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German Pages 76 [77] Year 2022
D E U T S C H E A K A D E M I E D E R W I S S E N S C H A F T E N ZU B E R L I N SCHRIFTEN
DER
SEKTION
FÜR
ALTERTUMSWISSENSCHAFT
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STAND UND
AUFGABEN
DER KLASSISCHEN
PHILOLOGIE
IN U N G A R N VON GYULA MORAVCSIK
1955
AKADEMIE-VERLAG
BERLIN
Gutachter dieses Bandes: Werner Hartke und Johannes Irmscher
Redaktor der Reihe: Johannes Irmscher Redaktoren dieses Bandes: Johannes Irmscher und Helga Köpstein
Erschienen im Akademie-Verlag, Berlin W8, Mohrenstraße 39 Lizenz-Nr. 202 • 100/364/55 Gesamtherstellung: Druckerei „Thomas Müntzer" Langensalza Bestell- und Verlags-Nr. 2067/4 Printed in Germany
Vorbemerkung Am 13. Dezember 1951 wurde von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften zu Budapest eine Fachtagung für klassische Philologie abgehalten, die zu einer grundsätzlichen Aussprache über den derzeitigen Stand und die Aufgaben der Altertumswissenschaft in Ungarn führte. Wenn auch die dort behandelten Probleme im wesentlichen aus der besonderen Situation dieses Faches in Ungarn erwachsen sind, so sind sie doch weithin auch für unser Land die gleichen, so daß die Veröffentlichung dieses Tagungsprotokolls in deutscher Sprache nicht nur einen Einblick in die wissenschaftliche Arbeit eines uns befreundeten Landes gestattet, sondern auch Anregungen für unsere eigene Arbeit zu vermitteln vermag. Die Übersetzung besorgte Alexander Tinschmidt, die Redaktion die Unterzeichneten. Herr Professor Moravcsik unterzog sich freundlicherweise der Mühe, die bibliographischen Anmerkungen durch Nachtrag der bis zum Jahre 1953 erschienenen Literatur zu vervollständigen. Uber die Fortschritte der ungarischen Altertumswissenschaft in den lezten fünf Jahren handelte Gyula Moravcsik in einem im Institut für Altertumskunde der Humboldt-Universität zu Berlin gehaltenen Vortrag. Die Veröffentlichung dieses Vortrages im Anschluß an das Protokoll der Fachtagung vom Dezember 1951 soll das Bild abrunden und den Leser, nachdem er in die Probleme der ungarischen Altertumswissenschaft eingeführt ist, über den neuesten Stand dieses Wissenschaftsgebiets in Ungarn informieren. Herrn Professor Moravcsik sei für die Literaturnachträge zu seinem Vortrag aus dem Jahre 1951 wie für alle weitere bei der Redaktion von ihm geleistete Hilfe an dieser Stelle herzlichst gedankt. Johannes Irmscher
Helga Köpstein
Inhalt I. Referat Gyula Moravcsiks auf der Fachtagung für klassische Philologie der Ungarischen Akademie der Wissenschaften zu Budapest am 13. Dezember 1951 Stand und Aufgaben der klassischen Philologie 7 Diskussionsbeiträge Janos Harmatta Matyäs Gyöni Istvän Borzsäk
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44 48
Janos Horväth jun
öl
Zsigmond Ritook
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Arpäd Szabö
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Gabor Tolnai
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II. Vortrag Gyula Moravcsiks im Institut für Altertumskunde der HumboldtUniversität zu Berlin am 14. April 1955 Die ungarische Altertumswissenschaft in den letzten fünf Jahren 64
Stand und Aufgaben der klassischen Philologie G Y U L A MORAVCSIK
Als der hervorragende sowjetische Historiker Akademiemitglied Boris Dmitrijewitsch G r e k o w , der Verfasser des bekannten Buches „KneBCKan Pyc&" [Das Kiewer Rußland] und mehrerer anderer Werke, Ehrendoktor der Lorand-Eötvös-Universität zu Budapest, vor drei Jahren die ungarische Hauptstadt besuchte und ich Gelegenheit hatte, mit ihm über die Gegenwartsfragen der wissenschaftlichen Forschung und in diesem Zusammenhang über die jüngste Entwicklung und die Ergebnisse der uns besonders interessierenden sowjetischen und ungarischen Geschichtswissenschaft zu sprechen, da sagte er mir u. a. folgendes: Bac JHOÖOIIHTCTBO, y Hac 3a^aia" [Bei Ihnen ist es Neugier, bei uns Aufgabe]. Diese Bemerkung hat einen tiefen Eindruck auf mich gemacht, denn die wenigen Worte bringen knapp und prägnant den Unterschied zwischen der alten, bürgerlichen und der neuen, sozialistischen Wissenschaft zum Ausdruck. In dem Wort „Neugier" ist die Wurzel wissenschaftlicher Forschung enthalten, jenes ursprüngliche Sichverwundern, das nach Piaton (Theaitetos 155 D) den Ausgangspunkt der Philosophie und damit jeder wissenschaftlichen Forschung überhaupt bildet, jenes noch beinahe unbewußte Bestaunen unserer eigenen Existenz und der uns umgebenden Welt, das neugierig macht und anspornt, die großen Geheimnisse zu erkennen und zu lösen; in diesem Wort klingt die Erinnerung an jenen ersten Schritt nach, den einst die Menschheit auf dem Weg der wissenschaftlichen Erkenntnis mit Hilfe des griechischen Denkens getan hat. Dagegen spiegelt das Wort „Aufgabe" Bewußtsein und Reife der entwickelten sozialistischen Gesellschaft wider, die in der Pflege der Wissenschaft auf breiter Basis, in der Verwertung ihrer Ergebnisse und in ihrer die Natur und das menschliche Leben umgestaltenden Tätigkeit eine soziale Aufgabe erblickt, die über die Erfüllung der individuellen Neugier hinaus einem gesellschaftlichen Bedürfnis entgegenkommt. Die Wissenschaft dient im sozialistischen Staate der Gesellschaft. Das bedeutet aber nicht, daß — nachdem nun die Wissenschaft zu einer gesellschaftlichen Aufgabe geworden ist — die Neugier und der durch sie erwachende unstillbare Wunsch nach Erkenntnis, jener platonische Eros, der die ständige Quelle jeden Aufstiegs, jeder Weiterent-
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Gyula Moravcsik
wicklung bleibt, versiegen müßte; im Gegenteil, die dem Menschen instinktmäßig innewohnende Kraft soll für die Allgemeinheit nutzbar gemacht werden und die individuelle Leistung, gesteigert durch Planung und Anleitung der Arbeit sowie Sicherung ihrer Voraussetzungen, im Dienste der Fortentwicklung der ganzen Gesellschaft Verwertung finden, auf daß die lichte Flamme des Eros nicht verlösche — einem Feuerwerk ähnlich, das sich selbst verzehrt —, sondern zum schmelzenden Feuer der wissenschaftlichen Forschung und damit des menschlichen Aufbaus veredelt werde. Das bedeutet nichts anderes, als den natürlichen Gang der Entwicklung zu regeln und zu lenken; und gerade das t u t die Sowjetwissenschaft, wenn sie die Natur verändert, um deren Kräfte menschlichen Zielen, menschlichen Bedürfnissen nutzbar zu machen. Der große Wandel, der sich in wenigen Jahren an der Landkarte der Sowjetunion vollzogen hat und in den nächsten Jahren planmäßig weiter vollziehen wird, ist bekannt. Die Natur hat das Sowjetland mit Flüssen und Meeren reich beschenkt, dennoch blieben einige Gebiete ohne Wasser, und die blinden Kräfte der Natur haben diese in Wüsten verwandelt. Der menschliche Verstand aber tritt mit Hilfe von Wissenschaft und Technik der blinden Naturgewalt entgegen, gestaltet das Flußsystem nach seinen eigenen Bedürfnissen. Für den einen Strom gräbt er ein neues Bett, andere verbindet er durch Kanäle, er vereint mehrere Nebenströme, baut Stauwerke, schafft kleine Meere — ja, er ändert sogar die Richtung des Flußlaufs. Diese Tendenz zeigt sich auch in den Gesellschaftswissenschaften. In der früheren Entwicklung teilten sich die Wissenschaften in verschiedene Ströme; von denen liefen einige parallel, schufen sich bald ein breites, bald ein schmales, ein tiefes oder flaches Bett, je nach dem, wie stark die Wirkung der individuellen Initiative, der Traditionen, der herrschenden Ideologien, der Klasseninteressen und all der übrigen Faktoren war, wobei Publikationsmöglichkeiten und geschäftliche Gesichtspunkte keine unwesentliche Rolle spielten; diese voneinander unabhängig sich fortbewegenden Wissenschafts„Ströme" haben jedoch den gesellschaftlichen Boden nicht so „bewässert", wie sie es hätten tun können und müssen. Jetzt schafft die bewußte, planmäßige Regelung zwischen den einzelnen Strömen die Verbindung, bringt sie in ein einheitliches System und erhöht dadurch ihre Kraft um ein Mehrfaches. Der Isoliertheit, Planlosigkeit und Zufälligkeit, welche die bürgerliche Wissenschaft im Zeitalter des Imperialismus schon mit Anarchie bedrohten, setzt die sowjetische Wissenschaft das Prinzip der Planmäßigkeit und Organisation entgegen und bestimmt bewußt, wo die speziellen Aufgaben jedes Wissenschaftlers und jedes Wissenschaftszweiges im Gesamtbereich der Wissenschaft liegen, was, warum und wofür sie letzten Endes zu schaffen haben. Der Forscher in der sozialistischen Gesellschaft kann sich nicht hintervon ihm selbst gezogene enge Grenzen seiner Spezialwissenschaft zurückziehen, sondern muß mit der Gesamtheit des um ihn pulsierenden und sich ständig verän-
