Sprachwandel und Kognition: Elektrophysiologische Untersuchungen zu Synchronisierungen im Varietätenkontakt 351512019X, 9783515120197

Durch die immer stärker werdende Mobilität kommen Sprecher verschiedener Varietäten häufig miteinander in Kontakt. In de

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German Pages 264 [266] Year 2019

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Danksagung
Inhaltsverzeichnis
1 Einführung
2 Lautwandel im 19. und 20. Jahrhundert: eine alte Diskussion
2.1 Ausnahmslosigkeit von Lautwandel
2.2 Unbewusstheit und Gradualität von Lautwandel
2.3 Ausdifferenzierung der Eigenschaften von Lautwandel
3 Lautersatz und -stabilität als Resultat von Interaktionen: die Sprachdynamiktheorie
3.1 Das Konzept der Synchronisierung
3.2 Die Salienz und Bewertung regionaler Merkmale in der Interaktion
4 Für ein integrierendes Modell der Sprachproduktion und -perzeption
4.1 Vorwärtsmodelle als Teilaspekt der Kontrolle dynamischer Systeme
4.1.1 Neurophysiologische Grundlagen
4.1.2 Sensomotorische Kontrolle willkürlicher Bewegungen
4.2 Die Modellierung sprachlicher Interaktionen als gemeinsame Handlung
5 Das Phänomen: Die Entwicklung von mhd. ô
5.1 Die Entwicklung von mhd. ô im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet
5.1.1 Das bairisch-alemannische Übergangsgebiet
5.1.2 Die Entwicklung von mhd. ô
5.2 Die Entwicklung von mhd. ô im Rheinfränkischen
5.2.1 Das Rheinfränkische
5.2.2 Die Entwicklung von mhd. ô
5.3 Erklärungsansätze für die unterschiedliche Entwicklung von mhd. ô in den deutschen Dialekten
5.3.1 Diskussion der Eigenschaften von Lautwandel und Lautersatz
5.3.2 Der sprachdynamische Erklärungsansatz
6 Die Untersuchung dialektaler Kontraste mithilfe der Methode der Elektro-enzephalographie
7 EEG-Experimente zu den deutschen Dialekten
7.1 Planung, Vorbereitung und Durchführung der Experimente
7.1.1 Fragestellung
7.1.2 Vorarbeiten
7.1.3 Herleitung des Designs
7.1.4 Erstellung und Aufnahme des Sprachmaterials
7.1.5 Experimentdurchführung und -auswertung
7.2 Die Bayernstudie: Ergebnisse und neurolinguistische Interpretation
7.2.1 Bedingung 1: Missverstehen
7.2.2 Bedingung 2: Nichtverstehen
7.2.3 Bedingung 3: Potentielles Verstehen
7.3 Die Odenwaldstudie: Ergebnisse und neurolinguistische Interpretation
7.3.1 Bedingung 1: Missverstehen
7.3.2 Bedingung 2: Nichtverstehen
7.3.3 Bedingung 3: Potentielles Verstehen
7.4 Diskussion: Der Einfluss von Varietätenkontakt auf die Verarbeitung und den Wandel dialektaler Sprache
7.4.1 Der Einfluss von Varietätenkontakt auf die Verarbeitung dialektaler Sprache
7.4.2 Der Einfluss von Varietätenkontakt auf den Wandel dialektaler Sprache
8 Resümee
Literaturverzeichnis
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Sprachwandel und Kognition: Elektrophysiologische Untersuchungen zu Synchronisierungen im Varietätenkontakt
 351512019X, 9783515120197

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BEIHEFTE

Manuela Lanwermeyer

Sprachwandel und Kognition Elektrophysiologische Untersuchungen zu Synchronisierungen im Varietätenkontakt

Germanistik

ZDL

Franz Steiner Verlag

zeitschrift für dialektologie und linguistik

beihefte

177

Manuela Lanwermeyer Sprachwandel und Kognition

zeitschrift für dialektologie und linguistik beihefte In Verbindung mit Michael Elmentaler und Jürg Fleischer herausgegeben von Jürgen Erich Schmidt

band 177

Manuela Lanwermeyer

Sprachwandel und Kognition Elektrophysiologische Untersuchungen zu Synchronisierungen im Varietätenkontakt

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit Unterstützung des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst im Rahmen des Forschungsförderungsprogramms Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz (LOEWE).

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2019 Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12019-7 (Print) ISBN 978-3-515-12024-1 (E-Book)

Für Andrea und Ann-Christin

DANKSAGUNG Diese Dissertation wäre ohne meine Kollegen, Freunde und Familie nicht entstanden. Allen voran danke ich meinem Doktorvater JÜRGEN ERICH SCHMIDT für die wissenschaftliche Förderung, die Betreuung meiner Dissertation und die intensiven Gespräche sowie JOACHIM HERRGEN für seine Tätigkeit als Zweitgutachter. Die in der vorliegenden Dissertation ausgewerteten EEG-Untersuchungen entstanden im Rahmen des Teilprojekts „Konstituenten des phonologischen Wortes“ des von der Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlichökonomischer Exzellenz (LOEWE) geförderten Projekts „Fundierung linguistischer Basiskategorien“. Ich danke meinen Kolleginnen und Kollegen ULRIKE DOMAHS, KAREN HENRICH, JOACHIM HERRGEN, MARIE JOSEPHINE ROCHOLL, JÜRGEN ERICH SCHMIDT, HANNI TH. SCHNELL und ALEXANDER WERTH für die spannende und lehrreiche Zusammenarbeit. In besonderem Maße danke ich KAREN HENRICH für die intensiven Diskussionen der neurolinguistischen Komponenten und für die Heranführung an die EKP-Auswertung. Weiterhin möchte ich meinen restlichen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen vom Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas für den fortwährenden fachlichen Austausch und die gute Arbeitsatmosphäre danken. Für ihr Interesse an meiner Arbeit, das Lesen einzelner Kapitel und wertvolle Hinweise danke ich LARS BÜLOW, BRIGITTE GANSWINDT, STEPHANIE LESERCRONAU, FIONA WEISS und ALEXANDER WERTH, für die Hilfe bei den Abbildungen ANNE HENKEL-MATTHEIS. Für die besondere persönliche Unterstützung in der Endphase der Dissertation möchte ich mich bei BRIGITTE GANSWINDT und BETTINA KEHREIN bedanken, die mir mit Rat und Tat zur Seite standen und mir den Freiraum gewährten, die Dissertation abzuschließen. Weiterhin danke ich meinen Marburger Freunden und Bekannten, die mir so manch eine andere Sichtweise gelehrt haben und mein Leben sehr bereichern. In besonderem Maße möchte ich zudem meiner Mutter ANDREA BRUNS und meiner Schwester ANN-CHRISTIN LANWERMEYER für ihren immerwährenden Beistand danken. Auch wenn wir weit entfernt voneinander leben, seid ihr mein heimatlicher Anker.

INHALTSVERZEICHNIS 1 EINFÜHRUNG .......................................................................................... 13 2 LAUTWANDEL IM 19. UND 20. JAHRHUNDERT: EINE ALTE DISKUSSION ............................................................................................ 18 2.1 Ausnahmslosigkeit von Lautwandel .................................................. 20 2.2 Unbewusstheit und Gradualität von Lautwandel ............................... 23 2.3 Ausdifferenzierung der Eigenschaften von Lautwandel .................... 27 3 LAUTERSATZ UND -STABILITÄT ALS RESULTAT VON INTERAKTIONEN: DIE SPRACHDYNAMIKTHEORIE ..................... 32 3.1 Das Konzept der Synchronisierung.................................................... 32 3.2 Die Salienz und Bewertung regionaler Merkmale in der Interaktion 43 4 FÜR EIN INTEGRIERENDES MODELL DER SPRACHPRODUKTION UND -PERZEPTION ...................................... 60 4.1 Vorwärtsmodelle als Teilaspekt der Kontrolle dynamischer Systeme .............................................................................................. 61 4.1.1 Neurophysiologische Grundlagen ........................................... 61 4.1.2 Sensomotorische Kontrolle willkürlicher Bewegungen .......... 64 4.2 Die Modellierung sprachlicher Interaktionen als gemeinsame Handlung ............................................................................................ 74 5 DAS PHÄNOMEN: DIE ENTWICKLUNG VON MHD. Ô .................... 88 5.1 Die Entwicklung von mhd. ô im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet................................................................................. 88 5.1.1 Das bairisch-alemannische Übergangsgebiet .......................... 89 5.1.2 Die Entwicklung von mhd. ô................................................. 102 5.2 Die Entwicklung von mhd. ô im Rheinfränkischen ......................... 120 5.2.1 Das Rheinfränkische ............................................................. 121 5.2.2 Die Entwicklung von mhd. ô................................................. 124 5.3 Erklärungsansätze für die unterschiedliche Entwicklung von mhd. ô in den deutschen Dialekten .................................................. 135 5.3.1 Diskussion der Eigenschaften von Lautwandel und Lautersatz .............................................................................. 136 5.3.2 Der sprachdynamische Erklärungsansatz .............................. 144

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Inhaltsverzeichnis

6 DIE UNTERSUCHUNG DIALEKTALER KONTRASTE MITHILFE DER METHODE DER ELEKTROENZEPHALOGRAPHIE ................ 154 7 EEG-EXPERIMENTE ZU DEN DEUTSCHEN DIALEKTEN ............. 167 7.1 Planung, Vorbereitung und Durchführung der Experimente ........... 167 7.1.1 Fragestellung ......................................................................... 168 7.1.2 Vorarbeiten ............................................................................ 169 7.1.3 Herleitung des Designs.......................................................... 178 7.1.4 Erstellung und Aufnahme des Sprachmaterials .................... 186 7.1.5 Experimentdurchführung und -auswertung ........................... 189 7.2 Die Bayernstudie: Ergebnisse und neurolinguistische Interpretation ............................ 193 7.2.1 Bedingung 1: Missverstehen ................................................. 193 7.2.1.1 Ergebnisse der Bewertungsdaten ............................. 193 7.2.1.2 Ergebnisse der EKP-Daten und Interpretation (Deviant /ro͡asn̩/)...................................................... 194 7.2.1.3 Ergebnisse der EKP-Daten und Interpretation (Deviant /ro͡usn̩/) ...................................................... 198 7.2.1.4 Diskussion der asymmetrischen Effekte ................. 199 7.2.2 Bedingung 2: Nichtverstehen ................................................ 206 7.2.2.1 Ergebnisse der Bewertungsdaten ............................. 206 7.2.2.2 Ergebnisse der EKP-Daten und Interpretation (Primingsätze).......................................................... 207 7.2.2.3 Ergebnisse der EKP-Daten und Interpretation (neutrale Sätze) ........................................................ 210 7.2.3 Bedingung 3: Potentielles Verstehen .................................... 212 7.2.3.1 Ergebnisse der Bewertungsdaten ............................. 212 7.2.3.2 Ergebnisse der EKP-Daten und Interpretation (Primingsätze).......................................................... 212 7.2.3.3 Ergebnisse der EKP-Daten und Interpretation (neutrale Sätze) ........................................................ 214 7.3 Die Odenwaldstudie: Ergebnisse und neurolinguistische Interpretation ............................ 215 7.3.1 Bedingung 1: Missverstehen ................................................. 216 7.3.1.1 Ergebnisse der Bewertungsdaten ............................. 216 7.3.1.2 Ergebnisse der EKP-Daten und Interpretation (Deviant /la͡us/) ........................................................ 216 7.3.1.3 Ergebnisse der EKP-Daten und Interpretation (Deviant /loːs/) ......................................................... 218 7.3.2 Bedingung 2: Nichtverstehen ................................................ 220 7.3.2.1 Ergebnisse der Bewertungsdaten ............................. 220 7.3.2.2 Ergebnisse der EKP-Daten und Interpretation (Primingsätze).......................................................... 221

Inhaltsverzeichnis

7.3.2.3 Ergebnisse der EKP-Daten und Interpretation (neutrale Sätze) ........................................................ 223 7.3.3 Bedingung 3: Potentielles Verstehen .................................... 225 7.3.3.1 Ergebnisse der Bewertungsdaten ............................. 225 7.3.3.2 Ergebnisse der EKP-Daten und Interpretation (Primingsätze).......................................................... 225 7.3.3.3 Ergebnisse der EKP-Daten und Interpretation (neutrale Sätze) ........................................................ 227 7.4 Diskussion: Der Einfluss von Varietätenkontakt auf die Verarbeitung und den Wandel dialektaler Sprache.......................... 228 7.4.1 Der Einfluss von Varietätenkontakt auf die Verarbeitung dialektaler Sprache ................................................................ 229 7.4.2 Der Einfluss von Varietätenkontakt auf den Wandel dialektaler Sprache ................................................................ 237 8 RESÜMEE ............................................................................................... 240 LITERATURVERZEICHNIS ...................................................................... 244

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EINFÜHRUNG

Vom sprachsoziologischen Standpunkt bilden die sekundären Merkmale keine Verkehrshindernisse; dagegen müssen die primären Unterschiede vielfach das gegenseitige Verständnis erschweren. (SCHIRMUNSKI 1930, 184)

Seit über einem Jahrhundert beschäftigt sich die Sprachwissenschaft mit der Frage, aus welchen Gründen und auf welche Art und Weise sich Sprache verändert. Von zentraler Bedeutung ist in in diesem Zusammenhang die dem Sprachwandel zugrundeliegende Einheit. Sind es Phoneme, die sich wandeln, oder doch eher einzelne Lexeme? Hinter dieser bereits im 19. Jahrhundert aufgestellten Dichotomie stehen zwei konträre Konzepte des Sprachwandels. Dem von den Junggrammatikern angenommenen ausnahmslosen Lautwandel steht die Annahme einer lexenweisen Anpassung an prestigereiche Personen oder Varietäten gegenüber. Während Lautwandel im junggrammatischen Sinne unbewusst und phonetisch graduell abläuft, handelt es sich bei dem Gegentyp um eine bewusste phonetisch sprunghafte Anpassung. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde dieses Gegenkonzept von unterschiedlichen sprachwissenschaftlichen Schulen unter den Bezeichnungen Lautersatz und lexikalische Diffusion weiterentwickelt (Kapitel 2). Das in diesem Kontext wichtigste Ergebnis neuerer Untersuchungen ist, dass Lautwandel und Lautersatz bzw. lexikalische Diffusion gleichzeitig in aktuellem Sprachmaterial empirisch nachweisbar sind, wie es Analysen im Rahmen groß angelegter Sprachatlanten zeigen. Während allerdings LABOV in seinem „Atlas of North American English“ überwiegend Lautwandelerscheinungen belegen kann, ist dies in den diachronen Analysen auf Basis WENKERS „Sprachatlas des Deutschen Reichs“ nicht möglich. Anscheinend ist der Zeitraum, für den empirische Daten vorliegen, zu kurz, um Lautwandel in den deutschen Dialekten nachvollziehen zu können. Stattdessen finden sich im Material einerseits lexemweise Veränderungen sowie andererseits Stabilität aller einem Phonem zugehöriger Lexeme. Aus diesem Grund wird in Anlehnung an SCHMIDT (2015, 246–247) für die vorliegende Arbeit davon ausgegangen, dass die diachrone Stabilität eines Phonems dem Typ Lautwandel entspricht und es sich hierbei um einen Abschnitt eines sich sehr langsam vollziehenden Lautwandels handelt. Durch die parallele Existenz von Lautwandel und Lautersatz bzw. lexikalischer Diffusion stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen die Wandeltypen jeweils eintreten. SCHMIDT / HERRGEN (2011) schlagen als prozessauslösenden Faktor die unterschiedlichen interaktiv-sprachkognitiven Konstellationen vor. Gemeint sind sprachkognitiv relevante Konstellationen, wie beispielsweise kollidierende Phonemsysteme und ihre sprachdynamische Wirkung unter dem Aspekt der fortschreitenden Regionalisierung. In der überregionalen bzw. interdialektalen Kommunikation auftretende Phonemkollisionen (= dialektale Strukturdifferenzen)

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Einführung

werden als Auslöser für Verstehensprobleme gewertet, die im Sinne der Sprachdynamiktheorie zu Kompetenzmodifikationen und damit einhergehend zu Phonemwandel führen (= Lautersatz). Fehlen solche Phonemkollisionen in der überregionalen Kommunikation, bilden die phonetisch abweichenden Varianten Allophone, die problemlos verstanden werden. Im Sinne der Sprachdynamiktheorie fehlt somit der Auslöser für Kompetenzmodifikationen, sodass die Kompetenz der Sprecher stabilisiert wird und kein Phonemwandel entsteht (= stabile Allophonie) (Kapitel 3.1, 5.3.2). Der von SCHMIDT / HERRGEN (2011) angenommene Einfluss der überregionalen Verstehbarkeit dialektaler Varianten auf die Sprachkompetenz wurde bereits von SCHIRMUNSKI (1930) im Rahmen der Diskussion um das Abbaupotential dialektaler Varianten genannt (Kapitel 3.2). Demnach unterliegen primäre (auffällige) Merkmale Wortverdrängungsprozessen (= Lautersatz) und erschweren das gegenseitige Verständnis, während sekundäre Merkmale nicht abgebaut werden und grundsätzlich verständlich sind. Wie diese knappe thematische Hinführung zeigt, werden bis heute aus unterschiedlichen Forschungsrichtungen, wie z. B. der Sprachwandel- und Sprachdynamikforschung sowie der Wahrnehmungsdialektologie, Einflussfaktoren auf den Wandel und die Stabilität dialektaler Phoneme diskutiert. Die vorliegende Arbeit leistet einen Beitrag zu dieser Diskussion, indem sie erstmals den Faktor der interdialektalen Verstehbarkeit neurolinguistisch untersucht und in die Diskussion um Lautwandel und Lautersatz einbettet. Ziel der Arbeit ist es, die Annahmen der Sprachdynamiktheorie dahingehend zu überprüfen, ob dialektale Phonemkollisionen in der interdialektalen Kommunikation tatsächlich zu Verständnisproblemen, wie Missverständnissen oder Nichtverstehen, führen. Zudem ist von Interesse, ob abweichende phonetische Varianten wirklich problemlos verstanden werden. In diesem Sinne wird der Einfluss der sprachkognitiven Konstellation auf das Sprachverstehen überprüft. Darüber hinaus ist es Ziel der Arbeit, den Faktor der interdialektalen bzw. überregionalen Verständlichkeit für jeweils ein Phänomen des Lautersatzes und der Stabilität zu untersuchen. Hierdurch wird zusätzlich ein Beitrag zur Diskussion um die Charakteristika der beiden Typen lautlicher Veränderungen geleistet. Die Untersuchung der interdialektalen Verstehbarkeit stellt ein Desiderat der Regionalsprachenforschung dar. Zwar konnte bereits gezeigt werden, dass das Satzverstehen mit zunehmender Dialektalität abnimmt, jedoch liegen bisher keine Ergebnisse vor, die sich auf einzelne Phoneme beziehen lassen. Allerdings sind in der Wahrnehmungsdialektologie einzelne Merkmale auf ihre Auffälligkeit hin untersucht und in Zusammenhang mit ihrem Abbaupotential gebracht worden. Hierbei werden die regionalen Varianten jedoch zumeist in standardsprachliche Sätze eingebettet, um die Bewertungsdaten eindeutig auf das interessierende Phänomen beziehen zu können. Was für den Abbau regionaler Varianten allerdings relevant ist, ist nicht nur die Auffälligkeit der Merkmale (Salienz), sondern auch ihre subjektive Relevanz (Pertinenz). Sprecher bauen beispielsweise solche Merkmale ab, die interaktional inakzeptabel und situativ auffällig sind. Hierbei ist anzunehmen, dass Sprecher möglicherweise über verschiedene situativ abhängige Normhorizonte verfügen. Beispielsweise ist davon auszugehen, dass in formellen

Einführung

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Kontexten als inakzeptabel beurteilte regionale Varianten durchaus in informellen Sprechsituationen als situativ adäquat bewertet werden können. Somit verfügen Sprecher in informellen Situationen über ein gewisses Maß an Normtoleranz, sodass regionale Varianten als angemessen bewertet werden (Kapitel 3.2). Die Untersuchung der interaktionalen Akzeptabilität regionaler Varianten sowie der Normtoleranz in informellen Situationen stellt sich als weiteres Desiderat der Regionalsprachenforschung dar. Die vorliegende Arbeit leistet einen Beitrag zu diesem Aspekt, indem die Bewertung und Verarbeitung verschiedener dialektaler Phoneme im Satzkontext neurolinguistisch untersucht werden. Durch die Konfrontation der Dialektsprecher mit vollständigen dialektalen Sätzen wird ein informeller situativer Rahmen konstruiert, sodass die Hörer ihre Bewertung vor dem Hintergrund ihrer Dialektkompetenz abgeben. Somit gibt die Methode Einblick in die Bewertung und Verarbeitung regionaler Variation in einem regionalsprachlichen Setting. Um die dialektale Verstehbarkeit und die interaktionale Akzeptabilität regionaler Phoneme zu untersuchen, wurde die Methode der Elektroenzephalographie (EEG) gewählt. Der Vorteil des EEG im Vergleich zu anderen neurolinguistischen Methoden ist die hohe zeitliche Auflösung im Millisekundenbereich, sodass exakte zeitliche Abläufe während der Sprachverarbeitung untersucht werden können. EEG-Untersuchungen versprechen insofern einen Mehrwert im Vergleich zu traditionellen Untersuchungsmethoden, als sich die bewusste Bewertung von sprachlichen Stimuli von ihrer Verarbeitung unterscheiden kann. Somit liefert die Methode einen Einblick in die Verarbeitung regionaler Varianten, wie er durch andere Experimente nicht gewonnen werden kann. Für die EEG-Untersuchungen wurde jeweils ein Phänomen herausgegriffen, für das diachrone Analysen einen lexemweisen Wandel bzw. Stabilität belegen. Hierbei handelt es sich um die dialektalen Entsprechungen von mhd. ô, die in den deutschen Dialekträumen unterschiedliche Entwicklungstendenzen zeigen. Während im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet ein lexikalisch gradueller Wandel des /o͡a/-Diphthongs zu /o͡u/ bzw. /oː/ nachweisbar ist, kann im östlichen Teil des Rheinfränkischen ein diachron relativ konstantes Auftreten des /o͡u/Diphthongs belegt werden. Die beiden Phänomene werden jeweils detailliert diachron analysiert, wobei die vorhandenen Orts- und Landschaftsgrammatiken, Sprachatlanten sowie Tonaufnahmen ausgewertet werden (Kapitel 5.1, 5.2). Zur Untersuchung der überregionalen Verstehbarkeit der dialektalen Diphthonge wurde ein völlig neues EEG-Design entwickelt, in dem durch die Präsentation dialektaler Sätze überregionale Kommunikation simuliert wurde. Hierbei wurden Hörer aus dem Mittelbairischen bzw. aus dem rheinfränkischen Monophthonggebiet mit Lexemen konfrontiert, die das bairisch-alemannische /o͡a/ (Bayernexperiment) bzw. das rheinfränkische /o͡u/ (Odenwaldexperiment) beinhalten. Die Entwicklung des Designs wurde dadurch erschwert, dass die dialektologische Fragestellung nicht mithilfe eines klassischen N400-Designs untersucht werden konnte. Bisher wurden regionale Varianten nur unter anderen Fragestellungen, wie beispielsweise der Diskriminierbarkeit, betrachtet. Die meisten bisher durchgeführten EEG-Studien untersuchen dialektale Kontraste mithilfe der Mismatch

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Einführung

Negativity (MMN) (Kapitel 6). Für das aktuelle Design wurde ein OddballParadigma mit ganzen Sätzen und einer semantischen Bewertungsaufgabe entwickelt. Die Herleitung des Designs sowie die weitere Experimentvorbereitung und -durchführung werden in Kapitel 7.1 beschrieben. An dieser Stelle ist anzumerken, dass bei der Zusammenführung zweier Disziplinen, wie der Variations- und Neurolinguistik, verschiedene Schwierigkeiten auftreten. Diese betreffen neben den jeweiligen Anforderungen der Methode und des Forschungsgegenstands zudem die Terminologie. Der Terminus „Standard“ bezieht sich im Rahmen neurolinguistischer Oddball-Experimente auf eine häufig präsentierte Variante, der der Deviant, d. h. eine infrequent eingestreute Variante, entgegensteht. In diesem Sinne wird der Begriff auch in der vorliegenden Arbeit verwendet. Auf die Varietät wird hingegen immer als Standardsprache referiert. Diese begriffliche Differenzierung ist an dieser Stelle unproblematisch, da die Standardsprache für diese Arbeit nur eine untergeordnete Rolle spielt. Die im Rahmen der vorliegenden Arbeit durchgeführten EEG-Untersuchungen stellen den ersten Versuch dar, regionale Variation mithilfe eines direkt auf die Erfordernisse der deutschen Dialektologie angepassten Designs zu untersuchen. Mithilfe der Experimente sollen folgende Fragen beantwortet werden: 1. Lassen sich die von der Sprachdynamiktheorie postulierten interdialektalen Verstehensprobleme (Missverständnisse, Nichtverstehen) für die bairischalemannischen /o͡a/-Varianten im EEG nachweisen? Führt die Verwendung der /o͡a/-Varianten zu erhöhten neuronalen Kosten bei mittelbairischen Hörern? Durch welche neuronalen Effekte wird die Verarbeitung der /o͡a/Varianten reflektiert? 2. Werden die rheinfränkischen /o͡u/-Varianten von den angrenzenden Monophthongsprechern problemlos verstanden? Führt die überregionale Verwendung des /o͡u/-Diphthongs zu vergleichsweise reduzierten Verarbeitungskosten während des Satzverstehens? Die Ergebnisse werden zunächst neurolinguistisch interpretiert (Kapitel 7.2, 7.3) und anschließend in Kapitel 7.4 in Hinblick auf die Frage diskutiert, wie Varietätenkontakt die Verarbeitung und den Wandel dialektaler Sprache beeinflusst. Hierbei werden die Ergebnisse einerseits in Zusammenhang mit den Annahmen der Sprachdynamiktheorie gebracht. Andererseits erfordert die neurolinguistische Untersuchung dialektaler Sprache die Auseinandersetzung mit einem kognitiv und neurobiologisch plausiblen Modell der Sprachproduktion und -perzeption. Hierzu wird in Kapitel 4 das Modell nach PICKERING / GARROD (2013) vorgestellt, welches Interaktionen als ein Ineinandergreifen von Sprachproduktions- und Sprachperzeptionsprozessen versteht und die Sprecher/Hörer-Relation mithilfe von Vorwärtsmodellen moduliert. Da Vorwärtsmodelle Perzeption und Handlung miteinander verbinden, sind sie sehr gut für integrative Modelle der Sprecher/HörerRelation geeignet. Sie wurden zunächst im Rahmen der Motor- und Handlungskontrolle angenommen (Kapitel 4.1) und anschließend auf soziale Interaktionen übertragen (Kapitel 4.2). Die Ergebnisse der für diese Arbeit durchgeführten EEG-Untersuchungen werden ebenfalls im Rahmen des Modells nach PICKERING / GARROD (2013) diskutiert (Kapitel 7.4). Zudem werden weitere Erklä-

Einführung

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rungsansätze für den Einfluss von Varietätenkontakt auf das Sprachverstehen herangezogen. Die EEG-Experimente leisten somit einen Beitrag zu verschiedenen Fragestellungen: Sie liefern Ergebnisse zu den im Rahmen der Sprachdynamiktheorie angenommenen überregionalen Verstehensschwierigkeiten, einen Beitrag zu den Charakteristika von Lautwandel und Lautersatz sowie zur interaktionalen Akzeptabilität von regionalen Varianten. Somit erweist sich die EEG-Methode als eine sinnvolle Ergänzung, um Fragen der rezenten Regionalsprachenforschung zu untersuchen.

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LAUTWANDEL IM 19. UND 20. JAHRHUNDERT: EINE ALTE DISKUSSION

Spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts wird die Einheit von Sprachwandel kontrovers diskutiert. Die junggrammatische Schule, die sich in den 1870er Jahren an der Universität Leipzig vor dem Hintergrund der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft 1 herausbildete, prägte einen spezifischen Begriff des Lautwandels, dessen zentrale Eigenschaften seine Ausnahmslosigkeit, Unbewusstheit und Gradualität sind. OSTHOFF / BRUGMANN (1878, XIII, Sperrung im Original, M. L.) 2 beschreiben Lautwandel folgendermaßen: Aller lautwandel, so weit er mechanisch vor sich geht, vollzieht sich nach a us n a h ms l o se n ge se tz e n, d. h. die richtung der lautbewegung ist bei allen angehörigen einer sprachgenossenschaft, ausser dem fall, dass dialektspaltung eintritt, stets dieselbe, und alle wörter, in denen der der lautbewegung unterworfene laut unter gleichen verhältnissen erscheint, werden ohne ausnahme von der änderung ergriffen.

Ausgehend von diesem Zitat beschäftigt sich das folgende Kapitel mit den Eigenschaften des Lautwandels im junggrammatischen Sinne sowie mit der Kritik an selbigen. Bereits im 19. Jahrhundert wurde die Annahme ausnahmslosen Lautwandels kontrovers diskutiert. Als Grund für lexikalische Unregelmäßigkeiten wurde einerseits die Wortfrequenz gesehen, da hochfrequente Lexeme häufig schneller gewandelt werden als niederfrequente. Andererseits wurde die Debatte von der Überlegung geprägt, dass sich Sprecher bewusst an prestigereiche Varietäten anpassen. Eine extreme Gegenposition zu den Junggrammatikern nahm insbesondere die sich Ende des 19. Jahrhunderts konstituierende Dialektgeographie ein. Mithil-

1

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Ziel der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft war es, die Entwicklung der heutigen Einzelsprachen seit den ältesten Überlieferungen nachzuvollziehen, Sprachverwandtschaften festzustellen sowie eine mögliche Ursprache zu rekonstruieren (vgl. NEU 1974, 314). Als wegweisende Arbeiten dieser Zeit sind SCHLEGEL (1808), BOPP (1816), RASK (1818) und GRIMM (1819–1837) zu nennen (vgl. für einen Überblick über die historisch-vergleichende Sprachwissenschaft beispielsweise GIPPER / SCHMITTER 1985 und GARDT 1999). OSTHOFF / BRUGMANN (1878) liefern nicht die einzige Modellierung von junggrammatischem Lautwandel im 19. Jahrhundert. Das Verständnis der Lautgesetze wurde bereits von PAUL (1995) und DELBRÜCK (1880) revidiert, sodass es sich bei den Lautgesetzen spätestens seit 1880 in erster Linie um ein methodisches Postulat, d. h. um „empirische Gesetze“ (SCHUCHARDT 1885, 33) handelt, die bis heute ihre Berechtigung haben. An dieser Stelle werden die genauen Forschungslinien nicht weiter nachvollzogen (vgl. für eine Übersicht beispielsweise EINHAUSER 1989, EINHAUSER 2001, MURRAY 2010, PUTSCHKE 1969, PUTSCHKE 1998 und SCHNEIDER 1973).

Lautwandel im 19. und 20. Jahrhundert: eine alte Diskussion

19

fe des „Sprachatlas des Deutschen Reichs“ (Wenker-Atlas (WA)) 3 konnte anhand empirischer Daten untersucht werden, ob Individuen ein Phonem tatsächlich in allen Lexemen gleich realisieren und wie sich die jeweiligen Varianten im Raum, d. h. auf der Ebene der Sprachgemeinschaften, verhalten. Insgesamt konnte gezeigt werden, dass die Isoglossen der einem historischen Phonem zugeordneten Lexeme oftmals nicht koinzidieren und somit entgegen der Annahmen der Junggrammatiker Wörter, die unter ein Lautgesetz fallen, eine unterschiedliche räumliche Ausdehnung aufweisen. In der Folge gingen die Anhänger der frühen Dialektgeographie davon aus, dass jedes Wort seine eigene Geschichte habe und setzte die dialektale Variation in den Mittelpunkt der Forschung. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden zwei Termini als Gegenkonzept zum Lautwandel geprägt: der Lautersatz und die lexikalische Diffusion. Somit wurden die bereits im 19. Jahrhundert diskutierten Kritikpunkte in zwei Begriffe zusammengefasst, die sich inhaltlich leicht unterscheiden. Der im Rahmen der Wiener dialektologischen Schule entstandene Begriff des Lautersatzes meint die Umorganisation bereits vorhandenen Lautmaterials und somit eine Veränderung der lexikalischen Distribution von Lauten. Er vollzieht sich sprunghaft und unregelmäßig, da es sich um die potentiell bewusste Umsetzung vorhandener Lauteinheiten mit Wortbindung handelt (vgl. SEIDELMANN 1992, 115–116). Die lexikalische Diffusion hingegen beschreiben WANG / CHENG (1977, 150) folgendermaßen: A closer look at changes in progress […] lead[s] us to conclude that most (not necessarily all) types of phonological change are phonetically abrupt but lexically gradual. […] [W]e hold that words change their pronunciations by discrete, perceptible increments (i. e. phonetically abrupt), but severally at a time (i. e. lexically gradual) rather than always in a homogeneous block.

Es handelt sich also im Gegensatz zum Lautersatz nicht um eine Verschiebung der Phonem/Lexem-Zuordnung, sondern um eine qualitative Veränderung der Laute. Gemeinsam ist den beiden Konzepten allerdings, dass es sich um (pontentiell) bewusste, phonetisch sprunghafte und lexikalisch unregelmäßige lautliche Veränderungen handelt, die im Gegensatz zum Lautwandel auch extern, z. B. durch Varietätenkontakt, motiviert sein können. In den folgenden Unterkapiteln werden die Eigenschaften von Lautwandel, Lautersatz und lexikalischer Diffusion genauer in den Blick genommen.

3

Der „Sprachatlas des Deutschen Reichs“ wurde von GEORG WENKER initiiert, der die deutsche Dialektgeographie begründet (vgl. für eine Übersicht über die Marburger Schule beispielsweise KNOOP / PUTSCHKE / WIEGAND 1989 und KRATZ 1970).

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Lautwandel im 19. und 20. Jahrhundert: eine alte Diskussion

2.1

AUSNAHMSLOSIGKEIT VON LAUTWANDEL

Die erste zentrale Annahme der junggrammatischen Schule ist die der Ausnahmslosigkeit, der zufolge, wie oben bereits angedeutet, „alle wörter, in denen der der lautbewegung unterworfene laut unter gleichen verhältnissen erscheint, […] ohne ausnahme von der änderung ergriffen“ (OSTHOFF / BRUGMANN 1878, XIII) werden. Das bedeutet, dass phonologischer Wandel im Sinne der Junggrammatiker jeweils alle Lexeme betrifft, die das jeweilige Phonem innerhalb einer bestimmten Lautumgebung aufweisen. Grund für die Annahme von ausnahmslosen Lautgesetzen ist, dass im 19. Jahrhundert überraschende Erklärungen für einige bisher ungeklärte Ausnahmen von Lautgesetzen gefunden wurden, wie beispielsweise das Vernersche Gesetz. Somit ist die junggrammatische Doktrin der Ausnahmslosigkeit von Lautgesetzen als eine Absolutsetzung früherer Bestrebungen zu sehen, durch lautliche Entsprechungen Verwandtschaftsverhältnisse indoeuropäischer Sprachen aufzuzeigen (vgl. PUTSCHKE 1969, 21). Den Junggrammatikern zufolge ist Lautwandel rein phonologisch determiniert und somit unabhängig von morphologischen, syntaktischen und semantischen Funktionen des Wortes, in dem der Laut auftritt. Diese fehlende Berücksichtigung des semantischen Einflusses auf den Lautwandel wurde stark kritisiert. Beispielsweise beanstandet SCHUCHARDT (1885, 23, Sperrung im Original, M. L.), dass die Junggrammatiker die „unmittelbar gegebene Verschiedenheit der Wörter“ und somit die Gebrauchsfrequenz nicht einbeziehen, die ihm zufolge von besonderer Wichtigkeit für den Lautwandel ist. Sprachliche Änderungen korrelieren mit der Zahl ihrer Wiederholungen durch die Sprecher, sodass häufig verwendete Wörter schneller vom Lautwandel erfasst werden und so Ausnahmen von den Lautgesetzen durch die Gebrauchsfrequenz erklärt werden können (vgl. SCHUCHARDT 1885, 25). Die Ausnahmslosigkeit von Lautwandel erklärt PAUL (1995, 69) 4 auf individueller Ebene durch die bei allen zugehörigen Lexemen gleichzeitig durchgeführte allmähliche und nichtwahrnehmbare Verschiebung des Bewegungsgefühls 5 eines Lauts. Kritisiert werden kann an dieser Annahme nach JESPERSEN (1887), dass die Aussprache für jedes Wort separat erworben werden muss, da die Aussprache eines Wortes „die nach außen gekehrte Seite des Worts im Gegensatz zu der innern der Bedeutung“ (JESPERSEN 1887, 206) ist. Zudem hat die Koartikulation einen Einfluss auf die Laute, sondass das Bewegungsgefühl nicht für alle Lautumgebungen gleich sein kann. Ein Aspekt, den weder OSTHOFF / BRUGMANN (1878) noch PAUL (1995) explizit diskutieren, ist die zeitliche Komponente, in der sich sprachliche Veränderungen in der Sprachgemeinschaft vollziehen. Wird Lautwandel von allen Mit4 5

Bis 1920 erschienen fünf Auflagen, in denen PAUL in unterschiedlichem Maße Veränderungen vornahm. Im Weiteren wird nach der neusten Version PAUL (1995) zitiert. Das Bewegungsgefühl beschreibt nach PAUL (1995, 49) die Empfindungen, die die Bewegungen der Sprechorgane während der Artikulation begleiten.

Ausnahmslosigkeit von Lautwandel

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gliedern einer Sprachgemeinschaft gleichzeitig in allen betreffenden Wörtern (lexikalisch abrupt) durchgeführt oder vollzieht sich die Veränderung nach und nach (lexikalisch graduell)? Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Annahme ausnahmslos wirkender Lautgesetze lexikalische Gradualität ausschließt, da diese zeitweise Ausnahmen implizieren würde (vgl. HAAS 1998, 837). Auch wenn PAUL (1995) lexikalisch abrupten Lautwandel auf individueller Ebene erklären kann, so schließt PAULS (1995, 63, Sperrung im Original, M. L.) Annahme, dass „die Hauptveranlassung zum Lautwandel in der Übertragung der Laute auf neue Individuen liegt“, „von vornherein die Möglichkeit aus, daß ein Lautwandel sich bei allen Sprechern gleichartig und gleichzeitig vollzieht“ (SCHNEIDER 1973, 40). Über die Regelmäßigkeit eines Lautwandels kann somit erst nach seinem Abschluss entschieden werden, sodass ein Lautgesetz „lediglich eine nachträgliche Fixierung sprachlicher Bewegungsvorgänge“ (PUTSCHKE 1969, 33) darstellt, ohne den genauen Prozess in Raum und Zeit erfassen zu können. Die Annahme ausnahmslosen Lautwandels wird zudem in besonderem Maße durch die Dialektgeographie kritisiert, die anhand des „Sprachatlas des Deutschen Reichs“ zeigen konnte, dass die einem Phonem zugehörigen Lexeme oftmals eine unterschiedliche räumliche Ausdehnung aufweisen. Die Identität der entsprechenden Wortgrenzen war wohl hier und da, keineswegs aber überall vorhanden. Vielmehr zeigten die Einzellinien bald kleinere, bald größere Abweichungen, so daß statt der erwarteten Grenzlinien zumeist nur Grenzzonen sich ergaben, die mitunter eine recht bedenkliche Breite aufwiesen. (WREDE 1919, 9)

Das bekannteste Beispiel für divergierende Grenzlinien sind die Isoglossen, die die im Rahmen der zweiten Lautverschiebung verschobenen hochdeutschen Varianten von den niederdeutschen unverschobenen Konsonanten abgrenzen. Geht man von ausnahmslosem Lautwandel aus, müsste „die Sprache oder Mundart, welche z. B. einstiges water zu hochdeutschem wasser verschoben ha[t], dieselbe Lautverschiebung auch in besser, beißen, füße usw. aufweise[n]“ (WREDE 1919, 8, Kursivierung im Original, M. L.) und dabei die gleichen geographischen Grenzen aufweisen. Allerdings fallen die Isoglossen der einzelnen Lexeme im Westmitteldeutschen nicht zusammen, sondern bilden den sogenannten Rheinischen Fächer, in dem eine schrittweise Abstufung der von dem Lautwandel betroffenen Wörter zu erkennen ist (vgl. BYNON 1981, 166–171). Für die Durchführung der zweiten Lautverschiebung ist dementsprechend weniger eine gleichzeitige phonetisch graduelle Verschiebung verantwortlich als „eine schrittweise verlaufende Ausbreitung über das Lexikon, so daß ein bestimmtes lexikalisches Element zu jedem beliebigen Zeitpunkt entweder noch die alte oder bereits die neue Aussprache besitzt“ (BYNON 1981, 170, Kursivierung im Original, M. L.). Insgesamt ist also die Annahme ausnahmslosen Lautwandels mit der Realität der räumlichen und zeitlichen Variation nicht vereinbar (vgl. GARDT 1999, 287). Auch im 20. Jahrhundert wurde die Ausnahmslosigkeit von Lautwandel weiter diskutiert. Nach WANG / CHENG (1977, 150) verbreiten sich sprachliche Änderungen nach den Prinzipien der lexikalischen Diffusion ausgehend von einzelnen Lexemen nach und nach durch das (gesamte) Lexikon (Wort-für-Wort Wandel).

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Lautwandel im 19. und 20. Jahrhundert: eine alte Diskussion

Von besonderer Wichtigkeit ist, dass im Rahmen der lexikalischen Diffusion für jeden synchronischen Status Heterogenität angenommen wird, die durch den unterschiedlichen Wandelfortschritt der einzelnen Lexeme entsteht. Hierbei ist es möglich, dass Wörter vom Wandel nicht betroffen werden und mit der ursprünglichen Lautung als Ausnahmen übrig bleiben (vgl. WANG / CHENG 1977, 153). Die Autoren exemplifizieren ihre Theorie am Dialekt von Chao-zhou und resümieren: „The evidence presented leads us to the conclusion that the case of lexical diffusion […] must be regarded as an independent system-internal development” (CHENG / WANG 1977, 98). In einer Weiterentwicklung ihres Modells erkennen WANG / LIEN (1993, 354) allerdings auch systemexterne Auslöser, wie Varietätenkontakt, für die lexikalische Diffusion an. Als Grund für lexikalische Unregelmäßigkeiten im Wandelprozess wird wie bereits im 19. Jahrhundert die Frequenz als Erklärungsfaktor herangezogen, d. h. frequente Wörter wandeln sich schneller als infrequente Wörter (vgl. WANG / LIEN 1993, 352). Dies lässt sich an unterschiedlichen Phänomenen, wie beispielsweise der Hebung und Rundung von /a/ vor Nasalen im Altenglischen (vgl. PHILLIPS 1980), Vokalreduktionen im Englischen (vgl. FIDELHOLZ 1975) und der Schwatilgung im Englischen (vgl. HOOPER 1976) nachvollziehen. Dennoch wird die Frequenz als definitorisches Charakteristikum der lexikalischen Diffusion kontrovers diskutiert. Beispielsweise untersucht BYBEE (2002) graduelle, phonetisch bedingte Lautwandelphänomene auf Einflüsse der Frequenz. Sie kann u. a. zeigen, dass die Tilgung von finalem /t/, /d/ im amerikanischen Englisch sowie die Tilgung von intervokalischem /d/, /ð/ in spanischen Dialekten in hochfrequenten Lexemen häufiger auftreten als in niederfrequenten und somit auch potentiell regelmäßiger Lautwandel feine Abstufungen in Abhängigkeit von der Frequenz zeigt (vgl. BYBEE 2002, 61–64). Diese gleichermaßen phonetisch und lexikalisch graduellen Lautveränderungen setzt BYBEE (2002, 68–70) in Bezug zur Exemplartheorie, in der die kognitive Repräsentation eines Wortes durch ein Set von Exemplaren zusammengestellt ist, mit denen das Individuum konkret in Kontakt gekommen ist. Die Repräsentation und damit einhergehend die phonetische Variationsbreite eines Wortes sind ständigem Wandel unterworfen, da in der Kommunikation ständig neue Aussprachevarianten erlebt werden. Auf diese Weise kann ein phonetisch gradueller Lautwandel verschiedene Lexeme in unterschiedlichem Maße betreffen. Somit ist der Einfluss der Frequenz nicht nur für die lexikalische Diffusion nachweisbar, sondern bis zu einem gewissen Grad auch für regelmäßigen Lautwandel. In diesem Zusammenhang untersucht DE OLIVEIRA (1991) die Hebung von [e] > [i] und [o] > [u] in Dialekten des brasilianischen Portugiesischen und zeigt, dass bestimmte Lautumgebungen die Hebung begünstigen, während andere sie erschweren, wobei in beiden Fällen Ausnahmen zu konstatieren sind. DE OLIVEIRA (1991, 100–101) kommt insgesamt zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Hebung um lexikalische Diffusion handeln muss und nimmt ihr zugunsten eine radikale Position ein: I will say that all sound changes are lexically implemented, that is, there are no neogrammarian sound changes (although we can have neogrammarian long-term end results). […] If the neogrammarians had no control of the transition from X to Y in a change of the form

Ausnahmslosigkeit von Lautwandel

23

XY/Z, how can one guarantee that this change was not lexically implemented? All we have is the end result, and even if it is completely regular, that does not prove that the process was not lexically implemented in its earlier stages. (DE OLIVEIRA 1991, 103, Kursivierung im Original, M. L.)

Insgesamt zeigt sich, dass die Einflussfaktoren auf die Regelmäßigkeit von Lautwandel seit dem 19. Jahrhundert bis heute diskutiert werden. Nimmt man von dem naturgesetzlichen und mechanischen Erklärungsansatz der Junggrammatiker Abstand, so ist die Annahme ausnahmslosen Lautwandels als methodisches Postulat bis heute anerkannt (vgl. EINHAUSER 2001, 1344). In der rezenten Diskussion wird die Ausnahmslosigkeit zudem eher als ein Reizwort verstanden, „mit dem die Junggrammatiker ihren Exaktheitsanspruch signalisiert hatten“ (SCHMIDT 2010a, 173). 2.2

UNBEWUSSTHEIT UND GRADUALITÄT VON LAUTWANDEL

Die zweite zentrale Annahme der Junggrammatiker ist, dass Lautwandel unbewusst abläuft. An dieser Stelle greift ein weiterer Abschnitt des oben genannten Zitats von OSTHOFF / BRUGMANN (1878, XIII), in dem das Charakteristikum der Ausnahmslosigkeit auf denjenigen Lautwandel bezogen wird, der „mechanisch vor sich geht“. Nach PUTSCHKE (1969, 34–35) gibt es zwei unterschiedliche Bedeutungen von „mechanisch“, die in diesem Zusammenhang relevant sind. Erstens bezieht sich der Terminus auf den kausalen Zusammenhang von Ursache und Wirkung bei lautlichen Veränderungen, zweitens beschreibt er die unbewusste Veränderung beliebiger Laute durch das einzelne Individuum sowie ganze Sprechergruppen. Als Ursache wurde das Individuum selbst angesehen, „das unbewußt und doch kausal eine willkürliche Auswahl aus dem Lautbestand traf und diesen wiederum unbewußt in eine bestimmte Richtung veränderte“ (PUTSCHKE 1969, 35). Wie bereits in Kapitel 2.1 angedeutet, verstehen die Junggrammatiker Lautwandel als Resultat einer grundsätzlichen Veränderung der Art zu sprechen, die dann alle Laute gleichermaßen betrifft. Diese Einbeziehung des Individuums als sprachwandelauslösenden Faktor stand in gewisser Weise im Gegensatz zur naturwissenschaftlichen Ausrichtung der Sprachwissenschaft im 19. Jahrhundert. Nach SCHLEICHER ([1863] 1977, 88) wurden Sprachen als Naturorganismen verstanden, „die, ohne vom Willen des Menschen bestimmbar zu sein, entstunden, nach bestimmten Gesetzen wuchsen und sich entwickelten und wiederum altern und absterben.“ Kernpunkt dieser Ansicht ist, dass sich die Entwicklung der Sprache dem Willen des Menschen entzieht. Das Verständnis von Sprache als Naturorganismus und die Annahme von ausnahmslos wirkenden Lautgesetzen impliziert eine rein physiologische Erklärung von Lautwandel, d. h. unbewusste Veränderungen in der Verwendung der Sprechorgane (vgl. GARDT 1999, 284–285). Die Junggrammatiker lehnten SCHLEICHERS Organismustheorie ab, da für sie Sprache „kein ding ist, das ausser und über den menschen steht und ein leben für sich führt, sondern nur im individuum ihre wahre existenz hat“, sodass „alle veränderungen im sprachleben nur von den sprechenden inividuen ausgehen können“

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Lautwandel im 19. und 20. Jahrhundert: eine alte Diskussion

(OSTHOFF / BRUGMANN 1878, XII). Dennoch wurde die Organismusauffassung nicht überwunden, da der Mensch nur insofern einbezogen wurde, „als er die Sprache durch ‚seine Sprechwerkzeuge passieren‘ lassen kann“ (SCHNEIDER 1973, 22). Zwar ist der sprechende Mensch Ursache für sprachliche Veränderungen, allerdings verändert er seine Sprache unbewusst, da [j]ede lautliche neigung, welche in einer sprache aufkommt, […] b li nd [wirkt], d. h. so, dass jedes bewusstsein von einer fortentwicklung und umgestaltung des überkommenen sprachstoffs den sprechenden zu der zeit, wo sie die fortentwicklung vollziehen, völlig abgeht (BRUGMANN 1879, 4, Sperrung im Original, M. L.).

Da die Junggrammatiker dem Menschen jegliche willentliche Einflussnahme absprechen, ist Lautwandel im Sinne von OSTHOFF / BRUGMANN (1878) als psychologisch-mechanischer Prozess zu verstehen (vgl. SCHNEIDER 1973, 23–24). Die dritte wichtige Annahme, die mit dem Charakteristikum der Unbewusstheit zusammenhängt, ist, dass sich Lautwandel graduell vollzieht. Dies liegt darin begründet, dass es zwischen verschiedenen Lauten allmähliche, d. h. graduelle, Übergänge gibt. Beispielsweise liegt zwischen zwei Vokalen „eine unbegrenzte Zahl möglicher Stufen des Vokalklanges“ (PAUL 1995, 53), weil es eine unendliche Menge von Abstufungen in den Bewegungen der Sprechorgane gibt. PAUL (1995, 54–55) verwendet das Bild eines Schützen, der sein Ziel verfehlen würde, wenn es nur aus einem einzelnen Punkt ohne Ausdehnung bestünde, und es an seinem Geschoss nur einen Punkt gäbe, um das Ziel berühren zu können. In diesem Sinne ist die variable Aussprache von Lauten unausweichlich, wobei diese „wegen der engen Grenzen, in denen sie sich bewegt, unbeachtet bleibt“ (PAUL 1995, 55). Sprecher können ihre Aussprache nur in dem Maße kontrollieren, in dem sie zur Unterscheidung der Laute fähig sind. In diesem Sinne produzieren sie in Lautwandelprozessen so feine Unterschiede, dass diese nicht als Abweichung wahrgenommen werden können. Die Rolle des Bewusstseins im Lautwandelprozess wurde sehr kontrovers diskutiert. SCHUCHARDT (1885) kritisiert die Annahme von unbewusstem Lautwandel und erkennt in der interindividuellen Übertragung des Lautwandels „keineswegs das ausschliessliche Spiel unbewusster Thätigkeit“, sondern versteht sie als „Sache der Mode, d. h. der bewussten oder doch halbbewussten Nachahmung“ (SCHUCHARDT 1885, 13–14). Sprecher passen sich aus Prestigegründen bewusst an wichtige Persönlichkeiten oder Städter an, was unweigerlich zu lexikalischen Unregelmäßigkeiten führt. Insofern ist nach SCHUCHARDT (1885, 14–15) der Anteil des Bewusstseins am Lautwandel mit der Annahme seiner Ausnahmslosigkeit unvereinbar. In diesem Zusammenhang beschreibt COLLITZ (1879, 321) die Übertragung eines bereits begonnenen Lautwandels auf weitere Individuen folgendermaßen: sie [die Lautumwandlung, M. L.] gefällt denen, welchen sie aufgefallen ist, sie wird mode, sei es dass man ihr aus bequemlichkeit, aus ästhetischen rücksichten oder aus irgend einem anderen grunde folgt. aber man folgt ihr nicht unbewust: man weiss dass man einem neuen brauche huldigt und man will diesem brauche huldigen.

Unbewusstheit und Gradualität von Lautwandel

25

Nachdem ein Lautwandel also im Individuum initiert wurde, richtet sich die Aussprache der restlichen Sprachgemeinschaft „aus Gründen des Geschmacks“ an der Minderheit aus, sodass sich der Lautwandel innerhalb der (gesamten) Sprachgemeinschaft verbreitet (vgl. BEZZENBERGER 1879, 651). An dieser Stelle wird deutlich, dass zwischen der ursprünglichen Entstehung des Lautwandels und seiner Ausbreitung unterschieden wird, wobei vor allem letztere kritisch betrachtet wird. Wichtig ist, dass Lautwandel erst nach und nach auf die Sprachgemeinschaft übertragen wird und es in diesem Prozess zu Schwankungen zwischen dem alten und dem neuen Laut kommt. Der Sprecher kann in derselben minute in demselben satze seinem alten sprachgebrauche folgen und gleich darauf der neuen sprechweise seine worte assimilieren, oder umgekehrt erst der neuen mode sich anschliessen und sogleich in die alte gewohnheit zurückfallen. (COLLITZ 1879, 321)

Somit handelt es sich um einen dynamischeren Prozess als er bei rein physiologischen Ursachen denkbar ist. COLLITZ (1879, 321) nimmt dennoch Lautgesetze an, die sich allerdings allmählich über Generationen hinweg entwickeln und kommt zu dem Schluss, dass es nachträglich zwar so scheint als seien sie „mit einem schlage und gleichsam über nacht mechanisch und unbewust entstanden: in würklichkeit ha[ben sie] eine lange geschichte hinter sich“. Die Bewusstheit im Lautwandelprozess wird auch im 20. Jahrhundert weiter diskutiert. Beispielsweise impliziert die lexikalischen Diffusion nach WANG / CHENG (1977, 150) sprachliche Veränderungen durch „discrete, perceptible increments“. Zwischen Ausgangs- und Endprodukt bestehen dementsprechend größere phonetische Abweichungen, die somit auch wahrnehmbar sind. Nur Abweichungen, die Sprechern auffallen, können überhaupt nachgeahmt werden. Dies steht im Gegensatz zu den graduellen Unterschieden in Lautwandelprozessen, die zu fein sind, um wahrgenommen zu werden. Bei dem Konzept des Lautersatzes hingegen wird die Phonem/LexemZuordnung dadurch verändert, dass „das Gefühl für die Lautreihe, für das Phonem, aus dem vagen Unterbewußtsein ins volle Bewußtsein aufsteigt, daß es wirklich bedacht wird“ (KRANZMAYER 1956, 16). Ermöglicht wird dies durch engen Varietätenkontakt, der einen Vergleich der eigenen und fremden Varianten erlaubt. Durch diesen bewussten Vorgang können Fehler entstehen, die zu Unregelmäßigkeiten im Endresultat führen, sodass häufig Restformen aus dem älteren Bestand übrig bleiben. Auslöser für Lautersatz ist der Wunsch nach sozialer Anerkennung, aber auch nach Verständlichkeit, sodass beispielsweise veraltete unverständliche und sanktionierte Varianten ersetzt werden. Hier zeichnet sich ein sehr wichtiger Unterschied zum Lautwandel ab: Lautersatz ist extern motiviert, da „ein äußerer Umstand, die Gesellschaftsordnung im Streben nach dem scheinbar Besseren“ (KRANZMAYER 1956, 17) hineinwirkt. 6 6

SEIDELMANN (1992) setzt für Lautwandel und Lautersatz noch verschiedene Unterkategorien an, die die Dichotomie von Lautwandel und Lautersatz aufweichen. Beispielsweise geht er

26

Lautwandel im 19. und 20. Jahrhundert: eine alte Diskussion

Das Charakteristikum des Bewusstseins im Lautwandel wird weiterhin von SEIDELMANN (1992, 122–123) kritisch diskutiert, der eine kategorische Antwort auf eine Beteiligung des Bewusstseins ablehnt. Unter Rückbezug auf SIGMUND FREUD und dessen Unterscheidung der drei Systeme des Bewussten, des Vorbewussten und des Unbewussten kommt er zu dem Schluss, dass es sich bei Lautwandel und Lautersatz in beiden Fällen um unbewusste Mechanismen handelt. Bewusst ist nämlich nur das aktuell Bewusste, sodass „die aktuellen Bewußtseinsinhalte […] nach Abzug der Aufmerksamkeit vorbewußt [werden] – hier verbleiben sie im Zustand der Latenz, als nicht (aktuell) bewußte, aber bewußtseinsfähige Inhalte, die jederzeit aktualisiert werden können“ (SEIDELMANN 1992, 122). Ort der Sprachkompetenz ist somit das Vorbewusste, das Potentiell-Bewusste. Der Unterschied zum Lautwandel liegt nun darin, dass Lautersatz aktuell unbewusst geschieht, aber bewusstseinsfähig ist. Lautersatz ist also durch eine aktuelle (aufhebbare) Unbewusstheit charakterisiert, während Lautwandel als rein physiologischer Vorgang unterhalb der Bewusstseinsschwelle bleibt (nicht aufhebbare Unbewusstheit). Als interessante Studie, die den Faktor der Bewusstheit im Lautwandelprozess beleuchtet, ist KUFNER (1962) zu nennen, der sich mit der Münchner Stadtmundart beschäftigt. Während das Vokalsystem altmünchnerischer (AM) Sprecher Nasalvokale umfasst, fehlen diese im jungmünchnerischen (JM) Vokalsystem. Nach KUFNER (1962, 73) kann der Zusammenfall von Oral- und Nasalvokalen als Lautwandel klassifiziert werden, der sich ausnahmslos im JM Dialekt vollzogen hat. Als Grund sieht er die geringe funktionelle Belastung der Nasalvokale. Dieser Lautwandel ist unbewusst abgelaufen, was KUFNER (1962, 73) dadurch erklärt, dass die JM Sprecher keinen Unterschied zwischen nasalen und oralen Varianten wahrnehmen. Die Daten zeigen außerdem Lautersatzphänomene, 7 die durch den Varietätenkontakt zur Standardsprache entstanden sind. KUFNER (1962, 73) findet für den JM Dialekt in einigen Wörtern die gerundeten Vorderzungenvokale /y/ und /ø/, die im AM Vokalsystem nicht vorhanden waren. Er beschreibt diesen Prozess als wortweise Übernahme, weil die altdialektalen Varianten in bestimmten Lexemen noch vorkommen, während in anderen Lexemen bereits die neuen Varianten auftreten. Somit umfasst das JM Vokalsystem zwei Phoneme mehr als

7

davon aus, dass die Nachahmung prestigereicher Formen auch zu (adaptivem) Lautwandel führen kann und zwar dann, wenn kein Lautersatz möglich ist. Dieser Fall tritt ein, wenn der angestrebte prestigereichere Laut nicht Teil des eigenen Phonemsystems ist und somit nicht einfach ersetzt werden kann. Da fremde Laute nur über Lautwandel entstehen und nicht direkt übernommen werden können, muss das Lautmaterial in der Konsequenz dementsprechend verändert werden, wobei hier die als Vorbild fungierende Variante anhaltend wirken muss. Bei der externen Motivation entscheidet also das Phoneminventar der Sprecher welcher Mechanismus, d. h. Wandel oder Substitution, angewendet werden kann (vgl. SEIDELMANN 1992, 117). Auffällig ist, dass KUFNER (1962) Lautersatz nicht als eine Umstrukturierung bereits vorhandener Phoneme (Veränderung der lexikalischen Distribution) versteht, sondern als Adaption neuer Phoneme aus der Kontaktvarietät.

Unbewusstheit und Gradualität von Lautwandel

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das AM Inventar. Begründet werden kann dies durch den „Einfluß der ‚feineren‘ Hochsprache auf die als weniger fein empfundene Mundart“, was „zur Entlehnung zweier Vokalphoneme in die Mundart“ (KUFNER 1962, 69) führte. Somit fungiert die Standardsprache als Vorbild, dem sich die Sprecher absichtsvoll anpassen. Insgesamt kommt KUFNER (1962, 74) nach seiner Analyse der Phänomene zu folgendem Schluss: Bei der zuletzt beschriebenen Entwicklung, dem Lautersatz, liegen die Gründe klar: Durch Anpassung an das Lautbild der Hochsprache versucht der individuelle Sprecher des größeren Prestiges teilhaftig zu werden, von dem die Hochsprache umgeben ist. Anders beim unbewußten Lautwandel, wo wir die eigentlichen Ursachen nie mit letzter Sicherheit ergründen können.

