Sozialisten an der Adria: Plurinationale Arbeiterbewegung in der Habsburgermonarchie [1 ed.] 9783428537754, 9783428137756

Sozialisten an der Adria stellt die erste umfassende Behandlung der sozialistischen Bewegung in den Küstengebieten der H

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Sozialisten an der Adria: Plurinationale Arbeiterbewegung in der Habsburgermonarchie [1 ed.]
 9783428537754, 9783428137756

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Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient Band 24

Sozialisten an der Adria Plurinationale Arbeiterbewegung in der Habsburgermonarchie

Von Marina Cattaruzza

Duncker & Humblot · Berlin

MARINA CATTARUZZA

Sozialisten an der Adria

Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient Band 24

Sozialisten an der Adria Plurinationale Arbeiterbewegung in der Habsburgermonarchie

Von Marina Cattaruzza

Duncker & Humblot  ·  Berlin

Italienische Ausgabe Socialismo adriatico. La socialdemocrazia di lingua italiana nei territori costieri della Monarchia asburgica: 1888–1915 (Società e Cultura, 17), Manduria/Bari/Rom 1998.

Aus dem Italienischen von Karin Krieg Übersetzungslektorat Stefan Guth

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0939-0960 ISBN 978-3-428-13775-6 (Print) ISBN 978-3-428-53775-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-83775-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Edith Saurer (Wien 1942-2011) zum Andenken

Vorwort für die deutsche Ausgabe Dreizehn Jahre nach ihrem ersten Erscheinen auf Italienisch wird diese Monographie zur sozialdemokratischen Bewegung in den Küstengebieten der Habsburger Monarchie auf Deutsch in der Schriftenreihe der Fondazione Bruno Kessler beim Verlag Duncker & Humblot in Berlin veröffentlicht. Das Erscheinen von „Socialismo adriatico“ auf Deutsch erfüllt mich mit einer besonderen Genugtuung, da bisher die habsburgischen Gebiete an der nordöstlichen Adria (Triest, Görz und Gradiska, Istrien) von der deutsch- und englischsprachigen Forschung zur Geschichte der k. und k. Monarchie (18671918) weitgehend vernachlässigt wurden. Es ist deshalb mein Auspizium, dass diese Übersetzung dazu beiträgt, die Geschichte des „Küstenlandes“ stärker in die Geschichte Zisleithaniens zu integrieren und neue Forschungen zu diesem komplexen und faszinierenden Gebiet anzuregen. Verschiedene Institutionen und Menschen haben das Erscheinen dieses Buchs ermöglicht: in erster Linie sei der Fondazione Bruno Kessler und dem vorletzten und jetzigem Direktor Gian Enrico Rusconi und Paolo Pombeni gedankt, die „Socialismo adriatico“ in die Schriftenreihe der Stiftung aufgenommen haben. Der österreichische Forschungs- und Wissenschaftsfond hat durch eine großzügige Finanzierung einen Großteil der Übersetzungskosten getragen. Weiterhin wurde das Projekt vom Istituto Incontri Culturali Mitteleuropei in Görz und von der Philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern gefördert. Frau Karin Krieg hat die erste Fassung der Übersetzung geliefert. Mein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Brigitte Mazohl von der Universität Innsbruck, die beim FWF den Antrag zur Finanzierung gestellt hat, und Dr. Stefan Guth, wissenschaftlicher Mitarbeiter an meinem Lehrstuhl, von dessen sprachlichem Einfühlungsvermögen die deutsche Übersetzung außerordentlich profitiert hat. Einen ganz entscheidenden Beitrag in der Phase der Schlussredaktion des Manuskripts hat Frau Sonja Latscha geleistet; Herr Roman Bonderer hat die Gestaltung der Fußnoten den Richtlinien des Verlags angepasst. Dr. Wolfgang Maderthaner vom Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung in Wien leistete eine unschätzbare Hilfe bei der Suche nach den Originalzitaten aus den Sozialdemokratischen Parteiarchiven und insbesondere aus dem Archiv Victor Adlers. Dr. Michael Portmann von der Historischen Kommission der Akademie der Wissenschaften in Wien hat mich bei meinen bibliographischen Recherchen vor Ort unterstützt. Der Verleger der italienischen Edition, Pietro Lacaita, und der Herausgeber der Reihe „Società e Cultura“ Maurizio Degl’Innocenti haben prompt und

8

Vorwort für die deutsche Ausgabe

unentgeltlich die Rechte für die deutsche Ausgabe von „Socialismo adriatico“ zur Verfügung gestellt. Die seit der ersten italienischen Auflage vergangene Zeit sowie die Überarbeitung des Textes für die deutschsprachige Leserschaft haben gewisse Änderungen erfordert; die bibliographischen Angaben wurden punktuell ergänzt, die Einleitung wurde neu verfasst und ein Schlusskapitel kam hinzu, um das Fallbeispiel der Sozialdemokratie im „Küstenland“ in den breiteren Kontext der sozialdemokratischen Bewegung in der k. und k. Monarchie zu stellen und seine besonderen Merkmale hervorzuheben. Was die dornige Frage der Ortsbezeichnungen betrifft, habe ich folgenden Weg eingeschlagen: in den Fällen, in denen eine deutsche Bezeichnung existierte, wurde sie durchgängig benutzt. Bei der ersten Erwähnung einer Ortschaft wurden die verschiedenen Bezeichnungen angegeben und zwar in derselben Reihenfolge, wie sie im Gemeindelexikon der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder eingetragen waren. Danach wurde für die Ortschaften, für die es keine deutsche Bezeichnung gab, die im Lexikon ersteingetragene Bezeichnung verwendet. Natürlich lassen sich gegen diese Vorgehensweise Einwände erheben, ich nehme sie allerdings gelassen entgegen, da bekanntlich eine befriedigende Lösung für dieses Problem noch nicht gefunden wurde. Bern, im Februar 2011 Marina Cattaruzza

Inhaltsverzeichnis Einleitung .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Erstes Kapitel:

Die Anfänge der Arbeiterorganisation .

Zweites Kapitel:

Die sozialdemokratische Bewegung

Drittes Kapitel:

Die sozialdemokratische Partei des Küstenlandes und Dalmatiens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Viertes Kapitel:

Die südslawische Parteisektion

Fünftes Kapitel:

Der Sozialismus in Istrien

. . . . . . . . . . 17

. . . . . . . . . . . . 33

. . . . . . . . . . . . . . . 61

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

Sechstes Kapitel: Die sozialistische Partei in Triest

. . . . . . . . . . . . . . 119

Siebtes Kapitel:

Adriatischer Sozialismus und nationale Frage . .

Achtes Kapitel:

Schlussfolgerungen

Personenregister

. . . 49

. . . . 143

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

Einleitung Thema der vorliegenden Arbeit ist die Entstehung und Etablierung der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung im Küstengebiet der Habsburgischen Monarchie. Zum österreichischen Küstenland gehörten außer der Stadt Triest (Trieste, Trst) die Markgrafschaft Istrien (Istria, Istra) und die Grafschaft Görz (Gorizia, Gorica) und Gradisca (Gradiska, Gradiška). Nach dem Zerfall der Donaumonarchie wurde das Gebiet Italien zugesprochen. Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde es zwischen Italien und Jugoslawien aufgeteilt. Heute gehören Teile des alten österreichischen Küstenlandes zum italienischen Staat, zur Republik Slowenien und zur Republik Kroatien. Triest war das wichtigste Zentrum des Küstenlandes und zusammen mit Wien, Budapest und Prag eine der bedeutendsten Städte der Gesamtmonarchie. Als „erster Hafen“ des Vielvölkerstaates hatte die Stadt eine supranationale Funktion inne. Nach dem Triester Historiker Carlo Schiffrer gab es in Österreich nur zwei Städte, deren Einfluss über die Grenzen des jeweiligen Umlandes hinaus reichte: die eine war Wien – als Hauptstadt – und die andere war Triest, das der Wirtschaft der Donaumonarchie Zugang zu den Weltmeeren eröffnete1. Im Zuge des Koerberplans (benannt nach dem Ministerpräsidenten, der ihn angeregt hatte), der den Bau eines ausgedehnten Netzes von schiffbaren Kanälen und Eisenbahnlinien vorsah, um den Handelsverkehr zwischen den verschiedenen Kronländern der Monarchie zu fördern, erhielt Triest eine zweite Eisenbahnverbindung ins Landesinnere sowie neue, ausgedehnte Hafenanlagen2. Bei der Eröffnung der Adriaausstellung im Jahr 1913 erklärte der Statthalter Fürst Conrad Hohenlohe feierlich, Triest gehöre nicht einer bestimmten Nationalität, sondern der ganzen Monarchie3. Die raison d’être Triests deckte sich also weitgehend mit der Zugehörigkeit der Stadt zu Österreich. Dies blieb nicht ohne Folgen für das Selbstverständnis der dortigen italienischsprachigen Sozialdemokraten, die in der Stadt das größte Kontingent der Sozialdemokratie stellten. Daneben existierte noch

1 Nach A. Ara, La questione dell’Università italiana in Austria, in: ders., Ricerche sugli Austro-Italiani e l’Ultima Austria, Rom 1974, S. 9-140, hier S. 72 f. 2 Zum Koerberplan und seinen Auswirkungen auf die Wirtschaft Triests vgl. A. Gerschenkron, An Economic Spurt That Failed, Princeton NJ 1977. 3 C. Schiffrer, Trieste e Vienna, in: Trieste, Rivista politica della Regione, 75 (1966), 13, S. 14-16, hier S. 14.

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Einleitung

eine kleinere südslawische Parteisektion. Stärker als in anderen Zentren der Monarchie berücksichtigten sie in ihrer politischen Praxis stets die enge Verbindung zwischen dem Adriahafen und dem habsburgischen Staat und pflegten auch stärkere Kontakte mit der Parteizentrale in Wien als andere Sektionen. Das zweitwichtigste Zentrum des Küstenlandes war Pola (Pula), das nach den Unruhen von 1848, die in Venedig einen besonders radikalen Verlauf angenommen hatten (Proklamation der „Repubblica Veneta“)4, zum Militärhafen des Habsburgischen Staates ausgebaut wurde. Der Rest des Küstenlandes war eher agrarisch geprägt. Es überwog der landwirtschaftliche Kleinbesitz, wobei hauptsächlich in den Bezirken der Grafschaft Görz eine blühende Genossenschaftsbewegung entstand. Als städtische Zentren kann man noch Görz – das den Landtag beherbergte –, die alte Garnisonstadt Gradisca und einige Orte an der Küste Istriens zählen, die als venezianische Munizipien entstanden waren. Das Küstenland, das bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Verwaltungseinheit unzusammenhängender habsburgischer Küstengebiete entstand, blieb stets von einer gewissen Künstlichkeit gekennzeichnet5. Erst nach dem Vertrag von Campoformio im Jahre 1797 und am Ende der napoleonischen Besatzung erhielten die Habsburger Küstenbesitzungen durch den Anschluss des einst venezianischen Istriens eine territoriale Geschlossenheit. Auch im Laufe des 19. Jahrhunderts verliehen ihnen aber bloß die Organe der Staatsverwaltung und die Vertreter der Zentralregierung (Statthalter) eine gewisse Einheit. Der Triester Historiker Elio Apih folgerte daraus: „[D]ie Zergliederung eines Gebietes mit solchen Eigenschaften ist auf geschichtlicher Ebene logischer als sein fortwährender Bestand“6. Eine zentrale Frage dieser Untersuchung zielt auf die Art und Weise, wie eine bestimmte politische Kultur – die sozialdemokratische in der Zeit der Zweiten Internationale – und die dazugehörigen Strukturen und Organisationen sich aus einem Zentrum (Wien) in eine abgelegene Peripherie

4 P. Ginsborg, Daniele Manin and the Venetian Revolution of 1848-49, Cambridge / New York 1979. 5 Über die verschiedenen institutionellen, territorialen und administrativen Reformen des Küstenlandes vgl. G. Cervani, Il litorale austriaco dal Settecento alla Dezemberverfassung del 1867, in: F. Valsecchi / A. Wandruszka (Hrsg.), Austria e province italiane 1815-1918. Potere centrale e amministrazioni locali (Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento. Quaderni, 6), Bologna 1981, S. 85-175; E. Faber, Litorale austriaco. Das österreichische und kroatische Küstenland 1700-1780, Graz 1995. 6 E. Apih, Dal particolarismo all’idea di regione nell’Italia nord-orientale. Lineamenti per un discorso, in: Clio. Rivista trimestrale di studi storici, 19 (1983), 4, S. 537-552, hier S. 552.

Einleitung

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ausdehnten, welche Veränderungen und Anpassungen im Laufe dieses Verbreitungsprozesses stattfanden, welche Träger und Kräfte zur Diffusion dieser Kultur beitrugen und, schließlich, durch welche Mechanismen eine gewisse Einheitlichkeit zwischen den verschiedenen Sektionen sowie eine gewisse Kontrolle der „Wiener Zentrale“ über die untergeordneten Parteizentren gewährleistet wurde7. Eine wichtige Rolle bei der Verbreitung sozialistischer Ideen in den abgelegenen Küstengebieten spielten anfänglich Gesellen auf Wanderschaft, die mit der deutsch-österreichischen Arbeiterbewegung bzw. mit ihrem Gedankengut in Berührung gekommen waren. Hauptsächlich in der Zeit vor der organisatorischen Verfestigung der Partei, die mit dem Wiener Parteitag von 1897 erfolgte, spielten kleine Netzwerke von Handwerkern, die in Triest einen Lektürezirkel oder einen Arbeiterverein gründeten, eine ganz erhebliche Rolle. Auch in einer späteren Phase, in der sich im Küstenland eine organisch mit Wien verbundene sozialdemokratische Partei herausgebildet hatte, waren einzelne Persönlichkeiten wie Wilhelm Ellenbogen und Valentino Pittoni für die Einhaltung der Parteiorthodoxie und die Umsetzung des sozialdemokratischen Organisationsmodells von maßgeblicher Bedeutung. Dass die Aufrechterhaltung einer politischen Kultur und einer entsprechenden Praxis die harte Arbeit eines Netzwerkes von Militanten „vor Ort“ erfordert, wurde für den Nationalismus von Pieter Judson hervorgehoben8. Allerdings gilt eine solche Feststellung für jede moderne politische Kultur, die sozialdemokratische eingeschlossen. Die Entwicklungen in Wien hatten unmittelbare Rückwirkungen auf die Situation an der Peripherie: so schuf die Gründung der Sozialdemokratischen Partei in Hainfeld (1889) die Voraussetzung dafür, dass in Triest sozialistische Arbeitervereine entstehen konnten, wobei die Gemengelage von Liberalen, Radikalen, Sozialisten und Irredentisten aus den Siebziger und Achtziger Jahren überwunden wurde. Auch die regelmäßig abgehaltenen Parteitage und die dort verabschiedeten Beschlüsse trugen erheblich dazu bei, dass die offizielle Parteilinie überall bekannt und wenigstens ansatzweise umgesetzt wurde. Es vollzogen sich also auch an der adriatischen Peripherie Prozesse, die zur Bildung eines klar erkennbaren sozialdemokratischen Lagers mit

7 Mit Bezug auf die Koordinierung zwischen dem Zentrum in Wien und den sozialdemokratischen Organisationen des Küstenlandes nach dem Hainfelder Parteitag unterschätzt m.E. Rudolf G. Ardelt die landesübergreifende Ausstrahlung der SDAP und ihre Fähigkeit, auch auf die Peripherie einzuwirken. Vgl. R.G. Ardelt, Vom Kampf um Bürgerrechte zum Burgfrieden. Studien zur Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie 1888-1917, Wien 1994, insbesondere S. 24-29. 8 P.M. Judson, Introduction, in: P.M. Judson. / M.L. Rozenblit (Hrsg.), Constructing Nationalities in East Central Europe, New York / Oxford 2005, S. 1-18.

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Einleitung

eigenen Organisationsstrukturen, Programmen, theoretischen Grundsätzen und Geselligkeitsformen führten. Bisher hat sich die Forschung zur sozialistischen Arbeiterbewegung in der Habsburger Monarchie fast ausschließlich auf Wien und auf die deutschsprachigen Länder konzentriert9. Diese Sichtweise erklärt sich nicht zuletzt daraus, dass die sozialdemokratische Partei in Österreich sich anfänglich auch selbst hauptsächlich als Sektion der deutschen Sozialdemokratie verstand10. Noch in den Achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts vertrat Karl Kautsky eine solche Auffassung. Erst am Parteikongress in Wien im Jahr 1897 wurden verschiedene Parteiexekutiven (italienisch, tschechisch, südslawisch, polnisch) anerkannt, die nicht nur eine andere Umgangssprache als deutsch verwendeten, sondern auch innerhalb politischer Konstellationen handelten, die zum Teil anders waren, als diejenigen der deutschsprachigen Länder. Zugleich schuf aber die Sozialdemokratie im Habsburgischen Staat wenigstens auf der Ebene der Kader und Funktionäre ein supranationales Zusammengehörigkeitsgefühl. Zu Recht wurde deshalb die sozialdemokratische Partei zu den zentripetalen Kräften der Monarchie gezählt11. Obwohl die Durchsetzung der offiziellen Parteilinie zuweilen von lokalen Widerständen begleitet war und obwohl viele sozialdemokratischen Führer und Parteimitgliedern in den Provinzen keine stramme sozialdemokratische Sozialisation wie in den Zentren der Partei durchliefen, näherte sich die Sozialdemokratische Partei in Österreich gewiss eher dem Modell einer modernen Massenpartei, die auf dem ganzen Gebiet des Staates ihre Wirkung entfaltete, als andere politische Kräfte. Gruppierungen wie die Liberalen und die Christlich-Sozialen wiesen z.B. keine regional- und sprach-

9 W. Maderthaner (Hrsg.), Sozialdemokratie und Habsburgerstaat, Wien 1988; H. Konrad, Deutsch-Österreich: Gebremste Klassenbildung und importierte Arbeiterbewegung im Vielvölkerstaat, in: J. Kocka (Hrsg.), Europäische Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert. Deutschland, Österreich, England und Frankreich im Vergleich, Göttingen 1983, S. 106-128; R.G. Ardelt, Vom Kampf um Bürgerrechte zum Burgfrieden; H. Konrad (Hrsg.), Die deutsche und die österreichische Arbeiterbewegung zur Zeit der Zweiten Internationale. Protokoll des 2. bilateralen Symposiums DDRÖsterreich vom 30.9 bis 3.10.1981 in Linz, Wien 1982; H. Hautmann / R. Kropf, Die österreichische Arbeiterbewegung vom Vormärz bis 1945. Sozialökonomische Ursprünge ihrer Ideologie und Politik, Wien 1978. Wichtigste Ausnahme: H. Mommsen, Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage im Habsburgischen Vielvölkerstaat, Wien 1963. 10 E. Hanisch / P. Urbanitsch, Grundlagen und Anfänge des Vereinswesens, der Parteien und Verbände in der Habsburger Monarchie, in: H. Rumpler (Hrsg.), Politische Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft, 2. Bde., Wien 2006, hier Bd. 1: Vereine, Parteien und Interessenverbände als Träger der politischen Partizipation (Die Habsburgermonarchie 1848-1918, 8/1), S. 15-111, hier S. 80 f. 11 O. Jászi, The Dissolution of the Habsburg Monarchy, Chicago / London 1971 (1. Aufl. 1929), S. 177-184.

Einleitung

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übergreifende Organisation auf und vertraten widersprüchliche Meinungen zu zentralen Themen wie etwa zur Wahl zwischen einer zentralistischen oder föderalistischen Struktur des habsburgischen Staates12. Selbst als nach 1907 – nachdem das allgemeine männliche Wahlrecht für die Reichstagswahlen eingeführt worden war – die nationalen Sektionen eine stärkere Autonomie von der Zentrale erlangten und selber Nationalisierungsprozesse durchliefen, blieben sie trotzdem durch eine übernationale politische Kultur geprägt und sozialisiert, wobei einige gemeinsame Grundsätze wie das Programm von Hainfeld oder die Thesen zur „Nationalitätenfrage“ aus dem Brünner Programm weiterhin als Orientierung galten. Gerade Untersuchungen zu den nichtdeutschen Sektionen, die den Schwerpunkt auf deren politische Praxis, ihre theoretischen Debatten sowie ihre Beziehungen zur deutsch-österreichischen Sozialdemokratie legen, können daher wichtige Hinweise liefern, inwiefern und in welchen Bereichen die Sozialdemokratie in der Habsburger Monarchie in der Lage war, als „transnationale“ politische Kraft zu handeln, beziehungsweise inwiefern ihre nationalen Sektionen im Gegenteil als Artikulationen einer nationalpolitischen Landschaft auf substaatlicher Ebene dienten13. Diese Untersuchung basiert in erster Linie auf der Dokumentation des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung in Wien, wo die Bestände der Sozialdemokratischen Parteiarchive und des Adler-Archivs aufbewahrt werden, sowie auf den im Staatsarchiv Triest verfügbaren Quellen (Bestände der Statthalterei und der Polizeidirektion).

12 E. Hanisch / P. Urbanitsch, Grundlagen und Anfänge des Vereinswesens, der Parteien und Verbände in der Habsburger Monarchie, S. 38-45 (zum Liberalismus in Österreich und seinen Aporien), 77 f (zu den Christlich-Sozialen). In den 1870er Jahren hatte sich ein parlamentarischer Club von Klerikalkonservativen gebildet, in dem Abgeordnete aus den Alpenländern, aus Istrien, der Krain und Dalmatien sowie einige Parlamentarier aus der Bukowina und Niederösterreich vertreten waren. Man kann aber freilich bei dieser Koalition, aus der sich in den 1880er Jahren die Abgeordneten aus den Alpenländern zurückzogen, nicht von einer modernen Partei sprechen; J.W. Boyer, Political Radicalism in Late Imperial Vienna. Origins of the Christian Social Movement, 1848-1897, Chicago / London 1981, S. 29. Boyer kann allerdings in einem späteren Werk zeigen, dass die Christlich-Sozialen in Wien und Niederösterreich einen zweiten politischen Raum schufen, der den Parteien als „Alternative zum gescheiterten parlamentarischen Leben auf der Ebene des k.k. Staates“ (ebd., S. 307) diente. Nicht im Gesamtstaat, sondern in seiner Metropole und dann in den Ländern gelang der Aufbau eines modernen Parteiensystems; J.W. Boyer, Karl Lueger [1844-1910]. Christlichsoziale Politik als Beruf, Wien u.a. 2010. 13 Zur Frage der Artikulation des politischen Lebens im Rahmen eines nationalen Diskurses, der den österreichischen Staat nicht in Frage stellte, vgl. G. Cohen, Nationalist Politics and the Dynamics of State and Civil Society in the Habsburg Monarchy, 1867-1914, in: Central European History, 40 (2007), S. 241-278.

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Einleitung

Ich möchte an dieser Stelle dem Personal der konsultierten Archive, Institute und Bibliotheken für die mir zuteil gewordene Hilfe danken. Elio Apih (gest. 2005) und Giorgio Negrelli haben die Entstehung des Manuskripts mit kritischer und aufmerksamer Anteilnahme verfolgt. Mein besonderer Dank gebührt weiterhin Dr. Pierpaolo Dorsi von der Soprintendenza archivistica del Friuli-Venezia Giulia, Prof. Dr. Giovanni Radossi vom Centro di Ricerche Storiche di Rovigno, Dr. Wolfgang Maderthaner vom Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung und vor allem Prof. Dr. Edith Saurer, die mir die wissenschaftlichen Strukturen des Instituts für Geschichte der Universität Wien öffnete und mir ihre kostbare Freundschaft zuteil werden ließ.

Erstes Kapitel Die Anfänge der Arbeiterorganisation Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts ist die Triester Gesellschaft von einem lebhaften, in erster Linie bürgerlichen Vereinsleben geprägt, in dem allerdings kaum politische Tendenzen festzustellen sind. Diese Stadt, die vielfach als vorzeitig bürgerlich und „modern“ bezeichnet worden ist, erscheint uns paradoxerweise im Hinblick auf Rezeption und Verbreitung liberaler Werte im Habsburgerreich im Rückstand1. Über den bürgerlichen Charakter Triests in der Ära Metternichs besteht kein Zweifel; seinen Ausdruck fand er in den Umgangsformen, der Alltagskultur und den zirkulierenden Ideen über die soziale Ordnung. Solche Ansichten fanden jedoch keinerlei Niederschlag im politischen Leben. Die städtische Kaufmannschaft, die sich im Laufe des 18. Jahrhunderts unter einem Regime von Privilegien und kaiserlichen Patenten herausgebildet hatte, blieb während der gesamten ersten Hälfte der 19. Jahrhunderts die dominierende Klasse, um die sich auch die entstehende Mittelschicht gruppierte2. Die in der halbkörperschaftlichen Struktur der Handelsbörse organisierten Kaufleute waren für Fragen der „politischen Freiheiten“ wenig empfänglich. Die zivilen Freiheiten (Kultusfreiheit, Niederlassungsfreiheit, Gewerbefreiheit) wurden der Handelsstadt indessen aufgrund ihres Freihafenstatus bereits ab der Maria-theresianischen Epoche mittels einer Reihe kaiserlicher Patente gewährt. Es scheint, dass der Triester Mikrokosmos vor diesem Hintergrund keine Bedürfnisse erkennen ließ, die über die Freiheit des wirtschaftlichen Unternehmertums (wir befinden uns in den Gründungsjahren der Dampfschifffahrtsgesellschaft Lloyd und der großen Versicherungsgesellschaften), die religiöse Toleranz, eine moderate Presse- und Vereinsfreiheit, und einen standesgemäßen Lebensstil, zu dem

1 G. Negrelli, In tema di irredentismo e di nazionalismo, in: R. Pertici (Hrsg.), Intellettuali di frontiera. Triestini a Firenze (1900-1950), 2 Bde., Florenz 1985, hier Bd. 1: Relazioni, S. 251-292; E. Maserati, Il movimento operaio a Trieste dalle origini alla prima guerra mondiale, Mailand 1973, S. 8 ff. 2 M. Cattaruzza, Stadtbürgertum und Kaufmannschaft in Triest: 1749-1850, in: R. Hoffmann (Hrsg.), Bürger zwischen Tradition und Modernität, Wien / Köln 1997, S. 225-246; E. Apih, La società triestina tra il 1815 e il 1848, in: Italia del Risorgimento e mondo danubiano-balcanico, Udine 1958, S. 25-38; G. Sapelli, Uomini e capitali nella Trieste dell’Ottocento. La fondazione della Riunione adriatica di sicurtà, in: Società e storia, 7 (1984), S. 821-874.

