Sterbehilfe – ein unbekanntes Terrain: Empirische und ethische Analysen zu einem guten Lebensende 3515113908, 9783515113908

Viele Menschen in Deutschland wünschen sich ein schnelles und schmerzfreies Sterben. Doch dieser Wunsch trifft auf eine

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German Pages 231 [234] Year 2016

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
I Einführung und theoretischer Hintergrund
1 Einleitung
1.1 Der Ruf nach aktiver Sterbehilfe
1.2 Überblick über die Themengebiete
2 Tod und Sterben
2.1 Tod und Sterben: Ein Tabu?
2.2 Erklärungsansätze für den gesellschaftlichen Einstellungswandel
3 Zur Situation des Sterbens und der Sterbenden in Deutschland
3.1 Tod und Sterben: Eine Klärung
3.2 Institutionen des Sterbens
4 Euthanasie
4.1 Die Euthanasie unter historischen Aspekten
4.2 Eugenik – Sozialdarwinismus – „Euthanasie“
4.3 Gibt es lebensunwertes Leben? Eine Diskussion
5 Sterbehilfe
5.1 Formen der Sterbehilfe
5.2 Fragwürdige Terminologie?
5.3 Ein europäischer Ländervergleich
5.4 Argumente in der Sterbehilfe-Debatte
5.5 Sterbehilfe als Geschäft?
6 Autonomie und Würde im Sterbeprozess
6.1 Autonomie im Sterben
6.2 Die Patientenverfügung
6.3 Würde im Sterben
7 Sterbehilfe als Informationsproblem
7.1 Überlegungen zur Informationsgewinnung und -verarbeitung
7.2 Sterbehilfe in den Medien
7.3 Der Informationsstand der Bevölkerung zu Tod und Sterben
II Empirische Untersuchungen
8 Fragestellungen und Methodik der empirischen Untersuchung
8.1 Fragestellungen und Hypothesen
8.2 Methodik
9 Stichprobenbeschreibung
9.1 Auswahl der Untersuchungsteilnehmer
9.2 Vorgehensweise und Durchführung
9.3 Analyse fehlender Werte
10 Darstellung der Ergebnisse
10.1 Ergebnisse des explorativen Teils
10.2 Ergebnisse des experimentellen Teils
10.3 Analyse qualitativer Daten
11 Diskussion der Ergebnisse
11.1 Einfluss des Informationsgehalts auf Einstellung
11.2 Gesetzliche Regelung der Sterbehilfe in Deutschland
11.3 Rolle der Sterbehilfe in Deutschland
11.4 Freie Verfügung über das eigene Leben und den eigenen Tod
11.5 Maßnahmen der Sterbehilfe: Was davon ist aktive Sterbehilfe?
11.6 Konfrontation mit Tod und Sterben
11.7 Beschäftigung mit dem eigenen Tod
11.8 Emotionen beim Nachdenken über den eigenen Tod
12 Zusammenfassung der Ergebnisse
12.1 Fazit und Ausblick
12.2 Schlusswort
13 Verzeichnisse
13.1 Literaturverzeichnis
13.2 Abbildungsverzeichnis
13.3 Tabellenverzeichnis
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Sterbehilfe – ein unbekanntes Terrain: Empirische und ethische Analysen zu einem guten Lebensende
 3515113908, 9783515113908

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Constanze Hübner

Sterbehilfe – ein unbekanntes ­Terrain Empirische und ethische Analysen zu einem guten Lebensende

Medizin-Philosophie Franz Steiner Verlag

ars moriendi nova - band 3

Constanze Hübner Sterbehilfe – ein unbekanntes Terrain

ars moriendi nova geschichte philosophie praxis Herausgegeben von Andreas Frewer Christof Müller-Busch Daniel Schäfer Band 3

Constanze Hübner

Sterbehilfe – ein unbekanntes Terrain Empirische und ethische Analysen zu einem guten Lebensende

Franz Steiner Verlag

Umschlagabbildung

© Felix Pergande / fotolia.com

Reihenherausgeber

Prof. Dr. med. Andreas Frewer, M.A. Institut für Geschichte und Ethik der Medizin Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Glückstraße 10 91054 Erlangen Prof. Dr. med. Christof Müller-Busch Rüsternallee 45 14050 Berlin Prof. Dr. med. Dr. phil. Daniel Schäfer Institut für Geschichte und Ethik der Medizin Universität Köln Joseph-Stelzmann-Str. 20, Geb. 42 50931 Köln

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2016 Druck: Laupp & Göbel, Nehren Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11390-8 (Print) ISBN 978-3-515-11391-5 (E-Book)

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort .........................................................................................................

9

I

Einführung und theoretischer Hintergrund .........................................

11

1 1.1 1.2

Einleitung ......................................................................................... Der Ruf nach aktiver Sterbehilfe ....................................................... Überblick über die Themengebiete ....................................................

13 15 17

2 2.1 2.2

Tod und Sterben ................................................................................ Tod und Sterben: Ein Tabu? .............................................................. Erklärungsansätze für den gesellschaftlichen Einstellungswandel .....

19 19 21

3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4

Zur Situation des Sterbens und der Sterbenden in Deutschland .......... Tod und Sterben: Eine Klärung ......................................................... Der Sterbeablauf .............................................................................. Todesdefinitionen: Ein ethisches Problem ......................................... Institutionen des Sterbens ................................................................. Das Krankenhaus ............................................................................. Das Alten- und Pflegeheim ............................................................... Das Hospiz ....................................................................................... Die Palliativstation ............................................................................

33 34 34 42 44 45 52 53 56

4 4.1 4.2 4.3

Euthanasie ........................................................................................ Die Euthanasie unter historischen Aspekten ...................................... Eugenik – Sozialdarwinismus – „Euthanasie“ ................................... Gibt es lebensunwertes Leben? Eine Diskussion ...............................

65 65 68 73

5 5.1 5.2 5.3 5.3.1 5.4 5.5

Sterbehilfe ........................................................................................ 81 Formen der Sterbehilfe ...................................................................... 82 Fragwürdige Terminologie? .............................................................. 86 Ein europäischer Ländervergleich ..................................................... 94 Die Euthanasie in den Niederlanden – ein Vorbild? ........................... 95 Argumente in der Sterbehilfe-Debatte ............................................... 102 Sterbehilfe als Geschäft? ................................................................... 105

6 6.1 6.2 6.3

Autonomie und Würde im Sterbeprozess ......................................... Autonomie im Sterben ...................................................................... Die Patientenverfügung ..................................................................... Würde im Sterben ............................................................................

107 107 108 115

6

Inhaltsverzeichnis

7 7.1 7.1.1 7.2 7.3 7.3.1

Sterbehilfe als Informationsproblem ................................................. Überlegungen zur Informationsgewinnung und -verarbeitung ........... Steuerung der Informationsverarbeitung durch Einstellung ............... Sterbehilfe in den Medien ................................................................. Der Informationsstand der Bevölkerung zu Tod und Sterben ............. Die Thanato-Psychologie als Informationsträger ...............................

121 122 122 124 126 127

II

Empirische Untersuchungen ............................................................. 129

8 8.1 8.2 8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.2.4

Fragestellungen und Methodik der empirischen Untersuchung .......... Fragestellungen und Hypothesen ....................................................... Methodik .......................................................................................... Stichprobengewinnung ...................................................................... Der Fragebogen ................................................................................ Gütekriterien ..................................................................................... Analysemethodik ..............................................................................

131 131 132 132 133 136 138

9 9.1 9.1.1 9.1.2 9.2 9.2.1 9.3 9.3.1

Stichprobenbeschreibung .................................................................. Auswahl der Untersuchungsteilnehmer ............................................. Prüfung der Strukturgleichheit .......................................................... Demografische Beschreibung der Untersuchungsteilnehmer ............. Vorgehensweise und Durchführung .................................................. Analyse des Rücklaufs ...................................................................... Analyse fehlender Werte ................................................................... Unvollständiger Datensatz (missing values) ......................................

139 139 139 145 149 150 152 153

10 Darstellung der Ergebnisse ............................................................... 10.1 Ergebnisse des explorativen Teils .................................................... 10.1.1 Gesetzliche Regelung der Sterbehilfe in Deutschland ........................ 10.1.2 Rolle der Sterbehilfe in Deutschland ................................................. 10.1.3 Freie Verfügung über das eigene Leben und den eigenen Tod ........... 10.1.4 Patientenverfügung (PV) ................................................................... 10.1.5 Einstellung zur passiven Sterbehilfe .................................................. 10.1.6 Antwortverhalten in Abhängigkeit vom Informationsgrad ................. 10.1.7 Konfrontation mit Tod und Sterben ................................................... 10.1.8 Beschäftigung mit dem eigenen Tod ................................................ 10.1.9 Emotionen bei dem Gedanken an den eigenen Tod ........................... 10.1.10 Die Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe .......................................... 10.2 Ergebnisse des experimentellen Teils ................................................ 10.2.1 Kovariaten der Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe ....................... 10.2.2 Steuerung der Einstellung durch Informationsgehalt ........................ 10.3 Analyse qualitativer Daten ................................................................ 10.3.1 Welche Gründe rechtfertigen „aktive“ Sterbehilfe? .......................... 10.3.2 Was ist Sterbehilfe wirklich? .............................................................

157 157 157 158 159 162 163 168 186 190 192 196 198 198 200 201 201 204

Inhaltsverzeichnis

11 11.1 11.1.1 11.1.2 11.2 11.3 11.4 11.4.1 11.5 11.5.1 11.5.2 11.5.3 11.6 11.6.1

7

11.7 11.8

Diskussion der Ergebnisse ................................................................ Einfluss des Informationsgehalts auf Einstellung .............................. Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe ................................................ Einstellung zur passiven Sterbehilfe .................................................. Gesetzliche Regelung der Sterbehilfe in Deutschland ........................ Rolle der Sterbehilfe in Deutschland ................................................. Freie Verfügung über das eigene Leben und den eigenen Tod ........... Bekanntheitsgrad der Patientenverfügung (PV) ................................. Maßnahmen der Sterbehilfe: Was davon ist aktive Sterbehilfe?.......... Interkorrelationen der Sterbehilfeformen ........................................... Antwortverhalten in Abhängigkeit von der Informationsart ............... Kenntnisgrad und Bildung ................................................................ Konfrontation mit Tod und Sterben ................................................... Die Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe in Abhängigkeit von Konfrontation mit Tod und Sterben ............................................ Beschäftigung mit dem eigenen Tod ................................................ Emotionen beim Nachdenken über den eigenen Tod ........................

207 207 208 208 209 209 209 210 210 211 212 213 213

12 12.1 12.2

Zusammenfassung der Ergebnisse ..................................................... 217 Fazit und Ausblick ............................................................................ 218 Schlusswort ...................................................................................... 219

13 13.1 13.2 13.3

Verzeichnisse .................................................................................... Literaturverzeichnis ......................................................................... Abbildungsverzeichnis ...................................................................... Tabellenverzeichnis .........................................................................

214 214 215

211 221 229 230

VORWORT Die Sterbehilfe in Deutschland wird nicht nur aktuell kontrovers diskutiert, sondern bereits seit vielen Jahren. Sie ist aus der Themenwelt der Medien, aber auch aus der Politik nicht mehr wegzudenken und sorgt immer wieder für „heiße“ Diskussionen. Jüngstes Beispiel ist die intensive Debatte des Bundestags, der vier Gesetzesentwürfe hinsichtlich der Sterbehilfe zum Gegenstand hatte und darüber diskutierte, welcher von ihnen angenommen wird.1 Bislang war in Deutschland einzig die aktive Sterbehilfe – das gezielte Töten auf Verlangen – verboten; nun hat der Bundestag am 6. November 2015 einen der Gesetzesentwürfe verabschiedet, der die geschäftsmäßige Sterbehilfe unter Strafe stellt, wobei von diesem Verbot Angehörige und Nahestehende ausgenommen sind.2 Eine Form der Sterbehilfe, die Sterbebegleitung, wurde bislang in der Sterbehilfe-Debatte nur unzureichend behandelt und gesetzlich zu sehr vernachlässigt. Das hat sich mit dem 5. November 2015 geändert, als der Bundestag das Palliativund Hospizgesetz verabschiedet hat, das gesundheitspolitisch in die richtige Richtung weist: So sollen deutschlandweit die Palliativ- und Hospizstationen in allen deutschen Kliniken ausgebaut werden.3 Es zeigt sich, dass wir mit dieser Entwicklung zu einem guten Lebensende – zu einer Ars moriendi nova – näher gekommen sind. Der Trend, in Deutschland die Sterbehilfe gesetzlich zu regeln, nimmt mit dieser Entwicklung weitere Formen an. Nicht oft gelangen Kontrahenten wie im obigen Fall zu einem zufriedenstellenden Konsens, wenn es um die Sterbehilfe geht, und es ist generell eine polarisierende Argumentation beider „Lager“ der Sterbehilfe-Debatten anzumerken. Es stellen sich in diesem Zusammenhang gleich mehrere Fragen: Über welche Form der Sterbehilfe wird eigentlich diskutiert, und was bedeutet „Töten auf Verlangen“ wirklich? Ist dies „aktive Sterbehilfe“ oder möglicherweise etwas anderes – Hilfe im Sterben vielleicht und nicht Hilfe zum Sterben? Ferner wird gefragt, ob die angeblich hohe Befürwortung zur aktiven Sterbehilfe nicht eher auf verzerrten Umfrageergebnissen beruht und weniger auf kompetentem und umfassendem Wissen bezüglich der Sterbehilfeformen. Der mehrheitlichen Unkenntnis hinsichtlich der Sterbehilfearten – obwohl heftig diskutiert – sollte mit der vorliegenden Studie empirisch begegnet werden, damit endlich Klarheit darüber geschaffen wird, worüber wirklich geredet wird. Das vorliegende Projekt, das mit vielen Jahren an Forschung und mühsamer Arbeit verbunden war, konnte nur dann gelingen, weil es von Menschen unterstützt 1 2 3

Alle vier Gesetzesentwürfe sind online nachzulesen unter http://www.aerzteblatt.de/archiv/172937 [letzter Zugriff: 18.10.2015]. Vgl. Richter-Kuhlmann (2015). Vgl. Beerheide/Richter-Kuhlmann (2015).

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1 Einleitung

wurde, die sich dafür auch interessierten. So sei an erster Stelle Prof. Dr. Andreas Frewer, M.A. gedankt, dass diese Arbeit als Promotionsvorhaben an der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg angenommen wurde: Er begleitete diese Arbeit bis zum Schluss wohlwollend und mit zahlreichen wie auch äußerst konstruktiven Beiträgen. Dies trug maßgeblich dazu bei, dass das Dokumentieren der Studie für mich mit viel Freude verbunden war. Auch danke ich Prof. Heinz-Jürgen Kaiser für seine hilfreiche Begleitung und dafür, dass er vor vielen Jahren mein Interesse für Tod und Sterben geweckt hatte. Prof. Daniel Schäfer (Köln) möchte ich für seine nützlichen und wichtigen Hinweise ebenso danken wie Prof. Christof Müller-Busch (Berlin). Ein großer Dank gilt Klaus Bergmann für seine allumfassende Geduld und Hilfe. An Abenden und Wochenenden opferte er mir und meinem Promotionsvorhaben viele Stunden: Seine methodische und freundschaftliche Unterstützung waren von unschätzbarem Wert. Ebenso gebührt Pfarrer Hannjürg Neundorfer ein Dank für seine langjährige bedingungslose und aufopferungsvolle Unterstützung: Ohne diese wäre mein Leben anders verlaufen. Ich danke meiner Mutter Sabine Hübner und meinen Freunden, die mir stets Rückhalt gaben. Auch meinem inzwischen erwachsenen Sohn Vincent möchte ich danken, dass er es mir möglich machte, mich als Mutter und Wissenschaftlerin gleichermaßen zu verwirklichen. Meinem Mann, Hans-Georg Ross, den ich in der letzten Phase der Studie kennen- und lieben gelernt habe, danke ich für seine tatkräftige Unterstützung. Peter Mugay möchte ich für seine langjährige Begleitung meines Promotionsvorhabens danken. Vor allem in der letzten Phase waren seine „publizistisch“ geschulten Augen von besonderer Bedeutung. Mein Dank gilt zudem den Untersuchungsteilnehmern, die sich bereit erklärt hatten, an der Befragung teilzunehmen. Ohne sie wäre die Studie nicht möglich gewesen. In all den Jahren, die ich an dem Promotionsvorhaben arbeitete, bekundeten viele Menschen Interesse am Thema Sterbehilfe. Wer sich jahrelang mit dem Thema „Tod und Sterben“ auf wissenschaftlicher Ebene auseinandersetzt, kommt nicht umhin, sich auch persönlich damit zu befassen. Hierzu zwang mich nicht zuletzt der unerwartete Tod des Vaters meines Sohnes, Peter Cota-Robles, der in der Blüte seines Lebens durch einen unbekannten Virus sein Leben lassen musste.

März 2016 Constanze Hübner

I EINFÜHRUNG UND THEORETISCHER HINTERGRUND

1 EINLEITUNG Tod und Sterben sind unbestritten Teile des Lebens. Dennoch gibt es Hinweise auf eine gewisse Verdrängung, die Tod und Sterben aus unserer Gesellschaft auszugrenzen scheinen.4 Indizien für eine Verdrängung des Todes gibt es nicht wenige. In unserer Gesellschaft wird beinahe unbemerkt gestorben5 – versteckt in Institutionen, nicht selten abgeschoben in so genannte Sterbezimmer. Der Tod ist gewissermaßen institutionalisiert worden: Etwa 85 % der Menschen in Deutschland sterben in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen, wobei der Anteil derjenigen, der ansonsten in Krankenhäusern stirbt, sich zusehends in Alters- bzw. Pflegeheime verlagert.6 Der letzte Teil des Lebens ist infolgedessen aus dem Blickfeld der Gesellschaft gerückt. Jedes „unnütz“ belegte Bett in den Institutionen wird rasch neu vergeben, um die Kosten so gering wie möglich zu halten. Es hat den Anschein, die Leiche des Verstorbenen7 würde schnell „entfernt“ werden. Auch das traditionelle Aufbahren des Toten im häuslichen Bereich gehört der Vergangenheit an. Ein Zeitnehmen beim Abschied vom Verstorbenen kann kaum stattfinden. So unterscheidet sich der Abschied vom Verstorbenen heutzutage gravierend von früher. Hat die Gesellschaft das vertraute Verhältnis zu Tod und Sterben zugunsten eines technisierten und damit leistungsorientierten Weltbildes aufgegeben? In der westlichen Hemisphäre ist es aufgrund verbesserter medizinischer Versorgung, ausreichender Nahrung, fehlender Kriege u. a. möglich geworden, ein langes Leben zu führen. Bei dieser epochalen Veränderung handelt es sich um eine Veränderung der Lebenserwartung bei Geburt, die sich mit einem Wegfall der hohen Säuglingssterblichkeit früherer Zeiten deutlich erhöht hat. Einem Neugeborenen, das heute das Licht der Welt erblickt, wird eine mittlere Lebenserwartung von gegenwärtig etwa 80 Jahren8 gleich mit in die Wiege gelegt. Die westliche Gesellschaft hat sich so sehr an die nahezu hundertprozentige Garantie eines langen Lebens gewöhnt, dass sie dieses geradezu einfordert. Solch eine Erwartungshaltung

4 5

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8

Vgl. Ariès (1980), Rest (1989), Wittkowski (2003) und Feldmann (2012). Es könnte an dieser Stelle der Einwand erhoben werden, dass das Sterben in den Institutionen durchaus einen öffentlichen Charakter aufweise. Das „unbemerkte“ Sterben, von dem die Rede ist, bezieht sich hier auf die Gesellschaft als Ganzes, nicht auf einen aus meist Pflegepersonal bestehenden Teil. Vgl. Thönnes/Jacobi (2011). Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dem folgenden Text die grammatikalisch männliche Form verwendet. Wenn nicht anders angezeigt, sind damit ebenso die weiblichen Formen gemeint. Aus dem Datenreport des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahre 2013 geht hervor, dass die mittlere Lebenserwartung der Männer gegenwärtig 77,7 Jahre und die der Frauen 82,7 Jahre beträgt; vgl. Statistisches Bundesamt (2013).

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1 Einleitung

wird anhand der Todesanzeigen der Tageszeitungen ersichtlich, in denen nicht selten zu lesen ist: „[...] wurde viel zu früh aus unserer Mitte gerissen“.9 Doch betrachtet man das Alter dieses Verstorbenen von vielleicht 70 Jahren, so mag er oder sie für die Menschen als zu jung gestorben sein, noch vor 150 Jahren hingegen war ein Sterben in diesem Alter sehr ungewöhnlich, denn in der Regel erreichten nur die wenigsten solch ein „biblisches“ Alter. Imhof stellt hier folgende Rechnung an: Vor 300 Jahren habe von zehn zu Grabe getragenen Menschen die Summe der insgesamt durchlebten Jahre 260 Jahre betragen. Ihre durchschnittliche Lebenserwartung habe somit bei 26 Jahren gelegen.10 Diese Zahlen belegen, dass die Menschen vor der Industrialisierung im Gegensatz zur Gegenwart in jedem Alter starben. Wer damals ein höheres Alter erreichte, stellte eine Seltenheit dar. Solch ein Mensch wurde aufgrund dessen von der Gesellschaft hoch geachtet (und vielleicht auch beneidet). In der Gegenwart wird im höheren bis hohen Alter gestorben. Dies ist zwar eine wünschenswerte Entwicklung unserer Gesellschaft, denn wer möchte nicht alt werden? Die Kehrseite der Medaille unseres vergleichsweise sicheren und langen Lebens ist jedoch, dass nicht Krankheiten mit kurzem Verlauf wie Infektionen, Grippe und anderen akuten Leiden gewöhnlich unser Leben beenden, sondern zunehmend chronische Krankheiten mit progredientem und oft sehr schmerzhaftem Verlauf. Das Statistische Bundesamt nennt im Folgenden die zehn häufigsten Sterbefälle in Deutschland im Jahr Jahre 2013 nach den Kriterien des International Classification of Diseases (ICD-10): Chronische ischämische Herzkrankheit, akuter Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz, bösartige Neubildung der Bronchien und der Lunge, sonstige chronische obstruktive Lungenkrankheit, Schlaganfall, hypertensive Herzkrankheit, Pneumonie, bösartige Neubildung der Brustdrüse, bösartige Neubildung des Dickdarms. Somit werden laut deutscher Statistik die Erkrankungen von Herz und Kreislauf als häufigste Todesursache angeben; danach folgten Krebs, Erkrankungen der Atemwege und der Verdauungsorgane und schließlich äußere Ursachen.11 Aufgrund dieser Daten schreibt Fischer einen Großteil des Grundes für die Institutionalisierung von Sterben und Tod der aus den medizinischen und hygienischen Fortschritten resultierenden verlängernden Lebenszeit zu.12 Ging im Zuge der Ökonomisierung und damit einer Rationalisierung beinahe aller Lebensbereiche und somit auch der des Sterbens ein Großteil der guten menschlichen Sterbequalität verloren? Der Einwand, dass die Menschen früher 9 10 11

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Einen umfassenden Überblick über die Illokation standardisierter Trauersprache in Todesanzeigen bietet Herzog aus dem Jahre 2001. Vgl. Imhof (1988), S. 46-47. Vgl. Würmeling (2010), S. 111. Die statistische Ermittlung der Todesursachen in Deutschland ist dem Autor zufolge allerdings nicht ganz unbedenklich, da beispielsweise die Mehrzahl der Todesursachen, welche durch eine Obduktion aufgeklärt worden seien, der ärztlich festgestellten Todesursache auf dem Leichenschauschein nicht entsprächen und somit den Wert der Todesursachenstatistik erheblich reduzierten. Dennoch seien sie einigermaßen erkenntnisrelevant, weil die Fehlerquote relativ gleichbleibend sei und grobe Veränderungen in der Häufigkeit der verschiedenen Todesursachen noch erfasst würden. Vgl. Fischer (2010), S. 12.

1 Einleitung

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auch nicht gerne starben (groß war beispielsweise die Angst vor dem Jüngsten Gericht), ist nicht von der Hand zu weisen. Doch immerhin, wie weiter unten erläutert wird, stellte der Sterbeverlauf im Vergleich zu heute meist einen ritualisierten und innerhalb der Familien stattfindenden Prozess dar, der dem Sterbenden einen sicheren Rahmen bot. Der Wegfall dieser Sterberituale einerseits und die moderne Medizin andererseits veränderten augenscheinlich die erlebte Sterbequalität. Die Angst vor einem einsamen Sterben in den Institutionen, aber auch vor qualvollem „Dahinsiechen“ scheint kontinuierlich zu wachsen. „Die Präsenz der modernen Medizin im Sterbeprozess wird offensichtlich als inhuman erlebt“.13 Diese Furcht bietet einen günstigen Nährboden für den Ruf nach (aktiver) Sterbehilfe, denn viele Menschen suchen Auswege aus dieser scheinbar inhumanen Sterbesituation; so möchten sie den Zeitpunkt und die Art ihres Sterbens selber bestimmen. Ein Wunsch, der im Grunde verständlich ist. Ein Schweizer Verein namens Dignitas (lateinisch: Würde) etwa verhilft solchen Menschen, die sich ein „humanes“ Sterben wünschen, gegen Bezahlung zum Sterben.14 Aber: „Angenommen wird, Sterben ‚außerhalbʻ der Medizin sei ‚würdevollesʻ oder ‚friedlichesʻ Sterben – was angesichts quälender ‚natürlicherʻ Sterbeverläufe als Fehlschuss erscheinen“ müsse.15 Stellt würdevolles und friedliches Sterben nicht vielmehr ein Sterben mit adäquater Schmerzbehandlung (falls nötig), ein liebevolles Begleiten in einer angenehmen Atmosphäre – sei es in einer Institution oder in häuslicher Umgebung – dar, ohne dass als einzige und wahre Lösung der assistierte Suizid, Freitod oder die gezielte Tötung auf Verlangen in Betracht gezogen werden muss?16

1.1 DER RUF NACH AKTIVER STERBEHILFE Der vermeintliche Wunsch nach aktiver Sterbehilfe ist verständlich, wenn man die Ängste der Menschen betrachtet, die oft hinter diesem Wunsch stehen. Es darf angenommen werden, dass sich die meisten Menschen ein Sterben ohne Schmerzen wünschen, geborgen und selbstbestimmt in einer für sie adäquaten Atmosphäre, ohne eine künstliche Verkürzung (oder Verlängerung?) des Lebens. Ein Sterben also, das durch die Palliativmedizin in vielen Fällen ermöglicht wird. Manchen Umfrageergebnissen zufolge scheint sich die Mehrheit der deutschen Bevölkerung je-

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15 16

Erbguth (2010), S. 48. Dignitas leistet Beihilfe zum Suizid, es handelt sich also streng genommen um keine aktive Sterbehilfe (siehe auch Bundesministerium der Justiz 2012). Ob dies nun einer ethischen und moralischen Beurteilung eher standhält als die aktive Sterbehilfe, wird hier nicht erörtert. Die Komponente „Geld“, welche in diesem Zusammenhang eine Rolle spielt, verhilft aber sicherlich nicht zu einer akzeptierenden Haltung. Ebd. Vgl. Borasio et al. (2014). Der assistierte Suizid wird nicht nur in der Politik, sondern auch in der Literatur kontrovers diskutiert; vgl. auch Gavela (2013), Hillenkamp (2014) und Nauck et al. (2014).

16

1 Einleitung

doch für die aktive Sterbehilfe auszusprechen. Worin liegt diese offenkundige Diskrepanz begründet zwischen dem Wunsch nach aktiver Sterbehilfe einerseits und dem Wunsch nach einem humanen Sterben andererseits? Folgende Erklärungsansätze sind vorstellbar: Menschen neigen zu der Annahme, dass existenzbedrohende Situationen nicht sie, sondern immer nur andere Menschen treffen. Der – in diesem Sinne – unreflektierte Wunsch nach Lebensbeendigung ist daher schnell geäußert, da dies schließlich nicht sie selbst betrifft.17 Würden die Menschen sich in einer realen Situation wirklich für den Tod entscheiden? Stiefel bezweifelt dies.18 Er stellt fest, dass Gesunde sich nur schwer vorstellen könnten, wie jemand mit der Diagnose Krebs, mit fortschreitender Erkrankung oder mit dem nahen Tod leben könne. Tatsache sei, dass der überwiegende Teil der Patienten mit Tumorerkrankungen der schwierigen Lage durchaus gewachsen sei und nicht unter psychischen Störungen leide und infolgedessen nur die wenigsten unter diesen Patienten den Wunsch äußerten, sterben zu wollen. Das Verlangen nach einer Erlösung entstehe in der Regel aufgrund ungenügend kontrollierter Symptome wie Schmerzen oder Atemnot, welche sich laut Stiefel bei einer fachgerechten Behandlung dieser Beschwerden verflüchtigten.19 De Stoutz berichtet Ähnliches aus ihrer Praxis: Todkranke Patienten seien stets ambivalent. Einerseits wünschten sie, dass alles zu Ende gehe, andererseits, dass es in einer guten Art weiter gehe. Die Ärztin ist der Auffassung, dass der so genannte Sterbewunsch „so will ich nicht weiterleben“ eigentlich als „so nicht – wie dann?“ gemeint sei.20 Galushko und Voltz diskutieren in diesem Zusammenhang den Sterbewunsch und dessen Bedeutung in der palliativmedizinischen Versorgung und kommen zu dem Ergebnis, dass das Phänomen „Todeswunsch“ ein noch viel zu wenig differenziert erforschtes Phänomen sei.21 Die deutsche Bevölkerung hat immer noch ein unzureichendes Wissen um die vielfältigen und erfolgreichen Möglichkeiten der Palliativmedizin und sie glaubt aufgrund dessen in vielen Fällen, nur Sterben-Dürfen sei die einzige Lösung, einem leidvollen Sterben begegnen zu können. Aus der Praxis ist jedoch bekannt, dass in einem schmerzfreien Zustand nur die wenigsten der schwerkranken Menschen dazu neigen, ihr Leben aktiv beenden zu wollen.22 Die Palliativmedizin als (bessere und einzige) Alternative zur aktiven Sterbehilfe indessen ist den deutschen Bürgern immer noch nicht tief genug in ihr Bewusstsein gelangt.23 Als wichtigster Punkt und Kernaussage dieser Untersuchung wird Folgendes angenommen: Es wird immer Menschen geben, die sich eine aktive Sterbehilfe vorstellen können, doch wird der

17 18 19 20 21 22 23

Vgl. Elias (1982). Vgl. Stiefel (2000), S. 30. Ebd., S. 31. De Stoutz (2000), S. 38. Vgl. Galushko/Voltz (2012), S. 201. Die Autoren verweisen auf einige Studien, die die Todeswünsche insbesondere auf Palliativstationen untersuchen. Diese sind meist unter depressiven, geistig kranken und neurotischen Menschen zu finden. Vgl. Merk (2008). Vgl. Klie (2002) sowie Deutscher Hospiz- und PalliativVerband (2012).

1 Einleitung

17

Ruf nach aktiver Sterbehilfe sicherlich nicht von der Mehrheit der Bevölkerung getragen. Es ist vielmehr sehr wahrscheinlich, dass nicht wenige Menschen glauben, ein Abstellen des Beatmungsapparates oder die Erhöhung der Schmerzmitteldosis mit Todesfolge seien auch eine aktive Sterbehilfe (was sie aber nicht sind) und sie sich demgemäß scheinbar für eine aktive Sterbehilfe aussprechen. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich bis zur Gegenwart nur langsam eine Humanisierung des Sterbens entwickelt, die insbesondere von der palliativen sowie hospizlichen Arbeit getragen wird. Wenn gesellschaftliche Kräfte die aktive Sterbehilfe herbeireden, könnte ein großes Potenzial gefährlicher Strömungen und Tendenzen entstehen, welche aktive Sterbehilfe als alleinige Lösung für eine schwierige Sterbesituation ansehen, indem sie eine Maschinerie des professionellen Tötens in unserer Sozial- und Gesundheitspolitik in Gang setzen. Es wird in diesem Zusammenhang stark bezweifelt, dass sich die Qualität unseres Gesundheitssystems hierdurch verbessern würde – im Gegenteil: Wenn nicht für eine flächendeckende Einführung der Palliativmedizin in Deutschland gesorgt,24 die aktive Sterbehilfe hingegen als „Heilslösung“ des Gesundheitssystems propagiert wird, muss die Qualität der Versorgung kranker und sterbender Menschen noch mehr infrage gestellt werden.

1.2 ÜBERBLICK ÜBER DIE THEMENGEBIETE Die Frage nach Sterbehilfe wird von einer Gesellschaft gestellt, die – wie weiter unten angenommen wird – von einer Vermeidungshaltung25 hinsichtlich Tod und Sterben geprägt ist. Die Frage nach der Sterbehilfe darf jedoch nicht als von Tod und Sterben mit all ihren dazugehörenden Facetten losgelöstes Problem behandelt werden, sondern sie setzt eine Auseinandersetzung mit diesen voraus. Die vorliegende Untersuchung soll dieser Forderung nachkommen, indem die wichtigsten Teilgebiete, die mit Tod und Sterben und damit letztendlich der Sterbehilfe in Verbindung stehen, in den theoretischen Teil der vorliegenden Arbeit mit aufgenommen werden. Im Folgenden wird auf den Wandel der gesellschaftlichen Einstellung sowie dessen Gründe hierfür ebenso eingegangen wie auf die aktuelle Situation der Sterbenden in Deutschland. Eine Untersuchung der Sterbesituation setzt die Frage voraus, was „Sterben“ eigentlich bedeutet. Ist es nur ein physiologisches Geschehen oder spielen auch psychologische Phänomene bei diesem existenziellen Prozess eine Rolle? Als Nächstes wird kritisch eingegangen auf Situationen des Sterbens und der Sterbenden in den Institutionen. Hierbei sind insbesondere das Krankenhaus, das Alten- und Pflegeheim sowie das Hospiz26 zu nennen. Ausgehend von der

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Siehe Fußnote 3. Mit Vermeidung ist gemeint, sich nicht mit den Themen von Tod und Sterben auseinander zu setzen. Auch wenn der Schwerpunkt der Hospiz-Arbeit im ambulanten Bereich liegt.

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1 Einleitung

Annahme einer problematischen Sterbesituation in Deutschland, wird detailliert auf die Palliativmedizin eingegangen. Eines der schrecklichsten Kapitel deutscher Geschichte darf in keiner (deutschen) Untersuchung zum Thema Sterbehilfe und insbesondere der aktiven Sterbehilfe fehlen. Die der Euthanasie zugrundeliegende Ideologie namhafter Vertreter sowie ihr (auch grenzübergreifender) geschichtlicher Kontext und ebenso deren schreckliche und vernichtende Umsetzung werden in der vorliegenden Arbeit eingehend behandelt. Schließlich wird kritisch diskutiert, ob es „lebensunwertes“ Leben gibt – eine Frage, die Exkurse in die Humangenetik in Deutschland notwendig macht. Das umfangreichste Kapitel der vorliegenden Arbeit widmet sich neben der Palliativmedizin der Sterbehilfe und deren Formen. Weiter folgen eine kritische Auseinandersetzung hinsichtlich der Konzeptionen und deren Terminologien sowie ein Ausflug in unsere Nachbarländer Niederlande und Belgien, die aktive Sterbehilfe unter bestimmten Bedingungen erlauben. Ein wichtiges Themengebiet der Untersuchung stellt die Autonomie und Würde des sterbenden Menschen dar, sind doch beide Begriffe wichtige Bestandteile der (kontrovers geführten) Sterbehilfe-Debatte. Hierbei wird insbesondere auf die Patientenverfügung eingegangen, die ein zentrales Mittel der Patientenautonomie darstellt. Es werden die Vor- und Nachteile der Patientenverfügung aufgezeigt sowie die Fragestellungen, die sich im Hinblick auf die Formulierung, die Interpretation und ihre Umsetzung ergeben können. Anschließend wird der „Würde“-Begriff mit seinen unterschiedlichen Facetten eingehend diskutiert. Sterbehilfe scheint einem Informationsproblem zu unterliegen, das aus diversen Gründen auch von den Medien nicht wirksam behoben wird. So wird gefragt, wie und welches Bild hinsichtlich des Sterbens und der Sterbehilfe die Medien in die Gesellschaft transportieren. Davon abgeleitet soll anschließend auf den Informationsstand der Bevölkerung zu diesen Themen eingegangen werden, der nicht nur von den Medien, sondern auch von der persönlichen Art und Weise der Menschen, mit Informationen umzugehen, abhängt. Deshalb wird ein Blick auf die Informationsgewinnung und -verarbeitung geworfen. Das wissenschaftliche „Gegenstück“ zu den medialen Aufbereitungen des Themas „Sterbehilfe“ stellt die Thanatologie bzw. Thanato-Psychologie dar, welche sich den Themen Tod und Sterben wissenschaftlich und empirisch nähert. Hierbei wird gefragt, ob und inwieweit sie den gesellschaftlichen Umgang mit Tod und Sterben positiv beeinflusst. All die oben genannten Themengebiete, die sowohl mittel- als auch unmittelbar mit der Sterbehilfe verbunden sind und aufgrund dessen eine relativ umfangreiche theoretische Fundierung der Studie nötig machten, sollen hier nicht als Kern der vorliegenden Arbeit verstanden werden, sondern vielmehr als Grundlage der zentralen Fragestellungen, wie in Kapitel 8 formuliert.

2 TOD UND STERBEN Im vorigen Kapitel wurde erklärt, dass die Gesellschaft mit Tod und Sterben abwehrend umgeht. Nun soll dieser Behauptung näher auf den Grund gegangen werden. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist: Werden Tod und Sterben tatsächlich tabuisiert? Viele Indizien scheinen zumindest für diese Annahme zu sprechen.

2.1 TOD UND STERBEN: EIN TABU? Die Einstellung der westlichen Kultur zu Tod und Sterben hat über die Jahrhunderte eine grundlegende Veränderung erfahren (s. Abschnitt 2.2). Durch den Zivilisationsprozess des Abendlandes bedingt, wandelte sich das Verhältnis der Menschen zu Tod und Sterben. So war noch bis zur Industrialisierung des letzten Jahrhunderts der Umgang mit dem Tod aufgrund seiner im Alltag ständigen Präsenz in das tägliche Leben der Menschen integriert. Pennigton konstatiert in diesem Zusammenhang: „Der Tod ist nichts Alltägliches mehr. Im normalen Gang des Lebens ist der Tod nicht mehr aufdringlich präsent, man kann ihn leicht vergessen“.27 Vergessen kann man ihn insofern, als in unserer Gesellschaft nahezu alle Zeichen fehlen, die mit dem Tod in Verbindung gebracht werden können: Trauerzüge durch die Straßen etwa sind ebenso wenig anzutreffen wie Leichenwagen, die man als solche auch erkennt. Schäfer, Frewer und Müller-Busch zufolge spiegeln sich durch den Wandel der Bestattungsriten und Erinnerungskultur gesamtgesellschaftliche Entwicklungen der Säkularisierung, Liberalisierung, Individualisierung, Ökonomisierung und Technisierung wider.28 Muss daher daraus geschlossen werden, dass eine gesellschaftliche Tabuisierung von Tod und Sterben stattfindet? Es könnte doch vermutet werden, dass wir durch die täglichen Meldungen der Medien über Kriege und Gewaltverbrechen wie auch aufgrund des großzügigen Umgangs von Film, Fernsehen und Computerspielen mit Tod und Sterben konfrontiert werden. Kann dies aber wirklich mit einer angemessenen Auseinandersetzung mit Tod und Sterben gleichgesetzt werden? Rest bezweifelt dies. Unsere Gesellschaft werde nicht wirklich Zeuge von Tod und Sterben, argumentiert er, sondern die Medien lieferten den Tod lediglich in einer konsumgerechten Form in die familiären Wohnzimmer,29 die wohl eher Voyeurismus gleicht als einer adäquaten Auseinandersetzung der Menschen mit Tod und Sterben. Der Autor spricht an dieser Stelle sogar von einer „Todespornographie“ in zweifacher Hinsicht; zum einen stelle sie ein „Gegenbild der

27 28 29

Pennigton (2001), S. 68. Vgl. Schäfer et al. (2012), S. 17. Vgl. Rest (1989), S. 25 und Böhle et al. (2014).

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Verdrängung“ dar, zum anderen finde sie ihre Bestätigung in den Sensationsmeldungen der Massenmedien, in den Spielfilmen30 und seit Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts auch in den Computerspielen. Tod und Sterben in unserer Gesellschaft werden demnach nur virtuell erlebt, nicht aber durch persönliche Erfahrungen. Wittwer, Schäfer und Frewer kommen zu ähnlichen Schlussfolgerungen; so biete die moderne globale Gesellschaft eine bisher nicht gekannte Fülle von Todesbildern. Die Darstellung von Sexualität, Gender, Tod und anderen heiklen Themen in den Medien seien seit den 1960er Jahren freizügiger und vielfältiger geworden. Gleichzeitig hätten sich die Primärerfahrungen mit Sterbenden und Toten verringert. Damit habe sich die Kluft zwischen Primär- und Sekundärerfahrungen im Todesbereich für die meisten erweitert.31 Schäfer, Frewer und Müller-Busch sind der Ansicht, dass nur das Sterben von Bekannten oder Verwandten, die uns gewissermaßen vorausgingen, uns die Möglichkeit gäben, andere (Vor-)Bilder aufzunehmen und unser Denken, Fühlen und Handeln für den körperlichen bzw. geistigen Zerfall und den eigenen Tod zu öffnen.32 Student und Mühlum halten Sterben, Tod und Trauer nach wie vor für „Tabus der Moderne“.33 Sie vermuten, dass, obgleich in der Menschheitsgeschichte noch nie so viele Menschen so viele Tote und Todesarten gesehen, sie gleichzeitig persönlich so wenig Berührung mit Sterbenden oder einem Leichnam gehabt hätten wie in neuerer Zeit. „Schon diese Diskrepanz mag ein Teil der Erklärung für die Unsicherheit des modernen Menschen gegenüber Tod und Sterben – und davon abgeleitet auch der Trauer – sein“,34 erklären sie und argwöhnen nicht ganz zu Unrecht, „dass das unvermeidlich damit verknüpfte totale Infrage-Stellen der Existenz offenbar dazu verführe, das Sterben Fremder (begierig?) zu verfolgen“.35 Völlmicke spricht in diesem Zusammenhang von einer veritablen Paradoxie, mit der es die Zuschauer zu tun hätten: auf der einen Seite strukturelle Verdrängung des Todes36 im persönlichen Umfeld (der eigenen „realen“ Lebenswelt), auf der anderen Seite ein „Todesboom“ in den Medien (der eigenen „medialen“ Lebenswelt).37 Insgesamt kann aus den oben genannten Überlegungen daraus geschlossen werden, dass gegenwärtig in unserer Gesellschaft nur die wenigsten Menschen mit direktem Sterben und Tod konfrontiert werden. Dem Großteil indessen fehlt die Erfahrung im Umgang mit diesen essenziellen Themen des Lebens, und die Bereitschaft, sich mit Tod und Sterben auseinanderzusetzen, scheint demnach gering zu sein. Was aber bedeutet ein Auseinandersetzen mit Tod und Sterben letztlich? Reicht ein bloßes „Darüber-Nachdenken“ aus? Ist damit der Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit Genüge getan? Dies muss bezweifelt werden. Eine 30 31 32 33 34 35 36 37

Ebd. Vgl. Wittwer et al. (2010), S. 71. Vgl. Schäfer et al. (2012), S. 20. Student/Mühlum (2007), S. 11. Ebd., S. 11–12. Ebd. Der Autor verwendet diesen Begriff als Metapher für eine weitreichende (institutionelle) Auslagerung des Todes aus der Lebenswelt des modernen Menschen. Völlmicke (2012), S. 89–90.

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Auseinandersetzung mit Tod und Sterben bedeutet, sich gründlich in dem Sinne mit ihnen zu beschäftigen, dass der Gedanke an die eigene Sterblichkeit weder rationalisiert noch intellektualisiert, sondern gewissermaßen gelebt wird. Die Auseinandersetzung mit Tod und Sterben mag aus psychologischen Gründen wichtig sein, spielt im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit jedoch keine zentrale Rolle. Hier sind vielmehr Autonomieaspekte als oberste Prämisse einer Auseinandersetzung mit Tod und Sterben zu lokalisieren. Gegenwärtig zu sterben bedeutet mit großer Wahrscheinlichkeit, in einer Institution zu sterben. Wenn wir unser eigenes Sterben also autonom gestalten wollen, so gehört eine rechtzeitige Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit unabdingbar dazu.38

2.2 ERKLÄRUNGSANSÄTZE FÜR DEN GESELLSCHAFTLICHEN EINSTELLUNGSWANDEL In der Literatur werden nicht wenige Antworten auf die Frage nach der allumfassenden Umwälzung der gesellschaftlichen Einstellung zu Tod und Sterben diskutiert, von denen einige im Anschluss näher beleuchtet werden. An erster Stelle sollen in diesem Zusammenhang die Ausführungen des französischen Historikers Philippe Ariès genannt werden, da dieser als einer der wichtigsten Geschichtsschreiber per se zu diesem Thema gilt, obgleich dessen Datenlage aufgrund ungünstiger Quellen einer Bestandsprüfung aus wissenschaftlicher Sicht inzwischen wenig standhalte.39 Ariès beschreibt äußerst detailliert in seiner umfangreichen (und bekannten) „Geschichte des Todes“ die gesellschaftlichen Auffassungen von Tod und Sterben über die Jahrhunderte hinweg.40 So charakterisiert er insbesondere vier große Wandlungsperioden von der abendländischen Auffassung des Todes: Die erste Periode, die er den „Gezähmten Tod (mort apprivoisée)“ nennt, beginnt im frühen Mittelalter. Anhand der Literatur des frühen Mittelalters und deren Bedeutung zeigt der Autor auf, „dass sie mit aller Deutlichkeit in leicht zugänglichen Texten eine charakteristische Einstellung zum Tode zu erkennen gibt, die Einstellung einer sehr alten und sehr dauerhaften Zivilisation, die bis in die Vorzeit zurück reicht und sich in ihren letzten Ausläufern bis heute erstreckt“.41

Die Menschen, so Ariès, stürben durchaus nicht beliebig: Der Tod werde von einem durch Brauch und Herkommen geregelten, verbindlich beschriebenen Ritual bestimmt. So falle der gewöhnliche, normale Tod den Einzelnen nicht aus dem Hinterhalt an, selbst wenn er – etwa im Falle einer Verwundung – als tödlicher Unfall auftrete, nicht einmal, wenn er Folge allzu großer emotionaler Verstörung ist, wie

38 39 40 41

Vgl. Hilt et al. (2010) und Schäfer (2012). Vgl. Schäfer (2010), S. 1. Vgl. hierzu auch Schäfer (2015), der das Verhältnis der Medizin zu Tod und Sterben über die Jahrhunderte aufzeigt. Ariès (1980), S. 13.

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das zuweilen vorkomme.42 Mit anderen Worten schildert der Autor den Tod als dem Menschen etwas Vertrautes und nichts Erschreckendes, nämlich als „gezähmten Tod“. Da Rituale das Sterbegeschehen lenkten, habe sich der Sterbende in zweierlei Hinsicht in einem geschützten Raum der Sicherheit befunden, denn er sei mit nichts Unbekanntem konfrontiert worden, mit dem der Sterbende nicht auch umzugehen vermochte. Darüber hinaus verstarb er nicht allein; stets war er umgeben von seiner Familie sowie einem Priester, der dem Sterbenden die letzte Ölung gab. Der Tod besaß im Gegensatz zu heute daher einen gewissen Öffentlichkeitscharakter, der sich bis zum Ende des 19. Jahrhunderts erhalten hatte. Ariès gemäß habe der Sterbende den Mittelpunkt einer Versammlung bilden müssen, was unter Umständen so weit gegangen sei, dass sich selbst dem Todgeweihten Unbekannte im Sterbezimmer versammelt hätten.43 Während der zweiten Periode, „Der Tod des Selbst“ (12. bis etwa 16. Jahrhundert), habe sich Ariès zufolge die Einstellung zu Tod und Sterben verändert und sich hierbei eine erste, wenn auch noch keine gravierende Wandlung, ergeben. Neu in dieser Epoche sei das gesteigerte Selbstbewusstsein der Bürger gewesen, das sich auch auf den Tod erstreckt habe. Gedenksteine etwa seien im frühen Mittelalter nur wichtig erachteten Persönlichkeiten wie Königen, Fürsten und weiteren Personen des Hochadels vorbehalten gewesen. Dies habe sich ab dem zwölften Jahrhundert verändert. Dann nämlich vollzog sich ein langsamer, aber stetiger Individualisierungsprozess der Bevölkerung, indem plötzlich auch der „gemeine“ Bürger an Bedeutung gewann, galt er doch bis dahin im wörtlichen Sinne als nicht bemerkenswert.44 Im Zuge des Aufstiegs des Bürgertums also, welcher sich besonders durch die Erstarkung der Städte und der aufstrebenden Konkurrenz zum Adel hinsichtlich der Machtverhältnisse bemerkbar machte, hatte der Bürger nun auch im Tod und Sterben an Wert gewonnen (er hat die Rituale der Oberen übernommen). Der dritte Zeitraum des Wandels der gesellschaftlichen Einstellung zu Tod und Sterben „Die Periode des schönen und erbaulichen Todes“, vornehmlich vom 16. Jahrhundert bis fast in das 19. Jahrhundert hinein, hat sich gemäß Aries kaum eine grundlegende Veränderung erfahren. Allerdings werde der Tod wie ein Kunstwerk verklärt: „Die Anwesenheit am Sterbebett ist im neunzehnten Jahrhundert mehr als die übliche Teilnahme an einer rituellen gesellschaftlichen Zeremonie bei einem tröstlichen und erhebenden Schauspiel; der Besuch im Haus des Toten hat etwas mit dem Besuch im Museum zu tun: wie schön er ist“.45

Die vierte Periode „Der verneinte Tod“ werde im psychologischen, weniger aber im kognitiven Sinne negiert. Er argumentiert, dass trotz aller Veränderungen, die im Laufe eines Jahrtausends die Einstellungen zum Tod modifizierten, sich weder

42 43 44 45

Ebd., S. 14. Ebd., S. 30. Ein Großteil der Bevölkerung besaß bis dahin quasi den gesellschaftlichen Status von Leibeigenen. Ebd., S. 601.

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dieses grundlegende Bild noch das durchgängige Verhältnis von Tod und Gesellschaft gewandelt hätte. Im Laufe des 20. Jahrhunderts sei in einigen der am stärksten industrialisierten, am weitesten urbanisierten und technisierten Bereiche der westlichen Welt eine völlig neue Art und Weise des Sterbens hervorgetreten – und was wir sehen, seien fraglos erst deren Anfänge.46 Der Geschichtsschreiber scheint mit dieser Prophezeiung Recht behalten zu haben. So haben sich – wie bereits mehrfach dargelegt – die Art des Sterbens und die damit verbundene Sterbequalität drastisch verändert. Der Historiker beschreibt ein trauriges Bild, wenn er sagt: „Die Gesellschaft hat den Tod ausgebürgert, ausgenommen den Tod großer Staatsmänner.47 Nichts zeigt in unseren modernen Städten mehr an, dass etwas passiert ist; der schwarz-silberne Leichenwagen von einst ist zur unscheinbaren grauen Limousine geworden, die im Straßenverkehr kaum auffällt“.48

In diesem Zusammenhang beklagt der Geschichtsschreiber auch die Rastlosigkeit der Gesellschaft: „Das Verschwinden eines Einzelnen unterbricht nicht mehr ihren kontinuierlichen Gang. Das Leben der Großstadt wirkt so, als ob niemand mehr stürbe“.49 Folgt man Ariès Worten, so kommt der Verdacht auf, dass Sterben und Tod gesellschaftlich bedeutungslos geworden sein könnten; bedeutungslos in jenem Sinn, dass wir mit dem letzten großen Thema des Lebens nicht mehr in Kontakt kommen und es keinen Bestandteil des täglichen Lebens mehr darstellt – jedenfalls solange nicht, bis wir selber an der Reihe sind zu sterben.

Erklärungsmodelle für die veränderte Einstellung in der Gegenwart Im Folgenden wird auf einige Erklärungsansätze für eine veränderte Einstellung zu Tod und Sterben eingegangen. –

Demographische Veränderungen

Besonders in den letzten Jahren berichten die Medien über die Veränderung der deutschen Altersstruktur, die sich von einer pyramidalen Form (viele Junge im Vergleich zu wenigen Alten) zu einer Trapezform (viele Alte im Vergleich zu wenigen Jungen) entwickeln werde. Das Statistische Bundesamt hat eine „interaktive“ Graphik veröffentlicht, die diesen Prozess plastisch veranschaulicht.50 Die ersten Zeichen dieses Prozesses zeigten sich Imhof zufolge bereits vor etwa dreihundert Jahren. So habe sich zwar die mittlere maximale Lebenserwartung von 80 bis 85 Jahren nicht geändert, die Anzahl der Menschen hingegen, die ein immer längeres Stück dieser „physiologischen Lebensspanne“ zu Ende leben könnten, sei 46 47 48 49 50

Ebd., S. 716. Dies erinnert sehr an die Praktiken des frühen Mittelalters, in dem das Individuum nichts galt, gekrönte Häupter, Fürsten und Adlige jedoch alles. Ebd. Ebd. Online zu finden unter: https://www.destatis.de/bevoelkerungspyramide [letzter Zugriff: 02.09.2015].

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drastisch angestiegen. Dies bedeutet eine veränderte Zusammensetzung des Sterbealters der Menschen: Vor der Industrialisierung starben die Menschen in allen Altersstufen,51 während in der Gegenwart überwiegend alte Menschen sterben. Schweidtmann begründet diese Entwicklung mit der forcierten Intensivierung der Landwirtschaft, den verbesserten hygienischen Bedingungen, einem sicheren finanziellen Auskommen und einer verbesserten medizinischen Versorgung52. Alter 0 5 10 15 20 30 40 50 60 70

1693 1.000 582 531 505 481 426 356 275 191 110

1838–1854 1.000 724 690 673 652 595 532 456 356 223

1891–1900 1.000 750 734 725 712 673 616 531 410 247

1920–1922 1.000 870 857 849 837 805 763 699 588 395

1963 1.000 972 970 968 964 954 940 901 789 534

Tabelle 1: Entwicklung der Lebenserwartung vom 17. –20. Jahrhundert in Europa53



Verlust des christlichen Weltbildes

Im Zuge der Säkularisierung, der Verweltlichung der europäischen Gesellschaft, verlor die christliche Weltanschauung immer mehr an Bedeutung. Schweidtmann zufolge ist insbesondere der „Zusammenbruch eines übergreifenden, unangefochtenen Sinnzusammenhangs, den die Religion als Antwort auf die Frage nach dem ‚Danachʻ bereitgestellt hat“,54 wesentlich verantwortlich für die umfassende Veränderung der gesellschaftlichen Einstellung zu Tod und Sterben. Ein Sterben unter christlichen Aspekten bot immerhin einen Zuspruch beruhigender und auch Sinn gebender Natur. Ein Sterben aber ohne die „Überzeugungskraft bisheriger religiöser Vorstellungen“55 ist gewissermaßen sinnlos geworden. So habe mit der Säkularisierung und dem Verbreiten naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, die den christlichen Glauben an das Jenseits brüchig machte, die Vorstellung von einem Leben nach dem Tod nicht mehr aufrechterhalten werden können.56 Hierdurch ist ein Vakuum entstanden, in das der Sterbende gleitet; ein „Vakuum“, das ihn nicht beschützend begleiten kann, denn woran kann sich der Sterbende halten? An die Stelle der 51 52 53 54 55 56

Vgl. Imhof (1988). Vgl. Schweidtmann (1991), S. 17. Ebd. Zahl der Überlebenden auf 1.000 Lebendgeborene (männlich). Halleys „Lebenstabelle“; vgl. Blumenthal-Barby (1991), S. 22. Ebd., S. 23. Koch/Schmeling (1982), S. V. Vgl. Woellert/Schmiedebach (2008), S. 7.

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Sterberituale57 ist aufgrund dessen ein völliger Sinnverlust getreten. Der Soziologe Armin Nassehi ist davon überzeugt, dass durch den Funktionsverlust der Kirche und damit der christlichen Religion die Sinngebung all dessen, was die Welt zusammenhält, verloren gegangen sei. Heute sei die Religion nunmehr „ein relativ marginaler Teil der Gesellschaft, der zwar immer noch die Welt als Ganzes beschreibt, aber auf Handlungszusammenhänge außerhalb ihrer selbst kaum mehr einen Zugriff hat. […] Die Religion, die ja aus der modernen Gesellschaft keineswegs verschwunden ist, ist nicht in der Lage, gesellschaftliche Kommunikation flächendeckend zu konditionieren“.58

Mit anderen Worten möchte der Autor eine „Entkoppelung“ aller Bereiche der Gesellschaft und des Lebens – also auch des Sterbens – von einem sinnhaften Ganzen aufzeigen. Sterben, wie auch alle anderen Lebensbereiche, waren früher gesellschaftliche Belange, für die die Religion Antworten, Hilfestellungen und Leitfäden einst zu geben vermochte. Heute ist sie jedoch kaum noch dazu in der Lage. –

Verbesserung der medizinischen Versorgung

Wie bereits erwähnt, ist auch die Verbesserung der medizinischen Versorgung, welche sich von einem reinen Lindern körperlicher Erkrankungen zu einer stark technisierten und immer tiefer in das Leben eingreifenden und auch dem Tode trotzenden Medizin entwickelte, maßgeblich an dem Wandel der gesellschaftlichen Einstellung beteiligt. Nichts scheint mehr unmöglich zu sein: Akute Krankheiten, wie beispielsweise Infektionen, sind im Vergleich zu früher meist heilbar und gehören heute bis auf wenige Ausnahmen zu harmlosen, leicht behandelbaren Krankheiten. An einer Infektion zu sterben, ist heutzutage eine Seltenheit. Humphry und Wickett glauben, dass aufgrund des hohen technologischen Standards sowohl in unserer Gesellschaft als auch in beinahe allen Bereichen des Lebens ein ausgeprägter Glaube an Forschung und Fortschritt dazu führe, dass sich das Verlangen nach hochspezialisierten Techniken und Verfahren in Erwartungen verwandele, die – so irreal sie auch sein mögen – schließlich zu Forderungen würden.59 Allerdings ist der Preis, den wir dafür zahlen, nicht gering; wir haben uns ein langes Leben teuer erkauft: Die technischen und medizinischen Errungenschaften, die doch einen Siegeszug in der Medizin darstellen sollten, verwischen die Grenzen zwischen Leben und Tod. Menschen werden in Situationen am Leben erhalten, die früher unabwendbar zum Tode geführt hätten,60 so dass oft Situationen entstehen, die einem würdevollen Sterben entgegenstehen. Chronisch-progrediente Demenzerkrankungen, Krebs und 57

Sterberituale sind „Handlungen, nachdem sein nahes Ende sich ihm angekündigt hat – er ruht mit dem Gesicht zum Himmel, gen Osten gewendet, die Hände auf der Brust verschränkt – [und sie] haben einen zeremoniellen, rituellen Charakter.“ Ariès zufolge entwickelte sich aus diesen Handlungen später das von der Kirche als Sakrament eingeführte Testament: „Das Glaubensbekenntnis, die Beichte der Sünden, die Bitte um Verzeihung für die Hinterbliebenen, die frommen Verfügungen zu ihren Gunsten, die Empfehlung der eigenen Seele an Gott [und] die Wahl des Grabes“, Ariès (1980), S. 29. 58 Nassehi (1992), S. 14. 59 Vgl. Humphry/Wickett (1986), S. 174. 60 Vgl. Woellert/Schmiedebach (2008), S. 8.

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andere lange Leiden sind an die Stelle der akuten Erkrankungen wie etwa der Seuchen oder Infektionen getreten.61 Das scheint vielen Menschen Angst zu machen, denn die Aussicht auf ein mögliches Siechtum, verbunden mit Leid und Qual, ist mit der Vorstellung von einem leichten und angenehmen Tod kaum vereinbar. An dieser Stelle wird die Brisanz, die sich im Zusammenhang mit der Frage nach Sterbehilfe ergibt, deutlich, denn gerade hier ist ein Raum geschaffen worden für die Angst vor dem Lebensende bzw. vor dessen Art und Weise. Woellert und Schmiedebach zufolge „werden Zustände erreicht, in denen bestimmte Eigenschaften, die wir unweigerlich mit dem Leben verbinden, nicht mehr oder nur in sehr rudimentärer Form gegeben sind. Die Medizintechnik verlängert einerseits also Leben, provoziert aber auf der anderen Seite Überlegungen, ob ‚ein solches Leben noch lebenswertʻ sei – und schafft so eine neue Konfliktsituation“.62



Zerfall der Großfamilie

Im Zuge der Industrialisierung und damit des verbesserten Lebensstandards ging mit Ausnahme der beiden Weltkriege des letzten Jahrhunderts die „Nettoreproduktionsrate“63 der Frau bis zum Jahre 2010 auf 0,68 – was 1,36 Kinder entspricht – kontinuierlich zurück. Dieser Trend hat in den westlichen Industriestaaten einen Individualisierungsprozess geschaffen, der die Familienstruktur der Großfamilie, in der zwei bis drei Generationen unter einem Dach lebten, nahezu auslöschte. An der Stelle der Großfamilie ist nun die Kleinfamilie getreten, bestehend aus Eltern und Kind(ern). Der Anteil der allein erziehenden Eltern ist stark gestiegen, so dass nicht selten eine Familie aus nur einem Elternteil mit oft auch nur einem Kind besteht. Durch die Entwicklung unserer Gesellschaft jedoch, die Kleinfamilie zu favorisieren, ist es in den Familien kaum mehr möglich, einen Sterbenden zu pflegen, weil einerseits häufig die medizinischen Voraussetzungen fehlen und andererseits dies die Aufgabe des Berufes bedeuten würde. Infolge dessen wird in unserer westlichen Gesellschaft oft anonym gestorben. –

Institutionalisierung des Sterbens

Anonym zu sterben bedeutet in diesem Zusammenhang, dass gegenwärtig etwa mehr als 85 % aller Sterbenden ihr Leben in einer Institution, sei es in einem Altenbzw. Pflegeheim oder in einem Krankenhaus beenden. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts starben fast 80 % der Menschen in ihren eigenen vier Wänden, in der Gegenwart lassen die Menschen ihr Leben zu 58 % in der Fremde des Krankenhauses und 30 % in einem Pflegeheim.64 Schockenhoff kritisiert die moderne Gesellschaft, die sich gegenüber dem Tod ebenso verhalte, wie die Mächtigen früherer 61 62 63

64

Das Verhältnis von kurzem zu langem Leiden erfährt in jüngster Zeit eine langsame Wandlung in umgekehrter Form, da neuerdings Resistenzen auf Antibiotika zu beobachten sind. Ebd. Weibliche Geburten pro Frau. Ab dem Jahr 2010 bis 2010 beruhen die Zahlen auf Schätzungen. Siehe auch http://www.factfish.com/de/statistik/reproduktionsrate%20pro%20frau [letzter Zugriff: 05.10.2015]. Vgl. Student et al. (2007).

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Zeiten mit ihren Feinden: Sie seien evakuiert und des Landes verwiesen worden.65 Wohin aber der Tod verwiesen wurde (und wohl nach wie vor noch wird), beschreibt Ariès mit harschen Worten: Je weiter das 20. Jahrhundert vorrücke, desto lästiger werde die Anwesenheit des Kranken im Hause. „Das rasche Wachstum in Sachen Komfort, Intimität und persönlicher Hygiene hat uns alle empfindlicher gemacht: Ohne dass wir etwas dafür könnten, ertragen unsere Sinne nicht mehr die Anblicke und Gerüche, die, im Verein mit dem Leiden und der Krankheit, zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch Bestandteil der Alltagswirklichkeit waren“.66

Die physiologischen Begleiterscheinungen des menschlichen Lebens seien aus der Alltagswirklichkeit ausgebürgert und in die aseptische Welt der Hygiene, der Medizin und der Sittlichkeit verwiesen worden.67 Darüber hinaus macht der Autor die Fortschritte der Chirurgie dafür verantwortlich, dass der Schwerkranke oft nur noch stationär gepflegt werden könne, da die Intensivmedizin aus hochkomplexen Apparaten bestünde, die es nur in den Krankenhäusern gebe. Seither sei die Klinik, so der Autor, ohne dass man es immer zugebe, für die Familien Asyl, wo sie ihren lästigen Kranken, den weder sie selbst noch die Umwelt länger ertragen mögen, einliefern und verstecken könnten, um auf diese Art die Last einer ohnehin unzulänglichen Pflege besten Gewissens anderen aufhalsen und selber wieder ihr normales Leben führen zu können.68 Dieser bitteren Kritik des Historikers kann Schütz nur teilweise beipflichten. Auch er ist zwar der Auffassung, dass die Gesellschaft der Medizin zunehmend alle Kompetenzen in den Fragen zuschanze, die mit Krankheit und Sterben zusammenhingen,69 allerdings unterstellt er der Gesellschaft weniger egoistische Motive als Ariès. Es ist nur allzu verständlich, wenn Menschen einerseits die bestmögliche Versorgung für ihre kranken Angehörigen wünschen und andererseits in vielen Fällen nicht (mehr) in der Lage sind, einen Sterbenden zu betreuen. Was aber bedeutet die Institutionalisierung des Sterbens für die Menschen? Nassehi glaubt an eine Überforderung der Menschen durch den Umgang mit Tod und Sterben, denn während die Einbettung von Tod und Sterben in die Gesellschaftsstruktur in früheren Gesellschaftsformen gewährleistet und so das Sterben stets begleitetes Sterben und der zu erwartende Tod eher verstehbarer Tod gewesen sei, werde der erste Aspekt, die Begleitung, heute stillschweigend von medizinischen und paramedizinischen Professionellen erwartet, während der zweite Aspekt, die Sinnhaftigkeit und Verstehbarkeit, dem Sterbenden selbst überlassen werde. „Wir kommen aber mehr und mehr zu der Einsicht, dass hier alle Beteiligten überfordert sind: Mediziner, weil ihre eigentliche Aufgabe nicht das Begleiten zum Tode, sondern das Handeln gegen den Tod ist; Pflegekräfte, weil sie den Umgang mit Sterbenden nicht gelernt haben und

65 66 67 68 69

Vgl. Schockenhoff (1991), S. 25. Ariès (1980), S. 729. Ebd., S. 729–730. Ebd., S. 730. Vgl. Schütz (2002), S. 237.