Insgesamt zeigt sich, dass der Einflussfaktor der Bewusstheit in Zusammenhang mit der Gradualität seit dem 19. Jahrhundert bis heute kontrovers diskutiert wird. Von Relevanz ist in diesem Zusammenhang auch der Auslöser von Sprachwandel, der für Lautersatz in der Anpassung an eine prestigereichere Varietät gesehen wird, während bei Lautwandel überwiegend systeminterne Gründe diskutiert werden. 2.3

AUSDIFFERENZIERUNG DER EIGENSCHAFTEN VON LAUTWANDEL

Ende des 20. Jahrhunderts entstanden in der amerikanischen und deutschen Forschungstradition groß angelegte moderne Sprachatlanten, die eine empirisch exakte Analyse lautlicher Veränderungen sowie diachrone Vergleiche ermöglichten. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang einerseits der „Atlas of North American English“ (ANAE) (LABOV / ASH / BOBERG 2006) sowie andererseits verschiedene rezente Sprachatlanten des deutschen Sprachgebiets (vgl. SCHMIDT / HERRGEN / KEHREIN 2008 ff.). Von zentraler Bedeutung ist, dass die umfangreichen Daten der Sprachatlanten die Existenz verschiedener Lautwandeltypen nahelegen. Einerseits gibt es Lautwandelerscheinungen, die im junggrammatischen Sinne lautphysiologisch erklärt werden können, und andererseits gibt es auch Phänomene, die so nicht erklärbar sind und deren Auftreten zunächst planlos und sporadisch erscheint (vgl. WENKER 1886, 190–191). Aus diesem Grund wird in der jüngeren Forschung vor allem die Frage diskutiert, unter welchen Bedingungen welcher Wandeltyp auftritt und anhand welcher interner und externer Faktoren diese weiter differenziert werden können. Ziel ist es zudem eine Theorie zu entwickeln, die die verschiedenen Typen lautlicher Veränderungen berücksichtigt (vgl. LABOV 2010a, 422). In diesem Zusammenhang differenziert SCHMIDT (2010a, 177) drei verschiedene Wandeltypen basierend auf Daten aus dem Wenker-Atlas sowie modernen Regionalatlanten. Bei Typ 1 fallen die Isoglossen im Wenker-Atlas zusammen und zeigen in rezenten Daten keinerlei Veränderung. Dieser Typ wird als Lautwandel im junggrammatischen Sinne bzw. als Stabilität, die nach SCHMIDT /

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Lautwandel im 19. und 20. Jahrhundert: eine alte Diskussion

HERRGEN (2011, 192) als abgeschlossener Sprachwandel interpretiert werden kann, klassifiziert. Möglicherweise ist aber auch das untersuchte Zeitfenster zwischen 1880 und 1980 zu klein, um Lautwandel abbilden zu können. In kurzzeitdiachronen Analysen der deutschen Dialekte konnte bisher kein regelmäßiger Lautwandel beobachtet werden, weil die „Veränderungsgeschwindigkeit eines solchen Prozesses […] so gering sein [dürfte], dass sie in einem Zeitfenster von einem Jahrhundert nicht zu erfassen ist“ (SCHMIDT 2015, 246–247). Bei Typ 2 und Typ 3 sind die Isoglossen für die verschiedenen Lexeme, die einem historischen Phonem angehören, in den Wenker-Daten gestaffelt. In den rezenten Daten sind bei Typ 2 nur noch Reliktformen vorzufinden, während das Merkmal bei Typ 3 ganz abgebaut wurde. Das bedeutet also, wenn unter identischen Distributionsbedingungen die Grenzen (= Verbreitungsgebiete) der einem Phonem zugehörigen Lexeme [differieren], so ist dies ein sicheres Anzeichen dafür, dass zum Erhebungszeitpunkt ein phonologischer Wandlungsprozess im Gange war. (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 193)

Dieser lexikalisch graduelle Wandelprozess kann als Wort-für-Wort Umphonologisierung bezeichnet werden (vgl. SCHMIDT 2010a, 177), wobei dieser Terminus mit dem Konzept des Lautersatzes gleichzusetzen ist (vgl. SCHMIDT 2015, 246) und durch die graduelle Verschiebung der Phonem/Lexem-Zuordnung (lexikalische Distribution) charakterisiert ist. Auslöser für Wort-für-Wort Umphonologisierungen sind Verstehensprobleme in der überregionalen Kommunikation, die durch strukturelle Differenzen in den Kompetenzen und damit einhergehenden Phonemkollisionen im Varietätenkontakt herbeigeführt werden. Somit wird der für den Lautersatz häufig angenommene externe Faktor Prestige durch den funktionalen Wunsch verstanden zu werden erweitert. SCHMIDT / HERRGEN (2011, 174– 212) beschreiben das Charakteristikum der interdialektalen Verstehbarkeit für die Unterscheidung von phonologischer Stabilität im Vergleich zur Wort-für-Wort Umphonologisierung detailliert am Beispiel der Entwicklung von mhd. ô in verschiedenen deutschen Dialekten (vgl. Kapitel 5.3.2). In den Daten des ANAE hingegen kommt Lautwandel im junggrammatischen Sinne weit häufiger vor als die lexikalische Diffusion. Die amerikanischen Lautverschiebungen, wie beispielsweise der Northern Cities Shift und der Southern Shift, zeigen keinerlei lexikalische Irregularität, dafür aber phonetisch graduelle Verschiebungen sowie Abhängigkeit von der Lautumgebung. Zudem gibt es einige Phänomene, für die lexikalische Diffusion nachweisbar ist, wie beispielsweise die Spaltung von /a/ im Dialektsystem Philadelphias (vgl. LABOV 2010a, 455– 456). Um den Eigenschaften von Lautwandel und lexikalischer Diffusion auf den Grund zu gehen, untersucht LABOV (2010a) zwei Phänomene, die jeweils eindeutig einem Wandeltyp zugeordnet werden können. Hierbei handelt es sich um zwei rezente Entwicklungen von /a/ in Philadelphia: die Spaltung von /a/ in gespanntes

29

Ausdifferenzierung der Eigenschaften von Lautwandel

/æh/ 8 und ungespanntes /æ/ sowie die Hebung von gespanntem /æh/. Die Spaltung von /a/ entsteht durch die gespannte Realisierung von /æ/ in bestimmten Lexemen (engl. tensing). Während das Tensing von /æ/ nach den Prinzipien der lexikalischen Diffusion abläuft, ist die Hebung von /æh/ lexikalisch regelmäßig. Tabelle 1 gibt eine Übersicht über die diskutierten Eigenschaften, die im Weiteren skizziert werden. Raising of /æh/

Tensing of /æ/

1

Lexical diffusion found

no

yes

2

Discrete

no

yes

3

Phonetic differentiation

single feature

many features

4

Phonetic conditioning

precise

approximate

5

Grammatical conditioning

no

yes

6

Social affect

yes

no

7

Categorically perceived

no

yes

8

Learnable

easily

with great difficulty

Tabelle 1:

Gegensätzliche Eigenschaften zweier Wandelphänomene in Philadelphia (nach LABOV 2010a, 527)

Eine bereits bekannte Eigenschaft ist, dass regelmäßiger Lautwandel von phonetischen, aber nicht von grammatischen Bedingungen abhängt. Dies gilt auch für die Hebung von /æh/, deren phonetische Bedingungen präzise beschrieben werden können, während grammatische Eigenschaften keine Rolle spielen. Aber auch für das Tensing von /æ/ ist die phonetische Lautumgebung zumindest teilweise ausschlaggebend. Es können allerdings nicht alle Ausnahmen erklären werden, sodass die phonetische Lautumgebung nur annähernde Ergebnisse für die Erklärung des Wandels liefert (vgl. LABOV 1981, 284–286). Eine weitere bekannte Eigenschaft ist, dass regelmäßiger Lautwandel phonetisch graduell verläuft, während sich die lexikalische Diffusion in sprunghaften, diskreten Schritten vollzieht. Dies zeigt sich auch anhand der beiden genannten Phänomene. Bei dem Tensing von /æ/ gibt es einen Bruch zwischen den beiden Kategorien, der anhand von Formantmessungen nachgewiesen werden kann. Im Vergleich dazu besteht die Hebung von /æh/ aus einer kontinuierlichen Folge kleiner Schritte. Dieser Unterschied hängt auch mit den beteiligten phonetischen 8

Gemeint ist ein langer, zentraler bis geschlossener Vokal mit einem zentralisierenden inglide, wie beispielsweise [eːə] (vgl. LABOV 1981, 284). Der glide wird durch das /h/ angezeigt (vgl. LABOV 2010a, 505).

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Lautwandel im 19. und 20. Jahrhundert: eine alte Diskussion

Eigenschaften zusammen. Durch die Veränderung von bis zu vier phonetischen Eigenschaften ist das Tensing von /æ/ viel komplexer als die Hebung von /æh/, bei der es nur eine phonetische Veränderung gibt (vgl. LABOV 2010a, 503–506). LABOV (2010a, 507–511) betrachtet die beiden Phänomene außerdem in Hinblick auf soziale Bedingungen. Hier zeigt das Tensing von /æ/ keinerlei soziale Differenzierung oder Stigmatisierung. Die ältesten aufgenommenen Sprecher der Oberschicht und der Arbeiterklasse stimmen in ihren Vokalsystemen überein. Die genauen Distributionsbedingungen der Phonemspaltung ist den Sprechern nicht bewusst, sodass lexemweise variierende Aussprachevarianten nicht beanstandet werden. Im Vergleich dazu korreliert die Hebung von /æh/ mit sozialen Faktoren, wie Alter, Klasse und Geschlecht. Die Variante ist stigmatisiert und wird häufig in Diskussionen in Zusammenhang mit dem Dialekt Philadelphias genannt. Subjektive Bewertungstests zeigen ein sehr einheitliches Bild innerhalb der Sprachgemeinschaft Philadelphias und reflektieren die unterschiedliche Realisierung von /æh/ in den sozialen Schichten. LABOV (2010a) führt außerdem den Faktor der Lernbarkeit ins Feld und bezieht sich auf PAYNE (1976), die den Erwerb unterschiedlicher Typen von Lautwandel in Philadelphia durch 34 Kinder, deren Eltern nicht aus Philadelphia stammen, untersucht. Leider konnte die Hebung von /æh/ nicht einbezogen werden, da das Phänomen auch in den Dialekten der Eltern vorkommt. Stattdessen analysiert sie andere graduelle Lautverschiebungen und zeigt, dass die Kinder die neuen Varianten zu 40–68% vollständig erworben haben. Hierbei spielt das Alter eine Rolle, in dem die Kinder mit dem Dialekt Philadelphias in Kontakt gekommen sind. Der graduelle Lautwandel wird von allen Kindern leicht erlernt, die vor dem 10. Lebensjahr nach Philadelphia gezogen sind; vor dem 5. Lebensjahr erlernen die Kinder sogar 60–70% der Varianten (vgl. LABOV 1981, 287–288). Der Erwerb der Varianten des Tensings von /æ/ hingegen ist ungleich schwieriger, da hierbei nur ein Kind Erfolg zeigt. Um die Varianten richtig zu erlernen, müssen bereits die Eltern des Kindes aus Philadelphia stammen, da nur so dem Kind distinkte zugrundeliegende Vokale für die verschiedenen Lexeme vermittelt werden können. Besitzt man diese Distinktion nicht, ist es sehr schwierig, die Phonemspaltung später zu erlernen (vgl. LABOV 2010a, 518–526). Als weiteren unterscheidenden Punkt zwischen den beiden Phänomenen nennt LABOV (1981, 289–293) die kategorische Wahrnehmung. Während die Varianten, die durch das Tensing von /æ/ entstehen, kategorisch wahrgenommen werden, ist dies bei der Hebung von /æh/ nicht der Fall. Für einen Diskriminationstest wurden die Formanten des Lexems mad auf 10 verschiedene Weisen von [mæːd] über [mɛː‹əd] nach [miˇəd] variiert, was der Entwicklung des Lautwandels entspricht. Die Experimentteilnehmer mussten einerseits Items als Typ 1 oder Typ 2 kategorisieren und andererseits nach dem Hören von drei Lexemen (Typ 1 – Typ 2 – Typ1/Typ 2) beurteilen, ob es sich bei dem letzten Item um Typ 1 oder Typ 2 handelt. Die Ergebnisse zeigen eine scharfe Trennung zwischen den beiden Variantentypen, was eine phonematische Grenze zwischen gespanntem und ungespanntem /a/ nahelegt, die somit als zwei distinkte Phoneme im System repräsentiert sind. Zusätzlich wurden diese Diskriminationstests auch mit Sprechern

Ausdifferenzierung der Eigenschaften von Lautwandel

31

durchgeführt, deren System nur das gespannte /æh/ aufweist, welches sich im Prozess der Hebung befindet. Die Mehrheit der 18 Teilnehmer zeigte Variation bei 4–7 Lexemen und 6 Hörer konnten die Items gar nicht kategorisieren. Dies legt die Annahme nahe, dass für die Varianten im Rahmen der Hebung von /æh/ keine phonematische Grenze anzusetzen ist. Aufbauend auf seinen Ergebnissen kommt LABOV (2010a, 541–542) zu dem Ergebnis, dass sich junggrammatischer Lautwandel in „low-level output rules“, d. h. also bei Wandel auf der allophonischen Ebene, und die lexikalische Diffusion in der „redistribution of an abstract word class into other abstract classes“ finden. Hiermit sind zwei Pole genannt, ohne aber auszuschließen zu wollen, dass viele Phänomene, die eine Kombination der genannten Eigenschaften aufweisen, zwischen den Endpunkten angesiedelt werden müssen. Schlussendlich kommt LABOV (2010a, 542, Hervorhebung im Original, M. L.) zu folgenden Definitionen und Beschreibungen der beiden Wandeltypen: Regular sound change is the result of a gradual transformation of a single phonetic feature of a phoneme in a continuous phonetic space. It is characteristic of the initial stages of a change that develops within a linguistic system, without lexical or grammatical conditioning or any degree of social awareness („change from below”). Lexical diffusion is the result of the abrupt substitution of one phoneme for another in words that contain that phoneme. The older and newer forms of the word will usually differ by several phonetic features. This process is most characteristic of the late stages of an internal change that has been differentiated by lexical and grammatical conditioning, or has developed a high degree of social awareness or of borrowing from other systems („change from above”).

Insgesamt zeigt die neuere Forschung, dass die Frage nach der Einheit sprachlichen Wandels noch immer aktuell ist. Durch neue Methoden konnten weitere unterscheidende Eigenschaften von Lautwandel und Lautersatz bzw. lexikalischer Diffusion nachgewiesen werden. Viele Phänomene erfüllen allerdings nicht alle Eigenschaften des einen oder anderen Typs, sodass eine Skala zwischen den beiden Extrempolen anzunehmen ist. Die vorliegende Arbeit widmet sich dem Einflussfaktor der interdialektalen bzw. überregionalen Verstehbarkeit und kann somit einen Beitrag zur Lautwandeldiskussion aus neurolinguistischer Sicht leisten und zusätzliche Evidenz für ein traditionelles Problem liefern.

3

LAUTERSATZ UND -STABILITÄT ALS RESULTAT VON INTERAKTIONEN: DIE SPRACHDYNAMIKTHEORIE

Die deutsche Gesamtsprache ist durch ein Zusammenspiel unterschiedlicher diatopischer, diastratischer und diaphasischer Varietäten geprägt, die stetig miteinander in Kontakt stehen. Varietäten werden in dieser Arbeit als „durch je eigenständige prosodisch-phonologische und morphosyntaktische Strukturen bestimmte und mit Situationstypen assoziierte Ausschnitte des sprachlichen Wissens“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 51) verstanden. Auf der einen Seite hat die überregionale Verbreitung der deutschen Standardaussprache durch die Medien in vielen Sprechsituationen zu einer Annäherung an die Standardsprache geführt. Auf der anderen Seite kommen Sprecher unterschiedlicher regionaler Varietäten durch die immer stärker werdende Mobilität häufig miteinander in Kontakt. Auch hier sind Anpassungen zwischen Varietäten beobachtbar. Eine Theorie, die sich der Erklärung von Phonemwandel und -stabilität durch Interaktionen zwischen Sprechern mit unterschiedlichen Kompetenzen und damit z. B. Sprechern, die über unterschiedliche Varietäten verfügen, widmet, ist die Sprachdynamiktheorie nach SCHMIDT / HERRGEN (2011). Das Kernstück der Theorie bildet das Konzept der Synchronisierung, welches in drei Unterarten differenziert wird. Von diesen Typen der Synchronisierung werden im Folgenden nur diejenigen besprochen, die durch personellen Kontakt entstehen (Mikrosynchronisierung und Mesosynchronisierung). Die Makrosynchronisierung, die eine Anpassung an eine gemeinsame Norm (Standardsprache) meint (vgl. SCHMIDT / HERRGEN 2011, 32–34), wird nicht thematisiert, da sie für die in dieser Arbeit durchgeführten Experimente nicht zentral ist. Im folgenden Kapitel geht es zunächst um die Beschreibung der Synchronisierung und anschließend um steuernde Faktoren, d. h. um Erklärungen, wann Kompetenzveränderungen und damit lautliche Veränderungen zu erwarten sind. Hierbei werden vorrangig interdialektale Kontaktsituationen fokussiert, obwohl natürlich die Standardsprache in allen Sprechsituationen allein dadurch gegenwärtig ist, dass die Sprecher neben dialektalen auch über standardnähere Sprechlagen verfügen. 3.1

DAS KONZEPT DER SYNCHRONISIERUNG

Die Sprachdynamiktheorie basiert auf der Annahme, dass Sprache synchron und diachron heterogen ist und integriert somit die Dimensionen der Sprachvariation und des Sprachwandels. Diese Annahme impliziert, dass alle Mitglieder einer Sprachgemeinschaft über unterschiedliche Kompetenzen verfügen, was u. a. damit zusammenhängt, dass Sprecher jeweils nur mit einem kleinen Teil der Sprachgemeinschaft interagieren und sich hierbei in unterschiedlichen Stadien ihres sprachlichen Lebenslaufs befinden. Durch diese Kompetenzdifferenzen sind sprachliche

Das Konzept der Synchronisierung

33

Veränderungsprozesse herleitbar, die dadurch entstehen, dass Sprecher mit unterschiedlichen System- und Registerkompetenzen 9 interagieren und „entsprechend ihren kommunikativen Zielen kognitive, in der Regel unbewusste Optimierungsstrategien anwenden“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 20). Hierbei spielt die konstitutive Zeitlichkeit des dynamischen Sprachsystems eine wichtige Rolle, die einerseits auf der einzelnen sprachlichen Interaktion und ihren kognitiven Reflexen sowie andererseits auf den Zeitabschnitten, in denen Sprecher interagieren, beruht (vgl. SCHMIDT / HERRGEN 2011, 25). Die immanente Zeitlichkeit der einzelnen Interaktion basiert auf den Sprachproduktions- und Sprachverstehensakten. In den Sprachproduktionsakten wird das eigene sprachliche Wissen „in Beziehung zu den Verstehensmöglichkeiten und Kommunikationserwartungen“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 25–26) des Gesprächspartners gesetzt und hierfür der entsprechende Ausschnitt des Sprachwissens aktiviert. Zentral ist hierbei der Wunsch verstanden zu werden, sodass der Sprecher Strategien zur Verständnissicherung anwendet (vgl. hierzu BUBLITZ 2001). Hierbei „überprüft und kontrolliert er sie [die Hörer, M. L.] anhand des Rückmeldeverhaltens, um Verständnisdiskrepanzen rechtzeitig zu erkennen“ (BUBLITZ 2001, 1332). Die Dynamik der Einzelinteraktion ergibt sich dementsprechend aus der Rückkopplung durch den Gesprächspartner, der z. B. Nichtverstehen, partielles Verstehen, Nichterfüllung einer Sprachverhaltenserwartung oder vollständiges Verstehen, vollständige Erfüllung der Sprachverhaltenserwartung signalisiert. 10 Diesen Abgleich von Kompetenzdifferenzen, der direkt mit einer Stabilisierung bzw. Modifizierung der Kompetenz verbunden ist, bezeichnen SCHMIDT / HERRGEN (2011, 28) als Synchronisierung. Grundsätzlich gibt es in jeder Interaktion Kompetenzdifferenzen zwischen den beteiligten Sprechern, weil keine zwei Sprecher über die gleiche Kompetenz verfügen. Die weiteren Ausführungen werden allerdings auf Kompetenzdifferenzen zwischen Sprechern unterschiedlicher dialektaler Varietäten bezogen. Für die Erklärung von phonologischen Wandelerscheinungen in den deutschen Dialekten durch Synchronisierungen ist u. a. die Unterscheidung zwischen Missverständnis und Nichtverstehen relevant. FALKNER (1997) differenziert zunächst zwischen Missverstehen und Missverständnissen, wobei ersteres das Hyperonym darstellt und das scheinbare gegenseitige Verständnis bedeutet. Dieses muss nicht zwangsläufig von den Interaktionspartnern als Missverstehen erkannt werden. Im Vergleich dazu kann von Missverständnissen gesprochen werden, wenn mindestens einer der Interaktionspartner bemerkt, dass das von dem Sprecher (S) Gemeinte nicht mit dem vom Hörer (H) Verstandenen übereinstimmt (vgl. FALKNER 1997,

9

SCHMIDT / HERRGEN (2011, 38) definieren System- und Registerkompetenz als „individuelle Verfügung über Varietäten und Sprechlagen […], wobei die Systemkompetenz sich auf das Inventar der sprachlichen Elemente und Regeln, die Registerkompetenz auf die Regeln der situationsadäquaten Verwendung bezieht“. 10 Wie sich negative Rückkopplungen in Gesprächen konkret darstellen, ist Thema verschiedener Untersuchungen, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll (vgl. hierzu z. B. PUTZ 2007, MARTI 2001 und HINNENKAMP 1998).

34

Lautersatz und -stabilität als Resultat von Interaktionen: die Sprachdynamiktheorie

1). Etwas genauer betrachtet, kann man sich den zugrundeliegenden Prozess folgendermaßen vorstellen: Ein Mißverständnis hat sich ereignet, wenn sich die Bewußtseinszustände Us und Uh, die bei S und H aufgrund eines von S produzierten lautlichen Ereignisses oder auch im weiteren Sinn aufgrund einer von S vollzogenen kommunikativen Handlung entstehen, hinsichtlich der jeweils enthaltenen kommunikativen Funktion – Fs und Fh – voneinander unterscheiden und wenn sich H und/oder S dieser Differenz im weiteren Verlauf der Interaktion bewußt werden. (FALKNER 1997, 83, im Original hervorgehoben, M. L.)

Genau dieser Fall ist ein möglicher Auslöser für Synchronisierungen, weil Hörern eine Diskrepanz zunächst auffallen muss, um eine negative Rückkopplung zu geben. Nach SCHMIDT / HERRGEN (2011, 181–183) entstehen Missverständnisse zwischen Varietäten z. B. durch unterschiedliche Phonem/Lexem-Zuordnungen. Demnach können Lexeme mit formal ähnlichen Phonemen in unterschiedlichen Dialekten mit verschiedenen Bedeutungen verbunden sein. Dies ist z. B. im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet und im Mittelbairischen der Fall, da im ersteren die dialektale Entsprechung von mhd. ô und mhd. ei /o͡a/ ist, während im Mittelbairischen zwei Phoneme differenziert werden (mhd. ô > /o͡u/, mhd. ei > /o͡a/) (vgl. für die genaue Beschreibung des Phänomens Kapitel 5.1.2 und Kapitel 5.3.2). Diese unterschiedliche Phonem/Lexem-Zuordnung in den Räumen kann zu Missverständnissen bei Lexemen aus mhd. ô und damit zu negativen Rückkopplungen führen, wenn sie ein Minimalpaar mit Lexemen, die auf mhd. ei zurückgehen, bilden (z. B. Rose – Reise, Brot – breit, Bohne – Beine). Auch FALKNER (1997, 105–109) sieht varietätenbedingte Unterschiede als eine Ursache für Missverständnisse an. Abgegrenzt werden kann das Missverständnis vom Nichtverstehen, auch wenn dies in der Empirie nicht immer eindeutig möglich ist, da es sich in beiden Fällen um eine Kommunikationsstörung handelt. Nach FALKNER (1997, 161) wird sich der Hörer beim Nichtverstehen des Kommunikationsproblems direkt bewusst, „weil keine plausible Interpretation des lautlichen Ereignisses zustande kommt, bei einem Mißverständnis dagegen nimmt H zunächst keine Störung wahr.“ Beim Nichtverstehen kann der Hörer das lautliche Ereignis nicht sinnvoll interpretieren, „während ein Mißverständnis das Ergebnis eines Interpretationsvorgangs ist“ (FALKNER 1997, 162). In der Interaktion führt das dazu, dass beim Nichtverstehen im Vergleich zum Missverständnis zumeist direkt eine Rückfrage gestellt wird. Hierbei muss zwischen offenen und gerichteten Rückfragen unterschieden werden. Offene Rückfragen, wie z. B. Wie bitte?, signalisieren, dass mögliche Interpretationen gar nicht erst in Erwägung gezogen werden, sodass solche Rückkopplungen eindeutig als Nichtverstehen identifiziert werden können. FALKNER (1997, 164) gibt allerdings folgendes Beispiel für ein varietätenbedingtes Nichtverstehen mit einer gerichteten Rückfrage: [S und H unterhalten sich am Telefon. H, Freundin von S und O, ist bei S und O am Abend des gleichen Tages zum Essen eingeladen.] S:

35

Das Konzept der Synchronisierung H: >>>Einen HUMmer? 65 Jahre) und mittlere Generation (< 45 Jahre) in einem Radius von ca. 15 km um den Augsburger Hauptbahnhof herum, um die Veränderungssensitivität einzelner dialektaler Merkmale und somit Tendenzen des Dialektwandels im Raum Augsburg 60 zu untersuchen. Für das hier interessierende ostlechische Gebiet liegen Daten zu 30 Orten vor, an denen für mhd. ô vor Obstruent die Lexeme groß und hoch erfragt wurden. Die Ergebnisse zeigen einerseits, dass der fallende Diphthong /ɔ͡ə/ an allen Orten mindestens einmal realisiert wurde und andererseits, dass im intergenerationellen Vergleich eine Tendenz zur monophthongischen Lautung auszumachen ist (vgl. RENN 1994, 53–54, 188). Zudem ist anzumerken, dass /ɔ͡ɐ/ < mhd. ô auch für das außerhalb des bundesdeutschen Gebietes liegende bairisch-alemannische Übergangsgebiet nach WIESINGER (1983) gilt (vgl. RUDOLF 1934, 211). Es gibt weitere Dialektbeschreibungen, die keine historische Darstellung des Dialekts beinhalten, sondern Wortlisten umfassen. Beispielsweise wird für Peiting eine Schreibung mit oa für mhd. ô in Lexemen, wie z. B. Boaza ‘Reisigbündel’, groaß ‘groß’, hoach ‘hoch’, Loas ‘Mutterschwein’, Noat ‘Not’, roat ‘rot’, Oaschtra ‘Ostern’, verwendet (vgl. FLIEGAUF 1972). WÖLZMÜLLER (1987) nennt in seiner Wortliste zu den Besonderheiten des Lechrainischen beispielsweise Boarza ‘Reisigbündel’, Hoazat ‘Hochzeit’, koaddi ‘voll Erde, schmutzig’ und Noad ‘Not’. Zu nennen sind zudem die dialektalen Wortlisten von LECHNER (1983a, 125–321) für Rehling und LECHNER (1983b, 70–194) für Aindling, Rehling und Todtenweis. Im „Aichacher Mundart-Lexikon“ wird für die meisten Lexeme neben dem /o͡a/-Diphthong auch die /o͡u/-Variante angegeben (vgl. CHRISTL 1988).61 Auch im „Neuen Bayerischen Wörterbuch“, welches allerdings großregionale Varianten des Ober- und Niederbayerischen einbezieht, wird oa neben ou für Le59 Die untersuchten Orte sind Beuerbach, Dünzelbach, Egling, Eismerszell, Heinrichshofen, Inning, Jesenwang, Kottgeisering, Landsberied, Moorenweis, Scheuring, Schöngeising und Walleshausen. 60 Anzumerken ist, dass Augsburg nicht zum bairisch-alemannischen Übergangsgebiet zu zählen ist, sondern im Schwäbischen liegt und somit an dieser Stelle nicht in die Betrachtung einbezogen wird (vgl. hierzu z. B. BIRLINGER 1862). NÜBLING (1991, 305) merkt an, dass auch wenn „Augsburg ganz am Rande des schwäbischen Sprachgebietes liegt und sehr dem Einfluß der volkreichen Landeshauptstadt ausgesetzt ist, […] sich hier kaum bairische Sprachformen einnisten“ konnten. Beispielsweise hat sich trotz dem im Ostlechrain auftretenden /o͡a/ < mhd. ei in Augsburg die Variante /o͡i/ gehalten (vgl. NÜBLING 1991, 303). 61 Beispiele hierfür sind Schoa:dn ‘Baumrinde’, Koad, Koud, Kood ‘Erdreich, Humus’, groaß, grouß ‘groß’, Hoa:zadd, Hou:zadd ‘Hochzeit’, Loas ‘Mutterschwein’, road, roud ‘rot‘, Doad, Doud ‘Tod’.

106

Das Phänomen: die Entwicklung von mhd. ô

xeme wie beispielsweise groß, Mutterschwein und rot angegeben (vgl. RINGSEIS 1985). Im Weiteren soll die diachrone Entwicklung des /o͡a/-Diphthongs aus dialektgeographischer Sicht ausgehend von WENKERS „Sprachatlas des Deutschen Reichs“ nachvollzogen werden. Denn über die einzelnen Ortsgrammatiken hinaus geben mehrere Sprachatlanten Auskunft über die dialektale Realisierung des mhd. ô-Phonems im betreffenden Raum. Als moderne Sprachatlanten sind der „Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben“ (SBS) (KÖNIG 1998), der „Sprachatlas von Oberbayern“ (SOB) (EICHINGER 2011) und der „Ergänzungsband Sprachregion München“ (REIN 2005) zu nennen. 62 Abbildung 16 bildet das /o͡a/-Gebiet im bairisch-alemannischen Kontaktraum nach den Daten des Wenker-Atlasses Ende des 19. Jahrhunderts ab. Sie zeigt die originalgetreuen Isoglossen, wie sie bei einer Überblendung aller abgefragten Lexeme mit mhd. ô vor Obstruent, d. h. Brot, groß, hoch, roten und tot, entstehen. Für das interessierende /o͡a/-Gebiet zeigt sich, dass die Isoglossen zum Mittelbairischen hin lexemweise differieren. Dies gilt insbesondere für das Lexem Brot, für das im Gebiet östlich des Lechs die Leitform /oː/ eingetragen wurde, während /o͡a/ überwiegend nur im westlichen Teil des Gebietes auftritt. Diese Besonderheit von Brot im Vergleich zu tot und groß stellte bereits WENKER (2013, 171, Kursivierung im Original, M. L.) in seinem Kartenkommentar zu Brot fest: „Eine zweite Abweichung ist die, daß sich zwischen broat und brout ein breiter Streifen mit brōt einschiebt, der mit dem Lech beginnt und östlich bis München reicht und dem weder bei gross noch bei tot etwas entspricht“. Es sind also einzellexemische Unterschiede bei der Realisierung von mhd. ô feststellbar.

62 Einen ersten Eindruck liefern auch die Karten Schnee / böse / groß des „Kleinen Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben“ (vgl. KÖNIG / RENN 2007, 47) und die Karte Stroh im „Kleinen Bayerischen Sprachatlas“ (RENN / KÖNIG 2006, 44).

Die Entwicklung von mhd. ô im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet

107

Abbildung 16: Das /o͡a/-Gebiet für mhd. ô im bairisch-alemannischen Kontaktgebiet Ende des 19. Jahrhunderts (Wenker-Atlas) am Beispiel der Lexeme groß, hoch, roten und tot (oben) sowie Brot (unten) überblendet mit dem Übergangsgebiet nach WIESINGER (1983)

108

Das Phänomen: die Entwicklung von mhd. ô

Diese Unterschiede zeigen sich auch in den für das Untersuchungsgebiet relevanten rezenten Regionalatlanten, die die dialektalen Realisierungen des mittelhochdeutschen Langvokalismus untersuchen. Im SBS wurden zwischen 1984 und 1989 durchschnittlich 3,5 ortsfeste Gewährspersonen (59% männlich) pro Ort mit einem Durchschnittsalter von 73,65 Jahren befragt, die überwiegend einen Volksschulabschluss besitzen sowie in der Landwirtschaft tätig sind bzw. waren (vgl. KÖNIG 1997, 22–24). Für den SOB liegt leider kein Einführungsband vor, der Auskunft über das Durchschnittsalter der Informanten gibt. Die Sprachdaten wurden allerdings zwischen 1991 und 1998 erhoben. Im Altas zur Sprachregion München schließlich wurden pro Ort 8 Sprecher befragt, d. h. jeweils ein männlicher und ein weiblicher Informant pro Sozialgruppe (dialektale versus non-dialektale Kommunikation am Arbeitsplatz) und Alter (jüngere und mittlere Generation) (vgl. REIN 2005, 26). Mithilfe der modernen Regionalatlanten SBS und SOB ist eine exakte Nachverfolgung der diachronen Entwicklung der Lexeme Brot, groß und hoch möglich, wobei hoch nur im SOB abgefragt wurde. Die Daten beider Atlanten wurden für die Analyse zusammengefasst, sodass auf sie im Weiteren als BSA („Bayerische Sprachatlanten“) referiert wird. Im Folgenden werden diese mit den Daten des Wenker-Atlasses ortsgenau verglichen. Hierzu wurde ein reduziertes Ortsnetz erstellt, welches genau die Orte umfasst, für die Daten aus beiden Sprachatlanten vorliegen. Zudem wurde ein Ausschnitt gewählt, der westlich vom Lech begrenzt wird sowie östlich bis wenige Kilometer hinter Erding reicht. Der genannte Ausschnitt umfasst 183 Ortspunkte. In drei Fällen musste auf den Wenkerbogen aus der im BSA angeführten übergeordneten Gemeinde zurückgegriffen werden, da der BSA-Ort kein Wenker-Ort ist. An einigen Orten existieren für eins der Lexeme keine rezenten Daten, sodass das Ortsnetz bei den einzelnen Vergleichen leicht differiert. Zudem liegt im Wenker-Altas pro Ort genau eine Variante vor, während im BSA teilweise mehrere Varianten genannt werden. Dies entsteht einerseits durch die Befragung mehrerer Gewährspersonen pro Ort und andererseits durch die Abstufung von Erinnerungsformen und rezenten Varianten sowie durch Überschneidungen zwischen SOB und SBS im Ortsnetz. In Übereinstimmung mit LAMELI (2013, 297) wurden für den diachronen Vergleich die einzelnen Varianten zu Monotypen reduziert. Dementsprechend wurden offene und geschlossene Varianten der ersten Diphthongkomponenten von /o͡u/ (z. B. [o͡u], [o̝͡u], [ɔ͡u]) und /o͡a/ (z. B. [o͡a], [ɔ͡a]) zusammengefasst, da sich solche feinphonetischen Unterschiede nicht mit den indirekt erhobenen Wenker-Daten vergleichen lassen. Zum Typen /o͡a/ wurden auch die phonetischen Varianten mit verschiedenen Öffnungsgraden im zweiten Diphthongteil (z. B. [o͡ə], [ɔ͡a], [ɔ͡ə̞]) gezählt. Ob diese zusammengefasst werden sollten, bereitete zunächst einige Schwierigkeiten. Da allerdings beispielsweise im SBS die offenen Varianten nach Teuthonista z. B. als o̜ə̜, o̜ɐ wiedergegeben und sogar noch Varianten dazwischen angegeben werden, scheint eine Differenzierung in zwei Monotypen hier im Vergleich zu den Wenker-Daten nicht sinnvoll zu sein. Zudem wurden auch Diphthongoide, halblange sowie zentralisierte Varianten zu den jeweils steigenden oder fallenden Diphthongen gerechnet.

Die Entwicklung von mhd. ô im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet

109

Im Weiteren werden die verschiedenen Varianten, die für die drei Lexeme Brot, groß und hoch vorkommen, im Ganzen quantitativ diachron verglichen (vgl. Tabelle 6).

Brot

groß

hoch Tabelle 6:

n

Typ /o͡a/

Typ /o͡u/

Typ /oː/

Typ /a͡u/

sonstige

WA

177

12 6,78%

3 1,69%

190

-

WA

152

6 3,95%

BSA

168

WA

111

SOB

119

80 52,63% 74 44,05% 39 35,14% 28 23,53%

122 68,93% 132 69,47% 35 23,03% 18 10,71% 30 27,03% 10 8,40%

11 6,21%

BSA

29 16,38% 58 30,53% 29 19,08% 74 44,05% 29 26,13% 79 66,39%

2 1,32% 2 1,19% 4 3,60% 2 1,68%

9 8,11% -

Diachroner Vergleich der Varianten von Brot, groß und hoch im Wenker-Atlas und in den „Bayerischen Sprachatlanten“ (SBS und SOB)

Für das Lexem Brot umfasst das Ortsnetz 177 Orte. Die Daten des Wenker-Atlas zeigen vier Varianten, die mehr als 10 Mal vorkommen sowie drei unter „sonstige“ zusammengefasste Varianten, die nur einmal auftreten. Bei den letzteren handelt es sich um oi, öu und oau. Die Schreibung oau kann nicht eindeutig einem Variantentyp zugeordnet werden, da im USG fallende und steigende Diphthonge nebeneinander auftreten und die Buchstabenfolge beide Artikulationsrichtungen umfasst. Anders sieht es beispielsweise bei Schreibungen wie aou aus, die eine schließende Artikulationsbewegung nahelegen und somit zum Variantentyp au gezählt werden können. Die vorherrschende Variante beim Lexem Brot ist mit 122 Orten (68,93%) eindeutig ō, die zweithäufigste Variante ist ou (29 Orte, 16,38%) und weitaus seltener treten die Varianten oa (12 Orte, 6,78%) und au (11 Orte, 6,21%) auf (vgl. Abbildung 17). 63 Die Daten des BSA umfassen nur noch zwei Variantentypen, nämlich /oː/ (132 Orte, 69,47%) und /o͡u/ (58 Orte, 30,53%) (vgl. Abbildung 18). Das nur einmal vorkommende /ɔː/ wurde dem Monophthong /oː/ zugerechnet. An 13 Orten kommen Monophthong und Diphthong bzw. Diphthongoid nebeneinander vor. Der diachrone Vergleich zeigt insgesamt, dass der /o͡a/-Diphthong im

63 Während für die drei erstgenannten Typen keine unterschiedlichen Schreibungen vorkommen, wurden für den Variantentyp au die Schreibungen ahu, au, auu und aou zusammengefasst.

110

Das Phänomen: die Entwicklung von mhd. ô

USG in den neueren Daten für das Lexem Brot nicht mehr vorkommt und die Varianten /oː/ und /o͡u/ nebeneinander auftreten, auch wenn /oː/ die weitaus häufigere Variante ist. Den Daten von REIN (2005) zufolge wird die Variante /bro͡ut/ in der mittleren und jüngeren Generation in der Sprachregion München nur noch in Ausnahmefällen als Erinnerungsform genannt, während /broːt/ die verbreitete Form ist (vgl. REIN 2005, 198). Für das Lexem groß umfasst das Ortsnetz 152 Orte. Die häufigste im USG vorkommende Variante um 1880 ist mit 52,63% oa (80 Orte) (vgl. Abbildung 19). Weitere Varianten sind ō (35 Orte, 23,03%), ou (29 Orte, 19,08%) sowie au (6 Orte, 23,03%). 64 Als sonstige Variante tritt zweimalig oau auf. In den Daten des BSA kommt /o͡a/ nur noch in 74 Orten (44,05%) 65 und /oː/ in 18 Orten (10,71%) vor (vgl. Abbildung 20). Dafür tritt die Variante /o͡u/ in 74 Fällen, also deutlich erhöht im Vergleich zu den Wenker-Daten, auf. Als sonstige Varianten wird zweimal /ø͡i/ genannt. 66 Das Lexem hoch wurde nur für den SOB abgefragt, sodass das Ortsnetz nur 111 Orte umfasst. In den Wenker-Daten liegt folgende Variantenverteilung vor: oa (39 Mal, 35,14%), ou (29 Mal, 26,13%), ō (30 Mal, 27,03%), au (9 Mal, 8,11%) (vgl. Abbildung 21). 67 Als sonstige Varianten treten oau (2 Mal), oi und a (jeweils 1 Mal) auf. Der SOB liefert folgende Daten: Typ /o͡a/ (28 Mal, 23,53%) 68, Typ /o͡u/ (79 Mal, 66,39%) sowie Typ /oː/ (10 Mal, 8,40%) (vgl. Abbildung 22).

64 Zum letzten Variantentyp wurden ahu, au, ao und aou zusammengefasst, zum Variantentyp oa wurde auch das zweimal vorkommenden ua gerechnet. 65 Differenziert man die Varianten mit offenem und geschlossenem zweiten Diphthonganteil, so tritt /o͡a/ 53 Mal (31,55%) und /o͡ə/ 21 Mal (12,50%) auf. 66 Die /ø͡i/-Varianten beschreibt REIN (2005, 194) als Kompromissform im Übergangsraum zwischen den beiden Hauptgebieten mit /o͡a/- und /o͡u/-Lautung (Pufferzone), die allerdings stark rückläufig zugunsten von /o͡u/ bzw. /oː/ ist (vgl. hierzu auch STÖR 1999a, 301–302). 67 Für au wurden die Schreibungen au, aou und ao zusammengefasst. 68 Differenziert man die Varianten mit offenem und geschlossenem zweiten Diphthonganteil, so tritt /o͡a/ 26 Mal (21,85%) und /o͡ə/ 2 Mal (1,68%) auf.

Die Entwicklung von mhd. ô im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet

Abbildung 17:

Die dialektale Realisierung von mhd. ô im Lexem Brot im Wenker-Atlas

Abbildung 18:

Die dialektale Realisierung von mhd. ô im Lexem Brot im BSA

111

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Das Phänomen: die Entwicklung von mhd. ô

Abbildung 19:

Die dialektale Realisierung von mhd. ô im Lexem groß im Wenker-Atlas

Abbildung 20:

Die dialektale Realisierung von mhd. ô im Lexem groß im BSA

Die Entwicklung von mhd. ô im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet

Abbildung 21:

Die dialektale Realisierung von mhd. ô im Lexem hoch im Wenker-Atlas

Abbildung 22:

Die dialektale Realisierung von mhd. ô im Lexem hoch im SOB

113

114

Das Phänomen: die Entwicklung von mhd. ô

Insgesamt zeigt der diachrone Vergleich, dass sich bereits um 1880 die Vorkommenshäufigkeit der Variante /o͡a/ bei den Lexemen Brot, groß und hoch unterscheidet. Hierbei muss allerdings berücksichtigt werden, dass für hoch die Daten aus dem SBS fehlen, und somit das Gebiet, in dem /o͡a/ überwiegend vorkommt, nicht abgebildet werden kann. Zudem konnte nachgewiesen werden, dass /o͡a/ bei allen drei Lexemen reduziert wurde. Während bei Brot im BSA kein /o͡a/ mehr nachweisbar ist, tritt der Diphthong bei groß noch zu ca. 44% und bei hoch zu ca. 24% auf. Es liegt bei den Lexemen also eine Reduktion um 9–12% vor.69 Auch hier muss berücksichtigt werden, dass durch die fehlenden Daten aus dem SBS für hoch ein Teil des bairisch-alemannischen Übergangsgebiets fehlt, sodass sich die Prozentangaben nicht eins zu eins mit denen der anderen Lexeme vergleichen lassen. Weiterhin ist auffällig, dass au in den rezenten Daten in keinem Fall vorkommt. Dass diese Variante um 1880 auftritt, ist möglicherweise durch laienlinguistische Fehlschreibungen erklärbar. In diesem Fall wäre die dialektale Realisierung eines stark geöffneten /ɔ͡u/ an dieser Stelle möglicherweise den Buchstaben au zugeordnet worden. Allerdings kann diese Annahme nicht durch zeitgenössische Interpretationen gestützt werden. Zwar bemerkt WENKER (2013, 175, Kursivierung in Original, M. L.) bei seiner Besprechung des Südwestblattes von groß : Mitten durch das Blatt zieht sich von Norden nach Süden ein breiter Streifen mit groass hindurch, das im nördlichsten Teile, in der Mittelmaingegend, mit grå̄ss, grāss abwechselt. Östlich von diesem Streifen wird ganz Bayern von grouss eingenommen. Die Schreibung ist in den einzelnen Orten sehr mannigfach, |7| es wechseln -ou-, -au-, -ō-, -oau-, aou, -a-u-, im Osten selbst -eo- mit einander ab.

Allerdings liefert er keine Interpretation dieser auftretenden Variation. Leider wird diese Variabilität der Schreibungen auch nicht in den zusätzlich erschienenen Texten zum Wenker-Atlas besprochen, in denen nur das Lexem hoch in einem sehr kurzen Absatz thematisiert wird (vgl. WREDE 1952, 319). Die Diskussion soll an dieser Stelle allerdings nicht weiter vertieft werden. Interessanter ist stattdessen die Verteilung der Varianten /o͡u/ und /oː/. Während für Brot damals wie heute zu ca. 70% Monophthonge auftreten, ist die Situation bei groß und hoch andersherum. Hier kamen beide Schreibungen ursprünglich in sehr ähnlicher Häufigkeit vor (groß : ca. 19–23%, hoch : ca. 26–27%). Die rezenten Daten zeigen allerdings einen starken Anstieg der diphthongischen Form (um ca. 25% bei groß und ca. 40% bei hoch) und eine Reduzierung der monophthongischen Varianten (um ca. 13% bei groß und ca. 19% bei hoch). Auch dies ist möglicherweise durch die Laienschreibung im Wenker-Atlas zu erklären. Die Schreiber waren sich des feinen

69 Lexemweise Unterschiede bei der Reduktion von /o͡a/ zwischen 1880 und 1980 lassen sich für groß und hoch nur nachweisen, wenn die Varianten mit offenem und geschlossenem zweiten Diphthonganteil differenziert betrachtet werden. In diesem Fall ist der Wandel bei groß weiter vorangeschritten als bei hoch, da für das erste Lexem eine Reduktion um ca. 21% vorliegt, während sich im zweiten Fall /o͡a/ um ca. 13% reduziert.

Die Entwicklung von mhd. ô im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet

115

Unterschieds zwischen /oː/ und /o͡u/ möglicherweise nicht bewusst bzw. interpretierten ihren Diphthong als Äquivalent zur schriftsprachlichen Variante. 70 Die phonetisch geschulten Exploratoren des BSA transkribieren natürlich viel feiner. Neben dem oben durchgeführten Gesamtvergleich ist zudem von Interesse, wie sich die einzelnen Varianten pro Ortspunkt verändert haben. Es geht also beispielsweise um die Frage, welche Varianten aktuell in den Orten vorkommen, an denen in den Wenker-Daten der /o͡a/-Diphthong realisiert wurde (vgl. hierzu Tabelle 7). Führt man diesen Vergleich für das Lexem Brot durch, so zeigt sich, dass sich oa in 11 Fällen (84,62%) zu /oː/ und in 2 Fällen (15,38%) zu einem /o͡u/Diphthongoid entwickelt hat. Betrachtet man zudem die weiteren Varianten Ende des 19. Jahrhunderts, so fällt auf, dass ō in 93 Fällen (70,99%) erhalten geblieben ist und sich 38 Mal (29,01%) zu /o͡u/ entwickelt hat. ou hingegen ist 12 Mal (38,71%) stabil geblieben und wird in den rezenten Daten 19 Mal (61,29%) monophthongisch realisiert. Die nur im WA vorkommende Variante au hat sich in 5 Fällen (41,67%) zu /o͡u/ und in 7 Fällen (58,33%) zu /oː/ entwickelt. Bei den anderen Lexemen ist eine höhere Variabilität in den rezenten Daten beobachtbar. Bei groß bleibt oa 66 Mal (71,74%) 71 stabil, während es sich 11 Mal (11,96%) zu /oː/ und 15 Mal (16,30%) zu /o͡u/ entwickelt hat. Betrachtet man die anderen Varianten, so ist ou in nahezu allen Fällen stabil geblieben (28 Mal, 93,33%) und hat sich nur in jeweils einem Fall (3,33%) zu /oː/ bzw. /ø͡i/ entwickelt. ō hingegen hat sich überwiegend zu /o͡u/ (25 Mal, 65,79%) verändert und bleibt nur in 4 Fällen (10,53%) stabil. In 8 Fällen tritt /o͡a/ (21,05%) sowie ein Mal /ø͡i/ (2,63%) auf. Für den Diphthong au wird in den rezenten Daten in 4 Fällen /o͡u/ (66,67%) und in 2 Fällen /oː/ (33,33%) realisiert. Bei hoch hingegen bleibt oa in 27 Fällen (62,79%) 72 erhalten, während es in den rezenten Daten in 7 Fällen (16,28%) als Monophthong und in 9 Fällen als /o͡u/ (20,93%) angegeben wird. ou bleibt in allen 29 Fällen erhalten, während ō überwiegend als /o͡u/ (28 Mal, 87,50%) realisiert wird und nur in je einem Fall (3,13%) erhalten bleibt bzw. die Variante /o͡a/ aufweist. In insgesamt 2 Fällen (6,25%) tritt in den aktuellen Daten /ø͡i/ auf. Die Variante au schließlich wird zu 100% (9 Mal) in den aktuellen Daten als /o͡u/ wiedergegeben.

70 Das Thema der Laienschreibung soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden (vgl. hierzu detailliert z. B. GANSWINDT 2017 oder auch im Zusammenhang mit der Salienzforschung LENZ 2010, 103–105). 71 Differenziert man die Varianten mit offenem und geschlossenem zweiten Diphthonganteil, so entwickelt sich oa zu 21,74% zu /o͡ə/, während es zu 50% erhalten bleibt. 72 Differenziert man die Varianten mit offenem und geschlossenem zweiten Diphthonganteil, so entwickelt sich oa zu 4,65% zu /o͡ə/, während es zu 58,14% erhalten bleibt.

116

Das Phänomen: die Entwicklung von mhd. ô

WA

oa

ou

ō

au Tabelle 7:

BSA

Brot

groß

hoch

/o͡a/

0

0,00%

66

71,74%

27

62,79%

/oː/

11

84,62%

11

11,96%

7

16,28%

/o͡u/

2

15,38%

15

16,30%

9

20,93%

/o͡u/

12

38,71%

28

93,33%

29

100%

/oː/

19

61,29%

1

3,33%

-

-

/ø͡i/

-

-

1

3,33%

-

-

/oː/

93

70,99%

4

10,53%

1

3,13%

/o͡u/

38

29,01%

25

65,79%

28

87,50%

/o͡a/

-

-

8

21,05%

1

3,13%

/ø͡i/

-

-

1

2,63%

2

6,25%

/oː/

7

58,33%

2

33,33%

-

-

/o͡u/

5

41,67%

4

66,67%

9

100%

Diachrone Entwicklung der einzelnen Varianten zwischen 1880 (Wenker-Atlas) und 1980 (BSA) (n = Anzahl der Varianten im BSA, die einer geschriebenen Variante im Wenker-Atlas zugeordnet werden kann)

Welche Tendenzen lassen sich nun aus diesen Einzelergebnissen ableiten? Einerseits zeigt /o͡a/ Wandeltendenzen zu den beiden Varianten /o͡u/ und /oː/. Während bei Brot die monophthongische Variante dominiert, liegt im rezenten Sprachmaterial bei groß und hoch etwas häufiger die diphthongische Variante vor. Die Variabilität von /o͡u/ und /oː/ zeigt, dass beide Varianten im Raum nebeneinander bestehen. Betrachtet man die einzelnen Ergebnisse, so ist auffällig, dass /o͡u/ bei den Lexemen groß und hoch in den meisten Fällen stabil bleibt und dass an Orten, an denen im Wenker-Atlas noch ō vermerkt ist, in den rezenten Daten häufig /o͡u/ vorkommt. Hier können die bereits erwähnten Fehlschreibungen im WenkerMaterial eine Rolle spielen, da die Artikulationsbewegung möglicherweise zu gering ist, um Laienschreibern als dialektale Variante bzw. als Abweichung von der Norm aufzufallen, sodass sie deswegen nicht verschriftet wurde. Zuletzt sollen noch die Ergebnisse von REIN (2005) sowie STÖR (1999a) und STÖR (1999b) genannt werden, die sich mit der Sprachregion München beschäftigen. Ihr Untersuchungsgebiet erstreckt sich in einem Rechteck von 80 km (WestOst) bzw. 90 km (Nord-Süd) um München und umfasst 147 Erhebungsorte des SBS und SOB (vgl. die Abbildung bei REIN 2005, 36). In der Ergebnisdarstellung des „Ergänzungsbands Sprachregion München“ werden neu erhobene Daten der mittleren und jüngeren Generation mit den Daten des SOB und des östlichen Teils des SBS kontrastiert. Der fallende /o͡a/-Diphthong wird für Lexeme wie Floh,

Die Entwicklung von mhd. ô im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet

117

groß, hoch, rot und Stroh nur noch von drei Sprechern der mittleren Generation genannt, die zudem darauf hinwiesen, dass es sich um einen veralteten Laut handelt (vgl. Karte 68 bei REIN 2005, 195). Somit kommt STÖR (1999a, 303) zu dem Ergebnis, dass sich der /o͡a/-Diphthong in diesen Lexemen generell auf dem Rückzug befindet. Aussprachevarianten mit dem fallenden Diphthong „repräsentieren eher Erinnerungsformen als den tatsächlichen Sprachgebrauch“. Neben den diachronen Vergleichen lassen sich auch in den rezenten Daten im synchronen Vergleich teils deutliche lexemspezifische Unterschiede in der arealen Verbreitung der Varianten für verschiedene Lexeme zeigen. Beispielsweise ist nach KÖNIG (1998, 147) im SBS der „Anteil von Monophthongen an der Gesamtzahl der Belege […] bei Rose mit 22,9% gegenüber den Werten zwischen 12,9% […] und 17,5% […] bei den anderen hier behandelten ‚Parallelen Fällen‘ deutlich erhöht.“ Diese Unterschiede sind natürlich einerseits an den bereits gezeigten Karten von Brot, groß und hoch erkennbar. Da in den EEG-Experimenten die Lexeme /lo͡as/ ‘Mutterschwein’ und /ro͡asn̩/ ‘Rosen’ verwendet werden, zeigen Abbildung 23 und Abbildung 24 die areale Verteilung der Varianten nach den Daten des BSA. Für das Lexem Mutterschwein ist anzumerken, dass es an einigen Orten für einzelne Informanten unbekannt war bzw. als veraltet eingestuft wurde. Zudem treten Heteronyme, wie beispielsweise dialektale Varianten von Löslein und Sau, auf. Ein dialektales Phonem wurde dann kartiert, wenn es von mindestens einem Informanten genannt wurde. Da das Lexem im SBS nicht kartiert wurde, wurden die Daten aus der „Bayerischen Dialektdatenbank“ (BayDat) übernommen. Die zugrundeliegenden Abfragen waren „Weibliches Zuchttier vor Werfen (bei Schweinen)“ und „Weibliches Zuchttier nach dem Werfen (bei Schweinen)“. An diesen Lexemen lässt sich wohl der größte Unterschied in der arealen Verteilung der dialektalen Varianten von mhd. ô zeigen, da sich die „ursprünglichen Lautverhältnisse […] nur noch an Reliktwörtern wie Los (weibl. Schwein/Muttersau) aufzeigen“ (REIN 2005, 44, Kursivierung im Original, M. L.) lassen, während, Rose die am stärksten fortgeschrittene Entwicklung zeigt.

118

Das Phänomen: die Entwicklung von mhd. ô

Abbildung 23: Die dialektale Realisierung von mhd. ô im Lexem Mutterschwein im BSA

Abbildung 24:

Die dialektale Realisierung von mhd. ô im Lexem Rose im BSA

Die Entwicklung von mhd. ô im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet

119

Die Karte Mutterschwein zeigt eine Zweiteilung des Gebiets mit östlichem /o͡u/ und westlichem /o͡a/, während im Vergleich dazu die /o͡a/-Diphthonge bei Rose in den Westen zurückgedrängt wurden. Stattdessen liegen zwischen den beiden Gebieten /oː/-Monophthonge vor. Dieses Zurückdrängen der bairisch-alemannischen Varianten durch mittelbairische Formen erkennt bereits KRANZMAYER (1927, 4, Sperrung im Original, M. L.) wenn er schreibt, dass „das Bairische […] in den meisten Fällen im Vordringen begriffen ist“ und erklärt es durch das kulturelle Übergewicht Münchens. Übereinstimmend beschreibt auch IBROM (1973, 71) die vorliegende Situation: Die Entwicklung auf bairischer Seite geht nicht vertikal, d. h. in Richtung auf eine ‚höhere‘ Sprachebene, sondern sie verläuft horizontal. Die Aussprachegrenzen laufen gleichsam wellenartig vom zentralen Mittelbairischen um München auf den Lech zu.

Der von RENN (1994) durchgeführte intergenerationelle Vergleich der dialektalen Realisierung von mhd. ô zeigt ebenfalls, dass „die monophthongische Lautung sich nicht nur vom Zentrum Augsburg aus ausdehnt, sondern auch vom Münchner Raum aus“ (RENN 1994, 54). Das dennoch an jedem Ort auftretende /ɔ͡ə/ < mhd. ô sowie die stabile Diphthonglautung an vielen Orten zeigen zudem, dass „der Osten des USG, der ja beiden Neuerungszentren ausgesetzt ist, sich als sprachlich besonders konservativ erweist“ (RENN 1994, 54) (vgl. hierzu auch die Karte zum Durchdringungsgrad mit monophthongischen Lautungen bei RENN 1994, 189). Dieses Ergebnis steht in Einklang mit der Folgerung von FREUDENBERG (1974, 110, Sperrung im Original, M. L.): Der Raum östlich des Lech hat seit dem Hochmittelalter die neubairische Verkehrssprache des Ostens nur zögernd und in einer von Laut zu Laut und Wort zu Wort wechselnden Intensität übernommen (Linienbündel!) […]. Erst die jüngere Vergangenheit und in ganz besonderem Maße das Sprachleben der Gegenwart zeigen ein zunehmendes Streben nach vo l l stä n d ig e m sprachlichen Anschluß an das Innerbairische, besonders an die Landeshauptstadt München. Kartographisch gesprochen: die Isoglossen des ostlechischen Linienbündels rücken westwärts; sprachpsychologisch formuliert: der „Mehrwert“ des altbayerischen Sprachstandes führt zum Anschluß der Sprecher an den Osten.

Zuletzt bleibt noch zu klären, ob es sich bei dem lexemweise verlaufenden Wandel von /o͡a/ um Lautersatz, d. h. eine Umorganisation bereits vorhandenen Sprachmaterials durch eine Veränderung der lexikalischen Zuordnung zu Phonemen, handelt. Betrachtet man die Karte 5 nach KRANZMAYER (1956), so sind die dialektalen Realisierungen für mhd. o im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet /o/ und /o͡u/ (vgl. hierzu auch KRANZMAYER 1956, 36). Auch IBROM (1970b, 42) gibt für den nördlichen Lechrain ein Nebeneinander von monophthongischer und diphthongischer Aussprache an, wobei eine genaue Abgrenzung der /o/ und /o͡u/-Gebiete nicht möglich ist. MOSER (1933, 31–32) nennt für mhd. o die Variante /o/, die allerdings in offener Silbe und in einsilbigen Wörtern als /oːu/ realisiert wird. Auch LECHNER (1999, 12) führt /o͡u/ < mhd. o an. FREUDENBERG (1959, 59) hingegen beschreibt den Laut als monophthongisches /o/. Diese Einzelbeobachtungen werden von den Daten des SBS untermauert, in dem östlich des Lechs /o/Monophthonge und /o͡u/-Diphthonge, deren zweite Komponente häufig reduziert

120

Das Phänomen: die Entwicklung von mhd. ô

ist, kartiert sind (vgl. KÖNIG 1999, 348–370). Das Auftreten von /o͡u/ < mhd. o wird auch von den Daten des SOB unterstützt (vgl. EICHINGER 2010, 26; siehe hierzu auch STÖR 1999b, 681–685), wobei die diphthongische bzw. diphthongoide Realisierung in neueren Daten zugunsten des Monophthongs reduziert wird (vgl. STÖR 1999a, 173–180). Hierbei handelt es sich beispielsweise um lange /oː/Monophthonge in gedehnten einsilbigen Lexemen, wie z. B. Rock, und nach Dehnung in offener Tonsilbe, wie z. B. Hose. STÖR (1999a, 176) zufolge werden die schwach diphthongischen lechrainischen Varianten zwischen den monopthongischen Formen des Bairischen und Schwäbischen aufgerieben, sodass sie kaum noch greifbar sind. In offener Tonsilbe sind die Diphthonge zudem bereits in der ältesten Generation stark rückläufig (vgl. STÖR 1999a, 179). Aus diesen empirischen Belegen folgt, dass die Kompetenz der bairischalemannischen Sprecher den /o͡u/-Diphthong für mhd. /o/ umfasst. Auch der /oː/Monophthong kann mittlerweile als Teil der Kompetenz verstanden werden, da die Diphthongoide für mhd. /o/ monophthongisiert werden und so beide Varianten nebeneinander auftreten. Aus diesem Grund handelt es sich bei dem Wandel von mhd. ô > /o͡u/ bzw. /oː/ um Lautersatz. Die in der Kompetenz bereits vorhandenen Phoneme (< mhd. o) werden nach und nach auf weitere Lexeme, die das mhd. ôPhonem aufweisen, übertragen. Es handelt sich um eine Veränderung der Phonem/Lexem-Zuordnung und nicht um die Entstehung neuen Lautmaterials. Motiviert ist der Lautersatz höchstwahrscheinlich extern durch den engen Varietätenkontakt mit dem Mittelbairischen. Hierdurch ist ein direkter Vergleich eigener und fremder Varianten möglich, der zu einer lexemweisen Anpassung an die mittelbairische Prestigevarietät führt (vgl. für die weitere Beschreibung der Auslöser im Rahmen der Sprachdynamikteorie Kapitel 5.3.2.) 5.2

DIE ENTWICKLUNG VON MHD. Ô IM RHEINFRÄNKISCHEN

Im folgenden Kapitel werden parallel zu Kapitel 5.1 die Abgrenzung des Rheinfränkischen sowie die Entwicklung von mhd. ô in diesem Raum beschrieben. Wie bereits angedeutet wird das Rheinfränkische weniger detailliert dargestellt und nur nach gängigen Dialekteinteilungen von den umliegenden Dialekten abgegrenzt. Dies hängt damit zusammen, dass es sich bei dem hier interessierenden Phänomen um einen dialektalen Kontrast innerhalb des Rheinfränkischen handelt und somit keine verschiedenen Dialektverbände involviert sind. Zudem ist anzumerken, dass in der Forschung ein besonderes Augenmerk auf der Abgrenzung des bairischen vom alemannischen Dialekt lag, während das Rheinfränkische weniger intensiv bearbeitet wurde.

Die Entwicklung von mhd. ô im Rheinfränkischen

121

5.2.1 Das Rheinfränkische Das Rheinfränkische ist ein westmitteldeutscher Dialektverbund, welcher im bundesdeutschen Gebiet von Übergangsräumen zum Alemannischen, rechtsrheinischen Moselfränkischen, Zentralhessischen und Ostfränkischen sowie von der französischen Sprachgrenze begrenzt wird. Dem Rheinfränkischen fehlen „charakteristische synchrone Gemeinsamkeiten, die [es] gegenüber den Nachbardialekten als Einheit erscheinen“ (WIESINGER 1983, 846, Kursivierung im Original, M. L.) lassen, sodass es sich in erster Linie durch die Abgrenzung von den benachbarten Dialektverbänden konstituiert. Im Weiteren sollen die wichtigsten Eigenschaften genannt werden, die das Rheinfränkische vom Moselfränkischen und Alemannischen unterscheidet. Abbildung 25 zeigt die Gliederung des Rheinfränkischen nach WIESINGER (1983). Auffällig ist, dass alle Isoglossen diagonal von Südwesten nach Nordosten verlaufen und es somit keine Strukturgrenzen zwischen dem östlichen und westlichen Rheinfränkischen gibt. Als Isoglossen zum Moselfränkischen hin nennt WIESINGER (1983, 848) offenes /ɛː/ und /ɔː/ < mhd. ä̂ – â gegen rheinfränkisch geschlossenes /eː/–/oː/ (z. B. /kɛːs/ – /keːs/ ‘Käse’, /ʃlɔːfə/ – /ʃloːfə/ ‘schlafen’). Zudem fallen im Moselfränkischen Nominativ und Akkusativ des attributiven Adjektivs beim Maskulinum zusammen, während im Rheinfränkischen die beiden Kasus unterschieden werden (z. B. der alte Mann – den alten Mann). Weiterhin ist im Moselfränkischen der inund auslautende Frikativ aus mhd. b erhalten, während im Rheinfränkischen die plosivische Aussprache auftritt. Dies unterscheidet sich allerdings je nach Lautumgebung. Beispielsweise fallen mhd. -rb und -rf im Moselfränkischen zu /f/ zusammen, während die Phoneme im Rheinfränkischen distinkt bleiben (z. B. /kɔr(ə)f/ ‘Korb’ = /dɔr(ə)f/ ‘Dorf’ vs. /kɔr(ə)b/ ≠ /dɔr(ə)f/). Postvokalisch liegt im Moselfränkischen einheitliches /f/ vor, während im Rheinfränkischen /β/ und /f/ unterschieden werden (z. B. /le͡if/ ‘lieb’ = /bre͡if/ ‘Brief’ vs. /liːβ/ ≠ /briːf/. Weiterhin fallen im Moselfränkischen die kurzen mhd. /e/-Phoneme zu /ɛ/ zusammen, während im Rheinfränkischen mhd. e und mhd. ё + ä distinkt bleiben. Weitere zentrale Unterscheidungsmerkmale sind die im Moselfränkischen im Gegensatz zum Rheinfränkischen vorkommenden Tonakzente (Rheinische Akzentuierung) sowie moselfränkisch erhaltenes wg. t in den Lexemen das, was und es, welches im Rheinfränkischen zu /s/ verschoben ist (2. (hochdeutsche) Lautverschiebung) (vgl. WIESINGER 1983, 848–849).

