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German Pages 224 Year 1980
Steuerüberwälzung 1. Band Eine modelltheoretische und empirische Analyse ausgewählter Probleme der Überwälzung der Gewinnsteuern
Von
Rudolf Eppler
Duncker & Humblot . Berlin
RUDOLF
EPPLER
Steuerüberwälzung / 1 . Band
Steuerüberwälzung Erster Band Eine modelltheoretische und empirische Analyse ausgewählter Probleme der Überwälzung der Gewinnsteuern
Von
Prof. Dr. Rudolf Eppler Universität Freiburg (Schweiz)
D U N C K E R & H U M B L O T / B E R L I N
Alle Rechte vorbehalten © 1980 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1980 bei Zippel-Druck in Firma Büro-Technik GmbH, Berlin 36 Printed in Germany ISBN 3 428 04562 9
Inhaltsverzeichnis
Katalog der verwendeten Symbole
7
Vorwort
11
1. Kapitel: Grundlagenprobleme
17
2. Kapitel: Das makroökonomische funktionale Mehrzweckkreislaufm o d e l l von Niehans
23
3. Kapitel: E i n f ü h r u n g einer Gewinnsteuer, einer Kostensteuer u n d einer Lohnsteuer i n das G r u n d m o d e l l
39
4. Kapitel: Modifikationen des Grundmodells zur Berechnung von Lohnerhöhungen u n d technischen Fortschritten
5. Kapitel: Die Gewinnsteuerüberwälzung
i n der
51
Bundesrepublik
Deutschland
6. Kapitel: Neue Verfahren zur Messung der Gewinnsteuerüberwälzung
58
67
7. Kapitel: Die Effekte der Ä n d e r u n g der Verhaltensweisen der Wirtschaftssubjekte u n d der Ä n d e r u n g der Kapitalintensität der Volkswirtschaft auf den Überwälzungsgrad der Gewinnsteuer
8. Kapitel: Überwälzungsgrad u n d K o n j u n k t u r p h a s e
87
156
6
Inhaltsverzeichnis
9. Kapitel: Die Messung der Gewinnsteuerüberwälzung i n der Bundesr e p u b l i k Deutschland, i n der Schweiz u n d bei einer U n t e r n e h m u n g m i t Hilfe der neuen Meßverfahren
Literaturverzeichnis
197
209
Katalog der verwendeten Symbole* * Nach den Symbolen alphabetisch geordnet; griechische Buchstaben wurden nach dem deutschen Alphabet analog eingefügt.
Cc
=
Konsum des Staates
cw
=
Konsum der Lohnempfänger (Arbeiter)
Cv D
=
Konsum der Unternehmer
=
Kapitalkosten „Abschreibungen" (Kapitaleinsatz nominell)
e
=
Stand der Absatzerwartungen
E
=
Staatseinnahmen
(Ex-Im)
=
Export minus Import, Export- oder Importüberschuß, Außenbeitrag
y
= Elastizität
νCy + /, υ v
=
Q£
Einkommenselastizität der Unternehmer
= Einnahmenelastizität des Staates =
?G, τ υ 7 Tw
w
Einnahmenelastizität des Staates (bezüglich der Gewinnsteuer)
= Lohnsteuerelastizität
w '
= Flexibilität
Φ Φρ
= Preisflexibilität des Kapitals
K
Φρ γ
Ν
u{ ^Ry, y n L Φβ y
= Preisflexibilität der monetären Nachfrage =
Überwälzungsflexibilität des Parameters ui t wobei i = 1,2,..., 17 - Überwälzungsflexibilität der Nachfrage
~ Preisflexibilität der Arbeit = Gewinnflexibilität einer einzelnen Unternehmung oder eines Kollektivs von Unternehmungen (bei mikroökonomischer Betrachtung)
G
= Staatsausgaben
Gj
= Staatsausgaben für Investitionen
Gc
= Staatsausgaben für den Konsum
g
= Gewinn einer einzelnen Unternehmung oder eines Kollektivs von Unternehmungen (bei mikroökonomischer Betrachtung)
I
= Nettoinvestitionen
Ibr Κ
= Bruttoinvestitionen = Realkapitalverzehr (Kapitaleinsatz real)
8
Katalog der verwendeten Symbole
L
= Beschäftigung (Arbeitseinsatz real)
λ
= Lohnerhöhung
M
= Kosten
μ
= Multiplikator
Ν
= Nachfrage
NK
= Nachfragekoeffizient
ρ
= Preisniveau, generelles
pc
= Preisniveau auf den Konsumgütermärkten
pK
= Preisniveau auf den Kapitalgütermärkten
R
= Überwälzungsgrad
RM
= Überwälzungsgrad der Kostensteuer (Umsatzsteuer)
RV
= Überwälzungsgrad der Gewinnsteuer
RW
= Überwälzungsgrad der Lohnsteuer
er
= Substitutionselastizität
cr h
= Substitutionselastizität, historische
cr m h
= Substitutionselastizität, modellhistorische
Τ
= Steuern
TM
= Kostensteuer (Umsatzsteuer)
Τυ
= Steuer auf die Unternehmereinkommen (Gewinnsteuer)
Tw
= Steuer auf die Arbeitereinkommen (Lohnsteuer)
τ
= technischer Fortschritt
U
= Unternehmereinkommen
m,
= Abkürzung für makroökonomische Verhaltensparameter, wobei i = 1,2, ..17
ÜK
= Überwälzungskoeffizient
W
= Lohnkosten, Lohneinkommen (Arbeitseinsatz nominell)
w
= Lohnniveau
X
= Parameterkombination, die einen bestimmten historischen Moment einer Volkswirtschaft repräsentiert
X0
= Parameterkombination, die die Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland der Periode von 1958 bis 1969 repräsentiert
X ia
= i = 1,2, 3 ... Parameterkombinationen, die eine aw/steigende Konjunkturphase in der BRD simulieren
X ib
= i = 1, 2, 3 ... Parameterkombinationen, die eine ansteigende Konjunkturphase in der BRD simulieren
χ
= abgesetzte Leistungsmenge (mengenmäßiger Absatz) einer einzelnen Unternehmung oder eines Kollektivs von Unternehmungen (bei mikroökonomischer Betrachtung)
Y
= Bruttosozialprodukt nominell (Angebotsseite)
Katalog der verwendeten Symbole
YN Yr
= Bruttosozialprodukt nominell (Nachfrageseite) = Bruttosozialprodukt real
y
= Umsatz einer einzelnen Unternehmung oder eines Kollektivs von Unternehmungen (bei mikroökonomischer Betrachtung)
Ζ
= Zähler
Vorwort
Die vorliegende Monographie „Steuerüberwälzung" legt die Ergebnisse eines Forschungsprojektes vor. Der erste Band „Eine modelltheoretische u n d empirische Analyse ausgewählter Probleme der Überwälzung der Gewinnsteuern" stellt die Gewinnsteuern in den Mittelpunkt der Betrachtungen, w o b e i das Hauptgewicht auf die Gewinnung neuer Verfahren zur Messung der Gewinnsteuerüberwälzung gelegt w i r d . I c h lege d e m Leser zwei neue Formeln zur Messung der Gewinnsteuerüberwälzung vor, die eingehend geprüft werden. M i t der ersten neuen Formel läßt sich die Gewinnsteuerüberwälzung i n einer ganzen Volkswirtschaft messen. M i t der zweiten neuen Formel k ö n n e n w i r die Gewinnsteuerüberwälzung bei einem K o l l e k t i v v o n Unternehmungen sowie bei einer einzelnen Unternehmung fixieren. Die zweite Formel bezieht sowohl die gesamtwirtschaftlichen als auch die einzelwirtschaftlichen Effekte der Gewinnsteuerüberwälzung m i t ein u n d das Besondere dabei ist, daß damit die T r e n n u n g zwischen makroökonomischer u n d mikroökonomischer B e s t i m m u n g der Gewinnsteuerüberwälzung aufgehoben u n d beide Komplexe integriert werden. Erst d u r c h diese Integration ist es möglich, die Gewinnsteuerüberwälzung bei einem einzelnen Betrieb zutreffend zu messen, w e i l dabei n i c h t mehr, wie das bislang der Fall war, die gesamtwirtschaftlichen Effekte auf den einzelnen Betrieb ausgeschlossen werden. Die neuen Verfahren werden nicht n u r an H a n d des mathematischen funktionalen Kreislaufmodells, sondern auch i n der Realität getestet. Die W i r k u n g e n der Änderungen der Verhaltensweisen der Wirtschaftssubjekte u n d der gesamtwirtschaftlichen Kapitalintensität auf das Ausmaß der gesamtwirtschaftlichen Gewinnsteuerüberwälzung werden eingehend analysiert u n d i n zahlreichen Tabellen, Übersichtstafeln u n d Graphiken dargestellt. V o r allem w i r d dabei den Effekten der einzelneil gesamtwirtschaftlichen Konjunkturphasen auf die Gewinnsteuerüberwälzung nachgespürt u n d dabei gelingt der Nachweis, daß die makroökonomische Konjunkturlage einer der wichtigsten Bestimmungsgründe der Gewinnsteuerüberwälzung ist. Die Effekte der Änderungen der k o n j u n k t u r e l l e n Lage auf das Ausmaß der Gewinnsteuerüberwälzung werden an H a n d von zahlreichen Graphiken u n d Tabellen aufgezeigt, w o b e i sich ergibt, daß das Ausmaß dieser gesamtwirtschaftlichen Überwälzung weitgehend, w e n n auch m i t einer m e h r oder weniger großen Phasenverschiebung, eng m i t der allgemeinen Konjunkturlage korreliert Darüber hinaus ergibt die Modellanalyse zahlreiche neue Erkenntnisse über die Zusammenhänge zwischen d e m Überwälzungsgrad der Gewinnsteuern u n d den übrigen makroöko-