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2 Tod und Sterben weil sie diesen Umgang alleine verarbeiten müssen; Angehörige, weil es nur sehr wenige kulturelle Symbole zum Umgang mit der schwierigen Situation gibt“.70

Nassehi sieht in der Hospitalisierung des Sterbens nicht nur den Hauptgrund für die „Unsichtbarkeit des Todes“, sondern sie fördere dazu die Auslagerung der Hilflosigkeit angesichts des Todes und die Nicht-Erfahrbarkeit des Sterbens.71 Mit anderen Worten ist durch die Institutionalisierung ein Teufelskreis geschaffen worden, aus dem wohl nur schwerlich auszubrechen ist.72 –

Weitere Gründe für die veränderte Einstellung zu Tod und Sterben

Ratschow führt noch mehr Erklärungen für die Institutionalisierung des Sterbens an. Ihm zufolge würden, bedingt durch eine Arbeitsteilung, Spezialisierung und Rationalisierung in den Industrienationen, an immer weniger Menschen ganz spezielle und unermessliche Anforderungen gestellt. Dies führe zu allerhöchsten Anforderungen an die Funktionen dieser Menschen und somit daraus entstehenden Zusammenballungen von gleichartigen Funktionsträgern. Die Konsequenz, die sich daraus ergebe, ist eine auf die Spitze getriebene Spezialisierung, die, wie der Autor feststellt, „oft auch vornehmer mit ,Professionalitätʻ bezeichnet“ werde.73 Der Autor kritisiert an dieser Stelle, dass den ehemaligen Funktionsträgern vorgegaukelt werde, „dass sie die entstandenen Anforderungen niemals werden erfüllen können (der ,Laieʻ gegenüber dem Arzt und der Krankenschwester)“. Darüber hinaus werde, entsprechend des Darwin`schen Modells, der Schwache aus dem Arbeitsprozess ausgegliedert, da der Schwache, Alte und Kranke zunehmend weniger gebraucht werde. Das Vorhandensein des Schwachen nämlich werde als störend empfunden, weshalb er in so genannte schützende Einrichtungen verdrängt werde.74 Einen weiteren wichtigen Grund sieht Ratschow in der Verstädterung: Eine Institutionalisierung Sterbender in der Stadt sei – verstärkt durch den Verlust des Naturzusammenhangs – selbstverständlicher als auf dem Lande, da die Stadt den Menschen entsprechend der jeweiligen Lebenssituation fortlaufendem Ortswechsel unterwerfe. Ferner werde der Fortschritt an das Vertrauen grenzenloser Naturbeherrschung gebunden, so dass die Beherrschbarkeit des Sterbens zum Generalthema der Wachstumsgesellschaft geworden sei. Neben dem Glauben an den Fortschritt würden auch Profitinteressen von Krankenhäusern, Pflegeheimen und Bestattungsinstituten aufgrund der Steigerung möglicher Gewinnspannen den Trend der Institutionalisierung des Sterbens deutlich erhöhen. Als letzten Punkt schließlich nennt Ratschow die Erlebnisarmut der Menschen; lebensnahe und natürliche Erlebnisse wie beispielsweise das Miterleben eines fremden Sterbens seien in der Industriegesellschaft zunehmend suspekt, da sie nicht 70 71 72

73 74

Nassehi (1992), S. 20. Ebd., S. 19. Einen guten Überblick zu dieser Problematik bieten Glaser und Strauss (1995), die insbesondere die Interaktion zwischen Sterbenden und Ärzten, Schwestern, Seelsorgern und Angehörigen untersuchten. Ratschow (1998), S. 45. Ebd., S. 45–46.

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kontrollierbar, technisierbar und profitabel seien. Deshalb sei auch das Miterleben eines fremden Sterbens aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang verbannt worden.75 All die oben genannten Gründe lassen vermuten, dass die Bereitschaft der Auseinandersetzung mit dem Tod in unserer Gesellschaft nur rudimentär ausgeprägt ist. Der Tod – „das älteste Problem der Menschheit“, wie Schütz es ausdrückt76 – scheint weiterhin etwas Unbekanntes zu bleiben. Der psychische „Motor“, der eine Auseinandersetzung mit Tod und Sterben verhindert, stellt Elias zufolge die Verdrängung dar. Es gebe verschiedene Möglichkeiten, sich mit der Tatsache auseinanderzusetzen, dass jedes Leben ein Ende hat. Man kann das Ende des menschlichen Lebens, das wir Tod nennen, durch die Vorstellung eines gemeinsamen Weiterlebens der Toten im Hades, in Walhalla, in Hölle oder Paradies mythologisieren. Das sei die älteste und häufigste Form des menschlichen Bemühens, mit der Endlichkeit des Lebens fertig zu werden. Man könne versuchen, dem Gedanken an den Tod dadurch aus dem Weg zu gehen, dass man das Unerwünschte so weit wie möglich von sich weise – es verdecke und verdränge; oder vielleicht auch durch den festen Glauben an die eigene persönliche Unsterblichkeit – andere sterben, aber ich nicht – dazu gebe es in den entwickelten Gesellschaften unserer Tage eine starke Tendenz.77 Im Vergleich zu Elias setzt zwar auch Heller die Vermeidung der Auseinandersetzung mit Tod und Sterben einer Verdrängung78 von Tod und Sterben gleich, doch er sieht in ihr wenig Negatives, sondern vielmehr ein durchaus nützliches und wichtiges Mittel eines Überlebensmechanismus. Er erklärt, dass viele Dimensionen des Schmerzes und der Trauer sich im Verdrängen und Vergessen auflösten, denn „im Grunde können wir dankbar sein für die Gabe der Verdrängung. Diese Kunstfertigkeit unserer Psyche hilft uns zu überleben und das Leben zu gestalten“.79 Überdies ist er der Auffassung, dass wir verdrängen müssen, da Sterben und der Tod medial massenhaft präsent seien. „Wer einschaltet, kann nicht abschalten von der Konfrontation […]. Ein kurzes Betroffensein ist daher das Maximum, das wir uns mit den begrenzten Kräften unseres emotionalen Haushalts leisten können“.80

Das „kurze Betroffensein“, von dem Heller spricht, sollte jedoch weniger einer Verdrängung zugeschrieben werden als vielmehr der Distanz des Menschen zu den durch die Medien vermittelten Bilder. Die Realität von Tod und Sterben kann nur 75 76 77 78

79

80

Ebd., S. 45–47. Schütz (2002), S. 231. Vgl. Elias (1982), S. 7–8. Ein nicht unerheblicher und oft vernachlässigter Grund für die Verdrängung von Tod und Sterben kann auch mit dem Ersten Weltkrieg mit seinen unzähligen Toten, gefolgt vom Zweiten Weltkrieg, erklärt werden. Zu schmerzhaft waren die Erinnerungen, als dass an den Themen „Tod und Sterben“ gerührt werden sollte. Vgl. Aulbert et al. (2012). Heller (1995), S. 15–17. Heller mag einerseits Recht haben, wenn er von Verdrängung als Überlebensmechanismus spricht, andererseits lösen sich Schmerz und Trauer aus psychologischer Sicht keineswegs auf, sondern können in vielen Fällen psychische Pathologien begünstigen. Ebd., S. 7.

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erfahren und nicht durch eine „lustvolle, spektakuläre Aufbereitung und Abwertung zum Konsumobjekt“81 vermittelt werden. Es gilt die Annahme, dass mit physischer und psychischer Nähe von Tod und Sterben die Bereitschaft steigt, sich mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen. Doch wir kommen in der Regel mit dem Tod zu unseren Lebzeiten kaum in Berührung. Durch das Fehlen des Todes ist eine Kluft entstanden, die unüberbrückbar erscheint. Blumenthal-Barby verweist auf Traueranzeigen, die solch eine Distanz ausdrücken. Da heißt es beispielsweise: „Plötzlich und unerwartet verschied, für uns alle unfassbar, im 84. Lebensjahr unsere liebe [...]“.82 Dies spiegelt ein gesellschaftliches Bild des Nicht-wahr-haben-Wollens, der Unfassbarkeit des Todes wider, sogar, wenn die durchschnittliche Lebensspanne eines Menschen gelebt werden konnte. Ein weiteres Indiz für ein Vermeidungsverhalten zu Tod und Sterben ist die gesellschaftliche Abwehrhaltung zur Trauer; sie wird in unserer Gesellschaft kaum noch zugelassen, und sie findet verschlossen, ja beinahe heimlich statt. Ariès zufolge wird die „Abschaffung der Trauer“ nicht einer Frivolität der Hinterbliebenen verdankt, sondern einem unbarmherzigen Zwang der Gesellschaft, denn diese weigere sich, an der emotionalen Betroffenheit des Leidtragenden zu partizipieren – womit sie die Präsenz des Todes negiere. „Heutzutage werden die Tränen der Trauer den Ausscheidungen der Krankheit gleichgestellt. Beide sind gleichermaßen abstoßend. Der Tod ist ausgebürgert“.83 Der Historiker bezeichnet die „Tränenkrise“ als „Nervenkrise“, indem die Gesellschaft die Trauer gleichsam pathologisiere. Die Trauer sei demnach eine Krankheit, und wer sie zeige, lege eine Charakterschwäche an den Tag.84 Wittkowski, ein führender deutscher Wissenschaftler der Thanato-Psychologie, stellt ebenso kritisierend fest, dass die Gesellschaft es offenbar nicht länger für nötig halte, sich gegen eine Natur zu verteidigen, die durch den technischen Fortschritt domestiziert worden sei. Sogar die Gemeinschaft im traditionellen Sinne – Personen mit kollektiven Interessen, die zusammenkommen, um ihr Leben gemeinsam zu verbringen – sei durch atomisierte Individuen ersetzt worden. Der Tod sei ein Schlag in das Gesicht des großen nordamerikanischen Traums, dass Zeit und Geld alle Hindernisse beseitigen könnten, die der Erbauung des Menschen entgegenstünden.85 Heller hingegen ist der Auffassung, dass die These vom „Verdrängen des Sterbens“ ergänzt werden müsse durch die Realität vielfacher persönlicher und professioneller Bemühungen, sich mit dem eigenen Sterben und der Begrenztheit der Lebenszeit auseinanderzusetzen. Die Sterbedebatte wertet er als Zeichen einer vermehrten Auseinandersetzung mit Tod (und Sterben), da Sterbehilfe ein vielfach gefragtes, auch öffentliches Thema sei.86 Hellers Argumentation kann jedoch nur teilweise beigepflichtet werden, denn es wird angenommen, dass nicht die erhöhte Auseinandersetzung mit Tod und Sterben zu einer vermehrten öffentlichen Diskussion der Sterbehilfe führt, sondern vielmehr 81 82 83 84 85 86

Rest (1989), S. 25. Blumenthal-Barby (1991), S. 16. Ariès (1980), S. 742–743. Ebd. Vgl. Wittkowski (2003), S. 25. Vgl. Heller (1995), S. 16.

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die Angst vor einem Ausgeliefertsein in den Institutionen. Es finden sich Hinweise, dass eine Verdrängung von Tod und Sterben auch in Klinken und Krankenhäusern stattfindet. Schon in den 1970er Jahren kamen Glaser und Barney im Rahmen ihrer Untersuchung zu diesem traurigen Resultat. Die Entwicklung unseres Gesundheitswesens scheint zudem darüber hinaus den inadäquaten Umgang mit Tod und Sterben noch zu begünstigen. Nassehi fasst das Dilemma folgendermaßen zusammen: Zum einen könne der einzelne Mensch kaum Hilfe von außen zur Bewältigung seiner Endlichkeit erwarten, zum anderen schlage sich dies in dem oft analysierten und beschriebenen Phänomen der Sprachlosigkeit, der Unsicherheit und Gehemmtheit als auch der Unehrlichkeit angesichts des Todes nieder. All dies werde oft unter den Stichwörtern der Tabuisierung und Verdrängung des Todes in der modernen Gesellschaft gehandelt.87

87

Vgl. Nassehi (1992), S. 16.

3 ZUR SITUATION DES STERBENS UND DER STERBENDEN IN DEUTSCHLAND Das Sterben hat in unserer Gesellschaft seit Mitte des 20. Jahrhunderts einen neuen (und möglicherweise für viele Menschen auch erschreckenden) Stellenwert erlangt. Wie oben bereits aufgezeigt, stirbt die Mehrzahl der Deutschen in den Institutionen Alten- oder Pflegeheim und Krankenhaus.88 Frewer und Winau zufolge sei die Kluft zwischen dem Wunsch nach einem friedlichen Sterben zuhause und im Kreis der Angehörigen sowie der Wirklichkeit des Todes in der Institution Krankenhaus in den letzten Jahren nicht kleiner geworden. In der Öffentlichkeit existierten immer noch enorme Ängste vor einem Kontrollverlust und dem „Ausgeliefertsein“ an eine „Apparatemedizin“ oder einem anonymen Tod.89 Zunächst jedoch wird konstatiert, dass die Angst vor Sterben und Tod kein Phänomen moderner Zeit ist. Bereits in der griechischen Antike fürchtete man sich vor der dunklen Unterwelt und dem grausamen Gott des Totenreiches,90 und auch im Christentum ängstigte man sich vor dem Jüngsten Gericht.91 Trotz dieser Angst erhielten die Menschen in früheren Zeiten gewissermaßen einen Leitfaden des Sterbens an die Hand, welcher in der gegenwärtigen Sterbesituation den Menschen ersatzlos fehlt. Unsere Gesellschaft bietet für den Sterbenden nur relativ wenig Hilfestellung, eine Hilfestellung, wie sie noch vor hundert Jahren üblich gewesen war. Auch Angehörige und Pflegende fühlen sich gegenüber Sterben und Tod hilflos, da für sie nur wenig Stütze und Halt bereitstehen. Hinzu kommen die unterschiedlichen Todesdefinitionen, die ein klares Unterscheiden zwischen Leben und Tod eines Menschen erheblich erschweren und nicht wenige ethische Fragen aufwerfen. Da in Deutschland bezüglich Tod und Sterben erkennbar Klärungsbedarf besteht, soll in diesem Abschnitt auf die Todesund Sterbeproblematik näher eingegangen werden.

88 89 90 91

Vgl. Erbguth (2010), S. 48. Vgl. Frewer/Winau (2002), S. 10; siehe auch Frewer et al. (2009) und ebd. (2012). Vgl. Frewer (2002). Nach kirchlicher Lehre „liegt die Wiederkunft Christi mit der Auferstehung der Toten und dem Gericht über das Menschengeschlecht am ,Ende aller Zeitenʻ in keiner irdisch vorstellbaren Zukunft, denn den Zeitpunkt hat sich der Herr allein vorbehalten“, Gurjewitsch (1995), S. 105.

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3 Zur Situation des Sterbens und der Sterbenden

3.1 TOD UND STERBEN: EINE KLÄRUNG Sterben scheint für die Menschen leichter verstehbar zu sein als der Tod. So sagt Mesh: „Der Prozess des Sterbens ist […] weniger abstrakt [als der Tod]. Man hat Kenntnisse über den Sterbeprozess, weil man a) ihm beiwohnen kann, und weil er b) von jenen beschrieben werden kann, die sich tatsächlich darin befinden“.92

Zunächst aber bedeutet Sterben sowohl für den Sterbenden als auch für den Zurückbleibenden ganz unmittelbar Trennung, da alles, was dem Sterbenden lieb und teuer ist, zurückgelassen werden muss; der Sterbeprozess stellt an die Menschen aufgrund dessen große Anforderungen.93 Nicht selten wird in diesem Zusammenhang auch von Krise gesprochen.

3.1.1 Der Sterbeablauf Dieser Abschnitt beginn mit vielen Fragen: Beginnt das Sterben zu einem bestimmen Zeitpunkt, oder ist es ein eher schleichender Prozess mit nicht bestimmbarem Anfang? Kann eine Grenzziehung zwischen einem (noch) Lebenden und einem Sterbenden vollzogen werden? Mennemann stellt in diesem Zusammenhang eine weitere Frage: „Wer ist ein Sterbender“.94 Ein sterbender Patient befindet sich entweder schon in der Sterbephase oder in einem Stadium einer nicht mehr heilbaren Erkrankung. Diese Erkrankung oder Verletzung muss von mindestens zwei Ärzten festgestellt worden sein.95 Stirbt ein Mensch aber erst dann, wenn diese unmissverständlichen und kurz vor dem Tode auftretenden Zeichen sichtbar werden, oder bereits vorher? Der Autor glaubt nicht, dass diese Definition für eine Grenzziehung ausreicht, denn ihm zufolge gebe es viele Menschen, die eine Krankheit hätten, die tödlich ende, deren unaufhörliches Fortschreiten bis hin zum Tod aber vielleicht doch noch abgewendet werden könne. Ebenso verhalte es sich auch mit hochaltrigen Menschen; diese erlebten möglicherweise in Abständen Phasen, in denen sie sich mit dem eigenen Tod intensiv auseinandersetzten. Ihr Alterungs- und Sterbeprozess verlaufe schleichend. Sie zählten jedoch zu den Menschen, die dem Tod (wahrscheinlich) besonders nahe seien.96 Es geschieht nicht selten, dass dem (tod-)kranken Menschen eine infauste Diagnose von den Ärzten verschwiegen wird,97 um ihn damit in Unkenntnis über seinen eigenen Zustand zu belassen. Oder man denke an Unfallopfer, die sich im Zu-

92 93 94 95 96 97

Mesh (1997), zitiert nach Wittkowski (2003), S. 132. Weingarten (2004) diskutiert Sterben unter philosophischen Gesichtspunkten. Mennemann (2000), S. 36. Vgl. Klinisches Ethikkomitee des Universitätsklinikums Erlangen (2014). Ebd., S. 36. Vgl. Glaser/Strauss (1995).

3 Zur Situation des Sterbens und der Sterbenden

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stand des Komas befinden, also bewusstlos und nicht in der Lage sind, ihren möglichen Tod zu erkennen. Mennemann zieht aus diesen Überlegungen den Schluss, dass „es keine eindeutige Definition und [auch keine] phasenspezifische Grenzziehung, die sich in der Praxis klar ausmachen ließe […]“, gebe.98 Kastenbaum diskutiert fünf Möglichkeiten zu der Frage, wann der Mensch zu sterben beginnt: –









Sterben beginne in dem Moment, in dem wir geboren werden: Diese philosophische Betrachtungsweise des Sterbens soll uns wohl daran erinnern, dass jedes Leben in einem Tod endet. Sie erweist sich jedoch als wenig wertvoll für Menschen, die sich in zeitlicher Nähe zu ihrem Tod befinden. Sterben beginne, wenn eine Tod bringende Erkrankung entstanden ist: Einerseits ist es zwar plausibel (jedoch wenig hilfreich) zu sagen, dass Sterben mit einer tödlichen Krankheit beginnt. Nicht einmal in einer hoch technisierten Welt kann vorhergesagt werden, ob eine Krankheit tatsächlich tödlich ist. Darüber hinaus ist der Zeitpunkt der Entstehung dieser Erkrankung unklar. Sterben beginne, wenn ein Patient vom Arzt über seine Tod bringende (terminale) Erkrankung aufgeklärt wird: Keine Vorhersage des Arztes wird je zu 100 % eintreten, da die Prognose gewissermaßen eine statistische Prognose von Wahrscheinlichkeiten darstellt. Des Weiteren ist es fraglich, wie eng oder weit der Zeitrahmen einer „terminalen“ Erkrankung gelegt werden kann: Tage, Wochen, Monate oder gar Jahre? Sterben beginne, wenn dem Patienten sein Zustand bewusst wird, und er diese Tatsache akzeptiert: Kastenbaum weist darauf hin, dass Patienten mit infauster Prognose zwischen Akzeptanz und Verleugnung der Erkrankung hin- und her schwanken. Ferner sterben manche Patienten, ohne dass ihnen bewusst ist, eine tödliche Erkrankung zu haben, andere hingegen glauben zu sterben, obgleich sie eigentlich keine todbringende Erkrankung haben. Sterben beginne, wenn für den Patienten nichts mehr getan werden kann, um die Erkrankung aufzuhalten und das Leben zu erhalten: Diese Beschreibung ist eher pragmatischer Natur und spielt für die Ärzte dahingehend eine Rolle, als dass nichts unversucht gelassen wird, das Leben des Patienten zu verlängern bzw. zu erhalten.99

Es ist somit kein leichtes Unterfangen zu entscheiden, wann ein Mensch zu einem sterbenden Menschen wird. Letztlich bleibt diese Frage interpretationsoffen, und es kann bis heute keine erschöpfende Antwort auf sie gegeben werden. Bevor im nächsten Abschnitt die psychologischen Gesichtspunkte des Sterbens diskutiert werden, soll zunächst die Frage des Sterbeablaufs geklärt werden. Gilt er für jeden Menschen gleich oder wird er ganz individuell und unterschiedlich erfahren? Diese Frage ist wichtig, da sie für die Pflege Sterbender von erheblicher Bedeutung ist.

98 99

Mennemann (2000), S. 36. Vgl. Kastenbaum (1989), S. 103–105.

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3 Zur Situation des Sterbens und der Sterbenden

Der Sterbeprozess aus medizinisch-naturwissenschaftlicher Sicht „Sterben ist die Phase am Ende eines Lebens, die mit dem Tod endet“,100 so wird Sterben im interdisziplinären Handbuch „Tod und Sterben“ definiert. Eine Antwort auf die Frage aber, ob der Sterbeverlauf für jeden Menschen gleichermaßen verläuft oder eher unterschiedlich, gibt Samarel. Ihm zufolge stellt das Sterben einen Prozess dar und kann eine Vielzahl von Verläufen nehmen. Demgemäß gibt es den schleppenden Verlauf mit einem allmählichen Abstieg über einen langen Zeitraum, den erwartet schnellen Verlauf und den unerwartet schnellen Verlauf.101 Der zeitliche Verlauf des Sterbens mag unterschiedlich sein, in den letzten Stunden aber, bevor der Tod eines Menschen eintritt – es sei denn, es handelt sich um einen plötzlichen Tod – treten typische physiologische Merkmale eines sterbenden Menschen auf, die untrüglich auf den bevorstehenden Tod hinweisen. Die folgende Tabelle gibt solche Merkmale wieder. Physiologisches Merkmal

Resultierende Symptome

Verlust von Muskeltonus

Reduzierte Körperbewegung; Erschlaffung der Gesichtsmuskeln (herunterhängender Kiefer)

Dysphasie

Sprechbeschwerden

Dysphagie

Schluckbeschwerden; sich sammelnde Sekretion; Sabbern

Verminderte gastrointestinale Aktivität

Übelkeit, Blähungen; Ausdehnung des Unterleibs; Verstopfung

Verminderte Sphinkterkontrolle

Harn- und Stuhlinkontinenz

Träge Blutzirkulation

Verminderte Empfindung; Zyanose und marmorierte Extremitäten; kalte Haut (von den Füßen zu den Händen, Ohren und der Nase fortschreitend)

Veränderung der Vitalkennzeichen

Verminderter Blutdruck; verlangsamter und schwacher Puls; flache und unregelmäßige Atmung (schnell oder anormal langsam)

Sensorische Beeinträchtigungen

Verschwommenes Sehen; beeinträchtigter (überoder unempfindlicher) Geschmack- und Geruchssinn

Tabelle 2: Physiologische Merkmale, die auf den bevorstehenden Tod hinweisen102

100 Wittwer et al. (2010), S. 40. 101 Vgl. Samarel (2003), S. 135. 102 Ebd., S. 143.

3 Zur Situation des Sterbens und der Sterbenden

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Der Sterbeablauf kann wie folgt auch als Prozess beschrieben werden: Zunächst ist der Patient zu schwach zum Sprechen, Fixieren mit den Augen und zum Schlucken. Er ist evtl. unruhig, fahrig (ständiges Zupfen am Bettzeug, Abdecken), verwirrt oder benommen. Dann verliert er das Bewusstsein (fluktuierend), wechselnd in der Tiefe. Das Hörvermögen bleibt lange erhalten. Anschließend wird der Kreislauf schwächer, mit kalten Extremitäten und blasser, marmorierter Haut. Daraufhin folgen Inkontinenz oder Harnverhalt, Versiegen der Nierenfunktion, Versagen des Hustenreflexes, Rasselatmung, Veränderung des Atemmusters, schnelle, tiefe Atmung oder unregelmäßige, langsamere Atmung und Schnappatmung. Anschließend versagen Atem und Kreislauf. Starre und weite Pupillen weisen auf den klinischen Tod hin. Danach folgt der Ausfall des ZNS (biologischer Tod) mit Muskelzuckungen (Fibrillationen). Schließlich sterben die einzelnen Zellen ab (Zelltod). Am Ende wird Stuhlgang bis ca. 30 Min. nach dem biologischen Tod abgesetzt. Die Totenflecken und die Totenstarre – sogenannte sichere Todeszeichen – erfolgen etwa zwei Stunden später.103

Das Sterben unter psychologischen Gesichtspunkten Sterben bedeutet nicht nur das Versagen physiologischer Funktionen des Körpers, sondern geht ebenso mit psychischen Vorgängen einher. Die Betrachtung psychischer Vorgänge des Sterbens ist deshalb wichtig, weil der überwiegende Teil der deutschen Bevölkerung nicht mehr überraschend, sondern prognostiziert stirbt. Dieses Wissen um den „baldigen“ Tod,104 mit dem sich der Sterbende auseinandersetzen muss, kann sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, so dass dies in nicht seltenen Fällen für die Sterbenden zu einer enormen Belastung wird. In diesem Zusammenhang wird von einer „Sterbe-Krise“ gesprochen. Eine Krise im Allgemeinen und die Sterbe-Krise im Besonderen zeichnet sich generell durch eine veränderte, nie vorher da gewesene Situation aus, die oft mit Stress einhergeht.105 Je nach den Fähigkeiten der betroffenen Menschen, mit krisenhaftem Erleben umgehen zu können, bewältigen manche dieses besser, andere weniger gut. Belastungsfaktoren einer Krise werden in diesem Zusammenhang nicht von jedem Menschen gleichermaßen stark wahrgenommen, aufgrund dessen werden sie auch unterschiedlich erfolgreich bewältigt. Nach Filipp sind insbesondere Personenmerkmale dafür verantwortlich, wie spezifische Ereignisqualitäten durch die Person selbst wahrgenommen und bewertet werden.106 In vielen Fällen erhalten Lebensereignisse aufgrund der subjektiven Ereigniswahrnehmung ihre

103 Vgl. Albrecht/Roller (2007), S. 501. 104 Wie bereits dargelegt, ist eine zeitliche Prognose unsicher. 105 Stress wird als Wechselwirkung zwischen den Anforderungen einer Situation und den Charakteristika der in dieser Situation handelnden Person verstanden; vgl. Lazarus und Folkmann (1984). 106 Vgl. Filipp (1990).

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3 Zur Situation des Sterbens und der Sterbenden

spezifische Qualität.107 Personenmerkmale wiederum lassen Rückschlüsse auf spezifische Ereignisse zu, mit denen sie konfrontiert wurden („Risikopersönlichkeit“).108 Schließlich sind physische und psychische Ressourcen für die Auseinandersetzung mit kritischen Lebensereignissen dafür verantwortlich, auf welche Art und mit welchem Erfolg belastende Faktoren bewältigt werden.109 Unter dem Konzept der Bewältigung von kritischen Lebenssituationen und Alltagsbelastungen (Coping) werden in der entwicklungs- und kognitionspsychologischen Forschung „sich ständig verändernde kognitive und verhaltensspezifische Bemühungen einer Person, die darauf gerichtet sind, sich mit spezifischen externen und/oder internen Anforderungen auseinanderzusetzen, die ihre adaptiven Ressourcen beanspruchen oder übersteigen“.110

verstanden. Eine Krise stellt Mennemann zufolge „in ihrem Problemgehalt eine die vorhandenen Bewältigungsmöglichkeiten übersteigende Belastungssituation dar. Auf personaler Ebene können starke Stimmungsschwankungen, Ambivalenzen sowie Gefühle der Spannung und Angst auftreten. Eine Krise ist eine die ganze Person infrage stellende starke Bedrohungssituation, die determiniert ist durch dynamische Prozesse der Interaktion von Personen- und Umweltvariablen“.111

Insbesondere dann, wenn der Mensch überraschend mit dem eigenen Sterben konfrontiert wird, ist er einer besonderen Bedrohungssituation ausgesetzt. Mennemann zufolge aber sei es nicht eine schwierige Situation an sich, sondern erst ihre spezifische Wahrnehmung und Interpretation sowie nicht vorhandene Ressourcen der Bewältigung seien es, die zur Krise führen. Eine reale Bedrohung, die das Leben selbst betrifft, so darf behauptet werden, fordert ungleich größere Anstrengungen der Bewältigung. Besonders Sterbe-Krisen „verlangen zur Problembewältigung einen ‚qualitativen Sprungʻ zur Neuorganisation der Persönlichkeit“.112 Bei der Verarbeitung von Krisen spielen Montada gemäß „insbesondere drei Konstruktionen eine große Rolle: die Erklärung der Ursachen, die Ansichten über Verantwortlichkeit für ihr Eintreten und die Suche nach einem Sinn in diesen Ereignissen“.113 Auch hier wird von einem interindividuellen Bewertungs- und Interpretationsschema ausgegangen. „Für einige ist es leichter, eine emotionale Balance zu finden, wenn sie die Ereignisse als Schicksal oder Pech interpretieren, während andere, die das Bedürfnis haben, ihr Schicksal selbst zu kontrollieren, durch eine solche Interpretation sehr verunsichert würden, denn Zufall sei sinnlos, und sie vermeiden die Erkenntnis, sinnlos Opfer geworden zu sein. Deshalb suchen sie nach Sinn in diesem Ereignis, nach Erklärungen und Verantwortlichkeiten“.114

107 Vgl. Gräser et al. (1990). 108 Da alle Menschen sterben müssen, kann in diesem Zusammenhang nicht von einer „Risikopersönlichkeit“ gesprochen werden, es sei denn, das Sterben erfolgt aufgrund eines Suizids. 109 Vgl. Filipp (1990). 110 Lazarus (1974), zitiert nach Ritter-Gekeler (1992), S. 17. 111 Mennemann (2000), S. 95. 112 Ebd., S. 95. 113 Montada (1994), zitiert nach Montada (1995), S. 69. 114 Ebd., S. 69.

3 Zur Situation des Sterbens und der Sterbenden

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Wie sich gleich zeigen wird, finden sich in dem nachstehenden Sterbephase-Modell von Kübler-Ross115 Parallelen zu den von Montada gerade beschriebenen Verhaltensweisen. Den Sinn einer Krise sieht Verena Kast in den kreativen Potenzialen des Krisenprozesses.116 Sie stellte 1989 ein Krisenmodell vor, das insbesondere diese Potenziale des Krisenprozesses besonders hervorhebt. Die Krise wird hier nicht als störendes Element betrachtet, sondern sie stellt eine Herausforderung an das Leben dar, die den Menschen neue Perspektiven bietet und zusätzliche Einsichten in das eigene Leben gewährt. Demnach kann auch ein Sterbender, der nur noch eine kurze Zeit zu leben hat, durchaus einen Gewinn aus seiner Lage ziehen.

Phasen-Modelle des Sterbens – sinnvoll oder sinnlos? Es gibt in der Literatur viele unterschiedliche Sterbephasenmodelle, die alle versuchen, den Ablauf des Sterbens erklärbar und nachvollziehbar zu gestalten, indem das Sterben in so genannte Phasen untergliedert wird.117 Die wohl bekannteste, aber auch umstrittene und mittlerweile „überholte“118 Untersuchung führte Elisabeth Kübler-Ross mit ihrer systematischen Erforschung vom Umgang Sterbender mit infauster Diagnose durch. Die Ärztin interviewte mehr als 200 Patienten mit infauster Prognose und ermittelte ein Reaktionsmuster, das sog. Fünf-Phasen-Modell, das im Folgenden kurz vorgestellt wird.119 – –

– – –

Leugnung (Denial): Der Patient will sein Sterben nicht wahrhaben. Zorn (Anger): Der Mensch macht die Umwelt und die Vergangenheit verantwortlich für seinen Zustand. Eine häufig gestellte Frage ist: „Warum gerade ich?“ Verhandeln (Bargaining): Der Patient versucht mit allen Mitteln, sein Sterben hinauszuzögern. Resignation (Depression): Das Sterben kann nicht länger verleugnet werden. Der Patient ist niedergeschlagen. Akzeptanz, Zustimmung (Acceptance): Die letzte Phase ist durch eine mehr oder minder ruhige Erwartung des Todes gekennzeichnet. Hier stellt Kübler-

115 Für Kübler-Ross sind auch Menschen, die ihre infauste Diagnose erhalten haben, sterbende Menschen, lange bevor sie die o. g. Symptomatik des Sterbeprozesses aufweisen. 116 Vgl. Kast (1989). 117 Mennemann weist auf Modelle von Lindemann, Kübler-Ross, Speigel, Parkes, Sölle, Cullberg Pincus, Bowlvy, Schuckardt, Hellriegel, Kast, Worden, Schmidt, Jablowski, Condreau, Pattison, Weismann und Wittkowski hin; vgl. Mennemann (2000). 118 Vgl. Ritter-Gekeler (1992), S. 12. 119 Mennemann verweist auf Ziegler (1977), S. 162 und Hummel (1988), S. 40, die entgegen der deutschen Taschenbuchausgabe sieben Phasen beschreiben, indem sie sich dabei auf die englischsprachige Originalsausgabe berufen, die eine weitaus differenziertere Darstellung der Sterbephasen zulässt. Darüber hinaus kritisiert Mennemann, dass die Stadien in der gekürzten Taschenbuchausgabe zum Teil in einer anderen Reihenfolge erscheinen; vgl. Mennemann (2000).

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Ross zufolge ‚„kein resigniertes und hoffnungsloses ‚Aufgebenʻ im Sinne von ‚wozu denn auchʻ oder ‚ich kann jetzt nicht mehr kämpfenʻ“ dar.120 Das Fünf-Phasen-Modell von Kübler-Ross ist oft kritisiert worden; neben methodischen Schwächen ihrer Erhebung, die eine allgemeingültige Aussage über den Sterbeprozess unter psychologischen Gesichtspunkten im Grunde kaum oder gar nicht zulassen, sind andere, zum Teil auch gegensätzliche Beobachtungen zum Sterbeprozess gemacht worden. Im Folgenden werden die Hauptkritikpunkte aufgeführt: –



– –



Schmitz-Scherzer kann einen Fünf-Phasen-Prozess nicht bestätigen. Er beschreibt vielmehr ein sog. präfinales Syndrom, das häufig bei Sterbenden zu beobachten sei: Die Reduktion kognitiver Fähigkeiten, das Auftreten von zum Teil extremen Stimmungsschwankungen, Schwankungen zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit sowie Bereitschaft zur Kommunikation und deren völlige Ablehnung könnten als einzelne Symptome in freilich sehr unterschiedlichen individuellen Ausprägungen und in je verschiedenen Konfigurationen miteinander beobachtet werden.121 Die Individualität des Sterbeerlebens sterbender Menschen werde kaum berücksichtigt. Ein Phasen-Modell von nur fünf Abstufungen könne dem individuellen Sterbeprozess kaum gerecht werden. Einen Versuch, das Modell zu verfeinern sowie die Theorie zu überprüfen, habe es nicht gegeben.122 Zu der Annahme der Existenz der Stufen gibt es keine Belege für die von Kübler-Ross festgelegte Reihenfolge.123 Unter streng wissenschaftlichen Gesichtspunkten habe Kübler-Ross weder eine Befragung noch ein Interview durchgeführt, auch wenn der Titel ihres Buches „Interviews mit Sterbenden“ dies suggeriert. Vielmehr hat sie sich mit den Sterbenden „unterhalten“. Des Weiteren habe sie Mennemann zufolge diese „Interviews“ sowohl mitgestaltet als auch ausgewählt, so dass eine Standardisierung und damit eine Generalisierbarkeit nicht gegeben sei.124 Eine Inter- und Intra-Beurteilung der Reliabilität sei nicht vorgenommen worden, da Interviewer und Auswertung in der Hand von nur einem Menschen ge-

120 Kübler-Ross (2001), S. 99. 121 Vgl. Schmitz-Scherzer (1995), S. 249. Der Autor weist jedoch darauf hin, dass auch dieses präfinale Syndrom die individuelle Auseinandersetzung mit der Endlichkeit nicht differenziert und umfassend genug beschreibe, sondern nur einen Komplex von psychischen Symptomen benenne, dessen depressive Reaktionen zu den ausgeprägten Stimmungsschwankungen gehörten. Die Diagnose der Depression, warnt Schmitz-Scherzer, dürfe nur mit größter Zurückhaltung gestellt werden, da sonst natürliche Reaktionen auf eine Grenzsituation pathologisiert werde (Schmitz-Scherzer, 1995). 122 Vgl. Samarel (2003), S. 138. 123 Ebd. 124 Vgl. Mennemann (2000), S. 43.

3 Zur Situation des Sterbens und der Sterbenden







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legen haben. Des Weiteren existiere keine Validierung der Daten, denn die Ergebnisse und deren Schlussfolgerungen daraus seien kritiklos übernommen worden.125 Samarel zufolge sei die Stufen-Theorie zudem ihrem Wesen nach deskriptiv, obgleich sie als präskriptiv aufgenommen worden sei. Einige professionell Betreuende hätten die Theorie dahingehend missbraucht, dass sie versucht hätten, Patienten nach einem Fahrplan zum Fortschreiten von einer Stufe zur nächsten zu drängen. Darüber hinaus werde die letzte Stufe des Akzeptierens als das universell angestrebte Ziel eines jeden Sterbenden angesehen. Die Individualität hinsichtlich der Krankheit, Behandlungseffekte, bereits vorhandener Persönlichkeitsfaktoren, soziokultureller Faktoren sowie Umweltfaktoren werde aufgrund der allgemeinen Anwendung solch einer Theorie übersehen.126 Das Phasen-Modell von Kübler-Ross wurde anhand klinischer Daten von Menschen mit infauster Diagnose konzipiert. Sterbende Menschen außerhalb der Klinik sind nicht mit einbezogen worden.

Das Phasen-Modell weist neben o.g. Kritik dessen ungeachtet auch positive und wichtige Aspekte auf: –





– –

Kübler-Ross gilt als Pionierin, die sich erstmals systematisch mit den Themen Tod und Sterben auseinandersetzte. Ihre Arbeit löste eine ganze Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen aus und damit eine verstärkte Auseinandersetzung mit diesem bis dato gemiedenen Untersuchungsgegenstand. Es wird eine wichtige Erkenntnis gewonnen, nämlich dass Phasenmodelle neben ihren heuristischen Funktionen vor allem die Erkenntnis der Heterogenität des Sterbens schaffen, die kein statischer Zustand ist, sondern einen dynamischen Prozess darstellt. Zu diesem „gehören sowohl kognitive Auseinandersetzungen als auch emotionale Reaktionen wie Ärger, Zorn und Depression“.127 Das Phasen-Modell beschreibe eine Bandbreite von Reaktionen mentaler und emotionaler Art sowie hinsichtlich des Verhaltens, die tatsächlich an vielen Menschen beobachtbar seien.128 Es zeige, dass Menschen verschiedene Gedanken und Gefühle angesichts des nahenden Todes aufwiesen. Es biete eine andere Sichtweise an, indem es von der Annahme, eine starke emotionale Reaktion während des Sterbeprozesses sei abnorm, abweiche. Das Modell helfe, den Fokus auf den sterbenden Menschen zu legen und weniger auf physiologische Vorgänge, und es ermuntere die pflegende Person, zu einem besseren Zuhörer, Begleiter und Helfer zu werden.129

Jedes Modell – und sei es noch so sorgfältig konstruiert – birgt die Gefahr einer Verallgemeinerung in sich. Jeder Mensch ist in seiner Individualität einzigartig, 125 126 127 128 129

Vgl. Samarel (2003), S. 139. Ebd. Mennemann (2000), S. 47. Vgl. Kastenbaum (1989), S. 221. Ebd.

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also auch im Sterben. Aufgrund dessen sollte jede Theorie und jedes Modell in der Praxis lediglich als Hilfestellung und weniger als Handlungsanweisung verstanden werden. In diesem Zusammenhang merkt Rest an, dass eine Verlaufsbeschreibung des Sterbens nur eine bestimmte Schwelle erreiche, nicht aber den Eintritt des Todes selbst. Zwischen den beschreibbaren Prozessen und dem unwiederbringlichen Lebensende, wirft Rest ein, gebe es aber noch manches Ereignis,130 das nur vom Sterbenden selbst erfahren werden kann und im Erleben nicht beschreibbar ist. Student und Mühlum weisen noch auf einen anderen wichtigen Aspekt des Sterbens hin; sie begreifen das Sterben auch als einen sozialen Prozess. Sie argumentieren, dass selbst wer den Tod im metaphysischen Sinn als Tor zum wahren Leben begreife, das Sterben als schmerzvollen Abschied fürchte, als existenzielle Ungewissheit und schmerzlichen Durchgang ebenso wie der materialistisch gesonnene Mensch, für den der Tod der „Kreislauf der Natur“ sei oder die „Umwandlung der Materie“ ihren Lauf nehme. Das Sterben sei den Autoren gemäß ein höchst persönlicher und – was lange Zeit in Vergessenheit geraten schien – ein sozialer Prozess, der Raum, Zeit und sensible Begegnung brauche.131

3.1.2 Todesdefinitionen: Ein ethisches Problem Im Zuge der hohen und rasanten Technisierung der Medizin sind unterschiedliche Todesdefinitionen entstanden, die jedoch gleichzeitig die Problematik des Behandlungsabbruchs132 bzw. der Nichtwiederaufnahme lebenserhaltender Maßnahmen aufwarfen, da „tot“ offenbar nicht gleich „tot“ ist. Um welche Definitionen es sich hierbei handelt, wird im Folgenden aufgeführt und näher erläutert: –





Allgemeine Definition des Todes: Klein definiert den Tod aus medizinisch-naturwissenschaftlicher Sicht als einen Zustand bei irreversiblem Ende aller Lebenserscheinungen.133 Individualtod, Organtod oder Herz-Kreislauf-Tod: Der Individualtod ist „gekennzeichnet als Zustand des irreversiblen Endes der für die Lebensfähigkeit des Gesamtindividuums in seiner ‚leiblich-seelischen Ganzheitʻ unerlässlichen Lebenserscheinungen“.134 Klinischer Tod: Der klinische Tod tritt dann ein, wenn bei einer Phase funktionellen Stillstands von Herztätigkeit und Atmung eine Wiederbelebung grundsätzlich noch möglich ist.

130 Vgl. Rest (1998), S. 173. 131 Vgl. Student/Mühlum (2007), S. 14. 132 Der Begriff „Behandlungsabbruch“ impliziert die ärztliche Annahme, dass nun nichts mehr für den Patienten getan werden kann. In diesem Zusammenhang fällt im klinischen Alltag häufig der Terminus „austherapiert“. Der ärztliche Auftrag endet jedoch nicht, sondern das Therapieziel verändert sich von „Heilung“ zu „palliativer Versorgung“. 133 Vgl. Klein (1997), S. 8. 134 Ebd., S. 9.

3 Zur Situation des Sterbens und der Sterbenden

– –

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Partialtod oder Hirntod: Ist das Gehirn mitsamt seinem Hirnstamm „tot“, spricht man von Hirntod. Totaltod, Zelltod oder Gesamttod: „Der Untergang sämtlicher Organe und Zellverbände wird als Gesamttod, Totaltod oder auch Zelltod bezeichnet.“135 „Biologisch betrachtet ist das Sterbegeschehen erst dann beendet, wenn die letzte Körperzelle abgestorben ist“.136

Die parallel existierenden verschiedenen Todesdefinitionen bereiten jedoch in der medizinischen Praxis nicht unerhebliche Probleme; noch in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts galt der Mensch dann als tot, wenn der Herzschlag und die Atmung ausgesetzt hatten. Diese Kriterien reichen heute nicht mehr aus; Herzschlag und Atmung lassen sich künstlich erhalten und damit auch das Leben. Daher musste ein neues Kriterium des Todes an die Stelle des alten treten: das Gehirn. Wenn es keinerlei Aktivitäten mehr aufwies, konnte davon ausgegangen werden, dass der Mensch tot war. Inzwischen ist die Medizin-Technik jedoch in der Lage, den Körper des Menschen auf unbegrenzte Zeit am Leben zu erhalten, auch wenn das Gehirn keinerlei Aktivitäten mehr aufweist. Hierdurch ist die natürliche Verflechtung von Herz-Kreislauf-Tod und Hirntod aufgelöst worden. In diesem Zusammenhang rückte insbesondere folgende Frage in den Vordergrund: Ist die Medizin verpflichtet, einen menschlichen Körper am Leben zu erhalten, wenn sie dazu in der Lage ist? Ein am Leben erhaltener Körper mag in einem minimalistischen biologischen Sinne funktionieren, doch die Fähigkeit, eine Person mit einem Bewusstsein zu sein, ist irreversibel verloren. Bisher wurde der Tod als das Versagen physischer Vorgänge verstanden. Rest hingegen betrachtet den Tod aus philosophischer bzw. religiöser Sicht. Ihm zufolge könne der Tod niemals wissenschaftlich erfasst werden, da die Wissenschaft noch nie eine Aussage zur Wahrheit und somit auch nicht zur Wahrheit des Todes gefunden habe.137 Aufgrund dessen formuliert er folgende Hypothese: „Die Frage nach dem Tod des Menschen ist eine Frage der Philosophie und Religion, nicht aber der Medizin und der Wissenschaften. Denn Religion und Philosophie haben die Frage ‚was und wer ist der Mensch‘ zum Gegenstand, also auch die Frage, ob es einen Punkt gibt, von dem an der Mensch noch nicht oder nicht mehr existiert“.138

Rest ist der Auffassung, dass es den Hirntod als Tod der sich selbst bewussten Existenz nicht gibt. Vielmehr ist sie eine nur zu bestimmten Zwecken aufgestellte Behauptung. Hier versucht der Autor, die Aussichtslosigkeit der Wissenschaften und der Medizin, wahre Aussagen über den Tod zu treffen, deutlich zu machen. Er ist der Meinung, dass sie lediglich vorläufige Resultate eines Denkprozesses in Abhängigkeiten von Hypothesen und Methoden sind.139 Mit anderen Worten kann der Tod als Konstrukt von Wissenschaft und damit Medizin niemals verifiziert werden. 135 136 137 138 139

Klein (1997), S. 8; vgl. Fuchs (2001). Eid/Frey (1978), S. 27; siehe auch Fuchs (2001). Vgl. Rest (2001), S. 104. Ebd., S. 103–104. Vgl. Rest (2001).

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3 Zur Situation des Sterbens und der Sterbenden

Wie in diesem Abschnitt ersichtlich wurde, herrschen unterschiedliche Todesdefinitionen, die ein Dilemma, in dem sich die Medizin befindet, entstehen ließen, wenn es insbesondere um die Frage nach dem Leben- oder Sterbenlassen eines Menschen geht. Im folgenden Kapitel der vorliegenden Arbeit wird eine weitere Problematik behandelt, die sich auf die Institutionalisierung des Sterbens bezieht.

3.2 INSTITUTIONEN DES STERBENS Seit etwa 50 Jahren vollzieht sich bezüglich des Sterbeortes der Deutschen ein Prozess, der bis in die Gegenwart anhält. Obgleich die meisten Menschen in ihrem Zuhause, im hohen Alter, schnell und schmerzlos, von Bezugspersonen betreut und „in Würde“ sterben möchten,140 beenden von den rund 850.000 Menschen,141 die in Deutschland jährlich sterben, etwa 80 bis 90 % ihr Leben in einer Institution.142 Diese Menschen seien Feldmann zufolge Opfer einer säkularen Religion des „natürlichen“ Sterbens, die dogmatisch Lebenslänge und technische Versorgung als Hochziele setze,143 ein Prozess, der mit Institutionalisierung des Sterbens144 umschrieben wird.145 Worin besteht diese Diskrepanz zwischen Wunsch und Realität? In der Literatur werden folgende Gründe genannt: – – – – –

Die Optimierung der (medizinischen) Versorgung durch die professionelle Hilfe in den Institutionen.146 Die zunehmende Auflösung von Familienstrukturen sowie eine Pluralisierung der Lebensformen.147 Die Veränderung der Todesarten von kurz-akut zu lang und chronisch. Ängste und Überforderungen der Angehörigen, mit dem Problem umgehen zu können148 Sterbende bedürfen einer intensiven Pflege und aufwändigen fachgerechten Behandlung, so dass eine Verlegung in ein Krankenhaus unabdingbar sei.149

Die Institutionalisierung des Sterbens hat somit diverse Gründe. Im Folgenden werden die einzelnen Institutionen, in denen Menschen sterben, kurz vorgestellt.

140 141 142 143 144 145

146 147 148 149

Vgl. Schweidtmann (1991), Wittwer et al. (2010), S. 68 und Feldmann (2012). Vgl. Birg (2001). Vgl. Fuchs (2000), S. 19 und Mielke (2006), S. 100. Vgl. Feldmann (2012), S. 83 und Weingarten (2004). Vgl. Frewer et al. (2010) und (2012). Auf die Frage nach der Finanzierung bzw. Finanzierbarkeit der einzelnen Institutionen kann in der vorliegenden Arbeit nicht eingegangen werden. Einen guten Überblick darüber bietet jedoch u. a. Mielke (2006). Vgl. Schweidtmann (1991). Vgl. Wissing (1992) und Mielke (2006). Vgl. Schweidtmann (1991). Ebd., S. 33.

3 Zur Situation des Sterbens und der Sterbenden

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3.2.1 Das Krankenhaus Beinahe 50 % der deutschen Bevölkerung beenden ihr Leben in einem Krankenhaus. Dies liegt, wie weiter oben bereits genannt, insbesondere an den technischen Möglichkeiten, Leben auf unbestimmte Zeit verlängern oder erhalten zu können. Darüber hinaus entlaste sich Falck zufolge die Gesellschaft von der Verantwortung der Pflege todkranker Menschen, indem sie diese aufgrund der Ausgliederung der Pflegebedürftigkeit und des Sterbens aus der Familie und der Aufgabenzuweisung an spezialisierte Institutionen bestimmten Berufsgruppen aufbürde.150 Das Hospital von einst hat sich somit dergestalt verändert, dass es nun auch zu einem Ort des Sterbens geworden ist. Ein Krankenhaus aber versteht sich in erster Linie als Heilstätte und nicht als ein Ort des Sterbens151 (obgleich es dies faktisch auch ist). Aus diesem Grunde „stören“ Sterbende die Krankenhausroutine. Nicht selten werden Sterbende in so genannte Sterbezimmer verlegt, und zwar mit der Begründung, dass sie dort in Ruhe sterben könnten. Weingarten zufolge stellt das Krankenhaus aus sozialwissenschaftlicher Sicht als Teil der gesellschaftlichen Institution die „Arena“ dar, in der alle Beteiligten um die Gesundheit ihrer Patienten kämpften und damit – im extremen Fall – gegen den Tod angingen, auch dann, wenn sie dabei iatrogenen Schaden152 anrichteten. Das Sterben-Lassen, resümiert Weingarten, vor allem das In-Frieden-Sterben-Lassen, sei also nicht die eigentliche Aufgabe des Krankenhauses. Dieses sei von seiner Selbstdefinition her und der Art und Weise, wie es räumlich und personell organisiert sei, nicht auf den Sterbevorgang und den Tod eingestellt. Der Tod eines Patienten werde oft, aber ganz sicher auf den Intensivstationen wie eine verlorene Schlacht erlebt und hinterlasse neben dem Toten eine Reihe ermatteter medizinischer Krieger, die rasch und geschäftsmäßig, oft heimlich und hilflos, das Opfer des Todes beiseite schafften.153 In den Krankenhäusern verläuft das Sterben häufig einsam, unbegleitet und unbeobachtet, da auch die Familienmitglieder der Sterbenden nicht selten aufgrund zeitlicher, räumlicher oder emotionaler Distanz zum Sterbenden nicht dabei sind, um die letzte Phase des Lebens ihres sterbenden Angehörigen zu begleiten. Darüber hinaus fällt es vielen Angehörigen schwer, das Sterben eines Menschen mitzuerleben. Wie Schweidtmann weiter oben konstatiert hat, ist auch Ariès der Auffassung, viele Angehörige delegieren Pflege und Begleitung ihrer kranken Angehörigen an die Kliniken, damit sie sich selber nicht damit belasten müssen.154

150 Vgl. Falck (1984), S. 363. 151 Wenn auch unter ökonomischen Gesichtspunkten. 152 Als iatrogen (griechisch: vom Arzt erzeugt) werden Krankheitsbilder bezeichnet, die durch ärztliche Maßnahmen verursacht wurden, unabhängig davon, ob sie nach Stand der ärztlichen Kunst vermeidbar oder unvermeidbar waren. Im weiteren Sinn ist auch jede andere Wirkung ärztlichen Handelns, insbesondere die Heilung, iatrogen. 153 Vgl. Weingarten (1984), S. 351. 154 Vgl. Ariès (1980).

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Geht in den Krankenhäusern eine Professionalisierung der Pflege mit einem adäquaten Umgang der Pflegenden mit Tod und Sterben einher? Glaser und Barney verneinen diese Frage. Im Jahre 1974 untersuchten sie in diesem Zusammenhang das interaktive Verhalten des Pflegepersonals mit Sterbenden in Krankenhäusern und sind zu teilweise erschreckenden Ergebnissen gekommen: Je weiter sich ein Patient dem Tode nähere, umso größer werde die räumliche Distanz der Pflegenden zu ihm, da im Allgemeinen Ärzte und Schwestern den Umgang mit Sterbenden für belastend, wenn nicht traumatisch hielten.155 Glaser und Strauss sprechen in dieser Beziehung von einem „sozialen Tod“,156 den der Patient stirbt. Den Autoren zufolge erhielten die Ärzte und Schwestern in ihrer Ausbildung lediglich fachliches Wissen, nicht jedoch Wissen, wie man mit Sterbenden umgeht, indem ihre Dozenten kaum – wenn überhaupt – darauf eingingen, „ob und wie man einen Kranken auf seinen bevorstehenden Tod vorbereiten sollte, ja, nicht einmal darauf, wie man Ehefrauen, Kindern und Eltern von Sterbenden die traurige Tatsache nahebringen kann“.157

Weingarten geht davon aus, dass die Pfleger und Ärzte nur scheinbar im Sinne gesellschaftlich ausdifferenzierter Arbeitsteilung für die Bewältigung des Todes besser geschaffen seien,158 es aber nicht wirklich sind. Denn selbst Pfleger, die das Sterben in Kliniken häufig miterleben, fühlen sich dem Tod gegenüber hilflos, da auch sie sich mit ihrem eigenen Tod kaum oder gar nicht auseinandergesetzt haben, und darüber hinaus die Atmosphäre in den Kliniken ein Auseinandersetzen mit dem Tod auch wenig zulässt; zu betriebsam, routiniert und reglementiert ist der Arbeitsablauf, als dass Zeit gefunden werden könnte für ein Innehalten, wenn gerade wieder ein Mensch gestorben ist. Weingarten zufolge fehlt in den Kliniken ein „Abschiednehmen“, wie es beispielsweise in den Hospizen üblich ist, wenn ein Patient gestorben ist. „Im medizinischen System regieren […] Sachzwänge, unzulängliche Räumlichkeiten, Forschungs- und Lehrinteressen (Pathologie und die Notwendigkeit, das Katheter schieben zu üben, beispielsweise), die ein humanes Sterben verhindern, das nur dann human sein kann, wenn es Grundregeln menschlichen Zusammenlebens verwirklicht, wozu auch ein ernsthaftes Abschiednehmen im Tode gehört“.159

Doch diese Grundregeln fehlen weitgehend in den Institutionen. Fuchs macht folgende Gründe dafür verantwortlich: „Wirtschaftliche Rahmenbedingungen des Sozialstaates; demographische Entwicklungen der Bevölkerung; Urteile deutscher Rechtsprechung; Gesetze wie das Betreuungsgesetz, Transplantationsgesetz oder das Fortpflanzungsmedizingesetz;160 europäische Richtlinien, Verord-

155 156 157 158 159 160

Vgl. Glaser/Barney (1974). Glaser/Strauss (1995), S. 9. Ebd., S. 12. Vgl. Weingarten (1984), S. 350. Ebd., S. 356. Bisher gibt es dieses Gesetz noch nicht.

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nungen, Konventionen; zunehmenden Werteverfall, Verfall christlich-jüdischer, abendländischer Ethik; ein utilitaristisches Menschenbild der Biowissenschaften und Bioethik; gesellschaftliche Kräfte, die aktive Sterbehilfe herbeireden“.161

Die Intensivmedizin: Segen oder Fluch? Die Intensivmedizin hat gegenwärtig einen ungeahnt hohen technischen Standard und Möglichkeiten der Lebenserhaltung erreicht, so dass sie einerseits als Segen angesehen wird, da sie Leben erhalten kann, welches früher noch nicht zu retten gewesen wäre. Andererseits jedoch wird sie manchmal auch als Fluch empfunden. Das technisch Machbare nämlich schafft in einigen Fällen ethische Probleme, die Fragen nach dem Beenden oder Verlängern eines Lebens aufwerfen, sowie danach, wie weit die Medizin gehen darf.162 Immer mehr greifen Maschinen in die Lebensund Körperfunktionen eines Menschen ein, und immer mehr stellt die Medizin und insbesondere die Intensivmedizin ein Bindeglied zwischen Medizin und Technik dar. Bevor diskutiert wird, welche Problematik die Intensivmedizin hervorrufen kann, soll zunächst ein Blick darauf geworfen werden, was sie leistet. Kuhlmann definiert die Intensivmedizin folgendermaßen: „Die Intensivmedizin soll die Atmung, den Kreislauf oder andere lebenswichtige Funktionen eines Patienten aufrechterhalten, solange noch Aussichten bestehen, dass die zugrunde liegende Erkrankung geheilt oder unter Kontrolle gebracht werden kann“.163

Methoden seien u.a. künstliche Beatmung, Medikamente zur Stärkung des HerzKreislauf-Systems, Ernährung durch Sonden; künstliche Niere, Steuerung der Körpertemperatur. Intensivtherapie werde häufig eingesetzt bei Schock, Herzinfarkt, Herzrhythmusstörungen, Störungen der Atmung, Koma und nach Operationen.164 Intensivmedizin vermag also zweifelsohne in vielen Fällen Leben retten; einige Menschen fragen jedoch, um welchen Preis. Im Zuge der modernen Geräte-Medizin mit ihren ständig wachsenden technisch-medizinischen Standards in den Kliniken haben sich in den letzten Jahrzehnten die Krankenhauskultur und damit die Pflege verändert. Heute bestimmt eine Anspruchshaltung, das technisch Machbare zu unternehmen, um das Leben eines Menschen zu erhalten, das Bild der Kliniken.165 Diese Entwicklung wirft jedoch in nicht wenigen Fällen ethische Fragen auf. Weingarten zufolge biete sich die Medizin als eigenmächtige, technisch perfekt ausgerüstete physiologische Wiederherstellungsmaschinerie an, und sie erwecke den Eindruck, als könne sie fast nach Belieben entscheiden, wie lange ein Mensch leben solle bzw. wann er sterben dürfe. Im Vertrauen auf die technisch hochgerüstete Medizin würden viele Todkranke in Kliniken verlegt, weil die Angehörigen 161 162 163 164 165

Fuchs (2001), S. 17. Vgl. insbesondere Beckmann (1996) und Beckmann et al. (2000). Kuhlmann (1995), S. 37. Ebd. Vgl. Maio (2014).

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oder auch die Patienten selbst ganz realistisch die Chancen der Medizin im Kampf gegen den Tod als größer einschätzten als ihre eigenen Kräfte.166 Kuhlmann kommt darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass sich im Zuge der Errungenschaften der modernen Medizin die Erwartung von Ärzten und Patienten, die Krankheit in den „Griff“ zu bekommen, enorm gesteigert habe. Durch die immer größer werdenden Möglichkeiten der Therapie falle es ihnen schwer, sich mit dem unabwendbaren Verlauf einer Krankheit abzufinden.167 Der Autor räumt zwar ein, dass wohl kaum jemand heute noch eine Medizin verteidigen werde, die Leben um jeden Preis verlängere, indem das Sterben bloß hinausgezögert und der Schwerkranke in einem Zustand des „Dahinsiechens“ erhalten werde, doch sage diese prinzipielle Einsicht nichts darüber aus, was man in einer konkreten Situation tun solle.168 Der Autor beschreibt hier einen Zustand, wie er tagtäglich in deutschen Krankenhäusern vorkommt. Darüber hinaus entsteht eine immer größer werdende Diskrepanz hinsichtlich der Möglichkeiten, die durch Forschung und Wissenschaft gerade in der Medizin hervorgebracht werden, und der Frage danach, in welchem Umfang diese zum Einsatz gebracht werden dürfen (und müssen?). Kuhlmann beschreibt folgende Fragen, mit denen Mediziner immer wieder konfrontiert werden: –









Wann habe die Krankheit ein solch aussichtsloses Stadium erreicht, dass man auf weitere aufwändige und belastende Diagnostik und Therapie lieber verzichte? Sei die Diagnose über den weiteren Krankheitsverlauf tatsächlich sicher genug, um die schwerwiegende Entscheidung zu rechtfertigen, lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahmen abzubrechen? Solle man bei unsicherer Prognose169 der eventuell möglichen Lebenserhaltung Vorrang geben oder solle man dem schwerkranken Patienten Belastungen – etwa durch eine Operation, Chemotherapie oder intensivmedizinische Unterstützung – lieber ersparen, wenn der Erfolg fraglich sei? Solle der Arzt im „terminalen“, dem Tode nahen Stadium einer Krankheit, noch Maßnahmen ergreifen, die das Leiden des Patienten lindern, doch gleichzeitig den Sterbeprozess verlängern? Dürfe der Arzt – umgekehrt – zur Schmerzlinderung Mittel verabreichen, die das Sterben beschleunigen könnten?170

Fuchs erkennt das ethische Vakuum, das sich aus diesen Fragen ergibt, denn wie bei Biotechnologie, -medizin und insbesondere der modernen Reprogenetik stelle sich auch bei der Frage des Sterbeprozesses immer wieder die Frage nach dem Erlaubt-Sein des Machbaren. Die biologisch-medizinische Grenze der Intensivmedizin sei da erreicht, wo ein schwerkranker Patient zum Sterbenden werde. Das sei

166 167 168 169 170

Vgl. Weingarten (1984), S. 351. Vgl. Kuhlmann (1995), S. 33. Ebd. Als „unsichere Prognose“ gilt eine, die nicht eindeutig schlecht ist. Ebd. S. 33–34.

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traditionell der Zeitpunkt für den Rückzug der Ärzte gewesen.171 Der Autor ist der Auffassung, dass diese Grenze heute nicht mehr zu erkennen sei, und sie werde sogar, wenn es um die „Vernutzung“ des Sterbenden gehe, auch nicht mehr respektiert.172 Es ist zu hoffen, dass Fuchs sich mit Letzterem irrt. Neben den ethischen Fragen, die sich mit der modernen Medizin ergeben, leidet aufgrund der Neigung des Menschen, sich nicht mit Tod und Sterben auseinandersetzen zu wollen, die angemessene Begleitung todkranker Patienten. In diesem Zusammenhang forderte Falck bereits 1984 in 29 Punkten einen besseren Umgang mit Tod und Sterben in den Kliniken und Pflegeheimen: 1. Vorbereitung des Sterbens in allen Altersstufen und dadurch Enttabuisierung von Sterben und Tod. 2. Adressaten der Vorbereitung auf das Sterben seien die direkt Betroffenen, das medizinische und paramedizinische Personal. 3. Der Pluralismus der Todeskonzepte solle in der Praxis als Realität berücksichtigt werden. 4. Die Aufgabe der Theologie sollte es sein, die Vorstellung über den Tod, und was daraus folgt, zu entwickeln. 5. Das Sterben sollte in den häuslichen Bereich zurückverlagert werden.173 6. Im Falle, dass der Sterbende außerhalb seiner Wohnung ist, sollte die Anwesenheit wichtiger Sozialpartner erleichtert werden. 7. Die Kommunikationsfähigkeit des Personals über Tod und Sterben sei zu verbessern. 8. Aus- und Fortbildung von Medizinern über Gespräche mit Patienten und Mitarbeitern solle verstärkt werden. 9. Auch nicht ärztlich ausgebildete Mitarbeiter in der Klinik sollten zumindest rudimentär über den Umgang mit Schwerkranken und Sterbenden informiert werden. 10. Bildung eines Curriculums für das Pflegepersonal. 11. Keine Berufsspezialisierung für den Umgang mit Sterbenden. 12. Mindestens eine einmal wöchentlich stattfindende Arbeitssitzung, um Informationen über die Patienten auszutauschen, Methoden des Umgangs zu vermitteln und das weitere Vorgehen gemeinsam festzulegen. 13. Reduzierung der Dominanz der Mediziner durch Vermitteln partnerschaftlichen Verhaltens. 14. Eine auch nach außen sichtbare Aufwertung des Pflegepersonals, um ihre Stellung bei den Patienten zu stärken und um Mediziner zu entlasten. 15. Supervision des Personals. 16. Sensibilisierung der Wahrnehmung auch kleinerer Erfolgserlebnisse.

171 Vgl. Fuchs, (2001), S. 28. 172 Ebd. 173 Hospize als Institution waren zu der Zeit dieser Forderungen noch relativ unbekannt.

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17. Bildung einer Berufsethik, an die sich das Pflegepersonal gebunden fühlen könnte.174 18. Verbesserung der räumlichen und personalen Ausstattung. 19. Bei aussichtslosen Fällen sollten die medizinische Behandlung reduziert und die soziale Betreuung erhöht werden. 20. Schwierige Patienten sollten ihre „Lieblings-Pflegeperson“ als Pfleger erhalten, welche von anderen Aufgaben entlastet werden sollte, damit sie „ihren“ Patienten betreuen könnte. 21. Nur wenn die Aussicht auf zahlreiche Vorteile besteht, sollten Schwerkranke und Sterbende in eine neue Abteilung verlegt werden. 22. Keine Isolierung Sterbender in einen Raum mit Personen in gleicher Lage. 23. Keine Rehabilitation um jeden Preis, wenn der Patient dies nicht wünsche. 24. Keine verfrühte Mitteilung geben, dass der Tod nahe sei. 25. Bei Tod des Patienten sollten Mitpatienten oder auch Mitbewohner über dessen Tod informiert werden. 26. Nur mit Zustimmung des Patienten dürften intime Inhalte, die in persönlichen Gesprächen besprochen wurden, an behandelnde Kollegen weitergegeben werden. 27. „Kampagne“ zur Humanisierung der Institutionen. 28. Aufbau von Modelleinrichtungen in Krankenhäusern und Pflegeheimen zur Erhöhung des Bekanntwerdens der Empfehlungen zum Umgang mit Sterbenden. 29. Verstärkung der interdisziplinären Zusammenarbeit.175 Diese Forderungen sind in einer Zeit ausgesprochen worden, in der die Palliativmedizin im deutschsprachigen Raum nur rudimentär, wenn überhaupt bekannt war. Mehrere Aufzählungen sind daher ergänzungsbedürftig, wie z.B. Punkt 19, der mit folgendem Zusatz versehen werden müsste: Bei aussichtslosen Fällen sollte, wenn nötig, die kurative medizinische Behandlung reduziert und die palliative Betreuung erhöht werden.