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dernden Lebens dauernde Verbindung halten und sich stets dessen bewußt sein, daß die Arbeit, die er leistet, nicht nur seine private Angelegenheit ist, sondern gleichzeitig Sache der Allgemeinheit und daß daher seine Pflicht darin besteht, die ihm übertragenen Aufgaben in vollem Umfang zu erfüllen. Das ist aber noch nicht alles. Daraus, daß die Pflege der Wissenschaften zu einer gesellschaftlichen Aufgabe erhoben wird, ergibt sich nicht nur eine Veränderung der persönlichen Einstellung, sondern dazu noch die Forderung, daß sich jede einzelne Fachwissenschaft — als ein organischer Teil der neuen, gesellschaftliche Funktionen ausübenden Gesamtwissenschaft — ihrer Zielsetzung bewußt wird, sich eigene Methoden erarbeitet, eigene Arbeitsmittel schafft und in bestimmten Zeitabständen einen konkreten Forschungsplan aufstellt. Es ist daher notwendig, daß jeder Forscher und jede Fachwissenschaft von Zeit zu Zeit sich selbst überprüfen, damit die aktuellen Aufgaben geklärt und jedem Wissenschaftler bewußt werden. Die klassische Philologie in Ungarn h a t auch schon in der Vergangenheit die Notwendigkeit einer solchen Selbstüberprüfung anerkannt; gibt es doch keinen anderen Zweig der ungarischen Wissenschaft, der sich so oft und so eingehend mit der Frage beschäftigt h ä t t e , welches seine Ziele sind, wo die Grenzen seiner Forschungsarbeit liegen und in welchem Verhältnis er zu den verwandten Wissenschaften steht, wie es gerade unsere Fachwissenschaft t a t . Zu Beginn der 30er J a h r e . erschienen in den ungarischen wissenschaftlichen Zeitschriften laufend Untersuchungen, in welchen die Fragen des Bereichs der klassischen Philologie und ihrer speziellen Aufgaben sowie die Probleme der Organisation ihrer wissenschaftlichen Arbeit erörtert wurden. Die Vertreter der verschiedensten Meinungen t r a t e n sich im Verlauf dieser Diskussion gegenüber. Zwei Jahrzehnte sind es her, daß sich die Gräzisten und Latinisten unserer Heimat zu einer Landeskonferenz versammelten, um die bei dieser Diskussion aufgetauchten Fragen zu erörtern. Diese Rechenschaftslegung h a t die Fachkreise noch lange Zeit beschäftigt 1 ). Die Probleme, die damals vor unseren Philologen standen und l
) Über diese Landeskonferenz, die vom 5.'—7. Januar 1933 stattgefunden hat, berichtete die Egyetemes Philologiai Közlöny nur in einem kurzen Protokollauszug (57 [1933] 42). So wird es für die heutige Generation nicht uninteressant sein, wenn wir aus der Reihe der dort gehaltenen Vorträge einige anführen: Jözsef Balogh, A magyarorszägi közöplatin kutatas feladatai [Aufgaben der mittellateinischen Forschung in Ungarn]; Endre Horväth, Ujgörög tanulmänyok Magyarorszägon [Neugriechische Studien in Ungarn], EPhK58 (1934) 84^-88; 191—194; Jözsef Huszti, Magyar humanisztikus kutatäsok [Ungarische humanistische Forschungen]; Käroly Kerenyi, Az ökortudomäny vallastörtöneti megüjhodäsa [Religionsgeschichtliche Erneuerung der Altertumswissenschaft], EPhK 57 (1933) 112—116; 58 (1934) 81—84; Karoly Maröt, Az antik szellem jövöje [Die Zukunft des antiken Geistes] (vgl. A görög eleteszmöny örteke 6s mai jelentösöge [Wert und heutige Bedeutung des griechischen Lebensideals], Tärsadalomtudomäny 13 [1933] 202—214); Gyula Moravcsik, A görög 6s latin filolögia magyar feladatai [Die ungarischen Aufgaben der lateinischen und griechischen Philolo-
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Gyula Moravcsik
die aus einem Gefühl der Unbefriedigtheit erwachsen waren, wurden im Laufe der Entwicklung entweder gelöst oder verloren seither ihre Aktualit ä t . Der Selbstüberprüfung aber bedarf es heute mehr als damals. Es wuchs ja seither eine neue Generation von Forschern heran, und auch die ungarische Wissenschaft selbst h a t eine mächtige Wandlung durchgemacht. Die Wissenschaft ist auch bei uns keine „Neugier" mehr, sondern eine gesellschaftliche •„Aufgabe". Es ist daher erforderlich, daß auch unsere klassisch-philologische Forschung gemäß dieser Entwicklung ihre Ziele und aktuellen Aufgaben erneut klärt und an die Lösung der neuen Aufgaben nach einem genau ausgearbeiteten Plan herangeht 1 ). J e t z t , da die Hauptkommission 2 ) f ü r klassische Philologie die Fachleute unseres Vaterlandes im Rahmen der Jahrestagung unserer neukonstituierten Akademie zu ihrer ersten Fachtagung einberufen h a t , um öffentlich Rechenschaft abzulegen und darüber zu beraten, welche Ziele unserer Wissenschaft gestellt sind, welche konkreten Teilaufgaben des Fünfjahrplanes uns erwarten, welche Umrisse einer zukünftigen Entwicklung sich heute schon abzeichnen — jetzt müssen wir auch jene Lehren auswerten, die sich aus dem Studium der Aufgaben, Methoden und Erfolge der sowjetischen Wissenschaft ergeben. Untersuchen wir daher die Frage, welche Rolle die Altertumswissenschaft dort spielt, wo die Wissenschaft nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis zur gesellschaftlichen Aufgabe geworden ist. Betrachten wir vor allem, wie sich die Klassiker des Marxismus, deren Einstellung f ü r die sowjetische Wissenschaft richtungweisend ist, über die Bedeutung der Antike und den Wert der antiken Kultur f ü r die sozialistische Gesellschaft äußerten! Wie große Bedeutung die sowjetische Wissenschaft diesen Äußerungen beimißt, gie], EPhK 57 (1933) 8—24. Diese Vorträge geben ein getreues Bild von den damaligen Richtungen der ungarischen klassischen Philologie. Deren Niederschlag finden wir bei Sändor Eckhardt, Magyar Szemle 17 (1933) 173—178; Jänos Koszo, Literatura 8 (1933) 67—68; Käroly Maröt, A klasszika-filolögia mai älläsa Magyarorszägon [Der gegenwärtige Stand der klassischen Philologie in Ungarn], Szellem es Elet Könyvtära [Bibliothek des Geistes und des Lebens] 30, Kolozsvär 1943; Imie Schröder, Orszägos Közepiskolai Tanäregyesületi Közlöny [Landeszeitung des Verbandes der Oberschullehrer] 66 (1933) 138—139; Jänos Soltösz, Methodenfragen der klassischen Philologie, Litteraria Hungarica, Budapest 1941, 57—71; vgl. noch Imre Trencsönyi-Waldapfel, Humanizmus-kutatäs, klasszika-filologia, magyar irodalomtört^net [Humanismusforschung, klassische Philologie und ungarische Literaturgeschichte], EPhK 56 (1932) 110—114; Az euröpai öntudat filologiaja, Adalekok a magyar humanizmus-kutatäs problematikajahoz [Philologie des europäischen Bewußtseins, Beiträge zur Problematik der ungarischen Humanismusforschung] Valasz 1 (1934) 253—257. !) Da seit meinem Vortrag — dessen Text hier unverändert erscheint •— die Forschung weitergegangen ist, halte ich es für nötig, die Anmerkungen zu ergänzen und auf die Neuerscheinungen der beiden letzten Jahre (1952/1953) hinzuweisen. 2 ) Die (Haupt-)Kommission für klaasische Philologie bei der Ungarischen Akademie der Wissenschaften entspricht im großen ganzen der bei der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin konstituierten Sektion für Altertumswissenschaft.