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Vorwort
nomischen Größen, deren Aufzählung an dieser Stelle zu viel Raum beanspruchen würde. Die ersten Kapitel der vorliegenden Studie sind der Darstellung des mathematischen Grundmodells u n d der E i n f ü h r u n g der verschiedenen Steuerarten i n dieses G r u n d m o d e l l gewidmet. Es w i r d also nicht n u r die Gewinnsteuer, sondern auch eine Kosten- u n d Lohnsteuer i n das G r u n d m o d e l l mathematisch eingebaut. W ä h r e n d die Gewinnsteuerüberwälzung i m vorliegenden ersten B a n d analysiert w i r d , erfolgt die Untersuchung der Überwälzungsprobleme bei den Kostensteuern sowie bei den Lohnsteuern erst i m nachfolgenden zweiten, oder, sofern dieser zur Darstellung der Probleme nicht ausreichen sollte, dritten Band. Der wesentliche K e r n dieser Forschungsarbeit ist eine Modellstudie. Modelle sind vereinfachte A b b i l d e r der W i r k l i c h k e i t . Die B e t o n u n g bei dieser allgemein akzeptierten Definition liegt auf d e m W o r t „vereinfacht". Da w i r i n unserer Wissenschaft keine Experimente i n der Realität machen können, sind w i r auf Experimente m i t Modellen angewiesen. Damit ist die Arbeit des Theoretikers notwendigerweise ein Denken an Modellen. „Die Kunst des Theoretikers besteht darin, die für eine Problemstellung jeweils wesentlichen »Linien zu finden, das heißt, ein für die Erforschung einer bestimmten Frage fruchtbares Modell zu konstruieren 1 ." N u n unterliegt es für den Fachmann k e i n e m Zweifel, daß der Bau eines realitätsnahen Modells nicht n u r eine sehr schwierige, sondern auch eine sehr zeitraubende u n d vor allem kostspielige Angelegenheit ist. Ist das M o d e l l erstellt, besitzen w i r damit eine Experimentiermaschine. N u n erst kann die eigentliche Experimentierarbeit beginnen. Glücklicherweise hat m e i n Kollege Jürg Niehans ein sehr realitätsnahes makroökonomisches funktionales Kreislaufmodell, das auf die Probleme der Steuerüberwälzung zugeschnitten ist, erstellt u n d 1959 publiziert 2 . M i t diesem M o d e l l habe i c h n u n experimentiert u n d die vorliegende Arbeit gibt die Ergebnisse dieser Experimentierarbeit wieder. Zuerst galt es, aus den Grundgleichungen des Modells die Gleichungen für die allgemeinen Lösungen abzuleiten. Aus diesen allgemeinen Gleichungen waren d a n n die speziellen Gleichungen zu entwickeln, die für die Experimente erford e r l i c h schienen. Für die drei Steuerprobleme ergaben sich insgesamt 357 Gleichungen, die zu programmieren, zu vercoden u n d zu testen waren. Das Modell m i t den allgemeinen Gleichungen habe ich selbst programmiert, vercodet, auf d e m Computer getestet u n d die ersten Versuchsrechnungen durchgeführt, 1 Erich Schneider: Einführung in die Wirtschaftstheorie, Teil IV: Ausgewählte Kapitel der Geschichte der Wirtschaftstheorie, Band 1,3. durchgesehene Auflage, Tübingen 1970, S. 2. 2 Vgl. Jürg Niehans: Die Wirkung von Lohnerhöhungen, technischen Fortschritten, Steuern und Spargewohnheiten auf Preise, Produktion und Einkommensverteilung. In: Schriften des Vereins für Socialpolitik, N.F., Bd. 17, Hrsg. Erich Schneider, Berlin 1959, S. 9 ff.
Vorwort
die ergaben, daß es möglich ist, innert erträglicher Fristen die Experimentierarbeiten durchzuführen. I c h möchte Leser, die keine Fachleute für die elektronische Datenverarbeitung sind, darauf hinweisen, daß Experimentierarbeiten a m Computer ungemein arbeitsintensiv sind. Die Experimentierarbeiten verlangen n ä m l i c h stetige Änderungen des Programms, die laufend zu neuen Vercodungs- u n d Testarbeiten zwingen. Eines ist klar: Das M o d e l l liefert zwar Rechenergebnisse, gibt jedoch Antworten auf unsere Fragen n u r d u r c h geschickt angelegte Expenmente! ExpeHmentieren heißt hier, den I n p u t u n d den O u t p u t des Modells zu variieren, i m m e r wieder neu zu k o m b i n i e r e n u n d den O u t p u t m i t Hilfe neuer Formeln zu transformieren. Solche Experimentierarbeiten m i t komplizierten Modellen sind aus Zeit- u n d Kostengründen allerdings n u r m i t großen C o m p u t e r n sinnvoll. Der Leser w i r d die Frage stellen, w a r u m ich gerade das Niehans-Mode\\ für diese Arbeit ausgewählt habe. Die Auswahl an Kreislaufmodellen war ohnehin nicht groß, zudem erschien m i r ein Differentialmodell für die Steuerüberwälzungsprobleme als besonders geeignet Als weiteren V o r t e i l des Niehans-Modells wertete ich außerdem die Tatsache, daß die Steuererhöhungen i n Prozenten des realen BSP u n d nicht i n der F o r m v o n progressiven Steuertarifen erscheinen. Daß dies ein besonderer V o r t e i l für die Messung der Steuerüberwälzung ist, w i r d d e m Leser bei der Lektüre der Kapitel, die den Meßproblemen gewidmet sind, klar erkennen. Außerdem ist es d u r c h diese A r t der Handhab u n g möglich, die W i r k u n g e n der E r h ö h u n g der verschiedenen Steuerarten ohne Umrechnungen unmittelbar miteinander zu vergleichen, was für die vorliegende Analyse von besonders großem W e r t ist. Eine Modellstudie schließt empirische Arbeiten grundsätzlich aus, doch gilt dies für die vorliegende Forschungsarbeit nicht. Als erstes habe ich die 17 Parameter, die i n das M o d e l l als I n p u t eingehen u n d die die Verhaltensweisen der Wirtschaftssubjekte u n d die Kapitalintensität der d u r c h das M o d e l l verkörperten Volkswirtschaft beschreiben, auf G r u n d des beschaffbaren statistischen Zahlenmaterials der Periode v o n 1958 bis 1969 der Bundesrepublik Deutschland geschätzt. Die einzelnen Verhaltensparameter w u r d e n m i t Hilfe der mult i p l e n Regressionsanalyse geschätzt, w ä h r e n d die Werte für die Kapitalintensität als geometrische M i t t e l der Zeitreihen errechnet wurden. Die geschätzten Regressionskoeffizienten habe ich m i t d e m i-Test (Bedeutungsschwelle 5 %), m i t d e m F-Test u n d m i t d e m Durbin-Watson-Test getestet. Außerdem habe i c h m u l t i p l e u n d partielle Determinationskoeffizienten für jeden einzelnen Parameter errechnet. Insoweit sind die geschätzten Parameter statistisch gesichert. I c h hatte ursprünglich geplant, die 17 Modellparameter n i c h t n u r für die BRD, sondern i n erster Linie für die Schweiz zu schätzen. Die langwierigen Versuche zeigten jedoch, daß das vorhandene statistische Zahlenmaterial für die Schweiz den gestellten Anforderungen nicht genügte u n d für einige Parameter waren die erforderlichen Daten gar nicht vorhanden u n d auch nicht zu beschaffen. I c h mußte m i c h deshalb leider auf die Darstellung der Modellergeb-
