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German Pages 271 Year 2018
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1378
Steuerung sozialer und ethnischer Segregation durch städtebauliche Planungsinstrumente Von
Stefanie Ramsauer
Duncker & Humblot · Berlin
STEFANIE RAMSAUER
Steuerung sozialer und ethnischer Segregation durch städtebauliche Planungsinstrumente
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1378
Steuerung sozialer und ethnischer Segregation durch städtebauliche Planungsinstrumente
Von
Stefanie Ramsauer
Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.
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Vorwort Marzahn-Hellersdorf in Berlin, Duisburg-Marxloh, Gelsenkirchen-Buer und die Dortmunder Nordstadt: Diese Stadtquartiere sind oft genannte Beispiele für das Sichtbarwerden einer wachsenden sozialen Spaltung deutscher Großstädte. Sozialgesellschaftliche Unterschiede spiegeln sich räumlich wider. Bevölkerungsgruppen siedeln sich zunehmend nicht nur nach sozialen, sondern auch nach ethnischen Merkmalen in bestimmten Stadtteilen an. Soziologisch wird dies als soziale bzw. ethnische Segregation bezeichnet. Dieses Phänomen ist als solches zwar nicht neu, tritt aber in jüngerer Zeit vermehrt und mit neuer Dynamik auf. Soziale und ethnische Segregation wird daher zunehmend als Problem angesehen, das zu den unterschiedlichsten Missständen in den Wohnquartieren führt, insbesondere zur Entstehung „sozialer Brennpunkte“ beiträgt. Diese Tendenz verschärft sich durch die wachsende Ungleichheit der Arbeitseinkommen1, weshalb Bevölkerungsgruppen mit geringem Einkommen massive Zugangsprobleme auf dem Wohnungsmarkt haben und damit zwangsläufig auf günstige Wohnquartiere ausweichen müssen. Außerdem besteht die Gefahr, dass auch ethnische Segregation durch die steigende Zahl von Flüchtlingen, die in den Jahren 2015 und 2016 nach Deutschland gekommen sind, weiter zunehmen wird. Zwar bewertet die sozialwissenschaftliche Literatur soziale und ethnische Segregation nicht per se als problematisch, sie geht überwiegend aber davon aus, dass segregierte Quartiere tendenziell sozial instabiler und deshalb vermehrt von sozialen Problemen betroffen sind. Bewohner sozial segregierter Quartiere sind oft sozialen und sonstigen Benachteiligungen und Ausgrenzungen ausgesetzt. Bei ethnisch segregierten Quartieren wird die Tendenz gesehen, dass sich in den Wohnquartieren parallele kulturelle und soziale Strukturen entwickeln bzw. verfestigen, die durch die in den Herkunftsländern jeweils vorherrschenden Wertevorstellungen geprägt sind. Dieser Befund gibt Anlass, soziale und ethnische Segregation sowie deren Folgen in einen juristischen Kontext zu stellen und die Frage zu untersuchen, welche rechtlichen Steuerungsmöglichkeiten den Städten zur Verfügung stehen, um soziale und ethnische Segregation zu vermeiden bzw. abzubauen und gegen städtebaulich unerwünschte Folgen wirksam vorgehen zu können. 1 Einkommensungleichheit und soziale Mobilität, Gutachten des Wissenschaft lichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen 1 / 2017.
6 Vorwort
Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag dazu leisten, Möglichkeiten öffentlich-rechtlicher Maßnahmen und Instrumente zur Steuerung von sozialer und ethnischer Segregation unter dem spezifischen Gesichtspunkt des Bauplanungsrechts zu ermitteln und dabei zugleich deren Grenzen aufzuzeigen. Das Ziel der Arbeit ist es, die Instrumente des allgemeinen und besonderen Städtebaurechts auf ihre Steuerungsmöglichkeiten zur Vermeidung und zum Abbau sozialer und ethnischer Segregation zu untersuchen. Dabei zeigt sich, dass die städtebauliche Entwicklung wegen der ihr innewohnenden Dynamik durch Planungsinstrumente zwar grundsätzlich nur bedingt steuerbar ist, eine mittelbare Steuerungswirkung zur Vermeidung und zum Abbau von Segregation aber gleichwohl erzielt werden kann. Überlegungen zur Weiterentwicklung des Instrumentariums schließen die Untersuchung ab. Die Arbeit wurde im Sommersemester 2017 vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Hamburg als Dissertation angenommen. Rechtsänderungen sind bis Oktober 2016 berücksichtigt. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Ivo Appel, der mich bei der Erstellung der Arbeit gefördert und unterstützt hat. Frau Professor Dr. Marion Albers danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Danken möchte ich zudem Rechtsanwalt Dr. Lutz Krahnefeld dafür, dass ich meinen Arbeitsplatz in seiner Kanzlei auch nach meiner aktiven Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin nutzen durfte. Außerdem danke ich ganz besonders meinen Eltern, Christine und Ulrich Ramsauer, die mich auch bei diesem Vorhaben in vielfältiger Weise unterstützt haben und mir als Gesprächspartner stets eine wertvolle Hilfe waren. Hamburg, im November 2017
Stefanie Ramsauer
Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel
Einleitung und Gang der Untersuchung
15
2. Kapitel
Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation – Begriffsbestimmung, Ursachen und Auswirkungen
22
A. Herleitung und Spezifizierung des Begriffs „Segregation“ . . . . . . . . . . . . . . 22 I. Begriffs- und Definitionsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1. Ursprung des Begriffs „Segregation“ – die Chicagoer Schule . . . . . . 23 2. Zusammenhang der Begriffe „Segregation“ und „Integration“ . . . . . 26 a) Was heißt „Integration“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 b) Systemintegration und Sozialintegration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 aa) Systemintegration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 bb) Abhängigkeiten zwischen Systemintegration und Sozialintegration in Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 II. Formen der Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Demographische Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2. Soziale Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 3. Ethnische Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 a) Definition „Migrationshintergrund“ nach der Definition der Statistischen Ämter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 aa) Ausländer (ca. 47 % aller Personen mit Migrationshintergrund) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 bb) Deutsche mit Migrationshintergrund (ca. 53 % aller Personen mit Migrationshintergrund) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 b) Definition „Migrationshintergrund“ nach der Definition des Deutschen Instituts für Urbanistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 c) Auswirkungen ethnischer Segregation: Integration trotz Segregation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 aa) Systemintegration von Zuwanderern und ethnische Schichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 bb) Sozialintegration und Assimilation von Zuwanderern . . . . . . 41 III. Räumliche Dimension der Segregation: der Quartiersbegriff . . . . . . . . . 43 B. Historische Entwicklung von Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 I. Die Bürger- und die Residenzstadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
8 Inhaltsverzeichnis 1. Die Bürgerstadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2. Die Residenzstadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3. Segregation am Beispiel der sog. „Judenviertel“ . . . . . . . . . . . . . . . . 48 II. Umbruch im Zeitalter der Industrialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert und ihre Folgen für die räumliche Verteilung der Stadtbewohner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2. Ethnische Segregation am Beispiel der polnischen Zuwanderer im Ruhrgebiet zur Industrialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 III. Folgen des Ersten Weltkriegs und die Weimarer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . 53 1. Soziale Segregation in der Nachkriegszeit und der Weimarer Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2. Weitere Entwicklung ethnischer Segregation in der Weimarer Zeit am Beispiel der polnischen Zuwanderer im Ruhrgebiet . . . . . . . . . . . 55 IV. Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Abbau sozialer Segregation durch Förderung des sozialen Wohnungsbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2. Ethnische Segregation in der Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 V. DDR und die Wiedervereinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Geringe soziale Segregation in der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2. Die Veränderung der Bewohnerstrukturen infolge der Wieder vereinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3. Ursachen für die Entstehung sozialer und ethnischer Segregation in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 a) Präferenzen und soziale Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 b) Wirtschaftliche Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 VI. Flüchtlingswellen im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 C. Beurteilung von Stadtplanung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 I. Missstände infolge des Fehlens staatlicher Steuerung . . . . . . . . . . . . . . . 69 II. Entstehung von Stadtplanung und Stadtsoziologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 1. Ansätze zur Stadtforschung und zur Stadtplanung . . . . . . . . . . . . . . . 72 a) Erste Stadtforschungsansätze in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 b) Die Stadt und das innere städtische Gefüge als sozialwissenschaftlicher Forschungsgegenstand in Deutschland . . . . . . . . . . . 73 aa) Soziologische Untersuchungen: Weber, Simmel und Durkheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 bb) Fazit der stadtsoziologischen Untersuchungen . . . . . . . . . . . . 77 2. Herausbildung verschiedener Modelle des Städtebaus . . . . . . . . . . . . 78 III. Stadtplanung in der Weimarer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 1. Wohnungsrechtliche Reformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 2. Stadtplanerische Reformen: Einrichtung von Frei- und Nah erholungsflächen nach den Vorgaben der Charta von Athen . . . . . . . 87 IV. Stadtplanung und sozialer Wohnungsbau nach dem Zweiten Weltkrieg . 89 1. Stadtplanung in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . 89
Inhaltsverzeichnis9 a) Die Wohnungsbaugesetze und staatliche Förderungen . . . . . . . . . b) Wirtschaftlicher Aufschwung und das Konzept der Nachbarschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zuzugssperren in „überlastete Siedlungsgebiete“ . . . . . . . . . . . . . d) Städtebauförderungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Förderung privater Investitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stadtplanung in der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wiedervereinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Steuerung von Segregation durch Quotierungen . . . . . . . . . . . . . . b) Konzeptionelle Grundlage zur nachhaltigen europäischen Stadt: Die Leipzig Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Integrierte Städteplanung im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Stand der sozialwissenschaftlichen Diskussion zur Bewertung von Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91 91 93 94 95 96 98 99 100 102 104
3. Kapitel
Segregation im Städtebaurecht
108
A. Vermeidung von Segregation als städtebaurechtliches Leitbild? . . . . . . . . . . 108 I. Grundsatz bevölkerungsstruktureller Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 II. Wohnbedürfnisse der Bevölkerung und das Ziel der Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1. Wohnbedürfnisse der Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 2. Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen . . . . . . 112 a) Sozial instabile Bewohnerstrukturen infolge sozialer Segrega tion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 b) Sozial instabile Bewohnerstrukturen infolge ethnischer Segregation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 c) Folgerungen für die Auslegung der Planungsleitlinie in § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 III. Belange von Flüchtlingen und Asylbegehrenden und ihrer Unter bringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 IV. Fazit: Segregation ist tendenziell städtebaulich unerwünscht . . . . . . . . . 118 4. Kapitel
Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
A. Planungsinstrumente des allgemeinen Städtebaurechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Flächennutzungsplan als Instrument des allgemeinen Städtebaurechts zur Steuerung von Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bebauungsplan als Instrument des allgemeinen Städtebaurechts zur Steuerung von Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz der Angebotsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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10 Inhaltsverzeichnis 2. Festsetzungsmöglichkeiten nach § 9 Abs. 1 Nr. 7 und 8 BauGB . . . . 122 a) Flächen für soziale Wohnraumförderung – § 9 Abs. 1 Nr. 7 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 aa) Keine Verpflichtung zur Inanspruchnahme von Mitteln der sozialen Wohnraumförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 bb) Steuerungswirkungen im Hinblick auf Segregation . . . . . . . . 124 b) Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf – § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 aa) Räumlicher Geltungsbereich der Festsetzung . . . . . . . . . . . . . 125 bb) Begriff des „besonderen Wohnbedarfs“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 (1) Bisherige Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 (2) Erweiternde Auslegung des § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB? . 128 3. Festsetzungen von Art und Maß der baulichen Nutzung . . . . . . . . . . 129 a) Steuerungsmöglichkeiten durch die Art baulicher Nutzung . . . . . 129 b) Steuerungsmöglichkeiten durch das Maß baulicher Nutzung . . . . 130 c) Steuerungsmöglichkeiten durch Festlegung der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 d) Fazit: Konzeption der BauNVO tendenziell segregationsfördernd . 132 III. Fazit zu den Steuerungsmöglichkeiten von Flächennutzungsplänen und Bebauungsplänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 I. Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen nach §§ 136 ff. BauGB . . . . . . . 134 1. Instrumente der städtebaulichen Sanierungsmaßnahme . . . . . . . . . . . 134 2. Segregation als städtebaulicher Missstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 a) Segregation als Substanzschwäche? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 b) Segregation als Funktionsmangel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 aa) Soziale Segregation als Funktionsmangel . . . . . . . . . . . . . . . . 139 bb) Ethnische Segregation als Funktionsmangel . . . . . . . . . . . . . . 141 3. Bekämpfung von Segregation in Sanierungsverfahren . . . . . . . . . . . . 144 a) Abbau von Segregation durch städtebauliche Ordnungs- und Baumaßnahmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 aa) Durchführung von Ordnungs- und Baumaßnahmen zur Bekämpfung sozialer Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 bb) Durchführung von Ordnungs- und Baumaßnahmen zur Bekämpfung ethnischer Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 b) Bekämpfung bzw. Vermeidung von sozialer Segregation durch das besondere bodenrechtliche Instrumentarium? . . . . . . . . 148 aa) Vermeidung der Entstehung sozialer Segregation in anderen Quartieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 (1) Konkret-individueller Mieterschutz bei Durchführung der Sanierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 (2) Mietobergrenzen zur Sicherung sozialer Ziele? . . . . . 150 bb) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 II. Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen nach §§ 165 ff. BauGB . . . . . 152
Inhaltsverzeichnis11 1. Instrumente der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme . . . . . . . . . 154 2. Durchführung städtebaulicher Entwicklungsmaßnahmen zur Steuerung sozialräumlicher Segregation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 a) Durchführung städtebaulicher Entwicklungsmaßnahmen in sozial und ethnisch segregierten Quartieren? . . . . . . . . . . . . . . . . 155 b) Mittelbare Steuerungswirkungen von Entwicklungsmaßnahmen im Hinblick auf sozialräumliche Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . 158 aa) Erstmalige Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 bb) Städtebauliche Neuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 III. Stadtumbaumaßnahmen nach §§ 171a–d BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 1. Instrumente der Stadtumbaumaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2. Städtebauliche Funktionsverluste in Abgrenzung zu städtebaulichen Funktionsschwächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 a) Beispiele städtebaulicher Funktionsverluste . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 b) Segregation als städtebaulicher Funktionsverlust . . . . . . . . . . . . . 164 aa) Soziale Segregation als städtebaulicher Funktionsverlust i. S. des § 171a Abs. 2 S. 2 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 bb) Ethnische Segregation als städtebaulicher Funktionsverlust i. S. des § 171a Abs. 2 S. 2 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 3. Anpassungen zur Herstellung nachhaltiger städtebaulicher Struk turen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 a) Förderfähige Maßnahmen gem. Verwaltungsvereinbarung 2015 . 167 b) Stadtumbaumaßnahmen zur Bekämpfung von Segregation . . . . . 169 aa) Die Durchführung von Stadtumbaumaßnahmen zum Abbau sozialer Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 bb) Die Durchführung von Stadtumbaumaßnahmen zum Abbau ethnischer Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 IV. Maßnahmen der Sozialen Stadt i. S. des § 171e BauGB . . . . . . . . . . . . . 172 1. Instrumente der Maßnahmen der Sozialen Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . 172 2. Segregation als sozialer Missstand und besonderer Entwicklungs bedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 a) Soziale Segregation als sozialer Missstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 b) Ethnische Segregation als sozialer Missstand . . . . . . . . . . . . . . . . 176 3. Maßnahmen und Instrumente der Sozialen Stadt zum Abbau von Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 a) Stabilisierung und Aufwertung von Quartieren mit sozialen Missständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 b) Umsetzung von Stabilisierungs- und Aufwertungsmaßnahmen zum Abbau von Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 aa) Maßnahmen der Sozialen Stadt zum Abbau sozialer Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 bb) Maßnahmen der Sozialen Stadt zum Abbau ethnischer Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 V. Erhaltungssatzungen und -verordnungen (§ 172 BauGB) . . . . . . . . . . . . 184
12 Inhaltsverzeichnis 1. Instrumente der Erhaltungssatzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 2. Erlass der Milieuschutzsatzung zum Schutz der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung und der Vermeidung von Segregation? . . . . . 186 a) Sozialstruktur im Gebiet und zu befürchtende städtebaulich negative Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 b) Segregation als städtebaulich nachteilige Folge von Verdrängungsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 3. Steuerungsmöglichkeiten durch Instrumente zur Sicherung sozialer Erhaltungsziele im Hinblick auf sozialräumliche Segregation . . . . . . 190 a) Genehmigungsvorbehalt und sonstige Instrumente der Milieuschutzsatzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 b) Steuerungsmöglichkeiten im Hinblick auf Segregation . . . . . . . . 191 aa) Steuerung sozialer Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 bb) Steuerung ethnischer Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 VI. Städtebauliche Verträge gem. § 11 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 1. Bindungen zur Deckung des Wohnbedarfs von Bevölkerungs gruppen mit besonderen Wohnraumversorgungsproblemen . . . . . . . . 197 a) Belegungs-, Besetzungs- und Benennungsrechte . . . . . . . . . . . . . 198 b) Mietpreisbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 c) Steuerungsmöglichkeiten im Hinblick auf soziale und ethnische Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 aa) Steuerungsmöglichkeiten im Hinblick auf soziale Segrega tion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 bb) Steuerungsmöglichkeiten im Hinblick auf ethnische Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 2. Bindungen zur Deckung des Wohnbedarfs ortsansässiger Bevölkerung – Einheimischenmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 a) Gemeindliches Zwischenerwerbsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 b) Einheimischenmodell ohne gemeindlichen Zwischenerwerb . . . . 203 aa) Weilheimer Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 bb) Traunsteiner Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 c) Freiwillige Umlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 d) Veräußerung gemeindeeigener Grundstücke . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 3. Steuerungsmöglichkeiten von Einheimischenmodellen im Hinblick auf Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 4. Rechtmäßigkeit sog. Einheimischenmodelle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 VII. Private Initiativen zur Stadtentwicklung nach § 171f BauGB . . . . . . . . 210 1. Einrichtung von Housing Improvement Districts (HID) und Neighbourhood Improvement Districts (NID) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 a) Ziele des HID am Beispiel des Hamburger Gesetzes zur Stärkung von Wohnquartieren durch private Initiativen . . . . . . . . 212 b) Das Beispiel Hamburg-Steilshoop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 2. Steuerungswirkungen im Hinblick auf soziale und ethnische Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
Inhaltsverzeichnis13 5. Kapitel
Anwendung der städtebaulichen Instrumente in der Praxis und Bewertung der Ergebnisse
219
A. Erfolg des Einsatzes der Steuerungsinstrumente in der Praxis . . . . . . . . . . . . 219 I. Methode des Vorgehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 II. Empirische Feststellungen zur Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 III. Integrative Maßnahmenprogramme in den Referenzstädten . . . . . . . . . . 222 1. Administrative Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 2. Inhaltliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 3. Regionale Durchführung städtebaulicher Maßnahmen im Einzelnen . 225 IV. Begrenzte Wirksamkeit der Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 B. Überlegung zur Weiterentwicklung des Instrumentariums . . . . . . . . . . . . . . . 230 I. Begrenzte Möglichkeiten der Weiterentwicklung städtebaulicher Steuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 1. Überlegungen zur Änderung der Baunutzungsverordnung . . . . . . . . . 230 a) Abschaffung des reinen Wohngebiets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 b) Vermutete Auswirkungen in reinen Wohngebieten im Hinblick auf soziale Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 2. Erweiterung des Anwendungsbereiches von § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 3. Erweiterung staatlicher Eingriffsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 II. Sonstige Eingriffsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 1. Asylrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 2. Ausländerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 a) Steuerungsmöglichkeiten durch Erteilung wohnsitzbeschränkender Auflagen zum Aufenthaltstitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 b) Steuerungsmöglichkeiten durch die Wohnsitzregelung in § 12a AufenthG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 aa) Wohnsitzregelung zwischen den Bundesländern . . . . . . . . . . 242 bb) Wohnsitzregelung innerhalb der Bundesländer . . . . . . . . . . . . 243 (1) Positive Wohnortzuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 (2) Negative Wohnortzuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 (3) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 3. Polizeirechtliche Eingriffsbefugnisse zur Steuerung von Segrega tion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 III. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 C. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 D. Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
1. Kapitel
Einleitung und Gang der Untersuchung In jüngerer Zeit mehren sich Berichte darüber, dass sich insbesondere in Metropolen wie z. B. Berlin und Hamburg, aber auch in Ballungszentren von Flächenstaaten wie z. B. in der Umgebung von Dortmund, Wohnquartiere mit sozial oder ethnisch einheitlichen Bewohnerstrukturen herausbilden. Beobachtet wird die Tendenz, dass sich Bevölkerungsgruppen sowohl nach ethnischen als auch nach sozialen Merkmalen, wie Einkommen, Vermögen oder Schulbildung zunehmend in bestimmten Stadtteilen ansiedeln. Infolgedessen gibt es Stadtquartiere, in denen der Anteil dort lebender immigrierter Bevölkerungsgruppen signifikant höher ist als in anderen Stadtquartieren, in denen weit überwiegend deutsche Bürger leben und arbeiten. Diese Tendenz wird sich durch die steigende Zahl von Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen – entweder, weil in ihrem Heimatland kriegsähnliche Zustände herrschen oder sie Verfolgungen ausgesetzt sind – weiter verschärfen.1 Zugleich nimmt auch die Anzahl an Stadtquartieren zu, in denen sich vornehmlich Bevölkerungsgruppen mit einer ähnlichen Schulbildung sowie Einkommensund Vermögenssituation konzentrieren. Die beschriebene Entwicklung wird soziologisch als ethnische und soziale Segregation, d. h. die ungleiche Verteilung einzelner Bevölkerungsgruppen bezeichnet. Dieses Phänomen ist zwar als solches nicht neu, tritt aber offenbar in jüngerer Zeit vermehrt und mit einer neuen Dynamik auf.2 Zudem wird gerade in jüngerer Zeit immer häufiger Klage darüber geführt, dass Segregation zu – teilweise sehr unterschiedlichen – Missständen in den Wohnquartieren führt. Das gilt im Grunde nicht nur für Quartiere mit einer sozial eher „schwachen“ Bewohnerstruktur, sondern auch für Quartiere mit einer sozial eher „privilegierten“ Bewohnerstruktur, wobei letztere allerdings stadtplanerisch eher unauffällig3 sind und deshalb auch nicht weiter in den Blick genommen werden.
1 Im Jahr 2015 wurden in Deutschland knapp 480.000 Asylanträge gestellt, s. dazu: Postlep / Ritzinger / Spellerberg, Migration und Raumentwicklung, S. 3. 2 s. dazu, Bärenbrinker, Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Governance, S. 47. 3 Soziale Segregation wohlhabender Bevölkerungsgruppen ist kaum Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung, s. dazu Friedrichs / Triemer, Gespaltene Städte?, S. 29.
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1. Kapitel: Einleitung und Gang der Untersuchung
Die nachfolgende Prüfung widmet sich dem Phänomen der Segregation unter spezifisch städtebaulichen und stadtplanungsrechtlichen Aspekten. Ziel ist es zum einen darzustellen, welche Bewertung die Segregation in der Vergangenheit und heute erfahren hat, zum anderen festzustellen, welche stadtplanungsrechtlichen Regelungen für segregierte Quartiere gelten und insbesondere welche planungsrechtlichen und sonstigen Instrumente zur Verfügung stehen, um der Entstehung unerwünschter sozial und / oder ethnisch segregierter Wohnquartiere entgegenzuwirken und etwaige Missstände in segregierten Quartieren zu beheben. Ein historischer Abriss der deutschen Stadtgeschichte zeigt, dass es sich bei sozialräumlicher Segregation um kein neues, aber um ein vergleichsweise junges Phänomen handelt. Zur Ausbreitung sozialer und teilweise auch ethnisch geprägter Segregationsstrukturen in deutschen Städten kam es mit der Auflösung vormoderner Stadtstrukturen in Folge der Industrialisierung. Das Fehlen jedweder staatlicher Steuerung führte zu ernsten Missständen, die teilweise sehr lange andauerten. Städtebauliche Steuerungsansätze entwickelten sich erst in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Die seinerzeit ergriffenen Maßnahmen reichten aber bei weitem nicht aus, den Missständen in den sozial benachteiligten Quartieren erfolgreich entgegenzuwirken. Erst durch eine umfangreiche Förderung des sozialen Wohnungsbaus im Zuge des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es in Westdeutschland, die Missstände abzubauen bzw. ihre weitere Entstehung zu vermeiden. Mit der aktuell zunehmenden sog. Gentrifizierung werden diese Erfolge teilweise wieder preisgegeben. Die Tendenz, Gastarbeiter aus dem Mittelmeer-Raum in Zeiten des sog. Wirtschaftswunders in der Nähe ihrer Arbeitsplätze unterzubringen, leistete der Entstehung ethnischer Segregation Vorschub. In den letzten zwanzig Jahren hat sich die Tendenz zur weiteren Ausprägung von segregierten Wohnstrukturen massiv verschärft. Insbesondere nach der Wiedervereinigung breiteten sich soziale und ethnische Segregationsstrukturen aufgrund einer hohen Zahl an Zuwanderern, vor allem in Städten und Ballungszentren, einer insgesamt hohen Arbeitslosigkeit und Zugangsproblemen auf dem Wohnungsmarkt weiter aus. Aktuell ist die Entwicklung in den Ballungsräumen durch einen angespannten Wohnungsmarkt, d. h. ein insgesamt hohes Mietpreisniveau, bei zugleich langfristig absinkender Bereitstellung von Fördermitteln im Bereich des sozialen Wohnungsbaus gekennzeichnet. Hier dürfte eine wesentliche Ursache für die Entstehung und Verfestigung insbesondere sozialer und auch ethnischer Segregation liegen, die insoweit teilweise eng zusammenhängen.4 4 Soziale Segregation wird im Zusammenhang mit den beschriebenen ethnischen Segregationsprozessen untersucht, weil es an vielen Stellen zu Überlagerungen der
1. Kapitel: Einleitung und Gang der Untersuchung
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Als Ursache für die Entstehung sowohl von sozialer als auch ethnischer Segregation lassen sich außerdem individuelle Präferenzen ausmachen. Im Bereich ethnischer Segregation ist beispielsweise zu erkennen, dass (neuankommende) Zuwanderer solche Quartiere bevorzugen, in denen sie Verwandte oder Freunde haben und in denen bereits ethnische Strukturen vorhanden sind. Die Neuankömmlinge finden hier zumeist ein soziales Milieu vor, in dem sie sich – schon wegen der leichteren Kommunikation – eher wohl fühlen als in einem fremden sozialen Umfeld. Das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) lieferte mit einer Studie aus dem Jahr 2012 zur sozialräumlichen Entwicklung deutscher Städte empirische Daten zum Ausmaß sozialer und ethnischer Segregation in Deutschland.5 Die Studie kommt zum Ergebnis, dass die ethnische Segregation in Berlin und Leipzig am stärksten ausgeprägt sei. Am stärksten segregiert leben Personen mit türkischem Migrationshintergrund in Berlin. Daneben weisen einige deutsche Großstädte auch starke soziale Segregationsstrukturen auf. Schließlich prägen sich die sozialen Unterschiede zwischen den städtischen Quartieren nicht zuletzt aufgrund der von Migration auf der einen und Tendenzen zur Gentrifizierung auf der anderen Seite zunehmend deutlicher aus. Etwa seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann sich die euro päische (Sozial-)Wissenschaft mit den sozialen Problemen der Stadtentwicklung und insbesondere auch der Frage zu beschäftigen, welche Wechselwirkungen zwischen der Entwicklung von Wohnquartieren und der jeweiligen Wohnbevölkerung bestehen. In diesem Zusammenhang wurde bereits die Problematik von homogenen und heterogenen Bewohnerstrukturen in Stadtquartieren gesehen.6 Die stadtplanerische Bedeutung homogener Wohnstrukturen ist nach wie vor umstritten.7 Nach dem derzeitigen Stand sozialwissenschaftlicher Forschung sind soziale und ethnische Segregation nicht schon als solche negativ zu bewerten. Quartieren mit heterogenen Bewohnerstrukturen wird allerdings in der Regel eine größere Stabilität beigemessen; in sozial und ethnisch segregierten Quartieren wird ein deutlich höheres Risiko dafür gesehen, dass es zu strukturellen Benachteiligungen der Bewohner des sozialen Problemlage kommt und damit auch zu einer Zunahme der Komplexität der Problematik. 5 Dohnke / Seidel-Schulze / Häußermann, Segregation, Konzentration, Polarisierung – sozialräumliche Entwicklung in deutschen Städten 2007–2009. Das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) hat 19 deutsche Städte und 1.717 Teilräume auf das Ausmaß sozialer und ethnischer Segregation untersucht. Zur Auswertung der Studie s. 5. Kapitel A. 6 Die ersten Ansätze zur Stadtforschung fanden in England statt, s. dazu 2. Kapitel C. II. 1. a). 7 Zu dem Meinungsstand sozialwissenschaftlicher Forschung zu dieser Frage, s. 2. Kapitel D.
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1. Kapitel: Einleitung und Gang der Untersuchung
Quartiers sowie zu Funktionsbeeinträchtigungen des Quartiers kommt. Im Hinblick auf die jeweils entstehenden Risiken muss zwischen ethnischer Segregation auf der einen und sozialer Segregation auf der anderen Seite unterschieden werden, auch wenn die ethnische typischerweise mit der sozialen einhergeht: Bei ethnisch segregierten Bewohnerstrukturen wird die Tendenz gesehen, dass sich in den Wohnquartieren eigene kulturelle, soziale und teilweise sogar Machtstrukturen entwickeln bzw. verfestigen, die durch die in den Herkunftsländern jeweils vorherrschenden Wertevorstellungen gekennzeichnet sind. Als Folge der Fremdartigkeit und der Differenzen zu dem kulturellen und sozialen Leben der einheimischen Wohnbevölkerung lassen sich regelmäßig Abwanderungsbewegungen der angestammten Bewohner beobachten, die sich in der ethnisch homogen geprägten Umgebung nicht mehr wohl fühlen. Die einheimischen Bewohner ziehen aus den Quartieren weg, wodurch sich die Segregation wie in einem Teufelskreis weiter verstärkt. Diese Entwicklung kann sich wiederum auf das Gepräge des gesamten Stadtteils auswirken, wenn etwa die dortigen (deutschen) Bildungs- und Kulturangebote mangels Nachfrage und Attraktivität schließen müssen. Das gilt insbesondere für öffentliche Einrichtungen wie z. B. Kindertagesstätten und Schulen, in denen der Anteil ethnisch geprägter Kinder überwiegen kann, was erhebliche Auswirkungen insbesondere auf den Umgang mit der deutschen Sprache innerhalb und außerhalb der Einrichtungen zur Folge hat. Dies wiederum erschwert tendenziell Integrationsprozesse, bei denen die Sprachkompetenz eine wesentliche Rolle spielt.8 Hinzu kommt, dass ethnisch segregierte Quartiere zumeist auch in sozialer Hinsicht segregiert sind, weshalb es nicht selten zu einer Überlagerung und Verschärfung der Problemlagen kommt. Bei sozial segregierten Quartieren können ähnliche Probleme wie bei der ethnischen Segregation auftreten, auch wenn der Schwerpunkt woanders liegt. Auch sozial segregierte Quartiere begünstigen die Entstehung eigenständiger Sozialmilieus, die zur wechselseitigen Bestärkung eigener Normen und Verhaltensweisen innerhalb der homogenen Gruppen führen, die sich von der Gesamtgesellschaft abgrenzen.9 Prägt sich in Quartieren eine homogene Struktur von sozial eher schwachen Bewohnern heraus, so besteht nach bisherigen Erfahrungen die Gefahr, dass es zu sozialen und sonstigen Benachteiligungen sowie Ausgrenzungen der dort lebenden Bevölkerungsgruppen kommt. Typischerweise werden notwendige Investitionen in die Gebäudesubstanz verschleppt, auch die Verkehrswege und die öffentlichen Einrichtungen erfahren häufig nicht die erforderliche Aufmerksamkeit, weshalb 8 s. hierzu
ausführlich, 2. Kapitel A. II. 3. c). Stand sozialwissenschaftlicher Diskussion zur Bewertung sozialer Segregation, 2. Kapitel D. 9 s. zum
1. Kapitel: Einleitung und Gang der Untersuchung19
auch die Investitionen der öffentlichen Hand zurückgehen. Solche Quartiere erfahren dann in der allgemeinen Wahrnehmung einen „sozialen Abstieg“, was dazu führt, dass diejenigen Bewohner, die über die erforderlichen finanziellen Möglichkeiten verfügen, das segregierte Quartier nach Möglichkeit verlassen. Sowohl die soziale als auch die ethnische Segregation können dazu führen, dass das betroffene Quartier seine stadtplanerisch zugedachten Funktionen nicht mehr voll erfüllen kann.10 Zwar sind die baulichen Voraussetzungen für das „Wohnen“ in segregierten Quartieren regelmäßig noch vorhanden, die darüberhinausgehenden Funktionen, wie etwa die Versorgungs-, Erholungsund Freizeitfunktion können aber beeinträchtigt sein; das Stadt- bzw. Ortsbild leidet, die kulturellen Angebote gehen zurück, nicht selten siedeln sich sog. Subsistenzbetriebe an. Ein „Imageverfall“ findet statt. Es lässt sich beobachten, dass eine fortgeschrittene Segregation auch ordnungspolitisch Probleme auslöst: Erreicht der segregierte Bereich eine gewisse Größe, können sich daraus soziale Brennpunkte entwickeln, kriminelle Milieus oder sog. Parallelgesellschaften, die auch Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung auslösen. Es hat länger gedauert, bis sich die Erkenntnis durchsetzen konnte, dass den beschriebenen Problemen mit ordnungspolitischen Maßnahmen allein nicht wirksam begegnet werden kann, dass die Bewältigung dieser Probleme vielmehr früher ansetzen muss, nämlich schon bei der Entstehung und Verfestigung segregierter Quartiere. Zur Steuerung von sozialer und ethnischer Segregation kommen rechtliche und außerrechtliche Instrumente in Betracht, die sowohl in den Prozess der Schaffung neuen als auch in die Verteilung bestehenden Wohnraums eingreifen. Das Zivilrecht, insbesondere das Mietrecht, und in gewissem Umfang auch das Strafrecht enthalten gewisse, aber sehr begrenzte staatliche Einwirkungsmöglichkeiten im Bestand.11 Im Hinblick auf die Steuerung ethnischer Segregation kommt auch die Durchführung außerrechtlicher Maßnahmen in den Bereichen Jugendhilfe, Sozial-, Familien- und Kulturpolitik sowie Sport- und Gesundheitsförderung in Betracht. Die vorliegende Untersuchung nimmt die bestehenden Regelungen des allgemeinen und besonderen Städtebaurechts zur Steuerung sozialer und ethnischer Segregation in den Blick. Ziel ist es, die Instrumente des allgemeinen und besonderen Städtebaurechts daraufhin zu untersuchen, welche Möglichkeiten sie bieten, die Entstehung und Verfestigung problematischer Segrega10 Zu den möglichen Funktionsverlusten von Quartieren infolge sozialer bzw. ethnischer Segregation, s. 4. Kapitel B. I. 3. b). 11 s. zu den Steuerungsmöglichkeiten im Zivil- und Strafrecht auch Weigelt, Die wachsende Stadt als Herausforderung, S. 49.
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1. Kapitel: Einleitung und Gang der Untersuchung
tion zu verhindern bzw. vorhandene Segregation wieder abzubauen. Das BauGB trifft inzwischen eine ganze Reihe von Regelungen zur Einbeziehung sozialer Ansprüche und Belange in die örtliche, überörtliche (und fachübergreifende) Planung, mit dem Ziel, eine nachhaltige Stadtentwicklung mit ausgewogenen Lebensverhältnissen im jeweiligen Teilraum zu erreichen.12 Es lässt sich zeigen, dass das Städtebaurecht zwar keine Regelung enthält, wonach soziale und bzw. oder ethnische Segregation zu vermeiden sind; es gilt insoweit der Grundsatz bevölkerungsstruktureller Neutralität. Dieser Grundsatz schließt es aber nicht aus, städtebauliche Instrumente zum Abbau von Segregationsstrukturen einzusetzen, wenn die allgemeinen Planungsleitlinien und Planungsgrundsätze es erfordern. Dazu gehört beispielsweise die Vorgabe aus § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB, wonach bei der Aufstellung von Bauleitplänen die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen zu berücksichtigen ist. Maßnahmen zur Vermeidung bzw. zum Abbau sozialer bzw. ethnischer Segregation sind danach nicht nur zulässig, sondern auch geboten, wenn die Segregation zu sozial instabilen Bewohnerstrukturen und damit zu einem städtebaulich tendenziell unerwünschten Zustand führt. Es wird sodann geprüft, welche Steuerungsmöglichkeiten die Gemeinde hat, um den einschlägigen Planungsleitlinien und Planungsgrundsätzen Rechnung zu tragen. Hier stellt sich die Frage, inwieweit die Gemeinde durch die Festlegung von Quartiersnutzungen sowie der Art der Bebauung und damit der Art des im Quartier zur Verfügung stehenden Wohnraums mittelbar Einfluss auf die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung im Quartier nehmen kann. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt aber bei den Instrumenten und Maßnahmen des besonderen Städtebaurechts. Hier ist zu untersuchen, inwieweit die Gemeinde etwa durch die Aufwertung der Quartiersbebauung, durch Schaffung und Verbesserung von öffentlichen Grün- und Freiflächen im Quartier, durch Förderung von Freizeitangeboten und ähnlichen Maßnahmen soziale und städtebauliche Missstände bekämpfen und damit jedenfalls mittelbar zur Durchmischung der Bewohnerstrukturen beitragen kann. Als besonders wichtige Instrumente sind in diesem Zusammenhang neben der städtebaulichen Sanierungsmaßnahme vor allem die Maßnahmen der Sozialen Stadt zu nennen, die neben der Aufwertung von Quartiersstrukturen und baulichen Anlagen auch die Durchführung nicht-investiver Maßnahmen vorsehen, wie z. B. solche zur Stärkung sozialer und nachbarschaftlicher Beziehungen im Quartier oder zur Stärkung der Integration. Damit werden die „außerrechtlichen“ Integrationsmaßnahmen mit den städtebaulichen Steuerungsmöglichkeiten im Sinne eines integrativen Stadtentwicklungsansatzes verbunden.
12 Vgl.
§ 1 Abs. 5 BauGB.
1. Kapitel: Einleitung und Gang der Untersuchung21
Schließlich soll eine Bewertung der Steuerungsmöglichkeiten städtebaulicher Planungsinstrumente auf regionaler Ebene vorgenommen werden. Dabei zeigt sich eine wesentliche Regelungsschwäche: Die Steuerungsmöglichkeiten des allgemeinen und besonderen Städtebaurechts bestehen vor allem für Neu- und Umbauten. Die Möglichkeiten städtebaulicher Steuerung im Bestand sind dagegen stark begrenzt. Die Bewertung der Steuerungsinstrumente erfolgt am Beispiel der Praxis der regionalen Rahmen- und Maßnahmenprogramme der Städte Hamburg, Berlin und Dortmund. Die Untersuchung wird zeigen, dass die Städte regionale Maßnahmenprogramme zur integrierten Stadtentwicklung aufstellen, die inhaltlich weitgehend übereinstimmen. Alle für die Praxisbeispiele ausgesuchten Städte machen von den ihnen zur Verfügung stehenden Maßnahmen also in großem Umfang Gebrauch. Gleichwohl lässt sich durch empirische Studien belegen, dass sie von einem vergleichsweise hohen Ausmaß sozialer und ethnischer Segregation betroffen sind. Die Wirksamkeit der städtebaulichen Steuerungsinstrumente muss bei diesem Befund als unbefriedigend erscheinen. Abschließend wird erörtert, ob und inwieweit das städtebauliche Instrumentarium zur Vermeidung bzw. zum Abbau von Segregation weiterentwickelt werden könnte. In diesem Zusammenhang werden Überlegungen zur Änderung der Baunutzungsverordnung, zur Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB sowie zur Erweiterung staatlicher Eingriffsbefugnisse angestellt. Schließlich werden vor allem im Hinblick auf ethnische Segregation sonstige Eingriffsbefugnisse im Bereich des Asyl- und Ausländerrechts, insbesondere vor dem Hintergrund der Zielrichtung des Integrationsgesetzes13, aufgezeigt.
13 Integrationsgesetz
vom 31.7.2016, BGBl. I 2016, 1939.
2. Kapitel
Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation – Begriffsbestimmung, Ursachen und Auswirkungen A. Herleitung und Spezifizierung des Begriffs „Segregation“ I. Begriffs- und Definitionsansätze Der Begriff der Segregation wird seit Anfang des 20. Jahrhunderts verwendet und geht auf die Untersuchungen von Soziologen der sog. Chicagoer Schule zurück.1 Der Begriff der Segregation bezeichnet einerseits einen sozialen Prozess, bei dem sich Siedlungsräume im Hinblick auf kulturelle Merkmale, z. B. Religion und Ethnizität sowie sozialstrukturelle Merkmale, wie etwa Einkommen und Bildungsniveau, entmischen.2 Andererseits ist Segregation das Ergebnis eines solchen Prozesses und beschreibt den Zustand der Ungleichverteilung von bestimmten Bevölkerungsgruppen über räumliche Einheiten, wie Stadtteile und Quartiere.3 Die Segregation bestimmter Bevölkerungsgruppen in räumlich voneinander getrennte Lebens- bzw. Wohnungsstandorte ist Ausdruck und Folge gesellschaftlicher Desintegrationsprozesse, die aber zugleich durch individuelle Integrationsverläufe beeinflusst werden.4 Segregation ist nicht nur ein soziales und migrationspolitisches Phänomen, sie kann auch zum Problem für die Stadtentwicklung werden, wenn die Auswirkungen zu städtebaulichen Missständen führen. 1 Als Chicagoer Schule bezeichnet man eine aus den 1920er und 1930er Jahren stammende Forschungsrichtung im Bereich der Stadtsoziologie, die sich am Institut für Anthropologie und Soziologie an der Universität Chicago entwickelt hatte. Zentrales Forschungsinteresse war die Aufklärung der strukturellen Veränderungen der nordamerikanischen Gesellschaft nach der Jahrhundertwende, die durch die Folgen der Industrialisierung, Urbanisierung und der Einwanderung geprägt war, und des sozialen Wandels in der Integration, s. Schubert, The Chicago School of Sociology, in: Klingemann, Jahrbuch für Soziologiegeschichte, S. 137. 2 Farwick, Segregation, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 381. 3 Teltemann / Dabrowski / Windzio, Ethnische Segregation in deutschen Großstädten – Abschottung oder sozioökonomische Restriktion?, S. 2. 4 s. zur sozialen Segregation unter D., für ethnische Segregation unter A. II. 3. c).
A. Herleitung und Spezifizierung des Begriffs „Segregation“ 23
Das gesellschaftliche Zusammenleben in den deutschen und europäischen Siedlungsgebieten ist durch einen wachsenden Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund und gleichzeitig größer werdende soziale Ungleichheiten in der Gesellschaft geprägt. Hinzu kommt, dass die Bevölkerungszahl in Deutschland insgesamt rückläufig ist und der Arbeitsmarkt durch den Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, also das Wachsen des Dienstleistungssektors und einen stadtteilspezifischen Abbau von Arbeitsplätzen im Bereich der Fertigungstätigkeiten, gekennzeichnet ist.5 In schrumpfenden und stagnierenden Städten verstärken sich bestehende soziale Spaltungen und Ungleichheiten, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Frage stellen.6 Diese ethnischen und sozialen Ungleichheiten finden einen sozialräumlichen Ausdruck in der „disproportionalen Verteilung sozioökonomischer, ethnischer bzw. religiöser Gruppen auf die städtischen Teilgebiete“, der sog. residentiellen Segregation.7 1. Ursprung des Begriffs „Segregation“ – die Chicagoer Schule Die im 20. Jahrhundert fortschrittliche US-amerikanische Stadtforschung beschäftigte sich mit den Auswirkungen zunehmender Differenzierung und Urbanisierung der Gesellschaft, die u. a. in dem Zerfall bindender sozialer Normen und kultureller Werte erkennbar wurden. An die Stelle von bindenden Normen und kulturellen Werten trat eine zweckrationale Organisation des sozialen Lebens, welche – nach Ansicht der amerikanischen Forscher – den Übergang von Gemeinschaft zur Gesellschaft markierte.8 Die amerikanischen Stadtforscher gingen davon aus, dass sich der soziale Wandel und der Übergang von der Gemeinschaft zur Gesellschaft sozialräumlich abbilden. Sie untersuchten die räumliche Verteilung verschiedener Sozialgruppen am Beispiel der Stadt Chicago.9 Wesentliche Begründer der Chicagoer Schule waren die beiden amerikanischen Soziologen Robert E. Park und William I. Thomas, die vor allem sozialwissenschaftliche Migrationsforschung betrieben haben. Die Ergebnisse 5 Häußermann / Kapphan,
Berlin: von der geteilten zur gespaltenen Stadt?, S. 14. Die europäische Stadt, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 204. 7 Friedrichs, zit. in: Teltemann / Dabrowski / Windzio, Ethnische Segregation in deutschen Großstädten – Abschottung oder sozioökonomische Restriktion?, S. 2; vgl. hierzu: Farwick, Segregation, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 381. 8 Schubert, The Chicago School of Sociology, in: Klingemann, Jahrbuch für Soziologiegeschichte, 2007, S. 121. 9 s. auch Schubert, The Chicago School of Sociology, in: Klingemann, Jahrbuch für Soziologiegeschichte, S. 138. 6 Siebel,
24
2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
der beiden amerikanischen Stadtforscher haben insbesondere durch die Entwicklung des Konzepts der residentiellen Segregation Eingang in die weitere sozialwissenschaftliche Forschung gefunden.10 Dem Konzept liegt die Annahme zugrunde, dass sich soziale Ungleichheit unmittelbar im städtischen Raum abbildet und dort nach der Bau- und Raumstruktur zu unterschied lichen, in sich relativ homogenen Stadtgebieten („natural areas“) führt.11 Die residentielle Segregation ist danach umso größer, je größer die sozialen Unterschiede sind und je einheitlicher die unterschiedlichen Wohnqualitäten einer Stadt bewertet werden. Die bestehenden sozialen Ungleichheiten, die Park und Thomas als soziale Distanz bezeichnen, wurden dabei erstmals in ein Verhältnis zu räumlichen Dimensionen gesetzt, wodurch das Konzept der residentiellen Segregation begründet wurde. Park definiert den Begriff der sozialen Distanz als das Nichtvorhandensein (das Gegenteil) von Nähe und Vertrautheit in den persönlichen und sozialen zwischenmenschlichen Beziehungen. Die physische Distanz zwischen den Wohnstandorten wird als Ausdruck der sozialen Distanz angesehen.12 Das Ausmaß der bestehenden sozialen Distanz kann danach an der räumlichen Distanz zwischen Wohnstandorten verschiedener Bevölkerungsgruppen abgelesen werden. Grundlegendes Kennzeichen dieses Segregationskonzepts besteht demnach in der Annahme, dass sich bereits bestehende soziale Ungleichheiten verräumlichen, d. h. in der in weiten Bereichen erzwungenen räumlichen Konzentration bestimmter sozialer Gruppen zum Ausdruck kommen. Die tatsächliche Verteilung der Stadtbevölkerung wird als Abbild und Ergebnis der Konkurrenz der verschiedenen Bevölkerungsgruppen um materielle und räumliche Ressourcen angesehen. Die Entwicklung des Konzepts der residentiellen Segregation bildet den Schwerpunkt der Untersuchungen der Chicagoer Schule. Dabei greifen Park und Thomas Überlegungen, Untersuchungen und Annahmen deutscher Soziologen, insbesondere Max Webers, Georg Simmels und Emile Durkheims zur sozialen Ungleichheit auf.13 Das Ziel ist es, die soziale Distanz als messbare Größe zu ermitteln und wissenschaftlich belegen zu können.14
Farwick, Segregation und Eingliederung, S. 25. Segregation – Lebensstile im Konflikt, soziale Ungleichheiten und räumliche Disparitäten, in: Dangschat / Blasius, Lebensstile in den Städten – Konzepte und Methoden, S. 441. 12 Münch, Integration durch Wohnungspolitik?, S. 34 m. w. N. 13 s. dazu unter C. II. 1. b) aa); s. auch Dangschat, Segregation, in: Häußermann, Großstadt: Soziologische Stichworte, S. 209. 14 Farwick, Segregation und Eingliederung, S. 30. 10 Vgl.
11 Dangschat,
A. Herleitung und Spezifizierung des Begriffs „Segregation“ 25
Die Arbeiten der Chicagoer Schule waren einerseits darauf gerichtet, empirische Beobachtungen der jeweils bestehenden sozialen Distanz auf Gesetzmäßigkeiten hin zu untersuchen und das Ausmaß der sozialgesellschaftlichen Auswirkungen erfassen und messen zu können. Anderseits bestand das Ziel der Untersuchungen darin, eine Antwort auf die Frage zu finden, wie es am besten gelingen kann, Migranten in die amerikanische Gesellschaft zu integrieren bzw. einzugliedern. Zur Beantwortung der Frage wurden sowohl die Beziehungen der Migranten zur einheimischen, also der amerikanischen Bevölkerung untersucht, als auch die Beziehungen der ethnischen Gruppen untereinander. Im Ergebnis nahmen die Stadtforscher an, dass die ethnisch geprägten Quartiere den Migranten den für die Integration zunächst erforderlichen Rückhalt geben und damit eine stabilisierende Funktion erfüllen können. Das Bestehen der segregierten Gebiete wurde daher als notwendige Voraussetzung für eine darauffolgende erfolgreiche Assimilation der Zuwanderer in die Aufnahmegesellschaft angesehen, die aber meist erst in der zweiten und dritten Generation erreicht werde.15 Damit gehörten Park und Thomas zu den Befürwortern der „melting-pot-Idee“, wonach sich im Prozess der Zuwanderung auch die Aufnahmegesellschaft verändert.16 Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration ist danach das Verschmelzen der von den Zuwanderern mitgebrachten Elemente mit denen der Aufnahmegesellschaft.17 Die Anpassungsleistung liegt also auf beiden Seiten: bei den Zuwanderern, die ihre partikulare Identität abgeben und der Aufnahmegesellschaft, die eine neue Identität durch Wandel erreicht.18 Die Untersuchungen der Chicagoer Schule bilden eine wesentliche Grundlage für später auch in Europa entwickelte Konzepte und Theorien. Ein Beispiel hierfür ist die Sozialraumanalyse19, die auf der Grundlage der Chicagoer Erkenntnisse entwickelt wurde und diese insbesondere durch dynamische Faktoren, wie die sich ändernden zeitlichen und räumlichen Bedingungen, ergänzt und erweitert.20 In den 1950er Jahren kam die Sozialraumanalyse als eine Methode der empirischen Stadtforschung erstmals in Amerika zur Anwendung. Die Sozialraumanalyse ist ein Instrument, um sozialräumliche Strukturen, wie z. B. die Darstellung sozialer Ungleichheiten abzubilden und dabei eine Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Teilbereichen einer Stadt 15 Zu dem fünfstufigen Modell des race realtions cycle s. Grote, Integration von Zuwanderern: Die Assimilationstheorie von Hartmut Esser und die Multikulturalismustheorie von Seyla Banhabib im Vergleich, S. 10. 16 Münch, Integration durch Wohnungspolitik?, S. 34 m. w. N. 17 Münch, Integration durch Wohnungspolitik?, S. 34 m. w. N. 18 Häußermann / Siebel, Die Stadt als Ort der Integration von Zuwanderern, S. 3. 19 s. zum Sozialmonitoring unter 5. Kapitel A. 20 Vgl. Pohl / Pohlan, Sozialmonitoring im Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung, S. 35.
26
2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
herzustellen. Mit Hilfe der Sozialraumanalyse lässt sich z. B. feststellen, in welchen Teilräumen sich soziale Ungleichheiten entwickelt haben. Nach wie vor bildet die in den meisten Städten regelmäßig durchgeführte Sozialraumanalyse die empirische Grundlage moderner Stadtentwicklungskonzepte. Das Konzept der residentiellen Segregation hat aus heutiger Sicht allerdings einige Schwächen. Zum einen sind mit dem Konzept lediglich Beschreibungen ungleicher Verteilungen von sozialen Gruppen möglich. Aussagen zu den Ursachen für die Entstehung und Ausweitung von sozialräum lichen Segregationsprozessen können nicht getroffen werden. Zum anderen sind die Merkmale, wonach sozialräumliche Segregation stattfindet, im Konzept der residentiellen Segregation nicht ausdifferenziert genug, um die komplexen gesellschaftlichen Zusammenhänge zu beschreiben.21 Deshalb versucht man heute, den Fokus auf die Erforschung der Ursachen für die Entstehung und Ausweitung sozialräumlicher Segregation zu setzen. 2. Zusammenhang der Begriffe „Segregation“ und „Integration“ Der Begriff und die Bewertung von „Segregation“ hängen eng zusammen mit gesellschaftspolitischen Konzepten von Integration. Der Begriff „Integration“ steht nach wie vor im Mittelpunkt politischer Diskussionen, insbesondere im Zusammenhang mit einer erfolgreichen Migrationspolitik. Die Integrationsdebatte hat vor allem vor dem Hintergrund der Prognose der Bundesregierung an Bedeutung zugenommen, dass im Jahr 2015 mindestens 800.000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen werden.22 Dabei besteht weitestgehend politische Einigkeit darüber, die Flüchtlinge mit längerfristiger Bleibeperspektive schnell und nachhaltig integrieren zu wollen.23 Die allgemeine Verwendung des Begriffs „Integration“ beschränkt sich dabei nicht auf migrationspolitische Zielsetzungen, sondern erstreckt sich auf sämtliche rechtliche, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zusammenhänge. Die erfolgreiche Integration scheint damit zu einem allgemeinen Ziel recht 21 Dangschat, Segregation – Lebensstile im Konflikt, soziale Ungleichheiten und räumliche Disparitäten, in: Dangschat / Blasius, Lebensstile in den Städten – Konzepte und Methoden, S. 442. 22 Vgl. Pressemitteilung vom 19. August 2015, abrufbar unter: https: / / www.bamf. de / SharedDocs / Meldungen / DE / 2015 / 20150819-BM-zur-Asylprognose.html. 23 s. auch Pressemitteilung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 13. November 2015, Zahl der Integrationskurse steigt an, abrufbar unter: http: / / www.bamf.de / SharedDocs / Pressemitteilungen / DE / 2015 / 20151113-0024-integrati onskursgeschaeftsstatistik.html?nn=1366068.
A. Herleitung und Spezifizierung des Begriffs „Segregation“
27
lichen und gesellschaftlichen Handelns geworden zu sein.24 Dabei ist der Begriff Integration insbesondere aufgrund seiner Vieldeutigkeit in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung nicht unumstritten.25 Im Folgenden soll der Integrationsbegriff im Zusammenhang mit dem Vorhandensein von sozialräumlicher Segregation beleuchtet werden. Auf den ersten Zugriff liegt die Vermutung nahe, dass die Abwesenheit von Integration automatisch zu dem Vorhandensein von Segregation führt. Bei näherem Hinsehen wird jedoch erkennbar, dass auch bei sozialräumlich segregierten Zuständen Integration möglich ist. Segregierte Stadtquartiere zeichnen sich dadurch aus, dass sie als einheitliches soziales System nach innen geschlossen sind und sich aufgrund ihrer Differenz gegenüber anderen Stadtquartieren von diesen abgrenzen. In solchen Fällen kann es innerhalb des nach außen hin segregierten Quartiers dazu kommen, dass Bewohner untereinander ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl ausprägen und insoweit von sozialer Binnenintegration gesprochen werden kann. a) Was heißt „Integration“? Grundsätzlich wird unter dem Begriff der Integration der Zusammenhalt von Teilen in einem „systemischen“ Ganzen verstanden, unabhängig davon, worauf dieser Zusammenhalt beruht.26 Wesentliches Merkmal ist der Zusammenhalt der einzelnen Teile durch den sich das System als Ganzes von einer bestimmten „Umgebung“ abgrenzt und nach außen als „System“ erkennbar wird.27 Diese systemtheoretisch geprägte Definition des Begriffs „Integration“ gilt auch für soziale Systeme, d. h. für gesamte Gesellschaften oder Teile von ihnen. Integration im Zusammenhang mit sozialen Systemen lässt sich als gesellschaftliche Einbindung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und an gesellschaftlichen Ressourcen umschreiben.28 Das soziale System einer Nachbarschaft kann danach als integriert bezeichnet werden, wenn Niesten-Dietrich, Integration und Staatsangehörigkeit, S. 86. Begriffsanalyse aus der Perspektive der Rechtswissenschaft im Zusammenhang mit Assimilation, s. Schneider, Assimilation und Integration, S. 8; NiestenDietrich, Integration und Staatsangehörigkeit, S. 86 m. w. N.; zur Geeignetheit des Integrationsbegriffs, s. auch Schulte, Politische Steuerung von Integrationsprozessen und Menschenrechte in der Einwanderungsgesellschaft, S. 290. 26 Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 1 f.; vgl. auch: Imbusch / Rucht, Integration und Desintegration in modernen Gesellschaften, in: Heitmeyer / Imbusch, Integrationspotenziale einer modernen Gesellschaft, S. 19. 27 Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 1; Schlenker-Fischer, Demokratische Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz, S. 38. 28 Läpple / Walter, Stadtquartiere und Integrationsmuster, in: Dangschat / Hamedinger, Lebensstile, soziale Lagen und Siedlungsstrukturen, S. 114. 24 s. auch, 25 Zur
28
2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
sich die nebeneinander wohnenden Menschen und Familien kennen und gegenseitig besuchen.29 Im Gegensatz dazu steht der Begriff der Segmentation30, der die Spaltung eines zuvor einheitlichen sozialen Systems in voneinander getrennte und eigenständig operierende Teile beschreibt.31 Die Spaltung kann auf verschiedene Weisen eintreten, u. a. durch die Entstehung von eigenständigen SubGesellschaften innerhalb einer bereits existierenden „dominanten“ Gesellschaft. Ein Beispiel dafür ist die Entstehung ausgebauter ethnischer Gemeinden in Folge der Einwanderung größerer, kulturell unterschiedlicher Gruppen, wie z. B. der Türken in Deutschland.32 Die Sub-Gesellschaften sind zumeist von der Gesamtgesellschaft räumlich abgegrenzt, also sozialräumlich segregiert. Auf diese Weise führt die Existenz von Sub-Gesellschaften zur Des integration der Gesellschaft. Die Tendenzen der Desintegration ergeben sich zumeist aus dem Bestreben der Sub-Gesellschaften, ihrer jeweils eigenen Kultur und Lebensweise eine auf diese zugeschnittene staatliche und gesellschaftliche „Verfassung“ zu geben, wodurch es zur Aufwertung des jeweiligen kulturellen Kapitals kommt.33 Ein soziales System ist demnach als nicht integriert anzusehen, wenn Personen oder Gruppen dauerhaft und unfreiwillig von dem Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen und sozialer Teilhabe ausgeschlossen sind bzw. sich freiwillig ausschließen.34 Zu den zentralen Elementen sozialer Systeme zählen die wechselseitigen Relationen und Abhängigkeiten der jeweiligen Akteure untereinander: Alle sozialen Systeme, d. h. jede Gesellschaft, begründen sich durch das Vorhandensein sozialer Relationen.35 Soziale Relationen sind die Gesamtheit der wechselseitig aufeinander bezogenen Orientierungen, sozialen Kontakte, Interaktionen, Kommunikationen und sozialen Beziehungen, die als soziales Handeln angesehen werden.36
29 Esser,
Integration und ethnische Schichtung, S. 1. Unterschied zwischen Segmentation und Segregation besteht darin, dass bei der Segregation zur mangelnden Interaktion zwischen Angehörigen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen (z. B. Ethnien) ein räumlicher Aspekt hinzutritt, s. dazu: Preska, Integration trotz Segregation, S. 16. 31 Esser, Soziologie – Spezielle Grundlagen, S. 281. 32 Esser, Soziologie – Spezielle Grundlagen, S. 281. 33 Esser, Soziologie – Spezielle Grundlagen, S. 281. 34 Läpple / Walter, Stadtquartiere und Integrationsmuster, in: Dangschat / Hamedinger, Lebensstile, soziale Lagen und Siedlungsstrukturen, S. 114. 35 Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 1. 36 Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 1. 30 Der
A. Herleitung und Spezifizierung des Begriffs „Segregation“ 29
b) Systemintegration und Sozialintegration Der Definition des Integrationsbegriffs liegen zwei wesentliche Elemente zugrunde: Das „System“ und die einzelnen „Teile“, aus denen sich das System zusammensetzt. Dementsprechend ist bei der Auslegung des Integrationsbegriffs zwischen der gesamtgesellschaftlichen Systemintegration und der individuellen Sozialintegration zu unterscheiden.37 Die Differenzierung dieser beiden Sichtweisen des Integrationsbegriffs wurde von dem britischen Soziologen David Lockwood entwickelt und ist insbesondere im Zusammenhang mit den Integrationsmöglichkeiten von Zuwanderern relevant: Im Vordergrund steht die Frage, ob die Aufnahmegesellschaft die individuelle (so ziale) Integration von Migranten anstrebt oder die systemische Integration ethnischer Quartiere in die Aufnahmegesellschaft. Die zwei verschiedenen Möglichkeiten der Integration unterscheiden sich durch ihren Bezugspunkt: Die Sozialintegration zielt auf individuelle Akteure ab, während sich die Systemintegration auf (ethnische) Quartiere („Teile“) innerhalb der Gesellschaft bezieht.38 Lockwood bezeichnet dabei die Systemintegration als „the orderly or conflictful relationships between the parts“ und die Sozialintegration dagegen als „the orderly or conflictful relationships between the actors“ eines sozialen Systems.39 Danach ist Gegenstand der Systemintegration die Integration des Systems einer Gesellschaft „als Ganzheit“, während sich die Sozialinte gration auf die Integration einzelner Akteure „in“ einem gesellschaftlichen Zusammenhang bezieht.40 aa) Systemintegration Die Systemintegration ist die Integration eines sozialen Systems, die unabhängig von der individuellen Einbeziehung einzelner Akteure stattfindet. Als systemische Integrationsmechanismen dienen die folgenden drei gesellschaftlichen Strukturierungen: Materielle Interdependenzen ergeben sich daraus, dass Akteure jeweils wechselseitig nachgefragte Ressourcen kontrollieren und austauschen, wie 37 Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 3; Luft, Jenseits Multikulti und Skandalisierung, in: Schomaker / Müller / Knorr, Migration und Integration als wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnungsprobleme, S. 124. 38 Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 6. 39 Zit. in: Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 3. 40 Luft, Jenseits Multikulti und Skandalisierung, in: Migration und Integration als wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnungsprobleme, Schomaker / Müller / Knorr, S. 124.
30
2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
z. B. Bildung und Humankapital gegen Arbeitsplätze und Einkommen.41 Daneben entfalten institutionelle Regelungen, wie die Verfassung einen integrativen Charakter, indem die Beziehungen zwischen den „Positionen“ im sozialen System grundlegend geregelt werden.42 Für die Geltung institutioneller Regelungen kommt es wesentlich darauf an, dass diese gegenüber den Akteuren „Legitimität“ haben. Schließlich ergeben sich gesellschaftliche Strukturierungen aus kulturellen Orientierungen. Die wichtigsten Formen kultureller Orientierung sind gesellschaftliche Werte und (Leit-)„Ideen“, die auch im Zusammenhang mit erlebten emotionalen Loyalitäten und Identifikationen stehen. Entsprechend dieser drei Arten gesellschaftlicher Strukturierungen ergeben sich zusammenfassend Möglichkeiten systemischer Integration über den Mechanismus des Marktes (wirtschaftliche Integration), über die Ausübung von Herrschaft (politische Integration) und schließlich über Wertorientierungen der Akteure (kulturelle Integration).43 bb) Abhängigkeiten zwischen Systemintegration und Sozialintegration in Gesellschaften Die Sozialintegration bezieht sich dagegen auf die Einbeziehung („Inklusion“) der Akteure in das jeweilige soziale System. Die Grundlage für Gemeinschaften bildet eine „kollektive Identität“ und somit die soziale Integration.44 Die soziale Integration bezieht sich auf das Ausmaß der Beziehungen, die die Akteure untereinander unterhalten und „im Grad der dadurch jeweils unterschiedlich hohen sozialen Einbettung der individuellen Akteure“.45 Die dargestellten systemischen Integrationsmechanismen sind wesentlich von den Beziehungen der Akteure abhängig: Der systemintegrierende Mechanismus des Marktes durch wirtschaftlichen Handel und den „Tausch“ auf „Märkten“ beruht darauf, dass sich die Akteure gegenseitig etwas anzubieten haben, d. h. soziale Beziehungen bestehen. Voraussetzung dafür ist, dass die Akteure Zugang zu sozialen Beziehungen und den verschiedenen Funktions-
41 Esser,
Integration und ethnische Schichtung, S. 2. Integration und Desintegration in modernen Gesellschaften, in: Heitmeyer / Imbusch, Integrationspotenziale einer modernen Gesellschaft, S. 16. 43 Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 2; vgl. auch Imbusch / Rucht, Integration und Desintegration in modernen Gesellschaften, in: Heitmeyer / Imbusch, Integrationspotenziale einer modernen Gesellschaft, S. 18. 44 Imbusch / Rucht, Integration und Desintegration in modernen Gesellschaften, in: Heitmeyer / Imbusch, Integrationspotenziale einer modernen Gesellschaft, S. 14; zur kollektiven Identifikation als Voraussetzung für Gemeinschaften, s. Schlenker-Fischer, Demokratische Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz, S. 27. 45 Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 5. 42 Imbusch / Rucht,
A. Herleitung und Spezifizierung des Begriffs „Segregation“ 31
systemen einer Gesellschaft haben, d. h. auch über gewisse Rechte und Fertigkeiten verfügen.46 Kommt es zu ethnischen Konflikten in Form offener „kollektiver“ Feindseligkeiten, wie z. B. in Nordirland oder in dem ehemaligen Jugoslawien, so wäre das ein Fall der (nicht gelungenen) Systemintegration.47 Die Sozialintegration ist dagegen betroffen, wenn es zu Vorurteilen und Streitigkeiten zwischen einzelnen Akteuren verschiedener ethnischer Gruppen in alltäglichen Situationen kommt. Für eine erfolgreiche Integration spielen Stadtquartiere eine zentrale Rolle: die Mechanismen der System- und Sozialintegration können auf Ebene der Stadtquartiere zusammenwirken. Der nachhaltige Bestand von Gesellschaften ist erst durch ein Zusammenspiel zwischen Systemintegration und Sozial integration gesichert.48 Den Stadtquartieren kommt, als sozialräumlicher Kontext alltäglicher Lebensführung, gewissermaßen die Rolle eines Scharniers zwischen beiden Integrationsformen zu.49
II. Formen der Segregation Der Begriff der residentiellen Segregation erlaubt noch keine Aussage über die Kriterien, nach denen eine ungleiche räumliche Verteilung der Wohn standorte von Bevölkerungsgruppen festgestellt werden kann. Sozialräumliche Segregation findet im Wesentlichen in Hinblick auf drei verschiedene Merkmale statt: Eine Ungleichverteilung der Stadtbevölkerung ist nach sozialen, ethnischen und demographischen Merkmalen denkbar.50 Daraus ergibt sich, dass das Ausmaß der Segregation (grundsätzlich) das Ergebnis sozialer, ethnischer und demographischer Entwicklungen ist.
46 Esser,
Integration und ethnische Schichtung, S. 5. Integration und ethnische Schichtung, S. 5 f. 48 Habermas, zit. in: Imbusch / Rucht, Integration und Desintegration in modernen Gesellschaften, in: Heitmeyer / Imbusch, Integrationspotenziale einer modernen Gesellschaft, S. 15; Läpple / Walter, Stadtquartiere und Integrationsmuster, in: Dangschat / Hamedinger, Lebensstile, soziale Lagen und Siedlungsstrukturen, S. 116. 49 Läpple / Walter, Stadtquartiere und Integrationsmuster, in: Dangschat / Hamedinger, Lebensstile, soziale Lagen und Siedlungsstrukturen, S. 116. 50 Vgl. hierzu Farwick, Segregation, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 381. 47 s. Esser,
32
2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
1. Demographische Segregation Der Begriff der demographischen Segregation beschreibt eine räumliche Ungleichverteilung nach Alter und Lebenszyklusphasen. Der derzeitige demographische Wandel kommt in einer flächenhaften und langfristigen Bevölkerungsalterung und -schrumpfung zum Ausdruck.51 Wichtigste Komponenten des demographischen Wandels sind folgende Gesichtspunkte52: – Veränderte Dynamik des Bevölkerungswachstums, – Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung, – Wachsende Internationalisierung der Bevölkerung, – Individualsierung der Bevölkerung, wobei immer mehr Menschen allein oder mit lediglich einer weiteren Person zusammenleben. Beispielsweise nehmen in weiten Teilen des ländlichen Raumes, insbesondere in den neuen Bundesländern die Bevölkerungszahl insgesamt und die Zahl schulpflichtiger Kinder ab. Zugleich nimmt die Zahl der älteren Bevölkerungsgruppen zu. In diesen Regionen werden Anpassungen an den demographischen Wandel erforderlich. Diese Untersuchung fokussiert das Phänomen der ethnischen Segregation und damit notwendigerweise in großen Teilen auch soziale Segregationsprozesse, deren Ursachen und Auswirkungen sich in weiten Bereichen mit den ethnischen überlagern.53 Dabei sollen die notwendigen städtebaulichen Anpassungen an demographische Veränderungen, z. B. Barrierefreiheit, weitestgehend außer Betracht bleiben. 2. Soziale Segregation Unter dem Begriff der sozialen Segregation wird eine räumliche Ungleichverteilung nach den Merkmalen des zur Verfügung stehenden Einkommens, des Vermögens, der Schulbildung, der Erwerbstätigkeit und dem Berufsrang einer Bevölkerungsgruppe verstanden.54 Der Begriff der sozialen Segregation beschreibt also eine räumliche Polarisierung sozialer Ungleich51 Küpper, Regionale Handlungsansätze bei der Reaktion auf den demografischen Wandel in dünn besiedelten, peripheren Räumen, in: Maretzke, Vielfalt des Demografischen Wandels, S. 3. 52 Maretzke, Vom demografischen Wandel besonders betroffene Regionen, in: Maretzke, Vom demografischen Wandel besonders betroffene Regionen, S. 19. 53 Friedrichs / Triemer, Gespaltene Städte?, S. 8. 54 Dohnke / Seidel-Schulze / Häußermann, Segregation, Konzentration, Polarisierung – sozialräumliche Entwicklung in deutschen Städten 2007–2009, S. 10.
A. Herleitung und Spezifizierung des Begriffs „Segregation“ 33
heit.55 Mit der Zunahme von sozialer Ungleichheit in der Gesellschaft56 nimmt grundsätzlich auch das Ausmaß sozialer Segregation in den Städten zu.57 Den Begriff „soziale Segregation“ abstrakt zu bestimmen ist, sowohl aus empirischen als auch aus definitorischen Gründen, nur unzureichend möglich. Empirisch stellt sich das Problem, dass es nur wenige Statistiken gibt, die belastbare Aussagen über die soziale Lage und die Lebensbedingungen von Bewohnern in kleinen räumlichen Einheiten, wie etwa in Quartieren58, geben. Zwar führen einige Städte59 regelmäßig ein sog. Sozialmonitoring60 durch, wodurch die sozialen Entwicklungen in städtischen Teilräumen systematisch und regelmäßig analysiert werden. Die Erfassung der sozialen Lage mittels sog. Aufmerksamkeitsindikatoren hängt aber wesentlich von der Bereitschaft der Bewohner zur Teilnahme und Mitwirkung an derartigen Studien ab. Die Bereitschaft von Quartiersbewohnern, Auskunft über ihre persönlichen Verhältnisse zu geben, ist oftmals begrenzt.61 Darüber hinaus ergeben sich begriffliche Schwierigkeiten bei der Feststellung von sozialer Segregation: Hier ist z. B. fraglich, welche Dichte von Personen mit einem ähnlichen Einkommen ein Quartier aufweisen muss, um das Quartier als sozial segregiert zu bezeichnen. In diesem Zusammenhang stellt sich auch das Definitionsproblem des Merkmals „arm“. Ein Anknüpfungspunkt hierfür ist der Bezug von Sozialhilfe, d. h. von Leistungen nach dem SGB II bzw. SGB XII.62 Dieses Anknüpfungsmerkmal ist jedoch auch insoweit unscharf, als zu den staatlichen Unterstützungsleistungen u. a. auch das Elterngeld bzw. das Betreuungsgeld zählen, die auch von privilegierten Haushalten in Anspruch genommen werden.
55 Farwick, Die Spaltung der Städte – Ursachen, Entwicklungen und Folgen der sozialen Segregation in städtischen Gebieten, in: Gans / Nachtkamp, Soziale Ungleichheit, Segregation und Integration, S. 16. 56 Zur Zunahme der sozialen Ungleichheit in deutschen Großstädten, s. Friedrichs / Triemer, Gespaltene Städte?, S. 10 ff. 57 Farwick, Die Spaltung der Städte – Ursachen, Entwicklungen und Folgen der sozialen Segregation in städtischen Gebieten, in: Gans / Nachtkamp, Soziale Ungleichheit, Segregation und Integration, S. 21. 58 Zum Quartiersbegriff, s. A. III. 59 Das gilt jedenfalls für die im 5. Kapitel beispielhaft dargestellten Städte Berlin, Hamburg und Dortmund. 60 s. zum Begriff und der Durchführung, 5. Kapitel A. I. und III. 61 Zu den Motiven mangelnder Teilnahmebereitschaft, sowohl der Bewohner von sozial bessergestellten als auch von sozial benachteiligten Quartieren, s. Weigelt, Die wachsende Stadt als Herausforderung, S. 7 f. 62 s. dazu, Weigelt, Die wachsende Stadt als Herausforderung, S. 8 m. w. N.
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
Der Begriff soziale Segregation ist insoweit abstrakt nur schwer zu fassen. In der städtebaulichen Praxis tritt soziale Segregation meist erst dann in Erscheinung, wenn es zu Missständen im Quartier kommt. Bei der Ursachenforschung stellen Städte bzw. Gemeinden dann fest, dass die städtebaulichen und bzw. oder sozialen Missständen63 ihre Ursache (auch) in der sozialen Segregation haben.64 Insofern werden typischerweise zunächst Probleme im Quartier nach außen sichtbar, die sodann u. a. auf sozial segregative Strukturen zurückgeführt werden. Im Ergebnis ist es daher nur schwer möglich, für den Begriff „soziale Segregation“ eine allgemeingültige Definition zu finden. Es gibt aber städtebauliche Entwicklungen, die die Entstehung bzw. Verfestigung sozialer Segregation begünstigen; hierzu zählen u. a. Gentrifizierungsprozesse. Der städtische Raum moderner ausdifferenzierter städtischer Gesellschaften ist von Hierarchisierungen geprägt, in denen sich soziale Ungleichheiten sozialräumlich abbilden. Funktionsweise und Ausprägung der Hierarchisierung des städtischen Raums werden insbesondere bei der Beschreibung des Phänomens der sog. Gentrifizierung deutlich. Gentrifizierungsprozesse stehen in einem direkten Zusammenhang mit Segregationsmustern und sozialer Stadtentwicklung, weshalb sie zu einem wesentlichen Gegenstand der sozialwissenschaftlichen Forschung geworden sind.65 Gentrifizierung bezeichnet die „sozio-ökonomische Aufwertung innenstadtnaher Wohnquartiere, sowie die sozio-kulturelle Umwertung durch den Zuzug „neuer“ sozialer Gruppen, die im Durchschnitt jung und gut (aus)gebildet sind, in nicht-familiaren Haushalten leben und „modernen“ sozialen Milieus und Lebensstil-Kategorien zuzuordnen sind“.66 Gentrifizierungsprozesse wurden zuerst von Ruth Glass in den 1960er Jahren in London beobachtet.67 In den frühen Jahren der Forschung wurde die Sanierung von Altbauten zusammenfassend mit dem sozialen Statusgewinn der neuen Bewohner als baulich-sozialer Prozess begriffen.68 Gentrifizierungsprozesse finden zumeist in Wohnquartieren statt, die durch Modernisierungen umfassend aufgewertet wurden. Die Dynamik der städtischen Aufwertungsprozesse be63 Zu
den Missständen infolge sozialer Segregation, s. D. Begriff der städtebaulichen und sozialen Missstände, s. 4. Kapitel B. I. und
64 Zum
IV.
65 Vgl.
Roskamm, Das Leitbild von der urbanen Mischung, S. 4. Segregation, in: Häußermann, Großstadt: Soziologische Stichworte,
66 Dangschat,
S. 211. 67 Helbrecht, Die Wiederkehr der Innenstädte. Zur Rolle von Kultur, Kapital und Konsum im Prozeß der Gentrification, S. 4 m. w. N. 68 Helbrecht, Die Wiederkehr der Innenstädte. Zur Rolle von Kultur, Kapital und Konsum im Prozeß der Gentrification, S. 4.
A. Herleitung und Spezifizierung des Begriffs „Segregation“ 35
trifft insbesondere innenstadtnahe Quartiere, in denen sich vielfach baulich vernachlässigte Altbauhäuser befinden, deren Wohnungen vergleichsweise schlecht ausgestattet sind.69 Wenn sich ein Viertel zu einem „Alternativviertel“ und damit zu einem „besonderen Ort“ wandelt, wird es für sog. Besserverdienende und Investoren interessant. Die Nachfrage führt zu steigenden Mieten. Das erhöht auch den Wert der Immobilie. In diesen Fällen finden typischerweise Eigentümerwechsel statt, weil die bisherigen Einzeleigentümer auch wegen steigender Bodenpreise die Möglichkeit sehen, Wertzuwächse zu realisieren. Käufer dieser Wohnungen sind zum großen Teil professionelle Immobiliengesellschaften, die zunächst ihre Kosten amortisieren wollen, um sodann mit der Vermietung der Wohnungen Gewinne zu erzielen. Investoren und Eigentümer setzen daher auf umfangreiche und hochwertige Modernisierungs-, Sanierungs- und Umbaumaßnahmen, durch die zunächst die Gesamtinvestitionen steigen und in der Folge aber auch der Objektwert sowie die künftigen Mietpreiserwartungen. Wegen der Umlagefähigkeit eines Teils der Modernisierungskosten auf die Mieter steigen die Mieten für die ursprüngliche Bewohnerschaft an. Es kommt dadurch zu Umstrukturierungsprozessen, in deren Folge „statusniedrigere“ Gruppen durch „statushöhere“ Gruppen verdrängt70 werden. Die einkommensschwachen Bewohner werden in preisgünstige Stadtquartiere verdrängt, in denen teilweise bereits eine Armutsbelastung vorzufinden ist.71 Als Beispiele sind die Aufwertungsgebiete in Berlin Mitte und Prenzlauer Berg zu nennen, in denen heute – 15 Jahre nach Beginn der Modernisierungsarbeiten – nur noch knapp 20 % der früheren Bewohner leben.72 Mit der Veränderung der Bewohnerschaft verändert sich auch die gesamte Sozialstruktur des Stadtteils, vor allem die Nachbarschaften. Durch die daneben steigenden Gewerbemieten ist das gesamte Stadtteilleben einschließlich der Gewerbestruktur von Veränderungen betroffen.73 Oftmals kommt es auch zur Verdrängung bestehender Gewerbebetriebe und es etabliert sich eine an der veränderten Nachfrage orientierte Gewerbestruktur, z. B. eine Event- und Vergnügungsstruktur.
69 Holm, Wir bleiben alle! – Städtische Konflikte um Aufwertung und Verdrängung, S. 10. 70 Zum Problem der Definition von Verdrängung, s. Holm, Wir bleiben alle! – Städtische Konflikte um Aufwertung und Verdrängung, S. 60 f. 71 Förste, Innere Peripherie in großstädtischen Kontexten – das Beispiel Berlin, in: Bernt / Liebmann, Peripherisierung, Stigmatisierung, Abhängigkeit?, S. 195. 72 Holm, Wir bleiben alle! – Städtische Konflikte um Aufwertung und Verdrängung, S. 10. 73 Holm, Gentrification, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 666.
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
Der beschriebene Prozess führt einerseits durch die Aufwertung des Stadtteils zur Behebung städtebaulicher Missstände, andererseits durch das steigende Mietpreiseniveau zu einer Konzentration von einkommensstarken Bevölkerungsgruppen in den entsprechenden Quartieren und damit zu sozialer Segregation. Gleichzeitig ziehen diejenigen Menschen, die nicht über die nötigen finanziellen Ressourcen verfügen, aus den „Alternativvierteln“ weg und müssen auf andere, vor allem preisgünstigere Stadtteile ausweichen, in denen sich dann die einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen konzentrieren. Der Umstand, dass gerade attraktive innenstadtnahe Quartiere von Gentrifizierungsprozessen betroffen sind, führt dazu, dass es zu Engpässen auf dem Wohnungsmarkt im preiswerten Segment innerhalb der zumeist innenstadtnah gelegenen und beliebten Stadtquartiere kommt. Im Ergebnis haben vor allem Städte in Regionen, die durch Deindustrialisierungsprozesse stark verändert wurden, wie solche in Ostdeutschland, im Saarland und im Ruhrgebiet aufgrund sinkender Einwohnerzahlen und zunehmendem Wohnungsleerstand mit Entmischungstendenzen zu kämpfen. Allerdings sind auch Städte in Wachstumsregionen von denselben Prozessen betroffen, die aus einer entgegengesetzten Aufwertungsdynamik herrühren und zu einem Mangel an bezahlbarem Wohnraum führen, sodass die Bildung homogener Stadtteile und einseitiger Bewohnerstrukturen befördert wird.74 3. Ethnische Segregation Der Begriff ethnische Segregation bezeichnet eine räumliche Ungleichverteilung von Bewohnern nach den Merkmalen der Herkunft, Nationalität und Religion von Bevölkerungsgruppen zwischen und innerhalb von großstädtischen Stadtteilen. Bis in die 1970er Jahre hinein waren Ausprägungen der ethnischen Segregation noch vergleichsweise selten und unbedeutend. Das ethnische Element wurde nicht als eigenständiges Strukturmerkmal erfasst. Das Merkmal der sozialen Segregation wurde als das wichtigste, neben dem Merkmal der demographischen Segregation, das als zweitwichtigstes sozialräumliches Verteilungsprinzip eingestuft wurde, angesehen.75 Die „Ausländer“ wohnten dort, wo die ärmeren Inländer lebten.76 In den 1970er Jahren verteilte sich die Stadtbevölkerung im Wesentlichen nach den genannten zwei Strukturmerkmalen: erstens dem „sozialen Rang“ der Wohngebiete und zweitens 74 Harlander / Kuhn,
Soziale Mischung in der Stadt, S. 330. Sozialraumanalyse, S. 31 f. 76 Farwick, Segregation, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 383. 75 Strohmeier / Häußermann,
A. Herleitung und Spezifizierung des Begriffs „Segregation“
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nach dem Familienstatus.77 Die ethnische Segregation wurde zu diesem Zeitpunkt als Teil der sozialen Segregation (Armutssegregation) begriffen. Erst Ende der 1980er Jahre wurde ethnische Segregation als ein eigenständiges Strukturmerkmal erfasst.78 Zu diesem Zeitpunkt war der Ausländeranteil in den überwiegend von Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen bewohnten Vierteln besonders hoch. Der Erfassung vom Ausmaß der sozialräumlichen Segregation nach ethnischen Merkmalen kommt nunmehr eine besonders wichtige Rolle insbesondere deshalb zu, weil sich soziale Spannungen besonders dann ausprägen und weiter verfestigen, wenn in Stadtquartieren soziale und ethnische Segregationsmuster gleichzeitig auftreten. a) Definition „Migrationshintergrund“ nach der Definition der Statistischen Ämter Der Begriff „Migrationshintergrund“ wird vielfach unscharf verwendet. Erfasst werden nicht nur Ausländer, sondern auch deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund. Nach der Definition der Statistischen Ämter werden unter Menschen mit Migrationshintergrund diejenigen verstanden, die nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zugewandert sind, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborene mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil.79 Früher wurde anstelle des Indikators „Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund“ noch der Indikator „Ausländer“ in Anlehnung an den Datenbestand der IRB (Stand 2010)80 verwendet.81 Inzwischen wird dieser Indikator auch in der IRB durch den Indikator „Migrationshintergrund“ ergänzt. Als Personen mit Migrationshintergrund zählen nach der Definition des Statistischen Bundesamtes (2006) und des Mikrozensus (2005) folgende Personen82: 77 Strohmeier / Häußermann,
Sozialraumanalyse, S. 32. Sozialraumanalyse, S. 33. 79 Definition der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, abrufbar unter: https: / / www.destatis.de / DE / Publikationen / Thematisch / Bevoelkerung / MigrationIn tegration / BevoelkerungMigrationsstatus5125203117004.pdf?__blob=publicationFile. 80 IRB steht für innerstädtische Raumbeobachtung. 81 Dohnke / Seidel-Schulze / Häußermann, Segregation, Konzentration, Polarisierung – sozialräumliche Entwicklung in deutschen Städten 2007–2009, S. 10. 82 Dohnke / Seidel-Schulze / Häußermann, Segregation, Konzentration, Polarisierung – sozialräumliche Entwicklung in deutschen Städten 2007–2009, S. 11. 78 Strohmeier / Häußermann,
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
aa) Ausländer (ca. 47 % aller Personen mit Migrationshintergrund) Unter den Begriff Ausländer zählen zugewanderte Ausländer – in 1. Generation: ca. 36 % und – in Deutschland geborene Ausländer (2. bzw. 3. Generation: ca. 11 %). bb) Deutsche mit Migrationshintergrund (ca. 53 % aller Personen mit Migrationshintergrund) Seit 1950 zugewanderte Deutsche (ca. 32 %), darunter: – Spätaussiedler: ca. 12 % – eingebürgerte zugewanderte Ausländer: ca. 20 % Darüber hinaus zählen Personen mit einem zugewanderten Elternteil oder Elternteil mit ausländischer Staatsangehörigkeit (ca. 21 %), darunter: – eingebürgerte, nicht zugewanderte Ausländer, – Kinder zugewanderter Spätaussiedler, – Kinder zugewanderter oder in Deutschland geborener eingebürgerter ausländischer Eltern, – Kinder ausländischer Eltern, die bei der Geburt zusätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten haben (ius soli), – Kinder mit einseitigem Migrationshintergrund: nur ein Elternteil ist Mi grant oder in Deutschland geborener Eingebürgerter / Ausländer. b) Definition „Migrationshintergrund“ nach der Definition des Deutschen Instituts für Urbanistik Viele Städte und Gemeinden haben Verfahren und Programme83 entwickelt, mit denen über verschiedene Bevölkerungsbestandsdaten der Zuwanderungs- bzw. Migrationshintergrund einer Person abgeleitet werden kann. Allerdings haben sich insbesondere aufgrund der Komplexität des Begriffs „Migrationshintergrund“ in den Städten und Gemeinden unterschiedliche Modelle der Zuweisung des Migrationshintergrundes herausgebildet.84 Das führt dazu, dass insgesamt unterschiedliche Definitionen angewendet wer83 Eines der Programme heißt MigraPro und wurde vom KOSIS-Verbund entwickelt, s. dazu, Dohnke / Seidel-Schulze / Häußermann, Segregation, Konzentration, Polarisierung – sozialräumliche Entwicklung in deutschen Städten 2007–2009, S. 11. 84 Dohnke / Seidel-Schulze / Häußermann, Segregation, Konzentration, Polarisierung – sozialräumliche Entwicklung in deutschen Städten 2007–2009, S. 11.
A. Herleitung und Spezifizierung des Begriffs „Segregation“ 39
den. So wird etwa der weitergehende „familiäre“ Migrationshintergrund nicht in allen Städten gleichermaßen erfasst.85 In einer Studie des Difu zum Ausmaß sozialer und ethnischer Segregation86 wird daher der kleinste gemeinsame Nenner der verschiedenen Definitionen zugrunde gelegt. Dieser besteht im persönlichen Migrationshintergrund und Personen mit eigener Migrationserfahrung. Die vorliegende Untersuchung greift in weiten Teilen auf die vom Difu erhobenen Daten zurück und folgt deshalb der vom Difu zugrunde gelegten Definition. c) Auswirkungen ethnischer Segregation: Integration trotz Segregation? Einige Sozialwissenschaftler betonen die integrierende Wirkung von ethnisch segregierten Quartieren, weil erst durch die Binnenintegration im ethnischen Quartier die notwendigen Voraussetzungen für die Kontaktaufnahme zu Mitgliedern des Aufnahmelandes geschaffen würden.87 Das ethnische Quartier stelle dabei einen Raum dar, der durch gemeinsame kulturelle Zugehörigkeit geprägt sei und durch funktionierende Nachbarschaften individueller Isolation entgegenwirke.88 Es wird aber auch die Auffassung vertreten, dass jedenfalls die dauerhafte ethnische Segregation einer erfolgreichen Integration von Personen mit Mi grationshintergrund entgegensteht.89 Das ist z. B. dann der Fall, wenn es infolge hoher und zunehmender Gruppengröße, hoher Kontaktdichte und institutioneller Vollständigkeit zu einer „Schließung“ der ethnischen Gruppe komme, die dazu führt, dass die Mitglieder keine Teilhabe an der Gesamtgesellschaft haben.90 Nach Esser ist erfolgreiche Integration theoretisch in zwei Formen möglich91: Erstens sind ethnisch pluralisierte (multiethnische) Ge85 Dohnke / Seidel-Schulze / Häußermann, Segregation, Konzentration, Polarisierung – sozialräumliche Entwicklung in deutschen Städten 2007–2009, S. 11. 86 s. 1. Kapitel, Fn. 5. 87 s. zu dem Konzept der Integration durch Binnenintegration, Elwert, Probleme der Ausländerintegration. Gesellschaftliche Integration durch Binnenintegration?, S. 717; so auch: Ingenhoven, Ghetto oder gelungene Integration?, S. 47 f. m. w. N.; Leggewie, Ethnische Spaltungen in demokratischen Gesellschaften, in: Heitmeyer, Was hält die Gesellschaft zusammen?, S. 233 ff. 88 s. auch Strohmeier / Häußermann, Sozialraumanalyse, S. 26 f. 89 Heitmeyer, Versagt die Integrationsmaschine Stadt?, in: Heitmeyer / Dollase / Backes, Die Krise der Städte, S. 447; Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 75. 90 So auch Esser, zit. in: Teltemann / Dabrowski / Windzio, Ethnische Segregation in deutschen Großstädten – Abschottung oder sozioökonomische Restriktion?, S. 8 m. w. N. 91 Esser, Soziologie – Spezielle Grundlagen, S. 290.