Das Krankenhaus als Profit-Center? Es gibt noch ein weiteres Problem, welches sich direkt auf die Sterbesituation auswirkt; ursprünglich stellte das Krankenhaus einen Hort der Krankenpflege dar. Seit mehr als 20 Jahren jedoch ist der Patient „Kunde“ und wird als solcher nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten „vermarktet“. Heller fordert in diesem Zusammenhang

174 Seit dem Jahr 1953 gibt es den International Council of Nurses (ICN), der in vier Bereichen den Standard ethischer Verhaltensweisen bestimmt: Pflegende und ihre Mitmenschen, Pflegende und die Berufsausübung, Pflegende und ihre Profession sowie Pflegende und ihre Kolleginnen; vgl. Deutscher Pflegerat e.V. (2015). 175 Vgl. Falck (1984), S. 359–361.

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„[…] Möglichkeiten, über ethische Bewusstseinsbildung in so komplexen Organisationen wie dem Krankenhaus, Änderungen im Sinne von mehr Autonomie, Bedürfnisorientierung, mehr Würde und Klientenrechte zu erreichen“.176

In diesem Sinne stellt Keim an dieser Stelle die berechtigte Frage, inwieweit die beschriebenen Prozesse im Gesundheitswesen mit ihrer verstärkten Orientierung an Wirtschaftlichkeit – insbesondere das Fallpauschalensystem in Form der DRG (Diagnosis Related Groups) – weiterhin gute Pflege zu leisten vermögen.177 Das von Keim genannte Ergebnis einer wiederholten Befragung von Pflegekräften im Jahre 2003 und 2006 von Braun et al. stelle neben einem deutlichen Rückgang des Informationsflusses der Mitarbeiter untereinander auch weniger regelmäßige Teambesprechungen durch „die Einführung der DRG und die andauernden KostenNutzen-Diskussionen“178 fest, was sich auf die Versorgungsqualität rückläufig auswirke, so „dass die Notwendigkeit und das Ausmaß einzelner pflegerischer Maßnahmen infrage gestellt würden, was eine Abkehr von ehemals festgelegten Standards zur Folge haben könne. Zunehmend richte sich die Versorgung nach den Kosten“,179

so Keim, und demgemäß weniger nach den Patienten. Diese Forschungsgruppe berichtet von etwa 50 % der Befragten, die der Ansicht gewesen seien, dass die Patienten keine ausreichende soziale und emotionale Zuwendung erhalten hätten.180 Insbesondere durch die Arbeitsverdichtung und die daraus resultierende Leistungsverdichtung im Pflegesektor entsteht eine Kultur, die auf der Pflegerseite zunehmend Burn-out- und Mobbingphänomene181 begünstigt, die sich wiederum negativ auf die zu Pflegenden auswirken. Die Berufsgruppe der Pflegenden und insbesondere der Krankenschwestern erfahren darüber hinaus wenig Anerkennung; sei es finanzieller182 oder ideeller Art (Effort-Reward-Imbalance = hier: viel Einsatz, wenig Belohnung), beides schafft erneut einen günstigen Nährboden für Unzufriedenheit in dieser Berufsgruppe. Die Ausrichtung der Krankenhäuser und Kliniken nach marktwirtschaftlichen Kriterien verschlechtert somit nicht nur Arbeitsbedingungen speziell der Pfleger gravierend, sondern auch die Bedingungen für die Patienten. Christen, Michel und Rätz zufolge – alle drei sind aktive Mitglieder von der „Attac“ – stünden, ähnlich wie bei den Apothekerverbänden, nicht so sehr die Bedürfnisse der Patienten, als vielmehr kommerzielle Interessen im Vordergrund. Sie argumentieren, dass Krankenhäuser und Kliniken ihre Privilegien u.a. gegen die auf stationäre Behandlungen

176 177 178 179 180

Heller (2005), S. 18. Vgl. Keim (2009), S. 12. Ebd., S. 14. Ebd., S. 12. Vgl. Braun/Müller (2008), S. 142. Einen umfangreichen Überblick über die Pflegesituation in Deutschland bietet die vergleichende europäische Untersuchung „Next-Studie“ (2004). 181 Das Risiko, Opfer von Mobbing zu werden, ist im Gesundheitswesen 1,6-mal höher als in anderen Berufsgruppen; vgl. Nolte (2009). 182 Vgl. Schulz (2009).

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beschränkten 2.200 Krankenhäuser verteidigten, unter denen wiederum sich aufgrund der verordneten Trägervielfalt die Kirchen und andere gemeinnützige Klinikbetreiber neben den verbliebenen städtischen Hospitälern und den Unikliniken tummelten. Zunehmend kauften sich private Klinik-Ketten in den Markt ein, wobei Pharmafirmen und Konzerne der Medizintechnik mit Kapitalspritzen helfen und sich hierdurch Abhängigkeiten für den Absatz von morgen sicherten. Trotz Wartelisten, periodischen Engpässen und Zustellbetten auf den Stationsfluren trieben die zuständigen Bundesländer mit ihren restriktiven Krankenhausplänen die Marktbereinigung voran. Mit Zahlen, die die unvollständige Bettenbelegung im Jahresdurchschnitt und die angeblich im internationalen Vergleich zu teuren Verweildauern illustrierten, werde der Konkurrenzkampf unter den Kliniken angeheizt.183 Diese von den Autoren beschriebene marktwirtschaftliche Atmosphäre der Krankenhäuser wirft die Frage auf, ob die Krankenhäuser wirklich den Anforderungen zur Betreuung Sterbender gerecht werden können.

3.2.2 Das Alten- und Pflegeheim Lauber versteht Pflege als Ergebnis historischer Prozesse und gesellschaftlicher Entwicklungen, die nicht nur ausschließlich die Pflege, sondern auch andere wissenschaftliche Disziplinen in hohem Maße beeinflusst hätten. Der Blick in die Geschichte der Pflege zeige darüber hinaus, dass Pflegen eine elementare Tätigkeit von Menschen sei, die aber erst seit ca. 100 Jahren als eigenständiger Beruf mit einer dazugehörigen Ausbildung anerkannt worden sei.184 Die historischen Prozesse und gesellschaftlichen Entwicklungen, von denen Lauber spricht, schlagen sich seit etwa einem Jahrhundert in der demografischen Entwicklung der deutschen Bevölkerung nieder; seit diesem Zeitraum ist der stetig wachsende Anteil älterer Mitbürger zu verzeichnen, der letztendlich den Beruf der Pflege notwendig machte.185 Somit stellt die Pflege ein wichtiges Funktionsglied insbesondere in Alten- und Pflegeheimen dar. Die ersten Pflegeheime entstanden in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Insbesondere die Singularisierung der Familien sorgt für einen Pflegeengpass, der von den bestehenden Institutionen aufgefangen und ausgeübt werden musste, eine Tatsache, die in den „frühen Jahren“ der Pflege insbesondere die Frage nach der Finanzierbarkeit der Pflege entstehen ließ. Weder die Krankenkassen, die mehr oder weniger die Behandlung akuter Erkrankungen finanzieren mussten, noch die Sozialämter fühlten sich in der Lage (und oft auch nicht dafür zuständig), die hohen Kosten der

183 Vgl. Christen et al. (2003). Attac ist die französische Abkürzung für „Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der BürgerInnen“. 184 Vgl. Lauber (2001), S. 3. 185 Auch in der Pflege herrschen dieselben schwierigen Rahmenbedingungen wie in den Krankenhäusern.

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Pflege zu tragen. Dieses Problem konnte scheinbar erst mit der Einführung der Pflegeversicherung im Jahre 1995 gelöst werden, obgleich seitdem die Sätze der Pflegeversicherung stets steigen, was auf die hohen Kosten der Pflege hindeutet.186 Wer als pflegebedürftig gilt, darüber gibt das Sozialgesetzbuch Auskunft: So sind pflegebedürftig im Sinne des Paragraph 14, Abs. 1 des SGB XI diejenigen Personen, „die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße (§15) der Hilfe bedürfen“.187

3.2.3 Das Hospiz „ist eine typische Lösungsform in der funktional differenzierten modernen Gesellschaft für ein soziales Problem. Das Hospiz ist erfolgreich, weil Idealisierungen des guten Sterbens aufgegriffen und weiterentwickelt worden sind, die dann tatsächlich realisiert werden“.188

Der Name „Hospiz“ leitet sich vom Lateinischen hospitium ab und bedeutet „Gastfreundschaft“ oder „Herberge“. Dem Prinzip der Gastfreundschaft folgt der Hospizgedanke bis heute. Doch selbst in der Gegenwart kann es mitunter vorkommen, dass unter „Hospiz“ das verstanden wird, was es nicht (nur) ist, nämlich ein Sterbehaus, in dem Sterbende mit Betäubungsmitteln gänzlich überversorgt werden,

186 Dass die Pflege nicht einheitlich, sondern in einem dreistufigen System erfolgt, regelt das am 1. Januar 1995 verabschiedete Pflegeversicherungsgesetz, welches die Pflegebedürftigkeit alter Menschen unterteilt in drei Pflegestufen. Die erste (Pflegestufe I) regelt die „erhebliche Pflegebedürftigkeit“: Voraussetzung ist ein Hilfebedarf für einmal täglich bei wenigstens zwei Verrichtungen in den Bereichen Körperpflege, Ernährung und Mobilität sowie die Notwendigkeit einer hauswirtschaftlichen Versorgung. Die zweite (Pflegestufe II) regelt die „Schwerpflegebedürftigkeit“. Diese setzt neben der hauswirtschaftlichen Versorgung einen dreimal täglichen Hilfebedarf voraus. Die dritte (Pflegestufe III) regelt die „Schwerstpflegebedürftigkeit“: Diese umfasst eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung, auch nachts; vgl. Mielke (2006). Das dreistufige System der Pflege dient auch zur Kostenoptimierung. Am 1. Januar 2013 ist das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz in Kraft getreten. Hier wurden insbesondere die Leistungen der Pflegeversicherung flexibler gestaltet und für demenziell Erkrankte deutlich erhöht. Am 1. Januar 2013 ist das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz in Kraft getreten, das insbesondere die Leistungen für demenziell Erkrankte in der ambulanten Versorgung deutlich erhöht und die Leistungen der bis dato eher starren Pflegeversicherung flexibler regelt. Des Weiteren trat am 1. Januar 2015 das erste Pflegestärkungsgesetz in Kraft, das die Leistungen für Pflegebedürftige und deren Angehörige deutlich verbessern sollte. Auch wurde die Zahl der Pflegekräfte dem Bedarf in stationären Einrichtungen angepasst. Ein zweites Pflegestärkungsgesetz ist geplant, das den Pflegebedürftigkeitsbegriff regeln soll. Darüber hinaus soll ein neues Begutachtungsgesetz eingeführt werden; vgl. http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/aeltere-menschen,did=186984.html [letzter Zugriff: 18.01.2016]. 187 Sozialgesetzbuch (2009). 188 Dreßke (2012), S. 117.

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eine „Sterbeklinik“ also, in der ein Sterben ohne Hoffnung stattfinde.189 Freilich wird im Hospiz auch gestorben. Dies jedoch geschieht auf ganz andere Weise, als es in den Krankenhäusern meist üblich ist, denn das Hospiz stellt eine Einrichtung dar, in der sterbende Mensch eine umfassende und liebevolle Pflege in einer menschlichen Umgebung erhält. „Eine Schlüsselrolle der noch jungen Hospiz-Bewegung spielen die weibliche Heilkunst und Fürsorge“.190 Das Hospiz ist aber nicht nur eine freistehende stationäre Einrichtung (ohne ärztliche Leitung), sondern es arbeitet vor allem ambulant, ermöglicht durch viele ehrenamtlichen Helfer. So soll es Sterbenden ermöglicht werden, in ihrer gewohnten Umgebung sterben zu können mithilfe palliativer und seelsorgerischer Begleitung. „Ein […] Kennzeichen der Hospize besteht darin, das Sterben und den Tod akzeptieren zu können und somit zu einer angemessenen Schmerztherapie und auch anderen Formen des Umgangs mit dem Sterbenden zu gelangen“.191

Historischer Hintergrund des Hospizes Die Geschichte des Hospizes weist eine lange Tradition auf. Auf der Grundlage christlicher Tradition in Kleinasien als Xenodochium (Haus für Fremde), entwickelte es sich im Mittelalter von einer Herberge zu einem Hospital für kranke Menschen.192 Als „ein sehr alter Wein in ganz jungen Schläuchen“193 gründete Cicely Saunders 1967 im Süden von London das St. Christophers Hospice. Sie gilt als treibende Kraft der Hospizidee. Schon vor der Gründung ihres eigenen Hospizes sammelte sie viel Erfahrung in St. Lukes und St. Josephs, den ersten Sterbehospizen in London.194 Dieser Pionierin ist eine wesentliche Humanisierung des Sterbens mittels einer adäquaten Schmerztherapie und menschlicher Fürsorge in unserem Gesundheitssystem zu verdanken. So gilt das St. Christophers Hospice heute als „Wiege der Hospiz-Idee der Moderne. Im angelsächsischen Raum verbreitete sich die Hospiz-Idee schnell“,195 nicht jedoch in Deutschland. Der Grund für die verzögerte Entwicklung liegt an der Verkennung des Hospizes als „Sterbeklinik“.196 Diese Verkennung habe für Ängste und Ressentiments gesorgt und sei auch in kirchlichen Kreisen und bei den Wohlfahrtsverbänden zunächst auf Abwehr gestoßen.197

189 190 191 192 193 194 195 196

Vgl. Jordan (2010), S. 244. Student et al. (2007), S. 136. Heller (1994), S. 27. Vgl. Student et al. (2007). Rest (1998), S. 56. Vgl. Stolberg (2011). Thöns et al. (2013), S. 2. Diese Ablehnung entstand insbesondere aufgrund eines vom ZDF am 10.06.1971 ausgestrahlten Films mit dem Titel „Noch 16 Tage … eine Sterbeklinik in London“ von Reinhold Iblacker. 197 Vgl. Stolberg (2011), S. 240.

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Erst 1983 ist mit Unterstützung der Deutschen Krebshilfe das erste deutsche Sterbehospiz eröffnet worden, das Haus Hörn in Aachen. „Mit 50 Betten ausgestattet und von einem Geistlichen geleitet, lehnte es sich eng an das Modell von St. Christophers an“.198 „1988 wurde die Deutsche Hospizhilfe e.V. gegründet. Die christlichen Kirchen begannen, sich die Hospiz-Idee zu eigen zu machen. 1996 zählte man 29 Sterbehospize, 2000 bereits 62, und bis 2009 hatte sich deren Zahl auf 165 erhöht“.199

Laut Student und Mühlum sei ab etwa 1991 eine äußerst lebendige Hospiz-Aktivität erfolgt, woraus eine finanzielle Unterstützungswelle resultiert sei, die sich jedoch nur auf den stationären Bereich beschränkte. Den Autoren zufolge verstanden sich die ersten Hospiz-Gründungen als stationäre Einrichtungen. Etwas später aber habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass „Hospiz“ in erster Linie ein Konzept bedeute und keine Institution. In Abgrenzung zu den Palliativstationen liege der Schwerpunkt des Konzepts auf der pflegerisch-psychosozialen Betreuung, und es biete weniger Interventionen an.200 Entgegen dem Grundsatz – ambulant vor stationär – gebe es Student und Mühlum zufolge „seit 1997 eine relativ komfortable Finanzierung201 der stationären Hospize, während die 2001 eingeführte Finanzierung ambulanter Hospiz-Arbeit außerordentlich dürftig, d h. finanziell benachteiligt ist“.202

Die Autoren bedauern, dass infolge dieser (vermutlich nicht gewollten) Entwicklung die fachliche Qualität der ambulanten Hospiz-Arbeit noch immer weit hinter der stationären herhinke. „Für Außenstehende oft schwer verständlich, sogar abstoßend, erschienen die eifersüchtigen Abgrenzungsversuche einzelner Hospize und Hospizgruppen“.203 Erst im Jahre 1995 finden weitgehend alle Hospizdienste Platz in einem kooperativen System. Zwar sei die hospizliche und palliative Versorgung besonders in den letzten Jahren deutlich gestiegen, doch es würden gegenwärtig von den etwas mehr als 800.000 Menschen, die jährlich in Deutschland sterben, nur zwölf Prozent hospizlich oder palliativ betreut. Dies geht aus der HPCV-Studie der Hospiz-Stiftung aus dem Jahre 2010 hervor. Daraus resultiert, dass etwa 60 % aller Sterbenden eine solche Behandlung benötigten, jedoch nur 21 % derjenigen, die hospizliche oder palliative Angebote brauchten, diese auch erhalten hätten. Ganze 79 % stürben ohne bedarfsgerechte Begleitung.204 Dieser Mangel schlage sich auch in der immer noch hohen Zahl der Sterbenden in den Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen mit 198 199 200 201

Ebd. Ebd., S. 241. Ebd. Die stationären Hospize werden über § 39a des Sozialgesetzbuches (SGB V) finanziert; vgl. Nauck (2013). 202 Student et al. (2007), S. 145–146. 203 Ebd., S. 146. 204 Vgl. Deutsche Hospiz-Stiftung (2010), S. 2. Seit dem Jahr 2012 nennt sich die Stiftung „Deutsche Stiftung Patientenschutz“.

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über 87 % nieder, da noch immer die wenigsten Menschen hospizlich begleitet oder Palliative Care versorgt würden und zu Hause sterben könnten. Neuere Zahlen aus dem Jahr 2015 belegen, dass von einer Million Menschen durchschnittlich 59,7 palliativ und hospizlich betreut werden könnten.205 Dies stehe im Gegensatz zum Wunsch der meisten Menschen, zu Hause in ihrer vertrauten Umgebung zu sterben.206

3.2.4 Die Palliativstation Palliativstationen sind eigenständige Fachabteilungen, die entweder an ein Krankenhaus angebunden oder Teil von ihm sind.207 Die erste Palliativstation ist an der Chirurgischen Universitätsklinik in Köln eingerichtet worden, „motiviert durch das Unbehagen einiger Ärzte darüber, dass in der Krebschirurgie die Nachsorge endete, wenn keine Heilungschancen mehr bestanden und es buchstäblich keinen Platz mehr gab für ‚austherapierteʻ Patienten“.208

Nun beschränkte sich das ärztliche Grundverständnis nicht mehr auf das Heilen, sondern weitete sich auf das Lindern der Symptome (Symptomkontrolle) aus. Maßgebend beteiligt an der Eröffnung der ersten Palliativstation war die Deutsche Krebshilfe, die auch 1992 das Mildred-Scheel-Haus mit 15 Palliativbetten eröffnete. Es folgten die Robert-Janker-Klinik sowie das Malteser-Krankenhaus in Bonn. 1991 startete das Palliativprojekt des Bundesministeriums für Gesundheit und schuf erst 12, dann 15 neue Palliativstationen. Der Wegweiser Hospiz und Palliativmedizin, der seit dem Jahre 1992 stets seine Daten aktualisiert, hat für das Jahr 2011 inzwischen bundesweit 231 Palliativstationen sowie 195 Hospize ermittelt, was einer Bettenzahl von etwa 3.500 entspricht. Neben stationären Palliativzentren existieren auch ambulante Zentren. Für beide Formen gilt die multidisziplinäre Betreuung, die sich aus Ärzten, Krankenpflegern, Physiotherapeuten, Seelsorgern, Sozialarbeitern, Psychologen u. a. zusammensetzt und schwerkranke sowie sterbende Patienten betreut. Ziel der Behandlung sei es, bei genügender Symptomlinderung den Patienten nach Hause entlassen zu können.209 Bisherige Bedarfsermittlungen der EAPC und DGB hinsichtlich der Bettenanzahl gingen von einem Bedarf von 50 Hospiz- und Palliativbetten pro einer Million Einwohner aus. Mit etwa 40 Betten habe sich die Bettenanzahl gegenwärtig fast dem ermittelten Bedarf angenähert, ein grundsätzlich wünschenswerter Zustand, wenn nicht anzumerken wäre, dass neuen Schätzungen zufolge der Bedarf weit höher ist. So seien nicht nur Tumorerkrankungen zu berücksichtigen, sondern auch

205 206 207 208 209

Vgl. Bundesärztekammer (2015) und Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (2015). Jordan (2010), S. 246. Vgl. Jordan (2013). Jordan (2010), S. 244. Ebd., S. 246.

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andere, progrediente Erkrankungen, die nicht weniger auf palliative Pflege angewiesen seien. Hier werde von einem Bedarf von 80 bis 100 Betten ausgegangen, der zeigt, dass die Versorgungslage in Deutschland immer noch von einer Unterversorgung geprägt ist.210 Die Versorgungslage im ambulanten Bereich ist im Vergleich zum stationären Bereich besser, was die Zahlen der folgenden Abbildung belegen. 250 200 150 100

Stationäre Hospize Palliativstationen

50 0 211 1996 1999der 2001 2002 2004 2008 2011 bildung 1: Entwicklung Anzahl der2003 Hospizund2007 Palliativeinrichtungen Abbildung 1: Entwicklung der Anzahl der Hospiz- und Palliativeinrichtungen212

Anzumerken ist jedoch, dass hinsichtlich der Qualitätsanforderungen Mängel zu verzeichnen sind. So würden noch nicht einmal die Minimalanforderungen der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) sowie des Deutsche Hospizund PalliativVerbands (DHPV) bezüglich der Qualität und dem Umfang der ambulanten Dienste erfüllt. Ein weiteres Problem stelle zurzeit die meist mangelhafte Überprüfbarkeit von Qualitätsmerkmalen dar.213 Gab es im Jahre 1996 in Deutschland nur sehr wenige Hospiz- und Palliativeinrichtungen, so hat sich die Lage im Jahre 2011 deutlich verbessert. Ähnlich verhält es sich mit den ambulanten Hospizund Palliativeinrichtungen (s. Abbildung 2).

210 Vgl. Sabatowski et al. (2010). S. 116–117. 211 Vgl. Wegweiser Hospiz- und Palliativmedizin und DHPV Datenbank, Stand 11/2011. Neuere Zahlen werden im Jahr 2016 veröffentlicht. 212 Vgl. Wegweiser Hospiz- und Palliativmedizin und DHPV Datenbank, Stand 11/2011. Neuere Zahlen werden im Jahr 2016 veröffentlicht. 213 Ebd.

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3 Zur Situation des Sterbens und der Sterbenden

1500 1000 500 0 1996

1999

2001

2002

2003

2004

2007

2008

2011

Abbildung 2: Entwicklung der ambulanten Hospiz- und Palliativeinrichtungen214

Zusammenfassend zeigte sich für das Jahr 2009 folgendes Bild:215 4,5%

Begleitung in stationären Hospizen

8,8% 0,8% 7,7%

Begleitung auf Palliativstationen

Begleitung durch SAVP-Teams

Begleitung durch ambulante Hospizdienste

78,2%

Verstorbene, die palliative und hospizliche Begleitung benötigten, aber nicht erhielten

Abbildung 3: Ergebnisse der EPVC-Studie 2010

Warum die Entwicklung der Hospiz-Idee und der Palliativmedizin in Deutschland einen eher schleppenden Verlauf hatte und teilweise noch hat, ist gemäß Student und Mühlum auf folgende Gründe zurückzuführen: – –

eine restriktive Gesetzgebung im Hinblick auf die Gabe von Morphinen, die Vorurteile der populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen,

214 Ebd. Neuere Zahlen existieren zur Zeit der Drucklegung noch nicht. 215 Im Jahr 2015 hat sich die Situation der hospizlichen und palliativen Versorgung nur leicht verbessert. Vgl. Deutsche Stiftung Patientenschutz (2010).

3 Zur Situation des Sterbens und der Sterbenden

– –

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der Mangel an wissenschaftlichen Veröffentlichungen, und die dürftige Ausbildung der Ärzte.216

Gramsch zeigt die Situation, wie sie vor noch nicht allzu langer Zeit bestanden hatte (und in einigen Bereichen noch besteht), mit deutlichen Worten auf. So „kommen in dieser Situation z.T. problematische Einstellungen gegenüber Methoden und insbesondere gegenüber Medikamenten (hier v.a. Morphin) hinzu, die zum überwiegenden Teil auf fehlender Sachkenntnis und irrationalen Vorurteilen beruhen“.217

Der Autor verweist auf eine Fragebogenerhebung, in der der Bekanntheitsgrad der Palliativmedizin bei Studierenden in früheren und späteren Studiumsabschnitten evaluiert worden sei. Hier seien zum Teil erhebliche Kenntnislücken zum Vorschein getreten. So hätten erhebliche Unsicherheiten bezüglich des Einsatzes der sog. Ko-Analgetika und Adjuvantien bestanden. Auch kurz vor Studienabschluss hätten die Studierenden (nahezu identisch mit jenen aus dem frühen Studienabschnitt) noch immer erhebliche Vorurteile bezüglich einer Toleranzentwicklung bzw. der Auslösung von Sucht und Abhängigkeit gehabt.218 De Ridder spricht gar von einer „Opiophobie“, die als „zögerliche wie ablehnende Haltung, Opioide bei schweren Schmerzen ärztlich zu verordnen oder als verordnete Arzneimittel patientenseitig einzunehmen“ definiert wird.219 Dabei sei eine Suchtentwicklung kaum zu beobachten und somit ein Missbrauch ausgeschlossen. Ihr gemäß werde ein Opiatkonsument praktisch nie zum klassischen Süchtigen durch den bloßen Gebrauch der Substanz, sondern erst dann, wenn der Gebrauch zum Teil einer fatalen Trias würde (Konsum in hoher Dosis und auf intravenösem Wege, die es schnellstens im ZNS anfluten lasse: Konsum vor dem Hintergrund einer psychischen StressSituation oder angetrieben durch die Suche nach euphorischen Zuständen; Konsum innerhalb einer desolaten sozialen Umgebung).220 Inzwischen ist in Deutschland eine wünschenswerte Entwicklung zu beobachten, indem die konservative Haltung hinsichtlich der Schmerzmittelgabe langsam einer fortschrittlichen und dem Schmerzpatienten dienenden Haltung weicht. So sei seit September 2009 die Palliativmedizin als Pflicht- und Prüfungsfach in den Gegenstandskatalog der ärztlichen Approbationsordnung aufgenommen worden. Seit 2014 müssten Medizinstudenten eine entsprechende Bescheinigung vorlegen, und in die Kranken- und Altenpflegeausbildung sei Palliativversorgung mittlerweile ebenfalls integriert worden.221 Das Ziel, eine den Bedürfnissen vieler sterbender Menschen adäquate Pflege zu erreichen, scheint damit in greifbare Nähe zu rücken. Dass dieses Ziel durchaus Sinn hat, belegt eine Studie von Ehlert, die Patienten nach der von ihnen empfundenen Qualität der Palliativpflege befragte. So werde

216 217 218 219 220 221

Vgl. Student/Mühlum (2007), S. 39. Gramsch (1999), S. 1. Ebd., S. 2. De Ridder (2010), S. 101. Ebd., S. 103. Vgl. Radbruch et al. (2010), S. 8.

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das Konzept der Palliativstationen weitgehend positiv bewertet. 222 Es ist zu hoffen, dass im Zuge dieser Entwicklung die Angst vor einem unwürdigen Sterben sinken wird und damit der unreflektierte Wunsch nach aktiver Sterbehilfe. Bausewein, Roller und Raymond zufolge könne intensive, multidisziplinäre palliative Begleitung den Patienten Alternativen aufzeigen und sie hierdurch dazu veranlassen, den Wunsch nach der „erlösenden Spritze“ (aufgrund mangelnder Kenntnis der rechtlichen und palliativen Grundlagen) aufzugeben.223

Arbeitsweise der Palliativmedizin Die Palliativmedizin224 ist eine der wesentlichsten Errungenschaften humaner und adäquater Behandlung todkranker Menschen unseres Gesundheitssystems, denn sie „erweist sich immer wieder unbestreitbar als wirksame Alternative gegenüber jeder Form von aktiver Sterbehilfe“.225 Die drei wichtigsten Definitionen der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie der European Association for Palliative Care (EAPC) lauten wie folgt: Definition der DGP: „[Sie] ist gemäß der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 2002 ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, welche mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen. Dies geschieht durch Vorbeugen und Lindern von Leiden durch frühzeitige Erkennung, sorgfältige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen Problemen körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art. Durch eine ganzheitliche Herangehensweise soll Leiden umfassend gelindert werden, um Patienten und ihren Angehörigen bei der Krankheitsbewältigung zu helfen und deren Lebensqualität zu verbessern. Die Palliativmedizin bejaht das Leben und sieht im Sterben einen natürlichen Prozess. Das Leben soll nicht künstlich verlängert und der Sterbeprozess nicht beschleunigt werden. Palliativversorgung erfolgt interdisziplinär und multiprofessionell, das heißt, basiert auf der Kooperation von Ärztinnen/Ärzten unterschiedlicher Fachgebiete,

222 223 224 225

Vgl. Ehlert (2014). Vgl. Bausewein et al. (2007), S. 7. International ist der Begriff „Palliative Care“ üblich. Radbruch et al. (2010), S. 18; vgl. Lübbe (2014). Im Hospiz- und Palliativbereich werde die Ansicht vertreten, dass Bitten um Euthanasie und ärztlich assistierten Suizid durch eine umfassende Palliativversorgung verändert werden könnten. Zwar sei dieses Postulat empirisch bisher nicht belegt, doch handele es sich um klinisches Erfahrungswissen. Unklar sei es, welche Komponenten der Palliativversorgung das Leiden lindern helfen, das zu der Bitte nach aktiver Sterbehilfe beziehungsweise ärztlich assistiertem Suizid führen möge. Dies könnte sowohl ausschließlich der Linderung der rein körperlichen oder psychischen Symptomkontrolle oder der Art des ganzheitlichen Umgangs der einzelnen Professionellen zuzuschreiben sein als auch der Einbeziehung des multiprofessionellen Teams. Die spirituelle Unterstützung oder die Einbindung der Angehörigen, aber auch die Kombination verschiedener Angebote könnten ebenfalls für den Erfolg ausschlaggebend sein. Die Autorin der vorliegenden Arbeit teilt diese Ansicht; vgl. Galushko/Voltz (2012), S. 200–201.

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Pflegenden, Vertretern weiterer Berufsgruppen und Ehrenamtlichen, die mit der ambulanten und stationären Behandlung und Begleitung unheilbar Kranker befasst sind.“

Definition der WHO aus dem Jahr 2002: „Palliative Care ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung konfrontiert sind. Dies geschieht durch Vorbeugung und Linderung des Leidens mittels frühzeitiger Erkennung und korrekter Beurteilung der Behandlung von Schmerzen und anderen Beschwerden körperlicher, psychologischer und spiritueller Art“.

Definition der EAPC: „Palliativmedizin ist die aktive und umfassende Betreuung von Patienten, deren Erkrankung nicht auf kurative Behandlung anspricht. Kontrolle von Schmerzen und anderen Symptomen sowie sozialen, psychologischen und spirituellen Problemen hat Vorrang. In gewissem Sinne stellt Palliativmedizin die grundlegendste Form der Versorgung dar, indem sie die Bedürfnisse der Patienten versorgen ohne Berücksichtigung des Ortes, sowohl zu Hause wie im Krankenhaus. Palliativmedizin bejaht das Leben und akzeptiert das Sterben als normalen Prozess, sie will den Tod weder beschleunigen noch hinauszögern. Ziel ist der Erhalt der bestmöglichen Lebensqualität bis zum Tod.“ „Palliativmedizin schließt die Berücksichtigung der Bedürfnisse der Familie vor und nach dem Tod des Patienten ein.“

Die Definitionen der DGP als auch der EAPC nennen als Zentrum der (ärztlichen) Aufmerksamkeit die Lebensqualität der Patienten und der Angehörigen. Im Vergleich zu ihnen führt die WHO durch ein frühzeitiges Erkennen von Schmerzen und anderen belasteten Symptomen auch einen präventiven Ansatz an, in dem sowohl behandelt als auch vorgebeugt wird. Die Palliativmedizin hat nicht das Heilen, sondern die Symptomlinderung zum Ziel.

Ansatz der Palliativmedizin Die Präambel der Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung hält Folgendes fest: „Aufgabe des Arztes ist es, unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen. Die ärztliche Verpflichtung zur Lebenserhaltung besteht aber nicht unter allen Umständen. Es gibt Situationen, in denen sonst angemessene Diagnostik und Therapieverfahren nicht mehr angezeigt und Begrenzungen geboten sind. Dann tritt palliativmedizinische Versorgung in den Vordergrund.“226

Eine adäquate palliative Therapie beschränkt sich nicht nur auf den medikamentösen Bereich, sondern bietet weit mehr als das. Bei einer Palliativpflege sind alle Dimensionen menschlicher Existenz zu beachten. Diese setzen sich zusammen aus Spiritualität, Leiblichkeit, Sozialität und Geistigkeit. Die Palliativmedizin widmet sich vier Dimensionen des Leidens:

226 Bundesärztekammer (2011).

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3 Zur Situation des Sterbens und der Sterbenden

Spirituell

Sozial

Leid

Physisch

Psychisch

Abbildung 4: Die vier Dimensionen des Leidens227

Was genau mit diesen vier Bereichen menschlicher Existenz gemeint ist, wird im Folgenden deutlich: –





Leiblichkeit: Mit Leiblichkeit, die dem physischen Bereich entspricht, bezeichnen Student und Mühlum alle Bereiche, welche den Körper im Mittelpunkt haben. Demgemäß sei neben einer guten Schmerztherapie auch Behagen und Wohlbefinden auslösende Zuwendung unabdingbar, welche mit dem Begriff der Pflege umschrieben werden können. Die Autoren berichten, dass die richtige Lagerung des Patienten und der sanfte Umgang mit seinem Körper Schmerzen oft überraschend schnell beseitigen oder lindern könnten. Obwohl die Beseitigung körperlicher Schmerzen keinesfalls gleichzusetzen sei mit der Beseitigung allen Leidens, sei sie doch eine wesentliche Voraussetzung dafür. Dies ist nur allzu verständlich, wenn man berücksichtigt, dass ein schmerzgeplagter Mensch sich kaum oder gar nicht anderen Dingen als dem körperlichen Befinden zuwenden kann. Einem Sterbenden ohne oder mit wenig Schmerzen hingegen öffne sich der Blick auch anderen Dimensionen des Lebens. Sozialität: Student und Mühlum sprechen von Sozialität, denn lange bevor ein Mensch stirbt, könne er einen „sozialen“ Tod sterben. So empfänden wir Schmerzen nicht nur dann, wenn im Körper etwas in Unordnung gerate. Schmerzen könne ein Mensch auch dann empfinden, wenn im sozialen Gefüge etwas deutlich in Unordnung geraten sei, z.B. die Trennung von geliebten Menschen, wenn der Sterbende zunehmend isoliert werde, weil das Pflegepersonal bzw. die Familie sich entweder räumlich von ihm entferne oder weil man den Patienten „schonen“ möchte.228 In der Praxis ist eine Isolierung von Sterbenden leider nicht selten anzutreffen. Geistigkeit: Ungelöste Konflikte wirken sich auf psychischer Ebene quälend aus. Besonders am Lebensende können sie sich manchmal dramatisch äußern. Nur wo es gelinge, so Student und Mühlum, den schmerzhaften Prozess einer Aussprache zuzulassen und zu durchleiden, könne schließlich auch das andere

227 Bausewein et al. (2007), S. 6. 228 Vgl. Student/Mühlum (2007), S. 40–41.

3 Zur Situation des Sterbens und der Sterbenden



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glaubwürdig geschehen: Die Entdeckung, wie viel Liebe dem Sterbenden gegolten habe und gelte, die oft unter Schuld-, Scham- und Wutgefühlen verschüttet gewesen sei. Spiritualität: Als vierte und letzte Dimension nennen die Autoren die Spiritualität. Was ist damit gemeint? Insbesondere die Sinnfrage nach dem Leben und dem Tod könne schmerzhafte Antworten verursachen. Das bedeute, sich auf ein Infrage-Stellen der eigenen Person einzulassen und u. U. auch zu erleben, wie vertraute Vorstellungen brüchig werden und ihre Tragfähigkeit verlieren, aber auch Helfer seien von Schmerzen betroffen. Somit sei eine gute Schmerztherapie stets auch Hilfe für die Helfenden.229

Die Autoren unterscheiden zwischen –



Palliativ-Therapie-Phase: Hier wird die Krankheit als unheilbar und progredient erkannt. Im Vordergrund stehen eine symptomorientierte Therapie sowie die Behandlung der Grundkrankheit (z.B. Chemotherapie) und der Palliative Care-Phase: Ziel ist eine bessere Lebensqualität, nicht jedoch die Lebensverlängerung. Belastende Symptome werden behandelt (z.B. Obstipation).230

Insgesamt konnte sich die Palliativmedizin in das deutsche Gesundheitssystem weitgehend integrieren, wenn es auch immer noch Versorgungslücken gibt.

229 Ebd., S. 40. 230 Ebd.

4 EUTHANASIE Bevor auf die Sterbehilfe und insbesondere die aktive Sterbehilfe – letztere im internationalen Sprachgebrauch „Euthanasie“ genannt – eingegangen wird, soll zunächst der Euthanasiebegriff geschichtlich beleuchtet werden, um dann die entsetzliche Geschichte deutschen Missbrauchs der Euthanasie aufzuzeigen.

4.1 EUTHANASIE UNTER HISTORISCHEN ASPEKTEN Der Begriff „Euthanasie“ stammt aus der griechischen Antike und findet sich laut Benzenhöfer231 im frühesten Beleg für die Wortbedeutung „euthanatos“. Diesersetzt sich aus dem Präfix eu- (gut) und Wortstamm thanatos (Tod) zusammen und bedeutet wörtlich übersetzt „guter Tod“.232 Was aber galt als guter Tod?233 – – –

Ein schneller Tod ohne vorhergegangene Krankheit oder durch Feindeshand. Der rechtzeitige (würdige) Tod in der Jugendzeit (Freitod bzw. Suizid). Ein leichter Tod ohne Leiden und langes Siechtum.

Letzteres wurde gesellschaftlich weitgehend akzeptiert, da das Alter als „Zeit des Überdrusses und des Verfalls abgewertet“ worden sei.234 Aus dieser Zeit stammt auch die Wendung: „Wer jung stirbt, den lieben die Götter“, und bis heute finden sich Zeugnisse der antiken Verehrung von Jugend und Schönheit in Form griechischer Statuen, Büsten und Abbildungen. Schönheit, Jugend und körperliche Unversehrtheit waren Attribute, die als lebens- und erstrebenswert galten. Ein Körper und damit das Leben, welches nicht diesen Attributen entsprach, waren per definitionem wertlos. Platon (427-347 v. Chr.), einer der geistigen Urväter unserer europäischen Kultur, äußerte sich wie folgt: „Der, der nicht zu leben vermag, braucht nicht gepflegt zu werden, da er weder sich noch dem Staat nützt“.235 Einen grausamen Beleg bot auch das antike Sparta, wo missgestaltete Kinder direkt nach der Geburt ausgesetzt wurden. Platon ist mit dieser Praxis ebenso einverstanden, indem er erklärt: „[…] wenn eines verstümmelt geboren ist, werden sie, wie es sich ziemt, in einem unzugänglichen und unbekannten Ort verborgen“.236 Groh zufolge seien Platons Gedanken unwiderruflich mit dem Gedankengut der Eugenik verbunden, deren Inhalt die Befreiung der Gesellschaft von belastenden Pflegefällen gewesen sei.237 231 232 233 234 235 236 237

Vgl. Benzenhöfer (1999). Vgl. Frewer (2010). Vgl. Benzenhöfer (1999) und Groh (2003). Benzenhöfer (1999), S. 22. Platon, zit. nach Groh (2003), S. 27. Ebd., S. 26. Vgl. Groh (2003), S. 27.

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4 Euthanasie

Daher rate Platon im Kontext eugenischer Positionen zu aktiver und passiver Euthanasie.238 Etwa fünfzig Jahre später sei gemäß Benzenhöfer in der „Myrmex“ des Poseidippos (ca. 300 v. Chr.) zum ersten Mal das Substantiv „Euthanasia“ verwendet worden. Zwar sei es nicht ganz klar, was Poseidippos unter einem „guten Tod“ verstanden habe, Benzenhöfer geht jedoch davon aus, dass wahrscheinlich auch ein leichter Tod im obigen Sinne gemeint gewesen sei.239 Wichtig ist zu verstehen, dass die Euthanasie weder als die Hilfe im noch zum Sterben verstanden wurde, sondern als ein Idealbild des Sterbens.

Euthanasie im „christlichen Mittelalter“ Der Euthanasie-Begriff im altgriechischen Sinn spielte im christlichen Europa bis in das 16. Jahrhundert hinein keine Rolle, im Gegenteil. Jede Art aktiver Lebensbeendigung – und somit auch der Suizid – wurde aus christlichen Gründen abgelehnt und stellte nach Thomas von Aquin sogar eine Todsünde dar. Nur Gott dürfe das Leben, das er geschenkt habe, wieder nehmen, und jeder, der sich dagegen verging, wurde bestraft.240 In der mittelalterlichen Epoche stand die Heilkunde, geprägt von christlichen Wertvorstellungen zum Sterben, im Mittelpunkt.241 Es habe Traktate und Anleitungen für Priester, Angehörige und Ärzte gegeben, um den Menschen rechtzeitig auf das Sterben vorzubereiten, da – ganz im Gegensatz zur Antike – ein plötzlicher unvorbereiteter Tod zu den weit verbreitetesten Ängsten gezählt habe („ab improvisa mors libera me, Domine“)242. Denn wer unvorbereitet starb, konnte keine Sterbesakramente und somit auch keine christliche Bestattung erhalten.243

Die Euthanasie in der Aufklärung Der hippokratische Eid, der Frewer zufolge wahrscheinlich nicht von Hippokrates selbst verfasst worden sei,244 sei seit dem 16. Jahrhundert durch dessen Einführung für jeden Arzt bindend geworden und stelle eine Bedingung für die Approbation und Promotion dar.245 Die Formulierung, die wahrscheinlich schon im 5./4. Jh. v. Chr. abgefasst worden sei, lasse nicht nur sprachlich diverse Interpretationen zu. Dem Übersetzungstext zufolge wende sich der hippokratische Eid offenbar gegen

238 239 240 241 242 243

Vgl. Frewer (2002), S. 15. Vgl. Benzenhöfer (1999), S. 22. Sonderbarerweise mit dem Tode. Vgl. Frewer (2002). Frewer (2002), S. 2. Vor dem plötzlichen Tod bewahre mich, Herr. Nach christlichem Glaube gab es ohne christliche Bestattung keinen „Eintritt in das Himmelreich“. 244 Vgl. Frewer (2010), S. 307. 245 Vgl. Oduncu (2007), S. 27.

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ärztliche Hilfe bei der Selbsttötung, Anleitung zum (Gift-)Mord und die aktive Tötung durch den Arzt.246 Dennoch erfuhr die medizinische Heilkunst eine Veränderung in dem Sinne, dass Sir Francis Bacon (1561–1626), englischer Philosoph und Staatsmann, für den Einsatz von Schmerz- bzw. Beruhigungsmitteln als Therapie für todkranke Menschen plädiert, indem er den aus der Antike entlehnten Begriff der Euthanasie in den Bereich der ärztlichen Pflichtenlehre eingebracht habe.247 Ähnlich wie Thomas Morus (1478–1535) vertrat Bacon mit dem Werk „Euthanasie Medica“ die Ansicht, der Arzt solle nicht nur heilen, sondern auch die Qualen des Sterbenden lindern248 – auch unter Inkaufnahme einer möglichen Lebensverkürzung als Nebenfolge.249 Bacon setzte mit dieser Forderung die Sterbehilfe mit der Euthanasie gleich, die ursprünglich eine ganz andere Bedeutung hatte. Diese neue Bedeutung blieb lange Zeit bestehen.

Euthanasie um die Jahrhundertwende des 20. Jahrhunderts Auch wenn zur Jahrhundertwende die Eugenik immer mehr die geistige Atmosphäre Mitteleuropas bestimmte, definierte zu dieser Zeit das Brockhaus Konversationslexikon die „Euthanasia medica“ folgendermaßen: „Euthanasie (griech.), Todeslinderung, dasjenige Verfahren, durch welches der Arzt den als unvermeidlich erkannten Tod für den Sterbenden möglichst leicht und schmerzlos zu machen sucht, besteht hauptsächlich in zweckmäßiger Lagerung, Fernhaltung aller äußeren Störungen, Linderung der Schmerzen durch anästhetische und narkotische Mittel, Sorge für frische Luft und zeitweiligem Einflößen von milden und labenden Getränken. Bei dem scharfen Gehör, welches Sterbende bis zum letzten Augenblicke zu haben pflegen, ist die größte Vorsicht hinsichtlich aller Äußerungen der Umgebung geboten“.250

Diese Definition ähnelt den Praktiken der Palliativ-Pflege. Nach ihr weist die Euthanasie weder Ähnlichkeiten mit derjenigen aus der griechischen Antike noch mit der des „Dritten Reichs“ auf. Hier wurde sie als keine gezielte Lebensverkürzung verstanden, und noch weniger hatte sie, und dies über viele Jahrhunderte hinweg, etwas mit der Vernichtung „lebensunwerten“ Lebens gemein. Erst seit dem 19. Jahrhundert habe es Veränderungen „am Rande des Euthanasie-Diskurses gegeben“,251 die erstmals in Richtung Eugenik hinwies. Wie kam es dazu?

246 Vgl. Frewer (2010), S. 307. 247 Vgl. Groh (2003), S. 66. Die ärztliche Pflichtenlehre hat verschiedene ethische Fragestellungen und Herausforderungen zum Inhalt, mit denen sich jeder Arzt in seiner praktischen Arbeit auseinandersetzen muss. 248 Vgl. Oduncu (2007). 249 Was heute der indirekten Sterbehilfe gleichkommt. 250 Zitiert nach Drechsel (1993), S. 23–24. 251 Benzenhöfer (1999), S. 77. Allerdings waren sowohl Morus als auch Bacon der Ansicht, dass ein Todkranker, dessen Leid nicht mehr zu lindern sei, auf Verlangen getötet werden dürfe; vgl. Frewer (2002).

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4.2 EUGENIK – SOZIALDARWINISMUS – „EUTHANASIE“ Der Begriff Eugenik stammt aus dem Altgriechischen und ist eine Zusammensetzung aus eu = gut und genos = Erzeugendes, Erzeugtes.252 Es wird darunter die Erbgesundheitsforschung, -lehre und -pflege verstanden. Francis Galton (1822– 1911), ein Cousin Darwins, etablierte diesen Begriff. Das anfängliche Ziel der Eugenik war, erbschädigende Einflüsse und die Verbreitung von Erbkrankheiten möglichst gering zu halten. Doch schon sehr früh konzentrierte sich der wissenschaftliche Fokus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf das Vermeiden der Verbreitung von Erbkrankheiten, welche nur wenige Jahre später in dem euphemistischen Begriff „Rassenhygiene“, welcher auf Alfred Ploetz (1860–1940) zurückgeht, mündete.

Wissenschaftliche Aufbruchsstimmung Ist es ein Zufall, dass gerade Wissenschaftler den Weg der späteren „Euthanasie“ ebneten? Insbesondere die akademische Elite aus Philosophie, Theologie, Biologie, Medizin und Jurisprudenz sei es laut Fuchs gewesen, die unheilvolle Entwicklungen herbeigeredet hätten.253 Alle führenden und an der Eugenik maßgeblich beteiligten Personen waren Akademiker. Wie kann man sich dies erklären? Nicht nur in den Naturwissenschaften wurden bahnbrechende Entdeckungen und Erfolge erzielt, auch in der Psychiatrie kam man zu neuen Erkenntnissen: Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts hätten die so genannten Psychiker geistige Störungen stets auf den Urgrund der Sünde zurückgeführt und in ihr einen von Gott gewollten Verlust menschlicher Willensfreiheit erblickt.254 Doch „gegen diese Theorie […] erhoben sich bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Stimmen naturwissenschaftlich-antimetaphysisch orientierter Ärzte […]“, „von denen sich besonders Wilhelm Griesinger (1817–1868) hervortat, indem er erklärte, Geisteskrankheiten seien Gehirnkrankheiten“.255

Bastian kritisiert hier den Verlust der ursprünglichen Funktion der Naturwissenschaften, indem er erklärt, dass die naturwissenschaftliche Methode, eine großartige Waffe gegen Religion und Metaphysik, nun selbst zur unkritischen, verkürzenden, reduktionistischen Weltanschauung geworden sei, die Probleme, zu deren Lösung sie angetreten gewesen sei, mehr und mehr verdunkele, indem sie das Denkmodell des mechanischen Materialismus zum Axiom erhoben hätte.256 Gerade diese mechanistische Weltanschauung der Wissenschaft begünstigte unter anderem auch Darwins Sichtweise, welche darin bestand, die aus seinen Naturbeobachtungen der

252 253 254 255 256

Vgl. Sorgner (2006). Vgl. Fuchs (2001), S. 244. Vgl. Bastian (1981), S. 15. Ebd., S. 16. Ebd., S. 17

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natürlichen Auslese257 erfolgten Schlussfolgerungen auf den Menschen zu übertragen. Die wissenschaftlichen Errungenschaften gingen mit der starken Industrialisierung einher. Mit ihr hätten die Aspekte der Produktivität sowie der körperlichen als auch geistigen Unversehrtheit so stark an Bedeutung gewonnen, dass – so weiß Groh zu berichten – jeder, der in so genannten Armen- bzw. Siechenhäusern zwangsinterniert worden sei, seine Arbeitskraft nicht habe frei verkaufen können.258 Durch die wissenschaftlichen Erkenntnisse sowie die Industrialisierung in Europa formte sich in kürzester Zeit eine mechanistisch geprägte Weltanschauung, welche sich auch auf das Menschenbild übertrug: Der Mensch wurde reduziert auf ein „Ding“. Ein Ding kann gemessen und gewogen werden, für wertlos oder wertvoll befunden werden, für nützlich oder nutzlos. Deshalb seien es Müller zufolge nicht zufällig zwei Bewegungen gewesen, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa259 gleichzeitig und nicht völlig unabhängig voneinander an Boden gewonnen hätten: die Forderung, der Staat solle Tötung auf Verlangen – den „Gnadentod“, die „Tötung aus Barmherzigkeit“ – legalisieren, und das Bestreben, die Gesellschaft von belastenden Pflegefällen zu befreien.260 Solche Forderungen waren insbesondere in den Ländern, „deren Meinungsführer von der überragenden Bedeutung der weißen Rasse überzeugt waren“,261 zu hören. Folgende prominente Persönlichkeiten förderten und forderten die Eugenik:262 Friedrich Nietzsche beispielsweise gilt den Autoren Weingart, Kroll und Bayertz zufolge als philosophischer Vorläufer

257 „Natural Selection“ heißt der Titel seines im Jahre 1858 veröffentlichten Ternate-Manuskripts. 1859 erschien Darwins Hauptwerk „Entstehung der Arten“ (On the Origin of Species). Alfred Russel Wallace, der sich zu dieser Zeit auf der Insel Ternate befand, sandte sein Manuskript mit Gedanken zur Evolution an Darwin. Dies zwang Darwin dazu, seine eigenen Überlegungen zur Evolution zu veröffentlichen, um Wallace zuvorzukommen. 258 Vgl. Groh (2003), S. 55. 259 Auch die USA, das Land mit der längsten Tradition moderner Demokratie, hatte sich einst der Eugenik-Ideologie verschrieben; vgl. Groh (2003). 260 Vgl. Müller (1997), S. 23. 261 Ernstwalter (1997) berichtet in einem Artikel des Ärzteblatts von Methoden eines Landes, das wir heute als fortschrittlich hinsichtlich Kultur, Politik und Gesellschaft erachten, nämlich Schweden. Es fällt uns schwer zu glauben, dass ausgerechnet Schweden regelrechte Feldzüge gegen die Ureinwohner, die Samen, unternahm, indem zwischen 1935 und 1976 (!) etwa 62.000 Menschen zwangsweise sterilisiert wurden. „Die Indikation reichte von ‚Alkoholismus‘ bis ‚Mischling‘, die Begründung der Debilität formale Grundlage einer erzwungenen Sterilisation von ‚verwirrt‘ und ‚dämlich‘ bis ‚religiös verwirrt‘“. 1922 habe die schwedische Sozialdemokratie einen Gesetzentwurf vorgelegt, der zur Abwehr „rassenhygienischer Gefahren“ die Sterilisation geistig Behinderter vorsah. „Nobelpreisträger Alva und Gunnar Myrdal forderten ein schonungsloses Sterilisationsprogramm, um ‘hochgradig lebensuntaugliche Individuen auszusondern‘. Entsprechende Gesetze wurden dann, nach deutschem Vorbild, 1934 und 1941 verabschiedet mit dem Ergebnis, dass Schweden 1946 bei der Zwangssterilisation weltweit führend war“. 262 Die Autoren Weingart, Kroll und Bayertz (1992) bieten einen umfassenden und detailreichen Überblick über die Geschichte der Eugenik bis zur Gegenwart.

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und erster deutscher Theoretiker der Eugenik, der „die Anwendung der Selektionstheorie nicht nur zur Erklärung, sondern auch zur praktischen Lösung des Degenerationsproblems vollzog“.263 Das Bestreben, die Gesellschaft von „Ballastexistenzen“ zu befreien, wurde insbesondere durch Darwins Sozialdarwinismus entfacht; der englische Naturforscher Charles Darwin (1809-1882) prägte durch seine Naturbeobachtungen den Begriff der „natürlichen Auslese“. Der Stärkere überlebt, der Schwächere unterliegt. Dies bedeutet, dass sich nur der Stärkere fortpflanzt, und daher, so wurde daraus geschlossen, habe nur der Stärkere eine Lebensberechtigung. Dies komme einer natürlichen „Zuchtwahl“ gleich. Darwin war ein Gegner der (englischen) Sozialgesetzgebung, da diese durch Heime für „Idioten, Krüppel und Kranke“ und deren medizinische Behandlung Menschen am Leben erhielt, die ohne sie der „natürlichen Zuchtwahl“ zum Opfer gefallen wären.264 Der Naturforscher selbst stammte aus wohlhabenden Verhältnissen, so dass ihn die praktische Konsequenz seines Gedankengutes wohl niemals selbst getroffen hätte. Ein halbes Jahrhundert später vertrat Alexander Tille (1866–1912), der laut Benzenhöfer ein ultraradikaler Sozialdarwinist gewesen sei, ähnliche Gedanken wie Charles Darwin. Er habe eine so genannte Sozial-Euthanasie verlangt, die eine Fortpflanzungsbegrenzung bei „Schwachen“ vorsah sowie eine „Wiederherstellung der natürlichen Auslese“, indem „der erwachsene Schwache“ zwar nicht getötet werde, man ihn aber auf die „Stufe des Lumpenproletariats“ herabsinken lasse, so dass er praktisch keine Chance zum Überleben habe.265 Auch Ernst Haeckel (1834– 1919) tat sich als Fürsprecher der Eugenik hervor. Benzenhöfer zufolge propagierte der Philosoph und Zoologe die „künstliche Züchtung“, die eine Tötung aller „schwächlichen, kränklichen oder mit irgendeinem körperlichen Gebrechen behafteten Kinder“266 vorsah. Genährt und gestützt durch vermeintlich wissenschaftliche Erkenntnisse – wenn auch durch ihre irregeleiteten Deutungen – taten sich insbesondere zwei weitere „akademische“ Personen hervor, die lautstark die „Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ forderten: der Rechtsgelehrte Professor Binding (1841– 1920) sowie der Psychiater Professor Hoche (1865–1943). In ihrem Werk mit dem bezeichnenden Titel „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form“ geben sie ein klares „Ja“ auf die Frage: „gibt es Menschenleben, die so stark die Eigenschaft des Rechtsguts eingebüßt haben, dass ihre Fortdauer für die Lebensträger wie für die Gesellschaft dauernd allen Wert verloren hat?“267 Die Ausführungen gehen noch weiter:

263 264 265 266 267

Weingart et al. (1992), S. 70. Vgl. Benzenhöfer (1999). Ebd., S. 83–84. Ebd., S. 79–80. Binding/Hoche (1920), S. 27.

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„Da im Falle der Tötung eines geistig Toten, der nach Lage der Dinge […] nicht imstande ist, subjektiven Anspruch auf irgendetwas, u.a. also auch auf das Leben zu erheben, wird somit auch kein subjektiver Anspruch verletzt“.268

Als Lösung für dieses „Problem“ schlagen die Autoren Folgendes vor: „[…] aber wir werden eines Tages zu der Auffassung heranreifen, dass die Beseitigung der geistig völlig Toten kein Verbrechen, keine unmoralische Handlung, keine gefühlsmäßige Rohheit, sondern einen erlaubten nützlichen Akt darstellt“.269

Die Forderungen der beiden Autoren mussten so großen Anklang in der Bevölkerung gefunden haben, dass nach nur zwei Jahren der Veröffentlichung des Buches eine zweite Auflage notwendig wurde.270 Etwa zwei Jahrzehnte später hatte man nicht nur über die Beseitigung der „Defektmenschen“ nachgedacht, sondern dies auch in die Tat umgesetzt.271 Leider erhoben sich kaum Stimmen, die sich gegen die kommende Expedierung der Vernichtungsideologie aussprachen: „ein zunächst noch pluralistisches Meinungsspektrum zu Ende der 1920er Jahre wich zunehmend nationalsozialistisch gefärbten Positionen und führte zur biologischen Vorstellung einer ,Kollektivethikʻ des ,Volkskörpersʻ“.272

„Euthanasie“ im „Dritten Reich“ Sozialdarwinismus und Biologismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts – beide im vorherigen Abschnitt beschrieben – „vereinten sich im diktatorischen Staat mit Konzepten von ‚lebensunwertem Lebenʻ273 und ‚Euthanasieʻ, die das Ermorden aus staatlichem Kalkül verschleiern sollte“.274 So brach ein überaus dunkles Kapitel deutscher (Medizin-)Geschichte an, in dem unglaublich viele Menschen ihr Leben lassen mussten. Ziel des NS-Staates war, nicht nur die sog. „Erbkrankheiten“, sondern auch die „Asozialen“ flächendeckend „auszumerzen“. „Die Politik führte von der Sterilisationsgesetzgebung über den geheimen Führererlass eines ‚Gnadentodes‘ hin zum Genozid an ‚fremdrassigen‘ jüdischen und ausländischen Menschen“.275

Auch dem Staat gegenüber kritisch eingestellte Menschen, die ihr Missfallen an der „Rassenideologie“ laut äußerten, wurden Zielscheibe des NS-Regimes. Unter dem 268 269 270 271

272 273 274 275

Ebd., S. 59. Ebd., S. 57. Vgl. Frewer (2010). Binding verstarb noch während der Drucklegung des gemeinsamen Werkes. Hoche hingegen wurde Zeuge der Vernichtung „lebensunwerten“ Lebens“ im „Dritten Reich“, und er nahm – nicht zuletzt auch deshalb, weil seine Tante der Euthanasie zum Opfer fiel – Abstand von dieser Ideologie. Klee zufolge sei Hoche einer der wenigen deutschen Hochschullehrer gewesen, die 1933 ihren Lehrstuhl freiwillig räumten, (Klee 1983, S. 19). Frewer (2010), S. 312. Die Bezeichnung „lebensunwertes Leben“ geht auf Binding und Hoche zurück. Frewer (2010), S. 312. Ebd.

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Deckmantel des missbräuchlich verwendeten Begriffs der „Euthanasie“ wurden zwischen 1939 und 1945 (und sogar darüber hinaus!) 200.000 Frauen, Männer und Kinder aus psychiatrischen Einrichtungen des Deutschen Reichs in mehreren verdeckten Aktionen durch Vergasung, Medikamente oder unzureichende Ernährung ermordet.276 Andere Quellen gehen sogar von weit mehr Opfern aus. So ist im Bundesarchiv zu lesen, dass im Deutschen Reich demnach ca. 160.000 und im ehemaligen deutschen Herrschaftsgebiet zwischen 250.000 und 300.000 Menschen der NS-Euthanasie zum Opfer gefallen sind. Diese Zahlen sind nur die Spitze eines Eisberges der Massenermordung von Millionen Menschen im Nationalsozialismus. Eine geheime, durch Mitarbeiter der Kanzlei Adolf Hitlers und des Reichsministeriums des Innern in Berlin, Tiergartenstraße 4, errichtete Organisation (T 4) hat von Ende 1939 bis August 1941 nach Einsichtnahme in die nach Berlin übersandten Patientenakten über Leben und Tod der Betroffenen entschieden. 70.000 Menschen sind in sechs zentralen Einrichtungen bis zum Abschluss dieser ersten Tötungswelle im August 1941 vergast worden. In den Folgejahren hatten die Ärzte überwiegend in den einzelnen psychiatrischen Einrichtungen selbst über Leben und Tod entschieden.277 Der Grund, warum ab 1941 Ärzte eigenmächtig darüber entschieden, lag insbesondere daran, dass nach Klee das Euthanasie-Programm aufgrund der Empörung der Bürger gestoppt worden sei, da sich Hitler den Unmut der deutschen Bevölkerung angesichts des begonnenen Krieges mit der UdSSR nicht leisten konnte. Der Euthanasie-Stopp sei aber nur vordergründig oder – mit anderen Worten – eine Lüge gewesen. Der Fortgang der NS-Euthanasie sei bis heute so gut wie unbekannt geblieben.278 Wie konnte es geschehen, dass Wissenschaftler, speziell Ärzte, dem hippokratischen Eid derartig zuwiderhandelten? Wie die Geschichte der Eugenik zeigt, bestand der geistige Nährboden der Menschenauslese weitaus länger als oft vermutet wird. In solchem „akademischen Geist“, erklärt Bastian, seien die Studenten erzogen worden, die ja nicht einer plötzlichen Laune folgten, als sie bei den Bücherverbrennungen des Jahres 1933 riefen: „Gegen seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens, für Adel der Seele! – Ich übergebe der Flamme die Schriften von Freud und Adler“.279 Bastian zufolge seien die Ärzte keineswegs bloß hilflose Opfer einer übermächtigen Gewalt, wie dies in der Rechtfertigungsliteratur aller Schattierungen gerne dargestellt werde. Zwar sei es nur eine kleine Minderheit gewesen, die sich direkt für die Arbeit des Henkers hergegeben habe, aber Ärzte haben auch „[…] durch unterbliebenen Widerspruch gegen aufkeimende Ideologie, durch passive Duldung, durch Übernahme bestimmter Begriffe etc.“280 die Entwicklung der nationalsozialistischen Ideologie maßgeblich gefördert. Solche Begriffe fanden Eingang in der Zeitschrift Ethik, „die von 1922 bis 1938 durch den Hallenser Physiologen und Medizinethiker Emil Aberhalden (1877-1950) herausgegeben wurde“.281 276 277 278 279 280 281

Ebd.; vgl. auch Hohendorf (2013), der einen umfassenden Überblick über die NS-Morde bietet. Vgl. Bundesarchiv (2013); siehe auch Drechsel (1993). Vgl. Klee (1983), S. 11. Bastian (1981), S. 9. Ebd., S. 8–9. Frewer (2010), S. 312.

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Das Kapitel der „Euthanasie“ im „Dritten Reich“ kann nicht abgeschlossen werden, ohne dass gefragt werden muss, was mit diesen Ärzten nach Kriegsende geschehen ist. Wurden sie zur Rechenschaft gezogen? Dies muss bezweifelt werden. Klee zufolge seien in zwei Jahre währender Forschung zahlreiche Namen von Ärzten, Pflegern, Schwestern, Verwaltungsleuten bekannt geworden, von denen die Öffentlichkeit nicht einmal wisse, dass sie in die Euthanasie verstrickt gewesen seien. Sie hätten unbehelligt weiterleben und z.B. eine Praxis betreiben können. Selbst Ärzte, von denen im Extremfall bekannt gewesen sei, dass sie einige tausend Opfer vergast hatten, dürften weiterhin Patienten behandeln – als sei nie etwas gewesen.282 Der Ärzteprozess von 1946/47 versuchte zwar, die verantwortlichen Ärzte zur Rechenschaft zu ziehen, doch Verdrängung und Tabuisierung verhinderten dies in vielen Fällen.

4.3 GIBT ES „LEBENSUNWERTES“ LEBEN? EINE DISKUSSION Das in der Sterbehilfe-Debatte häufig verwendete Adjektiv „lebensunwert“ soll zum einen eine Situation kennzeichnen, die dem Leben eines Menschen keinen quantitativen Wert (mehr) bietet, in der es also vermeintlich nicht mehr wert ist, weitergelebt zu werden, und zum anderen bezieht sie sich auf die Lebenssituation eines Menschen. Was bedeutet der „Wert eines Menschen“? Unterliegt er Bedingungen? Kann er gemessen werden, und wenn, woran und von wem? Bevor diese Fragen diskutiert werden, soll zunächst ein Lexikon zu Wort kommen, das als Spiegel der Gesellschaft, wie sie sich aktuell darstellt, betrachtet werden kann. So wird der Wert eines Menschen im weitesten Sinn als Grund, Norm bzw. einer (positiven) Wertung, d.h. die Bevorzugung einer Handlung vor einer anderen oder eines Gegenstandes, eines Sachverhaltes vor einem anderen verstanden. Werte im Sine dieser Gründe und Normen für Wertungen seien Thema und Gegenstand der Philosophie im Rahmen wertetheoretischer Konzeptionen (Wertphilosophie und Wertethik) und jeder ethisch/politischen Theorie.283 Wäre nach dieser Definition nicht der Tod eine positive Wertung bzw. eine bessere Alternative zu einem angeblich lebensunwerten Zustand? Insbesondere die Befürworter der aktiven Sterbehilfe kommen zu dieser Schlussfolgerung. Im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit wird daher diskutiert, ob es im Leben tatsächlich Situationen gibt, die es legitimieren, ein Leben als „lebensunwert“ zu erklären.

Leid als Wert-Determinante? Gibt es „lebensunwertes“ Leben? Wenn ja, wonach richtet sich der „Unwert“? Welche Kriterien determinieren ihn, und welche Konsequenzen können sich daraus ergeben? Zunächst wird von vielen unter „lebensunwertem“ Leben ein Leben in Leid 282 Vgl. Klee (1983), S. 11. 283 Vgl. Mayers großes Taschenlexikon (2006).

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verstanden. Leid ist jedoch ein interindividuelles Konstrukt, über das es keinen gesellschaftlichen Konsens gibt, und auch Situationen werden von den Menschen unterschiedlich erfahren und bewältigt. Grewel beanstandet in diesem Zusammenhang, dass die Begründung, mit der ein Recht auf Tötung gefordert werde, fast immer die gleiche sei: Die Situation eines Menschen werde für elend, leidvoll, menschenunwürdig, nicht lebenswert erklärt.284 Ihm zufolge dürfe und könne nicht daraus geschlossen werden, dass bestimmte Beeinträchtigungen mit Leiden gleichgesetzt würden, „zum Beispiel mit Down-Syndrom leben ist Leiden, mit Spina bifida geboren zu werden ist Leiden, chronisch krank zu sein, ist Leiden“. Leiden könne, argumentiert der Autor, überhaupt nicht mit einem medizinischen Befund unmittelbar verknüpft werden. Denn dieser Befund werde von verschiedenen Menschen jeweils unterschiedlich und keineswegs immer als Leiden erfahren.285 Leiden ist demnach ein individuell physisch und psychisch erfahrbares Erleben. Grewel kritisiert hier, es sei einfach nicht wahr, dass ein schwer beeinträchtigter Mensch nicht glücklich sein könne. Er argumentiert, dass es nicht nur die Freude am Wortspiel sei, wenn wir daran erinnerten, dass im Begriff des Leidens ein Befund (z.B. Nicht-auf-eigenen-Füßen-gehen-Können) und ein Befinden (wie ein Mensch diese Situation erlebt) zusammentreffen würden. Denn ausgerechnet das Argument des Leidens bzw. der Vermeidung von Leiden werde für viele Menschen zu einer tödlichen Bedrohung.286 Grewels Kritik, Leiden per se an bestimmte Krankheiten oder Behinderungen eines Menschen zu knüpfen, ist durchaus berechtigt. Denn wer kann wirklich beurteilen, wann und wenn ein Mensch leidet, wenn nicht der Betroffene selbst? In der Sterbehilfe-Debatte bestimmen jedoch vorherrschend die Projektionen der Gesunden über lebenswert oder lebensunwürdig.