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Vorwort
nisse für Deutschland beschränken. Festzuhalten ist, daß die Schätzung der 17 Modellparameter besonders viel Zeit u n d M ü h e erfordert hat, nicht zuletzt auch deshalb, da auf G r u n d der statistischen Tests manche Schätzwerte verworfen werden mußten u n d zu i m m e r neuen Versuchen zwangen. Gerade das Bemühen, für die Schweiz schließlich doch noch alle Parameter zusammenzubringen u n d fehlendes Material auf irgendwelchen Wegen zu beschaffen, hat m i c h sehr viel, leider verlorene, Zeit und Mühe gekostet! Das sind Arbeitsleistungen, die sich nicht als sichtbares Ergebnis i n der Publikation niederschlagen! Als zweites habe ich die Meßparameter der v o n m i r kreierten 3 neuen Form e l n zur Messung der Gewinnsteuerüberwälzung auf G r u n d des statistischen Materials der Bundesrepublik Deutschland, der Schweiz, sowie für eine große Unternehmung, n ä m l i c h für die Daimler-Benz AG i n Stuttgart, geschätzt. Die Schätzung erfolgte ebenfalls m i t Hilfe der m u l t i p l e n Regressionsanalyse auf G r u n d des Zahlenmaterials, das für die Periode von 1958 bis 1969 erhoben wurde. Zur Auswahl der Zeitperiode von 1958 bis 1969 ist zu sagen, daß für die Regressionsanalysen Zeitreihen von mindestens 12 Jahren erforderlich sind, w e n n m a n einigermaßen gute Ergebnisse erhalten möchte. Außerdem m u ß diese Zeitperiode von 12 Jahren so ausgewählt werden, daß sie eine möglichst gleichmäßige konjunkturelle E n t w i c k l u n g m i t einem relativ konstanten Zinsniveau umfaßt. Diese Forderungen ergeben sich aus der K o n s t r u k t i o n des NiehansModells, w o v o n sich der Leser leicht d u r c h die Lektüre der Modellbeschreib u n g überzeugen kann. Eine solchermaßen gekennzeichnete Periode w a r n u r bis 1970 gegeben. Denn i n diesem Jahr begann ein neuer, weltweiter Konjunkturaufschwung, der die inflationäre E n t w i c k l u n g gefährlich beschleunigte u n d die deutsche Zentralnotenbank z u m H a n d e l n zwang. Sie setzte i m März 1970 den Diskontsatz auf die extreme H ö h e v o n 7,5 % hinauf. Die Inflationsrate i n der B R D betrug i m Jahre 1969 noch 1,9 °/o, stieg 1970 auf 3,4 %, 1971 auf 5,3 %, 1972 auf 5,5 %, 1973 auf 6,9 % u n d überschritt i m Jahre 1974 die Sieben-Prozent-Marke! Die restriktive Geldpolitik, m i t der die Deutsche Bundesbank die Inflation bekämpfte, führte zu einem laufenden Anstieg der Zinssätze. Diese E n t w i c k l u n g k u l m i n i e r t e i m Jahre 1974, i n d e m die Durchschnitts-Rendite der öffentlichen Anleihen die bis dahin als exotisch bezeichnete Höhe v o n 10,6 % erreichte! Typisch für diese Situation ist eine Anleihe des Bundes von 1974, die bei einer Laufzeit von 6 Jahren m i t einem Zinssatz von 10 % ausgestattet w a r u n d eine Rendite von 10,35 % erbrachte! Mittel- u n d langfristige Industrieobligationen erreichten i m gleichen Jahr Renditen zwischen 11 % und 15 %! Die weltweite Bekämpfung der Inflation mündete i n eine weltweite Rezession m i t erheblicher Arbeitslosigkeit Um Oktober 1974 erreichte i n der B R D der Aktienindex der FAZ seinen niedrigsten Stand u n d signalisierte, daß die Rezession an i h r e m tiefsten Punkt angekommen w a r u n d m a n von da an auf einen Wiederaufstieg hoffte. Die Inlandszinssätze begannen n u n zu fallen. Der Diskontsatz w u r d e laufend herabgesetzt u n d erreichte 1977 den relativ niedrigen Stand
Vorwort
von 3 %. Die Durchschnittsrenditen der öffentlichen Anleihen sanken 1978 bis auf 5,4 %. Typisch für den n u n wieder erreichten Tiefstand des Zinsniveaus ist eine Bundesanleihe von 1978 m i t einer Laufzeit von 8 Jahren u n d einem Nominalzinssatz v o n 5,25 °/o. Es ist eindeutig klar, daß für unsere Analyse die Periode ab 1970 wegen ihres äußerst unruhigen Verlaufs u n d i h r e r extrem starken Zinsschwankungen nicht in Frage kommen konnte! N a t ü r l i c h habe ich m i c h auch gefragt, ob es l o h n e n d sein könnte, das Zinsniveau, das als Bestimmungsgröße i m M o d e l l fehlt, nachträglich i n s M o d e l l einzubauen. Dabei w a r vorerst einmal die Frage zu beantworten, ob die dadurch neu auftauchenden Modellparameter ökonometrisch auch tatsächlich bes t i m m t werden können. Wie bereits ausgeführt, ist die ökonometrische Schätzung der Modellparameter eine schwierige u n d langwierige Aufgabe, w e i l das benötigte statistische Zahlenmaterial oft nicht beschafft w e r d e n k a n n oder qualitativ u n d quantitativ den gestellten Anforderungen nicht genügt. Unsere dementsprechenden Versuche haben ergeben, daß die geschätzten neuen Regressionskoeffizienten den erforderlichen Testverfahren nicht standgehalten haben u n d daher verworfen w e r d e n mußten. Damit w u r d e die gestellte Frage verneint. W e i t e r h i n zeigte sich, daß das Zinsniveau die Überwälzungsprobleme insoweit überhaupt nicht tangiert, w e i l es nur auf Modellparameter einwirkt, die ohnehin frei beweglich sind u n d im Zuge der Expenmente nach Belieben variiert werden können. Somit l o h n t sich auch aus dieser Sicht der Einbau des Zinsniveaus i n das M o d e l l nicht, v o r allem auch dann nicht, w e n n m a n an die große Mehrarbeit u n d die weitere K o m p l i z i e r u n g des Modells denkt, die das Auffinden von Zusammenhängen weiter erschweren würde. Weitergehende Überlegungen zeigten, daß die Aufnahme des Zinsniveaus für die Betrachtung der Überwälzungsprobleme eher Nachteile m i t sich bringen würde. Diese Feststellung schließt n a t ü r l i c h n i c h t aus, daß seine Aufnahme ins M o d e l l bei der Bet r a c h t u n g anderer Probleme v o n V o r t e i l sein könnte. Dies trifft ζ. B. für die Analyse des Sparproblems zu, zu der das G r u n d m o d e l l nach entsprechenden Änderungen ebenfalls benützt w e r d e n kann. Allerdings gilt auch diese Feststell u n g stets n u r u n t e r der Prämisse, daß die neuen Parameter tatsächlich ökonometrisch bestimmt werden können, das heißt auch, daß sie die Tests m i t den entsprechenden Testmethoden bestehen müssen. Dies erscheint n u r möglich, w e n n qualitativ u n d quantitativ besseres Zahlenmaterial vorliegt, als dies für die Periode v o n 1958 bis 1969 für die Bundesrepublik Deutschland u n d für die Schweiz der Fall war, obwohl, dies sei n o c h einmal betont, es sich bei dieser Periode u m eine relativ ruhige u n d gleichmäßige H o c h k o n j u n k t u r p h a s e handelte, die sich insoweit besonders gut für die D u r c h f ü h r u n g solcher Schätzungen eignete. M e i n e m Kollegen Jürg Niehans, Universität Bern, danke ich für die Überlassung seiner persönlichen Aufzeichnungen zu seinem M o d e l l u n d für freundliche Ratschläge.
