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German Pages 87 [173] Year 2022
SIEGFRIED PASSARGE
STADTLANDSCHAFTEN DER ERDE
STADTLANDSCHAFTEN DER ERDE UNTER
MITARBEIT VON
B. D I E T R I C H , M . E C K E R T , K. F R E N Z E L , W. G E I S L E R , D. J E S S E N , L. M E C K I N G , H. S C H M I T T H E N N E R U N D A . S C H U L T Z HERAUSGEGEBEN VON
SIEGFRIED PASSARGE
MIT 30 ABBILDUNGEN IM TEXT UND 8 TAFELN
I FRIEDERICHSEN, DE GRUYTER & CO. M. B. H. HAMBURG 1930
Drack und Einband vön J. J. Augiistln in Glückstadt und Hamburg
Vorwort. Seit den letzten 20 Jahren und namentlich nach dem Kriege hat sich die wissenschaftliche Geographie in erhöhtem Maße den Stadtlandschaften zugewandt. Wie man gewisse Gebiete, die ähnliche Beschaffenheit hinsichtlich der Oberflächenformen, des Klimas, der Pflanzendecke usw. besitzen, als Natürliche Landschaften zusammenfaßt, so sind auch die Städte eigene Landschaften, und zwar Kunstlandschaften, lediglich vom Menschen geschaffen, aber doch auch oft genug in Abhängigkeit von der Natur des Landes entstanden. In den Städten kommen verschiedene Einflüsse zum Ausdruck, einmal die L a n d s c h a f t , und zwar um so mehr, je niedriger die Kulturstufe ist, je mehr der Mensch beim Bau der Städte Landschaftsmaterial verwendet, und je weniger er ungünstige landschaftliche Bedingungen überwinden kann. Damit ist aber auch gesagt, daß die K u l t u r s t u f e eine große Rolle spielt. Dazu kommt als drittes der K u l t u r k r e i s . Kulturkreise entstehen auf landschaftlicher Grundlage unter dem Einfluß der Begabung der Völker und geschichtlicher Vorgänge in bestimmten Gebieten, können sich aber ausbreiten, neue Länder erobern und werden dabei gewöhnlich mehr oder weniger durch die aufgesogenen Kulturen modifiziert. Namentlich die neuen Landschaftsbedingungen pflegen sich auf die Dauer durchzusetzen. Wo zwei oder mehr Kulturkreise aufeinanderstoßen, sich gegenseitig durchdringen, werden auch die Stadtlandschaften ein wechselvolles Bild erhalten. Die Stadtlaqdschaften hängen als Schöpfung des Menschen wesentlich von der Natur des Menschen ab. Nun sind in allen w e s e n t l i c h e n Punkten die Bedürfnisse der Menschen ähnlich, wie auch dessen geistige — nicht nur die körperliche — Gestaltung. Die Abweichungen sind v e r h ä l t n i s m ä ß i g unbedeutend. Demgemäß müssen alle Stadtlandschaften in den G r u n d z ü g e n übereinstimmen. Daher gibt es auch eine V e r g l e i c h e n d e S t a d t l a n d s c h a f t s k u n d e . Eine solche hat die Aufgabe, die den Städten gemeinsamen Eigenarten von den individuellen zu sondern und obendrein die Abhängigkeit von den Landschaften, in denen die Städte liegen, darzustellen und gegenüber den Einflüssen abzuwägen, die von Kulturstufe und Kultur kreis ausgehen. Das Ergebnis ist das Aufstellen von S t a d t l a n d s c h a f t s t y p e n . Für eine solche „Vergleichende Stadtlandschaftskunde" sind die Grundlagen zur Zeit noch nicht geschaffen worden. Vorliegende Schrift verfolgt einmal den Zweck, für eine systematische Bearbeitung der Stadtlandschaften gewissermaßen Propaganda zu machen, sodann aber durch Sachkundige, die persönliche Anschauung besitzen,
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VORWORT
einmal ein b r a u c h b a r e s T a t s a c h e n m a t e r i a l für einige Länder zusammenzustellen. Bei der Auswahl der verschiedenen Gebiete ist auf folgendes Rücksicht genommen worden: Die Stadtlandschaften mancher Länder sind bereits — so z. B . in Deutschland — wiederholt behandelt worden. Demgemäß erschien es zweckmäßig, die deutschen Städte nicht Von dem gewöhnlichen Gesichtspunkt aus zu behandeln — Stadtbild, Stadtentwicklung, wirtschaftliche Gliederung u. a. m. — , sondern eine interessante Spezialfrage zu betrachten: nämlich die Einwirkung der mittelalterlichen Stadt auf die Körper- und Charakterentwicklung der Bewohner, die Dr. Frenzel bearbeitet hat. Die Ergebnisse sind interessant genug. Die Städte des romanischen Amerika hat kürzlich Dr. Drascher dargestellt 1 ), sie sind demgemäß hier nicht berücksichtigt worden. Dagegen kommen zur Darstellung: Rußland von A. Schultz, China von Schmitthenner, Japan von Mecking, Australien von Geisler, Nordamerika von Dietrich, Spanien von Jessen, der arabische Orient vom Unterzeichneten. Es erschien aber wichtig genug, auch noch einen Uberblick über die kartographische Darstellung der Stadtlandschaften zu gewinnen. Herr Eckert-Aachen hat diese Aufgabe freundlichst übernommen. Es ist klar, daß von irgendwelcher Vollständigkeit nicht die Rede sein kann. Ausgedehnte wichtige und interessante Gebiete fehlen, wie z. B . die Stadt der skandinavischen Länder, die Städte der Mittelmeerländer und des türkischen Gebietes, die Indiens und die tropischen Kolonialstädte. Allein vielleicht regt der Anfang, der hiermit gemacht worden ist, dazu an, daß unter gemeinsamer Arbeit die Grundlagen für eine vergleichende Stadtlandschaftskunde geschaffen werden. Im Gegensatz zu manchen anderen Sammelwerken ist mit voller Absicht kein festes Muster aufgestellt worden. Jeder Autor hat in der Art der Darstellung volle Freiheit besessen. Der leitende Gedanke war der: Da es noch keine feste Norm gibt für das, was stadtlandschaftliche Darstellungen bringen sollen, so mußte es reizvoll erscheinen, daß Jeder freie Hand hatte, das zu bringen, was er für das Richtige hält, — was seiner Ansicht nach unter Stadtlandschaftskunde zu verstehen sei. Vielleicht ist es auch richtig die Städte verschiedener Gegenden verschieden zu behandeln. Vielleicht kommt man auch allmählich zu einer Norm. Der Leser erwarte also keinen festen Kanon. Zum Schluß bleibt noch die angenehme Pflicht zu erfüllen, den Herren Mitarbeitern sowie dem Verlag, der nach jeder Richtung Entgegenkommen gezeigt hat, aufrichtigen Dank auszusprechen. Hamburg, September 1929. !) Mitt. d. Geogr. Ges. in Hamburg, Band 39, S. 64ff.
S. P a s s a r g e .
Inhalt. Seite
Vorwort. Von S i e g f r i e d P a s s a r g e (Hamburg)
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Die Entwicklung der kartographischen Darstellung von Stadtlandschaften. (Mit 5 Abbildungen und 1 Tafelbild.) Von M a x E c k e r t (Aachen)
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Die Deutsche Stadt im Mittelalter als Lebensraum. (Mit 4 Abbildungen Von K o n r a d F r e n z e l (Leipzig)
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Spanische Stadtlandschaften (Mit 2 Abbildungen und 2 Tafelbildern.) Von O t t o J e s s e n (Köln)
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Russische Stadtlandschaften (Mit 2 Abbildungen und 2 Tafelbildern.) Von A r v e d S c h u l t z (Königsberg Pr.)
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Stadtlandschaften im arabischen Orient. (Mit 5 Abbildungen und 1 Tafelbild.) Von S i e g f r i e d P a s s a r g e (Hamburg)
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Die chinesische Stadt. (Mit 6 Abbildungen und 2 Tafelbildern.) Von H e i n r i c h S c h m i t t h e n n e r (Leipzig)
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Japanische Stadtlandschaften. (Mit 2 Tafelbildern.) Von L u d w i g M e c k i n g (Münster) 109 Australische Stadtlandschaften. (Mit 4 Abbildungen und 2 Tafelbildern.) Von W a l t e r G e i s l e r (Halle) 124 Nordamerikanische Stadtlandschaften. (Mit 2 Abbildungen 4 Tafelbildern.) Von B r u n o D i e t r i c h (Wien)
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Die Entwicklung der kartographischen Darstellung von Stadtlandschaften. Von Max E c k e r t . Die Anlage und der Bau von Wohnplätzen und Verkehrswegen hat das Antlitz der Erde am auffälligsten verändert. Wenn auch der Menschenstoff recht dünn über dem Erdboden lagert, daß er in größerer Höhe kaum noch wahrnehmbar ist, spüren und merken wir ihn doch am auffälligsten in seinen Bauten. Schon die einfache Beobachtung in der Natur führt zu dieser Überzeugung, die sich einem aber mit Gewalt auf einer längeren Fahrt in einem Luftfahrzeug aufdrängt. Außer den Wegen treten die Stadtlandschaften am meisten hervor. Der Ausdruck „Stadtlandschaft" ist eine moderne Bezeichnimg, die in der Hauptsache auf S. Passarge zurückgeht, der sich mit ihr in verschiedenen Veröffentlichungen beschäftigt hat. Unter „Stadtlandschaft" verstehen wir die aus einer natürlichen Landschaftsform sich besonders hervorhebende, mehr oder minder verdichtete Siedlungsform, hervorgerufen durch eine sich bewußt vollziehende Zusammenballung von Menschen, um so besser ihren gewerblichen wie geistigen Beschäftigungen nachzugehen. Dann fällt im Grunde genommen „Stadtlandschaft" mit „Stadt" zusammen. So ähnlich wie „Landschaft" bilden wir den Ausdruck „Stadtschaft", einen etwas engeren Begriff als „Stadtlandschaft". Unter „Stadtschaft" wird in der Hauptsache der gesamte Häuserkomplex einschließlich Straßen und Plätzen verstanden, ohne Berücksichtigung ihrer Umgebung und ihrer Einwirkung auf das gesamte Landschaftsbild. Mit „Stadtschaft" soll mehr das bauliche Element innerhalb der Stadtlandschaft getroffen werden. Oder sollten wir am besten nicht gleich „Stadtschaft" für „Stadtlandschaft" sagen? Wenn an dem Ausdruck „Stadtlandschaft" festgehalten wird, will man damit das äußere und innere Gepräge treffen. Schon äußerlich zeigt es sich, daß die meisten Städte, insonderheit die großen, in ihren Teilen ganz verschiedenen Ansehens sind. Am auffälligsten ist gewöhnlich der Unterschied zwischen Alt- und Neustadt. Anders wie im Arbeiterviertel wirkt das Stadtbild im Villenviertel. Wie die bebaute Fläche der Stadtlandschaft als Wohn-, Geschäfts- und Fabrikgegend gekennzeichnet wird, 1
StadtlandBChaften.
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dafür hat W . Geisler ein ausgezeichnetes Untersuchungsbeispiel an Danzig gegeben. Daß wir bei manchen Städten von einem Russen-, Juden-, Engländer-, überhaupt Fremdenviertel reden, hat nicht bloß innere, sondern auch äußere Gründe. Ferner haben die Stadtlandschaften von West- und Mitteleuropa, von Nordamerika, also Stadtlandschaften der sog. Maschinenkultur, ein auffällig anderes Aussehen als die der Waldländer Osteuropas und Skandinaviens oder der Mittelmeerländer oder des Orients oder die Stadtlandschaften der chinesischen oder japanischen Kulturkreise. Als Sondergruppe gesellt sich ihnen noch die Stadtlandschaft der tropischen Wald- und Steppenländer hinzu. Die Stadtlandschaft kann auch anders als bloßes Stadtbildäußeres oder reiner Stadtbildtypus aufgefaßt werden, wenn wir sie beispielsweise im Gegensatz zur Parklandschaft setzen, also zu einem von Menschenhand beeinflußten Naturgebilde, oder zur Dorflandschaft, also zu einem verwandten und dennoch verschiedenem Siedlungsgebilde. Auch hier lassen sich rein äußerlich große Unterschiede feststellen. Das Geschlossene des Häusermeeres bei der Stadtlandschaft, besonders der Stadtschaft ist der auffälligste äußere Unterschied zu der aufgelockerten Bauweise und der Streusiedlung des Dorfes. Daß sich zwischen diesen Extremen einer Entwicklungsreihe mannigfache Ubergänge befinden, braucht nicht besonders betont zu werden. Schließlich sind auch viele Städte aus Dörfern entstanden. Von großer Bedeutung für die Erkenntnis der Entwicklung der Stadtlandschaft ist die Untersuchung ihres Einflusses auf das gesamte Landschaftsbild ; seit wann ? wie ? wieweit ? und in welcher Richtung hat die Stadtlandschaft das Aussehen des Landes verändert ? Anstatt des ursprünglichen Landschaftsbildes ist ein anderes, eben die Stadtlandschaft getreten. Es ist ein Teil des Kulturlandschaftsbildes, an dem auch die Dorflandschaft (Dorfschaft) teil hat. Die ursprüngliche Pflanzenwelt ist durch Kulturpflanzen oder mit Straßen und Wegen bebaute Flächen ersetzt worden und hat das Ansehen der genannten Gegend geändert. Bei dieser Betrachtungsweise legen wir weniger den Schwerpunkt auf die Siedlungsweise als vielmehr auf die Wechselbeziehung zwischen Stadt und Umgebung. Der Begriff „Stadtlandschaft" kann aber auch noch weiter, mehr komplexer Natur gefaßt werden, insofern eine Vielheit von städtischen Siedlungen als „Stadtlandschaft" angesprochen wird. Denken wir nur an die dicht besiedelten Industriegebiete Englands, Belgiens und Deutschlands. Die gegenwärtig entstehende „Ruhrstadt", die all die großen und kleinen Städte des Ruhrgebietes einschluckt, ist das glänzendste Beispiel einer derartigen Stadtlandschaft. Indessen müssen wir bei der kartographischen Entwicklung der Stadtlandschaft von dem weiteren Begriff absehen, da er mehr eine neuzeitliche Entwicklungsphase kennzeichnet, was sich auch kartographisch dokumentiert.
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Das städtische Kartenbild ist so alt wie die Kartographie selbst. An seiner Wiege stehen bereits die zwei elementaren Darstellungen: Grundriß und Aufriß. Dieser bietet sich teils in Yogel-, teils in Kavalierperspektive dar. Nicht selten sind Grundriß und Aufriß in einem Bilde gemischt. In altersgraue, altbabylonische Zeit f ü h r t uns der erste Grundriß einer Wohnstätte. Es ist der Stadtplan von Babylon, der um die Mitte des 7. Jahrhunderts v. Chr. entstanden sein dürfte. (Abb. I) 1 ). In seiner viereckigen Gestalt u m f a ß t er ein großes Areal; wurden doch innerhalb der Stadtmauer auch Felder bestellt. E r ist das erste primitive kartographische Bild einer Stadtlandschaft. Wer im kapitolinischen Museum in Rom gewesen ist, wird sich des antiken, in kolossalen Dimensionen angefertigten und imTreppenhaus eingemauerten Stadtplans von Rom (etwa 210 n. Chr.) entsinnen. Er h a t in der Anlage viel Gemeinsames mit modernen Plänen. Die Chinesen besaßen im 4. J a h r h u n d e r t bereits Ortsaufnahmen, die wir als kartographische Stadtlandschaften ansprechen können. Von Jerusalem besitzen wir eine Reihe bemerkenswerter Stadtpläne aus ver- Abb. 1. Stadtplan von Babylon mit dem Euphrat. schiedenen J a h r h u n d e r t e n ; von ihnen (Verhandl.d. XVI. Dtsch. Geographengibt E . Oberhummer, der den Stadtplan tages 1907, S. 72.) an sich zum Gegenstand eingehender Studien gemacht h a t , einige im Bilde wieder (Verh. d . X V I . Dtsch. Geographentages zu Nürnberg 1907). Der älteste dieser Pläne ist der auf der Mosaikkarte von Matepa (Mataba, Madaba), die zwischen 520 und 550 n. Chr. entstanden ist. E r darf mit den beiden langen Parallelreihen seiner Bazare als die älteste bildliche Vorführung von Jerusalem gelten. Auf ihm sind Grundriß und Aufriß (Profilskizze) in e i n Bild verschmolzen. Ähnliche Stadtpläne, d. h. mit Mischung von Auf- und Grundriß, sind die von Jerusalem u m 670 von dem französischen Pilger Arculf; u m 1180 (unbekannter Zeichner), u m 1320 von M. Sanudo bzw. P. Vesconte. Zu demselben Mischtypus gesellen sich noch einige alte Stadtpläne, beispielsweise der Plan der alten Stadt Tecpan in Guatemala, den Z. Nutall (Cambridge, Mass.) nach Fuentes y Guzman kopiert h a t , des weiteren auch der reliefartige Stadtplan von Cuzko, der uns nach seinen Hauptwegen, Plätzen, *) Nach ihrem kartographischen Werdegang, damit zugleich nach ihrer Zeitfolge, ist die Aufeinanderfolge der Abbildungen 1, 4, 3, 5, 2.
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Häusern und Bächen ausführlich geschildert wird (Garcilasso de la Vega. Lisboa lo09. Cap. X X Y I ) . Und heute noch ist der Mischtypus nicht ausgestorben; man denke nur an die kartographisch nicht auf der Höhe stehenden, aber immerhin praktischen „Pharuspläne", wo innerhalb des Stadtplanes sich Gebäude, Monumente usw. in vertikaler Ansicht darbieten. Die Stadtlandschaft kommt auf den alten Kartenbildern mit wenigen Ausnahmen am besten im Stadtumriß zum Ausdruck. Zu den Ausnahmen dürfte man beispielsweise den Plan von Antiochia rechnen, wie wir ihn aus der Peutingerschen Tafel (4. Jahrh. n. Chr.) kennen; es ist ein Bild in Yertikalansicht, auf dem auch Wald und Park angedeutet sind. Über die Größe der alten und mittelalterlichen Stadtumrisse herrscht bis jetzt noch keine Klarheit. Zur Lösung dieses Problems hat Arthur Schneider einen erfreulichen Anfang mit einer Zusammenstellung von 12 antiken Stadtplänen im gleichen Maßstabe, 1:150000 gemacht (Geogr. Z. 1895); es handelt sich um die Städte Borna, Tarentum, Syracusae, Ephesus, Athenae, Thebae, Sparta, Hierosolyma, Tyrus, Carthago, Alessandria und Babylon. Bei Schneiders Versuch scheint es bis jetzt geblieben zu sein, obwohl die mittelalterlichen Städte von Deutschland, Frankreich, England, Spanien, Italien und der Levante zu solchen Untersuchungen reizen. Den Grundriß der Städte hat auch O. Schlüter zum Gegenstand einer Untersuchung gemacht (Z. d. Ges. f. Erdk. 1898). Eine dankbare historische wie kartographische Aufgabe ist es, die Genesis einer Stadtlandschaft an Hand verschiedener Stadtpläne aus älterer bis in die jüngste Zeit zu geben. Von einigen größeren Orten, wie Leipzig, London, Paris, Wien u. a. liegen derartige Arbeiten vor. Sie müßten sich auch auf Orte erstrecken, deren Bedeutung im Laufe der Geschichte gewechselt hat, z. B. auf Worms, Augsburg, Aachen, Trier, Köln. Schon die Bestandteile einer größeren Stadt, insbesondere die Vorstädte, verschiedenartig zu kolorieren, ist anschaulich und lehrreich. Uns interessiert vor allem die Frage, wie ist der Stadtplan in das Kartenbild hineingekommen oder wie ist die Karte im Laufe der Zeit der Stadtlandschaft gerecht geworden. Ältere Dokumente, die die Frage lösen könnten, stehen uns bis jetzt nicht zur Verfügung. In der Nationalbibliothek zu Paris sah ich eine Manuskriptkarte des Herzogtums Mantua vom Jahre 1703, auf der die Ortschaften im Grundriß wiedergegeben und rot ausgemalt sind. Bei der Grundrißsignatur handelt es sich um großmaßstäbige Karten. Der Kampf zwischen Grundrißsignatur und Aufrißsignatur, der sich im Laufe des 18. Jahrhunderts nochmals heftig bemerkbar machte, wurde mit dem Ende desselben zugunsten des ersteren entschieden, wie wir auch noch eingehender nachweisen werden. La carte géométrique de la France von Cassini hat für die Wohnplätze noch die alte Aufrißsignatur mit eingezeichnetem Kreis. Mit der Vollendung des Kartenwerkes (1793) wurde diese Art Städtebezeichnung zu Grabe ge-
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tragen und die geometrische Grundlage der Ortssignatur beherrscht das topographische Kartenbild, wie die Kreissignatur die chorographischen Karten, gleichsam als eine schwache Erinnerung an den Grundriß. Viele Stadtlandschaften der großen topographischen Kartenwerke des 18. Jahrhunderts und Anfang des 19. Jahrhunderts, die als Manuskripte auf uns gekommen, sind geradezu kartographische Kabinett- und Meister-
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Abb. 2. Stadtlandschaft von Stade (Umzeichnung aus der topograph. Landesaufnahme von Hannover 1764—1786).
stücke, die über die Art der Stadtsiedlung schon recht gut Aufschluß geben. Erinnert sei nur an das „Tableau alter durch den preußischen Obersten Graf v. Schmettau von Anno 1767 bis 1787 aufgenommenen und zusammengetragenen Länder", ein Kartenwerk in 1:50000; ferner an die Deckersche Karte von Brandenburg und der Provinz Sachsen in 1: 25000, an der 1817 bis etwa 1827 gearbeitet wurde, und die die Vorgängerin der deutschen Meßtischblätter ist. Man kann sich sozusagen an den Stadtplänen dieser Karten nicht satt genug sehen, wie auch an denen der Karten, die der Franzose Tranchot in Westdeutschland während der Jahre 1806 bis 1814 in 1:20000 aufgenommen und gezeichnet h a t . Hinzu gehört auch die prächtige topographische Landesaufnahme des Kurfürstentums Hannover von 1764—1786 in 1:21333,3, die uns neuerdings die Historische Kommission f ü r Niedersachsen in einer Lichtdruckwiedergabe in 1:40000
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zugänglich gemacht h a t . (Abb. 2). Ausgezeichnet sind auch die Grundrisse größerer Ortschaften auf der Karte von Preußen in 1:100000, die der Minister Graf Schulenburg 1785—1795 herstellen ließ. Mit Ausnahme der hannoverschen K a r t e sind sämtliche genannten K a r t e n in der Kartensammlung der preußischen Staatsbibliothek in Berlin einzusehen. Die deutschen amtlichen Kartenwerke in 1:10000, 1:25000, 1:50000, 1:100000 und 1:200 000 bringen als Zeichen f ü r die Stadtlandschaft durchweg den Plan, wenn auch bei den letzten beiden Maßstäben stark generalisiert. Nebenbei sei bemerkt, daß in ähnlicher Weise die offiziellen Karten sämtlicher Kulturstaaten verfahren. Die Ubersichtskarte von Mitteleuropa in 1:300000 wendet schon in ausgiebiger Weise den Ortskreis f ü r die vielen kleinen W o h n s t ä t t e n an. Die Yogelsche Karte von Deutschland in 1:500000 setzt die Grenze bei den Ortschaften mit 50000 Einwohnern ; Orte darunter erhalten Ringsignatur, Orte darüber den stark vereinfachten und schematischen Ortsgrundriß. Auch die Abb. 3. Stadtlandschaft von Chios. Handatlanten machen von (Aus dem Atlas Venezia presse Giov. Franc. Camoccio diesen Ortsplänen „en mini1571 und 1572). a t u r e " f ü r die Großstädte Gebrauch. Daneben bringen sie einzelne Stadtpläne in besonderen Kartons. Standford's London atlas of universal geography legt viel Wert auf die Wiedergabe zahlreicher Stadtpläne. Insonderheit sind die Rückseiten der K a r t e n in den ausgezeichneten Neuauflagen von Andrees Handatlas, die E . Ambrosius versorgt, mit Stadtplänen geschmückt. Von den H a n d a t l a n t e n und anderen Kartenwerken sind die Pläne in die Schulatlanten eingedrungen. Das ist ein erfreuliches Zeichen dafür, daß m a n jetzt anfängt, im Geographieunterricht auch den einzelnen typischen Stadtlandschaften Aufmerksamkeit zu schenken. Beispielsweise sei nur Debes-Schlee's Großer Schulatlas genannt, in denen uns viele ausgezeichnete Stadtpläne aus Baedekers Reisebüchern, deren Karten und Pläne bei Wagner u n d Debes hergestellt werden, begegnen. Uberh a u p t sind heute die Reisehandbücher die Quellen, wo wir die meisten kartographischen Darstellungen der neuen Stadtlandschaften der Erde finden. Ist der Grundriß von Ortschaften auf älteren Karten eine seltene Er-
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scheinung, so der Aufriß eine um so häufigere, sei es im Kartenbild selbst oder in bunten Vignetten, mit denen die Karte ausgeschmückt wurde (Abb. 3). In den halbperspektivischen Abbildungen mancher Karten sind Grund- und Aufriß gewissermaßen vereint. Dem Kartenbenutzer von damals war diese Art Ortsbezeichnung verständlicher als die pure Ortssignatur und der Stadtplan unserer Tage; die Laien waren noch nicht an das abstrakte Denken unserer Zeit gewöhnt. Das 16. Jahrhundert, in dem die ersten großen Erdbeschreibungen der neuen Zeit geboren wurden, hat uns eine schier unübersehbare Reihe ausgezeichneter Städtebilder, wirklich guter Ansichten von Stadtlandschaften beschert. Berühmt sind die zahlreichen Städteansichten mit weiterer Umgebung in Sebastian Münsters „Kosmographey". Sie war die Frucht einer 18jährigen Arbeit und ist der erste Versuch einer wissenschaftlichen und umfassenden Darstellung des geographischen Wissens ihrer Zeit, u n d z w a r in der H a u p t s a c h e — w a s b e s o n d e r s be-
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Stadtlandschaft München aus Apians Landtafeln von Bayern 1563.
merkenswert ist — an der Hand von Stadtlandschaften; 1544 erschien sie in deutscher Sprache, wurde außerdem in 6 andere Sprachen übersetzt und erlebte bis 1650 46 Ausgaben. Wenn K . Hassert in seinem Buche „Die Städte geographisch betrachtet" (Leipzig 1907) sagt: „Durch ihren äußeren Anblick trägt eine Stadt zum charakterischen Aussehen (des Landschaftsbildes) in hohem Maße bei", finden wir in den Städteansichten Münsters eine glänzende Illustrierung älterer Zeit zu Hasserts Wort. Dafür hatten eben unsere Vorfahren scheinbar ein besseres Empfinden als wir. Neben Münsters Kosmographie entstanden Werke, die es lediglich auf die Wiedergabe der Stadtlandschaften abgesehen hatten. Für diese mehr oder minder im kartographischen Stile gehaltenen Stadtansichten paßt so recht die Bezeichnung „Stadtlandschaft", indem sie gleichsam von Natur aus das in der Wiedergabe befolgten, was wir heute unter dem Wesen einer Stadtlandschaft verstehen. Eine bedeutende Erscheinung jener Zeit war die „Beschreibung vnd Contrafactur der vornembster Stät der Welt" aus dem Jahre 1574, herausgegeben in Cölln von Georgius Brun (Georg Braun), Simon Youellanus und Franciscus Hohenberg. Es sind an die Hundert Stadtansichten, die hier wiedergegeben sind. Die Ausarbeitung
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ist nicht gleichmäßig. Hier sehen wir eine Stadtlandschaft in Horizontalprojektion (Grundriß), wie London, dort in Vertikalprojektion, wie Lissabon, oder auch nur in Halbperspektive, wie Barcelona. Mit besonderer Liebe wendete man sich auch der Wiedergabe der landschaftlichen Umgebung der Stadtschaft zu, wie die Ansichten von Sevilla, Cadiz, Bilbao, besonders auch von Marburg zeigen.
Abb. 5. Stadtlandschaft Baden im Aargau. (Aus Merians Deutsch. Topographie, 1642—1688).
Von Ph. Apian wissen wir, daß er bei seinen Ortsskizzen ein Haupt gewicht auf die Übereinstimmung von Natur und Kopie legte, vorzüglicl achtete er auf die Bedachung der Kirchtürme, ob Spitze, Kuppel ode: Sattelturm (Abb. 4). Man erkennt sogar auf den Apianischen Bildern dei Wechsel im Baustil. Auf gleich hoher Stufe stehen die Städtebilder de Frankfurter Kupferstechers Math. Merian, eines geborenen Schweizers. Ii seiner Topographie (30 Teile, 1642—1688) besitzt unser Vaterland ein Land- und Stadtbeschreibung, wie sie gleich großartig und wichtig kaun ein anderes Land aus vergangenen Jahrhunderten aufzuweisen hat. Ent standen zu derZeit des Dreißigjährigen Krieges bietet der Text interessant Einblicke in die damaligen Zustände in Stadt und Land. Gerade wie ein
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Stadtlandschaft zu beschreiben ist, dafür gibt Merian glänzende Feispiele; man lese bloß die Schilderung von Leipzig und wir erkennen, wie herzlich wenig weit wir in der Beschreibung von Stadtschaften gekommen sind. Unvergleichlich reizvoll aber sind die dem Werke beigegebenen Bildtafeln, die unsere Städte zur Zeit ihres höchsten Glanzes, noch im mittelalterlichen Schmuck ihrer Burgen, Türme und Wehre zeigen und in stadtgeographischer, kunst- und kulturgeschichtlicher Beziehung Dokumente von geradezu einzigartigem Wert darstellen (Abb. 5). Das 17. Jahrhundert war das Jahrhundert der meisten und prächtigsten Stadtansichten, wie auch das „Theatrum exhibens illustriores pricipesque Germaniae superiores civitates" (Amsterdam bei Joannem Janssonium 1657) beweist. Bei den Rheinstädten ist viel Sorgfalt auf die Zeichnung der Weinberge verwandt. Heidelberg liegt mit seinem Schloß prächtig in dem waldigen Gelände. Bei Hamburg wird das rein Bildliche mehr verlassen und der Stadtplan mehr bevorzugt, auch bei Aquisgranum (Aachen). Im 18. Jahrhundert finden wir noch prächtige Stadt- und Kirchenansichten, namentlich in den Atlanten von Nik. Yisscher wie auch Nie. Sansón. Gegen Ende des Jahrhunderts verschwinden sie mehr und mehr von Landkarten und aus Atlanten und bleiben auf die Seekarten beschränkt, wo sie vielfach von alters her einen Teil der Yertoonungen ausmachen. Trotz des allgemein beliebten Aufrisses im 18. Jahrhundert feierte die Stadtlandschaft im Grundriß geradezu eine kartographische Blütezeit um die Mitte dieses Jahrhunderts. In den Jahren von 1730 bis 1740 erschienen die großen Stadtpläne von London, Paris, Amsterdam, Haag, Nürnberg, Berlin, St. Petersburg, Karlsbad, denen späterhin Madrid, Aachen u. a. folgen. Dieser Zeit des 18. Jahrhunderts gehört auch der prachtvolle Plan von Versailles an (Tafelbild 2). Die Seeatlanten brachten gleichfalls gute Ansichten von Stadtlandschaften. Im großen und ganzen hatte der Grundriß im Laufe des Jahrhunderts die Oberhand gewonnen. Wir sehen das außerdem an Darstellungen von Stadtlandschaften, an denen die Preußische Staatsbibliothek zu Berlin überreich ist. Aus dieser Unmenge hebe ich lediglich zwei Stadtschaften hervor, einmal den Grundriß von Ansbach aus dem Jahre 1740, auf dem uns nicht bloß eine genaue Einzeldarstellung der Häuser entzückt, sondern auch die der Gärten- und Parkanlagen, der Wiesen und Felder, selbst die einzelnen Baumarten sind zu erkennen; und sodann der Grundriß der Stadt Altona, ca. 1785, der das gleiche Detail wie der von Ansbach aufweist. Auf den mittelalterlichen Kartenwerken sind die Stadtschaften vorzugsweise durch Befestigungswerke oder einzelne Teile daraus, wie Türme und Zinnen, gekennzeichnet. Nicht allein, daß wir auf sämtlichen Karten des Mittelalters, soweit sie europäischen Ursprungs sind, derartigen Stadtschaftbezeichnungen begegnen, sondern auch auf altarabischen Karten. Unter den zahlreichen Vertretern seien nur herausgehoben der „Orbis exhibitus apud Anglosaxonos saeculi X" im Britischen Museum oder die
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sog. „Tabulae catalanae", sowie die „Mapa mundi" von 1375 in der Bibliothek des Louvre. Die Ortszeichen, als Burg bzw. Festung wiedergegeben, ließen sich mannigfach ändern, je nach der Bedeutung erweitern oder verkleinern. Auf der Karte des Marinus Sanudo vom Jahre 1321 sind Jerusalem, Antiochia, Babylon und Alexandria durch die reichere Ausstattung der Stadtsignatur ausgezeichnet; die übrigen Orte erhalten, wie üblich auf den Portulankarten oder Rumbenkarten, — wie ich sie nenne —, keine Ortszeichen, ausgenommen die Orte an der Küste Syriens und Palästinas, bei denen eine kleine Turmsignatur steht, worauf ganz besonders hingewiesen sei. Wo sich die italienischen Seekarten zu Weltkarten erweitern, da erhält das Innere der Länder die ähnlichen Wohnplatzsignaturen, nicht selten jeder Ort mit einer Fahne geziert, die je durch besondere Farbe und Ausführung die Zugehörigkeit der Orte zu einem besonderen politischen Gebilde veranschaulicht. Einen Anfang zur Gewinnung einer mehr schematisierten, einheitlichen Ortssignatur sieht man in Lamberti filii Onulfi: Europa 1120. Für alle Orte ist das Symbol ein in kleine viereckige Felder geteiltes Haus mit Giebeldach gewählt. Rom ist durch größere Signatur mit aufgesetztem Kreuz ausgezeichnet, desgleichen Köln, aber als Bischofsstadt mit einem kleineren Kreuze. Eine Nachahmung scheint diese Ortssignatur kaum gefunden zu haben. Immerhin ist sie insofern interessant, als hier zum ersten Male versucht wird, die Grundlagen einer Stadtschaft nach mehr religiösen Ursachen wiederzuspiegeln. Die einfachste Signatur für die Stadtschaft ist der Kreis. Sie ist uralt und sagt lediglich aus, daß wir einen Ort vor uns haben. Selbst Dörfer erscheinen im 17. Jahrhundert bereits im Ortsringel. Lassen sich die Spuren dieser Signatur bis auf die alten arabischen Karten verfolgen, tritt doch der Kreis erst mit der Renaissance als Stadtschaftsignatur bewußt in den Vordergrund. So spielt er in den Ptolemäusausgaben des 15. Jahrhunderts eine Hauptrolle, weil die Positionsbestimmungen des Ptolemäus die genauen Ortslagen auf der Karte bedingten. Dazu war die übliche Profilskizze der Ortschaften nicht tauglich. Während auf den älteren Ptolemäusausgaben alle Orte mit dem gleichen Stadtschaftringsymbole ausgestattet sind, also keine Wertabstufung zeigen, werden auf der „Tabula nova provinciae Rheni superiores", der ersten Ubersichtskarte des Elsasses, die sich im Supplementum zu der prächtigen Neuauflage der 27 ptolemäischen Karten befindet, die Waldseemüller und sein Freund Math. Ringmann 1513 in Straßburg besorgt hatten, Basilea, Argentina, Hagona durch große Ortskreise und große Schrift hervorgehoben. In der Folge der Wertabstufung erscheinen sodann Ensheim, Calmaria und Dan; die anderen Orte sind wesentlich kleiner dargestellt und geschrieben. Auf der „Charte des Elsasses" von Specklin (Speckel) aus dem Jahre 1576 wird durch den größeren oder kleineren Ortsring die Bedeutung des Wohnplatzes für das Land, weniger die Größe hervorgehoben. Daneben
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steht noch das alte, charakteristische Stadtbild. Wie Sprecklin wendet Mercator den Kreis als Ortssignatur an, ohne die übliche Profilskizze und ohne Namen sogar für kleinere Orte, Klöster und Schlösser. Eine ähnliche Verwendung finden wir wieder auf der Karte von Mähren, die I. A. Comenius in den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts entworfen hatte. Bemerkenswert ist, daß der Kreis außer zur Bezeichnung kleiner Orte usw. wieder innerhalb der örtlichen Profilskizze, gewöhnlich als Kreis mit sichtbarem Mittelpunkt auftritt. Dies war für die Kartenkonstruktion und die Wegebestimmung wichtig. Die übliche Ortsansicht bedeckt zuviel von der Kartenfläche, als daß genaue Entfernungsangaben oder Messungen darauf begründet werden könnten. Nur von Kreiszentrum zu Kreiszentrum wird genügend genau gemessen. Eine weitere Folge war, daß der Kreis nicht bloß inmitten eines Turmes oder Hauses zu stehen kam, sondern auch in einer Mauer oder ans Haus oder einen Turm angelehnt. So sind Profilskizze und Ring auf den Apianischen Karten von Bayern untrennbar miteinander verbunden (Abb. 4), sowohl auf der großen Ausgabe (etwa 1:45000) vom Jahre 1563 wie auf der „eingezogeneren", wie Apian selbst sagt, (etwa 1:135000) vom Jahre 1568. Die Ringe geben genau den Ort oder das Gebäude an, von dem aus oder zu dem hin Apian seine Winkelstrahlen bei der Aufnahme gerichtet hatte. Seb. Schmid beschreibt das Verfahren, wie es auf den Karten ausgeführt wurde, in seiner „Underrichtung" vom Jahre 1566. Es kehrt ferner wieder mit großer Peinlichkeit in den Ortsprofilskizzen auf den Karten, die Ph. Glüver seiner „Introductio in universam geographicam tarn veterem tarn novam", Leiden 1624, beigegeben hat. Nachdem man gelernt hatte, die Orte richtig nach Koordinatenwerten ins Kartenbild einzusetzen, ging man allmählich dazu über, mit dem Ortszeichen eine gewisse für den betreffenden Ort charakteristische Eigenschaft auszudrücken. Es sind die verschiedensten Ursachen, die zu einer Stadtlandschaftentwicklung führen, wie auch S. Passarge in seinem Werke „Landschaft und Kulturentwicklung in unseren Klimabreiten", Hamburg 1922, näher ausführt. Die Bedeutung der Orte, besonders in politischer, kirchlicher und wirtschaftlicher Beziehung, lernte man durch unterschiedliche Signaturen zu veranschaulichen. Wie wir schon aufmerksam machten fing diese Differenzierung, abgesehen von schwächlichen älteren Versuchen, bei Waldseemüller an; in anderen Ptolemäusausgaben wurde sie bereits reicher, so in der von Nordenskjöld im Faksimile-Atlas wiedergegebenen. Comenius hat erstmalig eine strengere Systematisierung der Ortssignaturen durchgeführt und darunter neu die Thermen und Officinae vitreariae, auch die Ferri, Auri und Argenti fodinae eingeführt. Mit ähnlichen Zeichen hat J . Sandrart 1660 eine Karte von Böhmen herausgegeben. Math. Merian bringt Ortssignaturen, die uns ganz modern anmuten. Von den Franzosen hat er die Festungssignatur übernommen, die darauf eine weite Verbreitung in der deutschen Kartographie findet. Den
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Wert der Wohnplätze bzw. Stadtlandschaften drückt er durch Größe, Form und Namen der Ortssignaturen aus, nicht so sporadisch, wie es Specklin getan hatte. O. Ottens benutzt die Ortsringel und drückt bedeutendere Orte durch Aufriß mit Turm und Häusern aus. Doch reichen diese Unterscheidungen nicht an die von Merian heran und an die gleichzeitigen von G. Fr. Meyer. Dieser zählt in seiner „Explicatio Notularum" folgende Zeichen auf: Urbs, Fortalitium, Pagus cum templo, Pagus cum Terra nobili, Arx, Monasterium, Officinallitriana, Villa. Für die Officinallitriana, die ein Haus vorstellt, dem eine mächtige Rauchsäule entsteigt, hatte Seb. Münster bereits ein mit Schornstein versehenes Gebäude und Cassini hat dafür nur das Haus mit der Beischrift „Manufacture" übernommen. Fast zur selben Zeit, da G. Fr. Meyer seine Ortseinteilung brachte, sagte J . G. Gregorii in seinen „Curieusen Gedanken" 1713, daß bei den Städten ein besserer Unterschied zu machen sei: „daß z. B. eine große Stadt und Festung in ihren Fortifikationen, eine mittelmäßige Stadt mit drei Türmen, eine kleine mit zwei und ein Flecken mit einem präsentiert würden". Die Dörfer werden insgemein durch ein Ringel angedeutet, mit Ausnahme auf Spezialkarten. Die Differenzierung der Ortssignaturen kam im 18. Jahrhundert zur vollen Blüte, wo auch die meisten heute noch üblichen Signaturen erfunden wurden. Den Höhepunkt einer fein gegliederten Signatur erreichte Müllers Chorographische Karte von Böhmen 1757, der sich 1774 der Atlas tyrolensis von P. Anich und Bl. Hueber anreiht. Selbst J . G. Lehmann hatte keine detailliertere Zeichentafel ausgearbeitet. Müller bringt auf seiner Karte 40 verschiedene Signaturen, von denen viele, die wir gerade heute für die Darstellung der Stadtschaft fordern, im Laufe des 19. Jahrhunderts wieder verloren gegangen sind, wie die Angabe der verschiedenen Badeorte, ob Warmbad oder Sauerbrunnen, ferner von Messingwerken, Kupfer- und Eisenhämmern, Drahtmühlen, Alaunsiedereien, Sallitereyen, Wunderthatige Gnadenbilder, also Wallfahrtsorte usw. Nach tiefergehenden kartographischen Unterschieden in der Bedeutung der Stadt- und Ortschaften lag kein Bedürfnis vor. Noch fehlte es an einem klaren und wirkungsvollen Ausdrucksmittel der Einwohnerzahl der Wohnstätten. Das bald größere und bald kleinere einfache Ringel konnte nur ein schwacher Behelf sein. Nachdem in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts die statistischen Erhebungen über die Bevölkerungszahl sicherer und besser und die kleinsten Wohnplätze in die Zeichnung mit eingeschlossen wurden, entstand auch das Bedürfnis, den verschiedenen Einwohnerzahlen durch verschiedene Ortszeichen auf der Karte einen sichtbaren Ausdruck zu verleihen. Insonderheit hatten sich gegen Ende des Jahrhunderts die Handatlanten des Verfahrens bemächtigt, durch detaillierte Ortssignaturen die Einwohnerzahl zu veranschaulichen. Die Auseinanderhaltung von Dorf, Klein-, Mittel- und
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Großstadt hat sich im großen und ganzen bewährt. Damit wird nur einer Aufgabe der Stadtlandschaft im Kartenbilde nachgekommen. Die kartographische Darstellung aber soll mehr geben. Die K a r t e muß danach streben, wie Hermann Wagner in seinem Lehrbuch sagt, daß die relative Bedeutung eines Ortes im Verhältnis zu seiner Umgebung möglichst mit einem Blick erkannt wird. Dazu gehört außer der Schrift und des sich nur voluminös abwandelnden Ortszeichens verschieden gestaltete Ortszeichen, die noch ersonnen werden und eine Sinnfälligkeit zur Schau tragen müssen, damit sie in kurzer Zeit schon konventionell werden. Was im 18. Jahrhundert schon angebahnt, aber wieder vergessen wurde, ist erneut zu beleben und unserem gegenwärtigen Wissen anzupassen. Nach dem heutigen kartographischen Stande können wir allgemein sagen, daß die Ortssignatur die kleinmaßstäbigen Karten beherrscht, während der Stadtplan den großmaßstäbigen vorbehalten bleibt. In dem Berührungsgebiet von topographischer und ethnographischer K a r t e mischen sich beide. Die Ortssignatur hat den Vorzug, daß sie durch ihre Gestalt die Einwohnerzahl abgerundet ausdrücken kann und weit weniger Platz auf der K a r t e als der Ortsplan einnimmt. Soweit wie wir sie jetzt ausgebildet haben, klassifiziert sie die Wohnungsstätten nach ihrer Größe, läßt mithin die Stadtschaften an sich und deren Verbreitung gut hervortreten. Der Stadtplan oder die K a r t e der Stadtschaft, bzw. Stadtlandschaft hat den Vorteil, daß er über die äußere Gestalt und zumeist auch deren inneren Teile völlige Klarheit schafft. Das kann die jetzige Signatur nicht. Und trotzdem kann diese, wie ich schon andeutete, mehr leisten als was sie beim ersten Augenschein vermuten läßt. Hier schwebt mir unter anderem auch die Skala der Siedlungsformen vor, wie sie einmal O. Schlüter für die Dörfer entworfen hat (Die Siedlungen im nordöstlichen Thüringen. Berlin 1903, K a r t e 6). Der Kartographie erwachsen in der Charakterisierung der Stadtschaft und Stadtlandschaft noch ganz ungeahnte Aufgaben. Auch hier zeigt sich ein Weg für die gegenwärtige und künftige Kartographie, der Geographie nicht bloß Hilfsmittel der Orientierung zu sein, sondern vor allem auch Hilfsmittel tiefgehender geographischer Studien zu werden. Bezüglich der kartographischen Wiedergabe der Stadtlandschaft wird jetzt auf verschiedenen Seiten gearbeitet, nicht bloß auf Seite des Geographen, sondern auch auf der des Stadtbauarchitekten Die Aufgaben der „Landesplanung", die in verschiedenen Teilen Deutschlands bereits tätig ist, münden teilweise in das Fahrwasser der kartographischen Darstellung der Stadtlandschaft; mit Hilfe von Vermessung und Luftbildaufnahme sucht sie das richtige Kartenbild zu erfassen. Der moderne Stadtarchitekt sieht ein, daß er ohne Geograph und Kartograph nicht recht vorwärts kommen, den neuzeitlichen Anforderungen an ein schönes und zugleich zweckentsprechendes Stadtbild allein nicht mehr genügen kann. F a s t überall in Deutschland, auch im Ausland, regen sich die Kräfte, nicht bloß Neues
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und Besseres zu wollen, sondern auch zu schaffen. Beispielsweise h a t in Holland der Stadtbauarchitekt J . M. de Cassares ein von höherer Warte aus diktiertes Buch über „Stedebouw", Amsterdam 1926, geschrieben, worin auf all die erweiterten Probleme eingehender hingewiesen wird. Mit dem Auge des neuzeitlichen Stadtarchitekten ausgerüstet-und mit einem historischen, kulturgeschichtlichen und neuzeitlich-geographischen Wissen und Denkvermögen erfüllt, wird es möglich sein, auf Grundlage des Kartenbildes der Stadtlandschaft — wie es allmählich geschaffen wird — die G e o g r a p h i e d e r S t a d t l a n d s c h a f t zu schreiben, die uns trotz verheißungsvoller Anfänge immer noch fehlt.
Die Deutsche Stadt im Mittelalter als Lebensraum. Von K o n r a d F r e n z e l . Geographische Stadtuntersuchungen stellen im allgemeinen Lage und horizontalen wie vertikalen Aufbau der Stadt in den Mittelpunkt ihres Interesses, und es liegen zahlreiche, sehr eingehende Arbeiten darüber vor. Grundrißgestaltung und Antlitz der Stadt werden aus ihrer geschichtlichen Entwicklung und geographischen Bedingtheit heraus erklärt, und damit eine wechselseitige Befruchtung von Geographie und Geschichte erzielt. Es sei nur an die Arbeiten von Geisler, Gradmann, Martiny, Brinckmann, Dörries u. a. erinnert. Stadtgeographische Sonderuntersuchungen fassen das Raumgebilde der Stadt als besondere, geschlossene Landschaft auf. Auch die Beschreibende und Vergleichende Landschaftskunde befaßt sich mit Sonderuntersuchungen über einzelne Städte. Bremen hat durch Biehl, Hamburg durch Schwieker, Mailand und andere lombardische Städte durch den Verfasser landschaftskundliche Untersuchung erfahren. Das Endziel landschaftskundlicher wie geographischer Fragestellung überhaupt, nämlich die Erkenntnis der Wechselwirkung zwischen der Landschaft und dem sie bewohnenden Menschen, hat dagegen hinsichtlich der Stadtlandschaft bisher weniger im Brennpunkt des Interesses gestanden. Und doch liegt auf der Hand, daß die durch besondere soziale und politische Verhältnisse sowie durch das enge Bei- und Miteinanderleben der Menschen hervorgerufenen Lebensbedingungen in der Stadt ganz bestimmte, scharf ausgeprägte Einflüsse auf deren Bewohner ausüben. Wir sehen die Veränderungen, die der moderne Großstadtbewohner unter dem Einflüsse seines Lebensraumes erleidet, mit eigenen Augen, und es erscheint reizvoll und zum Verständnis moderner Verhältnisse förderlich, auf die einfacheren vergangener Zeiten zurückzugehen. Gerade die kurze Spanne von 3—4 Jahrhunderten der Entwicklung der mittelalterlichen Stadt, die in ihrer Geschlossenheit leichter erfaßbar erscheint als die moderne, läßt die Untersuchung nicht ohne Interesse erscheinen, ob und in welchem Sinne die mittelalterliche Stadt auf den Charakter ihrer Bürger gewirkt, und in welcher Weise sich deren Charakterentwicklung im politischen Leben ihres Gemeinwesens bemerkbar gemacht hat. In seinen Arbeiten über „Landschaft und Kulturentwicklung in unseren Klimabreiten" und „Grundzüge der gesetzmäßigen Charakterentwicklung
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der Völker" hat P a s s a r g e eine Theorie über die Veränderungen des Charakters der mittelalterlichen Stadtbewohner unter dem Einflüsse ihres städtischen Lebensraumes entwickelt. Danach müssen in der Stadt die Aufhebung des körperlichen Kampfes ums Dasein beim Einzelnen, aufs höchste gesteigerter gewerblicher Ehrgeiz und kaufmännischer Wettbewerb demoralisierend wirken. E s findet keine Auslese der natürlichen, staatserhaltenden Fundamentalcharaktere mehr statt, sondern die Handwerkskultur befördert die Ausbildung von sartoiden Charakteren. Die staatserhaltenden Kardinaltugenden: persönlicher Mut, Ehrgefühl und physische Willenskraft, werden durch sartoide Eigenschaften ersetzt: Schlauheit, Gewandtheit, Gewissenlosigkeit. An die Stelle der physischen Willenskraft tritt die geistige, die sich in Beherrschung der Gehirntätigkeit durch den Willen äußert. Das den Naturvölkern eigene, tiefe religiöse Gefühl verflacht — Demoralisierung tritt ein. Der Verfall der staatserhaltenden Kardinaltugenden führt aber zu politischer Knechtschaft. Diesem sartoiden städtischen Verfall wirkt jedoch eine Anzahl von Umständen entgegen. Vom Lande her erfolgt stetiger Zuzug von kräftigen, unverbildeten Elementen. Mangelnde naturwissenschaftliche Erkenntnis, Ohnmacht gegenüber Naturereignissen lassen Aberglauben und Religiosität bis zu einem gewissen Grade erhalten bleiben und halten die Demoralisierung in Schranken. Sanitäre Übelstände erzeugen Seuchen, und diese raffen die Schwachen hinweg, nur die Lebenskräftigen bleiben zurück. E s ist ein Auf und Ab zwischen sartoidem Verfall und Regeneration, ohne scharfe Scheidung der Schichten. E s ist die Zeit des Ubergangs vom schriftlosen, visionskräftigen Naturmenschen, zum schreibenden, begrifflich und systematisch denkenden Kulturmenschen. Idealismus und Begeisterung führen kulturell im Sturmschritt bergan, es kommen Zeiten der Blüte von Künsten und Wissenschaften, sozialer und staatlicher Entwicklung, denen aber Zeiten des Abstieges mit Selbstsucht und Entsittlichung, Atheismus und Zügellosigkeit folgen. Dabei brauchen politischer und geistiger Verfall nicht parallel zu laufen. Soweit Passarge. Der tatsächliche geschichtliche Verlauf bestätigt im allgemeinen diese Entwicklung als Tendenz, im einzelnen zeigen sich Abweichungen. Die Bildung der Stadt erfolgte in den weitaus meisten Fällen durch Willensakt des Königs, später des geistlichen oder weltlichen Territorialherrn. Ein selbständiges Anwachsen eines Dorfes zur Stadt war infolge der engen grundherrlichen Bindungen, denen der mittelalterliche Landbewohner fast durchweg unterworfen war, unmöglich. Die Städte wurden gegründet. Alle mittelalterlichen Städte Deutschlands waren befestigt und besaßen mindestens einen Marktplatz. Der Markt bildet den Brennpunkt des städtischen Lebens. Seine Bedeutung ist im Mittelalter weitaus größer als heute, und zwar beruht die Wirtschaft der Stadt auf dem Wochenmarkt. Denn, wie Gradmann dargelegt hat, der Hauptberuf der Stadt ist,
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Mittelpunkt ihrer ländlichen Umgebung und Vermittlerin des Lokalverkehrs mit der Außenwelt zu sein. Nicht Großhandel und Zwischenhandel, sondern Kleinhandel und Handwerk, nicht Fernverkehr für sich allein, sondern Fernverkehr in Verknüpfung mit dem Nahverkehr sind die erste wirtschaftliche Grundlage der Städte. Daß das Verhältnis zwischen dem Nah- und Fernverkehr, Groß- und Kleinhandel je nach der Lage der Stadt zu wichtigen Verkehrsadern schwanken kann, liegt auf der Hand. Wer im Mittelalter Waren auslegen will, tut es auf offenem Markte. Hier reihen sich bedeckte Buden und unbedeckte Stände — nach Gewerben geordnet — aneinander, und oft begrenzen Hallen und Bogengänge, in denen ebenfalls Waren angeboten werden, den Platz. Zum Teil arbeiten die Handwerker auf Anordnung des Rates in den Marktbuden, wie z. B. die Goldschmiede in Lübeck. Gerichtshandlungen und politische Versammlungen finden ebenfalls auf dem Markte statt. Die Straßen der Stadt sind sehr eng und befinden sich während des ganzen Mittelalters in äußerst schlechtem Zustand. Erst im 14. Jahrhundert werden die breiteren Hauptstraßen einiger vornehmer Städte, wie Aachen, Nürnberg, Ulm, gepflastert, und zwar benutzt man in Deutschland Feldsteine dazu. Aber trotzdem bleiben die Straßenzustände trostlos. Aller Unrat, Kadaver, Abfälle, Kot usw. werden auf die Straßen geworfen. Schweine treiben sich in großer Zahl auf den Gassen umher, und ihre Ställe sind auf der Straßenseite der Häuser angebracht. Wie fürchterlich diese Zustände waren, dafür mag die Tatsache als Beispiel dienen, daß König Philipp August 1185 ohnmächtig wurde, als ihm beim Öffnen eines Fensters der Pestgestank der Pariser Straßen entgegenschlug. Ganz ähnliche Nachrichten liegen für Deutschland vor. Zwar schreitet der Rat durch Verordnungen gegen diese Übelstände ein, aber niemand führt diese Anordnungen durch. In Lobgedichten auf Nürnberg wird ausdrücklich hervorgehoben, daß dort Stadtknechte die Tierleichen, namentlich Hunde und Katzen, von den Straßen wegräumen. Nur der Marktplatz, der Lebensnerv der Stadt, wird etwas sauberer gehalten, und der Rat dringt mit Erfolg auf baldige Abfuhr des Dunges. Ernstliche Bemühungen um Reinhaltung der Straßen werden erst im 15./16. Jahrhundert angestellt, aber auch dann bleibt es oft noch bei den Verordnungen. Besondere Sorge läßt die Stadtverwaltung der Wasserversorgung angedeihen, sei es dadurch, daß Brunnen gebohrt werden, sei es, daß gutes Wasser von fernher zugeleitet wird. Unter den Gebäuden der Stadt ragen besonders die prächtigen Kirchen, deren Ausmaße oft in keinem Verhältnis zur Größe der Stadt stehen, ferner die Burg des Stadtherrn und später das Rathaus, die Kauf- und Zunfthäuser hervor. Die Privathäuser stehen im allgemeinen mit der Giebelseite zur Straße. Die Bauweise ist eng, doch nicht völlig geschlossen, vielmehr läßt man schmale Schlupfe zum Ablauf des Regenwassers zwischen den Häusern. Die Bauart dieser Wohnhäuser ist zumeist eng, 2
Sladtlandschaften.