122

Abbildung 25:

Das Phänomen: die Entwicklung von mhd. ô

Das Rheinfränkische nach WIESINGER (1983, 847)

Als südliche Isoglossen hin zum Alemannischen bzw. Ostfränkischen sind folgende Erscheinungen relevant: wg. p und wg. pp lauten im Rheinfränkischen /p/ bzw. /b/, während die beiden Phoneme südlich angrenzend als /b͡f/ realisiert werden (z. B. /pund/ vs. /b͡fund ‘Pfund’). Zudem kontrastiert das rheinfränkische Diminutivsuffix -chen mit südlichem -lein (vgl. WIESINGER 1983, 846–848). WIESINGER (1983, 830) unterscheidet bei der alemannisch-rheinfränkischen Dialektgrenze den westlichen Abschnitt zwischen Dagsburg und Fleckenstein vom

Die Entwicklung von mhd. ô im Rheinfränkischen

123

östlichen Abschnitt zwischen Fleckenstein und Heilbronn. Für die westliche Grenze nennt er die Merkmale mhd. â, ä̂ (rheinfränkisch /ɔː/, /ɛː/ vs. alemannisch /oː/, /aː/), mhd. ie + üe – uo (rheinfränkisch /ɪː/ ~ /iː/ – /ʊː/ ~ /uː/ vs. alemannisch /i͡ə/ – /u͡ə/ ~ /y͡ə/) und mhd. ei1 + öü – ou (rheinfränkisch /æː/ – /aː/ vs. alemannisch /a͡i/ – /a͡u/). Für den östlichen Abschnitt kann ein rheinfränkisch-alemannisches Übergangsgebiet angesetzt werden, welches sich zwischen den Isoglossen mhd. ie + üe – uo bzw. mhd. ou (rheinfränkisches /aː/ vs. alemannisches /a͡u/) und mhd. ë̄ + ǟ + ä̂ (rheinfränkisches /eː/ vs. alemannisches /ɛː/) erstreckt. Innerhalb des Übergangsgebiets verlaufen zudem die Isoglossen zu mhd. â (rheinfränkisches /o/ vs. alemannisches /ɔː/) und mhd. î + ü̂ – û (rheinfränkisch /a͡i/ – /a͡u/ vs. alemannisches /ɛ͡i/ – /ɔ͡u/ bzw. /iː/ – /yː/). Auch BOHNENBERGER (1953) beschäftigt sich mit der alemannischrheinfränkischen Grenze und beschreibt im Gegensatz zu WIESINGER (1983) drei verschiedene Grenzabschnitte (Donon – Fleckenstein, Fleckenstein – Rhein, Rhein – Neckar). Differenziert werden kann der westlichste Grenzabschnitt nach BOHNENBERGER (1953, 12–13) in erster Linie anhand der Entwicklung von wg. p > mhd. pf, welches im Alemannischen als /p͡f/ und im Rheinfränkischen anlautend als /ph/ bzw. inlautend als /p/, /b/ (z. B. Pfund, Äpfel ) realisiert wird, sowie der Aussprache von mhd. ie, uo (+üe), die alemannisch /i͡ə/, /u͡ə/ lautet, während im Rheinfränkischen die monophthongischen Varianten /iː/ und /uː/ gelten (z. B. tief, Bruder). Für den zweiten Grenzabschnitt ergibt sich aufgrund der höheren Anzahl von Gegenformen ein Grenzstreifen zwischen dem Alemannischen und Rheinfränkischen. Neben den oben bereits genannten Gegensätzen führt BOHNENBERGER (1953, 15–16) weitere dialektunterscheidende Charakteristika an: mhd. î, û werden in einigen Gebieten des Alemannischen noch heute monophthongisch als /iː/ und /uː/ realisiert sowie im Schwäbischen zu /e͡i/ bzw. /o͡u/ diphthongiert, während im Rheinfränkischen die Varianten /a͡i/ und /a͡u/ lauten (z. B. Eis, Haus). Mhd. ё, ä, æ werden im Alemannischen offener ausgesprochen als im Rheinfränkischen (z. B. lesen, mächtig, Käse). Zudem werden mhd. ei, ou unterschiedlich realisiert, wobei BOHNENBERGER (1953) hier keine weiteren Angaben über die Art des Unterschiedes macht (z. B. Bein, Baum). Ein weiterer Unterschied ist, dass im Rheinfränkischen im Gegensatz zum Alemannischen das auslautende -n in haupttonigen Schlusssilben geschwunden ist (z. B. Wein, Mann). Bei dem dritten Grenzabschnitt fallen nach BOHNENBERGER (1953, 25–26) die dialektalen Differenzen bei der Realisierung von wg. p, der u-Laute und des -n in betonten Silben weg, während eine Anzahl neuer Charakteristika hinzukommt. Neben der bereits genannten Entwicklung von mhd. î, û sowie mhd. ie, uo in Normalstellung sind auch mhd. ie, uo vor Nasal dialektdifferenzierend, d. h. es stehen sich die schwäbischen Varianten /e͡ə/ und /o͡ə/, die niederalemannischen Varianten /i͡ə/ und /u͡ə/ sowie die rheinfränkischen Monophthonge gegenüber (z. B. Riemen, Blume). Mhd. ei lautet im Schwäbischen /ɔ͡ə/ und im Rheinfränkischen /a͡i/, mhd. ou bleibt im Alemannischen erhalten, während es im Rheinfränkischen als /aː/ realisiert wird, und für mhd. iu stehen sich die schwäbische Variante /u͡i/ und die rheinfränkische Variante /a͡i/ gegenüber (z. B. Feuer, Zeug).

124

Das Phänomen: die Entwicklung von mhd. ô

Ebenso wie mhd. æ wird auch mhd. â im Alemannischen offener ausgesprochen, welches im Alemannischen als /ɔː/ und im Rheinfränkischen als /oː/ realisiert wird (z. B. Rat ). Mhd. ê, ô (+œ) lauten im Schwäbischen /a͡i/, /a͡u/, während diese Phoneme im Rheinfränkischen monophthongisch geblieben sind. Mhd. i, u vor Nasal treten im Schwäbischen als /ẽ/, /õ/ auf, während im Rheinfränkischen /i/, /u/ vorkommt. Die alemannischen Varianten von mhd. i, u vor r lauten /ɛ/, /ɔ/ im Rheinfränkischen sowie /i/, /u/ im Alemannischen (z. B. Kirsche, Durst). Zudem stehen sich die mhd. Kurzvokale in Tonsilben vor r und ht im Alemannischen als Langvokale und im Rheinfränkischen als Kurzvokale gegenüber (z. B. Nacht, Garten). Mhd. h vor s wird im Alemannischen unter Dehnung des vorausgehenden Kurzvokals getilgt, während es im Rheinfränkischen als gutturaler Plosiv realisiert wird (z. B. Achsel, Büchse). Mhd. n vor s, ʃ, f wird ebenfalls im Alemannischen unter Dehnung oder Diphthongierung des vorangehenden Tonvokals getilgt, während der Nasal und Kurzvokal im Rheinfränkischen beibehalten werden (z. B. Brunst, wünschen, Hanf ) . Zudem wird die 1. und 3. Person Plural Indikativ im Schwäbischen mit -ət gebildet, im Rheinfränkischen stattdessen mit -ə. Als letztes Charakteristikum wird die dialektale Realisierung von gehen, stehen genannt. Im Alemannischen gehen die dialektalen Formen auf mhd. gâ, stâ zurück, im Rheinfränkischen auf mhd. gê, stê. Durch diese zahlreichen Isoglossen, die räumlich mehr oder weniger stark differieren, lässt sich keine eindeutige Grenze zwischen dem Alemannischen und dem Rheinfränkischen abbilden. Demnach bereitet „bei diesem Abschnitte die Aufteilung der Übergangsmundart an die beiden angrenzenden Vollmundarten, damit die Gewinnung einer die alemannische Gesamtmundart von der rheinischfränkischen Gesamtmundart trennende Liniengrenze“ (BOHNENBERGER 1953, 39) besondere Schwierigkeiten. Diese kurze Einordnung des Rheinfränkischen in die deutsche Dialektlandschaft soll als Hintergrund für das im Weiteren interessierende Phänomen mhd. ô genügen. 73 Anzumerken bleibt noch, dass das Phänomen bei der Einteilung nach WIESINGER (1983) im Gegensatz zum Bairischen keine Strukturgrenze bildet. 5.2.2 Die Entwicklung von mhd. ô Im Gegensatz zum bairisch-alemannischen Übergangsgebiet zeigt ein Vergleich aller Wenker-Karten im Rheinfränkischen für mhd. ô vor Obstruent eine /o͡u/Diphthonginsel mit sehr ähnlichen Isoglossen (vgl. Abbildung 26), auch wenn im Gebiet vereinzelte Monophthonge auftreten.

73 Für eine tiefergehende Beschäftigung mit den Teilräumen innerhalb des Rheinfränkischen bzw. Abgrenzungen zu anderen Dialekten, wie z. B. dem Hessischen, vgl. z. B. WEGSTEIN (1989), MAURER (1929) und WIESINGER (1980).

Die Entwicklung von mhd. ô im Rheinfränkischen

125

Abbildung 26: Das /o͡u/-Gebiet im Rheinfränkischen Ende des 19. Jahrhunderts (Wenker-Atlas) am Beispiel der Lexeme Brot, groß, hoch, roten und tot überblendet mit der Dialekteinteilung von WIESINGER (1983)

Diese Beobachtung wird von Orts- und Landschaftsgrammatiken bestätigt. Zur geographischen Orientierung zeigt Abbildung 27 die jeweiligen Ortspunkte der im Folgenden ausgewerteten Grammatiken. Der Diphthong /o͡u/ < mhd. ô gilt demnach für die Orte Adelsheim (vgl. MANGOLD 1930, 29–30), Beerfelden (vgl. WENZ 1911, 25), Buchen (vgl. BREUNIG 1891, 21), Mönchzell (vgl. REICHERT 1914, 52), Oberschefflenz (vgl. ROEDDER 1936, 59), Oftersheim (vgl. LIÉBRAY 1969, 146), Plankstadt (vgl. TREIBER 1931, 58), Rappenau (vgl. MEISINGER 1901, 114) und Wiesloch (vgl. RAUPP 1921, 38). Zudem geben HEILIG (1898, 39) für die Orte Bödigheim, Buchen, Hainstadt, Hettingen, Mudau und Walldürn sowie DINGELDEIN (1977, 28) für Würzberg die Realisierung /ɔ͡u/ an. All diesen Ortsbeschreibungen ist gemein, dass für die Realisierung keine einzellexemischen Abweichungen genannt werden. Nur FREILING (1929, 28–29) führt an, dass bei Brot auch monophthongisches /oː/ verwendet wird. Insgesamt werden u. a. folgende Beispiele aufgeführt: /bro͡ut, broud, pro͡ut/ ‘Brot’, /flo͡u, flɔ͡u/ ‘Floh’, /flo͡us/ ‘Floß’, /fro͡u/ ‘froh’, /gro͡us, kro͡us/ ‘groß’, /ho͡ux/ ‘hoch’, /glɔ͡us/ ‘Kloß’, /glo͡uʃdəʀ, klo͡uʃtɐ/ ‘Kloster’, /lo͡us, lous/ ‘Los, los’, /lo͡us/ ‘Mutterschwein’, /lo͡ud, lo͡ut/ ‘Lot’, /no͡ud, no͡ut/ ‘Not’, /o͡uʃdɐn, o͡uʃdəʀn, o͡uʃtɐn/ ‘Ostern’, /ro͡u/ ‘roh’, /ro͡uʃə, ro͡usə/ ‘Rose’, /ro͡ut/ ‘rot’, /ʃo͡udə/ ‘Schoten’, /ʃo͡us/ ‘Schoß’, /ʃro͡ut/ ‘Schrot’, /ʃdo͡usə, ʃto͡usə/ ‘stoßen’, /ʃdro͡u, ʃtro͡u/ ‘Stroh’, /do͡ud, do͡ut, to͡ut/ ‘tot’, /dro͡uʃd, tro͡uʃt/ ‘Trost’.

126

Das Phänomen: die Entwicklung von mhd. ô

MÜTTER (1987) hingegen untersucht das Phonemsystem von Aschaffenburg und Umgebung und setzt hierbei kein /o͡u/-Phonem an, sondern beschreibt den Monophthong /oː/ als labialen Velarvokal, der im Untersuchungsgebiet mit verschiedenen Öffnungsgraden realisiert wird. Allerdings gibt sie für die Varianten vor /s/ und /t/ sowie im Auslaut die phonetischen Varianten [o͡ʊ] und [oʊ], die im Norden häufiger und stärker ausgeprägt sind, an (vgl. MÜTTER 1987, 51). Neben diesen überwiegenden Einzelortbeschreibungen liegt zudem eine Anzahl von Landschaftsgrammatiken vor, die das /o͡u/-Diphthonggebiet zumindest teilweise umfassen (vgl. Abbildung 27).

Abbildung 27:

Orts- und Landschaftsgrammatiken im /o͡u/-Gebiet des Rheinfränkischen

Beispielsweise gibt WEBER (1909, 349) für mhd. ô im oberen Weschnitztal, welches dem Wenker-Atlas zufolge vollständig im /o͡u/-Gebiet liegt, die Variante /ɔ͡u/ an. Auch das Untersuchungsgebiet von FREILING (1929) – der hessische Odenwald – liegt innerhalb der Diphthonginsel. Die dialektale Variante für mhd. ô lautet für alle untersuchten Orte ebenfalls /ɔ͡u/. SEIBT (1930) beschäftigt sich mit der Dialektgeographie der hessischen Bergstraße. Sein Untersuchungsgebiet rund um Heppenheim wird östlich begrenzt durch das Gebiet von FREILING (1929), nördlich durch die fest–fescht-Isoglosse, westlich durch den Rhein und südlich durch

Die Entwicklung von mhd. ô im Rheinfränkischen

127

die hessischen Landesgrenze. Leider werden die untersuchten Orte nicht aufgelistet. Den genannten Angaben zufolge handelt es sich allerdings ebenfalls um ein Gebiet, welches nach dem Wenker-Atlas im /o͡u/-Gebiet liegt. SEIBT (1930, 33) bestätigt die bisherigen Angaben und gibt für wgm. au > ahd. ô > /ɔ͡u/ an. Abbildung 28 fasst die vorhandenen Daten zur arealen Verteilung der dialektalen Varianten für mhd. ô im interessierenden Gebiet in den 1930er Jahren (1929–1938) zusammen. Neben den bereits genannten Orts- und Landschaftsgrammatiken innerhalb der /o͡u/-Diphthonginsel sind auch solche Grammatiken von Interesse, die sich mit dem Grenzgebiet des Diphthongareals beschäftigen, um so die Isoglossen mit den Wenker-Daten zu vergleichen. Beispielsweise beschäftigt sich WAIBEL (1932) mit dem rechtsrheinischen Teil des ehemaligen Fürstentums Speyer zwischen Heidelberg und Karlsruhe. Mhd. ô lautet im nördlichen Teil seines Untersuchungsgebiets /o͡u/, im südlichen Teil /oː/ (vgl. WAIBEL 1932, 68). BESCHER (1933) untersucht die Dialekte im südlichen Rheinhessen. Sein Gebiet überschneidet sich nur in einem kleinen westlichen Teil mit der /o͡u/Diphthonginsel. Dementsprechend gibt er für mhd. ô vor Dentalen die Varianten /oː/, /ɔː/, /aː/ und /o͡u/ an. Die diphthongische Aussprache gilt nur für zwei kleine Gebiete am östlichen Rand des Untersuchungsgebiets. Leider ist die Beschreibung der Isoglossen nicht ganz eindeutig. Beispielsweise wird einerseits beschrieben, dass westlich von Gimbsheim, Eich und Hamm die Variante /o͡u/ realisiert wird, andererseits, dass sich das /o͡u/-Gebiet bei Brot, groß und rot mit dem äi-Gebiet für mhd. ê in Schnee überschneidet (vgl. BESCHER 1933, 30). Dieser Vergleich zeigt aber, dass die genannten Orte inklusive dem etwas südlicher gelegenen Ibersheim /o͡u/ haben müssten. Für hoch stellt er zudem einen diachronen Vergleich zu der Wenker-Karte an und kommt zu dem Ergebnis, dass das nördliche /o͡u/Gebiet noch immer die gleiche Ausdehnung hat, während das südliche Gebiet kleiner geworden ist. Die Orte Pfiffligheim, Leiselheim, Mörstadt und Hohensülzen haben seinen Daten zufolge im Vergleich zum Wenker-Atlas keinen Diphthong mehr. Das erste Ergebnis stützt die Annahme, dass die Angabe im Text falsch ist und /o͡u/ für die Orte östlich der angegebenen Isoglosse gilt. BESCHER (1933, 30) beschreibt zudem eine weitere Isoglosse im westlichen Teil seines Untersuchungsgebietes, für die allerdings nicht klar wird, welche Varianten voneinander abgrenzt werden. Aus diesem Grund wird in Abbildung 28 nur der östliche Teil des behandelten Gebiets abgebildet, welcher auch einzig für die Grenzziehung zwischen /oː/ und /o͡u/ von Interesse ist. BERTALOTH (1935) untersucht die Dialekte des vorderen Odenwalds und nördlichen Rieds. Seine Daten zeigen, dass die /oː/–/o͡u/-Isoglosse mit den Grenzen des Wenker-Atlasses übereinstimmt. Allerdings weist er auch einige /o͡u/Varianten westlich der Isoglosse nach. BORN (1938) beschäftigt sich mit dem Gebiet um Darmstadt und somit auch einem kleinen Teil des /o͡u/-Gebiets. Erfragt wurden die Lexeme Floh, groß, Gebund Stroh (mhd. bôze), für die alle dasselbe /o͡u/-Gebiet im Südosten gilt. Für die anderen Orte gibt er an, dass „überwiegend“ bzw. „gewöhnlich“ /oː/ realisiert wird (vgl. BORN 1938, 90).

128

Das Phänomen: die Entwicklung von mhd. ô

EBERLE (1938) untersucht den Dialekt im Gebiet um die Kupfer, welches südöstlich an die /o͡u/-Diphthonginsel grenzt, wobei einige Orte in das Gebiet hineinfallen. Für mhd. ô gibt EBERLE (1938, 16) den Monophthong /ɔː/ an, welcher am nordwestlichen Rand als /ɔ͡u/ realisiert wird.

Abbildung 28: Die dialektalen Varianten von mhd. ô in den Landschaftsgrammatiken 1929–1938

Als etwas jüngere Untersuchung ist beispielsweise HOHNERLEIN (1955) zu nennen, der die Dialekte um den unteren Kocher und die untere Jagst untersucht und hierfür die Lexeme Brot, groß, hoch, Ostern, rot, tot, froh, Stroh erfragt. Bis auf einen Ort zeigt das Gebiet, welches Überschneidungen mit der /o͡u/-Insel nach dem Wenker-Atlas aufweist, noch immer den Diphthong (vgl. HOHNERLEIN 1955, 55). BAUER (1957) hingegen beschäftigt sich mit der Dialektgeographie im südlichen Odenwald und Ried und gibt für mhd. ô die Varianten /ɔ͡u/ und /oː/ an, wie z. B. /grɔ͡us, groːs/ ‘groß’, /hɔ͡ux, hoːx/ ‘hoch’, /bɔ͡usə, boːsə/ ‘Strohballen’ (vgl. BAUER 1957, 33). Mit einem nordöstlichen Teil der /o͡u/-Diphthonginsel beschäftigt sich HIRSCH (1971), dessen Untersuchungsgebiet der Spessart ist. Für den westlichen Teil des Gebiets nennt er für mhd. ô die Variante /ɔ͡u/, welche für die Lexeme Brot, hoch, rot und tot gilt (vgl. HIRSCH 1971, 35). Abbildung 29 zeigt die dialektale Realisierung von mhd. ô nach HOHNERLEIN (1955) und HIRSCH (1971). Da in der Karte 17 von BAUER (1957) leider nur die dialektalen Varianten

Die Entwicklung von mhd. ô im Rheinfränkischen

129

von Ohren eingezeichnet sind, welche sich aufgrund der Lautumgebung von mhd. ô vor Obstruent unterscheiden können, werden diese Daten in Abbildung 29 nicht abgebildet.

Abbildung 29: Die dialektalen Varianten von mhd. ô nach HOHNERLEIN (1955) und HIRSCH (1971)

Zudem liegen einige Wörtersammlungen, z. B. für den Ort Handschuhheim, vor (vgl. LENZ 1888; 1892; 1896; 1897), in denen Lexeme, die auf mhd. ô zurückgehen, mit dem /o͡u/-Diphthong geschrieben werden, wie z. B. houx ‘hoch’, krous ‘groß’, prout ‘Brot’, rout ‘rot’, šous ‘Schoß’. Auch KRIMM / KRIMM (2011) führen in ihrem Wörterbuch für den Rothenbucher Dialekt Varianten wie Broud ‘Brot’, Grousmammə ‘Großmutter’, Ousd ən ‘Ostern’, roude Beeɐ ‘Walderdbeeren’ an. SENZ (2007) nennt in seinem Dialektwörterbuch des Odenwaldes ebenfalls Lexeme mit /o͡u/ < mhd. ô, wie z. B. Rouse ‘Rose’, grous ‘groß’ und Broud ‘Brot’. Gleiches gilt für LEHR (1983), der in seiner Wörtersammlung zum Dialekt von Sandhausen bei Heidelberg z. B. Broud ‘Brot’, grouß ‘groß’, Noud ‘Not’ etc. auflistet. Die Auswertung der vorhandenen Ortsgrammatiken und Dialektwörterbücher zeigt, dass der /o͡u/-Diphthong sehr stabil im Raum bestehen bleibt und es keine lexemspezifischen Abweichungen gibt. Im Gegensatz zum bairisch-

130

Das Phänomen: die Entwicklung von mhd. ô

alemannischen Übergangsgebiet, in dem das Lexem Brot bereits zur Zeit der Wenker-Erhebung eine Sonderstellung einnahm, bleibt im Rheinfränkischen auch für Brot der dialektale Diphthong erhalten, sodass es nicht aus dem Lexemverband ausschert. Leider liegen keine modernen Regionalatlanten für den Raum vor. Allerdings gibt es das Tonkorpus „Tonaufnahmen der hessischen Mundarten“ (TAHM), welches 1982 im Rahmen der Mundart-Aktion „Ich sag’s hessisch“ entstanden ist. Die Aktion, bei der Menschen aus Hessen selbstständig Aufnahmen von ihrem Dialekt machen sollten, wurde von den hessischen Sparkassen, der Landesbausparkasse, der Hessen-Nassauischen Versicherung und dem Hessen-Nassauischen Wörterbuch durchgeführt. Für das Gebiet der /o͡u/-Diphthonginsel liegen auf der Forschungsplattform Regionalsprache.de 98 Sprachproben dialektaler Wenkersätze aus 47 Orten vor (vgl. SCHMIDT / HERRGEN / KEHREIN 2008 ff.). Es handelt sich um ein relativ heterogenes Korpus, da die Sprecher/innen zwischen 1904 und 1967 geboren wurden, sodass sie zum Erhebungszeitpunkt zwischen 15 und 78 Jahre (Mittelwert (M ) = 46,4 Jahre; Standardabweichung (SD) = 17,4) alt waren. Zudem gibt es für die Mehrzahl der Orte eine Dialektaufnahme, für andere bis zu 16 (Bensheim). Für den Vergleich zwischen den Wenkerdaten und dem TAHM-Korpus wurde ein reduziertes Ortsnetz erstellt, welches die TAHM-Orte innerhalb der /ou/Diphthonginsel umfasst. Leider liegen für vier Orte keine Wenkerbogen vor. Aufgrund des ohnehin schon geringen Materials wurden die TAHM-Aufnahmen dieser Orte dennoch für den Zeitschnitt um 1980 ausgewertet. Im Gegensatz zum bairisch-alemannischen Übergangsgebiet, für das bereits im Wenker-Atlas relativ große Differenzen bei der Verwendung des /o͡a/-Phonems beobachtbar sind, ist die Frequenz von /o͡u/ um 1880 in allen Lexemen relativ ähnlich. Da das TAHM-Korpus Aufnahmen der kompletten Wenker-Sätze umfasst, können diachrone Vergleiche für die Lexeme Brot, groß, hoch, roten und tot durchgeführt werden. Es muss an dieser Stelle allerdings festgehalten werden, dass das Ortsnetz mit seinen 43 Orten nur einen kleinen nordwestlichen Teil des Diphthonggebiets umfasst. Aus diesem Grund können die Prozentangaben nur als Tendenz behandelt werden, da bei der geringen Gesamtanzahl ein Unterschied von wenigen Orten bereits stark ins Gewicht fällt. Im Weiteren wird die Vorkommenshäufigkeit der Varianten für alle Lexeme zusammengefasst beschrieben. Eine angegebene Spanne von beispielsweise 27–29 Orten besagt, dass je nach Lexem zwischen 27 und 29 Mal die jeweilige Variante im Korpus produziert wurde. Um 1880 gibt es im Gebiet für die fünf genannten Lexeme drei häufiger auftretende Varianten im Gebiet (vgl. Tabelle 8). Für 27–29 Orte (62,79%–67,44%) liegt eine ou-Schreibung vor. Mit 7–10 Orten (16,28%–23,26%) ist au die zweithäufigste Variante, während ō-Schreibungen in 3–8 Orten (6,97%–18,60%) auftreten. Als sonstige Variante wurde die Buchstabenfolge oau gewertet. Die Auswertung des TAHM-Korpus zeigt, dass die /o͡u/-Varianten im Diphthonggebiet häufig eine weit geöffnete erste Diphthongkomponente aufweisen, die vom auditiven Eindruck her an ein /a͡u/ erinnern. Somit ist es wahrscheinlich,

131

Die Entwicklung von mhd. ô im Rheinfränkischen

dass die Schreiber diese Variante teilweise dem schriftsprachlichen au zugeordnet haben. Aus diesem Grund scheint es gerechtfertigt, die Schreibungen ou und au zusammenzufassen. Diphthongische Aussprache liegt somit dem WenkerMaterial zufolge bei roten in 39 Orten (90,7%), bei groß und hoch in 38 Orten (88,38%), bei tot in 37 Orten (86,05%) sowie bei Brot in 34 Orten (79,07%) vor (vgl. Abbildung 30). Die monophthongische Variante tritt bei Brot mit 18,6% (8 Mal) häufiger auf als bei den anderen Lexemen mit 3,97%–9,3% (3–4 Orte). Aufgrund des geringen Belegnetzes handelt es sich hierbei allerdings nur um einen Unterschied von ca. 4–5 Orten. Betrachtet man Abbildung 30, so fällt auf, dass monophthongische Varianten überwiegend an den Rändern der Diphthonginsel vorkommen und innerhalb des Gebiets sehr wenige Ausnahmen auftreten. Jahr 1880 Brot

1980 1880

groß

1980 1880

hoch

1980 1880

roten

1980 1880

tot

Tabelle 8:

1980

Typ /o͡u/

Typ /a͡u/

Typ /oː/

sonstige

n

27 (62,79%) 24 (24,74%) 28 (65,12%) 78 (82,98%) 29 (67,44%) 78 (79,59%) 29 (67,44%) 78 (80,41%) 27 (62,79%) 81 (85,26%)

7 (16,28%)

8 (18,60%) 73 (75,26%) 3 (6,97%) 16 (17,02%) 3 (6,97%) 20 (20,41%) 3 (6,97%) 19 (19,59%) 4 (9,30%) 14 (14,74%)

1 (2,33%)

43

-

97

2 (4,65%)

43

-

94

2 (4,65%)

43

-

98

1 (2,33%)

43

-

97

2 (4,65%)

43

-

95

10 (23,26%) 9 (20,93%) 10 (23,26%) 10 (23,26%) -

Vergleich der dialektalen Realisierung von mhd. ô in den Lexemen Brot, groß, hoch, roten und tot zwischen 1880 (Wenker-Atlas) und 1980 (TAHM)

Im TAHM-Korpus kontrastieren nur die Varianten /o͡u/ und /oː/, da offene und geschlossene Diphthongvarianten zum Monotypen /o͡u/ zusammengefasst wurden. Die Daten zeigen, dass /o͡u/ in allen Lexemen außer Brot in einer ähnlichen Häufigkeit, d. h. 78–81 Mal, vorkommt: groß (82,98%), hoch (79,59%), roten (80,41%) und tot (85,26%) (vgl. Abbildung 31 und Tabelle 8). Brot hingegen wird

132

Das Phänomen: die Entwicklung von mhd. ô

nur 25 Mal (24,74%) diphthongisch realisiert, während stattdessen in 73 Fällen (75,26%) der Monophthong produziert wird (vgl. Abbildung 32 und Tabelle 8). Die anderen Lexeme werden vergleichsweise selten monophthongisch realisiert: groß 16 Mal (17,02%), hoch 20 Mal (20,41%), roten 10 Mal (19,59%), tot 14 Mal (14,74%). Diese Ergebnisse zeigen, dass für alle Lexeme im diachronen Vergleich eine Reduktion des /o͡u/-Diphthongs vorliegt: tot (-0,79%), groß (-5,4%), hoch (-8,79%), roten (-10,29%), Brot (-54,33%). Während den Werten zufolge die /o͡u/Realisierung bei tot nahezu konstant bleibt, wird diese bei groß, hoch und roten um ca. 5–10% reduziert. Ein Blick auf Abbildung 31 zeigt, dass auch um 1980 /oː/-Monophthonge überwiegend an den Rändern des Diphthonggebiets auftreten, während innerhalb der Diphthonginsel deutlich weniger monophthongische Realisierungen vorkommen. Bei Brot hingegen liegt eine Reduktion von über 50% vor. Der Wandel des /o͡u/-Phonems ist somit bei Brot sehr weit vorangeschritten und erstreckt sich bis in den Osten des TAHM-Gebiets (vgl. Abbildung 32).

Abbildung 30: Dialektale Realisierung von mhd. ô in den Lexemen Brot, groß, hoch, roten und tot im /o͡u/-Gebiet des Rheinfränkischen um 1880 (Wenker-Atlas mit TAHM-Ortsnetz)

Die Entwicklung von mhd. ô im Rheinfränkischen

133

Abbildung 31: Dialektale Realisierung von mhd. ô in den Lexemen groß, hoch, roten und tot im /o͡u/-Gebiet des Rheinfränkischen um 1980 (TAHM)

Abbildung 32: Dialektale Realisierung von mhd. ô im Lexem Brot im /o͡u/-Gebiet des Rheinfränkischen um 1980 (TAHM)

134

Das Phänomen: die Entwicklung von mhd. ô

Diese Ergebnisse stehen der in den älteren Arbeiten aufgezeigten Stabilität des /o͡u/-Phonems entgehen. Da die Daten wie bereits angedeutet eine sehr hohe Altersspanne von 15–89 Jahren umfasst, soll ein intergenerationeller Vergleich innerhalb des TAHM-Korpus zeigen, ob es Unterschiede bei der Realisierung des mhd. ô-Phonems zwischen den Generationen gibt. Tabelle 9 zeigt eine Übersicht über die TAHM-Daten aufgeteilt nach Generationen. Unterschieden werden hierbei die alte Generation (> 60 Jahre), die mittlere Generation (26–59 Jahre) und die junge Generation (15–25 Jahre). Generation

alt

mittel

jung

Typ

Brot

groß

hoch

roten

tot

/o͡u/

5 (29,41%) 12 (70,59%)

14 (82,35%) 3 (17,85%)

14 (77,78%) 4 (22,22%)

15 (83,33) 3 (16,67)

14 (87,5) 2 (12,5)

Gesamt

17

17

18

18

16

/o͡u/

10 (20,41%) 39 (79,59%)

40 (83,33%) 8 (16,67%)

39 (79,59%) 10 (20,41%)

41 (83,67) 8 (16,33)

43 (87,76) 6 (12,24)

Gesamt

49

48

49

49

49

/o͡u/

4 (28,57%) 10 (71,43%)

10 (71,43%) 4 (28,57%)

12 (85,71%) 2 (14,29%)

9 (69,23) 4 (30,77)

11 (84,62) 2 (15,38)

14

14

14

13

13

/oː/

/oː/

/oː/ Gesamt

Tabelle 9:

Intergenerationeller Vergleich der dialektalen Realisierung von mhd. ô um 1980 (TAHM)

Leider liegen für die junge und die alte Generation nicht sehr viele Daten vor, während die mittlere Generation vergleichsweise überrepräsentiert ist. Für 15 Aufnahmen sind keine Angaben über das Geburtsjahr vorhanden. Deswegen lassen sich aus den Ergebnissen nur Tendenzen ableiten. Die Daten zeigen allgemein, dass der /o͡u/-Diphthong auch in der jungen Generation noch überwiegend verwendet wird und sich damit als relativ stabil erweist. Der intergenerationelle Vergleich zeigt zweierlei: Einerseits ist der /o͡u/-Diphthong in den Lexemen groß, hoch, roten und tot zwischen der alten und mittleren Generation stabil und wird in einer sehr ähnlichen Häufigkeit verwendet. Dies gilt für hoch und tot auch für die junge Generation. Andererseits wird der /o͡u/-Diphthong bei groß und roten in der jungen Generation seltener verwendet als in der mittleren und alten Generation. Die diphthongische Variante für das Lexem Brot hingegen wird bereits von der alten Generation nur noch zu ca. 29%, von der mittleren Generation zu ca. 20%

Die Entwicklung von mhd. ô im Rheinfränkischen

135

und von der jungen Generation zu ca. 29% verwendet. Warum der Wert bei der jungen Generation wieder zunimmt, kann an dieser Stelle nicht eindeutig geklärt werden. Aufgrund der geringen Informantenanzahl sollte dieser Wert allerdings nicht überinterpretiert werden. Insgesamt zeichnet sich somit im Rheinfränkischen in den 1980er Jahren ein Wandel ab, der im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet bereits 1880 in vollem Gange war. Zuletzt sollen noch die im Projekt „Regionalsprache.de“ (REDE) erhobenen Daten erwähnt werden. Leider liegen keine äquivalenten Daten für das bairischalemannische Übergangsgebiet vor, da das Projekt nur größere Städte berücksichtigt, die es im betreffenden Gebiet nicht gibt. Somit kann kein direkter Vergleich zwischen den Gebieten gezogen werden. REDE-Daten liegen innerhalb der /o͡u/Diphthonginsel für die Orte Erbach, Reinheim und Heidelberg für drei Generationen vor. Die Variablenanalyse von VORBERGER (2017), die die Orte Erbach und Reinheim berücksichtigt, bestätigt den aufgrund der TAHM-Daten gewonnenen Eindruck, dass /o͡u/ in aktuellen Daten nicht mehr stabil ist, sondern variabel verwendet wird. Während die Sprecher der alten Generation in der Dialektkompetenzerhebung /o͡u/ zu 20% (Erbach) bzw. 83% (Reinheim) verwenden, liegen die Werte für die jeweils zwei Sprecher der mittleren Generation bei 40% bzw. 67% (Erbach) und 67% bzw. 80% (Reinheim). Die junge Generation realisiert mhd. ô schließlich zu 50% (Erbach) bzw. 14% (Reinheim) als /o͡u/. Eine Analyse der Daten für Heidelberg zeigt, dass der Sprecher der alten Generation den /o͡u/Diphthong noch zu 60% produziert, während die mittlere und junge Generation nur noch Monophthonge aufweisen. 74 5.3 ERKLÄRUNGSANSÄTZE FÜR DIE UNTERSCHIEDLICHE ENTWICKLUNG VON MHD. Ô IN DEN DEUTSCHEN DIALEKTEN Bevor auf den zentralen sprachdynamischen Erklärungsansatz für die unterschiedliche Entwicklung von mhd. ô im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet und im Rheinfränkischen eingegangen wird, der die Grundlage für die im Weiteren durchgeführten Experimente bildet, werden zunächst die beiden dialektalen Diphthonge /o͡a/ und /o͡u/ in Hinblick auf die bisher in der Forschung diskutierten Charakteristika ausgewertet (vgl. Kapitel 2 und Kapitel 3.2). Betrachtet werden in diesem Rahmen einerseits die Charakteristika, die für den regelmäßigen Lautwandel sowie die lexikalische Diffusion bzw. den Lautersatz angenommen werden, und andererseits die subjektiven und objektiven Kriterien, die im Rahmen der Salienzforschung bzw. der Wahrnehmungsdialektologie thematisiert werden. 74 Zudem wurden im Projekt „Syntax hessischer Dialekte“ (SyHD) (vgl. FLEISCHER / LENZ / WEISS 2017) dialektale Übertragungen der Wenkersätze aufgezeichnet, die allerdings im Rahmen dieser Arbeit nicht analysiert wurden. Auch hier liegen keine parallelen Daten für das bairisch-alemannische Übergangsgebiet vor. Ziel der Arbeit ist allerdings ein möglichst paralleler Vergleich der dialektalen Entwicklung von mhd. ô in beiden Räumen.

136

Das Phänomen: die Entwicklung von mhd. ô

5.3.1 Diskussion der Eigenschaften von Lautwandel und Lautersatz Wie die diachronen Vergleiche in den Kapiteln 5.1.2 und 5.2.2 gezeigt haben, findet im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet ein lexemweiser Wandel des /o͡a/-Phonems zu /o͡u/ bzw. /oː/ statt, sodass einzelne Lexeme, wie z. B. Rose, stärkere Wandeltendenzen aufweisen als beispielsweise Mutterschwein. Im Gegensatz dazu bleibt der /o͡u/-Diphthong im Rheinfränkischen in allen Lexemen gleichermaßen relativ konstant im Raum bestehen. Dies gilt zumindest für den Zeitraum vor 1980. Nach 1980 zeigen sich lexemspezifische Unterschiede bei der Verwendung des /o͡u/-Diphthongs, die in erster Linie das Lexem Brot betreffen. Dieses wird überwiegend monophthongisch realisiert, während die anderen Lexeme innerhalb des Diphthonggebiets stabil bleiben und nur am Rand Variabilität aufweisen. Ein möglicher Einflussfaktor auf diese abweichende Entwicklung in den Daten ab 1980 ist der soziokulturelle Kontext, welcher sich im Laufe des 20. Jahrhunderts stark verändert hat. Beispielsweise kann LAMELI (2004, 108–112) bei seiner Untersuchung sprachlicher Veränderungen bei Gemeinderäten zwischen den 1950er und 1990er Jahren einen linearen Zusammenhang zwischen den Variablen Geburtsjahr und Dialektalitätswert nachweisen. Er definiert den Zeitraum um 1930 als Zäsur, welche Sprecher mit vergleichsweise hoher und niedriger Dialektalität voneinander abgrenzt. Als Gründe diskutiert er einerseits die beginnende standardsprachliche Primärsozialisation, die nach MATTHEIER (1980, 51) in ländlichen Bereichen in der Mitte des 20. Jahrhunderts und in städtischen Bereichen tendentiell schon früher einsetzte. Andererseits sieht LAMELI (2004, 110–111) die Etablierung des Rundfunks ab 1923, des Kinos in den 1930er Jahren sowie des Fernsehens ab 1952 als wichtige Einflussfaktoren für den Dialektalitätswert. Hierbei handelt es sich um Makrosynchronisierungen, d. h. Ausrichtungen an einer gemeinsamen Norm (Standardsprache), für die kein persönlicher Kontakt notwendig ist (vgl. SCHMIDT / HERRGEN 2011, 32). Durch die Etablierung der genannten Medien hat sich die Sprachsituation grundlegend dahingegend geändert, dass erstmals allen Sprechern eine überregionale Norm zugänglich war, an der sie ihre Aussprache ausrichten konnten. Möglicherweise ist der seit den 1980er Jahren beobachtbare Abbau des /o͡u/-Diphthongs durch solche Makrosynchronisierungen und damit einhergehend die beginnende standardsprachliche Primärsozialisation erklärbar. Die häufige monophthongische Realisation bei Brot kann nun in einem zweiten Schritt durch die hohe Frequenz bzw. die häufigen Verwendungssituationen des Lexems erklärt werden: Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Vaterunser überall auf Hochdeutsch gebetet, Ende des 20. Jahrhunderts wurde Brot überall in Bäckereien oder Supermärkten gekauft. Die Verwendungssituation kann also nicht ursächlich für den Gesamtprozess, sondern lediglich einer der Faktoren sein, die bei der einzellexemischen Ausdifferenzierung des Prozesses eine Rolle spielen. (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 202)

Auch VORBERGER (2017) erklärt die im REDE-Korpus vorkommenden einzellexemischen Abweichungen bei der Realisierung von mhd. ô durch die reduzierte Dialektkompetenz der Sprecher. Weiterhin diskutiert er Aspekte wie stadtsprach-

Erklärungsansätze für die unterschiedliche Entwicklung von mhd. ô

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liche Einflüsse sowie die besondere dialektale Situation, welche durch ein substandardsprachliches Kontinuum geprägt ist. Die für diese Arbeit untersuchten Daten legen nahe, dass der /o͡u/-Diphthong nur unter der Bedingung, dass die Sprecher im Dialekt primärsozialisiert und vor dem Medienzeitalter geboren wurden, stabil ist. Für die weiteren Erklärungsansätze und Analysen gilt somit die Voraussetzung der dialektalen Primärsozialisation, da nur unter dieser Bedingung die beiden dialektalen Phoneme konkret den Konzepten Lautwandel und Lautersatz zugeordnet werden können. Dies ist insofern als Einschränkung zu sehen, als sich durch den sich verändernden soziokulturellen Kontext im 20. Jahrhundert die Einflussfaktoren auf den Lautwandel verändert haben. Durch die Etablierung der Medien hat die Standardsprache einen starken Einfluss auf die deutschen Regionalsprachen, sodass das ehemals stabile dialektale /o͡u/-Phonem nach und nach durch sein standardsprachliches Äquivalent ersetzt wird. Im Weiteren wird für diese Arbeit davon ausgegangen, dass /o͡u/ so lange stabil im Raum vorkam, bis der Dialekt nicht mehr mündlich weitergegeben wurde und die Kinder einer standardsprachlichen Primärsozialisation unterzogen wurden. Dass der /o͡u/-Diphthong vor 1980 konstant im Raum auftrat und keine Wandeltendenzen zeigte, hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass die vorhandenen Quellen einen möglichen feinphonetischen Lautwandel zu /oː/ nicht abbilden können. Zudem ist das betrachtete Zeitfenster zwischen 1880 und 1980 wahrscheinlich zu klein, um ihn empirisch nachvollziehen zu können (vgl. SCHMIDT 2015, 246–247). Der zentrale Punkt ist, dass der Diphthong im Gegensatz zum bairisch-alemannischen Gebiet in diesem Zeitraum nicht lexemweise abgebaut wurde. Das Auftreten von /o͡u/ kann somit präzise durch die phonetische Umgebung (= mhd. ô_Obstruent) hergeleitet werden. Dies ist für /o͡a/ in dieser Genauigkeit nicht möglich, da durch den unterschiedlich stark vorangeschrittenen Wandel die dialektale Variante durch die phonetische Umgebung mhd. ô_Obstruent nur annähernd hergeleitet werden kann. Ein weiteres Kriterium zur Unterscheidung der beiden Lautwandeltypen ist die artikulatorische Distanz. Diese unterscheidet sich bei den beiden Phonemen im Vergleich zur Standardsprache. Um die beiden Diphthonge hinsichtlich ihrer artikulatorischen Distanz miteinander vergleichen zu können, wurden die Formantwerte (F1/F2-Werte zu den Zeitpunkten von 20% und 80% der Diphthonge) bei jeweils 10 Realisationen des Lexems Rosen gemessen. 75 Abbildung 33 und Abbildung 34 zeigen das Ergebnis der phonetischen Messungen im Vergleich zu den Werten männlicher bzw. weiblicher Sprecher der standardsprachlichen Phoneme nach SENDLMEIER / SEEBODE (o. J. [2006]). Betrachtet man die beiden Formantkarten, so fällt einerseits auf, dass es sich um grundsätzlich unterschiedliche Diphthonge handelt, d. h. um einen fallenden

75 Die Aufnahmen der Lexeme entstanden im Rahmen der Vorbereitung der durchgeführten EEG-Experimente (vgl. für die Beschreibung der Aufnahmesituation Kapitel 7.1.4).

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Das Phänomen: die Entwicklung von mhd. ô

und einen steigenden Diphthong. Der Mittelwert von F1 liegt für /o͡a/ bei 278 Hz (20%) bzw. 505 Hz (80%), der Mittelwert von F2 bei 807 Hz (20%) bzw. 1279 Hz (80%). Die Artikulationsbewegung innerhalb des Diphthongs, welche sich aus der Subtraktion der Formantwerte bei 20% und 80% ergibt, beträgt -127 Hz (F1) bzw. -472 Hz (F2). Für /o͡u/ hingegen liegen die Mittelwerte von F1 bei 558 Hz (20%) bzw. 395 Hz (80%) sowie von F2 bei 1407 Hz (20%) bzw. 1070 Hz (80%). Die Differenz der Formantwerte zwischen 20% und 80% beträgt 163 Hz (F1) und 337 Hz (F2). Aus diesen Werten ergibt sich, dass keiner der beiden Diphthonge eindeutig als standardnäher im Vergleich zum standardsprachlichen /oː/Monophthong beurteilt werden kann. Die Annahme liegt nahe, dass es sich bei /o͡u/ um den standardnäheren Diphthong handelt, welcher nur eine leichte Bewegung zum /u/ aufweist. Die Messungen zeigen allerdings, dass es sich bei der ersten Diphthongkomponente um einen sehr offenen Laut handelt, welcher phonetisch eher einem [ɔ̈] entspricht. Im Vergleich dazu entspricht die erste Diphthongkomponente des /o͡a/ eher den Werten des standardsprachlichen /oː/. Aus diesem Blickwinkel heraus scheint /o͡u/ tendenziell standardabweichender zu sein als /o͡a/. Andererseits ist im F2-Bereich für /o͡a/ eine größere Bewegung nachweisbar (135 Hz größer als bei /o͡u/), welche für eine größere Standarddifferenz spricht. Aus diesen Gründen muss das Kriterium der artikulatorischen Distanz für beide Phoneme als relevant eingestuft werden.

Abbildung 33: Formantwerte von /o͡a/ im Lexem Rosen eines männlichen Sprechers aus dem bairisch-alemannischen Übergangsgebiet (Merching) im Vergleich zu den Werten männlicher standardsprachlicher Sprecher nach SENDLMEIER / SEEBODE (o. J. [2006])

Erklärungsansätze für die unterschiedliche Entwicklung von mhd. ô

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Abbildung 34: Formantwerte von /o͡u/ im Lexem Rosen einer Sprecherin aus dem /o͡u/-Gebiet im Rheinfränkischen (Reinheim) im Vergleich zu den Werten weiblicher standardsprachlicher Sprecher nach SENDLMEIER / SEEBODE (o. J. [2006])

Ein weiteres Charakteristikum, welches sich auf die Phonetik der beiden Phänomene bezieht, ist die Frage nach der phonetischen Gradualität. Für /o͡a/ ist hierzu anzumerken, dass es sich um einen phonetisch sprunghaften bzw. diskreten Wandel zu /oː/ bzw. /o͡u/ handelt. Die in den „Bayerischen Sprachatlanten“ genannte sowie in den eigenen Aufnahmen gemessene Variante /o͡ə/ kann an dieser Stelle nicht als Zwischenschritt zwischen /o͡a/ und /oː/ bzw. /o͡u/ angenommen werden, da diese feinphonetischen Unterschiede nicht aus dem Wenkermaterial ablesbar sind. Zudem werden im SBS mindestens vier Öffnungsgrade zwischen den Typen /o͡ə/ und /o͡ɐ/ angenommen, wobei Varianten, wie beispielsweise /ɔː͡ə/̞ und /ɔ͡ːɐ/, zusammengefasst werden. Somit kann auch in diesem Material keine graduelle Abstufung zwischen den Varianten nachvollzogen werden. Es wäre allerdings für zukünftige Untersuchungen interessant, aktuelle Aufnahmen mit denen der „Bayerischen Sprachatlanten“ zu vergleichen und so mögliche Qualitätsveränderungen der Diphthonge zu untersuchen. In diesen Zusammenhang fällt auch die Frage, ob sich eine einzelne Lauteigenschaft, wie z. B. Öffnungsgrad, Zungenposition oder Lippenstellung eines Vokals, verändert, oder ob mehrere Eigenschaften betroffen sind. Für /o͡a/ lässt sich die Frage klar mit letzterer Variante beantworten. Es handelt sich nicht um einen Wandel, der sich phonetisch graduell durch die Veränderung einer einzelnen Lauteigenschaft vollzieht. Stattdessen wird der Diphthong vollständig substituiert, sodass entweder die zweite Diphthongkomponente vollständig wegfällt (/oː/) bzw. durch eine andere Komponente ersetzt wird (/o͡u/). Für /o͡u/ kann vor 1980 kein Wandel nachgewiesen werden, sodass dieses Kriterium nicht greift. Für den diachronen Vergleich zwischen 1880 und 1950 lassen sich zudem keine Aussagen

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Das Phänomen: die Entwicklung von mhd. ô

über phonetische Veränderungen machen, da nur schriftliche Daten vorliegen. Die Stabilität des Diphthongs im Raum lässt durchaus feinphonetische Veränderungen zu, die allerdings – wenn vorhanden – so gering waren, dass der Diphthong immer noch als /o͡u/ klassifiziert wurde. Auch für das Kriterium der Kleinräumigkeit lassen sich für /o͡a/ und /o͡u/ keine grundlegenden Unterschiede festmachen, da beide Phoneme relativ kleinräumig in einem begrenzten Areal auftreten. Vergleicht man die Gebiete, so wird /o͡a/ in einem größeren Gebiet verwendet als /o͡u/ im Rheinfränkischen, wobei letztere Variante auch im Mittelbairischen auftritt. Dennoch können beide Phoneme an dieser Stelle als kleinräumig auftretend charakterisiert werden. Das Kriterium der Involviertheit in phonologische Kontraste spielt für den /o͡a/-Diphthong eine Rolle. Im Gegensatz zur Standardsprache und auch zu den angrenzenden Dialektgebieten ist der phonologische Kontrast zwischen den Varianten aus mhd. ô und mhd. ei neutralisiert (Phonemzusammenfall). 76 Solch ein Systemkontrast ist bei dem rheinfränkischen /o͡u/ nicht vorhanden, da in der Standardsprache wie auch den angrenzenden Dialekträumen die gleiche Distinktion auftritt. Inwiefern die Frequenz eine Rolle für die unterschiedliche Entwicklung von mhd. ô spielt, ist empirisch nicht quantifizierbar. Zwar liegen einige Frequenzdatenbanken (z. B. SUBTLEX) vor, diese beziehen sich aber nie auf dialektale Sprechweisen. Allerdings ist davon auszugehen, dass sich die Frequenzen einzelner Lexeme im Standard und im Dialekt unterscheiden, sodass diese Datenbanken nicht zur Erklärung herangezogen werden können. Der Vergleich der Lexeme Rose und Mutterschwein im bairisch-alemannischen Raum zeigt allerdings, dass dialektale Lexeme, die auf seltene Situationen beschränkt sind, wie im Fall von Mutterschwein auf die landwirtschaftliche Domäne, kaum phonologischem Wandel unterliegen. Diese situationsspezifische Verwendungsweise korreliert natürlich auch mit der Frequenz, sodass aus diesem Blickwinkel durchaus angenommen werden kann, dass niederfrequente Lexeme langsamer gewandelt werden. Nachdem die beiden Diphthonge mithilfe der objektiven Kriterien miteinander verglichen wurden, sollen nun subjektive Kriterien zur Unterscheidung der Phoneme herangezogen werden. Studien zur Salienz der beiden Phoneme in den betreffenden Regionen liegen bisher nicht vor. Allerdings lassen sich Ergebnisse zur subjektiven Dialektalität vergleichbarer Phänomene heranziehen. Beispielsweise untersucht KIESEWALTER (2014) in ihren Salienztests den im Mittelbairischen vorkommenden Erhalt von mhd. uo als [u͡ɐ]. Für das Phänomen konnte ein interregionaler Median (subjektiver Dialektalitätswert) von 4 (Skala von 0–6) ermittelt werden, was neben der /s/-Palatalisierung dem höchsten Wert im Test entspricht. Betrachtet man die regionsspezifischen Medianwerte, so bewerten mittelbairische Hörer [u͡ɐ] sogar mit einem Median von 5 Punkten, sodass „dieses Phänomen offenbar ein typisches heimatliches Merkmal insbesondere dialektnaher

76 Vgl. Kapitel 5.3.2 für Beispiele sowie eine genaue Beschreibung des Phonemzusammenfalls.

Erklärungsansätze für die unterschiedliche Entwicklung von mhd. ô

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Sprechweisen darstellt“ (KIESEWALTER 2014, 126). In ihrer Dissertation untersucht KIESEWALTER (2018) ebenfalls eine Variante des /o͡u/-Diphthongs, nämlich einen norddeutsch realisierten Diphthongoid, welcher im interregionalen Vergleich nur einen Median von 1 erreicht. Auch wenn die beiden Phänomene nicht exakt mit den hier untersuchten Phonemen übereinstimmen, so lässt sich aus den Ergebnissen dennoch schließen, dass der /o͡a/-Diphthong, bei dem es sich ebenso wie bei dem untersuchten [u͡ɐ] um einen fallenden Diphthong handelt, eine höhere perzeptive Distanz aufweist als ein /o͡u/-Phonem bzw. -Diphthongoid. Hierbei spielt sicherlich auch eine Rolle, dass fallende Diphthonge im Gegensatz zu steigenden in der Standardsprache nicht auftreten und auch aus diesem Grund perzeptiv auffälliger sein müssten. Zudem ist von Interesse, ob es sich bei den beiden Phonemen um remanente Merkmale handelt und sie dementsprechend auch in standardintendierten Sprechlagen verwendet werden. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Sprecher versuchen, ein perzeptorisch auffälliges Merkmal in standardnahen Sprechsituationen zu vermeiden. Zur Untersuchung der Frage, ob die dialektalen Varianten /o͡a/ und /o͡u/ intersituativ unterschiedlich verwendet werden, wurden im REDE-Projekt erhobene dialekt- und standardintendierte Realisationen der Lexeme Brot, groß, hoch, roten und tot herangezogen (Kompetenzerhebungen). Im bairischalemannischen /o͡a/-Gebiet liegen Daten für die Orte Farchant (GarmischPartenkirchen), Augsburg, Kaufbeuren, Blindheim und Aalen vor, wobei Kaufbeuren, Blindheim und Aalen nach WIESINGER (1983) bereits im Schwäbischen liegen. Die ohrenphonetische Analyse der dialektalen Realisierungen bei den 28 vorhandenen Sprechern führt zu dem Ergebnis, dass der /o͡a/-Diphthong von 15 Sprechern in mindestens einem Lexem verwendet wird. Einige Sprecher realisieren ein sehr offenes /ɔː/ mit einer kleinen Bewegung, welches hier allerdings nicht als /o͡a/ gewertet wurde. Der zentrale Punkt ist, dass kein einziger Sprecher den /o͡a/-Diphthong während der Standardkompetenzerhebung verwendet. Auch das offene /ɔː/ tritt kein Mal auf. Somit kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei /o͡a/ um kein remanentes Merkmal handelt, sondern um ein Merkmal, welches in standardintendierten Sprechsituationen vermieden werden kann. Hierzu passt auch die Beobachtung, dass sich ein Augsburger Sprecher der alten Generation selbst verbessert, als er zunächst /ro͡at/ ‘rot’ realisiert. Er bemerkt seine dialektale Aussprache und korrigiert sich selbst, indem er anschließend die standardsprachliche Variante /roːt/ nennt. Im /o͡u/-Gebiet des Reinfränkischen und im rheinfränkisch-östfränkischen Übergangsgebiets liegen Daten aus den Orten Reinheim, Erbach und Heidelberg vor. Die Analyse der vorhandenen Sprachaufnahmen der drei Generationen ergibt, dass 9 der 14 Sprecher den /o͡u/-Diphthong bei der Dialektkompetenzerhebung in mindestens zwei Lexemen verwenden. Interessanterweise wird auch dieses Merkmal von allen Sprechern in standardintendierten Sprechsituationen vermieden. Kein Sprecher verwendet den Diphthong während der Standardkompetenzerhebung, sodass es sich bei dem Phänomen ebenfalls um kein remanentes Merkmal handelt. Somit können beide dialektalen Merkmale kontrolliert werden. Genau in diesem Sinne ist auch das Kriterium des CodeSwitchings gemeint. Merkmale,

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Das Phänomen: die Entwicklung von mhd. ô die intersituativ systematische und deutliche Variation aufweisen, können als Bestandteile zumindest des Routinewissens der Sprecher gewertet werden. Die (meisten) Sprecher haben die Kompetenz, sie in Abhängigkeit von bestimmten Situationsparametern und in Abhängigkeit von der individuellen Situationsbewertung einzusetzen bzw. zu vermeiden. (LENZ 2003, 197)

Somit ist davon auszugehen, dass beide dialektalen Diphthonge Bestandteile des Routinewissens der bairisch-alemannischen bzw. rheinfränkischen Sprecher sind, da diese situationsadäquat eingesetzt und somit in standardintendierten Situationen vermieden werden. In diesem Zusammenhang lässt sich auch die Frage beantworten, ob das Vorkommen der beiden dialektalen Diphthonge mit sozialen Faktoren, wie z. B. Alter, Status und Geschlecht, korreliert. Im REDE-Projekt wurden die drei Sprechergruppen nach sozialen Merkmalen ausgewählt. Bei der alten Generation handelt es sich um über 60-jährige (ehemals) manuell tätige Sprecher, bei der mittleren Generation um Polizeibeamte des mittleren und gehobenen Diensts (mittleres Bildungsniveaus und Sozialstatus mit kommunikationsorientierter Tätigkeit) und bei der jungen Generation um 18–23-jährige Sprecher mit höherer Schulbildung (Abiturienten). Leider liegen, wie beschrieben, nicht viele Daten zu den hier untersuchten Gebieten vor und zudem auch keine Daten aus den ländlichen Räumen, in denen die dialektale Realisierung viel häufiger auftreten sollte, sodass die im Weiteren beschriebenen Daten keinesfalls repräsentativ für das gesamte Gebiet sind. Was für die Sprecher des bairisch-alemannischen Raums auffällt, ist, dass /o͡a/ noch von allen Generationen verwendet wird. Betrachtet man allerdings die einzelnen Realisationen der Lexeme, so zeichnet sich dennoch ein intergenerationeller Unterschied ab. Die Sprecher der alten Generation verwenden den /o͡a/Diphthong in vielen Fällen für vier der fünf Lexeme (Brot wird von keinem Sprecher diphthongisch realisiert), während die mittlere und junge Generation /o͡a/ nur in 1–2 Lexemen realisiert. Diese Situation ist für /o͡u/ etwas anders, da hier nicht nur die Sprecher der alten Generation, sondern auch der mittleren Generation den dialektalen Diphthong in bis zu vier Lexemen verwenden. In der jungen Generation wird /o͡u/ allerdings nur von einem Sprecher in zwei Fällen verwendet. Wie bereits angedeutet ist dieses Ergebnis nicht repräsentativ und kann nur als Hinweis dahingehend gewertet werden, dass /o͡a/ intergenerationell größere Wandeltendenzen zeigt und somit stärker von sozialen Faktoren abhängt als /o͡u/. Es muss aber ausdrücklich gesagt werden, dass an dieser Stelle weitere Untersuchungen folgen müssten, um die Frage klar beantworten zu können. Problematisch ist, dass in den meisten älteren Dialekterhebungen nur eine Generation – nämlich die älteste – befragt und somit der Einfluss sozialer Faktoren nicht betrachtet wurde. Zum Kriterium der Verschriftlichung muss gesagt werden, dass beide Phoneme in Dialektwörterbüchern vermerkt sind und auch in der indirekten Erhebung des Wenker-Atlasses durch Laienschreibungen erfasst werden konnten. Beide Diphthonge sind mithilfe des normalen Alphabets notierbar, wobei natürlich phonetische Feinheiten, wie z. B. der Öffnungsgrad des ersten Diphthongteils, unberücksichtigt bleiben.

Erklärungsansätze für die unterschiedliche Entwicklung von mhd. ô

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Zu den weiteren in der Forschung diskutierten Charakteristika, wie der Abhängigkeit von grammatischen Bedingungen, der kategorialen Wahrnehmung, dem Erwerb, dem Sprachspott sowie der Verständlichkeit, können für die beiden Diphthonge keine empirischen Ergebnisse herangezogen werden, sodass keine belastbaren Aussagen gemacht werden können. Die in dieser Arbeit durchgeführten EEG-Experimente leisten u. a. einen Beitrag zur Frage der interdialektalen Verstehbarkeit. Diese wurde bisher beispielsweise von SCHMITT (1992) am Beispiel des Rhein- und Moselfränkischen untersucht. Er kann zeigen, dass sich der phonetische Abstand von der Standardsprache auf die Verstehbarkeit auswirkt, bezieht dies allerdings nicht auf einzelne Phänomene, sondern das Satzverstehen, sodass aus der Studie keine Ergebnisse für die hier relevanten Phoneme abgeleitet werden können. Als letzte Eigenschaft, die seit Beginn der Diskussion um Lautwandel und Lautersatz thematisiert wird, ist die Bewusstheit zu nennen. Die Bewusstheit über Laute ist letztlich das Resultat aus den anderen genannten Charakteristika. SEIDELMANN (1992, 122) beschreibt Lautersatz als unbewussten, aber bewusstseinsfähigen Prozess, während Lautwandel die Schwelle des Bewusstseins nicht überschreiten kann. Aus den bereits beschriebenen übrigen Charakteristika ergibt sich, dass die beiden dialektalen Phoneme bewusstseinsfähig in dem Sinne sind, dass sie von den Sprechern benannt und verschriftet werden. Die perzeptive Distanz ist für die beiden Phoneme sicherlich unterschiedlich, dennoch fallen beide Phoneme auf. Was aber eher im Sinne der Unbewusstheit diskutiert wird, ist, dass im Rahmen des Lautwandels die feinen phonetischen Abstufungen nicht wahrgenommen werden. Der Wandel geht so graduell vor sich, dass sich kein Sprecher dessen bewusst ist. Da aber durch die fehlenden sprachlichen Quellen solche feinphonetischen Unterschiede im /o͡u/-Diphthong nicht nachgewiesen werden können, kann hierüber keine Aussage gemacht werden. Abschließend gibt Tabelle 10 einen Überblick über die in diesem Kapitel diskutierten Eigenschaften der beiden Phoneme. Das Ergebnis zeigt insgesamt, dass sich die beiden Phoneme aufgrund der genannten Charakteristika unterscheiden lassen. Nach LABOV (2010a, 542) ist davon auszugehen, dass anhand solcher Charakteristika zwar zwei Pole aufgezeigt werden, es aber zweifellos für viele Phänomene dazwischenliegende Kombinationen der Eigenschaften gibt. Dies legen auch die Ergebnisse für die beiden Diphthonge nahe. Demnach weist der /o͡a/Diphthong größtenteils die erwarteten Eigenschaften auf und ist mehr oder weniger ein typischer Fall von Lautersatz. Der /o͡u/-Diphthong hingegen kann zwar relativ eindeutig dem Lautwandel zugeordnet werden, dennoch ist beispielsweise die intersituativ unterschiedliche Verwendung des Phonems untypisch für den Lautwandel. Da hierfür rezente Daten aus dem REDE-Projekt untersucht wurden, kann dies möglicherweise durch den Einfluss der Standardsprache erklärt werden. Es ist somit ableitbar, dass es sich bei den beiden Diphthongen nicht um zwei völlig gegenteilige Phänomene handelt. Zudem können sie nicht in alle Kategorien eingeordnet werden. Es fehlen insbesondere empirische Ergebnisse zu den subjektiven Charakteristika, wie der kategorialen Wahrnehmung, dem Erwerb sowie der Verständlichkeit. Somit leisten die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten EEG-

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Das Phänomen: die Entwicklung von mhd. ô

Experimente einen wichtigen Beitrag, um den Einflussfaktor der interdialektalen Verstehbarkeit zu untersuchen.