Lebensrecht als Wert-Determinante? Grewel zieht – um seine Position zu untermauern – die Thesen des australischen Philosophen und Präferenz-Utilitaristen Peter Singer heran, der sich für die freiwillige und in vielen Fällen auch für die nicht-freiwillige Euthanasie ausspricht; dieser binde z.B. das Lebensrecht eines neugeborenen Kindes an den Nachweis von Funktionen und Fähigkeiten, vor allem Bewusstsein und Selbstbewusstsein, und ermesse den Erhaltungswert eines solchen Lebens nach dem Grad seiner Unversehrtheit. Diese Bindung von Lebensrecht und Lebenswert solle dann die Tötung all derer legitimieren, deren Leben nach der ausgelegten Skala keinen „Wert“ habe und die darum kein Recht auf Leben hätten.287 Singers Argumentation und „Beweisführung“ für eine Legitimierung der Tötung eines Fötus – „und natürlich erst recht das

284 285 286 287

Vgl. Grewel (1992), S. 32. Ebd., S. 29. Ebd., S. 29–30. Ebd., S. 30.

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eines Embryos“288 – ähneln jenen Ideologien des Dritten Reichs, denen Singers (jüdische) Familie selbst zum Opfer gefallen war; dem Präferenz-Utilitaristen zufolge sei ein Schwangerschaftsabbruch keineswegs ein unlösbares Problem, sondern es gebe – wenigstens im Rahmen einer nicht-christlichen Ethik – eine eindeutige Antwort. Andersdenkende versucht er mit folgendem Satz zu überzeugen: „Wer eine andere Ansicht vertritt, befindet sich ganz einfach im Irrtum“.289 Singers Auffassung zufolge sei auch ein Neugeborenes, das eine Woche alt sei, kein rationales und selbstbewusstes Wesen, und es gebe viele nichtmenschliche Lebewesen, deren Rationalität, Selbstbewusstsein, Bewusstheit, Fähigkeit zu fühlen und so weiter die Fähigkeit eines eine Woche oder einen Monat alten menschlichen Säuglings übertreffen würden. Wenn demnach der Fötus nicht denselben Anspruch auf Leben wie eine Person290 habe, so Singers Folgerung, dann habe ihn das Neugeborene offensichtlich auch nicht.291 So vergleicht der Autor das Leben eines Neugeborenen mit dem eines Tieres, indem er erklärt, dass das Leben eines Neugeborenen weniger Wert als das Leben eines Schweins, eines Hundes oder eines Schimpansen habe.292 Singer ist daher der Auffassung, dass man ein Baby töten dürfe, da es angeblich nicht imstande sei, sich selbst als ein Wesen zu sehen, das eine Zukunft haben könne oder nicht, und daher auch keinen Wunsch haben könne, weiterzuleben.293 Auch im Koma Liegende unterschieden sich nur unerheblich von behinderten Säuglingen; weder seien sie selbstbewusst, rational noch autonom, und demnach seien Erwägungen des Rechts auf Leben oder des Respekts vor der Autonomie ebenfalls nicht angebracht.294 Wenn sie überhaupt keine Erlebnisse hätten und auch niemals mehr welche haben könnten, dann hätte ihr Leben keinen Wert an sich.295 Wie man dann mit solchen Menschen verfahren darf, darüber gibt der Utilitarist folgende Auskunft: „[…] es ist schwer einzusehen, warum man solche menschlichen Wesen am Leben erhalten sollte, wenn ihr Leben insgesamt elend ist“.296 Singers Argumentationsweise weist nicht wenige Ähnlichkeiten mit Bindings und Hoches Auffassung vom „Wert“ bzw. „Unwert“ des menschlichen Lebens auf.

288 Singer (2002), S. 219. 289 Ebd., S. 180. 290 Eine Person zeichnet sich gemäß Singer durch Rationalität, Selbstbewusstsein, Bewusstheit und die Fähigkeit zu fühlen aus. Was er ein „menschliches Wesen“ nennt, sei demnach keine „Person“, da ihm angeblich all diese Fähigkeiten fehlen; vgl. Singer (2002). 291 Ebd. 292 Ebd. 293 Ebd., S. 221. Singer glaubt zu wissen, dass der Wille zum Leben von der Ratio des menschlichen Wesens gesteuert wird. Aus dem Tierreich jedoch ist ebenso der Wille zum Leben und Überleben bei Tieren, sogar Insekten, beobachtbar, obgleich nur die wenigsten dieser Tiere eine Großhirnrinde aufweisen. Der Wille zum Leben muss demnach jedem Wesen angeboren sein, denn konsequenterweise müsste ohne diesen Lebenswillen die Evolution wohl ihren Sinn verlieren. 294 Folglich dürften hier auch Singers Argumentation nach Menschen im Schlafzustand weder selbstbewusst, rational noch autonom sein und demgemäß der Kategorie „wertlos“ angehören. 295 Ebd., S. 245 296 Ebd.

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Ist der Wert eines Menschen kategorisierbar? Auch in der mittlerweile seit etwa 20 Jahren geführten Sterbehilfe-Debatte wird der Wert eines Menschen diskutiert. Diese sei jedoch nach Auffassung von Grewel hinsichtlich des Wertes eines Menschen fehl am Platze, denn nach ihm habe menschliches Leben überhaupt keinen Wert. Weder besitze es einen Wert, noch sei es unwert. Es könne überhaupt nicht in Wertkategorien gemessen werden, so der Autor. Im anderen Fall wäre also je nach politischen und ökonomischen Machtverhältnissen beliebige Klassifikation erlaubt. Werde das menschliche Leben in die Gattungen „wertvoll“ oder „wertlos“ eingestuft, erhielte jeder Versuch, das Recht auf Leben an Bedingungen zu knüpfen (Personalität, Selbstbestimmung, Kommunikation usw.) in sich alle Möglichkeiten des Terrors, da die unaufhebbare Beliebigkeit solcher „Kriterien“ ihre jederzeitige Veränderbarkeit einschlösse, und da über das bevollmächtigte Subjekt, das solche Definitionen zu setzen und danach zu handeln, berechtigt sei, keine Klarheit zu erzielen sei.297 Sicherlich hat Grewel Recht damit, dass menschliches Leben nicht in die Gattungen „wertvoll“ oder „wertlos“ eingestuft werden dürfe; unsere deutsche Geschichte zeige schließlich, welche fatalen Auswirkungen solcher Klassifikationen sich daraus ergeben können. Eine Ergänzung sollte Grewels Argumentation dennoch erhalten: Ein Mensch besitzt sehr wohl einen Wert; er ist aber nicht festgemacht an Gesundheit oder Produktivität, sondern liegt jedem Lebewesen immanent zugrunde. Dies bedeutet, dass der Wert – oder besser noch – Würde einem Menschen weder verliehen noch genommen werden kann. Nachdem der Wert bzw. „Unwert“ eines Menschen erörtert wurde, soll im folgenden Abschnitt der vorliegenden Arbeit der Blick auf eine Wissenschaft gelenkt werden, die besonders dazu prädestiniert ist, Fragen von „erwünscht“ und „unerwünscht“ heraufzubeschwören.

Die Humangenetik: Alte Ideologie im neuen Kleid? Gleich drei Fragen sollen bezüglich der Humangenetik vorangestellt werden, bevor inhaltlich auf sie eingegangen wird. Erstens wird gefragt, ob die Eugenik sowie ihr Missbrauch in Deutschland der Vergangenheit angehören; zweitens, was wir aus der Geschichte gelernt haben; und schließlich, ob sich die Medizin inzwischen sicher vor jeglichem Missbrauch wähnen kann oder ob sie nach wie vor anfällig ist für Entwicklungen, solchen etwa, wie die der Eugenik im 19. und 20. Jahrhundert? „Zwar hat sich aufgrund der entgleisten Medizin im Nationalsozialismus in Deutschland eine besondere Sensibilität und eine vergleichsweise zurückhaltende Einstellung gegenüber der Humangenetik“298

297 Vgl. Grewel (1992), S. 33. 298 Marckmann/Wiesing (2000), S. 324.

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gebildet, doch spielt auch hier die molekulare Genetik eine nicht zu übersehende – und da sie international vernetzt ist und andere Staaten sich keiner solchen Zurückhaltung bedienen – immer größere Rolle. Die molekulare Genetik, eine Leitwissenschaft unserer Zeit, befasst sich mit dem menschlichen Genom sowie den genetischen Zusammenhängen von Erkrankungen. An sie werden höchste Erwartungen gestellt hinsichtlich einer vollständigen Kartierung des menschlichen Genoms und ihrer Sequenzierung. Die Genomdiagnostik, Pränataldiagnostik, Präimplantationsdiagnostik, Neonatales Screening, Postnatale Heterozytogendiagnostik, Prädiktive (präsymptomatische) genetische Diagnostik, Gentherapie sowie die Keimbahntherapie stellen Teilbereiche der Humangenetik dar.299

Die Humangenetik in der Nachkriegszeit Die Humangenetik besitzt in Deutschland eine längere Tradition, als man möglicherweise annehmen könnte. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges löste der Begriff „Humangenetik“ den der Eugenik ab. Kröner geht im Rahmen seiner Habilitationsschrift den Spuren „einer Gruppe von Wissenschaftlern nach, die als ‚Erbforscherʻ zu den exponiertesten Vertretern der NS-Wissenschaft gehörten“ und in den fünfziger Jahren auf Lehrstühle für Humangenetik beordert wurden, welche vor dem Zweiten Weltkrieg im Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin-Dahlem beschäftigt gewesen seien.300 Dieses Institut galt ihm zufolge schon „in den dreißiger Jahren [des letzten Jahrhunderts] als die führende wissenschaftliche Institution bezüglich Fragen der menschlichen Vererbung im weitesten Sinne“.301 Das Kaiser-Wilhelm-Institut, offiziell niemals geschlossen, habe einen entscheidenden Einfluss auf die Humangenetik und Anthropologie der jungen Bundesrepublik ausgeübt.302 Es kann daher angenommen werden, dass die deutsche Humangenetik – nicht anders als die Psychiatrie auch – das (verleugnete) Erbe der Rassenhygiene des „Dritten Reichs“ angetreten hat.

Die Humangenetik heute Auch wenn die Entwicklung der molekularen Genetik in Deutschland aufgrund der NS-Erfahrungen im internationalen Vergleich eher zögernd fortschritt, seien die weitreichenden Möglichkeiten ihres Einsatzes nicht mehr von der Hand zu weisen. Die Erforschung von Verwandtschaftsverhältnissen, das Erstellen phylogenetischer

299 300 301 302

Ebd. Dies ist das erklärte Ziel des Humangenomprojekts. Kröner (1997), S. 2. Ebd., S. 1. Ebd., S. 1–2.

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Stammbäume und der Struktur-Sequenz-Vergleiche als auch die Analyse funktioneller Genomik sowie epigenetische Modifikationen303 und mehr finden gegenwärtig Anwendung. So könne die molekulare Genetik Marckmann und Wiesing zufolge nicht nur über manifeste Erkrankungen und Krankheitsdispositionen Auskunft geben, sondern auch über andere genetische Veranlagungen des Menschen.304 Die Autoren befürchten in diesem Zusammenhang nicht ganz zu Unrecht eine Entwicklung, welche der Eugenik sehr ähnelt. Die sog. Gentherapie etwa schicke sich an, nicht nur Krankheiten zu heilen, sondern auch andere Eigenschaften des Menschen zu verändern – wie beispielsweise die körperliche Fitness, Intelligenz oder Musikalität –, dann würden sich bestimmte Fragen erneut, und zwar mit Nachdruck, stellen: „Was ist eine Krankheit und was ist lediglich Ausdruck der ‚normalen‘ menschlichen Vielfalt? Was ist eine Therapie und was dient der Verbesserung von Eigenschaften, denen gemeinhin kein Krankheitswert beigemessen wird (genetic enhancement)“?305

Des Weiteren sehen die Autoren die Gefahr, dass die Erkenntnisse der Genetik nicht nur die Medizin, sondern auch unser Menschenbild und unsere Lebenswelt beeinflussten. Durch die neuen Einblicke in die biologischen Vorgänge des menschlichen Körpers drohe eine Sichtweise überhand zu nehmen, der zufolge das Individuum einzig durch seine genetische Konstitution definiert und sein Verhalten mit dem Vokabular der Genetik beschrieben werde.306 Auch Ten Have wagt einen Blick in die (nahe?) Zukunft, indem er prophezeit, dass im Prinzip jedes Mitglied dieser Gesellschaft sein individuelles Schicksal aufgrund der Kenntnis seiner Gene vorhersagen und seine persönliche Lebensplanung diesem prädiktiven Wissen werde anpassen können. Es scheine so, als habe die kulturelle Bedeutung der DNA in der heutigen Zeit eine auffällige Ähnlichkeit mit derjenigen der unsterblichen Seele in der christlichen Theologie. Die Metaphern der Bioinformation und der Kartierung, die oft im Kontext des Genom-Projekts verwendet worden seien, seien tatsächlich Umformulierungen der Maschinen-Metapher, die in der Vergangenheit häufig im medizinischen Diskurs über den menschlichen Körper benutzt worden sei. Diese linguistischen (und auch visuellen) Darstellungen des menschlichen Körpers verdeutlichten die Bedeutung eines technologischen Ansatzes: man verwende Maschinen, um Maschinen zu reparieren.307 Darüber hinaus ist er der Auffassung, dass die Absicht der Molekularmedizin darin bestehe, den perfekten Menschen zu schaffen. Nimmt ein solches Menschenbild sodann Einfluss auf (gesundheits-)politische oder andere Interessen, kann die menschliche Vielfalt dahingehend reduziert werden, indem nur noch die Gene und damit nur noch die Menschen zugelassen werden, die erwünscht und gewollt

303 Vgl. Winckler (2012). 304 Vgl. Marckmann/Wiesing (2000), S. 326; siehe auch Welsch (2015) mit Überlegungen zur molekulargenetischen Forschung hinsichtlich des Alterns. 305 Ebd. 306 Ebd. 307 Vgl. Ten Have (2000), S. 333–334.

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sind.308 Ähnlicher Ansicht ist auch Habermas, der sich mit seinem Werk „Die Zukunft der menschlichen Natur“ kritisch mit der Humangenetik auseinandersetzt. Der Fortschritt der Biowissenschaften, so der Autor, und die Entwicklung der Biotechnologien erweiterten nicht nur bekannte Handlungsmöglichkeiten, sondern ermöglichten einen neuen Typus von Eingriffen. Was bisher als organische Natur „gegeben“ worden sei und allenfalls „gezüchtet“ werden konnte, rücke nun in den Bereich der zielgerichteten Intervention. In dem Maße, in welchem auch der menschliche Organismus in diesen Eingriffsbereich einbezogen werde, erhielt Helmut Plessners309 phänomenologische Unterscheidung zwischen „Leib sein“ und „Körper haben“ eine überraschende Aktualität: Die Grenze zwischen der Natur, die wir „sind“, und der organischen Ausstattung, die wir uns selbst „geben“, würde verschwimmen. Für die herstellenden Subjekte entstehe damit eine neue, in die Tiefe des organischen Substrats hinein reichende Art des Selbstbezugs. Nun hinge es nämlich vom Selbstverständnis dieser Subjekte ab, wie sie die Reichweite der neuen Entscheidungsspielräume nutzen wollten – autonom nach Maßgabe normativer Erwägungen oder willkürlich gemäß subjektiver Vorlieben, die über den Markt befriedigt würden.310 In beiden Fällen, ob nun autonom oder willkürlich, wird die Natur kontrollierbar gemacht. Darf die Molekularmedizin alles tun, nur weil sie es zu tun vermag?311 Es ist große Vorsicht (wenn nicht gar Misstrauen) hinsichtlich der wahren Interessen dieser Wissenschaft geboten, insbesondere dann, wenn die Vertreter dieser Wissenschaft als Begründung den Gewinn für die ganze Menschheit nennt. Wenn es „erwünschte“ Gene gibt, wird es bald auch „unerwünschte“ geben; alles, was per definitionem als nicht perfekt gilt, kann schnell als störend bzw. belastend für unser Gesundheitssystem und unsere Gesellschaft eingeordnet werden. Dies bedeutet, dass es neben Gewinnern auch Verlierer geben wird. Letztere könnten in politischen Debatten als „unproduktiv“ für Wirtschaft und Gesellschaft eingestuft werden.312

308 Ebd. 309 Helmuth Plessner (1892–1985), deutscher Philosoph, gilt als einer der Hauptvertreter der philosophischen Anthropologie. 310 Vgl. Habermas (2005), S. 27–28. 311 Dieser Frage geht sehr detailliert Beckmann (2009) nach. 312 Kuhlmann (2001) diskutiert in seinem Werk „Politik des Lebens – Politik des Sterbens“ die Biomedizin und nimmt hierzu persönlich Stellung.

5 STERBEHILFE Unter dem Begriff der Sterbehilfe wird von vielen Menschen Unterschiedliches verstanden. So erstrecken sich ihre Vorstellungen von der Sterbebegleitung313 bis hin zur aktiven Sterbehilfe, und sie haben damit nicht Unrecht, denn der Begriff „Sterbehilfe“ umfasst alle Formen der Sterbehilfe: menschlichen Beistand, Fürsorge und Begleitung, (medizinisch) assistierten Suizid, passive, indirekte aktive, aber auch aktive Sterbehilfe. Sie drückt daher nicht nur die „Hilfe zum Sterben“ aus, sondern auch die „Hilfe im oder beim Sterben“. Üblicherweise werden insbesondere drei Formen der Sterbehilfe unterschieden, nämlich die (direkte) aktive Sterbehilfe, die (indirekte) aktive Sterbehilfe und die passive Sterbehilfe.314 Im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit aber soll unter „Sterbehilfe“ zunächst das gesamte Spektrum der Sterbehilfe verstanden werden, auch deshalb, um die semantische Nähe des Hilfebegriffs zur Lebensverkürzung zu lockern; Hilfe bedeutet demnach nicht nur, einem Menschen schneller zum Tod zu verhelfen, sondern auch, ihm Fürsorge und Beistand zukommen zu lassen. Im Folgenden wird auf die Problematik des Terminus „Sterbehilfe“ ausführlich eingegangen; Woellert und Schmiedebach zufolge gelten insbesondere zwei Aspekte als problematisch: „Erstens die begriffliche Nähe zum Terminus ‚verhelfenʻ. Er drückt deutlich aus“, so die Autoren, „dass auch andere Personen am Entscheidungs- und Umsetzungsprozess beteiligt sind“.315 Statt sich am Gesundheitszustand des Patienten zu orientieren, werde dadurch die Handlung von Medizinern bzw. Pflegepersonen in den Mittelpunkt gestellt. Zweitens wird von den Autoren beanstandet, dass die strafbare aktive Sterbehilfe mit dem eigentlichen Sinn einer Hilfe kaum etwas zu tun habe.316 Doch zunächst werden die unterschiedlichen Formen der Sterbehilfe, so wie der deutsche Gesetzgeber sie definiert, vorgestellt, bevor auf die moralische Relevanz der Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe eingegangen wird.

313 314 315 316

Vgl. Nassehi (1992). Die Klammern werden meist weggelassen. Woellert/Schmiedebach (2008), S. 17. Ebd.

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5.1 FORMEN DER STERBEHILFE –

Sterbebegleitung

Die Sterbebegleitung317 ist in allen Ländern straffrei. Man versteht darunter in erster Linie die psychische Begleitung wie Trost und Beistand. Doch nicht nur psychische Begleitung, sondern auch die Erfüllung von Grundbedürfnissen der Sterbenden wie ausreichender Wärmeschutz, genügende Flüssigkeitszufuhr, Schlafmöglichkeit und soziale Zuwendung ist Bestandteil der Sterbebegleitung. Voraussetzung ist, dass die Sterbebegleitung gemäß dem Willen oder dem mutmaßlichen Willen des Patienten erfolgt. Dies bedeutet, dass Sterbebegleitung stets von dem Sterbenden erwünscht sein muss.318 –

Passive Sterbehilfe

Unter passiver Sterbehilfe versteht man den Verzicht von Intensivmedizin und Maßnahmen, die den Sterbevorgang des Patienten künstlich verlängern könnten. Ein Verzicht bedeutet in diesem Sinne entweder ein Unterlassen oder ein Beenden. Solche Maßnahmen sind etwa künstliche Ernährung mittels einer PEG-Sonde,319 Beatmung, Dialyse, Medikamentengabe und Reanimation.320 Der Patient erhält lediglich eine Basisversorgung (wie das Stillen von Durst und Hunger). Die passive Sterbehilfe ist dann nicht strafbar, wenn sie gemäß dem Willen oder dem mutmaßlichen Willen des Patienten erfolgt. Der Bundesgerichtshof definierte die passive Sterbehilfe wie folgt: „Auch bei aussichtsloser Prognose darf Sterbehilfe nicht durch gezieltes Töten, sondern nur entsprechend dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen durch die Nichteinleitung oder den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen geleistet werden, um dem Sterben – gegebenenfalls unter wirksamer Schmerzmedikation – seinen natürlichen, dem Menschen gemäßen Verlauf zu lassen“.321

Mögliche Situationen, in denen sich Todkranke befinden, sind folgende: a) Ein Patient, der sehr schwer an Krebs erkrankt ist, befindet sich im Endstadium seiner Erkrankung, wobei er vielleicht noch einige Wochen oder sogar Monate aufgrund der nicht mehr durch Palliativmedizin zu lindernden Schmerzen in qualvollem Leid lebt. Die Ärzte ließen den Schwerkranken wissen, dass er keinerlei Aussicht auf Heilung habe, und auch die Schmerzbehandlung ist nicht mehr imstande, die Schmerzen zufriedenstellend zu 317 Der Terminus „Sterbebegleitung“ werde seit 1993 von der Bundesärztekammer anstatt des Begriffs der „Sterbehilfe“ verwendet, um der „begrifflichen Schwäche“ von „Sterbehilfe“ zu begegnen; vgl. Woellert/Schmiedebach (2008), S. 18. 318 Eine Hilfe nicht zu leisten, wenn der mutmaßliche Wunsch des Patienten fehlt, wird in der Regel jedoch als unterlassene Hilfeleistung geahndet. Darüber hinaus ist es auch schwer vorstellbar, dass diese Art von Sterbehilfe unerwünscht sein könnte. 319 PEG (perkutane endoskopische Gastrostomie) ist eine Form der Magensonde, die direkt durch die Bauchdecke in den Magen gelegt wird. 320 Ebd. S. 19. 321 BGH (1991).

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reduzieren. In dieser Situation bekommt der Patient eine Lungenentzündung, die Ärzte üblicherweise mit Antibiotika behandeln würden. Der Patient jedoch bittet sie darum, ihn an der Lungenentzündung sterben zu lassen, da dieser Krankheitsverlauf schneller und angenehmer verläuft. Die Ärzte stimmen zu und behandeln die Lungenentzündung nicht. Der Patient stirbt daraufhin. b) Einer 85-jährigen Frau wird eine PEG-Magensonde, eine Form der künstlichen Ernährung, implantiert, da sie sich nicht mehr selbstständig ernähren kann. Die Patientin wäre ohne sie verhungert, wünschte aber mittels einer Patientenverfügung, welche von ihr bereits vorher niedergeschrieben worden war, nicht mehr künstlich am Leben erhalten zu werden, da sie bereits mit ihrem Leben abgeschlossen habe und sie jede weitere ärztliche Intervention als Minderung ihrer Lebensqualität betrachte. Der Sohn der Patientin bittet die Ärzte immer wieder, ihrem Willen endlich zu entsprechen. Nach wiederholtem Bitten des Sohnes kommen die Ärzte dem Wunsch der Patientin nach und entfernen die Magensonde, was zur Folge hat, dass die Patientin stirbt, da sie keine Nahrung mehr erhalten hat. c) Ein Mann, der aufgrund eines schweren Verkehrsunfalls seit längerer Zeit im Koma liegt, wird künstlich beatmet und ernährt. Das Gehirn des Patienten ist stark beschädigt, und die Aussicht auf eine Besserung seines Zustandes ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht anzunehmen. Die behandelnden Ärzte entscheiden gemeinsam mit den Angehörigen, die lebenserhaltenden Maßnahmen abzustellen, was den Tod des Patienten sehr wahrscheinlich zur Folge haben wird. –

Behandlungsabbruch

Der Behandlungsabbruch weist grundsätzlich eine große Übereinstimmung mit der passiven Sterbehilfe auf. In Abgrenzung zu ihr ist ein Behandlungsabbruch im engeren Sinne dann als ein solcher zu bezeichnen, wenn der Sterbeprozess noch nicht in eine irreversible Phase eingetreten ist. Bei im (Wach-)Koma befindlichen Menschen oder solchen mit schweren dementen Zuständen, welche sich noch nicht in der Sterbephase befinden, kann ein Behandlungsabbruch vorgenommen werden, wenn der wirkliche oder mutmaßliche Wille des Patienten dafür nachweislich vorliegt. Liegt kein wirklicher Wille vor, weil er nicht mehr artikuliert werden kann, wird die Entscheidungsfindung freilich schwierig. –

Indirekte Sterbehilfe

Unter indirekter Sterbehilfe (auch palliative Sedierung) versteht man die Verabreichung schmerzstillender Medikamente, welche Schmerzen und Qualen des Patienten reduzieren können, wenn auch der Tod hierdurch billigend in Kauf genommen wird. Dies bedeutet, dass der Arzt die Erhöhung des Wohlbefindens bzw. die Schmerzlinderung, nicht aber das Sterben des Patienten beabsichtigen darf, obgleich eine Erhöhung der Schmerzmittel durchaus den Tod schneller herbeiführen könnte. Auch hier ist natürlich der Wille oder der mutmaßliche Wille des Patienten

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Voraussetzung. Der Bundesgerichtshof definiert die indirekte Sterbehilfe folgendermaßen: „Eine ärztlich gebotene schmerzlindernde Medikation entsprechend dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen wird bei einem Sterbenden nicht dadurch unzulässig, dass sie als unbeabsichtigte, aber in Kauf genommene unvermeidbare Nebenfolgen den Todeseintritt beschleunigen kann“.322

Die indirekte Sterbehilfe wurde vom Deutschen Juristentag 1986 als zulässig anerkannt.323 So hat beispielsweise ein Patient sehr starke Schmerzen und bittet den Arzt, diese Schmerzen zu lindern. Der Arzt weiß, dass dadurch die Kreislauf- und Nierenfunktion beeinträchtigt werden könnten, unter Umständen so stark, dass dadurch der Tod eher eintreten könnte als durch die Hauptkrankheit selbst (z.B. Krebs). Dennoch entscheidet sich der Arzt für die Erhöhung der schmerzlindernden Medikamente, um dem Patienten eine weitgehende Schmerzfreiheit zu gewährleisten und somit dessen reduzierte Lebensqualität zu erhöhen. –

Aktive Sterbehilfe

Die aktive Sterbehilfe, die einen tödlichen Krankheitsverlauf gezielt abkürzt und den Tod des Patienten herbeiführt oder beschleunigt, um dem Patienten weitere Leiden zu ersparen, ist strafbar (Deutsches Strafgesetzbuch) – als „Mord“ nach § 211 StGB a) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. b) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niederen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet. – als Totschlag nach § 212 StGB a) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahren bestraft. b) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen. Beispiel: Ein Patient leidet unerträgliche Schmerzen. Der Arzt kann dieses Leiden nicht mehr mit ansehen und verabreicht dem Kranken ein hoch dosiertes Schmerzmittel, das den Tod einleiten soll. Dabei spielt es in diesem Zusammenhang keine Rolle, ob der Patient den Arzt darum gebeten hat oder nicht, denn beide Fälle sind strafbar. – als „Tötung auf Verlangen“ nach 216 StGB a) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 5 Jahren zu erkennen. 322 BGH (1996). 323 Vgl. Woellert/Schmiedebach (2008).

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b) Der Versuch ist strafbar. Beispiel: Aufgrund einer mit an Sicherheit grenzenden tödlichen und äußerst schmerzhaften Krebserkrankung bittet der Patient den Arzt, ihn von seinen Leiden zu erlösen, da auch die ihm verabreichten Schmerzmittel ihm keine nennenswerte Linderung mehr verschaffen. Der Arzt kommt seiner Bitte nach, indem er mit einer Injektion den Tod herbeiführt. –



als minder schwerer Fall des Totschlags nach § 213 StGB War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Misshandlung oder schwere Beleidigung von dem Getöteten zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. als „unterlassene Hilfeleistung“ nach § 323c StGB Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten [...] ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Die aktive Sterbehilfe wird untergliedert in eine freiwillige, nicht-freiwillige und unfreiwillige Euthanasie. Eine freiwillige Euthanasie ist gleichzusetzen mit der Tötung auf Verlangen. Die nicht-freiwillige Euthanasie liegt dann vor, wenn der Patient nicht (mehr) in der Lage ist, seinen Willen kundzutun, etwa im Falle eines Komas, man aber aufgrund einer Patientenverfügung darauf schließt, dass die aktive Sterbehilfe ebenfalls auch dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht. Die dritte Variante, nämlich die unfreiwillige Euthanasie, fragt nicht den Patienten, ob er sterben möchte. Alle drei Formen sind, wie oben angezeigt, verboten.

Der medizinisch(-ärztlich) assistierte Suizid (MAS) Eine Besonderheit in der deutschen Rechtsprechung stellt der medizinisch-ärztlich assistierte Suizid324 dar, der nach wie vor straffrei ist. Assistierter Suizid wird dann geleistet, wenn der Arzt oder eine andere Person nicht selbst die gezielte Tötung vornimmt, sondern dem Patienten hierzu die Mittel bereitstellt, damit dieser sie sich selbst verabreichen kann. In Abgrenzung zur Tötung auf Verlangen liegt die „Tatherrschaft beim Suizidanten, dessen Entschluss und eigene Verantwortung bis zum Schluss erhalten bleibt“.325 Die Beihilfe zum Suizid, wie sie beispielsweise der im Jahre 1997 verstorbene Prof. Dr. Julius Hackethal an seinen Patienten mehrfach verübte, stellt – obgleich bislang straffrei – dennoch ein juristisches Grenzgebiet zwischen Legalität und Illegalität dar. Unser Nachbarstaat Niederlande bezieht hier eine andere und möglicherweise eindeutigere Position; dort ist der ärztlich assistierte Suizid eine Form der aktiven 324 Die früher geläufige Bezeichnung „Hilfe zum Selbstmord“ wird in der vorliegenden Arbeit nicht gewählt, da die Bezeichnung Mord eine moralisierende Komponente enthält. 325 Student et al. (2007), S. 75.

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Sterbehilfe. Offenbar kommt es der niederländischen Rechtsprechung weniger darauf an, wessen Hand es ist, die dem Patienten letztlich zum Tode verhilft. Ob der Arzt nur das Tötungsmittel bereitstellt oder die Tötung selbst vornimmt, sind für die deutsche Rechtsprechung zwei unterschiedliche Tatbestände, die auch völlig verschiedenartig beurteilt werden. Die Frage ist, inwiefern die Bundesrepublik Deutschland mit dieser Haltung einen gewissermaßen gesetzlosen Raum geschaffen hat und somit eine Hintertür zur aktiven Sterbehilfe, denn einerseits ist die aktive Sterbehilfe, wie oben beschrieben, verboten, doch andererseits ist der (ärztlich) assistierte Suizid von den deutschen Gerichten bisher stets als straffrei beurteilt worden, wenn auch, wie Benzenhöfer bemerkt, eher widerstrebend als „straflose Beihilfe“.326 Eine klarere Rechtsgrundlage würde Richtern und Justiz helfen, Fälle des assistierten Suizids leichter beurteilen zu können.327

5.2 FRAGWÜRDIGE TERMINOLOGIE? Die Konzepte der passiven, aktiven und indirekten Sterbehilfe erfahren seit vielen Jahren immer wieder heftige Kritik, da sie entweder Grenzbereiche nicht klar genug definieren oder aber Handlungen – und auch (Handlungs-)Unterlassungen – als aktiv oder passiv bezeichnen, je nachdem, wie diese definiert sind. Nachdem die juristischen Unterscheidungskriterien der einzelnen Formen der Sterbehilfe erläutert wurden, soll nun inhaltlich auf die Definitionen der Konzepte passiver und aktiver Sterbehilfe eingegangen werden, um die Problematik in der Sterbehilfe-Debatte zu verdeutlichen. Im Folgenden wird daher auf diese Problemlage eingegangen, um später mögliche Alternativen zur gegenwärtigen Terminologie aufzuzeigen. Obgleich die Judikatur die passive Sterbehilfe seit Mitte der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts klar von der aktiven Sterbehilfe unterscheidet,328 sind beide – passive und aktive Sterbehilfe – Sahm zufolge in ihrer Konzeption eher zweideutiger Natur. Der Autor verweist hier auf die unterschiedliche Verwendung der Begriffe der einschlägigen Rechtsprechung sowohl der juristischen als auch der medizinischen Literatur. Demnach seien die Kategorien und Bewertungen, die jeweils zur Beschreibung herangezogen würden, nicht deckungsgleich. Der Autor bemängelt die unterschiedlichen zentralen Aussagen in normativer Hinsicht. Darüber hinaus, so Sahm, überrasche es, dass dieser Widerspruch bislang weitgehend unbeachtet bleibe. Er sei sowohl von Nachteil für die Rechtsprechung als auch eine der Ursachen einer weit verbreiteten Verunsicherung der Handelnden: Angehörige, Pflegende, Betreuer und Ärzte.329 Worin liegt der Widerspruch?

326 Benzenhöfer (1999), S. 193. 327 Wie bereits eingangs erwähnt, hat der Bundestag die geschäftsmäßige Sterbehilfe unter Strafe gestellt. Konsequenterweise ist dann die nicht-geschäftsmäßige Sterbehilfe, solange sie keine aktive Sterbehilfe darstellt, strafffrei. 328 Vgl. Benzenhöfer (1999). 329 Vgl. Sahm (2006), S. 31–32.

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Aktiv versus passiv Nicht nur der Bevölkerung ist der konzeptionelle Unterschied zwischen passiver und aktiver Sterbehilfe unklar, auch Ethiker und Fachleute diskutieren über das Aktive und Passive einer Sterbehilfe. Beide Arten der Sterbehilfe seien gemäß Sahm nicht klar voneinander zu trennen. Ein Unterlassen mag noch als Handlung, wenn auch eine passive, gewertet werden können, doch wie verhält es sich mit dem Abstellen lebensverlängernder Maßnahmen? Der Autor sieht in beiden Fällen keinen grundlegenden Unterschied zwischen einem Unterlassen und einem aktiven Handeln. Dies sei, so argumentiert er, in normativer Hinsicht bedeutungsvoll. Es folge daraus, dass es keinen Unterschied zwischen aktiven und passiven Handlungen gebe. Bevor gehandelt werde, müsse entschieden werden, ob und wie gehandelt werde. Es sei nicht möglich, sich einer Entscheidung zu enthalten. Diese Entscheidung selbst sei aber bereits ein Handeln. Auch dem Unterlassen gehe mithin eine handelnde Entscheidung voraus. Schließlich gebe es keinen anderen Lebensbereich, in dem die Gleichsetzung des Handlungsmodus mit einem normativen Urteil (passiv = gut bzw. erlaubt versus aktiv = verwerflich bzw. verboten) Gültigkeit beanspruchen könnte. Warum solle diese Zuschreibung dann ausgerechnet am Lebensende hilfreich und gültig sein? Nicht der Handlungsmodus sei hierbei für die Einordnung einer Handlung in eine normative Kategorie ein hinreichendes Kriterium, sondern vielmehr die Intention der Handlung.330 Der Autor setzt die Intention der aktiven Sterbehilfe mit der passiven gleich, nämlich die Herbeiführung des Todes, welche kein Ziel der Medizin sei. So schaffe der Begriff der passiven Sterbehilfe eine Grauzone, die eine Abgrenzung von aktiven Tötungshandlungen wie der aktiven Sterbehilfe erschwere und so die professionelle Ethik korrumpiere. Die Konzeption der passiven Sterbehilfe verschleiere die Intention.331 Letzterem ist dagegen schwerlich zu folgen; nicht die Absicht zum Töten ist es, lebensverlängernde Maßnahmen abzuschalten oder gar nicht erst aufzunehmen, sondern das Beenden bzw. das Nicht-Aufnehmen sinnloser leidens- und lebensverlängernder Maßnahmen; Maßnahmen folglich, ohne die der Patient in vielen Fällen ohnedies gestorben wäre. Praktiker etwa, die täglich mit sterbenden und/oder todkranken Menschen zu tun haben, sind vermutlich kaum in der Lage, Sahms Argumentation hinsichtlich der passiven Sterbehilfe zu teilen. Auch Oduncu vertritt eine andere Meinung. Er ist von der Zweckmäßigkeit der passiven Sterbehilfe überzeugt, indem er sagt, dass beim Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen in aussichtlosen Situationen, zum Beispiel durch das aktive Abschalten der Beatmungsmaschine, nicht der Abbruch die Todesursache sei, sondern der unaufhaltsame Verlauf der zugrunde liegenden Krankheit des Patienten. So sterbe der Patient an Ursachen, deren medizinische Bekämpfung nicht mehr sinnvoll sei. Jedes eigenmächtige Vorgehen des Arztes gegen den Willen des Patienten sei ein widerrechtlicher Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Patienten über

330 Ebd., S. 37–39. 331 Ebd.

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seinen Körper.332 Der Autor richtet sich, wie viele andere Ärzte auch, nach den ethischen Richtlinien der Ärzteschaft, die besagen, dass es Situationen gebe, in denen angemessene Diagnostik und Therapieverfahren nicht mehr angezeigt seien, sondern Begrenzungen geboten sein könnten. Dann trete palliativmedizinische Versorgung in den Vordergrund.333 Die Bundesärztekammer bezieht hinsichtlich der aktiven Sterbehilfe klare Stellung: So sei aktive Sterbehilfe unzulässig und werde mit Strafe bedroht, auch dann, wenn sie auf Verlangen des Patienten geschehe. Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung widerspreche dem ärztlichen Ethos und könne strafbar sein.334

Unterschiedliche Bewertung von aktivem und passivem Handeln Birnbacher stellt, wie auch Sahm, eine unterschiedliche moralische Bewertung unserer Gesellschaft von aktivem und passivem Handeln fest, indem eine aktive Wohltat, die man jemandem erweist, in der Regel moralisch verdienstvoller zu sein scheint als passives Verschonen. Umgekehrt wird eine aktive Tat, die eine schädigende Wirkung nach sich zieht, in der deutschen Rechtsprechung härter beurteilt als eine unterlassene Tat wie beispielsweise die unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB) oder die Nichtanzeige geplanter Straftaten (§ 138 StGB). Er konstatiert, dass für diese Delikte die Strafsanktionen deutlich geringer seien als die für die entsprechenden, gegebenenfalls folgengleichen aktiven Delikte (fahrlässige Tötung, § 222 StGB; Beihilfe, § 27 StGB).335 Was bedeutet dies nun für die Konzeptionen der aktiven und passiven Sterbehilfe? Die passive Sterbehilfe wird in der deutschen Rechtsprechung als erlaubte passive Tat gewertet. Die Frage aber ist: Wie passiv ist die passive Sterbehilfe wirklich? Grewel ist der Ansicht, dass man von „passiver“ Sterbehilfe gar nicht sprechen solle, da auch das Unterlassen oder Beendigen von Maßnahmen zur Lebensverlängerung als Ergebnis von Denkprozessen und bewusster Entscheidung, also im ethischen Sinne als ein Tun, als Handeln zu begreifen sei.336 Nicht ganz zu Unrecht wundert der Autor sich, dass sich in der ethischen Diskussion dieser Frage in den letzten 25 Jahren eine bemerkenswerte Verschiebung vollzogen habe. Während früher fast ausschließlich danach gefragt worden sei, wann und gegebenenfalls aus welchen Gründen ein Arzt Maßnahmen zur Verlängerung des Lebens (Sterbens) abbrechen, beenden oder überhaupt unterlassen dürfe, fragten wir heute zunehmend von den sterbenden Menschen her, unter welchen Bedingungen, ggf. aus welchen Gründen, es erlaubt oder geboten sein könne, das Ableben eines Menschen durch künstliche Maßnahmen hinauszuzögern.337 332 Vgl. Oduncu (2007), S. 33 und Hörr (2011) mit seinen Schriften zum Bio-, Gesundheits- und Medizinrecht. 333 Vgl. Bundesärztekammer (2004). 334 Vgl. Bundesärztekammer (2011). 335 Vgl. Birnbacher (1995), S. 13–14. 336 Vgl. Grewel (1992), S. 27–28. 337 Ebd., S. 28

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Birnbacher stellt zwei Grenzfälle vor, die ihm zufolge die Zuordnung zur passiven Sterbehilfe sehr schwierig machen, und er diskutiert anschließend vier Alternativvorschläge einer näheren differenzierten Betrachtungsweise der passiven und der aktiven Sterbehilfe, wobei aber auch die begriffliche und inhaltliche Problematik, die beide Konzepte innehaben, deutlich werden. „Fall 1: Ist der Abbruch einer lebensverlängernden Maßnahme, um einen schwer leidenden Patienten sterben zu lassen, auch dann ein Akt passiver Sterbehilfe, wenn der Abbruch durch das aktive Abstellen eines Apparats, etwa eines Beatmungsgeräts, erfolge? Fall 2: Ist die Herbeiführung des Todes bei einem künstlich ernährten, schwer leidenden Patienten durch ein Vorenthalten künstlicher Ernährung ein Akt passiver oder ein Akt aktiver Sterbehilfe?“338

Beide Fragen können unter juristischen Gesichtspunkten eindeutig Fällen der passiven Sterbehilfe zugeordnet werden. Für viele Menschen, wie sich später noch zeigen wird, können sie es nicht. Birnbacher diskutiert nun folgende Alternativen: Seine erste Alternative sieht vor, die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe mit der zwischen Handeln und Unterlassen zu koppeln und die „aktive“ Sterbehilfe dadurch zu definieren, dass der Tod des Patienten konkret dadurch eintritt, dass der die Sterbehilfe Leistende etwas tue, die „passive“ dadurch, dass der Tod des Patienten dadurch eintrete, dass der Sterbehilfe Leistende etwas, was das Leben verlängern würde, unterlasse.339 Allerdings, räumt der Autor ein, dürfe ein Abbruch einer einmal aufgenommenen lebensverlängernden Maßnahme nicht per se als aktive Sterbehilfe gelten, da es doch keinen Unterschied zwischen dem gebe, ob eine lebensverlängernde Maßnahme gar nicht erst aufgenommen, und einer Maßnahme, die abgesetzt werde, wenn auch beide Handlungen ethisch ganz unterschiedlich behandelt würden. Darüber hinaus, so der Autor, habe dieser Vorschlag zur Konsequenz, dass die durch das Abstellen eines Beatmungsgeräts erfolgende Sterbehilfe genauso als „aktiv“ gelte wie eine todbringende Injektion und ein Vorenthalten von Nahrung genauso als „passiv“ wie der Verzicht auf eine andere lebensverlängernde medizinische Behandlung.340 Aufgrund der konzeptionellen Unzulänglichkeit der ersten Alternative erörtert der Autor eine andere Alternative (zweiter Vorschlag), die den Tatbestand der aktiven wie passiven Sterbehilfe weiter differenzieren soll: Diese Alternative definiere die „aktive“ Sterbehilfe dadurch, dass sie zur Krankheit des Patienten hinzukommende zusätzliche Faktoren in die Situation einbringe, die zusammen mit der Krankheit den Tod des Patienten zur Folgen hätten. Ohne diese zusätzlichen Faktoren würde der Patient nicht (bzw. noch nicht) sterben. Um eine „passive“ Sterbehilfe handele es sich nach diesem Definitionsvorschlag dagegen dann, wenn der Sterbehilfe Leistende etwas nicht tue oder verhindere, was den Tod des Patienten

338 Birnbacher, (1995), S. 340–341. 339 Ebd. 340 Ebd., S. 341 –342.

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abwenden oder verzögern könne.341 Aber auch hier entdeckt Birnbacher Mängel konsequenter Art: Bei dem oben vorgestellten zweiten Fall, lebensverlängernde Maßnahmen abzustellen, werde man nach dieser Definition der aktiven Sterbehilfe von aktiver Sterbehilfe sprechen müssen, da die Ursachen des Todes nicht allein in der Krankheit des Patienten liegen, sondern in einem zusätzlichen Faktor, dem Verhungern-Lassen infolge des Abbruchs der künstlichen Ernährung. Zugleich sei aber auch die vorgeschlagene Definition der passiven Sterbehilfe erfüllt, denn die künstliche Ernährung sei sicher eine medizinische Maßnahme, die den Tod des Patienten verhindere oder verzögere. Birnbacher stellt resümierend fest, dass für den zweiten Fall die vorgeschlagene Explikation nicht hinreichend trennscharf sei.342 Der dritte Vorschlag fasst Birnbacher zufolge die Definition der passiven Sterbehilfe enger. Diese fordert, dass nur derjenige passive Sterbehilfe leiste, der etwas nicht tue oder verhindere, was die Krankheit des Patienten daran hindere, dessen Tod herbeizuführen. Aktive Sterbehilfe sei demnach, „wenn der Tod des Patienten unter den gegebenen Umständen infolge von Faktoren eintritt, die mit seiner Krankheit nichts zu tun haben“.343 Dies bedeutet, dass die Sterbehilfe dann aktiv ist, wenn der Tod nach Entzug der künstlichen Ernährung in keinem kausalen Zusammenhang mit der Erkrankung stehe, die die künstliche Ernährung notwendig mache. Obgleich Birnbacher positiv den Vorzug dieser Variante moralisch relevanter Differenzierungen hervorhebt, kritisiert er an diesem Ansatz insbesondere die Tendenz, die moralische Bewertung der jeweiligen Art von Sterbehilfe durch die terminologische Zuordnung zu präjudizieren bzw. diese von jener abhängig zu machen und auf diese Weise die Unterscheidung zwischen deskriptiven und normativen Merkmalen zu verwischen.344 Der vierte und letzte Vorschlag des Autors versteht die Sterbehilfe dann als passiv, wenn sie in einem Geschehenlassen des Sterbens bestehe, in allen anderen Fällen gelte sie als aktive Sterbehilfe. Es komme hier nicht darauf an, ob das Verhalten des Sterbehilfe Leistenden aus einem Tätig-werden oder aus einem Unterlassen bestehe, sondern darauf, ob der Handelnde dem Patienten etwas tue (aktive Sterbehilfe) oder etwas mit ihm geschehen lasse (passive Sterbehilfe).345 Birnbacher versteht hier unter „aktiv“ nicht ein Tun an sich, sondern ein Handeln, das aktiv auf den Patienten einwirkt. Kurzum: Eine aktive Handlung ist nicht per se mit der aktiven Sterbehilfe gleichzusetzen. Passiv hingegen ist alles Handeln oder Nicht-Handeln, das den Tod des Kranken geschehen lässt.

341 342 343 344 345

Ebd., S. 342. Ebd., S. 342 –343. Ebd., S. 343. Ebd., S. 343–344. Ebd., S. 344.

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Kritik an der Konzeption der indirekten Sterbehilfe Birnbacher gemäß sind die begrifflichen Unklarheiten der passiven und aktiven Sterbehilfe erst zum Teil aufgelöst. Doch wenn nicht einmal die Konzepte der aktiven und passiven Sterbehilfe zufriedenstellend geklärt sind, wie habe dann, so fragt der Autor, in der begrifflichen Dichotomie von „aktiv“ und „passiv“ die dritte Kategorie, die indirekte Sterbehilfe, Platz?346 Deskriptiv, so der Autor, habe zwar die indirekte Sterbehilfe keinen Platz in der bisherigen Dichotomie, denn sie sei hier lediglich eine bestimmte Untergruppe der aktiven Sterbehilfe. Die Frage hier ist, ob sie unter normativen Gesichtspunkten so ganz anders zu bewerten sei als die gezielte Tötung zur Leidensminderung, was von vornherein nicht klar sei. Denn was die so genannte indirekte von der aktiven Sterbehilfe (im engeren Sinne) unterscheide, sei, dass bei der aktiven Sterbehilfe der Tod als Mittel der Leidensminderung beabsichtigt sei, während bei der indirekten Sterbehilfe der (mögliche) Tod nicht beabsichtigt, sondern in Kauf genommen werde. Könne die Intention für die ethische und rechtliche Beurteilung aber einen so großen Unterschied machen, dass die einerseits die indirekte Sterbehilfe straffrei bleibe, während es die aktive Sterbehilfe andererseits nicht sei?347 Benzenhöfer ist der Auffassung, dass wenn ein Arzt das wirkungsvolle Medikament in immer stärkeren Dosen einsetze, er so auf diese Weise den Tod des Patienten verursache. Solle man also sagen, er töte ihn? Man solle sogar zugeben, dass er ihn freiwillig töte – insofern nämlich, als er die Beschleunigung des Todes voraussehen und vermeiden könnte. Allerdings töte er ihn nicht absichtlich. Denn nicht der Tod des Patienten, sondern allein die Linderung seiner Schmerzen mache den Zweck aus, ohne den der Arzt das Opiat nicht gegeben hätte. Und deshalb könne hier nicht von Mord und auch nicht von Euthanasie die Rede sein.348 Bewerte man absichtliches und bloß freiwilliges Bewirken grundsätzlich gleich, so werde man im Unterschied der ärztlichen Motive keinen moralisch relevanten Unterschied erkennen. Der Autor ist der Auffassung, dass dies für die Palliativpflege weitreichende Folgen hätte, denn wäre unabsichtliche Tötung durch ein Medikament niemals zulässig, dann wäre auch eine palliative Behandlung, die den Tod zur Folge habe, unerlaubt.349 Die Folgerung, könnte daher solcherart sein, dass, solange die aktive Sterbehilfe in Deutschland verboten ist, die indirekte Sterbehilfe ihren Bestand haben muss, damit eben nicht die indirekte Sterbehilfe (= ohne Intention zum Töten) moralisch mit der aktiven Sterbehilfe (= mit Intention zum Töten) gleichgesetzt wird. Einem Menschen mit starken Schmerzen kein Schmerzmittel zu verabreichen, und sei es auch Morphin als einzig noch wirksames Mittel, stellt keinen Akt der Nächstenliebe dar! Es muss alles versucht werden, diesem Menschen das Leben noch weitgehend lebenswert zu gestalten.

346 347 348 349

Ebd., S. 345. Ebd., S. 345–346. Vgl. Benzenhöfer (1997), S. 113–114. Ebd.

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5 Sterbehilfe

Woellert und Schmiedebach räumen zwar eine mögliche Gefahr ein, die es unter Umständen erlaube, eine bewusste Tötungshandlung (also aktive Sterbehilfe) als erlaubte, indirekte Sterbehilfe zu verschleiern,350 doch es wird angenommen, dass solche Fälle wohl eher seltener sind als die Anwendung der indirekten Sterbehilfe. Es kann davon ausgegangen werden, dass viele Ärzte eher von der indirekten Sterbehilfe als schmerz- und damit leidreduziertes Mittel Gebrauch machen als von der illegalen aktiven Sterbehilfe mit der Intention zum Töten. Die Frage, ob die indirekte Sterbehilfe moralisch vertretbar sei, lässt sich eigentlich einfach beantworten, wenn die Argumentation auf der Basis praktischer Erfahrung palliativer Behandlungsmethoden beruht und nicht auf theoretischen Konzepten; das immer wieder vorgebrachte Argument, die indirekte Sterbehilfe führe zu einem frühzeitigen Tod und sei daher abzulehnen, kann von den Autoren Woellert und Schmiedebach nicht bestätigt werden. Sie nennen in diesem Zusammenhang einige Studien (beispielsweise die von Bosshard et al. 2006), die eine Lebensverkürzung bei einer sorgfältigen und korrekten Dosierung der Anwendung von Schmerz- und Beruhigungsmitteln nicht nachweisen konnten.351 Im Gegenteil werde in vielen Fällen gar eine Lebensverlängerung durch eine adäquate Schmerzbehandlung – auch durch Opiate – erzielt, da Schmerzfreiheit mit Stressfreiheit einhergeht: Ein Organismus ohne Schmerzen erlebt keinen Energie raubenden Stress, der unter Umständen für eine Verkürzung des Lebens sorgen könnte, also das Gegenteil von dem bewirkt, was im Grunde genommen beabsichtigt war. Auch Merk berichtet in diesem Zusammenhang, dass bei fachgerechter Schmerzmedikation in aller Regel keine Lebensverkürzung eintrete, sondern im Gegenteil eine Lebensverlängerung.352 Klie fügt bestätigend hinzu, dass dies mit einer Absolutheit so nicht richtig sei, insbesondere bei einer lege artis-dosierten Morphin-Therapie lasse sich aus der palliativen Therapie lernen, die eher als Ausnahme von einer Lebensverkürzung und allgemein von einer Verlängerung des Lebens und einer Verbesserung der Lebensqualität spreche. Gleichwohl halte sich hartnäckig in der juristischen, aber auch in der medizinischen Fachliteratur die Doktrin der Lebensverkürzung durch eine Morphintherapie und unterstütze damit eine letztlich zynische Praxis in Deutschland, die im internationalen Vergleich zu einer unterdurchschnittlichen Morphingabe und damit zu einer überdurchschnittlichen Wahrscheinlichkeit führe, etwa bei Krebserkrankungen Schmerzen zu erleiden.353 Eine etwas andere Argumentationsweise, aber nicht weniger schlüssig, hält Sahm bereit. Ihm zufolge erweise sich der Begriff der passiven Sterbehilfe wie auch der indirekten Sterbehilfe als wenig hilfreich, medizinische Handlungen zu beschreiben. Seiner Auffassung nach seien unbeabsichtigte Folgen einer Schmerztherapie nicht anders zu bewerten als Nebenfolgen anderer medizinischer Eingriffe. Und diese würden, selbst wenn sie tödlich seien, doch auch nicht als Sterbehilfe

350 351 352 353

Vgl. Woellert/Schmiedebach (2008), S. 20. Ebd., S. 20–21. Vgl. Merk (2008), S. 7. Vgl. Klie (2002), S. 246.

5 Sterbehilfe

93

bezeichnet und mit einer Tötungsabsicht in Verbindung gebracht werden.354 Kein Arzt, der heilt, kann Nebenwirkungen ausschließen. Nebenwirkungen können als unerwünschte Nebeneffekte einer heilenden Maßnahme angesehen werden, die – in der Regel – das „kleinere Übel“ darstellen, wenn es nicht zum Tod kommen soll. Das Risiko von Nebenwirkungen soll hierbei so gering wie möglich gehalten werden. Der Begriff indirekte Sterbehilfe ist dennoch etwas irreführend, denn das Indirekte dieser Sterbehilfe bezieht sich auf eine Tötung, wenn auch keine beabsichtigte. Da aber erwiesenermaßen keine Lebensverkürzung, sondern eher eine Lebensverlängerung eintritt, stellt die indirekte Sterbehilfe ein Mittel zur Erhöhung der Lebensqualität todkranker Menschen dar. Würde die indirekte Sterbehilfe aber als nur wenig getrennt von der verbotenen aktiven Sterbehilfe verstanden, müsste auch, wie weiter oben bereits erwähnt, die Palliativmedizin verboten werden, denn die Palliativmedizin setzt in Fällen schmerzhafter Tumorerkrankungen Morphingaben ein. Dies hätte für viele Menschen, wenn sie keine ausreichenden Schmerzmitteldosen erhalten, fatale Folgen.

Alternativen zur gegenwärtigen Terminologie Wie sich zeigt, ist der Gebrauch der Terminologie „aktive Sterbehilfe“, „passive Sterbehilfe“ sowie „indirekte Sterbehilfe“ nicht ganz unproblematisch. Woellert und Schmiedebach zufolge „lohnt sich [deshalb] ein Blick auf die Vorschläge zu einer alternativen Terminologie, da sie ein Umdenken im Umgang mit Sterbenden und mit dem Tod zum Ausdruck bringen“.355

Die Autoren nennen die Bemühungen von Institutionen wie Deutscher Juristentag, Bundesärztekammer oder Deutscher Ethikrat (DER), eine Alternative zur gängigen Terminologie aus Gründen einer verbesserten Verständlichkeit zu bilden, allerdings beschreiben diese den Sachverhalt eher, als dass sie ihn mit einer (neuen und alternativen) Terminologie belegen. Beispielsweise werden die passive Sterbehilfe und die indirekte Sterbehilfe von der Bundesärztekammer folgendermaßen umschrieben: „Maßnahmen, die den Todeseintritt nur verzögern, sollen unterlassen oder beendet werden. Bei Sterbenden kann die Linderung des Leidens so im Vordergrund stehen, dass eine möglicherweise dadurch bedingte unvermeidbare Lebensverkürzung hingenommen werden darf“.356

Wie bisher deutlich wurde, gibt es Unstimmigkeiten – und auch Unklarheiten – zwischen den Konzeptionen der aktiven, passiven und indirekten Sterbehilfe. Neuere Versuche, Alternativen zur gängigen Terminologie zu bilden, konnten sich bis heute nicht wirklich durchsetzen.

354 Vgl. Sahm (2006), S. 40–41. 355 Woellert/Schmiedebach (2008), S. 25. 356 Bundesärztekammer (2011).

94

5 Sterbehilfe

5.3 EIN EUROPÄISCHER LÄNDERVERGLEICH

Land

Aktive Sterbehilfe

Passive Sterbehilfe

Indirekte Sterbehilfe

Belgien

Seit 2002 legalisiert Keine näheren Angaben (unter bestimmten Voraussetzungen).

Keine näheren Angaben

Deutschland

Strafbar

Straffrei bei Vorliegen einer aktuellen Willensäußerung oder einer validen Patientenverfügung.

Straffrei bei Vorliegen einer aktuellen Willensäußerung oder einer validen Patientenverfügung.

Frankreich

Strafbar, mit Mord gleichgesetzt.

Wird angewandt; rechtlich unklar.

Wird angewandt; rechtlich unklar.

Griechenland

Strafbar, mit Mord gleichgesetzt.

Straffrei bei Vorliegen einer Keine näheren Angaben. aktuellen Willensäußerung oder einer validen Patientenverfügung.

Großbritannien

Strafbar

Wird angewandt; rechtlich unklar.

Keine näheren Angaben.

Italien

Strafbar

Wird angewandt; rechtlich unklar.

Keine näheren Angaben.

Niederlande

Gesetzlich geregelt Gilt als natürlicher Tod. seit April 2002. Unter bestimmten Bedingungen straffrei.

Gilt als natürlicher Tod.

Norwegen

Strafbar

Zulassung wird geprüft.

Wird angewandt; rechtlich unklar.

Österreich

Strafbar

Straffrei

Erlaubt bei Vorliegen einer aktuellen validen Patientenverfügung.

Schweden

Strafbar

Wird angewandt; rechtlich unklar.

Erlaubt, wird als ethisch gerechtfertigt angesehen.

Schweiz

Strafbar

Erlaubt, nicht ausdrücklich geregelt, in Ausnahmefällen praktiziert.

Spanien

Strafbar

Straffrei, falls medizinisch korrekt durchgeführt.

Wird angewandt; rechtlich unklar.

Tabelle 3: Rechtslage zur Sterbehilfe in Europa357

357 Vgl. Deutsche Stiftung Patientenschutz (2008a) und Deutsches Referenzzentrum für Ethik (DRZE) (2014).

5 Sterbehilfe

95

Obenstehende Tabelle bietet einen Überblick über einige europäische Länder und sie verdeutlicht Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede hinsichtlich der Arten der Sterbehilfe.

5.3.1 Die Euthanasie in den Niederlanden – ein Vorbild? Durch eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe (Euthanasie)358 unter bestimmten Voraussetzungen befürchten viele Menschen eine Entwicklung gemäß der so genannten Slippery-Slope-Theorie (aufgrund einer schiefen und schlüpfrigen Ebene ein ständiges Abgleiten in den „Abgrund“),359 die Fälle – auch ungefragter – Euthanasie in die Höhe schnellen lassen könnte. Hat sich diese Befürchtung in den Niederlanden bewahrheitet? Bevor sich dieser Frage zugewandt wird, soll zunächst geklärt werden, in welcher Form das niederländische Gesetz die Euthanasie regelt. Im Anschluss daran wird ein kurzer geschichtlicher Abriss der Euthanasie Auskunft darüber geben, unter welchen Umständen sich unser Nachbarland dazu entschloss, die aktive Sterbehilfe (und auch den medizinisch-ärztlich assistierten Suizid) gesetzlich zu regeln.

Sorgfaltskriterien Seit dem 10. April des Jahres 2002 wird die Euthanasie und die medizinische Beihilfe zur Selbsttötung (medizinisch-ärztlich assistierter Suizid) aufgrund des Urteils des Obersten Gerichtshofs der Niederlande unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, wobei bestimmte Sorgfaltskriterien bei der Euthanasie beachtet werden müssen. So prüfen fünf regionale Kontrollkommissionen, bestehend aus jeweils einem Juristen, einem Arzt360 und einem Experten für ethische Fragen, ob folgende Punkte erfüllt wurden:

358 Der Begriff „Euthanasie“ wird im internationalen Ausland synonym zur aktiven Sterbehilfe verwendet. Lediglich Deutschland bildet hier aufgrund der Geschichte („Drittes Reich“) eine Ausnahme. Nur in diesem Abschnitt wird aus Gründen der Vergleichbarkeit auf den Terminus „aktive Sterbehilfe“ verzichtet. 359 Vielmals wird in diesem Zusammenhang auch synonym von einem „Dammbruch“ gesprochen, der jedoch ein stetig anwachsendes (und eventuell nicht bemerkbares) Problem mit dessen plötzlichem Ausdruck bedeutet und streng genommen mit der Slippery-Slope-Theorie wenig gemein hat. 360 Die aktive Sterbehilfe erfuhr in den Niederlanden seit März 2012 eine Ausweitung. So leisten sechs ambulante Teams aktive Sterbehilfe bei den Patienten auch zu Hause. Darüber hinaus wurde ebenso im März desselben Jahres in Den Haag eine Klinik mit der Bezeichnung „Lebensende-Klinik“ („Levenseindekleniek“) eröffnet, die denjenigen aktive Sterbehilfe leistet, bei denen aktive Sterbehilfe von Ärzten abgelehnt wurde. Kritiker befürchten einen deutlichen Zuwachs der Fälle aktiver Sterbehilfe.

96 –

– – –

– – – – –

5 Sterbehilfe

Der Zustand des Patienten ist aussichtslos, das Leiden ist unerträglich. Der Patient muss seinen Sterbewunsch entsprechend den Vorgaben des Informed Consent361 formulieren. Der Patient muss über Alternativen (z.B. Palliativmedizin) aufgeklärt worden sein. Der Sterbewunsch kann auch im Vorfeld in Form einer Patientenverfügung geäußert werden. Aktive Sterbehilfe darf nach Einwilligung der Eltern auch an Minderjährigen praktiziert werden; bei Jugendlichen über 16 Jahre ist die Einwilligung der Eltern nicht erforderlich, aber sie sollen in den Entscheidungsprozess einbezogen werden. Ein zweiter Arzt muss den Zustand des Patienten und den Entscheidungsprozess begutachten. Die Lebensbeendigung muss mit aller medizinischen Sorgfalt durchgeführt werden. Die Fälle aktiver Sterbehilfe müssen – im Nachhinein – einer übergeordneten Ethikkommission gemeldet werden (s.o.). Der Bericht des Pathologen muss zusätzlich auch an die Staatsanwaltschaft gehen. Zur aktiven Sterbehilfe und zur Beihilfe zur Selbsttötung sind nur niederländische Staatsbürger zugelassen.362

Die niederländische Euthanasie im geschichtlichen Kontext Da die Niederlande seit dem Jahr 2001 die aktive Sterbehilfe sowie den ärztlich assistierten Suizid (beides gilt in den Niederlanden gleichermaßen als Euthanasie) unter bestimmten Bedingungen legalisiert haben, sowie aufgrund der Tatsache, dass die niederländische Gesetzgebung schon vor 2001 recht liberal mit dem Thema umging, mag der Eindruck einer langen Euthanasie-Tradition in den Niederlanden entstanden sein.363 Dass dies aber keinesfalls so war, davon weiß Oduncu zu berichten. Er vermerkt hier, dass etwa erst im Jahre 1973 die erste niederländische Gesellschaft für freiwillige Euthanasie (Nederlandse Vereinigung voor Vrijwillige Euthanasie) entstanden sei, während zu diesem Zeitpunkt bereits seit Jahrzehnten ähnliche Organisationen bestanden hätten; beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), die Schweizer Organisationen Exit und Dignitas, die Voluntary Euthanasia Society in England oder die Hemlock Society in den USA. Bis zum Jahr

361 Informed Consent: Die informierte Zustimmung des Patienten zu einer medizinischen Entscheidung, wobei folgende Voraussetzungen erfüllt sein müssen: Kompetenz, Freiwilligkeit, Informiertheit und Einwilligung; vgl. Woellert/Schmiedebach (2008). 362 Vgl. Jochemsen (2004), Oduncu (2007) und Woellert/Schmiedebach (2008). 363 Vgl. Naunin (2012).