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winkelig und gedrückt und steht in krassem Gegensatz zur Praclit der öffentlichen Bauten. Das Wohl des Einzelnen tritt eben gegenüber dem der Gemeinschaft zurück. Beim Bau der Privathäuser geht man erst im 15. Jahrhundert energisch vom Holz- zum Steinbau über, obwohl die Städte immer schon sehr häufig von Bränden heimgesucht wurden. So ereigneten sich in Worms große Brände in den Jahren 1221, 1234, 1242, 1259, 1269, 1298. Die Straßenfront der Häuser ist der Grundstückaufteilung entsprechend meist schmal, ihre Tiefe um so größer. Zahlreiche, oft dicht nebeneinanderliegende Fenster sorgen für Beleuchtung des Innern, das ursprünglich in Erdgeschoß und Stockwerk aus je einem großen Raum besteht. Erst später teilt man kleinere Räumlichkeiten für die verschiedenen Zwecke ab. Oftmals greift das Haus in die Straße vor und beengt deren Raum noch mehr, sei es durch Kellerhälse oder durch Laubenvorbauten, auf denen dann das vorspringende obere Stockwerk ruht, oder durch Buden. Hier haben mitunter Handwerker ihre Werkstatt aufgeschlagen, während sonst — abgesehen vom Marktleben — die Arbeit in den Häusern verrichtet wird. Die Enge der Stadthäuser wird dadurch noch fühlbarer; nehmen doch Warenlager und Werkstätten oft große Teile des Hauses ein und beeinträchtigen die Bequemlichkeit der häufig zwölf- und mehrköpfigen Familien. Uberhaupt scheint sich das Leben vorwiegend in den Häusern abzuspielen, und nur das Markttreiben und das feiertägliche und abendliche Leben bevorzugen die Straßen. Die Wohnweise ist nicht nur eng, sondern zunächst auch sehr primitiv, erst der rege Verkehr mit dem Süden bringt auch in die deutschen Stadthäuser einen gewissen Luxus. Der Gegensatz zwischen Stadt und Land ist bei weitem nicht so ausgeprägt wie heute. Auf den regen und für das Bestehen der Stadt notwendigen Wechselverkehr mit dem umgebenden Lande wurde schon hingewiesen. Zahlreiche Bürger der Stadt sind aber gleichzeitig Ackerbürger, deren Land vor den Toren liegt. Auch sucht die Stadt als politisches Gebilde ihr Gebiet durch Erwerb von Ländereien, Dörfern usw. zu erweitern und die eigene Ernährung sicherzustellen. Das Charakteristikum der Stadt aber bleiben Handwerk und Handel, mit ihrem Gedeihen steigt und sinkt die Entwicklung des Gemeinwesens. Das Leben in dem soeben skizzierten Raum, besonders aber das enge Zusammenleben mit anderen Menschen unter bestimmten sozialen Bedingungen muß Einflüsse auf die Charakterbildung der Städter ausüben. Dazu lassen sich folgende Tatsachen feststellen: Der körperliche K a m p f des Einzelnen ums Dasein ist nicht völlig ausgeschaltet. Die Wehrverfassung zwingt zur körperlichen Ertüchtigung, häufige Fehden mit auswärtigen Feinden, ferner K ä m p f e gegen den Stadtherrn, später die Aufstände der Zünfte gegen die Geschlechter, lassen starke Charaktere erhalten bleiben. Besonders die Zunftrevolutionen waren überaus blutig,
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wie z. B. die Weberschlacht in Köln 1371, der Sieger schonungslos gegenüber dem Besiegten. Freilich läßt sich gerade bei diesen Kämpfen bereits der Mut der Masse feststellen, die einem gleichstarken Gegner gegenüber feige ist, aber in geschlossener Ubermacht Mut bezeigt. Bei solchen Betrachtungen ist allerdings auch die Objektivität der Uberlieferung in Betracht zu ziehen. Im Laufe der Zeit überwiegt jedoch im städtischen Heere das Kontingent der Söldner und der Edelbürger; letztere sind auswärtige Adelige, die mit der Stadt im Vertrag stehen und sich an ihrer Verteidigung beteiligen. Moriz Heyne hat die gesundheitliche Verfassung der Stadtbewohner des Mittelalters quellenmäßig untersucht und kommt zu dem Ergebnis, daß der Gesundheitszustand der Bevölkerung nicht besser ist als heute. Wohl besitzen die Menschen größere Widerstandskraft, auch ist die Abhärtung größer als heute (Fechtspiele; Baden; Kinder laufen nackend in der Wohnung umher), aber geringe ärztliche Erfahrung, ungenügender Schutz gegen die Einflüsse des Klimas, Unangemessenheit und übermäßiger Genuß von Speisen, später auch Trunksucht, vor allem aber die ganz im Argen liegenden sanitären Verhältnisse greifen die Gesundheit wesentlich stärker an als heute. Hierbei werden die Schwachen stärker betroffen als die körperlich und wirtschaftlich Kräftigen. Auch von den verheerenden Seuchen, die die Städte heimsuchen, können sich die sozial Stärkeren leichter abschließen als die Masse des Volkes, indem sie meist die Stadt verlassen. Auf diese Weise erfolgt eine gewisse Auslese der körperlich und wirtschaftlich kräftigen Elemente. Wenn man die enge, lichtlose Bauart der Häuser, die schmutzigen, stinkenden Straßen, das stehende, faulende Wasser in den Wallgräben, die Verseuchung der Brunnen durch Senkgruben in Betracht zieht, so ist man über die Häufigkeit der Seuchen nicht erstaunt. Wie hart die Städte von diesen Epidemien, die meist als „Pest" bezeichnet wurden, obwohl es sich nicht immer um Pest handelte, betroffen wurden, zeigt die Reihe der von Seuchen hervorgerufenen „Sterbe"-Jahre in Frankfurt a. M. während des 14./15. Jahrhunderts: 1349, 52, 56/57, 64, 65, 95/96; 1402, 12, 18, 19, 20, 28, 38, 39, 43, 49, 50, 51, 61, 63, 67, 68, 73, 80—82 usw. (Steinhausen). Die Zahl der Seuchenopfer mag sehr groß gewesen sein. Freilich übertreiben die Chronisten gewaltig. So soll die Opferzahl in Nürnberg 1437: 13 000 Menschen betragen haben. Besonders schlimm wüteten die Seuchen, wenn sie im Verein mit Hungersnöten auftraten, wie in den Jahren 1313—15. Damals soll ein Drittel der Menschen gestorben sein. 1349 starben in Frankfurt a. M. in 75 Tagen 2000 Menschen an der Pest, eine Zahl, die nicht ganz unglaubwürdig klingt. Während man gegen Seuchen fast wehrlos ist, schreitet die mittelalterliche Stadtobrigkeit gegen andere Ansteckungskrankheiten kräftig ein. Besonders gegen Aussatz und Lupus werden sehr scharfe Maßnahmen ergriffen. Schon im 12. Jahrhundert gibt es Aussätzigenhäuser (Lepro2*
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sorien), und am Ende des 14. Jahrhunderts ist eine völlig kontrollierbare Zusammenfassung der Aussatzkranken möglich. Im 15. Jahrhundert gab es in Frankreich 2000 Leprosenhäuser, und „in der ganzen Christenheit" schätzte man sie zu jener Zeit auf 19000 (Pfalz). Gegen Ende des 15. Jahrhunderts wird der Aussatz weniger häufig. Angesichts der geringen tatsächlichen Ansteckungsgefahr dieser Krankheit könnte der Gedanke naheliegen, diese scharfen Maßnahmen neben der körperlichen Abscheu z. T. auch — wie im Orient (Passarge) — auf Aberglauben zurückzuführen. Der natürlichen Auslese der Gebrechlichen und Schwachen wirkt die Kirche entgegen, die es als religiöse Pflicht hinstellt, jenen zu helfen. Auch bilden sich Bettler- und Aussätzigenorganisationen, die sich im Laufe der Zeit lästig bemerkbar machen. Für Ausmerzung von Verbrechernaturen sorgen die rücksichtslose Anwendung der Todesstrafe und die für unsere Begriffe grausame Art der Strafen überhaupt. Ganz im Gegensatz zu dem Schmutz ihrer Umgebung scheint die körperliche Reinlichkeit der Bürger ziemlich groß gewesen zu sein. In jeder, auch kleineren Stadt befanden sich ein oder mehrere Badehäuser, die sich lebhaften Besuches erfreuten. Auch Wildbäder wurden gern aufgesucht. Sexuelle Ausschweifungen sind sehr verbreitet, können aber nicht als Demoralisation bezeichnet werden. Das Dirnentum ist organisiert (zur Abwehr der heimlichen Konkurrenz der Bürgerfrauen, des Gesindes und der Nonnen) und gilt nicht in dem Maße als unehrliches Gewerbe wie heute. Teilweise mag man das Dirnenwesen auch zum Schutze der Bürgerfrauen und -mädchen begünstigt haben. Zeichen der Demoralisierung aber sind es, wenn 1527 in Ulm verboten wird, daß 12—14jährige Knaben weiterhin das Frauenhaus besuchen, oder wenn schon früher in Lübeck ehrbare und verheiratete Bürgerfrauen nächtlicherweise vermummt in Weinkellerwirtschaften oder gar in Frauenhäuser gehen. Auch das Badeleben wächst sich mit der Zeit zu sexuellen Ausschweifungen aus. Hier schiebt das Auftreten der Syphilis um 1500 einen Riegel vor. (Steinhausen). Bei der Ausübung von Handel und Handwerk sehen Stadtherr, Rat und Zünfte auf Güte und Billigkeit der Waren, aber die Strenge und Häufigkeit dieser Verbote zeigen gerade, daß in Handel und Handwerk unlauterer Wettbewerb, Betrug usw. weit verbreitet waren. Keutgen schreibt hierzu: „Diese gewerblichen Arbeiter waren wie ihre übrigen Zeitgenossen Kraftmenschen, die sich durch ihre natürlichen Triebe ebensosehr hinreißen ließen, gegen die von ihnen wenn auch gläubiger angehörten Lehren der Kirche zu verstoßen, wie ihre mehr skeptischen Nachkommen. Gerade die häufige Wiederholung der Vorschriften in den Zunftrollen gegen unlauteren Wettbewerb zeigt, daß es sich um ein schweres, unausrottbares Übel handelt". Von dem im hanseatischen Fischhandel mit England beliebten Verfahren, alte und kleine Heringe in die Mitte der Tonne zu packen, bis zu Wein- und Webstoffverfälschungen findet
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sich überall in den Urkunden die systematische Schädigung des Mitmenschen bezeugt. Jeder schädigt jeden: Die Zunftbrüder einander und die Zünfte als Organisation das Publikum. Man sieht also im späteren Mittelalter sartoiden Verfall sehr verbreitet. In dieser Zeit setzt auch eine Abwanderung vom Handwerk zu dem vornehmeren, mehr das Gehirn beschäftigenden Handel ein, der zudem Möglichkeiten zur Spekulation bietet. Starke Gegensätze zeigen sich in der geistigen Verfassung des Städters. Neben tiefreligiösem Gefühl und Aberglauben steht Haß gegen die Pfaffen, neben Buchstabengerechtigkeit religiöser Fanatismus, der in den Hexenprozessen seine traurigsten Erfolge gezeitigt hat. Exklusivster Bürgerstolz und engherzigste Klassenpolitik und Klassenhaß treten nebeneinander auf. So verloren die Lübecker Bürgermädchen, wenn sie mit einem Ritter die Ehe eingingen, Mitgift und Erbe (Rörig), andererseits haben die Klassenkämpfe schweren politischen und sozialen Schaden in der Stadt angerichtet. Die Verfallserscheinungen häufen sich gegen Ende des Mittelalters. Während zu Beginn der Städtebildung bis zu ihrer Blüte lebhafter Zuzug vom Lande stattgefunden hatte — man denke an den Satz „Stadtluft macht frei" (d. h. die aus dem Stande der Unfreien stammenden, ländlichen Zuzügler konnten — namentlich durch Verjährung — persönlich frei werden) — hört dieser gegen Ende des Mittelalters auf. Auch scheiden die reich gewordenen Patrizier aus dem Wirtschaftsleben aus, die Zünfte verkalken und verbummeln, sie verlieren ihren fördernden und erzieherischen Wert. Trotzdem also der K a m p f ums Dasein in körperlicher Beziehung bis zu einem gewissen Grade vorhanden ist und trotz anderen natürlichen Gegenwirkungen ist eine ungünstige Entwicklung des Charakters des Bürgers in der mittelalterlichen Stadt festzustellen, und die charakteristischen städtischen Verfallserscheinungen unserer Zeit sind im Kleinen bereits entwickelt. Aber dieser sartoide städtische Verfall hat weder den Untergang der Städtefreiheit allein herbeigeführt noch ist er — der Verfall — durch den Lebensraum der Stadtlandschaft als solcher allein bedingt. Fast alle deutschen Städte zeigen bis zum 13./14. Jahrhundert einen Aufstieg, dann raschen Verfall, oft Unterjochung unter einen Territorialherrn und daraufhin im 18. Jahrhundert wieder ein Aufblühen. Das zeigt sich deutlich in der Bevölkerungsbewegung, die aus folgenden Kurven einigermaßen ersichtlich ist. (Abb. 6.) Bei Nürnberg tritt der Abstieg erst 2 Jahrhunderte später ein als bei den anderen Städten. Die Gründe dafür werden noch dargelegt. Das Problem des Untergangs der Städtefreiheit ist nicht nur charakterkundlich und stadtinnenpolitisch, sondern auch wirtschaftsgeographisch und -politisch aufzufassen.
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1200 1300 1WO 1500 1600 1700 1600
20000 10 000
Abb. 6. Ungefährer Verlauf der Bevölkerungsbewegung einiger Städte vom Mittelalter bis zur Neuzeit (Zahlen nach G. Schmoller. Stark schematisiert). f.. v , ... , , .... . . \ Die Kurven zeigen deutlich und ubereinstimmend — mit Ausnahme Nürnbergs — eine starke Bevölkerungsabnahme gegen Ende des Mittelalters.
Die Tatsachen und wirkenden Kräfte, die im Sinne der gesetzmäßigen Charakterentwicklung in Betracht kommen, sind soeben eingehender dargelegt worden. Wenden wir uns den Einwirkungen der Innenpolitik auf die Geschichte der Stadt zu! Hier hat sich seit 1180—1300 ein städtischer Rat als Ausschuß des Geschlechterpatriziats gebildet, der zunächst unter Vormundschaft von Kaiser, Bischof oder Landesherrn, nach Abschüttelung der stadtherrlichen Bindung selbständig die Geschicke des Gemeinwesens leitet. Solange in diesem Rat kräftige, fähige Geschlechter sitzen und uneigennützig wirken, sind die innenpolitischen Bedingungen für die Blüte der Stadt gegeben. Besonders günstig liegen die Verhältnisse dann, wenn, wie in Nürnberg, die Geschlechter finanziell unabhängig, politisch mächtig und weise sind und u. a. J I durch
I I Anlage °
ihres
II Ver-
mögens in Stadtanleihen am Gedeihen aller Zweige ihres städtischen Gemeinwesens interessiert sind. Nicht zuletzt aus diesem Grunde überdauert die Blüte Nürnbergs die der anderen Städte um 2 Jahrhunderte (Schmoller). Wenn die Geschlechter aber finanziell abhängig sind, dann wird diese werktätige, kapitalistische Oligarchie zur erpresserischen Plutokratie. Als Reaktion setzen die überaus blutigen Zunftaufstände mit demokratischer Tendenz ein. Wie aber auch der Ausgang dieser Kämpfe sein mag: ein Gewinn für die Stadt geht im allgemeinen nicht daraus hervor. Denn das nun einsetzende demokratische Zunft-
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regime ist nach kurzer Zeit ebenso verrottet wie vorher das der Geschlechter In der Stadtpolitik werden immer mehr engherzige Gesichtspunkte maßgebend, die die Städtefreiheit untergraben. Die „Städtefreiheit war" — schreibt Schmoller — „seit 1500 für die meisten Reichsstädte wie für die Landesstädte, die relativ frei blieben, nur ein Schutzwall für kleinliches, borniertes, verzopftes Spießbürgertum mit klassenherrschaftlichen Mißbräuchen aller Art." Die wirtschaftsgeographischen Einwirkungen, soweit sie sich auf die Lage einer Stadt zu einer wichtigen Handelsstraße beziehen, sind oft in der geographischen Literatur behandelt worden. Gradmann z. B. hat dargestellt, wie blühende Städte trotz verzweifelter Anstrengungen tüchtiger Bürgerschaften zugrunde gehen müssen, wenn der Großhandelsweg, an dem sie liegen, infolge neuer Verkehrsverbindungen verödet, besonders dann, wenn gleichzeitig das örtliche Marktgebiet der betroffenen Stadt klein oder nicht leistungsfähig ist. Von erheblicher Bedeutung und hohem Interesse sind aber die wirtschaftspolitischen Einwirkungen. Die Städte sind Gründungen an wirtschaftlich günstigen Punkten und dienen dem Zusammenschluß der Wirtschaft, der Erleichterung von Handel und Handwerk wie der Lebensbedingungen im allgemeinen. Ihre Entstehung wird durch die Zerrissenheit des Reiches, den Mangel an einer dominierenden Zentralgewalt, begünstigt. Anfänglich besitzen die Städte noch genug Ackerland, um sich zu ernähren, auch betreiben sie eine sehr kluge Vorratspolitik; oft erwerben sie Land in ihrer Umgebung. Mit der Ausbildung der geschlossenenTerritorien in Deutschland jedoch treten sie allmählich in immer stärkeren Gegensatz zu den Herren der sie umgebenden Länder. Deren Absicht geht dahin, die Städte, deren Freiheit sie zunächst begünstigt hatten, in ihr Gebiet aufzunehmen. Für die Städte ist diese Entwicklungsphase eine Zeit schwerster Entscheidung. Ihrem Freiheitsdrang widerstrebt die Unterordnung unter den Landesherrn. Andererseits sind sie auf dessen Gunst angewiesen, da ihre Zufahrtsstraßen durch sein Gebiet führen. Die Landesherren suchen ihre Absicht dadurch zu erreichen, daß sie die Stadt vom Lande abschnüren, etwa indem sie Ländereien in der nächsten Umgebung der Stadt, auf deren Ernteertrag diese angewiesen ist, an sich bringen. Sie sperren Straßen und schikanieren den Handel auf jede Weise 1 ). Die Städte wehren sich gegen diese Beeinträchtigung. Sie tun es auch dann, wenn ihre Aufnahme in ein benachbartes großes Territorium ihrer Entwicklung In diesem Verhältnis der Städter zum Territorialherrn kann man eine gewisse Parallele zu den Verhältnissen in den Steppen des Orients erblicken. Dort bestehen zwischen den Oasenstädten und ihrer degenerierten Bevölkerung und den Beduinen in ihrer Umgebung ebenfalls große Spannungen, die zu ständig sich wiederholender Unterwerfung der Oasen durch die Beduinen führten. Notwendiger Zuzug von Fundamentalcharakteren aus der Steppe, Demoralisierung und Sartoidisierung derselben in der Oase, Zunftbildimg u. a. m. sind weitere Parallelen zwischen Oasenstadt und deutscher Stadt im Mittelalter. (Passarge in der Diskussion zum Vortrag).
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KONRAD FRENZEL
günstig wäre. Freiheitsdrang und Ehrgefühl gehen hier Hand in Hand mit Konkurrenzneid und Engstirnigkeit. Die Folge davon sind rascher wirtschaftlicher Niedergang der Stadt, Abzug der -wirtschaftlich und geistig führenden Schicht, nämlich der Patrizier und des Adels, der oftmals Parteigänger des Landesherrn ist, Bevölkerungsrückgang, Unterwerfung, Verlust der Freiheit. Wie schlimm es nach solchen Vorgängen in einer einst blühenden Stadt aussehen kann, erhellt aus der Tatsache, daß man gegen 1500 in Worms jeden zu den Geschlechtern rechnete, der 1000 Gulden Vermögen besaß (Schmoller). Zum Schluß sei kurz die Geschichte des Niederganges dreier Städte dargestellt: Köln, Ulm und Basel. Bei jeder der drei Städte haben die oben dargelegten Verhältnisse, jedoch in verschiedener Gruppierung, mitgesprochen. Für Köln und Basel wird im allgemeinen den Ausführungen Schmollers gefolgt. Köln a m R h e i n . Die eigentliche Stadtentwicklung Kölns aus mehreren ländlichen Gemeinden fällt in die Zeit vom 10. bis Mitte des 13. Jahrhunderts. Am Ende dieser Periode hat es ca. 100000 Einwohner. Die Stadt befindet sich nacheinander unter der Herrschaft des Erzbischofs (bis 1150), des Rates unter Bevormundung des Erzbischofs (bis 1260), dann unter selbständigem Patrizierregiment (bis 1396), unter demokratischer Zunftherrschaft (bis 1450), und darauf (bis 1789) unter plutokratischultrakatholischem Honoratiorenregime. Die Macht Kölns beruht im Mittelalter vor allem auf der überaus günstigen Handelslage, daneben auf Blüte des Handwerks (Macht der Weberzunft!). Gegen Ende des 13. Jahrhunderts ist die Stadt so mächtig, daß sie jeden Versuch landesherrlicher Unterwerfung zurückweisen kann. Aber in dieser Blüte liegt der Keim zum Untergang. Die wirtschaftlichen Beziehungen Kölns reichen Hunderte von Kilometern und weiter. Um lebensfähig zu bleiben, müßte die Stadt entweder Mittelpunkt eines eigenen, großen Territoriums werden — dazu sind aber die benachbarten Territorialherren, besonders der Erzbischof, zu mächtig—, oder Vorort eines Städtebundes — in der Hanse kommt Köln jedoch neben Lübeck nicht auf —, oder Köln muß zum Hauptorgan eines landesherrlichen Territoriums gemacht werden — aber keiner der umliegenden Fürsten hat die Macht und den Blick, die Stadt zu unterwerfen. So muß Köln angesichts des engen Kranzes mißgünstiger Landesfürsten, die es umgeben und lebhaft befehden (Abb. 7) eingehen. Schmoller schreibt: „Wer liest, daß die Stadt gegen 1400 oft jahrelang hunderte von Fehdebriefen erhielt, der wird sich fast wundern, daß ihre wirtschaftliche Blüte nicht schon früher verdorrte." Gleichzeitig schreitet der innere Verfall der Stadt immer weiter vor. Die Ritter und Geschlechter Kölns nehmen sogar Lehen von fremden Fürsten, und ihr Interesse wendet sich von der Stadt ab. Neben tüchtigen, aus dem Handwerkerstand emporsteigenden Geschlechtern besteht die Mehr-
DIE DEUTSCHE STADT IM MITTELALTER ALS LEBENSRAUM
zahl der letzteren aus b r u t a l e n Gewaltmenschen. EgoistischeKapitalsinteressen t r e t e n a n Stelle weitsichtiger, gerechter Politik. Die ganze Kölner Gesellschaft v o n den Geschlechtern bis z u m M i t t e l s t a n d der H a n d w e r k e r s t e h t in der Zeit v o n 1200 bis 1500 k o r p o r a t i v festgegliedert d a . Doch a r t e n diese K o r p o r a tionen in Klüngel- u n d Patronagewirtschaft aus, die n u r zu schlechter Stadtpolitik führen k a n n . D e r Sieg der Z ü n f t e 1396 h a t hieran z u n ä c h s t wohl einiges gebessert, a b e r
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Abb. 1. Köln im 15. Jahrhundert. Das durch Kreuzschraffur gekennzeichnete kleine Gebiet um die Stadt Köln herum ist das Gebiet der Reichsstadt. Auf allen Seiten wird es von zahlreichen, weit größeren landesherrlichen Territorien umgeben und besonders von dem des Erzbischofs (Erzbistum Cöln) umklammert. (Nach Droysen).
b a l d „ist die Verfassung wieder eine K l a s s e n h e r r s c h a f t weniger, meist reicher F a m i l i e n . " (Schmoller) D e r Kölner H a n d e l in L o n d o n geht infolge der U n r u h e n in der S t a d t w ä h r e n d des 15. J a h r h u n d e r t s ein, u n d v o n der neuen E n t wicklung des d e u t s c h e n H a n d e l s bleibt K ö l n z u n ä c h s t ausgeschalt e t . Von i h r e n einstigen K r ä f t e n ist nichts m e h r v o r h a n d e n . N e ben der wirtschaftlichen Mißgunst benachbarter S t a a t e n und der Einschließ u n g d u r c h sie w i r k t e in Köln vor allem innerer Zerfall auf den U n t e r g a n g der S t a d t hin. U l m ist ein Beispiel f ü r den Niedergang einer S t a d t infolge Verlegung des Handelsweges, der ihre B l ü t e h e r b e i g e f ü h r t h a t . Die ü b e r a u s günstige Verkehrslage Ulms, geht aus der K a r t e (Abb, 8) h e r v o r .
Abb. 8. Ulm im späteren Mittelalter. Die Strahlen geben die Handelsstraßen an, die sich in Ulm treffen. Das ausgedehnte eigene Landgebiet Ulms ist schraffiert.
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KONRAD F R E N Z E L
Kluge Verbindung des Flachsbaues der Umgebung mit der Baumwolleinfuhr von Venedig, die zur Entwicklung der Barchentweberei führte, bildete die Grundlage für Ulms Aufstieg. Mit der Entdeckung Amerikas und des Seewegs nach Indien erlischt der Baumwollhandel mit Venedig; Ulms Barchentweberei geht zugrunde; trotz energischer Versuche, die Wirtschaft umzustellen, verfällt die Blüte der Stadt. Nur weil Ulm ein günstiges, ausgedehntes lokales Wirtschaftsgebiet hat, bleibt es als gutgestellte Landstadt erhalten. Anders B a s e l . Seit dem 7. Jahrhundert ist Basel Bischofssitz. Bis ins 14. Jahrhundert erfolgt ein Anwachsen der Bevölkerung auf etwa 10—12000 Einwohner. Bis zum 13. Jahrhundert ist der Bischof der Hauptgrundbesitzer, danach gibt er das Land in der Hauptsache ab, und Stifter wie Geschlechter haben den Boden inne, die Handwerker jedoch sind fast ohne freies Eigen. Im 14. Jahrhundert beginnt die Rivalität mit Österreich (Abb. 9), Basel droht das Schicksal, österreichische Landstadt zu werden. Die Lage für die Stadt ist trostlos. Der geldbedürftige Bischof droht bei Nichterfüllung seiner Forderungen mit Verkauf seiner Rechte, die er in der Stadt innehat, an Österreich. Die österreichisch gesinnte Ministerialität, die Ritterschaft der Stadt, hat sich der besten Lehen
Habsburgische Erwerbungen 1282—1521.
Habsburgische Stammlande.
Bistum Basel im 14. Jahrh.
Abb. 9. Basels Existenzkampf gegen die Habsburger.
Nach Droysen.
Habsburg dringt nach Westen vor und kreist mit seinem Besitz Basel ein, das ohnehin in dem großen Bischöflichen Gebiet eine gefährliche Nachbarschaft besitzt.
DIE DEUTSCHE STADT IM MITTELALTER ALS LEBENSRAUM
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und Meierhöfe der Umgebung bemächtigt. Schließlich spaltet sich der Stadtadel, und seit 1400 zieht sich ein großer Teil der österreichischen Partei ganz aus der Stadt zurück. Ende des 15. Jahrhunderts ist die Ritterschaft fast ganz verschwunden. Österreich, im Bund mit dem von Haß gegen die Stadt erfüllten Adel der Umgebung, schnürt Basel erbarmungslos ein. Es zieht seine Zölle enger um die Stadt, mißachtet das Geleitsrecht, wehrt seinen Untertanen den Zuzug zur Stadt, legt seine Hand über Zinse und Güter von Baslern (A. Heusler). Durch kleine Erwerbungen sucht Basel dem Erstickungstod zu entgehen. Vergeblich! Nach Einführung des Zunftregimentes zu Beginn des 16. Jahrhunderts schwankt die Stadt zwischen der Einsicht von der Notwendigkeit des Ländererwerbs und der Angst vor Verwicklungen. Es unterliegt im Kampf zwischen Stadtselbständigkeit und Territorialentwicklung. Hier ist also gradezu soziale und wirtschaftliche Aushungerung und territoriale Abschnürung v o n a u ß e n h e r der Grund für den inneren Verfall der Stadt, die sich später erst durch die Lösung vom Reich und den Anschluß an die Eidgenossenschaft wieder erholt. Fassen wir als Ergebnis der Darlegungen zusammen: Man darf die mittelalterliche Stadt nicht als selbständigen Lebensraum auffassen. Sie steht in engster Beziehung zu ihrem Marktgebiet, und darüber hinaus besitzt sie ferne Handelsbeziehungen. Jede Störung des einen oder des anderen ihrer Ernährungsgebiete (im weitesten Sinne des Wortes) muß sich ungünstig bemerkbar machen, an jeder Entwicklung beider nimmt die Stadt teil. Als die allgemeine Entwicklung auf größere wirtschaftsgeographische Einheiten — den Territorialstaat — hinzielt, wird die mittelalterliche Stadt von diesem Vorgange aufs schwerste betroffen. Es ist die Zeit, in der die mittelalterliche Stadt als selbständige Form nicht mehr lebensfähig ist, sondern in der größeren Form des Territoriums als wichtiges, aber untergeordnetes Glied aufgehen muß. Da die Bürger der mittelalterlichen Stadt dieser Entwicklung nicht folgen wollen, ein Widerstand aber unmöglich ist, stirbt diese als Lebensform geradezu ab. Die Verfallserscheinungen, die sich bei ihren Bürgern zeigen, und die mit dem raschen Untergang der Städtefreiheit in Wechselbeziehung stehen, können nicht allein von dem Lebensraum der mittelalterlichen Stadt als einem festen Gebilde von immer gleicher Wesensart mit gleichbleibenden landschaftlichen Einflüssen abgeleitet werden. Denn der Lebensraum der Stadtlandschaft des Mittelalters hat ja selbst von außen her starke Beeinflussung erfahren. Es handelt sich hier um Verfallserscheinungen, die den Untergang des Gemeinwesens zwar beschleunigen, ihn aber nicht allein herbeiführen, die im Gegenteil durch den Untergang des letzteren verstärkt werden, so daß sie gleichzeitig als sekundäre Verfallserscheinungen in einer sterbenden Lebensform angesehen werden können.
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Spanische Stadtlandschaften. Von Otto J e s s e n . Weit mehr als das Land sind es die S t ä d t e Spaniens, welche alljährlich Tausende von Fremden nach der Pyrenäenhalbinsel locken. Ihre Hauptanziehungskraft beruht auf dem Reichtum an herrlichen Schätzen altspanischer Baukunst. Jede Stadt besitzt irgend ein architektonisches Kleinod, und manche sind so reich daran, daß sie Museen gleichen. Aber dann ist es auch die E i g e n a r t der spanischen Städte, welche die Fremden anzieht. Spanien, das nach Lage, Klima, Bodenbeschaffenheit eine Sonderstellung einnimmt, und dessen Bevölkerung nach Rasse, Geschichte, Kultur eine ausgeprägte Eigenart zeigt, besitzt auch hinsichtlich seiner Städte bemerkenswerte Eigentümlichkeiten. Im großen und ganzen gehört die spanische Stadt dem s ü d e u r o p ä i s c h e n Typ an und ihrem äußeren Gepräge nach erinnert sie am meisten an die südfranzösische und italienische Stadt. Der Mittellage Spaniens zwischen Europa und Afrika, Abendland und Morgenland und der Jahrhunderte langen Einwirkung von Süden her entsprechend, macht sich der o r i e n t a l i s c h e E i n f l u ß im Haus- und Städtebau sehr stark bemerkbar und darin liegt ein wesentlicher Unterschied gegenüber der italienischen Stadt. Der orientalische Einfluß wächst von Nord und Nordwest nach Süd und Südost. Der Norden und Nordwesten sind durchaus noch Europa, der Süden und Südosten nicht mehr Europa und noch nicht Afrika. So sind neben den vielen gemeinsamen Merkmalen der spanischen Stadtlandschaften doch auch große Unterschiede vorhanden. Zu dem eben erwähnten, geschichtlich und kulturgeschichtlich bedingten Gegensatz, der besonders stark hervortritt, kommen andere, welche durch die sehr verschiedene natürliche Ausstattung der einzelnen Teile Spaniens hervorgerufen werden. Spanien vereinigt auf engem Raum die verschiedensten Klimate und Landschaften und diese Gegensätze prägen sich zum Teil auch im Bild der Städte deutlich aus. Wir finden dort in Anpassung an das Klima alle Übergänge vom steilen Giebelhaus zum Plattdachhaus, von der breiten Avenida zum schmalen, nur 2—3 m breiten Straßenspalt. Städte, zu deren Bild Nebel und Regen gehört wie in England, und andere mit dem ewig strahlenden und lachenden Himmel des Südens. Der natürlichen Lage nach sind fast alle überhaupt möglichen Typen vertreten, von der lebhaften Hafenstadt auf
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OTTO JESSEN
flacher Küstenebene bis zur entlegenen Gebirgsstadt auf steiler Bergeshöh. Je nach dem Baumaterial sind Bauart und Farbe der Siedlung verschieden. Weicher, standfester Boden lockt in den regenarmen Gebieten zur Anlage von Höhlenwohnungen. Ganze Stadtviertel bestehen aus solchen Höhlen. Bezeichnend für die Trockengebiete sind auch die aus luftgetrockneten Lehmsteinen erbauten, weiß getünchten Häuser. In regen- und waldreichen Gegenden finden wir echte Fachwerkhäuser, auf dem baumarmen kastilischen Hochland dagegen Steinbauten mit möglichst geringer Verwendung von Holz. Die Farbe des Baumaterials beeinflußt den Gesamtcharakter der Stadt. Der harte, schwärzlich-graue, für architektonische Zierformen kaum verwendbare Granit, aus dem Avila erbaut ist, erhöht den finsteren, strengen Eindruck dieser echt mittelalterlichen Stadt. Der schöne rötliche Sandstein, aus dem die älteren Häuser von Salamanca bestehen, breitet über diese Stadt einen warmen, altgoldenen Ton. Hell und freundlich wirken die weiß und farbig getünchten Häuserzeilen andalusischer Straßen. Die spanischen Städte sind in der großen Mehrzahl sehr alt. Wir finden in Spanien Reste aus allen Zeitepochen und verschiedensten Kulturen. Das Zyklopenwerk der Mauern Tarragonas erinnert an den Städtebau der Keltiberer. In der Nähe der Küste legten Phönizier, Griechen, Punier den Grund zu manchen heute noch blühenden Siedelungen. Zahlreich sind die Siedelungen, welche in römischer Zeit als Verkehrs- oder Handelsstadt, in Anlehnung an ein römisches Castrum oder Standlager, entstanden sind. Reste gewaltiger Bauwerke sind aus der Zeit der Römerherrschaft bis heute erhalten geblieben. Auch die Vandalen, Sueven, Franken und Westgoten haben Spuren hinterlassen. Besonders nachhaltig aber war der E i n f l u ß d e r M a u r e n . Fast 800 Jahre lang stand der Süden Spaniens unter der Herrschaft morgenländischer Kultur. Auf Schritt und Tritt stößt man im Stadtbild auf Erinnerungen an diese Zeit. Orientalische Baugebräuche bürgerten sich in Spanien ein und blieben auch nach der Vertreibung der Mauren noch eine Zeitlang in Anwendung. J a , die abgewandelte Form des orientalischen Hauses hat sich in Süd- und Südostspanien, bis hinauf nach Neu-Kastilien, bis zum heutigen Tag erhalten. Auf die maurische Epoche im Städtebau folgte die c h r i s t l i c h - s p a n i sche. Da der Islam langsam von Norden nach Süden zurückgedrängt wurde, faßte die christlich-spanische Bauweise im Norden früher und leichter Fuß als im Süden. Im Süden wurde die festwurzelnde orientalische Uberlieferung nicht völlig beseitigt, sondern vielfach nur in ein anderes Gewand gekleidet: Moscheen wurden zu Kirchen; das nach außen streng abgeschlossene orientalische Haus wurde unter Beibehaltung des Grundplanes hispanisiert, indem es zur Straße hin geöffnet wurde und eine eigentliche Fassade mit Baikonen, schönen Portalen, Aufbauten usw. erhielt; die orientalischen Sackgassen wurden zum Teil in Durchgangs-
SPANISCHE STADTLANDSCHAFTEN
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Straßen verwandelt und innerhalb der engen Altstadt freie Plätze geschaffen. Die Zeit vom Ausgang des 14. bis zum 17. Jahrhundert war die architektonische Glanzzeit Spaniens. Es ist diejenige Epoche, welche die wundervollen großmächtigen Kathedralen, die Prachtbauten der Klöster, Burgen und Schlösser hervorbrachte, welche die von reichstem künstlerischem Können und Raumempfinden zeugenden Straßen- und Platzbilder schuf, kurz alle die Wunderwerke spanischer Baukunst von der Gotik bis zum Spätbarock, welche noch heute das Bild der Altstadt beherrschen und unsere Bewunderung hervorrufen. Es war die eigentlich s p a n i s c h e Periode des Städtebaues. Damals haben die Städte ihr einheitliches, echt spanisches Gepräge erhalten. Dann folgt bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine Zeit der Stagnation und des Verfalls, und später sehen wir, daß wieder fremde Einflüsse stärker eindringen. Wo neue Viertel der Altstadt angegliedert werden, entstehen langweilige Häuserblocks im Mietskasernenstil nach mitteleuropäischem Muster. Durch das malerische Gewirr der Altstadt werden langweilige, häufig viel zu breite Straßenzüge gelegt. Protzige Monumentalbauten von riesigen Dimensionen und mit süßlicher, verschnörkelter Fassade werden nach französischem Vorbild errichtet, und neuerdings hat. man in Madrid und Barcelona sogar mit dem Bau amerikanischer Hochhäuser begonnen. Alles Neuerungen, die zu dem überlieferten, vornehmen, schlichten, künstlerisch vollendeten altspanischen Stil wie die Faust aufs Auge passen. Im folgenden soll versucht werden, die typische spanische Stadtlandschaft zu schildern, indem die auffallendsten Merkmale, welche allen spanischen Städten gemeinsam und die deshalb als echt spanisch anzusprechen sind, hervorgehoben werden. Es wird aber doch notwendig sein, gelegentlich auf individuelle und regionale Verschiedenheiten hinzuweisen. Vorauszuschicken ist, daß es in Spanien nur zwei Städte gibt, die sich mit europäischen und amerikanischen Millionenstädten vergleichen lassen: M a d r i d und B a r c e l o n a , beide heute mit über 700000 Einwohnern und rasch wachsend. Die drittgrößte, Valencia, folgt erst in weitem Abstand, sie hat nur etwa ein Drittel so viel Einwohner. Alle Städte mit über 100000 Einwohnern, ausgenommen Madrid, gehören den in jeder Hinsicht begünstigten Randlandschaften an: Bilbao, Barcelona, Zaragoza, Valencia, Murcia, Málaga, Granada, Sevilla. Es sind teils Hafen- und Industriestädte, teils Vegastädte, wie Murcia und Granada. Die Großstädte liegen weit voneinander entfernt. Nirgends sehen wir, auch nicht in dem industriereicheren Norden und Nordosten, eine Häufung zu Großlandschaften städtischen Gepräges. Verhältnismäßig zahlreich sind die Städte mit 10—40000 Einwohnern. Es hängt das mit den besonderen Siedlungsverhältnissen des Landes zusammen. In Spanien überwiegt die geschlossene Siedlung über die Einzelsiedlung; es haben sich zahlreiche kleine Zentren von provinzieller
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OTTO J E S S E N
Bedeutung gebildet. Selbst in rein agrarischen Gegenden, wie Alt- und Neu-Kastilien, wohnt die Landwirtschaft treibende Bevölkerung vorzugsweise in geschlossenen Siedlungen, welche oft die Größe einer ansehnlichen Stadt von 10000, j a 20000 Einwohnern haben, aber im übrigen den Eindruck großer Dörfer machen. Das Vorherrschen geschlossener Siedelungen ist zum Teil eine Folge der Landesnatur. In den regenarmen oder periodisch regenarmen Teilen Spaniens ist der Mensch stärker als bei uns an die vereinzelten ausdauernden Wasserstellen gebunden. Auch zwangen die weiten, offenen Flächen des Hochlands zum Zusammenschluß, um sich in Kriegszeiten, gegen Ubergriffe des Adels und gegen Räuber zu schützen. Manche von diesen Siedlungen hat als lokaler Mittelpunkt einer der vielen natürlichen Bezirke, in welche Spanien zerfällt, oder als Provinzhauptstadt einige Bedeutung erlangt, aber heute zeigen diese Städte im allgemeinen ein sehr langsames Wachstum, j a , viele sind stationär oder gar im Rückgang begriffen. Gerade diese mittelgroßen, altertümlichen, weltfernen, verarmten und oft halb verfallenen Provinzstädte sind besonders reizvoll und stadtgeographisch interessant. Das Stadtbild und das Leben und Treiben zeigen echt spanisches Gepräge. Und so sollen sie auch hier mitbehandelt werden, obgleich sie eigentlich nicht als Stadtlandschaften sondern nur als Landschaftsteile anzusprechen sind. Wir betrachten zunächst L a g e , P e r i p h e r i e und P r o f i l der Stadt, dann das Bild, welches sie von oben bietet, und schließlich das Straßenbild mit seinem Leben und Treiben. Nähert man sich einer Stadt des k a s t i l i s c h e n H o c h l a n d e s , selbst von der Größe Madrids, so bemerkt man nicht, wie es bei uns der Fall ist, eine allmähliche Verdichtung der Bevölkerung, intensiveren Anbau, eine Häufung industrieller Anlagen, Villenvororte, Schlösser, Parks usw. Die Städte lösen sich nicht gegen die Peripherie hin allmählich auf, sondern haben meist einen geschlossenen Umriß. Viele werden noch von dem turmbewehrten Mauerring begrenzt. E s fehlt der grüne Kranz von Gärten, es fehlen Ausflugsorte u. dergl., die den Städter hinauslocken. Die Umgebung bietet zu wenig Reize, aber auch wo diese vorhanden sind, wird es dem Durchschnittsspanier nicht einfallen, einen Ausflug — etwa gar zu Fuß — ins Freie zu machen. Öde, kahle, baumarme Getreide- oder Weinbausteppe umgibt die Stadt und reicht bis vor ihre Tore. Von ferne betrachtet fügt sich die kastilische Stadt in F a r b e und P r o f i l ganz in das Landschaftsbild ein. Über dem gleichförmigen Häusermeer, dessen horizontale Profillinie die Form der Ebene wiederholt, erheben sich gebirgshaft großmächtige Kathedralen. Die Ruinen eines Castillos auf dem höchsten Punkt der Stadt erscheinen wie eine natürliche Felsbildung der Sierren des Hochlandes. Tagsüber, wenn die brütende Hitze über der Ebene lastet, verschwindet die graue, fahlfarbene Häusermasse fast ganz in der stauberfüllten Landschaft (Tafelbild 3). Aber gegen Abend, unter den schrägen Strahlen der Sonne, leuchtet sie gleich den
Stadtlandschaften
der
Erde.
Tafel
Abb. 1. Tunis. Blick von der Kasba nach Osten auf die H a u p t m o s c h e e über die Flachdächer hin. I m H i n t e r g r u n d die E u r o p ä e r s t a d t .
Abb. 2. D a s Schloß von Versailles m i t P a r k .
(18. J a h r h . )
1.
Tafel
2.
Stadtlandschaften
A b b . 3.
der
Aufn
D i e S t a d t l a n d s c h a f t des i b e r i s c h e n H o c h l a n d s ( J o r q u e r a a m J ü c a r , P r o v .
A b b . 4.
Die V e g a - S t a d t d e r m e d i t e r r a n e n K ü s t e n l a n d s c h a f t S p a n i e n s
Erde.
J1
-
Albacete).
A u f n . J . Bclda
(Elche).
SPANISCHE STADTLANDSCHAFTEN
33
Bergzügen in allen Farben, und tiefviolette Schatten lassen alle Einzelheiten in wundervoller Plastik hervortreten. Der entsagungsvoll-strenge, schwermütig-ernste, monumentale Ausdruck dieser kastilischen Städte entspricht der Stimmung der Landschaft und der Wesensart der Bewohner. Freundlicher und heiterer ist das Bild, das die S t ä d t e d e r R a n d l a n d s c h a f t e n bieten. Hier wirkt die Nähe des Meeres belebend, das Bodenrelief ist mannigfaltiger, die Vegetation üppiger, der Himmel strahlender und die Luft milder. Alte, vereinsamte Städtchen, die aus der Maurenzeit stammen, steigen terrassenförmig an den Hängen der Gebirge empor oder bedecken mit ihrer weißleuchtenden Häusermasse die Kuppe des Berges wie eine Schneekappe. Andere Städte lehnen sich an das Meer an. Cádiz ist fast rings vom Meer umgeben. Barcelona löst sich nach der Peripherie hin in Industrievororte mit rauchenden Schornsteinen und vielfensterigen Fabrikgebäuden und in Villenvororte und Gärten mit Einzelsiedelungen auf, und das Ganze wird von einem Kranz malerischer Berge eingefaßt. Die Vegastädte des Südens liegen inmitten üppig grüner Huertas (Tafelbild 4). Mit scharfer Grenze stößt das wüstenhaft kahle Ödland an das bewässerte Gartenland. Die Huerta ist dicht besiedelt. Dorfartige Siedlungen wechseln mit Einzelsiedlungen ab. Den Mittelpunkt der Oase aber bildet eine große Stadt, die um so größer zu sein pflegt, je ausgedehnter die berieselte Fläche ist. Scharf hebt sich die schneeweiße Stadt von dem dunklen Grün der Orangen- und Palmenhaine ab. Im Profil der Städte steigen, wie auf dem Hochland, die mächtigen Bauten der Kathedralen beherrschend über die Ebene der Dächer empor. Fabrikschornsteine sind, von einigen industriereicheren Orten abgesehen, selten und spielen im Stadtbild kaum eine Rolle. Selten fehlt aber auch hier der Burgberg mit dem Castillo oder dem Alcázar, der maurischen Palastburg. Betrachten wir jetzt die spanische Stadt im G r u n d r i ß . Wir betreten sie durch eines der turmbewehrten Tore, die manchmal noch aus der Maurenzeit stammen oder doch den Einfluß maurischer Bauweise erkennen lassen, und besteigen den Turm der Kathedrale oder den Burgberg. Das erste, was uns auffällt, ist das u n r e g e l m ä ß i g e G e w i r r der S t r a ß e n - u n d H ä u s e r b l o c k s in der Altstadt. Die spanischen Städte sind alt und fast alle regellos gewachsen. Nur ganz vereinzelt gibt es planmäßig durchgeführte Stadtanlagen aus früheren Jahrhunderten, wie z. B. Aranjuez. Weiter fällt der M a n g e l a n Grün im Stadtbild auf. Eng drängen sich die Häuser aneinander. Die Straßen sind schmal, besonders in den Städten mit maurischer Grundanlage. Nur hie und da sind kleine freie Plätze eingeschaltet. Die D ä c h e r sind flachgiebelig oder nur einseitig geneigt und fast stets mit den braunroten, sog. arabischen Hohlziegeln gedeckt. In den kleineren Städten Andalusiens, Murcias, Valencias ist das würfelförmige orientalische Plattdachhaus sehr häufig. Die von Mauerbrüstungen umgebenen Plattformen dienen als Wäschetrockenplatz u. 3
Stadtlandschaften.
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dergl., aber nicht mehr zum Aufenthalt in den Abendstunden und Nächten wie einst in maurischer Zeit. E i n Charakteristikum aller etwas größeren spanischen Städte ist die P l a z a d e T o r o s , der kreisförmige Stierkampfzirkus. E r liegt gewöhnlich nahe der Peripherie der Stadtlandschaft. Bezeichnend, besonders für die Huertastadt, ist auch das T r o c k e n b e t t e i n e s F l u s s e s , das sich durch die S t a d t oder an ihrem R a n d entlang zieht, und als Schuttabladeplatz, als Fahrweg oder Wäschetrockenplatz dient. Zum Stadtbild Madrids, vom F l u ß her gesehen, gehören die Wäscherinnen des Manzanares, die an dem meist recht kümmerlichen Gerinnsel fast die ganze Wäsche der Großstadt waschen und zum Trocknen ausbreiten. Vor 150 J a h r e n h a t Goya sie gemalt. I m Einzelnen ist das Bild, das die spanischen Städte von oben bieten, natürlich sehr verschieden. Als eine einförmige, rotbraune Masse hegt die kastilische S t a d t unter uns; hier und da wachsen die Prachtbauten der Kirchen und Klöster aus ihr empor. Weithin über das weiße Häusermeer Valencias leuchten die blauen und goldenen Azulejoskuppeln. Uber die platten Dächer von Cädiz erheben sich viele hundert turmartige Aufbauten, die miradores, von denen aus man den Blick auf das Meer genießt. An der Peripherie gibt es B a r a c k e n viertel, j a, gelegentlich sogar ganze Wohnviertel, welche unter der Erde angelegt sind, wie die bekannten Höhlenwohnungen der Zigeuner am Sacromonte bei Granada oder die Höhlensiedelungen in anderen Steppengebieten Spaniens. Die spanischen H ä f e n zeigen keine besonderen Merkmale, durch welche sie sich von anderen Mittelmeerhäfen wesentlich unterscheiden. Einige sehen aus wie westeuropäische Häfen (z. B . Barcelona, Grao von Valencia), und nur die Art der auf den K a i s aufgestapelten Frachtgüter (Südfrüchte, K o r k u. a.) und die F a r b e des Wassers und des Himmels verraten, daß wir uns am Mittelmeer befinden. Auch bei denjenigen Städten, welche über den alten Mauergürtel hinausgewachsen sind, ist die Ausdehnung der Altstadt noch deutlich zu erkennen, denn nirgends ist bisher der Grundplan der Altstadt durchgreifend verändert worden; höchstens, daß einzelne breite Straßenzüge hindurchgelegt sind. Wo sich neue Gürtel angeschlossen haben, sind diese fast stets nach dem Vorbild von Barcelona in nüchternster, kunstlosester Weise im Viereck- oder Achteckschema ausgeführt, mit großen, nicht bebauten Freiflächen im Innern der Häuserblocks. Aber sehen wir uns j e t z t das I n n e r e d e r S t a d t , ihre Straßen und Plätze näher an. Die meisten Städte, wenn auch keineswegs alle, machen einen altertümlichen, j a mitunter verfallenen, ruinenhaften Eindruck. Viele sind nur noch ein Schatten früherer Größe, eine Erinnerung an eine glanzvolle Vergangenheit. Ihre B l ü t e fällt in das 15. oder 16. Jahrhundert oder gar noch früher. Später sind sie entvölkert, verarmt, vereinsamt und heute sind sie tote Städte, überlebte Vorzeitzeugen. Herrliche Bauwerke sind
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verfallen, ganze Stadtteile in Trümmer gesunken. Vielmals ist der Mauerring viel zu weit geworden und an die Stelle verfallener Stadtteile sind mit der Zeit Gärten, Ackerland oder Ödland getreten. Auch der Z u s t a n d d e r S t r a ß e n ist oft noch ganz mittelalterlich. Pflasterung und Reinlichkeit lassen — abgesehen von den Hauptstraßen — vieles zu wünschen übrig. Es ist noch nicht allzulange her, daß es polizeilich gestattet war, zu gewissen Tageszeiten die Schmutzkübel aus dem Fenster auf die Straße zu entleeren. Es war vorgeschrieben, daß die Passanten dreimal durch den Ruf „Agua v a " oder „Guarda la cabeza" gewarnt werden mußten. 1 ) Diese echt morgenländische Mißachtung der Straße finden wir besonders noch in Andalusien. Dann gibt es aber in allen Städten gewisse Straßen und Plätze, die in musterhafter Verfassung sind. Wie in anderen Ländern des Südens bemerkt man einen auffallenden Gegensatz zwischen den der Geselligkeit dienenden Hauptstraßen und Plätzen, welche sauber gehalten und prächtig ausgeschmückt sind, und den verwahrlosten und vernachlässigten Wohnteilen der großen Masse. In den letzten 10 Jahren hat sich allerdings manches gebessert. Der G e s u n d h e i t s z u s t a n d in den spanischen Städten war, den hygienischen Verhältnissen entsprechend, bis vor kurzem erschreckend schlecht, und noch heute ist die Sterblichkeitsziffer, besonders im Süden, höher als in den meisten anderen europäischen Großstädten. 2 ) Das S t r a ß e n b i l d zeigt im Lande der Gegensätze große Mannigfaltigkeit. Eine Eigentümlichkeit der Straßen zahlreicher Städte des Nordens und Nordwestens, besonders Galiciens (z. B. La Coruna, Betanzos) sind die mit grellen Farben bemalten Fenstergalerien (miradores). In den weiträumig angelegten Steppenstädten Neukastiliens sind die Straßen von einer kaum zu übertreffenden Einförmigkeit und Öde. Andererseits sind die alten, traditionsreichen Städte Kastiliens reich an überaus anziehenden Straßenbildern. Den Zauber ihrer alten Straßen und Winkel im Bilde wiederzugeben hat unter den lebenden Malern Spaniens keiner so verstanden wie I g n a c i o Z u l o a g a . Die malerische Wirkung der spanischen Altstadtstraßen wird durch einfachste Mittel erreicht. Die F a s s a d e des altspanischen Hauses ist sehr schlicht. Bezeichnend für ganz Spanien sind die vergitterten Fenster und die Fenstertüren mit Baikonen in den oberen Stockwerken. Schön geschmiedete Gitter, wappengeschmückte Portale, fein geschnitzte Türen mit den fast nie fehlenden blank geputzten Türklopfern aus Messing bilden meist den einzigen, aber sehr wirkungsvollen Schmuck. Eine straffe Baudisziplin, ein feines Gefühl für die vornehme Wirkung einheitlich abgestimmter Architektur spricht aus diesem Straßenbild. Und ein vollendetes Kunstgefühl 1 ) O. J ü r g e n s , Spanische Städte. Ihre bauliche Entwicklung und Ausgestaltung. Hamb. Universität, Abh. aus d. Gebiet der Auslandskunde, Bd. 23. Hamburg 1926. S. 261. 2 ) O. J ü r g e n s , S. 298 f. 3*
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zeigt sich a u c h darin, wie die S t r a ß e n gef ü h r t sind u n d wie i n n e r h a l b des S t r a ßenbildes die archit e k t o n i s c h e n Glanzstücke, die K i r c h e n und Klosterbauten, die Adelspaläste u n d R a t h ä u s e r zur Wirk u n g g e b r a c h t sind. Dieser Sinn ist den Spaniern leider verloren gegangen. I n den Neustadtvier1000m teln v o n Barcelona u n d Madrid h ä u f e n Abb. 10. C o r d o b a . sich die greulichTeil der alten Maurenstadt mit dem kaum veränderten LabyGeschmacklorinth der engen Gassen und Sackgassen und der neu ange- sten sigkeiten. legten, 30 m breiten Durchbruchsstraße des Paseo del Gran Capitän. Jenseits des Paseo de Colon der Stierkampfzirkus.