Abbau Lexemspezifischer Abbau Abhängigkeit von lautlichen Bedingungen Abhängigkeit von grammatischen Bedingungen Artikulatorische Distanz phonetisch diskret Anzahl der veränderten Lauteigenschaften Kleinräumigkeit Frequenz Involviertheit in phonologische Kontraste Abhängigkeit von sozialen Faktoren Perzeptive Distanz (Hörerurteilsdialektalitätswert) Remanenz im Standard Code-Switching Verschriftlichung Kategoriale Wahrnehmung Verständlichkeit Erwerb Sprachspott Bewusstsein Tabelle 10:

/o͡a/-Phonem

/o͡u/-Phonem

+ + annähernd

präzise

?

?

+ + mehrere + + + (eher +)

+ kein Wandel kein Wandel + (eher -)

hoch

niedrig

+ + ? ? ? ? bewusstseinsfähig

+ + ? ? ? ? (bewusstseinsfähig)

Charakteristika der dialektalen Diphthonge /o͡a/ und /o͡u/

5.3.2 Der sprachdynamische Erklärungsansatz Wie lassen sich nun die beiden unterschiedlichen Entwicklungen von mhd. ô, wie sie in den beiden vorherigen Kapiteln aufgezeigt wurden, im Sinne der Sprachdynamiktheorie erklären (vgl. hierzu SCHMIDT / HERRGEN 2011, 174–212; SCHMIDT 2010b, 218–220)? Kern der Theorie ist die Erklärung von Wandel und Stabilität aus dem Zusammenspiel von Sprachkognition und Interaktion. Das bedeutet, Wandel und Stabilität resultieren aus Interaktionen zwischen Sprechern mit unterschiedlichen kognitiv-linguistischen Voraussetzungen, d. h. unterschiedlichen Kompetenzen und somit (dialektalen) Phonemsystemen. Die unterschiedlichen Entwicklungen lassen sich nun durch Mesosynchronisierungen im Rahmen von interdialektalen bzw. überregionalen Interaktionen erklären. SCHMIDT / HERRGEN

Erklärungsansätze für die unterschiedliche Entwicklung von mhd. ô

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(2011, 203, Hervorhebung im Original, M. L.) bezeichnen als Ursache für die lexemweisen Unterschiede im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet die „Strukturdifferenzen der beteiligten regionalen Varietäten (individuell: Kompetenzdifferenzen der Sprecher) und [die] sich daraus ergebenden interaktiven Konsequenzen und deren sprachkognitive Rückkopplungen“. Die Strukturdifferenzen der beteiligten regionalen Varietäten lassen sich dadurch erklären, dass eine unterschiedliche Phonem/Lexem-Zuordnung des /o͡a/-Phonems bei Sprechern aus dem bairisch-alemannischen Übergangsgebiet und Sprechern des östlich angrenzenden Mittelbairischen vorliegt. Während die Kompetenz ersterer ein einheitliches /o͡a/-Phonem für mhd. ô und mhd. ei umfasst, unterscheiden mittelbairische Sprecher zwei Phoneme: /o͡a/ < mhd. ei und /o͡u/ < mhd. ô (vgl. Abbildung 37). Belege für diese Differenz liefern beispielsweise eine Anzahl von Orts- und Landschaftsgrammatiken. Die bereits oben hinsichtlich der dialektalen Realisierung von mhd. ô im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet ausgewerteten Grammatiken geben für mhd. ei folgende Varianten an: /o͡ɐ/, /ɔ͡ɐ/, /ɔ͡a/. 77 Vergleicht man die Angaben für mhd. ô und mhd. ei in den jeweiligen Ortsbeschreibungen, so findet sich die gleiche Schreibung für die beiden Phoneme, sodass davon auszugehen ist, dass die gleiche Realisierung und somit ein Phonemzusammenfall vorliegt. 78 Die unterschiedliche sprachhistorische Entwicklung von mhd. ô im bairischalemannischen Übergangsgebiet und im Mittelbairischen ist wie folgt vorstellbar: Die Reihe mhd. ê – ô – ö̂ ist durch einen lautkombinatorischen Wandel von germ. ai – au entstanden. Im gesamten hochdeutschen Raum spalteten sich die Diphthonge in ahd. ei – ou bzw. ê – ô. Hierzu wurde germ. ai vor h, w und r zu ahd. ē sowie germ. au vor Dentalen, den Liquiden l und r sowie h zu ahd. ō monophthongiert. Qualitativ kann von einer offenen Aussprache der entstandenen Monophthonge ausgegangen werden, die im Alemannischen und Bairischen bis heute besteht (vgl. WIESINGER 1970a, 199–200). 79 Die so entstandenen Monophthonge entwickelten sich in den deutschen Dialekten auf unterschiedliche Weise weiter. WIESINGER (1970a, 200–201) zufolge entstanden die fallenden Diphthonge im Schwäbischen durch fallenden Akzent sowie das mittelbairische ƆU durch Palatovelardiphthongierung. Die im äußersten Westen des Mittelbairischen (bairisch-alemannisches Übergangsgebiet) vorkom77 Vgl. FREUDENBERG (1959, 44), GLADIATOR (1971, 84), IBROM (1970b, 117–119), LECHNER (1999, 21), LESSIAK / LÜERS (1930, 336), MOSER (1933, 51–52), RENN (1994, 68–69), RENN (1994, 268–269), WHITE (1966, 10) und WÖLZMÜLLER (1986a, 32). 78 Allerdings gibt RENN (1994, 188) als Realisierung für mhd. ô östlich des Lechs /ɔ͡ə/ und für mhd. ei /ɔ͡ɐ/ an. Da alle anderen vorhandenen Daten allerdings keine Differenzierung des dialektalen Phonems in Abhängigkeit vom Bezugslaut anzeigen, kann dieser feinphonetische Unterschied vernachlässigt werden. 79 Gemeint ist eine offene Aussprache der „heutigen Lauttypen Ē – Ō (– Ȫ ) und gebietsweise daraus weiterentwickelten steigenden Diphthongen EI – OU (– ÖÜ ) bzw. AI – AU (– AÜ ) und fallenden Diphthongen EA – OA – ÖA“ (WIESINGER 1970a, 200, Kursivierung im Original, M. L.).

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Das Phänomen: die Entwicklung von mhd. ô

menden fallenden Diphthonge EA – OA fielen schließlich mit den dialektalen Entsprechungen von mhd. ei und seinem Analogieumlaut zusammen. Letztere entwickelten sich in den beiden betreffenden Gebieten wie folgt: Die Reihe mhd. ei – ou – öü umfasst im Bairischen und Schwäbischen die Beispiele, die nicht innerhalb des oben beschriebenen kombinatorischen Lautwandels der Reihe germ. ai – au monophthongiert wurden. In Teilen des Alemannischen und Bairischen wurde die Reihe zu den Extremdiphthongen AI – AU – AÜ geöffnet. AI wurde anschließend zu offenem OI verdumpft, welches sich dann unter Einfluss eines fallenden Akzents zu OA entwickelte (vgl. WIESINGER 1970b, 94). Nach KRANZMAYER (1956, 59, Kursivierung im Original, M. L.) ist „die Abwicklung des Wandels von ai über ǫi zu ǫɒ im Bairischen überall als Art automatische Kettenreaktion abgelaufen“, welche er als „neigungsmäßig vorausbestimmt“ und „zwangsläufige Selbstverständlichkeit“ beschreibt. Diesen Ausführungen zufolge sind germ. ai > mhd. ei > AI > OI > OA und germ. au > mhd. ô > OA im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet zusammengefallen, während dieser Phonemzusammenfall im Mittelbairischen nicht stattgefunden hat. Diesen Umstand thematisiert auch KOCH (2016, 128), die von der diachronen Entwicklung germ. ai > ei > ae > oe ausgeht, wobei sich das im Bairischen auftretende oe zu oa gesenkt habe. Eine aussagekräftige Quelle für diese frühen vokalischen Entwicklungen sind mittelalterliche Urkunden. Beispielsweise folgert KRANZMAYER (1956, 46, Kursivierung im Original, M. L.): Seit 1200 bemerken wir nämlich im Südbair. für mhd. ô (allerdings sehr seltene) oaSchreibungen, zwei Jahrzehnte später treten die gleichen oa-Schreibungen für mhd. ei dazu. Dementsprechend sind in den verkehrsreicheren Landschaften des Südbairischen mhd. ô und mhd. ei tatsächlich als ǫɒ-Lautung zusammengefallen.

Um einen Hinweis auf den Zeitraum bzw. den Beginn des Phonemzusammenfalls im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet zu erhalten, wurde das „Corpus der altdeutschen Originalurkunden bis zum Jahr 1300“ untersucht. 80 Die Auswertung der Orte im Übergangsgebiet nach WIESINGER (1983) 81 lieferte allerdings keinen Hinweis auf einen Phonemzusammenfall, sodass er sich höchstwahrscheinlich später ereignet hat. 82 Neben der bereits beschriebenen Angabe der gleichen phonetischphonologischen Formen für die beiden Bezugslaute in den Ortsgrammatiken sind in diesen zusätzlich einige konkrete Hinweise auf den Phonemzusammenfall vorhanden. Beispielsweise findet sich folgende Anmerkung bei IBROM (1970b, 94): 80 Vgl. für eine Einführung in das Korpus SCHULZE (2011) sowie zu den einzelnen Lexemen die Wörterbücher der mittelhochdeutschen Urkundensprache (WMU) Band I (1994), Band II (2003) und Band III (2010). 81 Ausgewertet wurden die Urkunden der Orte Adelzhausen, Aichach, Augsburg, Brandenberg, Derching, Friedberg, Kühlbach, Peissenberg, Polling, Schneitbach, Steingaden, Weilheim/Oberbayern, Wessobrunn und Wildenroth. 82 Ich danke an dieser Stelle JACOPO BONOSI für die Unterstützung bei der Auswertung.

Erklärungsansätze für die unterschiedliche Entwicklung von mhd. ô

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„Wird mhd. ô als [ɔɐ] realisiert, so fallen im Gebiet südlich von einschließlich Feldheim – Mittelstetten – Staudheim – Kunding – Illdorf – Dezenacker – Hollenbach mhd. ô und mhd. ei phonematisch in allen Stellungen zusammen“ (vgl. hierzu auch die Karte zu den fallenden Diphthongen in IBROM (1973, 42)). Auch nach KOCH (2016, 129, Kursivierung im Original, M. L.) ist davon auszugehen, dass „die oa-Diphthonge für den Grundlaut mhd. ei östlich des Lechs identisch sind mit den Realisierungsformen für den Grundlaut mhd. ô “. Infolge des Phonemzusammenfalls haben sich im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet Homonyme gebildet. Beispielsweise nennen LESSIAK / LÜERS (1930, 336) „roasn = Rose oder ‚reisen‘ im Sinn von davonlaufen“. Zudem gibt FREUDENBERG (1959, 42) an, dass mhd. ô in Brot vielleicht erhalten geblieben ist, „um der Homonymie zu mhd. brait > broɐt auszuweichen“. Die Formulierung legt allerdings nahe, dass nicht /o͡a/ sondern /oː/ als ursprünglicher Laut angenommen wird. Ob es sich im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet auch synchron um ein einziges /o͡a/-Phonem handelt, oder ob sich die Realisierung je nach Bezugslaut unterscheidet, soll im Weiteren kurz am Beispiel einer Sprecherin aus Althegnenberg untersucht werden. Die Aufnahmen entstanden im Rahmen der vorbereitenden Explorationen für die in der vorliegenden Arbeit durchgeführten EEGExperimente. Hierbei wurden Wortlisten mit Phonemen, die auf mhd. ô bzw. mhd. ei zurückgehen, abgefragt (vgl. hierzu auch Kapitel 7.1.2). Abbildung 35 zeigt die Formantwerte (F1/F2) gemessen bei 20% und 80% des /o͡a/-Diphthongs. Die schwarzen Symbole zeigen die Werte für /o͡a/ < mhd. ô an 83, die grauen Symbole die Werte für /o͡a/ < mhd. ei 84. Die Formantkarte zeigt, dass sich das Phonem phonetisch nicht nach dem Bezugslaut unterscheiden lässt. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass es sich synchron um den gleichen Laut handelt.

83 /o͡a/ < mhd. ô wurde in folgenden Lexemen gemessen: Erde (mhd. kôt ), Floh, Floß, groß, hoch, Hochzeit, Kloster, Mutterschwein (mhd. lôse), Not, Ostern, Reisigbündel (mhd. bôze), roh, rot, Schoß, Schote, Stoß, Tod. 84 /o͡a/ < mhd. ei wurde in folgenden Lexemen gemessen: Beize, Beisel, breit, Eiche, Eiter, Geiß, Geißel, Geschwür, Getreide, Knirps, Laib, Laich, Leid, Leiter, Mahd (mhd. sleizen), Meister, Neige, Reise, Scheite, Schweif, Schweiß, Seiche, Seife, Speiche, Streich, Streifen, Teig, Wagenspur, Weide, Weizen, Zeichen.

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Das Phänomen: die Entwicklung von mhd. ô

Abbildung 35: Formantwerte für /o͡a/ differenziert nach den Bezugslauten mhd. ô (schwarz) und mhd. ei (grau)

Evidenz für die unterschiedliche Entwicklung von mhd. ô und mhd. ei vor Obstruent im Mittelbairischen liefert z. B. GRUNDLER (1951), der für Erding für mhd. ô /ɔ͡u/ und mhd. ei /ɔ͡a/ angibt. Auch MAIER (1965) nennt als typische mittelbairische Entwicklung für das oberbayerische Gebiet zwischen Isar und Inn die Varianten /ɔ͡u/ < mhd. ô und /ɔ͡ɐ/ < mhd. ei. Gleiches gilt für München und Umgebung (vgl. WITTMANN 1943, 32), das Samerberggebiet (vgl. BRÜNNER 1955, 29) und die Hallertau (/ɔ͡u/, /ɔ͡a/) (vgl. ZEHETNER 1978, 126–127, 156–157). 85 Auch REIN (2005, 194) und STÖR (1999a, 303) geben an, dass der /o͡u/Diphthong < mhd. ô in den ländlichen Zonen vergleichsweise gut erhalten ist und sogar von jüngeren Sprechern verwendet wird, während im Münchner Stadtgebiet überwiegend der Monophthong auftritt. Für mhd. ei wird /o͡a/ genannt (vgl. STÖR 1999a, 351–363). Die Differenzierung der beiden Phoneme ist dementsprechend eine großräumige mittelbairische Erscheinung. 86

85 Mit KUFNER (1961) liegt zudem eine strukturelle Grammatik des Münchner Stadtdialekts vor, für den 13 Diphthonge angegeben werden, unter die /ɔ͡a/, aber nicht /o͡u/ fällt. Stattdessen wird in an-, in- und auslautender Position ein „erhöhter mittlerer, hinterer, gerundeter“ (KUFNER 1961, 27) Monophthong angegeben. 86 Es soll allerdings angemerkt werden, dass die Realisierung von mhd. ô als /o͡u/ nicht nur auf das Mittelbairische beschränkt ist, sondern auch das Nordbairische sowie die angrenzenden Übergangsgebiete umfasst. Beispielsweise gibt ZEHETNER (2002, 322, Kursivierung im Original, M. L.) für Regensburg an, dass mhd. ô „in gängigen Wörtern grundsätzlich monophthongisch wie in der Mundart anderer mittelbairischer Städte [erscheint]; ou ist charakteristisch für die ländlichen Dialekte. Nur in reinen Dialektwörtern erscheint ou auch in der Stadt,

Erklärungsansätze für die unterschiedliche Entwicklung von mhd. ô

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Weitere Belege liefern die phonologischen Karten von mhd. ô und mhd. ei des Wenker-Atlasses, deren Überblendung ein Phonemzusammenfallgebiet zwischen Lech und – je nach Lexem – München zeigt (vgl. Abbildung 36 für die Überblendung der Karten groß und Seife; vgl. hierzu auch Karte 10b bei KRANZMAYER 1956). In den Karten für mhd. ô ist östlich des oa-Gebiets die Leitform ou eingetragen. Eine genauere Betrachtung zeigt allerdings viele unterschiedliche Schreibungen, sodass v. a. ou -Diphthonge und ō -Monophthonge nebeneinander auftreten (vgl. hierzu auch die Abbildungen zu Brot, groß, hoch, Mutterschwein und Rose aus Kapitel 5.1.2).

Abbildung 36: Phonemzusammenfallgebiet von mhd. ô und mhd. ei > /o͡a/ bei Überblendung der Wenker-Karten groß und Seife vor der Dialekteinteilung von WIESINGER (1983)

Aufgrund der genannten Kompetenzdifferenzen zwischen bairisch-alemannischen und mittelbairischen Sprechern ergeben sich verschiedene interaktive Konsequenzen. Es gibt drei verschiedene Szenarien (vgl. Abbildung 37): Verwenden bairisch-alemannische Sprecher Lexeme, die /o͡a/ < mhd. ei (z. B. /go͡as/ ‘Geiß’) beinhalten, liegt Phonemidentität vor. Bairisch-alemannische Sprecher und mittelbairische Hörer ordnen das /o͡a/-Phonem korrekt der Sprecherintention und somit

so etwa in boussn, doudln, Koud “ (‘stoßen’, ‘dahinsiechen’, ‘Humusboden’). (vgl. hierzu auch die dialektgeographische Untersuchung von NÜBLING (1938), die das Gebiet nördlich der Donau umfasst). Die typische Lautung für mhd. ei ist im Nordbairischen allerdings /ɔ͡i/.

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Das Phänomen: die Entwicklung von mhd. ô

dem gleichen Lexem zu. Dies führt zu einer problemlosen Kommunikation und damit einhergehend zu stabilisierenden Synchronisierungen bei den Interaktionspartnern basierend auf den positiven Rückkopplungen der Hörer. Kommunikative Schwierigkeiten treten erst dann auf, wenn die bairisch-alemannischen Sprecher das /o͡a/-Phonem < mhd. ô verwenden. Die mittelbairischen Hörer beziehen das perzipierte Phonem auf ihr dialektales Phonemsystem und ordnen es falschen Lexemen zu. Diese falsche Phonem/Lexem-Zuordnung kann auch als Fehldekodierung bezeichnet werden, da die Hörer das Lexem anders dekodieren als vom Sprecher intendiert. Unterschieden werden können hierbei zwei Arten der Fehldekodierung: das Missverständnis und das Nichtverstehen. Der Unterschied liegt wie in Kapitel 3.1 beschrieben darin, dass bei Missverständnissen ein Abgleich zwischen Gemeintem und Verstandenem erfolgt, während bei Nichtverstehen dieser Abgleich nicht möglich ist. Ein Missverständnis ist demnach die Folge eines Interpretationsvorgangs, dessen Resultat ein Bewusstsein darüber ist, dass das Verstandene nicht mit dem Gemeinten übereinstimmt. Das Nichtverstehen hingegen wird dem Hörer direkt bewusst, da kein Sinnzusammenhang hergestellt werden kann und somit keine plausible Interpretation möglich ist. Im Gegensatz zum Missverständnis gibt es bei Nichtverstehen kein Konzept, welches einem Referenten zugeordnet werden kann. Bezogen auf das hier beschriebene Phänomen bedeutet das, dass immer dann, wenn ein Minimalpaar, welches sich nur durch den historischen Bezugslaut unterscheidet, gebildet werden kann, mit den Lexemen in den beiden Dialekträumen unterschiedliche Bedeutungen verknüpft sind. Beispielsweise bedeutet das dialektale Lexem /ro͡asn̩/ im bairisch-alemannischen Gebiet (ursprünglich) ‘Rosen’ und ‘Reisen/reisen’, während es im mittelbairischen Dialekt nur die Bedeutung ‘Reisen/reisen’ trägt. Verwenden also bairisch-alemannische Sprecher /ro͡asn̩/ ‘Rosen’, so beziehen die mittelbairischen Sprecher die Variante auf ihr eigenes /o͡a/Phonem und dekodieren die Variante als ‘Reisen/reisen’. Hierbei handelt es sich um ein Missverständnis, da der gehörten Form eine nicht der Sprecherintention entsprechende Bedeutung zugewiesen wird und somit eine Diskrepanz zwischen gemeinter und verstandener Bedeutung entsteht. Bei der Verwendung aller anderen Lexeme, die /o͡a/ < mhd. ô beinhalten, und die kein Minimalpaar mit mhd. ei bilden (z. B. /ho͡ax/ ‘hoch’), kommt es ebenfalls zu Fehldekodierungen, die allerdings zu Nichtverstehen führen. Die mittelbairischen Hörer beziehen die Form auf ihr eigenes /o͡a/-Phonem, können ihr aber keine Bedeutung zuweisen, da es dieses Lexem im Mittelbairischen nicht gibt. Grundlage dieses Zuordnungsprozesses ist die bivarietäre Kompetenz der Sprecher. Da sie neben ihrer Dialektkompetenz auch eine Kompetenz für eine standardnahe Sprechweise besitzen, können sie intuitiv Bezüge zwischen den Phonemsystemen herstellen. Da dem mittelbairischen /o͡a/-Phonem standardsprachliches /a͡e/ entspricht, dekodieren die Hörer die bairisch-alemannische Variante /ho͡ax/ ‘hoch’ als ‘ha͡ex’, was keine existierende Wortform ist. Sie trägt für die Hörer keine Bedeutung, sodass der lexikalische Zugriff ins Leere läuft. Dementsprechend kann die Form nicht sinnvoll intepretiert und kein Referent zugewiesen werden.

Erklärungsansätze für die unterschiedliche Entwicklung von mhd. ô

Abbildung 37:

151

Das /o͡a/-Phonem in der interdialektalen Kommunikation

Resultat der Missverständnisse und des Nichtverstehens in der interdialektalen Kommunikation sind negative Rückkopplungen durch die mittelbairischen Hörer. Diese haben kognitive Auswirkungen bei den bairisch-alemannischen Sprechern, welche im Sinne der Sprachdynamiktheorie zu Kompetenzmodifikationen führen (Mesosynchronisierungen). Grund hierfür ist, dass in einer für den naiven Sprecher völlig unvorhergesehenen Weise […] eine jede Verwendung des /oa/-Phonems auch zu einem Scheitern (= Missverstehen oder Nichtverstehen) der sprachlichen Interaktion mit einem Sprecher von Nachbardialekten führen [kann] […]. Der interaktive Kompetenzabgleich (Mesosynchronisierungen) wirkt also – in dem Maß, in dem die Regionalisierung fortschreitet – seit mehr als einem Jahrhundert in Richtung auf eine Modifizierung des dialektalen /oa/Phonems. (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 209)

Insgesamt wird der lexemweise Wandel von /o͡a/ als eine interaktive Folge der Kommunikation von Sprechern „mit partiell übereinstimmender, partiell aber auch differierender kognitiv-phonologischer Struktur“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 187) erklärt. Die Folgegeneration erhält als Input die neue Variante (/oː/, /o͡u/), die sich weiter durchsetzt. 87 Dass sich das mittelbairische /o͡u/-Phonem gegen das bairisch-alemannische /o͡a/ durchsetzt, hängt mit dem Prestige des Mittelbairischen sowie der politischen und wirtschaftlichen Rolle Bayerns und insbesondere

87 Es treten im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet ebenfalls /o͡u/-Diphthongoide, die eine Kompromissform zwischen den /oː/-Monophthongen und /o͡u/-Diphthongen bilden, auf. SCHMIDT / HERRGEN (2011, 211–212) erklären diese Varianten durch einzellexemische phonetische Synchronisierungen. Diese können von den mittelbairischen Sprechern korrekt als allophonische Variante auf ihr /o͡u/-Phonem bezogen werden, sodass die Varianten nur „als geringfügige dialektale phonetische Abweichungen wahrgenommen [werden], Fehldekodierungen sind in jedem Fall ausgeschlossen“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 212).

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Das Phänomen: die Entwicklung von mhd. ô

Münchens zusammen (vgl. SCHMIDT / HERRGEN 2011, 210). 88 Somit handelt es sich bei dem Phänomen um einen typischen Lautersatz, d. h. eine extern motivierte Umstrukturierung der Phonem/Lexem-Zuordnung. Zentraler Punkt ist hierbei, dass die neue Variante weder in der lokalen noch interdialektalen Kommunikation zu Missverständnissen oder Nichtverstehen führt: Diese Veränderung des Sprachverhaltens (Vorgängergeneration) bzw. der dialektalen Kompetenz (Nachfolgegeneration) führte in der Kommunikation mit den altdialektalen Sprechern (Großelterngeneration) zu keinerlei kommunikativen Irritationen (Missverstehen; Nichtverstehen), da allen an der lokalen Kommunikation Beteiligten die Zuordnung des Lexems zum /oː/-Phonem aufgrund ihrer schrift- bzw. „hochsprachlichen“ Kompetenz vertraut war. (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 198)

Im Rheinfränkischen hingegen liegt eine völlig andere Situation vor. Die WenkerKarten zeigen, dass die beschriebene /o͡u/-Diphthonginsel von /oː/Monophthongen umgeben ist. Dies bestätigen auch Ortsgrammatiken, wie z. B. GRUND (1935, 27) für Pfungstadt, BERTALOTH (1935, 32) für Rohrbach, BORN (1938, 22) für Darmstadt und Umgebung, BRAUN (1906, 25) für Heilbronn und Umgebung sowie HEILIG (1898, 38) für Tauberbischofsheim. Verwenden Sprecher aus dem /o͡u/-Gebiet ihr Phonem in der überregionalen Kommunikation mit Monophthongsprechern, spielt der Faktor der Phonem/Lexem-Zuordnung im Gegensatz zum bairisch-alemannischen Übergangsgebiet und dem Mittelbairischen keine Rolle. Die Annahme der Sprachdynamiktheorie besagt, dass der /o͡u/Diphthong im Rheinfränkischen keinem kurzzeitdiachronen Wandel unterliegt, weil das /o͡u/-Phonem von beiden Sprechergruppen identisch zugeordnet wird (Phonemidentität) und somit in der überregionalen Kommunikation keine Fehldekodierungen auftreten. Die Hörer aus dem Monophthonggebiet können /o͡u/ auf ihr /oː/-Phonem beziehen, sodass sie den Unterschied lediglich als Variante, d. h. als geringe phonetische Abweichung (Allophon), wahrnehmen. Dementsprechend kann der /o͡u/-Diphthong der Sprecherintention entsprechend dekodiert und die richtige Bedeutung zugewiesen werden. Die Verwendung des Diphthongs führt dementsprechend zu positiven Rückkoppelungen durch die monophthongischen Interaktionspartner und daran anschließend zu einer Stabilisierung der Kompetenz bei den Sprechern der Diphthonginsel. Da der Auslöser für eine Kompetenzmodifikation fehlt, bleibt der Diphthong relativ konstant im Raum bestehen. Der Zustand der Phonemidentität bzw. der ausbleibenden Fehldekodierungen, der im

88 Das hohe Ansehen des Mittelbairischen lässt sich z. B. an der anekdotischen Anmerkung von FRIED (1966, 300, Kursivierung im Original) erkennen: „Das ‚Münchnerische‘ ist nämlich für ihn [den Lechrainer, M. L.] die ‚Feine Sprach‘, die man seiner Ansicht nach zumindest so weit können soll, um nicht gleich auf Anhieb durch das herb und rauh klingende Lechrainerisch als von der Bildung nicht besonders in Beschlag genommener Landbewohner oder als Schwabe eingeschätzt zu werden. So kann man beobachten, daß sich manch ein Lechrainer nach Kräften bemüht, ‚Münchnerisch‘ zu reden, wenn er es mit den Vertretern der hohen Obrigkeit zu tun hat“. Systematische Beobachtungen unterliegen dieser Anmerkung aber natürlich nicht.

Erklärungsansätze für die unterschiedliche Entwicklung von mhd. ô

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bairisch-alemannischen Übergangsgebiet durch den Wandel von mhd. ô > /o͡a/ > /oː/ bzw. /o͡u/ erst hergestellt wird, besteht im Rheinfränkischen also schon seit Beginn der Datenaufzeichnung. Wie bereits im vorangehenden Kapitel thematisiert, gilt dieser sprachdynamische Erklärungsansatz über die Stabilität von mhd. ô im Rheinfränkischen allerdings nur unter der Bedingung, dass die Sprecher im Dialekt primärsozialisiert werden und der Dialekt mündlich weitergegeben wird. Der Unterschied der mhd. ô-Phoneme zwischen den beiden Dialekten zeigt sich auch darin, dass der Kontrast /o͡a/–/o͡u/ nach WIESINGER (1983) eine Strukturgrenze zwischen dem Mittelbairischen und Alemannischen ist, während /oː/– /o͡u/ im Rheinfränkischen keine Strukturgrenze bildet. Somit sind die Voraussetzungen der Kontaktsituationen in beiden Fällen als unterschiedlich zu bewerten. Während es sich bei /o͡a/–/o͡u/ um einen von vielen Kontrasten zwischen dem Bairischen und Alemannischen handelt (Kontakt zwischen zwei Dialektverbänden), handelt es sich bei /oː/–/o͡u/ um einen Kontrast innerhalb des Rheinfränkischen. Ziel der im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Experimente ist es, die Annahmen der Sprachdynamiktheorie hinsichtlich der drei beschriebenen Szenarien des (Richtig)Verstehens, der Missverständnisse und des Nichtverstehens in der interdialektalen bzw. überregionalen Kommunikation am Beispiel der dialektalen Realisierungen von mhd. ô mit neurolinguistischen Methoden zu untersuchen. 89

89 Es soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass der Einfluss der interdialektalen Kommunikation auf den Wandel des dialektalen /o͡a/-Phonems im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet sehr kontrovers diskutiert wird. Ein häufig thematisierter Einflussfaktor ist hierbei die Standardsprache. Bereits MOSER (1933, 48, Kursivierung im Original, M. L.) gibt an, dass die Realisierung /prɔ͡ɐt/ ‘Brot’ „stark von dem schriftsprachlichen prōt verdrängt [wird], so besonders am Lechrain, wo es vollständig zu Gunsten von prōt verschwunden ist“. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Standardsprache in allen Dialekten eine Rolle spielt und somit nicht alleinverantwortlich für solch unterschiedliche Entwicklungen sein kann. SCHMIDT / HERRGEN (2011, 198) folgern: „Dass die Schriftsprache oder das gesprochene ‚Hochdeutsch‘ bei diesem Wandel eine entscheidende Rolle gespielt haben könnte, ist auszuschließen. Die Schriftsprache ‚kollidiert‘ mit allen dem alten Dialektphonem zugeordneten Lexemen und kann daher bei einer lexemweisen Umphonologisierung nur von sekundärer Bedeutung sein“. Korrespondieren allerdings die dialektalen und standardsprachlichen Formen, ist es schwierig horizontale und vertikale Modifizierungen voneinander abzugrenzen (vgl. SIEBENHAAR 2010, 243).

6

DIE UNTERSUCHUNG DIALEKTALER KONTRASTE MITHILFE DER METHODE DER ELEKTROENZEPHALOGRAPHIE

Das folgende Kapitel gibt zunächst einen kurzen Einblick in die Methoden der Elektroenzephalographie (EEG) sowie der Ermittlung ereigniskorrelierter Potentiale (EKP). 90 Anschließend werden bisherige EEG-Studien, die sich mit regionalen phonologischen Kontrasten beschäftigen, beschrieben. Um die Annahmen der Sprachdynamiktheorie hinsichtlich der Auslöser für phonologischen Wandel im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet näher zu untersuchen, wurden im Rahmen dieser Arbeit zwei Studien durchgeführt, die sich der Methode der Elektroenzephalographie bedienen. Bei einem EEG handelt es sich um eine „nicht-invasive Technik zur Ableitung und Verstärkung der elektrischen Gehirnaktivität“ (RICKHEIT / WEISS / EIKMEYER 2010, 142). Hierzu werden die Spannungsschwankungen (Potentiale) mithilfe einer standardisierten Anordnung von Elektroden an der Kopfhaut sowie mehreren Referenzelektroden gemessen (vgl. STADIE et al. 2010, 36). Wie in Kapitel 4.1.1 beschrieben, kann der menschliche Organismus mithilfe von Nervenzellen Informationen weiterleiten, aber auch verrechnen und speichern. Um die elektrischen Vorgänge zwischen den Nervenzellen zu untersuchen, werden hierzu passive Sensoren, die die Nervenzellaktivität auffangen, auf der Kopfoberfläche angebracht. Das EEG misst demnach Veränderungen des elektrischen Felds bei der Nervenzellaktivität (vgl. MÜLLER 2013, 127–128). Hierbei werden Potentialfelder von der Kopfoberfläche abgeleitet, die „aus einer komplexen Summation exzitatorischer postsynaptischer Potenziale (EPSPs) von Nervenzellfortsätzen in den obersten Kortexschichten“ (RICKHEIT / WEISS / EIKMEYER 2010, 142) entstehen. Vereinfacht gesagt handelt es sich um elektrische Modulationen größerer Neuronenverbände, d. h. „[ü]berlagerte Vektorsummen elektrischer Aktivität von einigen Millionen Neuronen“ (MÜLLER 2013, 129), die mit Elektroden als Potentialschwankungen abgeleitet werden können. Somit wird „mit jeder Elektrode die summierte elektrische Aktivität von mehreren Quadratzentimetern Kortexoberfläche aufgefangen“ (MÜLLER 2013, 129). Der große Vorteil der Elektroenzephalographie gegenüber anderen neurolinguistischen Methoden, wie z. B. der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT), ist die hohe zeitliche Auflösung von ca. 1 ms. Jeder wahrgenommene (sprachliche) Reiz bewirkt eine Aktivitätsänderung im EEG, die fast sofort erfasst

90 Eine sehr gute Einführung in die technischen Hintergründe der EEG-Aufzeichnung und -Auswertung, die hier nicht weiter fokussiert wird, liefert LUCK (2014).

Die Untersuchung dialektaler Kontraste mithilfe der EEG-Methode

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wird, sodass mithilfe des EEG exakte zeitliche Abläufe während der Sprachverarbeitung untersucht werden können (vgl. RICKHEIT / WEISS / EIKMEYER 2010, 142). Als EEG-Analysemethode wurden für die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Studien ereigniskorrelierte Potentiale verwendet, die im Weiteren beschrieben werden. Grundsätzlich sind durch die EEG-Ableitung zunächst nur sehr unspezifische Prozesse der Hirnaktivität erkennbar, da hierbei unabhängig vom genauen kognitiven Vorgang nur die summierten Potentialunterschiede der hirnelektrischen Aktivität gemessen werden (Spontan-EEG) (vgl. MÜLLER 2013, 131). Erst durch die Auswertung lassen sich „als sogenanntes ereigniskorreliertes Potential (ERP), 91 auch Aktivitäten feststellen, die auf lediglich einige zehntausend Nervenzellen zurückgehen und bestimmten kognitiven Aufgaben zugeordnet werden können“ (MÜLLER 2013, 130). Denn unterschiedliche Aktivitäten, wie z. B. die Bearbeitung phonologischer, syntaktischer oder semantischer Probleme, „lösen unterschiedliche Energieschwankungsmuster, sog. Potentiale aus“ (DIETRICH 2007, 188). Diese hirnelektrischen Korrelate konzentrierter neuronaler Aktivität stellen „hirnelektrische Spannungsfluktuationen über die Zeit dar und bestehen aus einer Reihe von negativen und positiven Spannungsänderungen relativ zu einer Ruhespannung (‚baseline‘) vor Beginn des Ereignisses“ (GERLOFF 2005, 501). Ziel ist es, nur die EEG-Signale herauszufiltern, die durch einen bestimmten Reiz evoziert wurden, sodass spontane hirnelektrische Potentiale unberücksichtigt bleiben. Dies ist durch die EKP-Analyse möglich, die mithilfe der Mittlungstechnik über die Stimuli einer Bedingung (Averages) sowie die Versuchspersonen (Grand Averages) eben diese EEG-Aktivitäten der wachen Hirnaktivität sowie der Grundaktivität des Gehirns (Rauschen mit Amplituden von durchschnittlich 50– 100 µV) herausmittelt. Hintergrund ist die Überlegung, dass bei der Mittelung das Rauschen zufällig verteilt ist und über viele Trials hinweg minimiert werden kann, während das systematische Signal über die relevanten Zeitabschnitte erhalten bleibt und sich aus dem Rauschen herauskristallisiert. Die Abhängigkeit von systematischem Signal und unsystematischem Rauschen wird als Signal-RauschVerhältnis bezeichnet. Innerhalb eines Experiments muss die Zahl eingehender ereigniskorrelierter Zeitbereiche relativ hoch sein, um ein gutes Signal-RauschVerhältnis zu erreichen (vgl. DRENHAUS 2010, 113–114). Das bedeutet dementsprechend, dass entweder eine große Anzahl an Versuchspersonen am Experiment teilnehmen, oder eine hohe Anzahl von Stimuluswiederholungen innerhalb einer Bedingung vorkommen muss. Übrig bleiben nur noch die Potentiale, die zeitlich zum Stimulus korreliert sind. Somit liefern die zeitgebunden auftretenden EKPs Ergebnisse zu den zeitlichen Abläufen während der Sprachverarbeitung. Abbildung 38 zeigt ein Beispiel für ein EKP. Die durchgezogene Linie repräsentiert die Kontrollbedingung, während die gestrichelte Linie die kritische Bedingung zeigt. Wichtig ist, dass EKP-Effekte immer nur in Relation zu einer Kontrollbedingung interpretierbar sind. In diesem Beispiel wird durch den Satz Er

91 ERP = event-related potential.

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Die Untersuchung dialektaler Kontraste mithilfe der EEG-Methode

bestrich das warme Brot mit … eine Erwartung aufgebaut, welche durch das Lexem Butter erfüllt wird. Wird im Experiment stattdessen das Lexem Steinen präsentiert, welches die aufgebaute Erwartung verletzt, wird ein negativer Effekt um ca. 400 ms (N400) evoziert (vgl. hierzu detaillierter Kapitel 7.1.3). Anhand der Abbildung wird ersichtlich, welche Kriterien für die Interpretation von EKPEffekten von Interesse sind. Zunächst spielt die Polarität eine Rolle, d. h., ob die Effekte positiv oder negativ ausgeprägt sind. Weiterhin ist die Ausprägung der Amplitude, d. h. die Stärke des Effekts, welche in µV auf der y-Achse abgetragen wird, wichtig. Auf der x-Achse wird die Zeit abgetragen, sodass auch eine Aussage über die Latenz, d. h. die Zeit nach Stimulusbeginn, gemacht werden kann. Relevant sind Beginn und Ende eines Effekts, aber in erster Linie der Zeitpunkt, zu dem die Kurven maximal voneinander abweichen (Peak). Zuletzt ist noch die Topographie wichtig, d. h. die Elektroden, an denen der Effekt elizitiert wurde. Allerdings muss gesagt werden, dass die räumliche Auflösung im EEG relativ grob ist und nur Aussagen darüber gemacht werden können, an welchen Elektroden der Effekt stärker ausgeprägt ist. Zudem lassen sich die Daten über Verbände benachbarter Elektroden (Regions of Interest) mitteln und statistisch dahingehend auswerten, ob der Effekt z. B. frontal, zentral oder parietal ausgeprägt ist. Diese grobe räumliche Auflösung ist ein Nachteil der Methode gegenüber anderen neurolinguistischen Methoden, wie z. B. der funktionellen Magnetresonanztomographie. Sie resultiert daraus, dass der Schädelknochen das EEG-Signal verzerrt und somit von den elektrischen Feldern an der Kopfoberfläche nie hundertprozentig auf die zugrundeliegenden elektrischen Generatoren geschlossen werden kann (vgl. GERLOFF 2005, 501).

Abbildung 38: Beispiel für ein EKP – Kriterien zur Klassifikation von Komponenten (modifiziert nach DRENHAUS (2010, 115))

Die Untersuchung dialektaler Kontraste mithilfe der EEG-Methode

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Wie in dem Beispiel in Abbildung 38 angedeutet, lassen sich aus den EKPs nach unterschiedlichen Kriterien einzelne Komponenten bzw. Effekte, wie z. B. die N400, ableiten. Diese können dann mit bestimmten phonologischen, semantischen oder syntaktischen Verarbeitungsprozessen in Verbindung gebracht werden und lassen somit Rückschlüsse auf unterschiedliche kognitive Prozesse zu. Im Weiteren wird die N200 am Beispiel der Mismatch Negativity (MMN) genauer vorgestellt, da bisher durchgeführte EEG-Studien diese Komponente häufig zur Untersuchung regionaler phonologischer Kontraste nutzen (vgl. zur Beschreibung weiterer Subkomponenten der N200 Kapitel 7.2.1.2). Die MMN oder auch N2a ist eine frontozentrale negative Komponente, die ihre höchste Amplitude zwischen 150–250 ms nach einer Abweichung (divergence point ) erreicht (vgl. für einen Überblick z. B. ALHO 1995; GARRIDO et al. 2009; KUJALA / NÄÄTÄNEN 2003; NÄÄTÄNEN et al. 2007; NÄÄTÄNEN / KUJALA / WINKLER 2011 und PULVERMÜLLER / SHTYROV 2006). Sie wird elizitiert, wenn zwischen häufig präsentierten Stimuli (Standards) infrequent physikalisch abweichende Stimuli (Deviants) präsentiert werden (Oddball-Design). Hierbei kann es sich um jegliche Art von Stimuli handeln, die sich auf einfache oder komplexe Weise physikalisch unterscheiden, wie z. B. Töne, Phoneme, Silben, Lexeme etc. Die Voraussetzung für die MMN ist der Aufbau einer Repräsentation der sich wiederholenden Standards durch das auditorische System. Hierbei handelt es sich um eine kurzzeitige Erinnerungsspur im auditorischen Kortex, die gewöhnlich einige Sekunden andauert (vgl. hierzu z. B. WEINBERGER 2004; SHTYROV / PULVERMÜLLER 2002). Die MMN entsteht dadurch, dass die aufgebaute Repräsentation durch den Deviant verletzt wird. Demnach handelt es sich um das Ergebnis eines Diskriminationsprozesses, in dem der Deviant von den Probanden als inkongruent mit der Repräsentation der zuvor gehörten Standardstimuli befunden wird (vgl. NÄÄTÄNEN et al. 2007, 2545–2546). Ein zentraler Punkt ist, dass die MMN unabhängig von der Aufmerksamkeit der Probanden entsteht. Die Probanden müssen dementsprechend während des Experiments keine Aufgabe lösen, sondern schauen klassischerweise als Ablenkung einen Stummfilm. Somit handelt es sich bei der MMN um einen automatischen präattentiven Prozess, in dem Änderungen bzw. Abweichungen wahrgenommen werden (vgl. PICTON et al. 2000, 111). Eine Anzahl von MMN-Studien beschäftigt sich mit der Frage nach sprachspezifischen Erinnerungsspuren. Beispielsweise untersuchen NÄÄTÄNEN et al. (1997) die Phoneme /e/, /ö/, /o/ und /õ/ bei finnischen und estnischen Hörern. Die Sprachen beider Hörergruppen sind sehr ähnlich, unterscheiden sich allerdings darin, dass nur die estnischen Hörer ein /õ/-Phonem besitzen. Der finnischen und estnischen Probandengruppe wurde der Standard /e/ präsentiert, welcher infrequent durch die anderen Vokale (Deviants) unterbrochen wurde. Die Ergebnisse der Studie zeigen zweierlei: Einerseits ist die MMN umso ausgeprägter, je größer die phonetische Abweichung des Deviants vom Standardstimulus ist; andererseits zeigen sich sprachspezifische Unterschiede dahingehend, dass der Deviant /ö/ bei den finnischen Probanden eine größere MMN evoziert als der Deviant /õ/, obwohl /ö/ phonetisch weniger vom Standard /e/ abweicht als /õ/. Diese Reduktion der MMN-Amplitude bei /õ/ konnte bei estnischen Hörern nicht nachgewiesen wer-

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Die Untersuchung dialektaler Kontraste mithilfe der EEG-Methode

den. NÄÄTÄNEN et al. (1997, 433) interpretieren dieses Ergebnis dahingehend, dass die MMN-Amplitude die Phonologie der Muttersprache widerspiegelt. Nur wenn der Deviant im Phonemsystem der Sprecher vorkommt, ist die MMNAmplitude erhöht. WINKLER et al. (1999) untersuchen den /æ/–/e/ Kontrast, der im Finnischen, aber nicht im Ungarischen vorkommt, sowie den /y/–/e/ Kontrast, der in beiden Sprachen auftritt, bei drei Sprechergruppen (Finnen, Ungarn mit fließenden Finnischkenntnissen, Ungarn ohne Finnischkenntnisse). Die Ergebnisse zeigen, dass die ungarischen Sprecher mit Finnischkenntnissen für den /æ/–/e/ Kontrast eine ausgeprägte MMN aufweisen, während die Sprechergruppe, die nicht mit Finnisch in Kontakt gekommen ist, keine MMN zeigt. Für den /y/–/e/ Kontrast wird für beide Sprechergruppen hingegen eine sehr ähnliche MMN-Amplitude elizitiert, sodass kein grundsätzlicher Unterschied in der Fähigkeit auditorische und phonologische Abweichungen zu erkennen, besteht. Der Unterschied zwischen den beiden ungarischen Sprechergruppen ist somit durch das Erlernen der finnischen Sprache zu erklären, wodurch kortikale Repräsentationen für die finnischen Phoneme entwickelt wurden (vgl. WINKLER et al. 1999, 640–641). Die Annahme von sprachspezifischen Repräsentationen wird von weiteren Studien unterstützt, wie z. B. CHEOUR et al. (1998) für Estnisch und Finnisch; DEHAENE-LAMBERTZ (1997) für Hindi und Französisch; DEHAENE-LAMBERTZ / DUPOUX / GOUT (2000) für Japanisch und Französisch; RIVERA-GAXIOLA et al. 2000 sowie SHARMA / DORMAN 2000 für Hindi und Englisch; SHAFER / SCHWARTZ / KURTZBERG (2004) für Hindi und Englisch; ZHANG et al. (2005) und PHILLIPS et al. 2000 für Japanisch und Englisch sowie KAZANINA / PHILLIPS / IDSARDI 2006 für Russisch und Koreanisch. Der Einfluss der Muttersprache auf die MMN-Amplitude ist auch allgemein für den Vergleich von bekannten mit unbekannten Wörtern nachweisbar, da z. B. Pseudowörter im Vergleich zu bekannten Wörtern eine reduzierte Amplitude zeigen (vgl. z. B. ENDRASS / MOHR / PULVERMÜLLER 2004; KORPILAHTI et al. 2001; PULVERMÜLLER et al. 2001; SHTYROV / PULVERMÜLLER 2002). Somit repräsentiert die MMN sprachspezifische langfristige Erinnerungsspuren, die durch die jeweilige sprachliche Sozialisation, d. h. durch die sprachlichen Strukturen, mit denen Sprecher seit ihrer Kindheit in Kontakt gekommen sind, entstehen. Denn werden Sprecher während der kritischen Phase des Spracherwerbs nicht mit bestimmten lautlichen Kontrasten konfrontiert, führt dies zu einer mangelnden Reaktionsfähigkeit auf Stimuli mit solchen Kontrasten. Die MMN reflektiert somit langfristige Erinnerungsspuren, ausgelöst durch sprachliche Erfahrungen auf unterschiedlichen linguistischen Ebenen. Die zentrale Funktion dieser langfristig im Individuum angelegten Erinnerungsspuren ist es, als Wiedererkennungsmuster bzw. Schablonen in der Sprachperzeption zu fungieren, um die Hörer zu einer korrekten Wahrnehmung eines geäußerten Lautes zu befähigen. Ohne solche Spuren könnten Laute nur auf akustischer Ebene wahrgenommen und nicht kategorisiert werden. Somit werden Laute präattentiv in verschiedene phonetische Kategorien, die mit den Phonemen und ihren Kombinationsmöglichkeiten korrespondieren, klassifiziert. Während dieses

Die Untersuchung dialektaler Kontraste mithilfe der EEG-Methode

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Prozesses aktiviert jeder lautliche Input die am nächsten liegende Phonemspur, welche am besten mit dem Laut korrespondiert (vgl. NÄÄTÄNEN 2001, 12–13). In diesem Kontext zeigt beispielsweise die Studie von BUCHWALD et al. (1994), dass Japaner den /r/–/l/-Kontrast, den es im Japanischen nicht gibt, signifikant schlechter unterscheiden können als Amerikaner, die diesen Kontrast aufweisen (vgl. hierzu auch LOGAN / LIVELY / PISONI 1991; MIYAWAKI et al. 1975; STRANGE / DITTMANN 1984). Diese mangelnde Sensibilität gegenüber nichtnativen Phonemkontrasten wird von vielen psycholinguistischen Studien nachgewiesen (vgl. z. B. BEST / MCROBERTS / SITHOLE 1988; CUTLER et al. 2004; INGRAM / PARK 1997; PALLIER / COLOMÉ / SEBASTIÁN-GALLÉS 2001; TREHUB 1976; WERKER et al. 1981; WERKER / TEES 1984). Die genannten Studien zeigen insgesamt, dass sich die phonologische Kompetenz von Sprechern auf die Wahrnehmung und Verarbeitung von phonetischen bzw. phonologischen Kontrasten auswirkt. Dieser Sachverhalt lässt sich auch auf die Kompetenz von dialektalen Varietäten beziehen, da auch Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung von Kontrasten auftreten, die nicht im Dialekt des Hörers vorkommen (vgl. z. B. BOWIE 2000; DUFOUR / NGUYEN / FRAUENFELDER 2007; DUFOUR / NGUYEN / FRAUENFELDER 2010; JANSON / SCHULMAN 1983; LABOV / KAREN / MILLER 1991). 92 Im Folgenden werden die bisher durchgeführten neurolinguistischen Studien, die sich mit regional variierenden phonologischen Kontrasten beschäftigen, beschrieben. 93 Zu nennen ist zunächst die Studie von BRUNELLIÈRE et al. (2009), in der die Sprachverarbeitung zweier französischer phonologischer Kontraste untersucht wird. Fokussiert wird hierbei der /e/–/ɛ/-Kontrast (z. B. /epe/ ‘Schwert’ vs. /epɛ/ ‘dick’), welcher im Südfranzösischen nicht differenziert wird und somit regionaler Variation unterliegt. Je nach Region sind die Phoneme /e/ und /ɛ/ bereits zu /e/ zusammengefallen oder befinden sich aktuell im Prozess des Zusammenfalls, wie z. B. im Nordfranzösischen (vgl. FAGYAL / HASSA / NGOM 2002). Der regional unterschiedlich ausgeprägte /e/–/ɛ/-Kontrast wird mit dem /ø/–/y/-Kontrast, welcher im Französischen überregional distinkt ist, verglichen. Durchgeführt wurde die Studie mit Sprechern des Schweizer Französisch aus Genf, die beide Kontraste differenzieren. Sie kommen allerdings durch die Medien und Interaktionen mit Franzosen aus anderen Regionen häufig in Kontakt mit unterschiedlichen Realisierungen von /ɛ/. Im Experiment hörten die Probanden vier phonemisch gleiche, aber akustisch unterschiedliche Silben (z. B. /be/ – /be/ – /be/ – /be/), die von vier

92 Es soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass beispielsweise die Studie von CUTLER / SMITS / COOPER (2005) zeigt, dass sich die Wahrnehmung von Vokalen zwar je nach Muttersprache (hier: Englisch oder Niederländisch) unterscheidet, dies aber nicht für den Dialekt der Sprecher (hier: Amerikanisches oder Australisches Englisch) gilt. 93 Unter einer anderen Fragestellung, nämlich der Frage nach der Extraktion von Dialektinformation bei gesprochenen Wörtern, führen SCHARINGER / MONAHAN / IDSARDI (2011) eine magnetenzephalographische MMN-Studie mit Varianten des Lexems Hello im Standardamerikanischen und im afroamerikanischen Englisch durch.

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Die Untersuchung dialektaler Kontraste mithilfe der EEG-Methode

verschiedenen Sprecherinnen produziert wurden. Anschließend hörten sie die von einem männlichen Sprecher realisierte kritische Silbe, die entweder phonemisch identisch mit den zuvor gehörten Silben war (Kontrollbedingung, hier: /be/) oder phonemisch unterschiedlich (Deviant-Bedingung, hier: /bɛ/). Aufgabe der Probanden war es, so schnell und akkurat wie möglich zu entscheiden, ob die zuletzt gehörte Silbe den zuvor gehörten entspricht oder sich von ihnen unterscheidet (Same-Different Task). Die Ergebnisse zeigen klare Verarbeitungsdifferenzen zwischen den beiden Kontrasten. Während für den /e/–/ɛ/-Kontrast eine MMN elizitiert wurde, wurde für den /ø/–/y/-Kontrast zusätzlich eine P200 gefunden, was BRUNELLIÈRE et al. (2009, 394) dahingehend interpretieren, dass der stabile Kontrast früher und somit leichter diskriminiert werden kann als /e/–/ɛ/. Dieses Ergebnis korreliert mit den behavioralen Daten, denen zufolge die Antworten für den /e/–/ɛ/-Kontrast langsamer und fehleranfälliger waren als für /ø/–/y/. Diese Unterschiede sind eindeutig als phonologischer Effekt zu interpretieren, da die akustische Distanz zwischen beiden Kontrasten gleich ist. Insgesamt zeigt die Studie, dass Vokale, die sich im Prozess des Phonemzusammenfalls befinden, perzeptiv schlechter differenziert werden können, und zwar sogar von Sprechern, die den Kontrast selbst differenzieren. Somit beeinflusst die regionale Variabilität, der Sprecher ausgesetzt sind, sogar die Vokalperzeption in der eigenen Regionalsprache. In einer weiteren MMN-Studie beschäftigen sich BRUNELLIÈRE / DUFOUR / NGUYEN (2011) mit der Frage, wie Sprecher des Standardfranzösischen und des Südfranzösischen Lexeme mit auslautendem /e/ bzw. /ɛ/ verarbeiten. Frühere psycholinguistische Studien zeigen bereits, dass die Lexeme épée und épais von südfranzösischen Sprechern als Homonyme wahrgenommen werden (vgl. DUFOUR / NGUYEN / FRAUENFELDER 2007; 2010). Zur Untersuchung der Frage wurde ein klassisches Oddball-Design mit dem Standard /epi/ ‘Ähre’ und den beiden Deviants /epe/ ‘Schwert’ und /epɛ/ ‘dick’ durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen einerseits, dass in beiden Probandengruppen für /epɛ/ die MMN-Amplitude größer sowie die Latenz kürzer ist als für /epe/. Erklärbar ist dies durch die größere phonetische Distanz des auslautenden Vokals bei dem Deviant /epɛ/ im Vergleich zu /epe/ zum Standard /epi/. Andererseits zeigen die Resultate, dass in der standardsprachlichen Probandengruppe die Deviants /epɛ/ und /epe/ eine unterschiedliche Topographie aufweisen (/epɛ/: frontozentrale Aktivierung; /epe/: gleichermaßen frontozentrale und rechtslaterale Aktivierung), die für die südfranzösische Gruppe nicht nachgewiesen werden kann. Diese fehlenden Verarbeitungsdifferenzen zwischen den beiden Lexemen interpretieren BRUNELLIÈRE / DUFOUR / NGUYEN (2011, 49) dahingehend, dass beide Wortformen von den südfranzösischen Sprechern mit der gleichen semantischen Repräsentation assoziiert werden. Die Ergebnisse der Studie unterstützen demnach die Annahme, dass der Zugriff auf lexikalische Bedeutungen von gesprochenen Wörtern von der Regionalsprache des Sprechers, d. h. im Besonderen von dem regionalen Phonemsystem – der phonologischen Kompetenz –, abhängt. Auch FOURNIER et al. (2010) beschäftigen sich mit der Frage, ob die Hirnreaktionen auf Stimuli von der Spracherfahrung der Probanden abhängt. Untersu-

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chungsgegenstand ist der niederländische Dialekt von Roermond, der Tonakzente aufweist, die in lexikalische (z. B. vaer 1 ‘Feder’ vs. vaer 2 ‘Fähre’) und intonatorische (z. B. vaer 1 mit Aussageintonation vs. vaer 1 mit Frageintonation) Kontraste involviert sind (vgl. GUSSENHOVEN 2000). Neben dem gerade erwähnten Minimalpaar sind die weiteren im Experiment verwendeten Stimuli mit Tonaktzentdistinktion haas 1 ‘Hase’ vs. haas 2 ‘Handschuh’ sowie graaf 1 ‘Kanal’ vs. graaf 2 ‘Grab’. Diese wurden Sprechern des Roermond-Dialekts und Sprechern des Standarddänischen in einer Magnetenzephalographiestudie (MEG) mit OddballDesign präsentiert. Das wichtigste Ergebnis ist, dass klare Unterschiede zwischen den Probandengruppen gefunden wurden. Während die standarddänischen Sprecher in allen Bedingungen eine größere MMNm 94 im linken temporalen Kortex aufweisen, kann dieser Effekt für die Dialektsprecher nur für die lexikalischen Kontraste nachgewiesen werden. Für die intonatorischen Kontraste kann stattdessen eine rechtshemispherische Lateralisierung gezeigt werden. Da das Standarddänische keine Tonakzente aufweist, werden die Tonhöhendifferenzen von den Standardsprechern als intonatorische Differenzen gewertet und somit mit einer linkshemisphärischen Lateralisierung verarbeitet. Bei den Dialektsprechern hingegen führt das komplexe linguistische System, welches Tonakzente umfasst, die in komplizierter Weise auch mit intonatorischen Distinktionen kombiniert sind, zu einer unterschiedlichen Topographie bei der Verarbeitung von rein intonatorischen Kontrasten. Die gruppenspezifische rechtshemispherische Aktivität für die intonatorischen Kontraste könnte somit die größere funktionale Komplexität der Stimuli für die Dialektsprecher reflektieren. Die Hypothese, dass die tonalen Kontraste in der Dialektgruppe zu einer stärker ausgeprägten MMNm als in der Standardsprachgruppe führen, kann in dieser Studie allerdings nicht bestätigt werden. Stattdessen zeigt sich eine höhere Amplitude für größere Tonhöhenunterschiede, sodass hier die phonetischen Differenzen eine größere Auswirkung auf die Verarbeitung haben als die Sprachkompetenz. Den Grund sehen FOURNIER et al. (2010, 85) darin, dass die Stimuli vollständig mit standarddänischen phonologischen Formen kompatibel sind. Zudem sind die vier Tonhöhenmuster leicht als dänische Intonationskonturen interpretierbar. Da diese phonologisch und semantisch auch im Standarddänischen distinkt sind, ist die Amplitude der MMNm in beiden Gruppen gleich ausgeprägt. Auch WERTH et al. (2018) untersuchen die Verarbeitung von tonakzenttragenden Lexemen bei Dialekt- und Standardsprechern. Während im Moselfränkischen alle Wörter mit starken Silben Tonakzente aufweisen, sind diese im Standarddeutschen nicht vorhanden. Im Rahmen einer Oddball-Studie wurde das moselfränkische Minimalpaar /ʃa̠ː2l/ ‘schal, abgestanden’ – /ʃa̠lˑ2/ ‘Schall’ getestet, das sich hinsichtlich der Länge des Vokals sowie des Laterals unterscheidet. Weiterhin liegt eine unterschiedliche Ton-Text-Assoziation vor, da der lexikalische Hochton des Tonakzents 2 bei /ʃa̠ː2l/ mit dem langen Vokal und bei /ʃa̠lˑ2/ mit dem

94 Bei der MMNm handelt es sich um das magnetenzephalographische Äquivalent zur MMN.

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Die Untersuchung dialektaler Kontraste mithilfe der EEG-Methode

Lateral assoziiert ist. Die Ergebnisse zeigen Verarbeitungsunterschiede zwischen den beiden Probandengruppen. Der Deviant /ʃa̠ː2l/ evoziert bei Dialektsprechern eine spätere MMN mit kürzerer Latenz als bei Standardsprechern, was WERTH et al. (2018, 203–204) mit der Relevanz des Tonakzents 2 für den lexikalischen Zugriff bei Dialektsprechern erklären. Die zusätzliche Nutzung von tonaler Information bei der lexikalischen Verarbeitung führt zu einer höheren kognitiven Belastung als bei Standardsprechern, die nur die Vokalquantität als Cue für den lexikalischen Zugriff nutzen und den Hochton als Betonung ohne lexikalische Bedeutung wahrnehmen. Die kürzere Latenz der MMN bei Dialektsprechern lässt sich zudem durch eine erhöhte Diskriminationsfähigkeit tonaler Cues erklären, die den Standardsprechern fehlt. Für den Deviant /ʃa̠lˑ2/ wird eine MMN mit höherer Amplitude bei Dialektsprechern als bei Standardsprechern evoziert, was WERTH et al. (2018, 202–203) mit einer additiven Verarbeitung der drei Cues bei Dialektsprechern in Zusammenhang bringen. Die MMN wird somit durch die unterschiedlichen phonologischen Systeme der Dialekt- und Standardsprecher moduliert. Der Einfluss des linguistischen Hintergrunds auf die Sprachverarbeitung wird ebenfalls von DUFOUR / BRUNELLIÈRE / NGUYEN (2013) untersucht, die sich mit der Frage beschäftigen, wie südfranzösische Sprecher die standardfranzösischen Hinterzungenvokale [o], [ɔ] und [u] verarbeiten, von denen [o] kein Phonem des Südfranzösischen ist, während die anderen Vokale in beiden Varietäten vorkommen. Untersucht wurde hierfür die Wortform [kot] im Vergleich zu [kɔt] und [kut]. Hierzu wurde nach gleichem Muster wie in der Studie von BRUNELLIÈRE et al. (2009) eine Same-Different Task mit südfranzösischen Sprechern durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Formen [kɔt]–[kut] früher diskriminiert werden (ca. 200 ms nach Stimulusonset) als die Formen [kot]–[kɔt] bzw. [kot]–[kut] (300 ms nach Stimulusonset). Somit können grundsätzlich alle drei Kontraste – auch [o]–[ɔ] – von den Probanden unterschieden werden. Die unterschiedliche Latenz erklären DUFOUR / BRUNELLIÈRE / NGUYEN (2013, 169) mit dem unterschiedlichen phonetischen Abstand der Wortpaare, d. h. ein größerer phonetischer Mismatch zwischen Standard und Deviant führt zu einer früheren Differenzwahrnehmung. Die behavioralen Daten zeigen zudem eine größere Schwierigkeit der Probanden bei der Diskriminierung der Wortformen [kot]–[kɔt] und [kot]–[kut] im Vergleich zu [kɔt]–[kut]. Dass der [o]–[ɔ]-Kontrast ebenfalls von den Probanden diskriminiert werden kann, wie die EKP-Ergebnisse nahelegen, zeigt sich in diesen Daten nicht, da es eine Fehlerrate von 70% gibt. Die Autoren interpretieren diesen Unterschied dahingehend, dass die hohe Fehlerrate den späten Entscheidungsprozess resultierend aus der Aufgabenstellung widerspiegelt. Die Vokaldiskriminierung wird somit von dem nativen Phoneminventar der Sprecher auf einer späten Entscheidungsebene beeinflusst. Auch CONREY / POTTS / NIEDZIELSKI (2005) beschäftigen sich mit der Frage, ob phonologische Differenzen innerhalb einer Sprache frühe phonologische Verarbeitungsschritte oder späte Prozesse der semantischen Integration oder der phonologischen Entscheidung betreffen. Gegenstand der Untersuchung ist der sog. pin–pen-Zusammenfall, d. h. der Zusammenfall der Vokale /ɪ/ und /ɛ/ vor Nasal in

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einigen Regionen Amerikas. Im Experiment wurden zwei Gruppen von Probanden (einer Gruppe, die den Kontrast differenziert, sowie einer Gruppe, für die der Kontrast zusammengefallen ist) geschriebene Sätze präsentiert, welche jeweils mit dem Lexem pin ‘Nadel’, pen ‘Stift’, pain ‘Schmerz’ oder pine ‘Kiefer’ endeten. Aufgabe der Probanden war es, zu entscheiden, ob ein nach dem Satz auditiv präsentiertes Wort dem geschriebenen satzfinalen Wort entspricht (Same-Different Task). Die behavioralen und EKP-Daten zeigen Unterschiede zwischen den beiden Probandengruppen. Die Gruppe, für die der Kontrast zusammengefallen ist, ist bei der Identifizierung inkongruenter Wortpaare, die den Kontrast /ɪ/–/ɛ/ beinhalten, ungenauer als die Gruppe, die den Kontrast noch differenziert. Aber auch für die letztere Gruppe kann eine höhere Fehlerrate als in der Kontrollbedingung (pine, pain) nachgewiesen werden, was CONREY / POTTS / NIEDZIELSKI (2005, 446) über Dialektkontakt mit Sprechern mit Phonemzusammenfall erklären. In Übereinstimmung mit BRUNELLIÈRE et al. (2009) zeigen diese Ergebnisse, dass Sprecher, für die ein bestimmter Kontrast zwar distinkt ist, dieser sich jedoch bei anderen Sprechern im Prozess des Phonemzusammenfalls befindet, diesen Kontrast dennoch schlechter differenzieren können als einen Kontrast, welcher überregional stabil ist. Sind diese Sprecher also zusammengefallenen Varianten aus anderen Dialekten ausgesetzt, führt dies zu einer schlechteren Diskriminationsfähigkeit der beiden Phoneme. Diese Unterschiede zwischen den beiden Probandengruppen zeigen sich in den EKPs an der late positive component (LPC). Die Probandengruppe, für die der Kontrast distinkt ist, zeigt eine erhöhte LPCAmplitude für inkongruente Wortpaare (z. B. pin – pen) im Vergleich zu kongruenten Wortpaaren (z. B. pin – pin) sowie den Kontrollstimuli (pain – pine). Für die Probandengruppe mit zusammengefallenem Kontrast hingegen konnten nur LPC-Differenzen für die Kontrollstimuli, nicht aber für die pin – pen-Stimuli evoziert werden. Somit verarbeiten die beiden Probandengruppen /pɪn/ und /pɛn/ unterschiedlich, und zwar auf einer bewussten Entscheidungsebene. Ein dialektrelatierter MMN-Effekt konnte in dieser Studie hingegen nicht nachgewiesen werden, sodass für die dialektalen Phonemunterschiede bei /pɪn/ und /pɛn/ keine frühen Verarbeitungsdifferenzen zwischen den Gruppen involviert sind. Während sich die bisher referierten Studien mit der Verarbeitung von dialektalen Phonemkontrasten beschäftigen, gibt es auch einige EEG-Studien, die dialektale Allophone adressieren. 95 Zu nennen ist in diesem Zusammenhang die Studie von BÜHLER / SCHMID / MAURER (2017), in der der Einfluss von Vertrautheit

95 Die Wichtigkeit der Untersuchung dialektaler Allophone unterstreicht GRIMALDI (im Druck), der ausführt, dass sie im Vergleich zur Untersuchung von Phonemkontrasten Fortschritt bei der Erforschung der Neurobiologie der Sprache bringt: „For instance, comparing the auditory processes of merged dialect speakers with auditory processes of unmerged dialect speakers is the same as to compare Finnish speakers with Estonian speakers. In this way, we may reach further proofs on the neural correlates of auditory categorical processing, but little advance in the comprehension of the functional neural network controlling language competence may be done. From this perspective, it seems more useful to investigate allophonic variation”.