16
Vorwort
A n dieser Stelle habe ich auch meinen Mitarbeitern zu danken. Herzlicher Dank gebührt meiner Frau für ihre M i t a r b e i t u n d für das Verständnis, das sie für die Problematik des vorliegenden Forschungsprojekts aufgebracht hat. W e i t e r h i n danke ich meinen Assistenten, die laufend an diesem Forschungsprojekt mitgearbeitet haben. H e r r lic.rer.pol. Ambros Lüthi hat vor allem bei der Schätzung der Regressionskoeffizienten u n d bei der Auswertung der dazugehörigen Tests gewirkt. Die H e r r e n Dr. B e r n d Siegel u n d Dipl.Oec. Detlev Schrade haben schwerpunktmäßig an der Beschaffung u n d Aufbereitung des statistischen Materials gearbeitet. Die H e r r e n lic.rer.pol. Jürg Portmann u n d lic.rer.pol. Hans-Ulrich Rösinger haben v o r allem bei den Experimentierarbeiten auf d e m Computer mitgewirkt. H e r r Rösinger hat speziell die laufenden Änderungen des Computerprogramms vercodet u n d eine große Zahl v o n Berechnungen auf d e m Computer durchgeführt. Dem Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung i n Bern danke ich herzlich für die finanzielle Unterstützung dieses Forschungsprojekts. Der Firma Daimler-Benz AG i n Stuttgart, speziell der Abteil u n g für Zentralstatistik, habe ich für die freundliche Überlassung des statistischen Materials zur Berechnung der Gewinnsteuerüberwälzung zu danken. Freiburg (Schweiz), i m März 1979 Der Verfasser
Erstes Kapitel
Grundlagenprobleme Die Erkenntnis, daß Steuern überwälzt werden, ist uralt. Schon i n den Annalen des Tacitus w i r d von der Überwälzung der 4 °/oigen Sklavensteuer i m 1. Jahrhundert n. Chr. u n t e r Kaiser Nero berichtet 1 . Auch den Theologen des Mittelalters u n d später vor allem Bodin w a r das Überwälzungsproblem geläufig 2 . Erste größere Diskussionen wissenschaftlichen Charakters fanden i n England i n der M i t t e des 17. Jahrhunderts statt. Der Lösung des Überwälzungsproblems ist m a n aber i n dieser langen Zeit n u r recht w e n i g nähergekommen u n d Form e l n zur Messung der Steuerüberwälzung, wie sie ζ. B. für die Messung des technischen Fortschritts existieren, gibt es bis heute nicht Zwischen d e m Prob l e m der Messung des technischen Fortschritts u n d d e m Problem der Messung der Steuerüberwälzung sehen w i r enge Zusammenhänge, eine Feststellung, die die meisten Leser als schockierend empfinden werden. Die Ü b e r e i n s t i m m u n g besteht erstens einmal darin, daß w i r den technischen Fortschritt u n d die Steuerüberwälzung nicht direkt, sondern nur indirekt messen können. Zweitens sehen w i r einen Zusammenhang i n der Tatsache, daß auf den technischen Fortschritt u n d auf die Steuerüberwälzung alle gesamtwirtschaftlichen Größen funktional einwirken, daß alle gesamtwirtschaftlichen Größen i n ständiger Bewegung sind u n d daß sich deshalb technischer Fortschritt u n d Steuerüberwälzungsgrad ebenfalls in dauernder Bewegung befinden müssen. Beide Größen sind Variable, die m a n laufend messen muß. Die Lösung des Problems der Steuerüberwälzung besteht somit darin, eine relativ einfache u n d praktikable Form e l zu finden, die es gestattet, das Ausmaß der Steuerüberwälzung ökonometrisch m i t einer einigermaßen hinreichenden Genauigkeit zu bestimmen. Drittens sehen w i r einen Zusammenhang darin, daß es sich bei beiden Problemen u m ökonometrische handelt, die eine ähnliche S t r u k t u r aufweisen, j e d o c h i n verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen betrachtet werden. Das Problem des technischen Fortschritts w i r d hauptsächlich i n der Wirtschaftstheorie i m 1 Publius Cornelius Tacitus: Annalen, übersetzt von Dr. August Horneffer, mit einer Einleitung von Joseph Vogt und Anmerkungen von Werner Schur, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1957, S. 419. Die Sklavensteuer betrug 4 °/o der Kaufsumme, sie wurde zuerst dem Käufer, darnach dem Verkäufer auferlegt, der daraufhin die Preise der Sklaven entsprechend erhöhte. 2 Jean Bodin: Les six livres de la république, Paris 1583. Joannes Bodinus : De republica, Paris 1586 (lat. Ausgabe).
2
Eppler
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1. Kap.: Grundlagenprobleme
Bereich der Produktionstheorie abgehandelt, w ä h r e n d die Steuerüberwälzung überwiegend i m Bereich der Finanzwissenschaft untersucht wurde. Außerdem sind beide Problembereiche auch i m Bereich der Betriebswirtschaftslehre unter einzelbetrieblichen Aspekten analysiert worden. Die ökonomische Interdependenz aller wirtschaftlichen Größen erlaubt jedoch keine Zerschneidung des Problems i n „Fächer", w e n n m a n zu einer praktikablen Lösung k o m m e n w i l l . Deshalb steht i m V o r d e r g r u n d unserer B e m ü h u n g e n der Wille, auf die „Fächer" keine Rücksicht zu nehmen, sondern das Problem als Ganzes u n d Unteilbares i n den Griff zu bekommen. Ob u n d i n w i e w e i t uns das bei allen drei Steuern gelingen w i r d , w i r d das Endergebnis unserer Untersuchungen zeigen. H i e r m u ß vor allem auf die Ergebnisse unserer Vergleichsanalysen hingewiesen werden, die i m zweiten B a n d beginnen. W i r haben nicht die Absicht, das Überwälzungsproblem dogmengeschichtlich abzuhandeln. Eine dogmengeschichtliche A b h a n d l u n g w ü r d e zur Problemlösung wenig beitragen. Unsere Aufgabe ist vielmehr die Modellanalyse und, wie gesagt, die Suche nach einer Formel zur ökonometrischen Bestimmung des Überwälzungsgrades der Gewinnsteuern u n d später auch der Kosten- u n d Lohnsteuern. Der an dogmengeschichtlichen Abhandlungen interessierte Leser sei auf die ausgezeichnete Arbeit von Dieter Heinz Kroner: „Die Steuern u n d ihre Überwälzung, Eine Dogmengeschichte der letzten 50 Jahre", die 1968 erschienen ist, hingewiesen 3 . W e r weiter als 50 Jahre zurückgehen möchte, sei vor allem an E d w i n R. A. Seligmans berühmtes B u c h : „Die Lehre von der Steuerüberwälzung (The Shifting and Incidence of Taxation)", aber auch noch an andere W e r k e erinnert 4 . Unter Steuerüberwälzung verstehen w i r diejenigen Prozesse, die sich abspielen, w e n n die Steuersubjekte die ihnen auferlegte Steuerlast d u r c h Preisände3 Vgl. Heinz Dieter Kroner: Die Steuern und ihre Überwälzung. Eine Dogmengeschichte der letzten 50 Jahre. Diss. Universität Zürich, Freiburg i. Br. 1968. 4 Vgl. Edwin R. A. Seligman: Die Lehre von der Steuerüberwälzung (The Shifting and Incidence of Taxation), nach der 5. durchgesehenen Auflage herausgegeben von Karl Bräuers, Übersetzung von Georg Albers, Verlag Gustav Fischer, Jena 1927. Edwin R A. Seligman: The Shifting and Incidence of Taxation, 5. Edition, New York 1926. Vgl. hierzu weiter: Josef Kaizl: Die Lehre von der Überwälzung der Steuern, Leipzig 1882. Georg von Falck: Kritische Rückblicke auf die Entwicklung der Lehre von der Steuerüberwälzung seit Adam Smith, Diss. Dorpat, Dorpat 1882. Richard A. Musgrave: The Theory of Public Finance. A Study in Public Economy, New York, Toronto and London 1959, S. 385 bis 405. Wolfgang Kitschler: Entwicklungslinien der neueren Steuerinzidenzlehre, Diss. Mainz 1965. Horst Claus Recktenwald: Steuerüberwälzungslehre, theoretische und empirische Verteilung von Abgaben und Kosten, 2. überarbeitete und ergänzte Auflage, Verlag Duncker & Humblot, Berlin 1966, S. 26 bis 29. Walter Wittmann: Einführung in die Finanzwissenschaft, II. Teil: Die öffentlichen Einnahmen, 2. Aufl., Stuttgart 1975, S. 101 ff. Weitere dogmengeschichtliche Werke oder Abhandlungen, die dogmengeschichtliche Partien enthalten, finden sich im Literaturverzeichnis.