5 Sterbehilfe

97

1969 habe es kaum Diskussionsbedarf zum Thema Sterbehilfe und Euthanasie gegeben.364 Erst mit der Veröffentlichung der Buches „Medizinische Ethik und medizinische Macht“ des niederländischen Arztes Jan Hendrick, wurde aufgrund seiner überaus großen Popularität dieses Werk in der Bevölkerung (nach Oduncu die Phase der Konfrontation), die Euthanasie-Debatte entfacht, so dass schon 1973 im Zuge eines (sehr milden) Gerichtsurteils, in dem eine Ärztin lediglich zu einer Woche Haft wegen geleisteter Euthanasie an ihrer schwerkranken Mutter verurteilt worden sei, sich die Frage nach der Akzeptanz der Euthanasie stellen musste (nach Oduncu die Phase der Akzeptanz). Dem Autor zufolge sei in den achtziger Jahren in der Phase der gesellschaftlichen Akzeptanz der Euthanasie die Frage diskutiert worden, wie und unter welchen Bedingungen das ärztliche Töten auf Verlangen legalisiert werden sollte. Letztere Phase nennt der Autor die „Phase der Integration“.365

Ist der Patientenschutz in den Niederlanden gefährdet? Diese zentrale Frage wird in der Sterbehilfe-Debatte oft gestellt. Woellert und Schmiedebach verweisen in diesem Zusammenhang auf Studien von van der Heide et al. (2007) sowie auf Onwuteaka-Philipsen et al. (2003), die neben Fällen der Euthanasie auch solche in erschreckend hohem Maße dokumentieren, in denen Patienten auch ohne ihre Einwilligung getötet worden seien, und sie stellen fest, dass dies auf keine hundertprozentige Gewährleistung des Patientenschutzes trotz der Sorgfaltskriterien hindeute.366 Eine Erhöhung der Tötung ohne Verlangen durch eine Legalisierung (der Tötung auf Verlangen), können die Autoren jedoch nicht bestätigen. Im Gegenteil belegen bereits Zahlen aus dem Jahr 2007, vorgelegt von Onwuteaka-Philipsen et al., sogar einen prozentualen Rückgang von Fällen nichtfreiwilliger Euthanasie von 0,7 % (2001) auf 0,4 % (2005). Dieser Trend setzte sich – wie weiter unten zu sehen ist – zunächst fort. Eines der bemerkenswertesten Ergebnisse der Studie stellt den Autoren zufolge die rückläufige Praxis der Euthanasie und des medizinisch assistierten Suizids 2005 verglichen mit dem Jahr 2001 dar.367 Dies mag allerdings nicht weiter verwundern, wenn man bedenkt, dass die Sterberate durch Euthanasie368 zwar verringert wurde, die Zahl der terminalen Sedierung sich jedoch um etwa den gleichen Betrag erhöht hat. Die Autoren folgern daraus, dass vermutlich die letztgenannte Behandlungsform zunehmend als Alternative zur vorzeitigen Tötung wahrgenommen werde.369

364 365 366 367 368

Vgl. Oduncu (2007), S. 71. Ebd. Vgl. Woellert/Schmiedebach (2008), S. 34–35. Vgl. Onweteaka-Philipsen et al. (2007). Nach niederländischer Definition: „Absichtliche lebensbeendende Handlung durch eine andere als die betroffene Person auf deren ausdrückliche Bitte hin“, Oduncu (2007), S. 80. 369 Vgl. Woellert/Schmiedebach (2008), S. 35.

98

5 Sterbehilfe

Medizinische Entscheidungen am Ende des Lebens Euthanasie Ärztlich assistierter Suizid Töten des Patienten ohne seinen ausdrücklichen Wunsch Symptomlinderung mit möglicher Lebensverkürzung Terminale Sedierung Mit medizinischer Entscheidung für eine Lebensbeendigung Ohne medizinische Entscheidung für eine Lebensbeendigung

2001 Absolut %

2005 Absolut %

3,500 300 950

2,6 0,2 0,7

2,325 100 550

1,7 0,1 0,4

29,000 8,500

21 6 n.b

33,700 9,700 1,500

25 7,1 1,1

Tabelle 4: Medizinische Entscheidungen am Lebensende in den Niederlanden (2001–2005)370

Eine, wenn auch umstrittene Studie von Van der Maas et al. scheint genau dies zu belegen; so werde die terminale Sedierung in unserem Nachbarstaat bei den Ärzten offenbar immer öfter aus dem Grund angewandt, die Kontrolle der Prüfungskommissionen zu umgehen. Erschreckenderweise habe in jedem sechsten dieser Fälle von terminaler Sedierung die Absicht in einer gezielten Verkürzung des Lebens gelegen,371 was – wenn dies tatsächlich der Fall sein sollte – bedeutet, dass es sich hier streng genommen nicht mehr um terminale Sedierung im Sinne einer palliativen Sedierung handeln kann, sondern eher um eine – wenn auch prolongierte – aktive Sterbehilfe. Betrachtet man die Zahlen der Tabelle 5, so macht sich ein nicht zu übersehender Zuwachs der aktiven und assistierten Sterbehilfe in den Niederlanden bemerkbar. Im Jahre 2010 sind 3.136 Fälle aktiver Sterbehilfe gemeldet worden, was im Vergleich zum Vorjahr einer Zunahme von 19 % entspricht. Ein Jahr später sind es sogar 3.695 Fälle.372 Hierbei solle es sich größtenteils (95 %) um Fälle aktiver Sterbehilfe handeln.373

Art der Sterbehilfe / Jahr Aktive ärztliche Sterbehilfe Ärztliche Suzidbeihilfe Kombination aus beiden Arten der Sterbehilfe

2007

2008

2009

2010

2011

2012

2013

1.923

2.146

2.443

2.910

3.446

3.965

4.501

167

152

156

182

196

185

286

30

33

37

44

53

37

42

370 Vgl. Onwuteaka-Philipsen et al. (2007) in abgewandelter Form. Prozentzahl bezogen auf die Gesamtsterberate. 371 Vgl. van der Maas et al. (2004). 372 Vgl. http://www.euthanasiecommissie.nl/overdetoetsingscommissies/jaarverslag. 373 Vgl. Deutsche ÄrzteZeitung (2015). Fünf Prozent müssten dann Fälle des assistierten Suizids gewesen sein.

99

5 Sterbehilfe Summe aller Tötungen Anstieg in Prozent

2.123 -

2.331 +9,8

2.636 +13,1

3.136 +19,0

3.695 +17,8

4.188 +13,3

4.829 +15,3

Tabelle 5: Gemeldete Fälle aktiver Sterbehilfe in den Niederlanden (2007-2013)374

Grund für den Zuwachs nennt die Deutsche Ärztekammer allerdings die Ausweitung der Interpretation der gesetzlichen Vorschrift, indem inzwischen nicht mehr nur lebensbedrohliche Erkrankungen wie Krebs, sondern auch Altersleiden wie Taubheit oder Blindheit als Grund für Sterbehilfe akzeptiert würden. Es wird in diesem Zusammenhang diskutiert, ob nicht auch psychisch Kranke die holländische Euthanasie in Anspruch nehmen dürfen.

Geschätzte Zahlen aktiver Sterbehilfe und assistierten Suizids Gemeldete Fälle aktiver Sterbehilfe und assistierten Suizids Rate gemeldeter Fälle aktiver Sterbehilfe und assist. Suizids

1990 2.700 486 18 %

1995 3.600 1.466 41 %

2001 3.800 2.056 54 %

2005 2.425 1.933 80 %

Tabelle 6: Fälle aktiver Sterbehilfe (und assistierter Suizid) in Holland (1990–2005)375

Eine von Onwuteaka-Philpsen et al. vorgestellte Studie zeigt steigende Zahlen jedoch schon vor (1990-2001) der „Legalisierung“376 der aktiven Sterbehilfe in den Niederlanden, was möglicherweise bedeutet, dass eine Erhöhung der EuthanasieFälle nicht ursächlich durch die „Legalisierung“ der Euthanasie erklärt werden kann. Nach 2001 waren bis zum Jahr 2005 die Zahlen gemeldeter Fälle von aktiver Sterbehilfe allerdings wieder rückläufig (s. Tabelle 6), was eine weitere Studie aus dem Jahr 2012, ebenfalls vorgelegt von Onwuteaka-Philipsen et al., belegt.377 So seien bei weniger als drei Prozent aller Todesfälle im Jahre 2010 aktive Sterbehilfe oder ärztliche Hilfe bei der Selbsttötung die Ursache gewesen. Dies würde den Zahlen vor der „Legalisierung“ im Jahr 2002 entsprechen, und sie widerlegten demnach auch Befürchtungen von Kritikern, dass durch die Legalisierung mehr Patienten gegen ihren Willen getötet würden.378

374 Siehe Regionale Kontrollkommission für Sterbehilfe: file:///C:/Users/Vincent/AppData/ Local/Temp/jaarverslag-2013-regionale-toetsingscommissies-euthanasie.pdf [letzter Zugriff: 12.11.2015]. 375 Quelle: Onwuteaka-Philipsen et al. 2009. 376 Die aktive Sterbehilfe ist in den Niederlanden, wie bereits dargelegt, nicht legalisiert worden, sondern nur unter bestimmten Voraussetzungen straffrei. 377 Online nachzulesen unter: The Lancet 2012; online 11. July [letzter Zugriff: 13.09.2015]. 378 Vgl. Ärzteblatt (2012).

100

5 Sterbehilfe

6.000 5.000 4.000 3.000 2.000 1.000 0 2007

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

Abbildung 5: Gemeldete Fälle aktiver Sterbehilfe (und assistierter Suizid) in Holland (2007–2014)

Betrachtet man die Entwicklung von 1990 bis 2014, so kann eine Erhöhung der Tötungen auf Verlangen tatsächlich festgestellt werden. Das Zustandekommen dieses Trends muss jedoch kritisch betrachtet werden, denn beruhen die gesteigerten Zahlen des medizinisch-assistierten Suizids sowie der aktiven Sterbehilfe auf eine tatsächliche Zunahme dieser Fälle, oder sind die Ärzte durch die „Legalisierung“ bereitwilliger, diese zu melden? Festzuhalten bleibt immerhin, dass kritische Prognosen hinsichtlich eines „Dammbruchs“ als solche nicht bestätigt werden konnten. Weiter ist anzumerken, dass einem Bericht der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zufolge die Zahl der Hospize in den Niederlanden, insbesondere in den vergangenen Jahren, stark zugenommen habe. Zurzeit gebe es in den Niederlanden mehr als 250 Hospiz-Einrichtungen, wobei es sich insgesamt um rund 8000 HospizPlätze handle, deren Kapazität der Bettenzahl sich zwischen drei und zehn bewege. Die Qualität dieser klein gehaltenen Einrichtungen sei ausgezeichnet.379 Diese erfreuliche Entwicklung deutet darauf hin, dass man in den Niederlanden die aktive Sterbehilfe nicht als alleinige Lösung betrachtet, wenn es um den Umgang mit todkranken und sterbenden Menschen geht. Als Fazit darf an dieser Stelle festgehalten werden, dass ein eindeutiger Nachweis, auf welcher Grundlage die gestiegene Zahl der gemeldeten Fälle von aktiver Sterbehilfe beruhen, zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht geklärt werden kann.

Belgien Am 16. Mai 2002 schloss sich Belgien dem holländischen Konzept an, wobei auch hier bestimmte Sorgfaltskriterien zu befolgen sind: 379 Vgl. Lunshof/Visser (2009).

5 Sterbehilfe



– – – – – –

– –

101

Die Krankheit ist unheilbar, weit fortgeschritten und führt zu andauernden körperlichen und seelischen Qualen. Das schließt auch psychische Erkrankungen mit ein.380 Der Sterbewillige muss volljährig sein und seine Entscheidung gemäß eines Informed Consents getroffen und schriftlich festgehalten haben. Arzt und Patient müssen im Vorfeld mehrere beratende Gespräche führen, die in einem bestimmten zeitlichen Abstand zu erfolgen haben. Ein zweiter Arzt muss den Zustand des Patienten begutachten. Steht der Tod nicht unmittelbar bevor, dann ist noch ein dritter Arzt zu konsultieren. Der Patient muss über Alternativen (z.B. Palliativpflege) aufgeklärt worden sein. Angehörige und andere nahe stehende Personen sollen – in Absprache mit dem Patienten – in den Entscheidungsprozess mit einbezogen werden. Der Sterbewunsch kann auch im Vorfeld im Beisein zweier Zeugen in Form einer Patientenverfügung geäußert werden. Diese muss alle fünf Jahre erneuert werden. Solche Vorausverfügungen sollen zukünftig in einem staatlichen Register zentral gesammelt werden. Die Lebensbeendigung muss mit aller medizinischen Sorgfalt durchgeführt werden. Die Fälle aktiver Sterbehilfe sind – im Nachhinein – einer übergeordneten Ethikkommission zu melden.381

Euthanasie in den Niederlanden und Belgien: Ein Vergleich Belgien weist ein ähnliches, noch toleranteres Euthanasie-Konzept als das der Niederlande auf: – – – – –

Belgien regelt nur die Euthanasie (Tötung auf Verlangen), nicht jedoch den medizinisch assistierten Suizid. Das Euthanasie-Gesetz ist nicht im Strafgesetzbuch festgehalten. Eine Patientenverfügung, die auch eine Euthanasie mit einschließt, darf nicht älter als fünf Jahre sein. Ist der Patient nicht mehr in der Lage zu kommunizieren, dürfen auch „Personen des Vertrauens“ die Euthanasie beantragen. Am 13. Februar 2014 hat das belgische Parlament die Möglichkeit der aktiven Sterbehilfe auch für todkranke Kinder und Jugendliche beschlossen.

380 Wann ist eine psychische Erkrankung unheilbar, und wer bestimmt dies? 381 Vgl. Jochemsen (2004), Oduncu (2007) und Woellert/Schmiedebach (2008).

102

5 Sterbehilfe

5.4 ARGUMENTE IN DER STERBEHILFE-DEBATTE Welche Argumente werden in der kontrovers geführten Sterbehilfe-Diskussion herangezogen? Es ist sehr interessant zu beobachten, dass Gegner wie Befürworter der aktiven Sterbehilfe sich gleichermaßen der Begriffe „Würde“, „Autonomie“,382 „Selbstbestimmung“ usw. bedienen, jedoch in polarisierender Form. ZimmermanAcklin unterscheidet in diesem Zusammenhang prinzipielle Argumente von Überlegungen auf der Handlungsebene und diese wiederum von Argumenten auf der Ebene sozialer Prozesse.383 Die häufigsten Argumente hat Zimmerman-Acklin zusammengetragen und werden im Folgenden wiedergegeben: Argumente für aktive Sterbehilfe sowie medizinisch-assistierter Suizid: –

Prinzipien – Die Autonomie und Selbstbestimmung des Patienten. – Lebensqualität; es werde unterschieden zwischen „sinnvollem und sinnlosem Leben“. Das ärztliche Töten sei somit manchmal legitimiert. – Die Menschenwürde im Sinne eines menschenwürdigen Sterbens als einklagbares Recht. – Der Arzt als Dienstleister.



Handlungsebene – Töten und Sterbenlassen seien im moralischen Sinn gleichbedeutend (Äquivalenzthese). – Ebenso sei die Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Sterbehilfe moralisch irrelevant. Die Intentionen hätten nur subjektive Bedeutung.



Ebene sozialer Prozesse – Die Palliativmedizin erreiche nicht alle leidenden Patienten. In diesen Fällen müsse das Mitleidsargument greifen. – Die Privatangelegenheiten jedes einzelnen Patienten dürften nicht durch das Strafrecht eingeschränkt werden. – Durch den Einbau von Sicherheitsbarrieren könne die Sicherheit der Patientenautonomie gewährleistet werden. – Die Patientenverfügung sollte sich auch auf die aktive Sterbehilfe und den medizinisch-assistierten Suizid erstrecken. – Ein möglicher Missbrauch ließe sich einschränken und kontrollieren. – Es werde auf die guten Erfahrungen und die Transparenz in den Niederlanden hingewiesen.

382 Siehe Hoerster (1998) und (1999), der sich wie auch Kamann (2009) für die freie Selbstbestimmung über den eigenen Tod ausspricht. 383 Zimmerman-Acklin (2000), S. 55–57; siehe auch Mettner (2000).

5 Sterbehilfe

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Argumente gegen aktive Sterbehilfe und medizinisch-assistierten Suizid: –

Prinzipien – Kontextualität: Hinweis auf die Grenzen der Autonomie und die Bedeutung des Fürsorge- und des Nichtschadensprinzips. – Das menschliche Leben sei heilig und unantastbar, somit sei das ärztliche Töten nie gerechtfertigt. – Die Wahrung der Menschenwürde im Sterben im Sinne eines Schutzrechts. – Weniger der Patientenauftrag als vielmehr berufseigene Werte seien für den Arzt handlungsweisend.



Handlungsebene – Töten und Sterbenlassen sei moralisch signifikant unterscheidbar (Signifikanzthese). – Auch die Direkt-indirekt-Unterscheidung sei moralisch relevant: Hier sei durchaus die Intention bei der Beurteilung einer Handlung von Bedeutung.



Ebene sozialer Prozesse – Palliativmedizin ersetze vollständig die Notwendigkeit der aktiven Sterbehilfe. – Die aktive Sterbehilfe sei auch eine öffentliche Angelegenheit. – Slippery-Slope-Gefahr. – Eine (unerwünschte) Praxis der nicht-freiwilligen Sterbehilfe ließe sich im ärztlichen Alltag nicht verhindern, auch nicht über Patientenverfügungen. – Missbrauch sei nicht zu verhindern. – Die Entwicklungen in den Niederlanden [und Belgien] seien gefährlich.

Es wird eine sehr stereotyp geprägte Argumentationsweise bezüglich des Für und Wider in der Sterbehilfe-Debatte deutlich;384 ob es einen Konsens zwischen beiden polarisierten Positionen geben wird, muss daher infrage gestellt werden. Der Grund hierfür mag darin gesehen werden, dass diese Debatte zur Sterbehilfe vorwiegend von Menschen geführt werde, die nur wenig oder überhaupt keine persönliche Erfahrung mit Sterbenden besitzen.385 Dieser Einwand ist nicht ganz unbegründet, wenn man sich fragt, ob Menschen anders argumentieren würden, wenn sie persönlich mit Tod und Sterben in Kontakt gekommen wären und es womöglich eine Annäherung beider Extrempositionen geben könnte.

Gibt es auch in Deutschland verdeckte aktive Sterbehilfe? Die Frage, ob auch in Deutschland aktive Sterbehilfe (auf Verlangen) geleistet wird, ist nicht eindeutig zu beantworten, da solche Fälle verständlicherweise nicht gemeldet werden, und auch Untersuchungen hinsichtlich dieser Fragestellung äußerst 384 Vgl. Klie (2002). 385 Vgl. Schmitt-Mannhart (2000).

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dürftig sind.386 Dennoch deutet einiges darauf hin: Beispielsweise versuchte eine – wenn auch schon ältere Erhebung aus dem Jahre 1996 –, von Gruner & Jahr in Auftrag gegebene Studie, eine so genannte „verdeckte Euthanasie“ in Deutschland aufzudecken.387 Hierzu wurden 184 vorwiegend leitende Krankenhaus-Mediziner sowie 282 niedergelassene Ärzte mit dem Ergebnis befragt, dass über 50 % der Ärzte aktive Sterbehilfe zwar ablehnten, jedoch sechs Prozent der Klinikärzte und knapp elf Prozent der niedergelassenen Ärzte derartige Fälle kennen. Jeder dritte befragte Kliniker (32,2 %) und 30,2 % der niedergelassenen Ärzte hielten eine Situation für vorstellbar, in der aktive Sterbehilfe praktiziert werde. Etwa jeder zehnte Vertragsarzt habe schon solche Fälle erlebt. Ein Kliniker und elf Niedergelassene hätten zugegeben, entsprechende Wünsche der Patienten erfüllt zu haben. Hinzukommen würden drei Prozent der befragten Krankenhausärzte und ein Prozent der niedergelassenen Ärzte, die eine Antwort auf die brisante Frage verweigert hätten. Werte man die Weigerung als „Ja-Antwort“, so müsse man zu dem Ergebnis kommen, dass in Deutschland „maximal“ fünf Prozent der Ärzte eine aktive Sterbehilfe praktizieren388 Solche Ergebnisse müssen allerdings mit Vorsicht behandelt werden, da es in der medizinischen Praxis nicht üblich ist, zwischen passiver, indirekter und aktiver Sterbehilfe zu unterscheiden. So herrsche Woellert und Schmiedebach zufolge unter speziell ausgebildeten Medizinern mitunter Unsicherheit, aktive Sterbehilfe von der passiven zu unterscheiden; die Autoren berufen sich auf eine Befragung von in der Palliativmedizin fortgebildeten Ärzten von Weber et al. (2001), welche in der Hälfte der Fälle das Abschalten einer Beatmungsmaschine als aktive Sterbehilfe einschätzte.389 Eine Unsicherheit, zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe zu unterscheiden, stellt auch die oben genannte Studie fest; die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe scheint einem Teil der Ärzte Kopfzerbrechen zu bereiten. Immerhin knapp 39 % der Krankenhausärzte und 24 % der niedergelassenen Kollegen kennen solche „Grenzfälle“. Von den Klinikern hätten die Intensivmediziner am wenigsten Probleme mit dieser Abgrenzung (29,2 %). Dagegen sei es fast die Hälfte der Internisten (44,7 %), die bei der Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe Probleme hätte (Ärzteblatt 1997). Wie groß oder klein die Fallzahlen auch sind, es muss davon ausgegangen werden, dass es auch in Deutschland Fälle von aktiver Sterbehilfe gibt, die im Verborgenen stattfinden.

386 Dies liegt wohl nicht zuletzt daran, dass nur die wenigsten betreffenden Ärzte sich öffentlich dazu bekennen, zumal die aktive Sterbehilfe in Deutschland strafbar ist. 387 Neuere Studien existieren zur Zeit der Drucklegung dieses Buches noch nicht. 388 Vgl. Ärzteblatt (1997). Auch der Autorin der vorliegenden Arbeit äußerte der Leiter einer namhaften Klinik gegenüber, dass er von Fällen aktiver Sterbehilfe in seiner Berufspraxis wisse. Ob diese allerdings wirklich den Tatbeständen aktiver Sterbehilfe und nicht vielmehr denen des medizinisch assistierten Suizids entsprachen, ist unklar. 389 Vgl. Woellert/Schmiedebach (2008).

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5.5 STERBEHILFE ALS GESCHÄFT? Provokativ formuliert, lässt sich „Gesundheit“ auch als Konsum- und Handelsobjekt des Gesundheitssektors und nicht mehr als nach Pflege und Wiederherstellung verlangendes Gut beschreiben, denn wie in jedem wirtschaftlich orientierten System, das nach gewinnmaximierenden und gleichzeitig kostenminimierenden Prinzipien orientiert ist, wird auch in der Gesundheitsbranche nach diesen Konzepten gearbeitet, um möglichst profitabel und rentabel sein zu können. Fuchs sieht die Gefahr eines „Dammbruchs“, der sich daraus ergeben könnte: Das Beispiel der Euthanasie-Programme in den Niederlanden zeige, so der Autor, wohin im Extremfall die Entwicklung auch in Deutschland gehen könnte, wenn einmal der Damm gebrochen sei und wenn der Gesetzgeber den Interessen gesellschaftlicher Kräfte folge, die sich für die Abschaffung, Änderung oder Ergänzung des § 216 StGB einsetzten. Noch sei Tötung mit oder ohne Verlangen in Deutschland gesetzlich bei Strafe verboten. Doch auf dem 56. Deutschen Juristentag 1986 sei ein Alternativentwurf zur Erweiterung des § 216 StGB diskutiert worden.390 Die aktive Sterbehilfe also als (kosten-)günstige Lösung des Gesundheitssystems? Wo teure Pflege und kostspielige Medikamente sinnlos erscheinen, weil sie den ökonomischen Prämissen zuwiderlaufen, könnte aktive Sterbehilfe durchaus attraktiv erscheinen. Das Argument der Befürworter der aktiven Sterbehilfe, jedem Menschen stehe es frei, dann sterben zu dürfen, wenn er es wünsche, mag nachvollziehbar sein. Doch dies als einzige Lösung für eine schwierige Sterbesituation in Betracht zu ziehen, muss sehr infrage gestellt werden. Ist es nicht vielmehr die vorrangige Pflicht und Aufgabe von Politik und damit Kliniken wie auch Krankenkassen, die Sterbesituation zu verbessern, bevor über die Einführung bzw. Legalisierung der aktiven Sterbehilfe nachgedacht wird? Die Legalisierung beziehungsweise – wie es in den Niederlanden heißt – Straffreiheit der aktiven Sterbehilfe in ganz bestimmten Fällen wird die Sterbesituation der Menschen in Deutschland gewiss nicht verbessern, denn das Bemühen um einen humaneren Umgang mit sterbenden und todkranken Menschen sowie um eine adäquate Schmerzbehandlung erhöht – abgesehen von wenigen Fällen – die Lebens- und Sterbezufriedenheit der Patienten. Dies könnte jedoch zugunsten schnellerer und kostengünstigerer Lösungen ins Hintertreffen geraten, was allerdings zuungunsten der Sterbenden geschähe. Singer beispielsweise, wie weiter oben beschrieben, unterscheidet zwischen einem Menschen und einer Person. Fuchs beklagt, dass es zunehmend in vielen Lebensbereichen um Grenzüberschreitungen, Grenzverletzungen, Grenzlosigkeit, Eingrenzungen, Ausgrenzungen, Verwischen von Grenzen gehe, gestützt durch internationale Regelwerke, Wissenschaft und Forschung, Wirtschaft, Ethikkommissionen, durch Gerichtsurteile, Politik und eine weithin säkularisierte, hedonistische Gesellschaft.391 Kann es also in solch einem Klima geschehen, dass die noch vorhandenen Skrupel bezüglich des Schutzes am Lebensende langsam bröckeln? Fuchs 390 Vgl. Fuchs (2001), S. 55. 391 Ebd., S. 244.

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scheint davon überzeugt zu sein, indem er ein allzu düsteres Bild malt: Ihm zufolge seien mehr denn je uneingeschränkte Liebe und grenzenloses Vertrauen im Umgang mit den schwächsten und hilfsbedürftigen Mitgliedern unserer Gesellschaft gefordert. Zuwendung, Zeit und Beistand für Sterbende anstatt Entfremdung und Verdrängung. Aufgabe von Angehörigen, Ärzten und Pflegern sei es, den Respekt vor der Würde des menschlichen Lebens zu nutzen, menschliches Leben zu erhalten und sich ungeachtet des Zeitgeistes hierfür einzusetzen. Verließen wir die Position, Helfer beim Sterben zu sein, und überschritten Medizin, Politik und Gesellschaft die Grenzen, indem wir Helfer zum Sterben würden, so würden wir zu gefährlichen Menschen des Staatswesens. Der Autor sieht Parallelen zur Eugenik und letztlich zur Euthanasie des „Dritten Reiches“, indem er behauptet: „Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass es immer eine Clique der akademischen Elite aus Philosophie, Theologie, Biologie, Medizin, Jurisprudenz war, die unheilvolle Entwicklungen herbeiredete. Das war vor mehr als hundert Jahren so und ist es heute wieder“.392

Ist die Sterbehilfe also ein Geschäft? Die jüngste Geschichte scheint dies zu belegen: Das Geschäft mit dem Tod wird offenbar von gewissen Interessensgruppen geführt, deren Motive mehr monetärer als humaner Natur zu sein scheinen: Seit geraumer Zeit beginnen Vereine wie Dignitas oder gar Privatpersonen wie etwa der frühere Hamburger Justizsenator Roger Kusch auf den „Sterbe-Markt“ zu drängen, indem sie gegen ein nicht geringes Entgelt von etwa 6.000 € bis 8.000 € sterbewilligen Menschen ein entsprechendes Mittel zur Verfügung stellen, damit diese sich suizidieren können. Dass solch eine Entwicklung keine neue ist, beweisen die zweifelhaften Praktiken der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) in den frühen 90er Jahren des letzten Jahrhunderts; diese realisierte ihre damalige Vorstellung393 von einem humanen Sterben dahingehend, dass sie gegen Entgelt sterbewilligen Menschen Zyankali zur Verfügung stellte und so Beihilfe zum Suizid gewissermaßen als gut bezahlte Dienstleistung gab.394 Gierth bemängelt hier, dass die Angst vieler Deutscher vor einem unwürdigen letzten Lebensabschnitt unter der Bevölkerung zwar weit verbreitet, die Furcht vor einem liberalen Umgang bis hin zu einem Missbrauch der Sterbehilfe hingegen nur sehr gering sei.395

392 393 394 395

Ebd. Heute nimmt die DGHS offiziell Abstand von ihren früheren Praktiken. Siehe Fußnote 2. Vgl. Gierth (2008), S. 11.

6 AUTONOMIE UND WÜRDE IM STERBEPROZESS Die Rufe der Menschen nach einem würdevollen Lebensende lassen Zweifel aufkommen, ob der so genannte Siegeszug der Medizin über Leben und Tod tatsächlich erfolgt ist. Ein vollständiger (besser noch: zufriedenstellender) Siegeszug würde bedeuten, dass er aus mehr als nur einer hochtechnisierten Gerätemedizin besteht, in der vieles machbar geworden ist, was vor noch 50 Jahren undenkbar war. Er müsste ebenso auch in einer liebevollen Begleitung, ausreichenden Schmerzbehandlung und Einbindung der Angehörigen bestehen. Die Technisierung und Ökonomisierung der Medizin gehen bedauerlicherweise mit einer immer weiter fortschreitenden Technisierung und Ökonomisierung des Lebens und somit des Sterbens einher,396 die manchmal gerade das, was Sterbende besonders benötigen, nämlich liebevoll begleitet zu werden, in den Hintergrund treten lässt. So beschwören die so genannten Errungenschaften der Medizin Entscheidungsnotwendigkeiten herauf, die das Lebensende betreffen.397 Dies erzeugt Angst. Diese Angst, einer massiven und überwältigenden Intensivmedizin ausgeliefert zu sein, erhöht bei vielen Menschen den Wunsch, autonom und frei über ihr Lebensende zu bestimmen.398 Im Folgenden soll daher den Fragen der Patientenautonomie und auch der Würde des Menschen im Sterben Rechnung getragen werden, da beide unzertrennlich miteinander verbunden sind und sie darüber hinaus zentrale Argumentationspunkte in der Sterbehilfe-Debatte darstellen.

6.1 AUTONOMIE IM STERBEN Aufgrund der höheren Lebenserwartung der Menschen und der Möglichkeiten der modernen Medizin sind Entscheidungsnotwendigkeiten entstanden, die noch vor etwa 60 Jahren nahezu undenkbar gewesen wären.399 Diese Entscheidungsnotwendigkeiten beziehen sich im zunehmenden Maße auf das Lebensende, so dass folgende Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes immer öfter als Argument im Sterbehilfediskurs herangezogen werden. Dort heißt es: (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

396 397 398 399

Vgl. Baumann-Hölzle/Arn (2005). Vgl. Klie (2002). Vgl. Steiner-König (2000) und Oduncu (2007). Vgl. Klie (2002).

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6 Autonomie und Würde im Sterbeprozess (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich.

Die Selbstbestimmung des Lebens beinhaltet zwar die Selbstbestimmung des Sterbens, sie darf sich aber nicht – anders als in den Niederlanden und Belgien – auch auf die Bitte nach aktiver Sterbehilfe erstrecken, da einerseits die aktive Sterbehilfe verboten ist und andererseits eine gezielte Tötung auf Verlangen der ärztlichen Pflicht zu heilen, zu lindern und beizustehen, zuwiderlaufen würde.400 Die Patientenautonomie beinhaltet ansonsten alle vom Patienten gewünschten Mittel und Maßnahmen, die sein Sterben erleichtern sollen. Hierzu zählen die passive und indirekte Sterbehilfe ebenso wie alle palliativen Maßnahmen.

6.2 DIE PATIENTENVERFÜGUNG Der Gesetzgeber hat sterbenden Menschen die Möglichkeit gegeben, ihre Würde auch im Sterben aufrechtzuerhalten, welche durch die Patientenverfügung realisiert werden kann. So definiert § 1901a Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) die Patientenverfügung folgendermaßen: a) Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung), prüft der Betreuer, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden. b) Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, hat der Betreuer die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 einwilligt oder sie untersagt. Der mutmaßliche Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten. c) Die Absätze 1 und 2 gelten unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung des Betreuten. d) Niemand kann zur Errichtung einer Patientenverfügung verpflichtet werden. Die Errichtung oder Vorlage einer Patientenverfügung darf nicht zur Bedingung eines Vertragsschlusses gemacht werden. e) Die Absätze 1 bis 3 gelten für Bevollmächtigte entsprechend. 400 Vgl. Schmitt-Mannhart (2000).

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Die Patientenverfügung ist demnach eine schriftliche Vorausverfügung des Patienten, die Ärzten medizinische Entscheidungen bezüglich des Patienten dann erleichtern soll, wenn der Patient selbst nicht mehr in der Lage dazu ist, sich zu äußern. Sie wird vom Patienten entweder vor oder bei einer bereits bestehenden Erkrankung und im Vollbesitz der geistigen Fähigkeiten verfasst; in ihr werden Handlungsanweisungen für den behandelnden Arzt festgehalten. Die Patientenverfügung ist für den Arzt rechtlich bindend, auch wenn der Wille des Patienten möglicherweise nicht den Vorstellungen des Arztes entspricht.401 Neben der Wahrung und Durchsetzung der Patientenautonomie kann die Patientenverfügung auch für den Arzt von großem Vorteil sein; insbesondere im Falle eines Komas können dem Arzt so Handlungsanweisungen gegeben werden, wie er in diesem Fall zu verfahren hat. Dies hat den Vorzug, dass dem Arzt die Last schwieriger Entscheidungen abgenommen wird – vor allem in Situationen, in denen der Patient sich selber nicht mehr äußern kann. Die formalen Kriterien der Patientenverfügung nach Putz und Roller sind: – – – – – – –

– –

Schriftliche oder mündliche Erklärung zu medizinischen Maßnahmen. Freie Formulierung oder in Form eines Formulars mit Lückentext oder Optionen zum Ankreuzen. Bei der Schriftform stets mit Datum und handschriftlicher Unterschrift. Eine Zeugenunterschrift ist zwar nicht erforderlich, aber im Zweifelsfall hilfreich. Die PV sollte regelmäßig durch eine Unterschrift bestätigt werden, damit sie in der Praxis nicht an Aktualität und damit Verbindlichkeit verliert. Sie ist jederzeit widerrufbar. Sie darf keine Aufforderung zur Tötung (auf Verlangen) enthalten. Auch der Wille des unaufgeklärten Patienten hinsichtlich eines Behandlungsverbots ist vom Arzt grundsätzlich zu beachten. Teilweise werden PV kombiniert mit Aussagen über Organspende, Obduktionen und Bestattung. Die Nichtbeachtung einer Patientenverfügung durch den Arzt stellt gesetzlich den Tatbestand der Körperverletzung nach § 223 StGB dar.402

Das frühzeitige Verfassen einer Patientenverfügung ist sicherlich sinnvoll, wenn ein Patient sich später in einer Situation befindet, in der er selbst nicht mehr in der Lage ist, die Erfüllung seiner Bedürfnisse und Wünsche durchzusetzen. Es gibt jedoch auch Probleme, die sich hierbei ergeben können. Beispielsweise falle es Woellert und Schmiedebach zufolge vielen Menschen schwer, die eigenen Behandlungsund Betreuungswünsche solcherart zu formulieren, dass diese im Ernstfall auch von Dritten ohne Rückfragen verstanden würden und juristisch Bestand hätten.403 Insbesondere im medizinischen Notfall sei es entscheidend, dass Ärzte oder Betreuer 401 Vgl. Putz/Roller (2007). 402 Ebd. 403 Vgl. Woellert/Schmiedebach (2008).

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in der Lage sind, aus der schriftlichen Erklärung möglichst eindeutig abzulesen, „was der Betreffende für sich gewollt hat und wie er entscheiden würde, wenn er dies noch selbst könnte“.404 Aufgrund einer fehlenden normativen und standardisierten Form der Patientenverfügung existieren zahlreiche Patientenverfügungs-Vorlagen,405 die alle eine bindende Wirkung für sich in Anspruch nehmen, welche aber hinsichtlich ihrer Formulierungen oft mangelnde Präzision aufweisen, die großen Raum für Interpretationen lassen und dem Bundesministerium der Justiz zufolge auch wenig hilfreich seien. Formulierungen wie etwa: „solange eine realistische Aussicht auf Erhaltung eines erträglichen Lebens besteht, erwarte ich ärztlichen und pflegerischen Beistand unter Ausschöpfung der angemessenen Möglichkeiten“ oder Begriffe wie „unwürdiges Dahinvegetieren“, „qualvolles Leiden“, „Apparatemedizin“406 schaffen eher Verwirrung als Klarheit: Was stellen angemessene Möglichkeiten für den Patienten konkret dar? Wann und in welcher Weise ist ein Leben noch erträglich? Was bedeutet ein unwürdiges „Dahinvegetieren“ für den Patienten, insbesondere dann, wenn er sich selber dazu nicht mehr äußern kann? Gerade solche vagen Wendungen schüfen Woellert und Schmiedebach gemäß eine große Unsicherheit, denn die unbestimmte Verwendung solcher Begriffe verlange einen gesellschaftlichen Konsens über das richtige Maß lebensverlängernder Behandlung.407 Formulierungsprobleme sollten infolgedessen im Vorfeld eindeutig und hinreichend gelöst sein, damit eine Patientenverfügung in einer Situation, in der der Wille des Patienten zu eruieren ist, nicht interpretationsoffen bleibt. Neben der Formulierungsproblematik besteht auch ein gewisses Risiko für die durch das Selbstbestimmungsrecht resultierende Selbstverantwortung: Denn wer eine Patientenverfügung verfassen möchte, dem solle dem Bundesministerium der Justiz zufolge bewusst sein, dass vor der Niederlegung eigener Behandlungswünsche ein Prozess der persönlichen Auseinandersetzung mit Fragen stehe, die sich im Zusammenhang mit Krankheit, Leiden und Tod stellten. Diese Auseinandersetzung sei notwendig, um sich bewusst zu werden, dass eine Patientenverfügung als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts auch die Selbstverantwortung für die Folgen bei Umsetzung der Patientenverfügung umfasse.408 Insbesondere die Patientenverfügungen, die Patienten im gesunden Zustand verfasst haben, bergen die Gefahr in sich, eine Handlungsanweisung an den Arzt auszuschreiben, der der nun Kranke u. U. möglicherweise nicht mehr zustimmen würde. Hat der Patient im gesunden Zustand bei der Formulierung seiner Patientenverfügung alle Facetten mit auch allen Konsequenzen bedacht? Woellert und Schmiedebach zufolge bürgen Patientenverfügungen durch die Tragweite ihres Inhaltes die Gefahr, vor allem den entscheidungsfähigen,

404 Vgl. Eickhoff (2014) und Bundesministerium der Justiz (2015). 405 Die Bezeichnungen der Patientenverfügung sind vielfältiger Art: Patientenanwaltschaft, Patientenbrief, Vorausverfügung, Patientenvereinbarung, Voraberklärung und viele mehr; vgl. Bundesministerium der Justiz (2008) und Woellert/Schmiedebach (2008). 406 Bundesministerium der Justiz (2015), S. 18. 407 Vgl. Woellert/Schmiedebach (2008), S. 63. 408 Vgl. Bundesministerium der Justiz (2014), S. 10.

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gesunden und möglicherweise noch recht jungen Menschen zu überfordern.409 Patientenverfügungen erforderten gemäß des Bundesministeriums der Justiz auch die Bereitschaft, das Risiko zu tragen, entweder durch einen Behandlungsverzicht unter Umständen auf ein Weiterleben zu verzichten oder für eine Chance, weiter zu leben, auch Abhängigkeit und Fremdbestimmung in Kauf zu nehmen.410 Woellert und Schmiedebach weisen noch auf eine weitere Problematik hin: Standardisierte Vordrucke mit klaren Aussagen, die Interpretationen kaum zuließen, mögen formaljuristischen Ansprüchen genügen, ohne aber sicherzustellen, dass auch das Verständnis der Patienten entsprechend konkret sei und die Entscheidung damit auch den Anforderungen an eine gültige Einwilligung im Sinne des Informed Consent entspreche. Sie seien also nicht unbedingt eine Antwort auf das Umsetzungsproblem von Patientenverfügungen. Die Autoren weisen in diesem Zusammenhang auf die tendenzielle Gefahr einer „verschleierten Fremdbestimmung“411 hin. Folgende unterschiedlichen Zustände, in denen sich ein Patient befinden kann, sind möglich und werden im Folgenden skizzenhaft dargestellt:

Einwilligungsfähigkeit

A: vorhanden

B: nicht vorhanden

C: ehemals vorhanden

E: Patientenverfügung

D: eingeschränkt vorhanden

F: keine Patientenverfügung

Abbildung 6: Einwilligungsfähigkeit in medizinische Maßnahmen412

Wie verbindlich sind Patientenverfügungen? Die Patientenverfügung ist im September 2009 durch den Bundestag hinsichtlich ihrer Verbindlichkeit legitimiert worden und wird nun durch die Paragraphen 1896,

409 410 411 412

Vgl. Woellert/Schmiedebach (2008), S. 61. Vgl. Bundesministeriums der Justiz (2014). Ebd. S. 63. Woellert/Schmiedebach (2008), S. 49.

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1901, 1904 des BGB geregelt.413 Demnach sind auch diejenigen Anordnungen verbindlich geworden, die nicht nur tödliche Krankheiten betreffen, sondern sich auf jedwede Art von Behandlungen beziehen. Wenn keine Patientenverfügung vorliegt, kann ein Bevollmächtigter anstelle des Patienten unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens des Kranken entscheiden, ob eine ärztliche Behandlung erfolgen oder unterlassen werden soll. Es stellt sich daher nicht mehr die Frage, ob eine Patientenverfügung (bei Einhaltung aller Kriterien) unter allen Umständen befolgt werden müsse. Nicht nur Formulierungsschwächen (zu „schwammige“ Forderungen etc.) bergen Gefahren: Bondolfi stellt den Sinn einer absoluten Verbindlichkeit infrage, indem er eine „mittlere Linie“ in der Einschätzung der Verbindlichkeit solcher Dokumente fordert, da seiner Auffassung gemäß die Diskussion hinsichtlich der Verbindlichkeit extreme und polarisierte Standpunkte aufweise.414 Zuerst habe man dezidiert die mangelnde Verbindlichkeit dieser Dokumente vertreten, indem man die Diskontinuität des menschlichen Willens in der biographischen Zeit stets betonte. Später sei hingegen die Verbindlichkeit dieser Äußerungen verteidigt und sogar die Meinung vertreten worden, dass das Fehlen eines expliziten Widerrufes als eine klare Bestätigung des in der Patientenverfügung bekundeten Willens zu interpretieren sei. Da beide Fragen im Grunde kaum beantwortbar seien, solle man Patientenverfügungen also weder bagatellisieren noch als „Befehl“ auslegen, sondern eben „berücksichtigen“; das hieße, sie in ihrer begrenzten Verbindlichkeit einzuschätzen und auszulegen.415 Bondolfis Forderung, einen mittleren Weg bezüglich der Befolgung einer Patientenverfügung einzuschlagen, ist nicht unvernünftig, denn auch Klie konstatiert eine polarisierte Betrachtungsweise hinsichtlich der Handhabung der PV. Ihm zufolge seien lange Zeit Patientenverfügungen übersehen oder als unverbindlich gewertet worden bzw. es würde unterstellt, der aktuelle Wille sei auf Lebenserhalt gerichtet. Heute aber werde das Gegenteil berichtet: Manche Ärzte nehmen den Patienten mit seiner Patientenverfügung ohne weitere intensive Prüfung beim Wort.416 Mit Inkrafttreten des Gesetzes im Jahre 2009 muss die Patientenverfügung befolgt werden, was bedeutet, dass sie auch dann gilt, wenn der Patient – falls er es noch könnte – eine Lebensverkürzung vielleicht nicht mehr wünscht. Alles in allem weist die Patientenverfügung zwei Seiten derselben Medaille auf: Ungeschickte Formulierungen und/oder Interpretationsprobleme erschweren einerseits die Autonomie des Patienten in der letzten Phase seines Lebens, andererseits aber könnte eine unkritische Befolgung durch den Arzt dem Patienten zu einem „Recht“ verhelfen, das er so eigentlich nicht gewollt hätte. Damit das Risiko solcher Problematiken so gering wie möglich gehalten werden kann, bietet das Bundesministerium der Justiz hilfreiche Formulierungshilfen an.

413 414 415 416

Vgl. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2014). Vgl. Bondolfi (2000), S. 25. Ebd. Vgl. Klie (2002), S. 245.

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Probleme bei fehlender Einwilligungsfähigkeit Im Folgenden soll auf das Fehlen der Einwilligungsfähigkeit des Patienten eingegangen werden. Was geschieht, wenn im Falle eines Komas oder Ähnlichem nicht auf den im Voraus festgelegten Willen des Patienten zurückgegriffen werden kann? Marckmann stellt für solche Fälle folgendes mehrstufiges Vorgehen der Ärzte, gestützt durch das im Jahr 2009 in Kraft getretene Patientenverfügungsgesetz, vor: Ist der Patient einwilligungsfähig? ja

nein

Patient entscheidet nach Aufklärung

Patientenverfügung

Existiert eine Patientenverfügung?

Vorsorgevollmacht ja Nach erklärtem Patientenwillen entscheiden

ja Nach BGB §1901a (2) entscheidet mutmaßlicher Wille. Herangezogen werden frühere ethische oder religiöse Überzeugungen, persönliche Wertvorstellungen, Ermittlungen im Gespräch (§1901b). Nur im Konfliktfall wird das Betreuungsgericht in Anspruch genommen.

nein Sind die Präferenzen bekannt?

im Zweifel Nach objektivem Wohl des Patienten entscheiden. • Sorgfältiges Abwägen von Nutzen und Risiken. • Die Prognose der Irreversibilität muss gegeben sein. • Mehrere Personen müssen am Entscheidungsprozess beteiligt sein. • Konsens im Team/mit Angehörigen anstreben. • Evtl. klinisches Ethikkomitee heranziehen.

Abbildung 7: Mehrstufiges Vorgehen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit417

Nach Marckmann sind die Kriterien für Lebensqualität Wahrnehmungsfähigkeit, Interaktions- bzw. Kommunikationsfähigkeit, positives Selbstverhältnis sowie das Fehlen von Schmerz und Leid. „Wenn der mutmaßliche Wille der Patienten vollkommen fehlt, kann sich die Entscheidung nur an allgemeinen Wertvorstellungen, d.h. am ‚objektivenʻ Wohl des Patienten orientieren“,418

konstatiert der Autor. So solle dann auf der Grundlage einer sorgfältigen Abschätzung von Nutzen und Risiken für den Patienten abgewogen werden, ob durch die 417 Modifiziert nach Marckmann (2013). 418 Ebd.

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Fortsetzung der lebensverlängernden Maßnahmen die Interessen des Betroffenen gefördert werden, was häufig eine Beurteilung der Lebensqualität der Patienten erfordere. Die Frage aber sei, ob es in unserer heutigen Zeit noch „allgemeine Wertvorstellungen“ gebe. Marckmann sieht das Dilemma vor allem in Grenzfällen solch einer Beurteilung, da man in der heutigen pluralistischen Gesellschaft nicht mehr ohne weiteres auf einen allgemein verbindlichen Wertekonsens zurückgreifen könne.419 Die Diskussionen darüber, ob Lebenserhalt oder nicht, die mitunter heftige Ausmaße erreichen, sind Ausdruck dieser pluralistischen Wertvorstellungen.420

Die Vorsorgevollmacht Eine Ergänzung und „Variante“ der Patientenverfügung stellt die Vorsorgevollmacht dar. Sie ist eine „in einer Notfallsituation sofort wirkende Vollmacht, die sich auch auf persönliche Angelegenheiten und somit auf gesundheitliche Entscheidungen bezieht“.421 „Mit [ihr] kann der Patient für den Fall, dass er nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen zu äußern, eine oder mehrere Personen bevollmächtigen, Entscheidungen mit bindender Wirkung für ihn, u.a. in seinen Gesundheitsangelegenheiten, zu treffen“ (§ 1904 Abs. 2 BGB).422

Die Vorsorgevollmacht muss in schriftlicher Form vorliegen und auch die von ihr umfassten ärztlichen Maßnahmen benennen (§ 1904 Abs. 2 BGB). Sie empfiehlt sich aber nur dann, wenn neben Gesundheitsangelegenheiten auch vermögensrechtliche Entscheidungen getroffen werden sollen.423

Die Betreuungsverfügung Woellert und Schmiedebach zufolge ist die Betreuungsverfügung die für das Vormundschaftsgericht bestimmte verbindliche Benennung einer dritten Person, die beim Eintritt der Betreuungsbedürftigkeit im Falle physischer oder psychischer Erkrankung sowie geistiger oder seelischer Behinderung vom Betreuungsgericht als Betreuer zu bestellen sei (§§ 1896, 1897, 1901a BGB). Es herrsche allerdings Uneinigkeit darüber, ob das auch für Maßnahmen der Sterbehilfe gelte.424 Klie konstatiert in diesem Zusammenhang, dass das deutsche Recht grundsätzlich keine Vertretung in höchstpersönlichen Angelegenheiten kenne, wenngleich das Betreu-

419 420 421 422 423 424

Ebd., (2004), S. 39. Vgl. Frewer et al. (2009). Woellert/Schmiedebach (2008), S. 54. Ebd. Vgl. Fuchs (2001). Woellert/Schmiedebach (2008), S. 55.

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ungsrecht ohne Klärung der dogmatischen Problematik die Vertretung in Heilbehandlungsfragen auch in Fragen der Freiheitsentziehung vorsehe.425 Ferner heißt es bei ihm: „Gegen die Möglichkeit, eine Vertretung auch in Fragen des Behandlungsabbruchs zuzulassen, wird eingewandt, dass das deutsche Recht keine explizite Regelung kennt, auch durch Rechtsfortbildung, etwa eine analoge Anwendung des § 1904 BGB, eine Entscheidung nicht möglich ist, weil der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet hat, für diesen Fall eine Regelung zu treffen“.426

Gerade wenn es um Fragen des Behandlungsabbruchs427 geht und von Seiten des Patienten keine Patientenverfügung vorliegt, wird eine Entscheidung problematisch; denn wenn der mutmaßliche Wille des Patienten nicht erkundbar ist, sei somit die Feststellung des Willens durch Kriterien, die den allgemeinen Wertvorstellungen entsprächen, vorzunehmen.428 Ob diese Wertvorstellungen denn aber auch dem mutmaßlichen Willen des Patienten entsprechen, weiß im Grunde niemand.

6.3 WÜRDE IM STERBEN In der Sterbehilfe-Debatte wird oft die Forderung nach dem „Recht auf den eigenen Tod“ und einem „Sterben in Würde“ geäußert, wobei insbesondere die Befürworter der aktiven Sterbehilfe das Recht auf einen würdigen Tod fordern. Worauf gründet sich das Bedürfnis nach einem würdevollen Sterben? Baumann-Hölzle und Arn glauben, dass dieses Bedürfnis hauptsächlich mit der Angst der Menschen vor einem langen Leiden durch die Medizin zusammenhängt. So würden die Errungenschaften der Medizin mit ihren neuen, früher ungeahnten Möglichkeiten der Lebensverlängerung und Lebenserhaltung heute durchaus ambivalent erfahren werden. Die Angst, die Medizin könne ein nicht mehr heilbares Leiden unerwünscht lange verlängern und dadurch einem guten Sterben zur rechten Zeit im Wege stehen, sei weit verbreitet. Dadurch seien der Ruf nach einem „Recht auf den eigenen Tod“ und das Postulat eines „Sterbens in Würde“ entstanden.429 Was aber stellen sich die Menschen unter einem „Sterben in Würde“ vor? Die Autoren geben darüber Auskunft. Ihnen zufolge bedeutet ein „Sterben in Würde ein relativ rasches Sterben, ohne große Schmerzen, ohne eine längere Phase totaler Pflegeabhängigkeit, ohne Verlust der Fähigkeit zur Selbstbestimmung und ohne eine durch Demenz verursachte Verwirrung des Bewusstseins in einer adäquaten, für sie stimmigen Umgebung“.430

425 Vgl. Klie (2002), S. 248. 426 Ebd. 427 Siehe Fußnote 132. 428 Ebd., S. 250. 429 Vgl. Baumann-Hölzle/Arn (2005), S. 6. 430 Ebd.

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Auffallend ist hier, dass streng genommen nicht ein Sterben in Würde gefordert wird, sondern vielmehr Situationen, die ein Sterben in Würde erleichtern. Konstellationen, die ein Sterben in Würde fördern, werden als „menschenwürdig“, ungünstige, die ein Sterben in Würde erschweren, als „menschenunwürdig“ bezeichnet, so dass die Formulierung „Sterben in Würde“ ergänzt werden müsste durch den Zusatz „Sterben unter menschenwürdigen Bedingungen“. Eine menschenunwürdige Situation kann demnach nicht gleichgesetzt werden mit dem Verlust der Würde; „menschenunwürdig“ bedeutet eine dem Menschen nicht angemessene (= unwürdige) Situation, in der die Achtung und der Respekt vor dem (sterbenden) Menschen verloren gegangen (oder gar nicht erst entstanden) sind. Aufgrund dieser Überlegungen muss notwendigerweise der Würde-Begriff einer näheren Betrachtung unterzogen werden.

Würde: Ein Mysterium? Zunächst wird konstatiert, dass der Begriff „Würde“ ganz unterschiedlich diskutiert wird – je nachdem, was er ausdrücken soll. Immanuel Kant (1724-1804) beispielsweise ist der Ansicht, dass der Mensch als Zweck an sich und nicht als Mittel zum Zweck existiere. Daraus folgert er einen, dem Menschen innewohnenden Wert, den er mit Würde gleichsetzt.431 Diese Haltung spiegelt sich auch im Deutschen Grundgesetz wider, wo es heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“.432 Grundlage dieses Artikels bildet auch die christliche Vorstellung, „dass jedes, auch das schwerstversehrte Menschenleben, von Gott geschaffen, in Jesus Christus geliebt und für wert geachtet ist“.433 Insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg hat der Würdebegriff einen wichtigen Stellenwert nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, erfahren. So schützt Stoecker und Neuhäuser zufolge die UN-Charta die Würde der menschlichen Persönlichkeit die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte die menschliche Person und – wie oben bereits erwähnt – das Grundgesetz den Menschen.434 Während der Würdebegriff von Kant aus moralphilosophischer Perspektive diskutiert wird, hat er durch den staatlichen Schutz eine Erweiterung zum Rechtsbegriff erfahren. Lohmann macht in diesem Zusammenhang deutlich: „Freilich heißt es nicht, dass die Urteile, normativen Behauptungen und die Trägerschaft von Rechten, die mit ihm begrifflich verknüpft sind, nicht moralisch begründet werden müssen“.435

Der diskutierte Würdebegriff von Kant liefert Winslade einen weiteren Aspekt: Er ist der Ansicht, dass Menschen durchaus ihre Würde vergrößern bzw. verkleinern können. Solche Menschen, die ihr Leistungsvermögen in positiven menschlichen Fähigkeiten (wie z.B. Vernunft, Liebe, moralisch verantwortliches Handeln und 431 432 433 434 435

Vgl. Kant (1785). Grundgesetz, Art. 1, Abs. 1. Eibach (1983), S. 81. Vgl. Stoecker/Neuhäuser (2013), S. 56. Lohmann (2013), S. 81.

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freier Wille) verwirklichten, hätten seiner Meinung nach eine höhere Würde als Menschen, die negative menschliche Fähigkeiten (wie z.B. Irrationalität, Gleichgültigkeit, Ausbeutung oder Misshandlung anderer Menschen) aufweisen.436 Der Autor räumt zwar ein, dass sich seine Ansichten von den bekannten theologischen oder politischen Ansichten unterscheiden, dennoch denkt er, dass „Menschen ihre Würde nur dadurch gewinnen und aufrecht erhalten, dass sie diejenigen Fähigkeiten, die einen intrinsischen Wert haben, verwirklichen“.437 Im Sterbehilfe-Kontext hat der Begriff Woellert und Schmiedebach zufolge drei Bedeutungen: Sie bezeichne ein Wesensmerkmal des Menschen. Hier komme der Menschenwürde ein Absolutheitsanspruch zu.438 Die zweite Bedeutung des Würdebegriffs liegt in der sittlichen Qualität einer Handlung. Demnach könne ein Handeln würdevoll oder auch würdelos sein.439 Der dritte Aspekt sei insbesondere im Zusammenhang mit den ethischen Fragen am Lebensende von Bedeutung. Aufgrund der besonderen Situation schwer erkrankter Menschen, die sich von ihren bisherigen Lebensumständen deutlich unterschieden, befänden sich diese in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Pflegenden. Dadurch könnten Zustände entstehen, die von den Betroffenen als entwürdigend wahrgenommen werden.440 Doch die Autoren sind der Auffassung, dass es auch nach dieser Differenzierung weiterhin unklar sei, was Würde in einer konkreten Situation genau ausmache.441 „Schwerkranke werden möglicherweise anders urteilen als gesunde und mitten im Leben stehende Menschen; die Ängste Gesunder sind andere als die Ängste Kranker“.442 Winslade spricht in diesem Zusammenhang vom Bewahren der persönlichen Würde, wenn es darum geht, den Zeitpunkt und Ort des eigenen Todes bestimmen zu können. „Auch wenn nur eine kleine Prozentzahl von sterbenden Menschen sich für diese Möglichkeit entscheidet, so zeigt dies doch einen Weg auf, wie man in Todesnähe einen weiteren Verlust seiner Würde verhindert kann“.443

Folgende Tabelle zeigt, welche Faktoren das Würdeempfinden schwerkranker Menschen beeinträchtigen können:

436 437 438 439 440 441 442 443

Vgl. Winslade (2013), S. 655. Ebd. Vgl. Woellert/Schmiedebach (2008), S. 41. Ebd. Ebd., S. 42 Ebd. Böke (2007), zitiert nach Woellert/Schmiedebach (2008), S. 42. Winslade (2013), S. 693.

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6 Autonomie und Würde im Sterbeprozess

Einschränkungen und Belastungen, hervorgerufen durch die Erkrankung selbst: Symptombeschwerden; Verlust kognitiver Fähigkeiten; Einschränkung der Unabhängigkeit

Perspektiven der Betroffenen: Einstellungen zu den krankheitsbedingten Einschränkungen; Verhaltensstrategie, um der neuen Situation zu begegnen

Positionen der sozialen Umgebung:

Verletzung individueller Grenzen im Rahmen von Pflege und Behandlung; Unterstützung oder fehlende Unterstützung; Belastung für andere; Sorge um Angehörige

Tabelle 7: Faktoren, die das Würdeempfinden schwerkranker Menschen beinträchtigen können444

Allen drei Bedeutungen des Würdebegriffs liegt eine dem Menschen innewohnende Würde zugrunde, die ihm nicht genommen werden kann. Anders als die von Woellert und Schmiedebach vorgestellten drei Aspekte des Würdebegriffs glaubt Ratschow, dass eine von außen verliehene Würde aufgrund einer menschenwürdigen Pflege am Lebensende ebenso entzogen werden könne.445 Doch wenn die Würde des Menschen unabhängig von der Situation, in der er sich befindet, dem Menschen inhärent ist, so kann sie ihm weder verliehen noch entzogen werden. Ähnlicher Auffassung ist auch Rest, indem er sagt, dass die Würde des Menschen und also auch seines Todes weder durch einen Leihvorgang („verliehene Würde“ – z.B. Ehrendoktor) noch durch einen Bewertungsvorgang („gewertete Würde“ – z.B. Lebens-Unwert des „Enthirnungs-Zustands“) konstitutioniert werde, sondern durch Unantastbarkeit, also Unteilbarkeit, Letztbegründetheit. Die Unantastbarkeit der Würde erfolgt durch den sich selbst anerkennenden Menschen („Identität“) und den diesen Menschen anerkennenden Gott. Der Versuch, mithilfe einer medizinisch-biologischen Definition diese Anerkennungen zu okkupieren, sei „wissenschaftlicher Imperialismus“.446 Letzteres beschreibt am treffendsten den Würde-Begriff; die dem Menschen innewohnende Würde ist eine innere Geisteshaltung – ähnlich wie weiter oben Winslade vorschlägt –, welche sich in allen Lebenslagen und somit auch im Sterben ausdrückt.447 Folglich ist es hier die innere Einstellung des Menschen, ob er einen würdevollen oder würdelosen Tod stirbt, und nicht die Situation, in der er sich befindet. Wie verhält es sich mit ungeborenem Leben bzw. mit einem Säugling, der noch nicht in der Lage ist, sich (verbal) zu artikulieren oder gar eine Einstellung zu sich und dem Leben zu haben? Besitzt auch er Würde? Habermas vertritt eine Auffassung, die diesen scheinbaren Widerspruch auflöst. Er geht von einer Menschenwürde aus, die zwar erst mit der Geburt des Menschen entsteht, da er durch sie zu 444 445 446 447

Modifiziert nach Mehnert/Chochinov (2005). Vgl. Ratschow (1992), S. 31; siehe auch Bielefeld (2008) und (2011). Vgl. Rest (2001), S. 109. Vgl. Schockenhoff (1991), Müller (1997) und Gerhardt (2004).

6 Autonomie und Würde im Sterbeprozess

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einer „Rechtsperson“ geworden ist, indem er mit der Umwelt und den Menschen in Kontakt gerät. „Doch auch das Ungeborene ist schützenswert, denn unverfügbar ist nicht nur das, was Menschenwürde hat“.448 Demnach ist es nicht die Menschenwürde und der damit verbundene Status „Person“, sondern das Leben an sich, das schützenswert ist. Stoecker geht noch weiter: Er ist der Ansicht, dass ein Mensch sogar über den Tod hinaus Würde besitzt: „Häufig wird fälschlicherweise angenommen, dass auch die Würde eines Menschen daran geknüpft ist, dass er am Leben ist, so dass auch sie von der ethischen Grundannahme über Leben und Tod vereinnahmt wird. Dabei ist es eigentlich der Unverlierbarkeit der menschlichen Würde ganz wesensfremd, sie mit dem Tod des Menschen enden zu lassen“.449

Es ist deutlich geworden, dass es unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich des Würde-Begriffs gibt. Die Gefahr, die damit verbunden ist, machen BaumannHölzle und Arn deutlich; sie sind der Ansicht, dass die fehlende Unterscheidung der unterschiedlichen Würde-Begriffe in der Rede vom „würdevollen Sterben“ ethisch problematisch sei, da der normative Begriff der inhärenten Menschenwürde unverlierbar, er aber mit der empirischen Vorstellung einer verlierbaren Lebensqualität, die durch zufällige gesundheitliche Zustände, persönliche Fähigkeiten oder durch äußere Umstände bestimmt sei, vermischt werde.450

448 Habermas (2005), S. 59. 449 Stoecker (2012), S. 383. 450 Vgl. Baumann-Hölzle/Arn (2005), S. 6.

7 STERBEHILFE ALS INFORMATIONSPROBLEM In diesem Abschnitt sollen sowohl Überlegungen zum „Einstellungskonstrukt“ und dessen Messungen angestellt als auch der Frage nachgegangen werden, wie wir Menschen grundsätzlich mit Informationen umgehen. Hierbei sind insbesondere folgende Forschungsgegenstände von Bedeutung: Wie viel behalten wir von der Menge an Informationen, die uns täglich erreicht bzw., wie entstehen und verhalten sich Denkprozesse? Ist der Mensch ein rationales Wesen oder unterliegt er Irrtümern und Fehlern, wenn es um Entscheidungsprozesse, Beurteilungen und Einstellungen geht? Der Abschnitt befasst sich deshalb mit diesen Fragen, da die Beurteilung der Sterbehilfe neben der Informationsdarbietung der Medien und der Wissenschaft auch von kognitiven Prozessen wie der Informationsgewinnung und -verarbeitung abhängt.

7.1 ÜBERLEGUNGEN ZUR INFORMATIONSGEWINNUNG UND -VERARBEITUNG

Einstellungskonstrukt und dessen Messung Einstellungen setzen sich aus zeitlich relativ stabilen451 kognitiven, affektiven und verhaltensbezogenen Komponenten von Reaktionen eines bestimmten Objekts zusammen.452 Wittwer, Schäfer und Frewer zufolge müssten Einstellungen spezifisch erfragt werden, um sie möglichst aussagekräftig erheben zu können. Dementsprechend müsse theoretisch begründet und präzise festgelegt werden, worauf sich die untersuchten Einstellungen beziehen sollten.453 Im vorliegenden Fall stellt solch ein Objekt die „aktive Sterbehilfe“ dar, zu der die dazugehörigen Einstellungen erhoben werden sollten. Wie oben erwähnt, sind Einstellungen zeitlich relativ stabil. Dies trifft insbesondere auf Einstellungsobjekte zu, die sich beispielsweise auf politische Sachverhalte, religiöse Zugehörigkeit oder andere Fragestellungen beziehen. „Einstellungen“, die sich auf mangelnde Kenntnis des Sachverhalts gründen, sind jedoch womöglich weniger stabil und müssten somit anfällig für Beeinflussungen bzw. Manipulationen sein. Exakt diese Annahme hat sich die vorliegende Studie zunutze gemacht, indem sie beabsichtigte, mithilfe einer systematischen Variierung von Informationen, die dem Befragten angeboten werden, unterschiedliche „Einstellungen“ zum Objekt zu generieren. 451 Vgl. Bierbrauer (1996). 452 Vgl. Stroebe et al. (1996). 453 Vgl. Wittwer et al. (2010), S. 86.

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7 Sterbehilfe als Informationsproblem

7.1.1 Steuerung der Informationsverarbeitung durch Einstellung Täglich sind wir Menschen einer Flut von für uns relevanten wie auch irrelevanten Informationen ausgesetzt. Stetig müssen wir diese beurteilen, bewerten und dann Entscheidungen darüber treffen, was wir mit ihnen tun sollen. Diese Prozesse geschehen, wie weiter unten gezeigt wird, nachgerade automatisiert. Entgegen Kelleys Auffassung, dass wir Menschen wie naive Wissenschaftler mit der Rationalität des menschlichen Denkens zu handeln versuchen, nach der wir eine Information, ein Phänomen oder Ereignis erklären wollen,454 gehen andere davon aus, dass Menschen „kognitive Geizhälse“ seien, die Strategien, so genannte Heuristiken,455 anwendeten, um komplexe Probleme zu vereinfachen. Das könnten wir erreichen, indem wir einige Informationen einfach ignorieren, um unsere kognitive Belastung zu verringern.456 Auf diese Weise wird die Flut der Informationen gefiltert. Dieser Vorgang wird selektive Wahrnehmung genannt und findet täglich und in vielen Bereichen des Lebens statt. Die selektive Wahrnehmung bildet aber auch die Grundlage der Stereotypisierung. Lippmann ist der Auffassung, dass die Einflüsse, die das Stereotypenrepertoire schaffe und erhalte, die „feinsten und allgegenwärtigsten von allen“ seien. Wir würden über die Welt bereits unterrichtet, bevor wir sie sehen. Wir stellten uns die meisten Dinge vor, bevor wir unsere Erfahrungen damit machten. Und diese vorgefassten Meinungen beherrschten aufs stärkste den ganzen Vorgang der Wahrnehmung, es sei denn, die Erziehung habe sie uns in aller Deutlichkeit bewusst gemacht. Sie höben gewisse Gegenstände als vertraut oder fremdartig heraus, betonten den Unterschied, so dass das oberflächlich Vertraute als besonders vertraut, das leicht Fremde als völlig fremdartig erscheine. Kleine Zeichen riefen sie hervor. Sie könnten von einem echten Anzeichen bis zu einer vagen unbestimmten Analogie variieren. Einmal hervorgerufen, durchtränkten sie den frischen Eindruck mit älteren Bildern und projizierten in die Welt, was im Gedächtnis wiedererweckt worden sei.457 Lippmann sieht aber auch Vorteile dieses kognitiven Vorgehens: Gäbe es keine praktischen Gleichheiten in der Umgebung, so würde es keine Ökonomie, sondern nur Irrtümer in der menschlichen Gewohnheit geben, das Vorausgeschaute für das Gesehene zu nehmen. Aber es gebe hinreichend genaue Gleichheiten, und mit der Aufmerksamkeit sparsam zu wirtschaften sei so unbedingt notwendig, dass

454 Vgl. Kelley (1967). 455 Eine Heuristik ist „ein kognitives Werkzeug, das das soziale Individuum in die Lage versetzt, durch vereinfachte ‚Daumenregelnʻ Urteile zu treffen, die keinen großen Aufwand erfordern, jedoch häufig zu guten Ergebnissen führen“, Stroebe et al. (1997), S. 157. Heuristiken werden schnell und mit wenig Aufwand generiert, da viele Situationen uns nicht genug Zeit zur Verfügung stellen, Sachlagen oder Begebenheiten genau analysieren zu können; vgl. Nisbett et al. (1980). Heuristiken sind folglich nützliche Hilfsmittel. Es können aber auch wichtige Informationen dadurch übersehen werden. 456 Vgl. Aronson (1994), S. 133. 457 Vgl. Lippmann (1965), S. 68.