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Die Untersuchung dialektaler Kontraste mithilfe der EEG-Methode

mit regionalen Allophonen auf die Perzeption untersucht wird. Gegenstand der Untersuchung ist das im Schweizerdeutschen und im Standarddeutschen vorkommende Phonem /t/, welches in den beiden Varietäten unterschiedliche Allophone aufweist (Standarddeutsch: [th], Schweizerdeutsch [tː]). Zwar werden beide Sprechergruppen durch den Varietätenkontakt in der deutschsprachigen Schweiz mit den Allophonen der jeweils anderen Sprechergruppe konfrontiert, dennoch sind schweizerdeutsche Hörer eher mit [tː] sowie standarddeutsche Hörer mit [th] vertraut. Zur Beantwortung ihrer Forschungsfrage wurde einerseits ein EEGExperiment mit Oddball-Design und andererseits ein psycholinguistisches Experiment mit Same-Different Task durchgeführt, in dem die Diskrimination der verschiedenen Allophone untersucht wurde. Für beide Experimente wurde als Standard das Pseudowort [d̥ata] sowie als Deviants [d̥atːa] und [d̥atha] gewählt. Probanden waren Sprecher des Standarddeutschen und des Schweizerdeutschen. Die Ergebnisse zeigen, dass die beiden Sprechergruppen die Allophone unterschiedlich verarbeiten. Auf behavioraler Ebene kann die jeweils vertrautere Variante leichter von anderen Allophonen unterschieden werden als die weniger bekannte. Auf neuronaler Ebene wurde zudem für standarddeutsche Hörer eine stärkere MMN für das schweizerdeutsche [tː] nachgewiesen als für die eigene Variante [th], während die schweizerdeutschen Hörer ein leicht umgedrehtes Muster aufweisen. Demnach wird eine höhere Vertrautheit mit einer dialektalen Variante durch eine reduzierte MMN-Komponente angezeigt. Dieses Ergebnis ist dahingehend überraschend, dass für phonologische Kontraste genau der umgekehrte Zusammenhang nachgewiesen wurde. BÜHLER / SCHMID / MAURER (2017, 769–770) folgern, dass sich die neuronalen Mechanismen, die Vertrautheitseffekten bei allophonischen Kontrasten innerhalb einer Phonemkategorie unterliegen, von Effekten zwischen Phonemkategorien unterscheiden. Sie erklären die reduzierte MMN bei bekannten Allophonen durch eine effizientere neuronale Verarbeitung, die nur zu geringen Prädiktionsfehlern und damit einer reduzierten Komponente führt. In einer weiteren Studie beschäftigen sich BÜHLER et al. (2017) mit dem Einfluss von der Vertrautheit mit dialektspezifischen Aussprachevarianten und Lexemen 96 auf die Sprachverarbeitung bei schweizerdeutschen und standarddeutschen Kindergartenkindern. Untersucht wurde der vokalische Längenkontrast in wortinitialer Silbe, der im Schweizerdeutschen kurz und im Standarddeutschen lang realisiert wird (z. B. Hose) sowie unterschiedliche Heteronyme (z. B. Schweizerdeutsch Rahm vs. Standarddeutsch Sahne). Es wurde ein EEGExperiment durchgeführt, in dem die beiden Sprechergruppen mit audiovisuellen Wort-Bild-Paaren konfrontiert wurden, die entweder in ihrer Bedeutung übereinstimmten oder nicht. Die Ergebnisse zeigen einen Einfluss der Vertrautheit mit Vokabular und Aussprache auf die Sprachverarbeitung. Bei standardsprachlichen

96 Mit interdialektaler lexikalischer Variation beschäftigen sich auch MARTIN et al. (2015), die den Einfluss britischer und amerikanischer Heteronyme auf die Sprachverarbeitung britischer Hörer untersuchen.

Die Untersuchung dialektaler Kontraste mithilfe der EEG-Methode

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Kindern konnte eine stärkere N400 und LPC für schweizerdeutsche Lexeme nachgewiesen werden, während schweizerdeutsche Kinder eine erhöhte N400 und LPC für standardsprachlichen Lexeme aufweisen. Erklärt werden können diese Komponenten durch die Verletzung der durch das Bild aufgebauten Erwartung durch die fremden dialektalen Lexeme (N400) sowie erhöhte neuronale Kosten für die Bewertung der Kongruenz der Wort-Bild-Paare (LPC). Der vokalische Längenunterschied hingegen evoziert keine N400, wodurch angezeigt wird, dass die Kinder die beiden allophonischen Varianten problemlos auf die jeweiligen Bilder beziehen können. BÜHLER et al. (2017, 623) interpretieren dieses Ergebnis dahingehend, dass die standarddeutschen und schweizerdeutschen Varianten jeweils den gleichen lexikalischen Eintrag aktivieren. Die für den Längenunterschied evozierte LPC, die bei schweizerdeutschen Kindern für standarddeutsche Varianten sowie bei standarddeutschen Kindern für schweizerdeutsche Varianten erhöht ist, zeigt allerdings dennoch erhöhte Verarbeitungskosten an, da die fremde allophonische Variante nicht direkt mit dem eigenen Phonem korrespondiert. Die meisten MMN-Untersuchungen, die die phonologische und phonetische Sprachperzeption untersuchen, sind sprach- bzw. dialektübergreifend aufgebaut. Allerdings führen MIGLIETTA / GRIMALDI / CALABRESE (2013) eine MMN-Studie mit Sprechern des süditalienischen Dialekts von Tricase durch. Im Gegensatz zu den bisher beschriebenen Studien werden diesmal keine zwei Sprechergruppen kontrastiert. Gegenstand der Untersuchung sind einerseits der Phonemkontrast /e/–/i/, andererseits der allophonische Kontrast [ɛ]–[e]. Zusätzlich zur EEGUntersuchung wurde eine Same-Different Task durchgeführt, in der die Probanden aktiv entscheiden sollten, ob zwei auditiv präsentierte Laute ([e]–[e], [e]–[ɛ], [ɛ]– [ɛ]) äquivalent sind. Überraschenderweise zeigen die Ergebnisse keinen Unterschied in der MMN-Amplitude zwischen allophonischer und phonemischer Bedingung. Stattdessen wurde für den phonemischen Kontrast eine MMN mit kürzerer Latenz evoziert als für den phonetischen Kontrast. MIGLIETTA / GRIMALDI / CALABRESE (2013, 288) erklären diese Differenz durch unterschiedliche Perzeptionsmodi, die das kontinuierliche akustische Sprachsignal in diskrete Repräsentationen transformieren, und die sensitiv gegenüber dem phonetischen und phonologischen Status des Lautes sind. Hierbei kann ein schnellerer phonologischer (kategorialer) Modus von einem langsameren phonetischen Modus unterschieden werden. In beiden Modi werden kurzfristige Erinnerungsspuren gebildet, um das Signal zu verarbeiten. Ist der Laut ein Phonem, ist die Bildung der Erinnerungsspur erleichtert, was zu einer schnellen und weniger aufwändigen Verarbeitung führt. Grund hierfür ist das fundamentale Ziel der Perzeption, phonologische Information zu erkennen und Bedeutungen abzurufen. Im phonetischen Modus hingegen müssen kontrastive und nicht-kontrastive Laute analysiert werden, was zu zusätzlichen Verarbeitungskosten und somit einer längeren MMN-Latenz führt. 97

97 Es gibt weitere Studien, die sich aus einer allgemeinen Sicht mit der Verarbeitung sowie dem Sprachverstehen von regionalen Sprechweisen beschäftigen und sich hierbei nicht direkt auf

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Die Untersuchung dialektaler Kontraste mithilfe der EEG-Methode

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die EEG-Methode eine sinnvolle Methode ist, um die Verarbeitung regionaler phonologischer Kontraste nahezu in Echtzeit zu untersuchen. Sie liefert Erkenntnisse, die mithilfe herkömmlicher dialektologischer Methoden nicht gewonnen werden können. Wie die beschriebenen Studien zeigen, haben die phonologische Kompetenz sowie die Spracherfahrung Einfluss auf die Sprachverarbeitung. Dieser Zusammenhang wird im Weiteren konkret am Beispiel der in Kapitel 5.1.2 und Kapitel 5.2.2 beschriebenen Phänomene untersucht.

einzelne phonologische Kontraste beziehen. Da diese Studien nicht dem Fokus dieser Arbeit entsprechen, soll an dieser Stelle nur kurz auf sie hingewiesen werden. Zu nennen ist z. B. die EEG-Studie von GOSLIN / DUFFY / FLOCCIA (2012), die die Verarbeitung von regionalen Akzenten (Südwales, Yorkshire) und nicht-nativen Akzenten (Italien, Polen) bei Sprechern aus Südwestengland untersuchen. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass für regionale und fremde Akzente verschiedene Normalisierungsmechanismen eingesetzt werden. Regionale Variation kann im Gegensatz zu nicht-nativen Akzenten bereits auf einem prälexikalischen Level normalisiert werden, sodass die lexikalische Verarbeitung durch regionale Akzente kaum gestört wird. Weitere Studien in diesem Zusammenhang verwenden nicht die Elektroenzephalographie, sondern psycholinguistische Methoden (vgl. z. B. ADANK et al. 2009; CUTLER / SMITS / COOPER 2005; EVANS / IVERSON 2004; MAJOR et al. 2005; FLOCCIA et al. 2006; SUMNER / SAMUEL 2009).

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EEG-EXPERIMENTE ZU DEN DEUTSCHEN DIALEKTEN

Im folgenden Kapitel werden die im Rahmen dieser Arbeit entstandenen EEGExperimente beschrieben. Um leichter auf die beiden Studien zu referieren, werden sie im Weiteren als Bayernstudie (durchgeführt im Mittelbairischen) und Odenwaldstudie (durchgeführt im Rheinfränkischen) bezeichnet. Beide Experimente wurden im Rahmen des von der „Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz“ (LOEWE) geförderten Projektes „Fundierung linguistischer Basiskategorien“, welches zwischen 2012 und 2015 an der Philipps-Universität Marburg durchgeführt wurde, entwickelt. Beteiligt waren die Mitarbeiter des Teilprojektes „Konstituenten des phonologischen Wortes“: Karen Henrich, Joachim Herrgen, Marie Josephine Rocholl, Hanni Th. Schnell, Jürgen Erich Schmidt und Alexander Werth. Im Folgenden wird im Unterkapitel 7.1 zunächst die Fragestellung beschrieben, welche sich aus dem sprachdynamischen Erklärungsansatz (vgl. Kapitel 5.3.2) ergibt. Anschließend wird das Experimentdesign hergeleitet, welches den besonderen Erfordernissen der dialektologischen Fragestellung angepasst wurde. Zudem werden das verwendete Sprachmaterial sowie der Ablauf der Experimente beschrieben. Darauf folgend werden in den Kapiteln 7.2 und 7.3 die Ergebnisse der Bayernstudie und der Odenwaldstudie separat voneinander vorgestellt und neurolinguistisch interpretiert. Hierbei ist anzumerken, dass die Ergebnisse der Bayernstudie detailliert dargestellt werden, während die als Gegenstudie konzipierte Odenwaldstudie knapper besprochen wird. In beiden Studien werden ähnliche Effekte gefunden, die zumeist gleich oder ähnlich interpretiert werden können. Um Doppelungen zu vermeiden, ist die Odenwaldstudie somit v. a. kontrastiv zu lesen. Eine Einordnung der Ergebnisse in die Theorie der Sprachdynamik nach SCHMIDT / HERRGEN (2011) sowie in das Modell der Sprachperzeption und -produktion nach PICKERING / GARROD (2013) erfolgt in Kapitel 7.4. 7.1

PLANUNG, VORBEREITUNG UND DURCHFÜHRUNG DER EXPERIMENTE

Im folgenden Kapitel wird zunächst die Fragestellung skizziert, welche Grundlage für die entwickelten EEG-Experimente ist. Anschließend wird die Entwicklung der EEG-Experimente beschrieben. Dies impliziert einerseits die Vorarbeiten, d. h. die Auswahl des richtigen Sprachmaterials und davon ausgehend die Herleitung des Experimentdesigns. Andererseits werden die konkreten Vorbereitungen des Materials sowie die Durchführung der Experimente beschrieben.

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EEG-Experimente zu den deutschen Dialekten

7.1.1 Fragestellung Grundlage für die EEG-Experimente ist die Annahme der Sprachdynamiktheorie, dass phonologischer Wandel und Konstanz in den deutschen Regionalsprachen durch Kompetenzdifferenzen zwischen regionalen Sprechergruppen und den sich daraus ergebenden interaktiven und sprachkognitiven Konsequenzen entstehen (vgl. Kapitel 5.3.2). Durch die unterschiedliche Phonem/Lexem-Zuordnung des /o͡a/-Phonems im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet und im Mittelbairischen entstehen in der interdialektalen Kommunikation zwei Arten der Fehldekodierung: das Missverständnis und das Nichtverstehen. Ein Missverständnis entsteht bei Minimalpaaren, die sich nur durch den historischen Bezugslaut unterscheiden. Durch den Phonemzusammenfall von mhd. ô und mhd. ei im bairischalemannischen Übergangsgebiet, der im Mittelbairischen nicht durchgeführt wurde, tragen Lexeme, deren /o͡a/-Phonem auf mhd. ô zurückgeht, in den beiden Dialekträumen unterschiedliche Bedeutungen, was in der interdialektalen Kommunikation zu Missverständnissen führt. Die Verwendung von Lexemen, die kein Minimalpaar mit mhd. ei bilden und /o͡a/ < mhd. ô beinhalten, führt zu einem Nichtverstehen, da mittelbairische Hörer diesen bairisch-alemannischen Varianten keine Bedeutung zuweisen können. Durch hieraus resultierende negative Rückkopplungen wird das /o͡a/-Phonem < mhd. ô nach und nach lexemweise abgebaut. Im Gegensatz dazu können die im Rheinfränkischen in angrenzenden Gebieten auftretenden Phoneme /o͡u/ und /oː/ von beiden Sprechergruppen des Monophthong- und Diphthonggebiets dem gleichen Phonem zugeordnet werden, sodass Phonemidentität vorliegt und keine Fehldekodierungen in der überregionalen Kommunikation auftreten. In den durchgeführten EEG-Experimenten wurde interdialektales bzw. überregionales Sprachverstehen am Beispiel des bairisch-alemannischen /o͡a/-Phonems bzw. des rheinfränkischen /o͡u/-Diphthongs untersucht. Allgemein formuliert ist die Forschungsfrage, ob sich solche von der Sprachdynamiktheorie postulierten Kommunikationsprobleme, wie Missverständnisse und Nichtverstehen, am Beispiel der Lexeme /ro͡asn̩/ und /lo͡as/ in den neuronalen Daten nachweisen lassen (Bayenexperiment). Führt der Kontakt zu bairisch-alemannischen Dialektvarianten in der interdialektalen Kommunikation, d. h. während des Satzverstehens, zu erhöhten neuronalen Kosten bei mittelbairischen Hörern? Durch welche neuronalen Effekte wird die Verarbeitung der nicht-nativen /o͡a/-Dialektvarianten reflektiert? Sind im Vergleich dazu für den /oː/–/o͡u/-Kontrast am Beispiel des Lexems /ro͡uzə/ im Rheinfränkischen reduzierte oder keine erhöhten Verarbeitungkosten während der überregionalen Kommunikation bei Monophthongsprechern nachweisbar (Odenwaldexperiment)?

Planung, Vorbereitung und Durchführung der Experimente

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7.1.2 Vorarbeiten Zur Vorbereitung der Experimente wurden Explorationen in das bairischalemannische Übergangsgebiet und ins Mittelbairische unternommen. Die Erhebungen wurden 2012 mit Dialektsprechern aus Isen (weiblich, geboren 1949 und 1936; männlich, geboren 1931 und 1924), Merching (männlich, geboren 1930 und 1964), Neuching (männlich, geboren 1926), Pfaffenhofen an der Glonn (männlich, geboren 1956), Pastetten (männlich, geboren 1936), Finsing (weiblich, geboren 1951) und Althegnenberg-Hörbach (weiblich, geboren 1954) durchgeführt. Die Informanten wurden gebeten, im Standard vorgesprochene Wörter (Wortlisten mit den Bezugslauten mhd. ô und mhd. ei) in den Dialekt zu übersetzen. Ziel war es einerseits Minimalpaare zu finden, welche sich nur durch diese Bezugslaute unterscheiden, und andererseits den aktuellen Stand des Phonemwandels punktuell zu beobachten. Zur Erstellung der Wortlisten wurden etymologische Wörterbücher wie KLUGE (2012) sowie mittelhochdeutsche Wörterbücher, wie sie online im Wörterbuchnetz 2002–2018 verfügbar gemacht wurden, verwendet. Aufgenommen sind hier u. a. das Deutsche Wörterbuch (GRIMM / GRIMM 1854–1961) sowie die mittelhochdeutschen Wörterbücher von GÄRTNER / GRUBMÜLLER / STACKMANN (2006–) (MWB), MÜLLER / ZARNCKE (1854–1866) (BMZ) und LEXER (1872–1878). Zudem wurden die in den Kapiteln 5.1.2 und 5.2.2 ausgewerteten Ortsgrammatiken und Dialektwörterbücher hinsichtlich der Phänomene durchsucht. Erfragt wurden einerseits Minimalpaare (vgl. Tabelle 11) sowie andererseits weitere Lexeme, die das Phonem mhd. ô bzw. mhd. ei vor Obstruent oder Nasal beinhalten. Neben den in Tabelle 11 genannten Minimalpaaren umfasste die Wörterliste für das mhd. ô-Phonem die Lexeme Floh, Floß, froh, groß, hoch, Hochzeit, Kloster, Krone, Kot ‘Humuserde’, Not, Ostern, Probe, roh, rot, Rost, Stoß, Thron, Tod, Trost. Die weiteren abgefragten Lexeme mit dem mhd. eiPhonem lauteten breit, Breite, Eiche, Eiß ‘Geschwür’, Eiter, Fleisch, Geißel, Geschrei, Getreide, Heim, Kreis, Laib, Laich, Lehm, Leiter, Meise, Meister, Neige, Rain, Reifen, Reiz, Saite, Scheitel, Schleife, Schneise, Schweif, Schweiß, Seiche, Seife, Speiche, Streich, Streifen, Stein, Teig, Waise, Weiche, Weide, Weizen, Zeichen.

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EEG-Experimente zu den deutschen Dialekten mhd. ô

Quelle

mhd. ei

Quelle

bône ‘Bohne’

KLUGE (2012)

beine ‘Beine, Knochen’

KLUGE (2012)

LEXER (1872–1878)

beize ‘Beize’ 98

KLUGE (2012)

GRUNDLER (1951), LEXER (1872–1878)

beizen ‘beizen’

KLUGE (2012)

brôt ‘Brot’

KLUGE (2012)

breit ‘breit’

KLUGE (2012)

glôse ‘Glosse’

KLUGE (2012)

geleis ‘Gleis’

KLUGE (2012)

gôz ‘(Regen)guss’

LEXER (1872–1878)

geiz ‘Geiß’

KLUGE (2012)

lôn ‘Lohn’ lônen ‘lohnen’

KLUGE (2012)

leine ‘Lehne’ leinen ‘lehnen’

LEXER (1872–1878), MÜLLER / ZARNCKE (1854–1866)

lôse ‘Mutterchwein’ lôz ‘Los’

GRUNDLER (1951), ZEHETNER (1978), KLUGE (2012)

leise ‘Schlitten-/ Wagenspur’

KÖNIG (1998)

lôt ‘Lötmaterial, Messblei’

KLUGE (2012)

leit ‘Leid’

KLUGE (2012)

lôten ‘loten’

KLUGE (2012)

leiten ‘leiten’

KLUGE (2012)

rôse ‘Rose’

KLUGE (2012)

reise ‘Reise’

KLUGE (2012)

schôz ‘Schoß’

KLUGE (2012)

scheiz ‘Darmwind’, ‘Knirps’

LEXER (1872–1878)

schôte ‘Schote’

KLUGE (2012)

scheite ‘Holzspan’

LEXER (1872–1878)

KLUGE (2012)

sleizen ‘zerreissen, spalten’ 99 sleizen ‘Reihe, Kette, Mahd’

bôze ‘Bündel Flachs, Reisig’ bôzen ‘schlagen, klopfen’

slôz ‘Schloss’ slôz(e) ‘Schloße, Hagelkorn’ Tabelle 11:

LEXER (1872–1878) GRUNDLER (1951)

Auswahl der abgefragten mittelhochdeutschen Minimalpaare im bairischalemannischen Übergangsgebiet und im Mittelbairischen

98 Auch Beisel ‘Kneipe’ wird als /bo͡at͡sn̩, bo͡at͡s(ɐ)/ realisiert. Hierbei handelt es sich allerdings um eine späte Entlehnung (20. Jahrhundert) aus dem rotwelschen und westjiddischen bahis ‘Haus’. 99 Mhd. sleizen wird von LEXER (1872–1878) als Factitivum zu mhd slîzen angegeben. RENN / KÖNIG (2006, 334) geben als Ursprung der Variante Schleißen für ‘dicke Heureihen’ die Form ahd. slîzan an. GRUNDLER (1951, 83) gibt hingegen mhd. sleizen im Sinne von ‘Reihe, Kette’ an. Aus diesem Grund wurde das Lexem trotz der unterschiedlichen Angaben abgefragt.

Planung, Vorbereitung und Durchführung der Experimente

171

Relevant sind in erster Linie die Ergebnisse, die von den Informanten aus dem bairisch-alemannischen Übergangsgebiet produziert wurden, und die in Tabelle 12 und Tabelle 13 zusammengefasst sind. In den Tabellen sind die Varianten nach Lautumgebung separat wiedergegeben. Zudem sind die Lexeme den phonologischen Typen, wie z. B. /o͡a/, zugeordnet. Gibt es eine einheitliche Realisierung aller Informanten in den drei Orten, so sind die Lexeme in der durchgehenden Zeile eingetragen. Sind interpersonelle Unterschiede beobachtbar, so stehen die Lexeme in den einzelnen Spalten für den jeweiligen Ort. Tabelle 12 zeigt die dialektalen Realisierungen der Lexeme, die auf mhd. ô zurückgehen. Es wird ersichtlich, dass eine hohe Anzahl der Lexeme mit mhd. ô vor Obstruent von allen Sprechern mit dem /o͡a/-Diphthong kodiert wird. Hierbei gibt es allerdings auch idiolektale Variationen, wie z. B. bei Floß, Rose und Schote. Weiterhin ist auffällig, dass Ausnahmen überwiegend monophthongisch realisiert werden. Nur der Sprecher aus Merching, welcher im Gegensatz zu den anderen Sprechern der älteren Generation angehört, realisiert die Lexeme mit dem /o͡u/-Diphthong. Vor Nasal wird nur das Lexem Lohn mit fallendem Diphthong realisiert, während die anderen Beispiele monophthongisch oder mit /o͡u/ ausgesprochen werden.

172

EEG-Experimente zu den deutschen Dialekten

Typ

/o͡a/

Althegnenberg

/ɾo͡asɐ/ ‘Rose’ (ältere Generation)

/ɾo͡asn̩/ ‘Rose’, /ʃo͡at/ ‘Schote’

/loːt/ ‘Lot’, /proːb(ə)/ ‘Probe’, /roˑʃt, rɔst/ ‘Rost’ /oː/

/bɾoːt/ ‘Brot’, /loːs/ ‘Los’, /ʃloˑs/ ‘Schloss’, /roːsn̩/ ‘Rose’, /t̬ ɾoːʃt/ ‘Trost’

/u͡a/

/lũã͡ / ‘Lohn’

/oː/

/kɾoːnə/ ‘Krone’, /loːnt/ ‘lohnt’, /t̬ roːn/ ‘Thron’

/o͡u/

/ɾoːzɐ/ ‘Rose’ (mittlere Generation)

/bɾoːt/ ‘Brot’, /floːs/ ‘Floß’, /froː/ ‘froh’, /loːs/ ‘Los’, /ʃloːs/ ‘Schloss’

/bɾo͡ut/ ‘Brot’, /flo͡us/ ‘Floß’, /lo͡us/ ‘Los’, /ʃlo͡us/ ‘Schloss’, /dɾoːuʃt/ ‘Trost’

/o͡u/

mhd. ô vor Nasal

Pfaffenhofen

/bo͡at͡sn̩, bo͡art͡sɐ/ ‘Reisigbündel’, /flo͡aχ/ ‘Floh’, /fro͡a/ ‘froh’, /gro͡as/ ‘groß’, /ho͡aχ/ ‘hoch’, /ho͡at͡sət/ ‘Hochzeit’, /klo͡aʃtɐ/ ‘Kloster’, /ko͡at/ ‘Humusboden’, /lo͡as/ ‘Mutterschwein’, /no͡at/ ‘Not’, /o͡aʃdɐn, o͡aʃtəʁə/ ‘Ostern’, /ɾo͡aχ/ ‘roh’, /ro͡at ‘rot’, /ʃo͡as/ ‘Schoß’, /ʃto͡as/ ‘Stoß’, /do͡at/ ‘Tod’ /flo͡as/ ‘Floß’, /ʃo͡atn̩/ ‘Schote’

mhd. ô vor Obstruent

Merching

/boːunɐ/ ‘Bohne’

/lũ͡ã/ ‘Lohn’ /boːnɐ/ ‘Bohne’, /kroːnɐ/ ‘Krone’ /bo͡unɐ/ ‘Bohne’, /kxo͡unɐ/ ‘Krone’, /lo͡unt/ ‘lohnt’, /drõ͡ũ/

/loːun/ ‘Lohn’

‘Thron’ Tabelle 12:

Dialektale Realisierungen von mhd. ô vor Obstruent und Nasal in den bairischalemannischen Orten Althegnenberg, Merching und Pfaffenhofen an der Glonn

Tabelle 13 zeigt die Ergebnisse der dialektalen Realisierungen der Lexeme, die auf mhd. ei zurückgehen. Auch hier wird eine hohe Anzahl der Lexeme mit mhd. ei vor Obstruent von allen Sprechern gleichermaßen mit /o͡a/ realisiert. Allerdings tritt auch hier idiolektale Variation auf, wie z. B. bei leiten, Schleife und Zeichen. Eine Anzahl weiterer Lexeme wird mit standardsprachlichem /a͡e/ realisiert, wobei auffällig ist, dass der Sprecher der alten Generation (Merching) diese Varianten am seltensten verwendet. Der Sprecher aus Pfaffenhofen gibt hingegen teilweise zwei Varianten (aktuell / veraltet) an. Für mhd. ei vor Nasal werden von allen Sprechern fallende Diphthonge, die sich teilweise in ihrer Qualität unterscheiden, verwendet.

173

Planung, Vorbereitung und Durchführung der Experimente

Typ

/o͡a/

mhd. ei vor Obstruent

Althegnenberg

Merching

Pfaffenhofen

/bo͡at͡sn̩, bo͡at͡s(ə)/ ‘Beize, beizen’, /bɾo͡at/ ‘breit’, /bɾo͡atn̩/ ‘Breite’, /do͡ak/ ‘Teig’, /dɾɔ͡ɐt/ ‘Getreide’, /go͡as/ ‘Geiß’, /go͡as̬ l̩ / ‘Geißel’, /kʃɾo͡a/ ‘Geschrei’, /lo͡ap/ ‘Laib’, /lo͡aʃt̬ n, lo͡aʃt/ ‘Wagenspur’, /lo͡aχ/ ‘Laich’, /lo͡at/ ‘Leid’ (veraltet bzw. ältere Generation), /lo͡at̬ ɐ(ʀ)/ ‘Leiter’, /mo͡aʃdɐʀ, mo͡aʃtɐ/ ‘Meister’, /no͡agɐl(ɐ)/ ‘Neige’, /o͡aχ(ɐ)/ ‘Eiche’, /o͡as/ ‘Geschwür’, /o͡atɐ, o͡atʀ̩/ ‘Eiter’, /ɾo͡as(n̩)/ ‘Reise’, /ʃlo͡as/ ‘Mahd’, /ʃlo͡asn̩/ ‘schleißen’, /ʃo͡as/ ‘Furz, Knirps’, /ʃβo͡af/ ‘Schweif’, /ʃβo͡as/ ‘Schweiß’, /so͡aχ(ɐ)/ ‘Seiche’, /so͡afɐ/ ‘Seife’, /ʃpo͡aχ(ɐ)/ ‘Speiche’, /ʃtɾo͡afɐ/ ‘Streifen’, /vo͡at/ ‘Weide’, /vo͡at͡sn̩, vo͡at͡sɐ/ ‘Weizen’

/ʃo͡atn̩/ ‘Holzspan’, /s̬ o͡atn̩/ ‘Saite’, /t͡so͡aχɐ/ ‘Zeichen’

/lo͡atɐ/ ‘leiten’, /ɾo͡afɐ/ ‘Reifen’, /ʃlo͡afɐ/ ‘Schleife’, /ʃo͡al/ ‘Scheitel’, /ʃtɾo͡aχ/ ‘Streich’, /t͡so͡aχɐ/ ‘Zeichen’, /vo͡aχɐ/ ‘Weiche’

/glo͡as/ ‘Gleis’, /lo͡atn̩/ ‘leiten’, /ɾo͡afn̩/ ‘Reifen’, /ʃo͡atn̩/ ‘Holzspan’, /ʃlo͡afɐ/ ‘Schleife’, /ʃo͡al/ ‘Scheitel’, /vo͡azɛɐl/ ‘Waise’ (veraltet)

/fla͡eʃ/ ‘Fleisch’, /ga͡eʃt/ ‘Geist’, /kʀa͡es/ ‘Kreis’, /ma͡ezə, ma͡ezlɐ/ ‘Meise’, /ra͡et͡s/ ‘Reiz’, /ʃna͡ezn̩/ ‘Schneise’, /va͡ezə, va͡ezn̩/ ‘Waise’

/a͡e/

/u͡a/ mhd. ei vor Nasal /o͡a/

Tabelle 13:

/gla͡es/ ‘Gleis’, /la͡et/ ‘Leid’, /la͡etn̩/ ‘leiten’, /ɾa͡efɐ/ ‘Reifen’, /ʃa͡etl̩ / ‘Scheitel’, /ʃla͡efɐ/ ‘Schleife’, /ʃtra͡eç/ ‘Streich’, /va͡eçŋ̩/ ‘Weiche’

/gla͡es/ ‘Gleis’, /z̥a͡etn̩/ ‘Saite’

/bũ͡əñ ɐ/ ‘Beine’,

/hũ͡ãm/ ‘Heim’,

/ʃtũ͡ə/̃ ‘Stein’

/ɾũ͡ã/ ‘Rain’, /ʃtũ͡ã/ ‘Stein’

/hũ͡əm ̃ / ‘Heim’, /lũ͡əm ̃ / ‘Lehm’, /lu͡ən/ ‘lehn (dich) ’, /ɾũ͡ə/̃ ‘Rain’,

/la͡et/ ‘Leid’, /z̥a͡etn̩/ ‘Saite’, /ʃa͡etl̩ / ‘Scheitel’, /ʃla͡efn̩/ ‘Schleife’, /va͡eχə/ ‘Weiche’, /t͡sa͡eχŋ̩/ ‘Zeichen’

/lũ͡ãm/ ‘Lehm’, /lu͡anɐ/ ‘lehnen’,

/bo͡anɐ/ ‘Knochen’

/bo͡anɐ/ ‘Knochen’, /ho͡am/ ‘Heim’, /lo͡am/ ‘Lehm’, /lo͡anɐ/ ‘lehnen’, /ɾo͡ ̃ã/ ‘Rain’, /ʃto͡anɐ/ ‘Stein’

Dialektale Realisierungen von mhd. ei vor Obstruent und Nasal in den bairischalemannischen Orten Althegnenberg, Merching und Pfaffenhofen an der Glonn

174

EEG-Experimente zu den deutschen Dialekten

Hinsichtlich der Frage des Wandels von mhd. ô im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet zeigt sich insgesamt, dass /o͡a/ noch häufig verwendet wird, sich aber lexikalische und intergenerationelle Unterschiede andeuten. Es kann aus den eigenen Aufnahmen bestätigt werden, dass v. a. bei den Minimalpaaren mhd. ô nicht (mehr) als /o͡a/ realisiert wird, z. B. Bohne, Brot, Rose. Im Weiteren werden die Probleme angesprochen, die sich bei der Suche nach passenden Minimalpaaren für das EEG-Experiment ergeben haben. Leider muss insgesamt konstatiert werden, dass sich die Suche nach bairisch-alemannischen Homonymen aus den mhd. Minimalpaaren als sehr schwierig gestaltete. Es ergaben sich folgende Probleme (vgl. für die Sprachbeispiele Tabelle 14 bzw. Tabelle 15): 1. Aufgrund des Phonemzusammenfalls von mhd. ô und mhd. ei ist davon auszugehen, dass solche historischen Minimalpaare rezent als Homonyme realisiert werden. Dies ist allerdings häufig nicht der Fall. Ein Grund ist, dass einige Wörter nicht erhoben werden konnten, weil es sich um unbekannte Wörter handelt. Häufig gaben die Informanten stattdessen Heteronyme an. Hierzu gehören z. B. mhd. bôzen ‘schlagen, klopfen’, mhd. lônen ‘lohnen’, mhd. lôten ‘loten’, mhd. slôz(e) ‘Schloße, Hagelkorn’ und mhd. gôz ‘(Regen)guss’. Zudem wurden einige Lexeme als standardsprachlich eingestuft, für die es keine dialektale Realisierung gibt, wie z. B. mhd. glôse ‘Glosse’, mhd. lôt ‘Lot’, mhd. lôz ‘Los’. Somit können diese Lexeme nicht im Experiment verwendet werden, weil sie nicht dem tatsächlichen Dialektgebrauch entsprechen. Zudem gibt es Fälle, in denen zwar derselbe Diphthong verwendet wird, aber dennoch kein Homonym vorliegt, wie z. B. bei /lo͡as/ ‘Mutterschwein’ und /lo͡aʃt̬ n̩, lo͡aʃt/ ‘Wagenspur’. 2. Die dialektalen Realisierungen der Lexeme variieren zwischen den Sprechern, obwohl überwiegend Sprecher aus einer Altersklasse befragt wurden. Dementsprechend konnte häufig keine einheitliche Dialektvariante erhoben werden. Dies bezieht sich beispielsweise auf die Suffixe /ɐ/ und /n̩/ in /bo͡at͡sn̩/, /bo͡art͡sɐ/ ‘Reisigbündel’ und /ɾo͡asɐ/, /ɾo͡as̬ n̩/ ‘Rose’, aber auch auf den Diphthong selbst, wie z. B. /ɾo͡asɐ/, /ɾoːzɐ/ ‘Rosen’ oder /bɾoːt/, /bɾo͡ut/ ‘Brot’. Die Norm für dialektale Realisierungen scheint somit phonetische und morphologische Abweichungen zu umfassen. Dies ist eine große Schwierigkeit bei EEG-Experimenten, da die phonetischen oder phonologischen Manipulationen genau kontrolliert werden sollen. Während bei der Verwendung von standardsprachlichem Sprachmaterial davon ausgegangen werden kann, dass alle Sprecher des Deutschen mit der standardsprachlichen Norm vertraut sind, ist dies ein Unsicherheitsfaktor bei dialektalen Stimuli. 3. Ein weiteres Problem bei der Auswahl passender Wortpaare ist die Frequenz. Es ist davon auszugehen, dass sich die Frequenz dialektaler Lexeme stark von ihren standardsprachlichen Entsprechungen unterscheidet. Leider gibt es keine Frequenzdatenbank für dialektale Lexeme, sodass die Frequenz nicht kontrolliert werden kann. Somit kann nur von den Aussagen der Informanten ausgegangen werden, die beispielsweise die Lexeme Lot und Schote teilweise als unbekannt bzw. nicht dialektal bewerteten. Auch ist davon auszugehen,

Planung, Vorbereitung und Durchführung der Experimente

175

dass Lexeme wie /bo͡at͡sn̩/ ‘Reisigbündel’ und /lo͡as/ ‘Mutterschwein’ nur fachsprachlich, z. B. in der Landwirtschaftsdomäne, verwendet werden und somit eine niedrigere Frequenz aufweisen als beispielsweise /ɾo͡asɐ/ ‘Rose’. Zudem haben sicherlich auch Abstrakta wie /bɾo͡atn̩/ ‘Breite’ eine niedrige Frequenz. Hinweise hierauf gibt beispielsweise die Frequenzdatenbank SUBTLEX, für die Filmuntertitel ausgewertet wurden. Wärend für Rose eine Wortfrequenz von 1132 angegeben wird, liegen die Werte für Lot bei 58, Breite bei 46, Schote bei 5 sowie Muttersau bei 2. 4. Eine zusätzliche Schwierigkeit ist die Kontrolle der Wortart, die in einem EEG-Experiment typischerweise konstant gehalten werden sollte. Auch dies erwies sich als ein Problem, da die Wortart z. B. bei Brot – breit nicht übereinstimmt. 5. Ein von allen Informanten bestätigtes Homonym ist /ʃo͡as/ für ‘Schoß, Knirps/Furz’. Aber dieses Lexem kann nicht im EEG-Experiment verwendet werden, da sich die Probanden peinlich berührt fühlen könnten und hier eine emotionale Komponente mit hineinspielen könnte. Tabelle 14 gibt eine Übersicht über die „besten“ Minimalpaare, die erhoben werden konnten. Die Lexeme, die heute noch mehr oder weniger homonym realisiert werden, sind grau hinterlegt. Es handelt sich um /bo͡at͡sn̩/ ‘Reisigbündel, Beize’, /ro͡asn̩/ ‘Rose, Reise’, /ʃo͡as/ ‘Schoß, Knirps/Furz’ und /ʃo͡atn̩/ ‘Schote, Holzspan’.

176

EEG-Experimente zu den deutschen Dialekten

Lexem mhd. ô bône ‘Bohne’

bairischalemannische Variante /boːunɐ/, /bo͡unɐ/, /boːnɐ/

Lexem mhd. ei

bairischalemannische Variante

beine ‘Knochen’

/bũ͡ə̃nɐ/, /bo͡anɐ/

bôze ‘Bund Reisig’

/bo͡at͡sn̩/, /bo͡art͡sɐ/

beize ‘Beize’

/bo͡at͡sn̩/, /bo͡at͡s(ə)/

brôt ‘Brot’

/bɾoːt/, /bɾo͡ut/

breit ‘breit, Breite’

/bɾo͡at/, /bɾo͡atn̩/

lôn ‘Lohn’

/lũ͡ã/, /loːun/

leine ‘Lehne’

/leːnɐ/, /leːnə/, /lɛ͡ɪnɐ/

lôse ‘Mutterschwein’

/lo͡as/

leise ‘Wagenspur’

/lo͡aʃt̬ n̩, lo͡aʃt/

lôt ‘Lötmaterial’

/loːt/

leid ‘Leid’

/lo͡at/, /la͡et/

rôse ‘Rose’

/ɾo͡asɐ/, /ɾo͡asn̩/, /ɾoːzɐ/, /ɾoːsn̩/

reise ‘Reise’

/ɾo͡as(n̩)/

slôz ‘Schloss’

/ʃloˑs/, /ʃloːs/, /ʃlo͡us/

sleizen ‘Reihe, Kette, Mahd’

/ʃlo͡as/

schôz ‘Schoß’

/ʃo͡as/

‘Knirps, Furz’

/ʃo͡as/

schôte ‘Schote’

/ʃo͡at(n̩)/

scheite ‘Holzspan’

/ʃo͡atn̩/

Tabelle 14:

Dialektale Realisierung der mhd. Minimalpaare im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet

Um einen besseren Eindruck über die Kontaktsituation zu erhalten, wurden alle oben genannten Lexeme auch im Mittelbairischen abgefragt. Tabelle 15 zeigt das Ergebnis für die oben genannten mhd. Minimalpaare. Hier zeigen sich einige Unterschiede zur Befragung im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet, die auf zusätzliche Probleme hindeuten.

177

Planung, Vorbereitung und Durchführung der Experimente

Lexem mhd. ô bône ‘Bohne’

mittelbairische Variante /boːnɐ/, /bo͡unɐ/

beine ‘Knochen’

mittelbairische Variante ͡ /boanɐ/, /bo͡alɪŋ/

Lexem mhd. ei

bôze ‘Bund Reisig’

/ɾa͡ezɪbuːʀ(n)/, /ɾa͡esɐ/

beize ‘beizen’

/bo͡at͡sn̩/

brôt ‘Brot’

/bɾo͡ut/, /bɾoːt/

breit ‘breit, Breite’

/bɾo͡at/, /bɾo͡atn̩/, /bɾɛ͡ɐ(t)n/, /bɾa͡etə/

lôn ‘Lohn’

/lõː/, /loːn/

leine ‘Lehne’

/leːnɐ/, /lo͡an(ɐ)/

lôse ‘Mutterschwein’

/lo͡us/

leise ‘Wagenspur’

glo͡as(n̩)

lôt ‘Lötmaterial’

/loːt/

leid ‘Leid’

/lo͡at/, /la͡et/

rôse ‘Rose’

/roːsn̩/, /ro͡usn̩/, /ro͡uzn̩/

reise ‘Reise’

/ɾo͡as/, /ɾa͡esn̩/

slôz ‘Schloss’

/ʃloːs/, /ʃlɔs/

sleizen ‘rupfen’

/ʃlo͡asn̩/

schôz ‘Schoß’

/ʃo͡us/, /ʃoːs/

‘Knirps, Furz’

/ʃo͡as/

schôte ‘Schote’

/ʃoːtn̩/, /ʃoːtɘ/

scheite ‘Holzspan’

/ʃo͡atn̩/

Tabelle 15:

Dialektale Realisierung der mhd. Minimalpaare im Mittelbairischen

6. Ein Vergleich der bairisch-alemannischen und mittelbairischen Varianten zeigt, dass teilweise unterschiedliche Heteronyme in den Dialekträumen realisiert werden. Beispielsweise lautet die bairisch-alemannische Variante für ‘Wagenspur’ /lo͡aʃt̬ n̩/, im Mittelbairischen stattdessen /glo͡as(n̩)/. Zudem lautet ‘Reisigbündel’ im Mittelbairischen /ɾa͡ezɪbuːʀ(n)/ bzw. /ɾa͡esɐ/ statt bairischalemannischem /bo͡at͡sn̩/, /bo͡art͡sɐ/. Das Minimalpaar für die EEG-Studie muss allerdings in beiden Dialektregionen funktionieren, sodass die unterschiedlichen Heteronyme in den Dialekträumen ein weiteres Problem darstellen. Die Vorarbeiten zeigen insgesamt, dass es nicht möglich ist, viele Minimalpaare zu finden, die sich nur durch den historischen Bezugslaut unterscheiden und diese hinsichtlich für die EEG-Methode relevanter Faktoren, wie z. B. Frequenz und Wortart, zu kontrollieren. Dieses Problem wird dadurch verschärft, dass die Minimalpaare im Mittelbairischen und im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet in gleicher Form vorkommen müssen und sich nur durch den Diphthong unterscheiden sollen. Da kaum ein Minimalpaar allen Kriterien entspricht, muss das EEG-Design an das konkret vorhandene Sprachmaterial angepasst werden.

178

EEG-Experimente zu den deutschen Dialekten

7.1.3 Herleitung des Designs Die Planung der EEG-Studien erwies sich, wie bereits im vorhergehenden Kapitel angedeutet, als relativ schwierig, da die komplexe dialektologische Fragestellung mit den Erfordernissen der neurolinguistischen EEG-Methode zusammengebracht werden musste (vgl. zu der Problematik auch SCHMIDT 2016). Wie beschrieben ergaben sich bei der Suche nach passenden Stimuli einige Probleme, wie die unterschiedliche Realisierung der Stimuli, unterschiedliche Wortarten der Stimuli, ungebräuchliche Lexeme, unterschiedliche Heteronyme in den Dialektregionen sowie eine unklare Frequenz der Lexeme. Grundsätzlich ist allerdings eine hohe Anzahl verschiedener Stimuli einer Bedingung nötig, um ein gutes SignalRausch-Verhältnis zu erhalten (vgl. Kapitel 6). Es erwies sich leider als unmöglich eine zufriedenstellende Anzahl von Minimalpaaren gleicher Wortart und Frequenz zu finden, die sich nur durch den mittelhochdeutschen Bezugslaut mhd. ô und mhd. ei unterscheidet. Somit konnte kein klassisches EEG-Design mit unterschiedlichen Stimuli für eine Bedingung verwendet werden. Stattdessen wurde ein Oddball-Design gewählt, für das pro Bedingung nur ein Wortpaar notwendig ist. Wie in Kapitel 6 beschrieben, verwenden einige bisherige Studien ein Oddball-Design zur Untersuchung regionaler Kontraste und können dadurch Aussagen über den Einfluss der phonologische Kompetenz der jeweiligen Sprechergruppen auf die Sprachverarbeitung machen. Allerdings wurden in Studien, wie z. B. BRUNELLIÈRE / DUFOUR / NGUYEN (2011), BRUNELLIÈRE et al. (2009) und CONREY / POTTS / NIEDZIELSKI (2005), Kontraste untersucht, die nur in einer der beiden Sprechergruppen distinkt sind. Dies ist ein wichtiger Unterschied zu den bairisch-alemannischen und mittelbairischen Sprechern. Denn die Kompetenz beider Sprechergruppen umfasst die Phoneme /o͡a/ und /o͡u/, es liegt nur eine andere Phonem/Lexem-Zuordnung vor. Durch den lexemweisen Wandel von mhd. ô im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet besitzen auch diese Sprecher ein /o͡u/-Phonem. Zudem tritt die Variante im betreffenden Raum auch für mhd. o auf. Somit müssten beide Sprechergruppen gleichermaßen fähig sein, diesen Phonemkontrast wahrzunehmen und zu unterscheiden. Ein klassisches Oddball-Design scheidet aus diesem Grund für die Beantwortung der Forschungsfrage aus. Zentrales Argument der Sprachdynamiktheorie ist die Verwendung der bairisch-alemannischen Lexeme in – aus Sicht der mittelbairischen Sprecher – falschen Kontexten, die dann zu Verständnisproblemen führen. Zur Überprüfung dieser These ist somit ein Satzkontext nötig, der die Bedeutung des jeweiligen kritischen Lexems anbahnt, d. h. primt. Priming bedeutet „die Vorbereitung eines Sinneseindrucks oder eines mentalen Konzepts durch eine visuell oder akustisch ähnliche bzw. durch eine kontext- oder bedeutungsähnliche Vorgabe (Bahnung)“ (MÜLLER 2013, 101). Bei der Verwendung von Kontextsätzen handelt es sich zudem um den Versuch, ein natürliches Sprachverstehen nachzuahmen. Es gibt bisher wenige Studien, die sich eines Oddball-Designs in Kombination mit Satzkontexten bedienen. Zu nennen ist die MEG-Studie von MENNING et al. (2005), die Kontextsätze verwenden, um semantische und syntaktische Fehler zu untersuchen. Als Standard fungierte der Satz Die Frau düngt den Rasen im

Planung, Vorbereitung und Durchführung der Experimente

179

Mai. Der semantische bzw. syntaktische Fehler wurde am Beispiel der Sätze Die Frau düngt den Riesen im Mai bzw. Die Frau düngt den Rosen im Mai untersucht. Hierzu wurde ein Oddball-Design mit 70% Standards und jeweils 15% Deviants verwendet. Die Resultate zeigen MMFs (mismatch fields) zwischen 150 und 200 ms für beide Deviants. Ohne genau auf die Ergebnisse und ihre Interpretation einzugehen zeigt die Studie, dass das gewählte Design sensitiv gegenüber Fehlern auf den verschiedenen linguistischen Ebenen ist. Da die Probanden während des Experiments einen Stummfilm sahen und somit die Aufmerksamkeit nicht auf die Stimuli gelenkt war, können mithilfe des Designs präattentive Reaktionen auf Abweichungen auf höheren linguistischen Ebenen nachgewiesen werden. Die gefundenen Effekte reflektieren einen automatischen Vergleich der Deviants mit der erwarteten Fortsetzung des Satzes, welche durch den Standard aufgebaut wurde. Die Studie zeigt somit die Sensitivität der MMN gegenüber komplexem linguistischen Material (vgl. MENNING et al. 2005, 79–80). BOULENGER et al. (2011) beschäftigen sich mit Rückwärtssprache und führten hierzu ein klassisches Oddball-Experiment mit /ba/ als Standard und auf der zeitlichen Achse umgekehrtes /ba/ als Deviant durch. Zusätzlich wurde eine Studie durchgeführt, in der Sätze mit hoher und niedriger cloze probability 100 und verschiedenen Stadien der Rückwärtssprache von den Probanden wiederholt werden mussten. Beide Experimente lieferten sehr ähnliche Ergebnisse, nämlich eine frontozentrale frühe Negativierung mit ähnlicher Latenz und Amplitude für die Deviants (Rückwärtssprache), die als MMN interpretiert werden kann. Die Ergebnisse zeigen, dass das Gehirn auch während des Hörens natürlicher Sprache abstrakte Regularitäten, wie z. B. akustische und phonetische Informationen, aus dem kontinuierlichen Sprachsignal extrahieren und daraus Erinnerungsspuren bilden kann. Demnach können Erinnerungsspuren auch für komplexe Sätze entstehen und beinhalten umfassende Details über die akustischen und phonetischen Eigenschaften des Sprachsignals (vgl. BOULENGER et al. 2011, 60). Die aktuelle Studie orientiert sich an BENDIXEN et al. (2014), die sich mit der Prädiktion von Sprachsegmenten am Beispiel von Auslassungen im Sprachsignal beschäftigen. Neben einem klassischen Oddball-Experiment mit den Standards Lachs bzw. Latz und dem Deviant La führten die Autoren ein OddballExperiment mit komplexen Sätzen durch. Jeweils 30 verschiedene Sätze primen entweder das satzfinale Lexem Latz oder Lachs oder sind neutral in dieser Hinsicht. Die daraus entstandenen 120 Sätze wurden im Experiment 6 Mal präsentiert, wobei in ⅓ der Fälle anstelle des Standards Lachs bzw. Latz der Deviant La präsentiert wurde. Zudem mussten die Probanden für ⅓ der Sätze eine semantische Bewertungsaufgabe erfüllen. Trotz der vielen Unterschiede zwischen den Experimenten, wie aktivem vs. passivem Zuhören, unterschiedlichen Aufgaben (Stummfilm ansehen vs. Satzverstehen), unterschiedlichen Kontexten (Stille vs.

100 Die cloze probability (CP) bezeichnet die Stärke der durch den Kontext aufgebauten Erwartung (vgl. DRENHAUS 2010, 117).

180

EEG-Experimente zu den deutschen Dialekten

Satzkontext), Art der Prädiktion (physikalisch vs. semantisch) und Anzahl der Deviants im Experiment (240 (12,5%) vs. 120 (33%)), wird in beiden Experimenten eine MMN zwischen 125 und 165 ms elizitiert. Zudem kann der Effekt der Prädiktion auf die Sprachverarbeitung anhand der erhöhten MMN-Amplitude angebahnten Kontexten im Vergleich zu nichtvorhersagbaren Kontexten abgelesen werden. Somit sind das gewählte Design sowie die N200-Komponente sinnvolle Instrumente, um Prozesse des Sprachverstehens zu untersuchen, die semantische, syntaktische, phonologische und phonotaktische Aspekte umfassen (vgl. BENDIXEN et al. 2014, 21–22). Als Design für die beiden EEG-Experimente im Mittelbairischen und im Rheinfränkischen wurde in Anlehnung an BENDIXEN et al. (2014) ein OddballDesign mit komplexen Sätzen und einer semantischen Bewertungsaufgabe gewählt. Im Vergleich zu den beschriebenen Studien wurden allerdings auch semantische Verletzungen eingebaut, um die angenommenen Missverständnisse zu untersuchen. Die Verarbeitung semantisch inkongruenter Lexeme wird im EEG zumeist von einer N400 angezeigt (vgl. KUTAS / HILLYARD 1980; KUTAS / HILLYARD 1984). Es handelt sich hierbei um eine zentroparietale negative Komponente, welche typischerweise zwischen 200 und 600 ms elizitiert wird, und einen Gipfel um 400 ms aufweist (vgl. KUTAS / FEDERMEIER 2011, 623). Die N400 spiegelt höhere Prozesse, wie z. B. Probleme bei der semantischen Integration eines Lexems in den Kontext, wider (vgl. BROWN / HAGOORT 1993; KUTAS / FEDERMEIER 2000, 464–465). Sie entsteht typischerweise, wenn ein satzfinales Wort semantisch inkongruent oder unerwartet ist und somit eine geringe cloze probability aufweist (vgl. LAU / PHILLIPS / POEPPEL 2008, 921; CONNOLLY / PHILLIPS 1994, 256). In diesem Sinne zeigt die N400 die Verletzung von Prädiktionen und Erwartungen an, die durch den vorausgehenden Satzkontext aufgebaut wurden. Während auf Lexeme, die aus dem vorangehenden Satz vorhersagbar sind, leicht zugegriffen werden kann, verursachen unplausible oder niederfrequente Wörter erhöhte neuronale Kosten (vgl. DELONG / URBACH / KUTAS 2005; LAU / PHILLIPS / POEPPEL 2008, 921). Im Vergleich zur Studie von BENDIXEN et al. (2014) wird in dem Experiment von BOULENGER et al. (2011) ein N400-Effekt nachgewiesen, welcher die Schwierigkeit, den nichtvorhersagbaren Deviant in den Satzkontext zu integrieren, widerspiegelt (vgl. BOULENGER et al. 2011, 60–61). Demnach erscheint ein Oddball-Design mit komplexen Sätzen als sehr vielversprechend, um frühe Effekte der Fehlererkennung sowie späte Effekte der semantischen Integration kombiniert zu untersuchen. Die beiden im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten EEG-Studien sind gleich aufgebaut und umfassen jeweils drei Bedingungen: die Missverstehensbedingung (1), die Nichtverstehensbedingung (2) und die potentielle Verstehensbedingung (3) (vgl. Tabelle 16 und Tabelle 17). Für jede Bedingung wurde ein dialektales Wortpaar ausgewählt. Als Standard fungiert jeweils die Variante der Hörergruppe, d. h. die Form aus dem Mittelbairischen bzw. des rheinfränkischen /oː/Monophthonggebiets. Bedingung 1 ist jeweils in die Bedingungen 1a und 1b untergliedert, um das Minimalpaar, wie in Oddball-Experimenten üblich, in beide Richtungen zu testen.

Planung, Vorbereitung und Durchführung der Experimente

181

Im Weiteren werden die Bedingungen der beiden Studien skizziert (vgl. Tabelle 16 und Tabelle 17). Für die Missverstehensbedingung der Bayernstudie wurde das Minimalpaar /ro͡usn̩/ – /ro͡asn̩/ gewählt. Beides sind Varianten für ‘Rosen’ in den Dialektgebieten, da die mittelbairische Variante /ro͡usn̩/ und die bairisch-alemannischen Variante /ro͡asn̩/ lautet. Zudem bedeutet /ro͡asn̩/ im Mittelbairischen ‘Reisen’. In der Bedingung 1a primen alle Sätze die Bedeutung ‘Rosen’. Die mittelbairische Variante /ro͡usn̩/ (Standard) wird sporadisch durch die bairisch-alemannische Variante /ro͡asn̩/ (Deviant) unterbrochen. Somit spiegelt diese Bedingung die tatsächlich stattfindende Kontaktsituation zwischen den beiden Dialekträumen wider. In der Bedingung 1b hingegen primen alle Sätze die Bedeutung ‘Reisen’. Die mittelbairische und bairisch-alemannische Variante /ro͡asn̩/ ‘Reisen’ (Standard) wird hin und wieder durch die mittelbairische Variante /ro͡usn̩/ ‘Rosen’ unterbrochen. Im Vergleich zu Bedingung 1a wird in dieser Bedingung kein tatsächlicher Dialektkontakt abgebildet, da keine der beiden Dialektgruppen /ro͡usn̩/ in der Bedeutung von ‘Reisen’ verwenden würde. Für die Nichtverstehensbedingung wurden die bairisch-alemannische und mittelbairische Variante für ‘Mutterschwein’, d. h. /lo͡as/ – /lo͡us/, ausgewählt. Im Gegensatz zu Bedingung 1, in der /ro͡asn̩/ in den Dialektgebieten unterschiedliche Bedeutungen hat, trägt /lo͡as/ nur im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet und nicht im Mittelbairischen eine Bedeutung. Die Bedingung 2 besteht zur Hälfte aus Sätzen, die ‘Mutterschwein’ primen und zur Hälfte aus neutralen Sätzen. Die mittelbairische Variante /lo͡us/ (Standard) wird sporadisch von der bairischalemannischen Variante /lo͡as/ (Deviant) unterbrochen. In dieser Bedingung wird ebenfalls tatsächlich stattfindender Dialektkontakt abgebildet. Für die dritte Bedingung wurde das Wortpaar /lõː/ – /lõ͡ũ/ ausgewählt. Bei /lõː/ handelt es sich um die mittelbairische Variante für ‘Lohn’. Mhd. ô vor Nasal wird im Mittelbairischen überwiegend mit monophthongischem /õː/ realisiert. 101 Im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet tritt für Lohn stattdessen in erster Linie ein fallender Diphthong, wie /ũ͡ã/ bzw. /õ͡ã/, auf. 102 In beiden Gebieten wird allerdings sehr sporadisch auch /o͡u/ verwendet (vgl. EICHINGER 2011, 52). Auch in den eigenen Erhebungen wird im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet teilweise /o͡u/ in Lexemen wie Bohne und Krone verwendet. Aufgrund des seltenen Auftretens handelt es sich bei dem /õː/–/õ͡ũ/-Kontrast dennoch um eine künstlich hergestellt Bedingung, die nicht dem konkreten Dialektkontakt zwischen dem Mittelbairischen und bairisch-alemannischen Übergangsgebiet entspricht. Die Bedingung wurde deswegen ins Experiment aufgenommen, um eine Vergleichbarkeit zur Odenwaldstudie herzustellen, da in letzterer der /oː/–/o͡u/-Kontrast zentral für die sprachdynamische Erklärung ist. Durch die Untersuchung dessel101 Vgl. GRUNDLER (1951, 80), STÖR (1999a, 311), STÖR (1999b, 764), WITTMANN (1943, 32) und ZEHETNER (1978, 127). 102 Vgl. FREUDENBERG (1959, 41), GLADIATOR (1971, 86), IBROM (1970b, 92), IBROM (1973, 51–52), KÖNIG (1998, 160–161), LECHNER (1999, 19), MOSER (1933, 48), STÖR (1999a, 311) und STÖR (1999b, 764).

182

EEG-Experimente zu den deutschen Dialekten

ben Phonemkontrasts in zwei Dialekträumen sollen die Ergebnisse gestützt und validiert werden. Zudem spielt der /oː/–/o͡u/-Kontrast auch im Bairischen eine wichtige Rolle, da vor Obstruent eine hohe Variation zwischen den Varianten im Raum besteht und diese Varianten auch Resultat des Wandels von mhd. ô sind. Somit ist von Interesse, ob die /oː/–/o͡u/-Variation grundsätzlich anders verarbeitet wird als der /o͡a/–/o͡u/-Kontrast. Die Bedingung 3 besteht zur Hälfte aus Sätzen, die die Bedeutung ‘Lohn’ primen und zur Hälfte aus neutralen Sätzen. Die mittelbairische Variante /lõː/ (Standard) wird sporadisch von der Variante /lõ͡ũ/ (Deviant) unterbrochen. Auch wenn /lõ͡ũ/ im Mittelbairischen keine Bedeutung trägt, ist es durch den relativ geringen phonetischen Abstand wahrscheinlich, dass die Varianten als Allophone verarbeitet werden.