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
sellschaften denkbar, in denen Migranten zwar nicht sozial integriert sind, die Gesellschaft dafür aber eine erfolgreiche Systemintegration aufweise.92 Zweitens ist eine erfolgreiche Sozialintegration von Migranten denkbar, die allerdings nur in Form der Assimilation möglich ist.93 aa) Systemintegration von Zuwanderern und ethnische Schichtungen Multiethnische Gesellschaften finden sich vornehmlich in den USA, z. B. in New York („Little Italy“ oder „Chinatown“). Sie stellen nach Esser theoretisch eine attraktive Form des Nebeneinanderlebens von Migranten – in ihren ethnisch (segregierten) Quartieren – und der „übrigen“ Aufnahmegesellschaft dar. Die Art des Nebeneinanderlebens entspreche zumeist nicht nur den Vorstellungen der überwiegenden Zahl der Migranten, die in einem ihnen sozial und kulturell bekannten Umfeld lebten, sondern könne auch zur kulturellen Bereicherung in der Aufnahmegesellschaft führen. Empirisch sei die erfolgreiche Systemintegration in multiethnischen Gesellschaften allerdings in nahezu allen Fällen nur im System der ethnischen Schichtung möglich.94 Ethnische Schichtung bezeichnet das Vorliegen systematischer vertikaler sozialer Ungleichheiten zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen gegenüber deren „Gleichheit“ in sozialstruktureller Hinsicht.95 Diese Ungleichheiten bestünden in der Verfügung über interessante Ressourcen und Markt- bzw. Organisationsmacht, etwa im Hinblick auf die durchschnittliche Bildung, die ausgeübten Berufe, das Einkommen und die politische Partizipation und Repräsentation.96 Esser geht davon aus, dass die verschiedenen ethnischen Gruppen eine Hierarchie bilden, bei der die ethnischen Merkmale, wie die Kultur und Religion systematisch mit bestimmten Variablen, wie Bildung und Einkommen kovariieren. Bei ethnischen Schichtungen handelte es sich um gesellschaftliche Systeme der Über- und Unterordnung ethnischer Gruppen in einer ethnisch differenzierten Gesellschaft.97 Einmal entstandene ethnische Schichtungen verfestigten sich infolge sozialräumlicher Segregation der ethnischen Gruppen und aufgrund sozialer Distanzierungen durch 92 Luft, Jenseits Multikulti und Skandalisierung, in: Schomaker / Müller / Knorr, Migration und Integration als wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnungsprobleme, S. 125. 93 Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 74. 94 Esser, Soziologie – Spezielle Grundlagen, S. 293; Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 33. 95 Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 33. 96 Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 33. 97 Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 35.
A. Herleitung und Spezifizierung des Begriffs „Segregation“ 41
die Aufnahmegesellschaft.98 Im Ergebnis seien deshalb alle dauerhaft ethnisch differenzierten Gesellschaften zugleich auch ethnisch geschichtete Gesellschaften. Insoweit wie es zu ethnisch geschichteten Gesellschaften komme, wiesen diese soziale Spaltungen auf, die zu nicht unerheblichen sozialen Folgekosten führten.99 Die gleiche Teilhabe an den interessanten Ressourcen einer Gesellschaft könne es für die ethnischen Gruppen nur dann geben, wenn es zur strukturellen Sozialintegration der Akteure komme.100 bb) Sozialintegration und Assimilation von Zuwanderern Nach Esser ist die erfolgreiche Sozialintegration von Zuwanderern in zwei Formen möglich: Erstens in Form der Mehrfachintegration und außerdem in Form der Assimilation. Bei der Mehrfachintegration seien Migranten sowohl in die Gesellschaft ihres Herkunfts- als auch in die des Aufnahmelandes integriert. Dies sei zwar theoretisch denkbar, komme aber praktisch nur sehr selten vor, weil die verschiedenen Kulturen vollständig im Alltag zu Hause sein müssten. Das bedeute z. B., dass sich Eltern mit ihren Kindern in mehreren Sprachen unterhielten. Dies sei nur unter sehr günstigen Verhältnissen zu erwarten.101 Die erfolgreiche Sozialintegration sei deshalb empirisch „nur“ in Form der Assimilation möglich. Unter dem Begriff der Assimilation versteht Esser die „Angleichung“ verschiedener Gruppen in bestimmten Eigenschaften, etwa im Sprachverhalten oder in beruflichen Positionen.102 Dabei gehe es nicht um die komplette „Gleichheit“ aller Akteure, sondern vielmehr um eine Angleichung in gewissen Verteilungen der verschiedenen Gruppen. Es komme zentral darauf an, dass es keine systematischen Unterschiede in der Verteilung von bestimmten Eigenschaften und Ressourcen über die verschiedenen Gruppen einer Gesellschaft gebe.103 Esser ist der Auffassung, dass die Voraussetzung für eine erfolgreiche Assimilation darin besteht, dass der jeweilige Zuwanderer eine Sozialintegration in das Aufnahmeland intendiert, ihm diese innerhalb des gegebenen Aufnahmekontextes möglich ist und es für ihn außerdem keine attraktivere, verfüg98 Esser, Soziologie – Spezielle Grundlagen, S. 296; Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 75. 99 Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 75. 100 Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 36. 101 Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 73. 102 Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 21. Zu den vier von Esser entwickelten Phasen der Assimilation, s. Esser, ebenda, S. 8 ff. 103 Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 22.
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
bare „ethnische“ Alternative gibt, wie etwa die Rückkehr in das Herkunftsland oder die Sozialintegration in eine ethnische Gemeinde.104 In diesem Zusammenhang wird das von Norbert E. Wiley entwickelte Konzept der sog. Mobilitätsfalle105 bedeutsam, wonach ein Mitglied einer ethnischen Gruppe sich entscheiden muss, ob es einen Aufstieg innerhalb eines Schichtungssystems seiner eigenen Gruppe oder außerhalb der eigenen Gruppe in der dominanten Gesellschaft anstreben will.106 In vielen Fällen sind sowohl subjektiv als auch objektiv die Chancen für eine „Binnen-Karriere“, d. h. innerhalb der eigenen Gruppe, deutlich höher, als innerhalb der „fremden“ Kultur des Aufnahmelandes. Aus diesem Grund falle die Entscheidung vielfach für die „Binnen-Karriere“ aus, insbesondere dann, wenn die ethnische Gemeinschaft institutionell ausgebaut sei.107 Aufgrund des Umstandes, dass die ethnischen Gemeinschaften im Vergleich zur dominanten Gesellschaft allerdings wesentlich schlechtere Positionen auch an ihrer Spitze zu vergeben hätten, führe die Karriere innerhalb der ethnischen Gemeinschaft zu einer Position, die auch nach erfolgreichem sozialem Aufstieg nicht mit der Position innerhalb des Aufnahmelandes vergleichbar sei. Wiley spricht daher von einer Mobilitätsfalle, die sich überall dort stellt, wo es sichere, aber im Ertrag beschränkte spezielle Karrieremöglichkeiten gibt und gleichzeitig riskante, aber weitaus attraktivere Alternativen. Esser hält das Konzept der Mobilitätsfalle für zutreffend und geht weiter davon aus, dass es sich um eine „freiwillig“ betretene Sackgasse handele, in die die Akteure sehenden Auges gingen, obwohl die getroffene Entscheidung nur schwer zu revidieren sei.108 Nach Heitmeyer verfestigten sich die ethnischen Substrukturen dadurch, dass die Individuen oder Gruppen, die an der Spitze der ethnischen Gruppen stehen, ein starkes Interesse an der Perpetuierung der Strukturen haben.109 In Fällen, in denen ethnische Quartiere ein hohes Maß an institutioneller Autonomie (institu tionellen Vollständigkeit) aufweisen, d. h. ein eigenes funktionierendes „Gesellschaftssystem“ aufgebaut haben, besteht die Tendenz, dass aus Sicht der Migranten Assimilationsbemühungen nicht (mehr) erforderlich sind, weil die Voraussetzungen für eine zufriedenstellende Alltagsgestaltung bereits geschaffen sind. Für die Bewohner können sich neben dem Fehlen von Teilhabe und Partizipationsmöglichkeiten in der Aufnahmegesellschaft 104 Esser
Integration und ethnische Schichtung, S. 25. hierzu Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 41. 106 Zit. in: Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 41 m. w. N. 107 Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 41. 108 Esser, Integration und ethnische Schichtung, Hartmut Esser, 2001, S. 41. 109 Heitmeyer, Versagt die Integrationsmaschine Stadt?, in: Heitmeyer / Dollase / Backes, Die Krise der Städte, S. 447. 105 Vgl.
A. Herleitung und Spezifizierung des Begriffs „Segregation“ 43
auch individuell negative Folgen ergeben, wenn sie die Gruppe verlassen wollen.110 Im Ergebnis erschwert ethnische Segregation tendenziell den Integrationsprozess; dies gilt jedenfalls insoweit, wie es zur dauerhaften Etablierung ethnisch segregierter Quartiere kommt.
III. Räumliche Dimension der Segregation: der Quartiersbegriff Soziale und ethnische Segregation können auf verschiedenen räumlichen Ebenen vorkommen. In der Stadtsoziologie werden im Zusammenhang mit Segregationserscheinungen verschiedene Ebenen und Dimensionen des Raumes unterschieden.111 Im Hinblick auf die Möglichkeiten städtebaulicher Steuerung von sozialer und ethnischer Segregation steht das Quartier112 im Vordergrund. Der Begriff des Quartiers ist kein Rechtsbegriff. Der räumliche Bereich eines Quartiers entspricht insoweit auch nicht (notwendigerweise) einem Bebauungsplangebiet oder der Festsetzung eines einzelnen Baugebiets. Das Quartier ist vielmehr ein stadtsoziologischer Begriff, der einen räumlich abgegrenzten Bereich umschreibt, in dem sich Bevölkerungsstrukturen beobachten und klassifizieren lassen. Die räumliche Ebene des Quartiers ist durch homogene bauliche Strukturen und bzw. oder homogene Nutzungsstrukturen gekennzeichnet, wodurch das Quartier von der Umgebung abgegrenzt ist. Es kann sich bei einem Quartier sowohl um einen Häuserblock oder um zusammenhängende Straßenzüge handeln als auch um größere Bereiche, wie etwa Siedlungen. Vor allem bei größeren Bereichen, wie Siedlungen sind die maßgebenden Kriterien eine homogene Baustruktur und bzw. oder homogene Nutzungsstrukturen, durch die sich der Bereich von den angrenzenden Siedlungen abgrenzt und unterscheidet.
110 Heitmeyer, Versagt die Integrationsmaschine Stadt?, in: Heitmeyer / Dollase / Backes, Die Krise der Städte, S. 447. 111 Der Stadt- und Regionalökonom Dieter Läpple hat dazu das Konzept gesellschaftlicher Räume aufgestellt, in dem er eine Typologie von der Makro-, Meso-, und Mikroebene des Raumes entwickelt hat, s. dazu, Dangschat, Segregation – Lebensstile im Konflikt, soziale Ungleichheiten und räumliche Disparitäten, in: Dangschat / Blasius, Lebensstile in den Städten – Konzepte und Methoden, S. 442 m. w. N.; May / Alisch, Formen der Segregation, in: May / Alisch, Formen sozialräumlicher Segregation, S. 9 m. w. N. 112 Dies wird auch als Makroebene angesehen.
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
B. Historische Entwicklung von Segregation Ein Blick in die Geschichte der Stadtentwicklung zeigt, dass es sich bei der Segregation um ein relativ junges Phänomen handelt. Damit zeigt sich auch ein Wandel in den Kernfragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts in deutschen Städten. Die soziale Zukunftsfähigkeit der Städte wird wesentlich durch die gesellschaftlichen Vorstellungen darüber beeinflusst, welche sozialen Funktionen eine Stadt wahrnehmen muss, um ein sozialverträgliches Zusammenleben zu ermöglichen und zu fördern.
I. Die Bürger- und die Residenzstadt Die mittelalterliche Stadt war eine „geschlossene Stadt“. Die Umgrenzung einer Stadt wurde durch Befestigungsanlagen, insbesondere Stadtmauern und Stadtgräben sichergestellt. Die Stadtmauer erfüllte verschiedene Funktionen: Zum einen diente sie dem Schutz vor militärischen Angriffen und der Begrenzung des wirtschaftlichen Raums113, sodass der Handel und die Bewegungen von Gütern und Personen durch die bestehenden Mauern reguliert und kontrolliert werden konnten.114 Zum anderen diente die bestehende Umfriedung, sowohl in baulicher als auch in symbolischer Hinsicht der inneren Einheit des städtischen Gemeinwesens.115 Die innere Integration der mittelalterlichen Stadt wurde also auch durch die Abgrenzung nach außen erreicht.116 Das innere Gefüge der Stadtgesellschaft wurde durch die Umfriedung gleichsam zusammengehalten, wenngleich auch dort gewisse Muster sozialräumlicher Differenzierung erkennbar waren. Insoweit ist zwischen der sozialräumlichen Strukturierung der vormodernen Bürgerstadt und den sozialgesellschaftlichen Strukturen der Residenzstadt zu unterscheiden. 1. Die Bürgerstadt Die Bürgerstadt, zu denen z. B. die Städte der Hanse gehörten, wie Lübeck, Hamburg und Wismar, unterstand nicht dem Herrschaftsregime des Adels oder der geistlichen Gesellschaft. Die Bürgerstadt zeichnete sich daher durch vergleichsweise große Freiheit und Autonomie aus („Stadtluft macht frei“). Die einzelnen Berufsgruppen bildeten Vereinigungen; es kam sowohl 113 Harlander / Kuhn,
Soziale Mischung in der Stadt, S. 18. Soziale Mischung in der Stadt, S. 18. 115 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 18 f. 116 Kapphan / Häußermann, Berlin: von der geteilten zur gespaltenen Stadt?, S. 5. 114 Harlander / Kuhn,
B. Historische Entwicklung von Segregation45
zur Vereinigung der Kaufleute zu Handelsgilden, die sich dann zu gemeinsamen Zünften zusammenschlossen, als auch zur Entstehung verschiedener Handwerkszünfte.117 Das Zunftwesen diente der Wahrung gemeinsamer Interessen, insbesondere durch Begrenzung des Wettbewerbs und Einflussnahme auf die Stadtpolitik und die obrigkeitlichen Ordnungen. Die Bürgerstadt war durch das Bestehen einer breiten „Mittelschicht“, wie z. B. die Handwerksmeister, Kaufleute, Ladenbesitzer gekennzeichnet, die neben dem Adel und den Geistlichen maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Stadt nahmen. Obwohl das Bürgerrecht grundsätzlich durch Geburt erworben wurde und unter bestimmten Bedingungen, wie etwa Vermögen und spezielle Qualifikation auf Antrag verliehen wurde, war die Bürgerstadtgemeinschaft aber sozial keine homogene Gruppe.118 Die Bürgerstadtgemeinschaft wies vielmehr durchaus unterschiedliche Sozialgruppen, d. h. sowohl arme als auch reiche Stadtbewohner auf. Die Gesellschaft der Bürgerstadt war nicht durch einen bestimmten gesellschaftlichen Status geeint, sondern in erster Linie durch die Rechtsgemeinschaft des Bürgerrechts.119 Der Anteil der Bürger mit Bürgerrecht an der Gesamtbevölkerung variierte teilweise stark: Während der Anteil in württembergischen Städten besonders hoch war, war er in anderen Städten, wie z. B. in Aachen, ausgesprochen niedrig.120 Obgleich die Zünfte durch Ge- und Verbote das Zusammenleben und die wirtschaftlichen Tätigkeiten regelten und die Stadtgesellschaften durch eine strenge hierarchische Gliederung gekennzeichnet waren, wiesen die Städte einen relativ hohen Grad an räumlicher Durchmischung auf.121 Gleichwohl kam es im Inneren der Städte räumlich zu sozialen Differenzierungen, die aber keiner großflächigen Segregation gleichkamen.122 Diese beruhten einerseits auf ungleichen Vermögensverhältnissen und orientierten sich andererseits an den Berufsständen. Sie fanden einen sozialräumlichen Ausdruck in der Verteilung der Wohn- und Arbeitsorte: Als räumlich begünstigte Orte galten die Nähe zum Rathaus, zum Marktplatz oder allgemein zu großen (Handels-)Straßen, die insbesondere von Kaufleuten bevorzugt wurden.123 Die Handwerkerhäuser befanden sich demgegenüber in eher peripheren Lagen. Die Aufteilung des städtischen Raums nach Berufsständen kommt teilweise auch heute noch durch die entsprechenden Straßennamen (Metzger-, Gerber- oder Hafen117 Niemann,
in: Iustitia enim inmortalis est, S. 52. Soziale Mischung in der Stadt, S. 19 m. w. N. 119 Zum Bürgerrecht in Frankfurt a. M., s. Roth, Sozialräumliche Untersuchungen des Hausbesitzes in Frankfurt am Main von 1760 bis 1850, in: Harlander, Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau, Perspektiven, S. 92 ff. 120 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 19 m. w. N. 121 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 20. 122 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 20. 123 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 20. 118 Harlander / Kuhn,
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
gasse) zum Ausdruck. Die unattraktiven Wohn- und Arbeitsorte lagen zumeist peripher; so war es Zeichen eines niedrigen sozialen Status, in unmittelbarer Nähe zur Stadtmauer zu wohnen. Gleichwohl führte die Zugehörigkeit zur Stadt zu einer kollektiven Stadt identität und einem Gefühl des Zusammenhalts der Stadtgesellschaft, die wesentlich auf der räumlichen Abgrenzung gegenüber dem politisch, ökonomisch und sozial vollkommen anders strukturierten feudalen Umland beruhte.124 Großflächige Segregationsmuster waren demnach nicht vorhanden. Vielmehr kam es durch die Umfriedungen nach außen, die an sich vor allem der Verteidigung der Unabhängigkeit der Stadtgesellschaft dienten, zu einer räumlichen Dichte, die ein gemeinsames Bewusstsein der Stadtgesellschaft als einer Art Schicksalsgemeinschaft erzeugte.125 Durch den Umstand, dass Arbeitsstellen und Wohnungen vielfach in demselben Haus lagen, bildeten sich Wirtschaften und Haushalte heraus, in denen Menschen mit unterschiedlicher Herkunft und Stellung eng zusammenlebten.126 In Handwerkshäusern war oft eine vertikale Durchmischung vorzufinden: Das Erdgeschoss war für die Handwerksarbeit vorgesehen, die Wohnung des Meisters und die Küche befanden sich regelmäßig im Obergeschoss, die Schlafräume hingegen in den oberen Stockwerken. Im Dachgeschoss waren schließlich die Schlafräume der „fremden“ Gesellen und Bediensteten untergebracht. Ein räumlich vollständig getrenntes Wohnen war in diesen offen gestalteten, durchmischten Arbeits- und Lebensorten nicht möglich. Die innere Struktur eines solchen sozial und funktional durchmischten „Ganzen Hauses“ hat sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts vielerorts erhalten.127 Auch in den „Patrizierhäusern“, die meist großzügiger als die Handwerkshäuser waren, unterschieden sich die Art des sozialen Zusammenlebens und der Grad der sozialen Mischung nicht wesentlich. Eine Durchmischung zwischen den Schichten trat schon deshalb auf, weil die räumliche Nähe zu Gesellen, Kunden, Dienern oder Mietern größtenteils notwendig bzw. erwünscht war. Hierfür spielte auch der öffentliche Raum, wie z. B. der Marktoder Kirchplatz eine wichtige Rolle, der für alle Schichten zugänglich war und dadurch Möglichkeiten der Begegnung und des Kontakts eröffnete. Im Ergebnis wies die vormoderne Stadt, auf den gesamten Stadtraum bezogen, einen relativ hohen Grad an Durchmischung auf – die Differenzierun124 Häußermann / Kapphan,
Berlin: von der geteilten zur gespaltenen Stadt?, S. 6. a. a. O. 126 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 19. 127 Vertiefend zum Ganzen Haus s. Kuhn, Um 1800 – Stadtwohnen im Aufbruch, in: Harlander, Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau, Perspektiven, S. 71; Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 20 m. w. N. 125 Häußermann / Kapphan
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gen im Inneren der Bürgerstadt kamen keiner sozialräumlichen Segregation gleich. Auch in Städten, wie etwa Augsburg, wo Protestanten und Katholiken zusammenlebten, bildeten sich überraschenderweise keine konfessionell segregierten Quartiere heraus.128 Strukturelle und räumliche Differenzierungen zwischen den Ständen und den sozialen Schichten traten erst im Laufe des 18. Jahrhunderts auf. 2. Die Residenzstadt Besonders in dem Zeitraum von 1600 bis 1800 wurden in Deutschland Residenzstädte ausgebaut bzw. (neu-)gegründet. Residenzstädte, wie z. B. Rastatt, Hanau, Dresden, Potsdam oder Karlsruhe unterschieden sich in ihrer sozialräumlichen Differenzierung deutlich von der Bürgerstadt.129 Die Residenzstädte wiesen zumeist ein einheitliches Straßen- und Stadtbild auf, was bereits die Unterordnung unter den landesfürstlichen Gestaltungsund Herrschaftswillen erkennen ließ.130 Die Häuser waren geprägt durch standesgemäßen Fassadenschmuck und wurden, sofern möglich, auf das Schloss oder fürstliche Hoheitssymbole ausgerichtet. Durch den Markgrafen als Obereigentümer wurden die Parzellen als vererbliches Untereigentum zugeteilt und mussten nach dem vorgegebenen Hausmodell bebaut werden.131 Dadurch bildete sich eine deutliche soziale Differenzierung bzw. Hierarchie nach der Lage des Wohnortes heraus. Die Vermögenden bauten in Schloss- oder Marktplatznähe, während die weniger Vermögenden peripher, vom Stadtzentrum entfernt, lebten. Untersuchungen zeigen, dass sich das Gliederungssystem in Residenzstädten nicht an der Zunft oder dem Stand orientierte, sondern vielmehr am Vermögen und ökonomischer Wertschätzung.132 Das markgräfliche Zuteilungssystem konnte von den Wohlhabenden zu ihren Gunsten beeinflusst werden, weil die jeweiligen Präferenzen nicht nur dem Hofarchitekten vorgetragen, sondern ausgehandelt wurden.133
128 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 20 m. w. N.; zu der Ausgrenzung von Juden, vgl. Harlander / Kuhn a. a. O., S. 22 f. 129 Fehl, Rastatt, Innenstadt – Modellmäßiger Hausbau in der Residenzstadt, in: Harlander, Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau, Perspektiven, S. 57. 130 Fehl, Perspektivischer Stadtraum – Modellmäßiger Hausbau, in: Harlander, Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau, Perspektiven, S. 21. 131 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 21. 132 Fehl, Rastatt, Innenstadt – Modellmäßiger Hausbau in der Residenzstadt, in: Harlander, Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau, Perspektiven, S. 56 f. 133 Fehl, Rastatt, Innenstadt – Modellmäßiger Hausbau in der Residenzstadt, in: Harlander, Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau, Perspektiven, S. 57.
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
3. Segregation am Beispiel der sog. „Judenviertel“ In der mittelalterlichen Stadt hat es zwar insgesamt kaum soziale Segregationsstrukturen gegeben, es gab aber ethnische Segregation und Ausgrenzungen. In vielen deutschen Städten wurden ab dem Mittelalter sog. „jüdische Ghettos“, die auch als „Judenviertel“ bezeichnet wurden, eingerichtet.134 Dabei war das Zusammenleben zwischen Christen und Juden nicht von Anfang an und durchgängig von Ausgrenzung und Diskriminierung geprägt; es gab auch friedliche Phasen der Koexistenz.135 Obgleich einige „Judenviertel“ im Mittelalter nachts und an Feiertagen abgeschlossen wurden, gab es zunächst noch keine scharfe soziale Abgrenzung. Es befanden sich sowohl christliche Häuser in „Judenvierteln“ und jüdische Häuser lagen wiederum in christlichen Quartieren.136 Das Zusammenleben zwischen Christen und Juden war in den meisten Städten zunächst noch durch ein mehr oder weniger nachbarschaftliches Verhältnis gekennzeichnet.137 Abgesehen von wenigen Beispielen, wie z. B. in Köln, wo das „Judenviertel“ von den Juden selbst mit Toren abgegrenzt und in weiten Teilen mit einer Mauer umgeben wurde, handelte es sich um eine erzwungene Ausgrenzung der Juden.138 Diese wurde in den folgenden Jahrhunderten deutlich erkennbar; sie führte in den euro päischen Ländern entweder zur vollständigen Vertreibung der Juden oder zu ihrer Ghettoisierung.139 Die erzwungene sozialräumliche Segregation von Juden wird am Beispiel der „Frankfurter Judengasse“140 exemplarisch deutlich: Seit 1462 bestand für die Frankfurter Juden eine Wohnpflicht in der „Judengasse“, die nur etwa 330 Meter lang und durchschnittlich drei Meter breit war.141 Die „Judengasse“ war lediglich durch drei Tore zugänglich, die jeden Abend verschlossen wurden. Innerhalb der „Judengasse“ nahm die Bevölkerungsdichte stark zu, sodass statt ehemals 14 Häusern nunmehr 195 „Häuser“ registriert waren und es zu einer „kaum vorstellbaren Verdichtung“ kam.142 Ge- und Verbote regelten, zu welchen Zeiten die Juden die Stadt betreten durften. Die Be endigung der Niederlassungspflicht der Frankfurter Juden fand erst durch den Beschuss französischer Truppen im Jahr 1796 statt, bei dem die „Frank134 Harlander / Kuhn,
Soziale Mischung in der Stadt, S. 22. Grenzen in der Stadt?, S. 10. 136 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 22. 137 Wenninger, Grenzen in der Stadt?, S. 10 und 15. 138 Zum Judenviertel in Köln, vgl. Wenninger, Grenzen in der Stadt?, S. 19 f. 139 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 22. 140 Zum venezianischen Ghetto und der Frankfurter Judengasse, vgl. Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 22 f. 141 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 23. 142 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 23. 135 Wenninger,
B. Historische Entwicklung von Segregation49
furter Judengasse“ in Brand geriet und 140 Häuser abbrannten.143 Im Jahr 1811 wurde den Frankfurter Juden schließlich das freie Wohnrecht eingeräumt.
II. Umbruch im Zeitalter der Industrialisierung 1. Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert und ihre Folgen für die räumliche Verteilung der Stadtbewohner Infolge der Industrialisierung und der damit einhergehenden Urbanisierungsprozesse im Verlauf des 19. Jahrhunderts kam es zu grundlegenden Veränderungen der bestehenden Raumstrukturen und Segregationsmuster in der deutschen Stadt.144 Zunächst verloren die einst als Grenzen einer Stadt dienenden Befestigungsanlagen, wie Stadtmauern und Stadtgräben wegen des Aufkommens moderner Kriegstechniken an Bedeutung. Das spielte für die Entwicklung der Städte eine Rolle, weil damit das wesentliche Merkmal der vorindustriellen Stadt, nämlich eine bauliche und auch symbolische Abgeschlossenheit nach außen, verloren ging. Die Stadt breitete sich über die Grenzen der Stadtmauern hinaus aus und öffnete sich damit. Dadurch ergaben sich dynamische Entwicklungsmöglichkeiten.145 Damit begann politisch und ökonomisch die Urbanisierung des Landes, in deren Folge auch die Regeln der Stadt auf die gesamte Gesellschaft übertragen wurden.146 Die rasante Ausbreitung städtischer Lebensformen und die starke Zunahme städtischer Bevölkerung machten neuen Wohnraum erforderlich. Auf den ehemaligen Wall- oder Befestigungsanlagen entstanden nunmehr Parks, Grünanlagen und Ringstraßen mit einer attraktiven, zumeist sozial relativ homogenen Wohnbebauung, die sich durch eine räumliche Nähe zum Stadtkern auszeichnete.147 Die begüterten Bevölkerungsschichten wollten der Enge der Altstadt entfliehen und siedelten sich deshalb insbesondere in der Nähe der neu entstandenen Parks und Grünanlagen an. Zum Teil kam es aber auch zur Gründung gänzlich neuer Stadtviertel, die weiter entfernt vom Stadtkern entstanden, in denen sich dann eine eher heterogene Bewohnerstruktur entwickelte.148 143 Harlander / Kuhn,
Soziale Mischung in der Stadt, S. 23. Neue bürgerliche städtische Adressen – von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum ersten Weltkrieg, in: Harlander, Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau, Perspektiven, S. 112. 145 Häußermann / Läpple / Siebel, Stadtpolitik, S. 13. 146 Häußermann / Kapphan, Berlin: von der geteilten zur gespaltenen Stadt?, S. 7. 147 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 24. 148 Kuhn, Um 1800 – Stadtwohnen im Aufbruch, in: Harlander, Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau, Perspektiven, S. 70. 144 Bodenschatz,
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
Im Jahr 1871 lebten im Deutschen Reich insgesamt 4,8 % der Menschen in Städten mit über 100.000 Einwohnern. Dieser Anteil an Stadtbewohnern stieg bis zum Jahr 1910 auf 21,3 % an. Umgekehrt war ein starker Rückgang der Zahl der Menschen, die in Kleinstädten oder Gemeinden mit unter 2.000 Einwohnern lebten, von 1871 bis 1910 von zunächst 63,9 % auf 40 % zu verzeichnen.149 Die traditionelle Sozialordnung in den Städten wurde durch wirtschaftliche und soziale Reformen, wie etwa die Einführung der Gewerbefreiheit und die sog. Bauernbefreiung tiefgreifend verändert.150 Es fand eine allmähliche Abkehr vom ständischen, genossenschaftlichen Gesellschaftssystem statt, während sich parallel dazu eine industrielle und kapitalistische Ordnung etablierte. Die Entwicklung zur industriellen Stadt hatte maßgeblichen Einfluss auf die Sozialordnung in den Städten: Es bildete sich nunmehr die sog. Arbeiterklasse heraus, deren Mitglieder sich vornehmlich in unmittelbarer Nähe zu ihren Arbeitsstätten ansiedelten. Wenig begüterte Bevölkerungsgruppen und Zuwanderer sammelten sich in vernachlässigten Quartieren, insbesondere in der engen Altstadt oder in Elendsquartieren der Vorstadt. Damit wurde das homogene soziale Gefüge der Bürgerstadt weitgehend aufgebrochen und es gelang der (bürgerlichen) Gesellschaft immer weniger, die sozialen Gruppen in das aus der Bürgerstadt bekannte soziale Gefüge einzubinden.151 Die Gesellschaftsschichten drifteten vielmehr stärker auseinander, was insbesondere auch sozialräumlich, nämlich in der Konzentration der jeweiligen Bevölkerungsschichten in bestimmten Quartieren, erkennbar wurde. Der Übergang zur industriellen Stadt verlief nicht überall in derselben Geschwindigkeit. Insbesondere in Klein- und Mittelstädten, wie etwa in Trier, waren die Zeichen der modernen Stadt erst deutlich später zu erkennen.152 Auch Frankfurt am Main wies im 19. Jahrhundert noch weitgehend homogene Strukturen auf, es waren bis dahin noch keine gravierenden Segregationstendenzen, wie etwa die Entstehung exklusiver Wohnquartiere für Wohlhabende auf der einen und Armutsviertel auf der anderen Seite, erkennbar.153 Dies galt sowohl auf gesamtstädtischer Ebene als auch auf kleinräumiger Ebene in den einzelnen Häusern. Die kleinräumliche Durchmischung in den einzelnen Häusern, war dadurch zu erklären, dass Miet- und Unter-
149 Junge,
Georg Simmel, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 88. Soziale Mischung in der Stadt, S. 24 m. w. N. 151 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 24. 152 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 24. 153 Roth, Sozialräumliche Untersuchung Frankfurt am Main, in: Harlander, Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau, Perspektiven, S. 97. 150 Harlander / Kuhn,
B. Historische Entwicklung von Segregation51
mietverhältnisse die Regel waren. So nahmen beispielsweise Bürgerhäuser Ausländer auf, die über kein Eigentum verfügen durften.154 Gleichwohl begannen sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allmählich in den Städten flächendeckende Segregationstendenzen abzuzeichnen.155 In Frankfurt am Main war zu beobachten, dass sich in Sachsenhausen vermehrt Handwerksbetriebe konzentrierten.156 Kaufleute mit hochwertigem Hausbesitz waren dagegen eher in neuen Bebauungen etwa an den Anlagenringen angesiedelt.157 Wohlhabende Schichten zogen aufgrund der nicht selten katastrophalen hygienischen Bedingungen aus den Quartieren der Altstädte weg und der bauliche und sonstige Zustand dieser Häuser wurde vernachlässigt. Während im 17. und 18. Jahrhundert das Leben im Stadtzentrum noch Ausdruck eines hohen sozialen Status war, verkehrte sich dies im 19. Jahrhundert ins Gegenteil: diejenigen, die es sich leisten konnten, zogen aus der Altstadt weg.158 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lösten sich außerdem die aus der Bürgerstadt bekannten Muster der sozialen und funktionalen Durchmischung nahezu vollständig auf und es bildeten sich einerseits Quartiere für die wohlhabenden Bevölkerungskreise (z. B. Villenvororte) und andererseits Arbeiterviertel und großflächige Elendsviertel heraus.159 Arbeiterviertel bildeten sich in Deutschland, als die Fabrikherren erkannten, dass es für sie zweckmäßig war, Arbeiterwohnungen in der Nähe der Fabriken zu schaffen, zu denen es für die Arbeiter praktisch keine Alternativen gab. In der Folge entstanden sog. „Arbeiterkolonien“ mit Wohnungen für gesamte Familien. So wurden z. B. in Eisenheim bei Oberhausen im Jahr 1846 zunächst nur zehn eineinhalbgeschossige Wohnhäuser für das gehobene Personal gebaut.160 Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Bebauung weiter ergänzt und es bildete sich eine geschlossene Arbeitersiedlung. Durch eine gemeinnützige Baugesellschaft wurde in Hannover-Linden eine Arbeiterkolonie errichtet,
Permissionisten, s. hierzu, Harlander / Kuhn a. a. O., S. 26. auch zur Situation in Frankfurt: Kuhn, Um 1800 – Stadtwohnen im Aufbruch, in: Harlander, Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau, Perspektiven, S. 79 f. 156 Roth, Sozialräumliche Untersuchung Frankfurt am Main, in: Harlander, Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau, Perspektiven, S. 97; Kuhn, Um 1800 – Stadtwohnen im Aufbruch, in: Harlander, Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau, Perspektiven, S. 79. 157 Roth, Sozialräumliche Untersuchung Frankfurt am Main, in: Harlander, Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau, Perspektiven, S. 97 f. 158 Kuhn, Um 1800 – Stadtwohnen im Aufbruch, in: Harlander, Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau, Perspektiven, S. 83. 159 Harth, Stadtplanung, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 338. 160 Reinborn, Städtebau im 19. und 20. Jahrhundert, S. 37. 154 Sog. 155 Vgl.
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
die auch als „Klein-Rumänien“ bezeichnet wurde.161 Der Großindustrielle Barthel Heinrich Strousberg ließ auf einem etwa zwei Hektar großen Gelände 184 Hauseinheiten bauen.162 2. Ethnische Segregation am Beispiel der polnischen Zuwanderer im Ruhrgebiet zur Industrialisierung Die Folgen der Industrialisierung stellten Deutschland nicht nur vor die Herausforderung, den sozialen Zusammenhalt mit der „eigenen“ Arbeiterschicht zu stärken, sondern auch eine hohe Zahl von Zuwanderern aus dem Ausland zu integrieren.163 Unter den Migranten bildeten in Deutschland die Polen164 die größte ethnische Gruppe.165 Dabei waren die Zuwanderer durch die gemeinsame Nationalität und Sprache miteinander verbunden. Die Mehrheit der polnischen Zuwanderer ließ sich in Berlin und im Ruhrgebiet nieder. Das Ruhrgebiet stand schon vor Beginn der Industrialisierung im Zentrum der Zuwanderung.166 Die polnischen Zuwanderer arbeiteten dort zumeist als Bergarbeiter und lebten, jedenfalls in der ersten Phase der Einwanderung zwischen den Jahren 1880 und 1890, in kleinen und weitgehend isolierten Gruppen, weshalb manche Quartiere des Ruhrgebiets eine hohe ethnische Konzentration aufwiesen.167 Der Wohnungsfrage kam in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle für den Integrationsprozess zu.168 Typischerweise zogen die Zuwanderer in Quartiere, die sich in der Nähe der Zeche befanden; in der Nähe der Zechen und Industrieanlagen bildeten sich polnische Enklaven im freien, spekulativen Mietwohnungsbau.169 Die polnischen Zuwanderer wollten sich dagegen nicht im eigentlichen Werkswohnungsbau oder in ländlich geprägten Gebieten niederlassen.170 In der ersten Phase polnischer Zuwanderung bildete sich eine ausgeprägte polnische Subkultur heraus, die es den nachfolgenden polnischen Zuwanderern erleichterte, sich unter Beibehaltung der Lebensgewohnheiten und der Sprache in 161 Reinborn,
Städtebau im 19. und 20. Jahrhundert, S. 37. Städtebau im 19. und 20. Jahrhundert, S. 37. 163 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 32. 164 Zur Unterscheidung der Polen zu den Ostpreußischen Masuren: Kleßmann, Polnische Bergarbeiter im Ruhrgebiet 1870–1945, S. 20. 165 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 32; Kleßmann, Polnische Bergarbeiter im Ruhrgebiet 1870–1945, S. 37 f. 166 Kleßmann, Polnische Bergarbeiter im Ruhrgebiet 1870–1945, S. 36. 167 Kleßmann, Polnische Bergarbeiter im Ruhrgebiet 1870–1945, S. 45 f.; Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 32. 168 Kleßmann, Polnische Bergarbeiter im Ruhrgebiet 1870–1945, S. 45. 169 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 32. 170 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 32. 162 Reinborn,
B. Historische Entwicklung von Segregation53
die neue Umgebung einzufinden. Die polnischen Zuwanderer lebten während der ersten Phase der Zuwanderung größtenteils in ethnisch segregierten Quartieren.
III. Folgen des Ersten Weltkriegs und die Weimarer Zeit 1. Soziale Segregation in der Nachkriegszeit und der Weimarer Gesellschaft Nach dem Ersten Weltkrieg herrschte ein besonderer Wohnungsnotstand, von dem alle Gesellschaftsschichten betroffen waren.171 Die größte Gruppe der Wohnungssuchenden bildeten allerdings die Arbeiter.172 Als Sofortmaßnahme zur Bekämpfung der Wohnungsnot wurde in einigen Städten die Durchführung wohnungszwangswirtschaftlicher Maßnahmen unverzichtbar.173 Im Zusammenhang mit der Wohnraumbewirtschaftung wurde einerseits Wohnraum durch die kommunalen Wohnungsämter an „berechtigte“ Wohnungssuchende verteilt und andererseits wurden sog. „Einquartierungen“ in „nicht benötigte“ Teile großer Wohnungen vorgenommen.174 Durch diese Maßnahmen kam es zu einer unfreiwilligen sozialen Durchmischung, die von Mietervereinen auch als eine „Mischung von oben“ bezeichnet wurde.175 Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen lebten zum Teil infolge der „Einquartierungen“ zwar sozial wenig segregiert, dies führte aber nicht zu einem sozial friedlichen Zusammenleben.176 Neben der Durchführung wohnungszwangswirtschaftlicher Instrumente wurde im Rahmen der neuen Sozialstaatspolitik ein Schwerpunkt auf die öffentliche Wohnungsbauförderung gelegt. Während in der Vorkriegszeit nur in bescheidenem Umfang eine sektorale Wohnungsbauförderung stattfand, z. B. für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, wurde nunmehr unter Einsatz hoher Finanzmittel der Wohnungsbau gefördert.177 Insofern markiert der Beginn des Weimarer Wohnungsbaus grundsätzlich einen Wandel zu den Wohnverhältnissen im Kaiserreich, die durch eine Spaltung zwischen bürgerlichen Wohnquartieren und Arbeitervierteln geprägt waren.178 Die Ziele der 171 Harlander / Kuhn,
Soziale Mischung in der Stadt, S. 56. jedenfalls in Frankfurt am Main, s. dazu, Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 56. 173 Zu den wohnungsrechtlichen Reformen in der Weimarer Zeit, s. C. III. 174 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 56. 175 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 56. 176 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 56. 177 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 55. 178 von Saldern, Häuserleben, S. 134. 172 So
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
Weimarer Wohnungsreform wurden städtebaulich durch das räumliche Dezentralisierungsmodell, die Trabantenstadt am Stadtrand, umgesetzt.179 Die neu gegründeten gemeinnützigen und kommunalen Wohnungsbaugesellschaften errichteten überwiegend große Siedlungen in dezentraler Lage, mit dem Ziel eine neue verbesserte Wohnraumversorgung, den Abbau der Klassensegregation und die Aufweichung der aus der Kaiserzeit verbliebenen sozialräumlichen Grenzen zu erreichen.180 Anders als in der Vorkriegszeit wurde nunmehr der dezentralisierten Flachbauweise der Vorrang gegenüber dem verdichteten Hochbau in den Stadterweiterungsbezirken eingeräumt. Die modernen Siedlungen der Weimarer Republik ermöglichten bessere Besonnung und Belüftung gegenüber den Zeilensiedlungen. Die Art der Bebauung gab aber noch keine Auskunft über die Möglichkeiten sozialer Durchmischung.181 Insbesondere beim Zeilenbau ergaben sich bei der sozialen Zielsetzung Konflikte: je ähnlicher die einzelnen Wohnungen in Größe, Grundriss und Ausstattung waren, desto geringer waren die Spielräume für eine vielfältige Nutzung bzw. soziale Durchmischung. Zwar gab es teilweise auch Mischformen der Bebauung, bei denen z. B. Block- und Zeilenbebauung kombiniert wurden, im Wesentlichen kam es aber zur Schaffung von Großwohnsiedlungen. Diese waren durch sozial homogene Bewohnerstrukturen und eine soziale Abschirmung ihrer Bewohnerschaft gekennzeichnet.182 Die politische und berufliche Richtungsvielfalt der Baugenossenschaften stieg rasch an. Die Baugenossenschaften waren besonders bei Angestellten und Beamten beliebt.183 Sie trugen in vielen Fällen dem Bedürfnis ihrer Mitglieder nach „geschlossenen Lebenswelten durch eine kleinräumig-homogene Bewohnerschaft und einer räumlichen Abschirmung“ Rechnung. Sie planten möglichst ähnliche Wohnungszuschnitte und setzen Elemente, wie abschließbare Tor- bzw. Hauseinfahrten ein, um räumliche Distanz aufzubauen.184 Zu der gängigen Praxis in den sozial homogenen Quartieren gehörte z. B., dass die Hauswarte regelmäßig die Eingangs- und Hoftüren am Abend abschlossen. Im Ergebnis war die Weimarer Gesellschaft weiterhin durch soziale Segregation gekennzeichnet. Gleichwohl wurden bereits Anstrengungen unternommen, die Wohnverhältnisse für die breite Bevölkerungsmehrheit zu verbessern, wobei auch Belange zum sozial verträglichen Zusammenleben berücksichtigt wurden. 179 von
Saldern, Häuserleben, S. 124. Soziale Mischung 181 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung 182 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung 183 von Saldern, Häuserleben, S. 135. 184 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung 180 Harlander / Kuhn,
in der Stadt, S. 59. in der Stadt, S. 61. in der Stadt, S. 63. in der Stadt, S. 63.
B. Historische Entwicklung von Segregation55
2. Weitere Entwicklung ethnischer Segregation in der Weimarer Zeit am Beispiel der polnischen Zuwanderer im Ruhrgebiet Im Vergleich zu den Rahmenbedingungen in der Kaiserzeit bot die Weimarer Verfassung einen ausgeprägten Minderheitenschutz und damit günstige Voraussetzungen zur Pflege polnischer Traditionen. Art. 113 der Weimarer Reichsverfassung schrieb vor, dass „fremdsprachige Volksteile“ nicht in ihrer „freien volkstümlichen Entwicklung, besonders nicht in Gebrauch ihrer Muttersprache beim Unterricht“ beeinträchtigt werden sollten.185 Das Kultusministerium stellte im Juni 1920 in Umsetzung dieser Vorschrift Richtlinien zur Diskussion, wonach überall dort, wo die Zahl der Kinder mit polnischer Muttersprache in den Volksschulen eines Schulverbandes auf Dauer mindestens 50 betrug, eine besondere „öffentliche polnische Volksschule“ geschaffen werden sollte.186 Die Kinder sollten verwaltungsmäßig vollkommen getrennte Schulen besuchen, sofern ihre Eltern bestimmten, dass ihr Kind die polnische Muttersprache besitzt. Die Schaffung solcher Schulen sollte aber keine erheblichen zusätzlichen Kosten verursachen, weshalb dieser Vorschlag im Ergebnis nicht umsetzbar war und in den nachfolgenden Jahren auch nicht mehr ernsthaft diskutiert wurde.187 Gleichwohl liefen intensive Bemühungen zur Schaffung polnischer Privatschulen. In diesem Zusammenhang konnten die Polen ihre Forderung nach Stellung eigener Schulräume zwar durchzusetzen, das größte Problem bestand aber darin, qualifizierte Lehrkräfte zu finden.188 Die Schaffung polnischer Privatschulen löste in der deutschen Öffentlichkeit wütende Angriffe aus.189 Von der deutschen Bevölkerung ging ein starker (öffentlicher) Anpassungsdruck aus, in dessen Folge es zum Teil auch zu offenen und versteckten Diskriminierungen kam.190 Es etablierte sich dennoch in den folgenden Jahren ein ruhrpolnisches Kleinschulwesen: Es gab vom „Verband polnischer Schulvereine“ vereinzelt organisierte polnische Unterrichtskurse, die aber keine Konkurrenz zu den deutschen Schulen darstellten.191 Daneben war nur ein geringer Prozentsatz der jugendlichen polnischen Zuwanderer in polnischen Jugendvereinen organisiert; auch die Zahl der Mitglieder des zahlenmäßig bedeutendsten „Verband der gegenseitigen Hilfe polnisch-katholischer Vereine“ schrumpfte in: Kleßmann, Polnische Bergarbeiter im Ruhrgebiet 1870–1945, S. 172. Polnische Bergarbeiter im Ruhrgebiet 1870–1945, S. 172. 187 Kleßmann, Polnische Bergarbeiter im Ruhrgebiet 1870–1945, S. 173. 188 Kleßmann, Polnische Bergarbeiter im Ruhrgebiet 1870–1945, S. 173. 189 Kleßmann, Polnische Bergarbeiter im Ruhrgebiet 1870–1945, S. 173. 190 Kleßmann, Polnische Bergarbeiter im Ruhrgebiet 1870–1945, S. 173 ff. 191 Kleßmann, Polnische Bergarbeiter im Ruhrgebiet 1870–1945, S. 174. 185 Zit.
186 Kleßmann,
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
bis 1925.192 Insgesamt wird insbesondere aus den Daten zum polnischen Vereinsleben erkennbar, dass sich die ruhrpolnische Minderheit allmählich integrierte und dass von dem bis in die Nachkriegsjahre bestehenden subkulturellen System zu Beginn der 1930er Jahre lediglich einige Traditionselemente übrigblieben.193 Insgesamt sind die polnischen Zuwanderer über den Arbeitsplatz, über soziale Aufstiegsmöglichkeiten, über die katholische Kirche, über Schulen, Vereine sowie Gewerkschaften starken systemischen Integrationsmechanismen ausgesetzt gewesen.194 Abgesehen von der Rolle der katholischen Kirche liegen über die Steuerungsfähigkeit der einzelnen Integrationsmechanismen allerdings kaum Informationen vor. Die katholische Kirche spielte als soziales Auffangnetz eine zentrale Rolle: Sie bot die Möglichkeiten der Beteiligung am öffentlichen Leben und damit Gelegenheiten zur Kontaktaufnahme zwischen polnischen und deutschen Bewohnern.195
IV. Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Wohnungssituation katastrophal: Der Zerstörungsgrad der meisten großen deutschen Innenstadtbezirke schwankte zwischen 50 und 90 Prozent.196 Zwischen 20 und 30 % des Wohnraums war zerstört und von den bis zu 10 Mio. Flüchtlingen und Vertriebenen kamen etwa 7,5 Mio. in die Bundesrepublik, weshalb unmittelbar nach dem Krieg für 5 Mio. Haushalte – von insgesamt 15 Mio. Haushalten – Wohnungen fehlten.197 Im Vordergrund stand die Bewältigung der Kriegszerstörungen, d. h. die Reorganisation und Wiederherstellung der grundlegenden Funktionen städtischen Lebens. Es wurde als erforderlich angesehen, der hohen Zahl von Flüchtlingen und Ausgebombten jedenfalls vorübergehende Unterkunft in Lagern und Notquartieren einzurichten.
192 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 32; Kleßmann, Polnische Bergarbeiter im Ruhrgebiet 1870–1945, S. 174 m. w. N. 193 Kleßmann, Polnische Bergarbeiter im Ruhrgebiet 1870–1945, S. 176 m. w. N. 194 Kleßmann, Polnische Bergarbeiter im Ruhrgebiet 1870–1945, S. 187. 195 Kleßmann, Polnische Bergarbeiter im Ruhrgebiet 1870–1945, S. 187. 196 Harlander, Wiederaufbau und Modernisierung der Stadtstrukturen – von 1945 bis Mitte der 1970er Jahre, in: Harlander, Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau, Perspektiven, S. 238, 2007. 197 Blankenagel / Schröder / Spoerr, Verfassungsmäßigkeit des Instituts und der Ausgestaltung der sog. Mietpreisbremse auf Grundlage des MietNovGE, S. 6 m. w. N.
B. Historische Entwicklung von Segregation
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1. Abbau sozialer Segregation durch Förderung des sozialen Wohnungsbaus Dazu kamen ähnliche Maßnahmen zur Anwendung wie nach dem Ersten Weltkrieg: Wohnungssuchende wurden in großem Umfang im Rahmen der Wohnraumzwangsbewirtschaftung bei anderen Familien einquartiert. Die Einquartierung führte zwar zu einem schichtenübergreifenden, engen Zusammenleben der Menschen; allerdings handelte es sich erneut um eine erzwungene Gemeinschaftlichkeit, die nicht Ausdruck einer schichtenübergreifenden freiwilligen Solidarität war.198 Daneben wurde auch der soziale Wohnungsbau199 gefördert. Diesmal wurde aber eine außerordentlich umfangreiche Förderung des sozialen Wohnungsbaus vorgenommen, der breiten Bevölkerungsschichten zugutekam und wesentlich zum Abbau sozialer Segregation führte. So waren knapp 60 % der in den 1950er Jahren gebauten über fünf Millionen Wohnungen zumeist einfache Sozialwohnungen zur Miete.200 Der Zugang für Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus wurde durch die Ausstellung eines Wohnberechtigungsscheins (sog. § 5 Schein) geregelt. Die für die Ausstellung eines Wohnberechtigungsscheins maßgeblichen Einkommensgrenzen wurden derart niedrig angesetzt, dass in den 1950er Jahren etwa 75 % der Bevölkerung eine Zugangsmöglichkeit besaß.201 Zwar bestand weiterhin eine Präferenz der Vermieter für (nachgewiesen) solvente Mieter der Mittelschicht, insbesondere solche, die einen eigenen Finanzierungsbeitrag leisten konnten, es kam aber gleichwohl zu einer starken sozialen Durchmischung.202 Dadurch, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung eine Zugangsmöglichkeit zu Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus besaß, wies der soziale Wohnungsbau insgesamt einen so hohen Grad an sozialer Durchmischung auf, wie er zuvor und auch danach in Deutschland nicht mehr erreicht werden konnte.203 Neben den in der Stadt vorherrschenden Mietwohnungen wurde nunmehr vor allem das freistehende Eigentum im Umland, in den Kreisstädten und auf dem Land die bevorzugte Wohnform.204 198 Harlander / Kuhn,
Soziale Mischung in der Stadt, S. 79. unter C. IV. 1. 200 Harlander, Wiederaufbau und Modernisierung der Stadtstrukturen – von 1945 bis Mitte der 1970er Jahre, in: Harlander, Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau, Perspektiven, S. 239. 201 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 82 m. w. N. 202 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 82. 203 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 82. 204 Harlander, Wiederaufbau und Modernisierung der Stadtstrukturen – von 1945 bis Mitte der 1970er Jahre, in: Harlander, Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau, Perspektiven, S. 239. 199 s. dazu
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
Die Bundesrepublik war bis in die frühen 1970er Jahre wesentlich vom wirtschaftlichen Aufschwung geprägt, der tendenziell allen zugutekam. Soziale Ungleichheiten wurden zwar nicht vollständig beseitigt, aber zumindest stark abgebaut. Als Ausdruck der dadurch beginnenden „sozialen Nivellierung“ der Gesellschaft entwickelte der Soziologe Helmut Schelsky im Jahr 1953 das Konzept der „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“.205 Schelskys Befund war, dass das sog. Wirtschaftswunder eine egalitäre Wirkung entfaltete, die zu einer Vereinheitlichung der sozialen und kulturellen Lebensstile geführt und damit wesentliche Auswirkungen auf die Sozialstruktur der Gesellschaft hat.206 Durch eine Vereinheitlichung der sozialen und kulturellen Verhaltensformen sei soziale Mobilität, also die Auf- und Abstiegsprozesse innerhalb gesellschaftlicher Schichten, vorrangig das Ergebnis einer freien Entscheidung.207 Der Abbau sozialer Barrieren kam nicht nur im Konsumverhalten und im Reiseverhalten, sondern auch in den Wohnverhältnissen zum Ausdruck.208 Im Bereich des Wohnens fand diese Entwicklung in der zunehmenden Zahl der gebauten Einfamilienhäuser ab den 1960er Jahren einen deutlichen Ausdruck. Das Familienheim und der Rückzug ins Private sind damit zu einem Ideal dieser Zeitepoche geworden.209 2. Ethnische Segregation in der Nachkriegszeit In den 1950er Jahren profitierte auch die Stadtentwicklung von dem wirtschaftlichen Aufschwung, der als eines der „größten Nachkriegswunder“ bezeichnet wurde. Der rasche Wiederaufstieg Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg erforderte eine große Zahl an Arbeitskräften. Nachdem die vorhandenen einheimischen Arbeitskräfte in Beschäftigung waren und auch eine Zuwanderung aus der DDR die hohe Nachfrage nicht mehr bedienen konnte, wurden vermehrt Arbeitskräfte aus dem europäischen Ausland angeworben. Dazu wurden Anwerbeabkommen mit südeuropäischen und nordafrikanischen Ländern geschlossen, durch die der befristete Arbeitsaufenthalt ausländischer Arbeitnehmer sog. „Gastarbeiter“ in Deutschland geregelt wurde. Im Jahr 1964 wurde der millionste „Gastarbeiter“ feierlich begrüßt.210 Es kamen vom Ende der 1950er Jahre bis zum Anwerbestopp im Jahr 1973 rund 205 Harlander / Kuhn,
Soziale Mischung in der Stadt, S. 82 m. w. N. Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 82 ff. 207 s. zur nivellierten Mittelstandsgesellschaft, Burzan, Soziale Ungleichheit – Eine Einführung in die zentralen Theorien, S. 41 f. 208 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 83. 209 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 84. 210 Münch, Integration durch Wohnungspolitik?: Zum Umgang mit ethnischer Segregation, S. 35. 206 Vertiefend
B. Historische Entwicklung von Segregation59
14 Mio. ausländische Arbeitskräfte nach Deutschland. Der größte Teil der Arbeitskräfte, etwa 11 Mio. Menschen, kehrten im Laufe der Zeit wieder zurück in ihre Heimat.211 Der andere Teil der Arbeitskräfte blieb in Deutschland und siedelte sich dauerhaft an. Von hier aus wurde versucht, ihre Familien nach Deutschland nachzuholen.212 Von sozialräumlicher Segregation waren vor allem Gastarbeiter betroffen.213 Das Muster ethnischer Segregation ist wesentlich durch die Siedlungsentwicklung dieser Gastarbeitermigration entstanden: Der größte Teil der Gastarbeiter war anfangs in Wohnbaracken in der Nähe ihrer Arbeitsstätte untergebracht.214 Später siedelten viele in Werkswohnungen um, die zumeist von den Betrieben für die Arbeitskräfte angemietet wurden.215 Die Lage der Wohnungen und der Kreis potentieller Mieter waren damit vorbestimmt. Nachdem im Jahre 1973 ein Anwerbestopp verhängt wurde, der wohl maßgeblich im Zusammenhang mit der ersten Ölkrise zu sehen ist, stagnierten auch die Rückwanderungstendenzen, weil die ausländischen Arbeitskräfte befürchteten, später nicht wieder in die Bundesrepublik einreisen zu dürfen. Zu diesem Zeitpunkt fingen die Zuwanderer vermehrt an, sich eigenständig Wohnungen zu suchen, sowohl im privaten Baubestand als auch bei Wohnungsbaugesellschaften. Ein wichtiges Kriterium der Wohnungswahl stellte die Nähe zum Arbeitsplatz und zu Freunden und Familienangehörigen dar. Infolgedessen verblieben viele Migranten in dem Quartier, in dem sie bereits wohnten oder zogen in die nicht modernisierten Altbaubestände der Innenstädte, die von Deutschen zunehmend verlassen wurden und somit ausreichend freien Wohnraum aufwiesen.216 Insofern konzentrierten sich Zuwanderer entweder in den Quartieren, in der Nähe der (ehemaligen) Arbeitsstätten, wo sich bereits eine ethnische Infrastruktur entwickelt hatte, oder sie zogen in die Quartiere, die von Deutschen mit mittlerem oder höherem Einkommen verlassen wurden. Insofern bildeten sich sozial und ethnisch wenig durchmischte städtische Quartiere heraus.
211 Harlander / Kuhn,
Soziale Mischung in der Stadt, S. 79. Arbeitsmarkteffekte von Einwandern in Deutschland, in: Schomaker / Müller / Knorr, Migration und Integration als wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnungsprobleme, S. 190. 213 von Saldern, Häuserleben, S. 372. 214 Vgl. Farwick, Segregation, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 397. 215 Vgl. Farwick, Segregation, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 397. 216 Farwick, Segregation, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 397. 212 Peters / Weigert,
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
V. DDR und die Wiedervereinigung 1. Geringe soziale Segregation in der DDR In der DDR war das Ausmaß sozialer Segregation durch die staatliche Vergabe von Neubauwohnungen gering.217 Das Ziel der Schaffung einer sozialistischen „Menschen-Gemeinschaft“ sollte dadurch erreicht werden, dass die historisch entstandenen sozialen und territorialen Unterschiede in den Wohnverhältnissen Schritt für Schritt abgebaut werden.218 Dennoch sind auch durch die staatliche Vergabepraxis von Neubauwohnungen kleinräumige Segregationsformen entstanden.219 Die Vergabe der Wohnungen orientierte sich an drei Kriterien, die durch verschiedene Wohnraumlenkungs-Verordnungen ausgestaltet wurden. Die drei Kriterien bestanden in der Arbeitskräftesicherung, der Orientierung an den Grundsätzen der Familien- und Bevölkerungspolitik und der Stabilisierung des Systems, die es notwendig machte, besonders „verdienstvolle Personen“ zu bevorzugen.220 Dieses Vergabesystem führte zu einer Überrepräsentanz der durch die WohnraumlenkungsVerordnung geförderten Personen in den Plattenbausiedlungen. Insgesamt spielten Solidargemeinschaften aufgrund der allgemeinen Mangelsituation besonders im ökonomischen Bereich eine wichtige Rolle.221 Demgegenüber konzentrierten sich die „Privilegierten“ zumeist in den „in nerstädtischen Neubauten oder kleineren Mehr- und Einfamilienhäusern“.222 Insgesamt war eine ausgeprägte demographische Segregation erkennbar.223 Die jüngeren Menschen lebten weitgehend in den Neubauwohnungen, während der Altersdurchschnitt in den Altstadtquartieren deutlich höher war. Darüber hinaus wurden bestehende Altbauten zunehmend marode und wurden größtenteils von alten Menschen, Unangepassten und Unqualifizierten 217 Harth / Herlyn, … und dann geht’s doch ’n bißchen auseinander – vom Wandel städtischer Wohnmilieus in den neuen Bundesländern, in: Häußermann / Neef, Stadtentwicklung in Ostdeutschland, S. 143; Häußermann, Von der Stadt im Sozialismus zur Stadt im Kapitalismus, in: Häußermann / Neef, Stadtentwicklung in Ostdeutschland, S. 36. 218 Hannemann, Die Platte – Industrialisierter Wohnungsbau in der DDR, S. 112 m. w. N. 219 Hannemann, Die Platte – Industrialisierter Wohnungsbau in der DDR, S. 135 f. 220 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 96 m. w. N. 221 Harth / Herlyn, … und dann geht’s doch ’n bißchen auseinander – vom Wandel städtischer Wohnmilieus in den neuen Bundesländern, in: Häußermann / Neef, Stadtentwicklung in Ostdeutschland, S. 147. 222 Hannemann, Die Platte – Industrialisierter Wohnungsbau in der DDR, S. 127 m. w. N. 223 Hannemann, Die Platte – Industrialisierter Wohnungsbau in der DDR, S. 127 m. w. N.
B. Historische Entwicklung von Segregation61
bewohnt, die keine Chancen hatten, ihrer unbefriedigenden Wohnsituation zu entkommen.224 Abgesehen von den beschriebenen sozialen Segregationserscheinungen, wiesen die Siedlungen insgesamt heterogene Bewohnerstrukturen auf, aus denen sich „kleine homogene Sozialmilieus“ herausbildeten. 2. Die Veränderung der Bewohnerstrukturen infolge der Wiedervereinigung Infolge der Wiedervereinigung wurden nicht nur die etablierten sozial durchmischten Bewohnerstrukturen aufgebrochen, sondern auch die Sozialbeziehungen, d. h. vor allem das lokale Beziehungsnetz der ostdeutschen Bevölkerung. Damit veränderten sich die Wohnbedingungen in den ostdeutschen Städten drastisch. Obgleich das Sozialmilieu durch die Staatssicherheit nahezu vollkommen überwacht und eingeschränkt worden war, konnte es dennoch als überwiegend integrativ angesehen werden.225 Durch die weitgehende Auflösung des Sozialmilieus kam es zu Individualisierungs- und Vereinzelungsprozessen, bei denen die ehemals wichtigen Nachbarschaftsbeziehungen vollkommen in den Hintergrund traten. Die Ursachen dafür lagen u. a. in dem Ende des staatlichen Wohnungsbaus, der zunehmenden Zahl der Arbeitslosen und einer einseitigen Belegungspolitik durch die Wohnungsbaugesellschaften.226 Daneben kam es zur Einführung eines neuen Mietrechts, das u. a. die Erhebung eines an wirtschaftlichen Maßstäben orientierten Mietzinses vorsah. Die Bausubstanz in den ostdeutschen Städten war teilweise katastrophal, wodurch die räumlichen Verteilungsmuster der Wohnbevölkerung wesentlich bestimmt wurden. Vornehmlich wurden die Innenstädte, teilweise mit erheblichem Aufwand, saniert. Dagegen erwiesen sich die Plattenbau-Siedlungen teilweise als nicht sanierungsfähig, weshalb es zur Abwanderung der Wohnbevölkerung kam und damit zu Leerständen und vielmals sogar zu vollständigem Abriss. Dabei ist zwischen den teilweise stark verfallenen Altbauwohnungen und Altbauhäusern und den Großsiedlungen zu unterscheiden. Während die Innenstädte mit teilweise erheblichem Aufwand und unter steuerlicher Förderung saniert wurden, führte die Abwanderung der Wohnbevölkerung aus den 224 Harlander / Kuhn,
Soziale Mischung in der Stadt, S. 96 m. w. N. … und dann geht’s doch ’n bißchen auseinander – vom Wandel städtischer Wohnmilieus in den neuen Bundesländern, in: Häußermann / Neef, Stadtentwicklung in Ostdeutschland, S. 158 f. 226 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 96 m. w. N. 225 Harth / Herlyn,
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
Plattenbau-Siedlungen, die sich teilweise als nicht sanierungsfähig erwiesen, zu Leerständen und häufig auch zu vollständigem Abriss. Die Modernisierung der Innenstädte umfasste allerdings keine innerstädtischen Altbauhäuser, bei denen die Eigentümerverhältnisse ungeklärt waren und infolgedessen von kommunalen Wohnungsgesellschaften verwaltet wurden, die keinerlei Investitionen in die Modernisierung bzw. den Erhalt der Häuser tätigten.227 In diesen Gebieten setzte sich der Verfall der Altbauhäuser vorläufig fort228 und die Gebiete entwickelten sich zu benachteiligten Quartieren, in denen sich soziale Segregationsstrukturen entwickelten. Der Mietzins von Wohnungen in nicht modernisierten Altbauhäusern war insbesondere im Vergleich zu sanierten Wohnungen wesentlich geringer und blieb damit für die wenig begüterten Bevölkerungsgruppen bezahlbar. Daneben herrschte vor allem in Mittel- und Kleinstädten ein Mangel an Modernisierungsinvestitionen, weshalb diese besonders von sozialen Segregationsstrukturen betroffen waren.229 Mit der Wiedervereinigung stand Westdeutschland vor der Herausforderung der Integration eines Stroms von Zuwanderern. Infolge einer hohen Arbeitslosigkeit, Integrationsproblemen und Zugangsproblemen auf dem Wohnungsmarkt entwickelten sich sozial und ethnisch segregierte Wohnquartiere, die sich vor allem auf zwei Gebietstypen konzentrierten: Großsiedlungen und Teile der Altbauquartiere.230 Insbesondere die Großsiedlungen wiesen zahlreiche Missstände auf und waren durch eine einseitige soziale Zusammensetzung ihrer Bewohner gekennzeichnet. 3. Ursachen für die Entstehung sozialer und ethnischer Segregation in Deutschland Neben den dargestellten historischen Ursachen ethnischer Segregation in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stützen sich die Erklärungsansätze im Wesentlichen auf die folgenden zwei Ursachenkomplexe231: – Soziale Faktoren und Präferenzen der Zuwanderer und – wirtschaftliche Ursachen, die sich auf dem Wohnungsmarkt auswirken. 227 Häußermann, Von der Stadt im Sozialismus zur Stadt im Kapitalismus, in: Häußermann / Neef, Stadtentwicklung in Ostdeutschland, 1996, S. 35 ff. 228 Häußermann, Von der Stadt im Sozialismus zur Stadt im Kapitalismus, in: Häußermann / Neef, Stadtentwicklung in Ostdeutschland, S. 36. 229 Häußermann, Von der Stadt im Sozialismus zur Stadt im Kapitalismus, in: Häußermann / Neef, Stadtentwicklung in Ostdeutschland, S. 37. 230 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 306. 231 Teltemann / Dabrowski / Windzio, Ethnische Segregation in deutschen Großstädten – Abschottung oder sozioökonomische Restriktion?, S. 13.
B. Historische Entwicklung von Segregation63
a) Präferenzen und soziale Faktoren Mit Blick auf ethnische Segregationserscheinungen spielen vor allem die Präferenzen der neuankommenden Zuwanderer eine wesentliche Rolle. Dabei lassen sich kaum allgemeine Aussagen zu den präferierten Stadtquartieren treffen, weil die Bedürfnisse und Vorstellungen der in Deutschland lebenden Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund sehr unterschiedlich sind. Insgesamt wurde aber festgestellt, dass die traditionsorientieren Quartiere schrumpfen, während die Zahl der modernen, weltoffenen und leistungsorientierten Milieus ansteigen.232 Je nach Milieuzugehörigkeit ergeben sich unterschiedliche Wohnansprüche und Ansprüche an die Wohnumgebung: So ist für 35 % der religiös-orientieren Bevölkerungsgruppen die „Nähe zu Freunden und Verwandten“ ein zentrales Kriterium.233 Nur für jeden fünften Menschen aus der religiös-orientieren Bevölkerungsgruppe stellt die Ausstattungsqualität der Wohnung einen wichtigen Auswahlfaktor dar, während der Anteil bei statusorientieren Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund bei knapp der Hälfte liegt.234 Für neuankommende Zuwanderer spielen die bestehenden Kontakte und die Existenz ethnischer Substrukturen im Quartier eine wichtige Rolle, nicht zuletzt wegen der leichteren Verständigung.235 In diesen Quartieren finden Zuwanderer leichter Anschluss in Einrichtungen und Vereinen, die sich maßgeblich über die ethnische Herkunft definieren, wie z. B. in Moscheen und Sportvereinen.236 Hier kann sich auch ein ethnisch geprägter Dienstleistungssektor etablieren, zu denken ist z. B. an Übersetzungsbüros, Versicherungsagenturen und Rechtsanwaltsbüros, sowie spezifische Restaurants. Das Vorhandensein solcher Einrichtungen stellt wiederum für den Zuzug weiterer Migranten einen Anreiz dar, sich ebenfalls in dem Wohnquartier niederzulassen, das bereits ein ausgebautes und eher vertrautes soziales Netz aufweist, in dem zugleich eine räumliche Nähe zu den „Landsleuten“ möglich ist.237 Auf diese Weise bilden sich aus sozialen und funktionalen Präferenzen bevorzugte Wohnstandorte heraus, die aufgrund ihrer sozialer Strukturen bei 232 Hanhörster, Türkeistämmige Eigentümer in Migrantenvierteln: Soziale und räumliche Mobilität der zweiten Generation, S. 26 m. w. N. 233 Hanhörster, Türkeistämmige Eigentümer in Migrantenvierteln: Soziale und räumliche Mobilität der zweiten Generation, S. 26 m. w. N. 234 Hanhörster, Türkeistämmige Eigentümer in Migrantenvierteln: Soziale und räumliche Mobilität der zweiten Generation, S. 26 m. w. N. 235 Teltemann / Dabrowski / Windzio, Ethnische Segregation in deutschen Großstädten – Abschottung oder sozioökonomische Restriktion?, S. 15. 236 Farwick, Segregation, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 397. 237 Münch, Integration durch Wohnungspolitik?: Zum Umgang mit ethnischer Segregation, S. 38 m. w. N.
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
Zuwanderern durchgängig beliebt sind und sich deshalb im Laufe der Zeit weiter verfestigen können. Obgleich es auch Erhebungen238 gibt, wonach nur ein geringer Teil der Migranten es bevorzugt, in einem überwiegend ethnisch geprägten Wohnviertel zu wohnen, lässt sich doch feststellen, dass soziale Überlegungen, wie z. B. die unmittelbare Nachbarschaft, die möglicherweise aus Verwandten, Freunden und Bekannten besteht, bei der Wahl eines Wohnorts im Vordergrund stehen.239 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass der Einfluss von sozialen und emotionalen Faktoren bei der Wahl des Wohnstandorts individuell unterschiedlich ist und auch davon abhängt, welche kulturellen sozialen Netze sich bereits etabliert haben. Eine weitere Erklärung für sozialräumliche Segregationstendenzen liefert das sog. Konzept der sozialen Homophilie, wonach Akteure dazu tendieren, sich in verschiedenen sozialen Kontexten, wie z. B. in einer Organisation, im Familienverband oder in Nachbarschaftsbeziehungen, mit solchen Menschen zu umgeben, die ihnen im Hinblick auf Merkmale, wie Ethnizität, Bildung, Alter etc. ähnlich sind.240 Auf diese Weise können einerseits Konflikte vermieden und andererseits Wünsche nach sozialer Anerkennung leichter realisiert werden. Neben den bestehenden ethnischen Netzwerken, die jedenfalls wichtige Faktoren bei der Wahl des Wohnortes spielen, kommt zumeist auch der Art der Wohnungssuche eine wesentliche Bedeutung mit Blick auf die Auswahl des späteren Wohnortes zu. Es hat sich gezeigt, dass Zuwanderer bei der Wohnungssuche in der neuen Heimat zu einem großen Teil versuchen, auf informellen Wegen eine geeignete Wohnung zu finden.241 So greifen sie bevorzugt auf Informationen aus Netzwerken der eigenen ethnischen Gruppe zurück. Dies führt bereits zu einer Art „Vorselektion“ des Kontingents erreichbarer, freier Wohnungen und zu einer weiteren Verfestigung der bestehenden Segregation in den Stadtteilen. Vor allem Migranten mit starken Defiziten in der deutschen Sprache haben Schwierigkeiten, sich auf dem Wohnungsmarkt zu orientieren. Infolgedessen haben sich insbesondere in Groß238 Repräsentativbefragung: Ausgewählte Migrantengruppen in Deutschland 2006 / 2007 (RAM), Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, S. 146, abrufbar unter: https: / / www.bamf.de / SharedDocs / Anlagen / DE / Downloads / Infothek / Forschung / Forschungsberichte / fb08-basisbericht-berichtsband.pdf?__blob=publicationFile. 239 Teltemann / Dabrowski / Windzio, Ethnische Segregation in deutschen Großstädten – Abschottung oder sozioökonomische Restriktion?, S. 15 m. w. N. 240 Teltemann / Dabrowski / Windzio, Ethnische Segregation in deutschen Großstädten – Abschottung oder sozioökonomische Restriktion?, S. 15. 241 Teltemann / Dabrowski / Windzio, Ethnische Segregation in deutschen Großstädten – Abschottung oder sozioökonomische Restriktion?, S. 14 ff.; Hanhörster, Türkeistämmige Eigentümer in Migrantenvierteln, S. 31 f. m. w. N.
B. Historische Entwicklung von Segregation65
städten auf ethnische Gruppen spezialisierte Immobilienmakler angesiedelt, die auf die Bedarfe mit muttersprachlicher Beratung eingehen; das Portfolio dieser Makler ist regelmäßig auf Objekte in benachteiligten Quartieren ausgerichtet.242 Außerdem besteht auf Seiten der Vermieter, der Makler oder nicht selten der Nachbarn starke Zurückhaltung gegenüber Wohnungssuchenden (aufgrund Ethnizität), wodurch die Chancen auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt negativ beeinflusst werden.243 Derartige Probleme emotionaler Distanzierung treten häufiger zwischen ethnischen Gruppen auf als zwischen Angehörigen unterschiedlicher sozialer Schichten.244 b) Wirtschaftliche Ursachen Grundsätzlich kann sich eine räumliche Konzentration sozial ähnlicher Haushalte aus dem Zusammenspiel von Angebots- und Nachfrageseite des Wohnungsmarktes ergeben. Im Bereich des freien Mietwohnungs- und Eigentumsmarkts werden Wohnungen nach wirtschaftlichen Kriterien, wie Lage und Qualität bzw. Ausstattung auf der einen Seite und Preis auf der anderen Seite vergeben.245 Diese Marktmechanismen werden nur im Bereich des öffentlich geförderten Wohnungsbaus teilweise außer Kraft gesetzt, weil dieser einer Mietpreis- und Belegungsbindung unterliegt. Bei der Wahl einer Wohnung spielen auch Wohnbedürfnisse der Nachfrager eine wesentliche Rolle. Die Wohnbedürfnisse sind entsprechend der Haushaltszusammensetzung, des Lebensstils und teilweise der ethnischen Zugehörigkeit unterschiedlich. Restriktionen bei der Wahl einer Wohnung ergeben sich wesentlich aus den zur Verfügung stehenden wirtschaftlichen Ressourcen, sowohl bei Mi granten, als auch bei Deutschen (soziale Segregation), die ein vorrangiges Kriterium dafür darstellen, in welchem Stadtteil die (künftige) Wohnung liegt.
242 Hanhörster, Türkeistämmige Eigentümer in Migrantenvierteln: Soziale und räumliche Mobilität der zweiten Generation, S. 38 m. w. N. 243 Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 39. 244 Teltemann / Dabrowski / Windzio, Ethnische Segregation in deutschen Großstädten – Abschottung oder sozioökonomische Restriktion?, S. 15; Hanhörster, Türkeistämmige Eigentümer in Migrantenvierteln, S. 32 f. m. w. N. 245 Farwick, Die Spaltung der Städte – Ursachen, Entwicklungen und Folgen der sozialen Segregation in städtischen Gebieten, in: Gans / Nachtkamp, Soziale Ungleichheit, Segregation und Integration, S. 21.
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
Nach den Erhebungen des Statistischen Bundesamtes verfügt ein wesentlicher Anteil der Migranten über ein „eher geringes“ Einkommen.246 Insgesamt trägt der Arbeitsmarkt durch die steigende Anzahl niedrig entlohnter Jobs dazu bei, dass es eine wachsende Zahl an Menschen gibt, die lediglich über geringe finanzielle Möglichkeiten verfügen. Dieser Trend hält weiter an.247 Infolgedessen kommt es vielfach von vornherein zu Einschränkungen bei der Wahl des Wohnstandortes aufgrund der wirtschaftlichen Situation. Wird die Wohnraumversorgung stärker dem freien Markt überlassen, spiegeln sich soziale Ungleichheiten deutlicher in der sozialräumlichen Struktur der Städte wider.248 Einkommensschwache Bevölkerungsschichten und bzw. oder verstärkt sozialer Diskriminierung ausgesetzte Haushalte müssen infolge einer überwiegend erzwungenen Segregation mit Wohnungen vorliebnehmen, in denen aufgrund ihrer unattraktiven Lage sowie einer geringeren Qualität der Wohnungen der Mietzins geringer ausfällt. Abhilfe bieten lediglich öffentlich geförderte Wohnungen, die sowohl belegungs- als auch mietgebunden sind.249 Damit wird letztlich vorbestimmt, welcher Stadtteil zum Wohnen für weniger leistungsfähige Bevölkerungsgruppen überhaupt in Betracht kommt. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass es gegenüber Migranten teilweise zu diskriminierenden Vermietungspraktiken kommt, die die Standortwahl darüber hinaus einschränken.250 Demgegenüber können einkommensstarke Haushalte, die nur geringen wirtschaftliche Restriktionen ausgesetzt sind, den Wohnstandort weitgehend nach ihren eigenen Präferenzen auswählen. Im Hinblick auf das Ausmaß der Segregation hat sich gezeigt, dass die ärmsten und die wohlhabendsten Bevölkerungsgruppen am stärksten segregiert leben251, während sich die Bevölkerungsgruppe mit mittlerem Einkommen am wenigsten räumlich segregieren.252
246 Statistisches
Bundesamt, Datenreport 2008, S. 200 f. Förste, Innere Peripherie in großstädtischen Kontexten – das Beispiel Berlin, in: Bernt / Liebmann, Peripherisierung, Stigmatisierung, Abhängigkeit?, S. 195. 248 Häußermann, Die Krise der sozialen Stadt, unter Segregation. 249 Vgl. Farwick, Die Spaltung der Städte – Ursachen, Entwicklungen und Folgen der sozialen Segregation in städtischen Gebieten, in: Gans / Nachtkamp, Soziale Ungleichheit, Segregation und Integration, S. 22. 250 Farwick, Die Spaltung der Städte – Ursachen, Entwicklungen und Folgen der sozialen Segregation in städtischen Gebieten, in: Gans / Nachtkamp, Soziale Ungleichheit, Segregation und Integration, S. 22. 251 Farwick, Segregation, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 385 m. w. N. 252 Farwick, Die Spaltung der Städte – Ursachen, Entwicklungen und Folgen der sozialen Segregation in städtischen Gebieten, in: Gans / Nachtkamp, Soziale Ungleichheit, Segregation und Integration, S. 22 m. w. N. 247 Vgl.
B. Historische Entwicklung von Segregation
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Das hohe Ausmaß an Segregation bei einkommensschwachen Haushalten ist einerseits durch einen – seit den 1970er Jahren zu beobachtenden – Trend zur Aufwertung von bisher preisgünstigem Wohnraum in bestimmten innerstädtischen Stadtquartieren253 zu erklären. Andererseits hat der in Gang gesetzte Reurbanisierungstrend, wonach das urbane Wohnen in kleinteiligen gemischten Strukturen sich wieder einer großen Beliebtheit bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen erfreut, Einfluss auf soziale und ethnische Segregationsprozesse. Im Zusammenhang mit den strukturellen Bedingungen auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt, die sich an Angebot und Nachfrage orientieren, sind auch wohnungspolitische Entwicklungen als eine Ursache für städtische Segregationsstrukturen zu nennen. Dabei hat der beschriebene Aufwertungsprozess von preisgünstigem innerstädtischem Wohnraum eine Segregationsdynamik ausgelöst. Daneben wurde die staatliche Förderung von sozialem Wohnungsbau zunehmend eingestellt.254 Die Zahl der Sozialwohnungen in Westdeutschland ist von 4 Mio. im Jahr 1987 auf 2,1 Mio. im Jahr 2003 gesunken und wird voraussichtlich bis 2020 auf einen Bestand von 1,2 Mio. Wohnungen weiter sinken.255 Die bestehenden Sozialwohnungen fallen durch das Auslaufen von Mietpreis- und Belegungsbindung allmählich aus dem Sozialwohnungsbestand heraus. Die Errichtung neuer Sozialwohnungen wird derzeit von staatlicher Seite kaum gefördert. Zudem nimmt die Anzahl sozialgebundener Wohnungen auch dadurch weiter ab, dass die i. R. des sozialen Wohnungsbaus gegebenen Hypothekendarlehen frühzeitig zurückgezahlt werden. Diese Tendenz wird durch die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen verschärft.256 Des Weiteren wurden kommunale Wohnungsbaugesellschaften teilweise privatisiert, damit sie sich stärker an den Grundsätzen des freien Markts orientieren.257 Teile des Wohnungsbestandes werden gewinnbringend veräußert. Von diesen Veräußerungen sind vor allem attraktive Wohnungen in beliebten Wohnlagen betroffen. 253 Sog.
Gentrifizierung, s. zum Begriff A. II. 2. Die Spaltung der Städte – Ursachen, Entwicklungen und Folgen der sozialen Segregation in städtischen Gebieten, in: Gans / Nachtkamp, Soziale Ungleichheit, Segregation und Integration, S. 22 m. w. N. 255 Farwick Segregation, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 385. 256 Farwick Segregation, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 385. 257 Kemper, Die Privatisierung öffentlichen Wohneigentums – Hoffnungen, Befürchtungen, Befunde; Voigtländer, Die Privatisierung öffentlicher Wohnungen, S. 748 ff. 254 Farwick,
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
Im Ergebnis führt das schrumpfende Angebot an Sozialwohnungen und preisgünstigem innerstädtischen Wohnraum zu einem wachsenden Nachfragedruck auf den derzeitigen Wohnungsbestand in diesem Bereich. Vielfach müssen weniger leistungsfähige Bevölkerungsgruppen auf die Wohnungen ausweichen, die aufgrund mangelnder Wohnqualität und bzw. oder schlechterer Wohnlage für einkommensstärkere Haushalte nicht attraktiv sind. Bei solchen Quartieren handelt es sich zumeist entweder um ehemalige Arbeiterquartiere, die aufgrund nahegelegener Gewerbebetriebe oder Hauptstraßen von hoher Luftverschmutzung oder starker Lärmbelästigung betroffen sind oder solche Quartiere, die eine mangelnde (private) Infrastruktur aufweisen und verkehrstechnisch nur schlecht angebunden sind, wie z. B. peripher gelegene Großwohnsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus aus den 1960er und 1970er Jahren.258
VI. Flüchtlingswellen im 21. Jahrhundert Die aktuelle Flüchtlingswelle stellt Städte und Kommunen vor große Integrationsherausforderungen. Die Zahl der Asylanträge ist in Deutschland im Jahr 2015 stark gestiegen. Allein im September 2015 wurden beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über 40.000 Asylanträge gestellt.259 Dies ist ein Anstieg von 126 % gegenüber dem Vorjahresmonat September 2014.260 Es lässt sich derzeit kaum prognostizieren, wie sich die Zahl der Asylsuchenden entwickelt. Auch die Frage, wo die Asylsuchenden dauerhaft untergebracht werden können, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beantworten. Es lässt sich daher zum jetzigen Zeitpunkt auch noch nicht verlässlich vorhersagen, ob es bei der Unterbringung der hohen Zahl an Asylsuchenden zu ethnischer Segregation kommt. Die Frage, ob es zur Entstehung ethnisch segregierter Quartiere kommt, wird wesentlich davon abhängen, auf welche Art und Weise die Wohnungsfrage für Migranten gelöst wird. Der staatliche Umgang zur Beschaffung von Wohnungsunterkünften für Migranten wird wesentlichen Einfluss darauf haben, ob es zur Entstehung ethnisch segregier258 Farwick, Die Spaltung der Städte – Ursachen, Entwicklungen und Folgen der sozialen Segregation in städtischen Gebieten, in: Gans / Nachtkamp, Soziale Ungleichheit, Segregation und Integration, S. 23. 259 Aktuelle Zahlen zu Asyl, S. 4, September 2015, BAMF (Hrsg.), abrufbar unter: https: / / www.bamf.de / SharedDocs / Anlagen / DE / Downloads / Infothek / Statistik / Asyl / statistik-anlage-teil-4-aktuelle-zahlen-zu-asyl.pdf?__blob=publicationFile. 260 Aktuelle Zahlen zu Asyl, S. 4, September 2015, BAMF (Hrsg.), abrufbar unter: https: / / www.bamf.de / SharedDocs / Anlagen / DE / Downloads / Infothek / Statistik / Asyl / statistik-anlage-teil-4-aktuelle-zahlen-zu-asyl.pdf?__blob=publicationFile.
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ter Quartiere kommt. Derzeit deutet einiges darauf hin, dass Großunterbringungen für Flüchtlinge geschaffen werden, die der Entstehung ethnischer Segregation Vorschub leisten. Werden zur Unterbringung von Flüchtlingen große Neubausiedlungen errichtet, sog. „Trabantenstädte“, ist zu erwarten, dass „neue“ ethnisch segregierte Quartiere entstehen. Die oben dargestellte historische Entwicklung von Segregation261 hat gezeigt, dass das Dezentralisierungsmodell, d. h. die Unterbringung von Menschen in neu erschlossenen Quartieren am Stadtrand zur Entstehung von Segregationsstrukturen beiträgt. Dasselbe gilt auch für die konzentrierte Unterbringung von Flüchtlingen in (bisher leerstehende) Großwohnsiedlungen. Bei diesen Formen der Unterbringungen besteht die Gefahr, dass sozialräumlich segregierte Quartiere entstehen. Denkbar ist aber auch, dass innerstädtische Wohnunterkünfte geschaffen werden. Werden die Wohnunterkünfte, soweit es möglich ist, räumlich über das Stadtgebiet verteilt, kann der Entstehung ethnisch segregierter Quartiere entgegengewirkt werden. Insoweit besteht eine gewisse Steuerungsmöglichkeit ethnischer Segregation durch die räumliche Unterbringung der Migranten. Wird z. B. der soziale Wohnungsbau stärker staatlich gefördert, ergeben sich neue Chancen, sowohl der Entstehung „neuer“ ethnischer und sozialer Segregation entgegenzuwirken als auch mittelbar lenkenden Einfluss auf sozialräumlich segregierte Quartiere zu nehmen. Denn dies hat die historische Segregationsentwicklung nach Ende des Zweiten Weltkriegs gezeigt: durch die starke Förderung des sozialen Wohnungsbaus werden Segregations erscheinungen abgebaut.
C. Beurteilung von Stadtplanung in Deutschland I. Missstände infolge des Fehlens staatlicher Steuerung Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts finden sich kaum Hinweise auf einen planerischen Umgang mit den überkommenen Stadtstrukturen der „alten“ Stadt.262 Vielmehr war „Stadtentwicklung“ von dem liberalen Verständnis geprägt, dass die „beste Stadt“ entstehe, wenn jeder Eigentümer sein individuelles Interesse verfolgt.263 Dieser liberalen Auffassung von Stadtentwicklung durch Selbstregulation und Privateigentum wurde spätestens durch die 261 Das
Dezentralisierungsmodell lag der Weimarer Wohnungsreform zugrunde. Über den Wandel des Geschichtsverständnisses im Städtebau, S. 2 ff.; Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 36. 263 Häußermann, Von der Stadt im Sozialismus zur Stadt im Kapitalismus, in: Häußermann / Neef, Stadtentwicklung in Ostdeutschland, S. 6. 262 Albers,
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
hohe Anzahl an Menschen, die im Zuge der Industrialisierung in die Städte strömten, die Grundlage entzogen. Das Fehlen staatlicher Steuerung des Städtebaus führte zu sozialen Umbrüchen, die den Zusammenhalt in der Gesellschaft untergruben. Anstelle der ständischen Sozialordnung prägten nunmehr Klassengegensätze die Gesellschaft. Dabei gelang es nicht, die sich herausbildenden Klassengesellschaften in der Stadtgesellschaft politisch und sozial zusammenzuhalten. Durch den massenhaften Zuzug von Menschen gab es eine hohe Nachfrage an Wohnraum, sodass die Vermietung von Wohnungen zu einer eigenständigen Quelle der Kapitalverwertung wurde.264 Es kam zu Ausgrenzungen der Arbeiterschicht und ethnischen Minderheiten wie etwa der polnischen Minderheiten aus der Gesellschaft.265 Infolge dieses sozialen Ausschlusses und der verweigerten Akzeptanz gesellschaftlicher Partizipation bildeten sich verstärkt abgegrenzte Subkulturen und parallele Lebenswelten heraus. Diese fanden ihren räumlichen Ausdruck in segregierten homogen Wohnmilieus und Wohnquartieren.266 Der ungebremste Zuzug von Menschen in die Stadt und die damit verbundene hohe Nachfrage an Wohnraum, die ohne jede Steuerung den Marktbedingungen überlassen wurde, führte zunächst zu teilweise katastrophalen Wohn- und Lebensbedingungen.267 Die bauliche Situation in den sozial segregierten Quartieren war durch eine enge Bebauungsdichte und teilweise verheerende hygienische Bedingungen gekennzeichnet. Von der zunächst noch verbreiteten Auffassung, dass sich die Entwicklung der Städte selbst reguliere und eine gezielte Stadtentwicklung gar nicht erforderlich sei, rückte man infolgedessen ab.268 Die sozialen Segregationsstrukturen wurden nunmehr als Missstände empfunden. Dies führte vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer Diskussion über Abhilfemöglichkeiten, die durch die Suche nach der „richtigen“ neuen Form des Städtebaus gekennzeichnet war.269
264 Häußermann, Von der Stadt im Sozialismus zur Stadt im Kapitalismus, in: Häußermann / Neef, Stadtentwicklung in Ostdeutschland, S. 6 f. 265 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 29. 266 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 29 m. w. N. 267 Reinborn, Städtebau im 19. und 20. Jahrhundert, S. 24. 268 Harth, Stadtplanung, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 338. 269 Kuhn, Um 1800 – Stadtwohnen im Aufbruch, in: Harlander, Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau, Perspektiven, S. 78; zum Verständnis des Städtebaus: Reul ecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, S. 86.