Aufgaben der klassischen Philologie
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zeigt sich schon darin, daß die Bemerkungen von Marx und Engels über die Antike in einem besonderen Sammelband herausgekommen sind Die wichtigsten dieser Äußerungen sind auch bei uns nahezu ins allgemeine Bewußtsein übergegangen, da sie jetzt auch schon in ungarischer Übersetzung an mehreren Stellen veröffentlicht worden sind. Dennoch, glaube ich, wird es nicht überflüssig sein, sie zu wiederholen und näher zu betrachten. Im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Entwicklung schreibt Engels: „Ohne Sklaverei kein griechischer Staat, keine griechische K u n s t und Wissenschaft; ohne Sklaverei kein Römerreich. Ohne die Grundlage des Griechent u m s und des Römerreichs aber auch kein modernes Europa. . . . In diesem Sinne sind wir berechtigt zu sagen: Ohne antike Sklaverei kein moderner Sozialismus". 2 ) An einer anderen Stelle sagt Engels: weshalb wir genötigt werden, in der Philosophie wie auf so vielen andern Gebieten immer wieder zurückzukehren zu den Leistungen jenes kleinen Volks, dessen universelle Begabung und Betätigung ihm einen Platz in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit gesichert hat, wie kein andres Volk ihn je beanspruchen kann. . . . daß in den mannigfachen Formen der griechischen Philosophie sich fast alle späteren Anschauungsweisen bereits im Keim, im E n t stehen v o r f i n d e n . " 3 ) Die Wiedergeburt der antiken Welt charakterisiert Engels mit folgenden treffenden W o r t e n : „ I n den aus dem Fall von Byzanz geretteten Manuskripten, in den aus den Ruinen Roms ausgegrabnen antiken Statuen ging dem erstaunten Westen eine neue Welt auf: das griechische Altertum; vor seinen lichten Gestalten verschwanden die Gespenster des Mittelalters . . . " 4 ). Bei Marx lesen wir im Zusammenhang mit der griechischen Kunst und dem griechischen Epos folgendes: „Die Schwierigkeit ist, daß sie (griechische Kunst und griechisches Epos. D. Ü.) uns noch Kunstgenuß gewähren und in gewisser Beziehung als Norm und unerreichbare Muster gelten" 5 ). Was besagen diese Äußerungen? Sie besagen, daß am Anfange der europäischen Kultur die griechische Sklavenhaltergesellschaft steht, die in dem ununterbrochenen Verlauf der Entwicklung zu einem notwendigen Kettenglied wurde. Sie besagen aber noch mehr, daß nämlich das, was diese antike MapKe/SHrejite, 0 6 ¿ihtkhhocth. H o « pe«aKijiieft h c npeßncjioBneM C. H . KoBaJieBa [Marx/Engels, Über die Antike, hrsg. u. eingel. von S. J. Kowaljow], Leningrad 1932, 276 S. 2 ) Friedrich Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft [„AntiDühring"], 6. Aufl. Berlin 1953, 221. 3 ) Friedrich Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft [„AntiDühring"], 6. Aufl. Berlin 1953, 413—414. 4 ) Friedrich Engels, Dialektik der Natur, Berlin 1952, 7—8. 5 ) Karl Marx/Friedrich Engels, Über Kunst und Literatur. Eine Sammlung aus ihren Schriften, hrsg. von Michael Lifschitz mit einem Vorwort von Fritz Erpenbeck. 40.—42. Tsd. Berlin 1952, 22.