Planung, Vorbereitung und Durchführung der Experimente

183

Bedingung 1: Missverstehen

Priming ‘Rosen’

1a)

Priming ‘Reisen’

1b)

Deviant: bairisch-alemannische Variante /ro͡asn̩/ ‘Rosen’ (‘Reisen’ im Mittelbairischen) z. B. Was im Garten viel Pflege braucht, sind /ro͡usn̩/. z. B. Was im Garten viel Pflege braucht, sind /ro͡asn̩/. Standard: mittelbairische Variante /ro͡usn̩/ ‘Rosen’

Standard: mittelbairische und bairischalemannische Variante /ro͡asn̩/ ‘Reisen’

Deviant: mittelbairische Variante /ro͡usn̩/ ‘Rosen’

z. B. Wofür er seinen Koffer packt, sind /ro͡asn̩/. z. B. Wofür er seinen Koffer packt, sind /ro͡usn̩/ Bedingung 2: Nichtverstehen

2)

Priming ‘Mutterschwein’

2)

neutral

Standard: mittelbairische Variante /lo͡us/ ‘Mutterschwein’

Deviant: bairisch-alemannische Variante /lo͡as/ ‘Mutterschwein’ z. B. Was die kleinen Ferkel säugt, ist die /lo͡us/. z. B. Was die kleinen Ferkel säugt, ist die /lo͡as/. Standard: mittelbairische Variante /lo͡us/ ‘Mutterschwein’

Deviant: bairisch-alemannische Variante /lo͡as/ ‘Mutterschwein’ z. B. Was er ihr genau beschreibt, ist die /lo͡us/. z. B. Was er ihr genau beschreibt, ist die /lo͡as/. Bedingung 3: Potentielles Verstehen

3)

3)

Tabelle 16:

Priming ‘Lohn’

neutral

Standard: mittelbairische Variante /lõː/ ‘Lohn’

Deviant: phonetisch abweichende Variante /lõ͡ũ/

z. B. Was man am Monatsende bekommt, ist der /lõː/. z. B. Was man am Monatsende bekommt, ist der /lõ͡ũ/. Standard: mittelbairische Variante /lõː/ ‘Lohn’

Deviant: phonetisch abweichende Variante /lõ͡ũ/

z. B. Worüber sie beim Treffen reden, ist der /lõː/. z. B. Worüber sie beim Treffen reden, ist der /lõ͡ũ/.

Übersicht über die Experimentbedingungen der Bayernstudie

184

EEG-Experimente zu den deutschen Dialekten

Die Sprachsituation im Rheinfränkischen unterscheidet sich essentiell von der im Bairischen. Wie in Kapitel 5.3.2 beschrieben ist das mhd. ô-Phonem in keinen Phonemzusammenfall involviert und es liegt auch keine unterschiedliche Phonem/Lexem-Zuordnung im Monophthong- und Diphthonggebiet vor. Stattdessen stehen sich verschiedene Varianten für mhd. ô im Raum gegenüber. Um die Experimente vergleichbar zu halten, wurden dennoch Lexeme für alle Bedingungen bestimmt, die allerdings jeweils eine andere Situation widerspiegeln als in Bayern. In der Bedingung Missverstehen wurde das Minimalpaar /loːs/ ‘Los’ – /la͡us/ ‘Laus’ ausgewählt. Im gesamten Gebiet ist die dialektale Variante für mhd. û /a͡u/. 103 Bei den beiden Lexemen handelt es sich im Gegensatz zu /ro͡usn̩/ – /ro͡asn̩/ um ein Minimalpaar, welches in beiden Dialektarealen jeweils die gleiche Bedeutung umfasst. Dementsprechend gibt es keine besondere dialektale Kontaktsituation, sondern es handelt sich um ein Minimalpaar, wie es auch in der Standardsprache vorkommt. Faktoren für die Auswahl der Items waren die Position des Vokals vor Obstruent sowie ein ähnlicher phonetischer Abstand zwischen Standard und Deviant wie in der Bayernstudie. In Bedingung 1a primen alle Sätze die Bedeutung ‘Los’. Die Variante /loːs/ ‘Los’ (Standard) wird sporadisch durch die Variante /la͡us/ ‘Laus’ (Deviant) unterbrochen. In Bedingung 1b hingegen primen alle Sätze die Bedeutung ‘Laus’, wobei die Variante /la͡us/ (Standard) hin und wieder durch die Variante /loːs/ ‘Los’ (Deviant) unterbrochen wird. Für die Bedingung Nichtverstehen wurde das Wortpaar /moːk/ – /ma͡uk/ ausgewählt. Bei /moːk/ handelt es sich um die dialektale Variante für ‘Mutterschwein’ des Monophthonggebiets. /ma͡uk/ hingegen ist eine Variante, die weder im Gebiet selbst noch im angrenzenden Gebiet eine Bedeutung trägt. Dies ist ein zentraler Unterschied zur Bayernstudie. Die Variante /lo͡as/ ‘Mutterschwein’ ist eine im Mittelbairischen unbekannte Variante, die allerdings im bairischalemannischen Übergangsgebiet vorkommt. /ma͡uk/ hingegen ist ein wirkliches Pseudowort, das es in der gesamten Dialektregion nicht gibt. In Analogie zur Bayernstudie primt eine Hälfte der Sätze die Bedeutung ‘Mutterschwein’, während die andere Hälfte der Sätze neutral ist. Die Variante /moːk/ (Standard) aus dem Monophthonggebiet wird sporadisch von der Variante /ma͡uk/ (Deviant) unterbrochen. Die Bedingung 3 ist die in der Odenwaldstudie zentrale Bedingung, da sie als einzige den tatsächlich vorkommenden Phonemkontakt widerspiegelt. Ausgewählt wurden die dialektalen Varianten /roːzə/ (Monophthonggebiet) und /ro͡uzə/ (Diphthonggebiet) für ‘Rosen’. Auch wenn /ro͡uzə/ im Experimentgebiet keine Bedeutung trägt, kann angenommen werden, dass die Variante potentiell als Allo103 Vgl. BAUER (1957, 34–35), BERTALOTH (1935, 87), BESCHER (1933, 26), BORN (1938, 21), BRAUN (1906, 23), DINGELDEIN (1977, 38), EBERLE (1938, 16), FREILING (1929, 30), GRUND (1935, 27–28), HEILIG (1898, 39–40), HIRSCH (1971, 36), HOHNERLEIN (1955, 58), LIÉBRAY (1969, 146), MEISINGER (1901, 114–115), MÜTTER (1987, 65), RAUPP (1921, 39), REICHERT (1914, 53), ROEDDER (1936, 59–60), SEIBT (1930, 30), TREIBER (1931, 59), WAIBEL (1932, 70), WEBER (1909, 343) und WENZ (1911, 26).

Planung, Vorbereitung und Durchführung der Experimente

185

phon verarbeitet wird. Auch in dieser Bedingung primt die Hälfte der Sätze die Bedeutung ‘Rosen’, während die andere Hälfte der Sätze neutral ist. Die Variante /roːzə/ (Standard) wird sporadisch von der Variante /ro͡uzə/ (Deviant) unterbrochen. Bedingung 1: Missverstehen Standard: /loːs/ 1a)

Priming ‘Los’

z. B. Was häufig eine „Niete“ ist, ist ein /loːs/. z. B. Was häufig eine „Niete“ ist, ist eine /la͡us/. Standard: /la͡us/

1b)

Priming ‘Laus’

Deviant: /la͡us/

Deviant: /loːs/

z. B. Was ein lästiges Ungeziefer ist, ist eine /la͡us/. z. B. Was ein lästiges Ungeziefer ist, ist ein /loːs/. Bedingung 2: Nichtverstehen

2

Priming ‘ Mutterschwein’

2

neutral

Standard: /moːk/ (‘Mutterschwein’ im Monophthonggebiet)

Deviant: /ma͡uk/ (Pseudowort)

z. B. Was im Stall des Bauern lebt, ist die /moːk/. z. B. Was im Stall des Bauern lebt, ist die /ma͡uk/. Standard: /moːk/ (‘Mutterschwein’ im Monophthonggebiet)

Deviant: /ma͡uk/ (Pseudowort)

z. B. Woran er häufig denken muss, ist die /moːk/. z. B. Woran er häufig denken muss, ist die /ma͡uk/. Bedingung 3: Potentielles Verstehen

3

Priming ‘Rosen’

3

neutral

Standard: /roːzə/ (‘Rosen’ im Monophthonggebiet)

Deviant: /ro͡uzə/ (‘Rosen’ im Diphthonggebiet)

z. B. Was viele spitze Dornen hat, sind /roːzə/. z. B. Was viele spitze Dornen hat, sind /ro͡uzə/. Standard: /roːzə/ (‘Rosen’ im Monophthonggebiet)

Deviant: /ro͡uzə/ (‘Rosen’ im Diphthonggebiet)

z. B. Worüber es viel zu lesen gibt, sind /roːzə/. z. B. Worüber es viel zu lesen gibt, sind /ro͡uzə/. Tabelle 17:

Übersicht über die Experimentbedingungen der Odenwaldstudie

186

EEG-Experimente zu den deutschen Dialekten

In Analogie zur Studie von BENDIXEN et al. (2014) wurde das Oddball-Paradigma mit einer semantischen Bewertungsaufgabe kombiniert. Die Probanden sollten entscheiden, wie gut das satzfinale kritische Item zum Kontext passt. Diese Aufgabe ist auch der Grund für die neutralen Sätze, die in die Bedingungen 2 und 3 der Experimente eingebaut wurden. Da die Bedeutung der kritischen Items /lo͡us/ – /lo͡as/ bzw. /lõː/ – /lõũ͡ / (Bayernstudie) und /moːk/ – /ma͡uk/ bzw. /roːzə/ – /ro͡uzə/ (Odenwaldstudie) im Vergleich zur jeweils ersten Bedingung nicht wechselt, wäre die Aufgabe ohne neutrale Sätze zu einfach zu lösen. In diesem Fall müssten die Probanden nur auf die Realisierung des kritischen Items, nicht aber auf den Satzkontext achten. Um die Aufmerksamkeit der Probanden auf den gesamten Satz zu lenken, wurden dementsprechend auch neutrale Sätze präsentiert. Als Hypothese kann formuliert werden, dass in den Bedingungen Missverstehen und Nichtverstehen in Analogie zu den Studien von BENDIXEN et al. (2014), BOULENGER et al. (2011) und MENNING et al. (2005) ein Mitglied der N200Familie (MMN, N2b) evoziert wird. Wegen der zusätzlich integrierten semantischen Verletzungen in der Missverstehensbedingung ist zudem eine N400 erwartbar. Im Vergleich dazu sollten in der Bedingung Potentielles Verstehen die geringsten neuronalen Kosten bei der lexikalischen und semantischen Verarbeitung entstehen, weil der Deviant möglicherweise als allophonische Variante der Standardform kategorisiert wird. 7.1.4 Erstellung und Aufnahme des Sprachmaterials Im Folgenden werden die Erstellung, Aufnahme und Bearbeitung des Sprachmaterials zunächst für die Bayernstudie beschrieben. Da sich die Bearbeitungsschritte für die Odenwaldstudie nicht unterscheiden und sogar teilweise die identischen Sätze verwendet wurden, werden für die Odenwaldstudie nur die zusätzlich durchgeführten Arbeitsschritte thematisiert. Für die Bayernstudie wurde ein Pool von standardsprachlichen Sätzen mit gleicher syntaktischer Struktur (topikalisierte Relativsätze) erstellt, die entweder die Bedeutung ‘Rosen’ (77), ‘Reisen’ (104), ‘Mutterschwein’ (75) oder ‘Lohn’ (85) primen. Zusätzlich wurden neutrale Sätze für Bedingung 2 (70) und 3 (75) konstruiert. Das kritische Item steht jeweils in satzfinaler Position (vgl. für Beispiele Tabelle 16 und Tabelle 17). Um sicherzustellen, dass die Primingsätze tatsächlich die gewünschte Bedeutung anbahnen und die neutralen Sätze kein bestimmtes Item erwarten lassen, wurde ein Onlinebewertungstest mithilfe des Softwarepakets SoSci Survey durchgeführt. Hierzu wurden alle konstruierten Sätze randomisiert und in acht Gruppen à ca. 60 Sätze aufgeteilt, welche dann den Teilnehmern visuell auf dem Bildschirm präsentiert wurden. Die Sätze sollten hinsichtlich dreier Fragen bewertet werden: 1. Bewertung auf einer siebenstufigen Skala, wie gut das letzte Wort in den Satz passt (1 = passt gar nicht – 7 = passt sehr gut) 2. Bewertung, ob das kritische Item besser, genauso gut oder schlechter in den Satzkontext passt als andere mögliche Wörter

Planung, Vorbereitung und Durchführung der Experimente

187

3. Notierung geeigneterer Wörter, wenn die Teilnehmer angaben, dass andere Wörter besser oder genauso gut in den Kontext passen würden Es nahmen 78 deutsche Muttersprachler am Test teil (54 w, Durchschnittsalter 32,03 (SD 12,51)). Für das Experiment wurden nur solche Primingsätze ausgewählt, die als sehr passend zum kritischen Item bewertet wurden, d. h. die in Frage 1 einen Mittelwert von > 6 (bzw. > 5,5 für Muttersau) aufwiesen. Zudem wurde darauf geachtet, dass die kritischen Items möglichst als besser in den Kontext passend bewertet wurden als andere mögliche Alternativen. Als neutrale Sätze wurden solche Sätze ausgewählt, die einigermaßen gut bewertet wurden, d. h. für die ein Mittelwert von 2,9–5,5 für Lohn bzw. 1,8–4,9 für Mutterschwein errechnet wurde. Es wurden zudem möglichst solche Sätze ausgewählt, für die in Frage 2 das kritische Item als genauso gut passend wie andere mögliche Lexeme eingeschätzt wurde. Diese Prozedur führte zu der Auswahl von 35 Sätzen pro Bedingung und 210 Sätzen insgesamt. Alle Sätze wurden von einem männlichen Dialektsprecher (Geburtsjahr 1963) aus dem bairisch-alemannischen Übergangsgebiet (Merching) phonologisch und lexikalisch an den Dialekt angepasst und mehrfach aufgezeichnet. Hierbei wurde auf eine normale Sprechgeschwindigkeit sowie eine ähnliche Intensität und Pitch in den Sätzen geachtet. Zudem realisierte der Sprecher die kritischen Items jeweils als bairisch-alemannische und mittelbairische Variante. Anschließend wurden für jede Bedingung die 30 besten Sätze ausgewählt sowie jeweils 10 kritische Items. Diese phonetische Variabilität der satzfinalen Items ist wichtig, da sie den Aufbau einer zuverlässigeren und natürlicheren Erinnerungsspur bzw. Abstraktion unterstützt (vgl. hierzu PHILLIPS et al. 2000; SCHARINGER / MONAHAN / IDSARDI 2011). Ausgewählt wurden die Items nach ihren akustischen Parametern wie Stimulusund Vokaldauer sowie den F1/F2-Werten, die jeweils nach 20% und 80% des Vokals gemessen wurden (vgl. Tabelle 18). Anschließend wurde ein Cross-Splicing durchgeführt, d. h. jeder Trägersatz wurde einmal mit einer bairisch-alemannischen Variante und einmal mit einer mittelbairischen Variante verbunden, sodass im Experiment Standard und Deviant in exakt demselben Kontextsatz vorkommen. Um den direkten Einfluss der dem kritischen Item vorausgehenden unterschiedlichen Kontexte auf die Verarbeitung des Items zu vermeiden, wurde eine Pause von 100 ms zwischen Trägersatz und kritischem Item eingefügt. Die mittlere Dauer der Sätze beläuft sich somit insgesamt auf 2,4 Sekunden. Um die auditiven Unterschiede zwischen den geschnittenen Satzteilen sowie zwischen den verschiedenen Sätzen auszugleichen, wurde die Dynamik bearbeitet. Zudem wurden alle Sätze normalisiert. Andere phonetische Eigenschaften, wie Pitch, Dauer und Formanten, wurden nicht manipuliert. Um sicherzugehen, dass alle Sätze im Mittelbairischen verständlich sind, wurden sie vier Sprechern des Mittelbairischen vorgespielt.

188

EEG-Experimente zu den deutschen Dialekten

Kritisches Item

Stimuluslänge [ms]

Vokallänge [ms]

F1 [Hz]

F2 [Hz]

20%

80%

20%

80%

/ro͡usn̩/

656

150

451,2

329,2

1114,7

1024,8

/ro͡asn̩/

633

147

378,4

505,5

807,1

1278,8

/lo͡us/

628

118

398,7

320,0

1023,0

1042,1

/lo͡as/

625

152

356,8

468,9

928,8

123,5

/lõː/

527

186

348,4

335,7

736,1

704,2

/lo͡ũ̃ /

527

209

467,5

321,7

1154,1

759,0

Tabelle 18:

Phonetische Eigenschaften der kritischen Items der Bayernstudie (Mittelwerte)

Für die Odenwaldstudie konnten die gleichen Primingsätze für ‘Rosen’ und ‘Mutterschwein’ sowie die neutralen Sätze für ‘Mutterschwein’ verwendet werden. Für die anderen kritischen Items wurden neue Sätze nach gleichem Muster kreiert, die entweder die Bedeutung ‘Los’ (62) oder ‘Laus’ (63) primen. Zudem wurden die vorhandenen neutralen Sätze auf ihre Kompatibilität mit dem Lexem Rosen (63) überprüft. Hierzu wurde ein Onlinebewertungstest nach gleichem Muster erstellt. Im Vergleich zum Pretest für die Bayernstudie wurden für die Odenwaldstudie die Primingsätze auch mit den jeweiligen Deviants präsentiert. Dies wurde in dem Pretest ebenfalls für die im Bayernexperiment verwendeten Primingsätze für ‘Rosen’ und ‘Reisen’ nachgeholt. Hierdurch sollte gewährleistet werden, dass der jeweilige Deviant nicht in den Satzkontext passt. Dies führte zu insgesamt 369 Sätzen, die auf sechs Gruppen à ca. 61 Sätze aufgeteilt wurden. Am Onlinebewertungstest nahmen 69 deutsche Muttersprachler (59 w, Durchschnittsalter 25,46 (SD 11,41)) teil. Nach den bekannten Kriterien sowie dem Kriterium, dass die Sätze in der Mismatch-Bedingung als schlecht zum kritischen Item passend beurteilt werden sollten, wurden pro Bedingung 34–35 Sätze ausgewählt. Für die neutralen Sätze für ‘Rosen’ wurden einigermaßen gut bewertete Sätze mit einem Mittelwert von 3,2–5,2 in Frage 1 ausgewählt. Alle Sätze wurden von einer Sprecherin aus Reinheim (Geburtsjahr 1946) an den Dialekt angepasst und mehrfach eingesprochen. Die weiteren Bearbeitungsschritte entsprechen denen des Bayernexperiments. Die Durchschnittslänge der Sätze ist ebenfalls 2,4 Sekunden. Die phonetischen Werte der jeweils 10 kritischen Items gibt Tabelle 19 wieder.

189

Planung, Vorbereitung und Durchführung der Experimente

Kritisches Item

Stimuluslänge [ms]

Vokallänge [ms]

F1 [Hz]

F2 [Hz]

20%

80%

20%

80%

/loːs/

852,2

227,6

461,8

395,6

1172,9

910,4

/la͡us/

869,5

274,7

644,4

406,5

1479,6

1101,1

/moːk/

800,7

161,5

424,3

406,0

970,4

754,5

/ma͡uk/

864,2

238,5

676,0

431,7

1344,9

1003,7

/roːzə/

788

242

477,7

409,6

1076,5

981,5

/ro͡uzə/

836

274

557,5

394,7

1407

1070,2

Tabelle 19:

Phonetische Eigenschaften der kritischen Items der Odenwaldstudie (Mittelwerte)

7.1.5 Experimentdurchführung und -auswertung Die Experimentdurchführung erfolgte mithilfe eines mobilen EEG im jeweiligen Dialektgebiet, d. h. im mittelbairischen Isen (vgl. Abbildung 39) bzw. im rheinfränkischen Ober-Ramstadt, welches im /oː/-Monophthonggebiet liegt (vgl. Abbildung 40).

Abbildung 39:

Aufnahme- und Durchführungsort der Bayernstudie

190

Abbildung 40:

EEG-Experimente zu den deutschen Dialekten

Aufnahme- und Durchführungsort der Odenwaldstudie

Zu Beginn wurde mit jedem Probanden ein Dialekttest durchgeführt. Hierzu wurden sie gebeten einige Wenkersätze in den Dialekt zu übersetzen. Nur Probanden, die diese überwiegend mit den richtigen dialektalen Phonemen produzierten, wurden für das Experiment zugelassen. 104 Für die EEG-Ableitung wurde den Probanden eine EEG-Kappe mit 26 Ag/AgCl Elektroden gemäß dem 10–20 System (F7, F3, Fz, F4, F8, FC5, FC1, FCz, FC2, FC6, T7, C3, Cz, C4, T8, CP5, CP1, CPz, CP2, CP6, CP7, P7, P3, Pz, P4, P8, POz) aufgesetzt. Das EEG-Signal wurde mithilfe eines BrainVision-Verstärkers aufgezeichnet, wobei die C2-Elektrode als Ground-Elektrode diente und die Referenzelektrode auf der Nasenspitze angebracht wurde. Zwei weitere Elektroden wurden am rechten und linken Mastoid angebracht. Um das Elektrookulogramm (EOG) zu messen sowie horizontale und vertikale Augenbewegungen aufzuzeichnen, wurden zwei Elektroden über und unter das linke Auge sowie zwei weitere Elektroden am äußeren Canthus beider Augen geklebt. Alle Elektroden wurden während des Experiments unter 5 kΩ gehalten. Hierzu wurde die Impedanz in den Experimentpausen kontrolliert. Das

104 Kontrolliert wurden hierfür in der Bayernstudie die Items Brot, Geiß, groß, heiß, hoch, kein, roten, Seife, zweites sowie in der Odenwaldstudie die Lexeme Fleisch, deins, geh, glaube, groß, größer, hoch, Kohle, mein, Ofen, schöner, Seife, Schnee, weh, Wein, weiße.

Planung, Vorbereitung und Durchführung der Experimente

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EEG und EOG wurden kontinuierlich mit einer Samplingrate von 500 Hz aufgenommen. Während des Experiments saßen die Probanden in einem verdunkelten und ruhigen Raum vor einem Monitor. Ihre Aufgabe war es, die auditiv präsentierten Sätze anzuhören und diese auf einer vierstufigen Skala dahingehend zu bewerten, wie gut das satzfinale Wort in den Satzkontext passt. Die Bewertung erfolgte jeweils nach dem Ende eines Satzes. Jeder Satz wurde im Experiment 6 Mal präsentiert, d. h. vier Mal als Standard mit der eigenen Variante (Bayernstudie: mittelbairische Variante; Odenwaldstudie: Variante aus dem Monophthonggebiet) sowie zwei Mal als Deviant mit der fremden Variante (Bayernstudie: bairisch-alemannische Variante; Odenwaldstudie: Variante aus dem Diphthonggebiet). In der Bedingung 1 (Missverstehen) wurden für die Bedingungen 1a (Priming ‘Rosen’ bzw. ‘Los’) und 1b (Priming ‘Reisen’ bzw. ‘Laus’) jeweils 180 Sätze in zwei Blöcken à 90 Sätzen präsentiert. D. h. die 30 Primingsätze kamen jeweils vier Mal als Standard und zwei Mal als Deviant vor. In den Bedingungen 2 (Nichtverstehen) und 3 (Potentielles Verstehen) wurden 360 Sätze über 4 Blöcke à 90 Sätze präsentiert. D. h. die 30 Primingsätze und 30 neutralen Sätze wurden ebenfalls jeweils vier Mal als Standard sowie zwei Mal als Deviant vorgespielt. Insgesamt wurden 1080 Sätze auditiv in 12 Blöcken dargeboten, welche jeweils ca. 7 Minuten dauerten. Zwischen den einzelnen Blöcken gab es kurze Pausen, in denen die Probanden ihre Augen ausruhen und sich bewegen konnten. Um Reihenfolgeeffekte zu vermeiden, wurde die Blockreihenfolge zwischen den Probanden variiert. Zu Beginn des Experiments gab es für die Probanden eine kurze Übungsphase, um sicherzustellen, dass sie die Aufgabe und die Instruktionen hinsichtlich des Blinzelns verstanden hatten. Danach begann der erste Experimentblock, den die Probanden selbst durch das Drücken einer beliebigen Taste starten konnten. Hierdurch wurde sichergestellt, dass die Aufmerksamkeit der Probanden vollständig auf das Experiment gerichtet war. Jedes Trial begann mit einer 500 ms langen Präsentation eines Fixationskreuzes im Zentrum des Monitors. Das Fixationskreuz wurde auch während des anschließend vorgespielten Satzes angezeigt, um Augenbewegungen zu minimieren. Nach Beendigung des Satzes wurde das Fixationskreuz durch ein Fragezeichen ersetzt. Die Probanden wurden instruiert, ihre Bewertung des Satzes in dieser Phase so schnell wie möglich durch Drücken einer von vier Tasten abzugeben. Wurde in einer Zeitspanne von 2000 ms keine Bewertung abgegeben, wurde ein Timeout registriert. Die Zuordnung der Tasten zu den vier möglichen Antworten („passt gut“, „passt eher gut“, „passt eher schlecht“, „passt schlecht“) wurde zwischen den Probanden variiert. Während der Phase, in der das Fragezeichen angezeigt wurde, war es den Probanden erlaubt zu blinzeln bzw. ihre Augen auszuruhen. 1000 ms nach Abgabe der Bewertung durch Tastendruck bzw. nach dem Timeout begann das nächste Trial mit einem Fixationskreuz. In der Bayernstudie nahmen 20 (13 w, Durchschnittsalter 44,5 (SD 4,87), Altersspanne 34–53) rechtshändige, monolinguale Dialektsprecher aus dem mittelbairischen Isen teil. In der Odenwaldstudie nahmen 19 (11 w, Durchschnittsalter 51,0 (SD 5,13), Altersspanne 43–55) rechtshändige, monolinguale Dialektspre-

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cher aus Ober-Ramstadt teil. Alle Probanden hatten eine normale bzw. korrigierte Sehfähigkeit, keine Hörprobleme und gaben ihre Zustimmung zur Studie, für die sie eine monetäre Aufwandsentschädigung erhielten. Für die Auswertung wurde das aufgezeichnete EEG- und EOG-Signal offline mit einem 0,3–30 Hz Bandpassfilter gefiltert. Anschließend wurde die EEGAufzeichnung offline auf die Mastoide re-referenziert. Vor der Datenanalyse wurden die EEG-Aufnahmen automatisch nach Artefakten durch Körper- oder Augenbewegungen gescannt. Alle Artefakte, die eine Amplitude von 40 Mikrovolt überschritten, wurden automatisch aus dem Datenset entfernt. Daran anschließend wurde eine manuelle Inspektion aller einzelnen Trials durchgeführt. Datensets mit mehr als 25% Artefakten innerhalb einer Bedingung wurden von der weiteren Analyse ausgeschlossen. Als Ergebnis dieser Überprüfung wurde in der Bayernstudie das Datenset von einem männlichen Probanden aus Bedingung 1 und 3 ausgeschlossen sowie 2 Datensets (1 männlicher Proband) aus Bedingung 2. Diese Datensets blieben ebenfalls bei der Analyse der Bewertungsdaten unberücksichtigt. Von den in die Analyse eingegangenen Datensets wurden 5,6% der Stimuli aus Bedingung 1, 6,0% der Stimuli aus Bedingung 2 sowie 5,0% der Stimuli aus Bedingung 3 aus der Analyse ausgeschlossen. In der Odenwaldstudie wurden in allen drei Bedingungen die Datensets von 7 Probanden aus der Analyse entfernt (davon 2 weibliche in Bedingung 1 sowie 3 weibliche in Bedingung 2 und 3). Von den analysierten Datensets wurden 9,6% der Stimuli aus Bedingung 1, 8,8% der Stimuli aus Bedingung 2 sowie 12% der Stimuli aus Bedingung 3 aus der Analyse herausgenommen. Die EEG-Daten wurden mithilfe einer multifaktoriellen ANOVA (analysis of variance) mit Messwiederholung mit den Faktoren BEDINGUNG (Standard vs. Deviant) und REGION (frontal (F3, FZ, F4) vs. zentral (C3, CZ, C4) vs. parietal (P3, PZ, P4)) berechnet. Für die Bayernstudie wurden die Mittelwerte jeweils ab dem Onset des kritischen Items in einem Zeitfenster von 1000 ms (Bedingung 1) bzw. 900 ms (Bedingung 2 und 3) mit einer Baseline von 100 ms vor Stimulusbeginn berechnet. Gleiches gilt für die Odenwaldstudie mit den Zeitfenstern von 1000 ms (Bedingung 2) bzw. 1100 ms (Bedingung 1 und 3). Die Analyse wurde in aufeinanderfolgenden Schritten von 50 ms durchgeführt. Für Effekte mit mehr als einem Freiheitsgrad wurde die Huynh-Feldt-Korrektur auf die p -Werte angewendet (vgl. HUYNH / FELDT 1976). Für die Analyse der Bewertungsdaten wurde für jede Bedingung das arithmetische Mittel aller Antworten berechnet. Hierzu wurde den vier Antwortmöglichkeiten zunächst ein Zahlenwert zugewiesen (1 ≙ sehr gut, 2 ≙ eher gut, 3 ≙ eher schlecht, 4 ≙ sehr schlecht). Die arithmetischen Mittel wurden für jede Bedingung einzeln mithilfe einer ANOVA berechnet. Zudem wurden weitere Vergleiche der

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einzelnen Wortpaare mithilfe des Wilcoxon-Tests mit Benferronikorrektur für die p-Werte gerechnet. 105 7.2 DIE BAYERNSTUDIE: ERGEBNISSE UND NEUROLINGUISTISCHE INTERPRETATION Im Weiteren werden die Ergebnisse des Bayernexperiments dargestellt und neurolinguistisch interpretiert (vgl. hierzu LANWERMEYER et al. 2016). Eine Interpretation der Resultate im Rahmen der in Kapitel 3 und Kapitel 4 beschriebenen Theorien erfolgt gemeinsam mit der Odenwaldstudie in Kapitel 7.4. 7.2.1 Bedingung 1: Missverstehen Die Bedingung Missverstehen besteht aus zwei Subbedingungen (1a, 1b), deren Ergebnisse im Folgenden zunächst separat voneinander in den Kapiteln 7.2.1.2 und 7.2.1.3 interpretiert und anschließend in Kapitel 7.2.1.4 miteinander verglichen werden. Die statistische Auswertung der Bewertungsdaten erfolgt für beide Bedingungen gemeinsam in Kapitel 7.2.1.1. 7.2.1.1 Ergebnisse der Bewertungsdaten Für die Bewertungsdaten der Bedingung Missverstehen wurde eine ANOVA mit den Faktoren PHONEM (/ro͡usn̩/ vs. /ro͡asn̩/) und ERWARTUNG (erfüllt durch Standard vs. nicht erfüllt durch Deviant) gerechnet. Die Analyse ergibt einen Haupteffekt für den Faktor ERWARTUNG [F (1,18) = 605,67, p = 0,000]. Die Bewertung der kritischen Stimuli ist somit davon abhängig, ob sie inhaltlich mit der durch den Primingsatz aufgebauten Erwartung übereinstimmen oder nicht. Im Gegensatz dazu gibt es keinen Haupteffekt für den Faktor PHONEM [F (1,18) = 0,56, p > 0,05]. Das Phonem selbst hat also keinen signifikanten Einfluss auf die Bewertung. Zudem bahnen die konstruierten Primingsätze die Bedeutung ‘Rosen’ und ‘Reisen’ gleich gut an. Wird die Erwartung durch den jeweiligen Standard /ro͡usn̩/ bzw. /ro͡asn̩/ erfüllt, gibt es keinen signifikanten Unterschied zwischen den Satzbewertungen, wie die deskriptive Statistik und der Wilcoxon-Test zeigen [/ro͡usn̩/ ‘Rosen’: M = 1,12 (SD 0,20) vs. /ro͡asn̩/ ‘Reisen’: M = 1,15 (SD 0,17); Z (18) = -1,01, p > 0,05]. Die Deviants, welche nicht in den Satzkontext passen, werden hingegen signifikant schlechter bewertet als die passenden Standards. Dies gilt einerseits für die Primingsätze ‘Rosen’ [Standard /ro͡usn̩/ ‘Rosen’: M = 1,12 (SD 0,20) vs. Deviant /ro͡asn̩/ ‘Reisen’: M = 3,72 (SD 0,79); 105 Ich danke an dieser Stelle KAREN HENRICH für die gemeinsame Auswertung der Bewertungsund EKP-Daten.

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Z (18) = -3,79, p = 0,000] und andererseits für die Primingsätze ‘Reisen’ [Standard /ro͡asn̩/ ‘Reisen’: M = 1,15 (SD 0,17) vs. Deviant /ro͡usn̩/ ‘Rosen’: M = 3,90 (SD 0,08); Z (18) = -3,82, p = 0,000). Die bairisch-alemannische Variante (Deviant) wird also signifikant schlechter bewertet als das eigene mittelbairische Lexem (Standard) und bewusst als nicht in den Satzkontext passend abgelehnt. 7.2.1.2 Ergebnisse der EKP-Daten und Interpretation (Deviant /ro͡asn̩/ ) Die Auswertung der EKP-Daten durch eine ANOVA mit Messwiederholung mit den Faktoren ERWARTUNG (erfüllt durch Standard vs. nicht erfüllt durch Deviant) und REGION (frontal vs. zentral vs. parietal) ergibt für die Bedingung 1a der Missverstehensbedingung, d. h. für den Standard /ro͡usn̩/ und den Deviant /ro͡asn̩/, einen frühen negativen Effekt zwischen 100 und 200 ms sowie einen späten positiven Effekt zwischen 400 und 900 ms (vgl. Abbildung 41). Im frühen Zeitfenster ist ein Haupteffekt für den Faktor ERWARTUNG nachweisbar [F (1,18) = 11,52, p = 0,003, η2p = 0,05], aber keine signifikante Interaktion zwischen den Faktoren ERWARTUNG und REGION [F (2,36) < 1, p > 0,05, η2p = 0,00]. Die frühe Negativierung ist dementsprechend überall gleich stark ausgeprägt. Im späteren Zeitfenster zwischen 400 und 900 ms ist ein Haupteffekt für ERWARTUNG [F (1,18) = 26,35, p = 0,000, η2p = 0,07] und REGION [F (2,36) = 28,08, p = 0,000, η2p = 0,23] sowie eine signifikante Interaktion zwischen den beiden Faktoren [F ( 2,36) = 15,49, p = 0,000, η2p = 0,01] nachweisbar. Die Auflösung der Interaktion nach dem Faktor REGION ergibt eine stärkere Ausprägung des Effekts im zentroparietalen Bereich [frontal: F (1,18) = 7,37, p = 0,043, η2p = 0,01; zentral: F (1,18) = 26,55, p = 0,000, η2p = 0,12; parietal: F (1,18) = 44,45, p = 0,000, η2p = 0,28]. Bei dem Deviant /ro͡asn̩/ handelt es sich um eine dialektale Variante, die für die mittelbairischen Experimentteilnehmer ‘Reisen’ bedeutet, während sie im angrenzenden bairisch-alemannischen Übergangsgebiet auch ‘Rosen’ bedeuten kann. Die frühe Negativierung zwischen 100 und 200 ms für den Deviant /ro͡asn̩/ (vgl. Abbildung 41) kann als eine N200 interpretiert werden. Die N200-Familie besteht aus verschiedenen Subkomponenten, der N2a (MMN), N2b und N2c (vgl. PATEL / AZZAM 2005, 147). Wie bereits in Kapitel 6 beschrieben wird die MMN unabhängig von der Aufmerksamkeit der Probanden elizitiert, sodass diese Komponente einen präattentiven automatischen Prozess widerspiegelt, durch den physikalische Abweichungen wahrgenommen werden. Die N2b hingegen entsteht, wenn die Probanden Abweichungen zwischen den Stimuli bewusst wahrnehmen und diese relevant zur Bewältigung der experimentellen Aufgabe sind, d. h. wenn sie z. B. aktiv auf den jeweiligen Oddball reagieren sollen (Oddball Detection Task). Insofern zeigen die beiden Komponenten unterschiedliche Stufen der Mismatch-Erkennung an (vgl. FOLSTEIN / VAN PETTEN 2008, 153; PRITCHARD / SHAPPELL / BRANDT 1991, 76–77). Bei der N2b handelt es sich allerdings ebenso um die Erkennung akustischer bzw. physikalischer Abweichungen vom bestehenden Kontext. Im Gegensatz zur MMN folgt auf die N2b zumeist eine P300 (vgl.

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RITTER et al. 1984, 26). Die N2c schließlich tritt auf, wenn Stimuli kategorisiert werden müssen (vgl. hierzu auch NÄÄTÄNEN / PICTON 1986). Dem Klassifikationsschema von PRITCHARD / SHAPPELL / BRANDT (1991, 77) zufolge weisen die drei Subkomponenten allerdings eine sehr ähnliche Topographie auf, da sie alle (fronto)-zentral distribuiert sind.

Abbildung 41: Bedingung 1a (Missverstehen): Grand Averages der ereigniskorrelierten Potentiale für den Standard /ro͡usn̩/ ‘Rosen’ und den Deviant /ro͡asn̩/ ‘Reisen’ (vgl. LANWERMEYER et al. 2016, 7)

Im aktuellen Experiment mussten die Probanden eine Bewertungsaufgabe erfüllen, sodass ihre Aufmerksamkeit direkt auf die kritischen Stimuli gelenkt war. Somit kann die frühe Negativierung für /ro͡asn̩/ als N2b klassifiziert werden. Die N2b spiegelt einen Mismatch zwischen der aufgebauten Erinnerungsspur bzw. Erwartung durch das Priming sowie den häufig wiederholten Standard /ro͡usn̩/ und dem unerwarteten Deviant /ro͡asn̩/ wider. Sie zeigt einen aktiven Diskriminierungsprozess zwischen erwartetem Standard und wahrgenommenem Deviant an, da zur Bewältigung der Aufgabe eine aktive Wahrnehmung der Diskrepanz zwischen den Items notwendig ist (vgl. PATEL / AZZAM 2005, 148). Allgemeiner ausgedrückt kann die N2b als Wahrnehmung von Abweichungen und Verletzungen in regulären Strukturen interpretiert werden (vgl. BOHN et al. 2013, 768; HENRICH

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et al. 2014, 28 für rhythmische Irregularitäten). Die im aktuellen Experiment hervorgerufene N2b für /ro͡asn̩/ zeigt somit eine aktive Fehlererkennung an. Diese Interpretation wird von BENDIXEN et al. (2014, 20) unterstützt. In ihrem klassischen Oddball-Experiment wird nur eine MMN elizitiert, während im Experiment, welches mit der aktuellen Studie vergleichbar ist, zusätzlich eine N200 auftritt. Diesen Unterschied erklären sie durch das aktive Zuhören, welches durch die Experimentaufgabe gefordert wird, und interpretieren die Komponente als bewusste Fehlererkennung. Im aktuellen Experimentdesign wird durch das semantische Priming von ‘Rosen’ eine Erwartung für die eigene mittelbairische Variante /ro͡usn̩/ aufgebaut. Die N2b zeigt an, dass die bairisch-alemannische Variante /ro͡asn̩/ als abweichend von der aktivierten Erinnerungsspur, d. h. vom Standard /ro͡usn̩/, erkannt wird. Dass Standard und Deviant diskriminiert werden können, zeigt auch der signifikante Effekt zwischen den Bewertungen von /ro͡usn̩/ und /ro͡asn̩/ in den Bewertungsdaten. Der Deviant /ro͡asn̩/ wird mit einem Durchschnittswert von 3,72 signifikant schlechter bewertet als der Standard /ro͡usn̩/ mit durchschnittlich 1,12. Überraschenderweise ist die Amplitude für den Deviant /ro͡asn̩/ nicht sehr ausgeprägt, obwohl der signifikante Effekt in den Bewertungsdaten die Wahrnehmung der Differenz eindeutig belegt. Vergleicht man die Bewertungen der Standards in Bedingung 1a und 1b, so ist die Bewertung des Deviants /ro͡asn̩/ mit 3,72 etwas besser als des Deviants /ro͡usn̩/ mit 3,90. Die in der Nachbarregion vorkommende Variante /ro͡asn̩/ kann somit durchschnittlich nicht ganz so leicht abgelehnt werden wie die für die Bedeutung ‘Reisen’ nicht in der natürlichen Kommunikation vorkommende Variante /ro͡usn̩/. Dies wird auch durch die Standardabweichung unterstützt, die für den Deviant /ro͡usn̩/ nur bei 0,08 liegt, während sie für /ro͡asn̩/ bei 0,79 liegt, was dem höchsten Wert in der Bedingung entspricht. Diese Tendenz sowie die geringe Amplitudenstärke könnten mit dem engen Varietätenkontakt zusammenhängen, da Studien wie BRUNELLIÈRE et al. (2009) und CONREY / POTTS / NIEDZIELSKI (2005) zeigen, dass der Kontakt zu regionaler Variation die Perzeption und Verarbeitung vokalischer Kontraste der eigenen Varietät beeinflussen kann. Obwohl die beiden Lexeme im Mittelbairischen unterschiedliche Bedeutungen tragen, könnte der Kontakt mit der bairischalemannischen Variante die Perzeption dahingehend beeinflussen, dass die bairisch-alemannische Variante /ro͡asn̩/ zwar als Fehler im Vergleich zur eigenen Variante erkannt wird, dieser aber, wie die reduzierte N2b-Amplitude zeigt, auf neuronaler Ebene relativ gering ausfällt. Die späte Positivierung (LPC) zwischen 400 und 900 ms kann als Mitglied der P300-Familie interpretiert werden. Die P300 ist eine Positivierung mit dem höchsten Amplitudenausschlag um 300 ms (vgl. für einen Überblick z. B. PICTON 1992; POLICH 2003; POLICH 2007). Allerdings variiert die Latenz je nach Auslösemodalität relativ stark. Da sie zudem auch einer N400 folgen kann, ist ein Auftreten nach 500 ms ebenso typisch (vgl. ROEHM et al. 2007, 1260). Auch in der P300-Familie lassen sich Subkomponenten benennen, wie u. a. die P3a und die P3b. Die P3a wird beispielsweise in einem 3-Stimulus-Paradigma von denjenigen Stimuli hervorgerufen, die weder frequent (Standard) noch als Zielwörter (Tar-

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gets) vorkommen. Stattdessen handelt es sich um niederfrequente Stimuli, die nicht als Targets fungieren und somit nicht aufgabenrelevant sind. Die P3a ist eine frontal ausgeprägte Komponente, die durch die Verarbeitung dieser neuen Stimuli hervorgerufen wird. Hierbei ist sie am stärksten ausgeprägt, wenn die Stimuli jeweils neue Merkmale aufweisen (Novelity P300). Zudem tritt die P3a auf, wenn den Stimuli keine Aufmerksamkeit geschenkt wird (vgl. COMERCHERO / POLICH 1999, 24; GERLOFF 2005, 514; POLICH / COMERCHERO 2003, 141). Die P3b hingegen ist eher parietal ausgeprägt und wird von den jeweiligen Zielwörtern elizitiert. Bei der P3b handelt es sich um die klassische P300, um die es im Folgenden nur noch gehen wird. Sie wird elizitiert, „wenn in einer Gruppe gleichförmiger Hintergrundreize hin und wieder ‚oddballs‘ eingestreut werden, auf welche die Versuchspersonen ihre Aufmerksamkeit lenken müssen“ (GERLOFF 2005, 514). Sie spiegelt die aufgabenrelevante Evaluation und Kategorisierung der dargebotenen Stimuli wider (vgl. z. B. BENTIN et al. 1999, 251; BOHN et al. 2013, 769; KNAUS / WIESE / JANSSEN 2007, 712; KUTAS / VAN PETTEN 1994, 112). Die P3b ist eng mit der Widerlegung einer Erwartung verknüpft. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass die Amplitude von der Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Stimuluskategorie im Experiment abhängt. Stimuli einer seltenen Kategorie führen zu einer größeren Amplitude als solche einer frequenten Kategorie. Hierbei hat in erster Linie die gestellte Aufgabe einen Einfluss, d. h. wie die Stimuli kategorisiert werden müssen, und weniger die physikalischen Eigenschaften der Items (vgl. VAN PETTEN / LUKA 2012, 181; FOLSTEIN / VAN PETTEN 2011, 825). Im aktuellen Experiment mussten die Probanden durch die gestellte Aufgabe entscheiden, wie gut das satzfinale Item zum Satzkontext passt. Somit war ihre Aufmerksamkeit bewusst auf das sprachliche Material gerichtet. Um die Aufgabe zu erfüllen, mussten die durch den Satzkontext und den häufig präsentierten Standard erwarteten und die tatsächlich wahrgenommenen Lexeme abgeglichen und kategorisiert werden. Da die Kategorisierung der kritischen Stimuli relevant für die zu erfüllende Aufgabe war, kann die für den Deviant /ro͡asn̩/ elizitierte LPC als P3b interpretiert werden. Hierfür spricht zudem das stärker zentroparietal ausgeprägte Auftreten der Komponente. Sie reflektiert die Evaluation des entdeckten Deviants bzw. Fehlers bei der Wahrnehmung des Lexems /ro͡asn̩/ im Vergleich zum erwarteten mittelbairisch korrekten Standard /ro͡usn̩/. Somit kann die für /ro͡asn̩/ elizitierte P3b als aufgabenrelevante Evaluierung und Kategorisierung des zuvor entdeckten Fehlers (N2b) interpretiert werden. DOMAHS et al. (2008, 27–28) und HENRICH et al. (2014) zufolge spiegelt die P300 zudem einen Reanalyseprozess wider. Da ein von der Erwartung abweichendes satzfinales Lexem eine Reanalyse der zuvor aufgebauten Struktur erfordert, wird die Amplitude der LPC zusätzlich vom Grad des benötigten Reanalyseprozesses moduliert. Somit zeigt die für /ro͡asn̩/ elizitierte P3b insgesamt die bewusste aufgabenrelatierte Evaluierung und Kategorisierung des aktiv wahrgenommen Deviants /ro͡asn̩/ im Vergleich zum Standard /ro͡usn̩/ sowie den erforderlichen Reanalyseprozess, der durch den unerwarteten nicht in den Kontext passenden Deviant ausgelöst wird, an.

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7.2.1.3 Ergebnisse der EKP-Daten und Interpretation (Deviant /ro͡usn̩/) Für die Bedingung 1b der Missverstehensbedingung, d. h. für den Standard /ro͡asn̩/ ‘Reisen’ und den Deviant /ro͡usn̩/ ‘Rosen’, ergibt die ANOVA einen vergleichsweise späten negativen Effekt zwischen 300 und 500 ms sowie einen darauf folgenden späten positiven Effekt zwischen 550 und 1000 ms (vgl. Abbildung 42). Im frühen Zeitfenster sind Haupteffekte für ERWARTUNG [F (1,18) = 9,19, p = 0,007, η2p = 0,04] und REGION [F (2,36) = 7,47, p = 0,012, η2p = 0,07] sowie eine signifikante Interaktion zwischen den beiden Faktoren [F (2,36) = 5,37, p = 0,028, η2p = 0,01] nachweisbar. Eine Auflösung der Interaktion nach dem Faktor REGION zeigt eine stärkere Ausprägung des Effekts in der zentroparietalen Region [frontal: F (1,18) = 1,33, p > 0,05, η2p = 0,00; zentral: F (1,18) = 10,53, p < 0,05, η2p = 0,08; parietal: F (1,18) = 14,96, p < 0,01, η2p = 0,13]. Für das späte Zeitfenster ergibt die ANOVA signifikante Haupteffekte für ERWARTUNG [F (1,18) = 22,22, p = 0,000, η2p = 0,04] und REGION [F (2,36) = 20,19, p = 0,000, η2p = 0,21], aber keine signifikante Interaktion zwischen den Faktoren [F (2,36) = 2,66, p > 0,05, η2p = 0,00].

Abbildung 42: Bedingung 1b (Missverstehen): Grand Averages der ereigniskorrelierten Potentiale für den Standard /ro͡asn̩/ ‘Reisen’ und den Deviant /ro͡usn̩/ ‘Rosen’ (vgl. LANWERMEYER et al. 2016, 8)

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Im Gegensatz zum Deviant /ro͡asn̩/ in Bedingung 1a handelt es sich bei dem Deviant /ro͡usn̩/ um eine Variante, die nicht im angrenzenden bairisch-alemannischen Übergangsgebiet vorkommt. Die Negativierung zwischen 300 und 500 ms für den Deviant /ro͡usn̩/ (vgl. Abbildung 42) kann aufgrund ihrer Latenz sowie ihrer zentroparietalen Distribution als N400 interpretiert werden (vgl. KUTAS / FEDERMEIER 2011, 623). Die N400 spiegelt den semantischen Mismatch zwischen der erwarteten Weiterführung des Satzes und dem tatsächlich wahrgenommen Input, d. h. dem Deviant, wider. Durch das semantische Priming der Bedeutung ‘Reisen’ und den sich häufig wiederholenden Standard /ro͡asn̩/ wird eine Erwartung für die korrekte Wortform /ro͡asn̩/ aufgebaut bzw. voraktiviert. Der semantisch unpassende Deviant /ro͡usn̩/ löst einen semantischen Mismatch zwischen der kontextbasierten Information im Kurzzeitgedächtnis und dem unpassenden Item aus. Die N400 zeigt dementsprechend erhöhte Schwierigkeiten der Integration des inkongruenten Deviants in den vorausgehenden Satzkontext an (vgl. hierzu BROWN / HAGOORT 1993; KUTAS / HILLYARD 1980; KUTAS / FEDERMEIER 2000; LAU et al. 2009). Der semantische Mismatch zwischen erwartetem und wahrgenommenem Input zeigt sich ebenfalls in den Bewertungsdaten. Der Deviant /ro͡usn̩/ wurde mit durchschnittlich 3,90 als signifikant schlechter zum Satzkontext passend bewertet als der erwartete Standard /ro͡asn̩/, der mit 1,15 als sehr passend beurteilt wurde. Somit wird /ro͡usn̩/ bewusst als Variante für ‘Reisen’ abgelehnt. Beide Datenklassen unterstützen somit die Interpretation, dass der Deviant /ro͡usn̩/ nicht in den Satzkontext integriert werden kann und nicht als dialektale Variante für ‘Reisen’ akzeptiert wird. Die für den Deviant /ro͡usn̩/ elizitierte späte Positivierung (LPC) zwischen 550 und 1000 ms kann in gleicher Weise wie die LPC für den Deviant /ro͡asn̩/ als P300 (P3b) interpretiert werden. Sie spiegelt den Kategorisierungs- und Evaluierungsprozess in Abhängigkeit von der Experimentaufgabe sowie den Reanalyseprozess, der durch den zum Satzkontext unpassenden Deviant /ro͡usn̩/ notwendig wird, wider. 7.2.1.4 Diskussion der asymmetrischen Effekte Vergleicht man die Effekte der beiden Subbedingungen, so sind für beide Deviants erhöhte Verarbeitungskosten nachweisbar, die jeweils durch ein biphasisches EKP-Muster, bestehend aus einer (frühen) Negativierung und einer späten Positivierung, angezeigt werden. Während die beiden Positivierungen in gleicher Weise interpretiert werden können, ist dies für den negativen Effekt nicht möglich. Der gefundene asymmetrische Effekt in Abhängigkeit von der Präsentationsrichtung von Standard und Deviant mit einer N2b für den Deviant /ro͡asn̩/ (1a) und einer N400 für den Deviant /ro͡usn̩/ (1b) ist unerwartet und überraschend. Es wäre erwartbar gewesen, dass für beide Deviants eine N400 elizitiert wird, da theoretisch in beiden Fällen ein semantischer Mismatch zwischen erwartetem und wahrgenommenem Input entsteht. Dies legen jedenfalls die Bewertungsdaten nahe, da hier beide Deviants gleichermaßen als sehr unpassend zum Satzkontext bewertet

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wurden. Zwar wurde der Deviant /ro͡asn̩/ tendenziell etwas besser bewertet (M = 3,72) als der Deviant /ro͡usn̩/ (M = 3,90), es gibt allerdings keinen signifikanten Unterschied zwischen den Bewertungen. Andererseits wäre aufgrund des gewählten Designs eine N200 für beide Deviants erwartbar gewesen, wie beispielsweise in der Studie von BENDIXEN et al. (2014). Hier wurden allerdings die Ergebnisse für die Lexeme Lachs und Latz gemeinsam ausgewertet und der Auslassung La gegenübergestellt, sodass der Präsentationsrichtung von Standard und Deviant keine Rechnung getragen wurde. Im Weiteren werden Überlegungen dahingehend angestellt, wie die unterschiedliche Latenz der Negativierungen begründet werden kann. Da für beide Bedingungen dasselbe Stimulusmaterial für die Standards und Deviants verwendet wurde, kann ein Einfluss des ausgewählten konkreten Sprachmaterials ausgeschlossen werden. Eine unterschiedliche Qualität des Primings spielt ebenfalls keine Rolle, da es keinen signifikanten Unterschied zwischen den Bewertungen der beiden Standards gibt. Das Material sowie das Priming sollten in beiden Subkategorien gleich gut zur Unterscheidung und Bewertung der Stimuli beigetragen haben. Der grundsätzliche Unterschied zwischen den Subbedingungen besteht darin, dass in 1a ein Deviant präsentiert wird, welcher in der bairisch-alemannischen Nachbarregion vorkommt, während die Bedingung in 1b keiner tatsächlichen Phonemkontaktsituation entspricht. /ro͡usn̩/ wird in keinem Dialektraum in der Bedeutung ‘Reisen’ verwendet. Dieser Umstand kann einen Einfluss auf die Sprachverarbeitung und somit auf die Latenz der Negativierung haben. Der Einfluss von Varietätenkontakt auf die Sprachverarbeitung ist allerdings bisher noch nicht ausreichend erforscht, um diese These konkret durch andere Studien abzusichern. Einen Hinweis auf den Einfluss des Dialektkontaktes auf die Latenz der Negativierung liefert allerdings der Vergleich der Nichtverstehensbedingungen des Bayern- und Odenwaldexperiments (vgl. Kapitel 7.2.2 und Kapitel 7.3.2). Zudem spielt Dialektkontakt auch in den weiter unten im Kapitel genannten Studien von SEBASTIÁN-GALLÉS / ECHEVERRÍA / BOSCH (2005), SEBASTIÁN-GALLÉS et al. (2008) und LARSSON et al. (2008) eine wichtige Rolle. Der Aspekt wird später bei der allgemeinen Diskussion (Kapitel 7.4) noch einmal aufgegriffen und für beide Experimente gemeinsam diskutiert. Es gibt zudem eine Anzahl weiterer möglicher Gründe für die unterschiedliche Latenz der Negativierungen. BENDIXEN et al. (2014, 20) erklären die fehlende N400 in ihrem Experiment durch die geringe Variabilität der satzfinalen Items. Durch die häufige Wiederholung von nur zwei unterschiedlichen kritischen Items könnten während des Experiments beide Lexeme semantisch aktiviert gewesen sein. Es ist bekannt, dass die Amplitude der N400 durch häufige Wiederholungen reduziert werden kann (vgl. hierzu auch CONREY / POTTS / NIEDZIELSKI 2005, 447; KUTAS / FEDERMEIER 2000, 465; RENOULT et al. 2012). Dadurch, dass die N400 allerdings für den Deviant /ro͡usn̩/ elizitiert werden konnte, erscheint diese Erklärung für die aktuelle Studie nicht sehr wahrscheinlich. Ein weiterer Grund für die fehlende N400 für /ro͡asn̩/ könnte die Frequenz der Deviants sein (vgl. KUTAS / FEDERMEIER 2000, 465; KUTAS / FEDERMEIER 2011,

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626; LAU / PHILLIPS / POEPPEL 2008, 921). Beispielsweise zeigen VAN PETTEN / KUTAS (1990), dass die N400-Amplitude für niederfrequente Lexeme stärker ist als für frequente Lexeme (vgl. hierzu auch ALLEN / BADECKER / OSTERHOUT 2003). Wie allerdings bereits angedeutet ist es leider nicht möglich die Frequenz der dialektalen Lexeme zu bestimmen, da es keine Frequenzdatenbank für die bairischen Dialekte gibt. Somit kann der Einfluss der Frequenz auf die N400 nicht bestätigt, aber auch nicht ausgeschlossen werden. Ein zusätzlicher Einflussfaktor auf die Latenz der Negativierung könnten Charakteristika der Diphthonge selbst sein. Einige MMN-Studien, wie z. B. EULITZ / LAHIRI (2004) und SCHARINGER / MONAHAN / IDSARDI (2012), erklären asymmetrische Effekte durch Unterspezifikation und beziehen sich hierbei auf das „Featurally Underspecified Lexicon“ (FUL) Modell nach LAHIRI / REETZ (2002) und LAHIRI / REETZ (2010). Im Rahmen des Modells werden Phoneme als Bündel abstrakter Merkmalsspezifikationen verarbeitet. Die zugrundeliegenden phonologischen Repräsentationen besitzen dieselben Merkmalsbündel, von denen allerdings nicht alle ausgedrückt werden müssen. Beispielsweise sind koronale Laute, d. h. Laute, die dental, alveolar, postalveolar oder retroflex gebildet werden, hinsichtlich des Artikulationsortes unterspezifiziert (vgl. LAHIRI / REETZ 2002, 642). Im Sprachverstehen werden nun die aus dem gehörten Signal extrahierten Eigenschaften mit den im mentalen Lexikon gespeicherten zugrundeliegenden Repräsentationen abgeglichen. Widersprechen sich die Eigenschaften der Oberflächenrepräsentation und der zugrundeliegenden Repräsentation, entsteht während der Sprachverarbeitung ein Mismatch. Dieser Mismatch kann aufgrund der Unterspezifikation auch nur in eine Richtung entstehen. Beispielsweise können die Merkmale des Artikulationsortes [LABIAL], [DORSAL] oder [KORONAL] aus dem Sprachsignal extrahiert werden, während im mentalen Lexikon nur die Merkmale [LABIAL] und [DORSAL] gespeichert sind. Wenn die Eigenschaft [KORONAL] extrahiert wird, entsteht ein Mismatch mit den gespeicherten Eigenschaften [LABIAL] und [DORSAL]. Wird allerdings das Merkmal [LABIAL] aus dem Sprachsignal extrahiert, entsteht kein Mismatch mit dem unterspezifizierten koronalen Laut (vgl. LAHIRI / REETZ 2002, 640). EULITZ / LAHIRI (2004) untersuchen diesen Zusammenhang am Beispiel der Phoneme [o], [ø] und [e]. Die Eigenschaften, welche aus dem akustischen Signal extrahiert werden, sind [KORONAL] für [e], [KORONAL] und [LABIAL] für [ø] sowie [DORSAL] und [LABIAL] für [o]. Die Eigenschaften in der mentalen Repräsentation hingehen sind [LABIAL] für [ø] sowie [DORSAL] und [LABIAL] für [o], da [e] und [ø] für den Artikulationsort [KORONAL] unterspezifiziert sind. Die Annahme ist nun, dass eine MMN mit einer stärkeren Amplitude und früheren Latenz auftritt, wenn bei der Abbildung von Oberflächenrepresentation auf zugrundeliegende Repräsentation ein Konflikt entsteht, d. h. wenn die koronale Eigenschaft des wahrgenommen Deviants /ø/ auf den dorsalen Standard /o/ bezogen wird. Im Vergleich dazu entsteht kein Konflikt, wenn der dorsale Deviant /o/ auf die unterspezifizierte Repräsentation des Standards /ø/ bezogen wird (vgl. EULITZ / LAHIRI 2004, 578). Tatsächlich können die Autoren eine signifikant frühere und stärker ausgeprägte MMN für den Deviant /ø/ nachweisen als für den

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Deviant /o/, sodass die Unterspezifikation hier tatsächlich einen Einfluss auf die Latenz und Amplitude der frühen Negativierung zu haben scheint. Diese Ergebnisse werden von der MMN-Studie von SCHARINGER / MONAHAN / IDSARDI (2012) unterstützt, die die Vokale [ɪ], [ɛ] und [æ] untersuchen. Während [ɪ] und [æ] hinsichtlich des Merkmals [HOCH] spezifiziert sind, ist [ɛ] für dieses Merkmal unterspezifiziert. Die Autoren weisen einen stärkeren MMNEffekt für den Deviant [ɛ] im Vergleich zum Standard [æ] als für den Deviant [æ] im Vergleich zum Standard [ɛ] nach. Durch den tiefen Vokal [æ] wird die zugehörige spezifizierte Tonhöhenrepräsentation aktiviert. Hierdurch wird eine Erwartung dahingehend aufgebaut, dass der folgende Deviant ebenfalls hinsichtlich dieses Merkmals spezifiziert ist. Da [ɛ] allerdings dahingehend unterspezifiziert ist, wird diese Erwartung verletzt, was zu einer höheren Amplitude führt als man aufgrund rein akustischer Unterschiede zwischen Standard und Deviant erwarten würde (vgl. SCHARINGER / MONAHAN / IDSARDI 2012, 914). SCHARINGER et al. (2012) weisen zudem eine stärkere MMN-Amplitude für koronales /t/ in Latz als für dorsales /k/ in Lachs nach. Grundlage ist, dass durch den unterspezifizierten koronalen Standard Latz keine präzise Prädiktion hinsichtlich des Artikulationsortes abgeleitet werden kann. Im Vergleich dazu kann durch den spezifizierten dorsalen Laut in Lachs eine starke Voraussage für NichtKoronalität getroffen werden, die durch den koronalen Deviant verletzt wird. In einer fMRT-Studie mit Same-Different Task weisen SCHARINGER et al. (2016) zudem eine stärkere Aktivierung im Sulcus temporalis superior nach, wenn der Vokal im ersten Wort spezifizierter ist als im zweiten. Untersucht wurde dies am Beispiel von Pseudowörtern, die die Volake [o], [ø], [e] bzw. [u] beinhalteten. Dies kann in Analogie zu den bereits referierten Studien als Mismatch zwischen phonologischer Repräsentation und wahrgenommenem zweiten Wort interpretiert werden. Zwar gibt es erste Ansätze zur Untersuchung dialektaler Vokale, wie z. B. im Lexical-Decision-Experiment von SCHARINGER / IDSARDI (2014), allerdings gibt es keine EKP-Studie, die sich mit dem Einfluss von Unterspezifikation auf die Verarbeitung von Diphthongen beschäftigt. Diese lassen sich nicht ohne Weiteres in die Theorie der Unterspezifikation einbetten. Betrachtet man allerdings die zweiten Diphthongkomponenten jeweils separat, so ist /u/ hinsichtlich der Merkmale [HOCH], [RUND] und [HINTEN] sowie /a/ nur für das Merkmal [HOCH] spezifiziert. Somit müsste der Mismatch in Analogie zu den referierten Studien in der Präsentationsrichtung von /o͡u/ zu /o͡a/ größer sein als andersherum. Durch das spezifizierte /u/ wird eine Erwartung dahingehend aufgebaut, dass der Deviant ebenfalls hinsichtlich der genannten Merkmale spezifiziert ist. Ist dies nicht der Fall, so wird diese Erwartung verletzt, was den N200-Effekt verstärkt. Hierdurch kann möglicherweise erklärt werden, dass für den Deviant /ro͡asn̩/ eine N200 elizitiert wurde, die in der anderen Präsentationsrichtung für den Deviant /ro͡usn̩/ ab-

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wesend ist. 106 Anzumerken ist an dieser Stelle allerdings, dass sich bereits die ersten Diphthongkomponenten phonetisch voneinander unterscheiden (vgl. Abbildung 43). Zudem ist unklar, ob Varietätenkontakt einen Einfluss auf die Repräsentationen hat, und inwiefern sich diese von Repräsentationen bei Standardsprechern unterscheiden. Somit ist an dieser Stelle weitere Forschung nötig, um dialektspezifische Repräsentationen im Varietätenkontakt zu untersuchen. Aus einem anderen Blickwinkel ist davon auszugehen, dass spezifizierte Laute durch besondere Zungenpositionen, die eine detailliertere motorische Planung voraussetzen, reflektiert werden. Abbildung 43 zeigt die Formantwerte der getesteten Stimuli gemessen zu den Zeitpunkten von 20% und 80% der Diphthonge (vgl. für die einzelnen Werte Tabelle 18).

