Staat und Wirtschaft im 20. Jahrhundert 9783486701777, 9783486554816

Aus der Presse: "Es ist ein gewagtes Unternehmen, die ökonomischen Beziehungen zwischen Staat und Wirtschaft währen

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German Pages 142 [152] Year 1990

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Staat und Wirtschaft im 20. Jahrhundert
 9783486701777, 9783486554816

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ENZYKLOPÄDIE DEUTSCHER GESCHICHTE BAND 7

ENZYKLOPÄDIE DEUTSCHER GESCHICHTE BAND 7

HERAUSGEGEBEN VON LOTHAR GALL IN VERBINDUNG MIT PETER BLICKLE, ELISABETH FEHRENBACH, JOHANNES FRIED, KLAUS HILDEBRAND, KARL HEINRICH KAUFHOLD, HORST MÖLLER, OTTO GERHARD OEXLE, KLAUS TENFELDE

STAAT UND WIRTSCHAFT IM 20. JAHRHUNDERT VON GEROLD AMBROSIUS

R. OLDENBOURG VERLAG MÜNCHEN 1990

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Enzyklopädie deutscher Geschichte / hrsg. von Lothar Gall in Verbindung mit Peter Blickle ... - München : Oldenbourg. ISBN 3-486-53691-5 N E : Gall, Lothar [Hrsg.] Band 7. Ambrosius, Gerold: Staat und Wirtschaft im 20. Jahrhundert. - 1990 Ambrosius, Gerold: Staat und Wirtschaft im 20. Jahrhundert / von Gerold Ambrosius. München : Oldenbourg, 1990 (Enzyklopädie deutscher Geschichte; Bd. 7) ISBN 3-486-55481-6 brosch. ISBN 3-486-55491-3 Gewebe

© 1990 R. Oldenbourg Verlag, München Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und die Bearbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf, München Gesamtherstellung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe GmbH, München ISBN 3-486-55491-3 geb. ISBN 3-486-55481-6 brosch.

Vorwort Die „Enzyklopädie deutscher Geschichte" soll für die Benutzer - Fachhistoriker, Studenten, Geschichtslehrer, Vertreter benachbarter Disziplinen und interessierte Laien - ein Arbeitsinstrument sein, mit dessen Hilfe sie sich rasch und zuverlässig über den gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse und der Forschung in den verschiedenen Bereichen der deutschen Geschichte informieren können. Geschichte wird dabei in einem umfassenden Sinne verstanden : Der Geschichte der Gesellschaft, der Wirtschaft, des Staates in seinen inneren und äußeren Verhältnissen wird ebenso ein großes Gewicht beigemessen wie der Geschichte der Religion und der Kirche, der Kultur, der Lebenswelten und der Mentalitäten. Dieses umfassende Verständnis von Geschichte muß immer wieder Prozesse und Tendenzen einbeziehen, die säkularer Natur sind, nationale und einzelstaatliche Grenzen übergreifen. Ihm entspricht eine eher pragmatische Bestimmung des Begriffs „deutsche Geschichte". Sie orientiert sich sehr bewußt an der jeweiligen zeitgenössischen Auffassung und Definition des Begriffs und sucht ihn von daher zugleich von programmatischen Rückprojektionen zu entlasten, die seine Verwendung in den letzten anderthalb Jahrhunderten immer wieder begleiteten. Was damit an Unschärfen und Problemen, vor allem hinsichtlich des diachronen Vergleichs, verbunden ist, steht in keinem Verhältnis zu den Schwierigkeiten, die sich bei dem Versuch einer zeitübergreifenden Festlegung ergäben, die stets nur mehr oder weniger willkürlicher Art sein könnte. Das heißt freilich nicht, daß der Begriff „deutsche Geschichte" unreflektiert gebraucht werden kann. Eine der Aufgaben der einzelnen Bände ist es vielmehr, den Bereich der Darstellung auch geographisch jeweils genau zu bestimmen. Das Gesamtwerk wird am Ende rund hundert Bände umfassen. Sie folgen alle einem gleichen Gliederungsschema und sind mit Blick auf die Konzeption der Reihe und die Bedürfnisse des Benutzers in ihrem Umfang jeweils streng begrenzt. Das zwingt vor allem im darstellenden Teil, der den heutigen Stand unserer Kenntnisse auf knappstem Raum zusammenfaßt - ihm schließen sich die Darlegung und Erörterung der Forschungssituation und eine entspre-

VI

Vorwort

chend gegliederte Auswahlbibliographie an - , zu starker Konzentration und zur Beschränkung auf die zentralen Vorgänge und Entwicklungen. Besonderes Gewicht ist daneben, unter Betonung des systematischen Zusammenhangs, auf die Abstimmung der einzelnen Bände untereinander, in sachlicher Hinsicht, aber auch im Hinblick auf die übergreifenden Fragestellungen, gelegt worden. Aus dem Gesamtwerk lassen sich so auch immer einzelne, den jeweiligen Benutzer besonders interessierende Serien zusammenstellen. Ungeachtet dessen aber bildet jeder Band eine in sich abgeschlossene Einheit - unter der persönlichen Verantwortung des Autors und in völliger Eigenständigkeit gegenüber den benachbarten und verwandten Bänden, auch was den Zeitpunkt des Erscheinens angeht. Lothar Gall

Inhalt I.

Enzyklopädischer

Überblick

1

Α. Einfährung und Eingrenzung

1

B. Wirtschaftspolitische Perspektive

3

1. Bereiche staatlicher Wirtschaftspolitik

3

2. Ordnungspolitik 2.1 Weimarer Republik 2.2 Nationalsozialistische Diktatur 2.3 Bundesrepublik Deutschland 2.4 Deutsche Demokratische Republik

4 5 9 13 17

3. Ablaufpolitik 3.1 Lenkungs-und Regulierungspolitik 3.2 Handels-und Zollpolitik 3.3 Haushalts-und Finanzpolitik 3.4 Geld- und Kreditpolitik 3.5 Konjunktur- und Stabilisierungspolitik

21 21 28 31 40 46

4. Strukturpolitik 4.1 Regionale Strukturpolitik 4.2 Sektorale Strukturpolitik

52 52 55

C. Makroökonomische

Perspektive

58

1. Staatliche Ausgaben

58

2. Staatliche Einnahmen

60

3. Staatliche Umverteilung

62

4. Staatliche Produktion

63

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung 1. Erster Weltkrieg 1.1 Zum Verhältnis von Staat und Wirtschaft 1.2 Organisation der Kriegswirtschaft 1.3 Finanzpolitik und Kriegsfinanzierung 1.4 Probleme der Demobilmachung

69 70 70 72 74 74

Inhalt

Vili

2. Weimarer Republik 2.1 Zum Verhältnis von Staat und Wirtschaft 2.2 Staatliches Handeln unter den Bedingungen der Inflation 2.3 Stabilisierungsphase, Stabilisierungspolitik und Stabilisierungschancen 2.4 Wirtschaftspolitik in der Krise und die Krise der Wirtschaftspolitik

75 75

85

3. Nationalsozialistische Diktatur 3.1 Zum Verhältnis von Staat und Wirtschaft 3.2 Krisenüberwindung oder Aufrüstung? 3.3 Planwirtschaft oder „Organisationsdschungel"? . 3.4 „Totaler Krieg" und Kriegswirtschaft

89 89 93 94 97

78 82

4. Vierzonen-Deutschland 4.1 Zum Verhältnis von Staat und Wirtschaft 4.2 Restauration oder Neuordnung? 4.3 Bewirtschaftung, Planung und Lenkung 4.4 Auf dem Weg zum Sozialismus?

99 99 101 102 102

5. Bundesrepublik Deutschland 5.1 Zum Verhältnis von Staat und Wirtschaft 5.2 Wirtschaftspolitik und Wirtschaftswunder . . . . 5.3 Von der neoliberalen zur keynesianischen Wirtschaftspolitik 5.4 Nachfrage- und angebotsorientierte Politik in der Krise

104 104 108

6. Deutsche Demokratische Republik 6.1 Vorbemerkung 6.2 Zum Verhältnis von Staat und Wirtschaft 6.3 „Errichtung der Grundlagen des Sozialismus" . . 6.4 „Auf dem Weg zur entwickelten sozialistischen Gesellschaft" 6.5 Gestaltungsprobleme der „entwickelten sozialistischen Gesellschaft"

114 114 115 117

III. Literatur

110 112

118 119 121

1. Erster Weltkrieg

121

2. Weimarer Republik

122

3. Nationalsozialistische Diktatur

126

IX

Inhalt

4. Vierzonen-Deutschland

129

5. Bundesrepublik Deutschland

131

6. Deutsche Demokratische Republik

133

Register

136

Themen und Autoren

140

Verzeichnis der Ubersichten, Tabellen und

Abbildungen

Übersichten : 1 : Bereiche staatlicher Wirtschaftspolitik 2: Staatliche Interventionen in verschiedenen Wirtschaftszweigen 1980 3: Instrumente der sektoralen Wirtschaftspolitik 1980

5 22 56

Tabellen: 1: Anteil von sechs Steuerquellengruppen am Gesamtsteuera u f k o m m e n 1913-1985 2: Funktionale Gliederung der Staatsausgaben 1891-1985 . . 3: Vollbeschäftigte im öffentlichen Dienst 1882-1980 4: Anteile u n d Wachstumsraten der öffentlichen Beschäftigung 1882-1980

37 38 66 67

Abbildungen 1: 2: 3: 4:

Ausgabenquoten 1890-1985 Abgabenquote und Steuerquote 1891-1985 Transferquoten 1900-1985 Investitionsquoten 1890-1985

59 61 62 64

I. Enzyklopädischer Überblick Α. Einführung und Eingrenzung In diesem Band wird das Verhältnis von Staat und Wirtschaft aus wirtschaftshistorischer Sicht dargestellt. Das bedeutet, daß die vielen Fragestellungen und Methoden der unterschiedlichen Disziplinen, die sich mit diesem Verhältnis beschäftigen, auf die ökonomischen eingeengt werden. Staat wird recht pragmatisch institutionell bestimmt. Von den intermediären Finanzgewalten, den sogenannten Parafisci, sollen nur die öffentlichen Versicherungsanstalten dem staatlichen Sektor zugeordnet werden, nicht aber Berufsgenossenschaften, Zwangsinnungen, Kammern oder Kirchenfisci. Die öffentlichen Unternehmen, die Sondervermögen wie Post und Bahn und die Zentralbank gehören ebenfalls zum Staat. Die institutionelle Abgrenzung wird somit durch eine nach Eigentumsverhältnissen ergänzt. Der Staat soll hier als ein exekutiv-administratives Organ mit einheitlichem Willen betrachtet werden. Damit werden sowohl die hinter ihm stehenden Interessen - verbandspolitische, parteipolitische, parlamentarische, persönliche - als auch die Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse innerhalb der staatlichen Institutionen sowie der föderative Aufbau des Staates aus der Betrachtung weitgehend ausgeklammert. Die ökonomischen Beziehungen zwischen Staat und Wirtschaft können vierfach gegliedert werden: Erstens bestehen monetäre Beziehungen; der Staat entzieht der Wirtschaft über Steuern, Beiträge und Abgaben Geld und gibt es über Transfers und Subventionen zurück. Zweitens gibt es güterwirtschaftliche Beziehungen; der Staat nimmt einen Teil der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital in Anspruch, produziert damit Güter und stellt diese der Wirtschaft kostenlos oder gegen Entgelt zur Verfügung. Diese Güter lassen sich unterteilen in politische und ökonomische Güter. Zu den politischen gehören immaterielle wie Kommunikations-, Assoziations-, Sozial-, Sicherheits- und Wahlrechte. Zu den ökonomischen gehören alle materiellen Güter und Dienstleistungen, die von der öffentlichen Hand angeboten werden. Drittens existieren wirtschaftspoli-

Staatsdefinition

Beziehungen zwischen Staat und Wirtschaft

2

I. Enzyklopädischer Überblick

tische Beziehungen; der Staat beeinfiußt durch permanente Interventionen die Einnahmen- und Ausgabenseite in den Betrieben und Haushalten und damit die Menge der Güter, die produziert und konsumiert werden. Viertens gibt es ordnungssetzende Beziehungen; der Staat - in diesem Fall die Legislative - regelt nicht nur seine Beziehungen zur Wirtschaft, sondern auch die Beziehungen zwischen den privaten Wirtschaftssubjekten. Letztlich sind fast alle die Volkswirtschaft bestimmenden Regeln und Institutionen durch den Staat gesetzt. Es handelt sich hierbei zwar nur um indirekte Beziehungen zwischen Staat und Wirtschaft, allerdings um die umfangreichsten, intensivsten und wichtigsten. Eine solche systematische Einteilung wird der historischen Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft nicht gerecht. Versteht man unter einer realen Wirtschaftsordnung die Gesamtheit aller für den organisatorischen Aufbau und für den Ablauf der Wirtschaft geltenden Regeln sowie alle wirtschaftlichen und wirtschaftsgestaltenden Institutionen, die - wie gesagt - entscheidend durch den Staat geprägt werden, so sind solche Ordnungen weder etwas Statisches, noch werden sie durch einmalige Entscheidungen festgelegt. Sie sind meist eine Mischung aus historischen Entwicklungen und einmaligen ordnungsetzenden Eingriffen. Die Gliederung des vorliegenden Bandes soll diesem Charakter von Wirtschaftsordnungen Rechnung tragen. Sie stellt eine Mischung aus systematischen Längs- und historischen Querschnitten dar. Sie wurde gewählt, um sowohl einen Einblick in die historische Entwicklung der Beziehungen zwischen Staat und Wirtschaft zu vermitteln, als auch diese Beziehungen systematisch zu durchdringen.

Β. Wirtschaftspolitische Perspektive 1. Bereiche staatlicher Wirtschaftspolitik Staatsaufgaben erwachsen aus den sozialen und ökonomischen, politischen und kulturellen Verhältnissen einer historischen Situation. Eingriffe des Staates zielten zu allen Zeiten hauptsächlich darauf, Grundbedürfnisse an Gütern und Diensten zu sichern, die nur kollektiv befriedigt werden konnten, wie ζ. B. in den Bereichen von Verteidigung, Polizei, Recht, Verkehr, Bildung. Der moderne Interventionsstaat des 20. Jahrhunderts verfolgt darüber hinaus in immer stärkerem Maße auch einzel- und gesamtwirtschaftliche Ziele und versucht, diese mit Hilfe eines in der Zwischenzeit ausgedehnten und differenzierten wirtschaftspolitischen Instrumentariums zu verwirklichen. Die wichtigsten Kriterien zur formalen Einteilung der wirtschaftspolitischen Instrumente sind der Bestimmtheitsgrad, die Intensität und der Ansatzbereich. Am gebräuchlichsten ist sicherlich die Klassifikation nach dem Ansatzbereich in Ordnungs-, Strukturund Prozeß- oder Ablaufpolitik. Ordnungspolitik meint die Instrumente, die die fundamentalen Institutionen und Normen einer Volkswirtschaft beeinflussen sollen. Strukturpolitik umfaßt die, mit denen man die Sektoral-, Regional-, Infra- oder andere Strukturen verändern will. Unter Prozeßpolitik wird das Instrumentarium zusammengefaßt, das den gesamtwirtschaftlichen Prozeß oder Ablauf steuern soll. Ebenfalls am Ansatzbereich orientiert ist die Unterscheidung in Mikro-, Meso- und Makropolitik oder Einzel-, Struktur- und Niveausteuerung. Mikropolitische Instrumente zielen auf die einzelnen Haushalte und Unternehmen, mesopolitische auf spezifische Branchen, Regionen und Sektoren und makropolitische auf die Gesamtwirtschaft. In Übersicht 1 sind beide Klassifikationen kombiniert worden, wobei die Strukturpolitik gleichsam „versteckt" erscheint. Um die Vielzahl der wirtschaftspolitischen Instrumente auf die wichtigsten konzentrieren zu können, bedarf es einer materialen Einteilung. Die heute weitgehend übliche Gliederung beruht auf dem Prinzip der sachlichen Zusammengehörigkeit von Instrumen-

Ordnungs-, StrukAb auf

l

-

4

I. Enzyklopädischer Überblick

ten. Als Einteilungskriterium dient entweder die Frage, in welcher Rolle der Staat auftritt - als Fiskus, Geldschöpfer oder allgemeiner Hoheitsträger - oder mittels welcher Methoden er die wirtschaftspolitischen Probleme angeht - mit Appellen und Empfehlungen, Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen, mikroökonomischer Detailsteuerung, Geldpolitik, Finanzpolitik oder Außenwirtschaftspolitik. Faßt man die formale und die materiale Einteilung zusammen, so ergibt sich eine Gliederung der Bereiche staatlicher Wirtschaftspolitik wie in Übersicht 1. Die folgende Darstellung folgt dieser Systematik nicht in allen Punkten. Zunächst werden in historischen Querschnitten die unterschiedlichen Wirtschaftsordnungen dargestellt, dann in systematischen Längsschnitten die verschiedenen Bereiche der Ablaufpolitik und schließlich der Strukturpolitik. Es soll schon hier ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß sich das Verhältnis von Staat und Wirtschaft sowohl durch rahmensetzende Regelungen - Verbraucherschutz, Arbeitsschutz, Gläubigerschutz usw. - als auch durch branchenspezifische Bindungen technische Überwachung, Produktkontrolle, Berufsordnungen, Verhaltenspflichten, Umweltschutzbestimmungen usw. - im Laufe des 20. Jahrhunderts grundlegend verändert hat. Hierin drückt sich das Zunehmen des Staatsinterventionismus am eindrucksvollsten aus. Wenn auf diese Regelungen, die sowohl ordnungs- als auch ablaufpolitische Elemente enthalten, nicht weiter eingegangen wird, so deshalb, weil sie in ihrer Vielfalt kaum zu überschauen sind, weil sie gesamtwirtschaftliche Größen nur indirekt berühren und vor allem einzelwirtschaftliche Verhaltensweisen steuern, weil sie weniger das unmittelbare Verhältnis von Staat und Wirtschaft, sondern mehr das der privaten Wirtschaftssubjekte untereinander betreffen. Zwar steht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses die eigentliche Wirtschaftspolitik; das ändert aber nichts daran, daß diese Flut von Normen und Vorschriften die Beziehungen zwischen Staat und Wirtschaft am nachhaltigsten beeinfiußt hat.

2. Ordnungspolitik Unter Ordnungspolitik versteht man alle rechtlich-organisatorischen Maßnahmen, die langfristige Rahmenbedingungen für den Bereiche der Wirtschaftsprozeß schaffen. Sie soll hier in vier Bereiche unterglieOrdnungspoiitik dert werden: Zur Produktionsverfassung gehören die Eigentums-

Β. Wirtschaftspolitische Perspektive

5

Ordnung, die Unternehmensverfassung, die Arbeitsmarktordnung und die Organisation der wirtschaftlichen Selbstverwaltung. D i e Marktverfassung behandelt die Gewerbeordnung, die Wettbewerbsordnung und Regulierungs- oder Planungs- und Lenkungsordnung. In der Geld- und Währungsordnung geht es um das Geld- und Währungswesen, die Stellung der Zentralbank und die Ordnung des Kreditwesens oder Bankensystems. D i e Finanzverfassung umfaßt das Steuersystem, den Finanzausgleich, die Finanzverwaltung und das Haushaltsrecht. Übersicht 1 : Bereiche staatlicher Wirtschaftspolitik Ordnungspolitik

Ablaufpolitik

Einzelsteuerung

Einzelordnungspolitik - Produktionsverfassung (Unternehmensverfassung, Arbeitsrecht, Selbstverwaltung) - Marktverfassung (Planungs-, Lenkungs-, Regulierungs-, Wettbewerbsordnung, Gewerbeordnung)

Einzelablaufpolitik - Preispolitik (Mindest-, Höchst-, Fixpreise, Zölle, Subventionen) - Mengenpolitik (Absatzgarantien, Kontingente)

Struktursteuerung

Strukturordnungspolitik - Raumordnung - Ordnungsrahmen für Infra-, Regional-, Branchenstrukturplanung - Finanzausgleich

Strukturablaufpolitik - Regional- und Branchenstrukturpolitik (Infrastrukturvorleistungen, Anpassungs-, Erhaltungsmaßnahmen, Preisund Mengenpolitik)

Niveausteuerung

Niveauordnungspolitik - Geldverfassung (Währungs-, Zentralbank·, Bankensystem) - Finanzverfassung (Steuersystem, Haushaltsordnung)

2.1 Weimarer

Republik

Niveauablaufpolitik - Geldpolitik (Diskont-, Mindestreserve-, Offenmarktpolitik - Finanzpolitik (Einnahmen-, Ausgabenpolitik)

Der Erste Weltkrieg und der politische Umbruch von der Monarchie zur Republik änderten an der grundlegenden Struktur der produktionsProduktionsverfassung nur wenig. Das Privateigentum, auch an den Verfassung

6

I. Enzyklopädischer Überblick

Produktionsmitteln, blieb erhalten. Allerdings wurden gewisse Einschränkungen gemacht. Indem die Weimarer Nationalversammlung den Sozialstaatsgedanken in den Rang einer Verfassungsnorm erhob, unterwarf sie das Besitzrecht einer abstrakten Bindung an das Gemeinwohl. Die innerbetrieblichen Strukturen wurden vom politisch-sozialen Wandel stärker berührt. Das Betriebsrätegesetz von 1920 bestimmte für Betriebe mit mehr als 20 Arbeitnehmern gewisse soziale, allerdings keine wirtschaftlichen Mitbestimmungsrechte. In der Praxis wurde das Betriebsrätegesetz nur in größeren Industriebetrieben durchgesetzt, da der staatliche Druck, es voll zu realisieren, im Laufe der Zeit nachließ auch auch die Rechtsprechung der neu geschaffenen Arbeitsgerichte eher bremsend als fördernd wirkte. Eine wirkungsvolle Mitgestaltung der Verhältnisse am Arbeitsplatz durch die Arbeitnehmer entstand somit nicht. Die Arbeitsmarktbeziehungen wurden tiefergreifend verändert. Im Hilfsdienstgesetz vom Dezember 1916 waren die Gewerkschaften erstmals als legale Vertretungen der Arbeiterschaft anerkannt worden. In der Weimarer Verfassung wurde dann das uneingeschränkte Koalitionsrecht eingeräumt: Neben individuelle Arbeitsverträge traten Kollektivvereinbarungen. Die Tarifautonomie war anfangs nur insoweit eingeschränkt, als der Staat die freiwilligen Vertragsabschlüsse garantierte. Erst als sich im Laufe der 20er Jahre die Fähigkeit zum Ausgleich zwischen Unternehmen und Gewerkschaften abschwächte, wurde der Staat gezwungen, über das Instrument der Zwangsschlichtung stärker Einfluß zu nehmen. Fast alle wichtigen Tarifverträge zwischen 1924 und 1932 kamen durch staatlichen Schiedsspruch zustande. Auch das Verhältnis von Staat und Wirtschaft im Rahmen der Organisation der wirtschaftlichen Selbstverwaltung sollte neu gestaltet werden. Grundsätzlich blieb das im 19. Jahrhundert entstandene Kammersystem erhalten, das aus Handels-, Industrie- oder Gewerbe-, Handwerks- und Landwirtschaftskammern - meist staatlich verordnete Zwangsorganisationen mit halbamtlichem Charakter - bestand. Es sollte aber auf zweifache Weise gemäß der Verfassung ergänzt werden. Zum einen waren Bezirksarbeiterräte und ein Reichsarbeiterrat als Überbau der Betriebsräte vorgesehen, zum anderen Bezirkswirtschaftsräte und ein Reichswirtschaftsrat als Beratungs- und Diskussionsforum unter Einschluß „aller wichtigen Berufsgruppen". Es kennzeichnet die politische Realität des Weimarer Staates, daß davon bis auf einen bedeutungslosen Vorläufigen

Β. Wirtschaftspolitische Perspektive

7

Reichswirtschaftsrat - den Status der „Vorläufigkeit" behielt er bis zu seiner Auflösung 1934 - nichts verwirklicht wurde. Nach ihrer Marktverfassung war die Wirtschaft der Weimarer Republik eine liberale Marktwirtschaft. Die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes von 1869, die die Gewerbefreiheit konstituiert hatte, blieb in Kraft. Ein ordnungspolitisches Instrument, das den Wettbewerb und damit das konstituierende Prinzip dieser Marktverfassung schützte, gab es allerdings nicht. Die 1923 erlassene Kartellverordnung taugte jedenfalls nicht dazu, den sich beschleunigenden Konzentrationsprozeß zu bremsen. Immerhin wurde das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb von 1909 weiter ausgebaut, wobei die Friedenspflicht der Unternehmer untereinander und der Konsumentenschutz im Vordergrund standen.

Marktverfassung

Der Staat tat weniger bei der Erhaltung der Wettbewerbsordnung als bei ihrer Ausschaltung. An den Kohle- und Kalisyndikaten, die nach gescheiterten Sozialisierungsversuchen ausgebaut wurden, war er entscheidend beteiligt. Die im Krieg stark ausgeweitete öffentliche Wirtschaft agierte - soweit sie überhaupt im Wettbewerb stand - alles andere als wettbewerbsfördernd, und im Vergleich zur Binnen- war die Außenwirtschaftsordnung durch protektionistische Züge geprägt. Eine neue Geld- und Währungsordnung entstand erst mit und nach der Währungsreform von 1923/24. Im Grunde wollte man zur alten Goldwährung der Vorkriegszeit zurückkehren, verzichtete aber auf entscheidende Ordnungselemente. Die neue Geldordnung Geld- und Wähwar zwar wiederum eine Goldkernwährung. Die Geldmenge wurde " " » g ^ « ^ " " « an die Gold- und Devisenbestände der Reichsbank gebunden. Die Goldeinlösungspflicht für Banknoten wurde aber aufgehoben, Goldmünzen wurden aus dem Verkehr gezogen. Geld besaß somit keinen Warencharakter mehr; es handelte sich von jetzt an um eine Kaufkraftwährung. Immerhin definierte man die neue Reichsmark in Gold und machte sie damit wieder voll konvertibel. Die Autonomie der Reichsbank, die zusätzliche geldpolitische Instrumente erhielt, wurde gegenüber dem Autonomiegesetz von 1922 ausgebaut, die Reichsbank wurde von der Reichsregierung völlig unabhängig. Die Vergabe von Krediten an die Reichsregierung wurde in einem neuen Bankgesetz auf einhundert Millionen RM begrenzt. Die deutsche Geldverfassung hörte auf, ein Teil des Völkerrechts zu sein, allerdings verschärfte man die internationale Kontrolle. Dieser revidierte Golddevisenstandard existierte nur wenige Jahre. Er brach bereits 1931 wieder zusammen: Devisenbewirtschaftung löste die

8

I. Enzyklopädischer Überblick

Konvertibilität ab, die Mindestnotendeckung in Gold und Devisen konnte nicht aufrechterhalten werden. Finanzverfassung Die Erzbergersche Finanzreform des Jahres 1919, die in ihrer Grundstruktur in das Schlieben-Popitzsche Gesetzeswerk von 1925 übernommen wurde, bedeutete eine fundamentale Veränderung der Finanzverfassung gegenüber dem Kaiserreich. Während im Kaiserreich die Steuerhoheit bei den Ländern gelegen hatte - kurz vor Kriegsende war erstmals eine allgemeine Umsatzsteuer als Reichssteuer eingeführt worden - , übernahm jetzt das Reich außer den Ertrags· und einigen Aufwandssteuern alle Steuern. Die Zentralisationstendenzen der politischen Verfassung spiegelten sich somit in diesem Teil der Finanzverfassung wider. Im Vergleich zum Kaiserreich wurden die Verhältnisse praktisch umgekehrt. Der Versuch der Reichsverfassung von 1871, die Finanzbedürfnisse des Reiches und der Länder getrennt zu halten, war damit gescheitert. Es hatte sich gezeigt, daß dieses Trennsystem mit den wachsenden Aufgaben eines modernen Industrie- und Sozialstaates nicht vereinbar war. Um die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben auf allen Verwaltungsebenen und in allen Landesteilen zu sichern, war ein Finanzverbund erforderlich. Die Beseitigung der Finanzhoheit der Länder war mit der Einführung einer zentralen Reichsfinanzverwaltung durch die Reichsabgabenordnung von 1919 verbunden; dies wurde als eines der größten Reformwerke der deutschen Verwaltungsgeschichte bezeichnet. Die Verwaltung der Zölle und Verbrauchssteuern wurde dem Reich sogar durch die Verfassung übertragen. Entsprechend einer langen Tradition, die Verwaltung der Staatsschulden aus der Verwaltung des Staatshaushalts und -Vermögens auszugliedern, entstand 1924 außerdem eine neue selbständige Reichsschuldenverwaltung. Die Abgabenordnung bedeutete zugleich den Beginn eines gesonderten Steuerrechts, denn bis dahin waren die Normen der Besteuerung gewöhnlich verwaltungsrechtlicher Natur gewesen. Noch vor Kriegsende wurde 1918 als oberste Spruchbehörde in Steuersachen der Reichsfinanzhof errichtet. Das Reich zog damit auch in der Rechtsprechung die Kompetenzen an sich. Entsprechend den Ansprüchen eines parlamentarisch-demokratischen Rechtsstaates wurde das Haushaltsrecht modernisiert, und die Finanzkontrolle und das Rechnungsprüfungswesen wurden ausgebaut. Insgesamt war die Wirtschaftsordnung der Weimarer Republik Γυ'Γ^ϋόεΓ- d u r c h politischen Kompromiß und historischen Übergang gekennn u 8 eS " gangs zeichnet. Zweifellos brachte die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ei-

Β. Wirtschaftspolitische Perspektive

9

nen außerordentlichen Modernisierungsschub. Arbeitsrecht und Arbeitsmarktordnung wurden auf eine neue Grundlage gestellt, die Finanzverfassung den Strukturen eines demokratischen föderativen Rechtsstaates in einer Form angepaßt, die im Grundsatz bis heute bestehen blieb. Produktions-, Markt- und Geldverfassung wiesen aber auch Elemente auf, die die Halbheiten der Reform verdeutlichten. Die Eigentumsverhältnisse wurden trotz gewisser Ansätze nicht verändert. Die Versuche zur Demokratisierung der Betriebsverfassung blieben ebenfalls stecken. Bei der Marktverfassung wollte man nicht mehr zu den liberalen Verhältnissen des Kaiserreichs zurückkehren, konnte sich aber auch nicht zu einem wirksamen Schutz der Wettbewerbsordnung entschließen. Bei der Geld- und Währungso r d n u n g sollten sogar die Vorkriegsverhältnisse restauriert werden. Ein bewußter Wille des Staates zur Neugestaltung stand allerdings nur bedingt hinter diesen Veränderungen. Vielmehr legalisierte er zumindest teilweise lediglich die neue soziale und ökonomische Realität. Ein einheitlicher Wille konnte auch kaum entstehen, wenn man an die extrem divergierenden politischen Kräfte denkt, die eine N e u o r d n u n g konzipieren sollten. So steht die Weimarer Wirtschaftsordnung f ü r den Übergang vom liberalen System des 19. zum interventionistischen des 20. Jahrhunderts, vom liberalen Ordnungsstaat zum interventionistischen Leistungsstaat.

2.2 Nationalsozialistische

Diktatur

Der nationalsozialistischen Ordnungspolitik lag keine konse- produktionsquente Konzeption zugrunde. Dies zeigte sich unmittelbar an der Verfassung Produktionsverfassung. Man verzichtete grundsätzlich darauf, die private Eigentumsordnung zu ändern, schränkte aber die Verfügungsrechte über das Eigentum durch plan- und lenkungswirtschaftliche Eingriffe immer mehr ein. Ausnahmen waren die Enteignung des gewerkschaftlichen und jüdischen Vermögens und die Landwirtschaft. Mit dem „Reichserbhofgesetz" von 1933 wurde das bürgerliche Vertrags- und Erbrecht außer Kraft gesetzt, und etwa 700000 Betriebe mit 40% der gesamten agrarischen Nutzfläche des Deutschen Reiches wurden in „unveräußerliches und unbelastbares Sippenerbe" umgewandelt. Die Betriebsverfassung dagegen wurde völlig umgestaltet. Das „Gesetz zur O r d n u n g der nationalen Arbeit" von 1934 setzte das Betriebsrätegesetz außer Kraft und führte das Führer-Gefolgschaftsprinzip ein. Der Unternehmer als „ F ü h r e r " des Betriebes und die

10

I. Enzyklopädischer Überblick

Arbeiter und Angestellten als „Gefolgschaft" sollten eine „Betriebsgemeinschaft" bilden. Die Ansätze zu innerbetrieblicher Mitbestimmung aus der Weimarer Republik wurden zerschlagen, und die Gewerkschaften als unabhängige Organisationen der Arbeiterschaft wurden abgeschafft. An ihre Stelle und an diejenige der Arbeitgebervereinigungen trat die Deutsche Arbeitsfront (DAF), eine Organisation der NSDAP; dies entsprach dem Ziel, den „Klassen-Antagonismus" aufzulösen und eine „echte Volks- und Leistungsgemeinschaft" zu bilden. Neben sozialpolitischen Funktionen hatte die D A F die Aufgabe, zusammen mit den „Treuhändern der Arbeit" - weisungsgebundenen Beamten der Reichsregierung - Löhne und Arbeitsbedingungen zu regeln. Damit ging man endgültig zum staatlichen Tarif- und Lohndiktat über. Im Bereich der Arbeitsmarkt- und Betriebsverfassung wurden also die nach dem Ersten Weltkrieg errichteten demokratischen Institutionen demontiert. Selbst die liberalen Strukturelemente der Arbeitsordnung des Kaiserreichs bzw. die wirtschaftlichen Grundfreiheiten wurden nach und nach abgeschafft: Freizügigkeit, Freiheit der Berufswahl, Freiheit der Arbeitsplatzwahl, Arbeitsvertragsfreiheit usw. Wie im Wandel der Betriebs- und Arbeitsmarktverfassung berufsständische Elemente zumindest ansatzweise zum Ausdruck kamen, so auch bei der „Neuorganisation der Wirtschaft", die zwischen 1933 und 1936 vollzogen wurde. Die gewerbliche Wirtschaft teilte man unter Führung einer „Reichswirtschaftskammer" in sieben Reichsgruppen - Industrie, Handwerk, Handel, Banken, Versicherungen, Energiewirtschaft und Fremdenverkehr - mit zahlreichen Wirtschafts-, Fach- und Unterfachgruppen auf. Neben die fachliche trat eine neue regionale Gliederung. Selbst wenn berufsständische, ständestaatliche Ideen bei der Neuorganisation eine gewisse Rolle spielten, wurde das traditionelle Kammerwesen als bewährtes System der wirtschaftlichen Selbstverwaltung letztlich beibehalten. Einen Angriff auf die marktwirtschaftliche Ordnung oder gar die Unternehmerschaft stellte die „Neuorganisation" jedenfalls nicht dar. Konsequenter wurde die Agrarverfassung verändert. Die Bauern, das Nahrungsmittelgewerbe und der Handel mit Agrarprodukten faßte man im „Reichsnährstand" als Zwangsorganisation zusammen. Erzeugung, Weiterverarbeitung und Absatz wurden im Rahmen von „Marktverbänden" behördlich geplant und gelenkt; damit war die liberale Produktionsverfassung abgeschafft. Marktverfassung Ebenso wie die Produktions-, so wurde auch die Marktverfas-

Β. Wirtschaftspolitische Perspektive

11

sung in den ersten Jahren nach der Machtübernahme nur partiell umgestaltet. Abgesehen vom Arbeitsmarkt, von der Landwirtschaft und vom Außenhandel blieb das marktwirtschaftliche System weitgehend erhalten. Allerdings verkehrte sich die - zumindest ihren ursprünglichen Zielen nach - konzentrationshemmende Politik der 20er Jahre mit dem Kartellgesetz von 1933 in eine konzentrationsfördernde. Erst 1936 dehnte der Staat mit der Verkündung des Vierjahresplans seine direkten Eingriffe in den Wirtschaftsprozeß aus. Der bereits 1934 eingesetzte Reichskommissar für die Preisüberwachung wurde in einen Reichskommissar für die Preisbildung umbenannt und seine Kompetenz erweitert. Er verfügte sofort einen totalen Preis- und Lohnstopp, so daß der Preismechanismus als Lenkungsinstrument außer Kraft gesetzt wurde. An seine Stelle trat ein System direkter Produktionsanweisungen, Produktionskontrollen und Bewirtschaftungsmaßnahmen. Als unmittelbar vor Kriegsbeginn alle wichtigen Konsumgüter, Produktionsmittel und Rohstoffe der staatlichen Preis- und Mengenbewirtschaftung unterworfen wurden, vollzog man endgültig den Übergang von der schon stark eingeschränkten Marktwirtschaft zu einer Lenkungswirtschaft, ohne daß allerdings eine „Zentralverwaltungswirtschaft" entstand. Immer noch handelte es sich um ein System der Engpaßplanung, und dies wurde auch in der Phase der Blitzkriege bis 1942 beibehalten. Erst Ende 1943 schuf man mit der sogenannten „Zentralen Planung" ein funktionsfähiges „Planungsamt", das die Rüstungswirtschaft auf eine breitere Basis stellte und durch Entmachtung konkurrierender staatlicher Wirtschaftsbehörden eine einheitliche und damit bessere Koordination der kriegswirtschaftlichen Produktionsprozesse erreichte. Eine „Zentralverwaltungswirtschaft" war dies immer noch nicht; die privatwirtschaftliche Struktur der Wirtschaftsordnung änderte sich nicht, und die propagierte „Selbstverantwortung der Rüstungswirtschaft" betonte die private Unternehmerinitiative und war ein wichtiges Element dieser Ordnung. In den letzten Monaten des Krieges versuchte man dann, die Wirtschaft einer strengeren bürokratischen Reglementierung zu unterwerfen. Im Vergleich zur Binnen- wurde in der Außenwirtschaft sehr früh das marktwirtschaftliche Prinzip von der bürokratischen Lenkung abgelöst. Bereits 1934 ging man mit dem sogenannten „Neuen Plan" zur völligen Devisenbewirtschaftung und zu bilateralen Verrechnungsabkommen über. Von da ab wurden die außenwirtschaftlichen Beziehungen lückenlos geplant und gelenkt.

12

Geld- und Währungsverfassung

Finanzverfassung

I. Enzyklopädischer Überblick

Die Herausnahme des Arbeitsrechts aus der Gewerbeordnung war für die Weimarer Republik charakteristisch. Die Herausnahme der mittelständischen Berufe aus der Gewerbeordnung war für die NS-Zeit kennzeichnend. Die besondere Protektion des selbständigen Mittelstandes führte zu einer Vermischung von traditioneller Berufsordnungs- und Schutzvorstellungen mit nationalsozialistischem Gedankengut. Handel, Handwerk und andere freie Berufe wurden einer staatlichen Regulierung unterworfen, ohne das Prinzip der wirtschaftlichen Selbstverwaltung in Frage zu stellen. Diese Regulierung wurde auch für bestimmte Wirtschaftszweige ausgebaut oder neu eingeführt: für die Energiewirtschaft, das Verkehrswesen, die Banken und die Versicherungen, die öffentlichen Unternehmen usw. Hierbei handelte es sich um Regulierungsmaßnahmen, die - im Gegensatz zu den Lenkungsinstrumenten der Rüstungswirtschaft - teilweise schon vor 1933 angelegt worden waren und die nun dauerhaft in der Wirtschaftsordnung des Reiches bzw. der Bundesrepublik verankert wurden. Die Geld- und Währungsordnung veränderte sich radikal. Das Q g ^ verlor im Laufe der Zeit in dem Maße seine eigentlichen Funktionen als Recheneinheit, Wertmesser und Tauschmittel, in dem immer mehr Waren bewirtschaftet und Preise willkürlich manipuliert wurden. Stellung und Funktion der Reichsbank paßte man der neuen Wirtschaftsordnung an. Die erneute Einflußnahme der Reichsregierung auf die Reichsbank setzte bereits 1933 ein und endete mit einem Gesetz von 1939, nach dessen Wortlaut die Reichsbank „nach den Weisungen und unter der Aufsicht des Führers und Reichskanzlers ... geleitet und verwaltet" werden sollte. Damit waren in rein rechtlicher Hinsicht die Verhältnisse wiederhergestellt, die zwischen 1873 und 1922 die Beziehung zwischen Reichsbank und Reichsregierung bestimmt hatten. Die Reichsbank wurde erneut zu einem Finanzierungsinstitut der Reichsregierung degradiert. Die Zentralisierungstendenzen der nationalsozialistischen Herrschaft beeinflußten auch die Finanzverfassung. Ein nach dem „Führerprinzip" gestaltetes Staatswesen konnte für die dem Reich untergeordneten Körperschaften keine Freiräume dulden; sie wurden aus dem finanzpolitischen Willens- und Entscheidungsprozeß weitgehend ausgeschaltet. Die Steuerhoheit ging immer stärker auf das Reich über - ein wichtiger Schritt war die Realsteuerreform von 1936 - , der Finanzausgleich wurde einseitig vom Reich bestimmt, die Finanzverwaltung zentralisiert, wobei das Reichsfinanzministerium zu einer reinen Auftragsbehörde der Reichskanzlei degene-

Β. Wirtschaftspolitische Perspektive

13

rierte. Die Finanzkontrolle baute man auf allen Ebenen - der der Legislative, der Judikative u n d der Öffentlichkeit - ab. Die Finanzverfassung wurde damit in einer Art und Weise umgebaut, wie sie den diktatorischen Machtansprüchen und den rüstungsfinanziellen Anforderungen der nationalsozialistischen Herrschaft entsprach. Die Nationalsozialisten verzichteten darauf, das privatkapitali- wirtschaftsordstische, marktwirtschaftlich gesteuerte Wirtschaftssystem der Wei- n u n g , m s P a n ; marer Republik konsequent in eine andere, leitbild-orientierte Wirt- v o n ideologie und schaftsordnung zu überführen. Das bedeutete allerdings nicht, daß Rüstung nicht wesentliche Veränderungen vorgenommen wurden. Im Spannungsverhältnis von Ideologie, Abhängigkeit, unterschiedlichen Interessen u n d Pragmatismus wählte man einen Mittelweg. Schon vor 1939, endgültig aber im Zweiten Weltkrieg dominierten d a n n rüstungs- und kriegswirtschaftliche Ziele und Probleme, so daß eine N e u o r d n u n g nach einer konzeptionellen Idee - wenn es sie denn gegeben hätte - gar nicht mehr möglich war. 2.3 Bundesrepublik

Deutschland

Wie schon die Wirtschaftsordnung der Weimarer Republik und Produktionsselbst die der nationalsozialistischen Diktatur ist auch die der Bun- v e r f a s s u n 8 desrepublik eine Mischung aus traditionellen Bestandteilen und einmaligen Entscheidungen, die teilweise noch vor G r ü n d u n g der Bundesrepublik, teilweise in ihren ersten Jahren, teilweise von den alliierten Besatzungsmächten und teilweise vom Bundesgesetzgeber getroffen wurden. Die Produktionsverfassung lehnt sich eng an die Weimarer Republik an. Entsprechend der liberalen Grundstruktur sichert das Grundgesetz das Privateigentum, verpflichtet aber den Eigentümer zur sozialen Nutzung. Unter bestimmten Bedingungen können G r u n d und Boden, Naturschätze u n d Produktionsmittel in Gemeineigentum überführt werden. Das kollektive Arbeitsrecht wurde von der Weimarer Republik übernommen. Es wird durch eine staatliche Garantie der Rahmenbedingungen charakterisiert: Koalitionsfreiheit, Recht der Verbände auf Festsetzung der Lohnu n d Arbeitsbedingungen, rechtliche Anerkennung der von ihnen autonom festgesetzten Tarifnormen, Arbeitsgerichtsbarkeit zur Lösung von Streitfragen aus den Einzelarbeitsverhältnissen und aus der Arbeitsverfassung. Im Unterschied zur Rechtsordnung der Weimarer Republik fehlt in der Bundesrepublik eine der Verordnung über das Schlichtungswesen von 1923 entsprechende Möglichkeit staatlicher Instanzen, einen Schiedsspruch über einen Tarifvertrag

14

I. Enzyklopädischer Überblick

letztlich auch gegen den Willen der Tarifparteien verbindlich in Kraft zu setzen. Dies ist eines der sozialstaatlich ganz wesentlichen Unterscheidungsmerkmale zwischen den beiden Republiken. Der Staat hat sich zumindest in diesem Punkt wieder aus der Gestaltung der Arbeitsverhältnisse zurückgezogen. Was eine „aktive Arbeitsmarktpolitik" anbelangt, so engagiert er sich dagegen wesentlich stärker als in der Weimarer Republik. Hinsichtlich der Betriebsverfassung setzte man die Tradition der ersten Republik fort; das Betriebsverfassungsgesetz von 1952 baute lediglich die dort begonnenen Mitbestimmungsansätze aus. Eine neue Qualität besitzen dagegen die paritätische Mitbestimmung in der eisen- und stahlerzeugenden Industrie nach dem entsprechenden Gesetz von 1951 und die Mitbestimmung in Großbetrieben nach dem von 1976.

Marktverfassung

Bei der Organisation der wirtschaftlichen Selbstverwaltung griff der Bundesgesetzgeber bewußt auf das traditionelle Kammerund Ordnungssystem zurück. Die liberale Prämisse, daß der Staat selbst möglichst wenig permanente Aufgaben übernehmen solle, führte zu einer „staatsfreien" korporativen, mittelstandschützenden und -privilegierenden Lösung, die zu Lasten des liberalen Anspruchs einer freien Wettbewerbswirtschaft ging. Mit der Währungsreform im Sommer 1948 fand eine Reform der Wirtschaftsordnung statt, die das nationalsozialistische Lenkungssystem beseitigte und - mit Ausnahme weniger Wirtschaftsbereiche - erneut wettbewerblichen Prinzipien in der Marktverfassung zum Durchbruch verhalf. Mit der Entflechtung der Kartelle und Großkonzerne bei Kohle, Stahl, Chemie und Banken hatten die Alliierten bereits zuvor wichtige ordnungspolitische Entscheidungen getroffen. 1957 wurde dann nach zähen Verhandlungen das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verabschiedet, das ein generelles Kartellverbot aussprach und eine Fusionskontrolle vorsah. Ein neu geschaffenes Bundeskartellamt soll seitdem den Wettbewerb überwachen. Damit wurde ein zentrales Ordnungselement in der Marktverfassung der Bundesrepublik neu verankert: Der Wettbewerb wird ausdrücklich zum konstitutiven Element der Marktwirtschaft und zu einer staatlichen Veranstaltung erklärt, d. h., er soll durch staatliche Institutionen geschützt werden. Bereits in seiner ersten Fassung war das GWB nicht sehr konsequent formuliert; es gab zahlreiche Ausnahmebereiche vom Kartellverbot und eine äußerst schwache Fusionskontrolle und stark begrenzte Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen. An der Tatsache, daß die praktische Antikonzentrationspolitik wenig

Β. Wirtschaftspolitische Perspektive

15

effektiv war, änderten auch die verschiedenen Novellierungen des Gesetzes nichts. Die Konzentration in der westdeutschen Wirtschaft nahm und nimmt weiter zu. Insofern besteht eine Diskrepanz zwischen der ordnungspolitischen Norm und der realen Ordnungspolitik. Bei der Gewerbeordnung orientierte man sich weniger am Traditionsstrang der Weimarer Republik als an dem der NS-Zeit. Der Aufbau gesonderter mittelständischer Berufsordnungen wurde weitergeführt und abgeschlossen. Ihre Herausnahme aus der allgemeinen Gewerbeordnung erfolgte zwar in einer liberaleren Form als in den 30er Jahren. Die Anforderungen an den Beruf und die Berufsausübung wurden aber stark reglementiert. Ebenso wie das Recht zum Schutz des Wettbewerbs wurde das zur Ausgestaltung seiner Qualität weiterentwickelt. Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, das 1957 zum erstenmal novelliert wurde, baute man in der Tradition der 20er und 30er Jahre immer mehr zu einem Gesetz zum Schutz des Verbrauchers aus. Das Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die Verordnung über Preisangaben und Preisauszeichnung und der Ausbau der Produzentenhaftung waren in den 70er und 80er Jahren weitere Marksteine auf dem Weg zu mehr Verbraucherschutz in einer liberalen Marktverfassung. Die Rückkehr zur wettbewerblichen Marktordnung im Sommer 1948 bedeutete nicht, daß schlagartig alle Wirtschaftszweige in den Wettbewerb entlassen wurden und der Staat sich aus der Wirtschaft zurückzog. Der Liberalisierungsprozeß zog sich über Jahre, teilweise Jahrzehnte hin und wurde überlagert vom Aus- oder Neubau einer Vielzahl staatlicher Regulierungen und Bindungen (siehe Kapitel I.B.3.3.1). Vom Wettbewerb ausgenommen oder ihm nur beschränkt unterworfen, dafür aber mit einer straffen öffentlichen Regulierung versehen sind von Anfang an die traditionellen Monopolbereiche Kommunikation und Verkehr, Ver- und Entsorgung. Besondere Regelungen gelten auch für die Landwirtschaft. Eine grundlegende Veränderung nicht nur gegenüber der nationalsozialistischen Zeit, sondern auch gegenüber der vor 1933 gab es in der Außenwirtschaftsordnung. Sie wurde - mit wenigen Ausnahmen - im Laufe der 50er Jahre umfassend liberalisiert. Bereits der 1951 neu eingeführte Wertzolltarif - er löste den aus dem Jahre 1902 stammenden Bülow-Tarif ab - brach endgültig mit der schutzzöllnerischen Tradition. Erst 1961 beseitigte allerdings das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) das bestehende Spannungsverhältnis zwischen

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I. Enzyklopädischer Überblick

der Ordnung der Binnen- und der Außenwirtschaft. Im Gegensatz zur alten Regelung wurde im AWG - marktwirtschaftlichen Grundsätzen gemäß - das Prinzip der Außenhandelsfreiheit vorgegeben. Zuvor war 1958 nach 27 Jahren die Devisenbewirtschaftung von der freien Konvertibilität abgelöst worden. Geld-und wähEine neue Geld- und Währungsordnung wurde nach dem rungsverfassung j^ r j e g a m schnellsten geschaffen, da sie auf alliierten Anordnungen beruhte und nicht den komplizierten und langwierigen Weg parlamentarischer Entscheidungsprozesse nehmen mußte. Mit der Währungsreform am 20.6.1948 erhielt das Geld wieder seine marktwirtschaftlichen Funktionen. Sicherung der Geld- und Kreditversorgung der Wirtschaft und der Währung bei gleichzeitiger Sicherung der Geldwertstabilität waren die Ziele der Zentralbank. Um diese Ziele verfolgen zu können, wurde die Zentralbank mit dem Monopol der Notenausgabe und mit einem erweiterten Instrumentarium zur Steuerung des Geldvolumens ausgestattet. Entsprechend dem Prinzip wirtschaftspolitischer Gewaltenteilung und der Auffassung, daß die Regierung keinen direkten Zugang zur Geldschöpfung haben sollte, erhielt die Zentralbank den hohen Grad an Autonomie zurück, den die Reichsbank in der zweiten Hälfte der 20er Jahre gegenüber der Reichsregierung besessen hatte. Finanzverfassung

In der Konzeption der Finanzverfassung Schloß das Grundgesetz in seiner föderativen Ausrichtung mehr an das Kaiserreich als an die Weimarer Republik an; allerdings wurde dem Bund eine stärkere Stellung eingeräumt als dem Reich vor 1919. Auf der Ausgabenseite strebte man eine weitgehende Trennung zwischen den verschiedenen Gebietskörperschaften an. In der Steuerverteilung wurden die Prinzipien eines Trennsystems verfolgt und wie im Kaiserreich die indirekten Steuern dem zentralen Verband zugewiesen. An der Einkommens- und Körperschaftssteuer war der Bund allerdings ebenfalls beteiligt. Mit der Verwaltungs- erhielten die Länder auch die Steuerhoheit und die autonome Haushaltsführung zurück. Dieser „betonte" Föderalismus wurde später durch den „kooperativen" abgelöst. Auf der Ausgabenseite installierte man das Verfassungsinstitut der Gemeinschaftsaufgaben, auf der Einnahmenseite erfolgte mit der Finanzreform von 1969 der Übergang vom Trennzum Verbundsystem. In der Steuergesetzgebung Schloß man an die in der Weimarer Republik angestrebte und weitgehend realisierte Einheitlichkeit des Steuerrechts an. Für die Haushaltsführung und die Ausgabenregulierung stellten das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967 sowie die gleich-

Β. Wirtschaftspolitische Perspektive

17

zeitig u n d in der Folge beschlossenen Grundgesetzänderungen in der zweiten Hälfte der 60er Jahre einen deutlichen Einschnitt dar. Von nun an konnte die Finanzpolitik stärker auf konjunktur- und wachstumspolitische Ziele verpflichtet werden. Außerdem wurden f ü r den Bund größere Möglichkeiten geschaffen, in allokations- und verteilungspolitischer Hinsicht einzugreifen. Die neue Bundeshaushaltsordnung von 1969 - bis dahin galten die revidierte Reichshaushaltsordnung von 1922 u n d die Gemeindehaushaltsordnung von 1937 - schuf dazu die haushaltsrechtlichen Grundlagen. Besonders hervorzuheben ist die Einführung der mittelfristigen Finanzplanung, durch die die Haushaltsführung von Bund, Ländern und Gemeinden transparenter gemacht werden sollte. Es ist weder möglich, die Wirtschaftsordnung der Bundesrepu- w i r t s c h a f t s o r d blik ausschließlich im historischen Z u s a m m e n h a n g der Entwicklung ij,""®.™^^" von vor 1948 zu sehen, noch sie als einmaligen rechtsschöpferischen Neugestaltung Akt darzustellen. In einigen Bereichen wurden die von den Nationalsozialisten geschaffenen Regelungen übernommen, in anderen kehrte man zu den Verhältnissen von vor 1933 oder sogar vor 1918 zurück. Einzelne Elemente wurden bewußt neu geschaffen. Im übrigen wurden frühere Ordnungselemente teilweise in so veränderter Form rekonstruiert, d a ß man nur schwer entscheiden kann, ob tatsächlich etwas Neues entstand oder nur Altes in neuer Gestalt. Außerdem ist die bundesdeutsche Wirtschaftsordnung nichts Statisches. Sie wurde viele Jahre lang aufgebaut u n d veränderte sich wenn auch nicht in ihrer Grundstruktur - permanent. Hinsichtlich der Rolle des Staates in dieser Wirtschaftsordnung kann man allerdings eindeutig festhalten, d a ß sie - trotz Deregulierung in Einzelbereichen - immer bedeutender wurde. Mit der G r ü n d u n g der E W G u n d der Abtretung nationaler Rechte an eine supranationale Institution eröffnete sich eine neue Perspektive im Verhältnis von (National-)Staat u n d Wirtschaft. Bisher betraf dies vor allem die Landwirtschaft u n d einige andere Wirtschaftssektoren. Im Zuge eines beschleunigten Integrationsprozesses in Europa könnten hier allerdings tiefgreifende Veränderungen eintreten. 2.4 Deutsche Demokratische

Republik

In der D D R wurde eine völlig neue Wirtschaftsordnung aufgebaut u n d mit der Vergangenheit weitestgehend gebrochen. Aber ebenso wie die Soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik, so entstand auch die Sozialistische Planwirtschaft nicht durch eine ein-

18

I. Enzyklopädischer Überblick

malige Entscheidung; sie entwickelte sich vielmehr im Laufe von Jahren und änderte sich fortlaufend. Auch in der D D R stellte die Wirtschaftsordnung nichts Statisches dar. Dies wird gerade jetzt, am Ende des Jahres 1989, besonders deutlich. Während die folgende Darstellung die heute noch bestehende Wirtschaftsordnung kennzeichnet, wird sie in Kürze die vergangene beschreiben. Es ist abzusehen, daß sehr bald zentrale Ordnungselemente verändert werden, daß die Sozialistische Planwirtschaft aufgegeben wird. Der folgende Text zeigt die Entwicklung bis 1989 auf. ProduktionsIn der Produktionsverfassung entwickelte sich die sozialistische Verfassung Eigentumsordnung über einen längeren Zeitraum mit mehreren charakteristischen Phasen. Die Verfassung von 1974 garantierte nur noch zwei Kategorien des Eigentums: das sozialistische und das persönliche. Das Privateigentum wurde nicht mehr gewährleistet, sondern nur noch geduldet. Das sozialistische Eigentum bestand als gesamtgesellschaftliches Volkseigentum - Volkseigene Betriebe und Güter (VEB und VEG) = Staatseigentum - , als genossenschaftliches Gemeineigentum - landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) und Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH) - und als Eigentum gesellschaftlicher Organisationen wie FDGB, FDJ oder Kulturbund (KB). Das persönliche Eigentum setzte sich vor allem zusammen aus dem Hausrat, den Gegenständen des individuellen Bedarfs und Konsumgütern, Einkommensersparnissen, Grundstücken und Wohnhäusern. Privateigentum bestand im Handel, Handwerk und Gaststättengewerbe. Durch staatliche Beteiligungen und Kommissionsverträge wurden allerdings viele dieser Privatbetriebe staatlich kontrolliert. Die Arbeitsverfassung war - entsprechend der überragenden Bedeutung der Arbeit im Marxismus-Leninismus - ein zentraler Bestandteil der allgemeinen Wirtschaftsverfassung. Es gab ein Recht auf Arbeit, das zugleich aber die Verpflichtung zur Ausübung einer „gesellschaftlich nützlichen" Tätigkeit beinhaltete. Die Verteilung der Arbeitskräfte war Gegenstand der Arbeitskräfteplanung und -lenkung vor allem durch die örtlichen Staatsorgane, die den Betrieben entsprechende Auflagen machten. Lohnpolitik war Teil der zentralen Planung und ließ den Betrieben nur einen geringen Spielraum. Die in den VEB und in den wirtschaftsleitenden Organen verwirklichte Art der Willensbildung beruhte auf dem für die Partei und das gesamte Staatswesen verfassungsrechtlich verbindlichen Organisationsprinzip des „Demokratischen Zentralismus": Wahl

Β. Wirtschaftspolitische Perspektive

19

der leitenden Organe von unten nach oben, kollektive Leitung von der Spitze her, Verbindlichkeit gefaßter Beschlüsse, Rechenschaftspflicht der Betriebsleiter. Eine Konsequenz dieses Grundsatzes war das „Prinzip der Einzelleitung". Es besagte, daß der Leiter eines Betriebes auch bei kollektiver Beratung die persönliche Verantwortung für seine Dispositionen trug und das Recht hatte, seine Entscheidungen mittels bindender Weisungen durchzusetzen. Für Mitbestimmung blieb kaum Platz. Mitbestimmung und Mitgestaltung zwei in der D D R meist synonym gebrauchte Begriffe - waren sozialistische Grundrechte, die allerdings im Sinne der Fiktion von der im DDR-Sozialismus bestehenden Identität der Herrschenden mit den Beherrschten interpretiert wurden. Die Marktverfassung war durch zentrale Wirtschaftsplanung Marktverfassung gekennzeichnet. Auch die staatliche Planwirtschaft unterlag seit ihrer Einführung wechselvollen Phasen der Zentralisierung, Dezentralisierung und Rezentralisierung. Immerhin erhob bereits die Verfassung der D D R von 1949 die Wirtschaftsplanung zum Verfassungsgrundsatz, und in der von 1974 hieß es ebenfalls ausdrücklich, daß die Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik eine „sozialistische Planwirtschaft" sei. Das Politbüro der SED war faktisch das oberste Entscheidungsorgan; es legte die Grundziele für die Wirtschaftspläne fest. Ausgearbeitet wurden die Ein- oder Fünfjahrespläne von der Staatlichen Plankommission, den Fachministerien und den Räten der Bezirke unter Mitwirkung der Kombinatsleitungen, dem Anspruch nach der Beschäftigten. Wichtigste Koordinierungsmethode war die Bilanzierung; mit ihr sollte jenes Gleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot hergestellt werden, das in der Marktwirtschaft durch die Marktkräfte vermittelt über die Preise bewirkt wird. Eine besondere Bedeutung spielte das Wirtschaftsvertragsrecht. Einerseits waren alle Pläne Rechtsnormen oder Gesetze, andererseits stellten die einzelnen Wirtschaftsverträge keine zivilrechtlichen Verträge dar, sondern eine Konkretisierung und Ausführung eben dieser Gesetze oder Pläne. Es galt das Prinzip der realen Vertragserfüllung statt Schadensersatz und für die Haftung eine Kombination von Verschuldungs- und Verursachungsprinzip. Die Außenwirtschaft war staatliches Monopol. Das Recht zur Abwicklung von Außenhandelsgeschäften hatten grundsätzlich nur die vom Ministerium für Außenhandel autorisierten Außenhandelsbetriebe.

20 Geld- und w ä h rungsverfassung

Finanzverfassung

Wirtschaftsordnung als radikale Umgestaltung

I. Enzyklopädischer Überblick

Die Geld- und Währungsordnung war ein integraler Bestand¿er Sozialistischen Planwirtschaft. Dabei übte das Gesetz trotz terminologischer Unterschiede in der Politischen Ö k o n o m i e des Sozialismus die gleichen Funktionen aus wie im Kapitalismus: Recheneinheit, Tausch- bzw. Zahlungsmittel und Wertaufbewahrungsmittel. Allerdings wurde nach wie vor an der Nichtkonvertibilität der Inlandswährung festgehalten. A u c h der Kredit hatte andere Aufgaben. Mit der Zuteilung von Kreditmitteln sollte die Verwirklichung der staatlichen Planaufgaben gesichert werden. Der Zins sollte als „ökonomischer H e b e l " Lenkungs-, Kontroll- und Sanktionsfunktionen bei der Plandurchführung erfüllen. Die Staatsbank übernahm im einstufig organisierten staatlichen Bankensystem diese umfassenden gesamtwirtschaftlichen Emissions-, Zahlungs-, Finanzierungs-, Kontroll- und Sanktionsfunktionen.

t e ¡[

A u c h die öffentlichen Finanzen waren Teil und Instrument des Volkswirtschaftsplans. Mit der sozialistischen Budgetpolitik wurden Güter und Faktoren in die vom Plan bestimmte Verwendung gelenkt. Instrument war der alle Einzelhaushalte umfassende volkswirtschaftliche Haushalt. Die Finanzströme sollten grundsätzlich Spiegelbild der Mengenplanung sein, wenngleich de facto die monetären Ströme eine gewisse Eigendynamik entfalteten. Er war gleichzeitig wichtigstes Akkumulations- und schließlich auch Investitionsinstrument. Der Haushalt spiegelte in der D D R - wie in der Bundesrepublik - nicht nur inhaltlich, sondern auch im Prozeß seiner Verabschiedung die politische und ökonomische Ordnung wider. Einheitliche Staatsgewalt, Mangel an Öffentlichkeit und Vorherrschaft der Verwaltung charakterisierten das Haushaltswesen. Die Wirtschaftsordnung der D D R bedeutete einen radikalen und konsequenten Bruch mit den Wirtschaftsordnungen des Deutschen Reichs. Die zentralen Strukturprinzipien waren die führende Rolle der S E D , der demokratische Zentralismus, das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln, die zentrale Planung und Lenkung der Volkswirtschaft. Der Marxismus-Leninismus war die geistige Grundlage dieses Systems, das Ziel der Kommunismus. Die Tatsache, daß ökonomische Schwierigkeiten und soziale Unterschiede weiterbestehen, wurde von der S E D dadurch erklärt, daß die D D R noch nicht das kommunistische Stadium der gesellschaftlichen Entwicklung erreicht habe, sondern erst dabei sei, die „entwikkelte sozialistische Gesellschaft" zu gestalten.

Β. W i r t s c h a f t s p o l i t i s c h e P e r s p e k t i v e

21

3. Ablaufpolitik 3.1 Lenkungs- und

Regulierungspolitik

Staatliche Lenkung und Regulierung liegt vor, wenn zumindest mehrere der folgenden Kriterien erfüllt sind: branchenspezifische gesetzliche Regelung, Sonderaufsicht durch eine branchenbezogene Aufsichtsstelle, wirtschaftliche und nicht nur technische Überwachung - Tarif- und Kontrahierungszwang, Betriebspflicht, Investitionskontrolle - , einschneidende Reglementierung der Vertragsbedingungen und der Geschäftspolitik. Staatliche Regulierung ist somit einerseits Ordnungspolitik, da sie den rechtlichen Rahmen für eine Branche festlegt, andererseits Ablaufpolitik, da der Staat durch den Erlaß und die Anwendung spezieller Anordnungen das Marktgeschehen laufend beeinflußt. In dieser Form bezieht sie sich auf marktwirtschaftliche Systeme; die Planungs- und Lenkungssysteme des Ersten Weltkrieges, der zweiten Hälfte der 30er Jahre und des Zweiten Weltkrieges bleiben somit unberücksichtigt.

Regulierungs- als Ordnungs- und Ablaufpolitik

Es lassen sich zahlreiche Gründe nennen, warum der Staat bei einer ganzen Reihe von Branchen massiv in den einzelwirtschaftlichen Entscheidungs- und Handlungsspielraum eingriff. Drei Ursachen stehen im Vordergrund: 1. Regulierung zur Durchsetzung spezifischer politischer, sozialer oder fiskalischer Ziele; 2. Regulierung als Krisenfolge und als Sicherung gegen Krisen, die die Gesamtwirtschaft oder einzelne Branchen gefährden; 3. Regulierung als Folge und Mittel zur Durchsetzung von Gruppeninteressen; es dürfte nur wenige Regulierungsgesetze geben, die nicht mit ausdrücklicher Billigung oder sogar auf Drängen der Betroffenen zustande gekommen sind.

Regulierungsgründe

Als Regulierungsinstrumente wurden und werden die folgenden angewandt: Die Aufnahme des Geschäftsbetriebes wird von der Erteilung einer Konzession abhängig gemacht, die wiederum an bestimmte Vorbedingungen anknüpft. Die Bedürfnisprüfung ist in der Regel seit den 60er Jahren nicht mehr zulässig, da sie gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit verstößt. Um die willkürliche Ausnutzung einer Monopolstellung zu verhindern, wurden Preis-, Gewinnund Kostenbeschränkungen eingeführt, Qualitätsstandards und Konditionen festgelegt, die Tarif- und Publizitätspflichten erweitert, Anschlußpflicht bei Versorgungsunternehmen, Betriebs- und Beförderungspflicht bei Verkehrsbetrieben bestimmt. Die Versorgungsunternehmen unterliegen außerdem einer Kontrolle ihrer Investitio-

Regulierungsinstrumente

22

I. Enzyklopädischer Überblick

Übersicht 2: Staatliche Interventionen in verschiedenen Wirtschaftszweigen 1980 Wirtschaftszweige

Land- u. Forstwirtsch., Fischerei

regulierende Eingriffe Umweltauflagen

Regulierung auf dem Binnenmarkt

produktbezogen

Produktion sbezogen

Marktzugang

X

X XX

§§

X

X

§§

§§ §§

X

§§

§

§§

§

Elektrizität Gas, Wasser, Fernwärme Bergbau Chemische Industrie

XX

XX

Mineralölverarbeitung

XX

XX

KunststofTwarenherstellung

X

X

Gummiverarbeitung

X

Steine und Erden

Investition

Außenprotektion

Mengen

Preise

Konditionen, Nebenleistungen

§§

§§

§§

§

§§

§§

§

§§

XXX

XXX X

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Feinkeramik

X

Glasgewerbe

X

X

X

EisenschafTende Industrie

XX

XX

ME-Metallerzeugung

XX

XXX

Gießereien

XX

X

X

X

Zieher., Kaltwalzw., Stahlverf. Stahl· und Leichtmetallbau Maschinenbau

X

Büromaschinen, ADV-Geräte Stra ßenfahrzeugbau

X

Schiffbau Luft- und Raumfahrzeugbau

X

Elektrotechnik

X

Feinmechanik, Optik EBM-Waren Musikinstrumente, Spielwaren Holzbearbeitung Holzverarbeitung Zellstoff, Papier und Pappe

XX

Papier- und Pappeverarbeitung

XXX XX

Druckerei, Vervielfältigung Ledergewerbe

X

Textilgewerbe

X

XXX

23

Β. Wirtschaftspolitische Perspektive

monetäre Eingriffe Finanzhilfen

steuerliche Eingriffe Diskriminierung d. lfd. Produktion durch sektorspezif. Abgaben

Begünstigung

sektorallgem. spezif. Produk- Art tionssteuern

durch allgem. Regelungen Umwelt

Regionaliorderung

F&E

XXX XX

XXX

X

für die laufende Produktion

für die Kapitalbildung

sektorspezif. Art

sektorspczif. Art

durch allgem. Regelung (F&E)

XXX X

X

X

durch allgem. Regelungen RegioF&E nalförderung

XX X

X

X

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X

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XX

24 Wirtschaftszweige

I. Enzyklopädischer Überblick

regulierende Eingriffe Umweltaufiagen

produktbezogen

produktionsbezogen

X

X

Regulierung auf dem Binnenmarkt

Marktzugang

Investition

Mengen

Preise

§

§

§

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Außenprotektion

Konditionen, Nebenleistungen

XXX XXX

Bekleidungsgewerbe Nahrungs- u. Genußmittelgewerbe Baugewerbe Großhandel, Handelsvermittlung Einzelhandel

§

§ §

§§

§

§§ §§ §§

§

§

§

Bundespost Kreditinstitute

§

§

Versicherungen

§

§

Schiffahrt Übriger Verkehr

X

§§

§§

§§ §§ §§ §§

Eisenbahnen

§

§

§§

Gaststätten, Heime Bildung, Wissenschaft

§

Gesundheits- u. Veterinärwesen

§§

Übrige Dienstleistungen

§

§ §

§

§

§

§

§

Symbole: § = Teilregulierung, §§ = überwiegend oder gänzlich regulierter Wirtschaftszweig, X = überdurchschnittliche Belastung/Begünstigung, XX = merklich überdurchschnittliche Belastung/Begünstigung, XXX = stark überdurchschnittliche Belastung/Begünstigung Erläuterung: Umweltaufiagen gemessen an den Umweltschutzinvestitionen der Wirtschaftszweige insgesamt. Außenprotektion nach Angaben des Instituts für Weltwirtschaft, Kiel Quelle: Berechnungen und Auswertungen des Ifo-Instituts, Staatliche Informationen, München 1983.

nen, um ihre dauernde Leistungsfähigkeit zu sichern. Im Versicherungswesen wurden Vorschriften über die sichere Anlage, im Kreditwesen über eine ausreichend liquide Anlage der Mittel erlassen. Regulierte WirtWährend in der ersten Hälfte des Jahrhunderts - besonders in schaftszweige u n c j nach der Weltwirtschaftskrise - die Zahl der regulierten Branchen zunahm, veränderte sie sich seit Gründung der Bundesrepublik nur noch wenig. Als weitgehend reguliert können heute folgende Branchen gelten : Land- und Forstwirtschaft, Steinkohlebergbau, Eisenschaffende Industrie, Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen, Verkehr und Kommunikation, Elektrizitäts-, Gas-,

25

Β. Wirtschaftspolitische Perspektive monetäre Eingriffe steuerliche Eingriffe Diskriminierung d. lfd. Produktion durch

Finanzhilfen Begünstigung

sektorspezif. Abgaben

sektorallgem. spezif. Produk- Art tionssteuern

XX

X

durch allgem. Regelungen Umwelt

Regionalförderung

F&E

für die laufende Produktion

für die Kapitalbildung

sektorspezif. Art

sektorspezif. Art

durch allgem. Regelung (F&E)

XX X

XX

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durch allgem. Regelungen RegioF&E nalförderung XX

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X X

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Erläuterung: D i e K l a s s i f i z i e r u n g d e r s t e u e r l i c h e n E i n g r i f f e u n d d e r F i n a n z h i l f e n w u r d e im H i n b l i c k a u f d i e l a u f e n d e P r o d u k t i o n d u r c h d e n I n d i k a t o r „ S t e u e r n bzw. F i n a n z h i l f e n in v.H. d e r N e t t o w e r t s c h ö p f u n g " v o r g e n o m m e n . F ü r d i e E i n t e i l u n g im H i n b l i c k a u f die K a p i t a l b i l d u n g w u r d e d e r I n d i k a t o r „ b e g ü n s t i g t e I n v e s t i t i o n e n in v.H. d e r I n v e s t i t i o n e n d e s W i r t s c h a f t s bereichs" verwendet. - F&E = Forschung und Entwicklung

Fernwärme- und Wasserversorgung, Wohnungswirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Kunst und Publizistik, Gesundheits- und Veterinärwesen (vgl. Übersicht 2). Erweitert man diesen engen Bereich sehr intensiver Regulierung um die besonderen umweltpolitischen Regulierungen, um außenprotektionistische Interventionen sowie um monetäre Eingriffe - überdurchschnittliche Belastung/Begünstigung durch Steuern und Finanzhilfen - , so ergeben sich weitere Gruppen mit intensivem Staatsinterventionismus (vgl. Übersicht 2). Der Unterschied zur bisher behandelten Regulierung liegt darin, daß die staatliche Steue-

26

Ordnungspolitische Probleme

Planung in der DDR

I. Enzyklopädischer Überblick

rung den Kern der unternehmerischen Entscheidung im wesentlichen unberührt läßt. Auf die historische Entwicklung dieser Interventionen kann hier im einzelnen nicht eingegangen werden. In den meisten Fällen setzten sie aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg ein und nahmen mehr oder weniger kontinuierlich zu. Die in den letzten Jahren propagierte Entregulierung hat bisher nicht stattgefunden (vgl. Kapitel I.B.4). Ordnungspolitische Probleme ergaben sich erst, nachdem sich ¿¡ 6 liberal-konservativen Bundesregierungen nach 1949 ausdrücklich auf das Modell einer wettbewerblichen Marktwirtschaft festgelegt hatten und jede lenkende, kontrollierende und dirigierende Maßnahme mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit vereinbar sein mußte. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) von 1957 erklärte bezeichnenderweise genau die Wirtschaftssektoren zu Ausnahmebereichen, die bereits reguliert wurden : Verkehrs-, Landund Forst-, Kredit- und Versicherungs-, Versorgungs- und Montanwirtschaft. Die Schaffung der Ausnahmebereiche war zu einem nicht geringen Anteil auf das Interesse der bereits bestehenden Aufsichtsämter und ihrer vorgesetzten Ministerien zurückzuführen. Ohne die gesetzliche Verankerung der Ausnahmebereiche hätten die Aufsichtsämter viel stärker mit den Kartellbehörden kooperieren müssen. Es war also nicht so, daß die Regulierung bestätigt wurde, um die aus den Freistellungen des GWB sich ergebende Marktmacht zu kontrollieren; durch die Freistellungen sollte vielmehr ein Machtverlust der bestehenden Aufsichtsbehörden vermieden werden. Die Entwicklung der Lenkungs- und Regulierungspolitik ist in der Deutschen Demokratischen Republik mit der des staatlichen Planungssystems gleichzusetzen. Anfänge zentraler Planung gab es schon in der SBZ vor Gründung der D D R : Halbjahresplan für die zweite Hälfte 1948, vor allem für die Grundstoffindustrie, erster Volkswirtschaftsplan für die gesamte SBZ als Zweijahresplan für die Jahre 1949/50. Mit dem ersten Fünfjahresplan für die Jahre 1951 bis 1955 begann dann die volle Rezeption der in der Sowjetunion entwickelten Methoden der zentralen Planung. Mit Zentralverwaltungswirtschaft sowjetischen Typs hatte das aber nur bedingt etwas zu tun. Erst allmählich gelang es der Planbürokratie, die Wirtschaft in den Griff zu bekommen. Vor allem die „weichen Pläne", die die Betriebe bis in die 60er Jahre hinein für sich erwirkten, bildeten das Instrument, mit dem sie sich ihre praktische Autonomie sicherten.

Β. Wirtschaftspolitische Perspektive

27

Die immer deutlicher werdenden Effizienzschwächen dieses Reformansätze Systems führten 1963 zum „Neuen ökonomischen System der Planung und Lenkung der Volkswirtschaft" ( N Ö S ) , das 1968 vom „Ökonomischen System des Sozialismus" ( Ö S S ) abgelöst wurde. Das N Ö S stellte bis 1989 den weitestgehenden Versuch dar, das bürokratische Lenkungssystem zu reformieren, d. h., durch ein System indirekter (parametrischer) Steuerung zu ersetzen. Es enthielt folgende Punkte: 1. der Gewinn als Angelpunkt im „System der ökonomischen H e b e l " ; 2. das „Prinzip der Eigenerwirtschaftung der M i t t e l " ; 3. ein verbessertes Vertragssystem für zwischenbetriebliche Waren- und Finanzströme sowie 4. die Neuregelung der Versicherung staatlicher Betriebe. Die stärkere Betonung der indirekten Lenkung bedeutete, daß den Betriebsleitungen ein größerer Entscheidungsspielraum gegeben wurde. Dem Betriebsgewinn als Maßstab der Betriebsleistung und dem Prämiensystem fiel im N Ö S eine wichtige Rolle zu. Diese Funktion des Gewinns wurde jedoch durch die Mängel der starren administrativen Preisbildung erheblich beeinträchtigt. Mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten Anfang der 70er Jahre kam es zu einer teilweisen Rezentralisierung, wobei zunächst Rezentralisierung kein klares wirtschaftspolitisches Konzept zu erkennen war. Zwei dominante Ziele wurden aber formuliert. Zum einen sollte der Lebensstandard der Bevölkerung verbessert werden, wobei das Wechselverhältnis von höherem Lebensstandard und höherer Leistung als „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" bezeichnet wurde. Zum anderen wurde klar, daß auch die D D R den Übergang „zur intensiv erweiterten Reproduktion" - zum intensiven Wachstum vollziehen mußte. Die Erkenntnis, daß eine schnelle Umsetzung des technischen Fortschritts hohe Anforderungen an die Flexibilität von Produktionsstrukturen stellt, die ein System zentraler Planung und Lenkung nur bedingt gewährleistet, führte unter den Politökonomen der D D R zur - so die übliche Formel - „Vervollkommnung des Systems der Leitung, Planung, ökonomischen Stimulierung und wirtschaftlichen Rechnungsführung". Die seit Ende der 70er Jahre erfolgte Aufwertung des Kombinats war eine Antwort. Die Übertragung größerer Entscheidungsbefugnisse an die Kombinatsleitung sollte vor allem dazu dienen, deren Eigeninitiative sowohl hinsichtlich der Methoden zur Realisierung der Planauflagen als auch besonders hinsichtlich der Bereitschaft zu Innovationen zu stärken. Andere Mitte der 80er Jahre ergriffene Maßnahmen erinnerten an das N Ö S der 60er Jahre, ohne daß die Reformansätze den damals realisierten Grad erreichten.

28

I. Enzyklopädischer Überblick

3.2 Handels- und Zollpolitik Außenhandelspolitik und Versailler Vertrag

Außenhandelspolitik und Weltwirtschaftskrise

Deutschland konnte nach dem Ersten Weltkrieg aufgrund des Versailler Vertrages keine autonome Außenhandelspolitik mehr betreiben. Der Vertrag enthielt eine Reihe diskriminierender Bestimmungen, insbesondere eine einseitige Meistbegünstigung zugunsten der Alliierten. Das kriegswirtschaftliche System der Ein- und Ausfuhrkontrollen und -bewirtschaftungen blieb erhalten, wurde erneuert oder sogar verschärft. Erst mit der Stabilisierung der Währung Ende 1923 kam es zu einer schrittweisen Liberalisierung. Am 10.1.1925 erlangte Deutschland seine handelspolitische Souveränität zurück. Von nun an versuchte die Regierung, mit bilateralen Handelsabkommen die Versailler Vertragsbestimmungen zu umgehen. Trotz des sich bereits wieder verstärkenden Protektionismus in der Welt gelang es auf diese Weise, ein recht umfangreiches Netz handelspolitischer Beziehungen zu knüpfen, das zwar keine Rekonstruktion desjenigen von vor 1914 bedeutete, aber doch die durch den Versailler Vertrag verursachten Benachteiligungen weitgehend beseitigte. Wirtschaftliche Sonderinteressen prägten die Zoll- und Handelspolitik ebenso wie die weitverbreitete Einsicht, daß ein so vom Außenhandel abhängiges Land wie Deutschland erneut in den Weltmarkt integriert werden mußte. Zugleich war die Außenwirtschaftspolitik ein Instrument der allgemeinen Außenpolitik. Souveräne Wiedereingliederung des Deutschen Reiches in das internationale politische System und damit Revision des Versailler Vertrages war das Ziel, Handelsverträge auf der Grundlage der Gleichberechtigung ein Mittel. Die Erfolge dieser Außenwirtschaftspolitik wurden in dem Maße zunichte gemacht, in dem im Laufe der Weltwirtschaftskrise der nationale Protektionismus immer mehr um sich griff. Wie in anderen Ländern, so reagierte man auch in Deutschland auf den katastrophalen wirtschaftlichen Niedergang mit der Rückkehr zu Einfuhrkontingentierungen und Ausfuhrsubventionen, Einfuhrscheinsystemen, Devisenbewirtschaftung usw. Wie schon im Krieg bestand die Handels- und Zollpolitik zwischen 1929 und 1933 aus einer Ansammlung unkoordinierter Einzelabkommen. Sie diente der kurzfristigen Stabilisierung der Konjunktur und wurde massiv durch wirtschaftliche Sonderinteressen - vor allem einer aggressiven Agrarlobby - bestimmt. Ab 1931 zeichnete sich eine Außenwirtschaftspolitik ab, die offensiver als zuvor die ökonomische Regionalisierung Mitteleuropas anstrebte. Damit entstand auch in regiona-

Β. W i r t s c h a f t s p o l i t i s c h e P e r s p e k t i v e

29

1er Hinsicht eine Kontinuität zur Anfangsphase der nationalsozialistischen Handelspolitik im Zeichen des Großraumdenkens bis zum Neuen Plan Schachts von 1934. Der Grund für die im Vergleich zu anderen Bereichen der nationalsozialistischen Rüstungswirtschaft früh einsetzende vollständige Kontrolle des Außenhandels durch den Staat war das drohende Defizit in der Handels- und Zahlungsbilanz, das die weitere Versorgung mit rüstungswirtschaftlichen Rohstoffen gefährdete. Mit dem „Neuen Plan" vom Sommer 1934 wurde der Außenhandel nach den Prinzipien einer Zentralverwaltungswirtschaft gesteuert. Neue Methoden wurden dabei nur bedingt angewendet. Neu war allerdings die Konsequenz, mit der der Protektionismus zu einem umfassenden System ausgebaut wurde. Neu war auch die Ideologie und Zielrichtung der Außenwirtschaftspolitik. Die endgültige Abkehr vom liberalen Außenhandel entsprang nicht mehr der Notsituation einer tiefgreifenden Wirtschaftskrise, sondern stellte eine grundsätzliche außenwirtschaftliche Neuorientierung dar, die durch folgende Ziele gekennzeichnet war: Autarkie, Sicherung der Wehrwirtschaft, Entwicklung einer Großraumwirtschaft und letztlich Vorbereitung zur Erweiterung eines rassisch begründeten „Lebensraumes". Mit dem Übergang zum bilateralen Verrechnungshandel, d.h. zum Waren- oder Naturaltausch, wurden keine Handelsverträge im herkömmlichen Sinne mehr geschlossen, sondern „Verwaltungsabkommen", in denen die auszutauschenden Waren sowie die Art und Weise des Verrechnungsverkehrs genau festgelegt wurden. Außenwirtschaftspolitik war ab 1933 nicht länger ein Element der Emanzipations- und Revisions-, sondern der expansiven Machtpolitik. Dies zeigte besonders die Außenhandelsoffensive gegenüber Südosteuropa. Während des Krieges wurden die ausländischen Volkswirtschaften unterschiedlich intensiv in das deutsche Wirtschaftssystem integriert. Ob die dabei praktizierten Ausbeutungsmethoden etwas mit Handels- und Zollpolitik zu tun hatten, sei dahingestellt. Ab 1940 zwang das Deutsche Reich die besetzten oder abhängigen Länder, ihren Handels- und Zahlungsverkehr an deutschen Interessen auszurichten. Die Wechselkurse wurden zugunsten der Reichsmark manipuliert. Im Laufe des Krieges entstand für ganz Europa ein Zentralclearingsystem, wobei sich Deutschland durch willkürliche Währungs- und Preisbestimmungen einseitige Vorteile verschaffte. Neben diesen generellen gab es spezielle Ausbeutungsmethoden, die die verschiedenen Länder und Regionen unterschiedlich hart

Zentralverwalteter A u ß e n h a n d e l im Nationalsozialismus

Außenhandel und A u s b e u t u n g im Krieg

30

Rückgewinnung der handelspolitisehen Souveränität

I. Enzyklopädischer Überblick

trafen, die aber in keiner Weise mehr als Außenwirtschaftspolitik bezeichnet werden können. Nach Kriegsende wurde das System der zentralen behördlichen Außenwirtschaftssteuerung zunächst beibehalten. Bis Anfang 1948 . . . . .

.

und Liberalisierung

' a g die Kompetenz fur die Einfuhrpläne bei den Besatzungsmächten. Sie wurde dann zwar deutschen Stellen übertragen, bis 1949 wurden die Pläne aber von den Alliierten kontrolliert und genehmigt. Ihre volle zoll- und handelspolitische Souveränität gewann die Bundesrepublik erst mit dem Eintritt in das General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) am 1. Oktober 1951. Die alliierte Kontrolle der Wechselkurse blieb bis 1952, die des internationalen Kapitalverkehrs sogar bis 1953 bestehen. Auch das Ziel und die Mittel der Außenwirtschaftspolitik waren der deutschen Regierung anfangs vorgegeben. Westdeutschland sollte ab 1953 von ausländischen Zahlungsbilanzhilfen unabhängig sein und dies durch eine liberale Handels- und Zollpolitik erreichen. Die durch den Neoliberalismus gekennzeichnete Außenwirtschaftspolitik der 50er Jahre vollzog tatsächlich einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit. Die Bundesrepublik trat außer dem G A T T den verschiedenen internationalen Organisationen bei - 1950 der O E C D und der von dieser gegründeten Europäischen Zahlungsunion (EZU), 1952 dem Internationalen Währungsfonds - , deren Ziel die Rückkehr zu einer liberalen Weltwirtschaft war. Hinsichtlich der konkreten Liberalisierungsmaßnahmen gehörte die Bundesrepublik zu den Ländern, die den Abbau des Protektionismus vorantrieben. Natürlich blieb auch hier in bestimmten Bereichen - Landwirtschaft, Textilindustrie, Stahlproduktion - ein relativ hoher Protektionsgrad erhalten, im Vergleich zur Außenwirtschaftsordnung von 1948 waren es aber allenfalls rudimentäre Reste des ehemals umfassenden Lenkungssystems.

Handelspolitische

Mit der Gründung der E W G am Ende der 50er Jahre entstand a u f e der Zeit ein mehr oder weniger voll liberalisierter Freihandelsraum, zugleich wurden aber gegenüber Drittländern gemeinsame Handelsschranken neu aufgebaut. Grundsätzlich markierte die Integration in die Europäische Gemeinschaft eine säkulare Zäsur: Freiwillig gab man handels- und zollpolitische Kompetenzen an supranationale Institutionen ab. Eine autonome Außenwirtschaftspolitik gab es seitdem nicht mehr.

Souveränität und

Staatshandel

¡

m

L

Dem Prinzip der individuellen Außenhandelsfreiheit in der Bundesrepublik stand in der D D R von Anfang an das staatliche Monopol in der Außenwirtschaft (Staatshandelsland) gegenüber.

Β. Wirtschaftspolitische Perspektive

31

Seine umfassende gesetzliche Regelung f a n d das Außenhandelsmonopol im „Gesetz über den A u ß e n h a n d e l " von 1958; erst in der DDR-Verfassung von 1968 wurde es als staatliches Außenwirtschaftsmonopol verankert. Diese begriffliche Erweiterung trug der ständig wachsenden Bedeutung der außenwirtschaftlichen Beziehungen Rechnung: vom reinen Ergänzungs- zum zentralen Wachstumsfaktor. Dies war auch der G r u n d dafür, d a ß die Außenwirtschaftspolitik im R a h m e n des bestehenden Leitungs- und Planungssystems als zu unflexibel e m p f u n d e n wurde. Reformansätze gab es bereits in den 60er Jahren, aber erst 1981 wurden fast alle Außenhandelsbetriebe aus der bis dahin alleinigen Kompetenz des Ministeriums für Außenhandel herausgelöst und entweder den jeweiligen Industrie- und Fachministerien oder direkt den Generaldirektoren der Kombinate unterstellt oder neu gegründet. Das Außenhandelssystem wurde dadurch zumindest partiell flexibler. Das Außenwirtschaftsmonopol war ein Ordnungselement, vor allem aber ein Instrument zur Durchsetzung der „sozialistischen" Außenwirtschaftspolitik. Die Verbindlichkeit der zentralen staatlichen Planaufgaben f ü r Ex- und Importe nach Menge, Wert, Struktur und Region und die Abwicklung der Außenhandelsgeschäfte durch die staatliche Bürokratie ersetzten Instrumente wie Zölle und Kontingente. Ein weiteres wesentliches Instrument waren die langfristigen Handelsabkommen, die vor allem mit den RGW-Partnern abgeschlossen wurden. Über zwei Drittel des DDR-Außenhandelsumsatzes waren auf diese Weise langfristig vertraglich bilateral festgelegt und geplant. Die Nachteile dieses starren Systems zeigten sich seit Mitte der 70er Jahre besonders deutlich, als aufgrund von Lieferausfällen für die D D R Produktionsstörungen auftraten. 3.3 Haushalts- und

Finanzpolitik

Die Haushaltspolitik oder Haushaltswirtschaft beschäftigt sich mit den öffentlichen Einnahmen und Ausgaben. Unter Finanzpolitik werden im Gegensatz zur „deckungspolitisch" orientierten Haushaltspolitik die „ordnungspolitisch" auf die Beeinflussung des Wirtschaftsablaufs gerichteten M a ß n a h m e n verstanden. Als vorherrschende Ziele der Finanzpolitik werden heute im allgemeinen die Korrektur der Faktorallokation u n d der Einkommensverteilung sowie die Beeinflussung des Wirtschaftswachstums und der Konjunktur angesehen. Im folgenden geht es vornehmlich um die Haushalts- und Finanzpolitik des Reiches/Bundes, was nicht heißen soll,

32

I. Enzyklopädischer Überblick

daß die Finanzwirtschaft der Länder und Gemeinden weniger Bedeutung besessen hätte. Folgen des Ersten Der Erste Weitkrieg zeigte, wie wenig das Reich von seiner FiWeltkrieges nanzausstattung her auf die damit verbundenen hohen Ausgaben vorbereitet war. Seine traditionellen Hauptsteuerquellen - Zolleinnahmen und Verbrauchssteuern - flössen schwächer, u n d die Kriegskosten konnten trotz Erhöhung alter und Einführung neuer Steuern nicht annähernd auf diese Weise gedeckt werden. Entsprechend dem traditionellen Grundsatz der damaligen Finanzwirtschaft, daß außerordentliche Ausgaben durch außerordentliche Einnahmen gedeckt werden sollten, wurden die Kriegskosten vor allem mit Anleihen und kurzfristigen Krediten der Reichsbank an die Reichsregierung finanziert. Unterschiedliche Konsequenzen ergaben sich aus dieser Form der Kriegsfinanzierung: 1. D a s Reich baute einen enormen Schuldenberg auf. 2. Unabhängig vom Ausgang des Krieges ergab sich f ü r die Nachkriegszeit ein gewaltiges Inflationspotential. 3. Die Bedeutung des Staates f ü r die Volkswirtschaft nahm nicht nur allgemein zu, sondern auch die des Zentralstaates gegenüber den Gliedstaaten. Insbesondere war dem Reich ein Einbruch in die direkten Steuern gelungen. 4. Der sozioökonomische Status der besitzenden Schichten war angegriffen. Erzbergers Finanzreform

Für die Weimarer Republik bietet sich aus finanzwirtschaftlicher Sicht eine zeitliche Dreiteilung a n : die Jahre der Inflation bis 1923, die der Stabilisierungsphase 1924 bis 1929 und die der Weltwirtschaftskrise ab 1929. Die Finanzreform, mit der Matthias Erzberger unmittelbar nach dem Krieg begann, verfolgte drei Ziele: Erstens sollte der unitaristische Charakter der Reichsverfassung auch die Finanzverfassung prägen. Zweitens sollte ein sozial gerechteres, auf Nivellierung zielendes Steuersystem entstehen. Drittens sollten die wegen der Kriegsfolgekosten - Demobilisierung, Reparationen, Kriegsopfer, Zinsen und Tilgung usw. - weiterhin hohen Staatsausgaben verstärkt über Steuern finanziert werden, um der Kreditfinanzierung entgegenzuwirken. Schon 1919 wurden neue Steuern und Abgaben eingeführt und bestehende erhöht. Kernstück der Finanzreform bildete die 1920 geschaffene Reichseinkommensteuer; die von Erzberger vorgesehene Steuerprogression bis 90% hielt sich zwar nicht, aber auch der später festgesetzte Spitzensteuersatz von 35% bedeutete gegenüber der Vorkriegszeit eine enorme Steigerung. Wichtig waren außerdem eine Umsatzsteuer (seit 1918) sowie eine Körperschaftssteuer u n d eine Kapitalertragssteuer, die 1920 eingeführt wurden. Insgesamt ergab sich eine Verschiebung von den indi-

33

Β. Wirtschaftspolitische Perspektive

rekten zu den direkten Steuern. D i e Vereinheitlichung der wichtigsten Steuern ging mit einer Neuzuordnung von Steuerhoheit und A u f k o m m e n einher. D a s alte Trennsystem wurde von einem neuen Zuweisungssystem

abgelöst

und

damit

die

Länder

faktisch

zu

„ K o s t g ä n g e r n des R e i c h e s " . Trotz dieser radikalen Neuerungen n a h m der Anteil der kurzfristigen Kredite an der Finanzierung der R e i c h s a u s g a b e n weiter zu

Auswirkungen der Inflation

und heizte die Inflation an. D a h e r waren die Steuermittel bis zu ihrem Eingang weitgehend entwertet. E i n e Ablösung der überwiegenden Kreditfinanzierung des Reichshaushalts durch Steuerfinanzierung gelang somit nicht. Allerdings löste sich das Problem der öffentlichen Verschuldung durch die Inflation von selbst. Durch sie wurde außerdem die soziale Intention der Erzbergerschen Finanzref o r m in ihr Gegenteil verkehrt. W ä h r e n d den Arbeitnehmern die Lohnsteuer unmittelbar bei der L o h n - und Gehaltsauszahlung abgezogen wurde, brauchten die Selbständigen ihre E i n k o m m e n nur einmal im J a h r zu versteuern, wobei die Steuerbelastung dann minimal war. N e u e Weichen in der Steuerpolitik wurden nach der W ä h rungsstabilisierung gestellt, mit der die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte gelang. Wie die Steuernotverordnungen des Winters 1 9 2 3 / 2 4 und die Steuermilderungsgesetze vom Herbst

Konsolidierung und Besitzentlastung

1924, so

zielte die große F i n a n z r e f o r m v o m August 1925 a u f eine umfangreiche Besitzentlastung ab. E s ging zwar auch - wie propagiert - um die Förderung der „ K a p i t a l b i l d u n g der W i r t s c h a f t " , letztlich aber um eine grundlegende Revision der sozialen Umverteilungspolitik der unmittelbaren

Nachkriegszeit.

D i e bürgerlichen

Kabinetten

setzten die Besitzsteuern herab und versuchten, die dadurch verursachten E i n n a h m e a u s f ä l l e durch eine stärkere Belastung des Verbrauchs auszugleichen ; dies gelang allerdings nur teilweise. D a auß e r d e m die antizyklische K o n j u n k t u r p o l i t i k in der K r i s e 1 9 2 5 / 2 6 mit großzügigen Ausgaben verbunden war, wurde aus dem Haushaltsüberschuß der J a h r e 1 9 2 4 / 2 5 sehr bald wieder ein Haushaltsdefizit, das erneut mit Krediten finanziert werden mußte. D i e öffentlichen Haushalte gingen also mit einer beträchtlichen Nettokreditaufnahme in die große Depression. Ziel der K a b i n e t t e unter Reichskanzler Brüning, der sehr bald mit autoritären Notstands- und N o t v e r o r d n u n g s m a ß n a h m e n regierte, war, den Haushalt mit ordentlichen Mitteln erneut auszugleichen. Nicht nur der R ü c k g a n g der mit dem fallenden V o l k s e i n k o m m e n sinkenden Steuereinnahmen sollte gebremst, nicht nur die Ausgaben sollten ge-

Brünings Parallelpolitik

34

Ziele der Brüningschen Politik

I. Enzyklopädischer Überblick

kürzt werden, sondern zugleich sollte die Verschuldung abgebaut, d.h. wieder „Ordnung" in die Staatsfinanzen gebracht werden. Die Mittel, mit denen dieses Ziel erreicht werden sollte, waren rigoros: Auf der Einnahmenseite wurden Steuern, Abgaben und Zölle z.T. drastisch erhöht oder neu eingeführt, auf der Ausgabenseite wurden die Personalausgaben - Gehälter, Pensionen, Aufwandsentschädigungen und Diäten - , Sozialversicherungszuschüsse, Fürsorgesätze und andere Sozial- sowie Investitionsausgaben gesenkt. Obwohl das Ausgabenniveau von 1929/30 bis 1932/33 um fast ein Drittel zurückging, wurde ein ordentlicher Ausgleich des Etats nicht erreicht. Ausgaben- und Einnahmenpolitik waren in der Weltwirts c haftskrise noch weniger als zuvor nur Haushalts- und Finanzpolitik. Zum einen ging es sicherlich um die „Sanierung" der öffentlichen Haushalte in dem Sinne, daß die erneute Expansion der Kreditfinanzierung gebremst und zumindest versucht werden sollte, den Haushalt auszugleichen. Zum zweiten ging es aber auch um einen gesamtwirtschaftlichen Stabilisierungsversuch im neoklassischen Verständnis (vgl. Kapitel 3.3.5). Zum dritten muß Brünings eigentliche Intention berücksichtigt werden. Sein primäres Ziel war die Streichung der Reparationen und damit letztlich die Revision des Versailler Vertrages. Das Streben nach dem Ausgleich des Haushalts sollte die Zahlungswilligkeit und zugleich die Zahlungsunfähigkeit Deutschlands signalisieren, denn die eingeschlagene Politik dokumentierte auch aus der Sicht der Reparationsgläubiger den ernsten Willen, die für den Reparationstransfer notwendigen Devisen zu erwirtschaften. Viertens war die Finanzpolitik in der Krise ein erneuter Ausdruck für die grundsätzliche Revision der sozialund damit letztlich gesellschaftspolitischen Verhältnisse der Weimarer Republik. Das sozialstaatliche Element in der öffentlichen Finanzwirtschaft und damit ein wichtiges Stück sozialer Demokratie, das nach 1918 geschaffen worden war, sollte beseitigt werden. Schließlich spiegelte die Haushaltspolitik ein Stück Verfassungspolitik wider: Die autoritären, aufgrund des Art. 48 der Weimarer Reichsverfassung erlassenen Gesetze und Verordnungen wurden zum einen bewußt dazu benutzt, das parlamentarische System auszuhebeln ; zum anderen bedeuteten sie einen Angriff auf das föderative System, denn die radikalen Ausgabenkürzungen im Reichshaushalt trieben Länder und Gemeinden in den Bankrott. Dies war durchaus intendiert, plante Brüning doch die Übernahme von Länder- und Kommunalkompetenzen durch eine autoritäre Reichsregierung, was bei völliger finanzieller Abhängigkeit der

Β. Wirtschaftspolitische Perspektive

35

unteren Gebietskörperschaften vom Reich sicherlich leichtergefallen wäre. Die nationalsozialistische Haushalts- und Finanzpolitik, die Haushaits-/Finanzsehr bald ausschließlich dazu diente, die Aufrüstung und später die P°litik i m Di«nst T,

.

~

.

.

.

,

,

Kriegsrustung zu finanzieren, war durch folgende Elemente gekennzeichnet: 1. Die groß angekündigte nationalsozialistische Steuerreform fand nicht statt. Trotz zahlreicher neuer Steuergesetze blieb das Erzbergersche System erhalten; allenfalls eröffnete man die Möglichkeit einer rassischen und sonstigen Diskriminierung. Allerdings wurde es durch schärfere Erfassung und Veranlagung zu Lasten der Steuerzahler besser ausgeschöpft. Man kann die Steuerpolitik zwischen 1933 u n d 1945 in drei Phasen mit unterschiedlicher Zielsetzung unterteilen, die sich jedoch überlappen: eine Phase, in der die Arbeitslosigkeit b e k ä m p f t wurde, dann eine Phase, in der ideologische Elemente ins Steuersystem einflossen, und eine Phase der Aufrüstung und Kriegsfinanzierung. 2. Zur Finanzierung der Aufrüstung wurde eine Scheinfirma - die Metallurgische Forschungsgesellschaft m b H (Mefo) - gegründet. Sie akzeptierte die vom Reich ausgestellten Schuldscheine - die sogenannten MefoWechsel - und machte sie damit bei der Reichsbank diskontfähig. Diese Form der kurzfristigen Verschuldung des Reiches bei der Reichsbank bzw. der stillen Geldschöpfung wurde 1938 von sogenannten Lieferschatzanweisungen - unverzinslichen Reichsschatzanweisungen - , mit denen das Reich Aufträge bei den Lieferfirmen bezahlen konnte, abgelöst. Auch Steuergutscheine wurden erneut eingesetzt. 3. Den Kapitalmarkt stellte man ganz in den Dienst der Rüstungsfinanzierung. Mittel- und langfristige Anleihen und Schatzanweisungen brachte man beim privaten Publikum unter. Sogenannte Liquiditätsanleihen dienten zur Abschöpfung der privaten Ersparnisse bei den Kapitalsammeistellen - Banken, Sparkassen, Versicherungen. Die Inanspruchnahme des Kapitalmarktes wurde dadurch erleichtert, daß private Nachfrage durch Investitionslenkung und Emissionssperre vom Kapitalmarkt ferngehalten wurde. 4. Schließlich beseitigte man 1939 alle Vorschriften, die die direkte Finanzierung von Staatsausgaben durch die Reichsbank bis dahin behindert hatten (vgl. Kapitel 1.3.3.4). Im Krieg wurde ein Drittel der Gesamtausgaben des Reiches durch Steuereinnahmen gedeckt, also wesentlich mehr als im Ersten Weltkrieg. Die Tarife wurden z.T. drastisch erhöht. Etwa ein Fünftel der Gesamtausgaben stammte aus lang- und mittelfristigen Krediten der Kapitalsammelstellen. Ein weiteres Drittel deckte die

von Aufrüstung

un< j

K r j eg

36

I. Enzyklopädischer Überblick

Reichsbank. Der Rest wurde aus Kriegskontributionen und Besatzungskosten gewonnen. Die klassische Haushaltswirtschaft verlor angesichts dieser umfassenden Manipulationen aller finanzwirtschaftlichen Ströme fast jegliche Bedeutung. Die Finanzpolitik diente einseitig und ausschließlich der Rüstungsfinanzierung. Der Finanzminister wurde zum „Hauptbuchhalter der N a t i o n " , das Finanzministerium zum technischen Ausführungs- und Überwachungsorgan im Dienste der Rüstungspolitik. Steuerordnung in der Bundesrepublik

Nachdem die Haushalts- und Finanzpolitik in den 35 Jahren h e n 1914 und 1949 in kürzesten Abständen fundamentalen Veränderungen unterworfen gewesen war, verlief sie in der Bundesrepublik - nachdem man zur „traditionellen" Steuer- und Finanzpolitik der Zeit vor 1933 zurückgekehrt war - in den folgenden Jahrzehnten in sehr viel ruhigeren und geordneteren Bahnen. Allerdings lassen sich auch in diesem Zeitraum Veränderungen und Abschnitte feststellen. Das gilt am wenigsten für die äußere Gestalt des Steuersystems, die Steuerordnung; sie änderte sich in der Bundesrepublik nicht mehr wesentlich, trotz der „permanenten Steuerreform" mit einer Vielzahl von Vorschlägen, Berichten und Gutachten, Kommissionen, Ausschüssen und Beiräten. z w

i

s c

Im Vergleich zur Steuerordnung wandelte sich die Steuerstruktur stärker. Dennoch weist die Entwicklung der entsprechenden Steuerrechtsänderungen aus haushaltspolitischer Sicht nur bedingt abgrenzbare Tendenzen oder Phasen auf. Allenfalls könnten folgende Tatbestände genannt werden: 1. Zu Beginn der 50er Jahre senkte man die außerordentlich hohen Einkommensteuersätze und andere Tarife, die von den Besatzungsmächten zum Zwecke der Abschöpfung des Geldüberhangs nach dem Krieg hinaufgesetzt worden waren. 2. Wiederholt wurde die Tarifstruktur bei der Lohn- und Einkommensteuer an die Inflationsrate angepaßt. 3. Schließlich sind aus jüngster Zeit die mehrfache Anhebung des Tarifs der Mehrwertsteuer sowie eine Änderung der Einkommensteuerstruktur zur Entlastung unterer und mittlerer Einkommen zu erwähnen. Steueraufkommen Auch wenn das Steuersystem von der Erzbergerschen Finanzreform bis heute keine grundlegenden Veränderungen erfahren hat, so bedeutet das doch nicht, daß sich die Struktur des Steueraufkommens nicht gewandelt hätte. Die Steuereinnahmen machten durchgängig den weitaus größten Teil der Gesamteinnahmen aus; er stieg von. k n a p p 60% vor dem Ersten Weltkrieg auf etwa 80% in den 80er Jahren. Wichtige Entwicklungslinien sind folgende (vgl. Tab. 1): Steuerstruktur

Β. Wirtschaftspolitische Perspektive

37

1. Das relative Aufkommen der Lohn-/Einkommensteuer und der Umsatz/Mehrwertsteuer als den beiden „modernen" Steuerarten verdoppelte sich von 30 auf 60%. 2. Das Aufkommen der Vermögens-/Vermögensverkehrsteuern und der Zölle machte vor dem Ersten Weltkrieg fast 30% aus und ging seither auf 3% zurück. 3. Die Ertrags-, Verbrauchs- und Verkehrssteuern konnten ihren Anteil nicht ganz, aber doch in etwa behaupten. 4. Das Verhältnis von direkten und indirekten Steuern schwankte zwar, entwickelte sich langfristig aber zugunsten der direkten. 5. Tendenziell erbrachten immer weniger Steuern einen immer größeren Anteil am Gesamtsteueraufkommen. Tab. 1: Anteil von sechs Steuerquellengruppen am Gesamtsteueraufkommen 1913-1985 (in Prozent des Gesamtaufkommens) 1913 1925 1929 1932 1936 1950 1960 1970 1985 Einkommenssteuer Körperschaftssteuer Umsatzsteuer Vermögenssteuern Vermögensverkehrssteuern Ertragssteuern Verbrauchs- und Verkehrssteuern Zölle 1

30,4 22,5 22,4 4,1' 1,8 4,1 14,0 7,6 -

13,5 20,6 19,4 26,1 35,9 40,3 1,9 6,7 8,0 9,5 4,2 7,3 13,2 15,3 24,1 23,5 24,7 25,1

13,2 21,1

22,3

19,4

14,6

10,2

6,6

5,1

1,4

16,3

15,0

16,2

19,1

15,4

11,5

13,2

9,6

10,3

20,2

19,7

19,3 22,0

18,8 23,3

17,0

18,5

14,4

15,8

5,8

4,1

1,9

1,2

8,1

10,8

8,6

3,5

Schätzwert a u f g r u n d der p r e u ß i s c h e n S t a a t s e i n k o m m e n s t e u e r f ü r nichtphysische Zensiten.

Quellen: V. HENTSCHEL, Steuersystem u n d Steuerpolitik in D e u t s c h l a n d 1890-1970, i n : Sozialgeschichte der B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d . Beiträge z u m K o n t i n u i t ä t s p r o b l e m , Stuttgart 1983, S.273; Statistisches J a h r b u c h f ü r die B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d 1987.

Verfolgt man die nach Aufgaben gegliederten Staatsausgaben der Bundesrepublik, so ergeben sich ebenfalls wichtige Veränderungen (vgl. Tab. 2). Im Verhältnis zum Sozialprodukt nahmen sie insgesamt zu, allerdings veränderte sich der Anteil der verschiedenen Ausgabenblöcke unterschiedlich. Die drei traditionellen Bereiche staatlicher Betätigung - Verwaltung und Rechtsschutz, Schule und Bildung, Rüstung und Militär - verloren durchgehend an Bedeutung. Ihr gemeinsamer Anteil an den gesamten Staatsausgaben ging von zwei Dritteln im Jahre 1891 auf etwa ein Drittel in den 1980er Jahren zurück. Das Drittel, das diese Bereiche im Laufe der letzten

Staatsausgaben

38

I. Enzyklopädischer Überblick

Tab. 2: Funktionale Gliederung der Staatsausgaben 1891-1985 (in Prozent der gesamten Staatsausgaben) Ausgabenart

1891 1900 1910 1925 1929 1932 1950 1959 1970 1985

1

22,9 21,7 20,4 15,2 15,4 17,8 10,4 10,1 10,4 10,3 25,7 24,4 21,0 15,9 14,6 7,7 22,2 16,7 10,8 6,4 7,5 8,1 9,7 29,9 27,4 37,3 31,1 27,5 25,8 26,8 17,1 17,6 19,1 16,5 16,0 15,3 9,6 11,9 14,2 14,3 13,1 12,2 12,9 9,8 14,3 13,0 17,8 23,6 22,8 24,5 3,8 5,7 6,2 7,5 7,7 2,3 6,3 6,0 3,4 2,1 9,9 10,3 10,7 1,4 5,0 5,0 2,6 4,2 12,5 15,6

Verwaltung Rüstung 2 Soziales 3 Bildung Wirtschaft 4 Wohnen Schuldendienst 1

Einschließlich Polizei und Rechtswesen. Einschließlich nichtsoziale Kriegsfolgelasten. Gesundheitswesen, soziale Fürsorge, öffentliche Beiträge zur Sozialversicherung, soziale Kriegsfolgelasten. * Einschließlich Verkehr. 1 1

Quellen: V. HENTSCHEL, Steuersystem und Steuerpolitik in Deutschland 1890-1970, in: Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Beiträge zum Kontinuitätsproblem, Stuttgart 1983, S.258; Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1987.

Finanzpolitik u n d wirtschaftspolitisehe Ziele

100 Jahre verloren, gewannen die Ausgaben für das Sozialwesen und die Förderung von Wirtschaft und Verkehr hinzu. Dabei stieg der Anteil des Sozialetats bereits nach dem Ersten Weltkrieg sprunghaft an, um seit den 1950er Jahren leicht abzunehmen. Der Anteil der Wirtschafts- und Verkehrsförderung stagnierte dagegen bis zum Zweiten Weltkrieg annähernd und nahm erst seit den 50er Jahren kräftig zu. Die Entwicklung der funktionalen Gliederung der Staatsausgaben spiegelt somit den Wandel vom Militär-, Rechtsund Verwaltungsstaat des 19. zum wirtschafts- und sozialpolitischen Interventionsstaat des 20. Jahrhunderts wider. Hinsichtlich der Finanzpolitik der Bundesrepublik lassen sich f Q n f Perioden aufgrund der jeweils aktuellen wirtschaftlichen Probleme und der daraus resultierenden Zielsetzungen der Finanzpolitik unterscheiden. Der erste Abschnitt, der bis Mitte der 50er Jahre reicht, kann als Periode des Wiederaufbaus bezeichnet werden. In diesen Jahren ging es in erster Linie darum, die Investitions- und Spartätigkeit zu steigern. Die zweite Periode umfaßt das Jahrzehnt zwischen der Mitte der 50er und der der 60er Jahre. Das Wachstumsziel verlor in dieser Zeit an Bedeutung, während das Verteilungsziel und die Bekämpfung struktureller und konjunktureller Ungleichgewichte in den Vordergrund rückten. Um den Wohlstand gerechter zu verteilen, wurde eine Reihe von Begünstigungen für die

Β. Wirtschaftspolitische Perspektive

39

Bezieher höherer Einkommen abgebaut und die Vermögensbildung für die Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen gefördert. Ebenso wie die verteilungspolitischen waren die konjunkturpolitischen Maßnahmen noch ausgesprochen schwach. Die dritte Periode umfaßt die Jahre zwischen der Mitte der 60er und der der 70er Jahre. Sie waren durch eine betont konjunktur- und beschäftigungspolitische Orientierung der Finanzpolitik gekennzeichnet. Eine Vielzahl von Konjunktur- und Beschäftigungsprogrammen löste einander ab. Es folgte ein vierter Abschnitt von 1975 bis 1982, in dem es zwar weiterhin um die Belebung der Wirtschaft ging, zugleich aber die Konsolidierung des Haushalts an Bedeutung gewann. In einer fünften Periode von 1982 an war man dann verstärkt bemüht, durch steuerliche Erleichterungen, Subventionen und Verbesserungen der allgemeinen Produktionsbedingungen die Gewinnsituation der Unternehmen zu verbessern, um so von der Angebotsseite her die Investitionen anzuregen und Arbeitsplätze zu schaffen. Die Konsolidierung des Haushalts wurde jetzt intensiver betrieben. Das Ziel war, durch Kürzung der Ausgaben, insbesondere im sozialen Bereich, die Expansion der Neuverschuldung zu bremsen und generell die Bedeutung der Staatsfinanzen innerhalb der Volkswirtschaft zurückzudrängen. Nach neoliberalem Verständnis sollten auf diese Weise die Marktkräfte gestärkt und die Krise überwunden werden. Verfolgt man die Entwicklung der finanzpolitischen Ziele nach dem Zweiten Weltkrieg im Spiegel der Gesetze, so läßt sie sich mit den Stichworten Ökonomisierung, Rationalisierung, Politikverflechtung und Wiederbelebung des Staatskredits kennzeichnen. Ökonomisierung bedeutet, daß sich die Finanzpolitik von einer eher traditionellen Haushaltspolitik mit einzelwirtschaftlicher Sichtweise zu einer modernen Budgetpolitik mit gesamtwirtschaftlicher Perspektive entwickelte. Rationalisierung heißt, daß die finanzpolitische Planung, der Vollzug und die Kontrolle verbessert wurden, und zwar durch die Novellierung des Haushaltsrechts, die Einrichtung der mehrjährigen Finanzplanung, die Tätigkeit des Finanzplanungsrats und die regelmäßige Erstattung des Subventionsberichtes. Politikverflechtung bezeichnet die Entwicklung, die durch die Gesetze zur Neuregelung des Finanzausgleichs von 1955 und 1969 vorgezeichnet wurde. Wiederbelebung des Staatskredits ergab sich aus der Novellierung von Art. 115 GG. Die einnahmepolitische Folge war eine Verschiebung des Einnahmespektrums hin zur Kreditaufnahme, die ausgabenpolitische Konsequenz bestand in einer erheblichen Steigerung der Zinsausgaben.

Finanzpolitik und Gesetz

40 Haushalts-und Finanzpoiitik m der D D R

I. Enzyklopädischer Überblick

Die Entwicklung des Staatshaushalts in der Deutschen DemokratjSchen Republik wurde durch die verschiedenen Reformmaßnahr men bestimmt. Nach 1950 ging es zunächst darum, die Finanzwirtschaft mit dem Planungssystem zu verknüpfen und in den Dienst des Wiederaufbaus zu stellen. Dazu wurden die Haushaltsperiode auf das Kalenderjahr umgestellt, der Haushalt nach Planungsgebieten neu gegliedert - sogenanntes Realprinzip - , eine zeitliche Staffelung in operative Vierteljahreshaushalte vorgenommen und die gesamte öffentliche Finanzwirtschaft in einem Einheitshaushalt zusammengefaßt. Die Reichshaushaltsordnung wurde 1950 durch die den Planaufgaben angepaßte Staatshaushaltsordnung ersetzt. Die NÖS-Reformphase ab 1963 (vgl. oben S.27) war mit einer wachsenden Bedeutung der Finanzkennziffern als Planungsinstrumenten verbunden und durch eine erhebliche Dezentralisierung auch der finanziellen Fonds gekennzeichnet. Teilweise wurden diese Reformmaßnahmen in der Rezentralisierung der 70er Jahre wieder zurückgenommen, insgesamt gewann die öffentliche Finanzwirtschaft seit der Wirtschaftsreform aber an Bedeutung. Auch auf der Einnahmen- und Ausgabenseite zeigte sich der enge Zusammenhang mit den De- und Rezentralisierungsphasen des Planungs- und Lenkungssystems. Bei globaler Bedeutung des Staatshaushalts ist interessant, daß während der 70er Jahre die Zuwachsrate der öffentlichen Ausgaben über der des Nationaleinkommens lag. Dies war zu Beginn der 70er Jahre auf das Wachstum der zentralen Investitionen sowie der Sozialversicherungsausgaben zurückzuführen, aber auch auf das schnellere Wachstum von Subventionen und Verteidigungsausgaben. Besonders das Subventionierungssystem stieß in den 80er Jahren auf immer größere Finanzierungsschwierigkeiten. Das hatte insofern erhebliche Konsequenzen, als ja generell die Fiskalpolitik eine sehr viel größere Bedeutung für die Steuerung der Wirtschaft besaß als in der Bundesrepublik. 3.4 Geld- und Kreditpolitik

Reichsbank als

Die Reichsbank wurde mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges Kriegsbank umfunktioniert. Zwei Gesetze vom 4.8.1914 hoben die Pflicht zur Einlösung ihrer Noten durch Gold in Barren oder Goldmünzen auf. Die Notensteuer wurde beseitigt. Der Ankauf von Wechseln und Reichsschatzanweisungen durch die Notenbank wurde in erweiterter Form zugelassen und zur Deckung für die um-

Knegsbank z u r

Β. Wirtschaftspolitische Perspektive

41

laufenden Reichsbanknoten erklärt. Damit war die Reichsbank in der Lage, die Kriegskosten des Reiches vorzufinanzieren. Von einer eigenständigen Geld- und Kreditpolitik konnte ab 1914 keine Rede mehr sein ; die Reichsbank war zur Notenpresse degradiert. Die dadurch bedingte enorme Ausweitung der Geldmenge schuf schon während des Krieges ein starkes Inflationspotential. Diese Verhältnisse änderten sich auch in der Weimarer Republik zunächst nicht, selbst als sich die Inflationsspirale immer schneller drehte und der Reichsbank durch ein Gesetz vom 26. Mai 1922 die rechtliche Autonomie verliehen wurde. Sie erkannte die außerordentlichen Verhältnisse - die schwierige wirtschaftliche Lage, die äußerst labile soziale und politische Situation - an und sah ihre Aufgabe darin, die Regierung zu stützen und ihre Auf- und Ausgaben zu finanzieren. Erst 1923, als die Bevölkerung die Mark nicht mehr als Zahlungsmittel akzeptierte bzw. als keine wichtige Interessengruppe mehr Vorteile aus der Inflation ziehen konnte, wurde der Versuch einer Stabilisierung unternommen. Zunächst schuf man als Parallelwährung zur alten Papiermark die Rentenmark, um dann im August 1924 mit dem Golddevisenstandard als neuem Währungssystem und der Reichsmark als neuer Währungseinheit die endgültige Geldreform zu vollziehen. Die Stabilisierung der Mark leitete nicht nur eine neue Phase der Geldpolitik ein, sie war von zentraler Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung in der zweiten Hälfte der 20er Jahre ganz allgemein.

inflation und Stabilisierung

Eines der zentralen Probleme der Reichsbank in der zweiten Grenzen Hälfte der 20er Jahre war die Beherrschung des Geldmarktes. Das P° lltlk Mittel dazu war wie vor dem Krieg vor allem die Diskontpolitik. Wie im Kaiserreich gelang es der Reichsbank auch in den Jahren nach 1924 nicht, den Geldmarkt wirklich zu steuern. Einer der Gründe war die Bereitschaft des Auslandes, Geld und Kapital nach Deutschland zu transferieren. Versuchte die Reichsbank, mit steigenden Zinsen die innerdeutsche Kreditnachfrage zu drosseln, strömten um so mehr ausländische Kredite herein. Versuchte sie umgekehrt, die expansive Verschuldung der privaten und öffentlichen Investoren im Ausland mit niedrigen Zinsen zu bremsen, wurde sie selbst überbeansprucht und geriet angesichts der negativen Handelsbilanz schnell an die Grenzen ihrer gesetzlichen Geldund Devisenreserven. Dies war der entscheidende Grund dafür, daß der Reichsbankdiskont und damit der Geldmarktzins fast durchgehend über dem internationalen Zinsniveau lagen. Der Einfluß der Reichsbank auf den Geld- und Kapitalmarkt blieb auch deshalb be-

der Geld-

42

I. Enzyklopädischer Überblick

grenzt, weil sie eine direkte Offenmarktpolitik nicht betreiben konnte und die indirekten Offenmarktoperationen über die während der Währungsstabilisierung gegründete u n d der Reichsbank unterstehende Golddiskontbank nur begrenzt effektiv waren. Als drittes Instrument besaß die Reichsbank die Möglichkeit der Kreditrestriktionen, die allerdings kaum angewandt wurde. Wie eng die Wirkungsgrenzen der Geldpolitik waren, zeigte sich besonders in der Weltwirtschaftskrise. Wollte die Reichsbank angesichts der massiven Währungsreservenverluste im Sommer 1931 nicht riskieren, völlig von Gold und Devisen entblößt zu werden, konnte sie nicht durch großzügige Refinanzierungskredite die drohende Illiquidität der Banken abwenden, sondern mußte von der seit 1930 expansiv wirkenden Geldpolitik auf eine kontraktive Diskontpolitik umschalten. Der Abstrom ausländischer Gelder wurde dadurch ebensowenig gedrosselt wie der Ausgleich der Zahlungsbilanz erreicht. N u r die Krise verschärfte sich. Wenige Monate später wurde allerdings deutlich, wie brüchig die Bestimmungen des Goldstandards und der Goldkernwährung waren. Entgegen den liberalen Spielregeln und den gesetzlichen Bestimmungen führte man die Devisenzwangswirtschaft ein und senkte den Diskont- und Lombardsatz. Im Nationalsozialismus gab es keine eigenständige Geld- u n d Kreditpolitik. Dabei war der Handlungsspielraum der Reichsbank anfangs groß, u n d ihr Instrumentarium weitete sich aus. Bereits 1933/34 wurden die Offenmarktpolitik eingeführt, die Basis der Notendeckung erweitert und die Aufsichtsrechte über das Kreditwesen ausgedehnt. Allerdings war ihr Handlungsspielraum nur deshalb groß, weil es keine Zielkonflikte zwischen Wirtschafts- und Notenbankpolitik gab, weil die Reichsbank unter ihrem Präsidenten Schacht die expansive Beschäftigungs- u n d Aufrüstungspolitik durch eine expansive Geld- u n d Kreditpolitik vorbehaltlos unterstützte. Erst als die Reichsbank von 1936 an mit Erreichen der Vollbeschäftigung verstärkt darauf drängte, die öffentliche Kreditfinanzierung wegen der Inflationsgefahr zu beenden und die kurzfristigen Reichsschulden zu konsolidieren, zeigte sich, d a ß die Reichsbank nur noch der reibungslosen Finanzierung der Aufrüstung zu dienen hatte. Zwar erreichte Schacht durch eine Rücktrittsdrohung, daß die Ausgabe der kurzfristigen Mefo-Wechsel 1938 eingestellt wurde. In der entscheidenden Frage der Rückzahlung mußte er aber e ne als Reichs' Prolongation hinnehmen. Der Funktionsverlust der Reichshauptkasse bank bei gleichzeitiger Ausweitung der gesetzlichen Möglichkeiten

Notenbankpolitik

und Aufrüstung

43

Β. Wirtschaftspolitische Perspektive

zur Manipulation der Geldmenge und zur Finanzierung der Staatsausgaben ging weiter. Der Diskontsatz wurde seit 1933 nicht mehr verändert. Der Streit zwischen Reichsbank und Reichsfinanzministerium um die Kompetenzverteilung bei der Kontrolle des Kapitalmarktes ging zuungunsten der Reichsbank aus; durch direkte staatliche Lenkung des Kapitalmarktes verlor sie jeden Einfluß. Der endgültige Bruch zwischen Schacht bzw. dem Reichsbankdirektorium und Hitler kam 1939, als die Reichsbank die Finanzpolitik der Regierung unmittelbar angriff. D i e darauf folgende personelle Umbesetzung und organisatorische Veränderung vollendete die Funktionsentleerung der Institution Reichsbank: Sie stellte nur noch eine Vollzugsbehörde im Sinne einer Art „Hauptkasse" der Regierung ohne jegliche A u t o n o m i e dar. D i e Geschichte der Geld- und Kreditpolitik in der Bundesrepublik kann in drei Abschnitte eingeteilt werden. Der erste umfaßt den Zeitraum bis 1965/66, in dem die Geldpolitik v o r allem auf Preisstabilität ausgerichtet war. Zum ersten M a l in ihrer Geschichte bestand für die deutsche Zentralbank seit A n f a n g der 50er Jahre ein wirklicher - nicht nur, wie in den 20er Jahren, ein eingebildeter K o n f l i k t zwischen der Stabilisierung des Außen- und des Binnenmarktes. Die

zeitweilig

angewandte

Doppelstrategie

eines

niedrigen

Zinsniveaus bei knapper Liquidität konnte von der Bundesbank nicht lange durchgehalten werden. Ihre schärfste W a f f e zur Bindung von überschüssiger Liquidität und zur Regulierung des Kreditspielraums der Banken, die nach dem Zweiten Weltkrieg von den U S A übernommene Mindestreservepolitik, setzte sie nur zögernd und zu spät ein: In den 50er Jahren wollte sie zum Wiederaufbau eines funktionierenden Kapitalmarktes beitragen, später orientierte sie sich so lange primär an der Zahlungsbilanz, wie die Preisstabilität nicht ernsthaft gefährdet war. Immer deutlicher wurde, daß in einem System fester Wechselkurse die Preisstabilität ausschließlich mit geldpolitischen Instrumenten nicht erreicht werden konnte. D i e Elastizität des Geld- und Kreditangebots über die Sekundärliquidität blieb auch in Phasen restriktiver Politik sehr groß. Damit änderte sich der Charakter der Geldpolitik. Sie war immer weniger eine Politik zur quantitativen Begrenzung des Zentralbankgeldvolumens und der umlaufenden Geldmenge als eine Zinspolitik, da sie mit ihren Instrumenten das Zinsniveau selbst bei hoher Sekundärliquidität der Banken beeinflussen konnte. D i e Wirksamkeit Geldpolitik war damit jedoch stark begrenzt.

der

G e l d p o l i t i k und Wiederaufbau

44 Geldpolitik als Konjunkturpolitik

Potentialorientierte Geidpohtik

I. E n z y k l o p ä d i s c h e r Ü b e r b l i c k

Dies zeigte sich besonders in den Jahren nach der ersten ern1966/67. Von 1968 bis zum Frühjahr 1973, d.h. bis zur Einführung freier Wechselkurse, stand die Geldpolitik mit geringen Unterbrechungen unter dem Diktat der tatsächlichen oder latenten - bei stabilitätsorientierter Geldpolitik zu befürchtenden - Devisenzuflüsse. Dennoch kam es zum Zusammenwirken der Geldpolitik und der antizyklisch orientierten Fiskalpolitik in dieser zweiten Phase der Geld- und Kreditpolitik. Zunächst tat die Bundesbank nichts, um den erneut einsetzenden Liquiditätszufluß aus dem Ausland durch Mindestreserveerhöhung oder Offenmarktoperationen zu neutralisieren, dann förderte sie die Erweiterung des Liquiditätsspielraums durch Senkung der Mindestreserven und des Diskontsatzes. Im Frühjahr 1969 trat der Wandel ein; von jetzt an zielte die Geldpolitik in die entgegengesetzte Richtung. Es begann der Kampf gegen den Boom und gegen die drohende Beschleunigung des Preisauftriebs. Allerdings gelang es der Bundesbank bis Mitte 1973 nicht, den Geldmarkt wieder in den Griff zu bekommen. Devisenzuflüsse und spekulative Gelder und Refinanzierungsmöglichkeiten im Ausland konterkarierten die geldpolitischen Maßnahmen. Daran änderten auch Aufwertung, Bardepot und vorübergehende Wechselkursfreiheit nichts. Die freien Liquiditätsreserven als geldpolitische Orientierungsgrößen wurden immer mehr in Frage gestellt. sten Krise

Erst die Wechselkursfreigabe im März 1973 ermöglichte es der Bundesbank, das monetäre Geschehen wieder zu kontrollieren und an binnenwirtschaftlichen Erfordernissen auszurichten. Von da an begann ein dritter Abschnitt. Über niedrige Rediskontingente, erhöhte Abgabesätze für Offenmarktpapiere, verstärkte Offenmarktoperationen mit Nichtbanken und erhöhte Mindestreservesätze beschnitt sie die freien Liquiditätsreserven bis auf eine technische Reserve. Damit verlor das monetäre System seine bisherige Elastizität; die Banken wurden wieder von der Refinanzierung der Bundesbank abhängig. Der restriktive Kurs wurde auch in der Ölkrise beibehalten und anschließend nur bedingt gelockert. Mit der Wechselkursfreigabe und der Befreiung der Bundesbank von ihren Interventionspflichten auf den Devisenmärkten gegenüber den wichtigsten Währungen der Welt ging sie nicht nur zu einem scharfen Restriktionskurs, sondern zu neuen monetären Zielgrößen, letztlich zu einem neuen Politikansatz über. Als monetärer Indikator dienten nicht mehr länger die freien Liquiditätsreserven der Geschäftsbanken sowie das Zinsniveau, sondern die Zentralbankgeldmenge, d. h. der Bargeldumlauf plus die Mindestreserven. Mit dieser mittelfristi-

Β. Wirtschaftspolitische Perspektive

45

gen Orientierungsgröße trat an die Stelle der bisherigen antizyklischen, mit der Fiakalpolitik abgestimmten Geldpolitik eine dem mittelfristigen Potentialwachstum - Wachstum des Produktionspotentials, Änderung des Auslastungsgrades des Produktionspotentials, „unvermeidlicher" Preisanstieg, Änderung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes - angepaßte Geldmengensteuerung. Während in den Jahren 1975-1978 die jährlich angestrebte Z u n a h m e des Zentralbankgeldes auf 8% begrenzt wurde, erfolgte seit 1979 die Bekanntgabe eines Zielkorridors mit einer Ober- und Untergrenze für das jährliche Geldmengenziel. Damit schuf sich die Bundesbank einen ausreichenden Spielraum f ü r diskretionäre Eingriffe mit dem herkömmlichen Instrumentarium. Im übrigen unterlag sie nach wie vor interventionistischen Zwängen: Die Vereinbarung fester Wechselkurse im Rahmen des Europäischen Währungssystems erforderte bei Erreichen der Bandgrenze Interventionen der Bundesbank am Devisenmarkt. Darüber hinaus beeinflußte die Bundesbank allerdings auch ohne formale Interventionspflicht den Dollarkurs durch An- und Verkäufe. Die geldpolitische Praxis der Bundesbank war also noch deutlich diskretionär angelegt. Insgesamt sollten durch diese stärker potentialorientierte und tendenziell restriktiv angelegte Geldmengenpolitik das Preisniveau wieder stabilisiert und zugleich die Verteilungsspielräume für eine expansive Lohnpolitik begrenzt werden. In der Deutschen Demokratischen Republik war es oberstes geldpolitisches Ziel der Staatsbank, die „Stabilität des Geldumlaufs" bzw. eine „gleichgewichtige Geldversorgung" zu sichern. Dies galt als verwirklicht, wenn sich das Geldangebot planmäßig u n d in ökonomisch begründeter Relation zur gesamtwirtschaftlichen Güterproduktion entwickelte. Die monetäre Expansionsrate mußte langfristig mit der Wachstumsrate der Produktion übereinstimmen. Obwohl in der D D R die organisatorischen Rahmenbedingungen - Einstufigkeit des staatlichen Bankensystems, vollständige Integration in den zentralisierten Planungs- und Bilanzierungsprozeß sowie umfangreiche administrative Kontroll- und Sanktionsbefugnisse der Staatsbank - günstig erschienen und weder vom Staatshaushalt noch von der Außenwirtschaft starke Störungen ausgingen, gab es immer wieder Probleme. Eine plangerechte Geldversorgung war aus folgenden G r ü n d e n nur bedingt möglich: Unvollkommenheiten der güterwirtschaftlichen Zentralplanung und Bilanzierung, monetäre Fehlentwicklungen beim Einsatz der Lohn- und Prämienfonds als Anreiz- und Kontrollinstrument, Entscheidungs-

Geldpolitik und Planwirtschaft

46

Inflationsprobleme in d e r Planwirt-

I. Enzyklopädischer Überblick

und Handlungsspielräume des privaten Sektors, insbesondere der Haushalte. Eine aktive, kurzfristig agierende und reagierende Geldund Kreditpolitik war daher erforderlich. Bereits in den 50er Jahren traten Probleme auf. Die 1948 neu geschaffene Währung entwickelte sich zwar relativ stabil, da aber die reale Produktion 1957 stark hinter den Planzielen zurückblieb, weitete sich das Geldvolumen zu sehr aus. Die Folge war eine erneute Währungsreform. Auch in der Folgezeit kam es zu Diskrepanzen zwischen monetären ( „ K a u f f o n d s " ) und güterwirtschaftlichen ( „ W a r e n f o n d s " ) Plan- u n d Istgrößen. Das inflatorische Potential eines zu hohen Geldmengenwachstums, wie es bis Ende der 60er Jahre typisch war, zeigte sich allerdings statistisch nicht in einer offiziellen Preisinflation, sondern im Anstieg der Güterpreise auf inoffiziellen Märkten u n d besonders im Anstieg der Geldbestände, vor allem in Form von Sparguthaben des privaten Sektors. Seit den 70er Jahren gelang es der D D R - besser als in anderen sozialistischen Planwirtschaften - , die im Leitungs- und Planungssystem angelegten Diskrepanzen zwischen monetärer und güterwirtschaftlicher Entwicklung gering zu halten. Es blieben aber systemimmanente Funktionsdefizite. Sie lagen vor allem darin begründet, daß die Staatsbank neben ihrer geldpolitischen Aufgabe auch die Funktionen der Kapitallenkung entsprechend den zentralen Planaufgaben zu erfüllen hatte. Hierdurch entstanden häufig Konflikte, die auch durch einzelne Reformen des geld- und kreditpolitischen Instrumentariums nicht gelöst wurden.

3.5 Konjunktur- und

Stabilisierungspolitik

Mit einer Konjunktur- u n d Stabilisierungspolitik sollen folgende Ziele verfolgt werden : Verbesserung der Beschäftigungssituation, Ausgleich des Konjunkturverlaufs, Verstetigung des Wachstumsprozesses, Stabilität des Preisniveaus. Nicht alle Ziele müssen gleichzeitig verfolgt werden. „StabiiisierungsObwohl zur Zeit der Weimarer Republik wie in allen anderen POl tl inflat der Ländern das neoklassische Paradigma herrschte, das staatliche Eingriffe in die Wirtschaft als zwecklos oder sogar schädlich ablehnte, zeigt die Praxis, d a ß sich die aktivere Rolle des Staates nach dem Krieg nicht nur auf den engeren sozialpolitischen Bereich beschränkte, sondern durchaus auch beschäftigungspolitische Stabilisierungsversuche beinhaltete. Die Politik des „deficit spending" über die Notenpresse in der unmittelbaren Nachkriegszeit und in

Β. Wirtschaftspolitische Perspektive

47

den Jahren der Inflation war zwar keine antizyklische konjunkturpolitische Maßnahme, sondern sollte die Demobilmachung erleichtern ; sie zielte aber bewußt auf eine expansive Wirkung, auf einen hohen Beschäftigungsstand ab. Antizyklisch war dagegen die Politik der Reichsregierung in der Krise 1925/26. Von investitionsfördern- K o n j u n k t u r p o l i t i k den Steuersenkungen über staatliche Exportförderungen bis zu um- 1 9 2 5 / 2 6 fangreichen Arbeitsbeschaffungsprogrammen, die mit Anleihen finanziert wurden, reichten die eingesetzten Instrumente. Dahinter stand der gezielte und systematische Versuch, einem konjunkturellen Einbruch mit beschäftigungswirksamen Maßnahmen zu begegnen. Wenn dieser Stabilisierungsversuch aus der Perspektive keynesianischer Konjunkturpolitik auch als „modern" bezeichnet werden kann, für die Bekämpfung der tiefen Depression wenige Jahre später hatte die Finanzierung durch ungedeckte Anleiheermächtigungen wohl eher negative Wirkungen. Auf die Brüningsche Deflations- und Haushaltsausgleichspolitik wurde bereits eingegangen (vgl. Kapitel I.B.3.3.3). Das primäre Ziel war zwar die Streichung Prozyklische Polider Reparationen, dennoch stellte diese Politik auch einen Stabiii- "k'nderWeltwirtschaftsknse

sierungsversuch dar, allerdings einen neoklassischer Provenienz. Letztlich sollten die liberalkapitalistischen Verhältnisse der Vorkriegszeit wiederhergestellt werden: erstens durch den Abbau des Sozialinterventionismus und eine Umverteilung zuungunsten der Arbeitnehmer - dies drückte sich im zurückgeschraubten und ausgeglicheneren Haushalt aus; zweitens durch den Versuch, die PreisLohn-Flexibilität durch eine interventionistische Preis-Kosten-Senkung wiederherzustellen. Den Hintergrund dieser Politik bildete die neoklassische Überzeugung, daß ein möglichst geringer Staatsinterventionismus und ein ausgeglichener Haushalt die besten Voraussetzungen seien, um die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft zu stärken und die Krise zu überwinden. Das Gegenteil war der Fall; die Depression wurde weiter verschärft. Brüning selbst hatte vor, nachdem das außenpolitische Ziel erreicht worden war, zumindest ansatzweise eine aktive Beschäfti. . . . . . .

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