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Gyttla Moravosik
Sklavenhaltergesellschaft in der Literatur, in Kunst und Wissenschaft an Werten geschaffen hat, auch in unserer heutigen Kultur weiterlebt, auch einen heute aktualisierbaren Wert darstellt, ja, sogar beispielhaft wirkt und daß auch der Gegenwartsmensch immer wieder aus den griechischen Quellen schöpft. Daraus ergibt sich eindeutig, daß die Erforschung der antiken Welt einen integrierenden Teil auch der heutigen Wissenschaft bilden muß. Denken wir daran, welch bedeutsamen Platz in den Studien des jungen Marx die griechische Philosophie eingenommen hat, trug doch seine Dissertation den Titel „Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie" 1 ). Denken wir auch an die berühmten Worte Lenins: „Kommunist kann einer nur dann werden, wenn er seine Kenntnisse mit allen jenen Wissensschätzen bereichert, die die Menschheit erarbeitet h a t " 2 ) . Wir sahen aber bereits, daß unter diesen Wissensschätzen jene einen besonderen Platz einnehmen, die wir dem Griechentum verdanken. Die marxistische Geschichtsbetrachtung gelangt in den sowjetischen Forschungen über die antike Welt in vollem Umfange zur Geltung. Diese Studien haben indessen ihre Vorgeschichte: Werfen wir daher zunächst einen Blick auf die Geschichte der Altertumsforschung in Rußland. Das geistige Erbe der Antike gelangte auf zwei Wegen in den Besitz der europäischen Völker. Die Werte der klassischen griechischen Kultur hat Rom über den Hellenismus empfangen und an Westeuropa weitergegeben, wo man, durch die vermittelnde Tätigkeit der byzantinischen Humanisten angeregt, im Zeitalter der Renaissance erneut aus den ursprünglichen, griechischen Quellen schöpfte. Der zweite Weg mündet über den Hellenismus in die byzantinische Kultur, die als Bildungsgrundlage der slawischen Völker angesehen werden kann gemäß den Worten der Klassiker des Marxismus: •„Rußlands Religion und Zivilisation sind byzantinischen Ursprungs" 3 ). Die Bewegung des Humanismus, die, von Italien ausgehend, Westeuropa überflutete und die „klassische Philologie" als die internationalste aller Wissenschaften — von einem unserer Kollegen „die Philologie des europäischen Bewußtseins" genannt 4 ) — ins Leben rief, hat Rußland nicht erreicht. Infolge seiner historischen Entwicklung, auf deren Einzelheiten ich heute nicht eingehen l^ann 5 ), wurde für Rußland die Byzantinistik zu dem, was für Imre Trencsenyi-Waldapfel, Humanizmus es marxizmus [Humanismus und Marxismus], Budapest 1948, 112. 2) Leuin, Die Aufgaben der Jugendverbände. In: Lenin, Ausgewählte Werke in zwei Bänden, Berlin 1952, II 784—785. 8) Gesammelte Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels 1852 bis 1862, hrsg. von N.Rjasanoff, 2 Bde, 2. Aufl. Stuttgart 1920,1201 (In: Die herkömmliche Politik Rußlands). 4) Imre Trencsenyi-Waldapfel, Valasz 1 (1934) 253—257. 5) Vgl. meinen Vortrag „A szovjet bizantinolögia" [Die Sowjet-Byzantinistik], erschienen in den Magyar Tudomänyos Akademia tarsadalmi-törteneti tudomanyok
Aufgaben der klassischen Philologie
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Westeuropa die klassische Philologie geworden ist. Das Interesse für die griechisch-römische Kultur des Altertums erwachte in Rußland erst spät; und auch ihre Erforschung setzte erst spät ein, nämlich erst, nachdem Peter der Große der westlichen Kultur die Tore geöffnet h a t t e . Die wissenschaftliche Tätigkeit beginnt am Ende des 18. J a h r h u n d e r t s mit der Übersetzung klassischer Schriftsteller und ausländischer Geschichtswerke. Diese Verspätung h a t t e aber auch ihre Vorteile. Wie eine lästige Erbschaft belastete und h e m m t e die Entwicklung der klassischen Philologie im Westen der Formalismus, der zum Teil eine Folge der mittelalterlichen Wissenschaftsauffassung war, zum anderen aber daher rührte, daß die griechischen und römischen Quellen seit der Renaissance von anderen, fremdsprachigen Völkern erforscht wurden. Die begeisterte Schwärmerei der italienischen Humanisten und später die einseitige Wertung seitens des Neo-Klassizismus im 18. J a h r h u n d e r t schufen ein derart idealisiertes Bild der Antike, daß sich die westliche Wissenschaft von diesem bis zur jüngsten Zeit nicht zu befreien vermochte. Ein solches Erbe h a t die russische Wissenschaft nicht belastet, und wenn auch hier und da gewisse Spuren idealisierender Betrachtung bei den russischen Denkern auftauchten — wie zum Beispiel bei Belinski —, so kam der historische S t a n d p u n k t in der russischen Altertumsforschung doch von Anfang an schon stark zur Geltung, und die Untersuchung der politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme stand im Zentrum des Interesses ebenso wie auch auf dem Gebiete der Byzantinistik. Die philologischen Untersuchungen wurden hier niemals zum Selbstzweck wie im Westen, sondern traten immer als Hilfsmittel der historischen Forschung auf. Im Laufe des 19. J a h r h u n d e r t s leistete die russische Wissenschaft auf dem Gebiet der antiken Geschichte bereits eine bedeutende Arbeit, ihre Ergebnisse wurden jedoch in den Kreislauf der internationalen Wissenschaft nicht genügend einbezogen und blieben daher isoliert x ). Die Große Sozialistische Oktoberrevolution bedeutete auch auf dem Gebiet der Altertumskunde einen Wendepunkt. Die Bewertung der Antike durch die Klassiker des Marxismus, wie sie aus der Belegstellensammlung deutlich wurde, f ü h r t e zu einem neuen Aufschwung der altertumswissenschaftlichen Forschung. Gewiß h a t die soziologisierende Pokrowski-Schule auch auf diesem Gebiet vorübergehend eine lähmende Wirkung ausgeübt; nach dem Sturz der „Pokrowtschina" setzte aber die Forschung mit neuem Schwung in jener Richtung ein, die durch Stalins 1938 in der „Geschichte der osztälyänak közlemönyei. Ältalänos tarsadalomtudomänyi sorozat [Mitteilungen der gesellschaftswissenschaftlichen Klasse der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Allgemeine gesellschaftswissenschaftliche Reihe] I 2 (Budapest 1951) 73H aHTHiHoft 9IIOXH [W. D. Blawatski, Die Kunst der nördlichen Küstengebiete des Schwarzen Meeres im Altertum], Moskau 1947, 119 S.; vgl. meine Rezension in Études slaves et roumaines 2 (1949) 126—128. 6 ) B . O. FaftflyKeBiiq, Bocnopcicoe ijapcTBO [W. F. Gaidukewitsch, Das Bosporanische Reich], Moskau u. Leningrad 1949, 622 S. 6 ) T. fl. BejioB, XepcoHec TaBpHiecKHft. HcTopHKO-apxeojioraiecKHft oiepic [G. D. Below, Chersonesus Taurica. Historisch-archäologischer Abriß], Leningrad 1948, 147 S., XXII Abb. ' ) T. H . KHHnoBHi, Taimnc. HcTopHKo-apxeojiorireecKHÖ onepK [T.N.Knipowitsch, Tanais. Historisch-archäologische Untersuchung], Moskau u. Leningrad 1949, 178 S. 8 ) ,3,. EL. KajuiHCTOB, OiepKH no HCTopiîH CeBepHoro üpiiiepHOMopBH aHTHIHOft 3noxii [D. P. Kallistow, Skizzen zur alten Geschichte der Nordküste des Schwarzen Meeres], Leningrad 1949, 284 S. — Neuere Werke auf diesem Gebiete: A. JI. Hkoöcoh, Cpe^HeBeKOBHÖ XepcoHec ( X I I — X I V bb.) [A. L. Jakobson, Die mittelalterliche Chersones (12.—14. Jh.)], Moskau u. Leningrad 1950; E. C. rojiyönpBa, CeBepHoe IIpHiepH0M0pBe h Phm Ha pyöesne Haineft 3pH [J. S. Golubzowa, Die nördlichen Küstengebiete des Schwarzen Meeres und Rom an der Wende unserer Zeitrechnung], Moskau 1951, 135 S. ; MaTepnajlH no apxeojiorHH CeBepHoro IIpaiepHOMopta b aHTHHHyio 9noxy. I . Ilofl peflaKipreft B. fl. BJiaßaTCKOro H B. H . TpaicoBa [Quellen zur Archäologie der nördlichen Küstengebiete des Schwarzen Meeres in der Antike I, hrsg. von W. D. Blawatski und B. N. Grakow], Moskau 1951. 294 S.;T. B. BjiaBaTCKaa, 3anaÄonoHTnftcKHe ropofla B V I I — I bb. flO H. 9. [T. W. Blawatskaja, Die westpontischen Städte im