Abbildung 43: Formantwerte der Diphthonge /o͡a/ und /o͡u/ der 10 kritischen Items /ro͡asn̩/ und /ro͡usn̩/ abgebildet auf dem standarddeutschen Vokalsystem nach SENDLMEIER / SEEBODE (o. J. [2006]) (vgl. LANWERMEYER et al. 2016, 15)

Die Differenz der Formantwerte zwischen den Messpunkten ist -127,1 (F1) bzw. -471,7 (F2) für /o͡a/ sowie 122,1 (F1) und 89,9 (F2) für /o͡u/. Die Artikulationsbewegung ist dementsprechend für /o͡a/ größer als für /o͡u/. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass für die Realisierung von /o͡a/ eine gründlichere 106 Weitere Evidenz für einen stärker ausgeprägten Effekt in der Präsentationsrichtung /o͡u/ zu /o͡a/ liefern die Ergebnisse der Bedingung Nichtverstehen. Hier evoziert der Deviant /lo͡as/ eine sehr ausgeprägte N200 (vgl. Kapitel 7.2.2). Allerdings wurde in der Bedingung die umgekehrte Richtung von /o͡a/ zu /o͡u/ nicht untersucht, sodass an dieser Stelle kein direkter Vergleich der Effekte angestellt werden kann.

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motorische Planung benötigt wird. Der unterschiedliche artikulatorische Aufwand könnte somit einen Einfluss auf die Sprachverarbeitung haben. Geht man davon aus, dass /o͡a/ insgesamt spezifizierter ist als /o͡u/, so würde dies die relativ gering ausgeprägte N200-Amplitude für /ro͡asn̩/ erklären. Der weniger spezifizierte Standard /ro͡usn̩/ führt zu keinem starken Mismatch mit dem spezifizierten Deviant /ro͡asn̩/. In der umgekehrten Bedingung ist der Effekt, bei dem es sich allerdings um eine N400 handelt, sehr ausgeprägt. Der starke Latenzunterschied kann so allerdings nicht erklärt werden. Einerseits müsste nach EULITZ / LAHIRI (2004) der Effekt für den Deviant /ro͡usn̩/ früher sein und andererseits können durch Unterspezifikation in erster Linie geringe Latenzunterschiede in der N200-Amplitude erklärt werden. Es ist somit unwahrscheinlich, dass Unterspezifikation vorrangig für den Latenzunterschied zwischen den Deviants /ro͡asn̩/ und /ro͡usn̩/ verantwortlich ist. Die Diskussion zeigt insgesamt, dass sich aufgrund einiger noch unzureichend erforschter Einflussfaktoren, wie z. B. der dialektalen Diphthonge, möglicher dialektspezifischer Repräsentationen sowie dem Varietätenkontakt, der Einfluss der Unterspezifikation auf die Sprachverarbeitung hier nicht eindeutig bestätigen lässt. Einen interessanten Ansatz zur asymmetrischen Verarbeitung von Vokalen liefern POLKA / BOHN (2003) mit ihrer Peripherizitäts-Hypothese. Diese besagt, dass nahe an den Grenzen des Vokalraums und somit peripher im F1/F2-Raum liegende Vokale als Referenzpunkte dienen und Asymmetrien durch die Lage der jeweiligen kontrastierenden Vokale im Vokaltrakt erklärt werden können. Zudem gehen sie davon aus, dass Asymmetrien durch die unterschiedliche Salienz der Vokale entstehen und periphere Vokale von Grund auf salienter sind als nichtperiphere und somit als perzeptuelle Magnete fungieren. Im Laufe des Spracherwerbs verändert sich diese Struktur allerdings durch die Spracherfahrungen, sodass diese Effekte in erster Linie bei Kindern nachweisbar sind. So kann beispielsweise in Studien wie POLKA / WERKER (1994) und POLKA / BOHN (1996) gezeigt werden, dass Kinder Vokale leichter diskriminieren, wenn sie von einem weniger peripheren zu einem periphereren Vokal präsentiert werden (vgl. hierzu auch die Übersicht in POLKA / BOHN 2003, 223). Es gibt allerdings auch eine Anzahl von Studien, in denen Erwachsene solche Asymmetrien aufweisen (vgl. POLKA / BOHN 2003, 226). POLKA / BOHN (2011, 468) gehen hingegen davon aus, dass Asymmetrien für native Kontraste bei erwachsenen Sprechern reduziert werden oder ganz verschwinden, während sie für nicht-native Kontraste erhalten bleiben oder sogar verstärkt werden. Dies kann von ihnen in einer Reihe von Experimenten bestätigt werden. Asymmetrien, die bei Kindern präsent sind, bleiben nur dann bei Erwachsenen erhalten, wenn sie in ihrer eigenen Sprache nicht phonemisch interpretiert werden (vgl. POLKA / BOHN 2011, 468–469). Für das aktuelle Experiment sind allerdings Asymmetrien auf der lexikalischen Ebene von Interesse. Beispielsweise untersuchen SEBASTIÁN-GALLÉS / ECHEVERRÍA / BOSCH (2005) den katalanischen /e/–/ɛ/-Kontrast an katalanischspanischen bilingualen Erwachsenen. In einer lexikalischen Entscheidungsaufgabe müssen die Probanden katalanische Lexeme bewerten, die entweder reale Wörter oder durch Austausch von /e/ und /ɛ/ entstandene Nichtwörter sind. Während

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spanisch-dominante Bilinguale keine Asymmetrie zeigen, erkennen die katalanisch-dominanten Sprecher Stimuli, in denen /e/ durch /ɛ/ ausgetauscht wurde, signifikant besser als andersherum. Die Asymmetrie erklären SEBASTIÁNGALLÉS / ECHEVERRÍA / BOSCH (2005, 251) u. a. durch den erhöhten Kontakt zu falschen Aussprachevarianten, in denen das spanische Phonem /e/ für katalanisches /ɛ/ verwendet wird, da von einer hohen Anzahl an Sprechern die spanischen Phonemkategorien bei der katalanischen Aussprache verwendet werden. Aufgrund der bilingualen Struktur der katalanischen Gesellschaft werden Sprecher in erster Linie mit diesen falschen Varianten konfrontiert, aber nicht mit solchen, in denen /e/ durch /ɛ/ ersetzt wird. Aus diesem Grund machen die katalanischdominanten Sprecher mehr Fehler bei der Kategorisierung der Nichtwörter mit /e/. Sie akzeptieren sie als existierende Wörter, weil sie häufig mit solchen Aussprachevarianten konfrontiert werden. Diese Asymmetrie tritt bei spanischdominanten Sprechern nicht auf, weil sie insgesamt Schwierigkeiten haben, diesen Kontrast zu differenzieren. SEBASTIÁN-GALLÉS et al. (2008) replizieren das Experiment und weisen die gleiche Asymmetrie auch bei nativen Katalansprechern nach (vgl. hierzu auch LARSSON et al. 2008). Diese Ergebnisse zeigen zweierlei: erstens treten Asymmetrien bei der Wortverarbeitung erwachsener Hörer zutage, die mit der Periphärizitätshypothese übereinstimmen (vgl. POLKA / BOHN 2011, 470), und zweitens entstehen diese Asymmetrien bei einem katalanischen Vokalkontrast in katalanischdominanten Bilingualen sowie Katalansprechern. Insofern erweitern die Ergebnisse die Annahmen der Peripherizitätshypothese, da Asymmetrien auch bei erwachsenen Sprechern für native Kontraste auftreten, wenn diese eine Experimentaufgabe erfüllen müssen. Die Peripherizitätshypothese kann somit auch auf die lexikalische Verarbeitung bezogen werden. Diese Annahme passt gut zu den Ergebnissen der aktuellen Studie. Die Formantkarte der Diphthonge /o͡u/ und /o͡a/ zeigt, dass /o͡a/ zum Messzeitpunkt von 20% des Diphthongs der periphere Vokal des Kontrastes ist (vgl. Abbildung 43). Im Sinne der Peripherizitätshypothese müsste der Deviant /ro͡asn̩/ leichter diskriminiert werden können als der Deviant /ro͡usn̩/, da im ersten Fall die Präsentationsrichtung vom weniger peripheren Vokal /o͡u/ hin zum periphereren und somit salienten Vokal /o͡a/ verläuft. Diese erleichterte Diskriminierbarkeit zeigt sich anhand der frühen Negativierung für den Deviant /ro͡asn̩/ im Vergleich zum Deviant /ro͡usn̩/. Die Salienz von /o͡a/ wird auch dadurch unterstützt, dass es sich um einen fallenden Diphthong handelt, der in den deutschen Varietäten vergleichsweise selten auftritt. Somit kann die Position der Diphthonge der aktuellen Studie im F1/F2-Raum einen Einfluss auf die Sprachverarbeitung und somit die Latenz der negativen Effekte haben. SEBASTIÁN-GALLÉS et al. (2008) führen zudem eine EKP-Studie zum Einfluss des katalanischen /ɛ/–/e/-Kontrastes auf den lexikalischen Zugriff durch und untersuchen hierbei Differenzen bei der N400-Amplitude. Die Ergebnisse zeigen nur Unterschiede in der Amplitude zwischen Wörtern und Nichtwörtern, in denen /e/ durch /ɛ/ ersetzt wurde. Wörter und Nichtwörter, in denen wie im tatsächlichen Sprachkontakt /ɛ/ durch /e/ ersetzt wurde, zeigen keine Differenzen in der

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Amplitude und werden somit von den katalanischen Hörern gleich verarbeitet. Dieses Ergebnis legt nahe, dass durch den Sprachkontakt neue lexikalische Einträge, die die dialektale Variation repräsentieren, aufgebaut wurden und somit beide Stimuli im mentalen Lexikon der Hörer repräsentiert sind. Dieses Ergebnis stimmt mit der fehlenden N400 für /ro͡asn̩/ überein, was möglicherweise dahingehend interpretiert werden kann, dass die bairisch-alemannische Variation zu der Bildung eines zweiten Lexikoneintrags bei den mittelbairischen Hörern geführt hat. Die Latenzunterschiede zwischen den Deviants können allerdings durch diesen Ansatz nicht geklärt werden (vgl. hierzu detaillierter Kapitel 7.4). Wie die Diskussion um die verschiedenen Einflussfaktoren auf die Latenz der Negativierungen zeigt, kann nicht eindeutig geklärt werden, welcher Faktor für die Asymmetrie ausschlaggebend ist. Dennoch muss trotz der unterschiedlichen Latenzen insgesamt festgehalten werden, dass beide Deviants einen Fehlererkennungsmechanismus auf physikalischer bzw. semantischer Ebene evozieren, der durch das semantische Priming ausgelöst wird und zu Problemen beim lexikalischen Abruf der Formen führt. Der zentrale Einflussfaktor scheint der Varietätenkontakt zu sein, der aus diesem Grund noch einmal detailliert in der allgemeinen Diskussion in Kapitel 7.4 besprochen wird. Der Vergleich zwischen der Bayernund der Odenwaldstudie kann diese Annahme noch weiter stützen. Denn wie bereits einige Studien andeuten, hat regionale bzw. dialektale Variabilität durchaus einen Einfluss auf die Sprachverarbeitung. Dies zeigen einerseits die OddballExperimente mit französischen bzw. englischen dialektalen Kontrasten von BRUNELLIÈRE / DUFOUR / NGUYEN (2011), BRUNELLIÈRE et al. (2009) und CONREY / POTTS / NIEDZIELSKI (2005) und andererseits die Studien von SEBASTIÁN-GALLÉS / ECHEVERRÍA / BOSCH (2005), SEBASTIÁN-GALLÉS et al. (2008) und LARSSON et al. (2008) für katalanisch-spanische Bilinguale. 7.2.2 Bedingung 2: Nichtverstehen In der Bedingung Nichtverstehen wurden Primingsätze und neutrale Sätze präsentiert, die getrennt voneinander ausgewertet wurden. Die Bewertungsdaten werden in Kapitel 7.2.2.1 präsentiert, während die Ergebnisse der EKP-Daten sowie die Diskussion der Effekte und der Bewertungen in den Kapiteln 7.2.2.2 (Primingsätze) und 7.2.2.3 (neutrale Sätze) erfolgt. 7.2.2.1 Ergebnisse der Bewertungsdaten Für die Bedingung Nichtverstehen wurde für die Bewertungsdaten eine ANOVA mit den Faktoren WORTTYP (existierendes Wort /lo͡us/ ‘Mutterschwein’ vs. Pseudowort /lo͡as/) und SATZKONTEXT (Primingkontext vs. neutraler Kontext) gerechnet. Hierbei sind Haupteffekte für beide Faktoren nachweisbar [WORTTYP: F (1,17) = 6,06, p = 0,025; SATZKONTEXT: F (1,17) = 15,14, p = 0,001], allerdings keine signifikante Interaktion zwischen den beiden Faktoren [F (2,34) < 1,

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p > 0,05]. Diese Ergebnisse zeigen, dass die im Mittelbairischen nicht existierende bairisch-alemannische Variante /lo͡as/ signifikant schlechter bewertet wurde als das im Mittelbairischen existierende Lexem /lo͡us/ ‘Mutterschwein’. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass /lo͡as/ als nicht existierendes Pseudowort kategorisiert wurde. Die deskriptive Statistik sowie der Wilcoxon-Test zeigen allerdings, dass /lo͡as/ zwar in Primingsätzen als schlechter in den Satzkontext passend bewertet wurde, der Unterschied zum existierenden Lexem /lo͡us/ ‘Mutterschwein’ aber nicht signifikant ist [existierendes Wort /lo͡us/: M = 1,74 (SD 0,94) vs. Pseudowort /lo͡as/: M = 2,72 (SD 1,30); Z (17) = -1,68, p > 0,05). Der Grund für den nicht signifikanten Unterschied liegt in der hohen Standardabweichung bei der Bewertung des Pseudoworts. Die Probanden sind unsicher, wie sie diese Form einordnen sollen. Möglicherweise spielen Überlegungen dahingehend eine Rolle, ob es sich bei /lo͡as/ um ein altes Dialektwort oder ein Dialektwort aus einer anderen Region handelt. Allen Hörern war bewusst, dass der Sprecher nicht aus der eigenen Region kommt, da die häufigste Antwort auf die nach dem Experiment gestellte Frage nach der Herkunft des Sprechers das Allgäu, Augsburg oder Schwaben war. In neutralen Sätzen wurde /lo͡as/ signifikant schlechter bewertet als die eigene Form /lo͡us/ [existierendes Wort /lo͡us/ ‘Mutterschwein’: M = 2,41 (SD 0,74) vs. Pseudowort /lo͡as/: M = 3,07 (SD 0,91); Z (17) = -2,33, p = 0,020]. Ein Vergleich der Bewertung der korrekten Form /lo͡us/ ‘Mutterschwein’ in Priming- und neutralen Sätzen zeigt, dass der Satzkontext einen signifikanten Einfluss auf die lexikalische Kategorisierung hat. /lo͡us/ ‘Mutterschwein’ wurde leichter als ein reales Wort identifiziert, wenn der Satzkontext Hinweise auf das kritische Item gab und somit eine Erwartung aufgebaut werden konnte [Priming /lo͡us/: M = 1,74 (SD 0,94) vs. neutral /lo͡us/: M = 2,41 (SD 0,74); Z (17) = -2,24, p = 0,025]. 7.2.2.2 Ergebnisse der EKP-Daten und Interpretation (Primingsätze) Für die EKP-Daten wurde eine ANOVA mit Messwiederholung mit den Faktoren WORTTYP (existierendes Wort vs. Pseudowort) und REGION (frontal vs. zentral vs. parietal) gerechnet. Für Primingsätze ergibt sie für den Deviant /lo͡as/ einen frühen negativen Effekt zwischen 100 und 200 ms sowie einen späten positiven Effekt zwischen 350 und 600 ms (vgl. Abbildung 44). Für das frühe Zeitfenster kann ein signifikanter Haupteffekt für den Faktor WORTTYP nachgewiesen werden [F (1,17) = 28,88, p = 0,000, η2p = 0,08], aber keine signifikante Interaktion zwischen den Faktoren WORTTYP und REGION [F (2,34) = 1,91, p > 0,05, η2p = 0,00]. Im späten Zeitfenster gibt es ebenfalls einen Haupteffekt für WORTTYP [F (1,17) = 23,33, p = 0,000, η2p = 0,15] und keine signifikante Interaktion zwischen den Faktoren [F (2,34) = 1,55, p > 0,05, η2p = 0,00]. Der Deviant /lo͡as/ unterscheidet sich von den Deviants in Bedingung 1 dadurch, dass er nur im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet, nicht aber im Mittelbairischen Bedeutung trägt. Für die Experimentteilnehmer handelt es sich somit um ein wohlgeformtes Pseudowort. Bisherige EKP-Studien konnten zeigen,

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dass nicht existierende Wörter unterschiedlich verarbeitet werden und zwar in Abhängigkeit davon, ob es sich um ein Nichtwort oder ein Pseudowort handelt. Während Nichtwörter gegen die phonotaktischen Regeln der jeweiligen Sprache verstoßen, sind Pseudowörter dahingehend wohlgeformt. Im Gegensatz zu Pseudowörtern können Nichtwörter bereits sehr früh auf einer prä-lexikalischen Ebene als nicht existierend erkannt werden, sodass sie gar nicht erst als potentielle Kandiaten für die semantische Integration fungieren (vgl. DOMAHS et al. 2009, 418). Studien wie BENTIN et al. (1999) und DOMAHS et al. (2009) zeigen, dass im Rahmen einer Lexical Decision Task erhöhte Verarbeitungskosten dahingehend entstehen, dass bei der Klassifikation der Pseudowörter als nicht existierend eine N400 elizitiert wird. Dieser Unterschied zwischen der Verarbeitung von Nichtwörtern und Pseudowörtern zeigt, dass die N400 auch Prozesse der Worterkennung widerspiegelt. Während Nichtwörter sehr früh abgelehnt werden können, benötigen Pseudowörter zusätzliche Verarbeitungsressourcen um festzustellen, dass es sich tatsächlich nicht um existierende Wörter handelt, die somit nicht zum Kontext passen (vgl. KUTAS / VAN PETTEN 1994, 104–105).

Abbildung 44: Bedingung 2 (Nichtverstehen, Primingsätze): Grand Averages der ereigniskorrelierten Potentiale für den Standard /lo͡us/ ‘Mutterschwein’ und den Deviant /lo͡as/ (Pseudowort) (vgl. LANWERMEYER et al. 2016, 10)

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Die Schwierigkeiten der Klassifikation und Integration des Pseudoworts /lo͡as/ in den Satzkontext zeigen sich zunächst an den Bewertungsdaten. Obwohl der Deviant /lo͡as/ mit 2,72 schlechter bewertet wurde als die eigene mittelbairische Variante /lo͡us/ mit 1,74, ist dieser Unterschied in Primingsätzen statistisch nicht signifikant. Die hohe Standardabweichung legt nahe, dass die Probanden bei der Evaluierung der Sätze unsicher waren, wie dieses unbekannte Wort einzuordnen ist. Der lexikalische Status von Pseudowörtern ist schwierig zu bewerten, weil die Evaluierung von phonotaktisch wohlgeformten möglichen Wörtern mehr Kosten verursacht als die Bewertung von existierenden Lexemen oder Nichtwörtern, die nicht den phonotaktischen Regeln entprechen (vgl. DOMAHS et al. 2009, 429; KUTAS / VAN PETTEN 1994, 104–105). Die Bewertung könnte auch dadurch erschwert worden sein, dass das Pseudowort /lo͡as/ die korrekte Form für das gleiche semantische Konzept in der Nachbarregion ist. Somit ist die Klassifikation des Deviants /lo͡as/ insbesondere in Primingsätzen für die Probanden problematisch. Die frühe Negativierung zwischen 100 und 200 ms (vgl. Abbildung 44) steht in gewisser Weise in Widerspruch zu den oben genannten Studien, denen zufolge Pseudowörter eine N400 elizitieren und somit Probleme der Klassifikation und Integration anzeigen. Begründet werden kann die Latenz durch das Design und die zu bewältigende Bewertungsaufgabe. Beispielsweise tritt die Negativierung in der Studie von DOMAHS et al. (2009) relativ spät auf, weil 42 verschiedene Pseudo- bzw. Nichtwörter ins Experiment integriert wurden und die Probanden somit für die lexikalische Entscheidungsaufgabe das gesamte kritische Item verarbeiten mussten. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das für die aktuelle Studie gewählte Design wesentlich. Erstens wurden nur zwei unterschiedliche phonologische Formen präsentiert und zweitens mussten die Probanden entscheiden, wie gut das Item in den Satzkontext passt. Um diese Aufgabe zu lösen, mussten die Probanden nicht das ganze Lexem verarbeiten, da sich /lo͡us/ und /lo͡as/ bereits ab der ersten Diphthongkomponente in ihren F1/F2-Werten unterscheiden (vgl. Tabelle 18). Somit waren die Probanden bereits zu diesem frühen Zeitpunkt in der Lage, das jeweilige Wort zu identifizieren und zu entscheiden, ob es sich um das existierende Wort oder das Pseudowort handelt. Diese Interpretation wird durch die Studie von CONNOLLY / PHILLIPS (1994) unterstützt, die die Verarbeitung von satzfinalen Stimuli untersuchen, die entweder semantisch zum Kontext passen oder nicht und die entweder ein erwartetes initiales Phonem aufweisen oder nicht. Für die Bedingungen, in denen ein unerwartetes Phonem wortinitial vorkommt, wird eine frühe Negativierung elizitiert. Obwohl das Wort zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht vollständig identifiziert werden kann, können die Probanden erkennen, dass es aufgrund der Kontextinformation nicht zum aktivierten und erwarteten Wort passt. Während des Satzverstehens wird eine Prädiktion über das satzfinale Wort erstellt. Da das kritische Item gleich am Onset abweicht, wird bereits hier Einfluss auf den Selektionsprozess des richtigen Kandidaten ausgeübt. Stimmen die Erwartungen durch den Kontext nicht mit den Eigenschaften des initialen

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Phonems überein, wird eine frühe Negativierung elizitiert (vgl. CONNOLLY / PHILLIPS 1994, 263). 107 Die frühe Negativierung für den Deviant /lo͡as/ kann ebenso wie die Negativierung für /ro͡asn̩/ in Bedingung 1a als N200 (N2b) interpretiert werden (vgl. Kapitel 7.2.1). Sie reflektiert einen aktiven frühen Fehlererkennungsmechanismus. Durch den Primingkontext sowie den häufig präsentierten Standard /lo͡us/ wird eine Erinnerungsspur bzw. eine Erwartung für die eigene mittelbairische Dialektvariante /lo͡us/ aufgebaut. Diese wird verletzt, wenn stattdessen die Variante /lo͡as/ wahrgenommen wird. Somit wird der Deviant /lo͡as/ als abweichend von der aufgebauten Erinnerungsspur erkannt. Die späte Positivierung (LPC) zwischen 350 und 600 ms für den Deviant /lo͡as/ kann in gleicher Weise wie die LPC, die in Bedingung 1 auftritt, als P300 (P3b) interpretiert werden (vgl. Kapitel 7.2.1). Diese spiegelt den Kategorisierungs- und Evaluierungsprozess des zuvor entdeckten Fehlers in Abhängigkeit von der semantischen Bewertungsaufgabe sowie den Reanalyseprozess, der durch den unpassenden Deviant /lo͡as/ notwendig wird, wider. 7.2.2.3 Ergebnisse der EKP-Daten und Interpretation (neutrale Sätze) Für neutrale Sätze ist für den Deviant /lo͡as/ keine frühe Negativierung nachweisbar (vgl. Abbildung 45). Im Zeitfenster zwischen 100 und 200 ms ergibt die ANOVA keine Haupteffekte für WORTTYP [F (1,17) = 1,17, p > 0,05, η2p = 0,01] und REGION [F (2,34) = 1,90, p > 0,05, η2p = 0,02]. Im späten Zeitfenster hingegen ist ein positiver Effekt zwischen 350 und 600 ms nachweisbar. Die ANOVA ergibt signifikante Haupteffekte für die Faktoren WORTTYP [F (1,17) = 22,96, p = 0,000, η2p = 0,08] und REGION [F (2,34) = 29,14, p = 0,000, η2p = 0,15), allerdings keine signifikante Interaktion zwischen den Faktoren [F (2,34) = 1,36, p > 0,05, η2p = 0,00]. Im Gegensatz zu Primingsätzen konnte für neutrale Sätze keine frühe Negativierung für den Deviant /lo͡as/ hervorgerufen werden (vgl. Abbildung 45). Dies zeigt den Einfluss des semantischen Primings auf die Perzeption. Da der Kontext keinerlei Hinweise auf die Fortsetzung des Satzes liefert, wurden keine Erwartungen aufgebaut und verletzt. Die häufige Präsentation des Standards /lo͡us/ scheint alleine nicht ausreichend zu sein, um eine starke Erinnerungsspur aufzubauen, gegen die der Deviant abgeglichen werden kann. Die Bewertungsdaten zeigen allerdings, dass der Deviant /lo͡as/ signifikant schlechter bewertet wurde als der Standard /lo͡us/ und somit bewusst abgelehnt werden konnte. Zudem zeigen sie den Einfluss des Primings, da der Standard /lo͡us/ mit 2,41 und der Deviant /lo͡as/

107 Vgl. für ähnliche Studien mit abweichenden Interpretationen BROWN / HAGOORT (1993) und VAN DEN BRINK / BROWN / HAGOORT (2001).

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mit 3,07 in neutralen Sätzen signifikant schlechter bewertet wurden als in Primingsätzen, in denen /lo͡us/ mit 1,74 und /lo͡as/ mit 2,72 bewertet wurde.

Abbildung 45: Bedingung 2 (Nichtverstehen, neutrale Sätze): Grand Averages der ereigniskorrelierten Potentiale für den Standard /lo͡us/ ‘Mutterschwein’ und den Deviant /lo͡as/ (Pseudowort) (vgl. LANWERMEYER et al. 2016, 10)

Die späte Positivierung zwischen 350 und 600 ms ist in neutralen Sätzen weniger stark ausgeprägt als in Primingsätzen. Dies lässt sich dadurch erklären, dass die Amplitude zusätzlich zu den genannten Faktoren auch durch den Grad der Komplexität und Schwierigkeit der Aufgabe moduliert wird. Ein starker Effekt zeigt, dass den Probanden die Aufgabe und somit die Evaluierung der Sätze leicht fällt (vgl. DOMAHS et al. 2009, 428; BOHN et al. 2013, 769). Dass die Amplitude für die Primingsätze stärker ist, legt nahe, dass die Kategorisierung eines Stimulus leichter fällt, wenn zuvor eine Erwartung durch Priming aufgebaut wurde. In neutralen Sätzen hingegen gibt der Kontext keine Hinweise auf die Weiterführung des Satzes. Die reduzierte LPC-Amplitude zeigt somit an, dass es in neutralen Sätzen für die Probanden schwieriger ist, das Pseudowort /lo͡as/ zu kategorisieren und abzulehnen. Zudem kann die reduzierte Amplitude auch durch den Reanalyseprozess erklärt werden. In Primingsätzen erhöhen die semantischen Hinweise die Erwartung für die Form /lo͡us/, sodass der Mismatch zwischen erwarteter und

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tatsächlich wahrgenommener Form stärker ist als in neutralen Sätzen, in denen die Erwartung nur durch den häufig wiederholten Standard /lo͡us/ aufgebaut wird. Die stärker ausgeprägte Amplitude für /lo͡as/ in Primingsätzen entsteht somit auch durch den stärkeren Grad der Abweichung im Vergleich zu neutralen Sätzen, die keine konkreten Hinweise auf das kritische Item geben. 7.2.3 Bedingung 3: Potentielles Verstehen Auch in der Bedingung Potentielles Verstehen wurden Primingsätze und neutrale Sätze präsentiert und getrennt voneinander ausgewertet. Die Bewertungsdaten werden in Kapitel 7.2.3.1 präsentiert, die Darstellung der EKP-Daten sowie die Diskussion der Effekte und der Bewertungen erfolgt in den Kapiteln 7.2.3.2 (Primingsätze) und 7.2.3.3 (neutrale Sätze). 7.2.3.1 Ergebnisse der Bewertungsdaten Für die Bewertungsdaten in der Bedingung Potentielles Verstehen ergibt die ANOVA mit den Faktoren PHONEM (/lõ͡ũ/ vs. /lõː/) und SATZKONTEXT (Primingkontext vs. neutraler Kontext) nur einen Haupteffekt für SATZKONTEXT [F (1,18) = 40,63, p = 0,000], nicht aber für PHONEM [F (1,18) < 1, p > 0,05] und auch keine signifikante Interaktion zwischen den Faktoren [F (2,36) < 1, p > 0,05). Somit sind die Akzeptabilität und die Kategorisierung der kritischen Items nicht vom realisierten Phonem abhängig, sondern ausschließlich vom Satzkontext. Die deskriptive Statistik sowie der Wilcoxon-Test zeigen zudem, dass der Standard /lõː/ und der Deviant /lõ͡ũ/ von den Probanden in gleicher Weise als akzeptabel bewertet wurden. Dies gilt einerseits für die Primingsätze [/lõː/: M = 1,31 (SD 0,45) vs. /lõ͡ũ/: M = 1,32 (SD 0,41); Z (18) = -0,28, p > 0,05] und andererseits für die neutralen Sätze [/lõː/: M = 2,31 (SD 0,68) vs. /lõ͡ũ/: M = 2,33 (SD 0,60); Z (18) = -0,24, p > 0,05]. Zudem wurden Standard und Deviant in neutralen Sätzen jeweils signifikant schlechter bewertet als in Primingsätzen [Primingsätze /lõː/: M = 1,31 (SD 0,45) vs. neutrale Sätze /lõː/: M = 2,31 (SD 0,69), Z (18) = 3,82, p = 0,000 / Primingsätze /lõ͡ũ/: M = 1,32 (SD 0,41) vs. neutrale Sätze /lõ͡ũ/: M = 2,33 (SD 0,60); Z (18) = -3,74, p = 0,000]. Dies legt nahe, dass die Kategorisierung der kritischen Items in Primingsätzen leichter fällt als in neutralen Sätzen. 7.2.3.2 Ergebnisse der EKP-Daten und Interpretation (Primingsätze) Für die EKP-Daten wurde eine ANOVA mit Messwiederholung mit den Faktoren PHONEM (/lõ͡ũ/ vs. /lõː/) und REGION (frontal vs. zentral vs. parietal) gerechnet. In Primingsätzen ergibt die ANOVA zwei mäßig ausgeprägte aufeinanderfolgende Negativierungen für den Deviant /lõ͡ũ/ zwischen 250 und 350 ms sowie 400 und 500 ms. Für das erste Zeitfenster kann ein signifikanter Haupteffekt für PHONEM

Die Bayernstudie: Ergebnisse und neurolinguistische Interpretation

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[F (1,18) = 5,26, p = 0,034, η2p = 0,01] und REGION [F (2,36) = 14,67, p = 0,001, η2p = 0,11] nachgewiesen werden, allerdings keine Interaktion zwischen den Faktoren [F (2,36) = 0,23, p > 0,05, η2p = 0,00]. Im zweiten Zeitfenster können ebenfalls Haupteffekte für PHONEM [F (1,18) = 7,46, p = 0,014, η2p = 0,01] und REGION [F (2,36) = 15,93, p = 0,001, η2p = 0,15] ohne Interaktion der beiden Faktoren [F (2,36) < 1, p > 0,05, η2p = 0,00] nachgewiesen werden.

Abbildung 46: Bedingung 3 (Potentielles Verstehen, Primingsätze): Grand Averages der ereigniskorrelierten Potentiale für den Standard /lõː/ ‘Lohn’ und den Deviant /lõ͡ũ/ (potentiell allophonische Variante) (vgl. LANWERMEYER et al. 2016, 12)

Der Deviant /lõ͡ũ/ ist genau wie /lo͡as/ in Bedingung 2 kein mittelbairisches Lexem. Der Unterschied zwischen den Bedingungen besteht darin, dass die phonetische Distanz zwischen Standard und Deviant verschieden ist. Im Gegensatz zum Pseudowort /lo͡as/ sind der Deviant /lõ͡ũ/ und der Standard /lõː/ relatiert. Es kann angenommen werden, dass semantisch oder auch phonologisch relatierte Items reduzierte Negativierungen aufweisen (vgl. KUTAS / FEDERMEIER 2011, 624). Zudem werden für Allophone typischerweise reduzierte MMN-Komponenten evoziert, wie in Kapitel 6 beschrieben wurde. Der Deviant /lõ͡ũ/ zeigt im Gegensatz zu den Deviants in den Bedingungen 1 und 2 kein biphasisches Muster bestehend aus einer N200 bzw. N400 und LPC.

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EEG-Experimente zu den deutschen Dialekten

Stattdessen werden in Primingsätzen nur zwei sehr gering ausgeprägte Negativierungen zwischen 250 und 350 ms sowie 400 und 500 ms elizitiert (vgl. Abbildung 46). Diese können aufgrund der schwachen Amplitude als Wahrnehmung der phonetischen Abweichung des Deviants /lõ͡ũ/ im Vergleich zum Standard /lõː/ interpretiert werden, die allerdings zu keiner Fehlererkennung führt. Die phonetisch abweichende Form /lõ͡ũ/ verursacht nur einen leicht erschwerten lexikalischen Zugriff. Diese Interpretation wird von den Bewertungsdaten unterstützt. Es gibt keinen signifikanten Unterschied in der Bewertung von Standard /lõː/ und Deviant /lõ͡ũ/. Beide Formen werden mit ca. 1,3 als sehr passend zum Satzkontext bewertet. Dies zeigt, dass die abweichende Form /lõ͡ũ/ genau wie die mittelbairische Variante /lõː/ als ‘Lohn’ interpretiert wird. Der Deviant /lõ͡ũ/ wird dementsprechend nicht als Fehler erkannt und evaluiert, sondern als abweichende Variante, d. h. Allophon, zur eigenen Form akzeptiert und verarbeitet. 7.2.3.3 Ergebnisse der EKP-Daten und Interpretation (neutrale Sätze) Im Vergleich zu den Primingsätzen werden in neutralen Sätzen keinerlei Effekte elizitiert (vgl. Abbildung 47). Diese Reduzierung der Komponenten kann ebenso wie die reduzierten Komponenten für /lo͡as/ in neutralen Sätzen durch das fehlende semantische Priming erklärt werden. Der Einfluss des Primings zeigt sich ebenfalls in den Bewertungsdaten. Zwar werden Standard und Deviant mit 2,3 ebenfalls gleich bewertet, allerdings signifikant schlechter als in Primingsätzen. Das zeigt, dass die Evaluierung der kritischen Items in Primingsätzen leichter fällt und die semantische Erwartung den Kategorisierungsprozess erleichtert. Wird hingegen die Bedeutung ‘Lohn’ nicht voraktiviert und somit keine Erwartung für /lõː/ aufgebaut, führt dies zu einer Reduzierung der ohnehin schon sehr geringen Negativierungen und einer schlechteren Bewertung des Deviants.

Die Bayernstudie: Ergebnisse und neurolinguistische Interpretation

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Abbildung 47: Bedingung 3 (Potentielles Verstehen, neutrale Sätze): Grand Averages der ereigniskorrelierten Potentiale für den Standard /lõː/ ‘Lohn’ und den Deviant /lõ͡ũ/ (potentiell allophonische Variante) (vgl. LANWERMEYER et al. 2016, 12)

7.3 DIE ODENWALDSTUDIE: ERGEBNISSE UND NEUROLINGUISTISCHE INTERPRETATION Im Weiteren werden die Ergebnisse der Odenwaldstudie beschrieben und neurolinguistisch interpretiert. Am Ende jedes Unterkapitels wird ein kurzer Vergleich zur entsprechenden Bedingung der Bayernstudie gezogen. Hierzu muss allerdings gesagt werden, dass keine statistischen Vergleiche berechnet wurden, da sich die Probandengruppen sowie die Anzahl der ausgewerteten Probanden unterscheiden. Dennoch scheint ein allgemeiner Vergleich aufgrund der Parallelität der Experimente gerechtfertigt. Um Doppelungen zu reduzieren, werden Effekte, die bereits im Rahmen der Bayernstudie eingeführt wurden, wie z. B. die N400 und LPC, verkürzt dargestellt und interpretiert. Dies scheint gerechtfertigt, da gleiche Effekte, die mithilfe des gleichen Designs hervorgerufen werden, identisch interpretiert werden können. Für die ausführlichere Interpretation wird jeweils auf das entspre-

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chende Kapitel der Bayernstudie verwiesen. Hierbei wird die von der Bayernstudie abweichende Phonemkontaktsituation als Einflussfaktor jeweils berücksichtigt. 7.3.1 Bedingung 1: Missverstehen Die Bedingung Missverstehen besteht aus den beiden Subbedingungen 1a und 1b, deren Ergebnisse separat in den Kapiteln 7.3.1.2 und 7.3.1.3 dargestellt und interpretiert werden. Die statistische Auswertung der Bewertungsdaten erfolgt für beide Bedingungen gemeinsam in Kapitel 7.3.1.1. 7.3.1.1 Ergebnisse der Bewertungsdaten Für die Bewertungsdaten der Missverstehensbedingung wurde eine ANOVA mit den Faktoren PHONEM (/loːs/ vs. /la͡us/) und ERWARTUNG (erfüllt durch Standard vs. nicht erfüllt durch Deviant) gerechnet. Die Analyse ergibt einen Haupteffekt für den Faktor ERWARTUNG [F (1,11) = 455,95, p = 0,000]. Im Gegensatz dazu gibt es keinen Haupteffekt für den Faktor PHONEM [F (1,11) = 2,56, p > 0,05]. Die Bewertung der satzfinalen Lexeme ist somit davon abhängig, ob sie inhaltlich mit der aufgebauten Erwartung übereinstimmen. Das Phonem selbst hat hingegen keinen signifikanten Einfluss auf die Bewertung. Die Primingsätze für ‘Los’ und ‘Laus’ bahnen die jeweilige Bedeutung gleich gut an. Wird die Erwartung durch den jeweiligen Standard erfüllt, gibt es der deskriptiven Statistik und dem Wilcoxon-Test zufolge keinen signifikanten Unterschied zwischen den Sätzen [/loːs/ ‘Los’: M = 1,21 (SD 0,25) vs. /la͡us/ ‘Laus’: M = 1,15 (SD 0,22); Z (11) = -1,10, p > 0,05]. Die Deviants werden allerdings jeweils signifikant schlechter bewertet als die Standards. Dies gilt gleichermaßen für die Primingsätze ‘Los’ [Standard /loːs/ ‘Los’: M = 1,21 (SD 0,25) vs. Deviant /la͡us/ ‘Laus’: M = 3,71 (SD 0,49); Z (11) = -3,06, p = 0,002] und die Primingsätze ‘Laus’ [Standard /la͡us/ ‘Laus’: M = 1,15 (SD 0,22) vs. Deviant /loːs/ ‘Los’: M = 3,84 (SD 0,35); Z (11) = -3,06, p = 0,002). Die Deviants werden dementsprechend bewusst als nicht in den Satzkontext passend abgelehnt. 7.3.1.2 Ergebnisse der EKP-Daten und Interpretation (Deviant /la͡us/) Die Auswertung der EKP-Daten durch eine ANOVA mit Messwiederholung mit den Faktoren ERWARTUNG (erfüllt durch Standard vs. nicht erfüllt durch Deviant) und REGION (frontal vs. zentral vs. parietal) ergibt für die Bedingung 1a der Missverstehensbedingung, d. h. für den Standard /loːs/ und den Deviant /la͡us/, eine parietale Negativierung zwischen 250 und 350 ms sowie eine zentroparietale Positivierung zwischen 450 und 1000 ms (vgl. Abbildung 48). Im frühen Zeitfenster ist ein Haupteffekt für den Faktor ERWARTUNG nachweisbar [F (1,11) = 5,22,

Die Odenwaldstudie: Ergebnisse und neurolinguistische Interpretation

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p = 0,043, η2p = 0,13] sowie eine signifikante Interaktion zwischen den Faktoren ERWARTUNG und REGION [F (2,22) = 7,40, p = 0,012, η2p = 0,04]. Eine Auflösung der Interaktion nach dem Faktor REGION zeigt eine stärkere Ausprägung des Effekts in der parietalen Region, wobei die zentralen Elektroden marginal signifikant werden [frontal: F (1,11) < 1, p > 0,05, η2p = 0,01; zentral: F (1,11) = 7,42, p = 0,06, η2p = 0,23; parietal: F (1,11) = 16,01, p = 0,006, η2p = 0,29]. Zudem wurde das Zeitfenster 70–170 ms gerechnet, in dem allerdings weder ein Haupteffekt für ERWARTUNG [F (1,11) = 2,33, p > 0,05; η2p = 0,06] noch für REGION [F (2,22) = 0,53, p > 0,05, η2p = 0,01] belegbar ist. Im späteren Zeitfenster ist ein Haupteffekt für ERWARTUNG [F (1,11) = 13,04, p = 0,004, η2p = 0,04] und REGION [F (2,22) = 14,46, p = 0,003, η2p = 0,23] sowie eine signifikante Interaktion zwischen den beiden Faktoren [F (2,22) = 7,11, p = 0,019, η2p = 0,01] nachweisbar. Die Auflösung der Interaktion nach dem Faktor REGION ergibt eine stärkere Ausprägung des Effekts im zentroparietalen Bereich [frontal: F (1,11) = 1,22, p > 0,05, η2p = 0,00; zentral: F (1,11) = 16,13, p = 0,006, η2p = 0,09; parietal: F (1,11) = 34,70, p = 0,000, η2p = 0,26].

Abbildung 48: Bedingung 1a (Missverstehen): Grand Averages der ereigniskorrelierten Potentiale für den Standard /loːs/ ‘Los’ und den Deviant /la͡us/

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EEG-Experimente zu den deutschen Dialekten

Bei dem Deviant /la͡us/ und dem Standard /loːs/ handelt es sich um ein Minimalpaar, welches im rheinfränkischen Dialekt vorkommt, aber in keiner besonderen Varietäten- bzw. Phonemkontaktsituation steht. Die Negativierung zwischen 250 und 350 ms kann aufgrund ihrer Latenz und ihrer parietalen Distribution als N400 interpretiert werden (vgl. KUTAS / FEDERMEIER 2011, 623). Sie spiegelt den semantischen Mismatch zwischen der aufgebauten Erwartung, welche durch den Satzkontext und den häufig präsentierten Standard entsteht, und dem wahrgenommenen Deviant wider. Durch das semantische Priming der Bedeutung ‘Los’ und die häufige Wiederholung des Standards /loːs/ wird eine Erwartung für dieses Lexem voraktiviert. Wird stattdessen der Deviant /la͡us/ wahrgenommen, wird diese Erwartung verletzt und der inkongruente Deviant /la͡us/ kann nicht in den Satzkontext integriert werden (vgl. hierzu z. B. KUTAS / HILLYARD 1980; KUTAS / FEDERMEIER 2011; LAU et al. 2009 und zudem Kapitel 7.2.1). Der semantische Mismatch zeigt sich auch in den Bewertungsdaten: Der Deviant /la͡us/ wird mit 3,71 signifikant schlechter beurteilt als der Standard /loːs/ mit 1,21. Der Deviant wird somit bewusst als nicht in den Satzkontext passend abgelehnt. Die späte Positivierung zwischen 450 und 1000 ms kann in Einklang mit den für das Bayernexperiment beschriebenen LPCs als P300 (P3b) interpretiert werden (vgl. insbesondere Kapitel 7.2.1). Sie zeigt den Kategorisierungs- und Evaluierungsprozess des zuvor erkannten semantischen Mismatchs an, welcher mit der Bewertungsaufgabe zusammenhängt. Zudem wird die Amplitude durch den erforderlichen Reanalyseprozess moduliert. 7.3.1.3 Ergebnisse der EKP-Daten und Interpretation (Deviant /loːs/) Für die Bedingung 1b der Missverstehensbedingung, d. h. für den Standard /la͡us/ ‘Laus’ und den Deviant /loːs/ ‘Los’, ergibt die ANOVA keinen signifikanten Effekt (vgl. Abbildung 49). Es wurden die Zeitfenster 100–200 ms sowie 450– 900 ms berechnet. Für das frühe Zeitfenster konnten weder ein Haupteffekt für ERWARTUNG [F (1,11) = 1,48, p > 0,05, η2p = 0,02] noch für REGION [F (2,22) < 1, p > 0,05, η2p = 0,01] nachgewiesen werden. Aufgrund von visueller Inspektion scheint im späten Zeitfenster eine parietal ausgeprägte Positivierung vorzuliegen. Zwar ergibt die ANOVA einen Haupteffekt für REGION [F (2,22) = 14,88, p = 0,000, η2p = 0,36] und eine signifikante Interaktion zwischen den Faktoren REGION und ERWARTUNG [F (2,22) = 4,76, p = 0,047, η2p = 0,01]. Letztere wird allerdings nach der Auflösung nach dem Faktor REGION durch die BonferroniKorrektur nicht mehr signifikant [frontal: F (1,11) < 1, p > 0,05, η2p = 0,00; zentral: F (1,11) = 2,43, p > 0,05, η2p = 0,08; parietal: F (1,11) = 5,56, p > 0,05, η2p = 0,23].

Die Odenwaldstudie: Ergebnisse und neurolinguistische Interpretation

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Abbildung 49: Bedingung 1b (Missverstehen): Grand Averages der ereigniskorrelierten Potentiale für den Standard /la͡us/ ‘Laus’ und den Deviant /loːs/ ‘Los’

Wie die Statistik zeigt, konnten für den Deviant /loːs/ keine signifikanten EKPEffekte erhoben werden. Da in der Bedingung 1a ein Effekt elizitiert wurde, sind die fehlenden Effekte aller Wahrscheinlichkeit nach nicht durch das Design, das Priming oder das Material erklärbar. Ein Grund für die fehlende N400 könnten Frequenzunterschiede der Lexeme sein, wobei diese für den Dialekt nicht empirisch nachweisbar sind. Die weiteren für den asymmetrischen Effekt bei /ro͡asn̩/ und /ro͡usn̩/ diskutierten Erklärungsansätze (vgl. Kapitel 7.2.1.4), wie beispielsweise der Dialektkontakt, finden hier keine Anwendung. Die sich durch visuelle Inspektion andeutenden Effekte könnten durch die Untersuchung weiterer Probanden signifikant werden, was allerdings im Rahmen dieser Arbeit nicht mehr möglich war. Da es sich um einen Kontrast handelt, der für die Fragestellung der Arbeit irrelevant ist, und nur aus methodischen Gründen ins Experiment aufgenommen wurde, soll die Frage warum im Gegensatz zu den Bedingungen 1a und 2 keine signifikanten Effekte auftreten an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden. Da es sich bei Laus – Los um ein ebenfalls im Standard vorkommendes Minimalpaar handelt, könnte die Durchführung des Experiments mit standardsprachlichen Sprechern weiteren Aufschluss über die Verarbeitung der Lexeme geben. Die Bewertungsdaten der Bedingung 1b zeigen immerhin, dass Standard und De-

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EEG-Experimente zu den deutschen Dialekten

viant mit 1,15 und 3,84 signifikant unterschiedlich bewertet wurden und der Deviant /loːs/ aktiv abgelehnt wurde. Dies zeigt, dass die verschiedenen Items eindeutig differenziert werden konnten. Ein Vergleich mit dem Bayernexperiment zeigt Parallelen dahingehend, dass für Deviants, welche in der näheren Umgebung keine Variante für die jeweilige Bedeutung des Standards sind, d. h. für /ro͡usn̩/ (Bayernexperiment) und /la͡us/ (Odenwaldexperiment), eine N400 elizitiert wird. /ro͡usn̩/ wird dementsprechend nirgends in der Bedeutung ‘Reisen’ verwendet, /la͡us/ nicht in der Bedeutung ‘Los’. Es handelt sich in diesen Fällen um klassische Beispiele für ein durch eine N400 angezeigtes semantisches Mismatch, da inkongruente satzfinale Lexeme nicht in den Satzkontext integriert werden können. In beiden Fällen stimmen Bewertungs- und EKP-Daten überein und unterstützen diese Interpretation. Ein Vergleich der Ergebnisse zeigt zudem, dass das Experimentdesign bei vergleichbaren Settings zu ähnlichen Ergebnissen führt, was als Validierung des Designs interpretiert werden kann. 7.3.2 Bedingung 2: Nichtverstehen In der Bedingung Nichtverstehen wurden Primingsätze und neutrale Sätze präsentiert, die getrennt voneinander ausgewertet wurden. Die Darstellung der Bewertungsdaten erfolgt gemeinsam in Kapitel 7.3.2.1, die Beschreibung der EKPDaten sowie die Interpretation aller Ergebnisse in den Kapiteln 7.3.2.2 (Primingsätze) und 7.3.2.3 (neutrale Sätze). 7.3.2.1 Ergebnisse der Bewertungsdaten Für die Bewertungsdaten der Bedingung Nichtverstehen wurde eine ANOVA mit den Faktoren WORTTYP (existierendes Wort /moːk/ ‘Mutterschwein’ vs. Pseudowort /ma͡uk/) und SATZKONTEXT (Primingkontext vs. neutraler Kontext) gerechnet. Sie ergibt Haupteffekte für beide Faktoren [WORTTYP: F (1,11) = 35,59, p = 0,000; SATZKONTEXT: F (1,11) = 22,36, p = 0,001] sowie eine signifikante Interaktion der Faktoren [F (2,22) = 24,34, p = 0,000]. Zudem zeigen die deskriptive Statistik sowie der Wilcoxon-Test, dass das im Monophthonggebiet existierende Lexem /moːk/ signifikant besser beurteilt wird als das nicht existierende Pseudowort /ma͡uk/. Dies gilt einerseits in Primingsätzen [existierendes Wort /moːk/: M = 1,05 (SD 0,04) vs. Pseudowort /ma͡uk/: M = 3,36 (SD 1,02); Z (11) = -3,06, p = 0,002] sowie andererseits in neutralen Sätzen [existierendes Wort /moːk/ ‘Mutterschwein’: M = 2,48 (SD 0,78) vs. Pseudowort /ma͡uk/: M = 3,29 (SD 0,91); Z (11) = -2,35, p = 0,019]. Somit kann davon ausgegangen werden, dass die Variante /ma͡uk/ als nicht existierendes Pseudowort erkannt und kategorisiert wurde. Ein Vergleich der Bewertung der korrekten Form /moːk/ ‘Mutterschwein’ in Priming- und neutralen Sätzen zeigt zudem, dass der Satzkontext einen signifikanten Einfluss auf die lexikalische Kategorisierung hat [Priming

Die Odenwaldstudie: Ergebnisse und neurolinguistische Interpretation

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/moːk/: M = 1,05 (SD 0,42) vs. neutral /moːk/: M = 2,48 (SD 0,78); Z (11) = -3,06, p = 0,002]. Der Deviant /moːk/ konnte somit leichter als ein reales Wort identifiziert werden, wenn der Satzkontext Hinweise auf das kritische Item gibt und eine Erwartung aufgebaut wurde. 7.3.2.2 Ergebnisse der EKP-Daten und Interpretation (Primingsätze) Für die EKP-Daten wurde eine ANOVA mit Messwiederholung mit den Faktoren WORTTYP (existierendes Wort vs. Pseudowort) und REGION (frontal vs. zentral vs. parietal) gerechnet. Für Primingsätze ergibt sie für den Deviant /ma͡uk/ einen negativen Effekt zwischen 250 und 400 ms sowie einen späten positiven Effekt zwischen 450 und 950 ms (vgl. Abbildung 50). Für das frühe Zeitfenster können keine signifikanten Haupteffekte für die Faktoren WORTTYP [F (1,11) = 1,48, p > 0,05, η2p = 0,03] und REGION [F (2,22) < 1, p > 0,05¸ η2p = 0,02], allerdings eine signifikante Interaktion zwischen den Faktoren [F (2,22) = 13,66, p = 0,002, η2p = 0,09] nachgewiesen werden. Nach Auflösung der Interaktion nach dem Faktor REGION zeigt sich, dass die Negativierung stärker parietal ausgeprägt ist [frontal: F (1,11) = 1,21, p > 0,05, η2p = 0,02; zentral: F (1,11) = 1,70, p > 0,05, η2p = 0,07; parietal: F (1,11) = 23,92, p = 0,001, η2p = 0,50]. Für das späte Zeitfenster ergibt die ANOVA signifikante Haupteffekte für die Faktoren WORTTYP [F (1,11) = 87,35, p = 0,000, η2p = 0,19] und REGION [F (2, 22) = 11,02, p = 0,006, η2p = 0,27], allerdings keine signifikante Interaktion zwischen den Faktoren [F (2, 22) < 1, p > 0,05, η2p = 0,00]. Der Deviant /ma͡uk/ unterscheidet sich von den Deviants in Bedingung 1 dadurch, dass er weder im Monophthong- noch im Diphthonggebiet eine Bedeutung trägt. Für die Hörer im Experiment handelt es sich dementsprechend um ein wohlgeformtes Pseudowort. Wie bereits in Kapitel 7.2.2 diskutiert, elizitieren Pseudowörter im Rahmen bestimmter Experimentaufgaben, wie z. B. der lexikalischen Entscheidungsaufgabe, typischerweise eine N400. Bei der Entscheidung, ob es sich bei einem Pseudowort um ein existierendes Wort handelt, sind zusätzliche Verarbeitungsressourcen erforderlich. Da Pseudowörter nicht gegen die phonotaktischen Regeln des Sprachsystems verstoßen, können sie nicht so leicht als nicht existierend abgelehnt werden wie Nichtwörter. Die N400 zeigt somit den fehlgeschlagenen Zugriff auf das mentale Lexikon an und damit einhergehend den Mismatch zum vorangehenden Kontext. Der negative Effekt zwischen 250 und 400 ms für /ma͡uk/ kann aufgrund seiner Latenz und parietalen Ausrichtung als N400 interpretiert werden (vgl. KUTAS / FEDERMEIER 2011, 623). Durch den Satzkontext sowie die häufige Wiederholung des Standards /moːk/ wird eine Erwartung für die im Monophthonggebiet korrekte Form /moːk/ aufgebaut. Die N400 zeigt den semantischen Mismatch zwischen der erwarteten Weiterführung des Satzes und dem perzipierten Deviant /ma͡uk/ an (vgl. hierzu detaillierter Kapitel 7.2.1). Die Variante kann im mentalen Lexikon nicht gefunden und somit auch nicht in den Satzkontext integriert werden. Somit zeigt die N400 auch Prozesse der Worterkennung an. Im Gegensatz zu Nichtwör-

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tern, die sehr früh abgelehnt werden können, werden bei der Kategorisierung von Pseudowörtern zusätzliche Verarbeitungsressourcen benötigt, um festzustellen, dass es sich nicht um ein existierendes Wort handelt und dieses somit auch nicht zum Kontext passt (vgl. hierzu BENTIN et al. 1999; DOMAHS et al. 2009; KUTAS / VAN PETTEN 1994, 104–105). Die Bewertungsdaten stehen in Einklang mit den neuronalen Daten, da die eigene Form /moːk/ mit 1,05 signifikant besser beurteilt wird als die unbekannte Form /ma͡uk/ mit 3,36. Das Pseudowort wird dementsprechend bewusst als unpassend zum Satzkontext abgelehnt, was die Annahme unterstützt, dass das Pseudowort nicht in den Satzkontext integriert werden kann. Die späte Positivierung zwischen 450 und 950 ms kann in gleicher Weise wie die bisher besprochenen LPCs als P300 (P3b) interpretiert werden, die den Kategorisierungs- und Evaluierungsprozess des zuvor wahrgenommenen semantischen Mismatchs in Abhängigkeit von der Experimentaufgabe sowie den Reanalyseprozess widerspiegelt.

Abbildung 50: Bedingung 2 (Nichtverstehen, Primingsätze): Grand Averages der ereigniskorrelierten Potentiale für den Standard /moːk/ ‘Mutterschwein’ und den Deviant /ma͡uk/ (Pseudowort)

Die Odenwaldstudie: Ergebnisse und neurolinguistische Interpretation

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7.3.2.3 Ergebnisse der EKP-Daten und Interpretation (neutrale Sätze) Für neutrale Sätze ist für den Deviant /ma͡uk/ ebenfalls eine Negativierung zwischen 250 und 400 ms sowie eine späte Positivierung zwischen 450 und 950 ms nachweisbar (vgl. Abbildung 51). Im frühen Zeitfenster zeigt die ANOVA keine signifikanten Haupteffekte für die Faktoren WORTTYP [F (1,11) < 1, p > 0,05, η2p = 0,01] und REGION [F (2, 22) < 1, p > 0,05, η2p = 0.01], allerdings eine signifikante Interaktion der Faktoren [F (2,22) = 24,15, p = 0,000, η2p = 0,06]. Aufgelöst nach REGION kann ein signifikanter negativer Effekt, der parietal am stärksten ausgeprägt ist, nachgewiesen werden [frontal: F (1,11) = 2,87, p > 0,05, η2p = 0,03; zentral: F (1,11) = 1,76, p > 0,05, η2p = 0,05; parietal: F (1,11) = 10,11, p = 0,026; η2p = 0,29]. Im späten Zeitfenster zeigt das Ergebnis der ANOVA Haupteffekte für die Faktoren WORTTYP [F (1,11) = 12,96, p = 0,004, η2p = 0,09] und REGION [F (2,22) = 13,36, p = 0,002; η2p = 0,26], allerdings keine Interaktion zwischen den Faktoren [F (2,22) < 1, p > 0,05, η2p = 0.00]. Die späte Positivierung ist somit überall gleich stark ausgeprägt.

Abbildung 51: Bedingung 2 (Nichtverstehen, neutrale Sätze): Grand Averages der ereigniskorrelierten Potentiale für den Standard /moːk/ ‘Mutterschwein’ und den Deviant /ma͡uk/ (Pseudowort)

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EEG-Experimente zu den deutschen Dialekten

In neutralen Sätzen werden für den Deviant /ma͡uk/ die gleichen Effekte elizitiert wie in geprimten Sätzen. Allerdings zeigt ein Vergleich von Abbildung 50 und Abbildung 51 eine Reduzierung der Amplitude beider Effekte. Dies lässt sich durch das fehlende Priming erklären (vgl. Kapitel 7.2.2): Da neutrale Sätze keine Hinweise über die Weiterführung des Satzes liefern, fällt der semantische Mismatch weniger stark aus, was sich an der reduzierten Amplitude der N400 zeigt. Die Erwartungsverletzung ist dementsprechend geringer, auch wenn /ma͡uk/ dennoch als Pseudowort kategorisiert wird. Der Einfluss des Primings ist auch an den Bewertungsdaten erkennbar, da der Standard /moːk/ in neutralen Sätzen mit 2,48 signifikant schlechter beurteilt wird als in geprimten Sätzen mit 1,05. Die LPCAmplitude hängt ebenfalls vom Priming und zudem vom benötigten Reanalyseprozess ab. Aufgrund der fehlenden semantischen Hinweise fällt es den Probanden schwerer, das Pseudowort abzulehnen. Die Erwartungsverletzung ist dementsprechend weniger stark ausgeprägt, wodurch auch der benötigte Reanalyseprozess reduziert wird. Vergleicht man diese Ergebnisse mit der Bedingung 2 der Bayernstudie, so zeigen sich Unterschiede für beide Datenklassen. Den rheinfränkischen Probanden scheint die Bewertung des Pseudoworts leichter zu fallen als den bairischen. Obwohl die Standardabweichung bei der Bewertung der Deviants in Primingsätzen jeweils relativ groß ist, führt sie nur im Bayernexperiment zu einem nicht signifikanten Unterschied in der Bewertung von Standard und Deviant. Der Grund für die unterschiedliche Bewertung könnte darin liegen, dass zwischen dem mittelbairischen und bairisch-alemannischen Dialekt größere phonologische Unterschiede bestehen als innerhalb des Rheinfränkischen. Auch wenn die mittelbairischen Hörer das Pseudowort /lo͡as/ nicht kennen, fließt möglicherweise der Umstand in die Bewertung mit ein, dass es sich hierbei um eine Variante der Varietät des Sprechers handelt. Zwar wird auch der abweichende dialektale Hintergrund der rheinfränkischen Sprecherin erkannt, jedoch sind sich die Dialekte ähnlich genug, um ein Pseudowort wie /ma͡uk/ eindeutig ablehnen zu können. Zudem werden die jeweiligen Pseudowörter unterschiedlich verarbeitet. /ma͡uk/ elizitiert eine N400, /lo͡as/ hingegen eine N200. Wie beschrieben zeigen die Komponenten unterschiedliche Arten der Fehlererkennung bzw. des Mismatchs an. Dieser Vergleich erhärtet die These, dass der Varietätenkontakt Einfluss auf die Sprachverarbeitung und insbesondere auf die Latenz der gefundenen Negativierungen hat. Deviants, die in angrenzenden Regionen nicht verwendet werden, d. h. keine dialektale Variante des Nachbarraums darstellen (/ro͡usn̩/ in der Bedeutung ‘Reisen’ (Bayernexperiment) und /ma͡uk/ (Odenwaldexperiment)), führen zu einem semantischen Mismatch zwischen der aufgebauten Erwartung und dem wahrgenommenen Deviant. Die Verhaltensdaten unterstützen diese Interpretation, weil Standard und Deviant signifikant unterschiedlich bewertet werden. Die im Nachbarraum vorkommenden Varianten (/ro͡asn̩/ in der Bedeutung ‘Rosen’ und /lo͡as/ in der Bedeutung ‘Mutterschwein’) zeigen eine frühere Negativierung, welche als Fehlererkennung auf physikalischer Ebene interpretiert werden kann. Die Bewertungsdaten zeigen zudem zumindest für /lo͡as/ Unsicherheiten

Die Odenwaldstudie: Ergebnisse und neurolinguistische Interpretation

225

in der Bewertung, die für das Pseudowort /ma͡uk/ oder das semantisch inkongruente Lexem /ro͡usn̩/ nicht nachweisbar sind. 7.3.3 Bedingung 3: Potentielles Verstehen Auch in der Bedingung Potentielles Verstehen wurden Primingsätze und neutrale Sätze präsentiert und getrennt voneinander ausgewertet. Die Bewertungsdaten werden in Kapitel 7.3.3.1 präsentiert, die Darstellung der EKP-Daten sowie die Diskussion der Ergebnisse erfolgt in den Kapiteln 7.3.3.2 (Primingsätze) und 7.3.3.3 (neutrale Sätze). 7.3.3.1 Ergebnisse der Bewertungsdaten Für die Bewertungsdaten in der Bedingung Potentielles Verstehen ergibt die ANOVA mit den Faktoren PHONEM (/roːzə/ vs. /ro͡uzə/) und SATZKONTEXT (Primingkontext vs. neutraler Kontext) einen Haupteffekt für den Faktor SATZKONTEXT [F (1,11) = 63,26, p = 0,000], nicht aber für PHONEM [F (1,11) = 1,33, p > 0,05]. Es gibt allerdings eine signifikante Interaktion zwischen den Faktoren [F (2,22) = 10,30, p = 0,008]. Die Akzeptabilität und die Kategorisierung der kritischen Items sind dementsprechend nicht vom realisierten Phonem abhängig, sondern ausschließlich vom Satzkontext. Die deskriptive Statistik sowie der Wilcoxon-Test zeigen zudem, dass der Standard /roːzə/ und der Deviant /ro͡uzə/ gleichermaßen als akzeptabel bewertet wurden, und zwar einerseits in Primingsätzen [/roːzə/: M = 1,27 (SD 0,34) vs. /ro͡uzə/: M = 1,30 (SD 0,38); Z (11) = -0,87, p > 0,05] und andererseits in neutralen Sätzen [/roːzə/: M = 2,43 (SD 0,67) vs. /ro͡uzə/: M = 2,53 (SD 0,55); Z (11) = -1,57, p > 0,05]. Die Kategorisierung der kritischen Items war in Primingsätzen für beide Phoneme, d. h. jeweils für Standard und Deviant, signifikant leichter als in neutralen Sätzen [Primingsätze /roːzə/: M = 1,27 (SD 0,34) vs. neutrale Sätze /roːzə/: M = 2,43 (SD 0,67), Z (11) = -3,06, p = 0,002 / Primingsätze /ro͡uzə/: M = 1,30 (SD 0,38) vs. neutrale Sätze /ro͡uzə/: M = 2,53 (SD 0,55); Z (11) = -3,06, p = 0,002]. 7.3.3.2 Ergebnisse der EKP-Daten und Interpretation (Primingsätze) Die statistische Auswertung der EKP-Daten mithilfe einer ANOVA mit Messwiederholung mit den Faktoren PHONEM (/roːzə/ vs. /ro͡uzə/) und REGION (frontal vs. zentral vs. parietal) zeigt keine signifikanten Effekte für den Deviant /ro͡uzə/ in Primingsätzen (vgl. Abbildung 52). Es wurde das Fenster 400–600 ms berechnet, in dem ein Haupteffekt für REGION [F (2,22) = 7,93, p = 0,011, η2p = 0,13] nachweisbar ist. Die signifikante Interaktion zwischen den Faktoren [F (2,22) = 5,06, p = 0,035, η2p = 0,01] zeigt allerdings nach Auflösung nach dem Faktor REGION keine signifikante Ausprägung [frontal: F (1,11) = 1,23, p > 0,05, η2p = 0,01; zent-

226

EEG-Experimente zu den deutschen Dialekten

ral: F (1,11) = 0,80, p > 0,05, η2p = 0,01; parietal: F (1,11) = 1,62, p > 0,05, η2p = 0,05].