1. Kap.: Grundlagenprobleme
rungen auf andere Personen übertragen. Steuerrechtlich gesehen w i r d die Überwälzung auch als externer Steuerregreß bezeichnet 5 . Das quantitative Ausmaß der gelungenen Steuerüberwälzung w i r d m i t Überwälzungsgrad bezeichnet. Gemessen w i r d i n Prozent des der betrachteten Unt e r n e h m u n g oder des betrachteten Unternehmungskollektivs i n einer bes t i m m t e n Periode auferlegten Steuerbetrags. Ist der gesamte Steuerbetrag überwälzt worden, beträgt der Überwälzungsgrad 100 °/o. Ist ζ. B. n u r die Hälfte des auferlegten Steuerbetrages überwälzt worden, beträgt der Überwälzungsgrad 50 °/o. Ist gar nichts überwälzt worden, macht der Überwälzungsgrad N u l l % aus. Einen negativen Überwälzungsgrad k a n n es sinngemäß nicht geben. Eine Steuerüberwälzung liegt somit dann vor, w e n n der Überwälzungsgrad positiv ist. Andererseits ist es theoretisch u n d praktisch möglich, daß der Überwälzungsgrad größer als 100 % ist. Wie Überwälzungsgrade, die ü b e r 100 % hinausgehen, Zustandekommen, erklärt sich i m Verlaufe der Analyse von selbst. Als Steuersubjekte bezeichnen w i r diejenigen Personen, die die gesetzlichen Voraussetzungen der subjektiven Steuerpflicht erfüllen, also d e m Staat i m Steuerrechtsverhältnis gegenüberstehen u n d somit formell zahlungspflichtig sind. Steuerträger sind diejenigen Personen, die die auferlegte Steuer wirtschaftlich zu tragen haben. Solange keine Steuerüberwälzung stattgefunden hat, sind Steuersubjekt u n d Steuerträger identisch. Schließlich bezeichnen w i r als Steuerdestinatare diejenigen Personen, die nach der Absicht des Gesetzgebers Steuerträger sein sollen. Steuerdestinatare gibt es somit n u r bei einer gesetzlich gewollten Überwälzung, das heißt, bei einem externen Steuerregreß, der einen Rechtsanspruch des Steuerzahlers auf Überwälzung fixiert 6 . Die conditio sine qua non für eine Steuerüberwälzung ist die Ä n d e r u n g der Preise. Ohne Preisänderungen k a n n es keine Steuerüberwälzung geben. Weiterh i n müssen diese Preisänderungen wegen der Steuererhöhung bzw. wegen der E i n f ü h r u n g einer neuen Steuer erfolgen, es muß, anders ausgedrückt, eine geschlossene Kausalkette zwischen Steuererhöhung oder Neueinführung der Steuer u n d den Preisänderungen vorliegen. W e i t e r h i n m u ß die Steuerüberwälzung zur Folge haben, daß sich bei der betrachteten U n t e r n e h m u n g oder d e m betrachteten K o l l e k t i v von Unternehmungen eine positive Differenz zwischen d e m zu zahlenden Steuerbetrag u n d der wirtschaftlich zu tragenden Steuerlast ergibt. Die Steuern, die den Gewinn i n die Steuerbemessungsgrundlage einbeziehen, sind i n der Bundesrepublik Deutschland die Einkommenssteuer, die Körx
5
Vgl. Ernst Blumenstein: System des Steuerrechts, 3. von Prof. Dr. Irene Blumenstein bearbeitete Auflage, Zürich 1971, S. 71. 6 Vgl. Ernst Blumenstein: System des Steuerrechts, 3. Aufl., Zürich 1971, S. 72. ι
20
1. Kap.: Grundlagenprobleme
perschaftssteuer u n d die Gewerbeertragssteuer. I n der Schweiz handelt es sich dabei u m die direkte Bundessteuer, die m a n früher Wehrsteuer nannte, u n d u m die kantonalen Gewinnsteuern, die i n einigen K a n t o n e n auch als Reinertragssteuern oder als Ertragssteuern bezeichnet werden. Steuersubjekt ist bei der deutschen Einkommenssteuer die natürliche Person u n d bei der Körperschaftssteuer die juristische Person. Die Gewerbeertragssteuer ist eine Objektsteuer. Steuerobjekt ist hier der Gewerbebetrieb, subjektiv haften die Gesellschafter für die Steuer. Die schweizerische direkte Bundessteuer (Wehrsteuer) bezeichnet die nat ü r l i c h e n u n d die juristischen Personen als Steuersubjekt, w ä h r e n d die kantonalen Gewinnsteuern (Reinertragssteuern oder Ertragssteuern) die juristischen Personen, i n einigen K a n t ç n e n dazu auch noch die Personengesellschaften, als Steuersubjekte fixieren. Die Unternehmung selbst w i r d also nicht als Steuersubjekt bezeichnet, o b w o h l der Gewinn der Unternehmung als planvoll organisierte Wirtschaftseinheit, i n der eine K o m b i n a t i o n von Produktionsfakt o r e n m i t dem Ziel erfolgt, Sachgüter zu produzieren u n d Dienstleistungen zu erstellen, erwirtschaftet w i r d . U n d es ist w i e d e r u m die Unternehmung, die die Preise ihrer Leistungen variiert u n d damit die Überwälzung der Gewinnsteuern ermöglicht. Deshalb muß m a n zweifellos bei der Betrachtung der Gewinnsteuerüberwälzung auf die Unternehmung u n d nicht auf das Steuersubjekt abstellen u n d so w i r d auch i n der Regel verfahren. Das Abheben auf die Untern e h m u n g ist auch deshalb gerechtfertigt, w e i l die einzelne U n t e r n e h m u n g mehrere Steuersubjekte umfassen kann, ein Fall, der i n der Regel bei den Betrieben gegeben ist, die das Rechtskleid einer Personengesellschaft tragen. Er liegt aber auch dann vor, w e n n sich Betriebe k o m b i n i e r t e Rechtsformen zugelegt haben, wie die G m b H u. Co K G oder die AG u. Co KG, oder w e n n ein Betrieb juristisch i n eine Doppelgesellschaft aufgespalten wurde, das heißt, w e n n sich ein einheitlicher Betrieb zur Realisierung seiner Ziele zweier rechtlich selbständiger Gesellschaften bedient. Sehr häufig scheint aber die Analyse des Überwälzungsproblems bei einer einzelnen U n t e r n e h m u n g deshalb n i c h t sinnvoll, w e i l sie sich m i t anderen Unternehmungen zusammengeschlossen hat. E i n solcher Zusammenschluß erscheint bei Preiskartellen u n d m e h r n o c h bei Syndikaten so relevant, daß sich eine kollektive Zusammenfassung der Unternehmungen, die Kartellmitglieder sind, aufdrängt. Bei Konzernen u n t e r einheitlicher u n d straffer Führung, besonders i n der Preispolitik, erscheint es beinahe zwingend, sämtliche Konzernmitglieder als K o l l e k t i v i n den M i t t e l p u n k t der Betrachtungen zu stellen. Bei m u l t i n a t i o n a l e n Konzernen dürfte es zweckmäßig sein, sich auf die inländischen Unternehmungen zu beschränken, die j a i n der Regel ohn e h i n i n einer inländischen Holdinggesellschaft zusammengefaßt sind. Die Frage, ob ein außerhalb des Hauptsitzes unterhaltener Betrieb steuerrechtlich als Betriebsstätte oder als rechtlich selbständige U n t e r n e h m u n g geführt w i r d , w i r d i n der Regel vorwiegend d u r c h steuerliche Überlegungen entschieden. Dies gilt vor allem für die Schweiz, w o die Steuersätze u n d die Steuerfüße von
1. Kap.: Grundlagenprobleme
K a n t o n e n u n d Gemeinden ganz enorme Unterschiede aufweisen u n d außerdem die kantonalen u n d die k o m m u n a l e n Steuern gegenüber den Bundessteuern ein viel größeres Gewicht aufweisen, als dies i n der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist 7 . Da die Überwälzung ein p r i m ä r wirtschaftliches Problem ist, k o m m t es bei seiner Analyse i n erster Linie auf die wirtschaftliche Einheit der betrachteten Betriebe u n d erst i n zweiter Linie auf ihre formal-juristische Zusammenfassung an. Unter diesen Gesichtspunkten erscheint es zweckmäßig, das Überwälzungsproblem entweder bei einer einzelnen U n t e r n e h m u n g oder bei einem wirtschaftlich sinnvollen Kollektiv von Unternehmungen zu analysieren. I m vorliegenden M o d e l l handelt es sich u m den Überwälzungsgrad einer „repräsentativen Unternehmung", der „representative f i r m " i m Sinne Alfred Marshalls 8. Es w i r d hier, m i t anderen W o r t e n ausgedrückt, der Überwälzungsgrad einer fiktiven U n t e r n e h m u n g betrachtet, die sämtliche Unternehmungen einer Volkswirtschaft repräsentiert. Das Unternehmungskollektiv umfaßt insoweit alle Unternehmungen einer Volkswirtschaft u n d deshalb w o l l e n w i r hier von einem gesamtwirtschaftlichen Überwälzungsgrad sprechen. Sofern das Kollektiv der betrachteten Unternehmungen n u r einen Teil der Unternehmungen einer Volkswirtschaft umfaßt, ζ. B. n u r die Unternehmungen, die einem bes t i m m t e n Kartell, einem bestimmten Konzern, einer bestimmten Branche, einem Wirtschaftszweig oder einem Wirtschaftsbereich usw. angehören, sprechen w i r v o m kollektiven Überwälzungsgrad. Betrachten w i r das i n Prozenten ausgedrückte Ausmaß der Steuerüberwälzung einer einzelnen Unternehmung, reden w i r von einem singulären Überwälzungsgrad. Diese neuen Bezeichnungen w o l l e n w i r aber nur dann anwenden, w e n n es zur V e r m e i d u n g von Mißverständnissen unbedingt nötig ist. I n der Regel k a n n der Leser den Sachverhalt so deutlich sehen, daß w i r auf Zusätze z u m W o r t „Überwälzungsgrad" verzichten können. Behaupten wir, daß i n einem betrachteten Fall eine Steuerüberwälzung vorliege, das heißt, daß es einen positiven Überwälzungsgrad gebe, dann ist es unsere Pflicht, zu versuchen, diese Hypothese zu falsifizieren. Eine solche Beh a u p t u n g kann erst d a n n akzeptiert werden, w e n n unsere Falsifizierungsversuche gescheitert sind. Dabei setzen w i r m i t K a r l Popper voraus, daß jeder wissenschaftliche Satz vorläufig ist. Er k a n n sich w o h l bewähren, aber jede Bewähr u n g ist relativ 9 . I m vorliegenden Niehans-ModeW ist die E i n f ü h r u n g einer neuen Gewinnsteuer die causa aller Veränderungen. Ohne die Neueinführung 7 Es sei hier die Anmerkung gestattet, daß die 26 Kantone der Schweiz souveräne Staaten mit eigener Gebiets- und Steuerhoheit sind, denen in der Bundesrepublik Deutschland die 10 Bundesländer entsprechen. (Vgl. bezüglich der Kantone Ernst Blumenstein: System des Steuerrechts, Zürich 1971, S. 32 und Z. Giacometti: Das Staatsrecht der schweizerischen Kantone, Zürich 1941, S. 29 ff.) 8 Vgl. Alfred Marshall: Principles of Economics, 8. Edition, London 1964, S. 264 bis 265, S. 285, S. 213 bis 214, S. 380 bis 381, S. 664 und S. 666. 9 Vgl. Karl Popper: Logik der Forschung, 6. Aufl., Tübingen 1976, S. 225.
22
1. Kap.: Grundlagenprobleme
der Gewinnsteuer ändert sich überhaupt nichts. Somit sind alle Veränderungen der Kreislaufgrößen einzig und allein auf die E i n f ü h r u n g der neuen Gewinnsteuer, oder, was das Gleiche bedeutet, auf die Gewinnsteuererhöhung zurückzuführen. Damit liegen die Steuerwirkungen in reiner Form vor. Die Modellergebnisse sind insoweit, als die Modellprämissen den untersuchten realen Sachverhalt i n ausreichendem Maße widerspiegeln, beweiskräftig. U m beurteilen zu können, ob die Bedingung i m gegebenen Einzelfall auch i m ausreichenden Maße realisiert ist, m u ß m a n allerdings das M o d e l l u n d seine Effekte vollständig beherrschen.
Zweites Kapitel
Das makroökonomische funktionale Mehrzweckkreislaufmodell von Niehans I . Mathematische Darstellung des Grundmodells Das makroökonomische funktionale Kreislaufmodell von Niehans ist, wie diese Kapitelüberschrift anzeigt, ein Mehrzweckmodell Es läßt sich somit für Analysen m i t einer größeren Anzahl von Untersuchungszwecken verwenden. Dabei müssen n a t ü r l i c h für jeden Untersuchungszweck mathematische Modifikationen vorgenommen werden. Diese Modifikationen führen w i r i m nächsten K a p i t e l für die Gewinnsteuern, für die Kostensteuern u n d für die Lohnsteuern durch. I m darauffolgenden K a p i t e l w e r d e n die notwendigen mathematischen Änderungen für die V e r w e n d u n g des Grundmodells für die Zwecke des technischen Fortschritts u n d der Lohnerhöhungen vorgenommen. Letztere Probleme dienen selbstverständlich nicht selbständigen Analysen dieser Problemkreise, sondern sollen n u r ergänzende Informationen liefern, die für die Probleme der Steuerüberwälzung gebraucht werden. Die V e r w e n d b a r k e i t als M e h r z w e c k m o d e l l ermöglicht eben die Vergleichsanalysen, die zur Aufdeckung der Ursachen u n d für das Verfolgen der W i r k u n g e n i m gesamtwirtschaftlich vernetzten System so n o t w e n d i g sind. Da die Erhöhungen der Gewinnsteuern, der Kostensteuern u n d der Lohnsteuern quantitativ stets gleich groß sind, können die Probleme b e i m gleichen Parameterinput, das heißt, bei der genau gleichen Parameterkombination, untersucht u n d u n m i t t e l b a r miteinander verglichen werden. Damit sind die Voraussetzungen für eine V e r w e n d u n g des Modells als Experimentiermaschine zur D u r c h f ü h r u n g der verschiedensten Experimente gegeben. Die einzelnen Größen, die i m M o d e l l erscheinen, sind übersichtlich geordnet i n d e m Katalog aufgeführt, der sich hinter d e m Inhaltsverzeichnis befindet. Z u den Maßeinheiten m e i n t Niehans: „ F ü r alle Güterströme, das heißt, für alle vork o m m e n d e n Größen m i t Ausnahme von p, w u n d e, denke m a n sich das Bruttosozialprodukt i n einer Basisperiode, das heißt, bevor Löhne, technisches Wissen, Steuern oder Spargewohnheiten sich verändert haben, als Maßeinheit. W e n n also das Bruttosozialprodukt i n der Ausgangslage sich auf 100 Mill. Franken beläuft, so w ü r d e eine L o h n s u m m e von 50 M i l l . Franken d u r c h die Ziffer 0,5 bezeichnet, das Bruttosozialprodukt selbst hingegen d u r c h den W e r t 1. Maßeinheit für das Preisniveau sei die Preisindexziffer i n der Basisperiode,
24
2. Kap.: Das makroökonomische funktionale Mehrzweckkreislaufmodell
u n d das Entsprechende soll für das Lohnniveau gelten. I n der Ausgangslage ist c o m i t ρ = w = 1. Es w i r d sich zeigen, daß diese Umschreibung der Maßeinheiten die ökonomische Interpretation jener Koeffizienten, die das wirtschaftliche Verhalten beschreiben, i n w i l l k o m m e n e r Weise erleichtert 1 ." Die Veränderungen der einzelnen Kreislaufgrößen w e r d e n i n Prozent des Bruttosozialproduktes ausgedrückt, so daß sie alle u n m i t t e l b a r miteinander vergleichbar sind. Die Wirtschaftssubjekte dieser Volkswirtschaft werden i n zwei Klassen eingeteilt, i n Unternehmer u n d NichtUnternehmer (Arbeiter, Produktionsfaktoren). I m Interesse der leichteren H a n d h a b u n g des o h n e h i n recht komplizierten Systems w u r d e der Geldmarkt vernachlässigt. Das k o m m t der Annahme eines völlig elastischen Geldmarktes oder einer Politik der Zinsstabilität gleich. Die Vernachlässigung des Geldmarktes rechtfertigt sich bei der Steueranalyse insofern, als die v e r m u t l i c h e n Auswirkungen einer aktiven Geld- u n d Kreditp o l i t i k relativ leicht abgeschätzt u n d die gewonnenen Modellergebnisse dementsprechend modifiziert w e r d e n können. I m folgenden bringen w i r das Modell kurz zur Darstellung. Der weiter interessierte Leser findet eine ausführlichere mathematische u n d auch graphische Darstellung bei Niehans 2. I n der folgenden Tafel I ist das G r u n d m o d e l l dargestellt. Das G r u n d m o d e l l bedarf einiger Erläuterungen.
a:) Definitionsgleichungen (1)
y=r r'p
Das nominale Bruttosozialprodukt w i r d hier dargestellt als Produkt des realen BSP m i t d e m Preisniveau. Alle drei Größen sind i n der Ausgangslage gleich Eins. (2)
Y =W + D + U
ι Jürg Niehans, Die Wirkung von Lohnerhöhungen, technischen Fortschritten usw., a.a.O., S. 15. 2 Vgl. Jürg Niehans, Die Wirkung von Lohnerhöhungen, technischen Fortschritten usw., a.a.O., S. 14 ff. und S. 26 ff. Die mathematische und graphische Darstellung des Niehans-Modells findet sich auch bei Rudolf Eppler, Das Problem der Steuerinzidenz bei den Gewinnsteuern, Freiburg (Schweiz) 1965, S. 78 ff. Eine kurze und treffende Übersicht über das Modell gibt Wilhelm Krelle in seinem Aufsatz: Income Distribution and Technical Progress. „Kyklos, Internationale Zeitschrift für Sozialwissenschaften", Basel, Vol. XIV (1961), S. 81 ff; sowie in seiner Verteilungstheorie: Wilhelm Krelle, Verteilungstheorie, Tübingen 1962, S. 91 ff.
2. Kap.: Das makroökonomische funktionale Mehrzweckkreislaufmodell
Tafel I
Das G r u n d m o d e l l
Definitionsgleichungen (υ
y=r r-p
(2)
Y=W+D+U
(3)
W =L · w
(4)
D =K ' ρ
(5)
Y n=C w
+ Cv + I + D
Verhaltensgleichungen (6)
p=p(Y r) + e
(7)
w = w (p, L)
(8)
Y r=Y r(L, K)
(9)
C w=C w(W,p)
(10)
Cy^CyiU.p)
(11)
I=I(y,p,w) Gleichgewichtsbedingungen ah
(12)
ÉL· dK (Ì
(13)
(14)
r, 4.
d p
Ρ +
P U. Τ Γ — w r dK
Y N=Y
d P
, Sw
dp
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2. Kap.: Das makroökonomische funktionale Mehrzweckkreislaufmodell
V o m Standpunkt der Entstehung aus ist das BSP zusammengesetzt aus den Löhnen, den Abschreibungen u n d den Unternehmereinkommen. Die Löhne schließen die Gehälter u n d die L o h n k o m p o n e n t e der Geschäftsgewinne der Selbständigen m i t ein. Die Abschreibungen, d. h. der Kapitalverzehr, sind ein Kostenfaktor, der aber n o t w e n d i g ist, w e n n m a n sich nicht auf das NSP beschränken will. Zins u n d Rente sind d e m U n t e r n e h m e r e i n k o m m e n zugerechnet. „Die Eigenart des vorliegenden Modells liegt somit darin, daß sich Kostenbestandteile oder Produktionsfaktoren einerseits, Einkommenszweige andererseits nicht decken. Auf der einen Seite stehen zwei Produktionsfaktoren, Arbeit u n d Kapital, m i t den zugehörigen Kostenbestandteilen, L o h n u n d Kapitalverzehr. Zwei solche Faktoren sind eine Mindestzahl, w e n n das Problem der Faktorsubstitution untersucht w e r d e n soll. Auf der anderen Seite stehen zwei Einkommenszweige, L o h n e i n k o m m e n u n d Unternehmereinkommen. A u c h dies ist eine Mindestzahl, w e n n m a n das Verteilungsproblem aufwerfen w i l l 3 . " (3)
W =L - w
Die L o h n s u m m e ist das Produkt aus der Zahl der Beschäftigten u n d d e m Lohnsatz. Die Beschäftigung w i r d d u r c h die L o h n s u m m e bei konstanten Lohnsätzen gemessen u n d hat i n der Ausgangslage den gleichen W e r t wie die Lohnsumme. (4)
D=K
·ρ
Die Abschreibungen werden aus d e m Realkapitalverzehr Κ u n d d e m Preisniveau ρ berechnet. Es gibt n u r einen einzigen Preisspiegel für das ganze BSP. (5)
Y n=C w
+ Cv + I + D
A u f der Ausgabenseite setzt sich das BSP zusammen aus d e m V e r b r a u c h der Lohnempfänger u n d der Unternehmer sowie aus der Netto- u n d Reinvestition.
ß) Die Verhaltensgleichungen (6)
p=p(Y r) + e
Das Preisniveau ist eine F u n k t i o n der realen P r o d u k t i o n u n d d e m Parameter e. Diese Gleichung d r ü c k t die Verkaufserwartungen der Unternehmer aus. Da3 Jürg Niehans, Die Wirkung von Lohnerhöhungen, technischen Fortschritten usw.; a.a.O., S. 18.
2. Kap.: Das makroökonomische funktionale Mehrzweckkreislaufmodell
bei ist p{Y r) eine Art Nachfragefunktion; e drückt'dabei eine parallele Verschieb u n g dieser F u n k t i o n aus. Der Ausdruck p(Y r) „beschreibt d a m i t i n einem gewissen, allerdings eng beschränkten Sinne auch die vorherrschende K o n k u r renzintensität oder den M o n o p o l g r a d " 4 . (6) hat also die Aufgabe, Preis- u n d Mengenänderungen entlang der Absatzkurve u n d Verschiebungen der Absatzkurve selbst voneinander zu trennen. Es ist ein hervorstechender Zug dieses Modells, daß es ohne die Voraussetzung der v o l l k o m m e n e n K o n k u r r e n z auskommt, e beschreibt den Stand der Absatzerwartungen u n d ist die Größe, die Angebot u n d Nachfrage zur Übereinstimm u n g bringt. (7)
w = w (p, L)
Der Lohnsatz ist eine F u n k t i o n des Preisniveaus u n d der Beschäftigung. Die Abhängigkeit v o m Preisniveau w i r d vor allem d u r c h die L o h n p o l i t i k der Gewerkschaften sichtbar gemacht.
(8)
Y Y = Y r (L, K)
Das reale Sozialprodukt ist eine F u n k t i o n der Beschäftigung u n d des Realkapitalverzehrs. W i r haben hier also eine aggregierte, gesamtwirtschaftliche Produktionsfunktion v o r uns. Der Kapitaleinsatz w i r d d u r c h den j ä h r l i c h e n S t r o m des realen Kapitalverzehrs gemessen. Die Intensität der Nutzung des Kapitalstocks w i r d also mitgemessen, insoweit die produktionsbedingten Abschreibungskosten die d u r c h den technischen Fortschritt bedingten überwiegen, was, wie Krelle bemerkt, i n der heutigen Industrie w o h l der Fall ist 5 . (9)
C w = C w (W, p)
Der Verbrauch der Lohnempfänger hängt von i h r e m E i n k o m m e n u n d d e m Preisniveau ab. W i r haben hier also die K o n s u m f u n k t i o n der Lohnempfänger vor uns. (10)
Cu^CutU.p)
Dies ist die K o n s u m f u n k t i o n der Unternehmer.
(11)
1 = 1 (U, p,w)
4 Jürg Niehans, Die Wirkung von Lohnerhöhungen, technischen Fortschritten usw.; a.a.O., S. 19. 5 Wilhelm Krelle, Income Distribution and Technical Progress. „Kyklos", Internationale Zeitschrift für Staatswissenschaften, Basel, Vol. XIV(1961), S. 82.
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2. Kap.: Das makroökonomische funktionale Mehrzweckkreislaufmodell
Die Investitionsfunktion zeigt, daß die Nettoinvestition eine F u n k t i o n der Gewinne, des Preisniveaus u n d des Lohnniveaus ist.
γ) Die Gleichgewichtsbedingungen
ÊÏL.
(12)
w Ρ
dL
ÔK
Diese Minimalkostenbedingung besagt, daß das Verhältnis von Lohn- u n d Preisniveau d e m Verhältnis der Grenzproduktivitäten von Arbeit u n d K a p i t a l gleich sein muß. - 1 und 0,9 * (1 - L
- K) > 0
ist, k ö n n e n die Grenzproduktivitäten n i c h t kleiner als Eins sein u n d i h r Bereich m u ß zwischen 1 u n d 2,5 liegen. (9·)
ä c
w
= ^ d w +
^ a
P
I n der ersten partiellen Ableitung sehen w i r die Grenzrate des Arbeiterkonsums. Sie w i r d nicht u n t e r 0,6 u n d nicht über 1,0 liegen. Die zweite partielle Ableitung stellt die Preiselastizität des nominellen Arbeiterkonsums bei unverändertem E i n k o m m e n dar. Diese Preisänderungen beeinflussen das Realeinkommen u n d damit den Realkonsum, falls keine Geldillusion besteht, wie eine gleichgroße prozentuale Veränderung des Nominaleinkommens m i t umgekehrtem Vorzeichen bei konstanten Preisen. Abgesehen v o m umgekehrten Vorzeichen weichen daher die prozentualen Preis- u n d Eink o m m e n s w i r k u n g e n auf den nominellen K o n s u m u m 1 voneinander ab: _
dC
w dp
.
p
Cw
- dCw ~ dW
.
W
Cw
- ι
Da an dieser Stelle ρ = 1 ist, ergibt sich:
dp
rr v V
WTi7
ail/ '· dW
Der Lohnanteil a m Sozialprodukt u n d der Unterschied zwischen der durchschnittlichen u n d der marginalen K o n s u m q u o t e ist, w i e m a n sieht, entscheidend. Der zweite Koeffizient w i r d sicher nicht negativ, aber w o h l auch nicht größer als 0,1 sein. ( 1 0
,
^ . ^ Λ ,
+
^
φ
Grundsätzlich gilt für den K o n s u m der Unternehmer das Gleiche, was bei (9) gesagt wurde, jedoch dürfte die Untergrenze der marginalen K o n s u m q u o t e
2. Kap.: Das makroökonomische funktionale Mehrzweckkreislaufmodell
niedriger, etwa m i t 0,4 anzusetzen sein. A u c h die Preiswirkung w i r d etwas geringer sein. (11')
dl=4rr dU + dU dp
dp + dw
dw
or
-gy- ist der marginale Anteil der Investition a m E i n k o m m e n der Unternehmer, der grundsätzlich zwischen 0 u n d einem W e r t ü b e r 1 liegen kann. I m vorliegenden M o d e l l ist allerdings n u r die Summe der Konsum- u n d Investitionsquote, d. h. die marginale Ausgabenneigung der Unternehmer, von Bedeutung. Die Ausgebenneigung dürfte i m Gleichgewichtsfall innerhalb des Bereichs v o n 0,5 u n d 1,5 liegen. Die marginale Konsumneigung der Unternehmer w i r d i n der Regel kleiner sein als die der Arbeiter, w ä h r e n d ihre Ausgabenneigung größer sein w i r d . I m Rahmen dieses Modells ist n u r die Summe der drei Preisreaktionen ,d C w v dp
,
dC
u dp
,
9 1
dp
}
χ
wichtig. Diese Summe ist sicher nicht negativ u n d dürfte andererseits einen W e r t von 0,3 nicht überschreiten. Die partielle Ableitung der Investition nach d e m L o h n dürfte positiv sein, w e n n m a n davon ausgeht, daß, sofern n u r die Löhne steigen u n d die Gewinne samt den Preisen konstant bleiben, die Investitionen nicht abnehmen, sondern eher steigen werden. Die Nettoinvestitionen w e r d e n selten m e h r als 20 % des BSP betragen, u n d sie werden bei einer L o h n e r h ö h u n g von 10 % k a u m m e h r als 20 % anwachsen. Diese Überlegungen ergäben für -J^- eine Obergrenze von 0,4. Eine Variationsbreite v o n 0 bis 0,5 ist aus diesen G r ü n d e n nicht zu eng gewählt. Gleichgewichtsbedingungen
(12') 52yr
32V
dY
w
QlY
B2Y rxJ r^dY
r
,dw
(12') ist die Bedingung dafür, daß bei einer Verschiebung des Gleichgewichts die Minimalkostenbedingung gewahrt bleibt. Sie ist v o n der Letzteren d u r c h totale Differenzierung abgeleitet worden, w o b e i w m i t Hilfe v o n (7') e l i m i n i e r t w o r d e n ist. Die Veränderung der Grenzproduktivität des Kapitals bei veränd e r t e m Kapitaleinsatz w i r d d u r c h den 1. Ausdruck v o n (12') gemessen. Da w o h l das Gesetz des abnehmenden Grenzertrags gilt, brauchen w i r n u r m i t negativen W e r t e n zu rechnen. Der Rückgang des Grenzprodukts w i r d bei Vermehr u n g des Kapitals k a u m größer sein als das Grenzprodukt selbst, daher dürfte der Bereich von 3
Eppler
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2. Kap.: Das makroökonomische funktionale Mehrzweckkreislaufmodell
für alle praktischen Fälle genügen. Die gleichen Überlegungen gelten für die Veränderung des Grenzertrags der #2 y Arbeit bei veränderlichem Arbeitseinsatz ό ^ . Die Veränderung des Grenzertrags des Kapitals d u r c h V e r m e h r u n g des Arbeitseinsatzes u n d die Veränder u n g des Grenzertrags der Arbeit d u r c h V e r m e h r u n g des Kapitaleinsatzes werden d u r c h die indirekten zweiten Ableitungen beschrieben. Diese werden QY positiv sein, ein Bereich von 0 bis w i r d für alle wichtigen Fälle genügen. oK (13< ) Γ
dp ,dY
\r£r
{
r
^
d*Y dK*
dl dLdK
r
r dp
Ί έ - i ' X + l u t
8Y r (
är
dW .
-I
1
- i F ^ - ^ r ^ ' - w r ^ {
dK
}
0
dK
D u r c h totale Differentiation von (13) erhalten w i r den obigen Ausdruck, wobei - ^ t - u n d als Konstante behandelt werden müssen. (13') bedingt, daß dY r dp sich bei einer Gleichgewichtsänderung die Grenzerlöse u m den gleichen Betrag wie die Grenzkosten verschieben. Grenzkosten u n d Grenzerlöse müssen keinesfalls übereinstimmen, sondern sie können stets u m eine konstante Differenz voneinander abweichen, n u r darf die Differenz nicht variieren. Insofern sind die Ergebnisse i n diesem strengen Sinn von der Gewinnmaximierung unabhängig. (14')
dY=dY
N
Die Veränderung der Güternachfrage muß der Veränderung des Angebots gleich sein. Die Koeffizienten, die hier als partielle Ableitungen erscheinen, sollen die grundlegenden Verhaltensweisen i n der Wirtschaft beschreiben. W i r setzen voraus, daß diese Verhaltenskoeffizienten konstant bleiben; sie verkörpern die Dauer i m Wechsel der Erscheinungen. I n der folgenden Tafel I I I sind diese Verhaltensparameter übersichtlich zusammengestellt. H i e r ist noch anzufügen, daß w i r für die Steuerprobleme n u r 14 der i n Tafel I I I aufgeführten Parameter benötigen. Die Parameter m 7 , u n d w 1 5 sind n u r für das Problem des technischen Fortschritts erforderlich. Der Buchstabe t i n den letztgenannten Parametern bedeutet einen technischen Fortschritt bestimmter Größe.
2. Kap.: Das makroökonomische funktionale Mehrzweckkreislaufmodell
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Tafel III Die Verhaltensparameter und die Parameter der Produktionsfaktoren Verbale Bezeichnung 1 marginale Ausgabenneigung der Unternehmer
mathematische Bezeichnung
marginale Konsumneigung der Arbeiter
dl dU
dC w dW
Preisreaktion des Arbeiterund Unternehmerkonsums und der Investition
"3
dp dY r dC w dp
Realkapitalverzehr (Kapitaleinsatz real)
+
0,5 bis 1,5
"2
1
Preiselastizität der Nachfrage
4
3
2
dC v dU
Abkür- geschätzter Grözung ßenbereich
dCjj ^ dl dp dp
"4
0,6 bis 1,0 1