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Gyula Moravcsik
problem in der Wissenschaft unseres L a n d e s " „ A u f den Spuren der altchoresmischen K u l t u r " 2 ). Der Erforschung der alten Geschichte der Südgebiete der Sowjetunion sowie des hellenistischen Einflusses auf die dort wohnenden Völker wird von den Sowjetgelehrten besondere Aufmerksamkeit geschenkt, da sie den früher auf sowjetischem Gebiet ansässigen Völkern und deren kultureller Wirkung eine besondere Bedeutung beimessen. Die diesbezügliche Arbeit lehnt sich eng an die Spezialforschungen auf dem Gebiete der russischen Geschichte an und kann auch als deren ergänzender Teil betrachtet werden. Auf diese Weise wurde die Erforschung des Hellenismus in Südrußland neben der Byzantinistik (im engeren Sinne) zu einer nationalen Aufgabe. Setzen wir nun das Bild zusammen, das wir nach dieser kurzen Betrachtung der sowjetischen Altertumsforschung gewonnen haben, so können wir folgendes feststellen: Die zur gesellschaftlichen Aufgabe erhobene sowjetische Wissenschaft verfolgt in der Erforschung der Antike ein doppeltes Ziel. Erstens untersucht sie unter Anwendung der Methoden des historischen Materialismus die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der antiken Welt und die auf dieser Basis sich erhebenden antiken Kulturen, zum anderen erforscht sie die durch die historischen Besonderheiten speziell für Rußland sich ergebenden Probleme der Antike aus dem Blickwinkel der russischen Geschichte. Infolge dieser doppelten Zielsetzung erstreckt sich ihre Forschungstätigkeit auf einen sehr weiten Bereich, wobei sich — parallel mit dem Bloßlegen, des Materials — die Einzeluntersuchungen, die zur Klärung bestimmter Spezialfragen durchgeführt werden, um gewisse Schwerpunktprobleme gruppieren. Dadurch wird es möglich, konkrete Pläne auszuarbeiten und die Forschungsarbeiten sinnvoll zu koordinieren. Nach Betrachtung der Forschungsgebiete und Schwerpunktprobleme, der Ziele und Methoden der sowjetischen Altertumsforschung wenden wir uns nun der klassischen Philologie in Ungarn zu. Die ungarische Altertumsforschung hat in der Vergangenheit die verschiedenen Richtungen und Strömungen der westlichen klassischen Philologie getreu widergespiegelt. Ihr Gesamtbild ist daher sehr bunt und vielseitig. 7.—1. Jh. y. u. Z.], Moskau 1952,262 S.; ,H. II. KarniHCTOB, CeBepHoe HpHiepHOMopte b aHTHiHyio anoxy [D. P. Kallistow, Die nördlichen Küstengebiete des Schwarzen Meeres in der Antike], Moskau 1952, 186 S. 1 ) C. A. CeMeHOB-3ycep, CKH^cKaa npoßjiejvia b OTeiecTBeHHOfi Hayice 1692—1947 [S. A. Semjonow-Susser, Das Skythenproblem in der Wissenschaft unseres Landes 1692—1947], Charkow 1947, 192 S. Siehe auch die große Monographie überHerodot: C.H.JIyp&e, TepoflOT [S. J.Lurje, Herodot], Moskau u. Leningrad 1947, 211 S. 2 ) C. II. Tojictob, Ho cjie^aM flpeBHexope3MiiftcKoä u,HBHJiH3an;iiH, Moskau u. Leningrad 1948, 328 S.; dt.: S. P. Tolstow, Auf den Spuren der altchoresmischen Kultur, Berlin 1933. Ungarische Übersetzung von Janos Baläzs, Budapest 1950, 335 S.
Aufgaben der klaasischen Philologie
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Die klassischen Philologen Ungarns betrieben ihre wissenschaftliche Arbeit — teils aus eigenem Antrieb, teils unter westlichem Einfluß — als reinen Selbstzweck und oft völlig isoliert voneinander. Als in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts unter deutschem Einfluß die Entwicklung der ungarischen klassischen Philologie einsetzte, erhielt sie den stark formalistischen Charakter der damaligen Wortphilologie, deren Spuren wir bis in die ersten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts verfolgen können. Ebenso stark kam die idealistische Auffassung zur Geltung, die wir von der klassischen Philologie des Westens übernahmen und die auch in die allmählich sich entwickelnde geschichtliche Betrachtungsweise eindrang und sie zur „Geistesgeschichte" verblassen lassen sollte. Diese idealistische Strömung erreichte ihren Höhepunkt, als irrationale Momente in der religionsgeschichtlichen Forschung Eingang fanden und eine kleine Gruppe von Forschern ergriffen, die unter den Losungen „Existenzwissenschaft" und „Verbundenheit mit der Antike" für eine mystische „Vereinigung mit dem antiken Geist" eintrat und in ihrer Verblendung die Forschung auf das Altertum zu beschränken suchte. Neben solchen Richtungen finden wir aber auch das Bestreben, ethnographische und gesellschaftsgeschichtliche Gesichtspunkte zur Geltung zu bringen. Die überwiegende Mehrheit der klassischen Philologen Ungarns hat von Anfang an die spezifisch ungarischen Aufgaben historischen Charakters erkannt und in ihren Forschungsarbeiten berücksichtigt. Der Zusammenstoß all dieser verschiedenen Richtungen charakterisierte die Diskussionen, die zur Zeit der Landeskonferenz von 1933 stattgefunden haben. Vergleichen wir die Forschungsergebnisse der ungarischen klassischen Philologie in den ersten 25 Jahren unseres Jahrhunderts mit denen im zweiten Viertel, so ist der Wandel auffallend: Der Formalismus tritt zurück, der historische Standpunkt rückt stark in den Vordergrund — wenn auch freilich dieser historische Standpunkt noch idealistisch beeinflußt ist. In den Diskussionen über die Altertumsforschung spielte die Frage des Namens unserer Wissenschaft eine große Rolle. Die verschiedenen Termini, die in Vorschlag gebracht wurden, wie z. B. die traditionellen: „klassische Philologie", „griechische und lateinische Philologie" und „ ö k o r t u d o m a n y " — eine unglückliche Übersetzung des deutschen Wortes „Altertumswissenschaft" —, „Hellenologie" und „Rhomäologie", sind Spuren der erwähnten verschiedenen Richtungen, andererseits spiegeln sie die synchronistische und diachronistische Erweiterung und Verbreiterung des Bereiches der Altertumswissenschaft in Ungarn wider. Die Bezeichnung „Altertumswissenschaft" will darauf hinweisen, daß die Erforschung der östlichen Kulturen mit der Erforschung der griechisch-römischen Welt eng verbunden ist, die Bezeichnungen „griechische und lateinische Philologie", „Hellenologie" und „Rhomäologie" sollen zum Ausdruck bringen, daß die Erforschung von Byzanz, Neugriechenlands sowie der mittelalterlichen und neuzeitlichen
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Gyula Moravcsik
Latinität in den Arbeitsbereich unserer Wisenschaft gehören. Ich glaube, heute haben wir diese Debatten hinter uns. Auch das Beispiel der sowjetischen Wissenschaft lehrt uns, daß der Forschung durch die Logik keinerlei Grenzen gesetzt werden können, und ferner, daß uns die Welt der objektiven Wirklichkeit für unser Forschen nach den Zusammenhängen der einstigen gesellschaftlichen Erscheinungen unbegrenzte Möglichkeiten bietet. Als die Kommission für klassische Philologie an unserer Akademie neu gegründet wurde, behielt sie ihre alte, traditionelle Bezeichnung bei, legte aber gleichzeitig fest, daß sie ein wissenschaftliches Gebiet vertrete, das die Erforschung des antiken Orients, der antiken griechischen und römischen Welt, Byzanz' und des Neugriechentums sowie der mittelalterlichen und neuzeitlichen Latinität in sich schließt. Dabei sind die ungarische Byzantinistik und die Erforschung der ungarischen Latinität aus der klassischen Philologie im engeren Sinne erwachsen und erlangten später in gewisser Weise Selbständigkeit; doch denke ich, daß die Zusammenarbeit sich auch weiterhin produktiv und fruchtbar gestalten wird. In bezug auf unsere Universitäten ist die Lage freilich anders. Wie ich bei anderer Gelegenheit bereits erwähnt habe, steht unser Vaterland in dieser Beziehung unter den europäischen Ländern fast allein. An unseren Universitäten gibt es immer noch keinen besonderen Lehrstuhl für Byzantinistik. Die Sowjetunion und die Volksdemokratien haben uns in dieser Hinsicht schon längst überflügelt. Die Notwendigkeit, besondere Lehrstühle zu errichten, besteht auch für das Gebiet .der mittel- und neulateinischen Philologie. Die sowjetische Altertumsforschung kann bereits auf eine Vergangenheit von mehreren Jahrzehnten zurückblicken. Die Reorganisation der ungarischen Wissenschaften — und damit auch der klassischen Philologie — hat erst vor zwei Jahren eingesetzt; trotzdem, glaube ich, haben sich unsere Aufgaben bereits geklärt. Ähnlich der sowjetischen Altertumsforschung setzt sich auch die ungarische klassische Philologie ein zweifaches Ziel: einerseits die Untersuchung der Antike als der grundlegenden Periode der gesellschaftlichen Entwicklung — verbunden mit der Untersuchung ihres Überbaus, der antiken Literatur, Kunst, Wissenschaft, mit einem Wort: der produzierten Werte —, andererseits die Forschung über jene Problemkreise der griechischrömischen Welt, die durch historische Gegebenheiten mit dem ungarischen Boden, mit dem ungarischen Volk verbunden sind. Was das erste Ziel betrifft, so haben sich aus den Forschungsplänen — die im Rahmen unserer Kommission oder auch schon früher aufgestellt wurden und die zum Teil bereits ihrer Vollendung und Verwirklichung entgegengehen — einige Schwerpunktfragen herauskristallisiert, die unsere Forscher besonders beschäftigen. Was die Erforschung des antiken Orients betrifft, so hat die ungarische Wissenschaft auf diesem Gebiet auch schon in der Vergangenheit Bedeuten-
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des geleistet. Die neuen Gesichtspunkte werfen aber neue Fragen auf, wie z. B. die Rolle des Buches bei den orientalischen Völkern, die altorientalische Literatur unter Berücksichtigung der jeweiligen Widerspiegelung der Basis, die Beziehungen des Griechentums zu den Völkern des Orients, die Bewertung der Arbeit in der ägyptischen Gesellschaft 1 ). Natürlich beschäftigen sich unsere Forscher auch mit den Quellen f ü r diese Gebiete, besonders aber mit den neuen Funden, wie z. B. den im J a h r e 1929 im nordsyrischen Ras Schamra gefundenen semitischen Keilschrifttexten, die aus der alten S t a d t Ugarit stammen. Auch auf dem Gebiet der griechisch-römischen Altertumsforschung bemühen sich unsere Gelehrten, ihre früheren literarischen, philosophischen und religionsgeschichtlichen Untersuchungen zu vertiefen, indem sie die fortschreitende gesellschaftliche Entwicklung stärker berücksichtigen und nicht nur die prächtigen Blüten, die sich auf der Oberfläche zeigen, zergliedern, sondern bis zu den Wurzeln vordringen. Dies Bestreben machte sich bei all den Fragen bemerkbar, die bei der Bearbeitung unserer Pläne aufgeworfen worden waren, wie z. B. die Widerspiegelung der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Kult und Mythos, die Widerspiegelung der Probleme der Sklaverei in der griechischen Philosophie, die Dialektik bei Piaton und Aristoteles 2 ), materialistische Beleuchtung der antiken Religionsgeschichte, Vorgeschichte der Homerischen Dichtung 3 ), Fragen der Homerischen Komposition 4 ), die gesellschaftliche Rolle der Aöden, der gesellschaftliche Hintergrund der Fabeln des Asop, Hesiod und das böotische Bauerntum unter Berücksichtigung des böotischen Klassenkampfes, die gesellschaftlichen Wurzeln des antiken Dramas, das Verhältnis der griechischen Volkspoesie zur Literatur, die griechische Kunst unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Entwicklung, Fragen der Silbernen Latinität, Symmachus und die Beziehungen der Kirche zur Politik im 4. J h . u. Z. Auch auf dem Gebiet der Byzantinistik treten Probleme in den Vordergrund — z. B. die Agrarfrage und das Problem der Ausbildung der Bauerngemeinde —, die zu den Schwerpunktfragen auch der sowjetischen Forschung gehören. Die ungarische Forschung beschäftigt sich des weiteren mit der neugriechischen Geschichte. Die Aufnahme der neuen Gesichtspunkte h a t der klassischen Philologie neue Impulse verliehen; die Folge davon ist, daß wir heute von der Antike 1
) Eine Arbeit darüber von Aladâr Dobrovits ist in Vorbereitung. ) Vgl. Arpâd Szabô, Beiträge zur Geschichte der griechischen Dialektik, Acta Antiqua Academiae Scientiarum Hungaricae 1 (1951/52) 377—410. 3 ) Vgl. Kâroly Marôt, La Béotie et son caractère „hésiodique", Acta Antiqua Academiae Scientiarum Hungaricae 1 (1951/52) 261—323. 4 ) Imre Trencsényi-Waldapfel, roMepoBCKaa K0Mn03imHH [Homerische Komposition], Acta Antiqua Academiae Scientiarum Hungaricae 1 (1951/52) 5—34; ders., BejlJiep0(|>0HT [Bellerophontes], ebd. 325—375. 2
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ein viel lebendigeres, anschaulicheres Bild haben als früher. Erwähnen wir einige der zahlreichen erfolgverheißenden Fragen, die das Interesse der jungen Forschergeneration erwecken könnten. Ein derartiges Problem ist z. B. die Frage der antiken und byzantinischen Schriftlichkeit, die von der bürgerlichen Wissenschaft sehr vernachlässigt wurde, obwohl es bekannt ist, welche Bedeutung die Doppelheit von gesprochenem und geschriebenem Wort in der gesainten Entwicklung der griechischen Literatur hatte und wie verschieden ihrer beider Rollen in der archaischen, klassischen, hellenistischen und byzantinischen Zeit waren. Wie ich bei anderer Gelegenheit bereits entwickelt habe 1 ), gehört die Schrift ebenso wie die Sprache nicht zu den Elementen des Überbaus, doch ist die Schriftlichkeit mit der gesellschaftlichen Entwicklung und gleichzeitig mit der Literatur, deren Instrument- und Träger sie ist, aufs engste verbunden. In direktem Zusammenhang hiermit steht die Frage nach dem Verhältnis des Schriftstellers zum Leser, eine Frage, deren Untersuchung besonders unter Berücksichtigung des hellenistischen Zeitalters, aus dem Tausende von Papyri erhalten sind, außerordentlich interessante Ergebnisse hinsichtlich der Entwicklung der Gesellschaft verspricht. Aufgabe der künftigen Forschungen wird es ferner sein, die Uberlieferungsgeschichte der antiken Literatur aufzudecken, den Weg zu erhellen, den diese vom Altertum bis zum Zeitalter der Renaissance und der Buchdruckerkunst zurückgelegt hat, und zu zeigen, was zur Erhaltung einzelner Werke beigetragen hat und aus welchem Grunde andere verloren gegangen sind. Es ist sicher, daß bei der Auswahl — abgesehen von den natürlichen Faktoren, die außerhalb des menschlichen Machtbereiches liegen — das wertende Urteil der jeweiligen späteren Epoche eine große Rolle gespielt hat, die ihrerseits wieder von der verschiedenen ideologischen Färbung der hellenistischen und byzantinischen Gesellschaft abhängt. Die andere Zielsetzung unserer klassischen Philologie ist die Untersuchung jener Problemkreise, die zu unserem Land und seiner Vergangenheit mittelbar oder unmittelbar in Beziehung stehen. Unsere speziellen Aufgaben auf diesem Gebiet sind durch neue erweitert worden. Wir haben gesehen, welch intensive Arbeit die Sowjetwissenschaft bei der Erforschung der Geschichte jener „Barbarenvölker" (der Kimmerer, Skythen, Sarmaten) leistet, die mit dem Hellenismus in Südrußland in direkter Berührung standen oder in dessen Wirkungsbereich lebten. An diesem Gebiet ist auch die ungarische Wissenschaft stark interessiert. Auf dem Boden Südrußlands hat sich einst das Magyarentum ausgebildet; die Kenntnis der dortigen Völkerbewegungen und ihrer kulturellen Umgebung ist daher auch vom Gesichtswinkel der !) Magyar Tudomänyos Akademia I. 6s II. ösztälyanak közlemenyei [Mitteilungen der I. und II. Klasse der Ungarischen Akademie der Wissenschaften] I 1 ( = Sztalin nyelvtudomänyi munkäi 6s a magyar tudomäny [Stalins Arbeiten über die Sprachwissenschaft und die ungarische Wissenschaft]), Budapest 1951, 88—90.
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ungarischen Geschichte unentbehrlich. Scharen jener Völker, die einst auf der russischen Ebene lebten, gelangten aber auch nach Ungarn — so haben wir einen zweiten Grund, uns an der Erforschung dieser Völker zu beteiligen. Da die Spuren ihres einstigen Lebens, die archäologischen Funde, auf dem Boden der alten Welt zum Vorschein gekommen sind und antiken Einfluß aufweisen, ferner, da die Berichte über sie in griechischen und lateinischen Quellen aufbewahrt werden, so wird auch hier die Arbeit der klassischen Philologen benötigt. Eine besonders intensive Tätigkeit setzte auf diesem Gebiet ein, wo sich die Aufgaben der ungarischen Forschung mit denen der sowjetischen am unmittelbarsten berühren, wie die folgenden P u n k t e unseres Themenplanes zeigen: Geschichte der iranischen Volksbewegungen in SüdRußland, Probleme der iranischen Sprachen 1 ), die frühsten Begegnungen der Finno-Ugrier, Iranier und Griechen, Geschichte der hunnischen Gesells c h a f t 2 ) . Natürlich muß unsere Kommission auf diesem Gebiet, das eine gemeinsame Arbeit von Philologen, Historikern und Archäologen erfordert, mit der Kommission f ü r Archäologie der Akademie eng zusammenarbeiten — wie der klassische Philologe auch sonst auf seinen oft weitführenden Forschungsreisen die Hilfe der anderen sein Gebiet berührenden Wissenschaftszweige nicht entbehren kann. Eine andere Gruppe speziell ungarischer Aufgaben ist mit unserem Land noch enger verbunden. Die Erforschung des Zeitalters der römischen Herrschaft in Ungarn, die Pannonienforschung, kann auf eine lange Vergangenheit und bedeutende Erfolge zurückblicken. Da wir auf diesem Gebiet im wahrsten Sinne des Wortes ,,zu H a u s e " sind und das ganze Material bei uns liegt, teils aufgedeckt, teils noch unter der Erde, konnte sich die Forschung hier voll entfalten und durch die gemeinsame Arbeit von Archäologen, Philologen und Historikern zu detailliertesten Ergebnissen gelangen. Natürlich ist diese Forschung noch bei weitem nicht abgeschlossen. Nicht nur fördert die Erde laufend weiteres Material zutage, sondern es sind auch die neuen Gesichtspunkte, die neue Probleme aufwerfen; unter ihnen nehmen die brennenden Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung in Pannonien die erste Stelle ein, nämlich jene Probleme, die das Zusammenleben und die Vermischung der Römer und der eingeborenen Urbevölkerung sowie der einströmenden fremden Elemente betreffen. Die geplante Sammlung der pannonischen Inschriften wird auf diese Fragen neues Licht werfen. Obwohl im Zuge der Neuorganisation die Pannonienforschung in den Arbeitsbereich der !) J . Harmatta, Studies in the language of the Iranian tribes in South Russia ( Ov-yygoMrjVixal Mztezai 31), Budapest 1952, 60 S.; vgl. dens., Studies on the history of the Sarmatians ( OvyyqoeV.rjvixal MeXézai 30), Budapest 1950, 63 S. 2 ) Die beiden letzten Arbeiten bereitet Jänos Harmatta vor. Siehe vorläufig J. Harmatta, The dissolution of the Hun Empire I. Hun society in the age of Attila, Acta Archaeologica Academiae Scientiarum Hungaricae 2 (1952) 277—305.
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Kommission für Archäologie verwiesen wurde, wird die klassische Philologie dieser Arbeit doch nicht gleichgültig gegenüberstehen können — im Gegenteil, die vor uns stehenden Aufgaben erfordern auch hier eine ebenso enge Zusammenarbeit der Fachleute der einzelnen Wissenschaftszweige, wie wir sie bei der Arbeit der sowjetischen Wissenschaftler auf einem ähnlichen Spezialgebiet, bei den Forschungen über das Nordufer des Schwarzen Meeres, beobachten können. Wie diesem Bereich der sowjetischen Forschungen keine zeitlichen Grenzen aufgezwungen werden können, sondern diese bis in das byzantinische Zeitalter hinüberreichen, so führen natürlich auch die Fäden der Pannonienforschung in die Epoche der Awaren und Slawen und in die Zeit der ungarischen Landnahme. So erhält auch die Byzantinistik ihre Aufgaben bei der Untersuchung späterer Zeitabschnitte. Auf dem Gebiet der Byzantinistik ergibt sich noch eine weitere Gruppe speziell ungarischer Aufgaben. Hier ist als Ergebnis der früheren Forschungen das Material der Schriftquellen im wesentlichen bereits gesammelt — für einige liegen sogar kritische Ausgaben vor —, trotzdem harren noch zahlreiche Aufgaben künftiger Behandlung. Vor allem ist eine Sammlung byzantinischer Quellen für die ungarische Geschichte fertigzustellen einschließlich der Quellenfragmente, die sich auf die Völkerschaften in Südrußland beziehen, welche mit dem Magyarentum in Berührung kamen — eine Sammlung, die schon Pal Hunfalvy zusammenzustellen beabsichtigte und die sowohl den Originaltext als auch die ungarische Übersetzung enthalten soll. Die gründliche Bearbeitung der ungarisch-byzantinischen Beziehungen bildet ebenfalls eine unserer zukünftigen Aufgaben -1). Wie bekannt, versuchte die ungarische Wissenschaft in der vergangenen Epoche, den byzantinischen Einfluß, besonders auf dem Gebiet der Kunst, gegenüber den westlichen Einflüssen herabzusetzen und seine Bedeutung speziell für Ungarn zu bagatellisieren. J e t z t gibt es kein Hindernis mehr für die objektive Feststellung, die unsere Byzantinisten immer vertreten haben, daß nämlich der byzantinische Einfluß in den ersten drei Jahrhunderten unserer Geschichte, in der Ärpäden-Zeit, viel stärker war, als unsere frühere Geschichtswissenschaft behauptete. In dieser Hinsicht können wir viel von den Ausgrabungen erwarten, die im Fünfjahrplan der Archäologie enthalten sind und in Gegenden durchgeführt werden, wo die Erde nach unserer Annahme byzantinische Funde aus der Ärpäden-Zeit birgt, wie in der Gegend uni Sztälinväros (Dunapentele), Apostag, Veszprem, Veszpremvölgy und Päsztö. In die Reihe der spezielleren Aufgaben gehört auch die Überprüfung der byzantinischen Musikhandschriften, die in unseren Bibliotheken, im wesentlichen in Bibliotheken griechischen Ursprungs, zu finden sind und deren Erforschung unser Wissen über die byzantinische Musik bereits jetzt mit wertvollen neuen Kenntnissen bel ) Neuerdings erschienen: Gyula Moravcsik, Bizänc ¿s a magyarsäg [Byzanz und das Ungarntum], Budapest 1953, 120 S., XVI Abb., 1 genealogische Tabelle.
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reichert h a t 1 ) . Die ungarische Byzantinistik beschäftigt sich aber nicht nur mit nationalen Aufgaben im engeren Sinne, mit Fragen, die sich innerhalb unserer Landesgrenzen ergeben; es werden auch über solche byzantinischen Quellen erfolgreich Forschungen durchgeführt, welche die Geschichte des befreundeten rumänischen Volkes betreffen 2 ). Die Erforschung der Latinität des Mittelalters und der Neuzeit kann in unserem Land ebenfalls auf eine lange Vergangenheit zurückblicken. Auf dem Gebiet der Quellenpublikation haben wir hier noch zahlreiche Aufgaben zu lösen. Es wäre zu wünschen, daß die „Bibliotheca scriptorum medii recentisque aevorum", die auch im Ausland allgemein bekannt ist und der neulateinischen Forschung große Dienste erwies, in schnellerem Tempo fortgesetzt wird, ferner, daß der Abschlußband der Bonfini-Ausgabe erscheint und danach die Werke der bedeutendsten ungarischen Schriftsteller, die lateinisch geschrieben haben — an den letztgenannten Ausgaben ist zudem auch die ungarische Geschichtswissenschaft interessiert. Die Untersuchungen über Stilprobleme der lateinischen Literatur der Ärpädenzeit verdienen auch vom Gesichtspunkt quellenkritischer Überprüfung der Chroniken aus dem ungarischen Mittelalter besondere Beachtung 3 ). Ferner sind Forschungen über die mittellateinische Satire im Gange. Ein Arbeitsinstrument von großer Bedeutung werden unsere Forscher erhalten, sobald das Wörterbuch der ungarischen Latinität fertiggestellt ist, auf das ich noch zu sprechen komme. Natürlich ist auch auf diesem Gebiet wie auf manchem anderen die Zusammenarbeit der klassischen Philologen mit den Forschern anderer Fachwissenschaften notwendig: Die Probleme unserer in lateinischer Sprache geschriebenen Literatur können nur gelöst werden, wenn die Forschung von Seiten der klassischen Philologie und der ungarischen Literaturgeschichte gleichzeitig erfolgt. Schließlich müssen wir zu den Aufgaben, die vor allen anderen spezifisch ungarischen Charakter tragen, die Untersuchung des Einflusses rechnen, den das geistige Erbe der Antike auf die ungarische Kultur und im besonderen auf die ungarische Literatur ausgeübt hat, sowie die Bewertung der Antike in der ungarischen Kultur. Selbstverständlich können diese Probleme nicht losgelöst von den allgemein europäischen Beziehungen betrachtet werden Die Untersuchung dieser Fragen verheißt besonders aufschlußreiche Ergebnisse im Hinblick auf die Erforschung der Elemente des Überbaus, der ideologischen Widerspiegelung der Basis, weil ja die antike Tradition nach VerGábor Dévai, Monuments en notation byzantine dans les bibliothèques publiques de Budapest, Acta Antiqua Academiae Scientiarum Hungaricae 1 (1951/52) 247—260. 2 ) Eine diesbezügliche große Arbeit wird von Mátyás Gyóni vorbereitet. Ein Bericht darüber, den der Verfasser der I. Klasse der Ungarischen Akademie der Wissenschaften vorgelegt hat, ist auch in einer Fremdsprache erschienen. s ) Arbeit von János Horváth.
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schwinden der Grundlagen, die sie einst hervorgebracht hatten, teils in die Kultur der späteren Epochen aufgesogen, teils, von Epoche zu Epoche erneuert, als ein Gemeingut vererbt wurde, zu dem wir — nach den Worten von Engels — „immer wieder aufs neue zurückzukehren gezwungen sind". Erwiesen ist, daß dieses Gemeingut in jeder Epoche gleich war — die Aufdeckung seines wahren Wesens ist ja gerade eine der Aufgaben der klassischen Philologie —, das Wasser der Quelle h a t sich nicht geändert, strömte jeder Epoche und jeder Klasse unverändert entgegen, die Lichtstrahlen jedoch, die von den einzelnen Epochen auf sie geworfen wurden, haben es — dem eigenen ideologischen Oberbau entsprechend — in immer anderen Farben gebrochen. Die Renaissance h a t in diesem Erbe etwas anderes gesehen als der Neo-Klassizismus, Ronsard etwas anderes als Goethe, dieser wieder etwas anderes als Berzsenyi, wobei wir die verschiedenen Auffassungen in der wissenschaftlichen Forschung nicht einmal erwähnt haben. Ich glaube, daß bei den in dieser Richtung sich bewegenden Forschungsarbeiten — die jedoch, soweit sie Ungarn betreffen, zum größten Teil noch der Bearbeitung harren — die Anwendung der marxistischen Grundsätze der klassischen Philologie wesentliche Hilfe leisten wird. Die wissenschaftliche Arbeit beschränkt sich aber nicht auf die reine Forschung. Sie m u ß auch das zur Forschung notwendige Werkzeug herstellen. Die Steigerung und Beschleunigung der industriellen Produktion erfordert die Herstellung von immer feineren und vollendeteren Maschinen — f ü r die großen Flußregulierungen der Sowjetunion mußten z. B. vorher entsprechende Spezialmaschinen f ü r Erdarbeiten produziert w e r d e n — , und ähnlich h a t auch die wissenschaftliche Forschung ihre Werkzeuge, die laufend vervollständigt werden müssen. Die Naturwissenschaft entwirft sich solche Werkzeuge, braucht sie jedoch nicht selbst anzufertigen. Bei den Geisteswissenschaften hingegen fallen beide Aufgaben den Forschern der einzelnen Fachgebiete zu. Philologe und Historiker arbeiten mit Quellen, schöpfen ständig aus ihnen: Aufdeckung, Veröffentlichung und philologische Bearbeitung der Quellen sind für beide von grundlegender Bedeutung. Aus diesem Grunde wendet sich die sowjetische Wissenschaft diesem Gebiet mit besonderer Sorgfalt zu. Verdientes Aufsehen h a t die prächtige Lukrez-Ausgabe erregt, die den lateinischen Text mit russischer Übersetzung, Komment a r und Abhandlungen veröffentlicht 1 ). In jeder neuen Folge des B ^ H und des BraaHTHÖCKHÖ BpeMeHHHK finden wir in russischer Übersetzung eine antike oder byzantinische Quelle oder Ausschnitte aus Quellen. In der jüngJlyKpeiiHÜ, 0 npupofle Bernefi (De rerum natura). Pe^aicijHH jiaTHHdcoro TencTa h nepeBOfl h, KOMMeHTapna, (jtparMeHTH 3nnKypa h ÖMrreßOKJia [Lucretius, De rerum natura, hrsg. u. übs. von F. A. Petrowski. Abhandlungen, Erläuterungen, Epikur- und Empedoklesfragmente], 2 Bde., Leningrad 1945—1947, 451, 698 S.
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sten Vergangenheit erschienen neue Übersetzungen der Ilias 1 ) und der Odyssee 2 ), ferner eine Übertragung der griechischen Tragiker 3 ), — und zwar die Übersetzung der Ilias in einer Auflage von 10 000 Exemplaren. Auch im Arbeitsprogramm der ungarischen klassischen Philologie sind Übersetzungen vorgesehen. Vor kurzem ist die ungarische Übertragung der Dramen des Sophokles 4 ) und der Schrift „De administrando imperio" des Kaisers Konstantin Porphyrogennetos 6 ) erschienen. Der Veröffentlichung harren ungarische Übersetzungen der „Physik" des Aristoteles 6 ), von Lukrez' „De rerum natura" 7 ) und der „Fasti" des Ovid 8 ); seit längerem liegen im Manuskript vor: eine vollständige Strabon-Übersetzung 9 ) und eine ebenfalls vollständige Pausanias-Übersetzung 10 ). Darüber hinaus werden die ! ) T o M e p , Ejinafla, n e p e B O f l B. Bepecaeßa [Homer, Ilias, übs. von W.Weressajew], Moskau u. Leningrad 1949. 2 ) Foniep, OflHcce«, nepeBOfl ET. A. IüyftcKoro [Homer, Odyssee, übs. von P. A. Sohuiski], Moskau u. Leningrad 1948. 3 ) TpeiecKaa Tpare^HH, 9CXHJI, Cooiwi, 3ßpHnHfl. IlepeBOflH c «peBHerpeqecKoro no^ pefl.