Abbildung 52: Bedingung 3 (Potentielles Verstehen, Primingsätze): Grand Averages der ereigniskorrelierten Potentiale für den Standard /roːzə/ ‘Rosen’ und den Deviant /ro͡uzə/ (potentiell allophonische Variante)

Die Bedingung 3 entspricht als einzige des Experiments dem tatsächlich vorkommenden Phonemkontakt zwischen dem rheinfränkischen Monophthong- und Diphthonggebiet. Im Gegensatz zum Pseudowort /ma͡uk/ ist die phonetische Distanz zwischen Standard und Deviant geringer, sodass davon ausgegangen werden kann, dass nur reduzierte Negativierungen auftreten (vgl. Kapitel 7.2.3). Im Gegensatz zu den Bedingungen 1 und 2 zeigen die EKP-Daten kein biphasisches Muster. Stattdessen werden für den Deviant /ro͡uzə/ keinerlei Effekte evoziert. Dies kann dahingehend interpretiert werden, dass der Standard /roːzə/ und der Deviant /ro͡uzə/ in gleicher Weise als Varianten bzw. Allophone für die Bedeutung ‘Rosen’ verarbeitet werden. Der Deviant /ro͡uzə/ wird nicht als Fehler auf physikalischer oder semantischer Ebene erkannt und evaluiert, sondern als allophonische Variante zur eigenen Form /roːzə/ verarbeitet. Diese Interpretation wird auch durch die Bewertungsdaten unterstützt. Es gibt keinen signifikanten Unterschied in der Bewertung von Standard und Deviant, die beide mit ca. 1,3 als sehr

Die Odenwaldstudie: Ergebnisse und neurolinguistische Interpretation

227

passend zum Satzkontext bewertet wurden. Die abweichende Form /ro͡uzə/ wird somit genau wie die native Variante /roːzə/ im Sinne von ‘Rosen’ interpretiert. 7.3.3.3 Ergebnisse der EKP-Daten und Interpretation (neutrale Sätze) In neutralen Sätzen konnten ebenfalls keine signifikanten Effekte nachgewiesen werden (vgl. Abbildung 53). Aufgrund visueller Inspektion wurde das Zeitfenster 250–450 berechnet. Die ANOVA ergibt zwar einen signifikanten Haupteffekt für REGION [F (2,22) = 9,66, p = 0,007, η2p = 0,15], aber keinen Haupteffekt für PHONEM [F (1,11) = 2,84, p > 0,05, η2p = 0,04] und auch keine signifikante Interaktion zwischen den Faktoren [F (2,22) < 1, p > 0,05, η2p = 0,00].

Abbildung 53: Bedingung 3 (Potentielles Verstehen, neutrale Sätze): Grand Averages der ereigniskorrelierten Potentiale für den Standard /roːzə/ ‘Rose’ und den Deviant /ro͡uzə/ (potentiell allophonische Variante

Auch in neutralen Sätzen werden keine Effekte elizitiert. Der Primingeffekt zeigt sich hier nur in den Bewertungsdaten, da Standard und Deviant in neutralen Sätzen mit 2,43 bzw. 2,53 als signifikant schlechter zum Satzkontext passend beurteilt wurden als in Primingsätzen mit 1,27 bzw. 1,30.

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EEG-Experimente zu den deutschen Dialekten

Vergleicht man die Bedingung 3 aus den beiden Experimenten, so zeigen sich sehr ähnliche Ergebnisse. Dass der gleiche Phonemkontrast, nämlich /ou/–/oː/ zu vergleichbaren Resultaten führt, zeigt, dass das gewählte Experimentdesign zu validen Ergebnissen führt. Dass in der Odenwaldstudie in Primingsätzen keine Negativierungen vorkommen, hängt höchstwahrscheinlich mit der geringeren Probandenanzahl zusammen. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Probanden beide phonetischen Varianten wahrgenommen haben. Den Sprechern ist die regional unterschiedlich Realisierung von mhd. ô sehr bewusst, wie vorhergehende Telefonate und auch die Nachbefragung zeigten. Dementsprechend ist nicht davon auszugehen, dass die Probanden weniger sensibel auf den Kontrast reagieren als die bairischen Probanden.

7.4

DISKUSSION: DER EINFLUSS VON VARIETÄTENKONTAKT AUF DIE VERARBEITUNG UND DEN WANDEL DIALEKTALER SPRACHE

Die Fragestellung der Bayernstudie lautet, ob sich Missverständnisse bzw. Nichtverstehen bei der Verarbeitung des bairisch-alemannischen /o͡a/ < mhd. ô bei mittelbairischen Hörern im EEG nachweisen lassen. Im Vergleich dazu ist bei der Odenwaldstudie von Interesse, ob die Verwendung von /o͡u/ < mhd. ô bei monophthongischen Hörern zu vergleichsweise reduzierten Verarbeitungskosten beim Satzverstehen führt. Ziel der Untersuchungen ist es somit, die Annahmen der Sprachdynamiktheorie, wie sie in Kapitel 5.3.2 dargelegt wurden, zu überprüfen. In diesem Kapitel wird in einem ersten Schritt diskutiert, ob die Ergebnisse der Bayernstudie tatsächlich die von SCHMIDT / HERRGEN (2011) angenommenen interdialektalen Verstehensschwierigkeiten belegen. Hiermit sind konkret die Fehldekodierungen (Missverständnis, Nichtverstehen) aufgrund der partiell differierenden kognitiv-phonologischen Strukturen zwischen bairisch-alemannischen und mittelbairischen Sprechern gemeint. Hierbei wird die Frage fokussiert, auf welche Weise der enge Varietätenkontakt zwischen bairisch-alemannischem Übergangsgebiet und Mittelbairischem die Sprachverarbeitung beeinflusst. Da die Sprachdynamiktheorie Kommunikationsschwierigkeiten als Auslöser der Kompetenzmodifikationen im bairisch-alemannischen Raum ansieht, wird dieser Zusammenhang in einem zweiten Schritt anhand verschiedener Modellierungen beschrieben. Hierbei wird die Frage beantwortet, in welcher Weise Varietätenkontakt zu einer Änderung der Sprachproduktionsstrategie führen kann. Zur Beantwortung beider Fragen werden zudem weitere Modelle, wie beispielsweise PICKERING / GARROD (2013), herangezogen. Im Anschluss werden jeweils die Ergebnisse der Odenwaldstudie diskutiert. Hierbei geht es um die Frage, ob die Varianten /oː/ und /o͡u/ tatsächlich beide von den Hörern dem mhd. ô-Phonem zugeordnet werden, was die Annahme eines problemlosen Sprachverstehens unterstützen würde. In einem zweiten Schritt wird thematisiert, wie dies zu der beobachteten diachronen Stabilität des /o͡u/-Diphthongs im Raum führt.

Der Einfluss von Varietätenkontakt auf Verarbeitung und Wandel von Dialekten

229

7.4.1 Der Einfluss von Varietätenkontakt auf die Verarbeitung dialektaler Sprache Die Ergebnisse der Bayernstudie zeigen erhöhte Verarbeitungskosten für die Deviants /ro͡asn̩/ ‘Rosen’ und /lo͡as/ ‘Mutterschwein’, die aus einer frühen Negativierung (N2b) und einer späten Positivierung (LPC) bestehen. Interpretiert werden können diese Effekte als die aktive Erkennung und Evaluierung einer akustischen Abweichung. Da durch den Primingkontext jeweils eine Bedeutung angebahnt wurde, können die Effekte auch als frühe Fehlerkennung und Evaluierung bzw. Kategorisierung dieses Fehlers verstanden werden. Interessanterweise zeigen die EKP-Daten für die beiden Bedingungen Missverstehen und Nichtverstehen die gleichen frühen negativen Effekte in einem Zeitfenster zwischen 100 und 200 ms. Die Annahmen der Sprachdynamiktheorie können dahingehend bestätigt werden, dass die bairisch-alemannischen /o͡a/-Varianten zu erhöhten Verarbeitungskosten bei den mittelbairischen Hörern führen. Die Hörer gleichen das Verstandene mit ihrem Wissensstand bzw. ihrer Kompetenz ab und erkennen, dass die nicht-nativen Varianten von ihrer eigenen Form abweichen. Da durch den Satzkontext beispielsweise die Bedeutung ‘Rosen’ angebahnt wird, erwarten die Hörer ihre eigene Variante, nämlich /ro͡usn̩/. Wird stattdessen die Variante /ro͡asn̩/ wahrgenommen, liegt eine Diskrepanz zwischen Gemeintem und Verstandenem (Missverständnis) vor, da diese Variante als ‘Reisen’ interpretiert wird. Typischerweise werden Missverständnisse durch eine spätere Negativierung (N400) angezeigt, die ein semantisches Mismatch zwischen erwarteter und wahrgenommener Variante widerspiegelt. Allerdings kann für keine der beiden Bedingungen eine N400 nachgewiesen werden. Warum stattdessen eine frühere Negativierung evoziert wurde, wurde in Kapitel 7.2.1 unter Berücksichtigung vieler Faktoren diskutiert. Als besonders relevanter Einflussfaktor ist der Varietätenkontakt zu sehen. Die Ergebnisse der beiden EEG-Studien legen nahe, dass der Kontakt zu nicht-nativen regionalen Varianten die Sprachverarbeitung beeinflusst. Im Vergleich zu echten Pseudowörtern (/ma͡uk/) und inkongruenten Lexemen (/ro͡usn̩/), die nicht in den angrenzenden Dialektregionen vorkommen, wird für Varianten aus der Nachbarregion keine N400, sondern eine N200 evoziert (/lo͡as/, /ro͡asn̩/). Es ist somit davon auszugehen, dass der Varietätenkontakt Einfluss auf die Latenz der Negativierung hat. Wie sich dieser Einfluss allerdings konkret auswirkt, ist bisher nicht vollständig geklärt. Studien wie beispielsweise BRUNELLIÈRE et al. (2009), BRUNELLIÈRE / DUFOUR / NGUYEN (2011) und CONREY / POTTS / NIEDZIELSKI (2005) liefern allerdings erste Ansätze dafür, dass durch den häufigen Kontakt zu anderen Dialektvarianten auch die Diskriminationsfähigkeit bei eigenen Phonemkontrasten beeinträchtigt werden kann. Die Effekte für /lo͡as/ und /ro͡asn̩/ zeigen erhöhte Verarbeitungskosten an, die trotz ihrer Latenz in Zusammenhang mit interdialektalen Verstehensschwierigkeiten gebracht werden können. Dies legen jedenfalls die Bewertungsdaten nahe: Die bairisch-alemannische Variante /ro͡asn̩/ wird von den mittelbairischen Probanden als unpassend zum Satzkontext ‘Rosen’ bewertet, sodass davon auszugehen ist, dass das gemeinte ‘Rosen’ als ‘Reisen’ missverstanden wird (Missverständnis).

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EEG-Experimente zu den deutschen Dialekten

Die Bewertungsdaten zeigen insgesamt, dass /ro͡asn̩/ als Variante für ‘Rosen’ eindeutig und sehr leicht abgelehnt werden konnte. Im Gegensatz dazu bereitete die Kategorisierung von /lo͡as/ große Schwierigkeiten. Die Probanden wussten nicht, was sie mit diesem unbekannten Wort anfangen sollten, und konnten es nicht einordnen. Da es im Mittelbairischen kein passendes Konzept für /lo͡as/ gibt, ist keine sinnvolle Interpretation des Gemeinten möglich (Nichtverstehen). Somit kann zumindest bei der aktiven Bewertung der bairisch-alemannischen Varianten ein Unterschied zwischen den Bedingungen nachgewiesen werden. Einen Ansatz zur Erklärung des Einflusses des Varietätenkontakts auf das Sprachverstehen liefert die Modellierung von PICKERING / GARROD (2013). Das EEG-Design der Bayernstudie wurde so gewählt, dass die Bedeutung der kritischen Items jeweils durch den Satzkontext angebahnt wurde. In satzfinaler Position wurde dann entweder die eigene oder die nur im angrenzenden Raum vorkommende Variante präsentiert. Es ist davon auszugehen, dass die Hörer durch das Priming Prädiktionen über den jeweiligen Fortlauf des Satzes erstellen. Nach WOLPERT / DOYA / KAWATO (2003) wird zur Dekodierung von Handlungen das eigene Produktionssystem aktiviert. Da die Interaktionspartner Sprache gleichzeitig produzieren und perzipieren, bleibt die Aktivierung des Produktionssystems während des gesamten Dialogs bestehen. Nach PICKERING / GARROD (2013) imitieren die Hörer die wahrgenommenen Handlungen unter Einbezug des Kontextes auf Basis ihrer eigenen Sprachproduktionssysteme verdeckt. Anschließend verwenden sie Vorwärtsmodelle (Forward production model und Forward comprehension model ), um den Fortlauf der Äußerung vorherzusagen. Das Endresultat ist ein vorhergesagtes Äußerungsperzept, welches mit dem Perzept der tatsächlichen Äußerung auf den verschiedenen linguistischen Ebenen verglichen wird. Bei Diskrepanzen führt dies zu einem Prädiktionsfehler, der sich im EEG beispielsweise durch eine N400 nachweisen lässt. Die frühen Negativierungen für /ro͡asn̩/ und /lo͡as/ können nun im Rahmen dieses Modells so erklärt werden, dass die mittelbairischen Hörer eine Prädiktion auf Basis eines Primingsatzes, wie beispielsweise Was viele spitze Dornen hat, sind erstellen. PICKERING / GARROD (2013) gehen davon aus, dass Hörer im Sprachverstehen vornehmlich die simulation route nutzen und sich somit auf Erfahrungen der eigenen Sprachproduktion stützen. Die für die bairischalemannischen Varianten /ro͡asn̩/ und /lo͡as/ elizitierte Fehlererkennung im EKP zeigt somit einen Prädiktionsfehler bzw. eine Diskrepanz zwischen vorhergesagtem und tatsächlichem Äußerungsperzept an. Diese Annahme kann dadurch unterstützt werden, dass für den Deviant /lo͡as/ in neutralen Sätzen keine N200 elizitiert wird und somit das Priming eindeutig einen Einfluss auf die Komponente hat. Die Prädiktion stimmt dementsprechend nicht mit dem sensorischen Input überein, da die Hörer ausgehend von bisherigen Erfahrungen mit der eigenen Sprachproduktion die Varianten /ro͡usn̩/ und /lo͡us/ erwarten. Beim Sprachverstehen kann allerdings auch die association route verwendet werden, in der sich die Hörer auf Erfahrungen des Sprachverstehens früherer Äußerungen beziehen. Diese wird vor allem dann angenommen, wenn sich die Interaktionspartner weniger ähneln, d. h. über unterschiedliche soziale, kulturelle oder

Der Einfluss von Varietätenkontakt auf Verarbeitung und Wandel von Dialekten

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sprachliche Hintergründe verfügen. In Anschluss an die Experimente wurden die Teilnehmenden nach der möglichen Herkunft des Sprechers gefragt. Im Bayernexperiment nannten die meisten Probanden das Allgäu, Augsburg oder Schwaben. Dies zeigt, dass sich die Hörer darüber bewusst waren, dass der Sprecher nicht aus dem Mittelbairischen kommt. Möglicherweise kann für das Sprachverstehen in Varietätenkontaktsituationen eine Kombination aus simulation route und association route angenommen werden. Somit generieren Hörer zwar zunächst, was sie selbst unter diesen Umständen sagen würden, beziehen allerdings zusätzlich den Kontext, d. h. den Interaktionspartner, mit ein, um zu eruieren, was der Sprecher sagen würde. Somit hat der Kontext, der sich im Bayernexperiment durch Unterschiede zwischen den beiden Sprachsystemen zeigt, einen Einfluss auf das Sprachverstehen. Die Hörer verfügen möglicherweise über Erfahrungen mit Sprechern aus dieser Region, auf die sie sich im Sprachverstehen beziehen (association route). Es ist somit wahrscheinlich, dass die mittelbairischen Hörer die Äußerung des bairischalemannischen Sprechers vorhersagen, indem sie ihre Erfahrungen damit kombinieren, wie diese Sprecher sonst sprechen, und wie sie selbst unter ähnlichen Umständen gesprochen haben. Durch die Annahme der association route könnte auch der sehr reduzierte EKP-Effekt für den Deviant /ro͡asn̩/ erklärt werden. Der Prädiktionsfehler könnte geringer ausfallen, weil die Probanden durch die Kontextsätze erkannt haben, dass der Sprecher nicht aus der eigenen Region kommt. Durch den engen Dialektkontakt zum bairisch-alemannischen Übergangsgebiet haben die Probanden unbewusstes Wissen um die abweichende Realisierung bei ‘Rosen’. Dieser Zusammenhang ist für /lo͡as/ weniger stark anwendbar, weil es sich hierbei um ein kleinräumiger verbreitetes Lexem aus der landwirtschaftlichen Domäne handelt. Diese Überlegungen können durch die Annahme von WOLPERT / FLANAGAN (2001) unterstützt werden, der zufolge bei der Wahrnehmung von Handlungen multiple Vorwärtsmodelle durchgeführt werden, um multiple Prädiktionen zu erstellen. Möglicherweise führt der enge Varietätenkontakt dazu, dass im Sinne des MOSAIC Modells nach WOLPERT / DOYA / KAWATO (2003) verschiedene Module für die beiden Kontexte (mittelbairische vs. bairisch-alemannische Interaktionspartner) erstellt werden. Somit ist der Prädiktionsfehler für /ro͡asn̩/ eventuell kleiner als bei semantisch inkongruenten Lexemen wie /ro͡usn̩/ in der Bedeutung von Reisen, die in der Dialektregion nicht vorkommen. 108 Zudem beschäftigen sich SEBASTIÁN-GALLÉS und Kollegen mit Mechanismen, die für Akkommodationsprozesse in langfristigen Dialektkontaktsituationen verantwortlich sind. Handelt es sich hierbei um Anpassungen prälexikalischer 108 Grundsätzlich wäre es möglich, dass die mittelbairischen Hörer ihre Vorwärtsmodelle oder Produktionskommandos, welche durch Erfahrungen aktualisiert werden, aufgrund des nachgewiesenen Prädiktionsfehlers anpassen. Da es sich für diese Hörer allerdings höchstwahrscheinlich um einen selten auftretenden Kontext handelt, hat die Diskrepanz zwischen vorhergesagter und wahrgenommener Äußerung keine langfristigen Folgen.

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EEG-Experimente zu den deutschen Dialekten

Repräsentationen, wie z. B. CLARKE / GARRETT (2004) und MAYE / ASLIN / TANENHAUS (2008) annehmen, oder um die Modifikation von lexikalischen Einträgen (SEBASTIÁN-GALLÉS / ECHEVERRÍA / BOSCH 2005)? Ausgangspunkt sind die Ergebnisse der Studie von SEBASTIÁN-GALLÉS / ECHEVERRÍA / BOSCH (2005). Wie bereits in der Diskussion um die asymmetrischen Effekte von /ro͡asn̩/ und /ro͡usn̩/ in Kapitel 7.2.1 beschrieben, wurde hierfür der katalanische /e/–/ɛ/Kontrast im Rahmen einer lexikalischen Entscheidungsaufgabe untersucht. Hierbei konnte gezeigt werden, dass katalanische Sprecher Nichtwörter, in denen /ɛ/ durch /e/ ersetzt wurde, häufig als Wörter klassifizierten, während dieser Fehler andersherum signifikant seltener auftrat. Als Auslöser für diese Asymmetrie sehen die Autoren den Kontakt zu spanisch-dominanten Bilingualen. Diese realisieren Katalanisch auf Basis ihres spanischen Phonemsystems, welches kein /ɛ/ umfasst. Durch die häufige Konfrontation mit dieser fehlerhaften Aussprache akzeptieren die katalanischen Sprecher diese Varianten häufig als existierende Wörter. Um die zugrundeliegenden Mechanismen dieser sich entwickelnden Akzeptanz für regionale Variation zu erklären, entwickeln LARSSON et al. (2008) ein biophysisch realistisches neurodynamisches Modell, in dem verschiedene Netzwerkstrukturen von Neuronen getestet werden. Diese Pools repräsentieren die phonologische und lexikalische Verarbeitung, wobei für das beobachtbare Verhalten vor allem die Interaktionen relevant sind. Verglichen werden zwei Modelle, von denen eines die Interaktionen auf phonemischem Level (prälexikalischer Effekt) analysiert und das andere den Wortkontext mit einfließen lässt (lexikalischer Effekt). Anschließend werden die Modellantworten mit dem Verhalten der tatsächlichen Probanden aus der Studie von SEBASTIÁN-GALLÉS / ECHEVERRÍA / BOSCH (2005) verglichen. Die Resultate zeigen, dass nur das Modell die Asymmetrie abbilden kann, welches eine Interaktion von Phonem- und Wortkontextrepräsentationen einbezieht. Die Akzeptanz von falschen Aussprachevarianten als echte Wörter im Rahmen einer lexikalischen Entscheidungsaufgabe ist somit ein Phänomen auf lexikalischer Ebene. Dies wird dahingehend interpretiert, dass durch den Kontakt zu den spanischen /e/-Varianten im falschen Kontext ein neuer lexikalischer Eintrag bei den katalanischen Sprechern gebildet wurde (vgl. hierzu auch CONNINE 2004). LARSSON et al. (2008) gehen zudem davon aus, dass auf dem prälexikalischen Phonemlevel keine Modifikationen auftreten. Diese Annahmen werden von den weiterführenden Studien von SEBASTIÁN-GALLÉS et al. (2008) unterstützt. Beispielsweise untersuchen die Autoren die Diskriminierbarkeit der Silben /dɛ/–/de/ in einer Oddball Detection Task. Die katalanischen Sprecher haben den Ergebnissen zufolge keinerlei Schwierigkeiten den Phonemkontrast zu differenzieren (vgl. SEBASTIÁN-GALLÉS et al. 2008, 2350–2351). In einem EEG-Experiment mit Oddball-Paradigma wird zudem die Verarbeitung der Kontraste /dɛ/–/de/, /de/–/dɛ/ und /de/–/di/ verglichen. Die elizitierten MMN-Effekte unterscheiden sich für die unterschiedlichen Bedingungen weder in Ampitude noch in Latenz (vgl. SEBASTIÁN-GALLÉS et al. 2008, 2351–2353). Diese beiden Untersuchungen zeigen also, dass die Probanden die Phoneme genauso gut differenzieren können wie Kontraste, die in beiden Sprachen auftreten. Dies ist auch nicht verwunderlich, da es sich schließlich bei beiden Kontrasten um katalanische

Der Einfluss von Varietätenkontakt auf Verarbeitung und Wandel von Dialekten

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Phonemoppositionen handelt. Die fehlenden Differenzen in der MMN-Amplitude werden von den Autoren dahingehend interpretiert, dass der langfristige Kontakt zu den /e/-Varianten im falschen Kontext die phonologischen Repräsentationen nicht modifiziert. Mögliches lexikalisches Feedback hat also keinen Einfluss auf die Fähigkeiten zur Diskrimination. 109 Nach LARSSON et al. (2008) führt der Kontakt zu falschen Aussprachevarianten zu der Bildung neuer lexikalischer Einträge. Hierzu untersuchen SEBASTIÁNGALLÉS et al. (2008, 2346–2349) den Einfluss des /e/–/ɛ/-Kontrastes auf den lexikalischen Zugriff und beschäftigen sich mit Differenzen in der N400-Amplitude. In einem auf SEBASTIÁN-GALLÉS et al. (2006) basierenden Experiment mussten die Probanden eine lexikalische Entscheidungsaufgabe durchführen. Wie erwartet wurden Unterschiede in der Amplitude zwischen Wörtern und Nichtwörtern, in denen /e/ durch /ɛ/ ersetzt wurde, gefunden. Die fehlenden Unterschiede zwischen Wörtern und Nichtwörtern, in denen /ɛ/ durch /e/ ersetzt wurde, zeigt, dass katalanische Hörer richtig und (spanisch) falsch ausgesprochene Wörter gleich verarbeiten. Dieses Ergebnis legt nahe, dass beide Stimuli im mentalen Lexikon der Hörer repräsentiert sind. Durch den Dialektkontakt wurden neue alternative lexikalische Einträge für das Dialektverstehen aufgebaut, die die dialektale Variation repräsentieren. 110 Dieser Ansatz einer Interaktion zwischen Phonem- und Wortkontextrepräsentation scheint auch für den Kontakt zwischen mittelbairischem und bairischalemannischen Dialektraum plausibel zu sein. Auch wenn keine eigene OddballUntersuchung auf Phonemebene durchgeführt wurde, ist davon auszugehen, dass beide Hörergruppen den Kontrast differenzieren, da er in beiden Dialekträumen vorkommt. Dem Modell nach LARSSON et al. (2008) zufolge führt der Kontakt zu falschen Aussprachevarianten zu der Bildung neuer lexikalischer Einträge. Dies kann möglicherweise die fehlende N400 für /ro͡asn̩/ im Vergleich zu /ro͡usn̩/ erklären. Im Dialektkontakt auftretende Varianten sind ebenfalls im mentalen Lexikon repräsentiert, sodass kein semantischer Mismatch zwischen erwarteter eigener Variante und wahrgenommenem Deviant vorliegt. Der Einfluss von dialektaler Variation auf die Latenz wird allerdings auch hier nicht thematisiert. Möglicher109 Diese Annahme widerspricht allerdings den Ergebnissen von Studien, wie beispielsweise BRUNELLIÈRE et al. (2009) und CONREY / POTTS / NIEDZIELSKI (2005), die zeigen, dass der Kontakt zu regionaler Variabilität die Diskrimination von phonologischen Kontrasten beeinflusst. 110 Unterstützt wird diese Annahme durch die Studien von SUMNER / SAMUEL (2009), die den Einfluss von Erfahrungen auf die Wahrnehmung und Repräsentation dialektaler Varianten untersuchen. Durch Reaktionszeitexperimente mit lexikalischer Entscheidungsaufgabe können sie zeigen, dass Erfahrungen mit einem Dialekt einen wesentlichen Einfluss auf die Fähigkeit haben, dialektale Varianten zu verarbeiten. Sie können zudem zur Entstehung unabhängiger phonologischer Repräsentationen für unterschiedliche Dialekte führen, sodass Hörer unabhängig von der dialektalen Variante auf lexikalische Einträge zugreifen können. Hörer, die Erfahrungen mit verschiedenen Dialekten haben, sind somit flexibler bei der Verarbeitung von phonologischen Formen.

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EEG-Experimente zu den deutschen Dialekten

weise kann das Modell aber auch eine Erklärung für die reduzierte Amplitude für den Deviant /ro͡asn̩/ liefern. Die durch den Kontakt zu der bairisch-alemannischen Aussprache entstehende Repräsentation könnte nicht nur einen Fehler auf semantischer Ebene ausschließen, sondern auch den Fehler auf physikalischer Ebene reduzieren. Dieser Zusammenhang müsste allerdings weiter untersucht werden. Die Resultate der Bayernstudie zeigen weiterhin klare Verarbeitungsunterschiede zwischen den Deviants /ro͡asn̩/ und /lo͡as/ im Vergleich zu /lõ͡ũ/. Für den Deviant /lõ͡ũ/ werden keine vergleichbaren Effekte (N2b, LPC) evoziert. Die reduzierten Negativierungen können als Wahrnehmung phonetischer Unterschiede interpretiert werden, die allerdings zu keiner Fehlererkennung führen. Die fehlende LPC zeigt zudem an, dass kein Reanalyseprozess erforderlich ist. Diese Ergebnisse unterstützen die Annahme, dass die Varianten /lõː/ und /lõ͡ũ/ gleichermaßen im Sinne von ‘Lohn’ interpretiert werden. Dies wird auch durch die Bewertungsdaten unterstützt, die für beide Varianten nahezu gleich sind. Somit legen die Ergebnisse beider Datenklassen nahe, dass /lõ͡ũ/ allophonisch zur eigenen Variante /lõː/ verarbeitet wird, auch wenn sie nicht Teil der Kompetenz der mittelbairischen Sprecher ist. Der Deviant elizitiert somit keinen Mismatch im Vergleich zur aufgebauten Erwartung, weil beide Varianten gleichermaßen als existierende Wortformen kategorisiert werden. Somit geben die Ergebnisse keinerlei Hinweise auf eine Fehldekodierung, sondern liefern im Gegenteil den Nachweis, dass beide Varianten dem mhd. ô-Phonem zugeordnet werden und Phonemidentität vorliegt. Die Odenwaldstudie liefert für den gleichen Kontrast, d. h. für den Deviant /ro͡uzə/, vergleichbare Ergebnisse, wobei nicht einmal reduzierte Negativierungen elizitiert wurden. Die Bewertungsdaten zeigen zudem, dass /roːzə/ und /ro͡uzə/ nahezu gleich bewertet werden. Dies spricht in Analogie zu Bedingung 3 der Bayernstudie ebenfalls dafür, dass beide Varianten allophonisch verarbeitet und der Bedeutung ‘Rosen’ zugeordnet werden. Die Ergebnisse geben keinen Hinweis auf eine Fehldekodierung, sodass davon auszugehen ist, dass beide Varianten gleichermaßen auf das mhd. ô-Phonem bezogen werden. Somit kann die Annahme der Sprachdynamiktheorie dahingehend bestätigt werden, dass bei der Verwendung von /o͡u/ < mhd. ô im Rheinfränkischen keine überregionalen Verstehensprobleme auftreten. Der Abgleich von Verstandenem mit Gemeintem führt zu einer Übereinstimmung (Richtigverstehen) und damit einer Stabilisierung der Kompetenz. Trotz der fehlenden Effekte für den Deviant /ro͡uzə/ ist nicht davon auszugehen, dass die Probanden die Differenz nicht wahrgenommen haben. Es ist auffällig, dass vielen Probanden der im Raum bestehende /oː/–/o͡u/-Kontrast durchaus bewusst ist. Diese Beobachtung ist zwar leider nicht kategorisch erfasst, allerdings wiesen viele Personen bei der Probandenakquise darauf hin, dass in ihrem Dialekt zwar /oː/ gesprochen wird, im direkt angrenzenden Raum allerdings /o͡u/. Zudem wurden die Probanden nach dem Experiment gefragt, welche Wörter sie gehört haben. Hier führten einige Teilnehmende beide Varianten von ‘Rosen’ an. Diese Ergebnisse lassen sich ebenfalls im Sinne der Sprachdynamiktheorie interpretieren. Wie in Kapitel 3.2 thematisiert, unterscheidet PURSCHKE (2011) die Begriffe Salienz und Pertinenz. Hierbei entsteht die perzeptive Auffälligkeit eines

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Merkmals erst durch den Gebrauch und die Interpretation durch Sprecher und Hörer in der Interaktion. Von zentraler Bedeutung ist, dass die Salienz eines Merkmals kein ausreichendes Kriterium für seinen Abbau ist. Hinzu kommen einerseits eine positive bzw. negative Besetzung des Merkmals (vgl. AUER / BARDEN / GROSSKOPF 1996, 163) und andererseits die Pertinenz, d. h. die subjektive Relevanz salienter Phänomene. Erst durch die situative Signifikanz bzw. interaktionale Inakzeptabilität ist eine Kompetenzmodifikation wahrscheinlich. Es ist davon auszugehen, dass saliente Varianten, die in einer konkreten Situation als vom individuellen Normhorizont abweichend erkannt werden, dennoch als nicht signifikant bzw. in der Interaktion als akzeptabel bewertet werden können (vgl. hierzu auch HUESMANN 1998, 18). Dieser Aspekt spricht die Sprachverhaltenserwartung als möglichen Auslöser für Kompetenzmodifikationen an. Um kommunikativ und sozial erfolgreich zu sein, verwenden Sprecher möglichst nur solche Varianten, die der situativen Norm entsprechen und interaktional akzeptabel sind. Die Ergebnisse der EEG-Studien deuten darauf hin, dass die /o͡u/-Varianten bei /ro͡uzə/ und /lõ͡ũ/ monophthongischen Sprechern durchaus auffallen. Dies legen die reduzierten Negativierungen in der Bayernstudie sowie die Nachbefragungen in beiden Studien nahe. Die Bewertungsdaten und die fehlende N2b und LPC zeigen aber an, dass die abweichende Variante interaktional akzeptabel zu sein scheint und somit keinen Auslöser für eine Kompetenzmodifikation darstellt. Dies weist darauf hin, dass das Merkmal in gewisser Weise salient, d. h. auffällig, aber nicht subjektiv relevant, d. h. pertinent, ist. Die alleinige situative Auffälligkeit des /o͡u/-Phonems ist also nicht Grund genug, um es abzubauen. Dies kann auch dahingehend interpretiert werden, dass das /o͡u/-Phonem dem regionalen Normhorizont entspricht. Wie ELMENTALER / GESSINGER / WIRRER (2010) zeigen, ist es möglich, dass Sprecher über verschiedene Normhorizonte verfügen, die situativ unterschiedlich sind. Da im Experiment nur dialektale Sätze verwendet wurden und nicht wie in typischen Salienztests die Standardsprache als Vergleichsfolie herangezogen wurde, können die Ergebnisse als Toleranz gegenüber der abweichenden /o͡u/-Variante interpretiert werden. Es handelt sich möglicherweise um einen regionalen Normhorizont, der bis zu einer gewissen Stufe Varianz zulässt. Sprecher zielen in der Kommunikationssituation darauf ab, die Sprachverhaltenserwartungen der Interaktionspartner zu erfüllen sowie die verinnerlichten Normen, die für eine bestimmte Situation für wirksam gehalten werden bzw. die man bei den Hörern vermutet, einzuhalten. Die rheinfränkischen Sprecher aus der Diphthonginsel verstoßen nicht gegen die regionale Norm, weil die /o͡u/Variante innerhalb des Normhorizonts liegt und die Sprachverhaltenserwartung der Monophthongsprecher nicht verletzt. Somit gibt es bei den Diphthongsprechern keinen Auslöser für eine Kompetenzmodifikation. Eben dieser Fall tritt allerdings bei den bairisch-alemannischen Lexemen /ro͡asn̩/ und /lo͡as/ auf. Hier zeigen einerseits die EKP-Daten, dass die Varianten als abweichend von der eigenen Variante wahrgenommen, d. h. als Fehler erkannt und evaluiert, werden. Das /o͡a/-Phonem scheint somit vom individuellen Normhorizont abzuweichen. Andererseits zeigen die Bewertungsdaten, dass /ro͡asn̩/ von den mittelbairischen Hörern als Variante für ‘Rosen’ abgelehnt wird und /lo͡as/

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nicht kategorisiert werden kann. Dies spricht dafür, dass das Phänomen situativ signifikant und interaktional inakzeptabel, d. h. pertinent, ist. Die Variante wird nicht für die jeweils angebahnte Bedeutung akzeptiert und liegt somit außerhalb des regionalen Normhorizonts, sodass die tolerierte regionale Variabilität innerhalb der Norm überschritten ist. Da sich die Sprecher an die für die jeweilige Situation wirksam gehaltene Norm halten möchten, kommt es zu einer Veränderung der Sprachproduktionsstrategie, d. h. einem Wandel von /o͡a/ > /o͡u/ bzw. /oː/ im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet. Resultat des Phonemwandels ist schließlich ein Phonem, welches wieder der regionalen Norm entspricht, wie die Ergebnisse für /lõ͡ũ/ zeigen. Die Ergebnisse des Bayernexperiments liefern den ersten neurolinguistischen Nachweis, dass bei der überregionalen Verwendung von /o͡a/ < mhd. ô tatsächlich Verstehensprobleme auftreten. Die Kompetenzdifferenzen zwischen den Dialektgruppen, bestehend aus der unterschiedlichen Phonem/Lexem-Zuordnung des /o͡a/-Phonems, führen zu interdialektalen Verstehensproblemen, die in beiden Datenklassen nachgewiesen werden können. Die der Sprachdynamiktheorie zugrundeliegenden Annahmen der interdialektalen Missverständnisse und des Nichtverstehens können somit generell bestätigt werden. Zudem zeigen die Ergebnisse der Odenwaldstudie, dass /o͡u/ < mhd. ô überregional verstanden wird, sodass es keinen Auslöser für Kompetenzmodifikationen gibt. Der Einfluss der interaktivsprachkognitiven Konstellation auf die Stabilität und den Wandel dialektaler Phoneme kann somit aus neurolinguistischer Sicht bestätigt werden. Die Verarbeitung der Varianten führt zu deutlich unterschiedlichen Verarbeitungssignaturen (vgl. Abbildung 54). Somit bestätigen die Ergebnisse den bereits von SCHIRMUNSKI (1930, 184) genannten und von SCHMIDT / HERRGEN (2011) weiter ausgeführten Einfluss der überregionalen Verständlichkeit auf den Wandel dialektaler Phoneme. Die Ergebnisse legen nahe, dass von Lautersatz betroffene Phoneme (hier: /o͡a/) in der interdialektalen Kommunikation zu erhöhten Verarbeitungskosten und Verständnisproblemen führen, während stabile Phoneme, die sich ggf. im Lautwandelprozess befinden (hier: /o͡u/), in der überregionalen Kommunikation problemlos verstanden werden.

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Lautersatz

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Stabilität / Lautwandel

Abbildung 54: Die Verarbeitung des sich im Wandel begriffenen bairisch-alemannischen Lexems /ro͡asn̩/ ‘Rosen’ (vgl. LANWERMEYER et al. 2016, 12) im Vergleich zum diachron stabilen rheinfränkischen /ro͡uzə/ ‘Rosen’

7.4.2 Der Einfluss von Varietätenkontakt auf den Wandel dialektaler Sprache Im Sinne der Sprachdynamiktheorie sind die durch die Bayernstudie nachgewiesenen Verstehensschwierigkeiten Auslöser für Kompetenzmodifikationen, weil sie die Grundlage für negatives Feedback durch die mittelbairischen Hörer bilden. In jeder Interaktion wird das eigene sprachliche Wissen in Beziehung zu den Verstehensmöglichkeiten und Kommunikationserwartungen der Interaktionspartner gesetzt, sodass solche Kommunikationsschwierigkeiten langfristig zu Änderungen der Sprachproduktionsstrategie führen. Die Sprecher überprüfen kontinuierlich das Rückmeldeverhalten der Hörer, um mögliche Verständnisdiskrepanzen zu erkennen und in Folge dessen zu reduzieren. Hierbei handelt es sich um eine kognitive und unbewusste Optimierungsstrategie. Geht man also davon aus, dass, wie SCHMIDT / HERRGEN (2011, 209) ausführen, die bairisch-alemannischen Sprecher bei der Verwendung des /o͡a/-Phonems häufig negativen Rückkopplungen durch scheiternde Sprachproduktionsakte ausgesetzt sind, kann dies im Laufe der Zeit zur Modifikation der Kompetenz führen (Mesosynchronisierung). Das bedeutet, dass die bairisch-alemannischen Sprecher aufgrund ihres Wunsches, kommunikativ und sozial erfolgreich zu sein, nach und nach, d. h. lexemweise, ihre Kompetenz bzw. ihre Sprachproduktionsstrategie verändern und sich so der mittelbairischen prestigereicheren Varietät anpassen. Ergebnis der Mesosynchronisierungen

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ist eine kognitive Umstrukturierung des sprachlichen Wissens und somit eine Übereinstimmung desjenigen Ausschnitts der Kompetenz, der die Sprecher befähigt, Situationen erfolgreich zu bewältigen. Die interdialektale Verwendung von /o͡u/ < mhd. ô führt bei den mittelbairischen Hörern zu keinen Verstehensproblemen. Der Abgleich von Verstandenem und Gemeintem bzw. von Gehörtem mit dem eigenen Wissensstand zeigt eine Übereinstimmung (Richtigverstehen), welche die hörerseitigen Sprachverstehensstrategien stabilisiert. Die daraus entstehenden positiven Rückkopplungen führen zu einer Stabilisierung der Kompetenz der Sprecher. Diese Ergebnisse zeigen, dass der Wandel von /o͡a/ > /o͡u/ bzw. /oː/ eine sinnvolle Strategie ist, um Missverständnisse bzw. Nichtverstehen sowie neuronale Verarbeitungskosten in der interdialektalen Kommunikation zu reduzieren. Stattdessen werden nur phonetische Abweichungen wahrgenommen, die aber für die Verstehbarkeit in der Interaktion keine Rolle spielen. Die durch die N2b angezeigte Fehlererkennung für /ro͡asn̩/ und /lo͡as/ kann im Sinne der Sprachdynamiktheorie dahingehend interpretiert werden, dass sie ein negatives Feedback bei den mittelbairischen Hörern auslöst, welches langfristig zu Kompetenzmodifikationen bei den bairisch-alemannischen Sprechern führt. Diese Veränderung der Sprachproduktionsstrategie und somit der Produktionskommandos kann auch durch die Annahme von Vorwärtsmodellen in der Sprachproduktion und -perzeption erklärt werden. Bei sprachlichen Interaktionen müssen Handlungsrepräsentationen auf verschiedenen linguistischen Ebenen koordiniert und aligniert werden. Hierbei sind Produktion und Perzeption eng miteinander verwoben. Sprecher und Hörer sagen ihre eigenen Handlungen sowie die des Interaktionspartners voraus und bestimmen, ob sie miteinander kompatibel sind, und mit der tatsächlichen Äußerung übereinstimmen. Ist dies nicht der Fall, können die darauffolgenden Handlungen entsprechend angepasst werden. Ziel ist hierbei ein gemeinsames Verständnis des jeweiligen Gesprächsinhalts. Offenbaren sich Differenzen zwischen den Vorhersagen der Interaktionspartner und dem tatsächlichen Input, führt dies zu einer Modifizierung der folgenden Sprachhandlungen. Beispielsweise können nach WOLPERT / DOYA / KAWATO (2003) Vorwärtsmodelle dazu verwendet werden, Handlungen innerhalb sozialer Interaktionen vorherzusagen. Dies impliziert u. a. die Reaktion auf das kommunikative Verhalten des Sprechers. Somit werden die erstellten Prädiktionen nicht mit dem eigenen, sondern dem beobachteten Systemzustand, d. h. dem Hörer, verglichen. Hierzu muss allerdings neben dem motorischen Kommando und dem Kontext auch der aktuelle Zustand des Interaktionspartners bekannt sein bzw. geschätzt werden. Dies ist natürlich vergleichsweise schwierig, weil nicht, wie im sensomotorischen Kreislauf, der Zustand des eigenen Körpers, sondern der mentale Zustand einer anderen Person geschätzt werden muss. Resultat ist eine Vorhersage des wahrscheinlichen Verhaltens der Hörer als Reaktion auf die eigene Sprachhandlung und somit des kommunikativen Erfolgs. Treten Diskrepanzen zwischen erwartetem und tatsächlichem Verhalten des Interaktionspartners auf, d. h. der Hörer reagiert nicht adäquat, kann das Vorwärtsmodell angepasst werden. Die wahrgenommene Reaktion des Hörers kann allerdings nach einer gewissen Zeit auch für eine Veränderung

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bzw. Anpassung des nächsten Motorkommandos des Sprechers verwendet werden. Diese Überlegungen können nun für die Erklärung des Wandels von mhd. ô herangezogen werden. Der im EEG nachgewiesene Prädiktionsfehler für /ro͡asn̩/ und /lo͡as/ zeigt, dass die bairisch-alemannischen Äußerungen nicht mit dem Perzept der mittelbairischen Hörer kompatibel sind. Dies führt zu negativem Feedback und zunächst kurzfristig zu einer Anpassung der Sprachproduktion bei den bairisch-alemannischen Sprechern. Langfristig ist der Prozess wie folgt vorstellbar: Durch die erhöhte Mobilität kommen bairisch-alemannische Sprecher immer häufiger in Kontakt mit dem mittelbairischen Dialekt. Bei Beibehaltung ihres ursprünglichen Sprachproduktionsverhaltens führt die Verwendung von Lexemen wie /ro͡asn̩/ und /lo͡as/ zu Prädiktionsfehlern, da die bairisch-alemannischen Sprecher die Reaktion auf ihre Äußerungen zunächst falsch einschätzen. Stattdessen entsteht negatives Feedback, weil die jeweiligen Perzepte zwischen den Dialektgruppen nicht übereinstimmen. Diese Diskrepanz wird rückgemeldet, sodass das Vorwärtsmodell dahingehend korrigiert wird, dass die Reaktion der Hörer für diesen interdialektalen Kontext anders eingeschätzt wird und somit die wahrscheinliche Reaktion der mittelbairischen Hörer besser vorhergesagt werden kann. Es handelt sich hierbei um eines von mehreren multiplen Vorwärtsmodellen. Der durch die Regionalisierung entstandene neue interdialektale Kontext führte zur Herausbildung eines weiteren Moduls im Sinne des MOSAIC-Modells. Das durch Erfahrungen von häufigem negativem Feedback aktualisierte Vorwärtsmodell sagt nun für diesen Kontext eben diese negativen Rückkopplungen voraus. Aufgrund des Wunsches sozial und kommunikativ erfolgreich zu sein, führen diese zu Änderungen im Produktionsverhalten. Hierbei kann ebenfalls eine Kombination aus simulation route und association route angenommen werden. Die bairischalemannischen Sprecher bemerken durch die dialektalen Unterschiede, wenn sie mit mittelbairischen Hörern interagieren. Sie können nun Prädiktionen über ihre eigene Produktion und das Verhalten der Hörer erstellen. Letztere basieren auf Erfahrungen, wie ähnliche Gesprächspartner aus der Region früher gesprochen haben, und wie sie selbst darauf reagiert haben. Durch die Dominanz und das Prestige des Mittelbairischen passen sich die bairisch-alemannischen Sprecher zunächst nur in diesem Kontext an. Später folgen alle anderen Kontexte, sodass auch innerhalb der eigenen Dialektregion die neue Variante verwendet wird. Die in der Odenwaldstudie nachgewiesene Abwesenheit von überregionalen Kommunikationsproblemen bei der Verwendung von /o͡u/ < mhd. ô im Rheinfränkischen führt im Sinne der Sprachdynamiktheorie zu positivem Feedback und darauffolgend zu einer Stabilisierung des Sprachwissens bei den Sprechern der Diphthonginsel. Die Stabilität des /o͡u/-Phonems kann dementsprechend durch die Abwesenheit von erhöhten Verarbeitungskosten in der überregionalen Kommunikation und somit fehlenden Auslösern für eine Modifikation der Sprachproduktionsstrategie erklären werden.

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RESÜMEE

Ziel der Arbeit war es, die Bewertung und die Verarbeitung dialektaler Phoneme am Beispiel eines Phänomens des Lautersatzes und des Lautwandels im Satzkontext neurolinguistisch zu untersuchen. Somit steht die Arbeit in einer im 19. Jahrhundert beginnenden Tradition, in der die beiden Konzepte einander gegenübergestellt und diskutiert werden. Den Ausgangspunkt bilden die Arbeiten der Junggrammatiker mit ihrer Annahme des ausnahmslosen Lautwandels und ihrer Kontrahenten, die Wandel als eine bewusste und lexemweise Anpassung an prestigereiche Varietäten verstehen. Die deutsche und amerikanische Forschungstradition setzt sich allerdings bis heute mit den Eigenschaften von Lautwandel und Lautersatz bzw. lexikalischer Diffusion auseinander. Der in dieser Arbeit fokussierte Einflussfaktor für Phonemwandel ist die überregionale Verstehbarkeit, die bereits von SCHIRMUNSKI (1930) in die Diskussion eingebracht wurde. Demnach werden sekundäre (diachron stabile) Merkmale problemlos verstanden, während primäre Merkmale zu Verständnisproblemen führen und abgebaut werden. Weiterhin wurde der Einfluss des von SCHMIDT / HERRGEN (2011) genannten Faktors der interaktiv-sprachkognitiven Konstellation auf das Sprachverstehen überprüft. In der Sprachdynamiktheorie werden interdialektale bzw. überregionale Verstehensprobleme als Auslöser für Kompetenzmodifikationen verstanden. In der vorliegenden Arbeit wurde überprüft, ob auf dialektalen Strukturdifferenzen basierende dialektale Phonemkollisionen tatsächlich zu Missverständnissen und Nichtverstehen während des interdialektalen Verstehens führen können. Zudem wurde überprüft, ob im Raum nebeneinander vorkommende Phoneme, die in keinen Zusammenfall involviert sind, problemlos verstanden werden. Untersucht wurde die überregionale Verstehbarkeit am Beispiel des mhd. ôPhonems. Während hierfür im bairisch-alemannischen Übergangsgebiet ein lexemweiser Wandel von /o͡a/ > /o͡u/ bzw. /oː/ gezeigt werden konnte, ist das rheinfränkische /o͡u/ diachron relativ stabil. Einschränkend muss hier allerdings gesagt werden, dass die Stabilität nur unter der Bedingung der dialektalen Primärsozialisation gilt. Der diachronen Analyse zufolge treten erst ab dem späten 20. Jahrhundert lexemweise Wandeltendenzen auf, die in erster Linie das Lexem Brot betreffen. Dies kann dadurch erklärt werden, dass durch die Verbreitung des Radios und des Fernsehens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Standardsprache an Bedeutung gewann, sodass ihr Einfluss auf die Kompetenz verstärkt wurde. Infolgedessen wurden Kinder häufig standardsprachlich primärsozialisiert und der Dialekt nicht mehr mündlich weitergegeben, sodass sich durch den sich verändernden soziokulturellen Kontext die Einflussfaktoren auf den Lautwandel verändert haben. Die aufgestellten Hypothesen können durch die durchgeführten EEGUntersuchungen bestätigt werden. Das in Lautersatz involvierte bairisch-alemannische /o͡a/-Phonem führt zu erhöhten Verarbeitungskosten bei mittelbairischen

Resümee

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Hörern, bestehend aus einem biphasischen Komponentenmuster (N200, LPC). Die nicht-nativen, aber im angrenzenden Dialektraum vorkommenden Varianten (/ro͡asn̩/ ‘Rosen’, /lo͡as/ ‘Mutterschwein’), werden bewusst als Abweichung von der eigenen /o͡u/-Variante (/ro͡usn̩/ ‘Rosen’, /lo͡us/ ‘Mutterschwein’) erkannt und evaluiert. Zudem zeigen die Bewertungsdaten, dass die bairisch-alemannische Variante /ro͡asn̩/ von mittelbairischen Hörern nicht in der Bedeutung ‘Rosen’ akzeptiert wird (Missverstehen). Bei der Bewertung von /lo͡as/ ‘Mutterschwein’ besteht hingegen eine große Unsicherheit, weil die mittelbairischen Hörer dieses unbekannte Wort nicht einordnen können (Nichtverstehen). Im Gegensatz dazu fehlen diese EKP-Komponenten für das diachron stabile rheinfränkische /o͡u/Phonem (/ro͡uzə/ ‘Rosen’). Dieses wird von den Sprechern des Monophthonggebiets in gleicher Weise wie die eigene Variante (/roːzə/ ‘Rosen’) akzeptiert und allophonisch verarbeitet. Unterstützt wird diese Interpretation von den Bewertungsdaten, da sowohl die eigene als auch die fremde Variante als passend zum Satzkontext bewertet werden. Für die beiden Phänomene können dementsprechend einerseits Unterschiede in der Bewertung sowie andererseits verschiedene elektrophysiologische Signaturen (vgl. Abbildung 54) nachgewiesen werden. Der Faktor der interdialektalen Verstehbarkeit wurde somit erstmals neurolinguistisch überprüft und kann neben den bereits diskutierten Charakteristika (vgl. Tabelle 10) zur Unterscheidung von Lautwandel / Stabilität und Lautersatz / lexikalischer Diffusion herangezogen werden. Zudem können auch die Annahmen der Sprachdynamiktheorie unterstützt werden. Die das /o͡a/-Phonem < mhd. ô betreffende Phonemkollision zwischen bairisch-alemannischem Übergangsgebiet und Mittelbairischem ist relevant für das interdialektale Sprachverstehen. Die Ergebnisse für /ro͡asn̩/ ‘Rosen’ und /lo͡as/ ‘Mutterschwein’ zeigen Verstehensprobleme an, die im Sinne der Sprachdynamiktheorie Kompetenzmodifikationen auslösen. Diese Auslöser fehlen für das rheinfränkische /o͡u/-Phonem, sodass es diachron stabil im Raum bestehen bleibt. Als weiterer Auslöser für Kompetenzmodifikationen ist die Verletzung von Sprachverhaltenserwartungen in sprachlichen Interaktionen zu sehen. In diesem Rahmen können die Ergebnisse der EEG-Untersuchungen auch unter dem Aspekt der interaktionalen Akzeptabilität regionaler Varianten interpretiert werden. Während beispielsweise bairisch-alemannisches /ro͡asn̩/ ‘Rosen’ als nicht passend zum Satzkontext bewertet wird, wird die rheinfränkische Variante /ro͡uzə/ ‘Rosen’ problemlos akzeptiert. Obwohl den Probanden die Abweichung auffällt, ist sie kommunikativ irrelevant und nicht pertinent. Es ist somit davon auszugehen, dass die Variante zwar als abweichend vom individuellen Normhorizont erkannt wird, allerdings dem regionalen Normhorizont entspricht, welcher eine gewisse regionale Variation zulässt. Während das /o͡a/-Phonem interaktional inakzeptabel ist und somit die Sprachverhaltenserwartung verletzt, ist das rheinfränkische /o͡u/Phonem interaktional und situativ akzeptabel, sodass auch dieser Auslöser für eine Kompetenzmodifikation fehlt. Somit kann die unterschiedliche Entwicklung der dialektalen Entsprechungen von mhd. ô in den beiden Dialekten im Rahmen der Sprachdynamiktheorie durch das Vorhandensein bzw. Fehlen überregionaler Verstehensprobleme sowie die Erfüllung bzw. Verletzung der Sprachverhaltens-

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Resümee

erwartung erklärt werden. Insgesamt unterstützen die Ergebnisse die Relevanz der überregionalen Verstehbarkeit für das Abbaupotential dialektaler Phoneme. Die Sprachverhaltenserwartung spielt auch insofern eine Rolle, als in jeder Kommunikation Prädiktionen über den Fortlauf der Sätze und das Verhalten der Interaktionspartner erstellt werden. In aktuellen Ansätzen, wie WOLPERT / DOYA / KAWATO (2003) und PICKERING / GARROD (2013), werden hierzu Vorwärtsmodelle, die zunächst für die Sensomotorik angenommen wurden, auf soziale Interaktionen angewendet. Die durch die Vorwärtsmodelle erstellten Prädiktionen basieren einerseits auf dem eigenen Sprachproduktionssystem sowie andererseits auf Erfahrungen mit unterschiedlichen Kontexten, d. h. verschiedenen Interaktionspartnern. Stimmen Prädiktion und tatsächlich wahrgenommener Input nicht überein, entsteht ein Prädiktionsfehler, der zu einer Anpassung des Vorwärtsmodells oder der Handlung, d. h. der Sprachproduktion (Kompetenzmodifikation), führt. In diesem Sinne können die elizitierten Effekte für /ro͡asn̩/ ‘Rosen’ und /lo͡as/ ‘Mutterschwein’ als Verletzung der aufgebauten Erwartung, d. h. als Prädiktionsfehler, interpretiert werden, da eine Diskrepanz zwischen vorhergesagtem und tatsächlichem Äußerungsperzept vorliegt. Zudem spielt der Kontext und somit der Varietätenkontakt eine wichtige Rolle für die Sprachverarbeitung. Da sich die Hörer darüber bewusst sind, wenn Interaktionspartner einen anderen dialektalen Hintergrund haben, beeinflusst dies das Sprachverstehen. Beispielsweise kann angenommen werden, dass für verschiedene Kontexte (mittelbairische und bairisch-alemannische Interaktionspartner) verschiedene Prädiktionen aufgrund früherer Erfahrungen mit diesen Sprechergruppen erstellt werden. Die Annahme, dass Varietätenkontakt das Sprachverstehen beeinflusst, wird auch durch die Ergebnisse der EEG-Untersuchungen unterstützt. Im Gegensatz zu semantisch inkongruenten Lexemen (/ro͡usn̩/ ‘Rosen’) oder Pseudowörtern (/ma͡uk/), die eine N400 elizitieren, wird für in der Nachbarregion vorkommende Varianten eine N200 evoziert (/ro͡asn̩/ ‘Rosen’, /lo͡as/ ‘Mutterschwein’). Eine mögliche Erklärung nach LARSSON et al. (2008) und SEBASTIÁN-GALLÉS et al. (2008) ist, dass durch den häufigen Kontakt neue Lexikoneinträge gebildet werden und somit beide Varianten im mentalen Lexikon repräsentiert sind. Zudem zeigen andere EEG-Studien, die sich mit dem Einfluss von Phonemwandel im Französischen (BRUNELLIÈRE et al. 2009; BRUNELLIÈRE / DUFOUR / NGUYEN 2011) und Amerikanischen (CONREY / POTTS / NIEDZIELSKI 2005) auf die Sprachverarbeitung beschäftigen, dass Varietätenkontakt auch die Diskriminationsfähigkeit eigene Kontraste beeinflussen kann. Insgesamt erwiesen sich die durchgeführten EEG-Experimente als adäquat, um die interdialektale bzw. überregionale Verstehbarkeit dialektaler Phoneme zu untersuchen. Validiert werden konnten die Ergebnisse beispielsweise dadurch, dass für den /oː/–/o͡u/-Kontrast in beiden Studien sehr ähnliche Ergebnisse erzielt wurden. Durch das Design konnten trotz häufiger Wiederholungen klare Effekte evoziert werden, sodass es für die Untersuchung dialektaler Kontraste im Satzkontext mit wenigen Minimalpaaren geeignet ist. Die Entwicklung des Designs stellte sich allerdings als sehr komplex dar, weil nicht, wie in typischen Oddball-Designs, die reine Diskriminationsfähigkeit unter-

Resümee

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sucht, sondern ein semantischer Kontext einbezogen werden sollte. Anders hätte der Einfluss der unterschiedlichen Phonem/Lexem-Zuordnung auf das Sprachverstehen nicht untersucht werden können. Zudem erwiesen sich die Auswahl und Kontrolle der Stimuli hinsichtlich der für die EEG-Methode relevanten Faktoren, wie Frequenz, Wortart etc., als schwierig. Im Gegensatz zur Standardsprache, die als bekannte Norm für alle deutschen Muttersprachler angenommen werden kann, sind die Realisierungen in Dialekten heterogener und somit für EEGUntersuchungen schwerer kontrollierbar. Zudem muss konstatiert werden, dass im EEG ein sehr kontrolliertes Setting vorliegt, in dem relativ unnatürliche Sätze mit der gleichen syntaktischen Struktur präsentiert werden. Dies widerspricht dem Anliegen der Variationslinguistik, möglichst natürliche Sprache untersuchen zu wollen. Wie häufig solche Verstehensprobleme tatsächlich in der natürlichen Kommunikation vorkommen, kann mit dieser Methode nicht beantwortet werden. Allerdings liefert die Methode Ergebnisse, die mit traditionellen Methoden der Variationslinguistik nicht erzielt werden können. Der Mehrwert zeigt sich insbesondere darin, dass Bewertungsdaten nicht immer mit den neuronalen Daten übereinstimmen, wie beispielsweise in der Bedingung Missverstehen der Bayernstudie. Während die beiden Deviants /ro͡asn̩/ und /ro͡usn̩/ in gleicher Weise bewusst als unpassend zum Satzkontext bewertet wurden, unterscheiden sich die evozierten Komponenten hinsichtlich ihrer Latenz und Amplitude. Im Vergleich dazu wird für die Deviants /lo͡as/ ‘Mutterschwein’ und /ro͡asn̩/ ‘Rosen’ ein Effekt mit der gleichen Latenz evoziert, während sich die Bewertungsdaten unterscheiden. Während /ro͡asn̩/ eindeutig als nicht passend abgelehnt werden kann, gibt es für /lo͡as/ im Primingkontext keinen signifikanten Unterschied zwischen der Bewertung der eigenen und der fremden Variante. In den anderen Bedingungen unterstützen sich Bewertungsdaten und neuronale Daten. Somit liefern die Experimente Ergebnisse aus zwei Datenklassen, die sich gegenseitig ergänzen, allerdings auch weitere Fragen aufwerfen. Auch wenn die Ergebnisse überwiegend den Hypothesen entsprechen, so scheint der Varietätenkontakt einen Einfluss auf die Sprachverarbeitung zu haben, der in weiteren Studien genauer fokussiert werden sollte. Beispielsweise wäre in Anlehnung an LARSSON et al. (2008) interessant zu untersuchen, ob und unter welchen Umständen Varietätenkontakt tatsächlich zur Bildung neuer lexikalischer Einträge führt. Zudem sollten weitere regionalsprachliche Phänomene neurolinguistisch untersucht werden, um Vergleichswerte zu erhalten. Für das in dieser Arbeit thematisierte Phänomen könnte weiterhin ein Oddball-Experiment mit den Lexemen /ro͡asn̩/ und /ro͡usn̩/ den Einfluss der Diphthonge auf die Sprachverarbeitung klären. Wie die vorliegende Arbeit zeigt, ist es lohnenswert, den regionalsprachlichen Methodenkatalog um die Elektroenzephalographie zu erweitern. Die Anwendung neurolinguistischer Methoden auf variationslinguistische Fragestellungen sollte in den nächsten Jahren fortgeführt und intensiviert werden, um noch bestehende Fragen zu klären. Diese Arbeit stellt somit erst den Beginn einer Zusammenarbeit zwischen den beiden Disziplinen dar.

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Durch die immer stärker werdende Mobilität kommen Sprecher verschiedener Varietäten häufig miteinander in Kontakt. In der Interaktion entstehen aufgrund der unterschiedlichen Kompetenzen der Sprecher häufig Missverständnisse, die auf lange Sicht zu Sprachwandel führen können. Manuela Lanwermeyer weist die theoretische Annahme interdialektaler Missverständnisse erstmals anhand neuronaler Daten zu den deutschen Dialekten nach und führt hierzu EEG-Experimente zum überregionalen Verstehen verschiedener dialektaler Phoneme durch. Bei dem untersuchten Phänomen handelt es sich

ISBN 978-3-515-12019-7

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7835 1 5 1 20197

um die dialektalen Varianten des mittelhochdeutschen ô-Phonems im bairischalemannischen Übergangsgebiet und im Rheinfränkischen, die Beispiele für phonologischen Wandel und diachrone Konstanz repräsentieren. Lanwermeyer zeigt, dass die Varianten der beiden Dialekträume unterschiedlich verarbeitet und bewertet werden und diskutiert die Ergebnisse im Zusammenhang mit aktuellen Theorien zum Sprachwandel und zur Sprachverarbeitung. Mit den Ergebnissen belegt Lanwermeyer nicht nur, dass Varietätenkontakt die Sprachverarbeitung generell beeinflusst, sondern sie zeigt auch wie interdialektale Verstehensprobleme Dialektwandel auslösen können.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag