 Dichtefunktion der Normalverteilung f(x)

-3σ

-2σ



+2σ



50,0%

+3σ

x

84,13% 97,73% 99,87%

Der Sicherheitsbestand SB wird in der Praxis häufig auf der Grundlage der Lagerabgangsverteilung berechnet und ergibt sich somit als Produkt der Standardabweichung R der Lagerabgangsverteilung im Risikozeitraum R und einem zu wählenden Sicherheitsfaktor k :

SB

k

R

(3.29)

Liegt eine kontinuierliche Bedarfsprognose im Unternehmen vor, dann kann der Sicherheitsbestand SB unter Berücksichtigung eines Sicherheitsfaktors k auch mit Hilfe der Standardabweichung der Prognosefehler eR im Risikozeitraum berechnet werden:

SB

230

k

eR

(3.30)

Stochastische Lagerhaltungsmodelle

Sind die Prognosefehler normalverteilt, dann gilt für den Zusammenhang zwischen der Standardabweichung eR des Prognosefehlers und der MAD 107:

eR

MAD

MAD

Der Sicherheitsfaktor k hängt von der Art und der Höhe des gewählten Servicegrads ab. Der Servicegrad kann unterschiedlich gemessen werden, wobei in der Praxis der und der - Servicegrad am meisten zur Anwendung kommen. Bei unterstellter Normalverteilungsannahme ergibt sich der Sicherheitsfaktor k bei vorgegebenem Servicegrad aus dem entsprechenden Fraktil der Standardnormalverteilung und bei gegebenem - Servicegrad aus dem entsprechenden Fraktil der Brown’schen Servicefunktion108. Der - Servicegrad ist eine ereignisorientierte Kennzahl und misst die Wahrscheinlichkeit, dass in einem Lieferzyklus keine Fehlmengen auftreten. Beim - Servicegrad bleibt somit die Höhe der Fehlmengen unberücksichtigt. Deshalb stellt er eine gute Servicekennzahl für diejenigen Fälle dar, in denen die Konsequenzen von Fehlmengen unabhängig von der Höhe der Fehlmenge sind. Für die Berechnung des - Servicegrads gilt:

Im Gegensatz zum - Servicegrad stellt der - Servicegrad eine mengenorientierte Kennzahl dar, da er den erwarteten Mengenanteil der Gesamtnachfrage misst, der in einer Periode direkt durch den Lagerbestand befriedigt wird:

107 Vgl. Kapitel 2.4.1. 108 Eine Vertafelung der Brown’schen Servicefunktion ist im Anhang angegeben.

231

3.2

3

Lagerhaltung

Beispiel 3.10: Ein Lieferant beliefert seinen Kunden wöchentlich mit Bauteilen, wobei der Lagerbestand zu Beginn jeder Woche stets auf eine Lagerauffüllgrenze S von 110 Bauteilen aufgefüllt wird. In der folgenden Tabelle sind die normalverteilten Bedarfe sowie die Fehlmengen für die letzten sechs Wochen angegeben. Woche

S Bedarf Fehlmenge Somit ergibt sich für den

1 110 80 -

2 110 70 -

3 110 120 10

- und den

4 110 90 -

5 110 130 20

6 110 90 -

660 580 30

- Servicegrad:

- Servicegrad - Servicegrad

- Servicegrad um eine ereignisorientierte Kennzahl handelt, Da es sich bei dem würde sich derselbe Servicegrad von 66,7% ergeben, wenn in der Woche 3 der Bedarf 200 Bauteile betragen würde. Wäre der Bedarf in jeder Woche 111 Mengeneinheiten, dann wäre der - Servicegrad = 0% und der - Servicegrad = 99,1%. Im Folgenden wird der formale Zusammenhang zwischen dem gewählten Servicegrad und dem Sicherheitsbestand dargestellt. Dazu werden mit X R der Bedarf als Zufallsvariable im Risikozeitraum R und mit E X R dR der erwartete Bedarf angegeben, wobei d den stationären Bedarf pro Zeiteinheit bezeichnet. Die Varianz des Bedarfs im Risikozeitraum ist mit Var X R R gegeben, wobei die Varianz des Bedarfs im Zeitintervall der Länge 1 ist. Somit gilt für die Standardabweichung R R. Unterstellt man einen normalverteilten Bedarf, dann gilt für den standardisierten Bedarf YR im Risikozeitraum:

YR

XR

dR R

Da der Sicherheitsfaktor k von der Art und der Höhe des gewählten Servicegrads abhängt, wird dieser nun zunächst für den - Servicegrad bestimmt. Für einen normalverteilten Bedarf X R im Risikozeitraum R gilt mit SB k R :

232

Stochastische Lagerhaltungsmodelle

P XR

SB dR

XR

P

dR

SB

R

P YR

k

k

R

k

(3.31)

Somit ergibt sich der Sicherheitsfaktor k bei vorgegebenem entsprechende Fraktil der Standardnormalverteilung109. Ist ein

- Servicegrad als das

- Servicegrad gegeben, dann lässt sich dieser wie folgt berechnen:

LZ d LZ R

d LZ R

d LZ

E

dR SB

XR

E

dR

SB

R

E

R

d LZ

XR

YR

R

k

y k f y dy k Brown sche Servicefunktion S k

R

d LZ

Sk

Die Brown’sche Servicefunktion sinkt mit zunehmendem Sicherheitsfaktor k , sodass der - Servicegrad mit steigendem k Werte nahe bei eins annimmt. Somit lässt sich der Sicherheitsfaktor k mit der Inversen der Brown’schen Servicefunktion110 berechnen:

Sk

d LZ

bzw.

k

S

d LZ

(3.32)

R

R

), Ist die Nachfrage YR im Risikozeitraum standardnormalverteilt (d. h. YR N dann lässt sich die Brown’sche Servicefunktion mit der Dichtefunktion f k und der Verteilungsfunktion k der Standardnormalverteilung wie folgt berechnen:

Sk

f k

k

k

109 Eine Vertafelung der Standardnormalverteilung ist im Anhang angegeben. 110 Eine Vertafelung der Brown’schen Servicefunktion ist im Anhang angegeben.

233

3.2

3

Lagerhaltung

Beispiel 3.11: Die Beschaffungsabteilung eines Unternehmens plant die Optimierung ihrer Lagerhaltung unter Beachtung stochastischer Lagerhaltungsmodelle. Dabei soll für eine zu lagernde Komponente der Sicherheitsbestand berechnet werden, wobei ein - Servicegrad von 99% gewährleistet werden soll. Der Risikozeitraum beträgt vier Wochen und der erwartete Bedarf im Lieferzyklus wird mit 100 Stück angenommen. Für die Standardabweichung der Nachfrage pro Woche liegt ein Wert von 12,5 vor. Mit der Formel (3.32) wird zunächst der Sicherheitsfaktor k berechnet:

k

S

d LZ

S

S

R

Somit gilt für den aufzubauenden Sicherheitsbestand:

SB

k

R

Soll ein - Servicegrad von 99% gewährleistet werden, dann gilt mit Formel (3.31) für den Sicherheitsfaktor k :

k Somit berechnet sich der notwendige Sicherheitsbestand wie folgt:

SB

k

R

Vergleicht man die Höhe der beiden Sicherheitsbestände, dann wird bei Verwendung des - Servicegrads im Vergleich zum - Servicegrad ein um über 70% höherer Sicherheitsbestand aufgebaut, der höhere Kapitalbindungs- und Lagerungskosten zur Folge hat.

234

Stochastische Lagerhaltungsmodelle

3.2.2

Lagerhaltungspolitiken

Im Rahmen der stochastischen Lagerhaltung kommen in der Praxis verschiedene Lagerhaltungs- bzw. Bestellpolitiken zur Anwendung. Diese Bestellpolitiken unterscheiden sich bzgl. der Bestellmenge und dem Bestellzeitpunkt in Bestellrhythmusund Bestellpunktverfahren, die sich aufgrund verschiedener Kombinationen von Bestellpunkt s , Überwachungsintervall t , Bestellmenge q und Lagerauffüllgrenze S unterscheiden (vgl. Tabelle 3-1). Mit diesen Bestellpolitiken soll die Unsicherheit im Risikozeitraum begrenzt werden, wobei sich der Risikozeitraum aus dem Überwachungsintervall und der Wiederbeschaffungszeit zusammensetzt.

Tabelle 3-1 Stochastisch basierte Bestellpolitiken Bestellintervall t fix

variabel

Bestellmenge q

Bestellrhythmusverfahren

Bestellpunktverfahren

fix

t q - bzw. t s q -Politik

s q -Politik

variabel

t S - bzw. t s S -Politik

s S -Politik

3.2.2.1

Bestellpunktverfahren

Bei den Bestellpunktverfahren wird immer dann eine Bestellung ausgelöst, wenn die Summe aus disponiblem Bestand und Sicherheitsbestand den Bestellpunkt oder Meldebestand unterschreitet. Um den Lagerbestand kontinuierlich zu überwachen und fortzuschreiben, ist bei den Bestellpunktverfahren nach jeder Lagerentnahme eine Bestandskontrolle notwendig. Für eine effiziente, kontinuierliche Bestandsüberwachung sollte eine Barcode- oder RFID-Technologie eingesetzt werden. Die permanente Lagerbestandsüberwachung ermöglicht eine schnelle Reaktion auf niedrige Lagerbestandsniveaus und reduziert somit das Fehlmengenrisiko. Wie aus der Abbildung 3-10 ersichtlich ist, umfasst der Meldebestand den Sicherheitsbestand. Der Meldebestand muss zu Beginn der Wiederbeschaffungszeit ausreichen, um die Nachfrage X innerhalb der Wiederbeschaffungszeit zu erfüllen. Da bei den Bestellpunktverfahren eine kontinuierliche Bestandsüberwachung vorliegt, umfasst der Risikozeitraum R nur die Wiederbeschaffungszeit , d. h. R

235

3.2

Abbildung 3-10 Bestellpunktverfahren

Bestellpunkt

Sicherheitsbestand

Wiederbeschaffungszeit

Bestellmenge

Lagerbestand

Meldebestand

3

Lagerhaltung

Periode 1

Zeit Periode 2

Die Höhe des Meldebestands wird einerseits beeinflusst vom durchschnittlichen Verbrauch pro Periode und von der Wiederbeschaffungszeit. Andererseits hängt die Höhe des Meldebestands von dem Risiko ab, dass sich die Wiederbeschaffungszeit ändert, eine Fehleinschätzung der Nachfrage während der Wiederbeschaffungszeit vorliegt, es zu Abweichungen bei der Lagerzugangsmenge von der Bestellmenge kommt oder die Lagerbestandsaufzeichnungen nicht mit den tatsächlich vorhandenen Beständen übereinstimmen. Die Bestellpunktverfahren unterscheiden sich danach, ob die für jede Bestellung vorab zu bestimmende Bestellmenge fix oder variabel ist. a)

s q -Politik

Bei der s q -Politik wird nach jeder Entnahme der Lagerbestand überprüft. Falls bei der Überprüfung der Bestellpunkt s erreicht oder unterschritten wird, erfolgt die Bestellung einer konstanten Menge q Wie in der Abbildung 3-11 ersichtlich, ergeben sich in Abhängigkeit vom Unterschreiten des Bestellpunkts s unterschiedliche Bestandshöhen.

236

Stochastische Lagerhaltungsmodelle

Abbildung 3-11 s q -Bestellpolitik

Physischer Bestand Disponibler Bestand

100 90 80

Bestand am Zyklusbeginn

q*

70 Bestand

q*

q*

60 50 40

s

30 20 10 0

Zeit 1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Lieferzyklus

13

14

15

16

17

Fehlmenge

Bestellzyklus Wiederbeschaffungszeit

b)

Wiederbeschaffungszeit

s S -Politik

Die s S -Politik überprüft ebenfalls nach jeder Entnahme, ob der Bestellpunkt s erreicht bzw. unterschritten wird. Um jedoch die unterschiedlichen Bestandshöhen bei der s q -Politik zu vermeiden, wird bei der s S -Politik genau diejenige Menge bestellt, um den Lagerbestand auf eine vorgegebene Lagerauffüllgrenze S aufzufüllen (vgl. Abbildung 3-12). Je nachdem wie weit der Bestellpunkt unterschritten wurde, werden unterschiedliche Mengen q i bestellt. Auch sind die Bestellzyklen nicht konstant, sondern hängen von der Höhe und Häufigkeit der Lagerentnahmen ab.

237

3.2

Abbildung 3-12 s S -Bestellpolitik

Physischer Bestand Disponibler Bestand

100 90

S

q1

80

Bestand am Zyklusbeginn

70 Bestand

3

Lagerhaltung

q2

60 50 40 30 s 20 Fehlmenge

10 0

Zeit 1

2

3

4

5

8

9

10

11

12

13

14

15

16 17

Lieferzyklus Bestellzyklus Wiederbeschaffungszeit

3.2.2.2

Wiederbeschaffungszeit

Bestellrhythmusverfahren

Im Gegensatz zu den Bestellpunktverfahren erfolgt bei den Bestellrhythmusverfahren keine kontinuierliche Bestandsüberwachung. Bei den Bestellrhythmusverfahren werden die Zeitpunkte für das Auslösen einer Bestellung durch das Überwachungsintervall t bestimmt. Der Auslöser einer Bestellung ist somit nicht das Erreichen oder Unterschreiten einer bestimmte Menge, sondern der Ablauf eines vorgegebenen, konstanten Überwachungsintervalls t Somit umfasst bei den Bestellrhythmusverfahren der Risikozeitraum R das Überwachungsintervall t und die Wiederbeschaffungszeit , d. h. R t Dies hat zur Folge, dass die Bestellrhythmusverfahren im Vergleich zu den Bestellpunktverfahren einen höheren Sicherheitsbestand aufbauen. Auch die Bestellrhythmusverfahren unterscheiden sich danach, ob die für jede Bestellung vorab zu bestimmende Bestellmenge fix oder variabel ist.

238

Stochastische Lagerhaltungsmodelle

t q -Politik

a)

Bei der t q -Politik wird jeweils nach Ablauf des konstanten Überwachungsintervalls t eine konstante Menge q bestellt. Bei dieser Politik entfällt der Aufwand für eine Lagerbestandsüberwachung, da in festen Zeitabständen eine konstante Menge bestellt wird (vgl. Abbildung 3-13). Die fehlende Lagerbestandsüberwachung hat jedoch zur Folge, dass diese Politik bei sehr unregelmäßigen Entnahmen in den Perioden zu stark schwankenden Lagerbeständen führt. Dies kann bei sinkender Nachfrage zum Aufbau unnötiger Überbestände und bei steigender Nachfrage zu Fehlmengen führen. Diese Politik sollte nur bei konstanten Bedarfen eingesetzt werden, da sonst das Risiko von Fehl- bzw. Überbeständen sehr hoch ist.

Abbildung 3-13 t q -Bestellpolitik

Physischer Bestand Disponibler Bestand

100 90 80

q*

Bestand am Zyklusbeginn q* q*

Bestand

70

q*

60 50 40 30 20 10

Fehlmenge

0

Zeit 2

3

4

5

7

8

9

10

15

17

Überwachungsintervall t Überwachungsintervall t Überwachungsintervall t

Bestellzyklus Wiederbeschaffungszeit

b)

Lieferzyklus Wiederbeschaffungszeit

t S -Politik

Um die bei der t q -Politik unterschiedlichen Bestandshöhen zu vermeiden, wird bei der t S -Politik nach Ablauf des konstanten Überwachungsintervalls t genau dieje-

239

3.2

nige Menge bestellt, um den Lagerbestand auf eine vorgegebene Lagerauffüllgrenze S aufzufüllen (vgl. Abbildung 3-14). Somit wird im Gegensatz zur t q -Politik der Lagerbestand jeweils am Ende des Überwachungsintervalls geprüft. Da der Lagerabgang in den Überwachungsintervallen Schwankungen unterliegt, ergeben sich jeweils unterschiedliche Bestellmengen. Die t S -Politik findet z. B. im Handel mit festem Vertreterbesuchsrhythmus Anwendung, indem der Vertreter den Bestand bis auf den Sollbestand S auffüllt.

Abbildung 3-14 t S -Bestellpolitik

Physischer Bestand Disponibler Bestand

100 90

S

80

q2

q1

Bestand am Zyklusbeginn

70 Bestand

3

Lagerhaltung

60 50

Bestand am Zyklusende

40 30 20 10 0

Zeit 2

3

4

5

6

7

8

10

Überwachungsintervall t

11

12

12

14

15

16

Überwachungsintervall t

Lieferzyklus Wiederbeschaffungszeit

3.2.2.3

Wiederbeschaffungszeit

Kombination von Bestellrhythmus- und Bestellpunktverfahren

Bisher wurden nur reine Bestellpunkt- bzw. Bestellrhythmusverfahren betrachtet. Da bei den Bestellrhythmusverfahren nach Ablauf des festen Überwachungsintervalls t automatisch eine Bestellung ausgelöst wird, kann bei sinkender Nachfrage die Anwendung der t q -Politik unnötige Überbestände aufbauen und die Anwendung der t S -Politik zu Kleinstbestellungen führen. Um diese Nachteile zu umgehen, können die Bestellrhythmusverfahren durch Einführung eines Bestellpunkts s mit den Bestellpunktverfahren kombiniert werden.

240

Stochastische Lagerhaltungsmodelle

t s q -Politik

a)

Die t s q -Politik stellt eine Erweiterung der t q -Politik dar, indem zusätzlich ein Bestellpunkt s berücksichtigt wird (vgl. Abbildung 3-15). Nach Ablauf des konstanten Überwachungsintervalls t wird geprüft, ob der Bestellpunkt s erreicht oder unterschritten wurde. Ist dies der Fall, dann wird eine konstante Menge q bestellt.

Abbildung 3-15 t s q -Bestellpolitik

Physischer Bestand Disponibler Bestand

100 90 80 q*

Bestand

70 60

q*

50 40 30 s 20 Fehlmenge

10 0

Zeit 1

2

3

4

5

Überwachungsintervall t

6

7

10

Überwachungsintervall t

11

12

13

14

15

16

17

Überwachungsintervall t Bestellzyklus

Wiederbeschaffungszeit

Wurde der Bestellpunkt nicht erreicht bzw. unterschritten, dann wird keine Bestellung ausgelöst und diese Überprüfung nach Ablauf des nächsten Überwachungsintervalls wieder vorgenommen. Diese Politik schützt bei einer geringeren Nachfrage vor dem Aufbau unnötiger Überbestände. Falls die Nachfrage jedoch ansteigt, dann können auch bei dieser Politik Fehlmengen entstehen.

241

3.2

t s S -Politik

b)

Die t s S -Politik stellt eine Erweiterung der t S -Politik dar, indem zusätzlich ein Bestellpunkt s berücksichtigt wird (vgl. Abbildung 3-16). Wird nach Ablauf des konstanten Überwachungsintervalls t der Bestellpunkt s erreicht oder unterschritten, dann wird eine Bestellung ausgelöst, die den Lagerbestand auf die Lagerauffüllgrenze S auffüllt. Falls der Bestellpunkt s nicht erreicht oder unterschritten wird, dann verzichtet man auf die Bestellung einer zu kleinen Menge und prüft das Erreichen bzw. Unterschreiten des Bestellpunkts nach Ablauf des nächsten Überwachungsintervalls. Analog zur t s q -Politik kann auch die t s S -Politik bei steigender Nachfrage Fehlmengen nicht vermeiden.

Abbildung 3-16 t s S -Bestellpolitik

Physischer Bestand Disponibler Bestand

100 90

S

q1

80

q2

70 Bestand

3

Lagerhaltung

60 50 40 30 s 20 Fehlmenge

10 0

Zeit 1

2

3

4

5

6

7

10

11

12

13

14

15

16

Überwachungsintervall t Überwachungsintervall t Überwachungsintervall t

Bestellzyklus Wiederbeschaffungszeit

242

17

Stochastische Lagerhaltungsmodelle

3.2.2.4

Festlegung der Parameter ausgewählter Bestellpolitiken

Für die Anwendung der Bestellpunkt- bzw. Bestellrhythmusverfahren müssen die Parameter t q s S so bestimmt werden, dass die Summe aus Bestell-, Lager- und Sicherheitsbestandskosten bei vorgegebenem Servicegrad minimiert werden:

K q

cL

q

d q

c

cB d cL SB q

Zunächst wird mit dem Erwartungswert d für den stationären stochastischen Bedarf X pro Periode (d. h. E X d die optimale deterministische Bestellmenge q und der optimale deterministische Bestellzyklus T mit Hilfe des EOQ-Modells bestimmt:

co d cL

q

q d

T

und

Diese deterministische Bestellmenge q ist nicht mit der tatsächlichen optimalen Bestellmenge im stochastischen Modell identisch, approximiert sie aber gut genug. Durch die Vorgabe eines - oder - Servicegrad kann der Sicherheitsfaktor k mit Hilfe der Formeln (3.31) bzw. (3.32) bestimmt werden:

k

bzw.

k

d LZ

S

R

Die Berechnung des Sicherheitsbestands SB erfolgt mit den Formeln (3.29) bzw. (3.30):

SB

k

R

SB

bzw.

k

eR

Der Risikozeitraum R ergibt sich in Abhängigkeit der gewählten Bestellpolitik. Für Bestellrhythmusverfahren umfasst der Risikozeitraum R das Überwachungsintervall t T und die Wiederbeschaffungszeit , d. h. R T . Liegt dagegen ein Bestellpunktverfahren zugrunde, dann erfolgt eine kontinuierliche Bestandsüberwachung, sodass der Risikozeitraum R nur die Wiederbeschaffungszeit umfasst, d. h. R .

a)

Festlegung der Parameter für eine s q -Politik

Bei Anwendung des - Servicegrads ist zu beachten, dass für ein Bestellpunktverfahren approximativ gilt:

d LZ

q

243

3.2

3

Lagerhaltung

Der Bestellpunkt s für eine s q -Politik lässt sich wie folgt bestimmen:

s

SB

d

Beispiel 3.12: Ein mittelständisches Maschinenbauunternehmen möchte den Lagerbestand der Standardbolzen 0815-A, 0815-B und 0815-C mit Hilfe eines stochastischen Lagerhaltungs- Servicemodells regeln. Dabei soll eine s q -Bestellpolitik mit einem - bzw. grad von jeweils 98% zugrunde gelegt werden. Die Preis für die Standardbolzen 0815A, 0815-B und 0815-C betragen 1 €, 2 € bzw. 3 €. Pro Bestellung fallen Kosten von 250 € an und die Wiederbeschaffungszeit beträgt zwei Wochen. Die entsprechenden Bedarfe d und deren Standardabweichungen , die jeweils pro Woche gegeben sind, sowie die Lagerhaltungskostensätze können der nachstehenden Tabelle entnommen werden:

cL

Artikel

d

0815-A

100

30

0,2

0815-B

50

21

0,3

0815-C

100

45

0,5

Zu ermitteln sind der Bestellpunkt s , die feste Bestelllosgröße q und die Gesamtkosten unter Berücksichtigung des Sicherheitsbestands. Mit den Formeln R

R

q

und

q

co d cL

können die Standardabweichungen im Risikozeitraum R und die Bestellmengen q berechnet werden. Für den - Servicegrad von 98% ergibt sich als Fraktil der Standardnormalverteilung der Sicherheitsfaktor k Für den - Servicegrad wird der entsprechende Sicherheitsfaktor

k

S

d LZ R

S

q R

mit Hilfe der Brown’schen Servicefunktion berechnet.

244

Stochastische Lagerhaltungsmodelle

Anschließend können der Sicherheitsbestand SB k R und der Bestellpunkt s SB d SB d bestimmt werden. Die entsprechenden Werte können der folgenden Tabelle entnommen werden:

- Servicegrad

- Servicegrad Artikel

R

q

q

s

SB

k

k

SB

s

R

0815-A

42

500

0815-B

30

289

0815-C

64

316

86

286

0,24

0,37

16

216

61

161

0,19

0,52

16

116

131

331

0,10

0,90

58

258

2,05

Vergleicht man die verschiedenen Sicherheitsbestände, dann werden mit einem - Servicegrad viel höhere Sicherheitsbestände als mit dem - Servicegrad benötigt. Dies ist dadurch begründet, dass bei einem - Servicegrad im Gegensatz zum - Servicegrad die Höhe der Fehlmengen berücksichtigt werden. Des Weiteren hat die Standardabweichung im Vergleich zur Bestellmenge einen deutlich höheren Einfluss auf den Sicherheitsbestand. Im Folgenden werden für den - und - Servicegrad die resultierenden Gesamtkosten angegeben:

Artikel

Kosten ohne Sicherheitsbestand

K q

c dcL

Kosten für den Sicherheitsbestand

dcB

cL SB

- SG

b)

Gesamtkosten

- SG

- SG

- SG

0815-A

100 + 100 =200 €

17,2 €

3,2 €

217,2 €

203,2 €

0815-B

86,6+100=186,6 €

18,3 €

4,8 €

204,9 €

191,4 €

0815-C

158,1+300=458,1 €

65,5 €

29 €

523,6 €

487,1 €

Festlegung der Parameter für eine t S -Politik

gesetzt und bei AnFür ein Bestellrhythmusverfahren wird approximativ t T wendung des - Servicegrads ist zu beachten, dass approximativ LZ T gilt. Für die Auffüllgrenze S im Rahmen einer t S -Bestellpolitik gilt:

S

SB

t d

245

3.2

3

Lagerhaltung

Beispiel 3.13: Das mittelständische Maschinenbauunternehmen aus Beispiel 3.12 möchte für die Lagerhaltung der Standardbolzen 0815-A, 0815-B und 0815-C nun alternativ als Bestellrhythmusverfahren die t S -Bestellpolitik anwenden. Dabei soll wieder ein bzw. - Servicegrad von jeweils 98% unterstellt werden. Die entsprechenden Bedarfe d und deren Standardabweichungen , die jeweils pro Woche gegeben sind, sowie die Lagerhaltungskostensätze können der nachstehenden Tabelle entnommen werden:

cL

Artikel

d

0815-A

100

30

0,2

0815-B

50

21

0,3

0815-C

100

45

0,5

Zu ermitteln sind das Überwachungsintervall t und die Auffüllgrenze S Mit den Formeln

t

q d

T

co dc L

und

R

R

T

T

können die Überwachungsintervalle t und die Standardabweichungen R im Risikozeitraum berechnet werden. Für den - Servicegrad von 98% ergibt sich wiederum als Fraktil der Standardnormalverteilung der Sicherheitsfaktor k . Für den - Servicegrad wird der entsprechende Sicherheitsfaktor

k

S

d LZ R

S

dT R

S

q R

mit Hilfe der Brown’schen Servicefunktion berechnet. Anschließend können der Sicherheitsbestand SB k R und die Auffüllgrenze S SB T d bestimmt werden. Die entsprechenden Werte können der folgenden Tabelle entnommen werden:

246

Literaturhinweise

- Servicegrad

- Servicegrad Artikel

q

T

R

0815-A

500

5

79

0815-B

289

5,8

59

0815-C

316

3,2

103

k

SB

S

q

k

SB

S

R

2,05

162

862

0,13

0,76

60

760

121

511

0,10

0,90

53

443

211

731

0,06

1,17

120

640

Da bei der t S -Bestellpolitik im Vergleich zur s q -Bestellpolitik ein größerer Risikozeitraum besteht, wird ein höherer Sicherheitsbestand benötigt. Auch ist ersichtlich, dass bei Verwendung eines - Servicegrads im Vergleich zum - Servicegrad ein viel höherer Sicherheitsbestand aufgebaut wird.

3.2.3

Weiterführende Aufgaben

Zur Vertiefung des Stoffes wird auf die Aufgaben mit ausführlichen Lösungen im Kapitel 2.4 im Übungsbuch Logistik (4. Auflage) verwiesen.

3.3

Literaturhinweise

Andler, K. (1929): Rationalisierung der Fabrikation und optimale Losgröße, Oldenbourg. DeMatteis, J. J. (1968): An economic lot-sizing technique I: The part-period algorithm, IBM Systems Journal, Vol. 7, S. 30-38. Groff, G. (1979): A lot sizing rule for time-phased component demand, Production and Inventory Management, Vol. 2, No 1, S. 47-53. Hadley, G.; Whitin, T. M. (1963): Analysis of Inventory Systems, Englewood Cliffs. Harris, F. (1915): Operations and Cost, Factory Management Series, Shaw and Company. Knolmayer, G. (1985): Zur Bedeutung des Kostenausgleichsprinzips für die Bedarfsplanung in PPS-Systemen, Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 37. Jg., Heft 5, S. 411-427. Lasch, R. (2016): Strategisches und operatives Logistikmanagement: Distribution, 2. Auflage, Springer Gabler.

247

3.3

3

Lagerhaltung

Lasch, R.; Janker, C. (2017): Übungsbuch Logistik – Aufgaben und Lösungen zur quantitativen Planung in Beschaffung, Produktion und Distribution, 4. Auflage, Springer Gabler. Mendoza, A. G. (1968): An economic lot-sizing technique II: Mathematical analysis of the part-period algorithm, IBM Systems Journal, Vol. 7, S. 39-46. Silver, E.; Meal, H. (1969): A simple modification of the EOQ for the case of a varying demand rate, Production and Inventory Management, Vol. 10, S. 51-55. Silver, E.; Meal, H. (1973): A heuristic for selecting lot quantities for the case of a varying demand rate and discrete opportunities for replenishment, Production and Inventory Management, Vol. 14, Nr. 2, S. 64-74. Silver, E.; Miltenberg, J. (1984): Two modifications of the Silver-Meal lot sizing heuristics, INFOR, Vol. 22, Nr. 1, S. 56-69. Stefanic-Allmeyer, K. (1927): Die günstigste Bestellmenge beim Einkauf, Sparwirtschaft, S. 504-508. Wagner, H. M.; Whitin, T. M. (1958): Dynamic Version of the Economic Lot Size Model, Management Science, Vol. 5, S. 89-96. Wemmerlöv, U. (1981): The ubiquitous EOQ – its relation to discrete lot sizing heuristics, International Journal of Operations & Production Management, Vol. 1, S. 161-179. Wemmerlöv, U. (1982): A comparison of discrete single stage lot-sizing heuristics with special emphasis on rules based on marginal cost principle, Engineering Costs and Production Economics, Vol. 7, S. 45-53. Zoller, K.; Robrade, A. (1987): Dynamische Bestellmengen- und Losgrößenplanung, OR-Spektrum, 16. Jg. Nr. 9, S. 219-233.

248

4

Qualitätskontrolle der Lieferantenleistung

Aufgrund einer zunehmenden Konzentration auf die Kernkompetenzen ist der Wertschöpfungsanteil der Zulieferer in den letzten Jahren stark angestiegen. Dieser beträgt in vielen Branchen weit über 50%, sodass auch ein Großteil der Qualität der Endprodukte durch die Qualität der zugelieferten Produkte bestimmt wird. Exzellente Lieferanten mit fehlerfreien Produkten unterstützen die Qualität der eigenen Produkte im Markt und verhindern finanzielle Schäden und einen Imageverlust. Weiterhin lassen sich durch eine nachhaltig gute Qualität der Lieferantenprodukte die Sicherheitsbestände senken und die eigene Lieferfähigkeit erhöhen. Zur Kontrolle der Qualität der Produkte der Zulieferer kommt in den Unternehmen eine zählende oder messende Abnahmeprüfung zum Einsatz. Da aus Zeit- und Kostengründen eine Vollprüfung nicht möglich ist, erfolgt die Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung einer Lieferung auf der Basis einer Stichprobenprüfung, für die ein Prüfplan bestimmt werden muss. In diesem Prüfplan wird festgelegt, wie groß der Stichprobenumfang und die maximale Anzahl an defekten Produkten in der Stichprobe sind. Aus dem Ergebnis der Abnahmeprüfung und dessen Rückkopplung zum Lieferanten entsteht ein Qualitätsregelkreis, der zu einer verbesserten Leistung des Lieferanten führt.

Lernziele: Total Quality Management Qualitätsschwankungen und deren Ursachen Konstruktion von Prüfplänen für die zählende und messende Abnahmeprüfung Unterschiede zwischen zählender und messender Abnahmeprüfung

4.1

Qualitätsmanagement

Zufriedene Kunden sind der dominante, strategische Erfolgsfaktor. Somit darf Qualität nicht nur als objektiver, technisch zu bestimmender Parameter aufgefasst werden, der unternehmensintern durch einen Soll-Ist-Vergleich überprüft wird, sondern Qualität wird durch die Anforderungen der Kunden, interne Empfänger jeglicher Leistung eingeschlossen, definiert. Diejenigen Produkt- und Dienstleistungsmerkmale, die zur Kundenzufriedenheit beitragen, müssen Ausgangspunkt für die Gestaltung des Leis-

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 R. Lasch, Strategisches und operatives Logistikmanagement:Beschaffung

249

4

Qualitätskontrolle der Lieferantenleistung

tungsangebots eines Unternehmens sein. Der Qualitätsbegriff hat sich über die Jahre durch einen zeit- und umweltbedingten Einschätzungswandel verändert. In den 50er Jahren bedeutete Qualität – aufgrund der Konzentration auf den Fertigungsbereich – die Einhaltung von technischen Standards. Heute hingegen beziehen Kunden und diverse Anspruchsgruppen in die Beurteilung der Qualität von Produkten neben grundlegenden Produkteigenschaften und -funktionalitäten verstärkt auch den Bedienungskomfort, modernste Technologie, die Nachhaltigkeit von Produkten und Produktion sowie einen weltweiten Service mit ein. Auch wirken sich eine hohe Lieferflexibilität und Lieferqualität oder zusätzlich angebotene Leistungen wie Tracking and Tracing sowie die kostenlose Entsorgung von Verpackungsmaterialien positiv auf die Wahrnehmung und Bewertung des Kunden aus. Unter Qualität wird nach der Qualitätsnorm DIN EN ISO 9001:2015 das Vermögen einer Gesamtheit inhärenter (lat. innewohnender) Merkmale eines Produkts, eines Systems oder eines Prozesses zur Erfüllung von Forderungen von Kunden und anderen interessierten Parteien verstanden. Dieses Qualitätsverständnis schließt nicht nur die Qualität der Produkte und Dienstleistungen ein, sondern bezieht sich ebenfalls auf die Qualität der kundenbezogenen Prozesse wie z. B. die Kundenbetreuung und impliziert somit eine strategische Orientierung, die insbesondere eine hohe Kundentreue in den Mittelpunkt stellt. Qualität darf nicht statisch betrachtet werden, da die Bedürfnisse der Kunden wie auch die gesetzlichen Anforderungen einem Wandel unterworfen sind. Entsprechend muss die Gesamtheit der Eigenschaften fortentwickelt werden, um den jeweils maßgebenden Qualitätsansprüchen gerecht zu werden. Das Qualitätsmanagement umfasst alle organisatorischen und technischen Maßnahmen, die vorbereitend, begleitend und prüfend der Schaffung und Erhaltung der Ergebnis-, Ausführungs- und Potenzialqualität von Produkten und Dienstleistungen dienen. Während die Ergebnisqualität für die Zufriedenheit der Kunden verantwortlich ist, betrachtet die Ausführungsqualität Unzulänglichkeiten in der Leistungserstellung. Mit Hilfe der Potenzialqualität können Aussagen getroffen werden, inwieweit den zukünftigen Marktanforderungen Rechnung getragen wird. Das Qualitätsmanagement umfasst die Teilfunktionen Qualitätsplanung, -lenkung und -kontrolle sowie die kontinuierliche Qualitätsverbesserung111. Unter der Qualitätsplanung werden sämtliche planerische Tätigkeiten zusammengefasst, in denen die Qualitätsmerkmale sowie ihre geforderten und zulässigen Ausprägungen für ein Produkt, einen Prozess oder ein Verfahren festgelegt werden, um eine reproduzierbare Ausführungsqualität zu erreichen. Die Qualitätsplanung erfolgt im Hinblick auf die Kundenanforderungen, die technische Realisierbarkeit sowie die personellen, materiellen und finanziellen Ressourcen im Unternehmen. Durch Planung der Qualität, z. B. durch die Qualitätstechniken Quality Function Deployment (QFD), Fehlermöglichkeits- und -einflussanalyse (FMEA), Poka Yoke oder die Audi-

111 Vgl. BRÜGGEMANN/BREMER (2012, S. 122).

250

Qualitätsmanagement

tierung, werden Kosten gespart, Entwicklungszeiten verkürzt und fehlerhafte Prozessergebnisse vermieden. Die Qualitätslenkung, die auch als Qualitätssteuerung oder -regelung bezeichnet wird, basiert auf den Ergebnissen der Qualitätsplanung. Sie beinhaltet die Vorgabe der Produkt- und Ausführungsanforderungen sowie die Überwachung der Umsetzung dieser Anforderungen bei der Leistungserstellung. Als weitere Aufgabe umfasst die Qualitätslenkung die Steuerung der Herstellungsprozesse und die Organisation von Produkt- oder Prozessprüfungen. Unter Verwendung der Ergebnisse der Qualitätskontrolle können Maßnahmen veranlasst werden, die Störgrößen und Schwachstellen eliminieren. Darüber hinaus können auch Maßnahmen geplant und veranlasst werden, die auf eine Änderung der Entwurfsqualität oder der eingesetzten Prozesse und Verfahren abzielen. Die Qualitätskontrolle bzw. -prüfung beinhaltet einen Soll-Ist-Vergleich um festzustellen, inwieweit Produkte, Prozesse und Tätigkeiten die an sie gestellten Qualitätsanforderungen erfüllen. Im Fall von Abweichungen ist nicht nur eine Aussonderung oder eventuelle Nachbesserung erforderlich, sondern auch eine Ursachenermittlung, um Rückschlüsse auf weitere Planungsprozesse ziehen zu können. Die systematische Ursachenfindung kann mit Hilfe der statistischen Prozessführung, Ishikawa-Diagrammen und der ABC-Analyse unterstützt werden. Die Ursachen für die Abweichung von Qualitätsvorschriften können in zufällige und systematische Ursachen unterteilt werden112. Zufällige Ursachen sind durch den Herstellungsprozess bestimmt, bewirken eine natürliche Streuung des geprüften Wertes und sind grundsätzlich in ihrer Wirkung nicht zu beseitigen. Die Stärke und die Richtung des Einflusses zufälliger Ursachen, wie z. B. Vibrationen oder Lagerspiele, sind somit nicht vorhersehbar. Die Wirkung jeder einzelnen dieser zufälligen Ursachen auf die Produktqualität ist gering und durch Messungen kaum zu erfassen, da sich die insgesamt auftretende zufällige Abweichung erst durch eine Überlagerung sämtlicher zufälliger Ursachen ergibt. Die systematischen Ursachen, durch deren Wirkung es zu einer langsamen oder plötzlichen Veränderung eines Qualitätsmerkmals kommt, können dagegen beeinflusst bzw. beseitigt werden. Beispiele für eine langsame Veränderung hierfür sind Werkzeugabnutzung oder die Ermüdung der Mitarbeiter. Sprunghafte Veränderungen können durch Beschädigungen von Werkzeugen oder Maschinen, einen Schichtwechsel oder durch einen neuen Materiallieferanten verursacht werden. Die Qualitätsverbesserung umfasst die permanente Verbesserung der Leistungen der Prozesse und der Potenziale des Unternehmens sowie die Veränderung des Verhaltens von Führungskräften und Mitarbeitern in Richtung eines höheren Qualitätsbewusstseins und einer besseren Lernfähigkeit. Die kontinuierliche Verbesserung bedeutet somit, dass man mit dem Erreichten nicht zufrieden sein sollte.

112 Vgl. RINNE/MITTAG (1995, S. 12).

251

4.1

4

Qualitätskontrolle der Lieferantenleistung

Das Qualitätsmanagement stellt somit eine langfristig angelegte und am Kunden orientierte Strategie der Unternehmensführung dar, die sämtliche Abläufe im Unternehmen umfasst. Neben dem bisher beschriebenen, rein technisch-administrativen Qualitätsmanagementsystem spielt auch die Einstellung der Mitarbeiter eine bedeutende Rolle. Auf dieser Erkenntnis baut das Total Quality Management (TQM) auf, welches das Qualitätsmanagement zu einem soziotechnischen Führungsmodell erweitert, indem alle Mitarbeiter und alle Hierarchien auf Qualität ausgerichtet werden. TQM ist ein umfassendes Qualitätsmanagementkonzept, das die Belange aller Interessensgruppen (engl. stakeholder) und insbesondere die Belange der Gesellschaft (ökologisch, sozial, kulturell) einbezieht, das die tatsächlich erzielten Ergebnisse prüft und einen Vergleich mit anderen und dem Wettbewerb erlaubt und das die erfolgreiche Orientierung auf Nachhaltigkeit fordert. Die Unternehmensleitung ist für die Formulierung und Durchsetzung einer offensiven Qualitätspolitik verantwortlich. Somit erfordert TQM eine im ganzen Unternehmen umfassend gelebte Qualitätsphilosophie, wobei der Qualitätsbegriff nicht nur die Produkt- und Servicequalität umfasst, sondern auch die Erfüllung der Forderungen der Mitarbeiter und aller anderer Anspruchsgruppen einschließlich der Verantwortung für die Gesellschaft. Als Zielsetzung verfolgt das TQM die Steigerung der Kundenzufriedenheit und die kontinuierliche Verbesserung aller Leistungen und Prozesse im Unternehmen. In Europa wird das Modell EFQM (European Foundation for Quality Management) zur Umsetzung von TQM am häufigsten genutzt, an dem sich auch nationale Modelle orientieren. Das EFQM-Modell dient als Leitfaden für den Aufbau eines Unternehmensmanagementsystems und besteht aus drei Säulen. Die erste Säule „Führung“ beinhaltet die Vorbildfunktion und die Einbeziehung aller Mitarbeiter. Die Säule „Prozesse“ umfasst die Prozessidentifizierung, -steuerung und -prüfung sowie die kontinuierliche Prozessverbesserung. Gegenstand der dritten Säule „Geschäftsergebnisse“ ist die Ergebnisverbesserung und Zielerreichung. Durch die Erfassung der Ergebnisse und die Rückführung dieser Erkenntnisse auf die Befähiger (d. h. die Säulen „Führung“ und „Prozesse“), bildet das Modell einen kontinuierlichen Regelkreis. Das Qualitätsmanagement muss unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet werden, sodass vor allem die Qualitätskosten von Bedeutung sind. Die Qualitätskosten lassen sich in Fehlerverhütungskosten und in die Kosten der Nicht-Qualität unterteilen. Zu den Fehlerverhütungskosten gehören die Kosten zur Fehlerverhütung und die Kosten für vorbeugende Maßnahmen der Qualitätssicherung. Beispiele für Fehlerverhütungskosten sind die Kosten für die Qualitätsplanung, für Schulungsmaßnahmen, für Prozessfähigkeitsuntersuchungen oder für die Bewertung und Entwicklung von Lieferanten. Die Kosten der Nicht-Qualität umfassen die Prüfkosten sowie die internen und externen Fehlerfolgekosten. Zu den Prüfkosten zählen die Personal- und Sachkosten für die Durchführung und Bewertung der Qualitätskontrolle, wie z. B. die Kosten für die Fertigungs- oder Wareneingangsprüfung, die Kosten für Prüfmittel oder die Kosten für die Vorbereitung oder Durchführung von Audits. Die internen und externen Fehlerfolgekosten umfassen alle Kosten zur Beseitigung von Fehlern, die

252

Qualitätsmanagement

entweder im Unternehmen oder außerhalb des Unternehmens entdeckt werden. Beispiele für interne Fehlerfolgekosten sind die Kosten für Nacharbeiten oder Ausschuss. Zu den externen Fehlerfolgekosten zählen z. B. die Kosten für die Produkthaftung, Garantiekosten, Kosten für Rückrufaktionen oder Kosten für einen Imageverlust.

4.1.1

Qualitätsmerkmale und Qualitätsschwankungen

Unter einem Qualitätsmerkmal wird eine Größe verstanden, mit der die Qualität einer Leistung beurteilt werden kann. Qualitätsmerkmale lassen sich als quantitative (stetige oder diskrete) Merkmale oder als qualitative (ordinale oder nominale) Merkmale erfassen (vgl. Abbildung 4-1). Bei diskreten Merkmalen werden die Merkmalsausprägungen nur für bestimmte Zahlenwerte angegeben und die Bestimmung erfolgt durch einen Zählvorgang. Bei stetigen oder kontinuierlichen Merkmalen sind die Merkmalsausprägungen durch reelle Zahlen gegeben, sodass für je zwei Merkmalsausprägungen auch alle Zwischenwerte realisiert werden können. Die Bestimmung stetiger Merkmalswerte erfolgt durch einen Messvorgang.

Abbildung 4-1 Qualitätsmerkmale113

Qualitätsmerkmale sind quantitative Merkmale

qualitative Merkmale erfassbar als

kontinuierliche Merkmale

diskrete Merkmale

ordinale Merkmale

nominale Merkmale

Merkmalswertbestimmung erfolgt durch Messvorgang

Beurteilung

eindeutige Zuordnung

ordinalskaliert

nominalskaliert

Zählvorgang Merkmalswerte sind

intervall-, verhältnis-, absolutskaliert

113 In Anlehnung an WIENDAHL (1996, S. 41).

253

4.1

4

Qualitätskontrolle der Lieferantenleistung

Durch die Skalierung wird die Sachlogik, die hinter einer Merkmalsausprägung steht, erfasst. Eine Nominalskala liegt vor, wenn die Merkmalsausprägungen nur nach dem Kriterium „gleich oder verschieden“ klassifiziert werden können. Somit wird ein nominal skaliertes Merkmal durch eine Beschreibung von Kategorien (z. B. Farbe) messbar gemacht und der Messvorgang erfolgt durch eine Feststellung der Gleichheit bzw. Ungleichheit bzgl. dieser festgelegten Kategorien. Bei einer Ordinalskala oder Rangskala können die Merkmalsausprägungen nicht nur unterschieden, sondern auch in eine natürliche, auf- oder absteigende Rangordnung (z. B. hoch, mittel, niedrig) gebracht werden. Dabei sind die Abstände zwischen den Merkmalsausprägungen nicht quantifizierbar. Der Messvorgang erfolgt bei einer Ordinalskala durch eine Beurteilung. Bei diskreten Merkmalen lassen sich die Merkmalsausprägungen nur für bestimmte Zahlenwerte angeben und die Bestimmung erfolgt durch einen Zählvorgang. Bei stetigen oder kontinuierlichen Merkmalen sind die Merkmalsausprägungen durch reelle Zahlen gegeben, sodass für je zwei Merkmalsausprägungen auch alle Zwischenwerte realisiert werden können. Die Bestimmung stetiger Merkmalswerte erfolgt durch einen Messvorgang. Mit einer Kardinalskala oder metrischen Skala können die Merkmalsausprägungen nicht nur in eine Rangordnung gebracht, sondern auch Abstände oder Verhältnisse von Merkmalsausprägungen festgestellt werden. Bei einer Kardinalskala erfolgt eine Unterscheidung in eine Intervall-, Verhältnis- und Absolutskala. Die Intervallskala ermöglicht neben einer Ordinalskala noch die Unterscheidung von Abständen zwischen den Merkmalsausprägungen, sodass eine Quantifizierung von Differenzen zwischen Merkmalsausprägungen durch Addition oder Subtraktion erfolgen kann. Bei einer Verhältnisskala, die neben den Eigenschaften der Intervallskala noch einen natürlichen Nullpunkt besitzt, ist auch die Bildung von Quotienten sinnvoll. Eine Absolutskala erweitert eine Verhältnisskala noch um eine natürliche Einheit. In der Praxis treten Variationen der Ausprägungen von Qualitätsmerkmalen auf, die nur dann kontrolliert werden können, wenn sie im Qualitätsmerkmal messbar sind. Bei Qualitätsmerkmalen lassen sich die folgenden drei Arten von Schwankungen unterscheiden114: Abweichungen innerhalb eines Produkts: Ein Merkmal wie z. B. der Durchmesser weist unterschiedliche Abmessungen am oberen oder unteren Ende des Werkstücks auf. Abweichungen zwischen den Produkteinheiten, die in etwa gleichzeitig hergestellt wurden: Diese Abweichungen können z. B. durch einen Werkzeugverschleiß hervorgerufen werden. Abweichungen über die Zeit: Diese Abweichungen treten bei Produkteinheiten auf, die an verschiedenen Tagen oder zu verschiedenen Tageszeiten produziert wurden.

114 Vgl. RINNE/MITTAG (1995, S. 10).

254

Qualitätsmanagement

Für diese Schwankungen der Qualitätsmerkmale lassen sich mit Hilfe eines IshikawaDiagramms sechs Ursachen identifizieren, die einzeln oder in Kombination auftreten können115 (vgl. Abbildung 4-2).

Abbildung 4-2 Ursachergruppen für Qualitätsschwankungen Mensch

Methode

Maschine

Schwankungen von Qualitätsmerkmalen Material

Messbarkeit

Mitwelt

Als Ursachergruppen für Abweichungen bei den Qualitätsmerkmalen können der Mensch, die Methode, die Maschine, das Material, die Messbarkeit und die Mitwelt („sechs M“) identifiziert werden. Der Mensch als Bedienungs- oder Überwachungspersonal kann z. B. aufgrund von Unkonzentriertheit, Ermüdung oder Mangel an Sorgfalt für Schwankungen im Produktionsergebnis verantwortlich sein. Die Methode oder Technologie, mit der produziert wird, kann evtl. nicht ausreichend qualifiziert sein oder das Zusammenspiel von Mitarbeiter und Technologie kann aufgrund eines Mangels an Können zu Schwankungen im Produktionsprozess führen. Die Toleranz einer Maschine kann z. B. durch nicht ausreichende Leistung, durch Defekte oder durch eine schlechte bzw. fehlende Wartung beeinflusst werden. Das im Produktionsprozess verwendete Material kann z. B. bzgl. Dehnbarkeit, Bruchfestigkeit oder der chemischen Zusammensetzung variieren und somit zu Schwankungen im Endprodukt führen. Die Messbarkeit beinhaltet die Instrumente, mit der die Qualität überwacht werden soll. Schwankungen können sich durch schlecht kalibrierte Messinstrumente, falsche Messpunkte oder unterschiedliche Messpersonen ergeben. Die Mitwelt umfasst alle äußeren Einflüsse, die auf den Produktionsprozess wirken. Hierzu zählen Umwelteinflüsse wie z. B. Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Lichtverhältnisse, Lärm oder Erschütterungen sowie die Stabilität dieser Umwelteinflüsse.

4.1.2

Statistische Qualitätskontrolle

Im Rahmen der Qualitätskontrolle werden entweder Aussagen über den Zustand des Produktionsprozesses getroffen (Produktionskontrolle) oder man erhält Informationen über den Ausschussanteil einer Lieferung (Abnahmeprüfung). Die Qualitätskontrolle kann nach dem Umfang der durchzuführenden Kontrollmaßnahmen in Totalkontrolle 115 Vgl. RINNE/MITTAG (1995, S. 11); BRUNNER/WAGNER (2011, S. 175).

255

4.1

4

Qualitätskontrolle der Lieferantenleistung

und Partialkontrolle unterschieden werden. Bei der Totalkontrolle (Vollprüfung) erfolgt eine Überprüfung eines jeden Produkts der zu kontrollierenden Grundgesamtheit. Eine Totalkontrolle wird in der Praxis i. d. R. aus Zeit- und Kostengründen nicht durchgeführt. Zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit von Produkten (z. B. bei Herzschrittmachern) kann eine Totalkontrolle jedoch vorgeschrieben werden. Es ist jedoch zu beachten, dass insbesondere durch Messfehler auch die Ergebnisse einer Totalkontrolle fehlerhaft sein können. Bei einer zerstörenden Prüfung ist eine Totalkontrolle auszuschließen und nur eine Partialkontrolle durchzuführen. Die Partialkontrolle, die als statistische Qualitätskontrolle bezeichnet wird, beschränkt sich auf die Überprüfung einer zufällig ausgewählten Stichprobe aus der Grundgesamtheit, um Aussagen über die Grundgesamtheit abzuleiten. Bei einer Produktionskontrolle oder einer Abnahmeprüfung wird anhand einer Stichprobe auf die Qualität einer Produktion bzw. ganzen Lieferung geschlossen. Werden im Rahmen der Produktionskontrolle oder der Abnahmeprüfung zu viele fehlerhafte Produkte festgestellt, dann kommt es zu einem Produktionsstopp oder zur Zurückweisung der gesamten Lieferung. Hierbei ist zu beachten, dass die aus den Stichprobenergebnissen abgeleiteten Aussagen über die Grundgesamtheit auch zu Fehlentscheidungen führen können. Einerseits wird bei einer zufällig schlechten Stichprobe die Produktion gestoppt oder die gesamte Lieferung zurückgewiesen, obwohl das tatsächliche Ausmaß der Mängel noch akzeptabel wäre. Andererseits wird bei einer nur zufällig guten Stichprobe das gesamte Ausmaß der Mängel nicht ersichtlich, d. h. die Produktion läuft fälschlicherweise so weiter bzw. die Lieferung wird zu Unrecht angenommen. Der Rückschluss vom Stichprobenergebnis auf die Grundgesamtheit beinhaltet immer dann die Gefahr von Fehlentscheidungen, wenn die Stichprobe für die Grundgesamtheit nicht repräsentativ ist. Im Rahmen einer Abnahmeprüfung stellt ein vom Lieferanten geliefertes Los (bzw. Charge, Partie) die Grundgesamtheit, d. h. eine Ansammlung von N Produkten, dar. Aus diesem Los wird eine Stichprobe oder es werden mehrere Stichproben im Umfang von n Produkten entnommen. Jedes Produkt der Stichprobe wird anhand von vorher festgelegten Qualitätsmerkmalen bzw. Prüfmerkmalen überprüft. Falls die Produkte dieser Stichprobe(n) bestimmten Anforderungen entsprechen, wird das ganze Los angenommen, andernfalls abgelehnt. Für die Annahme eines Loses wird eine Annahmekennzahl festgelegt, welche die maximale Anzahl defekter Produkte in der Stichprobe festlegt. Eine Ablehnung eines Loses bedeutet entweder die Rücksendung des Loses an den Lieferanten oder, falls ökonomisch vertretbar, eine Totalkontrolle und ggf. ein Austausch aller N Produkte. Der Prüfplan als statistisches Instrument der Abnahmeprüfung spezifiziert die Stichprobenumfänge und die Regeln für die Annahme oder Ablehnung eines Loses. Bei einem einfachen Prüfplan wird für jedes Los genau eine Stichprobe vom Umfang n gezogen. Bei besonders guter oder besonders schlechter Qualität kann mit einem einfachen Prüfplan eine eindeutige Entscheidung bzgl. der Annahme oder Ablehnung eines Loses getroffen werden. Ein doppelter Prüfplan ermöglicht eine zweite Stichpro256

Zählende Abnahmeprüfung

be, die im Vergleich zur ersten Stichprobe i. Allg. einen kleineren Umfang hat. Insbesondere bei Losen mit einer nicht eindeutigen Qualität wird anhand einer zweiten Stichprobe mit kleinerem Umfang eine Entscheidung herbeigeführt. In ähnlicher Weise lassen sich auch mehrfache Prüfpläne konstruieren. Diese haben sich jedoch in der Praxis nicht durchgesetzt, da der Prüfaufwand im Vergleich zu doppelten Prüfplänen i. d. R. nicht wesentlich kleiner und deren Handhabung komplizierter ist. Bei sequengezogen und man ziellen Prüfplänen werden jeweils Stichproben vom Umfang n entscheidet nach jeder Ziehung, ob das Los angenommen oder abgelehnt werden kann oder ob eine weitere Stichprobe gezogen wird. Bei einfachen, mehrfachen oder sequenziellen Prüfplänen stellt die Gesamtanzahl der geprüften Produkte eine Zufallsvariable dar, die von der Qualität des Loses abhängt. Man unterscheidet die Abnahmeprüfung in eine messende Prüfung bzw. Variablenprüfung und in eine zählende bzw. attributive Prüfung. Bei der messenden Prüfung werden für die Ausprägungen eines quantitativen Qualitätsmerkmals (z. B. Gewicht oder Füllmenge) konkrete Messwerte erfasst, sodass für das zu prüfende Qualitätsmerkmal eine stetige Verteilung vorliegt. Die attributive Prüfung nimmt lediglich eine Zuordnung der Produkte in die Kategorien „gut/brauchbar“ oder „schlecht/unbrauchbar“ vor, sodass die Form der Prüfung auch als Gut-Schlecht-Prüfung bezeichnet wird. Bei der Annahme eines Loses befinden sich auch noch defekte Produkte im Los, die bei der Stichprobenprüfung nicht erkannt wurden. Dieser sogenannte Durchschlupf soll im Rahmen einer Abnahmeprüfung unter einem vorgegebenen Höchstwert gehalten werden. Stimmt die Ausprägung eines Qualitätsmerkmals nicht mit den vorgegebenen Forderungen überein, dann liegt ein Produktfehler vor. Diese Produktfehler lassen sich in kritische Fehler, Hauptfehler oder Nebenfehler unterteilen116. Vor der Anwendung eines Prüfplans muss festgelegt werden, welche dieser Fehler im Rahmen der Abnahmeprüfung erfasst werden sollen. Kritische Fehler liegen dann vor, wenn diese Fehler für die betroffene Umgebung schwerwiegende Folgen haben, wie z. B. eine Personengefährdung, ein Produktionsausfall oder eine Sachbeschädigung. Bei Hauptfehlern liegt eine wesentliche Minderung der Nutzung des Produktes für seinen vorgesehenen Verwendungszweck vor. Nebenfehler beeinträchtigen die Nutzung des Produktes nicht oder nur unwesentlich, sie beeinflussen jedoch den Marktwert des Produktes.

4.2

Zählende Abnahmeprüfung

Die Abnahmeprüfung ist eine Qualitätsprüfung für eine endliche Grundgesamtheit von N Produkten. Der Lieferant dieser Grundgesamtheit bzw. dieses Loses wird als Produzent und der Abnehmer des Loses als Konsument bezeichnet. Die Prüfung eines

116 Vgl. RINNE/MITTAG (1995, S. 146).

257

4.2

4

Qualitätskontrolle der Lieferantenleistung

Loses wird anhand von Stichproben vorgenommen, wobei in der Stichprobe ein Qualitätsmerkmal oder mehrere Qualitätsmerkmale überprüft werden können. Das Ergebnis einer Abnahmeprüfung ist eine Entscheidung für oder gegen die Annahme eines Loses. Jeder Abnahmeprüfung liegt ein Prüfplan zugrunde, der die Stichprobenumfänge und die Regeln für die Annahme oder Ablehnung eines Loses spezifiziert. Bei der zählenden Abnahmeprüfung wird nur festgestellt, ob ein Produkt den Qualitätsanforderungen entspricht oder nicht, d. h. die Stichprobe wird auf „gute“ und „schlechte“ Produkte überprüft. Als Resultat dieser Prüfung erhält man lediglich die Anzahl x an defekten Produkten in der Stichprobe. Im Prüfplan ist ein Maximalwert c , die sogenannte Annahmekennzahl, für die Anzahl x an defekten Produkten vorgesehen. Überschreitet x den Wert c , so wird das Los abgelehnt. Typisch für die zählende Prüfung ist, dass das zu überprüfende Qualitätsmerkmal aus einer endlichen Grundgesamtheit einer diskreten Verteilung, z. B. einer Bernoulli- oder PoissonVerteilung, folgt.

4.2.1

Beurteilung und Konstruktion von Prüfplänen

Die Anwendung eines Prüfplans entspricht der Durchführung eines Hypothesentests, bei dem folgende Nullhypothese H und Alternativhypothese H geprüft werden:

H : Das Prüflos entspricht den Qualitätsanforderungen H : Das Prüflos entspricht den Qualitätsanforderungen nicht Sei nun p der tatsächliche, unbekannte Ausschussanteil in einem Los mit Umfang N und M die Anzahl der defekten Produkte in dem Los, dann gilt p M N Mit p wird der gerade noch tolerierbare Ausschussanteil bezeichnet, bei dessen Überschreitung das Los abgelehnt wird. Mit diesen Bezeichnungen können dann die Null- und Alternativhypothese wie folgt formuliert werden:

H

p

p

gegen

H

p

p

Mit der Annahmekennzahl c kann bei einem Stichprobenumfang von n Produkten der Verwerfungsbereich B wie folgt definiert werden: B c n Somit lautet die Entscheidungsregel: Annahme des Loses, wenn x Ablehnung des Loses, wenn x

c c

Die Annahmewahrscheinlichkeit L p P X c p für ein Los in Abhängigkeit von dem tatsächlichen und unbekannten Ausschussanteil p heißt Annahmekennlinie bzw. Operationscharakteristik des durch N n c bestimmten Stichprobenprüfplans. Liegt beispielsweise der tolerierbare Ausschussanteil bei p , dann sollte idealerweise die Annahmekennlinie L p von p bis p den Wert eins und von p bis p den Wert null annehmen (vgl. Abbildung 4-3).

258

Zählende Abnahmeprüfung

Abbildung 4-3 Ideale Annahmekennlinie L p

Diese ideale Annahmekennlinie kann aber ohne Vollprüfung nicht erreicht werden. Da in der Praxis eine Vollprüfung aus Zeit- und Kostengründen nicht möglich ist, wird eine reale Annahmekennlinie L p deshalb die folgende Form in Abbildung 4-4 annehmen:

Abbildung 4-4 Reale Annahmekennlinie L p L(p) 1

1

p

259

4.2

4

Qualitätskontrolle der Lieferantenleistung

Für jede Annahmekennlinie gilt L p und L p Weiterhin ist jede Annahmekennlinie L p streng monoton fallend über p Darüber hinaus ist der genaue Verlauf von den drei Parametern N n c abhängig: L p verläuft (ceteris paribus) umso steiler, je größer n und je kleiner c oder N sind. Je steiler L p verläuft, desto größer ist die Trennschärfe des Prüfplans, d. h. desto näher liegt die Annahmekennlinie an der idealen Form. Da in der Praxis keine Vollprüfung, sondern eine Stichprobenprüfung durchgeführt wird, entspricht die reale Annahmekennlinie nicht der idealen Annahmekennlinie. Dies hat zur Folge, dass zwei Fehlerarten auftreten. Sei p eine noch akzeptable Fehlerrate, dann gilt: Fehler 1. Art: Das Los wird abgelehnt, obwohl p

p

Fehler 2. Art: Das Los wird angenommen, obwohl p

p

Der Fehler 1. Art beinhaltet die fälschliche Zurückweisung eines Loses, obwohl die vereinbarte Fehlerrate p nicht überschritten wurde. Dieser Fehler 1. Art wird deswegen auch als falscher Alarm oder als Produzentenrisiko bezeichnet (vgl. Abbildung 4-5). Dagegen beinhaltet der Fehler 2. Art die fälschliche Annahme eines Loses, obwohl die vereinbarte Fehlerrate p überschritten wurde. Beim Fehler 2. Art liegt somit ein unterlassener Alarm vor, der auch als Konsumentenrisiko bezeichnet wird. Diese beiden Fehlerarten werden bei der Konstruktion einfacher Prüfpläne noch von Bedeutung sein.

Abbildung 4-5 Fehler 1. Art und Fehler 2. Art

L(p) 1

Fehler 1. Art

Fehler 2. Art

p0

260

p 1

Zählende Abnahmeprüfung

4.2.2

Berechnung der Annahmekennlinie

Ist ein Prüfplan durch die drei ganzzahligen, nicht-negativen Parameter N n c mit c n N gegeben, dann wird aus dem Los vom Umfang N eine Stichprobe n gezogen. In dieser Stichprobe wird ohne Zurücklegen die Ausprägung eines Qualitätsmerkmals auf Übereinstimmung mit der vorgegebenen Anforderung überprüft. Somit kann die zughörige Annahmekennlinie L p mit Hilfe der hypergeometrischen Verteilung bestimmt werden. Ist ein Los vom Umfang N mit M defekten Produkten gegeben, dann lässt sich die Wahrscheinlichkeit LN n c p der Annahme des Loses bei einer Obergrenze von c defekten Produkten in der Stichprobe wie folgt berechnen:

LN n c p

c

M x

x

N M n x N n

(4.1)

Ist p M N der Ausschussanteil in der Stichprobe, dann gilt M p N Je steiler die Annahmekennlinie verläuft, desto kleiner werden das Konsumenten- und das Produzentenrisiko. Die Steilheit des Graphen der hypergeometrischen Annahmekennlinie und damit die Trennschärfe des zugehörigen Tests erhöhen sich, wenn ceteris paribus 117 die Losgröße N bei konstanter Auswahlquote n N zunimmt, die Losgröße N abnimmt, der Stichprobenumfang n zunimmt oder die Annahmekennzahl c abnimmt. Werden mehrere Prüfplanparameter gleichzeitig variiert, dann überlagern sich diese Effekte, sodass eine Verstärkung oder Abschwächung möglich ist. Beispiel 4.1: Ein Lieferant hat ein Los mit einem Umfang von N Produkten geliefert, aus dem eine Stichprobe von n Produkten entnommen wird. Das Los wird angenommen, wenn maximal ein Produkt in der Stichprobe defekt ist, sodass c gilt. Für einen Ausschussanteil von p ergibt sich folgende Annahmewahrscheinlichkeit:

117 Vgl. RINNE/MITTAG (1995, S. 157).

261

4.2

4

Qualitätskontrolle der Lieferantenleistung

x

LN n c

M

x

x

Somit erfolgt mit einer Wahrscheinlichkeit von 2,2% eine Zurückweisung des Loses. Für einen Ausschussanteil von p bzw. p ergeben sich folgende Annahmewahrscheinlichkeiten:

L

bzw.

L

Für kleine Werte von p sollte die Annahmekennlinie einen großen Wert annehmen, um somit den Produzenten vor der Rücksendung guter Lose zu schützen. Andererseits sollte die Annahmekennlinie für große Werte von p einen kleinen Wert annehmen, um den Konsumenten vor der Annahme schlechter Lose zu schützen. Die hypergeometrische Funktion LN n c p ist nur mit einem sehr hohen Rechenaufwand zu bestimmen. Gilt für die Ausschusswahrscheinlichkeit p und für den Stichprobenumfang n sowie für die Auswahlquote n N , dann lässt sich die hypergeometrische Verteilung durch die leichter handhabbare Binomialverteilung mit den Parametern p und n approximieren:

Ln c p

c x

n px x

p

n x

(4.2)

Im Gegensatz zur hypergeometrischen Verteilung entspricht die Binomialverteilung dem Fall mit Zurücklegen. Die Binomialverteilung verhält sich bei einer Variation des Stichprobenumfangs n oder der Annahmekennzahl c ähnlich wie die hypergeometrische Verteilung. Die zugehörige Annahmekennlinie Ln c p verläuft umso steiler, je größer der Stichprobenumfangs n oder je kleiner die Annahmekennzahl c gewählt wird. Diese Einzeleffekte überlagern sich, wenn der Stichprobenumfang n oder die Annahmekennzahl c gleichzeitig variiert werden. Beispiel 4.2: Ein Lieferant hat ein Los angeliefert, aus dem eine Stichprobe von n Produkten entnommen wird. Das Los wird angenommen, wenn maximal ein Produkt in der Stichprobe defekt ist ( c ). Für einen Ausschussanteil von p ergibt sich folgende Annahmewahrscheinlichkeit:

L x

x

x

Für einen Ausschussanteil von p mewahrscheinlichkeiten:

262

x

bzw. p

ergeben sich folgende Annah-

Zählende Abnahmeprüfung

L

L

bzw.

Erhöht man den Stichprobenumfang n , wobei die erwartete Anzahl der defekten n p in der Stichprobe konstant bleibt, dann geht die BinomialverteiProdukte lung mit den Parametern n und c in die Poisson-Verteilung118 mit dem Parameter über:

Ln c p

c x

x

n p e x

np

F c

n p

mit

(4.3)

Für die Berechnung der Poisson-Verteilung kann auch auf die in Statistikwerken gängige -Verteilung zurückgegriffen werden. Mit der Verteilungsfunktion Fv der Verteilung119 mit v Freiheitsgraden gilt:

Ln c p

Fv

n p

mit v

c

Beispiel 4.3: Ein Lieferant hat ein Los angeliefert, aus dem eine Stichprobe von n Produkten entnommen wird. Das Los wird angenommen, wenn maximal ein Produkt in der Stichprobe defekt ist ( c ). Für einen Ausschussanteil von p ergibt sich folgende Annahmewahrscheinlichkeit: x

L

p x

x

Für einen Ausschussanteil von p mewahrscheinlichkeiten:

L

e

e

e

bzw. p

bzw.

ergeben sich folgende Annah-

L

Die Poisson-Verteilung geht von anderen Voraussetzungen aus als die hypergeometrische Verteilung oder die Binomialverteilung. In der Praxis kann jedoch die hypergeometrische Verteilung durch die Poisson-Verteilung approximiert werden, wenn für den Ausschussanteil, den Stichprobenumfang und die Auswahlquote die Bedingungen p , n und n N gleichzeitig erfüllt werden. Ebenso kann die Binomialverteilung in der Praxis durch die Poisson-Verteilung approximiert werden, wenn für den Ausschussanteil und den Stichprobenumfang die Bedingungen n p und n p erfüllt werden.

118 Eine Vertafelung der Poisson-Verteilung ist im Anhang angegeben. 119 Eine Vertafelung der -Verteilung ist im Anhang angegeben.

263

4.2

4

Qualitätskontrolle der Lieferantenleistung

Liegt nun ein Prüfplan vor, dann können mit den in (4.1), (4.2) und (4.3) angegebenen Verteilungen die zugehörigen Annahmekennlinien berechnet werden. Da dies in der Praxis sehr umständlich ist, beschränkt man sich mit der Vorgabe weniger Kenngrößen, durch welche die dem Prüfplan zugehörige Annahmekennlinie verlaufen soll. Dazu wird mit p derjenige Ausschussanteil bezeichnet, der zwischen dem Konsumenten und dem Produzenten vereinbart wurde und zu einer Annahmewahrscheinlichkeit von L p für das Los führt. Als Annahmegrenze AQL (Acceptable Quality Level) wird derjenige Ausschussanteil bezeichnet, bei dem Lose mit einem Ausschussanteil p AQL im Interesse des Produzenten mit einer hohen Wahrscheinlichkeit angenommen werden sollen. Mit der Ablehngrenze RQL (Rejectable Quality Level) wird derjenige Ausschussanteil zwischen dem Konsumenten und dem Produzenten vereinbart, der zu einer niedrigen Annahmewahrscheinlichkeit für das Los führen soll. Somit sollen Lose mit einem Ausschussanteil von p RQL im Interesse des Konsumenten mit einer hohen Wahrscheinlichkeit abgelehnt werden. Ein Ausschussanteil p mit der Annahmewahrscheinlichkeit L p wird Indifferenzpunkt IQL (Indifferent Quality Level) genannt, da die Wahrscheinlichkeit für die Annahme und Ablehnung des Loses jeweils gleich 50% ist. In der Praxis wählt man meistens für die Annahmegrenze L AQL , L AQL oder L AQL und für die Ablehngrenze L RQL Somit ist das Produzentenrisiko (Fehler 1. Art), d. h. die maximale Wahrscheinlichkeit für die Ablehnung eines guten Loses mit p AQL , gleich L AQL Andererseits ist das Konsumentenrisiko (Fehler 2. Art), d. h. die Wahrscheinlichkeit für die Annahme eines schlechten Loses mit p RQL , gleich L RQL (vgl. Abbildung 4-5).

4.2.3

Konstruktion einfacher Prüfpläne durch Vorgabe zweier Punkte auf der Annahmekennlinie

Für die Wahl eines geeigneten Prüfplans bei gegebener Losgröße N muss eine Festlegung des Stichprobenumfangs n und der Annahmekennzahl c erfolgen. In der Praxis erfolgt häufig eine Vereinbarung über die Qualitätslagen AQL und RQL mit dem entsprechenden Produzentenrisiko und Konsumentenrisiko Dies hat zur Folge, dass die Annahmekennlinie des festzulegenden Stichprobenplans durch die beiden Punkte AQL und RQL verlaufen soll, um somit L AQL und L RQL zu erfüllen. Da man für die Angabe eines Prüfplans ganzzahlige Werte für den Stichprobenumfang n und die Annahmekennzahl c benötigt, können diese beiden Forderungen nur approximativ erfüllt werden. Um jedoch das Produzenten- und Konsumentenrisiko nicht zu überschreiten, fordert man die Einhaltung der folgenden zwei Bedingungen:

Ln c AQL

264

und

Ln c RQL

(4.4)

Zählende Abnahmeprüfung

Abbildung 4-6 Geforderter Verlauf der Annahmekennlinie L(p) 1

AQL

RQL

p

1

Nun gibt es beliebig viele Prüfpläne, welche die beiden Bedingungen (4.4) erfüllen. Um den Prüfaufwand zu minimieren, wählt man unter allen zulässigen Prüfplänen denjenigen, bei dem der Stichprobenumfang n am kleinsten ist. Verwendet man zur Berechnung der Poisson-Verteilung die Verteilungsfunktion Fv der -Verteilung mit v Freiheitsgraden, d. h.

Ln c p

Fv

n p

mit v

c

,

dann ergeben sich mit (4.4) die folgenden Bedingungen:

Ln c AQL

F

n AQL

n

Ln c RQL

F

n RQL

n

F

c

AQL F

c

RQL

Mit Hilfe dieser beiden Bedingungen lässt sich folgende Vorgehensweise für die Bestimmung des minimalen Stichprobenumfangs n und der Annahmekennzahl c angeben120: Schritt 1) Ausgehend von der Annahmekennzahl c lange erhöht, bis erstmals

F

F

c

RQL

wird c schrittweise so-

c

AQL

120 Vgl. PEACH/LITTAUER (1946).

265

4.2

4

Qualitätskontrolle der Lieferantenleistung

erfüllt ist. Bei Erfüllung dieser Ungleichung ist eine passende Annahmekennzahl c gefunden.

F

Schritt 2) In dem Intervall

F

c

RQL

c

AQL

wird die kleinste natürli-

che Zahl n bestimmt, die den resultierenden Stichprobenumfang festlegt. Zu beachten ist, dass der Stichprobenumfang n unabhängig von der Losgröße N bestimmt wird. Gilt für den resultierenden Stichprobenumfang n N , dann wird eine Totalkontrolle durchgeführt. Beispiel 4.4: Der Fahrradhersteller Citybikes möchte höchsten Qualitätsanforderungen gerecht werden. Hierzu sollen die extern beschafften Tretlager einer Partialkontrolle unterzogen werden. Dabei wird sowohl das Produzentenrisiko als auch das Konsumentenrisiko mit jeweils 10% festgelegt. Der akzeptable Ausschussanteil liegt bei höchstens 1% und Lose mit einem Ausschussanteil ab 3% werden zurückgewiesen. Zu bestimmen ist ein Stichprobenplan, der den genannten Anforderungen genügt. Für die Angabe eines entsprechenden Prüfplans müssen der Stichprobenumfang n und die Annahmekennzahl c bestimmt werden. Aus den Angaben folgen AQL und RQL sowie . Ausgehend von c können die Unter- und Obergrenzen für den Stichprobenumfang wie folgt bestimmt werden:

c

266

v

c

Fv

Fv

Fv

Fv

0

2

4,61

76,83

0,21

10,50

1

4

7,78

129,67

1,06

53,00

2

6

10,64

177,50

2,20

110,00

3

8

13,36

222,67

3,49

174,00

4

10

15,99

266,50

4,87

243,00

5

12

18,55

309,17

6,30

315,00

Zählende Abnahmeprüfung

In der Tabelle121 ist ersichtlich, dass die Untergrenze Fv für den Stichprobenumfang für c größer als dessen Obergrenze Fv ist. Erst für c ist die Untergrenze das erste Mal kleiner als die Obergrenze. Somit bestimmt sich der Stichprobenumfang als die kleinste natürliche Zahl im resultierenden Intervall Der entsprechende Prüfplan mit n und c erfüllt die oben geforderten Bedingungen. Zu beachten ist, dass stets eine Annahmekennzahl c bestimmt werden kann, bei der RQL für den Stichprobenumfang kleiner als die die Untergrenze F c AQL ist. Liegen jedoch die Annahmegrenze AQL und die Obergrenze F c Ablehngrenze RQL sehr nahe zusammen, dann muss die Annahmezahl c und somit auch der Stichprobenumfang sehr groß gewählt werden.

4.2.4

Konstruktion eines einfachen Prüfplans mit dem Philips-Verfahren

Nachdem im letzten Unterkapitel ein einfacher Prüfplan durch Vorgabe der Annahmeund der Ablehngrenze konstruiert wurde, erfolgt nun die Konstruktion eines einfachen Prüfplans auf der Grundlage des Indifferenzpunkts. Dieses von Philips entwickelte Verfahren basiert auf der Vorgabe eines Indifferenzpunkts IQL mit Ln c IQL sowie der Elastizität der Annahmekennlinie in diesem Indifferenzpunkt, um daraus für einen Prüfplan den Stichprobenumfang n und die Annahmekennzahl c zu bestimmen. Die Annahmekennzahl wird durch die Vorgabe der Elastizität im Indifferenzpunkt bestimmt. Die Elastizität p liefert Aussagen über die relativen Änderungen der Annahmekennlinie in Abhängigkeit des Ausschussanteils p und ist wie folgt definiert:

p

dL n c p L nc p dp p

dL n c p p dp L nc p

(4.5)

Die Elastizität ist ein relatives Maß für die Steilheit und somit für den Anstieg der Annahmekennlinie im Punkt p Mit p reagiert eine relative Änderung der Annahmekennlinie Ln c p überproportional auf relative Änderungen des Ausschussanteils p und die Annahmekennlinie heißt im Punkt p elastisch. Entsprechend bezeichnet man die Annahmekennlinie Ln c p im Ausschussanteil p als unelastisch, falls p gilt. Je elastischer die Annahmekennlinie im Indifferenzpunkt IQL ist, desto größer ist die Trennschärfe des zugrundeliegenden Prüfplans.

121 Eine Vertafelung der

-Verteilung ist im Anhang angegeben.

267

4.2

4

Qualitätskontrolle der Lieferantenleistung

Unter Verwendung der Poisson-Verteilungsfunktion

n p i

c

Ln c p

i

i

e

np

gilt für die erste Ableitung:

Ln c p

in pi i i c i n p i i i c n pi n i i n e np n c c

Somit gilt für die Elastizität mit (4.5):

n p

n e n e

ne c

n p

e

n p

p

c

i c i

p

p Ln c

n p

n p i

i

n pi n e np i n pi n e np i

c

nn p e c p

np

Berechnet man nun die Elastizität im Indifferenzpunkt IQL mit Ln c IQL dann gilt:

n IQL c

IQL

c

e

n IQL

(4.6)

Zur einfacheren Berechnung der Elastizität kann auf eine Approximation von HAMAKER122

IQL

zurückgegriffen werden:

c

Da die Vorgabe der Elastizität im Indifferenzpunkt IQL eine Mindestforderung darstellt, fordert man für die Annahmekennzahl c :

c

122 Vgl. HAMAKER (1950).

268

IQL

(4.7)

Zählende Abnahmeprüfung

-Verteilung mit v Freiheitsgraden kann

Mit Hilfe der Verteilungsfunktion Fv der

nun auch der entsprechende Stichprobenumfang n bestimmt werden:

Ln c p

Fv

n p

mit v

Ln c IQL

F

n IQL F Der Median der

v

c

n IQL

c

c

-Verteilung mit v Freiheitsgraden ist v

n IQL

c

. Somit folgt:

c

c n

(4.8)

IQL

Für die Konstruktion eines einfachen Prüfplans muss zur Berechnung des Stichprobenumfangs n und der Annahmekennzahl c der Indifferenzpunkt IQL und die Elastizität IQL in diesem Punkt festgelegt werden. Beispiel 4.5: Der Fahrradhersteller Citybikes aus Beispiel 4.4 möchte einen Prüfplan für die Partialkontrolle der extern beschafften Tretlager mit dem Philips-Verfahren bestimmen. Der Indifferenzpunkt wird bei einem Ausschussanteil von 3% festgelegt. Die Elastizität der Annahmekennlinie in diesem Indifferenzpunkt soll mindestens den Wert 2 annehmen. Zu bestimmen ist ein Stichprobenplan, der den genannten Anforderungen genügt. Durch die Vorgabe der Elastizität Formel (4.7) bestimmt werden:

IQL

kann die Annahmekennzahl c mit der

c

c

Somit kann mit der Formel (4.8) der Stichprobenumfang n berechnet werden:

n

n

Um die geforderte Prüfschärfe mindestens zu erreichen, wurden die Annahmekennzahl c und der Stichprobenumfang n aufgerundet. Eine Überprüfung der berechneten Parameter mit der Formel (4.5) ergibt

269

4.2

4

Qualitätskontrolle der Lieferantenleistung

IQL

e

,

sodass die Mindestforderung für die Elastizität erfüllt ist.

4.2.5

Konstruktion von der Losgröße abhängiger bzw. unabhängiger Prüfpläne

Im Folgenden werden zwei Prüfpläne vorgestellt, bei denen der Stichprobenumfang von der Größe des gelieferten Loses abhängig bzw. unabhängig ist. Werden Prüfpläne mit einem konstanten Auswahlsatz festgelegt, dann wird der Stichprobenumfang als konstanter Prozentsatz der Losgröße bestimmt. Wird beispielsweise ein Prüfplan mit der sogenannten 10%-Regel konstruiert, dann wird als Stichprobenumfang 10% der Losgröße gewählt, d. h. n N Das Los wird akzeptiert, wenn kein Produkt in der Stichprobe defekt ist. Somit gilt für die Annahmekennzahl c Unterstellt man eine Poisson-Verteilung, dann lässt sich die Annahmewahrscheinlichkeit wie folgt berechnen:

Ln c p

L

N

p x

N p x

x

e

N p

e

N p

In der Abbildung 4-7 sind für verschiedene Losgrößen N die zugehörigen Annahmekennlinien angegeben. Es ist ersichtlich, dass die Festlegung eines konstanten Auswahlsatzes n N nicht zu konstanten Risiken führt. Sei beispielsweise p eine nicht mehr akzeptable Ausschussquote, dann werden Lose mit einem Losumfang von N noch mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von L angenommen. Selbst bei einer Losgröße von N beträgt das Konsumentenrisiko noch 14%. Andererseits werden sehr große Lose mit z. B. N viel zu hart geprüft, da für diese Lose mit einer Ausschusswahrscheinlichkeit von z. B. nur p das Produzentenrisiko 90% beträgt. Somit werden bei einer Festlegung von konstanten Auswahlsätzen große Lose viel zu hart und kleine Lose viel zu locker geprüft und es liegen keine konstanten Konsumenten- und Produzentenrisiken vor.

270

Zählende Abnahmeprüfung

Abbildung 4-7 Annahmekennlinie für die "10%-Regel" L(p) = e -0,1

N p

N=50, n=5,c=0 N=100, n=10,c=0

N=200, n=20,c=0

N=1000, n=100,c=0 p

Insbesondere bei einer zerstörenden oder einer sehr teuren Prüfung wird ein von der Losgröße N unabhängiger Stichprobenumfang n gewählt, der allerdings sehr klein ist. In der Abbildung 4-8 ist ein zweistufiger Prüfplan mit n und c auf jeder Stufe gegeben. Es erfolgt eine Annahme des Loses, wenn das erste geprüfte Produkt nicht defekt ist oder wenn das erste geprüfte Produkt defekt und das zweite geprüfte Produkt nicht defekt ist. Die Wahrscheinlichkeit ein Los abzulehnen berechnet sich wie folgt:

P Los ablehnen

p

Somit wird ein Los mit der Wahrscheinlichkeit

P

p

p

p

p

akzeptiert.

271

4.2

4

Qualitätskontrolle der Lieferantenleistung

Abbildung 4-8 Zweistufiger Prüfplan

OK Los annehmen

Produkt prüfen

1-p

defekt

Weiteres Produkt prüfen

Los ablehnen

p

Die resultierende Annahmekennlinie ist in der Abbildung 4-9 gegeben. Es ist ersichtlich, dass ein Los mit einem völlig inakzeptablen Ausschussanteil von p noch mit einer Wahrscheinlichkeit von L angenommen wird. Obwohl auf jeder Stufe die Annahmekennzahl c beträgt, zeigt die Annahmekennlinie, dass trotz scheinbarer Härte aufgrund des geringen Stichprobenumfangs von n auf jeder Stufe die Lose viel zu locker geprüft werden.

Abbildung 4-9 Annahmekennlinie für einen zweistufigen Prüfplan mit c=0 L(p) = 1 - p2 1

0,75

0,5

0,25

p

0 0

272

0,25

0,5

0,7

1

Zählende Abnahmeprüfung

4.2.6

Prüfplansammlung Military Standard 105D (MIL-STD 105D)

In der Praxis werden im Rahmen der zählenden Prüfung von ganzen Serien von Losen gleicher Herkunft mehrere Prüfpläne mit unterschiedlicher Trennschärfe kombiniert. Anhand einer Vorschrift wird dann der Übergang von einem Prüfplan zu einem anderen Prüfplan festgelegt. Eine der wichtigsten Prüfplansammlungen für die zählende Prüfung stellt der Military Standard 105D aus dem Jahre 1963 dar. Diese Prüfplansammlung ist eine Weiterentwicklung eines Standards, den Statistiker im Auftrag der US-Army entwickelt haben123. Im Jahr 1974 wurde der Military Standard 105D mit einigen Veränderungen in die internationale Norm ISO 2859 aufgenommen. Die im Jahr 1979 vom Deutschen Institut für Normung (DIN) herausgegebene Norm 40080, die für eine Prüfung einer Serie von Losen vorgesehen ist, stimmt mit der ISO 2859 weitgehend überein. Die DIN 40080 kann angewendet werden, wenn es um die Beurteilung der Ausschussquote, d. h. des Anteils fehlerhafter Produkte, geht. Weiterhin lässt sich diese Norm auch einsetzen, wenn die Gesamtanzahl der Fehler in allen geprüften Produkten (d. h. ein Produkt kann mehrere Fehler aufweisen) als Maß für die Güte eines Loses verwendet wird. Die annehmbare Qualitätslage AQL stellt denjenigen Ausschussanteil dar, bei dem Lose mit einem Ausschussanteil p AQL im Interesse des Produzenten mit einer Wahrscheinlichkeit zwischen 80% und 99% angenommen werden sollen. Die 26 AQL-Werte der DIN 40080 sind in der Tabelle 4-1 angegeben und stellen eine geometrische Folge an an dar. Dabei ist zu beachten, dass AQL-Werte unter 10 entweder als Ausschussanteil in Prozent oder als mittlere Fehleranzahl je 100 Produkteinheiten zu verstehen sind. Dagegen sind AQL-Werte ab 10 nur als Fehler je 100 Produkteinheiten zu interpretieren. Somit bedeutet ein AQLWert von 65, dass je 100 Produkteinheiten 65 Fehler auftreten.

Tabelle 4-1 AQL-Werte in Prozent 0,01 0,1 1 10 100 1000

0,015 0,15 1,5 15 150

0,025 0,25 2,5 25 250

0,04 0,4 4 40 400

0,065 0,65 6,5 65 650

Das Stichprobenplan-System der DIN 40080 verwendet als Eingangskriterium die annehmbare Qualitätslage AQL sowie den Losumfang N , umfasst drei allgemeine und vier spezielle Prüfniveaus und kann die Prüfschärfe anhand der Prüfbefunde

123 Vgl. DODGE (1973).

273

4.2

4

Qualitätskontrolle der Lieferantenleistung

dynamisch verändern. In der Abbildung 4-10 ist der allgemeine Ablauf für die Bestimmung eines Prüfplans nach DIN 40080 angegeben.

Abbildung 4-10 Festlegung eines Prüfplans nach DIN 40080

Prüfniveau (I-III; S1-S4)

Losumfang N

Anzahl der Prüfstufen (1,2 oder 7)

AQLWert

Prüfschärfe gemäß Prüfniveau I, II, III (reduziert; normal; verschärft)

Kennbuchstabe Stichprobenumfang n des Prüfplans Sprunganweisungen Vollständiger Prüfplan Prüfbefunde

Tabelle 4-2 Besondere und allgemeine Prüfniveaus

Losumfang N

274

2916 -

8 15 25

S-1 A A A

26 51 91 151 281 501 1201 3201 10001 35001 150001 -

50 90 150 280 500 1200 3200 10000 35000 150000 500000 >500000

A B B B B C C C C D D D

Besondere Prüfniveaus S-2 S-3 A A A A A B B B B C C C D D D E E E

B C C D D E E F F G G H

S-4 A A B

I A A B

Allgemeine Prüfniveaus II A B C

C C D E E F G G H J J K

C C D E F G H J K L M N

D E F G H J K L M N P Q

III B C D E F G H J K L M N P Q R

Zählende Abnahmeprüfung

Die allgemeinen Prüfniveaus I, II und III dienen der reduzierten, normalen und der verschärften Kontrolle, sodass die Steilheit der Annahmekennlinie vom Prüfniveau I bis zum Prüfniveau III zunimmt (vgl. Tabelle 4-2). In der Regel beginnt man mit dem Prüfniveau II. Die besonderen Prüfniveaus S1 bis S4 weisen eine geringere Trennschärfe auf und kommen bei kleinen Stichprobenumfängen wie z. B. der zerstörenden Prüfung zur Anwendung. Durch die Vorgabe des Losumfangs und die Festlegung des Prüfniveaus erhält man einen Kennbuchstaben. Jedem Kennbuchstaben ist ein Stichprobenumfang zugeordnet, wobei eine Entscheidung für eine einfache, doppelte oder siebenfache Prüfung getroffen werden muss. Aus der Tabelle 4-3 ist ersichtlich, dass der Stichprobenumfang mit zunehmender Stufenzahl abnimmt. Bei einer doppelten bzw. siebenfachen Prüfung wird der Stichprobenumfang auf jeder Stufe konstant gehalten.

Tabelle 4-3 Kennbuchstaben und zugeordnete Stichprobenumfänge Stichprobenumfang

Kennbuchstabe

einfache Prüfung

doppelte Prüfung

siebenfache Prüfung

A B C D E F G H J K L M N P Q R

2 3 5 8 13 20 32 50 80 125 200 315 500 800 1250 2000

2 3 5 8 13 20 32 50 80 125 200 315 500 800 1250

2 3 5 8 13 20 32 50 80 125 200 315 500

Für den Übergang von einem normalen Prüfniveau auf ein reduziertes bzw. verschärftes Prüfniveau gibt es vorgegebene Regeln (vgl. Abbildung 4-11124). Beispielsweise erfolgt ein Wechsel von einer normalen Prüfung auf eine verschärfte Prüfung, wenn zwei von fünf aufeinanderfolgenden Losen abgelehnt wurden. Von einer verschärften

124 Vgl. RINNE/MITTAG (1995, S. 241).

275

4.2

4

Qualitätskontrolle der Lieferantenleistung

Prüfung geht man auf die normale Prüfung über, wenn fünf aufeinanderfolgende Lose akzeptiert wurden. Ein Prüfabbruch ist notwendig, wenn zehn aufeinanderfolgende Lose abgelehnt wurden.

Abbildung 4-11 Sprunganweisungen reduziert: Prüfniveau I 3

4 1 : 2 von 5 aufeinanderfolgenden Losen abgelehnt

Prüfbeginn normale Prüfung

Prüfniveau II 1

2 : 5 aufeinanderfolgende Lose angenommen 3 : 10 aufeinanderfolgende Lose angenommen

2

4 : 1 Los wird zurückgewiesen

verschärft: Prüfniveau III

5 : 10 aufeinanderfolgende Lose abgelehnt

5

Prüfabbruch

Tabelle 4-4 Bestimmung der Parameter n und c eines einfachen Prüfplans (normale Prüfung) AQL (Prozentangaben)

Losgröße N

0,10

0,15

0,25

0,40

0,65

1,0

1,5

2,5

4,0

6,5

10

15

N bzw. N bzw. N bzw. N bzw. N bzw. 5-0 3-0 2-0 5-1 3-1

2-

8

N

N

N

N

N

N

N

9-

15

N

N

N

N

N

N bzw. 13-0

8-0

5-0

3-0

2-0

5-1

3-1

25 N bzw. 2-1 3-2

16 -

25

N

N

N

N

N bzw. 20-0

13-0

8-0

5-0

3-0

2-0

5-1

5-2

5-3

26 -

50

N

N

N

N bzw. 32-0

20-0

13-0

8-0

5-0

13-1

8-1

8-2

8-3

8-5

51 -

90

N

N bzw. 80-0

50-0

32-0

20-0

13-0

8-0

20-1

13-1

13-2

13-3

13-5

13-7

80-0

50-0

32-0

20-0

13-0

32-1

20-1

20-2

20-3

20-5

20-7

20-10

80-0 80-0 80-0 80-0 315-1 315-1 500-2 800-3 1250-5

50-0 50-0 50-0 200-1 200-1 315-2 500-3 800-5 1250-7

32-1 50-2 80-3 125-5 200-7 315-10 500-14 800-21 800-21

32-2 50-3 80-5 125-7 200-10 315-14 500-21 500-21 500-21

32-3 50-5 80-7 125-10 200-14 315-21 315-21 315-21 315-21

32-5 50-7 80-10 125-14 200-21 200-21 200-21 200-21 200-21

32-7 50-10 80-14 125-21 125-21 125-21 125-21 125-21 125-21

32-10 50-14 80-21 80-21 80-21 80-21 80-21 80-21 80-21

32-14 50-21 50-21 50-21 50-21 50-21 50-21 50-21 50-21

91 -

150

151 281 501 1201 3201 10001 35001 150001 -

280 500 1200 3200 10000 35000 150000 500000 > 500000

N bzw. 125-0 125-0 125-0 125-0 125-0 125-0 500-1 500-1 800-2 1250-3

32-0 20-0 50-1 32-0 80-1 50-1 125-1 80-1 80-2 125-1 125-2 125-3 200-2 200-3 200-5 315-3 315-5 315-7 500-5 500-7 500-10 800-7 800-10 800-14 1250-10 1250-14 1250-21

In der Tabelle 4-4125 kann bei Vorgabe eines Losumfangs N und eines AQL-Wertes für einen Prüfplan der Stichprobenumfang n (linker Wert) und die kritische Annahmekennzahl c (rechter Wert) für eine normale Prüfung bestimmt werden. Liegen kleine 125 Vgl. RINNE/MITTAG (1995, S. 242).

276

Zählende Abnahmeprüfung

Losgrößen vor und werden niedrige AQL-Werte gewählt, dann wird eine Vollprüfung vorgeschlagen, d. h. n N

Beispiel 4.6: Pro Monat werden 4.000 Spritzgussteile einer bestimmten Spezifikation geliefert. Der Lieferant hat zugesichert, dass höchstens 1,5% dieser Spritzgussteile unbrauchbar sind und das abnehmende Unternehmen ist mit dieser vereinbarten Qualitätslage einverstanden. Da bisher keine anderen Vorgaben existieren, soll eine normale Prüfung vorgenommen werden. Zu bestimmen ist ein geeigneter Prüfplan nach DIN 40080 sowie das sich ergebende Produzentenrisiko, d. h. die maximale Wahrscheinlichkeit der Zurückweisung von Losen mit einem Ausschussanteil p AQL . Des Weiteren soll für die RQL-Werte von 2% und 3% das resultierende Konsumentenrisiko berechnet werden. Gemäß der Tabelle 4-4 ergibt sich für einen Losumfang von N und einen AQL-Wert von 1,5% ein Stichprobenumfang n und eine kritische Annahmekennzahl c Für das Produzentenrisiko gilt unter Verwendung der PoissonApproximation:

Ln c AQL Mit c

und

n p

L gilt unter Verwendung der Poisson-Vertei-

lung:

F c

F

0,98810

L Bei diesem Prüfplan beträgt das Produzentenrisiko nur 1,19%. Für das Konsumentenrisiko gilt L RQL . Somit ergeben sich für die angegebenen RQL-Werte die folgenden Konsumentenrisiken:

4.2.7

L

F

L

F

Maximaler mittlerer Durchschlupf und mittlerer Prüfaufwand

Die bisherige Vorgehensweise bei der Konstruktion von Prüfplänen N n c gewährleistet, dass gute Lose mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen und schlechte Lose mit hoher Wahrscheinlichkeit abgewiesen werden. Somit kann nicht vermieden wer-

277

4.2

4

Qualitätskontrolle der Lieferantenleistung

den, dass trotz einer Annahmekennzahl von c auch defekte Produkte angenommen werden. Dieser sogenannte Durchschlupf soll im Rahmen einer Abnahmeprüfung unter einem vorgegebenen Höchstwert gehalten werden. Im Folgenden wird unterstellt, dass ein Lieferant Lose mit konstanter Qualitätslage p liefert. Es wird ein bestimmter Prüfplan N n c laufend angewendet, wobei zurückgewiesene Lose vollständig kontrolliert und defekte Produkte durch intakte Produkte ersetzt werden. In diesem Fall spricht man von einer rektifizierenden Prüfung. Dieses Vorgehen ist in der Abbildung 4-12 dargestellt.

Abbildung 4-12 Rektifizierende Prüfung

Ausschussanteil

p

Prüfung mit

(N,n,c) Ausschussanteil = 0

Mit diesen Annahmen lässt sich der mittlere Durchschlupf AOQ p (Average Outgoing Quality) wie folgt berechnen:

AOQ p

p L p

L p

p L p

Da gute Lose mit einem geringen Anteil defekter Produkte p AQL selten abgelehnt werden, ist für diesen Fall der mittlere Durchschlupf AOQ p klein. Andererseits werden schlechte Lose mit einem Ausschussanteil p RQL häufig abgelehnt und somit einer rektifizierenden Prüfung unterzogen, sodass auch in diesem Fall der mittlere Durchschlupf AOQ p klein ist. Der maximale mittlere Durchschlupf AOQL (Average Outgoing Quality Limit)

AOQL

p

AOQ p

wird somit für einen Ausschussanteil p zwischen AQL und RQL angenommen (vgl. Abbildung 4-13).

278

Zählende Abnahmeprüfung

Abbildung 4-13 Mittlerer Durchschnitt AOQ(p) AOQL 0,03 0,025 0,02 0,015 0,01 0,005 0 0

0,01

0,02

0,03

0,04

0,05

AQL

0,06

0,07

0,08

0,09

0,1

p

RQL

Der maximale mittlere Durchschlupf kann unter Verwendung einer PoissonApproximation wie folgt berechnet werden:

AOQ p

p Lnc p

Setzt man die erste Ableitung gleich null, dann ergibt sich:

AOQ p

Lnc p

e

p

n p x

c

np

dL n c p dp

x

n p x

c x

n p c

x

c x

n p x

Beispielsweise gilt für eine Annahmekennzahl von c

n p

p

c

n p

n p

n

AOQL

p

p Ln

n

n pc e c

p n

np

c

Die Maximalstelle p ist somit definiert durch

c

np

e

p

AOQL

n

x

n p c

bzw. c

e

c

. :

n

p Ln p

n

Der maximale mittlere Durchschlupf AOQL ist vertafelt hat die allgemeine Form

AOQL

const . n

279

4.2

4

Qualitätskontrolle der Lieferantenleistung

Beispiel 4.7: Pro Monat werden 400 Spritzgussteile einer bestimmten Spezifikation geliefert. Der Lieferant hat zugesichert, dass höchstens 1% dieser Spritzgussteile unbrauchbar sind und das abnehmende Unternehmen ist mit dieser vereinbarten Qualitätslage einverstanden. Da bisher keine anderen Vorgaben existieren, wird eine normale Prüfung vorgenommen. Es sollen ein geeigneter Prüfplan nach DIN 40080 und der maximale mittlere Durchschlupf bestimmt werden. und einen AQLGemäß der Tabelle 4-4 ergibt sich für einen Losumfang von N und eine kritische Annahmekennzahl Wert von 1% ein Stichprobenumfang n c . Somit gilt für den maximalen mittleren Durchschlupf für c

AOQL

0,84

.

Falls alle am Beginn getroffenen Annahmen zutreffen, dann kann man sich also sicher sein, dass im Mittel nicht mehr als 1,68% defekte Spritzgussteile durch die Qualitätssicherung gelangen In der Praxis ist neben dem maximalen mittleren Durchschlupf auch die durchschnittliche Anzahl der zu prüfenden Produkte eines Loses von Interesse. Unterstellt man wieder eine rektifizierende Prüfung, dann hat das Zurückweisen eines Loses die Totalkontrolle dieses Loses zur Folge. In diesem Fall ist die pro Los vom Umfang N erforderliche Anzahl n der zu prüfenden Produkte eine Zufallsvariable:

n , falls x N , falls x

n

c c

Der Erwartungswert von n wird als mittlerer Prüfaufwand ATI (Average Total Inspection) bezeichnet. Unterstellt man eine Binomialverteilung, dann gilt:

ATI p

n Ln c p

N

Ln c p

N

N n Ln c p

Der auf ein Los mit Umfang N bezogene mittlere Prüfaufwand heißt relativer mittlerer Prüfaufwand AFI (Average Fraction Inspection):

AFI

280

ATI N

n Ln c p N

Zählende Abnahmeprüfung

Beispiel 4.8: Pro Monat werden 4.000 Spritzgussteile einer bestimmten Spezifikation geliefert. Der Lieferant hat zugesichert, dass höchstens 1,5% dieser Spritzgussteile unbrauchbar sind und das abnehmende Unternehmen ist mit dieser vereinbarten Qualitätslage einverstanden. Da bisher keine anderen Vorgaben existieren, soll eine normale Prüfung vorgenommen werden. Zu bestimmen ist ein geeigneter Prüfplan nach DIN 40080 sowie der mittlere und der relative mittlere Prüfaufwand. und einen Gemäß der Tabelle 4-4 ergibt sich für einen Losumfang von N AQL-Wert von 1,5% ein Stichprobenumfang n und eine kritische Annahmekennzahl c . Da die Bedingungen n p und n p erfüllt werden, gilt mit c und n p unter Verwendung der Poisson-Approximation:

F c

F

0,98810

Mit diesen Angaben kann der mittlere Prüfaufwand berechnet werden:

ATI p

N

N n L nc p

L nc p

Somit gilt für den relativen mittleren Prüfaufwand

AFI

ATI N

,

d. h. 6,15% aller Produkte werden im Durchschnitt geprüft.

4.2.8

Weiterführende Aufgaben

Zur Vertiefung des Stoffes wird auf die Aufgaben 2.5.1, 2.5.2 und 2.5.3 mit ausführlichen Lösungen im Kapitel 2.5 im Übungsbuch Logistik (4. Auflage) verwiesen.

281

4.2

4

Qualitätskontrolle der Lieferantenleistung

4.3

Messende Abnahmeprüfung

Im Gegensatz zur zählenden Abnahmeprüfung, bei der das Qualitätsmerkmal einer diskreten Verteilung folgt, wird bei der messenden Abnahmeprüfung für das Qualitätsmerkmal eine stetige Verteilung unterstellt. Im Folgenden wird angenommen, dass das betrachtete Qualitätsmerkmal mit dem Erwartungswert und der Standardabweichung normalverteilt sei. Bei der messenden Abnahmeprüfung wird von jedem zu prüfenden Produkt ein Messwert erhoben und als solcher in einer die Stichprobe charakterisierenden Prüfgröße verarbeitet. Im Gegensatz zur zählenden Abnahmeprüfung wird somit die zur Verfügung stehende Information besser ausgenutzt, sodass die messende Prüfung mit einem geringeren Stichprobenumfang auskommt. Auch bei der messenden Prüfung erfolgt eine Kategorisierung in intakte und defekte Produkte. Defekte Produkte zeichnen sich dadurch aus, dass das gemessene Qualitätsmerkmal eine obere Grenze Go überschreitet bzw. untere Grenze Gu unterschreitet oder Werte außerhalb eines Toleranzbereichs Gu Go annimmt. Beispielsweise wird eine Säule als defekt oder nicht konform bezeichnet, wenn deren Länge außerhalb des Toleranzbereichs Gu Go liegt. Prüft man die Hitzebeständigkeit eines Glaskolbens, dann wird dieser als defekt klassifiziert, wenn dieser eine Mindesttemperatur von z. B. Gu unterschreitet. Bei Bremsen sollte beim Bremsweg eine vorgegebene Obergrenze Go nicht überschritten werden, da diese Bremsen sonst als untauglich ausgesondert werden müssen. Im Rahmen der messenden Abnahmeprüfung wird unterstellt, dass das zu messende Qualitätsmerkmal Y innerhalb des Loses exakt oder näherungsweise normalverteilt ist, d. h. Y N . Mit wird das Fertigungs- oder Prozessniveau bezeichnet, das als variabel angenommen wird. Die Fertigungs- oder Prozessvarianz und somit die Streuung des zugrundeliegenden Fertigungsprozesses wird als konstant betrachtet. Bei der Fertigungs- oder Prozessvarianz muss unterschieden werden, ob diese bekannt oder unbekannt und somit geschätzt werden muss.

4.3.1

Ausschusswahrscheinlichkeit und minimale Ausschussquote

Sei Y N ein normalverteiltes Qualitätsmerkmal, dann lässt sich in Abhängigkeit einer vorgegebenen Obergrenze Go bzw. Untergrenze Gu oder eines vorgegebenen Toleranzbereichs Gu Go die Wahrscheinlichkeit p berechnen, dass ein aus dem Los herausgegriffenes Produkt als Ausschuss klassifiziert wird. In Abhängigkeit dieser drei Fälle lässt sich die Ausschusswahrscheinlichkeit p unter Verwendung der Standardnormalverteilung wie folgt berechnen:

282

Messende Abnahmeprüfung

a)

Vorgabe einer Untergrenze Gu :

p

b)

PY

Gu

Gu

Y

P

Gu

Vorgabe einer Obergrenze Go :

p

PY

Go

P Y

G

P

Go

c)

Y

Go

Go

Vorgabe eines Toleranzbereichs Gu Go :

p

PY

Gu Go

PY

Gu

PY

Go

Gu

Go

Unterstellt man eine konstante Fertigungsvarianz , dann ist die Ausschusswahrscheinlichkeit p nur vom Fertigungsniveau d. h. vom Erwartungswert der unterstellten Normalverteilung abhängig. Wird nun entweder eine Obergrenze Go oder eine Untergrenze Gu vorgegeben, dann lässt sich das Fertigungsniveau zu einer gegebenen Ausschusswahrscheinlichkeit p berechnen. Mit dem Perzentil z der Standardnormalverteilung gilt: a)

z

b)

z

Gu Go

Gu

z

Go

z

Beispiel 4.9: Ein Seilhersteller verspricht seinen Kunden eine N -verteilte Reißfestigkeit seines Standardseils von mindestens 50 kg. Dieses Standardseil wird mit einer konstanten Fertigungsvarianz von gefertigt. Für die gegebene Untergrenze Gu ist in der folgenden Tabelle die Ausschussquote

p

Gu

in Abhängigkeit von dem Fertigungsniveau

gegeben:

283

4.3

4

Qualitätskontrolle der Lieferantenleistung

20

p

1

40

50

60

70

0,84

0,5

0,16

0,023

bei einer gegebenen Es ist ersichtlich, dass die Ausschusswahrscheinlichkeit p Untergrenze Gu mit steigendem Fertigungsniveau streng monoton abnimmt. Stellt der Seilhersteller sein Fertigungsniveau genau auf die geforderte Untergrenze ein, d. h. Gu , dann beträgt die Ausschusswahrscheinlichkeit noch 50%. In der folgenden Abbildung 4-14 ist ersichtlich, dass der Hersteller durch eine Erhöhung des Fertigungsniveaus die Ausschusswahrscheinlichkeit reduzieren kann. Wird das Fertigungsniveau z. B. auf eingestellt, dann beträgt die Ausschusswahrscheinlichkeit nur noch 2,3%.

Abbildung 4-14 Ausschusswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit vom Fertigungsniveau p(µ)

1,0 0,8

0,6 0,4 0,2 µ

0 20

30

40

50

60

70

80

90

100

Wie aus der Abbildung 4-14 ersichtlich ist, kann bei Vorgabe einer Untergrenze Gu eine minimale Ausschussquote p erreicht werden, wenn das Fertigungsniveau den Wert erreicht:

p

284

p

Gu

Messende Abnahmeprüfung

Analog kann bei Vorgabe einer Obergrenze Go eine minimale Ausschussquote p erreicht werden, wenn das Fertigungsniveau den Wert erreicht:

p

Go

p

Somit kann bei Losen, die nur einen Grenzwert Gu oder Go einzuhalten haben, der Ausschussanteil p beliebig klein gemacht werden, indem das Fertigungsniveau entweder sehr groß oder sehr klein gewählt wird. Bei der Vorgabe eines Toleranzbereichs Gu Go lichkeit

Gu

p

gilt für die Ausschusswahrschein-

Go

,

sodass p für den Wert eins annimmt. Die minimale Ausschussquote p wird dann erreicht, wenn man das Fertigungsniveau auf die Mitte des ToleGu Go ranzbereichs setzt, d. h.

p

p

p

Gu

Gu

Go

Gu

Gu

Go

Gu

Go

Go

Go

Falls bei der Vorgabe eines Toleranzbereichs Gu Go für die annehmbare Qualitätslage AQL p gewählt wird, dann muss der Lieferant sein Fertigungsniveau stets auf der Mitte des Toleranzbereichs halten. Da dies in der Praxis kaum realisierbar ist, sollte der Lieferant den AQL-Wert größer als die minimale Ausschussquote wählen, z. B. AQL p Beispiel 4.10: Ein Unternehmen bezieht von einem Hersteller Stäbe, deren Länge Y N verteilt ist und gemäß Vereinbarung Werte im Toleranzbereich [60;62] annehmen soll. a)

Bei welchem Fertigungsniveau wird die minimale Ausschussquote p erreicht und welchen Wert nimmt p an? Die minimale Ausschussquote p wird dann erreicht, wenn der Hersteller das Fertigungsniveau genau auf die Mitte des Toleranzbereichs einstellt, d. h.

285

4.3

4

Qualitätskontrolle der Lieferantenleistung

Gu

G

.

Die minimale Ausschussquote beträgt

Gu

p

b)

Go

.

vorgegeben und für die Im Folgenden wird eine Ausschussquote von p Wahrscheinlichkeiten P Y Gu und P Y Go soll jeweils 10% gelten. Wie muss das Fertigungsniveau eingestellt werden? Sind eine Ausschussquote p dann ist dies nicht zu erfüllen, da gilt und P Y

und P Y

Gu

Gu

PY

G

Go

vorgegeben,

nur für

Gu den Wert PY

Gu

annimmt.

4.3.2

Konstruktion einfacher Prüfpläne bei einem Grenzwert

Für die messende Prüfung erfolgt die Konstruktion einfacher Prüfpläne bei Vorgabe einer Untergrenze Gu oder einer Obergrenze Go ähnlich zur zählenden Prüfung. Der Lieferant liefert ein Los, dessen N Produkte unabhängig identisch N -verteilte Qualitätsmerkmale aufweisen. Aus diesem Los wird eine Stichprobe vom Umfang n gezogen und man ermittelt durch Messung deren Ausprägungen y y n sowie die Realisation g y einer aus Y abgeleiteten Prüfvariablen g Y Das Los wird angenommen, falls g y in einem geeignet festzulegenden Annahmebereich liegt, andernfalls wird das Los abgelehnt. Somit entspricht die Anwendung eines einfachen Prüfplans bei der messenden Prüfung der Durchführung eines Parametertests. Sei das kritische Fertigungsniveau, dann kann die Null- bzw. Alternativhypothese bei Vorgabe einer Untergrenze wie folgt formuliert werden:

H

gegen

H

Sei Y ein unverzerrter Schätzer für das unbekannte Fertigungsniveau, dann stellt bei Vorgabe einer Untergrenze Gu (bzw. einer Obergrenze Go ) eine große (bzw. kleine) Realisation von Y einen Anhaltspunkt für ein hohes (bzw. niedriges) Fertigungsniveau dar. Für eine einzuhaltende Untergrenze Gu (bzw. Obergrenze Go ) kann

286

Messende Abnahmeprüfung

somit von einem geringen Ausschussanteil ausgegangen werden. Da für die Ausschusswahrscheinlichkeit p für Gu (bzw. Go ) gilt, fordert man Y Gu (bzw. Y Go ). In der Praxis wird für einen geeigneten Prüfplan neben dem Stichprobenumfang n ein reellwertiger Annahmefaktor k bestimmt. Dieser Annahmefaktor k gibt an, wie oft die Standardabweichung in den Abstand zwischen Mittelwert y und Untergrenze Gu (bzw. Obergrenze Go ) passen muss. Die Entscheidungsregeln für die Annahme bzw. Ablehnung eines Loses bei bekannter Standardabweichung lauten somit wie folgt: Annahme des Loses

y

k

Gu

(bzw. y

k

Go )

Ablehnung des Loses

y

k

Gu

(bzw. y

k

Go )

unbekannt, dann muss die StandardabweiIst dagegen die Fertigungsvarianz chung durch die Stichprobenstandardabweichung

s

n

n

i

yi

y

geschätzt werden. Die entsprechenden Entscheidungsregeln für die Annahme bzw. Ablehnung eines Loses können dann wie folgt angegeben werden: Annahme des Loses

y ks Gu

(bzw. y

ks Go )

Ablehnung des Loses

y ks Gu

(bzw. y

ks Go )

Ein Stichprobenplan wird durch den Stichprobenumfang n und den Annahmefaktor k mit n k charakterisiert, wobei der Annahmefaktor vom Stichprobenumfang und der geforderten Trennschärfe abhängt.

Beispiel 4.11: Bei einem Getränkehersteller wird das umsatzstärkste Produkt in 2-Liter-Flaschen abgefüllt, wobei die Füllmenge N -verteilt ist. Die Einhaltung der Untergrenze von zwei Litern wird bei der Abnahmeprüfung unter Verwendung eines einfachen Prüfplans n k mit n und k kontrolliert. Folgende Tabelle stellt die Messergebnisse der normalverteilten Füllmengen der Stichprobe dar: Flasche Abfüllmenge (l) y

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

2,0

2,2

2,1

2,0

2,3

2,3

2,1

2,1

2,2

2,0

287

4.3

4

Qualitätskontrolle der Lieferantenleistung

Für den Mittelwert und die zu schätzende Standardabweichung der Füllmengen der Stichprobe gelten:

y

yi

i

s i

yi

y

Obwohl jeder Messwert in der Tabelle die geforderte Untergrenze Gu

nicht unter-

schreitet, muss das Los aufgrund der Entscheidungsregel

y ks

Gu

zurückgewiesen werden. Bei der messenden Prüfung kann man bei Losen, deren Produkte ein N verteiltes Qualitätsmerkmal aufweist, die Qualitätslage sowohl durch das Fertigungsniveau als auch durch die Ausschusswahrscheinlichkeit p charakterisieren. Im Folgenden soll ein einfacher Prüfplan n k durch die Annahmekennlinie Ln k p des hinter dem Prüfplan stehenden Parametertests in Abhängigkeit der Ausschusswahrscheinlichkeit p beschrieben werden. Bei Vorgabe einer Untergrenze Gu gilt für ein N

Ln k p

P y k

Gu

P y k

=

Gu

y

P

Gu

-verteiltes Qualitätsmerkmal Y :

n

k

Gu

k

n

n

Analog gilt bei Vorgabe einer Obergrenze Go für ein N

verteiltes Qualitäts-

merkmal Y :

Ln k p = P y

k

Go

G

k

n

Die Ausschusswahrscheinlichkeit p ist in beiden Annahmekennlinien nicht direkt sichtbar, sie ist aber durch die Untergrenze Gu bzw. Obergrenze Go sowie dem Fertigungsniveau und der Standardabweichung mittels der Beziehungen

p

288

Gu

bzw. p

Go

bestimmt.

Messende Abnahmeprüfung

Analog zur zählenden Prüfung kann man auch bei der messenden Prüfung einen Prüfplan n k aufstellen, indem man sich zwei Punkte auf der Annahmekennlinie Ln k p vorgibt. Zur einfacheren Ermittlung des Stichprobenumfangs n und des Annahmefaktors k wurde als graphisches Hilfsmittel das Nomogramm126 entwickelt. Nomogramme bestehen meist aus einem gebogenen Rasternetz, auf das man auf bestimmte Weise ein Lineal anlegt und den Stichprobenumfang n sowie den Annahmefaktor k dann direkt abliest. Die mit einem Nomogramm schnell ermittelbaren Werte weisen eine beschränkte Genauigkeit auf, die jedoch für die meisten praktischen Zwecke ausreicht. In Abhängigkeit davon, ob die Fertigungsvarianz bekannt oder unbekannt ist, kommen unterschiedliche Nomogramme zur Anwendung. Die im Anhang angegebenen beiden Nomogramme zur Ermittlung von Stichprobenplänen für die messende Prüfung weisen am rechten Rand eine Skala für die Annahmewahrscheinlichkeit Ln k p und am linken Rand eine Skala für die Ausschusswahrscheinlichkeit p auf. Am oberen Rand befindet sich die Skala für den Stichprobenumfang n und am unteren sowie linken Rand eine Skala für den Annahmefaktor k Mit einem Nomogramm können die folgenden Aufgabenstellungen gelöst werden: 1.

Zu gegebenen zwei Punkten auf der Annahmekennlinie Ln k p können der Stichprobenumfang n und der Annahmefaktor k ermittelt werden. Durch Vorgabe der Qualitätslagen AQL und RQL mit dem entsprechenden Produzentenrisiko und Konsumentenrisiko ergibt sich der Stichprobenprüfplan n k als Schnittpunkt der beiden Linien durch die Punkte AQL und RQL .

2.

Zu gegebener Ausschusswahrscheinlichkeit p und gegebenem Stichprobenprüfplan n k kann die Annahmewahrscheinlichkeit Ln k p durch Verbindung dieser beiden Punkte bestimmt werden.

3.

Zu gegebenem Stichprobenprüfplan n k und der Annahmewahrscheinlichkeit Ln k p kann die zugehörige Ausschusswahrscheinlichkeit p durch Verbindung dieser beiden Punkte bestimmt werden.

4.

Zu gegebenem Stichprobenumfang n und gegebener Ausschusswahrscheinlichkeit p mit zugehöriger Annahmewahrscheinlichkeit Ln k p kann der Annahmefaktor k bestimmt werden.

126 Im Anhang sind zwei verschiedene Nomogramme gegeben, je nachdem, ob die Fertigungs-

varianz bekannt oder unbekannt ist.

289

4.3

4

Qualitätskontrolle der Lieferantenleistung

Beispiel 4.12: Für die Qualitätskontrolle sei ein (normalverteiltes und) kardinal gemessenes Qualitätsmerkmal Y relevant. Die Standardabweichung dieses Merkmals ist dem Abnehmer bekannt. Produkte, welche die obere Toleranzgrenze Go überschreiten, sind Ausschuss. Es soll ein Stichprobenplan n k mit n und k zur Anwendung kommen. Die mit dem Lieferanten vereinbarte Ausschusswahrscheinlichkeit beträgt p . a)

Für diesen einfachen Stichprobenprüfplan sollen die Annahmewahrscheinlichkeit und der Indifferenzpunkt bestimmt werden. Unter Verwendung des Nomogramms mit bekannter Standardabweichung gilt L . Der Indifferenzpunkt muss bei p festgelegt werden, da L .

b)

Wie müsste der Annahmefaktor k gewählt werden, damit Lose mit einem Ausschussanteil von p nur mit der Wahrscheinlichkeit von 2,5% abgelehnt werden? Um Lose mit einem Ausschussanteil von p nur mit der Wahrscheinlichkeit von 2,5% abzulehnen, muss für n der Annahmefaktor k gewählt werden.

c)

Nun soll sowohl das Produzentenrisiko als auch das Konsumentenrisiko mit 10% festgelegt werden. Der akzeptable Ausschussanteil liegt bei höchstens 1% und Lose mit einem Ausschussanteil ab 3% werden zurückgewiesen. Mit welchem Stichprobenprüfplan werden diese Forderungen erfüllt? Aus den Angaben folgen AQL und RQL sowie . Der Stichprobenprüfplan n k ergibt sich als Schnittpunkt der beiden Geraden durch die Punkte (0,01; 0,9) bzw. (0,03; 0,1). Somit müssen für den Stichprobenumfang n und den Annahmefaktor k gewählt werden.

Obwohl messbare Qualitätsmerkmale grundsätzlich auch attributiv geprüft werden können, weist die messende Prüfung gegenüber der zählenden Prüfung einige Vorteile auf127. Ein Vorteil der messenden Prüfung gegenüber der zählenden Prüfung ist, dass bei gleicher Annahmekennlinie ein geringerer Stichprobenumfang benötigt wird. Es müssen also weniger Produkte getestet werden, was insbesondere bei kostenintensiven Prüfungen, wie z. B. einer zerstörenden Prüfung, wirtschaftlicher ist. Durch die Erfassung der Messwerte kann ein genaueres Bild bzgl. der Lage der Einzelwerte innerhalb des Toleranzbereichs aufgezeigt und somit eine kontinuierliche Verschiebung der Messwerte in Richtung der Toleranzgrenze erkannt werden. Somit ist ein besserer Rückschluss auf einen sich verändernden Fertigungsprozess möglich, der zur Diskussion mit dem Lieferanten genutzt werden kann. Allerdings ist zu beachten, dass 127 Vgl. RINNE/MITTAG (1995, S. 300).

290

Literaturhinweise

die Validität der messenden Prüfung von der Gültigkeit der unterstellten Normalverteilungsannahme abhängig ist. Die messende Prüfung weist jedoch auch einige Nachteile auf. Falls beispielsweise mehrere Qualitätsmerkmale überprüft werden sollen, dann muss im Gegensatz zur zählenden Prüfung für jedes Qualitätsmerkmal eine eigene Stichprobenanweisung und somit auch eine eigene Stichprobe gezogen werden. Des Weiteren können bei der messenden Prüfung aufgrund der notwendigen Messtechnik und der Schulungskosten der Mitarbeiter die fixen Prüfkosten höher liegen als bei der zählenden Prüfung. Wie in Beispiel 4.11 gezeigt, können auch Lose zurückgewiesen werden, obwohl sich kein einziger Messwert in der Stichprobe jenseits der Toleranzgrenze befindet.

4.3.3

Weiterführende Aufgaben

Zur Vertiefung des Stoffes wird auf die Aufgaben 2.5.4, 2.5.5 und 2.5.6 mit ausführlichen Lösungen im Kapitel 2.5 im Übungsbuch Logistik (4. Auflage) verwiesen.

4.4

Literaturhinweise

Brüggemann, H.; Bremer, P. (2012): Grundlagen Qualitätsmanagement, SpringerVieweg. Brunner, F.; Wagner, K. (2011): Taschenbuch Qualitätsmanagement: Leitfaden für Studium und Praxis, 5. Auflage, Hanser. Dodge, H. F. (1973): Notes on the Evaluation of Acceptance Sampling Plans, American Society of Quality Control, Milwaukee. Hamaker, H. C. (1950): The Theory of Sampling Inspection Plans, Philips Technical Review 11, S. 260-270. Lasch, R.; Janker, C. (2017): Übungsbuch Logistik – Aufgaben und Lösungen zur quantitativen Planung in Beschaffung, Produktion und Distribution, 4. Auflage, Springer Gabler. Peach, P.; Littauer, S. B. (1946): A Note on Sampling Inspection, Annals of Mathematical Statistics, Vol. 17, S. 81-84. Rinne, H.; Mittag, H.-J. (1995): Statistische Methoden der Qualitätssicherung, 3. Auflage, 1995, Hanser. Wiendahl, H.-P. (Hrsg.) (1996): Erfolgsfaktor Logistikqualität, Springer.

291

4.4

4

Qualitätskontrolle der Lieferantenleistung

Wilrich, P.-Th. (1970): Nomogramme zur Ermittlung von Stichprobenplänen für messende Prüfung bei einer einseitig vorgeschriebenen Toleranzgrenze, Teil 1: Pläne bei bekannter Varianz der Fertigung. Qualität und Zuverlässigkeit, 15. Jahrgang, Heft 3, S. 61-65. Wilrich, P.-Th. (1970): Nomogramme zur Ermittlung von Stichprobenplänen für messende Prüfung bei einer einseitig vorgeschriebenen Toleranzgrenze, Teil 2: Pläne bei unbekannter Varianz der Fertigung. Qualität und Zuverlässigkeit, 15. Jahrgang, Heft 8, S. 181-187.

292

5

Planungssoftware Logistik-Toolbox

Die Logistik-Toolbox128 ist eine in Java implementierte anwendungsorientierte Planungssoftware, die zahlreiche quantitative Planungsmethoden der Logistik enthält. Idee war es, viele der in den Vorlesungen im Schwerpunkt Logistik an der TU Dresden gelehrten quantitativen Planungsverfahren zu implementieren, um den Studierenden ein Hilfsmittel zum Üben und Wiederholen an die Hand zu geben.

Lernziele: Konzeption der Logistik-Toolbox Implementierte Planungsverfahren in den Bereichen Beschaffungs-, Produktionsund Distributionslogistik Funktionen und Einsatzmöglichkeiten der Logistik-Toolbox

5.1

Einführung

Konzeptionell stellt die Logistik-Toolbox eine Kombination aus Anwendungsprogramm und Lehrprogramm dar. Mit der Logistik-Toolbox können quantitative logistische Problemstellungen gelöst werden, die andernfalls aufwändige Berechnungen von Hand erforderlich machen würden. Sie ist einerseits komplex und leistungsstark genug, um umfangreiche logistische Aufgaben verschiedenster Art lösen zu können und andererseits noch überschaubar und mit wenigen einfachen Aktionen bedienbar. Im Mittelpunkt steht das Ergebnis der Berechnungen, womit der Charakter einer Anwendungssoftware betont wird. Bei Bedarf werden dem Nutzer, der sich in der Regel in der Aus- bzw. Weiterbildung und demzufolge auch noch im Lernprozess bezüglich der in der Logistik-Toolbox enthaltenen Methoden befindet, jedoch auch Elemente zur Unterstützung dieses Lernprozesses angeboten. Das wird in der Logistik-Toolbox meist durch die Ausgabe bestimmter Zwischenergebnisse oder stellenweise auch durch die Ausgabe des gesamten Rechenweges realisiert. Mit diesen Hilfen kann die Logistik-Toolbox somit auch als Programm zum Erlernen der implementierten Verfahren verwendet werden, wenn bereits grundsätzliche Kenntnisse über die Verfahren beim Nutzer vorhanden sind. 128 Die Erklärung der Planungssoftware Logistik-Toolbox wurde im Wesentlichen aus LASCH/

SCHULTE (2018) entnommen.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 R. Lasch, Strategisches und operatives Logistikmanagement:Beschaffung

293

5

Planungssoftware Logistik-Toolbox

Strukturell ist die Logistik-Toolbox in drei Module gegliedert, die den phasenspezifischen Subsystemen der Versorgungslogistik entsprechen: Beschaffungslogistik, Produktionslogistik und Distributionslogistik. In der Logistik-Toolbox sind über 60 Verfahren implementiert, die jeweils einem dieser drei Subsysteme zugeordnet sind (vgl. Abbildung 5-1). Die Auswahl der Verfahren stellt einen Kompromiss zwischen Breite und Tiefe dar, sodass der Nutzer einerseits viele verschiedene Problembereiche bearbeiten, aber auch innerhalb einer Aufgabenstellung meist noch zwischen verschiedenen Methoden wählen bzw. deren Ergebnisse miteinander vergleichen kann. Mit diesem Verfahrensangebot nimmt die Logistik-Toolbox eine Sonderstellung ein, was die in einem Werkzeug integrierte Anzahl von Methoden betrifft. Trotz der oft sehr heterogenen Eigenschaften der Verfahren (z. B. Datenstruktur, Visualisierungszwänge etc.) wurde auf eine einheitliche Implementierung Wert gelegt, sodass der Einarbeitungsaufwand im Wesentlichen lediglich einmal anfällt.

Abbildung 5-1 Logistik-Toolbox: Eingangsbildschirm

Den allgemeinen Anforderungen an die Programmgestaltung wurde ebenfalls Rechnung getragen. So wird z. B. eine einfache Bedienung und Verständlichkeit durch eine geringe räumliche bzw. zeitliche Trennung von Ein- und Ausgabe erreicht. Ausgangsdaten und Lösung sind so immer gleichzeitig sichtbar und auch stets zueinander pas-

294

Einführung

send, was durch eine automatische Aktualisierung nach jeder Eingabe ermöglicht wird. Am besten geeignet ist die Logistik-Toolbox für mittlere Problemgrößen, die zwar deutlich oberhalb einer „normalen“ Übungsaufgabe liegen, aber u. U. durch realistische Problemgrößen übertroffen werden können. Doch auch in solchen Fällen ist eine Anwendung möglich, da kaum Obergrenzen für die Anzahl der Variablen, Kanten etc. voreingestellt sind. Lediglich die Stärken der Bedien- und Ausgabeelemente kommen bei sehr großem Datenumfang nicht mehr in vollem Umfang zum Zuge. Die implementierte Möglichkeit, Daten über die Zwischenablage („Clipboard“) mit anderen Programmen (z. B. MS Excel) und programmintern zwischen den Verfahren der Logistik-Toolbox auszutauschen, gestattet schließlich auch eine effiziente Bearbeitung von Aufgabenstellungen mit umfangreichen Daten. Mit Hilfe derartiger Möglichkeiten des Datenaustauschs können außerdem Aufgabenketten, mit denen Abhängigkeiten verschiedener Planungsbereiche durch eine Abfolge von inhaltlich miteinander verknüpften Einzelrechnungen abgebildet werden, einfacher gelöst werden. Die folgende Tabelle 5-1 beinhaltet eine vollständige Übersicht der in der Logistik-Toolbox implementierten Verfahren:

Tabelle 5-1 Verfahren der Logistik-Toolbox

Bereich (mit Dateiendungen)

Verfahren

Modul Beschaffungslogistik Teileklassifikation (.abcp)

Stochastische Lagerhaltung (.lpdn)

ABC-Analyse Gleitende Durchschnitte, Exponentielle Glättung 1. und 2. Ordnung, Verfahren von CROSTON, Verfahren von SYNTETOS/BOYLAN, Verfahren von LEVÉN/SEGERSTEDT, Verfahren von SYNTETOS, adaptives Verfahren von SMITH, saisonales Verfahren von WINTERS, Saisonbereinigung Input-Output-Analyse, Dispositionsstufenverfahren EOQ (mit/ohne Fehlmengen), exakte Lösung des WAGNER-WHITIN-Modells, Gleitende wirtschaftliche Losgröße, Verfahren von SILVER/MEAL, Part Period-Verfahren, Verfahren von GROFF (s,q) – Politik, (t,S) – Politik

Qualitätssicherung (.qsda)

Prüfplankonstruktion nach PEACH/LITTAUER

Bedarfsprognose (konstanter, trendförmiger, saisonaler, sporadischer Bedarfsverlauf) (.kzr, .spvs und .spvk)

Bedarfsauflösung (.gbdn und .dsvt) Bestellmengenrechnung (statische Bedarfe mit/ohne Fehlmengen, dynamische Bedarfe) (.eoqd und .gzr)

295

5.1

5

Planungssoftware Logistik-Toolbox

Tabelle 5-1 Verfahren der Logistik-Toolbox (Fortsetzung) Modul Produktionslogistik Programmplanung (.simp)

Simplex-Algorithmus (2-Phasenmethode) EOQ (offene/geschlossene Produktweitergabe), Power-of-Two-Politik, exakte Lösung des Losgrößenrechnung (statisch, dyWAGNER-WHITIN-Modells, Gleitende wirtnamisch, kapazitiert, unkapazitiert) schaftliche Losgröße, Verfahren von SIL(.lbdn, .potp, .gzr und .dmpl) VER/MEAL, Part Period-Verfahren, Verfahren von GROFF, Verfahren von DIXON/SILVER Durchlaufterminierung (.cpmd) Vorgangspfeilnetze, CPM Kapazitätsrechnung (.krhd) Maschinenbelegungsplanung für Fließ- und Werkstattfertigung (.mbf2, .mbfn und .mbw2)

Beschränkte-Einsatzmittel-Heuristik, Nivellierungsheuristik Flow Shop: Verfahren von JOHNSON, Verfahren von CAMPBELL/DUDEK/SMITH Job Shop: Verfahren von JACKSON

Modul Distributionslogistik (alle: .graph) Kürzeste Wege, minimale Gerüste Flussberechnungen Transportplanung

Rundreiseplanung

Tourenplanung

Standortplanung

Verfahren von KRUSKAL, Verfahren von PRIM, Verfahren von DIJKSTRA, Verfahren von FLOYD Verfahren von BUSACKER/GOWEN Nordwesteckenregel, Spaltenminimummethode, MODI-Verfahren TSP: bester Nachfolger, sukzessive Einbeziehung, Verfahren von CHRISTOFIDES, Verfahren von AKL, Verbesserungsverfahren 2opt und 3opt CPP: kostenminimale Erweiterung von Graphen und Digraphen Savings-Verfahren mit homogenem bzw. heterogenem Fuhrpark und individuellen Kundenzeitfenstern, parametrisches Savings-Verfahren Verfahren von WEISZFELD/MIEHLE, Verfahren von COOPER, Add-Algorithmus (kapazitiert, unkapazitiert), Drop-Algorithmus (kapazitiert, unkapazitiert)

Die Einteilung der Verfahren in die drei Module dient im Wesentlichen einer einfachen Navigation, wobei die Zuordnung der Verfahren nicht so zu verstehen ist, dass diese ausschließlich im jeweiligen Bereich angewendet werden können. Bei entsprechender

296

Einsatzmöglichkeiten der Logistik-Toolbox

Interpretation von Ein- und Ausgabedaten können die Methoden auch über ihren Hauptanwendungsbereich hinaus nützlich sein. Ein typisches Beispiel ist die Modellierung des Maschinenbelegungsproblems mit einer Maschine und reihenfolgeabhängigen Rüstkosten (Bereich Produktionslogistik) als graphentheoretische Berechnung (Bereich Distributionslogistik). Bei der Entwicklung des Seitenlayouts der Logistik-Toolbox wurden folgende Gestaltungsgrundsätze berücksichtigt, die das Einarbeiten und das spätere Anwenden des Programms wesentlich vereinfachen: 1. Alle Daten des momentan genutzten Verfahrens sollten – soweit möglich – auf einen Blick verfügbar sein. Das gilt insbesondere für Ein- und Ausgabedaten, die der Nutzer stets gleichzeitig ablesen können sollte. Dadurch wird ein sicheres Nachvollziehen des Ergebnisses und ein verminderter Aufwand bei mehrfacher Anwendung der Verfahren erreicht (z. B. beim „Durchspielen“ verschiedener Varianten). 2. Die Ein- und Ausgabedaten müssen einen Bezug zueinander aufweisen, weshalb Situationen, in denen Ergebnisse angezeigt werden könnten, die nicht auf den aktuell gespeicherten Daten beruhen, vermieden werden sollten. Dies wurde durch eine automatische Neuauslösung des Verfahrens nach jeder Änderung der Eingabedaten erreicht129. 3. Angezeigte Eingabedaten sollten möglichst direkt am Ort ihrer Anzeige geändert werden können (z. B. per Mausklick auf den Wert). Dadurch entfällt die Suche nach entsprechenden Eingabemasken.

5.2

Einsatzmöglichkeiten der Logistik-Toolbox

Aus dem Konzept und den Inhalten der Logistik-Toolbox ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten ihrer Anwendung für Dozenten und Studierende. Die wichtigsten sollen im Folgenden kurz angesprochen werden.

5.2.1

Einsatzmöglichkeiten für Studierende

Gemäß der ursprünglichen Einsatzplanung für die Logistik-Toolbox liegt eine ihrer Hauptstärken in der schnellen Verifizierung der von Hand berechneten Endergebnis-

129 Nachteil dieser Lösung ist das sehr viel häufigere Durchlaufen der Verfahren, was jedoch nur

bei sehr umfangreichen Problemen, die im Rahmen der Lehre selten auftreten, zu spürbaren Verzögerungen führt.

297

5.2

5

Planungssoftware Logistik-Toolbox

se. Fehlerhafte Lösungen vorgegebener Übungsaufgaben können dadurch auch unabhängig von der Verfügbarkeit eines Lehrenden sofort entdeckt werden, was den Lernprozess für Studierende deutlich vereinfacht. Darüber hinaus ermöglichen die zahlreichen Zwischenergebnisse oder das Verfolgen des vollständigen Verfahrensablaufs das Auffinden von Fehlerquellen in der eigenen Vorgehensweise. So kann der Studierende nicht nur das Vorliegen eines Fehlers in der eigenen Vorgehensweise, sondern auch dessen Ort feststellen und dadurch das eigene Vorgehen selbstständig entscheidend verbessern. Der dabei weitaus geringere Zeitbedarf als bei konventioneller Vorgehensweise ist besonders in der Prüfungsvorbereitung nützlich. Im Zuge der Anwendbarkeit auf beliebige vorgegebene Übungsaufgaben ergibt sich automatisch auch die Möglichkeit für den Studierenden, auf einfache Weise neue Aufgaben (inklusive Musterlösung) zu entwerfen, zusätzlich zu den aus Vorlesung und Übung bekannten Aufgaben. Dadurch kann jeder Studierende, Initiative und kritische Selbsteinschätzung vorausgesetzt, die für ihn persönlich notwendige Anzahl an Übungsaufgaben generieren. Gerade Studenten mit leichten Unsicherheiten in der Abstraktion bzw. bei der Deutung formaler Vorschriften profitieren u. U. stark von einer Vielzahl an Einzelbeispielen. Das „Durchspielen“ verschiedener (Daten- oder Parameter-)Varianten und die Beobachtung der Reaktion des Ergebnisses sowie der Vergleich von Ergebnissen verschiedener Verfahren kann zu einem Wissensstand führen, der nicht nur eine eigenständige Anwendung der Algorithmen erlaubt, sondern auch Aussagen über die Eignung, das Verhalten und die Lösungsgüte der Verfahren im Vorfeld neuer Aufgabenstellungen.

5.2.2

Einsatzmöglichkeiten für Lehrende

Zunächst kann die Logistik-Toolbox, analog zu den Aussagen in Kapitel 10.2.1, auch für Lehrende ein Hilfsmittel zum gezielten, schnellen und sicheren Entwurf von quantitativen Übungs- und Klausuraufgaben sein. Weiterhin ist ihr Einsatz in Lehrveranstaltungen sinnvoll, z. B. in Vorlesungen zur Demonstration der Anwendung der gelehrten Verfahren auf Probleme mit realistischerem Umfang oder auch in der aktiven Gruppenarbeit, bei der die Studierenden unter Anleitung ihre Kenntnisse vertiefen. Durch solche Demonstrationen in Vorlesungen bzw. Übungen am Rechner kann das vernetzte Denken geschult werden, was insbesondere für eine Querschnittsfunktion wie die Logistik von wesentlichem Vorteil ist. Schließlich gestattet eine vorhandene Implementierung der gelehrten Verfahren eine verstärkte Konzentration auf die Auswahl geeigneter Verfahren für gegebene Aufgabenstellungen und die sich anschließende Interpretation der Ergebnisse. Dadurch kann die Fähigkeit der Studierenden gesteigert werden, ihr methodisches Wissen auf praxisnahe Probleme anzuwenden. Gerade durch die Forderung einen umfangreichen Fall eigenständig zu lösen, werden Studierende im besonderen Maße herausgefordert, sich mit dem Zusammenspiel verschiedener Verfahren auseinanderzusetzen.

298

Allgemeine Funktionen

Nach dieser ersten Vorstellung der Logistik-Toolbox mit ihren Grundsätzen und Einsatzmöglichkeiten folgt nun zunächst eine Beschreibung von Funktionen, die das gesamte Programm betreffen, bevor anschließend die Bedienung einzelner Verfahren mit Hilfe eines Komplexbeispiels erklärt wird.

5.3

Allgemeine Funktionen

Zu den allgemeinen Funktionen der Logistik-Toolbox gehören die Menüstruktur, die Hilfetexte zur momentan sichtbaren Seite sowie zu den Verfahren, das Speichern und Laden von Daten sowie der externe und interne Datenaustausch.

5.3.1

Menüstruktur und Seitenmanagement

Die Verfahren der Logistik-Toolbox sind in den Modulen Beschaffungs- und Produktionslogistik jeweils auf einer eigenen Seite realisiert, wohingegen das Modul Distributionslogistik lediglich aus einer Seite besteht, auf der alle Verfahren des Moduls enthalten sind. Module Beschaffungs- und Produktionslogistik: Über das Menü „Modul“ kann nach dem Start der Logistik-Toolbox zunächst das gewünschte Modul ausgewählt werden. Innerhalb der Module kann jedes Verfahren über das Menü „Berechnung“ direkt angewählt oder alternativ per Tastatur sequenziell durchgeschaltet („STRG“ + „Bild auf/ab“) werden. Zur Anwahl von Seiten anderer Module muss zunächst das Modul gewechselt (per Menü „Modul“ oder Tasten „STRG“ + „links/rechts“) werden. Die Seiten inklusive der Ein- und Ausgabedaten bleiben dabei unabhängig von ihrer Sichtbarkeit bestehen, d. h. in den Modulen Beschaffungs- und Produktionslogistik sind stets alle Seiten gleichzeitig aktiv, beim Wechsel zu einer anderen Seite oder einem anderen Modul wird der Inhalt deshalb auch nicht gelöscht. Modul Distributionslogistik: Da alle Verfahren der Distributionslogistik auf einer graphischen Darstellung beruhen und somit im Wesentlichen modulweit einheitliche Ausgangsdaten vorliegen, wurde im Modul Distributionslogistik auf eine seitenweise Trennung der Verfahren verzichtet. Die Verfahren greifen auf dieselben Daten zurück und verwenden dieselben Ausgabebereiche.

299

5.3

5

Planungssoftware Logistik-Toolbox

5.3.2

Hilfetexte (Menü „Hilfe“)

Jede Seite verfügt über einen kurzen Hilfetext, in dem zunächst die Zielstellung des Verfahrens und anschließend alle Eingabe- und Ausgabedaten mit den jeweils zugehörigen Bedienobjekten auf der Seite (z. B. Schalter, Textfelder etc.) kurz erklärt werden. Der Hilfetext bezieht sich auf die momentan sichtbare Seite. Das Studium des Hilfetextes sollte stets der erste Schritt bei der erstmaligen Verwendung einer Seite sein. Ein einheitlicher Farbcode für Bedienelemente und Bildschirm-Kurztexte (z. B. Variablen etc.) erleichtert das Auffinden gesuchter Elemente. Beim Wechsel der Seite passt sich der Hilfetext automatisch an. Die Verfahren selbst werden in der Hilfe nicht ausführlich erklärt. Für die Erklärung der einzelnen Verfahren im Bereich Beschaffungslogistik wird auf die Kapitel 2 bis 4 in diesem Lehrbuch verwiesen. Die LogistikToolbox kann das Lernen, Einüben und Vertiefen unterstützen, ist jedoch nicht für die Wissensvermittlung der jeweiligen Methoden und Modelle konzipiert. Modul Distributionslogistik: Da das Modul Distributionslogistik lediglich aus einer gemeinsamen Seite besteht, erfolgt die Erklärung der verfahrensspezifischen Bedienelemente und Daten im Menüpunkt „Hilfe“ unter „Hilfe zum aktuellen Verfahren“. Die Beschreibung der Modulseite Distributionslogistik erfolgt gesondert im Menüpunkt „Hilfe“ unter „Hilfe zum Modul Distribution“.

5.3.3

Daten speichern und laden (Menü „Daten“/„Graph“)

Die Logistik-Toolbox bietet die Möglichkeit, Problemstellungen zu speichern und später erneut zu laden. Dabei werden lediglich die Ausgangsdaten gespeichert, die Lösung wird nach dem Laden jeweils wieder neu berechnet. Zum Speichern der Problemstellungen verwendet die Logistik-Toolbox eigene Speicher-Formate, die nicht direkt in andere Programme eingelesen werden können. Jede Art von Problemstellung verfügt über eine spezifische Dateiendung (siehe Tabelle 5-1). Beim Aufrufen des Laden/Speichern-Dialogs unter dem Menüpunkt „Daten“ bzw. „Graph“ werden nur die Dateien angezeigt, die in der sichtbaren Seite verwendbar sind. Dadurch ist eine Kenntnis der verwendeten Dateiendungen i. d. R. nicht notwendig.

300

Allgemeine Funktionen

5.3.4

Die Tauschmatrix - externer und interner Datenaustausch

Da die Eingabe großer Datenmengen per Hand mühsam ist und diese oft bereits rechnerintern in anderen Programmen vorliegen, bietet die Logistik-Toolbox die Möglichkeit, tabellenförmige Daten verschiedenster Art über die Zwischenablage („Clipboard“) aus anderen Anwendungen (insbes. MS EXCEL) zu importieren oder Ergebnisse aus der Logistik-Toolbox in diese zu exportieren. Erstbenutzer sollten diesen Abschnitt jedoch überspringen und sich zunächst mit der grundsätzlichen Bedienung der jeweiligen Seite befassen, da der Datenaustausch nur danach gezielt angewendet werden kann. Zum Import von Kantenbewertungen im Modul Distributionslogistik ist im Unterschied zur nachfolgend beschriebenen Vorgehensweise im Menüpunkt „Extras“ der Unterpunkt „Matriximport“ zu verwenden. Datenimport: Der Datenimport besteht aus drei Schritten: 1. Formatierung im Quellprogramm 2. Kopieren in die Austauschmatrix 3. Import in das gewünschte Verfahren

Abbildung 5-2 Importdialog

momentane Größe der Austauschmatrix Dimensionsangabe Benennung

1. Formatierung im Quellprogramm Gehen Sie bitte zunächst in der Logistik-Toolbox in das Menü „Austauschmatrix (AM)“ / Menüpunkt „Datenimport aus AM“ (Modul Distribution: im Fenster „Knotendaten“, das über den Menüpunkt „Graph“ / „Knotendaten“ aktiviert wird). Dort ist ersichtlich, welche Importalternativen die momentan sichtbare Seite jeweils anbietet. Diese Importalternativen sind im sich öffnenden Dialog untereinander angeordnet

301

5.3

5

Planungssoftware Logistik-Toolbox

und mit einem Namen sowie einer in Klammern dahinter stehenden Dimensionsangabe versehen. In Abbildung 5-2 ist ein Beispiel mit vier Importalternativen angegeben. Anhand der Benennung und der Dimensionsangabe ergeben sich die Art und die notwendige Anordnung der zu importierenden Datentabelle im Ursprungsprogramm. Die erste Zahl der Dimensionsangabe (z. B. die „10“ bei „Preise“ in Abbildung 5-2) weist auf die Anzahl der Zeilen hin, die zweite auf die der Spalten. Im obigen Beispiel sollten demzufolge die Daten, die in die Logistik-Toolbox importiert werden sollen, bereits als Tabelle mit zehn Zeilen und einer Spalte vorliegen. Ist mehr als eine Spalte beteiligt, so muss die Spaltenreihenfolge der Reihenfolge der Benennung entsprechen. Bei der Alternative „Preise und Mengen“ in Abbildung 5-2 muss demzufolge die erste Spalte die Preise und die zweite Spalte die Mengen enthalten. Generell wurden die Entscheidungen, ob bestimmte Daten zeilenweise oder spaltenweise angeordnet sein müssen und in welcher Reihenfolge sie in den Zeilen oder Spalten stehen, anhand der Darstellung der Ausgangsdaten in der Logistik-Toolbox getroffen. Sind auf der Seite für die Durchlaufterminierung bspw. die Angaben zu Vorgänger, Dauer und Kapazitätsbedarf der Vorgänge spaltenweise hintereinander abgebildet, so muss auch die zu importierende Tabelle mit diesen Daten zunächst in genau diese Form gebracht werden, um in die Logistik-Toolbox übernommen werden zu können. Dadurch braucht der Nutzer der Logistik-Toolbox nicht mehr gesondert mitzuteilen, welche Bedeutung die importierten Zahlenwerte haben, da die LogistikToolbox diese Bedeutung allein aus der Position der Daten übernimmt. Alle Importalternativen in der Logistik-Toolbox funktionieren nach diesem Prinzip, unabhängig von dem konkreten Verfahren, für das sie benutzt werden. Eine leichte Abweichung von diesem Schema stellt lediglich eine Dimensionsangabe dar, die (statt einer konkreten Zeilenanzahl) die Abkürzung „n. b.“ enthält (siehe auch Abbildung 5-2). Diese Abkürzung bedeutet „nicht beschränkt“ und ermöglicht den Import von Tabellen, die mehr Zeilen haben, als die Logistik-Toolbox momentan darstellt. Steht jedoch eine konkrete Zahl statt „n. b.“ in der Dimensionsangabe und stimmt diese Zeilenanzahl nicht mit den Daten, die importiert werden sollen, überein (weil diese z. B. mehr Zeilen enthalten), so muss zunächst die Datenstruktur in der LogistikToolbox erweitert werden, um alle Daten aufnehmen zu können. Anderenfalls werden die überzähligen Werte beim Import ignoriert. 2. Kopieren in die Austauschmatrix Nachdem im vorangegangenen Schritt die strukturelle Übereinstimmung der Ausgangsdaten mit der Datenstruktur in der Logistik-Toolbox sichergestellt wurde, müssen diese Daten nun in die Logistik-Toolbox kopiert werden. Dazu öffnen Sie bitte den Menüpunkt „Austauschmatrix (AM)“ / „AM zeigen/einrichten“. Daraufhin wird die sogenannte Austauschmatrix angezeigt, über die alle zu im- oder exportierenden Daten kopiert werden.

302

Allgemeine Funktionen

Bringen Sie nun mit Hilfe des Buttons „Größe ändern“ die Austauschmatrix auf die Größe der zu importierenden Daten. Danach markieren Sie die Daten im Quellprogramm (z. B. MS EXCEL) und kopieren diese per Tastaturbefehl STRG+c oder über den Menüpunkt „Kopieren“ in die Zwischenablage. Klicken Sie nun auf das erste Tabellenfeld (erste Zeile, erste Spalte) der Austauschmatrix und kopieren Sie die Daten durch gleichzeitiges Drücken der Tasten STRG+v hinein. Kontrollieren Sie die korrekte Übernahme und schließen Sie dann die Austauschmatrix (vgl. Abbildung 5-3). Da es in der gesamten Logistik-Toolbox nur eine Austauschmatrix gibt, die jedoch von zahlreichen Seiten verwendet werden kann, werden durch ein Kopieren von Daten demzufolge die früher in die Austauschmatrix kopierten Daten überschrieben.

Abbildung 5-3 Datenübertragung aus der Tabellenkalkulation

3. Import in das gewünschte Verfahren Bislang befinden sich die Daten lediglich in der Austauschmatrix, in welcher sie noch ohne jede Interpretation vorliegen, d. h. die Logistik-Toolbox kennt noch nicht den Verwendungszweck dieser Daten. Dazu öffnen Sie bitte den bereits oben erwähnten Menüpunkt „Austauschmatrix (AM)“ / „Datenimport aus AM“. Dort wählen Sie nun mit Hilfe des anwählbaren Kästchens am linken Rand die im Schritt 1 „Formatierung im Quellprogramm“ ausgesuchte Importalternative und bestätigen Sie mit „Ok“. Die Logistik-Toolbox interpretiert nun die Daten aus der Austauschmatrix im Sinne der gewählten Importalternative, übernimmt diese in die Datenbasis der momentan angezeigten Seite und startet danach automatisch das Verfahren der Seite.

303

5.3

5

Planungssoftware Logistik-Toolbox

Datenexport: Über den Menüpunkt „Austauschmatrix (AM)“ / „Datenexport aus AM“ können Sie auch Daten aus der Logistik-Toolbox in andere Anwendungen exportieren. Wählen Sie dazu eine der angebotenen Exportalternativen und bestätigen Sie mit „Ok“. Die Daten befinden sich nun in der Austauschmatrix, die sich nach dem Export automatisch öffnet. Markieren Sie den gewünschten Bereich mit der Maus und kopieren Sie die Daten mit den Tasten STRG+c in die Zwischenablage. Nun können die Daten in verschiedenste Programme eingefügt werden (meist per STRG+v oder über den Menüpunkt „Einfügen“). Interner Datenaustausch: Neben dem Datenaustausch mit anderen Anwendungen kann es auch sinnvoll sein, Daten zwischen verschiedenen Verfahren innerhalb der Logistik-Toolbox auszutauschen. Das ist in der Logistik-Toolbox einfach, da die Austauschmatrix auf allen Seiten stets die gleichen Daten anzeigt. Daten, die auf einer Seite per Exportalternative in die Austauschmatrix exportiert wurden, können deshalb auf anderen Seiten per Importalternative importiert werden. Bei Bedarf können dazwischen die Zeilen und Spalten innerhalb der Austauschmatrix per STRG+c / v kopiert und dadurch verschoben werden, um die Formatanforderungen der Zielseite zu erfüllen. Nach dieser Beschreibung der wichtigsten verfahrensübergreifenden Funktionen folgt nun ein Komplexbeispiel, um die Anwendung der Logistik-Toolbox zu demonstrieren.

5.4

Anwendung der Logistik-Toolbox

Da jede Seite der Logistik-Toolbox bereits in den Hilfetexten der Logistik-Toolbox gerade mit Blick auf den Erstanwender erklärt wird und eine erneute Erklärung jedes Bedienelements an dieser Stelle somit lediglich eine Dopplung darstellen würde, soll die Funktionalität der Logistik-Toolbox im Folgenden anhand eines komplexen Beispiels in zwei Teilen verdeutlicht werden. In diesem Beispiel werden zwar nicht alle Funktionen benötigt, aber auf Grund des einheitlichen Aufbaus der Logistik-Toolbox fällt die Einarbeitung in andere Verfahren der Logistik-Toolbox sehr leicht. Dies kann z. B. durch Nachvollziehen des folgenden Beispiels erfolgen. Ein Studium der Hilfetexte der vom Nutzer später benötigten Verfahrensseiten kann dabei sowohl vor, als auch nach dem Durcharbeiten dieses Komplexbeispiels erfolgen. Es sollte jedoch nicht völlig unterbleiben.

304

Anwendung der Logistik-Toolbox

5.4.1

Beispiel Distributionslogistik

In der Abbildung 5-4 ist ein Kundengebiet mit sich darin befindenden Städten (repräsentiert durch Knoten) gegeben, die durch ein oder mehrere neu zu errichtende Lager regelmäßig einmal in der Woche beliefert werden sollen (Datei „Kundengebiet.graph“). Die im Plan eingezeichneten Verbindungen sind bereits mit den Kosten bewertet, die bei Benutzung dieser Strecken entstehen. Außerdem fallen fixe Kosten (30 GE) pro geöffnetem Standort im Zeitraum der einmaligen Belieferung der Kunden an. Standorte sollen nur in den Städten eröffnet werden. Nachdem die Standorte feststehen, soll von jedem Standort aus eine Rundreise geplant werden, um den Kunden einen Initialbesuch abzustatten. Welche Wege sollte man fahren?

Abbildung 5-4 Kundengebiet

3

5

7

6

5

4 9 8

6

1

5

7 2

8

14

7

2

13 6 4

6 19

9

Lösung: Laden Sie zunächst den Graph „Kundengebiet.graph“ über den Menüpunkt „Graph“ in die Logistik-Toolbox. Da die zu eröffnenden Standorte nur in den schon vorhandenen Knoten liegen können, handelt es sich um ein Problem der diskreten Standortplanung. Dafür bietet die Logistik-Toolbox den Add- und den Drop-Algorithmus, jeweils in unkapazitierter und kapazitierter Version an. Da jedoch keinerlei Angaben über die Kapazitäten vorliegen, handelt es sich hierbei um ein unkapazitiertes Standortproblem.

305

5.4

5

Planungssoftware Logistik-Toolbox

Um die Verfahren auf den Graph anwenden zu können, sind noch die fixen Kosten einzutragen. Da die fixen Kosten knotenbezogene Daten sind, erfolgt die Eintragung über den Menüpunkt „Knotendaten“ im Menü „Graph“. Die fixen Kosten sind hier rechts unter „Kosten 1“ einzutragen; nähere Informationen erhält man über das „Hilfe“-Menü im Knotendaten-Fenster. Da alle potenziellen Standorte (= Knoten) die gleichen fixen Kosten aufweisen (30 GE), ist es vorteilhaft den Ausfüllassistenten zu benutzen. Klicken Sie dazu mit der Maus auf den Button „Kosten 1“ rechts oben im Knotendaten-Fenster. Im sich daraufhin öffnenden Dialog können Sie den festen Wert von 30 bei allen Knoten eintragen lassen. Schließen Sie danach das KnotendatenFenster mit dem Button „Ok“. Da in der Logistik-Toolbox zwei Verfahren zur Berechnung zur Verfügung stehen, sollten beide Möglichkeiten durchgeführt und das bessere Ergebnis verwendet werden. Wählen Sie deshalb nacheinander über das Menü „Berechnung“ und die Untermenüs „Standorte (diskret)“ bzw. „unkapazitiert“ sowohl den Add- als auch den Drop-Algorithmus aus und vergleichen Sie die Ergebnisse. Es ergeben sich folgende Resultate in nachstehender Tabelle: Verfahren

Gesamtkosten

Standorte (jeweils zugeordnete Knoten)

Add

112

3 (1,2,5,6)

7 (4,8,9)

Drop

109

2 (1,3,4,5)

8 (6,7,9)

Da das Drop-Verfahren das kostengünstigere Ergebnis liefert, werden in den Knoten 2 und 8 Standorte eingerichtet. Von diesen beiden Standorten aus sollen nun Rundreisen geplant werden. Gemäß vorheriger Tabelle ergeben sich Rundreisen von Knoten 2 über die Knoten 1, 3, 4 und 5 sowie von Knoten 8 über die Knoten 6, 7 und 9. Da jeweils nur eine Teilmenge der vorhandenen Knoten besucht werden soll, kann diese Rundreise nicht im Ursprungsgraph ermittelt werden, sondern es sind Untergraphen zu bilden. Diese Untergraphen müssten nun alle kürzesten Wege zwischen ihren Knoten enthalten, was jedoch nicht mehr garantiert ist, sobald Kanten ersatzlos entfallen. Aus diesem Grund sind die Untergraphen zu vervollständigen, d. h. es sind alle möglichen Verbindungen zwischen den Knoten des Untergraphen einzuzeichnen und diese sind mit der jeweiligen Entfernung aus dem Ursprungsgraph zu bewerten. Nur so ist gewährleistet, dass die im Untergraph ermittelte Route über eine bestimmte Menge von Knoten auch der gesuchten Rundreise im Originalgraph entspricht. Die Logistik-Toolbox bietet für diesen Fall eine automatische Funktion an. Markieren Sie zunächst mit der Maus durch Ziehen und gedrückt halten der linken Maustaste die Menge der Knoten, die in dem zu bildenden Untergraph übernommen werden sollen (alternativ per Mausklick bei gedrückter STRG-Taste). Wählen Sie danach im Menü „Graph“ die Untermenüs „Aktion mit Selektion“ und „Untergraph bilden“ sowie abschließend den Punkt „mit Entfernungen“. Daraufhin wird ein neuer Graph in die

306

Anwendung der Logistik-Toolbox

Graphenliste (sichtbar oberhalb des Schriftzugs „Zeichenfläche“) übernommen, der genau den oben erklärten Anforderungen entspricht. Um letztlich in den sich so ergebenden Untergraph die Rundreisen bestimmen zu können, muss nun abschließend der Startpunkt der Rundreise festgelegt werden. Wählen Sie dazu zunächst einen der Untergraphen über die Graphenliste im oberen Bereich der Logistik-Toolbox aus und öffnen Sie nun den Graphendatendialog, indem Sie im Menü „Graph“ den Punkt „Graphendaten“ anwählen. Im mittleren Bereich des sich nun öffnenden Fensters kann der Ausgangspunkt für die Rundreise und Tourenplanung (TSP, CPP, VRP) eingegeben werden. Geben Sie hier die Knotennummer des Standortes ein. Achten Sie dabei darauf, dass die Knoten bei der Bildung der Untergraph umnummeriert werden müssen, wobei die alten Knotennummern im Namen der Knoten erhalten bleiben (siehe Dateien „Kundengebiet-Teil1.graph“ und „Kundengebiet-Teil2.graph“). Die Logistik-Toolbox bietet für die Rundreise über alle Knoten (TSP) in ungerichteten Graphen drei Start- und zwei Verbesserungsverfahren an, wobei das Verbesserungsverfahren „3opt“ das Verbesserungsverfahren „2opt“ enthält. Es ergeben sich deshalb drei verschiedene Alternativen für die Berechnung: „Bester Nachfolger“ + anschließend „3opt“ „Sukzessive Einbeziehung“ + anschließend „3opt“ „Christofides“ + anschließend „3opt“ Wählen Sie nacheinander die drei Startverfahren, jeweils direkt gefolgt von „3opt“ (Menü „Berechnung“, Untermenü „TSP-Rundreise“). In diesem Beispiel ergibt sich zufällig, dass die Resultate aller Verfahren sowohl für Standort 1 als auch für Standort 2 die gleiche Länge von 34 aufweisen. Die angezeigten Wege in nachfolgender Tabelle müssen nun wieder in die ursprüngliche Nummerierung der Knoten übertragen werden, womit die Aufgabenstellung erfüllt ist.

5.4.2

Standort

anzufahrende Knoten

Reihenfolge

Knoten 2

1,2,3,4,5

2-1-5-3-4-2

Knoten 8

6,7,8,9

8-6-7-9-8

Beispiel Beschaffungs- und Produktionslogistik

In der folgenden Abbildung 5-5 ist ein Gozinto-Graph gegeben. Es soll berechnet werden, welche Mengen der Formteile FT1 und FT2, die auf der gleichen Maschine hergestellt werden, in den Perioden 15, 16, 17 und 18 produziert werden sollen. Die dafür benötigten Daten stehen in den Dateien „Gozintograph.graph“ und „Daten.xls“ zur Verfügung.

307

5.4

5

Planungssoftware Logistik-Toolbox

Tabelle 5-2 Bedarfsdaten EP1 Periode

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

Bedarf

14

17

16

16

18

20

18

19

21

19

19

22

23

23

Die Bedarfsdaten des Endprodukts EP1 der vergangenen 14 Perioden sind in der Tabelle 5-2 gegeben. Das Endprodukt und alle Baugruppen (BGx) sollen Los-für-Los produziert werden, sodass keine Loszusammenfassung durchgeführt werden muss. Die Vorlaufverschiebungen bei dieser Produktion sind sehr gering und können deshalb im Folgenden vernachlässigt werden.

Abbildung 5-5 Gozinto-Graph

EP1 1

4

5 1

2

BG1

3 3

2

4

BG3

BG2 2

3 3

5

FT1

308

1

1

1

2

5

6

7

8

FT2

FT3

FT4

Anwendung der Logistik-Toolbox

Es liegen momentan noch die in der Tabelle 5-3 angegebenen disponiblen Bestände auf Lager.

Tabelle 5-3 Disponible Bestände Produkt disponibler Bestand

EP1

BG1

BG2

BG3

FT1

FT2

FT3

FT4

2

13

0

15

140

110

90

280

Außerdem ist bekannt, dass die Maschine zur Herstellung der beiden Formteile FT1 und FT2 eine Kapazität von 60 Stunden pro Periode besitzt. Für eine Mengeneinheit Formteil FT1 benötigt man im Schnitt 1 Minute, für eine Mengeneinheit Formteil FT2 nur 0,5 Minuten. Ein Rüstvorgang für FT1 kostet 180 Euro und für FT2 130 Euro. Liegen die Formteile eine Periode im Lager, so werden Lagerhaltungskosten für jedes Stück FT1 in Höhe von 0,02 Euro und für jedes Stück FT2 in Höhe von 0,06 Euro verursacht. Lösung: Gefordert sind die Losgrößen von FT1 und FT2. Dazu ist es notwendig den Bedarf dieser Teile zu kennen, der jedoch nicht vorliegt. Es liegen lediglich die früheren Bedarfe von EP1 vor, die man deshalb mit Hilfe von Prognoseverfahren fortschreiben muss, um den Bedarf von EP1 in den Perioden 15 bis 18 zu erhalten. Anhand des Gozinto-Graph kann anschließend eine Umrechnung auf die Mengen für FT1 und FT2 erfolgen. Öffnen Sie in der Logistik-Toolbox im Modul „Beschaffung“ die Seite der Prognoseverfahren (Menü „Berechnungen“, Untermenü „stoch. Bedarfsrechnung“, Menüpunkt „Prognoseverfahren“). Die Verbrauchsdaten aus Tabelle 5-2 sind in die Zeile mit den blauen Zahlen einzutragen. Dies kann entweder per Hand durch Mausklick auf die jeweilige Zahl oder für Fortgeschrittene auch per Importfunktion erfolgen: 1. Öffnen Sie den Menüpunkt „AM zeigen/einrichten“ im Menü „Austauschmatrix (AM)“. Da insgesamt 14 Verbrauchsdaten für das Endprodukt EP1 vorliegen muss per Button „Größe ändern“ die Tabelle auf 1 Zeile mit 14 Spalten geändert werden. 2. Öffnen Sie die Datei „Daten.xls“, markieren Sie die 14 Zahlenwerte in der Zeile „Bedarf“ und kopieren Sie diese in die Zwischenablage (per Tasten STRG + c oder per Menü). 3. Wechseln Sie wieder zur Logistik-Toolbox und klicken Sie in der Austauschmatrix die erste Zelle (Spalte 1) an und kopieren Sie die Daten per Tasten STRG + v in die Logistik-Toolbox. Kontrollieren Sie die korrekte Übernahme und schließen Sie die Austauschmatrix.

309

5.4

5

Planungssoftware Logistik-Toolbox

4. Öffnen Sie den Menüpunkt „Datenimport aus AM“ im Menü „Austauschmatrix (AM)“ und wählen Sie den angebotenen Filter „Verbrauchsdaten“ durch Anklicken des Kästchens am linken Rand und einer Bestätigung mit „Ok“. Die Verbrauchsdaten befinden sich nun in der Logistik-Toolbox und es können geeignete Prognoseverfahren ausgewählt werden, um die fehlenden Werte für die Perioden 15 bis 18 zu bestimmen. Da bei der Betrachtung der Datenreihe (z. B. per Klick auf den Button „Wertereihen als Graphik“ links oben) ein ansteigender Trend auffällt, ist entweder die Exponentielle Glättung zweiter Ordnung oder das Verfahren von SMITH zu wählen. Klicken Sie dazu mit der linken Maustaste auf den Schriftzug „(neues Verf.)“ am linken Rand der Logistik-Toolbox. Es öffnet sich ein Dialogfenster, in dem Sie die Verfahren auswählen können. Klicken Sie zunächst auf die Option „Trendförmiges Modell“, anschließend auf „Exp. Glättung 2.Ordnung“ und geben Sie rechts daneben für „alpha“ einen beliebigen Wert zwischen 0 und 1 ein. Nach Schließen des Dialogfensters werden die Prognosewerte des Verfahrens für die angezeigten Perioden berechnet. Da aber in der Aufgabenstellung die Perioden 15 bis 18 gefragt sind, müssen die angezeigten Perioden auf mindestens 18 erweitert werden, was mit dem Button „Periodenzahl“ links oben erfolgt. Durch Klick auf den Button mit dem Pfeil nach rechts (türkis) werden die Prognosewerte für die Perioden 15 bis 18 angezeigt. Momentan bestehen diese jedoch noch aus gebrochenen Zahlen. Stellen Sie deshalb bitte mit Hilfe des Buttons „Rundungsmodus“ rechts oben auf der Seite die Rundung der Prognosewerte auf ganze Zahlen ein. Abschließend ist noch eine Optimierung des Parameters „alpha“ entsprechend geeigneter Fehlermaße sinnvoll. Klicken Sie dazu mit der rechten Maustaste auf die Kurzbezeichnung des Verfahrens, die anstatt des zuvor dort stehenden „(neues Verf.)“ erschien. Wählen Sie in dem sich öffnenden Dialogfenster für die Optimierung ein Fehlermaß (z. B. TUK) oder mehrere Fehlermaße aus und bestätigen Sie mit „Ok“. Analog zu diesem Vorgehen wählen Sie nun bitte durch erneuten Linksklick auf „(neues Verf.)“ zusätzlich das Verfahren nach SMITH aus und vergeben Sie für „beta“ und „gamma“ wieder beliebige Werte zwischen 0 und 1. Nachdem diese Parameter ebenfalls bzgl. des Fehlermaßes TUK optimiert wurden, ergeben sich die in der folgenden Tabelle angegebenen Prognosewerte für die Perioden 15 bis 18 (siehe auch Datei „Prognose.spvk“): Periode

15

16

17

18

Exp. Glättung 2. Ordnung

24

25

25

26

Verfahren nach SMITH ( = 0,01 ; = 0,38)

23

23

24

25

Da das Verfahren nach SMITH das geringere Fehlermaß aufweist (siehe rechts neben den Prognosewerten, unterhalb des Buttons „TUK“), werden im Folgenden die Werte gemäß SMITH verwendet. Nun muss die Umrechnung der Prognosewerte für EP1 auf die Bedarfswerte für FT1 und FT2 erfolgen. Dazu bietet die Logistik-Toolbox das Dispositionsstufenverfahren

310

Anwendung der Logistik-Toolbox

an. Wählen Sie im Menü „Berechnung“ den Punkt „Bedarfsrechnung“. Die Mengenbeziehungen der End-, Zwischen- und Vorprodukte gemäß Abbildung 5-5 können hier jedoch nicht direkt eingegeben werden, weshalb diese Daten von dem Verfahren selbstständig aus dem Modul Distribution beschafft werden. Wählen Sie deshalb im Menü „Modul“ den Punkt „Distribution“ und laden Sie über den Menüpunkt „Graph laden“ im Menü „Graph“ die Datei „Gozintograph.graph“. Gehen Sie in das Beschaffungsmodul zurück und übernehmen Sie die Struktur des Gozinto-Graph einfach durch einen Klick auf den Button „Graph“ links oben in der Logistik-Toolbox. Geben Sie nun die Bedarfswerte aus vorheriger Tabelle in die ersten vier Perioden ein, indem Sie jeweils auf die blauen Werte in der Zeile „Primär-Bedarf“ des obersten Produkts (EP1) klicken. Nun fehlen lediglich noch die disponiblen Bestände, die Sie durch Klick auf den Schriftzug „Primärbedarf“ im linken Teil des Bildschirms eingeben können. Achten Sie bei der Eingabe der disponiblen Bestände aus Tabelle 5-3 auf die korrekte Zuordnung, da die Logistik-Toolbox die Reihenfolge der Produkte ändert, wenn dies (wie es hier der Fall ist) notwendig ist, um die Nachfolgerstruktur korrekt abzubilden. Eine Verwendung der Importfunktion ist hier deshalb auch nicht bzw. erst nach Umordnung der Werte in der Datei „Daten.xls“ möglich, wodurch eine Eingabe per Hand sinnvoll ist. Nun sind alle notwendigen Daten eingegeben und Sie können durch Navigieren nach unten (mit Hilfe der Pfeilbuttons) die Werte aus folgender Tabelle ablesen (siehe auch Datei „DSV.dsvt“): Periode

15

16

17

18

Bedarf FT1

1.203

1.679

1.752

1.825

Bedarf FT2

676

920

960

1.000

Dies sind nun die Werte, die in die Losgrößenrechnung einfließen. Da beide Formteile auf der gleichen Maschine produziert werden und dynamische Bedarfe vorliegen, muss ein dynamisches Verfahren für mehrere Produkte angewendet werden, wofür die Logistik-Toolbox das Verfahren von DIXON/SILVER anbietet. Gehen Sie in das Modul „Produktion“ und wählen Sie im Untermenü „Losgrößenplanung“ den Punkt „dyn. Mehrprodukt-Losgröße“. Geben Sie anschließend die Daten für die Produkte (Rüstkosten, Lagerhaltungskosten und Kapazitätsbedarf) durch Mausklick auf den Schriftzug „(neues Produkt)“ links oben sowie die zur Verfügung stehende Kapazität durch Klick auf „k-Angebot“ (Mitte unten) ein. Achten Sie dabei auf gleiche Einheiten für die Kosten (Euro oder Cent) und die Kapazitätsangaben (jeweils in Minuten). Für die Formteile FT1 und FT2 ergeben sich die in der folgenden Tabelle angegebenen Produktionslose (siehe auch Datei „Dixon-Silver.dmpl“):

311

5.4

5

Planungssoftware Logistik-Toolbox

Periode

15

16

17

18

Lose FT1

1.203

3.431

0

1.825

Lose FT2

1.596

0

1.960

0

Abschließend sei nochmals darauf hingewiesen, dass vor der Benutzung jedes Verfahrens der Logistik-Toolbox der zu dem jeweiligen Verfahren gehörige kurze Hilfetext innerhalb der Logistik-Toolbox intensiv studiert werden sollte. Nur so können alle Variablen, Möglichkeiten und Grenzen des Verfahrens bei seiner Anwendung beachtet werden. Danach sollte einem erfolgreichen Einsatz der Logistik-Toolbox nichts mehr im Wege stehen. Für umfangreichere quantitative Logistikfallstudien, die mit Hilfe der Planungssoftware Logistik-Toolbox gelöst werden, wird auf das entsprechende Buch von LASCH/ SCHULTE (2018) verwiesen.

5.5

Download der Logistik-Toolbox

Die Planungssoftware Logistik-Toolbox kann unter folgender Adresse heruntergeladen werden: http://www.logistik-toolbox.de

5.6

Literaturhinweise

Lasch, R.; Schulte, G. (2018): Quantitative Logistikfallstudien – Aufgaben und Lösungen zu Beschaffung, Produktion und Distribution – Mit Planungssoftware, 4. aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler.

312

Anhang

Poisson-Verteilung c\λ

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

0 0,36788 0,13534 0,04979 0,01832 0,00674 0,00248 0,00091 0,00034 0,00012 0,00005 1 0,73576 0,40601 0,19915 0,09158 0,04043 0,01735 0,00730 0,00302 0,00123 0,00050 2 0,91970 0,67668 0,42319 0,23810 0,12465 0,06197 0,02964 0,01375 0,00623 0,00277 3 0,98101 0,85712 0,64723 0,43347 0,26503 0,15120 0,08177 0,04238 0,02123 0,01034 4 0,99634 0,94735 0,81526 0,62884 0,44049 0,28506 0,17299 0,09963 0,05496 0,02925 5 0,99941 0,98344 0,91608 0,78513 0,61596 0,44568 0,30071 0,19124 0,11569 0,06709 6 0,99992 0,99547 0,96649 0,88933 0,76218 0,60630 0,44971 0,31337 0,20678 0,13014 7 0,99999 0,99890 0,98810 0,94887 0,86663 0,74398 0,59871 0,45296 0,32390 0,22022 8 1,00000 0,99976 0,99620 0,97864 0,93191 0,84724 0,72909 0,59255 0,45565 0,33282 9

0,99995 0,99890 0,99187 0,96817 0,91608 0,83050 0,71662 0,58741 0,45793

10

0,99999 0,99971 0,99716 0,98630 0,95738 0,90148 0,81589 0,70599 0,58304

11

0,99993 0,99908 0,99455 0,97991 0,94665 0,88808 0,80301 0,69678

12

0,99998 0,99973 0,99798 0,99117 0,97300 0,93620 0,87577 0,79156

13

1,00000 0,99992 0,99930 0,99637 0,98719 0,96582 0,92615 0,86446

14

0,99998 0,99977 0,99860 0,99428 0,98274 0,95853 0,91654

15

0,99993 0,99949 0,99759 0,99177 0,97796 0,95126

16

0,99998 0,99983 0,99904 0,99628 0,98889 0,97296

17

0,99999 0,99994 0,99964 0,99841 0,99468 0,98572

18

1,00000 0,99998 0,99987 0,99935 0,99757 0,99281

19

1,00000 0,99999 0,99996 0,99975 0,99894 0,99655

20

0,99999 0,99991 0,99956 0,99841

21

1,00000 0,99997 0,99983 0,99930

22

1,00000 0,99999 0,99993 0,99970

23

1,00000 1,00000 0,99998 0,99988

24

1,00000 1,00000 0,99999 0,99995

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 R. Lasch, Strategisches und operatives Logistikmanagement:Beschaffung

313

Anhang

-Verteilung ν\ω

0,005

0,01

0,025

0,05

0,1

0,25

0,75

0,9

0,95

0,975

0,99

1

-

-

0,001

0,004

0,016

0,102

1,323

2,706

3,841

5,024

6,635

2

0,010

0,020

0,051

0,103

0,211

0,575

2,773

4,605

5,991

7,378

9,210

3

0,072

0,115

0,216

0,352

0,584

1,213

4,108

6,251

7,815

9,348

11,345

4

0,207

0,297

0,484

0,711

1,064

1,923

5,385

7,779

9,488

11,143

13,277

5

0,412

0,554

0,831

1,145

1,610

2,675

6,626

9,236

11,071

12,833

15,086

6

0,676

0,872

1,237

1,635

2,204

3,455

7,841

10,645

12,592

14,449

16,812

7

0,989

1,239

1,690

2,167

2,833

4,255

9,037

12,017

14,067

16,013

18,475

8

1,344

1,646

2,180

2,733

3,490

5,071

10,219

13,362

15,507

17,535

20,090

9

1,735

2,088

2,700

3,325

4,168

5,899

11,389

14,684

16,919

19,023

21,666

10

2,156

2,558

3,247

3,940

4,865

6,737

12,549

15,987

18,307

20,483

23,209

11

2,603

3,053

3,816

4,575

5,578

7,584

13,701

17,275

19,675

21,920

24,725

12

3,074

3,571

4,404

5,226

6,304

8,438

14,845

18,549

21,026

23,337

26,217

13

3,565

4,107

5,009

5,892

7,042

9,299

15,984

19,812

22,362

24,736

27,688

14

4,075

4,660

5,629

6,571

7,790

10,165

17,117

21,064

23,685

26,119

29,141

15

4,601

5,229

6,262

7,261

8,547

11,037

18,245

22,307

24,996

27,488

30,578

16

5,142

5,812

6,908

7,962

9,312

11,912

19,369

23,542

26,296

28,845

32,000

17

5,697

6,408

7,564

8,672

10,085

12,792

20,489

24,769

27,587

30,191

33,409

18

6,265

7,015

8,231

9,390

10,865

13,675

21,605

25,989

28,869

31,526

34,805

19

6,844

7,633

8,907

10,117

11,651

14,562

22,718

27,204

30,144

32,852

36,191

20

7,434

8,260

9,591

10,851

12,443

15,452

23,828

28,412

31,410

34,170

37,566

314

k

f u (k)

1- (k)

S(k)

k

f u (k)

1- (k)

S(k)

k

f u (k)

1- (k)

S(k)

k

f u (k)

1- (k)

S(k)

Anhang

Normalverteilung und Brown’sche Servicefunktion

315

Anhang

k

f u (k)

1- (k)

S(k)

k

f u (k)

1- (k)

S(k)

k

f u (k)

1- (k)

S(k)

Normalverteilung und Brown’sche Servicefunktion

316

Anhang

k

f u (k)

1- (k)

S(k)

k

f u (k)

1- (k)

S(k)

k

f u (k)

1- (k)

S(k)

Normalverteilung und Brown’sche Servicefunktion

317

Anhang

Quelle: Wilrich, P.-Th. (1970), S. 63 318

Anhang

Quelle: Wilrich, P.-Th. (1970), S. 183

319

Stichwortverzeichnis A

Bedarfsauflösung .............................. 128 analytisch ................................ 128, 140

ABC-Analyse ..................................... 100 Kombination mit XYZ-Analyse ... 107 Ablehngrenze .................................... 264 Abnahmeprüfung ............................. 256 messende ................................ 257, 282 zählende .................................. 257, 258 Abweichung ...................................... 251 systematische ................................. 251

Bedarfsermittlung ............................. 116 Bedarfsverlauf ................................... 146 konstant ........................................... 146 saisonal ............................................ 171 sporadisch ....................................... 183 trendförmig..................................... 157 Beschaffung ........................................... 2

zufällige .......................................... 251

BeschaffungsgüterLieferantenportfolio .......................... 113

Annahmegrenze................................ 264

Beschaffungsgüterportfolio ............. 111

Annahmekennlinie ................... 258, 288

Beschaffungslogistik ............................. 2

Annahmekennzahl ........................... 258

Beschaffungsprozess .................... 37, 67

Ansatz .................................................. 29

Beschaffungsstrategie ........................... 3

marktorientierter ............................. 29

Bestand ............................................... 115

ressourcenbasierter.......................... 31

Bestellbestand ................................. 228

Ausgliederung .................................... 15

disponibler .............................. 115, 228

Auslagerung ........................................ 15

Nettobestand .................................. 228

Ausschussanteil ................................ 258

physischer ....................................... 228

Ausschusswahrscheinlichkeit ......... 282

Sicherheitsbestand ......................... 228 Bestellkosten ...................................... 196

B

fix ..................................................... 196 variabel ............................................ 196

Bedarf ................................................. 115 Bruttobedarf ................................... 115

Bestellpunktverfahren ...................... 235

s S -Politik................................... 237

Nettobedarf .................................... 115

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 R. Lasch, Strategisches und operatives Logistikmanagement:Beschaffung

321

Stichwortverzeichnis

s q -Politik ................................... 236

Ziele ................................................... 87

Bestellrhythmusverfahren ............... 238

Elastizität............................................ 267

t S -Politik ................................... 239

Electronic Business ............................. 66

t q -Politik ................................... 239

Electronic Commerce.......................... 66

t s q -Politik ............................... 241

Electronic Government....................... 67 Electronic Procurement ...................... 67

t s S -Politik ............................... 242

Geschäftsmodelle ............................. 76

Bestellzyklus .............................. 196, 228

Potenziale .......................................... 82

Bilanzanalyse....................................... 47

Risiken ............................................... 83 Erzeugnisbaum ................................. 120

C Checklistenverfahren ......................... 53

Erzeugniszusammenhang ............... 119 Exponentielle Glättung .................... 150 erster Ordnung ............................... 150 zweiter Ordnung............................ 158

D Desktop-Purchasing-System ............. 80

F

DIN 40080 .......................................... 273 Dispositionsstufenverfahren ........... 132 Durchschlupf ..................................... 278 maximal mittlerer .......................... 278 mittlerer .......................................... 278

Fehler .................................................. 260 Fehler 1. Art .................................... 260 Fehler 2. Art .................................... 260 Fehlermaße ........................................ 143 Fehlmengenkosten ............................ 197

E

Fertigungsniveau .............................. 282 Fertigungsvarianz ............................. 282

Economic Order Quantity-Modell.. 203

Feste Eindeckzeit............................... 138

Einkaufsauktion .................................. 84

Feste Losgröße ................................... 137

Ablauf ............................................... 88

Fester Auflagerhythmus .................. 138

Arten ................................................. 86 Vorteile .............................................. 88

322

Stichwortverzeichnis

G

L

Gini-Koeffizient ................................ 101

Lagerhaltung ..................................... 195

Glättungsparameter ................. 150, 153

Lagerhaltungsmodell ....................... 196

Gleitende wirtschaftliche Losgröße ............................................ 218

deterministisch ............................... 196

Gleitender Durchschnitt .................. 147 ungewogen ..................................... 147 zentriert ........................................... 175 Gozinto-Graph .................................. 121 Gozinto-Verfahren ............................ 131

dynamisch....................................... 213 statisch ............................................. 196 stochastisch ..................................... 227 Lagerhaltungspolitik ........................ 235 Lagerkosten ....................................... 197 Lagerungskosten ............................... 197 Lieferantenanalyse .............................. 40

H Hypothesentest ................................. 258

Lieferantenbewertung ........................ 40 Bewertungskriterien ........................ 42 qualitative Verfahren ....................... 47

I

quantitative Verfahren .................... 44 Lieferantenentwicklung ..................... 56

Indifferenzpunkt ....................... 264, 267

Lieferantenerziehung ......................... 55 Lieferantenförderung ......................... 56

K

Lieferanten-Gap-Analyse ................... 49 Lieferanteninnovation ........................ 57

Kapitalbindungskosten .................... 197 Kaufsituation ....................................... 41 Kennzahlenverfahren ......................... 46 Konsignationslager ............................... 7 Konsumentenrisiko .......................... 260 Kosten-Entscheidungsanalyse .......... 45

Anreize für ........................................ 61 Bewertung von ................................. 63 Kanäle für ......................................... 61 Nutzen ............................................... 57 Voraussetzungen für ....................... 60 Zugang zu ......................................... 59 Lieferantenmanagement .................... 37 Prozess............................................... 37

323

Stichwortverzeichnis

Lieferantenpflege ................................ 55

Military Standard 105D .................... 273

Lieferantenportfolio ......................... 113

Mindestlosgröße................................ 138

Lieferantenvorauswahl ...................... 39 Lieferantenwechsel ....................... 41, 56

N

Lieferzyklus ............................... 196, 228 Logistik-Toolbox ............................... 293 Anwendungsbeispiel .................... 304

Neuprodukteinführung ..................... 41 Notensysteme ...................................... 50

Daten speichern / laden ................ 300 Datenexport .................................... 304 Datenimport ................................... 301 Download ....................................... 312 Einsatzmöglichkeiten .................... 297 Hilfetexte ........................................ 300 implementierte Verfahren ............ 295

O Operationscharakteristik.................. 258 Optimierungsverfahren ..................... 45 Outsourcing ......................................... 15 defensiv ............................................. 32 offensiv .............................................. 32

Menüstruktur ................................. 299 Lorenz-Kurve .................................... 101

P

Los ...................................................... 256 Los für Los ......................................... 137

Phasendurchschnittsmethode ......... 173

Losgrößenmodell .............................. 198

Planung .............................................. 118

mit Fehlmengen ............................. 198

rollierend......................................... 118

mit Mengenrabatten ...................... 208

Portfolio-Analyse .............................. 111

mit Preiserhöhungen ..................... 211

Preis-Entscheidungsanalyse .............. 44

ohne Fehlmengen .......................... 203

Prinzipal-Agenten-Ansatz ................. 34 Produktfehler .................................... 257

M

Produktinnovation .............................. 58 Produzentenrisiko............................. 260

Make-or-Buy........................................ 15 Materialwirtschaft ................................ 2 Meldebestand .................................... 235

324

Profilanalyse ........................................ 47 Prognosefehler................................... 142 Prozessinnovation ............................... 58

Stichwortverzeichnis

Prüfaufwand ..................................... 280

Servicegrad............................... 231

Prüfplan ............................................. 256

Servicegrad .............................. 231

doppelter ........................................ 256

Serviceinnovation................................ 59

einfacher ......................................... 256

Sicherheitsbestand ............................ 230

Konstruktion .......................... 258, 286

Sicherheitsfaktor ............................... 230

mehrfacher...................................... 257

Sortimentswechsel .............................. 41

sequenzieller .................................. 257

Sourcing-Strategie ................................ 3

Prüfplansammlung........................... 273

Central Sourcing ............................. 13

Punktbewertungsverfahren............... 52

Cooperative Sourcing ........................ 9 Decentral Sourcing .......................... 13

Q

Double Sourcing ................................ 5 Dual Sourcing ..................................... 5

Qualität .............................................. 250 Qualitätskontrolle ............................. 251 statistische ...................................... 256 Qualitätskosten ................................. 252 Qualitätslenkung .............................. 251 Qualitätsmanagement ...................... 250 Qualitätsplanung .............................. 250 Qualitätsverbesserung ..................... 251

R Routinebeschaffung ............................ 41

Electronic Sourcing .......................... 10 External Sourcing ............................. 12 fallweise Beschaffung ........................ 8 Global Sourcing ................................ 11 Hybrid Sourcing .............................. 13 Individual Sourcing ........................... 9 Internal Sourcing ............................. 12 International Sourcing ..................... 11 Local Sourcing .................................. 10 Manual Sourcing .............................. 10 Modular Sourcing .............................. 6 Multiple Sourcing .............................. 5

S

National Sourcing ............................ 11 Parallel Sourcing ................................ 4

Saisonkoeffizienten........................... 171 Servicefunktion ................................. 233

produktionssynchrone Beschaffung ........................................ 8

Servicegrad ........................ 227, 231, 232

Regional Sourcing ............................ 10

325

Stichwortverzeichnis

Single Sourcing .................................. 4

programmorientiert ............... 116, 117

Sole Sourcing ...................................... 4

subjektiv .......................................... 117

System Sourcing ................................ 6

verbrauchsorientiert .............. 117, 140

Unit Sourcing ..................................... 5

von CROSTON................................... 185

Vorratsbeschaffung............................ 7

von GROFF ....................................... 224

Sprunganweisungen......................... 275

von HOLT ......................................... 165

Stückliste ............................................ 122

von LEVÉN/SEGERSTEDT .................. 187

Baukastenstückliste ....................... 124

von PEACH/LITTAUER ...................... 266

Gozinto-Liste .................................. 126

von PHILIPS ...................................... 267

Mengenübersichtsstückliste ......... 123

von SILVER/MEAL ............................ 220

Strukturstückliste .......................... 123

von SMITH ........................................ 167

Variantenstückliste ........................ 126

von SYNTETOS .................................. 187

Stücklistenauflösung ........................ 133

von SYNTETOS/BOYLAN ................... 186

Stückperiodenausgleichsverfahren ............................................ 222

von TEUNTER/DUNCAN ................... 188 von WINTERS ................................... 179 Verteilung........................................... 261

T Teileklassifikation ............................. 108 Teileverwendungsnachweis .... 122, 127 Total Quality Management .............. 252

Binomialverteilung ........................ 262 hypergeometrische Verteilung ..... 261 Poisson-Verteilung ......................... 263 Vorlaufzeit.......................................... 133

Transaktionskosten ............................. 27 ex-ante ............................................... 27 ex-post ............................................... 27 Transaktionskostenansatz.................. 27

V Vendor Managed Inventory ................ 7 Verfahren ........................................... 116

326

W Wagner-Whitin-Modell .................... 213 Wiederbeschaffungszeit ................... 196

X XYZ-Analyse ..................................... 105