7 Sterbehilfe als Informationsproblem

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das menschliche Leben ärmer würde, wenn wir die Stereotypen um einer völlig naiven Einstellung wegen aufgäben.458 Noelle-Neumann glaubt, dass der Mensch stets bemüht sei, durch selektive Wahrnehmung kognitive Dissonanz zu vermeiden, damit ein bestimmtes Weltbild erhalten bleibt. Dadurch entstünde neben dem Zwang zur Reduktion von Komplexität eine zweite unvermeidliche Quelle der Verzerrung der Wahrnehmung der Wirklichkeit und Verzerrung der Berichterstattung.459 „Ich behaupte“, so ist bei Lippmann (1965) zu lesen, „dass das Stereotypenmodell im Zentrum unserer Codices weithin vorausbestimmt, welche Tatsachengruppen wir sehen und in welchem Lichte wir sie sehen sollen [...] Daher betrachtet jeder [Mensch] den anderen als unvernünftig und verstockt, während der wahre Unterschied zwischen ihnen in der unterschiedlichen Wahrnehmung liegt“.460

Noelle-Neumann zufolge entlarve Lippmann die rationalistische Selbsttäuschung des Menschen, welcher glaube, er informiere sich in der modernen Welt nach „mündigen und toleranten und beobachtenden“ Gesichtspunkten.461 Lippmann hat schon im Jahre 1922 die Mechanismen der selektiven Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitung erkannt, die erst ein Jahrzehnt später von der Sozialpsychologie (und Kommunikationswissenschaft) untersucht worden sind. Stroebe und Jonas konstatieren, dass demnach die Hypothese der selektiven Informationsaufnahme (abgeleitet aus der Dissonanztheorie)462 besage, dass Individuen motiviert seien, sich Informationen auszusetzen, die mit ihren Einstellungen übereinstimmten und einstellungsdiskrepante Informationen vermeiden, um eine bestehende Einstellung derart zu stabilisieren, dass sie Konsonanz bewahren bzw. Dissonanz vermieden.463 Überträgt man die Erkenntnisse bezüglich der Informationsgewinnung und -verarbeitung auf die Untersuchung der Sterbehilfe, so durchliefen die Probanden während der Befragung sicherlich ebenso den Prozess der selektiven Wahrnehmung. Hier könnten die Informationen, die zur aktiven bzw. passiven Sterbehilfe sowie zur Palliativmedizin gegeben wurden, entweder als für die Befragten relevant oder als nicht relevant gewertet worden sein. Darüber hinaus birgt gerade die schriftliche Befragung stets die Gefahr, dass relevante Informationen nicht gelesen oder beachtet werden, nicht zuletzt auch deshalb, weil das Informationszeitalter mit einer Flut an Informationen einhergeht, deren Fülle die Menschen nicht selten überfordern kann.

458 459 460 461 462 463

Ebd., S. 68–69. Vgl. Noelle-Neumann (1980), S. 212. Ebd., S. 92. Ebd., S. 207. Vgl. Leon Festingers Theorie der kognitiven Dissonanz. Vgl. Stroebe/Jonas (1997), S. 272.

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7 Sterbehilfe als Informationsproblem

7.2 STERBEHILFE IN DEN MEDIEN Der Mensch kommt nicht mehr mit Tod und Sterben in Berührung. Fehlt die Erfahrung, entsteht ein Vakuum. Die Medien könnten ein geeignetes Instrument sein, dieses Vakuum mithilfe von Aufklärung zu füllen. Seit geraumer Zeit finden insbesondere die aktive und die passive Sterbehilfe, aber auch der assistierte Suizid vermehrt Beachtung in den Medien. Man hört von Fällen, in denen nach jahrelangem Koma lebenserhaltende Apparate abgeschaltet werden, von Vereinen oder einzelnen Menschen, die allen Sterbewilligen die zur aktiven Sterbehilfe nötigen Mittel verkaufen. Filme oder Dokumentationen über Fälle, in denen Menschen seit vielen Jahren sterben möchten, ihnen dies aber gerichtlich verwehrt wird, häufen sich. Gegen Ende des Jahres 2012 hat die ARD den wünschenswerten Versuch unternommen, durch eine Themenwoche zu Tod und Sterben interessierten Bürger die Themen Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Sterbevorsorge, die juristischen Unterscheidung der Sterbehilfearten464 und mehr näherzubringen. Kurz: Der Diskurs um das „Sterben-Dürfen“ nimmt an Intensität zu. Klie kritisierte jedoch schon zehn Jahre zuvor die Art und Weise, wie die Medien diese Themen aufbereiten. So werde die öffentliche Meinung hinsichtlich der Nachfrage nach Patientenverfügungen, der Zustimmung zum Behandlungsabbruch, aber auch zur aktiven Euthanasie bemüht, doch Aufmerksamkeit erhaschende Fernsehsendungen könnten die öffentliche Meinung mitprägen, ohne dass diese orientiert seien an der Informationsvermittlung, der Einladung zu einer differenzierten Auseinandersetzung. Fernsehberichterstattung sei seiner Auffassung nach eher aufmerksamkeitsorientiert und nicht mehr aufklärerisch in Zeiten des Kampfes um Einschaltquoten.465 Das gewinnmaximierende Leitprinzip der Medien bad news are good news sorgt dafür, dass eine einseitige und stereotypisierende Betrachtungsweise der Sterbesituation in Deutschland entsteht. So ist es kaum verwunderlich, dass Maßnahmen wie die Hospiz- und Palliativarbeit, die wirklich nachhaltig die Lebens- und Sterbesituation verbessern können, in der Medienwelt vernachlässigt werden. So auch in der obengenannten Themenwoche der ARD. Die Konsequenz, die sich aus dieser Art Berichterstattung ergibt, ist, dass die deutschen Bürger nur spärlich über alle Möglichkeiten der Sterbehilfe und der Palliativmedizin und Hospiz-Arbeit aufgeklärt sind. Ebenso ist Schmitt-Mannhart von einer falschen Informationslage, hervorgerufen durch die Medienberichte und die Befürworter der aktiven Sterbehilfe, überzeugt: Mit Verallgemeinerungen und Vereinfachungen werde ein falsches Bild, eine falsche Ausgangslage, geschaffen, indem sie die Angst vor dem Sterben ausnutzten, Feindbilder prägten und das Vertrauen der Menschen zerstörten.466 Der Aufklärung- und Informationspflicht als Medienauftrag wird nur unzureichend nachgekommen, so dass eine realistische Abbildung der Sterbesituation in 464 Sie unterscheidet Sterbehilfe (passive, aktive und indirekte) von Sterbebegleitung. Leider informiert sie missverständlich über die passive Sterbehilfe, die einen Behandlungsabbruch nicht als passive Sterbehilfe versteht; siehe: http://web.ard.de/themenwoche_2012/01.html [letzter Zugriff: 05.10.2014]. 465 Vgl. Klie (2002), S. 250. 466 Vgl. Schmitt-Mannhart (2000), S. 20.

7 Sterbehilfe als Informationsproblem

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Deutschland erschwert wird. Die Gefahr der Stereotypisierung der Themen Tod und Sterben liegt darin, dass durch die Fehlinformation eine Aktivierung der Deutschen hinsichtlich einer Verbesserung der Sterbesituation unterbleibt. Fehlt nämlich das Wissen über Palliativmedizin und Hospize, kann man sich auch nicht für sie einsetzen.

Meinungsforschung Umfrageergebnisse scheinen nicht selten von den jeweiligen Auftraggebern abzuhängen. Zu dieser Annahme könnte man gelangen, wenn etwa die extrem unterschiedlichen Ergebnisse bezüglich der Einstellung der Bevölkerung zur aktiven Sterbehilfe betrachtet werden. Eine Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2004 beispielsweise – Auftraggeber war die DGHS – berichtet von einer Befürwortung der aktiven Sterbehilfe zu beinahe 74 %.467 Einen Kontrast zu diesem Resultat bildet das Ergebnis einer Befragung des EMNID-Instituts aus dem Jahre 2000, dessen Auftraggeber die Deutsche Stiftung Patientenschutz war. Ihrer Bilanz nach seien 56,6 % der Befragten gegen aktive Sterbehilfe.468 „Wenn Auftraggeber ihr Wunschergebnis unter Verzicht der Meinungsumfragen selber festlegen würden, könnten sie das Geld für sinnvollere Aktivitäten ausgeben“ konstatiert Fuchs nicht ganz zu Unrecht.469 Auch Umfrageergebnisse, denen keine interessensgeleiteten Beweggründe der Auftraggeber unterstellt werden, sollten mit Vorsicht aufgenommen werden, denn neben der ohnehin bestehenden inhaltlichen Problematik, die Umfragen generieren, besitzen sie oft eine eher fragliche Wertigkeit und Repräsentativität, denn die Ergebnisse seien Zülicke zufolge meist interpretationsoffen und von vielen Faktoren abhängig und beeinflussbar. Verschiedene Leute könnten zum gleichen Thema teilweise ganz unterschiedliche Resultate erzielen, wobei die Ursachen dafür sehr vielschichtig seien.470 Der Autor spricht hier ein bekanntes Problem der Einstellungsmessung an.

467 Eine aktuellere Umfrage des Online-Meinungsforschungsinstituts YouGov aus dem Jahr 2014 weist ähnlich hohe Zahlen der Befürwortung auf: Hier sind es 66% der Befragten. Online nachzulesen unter: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2014-01/Sterbehilfe-YouGov-Umfrage [letzter Zugriff: 04.03.2015]. Die zurzeit aktuellste Studie wurde im Auftrag der Rechtschutzversicherers Roland durch das Allensbacher Institut Ende 2015 durchgeführt, deren Ergebnisse ähnlich hohe Befürworter (63 %) aufweist. Online zu finden: http://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/w_specials/special-versicherungen/article/904218/umfrage-viele-befuerwortersterbehilfe.html?sh=1&h=540881487 [letzter Zugriff:fu 29.02.2016]. 468 Vgl. Deutsche Stiftung Patientenschutz (2000). 469 Fuchs (2001), S. 56. 470 Vgl. Zülicke (2005). Neben der inhaltlichen Problematik der Meinungserhebungen stellt sich auch die Frage, welche Methodik angewandt wird. Markt- bzw. Meinungsforschungsinstitute lassen sich nicht gerne in ihre „Karten“ sehen, so dass nur sie wissen, wie ihre Ergebnisse zustande gekommen sind. Der mehrfachen Bitte der Autorin der vorliegenden Arbeit, zu der von ihnen angewandten Methodik Stellung zu nehmen, wurde in allen Fällen nicht nachgekommen.

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7 Sterbehilfe als Informationsproblem

7.3 DER INFORMATIONSSTAND DER BEVÖLKERUNG ZU TOD UND STERBEN Es muss konstatiert werden, dass es kaum Studien darüber gibt, was und wie viel die Deutschen über Tod und Sterben wissen. Kann daraus auf eine Tabuisierung von Tod und Sterben auch auf wissenschaftlicher Ebene geschlossen werden? Dies scheint immer noch der Fall zu sein. Wittkowski bemängelt in diesem Zusammenhang die stiefmütterliche (oder gar fehlende) Behandlung solcher zentraler Themen wie Tod und Sterben durch die Wissenschaft. So gebe es im Kontext zu Sterben, Tod und Trauer unbestreitbar vielfältige Fragen von eminent praktischer Bedeutung. Dennoch sei eine systematische und auf Dauer angelegte wissenschaftliche Beschäftigung mit der Todesthematik, welche die Grundlagen für fachlich verantwortbares Handeln in der Praxis liefern könnte, in Deutschland kaum erkennbar. Um nur einige Stichworte zu nennen: Es gebe keine einzige universitäre oder außeruniversitäre Forschungseinrichtung, kein Graduiertenkolleg, keine Fachzeitschrift und wenig fachwissenschaftliche Literatur im engeren Sinne,471 wobei Letztere inzwischen einen positiven Trend hinsichtlich vermehrter Publikationen aufweist.

Meinungen zu Tod und Sterben Die offensichtlich geringe Auseinandersetzung der Menschen mit den Themen Tod und Sterben spiegelt sich auch in der auffallend dürftigen Anzahl der Studien hinsichtlich der Einstellung der Menschen zu Tod und Sterben wider. Obgleich es vergleichsweise viel Literatur über Tod und Sterben gibt, ist nur wenig zu finden zu den Einstellungen der Menschen hinsichtlich dieser Themen. So ist relativ unbekannt, was die Menschen denken und fühlen, wenn es um ihren eigenen Tod und den Tod des Anderen geht, infolgedessen kann nur erahnt oder spekuliert werden, was die deutschen Bürger über die Sterbesituation in Deutschland wissen. Ein Beispiel solch seltener Studien führte das EMNID-Institut im Auftrag der Deutschen Deutsche Stiftung Patientenschutz im Jahre 2001 durch. „Der Interessensschwerpunkt der Befragung stand in der Beantwortung der Fragen, welche Wünsche für das eigene Sterben bestehen und wie nach Einschätzung der Bevölkerung die meisten Menschen in Deutschland sterben. Ebenso von Interesse war, ob die Befragten den Begriff ‚Hospizʻ kennen und weitestgehend richtig zuordnen können“.472

Mit der Frage nach dem eigenen Sterbewunsch sollte insbesondere Folgendes geprüft werden: –

Setzen sich die Menschen mit dem eigenen Sterben auseinander oder verdrängen sie das Thema?

471 Vgl. Wittkowski (2003), S. XIII. 472 Deutsche Stiftung Patientenschutz (2001).

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Wissen sie, dass die meisten Menschen nicht plötzlich sterben und sie es aber trotzdem verdrängen?

Das Fazit der Deutschen Stiftung Patientenschutz lautete: „Nach wie vor verdrängen die meisten Deutschen das Sterben. Viele Menschen wünschen sich einen schnellen und plötzlichen Tod, doch die Realität des Sterbens in Deutschland sieht anders aus. Sie idealisieren das Sterben anderer Menschen, um den Gedanken an das eigene Sterben zu verdrängen. Die Hospizidee wird zwar bekannter, aber noch immer kennen zwei von drei Menschen sie nicht und können deshalb keine Hilfe und Begleitung erhalten. Das Informieren aller und das Umstrukturieren des Gesundheitssystems sind dringend erforderlich. Der Ruf nach aktiver Sterbehilfe ist eine Folge gesellschaftlicher Missstände. Palliativmedizin, die Schmerzen und Symptome lindert, wenn keine Heilung mehr möglich ist, und Hospiz-Arbeit schaffen die Möglichkeit zum Sterben in Würde und Selbstbestimmung […]“.473

Die Schlussfolgerungen der Ergebnisse basieren auf der Annahme einer bestehenden Sterbeproblematik in Deutschland: langes Leiden, oft verbunden mit starken Schmerzen, das Fehlen adäquater palliativer Pflege und mehr. Neuere Zahlen einer Studie der Hospiz-Stiftung aus dem Jahr 2013 belegen eine positive Entwicklung hinsichtlich des Bekanntheitsgrades der Hospizidee.474 So können inzwischen 66 % der Befragten der Ergebnisse einer Studie zum Thema „Sterben in Deutschland“ zufolge den Begriff des Hospizes richtig einordnen. Hinsichtlich des Bekanntheitsgrades des Palliativbegriffs allerdings zeigt die Studie einen bis heute dringenden Aufholbedarf. So hat der letzte Satz des Fazits der Deutschen Hospiz-Stiftung (s. o.) aus dem Jahre 2002 bis heute leider nicht an Gültigkeit verloren, auch wenn die Zahl der Palliativstationen immer mehr zunimmt.

7.3.1 Die Thanato-Psychologie als Informationsträger Die Thanato-Psychologie stellt Rest zufolge eine Teildisziplin zur psychologischen Förderung der individuellen und gesellschaftlichen Wissensvermittlung zu Tod und Sterben und damit zur Auseinandersetzung mit ihnen dar.475 Doch gelingt ihr dies wirklich? Einige Autoren sind von einer positiven Entwicklung überzeugt (wie etwa Schadewaldt 1984), andere hingegen warnen vor der Gefahr der Isolierung einer Teilfragestellung vom Gesamtbild (beispielsweise Rest 1998). Müller und Leimkühler glauben gar, dass die Thanato-Psychologie als Alibifunktion der Gesellschaft herhalte, damit der Mensch sich nicht selber um eine Auseinandersetzung mit Tod und Sterben bemühen müsse. Zum einen komme man so um die Beschäftigung mit der Sterbeproblematik herum, zum anderen könne man ja zum „Experten“ gehen, wenn es um das eigene Sterben gehe. Darüber hinaus wolle man das Gewissen, weil man sich nicht mit dem Thema selber auseinandersetze, beruhigen, indem es zur sachadäquaten Bearbeitung weitergeleitet werde.476 473 474 475 476

Ebd. Siehe Deutscher Hospiz- und PalliativVerband (2012). Vgl. Rest (1998), S. 19. Vgl. Müller/Leimkühler (1985), S. 249.

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7 Sterbehilfe als Informationsproblem

Die Autoren scheinen mit dieser zynisch anmutenden Behauptung (traurigen) Weitblick bewiesen zu haben, denn ein vermehrtes Wissen und damit verstärkte gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Tod und Sterben in der Gegenwart sind bis heute immer noch unzureichend. Hat die Thanato-Psychologie als Hoffnungsträger für eine erhöhte gesellschaftliche Annahme der Themen Tod und Sterben also versagt? Die Ergebnisse der Thanato-Psychologie sind, wie bei vielen anderen Wissenschaften auch, naturgemäß nur einem kleinen Teil von Menschen zugänglich, der geübt ist, wissenschaftliche Publikationen lesen und verstehen zu können. Populärwissenschaftliche Literatur hingegen befasst sich kaum mit diesem Thema.

II EMPIRISCHE UNTERSUCHUNG

8 FRAGESTELLUNGEN UND METHODIK DER EMPIRISCHEN UNTERSUCHUNG Im ersten Teil der vorliegenden Arbeit wurde eingehend auf die Thematik von Tod und Sterben eingegangen. So wurde die Veränderung im gesellschaftlichen Umgang mit ihr über die Jahrhunderte bis zur Gegenwart aufgezeigt und eine vermeidende Haltung zu ihr festgestellt. Diese Haltung sorgt für eine problematische Sterbesituation vieler Menschen dahingehend, dass die Institutionen für ein Sterben nicht ausgerüstet sind, obgleich der größte Teil der Menschen in Deutschland in ihnen stirbt. Mit der Sorge eines inhumanen Sterbens aber geht scheinbar die Frage nach aktiver Sterbehilfe einher. Die aktive Sterbehilfe wird angeblich von vielen deutschen Bürgern als Lösung für die Sterbeproblematik angesehen. Doch es wird bei all der Diskussion über die aktive Sterbehilfe nicht geklärt, was aktive Sterbehilfe wirklich ist. Aus diesem Grund soll überprüft werden, inwieweit sich die Einstellung zur aktiven Sterbehilfe verändert, wenn die Befragten wissen, was aktive Sterbehilfe tatsächlich darstellt.

8.1 FRAGESTELLUNGEN UND HYPOTHESEN Folgende Fragestellungen waren von Bedeutung: – – –

Was weiß die Bevölkerung von der Sterbehilfe im Allgemeinen und von der aktiven Sterbehilfe im Besonderen? Welche Einstellungen zur Sterbehilfe werden durch fehlende Aufklärung über die verschiedenen Formen der Sterbehilfe generiert? Wie würden sich diese Einstellungen verändern bzw. von denen ohne Aufklärung unterscheiden, wenn die Menschen wüssten, was aktive Sterbehilfe tatsächlich bedeutet?

In einer Umfrageaktion mussten sich Antworten auf diese Fragen finden lassen, wenn dabei die Fragen und Vorgaben systematisch variiert würden. Eine Befragung nach einem experimentellen Design war daher sinnvoll. So lauteten die Basishypothesen folgendermaßen: –



Der Anteil der Befürworter der aktiven Sterbehilfe (AV)477 ist mit Aufklärung (UV) über die aktive/passive Sterbehilfe im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne solche Aufklärung geringer. Der Anteil der Befürworter der aktiven Sterbehilfe (AV) ist mit Aufklärung (UV) über die Palliativmedizin im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne solche Aufklärung geringer.

477 UV = unabhängige Variable: Art der Fragen und Inhalte der gegebenen Informationen; AV = abhängige Variable: Antwortverhalten der Befragten.

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8 Fragestellungen und Hypothesen

Neben o.g. Fragestellungen und daraus resultierenden Hypothesen untersuchte die vorliegende Arbeit auch die Einstellung zur Sterbehilfe beeinflussende Kräfte wie Personenvariablen, Emotionen, (Vor-)Annahmen und mehr.

8.2 METHODIK Das Design der Studie sah es vor, vier Gruppen von Untersuchungsteilnehmern miteinander zu vergleichen. Die Ergebnisse der in Kapitel 8 aufgestellten Fragestellungen sollten quantifizierbar und auf die Grundgesamtheit der Population übertragbar sein. Im Folgenden wird nun die methodische Vorgehensweise dieser Untersuchung beschrieben und erläutert.

8.2.1 Stichprobengewinnung Bei der Konstruktion des Erhebungsinstruments standen die spezifischen Fragestellungen der Studie im Mittelpunkt. Da es sich bei der Studie um ein neues Forschungsfeld handelt, gab es keine bereits evaluierten Instrumente für die Konstruktion des Fragebogens zur Verfügung, so dass der Aufbau des Fragebogens auf theoriegeleiteten Annahmen (Hypothesen) beruhte. Schriftliche Befragungen bieten zwar den Nachteil, dass die Befragungssituation nicht kontrollierbar ist, da bei postalisch oder elektronisch per E-Mail zugesandten Fragebögen die Einhaltung der Standardisierung hinsichtlich der Gestaltung der Befragungssituation und der Begleitumstände von den Untersuchungsteilnehmern und nicht vom Untersuchungsleiter bestimmt wird.478 Doch die schriftliche Datenerhebung weist nicht zu unterschätzende Vorteile auf, die im Folgenden aufgeführt werden: – – –

– –

Der Fragebogen eignet sich besonders für die Befragung homogener Gruppen479 wie Schulklassen, Studenten oder Seniorenvereine. Steuernde Eingriffe des Untersuchungsleiters werden vermieden. Der anonyme Charakter der schriftlichen Befragung begünstigt die Bereitschaft der Befragten zu ehrlichen Antworten und stärkerer Auseinandersetzung mit dem Thema.480 Die schriftliche Befragung ist eine kostengünstige und zeitsparende Methode, Einstellungen von Menschen zu erfassen. Es können vergleichsweise viele Menschen erreicht werden.

478 Vgl. Bortz/Döring (1995). 479 Ebd. 480 Ebd.

8 Fragestellungen und Hypothesen

133

Einige Themenbereiche des Fragebogens waren aus den qualitativen Ergebnissen eines Leitfadeninterviews zum Thema „aktive Sterbehilfe“ entnommen worden, die sich auf folgende Referenzpunkte bezogen:481 – – – – – – – –

Gesetzliche Regelung der aktiven Sterbehilfe Religiosität Selbstbestimmungsrecht des Menschen auch im Sterben Patientenverfügung Eigener Umgang mit Tod und Sterben Konfrontation mit Tod und Sterben Palliativmedizin Einstellung zur aktiven Sterbehilfe

Die oben genannten Referenzpunkte des Fragebogens wurden um folgende erweitert: – – –

Differenzierungsfähigkeit der Sterbehilfeformen aktive/passive Sterbehilfe, abgeleitet aus der zentralen Fragestellung Rolle der Sterbehilfe in Deutschland Einstellung zur passiven Sterbehilfe

Freie Fragen waren ebenfalls in die Konstruktion des Fragebogens mit aufgenommen worden. Das hatte zwar den Nachteil, dass es an dem Befragten lag, wie er die gestellte Frage beantworten wird482 und hierdurch Interpretations-, Auswertungs-, Kodierungs- und Kategorisierungsprobleme generieren könnte. Dennoch wurde auf den Erhalt auch solcher Daten großen Wert gelegt, um zu ergründen, welche Gedanken sich die Befragten zu der Frage machten, lebensverlängernde Maßnahmen abzustellen, was für die Befragten „Sterbehilfe“ bedeutete und welche Gründe sie sich für eine „aktive“ Sterbehilfe vorstellten.

8.2.2 Der Fragebogen Es war von vornherein so gedacht, vier verschiedene Konzeptionen des gleichen Fragebogens zu entwerfen, um die Bedingung des „Informationsgrads“ (UV) der Probanden hierdurch zu operationalisieren. Die Fragen sowie deren Reihenfolge in allen vier Versionen des Fragebogens wurden aus Gründen der Standardisierung konstant gehalten. Der einzige Unterschied der Fragebögen lag im Informationsgehalt- bzw. Informationsgrad der Fragen und begleitenden Texte = Variation der UV. Dieses experimentelle483 Design sollte ein unterschiedliches Antwortverhalten (AV) zwischen den Gruppen generieren bzw. provozieren. 481 Vgl. Hübner (2004). Diese qualitative Studie stellt gewissermaßen die Vorstudie zur aktuellen Studie dar. 482 Vgl. Bortz/Döring (1995). 483 Experiment wird definiert als „Planmäßigkeit einer Untersuchungsdurchführung zur Prüfung von Hypothesen. Weitere Kriterien sind Variierbarkeit und Wiederholbarkeit.“

134

8 Fragestellungen und Hypothesen

Die Variante A des Fragebogens (Fragebogen I) enthielt demgemäß keinerlei Informationen zur aktiven bzw. passiven Sterbehilfe sowie zur Palliativmedizin. Diese Variante, die der Kontrollgruppe vorgelegt wurde, sollte einer Befragungssituation entsprechen, wie sie in der Praxis bei Meinungserhebungen häufig vorkommt, nämlich ohne jedwede Aufklärung zu den Sterbehilfeformen sowie guter bzw. besserer Alternativen (hier der Palliativmedizin) zur aktiven Sterbehilfe. Die Variante B (Fragebogen II) enthielt dagegen eine Information zur Palliativmedizin mit folgender Ausführung: „Der Gegenstand der Palliativmedizin ist die Behandlung und Begleitung von Patienten mit einer nur noch geringen Lebenserwartung, weil sie an einer nicht heilbaren, progredienten und weit fortgeschrittenen Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung leiden. Die Palliativmedizin arbeitet multidisziplinär und sieht die Kooperation der Ärzte verschiedener Disziplinen miteinander und mit anderen Personal- und Berufsgruppen vor. Durch eine ganzheitliche Behandlung soll Leiden umfassend gelindert werden, um dem Patienten und seinen Angehörigen bei der Krankheitsbewältigung zu helfen und ihm eine Verbesserung der Lebensqualität zu ermöglichen. Die Palliativmedizin hat eine eindeutige Haltung zur Sterbehilfe: Sie lehnt die aktive Sterbehilfe in jeder Form ab. Ein Beispiel: Eine Patientin mit äußerst schmerzhaften Symptomen ihrer Tumorerkrankung wird von den Ärzten mit Schmerzmitteln adäquat versorgt, so dass sie eine deutliche Verbesserung ihrer Lebensqualität erfährt. Mit klarem Kopf und nahezu schmerzfrei ist es ihr möglich, sich um die noch zu erledigenden Dinge zu kümmern.“

Die Variante C (Fragebogen III) enthielt eine Information zur juristischen Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe mit folgender Erklärung: „Aktive und passive Sterbehilfe: Wie kann man sie auseinanderhalten? Aktive Sterbehilfe und passive Sterbehilfe werden oft miteinander verwechselt. Zum besseren Verständnis stellen wir Ihnen kurz den juristischen Unterschied zwischen beiden Arten der Sterbehilfe dar. Definition „passive Sterbehilfe“: Unter passiver Sterbehilfe versteht man das Unterlassen aller Intensiv-Medizin und Maßnahmen, die den Sterbevorgang des Patienten künstlich verlängern können. Ein Beispiel: Eine 85jährige Patientin wird künstlich über eine Magensonde ernährt. Sie möchte, dass ihr diese entfernt wird, da sie bereit zum Sterben ist und sie ihre Lebensqualität eingeschränkt erlebt. Ihrem Wunsch wird entsprochen, und die Patientin stirbt nach kurzer Zeit. ___________________________________________________________________________ Definition „aktive Sterbehilfe“: Die aktive Sterbehilfe, auch Euthanasie genannt, kürzt hingegen einen tödlichen Krankheitsverlauf gezielt ab, indem sie den Tod des Patienten herbeiführt oder beschleunigt. Ein Beispiel für aktive Sterbehilfe: Ein sich im Endstadium befindender Tumorpatient leidet unter starken Schmerzen. Er bittet den Arzt, von seinem Leiden erlöst zu werden. Der Arzt entspricht dem Wunsch und verabreicht dem Todkranken eine Injektion, die den Tod des Mannes einleitet.“

Nur die Variante D (Fragebogen IV) enthielt sowohl die Information zur Palliativmedizin als auch zur aktiven bzw. passiven Sterbehilfe.

8 Fragestellungen und Hypothesen

135

Neben dem – durch die erhaltenen bzw. nicht erhaltenen Informationen – provozierten Antwortverhalten bezüglich der Einstellung zur aktiven Sterbehilfe wurde auch das unterschiedliche Antwortverhalten hinsichtlich der Einschätzung der Sterbehilfeformen untersucht. So wurden sechs Fälle von Sterbehilfe beschrieben, von denen mindestens einer der aktiven Sterbehilfe zugeordnet werden sollte. Auch hier wurde angenommen, dass sich mit Erhalt der relevanten Informationen im Fragebogen das Antwortverhalten der Gruppen (hier: geringerer Anteil der Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe) im Vergleich zu denjenigen ohne Erhalt dieser Aufklärung (hier: vermehrter Anteil der Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe) unterscheiden würde. Das Wissen über die Einschätzung der Probanden zur aktiven Sterbehilfe ist insofern wichtig, damit überprüft werden kontte, ob die Probanden die Informationen auch verstanden hatten.484 Neben dem postalischen Versenden ist der Fragebogen auch elektronisch verschickt worden, ein in der Sozialforschung kaum mehr wegzudenkendes Mittel, Daten schnell, effizient und kostengünstig zu erhalten. Fernerhin konnten auf diese Weise viele potenzielle Untersuchungsteilnehmer angesprochen werden; um den Befragten die „Arbeit“ soweit wie möglich zu erleichtern, war der Fragebogen ihnen per E-Mail zugestellt worden. Dies hatte für den Beantwortenden den Vorteil, dass das Zurücksenden des ausgefüllten Fragebogens durch einen einfachen Mausklick wesentlich erleichtert wird, um einen positiven Effekt auf den Rücklauf zu erzielen. Voraussetzung hierfür jedoch war, dass die Befragten neben dem Besitz eines internetfähigen Computers auch über einen Internet- und im Idealfall DSLAnschluss verfügen sollten.485 Folgende interne Bezeichnungen wurden den elektronischen Fragebögen vergeben: – – – –

Fragebogen I (ohne Information): „Fragebogen“ Fragebogen II (mit Information zur Palliativmedizin): „Sterbehilfe“ Fragebogen III (mit Information zur aktiven und passiven Sterbehilfe): „Einstellung zur Sterbehilfe“ Fragebogen IV (mit beiden Informationen): „Erfassungsbogen“

Durch die unterschiedlichen Bezeichnungen der Fragebögen sollte die Zuordnung der Versionsnummer bei der Rücksendung sichergestellt und damit gleichzeitig gewährleistet werden, dass die Untersuchungsteilnehmer nur von einer Version des Fragebogens ausgingen.

484 Die sechs Fälle der Sterbehilfe bezogen sich auf einen Fall der aktiven Sterbehilfe, zwei Fälle der passiven Sterbehilfe, zwei Fälle der Palliativmedizin sowie einen Fall der indirekten Sterbehilfe. Besonders der Fall „Abstellen der lebenserhaltenden Geräte“ sollte die Probanden dazu verleiten, diese Maßnahme für eine Maßnahme der aktiven Sterbehilfe zu halten, da vermutet wurde, dass es gerade dieser Fall ist, der immer wieder für aktive Sterbehilfe gehalten wird. Der Fragebogen sollte im Hinblick auf die Einstellung zur aktiven Sterbehilfe und die Einordnung der Sterbehilfeformen einen Effekt provozieren, eine Eigenschaft, die sich in Befragungssituationen normalerweise störend auswirken kann, hier aber beabsichtigt war. 485 Für ältere Menschen auch heute noch keine Selbstverständlichkeit.

136

8 Fragestellungen und Hypothesen

8.2.3 Gütekriterien –

Objektivität

Objektiv ist ein Fragebogen dann, wenn die (Test)-Ergebnisse der Befragten vom Fragebogenkonstrukteur unabhängig sind.486 Hierbei lassen sich drei Formen unterscheiden:





Durchführungsobjektivität: Die Durchführungsobjektivität wurde durch die Instruktionen auf der ersten Seite des Fragebogens weitgehend sichergestellt, da alle Testpersonen dieselben Anweisungen erhielten und die Beantwortung der Fragen somit nicht von der Untersuchungsleiterin beeinflusst wurde.



Auswertungsobjektivität: Verschiedene Auswerter, so die wissenschaftliche Forderung, sollten bei der Auswertung der Ergebnisse zu den exakt gleichen Resultaten kommen. Die Konstruktion des Fragebogens bzw. der Items sowie die Auswertung der Ergebnisse der Fragebögen lagen jedoch in nur einer Hand, nämlich in der der Forscherin, so dass die Auswertungsobjektivität im Grunde genommen wenig überprüfbar ist.



Interpretationsobjektivität: Da im Rahmen dieser Studie alle Daten offengelegt wurden, kann von einer Interpretationsobjektivität ausgegangen werden. Die Vorgehensweise der Untersuchung von der Durchführung bis hin zur Auswertung und Interpretation unterlag strengen wissenschaftlichen Kriterien, um eine möglichst hohe Objektivität der Studie zu gewährleisten.

Reliabilität

Die Reliabilität eines Tests bzw. Fragebogens bezieht sich auf die Messgenauigkeit des zu messenden Merkmals.487 „Ein vollständig reliabler Test müsste nach wiederholter Anwendung bei denselben Personen zu exakt den gleichen Ergebnissen führen“.488 Dies zu erreichen ist nahezu unmöglich. Denn die Motivation und auch die Situation, in der sich der Befragte befindet, sind veränderlich und niemals gleich. Darüber hinaus könnte bei einer erneuten Befragung mit exakt denselben Bedingungen ein Lerneffekt hinsichtlich der Fragebögen II, III und IV entstehen, der ein anderes Antwortverhalten generieren würde. –

Validität

Validität lässt sich folgendermaßen definieren: „Die Validität gibt an, in welchem Maß der Fragebogen das misst, was er zu messen vorgibt“.489 Auch hier lassen sich drei Formen voneinander unterscheiden. 486 487 488 489

Vgl. Bortz/Döring (1995), S. 180. Ebd. Ebd., S. 181. Ebd.

8 Fragestellungen und Hypothesen

137



Inhaltsvalidität (auch Augenscheinvalidität): Das Konzept der Inhaltsvalidität ist Bortz und Döring zufolge vor allem auf Tests und Fragebögen anwendbar, bei denen das Testverhalten das interessierende Merkmal direkt repräsentiere.490 Die Konzeption der Fragebögen zielte darauf ab nachzuweisen, dass die Ergebnisse der Befragungen der Meinungsforschungsinstitute nicht valide waren, da sie nicht wirklich das Merkmal „Einstellung zur aktiven Sterbehilfe“ erfassten, sondern etwas anderes (z.B. die Einstellung zur passiven Sterbehilfe u.a.). Im vorliegenden Fall sollte infolgedessen überprüft werden, was die Befragten für aktive Sterbehilfe hielten. Eine Validierung hinsichtlich der Erfassung der Unterscheidungsfähigkeit zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe war relativ einfach, da die Ergebnisse direkt ablesbar, also „augenscheinlich“ waren. Darüber hinaus sollte der Fragebogen die Veränderbarkeit der Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe messen, die sich (idealerweise) mit der Darbietung der unterschiedlichen Fragebögen ergaben. Es darf daher im vorliegenden Fall angenommen werden, dass die Untersuchung das gemessen hat, was sie messen sollte.



Kriteriumsvalidität: Diese liegt dann vor, wenn der Testwert mit einem Außenkriterium korreliert. Im vorliegenden Fall war das Außenkriterium „aktive Sterbehilfe“ bzw. „passive Sterbehilfe“ direkt erkennbar und erforderte keine weitere Interpretation. Schwieriger war es bei dem latenten Merkmal der Angst vor dem Lebensende. Hier existierte kaum ein entsprechendes objektiv beobachtetes Außenkriterium. 491 Dennoch sollte das Item zur Erfassung der Angst mit aufgenommen werden, damit zumindest Tendenzen erfasst werden konnten.



Konstruktvalidität: Diese liegt Bortz und Döring zufolge dann vor, wenn aus dem zu messenden Zielkonstrukt Hypothesen ableitbar seien, die anhand der Testwerte bestätigt werden könnten. Der Umstand, dass Testwerte so ausfielen, wie es die aus Theorie und Empirie abgeleiteten Hypothesen vorgeben, könne als Indiz für die Konstruktvalidität des Tests gewertet werden.492 Im vorliegenden Fall besteht die Theorie darin, dass mit einer Aufklärung Einstellungen verändert werden konnten, was in der vorliegenden Studie eindeutig belegt wurde. Somit gelten die Forderungen nach der Konstruktvalidität als erfüllt.

490 Vgl. Bortz/Döring (1995), S. 183. 491 Die Messung der Angst vor dem Tod ist allerdings nicht ganz unproblematisch. Kastenbaum beispielsweise macht darauf aufmerksam, dass alle Studien zur Angst vor dem Tod Querschnittsstudien seien, die Altersgruppen gegenüberstellen, welche z.T. 60 Jahre auseinander liegen und im Grunde nicht zu vergleichen seien, da verschiedene Alterskohorten unterschiedliche Bedingungen mit dem Eintritt ins Leben vorfänden und diese sozio-kulturellen Einflüsse auf den Menschen unterschiedlich wirkten. Kastenbaum ist der Ansicht, dass ein 80-Jähriger ein „Survivor“ sei, ein Gewinner gewissermaßen, ein 20-Jähriger möge es sein oder auch nicht, Kastenbaum (1995), S. 155. 492 Vgl. Bortz/Döring (1995), S. 186.

138

8 Fragestellungen und Hypothesen

8.2.4 Analysemethodik Die Statistik-Software PASW-Statistics 17.0 bzw. 18.0 für Windows (SPSS) und stets mit Patch-Versionen verbessert, diente zur Analyse der in der Erhebung gewonnenen Daten. Diese befanden sich in der Regel auf dem Ordinal- bzw. metrischen Skalenniveau. Daten, die ursprünglich als Nominaldaten vorlagen, wurden in metrische Daten oder Ordinaldaten umcodiert, um die Analyse der Daten zu erleichtern.493 Die durch offene Fragen erzeugten qualitativen Daten wurden kategorisiert und in metrische Daten transformiert. Alle Daten wurden sowohl mithilfe deskriptiver als auch inferentieller Statistik analysiert. Auf der deskriptiven Ebene sind Häufigkeiten, Mittelwerte und Standardabweichungen berechnet worden. Als inferenzstatistische Verfahren wurden neben den Berechnungen von Korrelationen auch die gebräuchlichen statistischen Verfahren wie die non-parametrischen Prozeduren wie der Chi-Quadrat-Test sowie der Bartlett-Test zur Überprüfung der Varianzhomogenität eingesetzt. Die Daten, die in den meisten Fällen aufgrund erhebungstechnischen Gründen keiner Normalverteilung entsprachen, wurden der Logistischen Regressionsanalyse für zwei Ausprägungen und der Ordinalen Regressionsanalyse für ordinales Datenniveau unterzogen, da die einfaktorielle (Anova), mehrfaktorielle (Manova) Varianzanalyse sowie die Kovarianzanalyse eine Normalvereilung der Daten verlangen. Allerdings hatte sich herausgestellt, dass beide Verfahren (Varianzanalyse und Regressionsanalyse) nahezu exakt gleiche Ergebnisse liefern, so dass der Vollständigkeit halber auch die Varianzanalyse durchgeführt wurde. Hinsichtlich der Normalverteilung, die die Varianzanalyse fordert, meinen Bortz und Hays: „Die Verteilung von Mittelwerten aus Stichproben des Umfanges, die sämtlich derselben Grundgesamtheit entnommen wurden, geht mit wachsendem Stichprobenumfang in eine Normalverteilung über“.494

Im vorliegenden Fall hätten alle Variablen das Kriterium der Normalverteilung erfüllen müssen, da die geforderte Mindestfallzahl von 30 weit überschritten wurde. Die Ergebnisse des Bartlett-Tests widersprachen dem jedoch entschieden. Den Verfahren der Logistischen Regression bzw. der Ordinalen Regressionsanalyse wurde daher der Vorzug gegeben, da diese im Vergleich zur Varianzanalyse keine der Bedingungen495 wie die Varianzanalyse fordern und darüber hinaus auch robuster sind (wenn sie auch eine geringere Teststärke aufweisen).

493 Diese Vorgehensweise mag kritisierbar sein, da Nominaldaten streng genommen Merkmale sind, die sich nicht in metrischen oder ordinalskalierten Dimensionen abbilden lassen. Dennoch liefern auch solche Daten aussagekräftige Informationen. 494 Vgl. Hays (1980) und Bortz (1993), S. 91: Zentrales Grenzwerttheorem. 495 Diese sind: Normalverteilung der Daten, keine extreme Schiefe der Verteilung, Varianzhomogenität.

9 STICHPROBENBESCHREIBUNG 9.1 AUSWAHL DER UNTERSUCHUNGSTEILNEHMER Je heterogener die Population einer Befragung ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, ein repräsentatives Ergebnis zu erhalten, das auf die Gesamtpopulation übertragbar ist. Die Heterogenität einer Stichprobe lässt sich mittels der sog. Randomisierung (zufällige Zuweisung zu einer zu vergleichenden Gruppe) erzielen, die personenbezogene Störvariablen zu neutralisieren beabsichtigt.496 Eine randomisierte Zufallsstichprobe in der soziologischen Forschung zu erhalten, ist jedoch ein vielfach diskutiertes Problem und in der Praxis eher selten bis unwahrscheinlich.497 Im vorliegenden Fall gelang die Zuweisung der Gruppen zu den vier Fragebögen mithilfe des Zufallsprinzips, so dass die Fehlervarianz so gering wie möglich gehalten werden konnte. Die Befragten stammen aus einem Befragungspool (n = 437), der sich aus Schulklassen (n = 71), Studierenden (n = 72), Mitgliedern von Senioren-Vereinen (n = 72) sowie einer therapeutischen Ausbildungsgruppe (n = 8) und Teilnehmern eines Yogakurses (n = 15) zusammensetzte. Dass die Befragung auch an Gruppen durchgeführt wurde, hatte insbesondere vier Gründe: – – – –

Die Datenerhebung konnte schneller durchgeführt werden. Die Untersuchungsteilnehmer waren als Gruppe wesentlich leichter zu erreichen. Die Rücklaufquote betrug 100%, da die ausgefüllten Fragebögen gleich wieder eingesammelt wurden. Um einem Selektionseffekt hinsichtlich der Angst vor dem eigenen Lebensende entgegen zu wirken, wurden auch diejenigen erreicht, die sich möglicherweise nicht an der Befragung beteiligt hätten.

9.1.1 Prüfung der Strukturgleichheit Die Untersuchung hatte ohne Zweifel einen experimentellen Charakter, folgte also der Logik des Experiments mit dem Ziel, die Wirkung unterschiedlicher Reizkonstellationen auf das Verhalten der Untersuchten (hier: das Antwortverhalten im Fragebogen) festzustellen. Die erstellten vier Typen von Fragebögen entsprachen in diesem Sinne unterschiedlichen Reizkonstellationen. Es sollte herausgefunden werden, welche Reizkonstellation (= welcher Fragenbogentyp) welche Antwortmuster 496 Vgl. Bortz/Döring (1995). 497 Vgl. Eberlein (2001).

140

10 Darstellung der Ergebnisse

erzeugt. Um die gefundenen Variationen von Antwortmustern auf die Variationen des Fragebogens zurückführen zu können, war es erforderlich, die vier Gruppen von Befragten hinsichtlich jener Merkmale vergleichbar zu halten, welche auf das Antwortverhalten üblicherweise Einfluss nehmen, also: Alter, Geschlecht, Bildung (etc.). In diesem Zusammenhang wird auch von „Strukturgleichheit“ (oder Struktur-Vergleichbarkeit) gesprochen. Nur unter dieser Bedingung war es möglich, die unterschiedliche Gestaltung der Fragebögen für die möglichen unterschiedlichen Ergebnisse verantwortlich zu machen. Bei der Verteilung der Fragebögen wurde darauf geachtet, dass die vier Fragebogenversionen zu gleichen Teilen verteilt wurden, damit vier Gruppen entstehen, die sich zusammensetzen aus – – – –

einer Gruppe ohne jegliche Information (= Kontrollgruppe) einer Gruppe mit dem Erhalt einer Erläuterung zur Palliativmedizin (= Experimentalgruppe A) einer Gruppe mit der Darbietung der Information zur juristischen Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe (= Experimentalgruppe B) einer vierten Gruppe mit beiden Informationen (= Experimentalgruppe C)

Die folgende Abbildung verdeutlicht eine nahezu gleichmäßige Verteilungsform der Fragebogenversionen:

Palliativmedizin Keine Information

105

116

Information zur Palliativmedizin Information zur aktiven und passiven Sterbehilfe

101

115

Information zur aktiven und passiven Sterbehilfe Alle Informationen

Abbildung 8: Verteilungsform der Fragebogenversionen in der Gesamtstichprobe

26,5 % (n = 116) der Befragten erhielten keinerlei Informationen; 26,3 % (n = 115) erhielten eine Information zur Palliativmedizin. 23,1 % (n = 101) wurden über die

141

10 Darstellung der Ergebnisse

aktive und passive Sterbehilfe aufgeklärt und 24 % (n = 105) erhielten alle Informationen. Im Folgenden werden die Verteilungsformen hinsichtlich Geschlecht, Alter, Religiosität und Beruf dargestellt: Fragebogentyp Geschlecht

männlich weiblich Gesamt

Keine Information

Information zur akInformation zur tiven/passiven SterPalliativmedizin behilfe

Alle Infor- Gesamt mationen

n

48

32

38

45

163

%

29,4

19,6

23,3

27,6

100,0

n

67

82

63

60

272

%

24,6

30,1

23,2

22,1

100,0

n

115

114

101

105

435

%

26,4

26,2

23,2

24,1

100,0

Tabelle 8: Verteilungsform der Fragebogenart relativ zum Geschlecht

Bezüglich des Geschlechts zeigten sich keine signifikanten498 Unterschiede in der Verteilungsform hinsichtlich der Fragebogenversionen (Chi-Quadrat-Test nach Pearson: χ2 = 6,495; p = 0,09; df = 3; die Forderung nach Strukturgleichheit war somit erfüllt). Fragebogentyp Keine Information zur Information zur PalInformaaktiven/passiven liativmedizin tion Sterbehilfe

Altersgruppen

≤ 20 Jahre 21 - 35 Jahre 36 - 60 Jahre > 60 Jahre Gesamt

Alle Informationen

Gesamt

n

15

16

15

23

69

%

13,0

13,9

14,9

21,9

15,8

n

15

13

21

15

64

%

13,0

11,3

20,8

14,3

14,7

n

36

28

16

17

97

%

31,3

24,3

15,8

16,2

22,2

n

49

58

49

50

206

%

42,6

50,4

48,5

47,6

47,2

n

115

115

101

105

436

%

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

Tabelle 9: Verteilungsform der Fragebogenart relativ zu „Altersgruppen“

498 Alle signifikanten Ergebnisse waren hinsichtlich der Signifikanzniveaus (5 % bzw. 1 %) von Null verschieden.

142

10 Darstellung der Ergebnisse

Auch Tabelle 9 zeigt keine signifikanten Unterschiede der Fragebogenverteilung zwischen den Altersgruppen (Chi-Quadrat-Test nach Pearson: χ2 = 68,954; p = 0,680; df = 3. Somit wurde die Forderung nach Strukturgleichheit erfüllt). Fragebogentyp Religiosität

nein ja Gesamt

Keine Information

Information zur Gesamt Information zur Alle aktiven/passiven Palliativmedizin Informationen Sterbehilfe

n

26

34

33

24

117

%

23,4

30,4

33,0

27,3

28,5

n

85

78

67

64

294

%

76,7

69,6

67,0

72,7

71,5

n

111

112

100

88

411

%

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

Tabelle 10: Verteilungsform der Fragebogenart relativ zu „Religiosität“

Chi-Quadrat-Test nach Pearson: χ2 = 2,654; p = 0,448; df = 3; die Forderung nach Strukturgleichheit wurde erfüllt. Fragebogentyp Schüler

nein ja Gesamt

Keine Information

Information zur Palliativmedizin

Information zur aktiven/passiven Sterbehilfe

Gesamt Alle Informationen

n

101

97

85

81

364

%

87,8

85,1

84,2

77,1

83,7

n

14

17

16

24

71

%

76,7

69,6

67,0

72,7

71,5

n

115

114

101

105

435

%

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

Tabelle 11: Verteilungsform der Fragebogenart relativ zu „Schüler und Auszubildende“

Chi-Quadrat-Test nach Pearson: χ2 = 5,053; p = 0,168; df = 3; die Forderung nach Strukturgleichheit wurde auch hier erfüllt.

143

10 Darstellung der Ergebnisse

Fragebogentyp Studenten

Keine Information

nein ja Gesamt

Information zur Palliativmedizin

Information zur aktiven / passiven Sterbehilfe

Alle Informationen

Gesamt

n

99

95

81

88

363

%

86,1

83,3

80,2

83,8

83,4

n

16

19

20

17

72

%

13,9

16,7

19,8

16,2

16,6

n

115

114

101

105

435

%

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

Tabelle 12: Verteilungsform der Fragebogenart in Relation zu „Studenten“

Chi-Quadrat-Test nach Pearson: χ2 = 1,561; p = 0,668; df = 3; die Forderung nach Strukturgleichheit war erfüllt. Fragebogentyp keine Information

Information zur Palliativmedizin

Information zur aktiven/passiven Sterbehilfe

alle Informationen

n

88

105

88

93

374

%

75,9

91,3

87,1

88,6

85,6

28

10

13

12

63

%

24,1

8,7

12,9

11,4

14,4

116

115

101

105

437

%

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

Akademiker

nein ja Gesamt

Gesamt

Tabelle 13: Verteilungsform der Fragebogenart in Relation zu „Akademiker“

Chi-Quadrat-Test nach Pearson: χ2 = 12,891; p < 0,005; df = 3; die Forderung nach Strukturgleichheit wurde nicht erfüllt. Die Ergebnisse zeigen, dass mit einer Ausnahme über alle Strukturvariablen hinweg die Strukturgleichheit gegeben war. Warum die Akademiker eine Ausnahme bildeten, lässt sich insofern erklären, als sie im Vergleich zu den anderen Berufsgruppen überproportional häufig den Fragebogentyp I (ohne jegliche Information) erhielten. Wurde jedoch die Gruppe der Akademiker mit derjenigen der Studierenden kombiniert, welche wie die Akademiker ebenso die Allgemeine Hochschulreife besaß, stellt sich die Verteilungsform der Fragebögen folgendermaßen dar:

144

10 Darstellung der Ergebnisse

Fragebogentyp Studenten/Akademiker

nein ja Gesamt

Information zur Keine Information zur aktiven/passiven Alle Information Palliativmedizin Sterbehilfe Informationen Gesamt

n

72

87

68

77

304

%

62,1

75,7

67,3

73,3

69,6

n

44

28

33

28

133

%

37,9

24,3

32,7

26,7

30,4

n

116

115

101

105

437

%

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

Tabelle 14: Verteilungsform der Fragebogenart in Relation zu „Studenten und Akademiker"

Chi-Quadrat-Test nach Pearson: χ2 = 6,035; p = 0,110; df = 3; die Forderung nach Strukturgleichheit war nun erfüllt. In Verbindung mit der Gruppe der Studenten konnte somit auch hier eine Strukturgleichheit erzielt werden.

Fragebogentyp Rentner

nein ja Gesamt

Keine Information

Information zur Palliativmedizin

Information zur aktiven/passiven Sterbehilfe

Alle Informationen

Gesamt

n

75

62

62

59

258

%

64,7

53,9

61,4

56,2

59,0

n

41

53

39

46

179

%

35,3

46,1

38,6

43,8

41,0

n

116

115

101

105

437

%

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

Tabelle 15: Verteilungsform der Fragebogenart zu „Rentner“

Chi-Quadrat-Test nach Pearson: χ2 = 3,345; p = 0,341; df = 3; die Forderung nach Strukturgleichheit wurde erfüllt.

145

10 Darstellung der Ergebnisse

Fragebogentyp Sonstige

Keine Information

nein ja Gesamt

Information zur Palliativmedizin

Information zur aktiven/passiven Sterbehilfe

Alle Informationen Gesamt

n

100

99

88

98

358

%

64,7

53,9

61,4

56,2

59,0

n

16

16

13

7

52

%

35,3

46,1

38,6

43,8

41,0

n

116

115

101

105

437

%

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

Tabelle 16: Verteilungsform der Fragebogenart relativ zu „sonstige Berufsgruppe“

Chi-Quadrat-Test nach Pearson: χ2 = 3,675; p = 0,299; df = 3; die Forderung nach Strukturgleichheit wurde erfüllt. Wie zu sehen ist, waren alle Gruppen hinsichtlich ihrer Strukturvariablen vergleichbar, so dass es nun möglich war, die unterschiedliche Gestaltung der Fragebögen für die unterschiedlichen Ergebnisse verantwortlich zu machen und nicht von (Stör-)Variablen wie Alter, Geschlecht, Beruf oder Religiosität.

9.1.2 Demografische Beschreibung der Untersuchungsteilnehmer Im Folgenden werden die demografischen Merkmale der Testpersonen dargestellt (Geschlecht, Alter, Beruf, Religiosität). Alle Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtstichprobe. 80 70 60 50 40 30 20 10 0

Abbildung 9: Verteilung der Berufsgruppen in der Gesamtstichprobe

146

10 Darstellung der Ergebnisse

Die Mehrheit der Befragten stammte aus der mittleren bis gehobenen Bildungsschicht, welche sich aus Studenten (n = 72; 16,5 %), Angestellten/Akademikern (n = 67; 15,3 %), Selbstständigen (n = 29; 6,6 %) sowie aus Lehrern und Beamten (n = 45; 10,3 %) zusammensetzten. Zur mittleren bis gehobenen Bildungsschicht konnten auch die Gruppe der Senioren (n = 72; 16,5 %) gezählt werden, welche ausschließlich über Seniorenvereine angeworben wurden.499 Die Schüler und Auszubildenden bildeten (n = 71; 16,2 %) zusammen mit den Arbeitern und einfachen Angestellten (n = 70; 16,0 %) etwa ein Drittel der Befragten. Zwei Untersuchungsteilnehmer machten keine Angaben zu ihrem Beruf (Mittelwert: 3,36; Standardabweichung 7,262).

Abbildung 10: Verteilung des Geschlechts in der Gesamtstichprobe

Die Anzahl der weiblichen Befragten (n = 272; 62,5 %) wies aus erhebungstechnischen Gründen einen deutlichen Überhang gegenüber der Anzahl der männlichen Befragten auf, da die Erhebung sich aus vorwiegend an Gruppen orientierte, die sich bis auf die Gruppe der Rentner alle aus überwiegend weiblichen Mitgliedern zusammensetzten (Mittelwert: 0,63; Standardabweichung: 0,485). Im Folgenden wird das Geschlecht in Relation zu den Berufsgruppen betrachtet. Der weibliche Anteil der Schüler und Auszubildenden lag mit n = 53 bzw. 75,7 499 Welcher Bildungsschicht diese angehören, kann nur angenommen werden, denn obgleich der Fragebogen explizit nach dem aktuellen und dem ehemaligen Beruf fragt, gaben viele Senioren nicht die ehemalige Berufsbezeichnung, sondern den Rentnerstatus an. Vermutlich sind es aber Menschen der mittleren bis höheren Bildungsschicht, da diese in Seniorenvereinen eher anzutreffen sind als Menschen der einfacheren Bildungsschicht. Insgesamt gehören somit 285 Personen einem mittleren bis gehobenen Bildungsniveau an.

10 Darstellung der Ergebnisse

147

% deutlich höher als der des männlichen Anteils (n = 17; 24,3 %). Ähnlich verhielt es sich mit der Gruppe der Studenten, Schüler und Auszubildenden: Es wurden 52 (72,2 %) Studentinnen und 20 (27,8 %) Studenten sowie 53 (75,7 %) Schülerinnen und 17 (24,3 %) Schüler befragt. Auch in der Gruppe der Arbeiter und einfachen Angestellten überwog der weibliche Anteil; hier waren es 52 (74,3 %) weibliche und 18 (25,7 %) männliche Arbeiter und einfache Angestellte, die mit der Befragung erreicht werden konnten. Nur die Gruppe der Akademiker und höheren Angestellten wiesen einen umgekehrten Geschlechteranteil auf;500 41 (61,2 %) Männer und 26 (38,8 %) Frauen äußerten sich zu dem Thema. Ein beinahe ausgewogenes Verhältnis hingegen bildeten die Befragten unter den Lehrern und Beamten; dort waren es 24 (53,3 %) Frauen sowie 21 (46,7 %) Männer. Bei der kleinen Gruppe der Selbstständigen und freiberuflich Tätigen wurden 19 (65,5 %) weibliche und 10 (34,5 %) männliche Selbstständige befragt. Der weibliche Anteil war in der Gruppe der Rentner (n = 36; 50,0 %) ebenso hoch wie der Anteil der männlichen Rentner. Insgesamt äußerten sich von den 437 Befragten 435 zu dem Thema.

Abbildung 11: Verteilung der Altersgruppen in der Gesamtstichprobe

Die Altersverteilung der Gesamtstichprobe lässt sich wie folgt beschreiben: Von den insgesamt 436 gemachten Angaben zum Geburtsdatum stellte die Generation der 61-Jährigen und Älteren (vierte Altersgruppe) die größte Altersgruppe mit n =

500 Dies ist eine typische Konstellation in vielen Berufsbereichen; je höher der Beschäftigtenstatus ist, desto geringer ist dessen weiblicher Anteil.

148

10 Darstellung der Ergebnisse

206 bzw. 47,1 % dar. Ihr folgten die Jahrgänge der 36 bis 60-Jährigen (dritte Altersgruppe) mit n = 97 bzw. 22,2 %. Die zweite Altersgruppe der 21- bis 35-Jährigen mit n = 64 bzw. 14,6 % bildete die drittgrößte, bzw. zweitkleinste Altersklasse. Etwas mehr Befragte als die zweite Altersgruppe stellte die erste Altersgruppe mit n = 69 bzw. 15,8 %. Der Mittelwert betrug 3,01, die Standardabweichung 1,120. Abbildung 12 zeigt die Verteilung der Religiosität. Zur Frage nach der Religiosität501 machten 411 Testpersonen eine Angabe. 26 Personen äußerten sich hierzu nicht. Der Mittelwert von 0,72 wies auf eine überwiegende Religiosität der Befragten hin (wobei die Untersuchungsteilnehmer explizit nach ihrer Religiosität im weitesten Sinne gefragt wurden). Die Standardabweichung beträgt 0,452. Der hohe Anteil der religiös eingestellten Testpersonen lässt sich insbesondere durch die relativ große Repräsentanz älterer Befragter erklären.

Religiosität

117

ja nein

294

Abbildung 12: Verteilung der Religiosität in der Gesamtstichprobe

501 Die Frage nach der Religiosität sollte alle Formen des Glaubens erheben. So wurde implizit erfragt, ob sich die Befragten im weitesten Sinne für religiös hielten. Dies bedeutet, an irgendetwas zu glauben, sei es an Gott oder an eine andere Kraft.

10 Darstellung der Ergebnisse

149

Abbildung 13: Religiosität in Abhängigkeit vom Alter

Die obenstehende Abbildung zeigt mit steigendem Alter eine Zunahme der Religiosität (Kendall-Tau-b: τ = 0,145; p = 0,001). Wenn der Zusammenhang auch gering war, so konnte dennoch ein Zusammenhang zwischen dem Alter und der Religiosität nachgewiesen werden.

9.2 VORGEHENSWEISE UND DURCHFÜHRUNG Bevor mit der Befragung begonnen werden konnte, wurde zunächst schriftlicher bzw. mündlicher Kontakt mit den jeweiligen Institutionen502 aufgenommen, beziehungsweise wurden die Personen direkt angesprochen, indem die Studie vorgestellt wurde. Hierbei wurde erläutert, welches Thema untersucht wird, welchen Zweck die Befragung hat, wer die Studie durchführt, wie viel Zeit die Beantwortung des Fragebogens in Anspruch nimmt, und dass das Zurücksenden des Fragebogens anhand eines einfachen Mausklicks erfolgt. Ferner wurde die Gewährleistung der Anonymität aller Untersuchungsteilnehmer versichert. 502 Es gab zwei Absagen; die Leitung eines Seniorenheims in Berlin begründete ihre Absage damit, dass man eine Befragung, die die Themen „Tod“ und „Sterben“ zum Inhalt habe, älteren Menschen nicht zumuten könne. Auch die Regierung Mittelfranken untersagte die Teilnahme einer Berufsschule an der Befragung. Nur wenn an der Erhebung ein erhebliches pädagogischwissenschaftliches Interesse anzuerkennen sei und sich die Belastung der Schule in einem zumutbaren Rahmen halte, könne eine Genehmigung erteilt werden. Es ist schade zu sehen, dass älteren Menschen eine größere Angst vor solchen Themen unterstellt wird, obgleich eine wissenschaftliche Bestätigung solcher Annahmen bis heute ausbleibt. Des Weiteren kann nicht nachvollzogen werden, warum an einer Studie zum Thema Sterbehilfe kein pädagogisch-wissenschaftliches Interesse bestehen soll, handelt es sich doch um ein Thema, mit dem man sich nicht früh genug auseinandersetzen kann, nicht nur auch im schulischen Rahmen, sondern gerade im schulischen Rahmen, da die Schule ein Ort der Erziehung und Wissensvermittlung ist.

150

10 Darstellung der Ergebnisse

Die Ansprechpartner der Institutionen waren der Vorsitz eines Dachverbandes für Seniorenvereine, Vorstände der Seniorenvereine, die zuständige Behörde einer Berufsschule, Lehrer und Dozenten sowie die Leitung eines Seniorenheims. Des Weiteren wurden die Testpersonen auch direkt angesprochen. Nach dem Einverständnis insbesondere der Seniorenvereine und -verbände wurde ein Ankündigungsschreiben für die Mitglieder der Seniorenvereine verfasst, welches die obigen Punkte nochmals nannte mit der Bitte, an der Befragung teilzunehmen. Diese Ankündigung war wichtig, um die Mitglieder der einzelnen Vereine auf die Befragung vorzubereiten. Das Ankündigungsschreiben wurde an die Vorstände gesandt, da diese die Verteilerlisten hinsichtlich der E-Mail-Adressen ihrer Mitglieder besaßen und das Ankündigungsschreiben an alle Mitglieder mit einer E-Mail-Adresse weiterleiteten.

Verteilung der Fragebögen Die Vorstände der Seniorenvereine erhielten jeweils ein (elektronisches) Exemplar einer Fragebogenversion, welche sie allen Mitgliedern mit Internetanschluss per EMail zusandten. Auf diese Weise konnten vergleichsweise viele Mitglieder angesprochen werden. Wie viele Mitglieder jedoch auf diese Art exakt erreicht wurden, entzieht sich leider der genauen Kenntnis der Forscherin. Es ist aber mit Sicherheit eine Größenordnung von mindestens 800 bis 900 Personen anzunehmen. Ähnlich verhielt es sich mit den Fragebögen in Papierform; da möglichst viele Testpersonen für die vorliegende Studie gewonnen werden sollten, wurden 43 Seniorenvereine um die Teilnahme an der Befragung gebeten. Auch in diesem Fall kann nicht eindeutig ermittelt werden, wie viele Mitglieder letztlich einen Fragebogen erhielten, da die Vorstände der Seniorenvereine jeweils ein Exemplar einer Fragebogenversion erhielten, dieses kopierten und an die Mitglieder verteilten. Die Zuteilung der Seniorenvereine zu den vier Fragebogenversionen geschah systematisch zu gleichen Teilen. Der Zeitraum der Erhebung erstreckte sich vom Februar 2007 bis Juli 2008.

9.2.1 Analyse des Rücklaufs Die Rücklaufquote einer schriftlichen Befragung gibt den Anteil der ausgefüllten und zurückgesandten Fragebögen zur Gesamtanzahl der verteilten Fragebögen wieder. Ein hoher Fragebogenrücklauf ist Bortz und Döring gemäß besonders wichtig, wenn man befürchten müsse, dass sich antwortende und nichtantwortende Personen systematisch unterscheiden in Bezug auf die untersuchten Merkmale.503 Im Folgen-

503 Vgl. Bortz/Döring (1995), S. 234. In diesem Zusammenhang wird auf die sicherlich für viele Menschen Angst auslösende Thematik der Sterbehilfeproblematik sowie die von „Tod und Sterben“ hingewiesen. Es ist anzunehmen, dass die Personen, die eine größere Angst vor Tod und Sterben hatten, eine geringere Bereitschaft aufwiesen, an der Befragung teilzunehmen als

10 Darstellung der Ergebnisse

151

den wird auf die Rücklaufproblematik eingegangen, mit der Forscher häufig konfrontiert werden,504 denn jeder nicht zurückgesandte Fragebogen stellt einen potenziellen Verlust von wertvollen Datensätzen dar, die dem Untersucher nicht zu Verfügung stehen. Es gibt verschiedene Gründe dafür, warum ein Fragebogen nicht zurückgesandt wird: –







504

505 506 507

Nichterreichung der Untersuchungsteilnehmer: Eine sog. Nichterreichung von Untersuchungsteilnehmern liegt dann vor, wenn Befragte in die Untersuchung mit einbezogen werden sollten, aber aus schwer kontrollierbaren Umständen nicht erreicht werden können.505 Im vorliegenden Fall setzte die Befragung mittels Internet das Vorhandensein geeigneter Technik bei den Testpersonen voraus. Dementsprechend besaßen nicht alle Mitglieder der Seniorenvereine einen Computer und Internetanschluss, so dass nicht alle potenziell zu Befragenden erreicht werden konnten. Nichtantwort („non-response“): Ein häufig anzutreffendes Problem verursachen solche Zielpersonen, die sich aus Gründen wie mangelndem Interesse, Abneigung dem Befragungsgegenstand gegenüber oder geringer Motivation, einen Fragebogen auszufüllen, nicht an der Befragung beteiligen. Nichtbeantwortung bzw. Verlust: Auch eine nachträgliche Verweigerung der Untersuchungsteilnehmer, sich an der Befragung zu beteiligen, etwa weil das Befragungsthema sie nicht mehr interessiert, weil sie zu wenig Zeit haben, durch einen zu langen Fragebogen abgeschreckt werden, Benachteiligungen befürchten oder einen halb ausgefüllten Fragebogen wegwerfen, wirkt sich nachteilig auf den Rücklauf von Fragebögen aus.506 Fälscher: Personen, die aus Bequemlichkeit oder absichtlich falsche Daten liefern, sind ein ernst zu nehmendes Problem in der sozialwissenschaftlichen Forschung. Zwar lässt sich diese Problematik durch sog. Plausibilitätskontrollen etwas eindämmen, doch die Dunkelziffer der nicht identifizierten Falschantworten ist vermutlich weitaus höher.507 Da im vorliegenden Fall der Fragebogen nur wenige Rating-Skalen aufwies, konnten solche Plausibilitätskontrollen nicht durchgeführt werden. Es ist daher zu hoffen, dass die Untersuchungsteilnehmer durch das Versichern ihrer Anonymität sowie durch die schriftliche Form der Befragung ehrliche Antworten gaben.

diejenigen, die weniger Angst hatten, sich solch einem Thema zu stellen. Hierdurch könnte ein Selektionseffekt entstehen, der nur die Einstellungen der Personen erfasst, die ohnehin weniger Angst vor dem eigenen Lebensende haben. Einen Selektionseffekt versuchte die Untersuchungsleiterin dadurch zu minimieren, dass die Befragung sich auch an Schulklassen und Studenten richtete, welche sich aufgrund der Befragung im Klassenzimmer bzw. Hörsaal kaum entziehen konnten. Items mit weniger als zehn fehlenden Werten wurden nicht berücksichtigt, da hierbei aufgrund der geringen fehlenden Werte nicht von einer Systematik im Antwortverhalten ausgegangen werden konnte. Vgl. Wacker (2001). Ebd. Ebd.

152

10 Darstellung der Ergebnisse

Ausschöpfungs- oder Rücklaufquote –

Rücklaufquote der Fragebögen in Papierform: Zahl der verteilten Fragebögen in Papierform: 494 (=100 %) Zahl der zurückgesandten und davon auswertbaren Fragebögen: 301 Ausschöpfungsquote: 61 %



Rücklaufquote der elektronischen Fragebögen: Zahl der verteilten Fragebögen via Internet: 900 Zahl der zurückgesandten und davon auswertbaren Fragebögen: 137 Ausschöpfungsquote: 15,1 %



Rücklaufquote der Fragebögen insgesamt: Zahl der verteilten Fragebögen insgesamt: 1.161 Zahl der zurückgesandten und davon auswertbaren Fragebögen: 437 Ausschöpfungsquote insgesamt: 38 %

„Die in der Literatur berichteten Rücklaufquoten schwanken zwischen 10 % und 90 %“.508 Allerdings ist bei einer schriftlichen Befragung eine Rücklaufquote von mehr als 40 % beinahe nicht mehr zu realisieren; im Gegenteil stellen 40 % heutzutage ein gutes Ergebnis dar. Der prozentuale Anteil der fehlenden Werte dieser Befragung ist mit maximal 8 % als sehr gering einzustufen – ein in der Meinungsforschung eher seltenes Phänomen. Die Ausschöpfungsquote der vorliegenden Arbeit stellt demnach ein durchaus zufriedenstellendes Ergebnis dar, das durch den hohen Aufforderungscharakter der Studie, den eine Universität vermittelt, erklärt werden könnte.509

9.3 ANALYSE FEHLENDER WERTE Fehlende Werte stellen grundsätzlich ein Problem in der wissenschaftlichen Forschung dar. Sie können jedoch auch ein Indikator für bestimmte Sachverhalte sein, die es zu untersuchen gilt. Die Analyse der fehlenden Werte strebt daher an, die Gründe für die Nichtbeantwortung der Items zu ermitteln; steht hinter der Nichtbeantwortung der Items eine Systematik bzw. ein Muster, das möglicherweise durch die Fragegestellung selbst induziert wird, oder aber sind die Auslassungen vielmehr auf zufallsbedingte Merkmale wie das Übersehen der Fragen zurückzuführen?510

508 Bortz/Döring (1995), S. 234. 509 Ebd. 510 Einen guten Überblick über die Charakteristika von „missing values“ (auch „missing data“ genannt) bietet der Aufsatz von Matthias Runte (1999) von der Universität Kiel.

10 Darstellung der Ergebnisse

153

9.3.1 Unvollständiger Datensatz (missing values) Bei der Beantwortung von Fragebögen kommt es häufig vor, dass Fragen nicht beantwortet werden. Einige Datensätze sind dadurch unvollständig und erschweren somit die statistische Auswertung. Der Forscher hat drei Möglichkeiten, damit umzugehen:511 – – –

Künstliche Mittelwerte werden gebildet, die fehlende Werte ersetzen sollen. Ab einer gewissen Größenordnung werden ganze Fälle als unverwertbar aussortiert. Unterschiedliche Fallzahlen gehen in die Auswertung ein.

Einen Mittelwert als Ersatz für die fehlenden Werte zu bilden, hätte sich zwar vorteilhaft auf die Signifikanz ausgewirkt, doch die inhaltliche Aussagefähigkeit der Ergebnisse wäre fraglich gewesen, da diese auf Schätzungen beruht hätten, die gegebenenfalls nicht dem wahren Sachverhalt entsprochen hätten. Auch die zweite Variante, ganze Fälle auszusortieren, erschien nicht als die sinnvollste, da der jeweilige Datensatz zwar unvollständig war, die restlich beantworteten Items aber immer noch wichtige Informationen lieferten, die sonst verloren gegangen wären. Die dritte Art, mit fehlenden Werten umzugehen, schien somit die geeignetste zu sein, wenn sie auch mit der Gefahr einer sinkenden Signifikanz durch die Auswertung unterschiedlicher Fallzahlen verbunden war.

Abbildung 14: Häufigkeit der fehlenden Itemwerte in Zahlen512

511 Vgl. Wacker (2001). 512 Die Bezeichnungen der Tabelle entsprechen den Namen der Variablen der statistischen Auswertung: SH = Sterbehilfe; ASH = aktive Sterbehilfe.

154

10 Darstellung der Ergebnisse

Gültig

nein ja Gesamt

Fehlend Gesamt

Häufigkeit 137 283 420 17 437

% 31,4 64,8 96,1 3,9 100,0

Tabelle 17: Fehlende Werte des Items 8513

17 von den insgesamt 437 Befragten äußerten sich zu dieser Frage nicht. Mit 3,9 % stellt dies jedoch nur einen geringen Wert dar, der nicht auf eine bestimmte Systematik im Antwortverhalten schließen lässt. Möglicherweise war dieses Item den Untersuchungsteilnehmern relativ verständlich.

Gültig

bin eher dagegen bin weder dafür noch dagegen bin eher dafür Gesamt

Fehlend Gesamt

Häufigkeit 122 90 202 414 23 437

% 27,9 21,7 46,2 94,7 5,3 100,0

Tabelle 18: Fehlende Werte des Items 9514

Die Frage nach der Einstellung zur aktiven Sterbehilfe beantworteten nur 23 Testpersonen (5,3 %) nicht. Diese hohe Anzahl der Beantwortung ist erstaunlich, zumal vermutet werden könnte, dass solch eine Fragestellung nicht gerade einfach zu beantworten ist. Allerdings war der Anteil derjenigen, die sich weder für noch gegen die aktive Sterbehilfe entscheiden konnten, relativ hoch, so dass bei Fehlen dieser Antwortmöglichkeit die Quote der Missing Values weitaus höher gewesen wäre als es tatsächlich der Fall war.

513 Welche Maßnahme entspricht der aktiven Sterbehilfe? 514 Frage zur Einstellung zur aktiven Sterbehilfe.

155

10 Darstellung der Ergebnisse

Gültig

nein ja Gesamt

Fehlend Gesamt

Häufigkeit 117 294 411 26 437

% 26,8 67,3 94,1 5,9 100,0

Tabelle 19: Fehlende Werte des Items 14515

Die Frage nach der Religiosität weist einen vergleichsweise hohen Prozentsatz fehlender Werte auf. Möglicherweise berührte diese Frage einen für die Untersuchungsteilnehmer intimen Bereich, so dass 5,9 % der Befragten zu dieser Frage keine Aussage machen wollten. Die zweitgrößte Gruppe der Nicht-Antworter mit n = 30 (6,9 %) befand sich unter den Untersuchungsteilnehmern, die nach ihrer politischen Präferenz gefragt wurden.

Gültig

konservativ (CDU/CSU) bürgerlich-liberal (FDP) eher links (SPD) andere (z.B. Grüne) weiß nicht Gesamt

Fehlend Gesamt

Häufigkeit 102 45 99 93 68 407 30 437

% 23,3 10,3 22,7 21,3 15,6 93,1 6,9 100,0

Tabelle 20: Fehlende Werte des Items 17516

Hierfür könnten zwei Gründe verantwortlich sein: Die Frage nach der politischen Präferenz war – ähnlich der der Frage nach der Religiosität – eine eher private Angelegenheit, zu der sich diese Befragten nicht äußern wollten, auch wenn ihnen ihre Anonymität zugesichert wurde. Der Unterschied zwischen „Links“, „Rechts“, „Grün“ u.a. der heutigen Parteien erschien den Untersuchungsteilnehmern möglicherweise als zu gering, als dass sie sich auf eine Richtung festlegen konnten oder wollten.

515 Frage nach der Religiosität. 516 Frage nach der politischen Präferenz.

156

10 Darstellung der Ergebnisse

Altersgruppe

Häufigkeit der Beantworter

Häufigkeit der Antworten in %

Fehlende Werte in Zahlen

≤ 20 Jahre 21-35 Jahre 36-60 Jahre ≥ 61 Jahre insgesamt

69 64 97 206 437

67 63 93 191 414

2 1 4 15 23

Fehlende Werte in %

2,99 1,56 4,12 7,28 5,26

Tabelle 21: Fehlende Werte des Items 5517

Die fehlenden Werte bei der Frage „was stellen Sie sich unter Sterbehilfe vor?“ können mit 5,26 % als gering eingestuft werden, auch wenn es sich bei dieser Frageform um eine offene Frage handelt, bei der von den Untersuchungsteilnehmern Schreibarbeit verlangt wurde. Ob es nur „Bequemlichkeit“ der Befragten war oder aber andere Gründe für das Nicht-Ausfüllen verantwortlich waren, zeigt unten stehende Tabelle 23. Dort fällt auf, dass sich der größte Anteil der Nicht-Beantworter unter den älteren Teilnehmern befand, so dass die Vermutung nahe liegt, dass insbesondere älteren Befragten das Schreiben schwer fiel.

Altersgruppe

Häufigkeit der Beantworter

Häufigkeit der Antworten in %

Fehlende Werte in Zahlen

≤ 20 Jahre 21-35 Jahre 36-60 Jahre ≥ 61 Jahre insgesamt

69 64 97 206 437

64 62 90 186 402

5 2 7 20 35

Fehlende Werte in %

7,25 3,13 7,22 9,71 8,01

Tabelle 22: Fehlende Werte des Items 6518

Auch hier fällt der größere Anteil der fehlenden Antworten in Abhängigkeit vom Lebensalter auf. Die Gruppe der 66-Jährigen und Älteren ist im Vergleich zu den jüngeren Jahrgängen zwar am größten, doch der prozentuale Anteil der fehlenden Werte weist auf eine Abhängigkeit der Schreibfertigkeit mit dem Lebensalter hin.

517 Frage, was sich die Probanden unter Sterbehilfe vorstellen. Prozentangabe bezogen auf die Häufigkeit der Befragten in der Altersgruppe. 518 Frage nach den Gründen für aktive Sterbehilfe. Prozentangabe bezogen auf die Häufigkeit der Befragten in der Altersgruppe.

10 DARSTELLUNG DER ERGEBNISSE 10.1 ERGEBNISSE DES EXPLORATIVEN TEILS In diesem Kapitel werden die Resultate vorgestellt, die sich aus der Befragung ergeben haben.

10.1.1 Gesetzliche Regelung der Sterbehilfe in Deutschland Die Frage, ob die Sterbehilfe in Deutschland unmissverständlich gesetzlich geregelt werden soll, beantworteten 432 Testpersonen. Fünf äußerten sich hierzu nicht (Mittelwert: 2,66; Standardabweichung: 0,647).

Abbildung 15: Gesetzliche Regelung der Sterbehilfe in Deutschland

Für die Mehrheit der Befragten stand fest, dass sie sich in Deutschland eine eindeutige gesetzliche Regelung der Sterbehilfe wünschen (n = 328; 75,9 %). 42 (9,7 %) Befragte lehnten eine gesetzliche Regelung ab und 62 (14,4 %) Personen waren

158

10 Darstellung der Ergebnisse

sich bei einer klaren Beantwortung unsicher, sei es aus Unwissen, was sie sich unter einer gesetzlichen Regelung der Sterbehilfe vorstellen sollten oder aus anderen Gründen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Wichtig ist festzuhalten, dass dieses Ergebnis das Bedürfnis vieler Menschen nach einer gesetzlichen Regelung aller Formen der Sterbehilfe bestätigt (vgl. Diskussionsteil der vorliegenden Arbeit).

10.1.2 Rolle der Sterbehilfe in Deutschland

Abbildung 16: Rolle der Sterbehilfe in Deutschland

Die Frage, ob die Sterbehilfe519 in Deutschland eine Rolle520 spielen wird, beantworteten 434 Testpersonen. Nur drei Personen machten keine Angabe hierzu (Mittelwert: 3.63; Standardabweichung: 1,047). Abbildung 16 zeigt eine deutliche Mehrheit, die glaubte, dass in Zukunft die Sterbehilfe in Deutschland eine Rolle spielen wird (n = 207; 47,7 %). 75 Personen (17,3 %) glaubten sogar ganz fest daran. Die mittlere Ausprägung der Antwortkategorie „ein wenig“ erhielt 98 (22,6 %) Zustimmungen. 25 (5,8 %) Personen wussten nicht, wie sie die zukünftige Lage

519 An welche Formen der Sterbehilfe die Testpersonen tatsächlich dachten, ist natürlich ungewiss. 520 Hierbei ist die zunehmende Bedeutung des Themas „Sterbehilfe“ in Deutschland gemeint.

10 Darstellung der Ergebnisse

159

in Deutschland hinsichtlich der Sterbehilfe beurteilen sollten und 29 (6,7 %) Befragte glaubten nicht daran, dass die Sterbehilfe in Deutschland eine Rolle spielen wird.

10.1.3 Freie Verfügung über das eigene Leben und den eigenen Tod 434 Befragte machten zu der Frage, ob ein Mensch frei über sein Leben und somit auch über seinen Tod verfügen dürfe, eine Angabe. Lediglich drei Personen äußerten sich hierzu nicht (Mittelwert 2,33; Standardabweichung: 0,623).

Abbildung 17: Verfügung über eigenes Leben und den Tod

Über ihr Leben und somit auch über ihren Tod frei verfügen zu dürfen, darin waren sich 180 (41,5 %) Befragte einig. 218 (50,2 %) Personen waren zurückhaltender mit dieser Auffassung; sie waren der Meinung, dass nur unter bestimmten Bedingungen der Mensch über sein Leben, also auch über seinen Tod bestimmen dürfe. 36 (8,3 %) der Untersuchungsteilnehmer lehnten das Recht einer freien Verfügung über den eigenen Tod kategorisch ab. Welche Gründe wie etwa Alter, politische Gesinnung oder Religiosität waren für die Auffassung der Untersuchten verantwortlich, nicht über ihr Leben und Tod bestimmen zu wollen bzw. zu dürfen? Diese Frage soll im Folgenden der Reihen-

160

10 Darstellung der Ergebnisse

folge nach untersucht werden. Zunächst wurde daher untersucht, inwiefern die Einstellung zur freien Verfügung über das eigene Leben und den Tod von der Religiosität der Untersuchungsteilnehmer abhing. Es stellte sich heraus, dass die Auffassung, der Mensch dürfe nicht oder nur unter bestimmten Umständen über seinen eigenen Tod verfügen, insbesondere von denjenigen geteilt wurde, die sich für religiös hielten. Wer sich hingegen nicht für religiös hält, war der Meinung, frei über seinen eigenen Tod verfügen zu dürfen (Kendall-Tau-b: τ = -0,113; p < 0,001).

Abbildung 18:Verfügung über eigenes Leben und den Tod in Abhängigkeit von Religiosität

Die nächste Abbildung weist darauf hin, dass es insbesondere die nicht konservativ eingestellten Untersuchungsteilnehmer waren, die der Frage nach der freien Verfügung über Leben und Tod zustimmten. Die eher konservativ orientierten Probanden waren hingegen der Auffassung, dass der Mensch kein Recht habe, über seinen Tod bestimmen zu dürfen (Kendall-Tau-b: τ = -0,192; p < 0,001).

10 Darstellung der Ergebnisse

Abbildung 19:Verfügung über eigenes Leben und den Tod in Abhängigkeit von politischer Präferenz

Abbildung 20: Verfügung über eigenes Leben und den Tod in Abhängigkeit vom Alter

161

162

10 Darstellung der Ergebnisse

Abbildung 20 zeigt folgende Diskrepanzen zwischen den Altersgruppen auf, wenn es um die freie Verfügung über Leben und den Tod geht: Insbesondere die jüngste Altersgruppe war der Meinung, frei über ihr Leben und somit auch über den eigenen Tod frei bestimmen zu dürfen. Im Vergleich dazu stand die älteste Altersgruppe dieser Meinung ablehnender gegenüber (Kendall-Tau-b: τ = -0,134; p = 0,001).

10.1.4 Patientenverfügung (PV) Hinsichtlich des Bekanntheitsgrades der Patientenverfügung (s. Abb. 21) wird folgendes Ergebnis deutlich: Die Patientenverfügung kannten von 433 Nennungen 86,8 % (n = 376) der Befragten. Nur ein geringer Anteil von 6,9 % (n = 30) war sich nicht sicher, jemals von der Patientenverfügung gehört zu haben. Für lediglich 6,2 % (n = 27) war sie sogar unbekannt. Vier Testpersonen machten zu dieser Frage keine Angabe (Mittelwert: 2,81; Standardabweichung: 0,531).

Abbildung 21: Bekanntheitsgrad der Patientenverfügung

Der hohe Bekanntheitsgrad der Patientenverfügung mag zunächst erstaunlich sein, zumal davon ausgegangen worden war, dass die Patientenverfügung in Deutschland immer noch viel zu wenig bekannt sei. Doch der größte Bekanntheitsgrad – wie die nächste Abbildung zeigt – lag in der älteren Altersgruppe. Dies bedeutet, dass je älter die Befragten waren, desto größer war der Bekanntheitsgrad bezüglich des

10 Darstellung der Ergebnisse

163

Begriffs. So kann eindeutig die Kenntnis bezüglich der Patientenverfügung mit dem Alter in Verbindung gebracht werden.521 Von den älteren Befragten waren es lediglich vier Probanden, denen der Begriff der Patientenverfügung unbekannt war oder sie mit ihm nichts anzufangen wussten.

Abbildung 22: Bekanntheitsgrad der Patientenverfügung in Abhängigkeit vom Alter522

10.1.5 Einstellung zur passiven Sterbehilfe

Die Einstellung der Testpersonen zur passiven Sterbehilfe schien eindeutig ausgefallen zu sein (s. Abbildung 23): Insgesamt äußerten sich 430 Personen zu dieser Frage, von denen die überwiegende Mehrheit mit n = 241 bzw. 56 % der Auffassung war, dass es durchaus vernünftig sei, lebensverlängernde Maßnahmen der im Fallbeispiel geschilderten Person abzuschalten. Die Minderheit mit n = 189 bzw. 44 % der Befragten verneinte diese Frage. Sieben Befragte machten hierzu keine Angabe (Mittelwert: 0,56; Standardabweichung: 0,497).

521 Diesen Sachverhalt belegen auch Eulberg/Ott-Eulberg (2008) und Statistika (2014). 522 Kreise bedeuten Extremwerte, keine Ausreißer.

164

10 Darstellung der Ergebnisse

Abbildung 23: Das Abschalten lebensverlängernder Maßnahmen ist vernünftig

Dieselbe Fragestellung, diesmal jedoch mit einer negativ formulierten Antwortalternative, generierte ein ähnliches, wenn auch kein identisches Ergebnis wie oben. 80 bzw. 18,6 % der Untersuchungsteilnehmer stimmten der Auffassung zu, dass es vernünftig sei, lebensverlängernde Maßnahmen abzustellen. Im Vergleich zu oben war der überwiegende Teil der Befragten mit n = 349 bzw. 81,4 % dagegen, dass es nicht akzeptabel sei, lebensverlängernde Maßnahmen abzustellen (Mittelwert: 0,19; Standardabweichung: 0,390). Der Grund, warum sich die Ergebnisse (vgl. Abbildung 24) der Ja-Nein-Antworten in ihrer Häufigkeit unterschieden, mag an der Umpolung der Frageformulierung liegen.523

523 Wie stimmt man einem negativ formulierten Sachverhalt zu? Mit einem „Ja“ oder mit einem „Nein“?

10 Darstellung der Ergebnisse

165

Abbildung 24: Das Abschalten lebensverlängernder Maßnahmen ist nicht vernünftig

Aktive = passive Sterbehilfe? Da – wie mehrfach konstatiert wurde – aktive und passive Sterbehilfe oft miteinander verwechselt oder gleichgesetzt wurden, ist es sinnvoll zu untersuchen, ob ein Zusammenhang zwischen der Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe und der Einstellung zur „passiven“ Sterbehilfe auch in der vorliegenden Studie besteht. Betrachtet man Abbildung 25, so wird tatsächlich ein starker Zusammenhang zwischen diesen beiden Formen der Sterbehilfe deutlich. Die Zustimmungen zu der Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe war insbesondere dann groß, wenn das Abschalten lebensverlängernder Maßnahmen als eine „vernünftige“ Entscheidung verstanden wurde (Kendall-Tau-b: τ = 0,269; p < 0,001).

166

10 Darstellung der Ergebnisse

Abbildung 25: Korrelation: Einstellung zur passiven und aktiven Sterbehilfe (1)

In der nachfolgenden Abbildung wird auch dort der Zusammenhang zwischen der Einstellung zur passiven und aktiven Sterbehilfe deutlich: Wer nicht der Meinung war, dass das Abschalten lebensverlängernder Maßnahmen nicht akzeptabel sei, sprach sich deutlich mehr für die „aktive“ Sterbehilfe aus (Kendall-Tau-b: τ = -0,272; p < 0,001). Dieses Ergebnis muss jedoch mit einem „Aber“ versehen werden; zwar gibt es einen signifikanten Zusammenhang zwischen diesen beiden Einstellungen, es darf jedoch nicht vergessen werden, dass auch hier die „unbeeinflusste“ Meinung derjenigen hineinfloss, die keine Informationen zur aktiven/passiven Sterbehilfe sowie Palliativmedizin erhalten haben.

167

10 Darstellung der Ergebnisse

Abbildung 26: Korrelation: Einstellung zur passiven und aktiven Sterbehilfe (2)

Das Abschalten lebensverlängernder Maßnahmen ist vernünftig in Verbindung mit Fragebogentyp

Wert

df

Asymptotische Signifikanz (2-seitig)

Chi-Quadrat nach Pearson 0,840a 3 0,840 Likelihood-Quotient 0,840 3 0,840 Zusammenhang linear-mit-linear 0,829 1 0,363 Anzahl der gültigen Fälle 430 a. 0 Zellen (,0 %) haben eine erwartete Häufigkeit < 5. Die minimale erwartete Häufigkeit ist 44,39. Tabelle 23: Passive Sterbehilfe und Fragebogentyp (= vernünftig)

168

10 Darstellung der Ergebnisse

Das Abschalten lebensverlängernder Maßnahmen ist nicht akzeptabel in Verbindung mit Fragebogentyp

Wert

df

Asymptotische Signifikanz (2-seitig)

Chi-Quadrat nach Pearson 2,631a 3 0,452 Likelihood-Quotient 2,712 3 0,438 Zusammenhang linear-mit-linear 1,326 1 0,250 Anzahl der gültigen Fälle 429 a. 0 Zellen (,0 %) haben eine erwartete Häufigkeit < 5. Die minimale erwartete Häufigkeit ist 8,83. Tabelle 24: Passive Sterbehilfe und Fragebogentyp (= nicht akzeptabel)

Beide Tabellen zeigen keinen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen der Einstellung zur passiven Sterbehilfe und dem Fragebogentyp. Dies bedeutet, dass die Informationen sich nicht auf die Einstellung zur passiven Sterbehilfe auswirkten.

10.1.6 Antwortverhalten in Abhängigkeit vom Informationsgrad

Die Maßnahmen der Sterbehilfe Was wussten die Testpersonen von der aktiven Sterbehilfe? Waren sie in der Lage, von sechs aufgeführten Beispielen unterschiedlicher Formen der Sterbehilfe die richtige zu erkennen? Folgende Antwortalternativen – von denen jedoch nur das Verabreichen einer tödlichen Injektion eine Maßnahme der aktiven Sterbehilfe darstellt – standen zur Auswahl: – – – – – –

Entfernen der Magensonde. Patient bekommt keine Nahrung mehr. Beatmungsapparat wird abgestellt. Verabreichen einer tödlichen Injektion. Adäquate medizinische Behandlung und menschliche Fürsorge, um Wohlbefinden des Patienten zu steigern und dessen Sterben zu erleichtern. Dosis der Schmerzmittel wird erhöht, um Schmerzen zu lindern. Der Tod wird billigend in Kauf genommen. Palliativpflege in einem Hospiz.

Im Folgenden werden der Reihe nach die Ergebnisse bezüglich der Einschätzung der Sterbehilfearten dargestellt: Das Item („ist das Entfernen der Magensonde eine Maßnahme der aktiven Sterbehilfe?“) beantworteten 420 der Untersuchungsteilnehmer. 17 Personen äußerten sich hierzu nicht. Abbildung 27 zeigt, dass immerhin ein Drittel der Befragen (n = 137; 32,6 %) das Entfernen der Magensonde für eine Maßnahme der aktiven Sterbehilfe hielt. Zwei Drittel (n = 283; 67,4 %) waren der Ansicht, dass diese Maßnahme keine aktive Sterbehilfe sei (Mittelwert: 0,33; Standardabweichung: 0,469).

169

10 Darstellung der Ergebnisse

Entfernen der Magensonde

32,6% nein ja 67,4%

Abbildung 27: Ist das Entfernen der Magensonde aktive Sterbehilfe?

Betrachtet man die unten stehende Abbildung 28, so wird Folgendes deutlich: Die Hälfte der Befragten (n = 211; 50,2 %) war der Meinung, dass das Abstellen eines Beatmungsapparates eine Maßnahme der aktiven Sterbehilfe sei; die andere Hälfte (n = 209; 49,8 %) der Probanden teilte diese Auffassung nicht (Mittelwert: 0,5; Standardabweichung: 0,501).

Abstellen des Beatmungsapparats

nein 50,2%

49,8%

Abbildung 28: Ist das Abstellen des Beatmungsapparats aktive Sterbehilfe?

ja

170

10 Darstellung der Ergebnisse

Verabreichen einer tödlichen Injektion

32,6% nein ja 67,4%

Abbildung 29: Ist das Verabreichen einer tödlichen Injektion aktive Sterbehilfe?

32,6 % der Befragten (n = 137) hielten das gezielte Töten eines Patienten nicht für eine aktive Sterbehilfe. Die Mehrheit (n = 283; 67,4) allerdings war (ganz richtig) der Meinung, dass es sich bei dieser Art der Sterbehilfe um eine aktive Sterbehilfe handele (Mittelwert: 0,76; Standardabweichung: 0,469). Allerdings flossen auch die Meinungen der aufgeklärten bzw. informierten Probanden in das Ergebnis ein, so dass der schwarze Teil der Abbildung deutlich größer sein müsste. Die nächste Abbildung 30 zeigt eine ähnliche Aufteilung; so setzte sich hier die Ein-Drittel- zu Zwei-Drittel-Relation fort: Ein Drittel der Testpersonen (n = 126; 30 %) war der Meinung, dass es sich bei einer adäquaten medizinischen Behandlung um eine Form der aktiven Sterbehilfe handelt. Das Gros war zwar der richtigen Auffassung, dass dies keine Maßnahme der aktiven Sterbehilfe darstellt (Mittelwert: 0,30; Standardabweichung: 0,549), doch auch hier ist anzumerken, dass die Meinung der informierten Probanden sich in diesem Ergebnis niederschlägt (wenn auch nicht in dem Maße wie in Abbildung 32, da dort der Palliativbegriff explizit genannt wurde). Demnach wäre der graue Anteil des Diagramms größer. Was es bedeutet, dass immerhin ein Drittel (und ohne vorherige Aufklärung mit Sicherheit noch mehr) der Befragten glaubte, eine adäquate medizinische Behandlung sei aktive Sterbehilfe, wird in Kapitel 11 diskutiert.

171

10 Darstellung der Ergebnisse

Adäquate medizinische Behandlung

30,0% nein ja 70,0%

Abbildung 30: Ist die adäquate medizinische Behandlung aktive Sterbehilfe?

Mehr als ein Drittel der Testpersonen (n = 158; 37,6 %) hielt die indirekte Sterbehilfeart für aktive Sterbehilfe. Der Großteil (n = 262; 62,4 %) war anderer Meinung (Mittelwert: 0,38; Standardabweichung: 0,485), wobei natürlich auch in diesem Fall die Daten der informierten Gruppen in das Ergebnis mit eingeflossen sind.

Erhöhung der Schmerzmitteldosis

37,6%

nein ja 62,4%

Abbildung 31: Ist die Erhöhung der Schmerzmitteldosis aktive Sterbehilfe?

172

10 Darstellung der Ergebnisse

Palliativmedizin

14,5% nein ja 85,5%

Abbildung 32: Ist die Palliativmedizin aktive Sterbehilfe?

Nur wenige Befragte (n = 61; 14,5 %) hielten die Palliativmedizin für aktive Sterbehilfe. Der Großteil (n = 359; 85,5 %) ordnete sie nicht der aktiven Sterbehilfe zu (Mittelwert der Gesamtstichprobe: 0,15; Standardabweichung: 3,353). Dieses Ergebnis überrascht keinesfalls, da hier auch die Meinung der informierten Probanden in den Datensatz mit eingeflossen ist.

Interkorrelationen zwischen den Maßnahmen der Sterbehilfe Bevor nun darauf eingegangen wird, inwiefern das Antwortverhalten der Probanden hinsichtlich der verschiedenen Sterbehilfemaßnahmen vom Informationsgrad abhängt, soll ein Blick auf folgende Interkorrelationsmatrix geworfen werden, welche zeigt, ob und wie stark die Maßnahmen der Sterbehilfe untereinander korrelieren. Tabelle 25 zeigt Folgendes: Kein signifikanter Zusammenhang besteht zwischen – – –

dem Entfernen der Magensonde (passive Sterbehilfe) und dem Verabreichen einer tödlichen Injektion (aktive Sterbehilfe) dem Entfernen der Magensonde (passive Sterbehilfe) und der Palliativpflege (Palliativmedizin bzw. Sterbebegleitung) der Palliativpflege (Palliativmedizin) und dem Abstellen des Beatmungsapparats (passive Sterbehilfe)

173

10 Darstellung der Ergebnisse

Kendall-Tau-b

Sterbehilfeform524 M1 M2 M3 M4 Entfernen der τ 1,000 ,040 ,120* -,112* Magensonde Sign. ,413 ,014 ,022 Verabreichen τ 1,000 -,246** -,564** einer tödliSign. ,000 ,000 chen Injektion Erhöhung der τ 1,000 ,210** SchmerzmitSign. ,000 teldosis Adäquate meτ 1,000 dizinische Sign. Behandlung Palliativτ pflege Sign. Abstellen des τ BeatmungsSign. apparats * Die Korrelation ist auf dem 0,05-Niveau zweiseitig signifikant. ** Die Korrelation ist auf dem 0,01-Niveau zweiseitig signifikant.

M5 -,013 ,791 -,391** ,000

M6 ,479** ,000 ,161** ,001

,112* ,021

-,043 ,379

,379** ,000

-,117* ,016

1,000

-,076 ,118 1,000

Tabelle 25: Interkorrelationsmatrix der Sterbehilfearten

Ein signifikanter positiver Zusammenhang besteht zwischen – – – – – – –

der Erhöhung der Schmerzmitteldosis (indirekte Sterbehilfe) und dem Entfernen der Magensonde (passive Sterbehilfe) der Erhöhung der Schmerzmitteldosis (indirekte Sterbehilfe) und der adäquaten medizinischen Behandlung (Palliativmedizin) der Erhöhung der Schmerzmitteldosis (indirekte Sterbehilfe) und der Palliativpflege der Erhöhung der Schmerzmitteldosis (indirekte Sterbehilfe) und der adäquaten medizinischen Behandlung (Palliativmedizin) dem Entfernen der Magensonde (passive Sterbehilfe) und dem Abstellen des Beatmungsapparats (passive Sterbehilfe) dem Verabreichen einer tödlichen Injektion (aktive Sterbehilfe) und dem Abstellen des Beatmungsapparats (passive Sterbehilfe) der adäquaten medizinischen Behandlung (Palliativpflege) und der Palliativpflege

524 Die verschiedenen Maßnahmen der Sterbehilfe werden im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit aus Gründen der Vereinfachung mit Kürzeln versehen. M1 = Entfernen der Magensonde; M2 = Verabreichen einer tödlichen Injektion; M3 = Erhöhung der Schmerzmitteldosis; M4 = Adäquate medizinische Versorgung; M5 = Palliativmedizin; M6 = Entfernen der Beatmungsapparats.

174

10 Darstellung der Ergebnisse

Ein signifikanter negativer Zusammenhang besteht zwischen – – – – –

der Erhöhung der Schmerzmitteldosis (indirekte Sterbehilfe) und dem Verabreichen einer tödlichen Injektion (aktive Sterbehilfe) dem Entfernen der Magensonde (passive Sterbehilfe) und der adäquaten medizinischen Behandlung (Palliativpflege bzw. Sterbebegleitung) dem Verabreichen einer tödlichen Injektion (aktive Sterbehilfe) und der adäquaten medizinischen Behandlung (Palliativpflege) dem Verabreichen einer tödlichen Injektion (aktive Sterbehilfe) und der Palliativpflege der adäquaten medizinischen Behandlung (Palliativpflege bzw. Sterbebegleitung) und dem Abstellen des Beatmungsapparats (passive Sterbehilfe)

Wie zu sehen ist, korrelieren nahezu alle Formen der Sterbehilfe entweder positiv oder negativ miteinander.

Antwortverhalten in Abhängigkeit vom Informationsgrad Unterschied sich das Antwortverhalten der Untersuchungsteilnehmer zwischen den Gruppen mit dem Erhalt der Informationen zur Sterbehilfe und Palliativmedizin, wenn sie darüber urteilen sollten, welche Maßnahme sie für aktive Sterbehilfe hielten (bzw. welche nicht)? Diese Frage ist von besonderer Bedeutung,525 da nur die Fähigkeit zum richtigen Urteilen eine echte Grundlage für (gesundheits-)politische Entscheidungen, aber auch eine wesentliche Entscheidungshilfe für das eigene Leben bilden kann. Im Folgenden wird dargestellt, welche Arten der Sterbehilfe mit der Darbietung der unterschiedlichen Informationen sich in einem unterschiedlichen Antwortverhalten der Probanden zwischen den Gruppen niederschlugen:

525 Der Unterschied zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe ist, wie bereits erörtert, für viele Menschen schwer zu fassen; dies zeigt die Reaktion der Menschen auf die letzte Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs (2010), welcher die (ohnehin legale) passive Sterbehilfe legalisiert. Auch wird in diesem Zusammenhang oft von einer Legalisierung der „aktiven“ Sterbehilfe (was sie faktisch nicht ist) gesprochen.

10 Darstellung der Ergebnisse



175

Entfernen der Magensonde

Abbildung 33: Ist das Entfernen der Magensonde aktive Sterbehilfe?

Anhand Abbildung 33 wird deutlich, dass mit der Darbietung der Informationen kein unterschiedliches Antwortverhalten zwischen den Gruppen generiert wurde. Wie zu sehen ist, befindet sich bei allen vier Gruppen der Mittelwert auf der untersten Ebene (nein) was darauf hindeutet, dass die Testpersonen sich trotz der etwas provokanten Formulierung „Patient bekommt keine Nahrung mehr“ nicht dazu verleiten ließen, diese Art der Sterbehilfe für eine aktive Sterbehilfe zu halten (ChiQuadrat nach Pearson: χ2 = 4,127; p = 0,284; df = 3).

176 –

10 Darstellung der Ergebnisse

Abstellen des Beatmungsapparates

Abbildung 34: Ist das Abstellen des Beatmungsapparates aktive Sterbehilfe?

Wie zu sehen ist, ist auch hier kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Art des Fragebogens und dem Antwortverhalten festzustellen. Allerdings unterscheidet sich je nach Gruppe die Lage des Mittelwertes.526 Insgesamt schien keine der Informationen für die Beantwortung der Frage von Relevanz zu sein, ein Ergebnis, das durchaus schlüssig ist, da zu dieser Form der Sterbehilfe kein Beispiel genannt wurde und aufgrund dessen auch kein unterschiedliches Antwortverhalten zwischen den Gruppen erfolgen konnte (Chi-Quadrat nach Pearson: χ2 = 2,319; p = 0,509; df = 3).

526 Aufgrund der Charakteristika des Box- und Whisters-Plots (Boxplot) hat es den Anschein, dass der Mittelwert auf Extrempositionen liegt. Dies entspricht jedoch nicht der Realität. Tatsächlich soll lediglich der Tatbestand aufgezeigt werden, in welche Richtung (entweder in Richtung „ja“ oder in Richtung „nein) sich der Mittelwert bewegt.

10 Darstellung der Ergebnisse



177

Verabreichung einer tödlichen Injektion

Abbildung 35: Ist das Verabreichen einer tödlichen Injektion aktive Sterbehilfe? (1)

Abbildung 35 zeigt das unterschiedliche Antwortverhalten in Abhängigkeit vom Informationsgrad zwischen den Gruppen: Die Nein-Antworten („halte das Verabreichen einer tödlichen Injektion nicht für aktive Sterbehilfe“) sind dort am höchsten, wo auch der Informationsgehalt am größten war, entsprechend verhielt es sich mit den Ja-Antworten („halte das Verabreichen für aktive Sterbehilfe“) jedoch in umgekehrter Richtung. Im Vergleich zu den beiden oben genannten Arten der Sterbehilfe erzielte die Information zur aktiven und passiven Sterbehilfe eine Wirkung: Ein Blick auf die obige Abbildung zeigt, dass die Spannbreite der Box dort am größten ist, wo keine Information zur aktiven Sterbehilfe erfolgte (siehe erste und zweite Box: keine Information und Information zur Palliativmedizin). Besonders der Erhalt der Informationen der Fragebögen III (Information zur aktiven und passiven Sterbehilfe) und IV (mit allen Informationen) bewirkte, dass die Befragten davon überzeugt werden konnten, bei der Verabreichung einer tödlichen Injektion handelt es sich um aktive Sterbehilfe (Chi-Quadrat nach Pearson: χ2 = 20,297; p < 0,001; df = 3). Die nächste Abbildung zeigt diesen Effekt der dargebotenen Informationen auf das Antwortverhalten der Probanden sehr anschaulich.

178

10 Darstellung der Ergebnisse

Abbildung 36: Ist das Verabreichen einer tödlichen Injektion aktive Sterbehilfe? (2)



Erhöhung der Schmerzmitteldosis mit Inkaufnahme des Todes

Abbildung 37: Ist die Erhöhung der Schmerzmitteldosis aktive Sterbehilfe?

10 Darstellung der Ergebnisse

179

Wie nicht anders zu erwarten war, gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen bezüglich des Antwortverhaltens, da es zur indirekten Sterbehilfe kein Beispiel gab (Chi-Quadrat nach Pearson: χ2 = 0,477; p = 0,924; df = 3). Mit der Darbietung der Informationen zur aktiven sowie passiven Sterbehilfe, die implizit beschreiben wurde, was die indirekte Sterbehilfe nicht ist,527 blieb die Auffassung, diese Art der Sterbehilfe sei keine aktive Sterbehilfe, bestehen. –

Adäquate medizinische Behandlung

Abbildung 38: Ist die adäquate medizinische Behandlung aktive Sterbehilfe? (1)

Wie in der oben stehenden Abbildung zu sehen ist, wurde die „adäquate medizinische Behandlung“ wenig mit dem Begriff der Palliativmedizin in Verbindung gebracht. Dies zeigt die zweite Box (Information zur Palliativmedizin), die sich kaum von der ersten Box (keine Information) unterscheidet. Dennoch glaubte die Mehrheit der Befragten, dass die „adäquate medizinische Behandlung“ keine Maßnahme der aktiven Sterbehilfe darstellt (Chi-Quadrat nach Pearson: χ2 = 20,065; p < 0,001; df = 3).

527 Nämlich aktive oder passive Sterbehilfe.

180

10 Darstellung der Ergebnisse

Abbildung 39: Ist die adäquate medizinische Behandlung aktive Sterbehilfe? (2)

Abbildung 39 zeigt, abhängig von den Informationen, ein unterschiedliches Antwortverhalten zwischen den Gruppen. Insbesondere die Information zur aktiven bzw. passiven Sterbehilfe sorgte offensichtlich dafür, dass die Experimentalgruppe B sich davon überzeugen ließ, dass die „adäquate medizinische Behandlung“528 keine aktive Sterbehilfe darstellt. Betrachtet man den ersten Balken (keine Information) so ist mit 11,4 % der Befragten der Anteil derjenigen erschreckend hoch, der diese Art der Sterbehilfe für aktive Sterbehilfe hielt. –

Palliativpflege

Noch eindrucksvoller zeigt sich das Antwortverhalten der Befragten anhand der Abbildung 40: Hier sollten die Probanden urteilen, ob es sich bei der Palliativmedizin um eine Maßnahme der aktiven Sterbehilfe handelt oder nicht. Da der Begriff „Palliativmedizin“ im Fragebogen explizit genannt und erläutert wurde – im Gegensatz zur „adäquaten medizinischen Behandlung“ – schien für die Befragten klar gewesen zu sein, dass diese kaum aktive Sterbehilfe sein könne. Dementsprechend fiel das Ergebnis aus. Im Vergleich zu oben (siehe die zweite Box der Abbildung 38) wirkte sich auch die Information zur Palliativmedizin direkt auf das Antwortverhalten der Probanden aus, während im obigen Fall insbesondere die Information zur aktiven/passiven Sterbehilfe für das Ergebnis ausschlaggebend war (Chi-Quadrat nach Pearson: χ2 = 16,844; p = 0,001; df = 3).

528 Die freilich nichts anderes als Palliativmedizin darstellt, als solche aber nicht genannt wurde.

181

10 Darstellung der Ergebnisse

Abbildung 40: Ist die Palliativmedizin aktive Sterbehilfe?

Zusammenfassend stellen sich die Ergebnisse wie folgt dar:

Maßnahmen der Sterbehilfe Entfernen der Magensonde (M1) Verabreichen einer tödl. Injektion (M2) Erhöhung der Schmerzmitteldosis (M3) Adäquate med. Versorgung (M4) Palliativmedizin (M5) Abstellen des Beatmungsapparates (M6)

Art der Sterbehilfe Passive Sterbehilfe Aktive Sterbehilfe Indirekte Sterbehilfe Palliativmedizin Palliativmedizin Passive Sterbehilfe

Antwortverhalten Kein Unterschied Sign. Unterschied Kein Unterschied Sign. Unterschied Sign. Unterschied Kein Unterschied

Tabelle 26: Antwortverhalten in Abhängigkeit von erhaltener Information

Ist der Kenntnisgrad zur Sterbehilfe bildungsabhängig? Abgeleitet von der Frage, inwieweit sich Menschen durch Aufklärung in ihrem Antwortverhalten beeinflussen lassen, ist es auch interessant zu untersuchen, ob sich Bildungsunterschiede der Befragten im Kenntnisgrad der Sterbehilfearten niederschlugen, da vermutet wurde, dass Menschen mit einem höheren Bildungsgrad auch

182

10 Darstellung der Ergebnisse

besser informiert sind. Ob es sich tatsächlich so verhielt, darüber soll die folgende Tabelle Auskunft geben: Maßnahmen der Sterbehilfe M1 M2 M3 M4 M5 M6

Akademiker

Nicht-Akademiker

Kein Unterschied χ2 = 1,261; p = 0,738; df = 3 Kein Unterschied χ2 = 7,951; p = 0,058; df = 3 Kein Unterschied χ2 = 2,067; p = 0,559; df = 3 Signifikanter Unterschied* χ2 = 7,951: p = 0,047; df = 3 Signifikanter Unterschied* χ2 = 8,421; p = 0,038; df = 3 Kein Unterschied χ2 = 2,772; p = 0,428; df = 3

Kein Unterschied χ2 = 3,828; p = 0,281; df = 3 Signifikanter Unterschied* χ2 =19,203; p < 0,001; df = 3 Kein Unterschied χ2 = 0,918; p = 0,821; df = 3 Signifikanter Unterschied* χ2 = 17,529; p < 0,001; df = 3 Signifikanter Unterschied* χ2 = 13,760; p = 0,003; df = 3 Kein Unterschied χ2 = 2,453; p = 0,484; df = 3

Tabelle 27: Antwortverhalten in Abhängigkeit von Bildung529

Tabelle 27 zeigt kein unterschiedliches Antwortverhalten der Testpersonen zwischen beiden Gruppen wenn es darum ging, zu beurteilen, ob das Entfernen der Magensonde eine aktive Sterbehilfe ist oder nicht. Nicht anders verhielt es sich mit der Information zur passiven Sterbehilfe. Hier kam es weder bei den Akademikern noch bei den Nicht-Akademikern hinsichtlich der Maßnahme „Abstellen des Beatmungsapparates“ zu einem signifikanten Unterschied. Dies ist, wie oben schon erläutert, sehr wahrscheinlich auf die fehlende Aufklärung zur passiven Sterbehilfe zurückzuführen. Anders verhielt es sich mit der aktiven Sterbehilfe; die Information, dass das Verabreichen einer tödlichen Injektion eine Maßnahme der aktiven Sterbehilfe ist, führte insbesondere bei der Gruppe der Nicht-Akademiker zu einem signifikanten Ergebnis. Auch wenn sich die Häufigkeit der Nicht-Akademiker klar von der der Akademiker unterschied, zeigt die nächste Abbildung folgendes Ergebnis: 18,1 % der Nicht-Akademiker, die keinerlei Informationen zur aktiven/passiven Sterbehilfe erhielten, waren der Meinung, dass das Verabreichen einer tödlichen Injektion aktive Sterbehilfe sei, bei der Gruppe der Akademiker waren es 40 %.530 Mit Erhalt der relevanten Hinweise unterschieden sich die Ja-Antworten von denen der NichtAkademiker.

529 Likelihood-Quotient des Chi-Quadrat-Tests: *Die Korrelation ist auf dem 0,05-Niveau signifikant (zweiseitig). 530 Die Prozentangaben beziehen sich auf innerhalb der Gruppen.

10 Darstellung der Ergebnisse

Abbildung 41: Ist das Verabreichen einer tödlichen Injektion aktive Sterbehilfe?

183

184

10 Darstellung der Ergebnisse

Abbildung 42: Nicht-Akademiker vs. Akademiker: adäquate medizinische Behandlung

10 Darstellung der Ergebnisse

185

Interessanterweise glaubten 66,7 % der Akademiker, die keinerlei Definitionen der Palliativmedizin sowie der aktiven/passiven Sterbehilfe erhielten, dass eine „adäquate medizinische Versorgung“ eine Form der aktiven Sterbehilfe darstellt. Die Gruppe der Nicht-Akademiker hingegen stimmte dem nur zu 34,2 % zu. Mit Erhalt der Hinweise ändert sich jedoch das Bild zugunsten der Akademiker. Hier ergaben sich zwischen den Gruppen Unterschiede hinsichtlich der Ja-Antworten („halte die adäquate medizinische Versorgung für eine aktive Sterbehilfe“), während die Nicht-Akademiker ein weniger deutliches Bild zeigen: Auch dort unterschieden sich zwar deutlich die Ja-Antworten um mehr als die Hälfte (vgl. erster und dritter Balken), doch der Erhalt beider Informationen bewirkte einen geringeren Effekt als die Darbietung von nur einem Hinweis. Abbildung 43 zeigt anschaulich, wie sich beide Gruppen der Testpersonen unterschieden, wenn es sich um die Beurteilung der Palliativmedizin handelte. Die Gruppe der Akademiker, denen die Information zur Palliativmedizin gegeben wurde, waren der Meinung, dass es sich hierbei nicht um aktive Sterbehilfe handele. Dies wird besonders am zweiten und vierten Balken des Diagramms sichtbar, indem keiner – im Vergleich zur ersten und dritten Gruppe – die Palliativmedizin für aktive Sterbehilfe hielt.

186

10 Darstellung der Ergebnisse

Abbildung 43: Nicht-Akademiker vs. Akademiker (Palliativmedizin)

10.1.7 Konfrontation mit Tod und Sterben Die Frage „sind Sie schon einmal mit dem Tod direkt in Berührung gekommen?“ beantworteten 434 Befragte. Drei Probanden machten keine Angabe. Ein Drittel war noch nie mit dem Tod direkt in Berührung gekommen (n = 109; 31,8 %). Der Anteil, der nur einmal mit dem Tod konfrontiert wurde, beträgt fast 30 Prozent (n = 97; 28,3 %). Über die Hälfte der Befragten (n = 228; 52,5 %) war mehr als einmal mit dem Tod direkt in Berührung gekommen (Mittelwert der Gesamtstichprobe: 2,27; Standardabweichung: 0,838). Die folgende Abbildung zeigt die Verteilungsform der Probanden bezüglich der Konfrontation mit dem Tod.

10 Darstellung der Ergebnisse

Abbildung 44: Häufigkeit der Konfrontation mit dem Tod

Abbildung 45: Die Berührung mit dem Tod in Abhängigkeit vom Alter

187

188

10 Darstellung der Ergebnisse

Je älter ein Mensch wird, desto öfter kommt er mit dem Tod in Berührung (KendallTau-b: τ = 0,134; p = 0,002). Dieser Sachverhalt spiegelt die oben stehende Abbildung wider: Der Mittelwert derjenigen, die noch nie mit dem Tod in Berührung gekommen waren, befindet sich zwar in der zweitältesten Alterskohorte, die Spannbreite der Box aber erstreckt sich über alle Altersgruppen. Diejenigen, die einmal mit dem Tod in Berührung gekommen waren, wiesen ein höheres Lebensalter auf. Auch hier liegt der Mittelwert bei der zweitältesten Gruppe der Befragten, aber die Spannbreite der Berührung mit dem Tod ist kleiner. Von diesen Ergebnissen weicht insbesondere die älteste Alterskohorte ab; mehr als einmal wurde diese Gruppe mit dem Thema Tod konfrontiert. Wie zu sehen ist, befindet sich der Mittelwert bei den 61-Jährigen und Älteren, während die Spannbreite im Vergleich zu den ersten beiden Balken deutlich geringer ist. Folgende Abbildung zeigt eine nahezu gleiche Verteilung der Befragten bei der Beantwortung der Frage, ob und wie häufig sie das Sterben eines Menschen miterlebt haben (Mittelwert der Gesamtstichprobe: 2,0; Standardabweichung 0,839).

Abbildung 46: Konfrontation mit dem Sterben eines anderen Menschen

10 Darstellung der Ergebnisse

189

Abbildung 47: Konfrontation mit Sterben eines anderen Menschen in Abhängigkeit vom Alter

Je älter ein Mensch wird, desto häufiger wird er Zeuge des Sterbens eines anderen Menschen.531 Dieses Ergebnis verdeutlicht die obenstehende Abbildung (KendallTau-b: τ = 0,321; p < 0,001).

Die Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe in Abhängigkeit von der Konfrontation mit Tod und Sterben Welche Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe wiesen die Untersuchungsteilnehmer auf, die bereits mit Tod und Sterben in Berührung gekommen waren? Hierzu zählen z.B. das Miterleben von Tod oder Sterben eines anderen Menschen sowie eigene Erfahrung mit todesnahen Erlebnissen.

531 Eine Aussage, die trivial erscheint.

190

10 Darstellung der Ergebnisse

10.1.8 Beschäftigung mit dem eigenen Tod

Abbildung 48: Die Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe und Konfrontation mit eigenem Tod

Es zeigte sich, dass die Zustimmung zur „aktiven“ Sterbehilfe auch von der Konfrontation mit dem eigenen Tod abhing (Kendall-Tau-b: τ = -0,129; p = 0,015). Die Richtung des Zusammenhangs ist negativ, was bedeutet, dass je mehr die Befragten mit dem Tod in Berührung gekommen waren, desto größer war auch die Ablehnung der „aktiven“ Sterbehilfe. Der relativ schwache Zusammenhang lässt sich mit der recht breit gefassten Fragestellung des Items erklären und darüber hinaus mit der Tatsache, dass auch hier die Einstellungen zu anderen Formen der Sterbehilfe, die 24 69 Sterbehilfe hielten, mit einflossen. Nachfolgende Abbildie Probanden für aktive 57 dung zeigt, dass sich die Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe zwischen den Grupgar nicht pen kaum unterschied, wenn es sich um das Sterben eines anderen Menschen hankaum, etwa ein, zwei Mal delt. Dies zeigt sich an der fehlenden signifikanten Korrelation (Kendall-Tau-b: τ = wenig -0,094; p = 0,075). oft 156

128

Abbildung 49: Häufigkeit der Beschäftigung mit dem eigenen Tod

sehr oft

10 Darstellung der Ergebnisse

191

mit ihrem eigenen Tod in Berührung gekommen waren, desto geringer war die Zustimmung zur „aktiven“ Sterbehilfe. Zu diesem Item äußerten sich 434 Befragte. Drei machten hierzu keine Angabe. 24 (5,5 %) der Teilnehmer gaben an, sich noch nie mit dem eigenen Tod auseinandergesetzt zu haben. 57 (13,0 %) hatten sich kaum bzw. ein oder zwei Mal damit befasst, 128 (29,3 %) ein wenig, 156 (35,7 %) oft und 69 (15,8 %) der Testpersonen sehr oft (Mittelwert der Gesamtstichprobe: 3,44; Standardabweichung 1,077). Die folgende Abbildung 50 zeigt eine unterschiedliche Intensität der Beschäftigung mit dem eigenen Tod in Abhängigkeit vom Alter; je älter der Befragte demnach war, desto mehr beschäftigt er sich mit seinem eigenen Tod (Kendall-Tau-b: τ = 0,216; p < 0,001).

Abbildung 50: Kennzahlen des Alters in Verbindung mit „Beschäftigung mit dem eigenen Tod“532

Die Beschäftigung der Probanden mit ihrem eigenen Tod hing jedoch nicht nur vom Alter ab, sondern auch davon, wie oft sie mit dem Tod bzw. mit dem Sterben eines anderen Menschen in Berührung gekommen sind (s. Tabelle 28).

532 Elemente der Box- und Whisters-Plot (Boxplot): Strich innerhalb der Box = Mittelwert, untere bzw. obere Grenze der Box = 25%- bzw. 75%-Percentile; Element außerhalb des Boxplots: Intervall der Altersangaben pro Kategorie.

192

10 Darstellung der Ergebnisse Beschäftigung mit dem Tod

Kendall-Tau-b

Beschäftigung mit dem Tod

τ Signifikanz

1,000

Sterben eines Menschen miterlebt 0,133 0,001

Berührung mit Tod 0,262 0,000

Tabelle 28: Beschäftigung mit Tod und Konfrontation mit Tod und Sterben533

Neben dem Lebensalter waren sowohl das Miterleben mit dem Sterben eines anderen Menschen als auch die Berührung mit dem Tod für die gedankliche Beschäftigung mit dem Tod verantwortlich. Keinen Zusammenhang wiesen die Variablen „Religiosität“ und „Beschäftigung mit dem Tod“ auf (Kendall-Tau-b: τ = 0,040, p = 0,372).

10.1.9 Emotionen bei dem Gedanken an den eigenen Tod Was ging in den Untersuchungsteilnehmern vor, wenn sie über ihren eigenen Tod nachdachten? Empfanden sie Traurigkeit oder Angst? Des Weiteren wurde untersucht, ob sich Alterseffekte auf die Emotionen „Angst“ und „Traurigkeit“ auswirkten. Die Frage nach den Gefühlen, die Testpersonen empfanden, wenn sie an ihren eigenen Tod dachten, wurde von nahezu allen Befragten beantwortet (n = 433). Lediglich vier Personen äußerten sich hierzu nicht. 104 bzw. 24 % der befragten Personen berichteten, Traurigkeit zu empfinden, wenn sie an ihren eigenen Tod dachten. Im Vergleich hierzu verspürten n = 329 bzw. 76 % der Testpersonen keine Traurigkeit bei dem Gedanken an ihren eigenen Tod (Mittelwert: 0,24; Standardabweichung: 0,428).

533 Die Korrelation ist auf dem 0,01-Niveau zweiseitig signifikant.

10 Darstellung der Ergebnisse

Abbildung 51: Gefühle bei dem Gedanken an den Tod (Traurigkeit)

Abbildung 52: Gefühle bei dem Gedanken an den Tod (Angst)

193

194

10 Darstellung der Ergebnisse

Abbildung 53: Kennzahlen des Alters in Verbindung mit „Traurigkeit“

Es kann festgehalten werden, dass die Mehrheit bei dem Gedanken an ihren eigenen Tod weder Traurigkeit noch Angst verspürte, ein (zunächst) überraschendes Ergebnis. Da sich ein großer Teil der Befragten jedoch aus älteren Probanden zusammensetzte, könnte dieses Ergebnis möglicherweise altersabhängig sein (siehe weiter unten). Abbildung 53 belegt, dass die Emotion „Traurigkeit“, die sich bei dem Gedanken an den eigenen Tod einstellen kann, nicht altersabhängig war (Kendall-Taub: τ = -0,037; p = 0,413). Dies bedeutet, dass in jedem Alter Gefühle von Traurigkeit bei dem Gedanken an den eigenen Tod auftreten können (aber nicht notwendigerweise müssen). Anders verhält es sich jedoch mit „Angst“. So deutet einiges darauf hin, dass es besonders die Berührung mit dem eigenen Tod war, die sich auf die Emotion „Angst“ auswirkte; Abbildung 54 zeigt einen Unterschied des Mittelwertes bezüglich der Angst vor dem eigenen Tod: so liegt der Mittelwert der ersten Box bei den 61-Jährigen und Älteren, während er sich in der zweiten Box bei der Alterskategorie der Altersgruppe der 21- bis 35-Jährigen befindet. Dies bedeutet, dass ältere Menschen eine deutlich geringere Angst vor dem Nachdenken über ihren eigenen Tod als jüngere aufwiesen (Kendall-Tau-b: τ = -0,203; p < 0,001).

195

10 Darstellung der Ergebnisse

Abbildung 54: Kennzahlen des Alters in Verbindung mit „Angst“

Die Korrelation von „Angst“ und „Traurigkeit“ mit der Häufigkeit der Konfrontation mit Tod und Sterben wird in der folgenden Tabelle wiedergegeben.534

Kendall-Tau-b

Berührung mit Tod Berührung mit Tod

Sterben eines Menschen miterlebt

Gefühle bei Gedanke an Tod: Traurig

Gefühle bei Gedanke an Tod: Angst

τ 1,000

0,349**

0,025

-0,104*

0,000

0,591

0,023

1,000

-0,011

-0,038

0,812

0,406

Sig. Sterben eines Menschen miterlebt

τ Sig.

Tabelle 29: „Angst“/„Traurigkeit“ und Konfrontation mit Tod und Sterben535

534 In diese Ergebnisse sind, wie bereits weiter oben untersucht, Alterseffekte (als Kovariablen) mit eingeflossen. 535 *Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant. **Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,05 (2-seitig) signifikant.

196

10 Darstellung der Ergebnisse

10.1.10 Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe

Abbildung 55: Die Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe

Wie waren die Testpersonen zur „aktiven“ Sterbehilfe eingestellt? Die Frage nach der Einstellung zur aktiven Sterbehilfe wurde von 414 Untersuchungsteilnehmern beantwortet. 23 ließen diese Frage unbeantwortet (Mittelwert: 2,19; Standardabweichung: 0,864). Abbildung 55 zeigt eine überwiegende Mehrheit der Befürworter der Sterbehilfeart, die für aktive Sterbehilfe gehalten wurde (n = 202; 48,8 %). Etwa ein Drittel der Befragten sprachen sich gegen eine „aktive“ Sterbehilfe aus (n = 122; 29,5 %). Der kleinste, aber nicht unbeträchtliche Teil der Testpersonen war sich nicht schlüssig, ob er dieser Frage zustimmen oder eher ablehnen sollte (n = 90; 21,7 %). Es wird darauf hingewiesen, dass in die Ergebnisdarstellung die Daten aller vier Versionen des Fragebogens mit einflossen, was bedeutet, dass auch beeinflusste Einstellungen zur „aktiven“ Sterbehilfe erfasst wurden.536

536 Es wurde an dieser Stelle davon ausgegangen, dass die Versionen des Fragebogens mit den Informationen einen Effekt erzielen werden.

197

10 Darstellung der Ergebnisse

37,7%

bin eher dagegen bin eher dafür

62,3%

Abbildung 56: Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe ohne die Kategorie „bin weder dafür noch dagegen“

Noch deutlicher als die obige Abbildung zeigt Abbildung 56 die Verteilung der Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe ohne Berücksichtigung der zweiten Antwortalternative „bin weder dafür noch dagegen“. Fehlt die Gruppe derjenigen, die weder für noch gegen die „aktive“ Sterbehilfe sind, dann wird die Mehrheit der Zustimmungen besonders deutlich. Hier waren es 62,3 % der 324 Probanden, die sich für die „aktive“ Sterbehilfe aussprachen. 37,7 % waren dagegen. Wie aber verhielt sich die „Einstellung“ zur „aktiven“ Sterbehilfe in Abhängigkeit davon, was darunter verstanden wurde? Dieser Frage soll im nächsten Abschnitt nachgegangen werden.

Korrelationen der Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe mit allen anderen Formen der Sterbehilfe Mit Ausnahme der Maßnahmen „Entfernen der Magensonde“ sowie537 „Palliativmedizin“ weisen alle Sterbehilfeformen einen signifikanten Zusammenhang mit der Einstellung zur aktiven Sterbehilfe auf. Wichtiger aber als der Zusammenhang selbst ist die Richtung, die er aufweist: Die Erhöhung der Schmerzmitteldosis mit Inkaufnahme des Todes, die adäquate medizinische Versorgung sowie das Abstellen des Beatmungsapparates – alles legale Formen der Sterbehilfe – korrelieren positiv mit der Einstellung zur aktiven Sterbehilfe, während hingegen das Verabreichen einer tödlichen Injektion negativ mit der Einstellung zur aktiven Sterbehilfe

537 Nur Ja- und Nein-Antworten. *Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant. **Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,05 (2-seitig) signifikant.

198

10 Darstellung der Ergebnisse

korreliert. Mit anderen Worten sprachen sich die Befragten für die aktive Sterbehilfe aus, wenn sie der Meinung waren, dass – – –

die Erhöhung der Schmerzmitteldosis mit Inkaufnahme des Todes (positive Korrelation +) die adäquate medizinische Versorgung (positive Korrelation +) sowie das Abstellen des Beatmungsapparates (positive Korrelation +)

Maßnahmen der aktiven Sterbehilfe darstellen. Die einzige Maßnahme der Sterbehilfe, die mit der Einstellung zur aktiven Sterbehilfe negativ korreliert (-), ist die aktive Sterbehilfe selbst. Hier sprachen sich die Untersuchungsteilnehmer gegen die aktive Sterbehilfe aus, wenn sie diese (ganz richtig) für eine aktive Sterbehilfe hielten. Tabelle 30 zeigt diese Ergebnisse wie folgt: Maßnahme der Sterbehilfe

Art der Sterbehilfe

Korrelation

Entfernen der Magensonde Tödliche Injektion

Passive Sterbehilfe Aktive Sterbehilfe

Keine Korrelation Kendall-Tau-b: τ = -0,219; p < 0,001*

Erhöh. d. Schmerzmitteldosis Adäquate med. Versorgung

Indirekte Sterbehilfe Kendall-Tau-b: τ = 0,303; p < 0,001* Palliativmedizin Kendall-Tau-b: τ = 0,294; p < 0,001*

Palliativmedizin

Palliativmedizin

Abst. des Beatmungsapparats

Passive Sterbehilfe

Keine Korrelation Kendall-Tau-b: τ = 0,115; p < 0,040**

Tabelle 30: Korrelationen: Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe mit allen Sterbehilfeformen

10.2 ERGEBNISSE DES EXPERIMENTELLEN TEILS In diesem Abschnitt werden die Ergebnisse dargestellt, die sich aus dem experimentellen Teil der Studie ergeben haben. Hier steht die zentrale Fragestellung „lässt sich die Einstellung zur aktiven Sterbehilfe steuern?“ im Mittelpunkt des Interesses.

10.2.1 Kovariablen der Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe Es wurde vermutet, dass die Einstellung zur aktiven Sterbehilfe bzw. das, was dafür gehalten wurde, nicht nur vom Grad ihrer Beeinflussung (durch die verschiedenen Informationen zur aktiven Sterbehilfe sowie zur Palliativmedizin) abhing, sondern natürlich auch von anderen Faktoren. Beispielsweise übte die Religiosität einen großen Einfluss auf die Einstellung zur aktiven Sterbehilfe aus. So hat sich gezeigt, dass diejenigen, die sich für religiös hielten, gegenüber der aktiven Sterbehilfe eher ablehnend eingestellt waren (negative Korrelation). Und auch das Alter spielte, wenn auch geringer als die Religiosität, eine Rolle bei der Einstellung zur aktiven Sterbehilfe; hier erwies sich das zunehmende Alter als Indikator für eine ablehnende Haltung zur aktiven Sterbehilfe.