Lebhafter, abwechslungsreicher, f a r b e n f r e u d i g e r als auf d e m kastilischen H o c h l a n d ist das S t r a ß e n b i l d in den südlichen u n d südöstlichen Landesteilen. Die H ä u s e r sind verschiedenfarbig g e t ü n c h t ; die S t r a ß e n in den a l t e n m a u r i s c h e n Vierteln sind noch vielfach Sackgassen (Abb. 10) u n d so eng, d a ß m a n einem b e l a d e n e n L a s t t i e r n u r d a d u r c h ausweichen k a n n , d a ß m a n sich in eine T ü r n i s c h e d r ü c k t . T ü c h e r u n d M a t t e n sind z u m Schutz gegen die Sonne ü b e r die S t r a ß e g e s p a n n t u n d ü b e r die p l a t t e n D ä c h e r neigen sich die K r o n e n der D a t t e l p a l m e n . E i n e n b e s o n d e r e n Reiz b i e t e t der Blick in d e n b l u m e n g e s c h m ü c k t e n P a t i o des H a u s i n n e r n . F a s t alle H ä u s e r der andalusischen S t ä d t e , a u c h die der ä r m e r e n B e v ö l k e r u n g , zeigen die a n das p o m p e j a n i s c h e A t r i u m H a u s erinnernde viereckförmige Anlage m i t d e m Hof in der Mitte, zu d e m alle Z i m m e r sich ö f f n e n , eine Bauweise, die so vorzüglich d e m K l i m a Süd- u n d S ü d o s t s p a n i e n s u n d d e n B e d ü r f n i s s e n der B e v ö l k e r u n g a n g e p a ß t ist, d a ß sie noch h e u t e allgemein üblich ist (Abb. 11). D e r P a t i o ist der H a u p t a u f e n t h a l t s r a u m der Familie u n d o f t p r ä c h t i g g e s c h m ü c k t . D e r B o d e n p f l e g t m i t M a r m o r p l a t t e n belegt, die W ä n d e m i t f a r b i g e n K a c h e l n (azulejos) bekleidet zu sein, in der Mitte p l ä t s c h e r t ein S p r i n g b r u n n e n u n d stehen B l u m e n u n d B l a t t g e w ä c h s e . Gegen die S t r a ß e ist der P a t i o d u r c h ein schönes schmiedeeisernes G i t t e r , das a b e r den D u r c h b l i c k g e s t a t t e t , abgeschlossen. Die d i r e k t e V e r b i n d u n g m i t der S t r a ß e d u r c h eine A r t Vorp l a t z h a t der P a t i o erst in n a c h m a u r i s c h e r Zeit e r h a l t e n , f r ü h e r w a r
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das Hausinnere nach Art der orientalischen Wohnsitte von der Außenwelt abgekehrt. In den ärmeren Stadtteilen ist der Patio bescheidener ausgestattet, aber doch auch in irgend einer Weise, durch Blumen, einige Pfeiler oder Steinbögen geziert. Eines der bezeichnendsten Merkmale der spanischen Städte, von der größten bis zur kleinsten, — übrigens auch der spanischen Kolonialstädte in Südamerika 1 ) — ist die P l a z a m a y o r , der Stadtplatz. Er bildet den Mittelpunkt des geselligen Verkehrs und eine Hauptzierde der Stadt. Mitunter hegen Abb. 11. M o d e r n e s a n d a l u s i s c h e s die Plazas neben den großen, wuch- S t a d t h a u s , nach dem Vorbild des altarabischen Hauses angelegt. Beispiel aus tigen Kathedralen, meist aber sind Sevilla (nach 0 . Jürgens), sie als Lichtungen mitten in das a. Wohnhof (Patio), quadratisch, mit Säulenenge Gewirre der Altstadt ge- gängen; auf drei Seiten die Wohnräum, in brochen. Viele stammen noch aus der Mitte ein Zierbrunnen, b. Wirtschaftshof. gotischer Zeit, doch haben die c. Stallhof der casa de campo, d. h. des Stallund Bedientenflügels. meisten erst in der Renaissance ihre bauliche Ausgestaltung und heutige Form erhalten. Besonders reich und prunkhaft sind die aus der Barockzeit. In ihrer streng geometrischen, meist rechteckigen Form und allseitigen Geschlossenheit, mit dem Rathaus auf der einen Seite, das aus der geschlossenen, gleichmäßig behandelten Häuserwand als beherrschender Bau hervortritt, und mit den oft rings herum führenden Arkaden, den zahlreichen Baikonen und Loggien, gleichen diese — gewöhnlich nicht großen — Plätze einem Fest- und Zuschauerraum unter freiem Himmel, einer rechteckig angelegten Arena. Und in der Tat waren sie früher für feierliche Aufzüge und öffentliche Schaustellungen, wie Turniere, Autodafes, Stierkämpfe, glänzende Empfänge usw. bestimmt. 2 ) Selbst an den Kirchen waren Loggien für die Zuschauer angebracht. Heute dient die Plaza allgemein als Marktplatz und als Sammelplatz der männlichen Bevölkerung in den Abendstunden; nur in kleinen, entlegenen Städten hält man dort noch die Corridas ab, denn jede etwas größere besitzt dafür ein besonderes Gebäude. In den Großstädten ist die Plaza häufig zum Zierplatz geworden, mit Baumreihen, Steinbänken, Brunnenschalen, Musiktempeln, Denkmälern usw., meist nicht zum Vorteil des Platzbildes. *) W. D r a s c h e r , Südamerikanische Städte. Mitt. Geogr. Ges. Hamburg, Bd. 39, S. 69. 2 ) 0 . J ü r g e n s , S. 3,
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Ein weiterer, niemals fehlender Bestandteil der spanischen Städte ist der P a s e o , die Promenadenstraße, der spanische Boulevard, den wir ja auch in Südamerika finden. Ohne ihn ist die spanische Stadt gar nicht zu denken, denn der spätnachmittägliche Spaziergang und die Spazierfahrt der vornehmen Welt in eleganten Wagen und Autos gehören zu den festeingewurzelten Gewohnheiten des Spaniers; sie bilden den Höhepunkt des Tages. Sobald es draußen etwas kühler wird, drängt alles aus den dumpfen Wohnungen hinaus ins Freie und stundenlang schieben sich die Menschenmassen in gemächlichem Tempo auf dem Paseo auf und ab. Auch die ärmste, ödeste Stadt hat ihren Paseo, den sie ausschmückt, so gut es geht, und auf den sie stolz ist. In den Großstädten sind die Paseos breite, gepflegte, von prunkvollen öffentlichen Gebäuden eingefaßte Monumentalstraßen. Der Paseo de Gracia in Barcelona ist 60 m breit und in 7 Streifen zerlegt. Der neuangelegte Paseo del Parque in Málaga hat sogar eine mittlere Breite von 100 m. Als Alleenbäume verwendet man auf dem Hochland hauptsächlich Rüstern und Schwarzulmen, auch Schwarzpappeln, spanisch Alamo, wonach früher Alleen allgemein als „Alamedas" bezeichnet wurden, Akazien u. a. An den Küsten dienen Platanen, Eukalypten, Götterbäume u. a. als Schattenbäume und die Dattelpalme findet sich vom Paseo de Colón in Barcelona bis zum Paseo del Parque in Málaga. Alle Bäume, sowohl auf dem Hochland wie in dem trockenen Süden und Südosten, und natürlich auch die herrlichen Parks in Sevilla, Cádiz usw. müssen in der Trockenzeit künstlich bewässert werden. Wie der bauliche Charakter, so hat auch das Leben und T r e i b e n in den spanischen Städten seine besondere Note, wenn sich auch große Gegensätze zeigen, je nachdem wir uns etwa in Barcelona, Madrid oder Sevilla befinden. Mit unseren betriebsamen, von hastendem Leben erfüllten Großstädten läßt sich eigentlich nur Barcelona vergleichen. Eine deutliche Gliederung in Wohn-, Geschäfts- und Industriebezirke hat sich bisher nirgends vollzogen.1) Madrid und Barcelona sind die einzigen Städte, in denen sich eine City herauszubilden beginnt. Die Maschinenkultur hat die spanische Stadt noch nicht erobert. Es fehlen die unzufriedenen, verbitterten Arbeitermassen, es fehlt das rücksichtslose Jagen und Hasten unserer Großstädte. Das Leben bewegt sich in einem viel langsameren Tempo. Der Spanier hat Zeit, er ist auch auf der Straße höflich und hilfsbereit, und wenn einer vorbeihastet und ihn anrempelt, so ist es gewiß ein Fremder. Die Straße spielt in Spanien wie in Südfrankreich und Italien eine andere Rolle als bei uns und im Orient. Bei uns ist sie im wesentlichen nur ein Verkehrsweg. Der Mittelpunkt des Lebens ist bei uns das Haus. „My house is my Castle" sagt der Engländer, und einer nach außen abgeschlossenen Festung gleicht auch das Wohnhaus des Orientalen. In Spanien spielt sich das Leben viel mehr auf der Straße ab. Der Spanier ist daher auch viel geselliger. Man sitzt zusammen auf ') O. J ü r g e n s , S. 5.
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der Straße, vor den Häusern, vor den Cafes und Casinos oder in den zur Straße sich öffnenden Patios. Man promeniert stundenlang auf dem Paseo oder versammelt sich auf der Plaza. Die Straßen haben nicht das Freud- und Friedlose unserer Großstadtstraßen. Das Straßenbild ist ruhiger, vornehmer, harmonischer. Die Reklame ist nicht so schreiend, sie erdrückt nicht die Straße. Es fehlt die buntscheckige Modenschau, denn Männer und Frauen kleiden sich im allgemeinen dunkel, gewöhnlich schwarz. Auf gute, unauffällige Kleidung, besonders gutes, sauberes Schuhzeug wird großer Wert gelegt. In der Reklame, in der Mode, im Benehmen prägt sich ein feines Empfinden für Anstand und Schicklichkeit aus. Die Frau tritt im Bild der Straße viel stärker zurück als bei uns, sie lebt viel zurückgezogener, sie wird kaum jemals allein, ohne Begleitung der Mutter, der Freundin oder des Dienstmädchens ausgehen. Eine radfahrende Frau wäre in Sevilla oder Madrid ganz undenkbar, sie würde zum Gespött der Stadt. Auch im F e s t g e w ä n d e wirkt die spanische Stadt vornehmer, ruhiger, einheitlicher. Fahnen und Wimpel sieht man selten. Man schmückt die Fenster und Balkone in einheitlicher Weise mit kostbaren Bild- oder Wappenteppichen und Tüchern in den Landesfarben. Das Leben der Großstadt hat einen a n d e r e n R h y t h m u s als bei uns. Es erwacht erst spät am Vormittag und hat von 11 bis 12 Uhr seinen ersten Höhepunkt. Während der heißen Nachmittagstunden, bis gegen 5 Uhr, ruht es fast vollkommen. Dann erst beginnt der Hauptverkehr. Die Läden sind bis 10 oder 11 Uhr nachts geöffnet und bis in die frühen Morgenstunden sind die Straßen von Leben erfüllt. Kinder spielen noch um Mitternacht auf den Straßen. Unter den bezeichnenden Einzelheiten des Straßenbildes seien hervorgehoben: die schwarz verschleierten, zur Morgenmesse gehenden Frauen, die Schuhputzer, Zeitungs- und Losverkäufer, Bettler, Orgeldreher, die Aguadores (Wassjerverkäufer), die Zivilgardisten mit ihrer kleidsamen, noch von der napoleonischen Zeit her erhaltenen Uniform, Landbewohner in ihren Trachten, von der Corrida heimkehrende, mit prächtigen Mantillen und gestickten Tüchern geschmückte Frauen in eleganten Equipagen, lastentragende Esel, zweirädrige Plankarren, die von 4—5 bunt geschirrten Maultieren gezogen werden, lärmende Fordautomobile und farbenprächtige Riesenplakate der Stierkämpfe. So trägt die spanische Stadtlandschaft, sowohl in ihrem baulichen Charakter als in dem Leben und Treiben, das sie erfüllt, ganz das Gepräge spanischer Eigenart. Wie der Spanier selbst noch nicht vom Strudel europäisch-nordamerikanischer Maschinenkultur erfaßt ist, so sind auch der Reiz und die Eigenart seiner Städte noch nicht dem nivellierenden Allerweltsstil dieser Kultur zum Opfer gefallen. Der fremde Einfluß ist allerdings immer mehr im Vordringen, und der Spanier ist stolz auf die „Europäisierung", von der er die Wiedergeburt seines Landes erwartet.
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N u r wenige S p a n i e r g i b t es, w e l c h e die G e f a h r e n einer solchen k u l t u r e l l e n Ü b e r f r e m d u n g e r k e n n e n u n d die sich k l a r d a r ü b e r sind, d a ß eine w i r k l i c h e G e s u n d u n g n u r eine E r n e u e r u n g b r i n g e n k a n n , die d e m eigenen V o l k u n d seiner k u l t u r e l l e n Ü b e r l i e f e r u n g e n t s p r i n g t . M a n m ö c h t e w ü n s c h e n , d a ß bei d e m U m b a u u n d A u s b a u d e r S t ä d t e m e h r als b i s h e r a u s d e r eigenen T r a d i t i o n g e s c h ö p f t w i r d , d e n n die „ E u r o p ä i s i e r u n g " h a t s c h o n j e t z t d a s Bild m a n c h e r s p a n i s c h e n S t a d t s e h r z u m N a c h t e i l v e r ä n d e r t . A l t e s u n d N e u e s s t e h e n sich o h n e i n n e r e B e z i e h u n g u n d i n u n a u s g e g l i c h e n e m Gegensatz gegenüber. Vom künstlerischen S t a n d p u n k t möchte m a n hoffen, d a ß einige S t ä d t e g a n z so e r h a l t e n b l i e b e n , wie sie sind. E s w ä r e n i c h t n u r f ü r S p a n i e n , s o n d e r n die g a n z e M e n s c h h e i t ein u n e r s e t z l i c h e r V e r l u s t , w e n n a u c h a l t e h r w ü r d i g e S t ä d t e wie T o l e d o , die v o n Poesie u n d ges c h i c h t l i c h e n E r i n n e r u n g e n d u r c h t r ä n k t u n d w a h r e M u s e e n voll architektonischer Schätze sind, einstmals der Modernisierung z u m Opfer fallen würden.
Russische Stadtlandschaften. Von A r v e d S c h u l t z „Stillosigkeit, meistens durch schöne Lage gemildert" — ein anderes Urteil kann der westeuropäische Reisende über die russischen Städte nicht fällen. Wallace, der in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Rußland reiste und die Verdrängung des alten hölzernen Blockhauses durch neuzeitliche Backsteinbauten schon sah, meinte: „Wer die Illusionen genießen will, die von Bühnendekorationen hervorgebracht werden, soll sich nie hinter die Kulissen begeben; ebenso sollte derjenige, der den Wahn behalten will, daß russische Städte malerisch seien, sie nie betreten, sondern sich damit begnügen, sie aus einiger Entfernung zu betrachten". Der dörfliche Charakter der meisten Städte ist nun seit den 70er Jahren und besonders mit dem Aufschwung der Industrie während der Jahrhundertwende, infolge der Witteschen Politik, stark zurückgetreten und kennzeichnet nur noch die Peripherie der Klein- und Mittelstadt. In kulturfeindlichen Gegenden Nordrußlands und Sibiriens ist die Dorfstadt natürlich noch vorherrschend. Auch der westeuropäische Hausstil ist noch nicht überall eingedrungen, und gerade dieses Nebeneinander osteuropäischer Dorfhäuser und westeuropäischer Mietshäuser, Prunkbauten, Villen ruft die Stillosigkeit der russischen Stadt hervor. Darüber ist sich auch der gebildete Russe bewußt, aber die Ursachen entschuldigen ihm diesen Zustand, um so mehr als er sich dem Volkscharakter anpaßt. Und die schöne Lage der meisten Städte kann tatsächlich oft das häßliche Innere entschädigen. Auch die Gleichartigkeit der russischen Städte ist bekannt. In einem sehr verbreiteten Führer durch Rußland liest man: „Abgesehen von den großen Provinzstädten, Kiew, Odessa, die in der Erweiterung ihrer ganzen Anlage, in der geschmackvollen Ausführung ihrer Gebäude, der eleganten, oft prunkvollen Ausstattung der Läden, Cafes, Gast- und Speisehäuser den Hauptstädten nacheifern, tragen die Städte dritten und vierten Ranges ein mehr oder weniger gleichmäßiges Gepräge, das namentlich dem an die Mannigfaltigkeit der Städte seines Vaterlandes gewohnten Deutschen auffällt. Folgendes kann man etwa als typisch für eine russische Provinzstadt ansehen. An der äußeren Peripherie der Stadt liegen Vorstädte, die einen dörflichen Charakter haben. Die Häuser sind alle aus Holz. Im Innern der Stadt befindet sich gewöhnlich eine Hauptstraße, die von mehreren Querstraßen gekreuzt wird. An öffentlichen Gebäuden findet man die Häuser der
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Sowjets, das Gerichtsgebäude, das Gebäude der Stadtverwaltung, das Theater, mehrere Mittelschulen und vielfach ein kleines Museum. Dazu ein Krankenhaus, große viereckige Kasernen und eine Anzahl Kirchen". Die Städte Kaukasiens und Turkestans haben in den alten, Eingeborenenstadtteilen natürlich ihren besonderen orientalischen Charakter. Die Städte Sibiriens sind wiederum russische Städte mit wenigen Abweichungen, die das örtliche Element mit sich bringt. Aber auch sonst tritt manches mit Land und Volk verknüpfte Eigenartige in den russischen Stadtlandschaften entgegen. Wichtig ist dabei folgendes. Die Kleinstadt ist mehr oder weniger Dorfstadt, daher in ihrem Äußeren dorfähnlich und zeigt am meisten Originelles, wovon in der Mittel- und Großstadt wenig erhalten ist. Diese sind mehr oder weniger von europäischem Gepräge mit dem gewissen typisch russischen Anstrich und zeigen kaum irgend eine Abhängigkeit von den natürlichen Bedingungen. Ein allgemeiner Ausgleich des Stadtbildes nimmt immer mehr und mehr zu. Und endlich ist zu beachten, daß in dem Ackerbaustaat, der die Sowjetunion ist, nur 17% der Gesamtbevölkerung (147 Millionen) in Städten lebt. Die Union hat, nach der Zählung von 1926, 30 Städte mit über 100000 Einwohnern, und die Zahl dieser Großstädte nimmt beständig zu. Es gab 1896 erst 14 Großstädte und einige der heutigen, Stalinsk, früher Jusowka in der Ukraine, und Nowosibirsk, früher Nowonikolajew, in Westsibirien, bestanden damals überhaupt noch nicht. Daß sich einzelne Industriestädte, wie Swerdlowsk, früher Jekaterinburg im Ural, oder IwanowoWosnessensk im zentralrussischen Industriegebiet, besonders rasch entwickelt haben, ist verständlich, aber die Tatsache, daß nur zwei Städte, Moskau und Leningrad, Millionenstädte sind, und nur vier Städte an die halbe Million langsam herankommen, kennzeichnet wieder das Agrarland. Die Zahl von 17% städtischer Bevölkerung sinkt aber noch stark herunter, wenn man all die kleinen Dorfstädte fortläßt und nur die mit über 20000 Bewohnern berücksichtigt. Dann ergibt sich ein ganz charakteristisches Bild, in dem sich die großen Wirtschaftszonen der Union widerspiegeln. Denn 10—20% Stadtbevölkerung haben nur das europäische Rußland bis zu den nördlichen Nadelwaldlandschaften, also etwa bis 60° n. Br. hin, und ohne die Kaspiniederung, sowie die Turkestanischen Oasenlandschaften. Also ein Prozentsatz, wie etwa in Spanien, Italien, Skandinavien, den Donauländern, dem Balkan. Die nördlichen Waldlandschaften und Kaukasien haben unter 10% Stadtbevölkerung, ebenso die westsibirische Kulturzone und die schmale, inselförmige mittel- und ostsibirische Kulturzone längs der Sibirischen Bahn. In allen übrigen, kulturfeindlichen Landschaften, die durch den sibirischen Anteil den größten Raum in der Sowjetunion einnehmen, gibt es nur wenige Dorfstädte. Ein entsprechendes Bild zeigen die Dichtekarten der Gesamtbevölkerung im Reiche. Die Bedeutung der Städte für das Leben der Bevölkerung und des Staates ist erst seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts durch den indu-
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striellen Aufschwung wirklich nennenswert geworden, und seit der Herrschaft der Sowjets ist deren Macht noch mehr gestiegen. Der Gegensatz zwischen Stadt und Land ist ja bekannt. Die besten Bedingungen für die ersten festen Siedelungen der historischen Zeit bot der Wald, denn die Steppe wurde jahrhundertelang von unsteten, meistens kriegerischen Nomaden durchschwärmt. In den Lichtungen an Flußläufen, den natürlichen Verkehrswegen, begann die Seßhaftigkeit der Slawen, hier bildeten sich die einfachsten Wirtschaftsverbände der Familie, der Sippe, des Stammes heraus, aus denen sich später staatliches Leben entwickelte. Die Flüsse führten dann die Normannen von Norden her zum Dnjepr und nach Byzanz und an dieser großen Handelsstraße entstanden die ältesten Städte, Nowgorod, Polozk, Smolensk, Kiew u. a., die im 10—11. Jahrhundert unter dem militärischen Schutz der Normannen politische Zentren größerer Landesteile wurden. Es waren Palisadenstädte mit kleinen Blockhäusern, was auch der russische Name für Stadt „Gorod", „Grad", d. h. „Wehr" besagt. Kiew, am Südrande der Waldlandschaften gelegen, war der südlichste große Verkehrsknotenpunkt auf dem Wege nach Byzanz und erlangte dadurch rasch eine Vormachtstellung. Neben den Hauptverkehrsadern entwickelten sich allmählich zahlreiche Nebenwege, an denen ebenfalls Stützpunkte zu Städten wurden. Ein Bürgertum in westeuropäischem Sinne ist bekanntlich in den russischen Städten nicht entstanden. Die städtische Aristokratie der ältesten Zeit waren die Krieger des Fürsten. Kaufleute und Handwerker bildeten einen zweiten Stand, denen der der Bauern gegenüberstand. Im 12. und 13. Jahrhundert wuchs die Stellung der Städte in den Waldlandschaften. Byzanz verlor seine Bedeutung und zog damit die südrussischen Städte in Mitleidenschaft. Die türkischen Nomaden drangen in die Grenzmarken (Ukraine) ein, ihnen folgten in der Mitte des 13. Jahrhunderts die Mongolen, zerstörten die Städte oder hemmten zum mindesten deren wirtschaftliche Entwicklung. Auch die des Waldes litten unter diesen Verhältnissen, wurden aber durch den Gewinn neuer Rohstoffgebiete durch die nach Osten fortschreitende Kolonisation, oder durch bessere Absatzgebiete im Westen, teilweise mit Vermittelung der Hanse, entschädigt. Es bildeten sich die berühmten Handelsrepubliken, zuerst die von Nowgorod, dann Pskow und Wjatka, mit ihren Filialen bis nach Sibirien hinein. Auch in Moskau entwickelte sich ein blühender Handel, und die zentrale Lage ermöglichte es, daß sich hier die einzelnen Fürstentümer scharten, von hier aus die wichtigsten Verkehrsstraßen, Absatz- sowie Rohstoffgebiete zu beherrschen begannen und bald alle anderen Handelsstaaten überflügelten. Moskau wurde Handelszentrum von ganz Osteuropa und Mittelpunkt des sich immer mehr und mehr erweiternden Moskowitischen Reiches, das dann, in den nächsten Jahrhunderten, in seine heutigen Grenzen hineinwuchs. Die Bedingungen für die Auswahl des Ortes der alten Stadtgründungen waren immer die gleichen. Kreuzungsstellen der Handelswege, Punkte,
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an denen die Boote der Kaufleute sich zu kleinen Flotten zusammentaten, um von Feinden bedrohte Stellen befahren zu können, oder um Stromschnellen, wie z. B. die des Dnjepr, zu umgehen. Der Binnenhandel erforderte weiter Stapelplätze, in denen sich die Kaufleute ansiedelten. Alle diese städtischen Siedelungen waren zunächst nur Gruppen von Blockhäusern, die während der Jahrmärkte besucht wurden, bald aber ständig bewohnt und befestigt waren. Die Kaufleute verteidigten ihre Waren, wurden Krieger, und erhielten dadurch auch ein Ubergewicht gegenüber den Bauern. Die Städte wurden Mittelpunkte der einzelnen Stämme, oft Stammsitze der Fürsten. Schon in der frühesten, normannischen, Periode gab es eine Reihe von Städten, vorwiegend in den Waldlandschaften, wie Nowgorod, Ladoga, Bjelosero, Murom, Rostow, Polozk, Smolensk, Ljubetsch, Tschernigow, Kiew7 u. a., von denen viele in der späteren Geschichte des Landes eine bedeutende Rolle gespielt haben. Die Unterjochung der eingeborenen finnischen Völker erforderte weiter feste Plätze und Stützpunkte, „Gorodischtsche", die auch öfters zu Städten wurden. Der Grundriß der ältesten Städte wurde mit deren Wachstum ein recht verwickelter. Die Handelswelt siedelte in besonderen Stadtteilen, deren daraufhindeutende Namen noch vielfach erhalten sind. Steinerne Mauern und Mauertürme besaßen aber nur wenige mittelalterliche Städte, wie Moskau, Pskow, Smolensk. Meistens umschloß sie nur ein doppelter Palisadenzaun, mit Steinen ausgefüllt, selten mit steinernen Tortürmen. Auch die zahlreichen Kirchen waren größtenteils aus Holz. Feuersbrünste richteten ständig furchtbare Verheerungen an. Im Jahre 1547 brannte z. B. fast ganz Moskau nieder. Keller in den Höfen dienten daher zur Aufbewahrung wertvollen Guts. Die Straßen hatten ein Pflaster aus halbrunden Balken, über die Kies geschüttet war. Noch im 17. Jahrhundert zeigte die russische Stadt ein ganz anderes Bild als die westeuropäische. Nur Moskau machte hierin eine Ausnahme und einzelne Innenteile der Altstädte. Die übrigen bildeten einen unregelmäßigen Haufen weiter Höfe mit einzelnen Blockhäusern darin, die sich um die von Mauern oder Palisaden eingeschlossene Festung, „Gorod", herumzogen. Im „Gorod" lagen die Verwaltungsgebäude und Hauptkirchen. Die Wohnstätte der Bürger außerhalb der Festung war der „Possad", mit seinem Marktplatz, Rathaus, Staatsschenke und anderen öffentlichen Gebäuden. Der Hof des einzelnen Bürgers beherbergte das heizbare Winterwohnhaus, die „Isba", das gewöhnlich zweistöckige Sommerwohnhaus, Wirtschaftsgebäude, Keller, Badestube. Rings um die Stadt dehnten sich die Vorstädte, „Sloboda", aus, die zunächst von den Leibeigenen der großen Klöster oder reichen Bojaren oder Strelitzen bewohnt und steuerfrei waren. So war der Grundriß der heutigen Stadt an und für sich schon vorhanden. Aber während der Zeiten der Unruhen im 17. Jahrhundert wurden die
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meisten Städte, wie im Süden während der Türken- und Mongoleneinfälle, erneut zerstört. Der letzte Abschnitt in der Entwicklung der Städte begann im 18. Jahrhundert mit den Reformen Peters des Großen. Die westeuropäischen steinernen Bauten der Regierungsgebäude und Paläste in den Residenzen und großen Städten nahmen entsprechend dem Wachstum derselben mehr und mehr zu. Geradlinige, sich rechtwinkelig schneidende Straßenzüge kennzeichneten die Vororte der älteren, den Gesamtplan der jüngeren Städte. Die Industrie brachte am Ende des 19. Jahrhunderts die trostlosen Kasernenviertel in die Stadt, um die herbeiströmenden Arbeitermassen aufnehmen zu können. Es entwickelten sich die einzelnen wirtschaftlichen Stadttypen, und als Dokument historischer Vergangenheit blieb in ihr der Kreml oder Anlagen, die den ursprünglichen Kreml verraten. Im Ganzen eben das stillose, recht unschöne Bild der russischen Stadt.
Die Städte des Nordens. Der Pelzreichtum der nördlichen Waldlandschaften hatte hier schon vor dem 10. Jahrhundert, noch vor der Zeit der Kolonisation durch die Nowgoroder, Handelszentren zwischen der finnischen Urbevölkerung entstehen lassen, in denen einerseits skandinavische, andererseits besonders persische Kaufleute zusammentrafen. Im 11. Jahrhundert waren Normannen vom Eismeer her in diese Landschaften vorgedrungen, um die hergebrachten orientalischen und indischen Waren in Empfang zu nehmen. Etwa bis zum 15. Jahrhundert ging dann ein reger Handelsverkehr zwischen der großen Handelsmetropole Nowgorod und Skandinavien, Persien, Indien vor sich. Auch Sibirien wurde in diesen Handel mit einbezogen. Die Flüsse boten, wie heute noch, ausgezeichnete Verkehrswege, und die kleinen, leichten Boote der Händler konnten bequem von einem Oberlauf zum anderen über die sog. „Woloks" hinübergezogen werden. Eine ganze Reihe von Handelsplätzen wie C h o l m o g o r y , S o l j W y t s c h e g o d s k a j a , T s c h e r d y n , das heutige T o r g o w i s c h t s c h e , u. a. gehörten hier zu den ältesten festen Siedlungen der Russen. Durch die Entdeckung des Seeweges nach Indien verlor die Orient-Osteuropa Route, d. h. die Wolga-Petschora-Route, allmählich ihre Bedeutung, und auf die einst berühmten Zobelmärkte jener Orte weisen nur noch Überlieferungen hin. Aber viele dieser alten Handelszentren des Nordens sind infolge ihrer günstigen Verkehrslage als kleine Kolonialsiedlungen, allerdings von nur dörflichem Charakter, erhalten. So W e l i k i U s t j ü g , C h o l m o g o r y u. a. Orte, denen die Straßenanlage und das zweistöckige nordische russische Bauernhaus das Gepräge gibt.
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Als die Nowgoroder den Handel gewaltsam an sich rissen, hörte der frühere freie Handelsverkehr auf. Zahlreiche Orte wurden nunmehr neu gegründet, auch an der Küste, da neben dem Pelzhandel nun auch die Fischerei Bedeutung erlangte. Normannen, Nowgoroder, vom 15. Jahrhundert an auch Moskowiter, drangen immer weiter in die entlegenen Wald- und Tundrenlandschaften vor und verdrängten die alte Urbevölkerung, die sich heute nur noch in den Kareliern, Syrjanen und einigen kleineren Volksresten erhalten hat. Den Typ der kleinen nordischen Dorfstadt zeigt gut C h o l m o g o r y , ein Dorf mit etwa 1000 Einwohnern. Am Flusse zieht sich eine lange Straße hin, von ein- und zweistöckigen Blockhäusern begleitet. Wiesen, Sümpfe dringen in die Stadt herein, auf der Straße weidet Vieh. Einige Orte haben sich etwas mehr entwickelt, besonders die Küstenplätze, wie Onega, Mesen, Kern, in denen schon mehrere Straßenzüge und größere Häuser von provinziellem Charakter erscheinen, aber als wirkliche Stadt ist nur A r c h a n g e l s k zu bezeichnen. Mit seinen 73000 Einwohnern, massiven Bauten im Zentrum, ist es eine recht bedeutende Hafenstadt, die im 16. Jahrhundert hier an der Mündung der Dwina errichtet worden ist. In ihrer Anlage zeigt sie aber das Dorf: eine lange Straße zieht sich 7 km lang hin, und die ganze Stadt ist etwa nur 1/2 km breit. Und gleich hinter den letzten niedrigen Holzhütten beginnt die Tundra. Da der Ausgang aus dem Weißen Meer leicht von Eis blockiert ist, hat sich an der Murmanküste der Kolahalbinsel der neue, erst 1915 entstandene, eisfreie Hafen M u r m a n s k , zu dem die neue Murmanbahn hinführt, schon zu einer Stadt von fast 9000 Einwohnern entwickelt. In den mehr südlich gelegenen Waldlandschaften, in denen schon Ackerbau möglich ist, entstanden natürlich mehr und größere Städte, zunächst natürlich ebenfalls nur Yerkehrsstützpunkte der Nowgoroder oder Moskowiter. W e l i k i U s t j ü g , W o l o g d a , P e t r o s a w o d s k , die heutige Hauptstadt der Karelischen Republik, sind Beispiele hierfür. W o l o g d a ist bereits „Kremlstadt", heute mit 58000 Einwohnern, war schon im 12. Jahrhundert, angeblich gleichzeitig mit Moskau gegründet, und bildete für die Handelsrepublik Nowgorod eine starke Konkurrenz. Dieser Stadttyp, mit dem Kreml, zu dem von allen Seiten die Hauptstraßen heranziehen, ist der alte russische Stadttyp, der in den zentralen Waldlandschaften am verbreitetsten ist. Auch W e l i k i U s t j ü g , ein Stützpunkt der Nowgoroder aus dem 10. Jahrhundert, im 15. Jahrhundert eine der reichsten Städte Rußlands, hat das Aussehen dieser alten, historischen Städte bewahrt, trotzdem sie im 16. Jahrhundert von den Tataren bestürmt wurde. Ein Typ für sich, der hier als westeuropäischer bezeichnet werden soll, ist natürlich L e n i n g r a d . Mit 1,6 Millionen Einwohnern, die bedeutendste Stadt nach Moskau, als Kulturzentrum diesem den Rang streitig machend. Die frühere Residenzstadt ist eine Deltasiedlung von gewaltigem Ausmaß und fast ganz westeuropäischem Aussehen. Der Hafen ist
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der größte des Reiches. Das Bild einer modernen Großstadt wird durch die geradlinigen Straßen und vorwiegend neueren, oft prunkvollen Gebäude betont. Schon im Mittelalter strebten die Nowgoroder nach diesem natürlichen Ausgangspunkt an der Ostsee, der, seit 1300, von den Schweden besetzt war, hin. Dem im 18. Jahrhundert erstarkenden Russischen Staat gelang es, sich hier festzusetzen, Peter der Große legte 1703 den Grundstein zur Erbauung seiner neuen Residenz Petersburg, dem „Fenster nach dem Westen". Es gehörte die despotische Energie eines solchen Monarchen dazu, um alle die Schwierigkeiten, die der schlammige Untergrund der Newamündung, die Überschwemmungen, das feuchte Klima boten, zu überwinden und die Möglichkeiten zur Entwicklung zu einer Millionenstadt zu schaffen, deren Stadtgebiet jetzt über 100 qkm einnimmt. Den schönsten Anblick bietet sie von der Newa aus, ihr Baustil ist recht einheitlich, die Paläste, Kirchen, öffentlichen Gebäude sind prunkvoll. Durch die Newa und ihre einzelnen Mündungsarme sind eine Reihe von Stadtteilen gebildet, die ihr charakteristisches Gepräge haben. Der Zentralrayon, der größte und bedeutendste, beherbergt das Zarenschloß u. a- Paläste, die Admiralität, Ministerien, die Hauptkathedralen, die meisten großen Handelshäuser, Museen, Theater — es ist der verkehrsreichste, lebhafteste Stadtteil. Die Straßen verlaufen hier aber unregelmäßig, während alle übrigen Rayons sich durch rechtwinklig schneidende Straßen auszeichnen. Die drei weiteren Festlandsrayons, der sog. MoskauNarwaer, der Wolodarski- und der Wyborger Rayon, sind Industrie- und Arbeiterviertel mit Werften, Häfen, Bahnhöfen, industriellen Anlagen. Auf Inseln liegen der Petrograder Rayon und der Rayon Wassili Ostrow: ersterer ist der älteste Teil der Stadt, hat aber jetzt sehr an Bedeutung verloren, letzterer ist der kulturelle Mittelpunkt, enthält aber auch viele Fabriken. Die am weitesten vorgeschobenen Inseln tragen Villen und Landhäuser. Breite Straßen und 80 öffentliche Plätze sind weiter kennzeichnend, während der früher besonders lebhafte Verkehr jetzt, seitdem die Stadt nicht mehr Residenz ist und sich von den Zerstörungen des Bürgerkrieges erst zu erholen beginnt, nachgelassen hat. Die frühere Residenz wirkt sich natürlich auch in ihrer Umgebung aus. Zahlreiche Sommerresidenzen, Militärlager usw. sind hier entstanden, die alle kleine Städte bilden. Eigenartig ist die Wandlung von Z ä r s k o j e S e i o , einer Stadt mit 25000 Einwohnern, zahlreichen Palästen, Villen, Landhäusern. Jetzt heißt sie Djetskoje Selo, also nicht mehr „Zarendorf" sondern „Kinderdorf", und ist das auch tatsächlich, da die meisten Gebäude Kindersanatorien sind. Solche „Kinderstädte" gibt es auch sonst noch im neuen Rußland, z. B. in der Ukraine und im Gouvernement Samara. Es sind Datschen- (Landhaus-) Siedlungen, die die Folgen der Bürgerkriege ebenso zeigen wie den bolschewistischen Sozialismus, der die Auflösung des Familienlebens begünstigt.
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Die Städte der zentralen Waldlandschaften. Hierher gehören zunächst die ältesten Gründungen der Normannen längs der großen Dnjeprstraße nach Byzanz, in denen trotz vielfacher Zerstörungen sich der alte Grundplan noch erhalten hat. Der Kreml bildet gewöhnlich das am Fluß gelegene Stadtinnere, um welches sich halbkreisförmig weitere Straßenzüge anordnen, die von den von außen herkommenden Straßen, die nach dem Innern zustreben, geschnitten werden. Die Vororte, ursprünglich die „Sloboden", oder jüngere Stadtteile, weisen dagegen sich rechtwinklig kreuzende Straßenzüge auf. Die industrielle Entwickelung hat einen großen Teil dieser alten, historischen Städte zu wichtigen Fabrikorten werden lassen, die, zusammen mit den rein industriellen Neugründungen, heute den großen sog. Zentralrussischen oder Moskauer Industrierayon bilden. Andere sind mehr oder weniger belebte Handelsstädte geworden und haben dann mehr ihren alten Charakter bewahrt, der aber immer noch weit entfernt von dem westeuropäischer mittelalterlicher Städte ist. Denn vor allem fehlt es den russischen Städten an dem alten Bürgerhaus, und einzig und allein die Kremlbauten, Mauern, Türme weichen von den nüchternen Provinzhausbauten ab. N o w g o r o d muß als erstes Beispiel der historischen Städte genannt werden. Keine hat solche Schicksalsschläge erlitten wie diese. Im 14. und 15. Jahrhundert eine Stadt mit 400000 Einwohnern, nach der Zerstörung durch die Schweden im 17. Jahrhundert mit nur einigen Tausenden, heute, mit 33 000 Einwohnern, nichts mehr als eine bedeutungslose Provinzstadt. Sie war schon den arabischen Schriftstellern des 9. und 10. Jahrhunderts bekannt und wurde in skandinavischen Überlieferungen jener Zeit erwähnt. Die günstige Lage am großen Handelsweg nach Byzanz, Schutz durch Wälder und Sümpfe vor den Plünderungen der Mongolen und Tataren, ein energisches Volkstum durch Normannenblut ermöglichten den Reichtum und die hohe Blüte der Kultur. Die Zerstörung durch Iwan den Schrecklichen (1570) und die Schweden (1616) ließen alles zusammen brechen. Stadtrepubliken hat es niemals mehr gegeben, und die paar autonomen Städte heute, in Kaukasien, sind politische Gebilde mit sehr durchsichtigem Zweck (S. 00). Den gleichen historischen Stadttyp zeigen noch insbesondere P s k o w , gegründet 9. Jahrhundert, 44000 Einwohner, W l a d i m i r , gegründet 12. Jahrhundert, 40000 Einwohner, S ü s d a l , gegründet 12. Jahrhundert, 6600 Einwohner, Ü g l i t s c h , gegründet 13. Jahrhundert, 8000 Einwohner, R o s t o w (-Jaroslawski), gegründet 12. Jahrhundert, J ü r j e w (-Polesski), gegründet 12. Jahrhundert, M ü r o m , gegründet 10. Jahrhundert, 23000 Einwohner u. a. — meistens Kleinstädte, die die reiche Zahl solcher historischer Städte in Rußland erkennen lassen. Und selbstverständlich gehört M o s k a u hierher. „Wer Moskau kennt — kennt Rußland". Aber heute gibt es kein
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Rußland sondern eine Sowjetunion, und wer kennt Moskau ? Nicht die über 120 qkm Bodenfläche der Millionenstadt (2026000 Einwohner), die sich dem allgemeinen, recht charakterlosen Duçchschnittstyp osteuropäischer Großstädte rasch genähert hat, nicht die großen Gegensätze der alten, neuen und neuesten Stadtbilder oder die Vielseitigkeit des Wirtschaftslebens oder der aus allen Teilen des Reiches zuströmenden Bevölkerung sind das Rätselhafte, sondern die heutigen sozialen Zustände, die, im Gegensatz von Stadt zu Land fußend, sich in dem bolschewistischen Machtzentrum eigenartig auswirken. Wer bolschewistisch fühlt, kann von diesen Dingen viel begreifen. Für den westeuropäischen Reisenden spielt sich ein normales Großstadtleben mit östlichem Einschlag ab. Er kann in den Gang des Regierungsapparates unter Umständen eindringen, und der zeigt sich ihm, im Vergleich mit früher, oft viel richtiger und kultivierter, er sieht das Elend auf den Straßen neben allem Prunk, die sich so unsozial wie denkbar auswirkende Wohnungsnot, aber in den eigentlichen Charakter der Stadt dringt er ebenso wenig ein, wie die Mehrzahl der entwurzelten, verbitterten Bevölkerung. Den besten Weg zum Verständnis dieser eigenartigen Stadt zeigt ihm die politisch organisierte Jugend, die aber der Ältere schwer versteht — sie spricht eine andere Sprache, die auch den Vätern fremd ist. Sehen kann der Fremde heute in Moskau alles, verstehen aber wenig, und wenn er noch so vieles als einfach bolschewistisch deutet. Moskau, das „Weißzinnene", nationales Heiligtum und schönste Stadt der Russen ist am interessantesten — an den revolutionären Festtagen... sagt der amtliche Führer. Die Stadt wird zum ersten Male im Jahre 1147 genannt. Im 13. Jahrhundert erhielt sie Holzwall und Festungsgraben. Im 14. Jahrhundert wurde alles von den Tataren eingeäschert. Aber der Transithandel aus Nowgorod zur Wolga ließ sie wieder erstehen, und dank der zentralen Lage im Reiche entwickelte sich hier ein stärkerer Mittelpunkt, als es das mehr randlich gelegene Nowgorod sein konnte. Die Erfolge gegenüber dieser Stadtrepublik und gegenüber den Tataren stärkten ihn immer mehr. Im 15. Jahrhundert wurde der Kreml ausgebaut, und im 16. Jahrhundert machte Iwan der Schreckliche, nach der Eroberung der Tatarenreiche Kasan und Astrachan, Moskau zum Mittelpunkt Osteuropas. Die neuen gesicherten Handelsstraßen nach Westeuropa, zum Weißen Meer, Sibirien, Mittelasien, Persien kräftigten den Handel so sehr, daß weder Polen, Bürgerkriege, Aufstände, Feuersbrünste, Tatareneinfälle die Entwickelung hemmen konnten. Ganz besonders vergrößerte sich die Stadt im 17. Jahrhundert. Damals entstanden die heute noch vorhandenen halbkreisförmigen Stadtteile: im Mittelpunkt, an der Moskwa, der dreieckige Kreml und, östlich davon, die „Kitai-gorod", d. h. wörtlich „Chinesenstadt", im Sinne „Tatarenstadt", deren Mauern noch stehen; der nächste hufeisenförmige Gürtel ist die sog. „Weiße Stadt", der sich, als nächster Gürtel, die sog. „Erdstadt" anschließt. Vom Zentrum laufen 4
Stadtlandschaften.
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nach allen Richtungen Hauptstraßen aus. An diese alten Stadtteile schließen sich dann die einzelnen jüngeren Vorstädte, die insgesamt ®/4 der Fläche Moskaus einnehmen, an. Aber nur die allerjüngsten Stadtteile im äußersten Norden zeigen sich regelmäßig rechtwinkelig schneidende Straßen. Der Kreml, dessen äußeres Bild weltbekannt ist, bildet heute mit seinen Kathedralen, Klöstern, Palästen, Amtsgebäuden und Kasernen
Abb. 12. Moskau. In der Mitte die Altstadt, rund herum die Neustadt, punktiert: Parkanlagen.
eine Museumsstadt und den Sitz der höchsten Staatsbehörden. Kitaigorod, gedrängt und unregelmäßig gebaut, ist das Geschäftszentrum. Die Weiße Stadt ist der eleganteste Stadtteil mit breiten Straßen, vielen Palästen, öffentlichen Gebäuden und großen Geschäften. Die Erdstadt ist mehr boulevardartige Gartenstadt. Alle übrigen Teile sind Fabrik-, Gewerbe-, Bahnhofs-, einfachere Wohn- und reine Arbeiterviertel. Endlose, charakterlose Straßenzüge mit Mietskasernen, Kastenbauten, Holzhäusern, langen Bretterzäunen, hinter denen oft ganz unscheinbare Industrieanlagen verborgen sind, hin und wieder eleganteren Gebäuden einer früheren Bauperiode, die oft schwer auffindbare, aber überaus wertvolle Museen beherbergen. Gelegentlich sieht man auch den sog. „russischen Baustil", ein modernisierter und stilisierter byzantinischer Stil, dessen Bögen an den Orient erinnern. Das Typischste für Moskau ist, außer dem Kreml und den zahlreichen Kirchen, aber der Verkehr auf den Straßen.
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Ein solches Leben, eine solche Fülle von Menschen sieht man in keiner anderen Stadt des Reiches. Für die Umgebung von Moskau sind dann die zahlreichen Datschenorte kennzeichnend und eine Menge kleinerer Industriestädte zieht sich wie ein Kranz um das große Zentrum herum (Abb. 12). Industriestädte von Bedeutung sind besonders folgende historische Städte geworden: J a r o s l ä w l , gegründet 13. Jahrhundert, 114000 Einwohner, R s h e w , gegründet 12. Jahrhundert, 33000 Einwohner, Kol omn a , gegründet 12. Jahrhundert, 31000 Einwohner. Eine Reihe weiterer Städte zeigt im wesentlichen gleichen Grundplan, aber die Altstadt ist jünger, Reste von Schlössern oder Festungen sind in ihr erhalten. Als Beispiele können genannt werden: T u t ä j e w , Wolok o l ä m s k , S t a r i z a , S w e n i g r o d , Serpuchow u. a. — heute meistens kleinere Industrieorte. Serpuchow hat immerhin 56000 Einwohner, und die alte Festung Iwans des Schrecklichen mit einer 7 m hohen Mauer, Türmen, Burgtor ist erhalten. Endlich verwischt sich dieser Grundplan bei anderen alten Städten weiter, bleibt auch noch unregelmäßig. Es sind Städte in den Ackerbaugebieten, in denen Owrage (Schluchten) im Löß auftreten und damit auch den Stadtplan beeinflussen, wie z. B. K a l ü g a , eine Gründung aus dem 13. Jahrhundert mit 52000 Einwohnern, oder K u r s k , gegründet 11. Jahrhundert, 99000 Einwohner. Letzteres schon mit 6% Juden, die den west- und südrussischen Städten den Typus der Nationalitätenstadt geben. Auch das tatarische Element wirkt sich mehrfach in den alten zentralrussischen Städten aus, z. B. in K a s i m o w , gegründet 12. Jahrhundert, 13000 Einwohner, das zur Hälfte von Tataren bewohnt und voller tatarischer Bauten ist. Auch K o s t r o m ä , gegründet 12. Jahrhundert, 74000 Einwohner, heute Zentrum der Leinenindustrie, hat eine Tatarenvorstadt. Von den ursprünglich alten, jetzt Industriestädten ist noch besonders T w e r j zu nennen, eine der ältesten Gründungen Rußlands, heute mit 108000 Einwohnern, Hauptzentrum der Textilindustrie und Wolgahafen, von so schönem Äußeren, daß es oft mit Leningrad verglichen wird. Eine weitere Entwickelung des Stadtplanes und des Aussehens zeigen die neuen Industrieorte. Einzelne Werke bilden oft Städte für sich, Fabrikdörfer sind ihrer Einwohnerzahl nach oft größer als Städte. Die typische moderne russische Industriestadt ist Iwänowo-Wosnesensk mit 111000 Einwohnern, vorwiegend Arbeitern. Schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts galt es als das „russische Manchester" W j a t k a ist eine Gründung aus dem 14. Jahrhundert, hat 62000 Einwohner, B r j a n s k , 27000 Einwohner, O r j e c h o w - S ü j e w o , 63000 Einwohner, K i n e s c h m a , 23000 Einwohner, B o g o d ä r s k , 38000 Einwohner, und eine ganze Reihe kleinerer Städte wäre hier zu nennen. Viele derselben sind Mittelpunkte besonderer Gewerbe oder der Heimindustrie, wie z. B. S e r g i e w , 21000 Einwohner, für Kinderspielzeug, K i m r y , 19000 Einwohner, für Schuh4*
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und Lederwaren usw. Von Industriedörfern kann als Beispiel P o d o l s k mit 19000 Einwohnern, W o r s m a , P u s c h t s c h u. a. erwähnt werden, jedes mit dem ihm eigenen Fabrikationsartikel. Zu den Industriestädten gehört auch eine Reihe von Städten, die als Grenzschutz des Moskowitischen Reiches nach Osten, gegen finnische Völker und Kasaner Tataren, nach Süden in die Steppenlandschaften vorgeschoben waren. Der Typ der jüngeren Kremlstadt ist z. B. in N i s h n i - N o w g o r o d , T ü l a , R j ä s ä n erhalten: alle größeren Hauptstraßen laufen mehr oder weniger von einem zentralen Platz aus. Es ist ein älterer Kolonialstadttyp. N i s h n i - N o w g o r o d , 185000 Einwohner, entstand als strategischer Punkt gegen Mordwinen und Bulgaren im 13. Jahrhundert. Die günstige Lage an der Mündung der Oka in die Wolga hat sie zur Groß- und vor allem Messestadt werden lassen. Ihr eigenartigster Stadtteil ist natürlich die neue Messestadt, die Jarmarka, die sich über 3 qkm erstreckt und in regelmäßige Vierecke zerfällt. In ihr sieht man auch den von Moskau her bekannten „russischen" Baustil. Die Lage Nishnis auf dem hohen Ufer ist überaus malerisch. In Nachbarschaft dieses wirtschaftlichen und geistigen Zentrums des mittleren Wolgagebietes sind eine ganze Reihe kleinerer Industrieorte entstanden, so ist z. B. S o r m o w o eine reine Arbeiterstadt. Hübsch ist auch R j ä s ä n , 51000 Einwohner, aus dem 13. Jahrhundert stammend, mit seinen vielen Gärten, P e n s a , gegründet 17. Jahrhundert, 92000 Einwohner, nüchterner, T ü l a , ein Ostrog aus dem 11. Jahrhundert, im 16. Jahrhundert Schutzstadt gegen die Tataren, heute mit 153000 Einwohnern, Mittelpunkt der Metallindustrie. Auch hier am Rande der Zentralrussischen Waldlandschaften gibt es eine große Reihe von Industriedörfern und Städtchen mit Heimindustrie, andererseits im Steinkohlenbezirk Bergbaustädte, wie z. B. B o r o w i t s c h i , mit 19000 Einwohnern, O r e l , 78000 Einwohner, eine Grenzfestung aus dem 16. Jahrhundert, T a m b o w , 76000 Einwohner, eine solche aus dem 16. Jahrhundert, sind durch Getreidehandel bekannt, sind aber auch noch zum Zentralrussischen Industriebezirk zu rechnen.
Die Städte des Ostens. In Ostrußland, also der Tatarenrepublik, den Republiken kleinerer finnischer Völker und dem Uralgebiet, zeigen die Städte manches Besondere. Der ältere Kolonialstadttyp bleibt bestehen, aber Nationalitätenstädte sind häufiger. Aufragende Minarets der Moscheen gehören oft zum Stadtbilde. Die Hauptstädte der kleinen Republiken sind ganz bedeutungslos, und in ihnen herrscht auch nicht immer das indigene Element vor, wie z. B. in K r a s n o k o k s c h ä i s k , der Residenz des autonomen
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Gebietes Mari, in der Russen in der Mehrzahl sind. K a s a n , U f a und P e r m können als die besonders charakteristischen größeren Städte des Ostens genannt werden. K a s a n , 179000 Einwohner, die Hauptstadt der Tatarischen Republik, unweit des Zusammenflusses von Kama und Wolga gelegen, ist nicht nur Handels- und Industriezentrum, sondern auch geistiger Mittelpunkt des östlichen Rußlands. Die Tataren machen 24% aus. Es ist eine ältere Tatarengründung aus dem 15. Jahrhundert, die im 16. Jahrhundert von den Russen erobert und als Stützpunkt für die weitere Kolonisation ausgebaut wurde. Die Topographie wirkt sich besonders stark aus, denn die zentrale Stadt liegt auf einer hohen Terrasse; die Vorstädte auf der niedrigen können, während der Überschwemmungen im Frühjahr nur auf kilometerlangen Dämmen erreicht werden. Vom Kreml an der Kasanka laufen die Straßen fächerförmig auseinander, die Vorstädte haben sich regelmäßig kreuzende Straßenzüge. Der Blick auf Kasan mit seinen Kremltürmen, bunten Kirchenkuppeln, Glockentürmen, Minarets ist sehr eigenartig — man hat tatsächlich den Eindruck einer halbasiatischen Stadt. Im Innern sind einzelne Stadtteile nur von Tataren bewohnt. In U f a , 99000 Einwohner, der Hauptstadt der Baschkiren-Republik, die am hohen felsigen Ufer der Bjelaja gelegen ist, wird das Völkergemisch noch bunter, indem zu 15 % Tataren noch 14 % Baschkiren hinzukommen. Die Stadt wurde hier als erste russische Siedelung in Baschkirien im 16. Jahrhundert gegründet, und ihre Lage zwischen den reichen Ackerbaudistrikten im Westen und den Bergwerks- und Holzindustriegebieten im Osten hat ihre Bedeutung als Handelsstadt hervorgerufen. Ihr jüngerer Kolonialstadttyp tritt in dem zentralen Marktplatz und den sich fast quadratisch schneidenden Straßen entgegen. Zahlreiche Gärten, Gemüsegärten neben den Häusern, unbebaute Plätze, das Vorherrschen einstöckiger Holzhäuser außerhalb des Stadtinnern, drängen sie über 9 qkm Fläche hinaus. Diesen Stadttyp zeigt auch P e r m , 85000 Einwohner, das im 18. Jahrhundert durch den örtlichen Kupferbergbau entstanden war. Auch hier ist die hohe Uferlage sehr malerisch, die Stadt an und für sich recht sauber und stilvoll angelegt. Perm ist Durchgangspunkt für Waren aus Zentralrußland nach Ostrußland und Sibirien. An der Kama liegen natürlich noch eine ganze Reihe von kleineren Hafenstädten, auch Stadtdörfern, viele sind Industrieorte, andere, wie z. B. M a m a d y s c h , fast nur von Tataren bewohnt. Auch die Uralstädte sind als Stützpunkte auf dem Wege nach Sibirien oder als Bergbaustädte im 17. und 18. Jahrhundert entstanden. Verwaltungs- und Wirtschaftszentrum ist die größte Stadt dieses Gebiets, S w e r d l o w s k , früher Jekaterinburg, mit 136000 Einwohnern, aus dem Bergbau im 18. Jahrhundert hervorgegangen. T s c h e l j ä b i n s k , 59000 Einwohner, N i s h n i - T a g i l , 39000 Einwohner, S l a t o ü s t , 48000 Einwohner, wären noch zu nennen.