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II. Entstehung von Stadtplanung und Stadtsoziologie Die Zielrichtung der städtebaulichen Praxis zur Schaffung von Wohnraum war zunächst noch auf die Nachverdichtung der Innenstadtbereiche ausgerichtet.270 Das städtebauliche Konzept der innerstädtischen Nachverdichtung erwies sich allerdings wegen der dynamischen Bevölkerungsentwicklung nicht als nachhaltig. Vielmehr waren die Innenstadtbereiche bald überbelegt und der städtische Bevölkerungszuwachs ungebrochen. Dies machte städtebauliche Alternativen erforderlich. Während im Städtebau regelmäßig erst spät Planungsmaßstäbe festgelegt wurden, bei denen auch soziale Ziele eine Rolle spielten, hatte sich schon in der Frühindustrialisierungsphase eine Ordnung etabliert, die das Ergebnis von Segregationsprozessen der (kapitalistischen) Industriegesellschaft war.271 In dieser von Klassengegensätzen geprägten Ordnung kam es zu sozialgesellschaftlichen Spannungen, die nicht nur den Ruf nach (sozialen) Reformen sondern auch nach städtebaulicher Entwicklung und Planung laut werden ließen. Allmählich bildete sich der Städtebau als wissenschaftliche Disziplin heraus272 mit dem Ziel, das sich beschleunigende Stadtwachstum und den massenhaften Zuzug von Menschen in die Städte zu steuern, eine zweckmäßige Verteilung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu erreichen, sowie gesunde Wohn- und Arbeitsbedingungen zu schaffen.273 Unterstützt wurde dieser Prozess durch die allmähliche Schaffung einer öffentlichen Daseinsvorsorge und den Ausbau städtischer Infrastruktur. Letzterer entfaltete zunächst noch weitere segregierende Wirkungen, weil der Ausbau nicht in allen Stadtquartieren gleichermaßen vorgenommen wurde, sodass die städtische Infrastruktur in manchen Quartieren weiterhin defizitär war. Dennoch ist in der Berücksichtigung von sozialen Bedürfnissen verschiedener Bevölkerungsgruppen in der Stadtplanung ein wesentlicher Fortschritt zu sehen, obgleich dieser nicht mit den heutigen Planungsleitlinien im Hinblick auf die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen zu vergleichen ist.274
270 Kuhn, Um 1800 – Stadtwohnen im Aufbruch, in: Harlander, Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau, Perspektiven, S. 78. 271 Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, S. 91. 272 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 28. 273 Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, S. 86. 274 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 18.
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1. Ansätze zur Stadtforschung und zur Stadtplanung Die Stadt und ihr soziales Gefüge sind inzwischen Gegenstand zahlreicher Untersuchungen und wissenschaftlicher Forschung geworden, was u. a. in einer Vielzahl von Veröffentlichungen zu der sozialen Bedeutung und der sozialgesellschaftlichen Rolle von städtebaulicher Planung zum Ausdruck kommt.275 Darin wurde allmählich die Idee einer gestalterischen Stadtplanung entfaltet, deren Aufgabe und Funktion auch darauf gerichtet war, Stadtteile an der Peripherie etwa durch schienengebundenen Nahverkehr besser anzubinden, sowie durch entlastende Stadterweiterungen eine Auflockerung übervölkerter Wohngebiete der Innenstadtquartiere zu erreichen. a) Erste Stadtforschungsansätze in England In England gehen die ersten Ansätze zur Stadtforschung auf Henry Mayhew zurück, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Grundlagen einer modernen Stadtforschung entwickelte. Er ging von der Feststellung aus, dass die unterschiedlichen Sozialgruppen nicht mehr durchmischt, sondern segregiert in jeweils bestimmten Quartieren lebten. Er teilte die Stadt London in verschiedene für die unterschiedlichen Sozialgruppen typische Teilräume ein. Es entstand damit das Konzept der Einteilung einer Stadt in verschiedene Sozialräume, um die soziale Situation einer Stadt in den jeweiligen Teilräumen besser untersuchen und auf dieser Grundlage Aussagen über die gesamte Stadt treffen zu können.276 Ein weiterer wichtiger Beitrag zur Stadtforschung wurde von dem englischen Geschäftsmann Charles Booth geleistet, der eine 17 bändige Untersuchung zu den Stadtvierteln in London von 1886 bis 1897 mit dem Titel „Life and Labour of the People in London“ veröffentlichte. Auslöser für diese Untersuchungen war die These gewesen, dass ein Viertel der Londoner Bevölkerung in extremer Armut lebe.277 Booth wollte diese Behauptung widerlegen, indem er eine statistische Erhebung über die Lebensbedingungen der Londoner Bevölkerung initiierte. Ergebnis seiner Studie war aber, dass nicht nur ein Viertel, sondern sogar ein Drittel der Londoner Bevölkerung in Armut lebte.
275 Harth,
Stadtplanung, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 342 m. w. N. Stadtplanung, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 338; vgl. auch Lindner, Walks on the wild Side. Eine Geschichte der Stadtforschung, S. 43. 277 Lindner, Walks on the wild Side. Eine Geschichte der Stadtforschung, Rn. 22. 276 Harth,
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Durch die Arbeiten Booths wurden die Londoner Lebensbedingungen zum ersten Mal empirisch erfasst und umfangreich dargestellt.278 Die Erklärungsund vor allem Optimierungsansätze waren jedoch in erster Linie auf soziale und erzieherische Maßnahmen gerichtet und ließen Möglichkeiten zur Verbesserung durch städtische und bauliche Gegebenheiten außer Betracht. b) Die Stadt und das innere städtische Gefüge als sozialwissenschaftlicher Forschungsgegenstand in Deutschland Die Städte bilden die Schauplätze für die substantiellen gesellschaftlichen Entwicklungen in den Bereichen Kultur und Technik sowie für die Veränderungen in Gesellschafts- und Staatsordnungen und in der Wirtschaft.279 Das heutige Verständnis der sozialen und integrativen Stadtentwicklung ist nicht nur durch die historischen Entwicklungen, sondern auch durch die Ergebnisse sozialwissenschaftlicher Forschungen des 19. Jahrhundert geprägt. Diese Untersuchungen gehen zugleich der Frage nach, wodurch sozialer Zusammenhalt in einer modernen und industrialisierten Stadtgesellschaft hergestellt werden kann. aa) Soziologische Untersuchungen: Weber, Simmel und Durkheim In seiner „Stadtstudie“280 untersucht Max Weber den „Verband der Stadtgemeinde“ der mittelalterlichen, europäischen Stadt und vergleicht diesen (u. a.) mit den Entwicklungswegen asiatischer Städte.281 Er analysiert dabei die soziale Struktur der mittelalterlichen europäischen Städte in ihrer Rolle, die Formierung und Dynamik moderner Gesellschaften zu beeinflussen und zu bestimmen. Dabei geht es ihm insbesondere um die Entstehung des Bürgertums, des modernen Kapitalismus und des modernen, rationalen, sowie bürokratischen Staates.282 Die Frage nach den Formen gesellschaftlicher Integration behandelt Weber mit Blick auf die Kategorien von Herrschaft und
278 Zu den Wohnungs- und Sozialreformen in England und der städtebaulichen Situation in London, s. Reinborn, Städtebau im 19. und 20. Jahrhundert, S. 32 ff. 279 Schäfers, Einführung in die Soziologie, S. 122. 280 Die Stadtstudie wurde erstmals 1921 als Aufsatz unter dem Namen Die Stadt. Eine soziologische Untersuchung im Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik veröffentlicht. 1922 ist der Text als ein Kapitel mit dem Namen Die Stadt Bestandteil des soziologischen Hauptwerks Wirtschaft und Gesellschaft Webers geworden. 281 Kemper, Max Weber, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 33. 282 Vgl. dazu: Nippel, Max Weber – Wirtschaft und Gesellschaft – Die Stadt, S. 105 ff.
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
Legitimität und damit als Teil der politischen Soziologie.283 So sieht Weber in der frühen Stadtgemeinde das Kernelement für den sozialen Zusammenhalt im ständischen Stadtbürgerrecht. Dieses Stadtbürgerrecht habe eine Nivellierung der ständischen Unterschiede zwischen den Bürgern bewirkt und außerdem zu einer Rationalisierung der Rechtsbeziehungen der Bürger untereinander geführt. Gerade gegenüber Dritten würden die Bürger durch ihre Zugehörigkeit zu einem spezifischen Stand, dem Bürgerstand, zusammengehalten und vereint. Jeder einzelne Bürger schwor den Bürgereid, wodurch sich die Zugehörigkeit zur Stadtgemeinschaft, zum örtlichen Verband der Stadt unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Familie, Sippe oder einer anderen Gemeinschaft (Ethnie) manifestiere und dem Einzelnen damit eine persönliche Rechtsstellung als Bürger garantierte. Die Zugehörigkeit zu einem Verband der Stadt hatte Vorrang vor anderen Pflicht- und Loyalitätsverbindungen, insbesondere auch solchen verwandtschaftlicher Art. Die Stadt des 19. Jahrhunderts wird zum Ort der Individualisierung und Freiheit.284 Die Zusammengehörigkeit werde durch die Stadt bewirkt, die Weber auch als einen Kulturverband ansieht.285 Innerhalb von Städten bildeten sich soziale Gruppen, deren Zusammenhalt Weber mit dem Konzept der Lebensführung erklärt bzw. beschreibt. Danach hat der (individuelle) Lebensstil drei verschiedene soziale Funktionen, die zu der „Schließung sozialer Gruppen beitragen“: „(1) die expressive Performanz als Ausdruck von Ansprüchen einer Gruppe auf soziale Anerkennung (Identität), (2) die Monopolisierung solcher Ausdrücke und Ansprüche als Grundlage für die Distiktion anderen gegenüber (Abgrenzung) und (3) die soziale Identität innerhalb der Gruppe und der wechselseitige Vergleich der Gruppenmitglieder untereinander als Voraussetzung für die Homogenität der Gruppe (soziale Schließung).“286
Die Großstadt ist durch Anonymität und das Vorhandensein verschiedener Lebensstile gekennzeichnet. Wesentliche Voraussetzung für den sozialen Zusammenhalt innerhalb einzelner Gruppen ist nach Weber die Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen auf Grundlage der Identität.
283 Imbusch / Rucht, Integration und Desintegration in modernen Gesellschaften, in: Heitmeyer / Imbusch, Integrationspotenziale einer modernen Gesellschaft, S. 28. 284 Vgl. Kemper, Max Weber, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 35. 285 Kemper, Max Weber, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 35. 286 Dangschat, Segregation – Lebensstile im Konflikt, soziale Ungleichheiten und räumliche Disparitäten, in: Dangschat / Blasius, Lebensstile in den Städten – Konzepte und Methoden, S. 428.
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Nach Weber hat sich auch Simmel mit den Strukturen der Stadtbevölkerung beschäftigt. Simmel geht davon aus, dass der soziale Zusammenhalt dadurch erreicht werde, dass sich die Menschen zu Gruppen oder Kreisen zusammenschlössen und sich damit nach außen abgrenzten.287 Diese Kreise entwickelten sich im politischen, familiären oder religiösen Bereich. Je größer der Kreis wird, indem sich die Zahl der Mitglieder erhöht, desto mehr lockert sich die innere Einheit und die Schärfe der ursprünglichen Abgrenzung gegen andere.288 Übertragen auf die Entwicklung des sozialen Zusammenhalts in Städten folgt daraus, dass je größer eine Stadt wird, desto stärker nimmt der soziale Zusammenhalt ab. Das gegenseitige Interesse wird geringer und damit auch die wechselseitige Kontrolle. Die Stadtbewohner identifizieren sich nur noch zu einem kleinen Teil über die Zugehörigkeit zur Stadt; der Wunsch nach Zusammenhalt und Gemeinschaftserleben muss damit auf andere Weise, etwa durch Bildung von lokalen „Communities“, durch den Zusammenhalt in einzelnen Wohnquartieren verwirklicht werden. In der modernen Gesellschaft nehme der soziale Zusammenhalt tendenziell ab; allein aufgrund arbeitsteiliger Prozesse bleibe aber ein gewisser sozialer Zusammenhalt in modernen Gesellschaften insoweit bestehen, wie es zu funktionalen Abhängigkeiten komme, bei denen sich der eine auf den anderen verlassen muss. Im Vordergrund der Untersuchungen Durkheims steht die Veränderung des sozialen Zusammenhalts289 der Menschen durch das moderne Großstadtleben. Dabei geht Durkheim davon aus, dass der gesellschaftliche Wandel von der vormodernen zur modernen Gesellschaft, die sozialen Bindungen der Menschen untereinander – das „soziale Band“ –, das ehemals auf gemeinsamen Werteüberzeugungen beruhte, tiefgreifend erschüttert wurde. In den nunmehr heterogenen Gesellschaftsstrukturen der Großstadt gebe es kein „soziales Band“ mehr, das die Menschen zusammenhalte, es komme vielmehr zu einem funktionalen Zusammenhalt.290 Die Grundlage der von Durkheim entwickelten Theorie zur modernen Gesellschaft bilden zwei gegensätzliche Formen der sozialen Integration, die er als „mechanische“ und „organische Solidarität“ bezeichnet.291 287 Die Abgrenzung nach außen stellte einen wesentlichen Integrationsmechanismus in der mittelalterlichen Stadt dar, s. dazu oben unter B. I. 288 Junge, Georg Simmel, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 90 f. 289 Zum Begriff der Gemeinschaft nach Durkheim, s. Schlenker-Fischer, Demokratische Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz, S. 24. 290 Schroer / Wilde, Emile Durkheim, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 60 ff. 291 Vgl. Lilienthal, Über soziale Arbeitsteilung. Studie über die Organisation höherer Gesellschaften, in: Gamm / Hetzel / Lilientahl, Hauptwerke der Sozialphilosophie, S. 60.
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
Die mechanische Solidarität bilde sich „aus Ähnlichkeiten“ heraus, die das jeweilige Individuum an die Gesellschaft binden. Die kleinteiligen Gesellschaftsformen, wie z. B. Stämme und Familien hätten eine „homogene Masse“ dargestellt.292 Die mechanische Solidarität ist der Teil an Ideen und Strebungen, der über individuelle und persönliche Zielsetzungen und Vorstellungen hinausgeht. Die Individualisierung sei in solchen Gesellschaftsformen nur wenig ausgeprägt, weil das Individuum sich „nicht von der Masse trennt“ und „zu einem persönlich unterscheidbaren Wesen“ werde.293 Der Einzelne habe keinen eigenen Bewegungsspielraum, weil die „individuellen und kollektiven Bewusstseinslagen deckungsgleich“ und deshalb harmonisiert seien.294 Dieses Kollektivbewusstsein sei die Ursache für den sozialen Zusammenhalt, der nicht als Sympathiegefühl o. ä. verstanden werden dürfe. Die mechanische Solidarität sei in segmentierten Gesellschaften, innerhalb homogener Einheiten wie z. B. Clans, denkbar.295 Im Gegensatz zu der beschriebenen „Ähnlichkeit“ und einer die Individuen verbindenden kollektiven kulturellen Identität, sind Individuum und Gesellschaft beim organischen Solidaritätstypus relativ entkoppelt.296 Der Zusammenhalt bestehe nicht mehr aufgrund der Ähnlichkeit der Lebenslagen, sondern aufgrund des Unterschieds aller Mitglieder eines sozialen Verbandes, die jeweils auf die Tätigkeiten des anderen angewiesen seien. Die organische Solidarität beruhe auf einem funktionalen Zusammenhalt, der sich aus der Existenz arbeitsteiliger Prozesse ergebe, denn diese führten zu einer hohen Komplexität der Aufgaben, die funktionale Spezifikationen erfordere, bei denen die Menschen darauf angewiesen seien, sich aufeinander verlassen zu können. Dieser Zusammenhang werde durch den Begriff „organisch“ zum Ausdruck gebracht, wonach im Rahmen arbeitsteiliger Prozesse jedes Individuum eine ihm zugewiesene Funktion übernehme und damit einen Beitrag zum Funktionieren des gesamten Systems leiste. Nach Auffassung Durkheims fallen die traditionellen sozialen Integra tionsmechanismen der mechanischen Solidarität durch die Urbanisierung und den damit verbundenen Individualisierungsprozessen weitgehend 292 Schroer / Wilde,
Emile Durkheim, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 62. Vester, Kompendium der Soziologie II: Die Klassiker, S. 74 f. 294 Vgl. Schroer / Wilde, Emile Durkheim, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 62. 295 Lilienthal, Über soziale Arbeitsteilung. Studie über die Organisation höherer Gesellschaften, in: Gamm / Hetzel / Lilientahl, Hauptwerke der Sozialphilosophie, S. 63 m. w. N. 296 Lilienthal, Über soziale Arbeitsteilung. Studie über die Organisation höherer Gesellschaften, in: Gamm / Hetzel / Lilientahl, Hauptwerke der Sozialphilosophie, S. 63. 293 Vgl.
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weg.297 Grund hierfür sei die Auflösung der kleinen sozialen Einheiten. Allein in der Bildung kleinerer sozialer Einheiten, die sich aus weitgehend homogener Bevölkerung zusammensetze, könne es noch zu sozialem Zusammenhalt durch ein Kollektivbewusstsein kommen. In der Großstadt formierten sich deshalb Stadtquartiere mit homogener Bevölkerungszusammensetzung, was eine sog. Binnenintegration ermögliche.298 Der Zusammenhalt in Großstädten könne auch durch solidaritätsstiftende Mechanismen hergestellt werden. In der modernen Gesellschaft (Großstadt) entstehe durch die organische Solidarität ein integrativ wirkendes Kollektivbewusstsein, dadurch, dass die Handlung der Mitglieder durch direkte moralische Kontrolle gesteuert und Abweichungen geahndet würden.299 Darüber hinaus würden Individuen durch die organische Solidarität einerseits in die jeweiligen Teilsysteme eingebunden und andererseits aufgrund der notwendigen Abhängigkeit der Teilsysteme voneinander auch in den Gesamtzusammenhang der Gesellschaft integriert.300 Der gesteigerte Konkurrenzkampf führe auch zu einer stärkeren Durchmischung der sozialen Milieus. bb) Fazit der stadtsoziologischen Untersuchungen Im Ergebnis stimmen die drei Soziologen darin überein, dass der soziale Zusammenhalt infolge der Urbanisierungsprozesse und der Auflösung vormoderner Gesellschaften abnimmt. Weber sieht die Ursache für die Abnahme des sozialen Zusammenhalts darin, dass die integrierenden Mechanismen der vormodernen Stadt, wie z. B. das Stadtbürgerrecht, wegfielen und damit keine Nivellierung der ständischen Unterschiede mehr stattfinde. Die Großstadt könne kein einendes Zusammengehörigkeitsgefühl mehr erzeugen. Simmel sieht die Ursache der Schwächung des sozialen Zusammenhalts darin, dass je größer eine Stadt wird, desto mehr nehme das gegenseitige Interesse und die wechselseitigen Kontrollmöglichkeiten ab. Durkheim beschreibt das Zusammengehörigkeitsgefühl als „soziales Band“, das es in heterogenen, modernen Gesellschaften, wie Großstädten, nicht mehr gebe. Das soziale Band werde in der modernen Stadt durch einen 297 Imbusch / Rucht, Integration und Desintegration in modernen Gesellschaften, in: Heitmeyer / Imbusch, Integrationspotenziale einer modernen Gesellschaft, S. 23. 298 Zum Begriff Binnenintegration, s. A. I. 2., im Zusammenhang mit ethnischer Segregation, s. A. II. 3. c). 299 Vgl. dazu, Imbusch / Rucht, Integration und Desintegration in modernen Gesellschaften, in: Heitmeyer / Imbusch, Integrationspotenziale einer modernen Gesellschaft, S. 24 m. w. N. 300 Imbusch / Rucht, Integration und Desintegration in modernen Gesellschaften, in: Heitmeyer / Imbusch, Integrationspotenziale einer modernen Gesellschaft, S. 25.
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
funktionalen Zusammenhalt ersetzt. Denn die Lösung komplexer Aufgaben erfordere funktionale Spezialisierungen, die zu wechselseitigen Abhängigkeiten führten; jedes Individuum ist auf die funktionale Spezifikation eines anderen angewiesen. Das Ergebnis der soziologischen Untersuchungen besteht in der Erkenntnis, dass die Integration der vormodernen Stadt vorwiegend über Mechanismen der Sozialintegration funktionierte, d. h. über die Zugehörigkeit zur Stadt, über dichte Interaktionen und über die, von Durkheim als „mechanische Solidarität“ beschriebenen, Mechanismen.301 Durch die Auflösung der vormodernen Stadt beobachten Weber, Simmel und Durkheim, dass sich die Menschen tendenziell zu kleinen sozial homogenen Einheiten zusammenschließen, um die Möglichkeit der Identifikation und wechselseitiger Anerkennung durch Abgrenzung zur „Masse“ (wieder-)herzustellen. Der soziale Zusammenhalt in der Großstadt besteht damit innerhalb der sozialen Einheiten. 2. Herausbildung verschiedener Modelle des Städtebaus Um die Wende zum 20. Jahrhundert begann eine wesentliche Professionalisierung der Stadtforschung. Grundlage für die Verbesserung im Bereich der Stadtentwicklung waren Diskussionen der Frage, welche Aufgaben der Städtebau zu erfüllen hat, um eine nachhaltige Stadtentwicklung zu erreichen. Zunächst wurde das Stadtwachstum gewissermaßen als gegeben angesehen, bis kurz vor Ende des 19. Jahrhunderts Howard das Thema wieder aufgriff und die Forderung nach Gegenmaßnahmen stellte; der Begriff der „Planung“ (engl. „planning“) wurde erstmals in diesem Zusammenhang gebraucht.302 Im Vordergrund der ersten Stadtplanungsphasen stand das Ziel einer funktional und sozial zweckmäßigen Gliederung des Stadtraums.303 In diesem Zusammenhang wurde die Frage diskutiert, wie die Entstehung und Verfestigung sozial homogener Quartiere städtebaulich zu bewerten sei. Eine soziale Durchmischung der Klassen auf kleinräumiger Ebene wurde u. a. von Ernst Bruch als negativ angesehen.304 Bruch, Assistent im statistischen Büro der Stadt Berlin, befürchtete, dass bei Schaffung einer kleinräumlichen, sozialen Durchmischung sich insbesondere Neid bei den niedri-
Esser, Soziologie – Spezielle Grundlagen, S. 283. Zusammenfassende Darstellung der Entwicklung von 1875 bis 1945, in: Conrads, Entwicklungslinien im Städtebau, S. 33. 303 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 33. 304 Vgl. Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, S. 92 f. 301 Vgl.
302 Albers,
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geren Klassen stärker ausprägen könnte.305 Zwar gingen – nach Auffassung Bruchs – durchaus Gefahren von den sozialräumlich segregierten Arbeiterquartieren aus, er hielt aber dennoch das Modell der „entmischten“ Stadtviertel mit homogener Bewohnerstruktur für die notwendige Grundlage eines ständisch orientierten Gemeinwesens.306 Demgegenüber entwickelte Reinhard Baumeister, Stadtplaner, Bauingenieur und Hochschullehrer und einer der Begründer der deutschen Städtebaulehre, in den 1870er Jahren eine neue planerische Grundlage für die Gestaltung des Stadtraums.307 Danach sollte die Stadt nach Industriegebieten, Geschäftsgebieten und Wohngebieten funktional aufgeteilt werden. Baumeister hielt es für verkehrt, wenn die Arbeiterklasse, die in den Arbeiterwohnungen in direkter räumlicher Nähe zu der Arbeitsstätte angesiedelt waren, vollständig von den anderen „Bevölkerungsklassen“ abgeschottet würde. Er ging vielmehr davon aus, dass die „Absonderung zwischen Arbeitervierteln, Wohnungen für Handwerker, eleganten Häusern, Villen etc. nicht dem allseitigen Bedürfnis entspricht.“308 Baumeister ist der Auffassung, dass eine „große Menge von reichen Leuten ebensowenig wie eine große Menge von armen für sich allein existieren“ kann, denn „die Befriedigung der Bedürfnisse bei welchen die eine Klasse auf die andere angewiesen ist, fällt zu unbequem“.309 Ein weiterer Befürworter des Konzepts der sozialräumlichen Durchmischung war James Hobrecht, der im Jahr 1858 vom Berliner Polizeipräsidenten mit der Planung der Stadterweiterung Berlin beauftragt wurde.310 Für den Berliner Stadtbaurat Hobrecht war die Durchmischung der verschiedenen Klassen deshalb ein anzustrebender Zustand, weil er annahm, dass dies zur Entschärfung von Klassenkonflikten und somit zur gesellschaftlichen Stabilisierung führe. So befürwortete Hobrecht den Bau von Mietshäusern und Mietskasernen, weil sich – seiner Meinung nach – dort das Ideal der Durchmischung der Klassen umsetzen ließe.311 In den Mietskasernen sei ein Nebeneinanderwohnen von Familien aus unterschiedlichen Bevölkerungsschichten 305 s. Reinborn,
Städtebau im 19. und 20. Jahrhundert, S. 29. auch, Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, S. 93. 307 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 33 m. w. N. 308 Baumeister, Stadterweiterung in technischer, baupolizeilicher und wirtschaft licher Beziehung, S. 79. 309 Baumeister, Stadterweiterung in technischer, baupolizeilicher und wirtschaft licher Beziehung, S. 79 f. 310 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 34 m. w. N.: Zum Begriff der Mietskaserne: Häußermann / Kapphan, Berlin: von der geteilten zur gespaltenen Stadt?, S. 36. 311 Zur empirischen Untersuchung der sozialen Mischung und Kohäsion eines Straßenzugs in der Yorckstraße in Berlin, vgl. Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 48 ff. 306 s. dazu
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
möglich, was nach Ansicht Hobrechts zu entsprechenden Kontakten führen und das Konfliktpotenzial abbauen werde (sog. Nachbarschaftsidee).312 Hierfür wurde Hobrecht z. T. allerdings stark kritisiert, weil sich gerade die Mietskasernen zum großen Teil in einem beklagenswerten Zustand befanden.313 Einer der Kritiker Hobrechts war der wirtschaftsliberale Julius Fauler, der die Schaffung durchmischter Strukturen als „Unsitte des Zusammenwohnens“ bezeichnete.314 Fauler zufolge würde der Wert einer Immobilie durch sozial homogene Quartiere besser gesichert. Außerdem war er der Auffassung, dass der Wohnungsbau auf die Mittelschicht konzentriert werden sollte, weil von dieser auf lange Sicht ein gewisser „Filterprozess“ ausgehe, von dem auch die statusniedrigeren Schichten profitieren würden.315 Insgesamt ist bemerkenswert, dass die deutschen Hausbesitzer mehrheitlich offenbar eine soziale Durchmischung der Bevölkerung befürworteten.316 In der Deutschen Hausbesitzer-Zeitung von 1907 wurde z. B. ein Beitrag veröffentlicht, in dem sich auch die Hausbesitzer für das Ideal und Ziel der Durchmischung der Bevölkerung aussprachen: „Und damit kommen wir zu einem der größten Vorzüge des privaten Haus- und Grundbesitzes: zu dem zweckmäßigen Zusammenwohnen der verschiedensten Gesellschaftsklassen unter einem Dache. Da lernt einer vom anderen, und einer lernt den anderen schätzen, lernt seine Freuden und Leiden kennen, um am letzteren teil zu nehmen und an ersterem sich zu freuen. So findet ein kultureller Ausgleich statt, was viel, viel mehr wert ist als noch so billige Mieten in abgeschlossenen Arbeitervierteln oder Beamtenhäusern. So wird der Hausbesitzer für viele zum Erzieher, und er selbst rankt sich wieder an denen empor, die gesellschaftlich höher stehen, aber doch in ihm den Darbieter ihrer Wohnangelegenheit achten und schätzen.“317
Im Ergebnis bildeten sich in Europa schwerpunktmäßig zwei verschiedene Modelle des Städtebaus heraus. Es bildete sich – vornehmlich in England – ein aufgelockerter suburbaner Städtebau heraus, der insbesondere durch den Bau von Reihenhäusern geprägt war.318 Die Reihenhausbebauung führte tendenziell zur Entstehung soReulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, S. 92. der sozialen Mischung der Bewohner in Mietshäusern und Mietskasernen und der Förderung sozialer Kohäsion: Vgl. Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 48. 314 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 35 m. w. N. 315 Zur weiteren Kritik gegen die von Hobrecht befürwortete Mietskaserne, s. Häußermann / Kapphan, Berlin: von der geteilten zur gespaltenen Stadt?, S. 36; Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 34 m. w. N. 316 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 35. 317 Zit. in: Teuteberg / Wischermann, Wohnalltag, S. 415. 318 Bodenschatz, Neue bürgerliche städtische Adressen – von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum ersten Weltkrieg, in: Harlander, Stadtwohnen – Geschichte, 312 s. auch 313 Zu
C. Beurteilung von Stadtplanung in Deutschland81
zial homogener Quartiere. Solche Quartiere entwickelten sich insbesondere dann, wenn eine Hinterhausbebauung nicht erlaubt war und somit kein günstiger Wohnraum für die niedrigeren Schichten entstehen konnte. Außerdem wurde das Konzept der kompakten Stadterweiterung verfolgt, das einerseits durch Überlegungen zur Auflockerung der überbelegten Innenstadt und der Entdichtung von Wohnquartieren sowie andererseits durch die Möglichkeiten der weiteren Erschließung neuer Quartiere geprägt war.319 Die ersten Planungsphasen sahen eine Gesamtplanung der Stadtentwicklung dergestalt vor, dass sog. Gartenstädte entstehen sollten, die vollkommen neu geplant und sich möglichst in Stadtnähe befinden sollten, um das stetige Anwachsen der Innenstädte zu verhindern. Die Reinform der Gartenstadtidee konnte nicht realisiert werden, aber in gewissem Umfang wurde sie zur Planungsgrundlage für die Siedlung Hellerau bei Dresden320 im Jahr 1909.321 Sowohl die Umsetzung der Gartenstadtidee, als auch die, infolge der Genossenschaftsbewegung gegründeten Genossenschaften, die Wohnraum speziell für einzelne Berufsgruppen vorsahen, führten im Ergebnis verstärkt zur Bildung sozial homogener Quartiere.322 Als Bestandteil der kompakten Stadterweiterung wurde das Etagenhaus als Gebäudetyp in vielen europäischen Städten populär.323 Das Etagenhaus ermöglichte eine soziale Durchmischung innerhalb eines Blocks, weil es die notwendigen Voraussetzungen für ein vielfältiges Wohnungsangebot von Klein-, Mittel- und Großwohnungen schaffte, das für die unterschiedlichsten sozialen Schichten geeignet war.324 Dennoch ließ auch diese Bebauung kleinräumliche Segregationsprozesse zu, vor allem durch das Vorhandensein unterschiedlicher Wohnqualitäten: So waren Wohnungen unterschiedlich teuer, wobei sich der Preis insbesondere daran orientierte, auf welcher Straßenseite und in welche Lage innerhalb des Hauses, wie dem jeweiligen Stockwerk und dem Vorder- und Hinterhaus, sich die Wohnung befand.325
Städtebau, Perspektiven, S. 121; Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 35. 319 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 36. 320 Heute ist Hellerau ein Stadtteil Dresdens. 321 Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, S. 87. 322 Dazu ausführlich: Reinborn, Städtebau im 19. und 20. Jahrhundert, S. 74 m. w. N.; Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 30 m. w. N. 323 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 40. 324 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 40. 325 Bodenschatz, Neue bürgerliche städtische Adressen – von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum ersten Weltkrieg, in: Harlander, Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau, Perspektiven, S. 108.
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
Als Ausgangspunkt für das planerische Lenken des Städtebaus ist in Norddeutschland der Erlass des Preußischen Fluchtliniengesetzes im Jahr 1875326 zu sehen, das erst 1960 vom BBauG abgelöst wurde. Das Gesetz stärkte die Planungsautorität der Gemeinde, indem es in § 1 den Gemeindevorstand dazu ermächtigte, Straßen- und Baufluchtlinien festzusetzen. Das Gesetz gab der Gemeinde außerdem planerische Instrumentarien an die Hand, die einen geordneten Städtebau, d. h. eine Gliederung der Baugebiete nach Art und Maß der baulichen Nutzbarkeit der Grundstücke ermöglichen sollten.327 Zum wichtigsten planerischen Instrument wurden die Zonenbauverordnungen, durch die eine Festlegung der einzelnen Nutzungszonen mit entsprechenden Angaben zur Baudichte und Bauweise mit dem Ziel vorgenommen wurde, die Stadterweiterung funktionell zu differenzieren und belastende Immissionen, wie Lärm und Schmutz, zu minimieren.328 So wurde etwa die Außenstadt Frankfurt am Main durch die Zonenbauverordnung von 1891 in drei Zonen eingeteilt: Die erste Zone beinhaltete Wohnquartiere für das Bürgertum, in der zweiten Zone befanden sich industrielle Fabriken und die dritte Zone war schließlich das „gemischte Viertel“, in dem Gewerbebetriebe angesiedelt sein konnten und gleichzeitig „gesundes Wohnen“ für die Arbeiterschaft möglich sein sollte.329 Mit dem Erlass von Zonenbauverordnungen, die ab dem Jahr 1900 auch Staffelbauordnungen genannt wurden, wurde eine Stadtplanung verfolgt, die keine soziale Durchmischung der Bevölkerung zum Ziel hatte, sondern den bereits in Gang gesetzten Prozess der Segregation beförderte.330 Die Städteplaner forderten differenzierte Stadterweiterungspläne, die i. R. eines vorgegebenen Gesamtzusammenhangs die Nutzungsverteilung steuern sollten.331 Auf diese Weise sollten sich die Bürger je nach ihrem Stand und ihrer gesellschaftlichen Klasse in den für sie entsprechend vorgesehenen Quartieren ansiedeln. Die Bürger sollten in Stadtteilen leben, denen je ein künstlerisch durchdachter Bebauungsplan zugrunde lag. Durch diesen städteplanerischen Ansatz verfestigte sich der Gegensatz zwischen den „Prachtvierteln“ des Bürgertums in den Stadterweiterungsgebieten und dem „Wohnungselend“ der 326 Abrufbar unter: https: / / www.berlin.de / imperia / md / content / dienstleistungsda tenbank / verm / preussisches_fluchtliniengesetz_1875_gs.pdf?start&ts=1329464810& file=preussisches_fluchtliniengesetz_1875_gs.pdf. 327 Reinborn, Städtebau im 19. und 20. Jahrhundert, S. 31. 328 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 42. 329 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 42. 330 Köhler, Städtebau und Stadtpolitik im Wilhelminischen Frankfurt, S. 78; Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 42. 331 Bodenschatz, Neue bürgerliche städtische Adressen – von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum ersten Weltkrieg, in: Harlander, Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau, Perspektiven, S. 128.
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Altstadtquartiere. Die Zonenbauverordnungen manifestierten bestehende sozialräumliche Ungleichheiten, insbesondere im Hinblick auf das Bodenwertgefälle und trieben damit sozialräumliche Segregationsprozesse sogar noch voran.332 Durch die Zonenbauverordnungen wurden erstmals lärm- und immissionsarme, monofunktionale Wohngebiete für das Bürgertum geschaffen.333 Die Wohngebiete der weniger begüterten Bevölkerungsgruppen waren dagegen weniger lärm- und immissionsarm und durch das Vorhandensein von Gewerbebetrieben gekennzeichnet. Die Zonenbauverordnungen sind damit ein planerisches Instrument, durch das sich die städtischen Segregationsstrukturen verfestigt haben.
III. Stadtplanung in der Weimarer Zeit Nach dem Ende des ersten Weltkrieges wurde die Konzeption des urbanen bürgerlichen Wohnungsbaus durch die Einteilung in verschiedene Zonen nicht mehr weiter verfolgt.334 Eine solche Einteilung der Stadt wurde als eine der Ursachen für die sozialen Gegensätze zu Beginn der Weimarer Zeit ausgemacht. Historiker sind sich überwiegend darin einig, dass die Weimarer Gesellschaft in städtebaulicher Hinsicht eine gespaltene Klassengesellschaft war.335 Die soziale Segregation der Stadt des 19. Jahrhunderts („Klassenstadt“) wurde von vielen als Missstand empfunden.336 Die soziale Spaltung der Gesellschaft wurde insbesondere im Städtebau augenfällig. Als Ergebnis des nahezu ausschließlich über den Markt gesteuerten Wohnungsund Städtebaus gab es einerseits die bürgerlichen Villenkolonien und andererseits die proletarischen Stadtviertel; hinzu kam die Nachkriegswohnungsnot.337 1. Wohnungsrechtliche Reformen Es bildeten sich infolgedessen in den 1920er Jahren neue stadtplanerische Ansätze, die durch moderne Impulse gekennzeichnet waren. Stadtplanerische Maßnahmen sollten nunmehr soziale Zielrichtungen verfolgen, bei denen die 332 von
Saldern, Häuserleben, S. 63 m. w. N. Saldern, Häuserleben, S. 63 f. 334 Bodenschatz, Neue bürgerliche städtische Adressen – von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum ersten Weltkrieg, in: Harlander, Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau, Perspektiven, S. 128. 335 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 54 m. w. N. 336 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 43. 337 Häußermann / Kapphan, Berlin: von der geteilten zur gespaltenen Stadt?, S. 40 ff. 333 von
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
sozialen Bedürfnisse der Menschen im Vordergrund stehen.338 Die Planung von Freiräumen, wie die Einrichtung von Naherholungsflächen und Volksparks sollte den unterschiedlichen Bedürfnissen der Nutzergruppen Rechnung tragen und dabei insbesondere auch die Bedürfnisse der Arbeiterschaft berücksichtigen.339 Die Weimarer Republik hatte sich die Aufgabe gesetzt, als ein sich entwickelnder, demokratischer Sozialstaat die gravierende Spaltung der „Klassengesellschaft“ als „Relikt“ aus der Kaiserzeit zu überwinden.340 Dabei und bei der Verbesserung der teilweise katastrophalen hygienischen Zustände vor allem in den Mietskasernenquartieren kam der Sozialstaatspolitik und dem Wohnungs- und Städtebau eine Schlüsselrolle zu.341 Mit Art. 155 der Weimarer Reichsverfassung wurde erstmals das Ziel formuliert, dass „jedem Deutschen eine gesunde Wohnung“ und besonders den kinderreichen Familien „eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte“ zu sichern sei. Die sog. „Wohnungsfrage“ beschränkte sich nunmehr nicht ausschließlich auf die „Arbeiterwohnungsfrage“, sondern wurde als eine öffentliche Aufgabe zur Verbesserung der Wohnsituation einer breiten Mehrheit der Deutschen anerkannt. Der damalige Präsident des Deutschen und Preußischen Städtetages Oskar Mulert formulierte dies folgendermaßen: „Es war selbstverständlich, daß eine solche Aufgabe nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen werden konnte. Das Mißverhältnis von Angebot und Nachfrage hätte zu einer schweren Benachteiligung aller wirtschaftlich schwächeren Schichten der Bevölkerung führen müssen. Eine Pflicht also der öffentlichen Gewalten war es, hier planmäßig helfend und fördernd einzugreifen.“342
Die besonderen Herausforderungen in der sozialstaatlichen Wohnungspolitik bestanden zum einen im Wohnungsmangel, der sich durch den Zustrom von Flüchtlingen aus abgetretenen Gebieten noch verschärfte, und zum anderen in dem Ziel die Verwaltung des Bestandes an Wohnungen auf soziale und interessenausgleichende Weise vorzunehmen. Es sollte daher eine groß angelegte öffentliche Wohnungsbauförderung stattfinden mit dem Ziel, gesunde und mietpreisgünstige Kleinwohnungen für breite Bevölkerungsschichten zu schaffen.343 338 Hannemann,
Die Platte – Industrialisierter Wohnungsbau in der DDR, S. 37. Stadtplanung, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 345. 340 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 54; von Saldern, Häuser leben, S. 134. 341 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 54. 342 Gut, Der Wohnungsbau in Deutschland nach dem Weltkriege: seine Entwicklung unter der unmittelbaren und mittelbaren Förderung durch die deutschen Gemeindeverwaltungen, S. 9. 343 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 55 m. w. N. 339 Harth,
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Zur Bekämpfung der Wohnungsnot bzw. des Wohnungsmangels und zur sozialen Lenkung der Verwaltung des Wohnungsbestandes wurden durch Erlass des Wohnungsmangelgesetzes von 1920 Bewirtschaftungsvorschriften eingeführt.344 Durch das Reichsmietengesetz von 1922345 wurde versucht, einen Kompromiss zwischen staatlich gelenkter und freier Wohnungswirtschaft zu erzielen. Die Ausgestaltung des Reichsmietengesetzes sah vor, dass die Mieten zwar grundsätzlich frei vereinbart werden konnten, durch ein seitigen Antrag des Mieters aber auf die gesetzlich zulässige, d. h. die sog. Friedensmiete vom 1. Juli 1914, im Hinblick auf die Inflationsrate aber indiziert, gemindert werden konnte.346 Durch das Mieterschutzgesetz von 1923347 wurden „wohnungszwangswirtschaftliche“ Instrumente eingeführt.348 Unter dem Begriff „Wohnungszwangswirtschaft“ werden die öffentliche Vorschriften aus den Jahren 1917 / 1918 verstanden, die der Verwaltung die Befugnis einräumten, das Verfügungsrecht eines Hausbesitzers (Eigentümers) über den von ihm vermieteten Wohnraum stark einzuschränken, teilweise sogar zu beseitigen.349 In diesem Zusammenhang fand eine intensive Wohnraumbewirtschaftung („Wohnungszwangswirtschaft“) statt, die in den ersten Nachkriegsjahren bei der Bekämpfung des Wohnraummangels in großen Städten eine bedeutende Rolle spielte. Im Rahmen der Wohnungszwangswirtschaft hatte der Staat z. B. die Befugnis, Einfluss auf die Auflösung von Mietverträgen zu nehmen, regulierend in die Mietpreisbindung einzugreifen und die Vergabe freiwerdender Wohnungen zu reglementieren. Möglich war die Zwangs einquartierung von Wohnungssuchenden. Dies wirkte sich auf den Wohnungsmarkt entlastend aus, führte allerdings auch zu schweren Konflikten zwischen Eigentümern und Mietern bzw. Einquartierten, wodurch eine nachhaltig ablehnende Haltung der deutschen Bevölkerung gegenüber jeglichen Formen der „erzwungenen Durchmischung“ hervorgerufen wurde.350 Besonders unpopulär waren die sog. „Zwangs- Einquartierungen“, die in verschiedenen Städten als Instrument zur Bekämpfung von „Wohnungs
Laufs, Rechtsentwicklungen in Deutschland, S. 374. vom 24. März 1922, RGBl. 1922, Teil I, S. 274. 346 Melzer / Steinbeck, Wohnungsbau und Wohnungsversorgung in beiden deutschen Staaten – ein Vergleich, S. 148. 347 Gesetz über Mieterschutz und Mieteinigungsämter vom 1. Juni 1923, RGBl. 1923, Teil I, S. 353–364. 348 Für weitere Hinweise: Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 55 m. w. N. 349 Führer, Mieter, Hausbesitzer, Staat und Wohnungsmarkt, S. 15. 350 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 55; Führer Mieter, Hausbesitzer, Staat und Wohnungsmarkt, S. 314. 344 s. dazu:
345 Reichsmietengesetz
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
luxus“351 eingesetzt wurden. Bürger hatten die Möglichkeit, eine entsprechende Anzeige von beobachtetem Wohnungsluxus bei der Behörde aufzugeben.352 Die Behörde konnte daraufhin verlangen, Einblicke in die private Sphäre eines Wohnungsinhabers zu nehmen. Auf dieser Grundlage konnte sie entscheiden, ob insbesondere „statusniedrigere“ Familien in Teile dieser Wohnungen einquartiert werden sollten. Dieses System führte zu einer erheblichen Störung des öffentlichen Friedens. Im Bereich des Neubaus verlagerte sich der Schwerpunkt vom privaten Wohnungsbau hin zur öffentlichen Wohnungsfürsorge, in deren Folge der soziale Wohnungsbau entstand. Zunächst wurden insbesondere Baukostenzuschüsse als Lenkungs- und Finanzierungsinstrument für den sozialen Wohnungsbau eingesetzt. Eine tragfähige Finanzierung des Wohnungsbaus wurde allerdings erst durch das Gesetz über den Geldentwertungsausgleich bei bebauten Grundstücken353 gefunden, das umgangssprachlich als Hauszinssteuergesetz bezeichnet wurde.354 Es handelte sich dabei um eine Ertragssteuer, die auf das vor 1918 erworbene Wohneigentum anfiel. Die dadurch erzielten hohen Einnahmen wurden zu einem wesentlichen Teil zur Finanzierung und Förderung von öffentlichem Wohnungsbau eingesetzt. Infolgedessen wurde ein Großteil des Wohnungsbaus in der Weimarer Zeit mit öffentlichen Mitteln gefördert. Das Instrument der Hauszinssteuer war nicht nur für die Lösung des Wohnungsmangels bedeutsam, sondern diente auch der Überwachung der Einhaltung von baulichen und wohnkulturellen Mindeststandards.355 Obwohl umfangreiche Wohnungsbaureformen vorgenommen wurden, bestand weiterhin ein wesentliches Problem darin, dass die Mieten nach wie vor hoch waren, sodass Arbeiter und „statusniedrige“ städtische Bevölkerungsgruppen kaum von den Reformen profitierten.356 Die Wohnungen waren vielmehr die besser gestellten Facharbeiter, Beamte und Angestellte aus dem Mittelstand zugänglich.357 Dabei wurden die öffentlich geförderten Wohnungen ausschließlich an „Reichsdeutsche“ vermietet; so wurde in den Kriterien für die Vergabe der durch die Hauszinssteuer geförderten öffentlichen Woh351 Als Wohnungsluxus wurden große und herrschaftliche Wohnungen angesehen, in denen, im Verhältnis zur Größe der Wohnung, nur wenige Personen wohnten, s. dazu: Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 56. 352 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 56. 353 Gesetz über den Geldentwertungsausgleich bei bebauten Grundstücken vom 1. Juni 1926, Reichsgesetzblatt 1926, S. 251 ff. 354 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 57. 355 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 57 m. w. N. 356 von Saldern, Häuserleben, S. 130. 357 von Saldern, Häuserleben, S. 130.
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nungen festgelegt, dass diese nur „an in Berlin wohnungsberechtige reichsdeutsche Familien abgegeben werden“ sollen.358 2. Stadtplanerische Reformen: Einrichtung von Frei- und Naherholungsflächen nach den Vorgaben der Charta von Athen Mit der Erkenntnis, dass die Einrichtung von Frei- und Naherholungsflächen für eine Städteplanung, die den Bedürfnissen und der Gesundheit der Bevölkerung Rechnung tragen will, unerlässlich ist, wurden nunmehr Konzepte zur funktionalen Raumaufteilung und zur städtebaulichen Auflockerung entwickelt. Diese orientierten sich maßgeblich an den Grundsätzen zur funktionalen Raumaufteilung der vom „Congrès Internationaux d’Architecture Moderne“359 („Internationalen Kongress für neues Bauen“) im Jahre 1933 ausgearbeiteten Charta von Athen.360 Im Vorfeld der Kodifizierung der Planungsprinzipien in der Charta von Athen, die unter Federführung von Le Corbusier entwickelt wurde361, diskutierten Stadtplaner und Architekten die Frage, welche Aufgaben der modernen Siedlungsentwicklung zukommen. Das Leitbild einer aufgelockerten, funktional gegliederten Stadt nach der Charta von Athen liegt, nach Auffassung einiger Stadtplaner, implizit auch der BauNVO zugrunde.362 Die städtebauliche Bestandsaufnahme durch die Charta von Athen enthielt den Befund, dass breite Bevölkerungsschichten, aufgrund von „Überbevölkerung“ und fehlender Grün- und Freiflächen in Innenstädten, unter unmenschlichen Bedingungen lebten.363 Außerdem seien die Wohnungen ungerecht verteilt und schlecht mit Freiflächen ausgestattet.364 Die Art, der Umfang und die Lage von Industriebetrieben, Büros und Wohnungen würden ausschließlich durch wirtschaftliche Gesichtspunkte gesteuert. Der Umstand, dass sich ökonomische Interessen gegenüber administrativer Kontrolle und sozialer Solidarität durchsetzten, führe dazu, dass sich städtische Strukturen zum Nachteil der Bewohner entwickelten. So finden sich Wohnungen mit hoher Dichte in ungünstigen Stadtvierteln aber mit geringer Dichte in begünstigten Quartieren. 358 Harlander / Kuhn,
Soziale Mischung in der Stadt, S. 58 m. w. N. CIAM. 360 s. dazu: Reinborn, Städtebau im 19. und 20. Jahrhundert, S. 137. 361 s. dazu: Hilpert, Die funktionelle Stadt, S. 116. 362 Bunzel / Frölich / Strauss Grundlagenforschung zur Baugebietstypologie der Baunutzungsverordnung, S. 32. 363 Hilpert, Le Corbusiers Charta von Athen Texte und Dokumente, S. 124 f. 364 Hilpert, Le Corbusiers Charta von Athen Texte und Dokumente, S. 126. 359 Abkürzung:
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Auf Grundlage dieser Analyse der bestehenden städtebaulichen Missstände stellt die Charta von Athen folgende Forderungen auf365: – die Stadt muss das Handeln im Sinne der Allgemeinheit (kollektives Handeln) begünstigen und gleichzeitig individuelle Freiheit gewähren; – die Stadt darf nur als funktionelle Einheit mit den städtebaulichen Hauptfunktionen Wohnen, Arbeiten, Erholen und Bewegen definiert werden; – die architektonischen Werke müssen Einzeln oder als Stadtganzes erhalten bleiben; – die Wohnung muss das Zentrum aller städtebaulicher Bestrebungen sein; – der Arbeitsplatz muss von der Wohnung minimal entfernt sein; – Freiflächen müssen den Wohngebieten zugeordnet sein und als Freizeitanlagen der Gesamtstadt angegliedert sein; – der Verkehr hat als Verbindung der städtischen Schlüsselfunktionen nur eine dienende Aufgabe; – das Gemeinschaftsinteresse muss Vorrang vor dem Privatinteresse bekommen, wobei besonders das schmutzige Spiel der Bodenspekulationen zu verhindern ist. Die ideale Stadt sollte folgende funktionelle Zonierungen aufweisen: – Innenstadt: Verwaltung, Handel, Banken, Einkaufen, Kultur – Gürtel rund um die Innenstadt: Voneinander getrennte Bereiche: Industrie, Gewerbe, Wohnen – Peripherie: In Grüngürtel eingebettete Satellitenstädte mit reiner Wohnfunktion. Der „Schlüssel des Städtebaus“ liegt dabei in vier o. g. Aufgaben: Wohnen, Arbeiten, Sich erholen und Sich fortbewegen.366 Die Charta von Athen galt lange als ein städtebaulich anzustrebendes Ideal und erst seit den 1970er Jahren wurde vermehrt Kritik an dem kleinteiligen und nach Funktionen aufgeteilten Gefüge der städtebaulichen Doktrin geäußert. Das Leitbild der funktional gegliederten Stadt hat zu einer räumlichen Differenzierung und Aufteilung des Stadtgebiets nach einzelnen Funktionen und Nutzungszonen geführt. In Folge dieser Funktionstrennung kam es nicht nur zu einem starken Anstieg des Straßenverkehrs und aller damit einherge365 s. dazu,
366 Hilpert,
Reinborn, Städtebau im 19. und 20. Jahrhundert, S. 139. Le Corbusiers Charta von Athen Texte und Dokumente, S. 157.
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henden Probleme, sondern auch zu einer Differenzierung der Wohnraumzonen. Die Wertigkeit der einzelnen Zonen, die zum Wohnen bestimmt sind, richtet sich nach der Lage zu den übrigen Gebieten (kurze Wege) oder der vorhandenen Infrastruktur. Insofern führt die räumliche Differenzierung des Stadtgebiets nach Funktionen und Nutzungen auch zu einer Hierarchisierung der Zonen zum Wohnen. Die Differenzierung zwischen der Wohnqualität einzelner Wohngebiete wurde auch in die Gebietstypologie der BauNVO aufgenommen: Es wird auch derzeit nach „reinen“ und allgemeinen „Wohngebieten“ unterschieden. Das Leitbild der funktional getrennten Stadt im Sinne der Charta von Athen hat nicht nur zur Trennung der einzelnen Stadtquartiere nach Funktionen und Nutzungen geführt, sondern auch zur Entstehung unterschiedlicher Wohnqualitäten in den Wohnbereichen beigetragen. Die Differenzierung der Wohnqualität ergibt sich z. B. aufgrund der Lage, insbesondere im Hinblick auf angrenzende Gebiete und der Belastung mit Lärm und anderen Immis sionen.
IV. Stadtplanung und sozialer Wohnungsbau nach dem Zweiten Weltkrieg Bei der oben beschriebenen drastischen Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg spielten Maßnahmen zur Vermeidung sozialer oder ethnischer Segregation und die Schaffung von Quartieren mit sozial durchmischten Bewohnerstrukturen kaum eine Rolle.367 Die Behörden mussten von dem polizeirechtlichen Instrument der Zwangseinquartierung in erheblichem Umfang Gebrauch machen.368 1. Stadtplanung in der Bundesrepublik Deutschland Die Stadtplanung der Bundesrepublik war in der „unmittelbaren“ Nachkriegszeit primär auf den Wiederaufbau der ursprünglichen Städte und Stadtkerne ausgerichtet. In den 1960er Jahren wurde der Zusammenhang zwischen Stadtplanung und Stadtsoziologie von Architekten, Städteplanern und Stadtsoziologen diskutiert. Dies markiert in gewisser Weise einen Wechsel von der „Auffangplanung“ zur „Entwicklungsplanung“.369 Der Begriff der „Planung“ wurde nunmehr als Schlagwort in verschiedenen Lebensbereichen 367 Harlander / Kuhn,
Soziale Mischung in der Stadt, S. 78. genaue Zahlen und weitere Hinweise: Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 79. 369 Harth, Stadtplanung, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 351. 368 Für
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(Finanzplanung, Familienplanung, Entwicklungsplanung) verwendet.370 Im Bereich des Städtebaus wurde die Stadtplanung zum Bestandteil einer inte grierten Planungspolitik mit dem Leitbild, die Gesamtentwicklung der Gesellschaft auf Basis politischer Entscheidungen zu steuern. Im Jahr 1945 war noch kein bundeseinheitliches Bau- und Bodenrecht vorhanden. Neben übergeleitetem Landesrecht, wie z. B. dem preußischen Fluchtliniengesetz, gab es lediglich Trümmer- und Aufbaugesetze der Länder.371 Die gesetzgeberischen Bemühungen ein bundeseinheitliches Baugesetz zu Beginn der 1950er Jahre zu entwickeln und vorzulegen, waren wesentlich darauf ausgelegt, Regeln für den Wiederaufbau und den Neubau von Wohnungen und Betriebsstätten zu schaffen.372 In den Hintergrund traten dabei die Sanierung und Erneuerung von noch benutzbaren Gebäuden. Aus diesem Grund enthielt das BBauG von 1960373 noch keine Regelungen zu städtebaulichen Sanierungs- und Erneuerungsmaßnahmen in den Quartieren.374 Die gesetzliche Einführung dieser städtebaulichen Maßnahmen wurde gleichwohl diskutiert, wobei zunächst noch die Frage ungeklärt war, ob der Bund oder die Länder für die Finanzierung städtebaulicher Maßnahmen zur Sanierung von Gebäuden und Verbesserung der Infrastruktur aufkommen sollten. Für den Einsatz von Bundesmitteln im Bereich der städtebaulichen Sanierung gab es zunächst keine entsprechende rechtliche Grundlage. Erst nach der Gemeindefinanzreform im Jahr 1969375 wurde eine gesetzliche Grundlage geschaffen: Art. 104b GG räumt dem Bund die Möglichkeit ein, Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden zu gewähren. Nach § 164b BauGB geschieht dies auf Grundlage einer Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern. Die Verwaltungsvereinbarungen regeln die Förderrichtlinien der Länder, die Förder fähigkeit von Maßnahmen und Vorhaben sowie Förderschwerpunkte und nähere Auswahlkriterien.376
370 Harth,
Stadtplanung, in: Eckardt, Handbuch Stadtsoziologie, S. 351. gute Übersicht hierzu findet sich bei Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, Einleitung Rn. 47 f. 372 Schmidt-Eichstaedt, Städtebaurecht, S. 445. 373 Bundesbaugesetzbuch vom 23. Juni 1960 – BbauG – BGBl. I, 1960 S. 341. 374 Schmidt-Eichstaedt, Städtebaurecht, S. 445. 375 Gesetz zur Neuordnung der Gemeindefinanzen – Gemeindefinanzreformgesetz vom 8. September 1969, Bundesgesetzblatt I, 1969, S. 1587. 376 Vgl. dazu: http: / / www.staedtebaufoerderung.info / StBauF / DE / Grundlagen / RechtlicheGrundlagen / RechtlicheGrundlage_node.html. 371 Eine
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a) Die Wohnungsbaugesetze und staatliche Förderungen Die wohnungspolitischen Rahmenbedingungen zur Deckung des Wohnungsbedarfs wurden wesentlich durch das Erste Wohnungsbaugesetz von 1950377 festgelegt. In § 1 dieses Gesetzes wurde das Ziel formuliert, eine umfangreiche Förderung des sozialen Wohnungsbaus für „breite Schichten des Volkes“ zu erreichen.378 Die Voraussetzungen der Förderung des sozialen Wohnungsbaus wurden in den nachfolgenden Vorschriften bestimmt. Von dem wohnungspolitischen Instrument des sozialen Wohnungsbaus wurde in der Folge umfassend Gebrauch gemacht. Durch das Zweite Wohnungsbaugesetz von 1956379 wurden die Schwerpunkte auf die Förderung von „Familienheimen“ und auf die Schaffung von individuellem Wohneigentum gesetzt. Seit Erlass des § 1 Abs. 2 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes besteht das Ziel der Förderung des Wohnungsbaus darin, die Wohnungsnot zu beseitigen und „zugleich weite Kreise des Volkes durch Bildung von Einzeleigentum, besonders in der Form von Familienheimen, mit dem Grund und Boden zu verbinden“. Zugleich wurden vielfältige Unterstützungsformen, wie z. B. direkte Zuschüsse, zinsverbilligte Kredite, preiswerte Bürgschaften als Mechanismen zur Unterstützung des sozialen Wohnungsbaus eingesetzt.380 So war es etwa für viele Eigentümer von Trümmergrundstücken möglich, auch mit wenig Eigenkapital Wohngebäude zu errichten. Als „Gegenleistung“ der finanziellen Förderung verzichteten die Eigentümer z. B. auf ihr Auswahlrecht im Hinblick auf die Mieter und unterwarfen sich im Wesentlichen einer Kostenmiete gem. § 87a Abs. 1 WoBauG.381 b) Wirtschaftlicher Aufschwung und das Konzept der Nachbarschaften Mit Blick auf Fragen der Integration und sozialen Gliederung des Stadtraums spielte in der Zeit des Wiederaufbaus das Konzept der „Nachbarschaften“ eine große Rolle. Dieses Konzept lehnte sich an die Gartenstadtideen der Jahrhundertwende an und war darauf gerichtet, die Einwohnerdichte in 377 Erstes
Wohnungsbaugesetz vom 24. April 1950, BGBl. I, 1950, S. 83 ff. § 1 des Ersten Wohnungsbaugesetzes. 379 Zweites Wohnungsbaugesetz (Wohnungsbau- und Familienheimgesetz) vom 27. Juni 1956, BGBl. I, 1956, S. 523 ff. 380 Blankenagel / Schröder / Spoerr, Verfassungsmäßigkeit des Instituts und der Ausgestaltung der sog. Mietpreisbremse auf Grundlage des MietNovGE, S. 9. 381 Die Art der Förderung des Wohnungsbaus ergibt sich aus § 3 Abs. 2 WoBauG, s. dazu auch: Blankenagel / Schröder / Spoerr, Verfassungsmäßigkeit des Instituts und der Ausgestaltung der sog. Mietpreisbremse auf Grundlage des MietNovGE, S. 9. 378 Vgl.
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Innenstädten herabzusetzen, ausreichend Grünflächen zu schaffen und eine Stadt- bzw. Bebauungsstruktur zu verwirklichen, die zur sozialen Integration der Bewohner beiträgt. Dies sollte durch eine radikale Abkehr von der historischen gründerzeitlichen Stadt mit ihren dicht überbauten Blockstrukturen, Korridorstraßen und unhygienischen und überfüllten Mietskasernen, Hinterhäusern und Kellerwohnungen erreicht werden. Zugleich sollte eine aufgelockerte und durchgrünte Stadtstruktur geschaffen werden, die in organische und überschaubare Nachbarschaften gegliedert ist.382 Das Leitbild des städtischen Wiederaufbaus war durch den sozialen Kern des Nachbarschaftsgedanken geprägt, der insbesondere im Hinblick auf die Schaffung von Wohnquartieren in kleinen Einheiten zum Ausdruck kam, in denen die bauliche Situation die Entstehung lokaler sozialer Netzwerke und Kontakte unterstützten sollte.383 Dabei hatte das Nachbarschaftskonzept vielfältige Wurzeln: Bereits im angelsächsischen Raum hatte sich die Nachbarschaftsidee zu einem wichtigen Planungsprinzip entwickelt und wurde Bestandteil der Planungen der amerikanischen Modellstadt „Radburn“ und der englischen „New Towns“.384 Von Beginn an diskutierten Stadtplaner die Frage, ob sich das Nachbarschaftskonzept eher bei homogenen oder bei heterogenen Bewohnerstrukturen umsetzen lasse.385 US-Amerikanische und englische Stadtplaner waren darin einig, dass eine heterogene Sozialstruktur das Leitbild für die Planung neuer Siedlungen sein sollte.386 Insbesondere in England war die soziale Durchmischung zu einer Art „amtlichem Leitbild“387 für die Planungen neuer Siedlungen erhoben worden. Denn als Ursache für Fehlentwicklungen wie Vandalismus und Jugendkriminalität wurde die sozial segregierte Quartiersstruktur ausgemacht. Im Laufe der Zeit rückten die Stadtplanung und Stadtsoziologieforschung allmählich von dem Konzept der Nachbarschaften ab; die Fragen zur sozialen Durchmischung von Bewohnerstrukturen blieben weiterhin Gegenstand städtebaulicher Überlegungen. In Deutschland wurde die soziale Durchmischung der Sozialstrukturen in Quartieren zwar nicht ausdrücklich zu einem „Leitbild“ erhoben, es wurde aber implizit Bestandteil einer auf allgemeine Wohlstandssteigerung, Fortschritt und sozialer Nivellierung gerichteten Wohnungs- und Gesellschaftspolitik.388 Es herrschte gewissermaßen ein Konsens, dass das Ziel der Her382 Harlander, Stadtplanung und Stadtentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland: Entwicklungsphasen seit 1945, S. 4. 383 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 84. 384 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 85. 385 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 85. 386 s. dazu, Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 85. 387 Sog. mixed neighbourhoods. 388 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 85 m. w. N.
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stellung von „gleichwertigen Lebensbedingungen“ lediglich dann erreicht werden könne, wenn sozial stabile Bewohnerstrukturen geschaffen und diese gleichmäßig mit der erforderlichen Infrastruktur versehen würden. Die Bildung und Existenz von Quartieren mit einseitigen Bewohnerstrukturen oder gar „Elendsvierteln“ stand dieser Zielsetzung diametral entgegen. c) Zuzugssperren in „überlastete Siedlungsgebiete“ Bereits in den 1970er Jahren formulierte die Bundesregierung das Ziel, „Ghettobildungen entgegenzuwirken“ und die ethnische Durchmischung durch Schaffung von „gemischtnationalen Wohnbereichen“ zu fördern.389 Damit sollte verhindert werden, dass Quartiere entstehen, in denen zu einem überwiegenden Teil Ausländer leben. Dazu wurde für den Zeitraum von 1975 bis 1979 eine Bund-Länder-Vereinbarung getroffen, wonach eine mit zahlreichen Ausnahmeregelungen ausgestaltete Zuzugssperre für Ausländer in „überlastete Siedlungsgebiete“ erlassen werden konnte.390 Als „überlastetes Siedlungsgebiet“ galten diejenigen Gebiete, in denen ein Ausländeranteil von mindestens 12 % vorzufinden war, der damit doppelt so hoch war, wie im Bundesdurchschnitt.391 Bis zum Jahr 1977 hatten 55 der westdeutschen Städte von der Regelung Gebrauch gemacht.392 Primär sollte durch diese Regelung allerdings der weitere Zuzug von Familienangehörigen begrenzt werden. Bereits im Jahr 1974 erließ die Stadt Berlin für drei Bezirke393 mit einem hohen Anteil an türkischen Einwohnern eine Zuzugssperre, die bis ins Jahr 1990 bestehen blieb.394 Rechtliche Grundlage für die Umsetzung der Zuzugssperren stellte eine Auflage395 zur Aufenthaltsgenehmigung dar, durch die Ausländern individuell der Zuzug in „überlastete Siedlungsgebiete“ verboten wurde.396 Insgesamt haben sich die Zuzugssperren allerdings als wenig praktikabel erwiesen.397 Einerseits sahen die Vorschriften zahlreiche Ausnahmetatbestände für einzelne Branchen, Nationalitäten und Regionen vor, weshalb weniger als die Hälfte zuzugswilliger Ausländer von den Regelungen betroffen war. Andererseits konnten die Bestimmungen durch illegalen Zuzug un389 Münch,
Integration durch Wohnungspolitik?, S. 296. Soziale Mischung in der Stadt, S. 87. 391 Münch, Integration durch Wohnungspolitik?, S. 296 f. 392 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 88 m. w. N. 393 Kreuzberg, Tiergarten, Wedding. 394 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 87. 395 § 7 Abs. 3 AuslG. 396 s. dazu 5. Kapitel B. II. 2. 397 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 389. 390 Harlander / Kuhn,
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
terlaufen werden. Außerdem verursachten die Zuzugssperren einen hohen bürokratischen Aufwand. Die Regelung wurde zunächst ausgesetzt, die formale Aufhebung erfolgte im Jahr 1990.398 d) Städtebauförderungsgesetz Die Konzentration auf die Erschließung neuer Siedlungsgebiete hatte zunehmend den Blick auf die notwendige Entwicklung der Gesamtstadt verstellt, weshalb insbesondere die Innenstädte vernachlässigt wurden. Bereits kurz nach der Einführung des BBauG im Jahr 1960 wurde deshalb mit den Vorarbeiten des Städtebauförderungsrechts begonnen. Im Jahr 1971 trat das Städtebauförderungsgesetz (StBauFG)399 in Kraft. Darin waren erstmalig gesetzliche Regelungen zum städtebaulichen Sanierungs- und Entwicklungsrecht enthalten. Dabei bildet das Städtebauförderungsrecht die Grundlage für die Entwicklung städtebaulicher Maßnahmen zur sozialen Stadtentwicklung. Ziel des StBauFG war es, die Attraktivität der Innenstädte zu fördern, indem alte Baugebiete saniert und Randzonen der Verdichtungsgebiete entwickelt werden sollten.400 Das StBauFG war Ausdruck einer durchschlagenden systemischen Erneuerung: Städte und Gemeinden konnten erstmalig ganze Stadtquartiere zu Sanierungsgebieten erklären und Grundstücke, die sich im Geltungsbereich des Sanierungsgebiets befanden, in einem Schritt aufwerten. Es ging im Wesentlichen um Aufwertungen, Modernisierungen und Verbesserungen sowohl im Bereich Stadtgestaltung als auch bei Bausubstanzproblemen oder der Lösung allgemeiner Verkehrsprobleme.401 Neben punktuellen Modernisierungsmaßnahmen fand vielmals auch ein umfassender Abriss von Gebäuden statt, sodass anschließend die Möglichkeit einer Neuordnung des Quartiers bestand. Das Städtebauförderungsgesetz zeichnete sich dadurch aus, dass es ein Sonderrecht für Stadtsanierung und Stadterneuerung schuf, das sich nicht nur auf die Beseitigung baulicher, sondern vor allem auch sozialer Missstände ausgerichtet war.402 Das StBauFG enthielt dabei keine abschließende bodenrechtliche Regelung, weshalb bodenrechtliche Vorgaben anderer Ge398 Gesemann, Migration und Integration in Berlin – Wissenschaftliche Analysen und politische Perspektiven, S. 191. 399 Städtebauförderungsgesetz – StBauFG vom 27. Juli 1971, BGBl. I, 1979, S. 1125. 400 Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, S. 703. 401 Vgl. hierzu: NVwZ 1987, S. 207. 402 Steinebach / Rumberg, Städtebauliche Entwicklungstrends im 21. Jahrhundert, in: Spannowsky / Büchner, Schnittmengen zwischen Planung und Planverwirklichung im Städtebaurecht – Festschrift für Hans-Jörg Birk, S. 50.
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setze weiterhin Anwendung finden konnten, soweit diese nicht ausdrücklich ausgeschlossen wurden. Die Regelungen des BBauG kamen damit – z. T. allerdings erheblich modifiziert – neben den Vorschriften des StBauFG zur Anwendung.403 Das Nebeneinander der Regelungen des StBauFG und des BBauG war unübersichtlich und führte zu Anwendungsproblemen, weshalb es einer inhaltlichen Zusammenfassung und Anpassung bedurfte. Die vollständige Zusammenführung der städtebaulichen Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen mit den baurechtlichen Vorschriften fand erst mit Erlass des Baugesetzbuches (BauGB) 1987 statt.404 Das StBauFG wurde durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes über das Baugesetzbuch aufgehoben.405 Inhaltlich wurden die baurechtlichen Regelungen aber in die Vorschriften des BauGB über städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen (§§ 136 ff. sowie §§ 165 ff. BauGB) in das BauGB übernommen. e) Förderung privater Investitionen Die großflächige Aufwertung der Altstadtquartiere konnte nicht allein durch die Festlegung von Sanierungsgebieten erreicht werden. Vielmehr war die Stadterneuerung maßgeblich auf die Investitionsbereitschaft privater Investoren und Grundstückseigentümer angewiesen. So wurden etwa in förmlich festgelegten Sanierungsgebieten die steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten nach § 7b EStG406 bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen gefördert.407 Zwar sollte eine „behutsame“ Behebung der städtebaulichen Missstände in den Innenstädten stattfinden, in dem z. B. die Vergabe von Fördermitteln mit der „rechtlich fixierten Begrenzung der Mietsteigerungen nach der Modernisierung verknüpft“408 wurde, um sozialen Härten und Verdrängungen von ortsansässigen, einkommensschwachen Mietern entgegenzuwirken. Dennoch wurde insgesamt die Anhebung der Wohneigentumsquote angestrebt.409 403 Krautzberger, Das neue Baugesetzbuch – Das besondere Städtebauchrecht, S. 647 f. 404 Baugesetzbuch i. d. F. der Bekanntmachung vom 8. Dezember 1986, Bundesgesetzblatt I, 1986 S. 2253. 405 Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes über das Baugesetzbuch vom 8. Dezember 1986, BGBl. I, 1986 S. 2191(2232). 406 Heute sind erhöhte Absetzungen bei Gebäuden in Sanierungsgebieten und städtebaulichen Entwicklungsgebieten in § 7h EStG geregelt. 407 Blankenagel / Schröder / Spoerr, Verfassungsmäßigkeit des Instituts und der Ausgestaltung der sog. Mietpreisbremse auf Grundlage des MietNovGE, S. 9. 408 Holl / Jessen, Aufwertung des innerstädtischen Wohnens seit den 1970er Jahren, in: Harlander, Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau, Perspektiven, S. 279. 409 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 326.
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
Im Bereich der Aufwertung durch private Investitionen außerhalb von Sanierungsgebieten kam es z. T. zu einer „Überaufwertung von Stadtteilen“, wodurch die Sicherung der sozialen Balance der Bewohnerstrukturen nur schwer möglich war. Die Städte hatten zunächst noch kaum Steuerungsmöglichkeiten, um die unerwünschten Verdrängungseffekte wirksam zu verhindern. Auf diese Weise bestand durch die sanierungsbedingte Aufwertung die Gefahr, zur Gentrifizierung der Innenstadtquartiere beizutragen. Zum Schutz der Zusammensetzung der ortsansässigen Wohnbevölkerung konnten die Städte Erhaltungssatzungen nach § 172 BauGB erlassen.410 2. Stadtplanung in der DDR In der ersten Phase des Städtebaus der DDR, die unmittelbar nach der Gründung der DDR begann, wurde zunächst das Aufbaugesetz411 im Jahre 1950 erlassen, wodurch ein staatliches Verfügungsrecht über Grund und Boden eingeführt wurde. Mit dem Ziel, Bodenspekulationen und ausufernde Mietentwicklungen, sowie der „sozialen Zonierung in der Stadt“ ein Ende zu setzen, wurden mit dem Gesetz umfangreiche Enteignungsinstrumente eingeführt,412 um die entsprechende Umstrukturierung der Stadt zu ermöglichen.413 Die anfänglichen Konzepte zum Wiederaufbau des zerstörten Berlins, die angelehnt an die Konzepte des Neuen Bauens eine aufgelockerte Stadt vorsahen, wurden von den sowjetischen Experten abgelehnt. Die Grundlage für den Städtebau in der DDR sollten gem. § 7 des Aufbaugesetztes vielmehr die im Jahr 1950 beschlossenen „Sechzehn Grundsätze des Städtebaus“ bilden, die mit der Unterstützung von sowjetischen Architekten erarbeitet wurden.414 Im Jahr 1950 wurde eine Delegation des Ministeriums für Aufbau nach Moskau gesandt, um dort von der sowjetischen Architektur zu lernen, die durch glorifizierende Monumentalbauten Moskaus und großzügig angelegten Straßen und Plätzen, auf denen Aufmärsche stattfinden konnten, geprägt war.415 Diese Leitbilder sollten nun auch in der ersten „so410 Zu den Voraussetzungen und Regelungswirkungen der Erhaltungssatzung nach § 172 BauGB, s. 4. Kapitel B. V. 411 Gesetz über den Aufbau der Städte der Deutschen Demokratischen Republik und der Hauptstadt Deutschlands, Berlin, vom 14. September 1950 – Aufbaugesetz – Gesetzblatt der DDR, 1950, Nr. 104, S. 365–367. 412 S. § 14 Aufbaugesetz. 413 Häußermann, Von der Stadt im Sozialismus zur Stadt im Kapitalismus, in: Häußermann / Neef, Stadtentwicklung in Ostdeutschland, S. 11 m. w. N. 414 Von der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik am 27. Juli 1950 beschlossen. 415 Bräuer, Zur Einführung des Städtebaurechts in der DDR, in: Battis / Söfker / Stüer, Nachhaltige Stadt- und Raumentwicklung – Festschrift für Michael
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zialistischen Stadt“ Stalinstadt, heute Eisenhüttenstadt und der Berliner Allee, heute Karl-Marx-Allee, umgesetzt werden. Die beschlossenen „Sechzehn Grundsätze des Städtebaus“ wurden als Gegenentwurf zu den städtebaulichen Grundsätzen der Charta von Athen aus dem Jahr 1933 verstanden.416 Im Zusammenhang mit der Rolle der Industrie im Städtebau beinhaltete die von der DDR Regierung verabschiedete Richtlinie folgenden Passus: „Städte werden in bedeutendem Umfang von der Industrie für die Industrie gebaut.“417 Im Gegensatz zur Stadtplanung in der BRD wurde die dicht überbaute Stadt als die „wertvollste und kulturreichste Siedlungsform“ angesehen.418 Die zweite Phase des Städtebaus der DDR wurde nach dem gescheiterten Aufstand vom 17. Juni und dem Tod Stalins im Jahr 1953 von Chruschtschow eingeleitet. Diese Phase war geprägt durch die Industrialisierung und Standardisierung des Bauens. Auch die DDR folgte diesem Wandel im Jahr 1955 und leitete die Zeit der „sozialistischen Wohnkomplexe“ ein, dessen Grundlage die funktionalistisch-technologische Konzeption darstellte.419 Die weitere Entwicklung der Wohnungspolitik in der DDR war geprägt von dem Ziel der Vermeidung „klassenbedingter Segregation“ einerseits und der „Angleichung der Wohnverhältnisse aller Klassen und Schichten der Bevölkerung“ andererseits.420 Die Stadtplanung der DDR, der insbesondere auch ideologisch bedingt eine entscheidende gesellschaftspolitische Bedeutung zukam, stand den stadtplanerischen Leitbildern der Bundesrepublik diametral gegenüber.421 In Art. 37 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik422 war das „Recht auf Wohnraum“ verfassungsrechtlich garantiert. Der Staat hatte im Rahmen seiner Fürsorgepflicht den erforderlichen Wohnraum bereitzustellen. Das Gebiet der DDR war von den katastrophalen Kriegszerstörungen in einem ähnlich starken Umfang betroffen, wie die Westzone. Es war deshalb erforderlich, eine Wohnungsbaupolitik zu betreiben, die primär auf die Bekämpfung der Wohnungsnot ausgerichtet war. Im Gegensatz zur BundesreKrautzberger, S. 252; Hannemann, Die Platte – Industrialisierter Wohnungsbau in der DDR, S. 57. 416 Häußermann, Von der Stadt im Sozialismus zur Stadt im Kapitalismus, in: Häußermann / Neef, Stadtentwicklung in Ostdeutschland, S. 12. 417 Hannemann, Die Platte – Industrialisierter Wohnungsbau in der DDR, S. 58 m. w. N. 418 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 93. 419 Hannemann, Die Platte – Industrialisierter Wohnungsbau in der DDR, S. 58 ff. 420 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 92; vgl. auch: Hannemann, Die Platte – Industrialisierter Wohnungsbau in der DDR, S. 112. 421 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 92. 422 Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6.4.1968 in der Fassung vom 7.10.1974, GBl. 1974 I, Nr. 47, S. 432.
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publik konnte der Wohnungsbau in der DDR allerdings nicht in der gleichen Geschwindigkeit und im gleichen Umfang vorangetrieben werden, was insbesondere auch an der wirtschaftlich schlechteren Situation lag. Die dritte Phase des Städtebaus begann im Jahr 1971 als Erich Honecker an die Macht kam und einen Politikwechsel eingeläutet hatte, der auf die „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ ausgerichtet war.423 Bei der nunmehr ins Zentrum gerückten Sozialpolitik stand „die Lösung der Wohnungsfrage als soziales Problem bis 1990“ im Mittelpunkt.424 In der Folge wurde der gesamte Wohnungsbau der DDR auf Plattenbauweise ausgerichtet.425 Gleichzeitig blieb das übergeordnete Ziel der Förderung und des Fortschritts des Sozialismus bestehen, dem die Stadtplanung und der Wohnungsbau untergeordnet waren. Somit waren die Grundrisse der Neubauwohnungen in Plattenbauweise auf das „Leitbild der sozialistischen Kleinfamilie“ mit vollerwerbstätiger Mutter zugeschnitten, die kaum Spielraum für alternative Lebensentwürfe ließen.426 Durch den massenhaften Wohnungsneubau in industrieller Bauweise und dem Bau dieser Wohnungen in randstädtischen Großsiedlungen im Rahmen des sog. „Komplexen Wohnungsbaus“ wurde von dem Konzept des städtischen Wohnens und Lebens allmählich vollständig abgerückt.427 3. Wiedervereinigung Der bauliche Zustand der Städte in der DDR war teilweise katastrophal, weshalb „die städtebauliche Erneuerung von Städten und Dörfern vorrangige Aufgabe der nächsten Jahre“ wurde.428 Dazu kamen vor allem die städtebaulichen Instrumente des Städtebauförderungsgesetzes zur Anwendung. Daneben wurden private Investitionen massiv gefördert und umfangreiche Privati-
423 Häußermann, Von der Stadt im Sozialismus zur Stadt im Kapitalismus, in: Häußermann / Neef, Stadtentwicklung in Ostdeutschland, S. 14. 424 Hannemann, Die Platte – Industrialisierter Wohnungsbau in der DDR, S. 96. 425 Häußermann, Von der Stadt im Sozialismus zur Stadt im Kapitalismus, in: Häußermann / Neef, Stadtentwicklung in Ostdeutschland, S. 14; Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 94 m. w. N.; Hannemann, Die Platte – Industrialisierter Wohnungsbau in der DDR, S. 111. 426 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 96; Hannemann, Die Platte – Industrialisierter Wohnungsbau in der DDR, S. 105. 427 Hannemann, Die Platte – Industrialisierter Wohnungsbau in der DDR, S. 124. 428 Harth / Herlyn, … und dann geht’s doch ’n bißchen auseinander – vom Wandel städtischer Wohnmilieus in den neuen Bundesländern, in: Häußermann / Neef, Stadtentwicklung in Ostdeutschland, 1996, S. 141.
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sierungen vorgenommen.429 Im Mittelpunkt der Sanierungsbemühungen, die zum Großteil durch steuerliche Förderungen430 finanziert wurde, standen die Innenstädte. In Westdeutschland gewann die Frage an Bedeutung, wie die hohe Zahl an Zuwanderern in Übereinstimmung mit einer ausgewogenen Stadtentwicklungsplanung sozial integriert werden könnten. Die Möglichkeiten zur Einführung von Instrumenten zur sozialen Integration von Zuwanderern wurden städtebaulich und polizeirechtlich diskutiert. Im Jahr 1999 wurde schließlich das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“431 ins Leben gerufen, das der Stabilisierung benachteiligter Quartiere dienen sollte und nach wie vor zu einem der wichtigsten Instrumente des Städtebaus zählt.432 a) Steuerung von Segregation durch Quotierungen In den 1990er Jahren wurde versucht, eine soziale Durchmischung von Bewohnerstrukturen durch sog. Quotierungen zu erreichen. Das bekannteste Beispiel für die Regelung solcher Quotierungen ist der „Frankfurter Vertrag“ aus dem Jahr 1994.433 Der Vertrag sah eine Kooperation zwischen der Kommune und Frankfurter Wohnungsunternehmen mit dem Ziel vor, auch nicht (mehr) öffentlich geförderte Wohnungen für eine „sozial verträgliche Belegungspolitik“ zu nutzen.434 Das Wohnungsamt musste neben den Stufen sozialer Dringlichkeit435 für Wohnungssuchende auch andere Merkmale berücksichtigen, die eine bessere soziale Durchmischung der gebundenen Wohnungsbestände gewährleisten sollte: die Wohnungssuchenden sollten dergestalt ausgesucht werden, dass eine Mischung der Bewohnerstruktur erreicht wird, die sich aus höchstens 30 % Ausländer, 10 % Aussiedler und 15 % Sozialhilfeempfänger (Bezieher von Sozialhilfeleistungen) sowie 25 % aus den umgebenden Stadtquartieren und einem Restprozentsatz freier Be-
429 Gute Übersicht dazu bei: Häußermann, Von der Stadt im Sozialismus zur Stadt im Kapitalismus, in: Häußermann / Neef, Stadtentwicklung in Ostdeutschland, S. 20. 430 Gesetz über Sonderabschreibungen und Abzugsbeträge im Fördergebiet – Fördergebietsgesetz vom 24. Juni 1991, neugefasst durch Bek. vom 23. September 1993, BGBl. I 1193, S. 1654. 431 s. dazu ausführlich 4. Kapitel B. IV. 432 s. zu den Maßnahmen der Sozialen Stadt, 4. Kapitel B. IV. 433 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 390. 434 Bartelheimer / von Freyberg, Neue Bündnisse in der Krise der sozialen Stadt – Das Beispiel der Sozialpolitischen Offensive Frankfurt, in: Hanesch, Überlebt die Soziale Stadt?, S. 201. 435 Diese ergaben sich aus den städtischen Register- und Vergaberichtlinien.
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werber zusammensetzt.436 Ziel dieser Quotenregelung war es, ausländischen Haushalten die Integration in den Wohnungsmarkt zu ermöglichen und zugleich einen Beitrag zur Schaffung und Erhaltung ausgewogener Siedlungsstrukturen i. S. von § 6 S. 2 Nr. 3 WoFG437 zu leisten. Eine konsequente Umsetzung solcher Quotierungsregelungen erwies sich in der Praxis allerdings als schwierig: Die vorgegebenen Quoten wurden, etwa bei der Ausländerquote von 30 %, z. T. deutlich überschritten und konnten daher nur als grober Anhaltspunkt angesehen werden.438 Insofern steht die Festlegung starrer Quoten der tatsächlichen Zusammensetzung auf Seiten der Wohnungssuchenden (Nachfrager) in vielen Fällen entgegen. b) Konzeptionelle Grundlage zur nachhaltigen europäischen Stadt: Die Leipzig Charta Für die konzeptionelle Weiterentwicklung der nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung spielt die Leipzig Charta von 2007 eine wesentliche Rolle.439 Die Leipzig Charta enthält ein Übereinkommen über ein gemeinsames europäisches Stadtverständnis („Europäische Stadt“). Es wird darin das allgemeine Ziel formuliert, die Städte zu schützen, zu stärken und weiter zu entwickeln. Die zentrale Empfehlung der Leipzig Charta besteht darin, die integrative Stadtentwicklungspolitik weiter auszubauen. Dabei soll den benachteiligten Stadtquartieren besondere Aufmerksamkeit im gesamtstädtischen Kontext gewidmet werden. Denn Städte können ihre Funktion als „Träger gesellschaftlichen Fortschritts“ auf Dauer nur wahrnehmen, wenn es gelingt die „soziale Balance innerhalb und zwischen den Städten aufrecht zu erhalten“.440 Unter einer integrierten Stadtentwicklungspolitik wird die gerechte Berücksichtigung der für die Entwicklung von Städten relevanten Belange und Interessen verstanden.441 Die integrierte Stadtentwicklungspolitik sei eine zent436 s. dazu: Bartelheimer / von Freyberg, Neue Bündnisse in der Krise der sozialen Stadt – Das Beispiel der Sozialpolitischen Offensive Frankfurt, in: Hanesch, Überlebt die soziale Stadt?, S. 201. 437 Gesetz zur Reform des Wohnungsbaurechts – Wohnraumförderungsgesetz – WoFG vom 13. September 2001, BGBl. I 2001, S. 2376. 438 Harlander / Kuhn, Soziale Mischung in der Stadt, S. 390. 439 Die Leipzig Charta wurde am 24. Mai 2007 unter Beteiligung der europäischen Interessenvertreter erarbeitet und von den für die Stadtentwicklung zuständigen Minister- / innen der Mitgliedstaaten beschlossen. 440 Leipzig Charta 2007, Link abrufbar unter: http: / / www.dr-winkler.org / down loads / leipzigcharta.pdf S. 2. 441 Leipzig Charta 2007, Link abrufbar unter: http: / / www.dr-winkler.org / down loads / leipzigcharta.pdf S. 2.
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rale Voraussetzung für die Verwirklichung der europäischen Nachhaltigkeitsstrategie und werde als ein Prozess verstanden, in dem es auf die Koordinierung zentraler städtischer Politikfelder in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht ankomme.442 Die zentrale Herausforderung im Hinblick auf die benachteiligten Stadtquartiere sei es, die soziale Ausgrenzung zu bekämpfen, indem eine Politik der sozialen Integration verfolgt werde. Dabei komme der sozialen Wohnraumpolitik als Instrument, das den sozialen Zusammenhalt und die städtischen Integrationsmöglichkeiten wirksame steuere, eine zen trale Bedeutung zu. Zur Umsetzung der integrierten Stadtentwicklungspolitik wurden folgende drei Ziele und Grundsätze festgelegt: (1) In den jeweiligen Mitgliedsstaaten wird eine politische Initiative gestartet, durch die die Grundsätze und Strategien der Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt in nationale, regionale und lokale Entwicklungspolitiken integriert werden können. (2) Das Instrument der integrierten Stadtentwicklung wird vorangebracht, die Governance-Strukturen für deren Umsetzung werden unterstützt und die hierfür erforderlichen Rahmenbedingungen auf nationaler Ebene geschaffen. (3) Es wird eine ausgeglichene räumliche Entwicklung auf Basis eines europäischen polyzentrischen Städtesystems befördert.443 Die Umsetzung integrierter Stadtentwicklungspolitik zielt darauf ab, verstärkt auch verwaltungsexterne Akteure (Governance-Strukturen) in den Stadtentwicklungsprozess einzubinden und zugleich den Rahmen für die Möglichkeit aktiver Bürgerbeteiligung im Hinblick auf die Gestaltung ihres Lebensumfelds zu schaffen. Dazu sollen die europäischen Städte auf gesamtstädtischer Ebene die Entwicklung von integrierten Stadtentwicklungsprogrammen prüfen. Dazu sind regelmäßig folgende Schritte erforderlich: – auf Grundlage einer Bestandsanalyse die Stärken und Schwächen der Stadt und der Stadtteile beschreiben, – konsistente Entwicklungsziele für das Stadtgebiet formulieren und eine Vision für die Stadt entwickeln, – die unterschiedlichen teilräumlichen, sektoralen und technischen Pläne und politische Maßnahmen aufeinander abstimmen und sicherstellen, dass 442 s. Prigge / Böhme, Soziale Stadtpolitik in Dortmund, Bremen, Nürnberg – Soziale Spaltung, Armutsprävention und Chancengleichheit als politische Herausforderungen, S. 9. 443 s. Lütke Daldrup, Die Leipzig Charta 2007 – neue Rahmenbedingungen für die zukünftige Stadtentwicklung, in: Battis / Söfker / Stüer, Nachhaltige Stadt- und Raumentwicklung – Festschrift für Michael Krautzberger, S. 129.