199

10 Darstellung der Ergebnisse

Neben den Variablen „Religiosität“ und „Alter“ korrelieren auch „unheilbare Krankheit“, „Immobilität“ (z.B. ans Bett „gefesselt" zu sein) und „Autonomie“ mit der „aktiven“ Sterbehilfe. Diese Variablen entstanden durch eine offene Fragestellung, welche Gründe eine aktive Sterbehilfe rechtfertigten. Tabelle 31 verdeutlicht in allen Fällen einen signifikanten Zusammenhang folgender Variablen mit der Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe.

Variable

PASW-Bezeichnung

Korrelation

Religiosität

religiosität

Kendall-Tau-b: τ = -0,318; p < 0,001

Altersgruppen

altersgruppen1

Kendall-Tau-b: τ = -0,158; p = 0,002

Unheilbare Krankheit

o_unheilbar

Kendall-Tau-b: τ = 0,191; p = 0,001

Immobilität

o_immobilität

Kendall-Tau-b: τ = 0,199; p = 0,001

Autonomie

o_autonomie

Kendall-Tau-b: τ = 0,182; p = 0,001

Tabelle 31: Kovariablen der Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe538

Um feststellen zu können, welchen Einfluss die Darbietung der verschiedenen Informationen zur Sterbehilfe bzw. Palliativmedizin tatsächlich hatte, ohne dass die Kovariablen den Einfluss der Fragebogenversionen „störten“,539 war es sinnvoll, die Signifikanzwerte des Einflusses der Informationen auf die Untersuchungsteilnehmer zu analysieren, damit nur der Effekt der Fragebogen-Versionen sichtbar wurde. Da die Daten weitestgehend keiner Normalverteilung entsprechen, wurde als Basisverfahren zur Analyse dieser weiteren Einflussgrößen auf die Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe nicht die Kovarianzanalyse, sondern die Regressionsanalyse (LogReg) gewählt. Diese hat im Vergleich zur Kovarianzanalyse den Vorteil, dass sie keine Bedingungen an die Daten stellt und darüber hinaus robuster ist. Tabelle 32 zeigt einen signifikanten Effekt, der mit der Darbietung der Informationen bewirkt werden konnte. Somit konnte die Basishypothese, dass die Einstellungsunterschiede zwischen den Gruppen (= Einstellung zur aktiven Sterbehilfe) abhängig ist vom Grad der Informiertheit, bestätigt werden.

538 Alle Korrelationen sind auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant. 539 In diesem Zusammenhang wird in der Statistik auch von „Störvariablen“ gesprochen.

200

10 Darstellung der Ergebnisse

Regressionskoeffizient B

Standardfehler

Fragebogen

1,068

0,379

7,937

1

0,005

2,910

Religiosität

- 1,733

0,377

21,119

1

0,000

5,655

Altersgruppen

- 0,345

0,140

6,048

1

0,014

0,708

Unheilbare Krankheit*

0,671

0,295

5,173

1

0,023

1,957

Immobilität*

1,821

0,596

9,343

1

0,002

6,178

Verlust der Autonomie*

1,301

0,383

11,569

1

0,001

3,674

Indirekte Sterbehilfe

1,697

0,320

28,164

1

0,000

5,456

Konstante

- 0,964

0,564

2,919

1

0,088

0,381

Wald

df

Sig.

Exp(B)

Tabelle 32: Einflussnahme weiterer Variablen auf die Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe

Welche Version des Fragebogens aber hatte den größten Effekt? Diese Frage soll im folgenden Abschnitt geklärt werden.

10.2.2 Steuerung der Einstellung durch Informationsgehalt Die folgende Abbildung zeigt anschaulich, dass sich mit den einzelnen Darbietungen der Informationen zur Palliativmedizin und zur aktiven bzw. passiven Sterbehilfe die Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe zwar (statistisch signifikant) leicht voneinander unterschied, wurden aber beide Informationen gemeinsam gegeben, sorgte dies für einen sichtbaren und signifikanten Unterschied zwischen der Befürwortung und der Nicht-Befürwortung der aktiven Sterbehilfe. Der Grund für dieses Ergebnis wird im Kapitel 11 ausführlich diskutiert.

10 Darstellung der Ergebnisse

201

Abbildung 57: Antwortverhalten in Abhängigkeit von der Fragebogenversion

10.3 ANALYSE QUALITATIVER DATEN Neben den „harten“ Daten, die in der vorliegenden Arbeit analysiert wurden, enthielt der Fragebogen auch einen qualitativen Teil, der nun Gegenstand der Betrachtung wird.

10.3.1 Welche Gründe rechtfertigen „aktive“ Sterbehilfe? Im Folgenden werden auszugsweise einige Antworten der Befragten wörtlich wiedergegeben. Neben den Aussagen stehen die Kategorien, die ihnen zugeordnet wurden. –





„Bei unheilbarer Krankheit zu entscheiden, selbstbestimm und in Würde meinen letzten Weg mit Hilfe gehen zu dürfen“. (Unheilbare Krankheit, Autonomie). „Einem aus heutiger medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnis Todgeweihten ein langes, inhumanes Siechtum und den Verlust seiner menschlichen Würde zu ersparen“. („Würdelose“ Lebensumstände). „Leiden zu ersparen, wenn es aussichtslos ist, wieder in ein menschenwürdiges Leben gelangen zu können“. (Leiden, „würdelose“ Lebensumstände).

202 –

– – – – – – –

10 Darstellung der Ergebnisse

„Wenn ein „Überleben“ nur noch durch massivsten Einsatz von Geräten möglich ist, ohne selbst noch irgendwelchen Einfluss nehmen zu können“. (Immobilität). „Dass ich sterben darf, wenn ich nur an Geräten hänge und nichts mehr wahrnehme“. (Immobilität). „Wenn ein todkranker Mensch in Anwesenheit eines geliebten Freundes von einem Arzt seines Vertrauens letzte Hilfe erhält“. (Unheilbare Krankheit). „Einem Menschen Leid zu nehmen, wenn er keine Chance auf Genesung hat“. (Leid, unheilbare Krankheit). „Verantwortungsbewusste Abwägung, ob weiteres Leben noch gottgewollt sein könnte“. (Leiden). „Schmerzfrei und möglichst schnell sterben zu können“. (Schmerzen) „Einen unheilbar kranken Menschen sterben lassen“. (Unheilbare Krankheit) „Im Frieden sterben“. (Sonstiges, nicht zuzuordnen).

180 160 140 120 100 80 60 40 20 0

Abbildung 58: Gründe für „aktive“ Sterbehilfe

10 Darstellung der Ergebnisse

203

Von den insgesamt 392 Nennungen fiel der größte Anteil auf die Kategorie „unheilbare Krankheit“ (n = 169; 43,1 %). Als zweithäufigster Grund wurden „Schmerzen“ genannt (n = 147; 37,5 %). „Autonomie“ stand an dritter Stelle (n = 95; 24 %). Die Kategorien „Leiden“ als vierthäufigste Nennung (n = 84; 21,5 %) und „sinnloses Leben“ auf Platz fünf stellten ebenso Gründe für die Durchführung der „aktiven“ Sterbehilfe dar. Ein Zustand, in dem man sich nicht mehr bewegen kann oder ans Bett gefesselt ist, konnten sich 12,5 % der Befragten (n = 49) als einen Grund für aktive Sterbehilfe vorstellen. Als Nächstes folgte die Kategorie „Koma/Hirntod“ (n = 39; 10 %). 5,4 % (n = 21) der Testpersonen konnten sich bei einem Leben unter würdelosen Umständen eine aktive Sterbehilfe vorstellen. Auch die Auffassung, jemandem zur Last zu fallen, spielte in der Beantwortung der Frage 6 des Fragebogens eine – wenn auch nur untergeordnete – Rolle (n = 19; 4,8 %). Kaum einer glaubte allerdings, dass Einsamkeit und ein hohes Alter hinreichende Gründe für eine aktive Sterbehilfe seien. Insgesamt kann festgestellt werden, dass die angegebenen Gründe für eine Durchführung der „aktiven“ Sterbehilfe überwiegend physischer und psychischer Art sind. Soziale Beweggründe spielten hingegen nur eine untergeordnete bis gar keine Rolle.

Wahl des Kategorienschemas Qualitative bzw. „weiche“ Daten haben den Vorteil, dass die Untersuchungsteilnehmer nicht gezwungen werden, sich für eine vordefinierte Antwortmöglichkeit entscheiden zu müssen (forced choice), aber eben dieser Vorteil birgt den Nachteil, dass die Antworten als freie Äußerungen vorliegen und diese erst durch ein „Nachbereiten“ in eine kategorisierte bzw. transformierte Datenform umgewandelt werden müssen. Dies setzt ein sinnvolles Kategoriensystem voraus, das die Variablenausprägung vernünftig widerspiegelt, damit eine quantitative Auswertung möglich gemacht werden kann. Im vorliegenden Fall wurde die Kategorisierung induktiv vorgenommen, indem das Kategoriensystem aus dem Material gewonnen wurde.540 Ein sinnvolles Kategoriensystem verlangt einerseits, dass die Aussagen der Testpersonen interpretierbar sind, andererseits sollte auch der Forscher fähig sein, zweckmäßige Kategorien aus den Antworten bilden zu können. Die in Abschnitt 10.3.1 angeführten Antworten der Befragten zeigen, welchen Kategorien sie zugeordnet wurden. Die Frage in diesem Zusammenhang war, ob die Kategorien eigenständige Einordnungen bildeten oder es vielmehr Überschneidungen zwischen ihnen gab. Daher wurden diese Kategorien einer Faktorenanalyse unterzogen, um zu prüfen, ob es möglicherweise gemeinsame Faktoren gab, die hinter den einzelnen Kategorien standen. Es zeigte sich jedoch, dass keine weitere sinnvolle Extraktion der Daten gewonnen werden konnte, was bedeutet, dass kein weiterer gemeinsamer Faktor aus den einzelnen Faktoren extrahiert werden konnte,

540 Vgl. Bortz/Döring (1995).

204

10 Darstellung der Ergebnisse

was darauf hindeutete, dass die Kategorien von vornherein differenziert genug gewählt waren. Aus diesem Grund konnten die bereits bestehenden Kategorien als Variablen in die statistische Analyse mit aufgenommen werden.

10.3.2 Was ist Sterbehilfe wirklich? In diesem Abschnitt sollte eine der wichtigsten Fragestellungen dieser Studie untersucht werden, indem gefragt wurde, was sich die Untersuchungsteilnehmer generell unter Sterbehilfe vorstellten. Von den 437 Untersuchungsteilnehmern äußerten sich 423 zu der Frage. Einige dieser Antworten der Befragten sind nachfolgend exemplarisch wiedergegeben: – –



– –



– –

„Mehr Schmerzmittel und keine Maschinen“. „Für mich heißt es nicht ‚Hilfe zum Sterbenʻ, sondern ‚Hilfe beim Sterbenʻ, d.h. einfühlsame und zurückhaltende Nähe, Dasein und Dableiben auch in schwierigen Situationen, Sorge für gute palliative Betreuung, Schmerztherapie, einfühlsame Pflege, Einbeziehung Angehöriger, Berücksichtigung aller Möglichkeiten für eine würdige Umgebung und liebevolle Fürsorge“. „Dass Patienten, die schon am Sterben sind, keine Medikamente mehr bekommen, schon Medikamente gegen den Schmerz, aber nicht, um das Sterben hinauszuzögern“. „Das Ableben bewusst beschleunigen“. „Gewissermaßen das Gleiche wie beim Einschläfern von Tieren, nur unter anderen Voraussetzungen. Jeder Mensch kann bei schlimmerer Erkrankung selbst – oder falls er nicht mehr in der Lage dazu ist, seine Angehörigen – entscheiden, ob er weiterleben will oder nicht“. „Ich stell’ mir darunter vor, dass jemand, der unheilbar krank ist, entscheiden kann, wann er sterben darf. D.h., er kann dem Arzt sagen: „Jetzt will ich sterben“, und der Patient bekommt so viel Medikamente oder eine Überdosis“. „Bei unheilbarer, tödlicher Krankheit nicht mit Apparaten das Leiden zu verlängern; das Recht, schmerzfrei zu sterben“. „Dass, wenn ein Mensch schon z.B. hirntot ist, dass man ihm das Leiden erspart und die Maschinen abschaltet. Sterbehilfe ist also, wenn man entscheidet, die Maschinen abzuschalten, mit der Folge, dass der Patient stirbt“.

Die nachstehende Abbildung stellt die Vorstellungen der Untersuchungsteilnehmer in kategorisierter Form dar:

10 Darstellung der Ergebnisse

205

Abbildung 59: Was ist Sterbehilfe?

Wie in Abbildung 59 zu sehen ist, bedeutete Sterbehilfe für die Befragten alle Formen der Sterbehilfe, wobei an erster Stelle unzweideutig die aktive und die passive Sterbehilfe genannt wurden. Es ist interessant zu sehen, dass auch die Palliativmedizin einen wichtigen Stellenwert einzunehmen schien, auch wenn sie als solche nicht genannt wurde.541 Von den 437 Untersuchungsteilnehmern äußerten sich 413 Personen zu der Frage, was sie sich unter Sterbehilfe vorstellen. Ein Großteil der Befragten (n = 126; 30,5 %) stellte sich unter Sterbehilfe sowohl die aktive als auch die passive Sterbehilfe vor. Als zweithäufigste Antwortkategorie wurde die aktive Sterbehilfe genannt (n = 84; 20,3 %), gefolgt von derjenigen der passiven Sterbehilfe (n = 76; 18,4 %). Die nächste Nennung bezog sich sowohl auf die passive Sterbehilfe als auch auf die Palliativmedizin (n = 21; 5,1 %). Alle anderen Formen bzw. Kombinationen der Sterbehilfe wurden deutlich weniger genannt. Wären in der Abbildung nicht die Kategorien der Mehrfachantworten, sondern die Häufigkeiten der einzelnen Maßnahmen der Sterbehilfe dargestellt, so würden sich die Balken der aktiven wie auch die passiven Sterbehilfe merklich verlängern. Ebenso verhält es sich mit dem Balken der Palliativmedizin. Es kann daher daraus geschlossen werden, dass im Bewusstsein der Menschen insbesondere drei Arten der Sterbehilfe von Bedeutung sind: die aktive Sterbehilfe, die passive und die Palliativmedizin.

541 Die Palliativmedizin wurde von den Untersuchungsteilnehmern meist be- bzw. umschrieben.

11 DISKUSSION DER ERGEBNISSE In diesem Teil der vorliegenden Arbeit werden die Ergebnisse der Studie kritisch diskutiert. Von Bedeutung ist hier nicht nur die Einstellung der Befragten zur „aktiven“ Sterbehilfe, sondern insbesondere der Unterschied ihres Antwortverhaltens zwischen den Gruppen, wenn sie die relevanten Informationen zur aktiven bzw. passiven Sterbehilfe sowie zur Palliativmedizin erhalten haben. Dieses Ergebnis wird in der vorliegenden Arbeit allen anderen Resultaten, die sich mit dieser Studie ergeben haben, vorangestellt, da es eines der wesentlichsten Resultate darstellt. Anschließend werden auch die übrigen Befunde sukzessiv behandelt und besprochen, denn auch sie stellen weitere wichtige Erkenntnisse in der Sterbehilfeforschung542 dar.

11.1 EINFLUSS DES INFORMATIONSGEHALTS AUF EINSTELLUNG Eine Aufklärung hinsichtlich der Sterbehilfearten scheint tatsächlich die Einstellung zur aktiven Sterbehilfe zu beeinflussen. Dies belegen die Ergebnisse der vorliegenden Studie. So war die Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe mit dem Erhalt einer Information zu ihr deutlich geringer als ohne sie. Auf den ersten Blick schien die Darbietung von nur einer Information – sei es die zur aktiven/passiven Sterbehilfe oder die zur Palliativmedizin – keinen nennenswerten statistisch signifikanten Unterschied zu generieren.543 Auf den zweiten Blick jedoch beruht die geringe (und knapp signifikante) Korrelation auch auf den Einfluss der Daten der Nicht-Informierten auf den Datenpool. Nur beide Informationen gemeinsam erreichten bei der vierten Gruppe (Experimentalgruppe C) einen statistisch relevanten Unterschied hinsichtlich der Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe zur Kontrollgruppe. Dieses Ergebnis ist durchaus plausibel, denn mit Erhalt der Informationen zur passiven und aktiven Sterbehilfe sowie zur Palliativmedizin blieben den Probanden nicht mehr genug andere Sterbehilfeformen des Items 8544 „übrig“, die sie für aktive Sterbehilfe hätten halten können. Da die vierte Gruppe dem höchsten Aufklärungsfaktor unterlag, war dementsprechend dort die größte statistisch signifikante Korrelation zu erwarten. Dieses Ergebnis macht demnach sehr deutlich, dass mit steigernder Aufklärung die Wahrscheinlichkeit, verzerrte Umfrageergebnisse zu generieren, statistisch signifikant sinkt.

542 Die hoffentlich mit dieser Studie weitere Impulse erhält. 543 Diese Ergebnisse mögen eine geringe statistische Signifikanz aufweisen, erzielte jedoch immerhin einen Effekt, der nicht unbeachtet bleiben sollte. Beide Informationen erzielten in etwa gleichem Maße einen Effekt. 544 Dieses lautete: „Bitte kreuzen Sie die Kästchen an, die Sie für eine Maßnahme der aktiven Sterbehilfe halten.“

208

11 Diskussion der Ergebnisse

11.1.1 Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe Im Ergebnisteil der vorliegenden Arbeit ist die Einstellung der Befragten zur „aktiven“ Sterbehilfe in Abhängigkeit davon, was darunter verstanden wird, dargestellt worden. Es zeigte sich Folgendes: Die Maßnahme der Sterbehilfe, die negativ mit der Einstellung zur aktiven Sterbehilfe korreliert, ist die aktive Sterbehilfe. Alle anderen Sterbehilfeformen (außer das Entfernen der Magensonde und die Palliativmedizin, die keine signifikanten Korrelationen aufweisen) weisen einen positiven Zusammenhang auf. So schienen die Befragten die aktive Sterbehilfe klar abzulehnen, wenn sie der Auffassung waren, dass diese Art der Sterbehilfe das gezielte Töten eines Menschen bedeutet. Wenn dagegen unter aktiver Sterbehilfe ein Sterben-Lassen verstanden wurde, war die Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe demgemäß zustimmend. An dieser Stelle wird eine größere Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe deutlich, wenn sie mit der passiven Sterbehilfe verwechselt wurde. Dieses Ergebnis ist von zentraler Bedeutung, da die Menschen offenkundig nicht wirklich die aktive Sterbehilfe als letztendliche Möglichkeit der Leidensminderung im Blick haben, sondern die passive Sterbehilfe bzw. auch andere Formen der Sterbehilfe.

11.1.2 Einstellung zur passiven Sterbehilfe Während der Auswertungsphase der vorliegenden Arbeit stellte sich natürlich die Frage, ob sich das Antwortverhalten zwischen den Gruppen mit den Darbietungen der Informationen auch hinsichtlich der Einstellung zur passiven Sterbehilfe unterscheiden würde. Möglicherweise könnte sich nämlich die Einstellung zur passiven Sterbehilfe ebenso unterscheiden wie die Einstellung zur aktiven Sterbehilfe. Diese Frage musste gestellt werden, da die passive Sterbehilfe oft für eine aktive gehalten wird. Mit anderen Worten sollte untersucht werden, ob der Effekt des unterschiedlichen Antwortverhaltens der Einstellung zur aktiven Sterbehilfe tatsächlich auf der Darbietung der Informationen, die von den Probanden gelesen und verstanden wurden, oder auf einem Zufall beruht. Wie sich jedoch zeigte, war die Befürchtung, die Einstellung zur passiven Sterbehilfe könne sich ebenso zwischen den Gruppen unterscheiden wie diejenige zur aktiven, unbegründet. Dies bedeutet, dass eine Differenzierungsfähigkeit der Testpersonen, zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe unterscheiden zu können, mit der Darbietung der relevanten Informationen durchaus bewirkt werden konnte; ein Ergebnis, das zeigt, dass eine Aufklärung der Menschen hinsichtlich der Sterbehilfearten von unschätzbarem Wert sein kann.

11 Diskussion der Ergebnisse

209

11.2 GESETZLICHE REGELUNG DER STERBEHILFE IN DEUTSCHLAND Was veranlasste den hohen Anteil der Befragten zu glauben, dass die Sterbehilfe in Deutschland nicht eindeutig gesetzlich geregelt sei? Sind denn nicht die verschiedenen Formen der Sterbehilfe entweder erlaubt (passive, indirekte Sterbehilfe, MAS, Sterbebegleitung) oder verboten (aktive Sterbehilfe)? Es ist denkbar, dass das Ergebnis das Bedürfnis vieler Menschen nach mehr gesetzlicher Hilfestellung widerspiegelt. Welche Hilfestellung aber könnte gemeint sein? Ist es eine bessere Transparenz der Sterbehilfearten? Dazu aber müssten die Menschen von ihrer eigenen Unkenntnis wissen. Oder ist es die Forderung nach einer Legalisierung der aktiven Sterbehilfe, was den hohen Anteil der Befürworter der „aktiven“ Sterbehilfe erklärt? Auch dies kann (mit gutem Gewissen) verneint werden, da die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit das Unvermögen der Befragten, die aktive von der passiven Sterbehilfe zu unterscheiden, belegen.

11.3 ROLLE DER STERBEHILFE IN DEUTSCHLAND Der Großteil der Befragten war von der wachsenden Rolle der Sterbehilfe in Deutschland überzeugt. Das mag folgende Gründe haben: Aufgrund der Sterbeproblematik in Deutschland wird das Thema der Sterbehilfe eine immer größere Dimension erlangen. Solange die Menschen aufgrund der Institutionalisierung des Sterbens nicht wissen, wo und insbesondere wie sie einmal sterben werden, wird das Thema der Sterbehilfe als Antwort auf die Sterbeproblematik sicherlich weiter Nahrung erhalten. Es darf aber nicht vergessen werden, dass gerade die Medien an der Verbreitung des Themas der Sterbehilfe maßgeblich beteiligt sind, wenn auch leider nur spektakuläre Fälle Beachtung finden, in denen es um das Leben- oder Sterbenlassen eines Menschen geht. Dass hierdurch ein einseitiges Bild entsteht, das suggeriert, es handele sich hier nur darum, das Leben eines Menschen zu beenden, wurde ausführlich in Kapitel 7 diskutiert.

11.4 FREIE VERFÜGUNG ÜBER DAS EIGENE LEBEN UND DEN EIGENEN TOD Die Mehrheit der Befragten war der Meinung, dass sie das Recht haben, über ihr eigenes Leben und somit auch über ihren eigenen Tod bestimmen zu dürfen, dies ergaben die Ergebnisse der Befragung. Ist aber mit „freier Verfügung“ auch das Recht gemeint, den Tod auf Verlangen fordern zu dürfen? Zu diesem Schluss könnte man zunächst gelangen. Der signifikante Zusammenhang zwischen der Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe und der Einstellung zur freien Verfügung des eigenen Lebens und Todes ist zwar nicht von der Hand zu weisen, allerdings flossen auch die Ergebnisse der uninformierten Gruppe in den Datenpool ein. Es kann durchaus davon ausgegangen werden, dass mit Sicherheit die Hälfte derjenigen der Befragten, die der Meinung waren, über ihr Leben und ihren Tod frei verfügen zu

210

11 Diskussion der Ergebnisse

dürfen, nicht die aktive Sterbehilfe im Sinn hatte. Darauf weist das Ergebnis in Abschnitt 10.1.6 hin, das zeigt, dass mindestens 50 % der Befragten die Frage „ist das Abschalten des Beatmungsapparates eine Maßnahme der aktiven Sterbehilfe?“ mit „ja“ beantworteten. Es wird angenommen, dass der Anteil der Ja-Antworten noch höher ausgefallen wäre, wenn es keinerlei Informationen zur passiven und aktiven Sterbehilfe gegeben hätte. Es zeigt sich also die Tendenz, dass sich die Menschen unter „freier Verfügung“ in erster Linie nicht unbedingt einen Tod auf Verlangen vorstellen, sondern wohl eher Kriterien, die ein humanes Sterben (wie etwa keine Schmerzen haben, eigener Ort des Sterbens etc.) ermöglichen, und die sie autonom bestimmen können. Inbegriffen in solche Kriterien ist sicherlich auch das Abstellen lebensverlängernder bzw. -erhaltender Maßnahmen, wenn diese nicht mehr gewünscht werden. Gewiss wird es zwar immer Menschen geben, die sich unter der freien Verfügung über ihr Leben auch einen Tod auf Verlangen vorstellen. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie weisen jedoch auf einen weit geringeren Anteil der Befürworter der aktiven Sterbehilfe hin. Äquivalent hierzu muss davon ausgegangen werden, dass sich die freie Verfügung über das eigene Leben in einem weit geringeren Maße als angenommen auch auf die aktive Sterbehilfe bezieht.

11.4.1 Bekanntheitsgrad der Patientenverfügung (PV) Die Patientenverfügung war einem Großteil der Befragten bekannt. Für diesen Umstand haben dankenswerterweise nicht zuletzt die Medien gesorgt. Allerdings fällt das Gros der Kenntnis auf die älteste Altersgruppe. Dass die Kenntnis der Patientenverfügung mit dem Alter steigt, kann genau genommen als eine banale Tatsache angesehen werden, da sich jüngere Menschen zum einen kaum mit ihrem Tod beschäftigen und zum anderen auch sehr selten mit dem Sterben und Tod anderer Menschen konfrontiert werden. Dementsprechend gering fiel ihr Kenntnisstand in Bezug auf die Patientenverfügung aus. Im Allgemeinen ist das Ergebnis des großen Bekanntheitsgrades begrüßenswert, da die Patientenverfügung ein wichtiges Mittel der Patientenautonomie darstellt, auch wenn sie einige Risiken beinhaltet (s. Kapitel 6).

11.5 MASSNAHMEN DER STERBEHILFE: WAS DAVON IST AKTIVE STERBEHILFE? Dreh- und Angelpunkt der vorliegenden Arbeit ist die These, dass es sich bei der Sterbehilfe um ein noch unbekanntes Terrain handelt. Konkret bedeutet dies eine Verwechslung der aktiven Sterbehilfe mit anderen Sterbehilfeformen bzw. umgekehrt. Auf diesen Sachverhalt weisen die Ergebnisse der vorliegenden Studie hin. Besonders passive Sterbehilfe scheint immer wieder mit der aktiven Sterbehilfe verwechselt zu werden. So muss der Schluss gezogen werden, dass die Zustimmung zur „aktiven“ Sterbehilfe in Wirklichkeit eine Zustimmung zur passiven Sterbehilfe

11 Diskussion der Ergebnisse

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darstellen könnte, wenn die Menschen nicht wissen, dass es sich beim Abstellen des Beatmungsapparates nicht um aktive Sterbehilfe handelt.

11.5.1 Interkorrelationen der Sterbehilfeformen Eine Interkorrelationsmatrix der einzelnen Maßnahmen der Sterbehilfe dient dazu, die Vermischung der Formen der Sterbehilfe noch einmal zu verdeutlichen, jedoch immer im Hinblick auf die aktive Sterbehilfe. Daher liegt das Hauptinteresse insbesondere auf den statistisch signifikanten Korrelationen bzw. fehlenden Zusammenhängen zwischen den einzelnen Maßnahmen der Sterbehilfe und der aktiven Sterbehilfe, welche nun einer näheren Betrachtung unterzogen werden: –



Entfernen der Magensonde/Verabreichung einer tödlichen Injektion: Das Entfernen der Magensonde (passive Sterbehilfe) und das Verabreichen einer tödlichen Injektion (aktive Sterbehilfe) wiesen keinen signifikanten Zusammenhang auf. Dies bedeutet, dass die Testpersonen das Entfernen der Magensonde nicht in Verbindung mit der aktiven Sterbehilfe brachten.545 Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, ob die Befragten wussten, welche Art der Sterbehilfe diese Maßnahme wirklich darstellt; betrachtet man die Interkorrelationsmatrix (s. Tabelle 25), korrelieren beide Maßnahmen der passiven Sterbehilfe positiv miteinander. Dies deutet auf eine gewisse Kenntnis der Probanden hin. Dennoch sollte dieses Ergebnis vorsichtig interpretiert werden, denn es wird bezweifelt, dass der Begriff „Magensonde“ den Untersuchungsteilnehmern vollständig geläufig war. Erhöhung der Schmerzmitteldosis/Verabreichung einer tödlichen Injektion: Erstaunlich ist der Zusammenhang der Maßnahmen „Erhöhung der Schmerzmitteldosis“ (indirekte Sterbehilfe) und „Verabreichen einer tödlichen Injektion“ (aktive Sterbehilfe) zu nennen; beide wiesen einen signifikanten Zusammenhang auf – jedoch mit negativem Vorzeichen. Dies ist insofern von Bedeutung, da hier dem Anschein nach die indirekte Sterbehilfe nicht für eine aktive Sterbehilfe gehalten wurde. Obgleich es zur indirekten Sterbehilfe keinerlei Aufklärung gab, schienen die Testpersonen ganz klar zu wissen, dass diese Art der Sterbehilfe keine aktive – aber auch keine passive – Sterbehilfe darstellt. Nicht weniger erstaunlich ist es, dass die indirekte Sterbehilfe mit beiden Variablen der Palliativmedizin einen positiven Zusammenhang aufwies. Die indirekte Sterbehilfe könnte Bestandteil der Palliativmedizin sein, dennoch wurde nicht angenommen, dass die Untersuchungsteilnehmer dies wussten; so müsste demnach eine humane Versorgung schwerstkranker Menschen auch eine adäquate Schmerztherapie, die sogar den Tod verfrüht herbeiführen kann, beinhalten. Das Ergebnis zeigt jedoch einen anderen Sachverhalt auf: Die Maßnahme „adä-

545 Wobei dieses Ergebnis nicht mit der Darbietung der Informationen zusammenhängen kann, da sich das Antwortverhalten der informierten Gruppe auch nicht mit dem Hinweis zur passiven Sterbehilfe von dem der uninformierten Gruppe unterschied.

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quate medizinische Versorgung“ korrelierte hoch mit der Variable der indirekten Sterbehilfe, wohingegen die Korrelation mit der „Palliativmedizin“ einen geringeren Korrelationskoeffizienten aufwies, da sich die Befragten unter dem Begriff „Palliativmedizin“ offenbar weniger vorstellen konnten als unter der „adäquaten medizinischen Versorgung“. Palliativmedizin/Verabreichen einer tödlichen Injektion: Sehr viel klarer (bzw. besser interpretierbar) stellen sich die Ergebnisse hinsichtlich der adäquaten medizinischen Behandlung und der Palliativmedizin dar; auch wenn der Begriff der Palliativmedizin scheinbar vielen Befragten nicht geläufig war, wurde dieser – zusammen mit seiner Umschreibung – im Sinne der statistischen Signifikanz nicht mit aktiver Sterbehilfe in Verbindung gebracht, sondern als eine andere Form der Sterbehilfe betrachtet. Mit anderen Worten war eine Verwechslung der Palliativmedizin mit der aktiven Sterbehilfe nicht gegeben.

Insgesamt handelt es sich bei diesen Ergebnissen um signifikante bzw. fehlende signifikante Korrelationen: Ein Verwechseln der unterschiedlichen Sterbehilfeformen mit der aktiven Sterbehilfe war damit – wie in Kapitel 10.1.6 dargelegt – natürlich nicht ausgeschlossen.

11.5.2 Antwortverhalten in Abhängigkeit von der Informationsart Wie der Ergebnisteil der vorliegenden Arbeit zeigt, gibt es – je nach Informationslage – Hinweise auf ein unterschiedliches Antwortverhalten zwischen den Gruppen. So bewirkte die Information zur passiven Sterbehilfe mit dem Beispiel „Entfernen der Magensonde“ im Antwortverhalten der Untersuchungsteilnehmer keinen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen. Hatten die Testpersonen die Maßnahme „Entfernen der Magensonde“ von vornherein nicht für eine aktive Sterbehilfe gehalten? Beim Betrachten der Ergebnisse könnte dies der Fall sein. Es ist aber auch denkbar, dass der geringe Grad des Unterschieds möglicherweise auf die einseitige Berichterstattung der Medien zurückgeführt werden könnte, die nur über Fälle von Sterbehilfe berichtet, welche das Abschalten des Beatmungsapparates diskutiert, nicht aber das Entfernen der Magensonde. Dies wiederum könnte eine recht pragmatische Erklärung haben: Magensonden werden insbesondere alten und demenzkranken Menschen gelegt, deren Schicksal für die Medien aber von nur geringer von Bedeutung ist, was dazu führt, dass darüber nicht oder kaum berichtet wird. Vielmehr sind es die spektakulären Fälle, die das Interesse der Medien anziehen; es sind vorwiegend jüngere Menschen, am Leben erhalten durch einen Beatmungsapparat, deren Los mediale Beachtung findet.546 Infolgedessen könnte die Maßnahme „Entfernen der Magensonde“ im Vergleich zur Maßnahme „Abschalten des Beatmungsapparats“ nicht mit der aktiven Sterbehilfe in Verbindung gebracht werden, was zu einem nichtsignifikanten Ergebnis führte. Auch die Beurteilung des Abschaltens des Beatmungsapparates ergab keinen Unterschied zwischen den 546 Darüber hinaus findet in der Berichterstattung keine Aufklärung darüber statt, über welche Art der Sterbehilfe debattiert wird.

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Gruppen, doch im Vergleich zu der obigen Maßnahme ist hier die Erklärung recht einfach: Hierzu gab es keinerlei Aufklärung, die eine Abweichung von der Gruppe ohne jede Information hätte bewirken können. Den besten Effekt auf das Antwortverhalten der Probanden schien die Information zur aktiven Sterbehilfe bei der Beurteilung der Maßnahme „Verabreichen einer tödlichen Injektion“ aufzuweisen. Wie der Ergebnisteil der vorliegenden Arbeit zeigt, beantworteten die Probanden mit Erhalt der Informationen die Frage, was sie für aktive Sterbehilfe hielten, richtig. Ein Resultat, das darauf hindeutet, dass Aufklärung durchaus die Beurteilung bezüglich der unterschiedlichen Sterbehilfearten steuern kann, was sie in der vorliegenden Studie auch tat.

11.5.3 Kenntnisgrad und Bildung Die Untersuchung befasste sich auch mit der Frage, ob sich Bildungseffekte im Kenntnisgrad in Bezug auf die einzelnen Maßnahmen der Sterbehilfe bemerkbar machen. In diesem Zusammenhang wurde wie folgt angenommen, dass Menschen mit einem höheren Bildungsgrad547 sich mehr bzw. besser informieren als Menschen, die einen geringeren Bildungsgrad aufweisen. Im konkreten Fall unterscheiden sich die Gruppen der Akademiker bei der Beurteilung der aktiven Sterbehilfe nicht signifikant voneinander. Warum das Antwortverhalten der Akademiker gerade nicht mehr signifikant unterschiedlich war, könnte daran liegen, dass diese Gruppe von vornherein besser informiert war und somit nicht mehr in dem Maße wie die anderen Gruppen davon überzeugt werden musste, dass es sich hier um eine aktive Sterbehilfe handelt. Vorsichtig interpretiert, scheinen die Ergebnisse tatsächlich auf einen gewissen Bildungseffekt hinzuweisen, der sich in einem geringeren Unterschied der Akademiker im Vergleich zu den Nicht-Akademikern niederschlägt. Im vorliegenden Fall weisen die Korrelationskoeffizienten der Akademiker geringere Werte oder fehlende Korrelationen auf. Als Fazit dürfen daher Unterschiede hinsichtlich des Kenntnisgrades und der Bildung angenommen werden, wenn sie auch nicht sehr deutlich zu Tage treten.

11.6 KONFRONTATION MIT TOD UND STERBEN Die Konfrontation mit dem Tod war für etwa zwei Drittel der Befragten nichts Unbekanntes.548 Das Gros der Befragten, das mindestens eine Berührung mit dem Tod

547 Da bei der Konzeption des Fragebogens der Bildungsgrad (höchster erreichter Schulabschluss) nicht direkt erfragt wurde, musste er aus den Berufsgruppen erschlossen werden. Daher sind die Ergebnisse in dieser Hinsicht nur vorsichtig zu interpretieren. 548 Mit „Tod“ ist in diesem Zusammenhang jedwede Erfahrung, die mit Sterben und Tod – außer die der medialen – in irgendeiner Form zu tun hat, gemeint.

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11 Diskussion der Ergebnisse

aufweist, liegt bei der älteren Altersgruppe. Doch auch wenn der Großteil der Befragten sich aus älteren Menschen zusammensetzte, wird dennoch deutlich, dass mit steigendem Alter die Konfrontation mit dem Sterben anderer Menschen offensichtlich zunimmt; ab einem gewissen Alter wird es unumgänglich, dass man Zeuge des Sterbens der Verwandten oder langjährigen Freunden wird. Jüngere Menschen besitzen in der Regel diese Erfahrungen noch nicht.

11.6.1 Die Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe in Abhängigkeit von Konfrontation mit Tod und Sterben Die Ergebnisse der vorliegenden Studie deuten darauf hin, dass die Einstellung der Testpersonen zur aktiven Sterbehilfe bzw. einer Sterbehilfe, die sie für die aktive hielten, auch von eigenen Todeserfahrungen abhängt. Bloßes Zeuge-Sein des Sterbens eines anderen Menschen schien für die Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe nicht auszureichen. Zwar stieg wohl auch hier die Ablehnung der „aktiven“ Sterbehilfe, je öfter die Befragten Zeuge des Sterbens eines anderen Menschen wurden, jedoch nicht statistisch signifikant. Möglicherweise besaß der Tod eines anderen Menschen für einen selbst in Bezug auf die Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe weniger Relevanz als vielmehr die Konfrontation mit dem eigenen Tod. Dieses Ergebnis ist einer näheren Untersuchung wert.

11.7 BESCHÄFTIGUNG MIT DEM EIGENEN TOD Die Konfrontation mit Tod und Sterben hängt davon ab, wie alt ein Mensch ist. Kann daraus abgeleitet werden, dass, je älter ein Mensch wird, er sich umso mehr mit seinem eigenen Tod gedanklich auseinandersetzt? Dies scheint, so die Ergebnisse der vorliegenden Studie, der Fall zu sein. Doch nicht nur das Alter allein, sondern auch zwei andere wichtige intervenierende Variablen – die allerdings eng mit dem Alter des Probanden verknüpft sind – scheinen für die Beschäftigung mit dem eigenen Tod verantwortlich zu sein. Wer mit dem Sterben eines anderen Menschen oder selbst mit dem Tod mitteloder unmittelbar in Berührung gekommen ist, setzt sich möglicherweise eher mit seinem eigenen Lebensende auseinander als jemand, der noch nie oder kaum Erfahrung damit gemacht hat.549 549 Schmitz-Scherzer zufolge hinge die Intensität gedanklicher Beschäftigung mit Tod und Sterben aber auch vom gesundheitlichen Befinden ab, jedoch keinesfalls einseitig. Krankheit könne, müsse aber nicht zu verstärkter gedanklicher Beschäftigung mit Tod und Sterben führen. Ebenso wirkten „Religiosität“ und soziodemographische Variablen nicht einheitlich in eine Richtung. Der Effekt intervenierender Merkmale sei in der Beantwortung solcher Fragen sehr wichtig, wichtiger als der der so genannten unabhängigen Variablen. Krankheit könne z.B. trotz gleicher Diagnose subjektiv sehr verschieden verarbeitet werden. Die gleiche Krankheit könne Angst, Schrecken und Verzweiflung mit sich bringen, aber auch Hoffnung wecken. Auch könnten Angst, Schrecken und Verzweiflung unterschiedliche Bilder im Erleben und Verhalten

11 Diskussion der Ergebnisse

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11.8 EMOTIONEN BEIM NACHDENKEN ÜBER DEN EIGENEN TOD Die Emotion „Traurigkeit“, die manche bei dem Gedanken an den eigenen Tod empfinden, weist mit dem Gedanken an den eigenen Tod keine Korrelation auf. Sie scheint somit nicht davon abzuhängen, welche und wie viele Erfahrungen die Befragten mit Tod und Sterben gemacht haben, und sie scheint genauso wenig für die Untersuchungsteilnehmer als Emotion hinsichtlich der Frage, ob sie beim Gedanken an den eigenen Tod Traurigkeit verspüren, relevant gewesen zu sein. Die Emotion „Traurigkeit“ kann als eine Reaktion auf eine Situation verstanden werden, die gerade stattfindet oder bereits eingetroffen ist. „Angst“ hingegen ist ein Gefühl, das aufgrund eines Angst auslösenden Moments entsteht oder durch etwas Unbekanntes, das noch in der Zukunft liegt, wie etwa der eigene Tod oder das Sterben. Der eigene Tod ist erst erfahrbar, wenn es soweit ist; vorher bleibt er ein Abstraktum, etwas noch nicht bzw. (noch) nie Dagewesenes. Daher könnte die Emotion „Traurigkeit“, die mit dem Gedanken an das eigene Ende einhergehen kann, für das Ergebnis der vorliegenden Arbeit unwesentlich sein. Anders schien es sich mit „Angst“ zu verhalten. Diese war für die Testpersonen durchaus relevant. Doch wie ist die verhältnismäßig geringe Angst vor dem Tod in der Befragung zu erklären? Sehr viele Befragte der Studie waren ältere Menschen. Statistisch betrachtet, rückt der Tod mit zunehmendem Alter immer näher, woraus geschlossen werden könnte, dass – je näher ein Mensch dem Tode ist – die Angst vor der eigenen Endlichkeit steigt. Die Ergebnisse jedoch lassen diesen Schluss nicht zu, sondern sie weisen in eine gegenteilige Richtung, nämlich in eine Verringerung der Angst vor dem eigenen Lebensende. Auch die Literatur berichtet von einer Abnahme der Angst vor dem eigenen Tod, je älter ein Mensch ist. So findet Kastenbaum keine Anhaltspunkte für eine Vergrößerung der Angst mit steigendem Alter. Er konstatiert sogar die Auffassung, dass die Angst mit dem Lebensalter geringer wird.550 Munnichs schildert eine Akzeptanz der eigenen Endlichkeit älterer Menschen, wenn diese sich in jüngeren Jahren reflektierend mit den „‚Unvollkommenheiten und Begrenzungen des eigenen Daseinsʻ – ebenso wie mit der Endgültigkeit der eigenen Situation und der Endlichkeit des eigenen Daseins – auseinandergesetzt hatten. Diese waren eher in der Lage, die eigene Endlichkeit anzunehmen oder hinzunehmen“.551

Darüber hinaus weisen Menschen, die Endlichkeitserfahrungen durch die Begleitung Sterbender, den Tod nahestehender Menschen oder durch eigene schwere Erkrankung haben, eine „annehmendere Einstellung gegenüber ihrem eigenen Sterben auf“.552 eines einzelnen Menschen erzeugen – je nach aktueller Situation und persönlicher Geschichte – aber sich auch interindividuell sehr unterschiedlich konstituieren; vgl. Schmitz-Scherzer (1995), S. 44–45. 550 Vgl. Kastenbaum (1992) und Neimeyer et al. (2003). 551 Munnichs (1995), S. 284. 552 Ebd.

12 ZUSAMMENFASSUNG DER ERGEBNISSE Das Thema „Sterbehilfe“ scheint für die deutsche Bevölkerung ein immer noch unbekanntes Terrain zu sein. Ziel dieser Studie war es daher, dies nachzuweisen und darüber hinaus darzulegen, dass sich mit der Kenntnis, was aktive Sterbehilfe tatsächlich bedeutet, die Befürwortung im Vergleich zu denjenigen, die keine Aufklärung erhielten, unterscheidet. Operationalisiert wurden die Fragestellungen mithilfe eines Fragebogens, wobei zunächst untersucht werden sollte, was die Untersuchungsteilnehmer für aktive Sterbehilfe hielten. Darüber hinaus wurden zum Zweck der Einstellungsmessung in Abhängigkeit von der Art der Informationen vier Gruppen der Testpersonen (experimentelles Design) gebildet, damit Unterschiede der Befürwortung der „aktiven“ Sterbehilfe sichtbar würden. Der erste Fragebogen beinhaltete demgemäß weder eine Aufklärung zur aktiven Sterbehilfe noch eine Aufklärung zur Palliativmedizin. Er wurde der Kontrollgruppe vorgelegt, um zu überprüfen, was sie unter „aktiver Sterbehilfe“ verstand und welche Meinung sie zu dieser Sterbehilfeform vertritt. Die zweite Gruppe (Experimentalgruppe A) erhielt eine Version des Fragenbogens, die bei gleicher Reihenfolge mit derselben Fragestellung jedoch zusätzlich eine Information zur aktiven Sterbehilfe beinhaltete. Hier sollte untersucht werden, wie sich diese Aufklärung auf das Antwortverhalten in Bezug auf die Kenntnis der aktiven Sterbehilfe auswirkt und ferner, ob und wie sich die Einstellung zur aktiven Sterbehilfe von der Einstellung der Kontrollgruppe unterscheiden würde. Ebenso verhielt es sich mit der dritten Gruppe (Experimentalgruppe B), die zwar keine Information zur aktiven und passiven Sterbehilfe erhielt, jedoch eine Information zur Palliativmedizin. Nur die vierte Gruppe (Experimentalgruppe C) erhielt beide Informationen. Es zeigte sich, dass insbesondere mit der Darbietung beider Informationen sich die Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe signifikant zu unterscheiden schien. Dieses Ergebnis kann folgendermaßen erklärt werden: Diejenigen, die beide Informationen erhielten, waren darüber aufgeklärt, dass die Palliativmedizin keine aktive Sterbehilfe ist, ebenso wenig die passive Sterbehilfe.553 Ohne Aufklärung wäre der Prozentanteil deutlich größer gewesen. Auch die Daten derjenigen, die Palliativmedizin für aktive Sterbehilfe hielten (und durch die Aufklärung mit expliziter Nennung des Palliativ-Begriffs umgestimmt wurden), flossen in das Ergebnis mit ein. Allgemein kann man folgern: Obgleich der Begriff der aktiven Sterbehilfe in den öffentlichen Diskussionen in aller Munde ist, schienen die Befragten nur rudimentäre Vorstellungen von ihr zu besitzen. Offenbar hielten nicht wenige von ihnen die Maßnahmen der passiven Sterbehilfe – und speziell das Abschalten des Beatmungsapparates – für aktive Sterbehilfe. Auch in den öffentlich geführten Diskussionen 553 Man erinnere sich: Immerhin waren etwa 30 % der Befragten der Auffassung, dass Palliativmedizin, die als solche aber nicht genannt wurde, aktive Sterbehilfe sei.

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12 Zusammenfassung der Ergebnisse

wird kaum ersichtlich, was aktive Sterbehilfe wirklich darstellt. Die wahre Problematik der Sterbehilfe-Frage liegt demnach wohl darin, dass den Menschen nicht bewusst ist, dass sie nur wenig aufgeklärt sind und sie daher nicht wissen können, dass eine Sterbehilfe-Problematik besteht. Das daraus resultierende Dilemma ist: Wird ein existierendes Problem nicht erkannt, besteht zwar objektiv Handlungsbedarf, subjektiv aber wird der Handlungswille fehlen. Zwar soll nicht behauptet werden, dass die Zunahme der Informiertheit zwangsläufig die Bereitschaft erhöht, sich näher mit dem Thema auseinanderzusetzen, doch mit Sicherheit würden die Ergebnisse der Meinungsumfragen anders ausfallen. Die vorliegende Arbeit konnte zeigen, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit keine Mehrheit der Deutschen gibt, die sich für die aktive Sterbehilfe ausspricht, sondern eine Minderheit. Infolgedessen könnte nicht mehr proklamiert werden, dass der Großteil der deutschen Bevölkerung für die aktive Sterbehilfe sei, dieser also die aktive Sterbehilfe als adäquates Mittel unseres Gesundheitssystems betrachte.

12.1 FAZIT UND AUSBLICK Das Töten eines schwerkranken Menschen (auf Verlangen) ist von allen Alternativen der Sterbehilfe die schlechteste. Nicht die aktive Sterbehilfe sollte in das Gesundheitswesen implementiert werden, sondern eine Humanisierung der Sterbesituation der Menschen. Es ist die Pflicht der Politik, eine massive Umstrukturierung des Gesundheitssystems vorzunehmen, die ein würdevolles Sterben für alle Menschen garantiert, die in einer Institution ihr Leben beenden. Palliativmedizin müsste ebenso in jedes Krankenhaus in einem ausreichenden Maße implementiert werden wie auch der Hospiz-Gedanke. Die Legalisierung und Einführung der aktiven Sterbehilfe aber in das deutsche Gesundheitssystem zu einem Zeitpunkt, in dem es hinsichtlich des Wissens um sie große Unsicherheiten gibt, ist ein äußerst gefährliches Unterfangen. Denn bekommen die Bürger mit der Legalisierung wirklich das, was sie wollen? Betont ihr Wunsch nach einer Humanisierung des Sterbens wirklich das Töten auf Verlangen? Eine Humanisierung kann und darf nicht aus einer Legalisierung der aktiven Sterbehilfe bestehen, was eine falsch verstandene Humanisierung wäre, sondern in einer adäquaten medizinischen und menschlichen Versorgung. So sollten erst alle anderen humanen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, die Lebensund Sterbequalität des Patienten zu erhalten bzw. zu erhöhen, bevor die Möglichkeit der aktiven Sterbehilfe in Erwägung gezogen wird. Dies sollte das Ziel der deutschen Gesundheitspolitik sein. Das hat inzwischen auch der Bundestag erkannt, indem er am 5. November 2015 das Hospiz- und Palliativgesetz beschlossen hat.554 Dieses Gesetz soll dafür sorgen, dass in Deutschland flächendeckend Palliativ- und Hospizstationen ausgebaut werden. Diese Entwicklung ist mehr als wünschenswert, und es ist zu hoffen, dass dieses Gesetz in den nächsten Jahren umgesetzt wird. Nur einen Tag später beschloss der Bundestag nach einer emotional geführten Debatte, 554 Vgl. Beerheide/Richter-Kuhlmann (2015).

12 Zusammenfassung der Ergebnisse

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die geschäftsmäßige Sterbehilfe unter Strafe zu stellen, wobei private und nicht geschäftsmäßige Hilfe zum Suizid ausgeschlossen ist.555 Dies besagt, dass in Deutschland flächendeckend Palliativ- und Hospizstationen ausgebaut werden sollen, eine Entwicklung, wie sie nicht wünschenswerter sein könnte. Infolgedessen muss die Antwort auf die Frage nach der Legalisierung der aktiven Sterbehilfe zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein klares Nein sein, solange sich nichts an den immer noch ungünstigen Verhältnissen der Sterbesituation ändert. Bis zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Buchs hat sich die Qualität des Sterbens in Deutschland nur wenig verbessert. Viele Kliniken ohne Palliativeinrichtungen oder mit zu geringer Bettenzahl weisen nach wie vor Defizite in der Versorgung Sterbender auf, was nicht zuletzt auch auf das wirtschaftliche Handeln und Gewinnstreben zurückgeführt werden kann (s. Abschnitt 3.2.1).

12.2 SCHLUSSWORT Die Entwicklung des Gesundheitssektors, der Gesellschaft und die juristische Stellungnahme zur Sterbehilfe sind seit Kriegsende ihren Weg gegangen, ohne dass bisher eine umfassende Bestandsaufnahme zu den Fragen erfolgte, wie mit Tod und Sterben sowie auch mit dem Thema Sterbehilfe umgegangen wird. Die vorliegende Studie hat den bescheidenen Versuch unternommen, dieses Manko zu beheben. Es wurden Gebiete, die im engeren und weiteren Sinn mit Sterbehilfe in Verbindung stehen, in dieser Studie zusammengetragen und einer näheren Untersuchung unterzogen, wie sich die Einstellung der Bevölkerung dazu verhält. Die Resultate, die sich hieraus ergaben, stellen in vielerlei Hinsicht äußerst wichtige Erkenntnisse dar, so dass diese empirische und ethische Analyse gewissermaßen als Plattform weiterer und vertiefender Forschung der genannten Gebiete dienen sollte. Die große Hoffnung ist daher, mit der vorliegenden Arbeit nicht nur die Sterbehilfe-Problematik in das Bewusstsein der Menschen dringen zu lassen, sondern auch weitere und vertiefende Forschungen anzustoßen mit dem Ziel einer Ars moriendi nova.

555 Vgl. Richter-Kuhlmann (2015).

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Winslade, W. (2013): Menschenwürde, Bewusstsein und menschliche Existenz. In: Joerden et al. (2013), 687–696. Wissing, H. (1992): Das Sterben in Institutionen aus der Sicht der Pflegenden. Eine vergleichende Untersuchung von Angehörigen zweier helfender Berufe. Kiel: Dissertation. Wittkowski, J. (1990): Psychologie des Todes. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Wittkowski, J. (2001): Erleben und Verhalten bei der Begegnung mit Sterben und Tod – Ergebnisse der Psychologie des Todes. In: Schlagheck (2001), 11–46. Wittkowski, J. (Hrsg.) (2003): Sterben, Tod und Trauer. Grundlagen, Methoden, Anwendungsfelder. Stuttgart: Kohlhammer. Wittwer, H./Schäfer, D./Frewer, A. (Hrsg.) (2010): Sterben und Tod. Geschichte – Theorie – Ethik. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart u.a.: J. B. Metzler. Woellert, K./Schmiedebach, H.-P. (2008): Sterbehilfe. München/Basel: Ernst Reinhard. Wuermeling, H.-B. (2010): Todesursachen. In: Wittwer et al. (2010), 109–113. Zimmermann-Acklin (2000): Töten oder Sterbenlassen? Auseinandersetzung mit grundlegenden ethischen Denkfiguren der gegenwärtigen Euthanasiediskussion. In: Mettner (2000), 51–70. Zbigniew, Z. (1999): Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Hospizbewegung in den Niederlanden. http://library.fes.de. [Letzter Zugriff: 19.10.2014]. Zülicke, F. (2005): Sterbehilfe in der Diskussion. Eine vergleichende Analyse der Debatten in den USA und Deutschland. Münster: LIT.

13.2 ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1: Entwicklung der Anzahl der Hospiz- und Palliativeinrichtungen ......................... 57 Abbildung 2: Entwicklung der ambulanten Hospiz- und Palliativeinrichtungen ........................ 57 Abbildung 3: Ergebnisse der HPVC-Studie 2010 .......................................................................... 58 Abbildung 4: Die vier Dimensionen des Leidens ....................................................................... 62 Abbildung 5: Gemeldete Fälle aktiver Sterbehilfe (und assistierter Suizid) in Holland (2007–2014) ......................................................................................... 100 Abbildung 6: Einwilligungsfähigkeit in medizinische Maßnahmen ........................................... 111 Abbildung 7: Mehrstufiges Vorgehen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit ............................. 113 Abbildung 8: Verteilungsform der Fragebogenversionen in der Gesamtstichprobe ................... 140 Abbildung 9: Verteilung der Berufsgruppen in der Gesamtstichprobe ....................................... 145 Abbildung 10: Verteilung des Geschlechts in der Gesamtstichprobe ......................................... 145 Abbildung 11: Verteilung der Altersgruppen in der Gesamtstichprobe ...................................... 147 Abbildung 12: Verteilung der Religiosität in der Gesamtstichprobe .......................................... 148 Abbildung 13: Religiosität in Abhängigkeit vom Alter .............................................................. 149 Abbildung 14: Häufigkeit der fehlenden Itemwerte in Zahlen ................................................... 153 Abbildung 15: Gesetzliche Regelung der Sterbehilfe in Deutschland ........................................ 157 Abbildung 16: Rolle der Sterbehilfe in Deutschland .................................................................. 158 Abbildung 17: Verfügung über eigenes Leben und den Tod ...................................................... 159 Abbildung 18: Verfügung über eigenes Leben und den in Abhängigkeit von Religiosität ........ 160 Abbildung 19: Verfügung über eigenes Leben und Tod in Abhängigkeit vom Alter ................. 161 Abbildung 20: Verfügung über eigenes Leben und Tod in Abh. von politischer Präferenz ....... 161 Abbildung 21: Bekanntheitsgrad der Patientenverfügung .......................................................... 162 Abbildung 22: Bekanntheitsgrad der Patientenverfügung in Abhängigkeit vom Alter .............. 163 Abbildung 23: Das Abschalten lebensverlängernder Maßnahmen ist vernünftig ....................... 164 Abbildung 24: Das Abschalten lebensverlängernder Maßnahmen ist nicht vernünftig .............. 165 Abbildung 25: Korrelation: Einstellung zur passiven Sterbehilfe mit aktiver Sterbehilfe (1) ... 166 Abbildung 26: Korrelation: Einstellung zur passiven Sterbehilfe mit aktiver Sterbehilfe (2) .... 167 Abbildung 27: Ist das Entfernen der Magensonde aktive Sterbehilfe? ....................................... 169 Abbildung 28: Ist das Abstellen des Beatmungsapparats aktive Sterbehilfe? ............................ 169 Abbildung 29: Ist das Verabreichen einer tödlichen Injektion aktive Sterbehilfe? ..................... 170 Abbildung 30: Ist die adäquate medizinische Behandlung aktive Sterbehilfe? .......................... 171

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13 Verzeichnisse

Abbildung 31: Ist die Erhöhung der Schmerzmitteldosis aktive Sterbehilfe? ............................ Abbildung 32: Ist Palliativmedizin aktive Sterbehilfe? .............................................................. Abbildung 33: Ist das Entfernen der Magensonde aktive Sterbehilfe? ....................................... Abbildung 34: Ist das Abstellen des Beatmungsapparates aktive Sterbehilfe? ........................... Abbildung 35: Ist das Verabreichen einer tödlichen Injektion aktive Sterbehilfe? (1) ............... Abbildung 36: Ist das Verabreichen einer tödlichen Injektion aktive Sterbehilfe? (2) ............... Abbildung 37: Ist die Erhöhung der Schmerzmitteldosis aktive Sterbehilfe? ............................ Abbildung 38: Ist die adäquate medizinische Behandlung aktive Sterbehilfe? (1) ..................... Abbildung 39: Ist die adäquate medizinische Behandlung aktive Sterbehilfe? (2) ..................... Abbildung 40: Ist die Palliativmedizin aktive Sterbehilfe? ........................................................ Abbildung 41: Nicht-Akademiker vs. Akademiker (tödliche Injektion) .................................... Abbildung 42: Nicht-Akademiker vs. Akademiker (adäquate medizinische Behandlung) ......... Abbildung 43: Nicht-Akademiker vs. Akademiker (Palliativmedizin) ....................................... Abbildung 44: Häufigkeit der Konfrontation mit dem Tod ......................................................... Abbildung 45: Die Berührung mit dem Tod in Abhängigkeit vom Alter ................................... Abbildung 46: Konfrontation mit dem Sterben eines anderen Menschen .................................. Abbildung 47: Berührung mit dem Sterben eines Menschen in Abhängigkeit vom Alter .......... Abbildung 48: Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe und Konfrontation mit eigenem Tod ....... Abbildung 49: Häufigkeit der Beschäftigung mit dem eigenen Tod .......................................... Abbildung 50: Kennzahlen des Alters in Verbindung mit „Beschäftigung mit eigenen Tod“ ... Abbildung 51: Gefühle bei dem Gedanken an den Tod (Traurigkeit) ........................................ Abbildung 52: Gefühle bei dem Gedanken an den Tod (Angst) ................................................. Abbildung 53: Kennzahlen des Alters in Verbindung mit „Traurigkeit“ .................................... Abbildung 54: Kennzahlen des Alters in Verbindung mit „Angst“ ............................................ Abbildung 55: Die Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe .......................................................... Abbildung 56: Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe ohne die Kategorie „bin weder dafür noch dagegen“ .......................................... Abbildung 57: Antwortverhalten in Abhängigkeit von der Fragebogenversion ......................... Abbildung 58: Gründe für „aktive“ Sterbehilfe .......................................................................... Abbildung 59: Was ist Sterbehilfe? ............................................................................................

171 172 175 176 177 178 178 179 180 181 183 184 185 187 187 188 189 190 190 191 193 193 194 195 196 197 201 202 205

13.3 TABELLENVERZEICHNIS Tabelle 1: Entwicklung der Lebenserwartung vom 17. – 20. Jahrhundert in Europa .................. 24 Tabelle 2: Physiologische Merkmale, die auf den bevorstehenden Tod hinweisen ..................... 36 Tabelle 3: Rechtslage zur Sterbehilfe in Europa .......................................................................... 94 Tabelle 4: Medizinische Entscheidungen am Lebensende in den Niederlanden (2001/2005) ..... 98 Tabelle 5: Gemeldete Fälle aktiver Sterbehilfe in den Niederlanden (2007–2013) ..................... 98 Tabelle 6: Fälle aktiver Sterbehilfe (und assistierter Suizid) in Holland (1990–2005) ................. 99 Tabelle 7: Faktoren, die das Würdeempfinden todkranker Menschen beinträchtigen können ... 118 Tabelle 8: Verteilungsform der Fragebogenversionen relativ zu „Geschlecht“ .......................... 141 Tabelle 9: Verteilungsform der Fragebogenart relativ zu „Altersgruppen“ ................................ 141 Tabelle 10: Verteilungsform der Fragebogenart relativ zu „Religiosität“ .................................. 142 Tabelle 11: Verteilungsform der Fragebogenart relativ zu „Schüler und Auszubildende“ ......... 142 Tabelle 12: Verteilungsform der Fragebogenart relativ zu „Studenten“ ..................................... 143 Tabelle 13: Verteilungsform der Fragebogenart relativ zu „Akademiker“ ................................. 143 Tabelle 14: Verteilungsform der Fragebogenart relativ zu „Studenten und Akademiker“ ......... 144 Tabelle 15: Verteilungsform der Fragebogenart relativ zu „Rentner“ ........................................ 144 Tabelle 16: Verteilungsform der Fragebogenart relativ zu „sonstige Berufsgruppe“ ................. 145 Tabelle 17: Fehlende Werte des Items 8 ..................................................................................... 154 Tabelle 18: Fehlende Werte des Items 9 ..................................................................................... 154 Tabelle 19: Fehlende Werte des Items 14 ................................................................................... 155 Tabelle 20: Fehlende Werte des Items 17 ................................................................................... 155

13 Verzeichnisse Tabelle 21: Fehlende Werte des Items 5 ..................................................................................... Tabelle 22: Fehlende Werte des Items 6 ..................................................................................... Tabelle 23: Passive Sterbehilfe und Fragebogentyp (= vernünftig) ............................................ Tabelle 24: Passive Sterbehilfe vom Fragebogentyp (= nicht akzeptabel) ................................. Tabelle 25: Interkorrelationsmatrix der Sterbehilfearten ............................................................ Tabelle 26: Antwortverhalten in Abhängigkeit von erhaltender Information ............................. Tabelle 27: Antwortverhalten in Abhängigkeit von Bildung ...................................................... Tabelle 28: Beschäftigung mit Tod und Konfrontation mit Tod und Sterben ............................ Tabelle 29: „Angst“/„Traurigkeit“ und Konfrontation mit Tod und Sterben .............................. Tabelle 30: Korrelationen: Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe mit allen Sterbehilfeformen . Tabelle 31: Kovariablen der Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe ............................................ Tabelle 32: Einflussnahme weiterer Variablen auf die Einstellung zur „aktiven“ Sterbehilfe ...

231 156 156 167 168 173 181 182 192 195 198 199 200

Daniel Schäfer / Christof Müller-Busch / Andreas Frewer (Hg.)

Perspektiven zum Sterben Auf dem Weg zu einer Ars moriendi nova?

Ars moriendi novA – BAnd 2 Wie wollen wir sterben? Diese Frage steht im Mittelpunkt zahlreicher Diskurse und Publikationen: Was ist ein ‚guter Tod‘ für den individuellen Patienten, was versteht unsere Gesellschaft darunter? Welche ‚Sterbekultur‘ hat die Gegenwart? Autoren aus Medizin, Philosophie, Theologie, Psychologie, Soziologie, Geschichte, Ethik, Palliativmedizin, Hospizbewegung und weiteren Gebieten diskutieren im vorliegenden Band eine sinnvolle und menschenwürdige Gestaltung am Lebensende. Der Vorschlag der Herausgeber zu einer „Ars moriendi nova“ als neue Sterbekultur wird interdisziplinär eingebettet und mit Bezug zur gesellschaftlichen Praxis erörtert..

206 Seiten mit 4 Tabellen 978-3-515-10189-9 kArt. 978-3-515-10217-9 e-Book

Aus dem inhAlt h. wittwer: Kann die Philosophie einen Beitrag zu einer neuen Kultur des Sterbens leisten? | j.-p. wils: Ars moriendi: Über das Verhältnis von Weltanschauung, Recht und Moral | n. fischer: Bestattungskultur zwischen Moderne und Postmoderne | j. wittkowski: Ars moriendi durch Erziehung? Zur Unterrichtung über Sterben, Tod und Trauer | k. feldmann: Sterbekultur in der modernen Gesellschaft. Soziologische Perspektiven zur Ars moriendi nova | s. völlmicke: Tatort Fernsehen. Die mediale Inszenierung des Todes im Kriminalfilm und der soziale Umgang mit Sterben | s. dreßke: Das Hospiz als Einrichtung des guten Sterbens. Eine soziologische Analyse der Interaktion mit Sterbenden | j. joerden: Strafrechtliche Rahmenbedingungen der Sterbekultur. Begrifflich-systematische Fragen des Rechtsschutzes am Lebensende | e. schildmann / j. schildmann: Leitlinien zur palliativen Sedierungstherapie als Beitrag zur Sterbekultur. Eine systematische Auswertung unter besonderer Berücksichtigung ethischer und kommunikativer Herausforderungen am Lebensende

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Viele Menschen in Deutschland wünschen sich ein schnelles und schmerzfreies Sterben. Doch dieser Wunsch trifft auf eine Wirklichkeit, in der lange Sterbeprozesse eher die Regel als die Ausnahme sind. Muss man unter diesen Bedingungen erwarten, dass sich der Gedanke der „aktiven Sterbehilfe“ als eine mögliche Lösung des Problems verbreitet? Umfrageergebnisse scheinen dies zu bestätigen. Die Einstellung der Bevölkerung zur Sterbehilfe ist bisher jedoch noch keiner differenzierteren empirischen Analyse unterzogen worden – ein Manko, das diese Untersuchung erstmals in umfassender wissenschaftlicher Weise behebt. Neben einer ethischen Analyse zu „Tod und Sterben“ ermittelt Constanze Hübner nicht nur den Kenntnisstand der deutschen Bevölkerung hinsichtlich der Sterbehilfearten, sondern auch ihr Antwortverhalten bezüglich der Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe bei vorheriger Aufklärung. Die Ergebnisse dieser Studie widersprechen deutlich der Annahme, die deutsche Bevölkerung befürworte die aktive Sterbehilfe. Sie weisen vielmehr auf einen Wunsch der Menschen nach Palliativmedizin und einem guten Lebensende hin, das kein Töten auf Verlangen vorsieht.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag

ars moriendi nova Herausgegeben von Andreas Frewer Christof Müller-Busch Daniel Schäfer

ISBN 978-3-515-11390-8