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Die Städte des Westens. Die Städte Weißrußlands und der westlichen russischen Waldlandschaften stellen einen besonderen alten Typ dar. Fast durchweg mittelalterliche Gründungen zeigen sie viel mehr, als die zentralrussischen Städte, einen westlichen, litauisch-polnischen und ostdeutschen Einschlag. Die dorfähnlichen Vorstädte sind dagegen Judenviertel mit ihrem besonderen Gepräge. Auf Tatarenviertel weisen heute nur noch Straßennamen hin, während sich in einzelnen Dörfern Tataren, die schon im 13. Jahrhundert sich hier angesiedelt hatten, erhalten haben. Die von den slawischen Vorfahren der heutigen Weißrussen, besonders dem Stamme der Kriwitschen, errichteten Schutzwälle wurden in der litauischen Periode der Geschichte meist für die Anlage der Burgen benutzt. Der alte Kolonialstadttyp mit dem zentralen, gewöhnlich viereckigen Marktplatz, der Burg und den von mehreren Seiten herziehenden Hauptstraßen ist heute erhalten. Nur die Kleinstädte zeigen auch hier im Vorherrschen einer langen Hauptstraße die Entstehung aus dem Dorf. P ó l o z k und S m o l é n s k sind die ältesten politischen Zentren aus den 11.—13. Jahrhunderten, aus welcher Zeit aber auch eine ganze Reihe anderer Städte, wie Mo h i l é w, P i n s k , H ö m e l , die alle mit Deutschland Handel trieben, stammt. Die litauisch-polnische Periode dauerte vom 15.—16. Jahrhundert, dann wurden die Gebiete dem Russischen Staat einverleibt. Da die weißrussischen Städte im sog. Siedelungsrayon der Juden lagen, so sind sie ausgesprochene Nationalitätenstädte, wie folgende Übersicht als Beispiel zeigt: Polozk Witebsk Minsk Bobruisk Mohilew
Einw. 21000 91000 124000 39000 46000
Juden 39 % 45 % 43 % 50 % 39 %
Weißruss. 40 % 30 % 41 % 25 % 52 %
Großruss. 15 % 20 % 7 % 15 % 4%
andere 6 % 5 %
9 %
10 % 5 %
S m o l e n s k , 79000 Einwohner, gehört zu den ältesten Städten, die am Wege zwischen dem Baltischen Meer und dem Dnjepr entstanden war. Im 13. Jahrhundert hatte sie, wie Nowgorod, ein deutsches Handelsviertel. Im 16. Jahrhundert wurde die Stadt von den Russen erobert. Trotz zahlreicher Verwüstungen in den Kämpfen mit den Polen und während des Napoleonischen Feldzuges gehört sie heute zu den hübschesten russischen Städten. Ihr Stadtinneres ist von einer über 5 km langen Mauer umgeben. Auch P o l o z k , 21000 Einwohner, und W i t e b s k , 91000 Einwohner, an der Düna, haben ihre historischen Bauten. M i n s k , 124000 Einwohner, liegt in häßlicher, flacher Gegend und macht einen besonders stillosen Eindruck, ist aber Hauptstadt und wichtige Industrieund Handelsstadt Weißrußlands. H ö m e l , 83000 Einwohner, würde die Reihe dieser wenig schönen, weißrussischen Städte beschließen.
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Die Städte der Steppenlandschaften. Wie in den Waldlandschaften des Europäischen Rußlands so sind auch in den Steppenlandschaften die ersten Städte Gründungen der Normannen. Bis zum 9. Jahrhundert war der Handel der Slawen mit Byzanz ungehindert, ja zuletzt unter dem Schutz der Chasaren vor sich gegangen. Aber die eindringenden Petschenegen verwüsteten die alten Siedlungen, so daß die slawische Bevölkerung gezwungen war, sich Schutz zu suchen. Den boten die Normannen. Sie gründeten die ersten festen Plätze, T s c h e r n i g o w , L j ü b e t s c h , P e r e j a s l ä w l , P o l t ä w a , und andere, die nicht mehr erhalten sind, aber die günstige Lage hob rasch K i e w zum Machtzentrum empor. Die ersten Jahrhunderte dieser Städte waren mit Kämpfen gegen die Nomaden, Polowzer und Tataren, ausgefüllt, und im 13. Jahrhundert waren die Ortschaften verwüstet, die Bevölkerung geflohen, nur Tatarenhorden streiften in den weiten Steppen umher. Im 14. Jahrhundert dehnte sich das erstarkende litauisch-polnische Reich über die zentralen und westlichen Steppenlandschaften aus, und die festen Punkte der Kosaken gaben den Anstoß zur Gründung neuer Städte, die alten konnten wieder aufgebaut werden. Im Osten, dem Donezgebiet, kolonisierte seit dem 16. Jahrhundert Moskau systematisch. Mit der Einverleibung der Ukraine in Rußland begann die Gründung der russischen Städte dieser letzten Periode, insbesondere in den Küstenlandschaften des Schwarzen Meers, die von den Russen als Neu-Rußland bezeichnet wurden. Auch entstanden eine Reihe reiner Industrie- und Bergbaustädte, vor allem im Kohlenrevier des Donezbeckens. Die alten historischen Städte haben von ihrer ursprünglichen Anlage kaum Reste erhalten. Ihr Plan ist unregelmäßig, die Straßen streben vorwiegend einem Hauptzentrum zu. Die jüngeren und jüngsten Städte zeigen das Vorherrschen sich rechtwinklig schneidender Straßen, und besonders die Wolgastädte sind in regelmäßige Vierecke gegliedert. Im Westen ist außerdem wiederum die Nationalitätenstadt vorhanden, wie folgende Beispiele zeigen: Charkow Berditschew Uman Mohilew-Pod. Kamenez-Pod. Saporoshje Tscherkasy Tultschin
Einw. 417000 56000 45000 23000 32000 56000 39000 16000
Juden 21% 65% 51% 45% 45% 25% 33% 56%
Ukrainer 38% 15% 29% 47% 38% 27% 53% 29%
Russen 35% 10% 14% 4% 10% 45% 13% 13%
andere 6% 10% 11% 4% 7% 3% 1% 2%
Das Vorherrschen von Juden und Ukrainern zeigt auch die Hauptstadt der autonomen Republik Moldau, Baltä, gegenüber den Moldauern. Und
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die größten und bedeutendsten Städte der Ukraine, Kiew und Odessa, sind, wie weiter unten gezeigt wird, ebenfalls Nationalitätenstädte. In ihrem Äußeren zeigen die Steppenstädte einige Unterschiede gegenüber denen der Waldlandschaften. Das Dorf ist j a hier auch ein anderes. Die Straßen sind breit, die Vorstadthäuser, soweit nicht in Judenvierteln, sauber errichtet, die Holzhäuser gekalkt oder bunt gestrichen, mit flachen Dächern, weit voneinander, durch Gärten getrennt, liegend. Die Straßen kleinerer Städte meist ungepflästert, im Sommer staubig, im Frühjahr unpassierbar. Aber, wie die Dörfer, so sind auch die ukrainischen Kleinstädte oft sehr reizvoll, die Wolgastädte mehr östlich, aber auch von einem gewissen einheitlichen Stil. Im Westen ist von den bedeutenderen Städten natürlich K i e w an erster Stelle zu nennen. Im 8. Jahrhundert gegründet, heute mit über einer halben Million Einwohnern (514000), gilt diese alte Ukrainerresidenz als die schönstgelegene Stadt des Reiches. Der Blick von der 100 m hohen Hochfläche, auf der die Stadt sich ausbreitet, und die steil zum Dnjepr abfällt, auf den Riesenstrom und die unübersehbaren Weiten des gegenüberliegenden Wiesenufers ist tatsächlich großartig. Kiew ist die drittgrößte Stadt der Sowjetunion und der wirtschaftliche und geistige Mittelpunkt der Ukraine. Die Kiewer Messe wird nur von der Nishnis übertroffen. Auch architektonisch fällt manches im Stadtbilde auf, besonders das sog. ukrainische Barock des 18. Jahrhunderts der Kirchen und Regierungsbauten. Die Russifizierung der letzten zaristischen Jahrzehnte zeigt sich im Stadtteil Petschersk, dem Festungsgebiet, in dem die Russen leben, Das Zentrum Kiews bildet die alte, unregelmäßig angelegte Altstadt, im Mittelalter von Wällen umgeben, am Steilhang gelegen, und die moderne, oft prunkvolle Neustadt. Eine ganz neue Anlage mit sich regelmäßig rechtwinkelig schneidenden Straßen ist der Stadtteil Petrowsk, die Handelsstadt, die nach einem Brande im 19. Jahrhundert aufgebaut wurde und in der vorwiegend Juden leben. Die südlichen Stadtteile sind Industrieund Arbeiterviertel. T s c h e r n i g o w , gegründet 13. Jahrhundert, 35000 Einwohner, einst Hauptstadt eines unabhängigen Fürstentums, dann Kosakenstadt, heute eine recht bedeutungslose Mittelstadt, beherbergte in sich erst den Kreml, dann das litauisch-polnische Schloß, dann die russische Festung — die ganze Geschichte des Landes damit widerspiegelnd. Mit ihren vielen Gärten macht sich die Stadt recht hübsch. Von alten Städten ist noch P o l t ä w a zu erwähnen, das aus einer kleinen Siedlung des 12. Jahrhunderts entstanden ist, in der Kosakenzeit, im 17. Jahrhundert, aber erst Stadt wurde. Sie hat heute immerhin 92000 Einwohner und ist durch ihre Mühlen- und Zuckerindustrie bekannt. Einige tiefe Owrage durchziehen die Stadt, deren Straßen breit und meistens geradlinig dem alten Zentrum zulaufen. Die Vororte sind alte Kosakenstanitzen, mit Holzhäusern. Sehr charakteristisch sind natürlich die, meist jüngeren, Städte, in
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d e n e n die j ü d i s c h e n Viertel einen g r o ß e n R a u m e i n n e h m e n u n d in d e n e n d a s j ü d i s c h e E l e m e n t das W i r t s c h a f t s l e b e n b e h e r r s c h t . Berditschew, 5 6 0 0 0 E i n w o h n e r , g e g r ü n d e t 15. J a h r h u n d e r t , ist so eine t y p i s c h e J u d e n s t a d t , m i t L e d e r - u n d Z u c k e r i n d u s t r i e , ebenso S h i t o m i r , 77000 E i n w o h n e r , d a s m i t Holz u n d G e t r e i d e h a n d e l t . Bedeutende Industriez e n t r e n sind S ä p o r o s h j e , 5 6 0 0 0 E i n w o h n e r , f r ü h e r A l e x a n d r o w s k , u n d A r t e m j e w s k , 3 8 0 0 0 E i n w o h n e r , d a s 8 5 % der g e s a m t e n c h e m i s c h e n E r z e u g n i s s e der S o w j e t u n i o n h e r s t e l l t . B e i d e a b e r n o c h G r ü n d u n g e n a u s der l i t a u i s c h - p o l n i s c h e n Zeit. E i n e solche ist a u c h O d e s s a , g e g r ü n d e t 14. J a h r h u n d e r t , 4 2 1 0 0 0 E i n w o h n e r , d a s m a n z u m w e s t e u r o p ä i s c h e n T y p r e c h n e n k a n n ; die o r d e n t l i c h s t e u n d s a u b e r s t e S t a d t , m i t b r e i t e n , sich r e c h t w i n k e l i g k r e u z e n d e n S t r a ß e n . D e r pliozäne sog. S t e p p e n k a l k des U n t e r g r u n d e s w i r d zu B a u - u n d P f l a s t e r s t e i n e n z e r s ä g t , w o d u r c h die S t a d t i h r e n e i n h e i t l i c h e n , o r d e n t l i c h e n C h a r a k t e r e r h ä l t . Odessa ist die m o d e r n ste S t a d t , der g r ö ß t e K a b o t a g e h a f e n , b e d e u t e n d e s I n d u s t r i e z e n t r u m , bes. f ü r die N a h r u n g s m i t t e l - u n d l a n d w i r t s c h a f t l i c h e M a s c h i n e n i n d u s t r i e . D a s V ö l k e r g e m i s c h dieser südlichen H a f e n s t a d t ist n a t ü r l i c h g r o ß — J u d e n m a c h e n ein D r i t t e l a u s , R u s s e n u n d U k r a i n e r die H ä l f t e ; D e u t s c h e , P o l e n , Griechen, A r m e n i e r sind zahlreich. Die L a g e der S t a d t a u f d e m 50 m h o h e n S t e p p e n p l a t e a u , d a s steil z u m Meer a b b r i c h t u n d v o n S c h l u c h t e n d u r c h z o g e n ist, ist sehr m a l e r i s c h . Die i n n e r e e r s t r e c k t sich der K ü s t e f o l g e n d a u f 2 k m h i n , d e r H a f e n folgt a u f 3 k m , d a n n wechselt ein Villenoder K u r o r t den anderen ab. L a n d e i n w ä r t s sind die I n d u s t r i e - u n d A r b e i t e r v i e r t e l gelegen. H e i l k r ä f t i g e L i m a n e u n d S e e b ä d e r liegen in n ä c h s t e r N a c h b a r s c h a f t a m Meere. Die ü b r i g e n S t ä d t e sind G r ü n d u n g e n d e r R u s s e n u n d j ü n g e r e n A l t e r s . Die h e u t i g e H a u p t s t a d t der U k r a i n e , C h a r k o w (Abb. 13), 4 1 7 0 0 0 E i n w o h n e r , ist i m 17. J a h r h u n d e r t als b e f e s t i g t e r O r t des M o s k a u i s c h e n
Abb. 13. Charkow.
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Reiches gegen die Tataren gegründet worden. Die Ukrainer machen in ihr jetzt 3 8 % gegenüber 35 % Russen aus, und 21 % sind Juden. Der Stadtplan ist der der jüngeren Kolonialstadt, recht unregelmäßig, die langen gerade Straßen laufen aber doch vorwiegend dem Zentrum zu. Die Nähe desDonezKohlenreviers, des Eisenreviers von Kriwoi-Rog und der erstklassigen Schwarzerdegebiete hat die Stadt zum größten Wirtschaftszentrum der Ukraine werden lassen. Auch die Messe ist von Bedeutung für die ganze Sowjetunion. Diesen jüngeren, noch unregelmäßigen Kolonialstadttyp zeigen auch die weiteren Russengründungen aus dem 18. Jahrhundert, wie D n j e p r o p e t r o w s k , früher Jekaterinoslaw, 233000 Einwohner, Zentrum der metallurgischen Industrie, mit 3 9 % Juden, M a r i ü p o l , 41000 Einwohner, das Eingangstor zum Donezbecken, mit 23 % Juden und 12 % Griechen, neben den üblichen Ukrainern und Russen, S i n o w j e w s k , früher Jelisabetgrad, 66000 Einwohner vorwiegend mit Juden und Ukrainern, L u g ä n s k , 72000 Einwohner, das Zentrum des Donezbeckens, fast ganz von Arbeitern bewohnt, C h e r s o n , 59000 Einwohner, 3 2 % Juden. Allerjüngste Gründungen sind N i k o l a j e w s k , 105000 Einwohner, mit das ganze Jahr über offen zu haltendem Hafen, S t ä l i n s k , früher Jusowka, 106000 Einwohner, eine reine Industriestadt, und zahlreiche andere Industrieorte oder wichtige Eisenbahnknotenpunkte, wie z. B. R u s ä j e w k a , B a c h m ä t s c h , S h m e r i n k a , K o r o s t e n j usw. In dem östlichen, rein russischen Kolonisationsgebiet der Steppe ist W o r o n e s h , gegründet 16. Jahrhundert 120000 Einwohner, einer der ersten befestigten Orte, und zahlreiche andere, in denen nun das jüdische Element fehlt, schließen sich ihm a n ; alles Orte mit Handel landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Eine weitere, und bedeutendere Gruppe bilden dann die Wolgastädte unter den Steppenstädten. E s sind ebenfalls alles jüngere Kolonialstädte, sehr regelmäßig angelegt, aber noch mit Überresten der ersten Schutzanlagen. Alles wichtige Hafen-, oft auch Fischereiplätze, gewöhnlich malerisch am hohen Steilufer des Stromes gelegen. Auch zahlreiche Dörfer sind sehr groß. Vor allem sind zu nennen: U l j a n o w s k , gegründet 17. Jahrhundert, 72000 Einwohner, S a m a r a , gegründet 16. Jahrhundert, 176000 Einwohner, S y s r a n , gegründet 17. Jahrhundert, 90000 Einwohner, S a r ä t o w , gegründet 16. Jahrhundert, 215000 Einwohner, K a m y s c h i n , gegründet 17. Jahrhundert, 18000 Einwohner, S t a l i n g r ä d , früher Zarizyn, gegründet 16. Jahrhundert, 148000 Einwohner, und die Mündungsstadt A s t r a c h a n , gegründet 16. Jahrhundert, 177000 Einwohner. In A s t r a c h a n , das durch seine Fischindustrie, besonders Kawiarproduktion bekannt ist, hat sich der „ K r e m l " mit hohen Türmen aus dem 16.—17. Jahrhundert erhalten, das heutige Stadtzentrum liegt aber abseits von ihm. Im übrigen ist die Stadt häßlich, unsauber, malariaverseucht. Gegenüber Saratow, dem Zentrum der Mühlenindustrie, liegt die neue Hauptstadt der Wolgadeutschen-Republik, P o k r o w s k , 34000 Einwohner, mit nur
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11 % Deutschen, gegenüber 44 % Russen, 42 % Ukrainern und 3 % anderen. Die frühere Hauptstadt, M a r x s t a d t , hatte eine deutsche Majorität und ist der tatsächliche Mittelpunkt der Deutschen. Noch jüngere Gründungen sind die Städte der nordkaukasischen Steppenlandschaften. Sie stammen aus dem 18. Jahrhundert und zeigen den üblichen Typ der russischen Steppenstädte, die Vororte sind den alten Kosakenstanizen ähnlich. Die Zahl der Juden, Armenier, Kaukasier nimmt in ihnen natürlich zu. Die größte Stadt ist R o s t o w am Don mit 308000 Einwohnern, davon 1 0 % Juden und 7 % Armenier. In T a g a n r o g , 86000 Einwohner, treibt ein Teil der Bevölkerung, unter der viele Juden und Griechen sind, Ackerbau und Fischfang. N o w o t s c h e r k ä s k , 62000 Einwohner, ist von Kosaken gegründet worden und war eine Zeitlang Residenz der Donkosaken, wie überhaupt eine Reihe kleinerer Städte aus Stanizen hervorgegangen ist. Den Hauptstützpunkt für die Eroberung des Kaukasus bildete S t a w r o p o l , 59000 Einwohner, eine Stadt, die lebhaften Getreidehandel betreibt, aber an Trinkwassermangel leidet. K r a s n o d ä r , früher Jekaterinodar, 163000 Einwohner, ist Hauptstadt des autonomen Adige-Gebiets, Mittelpunkt der früheren Kubaner Kosaken, und A r m a w i r , 75000 Einwohner, hat schon 2 5 % Armenier und 3 % Bergvölker unter seinen Einwohnern. Als Letztes wären noch die Städte der Krim zu nennen, unter denen auch schon der Typ der orientalischen Stadt auftritt. In den Steppenlandschaften der Nordkrim liegen zunächst einige jüngere Russenstädte, wie die jetzige Hauptstadt der Krim-Republik A k - m e t s c h e t , früher Simferopol, 88000 Einwohner, davon 2 5 % Juden und 1 0 % Tataren. Andererseits sind viele Städte auf uraltem Boden griechischer oder genuesischer Siedlungen entstanden, wie G u e s l e v e (Eupatoria), K e r t s c h . A c h i ä r , früher Sewastopol, 74000 Einwohner, ist erst nach der Eroberung der Krim durch die Russen im 18. Jahrhundert gegründet worden, sein ärmerer Stadtteil ist Tatarenviertel. Rein tatarische Siedlungen, auch in ihrem Äußeren, sind die kleinen Städtchen K a r a - s u - b a s ä r und die alte Tatarenresidenz B a c h t s c h i - s a r a i , die mit ihren vielen Gärten, kleinen Kastenhäuschen an tiefer Schlucht gelegen zu den Sehenswürdigkeiten der Krim gehört. Am Südabfall des Jaila-dag zieht sich endlich die ganze Reihe berühmter Seebäder hin, in denen das Mittelmeerklima, subtropische Vegetation, Paläste, Villen das Bild der russischen Riviera hervorrufen: K r a s n o a r m e i s k (Jalta), eine alte griechische Kolonie mit 29000 Einwohnern, K e b e (Feodosia), ebenfalls Griechenkolonie mit 29000 Einwohnern, M i s c h o r , A l ü p k a , S i m i s , G u r s ü f , A l ü s c h t a lassen sich mit anderen Städten garnicht vergleichen. Alte Höhlenstädte aus vorund nachchristlicher Zeit, wie T e p e - k u r g ä n , T s c h e r k e s - k e r m e n , I n k e r m ä n , Cherson — das „russische Pompei" — können auch noch erwähnt werden.
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Die Städte Kaukasiens. Die orientalischen Städte der Krim führen zu denen Kaukasiens hinüber. Nach der Eroberung des Gebietes durch die Russen im 19. Jahrhundert entstanden eine große Zahl von Russenstädten, gewöhnlich neben schon bestehenden Eingeborenenstädten, die aber doch infolge ihrer Lage, klimatischer Verhältnisse, Baumaterial einen besonderen, eben nur diesen kaukasischen Russenstädten eigentümlichen Anstrich erhalten haben, der noch durch den starken Anteil nichtrussischer Einwohner verstärkt wird. Es kam gelegentlich soweit, daß sich ein Zwischentyp zwischen Russenund Eingeborenenstadt entwickelte, zu dem gerade die großen und bedeutenden Städte gehören. Besonders in Transkaukasien, im Gebiet großer, gefestigter Völker, Georgier, Armenier, Tataren, weniger im Norden. Die Kleinstädte sind vorwiegend reine Eingeborenenstädte, die wie die Dörfer, mit ihren krummen Straßen, kleinen Kasten- und Vorlaubenbauten, gelegentlich Wachttürmen, Gärten, Mauern im Einzelnen eine Fülle von Verschiedenartigem zeigen. In den russischen oder halbrussischen Städten breitet sich das russische Provinzhaus immer mehr aus, auch in den Eingeborenenvierteln, die sich überhaupt oft nur durch Armut, Enge, Schmutz von den russischen Stadtteilen unterscheiden. Diese zeigen die üblichen sich rechtwinkelig schneidenden Straßen der jüngsten Kolonialstadt, die üblichen Regierungs- und öffentlichen Bauten, Mietskasernen, in den Vorstädten Holzhäuser. Der Stadtpark spielt stets eine große Rolle. Für die Entwickelung der Städte des asiatischen Gebiets haben die Sowjets zweifellos sehr viel getan, und die kulturelle Autonomie der einzelnen Völkerschaften hat mit dazu beigetragen. So machen die Hauptstraßen der größeren Städte heute einen wirklich guten Eindruck, der um so größer ist, wenn sich, wie an der Schwarzmeerküste, noch eine üppige, fast tropische Vegetation hinzugesellt, aber besonders eigenartig ist, wenn solche Zentren der Zivilisation mitten aus der Wüste emporwachsen, wie z. B. Baku. Die nordkaukasischen Städte sind, wie gesagt, noch vorwiegend Russenstädte in ihrem Äußeren. Die der Steppe waren bereits erwähnt worden (S. 59). Näher zum Hauptkamm haben sich im Vorlande durch Naphthavorkommen zwei ansehnliche Wirtschaftszentren aus alten Forts entwickelt — M a i k o p , mit 52000 Einwohnern, und G r o s n y , mit 97000Einwohnern, letzteres eine autonome Stadt, wie auch Wladikawkas, zunächst aber noch ganz dorfartig, mit Ausnahme der industriellen Bauten. Im näheren Vorlande sind weiter noch die Badeorte im Bereich der isolierten vulkanischen Erhebungen zu nennen, besonders P j ä t i g o r s k mit 55000 Einwohnern und K i s l o w o d s k , mit 32000 Einwohnern, an den Berghängen oder in der Talsohle gelegene, recht moderne — für russische Verhältnisse — Kurstädte, deren Vorstädte aber dörfliche Kosakenstanizen sind. Die bedeutendste Stadt des nördlichen Kaukasus ist W l a d i k a w k a s ,
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schon im 18. Jahrhundert eine Festung der Russen, mit 78000 Einwohnern, davon 58 % Russen. Die Stadt gilt, wie gesagt, als autonom. Vom üblichen jüngsten Kolonialstadttyp, aber mit einigen Eingeborenenstraßen, mit niedrigen Vorlaubenhäusern der kleinen Handwerker hier einen ganz in den Orient versetzend. M a c h a t s c h - k a l ä , das frühere Petrowsk, 32000 Einwohner, ist jetzt die Hauptstadt der Republik Dagestan und der größte kaukasische Handelshafen am Kaspischen Meer. Die Stadt erhebt sich terrassenförmig auf den die Bucht umgebenden Höhen. Zu den 56 % Russen kommen hier 23 % Kumyken und 12 % andere. Das kleine Städtchen G u n i b , auf einem der öden Hochplateaus des Dagestan ist rein orientalisch, während B u i n ä k , früher TemirChan-Schura, 10 000 Einwohner, aus einem alten Lager Timurs im 14. Jahrhundert entstanden, jetzt von ganz russischem Äußeren ist. D e r b e n t , „das Tor", 23000 Einwohner, der zweite Kaspihafen, ist infolge seiner Lage an der schmälsten Stelle, die die Kaukasuskette im Osten für den Durchgang freiläßt, schon im 6. Jahrhundert als persische Festung an dieser großen Völkerstraße bekannt. Wie ehemalige russische Festungsbauten zu Industriebauten umgewandelt werden, zeigt A l a g i r , in dessen Nähe Silber-, Blei-, Zinkerze abgebaut werden. Wirklichen Großstädten begegnet man aber erst in Transkaukasien. T i f l i s („Teplitz") hat 294000 Einwohner, ist die Hauptstadt Georgiens, die es schon einst im 5. Jahrhundert war. Georgier, Armenier, Russen bewohnen diese schöne und schöngelegene Stadt an der Kura. Hier führte einst der Handelsweg von Indien nach Europa vorbei, und hier drang das Christentum schon im 12. Jahrhundert ein. Kaum eine Stadt hat infolge ihrer Isthmuslage so viele Völker in ihren Mauern gesehen, wie sie: Chasaren, Hunnen, Perser, Byzantiner, Araber, Mongolen, Türken, Seldschuken, kaukasische Bergvölker. Tiflis besteht aus der alten, asiatischen Stadt mit krummen Gassen, niedrigen Häusern mit Galerien und flachen Dächern, mit Kirchen und pyramidenförmigen Glockentürmen und der neuen Europäerstadt. B a k u , die Hauptstadt der Republik Aserbeidschan, 453000 Einwohner, ist durch die gewaltigen Naphthavorräte in seiner Nähe, auf der wüstenhaften Halbinsel Apscheron, weltbekannt geworden. Die Stadt wird schon im 5. Jahrhundert erwähnt. Für das Wirtschaftsleben des Landes hat sie keine große Bedeutung, da die meisten Arbeiter landfremd sind, fremdes Geld in den Betrieden steckt und der Gewinn aus dem Lande herausgeht. Immerhin ist sie als Exporthafen von gewisser Bedeutung, und ihre Messe wird von persischen Kaufleuten viel besucht. Die heutigen Einwohner sind vorwiegend Türken, dann folgen Russen und Armenier. Die Stadt gliedert sich in den Fabrikbezirk, die Neustadt — von fast amerikanischem Aussehen — und die alte Tatarenstadt um das Chanschloß herum. G a n d s h a , früher Jelisawetpol, hat 57000 Einwohner, vorwiegend Türken und Armenier, denen Viehzucht, Weinbau und Weinkelterei die Hauptgewerbe bieten. Der vorwiegend
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orientalische Stadttyp ist durch russische Anlagen verwischt. Die Kleinstädte Aserbeidsclians sind rein orientalisch, wobei im Südosten, in L e n k o r ä n , 12000 Einwohner, 2 0 % Russen, sich persische Einschläge hervorheben. Die Schwarzmeerlandschaften mit ihrem vorwiegend feuchten, subtropischen Klima enthalten eine Reihe eigenartiger Städte. B a t ü m ist fast rein russischer Hafenort und Hauptstadt Adsharistans, mit 61000 Einwohnern, der beste Schwarzmeerhafen nach Sewastopol in der Krim. Batum und alle weiteren kleinen Hafenorte, rein russischen Gepräges, P o t i , A d l e r , S o t s c h i , T u a p s e , A n ä p a sind Kurorte, N o w o r o s s i s k endlich Getreidehafen mit 68000 Einwohnern. Armenien beherbergt auf seinen steppenhaften Hochplateaus oder in fruchtbaren Senken eine Reihe kleinerer Städte. Bedeutender ist nur die Hauptstadt E r i w ä n , 65000 Einwohner, davon über drei Viertel Armenier, aber von russischem Äußeren, und L e n i n a k ä n , früher Alexandropol, 42000 Einwohner, E r i w ä n ist durch seinen Weinbau, Obst- und Gemüseanbau, L e n i n a k ä n durch sein Seiden-, Tücher- und Teppichgewerbe bekannt.
Die Städte Sibiriens. Die Städte Sibiriens zeigen wiederum den jüngsten Kolonialstadttyp echt russischen Gepräges. Sie stammen meistens aus dem 18. und 19. Jahrhundert, aber erst die Eröffnung der großen Sibirischen Bahn hat sie zu dem, was sie heute sind, sich entwickeln lassen. Neben der modernen russischen Kolonialstadt, die sich hier durch besonders regelmäßigen fächerförmigen, rechteckigen oder quadratischen Grundriß auszeichnet, und wenig im Äußeren sich von einer Stadt des Europäischen Gebiets gleicher Art unterscheidet, ist die Dorfstadt für alle abseits der Bahn gelegenen Gebiete charakteristisch. Als Stadt werden hier rein administrativ oft ganz kümmerliche Dörfchen mit nur wenigen Hundert Einwohnern bezeichnet, deren Hütten kaum weniger primitiv sind als die der in der Wildnis lebenden Eingeborenen. Die Hafenstadt Wladiwostok bildet aber, mit Leningrad und Odessa, den westeuropäischen Typ — natürlich mit manchen ostasiatischen Einschlägen. Sibirien hat aber auch seine historischen Städte gehabt. Ein Vor- und frühhistorisches Kulturzentrum befand sich im fruchtbaren Altaivorlande. Hier schlössen sich im 15. und 16. Jahrhundert die Tataren zusammen und schufen einige feste Punkte, die z. T. kleine Städte, wie z. B. T s c h i n g i , waren, an dessen Stelle T j u m e n entstanden ist. Am Tobol lag das tatarische I s k e r oder S i b i r , das dem Lande später den Namen gegeben hat. Die älteste russische Stadt war M a n g a s e j a am Tas, dem Zufluß zum zweiten großen Mündungsschlauch des Obbusens, ein korrumpierter
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Name aus „Magazin", die die Küstenfahrer (Pomoren) besuchten und die eine für die Zeit immerhin beachtenswerte Siedlung mit Palisaden, Kirchen und etwa 200 Häusern war. Die Stadt brannte nieder, und der Handelsplatz für den Norden wurde, im 17. und 18. Jahrhundert, das heute noch stehende kleine bedeutungslose Dorfstädtchen T u r u c h ä n s k am unteren Jenissei. Aus dem 16. und 17. Jahrhundert stammen auch die Siedlungen O b d o r s k und B e r e s o w , nominell Städte. Nach der Eroberung Kasans war aber auch der Südweg in die fruchtbaren tatarischen Landschaften Westsibiriens frei geworden, und die berühmten Eroberungszüge Jermaks erstreckten sich über das Königreich Kutschums hinaus. In einem Jahrhundert ist dann ganz Sibirien dem russischen Staate einverleibt worden. Die den Eroberern und Kaufleuten nachströmenden Bauern, Verkehrsstützpunkte, Gefängnisse für den Transport politischer Gefangener und Sträflinge, Bodenschätze gaben dann den Anstoß zur Gründung zahlreicher Städte. Es waren anfangs Festungen „Ostroge", von Palisaden, später Mauern mit hohen Wachttürmen an den Ecken, umgeben, die an den Winterquartieren oder Stanizen der Kosaken errichtet wurden. Ein hohes Flußufer, ein Waldrand, gelegentlich auch das Vorkommen von Bodenschätzen waren für die Wahl des Platzes dabei maßgebend gewesen. Oder es wurden Eingeborenensiedlungen befestigt, wie z. B. T j u m e n , T u r i n s k , K u r g ä n u. a. entstanden sind. Die meisten Festungen dieser ersten Periode sind natürlich verschwunden, und die Städte führten überhaupt bis zum 19. Jahrhundert eine recht kümmerliche Existenz. Viele hielten sich nur als Verbannungs- oder Sträflingsorte, während zahllose Bauern, denen die Ansiedlung nicht gelungen war, ein entwurzeltes, störendes Proletariat in ihnen bildeten. Eine Stadt war wie die andere: regelmäßig, „nach sibirischer Art" angelegt, mit breiten ungepflasterten Straßen, großen Plätzen, mit einstöckigen, selten zweistöckigen Gebäuden. Nichts anderes als große, unsaubere Dörfer, und in den größten sibirischen Städten, Tobolsk, Omsk, Tomsk, weidete noch im 19. Jahrhundert das Vieh auf den Straßen. Erst der Bau und die Inbetriebnahme der Bahn hat die Städte wirklich solche werden lassen. Die Dorfstädte des Nordens sind nichts anderes als kleine, Handel oder Fischerei treibende Dörfer in den Tundren und nördlichen Waldlandschaften Sibiriens. Überaus armselig, oft nur mit ein paar hundert Einwohnern, die zum größeren Teil in den primitiven Holzhütten der Eingeborenen hausen. W e r c h o j a n s k , dessen Name bekannter ist, muß seinen Ruhm als Kältepol der Erde nun auch an einen weiter östlich, im neuentdeckten Tscherski-Gebirge gelegenen Punkt abgeben. Die am dichtesten besiedelten westsibirischen Ackerbaulandschaften der Waldsteppe und Steppe haben natürlich auch die meisten Städte. Es sind wichtige Handelsplätze oder administrative Zentren und machen den Eindruck von guten Provinzstädten. Omsk, gegründet 1717, 161000 Einwohner, ist die größte Stadt Sibiriens und Mittelpunkt aller west-
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sibirischen Kulturlandschaften, N o w o - S i b i r s k , deren politische Hauptstadt mit 120 000 Einwohnern, erst 1893, während des Baues der sibirischen Bahn, entstanden. Zahlreiche moderne westeuropäische Bauten, die hier zum „bolschewistischen Baustil" gerechnet werden und die auch in Moskau zu sehen sind, passen noch nicht so recht in das Stadtbild hinein, und was man in der Umgebung von Nowo-Sibirsk zu sehen bekommt, stellt alle Wohnungsnot und Wohnungselend von Moskau in den Schatten: noch im Jahre 1926 wurden 20000 Wohnhöhlen gezählt, in denen die Ärmsten der Armen aus Zeiten der Bürgerkriege, Flüchtlinge hungernder Provinzen und der Abschaum der Bevölkerung dieses im Grunde doch so reichen und entwickelungsfähigen Landes hausen. T o m s k ist schon 1614 gegründet worden, hat 99000 Einwohner, ist das „Sibirische Athen". Seine Lage am hohen Ufer des Tom ist schön. T j u m e n hat 50000 Einwohner, und ein gutes Dutzend weiterer Städtchen, darunter reine Bauernstädte, wie das 1911 gegründete S l ä w g o r o d , kennzeichnen diese Landschaft. Im Altaivorlande liegen B a r n a ü l , 74000 Einwohner, und B i i s k , 46000 Einwohner, letzteres für den Durchgangsverkehr mit der Mongolei wichtig. In Mittel- und Ostsibirien wird die Kulturzone schmal und löst sich inselartig auf. An der Bahn liegt eine Reihe bedeutenderer Städte: K r a s n o j ä r s k , 72000 Einwohner, ist Brückenkopf am Jenissei, eine der bestangelegten und schönsten Städte Sibiriens, I r k ü t s k , 99000 Einwohner, in ausgezeichneter Verkehrslage dank AngaraBaikalsee-Selenga, W e r c h n e ü d i n s k , 29000 Einwohner, die Hauptstadt der Mongolen-Burjäten-Republik, T s c h i t ä , 58000 Einwohner, — alles Städte, die im 17. Jahrhundert von Kosaken gegründet worden sind. Hier in Mittelsibirien ist noch die weit nach Norden vorgeschobene Stadt J a k ü t s k , 11000 Einwohner bemerkenswert, da sie in der nördlichsten Ackerbauzone liegt. Von den Städten längs der Bahn sind in Ostsibirien zu nennen: C h a b ä r o w s k , 50000 Einwohner, und N i k o l s k - U s u r i s k i , 35000 Einwohner, beides Städte mit stärkerem Anteil von Chinesen und Koreanern. B l a g o w e s c h t s c h e n s k am Amur hat 61000 Einwohner und ist ein wichtiger Binnenhafen. Von den Küstenstädten sind N i k o l ä j e w s k a m A m u r , P e t r o p ä w l o w s k auf Kamtschatka, A j ä n u. a. eben noch ganz bedeutungslose Orte mit Holzbauten und Hütten. W l a d i w o s t o k , gegründet 1860, 102000 Einwohner hat als Ausgangstor Nordasiens zum Stillen Ozean dagegen einen großartigen Aufschwung genommen und ist, als moderne Stadt von westeuropäischem Typ, malerisch am „Goldenen Horn", einer der bequemsten Buchten der Welt, gelegen, etwas ganz Besonderes. Hier pulsiert ein Leben, auch jetzt, trotz aller Bedrückungen des Privathandels, wie man es kaum in irgend einer anderen russischen Stadt sieht. Chinesen und Koreaner haben ihre eigenen Viertel mit russischen Mietskasernen, ihren Fischereihafen, in dem die Changas, die kleinen Dschunken, dicht gedrängt liegen. Nach einem Vertrag mit Japan ist Wladiwostok nicht mehr Festung, aber der neue Hauptausfuhr-
Stadtlandschaften
der
Abb. 5.
Erde.
Tafel
Wladiwostok.
Abb. 6. K e r k i .
Leninprospekt mit Kaufhäusern,
T y p einer turkestanischen Kleinstadt,
3.
Stadtlandschaften
Tafel 4.
A b b . 7.
Straße in Tsuruga.
A b b . 8.
Schloß in Nagoya.
der Erde.
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artikel, die mandschurischen Sojabohnen und deren Produkte, haben die Stadt für jenen Ausfall entschädigt. Ihr Warenumsatz ist größer als der Leningrads, zweieinhalb mal so groß, wie in der Vorkriegszeit. Den blühenden Schmuggel nicht gerechnet. Die zahlreichen Buchten, felsigen Inseln und Halbinseln, in die sich die letzten Ausläufer des ostsibirischen Küstengebirges, Sichota-alin, hier auflösen und die von der Stadt und den Häfen eingenommen sind, rufen natürlich eine starke Gliederung des Grundrisses hervor. Die Hauptstraße, voller schöner Handelshäuser (Tafelbild 5), zieht sich 6 km an der Bucht entlang, die landeinwärts rechtwinkelig abzweigenden Nebenstraßen führen steil die Hänge der Berge hinauf und sind oft nicht befahrbar. Infolge des bergigen Geländes entwickeln sich auch mehrere Zentren, denen geradlinige Straßen zustreben. Auch in den Steppen und Halbwüstenlandschaften des Kirgisengebietes liegen eine Reihe jüngerer Kolonialstädte, die im wesentlichen den gleichen Typ der sibirischen zeigen, nur sind sie kleiner und bedeutungsloser. Die nördliche Ackerbauzone ist ebenfalls alter Kulturboden. An den wichtigsten Strömen, Irtysch, Ischim, Tobol, Ilek, Ural, gelegentlich auch in den inneren, abflußlosen Teilen des Landes und sehr häufig in bergiger Gegend, sind die Reste kleiner alter Festungen und Siedlungen aus der vornomadischen Zeit, während welcher hier, dicht an der großen asiatischen Völkerpforte, ein Dutzend inner- und ostasiatischer Völker auf ihrem Wege nach Vorderasien und Europa durchzogen, erhalten. Im 17. und 18. Jahrhundert drangen die Russen, gleich nach den Eroberungen Jermaks, von Norden her ein, eine ausgedehnte Kolonisation durch russische Bauern einleitend. Im Süden wurden im 18. Jahrhundert, von Orenburg, dem ersten Grenz- und Handelsfort aus, mit Forts und Vorposten besetzte strategische Linien vorgeschoben und im 19. Jahrhundert ebenfalls mit der Kolonisation von russischen Bauern im Gebiet der kirgisischen Nomaden begonnen. Die Grenzschutzlinien wurden mit Kosaken besiedelt, und die Kämpfe mit den Nomaden hörten erst allmählich im Laufe des vorigen Jahrhunderts auf. Die Stadt S e m i p a l ä t i n s k , 57000 Einwohner, am Irtysch, durch eine Zweigbahn mit der sibirischen Bahn verbunden, ist der wirtschaftliche Verbindungspunkt zwischen Sibirien und Turkestan, und mit Fertigstellung der in Bau befindlichen Turkestanischen Linie wird sie einen großen Aufschwung erleben. In der Ackerbauzone ist noch K i s i l - d s h a r , früher Petropawlowsk, am Ischim zu nennen, während die Städtchen im Innern des Kirgisengebietes bedeutungslose Dorfstädte sind. Auch die Städte an der südlichen strategischen Linie, O r e n b u r g - ( T a s c h k e n t ) - A l m a - a t ä im Tienschan, haben nur die Bedeutung von Verkehrsstützpunkten, weniger Handelspunkten, an der nordturkestanischen (Orenburg—Taschkenter) Bahn. O r e n b ü r g selbst ist eine Kolonialstadt aus dem 18. Jahrhundert, hat heute immerhin 123000 Einwohner, Russen und Tataren, von denen die meisten aber Ackerbau und Viehzucht treiben. Sehr eigenartig ist die neben der Stadt in der Steppe gelegene riesige, 5
Stadtlandschnften.
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befestigte Karawanserai, der ehemalige Tauschhof, in dem die großen Kamelkarawanen Unterkunft fanden. K i s i l - o r d ä , früher Perowsk, 23000 Einwohner, ist die Hauptstadt der Kirgisenrepublik (Kasakstan), T u r k e s t ä n , 22000 Einwohner, eine Siedelung aus der Timuridenzeit, T s c h i m k e n t , 21000 Einwohner, A u l i e - a t ä , 25000Einwohner, F r ü n s e , früher Pischpek, 35000 Einwohner, A l m a - a t ä , früher Wjerny, 45000 Einwohner, sind alles neue Russenstädtchen, in denen sich aber doch orientalisches Leben äußert und das Stadtbild mehr oder weniger beeinflußt.
Die Städte Turkestans. Die Städte Turkestans sind Berieselungsoasenstädte von ganz eigenartigem Typ. Stadtgeographisch ist die neue Russenstadt, meist neben einer Eingeborenenstadt gelegen, vielleicht noch der interessantere Typ unter den beiden. Sie zeigt wohl den üblichen Grundriß jüngster Kolonialstädte, aber ihre niedrigen, einstöckigen Lehm- oder Ziegelbauten, mit flachen, meistens Lehmdächern, die hohen Lehmmauern um die ausgedehnten Hausgärten herum, die der Erdbebengefahr wegen breit angelegten, von Bewässerungsgräben und diese beschattenden Baumreihen begleitet, bilden einen Stadttyp, der nur hier zu finden ist. Die Eingeborenenstadt ist dagegen vom üblichen orientalischen Aussehen, natürlich mit spezifisch turkestanischem Einschlag, der an Afganistan am ehesten erinnert (Tafelbild 6). Im westlichen Turkestän, Transkaspien, fehlt es an Wasser, dort sind die Städte nicht so üppig in Grün gehüllt, und in Eingeborenen wie Russenstädten macht sich persischer Stil geltend. Alle Russenstädte, gerade die größten und bedeutendsten, haben in der letzten Zeit sehr an Schönheit verloren, da sich zahlreiche moderne, auch mehrstöckige Bauten der Regierungsgebäude, öffentlicher Gebäude, eindrängen. In der größten Stadt, Taschkent, steht manches Bauwerk, das in Westeuropa eine Zierde sein würde, hierher aber nicht paßt. In den Bürgerwohnungen wird sich aber der alte Kolonialhausstil Turkestans noch lange erhalten, da eben der Löß das beste und billigste Baumaterial für diese Häuser liefert. Die Oasen Turkestans sind natürlich ältester Kulturboden. Man kennt j a die Gründungen Alexanders des Großen, die prachtvollen Baudenkmäler Timurs. Die kriegerischen Turkmenen, die in den Wüsten und Wüstensteppen umherziehen, erschwerten den Russen die Eroberung des Landes außerordentlich. Ein Ziel, das sich schon Peter der Große zur Erreichung des Indischen Ozeans gesteckt hatte, wurde erst am Ende des 19. Jahrhunderts insofern durchgeführt, als die Russen Turkestän wohl eroberten, an den großen inner- und westasiatischen Ketten, vor Afganistan, aber Halt machen mußten. Die turkestanische Eisenbahn, von Oase zu Oase hin, ließ die einzelnen Stützpunkte zu Städten werden. Der Handel
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entwickelte sich rasch, Baumwolle und Früchte, in geringem Umfang auch Bodenschätze, brachte das Land dem Mutterlande ein, und die geordneten politischen Zustände förderten den Wohlstand der Eingeborenen und ließen auch deren Städte wachsen. Die Anlage der größeren turkestanischen Städte ist gewöhnlich folgende: in Nähe der Eingeborenenstadt ist die Russenfestung errichtet, die öfters einen Stadtteil für sich bildet und um die Straßen herumziehen. Daneben liegt der zweite Hauptteil der Russenstadt mit sich regelmäßig kreuzenden Straßenzügen. Russenstadt und Eingeborenenstadt sind entweder ganz getrennt, können viele Kilometer voneinander entfernt liegen, wie z. B. in Samarkand, Buchara, oder gehen ineinander über, wie z. B. in Taschkent. In Transkaspien, z. B. in Aschchabad, fehlt ein besonderer Baustil in der Eingeborenenstadt, die russischen und russisch-persischen Stil aufweist. In kleineren Städten ist das Russenviertel dem Eingeborenenviertel ähnlich unterscheidet sich oft kaum im Baustil der Häuser, sondern nur in der regelmäßigen Anlage, Sauberkeit. In neuester Zeit leben infolge der auch hier herrschenden Wohnungsnot auch viele Russen in der Eingeborenenstadt, oft unter den schlimmsten hygienischen Verhältnissen. Die Industriestadt fehlt Turkestan ebenso, wie den anderen asiatischen Gebieten der Sowjetunion. Baumwollreinigungsanstalten, einige Brauereien, Spritfabriken u. a. gewerbliche Unternehmungen ändern nichts am Stadtbilde, und daher gibt es auch keine Arbeiterviertel, nur Stadtteile, in denen sich die ärmere Bevölkerung zusammendrängt. In der Nähe der größeren Russenstädte, die sämtlich in Gebirgsfußoasen gelegen sind, sind auch, höher in den Bergen, Datschenorte, um der Sommerhitze des Tieflandes entfliehen zu können, entstanden. Der schönste ist F i r j u s ä bei Aschchabad, eine Taloase im Steppengebirge Kopet-dag an der persischen Grenze. Die größte und bedeutendste Stadt Turkestans ist T a s c h k e n t , mit 313000 Einwohnern, Usbeken, Kirgisen, Tataren, Russen. Die wechselvollen Geschicke hat diese mehr nach Norden vorgeschobene Stadt Turkestans an führender Stelle mitmachen müssen. Im 7.—11. Jahrhundert sah sie Araber, im 11.—14. Jahrhundert Choresmer, im 14.—16. Jahrhundert Mongolen, im 16.—19. Jahrhundert Usbeken und Kirgisen, dazwischen noch Kokander Fürsten und, seit 1865, die Russen als Herren in ihren Mauern. Die Russenstadt erstreckt sich über 6 qkm, ihr östlicher Teil bildet das konzentrisch angelegte Festungsgebiet, im Westen liegt der regelmäßig, viereckig angelegte Stadtteil. Neue Eingeborenenviertel verbinden die Russenstadt mit der Eingeborenenstadt, die sich auch über mindestens 6 qkm erstreckt und das bekannte Gewirr von Straßen, blind endenden Gassen, Plätzen zeigt. Interessantere historische Bauten fehlen hier. 90 km südwestlich von Taschkent liegt in 1400 m Höhe der klimatische Kurort der Taschkenter, T s c h i m g ä n . Die Hauptstadt des östlichen Teils Turkestans, der Republik Usbekistan, 5*
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ist aber nicht Taschkent, sondern die kleinere, aber interessantere Stadt S a m a r k ä n d , mit 101000 Einwohnern, berühmt durch seine Bauten aus der Zeit der Timuriden. Die Bevölkerung besteht hier aus Usbeken, Tadshik, Persern, Tataren, Russen u. a. Samarkand ist das alte Marakanda, das im 4. Jahrhundert vor Christi Geburt von Alexander dem Großen erobert wurde. Im 7.—9. Jahrhundert gehörte die Stadt den Arabern, war im 11. Jahrhundert Seldshukenresidenz, im 13. Jahrhundert von Dshingis-Chan erobert, im 14. Jahrhundert Hauptstadt Timurs. Im 15. Jahrhundert wurde sie von den Usbeken eingenommen, war im 18. Jahrhundert bucharisch und wurde 1868 von den Russen erobert. Die Russenstadt ist vom üblichen turkestanischen Typ, die Eingeborenenstadt berühmt durch den Registan mit seinen Moscheen und zahlreiche andere Baudenkmäler in- und außerhalb der Stadt. Die. Eingeborenenstadt B u c h a r a liegt 13 km von der kleinen, als Bahnstation errichteten, Russenstadt. Von den 46000 Einwohnern der ersteren sind 8 2 % Usbeken, 8 % Tadshik, viel Juden, sog. bucharische Juden, Perser, Afganen, Araber, Inder, Russen u. a. Die Stadt ist durch ihr Teppichgewerbe bekannt, die schöne Burg, Ark, soweit nicht während der letzten Bürgerkriege zerstört, jetzt Sitz der bolschewistischen Behörden. Das Russenhaus, russische Kleidung, Fordwagen ändern viel an dieser, bisher ganz besonders, geradezu fanatisch islamitischen Stadt. K o k ä n d , 68000 Einwohner, ist die wichtigste Stadt Ferganas, Mittelpunkt des Baumwollexports. Die alte Residenz der Kokander Chane wurde 1876 von den Russen erobert. Sehr emporgekommen ist in Fergana die Stadt N a m a n g ä n , 72000 Einwohner. A n d i s h ä n , 72000 Einwohner, hat eine gewisse Bedeutung für den Verkehr nach Zentralasien (Kaschgarien). Die Eingeborenenstadt wurde 1902 durch ein Erdbeben zerstört, ist also größtenteils neu. Im Westen, der jetzigen Republik Turkmenistan, ist nur deren Hauptstadt A s c h c h a b ä d , 5 2 000 Einwohner, mit stark persischen Einwirkungen, und Merw bemerkenswert. Merw hat 22000 Einwohner, ist aber die älteste Stadt des Landes, die schon in der Avesta erwähnt wird und ebenfalls von Alexander dem Großen erobert wurde. Die Russen konnten sie erst 1884 einnehmen. Eine alte, berühmte Stadt ist endlich hoch C h o r e s m (Chiwa), die jetzt zu Usbekistan gehört, mit 20000 Einwohnern.
Ergebnisse. So treten in dem uns scheinbar so gleichförmigen Äußeren russischer Städte doch eine Fülle historisch und natürlich bedingter Typen entgegen. 1. die alte Kremlstadt, deren Anfänge in die erste Zeit der Geschichte der Ostslawen fallen, mit ihren noch öfters erhaltenen mittelalterlichen Stadtteilen, die sich um den Kreml herumschlingen, und dem unregelmäßigen Grundplan; sie ist besonders für die zentralen Wald-
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landschaften charakteristisch. 2. die Stadt vom ostdeutschen Kolonialstil in den Westprovinzen mit dem zentralen Schloß und Marktplatz, zu dem die Hauptstraßen streben, während die Nebenstraßen unregelmäßig verlaufen; durch ihre Judenviertel erhalten diese Städte weiter ein besonderes Gepräge. 3. die jüngere Kolonialstadt, in der der Markt den Mittelpunkt bildet und das Straßennetz bereits häufig regelmäßig rechtwinkelig angeordnet ist; sie tritt besonders in den Randgebieten der Waldlandschaften und im Osten auf. Für die Steppenlandschaften ist neben diesem jüngeren Typ 4. die jüngste Kolonialstadt kennzeichnend, mit regelmäßiger rechtwinkeliger, seltener fächerförmiger oder quadratischer Anlage des Straßennetzes; diesen Typ zeigen auch die Städte der asiatischen Gebiete, in Kaukasien, Sibirien und Turkestan, jedesmal in besonderer Anlage. Die Kleinstädte gehören 5. dem Dorftyp an, da hier eine lange Hauptstraße den Grundriß bestimmt und sich auch das Dorfhaus mehr auswirkt; der Norden, die Waldlandschaften und die Steppenlandschaften haben dabei ihre Besonderheiten; in kulturfeindlichen Randgebieten, der Tundra und der Halbwüste, wird dieser Typ besonders dürftig und durch Bauten der Eingeborenen bestimmt. Eine besondere Gruppe bilden 6. die in ihrem Grundriß ganz von der Topographie bestimmten Städte, in Berg- oder Tallandschaften, in denen sich die Stadt vollständig an das Gelände anpassen muß. Ziemlich fremd stehen den russischen Städten 7. die großen Hafenstädte von mehr oder weniger westeuropäischem Gepräge gegenüber, und ebenso natürlich 8. die orientalischen Städte der Bergkrim, Kaukasiens und Turkestans, wobei die verschiedensten Ubergangsformen zum russischen Typ, andererseits aber ein strenges Nebeneinander der beiden Typen festzustellen und die turkestanische Russenstadt etwas besonders Eigentümliches ist. Als Letztes 9. kannnoch eine Gruppe der reinen Wirtschaftsstädte, also Industriesiedlungen, Kurorte, Datschensiedlungen aufgestellt werden. Einheitlicher als der Grundriß ist, wenn man von den orientalischen Städten absieht, der Hausbau. Eine Nachahmung des Bauernhauses zeigt die Kleinstadt, und zwar des zweistöckigen Blockhauses im Norden, des einstöckigen in den zentralen Waldlandschaften und des flachdachigen, bunten Hauses in den Steppenlandschaften. Aus dem Bauernhaus hat sich das größere städtische, oft zweistöckige Bürgerhaus entwickelt, das in den Vorstädten, auch großer Städte, noch ganze Viertel einnimmt. Das städtische Ziegelwohnhaus ahmt entweder dies Haus nach oder ist die kastenförmige Mietskaserne aller Größen, gewöhnlich als Vorder- und Hinterhaus mit dem zwischenliegenden Hof. Dies Haus stammt auch in Rußland natürlich aus der ersten Industriezeit, enthält oft hundert und mehr Wohnungen, „Quartiere", wie es hier heißt. Die Treppen dieser Häuser sind stets aus Zement und sehr breit — wegen der Feuersgefahr, fast stets in Vorder- und Hintereingängen für jedes Quartier. Doppelfenster, aber auch Doppeltüren sind klimatisch bedingt.
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Sehr charakteristisch ist für die russische Mittelstadt ein höchstens zweistöckiges, kastenförmiges, weiß getünchtes Gebäude mit flachem, gewöhnlich grün angestrichenem blechernen Walmdach. Größere öffentliche Bauten, Stadtvillen usw. zeigen natürlich die verschiedenen westeuropäischen Stilarten, nur selten den sog. „russischen Stil", der ein modernisierter und stilisierter byzantinischer Stil ist. Auch ein moderner orientalischer Stil wird gelegentlich angewandt, und damit die Bindung mit Asien angedeutet. Neuerdings erscheint auch die westeuropäische „moderne Sachlichkeit" im Hausstil und das Turmhaus in der Großstadt. Im Süden, besonders in Kaukasien, auch Turkestan, ist ein einstöckiges Dach- oder Vorlaubenhaus, mit der Laube nach Innen, zum Hof oder Garten gerichtet, häufig, ein Haustyp, den auch die einheimische Bevölkerung Transkaukasiens kennt. Die Straßen sind, abgesehen von denen der alten Stadtteile historischer Städte, gewöhnlich geradlinig und breit, aber nur selten gut gepflastert und nicht gerade sauber, die Bürgersteige schlecht, oft durch Straßenhändler unpassierbar. öffentliche Plätze, Anlagen, Parks sehr einfach, aber zahlreich und mehr als in Westeuropa von der Bevölkerung benutzt. Die Anlage der Bahnhöfe ist in größeren Städten gewöhnlich ungenügend. Dem Westeuropäer fällt heute in den Großstädten der schlechte Zustand der Bauten auf. Abfallender Verputz, schmutzige Höfe, ausgebrochene Fenster, vernagelte Türen verraten das Wohnungselend. Einen lebhaften Verkehr sieht man nur auf den Straßen im Innern der Großstädte. Die Kleinstädte liegen tagaus, tagein ruhig da, und nur politische Demonstrationen bringen Leben und Abwechslung herein.
L i t e r a t u r : Zusammenfassende stadtgeographische Arbeiten über das Russische Reich sind mir nicht bekannt. Einzelheiten über die Städte enthalten die einen Teil des Landes darstellenden Semenowschen landeskundlichen Monographien („Rossija") und das Werk des Landwirtschaftsministeriums „Asiatskaja Rossija". In russischen geographischen Zeitschriften sind nur vereinzelte, gewöhnlich statistische Arbeiten über die Städte veröffentlicht. Von neuen Werken ist der von A. Radö bearbeitete „Führer durch die Sowjetunion", Gesamtausgabe, Herausgegeben von der Gesellschaft für Kulturverbindung der Sowjetunion mit dem Auslande, Berlin 1928, in deutscher Sprache, sehr brauchbar. Ebenso nenne ich den russischen Führer durch das Wolgagebiet, herausgegeben von W. P. Semenow-Tienschanski und D. A. Solotarew, Leninf grad 1925.
Stadtlandschaften im arabischen Orient. Von S i e g f r i e d
Passarge.
1. Abgrenzung des Themas. Alle Städte sind künstlich geschaffene Kulturlandschaften, die zum Wohnen, Wirtschaften, Arbeiten dienen. Entsprechend diesen, allen Städten gemeinsamen Aufgaben und entsprechend der Tatsache, daß in allen e n t s c h e i d e n d e n seelischen Eigenschaften und körperlichen Bedürfnissen alle Menschen gleich sind, ist es berechtigt, die Stadtlandschaften, losgelöst von Landschaftsgürteln und Landschaften, für sich heraus zu heben und die ihnen allen gemeinsamen Charakterzüge festzulegen. Allein das Studium der Stadtlandschaften gewinnt besonders an Reiz, wenn zwei andere Einflüsse, die in jedem Stadtbild einen Ausdruck finden, ebenfalls berücksichtigt werden: L a n d s c h a f t u n d K u l t u r k r e i s . Landschaft und Kulturkreis fallen ursprünglich regional zusammen. Bei den primitivsten Völkern hängt letzterer von der Landschaft ab. Allein sehr früh beginnt eine Störung der Harmonie, indem Kulturgüter wandern und in Gegenden gelangen, in denen sie in der ursprünglichen Form, die durch die heimatliche Landschaft bedingt war, nicht möglich sind. Dann tritt eine Umwandlung unter Anpassung an die Landschaft ein, oder der betreffende Kulturgegenstand verschwindet wieder. Welchen Einfluß übt nun die Landschaft aus ? Einmal sind die einzelnen Elemente der Landschaft — Klima, Oberflächenformen, Pflanzendecke, Bodenart, Rohstoffe, Zufallsformen — für sich allein, sodann aber die unter Zusammentreten der einzelnen Elemente entstehenden Landschaftsteile, Landschaften usw. wirksam. Mit dem Steigen der Kultur und der Entwicklung der Kulturkreise befestigen sich die auf einander angewiesenen, z. T. aus einander hervorgegangenen Kultureinheiten: sie wandern, greifen auf andere Landschaften über und werden damit zu Fremdkulturen. Es entstehen damit Kämpfe zwischen den siegreich vordringenden Fremdkulturen und den alten Heimatskulturen. In diesem Kampf werden letztere überaus wirksam von den Landschaftskräften unterstützt. Das Ergebnis ist gewöhnlich ein gewisser Ausgleich, der sich unter Aufnahme bestimmter fremder Elemente, unter Anpassung an Klima, Rohstoffe, Lebensweise und an die alte Heimatskultur vollzieht.
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Der arabische Orient ist durch eine ganz auffallende Übereinstimmung hinsichtlich der Wesenszüge von Landschaft und Kultur ausgezeichnet. Die Landschaft setzt sich, von untergeordneten Regionen, die den sommerdürren Hartlaubgehölzländern angehören, abgesehen, aus Salzsteppen und Wüsten zusammen, aus denen strichförmig Gebirge aufsteigen, deren wasserreiche Höhenstufen nicht nur Hirten und Bauern eine Heimat bieten, sondern deren Flüsse in dürren Tiefländern blühende Oasenkulturen hervorzaubern können. Auffallend einheitlich ist auch hinsichtlich der Grundzüge die arabische Kultur. Auf ihre Entstehung aus alten persisch-griechisch-byzantinischen und jüngeren arabischen Kulturelementen einzugehen, ist hier nicht der Ort. Hier soll die arabische Kultur, wie sie uns heute entgegentritt, als Einheit genommen, und die für sie charakteristischen Stadtlandschaften behandelt werden. Auf die innerhalb dieses Kulturkreises vorhandenen, in manchen Punkten bemerkenswerten Unterschiede des persischen, arabischen, ägyptischen, berberischen und anderer Unterkreise soll nicht besonders eingegangen, höchstens diese oder jene Hinweise auf Eigenarten gegeben werden. Auch die Umgestaltung des Stadtbildes und Stadtlebens in der Gegenwart durch die immer stärker eindringende europäische Kultur sei hier n i c h t behandelt.
2. Die Bedingungen für die Entwicklung von Städten im Orient Innerhalb der arabischen Kulturwelt gibt es ganz bestimmte Bedingungen, die zu der Entwicklung von Städten geführt haben. Diese Bedingungen sind z. T. landschaftlicher, z. T. verkehrstechnischer Art. a) O a s e n s t ä d t e . Manches spricht dafür, daß die erste Form des Feldbaues im nassen Boden der fluviatilen Überschwemmungsgebiete stattfand, daß vielleicht sogar frühzeitig künstliche Bewässerung begann. Noch deutlicher läßt sich erkennen, daß im Anschluß an Oasen die ersten Städte entstanden. Von den Jägern der Salzsteppen und Wüsten bedroht, mußten sich die Oasenbauern durch geschlossene Wohnart schützen. Oasen — wenigstens solche an Quellen und über Grundwasser — verfügen nur über beschränktes Kulturland, und demgemäß tritt bald Übervölkerung ein. Diese zwingt zur Entwicklung einer Handwerkskultur, die ihrerseits ohne Handel nicht lebensfähig ist. So müssen denn im Anschluß an die Entwicklung der Oasen auch Karawanen, Handelsstraßen, Handelszentren entstehen. Allein bevor wir uns diesem zuwenden, ist eine andere Form der Städte noch zu besprechen. b) L a n d s t ä d t e . Die Abhängigkeit dieser von der Landschaft ist ebenso deutlich wie die der Oasenstädte. Sie sind an Kulturlandschaften mit f l ä c h e n h a f t e m Anbau geknüpft, der durch Regen und Taufall er-
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möglicht wird. Landstädte sind die Mittelpunkte von Handel und Gewerbe für bestimmte landwirtschaftliche Gebiete. Im Orient lassen sich zwei Arten solcher flächenhaft entwickelter, landwirtschaftlicher Gebiete unterscheiden: G e t r e i d e l ä n d e r und B a u m k u l t u r l ä n d e r . Erstere liefern das zur Ernährung und zum Einkauf notwendige Getreide, letztere aber bieten wertvolle Handelsprodukte wie Trauben und Wein, Feigen, Oliven und öl, Mandeln und die Agrumenfrüchte. Die Baumkulturländer sind reich, aber auf den Einkauf von Getreide angewiesen. In Kriegszeiten und bei allen sonstigen Handelsstörungen geraten sie und namentlich die in ihnen gelegenen Städte in Not, während die Getreidebauern in versteckten Gruben für lange Zeit reichende Getreidevorräte aufspeichern können. Oasen und Baumkulturländer sind ohne ausgedehnten Handel und Verkehr nicht denkbar, selbst die Bauern nicht — geschweige die Städter. Demgemäß sind Handelsstädte und Hafenstädte in günstiger Verkehrslage ein überaus großes Bedürfnis im Orient, weit mehr als in unserem Landschaftsgürtel. Deshalb sind Städte und Stadtkulturen im Orient weit älter als bei uns. Daher das Sprichwort: Ex Oriente lux. So gibt es denn Handelsstädte par excellence, Städte, die lediglich dem Handel ihr Dasein verdanken, die in unproduktiver Gegend liegen und gänzlich vom Ausland ernährt werden müssen. R e g i e r u n g s - u n d H a u p t s t ä d t e bedürfen vor allem einer guten Verkehrslage, und dasselbe gilt von R e l i g i o n s S t ä d t e n . Beide Arten von Städten sind im Orient nicht selten. Die Regierungsstädte schließen sich gewöhnlich an eine fruchtbare Gegend an — Damaskus, Bagdad, die persischen Städte — manche finden sich aber gerade in einer ganz armseligen Gegend, eignen sich aber aus militärischen Gründen zur Hauptstadt — Jerusalem. Religionsstädte sind im Anschluß an ein Heiligtum entstanden, aber doch nur dann zur Entwicklung gelangt, wenn sie eine günstige Verkehrslage besaßen — Jerusalem, Mekka, Kerbela — trotz ungenügender Ernährung durch die Umgebung. Die W a s s e r v e r s o r g u n g spielt in diesen Trockengebieten eine besonders wichtige Rolle. Ein dauernd fließender Bach, starke dauernd fließende Quellen, die von der Stadt aus beherrscht werden, sind am geeignetsten: reichliches Grundwasser, das durch Hausbrunnen erschlossen wird, ist vielleicht noch besser. Wo die Wasservorräte nicht ausreichen, ist die Anlage von Zisternen notwendig — von Hauszisternen und von öffentlichen, großen gemauerten oder in den Felsen eingearbeiteten Becken. Die Hauszisternen werden nicht nur von dem Regenwasser, das von den breit auffangenden Dachflächen her zugeleitet wird, sondern auch während der Regenzeit durch Wasserträger mit Schläuchen gefüllt. Dort wo Städte am fließenden Wasser angelegt sind — an Quellen oder Flüssen —, tritt •— so wenigstens im Iran — eine merkwürdige Art der Entwicklung
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oft in Erscheinung. Da neue Zuwanderer sich wegen der Reinheit des Wassers mit Vorliebe stromaufwärts ansiedeln, wächst die Stadt stromaufwärts, und im Laufe der Zeit sind manche Städte viele Kilometer stromaufwärts gewandert. Eine große Rolle spielte bei der Anlage der Städte auch das S c h u t z b e d ü r f n i s , daher kommen alle die verschiedenen Formen der Schutzlage vor: die Lage auf Bergkuppen, auf Steilhängen, auf der Spitze von Zwischentalrücken u. a. m.
3. Bauart der Städte. a) H a u s f o r m e n . Die Einheitlichkeit des Klimas und des Kulturkreises bedingt eine recht große Einheitlichkeit der Hausformen und der Bauart der Städte. Als Fremdlingsform ist aus feuchteren Gebieten — Südeuropa, Kleinasien — das mit Ziegeln gedeckte, rechteckige Giebeldachhaus eingedrungen, so namentlich in die regenreicheren Bergländer — Berberei, Syrien. Allein die h e i m i s c h e n Hausformen überwiegen durchaus. Bei ihnen kann man zwei Formen unterscheiden. Das L e h m - B i e n e n k o r b h a u s ist die primitivste Form. Sie findet sich dort, wo den ärmeren Klassen nur Lehm als Baumaterial zur Verfügung steht. Nach der Art der Eskimoschneehäuser und der vorgeschichtlichen Stein-Bienenkörbe werden die Kuppeln als „falsche Gewölbe" hergestellt. Bienenkörbe finden sich namentlich in den Vorstädten mit unruhiger, halbnomadischer Bevölkerung — mit Städter gewordenen Bauern und Hirten. Der zweite Typus findet sich dort, wo Holz und Balken zur Verfügung stehen, aus denen man ein Flachdach bauen kann. Der Grundriß ist rechteckig. Auf das Flachdach wird oft genug ein Obergeschoß gesetzt, aber so, daß dieses kleiner als das Dach ist. Der freie Teil des Daches dient als Terrasse zum Schlafen in heißen Sommernächten. Bienenkorb und Kastenhaus gehn in zwei Formen in einander über. Der Unterbau des Bienenkorbes wird rechteckig, das Haus nimmt sogar die Form eines Würfels an, aber im Innern bleibt die K u p p e l form des Daches erhalten, und diese Kuppel überragt auch oft als Halbkugel das Flachdach. Aus diesem primitiven Kuppeldach hat sich der Kuppelbau der Moscheen und der christlichen Kirchen entwickelt. Bartsch hat eingehend diesen Entwicklungsgang begründet. Die zweite Ubergangsform ist das Tonnengewölbe. Das Haus ist ein langes Rechteck, die Kuppel aber ist in der Form eines Tonnendaches lang ausgezogen. Tonnendachhäuser sind namentlich von Nubien bis Südtunesien im Gebrauch, während die quadratischen Kuppeldachhäuser nicht nur im
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Orient verbreitet sind, sondern auch auf die südeuropäischen Halbinseln gelangt sind. b) G e h ö f t e . Die einzelnen Häuser sind klein, aber sie treten zusammen und umschließen einen Hof. Größere Gehöfte besitzen sogar mehrere hintereinander gelegene Höfe, von denen manche, mit Gärten, Springbrunnen, Schattenhallen und Empfangsräumen versehen, dem Gesellschaftsleben dienen. Sie gleichen den alten Atriumgehöften. Äußerlich unscheinbar und in der Vorhalle und im Vorhof sogar schmutzig und ärmlich, enthalten sie im Innern zuweilen ungeahnten Luxus und überladenen Reichtum. Man will aus Furcht vor gewissenlosen habgierigen Machthabern seinen Reichtum hinter Armut und Schmutz verstecken. Manche Häuser haben freilich mehrere Stockwerke, vergitterte Fenster nach der Straße, schön geschnitzte Balkons und machen einen gefälligen Eindruck. Sie gehören meist einflußreichen Besitzern der herrschenden Klasse an, die nichts zu fürchten haben, während in den ärmlich aussehenden Häuser Angehörige der unterdrückten Völker und Religionen zu wohnen pflegen. c) I n n e r e r A u f b a u d e r S t ä d t e . Einzelhäuser und Gehöfte setzen nun die Stadt zusammen und zwar bilden sie ein unglaubliches Gewirr von Gassen, Gäßchen, Sackgäßchen, überwölbten, tunnelartigen Gängen, die hier und dort aus Löchern Oberlicht erhalten. Durchgehende, nach unseren Begriffen ganz enge, geradlinige Straßen treten nur vereinzelt auf und bilden dann ganz besonders wichtige Verkehrs- und Handelsstraßen. Hier und dort kommen auch Plätze vor, sind aber gewöhnlich
Abb. 14. Kairuan mit seinen engen winkligen Gassen, dem Basarviertel (Quartier der Souks), der Kasba (Burg) und der großen Moschee. In der Umgebung neuere arabische (W und N) und französische (S) Stadtteile.
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klein und von ganz unreg ßiger Form. Manche Städte sind als Festungen mit Mauern, Türmen, Schießscharten, Bastionen und großen Eingangstoren ausgebaut, die in der Gegenwart freilich im Verfall zu sein pflegen. Innerhalb der Städte sind noch mancherlei Gebäude und Stadtteile bemerkenswert. Da liegt zuweilen in der Stadt oder an einer ihrer Ecken eine B u r g , — Kasba, Alkasar — die Zwingburg in der H a n d des Herrenvolkes, des Landsknechtsultans oder irgend eines Eroberers. Der Regierungspalast des Sultans, des Paschas mit seinen Abb. 15. Jerusalem, ohne die neuen Stadtteile, Soldaten, Beamten und dem ganmit den religiös-völkischen Stadtteilen und den zen Hofstaat bildet zuweilen beiden Zentren — Zitadelle und Moschee. einen besonderen Stadtteil, im Bagdad der Khalifenzeit einst sogar eine besondere Stadt. Ebenbürtig stehen diesen Verwaltungszentralen die mächtigen M o s c h e e n gegenüber mit ihren Kuppeln und Minaretts, mit ihren Medressen, Universitäten und Höfen, gleichfalls ausgedehnte Gebäudekomplexe bildend. Kasba und Moschee treten als weltliches und geistliches Zentrum innerhalb der oft mit starken Mauern geschützten Stadt deutlich hervor — auch auf dem Stadtplan (Abb. 14, Tafelbild 1). Als Zentrum des gesamten W i r t s c h a f t s l e b e n s steht dem Sitz des Herrschens und der geistlichen Leitung das B a s a r v i e r t e l gegenüber, mit seinem Wirrwarr engster Gäßchen, Sackgäßchen, mit von Tonnen-
"Abb." 16. Wohngrube in Matmata, a der Eingang, b—b die Wohngrube.
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gewölben überdeckten Hallen und Kreuzgängen und den winzigen, in die Wände der Wohnhäuser eingebauten Läden, in denen die Besitzer sitzend arbeiten, Reparaturen ausführen, feilschen, scherzen, philosophieren. Wie Dr. Bartsch gezeigt hat, ist aus den Tonnengewölben der Basarstraßen wahrscheinlich die römische und weiterhin christliche Basilika hervorgegangen. Die Basare der Innenstadt werden durch die großen K a r a w a n s e r e i e n ergänzt, die gewöhnlich in den Vorstädten, am Außenrande der Stadt liegen, und große von Hallen, Gängen, Zimmern eingefaßte rechteckige Höfe sind. Dort landen die Karawanen, werden die Kamele abgeladen, werden die Güter verteilt, verkauft. Stets herrscht dort ein reges, interessantes Treiben, bei Ankunft großer Karawanen sogar ein wildes Gedränge, mit Staub und Lärm. Die mit dem Eindringen der islamischen Araber z. T. völlig umgestalteten z. T. neu begründeten Städte erhielten von Anfang an eine Gliederung in nationale und religiöse Quartiere. Die Araber selbst hielten nach Sippen und Stämmen zusammen. Nord-, Mittel-, Südaraber sonderten sich von einander ab, waren einander nicht selten feindlich gesinnt, und so begnügte man sich nicht nur mit der Trennung, man umschloß auch sein Quartier mit Mauern. Die zahlreichen Sprach- und Religionsvölker — Perser, Griechen, Armenier, Syrer, Nestorianer, Juden usw. — werden ebenfalls in besonderen Quartieren zusammengefaßt, falls sie in größerer Zahl vorhanden sind. Sonst leben die Volkssplitter durcheinander oder in besonderen Straßen. So zerfällt Jerusalem z. B. in das Quartier der Juden, Armenier, Christen, Mohammedaner (Abb. 15). Hier wie in Aleppo leben die Islamvölker durcheinander, während in Mesopotamien z. B. wegen ihrer großen Zahl die Perser, in Anatolien die Türken eigene, von anderen Mohammedanern geschiedene Quartiere bewohnen. Die Gliederung der Städte durch Mauern hat sich lange gehalten. Im 18. Jahrhundert bestand sie z. B. noch in Kairo, Damaskus und Aleppo, weil die Ummauerung der Quartiere zur Aufrechterhaltung der Ordnung benutzt wurde. Bei Aufruhr wurden die stets militärisch besetzten Tore geschlossen und der Herd des Aufruhrs isoliert. Eigenartig sind in Aleppo die K a i s a r i e n der Vorstädte, in denen in erster Linie ansässig gewordene Bauern und Hirtennomaden — Araber, Turkmenen, Tataren — als verarmtes Stadtproletariat haust, die Krawallhelden, die bei Aufruhr in Erscheinung treten. Die Kaisarien sind große rechteckige Höfe, die den Karawansereien ähneln und von Angehörigen bestimmter Nationen bewohnt werden. Wenn wir uns daran erinnern, daß in den Vorstädten mancher Gegenden, so Syriens, gerade die Bienenkorbhütten aus Lehm zu finden sind, können wir damit den Überblick über eine arabische Stadtlandschaft abschließen. Unter besonderen Verhältnissen sind ganz eigenartige Städte entstanden,
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so z. B. in Tunesien. Aus Schutzbedürfnis h a t man unter Kalkkrusten oder in äolischen Feinsanden Höhlenwohnungen angelegt. In Matmata, das in einem mit Feinsand z. T. ausgefüllten Kalksteinbecken liegt, bestand der Ort ursprünglich ausschließlich aus einem System von Gruben mit je einem Tunnelzugang (Abb. 16) und 1—2 Stockwerken von Wohnr ä u m e n , Ställen u n d Speicherräumen, die alle als Tonnengewölbe gebaut Grundriss und Querschnitt einer unterirdischen
Wohnung
Abb. 17. Unterirdische Wohnung in Matmata, Südtunesien. (Nach Aufnahme von Charles Gollot).
sind, Abb. 17 zeigt den Grundriß einer solchen von Herrn Gollot, Lehrer in Matmata, aufgenommenen u n d mir freundlichst zur Verfügung gestellten Aufnahmen. Diese Wohngruben sind gewissermaßen in die Erde gesenkte Zellsiedlungen, wie sie in Südtunesien vorkommen, so z. B. in Medenine u n d Metameur. Diese Zellstädte bestehen aus einem System von Tonnenhäusern, die n u r je ein Zimmer haben, aber — ganz dicht aufgeschlossen u n d in 2—3 Stockwerken über einander gebaut — hohe Mauern entstehen lassen, die rechteckige Höfe (Abb. 18 oben) umschließen. Die Türen und die zu den oberen Stockwerken führenden Treppen münden alle in den Hof, während die Außenwände eine t ü r - und fensterlose Wand bilden (Abb. 18 unten). Die Städte setzen sich aus solchen Höfen zusammen und zwar so, d a ß die Außenwände f ü r berittene Nomaden unangreifbare Mauern bilden. In jeder Stadt war ein großes unterirdisches Getreide-
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magazin und Zisternen angelegt — alles Vorrichtungen, die eine Belagerung auszuhaken gestatteten. Denn die Zellenstädte und die Höhlenwohnungen sind beide als Schutzmittel gegen die räuberischen Beduinen entstanden; die Bewohner aber treiben Regenfeldbau mit Getreide, Baumkulturen und haben auch Oasengärten.
Abb. 18. Zellenstädte. Oben Hof in Medenine, unten Außenwand des Ortes Metamern-, von Osten gesehen.
4. Städtische Lebensweise und soziale Schichten. Städte sind in erster Linie die Mittelpunkte eines Wirtschaftslebens, das auf Gewerbe und Handel beruht und mit Landwirtschaft unmittelbar nichts zu tun hat. Beginnen wir also mit dem Wirtschaftsleben! a) G e w e r b e , H a n d e l und W i r t s c h a f t s l e b e n . In den Basarteilen der Stadt drängt sich das Geschäftsleben zusammen. Alles ist im Orient zunftmäßig organisiert, selbst Diebe, Päderasten und die am Tische der Reichen sitzenden, gewerbsmäßigen Schmarotzer. Die einzelnen Zünfte haben besondere Geschäftsstraßen, wie auch früher bei uns. Handel und Gewerbe finden in den offenen Läden und direkt auf der Straße statt, wo sich alles drängt, feilscht, schwatzt und wo neben herumziehenden Händlern auch der herumlaufende Auktionator — Dalläl — laut schreiend die Preise in die Höhe zu treiben sucht. Beim Handel hat man die Versorgung der Stadt mit Lebensmitteln und Rohstoffen aus der nächsten Umgebung durch Bauern und Hirten,
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die auf dem Wege des Wochenmarkthandels erfolgt, von dem Handel mit den aus Salzsteppen und Wüsten eintreffenden Beduinen zu unterscheiden, und dazu kommt der Karawanenhandel. Dieser gliedert sich in folgender Weise. Einmal gibt es einen Ausgangsort; dort wird die Karawane nicht nur äußerlich zusammengestellt, sondern auch finanziert, mit Waren versorgt und zwar nach dem Vorbild einer Aktiengesellschaft. Statt der Papieraktien schießt man aber Waren zusammen, und diese werden von einem Unternehmer unterwegs verkauft, und der Erlös nach Spesenabzug bei der Rückkehr den „Aktionären" ausgezahlt. Ist die Karawane unterwegs, so wird in allen Ortschaften sowohl als mit den Beduinenstämmen gehandelt, aber der Haupthandel erfolgt in dem Zielland, wo ganz besondere wertvolle Gegenstände, z. B. Weihrauch, Seide, Sklaven, Gold, Straußenfedern, Perlen u. a. m. eingehandelt werden. Die Rückkehr einer großen Handelskarawane, die in manchen Gegenden in regelmäßigen Pausen aufgestellt wird, ist ein großes Ereignis in dem Wirtschaftsleben so mancher orientalischen Stadt. In aller Stille wirkend, aber von größtem Einfluß und Reichtum ist die Klasse der A g h a , der Großgrundbesitzer und Großkaufleute. Sie finanzieren nicht nur z. T. die Karawanen, sie sind auch die Besitzer des größten Teiles des Landes. Die Bauern sind Pächter und werden von ihnen ausgewuchert. Sie sind häufig auch die Steuerpächter und Steuereinzieher, und ihr Einfluß auf das Wirtschaftsleben daher oft bedenklich genug. Diesen besitzenden Klassen steht eine große, große Masse verarmter P r o l e t a r i e r gegenüber von Tagelöhnern, Gelegenheitsarbeitern, Dieben, Gaunern, Straßenräubern, Zuhältern, Krawallhelden, Landsknechtnaturen, verkommenen Subjekten, verarmten Beduinen und Fellachen. Aus solchen Elementen rekrutiert sich das sehr zahlreiche, unruhige und stets zu Aufständen geneigte Stadtproletariat. b) D i e U l e m ä . Den im Wirtschaftsleben stehenden sozialen Schichten steht als eine reiche und überaus wichtige, einflußreiche Klasse die G e i s t l i c h k e i t gegenüber, die Ulemä oder „ G r ü n k ö p f e " , wie man sie ihres grünen Turbans wegen in manchen Gegenden, so in Syrien, nennt. Ihr Besitz an Grund und Boden, Häuser, Geld und Gold ist groß, da die Medresen (Lehrhäuser) und Moscheen mit Geschenken reichlich bedacht werden, und da wie im Altertum die Gotteshäuser gleichzeitig Banken sind, in denen man das Geld mit einiger Sicherheit niederlegen kann. Um sein Vermögen vor der Willkür der Regierung zu schützen, besteht auch seit alten Zeiten die Einrichtung, sein Geld der Kirche zu vermachen; aber so lange man lebt, hat man den Nießbrauch. Die Ulemä sind nicht nur entsprechend ihrem Reichtum, sondern auch entsprechend ihrem Einfluß auf das Proletariat überaus wichtig. Sie sind die Führer des Proletariates und in der Lage, jeder Zeit gegen mißliebige Paschas usw. einen kleinen Aufruhr ins Leben zu rufen.
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c) Die R e g i e r u n g . Man kann im Orient im allgemeinen drei Arten von Regierungsformen unterscheiden. 1. In Blütezeiten gibt es ein regierendes Volk, d. h. das Volk gehört der Hauptsache nach der herrschenden Klasse an und wird von Sultanen und deren Beamten beherrscht, die dem gleichen Volk entstammen — Türken in Anatolien, Perser in Iran. Die Regierung ist, je nach der Beschaffenheit des Sultan gut und gerecht oder mehr eine Gewaltherrschaft. 2. Ein Land wird von einem kleineren Eroberervolk beherrscht. Dann steht eine militärisch starke Oberschicht den breiten Volksmassen gegenüber, z. B. Türken im arabischen Orient. Daher entwickelt sich dauernde Feindschaft der Unterdrückten gegen die Herrschenden. 3. In Verfallszeiten, wenn die Oberschicht demoralisiert und willensschwach ist, entscheidet die Faust, die kriegerische Gesinnung, die Willenskraft. Das ist die Zeit der L a n d s k n e c h t s u l t a n e , die, gestützt auf Söldner und Sklaven, eine Gewaltherrschaft errichten. Da aber die Söhne der Landsknechtsultane meist bereits dekadent sind, halten sich solche Gewaltherrschaften nie lange in einer Familie; Umstürze und Kriege folgen dauernd aufeinander. Von der Güte des jeweiligen Machthabers hängen Blüte und Verfall des Staates, des Volkes, des Landes ab. Welche Regierungsart auch bestehen mag, der Gewaltherrscher selbst oder ein die Rolle eines solchen spielender Pascha, Satrap, Beg hat in seiner Regierungsstadt eine feste Burg, wohl bewahrt durch Mauern und Soldaten. Allein es gibt keinen wirklich absoluten Herrscher; stets muß der Potentat lavieren, besonders wenn über ihm ein Höherer, ein Sultan, Großherr, König steht. Rücksicht nehmen muß er auch auf seine Söldner, ohne die er machtlos ist, Rücksicht nehmen auf die reichen Großgrundbesitzer und Kaufleute, deren Geld er braucht, Rücksicht nehmen auf die meist herrschsüchtigen Grünköpfe und das von ihnen geführte Proletariat. Krawalle, die nach oben gemeldet werden, sind stets peinlich, können zu Absetzung und Konfiskation der Vermögen führen, müssen also vermieden werden. Aghas, Ulemä, Proletariat, Handel- und Gewerbetreibende — sie alle bedingen aber die ö f f e n t l i c h e Meinung, und diese ist indem tyrannisch regierten Orient vielleicht der rücksichtsloseste und stärkste Tyrann. So muß sich denn gewöhnlich der scheinbar absolute Herrscher in größter Abhängigkeit winden und drehen, nicht selten ist er auch ein Werkzeug in der Hand äußerlich gedrückter, geknechteter, in Wirklichkeit aber alles beherrschender Gastsarten. d) Die G a s t s a r t e n . Infolge des Wechsels von Eroberungen und Unterdrückungen, von Staatsreligionen und Sektenbildungen gibt es überall im Orient Splitter oder auch größere Gemeinden von Völkern mit besonderer Sprache oder besonderer Religion oder beidem. Solche kleine Sprach- und Religionsvölker leben in den Städten gewöhnlich in geschlossenen kleinen Quartieren und werden von dem HerrenVolk nicht 6
Stadtlandschaften.
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nur unterdrückt, sondern auch schlecht behandelt, geschunden, unter Erhebung von Steuern und Strafgeldern ausgepreßt. Sie nehmen z. T. an der Bildung des Proletariats Anteil, sind aber auch Handwerker, Händler und selbst Großkaufleute, Geldleiher und Wucherer. Entsprechend ihrem überaus klugen, gewandten Benehmen verstehen sie es sich als Makler — Faktore — den Herren unentbehrlich zu machen, leihen ihnen Geld, finanzieren die Beamten- und Militärkarriere der hohen Würdenträger und von deren Söhnen — kurz sie beherrschen die Regierenden und sind die eigentlichen Lenker des Staates, zumal wenn die Steuererhebung in ihrer Hand liegt. Um ein Bild von dieser so überaus wichtigen Menschenklasse zu geben, sei die Darstellung eines solchen Gastsarten aus Niebuhrs Feder gebracht, da sie einen Einblick in die Mittel und Wege gestattet, die die sartische Stadtbevölkerung anwandte, um ihre Herrschaft und ihre Teschrifnatur zu befriedigen. Reiche Kaufleute — es handelt sich nicht um Gastsarten, sondern um Ägypter — verschafften ihren Sklaven hohe Posten bei den herrschenden Mamluken, um durch diese Einfluß auf die Regierenden zu gewinnen. (Niebuhr, Bd. I, S. 134): „ S o habe ich einen alten reichen Kaufmann (in Kairo) gekannt, der selbst nur einen Bedienten bey sich hatte, und auf einem Esel ritt, wenn er seiner Geschäfte wegen ausgehen mußte, der aber einigen seiner Sclaven zu vornehmen Officirs-Stellen bey den egyptischen Truppen verholfen hatte, die mit großer Pracht auf der Straße erschienen, jedoch jederzeit bereit waren, ihn als ihren Wohlthäter zu schützen. Ein gewisser Hassan Kichja hatte auch verschiedene von seinen Sclaven zu großen Bedienungen und Reichthümern erheben helfen. Unter diesen war ein Othman Kichja, der wiederum Herr eines Ibrahim Kichja war. Letzterer erhob so viele von seinen Sclaven und Bedienten zu den größten Ehrenstellen, daß er durch ihre Hilfe in den letzten Jahren fast ganz Ägypten regierte, obgleich er selbst nur die Bedienung eines Katchuda el wokt, welche alle Jahre abwechselt, bekleidete, d. i. nur Kichja oder die erste Person nach dem Aga bey dem Corps der Janitscharen gewesen war". Durch solche Maßnahme haben sich sicherlich auch anderswo reiche Gastsarten Macht und Einfluß verschafft. Jede Gelegenheit, dieses zu erreichen, wird ausgenutzt. Die wichtigsten Gastkolonien gehören den verschiedenen Sekten der christlichen Griechen, Syrer, Armenier und den Juden an. Die geschicktesten sind vielleicht die Armenier.
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5. Die Charakterentwicklung in den Städten des arabischen Orients. Wohl nirgends tritt die Abhängigkeit der Charakterentwicklung so deutlich und in allen Übergängen in Erscheinung, wie gerade im Orient. Wo könnte man heutzutage bessere Natürliche, Primäre Fundamentalcharaktere finden als unter den Nomaden der Salzsteppen und Wüsten (Beduinen) und der Gebirge (Kurden) ? Wo so scharf ausgeprägte, in schwerem K a m p f mit Naturgewalten und gleichzeitig übermächtigen Unterdrückern liegende Fellachencharaktere wie in den Regenfeldbauund Oasenländern des Orients ? In den Städten aber vollzieht sich dauernd eine Umwandlung — Sartoidisierung — der einwandernden Bauern und Hirten. Aber es kommt gleichzeitig zu der Ausbildung der beiden stärksten überhaupt möglichen Charaktergegensätze, erstens der kriegerischen, willensstarken, aber wirtschaftlich unfähigen A n t i s a r t e n — es sind das die Landsknechtnaturen, Söldner, Mamluken — und zweitens der in Oasenstädten und namentlich in den Gastkolonien lebenden immer unterdrückten und mißhandelten, religiös fanatischen S a r t e n . Immer geschunden, immer mit der Faust niedergeschlagen, nur mit Hilfe ihrer Geisteswaffen sich schützend, entwickeln die Sarten alle Charaktereigenschaften, die im friedlichen Wettbewerb den Sieg bringen und ruinieren obendrein durch Demoralisieren ihre antisartischen Quälgeister, denen sie sich durch tausend Dienstleistungen unentbehrlich machen. So stellen denn die Oasenstädte geradezu Museen vor, in denen alle möglichen Charakterextreme und Charakterübergänge zu finden sind. Eine besondere Rolle spielen d i e h e i l i g e n R e l i g i o n s s t ä d t e , die jährlich das Ziel von Wallfahrten tausender von Pilgern sind. Hier sind die Gegensätze zwischen Reichtum und Armut, aufrichtiger Frömmigkeit und moralischer Verworfenheit, von vererbtem Leichtsinn und glutäugigem Fanatismus besonders groß. Liegt nun aber eine solche Wallfahrtsstadt in einer Kümmergegend, bringt jeder Krieg, jede Handelsstörung Hungersnot und Sterben, dann sind solche heilige Städte nicht nur der Sitz eines glühenden Fanatismus, einer auf Haß gegen alles Fremde aufgebauten Religion, sondern Gedanken an Auserwähltheit, an einen Messias und an zukünftige Weltherrschaft werden dort heimatsberechtigt, verständlich, j a notwendig, wenn der Mensch sich seelisch aufrecht erhalten will. Die weltgeschichtliche Rolle der Städte des arabischen Orients ist überwältigend. Dort entstanden wohl in Oasen die ersten Städte mit Handwerk und Welthandel, dort entstanden also Handwerkskultur und städtische Charakterentwicklung, und dort entstanden unter dem Einfluß der städtischen Einwirkung auf den Menschen vier große Religionen — in persischen Oasenstädten die Religion der mit der Wüste ringenden Oasenbauern — die Z a r a t h u s t r a - R e l i g i o n —, in der Oasenstadt Mekka der 6*
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I s l a m , die Religion der Sieger, in der Oase Kadesch aber die M o s e s r e l i g i o n — eine Religion der ewig unterdrückten, geschundenen und doch so stolzen u n d starken, freien Gebirgsbewohner, die in der gleichfalls dauernd gedrückten, unter Hungersnöten leidenden Stadt Jerusalem einen hell erklingenden Resonanzboden f a n d . Der auf H a ß aufgebauten judäischen Kultreligion aber t r a t e n nicht nur leidenschaftlich die alttestamentlichen Propheten entgegen, es entstand als Reaktion gegen die gemütlose, verstandesmäßige Kultreligion und den von ihr gepredigten henotheistischen H a ß d i e c h r i s t l i c h e G e f ü h l s religion mit der Lehre von der allgemeinen Menschenliebe. Die Darstellung der arabischen Stadtlandschaften f ü h r t also zu der Betrachtung der Grundlagen unserer Kultur, und zu Problemen, die an die Charakterentwicklung der Völker, an die Gründe f ü r den Aufstieg, die Gipfelhöhe und den Verfall der Staaten, sowie an die Entstehung der wichtigsten Weltreligionen anknüpfen. Diese vielseitigen Probleme einer Lösung entgegenzuführen, k a n n nur der Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen gelingen. Unter diesen m u ß aber die Kulturgeographie auf landschaftskundlicher Grundlage einen wichtigen Anteil nehmen. Denn ihr fällt die große Aufgabe zu, die kulturellen Probleme in der festen Erde zu verankern u n d die manchmal gar zu leicht als flüchtige Phantasieträume enteilenden Gedankengänge an die Welt der rauhen Wirklichkeit zu fesseln.
Literaturverzeichnis. A l g é r i e e t T u n i s i e — Les Guides Bleus. Paris 1927. B a e d e k e r , K., Palestina and Syria. Leipzig 1922. — Ägypten. Leipzig 1928. B a r t s c h , K., Der Wölbungsbau in Siedlungen der subtropischen Mittelmeerländer. Oldenburg 1928. v. K r e m e r , A., Mittelsyrien und Damascus. Wien 1853. L a n e , E. W., Manners and Customs of the Modern Egyptians. Everyman's Library. London (ohne Jahr), v. M a l t z a n , 3 Jahre im Nordwesten von Afrika. 4 Bde. Leipzig 1863. M e y e r , Ägypten. Leipzig und Wien 1909. N i e b u h r , C., Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Ländern. Hamburg 1837. R u s s e l l , A., The natural history of Aleppo. 2 Bde. London 1794.
Die chinesische Stadt. Von H e i n r i c h
Schmitthenner.
Seit unvordenklichen Zeiten kennt China das Städtetum. Als im Mittelalter unsere Städte nur wenige Zehntausende zählten, gab es längst Millionenstädte, j a , China kannte wohl Großstädte, ehe in Griechenland und Italien Athen und Rom in die Breite wuchsen. Vielleicht ist das chinesische Städtetum ebenso alt wie die uralte Stadtkultur in den Oasenländern an Nil, Euphrat und Tigris. Die chinesische Stadt gehört unbedingt in den chinesischen Kulturkreis, der ohne sie nicht zu denken ist. Wohin sich das chinesische Volkstum und die chinesische Gesittung ausbreiteten, ist auch das chinesische Städtetum gekommen. Wo die chinesische Kolonisation ihre Fortschritte macht, ist die bäuerliche Besiedelung oder die okupatorische Nutzung des Landes dem Chinesentum erst gesichert, wenn in dem neuen Wirtschafts- und Siedelungsgebiet Städte entstehen oder gegründet werden. I m Laufe von 45 Jahrhunderten hat die chinesische Stadtlandschaft den größten Einfluß auf das Wesen und die Eigenart des Chinesentums ausgeübt, und die Tatsache der chinesischen Stadt hat mitgeholfen, einem großen Erdraum das heutige Kulturgesicht aufzuprägen. Die literarischen Quellen aus dem chinesischen Altertum kennen schon die Stadt. Die Frage nach ihrer Entstehung ist noch ungeklärt. Es ist die Meinung ausgesprochen worden, die chinesische Stadt habe sich als Sitz der Fürsten und ihrer Beamten entwickelt. Viele, j a , die meisten der Städte des chinesischen Reiches mögen tatsächlich im Zusammenhang mit einer Beamtenresidenz gegründet worden sein. Aber diese Gründung von Städten setzt schon die Konzeption des Begriffes der Stadt voraus, eine Stadt, die älter ist als die politische Zentralmacht mit Beamtentum und Feudaladel. Im Herkunftsgebiet des Chinesentums, im Nordwesten des Reiches, am Rande des zentralasiatischen Trockengürtels sind die ersten Städte des chinesischen Kulturkreises wohl in ähnlicher Weise wie die Stromoasen des vorderasiatischen Orients im Zusammenhang mit der durch die künstliche Bewässerung auf engen Raum beschränkten Bodennutzung entstanden. Aus der geographischen Lage der Kulturwiege Chinas, aus dem gemeinsamen Besitz der Haustiere und mancher anderer Kulturelemente kann man mit Wahrscheinlichkeit auf alte Beziehungen zwischen Vorderasien und China schließen. Aber wir müssen es dahingestellt sein lassen, ob China das vorderasiatische Urstädtetum entlehnt hat oder nicht vielmehr aus vorderasiatischen Kulturanregungen heraus, wie die chinesische Gesamtkultur,
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so auch das chinesische Städtetum selbständig entwickelte. Arbeitsteilung, Handwerk und Handel mußten sich in den größeren Ansammlungen seßhafter Menschen herausstellen, standen doch die Herkunftsgebiete der chinesischen Stadtkultur unter den gleichen geographischen Bedingungen wie die Länder des vorderasiatischen Orients. Solche Plätze wurden der gegebene Sitz eines Herrscherhauses, und bei staatlich-territorialer Entwicklung der Sitz der Herrscher, Vasallen und Beamten. In den feuchteren Steppen des Lößgebietes, dann in der gesegneten Monsunlandschaft der nordchinesischen Tiefebene und schließlich im feuchten bergigen Südchina ist mit der Ausdehnung des chinesischen Volkes und seiner Kultur auch der Typus der heutigen Stadtlandschaft geworden. Der Begriff einer Stadt ist in China klar umrissen. Es ist nicht die Zahl nahe beieinander wohnender Menschen, in der unsere Statistik in billiger Äußerlichkeit den Stadtbegriff erblickt, sondern die Stadt ist der Sitz eines Beamten, ein politisches und militärisches Zentrum eines Gebietes und damit auch dessen kulturelle und wirtschaftliche Herzkammer. Das äußerliche Kennzeichen der Stadt aber ist die Mauer. Zwischen der Anzahl der Städte und der Bevölkerungsdichte besteht ein direkter Zusammenhang. Die meisten Städte finden sich in den dicht bewohnten Stromniederungen des mittleren und südlichen China und im südlichen Teile der großen Ebene. In ihrem Norden nimmt die Anzahl der Städte ab und ist im Lößland und im trockenen Westen besonders gering. Die Anzahl der Großstädte jedoch ist weniger in der landwirtschaftlichen Verdichtung der Bevölkerung als in Verkehrs- und Handelsentwicklung begründet. Die Großstädte drängen sich in den Deltaebenen von Jangtse und Westfluß, während sie in den ebenso dicht bevölkerten, aber rein agrarischen Gebieten Südschantungs und Honans nicht so häufig sind, und das gut bewohnte Schansi überhaupt keine Stadt über 100000 Einwohner hat. Für alle Städte ist eine ausgesprochene Verkehrslage charakteristisch, im Norden an den Straßen und ihren Kreuzungen, im Süden an den Strömen und ihrem Zusammenfluß. Im Laufe der Zeiten hat der Verkehrswert vieler Städte sich geändert. Waren früher politische Änderungen maßgebend, so vollzieht sich heute die Wandlung unter dem Einfluß der Eisenbahnen und der Dampfschiffe. Dadurch haben sich immer wieder große Umlagerungen im System der Ansiedlungen vollzogen. Bei aller Mannigfaltigkeit der topographischen Lage zeigt es sich doch, daß die Städte fast stets in einem ebenen, vor Überschwemmungen gesicherten Baugrund liegen. Die Sicherung vor dem Hochwasser des Sommers nötigte die Städte trotz der Bedeutung, die die schiffbaren Wasserstraßen für sie haben, sich etwas abseits der Ufer zu halten. Am Meere hat es die Seeräubergefahr mit sich gebracht, daß man die Städte fast stets im Hintergrund der Buchten und meist etwas einwärts der Küste anlegte. Im trockenen Westen Chinas spielt die Lage zum Wasser
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eine andere Rolle. In Kansu kommen noch echte Oasenstädte vor mit weiten Berieselungsgebieten. I n den Lößbecken und in der nordchinesischen Tiefebene, wo man fast überall in Brunnen Wasser erschließen kann, h a t die Sorge u m Trink- und Nutzwasser k a u m je die Lage einer Stadt bestimmt. Anders ist es in den Bergländern und vor allem in den Karstgebieten des Südwestens. Hier haben mächtige Quellen manche Stadtlage bestimmt. (Tsinanfu, Jünanfu.) In Nordchina liegt fast nie, in Mittel- und Südchina liegt nur selten eine Stadt am Berg- oder Talhang empor wie das abenteuerliche Tschungking im engen Jangtsetal. Die militärische Schutzlage auf Berg- oder Hügelrücken, wie sie f ü r die alten Städte des Mittelmeers so charakteristisch ist, spielt in China gar keine Rolle. Flach an eine Ebenheit angeschmiegt, wird nicht in der unmittelbaren Topographie des Weichbildes der Stadt, sondern eher in der umschließendenLandschaft Abb. 19. Plan der Stadt Hsi-ngan am Wei-ho in der militärische Schutz geSchensi. (Guide to China, Tokyo 1924). sucht, indem m a n die Verteidigung zunächst an die Grenzen der umgebenden Landschaftseinheit verlegt. So liegt z. B. Honanfu, das in Schwächezuständen die Hauptstadt des alten Chinas war, im Innern einer leicht überschaubaren, bergumrandeten Lößebene, und Sütschaus Schutzlage beruht auf seiner Lage zwischen Sümpfen und Seen eines weiten Gebietes. Die Bevorzugung der ebenen Lage hängt mit der Eigenart des typischen Stadtgrundrisses zusammen; denn gewöhnlich ist der Grundriß ein durch die Mauer gebildetes Quadrat, ein Rechteck oder doch eine Figur, die sich einem regelmäßigen oder einem unregelmäßigen Viereck nähert (Abb. 19—13). Man h a t oft den Eindruck, als h ä t t e man erst die Mauer gebaut und erst nachträglich die Wohnstätten in der ummauerten Fläche errichtet. Wo es das Gelände verlangt, weicht m a n vom Grundrißschema ab, u m Hügeloder Bergzüge mit in den Mauerring einzuschließen. Zuweilen h a t man wie etwa bei Nangking und in noch schönerer Form bei Saul, der koreanischen H a u p t s t a d t , die im Typus als chinesische Stadt gelten kann, die Mauer ganz dem Gelände angepaßt, und einen weiten Bereich landwirtschaftlich genutzter Flächen mit ummauert. I n diesen Fällen ist der Stadtgrundriß von der Mauerführung durchaus unabhängig; denn die Stadt liegt als etwas Autonomes innerhalb ihrer weit nach außen verlegten Verteidigungslinie. Es kommen auch ohne topographischen Zwang Abweichungen des
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üblichen Grundtypus wie etwa bei der chinesischen Stadt Schanghai, die eine ovale Grundform hat. E s muß jedem Beobachter auffallen, daß die Stadtmauern in ihren geraden, vom Gelände unbeeinflußten Strecken fast stets nach den Himmelsrichtungen orientiert sind, wie sich der Chinese selbst auch stets der Himmelsrichtungen bewußt ist und bei Wegangaben nicht rechts und links, vorne und hinten, sondern Westen und Osten, Süden und Norden sagt. Die Anlage eines Wohnplatzes und erst recht die einer Stadt, ist für den Chinesen nicht allein eine Frage der Zweckmäßigkeit, sondern zugleich auch eine Frage des Feng
FUTSCHAU.vor, Sitz der u. des Xs.
Verwaltung Grerichts
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Abb. 20. Plan von Futschau in Fu-kien am Min-kiang. (Nach Guide to China, Tokyo 1924).
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aut magische Weise die beste Form sich der Natur einzufügen, herausfinden will. Der Geograph wird in diesem Bestreben nicht nur kosmische Vorstellungen und magische Gleichsetzungen erblicken, sondern manchen Gedanken geographischer Naturanpassung feststellen können. Wenn z. B. der Norden die Seite ungünstiger Einflüsse ist, nach der man möglichst nur unbedeutende Tore und Fenster öffnet, liegt das daran, daß die mitternächtliche Seite zugleich die Gegend ist, aus der die schneidend kalten Winterwinde wehen. Man versteht, daß in dem winterkalten Lande das Leben sich nach Süden, der Sonne zu wendet. E s ist so durchaus in der Natur begründet, wenn man für
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die Städte gerne im Norden Rennbahn* einen Bergschutz sucht, und der Süden ihre Vorderseite HANJANöist. 1 ) und Dasnachträgliche WachsWUTSCHANCr _—j j tum der großen Städte hat ihre Grundformen mannigfach abgewandelt, indem man vor das ältere Stadtgebiet durch neue Ummauerungen Vorstädte anfügte. Aber der Kern der Stadt ist fast stets an seinem typischen Grundriß zu erkennen. Die ummauerten ' W U i S C H A N C r ] Teile der größeren Städte liegen gewöhnlich in weit ausgedehnte Vororte einge4 Japanische Konzession /¿y bettet, die sich nach Süden £nemafoe\ „ ¿ Û c j t x t i eI y 3 Französisctte ? und der Hauptverkehrsseite r Ehema!ige\ ^ßussisdie I zu ausdehnen. An den gro^Britische • Stadtmauer Grenze des Konzessionsgebietes ßen Strömen sind diese Vorstädte gewöhnlich abwärts Abb. 21. Plan von Hankau, Hanjang und Wutschang des gesicherten Baugrundes an der Einmündung des Hankiang in den Jang-tseder Stadt im Überschwem- kiang, ProvinzHupe. (NachGuide to China,Tokyol924). mungsgebiet als Basarmärkte entstanden (Abb. 20). Wenn das winterliche Niedrigwasser wie am unteren Han und am Pojang- und Tungtingsee kilometerweit vom Sommerufer entfernt ist, schlägt man am Ufer barackenartige Winterstädte auf, von denen sich die eine oder die andere zur dauernden Siedlung entwickelt hat. Die ausgedehnten Bootsstädte vor den großen Flußhäfen Mittel- und Südchinas haben in dem Auf und Ab des Wasserstandes ihre Begründung. Sie sind schwimmende Vorwerke der festgebauten Ufervorstädte. Ähnlich den Vororten am Stromgestade sind bei den Küstenstädten die Vororte an das Meeresufer herangewachsen. Oft sind ursprünglich getrennte Siedelungen durch dieses Wachstum zum einheitlichen Stadtgebiet geworden. In Swatau, Amoy, Schanghai und Kanton und auch sonst mancherorts haben die neuen Vorstädte die alten ummauerten Städte vollkommen überwuchert. Hankau, die moderne Riesenstadt, ist nichts anderes als ein ursprüngliches Vorstadtgebiet am
HANKAU.
O
1 ) Die altbabylonischen und assyrischen Städte haben gleichfalls einen orientierten Grundriß. Die zwei wichtigsten Winde bedingen dort die Anordnung des Grundrisses NW übereck. Vergl. Unger: Neue Erkenntnisse über die „astronomische" Orientierung in Babylonien. Forsch, und Fortschr., 1928, S. 343.
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andern Ufer von H a n und Jangtse, den alten Städten Wutschang und H a n j a n g gegenüber (Abb. 21). Nachts werden noch immer die Tore der Stadtmauer geschlossen. Selbst wenn in den Vororten das wichtigere wirtschaftliche Leben pulsiert, gelten sie erst in zweiter Linie als Teile der Stadt. Manchesmal k o m m t es auch vor, daß die ursprüngliche Stadt verlassen wie ein leeres Gehäuse daliegt und das ganze Leben sich in den verkehrsbegünstigten Vororten konzentriert. So ist das alte Tschengtschow ein leeres Mauerviereck, in dem außer elenden Wohnungen der Beamtenjamen fast n u r Kultgebäude liegen, während am Bahnhof sich eine große Stadt zu entwickeln beginnt. F ü r alle chinesischen Städte, selbst f ü r diejenigen, die rings in Vororte eingebettet sind, ist es charakteristisch, daß innerhalb des ursprünglichen Stadtgebietes weite Flächen unbebaut sind. Teils handelt es sich u m Schuttfelder, aber meist sind es Flächen, die niemals feste Bauten getragen haben, brach liegen und Gärten oder gar Felder sind (Abb. 22). Diese Leerräume haben eine wichtige Bedeutung; denn die chinesische Stadt ist noch heute Fliehburg f ü r die Bevölkerung des umliegenden Gebietes. Diese Funktion war in Nordchina, das stets nomadischen Barbareneinfällen offen stand, besonders wichtig. J a , ich glaube, daß die chinesische Stadt von vornherein mit als Fliehburg gedacht war, und daß darin eine der Wurzeln des chinesischen Städtetums r u h t . Das Straßennetz der Stadtkerne zeigt eine Linienführung, die durchaus mit dem mathematischen Idealgrundriß der Mauer übereinstimmt. Lage und Richtung der H a u p t s t r a ß e n ist durch die Tore bestimmt. Sie KAiFÖNG führen von einem zum andern Tor, selbst wenn die Tore im Norden aus abergläubischer F u r c h t gewöhnlich geschlossen sind. In den Stadtbeschreibungen sagt daher die Angabe wieviel Tore in den vier Himmelsrichtungen vorhanden sind, sofort etwas über das Gitternetz der H a u p t s t r a ß e n aus. Die Straßen kreuzen sich rechtwinklig. Biegungen und Schwingungen, die f ü r unsere mittelalterlichen Straßen so charakteristisch sind, fehlen. Man liebt es auch nicht, eine Straße an einer anderen enden zu lassen. 0 500 1000m Vermeidbar ist das allerdings nicht immer. Die Einflüsse, Abb. 22. Plan von Kaiföng am Hoangho, die die Straßen entlang weben in Honan.
(Nach einem chinesischen Plan).
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und wirken, stoßen sich unheilbringend an der gegenüberliegenden Häuserwand, und man sucht ihnen durch magische Maßnahmen zu begegnen. Wie die H a u p t s t r a ß e n kreuzen sich auch die Seitenstraßen und die Wohngassen rechtwinklig. Die Wohngassen führen im Gegensatz zu den Hauptstraßen u m scharfe Ecken herum und enden oft blind, so daß ein Gassenlabyrinth entsteht. An dieser Winkligkeit ist oft das Bestreben schuld, auch die Eingänge in die einzelnen Anwesen möglichst
Abb. 23. Plan von Tschengtu in Szetschuan. (Nach Betz, Mitt. d. Seminars f. Orient. Sprachen, 1906).
nach Süden zu legen. Auf den Zug der wichtigen Straßen ü b t oft die Lage des J a m e n Einfluß aus, in dem der oberste Beamte der Stadt seinen Sitz h a t . Die Straßen zielen auf ihn oder führen seitlich daran vorüber. Bei der weiten Ausdehnung der Palast- und Tempelbezirke, die ihrerseits mit Mauern und Gräben umgeben sind, kann es geradezu zu Ineinanderschachtelung von Städten kommen, wofür Peking das klassische Beispiel ist. Auch die Mandschugarnisonen, die der letzten Dynastie die Herrschaft sichern sollten, haben größere oder kleinere Städte innerhalb der Stadt entstehen lassen und den Stadtgrundriß beeinflußt (Abb. 23). Auch in manchen Städten J ü n a n s und Kansus sind die Muhamedaner in ummauerten Quartieren untergebracht, u m das unruhige Element besser beherrschen zu können. Tempel und kultische Gebäude fügen sich in das von den H a u p t s t r a ß e n gegebene Netz oder liegen in den unbebauten Flächen zwischen Stadt u n d Mauer. I m Innern der Städte gibt es nur ganz selten freie' Plätze. Ein Marktplatz, der keiner unserer Städte fehlt, oder ein
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Forum, wie es zum Begriff der römischen Stadt gehört, gibt es in China nicht. Die Straße spielt die Rolle des Marktes oder es ist irgendwo, in Südchina oft außerhalb der Mauer, ein basarartiges Quartier vorhanden, in dem in kurzen Abständen an bestimmten Monatstagen Käufer und Verkäufer sich treffen. Versammlungen können in den großen Höfen der Tempel und des Jamen abgehalten werden. In den Vorstädten außerhalb der Mauern, die unter dem Zwang der Bedürfnisse allmählich heranwuchsen, ist von einer Planmäßigkeit des Grundrisses wenig zu bemerken, wenn sich auch die Straßen rechtwinklig kreuzen und das Bestreben, in ihrer Flucht gerade Himmelsrichtungen einzuhalten, sich geltend macht. Die Breite der Straßen ist in den einzelnen Teilen Chinas von den landesüblichen Verkehrsmitten abhängig. In Nordchina, wo sich der Verkehr zum großen Teil auf zweirädrigem Pferdekarren vollzieht, sind die Straßen verhältnismäßig breit, da mindestens zwei Karren aneinander vorbei kommen müssen. Im bergigen Lößland wo die übliche Karrenspur schmäler ist, sind die Straßen etwas schmäler als in der Tiefebene. Wenn in Peking oder Mukden die Hauptstraßen auch für unsere modernen Begriffe sehr breit sind, ist das der Einfluß der nahen Steppe. Beides sind Städte, deren Grundriß chinesische Ingenieure für halbbarbarische und halbnomadische Steppenvölker geschaffen haben. Ihre Straßen sind wohl geeignet Nomadenheere in sich aufzunehmen. Bei dem Prinzip die Straßen gerade zu legen, verbietet sich in Nordchina Anlage und Ausdehnung einer Stadt den Berg hinauf. In Mittel- und Südchina ersetzt das Boot den Wagen, der Kuli das Transporttier. Daher sind im Süden die Straßen viel schmäler. Sie sind weder für Wagen noch für Pferde geschaffen. Dazu kommt das klimatische Moment. Man sucht in der engen Straße den Schatten vor der brennenden Sonne. Der Kuli braucht für seine Lasten keine Fahrbahn, ja, er steigt lieber Treppen als Böschungen. Daher führen die Straßen gelegentlich auch in Treppen an Berghängen empor und führen in Stufen über hohe Bogenbrücken hinüber. Wo es irgend geht, legt man in Mittel- und Südchina Kanäle durch die Stadt. Sie bilden ein Netz von Wasserstraßen, das von den Wassertoren verschlossen wird. Ein solches Kanalnetz setzt genügend Wasser voraus, aber nicht mehr als die chinesische Technik beherrschen kann. Im Innern der Stromstädte fehlen daher oft alle Kanäle, da man die Hochwasser der Ströme fürchtet. Die Städte haben im Verhältnis zu ihrer Einwohnerzahl gewöhnlich eine große Fläche. Aber im Süden sind Städte von gleicher Größe meist weniger ausgedehnt als im Norden. Die Erklärung für diese Tatsache ist vor allem in der Bauweise der Häuser zu finden. Wir werden noch sehen, daß der Chinese hauptsächlich ebenerdig wohnt, und daß die Anwesen in Südchina kleiner als im Norden sind. Dazu kommen im Norden noch die
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breiten Straßen und die großen Flächen zur Aufnahme einer fliehenden Bevölkerung, die dort, wo man mit Karren und Tieren kommt, größer sein muß als im Gebiet des Träger- und Bootsverkehrs. Mauern und Tore sind wie im Grundriß, auch im Aufriß die wichtigsten Elemente. Leicht nach oben verjüngt hebt sich die Stadtmauer empor und bietet mit ihren starren mathematischen Linien einen gewaltsamen, aber wuchtigen Anblick. Der gleichmäßig hinziehende Zinnenkranz des breiten Wehrgangs bildet eine harte Linie gegen den Horizont, deren Einförmigkeit wohltuend unterbrochen wird durch die massigen Torbauten mit ihren verjüngenden Obergeschossen, den schweren geschweiften Dächern und den niedrigen massigen Verteidigungstürmen an den Mauerecken. I m Lößlande und in der nordchinesischen Tiefebene, wo der Typus der chinesischen S t a d t entstanden ist, sind Löß und Lehm und zur Verkleidung Ziegel das gegebene Baumaterial für die Stadtmauern. Daran hat man auch in Südchina festgehalten, trotzdem man hier leicht mit Natursteinen hätte bauen können. Da man nur selten kalkfreien Ziegellehm hat, wässert man die gebrannten Steine noch in heißem Zustand im Ziegelofen. Dadurch wird der gebrannte K a l k in den Backsteinen gelöscht. Zugleich aber entsteht die schwarzgraue Farbe, die für die Mauern und für das ganze Stadtbild so charakteristisch ist. Mit der Ausbreitung des Chinesentums nach 0 und S ist die chinesische Stadt in anders geartete Landschaften übertragen worden und hat manche ihrer Eigentümlichkeiten beibehalten, die unter ganz anderen geographischen Bedingungen entstanden sind. Historische, topographische und enzyklopädische Werke berichten gewissenhaft von dem B a u der Stadtmauern, da ihre Errichtung die Neugründung oder den Wiederaufbau einer S t a d t bedeutet. E i n chinesischer Anthropologe Chi-li hat sich der Mühe unterzogen bei der anthropologischen Auswertung der großen Enzyklopädie, die unter der Regierung Kanghi's entstanden ist, an Hand der Nachrichten über den B a u von Stadtmauern nachzuweisen, wie sich das chinesische Städtetum und mit ihm das chinesische Volk im L a u f der Geschichte nach O und S ausgebreitet haben (Abb. 24). Bei den mittleren und kleineren Städten Südchinas sind die Mauern oft viel weniger mächtig als bei Städten von gleicher Bedeutung im Norden. Manchesmal sind die Mauern mehr ein Zeichen ihrer Stadtwürde als ein wirksames Verteidigungsmittel. Das liegt nicht etwa an dem Mangel an Lehm und Ziegeln, sondern in der geringeren Notwendigkeit des Mauernschutzes. Während das Lößland und die nordchinesische Tiefebene in der Nachbarschaft der Steppen und Halbwüsten liegt, als lockendes, immer wieder erobertes Ziel der Nomaden, ist Südchina durch große Ströme und Gebirge vor den Reiterhorden der Nord- und Nordwestbarbaren geschützt und lehnt sich im Westen nicht an Nomadengebiete, sondern an die waldigen Hänge der hinterindisch-tibetanischen Hochgebirge an, in denen es wohl kriegerische Hackbauern, aber keine eroberungsdurstigen Nomaden
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Stadtmauerbaues
Abb. 24. Allmähliche Ausbreitung des Städtetums über China. (Erschlossen aus den Angaben über den Bau von Stadtmauern: Chi Ii, The formation of the Chinese People).
gibt. Für die westliche Militärtechnik bilden die Mauern kein Hindernis mehr, aber bei dem Mangel der chinesischen Heere an schwerer Artillerie und dem Hervortreten der Handwaffen sind die Lehmbollwerke nicht bedeutungslos. In den gegenwärtigen Kriegen haben sie noch immer eine Rolle gespielt, und manche Stadt hat in den letzten Jahren schlimme Belagerungen erlebt 1 ). Die Hauptbedeutung der Mauern liegt aber in dem Schutz, den sie vor marodierenden Truppen und Räuberbanden gewähren. Gewöhnlich umschließt die Mauer die Stadt so gut, daß man von außen nicht viel von den Häusern erblickt. Nur einzelne Tempeldächer und Pagoden ragen darüber empor. Außer der Mauer fehlt jede Silhouette. Die chinesische Baukunst hat nie versucht, im K a m p f mit der Schwere durch die dritte Dimension die räumliche Flächengliederung zu einem Bild zusammen zu zwingen. Ihre Größe liegt in dem tiefen Verständnis für Raumwirkung und Flächengliederung. Die Geomantie verlangt die Anschmiegung an den Boden, um die Geister der oberen Luftregionen nicht zu stören. Selbst Peking kannte vor Errichtung moderner Gebäude im westlichen Stil keine Bauten, die der großen, in ihrer Riesenmauer versteckten Stadt einen bildhaften Anblick gegeben hätte. Der Chinese wohnt nicht in Mietshäusern übereinander, sondern womöglich ebenerdig in Anwesen, für die das englische Wort Compound am besten zutrifft. E s 1 ) Nanchang hat nach der Eroberung durch Tschiang kai tschek gebeten, die Mauern niederlegen zu dürfen, um in Zukunft der Gefahr einer Belagerung zu entgehen.
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sind zusammengehörige, von gemeinsamer Mauer umschlossene und durch Höfe voneinander getrennte Gebäude, die sich gegen die Höfe öffnen und der Straße ihre fensterlose Rückseite zukehren. In den Hauptstraßen liegen die Wohngebäude hinter den offenen Handwerkstätten und Ladengeschäften. Von oben gesehen sieht eine chinesische Stadt oft wie ein riesiger Park aus, zwischen dessen Bäumen die grauen Dächer der Häuser und die buntfarbig glasierten mächtigen Dächer der Tempel hervorsehen. Besonders in Nordchina spielen Höfe und Gärten eine große Rolle. Man braucht Platz für die Zugtiere und für die Karren. Im Sommer spielt sich fast das ganze Leben hier ab 1 ), und im Winter kann man bei der absoluten Trockenheit Brennmaterial und andere Vorräte im Freien lagern. Holz, Lehm und Ziegel sind die wichtigsten Baumaterialien des Nordens. Natursteine werden nur zur Unterlage der Gebäude verwendet. Man mag sich darüber wundern, daß im holzarmen Nordchina das Holz als Baumaterial eine so große Rolle spielt. Bei den geringen Häusern wird das Holz auch nur zur Konstruktion der Dächer verwendet. Die Mauern sind aus Stampflehm oder Ziegeln. Aber die bessern Häuser bedürfen kunstvoller Holzkonstruktion schon wegen der großen papierverklebten Holzgitterfenster. In der Nordchinesischen Tiefebene ist zwischen einem guten Wohngebäude eines Dorfes und einem Stadthaus kein grundlegender Unterschied. Anders im Lößland. Dort lebt der Bauer in Lößhöhlen, die er sich in die Steilwände der Schluchten und Terrassen hineingräbt. Wo ihm kein Löß zur Verfügung steht, konstruiert er sich durch nebeneinander oder kreuzförmig aufeinandergestellte steinerne Tonnengewölbe künstliche Lößhöhlen. In den Städten fehlen aber gewöhnlich Lößhöhlen oder ihr steinerner Ersatz. Das ebene unzerschnittene Gelände, dessen eine nordchinesische Stadt bedarf, macht Lößhöhlen unmöglich, und die steinernen Tonnengewölbe passen wenig zur städtischen Wirtschaftsweise. Wenn es aber möglich ist, besonders in kleinen Städten, zieht man doch die Mauer so, daß sie noch ein Stück Lößhang mit seinen Steilwänden umschließt, um Lößhöhlen anlegen zu können. Das chinesische Haus aus Lehm, Holz und Ziegeln scheint in den Städten entstanden zu sein, die auf ebenem Boden im Innern der Lößbecken errichtet wurden. Das uralte orientalische Kastenhaus, das noch in den Oasengebieten des östlichen Zentralasiens vorkommt, und an das noch die Lehm- und Strohhütten erinnern, die Teewirte und Garköche an den großen Straßen vor den Städten errichten, mag das Vorbild gewesen sein. Aber die schweren sommerlichen Gewitter und Monsunregen im Lößlande haben das Schrägdach notwendig gemacht. Das aufwärtsgebogene weit vorspringende Dachende muß eine Traufe bilden, um Hauswand, Fenster und Türen vor den schweren Monsunregen zu schützen. Die aufgebogenen Dachecken aber *) Wohlhabende Familien lassen sich von Verleihanstalten im Sommer auf Stangengerüsten Strohmatten als Sonnendächer über die Innenhöfe spannen.
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sollen das Herabschießen gesammelten Regenwassers vermeiden. Man hat das chinesische Dach auf das Zelt zurückführen wollen. Aber die Chinesen haben wohl niemals in Zelten gelebt. Eher kann man das Dach aus den Strohmatten ableiten, wie sie die Bauern noch heute zum Decken ihrer Feldhütten verwenden. Die einwärtsgebogene Firstlinie erklärt sich mechanisch, da das Ziegeldach am meisten in der Mitte auf dem Firstbalken lastet. In den Wohngebäuden des winterkalten Nordens ist in jedem Gelaß ein K a n g vorhanden, das ist der meterhoch aufgemauerte hintere Teil des Raumes, der mit Matten belegt ist, und den man von unten heizt. Der K a n g ist das Bett des Nordchinesen. Hier schläft er in dicke Decken eingewickelt; denn der Raum bleibt kalt und nur der Boden des Kangs wird warm. Einen Schornstein kennt der Chinese nicht. Der Rauch wird lediglich ein Stück in der hohlen Mauer der Außenwand empor und dann ins Freie geführt. Die Notwendigkeit der Heizung bei Mangel eines eigentlichen Schornsteins zwingt in Nordchina fast zum ebenerdigen Wohnen. Das südchinesische Stadthaus gleicht viel mehr dem, was wir Haus nennen. Da man im feuchten und heißen Klima mehr des Schatten- und Regenschutzes bedarf, keine Vorräte im Freien aufbewahrt und weder Karren noch Pferde und Maultiere unterbringen muß, schrumpft der Hofraum zu einer kleinen Fläche zusammen. Von den ausladenden Dächern der umgebenden, zum Vierkant zusammengefaßten Gebäude geschützt, ist nur eine kleine mit Quadern gepflasterte, nach außen entwässerte Fläche dem Regen preisgegeben, die Licht und Luft ins Innere treten läßt. Oft ist auch der ganze Innenhof überdacht und mit Holzgalerien umgeben, von dem die Treppen nach den Obergeschossen führen. In Südchina benutzt man sehr oft Natursteine zum Bauen. Dieses Baumaterial hat wohl den südchinesischen Treppengiebel entstehen lassen, da die Verjüngung zum Giebel am bequemsten durch Abstaffelung erreicht wird. Aus den einfachen Steinplatten, die ursprünglich die Stufenflächen abdeckten, sind kleine, geschwungene und an den Ecken emporgebogene Dächlein geworden, die den südchinesischen Bauformen, besonders den Tempeln und Ahnenhallen, ein so phantastisches Aussehen geben. Südlich des Hwaigebirges und des Tsinlingschan kann man den Kang nicht mehr brauchen, da der Winter nicht trocken genug ist. Die kalte Luft über dem Schläfer nimmt seine Körperausdünstungen nicht mehr auf, sondern bringt sie in den Decken zum Niederschlag. Man schläft daher in hölzernen Betten, und es ist in Südchina möglich, auch in Obergeschossen zu wohnen. So erklärt sich die größere Höhe des südchinesischen Hauses aus dem Fehlen des Kangs. Die größere Höhe ersetzt die weite Grundfläche nordchinesischer Anwesen, und es kommen in Südchina Städte vor, wie Amoy, wo sich die Gebäude hoflos aneinanderdrängen in schmutzigster Winkligkeit. Von den Profanbauten im Norden und Süden heben sich die Tempel
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einigermaßen ab. Es sind hohe von Holzsäulen getragene Hallen, die man auf zwei oder drei Meter hoch aufgemauerter Grundlage errichtet, mit großen, schweren Dächern aus glasierten Ziegeln. Aber fast noch mehr treten sie durch Höfe und Gärten ihrer heiligen Bezirke hervor. Ein wichtiges Element im Aufriß der Städte sind die Pagoden. Sie haben den Zweck die Yerhältnise von Feng schue zu regeln, gute Einflüsse herabzuziehen und festzuhalten und schlechte abzuwehren. Auch im Umkreis der Stadt findet man sie, besonders an den Strömen, wo sie die guten Einflüsse daran verhindern sollen mit dem Wasser davonzuschwimmen. In mancher Stadt sind Ehrenpforten, die die Straße überspannen, Erinnerungszeichen an verdienstvolle Männer oder tugendhafte Witwen ein malerischer Straßenschmuck. Aber sie sind vielfach zerfallen und werden selten neu errichtet. Statt solcher Tugenddenkmale sind in einzelnen Teilen Südchinas sogenannte Pfandhäuser 1 ) ein beherrschender Zug im Stadtbild, besonders in Kleinstädten, die sonst keine großen Gebäude haben. Es sind massive, fast turmartige Steingebäude, die brandsicher sind und daher auch als Safes benutzt werden. Im Norden treten die Pfandhäuser architektonisch nicht hervor. Vielleicht liegt das am mangelnden Steinbau. Nur in einzelnen kleinen Städten Schansis habe ich ähnliche turmartige Steingebäude angetroffen, die man aber zur Aufbewahrung von Getreide benutzt haben soll. Grundriß und Aufriß der Stadt sind die wesentlichen Momente der Landschaft, in der das Leben der Städter verläuft. Das Familienleben zieht sich hinter die Straße in die Wohngebäude und Höfe zurück. Arbeit, Handel und Wandel aber vollzieht sich in aller Öffentlichkeit in den halboffenen Werkstätten und Geschäften, in Tempel und Tempelhöfen oder im Jamen. In den kleinen Städten konzentriert sich das geschäftige Leben auf wenige, oft nur auf eine Straße, und man überblickt sofort, was der Platz Kauf und Verkauf zu bieten vermag. Mit der Morgensonne, wenn man die Tore auftut, werden die Bretterläden von den offnen Geschäften entfernt. Dünnes Geschäftsleben rinnt durch die Läden und die Werkstätten erfüllt behagliches Arbeitstreiben, bis die Tore geschlossen werden und die Nacht ein Ende setzt. Im Winter schläft alles Leben, bis wenige Stunden vor Mittag die Sonne kräftiger herabzuscheinen beginnt, und erstirbt schon lange vor Dämmerung, Nacht und Kälte. In den mittelgroßen Städten pulsiert das geschäftige Leben kräftiger, und in den Großstädten steigert es sich zum verwirrenden Gewühl. Die größere Konkurrenz hält Handwerker und Kaufleute zu größerem Fleiß Die Pfandhäuser haben eine wichtige Aufgabe. In normalen Zeiten sind sie an chinesisch Neujahr, wenn nach alter Sitte alle finanziellen Verhältnisse geordnet werden müssen, ganz vollgestopft. In Zeiten der Dürre und des Hungers nehmen die Pfandhäuser die fahrende Habe vieler Familien auf, die mit dem geliehenen Gelde in andern Gebieten irgend etwas unternehmen wollen und wieder zurückzukehren hoffen. Tafel berichtet, daß die Chinesen die Größe der Städte oft nach der Anzahl der Leihhäuser schätzen. V
Stadtlandschaften.
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an. In der Großstadt geht seit der Einführung von Petroleum und elektrischem Licht das Getriebe bis tief in die Nacht hinein, und die Schläge der Gongs, mit denen die Nachtwächter die Straßen durchziehen, mischen sich mit dem Hämmern, Klopfen und Scharren in den Werkstätten und dem gedämpften Murmeln noch immer wachen Verkaufslebens. Im Straßenbild Nordchinas spielt der zweirädrige Karren eine große Rolle, besonders in den Straßen, die von einem Tore zum anderen ziehen. Fast noch wichtiger ist der einräderige Schubkarren, auf dem man die meisten Lasten und sogar Personen befördert. Das ursprüngliche Beförderungsmittel des gemeinen Mannes ist die Kastensänfte, von 2 oder 4 Kulis getragen. In den Großstädten ist sie von der Rikscha fast vollkommen verdrängt worden. Von Japan aus hat sich diese typische ostasiatische Erfindung von gestern in den chinesischen Großstädten an der Küste eingebürgert und das Straßenleben umgestaltet. Der Rikschakuli trägt und schiebt nicht, sondern er zieht, und er hat daher mit dem leicht beweglichen einsitzigen Wagen eine recht beträchtliche Geschwindigkeit. Während die Rikscha bei den guten Straßen Japans auch im Uberlandverkehr eine Rolle spielt, hat sie bei den schlechten Wegen Chinas nur im Innern der Städte Bedeutung. In Südchina, wo die Straßen der Städte weder für Tiere noch Räder geeignet sind, konnte die Rikscha die Sänfte aus dem Straßenverkehr nicht verdrängen. Sie hat nur in den größten Städten, die schon moderne Straßen haben, einige Bedeutung. Da die Straßen Verkehr, Handel und Handwerk gleichermaßen zum Bette dienen, steigert sich das Leben und Treiben in den Großstädten in phantastischer Weise, wenn die Menschen wie Ameisen durcheinanderlaufen, und sich Pferde und Schubkarren, Träger mit Sänften und Lasten und wandernde Händler und Handwerker mit Rufen und Schreien durchdrängen. Die einzelnen Arten der Handwerke und Geschäfte liegen oft beieinander. Fleischer, Fischverkäufer, Schneider, Schuhmacher, Goldschmiede, Seide- oder Porzellanhändler nehmen ganze Straßenfluchten ein. In Kanton oder Peking gibt es Buchhändlerstraßen, Straßen der Elfenbeinschnitzer, der Jadesteinjuweliere und der Seidensticker. Der Sicherheit wegen liegen die Geschäfte mit wertvollen Waren in den Nebenstraßen. Im Rahmen der großen Menschenanhäufungen der Städte sind die einzelnen Kauf- oder Handwerksstraßen oft zu sozialen Gebilden geworden. Ein Oberhaupt vertritt die gemeinsamen Interessen und nachts werden die Straßen durch Tore gesperrt. Aus den dämmerigen Läden mit bunten Auslagen schauen die Gesichter der Verkäufer. Auf den buntfarbigen senkrechten Reklametafeln am Eingange der Geschäfte leuchten goldne Idiogramme der phantastischen Schrift, und rote Fahnen mit weißen Aufschriften hängen von oben in die Straße hinab. In den engen Straßen Südchinas ist das Getriebe noch verwirrender als im Norden. Bei diesem Straßengewühl kann man es wohl verstehen, daß fremde Beobachter die Einwohnerzahl der Großstädte meistens zu hoch ein-
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schätzten. In den Wohnstraßen aber ist es selbst in den großen Städten still und öde. Man trifft nur wandernde Kramhändler, Händler mit Gemüse und Wasserverkäufer mit ihren Tragstangen oder Schubkarren, die ihre Anwesenheit den Frauen im Hause durch verschiedenartiges Trommeln ankünden, und die Kulis, die in übelriechenden Kübeln die Fäkalien wegschaffen. Unter den Türen sitzen die Türhüter und sehen verschlafen die stille Straße hinunter. In der Fülle des Lebens in den Straßen der großen Städte und in all den Eindrücken, die fremdartig auf den westlichen Beobachter einwirken, sind die Gerüche etwas Abschreckendes, aber Charakteristisches. Der Mangel an gut arbeitender Kanalisation, der Rauch der Feuerung, der Dampf der Garküchen, der Abtransport der Fäkalien, die Massen wenig gewaschner Menschen, der Staub im Winter und die schwüle Feuchtigkeit im Sommer brauen Gerüche zusammen, die man nicht mehr vergißt. Sie haben eine landschaftliche Eigentümlichkeit, die wohl mit dem üblichen Brennmaterial und dem üblichen Fett oder öl zum Kochen zusammenhängt. „Nur schnell durch den Gestank und den Schmutz hindurch" ist die Losung vieler Chinareisenden. In das oft kaum zu unterdrückende Gefühl des Ekels mischt sich eine gewisse Sorge vor der Ansteckung. Selbst Richthofen hat das schmutzige Gewühl der chinesischen Großstädte nur widerwillig betreten und möglichst vermieden. So lange man noch an die Übertragung ansteckender Krankheiten durch Miasmen glaubte, war diese Einstellung der beste hygienische Schutz. Die Gesundheitspolizei in den Städten des Innern üben noch heute die halbwilden Hunde und die schönen zutraulichen Bussarde, die auf den Hofbäumen nisten und ungeniert Aas und Abfälle aus den Straßen herausholen.J Wahrscheinlich stehen die kleinen Distriktsstädte, die alten Hsien, in ihrer wirtschaftlichen Eigentümlichkeit und sozialen Struktur dem chinesischen Urstädtetum noch am nächsten. Der wirtschaftliche und soziale Charakter der typisch chinesischen Stadt ist an ihrem Beispiel am klarsten zu erkennen. Die kleinen Orte haben einen sehr starken landwirtschaftlichen Einschlag. Die Äcker im weiten Umkreise der Stadt werden von hier aus bewirtschaftet. Wenn man auch auf den Tennen im Felde draußen drischt, werden Feldfrüchte und Ackergeräte doch in der Stadt untergebracht, in Nordchina auch Ochsen, Maultiere und Pferde, während man in Südchina die Wasserbüffel draußen vor den Toren hält. Hühner gackern überall, und Hunde und Schweine gehören zu den häufigsten Straßenpassanten. Wer in der Kleinstadt keine Landwirtschaft treibt, hat doch durch den Verband der Großfamilie starke landwirtschaftliche Beziehungen. Der gemeinsame Grundbesitz der Familien liegt irgendwo in der Nachbarschaft, wird von Gliedern der Großfamilie bewirtschaftet oder ist mit Anteil an der Ernte verpachtet. Die im Ahnenkult religiös gebundene Großfamilie, die wirtschaftliche und soziale Grundzelle des Chinesentums, knüpft die Fäden zwischen Stadt und Land viel enger als 7*
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unsere Familie, denn was für die Kleinstadt gilt, gilt in etwas abgeschwächter Form selbst für die größten Städte. Die chinesische Kleinstadt versorgt sich mit den nötigen Lebensmitteln selber. Aber sie ist der Platz, wo die Uberschüsse landwirtschaftlicher Erzeugnisse und landwirtschaftlichen Gewerbefleißes in den Handel gebfacht werden, und wo der Bauer die Bedürfnisse, die er in seiner Eigenwirtschaft nicht decken kann, zu befriedigen sucht. Hier findet er Kaufgeschäfte, Apotheken und Ärzte und das bessere Handwerk, das für Kunden arbeitet. Im trocknen Norden und Nordwesten kommen durch den Ausfall der Frühjahrsregen oder des Monsuns in weiten Gebieten der nordchinesischen Tiefebene und in den Stromniederungen Südchinas im Gefolge von Überschwemmungen immer wieder Hungersnöte vor. Dann sucht der Bauer durch Hingabe seines Ersparten, durch Verpfändung kommender Ernten oder gar durch den Verkauf seiner jüngeren Kinder in Städten Nahrungsmittel zu erhalten. Um den Hungersgefahren zu begegnen, finden sich in den Distriktsstädten amtliche Magazine für Getreide, die in Zeiten blühenden Wirtschaftslebens auch wirklich gefüllt waren, aber oft gerade im Bedarfsfalle leerstehen. Die Kleinstadt ist auch das Zentrum der Berufsverbände und Gilden des Bezirkes. Dies wirkt seinerseits als starke Bindung der Stadt mit dem umliegenden Lande. Uberhaupt ist der wirtschaftliche Unterschied der kleinen Stadt vom großen Dorfe oder dem Tschen, dem Marktflecken, nicht groß. Ja, manchesmal können solche Plätze die Einwohnerzahl von großen Städten haben. Aber stets fehlt ihnen das Beamtentum, die literarisch gebildete Schicht und als äußerliches Zeichen die Stadtmauer. Das wichtigste in der Kleinstadt ist das Beamtentum. Denn stets ist irgendein Gebiet in ihr verwaltungstechnisch zusammengefaßt. Der Jamen ist der Platz, an dem die Streitigkeiten ausgetragen werden, die die Großfamilien unter sich nicht schlichten können, wo die Interessengegensätze der Berufsverbände ihren Ausgleich finden, und der Ort, von dem die Verwaltungsmaßnahmen ausgehen. Wir haben oben gesehen, daß die ländliche Bevölkerung in Zeiten der Gefahr den Schutz des Jamen und der städtischen Mauern sucht. Aus all dem ergibt sich ein ständiger Verkehr zwischen Stadt und Land, wie er bei uns in Deutschland durch das Recht des Wochenmarktes entstand und wie er als Grundlage der typischen städtischen Züge der Gesamtwirtschaft notwendig ist. Durch den Beamtensitz wird die Stadt wirtschaftlich und sozial das Zentrum ihres Gebietes, dessen Kräfte sie sammelt, verteilt und schützt. In dem revolutionären Zusammenbruch des Mandarinentums 1911 hat sich die Distriktsverfassung in den Städten unversehrt als Hort der Ordnung und Sicherheit erhalten. Auch kultisch kommt die zentrale Bedeutung des Beamtentums für die Stadt im Stadttempel bei Jamen zum Ausdruck. Der Stadtgott ist die vergottete Idee des Beamtentums, die oft in der Gestalt eines verdienstvollen Beamten früherer Jahrhunderte erscheint. Während der Kult des Stadtgottes in den vorderasiatischen
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Städten des Altertums die Stadtbewohner fest aneinander band und von anderen Menschen unterschied, geht der chinesische Stadtgott die Bürger nicht allzu viel an. E r ist eine Angelegenheit des Beamten, mit der man sich nur befaßt, wenn man zum K a d i läuft oder sonst etwas vom Beamten will. Früher konnte man es jeder Stadt am Namen ansehen, welchen R a n g ihr oberster Mandarin hatte und ob er ziviler oder militärischer B e a m t e r war. Das höhere B e a m t e n t u m , gewöhnlich in größeren Städten seßhaft, gab den Orten erhöhten Glanz. Die Revolution h a t die Rangunterschiede der Städte aufgehoben und sie einander gleichgestellt. An der K ü s t e und in Gebieten, die sich in den letzten Jahrzehnten durch das Eindringen der Weltwirtschaft stark entwickelt hatten, stimmte der R a n g der Städte nur zu oft garnicht mehr mit ihrer wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Bedeutung überein, war doch Schanghai, die Königin des fernen Ostens, nur eine Distriktsstadt, und galt doch der Welthandelsplatz Hankau bis 1911 als Dorf. Die Einteilung der Städte war historisch geworden. Mit der modernen Entwicklung h a t die wirtschaftliche Bedeutung die des Beamtentums oft völlig überflügelt. Familienverband, Gilden und Beamtentum wirken alle im gleichen Sinne einer innigen Verflechtung städtischen und ländlichen Wesens. Während unsere S t a d t ursprünglich fremd in die landwirtschaftliche Umgebung hinein gelegt wurde als eine Folge der aufkommenden Weltwirtschaft und zugleich der Sitz bestimmter Freiheiten und Privilegien war, die einen Gegensatz, j a , eine Feindschaft zwischen S j a d t und Land entstehen ließen, wächst die chinesische S t a d t gleichsam aus dem Lande heraus, trotzdem sie wie unsere Städte nur selten wild gewachsen, sondern gewöhnlich willkürlich gegründet ist. Einen gewissen wirtschaftlichen und sozialen Gegensatz zu den eigentlichen Städten bilden die Wallfahrtsorte, Kloster- und Tempelstädte, wie sie da und dort an heiligen Orten entstanden sind. Siedlungen wie Wutaischan unter dem Gipfel dieses heiligen Berges sind nur in bedingtem Sinne Städte, bestehen sie doch aus großen, wie Kleinstädte ummauerten Klosterkomplexen, Tempeln, Herbergen für Wallfahrer und Werkstätten, in denen heilige Andenken hergestellt werden. Der Klang der Tempelglocken und das Gebetsgemurmel der Mönche und Wallfahrer ersetzt die Arbeitsgeräusche der Stadt. Taingan, die kleine Stadt am F u ß e des Taischan, des allerheiligsten Berges in China, und Kifu, wo Konfuzius begraben liegt, leben mehr von ihrer Heiligkeit als von den wirtschaftlichen Beziehungen des in ihnen konzentrierten Gebietes. In manchen Städten sind auch handwerkliche Industrien entstanden, die nicht so sehr an die Arbeitskräfte als an ein vorhandenes Rohmaterial anknüpfen. So ist z. B . Pingting in Schansi die Eisenstadt. Sie ist im wesentlichen Markt und Sitz der größeren Unternehmer. Die Eisenverhüttung selber ist in unzähligen kleinen Betrieben in der Nachbarschaft verteilt. I m Winter, wenn die Landwirtschaft ruht und Arbeit billig ist,
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rauchen die kleinen Schmelzöfen, die das weitverbreitete Erz verarbeiten. Noch eigentümlicher ist die Porzellanstadt Kingtetschen, wo anknüpfend an die Kaolinlager Kiangsis die uralte große Porzellanindustrie in weit getriebener Arbeitsteilung ihren Sitz hat. Trotz des hohen Alters und der Einwohnerzahl von mehreren Hunderttausend gilt Kingtetschen nicht als Stadt. Es fehlt ihm die Mauer und der ständige Sitz einer Beamtenschaft. Die jahreszeitlich auf- und abschwankende Bevölkerungszahl der Kulis, Arbeiter, Bootsleute, Händler, Brennstoff- und Kaolinverkäufer, die hier zusammenkommen, machen den unruhigen Ort nicht zum Verwaltungszentrum eines Kreises geeignet, ebenso wenig wie die Menschenansammlung, die da und dort der moderne Bergbau hervorgerufen hat. Bergbaustädte in unserm Sinne gibt es kaum, wenn auch in einzelnen Kohlendistrikten die moderne bergbauliche Entwicklung den Charakter der einzelnen Siedlungen beeinflußte, wie etwa Tschekiatschwang mit seinem Kohlenhandel und seiner Kookerei oder die Kohlenstadt Pinghsiang mit ihrem modernen Kohlenbergwerk. Wo die Konjunktur im Erzhandel den Abbau eines Erzes begünstigt, strömen große Arbeitermassen zusammen, wie bei der Antimonmine Sikuanschan, wo w ä h r e n d des W e l t k r i e g s der Antimonbedarf für den Geschoßstahl 50000 Arbeiter auf engem Räume zusammenzog. Es entstehen zwar Großsiedelungen, aber ihre Bevölkerungszahl schwankt auf und ab und setzt sich vorwiegend aus armseligen Arbeitern zusammen. Diese Siedelungen sind ins chinesische übertragene Bergarbeiterdörfer. In den großen Städten, in denen ganze Bezirke oder gar Provinzen ihr Zentrum haben, ist das zahlreiche Beamtentum stets der Träger einer breiten Bildungsschicht, die ein gewisses Luxusbedürfnis hat und einen größeren Konsum bedingt. Bis zu ihrer Aufhebung haben die Beamten die Aufsicht über die niederen Staatsprüfungen ausgeübt. Durch das Beamtentum ist die Stadt wirklich der Vorort des in ihr zusammengefaßten Gebietes geworden, und noch heute gehören die Provinzhauptstädte bis auf Paotingfu, das im Schatten des nahen Peking steht, wirklich zu den ersten Städten der Provinzen. Wenn man von der Reichshauptstadt Peking oder Nanking und den Hauptstädten einzelner abgelegener Provinzen absieht, hat das Beamtentum der großen Städte aber relativ eine geringere Bedeutung als der Jamen in den Kleinstädten, der die Garantie des ganzen Stadtwesens ist. In den großen Städten sind die einzelnen Wirtschaftszweige so erstarkt, daß sie sehr wohl des Beamtentums entraten können, das durch lautere und unlautere Maßnahmen der Wirtschaft oft mehr geschadet als genutzt hat. In diesen Städten, vor allem in den Millionenstädten, steht der Handel an erster Stelle, und das Beamtentum muß sehr mit den großen Kaufleuten und ihren Gilden rechnen. Schon der riesenhafte Konsum, der von allen Seiten die Waren heranzieht, muß die Bedeutung des Handels stärken. In den Handelsstädten
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an der Küste und an den Ufern der großen Ströme kommt noch der Außenhandel hinzu. Hier ist auch das Bankwesen zentralisiert, und die Kaufmannsgilden der Städte Schanghai, Kanton und Tientsin haben im ganzen Reiche fühlbare Macht. Die wirtschaftliche und finanzielle Zentralisierung, die die moderne Entwicklung mit sich bringt, kommt vor allem diesen Welthandelsplätzen zu gut. Die Schansibanken, die in einer kleinen Stadt in der Nähe Taijüenfus ihr Zentrum hatten, konnten sich aus ihrem Zusammenbruch und der Revolution nicht mehr erheben. Handwerk und Gewerbe, vor allem aber sich immer mehr entwickelnde Industrien kommen an zweiter Stelle. Selbst das altertümliche Handwerk blüht fröhlich fort, da die vom Lande kommenden Arbeitskräfte ihm immer wieder neues Blut zuführen. In den mittelgroßen und großen Städten haben sich Handwerk, Gewerbe und Handel sehr differenziert und eine überragende Bedeutung gewonnen. Die Luxusindustrien, kunstvolle Weber- und Stickereien haben wie in Sutschau in und um die großen Städte ihren Sitz. Auch die Industrie von Feuerwerkskörpern, die im Kult eine so große Bedeutung haben, ist eine alte, städtische Hausindustrie. Außer den typisch städtischen Luxusgewerben sind in diesen Orten zunächst handwerklich gebundene, dann aber auch in kleineren und mittleren Fabrikbetrieben Industrien entstanden, die für einen beträchtlichen Markt arbeiten und sich teilweise zu Großbetrieben entwickelt haben. Die Mittel- und Großstädte sind daher der Arbeitsmarkt der weiten Umgebung, besonders im Winter, wenn die landwirtschaftliche Arbeit ruht. Auch in die Industrien suchen diese winterlichen Saisonarbeiter Eingang zu finden. Naturgemäß streben auch die Bettler und allerhand arbeitsscheues Gesindel in die Stadt, und Kranke suchen durch Schaustellung scheußlichster Gebrechen noch etwas im Bettel zu verdienen. Selbst die Landwirtschaft ist nicht bedeutungslos. Die Hühner sind allerdings in die Höfe verbannt. Aber man darf sich nicht wundern in den Straßen Pekings plötzlich großen Schweineherden zu begegnen, hat doch das Schwein auch in der Großstadt sein Wohnrecht. Der Anbau in den Gärten ist sogar ganz besonders intensiv, und gleich einem thynenschen Ring umgeben Gemüsegärten und sorgfältig bestellte Felder die Großstädte, und ein großer Teil dieser Felder wird von ihnen aus bewirtschaftet. Zwischen der Stadt und der Landwirtschaft der Umgegend spielt der menschliche Dung eine verbindende Rolle. Fäkalien sind der wichtigste Düngstoff der chinesischen Landwirtschaft, und die Großstädte sind die größten Produzenten dieses wertvollen Stoffes. In der Nähe der großen Städte sind die Felder am besten gedüngt und am fruchtbarsten und helfen mit, die großen, in den Städten zusammenkommenden Menschenmengen zu ernähren. Wenn man China durchreist und viele Städte im Norden und Süden gesehen hat, hat man den Eindruck, daß das Städtetum in Mittel- und Südchina reicher sei als im Norden, aus dem doch das Chinesentum und seine Kultur
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stammen. Dadurch, daß der Norden immer wieder barbarischer Überflutung ausgesetzt war, wurde zur Heilung der damit verbundenen Schäden und zur Assimilierung der fremden Volkselemente ein beträchtlicher Teil der Wirtschafts- und Geisteskraft aufgebraucht. Wichtiger aber ist, daß Süd- und Mittelchina reicher sind, und daß die südchinesische Stadt eine Weiterentwicklung der nordchinesischen ist. Der Typus der Stadt, wie er nun einmal entstanden war, hat in Nordchina keine großen Wandlungen mehr durchgemacht, während er im Süden, wohin die Stadt erst übertragen wurde, eine Umschöpfung erfuhr und sich dem reicheren und wärmeren Lande anpaßte. Am zurückgebliebensten sind wohl die Städte in den neuen Kolonialgebieten des Chinesentums, in der nördlichen Mandschurei, am Rande der Mongolei und den Hochgebirgen Südwestchinas. Hier herrscht ein koloniales Hinterwäldlertum, das im Gegensatz zu der altausgewogenen behäbigen Stadtkultur der älteren Kulturgebiete steht. Wenn man bedenkt, welch weite Landmassen die Chinesierung durchdrungen hat, mag man sich wundern, daß bei aller landschaftlichen Differenzierung des Städtetums doch so geringe Unterschiede vorhanden sind. Dies ist darin begründet, daß trotz dem geographischen Unterschied zwischen Norden und Süden, der j a auch in der Ausgestaltung der verschiedenen Stadttypen deutlich zum Ausdruck kommt, die große übergeordnete Einheitlichkeit des Monsunklimas wohl mannigfaltige Ubergänge, aber keine scharf voneinander getrennte Einzellandschaften überlagert. Seit unvordenklichen Zeiten ist die chinesische Stadtlandschaft der Ort, an dem sich der kulturelle Fortschritt vollzieht oder zunächst auswirkte. Hier hat mit dem Beamtentum der größte Teil der Literatenschaft seine Heimat. Die Bindung der Stadt mit dem flachen Lande hat die ganze Umgebung der Stadt mit an der Verdichtung der Bevölkerung teilnehmen lassen. An den großen Städten, den Hauptstädten und Handelsplätzen, hat sich stets eine latente Übervölkerung eingestellt, die bei irgend einer Katastrophe wirksam werden mußte. Unter dem Einfluß der Übervölkerung der Stadtlandschaft und ihrer Umgebung hat sich manche Eigenart der chinesischen Kultur herausgebildet. Das Überangebot an Arbeitern hat der tierischen Arbeitskraft wenig Spielraum gelassen. Der Mensch ist sein eigenes Arbeitstier geworden. Selbst die Arbeitsmaschine, zu deren Erfindung China lange vor Europa technisch reif gewesen wäre, paßt nicht in die alte noch heute bestehende Wirtschaftsweise der chinesischen Stadt. Die Materialfreude des Chinesen, der den Stoff höher schätzt als die Arbeit, hat die gleiche Ursache. Die unaufhaltsame, aber langsame Ausbreitung des Chinesentums in kontinentale Räume hat keine Anregung gegeben, die Wirtschaftsweise grundlegend umzugestalten. E s fehlte die räumliche und nationale Brechung, die für die westliche Kulturentwicklung so wesentlich war. Gleichzeitig hat die ideographische Schrift in ihrer Unabhängigkeit von der Fortbildung der Sprache die Literatur
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von Jahrtausenden lebendig erhalten. Die technische Entwicklung, wie sie der Westen erlebte, ist China fremd geblieben. An ihre Stelle trat die weit getriebene Arbeitsteilung, die viele Menschen ernährt und sich über die Stadtlandschaft hinaus ins flache Land erstreckt, Zur Ausbreitung der chinesischen Stadtkultur über weite Flächen haben das Aufblühen und der Zerfall der Großstädte beigetragen. Hungersnöte, Überschwemmungen, Kriege und Seuchen, Verlegung der Yerkehrsbahnen haben die übervölkerten Großstädte und ihre Umgebung immer wieder entvölkert. Aber diese Entvölkerung beruht nur zum Teil auf dem Verlust von Menschenleben. Wie die Stadt in glücklichen Zeiten die Menschen anzieht, entfliehen sie ihr bei Hunger, Seuchen und unglücklichen Kriegen. So wirken die Städte im Lauf der Jahrhunderte bald ansaugend, bald abstoßend, und dieses Auf und Ab hat in hohem Maß zur gleichmäßigen kulturellen Struktur des ganzen Chinesentums beigetragen. Man darf die Chinesen nicht als Stadtvolk bezeichnen; eher kann man ihre Städte übergroße Dörfer nennen. Stets hat nur ein geringer Bruchteil des Volkes in großen Städten gelebt, und selbst heute beträgt der Anteil der Bevölkerung, die in Städten über 10000 Einwohnern lebt, schätzungsweise nicht ganz ein Achtel. Man hat oft die Bemerkung gemacht, daß das Chinesentum die uralte Stadtkultur ohne Entartung ertrage. Bei dem Hinüber und Herüber wirtschaftlicher und sozialer Gebilde von Stadt und Land mußte das Bauerntum stets der Jungbrunnen des Städtetums sein, hat doch der Stadtbürger vor den Bauern kein Rechts- und Kulturprivileg voraus. Der Konkurrenzkampf, dem nur der Kräftige gewachsen ist, trifft eine scharfe Auslese. Wohl kann der Reiche entarten. Aber die großen Umwälzungen haben solche Schichten immer wieder ausgemerzt. In dem Schmutz der Straßen und Höfe, wo Ruhr, Typhus, Cholera und allerlei Wurmkrankheiten endemisch sind, und der die Brutstätten vieler Epidemien abgibt, können nur gesunde Kinder groß werden und kräftige Naturen durchhalten. In der ungeheuer großen Sterblichkeit der Kinder und Erwachsenen hegt, so furchtbar es klingen mag, ein segensreiches Moment für die rassenhygienische Gesundheit des chinesischen Volkes. Aber die Grundlagen von all dem bildet die im Ahnenkult religiös verankerte Notwendigkeit zu zeugen und zu gebären. So lange China seinen Ahnen glaubt, besteht keine Gefahr, daß etwa die Geburtenzahl in den Städten abnähme, und die Stadt die wertvollste Keimmasse in ähnlicher Weise verbrauche wie bei uns im Westen. So kann das Chinesentum selbst heute noch ohne Gefährdung Stadt und Großstadt ertragen. Mit dem Andrängen der westlichen Zivilisation sind neue Elemente teils umgestaltend, teils zerstörend in die chinesische Stadtlandschaft eingedrungen. In den exterritorialen Konzessionen in unmittelbarer Nachbarschaft der wichtigsten Handelshäfen und in den europäischen Ansiedlungen, den sogenannten Settlements, den dem Handel geöffneten Städten,
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haben die Westländer sich Einlaß erzwungen und Ansiedlungen errichtet, die ihren wirtschaftlichen Bedürfnissen und ihrem Lebensstil entsprechen. An mehreren Punkten sind dazu noch selbständige Städte fremden Stils wie Honkong, Tsingtau, Dalni, Harbin unter englischer, deutscher, russischer und japanischer Leitung errichtet worden. Im Zusammenhang mit dem überseeischen Handel haben sich all diese Plätze mächtig entwickelt, und sie haben in der Durchdringung westlichen und chinesischen Wesens einen großen Einfluß auf die Umgestaltung der chinesischen Stadtlandschaft ausgeübt. Die Konzessionen und Settlements sind von den modernen chinesischen Vororten der Großstädte völlig umwachsen worden und bilden mit ihnen einheitliche Stadtgebiete, verläuft doch die Hoheitsgrenze zwischen den exterritorialen Konzessionen in Tientsin, Hankau und Schanghai mitten durch das bebaute Gelände einheitlicher Stadtkomplexe. Diese Städte sind das Vorbild geworden und breite, hygienische Straßen mit Automobilen sind heute der Ehrgeiz aller chinesischen Städte. Waren die breiten Hauptstraßen Pekings leicht den modernen Bedürfnissen anzupassen, so mußten in mittel- und südchinesischen Städten ganze Häuserzeilen niedergelegt werden, um Platz zu schaffen. In Kanton hat man rücksichtslos kreuz und quer durchs alte Straßennetz neue Straßen gebrochen. Die Chinesenstadt Schanghai hat durch Sanierung und Verbreiterung der Straßen seit 20 Jahren sich sehr zu ihrem Vorteil verändert, und es ist kein Schade, wenn man in Amoy, der schmutzigsten und engsten aller chinesischen Städte, moderne Straßen durch den Termitenhaufen der chinesischen Wohnungen bricht. Die moderne Entwicklung in Handel und Industrie hat das fortschrittliche Element in die aufblühenden Handelsstädte gezogen. Um die Situation auszunutzen durfte man sich nicht nur von der Entwicklung tragen lassen, sondern mußte versuchen, sich dem Westen anzugleichen, ja, es ihm zuvorzutun. Man brauchte Eisenbahnen, Lagerhäuser, Fabriken und Läden in fremdem Stil. Zum Bau nationaler Häfen reichten allerdings die Finanzen des Staates nicht aus. Aber chinesische Bankpaläste, Warenhäuser, Kaufgeschäfte und Lagerräume in europäisch-amerikanischem Stil trifft man in allen großen Handelsplätzen, und Schanghai hat durch sie geradezu eine imponierende Silhouette bekommen. In Kanton gibt es sogar Hochhäuser. Der Einfluß auf die Stadtlandschaft macht sich bis weit ins Innere hinein in den geschlossenen Ladengeschäften geltend. Die Verglasung der Schauauslagen erforderte eine neue Bauweise, und es entstand ein seltsamer, für unser Auge wenig erfreulicher Mischstil europäischer Bauformen und chinesischer Ornamentik in Schnörkeln, Figuren und Schriftzeichen aus Zement und Stuck. Europäische Wohnungen haben noch wenig Anklang gefunden. Sie passen nicht für die chinesische Familie. Dennoch hat sich in den Compounds der Missionen in der Kombination der chinesischen Höfe mit Häusern im Stil europäischer Kleinsiedelungen oder englisch-indischer Bungalows ein öfters nachgemachter Mischstil herausgebildet.
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Auf unzähligen Kanälen sickert der Einfluß des Westens in die alte chinesische Stadtlandschaft ein. Tief im Innern findet man selbst in kleinen Städten das leichte Strandgut eines billigen, westlichen Luxus. Dinge wie Uhren, Thermosflaschen, Spiegel, billige Konserven etc., aber auch Grammophone und das Gewerbe des Photographen rühren nicht an die Grundlagen der alten Wirtschaftsweise. Man kann das seltsamste Nebeneinander erleben, wenn z. B. vor einem Sargladen zwei Männer mit riesiger Säge mühsam einen Baumstamm in Bretter zerlegen und daneben etwa ein Seidengeschäft durch ein Grammophon mit chinesischer Musik Käufer anlockt. Allmählich folgen aber auch andere Dinge. Der Elektrizität hat man sich zu Leuchtzwecken vielfach rasch und leicht bemächtigt. Der Elektromotor und die Arbeitsmaschine dringen aber nur langsam vor. Allerdings sieht man in den Handwerksstätten Nähmaschine und manches andere europäische Handgerät. Großindustrien modernen Stils, fast alles Gründungen oder Besitzungen westlicher oder japanischer Unternehmer, sind in und um die Konzessionen in Schanghai, Kanton, Tientsin und Hankau entstanden und haben die Schaffung zahlreicher mittelgroßer Betriebe in chinesischem Besitz in diesen Orten oder benachbarten Plätzen angeregt. Langsam, aber unaufhaltsam schreitet die moderne Industrialisierung von den großen zu den Mittelstädten fort und wird von da allmählich in die Kleinstädte ausstrahlen. Mit den Fabriken ist ein Arbeiterstand emporgewachsen, den China in dieser Form bisher nicht gekannt hat. Alle Schäden des westlichen Frühkapitalismus, Hungerlöhne, schamlose Ausnützung der Frauen- und Kinderarbeit und schrecklichste hygienische Arbeitsverhältnisse wiederholen sich hier, besonders in den nichtchinesischen Betrieben. Der Chinese ist viel zu sehr von der Meinung seiner Volksgenossen abhängig, um in gleicher Rücksichtlosigkeit vorgehen zu können. Nach dem Vorbild der alten Gilden haben sich die 2 Millionen chinesischer Arbeiter in den Städten organisiert, und ihre Verelendung und Ausbeutung hat sie einerseits der nationalistischen, andererseits der bolschewistischen Propaganda zugänglich gemacht. Bei den vielen Fäden, die von der Stadt zum Lande führen, haben diese in ihrem Wesen städtischen Organisationen mit der großen Masse der ländlichen Arbeiter und der kleinbäuerlichen Pächter Fühlung genommen. Die chinesische Arbeiterschaft wurzelt in der modernen Wirtschaft. Das gibt ihr ein kulturelles und politisches Gewicht, wie es nicht in ihrer geringen Zahl begründet ist. Die großen Handelsstädte, wo sich die Auseinandersetzung östlichen und westlichen Wesens vollzieht, haben nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch die politische und kulturelle Führung an sich gerissen. Eine chinesische Presse ist entstanden, die eine von der alten Konvention sich befreiende Meinungsbildung in der Öffentlichkeit und ihre Politisierung ermöglichte. Es ist ganz unchinesisch, daß junge Männer, Studenten und Schüler das große Wort führen. Aber die hochgeehrten Alten finden sich in der neuen Zeit nicht mehr zurecht. Der
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Sqeez, der unberechtigte Aufschlag, den jeder für seine Person selbst bei dem kleinsten Auftrag erpressen will und das System, untüchtige Familienangehörige auf Kosten seiner Arbeitgeber oder der Betriebe mitessen zu lassen, sind Folgen der Großfamilie, die das gesamte Arbeitseinkommen ihrer Mitglieder einzieht und patriarchalisch kommunistisch verwaltet. In die klare Rechnungsführung modernen Geschäftswesens will das nicht passen. Auch wollen die Jungen sich nicht mehr der Führung der Alten unterordnen. So ist die Forderung der kleinen Familie, d. h. der Familie im westlichen Sinn, und auch eine weitgehende Emanzipierung der Frau von den Großstädten aus propagiert worden. Dies alles aber sind Forderungen, die an den Grundpfeilern der chinesischen Gesellschaft rütteln. Manche Eigentümlichkeit des chinesischen Städtetums, der rastloser Arbeitsgeist und die alt geübte Freizügigkeit scheinen wohl geeignet zu sein, die chinesische Stadt dem westlich amerikanischen Typus anzugleichen. Aber das ist nur möglich, wenn die Wirtschaftskräfte über den alten sozialen und kultischen Gedanken den Sieg davon tragen, und die innere Struktur des Ghinesentums sich zersetzt. Ganz China ist in den Schmelztiegel geworfen, und auch die chinesische Stadtlandschaft wird mit dem Schmelzfluß umgegossen werden.
B o e r s c h m a n n : Baukunst und Landschaft in China. Z. Gesellsch. f. Erdk., Berlin 1912. S. 321—365. B o e r s c h m a n n : Baukunst und Landschaft in China. Berlin 1923. Verl. Waßmuth. Chi L i : The Formation oftheChinese People. An antropological inquiry Cambridge 1928. M a l l o r y , W. H . : China Land of Famine. New York 1926. R i c h t h o f e n : China. Band 1 bis 3. Enthält viele zerstreute Angaben. R o b e q u a i n , Ch.: Yunnanfou en 1926 (Annales de Geogr., X X X V I , 1927, p. 436—450). R o s t h o r n : Soziologisches zur chinesischen Kultur. Gedächtnisschrift für Max Weber. 1925. R o x b y , P. M.: The Distribution of Population in China. (Geogr. Review, — 1925, P. 1-24). S c h m i t t h e n n e r , H . : Chinesische Landschaften und Städte, Stuttgart 1925. S i d n e y D. G a m b l e : Peking a Social Survey. New York, George H. Doran 1921. T i e s s e n : Die chinesische Stadt. (Deutsche Geogr. Blätter. Bremen. X X X V , 1912. S. 1—19.) W e b e r , M a x : Grundriß der Sozialökonomik III. Abteilung. Wirtschaft und Gesellschaft. Kapitel 8. Die Stadt. S. 513—600. Tübingen 1922.
Japanische Stadtlandschaften. Von L u d w i g M e c k i n g . Die Stadtgeographie zeigt uns recht verschiedenartige Erscheinungskomplexe, je nach Ländern, Völkern und Kulturen. In ihren Problemen und Gesichtspunkten hat sie eine große Spannweite; gegründet auf die Naturbasis reicht sie hinauf in die Einflußsphäre des Kulturlichen, selbst bis zu Kunst, Religion und Philosophie. Man kann auf Benares 1 ) verweisen als vielleicht stärkstes Beispiel, in welchem sich als mächtigste Gestalterin von Bau, Bild und Leben der Stadt geradezu die Religion und Philosophie des Hinduismus erwies. Auch in Japan muß man ein kulturliches Prinzip betonen, um eine erste und allgemeinste Tatsache zu verstehen, die sich dem Beschauer der Städte in ihrer Gesamtheit aufdrängt. Sie zeigen nämlich einen viel gleichförmigeren Habitus, als wie wir ihn in europäischen Ländern zu finden gewohnt sind, so daß man mit einem kleineren Maß von Abstraktion von der japanischen Stadt schlechthin als z. B. von der deutschen sprechen kann. Dieser geringe Individualcharakter beruht offenbar auf der geistigen Einstellung, die in Japan so durchgreifend und offensichtlich die Erscheinungen der Kultur beherrscht und formt: auf der Neigung zum Gleichmaß, zur Ruhelage, zur Norm. Die Naturgegensätze sind zwischen dem Norden und Süden, der Küste und dem Inneren des Landes kaum minder groß als in einem mittel- oder südeuropäischen Lande. Aber sie werden durch den Willen zur starren Form in einem Maß überwunden, daß z. B. das Haus, das seinem malaiischen Ursprung gemäß aus tropischen Naturgegebenheiten zu verstehen ist, auch bis in das rauhe Hokkaido hinauf getreulich in allen seinen Eigenheiten erhalten bleibt. Das Gleiche gilt von andern Grundzügen im Stadtbild. Bei der Begrenzung des Stadtbegriffs müssen wir uns von der Vorstellung des grundlegenden Unterschiedes zwischen städtischer und ländlicher Siedlung frei machen. Weil in Japan zur dörflichen Wohnweise nicht eine so ausgeprägte Physiognomie gehört, wie sie etwa durch Wagen, Stallungen, Scheunen und größere Hofanlagen gegeben wäre, hebt sie sich nicht so scharf von der städtischen Siedelung ab. Man kann nur den Unterschied aufstellen: je größer die Wohnplätze, um so mehr treten an ganzen Straßen entlang kleine Läden und gewerbliche Betriebe auf, um *) L. Mecking, Benares, ein kulturgeographisches Charakterbild; Geographische Zeitschrift X I X , 1913, S. 20—35. 77—96.
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so bedeutender werden Verwaltungsbauten wie Stadthäuser, Zoll- oder Polizeigebäude, öffentliche Badeanstalten usw., um so mehr nimmt ein geschlossener Kern des Wohnplatzes städtischen Charakter an; aber nach außen findet sich wieder ein allmählicher Ubergang zum dörflich-ländlichen, indem die Läden abnehmen, ohne daß sonst das Straßenbild sich wesentlich ändert. So ist im äußeren Gepräge der Unterschied gering. In der Funktion ist er der gleiche wie überall, daß nämlich die Stadt mehr nicht-agrarische Wirtschaftsbetätigung entfaltet. Doch hatte diese noch bis in die jüngste Zeit nicht allzu großen Umfang. Über die geschichtliche Entwicklung der japanischen Städte und ihre treibenden Kräfte ist noch wenig Licht verbreitet, und die kurzen Andeutungen widersprechen sich zum Teil. So wird einerseits vom Jahre 984 berichtet, daß es in J a p a n 3772 Städte und Marktflecken gegeben habe. 1 ) Mir will diese Zahl eher dahin deutbar scheinen, daß einfach geschlossene Wohnplätze damit gemeint sind. Andrerseits begründet nämlich Fukuda 2 ) die Anschauung, daß J a p a n durch den größten Teil seiner Geschichte als ausgeprägtes Agrarland überhaupt kein Land der Städte gewesen sei. Bis in das 7. Jahrhundert gab es nicht einmal eine feste Hauptstadt, da nach dem Tode jedes Kaisers der Nachfolger den Wohnsitz verlegte 3 ). Erst das spätere Mittelalter war mit der Entstehung des Lehnswesens und den Kämpfen der Landesfürsten der Städtebildung günstig. Denn um die Residenzen der Daimios legten sich die Wohnviertel der Samurai, sie wieder erforderten die Händler und Handwerker als ergänzende Berufsklassen. So entstanden die Städte (machi) als Fürstenresidenzen und wurden die Mittelpunkte einer kleinen ländlichen Umgebung, echte Landstädte. Immerhin hoben sich schon vom Ende des 13. Jahrhunderts ab, zur Zeit der Ashikaga-Shogun-Familie (1338—1573), einige als besondere Sitze von Industrie und Handel über größere Gebiete heraus. Die Daimios zogen nämlich wetteifernd Industrien in ihren Residenzen groß. Manche gewerbliche Besonderheit der einzelnen Stadt geht noch heute auf die einstige Initiative ihrer Daimios zurück, z. B. Baumwollweberei in Himeji, Papierfabrikation in Tosa, in anderen Plätzen Lackarbeiten, Bronzewaren usw. Die alte Hauptstadt Kyoto war zugleich die bedeutendste Stadt des gewerblichen Lebens und in alten Zeiten wesentlich größer als heute. Auch wurde Sakai die Zentralstadt des Handels im Innern wie auch des Handels mit China, Hyogo ein überragender Markt für den Reis zum Austausch der Überschüsse der Feudalherren. Einen neuen Ruck erhielt die Stadtentwicklung mit J a p a n s Eröffnung; war doch z. B. Yokohama damals ein Fischerdorf! Noch am Ende des 19. Jahrhunderts ') P. A. Tschepe, Japans Beziehungen zu China seit den ältesten Zeiten bis zumjahre 1600. Jentschoufu 1907, S. 90. 2 ) T. Fukuda, Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung in Japan, Stuttgart 1900, S. 104 ff. 3 ) 0 . Nachod, Geschichte von Japan, Gotha 1906, S. 260.
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gab es nur 78 Städte von mehr als 20000 Einwohnern, während 1920 deren Zahl auf 182 zu beziffern ist. Aber bis heute dient in ihnen meist der Handel und das Handwerk dem Wohnplatz selbst und der engeren landwirtschaftlichen Umgebung, etwa so, wie es bei den deutschen Städten des Mittelalters der Fall war. Erst wenige ganz große Städte haben eine bedeutendere wirtschaftliche Reichweite, und diese zeichnen sich durch gänzlich andere Prägung aus, aber nicht durch ein japanisches neues Element, sondern wesentlich durch ihre Großbauten europäischen Stils, wie Banken, Kaufhäuser, Hotels, Restaurants, Bürogebäude, Amter. 1 ) Auch die Breite und Bauart der Straßen hebt diese Städte heraus aus der Menge der übrigen, die meist ungepflasterte, bei Regen in Schlamm aufgehende Wege haben. So ist denn in der äußeren Erscheinung der Einschnitt zwischen diesen wenigen größten Städten und der übrigen japanischen Stadt kaum minder groß als der zwischen Stadt und Dorf. Man unterscheidet allerdings in Japan drei scharf getrennte Arten von Siedelungen: shi, cho oder machi, mura. Die shi-Stadt kann man etwa als große Stadt bezeichnen, doch ohne die Fixierung einer zahlenmäßigen „Großstadt-"grenze, cho als kleinere Stadt, mura als Dorf. Doch sind dies in erster Linie Yerwaltungsbegriffe; shi-Städte haben Selbstverwaltung, während die cho-Städte der Kreisverwaltung unterstehen. Zugleich besteht zwischen den Klassen ein Größenunterschied, aber nur in großem Durchschnitt; vereinzelt gibt es cho bis herunter zu 3000 Einwohnern und andererseits mura selbst von 20—30000, während die große Mehrzahl der letzteren 1—3000 Bewohner aufzuweisen scheint. Im ganzen rechnet man gegen 11000 Dörfer und rund 1500 Städte. 2 ) Vergleicht man die Wohnplätze rein der Größe nach unter Zugrundelegung der in unserer Statistik üblichen Abstufungen, so kommt in Deutschland z. B. noch über ein Drittel der Bevölkerung auf die „ländlichen Gemeinden", in Japan längst nicht ein Zehntel; hier liegt vielmehr das Schwergewicht auf den Größenordnungen der „Landstädte" und „Kleinstädte", die zusammen nicht weniger als zwei Drittel des japanischen Volkes umfassen. Obwohl Japan wirtschaftlich mehr Agrarland ist, so ist also doch die Besiedelung nicht so agrarisch aufgelöst in Einzelhöfe, Streusiedelungen und kleine Dörfer, sondern mehr in größeren Einheiten auch über das platte Land hin zusammengeballt. Als Grund dafür dürfte die gesellige Natur des Japaners kaum in Frage kommen, er lebt doch im Grunde nur in der Familie, und die Stätten der Vergnügungen sind in den kleineren Siedelungen sehr spärlich. Die Hauptgründe liegen vielleicht einmal in der einst starken Aufteilung auf Landesfürsten, wodurch StadtUnter den größten Städten macht allenfalls die alte Hauptstadt Kyoto die Ausnahme, daß sie noch nicht durch eine erhebliche Anzahl europäischer Großbauten oder gar durch ganze Straßen und Viertel derselben ihren Stempel erhält. 2 ) Während der Korrektur erschien ein Vortrag von Yoshiro Nishida über ,,Cities of Japan". Unter Cities sind die shi-Städte zu verstehen, von 25 000 Einwohnern ab gerechnet; als ihre Cesamtzahl gibt der japanische Ceograph 101 an.
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und Marktbildung, Handel und Verkehr gefördert wurden, sodann in der starken Bevölkerungskonzentration überhaupt. Diese große Zahl kleiner Städtchen drängt sich nämlich in der Landschaft umsomehr hervor, als die eigentlichen Siedelungsräume sehr beschränkt sind. Damit gelangen wir zu einem besonders großen Unterschied von mitteleuropäischen Verhältnissen hinsichtlich der Verteilung und Höhenlage der Siedelungen überhaupt und insbesondere der Städte. Bei uns ist das norddeutsche Flachland die Zone kleinster Bevölkerungsund Städtedichte, dagegen liegen in der Gebirgs- und Hügelzone noch Großstädte in Höhen von über 100, selbst in 200—500 m Höhe. In Japan hingegen ist alles Leben an die Peripherie und in die Tiefe gedrängt. Die Verteilung der Siedelungsräume wird hier beherrscht von dem Gegensatz zwischen dem gebirgigen Rückgrat und den vielen kleinen Tiefländern, von denen die große Mehrzahl randlich angelagert, nur wenige eingelagert sind. So wenig das Gebirgsrückgrat morphologisch eine Einheit ist, so einheitlich abwehrend verhält es sich zur Besiedelung. Die Höhen gehen hier meist über 1000 m. Es ist von Natur Waldgebirge, enge Erosionstäler führen hinein, deren gefällreiche Wasser dem Verkehr wenig nützen. Die Verbindung zwischen Ost- und Westküste ist zum Teil nur auf schwierigen Paßstraßen möglich. Damit erhalten die wenigen Städte der Binnenbecken eine besondere Mittlerstellung im Querverkehr, z. B . Wakamatsu in Nordhonshu. Diese Stellung hatten sie schon im alten Landstraßennetz und haben sie bewahrt oder gesteigert im Eisenbahnzeitalter. An der breitesten Stelle des Insellandes läßt sich eine Beckenreihe aufstellen mit den Zentralstädten Kofu, Matsumoto und Nagano; es ist die Gegend der „Mainlinie" Japans, von der Haushofer 1 ) spricht. Der Japaner hält sich aber im ganzen dem gebirgigen Binnenland noch ferner, als wie es dessen abwehrende Naturbeschaffenheit an sich fordert, und zwar aus den spezifischen Gründen seiner Nahrung. Deren Elemente sind Fisch und Reis, und zu ihrer Gewinnung braucht man einerseits die Küstennähe, andererseits den absolut ebenmäßigen, wasserreichen und feinerdigen Boden. Das Gebirgsland erfordert die Terrassierung, die den Reisbau hier noch mühseliger als in der Ebene macht. Der Japaner meidet es daher nach Möglichkeit, er ist an seine Küstenebenen gewöhnt und findet sich mit einem Raum, der nicht die gleiche Gunst für den Reisbau zeigt, schwer ab. Auch sagt ihm wohl das rauhere und trockenere Binnen- und Höhenklima nicht zu, ein Zug, der einem in mancherlei Beobachtungen deutlich entgegentritt. Insofern kann man mit Haushofer sagen, daß an wenigen Stellen der Erde die Gruppierung der Siedelungen so ausgesprochen von dem an das ozeanisch-feuchtheiße Niederungsklima angepaßten Rassetyp abhängig ist wie in Japan 2 ). So findet man denn oft die Landschaft schon in geringer Höhe und bei schwacher Reliefierung fast 2)
K. Haushofer, Das japanische Reich, Wien 1921, S. 82. K. Haushofer, a. a. O., S. 101.
Stadtlandschaften
der Erde.
Abb. 10.
Tafel 5.
S t r a ß e u n d K a n a l in Niigata.
Tafel 6.
Stadtlandschaften
der
Abb. 11. Die Hauptstraße der L a n d s t a d t Orbost in Gippsland, Victoria.
Abb. 12. Blick in die George Street, City von Sydney.
Erde.
JAPANISCHE
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siedelungsleer. Die 21 Großstädte liegen fast sämtlich in den Küstenebenen und höchstens 30 m hoch. Sie haben damit eine geringere Höhenlage als Köln, die meisten nur diejenige von Wesel. Auch die weiteren 34 Städte, die eine Bewohnerzahl zwischen 100000 und 50000 haben, liegen noch meist in diesen Niederungen und an Küsten. Nur 8 unter ihnen, besonders die Städte der Binnenbecken, haben größere Höhenlage, aber auch nur von 250 bis über 500 m, eine Stufe, in der wir in Deutschland noch eine ganze Anzahl Großstädte finden. Andrerseits hat die Kwantoebene allein mehr als 80 Städte von über 10000 Bewohnern. 1 ) Das alles beleuchtet den merkwürdig scharfen Kontrast zwischen Gebirge und Küstentieflandskammern. Aus diesen allgemeinen Lagegesetzen wird eine weitere Tatsache verständlich, die dem Beobachter beim Anblick einer Stadtlandschaft auffällt : selten gibt es eine charakteristische Silhouette, überhaupt irgendeinen Seitenanblick. Ein Bild, wie es mediterrane Küstenstädte in großer Zahl bieten, ist in J a p a n selten, obwohl das Land den Mittelmeerländern an Gesamterhebung wie an gebirgigem Charakter nichts nachgibt. Nur einige große Städte wie Kobe, Nagasaki, Shimonoseki entwickeln sich malerisch zur Höhe empor. In den natürlichen Landschaftsräumen der Niederungen lassen sich wieder horizontale wie vertikale Differenzierungen beobachten, die für die Stadtlandschaft wichtig werden. In der Horizontalen sind mehrere Naturlinien von Belang, an denen sich die Städte häufig hinziehen oder aufreihen : einmal der Hügelrand, der die Ebenen rückwärtig begrenzt (Tafelbild 7), sodann die Wasseradern, die oft in großer Fülle, parallel oder sich verzweigend, die Ebenen durchziehen, endlich als dritte Leitlinie die Küste. An ihr wiederum gibt es verschiedene Lagetypen für die Hafenstädte, wie ich sie an anderer Stelle bereits vergleichend behandelt habe. 2 ) Von den mittleren und größeren Städten Japans entfällt die Mehrzahl auf Hafenstädte. Auch in vertikaler Richtung sind Differenzierungen bemerkbar und werden sogar sehr wesentlich für die Stadtlandschaft. Dabei müssen allerdings schon Höhenunterschiede von wenigen Metern beachtet werden. E s sind zuweilen ähnlich feine Geländezüge wie in den Geest- und Marschgebieten unserer Küsten, wo Höhendifferenzen von ein paar Metern grundlegende Wandlungen der Landschaft, Wirtschaft und Besiedelung hervorrufen können. Bei der Niederungslage ergibt sich eine Zweiteilung insofern, als die Niederungen sich aus zwei geologischen und zugleich morphologischen Elementen zusammensetzen. E s gibt Städte, die fast ganz in Alluvialflächen liegen, vergleichbar unseren Marschenstädten. So ist es bei Osaka, N. Yamasaki, Geographica! sketch of Japan. Scientific Japan, Tokyo 1926, S. 12. ) L . Mecking, Die Seehäfen Japans in vergleichender Betrachtung; Verh. u. wissensch. Abh. d. 22. deutsch. Geogr.-T. zu Karlsruhe 1927. Leipzig, 1928, S. 130—140. 2
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Stadtlandachaften.
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der größten Stadt des Landes, die nach ihrer Lage im Wasser und Schlamm des Jodogawadeltas auch das Venedig Japans genannt wird, so bei Aomori, bei Niigata, bei der „Down town" von Tokyo u. a. Großbauten müssen in ihnen auf tiefeingerammten Pfählen errichtet werden. Häufiger suchen die Städte die Anlehnung an eine höhere Linie des Geländes und an festeren Baugrund. Dafür bietet sich am meisten die Grenzlinie zwischen Alluvialebenen und diluvialen Stufen. Diese Lage ist vergleichbar der unserer Geestrandstädte. Ist die Randzone einer Diluvialplatte von Tälern zerschlitzt, so ergibt sich trotz des meist geringen Höhenunterschiedes von 20—40 m eine relativ bewegte Stadtlandschaft. Dieses Verhältnis gibt dem Stadtbild Tokyos seinen Charakter; ebene Plateaus wechseln mit steilen begrünten Hängen, tiefen Schluchtstraßen und ebenen Niederungsstreifen. Eine ähnliche, oft noch höhere Kante liegt da, wo diluviale oder auch unmittelbar alluviale Ebenen an Tertiärhügelland bezw. älteres Gebirgsland stoßen. Solche Höhenrandstädte wählen zugleich mit Vorliebe den Austritt der größeren Gewässer und verbinden so mit ihrer Randlage eine Torlage. Eine Anzahl solcher Städte zeichnet den Gebirgsrahmen der diluvialen Kwantoebene aus. Sie erhalten in den um diesen größten Siedlungsraum gelagerten Pforten eine wichtige Marktlage, z. B. Maebashi, Takasaki, Utsunomiya. In vielen Fällen ragt nur eine geringe Erhebung insel- oder zungenförmig aus der Alluvialebene auf; sie besteht manchmal aus eruptiven oder aus älteren sedimentären Gesteinen, häufiger aus diluvialen Sandund Kieslagern und ist im letzteren Fall etwa den Geestinseln und -vorsprüngen der Nordsee vergleichbar. Sie wird dann zum Ansatzkern der Stadt. Dabei ist die Erhebung besonders dem Stadtteil vorbehalten, der seit Jahrhunderten für bedeutendere Siedelungen lebenswichtig war, dem Schloßbezirk. Alle größeren Städte waren in der Feudalzeit Sitze der Daimios, Größe und Bedeutung regelte sich förmlich durch die Einkünfte ihrer Fürsten. Zu diesem Reliefmoment kommt für die Burganlage ein anderes, die Wasserumgebung. In den Alluvialebenen stehen Wasseradern reichlich zur Verfügung, die entweder unmittelbar als Schutzrahmen verwendbar waren oder künstliche Abzweigungen leicht zuließen. Man wird lebhaft an westfälische Wasserburgen erinnert. Nur ist die Anlage noch viel großräumiger. Sie kontrastiert damit stark mit jener Tendenz zum Kleinen, die sonst überall in J a p a n hervortritt, ein Zeichen für den großen Lebensstil und die Macht der Feudalherren, noch mehr aber wohl für die nichtjapanische Entstehung der Burgen. Sie haben nämlich eine eigentümliche Geschichte. Das altjapanische Schloß war nach Yamasaki 1 ) ein einfaches Haus von einem Schutzwall umgeben, der aus einem mit Baumstämmen verfestigten Erdwall bestand, von einem Rasen überzogen. N. Yamasaki, L'action de la civilisation européenne sur la vie japonaise avant l'arrivé du Commodore Perry. Paris 1910, S. 12.
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Schon im 7. Jahrhundert wurde ein chinesischer Einfluß bemerkbar in Gestalt von Steinmauern. Aber da die Japaner in den nahen Bergen überall Verteidigungsmöglichkeiten hatten, nahm der Burgenbau keine sonderliche Entwicklung. Erst die Einführung des europäischen Schießgewehrs hatte die Steinmauern im Gefolge, und es entstand im Jahre 1575 unter portugiesischer Leitung die erste Burg nach europäischem Muster, der bald andere folgten. Dabei wurde in den Bauwerken (Tafelbild 8) das Äußere des japanischen Hauses beibehalten, auch nutzte man die landschaftlichen Gegebenheiten trefflich aus, nämlich die Geländestufen und das Wasser, das in großen viereckigen Gräben um die Mauern geleitet wurde. So ergab sich, obwohl unter europäischem Antrieb und Einfluß, doch ein Gebilde von echt japanischem Stil und japanischer Typisierung. Der immer wiederkehrende Typ hat folgende Elemente: den Graben, den ausgemauerten Hang der natürlichen Anhöhe, um 20 m hoch, die Mauer mit ihrem geschweiften Profil aus Natursteinen, besonders Granit- und Andesitblöcken errichtet; auf den Mauern stehen in ungleichen Abständen einige Eckbauten, innerhalb der Mauern verteilt in parkartiger Anlage die Hauptbauten; die Mauern durchbrechen einige Tore, zu kleinen Trutzburgen ausgebaut. Hinter den Toren geht der Weg in das Innere der Anlage nicht in gerader Linie, sondern abbiegend, so daß der eindringende Feind aus der Orientierung kam. Auch die Umfassungsmauern sind nie von ganz einfachem Grundriß, sondern mit regellosen kleinen Einknickungen versehen. — Fast alle diese Burghöfe, die ich sah, sind heute für Kasernenanlagen verwendet. So bilden die heutigen Burgen der Daimiostädte ein Ausnahmeelement von der oben aufgestellten Regel, daß die Städte wenig Seitenanblick bieten, einmal durch ihre Eigenschaft als großartigere, höhere Bauwerke, vor allem aber durch die erhöhte Geländelage. Ein zweites überragendes Element der Stadtlandschaft stellen die Tempel dar. Sie erreichen zwar selten als Bauwerke eine besondere Höhe. Nur wo eine Pagode steht, was aber in wenigen Städten der Fall ist, da bildet sie mit ihren bis zu 13 Stockwerken paralleler Dächer und ihrer schlanken Spitze etwa ein Seitenstück zu einem europäischen Kirchturm. Am meisten verdanken die Tempel vielmehr ihre Heraushebung, ebenso wie die Burgen, der Lage. Auch sie bevorzugen eben die höchsten Naturelemente der Stadtlandschaft. Sie häufen sich daher vielfach an der Peripherie, an den Hängen und Stufen wie in Kyoto, Nagasaki und zahlreichen anderen Städten, soweit sie nicht überhaupt fern von den Siedelungen frei in der Landschaft thronen. Diese enge landschaftliche Verbundenheit japanischer Kultbauten, die stellenweise geradezu den Begriff einer „Tempellandschaft" rechtfertigt, veranlaßte mich zu einer besonderen Untersuchung dieses Elementes, auf die hier verwiesen werden kann. 1 ) 1 ) L. Mecking, Kult und Landschaft in Japan. Geographischer Anzeiger, 1929, S. 137 bis 146 (mit 12 Abbildungen).
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Ein drittes, aber sehr viel zierlicheres Element, das in der japanischen Stadtlandschaft ein wenig über die gleichmäßig hohe und einförmig graue Fläche der schornsteinlosen Dächer aufragt, sind die Feuerwachttürme. Die Feuersgefahr ist besonders groß durch drei Umstände: 1. die Holzund Papierbauten, 2. die offenen Feuertöpfe und Badeöfen und 3. die oft starken Winde; früher kamen noch die vielen Papierlaternen mit ihren Wachskerzen hinzu, die heute durch elektrisches Licht verdrängt sind, das bei der reichlichen Wasserkraft allgemein verbreitet ist. Es kann nicht wundernehmen, daß auch im japanischen Götterstaat ein Feuergott (Atago) Platz fand; er wird einerseits als Schlachtengott verehrt, andrerseits als Schutzpatron der Städte gegen Feuersbrunst. Schließlich kann man auch, allerdings nur in den Riesenstädten, die dort sehr beliebten Lichtreklametürme als vertikal herausgehobenes Element erwähnen, die mit den japanischen Schriftzeichen eine phantastisch dekorative Wirkung geben. Ein sehr auffälliger Zug im japanischen Stadtlandschaftsbild ist die Spärlichkeit oder meist das gänzliche Fehlen von alterhaltenen Bauten. Ein Grund hierfür liegt schon in der allgemein geringen Widerstandskraft des Baumaterials, ein besonderer Grund aber in seiner Brandgefahr. Man könnte zunächst meinen, daß von dieser wenigstens die Prachtbauten, Tempel und Schlösser, verschont wären. Doch ist es wenig der Fall. Bei ihnen mögen zwar unfreiwillige Brände seltener sein. Dagegen richteten sich auf sie umsomehr die gewaltsamen Brandschatzungen und Verwüstungen in den Kämpfen, die die Jahrhunderte des japanischen Mittelalters füllen. J a p a n gleicht in diesen geschichtlichen Schicksalen Deutschland, und auch der geographische Grund ist in beiden Fällen der gleiche. Die natürliche Kleinteilung hat hier in derselben Richtung gewirkt; wir sehen in der nationalen Geschichte die gleiche Zerrissenheit und Schwankung im Kleinen, Kämpfe der Daimios gegeneinander, der Shogune gegen die Daimios, des Mikado und des Shoguns gegen die geistliche Herrschaft, die wiederum ein Analogon zu deutschen Verhältnissen ist. So ließ der Shogun Nobunaga 1573 den größten Teil der Hauptstadt Kyoto und 90 Städte und Dörfer ihrer Umgebung in Flammen aufgehen, 1 ) nachdem hier der alte Shogunpalast mit den Palästen seiner Anhänger schon 1565 in Brand gesteckt worden war. In demselben Jahre wurde der Mikadopalast großen Teils verbrannt. Als der Rest 1661 ein Raub der Flammen wurde, war in der Stadt das letzte Bauwerk der Ashikaga-Zeit verschwunden. In heutiger Gestalt ist der Palast nur 7 Jahrzehnte alt, auch die Lage scheint gewechselt zu haben. Ähnlich wie den Palästen erging es den Tempeln,
*) Der Portugiese Frois berichtet darüber als Augenzeuge und zählt die 60 wichtigsten Städte (vilas) und Ortschaften sogar mit Namen auf: P. L. Frois, Die Geschichte J a p a n s (1549—1578), übersetzt und kommentiert von G. Schurhammer und E. A. Voretzseh, Leipzig 1926, S. 449.
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die oft mit einem Schlag zu Dutzenden in einer Stadt der Brandfackel zum Opfer fielen. Wie die einzelnen weltlichen und geistlichen Herrschaftsbauten, so erneuerten sich auch ganze Städte immer wieder durch Brände, da diese große Teile zu ergreifen pflegen. Selbst der Grundriß bleibt davon nicht unberührt. Denn die Brände geben Gelegenheit, die Straßenzüge modernen Ansprüchen anzupassen, einzelne Straßen zu verbreitern oder anstelle eines Gassengewinkels grade Zeilen zu setzen. Besonders in den letzten Jahrzehnten ist man in Nachahmung europäischer Stadtbilder und Verkehrsmittel zu breiteren Straßen übergegangen, die damit zugleich die Brände leichter zu lokalisieren gestatten, also gleichsam die Funktion von Brandstraßen anstelle der fehlenden Brandmauern erhalten. Das japanische Haus ist im alten Stile (Tafelbild 7 u. 10) ein meist rechteckiges Holzgerippe mit Holz- und Papierverkleidung, etwas über dem Boden auf Pfählen stehend nach dem Urbild des malaiischen Hauses, an ein oder zwei Seiten von verschiebbaren, an den anderen von festen Wänden umgeben. Die vorzüglichen und mannigfaltigen Holzarten Japans kommen der eigenartig zierlichen und kunstvollen Bauweise der Häuser und Tempel sehr zustatten. Stein kennt die japanische Baukunst außer in Fundamenten oder Pfosteminterlagen nur in den Steinlaternen, die als Staffage der Kultstätten und Parks dienen. Auch Backstein ist im Hausbau erst nach der Restauration aufgetreten. Die Glasurziegel der Tempeldächer aber sind bereits mit dem Buddhismus aus China und Korea gekommen und haben auch auf das Wohnhaus übergegriffen, besonders in Städten. In der Mehrzahl aber sind die Häuser mit Holzschindeln oder auch in der Ländlichkeit noch mit dem altherkömmlichen Material, Schilf und Stroh, gedeckt. Das Dach zeichnet sich, namentlich bei Tempeln, durch besondere Schwere aus. Diesen architektonischen Grundzug teilt J a p a n mit China und Korea. E s mag eine Rücksicht auf die schweren Regen darin liegen. Bezeichnend ist in dem Zusammenhang auch, daß der Japaner beim Hausbau zuerst das Dach errichtet und danach die Wände ausführt. An der von schweren Schneestürmen heimgesuchten Westküste von Nordhonshu sieht man die Besonderheit, daß die Schindeldächer mit dicken Rollsteinen wie mit einem Pflaster belegt sind. Auch haben die Häuser hier gleichmäßig nebeneinander Vorbauten über dem ersten Stockwerk, durch die der Straßenverkehr auch bei und nach schwerem Schneefall leichter aufrecht erhalten werden kann. Das Haus ist in der Regel ein- oder zweistöckig und klein. Bedeutende Unterschiede der Größe gibt es nicht, da seit alters Besitz, Lebensweise und Ansprüche weitgehend gleichartig waren. Allenfalls sind mehrere Häuser miteinander verbunden durch Veranden, Brückchen und Gänge, besonders bei Hotels. Das Innere kann in der Raumverteilung individueller gestaltet sein, bleibt aber doch an eine Reihe von Normen gebunden in Dimensionen, Form und Material. Die einzelnen Innenräume sind
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durch Schiebewände abgeteilt, die aus dünnen, mit Papier überzogenen Holzrahmen bestehen. Die Einheit, von welcher der Raum immer ein glattes Vielfaches sein muß, ist die Binsenmatte (tatami), die im ganzen Land 3 x 6 shaku (90 X 180 cm) mißt. Durch diese seit alten Zeiten unveränderte Tradition und Normung erhalten ganze Straßen, in abgelegenen Landesteilen ganze Städte das überaus gleichförmige Gepräge (Tafelbild 7 und 10). Stil und Norm wie Geschmack und Einfachheit geben den Grundzug ab im Äußeren und Inneren der Bauten und erstrecken sich bis in die letzte Einzelheit wie Türverschluß u. dergl. Jedes Haus beherbergt nur eine Familie, und das gibt den Städten eine beträchtliche räumliche Ausdehnung. Sie müßte noch viel größer sein, wenn nicht der Raumanspruch des einzelnen Hauses so bescheiden wäre. So bleiben die Stadtareale immerhin in der Größenordnung der europäischen von ähnlicher Bewohnerzahl. Wegen der gleichartigen Bau- und Wohnweise war es früher möglich und üblich, einen Begriff von der Größe und Bedeutung der Stadt durch die Zahl der Häuser und durch die Länge und Breite der Stadtfläche zu geben. E s ist charakteristisch, daß auch der neuzeitliche Reiseführer „Official Guide" bei größeren Städten noch die Ausdehnung in Nordsüdund Ostwestrichtung angibt. Das altjapanische Haus hat nun allerlei Abwandlungen erfahren und zwar in der jüngsten Zeit. Einmal ist im einzelnen Privathaus oft schon eine europäische Stube zu finden. Sodann ist die Anpassung an abendländische Bauten erkennbar in Form und Material, sei es, daß das Haus aus Holz im europäischen Villen- und Blockhausstil, aus Backstein, aus Eisenbeton oder dünnem Drahtnetz mit Zementbewurf, nach dem großen Erdbeben auch häufig aus Wellblech errichtet ist. Besonders die Großbauten der Kaufhäuser, Banken usw. werden jüngst zumeist in Eisenbeton mit sehr starker Versteifung ausgeführt, da sie so am besten dem Erdbeben standhalten. Aber auch in Backstein erstehen ganze Viertel mehrstöckiger Bauten, wie das prächtige Großhandelsviertel in Tokyo. In solchen Weltstädten pflegt die europäische Bauweise geschlossen aufzutreten, so auch in Yokohama in einer breiteren Zone an der Hafenfront, in Osaka in dem weiten Stadtkern, der dem Großhandel dient, in Kobe im alten Settlement und seiner Umgebung. In anderen Städten unterbrechen die europäischen Bauten einzeln das Bild der Hauptstraßen, das aber im übrigen, selbst in so großen Städten wie Sendai oder Kofu, gleichförmig japanisch bleibt. Für die Gruppierung der Häuser zum Stadtgrundriß besteht eine beherrschende Regel: rechtwinklig sich schneidende Straßen von vorzugsweise nord-südlicher und ost-westlicher Richtung. Hier wirkt das chinesische Vorbild nach; wie es überaus streng in Peking 1 ) verwirklicht ist, so *) Schon Marco Polo hat in seiner anschaulichen Beschreibung des damals gerade neu erbauten Peking den Ausdruck „Schachbrett" gebraucht.
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auch in Japans alter Hauptstadt Kyoto. Sie ist gleich als Stadt gegründet und zwar im Jahre 792 als Residenz des Kaisers Kwammu, der dann zwei Jahre später seinen neuen Palast bezog. Schon im ersten Plan hatte sie in nord-südlicher Richtung etwa ß 1 ^ in ost-westlicher etwa 3 englische Meilen Ausdehnung. Damals schon wurden die neun breiten West-Oststraßen mit Nummern bezeichnet, wie es sich bis heute erhalten hat, womit das amerikanische Prinzip der Straßenbenennung vorweggenommen ist. 1 ) Auch die portugiesischen Missionare, welche die damals Miyako (Hauptstadt) genannte Stadt wegen ihrer Schönheit preisen, beschreiben genau den mathematischen Grundriß; die Fläche war danach durch 38 NordSüd- und ebenso viele Ost-weststraßen in 1444 Vierecke geteilt, jedes mit 120 m Seitenlänge. Welche Motive in China dem strengen Grundriß zugrunde lagen, sei dahin gestellt; jedenfalls ist von dort das Schema übernommen. Seine Befolgung war leicht, wo eine Stadt bewußt gegründet wurde, wie bei Kyoto so auch bei der ganz jungen Hauptstadt Hokkaidos, Sapporo, und wohl ebenso bei den meisten Daimioresidenzen, die strategisch und großzügig angelegt waren. Hinzu kommt ein anderes historisches Moment, das ganz ähnlich wie eine plötzliche Stadtgründung wirken mußte, die Brände; gestatteten sie doch immer wieder im Augenblick Neues zu schaffen! So kommt das Moment der „Gründung" gleichsam durch die ganze Geschichte einer Stadt immer wieder zur Geltung; sie ist nicht wie bei uns von langsamer Entwicklung beherrscht, nicht von einer evolutionistischen, sondern einer revolutionistischen Tendenz. Endlich ist ein geographischer Zug geltend zu machen, der die Ausbreitung des Schemas sehr erleichterte, nämlich die allgemeine Ebenheit der Stadtlandschaften (Tafelbild 7,9,10). Andererseits bringt in manchen Fällen das Gelände Abweichungen mit sich, sei es, daß der Hauptteil der Stadt sich mit einer Bucht im Plateaurand wie bei Yokohama abfinden muß und durch sie seine Längsachse erhält, sei es, daß er einen Plateauvorsprung benutzt, der zur Rückenlinie wird wie in Kanazawa, oder daß er sich in Buchtzipfeln verzweigt wie bei Nagasaki. In solchen bewegteren Stadtlandschaften setzt sich der Grundriß in der Regel aus mehreren, den Geländezügen angepaßten Bestandteilen zusammen. Die einzelnen aber haben immer die Tendenz, ihrerseits eine schachbrettartige Anlage zu bilden. Der schnurgerade Verlauf der Straßen wird da besonders auffällig, wo sie große Länge haben. Sie können selbst weniger als 3 m breit sein, und doch ziehen diese schmalen Schächte sich kerzengrade viele Kilometer weit hin, ein eigentümlicher Anblick, den mir namentlich die alte HafenIm übrigen kennt der Japaner für die Orientierung im Stadtbild eigentlich nicht den Begriff der Straße, sondern den der Häuserblöcke oder Viertel. Die Straße ist ihm ein leerer Raum zwischen ihnen. Die Numerierung erfolgt innerhalb der Blöcke, und nicht in strenger Reihenfolge, so daß auch den Einheimischen oft das Zurechtfinden erschwert ist.
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Stadt Sakai in vielen Straßen bot. Die breiteren Straßen der größten Städte (bis um 20 m) erhalten ihre aufdringlichste Staffage durch die Leitungsdrähte, welche die Straßen oft wie ein dichtes Netz überziehen, da sie der Kostenersparung und auch der Erdbeben wegen alle oberirdisch laufen (Tafelbild 9). Außer der Reliefgestaltung fordert der natürliche oder künstliche Lauf der Gewässer seine Beachtung im Grundriß. Sie bilden ein sehr wichtiges und charaktergebendes Element der Stadtlandschaft. Entweder mitten in der Straße oder an beiden Seiten entlang ziehen Wassergräben. Oft sind es nur wenige Dezimeter breite Rinnen, offen oder geschlossen, mit stagnierendem, schmutzigem Wasser erfüllt, die hauptsächlich der Abwässerung dienen, da Kanalisation in den meisten Städten noch fehlt. In anderen Fällen sind es breite Kanäle, vergleichbar den Grachten holländischer Städte; sie haben dann eine bedeutende Funktion als Träger des Frachtverkehrs (Tafelbild 10). An den sie begleitenden Straßen liegen oft reihenweise nebeneinander gewerbliche Betriebe. Sind es sehr breite Wasserflächen wie die Hauptadern in Osaka oder Hiroshima, so grenzen auch an beiden Seiten Fabriken und Lagerschuppen an, oder größere Hotels haben dort ihre Gärten und Veranden. Zum Bilde zahlreicher Städte gehören daher auch Brücken, die meist aus Holz und in einfacher Form erbaut sind. Oft wird ihre Zahl in Stadtbeschreibungen eigens angeführt. So hat Kämpfer in seiner kurzen Beschreibung Kyotos nicht unterlassen, die 87 Brücken zu erwähnen. Auch werden Teile der Städte oft nach ihren Brücken (hashi) benannt. In dem Schema der Stadtgrundrisse lassen sich mitunter auffälligere Abweichungen beobachten. Die eine mag kurz als Knickbildung, die andere als Gassengewinkel bezeichnet werden. Die erste Eigentümlichkeit besteht in einer geringen Parallelverschiebung der Straße an einem scharfen Knie. Sie zeigt z. B. Kanazawa in einem Viertel unten in der Ebene, von wo der Feind anrücken konnte, und wo daher die Samurai zusammenwohnten, ähnlich Shizuoka unmittelbar um sein Schloß herum. Zu verstehen ist sie also im Zusammenhang mit der strategischen Anlage der Städte; an jeder kleinen Ecke konnte der Feind im Kleinkampf aufgehalten und aus der Orientierung gebracht werden. Man sieht z. B. in jenem Viertel Kanazawas noch heute die alten, stillen, vornehmen und schlichten Wohnungen der Samurai: kleine Häuser in Gärtchen, von Lehmmauern umringt, dem geschäftlichen Leben entrückt. In keiner zweiten Stadt fand ich ein solches Viertel so wohl erhalten, und das ist bezeichnend für Kanazawas Lage an der Rückwand Japans. Die andere merkliche Abweichung, das Gassengewinkel, zeigen manche Städte an ihrer Peripherie, d. h. nahe ihrer ländlichen Umgebung. Die Wege in der Ländlichkeit sind selten grade. Je mehr ein solcher Fleck in den Bannkreis der Stadt rückt, umso dichter wird die Bebauung, aber zunächst an den vorhandenen Wegen entlang. So entsteht ein Gewirre
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von kleinen Gängen, Sackgassen, Höfen und Winkeln. Erst mit der Zeit wird die eine und andere gerade Hauptstraße hindurchgelegt, bis, unter Mithilfe der Brände, das Schachbrett an die Stelle getreten ist. So sehen wir im Grundriß eher die Umkehrung jenes Verhältnisses, das unsere alten Städte zeigen; hier ist der Kern ein Gewinkel, die neuen peripherischen Teile sind Schachbretter, in Japan aber sind die alten und inneren Teile schon Schachbretter, die äußeren noch winklig. In Kämpfers Geschichte von Japan ist ein Plan des damaligen Tokyo gegeben, der auch schon deutlich den regelmäßig gebauten Kern und die peripherischen Gewinkel zeigt. An der Peripherie verschwimmt also die japanische Stadt in der Ländlichkeit und ist nicht wie unsere alten Städte scharf umgrenzt von einer Mauer. Stadtmauern sind der japanischen Stadtlandschaft völlig fremd, in Anbetracht der schweren inneren Kämpfe eine auffällige Erscheinung! Mit dieser Analyse des Straßenverlaufs sind die Grundrißelemente bereits erschöpft. Wie wir in der Vertikalen wenig Überragendes fanden, so ist auch in der Horizontalen nichts, was sich aus den gleichförmigen Straßenzeilen sehr heraushebt. Es fehlen, wenn man von den paar modernen Riesenstädten absieht, große Plätze. Japanische Städte haben keinen Kern in Gestalt eines Marktes oder Kirchplatzes. Das Schloß ist zwar ein Kristallisationspunkt für viele Städte gewesen, aber kein Verkehrssammelplatz, es liegt vielmehr oft peripherisch und absichtlich getrennt. Ebenso fehlen, abgesehen wieder von Tokyo, die Grünflächen (so wertvoll sie gerade in Erdbebengebieten als Rettungsinseln wären und in Tokyo sich auch erwiesen haben). Wohl gehört fast zu jedem Haus ein Binnen- oder Vorgärtchen, oft nur ein Fleck von ein paar Quadratmetern oder ein Baum, wodurch der Japaner im kleinsten Stil seine Naturverbundenheit bewahrt und erlebt. Aber größere Grünanlagen in der Art der Plätze, Promenaden und Alleen abendländischer Städte sind ungewöhnlich. Nur die Daimiostädte besitzen ihre Parks, die sich an die Schlösser lehnen, oft große Ausdehnung und herrliche Anlage haben, aber früher garnicht zugänglich waren. Dazu kommen schließlich die Parks und Höfe der Kultbezirke, die ihre eigene Stellung nicht nur in der Stadtlandschaft, sondern auch in der übrigen Kultur- und Naturlandschaft einnehmen, wie schon oben betont ist. 1 ) Die größeren Städte lassen in der Regel eine gewisse wirtschaftliche Gliederung zu und zeigen dann in den einzelnen Teilen verschiedene Prägung. In den besten Wohnvierteln liegen die Häuser ganz in kleinen Gärten. In den Geschäftsstraßen reiht sich Laden an Laden, alle offen mit ihren Auslagen an der Straße wie in südeuropäischen Ländern (Tafelbild 7 u. 10). Ganze Straßen gehören manchmal einem einzelnen Gewerbe. Auch in ganzen Vierteln lokalisieren sich bestimmte Betriebe, wie im !) Vgl. in „Kult und Landschaft in J a p a n " (Geogr. Anz. 1929) besonders die Abbildungen 4, 5 und 6.
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Nordwesten Kyotos die der Seidenweber, in einem Teil Shizuokas die der Teefabrikanten. Industrie ballt sich in Teilen der Peripherie zusammen, so in Osaka, Tokyo und Kobe, und Arbeiterhäuser bilden um bestimmte große Werke Kolonien. Doch treten die Industriebauten, abgesehen von jenen wenigen großen Zusammenballungen und einigen weiteren schwerindustriellen Anlagen, nicht so massig in die Erscheinung. Auch ihre Schornsteine haben, wenigstens in den kleineren Orten, nicht den massigen und hohen Typ unserer Fabrikschlote, sondern sind dünne, niedrige Röhren, die der ganzen zierlichen Bauweise des Landes mehr entsprechen. Schulen legt der Japaner in vielen Städten an die Peripherie in meist weiträumigen Gebäudekomplexen, umgeben von Spielplätzen. Zu manchen Städten, besonders den Hafenstädten gehört das Yoshiwaraviertel. Im übrigen sind Schenken und Vergnügungsstätten nicht so ausgiebig wie in unseren Städten über alle Straßen verteilt. Manche Städte auch zeichnen sich im ganzen durch einen einseitig beherrschenden Wirtschaftszweig aus, sind etwa ausschließlich Kohlenhäfen wie Muroran oder Fischereiplätze wie Choshi, Mittelpunkte der Seidenproduktion wie Kofu, Kriegshäfen wie Yokosuka. Diese und manche anderen Funktionen geben einzelnen Städten wenigstens etwas von individueller Note, doch ohne daß der an die Spitze meiner Untersuchung gestellte Satz von der weitgehenden Uniformität dadurch seine Gültigkeit verlöre. Ihren bunten und fremdartigen Anstrich büßt die japanische Stadt mehr und mehr ein, vor allem durch die veränderte Beleuchtung. Nicht nur in den Riesenstädten, sondern auch in den kleineren haben nur noch wenige Läden (außer bei Festen) die bunten Papierlaternen vor ihren Fassaden, die meisten vielmehr elektrische Birnen, allenfalls mit weißen Milchglaskugeln umgeben (Tafelbild 7), auf denen wenigstens die japanischen Zeichen noch die eigene Note aufdrücken, viele aber lassen auch diese Hülle fallen und beschränken sich auf die einfachen Birnen. Auch das menschliche Treiben gewinnt durch Verkehrsmittel und Tracht allmählich andere Form, einstweilen sehr gemischte, so daß namentlich in den großen Städten die Straßen, zumal in Verbindung mit der gemischten Bauweise, einen sehr disharmonischen Ausdruck erhalten. In großen Städten dominieren die motorischen Fahrzeuge wie im Abendland. In den kleineren finden sich noch viele von Tieren gezogene Wagen, wobei außer Pferden auch Kühe oft verwandt werden. Noch öfter ist der Mensch die Zugkraft; kleine Karren werden von ihm gezogen, ob Baumwollballen, Kisten, Petroleumkannen usw. zu befördern sind (Tafelbild 7 u. 10). Dazu kommt als Personengefährt die Rikscha, die allerdings zusehends dem Auto weicht. Sehr viel tritt das Fahrrad auf, das in den meist ebenmäßigen Stadtlandschaften ähnlich naturgegeben ist wie in Norddeutschland, Holland und Dänemark. Im übrigen das Leben und Treiben in der japanischen Stadtlandschaft
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zu schildern, ist im Rahmen dieser Untersuchung ausgeschlossen, erübrigt sich aber auch in Anbetracht der reichen Reiseliteratur, die gerade diese Seite pflegt. Nur einer Dominante im Leben der Stadt, die mit ihrem Bild auf das engste verknüpft ist, sei noch Erwähnung getan. Konzentrationsstätten des öffentlichen Lebens, sind, da große Plätze fehlen, die Vergnügungs-, Theater- und Tempelzugangsstraßen sowie namentlich die Kultbezirke selbst. Die letzteren sind in jeder Hinsicht Höhepunkte der japanischen Stadtlandschaft. Oft erhaben über die engere und weitere Umgebung, mit Hainen und Parks besetzt, vereinen sie mit den schönsten Bauten zugleich die ehrwürdigsten historischen Monumente, mit Stätten der Einkehr und Beschaulichkeit zugleich belebte Yergnügungsplätze. Hier treten uns in Landschaft, Architektur und menschlichem Treiben, in Tracht und Sitte noch am meisten die bekannten Bilder Alt-Japans entgegen, wie sie sonst gerade in den Städten zusehends mehr verdeckt und beeinträchtigt werden; hier trägt das Gesicht der Stadt noch am echtesten die japanischen Züge.
Australische Stadtlandschaften. Von W a l t e r G e i s l e r . Australien ist ein Kolonialland, in dem vor der Besitzergreifung durch die Engländer im Jahre 1788 noch k e i n e i r g e n d w i e m e r k l i c h e Umw a n d l u n g d e r N a t u r l a n d s c h a f t durch den Menschen vor sich gegangen war. Die auf der Stufe der Sammler und Jäger stehenden Eingeborenen kommen für solche Arbeitsleistung nicht in Frage, haben sie doch nicht einmal im Südosten zwecks Herstellung ihrer primitiven Kanus Bäume gefällt, sondern nur an einer Seite die Rinde abgeschält, ohne das Wachstum des Baumes wesentlich zu hemmen. Wir haben also den gewiß interessanten Fall vor uns, daß von einem Kulturvolk unberührtes Land besiedelt und entwickelt worden ist. Zwar ist noch heute der größte Teil des Landes als Naturlandschaft anzusprechen, aber in den Küstenlandschaften des Ostens und Südostens sind bereits sehr beachtliche Leistungen zu verzeichnen. Was in diesen Landschaften anders ist als im Mutterlande, ist auf die Naturgegebenheiten des Landes und die große Jugend des Gemeinwesens zurückzuführen. *
Die wirtschaftlichen Typen der Städte. Der auffallendste Zug im Zweck- bezw. Kulturlandschaftsbilde ist das fast völlige F e h l e n von D ö r f e r n , und wo wir diese in ausgesprochener Form finden, handelt es sich um d e u t s c h e Siedlungsgebiete, wie in den Tälern der Mt. Lofty-Kette nordöstlich von Adelaide und in den Landschaften um Brisbane im südöstlichen Queensland. Der Farmer und Viehzüchter lebt inmitten seiner oft ganz ungemein ausgedehnten „Flur" in Einzelgehöften, und da in Australien auch die Landwirtschaft industrialisiert ist, d. h. nur betrieben wird, um möglichst viel zu erzeugen und möglichst hohe Gewinne zu erzielen, nicht aber, um eine gesunde und gleichmäßig dichte Bevölkerung heranzuziehen, so braucht man auf dem Lande und im Busch nur wenig Arbeitskräfte. Im Inneren werden „cattleruns" von 2000 bis 2600 qkm von einer Familie, höchstens mit Hilfe einiger Eingeborenen, bewirtschaftet, und die großen Schafstationen in den weiten Steppen des großen artesischen Beckens und der MurrayDarling-Ebenen brauchen auch nur verschwindend wenig Leute. Etwas dichter ist die Bevölkerung nur im Südosten, wo das „mixed farming"
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verbreitet ist, d. h. neben der Viehzucht auch Getreidebau vorzugsweise auf Weizen getrieben wird. Aber auch hier ersetzt die Maschine den Menschen in weit höherem Maße als bei uns, so daß nur ausnahmsweise eine größere Dichte als 3 auf den qkm erreicht wird. Es ist einleuchtend, daß in diesen Gebieten die s t ä d t i s c h e S i e d l u n g , wie wir sie kennen, keinen günstigen Boden zur Entwicklung findet, es sei denn, daß die erzeugten Rohstoffe auch in den Distrikten verarbeitet werden. Das ist aber nicht der Fall; soweit hierin Ausnahmen bestehen, gehen sie auf besondere Gründe zurück, die wir später behandeln werden. Im Innern kommt also als städtebildend nur der Umschlagsverkehr außer den recht bescheidenen Kultur- und Bildungsbedürfnissen in Frage. Mit der zunehmenden Vervollkommnung der Transportmittel, mit der Einführung der Eisenbahn, die in Australien eine einzigartige Förderung gefunden hat, und neuerdings des weit verbreiteten Lastautos werden solche Verkehrsmittelpunkte als Ansatzstellen für eine Stadt immer bedeutungsloser, die Stadtdichte nimmt ab, es bilden sich Kümmerstädte selbst in landwirtschaftlichen Gebieten. Alles drängt zurück nach der Küste, nach dem einen großstädtischen Mittelpunkte des Staates. Zur Ausübung der städtischen Aufgaben bedarf es in diesen als Township bezeichneten Siedelungen nur weniger Menschen. Ihre wesentlichen Bestandteile sind das Gasthaus, mit dem erforderlichenfalls ein Lagerschuppen verbunden ist, der aber auch mit dem unvermeidlichen Store, dem Warenhause, verknüpft sein kann, ferner die Schmiede, die Schule — für sechs Kinder wird eine solche eingerichtet — oft auch die Kirche. Ist die Township etwas größer, so kommen Polizeigebäude, ein Krankenhaus und die Bank hinzu, in welch letzterer aber nur zu bestimmten Tagen Verkehr ist. Es handelt sich sowohl nach den hier ausgeübten Funktionen wie nach der Morphologie der Siedlungslandschaft zweifellos um städtische Siedelungen, und zwar um Städte unverfälschten Types, klarer ausgebildet als bei uns, wo wir Landstädte haben, deren Bevölkerung also einer landwirtschaftlichen Beschäftigung nachgeht. Hier haben wir eine reinliche Scheidung; die ländliche Bevölkerung lebt verstreut auf Einzelhöfen, und so verbleibt der Landstadt die Wahrnehmung rein städtischer Aufgaben. Die Folge ist, daß die Einwohnerzahl bei dünn besiedelten Gebieten oft unter 20 sinkt. Der Typ der T o w n s h i p ist k e i n e k o l o n i a l e F o r m , sondern er bildet sich überall da, wo eine äußerst dünne Bevölkerung ihren Unterhalt aus den Erträgen weit ausgedehnter Flächen zieht, sei es nun die Forst-, Vieh- oder extensive Landwirtschaft, jedenfalls in einem Lande, wo bei Ausübung dieser Berufe ein Wohnen in geschlossenen Siedelungen nicht möglich oder doch nicht nötig ist. So habe ich in Finnland genau dieselbe wirtschaftliche Siedlungsform gefunden, während die einzelnen morphologischen Elemente stark von den australischen abweichen. Der gleiche Wirtschaftstyp ist offenbar in ganz Nordeuropa zu finden.
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Städtebildend wirken aber auch Bergbau und Industrie, wobei die B e r g w e r k s s t ä d t e völlig abhängig sind von den mineralischen Fundstellen. Es ist gleichgültig, ob die Erze an Ort und Stelle nur gefördert werden oder ein mehr oder weniger gutes Konzentrat hergestellt wird. Die Hauptsache ist, daß die Lagerstätten nicht zum Erliegen kommen. In Australien ist es aber meist so, daß die Vorkommen, besonders von Gold, Kupfer und Zinn, nach einigen Jahren schon ausgebeutet sind, und so sehen wir dann allenthalben den durch den „Goldrausch" so bekannten Vorgang des ungemein schnellen Anwachsens der Bergwerksstädte, die damit verbundene unsolide Bauweise und den schnellen Verfall. Kann der Betrieb wenigstens in geringem Umfange noch aufrecht erhalten werden, so bleibt eine T r ü m m e r s t a d t übrig, wie wir eine solche in Coolgardie vor uns haben, kann sie aber gar nicht emporkommen, ist sie größer geplant als sie heranwachsen kann, dann können wir von einer K ü m m e r s t a d t sprechen, wie ich es bei den Städten Marble Bar und Nullagine für berechtigt halte. Sie schienen einen ganz guten Aufschwung nehmen zu wollen, aber ehe noch die Eisenbahn von dem westaustralischen Hafen Port Hedland vollendet war, stellte es sich heraus, daß eine Weiterentwicklung nicht mehr möglich war: das letzte Stück von Marble Bar nach Nullagine wurde nicht mehr gebaut. Auch Charters-Towers in Queensland ist eine solche Kümmerstadt. Beide Formen, die Trümmerwie die Kümmerstädte, unterscheiden sich von den unbewohnten R u i n e n s t ä d t e n , die völligem Verfall entgegengehen, und wo erforderlichenfalls eine Neugründung vorgenommen werden müßte. An manchen Stellen Westaustraliens erinnern nur noch der aufgewühlte Boden, ein steinerner Kamin und einige Hauspfosten daran, daß an dieser Stelle einmal eine Stadt gestanden hat. Die Ruinenstadt ist im Verschwinden. Natürlich gibt es auch normale Bergwerksstädte, wie Kalgoorlie-Boulder in Westaustralien, und die Silberstadt Broken-Hill, doch gibt es heute keine gerade in der Vollblüte stehende Bergwerksstadt. Wo es die natürliche Ausstattung des Landes gestattete, geschah eine U m s t e l l u n g der ganzen Wirtschaft a u f A c k e r b a u u n d V i e h z u c h t , die Bergbaustadt wurde ein Vorort für den landwirtschaftlichen Bezirk, es siedelte sich primäre Industrie an, die die Verarbeitung einiger der Rohstoffe der Landwirtschaft besorgte. Diese Städte sind dann zugleich W o h n s t ä d t e , wie auch die Bergwerksstädte, und gleichen in ihrer Anlage daher viel eher unseren Mittel- und Kleinstädten, haben aber infolge ihres viel größeren Einzugsgebietes eine größere Bedeutung für das Land. Eine solche Entwicklung haben die ehemals reinen Goldbergwerks-Städte Bendigo und Ballarat in Victoria genommen, die heute 34 bezw. 41000 Einwohner haben, Zahlen, die von den reinen Bergwerksstädten nicht annähernd erreicht werden. In den dichter besiedelten Ackerbaugebieten gibt es auch Landstädte, die ihre Entwicklung von vorn herein als örtliche Mittelpunkte der „far-
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ming districts" genommen haben. Das beigegebene Bild (Tafelbild 11) gestattet einen Blick in die Hauptstraße von Orbost in Gippsland, Victoria. Es ist eine Stadt von 2000 Einwohnern, die den reinen Typ einer solchen Landstadt vertritt. Betrachten wir die G r ö ß e n k l a s s e n der Städte, so unterscheidet die australische Statistik 1 ) die Hauptstädte von den Provinzstädten. Welch geringe Rolle die letzteren der Einwohnerzahl nach spielen, erkennt man daraus, daß nur 19,09 v. H. der Bewohner auf alle Provinzstädte entfallen, während 37,35 v. H. auf dem Lande leben. In letzterer Zahl müssen die Townships eingerechnet sein. Die Zahl der Städte von 1000 bis 5000 Einwohner steht mir nur für die dünn besiedelten Staaten zur Verfügung; so haben Tasmanien und Westaustralien je 8, Südaustralien 11. Genau bekannt sind die Städte über 5000 Einwohner. In die Gruppe von 5—10000 fallen in Südaustralien 1, in Westaustralien 2, in Victoria 8, in Queensland 10 und in Neu-Südwales 12. Ist diese Gruppe mit 33 Städten bereits sehr klein, so gehören solche der Größenklasse von 10—60000 E. bereits zu den Seltenheiten. Auf Tasmanien gehören die beiden Städte Launceston und Hobart hierher, von denen die letztere die Hauptstadt des Landes und Launceston der Mittelpunkt des Nordens ist. In Queensland ist Ipswich bereits als Vorstadt von Brisbane zu bezeichnen; sonst aber ist von Landstädten nur Toowoomla als Hauptstadt der fruchtbaren Darling Downs zu nennen. Infolge der langen Küstenlinie haben dann noch die Hafenstädte Rockhampton und Townsville einige Bedeutung erlangen können. In Victoria hat sich mit Ausnahme der beiden Städte Bendigo und Ballarat nur die Hafenstadt Geelong so gut entwickelt, daß sie jetzt in diese Größenklasse gehört; sie hat es verstanden, eine wichtige Wollbörse an sich zu ziehen. Nur Neu-Südwales hat eine größere Zahl von Städten dieser Größenklasse, doch gehören von den 9 Städten allein 5 Städte zum Siedlungsbereich Sydney, zwei — Goulburn und Lithgow — liegen in den ältesten Siedlungsgebieten Australiens, wobei die letztere als Bergwerksstadt groß geworden ist. Nur die Silberstadt Bröken Hill liegt abseits der Küstenlandschaft. Die Stadt Maitland aber gehört mit schon fast 13000 Einwohnern zum Siedlungsbereich von Newcastle. Diese Stadt von 98000 Einwohnern nimmt eine Sonderstellung ein, und zwar deshalb, weil sie nicht nur einen guten Hafen, sondern auch den einzigen Steinkohlenbergwerksbezirk Australiens in unmittelbarer Nähe hat. Sie ist die einzige Stadt dieser Größenklasse; es ist aber auch die Stadt, die nach Lage und natürlicher Ausstattung des Hinterlandes die Hauptstadt des Landes hätte sein sollen. Von Anfang an aber ist der Keim zu der e i n s e i t i g e n E n t w i c k l u n g d e r H a u p t s t ä d t e gelegt worden. Es liegt das einfach daran, daß die Kolonie sich in der ersten Zeit nicht einmal die Nahrungsmittel selbst *) Das statistische Material dieses Aufsatzes ist dem Official Year Book of the Commonwealth of Australia, Nr. 19 — 1926 entnommen.
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schaffen konnte, d a ß das L a n d auch heute noch stark von der Z u f u h r abh ä n g i g ist, u n d d a ß allein die E i g e n s c h a f t als V e r b r e c h e r k o l o n i e die K o n z e n t r a t i o n a u f e i n e n f e s t e n P l a t z n o t w e n d i g m a c h t e . D a z u k o m m t , d a ß die w i r t s c h a f t l i c h w e r t v o l l e n L ä n d e r a u s n a h m s l o s a n d e r K ü s t e liegen, d a ß ein A b r ü c k e n d e r g r o ß e n M i t t e l p u n k t e v o n d e r K ü s t e g a n z u n n a t ü r l i c h gewesen w ä r e . D a s w i c h t i g s t e w a r u n d ist d e r A u ß e n h a n d e l , u n d z w a r w e r d e n in e r s t e r L i n i e R o h s t o f f e , v o r a l l e m W o l l e u n d Fleisch, s o d a n n Halbfabrikate u n d W a r e n der Nahrungsmittelindustrie, daneben Erze, a u s g e f ü h r t . W e n n es s c h o n a n sich a m g e w i n n b r i n g e n d s t e n ist, diese G ü t e r v o n e i n e r Stelle a u s zu v e r f r a c h t e n , so k o m m t d e m K o n z e n t r a t i o n s b e s t r e b e n die E n t w i c k l u n g d e r m o d e r n e n S c h i f f a h r t e n t g e g e n , die j a überall auf Z u s a m m e n d r ä n g u n g nach e i n e m großen H a f e n hinarbeitet. I n A u s t r a l i e n h a t m a n a b e r a u c h , u n d d a s e r s c h i e n z u n ä c h s t sehr p r a k t i s c h , alles a n d e r e a u f die H a f e n s t a d t g e h ä u f t , die s e k u n d ä r e I n d u s t r i e , die K u l t u r o r g a n e u n d die V e r w a l t u n g . D a s h a t zu einer einseitigen E n t w i c k l u n g d e r e i n e n S t a d t g e f ü h r t , die H a u p t s t a d t , H a f e n , I n d u s t r i e s t a d t , geistiger M i t t e l p u n k t ist. D a s E i s e n b a h n n e t z w u r d e so a n g e l e g t , d a ß die H a u p t s t a d t b e h e r r s c h e n d i m M i t t e l p u n k t liegt. S o m i t ist d a s A n s c h w e l l e n d e r B e v ö l k e r u n g v e r s t ä n d l i c h , v e r s t ä n d l i c h a b e r a u c h die H e r r s c h a f t d e r A r b e i t e r . D a s L a n d s c h a f f t die R o h p r o d u k t e , die in d e r H a u p t s t a d t ges a m m e l t w e r d e n . D e n H a u p t v o r t e i l a b e r h a b e n n i c h t die w e n i g e n v e r s t r e u t l e b e n d e n E r z e u g e r , s o n d e r n die Masse in d e r H a u p t s t a d t . A u s d e r a u s t r a l i s c h e n S t a t i s t i k g e h t die V o r h e r r s c h a f t d e r H a u p t s t ä d t e o h n e w e i t e r e s h e r v o r . W e n n 46,07 v . H . a u f die H a u p t s t ä d t e e n t f a l l e n , so k o m m t d a m i t n i c h t e i n m a l die g a n z e e r s c h r e c k e n d e W i r k l i c h k e i t z u m A u s d r u c k , d e n n a b g e s e h e n d a v o n , d a ß d e r S t a t i s t i k n u r die V e r w a l t u n g s - E i n h e i t e n zu G r u n d e liegen, also m a n c h e z u m Siedlungsb e r e i c h der H a u p t s t ä d t e gehörige S t ä d t e g a r n i c h t in diese e i n b e z o g e n sind, so w i r d die Z a h l d u r c h T a s m a n i e n u n d Q u e e n s l a n d g e d r ü c k t , wo a u f H o b a r t u n d B r i s b a n e n u r 27,07 b e z w . 30,62 v . H . e n t f a l l e n . M a n bed e n k e a b e r , d a ß ü b e r 1 / 3 aller B e w o h n e r des C o m m o n w e a l t h in d e n b e i d e n S t ä d t e n M e l b o u r n e u n d S y d n e y w o h n e n , n ä m l i c h 9 2 0 0 0 0 u n d 1,2 Millionen. I m G r u n d e h a n d e l t es sich in A u s t r a l i e n u m d e n K a m p f z w i s c h e n d e m f ü r S c h u t z z o l l e i n t r e t e n d e n M e l b o u r n e , d a s bis zu d e r 1927 e r f o l g t e n E r ö f f n u n g des P a r l a m e n t s in d e r n e u g e g r ü n d e t e n B u n d e s h a u p t s t a d t Canb a r r a die M i n i s t e r i e n b e h e r b e r g t e , u n d d e m f r e i h ä n d l e r i s c h g e s i n n t e n S y d n e y , w o b e i M e l b o u r n e zweifellos d e n Sieg d a v o n g e t r a g e n h a t . Die a n d e r e n H a u p t s t ä d t e f o l g e n erst in w e i t e m A b s t ä n d e , so A d e l a i d e m i t 304000, Brisbane mit 264000 u n d P e r t h mit annähernd 200000.
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Die Lage der Städte. Wir stehen nunmehr vor der Aufgabe, zwecks vollständigen Verstehens des Landschaftsbildes der Stadt auch die Form der einzelnen S i e d l u n g s e l e m e n t e zu erfassen und in einen systematischen Überblick zu bringen. Zu diesem Zwecke wollen wir Standort, Grundriß und Aufriß der Städte betrachten und mit der Behandlung des Standortes zugleich einige Bemerkungen über die Wahl der geographischen Lage hinzufügen, wobei die Verquickung deshalb berechtigt ist, weil bei der ersten Wahl des Ortes beide Faktoren berücksichtigt werden, aber vor allem in Bezug auf die Lage lehrreiche Irrtümer vorkamen. Betrachten wir die L a g e der S t ä d t e , so ergibt sich eine durch den Gang der Besiedlung und die wirtschaftlichen Verhältnisse begünstigte Bevorzugung der K ü s t e n l a g e , deren einzelne Untertypen nicht näher erörtert werden sollen. Der schönste Naturhafen ist wertlos, wenn ihm das Hinterland fehlt. Sehr deutlich zeigt die Bevorzugung der Ost- bezw. Südost-Küste, daß für die Herausbildung von großen Städten die natürliche Ausstattung der Landes vor der günstigen Verkehrslage entscheidend ist. Der Norden und Nordwesten, der sich den volkreichen Gebieten der Erde zuwendet, hat dennoch keine Stadt von irgendwelcher Bedeutung. Infolge der ungegliederten Form des australischen Kontinents sind besonders hervortretende, günstige geographische Lagen nur selten vorhanden. Eine hervorragend gute geographische Lage hat P o r t A u g u s t a am inneren Winkel des Spencer Golfes, der tief in das Land eingreift. Es ist das Tor nach dem Osten des Kontinentes. Von hier geht auch der Weg nach dem Inneren; es kreuzen sich also zwei wichtige Linien, eine ost-westliche und eine nord-südliche. Und dennoch ist Port Augusta ein kleiner Platz, während sich Adelaide zur überragenden Hauptstadt des Staates Südaustralien in vollkommen exzentrischer Lage entwickelt hat. Es fehlt Port Augusta trotz der günstigen geographischen Lagebeziehungen an dem fruchtbaren Hinterlande, das Adelaide hat. Für die Wahl der Lage von A d e l a i d e war bei der Küstennähe ausschließlich die Überlegung maßgebend, daß die natürliche Ausstattung des Hinterlandes die Gewähr für die gedeihliche Entwicklung von Ackerbau und Viehzucht gab. Im übrigen ist die geographische Lage nicht sehr günstig, weil die Mount Lofty-Kette mit ihren steilen Abhängen die Stadt von dem volkreichen Osten völlig abschließt. Aber östlich der Bergkette fehlt es an Entwicklungsmöglichkeiten; auch fehlt es an der Mündung des Murray an einem günstigen Standort. Der Murray mündet in den flachen AlexandrinaSee mit seinen sandigen Ufern. Wahrscheinlich durch eine junge Hebung unterstützt, wird die Mündung überdies so stark versandet, daß sie zur Anlage eines Hafens völlig ungeeignet ist. Es ist ein vielbeklagter Umstand, daß der größte Fluß Australiens eine so schlechte Mündung hat, die durch den Wasserverlust infolge Verdunstung noch unbrauchbarer gemacht wird. 9
Stadtlendschaften.
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Eine günstige Lage hat Melbourne. Keine andere Hauptstadt Australiens liegt so zentral wie die Hauptstadt von Victoria. Sie wurde im inneren Winkel am Einfluß des Jarra-Flusses in den Port Phillip erbaut. Dadurch, daß zu beiden Seiten der Senkung noch Schollen südlich des großen west-östlich streichenden Tales herausragen, wird Melbourne stark in die Kontinentalmasse hineingerückt. Eine meridionale Verwerfung stellt in einem „Geocol" die Verbindung mit dem Murray her, so daß die Kordillere keine hemmende Schranke ist. Die Lage von Melbourne wurde nach einigen mißglückten Versuchen deshalb gewählt, weil der Jarra-Fluß das so notwendige Süßwasser lieferte. Im Schwanlande endete der Wettstreit zwischen dem mit einem guten Hafen ausgestatteten Albany und Perth, das im Swan-River einen Verkehrsweg und außerdem ein gutes Hinterland hat, mit dem Siege der letzteren Stadt. An der Ostküste dagegen wurde die natürliche Entwicklung durch den Eingriff des Menschen oft verhindert. So vor allem bei S y d n e y selbst. Cook hatte zunächst die Botany Bay als Ansiedlung ausgewählt, war aber bei dem Anblick von Port Jackson davon abgekommen und gründete Sydney an diesem prächtigen und geräumigen Hafen. An die geographische Lage wurde dabei nicht gedacht. So wurde denn Sydney zur Hauptstadt der Kolonie und hat sich zur wichtigsten Handels- und Industriestadt des ganzen Kontinentes aufschwingen können, obgleich die nähere Umgebung nicht fruchtbar ist und die Sperrlandschaft der Blauen Berge sie von dem Hinterlande trennt. Das natürliche Einfallstor in das Innere des Landes liegt 160 km nördlich bei Newcastle am Hunter River, wo durch Querverwerfungen eine natürliche Straße ins Innere führt. Gewiß ist der Hafen hier nicht so gut, auch die Landschaft ist nicht so anziehend, aber dafür liegt die Steinkohle dort, der so wichtige Krafterzeuger. Daß sich B r i s b a n e in so ausgesprochen exzentrischer Lage zur Hauptstadt von Queensland entwickeln konnte, hat verschiedene Ursachen. Zunächst ist die Umgebung sehr fruchtbar, und der Brisbane River bis zur Stadt von Seeschiffen befahren. Fernerhin aber hat es in den Darling Downs ein fruchtbares Hinterland, und auch die Nähe des dichter besiedelten Neu-Südwales dürfte nicht ohne Einfluß gewesen sein. Von großer Bedeutung aber ist das angenehme Klima, das im Verhältnis zu den weiter nördlich gelegenen Küstenstädten den Europäern viel zuträglicher ist. Immerhin aber ist die Lage doch so stark exzentrisch, daß sich Townsville mehr und mehr zum Vorort des tropischen Queensland entwickelt. Bei den S t ä d t e n im I n n e r n ist festzustellen, daß die Bergwerksstädte keine Rücksicht auf die geographische Lage und die natürliche Ausstattung nehmen. Die besten Beispiels sind die Hauptorte für Silber- und GoldBergbau in Australien. Bröken Hill liegt in einer so wasserarmen Gegend, daß in Zeiten der Trockenheit das Wasser mit Eisenbahnzügen heran-
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geführt werden muß, und das für eine Stadt von 24000 Einwohnern! Ebenso ist es mit den Goldbergwerksstädten in Westaustralien. Heute versorgt die 620 km lange Wasserleitung von der Darling-Kette an der Westküste die Stadt Kalgoorlie und eine ganze Anzahl anderer Bergwerksstädte mit dem lebensnotwendigen Element. Aber auch da, wo die Leitung nicht hinreicht, wie nach dem Murchison-Goldfelde, entstehen solche Städte. In Gebieten, die hauptsächlich Ackerbau und Viehzucht treiben, sind die Städte r e g e l m ä ß i g über das ganze Land verstreut, und so entwickelten sich diejenigen zu Mittelpunkten, die eine günstige Verkehrslage haben. Die Dichte der größeren Städte hängt ab von dem Grade der wirtschaftlichen Auswertung des Bodens. Sie liegen also dichter in Victoria als in Queensland, dichter im Gebiete des „mixed farming" als der reinen Viehzucht. Bei Städten, die früher Bergwerksstädte waren und sich auf Landwirtschaft umgestellt haben, zeigt sich, daß die ältere Siedlung einen schwer einzuholenden Vorsprung hat. Sonst aber kann festgestellt werden, daß die geographische Lage entscheidend war. Ein gutes Beispiel ist Dubbo, das sich am Ende der Hunterriver-Senke zu einem Mittelpunkte der Downs, also der Abdachungslandschaften westlich der Kordillere entwickelt hat. Ebenso zentral liegt Longreach in dem großen artesischen Becken von Queensland. E s ist der Hauptort für die Schafzucht. Eine Randlage hat Towoomba als Hauptstadt der fruchtbaren Darling Downs im südlichen Queensland. Wie im Mittelalter, so handelt es sich auch jetzt noch um bewußte Ortsgründungen, der S t a n d o r t wird von den Beamten gewählt. Auch heute noch muß der Standort bestimmten Voraussetzungen genügen. In Australien spielt die W a s s e r v e r s o r g u n g die entscheidende Rolle. Da sich nun in den episodischen Flüssen oft Wasserlöcher finden, so ist die Lage an den Flüssen nicht selten. Die Terrassenlage ist dabei am häufigsten, weil infolge des Naturzustandes der Flüsse der Talboden noch unbesiedelbar und ganz dem Flusse überlassen ist, der ihn zu Zeiten der Dürre gänzlich frei gibt, aber in Regenzeiten vollständig anfüllt. Diese Randlage finden wir bei allen Städten des Murray und Darling, wie bei Wilcannia und Bourke, wir finden sie aber auch im Norden an den tropischen Küstenflüssen, wie in Katherine. Wo kein ausgesprochenes Flußbett vorhanden ist, findet man oft die Ebenen- bezw. die Hochflächenlage, die infolge des Vorherrschens vieler und großer Verebnungsflächen ganz ungewöhnlich häufig ist. Nach Beispielen braucht man daher nirgends lange zu suchen; wir nennen aus Westaustralien den Bergwerksort Peak Hill. E s kommt aber auch vor, daß sich die meist sehr weitläufig gebauten Städte über Tal und Hügel hinweg erstrecken, wie es bei Marranboy im Arnhem Lande der Fall ist, so daß auf diese Weise eine Abart der Hochflächenlage vorliegt. Sehr häufig ist die Ebenenlage im großen artesischen Becken, während Städte wie Cloucurry und Tambo in Hochflächenlage liegen. 9*
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Fast ebenso häufig ist die Muldenlage, und zwar handelt es sich hier um meist sehr flache Mulden, wie bei Meekatharra und Nullagine in Westaustralien; eine ausgesprochene Muldenlage hat Marble Bar. Macht sich hier im Trockenklima der Nachteil durch besondere Hitzeentwicklung bereits bemerkbar, so baut man im Osten, vor allem in Queensland, im feuchttropischen Gebiet, die Städte wenn irgend möglich auf luftigen Hügeln in Gipfellage. So ist diese Lage besonders häufig an den Stellen mit üppiger Vegetation, wie im nördlichen Teile der Kordillere, wo Yungaburra auf dem Hochplateau von Atherton genannt sein mag, und in dem südlichen Teile bei Brisbane. Bei Gympie sind beispielsweise die Täler unbebaut, während sich die Häuser um die Gipfel der Hügel scharen. Das Gebiet der Kordillere bietet überhaupt viel Abwechslung. Wenn auch infolge des Plateaucharakters die Hochflächenlage gleichfalls häufig ist, wie es Armidale auf der Neuengland-Kette beweist, so kommen doch in den zertalten Teilen andere Flußtallagen vor, wie die typische Talstraßenlage von Walhalla in Victoria. Eine Sattellage weist Atherton auf. Eine Talstraßenlage hat die Altstadt von Ballarat in Victoria (Abb. 25) Sehr häufig finden wir sie in der Mount Lofty-Kette östlich von Adelaide.
Der Grundriß der Städte. Nachdem wir somit die Siedelungen in die Landschaft hineingestellt haben, fragt es sich nun, welche Formenelemente der Mensch, und zwar der britische Kolonist des 19. Jahrhunderts, geschaffen hat und inwieweit Überlieferung und natürliche Ausstattung des Landes dabei ausschlaggebend waren. Zweifellos ist bei der Anlage der Städte der Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit und der leichten Ausführbarkeit maßgebend gewesen. In der G r u n d r i ß g e s t a l t u n g ist fast ausschließlich die S c h a c h b r e t t f o r m vorhanden, d. h. die rechtwinklig sich kreuzenden Straßen, ohne e i n e U m r i ß l i n i e ; es fehlt also der Abschluß. Die Natur des Landes begünstigte die Anlage dieser Grundrißform. Sie ist aber auch in starrer Beibehaltung der Form da zu finden, wo der Baugrund vollkommen andere Formen verlangte. Fast immer kann man feststellen, daß die Straßen ohne R ü c k s i c h t a u f d i e H ö h e n u n t e r s c h i e d e in das Gelände gelegt wurden. Die Straßen enden unvermittelt an den Elementen der Situation, wie Flüssen, Küstenlinien und vorher angelegten Straßen sowie Eisenbahnlinien. Es hat sich geradezu ein besonderes Schönheitsideal gebildet, und der Australier ist stolz darauf, daß seine Städte so geometrisch genau konstruiert sind. Die rechtwicklig sich kreuzenden Straßen sind besonders bequem für die Aufteilung des Stadtgebietes in einzelne Blocks, die bei kleinen Städten
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bis 1 / i acre Areal erhalten. J e d e m E i g e n t ü m e r wird ein solches R e c h t e c k zugewiesen, u n d eine G r u p p e v o n R e c h t e c k e n wird d a n n zu einem rechteckigen B a u b l o c k v e r e i n i g t ; auf diese Weise k o m m t v o n selbst das S y s t e m rechtwinklig sich kreuzender S t r a ß e n z u s t a n d e . E s gibt ursprünglich keinen M a r k t p l a t z , doch erhält v o n v o r n herein eine S t r a ß e eine besondere Breite, die d a n n als G e s c h ä f t s s t r a ß e a u s g e b a u t wird. Verspricht m a n sich ein besonderes W a c h s t u m der S t a d t , so w e r d e n a u c h G r ü n f l ä c h e n in der Mitte der S t r a ß e angelegt, wie bei Bäirnsdale i m f r u c h t b a r e n Gippsland u n d in Cairns u n d Townsville i m nördlichen Queensland. Die R e p r ä s e n t a t i o n s g e b ä u d e erh a l t e n ihren P l a t z a n dieser S t r a ß e , a u c h das P o s t a m t , w ä h r e n d der B a h n hof meist abseits gelegen ist. Bei ganz kleinen Siedlungen i m I n n e r n f i n d e t m a n , d a ß die H a u p t s t r a ß e n u r auf einer Seite H ä u s e r h a t , u n d zwar in erster Linie Geschäftshäuser, u n d d a ß die a n d e r e Seite v o n der Eisen-
Abb. 25. Plan der Stadt Ballarat in Victoria. (Die Altstadt entwickelte sich längs den Straßen der beiden Täler; City und Neustadt wurden daneben westlich des Yarrowee Creek angelegt).
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bahn eingenommen wird. Solche Städte finden sich besonders häufig in den jungen Ackerbaugebieten des Schwanlandes und in Queensland. Beachtenswert ist es, daß die s c h e m a t i s c h e F o r m der Städte sich besonders bei den j u n g e n G r ü n d u n g e n (Tafelbild 11) findet, daß man sie also für einen Fortschritt hält im Gegensatz zu den ersten Anfängen, wo die Städte gewissermaßen unter der Hand geworden waren. Die treffendsten Beispiele bieten die beiden Konkurrenten Melbourne und Sydney. Erstere Stadt besitzt nach australischen Begriffen ein geradezu ideales Straßennetz, geradlinig und weit. Man bemitleidet Sydney wegen seiner engen und winkligen Straßen (Tafelbild 12). Man hat sich zwar auch da bemüht, der Schachbrettform möglichst nahe zu kommen, aber es war zu spät. Die George-Street ist die alte Landstraße, die vom Hafen aus nach dem Inneren ging, und als solche gewunden. Ehe die Vermessung des Geländes vorgenommen werden konnte, war diese Straße bebaut. Dazu kommt, daß die nähere Umgebung des Hafens zunächst infolge des sumpfigen Geländes gar nicht bebaut werden konnte und man die alte Grenzlinie gegen dieses unbebaubare Land noch heute an der unregelmäßigen Führung der Straßen erkennt. Eng und gewunden, mehr oder weniger sich den Höhenlinien anpassend, sind auch die Straßen der kleineren Städte aus der ersten Kolonialzeit. Die beiden Straßen der Altstadt von B a l l a r a t (Abb. 25) führen, in Tälern angelegt, um den Post Office Hügel herum, der erst viel später der Besiedlung zugänglich gemacht worden ist. City und Neustadt sind dagegen regelmäßig angelegt. Ahnlich liegen die Dinge in Maitland am Hunterriver. Auch die Städte des Hinterlandes von Sydney, wie Richmond, zeigen diese Form. Eine besondere Stellung nehmen die Städte in Südaustralien ein, Dort findet man eine große Anzahl von Landstädten, die unregelmäßig angelegt sind. Die Talstraßenlage ist häufig, wie bei Clarendon, und diese bedingt das Hervortreten einer langen und gewundenen Hauptstraße. Die Lage an Straßengabelungen bringt sehr oft einen aufgelösten, unregelmäßigen Grundriß mit sich. Aber auch da, wo in der Vermessung die Schachbrettform vorgesehen war, ist sie nicht immer zur völligen Durchführung gekommen. Die natürlichen und die wirtschaftlichen Verhältnisse waren mächtiger als die Pläne der Menschen. So ist Bourke, an der Stelle erbaut, wo der Darling für die Fluß-Schiffahrt schiffbar wird, statt der Stadt von 10000 Einwohnern eine solche von nur 1800 Seelen. Die Folge ist, daß weite Flächen innerhalb der Baublöcke leer stehen. Die Anlage als solche wird jedoch nicht durchbrochen. Die beiden Geschäftsstraßen liegen in typischer Kreuzform zueinander. Während die eine parallel zum Flusse verläuft, führt die andere senkrecht dazu zum Bahnhofe. Oft kommt nur die eine Hauptstraße zur Entwicklung, wie bei Stuart, der Hauptstadt von CentralAustralien. Schwer zu kämpfen haben die Städte im äußersten Norden.
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Hier liegen die Verhältnisse wegen der farbigen Einwohner noch komplizierter. So haben sich überall Eingeborenen-Städte herausgebildet, die von den Europäer-Vierteln räumlich getrennt sind. Eine solche Trennung aber war auf Grund der Planung nicht vorgesehen. Man begann die Städte von verschiedenen Seiten an zu bebauen, und so kam es zur Herausbildung von zwei bzw. drei Mittelpunkten, der Wohnstadt der Weißen, der Eingeborenenstadt und der Geschäftsstadt bzw. dem Wirtschaftsgebiete des Hafens. E s liegen auch Fälle vor, wo die ursprüngliche Anlage zu klein und der Rahmen des ganzen gesprengt wurde. Solche Beispiele finden sich in den gut bevölkerten Gebieten des Südostens. Mount Gambier wurde in unmittelbarer Nähe der erloschenen Vulkane gleichen Namens nahe der Grenze von Victoria auf dem Gebiete des Staates Südaustralien angelegt. E s war eine private Gründung. Als die Stadt aufblühte und eine Eisenbahn erhielt, entstand eine neue Geschäftsstadt, und die alte Stadt wurde zur Vorstadt. Ahnlich, aber in größerem Ausmaße, hat sich die Entwicklung von Ballarat vollzogen. Auch hier hat die neue Stadt der alten jegliche Bedeutung genommen; sie wurde mit einer schönen breiten Hauptgeschäftsstraße mit Grünflächen angelegt und ist ein Zeichen dafür, welch Reichtum sich damals in Ballarat angehäuft hatte. Bei reinen Ackerbaustädten ist der Aufschwung nicht so sprunghaft vor sich gegangen, und so finden wir denn bei Toowoomba bzw. Warwick ein organisches Wachsen von der Innenstadt nach Außen, ebenso bei Tamworth und Dubbo. Bei den H a u p t s t ä d t e n haben wir „amerikanisches" Wachstum. Das übliche ist es, daß die Vorstädte in der gleichen Weise angelegt werden wie die Cities, aber sie sind bedeutend weiträumiger bebaut. Das hat zur Folge, daß sich die einzelnen Straßen kilometerweit, j a meilenweit in gerader Richtung ausdehnen, natürlich so weit, bis sie auf ein für die moderne Technik unüberwindbares Hindernis stoßen. E s kommen dabei auch Ubersiedelungen und Eingemeindungen vor; aber sie sind weniger im Straßennetz als vielmehr in der Bebauung zu erkennen. Der Grund liegt darin, daß auch das platte Land in Blöcke von Rechteckform aufgeteilt ist und das Bestreben vorhanden ist, die Landstraßen so geradlinig wie nur irgend möglich durch die Landschaft zu führen. Dieses Ideal kann natürlich nicht überall mit solcher Vollkommenheit ausgeführt werden, wie das bei Melbourne der Fall ist. Nur da, wo das Gebirge in die Nähe des Weichbildes der Stadt herantritt, muß von der geraden Straße abgewichen werden. E s gibt also einen Schwellenwert, bis zu dem man an dem beliebten System festhalten kann. Ein starres System von rechtwinklig sich kreuzenden Straßen in den Vorstädten hat Brisbane aufzuweisen, und es macht auf den Beschauer einen seltsamen Eindruck, wenn er von einem erhöhten Standpunkte auf die von Straßen durchzogenen Hügel der Vorstädte blickt. Auch bei P e r t h (Abb. 26) finden wir eine solche Anlage der Vorstädte, doch bringen es der
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Abb. 26. Plan von Perth, der Hauptstadt Westaustraliens. (Die Ausdehnung der City ist durch Schraffen gekennzeichnet. 2,5 Meilen = 4 km).
gewundene Lauf des Swan River und die hohen Kalkdünen der nächsten Umgebung mit sich, daß die Straßen verhältnismäßig kurz sind. Die einzelnen Systeme sind stark ineinandergeschachtelt. Bei Adelaide ist infolge der zentralen Lage der City die Straßenführung zu den Vorstädten und in diesen sehr regelmäßig, nämlich genau west-östlich und nordsüdlich. An jeder Ecke jedoch münden zwei Radialstraßen ein, die das Straßensystem in einem Winkel von 45° schneiden. Eine besondere Stellung nimmt Sydney ein, wo die Vorstädte sich in die Vorsprünge zwischen den Buchten des Port Jackson, vorschieben. Die Hauptverkehrsstraßen schlängeln sich auf den Riedeln zwischen den Buchten dahin.
Die Hausformen. Beim H a u s b a u , wo der Zug zur Typisierung gleichfalls sehr stark ist, haben wir zwischen Wohnhäusern und Geschäftshäusern zu unterscheiden. Beide Formen haben in Australien bereits einen E n t w i c k l u n g s g a n g
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hinter sich, so daß uns ein größerer Formenreichtum entgegentritt, als wir zunächst anzunehmen geneigt sind (Abb. 27). Die ersten Siedler bauten sich B l o c k h ä u s e r , die ebenerdig waren und aus einem Raum bestanden. Die Stämme wurden einfach nebeneinander in die Erde gerammt, die kleinen Fenster nachträglich herausgeschnitten. Das Dach war ein Giebeldach, das frühzeitig aus eingeführtem Wellblech hergestellt wurde. Bald verfeinerte sich auch die Technik des ganzen Baues, indem die halben Stämme in horizontaler Richtung übereineinder gelegt wurden. An beiden Enden zu Zapfen verschnitten, wurden diese an den Ecken in einen senkrechten Stamm verzahnt. Die Lücken wurden mit Gras und dem Naturwachs, das als Rückstand beim Verbrennen des Spinifexgrases übrig bleibt, verkittet. Sehr bald ging man zum Z w e i r a u m - H a u s über, indem seitlich der in der Mitte der Längsseite angebrachten Tür eine Wand gezogen wurde, so daß ein größerer Wohnraum entstand, in den man unverXuehe i mittelt eintrat, während der kleinere Schlafraum durch eine Tür vomWohnraum, nicht direkt von außen, zu betreten war. Ein nie fehlender Bemmmm wMw/^/mm 1112 standteil wurde die V e r a n d a , die m ii t . — i „ sich entlang der Langseiten des Hauses hinzieht und in ursprünglicher Form Abb. 27. Entwicklungsformen des bodeneinfach einen Dachansatz darstellt, ständigen australischen Wohnhauses. der von rohen Baumstämmen ge1. Blockhütte 2. Zweiraumhaus stützt wurde. 3. Zweiraumhaus mit Veranda
4. Vierraumhaus 5. Endform Aus diesem Blockhaus hat sich das Wohnhaus entwickelt (Abb. 27). An die Stelle der halben Balken traten die bearbeiteten Bretter, die horizontal gestellt, schuppenförmig übereinander gelegt werden, damit der Regen ablaufen kann. D i e E r w e i t e r u n g g e s c h a h s o , d a ß z w e i H ä u s e r m i t d e n L ä n g s s e i t e n d i c h t a n e i n a n d e r g e b a u t w u r d e n . So erhielt man vier Räume. Später baute man dann von vorn herein ein V i e r r a u m h a u s , und da stellte sich der durch die Tiefe des Hauses hindurchführende Korridor von selbst ein. Die Küche und die Nebenräume blieben zunächst noch außerhalb bestehen. Erst bei neueren Häusern werden sie direkt an das Vierraumhaus angebaut. E s erscheint mir wichtig, daraufhinzuweisen, daß also die ersten Erweiterungen so vorgenommen wurden, daß man Nebengebäude frei ohne direkten Zusammenhang mit dem Hauptgebäude errichtete, und daß es ein bedeutend späteres Entwicklungsstadium bedeutet, wenn die Gebäude als Seitenflügel an das Hauptgebäude gesetzt
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wurden. Es ist das letztere auch viel schwieriger und erfordert eine besondere Berufsausbildung, da von vornherein nach dem verwickelten Plan gearbeitet werden muß, und vor allem auch die Dachkonstruktion schwierig wird. Bei dem Vierraumhaus tritt denn auch erst am Ende der Entwicklungsreihe eine andere Dachkonstruktion auf, und zwar erinnert sie insofern an das Mansard-Dach, als von einer horizontalen Mittelfläche das Dach in scharfem Knick nach allen vier Seiten abfällt. Die V e r b r e i t u n g dieser Häuser ist sehr groß. Finden wir das Zweiraumhaus sehr viel auf Stationen und Dörfern auf dem Lande, so ist es doch keineswegs darauf beschränkt und findet sich selbst in den Großstädten. Als Typ jedoch tritt es als das Haus der kleinen Beamten und Arbeiter vor allem in Klein- und Mittelstädten auf. Oft bestehen ganze Straßenzüge und Stadtteile aus diesen Zweiraumhäusern, die meist in dieser städtischen Zusammengedrängtheit einen sehr öden Eindruck machen. Das Vierraumhaus ist für anspruchsvollere Menschen bestimmt. Es stammt aus einer Zeit, wo der Kolonist bereits aus dem Ärgsten heraus war. Wir finden es auf den großen Stationen als Wohnhaus des Besitzers oder Managers, wir finden es in den Städten aller Größenordnungen. Es stellt eine E n d f o r m dar, die völlig zur Herrschaft gelangte und auch jetzt noch gebaut wird. Es ist sehr zu beachten, daß sich diese Form des Hauses g e g e n die a u s der a l t e n H e i m a t ü b e r l i e f e r t e n F o r m e n d u r c h g e s e t z t h a t . Nach Überwindung der allerersten Anfangsschwierigkeiten versuchte man zunächst die alten englischen Hausformen zu übertragen. Man baute mehrgeschossig, ohne Veranda, mit Vorliebe aus Stein, und in den Städten führte man die geschlossene Bauweise durch. Wie man aber bald von der Anlage enger und gewundener Straßen abkam, so verließ man auch gänzlich die alte Bauweise. Wenn man durch die Städte des Südostens reist, also durch Gebiete, die z u e r s t besiedelt worden sind, so findet man noch mehrgeschossige Häuser. Es sind meist zweigeschossige, d. h. sie haben auf das Erdgeschoß noch ein Geschoß aufgebaut, es kommen aber auch dreigeschossige Gebäude vor. Sie machen einen ganz fremdartigen Eindruck mit ihren hohen, glatten Steinfronten. Interessant ist es festzustellen, daß diese alten Hausformen fast ausschließlich an gewundenen und engen Straßen stehen. Die gleiche Beobachtung können wir an Großstadthäusern machen. Es finden sich beispielsweise in Sydney nahe dem Hauptbahnhofe und nordöstlich davon einige Straßenzüge, die aus zweigeschossigen Einfamilienhäusern in geschlossener Bauweise bestehen, also Straßen, wie man sie in England in allen Städten beobachten kann. Die Häuser haben zwei Fenster Breite, im Erdgeschoß befindet sich oft nur ein Fenster. Oft haben zwei Häuser von der Straße aus einen gemeinsamen Eingang, der nach der Hinterfront der Häuser führt, von wo man dann in die einzelnen Wohnungen bezw. Häuser gelangt. Diese typisch englische Bauweise hat
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sich nicht durchgesetzt, sondern sie ist zu gunsten der offenen Bauweise verlassen worden. F ü r diese offene Bauweise waren die Zweiraum-Häuser wohl geeignet; aber sie konnten sehr bald den gesteigerten Anforderungen an Bequemlichkeit und R a u m nicht mehr genügen, und so wurde der erste Schritt zum B u n g a l o w dadurch getan, daß m a n einen Teil der Langfront vorzog, dadurch mehr R a u m und größere Gliederung der Fassade und durch das K r e u z d a c h auch eine gefälligere F o r m im Ganzen erreichte. E s ist das die C o t t a g e im eigentlichen Sinne. Jedenfalls wollen wir, da im Sprachgebrauch die Begriffe nicht festliegen, die Bezeichnung Cottage nur auf diesen H a u s t y p anwenden, In neuester Zeit ist, wohl unter dem E i n f l u ß Indiens, eine andere Hausform sehr beliebt geworden, die m a n als „ B u n g a l o w " bezeichnet, Der Bungalow ist das typische Einfamilienhaus, die „ V i l l a " in bescheidenen Formen, v o r allem eingeschossig mit vorgezogenen Teilfronten und Bevorzugung der Kreuzdächer. Die Grundrißform ist vielgestaltig, da auch die Nebenräume mit den Hauptwohnräumen unter demselben Dache liegen. Die Veranda l ä u f t nicht u m das Haus herum, sondern ist eingebaut, nimmt nur einen Teil der Hausfront ein, ist diffeienziert, u m dem Hause eine gefällige F o r m zu geben. Uberhaupt ist für die Bungalows das Streben nach besserer A u s s t a t t u n g charakteristisch. In j e d e m Falle ist eine Diele vorhanden, in die man über eine Eingangsveranda gelangt, und da die Zimmerzahl unbeschränkt ist, erhalten die Häuser o f t große Längenausdehnung; denn alle Häuser sind ebenerdig. Man h a t in der langgestreckten niederen F o r m den E i n f l u ß Ostasiens sehen wollen. A b e r das ist nicht nötig. Das ebenerdige Haus bietet allein durch die Vermeidung der Treppe große Annehmlichkeiten. A u ß e r d e m h a t man viel Platz, wohnt luftiger in den grünen Vorstädten und braucht nicht so stabil zu bauen. Man setzt in der Eingeschossigkeit j a nur die Gewohnheit des Vierraum-Hauses fort. In den letzten Jahren ist eine n e u e F o r m d e r C o t t a g e v o n A m e r i k a übernommen worden. E s ist ein B a u v o n nahezu q u a d r a t i s c h e m G r u n d r i ß , v o n dem ein Stück an der K a n t e für den durch eine Veranda markierten seitlichen E i n g a n g herausgenommen ist. Das Haus ist also v o n der Seite aufgeschlossen, und da dieser seitliche Gang zur Haustür eine besondere Dachkonstruktion, eine kleinere Wiederholung des HauptGiebeldaches erhält, wird eine etwas gefälligere F o r m des Ganzen erreicht. A u c h diese F o r m , die meist ein sehr flaches D a c h hat, ist nur ebenerdig. I m Gegensatz zu dem B u n g a l o w ist es ein B a u , der seinem Charakter nach keine Erweiterungen v e r t r ä g t . W a s die Verbreitung anbetrifft, so sind diese Häuser in der Gegend u m Perth und Adelaide am häufigsten, haben aber auch i m Osten E i n g a n g gefunden. Einen anderen E n t w i c k l u n g s g a n g h a t das G e s c h ä f t s h a u s genommen, und zwar dadurch, d a ß das Einraumhaus v o n der Giebelseite aufgeschlossen
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wurde; also die Tür unter dem Giebel erhielt und die Giebelseite der Straße zuwendet. Wenn ein weiterer Raum abgetrennt wurde, so wurde die Wand parallel zum Giebel gezogen. Dieses Geschäftshaus wurde auch in die großen Städte verpflanzt, und es wuchs in die Höhe; man setzte Geschosse auf. In Klein- und Mittelstädten, wo Holzbauten auch in der Geschäftsstraße vorherrschen (Tafelbild 11), ist eine schmale Lücke gelassen worden, die, beispielsweise in Kalgoorlie, auch dann noch beibehalten wurde, wenn das Haus später aus Stein aufgeführt wurde. In den Großstädten ist diese Sicherheitslücke nicht mehr vorhanden. Hier kann man auch beobachten, daß große Firmen ihre Häuser in der Breitenausdehnung wachsen ließen, aber bezeichnenderweise auch so, daß zwei oder mehrere Giebelhäuser mit den Langseiten a n e i n a n d e r g e s e t z t wurden. Selbst in der Dachform wurde nichts geändert, so daß eine Anzahl von Giebeldächern mit dem First senkrecht zur Straße nebeneinander liegen. Durch gleichzeitiges Zusammenwachsen und in die Höhe wachsen der Häuser war schließlich der Ubergang zum modernen Geschäftshaus gegeben.
Die Baustoffe. Schließlich hätten wir noch das M a t e r i a l der H ä u s e r zu betrachten, in dem sich am klarsten die Abhängigkeit von der natürlichen Ausstattung der Landschaft und vom Klima ausprägt, und zwar auch dann, wenn es sich um Baustoffe handelt, die eingeführt werden müssen (Abb. 28). Auffallend ist das häufige Auftreten von W e l l b l e c h . Infolge der Leichtigkeit, mit der dieses Hausbaumaterial nach den entlegensten Gebieten gebracht werden kann, ist es überall da verbreitet, wo es an natürlichem, ohne Schwierigkeiten zu bearbeitenden Material fehlt. Und das ist der ganze Westen mit Ausnahme des Südwest-Zipfels und der Norden, wo die Baumsavanne nicht gerade gutes Holz für den Hausbau liefert. Dazu kommt aber noch, daß das Wellblechhaus wohl sehr schnell die Hitze aufnimmt, sie aber Abends auch ebenso schnell wieder abgibt. Aber es kann kein Zweifel darüber herrschen, daß die große Verbreitung der „Wellblechkultur", wie man sie scherzhafterweise nennt, in der Tat ein Zeichen von Rückstand und eines Landes wie Australien, das über so viel Hilfsmittel verfügt, unwürdig ist. Ein Wandel wird eintreten, wenn die leicht transportablen Asbestwände, wie sie neuerdings hergestellt werden, in größerem Maße Eingang gefunden haben werden. Die Verbreitung des Wellblechs ist in erster Linie auf die Schnellebigkeit der Bergwerkssiedelungen, vor allem Westaustraliens, zurückzuführen, wo innerhalb weniger Monate große Städte errichtet wurden und ebenso schnell wieder verfielen. Die Versuche der Regierung, hierin Wandel zu schaffen und eine seßhafte Bevölkerung heranzuziehen, sind zunächst gescheitert. Auch die massiven offiziellen Bauten, wie die der Bergwerks-
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behörden, der Townhall und gegebenenfalls des Bahnhofes, konnten daran nichts ändern. I m Osten und im Südwesten finden wir das Vorwalten des H o l z b a u e s . Zunächst ist das Material in den Küstenlandschaften und der Kordillere vorhanden. Sodann aber ist das Bedürfnis nach soliderer Bauart bei der Viehzucht und Ackerbau treibenden Bewohner größer, so groß, daß selbst da Holzhäuser gebaut werden, wo das Holz auf weitem Wege herangeholt werden muß, nämlich im Gebiete der Steppen und des Scrub. Somit finden wir das Vorwalten des Holzhauses fast im ganzen Osten, also in Victoria, Neusüdwales und Queensland (Tafelbild 11). J e weiter anch dem fast un1 Oarwin,
Holzhäuser Wellblechhäuser
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Steinhäuser vereinzeltes Vorkommen von Steinhäusern bes. in den Cities
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Abb. 28. Die Verbreitung der Baustoffe für die Häuser in Australien.
bewohnten Innern, u m so mehr stellt sich das Wellblechhaus ein, das in dem Bergwerksbezirk von Cloncurry zur Herrschaft gelangt, während die Bergarbeiter im Steinkohlenbezirk von Newcastle in Holzhäusern wohnen. Die Kultur des Holzhauses h a t im Osten eine beachtliche Höhe gefunden, und es ist bezeichnend, daß sie auch die Vororte der H a u p t s t ä d t e durchaus beherrscht. D a s H o l z h a u s i s t f ü r A u s t r a l i e n c h a r a k t e r i s t i s c h . I n den f e u c h t e n T r o p e n verlangt das Klima gebieterisch eine Änd e r u n g i m H a u s b a u . Diese besteht zunächst darin, daß man das Haus zwecks besserer Durchlüftung und zum Schutze gegen Feuchtigkeit und tierische Schädlinge — vor allem die Ameisen — auf Pfähle setzte, und zwar imprägnierte, mit einer Zinkplatte bedeckte Holzpfosten verschiedener Höhe — ohne daß sich die Form des Hauses änderte. Wie weit
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aber selbst in einem so jungen Koloniallande der Einfluß der politischen Grenzen geht, kann man daraus sehen, daß diese Pfahlhäuser im Osten n u r in Queensland zu finden sind und ihre Verbreitung haarscharf mit der Grenze übereinstimmt. Im Monsuugebiet des Nordens finden wir selbst die Wellblechhäuser auf Pfählen. Längs der Küste finden wir von Brisbane an nach Norden bis Broome an der Nord-Westküste das eigentliche T r o p e n h a u s , das aus zwei ineineinder gesetzten Häusern besteht, da es nicht nur auf Pfählen steht, die gut die Höhe eines Stockwerkes haben, sondern auch ein doppeltes Dach und eine um das ganze Haus herumführende, durch Matten nach außen abgeschlossene Veranda besitzt. Solche Tropenhäuser kommen aber in Australien nie allein vor, sondern sind immer gemischt mit anderen Formen, und zwar sowohl Wellblech- wie Holz- und Steinbauten. Letztere finden wir vor allem in den großen Städten an der Ostküste. Die verhältnismäßig geringe Zahl der Tropenhäuser beleuchtet so recht den unentwickelten Zustand der Monsun-Landschaften Australiens; denn nur solche Häuser bieten einigermaßen Gewähr für behagliches Wohnen. Auch S t e i n h ä u s e r gibt es in Australien. „Bestandbildend" treten sie aber nur im Staate Südaustralien auf. Es hängt das zum guten Teile mit der Waldarmut des Landes zusammen. Aber es kann das nicht der alleinige Grund sein. Das Streben nach solider Bauweise ist den Bewohnern, unter denen es nicht wenige Deutsche gibt, besonders eigen. Das Vorhandensein guten Bausteines aus der Flinderskette tut das Seinige. Es handelt sich hier von Anfang an um eine bodenständige Farmerbevölkerung. Das Gebiet des Steinhauses fällt so ziemlich mit der Grenze gegen Victoria zusammen. S t e i n h ä u s e r finden wir aber selbstverständlich auch außerhalb dieser südaustralischen Zone ü b e r a l l in den g r ö ß e r e n S t ä d t e n an der Küste, im Südwesten und im ganzen Osten, ferner auch in den großen Bergwerksstädten des Innern, wie Kolgoorlie-Boulder und Bröken Hill und vereinzelt in den aufstrebenden Landstädten. Die C i t y ist stets aus Stein erbaut, und zwar kommen Backstein und Haustein gemischt vor. In den Großstädten hat sich eine sehr beachtenswerte Architektur herausgebildet, und die massiven Geschäftshäuser der Hauptstädte machen auf den aus der Heimat kommenden Reisenden wegen ihrer neuzeitlichen Ausstattung großen Eindruck. Es kann auch nicht bestritten werden, daß es recht gute und geschmackvolle Bauten unter ihnen gibt; der typische Kolonialstil ist in Melbourne und Sydney gänzlich zu gunsten des modernen Baus geschwunden (Tafelbild 12). Die Entwicklung geht ungemein schnell vorwärts. Sehr stark hat der E i s e n b e t o n b a u Eingang gefunden, der für die Hochhäuser eine Vorbedingung ist; finden wir doch in Sydney bereits Häuser mit 36 Stockwerken! Hier ist man gezwungen, durch die Meeresbuchten eingeengt, in die Höhe zu gehen, während in den Vorstädten nur der eingeschossige Wohnbau herrseht. Viertel mit Mietskasernen gibt es
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nirgends. Jeder Australier hat sein eigenes Haus. Die ganze Repräsentation der aufstrebenden Staaten liegt der City der Hauptstadt ob. Hier entwickelt der Australier seine Pracht; hier will man es dem Amerikaner gleich tun. Aber letzten Endes wird dadurch nur die kaum noch zu steigernde Vormachtstellung der Hauptstädte unterstützt, gegen die nichts aufkommt. Im eigenen Lande werden dadurch die Gegensätze zwischen Land- und Hauptstadt verschärft, wird das Gefühl der Überlegenheit der Großstädter gestärkt, die Sehnsucht — oft unberechtigt — der Leute im Lande erweckt und den Fremden Sand in die Augen gestreut.
Nordamerikanische Stadtlandschaften. Von B r u n o
Dietrich.
Wenn man sich in irgend einer Weise von den landläufigen Diskussionen beeinflussen lassen würde, die für die Amerikabücher des letzten Menschenalters charakteristisch sind, so würde man den Versuch aufgeben müssen, über die amerikanische Stadtlandschaft zu schreiben. Ob New York, ob Chikago oder ob der amerikanische Westen „Amerika" ist und ob die Riesenstadt New York weiter nichts als eine europäische Filiale auf amerikanischem Boden ist, — alles das sind Fragen, die durch die Art und die Rassenzugehörigkeit der Einwohner beeinflußt worden sind. Für uns kommt es in erster Linie in dieser Betrachtung nicht auf Menge und Art der Menschen an, die sich in den Räumen der Städte drängen, sondern vielmehr auf die Stadt als solche, d. h. auf die amerikanische Idee, die in der amerikanischen Stadtlandschaft in Formen gegossen ist. Von diesem Standpunkt ist keine Stadt so typisch wie New York. Wie jede Stadtlandschaft hat auch die amerikanische Stadt ihr Relief. Der Unterschied zur Stadtlandschaft der Alten Welt liegt darin, daß sich nicht nur einzelne Kunstbauten aus dem im Mittel annähernd gleichen Niveau des Häusermeeres herausheben, sondern darin, daß der Begriff des mittleren Niveaus in der amerikanischen Stadt ein rein theoretischer Begriff bleibt. Die Schwankungen um diesen theoretischen Mittelwert sind sowohl der Fläche wie der Menge der Häuserblöcke nach so groß, daß von Werten, die weit unter dem mittleren Niveau liegen, unmittelbare Aufstiege zu den Häuserburgen und Einzeltürmen erfolgen, die sich in Ausmaßen bewegen, die außerhalb jedes europäischen Vergleiches liegen. Ein Blick auf das Stadtrelief von oben zeigt ein Durcheinander der Bewegung, ein Nebeneinander von Lücken und Hochhäusern, daß ein außerordentlich unruhiges Stadtbild erzeugt wird. Nur an einzelnen Stellen, und das dürfte charakteristisch für jedes amerikanische Stadtbild sein, ballt sich das Häusermeer wie in einer Burg zusammen. So wie aus dem unruhigen Relief der Mangel an großzügiger Ausgeglichenheit spricht, so in viel stärkerem Maße im P r o f i l d e r S t a d t der sogenannten H i m m e l s l i n i e oder „ S k y l i n e " (Tafelbild 13). Das Durcheinander in der Bebauung wird typisch für die Himmelslinie. Der Wechsel von leeren Stellen, Bretterbuden, Häusern, Palästen, Hochhäusern, Kirchen und Warenhausklötzen erweckt überall das Empfinden, daß es sich um etwas Unvollendetes, Unausgeglichenes und damit Provisorisches handelt. Das
Stadtlandschaften
der
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Tafel 7.
A b b . 13. N e w Y o r k , P a r a m o u n t Building; a m T i m e s S q u a r e , ein t y p i s c h e s B i l d d e s g e w a l t i g e n A u f u n d A b d e r s k y l i n e , zugleich ein B e w e i s f ü r d e n Anteil der R e k l a m e an der Physiognomie der Straße.
A b b . 14.
P a s a d e n a bei Los Angeles.
T y p i s c h e s W o h n h a u s in d e r b e w ä s s e r t e n S t a d t .
Tafel 8.
Stadtlandschaften
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