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die geplanten Investitionen eine ausgeglichene Entwicklung des städtischen Raumes fördern, – den Finanzmitteleinsatz öffentlicher und privater Akteure auf lokaler und stadtregionaler Ebene räumlich bündeln und koordinieren, – die Bürger und die anderen Beteiligten einbeziehen, die maßgeblich zur Gestaltung der zukünftigen wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und ökologischen Qualität der Gebiete beitragen können. Im Zusammenhang mit den Handlungsstrategien für die Umsetzung integrierter Stadtentwicklungsprogramme stehen drei stadtentwicklungspolitische Zielsetzungen im Vordergrund: – Herstellung und Sicherung qualitätvoller öffentlicher Räume, – Modernisierung der Infrastrukturnetze und Steigerung der Energieeffi zienz, – Aktive Innovations- und Bildungspolitik. Für Stadtquartiere, die infolge ausgeprägter Segregationsstrukturen von Missständen betroffen sind und dadurch zu benachteiligten Stadtquartieren werden, ergaben sich außerdem die folgenden zwei Handlungsansätze444: Erstens sind gebietliche Maßnahmen, wie die Wiederherstellung und Aufwertung öffentlicher Flächen und Räume erforderlich sowie Modernisierungen und Verbesserungen der öffentlichen Anbindung des Quartiers an die Gesamtstadt. Zweitens sind Maßnahmen zur Bürgeraktivierung im Quartier erforderlich, sodass sich Quartiersbewohner stärker für ihr Lebensumfeld einsetzen und damit eine Chance zur gesellschaftlichen und sozialen Teilhabe eröffnet wird. Für benachteiligte Stadtquartiere bedarf es also neben städtebaulichen Aufwertungsstrategien und der Stärkung der lokalen Wirtschaft, z. B. durch Erleichterung von Existenzgründungen, vor allem auch einer aktiven Bildungs- und Ausbildungspolitik für Kinder und Jugendliche, d. h. der Verbesserung der lokalen Bildungs- und Ausbildungsangebote.445 4. Integrierte Städteplanung im 21. Jahrhundert Der aktuellen Städteplanung im 21. Jahrhundert liegt das Modell der integrierten Stadtentwicklung zugrunde. Das bedeutet, dass bei der Stadtplanung 444 Vgl. Lütke Daldrup, Die Leipzig Charta 2007 – neue Rahmenbedingungen für die zukünftige Stadtentwicklung, in: Battis / Söfker / Stüer, Nachhaltige Stadt- und Raumentwicklung – Festschrift für Michael Krautzberger, S. 132. 445 Lütke Daldrup, Die Leipzig Charta 2007 – neue Rahmenbedingungen für die zukünftige Stadtentwicklung, in: Battis / Söfker / Stüer, Nachhaltige Stadt- und Raumentwicklung – Festschrift für Michael Krautzberger, S. 132.
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bislang eher getrennte Handlungs- bzw. Politikfelder auf der Ebene der städtischen Quartiere für eine nachhaltige Quartiersentwicklung zusammen betrachtet, umgesetzt und aufeinander bezogen werden müssen.446 Außerdem sollen die Quartiersbewohner stärker beteiligt und Kooperationen mit Privaten zur Stadtentwicklung gefördert werden.447 In diesem Lichte sind auch die Vorschläge der sog. „Leipzig Charta“ zu sehen; die nachhaltige Stadtentwicklung bedarf der Durchführung integrierter Stadtentwicklungskonzepte. Das Konzept der integrierten Stadtentwicklung spiegelt sich auch im Städtebaurecht wider: Mit dem Gesetz zur Anpassung des Baugesetzbuches an die EU-Richtlinien (EAG-Bau)448 wurden Instrumente zur Durchführung integrierter Stadtentwicklungsmaßnahmen in das besondere Städtebaurecht eingeführt. Die Maßnahmen der Sozialen Stadt gem. § 171e BauGB sind z. B. speziell darauf ausgerichtet, Stadtteile, die etwa durch hohe Arbeits losigkeit, wirtschaftliche Probleme des mittelständischen Gewerbes, Defizite bei der Integration ausländischer Mitbürger, Vernachlässigung von Gebäuden und der öffentlichen Räume, Vandalismus und ähnlichen Erscheinungen geprägt sind, durch stärkere Beteiligungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten sowie eine bessere Bündelung des Mitteleinsatzes zu stärken und zu entwickeln.449 Entsprechend der breiten Ausrichtung der integrierten Stadtentwicklungskonzepte ermöglichen die Maßnahmen der Sozialen Stadt auch die Förderung „sonstiger Maßnahmen“, etwa in den Bereichen Jugendhilfe, Sozial-, Familien- und Kulturpolitik sowie Sport- und Gesundheitsförderung.450 Dem Konzept der integrierten Stadtentwicklung liegt die Annahme zugrunde, dass eine nachhaltige Quartiersentwicklung nicht nur mit „rein“ 446 Prigge / Böhme, Soziale Stadtpolitik in Dortmund, Bremen, Nürnberg – Soziale Spaltung, Armutsprävention und Chancengleichheit als politische Herausforderungen, S. 6. 447 Prigge / Böhme, Soziale Stadtpolitik in Dortmund, Bremen, Nürnberg – Soziale Spaltung, Armutsprävention und Chancengleichheit als politische Herausforderungen, S. 6. 448 Gesetz zur Anpassung des Baugesetzbuches an die EU-Richtlinien – Europarechtanpassungsgesetz (EAG Bau) vom 24. Juni 2004, BGBl. I 2004, S. 1359., Gem. Art. 7 ist das Gesetzes am 20. Juli 2004 in Kraft getreten. Das EAG-Bau diente der Umsetzung der Richtlinie 2001 / 42 / EG (ABl. L 197 / 30) SUP-Richtlinie über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme und der Umsetzung der Richtlinie 2003 / 35 / EG (ABl. L 156 / 17) Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung umweltbezogener Pläne und Programme. 449 Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung an das BauGB an EU-Richtlinien, v. 17. Dezember 2003, BT-Drs. 15 / 2250, S. 32. 450 Reidt, in: Battis / Krautzberger / Löhr, Kommentar zum BauGB, Stand: 12. Auflage 2014, § 171e BauGB, Rn. 15.
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städtebaulichen Mitteln und Maßnahmen erreicht werden kann, sondern dass es vielmehr einer ressort- und fachübergreifenden Zusammenarbeit der öffentlichen Stellen bedarf. Es wird von den Städten und Gemeinden durch regionale und lokale Rahmen- und Maßnahmenprogramme umgesetzt. Diese sind darauf ausgerichtet, alle Maßnahmen, die für die Lösung spezifischer Problemlagen in einem Quartier geeignet sind, zusammenzuführen und in einer (einheitlichen) Strategie zur Verwirklichung der Entwicklungsziele zu integrieren.451
D. Stand der sozialwissenschaftlichen Diskussion zur Bewertung von Segregation Der Stand der sozialwissenschaftlichen Diskussion zur Bewertung der Auswirkungen ethnischer Segregation wurde bereits dargestellt.452 Dabei wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass jedenfalls dauerhafte ethnische Segregation Integrationsprozesse tendenziell erschwert.453 In der sozialwissenschaftlichen Forschung ist umstritten, ob sich sozial homogene Bewohnerstrukturen nachteilig auswirken und deshalb eher heterogene Bewohnerstrukturen zu schaffen und zu erhalten sind.454 Auf der einen Seite wird das Argument in den Vordergrund gestellt, dass sozial homogene Bewohnerstrukturen sich auf die Wohn- und Lebenssituation der Bewohner positiv auswirken.455 Die soziale Homogenität von Quartieren sei eine wesentliche Voraussetzung für die Bildung lebendiger Nach451 Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft zum Rahmenprogramm Integrierte Stadtentwicklung vom 21. Juli 2009, Drs. 19 / 3652, S. 8, abrufbar unter: http: / / www. hamburg.de / contentblob / 2780084 / data / rahmenprogramm-rise.pdf. 452 s. unter 2. Kapitel A. II 3. c). 453 Esser, Integration und ethnische Schichtung, S. 41; Heitmeyer, Versagt die Integrationsmaschine Stadt?, in: Heitmeyer / Dollase / Backes, Die Krise der Städte, S. 447. 454 Zu den positiven Auswirkungen sozialer Segregation: Häußermann / Kapphan, Berlin: von der geteilten zur gespaltenen Stadt?, S. 223 m. w. N.; Kronauer / Vogel, Erfahrung und Bewältigung von sozialer Ausgrenzung in der Großstadt: Was sind Quartierseffekte, was sind Lageeffekte?, in: Häußermann / Kronauer / Siebel, An den Rändern der Städte, S. 254 f.; zu den negativen Auswirkungen sozialer Segregation: Farwick, Die Spaltung der Städte – Ursachen, Entwicklungen und Folgen der sozialen Segregation in städtischen Gebieten, in: Gans / Nachtkamp, Soziale Ungleichheit, Segregation und Integration, S. 35. 455 Häußermann / Kapphan, Berlin: von der geteilten zur gespaltenen Stadt?, S. 223 m. w. N.; Kronauer / Vogel, Erfahrung und Bewältigung von sozialer Ausgrenzung in der Großstadt: Was sind Quartierseffekte, was sind Lageeffekte?, in: Häußermann / Kronauer / Siebel, An den Rändern der Städte, S. 254 f.
D. Sozialwissenschaftliche Diskussion zur Bewertung von Segregation105
barschaftsbeziehungen.456 Diese bildeten sich nicht allein durch räumliche Nähe, sondern vielmehr aufgrund sozialer Homogenität, d. h. einer ähnlichen Einstellung bei sozialen und kulturellen Fragen. Bei Übereinstimmung des sozialen Status erleichtere die räumliche Nähe den Aufbau von Kontakten. Außerdem stelle die homogene Umgebung einen Schutzraum dar, in den sich die Bewohner zurückziehen könnten und in dem sie sich von anderen Mitgliedern bzw. Nachbarn verstanden fühlten.457 Auf der anderen Seite wird das Problem gesehen, dass sozial homogene Bewohnerstrukturen in sog. „entmischten Quartieren“ „von außen“ als negativ angesehen werden, wenn die Bewohner ein gegenüber der Gesamtgesellschaft „abweichendes Verhalten“ zeigten bzw. ihnen ein solches unterstellt werde.458 Dies kann für die soziale Segregation sowohl von einkommensstarken Quartieren als auch von sozial benachteiligten Quartieren gelten. In beiden Fällen können sich spezifische Binnenstrukturen ausprägen, die auch kommunikative Störungen im Verhältnis zu den Nachbarquartieren zur Folge haben können. Im Unterschied zur sozialen Segregation von einkommensstärkeren Quartieren kann es bei sozial benachteiligten Quartieren darüber hinaus zu Nachteilen für die Bewohner der segregierten Quartiere kommen. Diese Benachteiligungen treten insbesondere bei nicht modernisierten Quartieren auf, die von Außenstehenden als rückständig und strukturell defizitär angesehen werden. In diesen Quartieren könne es zu wechselseitigen negativen Kontexteffekten459 zwischen dem Quartier und seinen Bewohnern kommen. Die Konzentration sozial homogener Bevölkerungsgruppen werde dann als räumliche Abbildung sozialer Unterschiede wahrgenommen.460 Es bestehe die Gefahr, dass sich benachteiligte Stadtquartiere negativ auf die Lebenschancen seiner Bewohner auswirkten. Die Wirkungen von Stadtquartieren beziehen sich auf verschiedene Bereiche461: 456 Häußermann / Kapphan, Berlin: von der geteilten zur gespaltenen Stadt?, S. 223 m. w. N. 457 Kronauer / Vogel, Erfahrung und Bewältigung von sozialer Ausgrenzung in der Großstadt: Was sind Quartierseffekte, was sind Lageeffekte?, in: Häußermann / Kronauer / Siebel, An den Rändern der Städte, S. 254 f. Zur Differenzierung zwischen der Innen- und Außenwahrnehmung, s. auch Weigelt, Die wachsende Stadt als Herausforderung, S. 19 f. m. w. N. 458 Häußermann / Kapphan Berlin: von der geteilten zur gespaltenen Stadt?, S. 223. 459 Zu dem Begriff Kontexteffekte, s. auch: Hanhörster, Türkeistämmige Eigentümer in Migrantenvierteln: Soziale und räumliche Mobilität der zweiten Generation, S. 49 m. w. N. 460 Häußermann / Kapphan Berlin: von der geteilten zur gespaltenen Stadt?, S. 225. 461 Farwick, Die Spaltung der Städte – Ursachen, Entwicklungen und Folgen der sozialen Segregation in städtischen Gebieten, in: Gans / Nachtkamp, Soziale Ungleichheit, Segregation und Integration, S. 35.
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2. Kapitel: Das Phänomen der sozialräumlichen Segregation
– Eine geringe Ressourcenausstattung innerhalb der sozialen Netze der Bewohner sowie eine mangelhafte Ausstattung der Gebiete mit Dienstleistungen und sozialer Infrastruktur Grundsätzlich seien „statusniedrige“ Bevölkerungsgruppen durch eine vermehrt lokal orientierte Lebensweise gekennzeichnet.462 Hier spielten Leistungen der sog. Nachbarschaftshilfe von benachbarten Bewohnern und dem lokalen und sozialen Netz der Verwandten, Freunde und Bekannten eine wichtige Rolle, die als wertvolle Ressource für die Bewältigung des Alltags gälten. In benachteiligten Gebieten seien die sozialen Netzwerke jedoch nur schwach ausgeprägt.463 Zwar wiesen die Kontakte eine hohe Interaktionsdichte auf, sie blieben aber zumeist unverbindlich. Zudem seien nachbarschaftliche Kontakte auch aufgrund einer hohen Fluktuation nur gering ausgeprägt. Dazu kämen strukturell gebietliche Wechselwirkungen: Sänke die durchschnittliche Kaufkraft der Quartiersbewohner, verringerte sich grundsätzlich auch die Qualität des lokalen Waren- und Dienstleistungsangebots.464 Dies gelte insbesondere für die peripher gelegenen Großwohnsiedlungen der 1960er und 1970er Jahre.465 – Beeinträchtigungen von Lebensmöglichkeiten durch das Erlernen destruktiver Handlungsmuster im Quartier Bei vorrangigen Kontakten mit Personen in der gleichen sozial benachteiligten Lage bestehe die Gefahr begrenzter sozialer Erfahrung und der Entwicklung und Ausprägung abweichender Normen und Verhaltensweisen, die sich innerhalb der „peer group“466 durch Anpassungen weiter verfestigten. Das könne dazu führen, dass sich die sozialbenachteiligten Gruppen weiter von den Werten und Normen der Gesamtgesellschaft entfernten.467 462 Farwick, Die Spaltung der Städte – Ursachen, Entwicklungen und Folgen der sozialen Segregation in städtischen Gebieten, in: Gans / Nachtkamp, Soziale Ungleichheit, Segregation und Integration, S. 35 m. w. N. 463 Farwick, Die Spaltung der Städte – Ursachen, Entwicklungen und Folgen der sozialen Segregation in städtischen Gebieten, in: Gans / Nachtkamp, Soziale Ungleichheit, Segregation und Integration, S. 35 m. w. N. 464 Farwick, Die Spaltung der Städte – Ursachen, Entwicklungen und Folgen der sozialen Segregation in städtischen Gebieten, in: Gans / Nachtkamp, Soziale Ungleichheit, Segregation und Integration, S. 35. 465 Farwick, Die Spaltung der Städte – Ursachen, Entwicklungen und Folgen der sozialen Segregation in städtischen Gebieten, in: Gans / Nachtkamp, Soziale Ungleichheit, Segregation und Integration, S. 35. 466 Auch Bezugsgruppe. 467 Dazu: Farwick, Die Spaltung der Städte – Ursachen, Entwicklungen und Folgen der sozialen Segregation in städtischen Gebieten, in: Gans / Nachtkamp, Soziale Ungleichheit, Segregation und Integration, S. 36 m. w. N.
D. Sozialwissenschaftliche Diskussion zur Bewertung von Segregation
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– Stigmatisierende und diskriminierende Wirkungen von benachteiligten Quartieren Nach Auffassung Farwicks geht es bei den stigmatisierenden und diskriminierenden Wirkungen von benachteiligten Quartieren sowohl um die Außenwahrnehmung als auch um das Selbstverständnis der Quartiersbewohner: Es gehe um das „sich identifizieren“ und um das „identifiziert werden“ im Zusammenhang mit dem Wohnquartier.468 In der Außenwahrnehmung könne sich ein negatives Image (negatives „labelling“) des Quartiers entwickeln, das zu Diskriminierungen führe und dadurch soziale Teilhabechancen der Quartiersbewohner deutlich beeinträchtige. So werde die Entstehung von Vorurteilen begünstigt, weil bestimmte Eigenschaften Einzelner auf die gesamte Bevölkerungsgruppe projiziert würden. Auf diese Weise würden bestehende Vorbehalte auf alle Mitglieder der Gruppe übertragen.469 Außerdem könne das Selbstverständnis der Quartiersbewohner durch äußerlich sichtbare Missstände, wie z. B. Leerstand von Gebäuden und nicht gepflegte öffent liche Räume beeinflusst werden.
468 Farwick, Die Spaltung der Städte – Ursachen, Entwicklungen und Folgen der sozialen Segregation in städtischen Gebieten, in: Gans / Nachtkamp, Soziale Ungleichheit, Segregation und Integration, S. 36 m. w. N. 469 Häußermann / Kapphan, Berlin: von der geteilten zur gespaltenen Stadt?, S. 18 m. w. N.
3. Kapitel
Segregation im Städtebaurecht A. Vermeidung von Segregation als städtebaurechtliches Leitbild? Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob sich aus dem tädtebaurecht, insbesondere den Planungsleitlinien und Grundsätzen des S allgemeinen Städtebaurechts herleiten lässt, dass bzw. unter welchen Voraussetzungen soziale und ethnische Segregation als städtebaulich unerwünscht einzustufen sind.
I. Grundsatz bevölkerungsstruktureller Neutralität Das Städtebaurecht ist im Hinblick auf die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung wie auch der Grundeigentümerstrukturen in Quartieren grundsätzlich neutral. Die (städtebauliche) Gleichbehandlung aller Quartiersbewohner ist verfassungsrechtlich in Art. 3 Abs. 3 GG verankert. Danach darf niemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner politischen oder religiösen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Es werden damit Einheimische nicht anders als Zugezogene, Inländer nicht anders als Ausländer, jüngere Personen nicht anders als Ältere und Wohlhabende nicht anders als Personen mit geringem Einkommen behandelt. Dementsprechend verleiht das Städtebaurecht grundsätzlich nicht die Befugnis, unmittelbar und dauerhaft die Zusammensetzung der Grundeigentümer und der Wohnbevölkerung im Gemeindegebiet oder im Baugebiet zu regeln.1 In engen Grenzen lassen die Vorschriften des BauGB eine mittelbare und auf städtebauliche Anliegen beschränkte Steuerung zu.2 Es kann z. B. durch die Festlegung eines reinen oder allgemeinen Wohngebiets sowie durch Festsetzung der zulässigen Bauweise nach § 22 Abs. 1 BauNVO die soziale Zusammensetzung der Wohnbevölkerung im Quartier mittelbar gesteuert werden.3 1 BVerwG, Urteil vom 11. Februar 1993 – 4 C 18 / 91 – Weilheimer Modell, Rn. 30 juris. 2 Stock, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 172 BauGB Rn. 42.
A. Vermeidung von Segregation als städtebaurechtliches Leitbild?109
Die klassische Bauleitplanung ist zudem „Angebotsplanung“4, die die Befugnis zur Ausnutzung der planungsrechtlich eröffneten Bau- und Nutzungsmöglichkeiten durch Verwirklichung von Vorhaben enthält, aber nicht darauf ausgerichtet ist, die Festsetzungen mit hoheitlichen Maßnahmen durchzusetzen. Die Möglichkeit städtebaulicher Steuerung ist herkömmlich schon dadurch im Hinblick auf sozialräumliche Segregation beschränkt. Die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in Quartieren wird im Wesentlichen den Mechanismen des freien Marktes überlassen. Angebot und Nachfrage bestimmen die Kosten für den Erwerb bzw. die Nutzung von Wohnungen in Quartieren und damit mittelbar auch die soziale Zusammensetzung der Wohnbevölkerung. Fraglich ist, ob der Grundsatz der bevölkerungsstrukturellen Neutralität es ausschließt, städtebauliche Instrumente zum Abbau von Segregationsstrukturen einzusetzen, wenn und soweit es zu städtebaulichen oder sozialen Missständen kommt. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Planungsleitlinie in § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB zu untersuchen, wonach bei Aufstellung von Bauleitplänen die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen zu berücksichtigen ist. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit die Planungsleitlinien in § 1 Abs. 6 Nr. 1, 2, 3 und 13 BauGB die Vermeidung bzw. den Abbau von Segregation erfordern, um städtebaulich unerwünschten Zuständen entgegenzuwirken. Aus der Planungsleitlinie in § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB, wonach die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse und die Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung5 bei der Aufstellung von Bauleitplänen zu berücksichtigen sind, lassen sich keine Anhaltspunkte für Einschränkungen des bevölkerungsstrukturellen Neutralitätsgrundsatzes bei Vorhandensein von Segregation herleiten. Die Planungsleitlinie zielt vielmehr auf die Einhaltung allgemein anerkannter Anforderungen ab, insbesondere im Hinblick auf den baulichen Zustand von Gebäuden, die Nutzung und Zugänglichkeit von Grundstücken sowie das Trennungsgebot in § 50 BImSchG.6 Auch aus der der Planungsleitlinie in § 1 Abs. 6 Nr. 3 BauGB, wonach die sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung und die unterschiedlichen Auswirkungen auf Männer und Frauen zu berücksichtigen sind, lassen sich im Hinblick auf Segregation keine Einschränkungen vom Neutralitätsgrundsatz 3 s. dazu, 4. Kapitel A. II. 3.; zu den mittelbaren Steuerungsmöglichkeiten des besonderen Städtebaurechts, s. 4. Kapitel B. 4 Zur Angebotsplanung, s. ausführlich, 4. Kapitel A. II. 1. 5 Es handelt sich um einen städtebaulichen Grundsatz, der sich auch als Ziel städtebaulicher Sanierungsmaßnahmen in § 136 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 BauGB wiederfindet, s. dazu, 4. Kapitel B. I. 6 Söfker, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 1 BauGB Rn. 115.
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3. Kapitel: Segregation im Städtebaurecht
herleiten. Zwar ist es denkbar, dass der Lebensraum in sozial und ethnisch stark segregierten Quartieren für Männer und Frauen nicht gleichermaßen attraktiv ist und sich daraus Benachteiligungen ergeben, hieraus lässt sich aber nicht die konkrete städtebauliche Leitlinie herleiten, dass Segregationsstrukturen vermieden werden sollen. Das Städtebaurecht enthält keine pauschale Leitlinie, die Vielzahl denkbarer stadtentwicklungspolitischer Prozesse zu vermeiden, die sich potentiell negativ auf die Gleichstellung von Männern und Frauen auswirken könnten. Im Zusammenhang mit möglichen Einschränkungen des bevölkerungsstrukturellen Neutralitätsgrundsatzes des Städtebaurechts sind vor allem die Planungsleitlinien in § 1 Abs. 6 Nr. 2 und Nr. 13 BauGB zu untersuchen. Danach sind bei der Aufstellung von Bauleitplänen die Wohnbedürfnisse der Bevölkerung und das Ziel der Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen (Nr. 2) sowie die Belange von Flüchtlingen und Asylbegehrenden und ihrer Unterbringung (Nr. 13) zu berücksichtigen.
II. Wohnbedürfnisse der Bevölkerung und das Ziel der Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen Bei der Aufstellung von Bauleitplänen sind gem. § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB u. a. die Wohnbedürfnisse der Bevölkerung und die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen zu berücksichtigen. Es stellt sich die Frage, ob soziale und bzw. oder ethnische Segregation diesen Zielen tendenziell im Wege steht. 1. Wohnbedürfnisse der Bevölkerung Die Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung ist ein zen trales Anliegen aller sozial rechtsstaatlichen Planungen.7 Die Planungsleit linie in § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB trägt dem Umstand Rechnung, dass die Wohnung für den Menschen wesentliche Funktionen nicht nur in gesundheitlicher, sondern auch in geistiger und sozialer Hinsicht erfüllt. Darüber hinaus kann die Wohnweise auch soziale und gesellschaftliche Haltungen von Menschen beeinflussen sowie deren Einstellung gegenüber staatlichen Institutionen prägen.8 Der historische Abriss der Stadtgeschichte hat gezeigt, dass sich die Wohnbedürfnisse der Menschen von der mittelalterlichen Stadt, in der Menschen mit unterschiedlicher Herkunft und Stellung vielfach in einem 7 Söfker, 8 Söfker,
in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 1 BauGB Rn. 120. in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 1 BauGB Rn. 120.
A. Vermeidung von Segregation als städtebaurechtliches Leitbild?111
Haus lebten, bis zur modernen Großstadt, in der die Wohnung vor allem als privater Rückzugsort dient, stark verändert haben.9 Mit dem Begriff „Wohnbedürfnisse der Bevölkerung“ wird die Gesamtheit der Anforderungen an das Wohnen erfasst, d. h. sowohl an das angemessene Vorhandensein von Wohnraum und dessen Größe und Ausstattung als auch an das Wohnumfeld, also die angemessene Nutzung der Wohnbereiche sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gebäude.10 Insofern bestehen u. a. Überschneidungen zu den allgemeinen Wohn- und Arbeitsverhältnissen (Nr. 1) und den sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Bevölkerung (Nr. 3). Die quantitativen Anforderungen sind von der Gemeinde bei der Planung zu berücksichtigen, d. h. die Gemeinde muss prüfen, ob und in welchem Umfang die Schaffung neuer Wohngebiete erforderlich ist.11 Das umfasst in Städten auch die Prüfung von Nachverdichtungspotentialen. In qualitativer Hinsicht muss die Gemeinde prüfen, welche Arten von Wohnungen in der Zukunft benötigt werden.12 In diesem Zusammenhang muss die Gemeinde auch Überlegungen zum Umfeld der Wohnungen anstellen, wie z. B. zu erforderlichen Infrastruktureinrichtungen, wie Schulen und Kindertagesstätten, Einkaufsmöglichkeiten und dem beabsichtigten städtebaulichen Kontext der Wohnungen.13 Die Festsetzung von Wohnungsgrößen sowie der Art der Wohnungen wirkt sich mittelbar auf die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung im Quartier aus. Während Studenten und Alleinerziehende aus Kostengründen vor allem Ein- und Zweizimmerwohnungen nachfragen, suchen große Familien und einkommensstärkere Bevölkerungsgruppen entweder nach großen Wohnungen oder Einfamilienhäusern. Der Begriff der Wohnbedürfnisse bezieht sich allerdings nicht auf das Bedürfnis, in einem Quartier mit einer bestimmten Zusammensetzung der Bewohnerschaft zu leben und damit etwa segregierte Wohnstrukturen zu vermeiden oder zu erhalten. Insoweit bleibt es bei dem Grundsatz der bevölkerungsstrukturellen Neutralität.
9 Zu
den Wohnverhältnissen in der mittelalterlichen Stadt, s. 2. Kapitel B. I. 1. Urteil vom 21. Mai 1976 – 4 C 80 / 74 – Leitsatz; Söfker, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 1 BauGB Rn. 120 m. w. N. 11 Dirnberger, in: Spannowsky / Uechtritz, Beck OK, 1. April 2015, § 1 BauGB Rn. 86. 12 Dirnberger, in: Spannowsky / Uechtritz, Beck OK, 1. April 2015, § 1 BauGB Rn. 87. 13 Dirnberger, in: Spannowsky / Uechtritz, Beck OK, 1. April 2015, § 1 BauGB Rn. 87. 10 BVerwG,
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3. Kapitel: Segregation im Städtebaurecht
2. Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen Zu prüfen ist, ob und inwieweit segregierte Bewohnerstrukturen als sozial stabil i. S. des § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB zu qualifizieren sind. Vor allem die historische Auslegung der Planungsleitlinie im Hinblick auf den Begriff „sozial stabile Bewohnerstrukturen“ ergibt, dass diese nicht als städtebaulicher Grundsatz zu verstehen ist, aus dem sich eine Verpflichtung zur Schaffung und Erhaltung sozial, ethnisch und altersmäßig durchmischter Wohnquartiere ergibt; vielmehr geht es um die Schaffung und Erhaltung sich selbsttragender Sozialstrukturen.14 Durch die BauGB – Novelle 200415 wurde der Begriff der „Vermeidung einseitiger Bevölkerungsstrukturen“ durch die Formulierung „Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen“ ersetzt.16 Damit wurde der bis dahin ausdrücklich geltende Grundsatz, dass einseitige und damit segregierte Bevölkerungsstrukturen durch die Bauleitplanung zu vermeiden sind, gestrichen. Daraus wird deutlich, dass die Existenz segregierter Bevölkerungsstrukturen nicht als solche städtebaulich unerwünscht ist. Vielmehr können auch homogene Bevölkerungsstrukturen städtebaulichen Grundsätzen und Leitlinien durchaus entsprechen. Der „neuen“ Formulierung ist weiter zu entnehmen, dass segregierte Bewohnerstrukturen nur insoweit städtebaulich unerwünscht sind, wie sie sozial instabil sind, d. h. keine sich selbsttragende Sozialstruktur aufweisen.17 Hiernach ist also zu fragen, ob segregierte Wohnquartiere sozial instabil sind oder jedenfalls typischerweise eine geringere soziale Stabilität aufweisen als durchmischte Wohnquartiere. a) Sozial instabile Bewohnerstrukturen infolge sozialer Segregation? In sozial segregierten Quartieren kommt es oftmals zu negativen Kontexteffekten zwischen dem Quartier und seinen Bewohnern, d. h. nicht nur das Quartier ist benachteiligt, sondern das Leben in dem Quartier benachteiligt die Bewohner.18 Die Auswirkungen sozial segregierter Quartiere begünstigen die Entstehung eigenständiger Sozialmilieus, die zur wechselseitigen Bestärkung eigener Normen und Verhaltensweisen innerhalb der homogenen 14 Battis, in: Battis / Krautzberger / Löhr, 12. Auflage 2014, § 1 BauGB Rn. 55; Söfker, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 1 BauGB Rn. 123; Dirnberger, in: Spannowsky / Uechtritz, Beck OK, 1. April 2015, § 1 BauGB Rn. 88. 15 s. 2. Kapitel, Fn. 448. 16 Vgl. dazu: Bunzel, Soziale Wohnraumförderung durch städtebauliche Verträge, S. 12. 17 Söfker, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 1 BauGB Rn. 123. 18 s. zum Begriff Kontexteffekte, 2. Kapitel D.
A. Vermeidung von Segregation als städtebaurechtliches Leitbild?113
Gruppe führen, die sich von der Gesamtgesellschaft abgrenzen. Auf diese Weise gibt es Quartiere, in denen Armut „gelernt“ wird und zugleich aber keine Strategien erlernt werden, Maßnahme zu ergreifen, um aus der Armut herauszukommen.19 Häußermann etwa geht davon aus, dass es nach einer gewissen Zeit kein Entkommen „aus dem Strudel multipler und kumulativer Benachteiligungen, die mit dem unfreiwilligen Wohnen in solchen Quartieren verbunden sind“ mehr gibt.20 Diesen sog. Fahrstuhleffekt begründet Häußermann so, dass mit jeder Verschärfung der sozialen Probleme diejenigen Haushalte, die noch über Wahlmöglichkeiten verfügen, das Quartier verlassen. Somit nimmt die Konzentration und Dichte sozialer Problemlagen im Quartier weiter zu.21 Bei denjenigen Bewohnern, für die ein Wegzug aus dem Quartier, mangels hinreichender finanzieller Ressourcen, nicht möglich ist, findet eine Anpassung an die Umgebung statt.22 Zugleich findet der Austausch mit anderen Bevölkerungsgruppen kaum mehr statt, vielmehr verengt sich das soziale Netz auf die räumlich unmittelbare Nachbarschaft.23 Damit wird ein sich selbst verstärkender Effekt in Gang gesetzt, der nicht nur die sozialen Benachteiligungen der einzelnen Bewohner betrifft, sondern auch eine soziale Abwärtsdynamik im Quartier auslöst, bei der sich Missstände immer weiter verfestigen. Tendenziell verringert sich die soziale Stabilität von Bewohnerstrukturen in sozial segregierten Quartieren, wenn es infolge der sozialen Segregation zu strukturellen Benachteiligungen der Quartiersbewohner kommt. Daneben kann es aufgrund sozialer Segregation zum Erlernen destruktiver Handlungsmuster kommen, die gesellschaftliche Spannungen, aber auch gewalttätige Ausschreitungen und Vandalismus im Quartier begünstigen. b) Sozial instabile Bewohnerstrukturen infolge ethnischer Segregation? Die Bewohnerstrukturen ethnisch segregierter Quartiere können aufgrund ihrer institutionellen Vollständigkeit24 sowie der funktionierenden Nachbarschaften sozial stabil sein und eine sich selbsttragende Sozialstruktur aufweisen. Das dauerhafte Vorhandensein ethnisch segregierter Quartiere kann aber auch Integrationsdefizite zur Folge haben. Die Identifikation mit der ethni19 Häußermann / Kapphan,
Berlin: von der geteilten zur gespaltenen Stadt?, S. 225. Die Krise der sozialen Stadt, S. 21. 21 Häußermann, Die Krise der sozialen Stadt, S. 21. 22 Weigelt, Die wachsende Stadt als Herausforderung, S. 11 m. w. N. 23 Häußermann / Siebel, Stadtsoziologie: Eine Einführung, S. 167. 24 Institutionelle Vollständigkeit weisen Quartiere auf, die ein eigenes funktionierendes Gesellschaftssystem aufgebaut haben, s. dazu oben unter 2. Kapitel A. II. 3. c) bb). 20 Häußermann,
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3. Kapitel: Segregation im Städtebaurecht
schen Gruppe wird durch deren räumliche und organisatorische Abkapselung erleichtert.25 Die räumliche Abgeschlossenheit26 und die „gezielte Schaffung von Ethnizität“ lassen Schicksalsgemeinschaften entstehen.27 Diese können die Wahrnehmung von (vermeintlichen) Benachteiligungen beeinflussen und aufgrund der relativen Homogenität der Interessen der Bewohner kollektives Handeln erleichtern.28 Die Identifikation und Bindung des Individuums an die Schicksalsgemeinschaft kann Kommunikationsstörungen gegenüber denjenigen außerhalb der Gruppengrenze begünstigen; die Loyalität mit der „Eigengruppe“ geht oftmals mit Distanzierung gegenüber der Aufnahmegesellschaft als „Fremdgruppe“ einher.29 Dies gilt vor allem dann, wenn das ethnische Quartier ein hohes Maß an institutioneller Vollständigkeit aufweist, weil die Voraussetzungen für eine Alltagsgestaltung dann bereits geschaffen sind, sodass tendenziell weniger Bemühungen zur sozialen Integration unternommen werden.30 In solchen Fällen mangelnder Integration von Zuwanderern kann es zu wechselseitigen Vorurteilen und Distanzierungen zu den Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft kommen, die gesellschaftliche Spannungen und gewalttätige Auseinandersetzungen hervorrufen können. Darüber hinaus kann die fehlende soziale Integration in den Quartieren sichtbar werden und zur Bestärkung bestehender Vorurteile gegenüber dem Quartier und seinen Bewohnern führen. Für die Quartiersbewohner ethnisch segregierter Gebiete besteht die Gefahr, dass sie aufgrund der Segregation keine oder verminderte Teilhabe und Partizipationsmöglichkeiten in der Aufnahmegesellschaft haben.31 Insoweit können ethnisch segregierte Quartiere zu insgesamt sozial instabilen Verhältnissen führen, die städtebaulich unerwünscht sind.
25 Schlenker-Fischer, Demokratische Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz, S. 47. 26 Das meint in erster Linie eine institutionelle Vollständigkeit der ethnischen Gemeinschaft, s. zum Begriff. 2. Kapitel A. II. 3. c) bb). 27 Schlenker-Fischer, Demokratische Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz, S. 47. 28 Schlenker-Fischer, Demokratische Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz, S. 47. 29 Schlenker-Fischer, Demokratische Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz, S. 49 m. w. N. 30 s. hierzu und zu dem in diesem Zusammenhang entwickelten Konzept der sog. Mobilitätsfalle, 2. Kapitel A. II. 3 c). 31 Heitmeyer, Versagt die Integrationsmaschine Stadt?, in: Heitmeyer / Dollase / Backes, Die Krise der Städte, S. 447.
A. Vermeidung von Segregation als städtebaurechtliches Leitbild?115
c) Folgerungen für die Auslegung der Planungsleitlinie in § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB Sozial und ethnisch segregierte Quartiere weisen typischerweise eine geringere soziale Stabilität auf, als heterogene Bewohnerstrukturen. Der Stand sozialwissenschaftlicher Diskussion zur Bewertung sozialer Segregation zeigt, dass es in Quartieren mit sozial benachteiligter Bevölkerung zu wechselseitig negativen Kontexteffekten zwischen dem Quartier und seinen Bewohnern kommt.32 Die Konzentration sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen in einem Quartier begünstigt das Erlernen destruktiver Handlungsmuster von den sozialen Kontakten im Quartier und führt tendenziell zu Beeinträchtigungen der Lebensmöglichkeiten der Bewohner. Diese Folgen sozialer Segregation führen zu sozial instabilen Bewohnerstrukturen. Etwas Ähnliches gilt auch für ethnisch segregierte Quartiere: Die organisatorische und räumliche Abgeschlossenheit ethnisch segregierter Quartiere begünstigt die Identifikation mit der Gruppe und führt zu einer starken Bindung der Bewohner untereinander. Zugleich distanzieren sich die Bewohner damit von der Aufnahmegesellschaft. Insoweit erschwert ethnische Segregation tendenziell den Integrationsprozess, was die Entstehung bzw. Verfestigung von sozial instabilen Bewohnerstrukturen begünstigen kann.33 Zwar können sozial und ethnisch segregierte Quartiere auch sozial stabile Bewohnerstrukturen aufweisen, aber im Ergebnis ist die Gefahr sozial instabiler Bewohner- und Sozialstrukturen, die zu städtebaulichen und sozialen Nachteilen bzw. Missständen führen, bei segregierten Bewohnerstrukturen tendenziell höher.34 Der Planungsleitlinie in § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB sind Einschränkungen des Neutralitätsgrundsatzes zu entnehmen, wenn es infolge von sozialer oder ethnischer Segregation zur Entstehung von sozial benachteiligten „Monokulturen“ kommt, die sich städtebaulich tendenziell negativ auswirken.35
32 s. dazu
oben, 2. Kapitel D. oben, 2. Kapitel A. II. 3 c). 34 Dirnberger, in: Spannowsky / Uechtritz, Beck OK, 1. April 2015, § 1 BauGB Rn. 88; Söfker, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 1 BauGB Rn. 123; Prigge / Böhme, Soziale Stadtpolitik in Dortmund, Bremen, Nürnberg – Soziale Spaltung, Armutsprävention und Chancengleichheit als politische Herausforderungen, S. 1 ff. 35 Dirnberger, in: Spannowsky / Uechtritz, Beck OK, 1. April 2015, § 1 BauGB Rn. 88; Söfker, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 1 BauGB Rn. 123. 33 s. dazu
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3. Kapitel: Segregation im Städtebaurecht
III. Belange von Flüchtlingen und Asylbegehrenden und ihrer Unterbringung Im Zusammenhang mit § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB ist die im Jahr 201436 neu eingeführte Planungsleitlinie in § 1 Abs. 6 Nr. 13 BauGB zu betrachten, wonach die Belange der Flüchtlinge und Asylbegehrender und ihrer Unterbringung zu berücksichtigen sind. Zuvor waren die Belange zwar nicht ausdrücklich normiert, konnten aber anderen Belangen, vor allem den Wohnbedürfnissen der Bevölkerung und der Bevölkerungsentwicklung (Nr. 2) zugeordnet werden.37 Ob dieser Planungsleitlinie Aussagen zur Frage der Segregation zu entnehmen sind, erscheint zweifelhaft: Die Einführung der Planungsleitlinie fand vor dem Hintergrund statt, dass in geringer Zeit viele Kommunen mit der Bewältigung der stark angestiegenen Zuwanderung von Flüchtlingen konfrontiert sind.38 Die Bereitstellung von Unterkünften für diese Menschen stellt vor allem in Ballungszentren mit ohnehin angespanntem Wohnungsmarkt ein großes Problem dar.39 Die Planungsleitlinie erfasst sowohl Asylbegehrende als auch Flüchtlinge. Das BauGB enthält zwar keinen Verweis auf anzuwendende Vorschriften zur Definition der Begriffe, aus dem AsylG ergeben sich aber die relevanten Begriffsbestimmungen. Unter dem Begriff „Asylbegehrende“ sind Ausländer zu verstehen, die in Deutschland einen Asylantrag i. S. des § 13 AsylG40 stellen. Zu diesem Zeitpunkt werden (noch) keine Feststellungen darüber getroffen, ob dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird oder ob er als Asylberechtigter anerkannt wird. Die Definition des Begriffs „Flüchtling“ ergibt sich aus § 3 Abs. 1 AsylG. Ein Ausländer ist danach Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention41, wenn er sich 36 Durch das Gesetz über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen vom 20. November 2014, BGBl. I, 2014, S. 1748. 37 s. dazu auch Söfker, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 1 BauGB Rn. 178d. 38 s. Gesetzesentwurf des Bundesrates, BT-Drs. 18 / 2752 vom 8. Oktober 2014, S. 7. 39 Gesetzesentwurf des Bundesrates, BT-Drs. 18 / 2752 vom 8. Oktober 2014, S. 7. 40 Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008, BGBl. 2008, I, S. 1798. 41 Abkommen über die Rechtsstellung von Flüchtlingen – GFK vom 28. Juli 1951, in Kraft getreten am 22. April 1954, BGBl. 1953 Teil II, S. 559 f. Abrufbar unter: https: / / www.jurion.de / Gesetze / GFK / 1.
A. Vermeidung von Segregation als städtebaurechtliches Leitbild?
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(1) „aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.“
Die Frage, ob der Planungsleitlinie über die primäre Zielsetzung, der Schaffung von Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge und Asylbegehrende, hinaus auch zu entnehmen ist, dass sozialräumliche Segregation zu vermeiden ist, spielt vor allem bei längeren bzw. dauerhaften Aufenthalt von Flüchtlingen und Asylberechtigten eine Rolle. Bei Asylbegehrenden ist die Bleibeperspektive in Deutschland noch ungewiss. Angesichts dessen, dass Integration nur längerfristig möglich ist, dürfte für die Gruppe der Asylbegehrenden die Integration keine Rolle spielen. Sind Ausländer dagegen als Flüchtlinge i. S. des § 3 Abs. 1 AsylG anerkannt42, wird ihnen, genauso wie Asylberechtigten, gem. § 26 Abs. 1 S. 2 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis für die Dauer von zunächst drei Jahren erteilt. Die Belange von Flüchtlingen und Asylbegehrenden sind für die Bauleitplanung vor allem im Hinblick auf Maßnahmen, die der medizinischen und sonstigen Versorgung, der Betreuung, der Schul- und Weiterbildung, der Integration, der Teilhabe am öffentlichen Leben sowie der Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr dienen, von Bedeutung.43 Insofern ist zu prüfen, ob sich aus § 1 Abs. 6 Nr. 13 BauGB im Zusammenhang mit planerischen Maßnahmen zur Integration und zur Teilhabe am öffentlichen Leben herleiten lässt, dass sozialräumlicher Segregation, insbesondere von Flüchtlingen, entgegenzuwirken ist. Dem Bericht des federführenden Bundestagsausschusses zu dem Gesetzesentwurf44 ist zu entnehmen, dass eine dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen angestrebt wird und die Unterbringung von Flüchtlingen in Sammelunterkünften eine Ausnahme darstellen und nur dann in Betracht kommen soll, wenn alle anderen Unterbringungsmöglichkeiten in der Kommune ausgeschöpft sind.45 Darüber hinaus sollen Flüchtlinge möglichst in bestehende 42 Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entscheidet über das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaften, vgl. § 31 AsylG. 43 Söfker, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 1 BauGB Rn. 178d. 44 BT-Drs. 18 / 3070 vom 5. November 2014, S. 8. 45 BT-Drs. 18 / 3070 vom 5. November 2014, S. 8.
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3. Kapitel: Segregation im Städtebaurecht
Infrastrukturen integriert werden und nicht außerhalb, etwa in Gewerbegebieten angesiedelt werden, die nicht oder nicht ausreichend an den öffent lichen Personennahverkehr (ÖPNV) angeschlossen sind.46 Zwar wird durch die Gesetzesänderung in § 246 Abs. 10 BauGB die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden in Gewerbegebieten ermöglicht, die allgemeine Planung muss aber, soweit wie möglich, darauf hinwirken, dass von Anfang an die notwendigen Voraussetzungen für eine Infrastruktur geschaffen werden, die die Integration der Flüchtlinge ermöglicht. Jedenfalls für Flüchtlinge sind frühzeitige planerische Maßnahmen zur sozialräumlichen Integration wichtig, denn die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte zeigen, dass ein großer Teil der Schutzsuchenden dauerhaft in Deutschland bleiben.47 Insoweit ergibt sich aus der Planungsleitlinie auch, dass bei der Unterbringung von Flüchtlingen zu berücksichtigen ist, dass ihnen eine Chance auf Teilhabe am öffentlichen Leben ermöglicht wird. Dazu gehört z. B. der Anschluss an den öffentlichen Personennahverkehr. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass der Entstehung städtebaulich unerwünschter Quartiersstrukturen Vorschub geleistet wird, die dadurch gekennzeichnet sind, dass es aufgrund der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung und der Situation der Quartiersbewohner zu erhöhtem Konfliktpotenzial und damit zu städtebaulichen und sozialen Missständen kommt.
IV. Fazit: Segregation ist tendenziell städtebaulich unerwünscht Das Städtebaurecht enthält keine Leitlinie zur Vermeidung von Segregation. Die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen i. S. der Planungsleitlinie in § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB kann auch in sozial und bzw. oder ethnisch segregierten Quartieren verwirklicht werden. Die Untersuchung hat zugleich aber auch gezeigt, dass die Gefahr instabiler Bewohnerstrukturen bei sozial bzw. ethnisch homogener Zusammensetzung der Quartiersbevölkerung tendenziell höher ist als in durchmischten Wohnquartieren.
46 BT-Drs.
18 / 3070 vom 5. November 2014, S. 8. Stamm von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, in: BT-Drs. 18 / 3070 vom 5. November 2014, S. 6. 47 Katharina
4. Kapitel
Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB Auf Grundlage der oben dargestellten Steuerungserfordernisse gilt es zu untersuchen, welche Instrumente und Maßnahmen des allgemeinen und besonderen Städtebaurechts im Hinblick auf die Vermeidung bzw. Bekämpfung von städtebaulich unerwünschten sozialen und ethnischen Segregationsstrukturen zur Verfügung stehen und inwieweit diese Steuerungswirkungen entfalten können.
A. Planungsinstrumente des allgemeinen Städtebaurechts Das zentrale Instrument des allgemeinen Städtebaurechts im BauGB ist die Bauleitplanung.1 Nach § 1 Abs. 1 BauGB besteht die Aufgabe der Bauleitplanung darin, die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke in der Gemeinde nach Maßgabe der Vorschriften des BauGB vorzubereiten und zu leiten. Hieraus lassen sich mehrere Funktionen der Bauleitplanung2 herleiten: – Entwicklungs- und Ordnungsfunktionen, die in § 1 Abs. 3 BauGB dadurch verdeutlicht werden, dass „Maßstab für die Befugnis wie für die Pflicht zur Aufstellung von Bauleitplänen die städtebauliche Entwicklung und Ordnung“ sind.3 – Steuerungsfunktionen, bei der es neben der Errichtung und Änderung baulicher Anlagen i. S. der Vorbereitung und Lenkung baulicher Nutzungen von Grundstücken, auch um die Steuerung der sonstigen Grundstücksnutzung geht.4
1 Battis,
in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 1 BauGB Rn. 1. in: Spannowsky / Büchner, Städtebauliche Planung – eine Positionsbestimmung, Festschrift für Hans-Jörg Birk, 2013, S. 83. 3 Battis, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 1 BauGB Rn. 10; Dirnberger, in: Spannowsky / Uechtritz, Beck OK, Stand: 1. April 2015, § 1 BauGB Rn. 11. 4 Mitschang, in: Spannowsky / Büchner, Städtebauliche Planung – eine Positionsbestimmung, Festschrift für Hans-Jörg Birk, 2013, S. 83. 2 Mitschang,
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
Das BauGB stellt der Gemeinde ein „fein gefächertes Instrumentarium“ zur Steuerung der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung zur Verfügung.5 Die städtebauliche Entwicklung soll dabei „planmäßig“ durch Aufstellung von Bauleitplänen erfolgen.6 Der Grundsatz der Planmäßigkeit der Bauleitplanung wird durch § 1 Abs. 3 BauGB abgesichert, wonach die Gemeinden Bauleitpläne aufzustellen haben, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist.7 Zentrale Steuerungsinstrumente des allgemeinen Städtebaurechts sind der Flächennutzungsplan und der Bebauungsplan. Die Untersuchung wird zeigen, dass die Möglichkeiten, segregierte Quartiere, die sich städtebaulich negativ auswirken, mit den Instrumenten des Städtebaurechts zu bekämpfen, sehr begrenzt sind.
I. Flächennutzungsplan als Instrument des allgemeinen Städtebaurechts zur Steuerung von Segregation Der Flächennutzungsplan dient der Gemeinde zur Vorbereitung der Bebauungsplanung und zur großmaßstäblichen Zuordnung verschiedener Nutzungen. Durch die vorbereitenden Darstellungen8 im Flächennutzungsplan können vor allem schwer integrierbare Nutzungen, wie z. B. Güterverkehrszentren und Industriegebiete sowie die räumliche Verteilung sog. privilegierter Vorhaben im Außenbereich, wie etwa Windenergieanlagen, geplant werden.9 Mit Blick auf die Vermeidung bzw. Bekämpfung von Segregationserscheinungen bestehen kaum Möglichkeiten der Steuerung durch Darstellungen im Flächennutzungsplan. Zwar können nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 BauGB für die Bebauung vorgesehene Flächen nach der „allgemeinen Art ihrer baulichen Nutzung (Bauflächen), nach der besonderen Art ihrer baulichen Nutzung (Baugebiete) sowie nach dem allgemeinen Maß der baulichen Nutzung gekennzeichnet werden“. Im Flächennutzungsplan lassen sich aber keine Entscheidungen über die kleinteilige Mischung oder Trennung einzelner Nutzungsarten im Baugebiet treffen.10 Die Darstellung der sich aus der beab5 BVerwG, Urt. vom 11. Februar 1993 – 4 C 18 / 91 – BVerwGE92, 56–66, Rn. 29 juris. 6 Mitschang, in: Spannowsky / Büchner, Städtebauliche Planung – eine Positionsbestimmung, Festschrift für Hans-Jörg Birk, 2013, S. 83. 7 Battis, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 1 BauGB Rn. 25. 8 Die Darstellungen im Flächennutzungsplan entfalten grundsätzlich keine Rechtsverbindlichkeit, s. dazu, Bunzel et al., in: Nutzungswandel und städtebauliche Steuerung, S. 144. 9 Vgl. Bunzel et al., in: Wüstenrot, Nutzungswandel und städtebauliche Steuerung, S. 146. 10 Bunzel et al., in: Wüstenrot, Nutzungswandel und städtebauliche Steuerung, S. 144.
A. Planungsinstrumente des allgemeinen Städtebaurechts121
sichtigten städtebaulichen Entwicklung ergebenden Art der Bodennutzung im Flächennutzungsplan kann allenfalls mittelbare Effekte im Hinblick auf die Entstehung von Segregationsstrukturen haben. Denkbar sind solche mittelbaren und längerfristigen Auswirkungen auf Bewohnerstrukturen z. B. bei der Darstellung der Ausstattung eines Gemeindegebiets mit der Allgemeinheit dienenden Anlagen und Einrichtungen des Gemeinbedarfs, wie Schulen und Kindergärten oder sonstigen sozialen, kirchlichen oder kulturellen Einrichtungen. Zwar kann sich die Darstellung der infrastrukturellen Grundausstattung eines Gebiets gem. § 5 Abs. 2 Nr. 2 lit. a) BauGB auf die Zusammensetzung der Quartiersbewohner auswirken, die Darstellungsmöglichkeit kann aber nicht als Steuerungsmöglichkeit sozialer und ethnischer Segregation angesehen werden. Die großmaßstäbliche Darstellung von Siedlungs flächen im Flächennutzungsplan ist weder darauf ausgerichtet steuernden Einfluss auf die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung Wohnquartieren zu nehmen noch bestehende städtebauliche und bzw. oder soziale Missstände, die durch Segregation hervorgerufen wurden, zu beheben. Im Ergebnis ist der Flächennutzungsplan als Steuerungsinstrument zur Vermeidung bzw. Bekämpfung von Segregationserscheinungen auf kleinräumiger Quartiersebene wenig geeignet.
II. Bebauungsplan als Instrument des allgemeinen Städtebaurechts zur Steuerung von Segregation 1. Grundsatz der Angebotsplanung Die klassische gemeindliche Bauleitplanung ist „Angebotsplanung“.11 Der verbindliche Bebauungsplan eröffnet lediglich die Befugnis zur tatsächlichen Verwirklichung zulässiger Vorhaben. Deshalb wird mit Aufstellung verbindlicher Bebauungspläne lediglich der Ordnungsrahmen für die Umsetzung planerisch vorgesehener Möglichkeiten geschaffen, der deutliche Spielräume zur inhaltlichen Ausführung und Konkretisierung durch die Grundeigentümer eröffnet.12 Etwas anderes gilt, wenn die Gemeinde einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan nach § 12 Abs. 1 BauGB aufstellt. Der vorhabenbezogene Bebauungsplan ist auf eine unmittelbare und zügige Realisierung konkreter baulicher Vorhaben ausgerichtet.13 Voraussetzung für die Aufstellung vorhabenbezogener Bebauungspläne ist allerdings, dass es einen privaten Investor 11 BVerwG,
Urteil vom 26. August 1993 – 4 C 24 / 91, Rn. 25 juris. Der vorhabenbezogene Bebauungsplan nach § 12 BauGB – Bestandsaufnahme und Problemfelder nach einer ersten Konsolidierung des Instruments im Dauerrecht des BauGB, S. 147. 13 Seidler, Praxis-Update: Der vorhabenbezogene Bebauungsplan, S. 499. 12 Köster,
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
gibt, der zur Durchführung der Vorhaben und der Erschließungsmaßnahmen innerhalb einer bestimmten Frist bereit sowie in der Lage ist, sich zur Tragung der Planungs- und Erschließungskosten ganz oder teilweise zu verpflichten. Die Aufstellung angebotsbezogener Bebauungspläne eröffnet der Gemeinde keine Steuerungsmöglichkeiten zur unmittelbaren Einflussnahme auf bestehende Quartiersstrukturen. Sie führt deshalb zu keiner unmittelbaren Veränderung baulicher Verhältnisse im Quartier. Vielmehr bleiben die vorhandenen Quartiersstrukturen trotz Aufstellung von Bebauungsplänen zunächst einmal weiterhin bestehen, auch wenn sie mit den neuen Festsetzungen nicht vereinbar sein sollten. Die Gemeinde kann letztlich durch die Aufstellung von Bebauungsplänen und die Ausweisung neuer Wohngebiete lediglich Angebote für neue Wohnquartiere schaffen. Dies gilt nach Maßgaben von § 1 Abs. 3 BauGB, sobald und soweit dies für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. In planungsrechtlicher Hinsicht kann sich für die vorliegende Untersuchung also allenfalls die Frage stellen, ob die Aufstellung von Bebauungsplänen erforderlich ist, um Segregationsstrukturen in Quartieren abzubauen. Bei der Auslegung des Begriffs der Erforderlichkeit i. S. des § 1 Abs. 3 BauGB sind die Entwicklungs- und Ordnungsfunktion der Bauleitplanung und die sich aus dem Planmäßigkeitsgebot ergebenden Pflichten unter Berücksichtigung der Planungsgrundsätze und -leitlinien nach § 1 Abs. 5 und 6 BauGB heranzuziehen.14 2. Festsetzungsmöglichkeiten nach § 9 Abs. 1 Nr. 7 und 8 BauGB a) Flächen für soziale Wohnraumförderung – § 9 Abs. 1 Nr. 7 BauGB Aus städtebaulichen Gründen können im Bebauungsplan gem. § 9 Abs. 1 Nr. 7 BauGB Flächen festgesetzt werden, auf denen ganz oder teilweise nur Wohngebäude errichtet werden dürfen, die mit Mitteln der sozialen Wohnraumförderung gefördert werden könnten. Die Festsetzung bezieht sich auf Wohngebäude, die die Voraussetzungen der Regelungen zur sozialen Wohnraumförderung nach dem Wohnraumförderungsgesetz15 i. V. mit den jeweiligen Bestimmungen der Länder erfüllen. Wohnraumförderungsrechtliche Anforderungen ergeben sich aus den zu berücksichtigenden Grundsätzen, insbesondere im Hinblick auf Wohnungsgröße und Wohnfläche gem. §§ 10 und 19 14 Battis,
in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 1 BauGB Rn. 28. zur Reform des Wohnungsbaurechts – Wohnraumförderungsgesetz – WoFG vom 13. September 2001, BGBl. I 2001, S. 2376. 15 Gesetz
A. Planungsinstrumente des allgemeinen Städtebaurechts123
WoFG. Diese Grundsätze werden durch Förderbestimmungen der Länder, auf Grundlage von § 5 WoFG, konkretisiert. Die Gemeinde kann den Geltungsbereich der Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 7 BauGB auch auf Teile der zu errichtenden Wohngebäude beschränken. Möglich ist danach, dass bestimmte Wohngebäude bezeichnet werden oder ein Anteil der Wohngebäude an der Gesamtzahl der Wohnungen prozentual bestimmt wird, für die die Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 7 BauGB gelten soll.16 aa) Keine Verpflichtung zur Inanspruchnahme von Mitteln der sozialen Wohnraumförderung Schon dem Wortlaut der Festsetzung ist zu entnehmen, dass es nicht da rauf ankommt, ob die Wohngebäude tatsächlich mit Mitteln der sozialen Wohnraumförderung gefördert werden.17 Es stellt sich daher die Frage, inwieweit die Zwecke der sozialen Wohnraumförderung durch die Festsetzungsmöglichkeit in § 9 Abs. 1 Nr. 7 BauGB effektiv umgesetzt werden können und welche Steuerungswirkungen die Festsetzung solcher Flächen im Bebauungsplan im Hinblick auf sozialräumliche Segregation entfaltet. Die Festsetzung umfasst weder die Verpflichtung des Grundstückseigentümers, Mittel der sozialen Wohnraumförderung in Anspruch zu nehmen noch ein entsprechendes Förderangebot von der für die soziale Wohnraumförderung zuständigen Stelle anzunehmen.18 Dementsprechend ergibt sich aus der Festsetzung auch keine verbindliche Verpflichtung zur Bereitstellung von sozialen Wohnraumförderungsmitteln für konkrete Bauvorhaben. Der Zweck der Festsetzung besteht vielmehr lediglich in der Möglichkeit, Flächen festzusetzen, auf denen ausschließlich Anlagen errichtet werden dürfen, die von ihrer Ausstattung und Größe so errichtet werden, dass ihre Förderung mit Mitteln der sozialen Wohnraumförderung möglich ist.19 Insoweit zielt die Festsetzung darauf ab, die Errichtung von Wohngebäuden für die Zielgruppe sozialer Wohnraumförderung i. S. des § 1 Abs. 2 WoFG, d. h. insbesondere auch für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen, zu ermöglichen.20 16 Bunzel, Soziale Wohnraumförderung durch städtebauliche Verträge, S. 12; Söfker, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 9 BauGB Rn. 77. 17 Mitschang / Reidt, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 9 BauGB Rn. 46; Söfker, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 9 BauGB Rn. 76; Spannowsky, in: Spannowsky / Uechtritz, Beck OK, Stand: 1. Oktober 2015, § 9 BauGB Rn. 27. 18 Söfker, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 9 BauGB Rn. 79; Burmeis ter, Praxishandbuch Städtebauliche Verträge, Rn. 110. 19 Ausschussbericht vom 23. Februar 1976, BT-Drs. 7 / 4793, S. 28. 20 Mitschang / Reidt, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 9 BauGB Rn. 46.
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
Es gab bereits Überlegungen, die Festsetzung des § 9 Abs. 1 Nr. 7 BauGB derart auszugestalten, dass auf den betreffenden Flächen nur Wohngebäude im Rahmen der Förderung des sozialen Wohnungsbaus errichtet werden dürfen.21 Die seinerzeit vorgeschlagene Formulierung einer verpflichtenden Inanspruchnahme von Mitteln des sozialen Wohnungsbaus wurde vom Gesetzgeber aber nicht übernommen. Bei einer entsprechenden Verpflichtung müssten nämlich Fördermittel auch tatsächlich bereitgestellt werden. Die für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stehenden Mittel sind in den letzten Jahren drastisch zurückgegangen.22 Deshalb führt die bloße Ausweisung solcher Flächen nicht zu verbindlichen Vorgaben im Hinblick auf die Miethöhe oder einem spezifischen Belegungsmanagement der Wohngebäude.23 Solche ergänzenden Festlegungen können (lediglich) durch städtebauliche Verträge geregelt und festgelegt werden.24 bb) Steuerungswirkungen im Hinblick auf Segregation Im Hinblick auf die Vermeidung bzw. den Abbau ethnischer Segregationsstrukturen ergeben sich keine spezifischen Steuerungswirkungen durch Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 7 BauGB. Sie können lediglich mittelbare Steuerungswirkungen für soziale Segregation dadurch entfalten, dass nur Wohngebäude errichtet werden dürfen, die die gebäudebezogenen Anforderungen der sozialen Wohnraumförderung erfüllen. Auf diese Weise kann eine mittelbare Steuerung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung stattfinden: Es entstehen Wohnungen, für die aufgrund ihres Zuschnitts, ihrer Größe und ihrer Ausstattung typischerweise niedrigere Mietpreise verlangt werden können und die deshalb besonders für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen attraktiv sind. Ob und inwieweit Festsetzungen nach Nr. 7 in Betracht kommen, beurteilt sich neben den Grundsätzen der Bauleitplanung auch nach der Durchführbarkeit der Planung.25 Der Bebauungsplan ist auf Verwirklichung der in ihm enthaltenen Festsetzungen angelegt, weshalb diese auch vollziehbar sein müssen.26 Der Vollziehbarkeit dürfen insbesondere keine Hemmnisse entgegenstehen, die sie von vornherein in Frage stellen.27 Dementsprechend kann bei der Festsetzung nach Nr. 7 von Bedeutung sein, 21 Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 22. August 1978, BT-Drs. 7 / 2496, § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB, S. 6. 22 S. 2. Kapitel B. V. 3. b). 23 Bunzel, Soziale Wohnraumförderung durch städtebauliche Verträge, S. 12. 24 Söfker, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 9 BauGB Rn. 75. 25 Söfker, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 9 BauGB Rn. 79. 26 Söfker, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 1 BauGB Rn. 213. 27 Söfker, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 1 BauGB Rn. 213.
A. Planungsinstrumente des allgemeinen Städtebaurechts125
ob und inwieweit eine soziale Wohnraumförderung in Betracht kommt und ob insoweit die Bereitstellung von Fördermitteln vorgesehen bzw. in Zukunft zu erwarten ist.28 Zwar unterliegen auch nur die Wohngebäude, die tatsächlich unter Inanspruchnahme von Mitteln der sozialen Wohnraumförderung errichtet wurden, den Bindungen durch das WoFG.29 Die Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 7 BauGB entfaltet aber auch ohne eine entsprechende Verpflichtung der Grundstückseigentümer zur Inanspruchnahme von sozialen Wohnraumförderungsmitteln insoweit mittelbare Steuerungsmöglichkeiten, weil gebäudebezogene Anforderungen nach dem WoFG und den jeweiligen landesrechtlichen Bestimmungen zu erfüllen sind, weshalb tendenziell vorrangig Wohnraum für Bevölkerungsgruppen mit geringerem Einkommen geschaffen wird. b) Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf – § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB enthält die Ermächtigung zur Festsetzung einzelner Flächen, auf denen ganz oder teilweise nur Wohngebäude errichtet werden dürfen, die für Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf bestimmt sind. Diese Festsetzungsmöglichkeit weist gegenüber den übrigen Festsetzungen eine Besonderheit auf: Es ist die einzige Festsetzung, die eine Ausweisung der Nutzbarkeit von Flächen für den spezifischen Bedarf von bestimmten Personengruppen zulässt.30 Es handelt sich um den einzigen Fall, in dem die ausgewiesene Fläche nicht abstrakt durch ihre städtebauliche Funktion umschrieben wird, sondern sich am Bedarf von Personengruppen orientiert. aa) Räumlicher Geltungsbereich der Festsetzung Der räumliche Geltungsbereich der Festsetzung bezieht sich nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB auf „einzelne Flächen“. Der Begriff „einzelne Fläche“ erfasst nach Rechtsprechung des BVerwG nicht ein ganzes Baugebiet, sondern einzelne Bereiche eines Gebiets, z. B. einzelne Grundstücke.31 „Einzelne Flächen“ i. S. des § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB sind demnach Flächen, die in eine durch Bebauungsplan geplante oder bereits vorhandene 28 Söfker,
in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 9 BauGB Rn. 79. in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 9 BauGB Rn. 79. 30 Mitschang / Reidt, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 9 BauGB Rn. 47. 31 BVerwG, Beschluss vom 17. Dezember 1992 – 4 N 2 / 91 – BVerwGE91, 381, Rn. 26 juris. 29 Söfker,
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
Bebauung mit einem speziellen Nutzungszweck eingestreut sind.32 Auf diese Weise soll verhindert werden, dass die Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf in einem gesamten Gebiet konzentriert und damit segregiert wohnen und zur Entstehung einseitiger Bevölkerungsstrukturen beitragen wird. Durch die Begrenzung auf einzeln ausgewiesene Flächen sind unterschiedliche Wohnnutzungen nebeneinander möglich33 und wegen der typischerweise geringen Größe der Flächen wird einer „Ghetto-Bildung“ durch Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf kein Vorschub geleistet.34 bb) Begriff des „besonderen Wohnbedarfs“ Auf den ersten Blick scheint damit die Möglichkeit eröffnet, ethnischer Segregation dadurch zu begegnen, dass für bestimmte Bevölkerungsgruppen einzelne Flächen in diversen Wohngebieten bereitgestellt werden können. Es stellt sich aber die Frage, ob Personen mit Migrationshintergrund als Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf angesehen werden dürfen. (1) Bisherige Auffassung Der besondere Wohnbedarf ist nach derzeit h. M. ein Bedarf, der durch bauliche Besonderheiten gekennzeichnet ist.35 Das bedeutet, dass der besondere Wohnbedarf von Personengruppen in dem Sinne durch besondere bauliche Anforderungen an Wohngebäude zum Ausdruck kommen muss.36 Aus den Wohnbedürfnissen müssen sich also konkrete, gruppenspezifische Anforderungen an die bauliche und sonstige Gestaltung von Gebäuden nach innen und außen ergeben, wie die Geschosszahl, die Größe der Wohnungen, Raumaufteilung, Außenanlagen sowie spezifischer Zugänglichkeit von Wohnungen und Grundstücken (Barrierefreiheit).37 In Betracht kommt z. B. der besondere Bedarf von behinderten und alten Menschen, Studenten oder ihnen vergleichbaren Gruppen. Auch kinderreiche Familien und Großfamilien, die sich da32 BVerwG, Beschluss vom 17. Dezember 1992 – 4 N 2 / 91 – BVerwGE91, 381, Rn. 23 juris. 33 BVerwG, Beschluss vom 17. Dezember 1992 – 4 N 2 / 91 – BVerwGE91, 381, Rn. 26 juris. 34 Den Begriff der Ghetto-Bildung hat das BVerwG in seinem Beschluss vom 17. Dezember 1992 – 4 N 2 / 91, Rn. 27 juris ausdrücklich genannt. 35 BVerwG, Beschluss vom 17. Dezember 1992 – 4 N 2 / 91 – BVerwGE91, 381, Rn. 24 f. juris.; Mitschang / Reidt, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 9 BauGB Rn. 49; Söfker, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 9 BauGB Rn. 82. 36 BVerwG, Beschluss vom 17. Dezember 1992 – 4 N 2 / 91 – BVerwGE91, 381, Rn. 24 f. juris. 37 Mitschang / Reidt, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 9 BauGB Rn. 49.
A. Planungsinstrumente des allgemeinen Städtebaurechts
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durch auszeichnen, dass mehrere Generationen zusammenwohnen, können einen besonderen städtebaulichen bzw. baulich-strukturell begründeten Wohnbedarf haben.38 Die Anforderungen an den besonderen Wohnbedarf müssen nach objektiven Merkmalen zu beurteilen sein, d. h. die Unterbringung von Bevölkerungsgruppen, für die allgemein oder z. B. aus Anlass der Durchführung städtebaulicher Sanierungsmaßnahmen ein dringender Bedarf an Wohnraum besteht, fällt nicht unter die Anforderungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB.39 Nach derzeitiger Auffassung kommt es damit weder auf eine Unterscheidung verschiedener Personengruppen nach Alter, Einkommen und sonstigen sozialen Kriterien an noch auf die Frage, ob Einheimische oder Zuwanderer untergebracht werden.40 Dabei sind Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber nach (wohl) überwiegender Ansicht nicht als Wohngebäude zu qualifizieren, weil sie nicht dem dauerhaften Wohnen, sondern einer vorübergehenden Unterkunft dienen.41 Schließlich begründet auch geringes Einkommen keinen besonderen Wohnbedarf: Nach Ansicht des BVerwG besteht bei sozial weniger leistungsfähigen Bewohnern kein baulich-strukturell begründeter Wohnbedarf.42 Ein geringes Einkommen habe keine Auswirkungen auf bauliche Besonderheiten von Wohngebäuden, z. B. im Hinblick auf die Raumanzahl, die Ausstattung und Innengestaltung oder die Barrierefreiheit der Wohnung, wie etwa rollstuhlgerechte Türen oder Fahrstühle.43 Schließlich sei § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB nicht für eine nach der Einkommenshöhe gestaffelte Sozialpolitik bestimmt; die allgemeine Wohnungsnot könne keinen Regelungsgegenstand von Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB darstellen.44
38 Söfker, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 9 BauGB Rn. 82; Mitschang / Reidt, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 9 BauGB Rn. 48. 39 Söfker, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 9 BauGB Rn. 82. 40 Söfker, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 9 BauGB Rn. 82 m. w. N. 41 OVG Lüneburg, Beschluss vom 25. März 1993 – 6 M 1207 / 93 – Rn. 12 juris.; Stock, in: König / Roeser / Stock, § 4 BauNVO Rn. 52; a. A. VG Regensburg, Beschluss vom 29. August 2014 – RN 6 E 14 / 1432, Rn. 23 juris.; einen Überblick über die Frage, ob Asylbewerberunterkünfte als soziale Zwecke dienende Anlagen oder Wohnunterkünfte zu qualifizieren gibt Spindler, in Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Asylbewerberunterkünften in Wohngebieten, S. 125–129. 42 BVerwG, Beschluss vom 17. Dezember 1992 – 4 N 2 / 91 – BVerwGE91, 381, Rn. 30 juris. 43 BVerwG, Beschluss vom 17. Dezember 1992 – 4 N 2 / 91 – BVerwGE91, 381, Rn. 30 juris. 44 BVerwG, Beschluss vom 17. Dezember 1992 – 4 N 2 / 91 – BVerwGE91, 381, Rn. 30 juris.
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
(2) Erweiternde Auslegung des § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB? Zu untersuchen ist, ob die dargestellte enge Auslegung des Begriffs „Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf“ i. S. des § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB tatsächlich rechtlich geboten ist. Die Frage stellt sich auch vor dem Hintergrund der im Jahr 2014 eingefügten Planungsleitlinie in § 1 Abs. 6 Nr. 13 BauGB45, wonach in der Bauleitplanung auch die Belange von Flüchtlingen und Asylbegehrenden und ihrer Unterbringung zu berücksichtigen sind. Durch die Einführung dieser Planungsleitlinie wird deutlich, dass erforder liche Maßnahmen, wie z. B. zur Integration und zur Teilhabe am öffentlichen Leben, auch planungsrechtlich abzusichern sind. In diesem Zusammenhang ist auch der Entstehung ethnischer Segregation entgegenzuwirken.46 Denn infolge ethnischer Segregation können die Möglichkeiten der Integration und der Teilhabe am öffentlichen Leben eingeschränkt sein bzw. werden. Insoweit stellt sich die Frage, ob die Ermächtigung zur Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB unter Berücksichtigung der städtebaulichen Bedeutung ethnischer Segregationserscheinungen erweiternd ausgelegt werden kann. Konkret ist zu überlegen, ob der Begriff der Personengruppen „mit besonderem Wohnbedarf“ auf Flüchtlinge, die dauerhaft in Wohngebäuden untergebracht werden, und etwa auf Migranten47 erstreckt werden kann. Dafür spricht, dass die Chancen sowohl von Flüchtlingen als auch von Migranten, am freien Wohnungsmarkt eine Wohnung zu bekommen, regelmäßig erheblich schlechter als die der Einheimischen sind.48 Ohne eine diesbezügliche staatliche Steuerung wird der Wohnstandort allein durch den freien Markt bestimmt und damit der Entstehung ethnischer Segregation tendenziell Vorschub geleistet. Gegen eine erweiternde Auslegung sprechen allerdings nach wie vor die allgemeinen städtebaulichen Regelungsziele: Die allgemeine Aufgabe der Bauleitplanung besteht nicht darin, die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu „regeln“.49 Vielmehr verhält sich die allgemeine Bauleitplanung zur Zusammensetzung der Wohnbevölkerung grundsätzlich neutral, d. h. es werden weder spezifische Bevölkerungsgruppen bevorzugt noch die Schaffung einer bestimmten Zusammensetzung der Wohnbevölke45 s. dazu
3. Kapitel A. III. dem gesetzgeberischen Ziel, Segregationstendenzen entgegenzuwirken, s. auch den Gesetzesentwurf zum Integrationsgesetz, BT-Drs. 18 / 8615 v. 31.05.2016, S. 3. 47 Sofern es sich nicht um Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber handelt, die nach überwiegender Auffassung nicht als Wohngebäude, sondern als Anlagen für soziale Zwecke qualifiziert werden. s. dazu: Mitschang / Reidt, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 9 BauGB Rn. 48. 48 s. dazu 2. Kapitel B. V. 3. b). 49 Battis, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 9 BauGB Rn. 55. 46 Zu
A. Planungsinstrumente des allgemeinen Städtebaurechts129
rung angestrebt.50 Zwar gibt es Strukturen der Wohnbevölkerung, deren Erhaltung aus besonderen städtebaulichen Gründen erforderlich ist51, daraus ergibt sich aber nicht, dass bestimmte Personengruppen allein wegen ihrer Probleme am Wohnungsmarkt privilegiert werden sollen; schutzwürdig ist grundsätzlich jede Art von Wohnbevölkerung.52 Aus diesen Gründen lässt sich eine erweiternde Auslegung des Begriffs „besonderer Wohnbedarf“ weder zugunsten von Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund noch zugunsten sozial schwächerer Bevölkerungsgruppen, die keinen zusätzlichen baulich-strukturellen Wohnbedarf aufweisen, begründen. Insofern entfaltet die Festsetzung keine Steuerungswirkung im Hinblick auf soziale und ethnische Segregation. 3. Festsetzungen von Art und Maß der baulichen Nutzung Im Bebauungsplan können nach § 9 Abs. 1 BauGB insbesondere Art und Maß der baulichen Nutzung festgelegt werden. Die Festsetzungsmöglichkeiten werden durch die Vorschriften der BauNVO konkretisiert. Damit findet nach der Rechtsprechung „eine sachverständige Konkretisierung der allgemeinen Planungsgrundsätze“ statt.53 Im Folgenden wird die Frage untersucht, ob mit Regelungen der baulichen und sonstigen Nutzung, insbesondere durch die Festlegungsmöglichkeit von Art und Maß baulicher Nutzungen, sowie ergänzender Festsetzungen zur Bauweise nach Maßgabe der BauNVO, die Entstehung von Segregation bekämpft werden kann. a) Steuerungsmöglichkeiten durch die Art baulicher Nutzung Unter Art der baulichen Nutzung i. S. des § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB ist nur die allgemeingebietliche Nutzungsweise, wie sie in § 1 Abs. 2 BauNVO abschließend bestimmt ist, zu verstehen.54 Daneben bleiben Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 ff. BauGB anwendbar.55 In 50 s. zum
51 s. dazu
B. V.
Grundsatz bevölkerungsstruktureller Neutralität 3. Kapitel A. I. § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und Abs. 4 BauGB und zur Erhaltungssatzung
52 Mitschang,
in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 172 BauGB Rn. 19. Urteil vom 16. März 1984 – 4 C 50 / 80 – Rn. 14. 54 Söfker, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 9 BauGB Rn. 20. 55 Denn durch die Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 ff. BauGB werden nur Nutzungen für einzelne Flächen zu spezifischen Zwecken festgelegt, s. dazu auch: Mitschang / Reidt, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 9 BauGB Rn. 12; Söfker, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 9 BauGB Rn. 20. 53 BVerwG,
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
den §§ 1 bis 15 BauNVO wird die zulässige Art baulicher Nutzung innerhalb festgelegter Baugebiete in typisierender Weise bestimmt. Die BauNVO ermöglicht für ein und dieselbe Nutzung, nämlich das „Wohnen“, die Festlegung verschiedener Baugebietstypen. Die BauNVO sieht Wohnnutzungen in reinen, allgemeinen und besonderen Wohngebieten sowie in Dorf- und Mischgebieten vor. Die reinen Wohngebiete gem. § 3 BauNVO dienen „dem Wohnen“, während die allgemeinen Wohngebiete nach § 4 BauNVO, lediglich „vorwiegend dem Wohnen“ dienen. Unterschiede zwischen der Festlegung von reinen und allgemeinen Wohngebieten ergeben sich vor allem im Hinblick auf die Zulässigkeit weiterer Nutzungen und unterschiedlicher immissionsschutzrechtlich einzuhaltender Obergrenzen.56 Im reinen Wohngebiet sind z. B. Läden, die der Deckung des täglichen Bedarfs für die Bewohner im Gebiet dienen, nur ausnahmsweise zulässig, während im allgemeinen Wohngebiet Läden, Schank- und Speisewirtschaften, die der Versorgung des Gebiets dienen, regelmäßig zulässig sind. Durch die Festlegung der zulässigen Art baulicher Nutzung werden die Quartiersstruktur und die Nutzungsmischung bestimmt. Damit wird unmittelbar festgelegt, welche Nutzung und ggf. Nutzungsmischung, insbesondere von Wohnungen, Büros, Einzelhandel und Dienstleistungen, im Quartier zulässig ist und welche Nutzungen untersagt werden können.57 Die Festlegung der Art baulicher Nutzung wirkt sich auf die Lebensbedingungen und Attraktivität von Quartieren aus und ist damit geeignet, jedenfalls mittelbar, lenkenden Einfluss auf die Zusammensetzung von Bewohnerstrukturen zu nehmen. b) Steuerungsmöglichkeiten durch das Maß baulicher Nutzung Das Maß baulicher Nutzung innerhalb der Baugebiete regeln die §§ 16 ff. BauNVO, die sowohl bei der Festsetzung von Baugebieten nach der BauNVO, als auch bei der Festsetzung von Flächen für bestimmte Zwecke auf der Grundlage von § 9 Abs. 1 BauGB Anwendung finden.58 Das allgemeine Maß der baulichen Nutzung ist nach der in § 16 Abs. 2 BauNVO 56 Während im reinen Wohngebiet i. S. des § 3 BauNVO nach Ziff. 6.1 lit. e) der TA Lärm der Immissionsrichtwert von 50 dB(A) tags und 35 dB(A) nachts außerhalb von Gebäuden nicht überschritten werden darf, liegen die Werte in allgemeinen Wohngebieten nach der TA Lärm Nr. 6.1 lit. d) i. S. des § 4 BauNVO bei 55 dB(A) tags und 40 dB(A) nachts. Zum Vergleich dazu sind in Mischgebieten, in denen Wohngebäude regelmäßig zulässig sind, Immissionsrichtwerte von 60 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts einzuhalten. 57 Bunzel et al., in: Wüstenrot, Nutzungswandel und städtebauliche Steuerung, S. 148 m. w. N. 58 BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 2005 – 4 B 56 / 05 – Leitsatz juris.
A. Planungsinstrumente des allgemeinen Städtebaurechts131
a bschließend vorgenommenen Aufzählung durch Festsetzung der Geschossflächenzahl, der Baumassenzahl und der Höhe baulicher Anlagen im Bebauungsplan zu bestimmen.59 Die Größe und Zuschnitte einzelner Wohneinheiten innerhalb der Wohngebäude sind damit keine zulässigen Bestimmungsfaktoren für das Maß baulicher Nutzung. Im Bebauungsplan können dementsprechend im Rahmen des zulässigen Maßes baulicher Nutzung auch keine Vorgaben zu Wohnungsgrößen festgesetzt werden. Zwar kann auf diese Weise keine Steuerung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung vorgenommen werden, die Festlegung des zulässigen Maßes baulicher Nutzung wirkt sich aber auf die Bebauungsdichte im Quartier aus. Durch das Maß baulicher Nutzung wird die Intensität der zulässigen Grundstücksnutzung im Hinblick auf die Grundflächenzahl und die zulässige Höhe baulicher Anlagen bestimmt. Daraus können sich mittelbare Steuerungswirkungen mit Blick auf die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung ergeben. Denn mittelbar werden durch die Festlegung des Maßes baulicher Nutzungen die zulässigen Wohnformen gesteuert, die sich auf die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung auswirken. Zwar umfasst der Geltungsbereich baunutzungsrechtlicher Vorschriften nicht nur beplante, sondern faktisch auch unbeplante innerstädtische Gebiete60, die Steuerungswirkungen des Maßes baulicher Nutzungen im Hinblick auf die Vermeidung bzw. den Abbau von Segregation sind aber insgesamt als gering anzusehen. c) Steuerungsmöglichkeiten durch Festlegung der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksflächen Die Gemeinde kann nach §§ 22 und 23 BauNVO die Bauweise und die überbaubare Grundstücksfläche im Bebauungsplan festsetzen. § 22 BauNVO sieht die Festsetzung von offener oder geschlossener Bauweise vor. Setzt die Gemeinde eine offene Bauweise fest, werden die Gebäude mit seitlichem Grenzabstand als Einzelhäuser, Doppelhäuser oder Hausgruppen errichtet. § 22 Abs. 2 S. 3 BauNVO bestimmt, dass im Bebauungsplan außerdem Flächen festgesetzt werden können, auf denen nur Einzelhäuser, nur Doppelhäuser, nur Hausgruppen oder nur zwei dieser Hausformen zulässig sind. Die Festlegung einer offenen Bauweise führt zu einer Bebauung, die tendenziell für einkommensstärkere Bevölkerungsgruppen at59 Söfker, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 9 BauGB Rn. 33. Das nach § 16 BauNVO festgelegte Maß darf die in § 17 Abs. 1 BauNVO festgelegten Obergrenzen grundsätzlich nicht übersteigen. Die Obergrenzen können nach Maßgabe des § 17 Abs. 2 BauNVO aus städtebaulichen Gründen überschritten werden. 60 Bunzel et al., in: Wüstenrot, Nutzungswandel und städtebauliche Steuerung, S. 158.
132
4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
traktiv ist. Das gilt insbesondere für Einfamilienhäuser, die vor allem für einkommensstärkere Haushalte mit Kindern attraktiv sind. Für andere Bevölkerungsgruppen, wie z. B. Studenten oder Alleinerziehende, kommt die Art der Bebauung aus Kostengründen dagegen meist weniger in Betracht. Insoweit findet durch die Festsetzung der Bauweise eine mittelbare Steuerung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung statt. Neben der Festsetzung der Bauweise kann die Gemeinde durch Festsetzung von Baulinien, Baugrenzen oder Bebauungstiefen nach § 23 BauNVO die zulässige Wohnbebauung und die zulässigen Wohnformen bestimmen. Die Festsetzung der überbaubaren Grundstücksfläche wirkt sich damit ebenfalls mittelbar auf die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aus. d) Fazit: Konzeption der BauNVO tendenziell segregationsfördernd Das der BauNVO zugrundeliegende Konzept der Einteilung des Stadtgebietes in verschiedene Baugebiete geht auf die sog. Zonen- und Staffelbauordnungen61 zurück.62 Schon diese sahen eine „qualitative“ Unterscheidung von Wohnquartieren vor: Es bestand die Möglichkeit, Zonen festzulegen, die der Wohnnutzung für das sog. Bürgertum dienten. Die Arbeiterschaft wohnte dagegen in gemischten Zonen, die neben der Wohnnutzung auch die Ansiedlung von Gewerbebetrieben vorsahen.63 Die damaligen Zonenbauverordnungen haben sozialräumliche Ungleichheiten festgeschrieben und damit sozialräumliche Segregationsstrukturen gefördert.64 Zwar kennt die BauNVO eine Zonierung dieser Form nicht mehr, sie hat aber eine ähnliche Differenzierung von Gebieten zur Wohnnutzung beibehalten. Die BauNVO ermöglicht nach wie vor eine qualitative Unterscheidung von Wohnquartieren, indem die Gemeinde „reine“ oder „allgemeine“ Wohngebiete festsetzen kann. Die Festsetzung wirkt sich neben der Zulässigkeit weiterer Nutzungen, vor allem auch auf die zulässige Lärmbelastung im Quartier aus.65 Die BauNVO ermöglicht durch Festlegung der Nutzungsmischung die Steuerung der Wohn- und Lebensqualität im Quartier sowie durch Festset61 Erste Formen der Zonenbaupläne gab es 1878 in Dresden und 1879 in Erfurt, s. dazu: Roskamm, Das Leitbild von der urbanen Mischung, S. 4; s. dazu auch oben 2. Kapitel C. II. 2. 62 Roskamm, Das Leitbild von der urbanen Mischung, S. 4. 63 Frankfurt a. M. wurde auf diese Weise in Zonen eingeteilt, s. dazu 2. Kapitel C. II. 2. 64 von Saldern, Häuserleben, S. 63 m. w. N. 65 Bunzel / Frölich / Strauss, Grundlagenforschung zur Baugebietstypologie der Baunutzungsverordnung, S. 92.
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts133
zung der Bauweise die Art die Verwirklichung von Wohnformen, die nur für bestimmte Bevölkerungsgruppen attraktiv sind. Insbesondere durch die Festsetzung von Bauweise und überbaubarer Grundstücksfläche ergeben sich mittelbare Steuerungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung. Die Befugnis zur Festsetzung entsprechend den genannten Kriterien ermöglicht die Umsetzung von Wohnformen, die tenden ziell zur Entstehung sozialer Segregation beigetragen.
III. Fazit zu den Steuerungsmöglichkeiten von Flächennutzungsplänen und Bebauungsplänen Die Steuerungsmöglichkeiten des allgemeinen Städtebaurechts im Hinblick auf soziale und ethnische Segregation sind insgesamt begrenzt. Die Darstellungen im Flächennutzungsplan sind zu großmaßstäblich, als dass eine sinnvolle Steuerung von sozialen und ethnischen Segregationsstrukturen vorgenommen werden könnte. Durch verbindliche Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 BauGB bestehen allenfalls mittelbare Steuerungsmöglichkeiten von sozialen Segregationserscheinungen. Ethnische Segregation kann durch die Instrumente des allgemeinen Städtebaurechts nicht gesteuert werden. Die Festsetzung von Baugebieten nach den Vorschriften der BauNVO eröffnet mittelbare Steuerungsmöglichkeiten, insbesondere durch die Festsetzung von reinen und allgemeinen Wohngebieten sowie der zulässigen Bauweise nach § 22 Abs. 1 BauNVO. Insgesamt ist festzustellen, dass den Vorschriften der BauNVO tendenziell ein segregationsförderndes Konzept zugrunde liegt.
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts Die ursprüngliche Grundlage für die Entwicklung städtebaulicher Maßnahmen zur sozialen Stadtentwicklung bildete das Städtebauförderungsrecht.66 In dem im Jahr 1971 in Kraft getreten Städtebauförderungsgesetz wurde erstmalig ein städtebauliches Sanierungs- und Entwicklungsrecht gesetzlich geregelt.67 Bis dahin war der Zustand der Bausubstanz der Wohngebäude in den Quartieren der Eigeninitiative der Grundstückseigentümer überlassen. Ziel des Städtebauförderungsgesetzes war es, die Attraktivität der Innenstädte 66 s. dazu
2. Kapitel C. IV. 1. d). Durchführung städtebaulicher Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen war in §§ 1 und 3 StBauFG 1971 geregelt, s. dazu: Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 136 BauGB Rn. 1. 67 Die
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
zu fördern, indem alte Baugebiete saniert und Randzonen der Verdichtungsgebiete entwickelt werden sollten.68 Zur Behebung von städtebaulichen Missständen wurden Aufwertungen, Modernisierungen und Verbesserungen der von Bausubstanzproblemen betroffenen Quartiersbebauung und der allgemeinen Stadtgestaltung vorgenommen.69 Im Rahmen der Durchführung von städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen konnte die Gemeinde neben Modernisierungsmaßnahmen auch den Abriss von Gebäuden mit dem Ziel erreichen, das Quartier anschließend städtebaulich gänzlich neuzuordnen.
I. Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen nach §§ 136 ff. BauGB In Westdeutschland stand das städtebauliche Sanierungsrecht mit einer starken Konzentration auf die Verbesserung des vorhandenen Gebäudebestands beispielhaft für neue Tendenzen im Städtebau.70 In Ostdeutschland gab es keine vergleichbaren städtebaulichen Regelungen zur Stadterneuerung; der Schwerpunkt lag dort vielmehr auf dem Wohnungsneubau.71 Mit der Novelle des BauGB 198672 wurde das gesamte städtebauliche Spezialinstrumentarium, d. h. das Sanierungs- und Entwicklungsrecht in das BauGB übernommen.73 Das städtebauliche Sanierungsrecht ist als spezielles bodenrechtliches Instrumentarium74 in sechs Abschnitten in den §§ 136 bis 164b BauGB geregelt. 1. Instrumente der städtebaulichen Sanierungsmaßnahme Die Gemeinde kann gem. § 142 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 BauGB durch Satzung ein Gebiet, in dem eine städtebauliche Sanierungsmaßnahme durchgeführt werden soll, förmlich als Sanierungsgebiet festlegen. Voraussetzung dafür ist, dass das Gebiet städtebauliche Missstände i. S. des § 136 Abs. 2 68 Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, S. 703; Steinebach / Rumberg, Städtebau liche Entwicklungstrends im 21. Jahrhundert, in: Spannowsky / Büchner, Festschrift für Hans-Jörg Birk, S. 50; s. dazu auch 2. Kapitel C. IV. 1. d). 69 Vgl. hierzu: NVwZ 1987, S. 207. 70 Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 136 BauGB Rn. 1. 71 Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 136 BauGB Rn. 1; s. dazu auch 2. Kapitel C. IV. 2. 72 Baugesetzbuch vom 8. Dezember 1986, BGBl. I, S. 2191. 73 Peine, Öffentliches Baurecht, Rn. 979. 74 Das Sanierungsrecht wird als Sonderrecht verstanden, weil mit der Durchführung von Sanierungsmaßnahmen Genehmigungsvorbehalte und Vorkaufsrechte begründet werden können, vgl. Mitschang, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 136 BauGB Rn. 1.
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts135
S. 2 BauGB aufweist. Im förmlich festgelegten städtebaulichen Sanierungsgebiet ist es Aufgabe der Gemeinde, sog. Ordnungsmaßnahmen i. S. des § 147 BauGB durchzuführen.75 § 147 S. Nr. 1 bis 5 BauGB enthält eine abschließende Aufzählung von Durchführungsmaßnamen, die als Ordnungsmaßnahmen zu qualifizieren sind. Danach gehören zu den Ordnungsmaßnahmen – die Bodenordnung einschließlich des Erwerbs von Grundstücken, – der Umzug von Bewohnern und Betrieben, – die Freilegung von Grundstücken, – die Herstellung und Änderung von Erschließungsanlagen sowie – die sonstigen für die Durchführung der Baumaßnahmen notwendigen Maßnahmen. Zu den sonstigen Maßnahmen zählen alle Maßnahmen, die eine Entschädigungspflicht auslösen können.76 In der zweiten Phase der Sanierung werden im Wesentlichen77 von den Eigentümern „Baumaßnahmen“ durchgeführt. Zu den Baumaßnahmen gehören gem. § 148 Abs. 2 S. 1 BauGB u. a. die Modernisierung und Instandsetzung von Gebäuden sowie die Neubebauung, Verlagerung und Änderung von Betrieben. Neben den Ordnungsmaßnahmen stehen der Gemeinde besondere bodenrechtliche Instrumentarien zur Verfügung, mit denen sie die Grundeigentümer in förmlich festgelegten Sanierungsgebieten besonderen Bindungen unterwerfen kann.78 Zu den besonderen bodenrechtlichen Instrumentarien zählen z. B. das Vorkaufsrecht gem. § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BauGB, die Erhebung von Ausgleichsbeträgen i. S. des § 154 BauGB und die besonderen Genehmigungspflichten nach § 144 BauGB.79 Gegenstand der besonderen Genehmigungspflichten sind die in § 144 Abs. 1 und 2 BauGB bezeichneten Vorhaben und Maßnahmen, für die ergänzend zu den nach Landesrecht erforderlichen Genehmigungen, insbesondere Baugenehmigungen, eine spezielle Sanierungsgenehmigung einzuholen ist.80
75 Stemmler,
in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 147 BauGB Rn. 2. in EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 148 BauGB Rn. 3. 77 Die Durchführung von Baumaßnahmen obliegt der Gemeinde nach Maßgabe von § 148 Abs. 1 BauGB. 78 Schmidt-Eichstaedt, Zum Verhältnis von Sanierungszielen und Bebauungsplänen, S. 13 m. w. N. 79 Schmidt-Eichstaedt, Städtebaurecht, S. 453. 80 Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 145 BauGB Rn. 6. 76 Krautzberger
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
2. Segregation als städtebaulicher Missstand Für die Frage der Steuerungswirkung städtebaulicher Sanierungsmaßnahmen im Hinblick auf sozialräumliche Segregation ist zu prüfen, ob soziale und ethnische Segregation in Wohnquartieren als städtebaulicher Missstand i. S. des § 136 Abs. 2 BauGB zu qualifizieren ist, der mit der Durchführung städtebaulicher Sanierungsmaßnahmen bekämpft werden kann. Nach § 136 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 und 2 BauGB liegen städtebauliche Missstände vor, wenn (Nr. 1) das Gebiet aufgrund seiner Bebauung oder seiner sonstigen Beschaffenheit den allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse oder an die Sicherheit der in ihm wohnenden und arbeitenden Menschen nicht entspricht oder (Nr. 2) das Gebiet in der Erfüllung der Aufgaben erheblich beeinträchtigt ist, die ihm nach Lage und Funktion obliegen. Das BauGB unterscheidet also zwischen der Sanierung des baulichen Zustands des Gebiets (Substanzschwäche) und der Sanierung zur Behebung von Funktionsmängeln im Gebiet. In der Praxis treffen beide Formen städtebaulicher Missstände vielmals zusammen und sind lediglich unterschiedlich stark ausgeprägt.81 a) Segregation als Substanzschwäche? Städtebauliche Missstände können nach § 136 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 BauGB die Substanz betreffen, wenn das Gebiet nach seiner vorhandenen Bebauung oder nach seiner sonstigen Beschaffenheit den allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse oder an die Sicherheit der in ihm wohnenden oder arbeitenden Menschen (auch unter Berücksichtigung der Belange des Klimaschutzes und der Klimaanpassung) nicht entspricht. Die städtebaulichen Missstände müssen ihre Ursache in der „vorhandenen Bebauung“ oder in der „sonstigen Beschaffenheit“ des Gebiets haben. Die sonstige Beschaffenheit muss sich auf das Gebiet selbst beziehen und kann sich sowohl aus der nicht-baulichen Nutzung als auch aus unzureichenden Infrastruktur- oder Erschließungsanlagen, wie z. B. Verkehrsanlagen und Grünflächen ergeben.82 Substanzschwächen müssen bereits eingetreten oder jedenfalls in der Entstehung begriffen sein. Eine präventive Durchführung 81 Krautzberger,
in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 136 BauGB Rn. 75. in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 136 BauGB Rn. 78; Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 136 BauGB Rn. 15. 82 Krautzberger,
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts
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städtebaulicher Maßnahmen zur Verhinderung von Substanzschwächen wäre weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn und Zweck des Sanierungsrechts vereinbar.83 Bei (rein) vorbeugenden Maßnahmen handelt es sich vielmehr um Aufgaben, die die Gemeinde im Wesentlichen mit dem allgemeinen städtebaulichen Instrumentarium bewältigen soll. Im vorliegenden Zusammenhang ist die Frage zu untersuchen, ob soziale und bzw. oder ethnische Segregation in Quartieren einen städtebaulichen Missstand i. S. des § 136 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 BauGB in Form einer sog. Substanzschwäche darstellen kann. Dies wäre der Fall, wenn Segregation in Quartieren dazu führen kann, dass diese nach ihrer vorhandenen Bebauung oder ihrer sonstigen Beschaffenheit den allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse oder an die Sicherheit der in dem Gebiet wohnenden und arbeitenden Menschen nicht entsprechen. § 136 Abs. 3 Nr. 1 BauGB enthält beispielhaft Kriterien in Bezug auf gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse und die Sicherheit der in dem Gebiet wohnenden und arbeitenden Menschen. Zu diesen Kriterien zählen u. a. die Belichtung, Besonnung, Belüftung der Wohnungen, die bauliche Beschaffenheit von Gebäuden und Wohnungen, die Zugänglichkeit von Grundstücken, die Nutzung von bebauten und unbebauten Flächen nach Art, Maß und Zustand sowie die Einwirkungen, die von Grundstücken, Betrieben, Einrichtungen oder Verkehrsanlagen ausgehen, insbesondere durch Lärm, Verunreinigungen und Erschütterungen. Es liegt auf der Hand, dass das Vorhandensein von sozialer und bzw. oder ethnischer Segregation als solches nicht unmittelbar zu Defiziten in der baulichen Substanz von Grundstücken im Quartier führt. Es kann aber mittelbar ein Zusammenhang zwischen der vorhandenen Bebauung bzw. der baulichen Beschaffenheit von Grundstücken und dem Vorhandensein von Segregationserscheinungen bestehen. Ein solcher Zusammenhang besteht in zwei Fällen: Zum einen kann der Zustand und der Charakter der baulichen Anlagen der Entstehung von sozialer Segregation Vorschub leisten und die Entstehung von baulichen Substanzschwächen befördern. Zum anderen kann umgekehrt das Vorhandensein baulicher Substanzschwächen im Quartier zur Entstehung sozialer Segregation beitragen.84 Beispiele für den erstgenannten Fall finden sich in einigen in den 1960er bis 1970er Jahren entstandenen Großwohnsiedlungen, die sich durch eine hochgeschossige, stark verdichtete Bebauung in zumeist peripherer Stadtrandlage auszeichnen.85 Diese Art der Nutzung von bebauter Fläche nach 83 Krautzberger,
in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 136 BauGB Rn. 69. den Auswirkungen sozialer Segregation, s. 2. Kapitel D. 85 s. dazu 2. Kapitel B. III. 1. 84 Zu
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
Art, Maß und Zustand ist insbesondere für einkommensstärkere Bevölkerungsgruppen von vornherein wenig attraktiv. Das hat meist zur Folge, dass die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in diesen Quartieren bereits durch die Lage des Quartiers, seinen Charakter und die Dichte der vorhandenen Bebauung in gewissem Maß vorbestimmt ist. Eine Durchmischung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in diesen Quartieren kann durch dynamische Stadtentwicklungsprozesse nur in geringem Maße erreicht werden. Denn die Mechanismen einer dynamischen Stadtentwicklung finden aufgrund der Art der Bebauung und dem Abgeschlossenheitscharakter dieser Quartiere von vornherein nicht in demselben Maße statt wie in anderen Stadtquartieren. Dies führt zu einer dauerhaft geringeren Nachfrage nach Wohnraum in diesen Quartieren und zu einem tendenziell sinkenden Mietpreisniveau, weshalb weitere einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen nachziehen. Für die Eigentümer bedeutet dies wiederum sinkende Anreize für Investitionen und qualitative Maßnahmen. Dies führt zugleich tendenziell zu entsprechend geringen (finanziellen) Anreizen zur Vornahme von Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen dieser Gebäude. Die geringe Bereitschaft zur Vornahme von Modernisierungs-, Aufwertungs- und Instandhaltungsmaßnahmen fördert die Entstehung baulicher Mängel und damit städtebaulicher Missstände in Form von Substanzschwächen i. S. des § 136 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 BauGB. Auch in anderen Quartieren kann das Vorhandensein von Substanzmängeln zur Entstehung von sozialen Segregationserscheinungen führen. Das ist z. B. in nicht sanierten bzw. modernisierten (Altbau-)Quartieren der Fall, die im Hinblick auf die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse Defizite aufweisen und deshalb für einkommensstärkere Bevölkerungsgruppen von vornherein unattraktiv sind. Das Mietpreisniveau in diesen Quartieren ist aufgrund des nicht modernisierten Zustands niedriger, weshalb einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen, für die die Miethöhe in modernisierten Wohnungen unerschwinglich ist, dort wohnen und neu hinziehen.86 Städtebauliche Missstände in Quartieren begünstigen also die Entstehung sozialer Segregation. Ethnische Segregation wird tendenziell nicht im Zusammenhang mit der Entstehung von Substanzschwächen stehen. Denn das Vorhandensein einer ethnisch homogenen Bewohnerschaft wirkt sich typischerweise nicht auf die Bausubstanz der Wohngebäude aus. Die Gefahr, dass ethnische Segregation zu Substanzschwächen und damit zu städtebaulichen Missständen führt, kann aber regelmäßig dann bestehen, wenn ethnische Segregation mit sozialer Segregation einhergeht. 86 Beispiele
für solche Quartiere in Hamburg sind die Veddel oder Wilhelmsburg.
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts139
b) Segregation als Funktionsmangel? Städtebauliche Missstände mit Blick auf eine mangelnde Funktionsfähigkeit des Gebiets liegen nach § 136 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 BauGB vor, wenn das „Gebiet in der Erfüllung der Aufgaben erheblich beeinträchtigt ist, die ihm nach seiner Lage und Funktion obliegen“. Im vorliegenden Zusammenhang ist zu prüfen, ob soziale und bzw. oder ethnische Segregation einen städtebaulichen Missstand i. S. eines Funktionsmangels darstellen kann. Das wäre der Fall, wenn das Vorhandensein von Segregation dazu führt oder jedenfalls maßgeblich dazu beiträgt, dass das Gebiet in der Erfüllung seiner Aufgaben, die ihm nach Lage und Funktion obliegen, erheblich beeinträchtigt ist. § 136 Abs. 2 Nr. 2 BauGB nennt nicht abschließende87, beispielhafte Merkmale, die bei der Funktionsfähigkeit von Gebieten zu berücksichtigen sind. Danach bezieht sich die Funktionsfähigkeit von Gebieten auf den fließenden und ruhenden Verkehr, die wirtschaftliche Situation und Entwicklungsfähigkeit des Gebiets unter Berücksichtigung seiner Versorgungsfunktion im Verflechtungsbereich sowie auf die infrastrukturelle Erschließung des Gebiets, seine Ausstattung mit Grünflächen, Spielund Sportplätzen und mit Anlagen des Gemeinbedarfs, insbesondere unter Berücksichtigung der sozialen und kulturellen Aufgaben des Gebiets im Verflechtungsbereich. aa) Soziale Segregation als Funktionsmangel Das Vorhandensein sozialer Segregation wirkt sich nicht unmittelbar auf den fließenden und ruhenden Verkehr im Gebiet aus. Denkbar ist aber, dass Wechselwirkungen zwischen dem Vorhandensein sozialer Segregation und der wirtschaftlichen Situation sowie der Entwicklungsfähigkeit von Gebieten bestehen können. Sozial segregierte Quartiere zeichnen sich dadurch aus, dass die wirtschaftliche Situation der darin lebenden und arbeitenden Menschen im Vergleich zu den Bewohnern anderer Stadtquartiere im Durchschnitt schlechter ist.88 Wie bereits oben beschrieben, bestehen Wechselwirkungen, die auch als Kontexteffekte89 bezeichnet werden, zwischen der wirtschaftlichen Situation der in einem Quartier lebenden Menschen und der wirtschaftlichen Situation des Quartiers. Das bedeutet, dass sich Defizite in Bezug auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Quartiersbewohner auf das Quartier auswirken und defizitäre Quartiersstrukturen wiederum Rückwirkungen ha87 VGH
Mannheim, Urteil vom 8. Juli 2010 – 5 S 3092 / 08, Rn. 51 juris. auch 2. Kapitel D. 89 Hanhörster, Türkeistämmige Eigentümer in Migrantenvierteln: Soziale und räumliche Mobilität der zweiten Generation, S. 49 m. w. N. 88 s. dazu
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
ben im Hinblick auf die soziale und wirtschaftliche Situation seiner Bewohner. Fraglich ist aber, ob dies schon zu einem Funktionsmangel führt und insbesondere was in diesem Zusammenhang unter dem Begriff „Funktion“ zu verstehen ist.90 Die Frage, welche Funktion ein Gebiet zu erfüllen hat, ergibt sich regelmäßig aus der allgemeinen städtebaulichen Planung.91 Die zugewiesene Funktion eines Gebiets ergibt sich z. B. aus den Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung, d. h. der Baugebietsfestlegung im Bebauungsplan. Sozial segregierte Quartiere sind zumeist Wohngebiete, die Wohnfunktionen erfüllen. Die Wohnfunktion eines Quartiers umfasst zunächst einmal das Vorhandensein baulicher Anlagen, die zu Wohnzwecken genutzt werden können. Es müssen also die baulichen Voraussetzungen für Wohnnutzungen im Quartier gegeben sein. Daneben gibt es aber auch noch eine erweiterte Wohnfunktion: Ein Quartier hat auch Versorgungs-, Erholungs- und Freizeitfunktionen zu erfüllen. Dazu bedarf es z. B. Einkaufsmöglichkeiten, Grünflächen und sozialer und kultureller Anlagen des Gemeinbedarfs. Darüber hinaus muss im Wohnquartier ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben möglich sein. Die Quartiersbewohner müssen die Möglichkeit haben, ihre Persönlichkeit im räumlichen Umfeld entfalten zu können. Die infrastrukturelle Erschließung von benachteiligten und sozial segregierten Quartieren kann, insbesondere im Vergleich zu den übrigen Stadtquartieren, defizitär sein. Weist ein Quartier kaum Grünanlagen, Spielplätze und sonstige soziale und kulturelle Anlagen des Gemeinbedarfs auf, ist es schon deshalb bei den überwiegenden Bevölkerungsgruppen unattraktiv. In der Folge ziehen einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen in diese Quartiere, die sich Wohnraum in infrastrukturell gut erschlossenen Quartieren nicht leisten können. Dies führt zur Entstehung sozialer Segregationsstrukturen. In diesen sozial segregierten Quartieren sind die Erholungs- und Freizeitfunktionen durch die defizitäre infrastrukturelle Erschließung erheblich beeinträchtigt. Sozial segregierte Quartiere können auch insoweit städtebauliche Missstände in Form von Funktionsmängeln aufweisen. Ein Funktionsmangel liegt dann vor, wenn das Gebiet aufgrund des Vorhandenseins sozialer Segregation seine Wohnfunktionen nicht (mehr) erfüllt. Die baulichen Voraussetzungen für eine Wohnnutzung sind in sozial segregierten Quartieren regelmäßig vorhanden. Denkbar ist aber, dass die Erfüllung der dem Gebiet durch die Gemeinde zugewiesenen Wohnfunktion in sozial segregierten Quartieren dadurch erheblich gestört ist, dass das Zusam90 Der Gemeinde steht ein weiter Beurteilungsspielraum bei der Bewertung der Funktion von Gebieten zu. s. dazu: Beschluss des BVerwG v. 24. März 2010 – 4 BN 60 / 09. 91 Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 136 BauGB Rn. 23.
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts141
menleben der Quartiersbewohner durch schwerwiegende Konflikte, Vandalismus und Gewaltbereitschaft innerhalb des Quartiers beeinträchtigt wird. Städtebaulich unerwünschte Auswirkungen sozialer Segregation können z. B. die durch Benachteiligungen und dadurch hervorgerufene Unzufriedenheit der Quartiersbewohner ausgelöste erhöhte Gewaltbereitschaft sein. Auf diese Weise kann es in sozial segregierten Quartieren zur Entstehung sog. sozialer Brennpunkte kommen, wodurch Quartiersfunktionen erheblich beeinträchtigt werden. Zwar weisen solche Gebiete nach wie vor die baulichen Voraussetzungen für eine Wohnnutzung auf, die darüberhinausgehenden Quartiersfunktionen, wie die Möglichkeit freier Entfaltung der darin lebenden Menschen sowie die Erholungs- und Freizeitfunktionen sind aber aufgrund des Verhaltens der Quartiersbewohner beeinträchtigt. Derartig beeinträchtigte Quartiere werden von einem Großteil der Bevölkerungsgruppen gemieden. Dies wiederum kann erhebliche Beeinträchtigungen der wirtschaftlichen Situation und der Entwicklungsfähigkeit dieser Gebiete und damit Funktionsmängel zur Folge haben. bb) Ethnische Segregation als Funktionsmangel Es ist die Frage zu klären, ob ethnische Segregation Funktionsmängel i. S. des § 136 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 BauGB hervorrufen kann. Das Vorhandensein ethnischer Segregation wirkt sich nicht auf den fließenden und ruhenden Verkehr im Gebiet i. S. des § 136 Abs. 3 Nr. 2 lit. a) BauGB aus. Ethnische Segregation steht auch nicht notwendigerweise im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Situation eines Gebiets. Denkbar ist dies allerdings in den nicht seltenen Fällen, in denen ethnische Segregation mit sozialer Segregation einhergeht.92 Ethnische Segregation kann sich aber ungünstig auf die Entwicklungsfähigkeit des Gebiets auswirken. Wie bereits im 2. Kapitel beschrieben93 wird in sozialwissenschaftlichen Untersuchungen die Gefahr gesehen, dass sich Subsysteme herausbilden, die sich negativ auf den Integrationsprozess von Migranten in ethnisch segregierten Quartieren auswirken, weil sie sich zu institutionell geschlossenen „Parallelgesellschaften“ entwickeln können. Die bindende Kraft dieser sog. Parallelgesellschaften führe zu einer zunehmenden Orientierung der Quartiersbewohner an den eigen-ethnischen Normen.94 In der Praxis ist die Etablierung solcher Parallelstrukturen im Einzelfall allerdings nicht ohne weiteres festzustellen und wissenschaftlich nur schwer zu belegen. Friedrichs / Triemer, Gespaltene Städte?, S. 8. A. II. 3. c). 94 Hanhörster, Türkeistämmige Eigentümer in Migrantenvierteln: Soziale und räumliche Mobilität der zweiten Generation, S. 50 m. w. N. 92 s. dazu,
93 2. Kapitel
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
Für den Fall, dass sich in einem Quartier infolge ethnischer Segregation eigene parallele Gesellschaftsstrukturen herausgebildet haben und eigen-ethnische Normen und Regeln Geltung erlangen, stellt sich die Frage, ob hierin ein Funktionsmangel i. S. des Sanierungsrechts zu sehen ist. Das wäre der Fall, wenn die städtebauliche Wohnfunktion dieser Quartiere durch das Vorhandensein von eigen-ethnischen Parallelstrukturen erheblich beeinträchtigt wird. Dies könnte die sog. erweiterten Wohnfunktionen betreffen, wenn diese durch die beschriebenen Auswirkungen ethnischer Segregation erheblich eingeschränkt werden. Die Quartiersbewohner können nicht mehr in dem Maße ein freies und selbstbestimmtes Leben im Quartier führen, wie es in nicht segregierten Quartieren möglich wäre. Parallelgesellschaften bzw. parallele Gesellschaftsstrukturen zeichnen sich dadurch aus, dass die von ihnen erfassten Personen sich kommunikativen, kulturellen und sozialen Verhaltensregeln unterordnen, die sich von denen der übrigen Bevölkerung unterscheiden. In einer freiheitlichen Gesellschaft ist es jedem Einzelnen unbenommen, sich zu entscheiden, nach welchen Regeln er leben, arbeiten, kommunizieren und sein soziales Verhalten ausrichten will. Weichen solche Regeln und Orientierungen von denen der Mehrheit oder der übrigen Bevölkerung ab, kann darin allein kein Missstand gesehen werden. Problematisch werden solche Orientierungen erst dann, wenn sie Personen aufgedrängt werden, die ihnen nicht freiwillig folgen wollen. Das muss nicht notwendigerweise mit Gewalt einhergehen, wohl aber mit Repression, sozialer Ausgrenzung oder anderen Mechanismen, denen sich die Einzelnen nicht oder nur schwer entziehen können. Von Parallelgesellschaften kann erst gesprochen werden, wenn diese Strukturen einen gewissen Grad an Institutionalisierung erfahren haben, etwa durch Formen privater Jurisdiktion, durch Herrschaftsstrukturen, denen sich die Personen nicht ohne weiteres entziehen können. Zugleich geht dies einher mit der Ablehnung staatlicher Strukturen, wie staatlicher Bildungseinrichtungen, der staatlichen Ordnungsverwaltung und der staatlichen Justiz. Derartig ausgeprägte Parallelstrukturen sind jedenfalls als staatliche Missstände anzusehen, gegen die der Staat mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln vorgehen muss. Dies kann z. B. durch Maßnahmen des Polizeirechts zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder mit der Durchsetzung von Maßnahmen des Strafvollzugs erfolgen. Die Durchsetzung von Maßnahmen der Strafverfolgung kann faktisch aber in erheblichem Maße erschwert sein. Das gilt insbesondere dann, wenn die Inanspruchnahme rechtsstaatlichen Schutzes eine erhebliche Hürde darstellt und staatlicher Schutz möglicherweise gar nicht begehrt wird. Dies wirkt sich vor allem auch auf die Verfolgung von Straf taten aus, die in segregierten Quartieren zumeist im Verborgenen begangen und von den Opfern nicht angezeigt werden. Sie bleiben von der übrigen Allgemeinheit weitgehend unbemerkt und damit ungeahndet. In ethnisch
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts143
derart segregierten Quartieren besteht die Gefahr, dass der Staat in gewissem Umfang sein Ordnungsmonopol verliert. Diesem Vollzugsdefizit kann typischerweise auch nur in geringem Maße entgegengewirkt werden; auch die Erhöhung der Polizeipräsenz in betroffenen Quartieren stellt keine geeignete Maßnahme dar. Denn wesentliche Voraussetzung für die effektive Gewährleistung öffentlicher Sicherheit und Ordnung ist, dass die Bürger auf die Durchsetzungskraft staatlicher Maßnahmen vertrauen, deren Geltung akzeptieren und diese zudem als wirksam ansehen. Dies ist vor allem deshalb erforderlich, weil die Bürger nur dann von ihren Rechten (freiwillig) Gebrauch machen, indem sie z. B. Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung melden oder Straftaten zur Anzeige bringen. Auf diese Weise wird staatlichen Maßnahmen Geltungskraft verschafft. Allein eine erhöhte Polizeipräsenz im Quartier führt nicht ohne Weiteres zur verbesserten Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung; abgesehen davon, dass dies lediglich mit einem verhältnismäßig hohen Kostenaufwand möglich wäre. Fraglich ist aber, ob derartige Parallelstrukturen auch als Missstand im Sinne des Städtebaurechts verstanden werden müssen, d. h. als spezifischer Missstand segregierter Quartiere. Grundsätzlich ist das Entstehen solcher Parallelstrukturen nicht vom Vorhandensein segregierter Quartiere abhängig. So finden sich Parallelstrukturen auch im Bereich krimineller Zusammenschlüsse bzw. Banden, wie bei den Rockern, Hells Angels usw. Allerdings können segregiere Quartiere einen geeigneten Nährboden für die Ausprägung von Parallelstrukturen bieten, weil hier sehr enge kommunikative Bereiche zwischen den Bewohnern entstehen und die Integration in die allgemeine staatliche Gesellschaft schwächer ausgeprägt sein kann. Durch das Zusammenleben im Quartier können Lebensgewohnheiten der Bewohner beeinflusst und kontrolliert werden; die Möglichkeiten, sich den Parallelstrukturen zu entziehen, sind zugleich deutlich erschwert. Dabei spielt die Frage kaum eine Rolle, ob die mangelnde individuelle Inanspruchnahme der staatlich garantierten Rechte freiwillig oder unfreiwillig geschieht. Denn aufgrund der im Quartier etablierten Parallelstrukturen ergibt sich eine quartiersspezifische Dynamik der kollektiven Akzeptanz in Bezug auf die Geltung „neuer“ eigen-ethnischer Normen.95 Die Quartiersbewohner bilden ein Kollektiv, das Teil der parallelen Quartiersstrukturen wird. Dabei setzt die Etablierung und Verfestigung paralleler Gesellschaftsstrukturen voraus, dass es einen räumlich abgegrenzten Bereich (Quartier) gibt, deren Bewohner sich (freiwillig oder unfreiwillig) den „neuen“ Quartiersstrukturen unterwerfen. Damit wird die Möglichkeit der Etablierung und Verfestigung von parallelen Gesellschaftsstrukturen durch das Vorhandensein eines räumlich abgeschlossenen Quartiers begünstigt. Es kann sich damit um quartiersspezifische Miss95 s. dazu
3. Kapitel A. II. 2. b).
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
stände handeln, die die Funktionsfähigkeit des Quartiers, insbesondere im Hinblick auf die ihm zugewiesenen (erweiterten) Wohnfunktionen, erheblich beeinträchtigen. Ethnische Segregation kann zur Etablierung von Parallelstrukturen führen, die sowohl als staatliche Missstände, aber zugleich auch als quartiersspezifische Missstände anzusehen sind und insoweit städtebauliche Missstände im Sinne des Sanierungsrechts hervorrufen können. 3. Bekämpfung von Segregation in Sanierungsverfahren Die Durchführung der städtebaulichen Sanierungsmaßnahme soll der Behebung städtebaulicher Missstände gem. § 136 Abs. 2 S. 1 BauGB durch Verbesserung oder wesentliche Umgestaltung in finaler Wiese dienen.96 Voraussetzung ist, dass sich die städtebaulichen Maßnahmen erkennbar auf das Quartier auswirken, d. h. sichtbare Verbesserungen vorgenommen werden.97 Die Durchführung der städtebaulichen Sanierungsmaßnahme findet mit Hilfe der Ordnungs- und Baumaßnahmen i. S. der §§ 147 und 148 BauGB statt. Daneben stehen der Gemeinde die oben bereits genannten besonderen bodenrechtlichen Instrumentarien zur Verfügung. Voraussetzung für die Durchführung von Maßnahmen ist, dass es sich um solche des Städtebaus handelt. a) Abbau von Segregation durch städtebauliche Ordnungs- und Baumaßnahmen? Der Städtebau betrifft Sachverhalte des mitmenschlichen Zusammenlebens in „Siedlungen“ und was dazu notwendig ist, wie Wohnungs- und Arbeitsstätten sowie Einkaufsmöglichkeiten und ist dabei in erster Linie auf die äußere Gestalt und grobe Form der bebauten Umwelt beschränkt.98 Es handelt sich um eine Querschnittsaufgabe, die auch Teile anderer Aufgabenbereiche, wie z. B. Straßen- und Wohnungsbau, Wirtschafts- und Kulturförderung oder die Förderung des Einzelhandels umfassen kann.99 96 Die Begriffe wesentliche Verbesserung und Umgestaltung grenzen den planerischen Gestaltungsspielraum der Gemeinde ein. Es wird ein objektiver Rahmen für Mindestanforderungen an Sanierungsziele und durchzuführende Maßnahmen gesetzt, s. Mitschang, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 136 BauGB Rn. 10. 97 Nur in diesen Fällen sind die eigentumsrechtlichen und sonstigen Einschränkungen, die mit der Durchführung einer Sanierungsmaßnahme einhergehen gerechtfertigt, s. auch Mitschang, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 136 BauGB Rn. 10. 98 Runkel, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 165 BauGB Rn. 14. 99 Runkel, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 165 BauGB Rn. 14.
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts145
Die Ordnungs- und Baumaßnahmen als Instrumente der städtebaulichen Sanierungsmaßnahme ermöglichen die Durchführung folgender Maßnahmen zur Behebung städtebaulicher Missstände100: (1) Flächendeckende Modernisierung und Instandsetzung von Gebäuden im Sanierungsgebiet, (2) Umnutzung von Gebäuden und Flächen aus Gründen städtebaulicher Umstrukturierung, z. B. bei der Aufbereitung brachliegender Gewerbeflächen, (3) Beseitigung baulicher und sonstiger Anlagen auf einzelnen Grundstücken, aber auch auf Teilen des Gebiets, ggf. auch im gesamten Gebiet, (4) Zuführung zu einer den Sanierungszielen und -zwecken entsprechenden neuen Nutzung, z. B. durch Neubebauung oder Verwendung zu anderen als baulichen Nutzungen, z. B. als Freiflächen, (5) Bebauung bisher nicht bebauter Flächen, einschließlich der baulichen Verdichtung von bisher aufgelockert bebauten Siedlungsgebieten zum Zweck der Baulandversorgung, (6) Maßnahmen zur Ausstattung des Gebiets mit entsprechenden Anlagen und Einrichtungen der Infrastruktur sowie die Verbesserung vorhandener Anlagen dieser Art. aa) Durchführung von Ordnungs- und Baumaßnahmen zur Bekämpfung sozialer Segregation Die Durchführung von Ordnungs- und Baumaßnahmen zielt zusammenfassend auf eine gebietsbezogene Modernisierung und Aufwertung baulicher Anlagen und öffentlicher Flächen im Quartier ab.101 Durch Modernisierungen und Aufwertungen sozial segregierter Quartiere gewinnen diese regelmäßig an Attraktivität für verschiedene Bevölkerungsgruppen. Dies gilt insbesondere bei der Modernisierung von Altbauquartieren.102 Daneben kann auch der Abbau alleiniger Wohnnutzung durch die Schaffung gewerblicher Nutzungsmöglichkeiten, z. B. Cafés, Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten, zu einer allgemeinen Attraktivitätssteigerung von Quartieren führen. Die Nutzungsmischung kann ein Quartier beleben und zugleich zur Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse im Quartier beitragen. 100 Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 136 BauGB Rn. 63 und90. 101 Zum Quartiersbegriff, s. 2. Kapitel A. III. 102 Eine umfassende Sanierung von Altbauquartieren hat in Hamburg z. B. im Stadtteil Sternschanze stattgefunden.
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
Die Durchführung von Ordnungs- und Baumaßnahmen kann allerdings nur mittelbar zum Abbau sozialer Segregation im Quartier beitragen. Durch die Aufwertung sozial segregierter Quartiere sollen diese an Attraktivität gewinnen, sodass sie tendenziell auch für einkommensstärkere Personen inte ressant werden. Auf diese Weise kann die Durchführung der städtebaulichen Maßnahmen jedenfalls mittel- und langfristig eine mittelbare Steuerungswirkung im Hinblick auf die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung im Quartier entfalten. In sozial segregierten Quartieren wird insoweit mittelbar soziale Segregation abgebaut, indem sich die Wohnbevölkerung stärker durchmischt. Die Durchführung von Ordnungs- und Baumaßnahmen im Rahmen der städtebaulichen Sanierung führt allerdings nicht in allen Fällen zu einer solchen dynamischen Quartiersentwicklung. Die mittelbaren Steuerungswirkungen im Hinblick auf den Abbau sozialer Segregation sind vor allem dann eingeschränkt, wenn sozial segregierte Quartiere aufgrund ihrer spezifischen Bebauung von vornherein für einkommensstärkere Bevölkerungsgruppen nicht attraktiv sind und auch durch Aufwertungsmaßnahmen nicht nennenswert attraktiver werden. Dies gilt insbesondere für sozial segregierte Großwohnsiedlungen, die aufgrund einer stark verdichteten und hochgeschossigen Bebauung in peripherer Lage für einkommensstärkere Bevölkerungsgruppen in der Regel unattraktiv sind. Zwar lässt sich Wohnraum auch in Großwohnsiedlungen durch Aufwertungs- und Modernisierungsmaßnahmen verbessern und dadurch attraktiver machen, die Maßnahmen setzen aber gleichwohl keine dynamische Quartiersentwicklung in Gang, durch die eine nachhaltige Durchmischung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung erreicht werden kann. Immerhin können sie aber zum Abbau nachteiliger Auswirkungen sozialer Segregation beitragen, indem soziale Benachteiligungen, die sich aus den städtebaulichen Defiziten des Quartiers für die Bewohner ergeben, abgebaut und bekämpft werden. Durch die Aufwertung können insbesondere soziale Stigmatisierungen in der öffentlichen Wahrnehmung abgebaut und zugleich das Quartiersimage verbessert werden. Das gilt vor allem, wenn eine umfassende Modernisierung und Aufwertung der Quartiers- und Freiraumstrukturen stattfindet. Im Ergebnis entfalten städtebauliche Sanierungsmaßnahmen also (nur) mittelbare Steuerungswirkungen im Hinblick auf den Abbau sozial segregierter Bewohnerstrukturen. Die Steuerung sozialer Segregation durch städtebauliche Sanierungsmaßnahmen hängt von der jeweiligen Quartiersstruktur und der Art der Quartiersbebauung ab. Eine unmittelbare Steuerung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung ist mit der Durchführung städtebaulicher Sanierungsmaßnahmen nicht möglich.
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts
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bb) Durchführung von Ordnungs- und Baumaßnahmen zur Bekämpfung ethnischer Segregation Selbst die mit der Durchführung von Ordnungs- und Baumaßnahmen tatsächlich erreichte Aufwertung von Quartiersstrukturen eröffnet lediglich geringe Steuerungsmöglichkeiten ethnischer Segregation. Eine mittebare Steuerungswirkung ethnischer Segregation ist allenfalls insoweit zu erwarten, wie ethnische Segregation mit sozialer Segregation einhergeht.103 Zwar können sich tendenziell ähnliche mittelbare Steuerungswirkungen im ethnisch segregierten Quartier ergeben wie in sozial segregierten Quartieren, die Wirkungen werden aber regelmäßig geringer sein. Im Gegensatz zu sozial segregierten Quartieren bestehen die Gründe für die Entstehung und Verfestigung ethnischer Segregation nämlich nicht nur in Defiziten der Bausubstanz oder der wirtschaftlichen Situation im Quartier, sondern in einem besonderen ethnisch und familiär begründeten Zusammenhalt und umgekehrt in einer sozialen Distanz, die vor allem auf kulturellen Unterschieden zwischen den Quartiersbewohnern und anderen Bevölkerungsgruppen beruht.104 Das gilt vor allem dann, wenn sich ethnische Quartiersstrukturen etabliert haben, wie z. B. ein ethnischer Dienstleistungssektor, der auf die spezifischen Bedürfnisse der ethnischen Wohnbevölkerung ausgerichtet ist. Die soziale Distanz des Quartiers und seiner Bewohner gegenüber der Umgebung wird verschärft, wenn sich, wie oben beschrieben, ethnische Parallelstrukturen etablieren.105 Werden derartige Parallelstrukturen nach außen bemerkbar, wird dies regelmäßig dazu führen, dass ein Großteil der übrigen Bevölkerungsgruppen diese Quartiere meidet. Der Abbau ethnischer Parallelstrukturen kann nicht allein durch Maßnahmen zur Verbesserung der baulichen Anlagen und der sonstigen Quartiersstrukturen erreicht werden. Hierzu bedarf es vor allem auch sozialer und integrativer Maßnahmen, wie z. B. der Verbesserung des schulischen Angebots und sonstiger Integrationsmaßnahmen. Im Ergebnis kann die Attraktivität ethnisch segregierter Quartiere zwar durch Aufwertungs- und Modernisierungsmaßnahmen geringfügig steigen, eine wirksame Steuerung zum Abbau ethnischer Segregation durch eine Attraktivitätssteigerung des Quartiers für einen Großteil der Bevölkerungsgruppen setzt aber die Durchführung weitergehender Maßnahmen voraus. Die Durchführung von Ordnungs- und Baumaßnahmen im Rahmen der städte baulichen Sanierung entfaltet keine spezifische Steuerungswirkung zum Abbau ethnischer Segregation. Die Steuerungsmöglichkeiten im HinFriedrichs / Triemer, Gespaltene Städte?, S. 8. oben 2.Kapitel A. II. 3. c) und 2. Kapitel B. V. 3. 105 s. B. I. 2.b) bb). 103 s. dazu, 104 s. dazu
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
blick auf die Zusammensetzung der Quartiersbevölkerung in ethnisch segregierten Quartieren sind damit sehr begrenzt. b) Bekämpfung bzw. Vermeidung von sozialer Segregation durch das besondere bodenrechtliche Instrumentarium? Im Zentrum des besonderen bodenrechtlichen Instrumentariums, das der Gemeinde bei Durchführung städtebaulicher Sanierungsmaßnahmen zur Verfügung steht, stehen die besonderen Genehmigungspflichten nach § 144 BauGB. Diese spielen in der Praxis neben der Erhebung von Ausgleichsbeiträgen nach § 154 BauGB106, einschließlich der damit verbundenen Sonderregelungen der Preisgestaltung, Preisprüfung und Entschädigung bei Ankauf, Verkauf und Eigentümerwechsel von Grundstücken im Sanierungsgebiet während der Sanierung107, eine wichtige Rolle. Im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet bedürfen folgende Vorhaben der schriftlichen Genehmigung der Gemeinde: – die Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung von baulichen Anlagen i. S. des § 29 BauGB108, – erhebliche oder wesentlich wertsteigernde Veränderungen von Grundstücken, z. B. durch Vornahme von Modernisierungs- oder Aufwertungsmaßnahmen, – schuldrechtliche Vertragsverhältnisse über den Gebrauch oder die Nutzung eines Grundstücks, – die rechtsgeschäftliche Veräußerung eines Grundstücks, – Bestellung und Veräußerung eines Erbbaurechts bzw. eines das Grundstück belastenden Rechts, – schuldrechtliche Verträge, durch die Verpflichtungen zur Veräußerung oder Grundstückbelastungen eingegangen werden, – die Begründung, Änderung oder Aufhebung einer Baulast und schließlich – die Teilung eines Grundstücks. In dem hier interessierenden Zusammenhang ist vor allem die Genehmigungspflicht für den Abschluss von Miet- und Pachtverträgen gem. § 144 106 Zu Inhalt und Zweck der Ausgleichsbetragsregelung vgl.: Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 154 BauGB Rn. 1 ff. 107 Erforderlich ist, dass das Grundstück durch die Sanierung, insbesondere durch die von der öffentlichen Hand finanzierten Ordnungsmaßnahmen eine Wertsteigerung erfahren hat. 108 Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 144 BauGB Rn. 23.
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts149
Abs. 1 Nr. 2 BauGB zu betrachten. Der Genehmigungsvorbehalt umfasst Mietverträge, die auf eine bestimmte Zeit von mehr als einem Jahr oder bei unbestimmter Vertragsdauer mit einer Kündigungsfrist von mehr als einem Jahr vereinbart werden. Daneben sind von der Genehmigungspflicht auch Verträge über den Gebrauch oder die Nutzung künftig zu genehmigender oder noch zu errichtender Gebäude und Gebäudeteile umfasst.109 Nach § 186 BauGB kann auf Antrag eine Verlängerung der Miet- und Pachtverträge durch die Gemeinde stattfinden. Wesentliches Ziel der Genehmigungspflicht besteht darin, die angestammte Wohnbevölkerung vor Verdrängung zu schützen. Die Aufwertung eines Quartiers führt regelmäßig zu einer stärkeren Nachfrage, weil sich auch Bevölkerungsgruppen mit größerer Finanzkraft für die Wohnmöglichkeiten im aufgewerteten Quartier interessieren. Das führt unter Marktbedingungen tendenziell zu einem Anstieg der Wohnkosten, d. h. der Mietkosten und der Preise für Wohneigentum. Insbesondere kann es infolge sog. Luxusmodernisierungen zu erheblichen Mietsteigerungen im Quartier kommen. Zwar führt die Quartiersaufwertung regelmäßig zu einer stärkeren Durchmischung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung und damit zum Abbau sozialer Segregation, es können aber auch Gentrifizierungsprozesse110 in Gang gesetzt werden, die zur Verdrängung der angestammten Wohnbevölkerung führen. Wer sich die höheren Mieten nicht leisten kann, wird in andere Quartiere abgedrängt, in denen die Wohnungen weniger attraktiv und entsprechend günstiger sind. Das verstärkt insgesamt die sozialen Segregationsprozesse. Fraglich ist, ob sanierungsrechtliche Maßnahmen der Auflösung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und der Verdrängung der ortsansässigen (einkommensschwächeren) Bewohner und damit mittelbar der Entstehung sozialer Segregation entgegenwirken können. aa) Vermeidung der Entstehung sozialer Segregation in anderen Quartieren (1) Konkret-individueller Mieterschutz bei Durchführung der Sanierung Während der Durchführung städtebaulicher Sanierungsmaßnahmen findet ein konkret-individueller Schutz von Mietern statt.111 Dieser soll nach Maßgabe eines Sozialplans gem. §§ 180 und 181 BauGB erreicht werden. Die Gemeinde soll gem. § 180 Abs. 1 BauGB im Sozialplan festlegen, wie die zu 109 BVerwG,
Urteil vom 6. Juli 1984 – 4 C 14 / 81 – Leitsatz. Begriff Gentrifizerung, s. 2. Kapitel A. II. 2. 111 Schmidt-Eichstaedt, Schutz der Wohnbevölkerung als zulässiges soziales Ziel der Sanierung, S. 567. 110 Zum
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
erwartenden nachteiligen Auswirkungen der Sanierungsmaßnahmen auf die persönlichen Lebensumstände der Betroffenen möglichst vermieden oder abgemildert werden können. § 181 BauGB sieht dazu auch finanzielle Ausgleichsleistungen der öffentlichen Hand vor, die insbesondere zum Ausgleich individueller Härten dienen, die sich aus dem Zusammenwirken der Sanierungsmaßnahme und privatem Mietrecht ergeben. Hierdurch wird die Verdrängung der einkommensschwächeren Bevölkerungsgruppen aber nur für den Zeitraum der Durchführung der Sanierungsmaßnahmen vermieden. Der Wegzug der angestammten Wohnbevölkerung nach Abschluss der städtebaulichen Sanierung kann damit nicht verhindert werden. Eine Befugnis, auf private Rechtsverhältnisse zwischen Vermieter und Mieter einzuwirken, steht der Gemeinde, soweit es um die Höhe der Miete geht, bei der Aufstellung und Fortschreibung von Sozialplänen gem. § 140 Nr. 6 i. V. m. § 180 BauGB nicht zu.112 In private Rechtsverhältnisse darf die Gemeinde nur regelnd eingreifen, wenn sie hierzu besonders ermächtigt ist. Zwar kann die Gemeinde unter den in §§ 182 ff. BauGB genannten Vo raussetzungen Mietverträge aufheben, die Ausübung dieser Befugnis kann aber nicht zur Vermeidung sozialer Segregation eingesetzt werden. Denn die Aufhebung ist lediglich in engen Grenzen zulässig und kommt vor allem dann in Betracht, wenn der Mieter das Mietobjekt nicht freiwillig räumt und die Gemeinde oder der Eigentümer ein berechtigtes Interesse an der Aufhebung haben, um die im öffentlichen Interesse liegenden städtebaulichen Maßnahmen durchführen zu können.113 (2) Mietobergrenzen zur Sicherung sozialer Ziele? Die Gemeinde kann bei der Durchführung städtebaulicher Sanierungsmaßnahmen auch soziale Ziele114 verfolgen.115 Dabei fällt – nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts – das Recht und die Pflicht zur Berücksichtigung sozialer Belange in den der Gemeinde bei der Bestimmung der Sanierungsziele nach § 140 Nr. 3 BauGB zustehenden Gestaltungsspielraum.116 Insofern kann die Gemeinde auch den Schutz der angestammten Wohnbevölkerung 112 BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2006 – 4 C9 / 04 – BVerwGE 126, 104–114, Rn. 32 juris. 113 Reidt, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 182 BauGB Rn. 7. 114 Die Gemeinde bestimmt und konkretisiert die mit der Sanierung verfolgten Ziele und Zwecke gem. § 140 Nr. 2 BauGB im Sanierungskonzept. 115 BVerwG, Urteil vom 7. September 1984 – 4 C 20 / 81 – BVerwGE 70, 83–91, Rn. 22 juris. 116 BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2006 – 4 C9 / 04 – BVerwGE 126, 104–114, Rn. 21, 23 juris.
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts151
vor Verdrängungen infolge sanierungsbedingter Mietsteigerungen als Sanierungsziel festlegen. Es stellt sich dabei allerdings die Frage, welche Maßnahmen ihr zur Erreichung dieses Sanierungsziels zur Verfügung stehen. In der Vergangenheit haben Gemeinden vielfach versucht, durch die Bestimmung pauschaler Mietobergrenzen, die nach Abschluss der Sanierung gelten sollten, die Wohnbevölkerung vor Verdrängung zu schützen.117 So hatte z. B. der Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sanierungsrechtliche Genehmigungen für nach § 144 Abs. 1 und 2 BauGB genehmigungspflichtige Vorhaben mit der Auflage erteilt, dass die Miete nach Abschluss der Sanierung eine bestimmte Obergrenze nicht überschreiten darf. Für die Erteilung einer sanierungsrechtlichen Nebenbestimmung mit dem Inhalt, dass eine Mietobergrenze einzuhalten ist, besteht keine Ermächtigungsgrundlage der Gemeinde. Eine solche ist aber nach § 36 Abs. 1 VwVfG erforderlich, weil auf die Erteilung der sanierungsrechtlichen Genehmigung grundsätzlich ein Anspruch118 besteht. Zwar kann die sanierungsrechtliche Genehmigung gem. § 145 Abs. 4 S. 1 BauGB unter Auflagen und in den Fällen des § 144 Abs. 1 BauGB auch befristet oder bedingt erteilt werden. Das Bundesverwaltungsgericht ist aber der Auffassung, dass diese Vorschriften lediglich die Arten zulässiger Nebenbestimmungen regeln, nicht aber auch die Ermäch tigung zu deren Erlass. Vielmehr ergebe sich allein aus § 36 Abs. 1 2. Fall VwVfG i. V. m. § 145 Abs. 2 und Abs. 4 BauGB, unter welchen Voraussetzungen die sanierungsrechtliche Genehmigung mit Nebenbestimmungen versehen werden dürfe.119 Es fehle daher an einer Ermächtigungsgrundlage für die Erteilung von Nebenbestimmungen mit dem Inhalt einzuhaltender Mietobergrenzen.120 Sofern die Gemeinde das sanierungsrechtliche Ziel verfolge, die Wohnbevölkerung vor Verdrängung zu schützen, müsse sie dieses Ziel sowohl mit ihren baulichen Sanierungszielen als auch den Belangen der Eigentümer und den sonstigen abwägungsrelevanten Belangen in Ausgleich bringen. Erst das Ergebnis gerechter Abwägung sei ein Ziel, das es rechtfertigen könne, eine sanierungsrechtliche Genehmigung zu versagen. Die Begrenzung der Mieten im Sanierungsgebiet sei allerdings kein zulässiges Mittel des Ausgleichs und könne deshalb auch kein Ziel der Sanierung i. S. der § 140 Nr. 3 BauGB, § 145 Abs. 2 BauGB sein. 117 So
z. B. der Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Anspruch auf Erteilung einer sanierungsrechtlichen Genehmigung besteht, es sei denn, es liegt ein Versagungsgrund nach § 145 Abs. 2 BauGB vor. 119 BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2006 – 4 C9 / 04 – BVerwGE 126, 104–114, Rn. 19 juris. 120 BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2006 – 4 C9 / 04 – BVerwGE 126, 104–114, Rn. 25 ff. juris. 118 Der
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
Schließlich ermächtige das BauGB die Gemeinde nicht dazu, für Wohnungen im Sanierungsgebiet, in denen genehmigungsbedürftige Sanierungsarbeiten durchgeführt werden, zu regeln, inwieweit der Vermieter bei Abschluss seiner Baumaßnahmen die vom Mieter zu zahlende Miete erhöhen dürfe. Die Gemeinde könne lediglich als Ziel der Sanierung i. S. der § 140 Nr. 3 i. V. m. § 145 Abs. 2 BauGB Art und Umfang der zulässigen Modernisierungen regeln. Dabei könne auch das statistisch ermittelte durchschnittliche Haushaltseinkommen gewisse Anhaltspunkte für einen Regelungsbedarf geben. Führten Modernisierungen voraussichtlich zu einer die durchschnittliche Belastungsgrenze der Gebietsbevölkerung überschreitenden Miete und damit zu einer Verdrängungsgefahr, könne das Ziel, die ansässige Wohnbevölkerung vor der Verdrängungsgefahr zu schützen, es rechtfertigen, Art und Umfang der zulässigen Modernisierung zu begrenzen. bb) Ergebnis Zwar stellt der Schutz der Wohnbevölkerung vor Verdrängung ein grundsätzlich zulässiges Sanierungsziel dar, die Gemeinde wird aber nach derzeitiger Rechtsprechung nicht dazu ermächtigt, dieses Sanierungsziel durch die Erteilung von Nebenbestimmungen, in denen dem Eigentümer bzw. Vermieter die Einhaltung bestimmter Mietobergrenzen aufgegeben wird, zu realisieren. Darüber hinaus kann die Gemeinde die Miethöhe auch nicht durch Bestimmung der Ziele und Zwecke der Sanierung nach § 140 Nr. 3 BauGB oder durch die Aufstellung und Fortschreibung des Sozialplans gem. § 140 Nr. 6 i. V. m. § 180 BauGB festlegen. Dauerhafte Steuerungsmöglichkeiten, die „angestammte“ Wohnbevölkerung auch nach Abschluss der Sanierung vor Verdrängung zu schützen, sind nur durch den Erlass von Erhaltungssatzungen nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BauGB zu erreichen.121 Im Ergebnis bestehen kaum Steuerungsmöglichkeiten zum Schutz der angestammten Wohnbevölkerung vor Verdrängung. Der Gemeinde stehen damit auch keine Steuerungsmöglichkeiten zur Verfügung, die Entstehung oder Verfestigung sozialer Segregation in anderen Stadtquartieren zu vermeiden.
II. Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen nach §§ 165 ff. BauGB Das Recht der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen ist durch einen raschen Wandel städtebaulicher Vorstellungen122 geprägt: In den 1960er und 121 BVerwG,
Urteil vom 25. Mai 2006 – 4 C9 / 04 – Rn. 24 juris. in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 165 BauGB Rn. 1.
122 Schlichter / Roeser,
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts153
1970er Jahren war eine hohe Nachfrage nach Bauland für Wohnen und Gewerbe zu verzeichnen, weshalb die städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen vor allem zur Schaffung neuer Orte, Entwicklung vorhandener Orte zu neuen Siedlungseinheiten oder zur Erweiterung vorhandener Ortsteile durch Erschließung unbebauter Flächen123, eingesetzt wurden. Die Entwicklungsmaßnahmen waren besonders für Flächenländer zur Schaffung neuer Zentren wichtig. Für die Stadtstaaten war das Instrument dagegen zunächst eher uninteressant.124 In den 1980er Jahren sank die Nachfrage nach Bauland und infolgedessen ging auch der städtebauliche Bedarf zur Schaffung neuer Orte zurück. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass die Zeiten umfangreicher Siedlungsentwicklung vorbei seien und die städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen damit überflüssig würden.125 Die Neufassung des Baugesetzbuches126 regelte die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme daher nur noch als Auslaufmodell: Vor dem 1. Juli 1987 durch Rechtsverordnung förmlich festgelegte Entwicklungsmaßnahmen sollten noch durchgeführt und abgeschlossen werden, die förmliche Festlegung neuer Entwicklungsmaßnahmen war jedoch nicht mehr vorgesehen.127 Nach der deutschen Wiedervereinigung kam es vor allem in den „alten“ Bundesländern erneut zur Baulandknappheit, insbesondere im Wohnbereich, weshalb die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme wieder „neu entdeckt“ wurde.128 Durch das Wohnungsbauerleichterungsgesetz129 wurden, wenn auch in veränderter Form und zunächst auf fünf Jahre befristet, städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen wiedereingeführt.130 Die Maßnahmen wurden von den Zielen der Raumordnung und Landesplanung abgekoppelt und damit kleinteiliger.131 Neben der Außenentwicklung wurde das Instrument auch zum Zwecke der Innenentwicklung, wie z. B. zur Wiedernutzung von Brach123 Definition
der Entwicklungsmaßnahme in § 1 Abs. 3 StBauFG. Flächenmanagement in Hamburg durch Bodenordnung und städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen, S. 39. 125 Vgl. hierzu: Runkel, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, Vorbem. zu den §§ 165 bis 171 BauGB Rn. 4 m. w. N. 126 Neufassung des Baugesetzbuches vom 8. Dezember 1986 – BGBl. I, 1986, S. 2191. 127 Schlichter / Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 165 BauGB Rn. 1. 128 Runkel, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, Vorbem. zu den §§ 165 bis 171 BauGB Rn. 9. 129 Wohnungsbauerleichterungsgesetz – WoBauErlG – vom 17. Mai 1990, BGBl. I, 1990, S. 926. 130 Schlichter / Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 165 BauGB Rn. 1. 131 Räumlicher Bezug der Entwicklungsmaßnahme ist der Ortsteil, s. § 165 Abs. 2 BauGB. 124 Weigel / Mohnke / Rothstein,
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
flächen, einsetzbar gemacht.132 Mit der neuen strukturellen Ausrichtung der Entwicklungsmaßnahme auf die Entwicklung vorhandener Ortsteile133, insbesondere die Nachverdichtung im Innenbereich, ist die Maßnahmen auch für Städte interessant geworden.134 Die zeitlich befristeten Regelungen des BauGB-MaßnG wurden durch das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz 1993135 in das BauGB als unbefristet geltendes Recht eingeführt. Die rechtliche Grundlage für städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen findet sich nunmehr in den §§ 165, 171 i. V. m. 164 a und b BauGB. 1. Instrumente der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme Liegen die Voraussetzungen für die Durchführung einer Entwicklungsmaßnahme nach § 165 Abs. 3 S. 1 BauGB vor, kann die Gemeinde durch Satzung einen Bereich festlegen, in dem eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme durchgeführt werden soll. Die Gemeinde soll gem. § 166 Abs. 3 S. 1 BauGB die Grundstücke im städtebaulichen Entwicklungsbereich erwerben. Dazu ist die Enteignung gem. § 169 Abs. 3 S. 1 BauGB ohne Bebauungsplan zugunsten der Gemeinde oder des Entwicklungsträgers zur Erfüllung ihrer Aufgaben zulässig. Das hat zur Folge, dass bereits bei förmlicher Festlegung des Entwicklungsbereichs die Voraussetzungen für die Enteignung der im Gebiet gelegenen Grundstücke erfüllt sein müssen. § 169 Abs. 6 S. 1 BauGB bestimmt, dass die Grundstücke nach ihrer Neuordnung und Erschließung unter Berücksichtigung weiter Kreise der Bevölkerung und unter Beachtung der Ziele und Zwecke der Entwicklungsmaßnahme an Bauwillige zu veräußern sind, die sich verpflichten, die Grundstücke entsprechend den Festsetzungen im Bebauungsplan und den Erfordernissen der Entwicklungsmaßnahme zu bebauen. Im städtebaulichen Entwicklungsbereich gelten darüber hinaus gem. § 169 Abs. 1 BauGB eine Vielzahl sanierungsrechtlicher Vorschriften entsprechend. Im Vordergrund steht dabei § 169 Abs. 1 Nr. 3 BauGB, wonach die sanierungsrechtliche Genehmigungspflicht für die in § 144 BauGB bezeichneten Vorhaben entsprechend im städtebaulichen Entwicklungsbereich anzuwenden 132 Runkel, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, Vorbem. zu den §§ 165 bis 171 BauGB Rn. 4. 133 s. dazu auch: Erbguth / Schubert, Öffentliches Baurecht, § 9 Rn. 4, S. 325. 134 Weigel / Mohnke / Rothstein, Flächenmanagement in Hamburg durch Bodenordnung und städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen, S. 39. 135 Gesetz zur Erleichterung von Investitionen und der Ausweisung und Bereitstellung von Wohnbauland – Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz, BGBl. I, 1993, S. 466 (Art. 1).
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts155
ist. Entsprechend anzuwenden sind außerdem die im Sanierungsrecht dargestellten Ordnungs- und Baumaßnahmen nach §§ 147 und 148 BauGB. 2. Durchführung städtebaulicher Entwicklungsmaßnahmen zur Steuerung sozialräumlicher Segregation? Zu untersuchen ist, ob die Durchführung städtebaulicher Entwicklungsmaßnahmen Steuerungswirkungen im Hinblick auf die Bekämpfung städtebaulich unerwünschter Auswirkungen sozialer und ethnischer Segregation entfaltet. Die konkreten Zielsetzungen städtebaulicher Entwicklungsmaßnahmen ergeben sich aus § 165 Abs. 2 BauGB: Danach sollen mit städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen „Ortsteile oder andere Teile des Gemeindegebiets entsprechend ihrer besonderen Bedeutung für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung der Gemeinde oder entsprechend der angestrebten Entwicklung des Landesgebiets oder der Region erstmalig entwickelt oder im Rahmen einer städtebaulichen Neuordnung einer neuen Entwicklung zugeführt werden“. a) Durchführung städtebaulicher Entwicklungsmaßnahmen in sozial und ethnisch segregierten Quartieren? Die Durchführung einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme zur erstmaligen Entwicklung von Ortsteilen oder anderen Teilen kommt in bereits bebauten und segregierten Quartieren nicht in Betracht. Denn die erstmalige Entwicklung setzt voraus, dass neues Bauland erschlossen wird, d. h. Siedlungsflächen neu entwickelt und einer Bebauung erst noch zugeführt werden.136 Segregierte Quartiere sind aber bereits bebaute und städtebaulich entwickelte Wohngebiete. Im Hinblick auf bereits bebaute Quartiere kommt insoweit lediglich die Durchführung einer Entwicklungsmaßnahme zur städtebaulichen Neuordnung in Betracht. Denkbar ist es, soziale und bzw. oder ethnisch segregierte Quartiere i. R. der Durchführung städtebaulicher Entwicklungsmaßnahmen einer neuen städtebaulichen Entwicklung zuzuführen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Gemeinde ein Planungskonzept entwickelt, das darauf ausgerichtet ist, den festgelegten städtebaulichen Entwicklungsbereich einer anderen, neuen städtebaulichen Nutzung zuzuführen. Bei Bereichen mit vorhandener Bebauung setzt dies voraus, dass diese beseitigt und der gesamte Entwicklungsbereich einer grundlegend neuen städtebaulichen Entwicklung zugeführt 136 Mitschang,
in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 165 BauGB Rn. 10.
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
wird.137 Die städtebauliche Neuordnung ermöglicht der Gemeinde, einem Quartier eine neue städtebauliche Funktion zuzuordnen.138 Dabei geht es in erster Linie um die Wiedernutzbarmachung größerer brachliegender oder mindergenutzter innerstädtischer Flächen.139 Sozial und bzw. oder ethnisch segregierte Quartiere sollen zumeist jedoch keiner neuen städtebaulichen Nutzung zugeführt werden. Sie sollen vielmehr weiterhin als Wohnquartiere genutzt werden. Denkbar ist jedoch, dass die Gemeinde den Quartieren, die sozial und bzw. oder ethnisch segregiert sind, jedenfalls teilweise eine neue städtebauliche Funktion zuordnen will. Voraussetzung dafür ist gem. § 165 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BauGB, dass das Wohl der Allgemeinheit die Durchführung der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen erfordert. Grundsätzlich erfordert das Allgemeinwohl die Durchführung einer Entwicklungsmaßnahme und damit auch konkrete Enteignungen, wenn die Maßnahme durch ein dringendes, im Verhältnis zu anderen öffentlichen und privaten Interessen überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist.140 Zur Konkretisierung des Allgemeinwohls nennt § 165 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BauGB beispielhafte Fallgruppen, bei deren Vorliegen das Wohl der Allgemeinheit die Durchführung städtebaulicher Entwicklungsmaßnahmen erfordern kann: (1) Deckung eines erhöhten Bedarfs an Wohn- und Arbeitsstätten, (2) Errichtung von Gemeinbedarfs- und Folgeeinrichtungen, (3) Wiedernutzung brachliegender Flächen. Fraglich ist, ob das Wohl der Allgemeinheit die Durchführung der Entwicklungsmaßnahme in segregierten Quartieren zur Deckung eines erhöhten Bedarfs an Wohn- und Arbeitsstätten erfordert. Ein erhöhter Bedarf an Wohn- und Arbeitsstätten ist zu bejahen, wenn die Nachfrage nach Wohnraum oder Arbeitsstätten das Angebot aus strukturellen Gründen längerfristig deutlich übersteigt.141 Dabei muss der Nachfrageüberhang so groß sein, dass es zu seiner Beseitigung mit einer Ausweisung von Flächen, die von ihren Funktionen und Dimensionen her hinter den in § 165 Abs. 2 S. 1 BauGB bezeichneten Merkmalen zurückbleiben, nicht sein Bewenden haben kann.142 Allgemeine konjunkturelle Entwicklungen oder Schwankungen im Wohnungsmarkt reichen für die Begründung nicht aus.143 Die Entwicklungsmaß137 BVerwG,
Beschluss vom 8. Juli 1998 – 4 BN 22 / 98, Leitsatz. Beschluss vom 8. Juli 1998 – 4 BN 22 / 98, Leitsatz; Mitschang, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 165 BauGB Rn. 11. 139 Runkel, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 165 BauGB Rn. 14 m. w. N.; Mitschang, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 165 BauGB Rn. 10. 140 BVerwG, Beschluss vom 16. Februar 2001 – 4 BN 55 / 00, 2. Leitsatz. 141 BVerwG, Urteil vom 3. Juli 1988 – 4 CN 5 / 97, 7. Leitsatz. 142 BVerwG, Urteil vom 3. Juli 1988 – 4 CN 5 / 97, Rn. 40. 143 Schlichter / Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 165 BauGB Rn. 13. 138 BVerwG,
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts
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nahme darf zur Schaffung von Wohnungen nur eingesetzt werden, wenn eine objektiv (planerisch) belegte Bedarfssituation vorliegt.144 In sozial und bzw. oder ethnisch segregierten Wohnquartieren besteht regelmäßig kein erhöhter Bedarf an Wohn- und Arbeitsstätten. Vielmehr sind segregierte Quartiere dadurch gekennzeichnet, dass die vorhandene Zusammensetzung der Wohnbevölkerung im Quartier einseitig ist und dementsprechend nur spezifische Bevölkerungsgruppen nach Wohnraum im Quartier nachfragen. Die Nachfrage nach Wohnraum in segregierten Quartieren ist demnach insgesamt gering, weshalb das Allgemeinwohl die Durchführung der Entwicklungsmaßnahmen nicht zur Deckung eines erhöhten Bedarfs an Wohn- und Arbeitsstätten erfordert. Das Wohl der Allgemeinheit kann auch die Festlegung eines städtebaulichen Entwicklungsbereiches zur Errichtung von Gemeinbedarfs- und Folgeeinrichtungen, die der angestrebten Entwicklung des Landesgebiets, der Region oder Gemeinde dienen, erfordern. Der Begriff der Gemeinbedarfseinrichtung ist i. S. des § 5 Abs. 2 Nr. 2 lit. a) BauGB zu verstehen und umfasst danach die Ausstattung des Entwicklungsgebiets mit der Allgemeinheit dienenden baulichen Anlagen und Einrichtungen des Gemeinbedarfs, wie Schulen, Kindergärten, Bürgerhäusern und Sporthallen sowie mit sonstigen sozialen und kulturellen Zwecken dienenden Gebäuden und Einrichtungen. Gemeinbedarfseinrichtungen dienen grundsätzlich gemeinnützigen Zwecken.145 Die durch die Entwicklungsmaßnahme bedingten Folgeeinrichtungen umfassen demgegenüber auch sonstige bauliche Anlagen, die nicht Gemeinbedarfseinrichtungen zuzuordnen sind, die aber für die Verwirklichung des Entwicklungszwecks geschaffen werden müssen, wie z. B. Schallschutzwände oder Ausgleichsmaßnahmen.146 Entschließt sich die Gemeinde in segregierten Quartieren eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme durchzuführen, verfolgt sie das Ziel, dem Gebiet eine neue städtebauliche Funktion zuzuweisen. Das setzt voraus, dass das Quartier nicht mehr (ausschließlich) Wohnfunktio nen, sondern darüber hinaus neue städtebauliche Nutzungen und Funktionen erfüllt. In diesem Fall erfordert das Allgemeinwohl allerdings nicht die Ausstattung des Entwicklungsbereiches mit der Allgemeinheit dienenden baulichen Anlagen. Die Wiedernutzung brachliegender Flächen kommt in diesem Zusammenhang nicht in Betracht. Die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme kann folglich nicht in sozial und bwz. oder ethnisch segregierten Quartieren allein mit dem Ziel durchgeführt werden, die vorhandenen sozialen und ethnischen Segregationserscheinungen zu bekämpfen. Die Durchführung der Entwicklungsmaßnahme ist in 144 Mitschang,
in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 165 BauGB Rn. 20. in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 165 BauGB Rn. 71. 146 Runkel, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 165 BauGB Rn. 69. 145 Runkel,
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
solchen Fällen nicht als Ganzes erforderlich. Denn der vollständige Abriss und Neubau von baulichen Anlagen stellt „das letzte Mittel“ dar. Es spricht einiges dafür, dass regelmäßig die Durchführung von Sanierungsmaßnahmen147 ein milderes Mittel darstellt, das vorrangig durchzuführen ist. Dies wird in den meisten Fällen auch den Vorstellungen der Gemeinde entsprechen, die letztlich das Ziel verfolgt, die Wohnquartiere unter Aufrechterhaltung der Wohnnutzung aufzuwerten und die allgemeinen Wohnbedingungen zu verbessern. Diese Zielsetzungen sind vorrangig mit der Durchführung städtebaulicher Sanierungsmaßnahmen oder mit dem Abschluss städtebaulicher Verträge zwischen der Gemeinde und den Grundstückseigentümern zu erreichen.148 Im Ergebnis kommt die Durchführung von Entwicklungsmaßnahmen i. R. städtebaulicher Neuordnung mit dem Ziel der Bekämpfung von Segregation im Quartier nicht in Betracht. b) Mittelbare Steuerungswirkungen von Entwicklungsmaßnahmen im Hinblick auf sozialräumliche Segregation Denkbar ist, dass die Durchführung von städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen mittelbare Steuerungswirkungen im Hinblick auf die Bekämpfung vorhandener Segregationsstrukturen entfaltet. aa) Erstmalige Entwicklung Die Gemeinde kann im Rahmen der erstmaligen Entwicklung neuer Siedlungsflächen die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme einsetzen, um einen Bodenmarkt mit stark spekulativen Erwartungshaltungen preisdämpfend zu beeinflussen, indem sie durch die erstmalige Entwicklung neuer Flächen das Angebot für preiswertes Bauland auf dem Wohnungsmarkt erweitert.149 Die Steuerungswirkungen durch die erstmalige Entwicklung neuer Ortsteile im Hinblick auf sozialräumliche Segregation sind allerdings dadurch begrenzt, dass sich die erstmalig zu entwickelnden Flächen zumeist peripher, am Rande des Stadtgebiets befinden.150 Insbesondere in Stadtgebieten sind insgesamt wenig solcher Flächen vorhanden, die nicht baulicher Art vorbehalten waren und (noch) erstmalig zu entwickeln sind. Je nach Lage der erstmalig zu ent147 Vor
allem i. R. der Funktionsschwächensanierung. Vorrang der Sanierungsmaßnahme und vertraglicher Vereinbarungen: Mitschang, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 165 BauGB Rn. 17; Runkel, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 165 BauGB Rn. 80. 149 Runkel, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 165 BauGB Rn. 31 m. w. N. 150 Runkel, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 165 BauGB Rn. 30. 148 Zum
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts159
wickelnden Siedlungsflächen, können sich mittelbar Steuerungswirkungen im Hinblick auf sozialräumliche Segregationsstrukturen ergeben. Denn durch die Schaffung neuer Wohnquartiere i. R. der Durchführung von Entwicklungsmaßnahmen kann die Gemeinde das Angebot an preiswertem Wohnraum erweitern, wodurch das Bodenpreisniveau in der Gemeinde absinken kann. Das führt tendenziell dazu, dass die Möglichkeiten einkommensschwächerer Bevölkerungsgruppen steigen, Wohnraum in unterschiedlichen Stadtquartieren zu bekommen. Damit kann mittelbar zum Abbau sozial segregierter Quartiersstrukturen beigetragen werden. Erforderlich ist allerdings, dass für die Wohnbevölkerung segregierter Quartiere ein Anreiz besteht, in neue Wohnquartiere umzuziehen. Das erscheint insbesondere in ethnisch segregierten Quartieren, die durch starke nachbarschaftliche Verhältnisse und ausgeprägte Sozialstrukturen gekennzeichnet sind, zweifelhaft. Die Steuerungsmöglichkeiten durch die erstmalige Entwicklung neuer Siedlungsflächen im Hinblick auf die Bekämpfung von sozialer und ethnischer Segregation sind allenfalls mittelbar vorhanden. bb) Städtebauliche Neuordnung In städtischen Bereichen kommt insbesondere die städtebauliche Neuordnung von brachliegenden oder mindergenutzten Flächen zu Wohnnutzungen in Betracht. Durch die Wiedernutzbarmachung größerer brachliegender Flächen im Innenstadtbereich, z. B. ehemaliger Kasernen- und Bahnflächen, zu Wohnzwecken wird neuer und jedenfalls teilweise preisgünstiger Wohnraum geschaffen. Im Gegensatz zur erstmaligen Entwicklung von Flächen in Außenbereichen, handelt es sich bei der städtebaulichen Neuordnung vor allem um Flächen, die sich in (attraktiver) Innenstadtlage befinden.151 Mit der Durchführung von Entwicklungsmaßnahmen kann die Gemeinde nicht nur das gesamte Angebot an innerstädtischem Wohnraum erweitern, sondern vor allem auch das Angebot an Sozialwohnungen in zentralen innerstädtischen Lagen. Die Durchführung der Entwicklungsmaßnahme ermöglicht es der Gemeinde außerdem, bei Veräußerung der Grundstücke soziale Auflagen durchzusetzen, wie die Verpflichtung zur Schaffung von Sozialwohnungen. Damit kann die Gemeinde durch Steuerung der Art der neuen Bebauung und des Anteils an Sozialwohnungen Einfluss auf die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung nehmen und damit zur Vermeidung sozialer Segregation in dem neu entstehenden Quartier beitragen. Durch die Art der Bebauung findet eine mittelbare Steuerung der sozialen Zusammensetzung der Wohnbevölkerung statt. Während das Vorhandensein kleiner Wohnraum151 So z. B. das ehemalige Brauerei Geländer der Holsten Brauerei in HamburgAltona.
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
zuschnitte für Singles oder Studenten attraktiv ist, sind für einkommensstärkere Haushalte mit Kindern vor allem großzügig geschnittene Wohnungen interessant. Die städtebauliche Neuordnung entfaltet damit zwei Steuerungswirkungen im Hinblick auf sozialräumliche Segregation: Zum einen wird mittelbar zum Abbau sozialer Segregation in anderen Quartieren beigetragen.152 Zum anderen wird in den neu entwickelten Quartieren die Entstehung von Segregation vermieden. Die mittelbaren Steuerungsmöglichkeiten im Hinblick auf den Abbau sozialräumlicher Segregation entsprechen denen der erstmaligen Entwicklung neuer Siedlungsflächen. Die Vermeidung der Entstehung von Segregation spielt daneben vor allem in zentralen innerstädtischen Lagen eine Rolle. Mit der Durchführung der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme zur städtebaulichen Neuordnung kann die Gemeinde lenkenden Einfluss auf die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in den neu entstehenden Quartieren nehmen und dabei der Entstehung von Segregation entgegenwirken. Im Gegensatz dazu würde der Entstehung von Segregation Vorschub geleistet werden, wenn die innerstädtischen Flächen von vornherein durch private Bauherren entwickelt würden, die den neuen Wohnraum an dem Bedarf einkommensstarker Bevölkerungsgruppen orientieren. Im Ergebnis kann die Gemeinde im Rahmen der städtebaulichen Neuordnung die Entwicklungsmaßnahme einsetzen, um der Entstehung sozialer Segregation entgegenzuwirken, indem das Angebot an Wohnraum für einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen in zentralen innerstädtischen Wohnlagen erweitert wird. Es handelt sich dabei um Wohnraum, der aufgrund hoher Beliebtheit und Attraktivität regelmäßig durch ein hohes Mietpreisniveau gekennzeichnet ist. Darüber hinaus wird mittelbar zum Abbau von vorhandenen Segregationsstrukturen in anderen Quartieren beigetragen. Die Durchführung der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme entfaltet dagegen keine spezifischen Steuerungsmöglichkeiten im Hinblick auf ethnische Segregation.
III. Stadtumbaumaßnahmen nach §§ 171a–d BauGB Stadtumbaumaßnahmen sind gem. § 171a Abs. 2 S. 1 BauGB Maßnahmen, durch die in von erheblichen städtebaulichen Funktionsverlusten betroffenen Gebieten Anpassungen zur Herstellung nachhaltiger städtebaulicher Strukturen vorgenommen werden können.
152 s. dazu auch, Weigel / Mohnke / Rothstein, Flächenmanagement in Hamburg durch Bodenordnung und städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen, S. 40.
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts161
Die Durchführung von Stadtumbaumaßnahmen zielt in erster Linie auf Anpassungen zur Herstellung nachhaltiger städtebaulicher Strukturen infolge wirtschaftlicher oder demografischer Strukturveränderungen ab. Stadtumbaumaßnahmen wurden als Städtebauförderungsprogramme „Stadt umbau Ost“ (2002) und „Stadtumbau West“ (2004) eingeführt und haben seither zunehmend an Bedeutung gewonnen.153 Die Regelungen über den Stadtumbau wurden im Rahmen der Novellierung des BauGB durch das Europarechtsanpassungsgesetz Bau (EAG Bau) im Juni 2004154 gesetzlich in den §§ 171a bis 171d BauGB verankert und damit als wesentliche Aufgabe der Stadtentwicklung anerkannt. Dabei kommt Stadtumbaumaßnahmen in erster Linie bei Strukturveränderungen, wie z. B. kontinuierlichen Schrumpfungsprozessen der Bevölkerung in den neuen Bundesländern Bedeutung zu.155 1. Instrumente der Stadtumbaumaßnahme Die Gemeinde legt gem. § 171b Abs. 1 S. 1 BauGB durch Beschluss ein Gebiet fest, in dem Stadtumbaumaßnahmen durchgeführt werden sollen. Grundlage des Beschlusses ist gem. § 171b Abs. 2 S. 1 BauGB ein von der Gemeinde aufzustellendes Entwicklungskonzept, in dem Ziele und Maßnahmen darzustellen sind. Die Durchführung von Stadtumbaumaßnahmen ist im Wesentlichen auf die Kooperation mit privaten Dritten, insbesondere durch Abschluss öffentlicher Verträge mit betroffenen Wohnungsunternehmern, sonstigen Wohnungseigentümern und Gewerbetreibenden ausgerichtet.156 In aller Regel wird der Stadtumbau nicht von der Gemeinde oder der Stadt selbst durchgeführt, sondern von Wohnungsbauunternehmen und bzw. oder betroffenen Eigentümern. Zur Umsetzung des städtebaulichen Entwicklungskonzepts werden sog. Stadtumbauverträge i. S. des § 171c BauGB geschlossen. Als Vertragsgegenstände von Stadtumbauverträgen kommen gem. § 171c S. 2 BauGB die Durchführung des Rückbaus baulicher Anlagen innerhalb einer bestimmten Frist und die Kostentragung für den Rückbau sowie der Verzicht auf die Ausübung von Ansprüchen nach §§ 39 bis 44 BauGB und der Ausgleich von Lasten zwischen den beteiligten Eigentümern in Betracht. 153 Zum Stadtumbau Ost und West, s. Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, Vorbem. zu den §§ 171a bis 171d BauGB Nr. 3.4. 154 s. 2. Kapitel, Fn. 448. 155 s. hierzu: Bevölkerungs- und Haushaltsentwicklung im Bund und in den Ländern, Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Ausgabe 2011, S. 15 ff. abrufbar unter: http: / / www.statistikportal.de / statistik-portal / demografischer_wandel_heft1. pdf. Zu den erheblichen wirtschaftlichen Problemen durch die Bevölkerungsabnahme in den neuen Bundesländern: Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, S. 728, Rn. 2216. 156 Bunzel, Praxiserfahrungen beim Stadtumbau Ost, S. 243.
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
Nach Vorstellung des Gesetzgebers begleitet die Gemeinde den Stadtumbauprozess in der Weise, dass sie die erfolgreiche Umsetzung des städtebau lichen Entwicklungskonzepts begleitet und auftretende wirtschaftliche und bzw. oder soziale Nachteile ausgleicht, z. B. durch Gewährung des Härteausgleiches nach Maßgabe des § 181 BauGB.157 Daneben stehen der Gemeinde auch begrenzte hoheitliche Instrumente zur Durchführung von Stadtumbaumaßnahmen zur Verfügung. Dazu zählt insbesondere der Erlass von Durchführungssicherungsatzungen nach § 171d BauGB. Die Gemeinde kann für das gesamte Stadtumbaugebiet oder Teile davon eine Durchführungssicherungssatzung erlassen, um eine sozialverträgliche Durchführung von Stadtumbaumaßnahmen zu sichern. In den Bereichen des Stadtumbaugebiets, in denen die Satzung gilt, sind die in § 14 BauGB bezeichneten Vorhaben und sonstigen Maßnahmen genehmigungsbedürftig.158 Die Rechtswirkungen der Durchführungssicherungssatzung entsprechen im Wesentlichen denen der Veränderungssperre nach § 14 Abs. 1 BauGB.159 Von dem Genehmigungsvorbehalt nach § 171d Abs. 1 BauGB sind Vorhaben i. S. des § 29 BauGB umfasst, einschließlich sonstiger erheblich wertsteigernder Veränderungen und der Beseitigung baulicher Anlagen.160 Der Erlass einer Durchführungssicherungssatzung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn einvernehmliche Regelungen durch vertragliche Vereinbarungen nicht oder nicht in ausreichendem Umfang getroffen werden können. Im Folgenden ist zu untersuchen, ob die beschriebenen negativen städtebaulichen Folgen sozialer und ethnischer Segregation als städtebauliche Funktionsverluste zu qualifizieren sind, die mit der Durchführung von Anpassungsmaßnahmen im Rahmen des Stadtumbaus zur Herstellung nachhaltiger städtebaulicher Strukturen bekämpft werden können.
157 Schmidt-Eichstaedt,
Städtebaurecht, S. 478. Genehmigung darf nach § 171d Abs. 3 S. 1 BauGB nur versagt werden, um einen den städtebaulichen und sozialen Belangen Rechnung tragenden Ablauf der Stadtumbaumaßnahmen nach Maßgabe des von der Gemeinde aufgestellten städtebaulichen Entwicklungskonzepts bzw. Sozialplans i. S. des § 180 BauGB zu sichern. Die Genehmigung ist nach § 171d Abs. 3 S. 2 BauGB zu erteilen, wenn auch unter Berücksichtigung des Allgemeinwohls ein Absehen von dem Vorhaben oder der Maßnahme nicht zumutbar ist. 159 Schmidt-Eichstaedt, Städtebaurecht, S. 476; vgl. Bunzel, Praxiserfahrung beim Stadtumbau Ost, S. 243. 160 Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 171d BauGB Rn. 5; der Genehmigungsvorbehalt in § 171d Abs. 1 BauGB ist insoweit enger, als der im Sanierungsrecht. 158 Die
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts163
2. Städtebauliche Funktionsverluste in Abgrenzung zu städtebaulichen Funktionsschwächen Der Begriff „städtebauliche Funktionsverluste“ lehnt sich an den sanierungsrechtlichen Begriff der Funktionsschwäche in § 136 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 BauGB an. Beide Begriffe beziehen sich auf städtebauliche Fehlentwicklungen im Gebiet, die sich sowohl aus der Funktion des Quartiers selbst, als auch aus seiner Funktion für die Siedlungsstruktur, d. h. für benachbarte Quartiere oder die Gesamtstadt, ergeben können.161 Gleichwohl sind die Begriffe inhaltlich nicht deckungsgleich: Der sanierungsrechtliche Begriff der Funktionsschwäche ist weiter gefasst und schließt städtebauliche Funktionsverluste ein.162 So liegen nach § 136 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 BauGB städtebauliche Missstände auch dann vor, wenn das entsprechende Gebiet in der Erfüllung der Aufgaben, die ihm nach Lage und Funktion obliegen, erheblich beeinträchtigt ist. Nach § 171a Abs. 2 S. 2 BauGB liegen erhebliche städtebauliche Funktionsverluste insbesondere dann vor, wenn ein dauerhaftes Überangebot an baulichen Anlagen für bestimmte Nutzungen, namentlich für Wohnzwecke, besteht oder zu erwarten ist, oder wenn die allgemeinen Anforderungen an Klimaschutz und Klimaanpassung163 nicht erfüllt werden. a) Beispiele städtebaulicher Funktionsverluste Der Wohnungsleerstand und das sonstige Überangebot baulicher Anlagen im Quartier sind für sich betrachtet nicht ohne Weiteres als städtebauliche Funktionsverluste anzusehen.164 Gleichwohl können Wohnungsleerstände ebenso wie sonstige Leerstände von Industrie- und Gewerbeanlagen, Bahnflächen, Büros oder Brachen ab einer bestimmten Größenordnung städtebauliche Relevanz erreichen.165 Denn mit zunehmendem Leerstand entwickeln sich städtische Quartiere rückläufig, sodass Wohnungsleerstand gewissermaßen als „Spitze eines strukturellen Eisbergs“ zu bewerten ist, weil seine Folgewirkungen Stadtstrukturen funktionell verändern.166 So kommt es mangels Nachfrage im Quartier zu Schließungen von Gewerbebetrieben, die der 161 Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 171a BauGB Rn. 19. 162 Reidt, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 171a BauGB, Rn. 5. 163 Zum klimabezogenen Städtebau, s. Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 171a BauGB Rn. 24. 164 Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, 29. Auflage 2014, § 171a Rn. 8. 165 Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 171a BauGB Rn. 23. 166 Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 171a BauGB Rn. 23.
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
Versorgung des täglichen Bedarfs dienen. Funktionsverluste i. S. des § 171a Abs. 2 S. 2 1. Halbsatz BauGB liegen auch vor, wenn ein Gebiet infolge von Abwanderungen oder sonstigen Gründen des Bevölkerungsrückganges die ihm nach der städtebaulichen Planung zugedachte Funktion nicht mehr erfüllen kann.167 Dabei müssen die Funktionsverluste erheblich sein, d. h. von einem solchen Gewicht, dass sie öffentliche Interessen berühren und einen spezifischen kommunalen und städtebaulichen Handlungsbedarf auslösen.168 Es lassen sich abstrakt kaum qualitative oder quantitative Angaben machen, ab wann ein Überangebot an baulichen Anlagen für bestimmte Nutzungen im Quartier besteht, das einen strukturellen Funktionsverlust darstellt.169 b) Segregation als städtebaulicher Funktionsverlust Wie bereits im Rahmen der städtebaulichen Sanierung festgestellt, können die Auswirkungen sozialer und ethnischer Segregation zu städtebaulichen Funktionsschwächen im Quartier führen.170 Der Begriff „städtebauliche Funktionsverluste“ zielt in erster Linie auf die Wechselwirkungen zwischen der Bevölkerungsentwicklung und den daraus resultierenden städtebaulichen Veränderungen im Quartier ab. Zur Bevölkerungsentwicklung gehören neben Veränderungen in der Altersstruktur der Quartiersbevölkerung und der sozialen Schichtung u. a. auch Veränderungen in den Bevölkerungsanteilen von Inländern, Ausländern und Eingebürgerten. Die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung nach sozialen, ethnischen und demographischen Merkmalen beeinflusst das mitmenschliche Zusammenleben in Quartieren und das, was städtebaulich dazu notwendig ist, insbesondere den qualitativen und quantitativen Bedarf an Wohn- und Arbeitsstätten. aa) Soziale Segregation als städtebaulicher Funktionsverlust i. S. des § 171a Abs. 2 S. 2 BauGB Quartiere, die durch Wohnungsleerstand oder sonstige Leerstände von Gewerbeanlagen, Bahnflächen oder Büros in der Weise gekennzeichnet sind, dass diese veröden und als Quartiere zum Wohnen unattraktiv sind, weisen städtebauliche Funktionsverluste auf. Das Mietpreisniveau ist in diesen 167 Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 171a BauGB Rn. 20. 168 Reidt, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 171a BauGB, Rn. 6. 169 Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 171a Rn. 8. 170 s. B. I. 2. b).
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Quartieren niedrig und die Bevölkerungsgruppen, die es sich finanziell leisten können, verlassen das Quartier. Zurück bleiben die Bevölkerungsgruppen, für die der Wohnraum in anderen Stadtquartieren, mit höherem Mietpreis niveau, nicht erschwinglich ist. Dies führt zu einer einseitigen Zusammensetzung der Quartiersbevölkerung und damit zur Entstehung sozialer Segregation. Sowohl die Quartiersbewohner als auch die Quartiere selbst verlieren den Anschluss an die gesamtstädtische Entwicklung.171 Das Vorhandensein von städtebaulichen Funktionsverlusten i. S. des § 171a Abs. 2 S. 2 BauGB trägt zur Entstehung sozialer Segregation bei. Zugleich ist denkbar, dass Quartiere zunächst nicht durch städtebauliche Funktionsverluste, d. h. Wohnungsleerstand und dem sonstigen Überangebot baulicher Anlagen gekennzeichnet sind, aber im Vergleich zu anderen Stadtquartieren gleichwohl weniger attraktiv sind und daher eine sozial einseitige Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aufweisen. Das Vorhandensein sozialer Segregation im Quartier kann sich wiederum auf die wirtschaftliche Situation des Quartiers in der Weise auswirken, dass die Nachfrage nach Cafés, Restaurants und bestimmten Einkaufsmöglichkeiten sinkt und die vorhandenen Gewerbebetriebe mangels Nachfrage schließen bzw. aus dem Quartier ziehen. Das Vorhandensein sozialer Segregation kann insoweit der Entstehung städtebaulicher Funktionsverluste Vorschub leisten. bb) Ethnische Segregation als städtebaulicher Funktionsverlust i. S. des § 171a Abs. 2 S. 2 BauGB Es ist denkbar, dass es infolge des Vorhandenseins ethnischer Segregation und den damit möglicherweise verbundenen Auswirkungen zu einer Bevölkerungsentwicklung im Quartier kommt, bei der einzelne Bevölkerungsgruppen aufgrund ethnisch-kultureller Konflikte, sozialer Spannungen oder den Folgen mangelnder Integration das Quartier verlassen. Das Quartier ist aufgrund der negativen Auswirkungen wenig attraktiv und ein Großteil der Bevölkerungsgruppen bevorzugt andere Stadtquartiere als Wohnorte. Dadurch kann es im ethnisch segregierten Quartier zu einem Überangebot an Wohnraum kommen. Dies setzt jedoch voraus, dass insgesamt kaum Bevölkerungsgruppen in das Quartier nachziehen, d. h. auch nicht solche, die im Quartier schon überwiegend vertreten sind. Es ist insoweit jedenfalls denkbar, dass die städtebaulich negativen Auswirkungen ethnischer Segregation zur Entstehung von städtebaulichen Funktionsverlusten i. S. des § 171a Abs. 2 S. 2 BauGB beitragen.
171 Bärenbrinker,
Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Governance, S. 209.
166
4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
Zu dem umgekehrten Fall, dass durch das Vorhandensein von städtebaulichen Funktionsverlusten im Quartier zur Entstehung von ethnischer Segregation beigetragen wird, kommt es typischerweise nicht. Denkbar ist dies aber insoweit, als ethnische Segregation mit sozialer Segregation einhergeht. 3. Anpassungen zur Herstellung nachhaltiger städtebaulicher Strukturen Die Zielsetzung von Stadtumbaumaßnahmen besteht gem. § 171a Abs. 2 S. 1 BauGB in der „Herstellung nachhaltiger städtebaulicher Strukturen“. Die Herstellung nachhaltiger städtebaulicher Strukturen kann gem. § 171a Abs. 3 S. 2 BauGB172 z. B. erreicht werden durch – die Anpassung der Siedlungsstruktur173 an die Erfordernisse der Entwicklung von Bevölkerung und Wirtschaft, – die Verbesserung der Wohn- und Arbeitsstrukturen und der Umwelt, – die Stärkung innerstädtischer Bereiche, – die nachhaltige Erhaltung von Altbaubeständen. Die Regelung nimmt Bezug auf den in § 1 Abs. 5 S. 1 BauGB allgemein definierten Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung.174 Stadtumbaumaßnahmen sind darauf ausgerichtet, die bestehenden städtebaulichen Defizite etwa mit dem Ziel auszugleichen, neue und an den städtebaulichen Strukturwandel angepasste Quartiersstrukturen zu schaffen. In diesem Zusammenhang können die Durchführung von Rückbaumaßnahmen und die damit verbundene Kostentragung sowie der Verzicht auf Entschädigungsansprüche nach den §§ 39 bis 44 BauGB Vertragsgegenstände von Stadtumbaumaßnahmen sein. Rückbaumaßnahmen wie Gebäudeabbrüche, Rückbau, Altlastensanierungen können zwar als Bestandteil von Stadtumbaumaßnahmen erforderlich sein, die Durchführung allein dieser Maßnahmen wird aber der Zielstellung des Stadtumbaus regelmäßig nicht ge172 Stadtumbaumaßnahmen dienen gem. § 171a Abs. 3 S. 1 BauGB dem Wohl der Allgemeinheit. Sie müssen dagegen nicht aus Gründen des Allgemeinwohls erforderlich sein, wie die Entwicklungsmaßnahme nach § 165 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BauGB. 173 Die Anpassung der Siedlungsstruktur ist als städtebauliche Aufgabe weit gefasst, s. dazu, Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 171a BauGB Rn. 32a. 174 Dieser Grundsatz ist darauf ausgerichtet, die wirtschaftlichen, sozialen und umweltschützenden Anforderungen in Einklang zu bringen, s. dazu, Ronellenfitsch, Umwelt und Verkehr unter dem Einfluss des Nachhaltigkeitsprinzips, S. 387; Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 171a BauGB Rn. 22.
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts
167
recht.175 Die Gemeinde hat vielmehr auf der Grundlage des individuellen Anpassungsbedarfs im Quartier ein städtebauliches Entwicklungskonzept zu erarbeiten, das z. B. Umnutzungen und die städtebauliche Entwicklung freigelegter Flächen sowie Maßnahmen – auch in Zusammenarbeit mit Privaten – vorsieht, durch die dauerhaft den sozialen, wirtschaftlichen und anderen Erfordernissen Rechnung getragen wird.176 Neben den konkretisierten Zielsetzungen nach § 171a Abs. 3 S. 2 BauGB ergeben sich die förderfähigen Inhalte von Stadtumbaumaßnahmen aus den jeweiligen Verwaltungsvereinbarungen, in denen mögliche Fördergegenstände konkret zu benennen sind. a) Förderfähige Maßnahmen gem. Verwaltungsvereinbarung 2015 Konkretisiert werden die Steuerungsmöglichkeiten von Stadtumbaumaßnahmen durch die zwischen dem Bund und dem jeweiligen Land geschlossene Verwaltungsvereinbarung über die Gewährung von Finanzhilfen des Bundes an die Länder, in der bestimmt ist, welche Art von Maßnahmen und Projekte grundsätzlich förderfähig sind. Dies ergibt sich im Wesentlichen aus Art. 5 und 6 der Verwaltungsvereinbarung von 2015 (VV).177 Dabei legt Art. 5 fest, wofür Fördermittel des Stadtumbaus insbesondere eingesetzt werden können. Danach können Fördermittel des Stadtumbaus insbesondere in den folgenden Bereichen eingesetzt werden: – Städtebauliche Neuordnung sowie die Wieder- und Zwischennutzung von Industrie-, Verkehrs- oder Militärbrachen Bei brachliegenden oder mindergenutzten Flächen ist eine dauerhafte Wiedernutzung oder Nachnutzung – auch von Teilflächen – das Hauptziel der Förderung. Dabei sind auch Zwischennutzungen, z. B. als Spielplatz oder sonstige Freizeitanlage förderfähig, wenn die dafür erforderlichen Kosten in einem angemessenen Verhältnis zur dauerhaft angestrebten Nachnutzung stehen.178 175 Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 171a BauGB Rn. 23. 176 Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 171a BauGB Rn. 9. 177 Verwaltungsvereinbarung über die Gewährung von Finanzhilfen des Bundes an die Länder nach Art. 104 Abs. 4 GG zur Förderung städtebaulicher Maßnahmen – VV-Städtebauförderung 2015 vom 18. Dezember 2014 / 18. April 2015, abrufbar unter: http: / / www.saarland.de / dokumente / res_innen / Verwaltungsvereinbarung_Staedte baufoerderung_2015.pdf. 178 Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, Vorbem. zu den §§ 171a bis 171d BauGB Nr. 3.2.
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
– Verbesserung des öffentlichen Raums, des Wohnumfeldes und der privaten Freiflächen Förderfähig sind außerdem Maßnahmen, die darauf gerichtet sind, die städtebauliche Attraktivität für die im Gebiet wohnenden und arbeitenden Menschen zu erhöhen, indem z. B. die Nutzungsmöglichkeiten des öffentlichen Raums für bestimmte Bevölkerungs- und Nutzergruppen, wie z. B. Kinder, Senioren oder Menschen mit Behinderungen verbessert werden.179 Weiterhin können öffentliche und private Infrastruktur-, Handels- und Dienstleistungseinrichtungen, Kommunikations- und Aufenthaltsflächen attraktiver gestaltet und an den veränderten Bedarf der Nutzergruppen und den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen angepasst werden. Typische Maßnahmen sind die Umgestaltung von Stadtplätzen, die Verkehrsberuhigung sowie Schaffung, Ausbau, Ergänzung oder Umgestaltung vernetzter Systeme für Fuß- und Radwege und Grünverbindungen. – Anpassung der städtischen Infrastruktur und die Sicherung der Grundversorgung Im Bereich der Anpassung der städtischen Infrastruktur geht es neben Anpassungsmaßnahmen in der leitungsgebundenen technischen Infrastruktur um Veränderungen aufgrund des wirtschaftlichen und demographischen Wandels. Diese Veränderungen der Alters- und Sozialstruktur wirken sich auf die Richt- und Bedarfswerte für soziale Infrastruktureinrichtungen aufgrund der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Nutzer der Einrichtungen aus.180 Zwar ist die Erarbeitung von Lösungsansätzen in diesem Bereich vorrangige Aufgabe der jeweiligen Fachplanungen und -instanzen, aber aufgrund der fachübergreifenden und integrierenden Gesamtkonzeption des Städtebaurechts kann das Stadtumbauprogramm West181 jedoch modellhafte Lösungen für die städtebauliche Anpassung der sozialen und kulturellen Infrastruktur im Stadtumbaugebiet leisten.182 Zu den typischen Maßnahmen gehören der Umbau von Kindertagesstätten zu Senioreneinrichtungen oder der Umbau und die Umnutzung von Gebäuden für soziale und kulturelle Zwecke, wie z. B. Umbau und Umnutzung von Gewerbe- und Fabrikgebäuden für soziokulturelle Zwecke. 179 Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, Vorbem. zu den §§ 171a bis 171d BauGB Nr. 3.3. 180 Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, Vorbem. zu den §§ 171a bis 171d BauGB Nr. 3.4. 181 s. auch Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, Vorbem. zu den §§ 171a bis 171d BauGB Nr. 3.4. 182 Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, Vorbem. zu den §§ 171a bis 171d BauGB Nr. 3.4.
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– Aufwertung und Umbau des vorhandenen Gebäudebestands Zur Aufwertung und zum Umbau des vorhandenen Gebäudebestands gehören die Erhaltung von Gebäuden mit baukultureller Bedeutung, wie z. B. die Instandsetzung und Modernisierung von das Stadtbild prägenden Gebäuden. Grundsätzlich sind Aufwertungs- und Umbaumaßnahmen im Gebäudebestand förderfähig, wenn sie einen wesentlichen Beitrag zum Stadtumbau im Gebiet leisten. Die Konzentration von Aufwertungs- und Umbaumaßnahmen ist städtebaulich wünschenswert. Hierzu zählen z. B. die folgenden Maßnahmen183: – Mehrfachnutzungen von öffentlichen Gebäuden, – Umnutzung und Bewirtschaftung nicht mehr benötigter Infrastrukturanlagen, leerstehender Gewerbegebäude durch Stadtteilinitiativen, Selbsthilfeaktivitäten, Genossenschaftsneugründungen usw., – Mehrgenerationen-Wohnen, gemeinschaftliches Wohnen, Wohneigentumsinitiativen von Familien mit Kindern, Integrationsprojekte für Migranten, – Anpassung von Wohnungsbeständen und Wohngebäuden an die Anforderungen altengerechten Wohnens, Integration von Betreuungseinrichtungen, altengerechte Infrastrukturangebote und Formen des betreuten Wohnens. b) Stadtumbaumaßnahmen zur Bekämpfung von Segregation Im Folgenden ist die Frage zu klären, ob und inwieweit die Durchführung von Stadtumbaumaßnahmen Steuerungswirkungen im Hinblick auf den Abbau sozialer und ethnischer Segregation und den damit verbundenen städtebaulich negativen Auswirkungen entfaltet. aa) Die Durchführung von Stadtumbaumaßnahmen zum Abbau sozialer Segregation Die Durchführung von Stadtumbaumaßnahmen mit dem Ziel der Verbesserung der Wohn- und Arbeitsverhältnisse entfaltet mittelbare Steuerungswirkungen im Hinblick auf den Abbau sozialer Segregation. Die städtebauliche Steuerungswirkung entspricht insoweit der bei Durchführung städtebaulicher Sanierungsmaßnahmen. Das gilt vor allem für Stadtumbaumaßnahmen mit dem Ziel, gebietliche Verbesserungen vorzunehmen, wie z. B. Umnutzungen zur Schaffung von Grün- und Erholungsflächen im Quartier. Die Wohnquartiere werden durch diese Maßnahmen attraktiver, was tendenziell zu einer 183 Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, Vorbem. zu den §§ 171a bis 171d BauGB Nr. 3.5.
170
4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
stärkeren Durchmischung der Zusammensetzung der Quartiersbevölkerung führt. Daneben werden defizitäre Quartiersstrukturen verbessert, sodass die Benachteiligungen der Quartiersbewohner, die sich aus mangelnden oder defizitären Quartiersstrukturen ergeben, sog. Kontexteffekte184, abgebaut werden. Das Quartiersimage wird durch Aufwertungen der gebietlichen Quartiersinfrastruktur sowie der baulichen Anlagen insgesamt verbessert. In diesem Zusammenhang tragen Stadtumbaumaßnahmen mit dem Ziel, die soziale Infrastruktur durch bessere Vernetzung öffentlicher Einrichtungen und die spezifische Unterstützung von Projekten und Initiativen zu stabilisieren, ebenfalls zum Abbau sozialer Segregation bei. Dabei kann auch die Familien- und Kinderfreundlichkeit des Quartiers, z. B. durch Schaffung eines entsprechenden Angebots an Spielplätzen und Kindergärten, erhöht werden. Damit kann mittelbar zu einer stärkeren Durchmischung der Wohnbevölkerung beigetragen werden. Im Gegensatz zu städtebaulichen Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen ist die Durchführung von Stadtumbaumaßnahmen darauf ausgerichtet, vorhandene städtebauliche Strukturen anzupassen. In diesem Zusammenhang kann Gegenstand von Stadtumbaumaßnahmen die gezielte Schaffung eines Wohnangebots für spezifische Bevölkerungsgruppen sein. Stadtumbaumaßnahmen können damit durch Anpassungsmaßnahmen baulicher Anlagen auch der Erschließung neuer Zielbevölkerungsgruppen im Quartier dienen. Auf diese Weise kann eine mittebare Steuerung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung im Quartier stattfinden. Während z. B. Familien mit Kindern große Wohnungen oder Einfamilienhäuser nachfragen, bevorzugen Alleinerziehende, Singles oder Studenten vor allem Ein- oder Zweizimmerwohnungen. In diesem Zusammenhang kommt die Durchführung von Stadtumbaumaßnahmen mit dem Ziel in Betracht, Quartiere z. B. für Studenten attraktiv zu gestalten. Auf diese Weise können soziale und kulturelle Impulse für die Quartiersentwicklung in Gang gesetzt werden, die zur Durchmischung der Quartiersbewohnerschaft beigetragen. Daneben kommt auch die Förderung alternativer Wohnformen, z. B. Wohneigentumsinitiativen für Familien mit Kindern oder Integrationsprojekte für Migranten in Betracht.185 In der Praxis hängt die Steuerungsfähigkeit von Stadtumbaumaßnahmen zur Anpassung baulicher Anlagen im Quartier wesentlich davon ab, dass eine Kooperation der Gemeinde mit den Wohnungseigentümern und Wohnungsunternehmen zustande kommt. Zwar kann die Gemeinde bei fehlender Kooperationsbereitschaft betroffener Eigentümer eine Durchführungssicherungssatzung erlassen, diese führt aber „lediglich“ zur Genehmigungspflich184 s. dazu 185 Diese
2. Kapitel D. sind gem. der o. g. Verwaltungsvereinbarung 2015 förderfähig.
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tigkeit bestimmter Vorhaben. Die Ermächtigung zur hoheitlichen Durchsetzung186 bestimmter baulicher Anpassungsmaßnahmen, z. B. mit Blick auf die Schaffung spezifischer Wohnungszuschnitte oder die Umsetzung alternativer Wohnformen, ist im Stadtumbaurecht nicht enthalten. Der Gemeinde stehen dementsprechend keine hoheitlichen Steuerungsinstrumente zur Verfügung, mit denen sie die Festlegung von Wohnungsgrößen und -zuschnitten oder Mietobergrenzen i. R. der Durchführung von Stadtumbaumaßnahmen bestimmen kann. bb) Die Durchführung von Stadtumbaumaßnahmen zum Abbau ethnischer Segregation Die Durchführung von Stadtumbaumaßnahmen entfaltet keine spezifischen Steuerungswirkungen im Hinblick auf den Abbau ethnischer Segregation. Die geringen mittelbaren Steuerungswirkungen durch Maßnahmen mit dem Ziel der Verbesserung der Wohn- und Arbeitsverhältnisse im Quartier, wie sie im Rahmen der städtebaulichen Sanierungsmaßnahme187 dargestellt sind, gelten auch für Stadtumbaumaßnahmen. Darüber hinaus kann die Durchführung von Stadtumbaumaßnahmen mit dem Ziel, das Wohnangebot für spezifische Bevölkerungsgruppen zu schaffen, Steuerungswirkungen im Hinblick auf den Abbau ethnischer Segregation entfalten. Denn solche städtebaulichen Anpassungsmaßnahmen können spezifische Wohnprojekte, z. B. für Studenten zum Gegenstand haben, durch die tendenziell zur Durchmischung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung beigetragen wird. Die Steuerungsfähigkeit solcher „unkonventionellen“ Wohnprojekte hängt auch von der Größe des Quartiers und den Anreizen für die übrigen Bevölkerungsgruppen ab, die Wohnangebote wahrzunehmen. Daneben hängt die Steuerungsfähigkeit im Hinblick auf den Abbau ethnischer Segregation in der Praxis wesentlich von der Kooperationsbereitschaft sowie der Mitwirkungs- und Finanzierungsbereitschaft von Dritten ab. Die Durchführung von Wohn- und Pilotprojekten, z. B. zur Ansiedlung von Studenten im Quartier oder die Öffnung von Gebäuden für Kulturprojekte, wird regelmäßig von der Bereitschaft der Eigentümer zum Abschluss von Stadtumbauverträgen mit der Gemeinde abhängen. Denn von der Möglichkeit entsprechende Grundstücke zur Durchführung von Stadtumbaumaßnahmen zu enteignen, wird in der Praxis, aufgrund der damit verbundenen Entschädi186 Eine Enteignung zu diesen Zwecken wäre verfassungsrechtlich wohl nicht mit Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar. Das Allgemeinwohl würde in diesen Fällen die konkrete Enteignung wohl nicht erfordern; s. dazu auch B. II. 187 s. B. I. 3 a).
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
gungszahlungen, wenig Gebrauch gemacht; die Regelung dient vielmehr als „Drohpotential“ bei nicht mitwirkungsbereiten Eigentümern.188
IV. Maßnahmen der Sozialen Stadt i. S. des § 171e BauGB Im Jahr 1996 beschloss die Ministerkonferenz der ARGEBAU eine BundLänder-Gemeinschaftsinitiative „Soziale Stadt“, um der „drohenden sozialen Polarisierung in den Städten Einhalt zu gebieten“.189 Mit der Initiative wurde ein „nationales Aktionsprogramm“ begründet, das eine nachhaltige Entwicklung in Stadt- und Ortsteilen mit besonderen sozialen, wirtschaftlichen und städtebaulichen Problemen fördern sollte. Ziel des Programms war die Sicherstellung der Bewohnbarkeit und Funktionsfähigkeit von Städten, die infolge von Segregationserscheinungen bedroht waren (und sind), ins „soziale Abseits zu rutschen“.190 Den von diversen sozialen und städtebaulichen Problemen betroffenen Quartieren sollte eine nachhaltige Entwicklungsper spektive gegeben werden.191 Vor allem in Berlin, Bremen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen wurden frühzeitig stadtpolitische Entwicklungsprogramme durchgeführt, die auf eine Bekämpfung „sozialräumlicher Polarisierung“ in den Städten abzielten.192 Die Maßnahmen der Sozialen Stadt wurden durch das EAG Bau 2004193 gesetzlich in § 171e BauGB geregelt. 1. Instrumente der Maßnahmen der Sozialen Stadt Städtebauliche Maßnahmen der Sozialen Stadt sind gem. § 171e Abs. 2 BauGB „Maßnahmen zur Stabilisierung und Aufwertung von durch soziale Missstände benachteiligter Ortsteile oder anderer Teile des Gemeindegebiets, in denen ein besonderer Entwicklungsbedarf besteht“. Die Gemeinden können nach § 171e Abs. 3 BauGB durch Beschluss ein Gebiet festlegen, in dem 188 Schmidt-Eichstaedt,
Städtebaurecht, S. 480. Ministerkonferenz vom 28. / 29. November 1996, s. Vorbereitungspapiere zum Bund-Länder-Programm – Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf, Difu (Hrsg.), 1999, S. 2 abrufbar unter: http: / / www.staedtebaufoerderung.info / StBauF / SharedDocs / Publikationen / StBauF / SozialeStadt / Arbeitspapiere / AP_Band1. pdf?__blob=publicationFile&v=2; Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 171e BauGB Rn. 7. 190 Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 171e BauGB Rn. 1. 191 Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 171e BauGB Rn. 1. 192 Reidt, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 171e BauGB Rn. 2; Bärenbrinker, Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Governance, S. 184 jeweils m. w. N. 193 s. 2. Kapitel, Fn. 448. 189 Zur93.
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Maßnahmen der Sozialen Stadt durchgeführt werden sollen. Grundlage des Beschlusses ist nach § 171e Abs. 4 BauGB ein von der Gemeinde aufzustellendes Entwicklungskonzept, in dem Ziele und Maßnahmen darzustellen sind. Die Umsetzung des Entwicklungskonzepts soll gem. § 171e Abs. 5 S. 1 BauGB durch Einbeziehung und Mitwirkung der Beteiligten stattfinden. Dazu soll die Gemeinde nach § 171e Abs. 5 S. 4 BauGB zur Verwirklichung und Förderung der mit dem Entwicklungskonzept verfolgten Ziele sowie zur Übernahme von Kosten mit den Eigentümern und sonstigen Maßnahmenträgern städtebauliche Verträge schließen. Die Regelungen der Maßnahmen im Rahmen dieses Konzepts sehen keine eigenständigen Eingriffsbefugnisse vor. Soweit die Sicherung der Durchführung von Maßnahmen der Sozialen Stadt erforderlich ist, eröffnet § 171e BauGB allerdings die Befugnis, ergänzend zu den Maßnahmen der Sozialen Stadt, „sonstige Maßnahmen“ des BauGB, z. B. solche des städtebaulichen Sanierungsrechts durchzuführen.194 Die Ziele von Maßnahmen der Sozialen Stadt können also auch mit den Instrumenten des städtebaulichen Sanierungsrechts durchgesetzt werden.195 Durch die Befugnis zur kumulativen Anwendung städtebaulicher Planungs instrumente besteht etwa auch die Möglichkeit, die Ziele von Maßnahmen der Sozialen Stadt durch den Erlass einer Erhaltungssatzung zu sichern. Mit der Durchführung von Maßnahmen der Sozialen Stadt werden die folgenden beiden Ziele verfolgt: (1) Aufwertung und Stabilisierung von durch soziale Missstände benachteiligten Quartieren, in denen deshalb ein besonderer Entwicklungsbedarf besteht196 und (2) Bündelung der zur Verfügung stehenden Fördermittel, d. h. die Koordinierung von Planungen und Maßnahmen öffentlicher Aufgabenträger, um einen effektiven Einsatz finanzieller Mittel zu erreichen.197 Voraussetzung für die Aktivierung des Konzepts der Sozialen Stadt ist das Vorhandensein sozialer Missstände (§ 171e Abs. 2 S. 2 BauGB). Im Rahmen dieser Untersuchung stellt sich die Frage, ob soziale und ethnische Segregation als soziale Missstände i. S. des § 171e Abs. 2 S. 2 BauGB zu qualifizieren sind. Außerdem ist die Eignung von Maßnahmen der Sozialen Stadt zur Aufwertung und Stabilisierung von Quartieren auf ihre Steuerungsfähigkeit 194 Schink, in: Spannowsky / Uechtritz, Beck OK, Stand: 1. April 2015, § 171e BauGB Rn. 74. 195 Krautzberger, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 171e BauGB Rn. 15. 196 Schink, in: Spannowsky / Uechtritz, Beck OK, Stand: 1. April 2015, § 171e BauGB Rn. 4. 197 Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 171e BauGB Rn. 3.
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im Hinblick auf die Bekämpfung sozialer und ethnischer Segregation zu untersuchen. 2. Segregation als sozialer Missstand und besonderer Entwicklungsbedarf Nach § 171e Abs. 2 S. 2 BauGB liegen soziale Missstände insbesondere vor, „wenn ein Gebiet aufgrund der Zusammensetzung und der wirtschaftlichen Situation der darin lebenden und arbeitenden Menschen erheblich benachteiligt ist“. Soziale Missstände sind von städtebaulichen Missständen im Sanierungsrecht zu unterscheiden. Zwar kommt es in vielen Fällen zu Überschneidungen von sozialen und städtebaulichen Missständen, der Begriff der sozialen Missstände bezieht sich aber speziell auf die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung und die wirtschaftliche Situation der darin lebenden Menschen. Kriterien hierfür sind eine hohe Erwerbslosigkeit, ein hoher Anteil an einkommensschwachen Personen oder solchen, die soziale Transferleistungen beziehen, eine Abwanderung von zur Mittelschicht zählenden Personen aus dem Quartier, Integrationsdefizite sowie eine erhebliche Vernachlässigung öffentlicher Räume.198 Von sozialen Missständen sind danach Quartiere aber auch dann betroffen, wenn sie nicht nur in ihrer Sozialstruktur, sondern auch in ihrem baulichen Bestand oder aufgrund ihrer peripheren Lage Defizite aufweisen.199 Letzteres sind regelmäßig Quartiere, die sich in stark benachteiligte Regionen, wie z. B. ehemaligen Militärgebieten befinden.200 Ein besonderer Entwicklungsbedarf liegt gem. § 171e Abs. 2 S. 3 BauGB insbesondere vor, wenn es sich „um benachteiligte innerstädtische oder innenstadtnah gelegene Gebiete oder verdichtete Wohn- und Mischgebiete handelt, in denen es einer aufeinander abgestimmten Bündelung von investiven und sonstigen Maßnahmen bedarf“. Die benachteiligten innerstädtischen oder innenstadtnah gelegenen Quartiere sind oft durch schlechte, hoch verdichtete, nicht modernisierte Bausubstanz gekennzeichnet.201 Diese Quartiere sind zumeist auch erhöhten Immissionsbelastungen etwa durch Verkehrslärm 198 s. dazu, Schink, in: Spannowsky / Uechtritz, Beck OK, Stand: 1. April 2015, § 171e BauGB Rn. 21; Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 171e BauGB Rn. 9 m. w. N. 199 Leitfaden zur Ausgestaltung der Gemeinschaftsinitiative Soziale Stadt vom 29. August 2005, Ziff. 2, abrufbar unter: https: / / www.is-arge-bau.de / Dokumente/ 4236855.pdf. 200 Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 171e BauGB Rn. 33. 201 Schink, in: Spannowsky / Uechtritz, Beck OK, Stand: 1. April 2015, § 171e BauGB Rn. 27.
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ausgesetzt.202 Private Investoren meiden solche Stadtquartiere, weshalb ein auf privater Initiative beruhender Stadterneuerungsprozess schwerlich erwartet werden kann. Bei den verdichteten Wohn- und Mischgebieten handelt es sich oftmals um große Wohnsiedlungen am Stadtrand, die vor allem durch Merkmale, wie architektonische Einförmigkeit, unzulängliche Infrastruktur, isolierte Lage am Stadtrand, eingeschränkte öffentliche Nahverkehrsanbindung (ÖPNV) sowie eine fehlende Nutzungsmischung gekennzeichnet sind.203 Mit der beschriebenen „Gebietskulisse“ sind beispielhaft solche Bereiche aufgeführt, die sich nach Auffassung des Gesetzgebers in der städtebaulichen Praxis als „besondere Kristallisationspunkte für soziale und wirtschaftliche Problemlagen“ erwiesen haben.204 Für die beiden ausdrücklich in § 171e Abs. 2 S. 3 BauGB genannten Gebietskulissen besteht eine Regelvermutung für den besonderen Entwicklungsbedarf.205 a) Soziale Segregation als sozialer Missstand Wie bereits dargestellt206, stellen Quartiere mit hoher sozialer Segregation nicht schon als solches einen sozialen Missstand i. S. des § 171e Abs. 2 S. 2 BauGB dar. Vielmehr kommt es nach der gesetzlichen Regelung darauf an, ob die in sozial segregierten Quartieren lebenden Menschen „erheblich benachteiligt“ sind. Sozial segregierte Quartiere zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine in sozialer Hinsicht homogene Bewohnerstruktur aufweisen. Städtebaulich problematisch sind sozial segregierte Quartiere insbesondere dann, wenn sie darauf beruhen, dass finanzkräftigere Haushalte aus städtebaulich defizitären Quartieren wegziehen und die einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen unfreiwillig im Quartier bleiben. Wie bereits dargestellt, können benachteiligte Quartiere wiederum Benachteiligungen für die Quartiersbevölkerung hervorrufen.207 Denn defizitäre Quartiersstrukturen führen dazu, dass die 202 Schink, in: Spannowsky / Uechtritz, Beck OK, Stand: 1. April 2015, § 171e BauGB Rn. 27. 203 Schink, in: Spannowsky / Uechtritz, Beck OK, Stand: 1. April 2015, § 171e BauGB Rn. 28 m. w. N. 204 Begründung des Gesetzesentwurfs zum EAG Bau v. 17. Dezember 2003, BTDrucks. 15 / 2250 S. 61; Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 171e BauGB Rn. 10 m. w. N. 205 Stemmler, Stadtumbau und Soziale Stadt – Zu den Neuregelungen im Regierungsentwurf für ein Europarechtsanpassungsgesetz Bau – EAG Bau, S. 133; Schink, in: Spannowsky / Uechtritz, Beck OK, Stand: 1. April 2015, § 171e BauGB Rn. 26. 206 s. 3. Kapitel A. II. 2. 207 s. zum Begriff Kontexteffekte 2. Kapitel D.
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Wohnqualität im Quartier niedrig ist und ein insgesamt negatives Quartiersimage entsteht. Diese Quartiere zeichnen sich zumeist durch einen geringen Zusammenhalt in der Nachbarschaft und insgesamt wenig ausgeprägte soziale Netzwerke aus.208 Für das Vorliegen sozialer Missstände ist nicht notwendig, dass Quartiere als „soziale Brennpunkte“ auffallen, etwa aufgrund von erhöhter Kriminalität und Vandalismus.209 Soziale Missstände liegen schon dann vor, wenn das Quartier „nur“ durch hohe Arbeitslosigkeit, Abwanderung der Mittelschicht, wirtschaftliche Probleme oder Integrationsdefizite gekennzeichnet ist.210 Zwar kommt es im Gegensatz zu städtebaulichen Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen nicht in erster Linie auf die bauliche oder städtebauliche Situation im Quartier an, es weisen aber insbesondere stark verdichtete Wohnquartiere wie Großwohnsiedlungen, die aufgrund ihrer spezifischen Bebauung für einkommensstarke Haushalte von vornherein wenig attraktiv sind, soziale Missstände auf. Durch den Prozess sozialer Segregation kann in dem Quartier eine Dynamik in Gang gesetzt werden, die zu den von Farwick211 beschrieben Folgen führen kann, wie etwa zu stigmatisierenden und diskriminierenden Wirkungen von Quartiren oder geringer Ressourcenausstattung innerhalb der sozialen Netze der Quartiersbewohner. Sozial segregierte Quartiere können also aufgrund der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung und der wirtschaftlichen Situation der darin lebenden Menschen erheblich benachteiligt sein und einen besonderen Entwicklungsbedarf aufweisen. b) Ethnische Segregation als sozialer Missstand Für die Frage, ob ethnische Segregation soziale Missstände auslösen kann, kommt es darauf an, ob das ethnisch segregierte Quartier aufgrund der „Zusammensetzung der Wohnbevölkerung und der wirtschaftlichen Situation der im Gebiet lebenden und arbeitenden Menschen erheblich benachteiligt“ ist. Die ethnisch homogene Zusammensetzung eines Wohnquartiers ist als solche kein sozialer Missstand. Sie kann aber städtebaulich negative Auswir-
208 s. dazu
2. Kapitel D. Stadtumbau und Soziale Stadt – Zu den rungsentwurf für ein Europarechtsanpassungsgesetz Bau – 210 Stemmler, Stadtumbau und Soziale Stadt – Zu den rungsentwurf für ein Europarechtsanpassungsgesetz Bau – 211 s. 2. Kapitel D. 209 Stemmler,
Neuregelungen im RegieEAG Bau, S. 133. Neuregelungen im RegieEAG Bau, S. 133.
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts
177
kungen haben.212 Ist das ethnisch segregierte Quartier zugleich sozial segregiert, gelten auch die oben dargestellten Überlegungen. Zwar geht ethnische Segregation in vielen Fällen mit sozialer Segregation einher, es gibt aber auch ethnisch segregierte Quartiere, die nicht zugleich sozial segregiert sind. Für die vorliegende Untersuchung stellt sich deshalb die Frage, ob sich § 171e Abs. 2 S. 2 BauGB allein auf solche Missstände bezieht, die sich letztlich aus einer wirtschaftlich prekären Situation im Quartier ergeben, oder ob auch Missstände erfasst sind, die sich aus einer spezifischen Zusammensetzung der Wohnbevölkerung im Quartier ergeben. Insoweit stellt sich die Frage, ob das Vorliegen sozialer Missstände voraussetzt, dass die in § 171e Abs. 2 S. 2 BauGB genannten Kriterien der „Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“ und die „wirtschaftliche Situation“ der im Quartier lebenden Menschen kumulativ vorliegen müssen. Der Wortlaut in § 171e Abs. 2 S. 2 BauGB „und“ deutet darauf hin, dass es sich bei den Begriffen „Zusammensetzung“ und „wirtschaftliche Situation“ um zwei eigenständige und voneinander unabhängige Kriterien handelt.213 Obgleich der Wortlaut der Vorschriften insoweit eindeutig ist, besteht keine Einigkeit darüber, ob beide Kriterien erfüllt sein müssen. Auf der einen Seite wird die Ansicht vertreten, dass es sich entgegen dem Wortlaut um nicht unabhängig voneinander bestehende Voraussetzungen handelt.214 Zur Begründung wird angeführt, dass ein Gebiet nicht allein aufgrund der Zusammensetzung der Bevölkerung benachteiligt sein könne, sondern nur dann, wenn zugleich auch die wirtschaftliche Situation der im Gebiet lebenden Menschen unbefriedigend sei. Auf der anderen Seite wird die Ansicht vertreten, dass der Gesetzgeber mit der Formulierung „und“ habe zum Ausdruck bringen wollen, dass sich soziale Missstände sowohl aus der Zusammensetzung der Bewohner als auch aus deren wirtschaftlicher Situation ergeben können.215 Dies ergebe sich vor allem aus der Formulierung in § 171e Abs. 4 S. 2 BauGB, wonach das von der Gemeinde aufzustellende Entwicklungskonzept insbesondere Maßnahmen enthalten solle, die sowohl der Verbesserung der Wohn- und Arbeitsverhältnisse als auch der Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen dienten. Zwar spielt die Frage in der städtebaulichen Praxis eher eine geringe Rolle, weil die beiden Kriterien regelmäßig zusammen auftreten und nicht eindeutig feststellbar ist, wodurch die sozialen Missstände im Einzelnen her212 s. dazu
2. Kapitel A. II. 3. c). auch Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 171e BauGB Rn. 9. 214 Reidt, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 171e BauGB Rn. 16; Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 171e BauGB Rn. 34. 215 Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 171e BauGB Rn. 9. 213 So
178
4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
vorgerufen werden. Es sprechen aber gute Gründe dafür, dass beiden Kriterien eigenständige Bedeutung zukommt. Aus dem Gesetzesentwurf zum EAG-Bau216 ergibt sich, dass die Maßnahmen der Sozialen Stadt auch in Stadtquartieren durchgeführt werden sollen, die aufgrund von Defiziten bei der Integration ausländischer Mitbürger von sozialen Missständen betroffen sind. Sinn und Zweck der Vorschrift besteht darin, den Begriff der sozialen Missstände weit auszulegen und damit auch Stadtquartiere aufzuwerten und zu stabilisieren, die infolge von ethnischer Segregation von sozialen Missständen betroffen sind. Es würde dem Sinn und Zweck der Maßnahmen der Sozialen Stadt dagegen widersprechen, wenn ethnische Segregation, die unabhängig von der wirtschaftlichen Situation der Quartiersbewohner besteht, zu keinen Auswirkungen führen kann, die als soziale Missstände anzusehen sind. Dabei wird in Anlehnung an die Auslegung des Begriffs „sozial stabile Bewohnerstrukturen“ i. S. des § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB217 nicht die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung an sich als „sozialer Missstand“ angesehen. Vielmehr geht es um die durch eine spezifische Zusammensetzung der Wohnbevölkerung hervorgerufenen erheblichen Benachteiligungen.218 Durch ethnische Segregation kann es zu den dargestellten Desintegrationsprozessen und in der Folge zur Etablierung von Parallelstrukturen kommen, die als städtebauliche Missstände anzusehen sind.219 Insoweit kann ethnische Segregation zu sozialen Missständen i. S. des § 171e Abs. 2 S. 2 BauGB führen. 3. Maßnahmen und Instrumente der Sozialen Stadt zum Abbau von Segregation Maßnahmen der Sozialen Stadt sind nach § 171e Abs. 2 S. 1 BauGB solche, die der Aufwertung und Stabilisierung von durch soziale Missstände benachteiligten Ortsteilen oder anderen Teilen des Gemeindegebiets dienen. Die Maßnahmen können sich dabei sowohl auf kleinräumige Quartiersstrukturen, wie Straßenzüge und Häuserblocks220 beziehen als auch auf groß flächig zusammenhängende Quartiere, in denen ein besonderer Entwicklungsbedarf besteht.221
216 BT-Drucksache
15 / 2250 vom 17. Dezember 2003, S. 32. 3. Kapitel A. II. 2. b). 218 Zu den durch ethnische Segregation hervorgerufenen Benachteiligungen, s. 2. Kapitel A. II. 3. c) und 3. Kapitel A. II. 2. b). 219 s. dazu, ethnische Segregation als Funktionsmangel, B. I. 2. b) bb). 220 Der kleinräumige Bezugspunkt ergibt sich insbesondere aus der Formulierung in § 171e Abs. 2 S. 1 BauGB oder andere Teile des Gemeindegebiets. 221 s. auch Krautzberger, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 171e BauGB Rn. 27. 217 s.
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts
179
a) Stabilisierung und Aufwertung von Quartieren mit sozialen Missständen Mit dem Ziel der Stabilisierung soll zunächst eine weiter fortschreitende Verschärfung sozialer Missstände in den Quartieren verhindert werden.222 Zur Stabilisierung von Quartieren werden vor allem nicht-investive Maßnahmen eingesetzt, wie z. B. die Einbeziehung der Quartierbewohnerschaft und der Quartiersvereine in städtebauliche Entwicklungsprozesse.223 In diesem Zusammenhang können z. B. ein Quartiersmanagement sowie Kontakt- und Anlaufstellen für Beratungs-, Bildungs- und Betreuungsangebote für die Wohnbevölkerung eingerichtet werden.224 Die Quartiersbewohner sollen zu Mitwirkung und Engagement im Quartier angeregt werden.225 Zu diesem Zwecke werden z. B. auch bewohnergetragene Projekte unterstützt oder Unternehmensgründungen gefördert.226 Daneben sollen in den durch soziale Missstände benachteiligten Gebieten investive Aufwertungsmaßnahmen durchgeführt werden. Derartige Maßnahmen zielen gem. § 171e Abs. 4 S. 2 BauGB z. B. auf die Verbesserung der Wohn- und Arbeitsverhältnisse im Quartier ab. Insoweit ergeben sich Überschneidungen bzw. Parallelen zum städtebaulichen Sanierungsrecht.227 Im Gegensatz zum Sanierungsrecht steht im Rahmen der Durchführung von Maßnahmen der Sozialen Stadt die soziale Funktion des Quartiers im Vordergrund, d. h. die Maßnahmen zielen etwa auf die Verbesserung der so zialen, kulturellen, bildungs- und freizeitbezogenen Infrastruktur ab, etwa durch Schaffung von Bürgertreffpunkten, internationalen Begegnungsstätten, Freizeithäusern und stadtteilkulturellen Projekten.228 Die Maßnahmen der Sozialen Stadt zur Verbesserung der Wohn- und Arbeitsverhältnisse und der Attraktivität des Quartiers sollen durch ein verbessertes Wohnungsangebot und eine für breite Schichten ansprechende soziale und kulturelle Infrastruktur zur Durchmischung der Zusammensetzung der Quartiersbewohnerschaft 222 Roeser,
in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 171e BauGB Rn. 12. in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 171e BauGB
223 Krautzberger,
Rn. 45.
224 Leitfaden zur Ausgestaltung der Gemeinschaftsinitiative Soziale Stadt vom 29. August 2005, S. 20, abrufbar unter: https: / / www.is-argebau.de / Dokumente / 4236 855.pdf. 225 Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 171e BauGB Rn. 45. 226 Leitfaden zur Ausgestaltung der Gemeinschaftsinitiative Soziale Stadt vom 29. August 2005, S. 20, abrufbar unter: https: / / www.is-argebau.de / Dokumente / 4236 855.pdf. 227 s. dazu auch: Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 171e BauGB Rn. 13. 228 Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 171e BauGB Rn. 15.
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
beitragen.229 Neben den Aufwertungsmaßnahmen werden von den investiven Maßnahmen auch solche Maßnahmen umfasst, die auf eine Verbesserung des Wohnumfeldes gerichtet sind. Zur Verbesserung des Wohnwerts der Wohnungen kommen nach dem Leitfaden der ARGEBAU230 vor allem Modernisierungen, Instandsetzungen bzw. die Sanierung vorhandener Bausubstanz, die Verbesserung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Infrastruktur im Gebiet sowie des Wohnumfeldes in Betracht.231 Zugleich können Maßnahmen zur Sicherung von preiswertem Wohnraum durchgeführt werden, z. B. durch den Ankauf oder die Regelung von Belegungsrechten für Haushalte, die sich nicht eigenständig auf dem Wohnungsmarkt versorgen können.232 Im wohnungswirtschaftlichen Bereich kommen auch Maßnahmen zur Steuerung bei der Wohnungsbelegung z. B. durch Freistellung von Belegungsbindungen und Tausch von Belegungsbindungen in Betracht.233 In der städtebaulichen Praxis wird zur Aufwertung und Stabilisierung von Quartieren, die von sozialen Missständen betroffen sind und in denen ein besonderer Entwicklungsbedarf besteht, zumeist eine Kombination von investiven und sonstigen Maßnahmen durchgeführt. Zur Umsetzung von Maßnahmen zur Stabilisierung und Aufwertung soll die Gemeinde in erster Linie städtebauliche Verträge mit den betroffenen Grundstückseigentümern oder sonstigen Maßnahmenträgern schließen. Als Vertragspartner der Gemeinde kommen auch Organisationen der Wohlfahrtspflege, der Jugendhilfe sowie kirchliche Stellen in Betracht. Sofern es private Investoren gibt, kommt daneben noch die Aufstellung von vorhabenbezogenen Bebauungsplänen gem. § 12 BauGB in Betracht.234 Das Konzept der Sozialen Stadt setzt damit primär auf konsensuale Organisations- und Handlungsformen.235 Zur Deckung der Kosten von Maßnahmen der Sozialen Stadt können gem. § 171e Abs. 6 S. 1 BauGB Städtebauförderungsmittel eingesetzt werden.236 Neben der Behebung sozialer Missstände als Aufgabe der Städtebauförderung gem. § 164b Abs. 2 Nr. 3 BauGB ergibt sich nach § 171e Abs. 2 S. 3 BauGB administra229 Roeser,
in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 171e BauGB Rn. 17. Leitfaden zur Ausgestaltung der Gemeinschaftsinitiative Soziale Stadt vom 29. August 2005, S. 8, abrufbar unter: https: / / www.is-argebau.de / Dokumente / 4236 855.pdf. 231 Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 171e BauGB Rn. 12. 232 Leitfaden zur Ausgestaltung der Gemeinschaftsinitiative Soziale Stadt vom 29. August 2005, S. 9, abrufbar unter: https: / / www.is-argebau.de / Dokumente / 4236 855.pdf. 233 Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 171e BauGB Rn. 14. 234 Zu den Voraussetzungen des vorhabenbezogenen Bebauungsplans, s. A. II. 1. 235 Schink, in: Spannowsky / Uechtritz, Beck OK, Stand: 1. April 2015, § 171e BauGB Rn. 73. 236 Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 171e BauGB Rn. 46. 230
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts181
tiver Handlungsbedarf bei der Bündelung der zur Verfügung stehenden Ressourcen. Die Durchführung eines integrierten Entwicklungskonzepts im Rahmen der Sozialen Stadt erfordert eine ressort- und ebenenübergreifende Kooperation der öffentlichen und sonstigen Maßnahmenträger.237 Das gilt z. B. für die Bereiche Wohnungswesen, Jugend- und Kulturpolitik, für die ebenfalls öffentliche Fördermittel zur Unterstützung spezifischer, sektoraler öffentlicher Aufgaben zur Verfügung stehen, die im Rahmen der Durchführung von Maßnahmen der Sozialen Stadt eingesetzt werden können.238 b) Umsetzung von Stabilisierungs- und Aufwertungsmaßnahmen zum Abbau von Segregation Es stellt sich die Frage, ob und inwieweit die Maßnahmen der Sozialen Stadt Steuerungswirkungen auch im Hinblick auf den Abbau sozialer und ethnischer Segregation und den damit verbundenen städtebaulich negativen Auswirkungen entfalten können. aa) Maßnahmen der Sozialen Stadt zum Abbau sozialer Segregation Die investiven Maßnahmen im Rahmen der Sozialen Stadt zielen ebenso wie die städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen auf die Verbesserung der Wohn- und Arbeitsverhältnisse im Quartier ab. Sozial segregierte Quartiere weisen regelmäßig sowohl soziale als auch städtebauliche Missstände i. S. von § 136 Abs. 2 BauGB auf.239 In der städtebaulichen Praxis ist die Kombination der beiden Instrumente in vielen Fällen sinnvoll, insbesondere auch deshalb, weil Städtebauförderungsmittel gebündelt eingesetzt werden können.240 Die Steuerungswirkungen von investiven Maßnahmen der Sozialen Stadt entsprechen weitgehend denen der städtebaulichen Sanierungsmaßnahme. Durch die Aufwertung von Quartieren können Benachteiligungen des Quartiers behoben werden und das Gebiet kann durch die Anhebung des Lebensstandards für verschiedene Bevölkerungsgruppen an Attraktivität gewinnen. Das gilt insbesondere auch für die Durchführung ergänzender Maßnahmen, wie z. B. die Stärkung von Quartiersschulen und die Stärkung und 237 Bärenbrinker,
238 Krautzberger,
Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Governance, S. 187. in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 171e BauGB
Rn. 35. 239 Es kann regelmäßig von der Deckungsgleichheit des Sanierungstatbestandes mit dem Gebietstypus der Sozialen Stadt ausgegangen werden, s. Krautzberger, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 171e BauGB Rn. 29. 240 Krautzberger, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 171e BauGB Rn. 29 m. w. N.
182
4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
Diversifizierung von Gewerbestrukturen im Quartier. Auf diese Weise kann mittelbar zur Durchmischung der Quartiersbewohnerschaft und damit zum Abbau sozialer Segregation beigetragen werden. Im Hinblick auf die dargestellten wohnungswirtschaftlichen Maßnahmen sind die Steuerungswirkungen zum Abbau sozialer Segregation eher gering. Durch städtebauliche Verträge241 können z. B. Vereinbarungen im Hinblick auf die Umsetzung eines spezifischen Belegungsmanagements oder der Absenkung von Mietkosten mit Grundstückseigentümern getroffen werden. Damit werden aber kaum Anreize für finanzkräftigere Haushalte geschaffen, in diese Quartiere zu ziehen. Einkommensstärkere Bevölkerungsgruppen haben im Hinblick auf die Wahl des Wohnorts bzw. des Wohnquartiers regelmäßig bessere Möglichkeiten. Derartige Vereinbarungen können Steuerungswirkungen deshalb regelmäßig insoweit entfalten, wie Anreize für einkommensschwächere Haushalte geschaffen werden sollen, in Quartiere zu ziehen, in denen das Mietpreisniveau höher ist und der Wohnraum ansonsten unerschwinglich. Durch städtebauliche Vereinbarungen können also vor allem finanzielle Anreize geschaffen werden, in „bessere“ und damit teurere Quartiere umzuziehen. Die Durchmischung der Wohnbevölkerung in sozial segregierten Quartieren kann durch Aufwertungsmaßnahmen zur Attraktivitätssteigerung des Gebiets erreicht werden, durch die eine dynamische Quartiersentwicklung in Gang gesetzt wird. Die Durchführung investiver Maßnahmen der Sozialen Stadt entfaltet damit mittelbare Steuerungswirkungen zum Abbau sozialer Segregation. Der integrierte städtebauliche Handlungsansatz von Maßnahmen der Sozialen Stadt erlaubt vor allem die ergänzende Durchführung nicht-investiver Maßnahmen. Neben der baulichen Aufwertung des Quartiers durch investive Maßnahmen ist die Durchführung nicht-investiver Maßnahmen auf die Verbesserung der sozialen, nachbarschaftlichen und zwischenmenschlichen Beziehungen der Quartiersbewohner untereinander und über die Quartiersgrenzen hinaus ausgerichtet. Insbesondere sozial segregierte Quartiere zeichnen sich oftmals dadurch aus, dass nachbarschaftsbezogene soziale Netzwerke schwach ausgebildet sind und sich die Quartiersbewohner weder mit dem Stadtteil identifizieren und es an einem gesellschaftlichen, politischen oder sonstigen Quartiersleben fehlt.242 Die nicht-investiven Maßnahmen der Sozialen Stadt setzen Impulse, um Quartiersbewohner dazu anzuregen, in Initiativen und in Vereinen aktiv zu werden und mitzuwirken sowie sich dauerhaft eigenständig zu organisieren. Auf diese Weise können sie dazu beigetragen 241 Zu den Steuerungsmöglichkeiten bei Abschluss städtebaulicher Verträge, s. VI. 3. 242 s. dazu 2. Kapitel D.
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts183
das eigenständige Quartiersleben wieder aufzubauen und den sozialen Verbund wieder herzustellen bzw. zu stärken. Mit Aktivierung öffentlicher Potenziale, der Förderung der Teilhabe und sozialen Integration sowie der Schaffung sich selbsttragender Bewohnerstrukturen und stabiler nachbarschaftlicher sozialer Netze243 kann die Durchführung von nicht-investiven Maßnahmen der Sozialen Stadt zum Abbau sozialer Segregation und den damit verbundenen negativen Auswirkungen beitragen. Sofern die Quartiersbewohner durch die Mitwirkung an integrierten Quartiersprojekten ihr eigenes Quartier wieder positiv „erleben“, wird zugleich das Quartiersimage in der Außenwahrnehmung verbessert. Diese sog. „weichen“ Erfolgskriterien können insbesondere in kombinierter Durchführung mit baulichen Aufwertungsmaßnahmen Steuerungswirkungen im Hinblick auf den Abbau sozialer Segregationsstrukturen entfalten.244 Die Steuerungsfähigkeit nicht-investiver Maßnahmen hängt allerdings wesentlich davon ab, ob es gelingt, die Quartiersbewohner zur Mitwirkung zu aktivieren. Demgegenüber sind die Maßnahmen der Sozialen Stadt nicht darauf ausgerichtet und enthalten auch keine diesbezügliche Ermächtigung der Gemeinde, die Zusammensetzung der Quartiersbevölkerung durch numerische Vorgaben, wie Quotenregelungen o. ä. zu steuern. bb) Maßnahmen der Sozialen Stadt zum Abbau ethnischer Segregation Die investiven Maßnahmen der Sozialen Stadt weisen keine spezifischen Steuerungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Vermeidung bzw. den Abbau ethnischer Segregation auf. Zwar können gem. § 171e BauGB soziale Missstände auch durch die „Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“ hervorgerufen werden, die Durchführung von Maßnahmen der Sozialen Stadt zielt aber nicht auf eine unmittelbare Steuerung der Zusammensetzung der Quartiersbevölkerung ab. Aufwertungsmaßnahmen führen zur Attraktivitätssteigerung des Quartiers und entfalten damit ähnliche Steuerungswirkungen wie städtebauliche Sanierungsmaßnahmen: Durch Aufwertungsmaßnahmen werden Anreize zum Zuzug verschiedener Bevölkerungsgruppen geschaffen, wodurch es zur Durchmischung der Quartiersbewohnerschaft in ethnisch segregierten Quartieren kommen kann. Nur insoweit kann die Durchführung investiver Maßnahmen auch zum Abbau ethnischer Segregation beitragen. 243 s. Leitfaden zur Ausgestaltung der Gemeinschaftsinitiative Soziale Stadt vom 29. August 2005, S. 5, abrufbar unter: https: / / www.is-argebau.de / Dokumente / 4236 855.pdf. 244 Zu den weichen Erfolgskriterien, s. Leitfaden zur Ausgestaltung der Gemeinschaftsinitiative Soziale Stadt, ARGEBAU, 29. August 2005, abrufbar unter: https: / / www.is-argebau.de / Dokumente / 4236855.pdf.
184
4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
Die nicht-investiven Maßnahmen lassen sich dagegen auf die spezifischen Bedürfnisse der Quartiersbewohner zuschneiden. Denn es geht im Rahmen der Durchführung von nicht-investiven Maßnahmen der Sozialen Stadt vor allem auch um die Aktivierung des Bürgerinteresses für das Quartier (Hilfe zur Selbsthilfe)245, indem z. B. soziale Maßnahmen für spezifische Personengruppen angeboten werden, wie Sprachförderungsprojekte für Eltern und Kinder, die zum Abbau von Integrationsdefiziten beitragen. In diesem Zusammenhang kommen auch Maßnahmen zur Anregung von sozialen, kulturellen und stadtteilkulturellen Projekten in Betracht, die von Quartiersbewohnern wahrgenommen und gestaltet werden und darauf ausgerichtet sind, den Kontakt zwischen „Zuwanderern“ und „Einheimischen“ zu fördern.246 Insgesamt zielen derartige soziale und kulturelle Projekte darauf ab, den sozialen Zusammenhalt auch über die Quartiersebene hinaus insgesamt zu stärken. Mit der Durchführung solcher Maßnahmen kann den unerwünschten Folgen ethnischer Segregation tendenziell entgegengewirkt werden. Zugleich können solche Maßnahmen jedenfalls langfristig einen Beitrag zum Abbau sozialräumlicher Grenzen zwischen den Quartieren und zur Durchmischung der Quartiersbewohnerschaft leisten. Insgesamt ist allerdings zu berücksichtigen, dass die nicht-investiven Maßnahmen verhältnismäßig kleinteilig ausgerichtet sind und ihre Steuerungsfähigkeit wesentlich vom persönlichen Einsatz und von der freiwilligen Mitwirkungsbereitschaft der Quartiersbewohner abhängt. In Fällen, in denen ethnische Segregation zu einer insgesamt eher ablehnenden Haltung gegenüber staatlichen Einrichtungen und Institutionen führt, erscheint die Mitwirkungsbereitschaft der Quartiersbewohnerschaft problematisch und die Steuerungsfähigkeit eher gering.
V. Erhaltungssatzungen und -verordnungen (§ 172 BauGB) Die städtebaulichen Vorschriften über die Erhaltung baulicher Anlagen wurden mit der BBauG-Novelle 1976247 erstmals gesetzlich geregelt.248 Im Gegensatz zu den umfangreichen Stadterneuerungsmaßnahmen und Flächensanierungen, z. B. mit der Durchführung von Sanierungsmaßnahmen, in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, sollte mit der Erhaltungssatzung ein Instrument zum Schutz von Gebäuden geschaffen werden, 245 Roeser,
in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 171e BauGB Rn. 17. in: Spannowsky / Uechtritz, Beck OK, Stand: 1. April 2015, § 171e BauGB Rn. 25. 247 Gesetz zur Änderung des Bundesbaugesetzes vom 18. August 1976, BGBl. I, 1976, S. 2221. 248 Die Erhaltungssatzung wurde in § 39h BBauG im Städtebaurecht des Bundes geregelt. 246 Schink,
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts185
die das Ortsbild prägen und aus städtebaulicher Sicht erhaltenswert sind. Zugleich sollte den Gemeinden ein städtebauliches Instrument zum Erhalt von Gebäuden zur Verfügung stehen, um die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung schützen zu können, d. h. als ein Instrument zum Schutz von Mietern, Pächtern oder sonstigen Nutzungsberechtigten.249 Mit der Durchführung von städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen kam es zu einer Aufwertung des Gebäudebestands und infolgedessen zu einer Attraktivitätssteigerung der Quartiere, die eine Erhöhung des Mietpreisniveaus hervorrief und dadurch Verdrängungsprozesse der ansässigen, einkommensschwächeren Quartiersbewohnerschaft in Gang setzte. Dieser Quartiersentwicklung sollte mit dem Erlass einer Erhaltungssatzung entgegengesteuert werden. Die Regelungen zur Erhaltungssatzung in den §§ 172 bis 174 BauGB ermächtigen die Gemeinde zum Erlass von Erhaltungssatzungen. 1. Instrumente der Erhaltungssatzung Die Gemeinde kann gem. § 172 Abs. 1 S. 1 BauGB in einem Bebauungsplan oder durch Satzung Gebiete bezeichnen, „in denen – zur Erhaltung der städtebaulichen Eigenart des Gebietes auf Grund seiner städtebaulichen Gestalt, – zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung, – bei städtebaulichen Umstrukturierungen der Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen der Genehmigung bedürfen.“ Die derzeitigen Regelungen der Erhaltungssatzung in §§ 172 bis 174 BauGB sehen eine zweistufiges Verfahren vor.250 Erste „Stufe“ ist die Schaffung eines Erhaltungsgebietes durch Erlass einer gemeindlichen Erhaltungssatzung. Im Erhaltungsgebiet unterfallen alle baulichen Veränderungen einer Genehmigungspflicht und es entsteht darüber hinaus ein Vorkaufsrecht der Gemeinde nach § 24 Abs. 1 Nr. 4 BauGB. Auf zweiter „Stufe“ wird auf Antrag des Bauherrn über die Schutzwürdigkeit des konkreten Bauwerks und 249 Lemmel, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 172 BauGB Rn. 1; die Regierungserklärung des Bundeskanzlers Helmut Schmidt enthielt dazu bereits folgende Aussage: Der Schutz der Mieter vor Verdrängung etwa durch Luxusmodernisierungen oder bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen wird verbessert., in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 25. November 1980, S. 1049 (1059); außerdem zit. in: Krautzberger, Schutz der Wohnbevölkerung vor Verdrängung, S. 209. 250 BVerwG, Urteil vom 3. Juli 1987 – 4 C 26 / 85 – Rn. 10 juris.; Lemmel, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 172 BauGB Rn. 2 m. w. N.
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
die Zulässigkeit der beantragten baulichen Veränderung entschieden.251 Das bedeutet, dass auf zweiter Stufe auf Antrag des Bauwilligen im Genehmigungsverfahren für das einzelne Vorhaben über die Schutzbedürftigkeit des konkreten Bauwerks und die Zulässigkeit des Abbruchs oder sonstigen baulichen Veränderung der baulichen Anlage entschieden wird.252 In dem hier interessierenden Zusammenhang geht es um die Steuerungswirkungen durch den Erlass einer Erhaltungssatzung nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BauGB, sog. Milieuschutzsatzung. Zu untersuchen ist, ob und inwieweit durch den Erlass von Milieuschutzsatzungen der Entstehung von Quartieren mit sozialer und bzw. oder ethnischer Segregation vermieden bzw. bereits bestehende Segregation in Quartieren bekämpft werden kann. 2. Erlass der Milieuschutzsatzung zum Schutz der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung und der Vermeidung von Segregation? Schutzzweck der Milieuschutzsatzung nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BauGB ist die Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung im durch die Erhaltungssatzung gemeindlich festgelegten Gebiet. Ziel der Satzung ist es, „den in einem intakten Gebiet lebenden Menschen den Bestand der Umgebung zu sichern und so die Bevölkerungsstruktur in einem bestimmten Ortsteil vor Verdrängung zu schützen“, soweit deren spezifische Zusammensetzung aus besonderen städtebaulichen Gründen erhalten werden soll.253 Städtebauliches Ziel der Milieuschutzsatzung als Instrument des Verdrängungsschutzes ist es, den Bestand der Umgebung insoweit vor Veränderungen zu schützen, dass nicht nur für finanzkräftige Haushalte die Möglichkeit besteht, weiterhin in das Quartier nachzurücken.254 Vielmehr soll die vorhandene Zusammensetzung der Wohnbevölkerung dadurch erhalten werden, dass Personen aus den im Quartier vertretenen Bevölkerungsgruppen weiterhin die Möglichkeit haben, nachziehen zu können. Zentrales städtebauliches Kriterium für den sog. „Verdrängungsdruck“ stellt die zunehmende Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen dar. Durch die Umwandlung können unabhängig von der Ausgangsmiete höhere Wohnkosten erzielt werden, die zumeist lediglich von zahlungskräftigen Nutzern oder Kapitalan legern finanziert werden können. Verdrängungsprozesse können vor allem auch mit der Durchführung von städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen in 251 Lemmel,
in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 172 BauGB Rn. 2. in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 172 BauGB Rn. 2 und 19. 253 Nahezu einhellige Meinung: BVerwG, Urteil vom 18. Juni 1997 – 4 C 2 / 97 Rn. 15 juris m. w. N. BVerfG, Kammerbeschluss v. 20. Januar 1987 – 1 BvR969 / 83; BVerwG, Urt. vom 18. Juni 1997 – 4 C 2 / 97 Rn. 15 juris. 254 Stock, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 172 BauGB Rn. 45. 252 Lemmel,
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts
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Gang gesetzt werden. Der Erlass einer Milieuschutzsatzung ist städtebaulich dann gerechtfertigt, wenn sich Verdrängungsprozesse andeuten, etwa durch einen Anstieg des Mietniveaus255 bzw. der Nachfrage nach Wohnraum im Quartier. Zwar muss die Gemeinde nicht abwarten, bis sich ihr neue städtebauliche Probleme stellen, wie z. B. die Notwendigkeit neuen und preiswerten Wohnraum zu schaffen,256 der Erlass einer Milieuschutzsatzung ist aber nicht schon dann gerechtfertigt, wenn das Quartier ohnehin durch einen ständigen Wandel und den Austausch der Wohnbevölkerung geprägt ist, wobei die strukturelle Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aber erhalten bleibt.257 a) Sozialstruktur im Gebiet und zu befürchtende städtebaulich negative Auswirkungen Für die Frage, ob die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aus besonderen städtebaulichen Gründen erhalten werden soll, ist zu prüfen, ob die konkrete Sozialstruktur im Gebiet gefährdet ist und die befürchtete Verdrängung städtebaulich nachteilige Auswirkungen hervorruft.258 Die Sozialstruktur eines Gebiets bezeichnet vor allem die Zusammensetzung der Bevölkerung eines Gebiets, d. h. den Anteil an Singlehaushalten, Haushalten mit Kindern, Wohngemeinschaften, Senioren, jungen Haushalten und Menschen mit Migrationshintergrund, die durch empirische Erhebungen259 ermittelt wird. Gegenstand der Ermittlung der Sozialstruktur eines Quartiers sind neben der Vernetzung der Quartiersbewohner, z. B. durch funktionierende Nachbarschaften und stadtteilbezogenes Bürgerengagement, der durchschnittliche Bildungsstandard (Schulabschlüsse) sowie die Erwerbstätigenquote und die überwiegende Form der Beschäftigungsverhältnisse. Es ist nicht erforderlich, einen spezifischen Nachweis darüber zu führen, dass sich die Sozialstruktur im Quartier „bewährt“ hat.260 Es stellt sich vielmehr umgekehrt die Frage, ob die konkrete Sozialstruktur unter keinem der in § 1 255 Durchschnittswerte für Höchstmieten im Gebiet können einen Anhaltspunkt für eine Verdrängungsgefahr darstellen: Mitschang, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 172 BauGB Rn. 47; Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 172 BauGB Rn. 178. 256 Stock, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 172 BauGB Rn. 44 m. w. N. 257 Jankowski, Mietobergrenzen in Erhaltungsgebieten nach § 172 BauGB – Ein geeignetes Instrument zur Sicherung der Innenstadtstrukturen in den neuen Bundesländern?, S. 218 m. w. N. 258 s. dazu: Stock, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 172 BauGB Rn. 42. 259 Zum sog. sozialen Monitoring, s. 5. Kapitel A. I. 260 Mitschang, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 172 BauGB Rn. 45; Stock, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2014, § 172 BauGB Rn. 42.
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
Abs. 6 BauGB genannten Gesichtspunkte städtebaulich erwünscht sein kann, etwa, weil es aufgrund der spezifischen Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu überdurchschnittlicher Kriminalität kommt.261 Im Vordergrund der Prüfung, ob die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aus besonderen städtebaulichen Gründen schützenswert ist, steht die Prognose der zu befürchtenden städtebaulich negativen Auswirkungen durch die Verdrängung der Quartiersbewohnerschaft.262 Städtebaulich nachteilige Folgen263 durch die Verdrängung der Quartiersbewohnerschaft können z. B. darin bestehen, dass die vorhandene Quartiersinfrastruktur, die auf die spezifischen Bedarfe der Wohnbevölkerung ausgerichtet ist, wie z. B. das Vorhandensein von Einrichtungen der Altenhilfe für ältere Bevölkerungsgruppen oder Schulen und Kindergärten für junge Menschen bzw. Familien nicht mehr genutzt wird.264 Städtebaulich nachteilige Auswirkung durch die Veränderung der Bevölkerungsstruktur kann die notwendige Änderung dieser Infrastruktureinrichtungen sein. Darüber hinaus können städtebaulich nachteilige Folgen darin bestehen, dass funktionierende soziale Nachbarschaften und soziale Netzwerke durch die Verdrängung und damit verbundene Abwanderungsprozesse „gestört“ werden und an anderer Stelle nicht ohne Weiteres wieder neu geschaffen werden können.265 b) Segregation als städtebaulich nachteilige Folge von Verdrängungsprozessen Ziel der Milieuschutzsatzung ist es, die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung im Quartier zu erhalten. Dadurch soll der status quo einer spezifischen Zusammensetzung der Quartiersbevölkerung gesichert werden. Die Milieuschutzsatzung zielt in erster Linie darauf, Veränderungsprozessen in der innerstädtischen Quartiersstruktur infolge von Gentrifizierungsprozessen266 entgegenzuwirken. Die Verdrängung der einkommensschwachen Bevölkerung aus städtischen Quartieren kann dazu führen, dass Abwanderungs261 Stock,
in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 172 BauGB Rn. 42 m. w. N. Prüfung enthält eine Prognose über die künftige städtebauliche Quartiersentwicklung. Dabei ist notwendig, dass sich die nachteiligen Folgen mit einer für die Prognoseentscheidung erforderlichen Sicherheit abschätzen lassen, s. dazu: BVerwG, Urt. vom 18. Juni 1997 – 4 C 2 / 97, Rn. 19, BVerwGE 105, 67; Stock, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 172 BauGB Rn. 44. 263 Vgl. Stock, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 172 BauGB Rn. 47 ff. 264 Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 172 BauGB Rn. 49 m. w. N.; BVerfG, Kammerbeschluss v. 26. Januar 1987 – 1 BvR969 / 83, in: DVBl. 1987, 465. 265 BVerwG, Urt. vom 18. Juni 1997 – 4 C 2 / 97, Rn. 15, BVerwGE 105, 67. 266 s. dazu 2. Kapitel A. II. 2. 262 Die
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts189
prozesse dieser Bevölkerungsgruppen insbesondere in Quartiere mit besonderem Entwicklungsbedarf und niedrigem Mietpreisniveau in Gang gesetzt werden. Dies kann die Entstehung bzw. Verfestigung von sozialer Segregation in diesen Quartieren begünstigen. Nach Durchführung städtebaulicher Sanierungsmaßnahmen in Quartieren besteht regelmäßig die Gefahr, dass es infolge der sanierungsbedingten Aufwertung und Modernisierung zu einer Attraktivitätssteigerung des Quartiers kommt, die derartige Verdrängungs prozesse in Gang setzt. Hierin liegt zwar auch das städtebauliche Ziel von Sanierungsmaßnahmen, durch Aufwertungs- und Modernisierungsmaßnahmen eine dynamische Quartiersentwicklung in Gang zu setzen, die auch zu einer Durchmischung der Quartiersbewohnerschaft führt, dies kann sich aber insoweit städtebaulich negativ auswirken, als es zu einer nahezu vollstän digen Verdrängung der einkommensschwachen Bewohnerschaft in andere Quartiere kommt. Die städtebauliche Praxis hat gezeigt, dass es insbesondere infolge von sog. Luxusmodernisierungen zu einer weitgehenden Verdrängung der einkommensschwachen Quartiersbewohner kommen kann.267 Hiervon betroffen sind insbesondere die städtebaulich aufgewerteten (Altbau-)Quartiere, in denen es nach Abschluss der Sanierung zur Entlassung des Wohnungsbestandes aus dem Treuhandvermögen des Sanierungsträgers und infolgedessen zu nicht regulierbaren Mietpreiserhöhungen kommen kann. Die durch Verdrängungen der ansässigen einkommensschwächeren Quartiersbewohnerschaft ausgelösten Abwanderungsprozesse können wiederum die Entstehung und Verfestigung sozial homogener Bewohnerstrukturen befördern. Das gilt sowohl für die Bewohnerstrukturen in den aufgewerteten Quartieren als auch für die Quartiere, in welche die einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen verdrängt werden. Die abwandernden Bevölkerungsgruppen ziehen zumeist in Quartiere mit niedrigem Mietpreisniveau, die in nicht seltenen Fällen auch einen besonderen Entwicklungsbedarf aufweisen.268 Dadurch wird tendenziell der Entstehung bzw. Verfestigung sozialer Segregation in diesen Quartieren Vorschub geleistet.269 Im Hinblick auf ethnische Segregation wird regelmäßig durch die Verhinderung von Abwanderungsprozessen nur insoweit der Entstehung bzw. Verfestigung ethnischer Segregation in anderen Quartieren entgegengewirkt werden können, als ethnische Segregation mit sozialer Segregation einhergeht.
267 s. dazu
2. Kapitel A. II. 2. Urt. vom 18. Juni 1997 – 4 C 2 / 97, Rn. 19, 21, BVerwGE 105, 67. 269 Mitschang, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 172 BauGB Rn. 46. 268 BVerwG,
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
3. Steuerungsmöglichkeiten durch Instrumente zur Sicherung sozialer Erhaltungsziele im Hinblick auf sozialräumliche Segregation a) Genehmigungsvorbehalt und sonstige Instrumente der Milieuschutzsatzung Der Erlass der Milieuschutzsatzung führt gem. § 172 Abs. 1 S. 1 und 2 BauGB zu einem erhaltungsrechtlichen Genehmigungsvorbehalt.270 Zusätzlich wird die Landesregierung in § 172 Abs. 1 S. 4 BauGB dazu ermächtigt, durch Rechtsverordnung einen Genehmigungsvorbehalt für die Begründung von Wohnungs- und Teileigentum i. S. des § 1 WEG einzuführen. Der Genehmigungsvorbehalt kann nur in Milieuschutzgebieten begründet werden und erstreckt sich auf Gebäude die ganz oder teilweise Wohnzwecken zu dienen bestimmt sind.271 Darüber hinaus werden der Gemeinde nach ortsüblicher Bekanntmachung des Beschlusses über die Aufstellung und vor Inkrafttreten der Milieuschutzsatzung nach § 172 Abs. 2 BauGB folgende Befugnisse eingeräumt: (1) Eine befristete Zurückstellung von Vorhaben, um drohende Beeinträchtigungen der Erhaltungssatzung oder des Bebauungsplans zu verhindern. Dafür muss zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag aus der Planungskonzeption der Gemeinde und dem Stand der Planungsarbeiten hervorgehen, dass die Befürchtung einer Verdrängung begründet ist und die Durchführung der Planung durch das Vorhaben unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert werden würde.272 (2) Außerdem steht der Gemeinde nach § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BauGB ein Vorkaufsrecht beim Kauf von Grundstücken im Geltungsbereich sozialer Erhaltungssatzungen zu. Die Gemeinde kann das Vorkaufsrecht beim Kauf bebauter und unbebauter Grundstücke ausüben. Sofern das Wohl der Allgemeinheit die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertigt und das Vorkaufsrecht Anwendung findet, besteht nach § 27 Abs. 1 BauGB die Möglichkeit durch den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags zwischen der Gemeinde und dem privaten Dritten eine sog. Abwendungsvereinbarung zu treffen. 270 Der Genehmigungsvorbehalt besteht unabhängig von Genehmigungs-, Zustimmungs- und Anzeigepflichten nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften, s. dazu: Stock, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 172 BauGB Rn. 100; werden die nach § 172 BauGB genehmigungspflichtigen Vorhaben ohne die erforderliche Genehmigung durchgeführt, kann dagegen nach den Vorschriften des Bauordnungsrecht vorgegangen werden. 271 Stock, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 172 BauGB Rn. 115. 272 Stock, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 172 BauGB Rn. 84.
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts191
Schließlich können nach Maßgabe des § 85 Abs. 1 Nr. 6 BauGB im Einzelfall Enteignungen zulässig sein, soweit das Wohl der Allgemeinheit dies gem. § 87 Abs. 1 BauGB erfordert. b) Steuerungsmöglichkeiten im Hinblick auf Segregation aa) Steuerung sozialer Segregation Durch den Schutz der ansässigen Quartiersbewohnerschaft vor Verdrängungen können sich mittelbare Steuerungswirkungen im Hinblick auf soziale Segregation insoweit ergeben, wie dadurch die Entstehung bzw. Verfestigung sozialer Segregation in den Quartieren verhindert wird, in die die einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen verdrängt werden. Fraglich ist allerdings, inwieweit die Gemeinde mit den bei Erlass der Milieuschutzsatzung zur Verfügung stehenden Instrumenten, den Verdrängungsprozessen entgegenwirken und damit mittelbar auch der Entstehung und Verfestigung von Segregation entgegensteuern kann. Der Erlass der Milieuschutzsatzung führt zu einem Genehmigungsvorbehalt für den Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen im Erhaltungsgebiet. Es besteht allerdings gem. § 172 Abs. 4 S. 2 BauGB grundsätzlich ein Anspruch auf Erteilung der Genehmigung. Diese ist zu erteilen, wenn „auch unter Berücksichtigung des Allgemeinwohls die Erhaltung der baulichen Anlage oder ein Absehen von der Begründung von Wohnungseigentum oder Teileigentum wirtschaftlich nicht mehr zumutbar ist“. Hiervon sind Fälle erfasst, in denen das Vorhaben mit dem Erhaltungsziel der Milieuschutzsatzung zwar nicht vereinbar ist, die Versagung der Genehmigung dem Eigentümer gegenüber aber unter Berücksichtigung des Allgemeinwohls wirtschaftlich unzumutbar ist.273 Das ist z. B. dann der Fall, wenn die Kosten der Erhaltung und Bewirtschaftung nicht durch Erträge oder den Gebrauchswert des Gebäudes aufgewogen werden können.274 Außerdem ist die Genehmigung gem. § 172 Abs. 4 S. 3 Nr. 1 BauGB zu erteilen, wenn bauliche Modernisierungsmaßnahmen der Herstellung eines zeitgemäßen Ausstattungszustands einer durchschnittlichen Wohnung unter Berücksichtigung der bauordnungsrechtlichen Mindestanforderungen, wie z. B.
273 Stock,
in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 172 BauGB Rn. 181. Hamburg, Urteil vom 12. Dezember 2007 – 2 Bf 10 / 02, Rn. 49. Dabei ist die wirtschaftliche Unzumutbarkeit in Relation zum Allgemeinwohl zu sehen und i. R. der Abwägung entsprechend zu berücksichtigen. Die Grenze der Zumutbarkeit ist durch die Sozialbindung des Eigentums gem. Art. 14 Abs. 2 GG vorgegeben. Vgl. dazu, Lemmel, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 172 BauGB Rn. 37. 274 OVG
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
Sanitär-, Frischwasser-, Abwasser- und Elektroinstallationen dienen.275 Es soll dadurch sichergestellt werden, dass es nicht zu einer Festschreibung unzuträglicher baulicher Standards, insbesondere in Altbauquartieren kommt. Mittelbare Steuerungswirkungen im Hinblick auf soziale Segregation können sich insoweit erst dann ergeben, wenn die Voraussetzungen eines Genehmigungsanspruchs nicht erfüllt sind, d. h. die Versagung der Genehmigung dem Eigentümer zumutbar wäre. Erhaltungsrechtlich relevant sind alle Vorhaben, die geeignet sind, das Schutzziel der Milieuschutzsatzung zu beeinträchtigen.276 Das konkrete Vorhaben muss nach Art und Umfang dazu geeignet sein, die Verdrängung der Wohnbevölkerung, hervorzurufen, die mit Erlass der Milieuschutzsatzung verhindert werden soll.277 Das konkrete Vorhaben muss im gebietlichen Gesamtzusammenhang bewertet werden, d. h. es muss vor allem geprüft werden, ob das Vorhaben eine Vorbildwirkung entfalten kann, die dazu geeignet ist, eine entsprechende Verdrängungsdynamik der Wohnbevölkerung in Gang zu setzen. Dabei kommt der Verdrängungsgefahr durch Mieterhöhungen infolge baulicher Sanierungs- und Aufwertungsmaßnahmen besondere Bedeutung zu. Soweit die bauliche Änderung, wie die Modernisierung, dem Genehmigungsanspruch nicht unterfällt, ist eine Verdrängungsgefahr zu bejahen, wenn es durch das Vorhaben zu einer nicht nur geringfügigen Mieterhöhung278 kommen kann.279 Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Vermieter die Mieten tatsächlich erhöhen will; ausreichend ist, dass ein wirtschaftlich denkender Investor nach der allgemeinen Lebenserfahrung die entstandenen Kosten auf die Mieter umlegen würde.280
275 Mitschang,
in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 172 BauGB Rn. 52. Beschluss vom 17. Dezember 2004 – 4 B 85 / 04 – Leitsatz. 277 Stock, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 172 BauGB Rn. 176. 278 Für die Prüfung der Frage, ob ein Vorhaben eine Verdrängungsgefahr hervorrufen kann, trifft die Gemeinde eine Prognoseentscheidung, bei der sie sog. Höchstbelastungswerte zugrunde legt. Eine nicht nur geringfügige Mieterhöhung ist anzunehmen, soweit die voraussichtliche Miethöhe über dem für das Erhaltungsgebiet ermittelten Höchstbelastungsgrenzwert als Schwellenwert liegt, so. BVerwG, Urt. vom 18. Juni 1997 – 4 C 2 / 97, Rn. 19. Städtebauliche Höchstbelastungswerte können allerdings nicht als allgemeine Mieterhöhungssperre eingesetzt werden: die Regelungen des Mietrechts bleiben grundsätzlich auch innerhalb des Geltungsbereichs der Milieuschutzsatzung gültig. Zur Überlagerung der zivilrechtlichen Mieterhöhungsvorschriften nach den §§ 575 BGB durch die öffentlich-rechtliche Milieuschutzsatzung, s. Stock, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 172 BauGB Rn. 178. 279 BVerwG, Urt. vom 18. Juni 1997 – 4 C 2 / 97, BVerwGE 105, 67 (70); VG München, Urt. vom 8. Juni 1998 – M 8 K97 / 8559. 280 Stock, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 172 BauGB Rn. 177. 276 BVerwG,
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts193
Durch den Genehmigungsvorbehalt kann insoweit eine gegenläufige Steuerung zu Verdrängungsprozessen der einkommensschwächeren Bevölkerungsgruppen durch Eindämmung von stark mietpreissteigernden Luxusmodernisierungen vorgenommen werden. Mit der Versagung der Genehmigung zur Durchführung von Luxusmodernisierungen kann verhindert werden, dass lediglich Wohnraum für die spezifischen Bedürfnisse der finanzkräftigen Bevölkerung geschaffen wird. Damit können mittelbar auch Abwanderungsprozesse der ansässigen Wohnbevölkerung in andere Quartiere verhindert werden. Ergänzend zu dem Genehmigungsvorbehalt kann Verdrängungsprozessen auch durch den Erlass einer Umwandlungsverordnung entgegengewirkt werden. Wird eine Umwandlungsverordnung erlassen, muss jede Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, d. h. die Bildung von Sondereigentum an Wohnungen und auch von Teileigentum, in Gebieten mit sozialer Erhaltungssatzung bei der Gemeinde beantragt und genehmigt werden. Dadurch lassen sich städtebaulich unerwünschte Veränderungen der Struktur der Wohnbevölkerung verhindern.281 Neben der Durchführung von (Luxus-)Modernisierungen kann nach allgemeiner Lebenserfahrung auch die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen den mit der Milieuschutzverordnung verfolgten Zielen, insbesondere der Verdrängung von einkommensschwachen Bewohnerkreisen, entgegenstehen.282 Im Hinblick auf die Ausübung des Vorkaufsrechts können sich Steuerungsmöglichkeiten der Gemeinde dadurch ergeben, dass der Käufer die Ausübung des Vorkaufsrechts abwenden will und sich dafür zur Erfüllung bestimmter Auflagen der Gemeinde verpflichtet. Inhalt solcher Auflagen kann z. B. sein, dass keine baulichen Veränderungen und Modernisierungen durchgeführt werden, die über die Herstellung eines zeitgemäßen Ausstattungsstandards einer durchschnittlichen Wohnung im Quartier hinausgehen. Daneben kann Inhalt einer Auflage auch eine Mietobergrenze, in Anlehnung an die ortsübliche Vergleichsmiete, bei Neuvermietung von Wohnraum sein. Damit kann zum Ziel, der Verdrängung der einkommensschwachen Quartiersbewohnerschaft entgegenzuwirken, beigetragen werden. Insgesamt ist die Steuerungsmöglichkeit aber auf Einzelfälle beschränkt und damit nicht in ihrer Wirksamkeit begrenzt. Im Ergebnis kann mit dem Erlass der Milieuschutzsatzung der Verdrängung von einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen aus Quartieren ent281 Oehmen,
Rn. 9.
in: Spannowsky / Uechtritz, Beck OK, 1. April 2015, § 172 BauGB
282 Stock, in: EZBK, 118. Ergänzungslieferung 2015, § 172 BauGB Rn. 116; ergänzend wird das Erhaltungsziel durch ein relatives Verfügungsverbot und eine Sperre im Grundbuch gesichert.
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
gegengewirkt werden. Es ergeben sich Steuerungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Erhaltung nicht sozial segregierter Quartiere mit funktionierenden Nachbarschaften. Tendenziell kann insoweit, wenn auch nur mittelbar, der Entstehung von sozialer Segregation in anderen Quartieren, insbesondere in Quartieren mit besonderem Entwicklungsbedarf, entgegengewirkt werden.283 Es ergeben sich dagegen keine Steuerungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Bekämpfung sozialer Segregationsstrukturen in Quartieren. Der Milieuschutz ist gerade nicht auf die Veränderung von Quartiersstrukturen bzw. Maßnahmen zur Durchmischung von Bewohnerstrukturen, sondern den Erhalt der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung im Quartier ausgerichtet. Insofern kann eine mittelbare Steuerung sozialer Segregationsstrukturen im Ergebnis lediglich dadurch erfolgen, dass die Entstehung bzw. die weitere Verfestigung von Segregationserscheinungen in den übrigen Stadtquartieren, durch den weiteren Zuzug einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen dorthin, durch einen Verdrängungsschutz im Erhaltungsgebiet vermieden wird. bb) Steuerung ethnischer Segregation Die Milieuschutzsatzung entfaltet keine spezifische Steuerungswirkung im Hinblick auf die Vermeidung bzw. Bekämpfung ethnischer Segregation und den dadurch hervorgerufenen städtebaulich nachteiligen Folgen. Durch den Erhalt der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung ergeben sich keine Steuerungsmöglichkeiten ethnischer Segregation. Mittelbar werden ethnische Segregationsstrukturen lediglich insoweit gesteuert, wie es zur Überlagerung von sozialer und ethnischer Segregation kommt.
VI. Städtebauliche Verträge gem. § 11 BauGB Im Städtebaurecht hat die Kooperation mit privaten Dritten in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen.284 Die Bewältigung städtebaulicher Herausforderungen erfordert neben der Durchführung hoheitlicher Maßnahmen auch kooperative Strategien, bei denen die Gemeinde private Investoren und Grundstückseigentümer in städtebauliche Problemlösungen einbezieht und sich deren Initiative und Finanzkraft bedient. Die Einbeziehung privater Dritter in städtebauliche Entwicklungskonzepte erfolgt regelmäßig durch Abschluss städtebaulicher Verträge nach § 11 BauGB. Privatrechtliche 283 Jankowski, Mietobergrenzen in Erhaltungsgebieten nach § 172 BauGB – Ein geeignetes Instrument zur Sicherung der Innenstadtstrukturen in den neuen Bundesländern?, S. 217. 284 Mitschang, Städtebauliche Planung – eine Positionsbestimmung, in: Spannow sky / Büchner, Festschrift für Hans-Jörg Birk, S. 91.
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts195
und öffentlich-rechtliche Formen kooperativen Handelns sind im Städtebaurecht gem. § 11 Abs. 1 BauGB grundsätzlich ohne besondere Ermächtigungsgrundlage zulässig.285 Der Gesetzgeber hebt beispielhaft in § 11 Abs. 1 S. 2 BauGB Regelungsziele städtebaulicher Verträge hervor. Gegenstand städtebaulicher Verträge können nach § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BauGB die Förderung und Sicherung der mit der Bauleitplanung verfolgten Ziele sein. Ihr Regelungs- und Anwendungsbereich ist weit gefasst und ermöglicht Vereinbarungen, die über die bauleitplanerischen Festsetzungen in § 9 BauGB hinausgehen.286 Nach § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BauGB können Gegenstand von städtebaulichen Verträgen die Förderung und Sicherung der mit der Bauleitplanung verfolgten Ziele, insbesondere auch die Deckung des Wohnbedarfs von Bevölkerungsgruppen mit besonderen Wohnraumversorgungsproblemen sowie des Wohnbedarfs der ortsansässigen Bevölkerung sein. Im Prinzip stehen den Gemeinden mit dem Instrumentarium städtebau licher Verträge weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung, die auch zur Vermeidung und zum Abbau von Segregation in problematischen Quartieren eingesetzt werden können. Allerdings setzt der Einsatz dieses Instrumentariums voraus, dass die Gemeinde den privaten Investoren oder Grundstückseigentümern Gegenleistungen dafür in Aussicht stellt, dass diese sich zu dem städtebauliche erwünschten Verhalten verpflichten. Insoweit lassen sich zwei Konzepte unterscheiden, die auch rechtlich unterschiedlich zu behandeln sind. Zum einen kann die Gemeinde einem Investor die Schaffung von Baurecht durch Erlass eines Bebauungsplans in Aussicht stellen, wenn sich dieser zu bestimmten Maßnahmen im Interesse der Gemeinde verpflichtet, z. B. zur Schaffung von Wohnungen im sozialen Wohnungsbau. Zum anderen kann die Gemeinde vergleichbare vertragliche Vereinbarungen mit privaten Investoren schließen, wenn sie Grundstücke aus ihrem Bestand an diese veräußert. Die Initiative zum Abschluss städtebaulicher Verträge geht typischerweise in zwei Fällen von der Gemeinde aus: Die Gemeinde ist Eigentümerin von Grundstücken. Bei der Veräußerung oder bei der Vergabe von Erbbaurechten schließt die Gemeinde städtebauliche Verträge mit Investoren ab, in denen sich die Investoren dazu verpflichten, die darin vereinbarten sozialen Bindungen oder Leistungspflichten zu erfüllen. Außerdem besteht im Rahmen der vorsorgenden Baupolitik ein Interesse der Gemeinde am Abschluss städtebaulicher Verträge. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie die konkrete Ausweisung von Bauland davon abhängig macht, dass die Eigentümer der 285 Reidt,
in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 11 BauGB, Rn. 1. Pläne werden auch als Planverwirklichungsverträge, Zielverträge oder Förderungsverträge sowie Planungsverträge bezeichnet, s. dazu: Bunzel / Coulmas / Schmidt-Eichstaedt, Städtebauliche Verträge, S. 113 m. w. N. 286 Diese
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
betroffenen Grundstücke vorher vertragliche Vereinbarungen mit der Gemeinde treffen.287 Dagegen geht die Initiative zum Abschluss städtebaulicher Verträge im Rahmen der Aufstellung von Bebauungsplänen regelmäßig in zwei Fällen vom Eigentümer bzw. Investor aus: Der Vorhabenträger tritt an die Gemeinde heran, weil er ein konkretes Bauvorhaben realisieren will oder um die in Folge der Planung eingetretenen Bodenwertsteigerungen durch Veräußerung zu realisieren.288 Eigentümer haben also regelmäßig dann ein (wirtschaftliches) Interesse am Abschluss städtebaulicher Verträge mit der Gemeinde, wenn es um die Neuausweisung von Flächen geht, bei der sie durch Bebauung der Flächen von Bodenwertsteigerungen profitieren und durch Verkauf der bebauten Fläche den Gewinn realisieren können. Es kommt lediglich in den Fällen zum Abschluss städtebaulicher Verträge, in denen der Eigentümer oder Investor ein wirtschaftliches Interesse verfolgt. Die Steuerungsfähigkeit von Vereinbarungen in städtebaulichen Verträgen im Hinblick auf soziale Segregation ist damit typischerweise auf die erstmalige Bebauung von Flächen beschränkt. Durch soziale Bindungen beim Neubau von Wohngebäuden kann das Wohnungsangebot für die einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen insgesamt erweitert werden. Für Quartiere, die bereits sozial segregiert sind, kann sich eine mittebare Steuerung im Hinblick auf den Abbau sozialer Segregation dadurch ergeben, dass in den neu entstehenden Quartieren weiterer (niedrigpreisiger) Wohnraum entsteht. Die damit entstehenden Steuerungsmöglichkeiten beschränken sich aber auf Teile der Wohngebäude, wodurch nur begrenzt zum Abbau sozialer Segregationsstrukturen in Quartieren beigetragen werden kann. Die damit verbundenen Steuerungswirkungen sind lediglich mittelbar und können insoweit auch nur sukzessiv zum Abbau sozialer Segregation beitragen. Im Ergebnis sind die Steuerungsmöglichkeiten der Gemeinde durch den Abschluss städtebaulicher Verträge gegenüber den „klassischen“ Instrumenten des allgemeinen und besonderen Städtebaurechts im Hinblick auf die Steuerung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zwar deutlich erweitert, die Gemeinde muss aber Anreize zum Abschluss städtebaulicher Verträge schaffen.
287 Bunzel / Coulmas / Schmidt-Eichstaedt, 288 Vgl.
S. 41 ff.
Städtebauliche Verträge, S. 41 ff. dazu: Bunzel / Coulmas / Schmidt-Eichstaedt, Städtebauliche Verträge,
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts
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1. Bindungen zur Deckung des Wohnbedarfs von Bevölkerungsgruppen mit besonderen Wohnraumversorgungsproblemen Das hohe Mietniveau in städtischen Ballungsräumen führt dazu, dass Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen es schwer haben, bezahlbaren Wohnraum zu finden.289 In Ballungszentren wird deshalb versucht, private Vorhabenträger auf der Grundlage städtebaulicher Verträge bei Wohnungsbauvorhaben dazu zu verpflichten, einen bestimmten Anteil der geplanten Wohnungen im Standard und mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus zu errichten.290 Damit soll gewährleistet werden, dass die zu errichtenden Wohnungen nur an nach dem Wohnraumförderungsrecht291 berechtigte Wohnungssuchende, d. h. Bevölkerungsgruppen mit besonderen Wohnraumver sorgungsproblemen, vergeben werden. In diesen Fällen können durch die vertragliche Verpflichtung zur Nutzung von Mitteln zur sozialen Wohnraumförderung die sich aus den förderrechtlichen Bestimmungen ergebenden Bindungen aktiviert werden.292 Die Förderung erfolgt insbesondere durch Darlehen, die Übernahme von Bürgschaften und die Bereitstellung von verbilligtem Bauland.293 Der Begriff „Bevölkerungsgruppen mit besonderen Wohnraumversorgungsproblemen“ deckt sich inhaltlich weitgehend mit der durch § 1 Abs. 2 WoFG festgelegten Zielgruppe der sozialen Wohnraumförderung.294 Diese umfasst Haushalte mit geringem Einkommen sowie Familien und andere Haushalte mit Kindern, Alleinerziehende, Schwerbehinderte, ältere Menschen, behinderte Menschen, Wohnungslose und sonstige hilfebedürftige Personen, die sich am Wohnungsmarkt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können.295 Neben der Verpflichtung zur Errichtung eines bestimmten Anteils an Wohnungen im Standard und mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus kann die Gemeinde mit Grundstückseigentümern in städtebaulichen Verträgen die Einräumung von Belegungs-, Besetzungs- und Benennungsrechten zugunsten
289 Bunzel / Coulmas / Schmidt-Eichstaedt,
Städtebauliche Verträge, S. 136. Städtebauliche Verträge, S. 136 m. w. N. 291 Wohnraumförderungsgesetz vom 13. September 2001, BGBl. I 2001, S. 2376. 292 Bis zum Inkrafttreten der ersten Stufe der Föderalismusreform galt das Wohnraumförderungsgesetz des Bundes (WoFG). Ab dem 1. September 2006 gilt die Bundesregelung insoweit fort, bis entsprechende Landesgesetze zur Wohnraumförderung erlassen werden. 293 Bunzel / Coulmas / Schmidt-Eichstaedt, Städtebauliche Verträge, S. 137 m. w. N. 294 Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 11 BauGB Rn. 145. 295 Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 11 BauGB Rn. 145. 290 Bunzel / Coulmas / Schmidt-Eichstaedt,
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
der Gemeinde oder Mietpreisbindungen für eine bestimmte Zeit vereinbaren.296 a) Belegungs-, Besetzungs- und Benennungsrechte Die Gemeinde kann mit einem Vorhabenträger vertraglich die Einräumung von Belegungsrechten vereinbaren. In diesen Fällen verpflichtet sich der Vorhabenträger dazu, eine vereinbarte Anzahl an Wohnungen nur an solche Mieter zu vermieten, die im Besitz eines Wohnberechtigungsscheins sind, d. h. bei öffentlich gefördertem Wohnungsbau an solche Mieter, die die nach § 9 WoFG festgelegten Einkommensgrenzen nicht überschreiten.297 Die Wohnungen können gem. § 27 Abs. 5 WoFG auch „bestimmten Haushalten“ entsprechend der in § 1 Abs. 2 WoFG genannten Zielgruppe vorbehalten werden.298 Darüber hinaus kommt auch die Einräumung einer weitergehenden Form der Belegungsbindung, die Vereinbarung eines Besetzungsrechts in Betracht. Dabei hat die zuständige Stelle nach § 26 Abs. 2 S. 4 WoFG das Recht, einen Wohnungssuchenden zu bestimmen, dem der Verfügungsberechtigte eine bestimmte belegungsgebundene Wohnung zu überlassen hat.299 Schließlich kann vertraglich auch die Einräumung eines Benennungsrechts i. S. des § 26 Abs. 2 S. 3 WoFG vereinbart werden. In diesen Fällen schlägt die Gemeinde dem Eigentümer mindestens drei Wohnungssuchende vor und der Eigentümer hat an einen der vorgeschlagenen Wohnungssuchenden die Wohnung zu vermieten.300 Die Vereinbarung von Belegungs-, Besetzungs- und Benennungsrechten muss stets so ausgestaltet sein, dass der Eigentümer nicht dazu verpflichtet wird, bei mangelnder Nachfrage aus dem vertraglich vereinbarten Personenkreis die Wohnungen leer stehen zu lassen. Denn dies würde ohne Weiteres zur Unwirtschaftlichkeit des Vorhabens führen und regelmäßig eine unzumutbare Belastung darstellen.301 Hierzu wird in der Regel eine entsprechende Klausel im Vertrag vereinbart, wonach in diesen Fällen an „nicht berechtigte“ Mieter vermietet werden darf. 296 Vgl. Reidt, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 11 BauGB Rn. 50; Bunzel, Soziale Wohnraumförderung durch städtebauliche Verträge, S. 14; Birk, Städtebauliche Verträge, Rn. 569; Bunzel / Coulmas / Schmidt-Eichstaedt, Städtebauliche Verträge, S. 135 f. 297 Burmeister, Praxishandbuch Städtebauliche Verträge, Rn. 111: Das Einkommen darf die Einkommensgrenze des § 9 Abs. 2 WoFG bzw. der durch Rechtsverordnung der Landesregierungen ggf. abweichend festgelegten Einkommensgrenzen (Abs. 3) nicht überschreiten. 298 Bunzel / Coulmas / Schmidt-Eichstaedt, Städtebauliche Verträge, S. 139. 299 Bunzel / Coulmas / Schmidt-Eichstaedt Städtebauliche Verträge, S. 140 m. w. N. 300 Bunzel / Coulmas / Schmidt-Eichstaedt Städtebauliche Verträge, S. 140. 301 Bunzel / Coulmas / Schmidt-Eichstaedt Städtebauliche Verträge, S. 141.
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts199
b) Mietpreisbindung Mit der vertraglichen Vereinbarung einer Mietpreisbindung verpflichtet sich der Vertragspartner, keine höhere als die im Vertrag vorgesehene Miete zu vereinbaren. Soweit die Wohnung mit öffentlichen Mitteln gefördert wird, darf sie nicht gegen eine höhere als die in der Förderzusage bestimmte höchstzulässige Miete zum Gebrauch überlassen werden.302 Die Vereinbarung einer Mietpreisbindung muss allerdings angemessen sein. Ist der vereinbarte zulässige Mietzins nicht kostendeckend oder führt die vereinbarte zulässige Höchstmiete zu einer dauerhaften Unwirtschaftlichkeit des Vorhabens, wird regelmäßig davon auszugehen sein, dass die Vereinbarung unangemessen und damit rechtswidrig ist.303 c) Steuerungsmöglichkeiten im Hinblick auf soziale und ethnische Segregation Es ist die Frage zu untersuchen, ob und inwieweit die Vereinbarungen im Rahmen des Abschlusses städtebaulicher Verträge Steuerungswirkungen im Hinblick auf den Abbau sozialer und ethnischer Segregation und den damit verbundenen städtebaulich negativen Auswirkungen entfalten. aa) Steuerungsmöglichkeiten im Hinblick auf soziale Segregation Vertragliche Vereinbarungen zur Einräumung von Belegungs-, Besetzungsund Benennungsrechten ermöglichen es der Gemeinde, einen gewissen Einfluss auf die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu nehmen. Bei der vertraglichen Vereinbarung von Bindungen zur Deckung des Wohnbedarfs von Bevölkerungsgruppen mit besonderen Wohnraumversorgungsproblemen bestehen keine Beschränkungen auf solche Regelungen, die Gegenstand von Festsetzung im Bebauungsplan sein können. Es handelt sich insoweit um festsetzungsergänzende Vereinbarungen, die städtebauliche Ziele verfolgen. Der Zulässigkeit städtebaulicher Verträge steht nicht entgegen, wenn die Gemeinde sowohl wohnungspolitische als auch städtebauliche Zwecke verfolgt.304 Im Gegensatz zur Festsetzungsmöglichkeit nach § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB, wonach im Bebauungsplan Flächen festgelegt werden können, auf denen 302 Bunzel / Coulmas / Schmidt-Eichstaedt
Städtebauliche Verträge, S. 140. solche Vereinbarung kann sich enteignend auswirken, s. dazu Bunzel / Coulmas / Schmidt-Eichstaedt Städtebauliche Verträge, S. 142. Ebenda auch zu verschiedenen Modellen der Kalkulation zur Wirtschaftlichkeit von Vorhaben. 304 s. dazu, Reidt, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 11 BauGB Rn. 50 m. w. N. 303 Eine
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Wohngebäude errichtet werden dürfen, die für „Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf“305 bestimmt sind, kann durch vertragliche Vereinbarungen gem. § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BauGB auch Wohnraum für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen vorbehalten werden. Auf diese Weise können die auf dem freien Wohnungsmarkt bestehenden Nachteile teilweise kompensiert werden, was der Entstehung sozialer Segregation entgegenwirkt. Die Vereinbarungen in städtebaulichen Verträgen sind allerdings dadurch eingeschränkt, dass gem. § 56 Abs. 2 VwVfG nur solche Gegenleistungen vereinbart werden können, die bei Erlass eines Verwaltungsakts zulässiger Inhalt einer Nebenbestimmung nach § 36 VwVfG sein könnten. Es besteht demgemäß kein Raum für die vertragliche Übernahme von Pflichten, wenn das geplante Vorhaben auch ohne Aufstellung oder Änderung eines Bebauungsplans umgesetzt werden dürfte.306 Insoweit ist die Vereinbarung einer vom Vertragspartner zu erbringenden Leistung nach § 11 Abs. 2 S. 2 BauGB unzulässig, wenn er auch ohne sie einen Anspruch auf die Gegenleistung hätte.307 Gemeindlicher Spielraum für den Abschluss städtebaulicher Verträge bleibt aber insoweit bestehen, wie die Erteilung einer Befreiung in Betracht kommt und die der Befreiung entgegenstehenden öffentlichen Belange durch den Vertrag ausgeräumt werden können.308 bb) Steuerungsmöglichkeiten im Hinblick auf ethnische Segregation Durch Abschluss städtebaulicher Verträge, die dazu dienen, den dringenden Wohnraumbedarf von Bevölkerungsgruppen mit Wohnraumversorgungsproblemen zu decken, kann auch auf die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung im Hinblick auf ethnische Merkmale Einfluss genommen werden. In diesem Zusammenhang spielen vor allem die Vereinbarung von Belegungsund Besetzungs- und Benennungsrechte eine Rolle. Dabei müssen die Wohnungssuchenden nicht zwangsläufig zur Zielgruppe der sozialen Wohnraumförderung i. S. des § 1 Abs. 2 S. 2 WoFG gehören. Denn dem Gesetz ist in diesem Zusammenhang nicht zu entnehmen, dass die Vereinbarungen über Belegungsbindungen sowie Besetzungsrechte abhängig von der Bewilligung öffentlicher Fördergelder sind und insoweit eine gesetzliche Bindung an die Zielgruppe der sozialen Wohnraumförderung i. S. des § 1 Abs. 2 S. 2 WoFG besteht.309 Die Gemeinde kann das ihr durch städtebaulichen Vertrag einge305 s. dazu A. II. 2. b). Danach gehören einkommensschwache Bevölkerungsgruppen nicht zur Personengruppe mit besonderem Wohnbedarf. 306 Reidt, in: Battis / Krautzberger / Löhr, § 11 BauGB Rn. 73. 307 Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 11 BauGB Rn. 168. 308 Bunzel / Coulmas / Schmidt-Eichstaedt, Städtebauliche Verträge, S. 28. 309 Bunzel / Coulmas / Schmidt-Eichstaedt, Städtebauliche Verträge, S. 141.
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räumte Belegungs-, Besetzungs- oder Benennungsrecht in der Form ausüben, dass sie vorrangig Personen mit Migrationshintergrund zur Vermietung vorschlägt. In diesem Zusammenhang sieht § 19 Abs. 4 AGG vor, dass zur Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen vertragliche Vereinbarungen zulässig sind, durch die eine unterschiedliche Behandlung verschiedener Bevölkerungsgruppen vorgenommen wird. Insoweit können sich mittelbare Steuerungswirkungen in Bezug auf ethnische Segregation ergeben: Durch die Erweiterung der städtischen Wohnraummöglichkeiten für Personen mit Migrationshintergrund kann tendenziell zum Abbau ethnischer Segregation in anderen Quartieren beigetragen bzw. auch der Entstehung von ethnischer Segregation entgegengewirkt werden. Die tatsächliche Steuerungsfähigkeit ist aber allenfalls als mittelbar anzusehen und kann bereits dadurch eingeschränkt sein, dass kein hinreichender Anreiz besteht, dass ethnisch segregierte Quartier zu verlassen. Das gilt insbesondere dann, wenn das segregierte Quartier über ein ausgeprägtes soziales Netzwerk verfügt und durch gut funktionierende Nachbarschaften geprägt ist. Insgesamt sind die mittelbaren Steuerungsmöglichkeiten als gering an zusehen; insbesondere können „großflächig“ verfestigte ethnische Segrega tionsstrukturen kaum durch vertragliche Vereinbarungen, die sich lediglich auf einen geringen Teil der neu entstehenden Wohnfläche beziehen, durchbrochen werden. Die Vereinbarungen in städtebaulichen Verträgen entfalten insoweit keine städtische „Breitenwirkung“ zum Abbau von ethnischer Segregation. 2. Bindungen zur Deckung des Wohnbedarfs ortsansässiger Bevölkerung – Einheimischenmodelle Nach § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BauGB kann Gegenstand von städtebaulichen Verträgen die Förderung und Sicherung der mit der Bauleitplanung verfolgten Ziele, insbesondere auch die Deckung des Wohnbedarfs der ortsansässigen Bevölkerung sein. Dies stellt die Rechtsgrundlage für die Umsetzung sog. Einheimischenmodelle dar. Einheimischenmodelle werden vor allem von Gemeinden in der Nähe von Ballungszentren oder attraktiven Erholungsgebieten eingesetzt. Einheimischenmodelle zielen darauf ab, die ortsansässige einkommensschwache Bevölkerung bei der Veräußerung oder Vermietung von Grundstücken zu bevorzugen, damit diese weiterhin eine Chance haben, sich bei stark steigenden Bodenpreisen gegen die finanzkräftige Konkurrenz von Zugezogenen auf dem gemeindlichen Wohnungsmarkt durchzusetzen. Durch städtebaulichen Vertrag wird die vorrangige und preisgünstigere Veräußerung von Wohneigentum an einheimische Bauplatzbewerber geregelt, um der Verdrängung der
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
ortsansässigen Bevölkerung aus der Gemeinde entgegenzuwirken. Für die konkrete rechtliche Ausgestaltung städtebaulicher Vereinbarungen kommen drei Möglichkeiten in Betracht310: – Gemeindliches Zwischenerwerbsmodell, die Gemeinde wird Eigentümerin und veräußert selbst; – ohne gemeindlichen Zwischenerwerb (Weilheimer und Traunsteiner Modell); – Veräußerung von im Bestand der Gemeinde befindlichen Grundstücken. a) Gemeindliches Zwischenerwerbsmodell Bei der Umsetzung des gemeindlichen Zwischenerwerbsmodells machen die Gemeinden die Ausweisung eines Baugebiets davon abhängig, dass die Eigentümer der betroffenen Grundstücke vor dem Aufstellungsbeschluss über den Bebauungsplan ihre Grundstücke ganz oder jedenfalls zu ideellen Bruchteilen an die Gemeinde veräußern.311 In der Regel wird den Eigentümern zugleich eine Rückkaufmöglichkeit für einen Teil der entwickelten Baugrundstücke eingeräumt. Dabei wird der Ankaufspreis frei ausgehandelt, während sich der Rückkaufpreis nach den Vergleichswerten von Baugrundstücken in der Gemeinde bestimmt. Die Gemeinde kann als verfügungsberechtige Eigentümerin der Grundstücke soziale und sonstige Bindungen, die sie für städtebaulich erforderlich hält, im Rahmen der Veräußerungsverträge an die Erwerber weitergeben.312 Die Verknüpfung zwischen Grundstückserwerb und Baulandausweisung ist grundsätzlich zulässig, wenn der gemeindliche Grundstückserwerb zur Realisierung eines Bebauungsplans im Rahmen eines Einheimischenmodells dient.313 Dies ist jedenfalls bei Grundstücken der Fall, die erstmalig überplant werden und bei denen der Verkauf auf der freien Entscheidung des Eigentümers beruht. Die Gemeinde darf die Erfüllung einer solchen rechtmäßigen öffentlichen Aufgabe auch mit den Mitteln des Privatrechts verfolgen und verstößt dabei nicht gegen das Koppelungsverbot.314
Burmeister, Praxishandbuch Städtebauliche Verträge, Rn. 115. Städtebauliche Verträge, S. 148; Burmeister, Praxishandbuch Städtebauliche Verträge, Rn. 122. 312 Bunzel / Coulmas / Schmidt-Eichstaedt Städtebauliche Verträge, S. 150. 313 Burmeister, Praxishandbuch Städtebauliche Verträge, Rn. 123. 314 BGH, Urteil vom 2.Oktober 1998 – V ZR 45 / 98. Die Veräußerung des Grundstücks eines Eigentümers an die Gemeinde i. R. eines Einheimischenmodells ist als privatrechtlicher Vertrag einzuordnen. 310 Vgl.
311 Bunzel / Coulmas / Schmidt-Eichstaedt
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts203
Ist ein Grundstück dagegen schon derart überplant, dass eine Bebauung vorgenommen werden könnte, darf die Gemeinde eine Änderung des Bebauungsplans nicht von der Abtretung bestimmter, bislang unbebauter Teilflächen abhängig machen.315 Dies gilt auch dann, wenn die Gemeinde die Grundstücke zu einem (noch) marktgerechten Preis erwerben und nach Abschluss des Planänderungsverfahrens an einheimische Bauplatzbewerber veräußern will.316 Damit sind städtebauliche Vereinbarungen rechtswidrig, die die Ausweisung neuer Baugebiete unabhängig von der Realisierung eines Einheimischenmodells oder einer anderen, nach § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BauGB zulässigen, öffentlichen Aufgabe davon abhängig machen, dass ein bestimmter Prozentsatz an Grundstücksflächen an die Gemeinde abgetreten wird. Der Grund hierfür besteht darin, dass die Gemeinde städtebauliche Ziele verfolgen muss und rein fiskalische Motive, wie etwa die Gewinnabschöpfung bei Planungen zur Aufbesserung des Finanzhaushalts, rechtswidrig sind.317 b) Einheimischenmodell ohne gemeindlichen Zwischenerwerb Die Umsetzung von Einheimischenmodellen ohne gemeindlichen Zwischenerwerb findet regelmäßig in zwei verschiedenen Ausgestaltungen statt: – Die Gemeinde vereinbart mit dem Eigentümer vertraglich, dass dieser ihr vor der Baulandausweisung ein Recht zum Erwerb des Grundstücks in Form eines verbindlichen Verkaufsangebots einräumt (sog. „Weilheimer Modell“). – Die Gemeinde vereinbart mit dem Eigentümer vor der Baulandausweisung, dass dieser sich dazu verpflichtet, Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte über jedes einzelne Baugrundstück nur mit Zustimmung der Gemeinde und nur mit einem bestimmten Höchstpreis zu schließen (sog. „Traunsteiner Modell“). aa) Weilheimer Modell Bei dem als „Weilheimer Modell“ bekannten Einheimischenmodell macht die Gemeinde die Aufstellung eines Bebauungsplans davon abhängig, dass der Grundstückseigentümer der Gemeinde ein auf zehn Jahre befristetes, 315 Burmeister,
Praxishandbuch Städtebauliche Verträge, Rn. 123.
316 OVG Lüneburg, Urteil vom 21. Juli 1999 – 1 K 4974 / 97 – NVwZ-RR 2000, 201.
317 Das ist durch die Rechtsprechung bisher ungeklärt. Es bestehen jedenfalls insoweit keine Bedenken an der Rechtmäßigkeit, wie die Gemeinde die Einnahmen aus Grundstücksveräußerungen dazu einsetzt, städtebauliche Maßnahmen zu finanzieren, s. dazu, Bunzel / Coulmas / Schmidt-Eichstaedt, Städtebauliche Verträge, S. 150; Bur meister, Praxishandbuch Städtebauliche Verträge, Rn. 123.
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
notariell beurkundetes Verkaufsangebot für sein Grundstück macht.318 Der Kaufpreis wird dabei von einem Gutachterausschuss festgesetzt.319 Zugleich verpflichtet sich die Gemeinde, das Kaufangebot solange nicht anzunehmen, wie der Grundstückseigentümer das Grundstück selbst nutzt oder es nach Maßgabe des Vertrags an Berechtigte veräußert. Den berechtigten Personenkreis, also die Definition des Begriffs „Einheimischer“, legt die Gemeinde in internen Vergaberichtlinien fest. Der Gemeinde steht ein Gestaltungsspielraum im Hinblick auf die individuelle Ausgestaltung und Festlegung der Richtlinien für die Vergabe von Bauplätzen zu.320 Als „Einheimischer“ wird typischerweise321 derjenige angesehen, der – in den letzten 20 Jahren keinen baufreien Grundbesitz hatte322, – seit mindestens fünf Jahren in der Gemeinde mit Hauptwohnsitz gemeldet ist, – in der Gemeinde geboren oder aufgewachsen ist und sein Wegzug durch Heirat, Beruf oder fehlende Wohnung in der Gemeinde bedingt war, – seinen Arbeitsplatz seit mindestens fünf Jahren in der Gemeinde hat, – das Einkommen eine bestimmte Höhe nicht überschreitet. bb) Traunsteiner Modell Dem Traunsteiner Modell liegt ein Regelungsvorschlag des Landratsamtes Traunstein zugrunde: Im Gegensatz zum Weilheimer Modell macht die Gemeinde Traunstein die Ausweisung von Bauland davon abhängig, dass sich die im Plangebiet befindlichen Grundstückseigentümer durch notariell beurkundeten Vertrag dazu verpflichten, sowohl Verpflichtungs- als auch Verfügungsgeschäft über jedes einzelne Baugrundstück nur mit Zustimmung der
318 Bunzel / Coulmas / Schmidt-Eichstaedt, Städtebauliche Verträge, S. 151. Zur dinglichen Absicherung bewilligen die Eigentümer eine entsprechende Auflassungsvormerkung gem. § 883 Abs. 1 S. 2 BGB zur Eintragung in das Grundbuch. 319 Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, Rn. 2062; Bunzel / Coulmas / Schmidt-Eich staedt, Städtebauliche Verträge, S. 151; Grziwotz, Risiken für Einheimischenmodelle und Gestaltungsvorschläge, S. 450. 320 Der Erlass der Richtlinien gehört nicht zur laufenden Verwaltung, weshalb der Gemeinderatsbeschluss erforderlich ist. s. dazu: Burmeister, Praxishandbuch Städtebauliche Verträge, Rn. 118 m. w. N. 321 s. hierzu: Burmeister, Praxishandbuch Städtebauliche Verträge, Rn. 118. Die Richtlinien können je nach Gemeinde variieren. 322 Hierzu zählen keine Eigentumswohnungen.
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts205
Gemeinde und zu einem festgelegten Höchstpreis zu schließen.323 Bei der Veräußerung des Grundstücks macht die Gemeinde ihre Zustimmung regelmäßig davon abhängig, dass es sich bei dem Erwerber um einen „Einheimischen“ i. S. der Vergaberichtlinien handelt, der seinerseits die Einheimischenbindungen übernimmt, d. h. das Grundstück nicht selbst an einen anderen Erwerber veräußert und der Kaufpreis unterhalb der festgelegten Obergrenze bleibt.324 Die Vergabekriterien werden zum Bestandteil des Vertrages gemacht. Die Gemeinde kann ihre Zustimmung verweigern, wenn die vertraglich vereinbarten Kriterien nicht erfüllt werden, also an nicht Ortsansässige veräußert oder der Höchstpreis überschritten wird. Dazu kann die Gemeinde Höchstpreisklauseln festlegen.325 Der Kaufpreis für „Einheimische“ wird regelmäßig auf 70 % des im Grundstücksverkehr mit Nichteinheimischen üblichen Kaufpreises limitiert.326 c) Freiwillige Umlegung Neben dem dargestellten Weilheimer und Traunsteiner Modell kommen auch Einheimischenmodelle ohne gemeindlichen Zwischenerwerb bei einer freiwilligen Umlegung in Betracht. Im Gegensatz zum gesetzlichen, formalisierten Umlegungsverfahren nach den §§ 45 ff. BauGB zur Erschließung oder Neugestaltung von bebauten oder unbebauten Gebieten, handelt es sich bei der freiwilligen Umlegung um ein Verfahren, in dem die Bodenordnung innerhalb eines zu bebauenden Gebiets nicht im gesetzlichen, sondern im freiwilligen Verfahren, unter Beteiligung sämtlicher Grundstückseigentümer durchgeführt wird.327 Die Besonderheit der freiwilligen Umlegung besteht darin, dass sich die Eigentümer freiwillig am Verfahren beteiligen, festgelegte Mitspracherechte im Hinblick auf die Form und den Inhalt des Verfahrens haben und während des gesamten Verfahrens Eigentümer ihrer Grundstücke bleiben.328 Die Gemeinde schließt mit den Eigentümern einen Umlegungsvertrag, in dem vereinbart ist, dass die Grundstücke an die einkommensschwache und ortsansässige Bevölkerung zu veräußern sind. Das ist jedenfalls insoweit möglich, wie der Mangel an Bauland in der Gemeinde erheblich ist und die 323 Burmeister,
Praxishandbuch Städtebauliche Verträge, Rn. 119. Städtebauliche Verträge, S. 160. 325 Zur Absicherung der Vertragserfüllung wird, ähnlich wie beim Weilheimer Modell, ein preislimitiertes, dinglich abgesichertes An- oder Verkaufsrecht zu Gunsten der Gemeinde in das Grundbuch eingetragen. 326 Burmeister, Praxishandbuch Städtebauliche Verträge, Rn. 119 m. w. N. 327 Birk, Städtebauliche Verträge, Rn. 569. 328 Birk, Städtebauliche Verträge, Rn. 570. 324 Bunzel / Coulmas / Schmidt-Eichstaedt,
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einkommensschwache ortsansässige Bevölkerung davon in besonderem Maße betroffen ist.329 d) Veräußerung gemeindeeigener Grundstücke Die Bindung durch Einheimischenmodelle kann auch bei Veräußerung von im Eigenbestand der Gemeinde stehenden Grundstücken an einkommensschwache einheimische Bauplatzbewerber erfolgen. Der Grundstückskaufvertrag zwischen der Gemeinde und den „Einheimischen“ enthält dabei regelmäßig folgende Bindungen330: – Baupflicht zur Errichtung eines Gebäudes innerhalb einer bestimmten Frist, – Selbstnutzungspflicht innerhalb einer Bindungsfrist zwischen zehn und zwanzig Jahren, – Zustimmungserfordernis des Gemeinderats im Falle einer Veräußerung oder Vermietung an Dritte innerhalb der festgelegten Bindungsfrist. In diesen Fällen veräußert die Gemeinde die Grundstücke zu einem Preis, der unter dem objektiven Verkehrswert des Grundstücks liegt. Derartige Subventionierungen sind nur insoweit zulässig, wie der „Subventionszweck“ durch entsprechende Bindungen zumindest für einen bestimmten Zeitraum gesichert wird.331 3. Steuerungsmöglichkeiten von Einheimischenmodellen im Hinblick auf Segregation Der Abschluss städtebaulicher Verträge zur Umsetzung sog. Einheimischenmodelle zielt darauf ab, einkommensschwache ortsansässige Bevölkerungsteile vor der Verdrängung aus der Gemeinde zu schützen. Durch die bevorzugte und vergünstige Vergabe von Grundstücken und Wohnraum an die einkommensschwache ortsansässige Bevölkerung wird diesen die Möglichkeit eröffnet, sich gegen finanzkräftige Haushalte auf dem gemeindlichen Wohnungsmarkt durchzusetzen. Damit soll die Verdrängung der ortsansässigen und einkommensschwächeren Bevölkerungsgruppe in wenig attraktive Randlagen des Gemeindegebiets verhindert werden. Die städtebauliche Praxis hat gezeigt, dass die gezielte und preisgünstige Baulandbereitstellung nicht nur auf die Grundstücke in neu ausgewiesenen Baugebieten Einfluss 329 VGH
Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Juli 2000 – 8 S 177 / 00, Rn. 27. Praxishandbuch Städtebauliche Verträge, Rn. 127. 331 BayVGH, Urteil vom 22. Dezember 1998 – 1 B94.3288 – Rn. 106 juris. 330 Burmeister,
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hat, sondern das generelle Preisniveau in der Gemeinde beeinflusst.332 Insoweit kann sie mittelbar dazu beitragen, die Entstehung und Verfestigung sozialer Segregationsstrukturen in anderen Quartieren zu vermeiden. Durch die Konkretisierung der Zielgruppe in den Richtlinien für die vergünstige Vergabe von Grundstücken kann die Gemeinde die Bewohnerstruktur in den Teilen des Gemeindegebiets zielgerichtet steuern. Insgesamt sind die Steuerungsmöglichkeiten von Einheimischenmodellen allerdings auf die Fälle begrenzt, in denen die Gemeinde die Vornahme einer Handlung unter der Bedingung in Aussicht stellen kann, dass die Vorhabenträger den vertraglichen Vereinbarungen zustimmen. Das ist z. B. vor Aufstellung von Bebauungsplänen oder vor Ausweisung von gemeindlichen Flächen als Bauland der Fall. Die Verhandlungsposition der Gemeinde zum Abschluss städtebaulicher Verträge mit entsprechenden Vereinbarungen zur Umsetzung von Einheimischenmodellen ist regelmäßig dann aussichtsreich, wenn sie bei fehlender Mitwirkungsbereitschaft der Eigentümer auf andere als die in Aussicht genommene Fläche ausweichen kann. Während kleineren Gemeinden in ländlichen Räumen häufig gleichwertige Entwicklungsalternativen zur Verfügung stehen, sind die Möglichkeiten in Großstädten allerdings in aller Regel so stark eingeschränkt, dass sich keine gleichwertigen Flächen anbieten.333 Damit ist die Verhandlungsposition der zuständigen Behörde in Großstädten tendenziell schlechter; häufig ist sie darauf beschränkt, die zeitliche Abfolge von Planungen zu bestimmen, indem sie Plänen Vorrang gibt, bei denen die Eigentümer mitwirkungsbereit sind. Auch der erfolgreiche Einsatz von Einheimischenmodellen entfaltet nur mittelbare Wirkungen im Hinblick auf die Verhinderung der Entstehung segregierter Quartiere; bereits bestehende Segregation lässt sich damit praktisch nicht beeinflussen. 4. Rechtmäßigkeit sog. Einheimischenmodelle? Die Rechtmäßigkeit von Einheimischenmodellen war Gegenstand der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes. Das Bundesverwaltungsgericht hat in einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 1993334 die Zulässigkeit des Weilheimer Modells anerkannt. Im Jahr 2013 hat der Europäische Gerichtshof die Vereinbarkeit sog. Einheimischenmodelle mit EU-Recht grundsätzlich bejaht.335 332 Bunzel / Coulmas / Schmidt-Eichstaedt,
Städtebauliche Verträge, S. 148 m. w. N. Städtebauliche Verträge, S. 161. 334 BVerwG, Urteil vom 11. Februar 1993 – 4 C 18 / 91 – BVerwGE92, S. 56 (63). 335 EuGH, Urteil vom 8. Mai 2013 – C-197 / 11; C-203 / 11. 333 Bunzel / Coulmas / Schmidt-Eichstaedt,
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Das Bundesverwaltungsgericht hat die Zulässigkeit vertraglicher Vereinbarungen zur Umsetzung des Weilheimer Einheimischenmodells mit der Begründung bejaht, dass das Ziel, die ortsansässige einkommensschwache Bevölkerung vor Verdrängung durch finanzkräftige Investoren zu schützen, legitim und zulässig sei.336 Dies gelte jedenfalls insoweit, wie die gemeindliche Politik nicht darauf abziele, „Nichteinheimische“ von der Integration auszuschließen oder sogar vom Gemeindegebiet fernzuhalten.337 Die bevorzugte Vergabe von Grundstücken an die einkommensschwache ortsansässige Bevölkerung muss sich, neben der Vereinbarkeit mit nationalem Recht, auch am Maßstab europarechtlicher Vorgaben messen lassen. Die europäische Kommission hält die von Deutschland und anderen europäischen Mitgliedsstaaten praktizierte Regelung zur Bevorzugung ortsansässiger Bevölkerung durch Umsetzung von Einheimischenmodellen für unionsrechtswidrig.338 Die Kommission hat deshalb im Jahr 2007 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet. Der Ausgang des Verfahrens ist zum jetzigen Zeitpunkt noch offen. Nach Auffassung der Kommission werde durch Einheimischenmodelle gegen die im EUVertrag garantierte Niederlassungsfreiheit und gegen den allgemeinen Grundsatz der Nichtdiskriminierung verstoßen.339 Es werde sowohl die in Art. 49 AEUV verankerte Niederlassungsfreiheit als auch der allgemeine Grundsatz der Nichtdiskriminierung beschränkt.340 Die Beschränkung der Grundfreiheiten werde nicht durch ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel gerechtfertigt und entspreche auch nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Grundsatzurteil aus dem Jahr 2013 die Rechtmäßigkeit von Einheimischenmodellen grundsätzlich bejaht.341 Die in Frage stehende belgische Regelung sei allerdings mit Unionsrecht nicht vereinbar.
336 BVerwG,
Urteil vom 11. Februar 1993 – 4 C 18 / 91 – BVerwGE92, S. 56 (63). Urteil vom 11. Februar 1993 – 4 C 18 / 91, Rn. 32. 338 Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2006 / 4271.Vgl. dazu auch Portz, EuGH erklärt Einheimischenmodelle für grundsätzlich rechtmäßig, S. 202. 339 Wird der Quadratmeter gemeindeeigenen Lands an einen Ortsansässigen zum Preis von 100 € und an einen Nichtortsansässigen zum Preis von 146 € verkauft, wie in der deutschen Gemeinde Selfkant, stelle dies eine Beschränkung für Arbeitnehmer, Selbständige und Nichterwerbstätige dar, die sich in der entsprechenden Gemeinde niederlassen möchten. Die Preise der Gemeinde Selfkant beziehen sich auf das Jahr 2006, s. dazu: Portz, EuGH erklärt Einheimischenmodelle für grundsätzlich rechtmäßig, S. 202. 340 Dirnberger, Neues zu städtebaulichen Verträgen, S. 209. 341 EuGH, Urteil vom 8. Mai 2013 – C-197 / 11; C-203 / 11. 337 BVerwG,
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Der Europäische Gerichtshof342 hat die Regelung in Buch 5 des Dekrets der flämischen Region als europarechtswidrig angesehen.343 Die Regelung über die „soziale Auflage“ in Buch 4 des Dekrets der flämischen Region hält der Europäische Gerichtshoffür nicht europarechtswidrig, „sofern das vorlegende Gericht die Feststellung trifft, dass diese Regelung für die Erreichung des Ziels, ein ausreichendes Wohnangebot für einkommensschwache Personen oder andere benachteiligte Gruppen der örtlichen Bevölkerung sicherzustellen, erforderlich und angemessen ist.“344 Die vom Europäischen Gerichtshof als unionsrechtswidrig angesehenen flämischen Regelungen zur Umsetzung von Einheimischenmodellen unterscheiden sich von der deutschen Umsetzung und Ausgestaltung der Einheimischenmodelle im Wesentlichen in zwei Punkten. Bei den deutschen Einheimischenmodellen werden nur diejenigen bevorzugt, deren Einkommen eine bestimmte Obergrenze nicht überschreitet.345 Außerdem umfassen die Einheimischenmodelle nicht den gesamten Grundstücks- und Mietmarkt der Gemeinde. Die vertraglichen Vereinbarungen in Umsetzung deutscher Einheimischenmodelle beziehen sich lediglich auf einen Anteil von ca. 10 % der im Gemeindegebiet insgesamt zur Verfügung stehenden Wohnungen. Es verbleiben weiterhin ca. 90 % der Grundstücke auf dem freien Wohnungsmarkt.346 Zusammenfassend ergibt sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes, dass Beschränkungen der europäischen Grundfreiheiten bei der Umsetzung von Einheimischenmodellen im Rahmen der Erfordernisse einer sozialen Wohnungspolitik gerechtfertigt sein können. In diesem Zusammenhang bezieht sich der Europäische Gerichtshof ausdrücklich auf die Schlussanträge des Generalanwalts347, aus denen sich ergibt, dass die Bewahrung des „flämischen Charakters“ der Gemeinde kein hinreichendes Allgemeininteresse darstellt.348 Die vertraglichen Vereinbarungen zur Umsetzung von Einheimischenmodellen müssen darauf abzielen, ein ausreichendes Wohnangebot für einkommensschwache Personen oder andere benachteiligte Gruppen der örtlichen Bevölkerung sicherzustellen. Der Umstand, dass die Personen als 342 Dem Urteil liegt ein Vorabentscheidungsersuchen gem. Art. 267 AEUV des belgischen Verfassungsgerichts zugrunde. 343 EuGH, a. a. O., Rn. 60. 344 EuGH, a. a. O., Rn. 69. 345 s. 4. Kap. Fn. 257. 346 Portz, EuGH erklärt Einheimischenmodelle für grundsätzlich rechtmäßig, S. 204. 347 http: / / curia.europa.eu / juris / document / document.jsf?docid=137306&doclang =DE Rn. 55. 348 Pressemitteilung des EuGH Nr. 123 / 12 v. 4. Oktober 2012: Schlussanträge des Generalanwalts Mazak in den verbundenen Rechtssachen C-197 / 11 und C-203 / 11.
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
„Einheimische“ anzusehen sind, reicht für die vergünstigte Bereitstellung von Grundstücken jedoch nicht aus. Insgesamt spricht einiges dafür, dass die vertraglichen Vereinbarungen zur Umsetzung von Einheimischenmodellen in Deutschland, insbesondere aufgrund der Obergrenzen des Einkommens von Bewerbern, anders zu bewerten sind als die flämischen Regelungen zur Umsetzung von Einheimischenmodellen. Für die Steuerungsfähigkeit der Einheimischenmodelle im Hinblick auf ethnische Segregation ergibt sich daraus, dass eine Steuerung nur insoweit erfolgt, wie ethnische Segregation mit sozialer Segregation einhergeht. Personen mit Migrationshintergrund gehören insoweit zum berechtigten Personenkreis, wie sie die von der Gemeinde aufgestellten Vergaberichtlinien erfüllen. Dies ist zumeist dann der Fall, wenn sie auch zur Zielgruppe der sozialen Wohnraumförderung nach § 1 Abs. 2 WoFG gehören. Aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes ergibt sich, dass grundsätzlich das Kriterium der Herkunft keine Beschränkung von Grundfreiheiten erlaubt. Eine Bevorzugung bei der Vergabe von Wohnraum aufgrund der Herkunft eines Bewerbers steht grundsätzlich den unionsrechtlich verankerten Grundfreiheiten entgegen.
VII. Private Initiativen zur Stadtentwicklung nach § 171f BauGB Durch die Novelle des Baugesetzbuches 2007349 wurde eine Regelung über private Initiativen zur Stadtentwicklung in das BauGB aufgenommen. § 171f BauGB bestimmt, dass nach Maßgabe des Landesrechts350 Gebiete festgelegt werden können, in denen in privater Verantwortung und auf der Grundlage eines mit den städtebaulichen Zielen der Gemeinde abgestimmten Konzepts standortbezogene Aufwertungsmaßnahmen durchgeführt werden können. Dies soll der Stärkung oder Entwicklung von Bereichen der Innenstädte, Stadtteilzentren, Wohnquartieren und Gewerbezentren sowie sonstigen für die städtebauliche Entwicklung bedeutsamen Bereiche dienen. Im Unterschied zu den klassischen Instrumenten des besonderen Städtebaurechts liegt gem. § 171f BauGB die Primärverantwortung für die Durchführung städtebaulicher Maßnahmen, d. h. vor allem die Leitung und Finan-
349 Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung vom 21. Dezember 2006 – BGBl. I, 2006, S. 3316. 350 § 171f BauGB stellt nicht die unmittelbare Rechtsgrundlage für die Durchführung privater Initiativen dar, sondern das jeweilige Landesrecht.
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts211
zierung, bei den Eigentümern des Quartiers.351 Damit werden die aus Nordamerika stammenden stadtentwicklungspolitischen Ansätze aufgegriffen, die dort als Reaktion auf die Entstehung großer Einzelhandelszentren, Factory Outlets und Shopping Malls „auf der grünen Wiese“ vor den Toren der Städte entwickelt wurden. Derartige Großanlagen führten zu erheblichen Beeinträchtigungen von Innenstadtbereichen.352 Anfänglich standen die privaten Initiativen noch vor dem Problem sog. „Trittbrettfahrer“, die von Aufwertungs- und Verbesserungsmaßnahmen profitierten, ohne sich aber an der Finanzierung der Maßnahmen zu beteiligen. Aus diesem Grund wurde das Konzept der öffentlich-privaten Zusammenarbeit entwickelt, das unter dem Namen Business Improvent District (BID) auch in Deutschland eingeführt wurde. Dabei schließen sich Grundeigentümer für eine bestimmte Zeit zusammen und verpflichten sich zur gemeinschaftlichen Finanzierung von Maßnahmen zur Verbesserung des Umfelds in öffentlicher Zusammenarbeit. Ein BID ist ein räumlich definierter, zumeist innerstädtischer Bereich, für den Entwicklungs-, Maßnahmen- und Finanzierungskonzepte entwickelt werden, die zur Verbesserung des unmittelbaren geschäftlichen Umfelds führen sollen.353 Zur Finanzierung der BID-Maßnahmen erhebt die Gemeinde354 eine Zwangsabgabe gegenüber allen Eigentümern von Grundstücken im Innovationsbereich .355 Das Geld aus der Zwangsabgabe wird vollständig an das einzurichtende Quartiersmanagement bzw. die Quartiersorganisation weitergegeben. Nach diesem Vorbild wurde auch das Konzept der Housing Improvement Districts (HID) entwickelt, das der Regelung in § 171f BauGB zugrunde liegt.
351 Roeser,
in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 171f BauGB Rn. 3. in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 171f BauGB
352 Krautzberger,
Rn. 12. 353 Schink, in: Spannowsky / Uechtritz, Beck OK, Stand: 1. April 2015, § 171f BauGB Rn. 5. 354 Die Länder haben gesetzliche Regelungen zur Einrichtung von BIDs eingeführt: In Hamburg findet die Durchführung von privaten Initiativen zur Aufwertung und Entwicklung gewerblicher Straßenzüge auf der Grundlage des Gesetzes zur Stärkung der Einzelhandels-, Dienstleistungs- und Gewerbezentren (GSED) vom 28. Dezember 2004, HmbGVBl. Nr. 57, 2004, S. 525 statt, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Stärkung der Einzelhandels- und Dienstleistungszen tren – GSED – vom 27. November 2007, HmbGVBl. 2007, S. 405; im Jahr 2014 hat Berlin ein Gesetz zur Einführung von Immobilien- und Standortgemeinschaften erlassen, Gesetz zur Einführung von Immobilien- und Standortgemeinschaften – Berliner Immobilien- und Standortgemeinschafts-Gesetz – BIG vom 24. Oktober 2014, GVBl. für Berlin, 70. Jahrgang Nr. 25, 6. November 2014, S. 378. 355 s. § 7 Abs. 1 GSED.
212
4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
Die in privater Verantwortung durchgeführten standortbezogenen Maßnahmen können zur Stärkung und Entwicklung von Wohnquartieren durchgeführt werden. Das stadtentwicklungspolitische Ziel ist die stärkere Einbeziehung privater Initiativen zur Verbesserung von Stadtquartieren in funktionaler, baulicher und gestalterischer Hinsicht.356 1. Einrichtung von Housing Improvement Districts (HID) und Neighbourhood Improvement Districts (NID) In dem hier interessierenden Zusammenhang steht die Untersuchung der in privater Verantwortung durchgeführten Aufwertungsmaßnahmen in Wohnquartieren im Vordergrund. Die Konzepte der Housing Improvement Districts (HID) zielen auf die verbindliche Kooperation privater Grundstückseigentümer zur Finanzierung von Aufwertungsmaßnahmen in Wohn- und Mischgebieten ab. Dabei kommt die Umsetzung von HID-Maßnahmen in allgemeinen und reinen Wohngebieten i. S. der §§ 3 ff. BauNVO in Betracht, während NIDMaßnahmen in Mischgebieten und besonderen Wohngebieten gem. §§ 6 und 4a BauNVO eingerichtet werden.357 Im Gegensatz zu freiwilligen Zusammenschlüssen werden alle Grundstückseigentümer im HID zur Leistung der Abgabe verpflichtet, sofern nicht ein Drittel der betroffenen Grundstückseigentümer der Einrichtung widersprechen.358 Als erstes Bundesland hat Hamburg in Umsetzung von § 171f BauGB im Jahr 2007 ein Gesetz zur Stärkung von Wohnquartieren durch private Initiativen (GSW)359 erlassen. a) Ziele des HID am Beispiel des Hamburger Gesetzes zur Stärkung von Wohnquartieren durch private Initiativen Das Gesetz stellt die rechtliche Grundlage für privat durchgeführte Initiativen mit dem Ziel der Stärkung und Verbesserung der Wohn- und Lebensqualität sowie der Steigerung der Attraktivität von Wohnquartieren dar. Die gem. § 3 GSW einzurichtenden Bereiche werden als „Innovationsquartiere“ 356 BT-Drucksache 16 / 3308 vom 8. November 2006, S. 19; Krautzberger, in: EZBK, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 171f BauGB Rn. 1. 357 Kreutz / Krüger / Wickel, Gutachten über die Begleitforschung für das Teilprojekt HID Steilshoop im Rahmen des Projekts Lebenswerte Stadt Hamburg, S. 22. 358 § 8 Abs. 5 des Gesetzes zur Stärkung von Wohnquartieren durch private Initiativen. 359 Gesetz zur Stärkung von Wohnquartieren durch private Initiativen vom 20. November 2007 – HmbGVBl. Nr. 41, 2007, S. 393.
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts213
bezeichnet. Der Hamburger Senat wird in § 3 Abs. 1 GSW dazu ermächtigt, Innovationsquartiere einzurichten, wenn der Aufgabenträger sich in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag verpflichtet hat, die sich aus dem Gesetz und dem Maßnahmen- und Finanzierungskonzept ergebenden Verpflichtungen, Ziele und Aufgaben umzusetzen. § 2 Abs. 2 S. 2 GSW regelt, dass es Aufgabe des Innovationsquartiers ist, Maßnahmen selbst zu ergreifen oder anzuregen, die geeignet sind, die in Absatz 1 genannten Ziele zu verwirklichen. Hierzu zählen insbesondere: – Ausarbeitung von Handlungskonzepten für die Entwicklung des Quartiers, – Erbringung von Dienstleistungen, – Bewirtschaftung von Grundstücken, – Durchführung gemeinschaftlicher Werbemaßnahmen, – Organisation von Veranstaltungen. Bei der Durchführung von Maßnahmen soll sichergestellt werden, dass diese auf eine Aufwertung aller Aspekte des öffentlichen Raums ausgerichtet sind und nicht einseitige Förderansätze verfolgt werden, wie z. B. die Stärkung der lokalen Wirtschaft oder die Steigerung einzelner Immobilienwerte im Quartier.360 Die Durchführung von HID-Maßnahmen wird durch Erhebung einer öffentlichen Zwangsabgabe finanziert, die gegenüber den Eigentümern der im HID belegenen Grundstücke gem. § 7 Abs. 1 GSW erhoben wird. Durch die Abgaben soll der Vorteil, der durch die Einrichtung des HID und der Durchführung entsprechender Maßnahmen entsteht, ausgeglichen werden und der entstehende Aufwand einschließlich eines angemessenen Gewinns für den Aufgabenträger gedeckt werden. Die Höhe der Abgabe wird nach Maßgabe von § 7 Abs. 1 S. 2 GSW errechnet. b) Das Beispiel Hamburg-Steilshoop Die europaweit erste Einrichtung eines Innovationsquartiers fand in Hamburg im Stadtteil Steilshoop statt. Nach der offiziellen Antragstellung zur Einrichtung eines Innovationsquartiers in Hamburg Steilshoop im August 2011 erfolgte im November 2012 die formale Einrichtung des Innovationsquartiers für die Dauer von fünf Jahren durch den Hamburger Senat.
360 Bärenbrinker,
Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Governance, S. 394.
214
4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
Bei dem Quartier Steilshoop handelt es sich um eine zwischen 1969 und 1975 entstandene Großwohnsiedlung im Bezirk Hamburg Wandsbek.361 Von 1991 bis 2000 war das Quartier Steilshoop ein nach §§ 136 ff. BauGB förmlich festgelegtes städtebauliches Sanierungsgebiet. Nach Aufhebung der Sanierungssatzung sind städtebauliche und soziale Probleme wieder stärker sichtbar geworden. Das Quartier weist eine Vielzahl struktureller Probleme auf, wie z. B. Leerstände und hohe Fluktuation der Mieter bzw. Schwierigkeiten in Bezug auf die Vermietbarkeit von Wohnungen.362 Insgesamt gab es im Jahr 2007 in Steilshoop rund 6.400 Mietwohnungen, von denen etwa 5.500 durch den 1. Förderweg im sozialen Mietwohnungsbau gefördert wurden.363 Der Anteil sozial geförderter Wohnungen in Steilshoop ist damit insgesamt sehr hoch, auch wenn inzwischen ein Teil der Mietwohnungen aus den Sozialbindungen entlassen wurde. Im Jahr 2007 hat sich zur Einrichtung des Modellprojekts zur Erprobung des HID – Modells in Steilshoop ein Lenkungsausschuss konstituiert, dem als Vertreter der Wohnungswirtschaft die börsennotierte GAGFAH, das kommunale Wohnungsunternehmen SAGA / GWG sowie drei Genossenschaften stellvertretend für alle genossenschaftlichen Wohnungseigentümer vorstehen. Hinzu kommen Vertreter des Bezirksamts Wandsbek und der BSU sowie für die Begleitforschung die Verfasser des Gutachtens „Lebenswerte Stadt Hamburg“ von der HCU.364 In den HID – Prozess wurden freie Wohnungsunternehmen, private Einzeleigentümer sowie Eigentümer des Einkaufszentrums, zu dem auch Wohnungen gehören, nicht eingebunden. Der Lenkungsausschuss kam zu dem Ergebnis, dass die folgenden Handlungsfelder für die zukünftige Stadtteilentwicklung von Steilshoop Priorität haben365: – Entwicklung des Stadtteilzentrums (Einkaufszentrum und Umfeld), – Ordnung und Sauberkeit im ganzen Gebiet, 361 Kreutz / Krüger / Wickel, Gutachten über die Begleitforschung für das Teilprojekt HID Steilshoop im Rahmen des Projekts Lebenswerte Stadt Hamburg, S. 4. 362 Kreutz / Krüger, Urban Improvement Districts: Neue Modelle eigentümerfinanzierter Quartiersentwicklung?, S. 262. 363 Unvollständige Datenerhebung auf Grundlage von Informationen und Daten der Wohnungseigentümer durch das Bezirksamt Wandsbek, s. dazu: Kreutz / Krüger / Wickel, Gutachten über die Begleitforschung für das Teilprojekt HID Steilshoop im Rahmen des Projekts Lebenswerte Stadt Hamburg, S. 4; Gorgol, Neighbourhood Improvement Districts – Mit dem BID-Konzept zur Aufwertung von Wohnquartieren?, S. 96. 364 Kreutz / Krüger / Wickel, Gutachten über die Begleitforschung für das Teilprojekt HID Steilshoop im Rahmen des Projekts Lebenswerte Stadt Hamburg, S. 6. 365 Kreutz / Krüger / Wickel, Gutachten über die Begleitforschung für das Teilprojekt HID Steilshoop im Rahmen des Projekts Lebenswerte Stadt Hamburg, S. 7.
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts215
– Sicherheit, – Umbau und Pflege der Mittelachse, – Stadtteilmarketing und Image. Die Verordnung zur Einrichtung eines Innovationsquartiers in Hamburg Steilshoop vom 27. November 2012366 legt in § 2 Abs. 1 das allgemeine Ziel fest, die Wohn- und Lebensqualität in der Siedlung Steilshoop zu erhöhen. Zur Erreichung dieses Ziels sind gem. § 2 Abs. 2 der Verordnung zusammenfassend Gestaltungsmaßnahmen, Reinigung und Pflege, die Verbesserung der Orientierung innerhalb des Quartiers sowie Marketingmaßnahmen zur Image verbesserung des Quartiers vorgesehen. Zu den Gestaltungsmaßnahmen im Bereich der fußläufigen Verbindung innerhalb Steilshoops gehören z. B. die Erneuerung abgängiger Einfassungen von Beeten und Grünflächen, die Überarbeitung beschädigter Gehwegplatten, die Zusammenlegung von Grünflächen im öffentlichen Raum, die Überarbeitung des Grünkonzepts zur Anpassung des bodennahen Grüns an die stark angewachsenen Großbäume im Quartier sowie die Neuordnung und Erneuerung von Sitzgelegenheiten. Daneben kommen grundsätzlich auch Maßnahmen zur Aufwertung von Wohnquartieren in Betracht, wie z. B. die Einrichtung von Kinderspielplätzen, die Umgestaltung von Eingangsbereichen von Wohnhäusern sowie nicht bauliche Maßnahmen, wie etwa die Schaffung von Angeboten für Jugendliche und die Organisation gemeinschaftlicher Hausmeisterdienste. Im Bereich Reinigung und Pflege sind Maßnahmen vorgesehen, die da rauf ausgerichtet sind, ein sauberes, funktionales und gepflegtes Erscheinungsbild der Straßen und des gesamten Wohnumfelds zu erreichen sowie einen verbesserten Pflege- und Entwicklungszustand der vorhandenen Bepflanzungen. Die in der Verordnung vorgesehenen Maßnahmen der Grundeigentümer sowie der städtischen Wohnungsbauunternehmen (SAGA und GWG) und der Wohnungsbaugenossenschaften sehen schwerpunktmäßig eine optische Aufwertung des Quartiers Steilshoop vor. Bei den Maßnahmen im Innovationsquartier handelt es sich um sog. „on top-Leistungen“ im Bereich der Daseinsvorsorge. Zwar handelt es sich bei Aufgaben der Daseinsvorsorge um solche, die zum originären Aufgabenkreis der Stadt Hamburg zählen, die HID-Maßnahmen stellen aber ergänzende Maßnahmen dar, die insoweit nicht in einem Konkurrenzverhältnis zu den öffentlichen Leistungen der Stadt
366 Verordnung zur Einrichtung des Innovationsquartiers Steilshoop vom 27. November 2012, HmbGVBl. Nr. 46, 2012, S. 485.
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
Hamburg stehen.367 In Betracht kommt z. B. eine zusätzliche Wegereinigung, die über die „allgemeinen Standards“ hinausgeht. Die Erfüllung rein hoheitlicher Aufgaben durch die HID-Akteure kommt nur für die Fälle in Betracht, in denen eine Privatisierung der Aufgaben zulässig wäre.368 Die im Rahmen der Verordnung des Innovationsquartiers vorgesehene Gestaltung des Stadtteils wird von der Stadt Hamburg mit eigenen Maßnahmen begleitet und durch das „Rahmenprogramm Integrierte Stadtentwicklung“ (RISE)369 mit 4,4 Mio. Euro finanziell gefördert.370 Als begleitende Schlüsselmaßnahmen der Stadt ist die Umgestaltung des Zentrums von Steilshoop durch Erweiterung und Schaffung neuer öffentlicher Flächen mit vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten vorgesehen. So soll z. B. eine Markt- und Eventfläche als attraktiver Quartiersmittelpunkt eingerichtet werden. Die begleitenden Maßnahmen der Stadt Hamburg sind vielfältig und erstrecken sich neben der Neugestaltung des Stadtzentrums auch auf die Schaffung von sozialen Einrichtungen sowie einer verbesserten Anbindung des Stadtquartiers an den öffentlichen Nahverkehr. Darüber hinaus wird der weitgehende Abriss der früheren Gesamtschule geplant, um einen „Campus Steilshoop“ zu schaffen, der das größte Schulneubauprojekt Hamburgs darstellt und sowohl ein Schulzentrum mit Grundschule als auch eine Stadtteilschule sowie soziale Einrichtungen umfassen soll. Weiterhin soll auch die Businfrastruktur der MetroBus-Linie 7 und die Gestaltung der Bushaltestellen durch die Einrichtung eines Anzeigers mit dynamischen Fahrgastinformationen verbessert werden. 2. Steuerungswirkungen im Hinblick auf soziale und ethnische Segregation Insgesamt sind von der Durchführung der HID-Maßnahmen nur geringe mittelbare Steuerungswirkungen im Hinblick auf die Vermeidung bzw. den Abbau sozialer Segregation zu erwarten. Die beschriebenen HID-Maßnahmen sollen zur Verbesserung von Quartiersstrukturen und der gestalterischen Aufwertung des Quartiers beitragen. Mit der Durchführung von HID-Maßnahmen 367 Kreutz / Krüger / Wickel, Gutachten über die Begleitforschung für das Teilprojekt HID Steilshoop im Rahmen des Projekts Lebenswerte Stadt Hamburg, S. 24. 368 Zur Frage, inwieweit eine Privatisierung öffentlicher Aufgaben zulässig ist: Kreutz / Krüger / Wickel, Gutachten über die Begleitforschung für das Teilprojekt HID Steilshoop im Rahmen des Projekts Lebenswerte Stadt Hamburg, S. 24 ff. 369 s. zum Rahmenprogramm Integrierte Stadtentwicklung, 5. Kapitel A. III. 1. 370 Mitteilung der Pressestelle des Senats vom 28. November 2012. Abrufbar unter: http: / / www.urban-improvement-districts.de / files / File / HID_Steilshoop_Pressetext. pdf.
B. Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts
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wird insoweit eine ähnliche Zielrichtung wie mit der Durchführung städtebaulicher Sanierungsmaßnahmen verfolgt. Im Gegensatz zu städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen ist die Wirkung von HID-Maßnahmen im Hinblick auf den Abbau sozialer Segregation allerdings geringer. Denn HID-Maßnahmen sind in erster Linie auf eine verbesserte Quartierspflege und die Durchführung gestalterischer Verbesserungen ausgerichtet. Es geht aber, anders als bei der Durchführung städtebaulicher Sanierungsmaßnahmen, nicht um eine Substanzaufwertung der Gebäude im Quartier. Es handelt sich bei HIDMaßnahmen vielmehr um eine Ergänzung zur Durchführung klassischer städtebaulicher Planungsinstrumente. Von der Durchführung dieser Maßnahmen kann kaum eine städtebauliche Dynamik erwartet werden, die einen nachhaltigen städtebaulich positiven Quartiersprozess in Gang setzt. Gleichwohl können im Einzelfall durch ergänzend durchgeführte städtebaulich geförderte Maßnahmen, wie z. B. die Umsetzung eines Schulneubauprojekts in Hamburg Steilshoop, nachhaltige städtebauliche Verbesserungen erreicht werden. Handelt es sich dagegen um Maßnahmen, die lediglich der Basisverbesserungen im Quartier dienen, wie etwa Maßnahmen zur verbesserten Pflege und Reinigung des Quartiers, sind die Steuerungswirkungen im Hinblick auf den Abbau sozialer Segregation als gering anzusehen. Die Steuerungsmöglichkeiten können darüber hinaus auch dadurch eingeschränkt sein, dass die betroffenen Eigentümer wenig kooperationsbereit sind und nicht hinreichend an einer Durchführung von Aufwertungsmaßnahmen im Quartier interessiert sind. Anders als bei der Einrichtung von BIDs im gewerblichen Bereich ist die Umsetzung von HID-Maßnahmen in Wohnquartieren schwieriger. Dies hängt vor allem mit den zumeist heterogenen und oft kleinteiligen Eigentümerstrukturen zusammen, bei der teilweise nur schwerlich Kompromisse gefunden werden können. Zudem ist der Abstimmungsbedarf im Hinblick auf die Durchführung konkreter Maßnahmen hoch.371 Im Unterschied zu Gewerbetreibenden und Grundstückseigentümern im gewerblichen Umfeld, zeigen sich Bewohner und Kleineigentümer in Wohnquartieren gegenüber Veränderungen im Quartier oftmals weniger aufgeschlossen, weil sie entweder negative Eingriffe in die soziale und kulturelle Lebenswelt des Quartiers oder hohe finanzielle Belastungen durch Aufwertungsmaßnahmen befürchten.372 Die Interessen von Eigentümern, die ihre Wohnungen selbst nutzen, sind regelmäßig in geringerem Maße wirtschaftlich ausgerichtet. Ein Interesse an der Aufwertung des Quartiers ergibt sich allenfalls aus persönlichen Gründen („zum Wohlfühlen“) und nicht auf371 Gorgol, Housing Improvement Districts (HID): Ein neues Instrument für die Quartiersentwicklung, in: Schnur, Quartiersforschung: Zwischen Theorie und Praxis, S. 323. 372 Kreutz / Krüger / Wickel, Gutachten über die Begleitforschung für das Teilprojekt HID Steilshoop im Rahmen des Projekts Lebenswerte Stadt Hamburg, S. 18.
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4. Kapitel: Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente des BauGB
grund der Aussicht einer langfristigen Steigerung des Wohnwertes der Immobilie.373 Insgesamt zeichnen sich HID-Maßnahmen nicht durch instrumentelle Neuerungen in der Zielsetzung oder Durchführung städtebaulicher Maßnahmen gegenüber den übrigen städtebaulichen Instrumenten aus. Sie unterscheiden sich aber durch ihren neuartigen Finanzierungsmechanismus.374 Dieser kann dazu beitragen, dass städtebauliche Projekte und Maßnahmen durchgeführt werden können, die möglicherweise aufgrund knapper Fördermittelressourcen aus staatlichen Mitteln nicht umgesetzt werden könnten. Zwar soll die Durchführung von HID-Maßnahmen auf eine ganzheitliche Verbesserung und Aufwertung der Quartiersstrukturen ausgerichtet sein, sie ist aber, im Vergleich zu den klassischen städtebaulichen Instrumenten, wesentlich sektoraler ausgestaltet.375 Das bedeutet, dass die Maßnahmen vorrangig an den Interessen der einzelnen Grundstückseigentümer ausgerichtet sind und zugleich weniger auf die ganzheitliche Verbesserung und Aufwertung des Quartiers und seiner Infrastruktur abzielen. Das HID-Modell erweitert zwar die Handlungsoptionen privater Akteure und ermöglicht den Eigentümern, gemeinschaftliche Aufwertungsprozesse im Quartier zu initiieren, die sowohl präventiv als auch nachsorgend zur „privat organisierten Quartierspflege“ eingesetzt werden können.376 Die Steuerungsfähigkeit von HID-Maßnahmen ist aber im Hinblick auf die Vermeidung bzw. Bekämpfung von sozialer Segregation als insgesamt gering anzusehen. Im Hinblick auf ethnische Segregation entfalten HID-Maßnahmen keine spezifischen Steuerungswirkungen.
373 Gorgol, Neighbourhood Improvement Districts – Mit dem BID-Konzept zur Aufwertung von Wohnquartieren?, S. 67. 374 Gorgol, Housing Improvement Districts (HID): Ein neues Instrument für die Quartiersentwicklung, in: Schnur, Quartiersforschung: Zwischen Theorie und Praxis, S. 330. 375 Gorgol, Housing Improvement Districts (HID): Ein neues Instrument für die Quartiersentwicklung, in: Schnur, Quartiersforschung: Zwischen Theorie und Praxis, S. 331. 376 Gorgol, Housing Improvement Districts (HID): Ein neues Instrument für die Quartiersentwicklung, in: Schnur, Quartiersforschung: Zwischen Theorie und Praxis, S. 331 und 334.
5. Kapitel
Anwendung der städtebaulichen Instrumente in der Praxis und Bewertung der Ergebnisse Die Analyse der Instrumente des Städtebaurechts hat gezeigt, dass es eine ganze Reihe an städtebaulichen Instrumenten und Maßnahmen gibt, mit denen die Gemeinden der Entwicklung sozialer Segregation und den damit verbundenen städtebaulich negativen Auswirkungen begegnen können. Demgegenüber ergeben sich kaum städtebauliche Steuerungsmöglichkeiten im Hinblick auf den Abbau bzw. die Vermeidung ethnischer Segregation.
A. Erfolg des Einsatzes der Steuerungsinstrumente in der Praxis I. Methode des Vorgehens Ob die beschriebenen Instrumente zur Steuerung von Segregation sich in der Praxis bewähren, lässt sich nur schwer feststellen, da der Erfolg von vielen Faktoren abhängt, die sich flächendeckend nicht analysieren lassen. Die Arbeit beschränkt sich deshalb darauf, einige Ergebnisse empirischer Untersuchungen für die Städte Berlin, Hamburg und Dortmund wiederzugeben und daraus einige vorsichtige Schlüsse zu ziehen. Die drei Städte wurden ausgewählt, weil für sie relativ differenzierte empirische Untersuchungen1, insbesondere des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu)2 vorliegen. Außerdem verfügen alle drei Städte über ein differenziertes Sozialmonitoring. Für alle drei Städte werden in der Difu-Studie erhebliche segregative Erscheinungen bzw. Tendenzen festgestellt.
1 Zur Datenlage im Hinblick auf das Ausmaß sozialer und ethnischer Segregation: Prigge / Böhme, Soziale Stadtpolitik in Dortmund, Bremen und Nürnberg; Dohnke / Seidel-Schulze / Häußermann, Segregation, Konzentration, Polarisierung – sozialräumliche Entwicklung in deutschen Städten 2007–2009. 2 Dohnke / Seidel-Schulze / Häußermann, Segregation, Konzentration, Polarisierung – sozialräumliche Entwicklung in deutschen Städten 2007–2009. Das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) hat 19 deutsche Städte und 1.717 Teilräume auf das Ausmaß sozialer und ethnischer Segregation untersucht.
220
5. Kapitel: Anwendung der städtebaulichen Instrumente in der Praxis
Die Untersuchung des Difu wurde anhand von drei sog. Aufmerksamkeits indikatoren vorgenommen: (1) Arbeitslosigkeit (Anteil der Arbeitslosen an allen 15- bis 65-jährigen Einwohnern am Hauptwohnsitz, „Arbeitslosenziffer“); (2) Kinderarmut (Anteil der nicht erwerbsfähigen SGB II – Hilfeempfänger an allen 0- bis unter 15-jährigen Einwohnern am Hauptwohnsitz); (3) Bevölkerung mit Migrationshintergrund insgesamt (Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund an allen Einwohnern am Hauptwohnsitz), darunter – Migrationshintergrund Türkei, – Migrationshintergrund der Länder der ehemaligen Sowjetunion“3 Ähnlich gehen die drei Städte im Rahmen des Sozialmonitorings vor. Unter einem sozialen Monitoring wird die systematische und regelmäßige Analyse räumlich differenzierter sozialer Entwicklungen im Stadtraum mittels sog. Aufmerksamkeitsindikatoren verstanden. Die Entwicklung einzelner Quartiere kann dabei in ein Verhältnis zu anderen Stadtquartieren und bzw. oder zur Entwicklung der Gesamtstadt gestellt werden.4 Aus den Ergebnissen des sozialen Monitorings lässt sich feststellen, in welchen Quartieren städtebauliche und bzw. oder soziale Missstände bzw. ein besonderer Entwicklungsbedarf bestehen.5 Gegenstand des sozialen Monitorings sind, abgesehen von marginalen regionalen Abweichungen, die folgenden Aufmerksamkeitsindikatoren: – Anteil der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, – Anteil der Kinder von Alleinerziehenden an allen unter 18-Jährigen, – Anteil der SGB-II-Empfänger / -innen, – Anteil der Arbeitslosen an der Bevölkerung zwischen 15 und 65 Jahren, – Anteil nicht erwerbsfähiger Hilfsbedürftiger (SGB II), – Anteil der Empfänger / -innen von Mindestsicherung im Alter (SGB XII), – Anteil der Schüler / -innen ohne Schulabschluss oder mit Haupt- oder Realschulabschluss. Die Quartiersdaten werden zumeist in regelmäßigen Abständen erhoben, damit Aussagen über die langfristige Quartiers- und Stadtentwicklung getrof3 Dohnke / Seidel-Schulze / Häußermann, Segregation, Konzentration, Polarisierung – sozialräumliche Entwicklung in deutschen Städten 2007–2009, S. 9. 4 Häußermann / Dohnke, Synopse der Monitoringsysteme zur sozialen Stadtentwicklung der Städte im Pilotprojekt – Kleinräumiger Städtevergleich, S. 2. 5 Häußermann / Dohnke, Synopse der Monitoringsysteme zur sozialen Stadtentwicklung der Städte im Pilotprojekt – Kleinräumiger Städtevergleich, S. 3.
A. Erfolg des Einsatzes der Steuerungsinstrumente in der Praxis221
fen werden können.6 Die Ergebnisse des zumeist jährlich durchgeführten Monitorings bilden die empirische Grundlage für die Schwerpunktsetzung regionaler Rahmen- und Maßnahmenprogramme.7
II. Empirische Feststellungen zur Segregation Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die drei Referenzstädte in einem hohen Maß von sozialer und ethnischer Segregation betroffen sind. Das gilt in Hamburg insbesondere für die Wohnquartiere in den Bezirken Harburg, Wilhelmsburg und Horn sowie im südlichen Teil Wandsbeks, insbesondere in Jenfeld.8 Auch in Dortmund bestehen große Unterschiede in der räumlichen Verteilung der Bedarfsgemeinschaften über die Gesamtstadt: Der Anteil in Bedarfsgemeinschaft lebender Personen in den sozial benachteiligten Quartieren der Dortmunder Nordstadt beträgt 40 %, wohingegen in eher „bürgerlichen Stadtteilen“ der Anteil der Bedarfsgemeinschaften zwischen 5 % und 10 % liegt. Alle drei Städte sind außerdem von ethnischer Segregation betroffen: In Hamburg haben 45 % der unter 18-Jährigen Personen einen Migrationshintergrund, wovon die meisten konzentriert in wenigen Stadtquartieren leben.9 Neben einer Konzentration in Gebieten mit Kinder- und Jugendheimen ist eine Konzentration entlang zweier Quartierstypen auffällig: Zum einen weisen Großwohnsiedlungen aus den 1960er und 1970er Jahren eine überdurchschnittliche Konzentration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf; zum anderen konzentriert sich diese Bevölkerungsgruppe in innenstadtnah gelegenen, nicht modernisierten Altbauquartieren, insbesondere in den ehemaligen „Arbeiterwohnquartieren“.10 Im Vergleich zu Hamburg und Dortmund sowie den anderen vom Difu untersuchten Städten ist das Ausmaß ethnischer Segregation in Berlin am höchsten: die ethnische Segregation ist dort fast doppelt so hoch wie in
6 Häußermann / Dohnke, Synopse der Monitoringsysteme zur sozialen Stadtentwicklung der Städte im Pilotprojekt – Kleinräumiger Städtevergleich, S. 2. 7 Zu den Rechenmodellen zur Messung von Segregation und den möglichen Verzerrungen der Ergebnisse, s. Dohnke / Seidel-Schulze / Häußermann, Segregation, Konzentration, Polarisierung – sozialräumliche Entwicklung in deutschen Städten 2007– 2009, S. 13 ff. 8 s. dazu, Arnold / von Lüde, Sozialmonitoring, S. 19 und 28. 9 Pohl / Pohlan, Sozialmonitoring im Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung, S. 12. 10 Pohl / Pohlan, Sozialmonitoring im Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung, S. 12.
222
5. Kapitel: Anwendung der städtebaulichen Instrumente in der Praxis
Mainz, Frankfurt a. M. oder München.11 In Berlin leben die Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund zu einem großen Teil konzentriert in segregierten Quartieren. Dabei ist das Ausmaß der (ethnischen) Segregation der Bevölkerungsteile mit türkischem Migrationshintergrund im Vergleich zu denen mit den Ländern der ehemaligen Sowjetunion12 deutlich höher.13 Die ethnische Segregation von Personen mit türkischem Migrationshintergrund ist sogar höher als die soziale Segregation im Hinblick auf das Merkmal „Kinderarmut“.14 Dabei ist auffällig, dass Berliner mit türkischem Migra tionshintergrund bevorzugt in Wedding, Moabit und Teilen Neuköllns leben, während dagegen Migranten aus Russland vornehmlich in Spandau, Marzahn, Marienfelde leben.15 In Dortmund ist der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund16 innerhalb des Stadtgebiets ebenfalls stark ungleich verteilt: Die Ortsteile Sölde und Holthausen weisen einen Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund von ca. 10 % auf, wohingegen der Anteil in den Quartieren Nordmarkt und Borsigplatz, die zum Stadtbezirk Innenstadt-Nord gehören, bei knapp 70 % liegt.17 Im Stadtbezirk Innenstadt-Nord liegt der Anteil dort lebender Migranten bei 63,4 %, was den höchsten Wert im Vergleich zu allen zwölf Stadtbezirken darstellt. Im Vergleich dazu liegt im Bezirk Alperbeck der Anteil der dort lebenden Migranten bei 17,5 %. Die in Dortmund lebende Bevölkerung mit Migrationshintergrund konzentriert sich also in der Nordstadt, mit insgesamt 20 % aller in Dortmund lebenden Personen mit Migra tionshintergrund.
III. Integrative Maßnahmenprogramme in den Referenzstädten Die Städte Berlin, Hamburg und Dortmund haben zur Umsetzung der Instrumente des besonderen Städtebaurechts regionale Rahmen- und Maßnahmenprogramme zur integrierten Stadtentwicklung aufgestellt.
11 Dohnke / Seidel-Schulze / Häußermann, Segregation, Konzentration, Polarisierung – sozialräumliche Entwicklung in deutschen Städten 2007–2009, S. 21. 12 Zu den Personen mit Migrationshintergrund der Länder der ehemaligen Sowjet union gehören auch Spätaussiedler. 13 Dohnke / Seidel-Schulze / Häußermann, Segregation, Konzentration, Polarisierung – sozialräumliche Entwicklung in deutschen Städten 2007–2009, S. 22. 14 Dohnke / Seidel-Schulze / Häußermann, Segregation, Konzentration, Polarisierung – sozialräumliche Entwicklung in deutschen Städten 2007–2009, S. 22. 15 Bömermann, Leben Berliner mit Migrationshintergrund segregiert?, S. 67. 16 28,5 % der Dortmunder Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund. 17 Prigge / Böhme, Soziale Stadtpolitik in Dortmund, Bremen und Nürnberg, S. 73.
A. Erfolg des Einsatzes der Steuerungsinstrumente in der Praxis223
1. Administrative Ausgestaltung Die Durchführung der städtebaulichen Maßnahmen wird zum Teil durch Gewährung von Finanzhilfen des Bundes gem. Art. 104b GG finanziert, die auf Grundlage von Verwaltungsvereinbarungen zur Städtebauförderung, zwischen dem Bund und dem jeweiligen Land, gewährt werden. Der restliche Teil wird durch Haushaltsmittel der Länder und Kommunen finanziert. Bei der administrativen Ausgestaltung zur Umsetzung der Planungsinstrumente und Maßnahmen unterscheiden sich die regionalen Maßnahmenprogramme der drei Referenzstädte nur unwesentlich: Im Gegensatz zu Berlin und Dortmund sind die einzelnen Programmsegmente der Bund-LänderStädtebauförderung und der landesfinanzierten Fördergebiete in Hamburg zu einem Programm zusammengefasst.18 Die Zusammenfassung einzelner Programme „unter einem Dach“ soll dazu beitragen, die Fördermittel effektiver einzusetzen und den integrativen Stadtentwicklungsansatz durch stärkere Zusammenarbeit der Bezirke und Fachbehörden zu verbessern. Eine Prüfung der Auswirkungen durch die Zusammenfassung einzelner Fördermittel auf die Steuerungsfähigkeit der städtebaulichen Instrumente und Maßnahmen im Hinblick auf soziale und ethnische Segregation kann an dieser Stelle nicht vorgenommen werden. 2. Inhaltliche Ausgestaltung Die inhaltliche Ausgestaltung der regionalen Rahmen- und Maßnahmenprogramme weisen in den drei Referenzstädten weitgehende Übereinstimmungen auf. Das gilt vor allem für die Durchführung integrierter Entwicklungskonzepte. Das Hamburger Rahmenprogramm zur integrierten Stadtentwicklung (RISE)19 ist insgesamt darauf ausgerichtet, Hamburg als gerechte und lebenswerte Stadt weiterzuentwickeln und dazu die „soziale Kohäsion in der Stadt zu fördern“ sowie Quartiere, in denen sozialräumliche Segregations- und Polarisierungsprozesse städtebaulich negative Folgen erkennen lassen, zu stabilisieren.20 Die Berliner Städtebauförderungsprogramme „Soziale Stadt“ 18 s. Eschricht / Kaiser, Rahmenprogramm Integrierte Stadtentwicklung Hamburg RISE, S. 7. 19 Drs. 2009 / 01435 (Bü.-Drs.: 19 / 3652) vom 21. Juli 2009. Durch das Rahmenprogramm wurden die bisherigen Hamburgischen Stadtentwicklungsprogramme und die Programmsegmente der Bund-Länder-Städtebauförderung gem. § 164b BauGB i. V. mit der jeweils geltenden Verwaltungsvereinbarung Städtebauförderung zusammengeführt. 20 Klocke, Weiterentwicklung des Rahmenprogramms Integrierte Stadtentwicklung und Globalrichtlinie, S. 2.
224
5. Kapitel: Anwendung der städtebaulichen Instrumente in der Praxis
und „Aktive Zentren“ verfolgen ebenso das Ziel, die festgelegten Gebiete zu stabilisieren und als lebenswerte Zentren und attraktive Wohnstandorte auszugestalten, die ein hohes Maß an sozialer und ethnischer Integration ermöglichen.21 Die Dortmunder Strategien der sozialen Stadtpolitik und lokaler Armutsprävention zielen darauf ab, Programme und Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen in sozial benachteiligten Stadtquartierten durchzuführen sowie Ansätze zur Stärkung von Kindern und Familien zu fördern.22 Zusammenfassend sind die regionalen Rahmen- und Maßnahmenprogramme darauf ausgerichtet, die Lebensbedingungen für die Bewohnerschaft in benachteiligten Quartieren zu verbessern, die Konzentration benachteiligter Bevölkerungsgruppen in benachteiligten Wohn- und Wohnumfeldbedingungen zu vermeiden sowie eine Gleichwertigkeit sozialer Verhältnisse herzustellen.23 Die gesamtstädtischen Leitziele des Hamburger Rahmenprogramms entsprechen im Wesentlichen den städtebaulichen und sozialen Zielsetzungen der Berliner und Dortmunder Programme zur Städtebauförderung. Zusammenfassend werden beispielhaft folgende Ziele verfolgt:24 – Verbesserung der Lebensbedingungen durch soziale und materielle Stabilisierung des Fördergebiets, – Verbesserung der Entwicklungsperspektiven für Menschen in den Bereichen Bildung, Beschäftigung, Wirtschaft und Integration, – Stärkung der Mitwirkungsmöglichkeiten und der Eigeninitiative der Bürger- / innen, – Abbau bzw. Beseitigung der städtebaulichen Defizite, wie Funktions- und Substanzschwächen bei der technischen und sozialen Infrastruktur, den privaten Gebäudenutzungen und im öffentlichen Raum. Zur Reduktion regionaler Disparitäten sind die regionalen Rahmen- und Maßnahmenprogramme auf integrierte Stadtentwicklungsansätze ausgerichtet, d. h. die Städte streben eine ressort- und fachübergreifende Zusammenarbeit der öffentlichen Stellen an. Die integrierte Stadtentwicklung umfasst in Hamburg eine Zusammenarbeit innerhalb der folgenden Handlungsfelder:25 21 Städtebauförderung Berlin, Aktive Zentren, abrufbar unter: http: / / www.stadt entwicklung.berlin.de / staedtebau / foerderprogramme / aktive_zentren / de / programm / ziele.shtml. 22 Prigge / Böhme, Soziale Stadtpolitik in Dortmund, Bremen und Nürnberg, S. 81. 23 Prigge / Böhme, Soziale Stadtpolitik in Dortmund, Bremen und Nürnberg, S. 41. 24 Zu den gesamtstädtischen Leitzielen des Hamburger Rahmenprogramms: http: / / www.hamburg.de / contentblob / 3814348 / data / foerderrichlinien-rise.pdf, S. 1; s. Klocke, Weiterentwicklung des Rahmenprogramms Integrierte Stadtentwicklung und Globalrichtlinie, S. 2.
A. Erfolg des Einsatzes der Steuerungsinstrumente in der Praxis225
– Beschäftigung, Qualifizierung, Ausbildung, – Lokale Ökonomie, – Familienförderung, – Wohnen, lokaler Wohnungsmarkt und Wohnungswirtschaft, – Wohnumfeld und öffentlicher Raum, – Integration von Menschen mit Migrationshintergrund, – Kultur im Stadtteil, – Gesundheitsförderung, – Umwelt und Verkehr, – Sicherheit, Kriminal- und Gewaltprävention, – Sport und Freizeit. Die im Quartier erforderlichen flankierenden integrierten Handlungsfelder sind aufgrund der spezifischen Problemlagen sowie der Potenziale und Ressourcen des Quartiers im Einzelfall zu ermitteln. Im Ergebnis liegt allen drei regionalen Rahmenprogrammen ein integrierter städtebaulicher Ansatz, d. h. die Erkenntnis zugrunde, dass der Abbau bzw. die Vermeidung sozialer und ethnischer Segregation sowie die damit verbundenen städtebaulich negativen Auswirkungen nicht lediglich mit der Durchführung städtebaulicher Maßnahmen erreicht werden können. 3. Regionale Durchführung städtebaulicher Maßnahmen im Einzelnen Zur Umsetzung der gesamtstädtischen Leitziele werden in Berlin, Hamburg und Dortmund folgende zur Verfügung stehende Programmsegmente der Bund-Länder-Städtebauförderung durchgeführt: – Städtebauliche Sanierung (und Entwicklung), – Stadtumbau, – Soziale Stadt, – Städtebaulicher Denkmalschutz, – Aktive Stadtteil- und Ortsteilzentren. Die finanzielle Förderung erfolgt auf der Grundlage der Bund-LänderStädtebauförderung und daneben durch landesfinanzierte Förderungen. Im 25 s. Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft zum Rahmenprogramm Integrierte Stadtentwicklung vom 21. Juli 2009, Drs. 19 / 3652, S. 8, abrufbar unter: http: / / www. hamburg.de / contentblob / 2780084 / data / rahmenprogramm-rise.pdf.
226
5. Kapitel: Anwendung der städtebaulichen Instrumente in der Praxis
Hinblick auf die regionale Umsetzung der zur Verfügung stehenden Programmsegmente der Bund-Länder-Städtebauförderung hat die Stadt Berlin zum 1. Juli 2014 in Umsetzung der städtebaulichen Planungsinstrumente 65 Fördergebiete festgelegt, die sich wie folgt auf die verschiedenen Programme verteilen:26 – 34 Gebiete der Sozialen Stadt, – 8 Gebiete des städtebaulichen Denkmalschutzes, – 15 Gebiete des Stadtumbaus, – 6 Aktive Zentren, – 2 Sanierungsgebiete. Die Stadt Hamburg hat im Februar 201527 in Umsetzung der Planungsinstrumente im Rahmen der Bund-Länder-Städtebauförderung 38 Gebiete festgelegt, in denen städtebauliche und soziale Stabilisierungen durchgeführt werden.28 Daneben hat die Stadt Hamburg 13 Fördergebiete eingerichtet, die durch Landesmittel finanziert werden.29 Die Stadt Dortmund wurde in 39 Quartiere eingeteilt, von denen 13 Quartiere als sozial besonders benachteiligt eingestuft und als sog. Aktionsräume festgelegt wurden.30 Für die Aktionsräume werden spezifische Aktionspläne erarbeitet, die z. B. die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Förderung der lokalen Ökonomie, die Stärkung von Nachbarschaften und die Bekämpfung von Kinderarmut vorsehen.31 Einige der 13 Dortmunder Quartiere sind zugleich Mitglieder des Städtenetzes Soziale Stadt NRW.32 Im Rahmen dieses Städtenetzes wurde ein strategisches Entwicklungskonzept erarbeitet, das u. a. Maßnahmen in dem Bereich der städtebaulichen Sanierung, Gestaltung und Aufbereitung von Flächen und Gebäuden vorsieht.33 Als eines der 13 26 Programmübergreifende Informationen zur Städtebauförderung Berlin, abrufbar unter: http: / / www.stadtentwicklung.berlin.de / staedtebau / foerderprogramme / informa tionen / de / staedtebaufoerderung.shtml. 27 Stand: 10. Febrauar 2015. 28 Zu der Verteilung auf die Programme: Gebiete der integrierten Stadtentwicklung, BSU, abrufbar unter: http: / / www.hamburg.de / gebiete / . 29 Gebiete der integrierten Stadtentwicklung, BSU, abrufbar unter: http: / / www. hamburg.de / gebiete / . 30 Die Grundlage der empirischen Erhebung zur sozialen Lage in Dortmund stellt der im Jahr 2007 erarbeitete Bericht über die soziale Lage in Dortmund dar, vgl. dazu: Bericht zur sozialen Lage in Dortmund, Oktober 2007, S. 16. 31 Prigge / Böhme, Soziale Stadtpolitik in Dortmund, Bremen und Nürnberg, S. 85. 32 Zur Sozialen Stadt NRW: http: / / www.soziale-stadt.nrw.de / stadtteile_projekte / profil.php?st=dortmund-nordstadt. 33 Prigge / Böhme, Soziale Stadtpolitik in Dortmund, Bremen und Nürnberg, S. 134.
A. Erfolg des Einsatzes der Steuerungsinstrumente in der Praxis
227
Dortmunder Quartiere werden z. B. in der Dortmunder Nordstadt städtebauliche Maßnahmen zur Umgestaltung und Aufwertung durchgeführt sowie die Aktivierung von Immobilieneigentümern und der Einrichtung von HID’s angestrebt.34 Neben den dargestellten Maßnahmen im Rahmen der Städtebauförderung wird in Berlin und Hamburg außerdem von der Befugnis zum Erlass von Erhaltungsverordnungen i. S. des § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BauGB Gebrauch gemacht. Die Stadt Hamburg hat im Juni 2015 soziale Erhaltungsverordnungen für insgesamt acht Gebiete erlassen.35 Für weitere Gebiete sind Aufstellungsbeschlüsse vorhanden und in weiteren sieben Gebieten am Stadtrand werden entsprechende Voruntersuchungen zum Erlass von Aufstellungsbeschlüssen durchgeführt.36 Im Berliner Bezirk Tempelhof- Schöneberg sind für vier Bereiche soziale Erhaltungsverordnungen erlassen worden.37 Ergänzend zum Erlass sozialer Erhaltungsverordnungen werden in Hamburg Umwandlungsverordnungen erlassen, durch die zugleich auch die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen unter Genehmigungsvorbehalt gestellt wird. Von der Verordnungsermächtigung zum Erlass von Umwandlungsverordnungen hatte seit Einführung der Ermächtigung im Jahr 1998 anfänglich allein die Stadt Hamburg Gebrauch gemacht.38 Baden-Württemberg39 und Bayern40 haben zuletzt auch entsprechende Verordnungen erlas34 Vgl. Prigge / Böhme, Soziale Stadtpolitik in Dortmund, Bremen und Nürnberg, S. 134. 35 s. Dobbrodt, Umwandlungsverordnung und soziale Erhaltungsverordnung in Hamburg, S. 11. 36 Dobbrodt, Umwandlungsverordnung und soziale Erhaltungsverordnung in Hamburg, S. 11. 37 s. dazu: https: / / www.berlin.de / ba-tempelhof-schoeneberg / organisationseinheit / planen / soziale_evo_index.html. 38 Verordnung über die Einführung einer Umwandlungsgenehmigung in Sozialen Erhaltungsgebieten – Umwandlungsverordnung (UmwandVO) vom 6. Januar 1998 (wurde zuletzt bis 2018 verlängert), abrufbar unter: http: / / www.hamburg.de / umwand lungsverordnung / . 39 Verordnung der Landesregierung über die Einführung einer Umwandlungsgenehmigung in Gebieten einer Erhaltungssatzung nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BauGB – Umwandlungsverordnung (UmwandVO) vom 5 November 2013, abrufbar unter: https: / / mfw.baden-wuerttemberg.de / fileadmin / redaktion / m-mfw / intern / Dateien / Downloads / Arbeiten_und_Leben / Wohnungsbau / UMWANDLUNGSVERORD NUNG.pdf. 40 § 5 der Verordnung zur Durchführung des Wohnungsrechts und des Besonderen Städtebaurechts – DVWoR vom 8. Mai 2007, wobei § 5 am 4. Februar 2014 eingeführt wurde, abrufbar unter: http: / / www.gesetze-bayern.de / jportal / ?quelle=jlink& docid=jlr-WoFRDVBY2007rahmen&psml=bsbayprod.psml&max=true&aiz=true.
228
5. Kapitel: Anwendung der städtebaulichen Instrumente in der Praxis
sen. Seit 2015 wird auch in Berlin die Begründung von Wohnungs- oder Teileigentum unter Genehmigungsvorbehalt gestellt.41 Im Gegensatz zu Berlin und Hamburg ist die städtebauliche Situation in Dortmund kaum von Verdrängungsprozessen der Quartiersbewohnerschaft gekennzeichnet. Die Stadt Dortmund hat, soweit ersichtlich, keine sozialen Erhaltungssatzungen i. S. des § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BauGB erlassen.42
IV. Begrenzte Wirksamkeit der Instrumente Die Darstellung der regionalen Rahmen- und Maßnahmenprogramme zur Durchführung städtebaulicher Maßnahmen in den drei Referenzstädten hat gezeigt, dass die Städte von den ihnen zur Verfügung stehenden Maßnahmen und Instrumente des besonderen Städtebaurechts umfangreich Gebrauch machen. Den dargestellten regionalen Rahmen- und Maßnahmenprogrammen liegen jeweils integrierte Stadtentwicklungskonzepte43 zugrunde. Sie sind darauf ausgerichtet, gleichwertige Lebensbedingungen für die Quartiersbewohner zu schaffen und Benachteiligungen, die sich u. a. aufgrund sozialer oder ethnischer Segregation ergeben, entgegenzuwirken. In diesen Konzepten wird die Durchführung städtebaulicher und sonstiger Maßnahmen zu inte grierten städtebaulichen Strategien zusammengefasst. Neben der Durchführung städtebaulicher Maßnahmen kommen zugleich Maßnahmen mit sozialem, wirtschaftlichem, kulturellem und bildungspolitischem Bezug zur Anwendung. Die empirischen Untersuchungen über das Ausmaß sozialer und ethnischer Segregation haben gleichwohl gezeigt, dass die drei Referenzstädte von einem (vergleichsweise) hohen Ausmaß sozialer und ethnischer Segregation betroffen sind. Dabei ist das Ausmaß ethnischer Segregation von Personen mit Migrationshintergrund weiter ansteigend.44 Dieser Trend wird sich aller Voraussicht nach fortsetzen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine 41 Der Berliner Senat hat am 3. März 2015 die Verordnung über einen Genehmigungsvorbehalt für die Begründung von Wohnungseigentum oder Teileigentum in Erhaltungsgebieten – UmwandlV erlassen: Berliner GVBl. 2015, 43. 42 Dortmund hat lediglich Erhaltungssatzungen nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BauGB zur Erhaltung der städtebaulichen Eigenart des Gebiets auf Grund seiner städtebau lichen Gestalt erlassen, s. dazu: http: / / www.dortmund.de / de / leben_in_dortmund / planen_bauen_wohnen / stadtplanungs_und_bauordnungsamt / stadtplanung / baurecht liche_satzungen / erhaltungssatzung / index.html. 43 Der integrierte Stadtentwicklungsansatz liegt vor allem auch den Maßnahmen des Stadtumbaus und der Sozialen Stadt zugrunde. 44 Dohnke / Seidel-Schulze / Häußermann, Segregation, Konzentration, Polarisierung – sozialräumliche Entwicklung in deutschen Städten 2007–2009, S. 55.
A. Erfolg des Einsatzes der Steuerungsinstrumente in der Praxis229
steigende Zahl an Flüchtlingen in Deutschland Aufnahme findet und damit der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund, vor allem in den größeren Städten, weiter zunehmen wird.45 Weiter zunehmen wird auch das Ausmaß sozialer Segregation im Hinblick auf das Merkmal Kinderarmut, die ebenfalls in der Vergangenheit kontinuierlich anstieg, wobei ein Ende dieser Entwicklung nicht absehbar ist. Die Wirksamkeit der städtebaulichen Steuerungsinstrumente muss bei diesem Befund als unbefriedigend erscheinen. Zwar gelingt es in einigen Stadtquartieren, mit der Durchführung integrierter Entwicklungskonzepte städtebaulich unerwünschte Verschärfungen vor allem sozialer Segregation aufzuhalten, es gelingt aber kaum, soziale und ethnische Segregationsstrukturen wirksam abzubauen. Während die städtebaulichen Maßnahmen zumeist jedenfalls eine mittelbare Steuerung sozialer Segregation ermöglichen, etwa mit der flächendeckenden Aufwertung und Modernisierung von Quartiersinfrastruktur und der Gebäudesubstanz in den Quartieren, ist eine spezifisch städtebauliche Steuerung ethnischer Segregation bisher kaum gelungen. Den Gemeinden stehen insoweit städtebauliche Maßnahmen, die eine spezifische Steuerungswirkung ethnischer Segregation ermöglichen, nur in unzureichendem Umfang zur Verfügung. Das liegt vor allem daran, dass den Gemeinden grundsätzlich keine echten Eingriffsbefugnisse zur (unmittelbaren) Regelung bzw. Steuerung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung im Quartier eingeräumt werden. Die Möglichkeiten städtebaulicher Steuerung beschränken sich einerseits darauf, durch bauliche Aufwertungsmaßnahmen Anreize für andere Bevölkerungsgruppen zu schaffen, in segregierte Quartiere zu ziehen. Andererseits kann die Gemeinde durch Festsetzung von Flächen für den sozialen Wohnungsbau daraufhin wirken, das Wohnraumangebot für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen zu erweitern. Die Defizite in der Wirksamkeit städtebaulicher Steuerung spiegeln sich in dem steigenden sozialen und ethnischen Segregationsausmaß wider. Großprojekte für die Unterbringung von Flüchtlingen werden das Problem weiter verschärfen. Dies hat sich bei der Errichtung von Großwohnsiedlungen in den 1960er und 1970er Jahren gezeigt; das Ausmaß sozialer Segregation ist dort besonders hoch. Steuerungsdefizite sind auch im Hinblick auf soziale Segregation festzustellen: Zwar entfalten städtebauliche Maßnahmen in weitaus höherem Maße mittelbare Steuerungsmöglichkeiten sozialer Segregation, die Möglichkeiten sind aber mit Blick auf ein steigendes Ausmaß der sozialen Segregation im Hinblick auf das Merkmal „Kinderarmut“ insoweit gleichwohl unbefriedigend. 45 Pressemitteilung
des Statistischen Bundesamts vom 3.8.2015 – 277 / 15.
230
5. Kapitel: Anwendung der städtebaulichen Instrumente in der Praxis
B. Überlegung zur Weiterentwicklung des Instrumentariums I. Begrenzte Möglichkeiten der Weiterentwicklung städtebaulicher Steuerung Die Möglichkeiten einer Weiterentwicklung des städtebaulichen Instrumentariums zur Vermeidung oder zum Abbau von Segregation sind begrenzt. Zu überlegen wäre, ob eine Änderung der Baunutzungsverordnung (BauNVO) mit dem Ziel in Betracht kommt, die Abstufung der Qualität von Wohngebieten abzubauen. Darüber hinaus wäre der Frage nachzugehen, ob die Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf im Rahmen der Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB auch auf einkommensschwache Bevölkerungsgruppen erweitert werden könnten. Schließlich ist zu überlegen, ob staatliche Eingriffsbefugnisse zur Steuerung von Segregation erweitert werden könnten. 1. Überlegungen zur Änderung der Baunutzungsverordnung Wie oben dargestellt,46 eröffnet die BauNVO mittelbar gewisse Steuerungsmöglichkeiten sozialer und ethnischer Segregation; die Konzeption der BauNVO leistet aber, insbesondere aufgrund der Festsetzungsmöglichkeit qualitativ unterschiedlicher Wohngebiete, der Entstehung von Segregation in Quartieren tendenziell Vorschub. Steuerungsmöglichkeiten der BauNVO im Hinblick auf sozialräumliche Segregation ergeben sich insbesondere durch die Festlegung von Wohngebietstypen und durch Festlegungen der Bauweise. Die BauNVO bestimmt zwar nicht die Bau- und Nutzungsmöglichkeiten, sie schafft aber den Rahmen für die Festsetzungen der Gemeinde in Bebauungsplänen. Mit der Festsetzung des Wohngebietstyps werden die zulässigen Nutzungen in den Baugebieten sowie damit mittelbar auch die einzuhaltenden immissionsschutzrechtlichen Vorgaben bestimmt. Dies wirkt sich auf die Attraktivität von Quartieren aus und führt damit mittelbar zu einer Steuerung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung. Quartiere, die in hohem Maße von Lärm und Luftverschmutzungen betroffen sind, werden von einkommensstärkeren Bevölkerungsgruppen gemieden und weisen daher typischerweise ein niedrigeres Mietpreisniveau auf. Die Festsetzung immissionsarmer reiner Wohngebiete kann zu einer höheren Attraktivität des Quartiers führen.
46 s. dazu
4. Kapitel A. II. 3.
B. Überlegung zur Weiterentwicklung des Instrumentariums231
Mittelbar wird die Zusammensetzung der Quartiersbewohnerschaft auch durch Festsetzungen des Maßes der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksflächen gesteuert. Dadurch wird die Bebau barkeit von Flächen im Quartier bestimmt und lenkender Einfluss auf die zu errichtenden Gebäude genommen. Man könnte daher überlegen, ob und inwieweit Änderungen der BauNVO mit dem Ziel in Betracht kommen, die Entstehung sozialer und ethnischer Segregation zu vermeiden. Zu erwägen wäre, ob die Ausrichtung der Vorschriften dahin verändert werden könnte, dass anstelle der geltenden Stufung der Qualität von Wohngebieten stärker Wohnmöglichkeiten für eine Vielzahl verschiedener Bevölkerungsgruppen in den Quartieren eröffnet werden. a) Abschaffung des reinen Wohngebiets Schon bisher waren Überlegungen zum Novellierungs- und Reformbedarf der BauNVO, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Abschaffung des reinen Wohngebiets oder auch der weiteren Lockerung des Typenzwangs, Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Diskussionen und städtebaulicher Untersuchungen.47 Im Mittelpunkt dieser Novellierungsüberlegungen der BauNVO standen allerdings keine Erwägungen zur Vermeidung bzw. zum Abbau sozialer und ethnischer Segregation. Im Vordergrund stand vielmehr das Ziel, die städtebaulichen Handlungsmöglichkeiten der Gemeinden durch Lockerung des Typenzwangs zu erweitern. Bislang haben die Kommunen überwiegend keine Notwendigkeit für eine grundlegende Novellierung der BauNVO gesehen.48 Vielmehr waren sie mehrheitlich der Ansicht, dass sich die Instrumente der BauNVO in der Planungspraxis bewährt hätten und auch zur Bewältigung künftiger städtebaulicher Erfordernisse und Herausforderungen angemessen und geeignet seien.49 Da in den bisherigen Änderungs- und Novellierungsüberlegungen der BauNVO das Problem der Vermeidung bzw. des Abbaus sozialräumlicher Segregation keine Rolle gespielt hat, ist zu fragen, ob die Abschaffung des reinen Wohngebiets insoweit positive Auswirkungen haben könnte. 47 s. dazu: Boeddinghaus, Zur nicht erfolgten Novellierung der BauNVO, S. 1325 ff.; Schröer, Ein Plädoyer für innerstädtisches Wohnen, S. 769; Bunzel / Frölich / Strauss, Grundlagenforschung zur Baugebietstypologie der Baunutzungsverordnung. 48 Bunzel / Frölich / Strauss, Grundlagenforschung zur Baugebietstypologie der Baunutzungsverordnung, S. 17. 49 Schröer / Kullick, Novellierungen von BauGB und BauNVO, S. 223; Bunzel / Frölich / Strauss, Grundlagenforschung zur Baugebietstypologie der Baunutzungsverordnung, S. 17 m. w. N.
232
5. Kapitel: Anwendung der städtebaulichen Instrumente in der Praxis
Die Abschaffung des reinen Wohngebiets als Baugebietstyp i. S. von § 3 BauNVO würde dazu führen, dass die Gemeinden bei der Neuausweisung von Flächen für Wohnnutzungen vorwiegend allgemeine Wohngebiete i. S. des § 4 BauNVO festsetzen würden. Die neu festgesetzten Wohngebiete würden einheitlich die nach § 4 BauNVO zulässige Nutzungsmischung zulassen. In diesen Wohngebieten wären z. B. regelmäßig Versorgungsläden und ausnahmsweise auch nicht störende Gewerbebetriebe zulässig. Daneben hätten die Gemeinden erweiterte Möglichkeiten, Nutzungen im Baugebiet konkret festzulegen. Weil der Immissionsstandard in den einzelnen Wohngebietstypen nach den maßgeblichen Regelungen des BImSchG unterschiedlich ist, müssten sich die Grenzwerte auch für hochwertige Wohngebiete nicht mehr am Standard für reine Wohngebiete orientieren. Es käme insgesamt zu einer Nivellierung der Gebietsunterschiede in immissionsrechtlicher Hinsicht. In der Darstellung der historischen Entwicklung von sozialen Segrega tionserscheinungen in Städten konnte gezeigt werden, dass sich die einkommensstarken Bevölkerungsgruppen die „besseren“ Wohnquartiere mit geringerem Störungs- und Belastungspotenzial suchen, während die einkommensschwächeren Bevölkerungsgruppen auf die weniger attraktiven Gebiete mit höherem Störungs- und Belastungspotenzial verwiesen waren. Hier könnte die Angleichung von Immissionsgrenzwerten in Wohngebieten – jedenfalls langfristig – der Vermeidung sozialer Segregation dienen und eine egalisierende Wirkung auf die städtebaulichen Wohnverhältnisse entfalten. Die Nivellierung städtebaulicher Wohnverhältnisse in Wohnquartieren könnte tendenziell segregationshemmende Wirkung entfalten und zur Durchmischung der sozialen Zusammensetzung der Quartiersbewohnerschaft beitragen. Allerdings ist zu bedenken, dass die Attraktivität von Wohngebieten vorrangig von anderen Faktoren bestimmt wird, insbesondere von Lagevorteilen, günstigen Umgebungsverhältnissen sowie Verkehrs- und Infrastrukturvorteilen. Auch erscheint fraglich, ob die Prämisse, dass für einkommensstarke Bevölkerungsgruppen die immissionsärmeren reinen Wohngebiete attraktiv sind, nach wie vor zutrifft. Die moderne städtebauliche Entwicklung ist durch einen Reurbanisierungstrend50 gekennzeichnet. Dabei sind vor allem nutzungsgemischte und modernisierte Altbauquartiere als Wohnorte attraktiv. Bei diesen Gebieten handelt es sich zumeist um allgemeine Wohngebiete, in denen Cafés, Restaurants und Kneipen vorhanden sind, von denen nicht selten Lärmbelastungen ausgehen. Diese Quartiere weisen typischerweise gerade aufgrund der durch die Nutzungsmischung hervorgerufenen Attraktivität ein hohes Mietpreisniveau auf, weshalb einkommensstarke Bevölkerungs50 s. dazu
2. Kapitel B. V. 3. b).
B. Überlegung zur Weiterentwicklung des Instrumentariums233
gruppen vermehrt in derartige Quartiere ziehen. Das städtebauliche Phänomen sog. Gentrifizierung ist vornehmlich in allgemeinen Wohngebieten zu beobachten, die durch eine starke Durchmischung verschiedener Nutzungen, insbesondere durch eine Mischung von Wohnnutzungen und gewerblichen Nutzungen, gekennzeichnet sind. Zugleich gibt es reine Wohngebiete, die sich in peripheren Lagen befinden und daher als Wohnquartiere weniger attraktiv sind. Auch könnte durch die Abschaffung der reinen Wohngebiete eine gewisse Angleichung der Quartiersverhältnisse nur in neu festgesetzten Wohngebieten erreicht werden. Die eher segregationsfördernde Konzeption der BauNVO im Hinblick auf die Unterscheidung von Wohnquartieren würde (allenfalls) auf lange Sicht tendenziell abgebaut werden. Man darf nicht verkennen, dass die städtebauliche Dynamik durch Planungsinstrumente insgesamt nur bedingt steuerbar ist. Städtebauliche Konzepte entfalten aber mittelbare Steuerungswirkungen im Hinblick auf die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung. Zugleich können mit der Durchführung städtebaulicher Maßnahmen Impulse gesetzt werden, die zur positiven städtebaulichen Entwicklung der Quartiere beitragen. Insoweit wird auch durch die Umsetzung der baunutzungsrechtlichen Planungskonzeption mittelbar die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in den Quartieren gesteuert. b) Vermutete Auswirkungen in reinen Wohngebieten im Hinblick auf soziale Segregation Die beschriebenen Auswirkungen der Abschaffung reiner Wohngebiete beziehen sich auf zukünftig festzulegende Baugebiete. Davon zu unterscheiden sind die vermuteten Auswirkungen mit Blick auf soziale Segregations erscheinungen in bereits festgesetzten reinen Wohngebieten. Für bereits nach § 3 BauNVO festgesetzte reine Wohngebiete würde sich die Abschaffung des reinen Wohngebiets als Baugebietstyp nicht unmittelbar auswirken. Vielmehr würde die jeweilige Fassung der BauNVO fortgelten, die zum Zeitpunkt der Aufstellung des Bebauungsplans wirksam war. Es ist stets diejenige Fassung der BauNVO anzuwenden, die im Zeitpunkt der Aufstellung des jeweiligen Bebauungsplans in Kraft war.51 Dementsprechend wirkt sich die Änderung der BauNVO nicht unmittelbar auf die Quartiersund Wohnverhältnisse in reinen Wohngebieten aus. Tatsächliche Auswirkungen durch die Abschaffung des reinen Wohngebietstyps würden sich allenfalls nach Änderung der jeweiligen Bebauungspläne ergeben und würden 51 Söfker,
in: Henckel et al., Planen – Bauen – Umwelt, S. 64.
234
5. Kapitel: Anwendung der städtebaulichen Instrumente in der Praxis
dann auch nur langfristig und allenfalls sukzessive auf die Quartiersstruktur einwirken. Die Steuerungswirkungen durch die Abschaffung reiner Wohngebiete in Bezug auf die Vermeidung bzw. Bekämpfung sozialer Segregation sind damit insgesamt als gering anzusehen. Im städtischen Bereich ist der überwiegende Teil der Flächen bereits beplant, weshalb die Steuerungswirkung der vorgeschlagenen Änderung sowohl mit Blick auf die neu festzusetzenden Wohngebiete als auch im Hinblick auf die als reine Wohngebiete festgesetzten Baugebiete als eher gering zu veranschlagen ist. 2. Erweiterung des Anwendungsbereiches von § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB? Zu überlegen ist, ob zur Vermeidung bzw. zum Abbau sozialer und bzw. oder ethnischer Segregation der Anwendungsbereich von § 9 BauGB erweitert werden sollte. Hierzu könnte der Begriff der Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf i. S. des § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB auf einkommensschwache Bevölkerungsgruppen sowie Personen mit Migrationshintergrund ausgedehnt werden. Denkbar wäre, dass den Gemeinden bei der Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB die Möglichkeit eröffnet wird, Flächen festzulegen, auf denen Grundstückseigentümer Wohngebäude nur mit der Maßgabe errichten dürfen, dass die Gemeinde für einen Teil der Wohngebäude ein soziales Belegungsmanagement festlegt, d. h. Wohnungen vorrangig an Einkommensschwächere bzw. an Personen mit Migrationshintergrund52 zu vermieten sind. Den Gemeinden würde damit die Befugnis eingeräumt werden, Grundstückseigentümer dazu zu verpflichten, einen prozentualen Anteil der Wohnungen nach Maßgabe des gemeindlich entwickelten Belegungsmanagements zu nutzen. Die rechtliche Durchsetzung eines sozialen Belegungsmanagements könnte durch Erlass einer entsprechenden Nebenbestimmung zur Baugenehmigung erfolgen oder durch Abschluss eines städtebaulichen Vertrages zwischen der Gemeinde und dem Grundstückseigentümer. Wie bereits oben beschrieben,53 erscheint eine solche Erweiterung der Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf im Hinblick auf Sinn und Zweck städtebaulicher Regelungen allerdings problematisch. Die allgemeine Bauleitplanung zielt weder darauf ab, die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu regeln, noch bestimmte Bevölkerungsgruppen zu privilegieren. Unabhängig von der spezifisch städtebaulichen Zielsetzung der Regelungen 52 Der
Begriff müsste vom Gesetz näher bestimmt werden. 4. Kapitel A. II. b) bb).
53 s. dazu
B. Überlegung zur Weiterentwicklung des Instrumentariums235
des BauGB, erscheint daneben auch zweifelhaft, ob der mit der Erweiterung des Begriffs der Personengruppen in § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB verbundene Eingriff in die Eigentumsgarantie der betroffenen Grundstückseigentümer verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden könnte. Die Verfassungsmäßigkeit eines solchen Eingriffs erscheint vor allem in zwei Fällen problematisch: (1) Es besteht keine ausreichende Nachfrage von den Bevölkerungsgruppen, an die aufgrund des sozialen Belegungsmanagements bevorzugt zu vermieten ist, (2) der Vermieter ist zur Erfüllung der Vorgaben durch das soziale Belegungsmanagement faktisch dazu verpflichtet, den festgelegten Anteil an Wohnungen zu einem (erheblich) niedrigeren Mietzins zu vermieten, als er bei Vermietung am freien Wohnungsmarkt erzielen könnte. Im ersten Fall könnte z. B. durch eine entsprechende Bestimmung im städtebaulichen Vertrag geregelt werden, dass für den Fall, dass die nach dem Belegungsmanagement zu bevorzugenden Bevölkerungsgruppen nicht ausreichend nach Wohnraum nachfragen, von den vereinbarten Bindungen abgewichen werden kann. Für diesen Fall wäre es unzumutbar, wenn der Vermieter bzw. Grundstückseigentümer gezwungen wäre, die Wohnungen leer stehen zu lassen.54 Im zweiten Fall werden neben Bedenken im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der vorgeschlagenen Änderung von § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB vor allem auch strukturelle Defizite erkennbar, die sich bei der Steuerung von sozialräumlicher Segregation ergeben würden. Durch die Festsetzung von Flächen, auf denen ganz oder teilweise nur Wohngebäude errichtet werden dürften, die Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf vorbehalten wären, kann die Gemeinde lediglich Angebote für diese Bevölkerungsgruppen schaffen. Ob und inwieweit die „bevorzugten“ Personengruppen diese Angebote tatsächlich wahrnehmen, lässt sich mit Mitteln des Städtebaurechts nicht oder nur begrenzt beeinflussen. Insoweit sind der städtebaulichen Steuerung im Hinblick auf soziale und ethnische Segregation von vornherein Grenzen gesetzt. Zwar kann die Gemeinde Angebote schaffen, z. B. auch durch soziale Wohnraumförderung, es ist aber nicht möglich, damit die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in dem Sinne zu regeln, dass Personengruppen verpflichtet werden, das Wohnangebot auch tatsächlich zu nutzen. Insoweit hängen die städtebaulichen Steuerungswirkungen davon ab, ob und inwieweit diese Bevölkerungsgruppen von den städtebaulichen oder sonstigen Angeboten tatsächlich Gebrauch machen. Im Ergebnis würde die Änderung des Begriffs der Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf in § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB keine neuartigen Steue54 s. zum
städtebaulichen Vertrag, 4. Kapitel VI. 1. a).
236
5. Kapitel: Anwendung der städtebaulichen Instrumente in der Praxis
rungsmöglichkeiten eröffnen. Der Steuerungsmechanismus entspricht letztlich demselben, wie er sich aus § 9 Abs. 1 Nr. 7 BauGB ergibt, wonach die Gemeinde Flächen festsetzen kann, auf denen ganz oder teilweise nur Wohngebäude errichtet werden dürfen, die mit Mitteln der sozialen Wohnraumförderung gefördert werden könnten. Durch die Flächenfestsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 7 BauGB macht die Gemeinde zwar ein Angebot für die Schaffung von Wohnraum nach Maßgabe der Voraussetzungen der Vorschriften des Wohnraumförderungsgesetz (WoFG). Ob dieses Angebot aber angenommen wird, lässt sich nicht oder nur unzureichend durch die Gemeinde beeinflussen. Die möglicherweise darüber hinaus gehende Steuerungswirkung durch die Erweiterung der Personen mit besonderem Wohnbedarf ist insgesamt als gering anzusehen. Die Steuerungswirkungen der vorgeschlagenen Änderung des Begriffs der Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf sind daher als gering anzusehen. 3. Erweiterung staatlicher Eingriffsbefugnisse Schließlich ist der Frage nachzugehen, ob der Entstehung segregierter Quartiere auch mit repressiven Mitteln, also mit hoheitlichen Eingriffsbefugnissen begegnet werden kann. Wie bereits dargestellt, enthält das Städtebaurecht derzeit keine Eingriffsbefugnisse, mit denen auf die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in Wohnquartieren Einfluss genommen werden könnte.55 Im Rahmen dieser Arbeit ist zu fragen, ob derartige Eingriffsbefugnisse im Städtebaurecht geschaffen werden könnten. Darüber hinaus ließe sich untersuchen, ob außerhalb des Städtebaurechts Eingriffsbefugnisse bestehen oder geschaffen werden könnten, mit denen Segregation in Wohnquartieren verhindert oder abgebaut werden könnte. Diese Prüfung geht aber über die hier bearbeitete Fragestellung hinaus. Deshalb sollen hier insoweit nur einige knappe Ausführungen gemacht werden, um die rechtspolitische Dimension der Fragestellung zu beleuchten. Bei der Erweiterung von Eingriffsbefugnissen auf städtebaurechtlicher Grundlage stellt sich zunächst die Frage der Zuständigkeit. Das Städtebaurecht gehört zum Bodenrecht. Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG bestimmt, dass der Bund für Regelungen im Bereich des Bauplanungsrechts zuständig ist und die hierfür erforderliche grundgesetzliche Kompetenz für den Erlass von Regelungen auf dem Gebiet des Bodenrechts besitzt.
55 s.
3. Kapitel A. I.
B. Überlegung zur Weiterentwicklung des Instrumentariums
237
Zur Materie des Bodenrechts und damit zum Kompetenzbereich des Bundes gehören solche Vorschriften, die Grund und Boden unmittelbar zum Gegenstand rechtlicher Ordnung haben, d. h. die rechtlichen Beziehungen des Menschen zum Grund und Boden regeln.56 Die Zuständigkeit des Bundes umfasst außerdem die Befugnis zur Regelung der städtebaulichen Planung, zur Ausweisung von Baugebieten und zur Festlegung des Maßes baulicher Ausnutzbarkeit von Flächen.57 Die Bundeskompetenz umfasst damit auch den Erlass von Regelungen, durch die sichergestellt wird, dass die baulichen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass auch Menschen mit besonderen baulichen Bedürfnissen, wie z. B. behinderte Menschen, Grund und Boden nutzen können.58 Aus dieser Kompetenzzuweisung lässt sich allerdings keine Zuständigkeit des Bundes zum Erlass von Vorschriften herleiten, durch die die allgemeine Zusammensetzung der Wohnbevölkerung geregelt werden könnte. Der Bund ist nicht ermächtigt, auf Grundlage des Bodenrechts Anordnungen gegenüber Personen oder Personengruppen zu treffen und auf diese Weise die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu steuern. Der Erlass derartiger Eingriffsbefugnisse gegenüber Personen(gruppen), die keinen besonderen baulichen Wohnbedarf aufweisen, geht über die Kompetenz des Bundes auf dem Gebiet des Bodenrechts hinaus. Eine solche Befugnis ergibt sich auch nicht aus einer Annexkompetenz des Bundes. Es besteht insoweit keine Annexkompetenz zum Bodenrecht, die den Bund zum Erlass von Regelungen zur Steuerung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung ermächtigt. Denn die Vorbereitung und Durchführung von Regelungen auf dem Gebiet des Bodenrechts erfordern nicht die Regelung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung. Eine solche Ausdehnung der Befugnis zur Regelung der rechtlichen Beziehungen des Menschen zum Grund und Boden wäre verfassungsrechtlich unzulässig. Im Ergebnis kommt die Erweiterung staatlicher Eingriffsbefugnisse auf Grundlage des Bodenrechts zur Steuerung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung mit dem Ziel soziale und ethnische Segregation zu vermeiden 56 BVerfG, Baugutachten vom 16. Juni 1954 – 1 PBvV2 / 52 – BVerfGE 3, 407. Nach § 97 BVerfGG a. F. konnten Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung in einem gemeinsamen Antrag das Bundesverfassungsgericht um Erstattung eines Rechtsgutachtens über eine bestimmte verfassungsrechtliche Frage ersuchen. Die inhaltliche Reichweite der Zuständigkeit im Bodenrecht war zwischen Bund und Ländern jedenfalls anfänglich umstritten. s. dazu auch: Dirnberger, in: Spannowsky / Uechtritz, Beck OK, Stand: 1. April 2015, § 1 BauGB Rn. 2. 57 BVerfG, Baugutachten vom 16. Juni 1954 – 1 PBvV2 / 52 – BVerfGE 3, 407, 2. Orientierungssatz juris. 58 Insoweit besteht die Möglichkeit der Gemeinde Flächen für Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf nach § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB festzusetzen.
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5. Kapitel: Anwendung der städtebaulichen Instrumente in der Praxis
bzw. abzubauen nicht in Betracht. Die Kompetenz des Bundes auf dem Gebiet des Bodenrechts umfasst nicht die Befugnis zum Erlass von Vorschriften, durch die die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung von Personengruppen geregelt wird, die keinen besonderen Wohnbedarf in baulicher Hinsicht aufweisen.
II. Sonstige Eingriffsbefugnisse In der politischen Diskussion war die Frage, ob für Migranten über die bereits vorhandenen Regelungen hinaus Vorschriften geschaffen werden sollten, mit denen die freie Begründung des Wohnsitzes beschränkt werden kann. Der Gesetzgeber hat hierauf mit der Einführung einer Wohnsitzregelung in § 12a AufenthG reagiert.59 Auch wenn solche Regelungen nicht städtebaulicher Natur sind, könnten sie für die Vermeidung oder Bekämpfung von ethnischer Segregation eine wichtige Rolle spielen. Deshalb soll im Folgenden auch ein Blick darauf gerichtet werden, ob und in welchem Umfang solche Regelungen zur Vermeidung oder zum Abbau von Segregation wirksam sein könnten. In den 1990er Jahren hat es im Rahmen des Wohnungsortzuweisungsgesetzes (WoZuG)60 bereits Regelungen gegeben, um seinerzeit die Wohnsitznahme von Volksdeutschen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion und des Baltikums in Deutschland zu steuern, um damit in erster Linie der Überlastung einzelner Gemeinden innerhalb der Länder durch eine angemessene Verteilung entgegenzuwirken (§ 1 WoZuG) und damit letztlich auch die Bildung von segregativen Quartieren zu verhindern. Als Steuerungsmittel wurde in § 3a WoZuG vorgesehen, dass die Hilfen zum Lebensunterhalt wegfallen sollten, falls die Aussiedler an einem anderen als dem ihnen zugewiesenen Ort ständigen Aufenthalt nehmen. Diese Regelungen wurden vom BVerfG als grundsätzlich verfassungsgemäß angesehen61 und gelten heute als politisch erfolgreiche Maßnahme zur Integration. Die Geltung der Vorschriften endete im Jahre 2009. Nach wie vor enthalten das Asyl- und das Aufenthaltsrecht aber gewisse Möglichkeiten Aufenthalt und Wohnsitznahme von Ausländern zu steuern. Schließlich könnte in letzter Konsequenz auch der Einsatz von Polizei- und Ordnungsrecht in Betracht gezogen werden.
59 Die Wohnsitzregelung in § 12a AufenthG wurde durch Art. 5 des Integrationsgesetzes vom 31.7.2016, BGBl. I 2016, 1939 eingeführt. 60 Gesetz über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Aussiedler und Übersiedler vom 6. Juli 1989, BGBl. I 1989, S. 1378, in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler vom 26. Februar 1996, BGBl. I 1996, S. 223. 61 BVerfG, Urteil vom 17. März 2004, 1 BvR 1266 / 00.
B. Überlegung zur Weiterentwicklung des Instrumentariums239
1. Asylrecht Die Wohnsitznahme von Asylbewerbern wird durch die Vorschriften des Asylgesetzes unmittelbar gesteuert. So bestimmt § 47 Abs. 1 S. 1 Asylgesetz (AsylG)62, dass Ausländer, die einen Asylantrag gestellt haben, verpflichtet sind, bis zu sechs Wochen, längstens jedoch bis zu sechs Monaten, in der für ihre Aufnahme zuständigen Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen. Danach ist die Aufenthaltsgestattung gem. § 56 Abs. 1 AsylG räumlich auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, in dem die für die Aufnahme des Ausländers zuständige Aufnahmeeinrichtung liegt. Nach Ablauf des in § 47 Abs. 1 S. 1 AsylG festgelegten Zeitraums kann dem Asylbewerber der Ort der Wohnsitznahme innerhalb des Bezirks nicht mehr vorgeschrieben werden. Im Gegensatz zu § 47 Abs. 1 S. 1 AsylG bezieht sich die räumliche Beschränkung der Aufenthaltsgestattung nach § 56 Abs. 1 AsylG nicht auf den Wohnsitz, sondern auf den Bezirk der jeweiligen Ausländerbehörde. Durch die in § 56 Abs. 1 AsylG festgelegte räumliche Beschränkung des Geltungsbereiches der Aufenthaltsgestattung kann ethnische Segregation nicht gesteuert werden. Denn die räumliche Beschränkung bezieht sich auf den Bezirk der Ausländerbehörde und nicht auf einzelne Quartiere. Die räumliche Beschränkung ermöglicht damit keine spezifisch quartiersbezogene Steuerung, die im Hinblick auf die Vermeidung bzw. den Abbau ethnischer Segregation in städtischen Quartieren aber erforderlich wäre. 2. Ausländerrecht Mit Inkrafttreten des Integrationsgesetzes63 wurde u. a. im Ausländerrecht nun eine zeitlich befristete Ermächtigung geschaffen, Bestimmungen bzw. Regelungen über die Wohnsitznahme von anerkannten Schutzberechtigten zu treffen. Der neu eingeführte § 12a AufenthG bestimmt in Abs. 1, dass anerkannt Schutzberechtigte verpflichtet sind, in den ersten drei Jahren nach Anerkennung oder Erteilung der Aufenthaltserlaubnis in dem Bundesland ihren Wohnsitz zu nehmen, in dem ihr Asylverfahren durchgeführt wurde. Daneben werden den Landesregierungen in § 12a Abs. 9 AufenthG die Befugnis eingeräumt, die landesinterne Verteilung von anerkannten Schutzberechtigten nach Maßgabe der Abs. 2 bis 4 zu regeln. Die Wohnsitzregelungen des § 12a AufenthG sind zeitlich befristet; sie gelten gem. § 104 Abs. 14 62 Asylgesetz – AsylG in der Fassung der Bekanntmachung vom 2.9.2008, BGBl. I 2008, S. 1798, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 2.2.2016, BGBl. I 2016, S. 130. 63 Integrationsgesetz vom 31.7.2016, BGBl. I 2016, 1939.
240
5. Kapitel: Anwendung der städtebaulichen Instrumente in der Praxis
AufenthG bis zum 6. August 2019. Schon vor Inkrafttreten des Integrationsgesetzes enthielt das Ausländerrecht Möglichkeiten einer Beschränkung von Wohnsitz und Aufenthalt. § 12 Abs. 2 S. 2 AufenthG ermächtigt die Ausländerbehörde dazu, die Aufenthaltserlaubnis mit Auflagen, insbesondere räumlichen Beschränkungen, zu verbinden. Im Folgenden soll die Frage beleuchtet werden, ob der Erlass wohnsitzbeschränkender Auflagen nach § 12 Abs. 2 S. 2 AufenthG bzw. die Befugnisse des Bundes und der Länder zur Regelung des Wohnsitzes nach § 12a AufenthG geeignet sind, der Bildung ethnisch segregierter Quartiere entgegenzuwirken. a) Steuerungsmöglichkeiten durch Erteilung wohnsitzbeschränkender Auflagen zum Aufenthaltstitel Die praktischen Erfahrungen mit dem Instrumentarium des § 12 Abs. 2 S. 2 AufenthG sind eher ernüchternd. Ein Versuch, ethnische Segregation durch Erlass von wohnsitzbeschränkenden Auflagen zum Aufenthaltstitel zu steuern, wurde in den 1970er Jahren in Berlin bereits unternommen. Durch sog. Zuzugssperren sollte die Verfestigung ethnischer Segregation in „überlasteten Siedlungsgebieten“ verhindert werden.64 Rechtsgrundlage für die räumliche Beschränkung von Aufenthaltstiteln war § 7 Abs. 3 AuslG65 i. V. mit § 7 Abs. 1 S. 2 AuslG. Der Erlass derartiger wohnsitzbeschränkender Auflagen knüpfte pauschal an das Merkmal der Staatsangehörigkeit an, ohne dass eine konkrete Prüfung der Umstände im Einzelfall im Hinblick auf die Frage stattfand, ob der Zuzug des Ausländers zu den befürchteten Belastungen der Infrastruktur in den „gesperrten“ Bezirken führte.66 Diese Praxis wurde als rechtswidrig angesehen.67 Die Staatsangehörigkeit allein sage nichts darüber aus, ob die Infrastruktur eines Siedlungsbereiches belastet werde, zumal Ausländer, „die in die deutschen Lebensverhältnisse – entsprechend den Zielen der Ausländerpolitik des Senats von Berlin – integriert worden seien“, sich hinsichtlich der 64 Zum Begriff überlasteter Siedlungsgebiete, s. 2. Kapitel C. IV. 1. c). Der Berliner Senat beschloss eine allgemeine Zuzugssperre für die Bezirke Kreuzberg, Tiergarten und Wedding mit der Begründung, dass der hohe Anteil an Ausländern zu einer zunehmenden Belastung der bezirklichen Infrastruktur geführt habe. 65 Gesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet – Ausländergesetz vom 28. April 1965, BGBl. I 1965, S. 353–362. Das Ausländergesetz ist am 31.12.2004 außer Kraft getreten (Art. 15 Abs. 3 Nr. 1 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004, BGBl. I 2004, S. 2010). Das Ausländergesetz wurde durch das Aufenthaltsgesetz verkündet als Art. 1 des Zuwanderungsgesetzes ersetzt. 66 OVG Berlin, Urteil vom 12. Juli 1979 – I B 119 / 77. 67 OVG Berlin, Urteil vom 12. Juli 1979 – I B 119 / 77.
B. Überlegung zur Weiterentwicklung des Instrumentariums241
Belastung der Infrastruktur nicht von einem deutschen Staatsangehörigen unterschieden.68 Auch unter Berücksichtigung des Gebots gleichmäßiger Gesetzesanwendung (Art. 3 Abs. 1 GG) müssten insoweit die konkreten Umstände des Einzelfalls geprüft werden, d. h. insbesondere die Frage, ob aus familiären, wirtschaftlichen, beruflichen oder ausbildungsbedingten Gründen ein enger Bezug zum „Sperrgebiet“ besteht.69 Die gebotene Einzelfallprüfung verursache einen kaum zu bewältigenden bürokratischen Aufwand, der außer Verhältnis zum Nutzen sog. Zuzugssperren stand. Dies galt vor allem vor dem Hintergrund, dass die Zuzugssperren regelmäßig umgangen werden konnten. Darüber hinaus erschien es kaum denkbar, dass der Zuzug eines einzelnen Ausländers, dazu führt, dass die befürchteten Überlastungen der Infrastruktur in den „gesperrten“ Bezirken tatsächlich eintreten. Im Zusammenhang mit den Möglichkeiten der Steuerung ethnischer Segregation besteht somit das strukturelle Problem, dass nicht pauschal an das Merkmal der Staatsangehörigkeit angeknüpft werden darf. Die Anknüpfung an andere Merkmale zur Steuerung ethnischer Segregation erscheint allerdings kaum möglich; andere Differenzierungsmerkmale, die zur Steuerung ethnischer Segregation geeignet wären, lassen sich in der Praxis kaum finden. Die Erteilung wohnsitzbeschränkender Auflagen zum Aufenthaltstitel zur Steuerung ethnischer Segregation erscheint außerdem deshalb problematisch, weil in diesen Fällen mit ausländerrechtlichen Mitteln die Zusammensetzung der Quartiersbewohnerschaft gesteuert werden soll. Es erscheint zweifelhaft, ob die zuständige Behörde in Ausübung des ihr nach § 12 Abs. 2 S. 2 AufenthG eingeräumten Ermessens Überlegungen mit dem Ziel anstellen dürfte, die Zusammensetzung der Bewohnerstrukturen zu steuern, um der Entstehung bzw. Verfestigung ethnischer Segregation entgegenzuwirken.70 In diesem allgemeinen Zusammenhang können die Erwägungen in der Begründung des Integrationsgesetzes, die als Ziel ausdrücklich einen integrationspolitischen Gesamtansatz und die Vermeidung von integrationshemmenden Segregationstendenzen nennen71, nicht ohne Weiteres herangezogen werden. Denn diese Erwägungen beziehen sich auf die Wohnsitzregelung und damit auf ein zeitlich befristetes Sonderrecht. Auf den Erlass wohnsitzbeschränkender Auflagen passen sie nicht. Es ist davon auszugehen, dass es bei dem Versuch, die vermehrte Ansiedlung von Ausländern in städtischen Ballungsgebieten oder an sozialen Brennpunkten zu verhindern, in der Regel an der 68 Irgang,
Unzulässige Zuzugssperre für Ausländer, S. 539. Frage der Zuständigkeit für Entscheidungen über den Zuzug in Sperrbezirke, s. Irgang, Unzulässige Zuzugssperre für Ausländer, S. 539. 70 Dienelt, in: Renner / Bergmann / Dienelt, § 12 AufenthG Rn. 10. 71 BT-Drs. 18 / 8615, S. 3. 69 Zur
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5. Kapitel: Anwendung der städtebaulichen Instrumente in der Praxis
Zweckmäßigkeit und Geeignetheit der Auflage fehlen wird.72 Die Entlastung von Ballungsräumen bedarf der überörtlichen Steuerung und kann von der einzelnen Ausländerbehörde kaum bewirkt werden. Hinzukommt, dass wohnsitzbeschränkende Auflagen nach § 12 Abs. 2 S. 2 AufenthG auch nicht quartiersbezogen sind. Sie beziehen sich räumlich vielmehr auf bestimmte Teile des Bundesgebiets.73 Durch den Erlass wohnsitzbeschränkender Auflagen soll vielmehr die Verlagerung der Inanspruchnahme von Sozialleistungen, die durch Binnenwanderung von Ausländern entstehen können, und vor allem die missbräuchliche doppelte Inanspruchnahme von Sozialleistungen weitgehend vermieden werden.74 b) Steuerungsmöglichkeiten durch die Wohnsitzregelung in § 12a AufenthG In § 12a Abs. 1 AufenthG wurde die Befugnis geschaffen, anerkannte Flüchtlinge, subsidiär Schutzberechtigte und Asylberechtigte sowie Inhaber bestimmter humanitärer Aufenthaltstitel dazu zu verpflichten, in dem Bundesland ihren Wohnsitz zu nehmen, das zur Durchführung des Asylverfahrens für sie zuständig war.75 Darüber hinaus ermächtigen die Regelungen in § 12a Abs. 2 bis 4 AufenthG die Landesbehörden dazu, die Betroffenen dazu zu verpflichten, an einem bestimmten Ort innerhalb des Bundeslandes ihren Wohnsitz zu nehmen.76 aa) Wohnsitzregelung zwischen den Bundesländern § 12a Abs. 1 S. 1 AufenthG bestimmt, dass „zur Förderung seiner nachhaltigen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland [ist] ein Ausländer, der als Asylberechtiger, Flüchtling (…) oder subsidiär Schutzberechtigter (…) anerkannt worden ist (…), verpflichtet, für den Zeitraum von drei Jahren ab Anerkennung oder Erteilung der Aufenthalts erlaubnis in dem Land seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen, in das er zur Durchführung seines Asylverfahrens oder im Rahmen seines Aufnahmeverfahrens zugewiesen worden ist“. Von der automatischen Zuweisung in ein 72 Dienelt, in: Renner / Bergmann / Dienelt, § 12 AufenthG Rn. 10; zu der Vereinbarkeit wohnsitzbeschränkender Auflagen mit völkerrechtlichen Verträgen und der Genfer Flüchtlingskonvention, s. Fritzsch, Zur Zulässigkeit wohnsitzbeschränkender Auflagen, S. 356 ff. 73 Maor, in: Kluth / Heusch, § 12 AufenthG Rn. 15. 74 Fritzsch, Zur Zulässigkeit wohnsitzbeschränkender Auflagen, S. 356. 75 Eichenhofer, Integrationsgesetzgebung, S. 259. 76 Harbour, Das Integrationsgesetz, S. 1197 f.
B. Überlegung zur Weiterentwicklung des Instrumentariums243
bestimmtes Bundesland werden diejenigen Personen erfasst, die einer Verteilung im Rahmen des Asylverfahrens oder im Rahmen eines Aufenthaltsverfahrens nach den §§ 22, 23 AufenthG unterliegen und deren Aufenthaltstitel auf humanitären Gründen beruht und die auf nicht absehbare Zeit nicht in ihre Heimat zurückkehren können.77 Ein anerkannter Asylbewerber, dessen Kernfamilienmitglied in einem anderen Bundesland in dem erforderlichen Umfang arbeitet, muss also zunächst eine Genehmigung beantragen, um dorthin umziehen zu können.78 Aus dem Anwendungsbereich sind gem. § 12a Abs. 1 S. 2 AufenthG diejenigen Personen ausgenommen, die selbst oder deren engste Familienangehörige durch die Aufnahme einer sozial versicherungspflichtigen Beschäftigung mit einem Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich, bereits einen Beitrag zur Integration leisten, wenn damit mindestens ein Einkommen in Höhe des monatlichen durchschnitt lichen Bedarfs nach den §§ 20 und 22 SGB II für eine Einzelperson erzielt wird. Gleiches gilt für Personen, die sich im Rahmen einer Ausbildung oder eines Studiums bereits um Integration bemühen. Zwar ermöglicht die Regelung in § 12a Abs. 1 S. 1 AufenthG mit der Zuweisung zu einem Bundesland kraft Gesetzes eine Steuerung der Wohnsitznahme von anerkannt Schutzberechtigten. Die Regelung umfasst aber nicht die Befugnis zur Regelung des Wohnsitzes auf kleinräumiger Ebene, z. B. auf Quartiers- bzw. Stadtteilebene. Damit entfaltet die Wohnsitzregelung des § 12a Abs. 1 AufenthG keine Steuerungsmöglichkeiten ethnischer Segregation, da diese auf Quartiersebene vorgenommen werden müsste. bb) Wohnsitzregelung innerhalb der Bundesländer Die Befugnis zur Regelung des Wohnsitzes innerhalb der Bundesländer und damit auf kleinräumiger Ebene ist den Landesregierungen durch entsprechende Verordnungsermächtigungen eingeräumt worden. Die Länder werden in § 12a Abs. 9 AufenthG dazu ermächtigt, durch Rechtsverordnung Regelungen zur landesinternen Verteilung anerkannter Schutzbedürftiger im Inte resse gelingender Integration im Hinblick auf Organisation, Verfahren und Wohnraum zu erlassen. Die Steuerungswirkungen der Wohnsitzregelungen innerhalb der Bundeländer nach Maßgabe der Abs. 2 bis 4 hängen zunächst einmal davon ab, ob und in welchem Umfang die Landesregierungen von ihrer Ermächtigung zum Erlass entsprechender Rechtsverordnungen Gebrauch machen. Zum jet-
77 s. BT-Drs. 78 Thym,
S. 246.
18 / 8615, S. 44. Integration kraft Gesetzes? Grenzen und Inhalte des Integrationsgesetzes,
244
5. Kapitel: Anwendung der städtebaulichen Instrumente in der Praxis
zigen Zeitpunkt hat, soweit ersichtlich, lediglich Bayern79 eine entsprechende Rechtsverordnung erlassen. Die Länder Baden-Württemberg80 und Nordrhein-Westfalen81 haben vorläufige Anwendungshinweise bzw. einen entsprechenden Entwurf zum Erlass der Rechtsverordnung zur Durchführung von § 12a AufenthG veröffentlicht. Das Land Niedersachsen hat dagegen durch Erlass verfügt, dass von der Befugnis zum Erlass einer Rechtsverordnung zur Durchführung von § 12a AufenthG zum jetzigen Zeitpunkt kein Gebrauch gemacht wird.82 Sodann hängen die Steuerungswirkungen davon ab, ob sich Regelungen dieser Art in der Praxis erfolgreich umsetzen lassen. Bei den Steuerungswirkungen ist zwischen positiven und negativen Wohnortzuweisungen zu unterscheiden. (1) Positive Wohnortzuweisung Die Landesbehörden können nach § 12a Abs. 2 AufenthG den Wohnsitz zuweisen, um „integrationshemmenden Wohnverhältnissen“ abzuhelfen und zu einer „erfolgreichen Integration“ beizutragen.83 Der Anwendungsbereich des § 12a Abs. 2 AufenthG umfasst, im Unterschied zu Abs. 1, „nur“ Ausländer, die der Verpflichtung nach Abs. 1 unterliegen und die außerdem in einer Aufnahmeeinrichtung oder einer anderen vorübergehenden Unterkunft wohnen. Die positive Wohnortzuweisung nach § 12a Abs. 3 AufenthG unterliegt dagegen nicht diesem beschränkten Anwendungsbereich des Abs. 2. Dafür bedarf es einer einzelfallbezogenen Prüfung im Rahmen einer zukunftsgerichteten Prognose84 auf Grundlage der in § 12a Abs. 3 Nr. 1 bis 3 AufenthG 79 Verordnung zur Durchführung des Asylgesetzes, des Aufnahmegesetzes und des § 12a Aufenthaltsgesetzes (Asyldurchführungsverordnung – DVAsyl) vom 16. August 2016, GVBl. 2016, S. 258, BayRS 26-5-1-A / I, gem. § 30 Abs. 1 am 1. September 2016 in Kraft getreten. 80 Vorläufige Anwendungshinweise des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration zu § 12a AufenthG vom 5. September 2016, Az. 4-1310 / 182, abrufbar unter: http: / / www.staedtetag-bw.de / media / custom / 2295_79977_1.PDF?1473932418. 81 Entwurf einer Verordnung zur Regelung des Wohnsitzes für anerkannte Flüchtlinge und Inhaberinnen und Inhaber bestimmter humanitärer Aufenthaltstitel nach dem Aufenthaltsgesetz (Ausländer-Wohnsitzregelungsverordnung – AWoV) vom 13. September 2016, abrufbar unter: https: / / www.landtag.nrw.de / portal / WWW / doku mentenarchiv / Dokument / MMV16-4239.pdf. 82 Erlass des Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport, vom 20. September 2016, abrufbar unter: http: / / www.nds-fluerat.org / wp-content / uploads / 2016 / 09 / 20160920-RdErl.-20.09.2016-WS-Auflage-Umsetzung-in-NI-1.pdf. 83 BT-Drs. 18 / 6815, S. 45. 84 s. auch BT-Drs. 18 / 6815, S. 45.
B. Überlegung zur Weiterentwicklung des Instrumentariums245
genannten Kriterien.85 Die positive Wohnortzuweisung nach § 12a Abs. 3 AufenthG dürfte aufgrund des höheren Begründungsaufwands in der Praxis deshalb eher eine geringere Rolle spielen.86 Die bayerische Rechtsverordnung zur Durchführung von § 12a AufenthG87 sieht in § 3 Abs. 1 beispielsweise eine Quotenregelung als Maßstab für die Verteilung des Wohnsitzes anerkannt Schutzberechtigter auf die Regierungsbezirke vor. Für die Verteilung innerhalb der Regierungsbezirke, d. h. auf die Landkreise bzw. die kreisfreien Gemeinden, legt § 3 Abs. 2 der Verordnung ebenfalls Quoten fest. Von den festgelegten Quoten kann nach Maßgaben von § 3 Abs. 2 S. 2 der Verordnung allerdings auch abgewichen werden. Daneben sieht § 9 Abs. 1 S. 1 der bayerischen Rechtsverordnung vor, dass aus Gründen des öffentlichen Interesses88 oder auf Antrag eines Ausländers, der nach § 1 Asylbewerberleistungsgesetz leistungsberechtigt ist, eine landesinterne Umverteilung in einen anderen Landkreis oder eine andere kreisfreie Gemeinde im selben oder in einem anderen Regierungsbezirk vorgenommen werden kann. Nach § 9 Abs. 1 S. 2 der Verordnung kann aus den gleichen Gründen die Person aufgefordert werden, in eine andere Wohnung, in eine andere Unterkunft, in eine Gemeinschaftsunterkunft oder dezentrale Unterkunft innerhalb des Landkreises oder der kreisfreien Gemeinde umzuziehen. Der Verordnungsentwurf der nordrhein-westfälischen Landesregierung89 sieht als Verfahren zur landesinternen Zuweisung des Wohnsitzes einen sog. Integrationsschlüssel vor, durch den letztlich auch eine Quote für jede Gemeinde errechnet wird. Im Gegensatz zur bayerischen Verordnung enthält der nordrhein-westfälische Verordnungsentwurf keine vergleichbare Regelung zur landesinternen Umverteilung innerhalb der Gemeinden. Damit ermöglicht allein die bayerische Rechtsverordnung eine Regelung des Wohnsitzes auf einer kleinräumigeren Ebene. Dies erhöht tendenziell die Steuerungsmöglichkeiten, der Bildung ethnisch segregierter Quartiere entgegenzuwirken. Die Umsetzung der Wohnsitzregelung wird in der Praxis jedoch auf Schwierigkeiten stoßen. Denn die zuständige Landesbehörde kann nur insoweit anerkannt Schutzberechtigten Wohnungen zuweisen, wie diese auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Zwar ist durch die Rechtsverordnung eine kleinräumige Steuerung auch auf Quartiersebene möglich, von der Rege85 Thym, Integration kraft Gesetzes? Grenzen und Inhalte des Integrationsgesetzes, S. 247. 86 Thym, Integration kraft Gesetzes? Grenzen und Inhalte des Integrationsgesetzes, S. 247. 87 s. Fn. 79. 88 Die Gründe des öffentlichen Interesses werden in § 9 Abs. 5 beispielhaft aufgezählt. 89 s. Fn. 81.
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5. Kapitel: Anwendung der städtebaulichen Instrumente in der Praxis
lungsmöglichkeit kann aber faktisch nur insoweit Gebrauch gemacht werden, wie seitens der Kommunen entsprechender Wohnraum für anerkannt Schutzberechtigte bereitgestellt werden kann. Dies gilt auch für die Quotenverteilung auf die Regierungsbezirke bzw. Gemeinden. Denn auch dort müssen hinreichende Unterbringungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. (2) Negative Wohnortzuweisung Darüber hinaus kann nach § 12a Abs. 4 S. 1 AufenthG ein Ausländer zur Vermeidung von sozialer und gesellschaftlicher Ausgrenzung bis zum Ablauf von drei Jahren ab Anerkennung oder Erteilung der Aufenthaltserlaubnis90 auch dazu verpflichtet werden, seinen Wohnsitz nicht an einem bestimmten Ort zu nehmen, „insbesondere wenn zu erwarten ist, dass der Ausländer Deutsch dort nicht als wesentliche Verkehrssprache nutzen wird“. Damit werden die Landesbehörden auch dazu ermächtigt, „den Zuzug in Gebiete mit erhöhten Segregationsrisiken im Einzelfall zu untersagen“.91 Verpflichtet die zuständige Landesbehörde einen Ausländer, der dem Anwendungsbereich des § 12a Abs. 1 S. 1 AufenthG unterliegt, seinen Wohnsitz nicht an einem bestimmten Ort zu nehmen, muss sie darlegen, dass an diesem „überlasteten“ Ort eine soziale und gesellschaftliche Ausgrenzung von der „Mehrheitsgesellschaft“92 droht. Die Verkehrssprache ist in diesem Zusammenhang als wesentliches Kriterium zur Vermeidung von sozialer und gesellschaftlicher Ausgrenzung anzusehen. Die gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass der Europäische Gerichtshof die Sprache als zentrales und messbares Kriterium für eine erfolgreiche Integration ansieht.93 Negative Zuzugsverbote verlangen eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Situation vor Ort, auch wenn die Begründungen wohl auch für eine Mehrzahl von Einzelfällen verwendet werden können und daher den zuständigen Landesbehörden den administrativen Aufwand erleichtern.94 Gleichwohl haben bisher weder die bayerische noch die nordrhein-westfälische Landesregierung von der Ermächtigung Gebrauch gemacht, den Zuzug in bestimmte Orte zu beschränken oder zu verbieten. Durch negative Zuzugsverbote könnte allerdings der Verfestigung ethnisch segregierter Quar90 Entsprechend
der Frist nach § 12a Abs. 1 S. 1 AufenthG. 18 / 6815, S. 45. 92 Die Ausgrenzung bezieht sich nicht auf das Verhältnis innerhalb ethnisch-kultureller Gruppen, s. dazu, Thym, Integration kraft Gesetzes? Grenzen und Inhalte des Integrationsgesetzes, S. 247. 93 EuGH, Urt. V. 4. Juni 2015, C-579 / 13, Rn. 42 juris. 94 Thym, Integration kraft Gesetzes? Grenzen und Inhalte des Integrationsgesetzes, S. 247. 91 BT-Drs.
B. Überlegung zur Weiterentwicklung des Instrumentariums
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tiere entgegengewirkt werden. Allerdings besteht auch hier, ähnlich wie bei den Zuweisungen, die Gefahr, dass sie umgangen werden. (3) Fazit Im Ergebnis handelt es sich bei den Wohnsitzregelungen des Ausländerrechts um Instrumente, die zur Vermeidung ethnischer Segregation eingesetzt werden können. Durch die Ermächtigung zur Regelung des Wohnsitzes werden die Eingriffsbefugnisse der zuständigen Landesbehörden stark erweitert, weshalb die Wohnsitzregelung in der Literatur zum Teil kritisiert wird.95 Bei der Beurteilung der Steuerungseignung von Wohnsitzregelungen ist aber schließlich zu berücksichtigen, dass es sich gem. § 104 Abs. 19 AufenthG lediglich um eine zeitlich befristete Ermächtigung zur Regelung des Wohnsitzes handelt; sie stellt eine Art Notbehelf für die Landesbehörde dar, um „integrationshemmende Wohnverhältnisse“ zu vermeiden.96 Es handelt sich also nicht um ein dauerhaftes Steuerungsinstrument zur Vermeidung ethnischer Segregation. Vielmehr ist die erweiterte Eingriffsbefugnis zur Wohnsitzregelung nur situationsbezogen wegen der hohen Zahl von Flüchtlingen eingeführt worden, die im Jahr 2015 nach Deutschland gekommen sind. Die Wohnsitzregelung stellt vor diesem Hintergrund kein nachhaltiges Steuerungsinstrument dar, das dauerhaft zur Vermeidung ethnischer Segregation eingesetzt werden kann. Es handelt sich lediglich um eine Sonderregelung, deren Praxistauglichkeit und Gerichtsfestigkeit bisher ungeklärt ist und eher zweifelhaft sein dürfte. 3. Polizeirechtliche Eingriffsbefugnisse zur Steuerung von Segregation Zu überlegen ist, ob auf Grundlage des Polizeirechts der Länder eine Steuerung sozialer und bzw. oder ethnischer Segregation in Betracht kommt. Voraussetzung für die Anwendbarkeit von ordnungsrechtlichen Eingriffsbefugnissen ist die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Das gilt sowohl für die polizeirechtliche Generalklausel als auch für die diversen polizeirechtlichen Standardmaßnahmen. Außerdem lassen sich Maßnahmen nur gegen polizeipflichtige Personen, insbesondere gegen Störer richten. Schließlich müssen die Maßnahmen dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügen. Die Auswirkungen sozialer bzw. ethnischer Segregation müssten Missstände hervorrufen, die bei ungehindertem Fortgang in 95 Eichenhofer, 96 s. dazu,
Integrationsgesetzgebung, S. 260 m. w. N. Eichenhofer, Integrationsgesetzgebung, S. 259.
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5. Kapitel: Anwendung der städtebaulichen Instrumente in der Praxis
absehbarer Zeit zu einem Schaden an Individualrechtsgütern, der Unversehrtheit der Rechtsordnung oder des Bestandes und der Veranstaltungen des Staates und anderer Hoheitsträger führen.97 Es ist zwar denkbar, dass die Auswirkungen sozialräumlicher Segregation mittelbar zu staatlichen Missständen führen, die vereinzelt auch Situationen hervorrufen können, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. Es kann aber keine Steuerung von Segregation auf polizeirechtlicher Grundlage stattfinden. Denn die Zusammensetzung der Quartiersbewohnerschaft stellt an sich keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Denkbar ist lediglich, dass es bei einer bestimmten Zusammensetzung der Quartiersbewohnerschaft häufiger zu Situationen kommt, die die Durchführung von Maßnahmen der Gefahrenabwehr erforderlich machen. Schließlich zielen die Maßnahmen zur Behebung dieser Gefahrenlagen nicht darauf ab, die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu verändern, sondern die akute Gefahrenlage zu beenden. Insoweit kommt eine Erweiterung staatlicher Eingriffsbefugnisse auf polizeirechtlicher Grundlage zur Steuerung von sozialen und bzw. oder ethnischen Segrega tionserscheinungen nicht in Betracht.
III. Ausblick Die städtebauliche Entwicklung ist wegen der ihr innewohnenden Dynamik durch Planungsinstrumente nur bedingt steuerbar. Zwar konnte gezeigt werden, dass insbesondere durch Planungsinstrumente des besonderen Städtebaurechts Steuerungsmöglichkeiten im Hinblick auf den Abbau bzw. die Vermeidung sozialer und in geringem Umfang auch ethnischer Segregation bestehen. Diese wirken sich allerdings durchweg lediglich mittelbar und langfristig aus und setzen oftmals auch eine (kaum steuerbare) Bereitschaft zur Mitwirkung der Wohnbevölkerung im Quartier voraus. Außerhalb des Städtebaurechts ist demgegenüber mit der Einführung der Wohnsitzregelungen in § 12a AufenthG eine weitreichende Möglichkeit zur unmittelbaren Steuerung ethnischer Segregationsprozesse geschaffen worden. Mit der Umsetzung der in § 12a Abs. 2 bis 4 AufenthG enthaltenen Regelungsmöglichkeiten stehen den Landesbehörden nun Befugnisse zur unmittelbaren Steuerung der Wohnsitznahme von anerkannt Schutzberechtigten zur Verfügung. Damit besteht ein starkes (Eingriffs-)Instrument, mit dem der Entstehung und vor allem der Verfestigung ethnisch segregierter Quartiere entgegengewirkt werden kann. Dennoch wird die Ermächtigung zur unmittelbaren Bestimmung des Wohnsitzes nur insoweit Steuerungswirkungen entfalten, wie ausreichend geeigneter Wohnraum vorhanden ist. Die Steuerungsmöglichkeiten der Wohnsitzregelung werden dagegen folgenlos bleiben, 97 s. nur
OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. 24.06.2008 –9 A 3961 / 06, Rn. 46 juris.
B. Überlegung zur Weiterentwicklung des Instrumentariums249
wenn und soweit kein entsprechender Wohnraum bereitgestellt und zugewiesen werden kann. Hierin kommt das strukturelle Problem der Steuerung von sozialen und ethnischen Segregationserscheinungen zum Ausdruck. Die Verteilung der Wohnbevölkerung in städtischen Ballungsräumen ist letztlich das Ergebnis von Angebot und Nachfrage auf dem (weitgehend nicht regulierten) Wohnungsmarkt. Die finanziell Bessergestellten haben Wahlmöglichkeiten und können ihren Wohnort nach individuellen Präferenzen auswählen. Demgegenüber sind benachteiligte Bevölkerungsgruppen auf die Quartiere mit geringem Mietpreisniveau angewiesen. Die Möglichkeiten staatlicher Steuerung bzw. Regelung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung stoßen insoweit an tatsächliche Grenzen. Dies gilt vor allem in Situationen, in denen kein ausreichender Wohnraum in bestimmten Quartieren zur Verfügung steht bzw. Vermieter nicht bereit sind, ihre Wohnungen an bestimmte Personen zu vermieten. Insoweit ist die soziale Segregation auch das räumliche Abbild sozialer Ungleichheiten in der Gesellschaft. Dies belegt auch der historische Abriss der Stadtgeschichte: Während die Bürger- und Residenzstädte kaum von Segregationsstrukturen betroffen waren, kam es zur Entstehung sozialer Segregation erst mit Auflösung der mittelalterlichen Stadtstrukturen insbesondere im Zuge der Industrialisierung. Die mit der Industrialisierung verbundene Abkehr vom stärker genossenschaftlich geprägten Gesellschaftssystem hin zur Etablierung einer industriellen und kapitalistischen Ordnung, führte zur Entstehung bzw. Ausbreitung sozialer Unterschiede, die räumlich in sozial segregierten Quartieren ihren Ausdruck fanden. Je stärker der soziale Zusammenhalt einer Gesellschaft ist, desto weniger ist diese von sozialer Segregation betroffen. Vor diesem Hintergrund sind auch die Möglichkeiten staatlicher Steuerung zu bewerten. Zwar kann in einem liberalen System durch staatliche Steuerung und Regulierung in gewissem Maße der Entstehung und Ausbreitung von Segregationsstrukturen entgegengewirkt werden, etwa durch die Förderung des sozialen Wohnungsbaus oder der Durchführung von städtebaulichen Maßnahmen, beispielsweise von Sanierungsmaßnahmen. Diese können aber letztlich nur in einem von vornherein begrenzten Umfang die sozialen und gesellschaftlichen Unterschiede „räumlich“ ausgleichen. In diesem Zusammenhang bleibt auch abzuwarten, inwieweit die Herausforderung der Integration anerkannt Schutzberechtigter gelingen wird, insbesondere auch inwieweit durch die Regelung des Wohnsitzes hierzu beigetragen werden kann.
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5. Kapitel: Anwendung der städtebaulichen Instrumente in der Praxis
C. Zusammenfassung der Ergebnisse 1. Gegenstand der Untersuchung sind soziale und ethnische Segregationserscheinungen. Der Begriff der Segregation wird seit Anfang des 20. Jahrhunderts verwendet und geht auf die soziologischen Untersuchungen der Chicagoer Schule zurück. Unter dem Begriff der Segregation wird sowohl ein sozialer Prozess verstanden, bei dem sich Siedlungsräume im Hinblick auf demographische, soziale und bzw. oder ethnische Merkmale entmischen als auch das Ergebnis dieses Prozesses, also der Zustand der Ungleichverteilung von Bevölkerungsgruppen nach den genannten Merkmalen. 2. Die Begriffe „Segregation“ und „Integration“ hängen eng miteinander zusammen. Dabei führt die Abwesenheit von „Integration“ nicht automatisch zu segregierten Zuständen. Ethnische Segregation erschwert aber tendenziell Integrationsprozesse. 3. Soziale und ethnische Segregationen können auf verschiedenen räumlichen Ebenen vorkommen. Im Hinblick auf die Untersuchung städtebaulicher Steuerungsmöglichkeiten steht das Quartier im Vordergrund. Der Begriff des Quartiers ist kein Rechtsbegriff, sondern ein stadtsoziologischer Begriff, der einen räumlich abgegrenzten Bereich umschreibt, in dem sich Bevölkerungsstrukturen gut beobachten und klassifizieren lassen. Der räumliche Bereich eines Quartiers ist durch homogene bauliche Strukturen und / oder homogene Nutzungsstrukturen gekennzeichnet, die sich deutlich von der Umgebung abgrenzen. 4. Die Entwicklung der Stadtgeschichte zeigt, dass es sich bei der Segregation um ein relativ junges Phänomen handelt. Die vormodernen Städte waren kaum von sozialer Segregation betroffen. Es gab aber ethnische Segregation und Ausgrenzungen, wie z. B. in den sog. „Judenvierteln“. 5. Mit Auflösung der mittelalterlichen Stadtstrukturen durch die Industrialisierung und den damit verbundenen Urbanisierungsprozessen breiteten sich soziale und auch ethnische Segregationsstrukturen aus. Grund hierfür war auch das Fehlen staatlicher Steuerung. Zwar waren in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg sowie in der Weimarer Zeit schon städtebauliche Steuerungsansätze vorhanden, diese reichten aber nicht aus, den sozialen Unterschieden auch räumlich entgegenzuwirken. 6. Die umfangreiche staatliche Förderung des sozialen Wohnungsbaus nach dem Zweiten Weltkrieg trug zum Abbau sozialer Segregation bei. Die seinerzeit übliche Unterbringung von Gastarbeitern in der Nähe ihrer Arbeitsplätze leistete aber der Entstehung ethnischer Segregation tendenziell Vorschub. Nach der Wiedervereinigung breiteten sich aufgrund einer hohen
C. Zusammenfassung der Ergebnisse251
Zahl an Zuwanderern und hoher Arbeitslosigkeit sowie Zugangsproblemen auf dem Wohnungsmarkt soziale und ethnische Segregation weiter aus. 7. Als Ursachen für die Entstehung sozialer Segregation sind vor allem ein angespannter Wohnungsmarkt in Städten, d. h. ein insgesamt hohes Mietpreisniveau, bei langfristig absinkender Bereitstellung von Fördermitteln im Bereich des sozialen Wohnungsbaus auszumachen. Dies gilt auch für ethnische Segregation, soweit diese mit sozialer Segregation einhergeht. Die Ursachen für die Entstehung ethnischer Segregation bestehen u. a. darin, dass ein großer Teil der neu ankommenden Zuwanderer solche Quartiere als Wohnorte bevorzugen, in denen sie Verwandte oder Freunde haben und in denen bereits ethnische Strukturen vorhanden sind. 8. Ob es bei der Unterbringung der hohen Zahl von Flüchtlingen zu ethnischer Segregation kommt, lässt sich zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht sicher vorhersagen. Es deutet aber einiges darauf hin, dass Großunterbringungen für Flüchtlinge geschaffen und bereitgestellt werden, die zur Entstehung ethnischer Segregation führen können. 9. Das BBauG von 1960 enthielt noch keine Regelungen zu städtebaulichen Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen. Diese wurden erst durch das Städtebauförderungsgesetz von 1971 geregelt. Damit konnten Städte und Gemeinden Stadtquartiere zu Sanierungsgebieten erklären und Aufwertungsmaßnahmen auf Grundstücken im Quartier bewirken. 10. Nach der Wiedervereinigung war in den neuen Bundesländern die städtebauliche Erneuerung der Stadtquartiere, die sich teilweise in einem katastrophalen baulichen Zustand befanden, vorrangiges Ziel. Westdeutschland stand demgegenüber vor der Herausforderung, eine hohe Zahl an Zuwanderern auf der Grundlage einer ausgewogenen Stadtentwicklungsplanung sozial zu integrieren. 11. Da das städtebauliche Instrumentarium sich als nicht ausreichend erwies, wurden seit den 1970er Jahren weitere städtebauliche und sonstige Instrumente zur Steuerung der Durchmischung von Bewohnerstrukturen geschaffen. So wurden sog. Zuzugssperren für Ausländer in „überlastete Siedlungsgebiete“ eingeführt. Außerdem wurde in den 1990er Jahren das Wohnortzuweisungsgesetz erlassen, durch das die Wohnsitznahme von Volksdeutschen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion und des Baltikums in Deutschland reglementiert wurde. Schließlich wurde 1999 das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ ins Leben gerufen, das darauf ausgerichtet war, benachteiligte Stadtquartiere zu stabilisieren. Dieses Instrument wurde zusammen mit dem städtebaulichen Instrument des Stadtumbaus durch das Gesetz zur Anpassung des Baugesetzbuches an die EU-Richtlinien (EAG-Bau) im Jahr 2004 gesetzlich geregelt.
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5. Kapitel: Anwendung der städtebaulichen Instrumente in der Praxis
12. Der aktuellen Städteplanung des 21. Jahrhunderts liegt das Modell der integrierten Stadtentwicklung zugrunde. Sie geht davon aus, dass eine nachhaltige Quartiersentwicklung nicht nur mit der Durchführung „rein“ städtebaulicher Maßnahmen erreicht werden kann. Vielmehr bedarf es einer ressort- und fachübergreifenden Zusammenarbeit öffentlicher Stellen und der Bündelung entsprechender Fördermittel. 13. Im Städtebaurecht gilt der Grundsatz bevölkerungsstruktureller Neutralität. Das Städtebaurecht ist im Hinblick auf die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung grundsätzlich neutral. Es ist darauf ausgerichtet, sozial stabile Bewohnerstrukturen zu schaffen und zu erhalten. Soziale und ethnische Segregation sind insoweit nicht per se als Missstand anzusehen, weil sie auch sozial stabile Bewohnerstrukturen aufweisen können. Typischerweise sind die Bewohnerstrukturen in sozial und ethnisch segregierten Quartieren allerdings durch eine geringere soziale Stabilität gekennzeichnet. Insoweit ist die Gefahr, dass städtebauliche und / oder soziale Nachteile bzw. Missstände entstehen, in segregierten Bewohnerstrukturen deutlich höher. 14. Es bestehen kaum Möglichkeiten der Steuerung im Hinblick auf die Vermeidung bzw. den Abbau von Segregation in der Bauleitplanung. Die klassische Bauleitplanung ist „Angebotsplanung“. Der Bebauungsplan eröffnet insoweit lediglich die Befugnis zur Verwirklichung zulässiger Vorhaben. Etwas anderes gilt lediglich bei vorhabenbezogenen Bebauungsplänen nach § 12 Abs. 1 BauGB. 15. Mit der Festsetzung von Flächen nach § 9 Abs. 1 Nr. 7 BauGB lassen sich Segregationserscheinungen allenfalls mittelbar steuern. Bei der Festsetzung von Flächen für „Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf“ nach § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB muss der „besondere Wohnbedarf“ nach h. M. durch spezifisch bauliche Anforderungen an Wohngebäude zum Ausdruck kommen. Eine erweiternde Auslegung des Begriffs „besonderer Wohnbedarf“ zugunsten von Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund oder einkommensschwächeren Bevölkerungsgruppen kommt danach nicht in Betracht. 16. Durch die Festlegung der Art baulicher Nutzungen werden Quartiersstrukturen und Nutzungsmischungen im Quartier festgelegt. Insoweit ergeben sich mittelbare Steuerungswirkungen im Hinblick auf die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung. Durch die Festlegung des Maßes baulicher Nutzung und der Bauweise werden die Intensität der zulässigen Grundstücksnutzung bestimmt, wodurch sich ebenfalls gewisse Steuerungswirkungen im Hinblick auf die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung ergeben können. 17. Das der BauNVO zugrundeliegende Konzept qualitativ abgestufter Wohngebiete ist tendenziell segregationsfördernd. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit der Festsetzung von „reinen“ Wohngebieten.
C. Zusammenfassung der Ergebnisse253
18. Die städtebauliche Sanierungsmaßnahme ist ein Instrument des besonderen Städtebaurechts, das darauf ausgerichtet ist, städtebauliche Missstände zu beheben. Soziale Segregation kann die Entstehung von städtebaulichen Missständen in Form von Substanzschwächen und Funktionsmängeln zur Folge haben. Umgekehrt kann das Vorhandensein von Substanzschwächen die Entstehung von sozialer Segregation begünstigen. Ethnische Segregation steht tendenziell nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Entstehung von Substanzschwächen. 19. Ethnische Segregation kann zu quartiersspezifischen Missständen führen, die als städtebauliche Missstände in Form von Funktionsmängeln anzusehen sind. Die ist etwa der Fall, wenn sich in Quartieren sog. Parallelstrukturen herausbilden. 20. Die Durchführung von städtebaulichen Ordnungs- und Baumaßnahmen zur Aufwertung und Modernisierung von Quartieren kann eine dynamische Quartiersentwicklung in Gang setzen, die mittelbar zum Abbau sozialer Segregation beitragen kann. Im Hinblick auf ethnische Segregation können sich durch Aufwertung und Modernisierung ähnliche Steuerungswirkungen ergeben, die aber regelmäßig weniger wirkungsvoll sind. 21. Durch die umfassende Aufwertung von Quartieren aufgrund der Durchführung von Sanierungsmaßnahmen kann es zur Verdrängung der ortsansässigen Bevölkerung und zur Entstehung sozialer Segregation an anderer Stelle kommen. Im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet gilt ein Genehmigungsvorbehalt für sanierungsrechtlich relevante Vorhaben. Auf diese Weise können Luxusmodernisierungen, die Verdrängungsprozesse der einkommensschwächeren Bevölkerungsgruppen auslösen können, erschwert werden. Die Festlegung von Mietobergrenzen zur Sicherung sozialer Ziele im Gebiet ist dagegen nicht zulässig. 22. Die Gemeinde kann städtebauliche Entwicklungsbereiche zur erstmaligen Entwicklung oder zur städtebaulichen Neuordnung von Ortsteilen festlegen. Die Entwicklungsmaßnahme zur städtebaulichen Neuordnung darf derzeit in sozial und ethnisch segregierten nicht allein mit dem Ziel durchgeführt werden, vorhandene Segregationserscheinungen abzubauen. Es können sich aber mittelbare Steuerungswirkungen im Hinblick auf soziale Segregation dadurch ergeben, dass das Angebot an preiswertem Wohnraum im innerstädtischen Bereich erweitert wird. 23. Die Gemeinde kann Gebiete festlegen, in denen sie Stadtumbaumaßnahmen mit dem Ziel durchführt, städtebauliche Funktionsverluste durch Anpassungen zur Herstellung nachhaltiger städtebaulicher Strukturen vorzunehmen. Soziale und ethnische Segregation kann die Entstehung von städtebaulichen Funktionsverlusten begünstigen. Umgekehrt kann das Vorhanden-
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5. Kapitel: Anwendung der städtebaulichen Instrumente in der Praxis
sein derartiger Funktionsverluste die Entstehung sozialer Segregation fördern. Die Durchführung von Stadtumbaumaßnahmen kann mittelbare Steuerungswirkungen zum Abbau sozialer Segregation entfalten. Sie kann aber nicht zum Abbau ethnischer Segregation eingesetzt werden. 24. Mit der Durchführung städtebaulicher Maßnahmen der Sozialen Stadt kann die Gemeinde Ortsteile oder andere Teile des Gemeindegebiets, in denen soziale Missstände vorhanden sind oder ein besonderer Entwicklungsbedarf besteht, stabilisieren und aufwerten. Wenn segregierte Gebiete aufgrund der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung und der wirtschaftlichen Situation der darin lebenden Menschen erheblich benachteiligt sind, liegen die Voraussetzungen für die Annahme eines sozialen Missstands vor. 25. Die Durchführung von Maßnahmen der Sozialen Stadt umfasst nicht nur städtebauliche Maßnahmen wie die Aufwertung von Quartiersstrukturen oder baulicher Anlagen, sondern auch nicht-investive Maßnahmen, z. B. solche zur Stärkung der sozialen und nachbarschaftlichen Beziehungen im Quartier oder zur Stärkung der Integration (z. B. Sprachkurse). 26. Mit dem Erlass von Milieuschutzsatzungen kann die Gemeinde die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aus besonderen städtebaulichen Gründen schützen. Der Erlass von Milieuschutzsatzungen entfaltet mittelbare Wirkungen zur Vermeidung von sozialer Segregation in anderen Quartieren, wirkt sich dagegen nicht spezifisch auf ethnische Segregation aus. 27. Durch den Abschluss städtebaulicher Verträge kann die Gemeinde zwar auf die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung einen gewissen Einfluss nehmen; Verträge sind aber nur in Einzelfällen einsetzbar, in denen die Gemeinde entsprechende Anreize für den Abschluss setzen kann. 28. Die Gemeinde hat nach § 171f BauGB die Möglichkeit, Gebiete festzulegen, in denen in privater Verantwortung und auf Grundlage eines abgestimmten Konzepts standortbezogene Aufwertungsmaßnahmen durchgeführt werden. Die Festlegung sog. Housing Improvement Districts wurde europaweit erstmalig in Hamburg Steilshoop vorgenommen. Die mittelbaren Steuerungswirkungen im Hinblick auf soziale Segregation sind als gering anzusehen. HID-Maßnahmen zielen in erster Linie auf eine verbesserte Quartierspflege, wodurch allerdings kaum eine städtebauliche Dynamik ausgelöst werden, die einen nachhaltigen städtebaulichen Quartiersprozess in Gang setzt. Im Hinblick auf ethnische Segregation entfalten HID-Maßnahmen keine spezifischen Steuerungswirkungen. 29. Eine Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik hat empirische Feststellungen zum Ausmaß sozialer und ethnischer Segregation getroffen. Das Ergebnis dieser Studie hat gezeigt, dass u. a. die Städte Berlin, Hamburg und Dortmund von sozialer und ethnischer Segregation in besonderem Maße
D. Summary255
betroffen sind. Diese Städte haben regionale Maßnahmenprogramme zur integrierten Stadtentwicklung aufgestellt, die inhaltlich weitgehend übereinstimmen. Die drei genannten Städte machen von denen ihnen zur Verfügung stehenden Maßnahmen Gebrauch. Gleichwohl zeigen die empirischen Untersuchungen, dass sie von einem vergleichsweise hohen Ausmaß sozialer und ethnischer Segregation betroffen sind. Die Wirksamkeit der städtebaulichen Steuerungsinstrumente muss bei diesem Befund als unbefriedigend erscheinen. 30. Die Möglichkeiten der Weiterentwicklung des städtebaulichen Instrumentariums zur Vermeidung bzw. zum Abbau von Segregation sind begrenzt. Die Abschaffung des reinen Wohngebiets ist nicht zu empfehlen, da sich nur sehr geringe Wirkungen zur Vermeidung und zum Abbau von sozialer Segregation in neu festgesetzten Gebieten ergeben könnten. 31. Die Erweiterung des Anwendungsbereiches von § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB auf einkommensschwache Bevölkerungsgruppen kommt nicht in Betracht. Eine solche Erweiterung steht Sinn und Zweck städtebaulicher Regelungen entgegen. Das Städtebaurecht zielt weder darauf ab, die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu steuern, noch bestimmte Bevölkerungsgruppen zu privilegieren. Die Verfassungsmäßigkeit einer Erweiterung erscheint im Hinblick auf den damit verbundenen Eingriff in die Eigentumsgarantie der betroffenen Grundstückseigentümer zweifelhaft. 32. Die Erweiterung städtebaurechtlicher Eingriffsbefugnisse zur Regelung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in Quartieren kommt nicht in Betracht. Das Städtebaurecht gehört zum Bodenrecht. Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG bestimmt, dass der Bund für Regelungen in diesem Bereich zuständig ist. Aus dieser Kompetenzzuweisung lässt sich keine Zuständigkeit des Bundes zum Erlass von Vorschriften herleiten, durch die die allgemeine Zusammensetzung der Wohnbevölkerung geregelt werden könnte. 33. Die sonstigen Eingriffsbefugnisse im Asyl- und Ausländerrecht, einschließlich des Polizei- und Ordnungsrechts eignen sich allenfalls begrenzt zur Vermeidung bzw. Bekämpfung ethnischer Segregation.
D. Summary The subject of the dissertation is how to deal with social and racial segregation in cities by means of urban planning and building law. The term „segregation“ refers to social processes that lead to a separation of the residence of people on the basis of their age, race or social status such as their income or assets. Besides this, the term „segregation“ also covers the current imbalance in the distribution of populations in cities; meaning that specific groups
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5. Kapitel: Anwendung der städtebaulichen Instrumente in der Praxis
are confined to specific urban settlement areas on the basis of the outlined characteristics. The terms „segregation“ and „integration“ are closely linked. Although the absence of „integration“ does not necessarily lead to segregated structures, racial segregation nevertheless tends to impede integration processes. The purpose of this dissertation is to determine if and to what extent building and planning law provisions apply to segregated areas and to examine if these provisions may contribute to dismantling social and racial segregation in cities. Firstly, an overview of the German urban history has shown that segregation is a comparatively recent phenomenon. Secondly, it can be stated that especially after the reunification of Germany various efforts have been made to decrease social and racial segregation such as promoting social housing construction, improving infrastructure facilities etc. However, the examination of the current planning law provisions has revealed that there are merely management or governance tools with regard to the prevention resp. the reduction of social and racial segregation. The planning law legislation is basically neutral in view of population structures meaning that nobody is given preferential or discriminatory treatment on the basis of the characteristics outlined above. The planning law provisions are restricted to create the legal framework for the realisation of constructional projects. Still, by defining the type of use in urban areas indirect governance possibilities arise with regard to the mixing of different uses in the respective area. Thereby the attractiveness of quarters can be influenced and thus ultimately also the composition of the resident population. The underlying concept of the Federal Land Utilisation Ordinance (BauNVO) tends to foster social segregation. In contrast, the special urban planning legislation contains a number of measures and tools that particularly aim to reduce social segregation. The mode of action of these measures is essentially based on enhancing the attractiveness of urban districts, thus contributing to a rather heterogeneous composition of the resident population in these districts. Although these measures can launch displacement processes in which socially less advantaged groups are expelled from their place of residence („gentrification“), these measures can nonetheless be employed to potentially dismantling social segregation. With regard to racial segregation similar governance tools can be provided which is less effective though. A study from 2012 by the German Institute for Urban Studies (Difu) has shown that inter alia Berlin, Hamburg and Dortmund are considerably concerned by social and racial segregation. The evaluation of the programs of
D. Summary
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measures at the regional level has revealed that the aforementioned cities have made use of the possibilities provided by the planning law legislation. Due to the fact that these cities are applying the described measures but are still affected by social and racial segregation the effectiveness of the evaluated management tools is regarded as insufficient. Still, the possibilities for a further development and advancement of the planning law measures are structurally limited. The removal of purely residential areas in Sec. 3 of the Federal Land Utilisation Ordinance (BauNVO) is not recommended. The empowerment of the communities to designate areas for socially less advantaged groups violates planning law principles. Besides this, the enhancement of the powers of intervention is not regarded as a sustainable option. Finally, the Asylum Act and Aliens Act contain only limited possibilities to prevent racial segregation.
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268 Literaturverzeichnis Hamburg 2009; zitiert als: Weigel / Mohnke / Rothsein, Flächenmanagement in Hamburg durch Bodenordnung und städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen, S. Weigelt, Thomas: Die wachsende Stadt als Herausforderung für das Recht, 2016; zitiert als: Weigelt, Die wachsende Stadt als Herausforderung für das Recht, S. Wenninger, Markus: Grenzen in der Stadt?, Aschkenas – Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden, 14. Jg., Heft 1, Tübingen 2004, S. 9–29; zitiert als: Wenninger, Grenzen in der Stadt?, S. Wüstenrot Stiftung (Hrsg.): Bunzel, Arno et al.: Nutzungswandel und städtebauliche Steuerung, Opladen 2003; zitiert als: Bunzel et al., in: Wüstenrot, Nutzungswandel und städtebauliche Steuerung, S.
Sachwortverzeichnis Abschaffung des reinen Wohngebiets 232–235 Angebotsplanung, Grundsatz der ~ 109, 121 Anwerbeabkommen („Gastarbeiter“) 59 Art der baulichen Nutzung, Festsetzungen 129 f., 140 Assimilation 24, 40–43 Aufbaugesetz (DDR) 96 f. Aufbaugesetze der Länder (BRD) 90 Baugebietstypen 130, 232, 235 Baumassenzahl, Festsetzung 131 Bauweise und überbaubare Grundstücksflächen 82, 108, 129, 131–133, 232 Bebauungsplanung, Instrumente 120 ff. Belegungs-, Besetzungs- und Benennungsrechte 180, 198 f. Bürgerstadt 44–47, 250 Charta von Athen 87–89, 97 Chicagoer Schule 22–25 Durkheim, Emile 24, 73, 75 ff. Eingriffsbefugnisse, Erweiterung der ~ 231, 237–239 Einheimischenmodelle 202 ff. Entwicklungsbedarf, besonderer 172, 174 ff., 221 Erhaltungssatzung 96, 152, 173, 185 f. Erstmalige Entwicklung von Flächen 155, 158–159 Etagenhaus 81 Ethnische Schichtung 40–41
Festsetzung der Geschossflächenzahl 131 Frankfurter Vertrag 99 Funktionsmangel, städtebaulicher 136, 139 ff. Funktionsverluste, städtebauliche 160, 163 ff. Gartenstadt 81, 92 Genehmigungspflichten im Sanierungsgebiet 135, 148 f., 151, 154, 170 Gentrifizierung 16 f., 34, 36, 96, 149, 189, 234, 258 HID – Steilshoop 212 ff. Höhe der Bebauung 131 Integrationsbegriff 27 ff. Integrationsgesetz 241 ff. „Judenviertel“ 48–49 Klassenstadt 83 Kompakte Stadterweiterung 81 Leipzig Charta 100–103 Maßnahmenprogramme, regionale 21, 224 ff. Mehrfachintegration 41 Mieterschutzgesetz 85 Mietpreisbindung 85, 198 f. Mietskaserne 80 Migrationshintergrund – Definition 37 f. Milieuschutzsatzung 186 ff. Missstand, sozialer 95, 173 ff. Missstand, städtebaulicher 36, 136 ff.
270 Sachwortverzeichnis Mittelalterliche Stadtstrukturen 44, 48, 73–74, 110, 250 Mobilitätsfalle 42 Nachbarschaften, Konzepte 92–93 Parallelgesellschaften, Bildung von ~ 19, 141 f. Polnische Zuwanderer im Ruhrgebiet 52 Quartiersbegriff 43 Quotierungen 99 Residenzstadt 47 f., 250 Sanierungsgebiet 94–96,134 f., 145 ff., 214, 227 Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen 20, 72, 93, 109 f., 112 ff., 177 f., 201 Segregation, ethnische (Begriff) 36–39 Segregation, soziale (Begriff) 32–36 Simmel, Georg 24, 73 ff. Sozialer Wohnungsbau 16, 53 f., 57 f., 61, 66 ff., 85, 86 ff., 91, 124, 153, 195, 198, 216, 231, 251 Sozialintegration 29 ff., 39, 40, 41 ff., 78 Städtebau in der DDR 96 f. Städtebauförderungsgesetz 94 f., 99, 133 Städtebauliche Neuordnung 156, 159 f., 167 Städtebauliche Ordnungs- und Baumaßnahmen 144 ff., 155 Städteplanung, integrierte 101, 103, 182, 216, 226, 230
Staffelbauordnung 82, 132 Standortbezogene Aufwertungsmaßnahmen 211, 256 Systemintegration 29 ff., 40 Traunsteiner Modell 202, 204, 205 f. Trümmer- und Aufbaugesetze der Länder (siehe Aufbaugesetze der Länder) Umwandlungsverordnung 193, 229 Urbanisierung 23, 49, 67, 77, 79, 234 Ursachen für Entstehung sozialer und ethnischer Segregation 16 f., 26, 32, 34, 63 ff. Verdrängungsprozesse 185, 1187, 189 ff. Vorkaufsrecht 135, 186, 191 ff. Weber, Max 24, 73 ff. Weilheimer Modell 202, 204 ff. Wohnbedarf, Personen mit besonderem ~ 125 ff., 195, 197, 200, 231, 235 ff. Wohngebiet, reines, allgemeines 130, 232 ff. Wohnortzuweisungsgesetz 239 Wohnraumförderung, Festsetzung von Flächen für soziale ~ 122 f. Wohnsitzbeschränkende Auflage 241 ff. Wohnsitzregelung 239, 243 ff. Wohnungsbaugesetze (Erstes und Zweites) 91 f. Wohnungszwangswirtschaft 53, 85 Zonenbauverordnungen 82 f., 132 Zuzugssperren 93 f., 241 f.