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1. Kap.: Die Anfänge der Arbeiterorganisation

auch die klassischen bürgerlichen Vergnügungen (Theater, Bälle, der Karnevalsumzug3) gehörten, hinausgingen. Dieses Gesellschaftsbild bleibt auch nach den Ereignissen von 1848 bestehen; mit Ausnahme einer verschwindenden Minderheit von Demokraten und Anhängern Mazzinis teilte sich das politische Feld in zwei Lager: auf der einen Seite die Giunta dei Triestini, die die Handelsinteressen vertrat und eine Annäherung der Stadt an den Deutschen Bund erstrebte, auf der anderen die habsburgtreue Società dei Triestini, die ein gemäßigtes Verfassungsprogramm vertrat4. Die Assoziationen der unteren Volksschichten fügten sich bis zum Ende der Sechziger Jahre reibungslos in den gemäßigt bürgerlichen Rahmen des städtischen Mikrokosmos ein. Es handelte sich dabei hauptsächlich um Selbsthilfe-Vereine und Solidaritätsorganisationen für Krankheits- und Todesfälle, die ganz den liberalen Werten der Eigenverantwortung und der Aktivierung des Einzelnen entsprachen. Der größte dieser Vereine war die 1850 gegründete Associazione di mutuo soccorso per ammalati, die 1864 mehr als 700 Mitglieder zählte und in wohltätiger Absicht von einigen maßgeblichen Vertretern der Finanz- und Handelsoligarchie gegründet worden war. Nicht zufällig war Pasquale Revoltella, damals der bedeutendste Financier der Handelsstadt Triest, Präsident und Mäzen dieser Vereinigung5. Ähnliche Merkmale weist das im Jahre 1842 von herausragenden Exponenten der Kaufmannschaft wie Joachim Hirschel gegründete Istituto di mutuo soccorso dei commercianti auf, das den zahlreichen Angestellten der Handelsfirmen ein Fürsorge- und Berufsbildungsprogramm bot6. Andere Krankenversicherungsgesellschaften waren hingegen nach Berufskategorien organisiert und wurden von Handwerksmeistern oder Gesellen geleitet, wie zum Beispiel im Falle des 1834 gegründeten Pio istituto di reciproca assistenza dei cappellai (Frommes Institut für die gegenseitige Hilfe der Hutmacher), das in seinen Satzungen von 1853 nicht nur Unterstützungen in Krankheits- und Todesfällen, sondern

3 Ein exemplarischer Ausdruck dieser auf Bürgerlichkeit basierenden, aber auch für die Wissenschaft offenen Kultur mit einem besonderen Interesse an den balkanischen Völkern war die Zeitschrift „La Favilla“. Vgl. dazu G. Negrelli (Hrsg.), La Favilla (1836-1846). Pagine scelte della rivista, Udine 1985. 4 Zum Jahre 1848 in Triest vgl. C. Schiffrer, Le origini dell’Irredentismo triestino, 2. Aufl., Udine 1978 (1. Aufl. 1 937). Eine partielle Revision von Schiffrers Interpretation, mit stärkerer Betonung des konstitutionellen Charakters der 1848er Bewegung in: G. Negrelli, Comune e Impero negli storici della Trieste asburgica, Varese 1968, insbesondere S. 115 f. 5 Archivio di Stato di Trieste (künftig AST), Polizeidirektion, Vereine, Bd. 6; E. Maserati, Il movimento operaio a Trieste, S. 27-31. 6 AST, Polizeidirektion, Atti Presidiali Riservati (künftig APR), Bd. 258/1856.

1. Kap.: Die Anfänge der Arbeiterorganisation

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auch Reisebeihilfen vorsah, die nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit auch Mitgliedern anderer Vereine dieser Art in Europa gewährt wurden7. In den folgenden Jahren gründeten auch andere Berufskategorien wie die Böttcher (1850) und die Drucker (1868) ihre eigenen Krankenkassen8. Man begegnet weiterhin religiösen Bruderschaften, welche die josephinischen Maßnahmen überlebt hatten oder während der Restauration wiedererstanden waren. Eine davon, die altehrwürdige Bruderschaft In nome di Gesù, Maria, S. Nicolò e S. Giuliano, nahm vor allem Handwerksgesellen des Lloyd Arsenals, der damals größten Werft der Stadt, auf. Die Kalfaterer (zuständig für die Abdichtung der Fugen der Holzschiffe mit Teer) hatten hingegen einen Verein „zum heiligsten Kruzifix der Marine“ gegründet. Außer Fürsorgeleistungen pflegten diese Bruderschaften besondere Formen religiöser Barmherzigkeit im Volke, mittels derer sie ihre Verehrung gegenüber dem jeweiligen Schutzheiligen zu Ausdruck brachten9. Die in anderen Städten damals oft erfolgte Transformation einer einstigen Handwerkerzunft in eine 7 AST, Statthalterei, Allgemeine Akten, Bd. 284; G. Piemontese, Il movimento operaio a Trieste. Dalle origini all’avvento del fascismo, Rom 1974 (1. Aufl. 1961), S. 27 f. 8 E. Maserati, Il movimento operaio a Trieste dalle origini alla prima guerra mondiale, Mailand 1973, S. 27, 34. 9 Am Anfang der Satzung der Bruderschaft des Hl. Nikolaus steht geschrieben: „Wir, die in der österreichischen Werft Lloyd und in anderen verschiedenen Werken arbeiten, sind alle Handwerker, die nicht nur den üblichen Krankheiten unterworfen sind, sondern auch oft Prellungen, Wunden und Brüche während unserer Arbeit davontragen und keinerlei Ersparnisse für den Krankheits- oder Todesfall haben; wir sind daher übereingekommen, nach Zustimmung der obersten kirchlichen und zivilen Behörden die Bruderschaft unter dem Schutz des Hl. Nikolaus, dem Schutzherrn der Seefahrer und der Marine, zu der dieses Werk gehört, zu gründen, um uns im Krankheits- und Todesfall gegenseitig zu helfen, die kirchlichen Zeremonien feierlicher zu gestalten und unser Leben gemäß den Gesetzen der katholischen Kirche zu führen, die Feiertage zu heiligen und die Heiligen Sakramente zu empfangen“. Die von der Satzung vorgesehenen Andachtsformen waren unter anderem folgende: „11. Das Fest des Schutzpatrons der Bruderschaft des Hl. Nikolaus ist am 6. Dezember, an jenem Tag wird eine feierliche Messe am Altar dieses Heiligen in der Pfarrkirche des Hl. Jakob für die Mitbrüder gesungen und am Nachmittag die Litaneien und der Segen mit Orgelbegleitung im Beisein aller Mitbrüder. 12. Alle Mitbrüder, anständig gekleidet, möglichst in Schwarz, werden hinter dem Kreuz und der Fahne des Heiligen an der Fronleichnamsprozession mit Fackeln in den Händen teilnehmen … In gleicher Weise werden alle, mit Fackeln in den Händen, an der Prozession des Resurrexit, die am Ostertag in der Pfarrkirche des Hl. Jakob stattfindet, teilnehmen; an jedem zweiten Feiertag im Wechsel mit den Brüdern des Hl. Rocco Werft werden zwölf von ihnen mit Fackeln in den Händen an den Vormittags- und Nachmittagsgottesdiensten teilnehmen … 13. Die Bruderschaft wird den Altar des Hl. Nikolaus in der Kirche des Hl. Jakob in der neuen Rena mit den nötigen Kerzen und Palmen ausstatten“; AST, Statthalterei, Allgemeine Akten, Bd. 284. Für die „Vereinigung der Kalfaterer des Heiligsten Kruzifixes der Marine“ vgl. AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 258/1856.

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1. Kap.: Die Anfänge der Arbeiterorganisation

Krankenkasse ist im Falle Triests hingegen nicht zu beobachten. Dies kann nur teilweise der von der französischen Besatzungsmacht in den illyrischen Provinzen ausgeübten antikorporativen Politik (1809-1813) zugeschrieben werden. Eher hat es den Anschein, als ob die Tradition der Zünfte in Triest nicht besonders tief verwurzelt gewesen sei. So findet man in den Selbsthilfevereinen der Arbeiter und Handwerker keinerlei kulturelle oder semantische Hinweise auf eine zünftlerische Vergangenheit. Auch die Statuten der Stadt erwähnten in keiner Weise eine Rolle der Zünfte in der städtischen Selbstverwaltung10. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Arbeitervereinswesen in Triest bis zum Übergang Österreichs in die Verfassungsära (1867) von sporadischen Selbsthilfe-Initiativen gekennzeichnet war, die von ähnlichen Aktivitäten von Seiten der wirtschaftlichen Elite (philanthroper Mutualismus) begleitet wurden oder auf vormoderne Gepflogenheiten christlicher Barmherzigkeit zurückgingen, die von den Bruderschaften verschiedener Berufsgattungen getragen wurden11.

Die Società Operaia Triestina Mit der Gründung der demokratisch ausgerichteten Società Operaia Triestina (SOT) beginnt im Jahre 1869 eine neue Phase der Arbeiterorganisation12. Die Società Operaia war eng mit der Società del Progresso verbunden, die ein erstes Beispiel einer politischen Gruppierung darstellte und 1868 mit liberalen und stark antiklerikalen Zielsetzungen gegründet worden war. Das erste Programm der Società del Progresso vertrat, unter anderem, die völlige Unabhängigkeit von Staat und Kirche und ein gleiches und aktives Wahlrecht für die männliche Bevölkerung, das durch Abschaffung eines zensusbasierten 10 Zum geringen Gewicht der Handwerkerzünfte in Triest vgl. die Betrachtungen des bedeutendsten Triester Historikers des 19. Jahrhunderts, Pietro Kandler, in: Archivio Comunale di Trieste (künftig ACT), 10 F VIII 3 (Le corporazioni). Die Zünfte werden im Übrigen auch nicht in den Stadtstatuten des Jahres 1550 erwähnt; Antonius Turrinus Typograpus, Statuta inclitae civitatis Tergesti, Tergesti MDCXXV. 11 Vgl. z.B. die bereits 1213 gegründete Bruderschaft des Heiligen Sakraments (Confraternita del SS. Sacramento), die im josephinischen Zeitalter aufgelöst und 1819 wieder eingesetzt wurde. Die Satzung der Bruderschaft in: AST, Statthalterei, Allgemeine Akten, Bd. 284. Die Bruderschaft der Adeligen (Confraternita dei Nobili) hingegen, zu der lediglich die Angehörigen der 13 Patriziergeschlechter zugelassen waren und die 1784 aufgelöst worden war, wurde nicht wieder ins Leben gerufen – wahrscheinlich, weil in der Ära Metternichs fast alle Patrizierfamilien ausgestorben waren; P. Kandler, Storia del Consiglio dei Patrizi di Trieste dall’anno 1382 all’anno 1809, Triest 1855. 12 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 304, Satzung der Società Operaia Triestina con mutuo soccorso cooperatrice.

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Kuriensystems erreicht werden und mithin auch weniger bemittelten Schichten Zugang zur Politik verschaffen sollte. Weiter wurde eine föderalistische Reform der Habsburgermonarchie gefordert sowie die „politische und soziale Hebung der Arbeiterklassen durch Gründung entsprechender Institutionen“13. Der Befolgung des letzten Punktes ist wahrscheinlich die Gründung der Società Operaia durch die radikaleren Exponenten („einige Garibaldiner“) der Società del Progresso zu verdanken14. Die Società del Progresso bildete den Kern der späteren Liberalnationalen Partei. In diesen ersten Jahren war jedoch ein breiteres politisches Spektrum in ihr vertreten, das vom Liberalismus bis zu radikaldemokratischen Strömungen reichte15. Ihre Gründung war eine unmittelbare Folge der teilweisen Legalisierung politischer Vereine, die mit der Verfassung von 1867 erfolgt war16. Gleichzeitig stellte sie den zeitweiligen Kristallisationspunkt eines liberalen politischen Milieus dar, das sich zunächst auf Initiative einer Minderheit im Rahmen der bereits bestehenden Kultur- und Freizeitvereine (Società filarmonica-drammatica, Gabinetto di Minerva) entwickelt hatte und nach der Gründung des italienischen Königreichs und der Annektierung Venetiens erstarkt war17. Hinsichtlich der gesellschaftlichen Zusammensetzung herrschte in ihr das kleinbürgerliche Element vor18. Kulturpolitisch bezog sich 13 Statuti dell’ Associazione politica: Società del Progresso. Die Satzungen sowie die stenographischen Protokolle der öffentlichen Versammlungen der Jahre 1869, 1870, 1871, 1872 und 1875 sind in der Biblioteca Civica in Triest aufbewahrt. 14 G. Cesari, Sessant’anni di vita italiana – 1869-1929. Memorie della Società Operaia Triestina, Triest 1929, S. 30. 15 G. Negrelli, Al di qua del mito. Diritto storico e difesa nazionale nell’autonomismo della Trieste asburgica, Udine 1978, S. 136-147. Laut Negrelli strebten die Triester Liberalen nur danach, die Autonomierechte der Stadt im eigenen Interesse zu erweitern und auszubauen und den Sonderstatus der Freihafenstadt zu festigen. 16 Das Gesetz vom 15. November 1867 über das Vereinsrecht unterstellte die Tätigkeit der politischen Vereine einer ziemlich strengen Regelung. Unter anderem wurden keine „Auswärtigen, Frauen und Minderjährige“ zugelassen; die Vereine mussten der Polizei Einsicht in ihre Mitgliedslisten gewähren, durften keine Beziehungen zu anderen politischen Vereinen unterhalten und keine Ableger gründen; Legge del 15 novembre 1867 sul diritto di associazione, in: Bollettino delle leggi dell’Impero, 58 [1868], 134, S. 260-265. 17 E. Apih, Trieste, Rom / Bari 1988, S. 49-56. 18 Aus dem stenografischen Protokoll der öffentlichen Sitzung der Società del Progresso vom 31. Mai 1870 geht hervor, dass von den 612 Mitgliedern 331 das Wahlrecht besaßen. Von diesen gehörten 22 der I. Kurie, 79 der II. Kurie, 103 der III. Kurie und 117 der IV. Kurie an. Zehn wählende Mitglieder wählten in den Landbezirken. Die große Mehrheit der wählenden Mitglieder gehörte demnach den unteren Wählerkurien an; Società del Progresso. Resoconto stenografico della seconda seduta [pubblica] del terzo anno sociale tenuta il dì 31 Maggio 1870 alle ore p.m. nel Teatro Filodrammatico, S. 4.

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die Società del Progresso auf den italienischen Liberalismus freimaurerischer, antiklerikaler und frankophiler Ausrichtung19. Nichtsdestoweniger war ihr erstes Programm ausdrücklich föderalistisch-habsburgisch orientiert20 und ließ keinerlei antislawische oder irredentistische Tendenzen erkennen. An erster Stelle stand nämlich „die einträchtige und freie Entwicklung der verschiedenen Nationalitäten“21. In dieser Phase waren es viel eher antiklerikale Überzeugungen als nationale Gegensätze, der die Kontakte der Vereinigung zur meist streng katholischen und noch fast vollständig ländlichen slawischen Bevölkerung erschwerten. Die Società Operaia Triestina strebte ihrerseits nach der Vereinigung und Solidarität der Arbeiterschaft zum Zweck der gegenseitigen Hilfeleistung, um „ihren sittlichen und materiellen Wohlstand zu fördern“22. Im Gegensatz zu den früher gegründeten Hilfsvereinen verlieh die SOT ihrem Programm mehr politischen Nachdruck und nannte unter den Mitteln, mit deren Hilfe sie eine Verbesserung der Lage der Arbeiterschaft erzielen wollte, die Lektüre, die Verbreitung von erzieherischen Schriften und Büchern, Bildungskurse sowie Petitionen, Botschaften und alle anderen vom Gesetz zugelassenen Mittel. Wie die Società del Progresso wies sie keinerlei Anzeichen von nationaler 19 Diese Orientierung tritt z.B. im Ton der anlässlich der Eroberung Roms und der Niederlage von Sedan verabschiedeten Anträge klar zutage. Im ersteren Fall wurde der folgende Antrag verabschiedet: „Die Società del Progresso von Triest erklärt in öffentlicher Versammlung, dass sie die soeben mit politischer Weisheit dank der Tugend des Volks und der Regierung Italiens durchgesetzte Beendigung der weltlichen Macht der Päpste für das größte und bedeutendste Ereignis der modernen Epoche und für einen Triumph der liberalen und nationalen Prinzipien hält … Und daher ist sie in ihrer Begeisterung mit der gesamten zivilen Welt vereint“; Società del Progresso. Resoconto stenografico dell’adunanza pubblica tenuta il dì 25 Settembre 1870 alle ore 12 merid. nel Teatro Mauroner, S. 3. Im Kommentar zur katastrophalen französischen Niederlage – die immerhin die Lösung der römischen Frage ermöglicht hatte – und zum Widerstand der Kommunarden kommt hingegen einstimmig folgender Standpunkt zum Ausdruck: „Die öffentlich versammelte Società del Progresso von Triest, die den Eroberungskrieg verabscheut, erkennt im heroischen Widerstand des glorreichen französischen Volkes dessen Liebe für Vaterland, Freiheit und Unabhängigkeit, bewundert das großherzige, vom Volk gelieferte Beispiel und gibt dem Wunsch Ausdruck, dass eine ehrenvolle und gerechte Beilegung den abscheulichen Konflikt beenden möge; sie verleiht dem Anspruch auf Frieden Nachdruck, auf dass überall die Rechte der Nationen und der Völker triumphieren mögen“ (Società del Progresso. Resoconto stenografico della pubblica assemblea tenuta il dì 29 gennaio 1871, S. 6). 20 Vgl. z.B. die vorsichtig optimistischen Bemerkungen zum föderalistischen Programm von Minister Hohenwart in: Società del Progresso. Resoconto stenografico della 3a Tornata del 4. Anno Sociale, tenuta il dì 31 Agosto 1871 al Teatro Armonia, S. 5-7. 21 Dieser Punkt des Programms blieb auch in den überarbeiteten Satzungen von 1879 erhalten (Statuti dell’associazione politica Società del Progresso, Triest 1879). 22 Statuto della Società Operaia Triestina.

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Ausgrenzung auf, und in jenen Jahren traten ihr durchaus auch Arbeiter slawischer Nationalität bei23. In Übereinstimmung mit ihren Idealen vertrat die SOT ein Kooperationsverhältnis zwischen Kapital und Arbeit und suchte während der ersten Streiks in der Stadt, die in den Jahren 1869 und 1883 den metallurgischen Sektor betrafen, nach versöhnlichen Konfliktlösungen24. Im ersten Gesellschaftsbericht der Jahre 1869-1870 kann man dazu lesen: „Häufig traten Fälle der Arbeitsniederlegung auf, um die Geschicke der Arbeiter zu verbessern, und obwohl diese Niederlegungen von der Direktion [der SOT] weder empfohlen noch ermutigt wurden, war diese immer bereit, die Sache der Arbeiter zu verteidigen, indem sie ihnen dazu riet, ihre Forderungen maßvoll zu halten und andererseits die Arbeitgeber ermahnte, nachzugeben und zu gewähren, was die Gesetze der Gerechtigkeit und Menschlichkeit forderten“25.

Anlässlich eines Streiks der Metallarbeiter im Jahre 1869 berief die SOT die erste Versammlung der Arbeiter aller Sparten ein und verfocht, wenn auch mit geringem Erfolg, diese versöhnliche Ausrichtung26. Innerhalb der SOT gab es jedoch in diesen ersten Jahren sehr verschiedene Einstellungen. Dies entsprach im Übrigen der geringen Differenzierung zwischen den demokratischen und liberalen Flügeln der ersten Arbeiterbewegung in Europa wie auch in der Habsburger Monarchie. Die Arbeiter waren damals hauptsächlich in Arbeiterbildungsvereinen organisiert, die ein Nebeneinander von Sozialisten und Liberalen aufwiesen, stark von den Theorien von Schulze-Delitzsch beeinflusst waren und ein Emanzipationsprogramm vertraten, das die Gründung einer Genossenschaftsbewegung sowie einen Selbsterziehungsprozess der Arbeiter anstrebte27. 23 G. Cesari, Sessant’anni di vita italiana, S. 46, 52. Vgl. dazu auch die scharfsinnigen Bemerkungen von Angelo Vivante: „In den Anfängen [der SOT] wird die nationale Note sehr wenig betont und verschwindet geradezu hinter der sozialen, die noch nicht mit der ersteren in Konflikt geraten ist“; A. Vivante, Irredentismo adriatico – contributo alla discussione sui rapporti austro-italiani, hrsg. von E. Apih, 4. Aufl., Triest 1984 (1. Auf. 1912), S. 109. 24 E. Maserati, Il movimento operaio a Trieste, S. 55, 70, 81. 25 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 304, “Società Operaia Triestina con mutuo soccorso cooperatrice. Resoconto sociale anno I, dal 27 giugno 1869 a tutto giugno 1870“, S. 1. 26 E. Maserati, Il movimento operaio a Trieste, S. 55. 27 Zum Nebeneinander von liberalen und sozialistischen Strömungen in den jeweils von Heinrich Oberwinder und Andreas Scheu geleiteten Wiener Arbeiterbewegungen der sechziger und siebziger Jahre vgl. z.B. H. Steiner, Die Arbeiterbewegung Österreichs 1867-1889. Beiträge zu ihrer Geschichte von der Gründung des Wiener Arbeiterbildungsvereins bis zum Einigungsparteitag in Hainfeld, Wien 1964, S. 60-67. Zum Prozess der Verselbständigung der österreichischen Arbeiterbewegung vom Liberalismus und ihrer Annäherung an lassallische und marxistische Positionen

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Zu Beginn der Siebziger Jahre vertraten einzelne Mitglieder und Führer der SOT ziemlich radikale Ideen. Der Vereinsvorsitzende, der ehemalige Garibaldiner Edgardo Rascovich, wurde zum Beispiel zwischen 1871 und 1872 wegen irredentistischer Tätigkeit und internationalistischer Propaganda vor Gericht gestellt, schließlich jedoch von beiden Anklagepunkten freigesprochen. Antonio Tribel, Mitglied des ersten Vorstands der SOT, wurde angeklagt, weil er ein Solidaritätstelegramm an die Organisatoren der großen sozialistischen Kundgebung vom 13. Dezember 1869 in Wien zugunsten des allgemeinen Wahlrechts und der völligen Koalitions-, Versammlungs- und Pressefreiheit gesandt hatte28. In Absprache mit der Società del Progresso und anderen liberalen Vereinigungen hatte die SOT des Weiteren eine Solidaritätsbotschaft an Victor Hugo gesandt, der aus Belgien ausgewiesen worden war, weil er politische Flüchtlinge der Pariser Kommune bei sich aufgenommen hatte29. Das Organ der SOT, „L’Operaio“, das eine für die damalige Zeit recht hohe Auflage v on 3.000 Exemplaren erreichte, wurde zwischen 1878 und 1884 siebenundzwanzig Mal beschlagnahmt, weil es Artikel sozialistischen Charakters veröffentlicht hatte30. Auf praktischer Ebene konzentrierte die SOT ihre Kräfte hauptsächlich auf die Verstärkung der Arbeiterselbsthilfe. In zweiter Linie förderte der Verein Wohltätigkeits-, Bildungs- und Sportinitiativen wie die Gründung von

vgl. H. Konrad, Die Arbeiterbewegung in der österreichischen Reichshälfte, in: W. Maderthaner (Hrsg.), Arbeiterbewegung in Österreich und Ungarn bis 1914, Wien 1986, S. 124-139. Zu den Anfängen der Arbeiterbewegung in Österreich vgl. auch die Überblicksdarstellung von G.M. Bravo, Nel centenario della II Internazionale. Le origini del Socialismo nell’Impero asburgico, in: Studi Storici, 30 (1989), 3, S. 639-678, mit einigen Hinweisen auf die Entwicklung des Sozialismus im Küstenland. 28 Zur eindrucksvollen Veranstaltung unter Teilnahme von 20.000 Demonstranten, größtenteils Arbeitern, die vor dem Parlament aufzogen vgl. H. Steiner, Die Arbeiterbewegung Österreichs, S. 20-25. Zu den erlittenen gerichtlichen Unannehmlichkeiten und dem ideologischen Eklektizismus der Vorstandsmitglieder der SOT vgl. E. Maserati, Il movimento operaio a Trieste, S. 74-79. Nach Maserati „ist es schwierig, die Männer des Arbeitervereins in den Rahmen der internationalen sozialistischen Bewegung einzureihen. Ihre nationaldemokratische Geistesbildung gebot allzu fortschrittlichen Stellungnahmen zur Gleichberechtigung Einhalt und näherte sie eher dem garibaldinischen Radikalismus, der zwar sozial und menschenfreundlich, aber auch unstet und widersprüchlich war. Eine solche Einstellung hatte den General [Garibaldi] dazu bewogen, als erster die Pariser Kommune zu preisen und die internationale Arbeiterbewegung zu unterstützen, ohne jedoch den Begriff des Klassenkampfes zu begreifen, wobei er Sozialismus, Gerechtigkeit, Verbrüderung aller Menschen und Fortschritt der Vernunft durcheinander brachte (ebd., S. 78 f., eigene Hervorhebung). 29 G. Cesari, Sessant’anni di vita italiana, S. 65 f. 30 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 250, Polizeibericht vom 16. August 1884 an die Statthalterei über die Verbreitung und die Merkmale des Sozialismus in Triest.

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Kindergärten, Volksküchen, Berufsbildungskursen und eines Rudervereins, die alle am liberalen, städtischen Netzwerk teil hatten31, und in denen sich ab den Achtziger Jahren die Tendenz einer permanenten Mobilisierung zur Verteidigung des italienischen Charakters der Stadt abzeichnete32. Innerhalb der Arbeiterbewegung stellt die SOT für Triest das erste Beispiel eines Arbeitervereins dar, der verschiedenen Berufsgattungen offen stand. Bereits ein Jahr nach ihrer Gründung zählte sie 2.533 Mitglieder, die aus den unterschiedlichsten Bereichen der städtischen Wirtschaft stammten. Die zahlenstärksten Gruppen bildeten die „Handelsgehilfen und Schreibkräfte“ mit 293, die Kesselschmiede mit 225, die Mechaniker mit 194, die Landarbeiter mit 157, die Schmiede mit 130 und die Schreiner mit 128 Mitgliedern. Aber der SOT gehörten auch Kaffeehausbesitzer, Schuster, Dienstboten, Köche, Fischer, Metzger, Posamentenmacher, Wirte, Segelmacher, Lebensmittelhändler, Trödler und weitere Berufsgruppen an33. Es handelte sich daher um eine in ihrer gesellschaftlichen Zusammensetzung heterogene Organisation, in der sich noch keine Aufteilung in Lohnempfänger, Handwerksmeister, Angestellte und kleine Unternehmer vollzogen hatte. Das relative Gewicht der verschiedenen Berufsklassen spiegelt im Großen und Ganzen die damalige wirtschaftliche Struktur der Stadt wider, in der der einzige wirkliche Kern der Arbeiterschaft aus Metallarbeitern und Schiffsbauern der Werften und Werkstätten bestand. Darüber hinaus fanden sich Berufe, die mit dem Warenumschlag im Hafen zu tun hatten, (Hafenarbeiter, Verladearbeiter), weiter typische Marineberufe (Mastenbauer, Rudermacher, Seilmacher, Segelmacher) sowie eine Reihe von Handwerksberufen, wie sie damals in jeder Stadt anzutreffen waren. Ein weiterer wichtiger Tätigkeitsbereich der SOT war die Organisation „gesellschaftlicher Veranstaltungen“, die in den Satzungen vorgesehen war. Die Mitglieder waren stolz auf ihre Fahne, die eine mit zwei blauen Bändern verzierte Hellebarde auf rotem Grund zeigte und den Namen des Vereins sowie das Motto „Lavoro e Fratellanza“34 trug. Die Anhänglichkeit der Arbeiter gegenüber dem Verein wird aus einer Liste von Geschenken ersichtlich, die ihm im ersten Jahr seines Bestehens zugingen. Unter den Gaben befanden sich unter anderen „ein kleiner gusseiserner Amboss mit Mechanik und dazugehörigem Hammer, angefertigt vom Mitglied Antonio Padovani, Modellbauer“, „eine große Messingurne mit Verzierung, entworfen G. Cesari, Sessant’anni di vita italiana, S. 65 f. G. Negrelli, Al di qua del mito, S. 166 f. 33 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 304, Società Operaia Triestina, Mitgliederliste vom 27. Juni 1870. 34 Statuti della Società Operaia Triestina. 31 32

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vom Mitglied Pietro Rangan“, „ein verschiedene Handwerke darstellendes Gemälde“ vom Maler G.B. Pascutti sowie diverse Gegenstände mit der Aufschrift „Lavoro e Fratellanza“35. Dieser Geste der verschiedenen Handwerkergruppen, den Verein mit selbst gefertigten Kunstgegenständen zu beschenken, lag ein gewisser Stolz auf die eigenen Handfertigkeiten zugrunde, der dann zum wesentlichen Element der Identität und Legitimation der sozialen Basis der sozialistischen Bewegung wurde. Mit der Società Operaia begann sich ein kollektives Zugehörigkeitsgefühl zur Klasse der Handarbeiter zu entwickeln, wobei die symbolischen und rituellen Formen der Vereinsgeselligkeit ein solches kollektives Selbstverständnis stärkten. Im Jahre 1879 wurde auf Initiative des slowenischen politischen Vereins Edinost der Delavsko podporno društvo gegründet36. Es handelte sich um einen Verein zum Zweck der gegenseitigen Hilfeleistung, der ausschließlich slowenische Werktätige aufnahm und dessen Tätigkeit sich über das gesamte Küstenland erstreckte. Innerhalb weniger Jahre traten dem Verein 1.200 Mitglieder bei. Im Gegensatz zur liberalen Vereinstätigkeit war der Delavsko podporno društvo ausgesprochen katholisch und habsburgtreu ausgerichtet, so dass im Jahre 1882 die Gemahlin des Thronfolgers, die Prinzessin Stefanie, zur Patin der Vereinsfahne ernannt wurde. Mit der Gründung des politischen Vereins Edinost und des Delavsko podporno društvo entstand im Küstenland ein zweites bedeutendes politisches Milieu, das sowohl in nationaler Hinsicht als auch aufgrund seiner politischen Ideale im Gegensatz zum italienisch-liberalen stand37. Die einsetzende Verbreitung sozialistischer Ideen Die Anfänge einer im engen Sinne sozialistischen Bewegung in Triest gestalteten sich schwierig: erste Versuche blieben ohne praktische Wirkung, so dass sich die Verbreitung sozialistischer Ideen bis zum Ende der Achtziger Jahre auf einen recht engen Personenkreisen beschränkte. Bereits 1868 wurde eine Associazione operaia di risparmio, mutuo soccorso e cooperazione gegründet, deren Satzung ihren politischer Charakter indes nur vermuten ließ, was sich daraus erklärte, dass politische Vereine sozialistischer Ausrichtung Geschäftsbericht 1. Jahr (vgl. oben Anm. 25). E. Maserati, Il movimento operaio a Trieste, S. 63-65. 37 Über die slowenischen Vereine zur gegenseitigen Hilfeleistung in den Anfängen der sozialistischen Bewegung vgl. die Diplomarbeit von A. Volk, Socialismo, associazionismo operaio e movimento nazionale sloveno a Trieste dal 1880 al 1890, Università degli Studi di Trieste – Tesi di laurea in Storia, Anno accademico 1991-92, insbesondere S. 71, 80 ff. 35 36

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in Österreich damals gesetzlich verboten waren38. Die vom Statthalter am 27. August 1869 genehmigte Satzung der Associazione operaia sah unter anderem folgende Zwecke vor: „1. Die Ersparnisse der Arbeiter zinsbringend anzulegen. 2. Im Bedarfsfall den Arbeitern Geld- oder Sachkredite zu beschaffen. 3. Gegenüber Behörden und Privatpersonen die Interessen und Rechte der Arbeiterklassen und der einzelnen Vereinsmitglieder zu vertreten und zu fördern und die Einführung all jener Verordnungen, die ihrem Interesse dienlich sind, zu erleichtern“39. Die für die damalige Arbeiterbewegung typische geringe Differenzierung zwischen Lohnarbeitern, Handwerkern und sonstigen manuellen Berufen spiegelt sich im Paragraphen 3 der Satzung wider, der vorsah, dass ordentliche Mitglieder „jene Arbeiter, Gesellen, Handwerker, Berufstätige, Gewerbetreibende, Ladenburschen, Leiter und Meister der Künste und Ladenbesitzer sind, die dem Verein beitreten, um der vereinbarten Leistungen und der Vorteile derselben teilhaftig zu werden“40. Der Verein war von den deutschen Schneidern Lodovico Hauer und Giuseppe Grünes gegründet worden. Der Erstere war ein recht bekannter Agitator der Ersten Internationale41. Auf der Versammlung im Juni 1868 wurde das Programm der Associazione operaia in deutscher und italienischer Sprache verlesen. Grünes hatte selbst eine Broschüre über die Vorteile der Vereine zur gegenseitigen Hilfeleistung verfasst und seine Thesen schienen völlig mit den liberalen Vorschlägen zur Lösung der Arbeiterfrage überein zustimmen. Aus einer Polizeimeldung vom Dezember 1869 geht jedoch hervor, dass der Verein die „Volksstimme“ und die „Arbeiter-Zeitung“ aus Brünn bezog42. In derselben Notiz wurden Kontakte zwischen der Società Operaia Triestina und der Wiener Sozialdemokratie verneint. Nach einer unbestätigten Meldung der Statthalterei waren die Streikenden der Metallindustrie im Jahre 1869 von der sozialdemokratischen Partei Wiens mit beträchtlichen Summen unterstützt worden (offensichtlich handelte es sich dabei um den sozialistisch ausgerichteten Arbeiterbildungsverein), wobei die Associazione operaia als Vermittlerin aufgetreten war. Auch die SOT spendete zu jenem Anlass kleine Geldsummen zur Unterstützung der Streikenden43. Bereits im Oktober 1870 jedoch löste sich die Associazione operaia wieder auf – vermutlich aus Mangel an Mitgliedern44. 38 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 250, Polizeiprotokoll der Versammlung der Associazione di risparmio, mutuo soccorso e cooperazione vom 25. Juni 1868. 39 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 250, Associazione degli operai. 40 Ebd. 41 Ebd. 42 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 250, Broschüre ohne Titel verfasst von Giuseppe Grünes jr.; Polizeibericht vom 1. Dezember 1869. 43 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 250, Polizeibericht vom 1. Dezember 1869. 44 E. Maserati, Il movimento operaio a Trieste, S. 83 f.

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Zwischen 1880 und 1884 erlebte die österreichische Arbeiterbewegung nach ihrer Abspaltung von der deutschen Sozialdemokratie infolge der Sozialistengesetze Bismarcks und nach ihrem Bruch mit den Liberalen eine Phase äußerster Radikalisierung. Im Zuge dessen bezog sie syndikalistische und anarchistische Positionen, die in einigen Fällen zu individuellen Terrorakten ausarteten. Die Regierung reagierte mit der Verhängung des Ausnahmezustandes in den Zentren der Arbeiterorganisation Wien und Wiener Neustadt und der Ausweisung der bekanntesten Agitatoren. Auch wenn diese Maßnahmen zu einer kurzfristigen Schwächung der Arbeiterbewegung in ihren traditionellen Hochburgen führten, beschleunigten sie doch andererseits die Ausbreitung der sozialistischen Ideen auch in den Provinzen der Monarchie, wie Helmut Konrad richtig beobachtet hat45. Triest blieb jedoch den politischen Debatten und den Organisationsbestrebungen der österreichischen Arbeiterbewegung, die sich damals auf die deutschsprachigen Landesteile konzentrierte und enge Verbindungen zur deutschen Sozialdemokratie unterhielt, fast völlig fern. Auf dem Eisenacher Parteitag waren die österreichischen Sozialisten, wie schon erwähnt, noch als rechtmäßige Mitglieder der von August Bebel und Wilhelm Liebknecht gegründeten deutschen Arbeiterpartei betrachtet worden46. Die Radikalisierung der Arbeiterbewegung in Österreich fand in Triest nur ein schwaches Echo und manifestierte sich in sporadischen Episoden von geringer Bedeutung, die jedoch aufgrund des Alarmzustandes im Wiener Innenministerium nach den ersten anarchistischen Attentaten aufgebläht wurden. So scheint es z.B., dass 1881 einige deutsche Wandergesellen, die in Triest Arbeit gefunden hatten, eine informelle Gruppe zur Lektüre und Diskussion der anarchisch-radikalen sozialistischen Presse, darunter der „Freiheit“ von Johann Most aus London und der „Zukunft“ aus Wien, gegründet hatten47. Bei den Initianten handelte es sich um Schneider und Schuster48 aus Graz,

45 Vgl. H. Konrad, Die Arbeiterbewegung in der österreichischen Reichshälfte, S. 124-139, insbesondere S. 130-136. 46 Ebd., S. 129 f. Das erste von den österreichischen Sozialisten im Jahre 1874 in Neudörfl ausgearbeitete Parteiprogramm übernahm fast vollständig das Programm des 1869 in Eisenach veranstalteten Gründungskongresses der deutschen Sozialisten. Zum Kongress in Neudörfl vgl. 100 Jahre sozialdemokratischer Parteitag Neudörfl 1974. Internationale Tagung der Historiker der Arbeiterbewegung, Wien 1976. Zur „großdeutschen“ Einstellung Karl Kautskys vgl. Ž. Šolle, Die Sozialdemokratie in der Habsburger Monarchie und die tschechische Frage, in: Archiv für Sozialgeschichte 6-7 (1966), 67, S. 315-387, insbesondere S. 344 f. 47 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 250, Polizeibericht an die Statthalterei zur Verbreitung und zu den Charakteren des Sozialismus in Triest vom 16. August 1884. 48 In einem interessanten Aufsatz hat Eric Hobsbawm die Bedeutung der Schuster für die Entwicklung der ersten Arbeiterbewegung und der Verbreitung der sozialistischen Ideen in den verschiedenen europäischen Ländern aufgezeigt; E. Hobsbawm,

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Klagenfurt und Laibach. Diese an sich harmlosen Aktivitäten wurden jedoch von ihren Genossen in Graz und Laibach, mit denen diese Werktätigen in Briefwechsel standen, überbewertet, so dass zwischen 1882 und 1883 einige sozialistische Agitatoren „der gefährlichsten Sorte“49, darunter der Schneider Jacob Waitz, der Schuster Carl Hubmayer und der Kürschnergeselle Johann Davidek, nach Triest kamen, um dort politisch tätig zu werden. Nach vergeblichen Versuchen, die kleine Gruppe deutscher Handwerker dazu zu bewegen, zur „Tat“ (welcher auch immer) überzugehen, verließen die zugereisten Agitatoren Triest noch im Jahre 188350. Im Jahre 1881 spaltete sich vom Delavsko podporno društvo der Arbeiterhilfsverein Tržaško podporno društvo ab, der den Arbeitern dieselben Hilfsleistungen bot, jedoch ohne Bindung an die slowenische Nationalpartei Edinost operierte und allen nationalen Gruppen offen stand. Einer der sich in Triest aufhaltenden Wanderarbeiter, Max Kandolini, wurde Mitglied des Tržaško podporno društvo und übernahm im folgenden Jahr die Stelle des Rechnungsprüfers des Vereins. Im selben Jahr traten auch die Exponenten der radikalen sozialistischen Strömung Ignatz Maver und Carl Hubmayer dem Verein bei51. Die Präsenz sozialistischer Agitatoren im Verein scheint jedoch dessen politische Ausrichtung nicht wesentlich verändert zu haben. Sicherlich erschien der Tržaško podporno društvo im Vergleich zum dezidiert slowenischnationalen Schwesterverein Delavsko podporno društvo weniger stark in der slowenischen Nationalbewegung engagiert, und die Zusammensetzung seines Vorstandes war eher kleinbürgerlich-proletarisch. Im Jahre 1883 jedoch, als der Verein stark von Sozialisten des radikalen Flügels durchsetzt schien, nahm er in die Reihen seiner Ehrenmitglieder den Bischof Josip Strossmeyer, die wahrscheinlich bedeutendste Figur der erwachenden südslawischen Nationalbewegung, auf. Am Ende der Achtziger Jahre näherte sich der Verein erneut dem Umkreis der Edinost52. Auf Seiten der italienischen Arbeiterschaft ist als einzige Initiative von gewisser Bedeutung die Gründung der geheimen Gesellschaft Circolo sociale rivoluzionario per Trieste ed Istria mit anarchistischem Charakter und irredentistischen Anklängen zu erwähnen. Das aktivste Mitglied der Gesellschaft Political Shoemakers (jointly written with Joan W. Scott), in: ders., Worlds of Labour. Further Studies in the History of Labour, London 1984, S. 103-130. 49 Damit ist wahrscheinlich ihre Zugehörigkeit zur Strömung der „Radikalen“ gemeint, in: AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 250, Bericht an die Statthalterei vom 16. August 1884. 50 Ebd. 51 A. Volk, Socialismo, associazionismo operaio e movimento nazionale sloveno, S. 67-80. 52 Ebd. S. 78 f., 97 f.

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war der aus Ravenna stammende, achtundzwanzigjährige Schuster Goffredo Bellotti, der Kontakte zu radikalsozialistischen Kreisen der Romagna und der vom Baron Ferdinand Swift gegründeten Società atea [Ateistischer Verein] in Venedig unterhielt53. Diesem Verein gehörte auch der anarchistische Händler Giuseppe Rovigo an, eine der bedeutendsten Persönlichkeiten des Anarchismus im Küstenland54. Der Circolo socialista rivoluzionario beteiligte sich maßgeblich an einem Streik auf der Schiffswerft S. Rocco im Küstenstädtchen Muggia (Mile) im Jahre 188355. Auch später zeigten sich die Arbeiter dieser Werft empfänglicher für den Anarchismus als ihre Triester Kollegen. Der Circolo wurde aufgelöst, nachdem seine aktivsten Mitglieder im Mai 1884 angeklagt worden waren, eine geheime Gesellschaft gegründet zu haben, und anschließend zu einigen Monaten Haft verurteilt wurden56. Die erst in den Anfängen begriffene Verbreitung sozialistischer Ideen unter der Arbeiterbevölkerung Triests weist in jenen Jahren zwei streng voneinander getrennte Strömungen auf. Die erste brachte Ideen und Schriften des damals vorwiegend radikal ausgerichteten österreichischen Sozialismus durch Wanderarbeiter und Agitatoren aus der Steiermark, Kärnten und Krain unter den deutschen und slowenischen Arbeitern und Handwerkern in Umlauf. Diese eng an die Aktivitäten der Wiener Arbeiterbewegung 53

AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 250, Bericht an die Statthalterei vom 16. August

1884. 54 Ebd. Vgl. auch E. Maserati, Gli anarchici a Trieste durante il dominio asburgico, Milano 1977, S. 25-32. Die Biographie von Giuseppe Rovigo ist emblematisch für die Generation der anarchischen und sozialradikalen Agitatoren zur Zeit der Ersten Internationale. “Eine freiheitliche Gesinnung musste sich bei Giuseppe Rovigo, einem bedeutenden Exponenten des julischen Anarchismus zwischen dem Ende des alten und dem Beginn des neuen Jahrhunderts, bilden … Als Anhänger des irredentistischen Programms wurde Rovigo am 25. Mai 1884 bei seiner Rückkehr nach Venedig aufgrund der Verbreitung subversiver Schriften und des Verdachts auf Zugehörigkeit zum Verein der Julischen Alpen in Mailand festgenommen und am 23. Juli zu zwei Monaten Haft verurteilt. Nach Verbüßung der Strafe hielt er sich in Italien auf, teils in Rom, teils in Mailand, wo er mit bekannten Agitatoren wie Andrea Costa in Kontakt kam und anarchisch-sozialistische Überzeugungen annahm. 1885 zog er nach Paris und blieb dort vier Jahre lang, zuerst als Arbeiter und danach als Handelsvertreter für Stempel, engagierter anarchistischer Propagandist, der zwischen den lokalen Gruppen und den Anarchisten in Italien und Österreich vermittelte. Er stand mit Charles Malato, Saverio Merlino und den beiden Flüchtlingen Vittorio Pini und Luigi Parmeggiani und anderen in Verbindung“; ebd., S. 31 f. Nachdem er mehrfach zwischen Belgien, der Schweiz und Italien hin- und hergewandert war und von der Polizei in halb Europa gesucht wurde, ließ er sich im Juli 1893 erneut in Triest nieder, wo er für die Firma Giovanni Battara mit Stempeln handelte. 55 Ebd., S. 28. 56 Ebd., S. 29; Ders., Il movimento operaio a Trieste, S. 92-94.

1. Kap.: Die Anfänge der Arbeiterorganisation

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gebundene Strömung fand aufgrund der Verständigungsschwierigkeiten mit den italienischsprachigen Werktätigen im städtischen Umfeld wenig Anklang. Der Polizeidirektion zufolge waren die Angehörigen der kleinen Gruppe von deutschen Handwerkern die einzigen in Triest, die man zu Recht als „Sozialisten“ bezeichnen konnte57. Unter der italienischen Bevölkerung war derweil eine ganze Reihe mehr oder weniger radikaler Einstellungen anzutreffen, die auf einen Sozialismus mazzinianischer oder demokratischer Färbung im weitesten Sinn zurückgingen und meist in der Società Operaia Triestina zusammenfanden. Ausgesprochen anarchistische Tendenzen waren außerhalb der SOT in eigenen Zirkeln zu finden.

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1884.

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Zweites Kapitel Die sozialdemokratische Bewegung Im Jahre 1888 konstituierte sich mit der Gründung der Confederazione operaia in Triest erstmals eine Arbeiterorganisation, die organisch mit der sozialistischen Bewegung in Österreich verbunden war1. In einem Flugblatt an die „Arbeiterbrüder“ beschrieb die Confederazione ihren Platz innerhalb der lokalen Arbeitervereine folgendermaßen: „In Triest gibt es zahlreiche Arbeitervereine, die sich jedoch hauptsächlich der gegenseitigen Hilfeleistung widmen, die, wenn nicht ihre gesamte, so doch einen großen Teil ihrer Tätigkeit in Anspruch nimmt. Die einzelnen Vereine haben weiterhin ganz verschiedene Sonderinteressen zu wahren, während zum allgemeinen Bedauern ein Verein, der die allgemeinen Interessen der Arbeiterklasse wahrnimmt und lenkt, fehlt. Dieser Ausschuss setzt sich zum Ziel, anhand des unten angefügten Programms die allgemeinen Interessen der Arbeiterklasse zu fördern und zu schützen“2.

Das genannte Programm unterschied sich nicht wesentlich von jenen der vorhergehenden Vereine. Dies ist verständlich, wenn man die Verfügungsgewalt der politischen Behörden der Provinz bedenkt, die einen Verein als „staatsgefährdend“ erklären und im Zuge dessen auflösen konnten. Aus diesem Grunde war bei der Abfassung der Satzungen äußerste Vorsicht geboten. Die Confederazione wurde als lokaler Arbeiterbildungsverein wie viele andere registriert und wollte angeblich keinerlei Verbindungen außerhalb des Küstenlandes unterhalten3. Dennoch unterschied sich die Confederazione 1 Ein ähnlicher Prozess fand auch in Laibach (Ljublijana) statt, wo der lokale Arbeiterverein 1887 bei der Wiederaufnahme der politischen Aktivität feste Kontakte mit der sozialdemokratischen Bewegung in Österreich knüpfte; P. Vodopivec, Von den Anfängen des nationalen Erwachens bis zum Beitritt in die Europäische Union, in: P. Štih / V. Simoniti / P. Vodopivec, Slowenische Geschichte. Gesellschaft – Politik – Kultur, Leykam / Graz 2008, S. 218-518, hier S. 281 f. 2 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 251. 3 Die Arbeiterbildungsvereine stellten seit den sechziger Jahren die Grundpfeiler der Arbeiterbewegung in Österreich dar. In ihnen waren die verschiedenen politischen Tendenzen, vom liberalen Mutualismus bis zum radikalen Sozialismus vertreten (H. Steiner, Die Arbeiterbewegung Österreichs, S. 3-100). Zum wachsenden anarchistischen Einfluss in der österreichischen Arbeiterbewegung und zu den verschärften Unterdrückungsmaßnahmen seitens des Staates, die darauf seit 1882 folgten vgl. ebd., S. 235-260; G. Botz, Im Schatten der Arbeiterbewegung. Zur Geschichte des Anarchismus in Österreich und Deutschland, Wien 1977. Nach der österreichischen

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operaia in wesentlichen Merkmalen von den vorhergehenden Assoziazionen. So verzichtete sie auf die Zwecksetzung gegenseitiger Hilfeleistung, und das Profil ihrer Mitglieder kennzeichnete sie als ausgesprochenen Verein lohnempfangender Arbeiter. Laut ihren Satzungen konnten der Confederazione „alle jene Arbeiter beiderlei Geschlechts beitreten, die unbescholten sind und allein ein Gewerbe oder Handwerk gegen Vergütung, Lohn oder Gehalt ausüben und keine Untergebenen haben“4. Durch diese Klausel unterschied sich die Confederazione eindeutig von den vorhergehenden Vereinsformen, in denen Lohnempfänger zusammen mit Handwerksmeistern, Angestellten und kleinen Kaufleuten organisiert waren. Was den Verzicht auf gegenseitige Hilfeleistung betrifft, so sei darauf hingewiesen, dass im Jahre 1888 in Österreich die ersten gesetzlichen Maßnahmen zum Aufbau einer Kranken- und Unfallversicherung verabschiedet wurden, wodurch der Nutzen von Arbeitervereinen zur gegenseitigen Hilfe beträchtlich eingeschränkt wurde. Unter diesen Umständen büßte die Società Operaia Triestina innerhalb der Triester Arbeiterbewegung deutlich an Einfluss ein. Im November 1888 wurden im Abstand von wenigen Tagen jeweils die italienische, deutsche und slowenische Sektion der Confederazione operaia gegründet. Die Confederazione veröffentlichte eine gleichnamige Zeitschrift in italienischer Sprache, welche als „Sprache der Mehrheit der Mitglieder und des Landes“ bezeichnet wurde. Der Gebrauch der slowenischen und deutschen Sprache in den Versammlungen entsprach hingegen dem „Gebot der Nächstenliebe, um dem fern von der Heimat lebenden Bruder zu ermöglichen, seine Muttersprache zu pflegen“5. Den Aufzeichnungen eines der Führer der slowenischen Sektion, Andrej Klemenčič zufolge, scheint die Confederazione die Absicht gehabt zu haben, sich eine straffe Organisationsstruktur nach dem Vorbild der

Gesetzgebung zum Vereinsrecht vom 15. November 1867 konnten die Behörden die Gründung eines politischen Vereins, den sie „sowohl aufgrund seines Zwecks als auch seiner Satzungen als gesetzeswidrig oder staatsgefährdend“ erachteten, unterbinden. 4 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 251, Satzungen der Confederazione operaia in Trieste. 5 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 251. Vgl. das Gesuch vom 11. Oktober 1888 an die „Geehrte Polizeidirektion“ zur Gründung einer deutschen Sektion der Arbeiterorganisation und das Gesuch vom 8. November 1888 zur Gründung einer slawischen Sektion. Die erste Versammlung des Gründungskomitees des Vereins hatte bereits am 22. April stattgefunden. In Erwartung der Genehmigung der Satzungen wurde am 19. und 26. August der erste vorläufige Vorstand gewählt; E. Maserati, Il movimento operaio a Trieste, S. 95 f. Während des Kongresses in Hainfeld verkündete der Delegierte aus Laibach, Kordelič, die Gründung eines sozialdemokratischen Vereins in Triest, der in eine deutsche, eine italienische und eine slowenische Sektion unterteilt war. Der slowenischen Sektion waren fünfzehn Genossen beigetreten; Verhandlungen des Parteitages der österreichischen Sozialdemokratie in Hainfeld, Wien 1889, S. 73 f.

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deutschen Sozialdemokratie zu geben. In Vertretung des Vorstands hätten die Sektionsführer den Mitgliedern jeden Abend und sonntags zur Verfügung stehen müssen. Nach Festsetzung der Wahlmodalitäten eventueller Delegationen usw. waren wöchentliche Versammlungen der Sektionen an bestimmten festgesetzten Tagen vorgesehen6. Die Gründung der Confederazione operaia wurde durch mehrere Faktoren begünstigt; wie bereits im Falle der informellen Diskussionsrunden sozialistischer Ausrichtung war der Anstoß dazu von deutschsprachigen Wanderarbeitern ausgegangen, die sich auf der Durchreise in Triest befanden. Dieses Mal fielen die Gründungsbestrebungen jedoch mit dem Einigungsprozess der gemäßigten und radikalen Strömungen der österreichischen Sozialdemokratie zusammen, die von der definitiven Abspaltung des anarchistischen Flügels begleitet wurden. Diese Entwicklungen fanden ihren Höhepunkt auf dem Hainfelder Kongress von 1888-1889, wo unter der charismatischen Leitung von Victor Adler die Sozialdemokratische Arbeiterpartei in Österreich aus der Taufe gehoben wurde. Anlässlich ihrer Gründung bekannte sich die neue Partei zur Abschaffung der Ausbeutung der Arbeiter seitens des Kapitals sowie zur Eliminierung des Privateigentums an Produktionsmitteln. Dieser theoretisch-programmatischen Einleitung folgte ein weitgestecktes Programm ziviler, politischer und wirtschaftlicher Reformen mit demokratischer Stoßrichtung, darunter die Forderung nach dem Recht auf Bildung und nach einem Ersatz der indirekten Steuern durch eine direkte und progressive Besteuerung, die sich nach dem Vermögen bemessen sollte. Als unmittelbares Ziel der politischen Aktivität wurde die vollkommene Durchsetzung der bürgerlichen Freiheiten ins Auge gefasst. Genannt wurden insbesondere die Pressefreiheit, die Versammlungsfreiheit und die Aufhebung der Gesetze, die das Koalitionsrecht einschränkten, weiter das universelle Wahlrecht, die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, die Abschaffung des Gesetzes gegen die Landstreicherei (das die arbeitsuchenden Wanderarbeiter traf) und die Einführung eines Gesetzes gegen behördlichen Amtsmissbrauch7.

Ein kurzes biografisches Profil von Andrej Klemenčič, der nach dem Scheitern der Confederazione operaia in die Vereinigten Staaten auswanderte, Australien und Honolulu besuchte und schließlich anarcho-syndikalistische Positionen vertrat und als Delegierter der Grubenarbeitergewerkschaft am Gründungskongress der IWW (International Workers of the World) teilnahm, in: A. Volk, Socialismo, associazionismo operaio e movimento nazionale sloveno, S. 107. Bereits die Notwendigkeit, wöchentlich Mitgliederbeiträge einzuziehen, setzte eine straffe Organisationsstruktur voraus. 7 Der Hauptredner auf der Versammlung zur Vorstellung des Programms des Arbeitervereins am 22. April 1888 war der deutsche Schneider Josef Lax. Unter dem Publikum befanden sich viele deutsche Arbeiter; G. Piemontese, Il movimento operaio a Trieste, S. 52 f. Die Bedeutung der durch Triest ziehenden deutschen 6

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Im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen forderte das Hainfelder Programm ein uneingeschränktes Koalitionsrecht für die Gewerkschaften, die Einführung von gesetzlich anerkannten Arbeitsverträgen, den Acht-Stunden-Arbeitstag und das generelle Verbot der Nachtarbeit, die vollständige Umsetzung der Sonntagsruhe, das Verbot der Kinderarbeit sowie das Verbot, Frauen mit besonders gesundheitsschädigenden Arbeiten zu betrauen. Über die Einhaltung dieser Klauseln sollten von den Arbeitern gewählte und bereits laut Gesetz vom 17. Juni 1883 eingeführte Gewerbeinspektoren wachen; Zuwiderhandlungen seitens der Arbeitgeber sollten mit Gefängnishaft bestraft werden8. Von diesem Zeitpunkt an veranstaltete die österreichische Sozialdemokratie nach dem Muster der Zweiten Internationale regelmäßige Kongresse, an denen Delegierte der verschiedenen Länder und Nationalitäten der Monarchie teilnahmen. Damit schuf sie die Grundlage einer plurinationalen und relativ homogenen sozialistischen Bewegung in Zisleithanien9. Für die Entwicklung der italienischsprachigen Arbeiterbewegung nach dem Hainfelder Kongress spielte der Beitritt des Druckers Carlo Ucekar zur Confederazione Operaia eine wesentliche Rolle. Ucekar gehörte zum Kreis der Mazzinianer und war mit Guglielmo Oberdan befreundet, dem Urheber eines versuchten Attentats gegen Kaiser Franz Josef im Jahre 1882, der nach seiner Hinrichtung zur Ikone des Irredentismus avanciert war. Wahrscheinlich spielte Ucekar auch eine Rolle bei der Fahnenflucht Oberdans nach Italien, die dieser begangen hatte, nachdem er 1878 zum Wehrdienst in Bosnien verpflichtet worden war. Wie viele Protagonisten der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in Triest war auch Ucekar seit 1883 Mitglied der Società Operaia Triestina gewesen. Bis zu seinem Tod im Jahre 1902 sollte Carlo Wandergesellen für die Verbreitung der sozialistischen Ideen wird in einem Bericht der Statthalterei vom 4. März 1891 hervorgehoben (AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 250), in dem behauptet wird, dass die Confederazione operaia durch slawische und deutsche Arbeiter, die einen großen Einfluss auf die örtliche Bevölkerung ausüben, am Leben erhalten wird. 8 Eine „Grundsatzerklärung“ des Hainfelder Kongresses wurde von der Confederazione operaia am 22. Februar 1889 in der gleichnamigen Zeitschrift veröffentlicht; E. Maserati, Il movimento operaio a Trieste, S. 96. In der Folge werde ich mich auf die Verhandlungen des Gesamtparteitages der Sozialdemokratie in Österreich abgehalten zu Brünn vom 21. bis 29. September 1899, Wien 1899, S. V-VII, beziehen. Über den Einigungsprozess der verschiedenen sozialistischen Tendenzen in Hainfeld und seine Vorgeschichte vgl. H. Steiner, Die Arbeiterbewegung Österreichs, S. 241-285. 9 H. Mommsen, Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage im habsburgischen Vielvölkerstaat, Wien 1963, hier Bd. 1: Das Ringen um die supranationale Integration der zisleithanischen Arbeiterbewegung (1867-1907), S. 150; H. Konrad, Österreichische Arbeiterbewegung und nationale Frage; W. Maderthaner, Die Entwicklung der Organisationsstruktur der deutschen Sozialdemokratie in Österreich bis 1913, in: ders. (Hrsg.) Sozialdemokratie und Habsburgerstaat, S. 25-52.

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Ucekar der unumstrittene Führer der lokalen Arbeiterbewegung bleiben. Auch in den nachfolgenden Jahren gab es keinen Sozialistenführer, der eine ähnliche Popularität beim Triester Proletariat genoss. Sogar die Polizeidirektion bezeichnete ihn als „ungemein beliebten Arbeiterführer“10. Der ausgesprochen sozialistische und internationalistische Charakter der Confederazione operaia wurde vom Konkurrenzverein Società Operaia Triestina unverzüglich als „nebulöse gleichmacherische Tendenz“ gebrandmarkt, die „exotischen Aufrührern“ zuzuschreiben sei. Sollte sich diese Richtung durchsetzen, so würde sich die Triester Arbeiterschaft – so die Warnung der SOT – unweigerlich ihrer „ererbten Kultur“ entfremden11. Carlo Ucekar nahm 1891 am Sozialistenkongress in Wien teil, wo er sich jedoch aufgrund seiner geringen Kenntnisse der deutschen Sprache und seiner Unerfahrenheit in theoretischen Fragen wenig hervortat12. Die Kontakte zwischen den Triester Sozialdemokraten und der Wiener Zentrale wurden hauptsächlich von Antonio Gerin, ebenfalls Drucker und erster Präsident der Confederazione operaia, aufrechterhalten. Bereits im Februar 1889 erscheint der Name Antonio Gerin zusammen mit jenen von Josef Lax und dem nicht identifizierten C. Giekar unter dem Appell eines Organisationsausschusses, der damals in Den Haag tagte, um den internationalen Sozialistenkongress in Paris im selben Jahr vorzubereiten. Der Kongress, der als Geburtsakt der Zweiten Internationale in die Geschichte einging, sollte vom 14. bis zum 21. Juli anlässlich der Hundertjahrfeier des Sturms auf die Bastille und gleichzeitig mit der Eröffnung der Weltausstellung, auf der „die Arbeiterklasse die Reichen und Mächtigen einlädt, das Werk der zum Elend verdammten Arbeiter zu betrachten und zu bewundern“, stattfinden. Der von den Sozialistenführern 10 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 256, Die Arbeiterbewegung im Jahre 1902 (handgeschriebener Bericht). Für eine biografische Skizze zu Carlo Ucekar vgl. G. Piemontese, Il movimento operaio a Trieste, S. 136-140; E. Collotti, Ucekar Carlo, in: F. Andreucci / T. Detti, Il movimento operaio italiano. Dizionario biografico, 6 Bde., Rom 1978, hier Bd. 4, S. 147-150. Der Freimaurer und Irredentist Giulio Gratton beschrieb Carlo Ucekar als „ehrlichen und beliebten Sozialisten …, der in seiner Jugend den irredentistischen Aktionskomitees angehörte und den sein großmütiges Herz zum Sozialismus getrieben hatte“; G. Gratton, Trieste segreta, Bologna 1948, S. 125. 11 Lo sventramento della città vecchia e la classe operaia, in: L’Operaio, 16. Februar 1889. 12 Verhandlungen des zweiten österreichischen sozialdemokratischen Parteitages abgehalten zu Wien am 28., 29. und 30. Juni 1891, Wien 1891, S. 49 f. In seinem Beitrag beschränkte sich Ucekar darauf, die Tätigkeit der Confederazione operaia kurz zusammenzufassen und die Zensurmaßnahmen gegenüber den sozialistischen Blättern „Confederazione operaia“ und „Avanti“ zu bedauern, wobei er die wichtige Rolle der deutschen Arbeiter bei der Gründung des Vereins offen betonte. Auch die bereits erwähnten, unüberlegten Kontakte zu anarchistischen Elementen, bestätigen die ideologische Naivität Ucekars.

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vieler Länder unterzeichnete Aufruf wurde von einer besonders starken Gruppe österreichischer Sozialisten unterstützt, unter denen sich zahlreiche Tschechen und ein Pole fanden. Wenn man bedenkt, das die sozialistische Organisation der Arbeiterschaft in Triest noch in den Anfängen steckte und italienischsprachige Delegierte am Hainfelder Parteitag gänzlich fehlten, ist es beachtlich, dass sich drei Sozialisten aus der Hafenstadt unter den Unterzeichnern befanden13. Antonio Gerin nahm an den nachfolgenden sozialdemokratischen Parteitagen regelmäßig teil, im Jahre 1896 als Vertreter der Italiener im Trentino. In jenen Jahren war er zweifellos derjenige, der unter den Triester Sozialisten aufgrund eines längeren Aufenthaltes in Wien zu Beginn der Neunziger Jahre, wohin er gemeinsam mit Wilhelm Ellenbogen ausgewandert war und wo er versucht hatte, arbeitsuchende italienische Arbeiter zu organisieren, mit der Parteizentrale am vertrautesten war. Seine Organisationstätigkeit war Teil einer größeren politischen Intervention zugunsten der Emigranten, die sich auch auf die italienischen Arbeiter in Frankreich und der Schweiz ausdehnen sollte, und die der italienische Sozialist Antonio Labriola im Jahre 1893 auf dem Züricher Kongress der Internationale angeregt hatte. Labriola hatte in einem Brief vom 1. November 1893 Ellenbogen gebeten, die Bestrebungen Antonio Gerins zu unterstützen, der damals in Wien versuchte, einen italienischen Arbeiterverein zu gründen14. 13 Histoire de la IIe Internazionale, Congrès International Ouvrier Socialiste – Paris 14-21 Juillet 1889, Genf 1976 (Minkoff Reprint), Rapport de la Commission d’Organisation, S. 3-15. 14 Antonio Gerin nahm mit Sicherheit an den Wiener Kongressen der Jahre 1891, 1892 und 1894 teil, weiter am Kongress in Prag 1896 (als Delegierter von Meran), sowie an den Kongressen in Wien von 1897 und Brünn von 1899 (Verhandlungen des zweiten österreichischen sozialdemokratischen Parteitages; Verhandlungen des dritten österreichischen sozialdemokratischen Parteitages abgehalten zu Wien am 5., 6., 7., 8. und 9. Juni 1892, Wien 1892; Verhandlungen des vierten österreichischen sozialdemokratischen Parteitages abgehalten zu Wien vom 25. bis einschließlich 31. März 1894, Wien 1894; Verhandlungen des fünften österreichischen sozialdemokratischen Parteitages abgehalten zu Prag vom 5. bis einschließlich 11. April 1896, Wien 1896; Verhandlungen des sechsten österreichischen sozialdemokratischen Parteitages abgehalten zu Wien vom 6. bis einschließlich 12. Juni 1897, Wien 1897; Verhandlungen des Gesamtparteitages der Sozialdemokratie in Österreich abgehalten zu Brünn vom 21. bis 29. September 1899, Wien 1899). Piemontese zufolge zog Gerin bereits im Jahre 1890 mit seiner Familie nach Wien, nachdem er, wie es scheint, aufgrund seines Engagements zugunsten der streikenden Steinmetze aus der Druckerei des Lloyd entlassen worden war; G. Piemontese, Il movimento operaio a Trieste, S. 140 f. Sicher ist, dass Gerin an den Gesamtparteitagen der Sozialdemokratie zwischen 1891 und 1895 nicht als Delegierter aus Triest, sondern jeweils als „italienischer Genosse“, „aus dem Küstenland“ oder auch ohne jegliche genauere Bestimmung teilnahm. Gerin war mit Sicherheit im Jahre 1895 in Wien wohnhaft, wo er sich mit der Organisation der sozialistischen Bewegung des Trentino befasste. Vgl. dazu E. Maserati, Il movimento

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Der dritte herausragende Repräsentant der neugegründeten sozialistischen Bewegung war der Slowene Ludvig Zadnik, ebenfalls Delegierter auf verschiedenen Parteitagen und Leiter der slowenischen Sektion der Confederazione operaia15. Die Triester Arbeiter folgten begeistert dem Aufruf der Internationale zur Feier des Ersten Mai: In den Jahren 1890 und 1891 blieb das Personal der großen Schiffswerften und der metallurgischen Werkstätten, im Hafen und im Bau- und Handelsgewerbe der Arbeit fast geschlossen fern. Beinahe 5.000 Demonstranten nahmen an den sozialistischen Demonstrationen teil16. operaio a Trieste, S. 106: „[E]r [Gerin] begann, mit den maßgeblichen Vertretern des Trentiner Sozialismus, Battisti, Piscel, Avancini, zur Veröffentlichung der Zeitschrift ‚L’Avvenire‘, dem Organ der italienischen Sektion der sozialdemokratischen Partei in Österreich, zusammenzuarbeiten. Aber auch seitens seiner Trentiner Mitarbeiter fand Gerin kein völliges Verständnis, was auf den unzweifelhaft politischen Charakter zurückzuführen ist, den Gerin der neuen Zeitschrift auf der Basis eines präzisen Parteiprogramms und einer vom Gewerkschaftskampf geprägten Sprache verlieh, was wenig zu der gemäßigten und vorsichtigen Ausdrucksweise des Trentiner Sozialismus passte“. Zur politischen Tätigkeit Gerins im Trentino vgl. auch R. Monteleone, Il movimento socialista nel Trentino 1894-1914, Roma 1971, S. 54 ff. Im Juli 1897 nahm Gerin an einer in Treviso abgehaltenen Tagung der Sozialisten Venetiens teil, auf der das Problem der ausgewanderten italienischen Saisonarbeiter erörtert wurde (Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung, Wien (künftig VfGABW), Sozialdemokratische Parteiarchive (künftig SDPA), Reichsparteisekretariat, Korrespondenz (künftig RPSK), 100, Triest, 28. Juli 1897). Ab Juli 1897 hielt sich Gerin als Funktionär in Triest auf, wo er mit der Gründung einer Parteisektion beauftragt war. Vgl. Polizeibericht an die Statthalterei vom 9. August 1897, in dem mitgeteilt wird, dass „der bekannte sozialdemokratische Agitator Antonio Gerin nach Triest mit dem Auftrag zur Unruhestiftung entsandt worden war und dafür 16 Gulden pro Woche erhielt“; AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 255. Über die Tätigkeit Gerins in Wien zugunsten der italienischen Arbeiter und seine Zusammenarbeit mit Wilhelm Ellenbogen vgl. G.G. Rundel, Wilhelm Ellenbogen und Italien, in: N. Leser / G.G. Rundel (Hrsg.), Wilhelm Ellenbogen. Ausgewählte Schriften, Wien 1983, S. 21-28. Vgl. auch das von E. Collotti verfasste Stichwort Gerin Antonio, in: F. Andreucci / T. Detti, Il movimento operaio italiano, hier Bd. 2, S. 466-468; E. Ragionieri, Italiani all’estero ed emigrazione italiana: un tema di storia del movimento operaio, in: Belfagor. Rassegna di varia umanità, 17 (1962), S. 640-669, insbesondere S. 648-653. 15 Auf dem Wiener Kongress des Jahres 1891 meldete sich Zadnik als Laibacher Delegierter und als Vertreter der slowenischen Arbeiterschaft in Triest zu Wort (Verhandlungen des zweiten österreichischen sozialdemokratischen Parteitages, S. 41-43). Zadnik hatte ebenfalls am Gründungskongress der Partei in Hainfeld teilgenommen. Ab Oktober 1890 hielt er sich als Herausgeber der slowenischen Zeitung „Delavski List“ in Triest auf. 16 Verhandlungen des zweiten österreichischen sozialdemokratischen Parteitages, S. 49 f., 94 f.; AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 250, Bericht des Präsidiums der Statthalterei, 4. März 1891; E. Maserati, Il movimento operaio a Trieste, S. 106. Tausende von Arbeitern drängten sich zur Feier des Ersten Mai in den Lokalen der Arbeiterviertel, während der Sozialistentreffpunkt das Wirtshaus „De Brochetta“ in der Nähe des Boschetto, am unmittelbaren Stadtrand, war. Dort feierte die gesamte Leitung der Confederazione operaia zwischen Reden und Trinkgelagen. Die erstmalige

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In jenen Jahren war die Confederazione operaia auch auf gewerkschaftlicher Ebene besonders aktiv. Im August 1890 organisierte sie Versammlungen der Wagenschmiede, Hufschmiede, Lackierer und Sattler zur Aufstellung von Arbeitsreglementen, die den Arbeitgebern vorgelegt werden sollten. Die Confederazione fungierte dabei als Vermittlerin im Streik der Steinmetze, der Werftarbeiter des Lloyds-Arsenals, der Arbeiter der Gaswerke, der Metallarbeiter der Mechanikerwerkstatt Metlicovitz sowie beim Streik der vermicellai (Arbeiter der Nudelfabrik), Schreiner und Fassbinder. Für die Steinmetze wurde der Abschluss eines regulären Arbeitsvertrags erreicht. Ungefähr siebenhundert Arbeiter traten der Confederazione bei17. Im Jahre 1891 wurde die Confederazione operaia von den Behörden aufgelöst, weil sie anlässlich der Reichsratswahlen die Kandidatur des Linksliberalen Leopoldo Mauroner im dritten Wahlkreis unterstützt hatte. Damit hatte sie gegen das Prinzip der politischen Enthaltsamkeit verstoßen, zu der sie als Bildungsverein verpflichtet war. Zudem hatte sie mit ihrem Wahlmanifest für Mauroners Kandidatur auch das Pressegesetz verletzt18. Begehung des Tages der Arbeit in Triest hatte auch einen seltsamen Briefwechsel zwischen der Confederazione operaia und der K.K. Polizeidirektion zur Folge. Am Vorabend des Ersten Mai 1890 hatte Antonio Gerin der Polizeidirektion mitgeteilt, dass die Confederazione einen „Aufsichtsausschuss aufgestellt hatte, der den Arbeitervierteln zugeteilt war und die Aufgabe hatte, jeden aufkommenden Streit mit größter Zuvorkommenheit abzuwehren und alle dazu anzuhalten, den öffentlichen Sicherheitsorganen sowie allen Kräften, die am morgigen Tag die Ordnung aufrechterhalten sollten, den größten Respekt und blindesten Gehorsam entgegenzubringen“. Die Polizeidirektion zollte dieser Initiative Beifall und stellte fest, dass „dieser geehrte Verein, dessen Existenz einst die Öffentlichkeit beunruhigt hatte, sich somit als Hüter der Ordnung erweisen wird“; AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 251, Confederazione operaia di Trieste an die Hochgeehrte K.K. Polizeidirektion; Polizeidirektion an den geehrten Vorstand der Confederazione operaia in Trieste, Triest, 1. Mai 1890. 17 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 251, Mitteilung der Confederazione operaia an die Hochgeehrte K.K. Polizeidirektion, 27. August 1890; Entwurf einer Arbeitsregelung der Steinmetzen, den Arbeitgebern zur Unterzeichnung vorzulegen, Mai 1890; AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 250, Bericht des Präsidiums der Statthalterei vom 4. März 1891. Vgl. zur gewerkschaftlichen Tätigkeit der Confederazione operaia E. Maserati, Il movimento operaio a Trieste, S. 100-104. 18 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 251, Mitteilung der Statthalterei an den Verehrten Vorstand der Confederazione operaia in Trieste, Triest, 16. März 1891. Zu dieser Episode vgl. auch G. Piemontese, Il movimento operaio a Trieste, S. 6769. Das Wahlprogramm Leopoldo Mauroners, für das die Confederazione operaia die sozialistische Wählerschaft gewinnen wollte, sah das allgemeine Wahlrecht, die Pressefreiheit, das Versammlungs- und Vereinigungsrecht, die Koalitionsfreiheit, eine Arbeitergesetzgebung, die allgemeine, kostenlose und konfessionsunabhängige Schulpflicht und die direkte, progressive Besteuerung vor. Vgl. das in „La Confederazione operaia. Organo della società omonima per gl’interessi della classe lavoratrice“ am 6. März 1891 veröffentlichte Wahlplakat. Im Bericht des Präsidiums der Statthalterei an die Polizeidirektion vom 4. März 1891 wurde vermerkt, dass die Sozialdemokraten der

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Nach ihrer Auflösung zerfiel die Bewegung in nationale Sektionen. 81 Mitglieder, darunter die Schneider Josef Lax und Josef Zadnik, der Schuster Giovanni Wögener und der Eisenbahner Max Kandolini vereinigten sich im Deutschen Leseverein. Es handelte sich dabei hauptsächlich um Mitglieder der deutschen und slowenischen Sektionen der Confederazione operaia, deren Kern aus deutschsprachigen Handwerksgesellen aus der Steiermark und Krain bestand, die sich auf Wanderschaft befanden und bei der Verbreitung der Grundkenntnisse des „wissenschaftlichen Sozialismus“ in Triest eine wesentliche Rolle spielten. Der Deutsche Leseverein vertrat eine eher supranationale als internationale Auffassung des Sozialismus. Diese erste Sozialistengeneration benutzte ganz selbstverständlich die deutsche Sprache als Kommunikationsmittel. Das galt auch für diejenigen Arbeitervertreter, die aus ethnisch gemischten (oft deutsch-slowenischen) Gebieten kamen, denn das Deutsche ermöglichte es ihnen, sich aktiv an der sozialistischen Bewegung in Österreich zu beteiligen, ihren theoretischen Debatten zu folgen und politische Weisungen zu rezipieren. Bereits 1892 wurde jedoch der Deutsche Leseverein aufgelöst, wahrscheinlich aufgrund der Kontakte eines seiner Verantwortlichen zu einem gesuchten italienischen Anarchisten, der sich zeitweilig in Triest aufhielt19. Damit verschwand in Triest das letzte Zeugnis einer sozialistischen Einstellung, die das Problem der nationalen Zugehörigkeit außer Acht ließ und sich spontan zum deutsch-österreichischen Kulturkreis bekannte20. Im März 1893 gründete Ludvig Zadnik den Občno delavsko izobraževalno, pravovarstveno in podporno društvo za Primorsko (Arbeiterverein für Bildung, Rechts- und Fürsorgehilfe im Küstenland), der als internationaler Verein für Arbeiter aller Nationalitäten gedacht war und sich deutlich als Nachfolger der vorhergehenden sozialistischen Vereine zu erkennen gab21. Wie der Tržaško Confederazione operaia zur Erreichung bestimmter politischer Ziele nicht zögerten, sich auch mit Ultranationalisten und Staatsfeinden wie Mauroner zu verbünden. Aus diesem Grunde war die Auflösung der Confederazione operaia nicht nur gesetzlich gerechtfertigt, sondern auch angebracht; AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 250. 19 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 250, Verzeichnis der Mitglieder des Deutschen Lesevereins in Triest. Der Deutsche Leseverein war am 21. Juni 1891 gegründet worden. Zu den Umständen seiner Auflösung vgl. A. Volk, Socialismo, associazionismo operaio nazionale sloveno, S. 104. Vgl. dazu auch den Hinweis auf die Auflösung des Lesevereins im Beitrag Antonio Gerins anlässlich des sozialdemokratischen Parteitages in Wien von 1892 (Verhandlungen des dritten österreichischen sozialdemokratischen Parteitages, S. 102). 20 Nach Hans Mommsen war diese erste Generation österreichischer, autodidaktischer Sozialisten von einem starken Berufsethos durchdrungen und verkörperte ein idealistisches und humanitäres Weltbürgertum; H. Mommsen, Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage, S. 40. Vgl. auch ders., Nationalitätenfrage und Arbeiterbewegung (Schriften aus dem Karl-Marx-Haus, 6), Trier 1971, S. 15-17. 21 B. Gombač, Comunicazione, in: Versch. Aut., Slovenski in italianski socialisti na primorskem 1900-1918 – Socialisti italiani e sloveni nel Litorale, Ljubljana /

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podporno društvo, der ähnliche Absichten gezeigt hatte, organisierten sich in diesem Verein, nachdem er anfangs auch einige italienische Mitglieder gewonnen hatte, später ausschließlich slowenische Arbeiter. Damit bestätigte sich die Tatsache, dass kein aus slowenischer Initiative entstandener Arbeiterverein in Triest Mitglieder außerhalb seiner nationalen Basis gewinnen konnte. Der Verein Občno delavsko izobraževalno, pravovarstveno in podporno društvo za Primorsko wurde im Oktober 1897, nachdem er eine Reihe von Konferenzen ausgesprochen sozialistischen Charakters veranstaltet hatte, aufgelöst22. Neben seinen Beziehungen zur Parteizentrale in Wien pflegte Carlo Ucekar auch Kontakte zu lokalen anarchistischen Kreisen. In einem Brief an Victor Adler vom 11. Januar 1893 teilte er dem Parteisekretär mit, dass es ihm mit der redaktionellen Hilfe von Giuseppe Rovigo, den er als „intelligenten, jungen Anarchisten von 29 Jahren“ bezeichnete, gelungen war, einige Nummern der Zeitung „Il Proletario“ herauszugeben. Alle Nummern wurden von der Polizei beschlagnahmt. Für Ucekar stellte die anarchistische Überzeugung Rovigos im Hinblick auf die Leitung des sozialdemokratischen Blattes kein Problem dar, da dieser erklärte hatte, „für die sozialistische Propaganda zu kämpfen“. In den letzten Dezembertagen des Jahres 1892 hatte Ucekar eine öffentliche Konferenz in der Ortschaft Muggia veranstaltet, deren Hauptredner Rovigo war. An der Veranstaltung hatten 300 Arbeiter der Werft San Rocco teilgenommen. Einige Tage nach der „trefflichen Darstellung“ der elenden Bedingungen der Arbeiterklasse wurden Rovigo und einige Arbeiter, die an der Manifestation teilgenommen hatten, verhaftet und die Redaktion der Zeitung „Il Proletario“ von der Polizei durchsucht. Dies führte zu einer vorläufigen Zerstreuung der Anhänger, die sich um die Zeitung gesammelt hatten23. Die Triest 1979, S. 143: „Der Verein musste sich als Nachfolger aller vor seiner Gründung in Triest bestehenden Vereine der Arbeiterklasse verstehen, d.h. der Confederazione operaia und des Deutschen Lesevereins, da er ein Gesuch an die Statthalterei richtete, um das Inventar und die Bibliothek der vorher bestehenden sozialistischen Vereine benutzen zu dürfen“. Hinsichtlich einer ähnlichen Initiative Carlo Ucekars bei der Gründung der Lega socialdemocratica siehe unten, Fußnote 25. 22 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 251, Versammlungsprotokoll des Občno delavsko izobraževalno, pravovarstveno in podporno društvo za Primorsko, 9. März 1896. Am 9. Februar 1896 zählte der Verein 174 Mitglieder. Zu den Gründen seiner Auflösung vgl. die Mitteilung des Statthalters Rinaldini an das Präsidium der Polizeidirektion vom 30. September 1897; AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 251. Die Themen der angefochtenen Konferenzen waren folgende: „Die wirtschaftliche Lage der Arbeiter und die Sozialdemokratie“, „Die Eisenbahnunglücke und die Organisation“, „Die moderne Produktion und ihr Einfluss auf die Arbeiter“, „Die Arbeiterorganisation und die Sozialdemokratie“, sowie „Die Arbeiterfrage und die Sozialdemokratie“. 23 VfGABW, Adler Archiv, 166a/46, Triest, 11. Januar 1893. Der Polizeiversion zufolge war Giuseppe Rovigo ein „äußerst bedenkliches Individuum“, war er doch in Frankreich mit dem berüchtigten italienischen Anarchisten Pin [recte Pini] in Kontakt getreten und hatte im August 1892 in Triest das anarchistisch ausgerichtete Blatt „Il

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Antwort Victor Adlers auf Ucekars Brief ist nicht bekannt. Man kann sich jedoch sein Befremden vorstellen, wenn man bedenkt, dass Adler jeglichen politischen Kontakt zu anarchischen Elementen strikt ablehnte und die Vereinigung von Gemäßigten und Radikalen auf dieser Voraussetzung fußte24.

Die Lega socialdemocratica Im Jahre 1894 gründete Ucekar die Lega socialdemocratica [Sozialdemokratischer Bund] und übernahm deren Vorsitz. Diese Vereinigung verstand sich als legitimer Nachfolgeverein der Confederazione operaia, da dem von Ludvig Zadnik gegründete Verein lediglich slowenische Arbeiter beitraten25. Die Gründung der Lega socialdemocratica stellt einen weiteren Schritt in Richtung einer sozialistischen Organisation mit Parteicharakter dar. In ihren Satzungen bezeichnete sich die Lega als politischen Verein und akzeptierte die vom österreichischen Gesetz für diese Vereinsart vorgesehenen Einschränkungen. Es konnten ihr demnach nur volljährige österreichische Untertanen männlichen Geschlechts beitreten, wobei Kontakte zu anderen Vereinen Proletario“ gegründet. Man verdächtigte ihn, an der Verbreitung der anarchistischen Manifeste „Partito anarchico rivoluzionario internazionale. Federazione austriaca sede di Trieste“ und „Compagni lavoratori – Avanti!“ beteiligt gewesen zu sein; Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1892. Jahresberichte der Wiener Polizeidirektion, Wien 1893, S. 45. Rovigo tauchte wieder in den Chroniken der Politik und Justiz auf, als er während des großen Streiks 1902 angeklagt wurde, zusammen mit einigen anarchistischen Genossen einen Polizeispitzel angegriffen und mit einem Dolch schwer verletzt zu haben; Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1902, Wien 1903, S. 133 f. Zur Figur Giuseppe Rovigos und die Ausrichtung der Zeitung „Il Proletario“, in der eine starke Durchmischung von sozialistischen und anarchistischen Motiven anzutreffen war, vgl. E. Maserati, Gli anarchici a Trieste, S. 37-41. 24 Zur Rolle Victor Adlers bei der Beseitigung des anarchistischen Einflusses innerhalb der Sozialdemokratie, um damit die Voraussetzung für die Einheit der Partei zu schaffen, vgl. z.B. A. Wandruszka, La socialdemocrazia austriaca 1867-1920, in: L. Valiani / A. Wandruszka, Il movimento operaio e socialista in Italia e in Germania dal 1870 al 1920, Bologna 1978, S. 29-56, insbesondere S. 45. 25 Am 30. Oktober 1894 sandten Carlo Ucekar und Giorgio Mingotti (einer der Leiter der Lega socialdemocratica) im Namen des Vereins folgende Mitteilung an die Hochverehrte K.K. Polizeidirektion: „Der Unterzeichnete ersucht die K.K. Polizeidirektion, dass diese der Lega socialdemocratica das ihr nach Auflösung des Arbeitervereins zur Verwahrung überlassene Vermögen aushändigen möge. Aus dem Programm unseres Vereins ist klar ersichtlich, dass ihm dieselben Prinzipien wie dem aufgelösten Verein zugrunde liegen und er sich deshalb dazu berechtigt erachtet, im Namen und zugunsten des vertretenen Vereins das oben erwähnte Vermögen anzufordern. Die hochverehrte K.K. Polizeidirektion wird deshalb höflichst ersucht, Weisungen in diesem Sinne zu erteilen“; AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 251.

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ähnlichen Charakters untersagt waren26. In einem Flugblatt an die „Genossen Arbeiter“ erklärte die Lega, „die staatsbürgerliche und wirtschaftliche Emanzipation des Proletariats“ unterstützen zu wollen. Die zur Erreichung dieses Ziels vorgesehenen Mittel waren außer den bereits in der Satzung der Confederazione operaia vorgesehenen Maßnahmen „die Einberufung von Volksversammlungen, die Abfassung von Druckschriften, Aufrufen und Resolutionen; der Vorschlag und die Unterstützung eigener Kandidaten für die verschiedenen Volksvertretungsorgane“. Die Lega versprach außerdem „ihren Mitgliedern rechtlichen Beistand, um ihre Bürgerrechte zu schützen“27. In Anbetracht dessen, dass die Lega ihre Tätigkeit satzungsgemäß lediglich im Küstengebiet ausüben durfte, wurde Ucekar von der Polizei beschuldigt, ständige Kontakte zu „einzelnen sozialdemokratischen Komitees“ und zu Wiener Gewerkschaften unterhalten und unter Benutzung von Vereinsmitteln der Lega am Wiener Kongress des Jahres 1897 teilgenommen zu haben28. In den ersten Jahren nach ihrer Gründung war die Tätigkeit der Lega noch gering und der Arbeiterbewegung insgesamt gelang es nicht, sich von dem Schlag zu erholen, den ihr die Auflösung der Confederazione operaia versetzt hatte29. Am Ersten Mai 1895 fand lediglich auf den Schiffswerften eine nennenswerte Arbeitsniederlegung statt, wobei das LloydArsenal, dessen Beschäftigte offensichtlich den politisch aktivsten Teil der Triester Arbeiterschaft darstellten, eine totale Arbeitsniederlegung verzeich-

26 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 300, Satzung der Lega Sociale Democratica. Die Satzung wurde von der Statthalterei am 10. Juli 1894 genehmigt. 27 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 300, Flugblatt der Lega Sociale-Democratica vom 22. September 1894. 28 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 300, Protokoll der Vorladung Carlo Ucekars zur Polizeidirektion und seine Verwarnung am 19. Juni 1897. 29 Bereits der Erste Mai 1892 wurde wesentlich zurückhaltender gefeiert. Eine öffentliche Versammlung wurde von der Polizei verboten. 200-250 Arbeiter trafen sich dennoch an ihrem klassischen Versammlungsort, der „Osteria De Brochetta“. Von dort aus zogen sie, sozialistische Lieder singend, zum Gasthaus „Al Ferdinandeo“, wo Ucekar und Pregant vom Deutschen Leseverein sowie andere Redner, darunter ein italienischer Sozialist, kurze Ansprachen hielten. Aus der Behauptung Ucekars „ich ergriff die Gelegenheit, um ein wenig Propaganda für den Arbeiterbildungsverein zu machen, den ich und meine Freunde gründen werden“ könnte man schließen, dass er zu jener Zeit nicht ausschloss, mit Zadnik zur Gründung einer gemeinsamen Organisation zusammenzuarbeiten; AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 250, Protokoll der K.K. Polizeidirektion in Triest vom 6. Mai 1892 mit Herrn Carlo Ucekar. Ucekar wurde mit einer Geldstrafe belegt, da er das Versammlungsverbot nicht beachtet hatte. Die „sozialistischen Spaziergänge“ waren ein bewährtes Mittel der österreichischen Sozialisten zur Umgehung des von den Behörden verhängten Verbots von Versammlungen und Manifestationen; H. Steiner, Die Arbeiterbewegung Österreichs, S. 189.

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nete30. In jenen Jahren kam es zwischen Carlo Ucekar und Ludvig Zadnik sowie zwischen Ucekar und der sozialdemokratischen Parteizentrale in Wien zu erheblichen Spannungen. Den Kern dieser Auseinandersetzungen stellten nationale Reibereien dar. In einem wichtigen Schreiben vom März 1894 an Antonio Gerin31 bat Carlo Ucekar den letzteren, als Delegierter am Wiener Parteitag jenes Jahres teilzunehmen, um zu verhindern, dass Ludvig Zadnik der einzige Vertreter aus Triest wäre. In seinem Brief drückte Ucekar sein klares Missfallen hinsichtlich des Bestehens eines sozialistischen slawischen Vereins in Triest aus und beschuldigte Zadnik, nationalistische Positionen zu vertreten, wobei seine Argumente freilich nicht immer stichhaltig waren: „Daß er ein slawischer Nationalist ist“, schrieb Ucekar über Zadnik, „ist nicht anzuzweifeln, denn es war nicht möglich, ihm die taktische Notwendigkeit begreiflich zu machen, die slawischen Arbeiter in Triest davon zu überzeugen, dass die Landessprache Italienisch ist“. Nachdem er Zadniks Initiative kritisiert hatte, in Triest das slawische sozialistische Parteiblatt „Delavski List“ herauszugeben, glaubte Ucekar, die „slavophile“ Tendenz Zadniks durch die Tatsache bestätigt zu sehen, dass dieser anlässlich einer Versammlung im Jahre 1893 über die Beschlüsse des sozialdemokratischen Parteitages in Wien darauf bestand, die Wortmeldung Ucekars ins Slowenische und ins Deutsche zu übersetzen – „nur, um über die Hälfte der Teilnehmer aus dem Saal zu vertreiben und die Journalisten dazu zu veranlassen, sich über uns lustig zu machen“32. Ucekars Schlussfolgerung aus diesem Vorfall war folgende: „Slawen sind, ob man will oder nicht, in Triest nicht erwünscht, da sie den Fehler begehen, anderen ihre Sprache aufzwingen zu wollen“. Ucekar zufolge gehörten dem internationalistischen Verein Zadniks „nur wenige, rabiate Slawen an“33. Nur aus Gründen des höheren Parteiinteresses 30

Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1895, Wien 1896,

S. 47 f. VfGABW, Adler Archiv, 166a/48. Über diese Episode vgl. auch den Polizeibericht vom 23. April 1894, in dem jedoch das Verlassen des Saales seitens der Versammlungsteilnehmer nicht erwähnt wird. Der Polizeibeamte stellte fest, dass an der Versammlung ungefähr 300 Arbeiter, in der Mehrzahl Italiener und ein kleiner Anteil von Slowenen, teilgenommen hatten; AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 251. 33 Es scheint jedoch, dass Ucekar den Verein Zadniks immerhin sporadisch frequentierte. Dies würde meine Bemerkungen zur Fußnote 29 bestätigen. In einem Absatz des zitierten Schreibens behauptet er: „… wenn man dann den Zadnik ansehe, der alles daran setzt, um die Genossen, die noch ein wenig nationales Gefühl [sentimento patrio] spüren, zu verscheuchen, so kommt einem wirklich die Wut und deshalb bin ich seit einiger Zeit nicht mehr in den Verein gegangen, da ich jedes Mal wütend wurde. Eines Abends nahm ich an einer Vorstandssitzung teil; es war das reinste Babel, es wurde in drei Sprachen gesprochen und dann über das Vereinsschild diskutiert. Die gemäßigteren Teilnehmer wollten es in drei Sprachen haben. Stell Dir vor, was das bei dem langen Vereinsnahmen bedeutet hätte. Die Nationalisten/ 31 32

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hatte er darauf verzichtet, einen Konkurrenzverein zu gründen, was man ihm von verschiedenen Seiten vorgeschlagen hatte. Aber „der von Zadnik geleitete Verein wird bald aufgelöst werden, wenn er an seiner Spitze bleibt; und wir haben nun beschlossen, die Satzungen des politischen Vereins zum zweiten Mal [den Behörden, MC] vorzulegen.“ Daraus entstand die Lega socialdemocratica. In einer nachfolgenden Mitteilung taucht ein eher psychologisches Element der Reaktion Ucekars auf: „Ich möchte Dir nochmals bestätigen, dass ich Zadnik keineswegs feindlich gesinnt bin; ich halte ihn jedoch für einen Nationalisten und das tut mir deshalb leid, weil ich dieses Prinzip [den Nationalismus, MC] der neuen Sache geopfert habe. Wie Du weißt, war ich bei den Liberalen gut angeschrieben und ihre Freundschaft kann unter Umständen sehr nützlich sein; ich aber kümmere mich nicht um sie und kann nicht dulden, dass ein anderer ihnen die Waffen in die Hand gibt, um mich zu bekämpfen34. Ein zweites, wichtiges Spannungsmoment ergab sich im Jahre 1896, als Ucekar von einer großen Gruppe von Arbeitern und Gewerkschaftlern als sozialistischer Kandidat der neueingeführten V. Kurie (mit allgemeinem männlichen Wahlrecht) für die Reichsratswahl aufgestellt wurde. Niemand hatte Antonio Gerin gewählt, dessen Position in Wien sich inzwischen soweit gefestigt hatte, dass er zum offiziellen Vertreter der Partei ernannt wurde. Gerin wurde immerhin zum Kandidaten Istriens ernannt, nachdem sich der vorgeschlagene Kandidat Renato Perco zurückgezogen hatte. Um sich ein Bild von der Situation zu machen, wurde Dr. Wilhelm Ellenbogen von der Zentrale nach Triest entsandt, ohne vorher die Lega socialdemocratica kontaktiert zu haben. Ucekar reagierte mit einem Brief an die Parteizentrale vom 16. November 1896, in dem er den Kommentar abgab, dass, falls die Parteizentrale die Lega socialdemocratica nicht als offizielle Vertretung der Partei anerkennen wollte, sie zumindest die Betreffenden davon in Kenntnis setzen sollte35.

Slawen wollten es nur in slawischer Sprache. Am Ende der Sitzung brach ein Streit aus und es wurde nichts beschlossen. Das Schild hängt noch nicht aus. Ich habe auch an einigen monatlichen Sitzungen teilgenommen, die immer mit dem Weggang der wenigen Italiener und Deutschen endeten, da die Slawen sich nie überzeugen lassen wollten und Zadnik ihnen stets beipflichtete“. 34 Ebd. 35 VfGABW, SDPA, RPSK, 100, Triest, 16. November 1896. Piemontese zufolge kam anlässlich der Auseinandersetzung zwischen Ucekar und Gerin im Jahr 1896 (deren Gegenstand vom Autor nicht näher erwähnt wird) sogar Victor Adler nach Triest. Ich habe zu diesem Besuch jedoch keine weiteren Belege gefunden (G. Piemontese, Il movimento operaio a Trieste, S. 146). In seiner in der „Arbeiter Zeitung“ vom 12. und 15. April 1933 veröffentlichten Grabrede für Valentino Pittoni erwähnte Wilhelm Ellenbogen jedenfalls die Dankbarkeit, die Pittoni seinem „großen, von ihm sehr verehrten Meister Victor Adler“ entgegenbrachte.

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Der Brief Ucekars führt uns, unter anderem, ein Bild der Arbeitervereine im Triest des Jahres 1896 vor Augen. In seiner Anlage befindet sich das Protokoll einer am 13. November abgehaltenen Sitzung zur Ernennung eines sozialistischen Kandidaten für die V. Kurie36. Einunddreißig Vereine waren gebeten worden, einen eigenen Kandidaten zu ernennen. Unter ihnen die SOT, die beiden slowenischen Vereine für wechselseitige Hilfe, die Fratellanza Artigiana mazzinianischer Ausrichtung, die Hilfsvereine der Hutmachergesellen, der Lokomotivheizer, der Friseure, der Kellner von der Schifffahrtsgesellschaft Lloyd, der Drucker, der Handelsagenten und Schreiber und der Manufakturagenten; des weiteren eine Schneidergenossenschaft, der „Verein der Triester Nudelarbeiter“, die deutsche Berufsgenossenschaft der Transportarbeiter. Alle diese Vereine enthielten sich entweder der Stimme oder entsandten keine Vertreter. Für Ucekar hingegen stimmten die Società fra operai falegnami, die Vereine der Steinmetzen, der Schuster, der Ladearbeiter. Die Kandidatur Ucekars wurde auch von den Delegierten von Arbeitergruppen aus einzelnen Industriebetrieben der Stadt, von mehreren Werkstätten des Stabilimento Tecnico Triestino (STT), von der Werkstatt Holt, des städtischen Gaswerks, von den Hafenarbeitern und den Gießern unterstützt. Mit der Kandidatur Carlo Ucekars stellte sich in Triest erstmals ein Sozialist zur Wahl. Angesichts dieser Neuheit spaltete sich das buntgewürfelte Arbeiter- und Handwerkervereinsleben in ein liberales und ein sozialdemokratisches Lager. Sowohl die SOT als auch die Hilfsvereine der Ladenverkäufer und Angestellten nahmen nicht einmal an der Wahlversammlung teil. Die beiden slowenischen Vereine für gegenseitige Hilfe sowie einige kleinere Vereine taten es ihnen gleich. Der Vertreter der Società dei tipografi erklärte, dass seine Mitglieder nur der Kandidatur eines italienischen Nationalisten zugestimmt hätten, während sich der Delegierte des Hilfsvereins der Hutmacher seiner Stimme enthielt. Die Kandidatur Ucekars war von den emporstrebenden Gewerkschaftsgruppen ausgegangen, die sich zum Teil während der von der Confederazione operaia unterstützten Streiks, wie jenen der Arbeiter der Werkstatt Holt, der Gaswerke und der Steinmetzen, gebildet hatten. Besonders straff organisiert waren die Arbeiter des Stabilimento Tecnico Triestino, vormals Strudhoff-Werke, das Maschinen und Heizkessel für die größte Schiffswerft vor Ort produzierte, zu der auch der Cantiere S. Rocco in Muggia gehörte. Das Stabilimento Tecnico entsandte eigene Vertreter, und zwar die Arbeiter der Mechanikerwerkstatt 1 und 2, die Arbeiter der Werkstätten 5, 6 und 8, die Arbeiter der 36 VfGABW, SDPA, RPSK, 100, Triest, 16. November 1896. Die V. Kurie wurde von der Regierung Badeni eingeführt. Sie brachte ein nahezu allgemeines (männliches) Wahlrecht mit sich. Trotz der höheren Zahl an Wähler stand ihr aber die gleiche Anzahl Abgeordneter wie den anderen Kurien zu, die ein viel kleineres Elektorat repräsentierten; C.A. Macartney, The Habsburg Empire 1790-1918, London 1968, S. 662 f.

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Werkstatt 3 sowie eine so genannte „Gruppe von Arbeitern des Stabilimento Tecnico“. Es entstand damit ein neues Verhältnis zwischen Sozialdemokratie und Arbeitswelt, in dem die sozialdemokratische Organisation als eine Art Interessenvertretung der Lohnempfänger fungierte, unter denen das moderne Industrieproletariat nun die Oberhand gewann. Es verschwand nunmehr jene Gemengelage aus Arbeiter-, Handwerker- und Kleinbürgerständen, die für Programme und Ideen mazzinianischer Provenienz empfänglich gewesen waren und sozialistische Vorstellungen vertraten, die sich noch in den Rahmen eines demokratischen Radikalismus einfügten und deren kohärentester politischer Träger die Società Operaia Triestina gewesen war.

Drittes Kapitel Die sozialdemokratische Partei des Küstenlandes und Dalmatiens Die Lega socialdemocratica gewann in diesen Jahren immer mehr Zulauf, womit sie allmählich zur wichtigsten Vertretung der italienischsprachigen Sozialdemokratie im Küstenland aufstieg. Bei den Wahlen in die V. Kurie hatte Carlo Ucekar in Triest das beachtliche Ergebnis von 4.464 Stimmen erzielt; in Muggia (einem Küstenstädtchen nahe Triest, wo sich Werftanlagen befanden) waren zehn Sozialisten in den Gemeinderat gewählt worden. Die Lega selbst wies im Jahre 1897 zirka 1.200 Mitglieder auf, und die Aufmärsche zum Ersten Mai in Muggia und Triest zogen erneut große Menschenmassen an1. Im selben Jahr stieß der Rechtsanwalt und Journalist Riccardo Camber aus Spalato (Split) zur Gruppe der leitenden Sozialisten. Er war eher ein Glücksritter als ein sozialistischer Agitator, besaß jedoch eine ausgeprägte Redegewandtheit und eine starke persönliche Ausstrahlung. Er stand mit dem italienischen Sozialistenführer Filippo Turati im Briefverkehr2. Bei einer Versammlung von streikenden Holzarbeitern im August 1897 wurde Camber verhaftet, weil er die Arbeiter dazu angestiftet hatte, mit allen Mitteln zu verhindern, dass jemand Arbeit verrichtete. Diese Verhaftung rief den ersten spontanen Generalstreik in Triest hervor, an dem 10.000 Arbeiter teilnahmen, während sich fast tausend Arbeiter aus Muggia unter dem Ruf „volemo fora Camber!“ („Befreit Camber!“) auf den Marsch in die Stadt machten. Auch dank der Vermittlung von Carlo Ucekar wurde Camber rasch wieder freigelassen3.

1 Verhandlungen des sechsten österreichischen sozialdemokratischen Parteitages, S. 34; AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 256, Arbeiterbewegung im Jahr 1897. 2 G. Piemontese, Il movimento operaio a Trieste, S. 95 f. In einem Polizeibericht zur Arbeiterbewegung in Triest im Jahr 1898 ist u.a. zu lesen: „Durch den Eintritt des nach jeder Richtung charakterlosen Strafverteidigers Richard Camber in die hiesige sozialdemokratische Organisation hatte dieselbe etwas unstetes, zielloses, dem Charakter ihres Führers entsprechendes angenommen“; AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 256, Bericht zur Arbeiterbewegung in Triest, 27. Dezember 1898. 3 M. Cattaruzza, La formazione del proletariato urbano. Immigrati, operai di mestiere, donne a Trieste dalla metà del secolo XIX alla prima guerra mondiale, Turin 1979, S. 139 f.

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Durch die Wahlerfolge und die zunehmende Popularität der Organisation unter den Triester Arbeitern ermutigt, beteiligten sich die italienischen Sozialisten des Küstenlandes mit einer zahlreichen Delegation am sechsten Parteitag der österreichischen Sozialdemokratie, der im Juni 1897 in Wien stattfand. Antonio Gerin, Carlo Ucekar, Riccardo Camber, der Delegierte Scotti aus Isola und der Gemeinderat Petrich aus Muggia nahmen daran teil. In allen ihren Wortmeldungen während des Kongresses baten die Delegierten nachdrücklich um die Einrichtung eines „Sekretariats“ (d.h. um einen von Wien bezahlten Angestellten) zur Koordinierung der politischen Tätigkeit aller italienischen Sozialisten der Monarchie4. Ein entsprechender Antrag wurde dem Exekutivausschuss der Partei zur Prüfung vorgelegt5. Die Struktur der Partei des Küstenlandes sollte während des einige Monate später stattfindenden ersten regionalen Sozialistenkongresses definiert werden. Der Wiener Parteitag von 1897 war in stärkerem Maß als der Brünner Parteitag ausschlaggebend für den Aufbau einer multinationalen österreichischen Sozialdemokratie, die in ihren Anfängen ein rein deutsch-österreichisches Phänomen gewesen war6. Es wurden die Parteiexekutiven der Tschechen, Polen, Italiener und Südslawen anerkannt. Der Zentralausschuss wurde um sieben Mitglieder erweitert, bei denen es sich um Vertreter der verschiedenen Nationalexekutiven handelte. Victor Adler selbst zeigte sich über die Fortschritte erfreut, welche die italienischen und slowenischen Sozialisten seit dem Prager Parteitag im Vorjahr 4 Verhandlungen des sechsten österreichischen sozialdemokratischen Parteitages, S. 120 f. (Wortmeldung des Delegierten Scotti aus Isola), S. 121 f. (Wortmeldung des Delegierten Petrich aus Muggia), S. 124 (Wortmeldung des Delegierten Ucekar). Es wurde über folgenden von Carlo Ucekar vorgelegten Antrag abgestimmt: „Die Parteivertretung wird vom Parteitage beauftragt, die italienischen Organisationen in ihrer Bestrebung, einen unabhängigen Sekretär für sämtliche italienische Organisationen Österreichs anzustellen, tatkräftig zu fördern, nötigenfalls für eine gewisse Zeit dieses Bestreben auch materiell zu unterstützen“; ebd., S. 116. 5 Ebd., S. 172. 6 Während auf dem Wiener Parteitag die Organisation der Partei im föderalistischen Sinn neu definiert wurde, wurden in Brünn föderalistisch-autonomistische Konzepte für den Habsburger Staat ausgearbeitet. Mit den Brünner Beschlüssen wurde die K.K. Monarchie von der Sozialdemokratie voll und ganz als langfristiger (gegebener) Einflussbereich ihrer politischen Aktion anerkannt. Diese Konzepte – wie auch die späteren föderalistischen Reformmodelle, die vor allem durch die Zeitschrift „Der Kampf“ verbreitet wurden – hatten aber praktisch keinerlei politische Folgen. Sie sind eher für die Geschichte des Marxismus, als für die politische Geschichte Österreich-Ungarns interessant. Vgl. dazu die Beurteilungen Helmut Konrads: „Das Brünner Programm wird als nationaler Lösungsvorschlag meist weit überschätzt, galten die Formulierungen doch nicht der Organisation der Partei, sondern der des Staates. Es brachte die ‚Aussöhnung der Arbeiterschaft mit der Reichsidee und damit das Entstehen der viel gelästerten ‚k.k. Sozialdemokratie’. Aber gerade hierin liegt die Bedeutung dieses Programms“; H. Konrad., Österreichische Arbeiterbewegung und nationale Frage, S. 128.

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erzielt hatten. Auch die Slowenen hatten nämlich 1896 in Laibach eine südslawische Sektion der Partei gegründet7. Am 25. und 26. Dezember 1897 wurde im Beisein des Wiener Delegierten Dr. Ellenbogen der Gründungskongress des Partito sociale-democratico del Litorale e della Dalmazia abgehalten. Ellenbogen hatte bereits früher im Auftrag der Zentrale die Angelegenheiten der Sozialisten des Küstenlandes verfolgt. Dabei hatte er beträchtliche Kenntnis über die Probleme der Arbeiter im Adriaraum (und im Trentino) erworben und ein beachtliches Einfühlungsvermögen für ihre Lage entwickelt. Die Gebiete von Triest, Istrien und Görz bildeten den nördlichen und Dalmatien den südlichen Teil der Sezione Adriatica. Am Kongress nahmen siebenundfünfzig Delegierte aus verschiedenen Orten des Küstenlandes und Dalmatiens teil. Triest war mit dreiunddreißig Delegierten vertreten. Zwölf kamen aus Capodistria (Koper, Kopar), zwei aus Muggia, zwei aus Isola, zwei aus Rovigno (Rovinj), zwei aus Cormons (Kormin), einer aus Pola, einer aus Zara (Zadar) und einer aus Spalato. Die Triester Delegation bestand aus Parteiführern und Vertretern von Berufsgruppen und Gewerkschaftsorganisationen. Am Kongress nahmen die Vertreter der Steinmetzen, der Drechsler, der Arbeiter des Brunner-Werkes, der Tagelöhner, der Schuster, der Schreiner, der Arbeiter der Eisenhütte von Servola (Škedenj), des Trambahnpersonals und der Bäcker teil. Matilde Bortoluzzi vertrat die Frauensektion der Partei. Antonio Gerin wurde zum Parteisekretär gewählt; das Exekutivorgan bestand aus einem vom Kongress gewählten Komitee. Ellenbogen selbst sollte später die Partei in der Exekutive in Wien vertreten. Die Partei erkannte feierlich die Programme von Hainfeld aus dem Jahre 1889 und von Wien aus dem Jahre 1892 als Grundlage ihrer Politik an und wählte die seit 1895 erscheinende Zeitung „Il Lavoratore“ als offizielles Parteiorgan. Anläßlich des Regionalkongresses wurde auch die auf dem Wiener Parteitag offen gebliebene Frage der Organisation geklärt. Die Sezione Adriatica sollte national gemischt sein; damit wurde den Forderungen nach einer italienischen Sektion, die auf dem Regionalkongress vor allem Antonio Gerin vorgebracht hatte, die jedoch von einer Mehrheit der Delegierten entschieden abgelehnt wurde, nicht entsprochen und die von den Sozialisten des Küstenlandes wenige Monate zuvor auf dem Parteitag vertretene Position verworfen8. Der zur Beobachtung des Kongresses abgeordnete Polizeibeamte vermerkte, dass dieser im Großen und Ganzen eine

Verhandlungen des sechsten österreichischen sozialdemokratischen Parteitages, S. 7 ff., 32-34, 170 f. 8 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 255, Liste der Teilnehmer am 1. Regionalkongress der Sozialisten des Küstenlandes und Dalmatiens am 25. und 26. Dezember 1897. Vgl. auch den Polizeibericht über die Sitzungen des Kongresses und die dort verabschiedeten Reglemente; AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 255. 7

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Kopie des einige Monate zuvor in Wien abgehaltenen Parteitags war, was er vor allem den beiden Männern der Zentralorganisation, Ellenbogen und Gerin, zuschrieb. Anerkennend fügte er hinzu, dass die Sozialisten das österreichische Staatsprinzip zu respektieren schienen und sich im Wesentlichen an Wien orientierten. Sie hoben sich damit positive von den Liberalen und vor allem von den Demokraten ab, die versucht hatten, ihren Einfluss auf die örtliche Arbeiterschaft auszudehnen9. Die Spannungen, die bereits zu Beginn der Neunziger Jahre zwischen Gerin und Ucekar aufgetreten waren, verstärkten sich zusehends. Antonio Gerin geriet in Besitz eines nicht unterzeichneten und nicht abgeschickten Briefes an die Wiener Zentrale, datiert auf den 9. Februar 1898, in dem man ihn sowie die Funktionäre der slowenischen Partei Zavertnik, Kopač und Kristan beschuldigte, einen negativen Einfluss auf die örtliche Arbeiterschaft auszuüben. Im Gegensatz zu ihnen stünden die bewährten und äußerst vertrauenswürdigen lokalen Parteiführer: natürlich bezog man sich dabei auf Carlo Ucekar. Der Brief schloss mit der Drohung einer Spaltung, falls die Funktionäre nicht entfernt würden10. In einem Schreiben an die Parteizentrale vom 23. April desselben Jahres schilderte Gerin seine Auffassung der Auseinandersetzung und lieferte gleichzeitig eine extrem negative Beurteilung der Parteisituation in Triest. Gerin zufolge gab es vor Ort überhaupt keine richtige Parteiorganisation. „Natürlich müssen wir unterscheiden“ fuhr der Sekretär fort, „was die Partei ist und was Lega socialdemocratica ist. Die Partei ist mir lieber als ein politischer Verein, auch wenn dieser einem sozialdemokratischen Programm folgt“. Es hatte sich so getroffen, dass Gerin nicht unter die Führer der Lega gewählt worden war. In seiner Eigenschaft als Parteisekretär hatte er deshalb an den Vorstand der Lega geschrieben, um zu den Sitzungen zugelassen zu werden, worauf er allerdings nie eine Antwort erhielt11. Einige Wochen später (am 10. Mai 1898) bestätigte Gerin die Schwierigkeiten, die im Wesentlichen darin bestanden, dass Ucekar zufolge die Lega socialdemocratica die Sektion der Partei in Triest hätte werden sollen, während für Gerin die Lega ein Verein wie alle anderen war und dem von ihm selbst vertretenen Parteisekretariat unterstand. Die Idee, dass die Lega socialdemocratica bereits die Partei verkörpere, war Gerin zufolge der Demagogie der Anhänger und einem Mangel an sozialistischer Kultur zuzuschreiben. Inzwischen war der Vorstand der Parteisektion zurückgetreten, und ein Polizeibericht bestätigte, dass die ganze Organisation nunmehr auf den Schultern des „aus der Wiener Schule hervorgegangenen Emissärs 9 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 255, Polizeiprotokoll zum sozialistischen Regionalkongress. 10 VfGABW, Adler Archiv, 166a/43, Triest, 9. Februar 1898. 11 VfGABW, SDPA, RPSK, 101, Triest, 23. April 1898.

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Antonio Gerin“ laste, „welcher sich abmüht, in die hiesigen unbotmäßigen Elemente deutsche Disziplin zu bringen“12. Ein Brief Riccardo Cambers an Victor Adler vom 7. Mai 1898 bestätigt, dass den Meinungsverschiedenheiten unterschiedliche Auffassungen zur Parteiorganisation sowie ein verbreitetes Unbehagen an der Präsenz slowenischer Funktionäre, die von Wien bezahlt wurden, zugrunde lagen. Der Brief enthält dieselben Argumente wie das nicht abgesandte Schreiben vom 9. Februar, das Gerin in die Hände geraten war. Mit großer Wahrscheinlichkeit war Riccardo Camber der Verfasser beider Briefe. Camber zufolge war die Parteizentrale nicht in der Lage, die Bedürfnisse und die besondere Situation des Küstenlandes zu begreifen. „Was der Genosse Gerin und die drei slowenischen Genossen für unsere Partei geleistet haben, das dürfte in Wien sehr schön aussehen, wir spüren aber schon die Gegenströmung, die sie gegen unsere Bestrebungen und zielbewussten Leistungen in den Wiener Kreisen hervorgerufen haben. Glauben Sie es mir“, fährt Camber fort, „dass wir es am besten verstehen, was hierorts erforderlich ist“. In Erwiderung vermuteter Anschuldigungen von Seiten Gerins und slowenischer Funktionäre beteuerte Camber, dass das Organ „Il Lavoratore“ weder Anlass zur Beschämung noch zu finanziellen Sorgen geben werde und dass man nicht beabsichtigte, Vereinbarungen mit gegnerischen Elementen abzuschließen. Die Organisation des Küstenlandes habe die Zentrale bis dahin nichts gekostet, wenn man einmal von den Kosten absehe, die für Gerin und die Slowenen angefallen waren, ohne die erhofften Resultate zu zeitigen. Vielmehr hätten die Slowenen „eine intransigente Nationalpartei im Schoße unserer Partei“ ins Leben gerufen, worüber man sich keineswegs freuen könne. Der Brief schloss mit der Aufforderung, dass die mit Land und Leuten vertrauten lokalen Funktionäre bei ihrer Arbeit in Ruhe gelassen werden sollten, da sie „echte und ehrliche Sozialdemokraten“ seien und bleiben wollten13. Gleichzeitig mit den Auseinandersetzungen zwischen Gerin und dem anfangs von Camber unterstützten Ucekar, die fast zu einer dualistischen Struktur innerhalb der Organisation der Sozialdemokratie im Küstenland führten, musste diese freilich eine noch schwerere Krise durchstehen. Riccardo Camber, der bereits mehrere Male den Vorwurf übermäßiger Skrupellosigkeit und einer uneindeutigen Haltung auf sich gezogen hatte, weil er angeblich ungeniert liberalnationale und christlichsoziale Kreise frequentierte, hatte eine italienischsprachige sozialistische Zeitung nationalliberaler Orientierung mit dem Titel „Il Lavoro“ gegründet. Aus der Partei ausgeschlossen, verursachte 12 VfGABW, SDPA, RPSK, 101, Triest, 10. Mai 1898 und Triest, 23. Juli 1898; AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 256, Bericht des Jahres 1898 über die Arbeiterlage. 13 VfGABW, Adler Archiv, 166a/2, Brief Riccardo Cambers an Victor Adler vom 7. Mai 1898.

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er auch den Sturz Gerins, indem er ihn öffentlich beschuldigte, Geldsummen aus der Parteikasse entwendet zu haben. Im nachfolgenden Prozess wegen Verleumdung wurde Camber freigesprochen14. Nach diesem politischen Unfall suspendierte die Parteizentrale Gerin und teilte ihn der Direktion der neugegründeten Gewerkschaftsorganisation Federazione dei lavoratori e delle lavoratrici zu. Von da an fristete er ein politisches Schattendasein am Rande der Partei. Ein kurzer Polizeivermerk vom Dezember 1899 liefert folgendes Bild von seinem weiteren Schicksal: „… es wird mitgeteilt, dass Antonio Gerin, Sohn des verstorbenen Pietro und Luigia geborene Tedeschi, 1856 in Sesana geboren und der Gemeinde Capodistria zugehörig, katholisch, verheiratet, Vater von fünf Kindern von 1 bis 16 Jahren, wohnhaft in der Via Rossetti N. 15A/II, Vorsitzender der sozialistischen ,Federazione dei lavoratori e delle lavoratrici a Trieste‘, zur Zeit als Drucker in der örtlichen Druckerei Giovanni Werk in der Via della Zonta N.2 gegen einen Wochenlohn von 10-12 Gulden beschäftigt [ist], da er von der sozialdemokratischen Partei keine Zuwendungen mehr erhält. Seine wirtschaftlichen Verhältnisse sind sehr kritisch, da er darüber hinaus wenig Arbeitseifer an den Tag legt und es vorzieht, in Saus und Braus zu leben. Seine Position als Vorsitzender der sozialdemokratischen Partei wurde hauptsächlich durch die Vorfälle des Prozesses Camber erschüttert“15.

Diese Frühgeschichte der adriatischen Sektion der Partei zeigt einerseits in dramatischer Weise die Schwierigkeiten, einer sich spontan und improvisiert entwickelnden Realität ein bereits bestehendes Organisationsmodell 14 VfGABW, SDPA, RPSK, 101, Brief Gerins an die Parteivertretung vom 7. Februar 1899, in dem er Cambers Austritt aus der Partei ankündigt. In einem Brief an Adler teilte Gerin seine Absicht mit, Klage gegen Camber zu erheben, doch könne er in Triest keinen Anwalt finden, der bereit sei, ihn zu vertreten; VfGABW, Adler Archiv, 166a/10, Triest, 21. Februar 1899. Über den in Ungnade gefallenen Gerin siehe auch den Vermerk der Polizeidirektion im Bericht des Jahres 1899 über die Arbeiterbewegung; AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 256. Zum „Fall Camber“ vgl. Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1898, Wien 1899, S. 25. Bereits auf dem Wiener Parteitag von 1899 wurden Vermutungen über antisemitische Tendenzen Cambers laut (Verhandlungen des sechsten österreichischen sozialdemokratischen Parteitages, S. 134 f.). Nach seinem Austritt aus der Partei widmete sich Camber dem Skandaljournalismus mit erpresserischer Zielsetzung; G. Piemontese, Il movimento operaio a Trieste, S. 96-98. 15 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 255, Mitteilung der Polizeidirektion an das K.K. Landesgericht vom Dezember 1899; ebd., 14. September 1899. Eine im Adler Archiv in Wien aufbewahrte anonyme Notiz über Antonio Gerin informiert über seine eifrige Teilnahme an den Parteitagen, die im Jahre 1901 plötzlich und endgültig aufhörte. In der Notiz werden die Gründe für das plötzliche Verschwinden Gerins von der politischen Bühne nicht vermerkt; VfGABW, Adler Archiv, 166a/12. Auch Enzo Collotti geht in seinem Lexikoneintrag den Umständen der politischen Ausgrenzung Gerins nicht nach. Er beschränkt sich auf die Erklärung, dass dessen politische Tätigkeit in Triest von Arbeitslosigkeit unterbrochen wurde. Es scheint, dass Gerin nach Wien ging und 1906 nach Triest zurückkehrte, wo er „körperlich geschwächt, seine Arbeit als Drucker wieder aufnahm, ohne nennenswerte politische Positionen zu beziehen“; E. Collotti, Gerin Antonio, S. 467.

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aufzuzwingen. Andererseits wird der Mangel an qualifizierten Parteiführern deutlich, die auf dem Sozialismus im Küstenland lastete. Dieser Mangel wird besonders im Falle Antonio Gerins deutlich, der von einer Reihe von Zufällen überrollt wurde, die ihn deutlich über seine Kräfte hinausgehende politische und organisatorische Verantwortungen übernehmen ließen. Der Aufbau eines bürokratischen Apparates nach deutschem und österreichischem Vorbild innerhalb der Sozialdemokratie und der Gewerkschaftsbewegung bot Agitatoren proletarischer Herkunft, die eine rege Intelligenz, natürliche Autorität gegenüber ihren Genossen, Unternehmungsgeist, Disziplin und Organisationstalent besaßen, sicherlich glänzende Möglichkeiten gesellschaftlichen Aufstiegs und die Aussicht auf eine Karriere innerhalb der Parteiorganisation16. Andererseits konnte es in einer von der Parteiexekutive kaum kontrollierten Situation ohne jegliche sozialdemokratische Tradition, wie es im Küstenland der Neunziger Jahre der Fall war, durchaus vorkommen, dass sich individuelle, an einen Funktionärposten, eine Zeitung, oder sogar an ein Wirtshaus gebundene Machtpositionen herauskristallisierten17. Offensichtlich war für diejenigen, die aus diesen ertragreichen Positionen persönlichen Nutzen zogen, die Wahrung ihrer Privilegien weitaus wichtiger als politische Erwägungen allgemeiner 16 Mit der gesellschaftlichen Herkunft und den Lebensbedingungen der Funktionäre der sozialdemokratischen Partei und der Freien Gewerkschaften und mit der soziologischen Analyse der sozialdemokratischen Fraktion im Reichstag haben sich vor allem deutsche Historiker beschäftigt. Vgl. z. B. W.H. Schröder, Die Lebensläufe der sozialdemokratischen Reichstagskandidaten: Ausgewählte Fragen und Materialien, in: G.A. Ritter (Hrsg.), Der Aufstieg der deutschen Arbeiterbewegung, Sozialdemokratie und Freie Gewerkschaften im Parteiensystem und Sozialmilieu des Kaiserreichs, München 1990, S. 185-218; Otto Brenner Stiftung (Hrsg.), Herkunft und Mandat. Beiträge zur Führungsproblematik in der Arbeiterbewegung, Frankfurt a.M. / Köln 1976; H. Hesse, Il gruppo parlamentare del Partito socialista italiano: la sua composizione e la sua funzione negli anni della crisi del parlamentarismo italiano, in: L. Valiani / A. Wandruszka, Il movimento operaio e socialista in Italia e in Germania, S. 179-220. In diesem interessanten Aufsatz zeigt Hesse auf, dass die sozialistischen Abgeordneten in Italien größtenteils aus dem mittleren und höheren Bürgertum stammten, während in Deutschland bereits 1903 die Mehrheit von ihnen der Arbeiterklasse angehörte. 17 Die slowenischen Sozialdemokraten aus Triest, Zavertnik und Zadnik, wurden wiederholt von ihren Laibacher Genossen beschuldigt, den Sitz der Zeitung „Rdeči Prapor“ in Triest beizubehalten, um nicht ein gut gehendes Wirtshaus schließen zu müssen. Ludvig Zadnik wurde sogar von einem andersgesinnten Mitglied, das die staatsfeindliche Ausrichtung des von ihm geleiteten Bildungs- und Hilfsvereins kritisierte, beschuldigt, Vereinsmittel für private Zwecke zu verwenden und den Vereinssitz als private Wohnung für sich und seine Familie zu benutzen. In Anbetracht der starken politischen Meinungsverschiedenheiten zwischen Zadnik und dem Dissidenten Josef Sado sind diese Anschuldigungen mit Vorbehalt zu betrachten. Sado wandte sich an die Polizei und forderte die Eröffnung einer Untersuchung aufgrund ungesetzlicher und staatsfeindlicher Umtriebe bezüglich den erklärten Zwecken des Arbeiterbildungs- und Rechtsschutzvereins; AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 251, Anzeige des Josef Sado, 28. Februar 1894.

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Natur. Andere, wie Riccardo Camber und einige ebenfalls dalmatinische Exponenten der sozialdemokratischen Partei18, entsprachen eher dem Typ des Glücksritters: sie wählten die Karriere in der Sozialdemokratie wie jede andere Erfolg versprechende Perspektive. So erklären sich die zahlreichen Konflikte dieser ersten Phase, in der die neu entstandene Sezione adriatica als ein wahres Schlangennest erscheint.

Die Festigung der Organisation Auf dem Regionalkongress in Pola von 1899 und dem außerordentlichen Kongress in Triest im Jahre 1900 wurden in erster Linie Fragen der Wahltaktik und der Kandidaturen besprochen. 1900 wurde der Angestellte Valentino Pittoni, der wie Ucekar aus der SOT kam, nach dem Ausscheiden Ferdinando Dobauscheks in die Parteizentrale kooptiert. Auf dem Kongress im Januar 1902 in Triest wurde ein lang gehegter Wunsch verwirklicht: die Gründung einer italienischen Sektion für das Küstenland. Von nun an trug die Partei den Namen Partito operaio socialista in Austria. Sezione italiana-adriatica19. Ihr Exekutivausschuss bestand aus sieben Mitgliedern, darunter befanden sich Carlo Ucekar, der Drucker Giovanni Oliva (der die Funktionen Antonio Gerins übernommen hatte) sowie Vertreter aus Istrien und Görz20. Valentino 18 Im Jahre 1910 zum Beispiel unterbrachen die italienischen Sozialdemokraten des Küstenlandes ihre Beziehungen zu Dorbič, dem Parteivorsitzenden in Spalato, einem Vorbestraften, der unter den Anhängern der Sozialdemokratie in Spalato großes Ansehen genoss. Im Schreiben, in dem der Reichstagsabgeordnete Giovanni Oliva der Zentrale diese Entscheidung mitteilte, fügte er jedoch vorsorglich hinzu, dass er von nun an die südslawische Parteisektion für diese Frage zuständig erachtete, um zu starke Auseinandersetzungen aufgrund des unbeherrschten Charakters der Dalmatiner zu vermeiden, VfGABW, SDPA, RPSK, 128 4/2, Brief Giovanni Olivas an die Zentralverwaltung, 10. Oktober 1910. Bereits im Jahre 1901 hatten die Sozialisten von Pola vergeblich versucht, Dorbič aus der Partei auszuschließen. Vgl. die vom Betreffenden über diese Episode verfasste Protestschrift: G. Dorbič, Abbasso la maschera!, Pola 1901. 19 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 255, Polizeibericht über den 3. Regionalkongress der italienischen Sozialisten in Österreich, 5.-6. Januar 1902. Über den außerordentlichen Kongress von 1900 vgl. das von Carlo Ucekar verfasste Protokoll (Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll des außerordentlichen Regionalkongresses der italienischen Sozialisten von Triest, Istrien, Görz und Dalmatien abgehalten am Sonntag, den 7. Oktober im Saal des Circolo di studi sociali in Triest), in: AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 255. Zum Kongress von Pola vgl. vor allem A. Agnelli, Socialismo triestino, Austria e Italia, in: L. Valiani / A. Wandruszka, Il movimento operaio e socialista in Italia e in Germania, S. 221-280, hier S. 236. 20 Die weiteren Mitglieder der Zentrale waren Ezio Chiussi, Antonio Cech, Hugo Austerlitz, Ferdinando Dobauschek; AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 255, Polizeibericht über den 3. Regionalkongress der italienischen Sozialisten.

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Pittoni wurde zum Parteisekretär gewählt, während Wilhelm Ellenbogen zum offiziellen Vertreter der italienischen Sektion in Wien ernannt wurde – eine Funktion, die er bereits seit 1897 in einer Sektion, deren nationaler Charakter noch nicht geklärt war, ausgeübt hatte. Nach dem Tod Ucekars am 11. Mai desselben Jahres wurde Pittoni der neue, unumstrittene Parteiführer21. Der Stil des neuen Sekretärs zeigte sich bereits in seinem Schreiben vom 23. Januar 1902, das er in deutscher Sprache verfasst hatte und mit dem er die Exekutive der Partei über die Ergebnisse des Kongresses der italienischen Sektion informierte: „Werte Genossen! Genosse Ellenbogen, der an unserem Parteitage teilgenommen, und zu dessen gutem Erfolge so viel beigetragen hat, wird Sie über die gegenwärtige Lage und die Aussichten für die nächste Zukunft bereits in Kenntnis gesetzt haben. Wir haben Grund zu hoffen, dass die unglücklichen Zeiten für immer vorbei seien, und dass unsere Partei fortfahre, an Bedeutung und an Ernst zuzunehmen. So wie wir der Gesamtpartei dankbar sind für den uns in den schwierigen Zeiten gewährten Beistand, rechnen wir darauf, dass eine ununterbrochene Fühlung mit der Parteiexekutive für die Zukunft aufrechterhalten wird, was bis jetzt leider nicht immer der Fall war. Unser Parteitag, dem auch ein Vertreter der Trentiner Genossen beiwohnte, wählte den Gen. Ellenbogen zum Vertreter der italienischen Sektion. Die Begeisterung der italienischen Genossen für die Ernennung des Gen. Ellenbogens beweist, wie tief hier unser Zusammenhang zu den übrigen nationalen Gruppen der Sozialdemokratie empfunden ist. Die italienische Exekutive für die adriatischen Länder ernannte den Genossen Valentino Pittoni zum Parteisekretär, Gen. Hugo Austerlitz zum Parteikassier. Es wird auch in finanzieller Hinsicht Ordnung geschaffen werden, umso mehr als sämtliche Organisationen die Entscheidungen des Parteitages über die Parteisteuer sehr ernst genommen haben. Es wird mithin keinen Grund mehr geben, die leider zu oft und mit Recht wiederholten Klagen zu erheben. Mit sozial-demokratischem Gruße Valentino Pittoni Wir bitten um Bestätigung des Betrages von K. 68, welchen wir für die Reiseauslagen des Gen. Ellenbogen eingesendet haben“22.

Eine bedeutende Stärkung erfuhr die sozialdemokratische Partei des Küstenlandes einen Monat nach dem Parteitag durch den großen Generalstreik vom Februar 1902, in dessen Verlauf während der Manifestationen und 21 Für ein biographisch-politisches Profil Valentino Pittonis vgl. E. Apih, Valentino Pittoni fra Austria e Italia, in: ders., Il socialismo italiano in Austria, Udine 1991, S. 35-80. Vgl. auch das von E. Collotti verfasste Stichwort, Pittoni Valentino, in: F. Andreucci / T. Detti, Il movimento operaio italiano, hier Bd. 4, S. 180-184. 22 VfGABW, SDPA-K, 103/1902, Triest, 23. Januar 1902.

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Protestkundgebungen vierzehn Demonstranten vom Militär getötet wurden. Der Generalstreik hatte sich aus dem Arbeitskonflikt auf den Dampfern der Reederei Österreichischer Lloyd entwickelt. Die Heizer der Reederei hatten nämlich die Arbeit niedergelegt, worauf der Lloyd sie mit Heizern der Kriegsmarine ersetzt hatte. Als Reaktion brach ein Solidaritätsstreik in der ganzen Stadt aus. Auf die praktisch allgemeine Arbeitsniederlegung folgte die Gründung zahlreicher mit der Sozialdemokratie verbundener Gewerkschaftsorganisationen23. Auf dem vierten Parteitag, der 1904 wiederum in Triest stattfand, wurde die Zahl der Mitglieder des Parteivorstands von sieben auf fünf gesenkt; drei von ihnen vertraten das Görzer Gebiet und Istrien. Hauptsächlich am Widerstand von Valentino Pittoni scheiterte der Vorschlag, es den sozialistischen Zirkeln der Provinz zu erlauben, sich als politische Komitees zu konstituieren. Die Zirkel blieben so der Triester Exekutive unterstellt, was ihre politische und ideologische Autonomie erheblich beeinträchtigte24. Auf dem Parteitag von 1904 konnte Valentino Pittoni seine Stellung endgültig festigen, nachdem er dort zunächst seinen Rücktritt aufgrund der Undankbarkeit und der Disziplinlosigkeit der Parteimitglieder angedroht hatte und erst davon absah, nachdem Ellenbogen lang und geduldig auf ihn eingeredet hatte25. Valentino Pittoni wurde der Sozialistenführer, der mehr als jeder andere dazu beitrug, die politischen Realitäten des Küstenlandes an das Vorbild der österreichischen Sozialdemokratie anzupassen. Streng und intransigent, und unerbittlich in erster Linie mit sich selbst,26 führte er fortan 23 M. Cattaruzza, La formazione del proletariato urbano, S. 142-145. Die beste zeitgenössische Rekonstruktion der Ereignisse in: L. Domokos, Trieste. I fatti di febbraio. La politica nazionale e il partito socialista, Rom 1902. 24 Resoconto stenografico del Quarto Congresso della Sezione Italiana Adriatica del Partito Operaio Socialista in Austria tenuto a Trieste il 3 e 4 Gennaio 1904 nelle Sedi Riunite delle Associazioni Operaie, Triest 1904. 25 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 255, Polizeibericht über den IV. sozialdemokratischen Parteitag, italienische Sektion des Küstenlandes, 3. und 4. Januar 1904. 26 Ein interessantes Zeugnis zur Persönlichkeit Valentino Pittonis und zu seinem Verständnis des politischen Engagements ist ein Schreiben desselben an seinen Bruder Silvio vom 26. Januar 1915, das Elio Apih veröffentlicht hat: „… Das, was Du tetragonale Gleichmütigkeit nennst, ist in Wirklichkeit die Vernichtung des Individuums, das, wie Du es verstehst und wie es vielleicht richtig zu verstehen ist, aus innerem Leben, Gefühlen, Empfindsamkeit besteht. Ich fühle eine Kälte um mich herum – vielleicht mehr als in mir selbst – aber die Kraft, die mich dazu hinreißt, nicht ich selbst zu sein, hindert mich auch daran, es für die anderen zu sein. Du kannst Dir nicht vorstellen, welche Zerstörungen fünfzehn Jahre Parteileben hervorrufen können. Wenn diejenigen, denen wir unsere Kräfte widmen, dies wüssten, würden sie uns heiligsprechen. Aber Gott bewahre uns davor, zu oft daran zu denken. Es ist die Trunkenheit des Kampfes, die uns aufrechterhält zusammen mit der tiefen Überzeugung, Werkzeuge einer gerechten Sache zu sein (auch wenn wir im Laufe

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die Partei mit eiserner Hand und beseitigte aus ihrer Linie jegliche lokale Besonderheit, die nicht mit der von der Zentrale ausgearbeiteten Strategie im Einklang stand. Zu Recht bezeichnete ihn Enzo Collotti als „die Persönlichkeit, die den Sozialismus in Triest am besten verkörperte und den Politiker, der die Erfahrung der Zweiten Internationale, ihre Größe und ihre Grenzen und insbesondere die von der österreichischen Sozialdemokratie übernommenen kulturellen, organisatorischen, ideellen und politische Modelle am besten in die tägliche Praxis umzusetzen vermochte“27. Mit dem Aufstieg Valentino Pittonis zum Parteiführer verloren sich auch die Überbleibsel jener ersten Phase des italienischen Sozialismus im Küstenland, in der sich eine originelle – wenn auch nicht immer kohärente – Mischung von echten sozialistischen Werten und anarchistischen und republikanischen Einflüssen italienischen Ursprungs gezeigt hatte. Diese Tradition war noch teilweise im Sozialismus Carlo Ucekars und in seiner Lega socialdemocratica lebendig. Ucekar starb 1902, wahrscheinlich infolge von Überanstrengung, bei seinen unermüdlichen Vermittlungs- und Versöhnungsaktionen während des Generalstreiks28. Mit dem Trauerzug für Carlo Ucekar, den Tausende von Menschen begleiteten, wurde auch eine bestimmte Idee des Sozialismus zu Grabe getragen, die stärker darauf beruht hatte, Werte der Solidarität, der Brüderlichkeit und der sozialen Emanzipation zu vertreten, als dass sie der Befolgung doktrinärer Prinzipien oder der Propagierung eines bestimmten Gesellschaftsmodells verpflichtet gewesen wäre.

der Jahre zur Überzeugung gelangen, sehr wenig selber auszurichten – vergangene Illusionen! – sondern nur Werkzeuge zu sein)“; E. Apih, Valentino Pittoni tra Austria e Italia, S. 88 f. 27 E. Collotti, Pittoni Valentino. Vgl. Anm. 21. 28 Zum Tod von Carlo Ucekar vgl. G. Piemontese, Il movimento operaio a Trieste, S. 139 f.

Viertes Kapitel Die südslawische Parteisektion Gegen Mitte der Neunziger Jahre hielten sich die südslawischen Sozialisten Etbin Kristan, Ludvig Zadnik, Josef Zavertnik und Josip Kopač als politische Agitatoren in Triest auf1. Die Entscheidung, für die politische Arbeit in der Stadt eine kompakte Gruppe slowenischer Funktionäre an der Seite des Italieners Antonio Gerin einzusetzen, geht auf verschiedene Überlegungen zurück, wobei im Dunkeln bleibt, inwieweit diese Maßnahme der Zentralexekutive oder dem Drängen der neu gegründeten südslawischen Sektion zuzuschreiben ist. Zur Zeit des Wiener Parteitages von 1897 unterhielt die Parteiexekutive zweifellos engere Kontakte zu den slowenischen Sozialisten, als zu den italienischen. Von den Italienern war Antonio Gerin der einzige, der sich einige Jahre in Wien aufgehalten hatte, und der sich dort den Arbeitsstil und die politischen Grundsätze der österreichischen Sozialdemokratie angeeignet hatte, wobei er aufgrund seiner Agitationstätigkeit unter den italienischen Zuwanderern in der Hauptstadt, in Triest und im Trentino auch hinlänglich Erfahrung in der politischen Propaganda gesammelt hatte. Andererseits hatte sich bereits seit einigen Jahren ein Netz slowenischer Sozialisten gebildet, die mit den deutschsprachigen Genossen in engem Kontakt standen und ungeachtet ihrer Nationalität vorbehaltlos in die österreichische Arbeiterbewegung aufgenommen worden waren2. Aus dem Kreis der Triester Slowenen war Ludvig Zadnik in einem Arbeiterbildungsverein in Innsbruck aktiv gewesen, hatte am Hainfelder Parteitag teilgenommen und unterhielt freundschaftliche Beziehungen zu Victor Adler. Josef Zavertnik hatte in Wien in der Redaktion

1 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 256, Polizeibericht vom 18. Dezember 1897 über die Arbeiterbewegung in Triest. 2 F. Rozman, Die Südslawische Sozialdemokratische Partei (JSDS) und die slowenische nationale Frage, in: F. Glatz / R. Melville (Hrsg.), Gesellschaft, Politik und Verwaltung in der Habsburgermonarchie 1830-1918, Stuttgart 1987, S. 237-252, insbesondere S. 238: „Die Handwerksgesellen, die in den Arbeitervereinen vorherrschten, da ein Industrieproletariat kaum bestand, verbrachten ihre Gesellenjahren größtenteils in den deutschen und böhmischen Ländern, wo sie sich in den dortigen besser organisierten Arbeitervereinen sozialistisches Gedankengut aneigneten und die fremde Sprache erlernten, wobei ihr Gefühl der nationalen Zugehörigkeit weitgehend verloren ging“.

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des Blattes „Der Eisenbahner“ (dem Organ der Eisenbahnergewerkschaft) gearbeitet, während der in Rudolfswert (Rudolfovo) in der Steiermark geborene Josip Kopač sozialistische Kreise in Linz frequentiert hatte und in Wien als Gewerkschaftsfunktionär der Eisenbahner tätig gewesen war3. In den slowenischen Siedlungsgebieten war Deutsch die Umgangssprache für Kontakte zur Außerwelt; dies traf nicht nur für die Gebiete der unteren Steiermark (Marburg, Maribor) oder das südliche Kärnten (die Umgebung Klagenfurts, Celovec) zu, sondern sogar für Laibach4. Eine starke Politisierung hatten zahlreiche slowenische Eisenbahner bei der Südbahn erfahren, wo sie durch deutsche Kollegen mit sozialistischen Ideen in Berührung gekommen waren. Sowohl in Triest als auch in Laibach bildeten die Eisenbahner den Kern der gewerkschaftlich organisierten slowenischen Arbeiter, die zugleich mit der Sozialdemokratie sympathisierten. Ebenfalls in Zusammenhang mit der Südbahn hatte sich in Marburg eine bedeutende Arbeiterschaft gebildet, die in den Werkstätten für die Wartung und Reparatur des Bahnmaterials tätig war und enge Kontakte zu Graz, damals einem der Hauptzentren der österreichischen Arbeiterbewegung, unterhielt5. Etbin Kristan, Vertreter der antirevisionistischen Linken und maßgeblicher Theoretiker des slowenischen Sozialismus, war zweifellos die bedeutendste

3

Über Josef Zavertnik vgl. Zavertnik Josef, in: Slovenski Biografski Leksikon, Ljubljana 1980-1991, Bd. 4, S. 775; über Josip Kopač vgl. Kopač Josip, in: Slovenski Biografski Leksikon, Ljubljana 1925, Bd. 1, S. 496. Vgl. auch die biographische Anmerkung über Josip Kopač in: AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 255. 4 Für den fortwährenden Gebrauch der deutschen Sprache sogar in den Debatten des Gemeinderats während der gesamten achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts vgl. V. Melik, The Representation of Germans, Italians and Slovens in Ljubljana, Trieste, Maribor and Other Neighbouring Towns from 1848 until the Second World War, in: G. Aldermann (Hrsg.), Governments, Ethnic Groups and Political Representation, Dartmouth 1992, S. 123-165, insbesondere S. 147-155; P. Vodopivec, Von den Anfängen des nationalen Erwachens bis zum Beitritt in die Europäische Union, S. 278 f. Vgl. dazu auch die Erinnerungen von Henrik Tuma über den ersten Aufenthalt seines aus Böhmen kommenden Vaters in Laibach im Jahre 1836: „Mein Vater befand sich bereits seit sechs Wochen in Laibach und war immer noch davon überzeugt, sich in einer deutschen Stadt zu befinden. Handwerk und Gewerbe befanden sich in deutscher Hand und auch alle Angestellten waren Deutsche. Eines Sonntags Morgens überquerte mein Vater zur frühen Stunde mit einem tschechischen Gefährten den Mestni Trg. Während er an zwei Milchverkäuferinnen vorbeiging, glaubte er, die beiden in tschechischer Sprache plaudern zu hören. Überrascht fragte er seinen Gefährten, in welcher Sprache sich die beiden Frauen unterhielten, und dieser erklärte ihm, dass es krainerisch sei, eine dem Tschechischen sehr verwandte Sprache. Das Wort ‚slowenisch‘ war in Slowenien noch sehr wenig bekannt“; H. Tuma, La mia vita. Ricordi, pensieri e confessioni, Trieste 1994 (Originalausg. 1937), S. 16 f. 5 F. Rozman, Die Südslawische Sozialdemokratische Partei, S. 239-242.

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intellektuelle und politische Persönlichkeit unter den slowenischen Agitatoren in Triest. Kristan war 1867 in Laibach als Sohn einer verarmten bürgerlichen Familie zur Welt gekommen, hatte die letzten Klassen der höheren Schule in Zagreb (Agram) besucht und war dann in die Militärakademie eingetreten, die er mit dem Rang eines Leutnants verließ. Nachdem er in die sozialistische Bewegung eingetreten war und auf die militärische Laufbahn verzichtet hatte, widmete er sich voll und ganz der Politik – sowohl als Publizist wie auch als Parteiredner und Organisator. Auf dem Gründungskongress der südslawischen Sektion der sozialdemokratischen Partei, der am 15. und 16. August 1896 in Laibach stattfand, spielte er eine führende Rolle6. Kristan sprach fließend Deutsch, Tschechisch, Kroatisch und Slowenisch, er war ein gebildeter, brillanter und effektvoller Redner. Er schrieb politische und literarische Artikel für slowenische, tschechische und deutsche Zeitschriften. Eine Polizeinotiz vermerkte respektvoll, dass Kristan „in sehr bescheidenen Verhältnissen lebte“7. Für die sozialistische Agitation unter den Slowenen bot Triest eine Reihe von Vorzügen. Die Stadt war im Gegensatz zu Laibach stark industriell und unternehmerisch geprägt und deshalb Ziel eines starken und beständigen Zustroms slowenischer Arbeiter aus ländlichen Gebieten. Es herrschte dort ein liberaleres politisches Klima, was publizistische und verlegerische Tätigkeiten entschieden erleichterte. Da die südslawische Partei sich als Bezugspunkt nicht nur für das slowenische, sondern auch für das kroatische Proletariat betrachtete, war Triest eine geeignete Organisationsbasis für die Propaganda in den vorwiegend ländlichen Gebieten des kroatischen Istrien und Dalmatien. Auch der Umstand, dass sich die adriatische Sektion auf ihrem Gründungskongress betont internationalistisch ausgerichtet hatte, schuf günstige Voraussetzungen zur Gründung eines zweiten, südslawischen Organisationszentrums. Bis zur Gründung der italienisch-adriatischen Sektion auf dem Kongress des Jahres 1902 bestand die sozialdemokratische Bewegung des Küstenlandes deshalb zum einen aus einer faktisch italienischen Organisationseinheit, die sich aber als national desinteressiert verstand, und zum anderen aus einer südslawischen, die programmatisch danach trachtete, die eigene nationale Basis zu organisieren.

6 Ebd., S. 242 f. Zum Gründungskongress der südslawischen Sektion der Sozialdemokratie vgl. auch Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1896, Wien 1897, S. 46 f. 7 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 255, Vermerk des Polizeipräsidiums Klagenfurt, 3. April 1901.

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Die ersten Aktivitäten der slowenischen Sozialisten in Triest Die bedeutendste Initiative der slowenischen Sozialisten im Triest jener Jahre war die Gründung des Parteiorgans „Rdeči Prapor“ (Rote Fahne), die in allen slowenischen Siedlungsgebieten Verbreitung fand und eine Auflage von ca. 1.100 Exemplaren verzeichnete8. In einer wahrscheinlich von Etbin Kristan verfassten und in der Berliner Zeitung „Socialist“ am 21. Mai 1898 veröffentlichten Notiz heißt es unter anderem: „Wir haben in Triest ein eigenes Blatt, die ,Rdeči Prapor‘ (Rote Fahne) gegründet. Zur Erhaltung derselben hat die Organisation bisher die größten Opfer gebracht, und wir hoffen, dass es uns gelingen wird, dasselbe allen Anfeindungen und der grimmigen Gegenagitation zum Trotz zu erhalten“9. Die Notiz unterstreicht, dass das theoretische Organ seinen Trägern als unverzichtbares Mittel zur Verbreitung der sozialistischen Prinzipien unter dem Proletariat und zur Unterstützung des Befreiungskampfes „aus dem wirtschaftlichen Joche“ galt. Der Gründung der neuen Zeitung waren heftige Auseinandersetzungen in der Redaktion des slowenischen Organs „Delavec“ vorausgegangen, das hauptsächlich der Eisenbahnergewerkschaft nahe stand, und im Zuge derer Ludvig Zadnik, Etbin Kristan, Kopač und Zavertnik aus der Redaktion ausgeschlossen und durch Rok Drofenik und Ziga Laykauf ersetzt hatte. Diesen Handstreich bezahlte Zadnik auf dem Parteitag im Mai 1898 mit seinem Ausschluss aus der südslawischen sozialistischen Partei. Im Jahre 1909 trat er dann der Laibacher Sektion der Narodna Delavska Organisacija bei, einer Organisation mit national-sozialer Ausrichtung. Neben politischen und ideologischen Motiven scheinen auch praktische Überlegungen bei der Gründung der „Rdeči prapor“ mitgespielt zu haben, insbesondere die Notwendigkeit, den einstigen Redakteuren des „Delavec“, Kopač und Zavertnik, eine Existenzgrundlage zu verschaffen10. Um die Zeitung entwickelten sich weitere Auseinandersetzungen zwischen der Parteiexekutive in Laibach und der Gruppe der „Triester“. In einem Schreiben an die Zentralexekutive vom 19. Februar 1899 übten die Vertreter der Partei in Laibach scharfe Kritik an ihren Triester Genossen und verlangten ohne Umschweife, dass das Parteiorgan in Laibach gedruckt werden solle, da dort die Bildung verschiedener Gewerkschaftsgruppen im Gange sei und auch die Druckkosten niedriger seien. Aus Sicht dieser Kritiker war die Zeitung 8 VfGABW, SDPA-K, 101, Laibach, 19. November 1899, Schreiben des Vorstandsausschusses der südslawischen Partei an das Zentralexekutiv, 19. November 1899. 9 Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1898, S. 25 f. 10 Diese Betrachtungen wurden in einem Schreiben Zavertniks an die Zentralexekutive dargelegt; VfGABW, SDPA-K, 101, Triest, 5. März 1898. Über das Geschehen hinsichtlich der Krise des „Delavec“ vgl. Zadnik Ludvig, in: Slovenski Biografski Leksikon, Ljubljana 1980-1991, Bd. 4, S. 736.

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schlecht geschrieben und stellte eher ein „Feuilleton“ als ein politisches Blatt dar. Die Buchhaltung werde vernachlässigt und die Redaktion in Triest nur deswegen aufrechterhalten, weil der Genosse Kopač dort bekanntermaßen ein gut gehendes Wirtshaus unterhalte. Im Übrigen, so die Laibacher Exekutive, bestehe „in Triest … gegenwärtig keine slowenische Organisation. Dort sind die Italiener in der Mehrzahl. Die Umgebung ist wirklich slowenisch. Aber diese Leute sind zu drei Vierteln Analphabeten und zur Organisation noch unfähig. Dass aber Italiener durch slowenische Sozialisten organisiert werden, das wird doch niemand glauben“11. Auf dem am 8. und 9. September 1900 in Triest abgehaltenen südslawischen Parteitag forderte die Laibacher Exekutive erneut die Verlegung der Redaktion in die Krainer Hauptstadt12. Der Parteitag kehrte jedoch den Vorschlag um und beschloss, dass Triest auch Sitz der Parteizentrale werden sollte. In Triest waren dreiundsiebzig Delegierte aus der Stadt selbst sowie aus Krain, Istrien, der unteren Steiermark, aus Görz und Kroatien anwesend. Aus Laibach wurden zehn Delegierte entsandt. Die Zentralexekutive der Partei war durch Ferdinand Skaret vertreten. Vier Frauen repräsentierten die Spitzenklöpplerinnen von Idria (Idrjia)13. Etbin Kristan beherrschte aufgrund seiner Redegewandtheit die Szene14. Einmal mehr wurde bei dieser Gelegenheit augenfällig, dass die Basis der südslawischen Partei hauptsächlich aus Eisenbahnern bestand, waren doch in Laibach 268 von 364 Mitgliedern Abonnenten der Gewerkschaftszeitung „Der Eisenbahner“, und außer Skaret war auch eigens ein Gewerkschaftsfunktionär der Bahnbeschäftigten aus Wien, Franz Tuschek, angereist15. Dem Pressebericht zufolge wurde der Vorschlag, die Parteizentrale nach Triest zu verlegen, „mit einmütiger Begeisterung“ nach der Wortmeldung des Delegierten Melhijor Cobal aus dem Distrikt Sagor (Zagorje) angenommen: „In Triest wird unser Gesellschaftsorgan Rdeči Prapor veröffentlicht, von Triest muss aus vielerlei Gründen die Führung und Steuerung der Partei ausgehen“. „Er schlägt daher vor“, fährt der Redakteur des Organs „Il Lavoratore“ fort, „dass sich von nun an hier und nicht in Laibach die Direktion der jugoslawischen Sozialisten befinden muss“16. Nachdem der Exekutivausschuss seinen Sitz verlegt hatte, verblieben ausschließlich Triester 11 12

Vgl. oben Anm. 8. Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1900, Wien 1901,

S. 64 f. 13

Ebd., S. 65-67. AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 255, Polizeibericht über den südslawischen sozialdemokratischen Parteitag, abgehalten in Triest am 8. und am 9. September 1900. 15 Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1900, S. 65. 16 Il III Congresso dei Socialisti Jugo Slavi dell’Austria, in: Il Lavoratore – organo del partito socialista, 14. September 1900, 7, Nr. 393. 14

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in seinen Reihen. In der vorhergehenden, auf dem zweiten Laibacher Parteitag des Jahres 1897 gewählten Exekutive hatten hingegen fünf Mitglieder die Krainer Hauptstadt vertreten: France Železnikar, Zadnik (offensichtlich aus Triest zurückgekehrt), Bartl, Petrič und Ignacij Mihevc. Zu ihnen hatten sich Cobal aus Sagor, Drofenik aus Čelje, Kogovsek aus Trifail, Stemjelj aus Idria und Zavertnik aus Triest gesellt17. In die neue Exekutive wurden hingegen Etbin Kristan und Ludwig Panek, der Eigentümer des „Rdeči Prapor“, gewählt; weiter der Eisenbahner Franz Jerneičič, Iwan Skok, der Sekretär des neu gegründeten Eisenbahnervereins Socialistično Društvo, und Ferdinand Kovčnik, alle aus Triest18. Im Verhältnis zu den italienischen Sozialisten waren keinerlei Spannungen zu verzeichnen. Carlo Ucekar richtete eine Grußbotschaft an die Teilnehmer und gab dem Wunsch Ausdruck, dass die beiden Sektionen auch bei zukünftigen Wahlen gemeinsam vorgehen würden. In seiner Eigenschaft als Parteisekretär machte Giovanni Oliva die Bemerkung, dass „die slawischen Genossen, obgleich einem Volk zugehörig, dass von rabiaten italienischen Nationalisten als barbarisch bezeichnet wird, unsere Bewunderung für ihre Kultiviertheit und ihre Solidarität verdienen“19. Der Zeitung „Il Lavoratore“ zufolge war das Sozialistenfest ein voller Erfolg und wurde von Gesang und einem Mandolinenorchester umrahmt. Besondere Rührung rief die in beiden Sprachen gesungene Internationale hervor. Die italienischen Teilnehmer waren von den Liedern begeistert, die „dem Anlass entsprachen und gut vorgetragen waren, melancholisch und geheimnisvoll wie die slawische Muse, aber eine Zukunft unfehlbaren Glücks versprechend“20. Der Redakteur des „Lavoratore“ schloss seinen Bericht über den Parteitag mit den Worten, dass dieser „unter den Sozialisten aus Triest und den adriatischen Provinzen, die sich hier zahlreich versammelt hatten, hinsichtlich der Ernsthaftigkeit und der moralischen Stärke der sozialistischen südslawischen Partei Österreichs den allerbesten Eindruck hinterlassen hat“21. Ein teilweise abweichendes Bild zeichnete der zur Beaufsichtigung der Veranstaltung abkommandierte Polizeifunktionär, nach dessen Eindruck sich viele Delegierte völlig passiv verhalten hatten, während andere sich auf die Wiederholung banaler Parolen beschränkten und wiederum andere dem Kongress unangemessene Vorschläge unterbreiteten, die sie jedoch, vom 17 Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1897, Wien 1898, S. 31 f. 18 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 255, Polizeibericht über den südslawischen sozialdemokratischen Parteitag; Il III Congresso dei Socialisti Jugo Slavi. 19 Il III Congresso dei Socialisti Jugo Slavi. 20 Ebd. 21 Ebd.

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Vorsitzenden unterbrochen, ohne weiteres und mit vielen Entschuldigungen zurückzogen22. Aus diesen Beobachtungen geht das Bild einer noch nicht sehr gefestigten und in der Zivilgesellschaft noch wenig verwurzelten Partei hervor, die in Wirklichkeit aus einer Handvoll Funktionären und einer Gruppe von Eisenbahnern bestand.

Der Sozialismus auf slowenischem Gebiet Die Entwicklung einer sozialdemokratischen Bewegung in Krain, im Zentrum des slowenischen Siedlungsgebiets, wurde zum einen von den politischen Behörden behindert, zum anderen durch den starken Einfluss der katholischen Volkspartei auf die vorwiegend ländliche Bevölkerung erschwert. Noch im Jahre 1891 waren die sozialdemokratischen Vereine dort für illegal erklärt worden, und die strenge polizeiliche Kontrolle verhinderte jegliche Propaganda. Nichtsdestoweniger war der Erste Mai 1890 in Laibach mit einer Versammlung von 500 Personen gefeiert worden, und der in Triest gedruckte „Delavec“ konnte 400 Abonnenten verzeichnen23. Typisch für das in Laibach herrschende politische Klima ist die Tatsache, dass im Juli 1896, etwas über einem Monat vor der Gründung der südslawischen sozialdemokratischen Partei, eine Wahlversammlung des sozialistischen Abgeordneten Engelbert Pernerstorfer, einer der bekanntesten Persönlichkeiten der Partei, durch heftige Gegendemonstrationen der Klerikalen gestört wurde, wobei mehrere Personen verletzt wurden. Auf dem Parteitag des Jahres 1897 behauptete ein Abgeordneter, vielleicht übertriebenerweise, dass ein Sozialdemokrat im östlichen Teil Laibachs um sein Leben fürchten müsse. Im selben Jahr gelang es der Partei jedoch, in verschiedenen Arbeitergruppen Fuß zu fassen, was die Bildung erster Gewerkschaftsorganisationen zur Folge hatte. Ihnen gehörten Metallarbeiter, Schreiner, Drucker, Angehörige der Bekleidungsindustrie und des Kürschnergewerbes, Bäckergesellen und Maler an. Auch ein sozialistischer Bildungs- und ein Gesangsverein wurden gegründet. Gewerkschaftliche Organisationen der Grubenarbeiter gab es in Sagor und in den Quecksilberbergwerken von Idria. Letztere ging jedoch im Jahre 1903 in das national-slowenische Lager über24.

22 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 255, Polizeibericht über den südslawischen sozialdemokratischen Parteitag. 23 Verhandlungen des zweiten österreichischen sozialdemokratischen Parteitages, S. 41-43. 24 Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1896, S. 46 f.; Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1897, S. 31 f.; Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1903, Wien 1904, S. 25.

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Der Aufschwung der sozialdemokratischen Bewegung im österreichischen Teil des Reichs fand 1897 auch in den slowenischen Gebieten seinen Widerhall. So wurde 1897 erstmals der Erste Mai mit einem Aufmarsch gefeiert, während in Sagor 1.200 Personen an der von der Partei organisierten Maifeier teilnahmen. Vor allem in Laibach, Sagor und Idria war es nun möglich, öffentliche Versammlungen unter Teilnahme von zirka tausend Personen zu veranstalten25. Die Wahlergebnisse der V. Kurie waren jedoch enttäuschend: im gesamten Gebiet der Krain erhielten die Sozialdemokraten nur zirka 4.000 Stimmen. In der unteren Steiermark betrug die Zahl der sozialistischen Wähler 5.000, wobei in beiden Fällen auch die Stimmen für deutsche Kandidaten mitzählten26. In den folgenden Jahren gelang es den Sozialisten, die Organisation in der Krain zu stärken, wobei sowohl in der Steiermark als auch in der Krain und in den slawischen Siedlungsgebieten die deutsch-österreichische Sozialdemokratie die Oberhand behielt. In einigen Fällen verteidigten die deutschen Sozialdemokraten ihren Einflussbereich auf eine Weise, die an den Kampf zur Behauptung des Grenzdeutschtums erinnerte. Zum Beispiel gelang es den südslawischen Sozialisten erst 1909, in Cilli (Celje) eine eigene Organisation auf Provinzebene zu gründen, obwohl diese bereits auf dem Brünner Parteitag beschlossen worden war. Zehn Jahre lang hatten die dortigen deutschösterreichischen Sozialisten die Aktivierung der Organisation erfolgreich boykottiert, und erst im Jahre 1911 erkannten sie offiziell deren Existenz an27. Auch nach der Einführung des allgemeinen männlichen Wahlrechts im Jahr 1907 blieben die Wahlergebnisse in der Krain für die Sozialisten enttäuschend: in den sechs Distrikten, in denen sozialdemokratische Kandidaturen aufgestellt worden waren, erhielten diese nur 5.031 von insgesamt 38.658 abgegebenen Stimmen, und kein sozialdemokratischer Abgeordneter konnte ins Parlament entsandt werden. Von den zwölf Krainer Mandaten gingen zehn an die Volkspartei, eines an die Liberalen (slowenische Fortschrittspartei) und eines an die deutsche Agrarpartei. Die Auflage der „Rdeči Prapor“ war derweil immerhin auf 3.000 Exemplare angestiegen28. 25 Verhandlungen des sechsten österreichischen sozialdemokratischen Parteitages, S. 32-34. 26 Ebd., S. 33. 27 F. Rozman, Die Südslawische Sozialdemokratische Partei, S. 243. Aus nationalistischen Gründen hatten es die Sozialdemokraten der Steiermark von Anfang an abgelehnt, dass die südslawische sozialdemokratische Partei den Distrikt von Cilli in ihren Tätigkeitsbereich einschloss (Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1896, S. 46 f.). 28 Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1907, Wien 1908, S. 27 f.

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Bessere Ergebnisse wurden im Jahre 1907 bei den Gewerkschaftsorganisationen erzielt, wo die Mitgliederzahl auf 3.207 stieg, was zirka 12% der Lohnempfänger entsprach. Von diesen gehörten jedoch 1.484 der Eisenbahnergewerkschaft an. Im nachfolgenden Jahr gewann die Gewerkschaftsorganisation weitere 400 Mitglieder. In Laibach, wo die Mehrzahl der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter konzentriert war, wurde ein Sekretariat für die gesamten slowenischen Gebiete eröffnet29. Die politische Schwäche der Partei hielt jedoch weiterhin an. Bei den Landtagswahlen des Jahres 1908, die nach Einführung einer Kurie des allgemeinem Wahlrechts mit 11 Mandaten stattfanden, unterlag Etbin Kristan, wahrscheinlich der bekannteste slowenische Politiker in der ganzen Monarchie, bei der Stichwahl in Laibach dem liberalen slowenischen Kandidaten30. Die in den Jahren 1907-1909 von der Sozialdemokratie in der Krain erreichte Stellung blieb bis zum Ausbruch des Krieges mehr oder weniger unverändert. Die Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder schwankte in den folgenden Jahren, je nach Stand der Wirtschaftskonjunktur, zwischen einer Höchstzahl von 3.200 und einer Mindestzahl von 2.500 Mitgliedern31. Auch bei den letzten Wahlen für den Reichsrat im Jahre 1911 gelang es den slowenischen Sozialisten nicht, eigene Kandidaten nach Wien zu entsenden: von 84.276 Wählern stimmten nur 6.752 für die Sozialisten. Der einzige Wahlerfolg kam anläßlich der Kommunalwahlen im Jahre 1911 in Laibach zustande, wo dank der Einführung des Proporzwahlrechts der erste sozialdemokratische Kandidat gewählt wurde32. Der vorwiegend ländliche Charakter der Krain ist keine ausreichende Erklärung für die Schwierigkeiten der Sozialdemokratie, sich dort einen eigenen Wählerkreis zu schaffen. Die Landeshauptstadt Laibach hatte ein rasches Bevölkerungswachstum und die Bildung eines städtischen Proletariats erlebt, 29

Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1908, Wien 1909,

S. 14. 30

Ebd., S. 13. Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1909, Wien 1910, S. 20; Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1910, Wien 1911, S. 14; Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1911, Wien 1912, S. 20 f.; Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1912, Wien 1913, S. 24; Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1913, Wien 1914, S. 20; Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1914, Wien 1915, S. 16. Stark übertrieben scheinen die in einem Brief Cobals an Ferdinand Skaret angegebenen Daten, wonach die südslawische Sozialdemokratie bei Kriegsausbruch in allen slowenischen Siedlungsgebieten 4.000 Mitglieder politischer Organisationen und 10.000 Gewerkschaftsmitglieder zählte; VfGABW, SDPA-K, 128 4/2, 1. Juni 1915. 32 Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1911, S. 21. 31

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was teilweise auf neue Produktionszweige wie die Glasindustrie zurückzuführen war. Bedeutende Eisenverhüttungszentren bestanden in Aßling (Jesenice), Jauerburg (Javornik) und Weißenfels (Fužine, Bela Peč), während in den alten Bergwerkszentren Idria und Sagor neue Fördertechniken eingeführt wurden, die zusätzliche Arbeitskräfte nötig machten33. Eine Erklärung für den geringen Erfolg der sozialdemokratischen Partei bei der slowenischen Bevölkerung ist eher in der erfolgreichen Kompetition seitens des politischen Katholizismus zu suchen. Die wirtschaftliche und soziale Emanzipation der slowenischen Bevölkerung fand im Zuge einer umfassenden Genossenschaftsbewegung statt, die ihren politischen Ausdruck in der christlich-sozialen Reformbewegung fand. Diese wurde wesentlich von den Stellungnahmen Papst Leos XIII. in der Enzyklika „Rerum Novarum“ bestimmt, in der religiöser Glaube, Ideen einer klassenübergreifenden Emanzipation und nationale Identität zu einer kohärenten politischen Synthese zusammenflossen. Den bedeutendsten Beitrag zur Ausarbeitung eines Sozialprogramms innerhalb der katholischen Volkspartei leistete der Prälat Janez Evangelist Krek, der im übrigen ein entschlossener Verteidiger der „Mission“ Österreichs auf dem Balkan und der Vereinigung der südslawischen Völker (einschließlich Serben und Bulgaren) unter dem Szepter der Habsburger war34. In einer kaum differenzierten Gesellschaft mit einem hauptsächlich freiberuflich tätigen, schwachen städtischen Bürgertum bäuerlicher Herkunft auf der einen Seite und einer agrar-kapitalistischen Komponente deutscher Nationalität auf der anderen lag es auf der Hand, dass die soziale und nationale Befreiungsbotschaft im Rahmen der katholischen Bewegung anziehender und den Erfahrungen des Einzelnen angemessener erschien, als der sozialdemokratische Internationalismus. Wie in allen vorwiegend ländlichen Gebieten35 verstand es die Sozialdemokratie auch in der Krain nicht, ein Programm zu entwickeln, das die Interessen der Landbevölkerung angemessen berücksichtigt hätte. Den Thesen Kautskys verhaftet, der den unausweichlichen Niedergang der kleinen Grundbesitzer und die zukünftige Verstaatlichung des Landes zur theoreti33 Zur Industrialisierung in Slowenien vgl. P. Vodopivec, Von den Anfängen des nationalen Erwachens bis zum Beitritt in die Europäische Union, S. 275 f. 34 Zur katholischen slowenischen Volkspartei und der Persönlichkeit von Janez Evangelist Krek vgl. C. Rogel, The Slovenes and Yugoslavism 1890-1914, New York 1977, S. 28-39; P. Vodopivec, Von den Anfängen des nationalen Erwachens bis zum Beitritt in die Europäische Union, S. 285 f.; W. Lukan, Die christlich-soziale Arbeiterorganisation bei den Slowenen. Von den Anfängen bis zum Zerfall der Habsburgermonarchie, in: Österreichische Osthefte, 31 (1989), S. 170-199. 35 Vgl. z.B. die Analogien mit der Lage der Partei in Istrien im Fünften Kapitel dieses Bandes.

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schen Leitvorstellung der Sozialdemokratie in der Agrarfrage erhoben hatte, war die Partei nicht in der Lage, kleinen Grundbesitzern, Pächtern oder Halbpächtern eine attraktive Perspektive zu bieten. Daher beschränkte sich ihr Expansionspotential auf das größtenteils städtische Industrieproletariat und einige ebenfalls städtische Handwerkergruppen. Anlässlich des Gründungskongresses der Partei im Jahre 1896 brachte der slowenische Sozialist Rok Drofenik einige „revisionistische“ Forderungen vor, die jenen ähnelten, die um diese Zeit auch in der deutschen Sozialdemokratie diskutiert wurden. Unter anderem propagierte er die Abschaffung der Grundsteuern für die kleinen Grundbesitzer, die Erweiterung des Kommunalbesitzes und die Verstaatlichung der Hypotheken auf Landbesitz. Er wurde jedoch von den Delegierten Radvičič, Železnikar und Zavertnik überstimmt, die an der offiziellen Linie festhielten36. Auch in den folgenden Jahren brachten maßgebliche slowenische Sozialisten wie Albin Prepeluh und der ex-Nationalliberale Henrik Tuma die Frage der sozialistischen Politik gegenüber der Landbevölkerung zur Sprache, ohne jedoch zu konkreten Ergebnissen zu gelangen37. Etbin Kristan selbst intervenierte zu diesem Thema auf dem bedeutenden Gesamtparteitag von 1901 in Wien, auf dem das Parteiprogramm der österreichischen Sozialdemokratie grundlegend revidiert und einige der bisherigen Prinzipien aufgegeben wurden, darunter die Theorien der fortschreitenden Verelendung, der sozialistischen Revolution und der Diktatur des Proletariats. Bei diesem Anlass wies der slowenische Sozialistenführer besorgt darauf hin, dass der Sozialdemokratie immer noch angemessene Prinzipien für die Agitation auf dem Lande fehlten. Dies sei umso gravierender, da „es gewisse Theile des Reiches [gibt], in welchen die Frage der Stellung der Sozialdemokratie zu den Bauern entschieden eine brennende ist, so bei uns im Süden, wo die Industrie in den Windeln liegt, wo wir lauter agrarische Gegenden haben und wo das Interesse für den Sozialismus auch unter der Landbevölkerung vorhanden ist“38.

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H.G. Lehmann, Die Agrarfrage in der Theorie und Praxis der deutschen und internationalen Sozialdemokratie: vom Marxismus zum Revisionismus und Bolschewismus, Tübingen 1970, S. 241 f. Die Vorschläge Drofeniks wurden mit dem Versprechen, die Frage näher zu untersuchen und der Parteiexekutive davon zu berichten, zurückgewiesen. In gleicher Weise wurden in Istrien konkrete Programmpunkte zugunsten der Bauern durch die Einsetzung einer „Kommission zur Untersuchung des Problems“ abgewendet. Vgl. dazu auch das Fünfte Kapitel in diesem Band. 37 C. Rogel, Slovenes and Yugoslavism, S. 55 f. Prepeluh wechselte schließlich zum christlich-sozialen Lager über und identifizierte die Bauern mit der unterdrückten slowenischen Nation, deren wesentliches Identitätsmerkmal er im Katholizismus erblickte. 38 Protokoll über die Verhandlungen des Gesamtparteitages der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Österreich, Abgehalten zu Wien vom 2. bis 6. November 1901,

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Italienische und slowenische Sozialisten in Triest Die Beziehungen zwischen der italienischen und slowenischen sozialdemokratischen Organisation waren im Großen und Ganzen vom gegenseitigen Willen zur Zusammenarbeit gekennzeichnet, nachdem die beiden politischen Kräfte sich in die 1897 vom Wiener Parteitag beschlossene übernationale Parteiorganisation eingeordnet hatten. Ihre Solidarität gegenüber den italienischen Genossen bezeugten die slowenischen Sozialisten bereits anlässlich der Propaganda für die politischen Wahlen des Jahres 1897, als sie Wahlversammlungen auf dem Land und unter ihren Landsleuten zugunsten der Kandidatur von Carlo Ucekar organisierten39. Auf dem südslawischen Parteitag von 1900 wurde beschlossen, es der adriatischen Sektion zu überlassen, die Kandidaten für die Wahlen des folgenden Jahres zu benennen, natürlich unter der Bedingung, dass zumindest ein slowenischer Kandidat aufgestellt würde. Auf dem außerordentlichen Parteitag der adriatischen Sektion wurden die Kandidaten Ucekar für den Wahlkreis Triest und Etbin Kristan für Istrien und Görz benannt40. Der südslawische Zweig der sozialdemokratischen Partei widersetzte sich der von Edinost systematisch betriebenen nationalistischen und oft antisemitisch gefärbten italienerfeindlichen Propaganda, schloss sich der von allen politischen Kräften unterstützten Forderung nach einer italienischen Universität in Triest an und nahm 1904 an der Seite der Italiener an einer Protestkundgebung teil, mit der gegen gewaltsame Ausschreitungen gegenüber italienischen Studenten an der juristischen Fakultät der Universität Innsbruck protestiert werden sollte41. Auch im Bereich der Alltagspropaganda und in der Gewerkschaftstätigkeit entwickelten sich korrekte und pragmatische Arbeitsbeziehungen. Auf größeren Parteiveranstaltungen mit offiziellem Anstrich, wie zum Beispiel den Versammlungen zum Ersten Mai oder den Konferenzen über die Beschlüsse Wien 1901, S. 135. Bereits auf dem Parteitag der südslawischen Sozialisten in Triest im Jahre 1900 hatte Etbin Kristan davor gewarnt, die katholischen Landwirtschaftsgenossenschaften zu boykottieren, es sei denn, sie machten offene antisozialistische Propaganda; Il III congresso dei socialisti jugo-slavi, in: Il Proletario, 15. September 1900. 39 Verhandlungen des sechsten österreichischen sozialdemokratischen Parteitages, S. 33. 40 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 255, Polizeibericht an das Präsidium der Statthalterei vom 14. Oktober 1900. 41 Verschiedenes Material über Protestkundgebungen der slowenischen Sozialdemokraten aufgrund der Vorkommnisse in Innsbruck und zur Unterstützung der italienischen Universität in Triest in: AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 257. Allgemein über die italienische Universität vgl. A. Ara, La questione dell’Università italiana in Austria, S. 9-140.

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der Gesamtparteitage, wurden die Vorträge normalerweise in italienischer, slowenischer und deutscher Sprache gehalten42. Bei Propagandaaktionen für interessierte Gruppen der einen oder anderen Nationalität wurde die Sprache der Mehrheit der Anwesenden benutzt; falls sich unter dem Publikum Personen befanden, die die Sprache des Redners nicht verstanden, wurde dessen Vortrag übersetzt. In einem 1911 in Triest abgehaltenen Vortrag zum Thema „Nazionalismo morboso e internationalismo affarista“ (Krankhafter Nationalismus und geschäftstüchtiger Internationalismus) behauptete die Sozialistenführerin Giuseppina Martinuzzi: „[D]ie beiden Landessprachen werden, insbesondere in Triest, auf allen Parteiversammlungen und allen Wahlveranstaltungen benutzt und zwar jedes Mal, wenn ein national gemischtes Publikum daran teilnimmt, und das Gleiche geschieht innerhalb der Berufsorganisationen, bei Propagandaaktionen, in den Kulturvereinen, überall. Der so angefeindete und furchtbar geschmähte Sozialismus ist der treue Freund beider Nationen“43. In Anbetracht der zahlreichen, von Leitern der italienischen und südslawischen Sektion wie Ucekar, Oliva, Kristan und Kopač gemeinsam organisierten politischen Veranstaltungen erscheint das in den Memoiren des slowenischen Sozialisten Ivan Regent geäußerte und von der einschlägigen Geschichtsschreibung wiederholt aufgenommene Urteil, wonach sich die Gemeinsamkeiten der beiden Sektionen lediglich auf das Gebäude des im Jahre 1912 eingeweihten vereinigten Amtssitzes beschränkten, weitgehend unhaltbar. Alle wichtigen Termine der Parteiaktivität – als Beispiel sei hier die grandiose Mobilisierung des Jahres 1905 für das allgemeine Wahlrecht genannt – wurden gemeinsam von den beiden nationalen sozialdemokratischen Gruppen organisiert. Während der Unruhen der Eisenbahner der Südbahn war Slowenisch die hauptsächliche Umgangssprache. Die Eisenbahner stellten in der Tat den einzigen Massenreferenten (mehrere hundert Personen) der südslawischen Partei in Triest dar. Ihnen widmeten die Agitatoren und Kristan selbst ihre besondere Aufmerksamkeit, was in der Gründung mehrerer Vereine und der rückhaltlosen Unterstützung des Streiks der Südbahn-Bediensteten 42 Zur Feier des Ersten Mai 1901 hielten z.B. Carlo Ucekar und Josip Kopač Vorträge. Die Feier fand im Wirtshaus „Ai Gelsomini“ unter Teilnahme von ca. 250 Arbeitern statt; AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 300, Polizeibericht. Die groß angelegte und engmaschige Mobilisierung des Jahres 1905 zugunsten des allgemeinen Wahlrechts erfolgte ebenfalls dreisprachig; AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 257. 43 G. Martinuzzi, Nazionalismo morboso e internazionalismo affarista, Trieste 1911, jetzt in: M. Cetina (Hrsg.), Giuseppina Martinuzzi. Documenti del periodo rivoluzionario 1896-1925, Pola 1970, S. 218. Zahlreiche Polizeiberichte dokumentieren diese Parteipraxis; AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 252, Bd. 256, Bd. 257. Zur Bewertung Ivan Regents vgl. I. Regent, Spomini Ljubljana, 1967, S. 57 f. Siehe auch E. Apih, Valentino Pittoni tra Austria e Italia, S. 50.

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im Jahre 1900 zum Ausdruck kam44. Andere gewerkschaftlich organisierte Berufsgattungen mit einer Mehrzahl von Slowenen waren die Steinmetze von Nabresina (Nabrežina) (bis zu 770 Mitglieder), die Bäcker, die Bauarbeiter und die Fassbinder. In den letzten Jahren vor Kriegsausbruch waren zirka 2.500 Slowenen in Triest gewerkschaftlich organisiert, fast so viele wie die des gesamten slowenischen Landes Krain45. Was die Agitation unter der slawischen Bevölkerung betrifft, gelang der Sozialdemokratie von Fall zu Fall lediglich die Mobilisierung kleiner Personengruppen von sechzig bis hundert Sympathisanten, die jeweils an den Versammlungen teilnahmen, die die Partei in den Wirtshäusern der Umgebung zu verschiedenen Themen veranstaltete46. Auf dem Laibacher Parteitag des Jahres 1904 wurde beschlossen, die Parteiexekutive und die Direktion des „Rdeči Prapor“ erneut in die Hauptstadt Krains zu verlegen und in Triest eine Kreisorganisation beizubehalten47. Die Verlegung des Parteivorstandes geschah gleichzeitig mit der Verstärkung der national ausgerichteten Arbeiterorganisation Narodna Delavska Organizacija in Triest, der die Mehrzahl der Eisenbahner beigetreten war. Auch die Bauarbeiter und ein Teil der Verladearbeiter des Hafens schlossen sich der nationalen Gewerkschaftsorganisation an, die zum Ersten Mai eindrucksvolle, ausschließlich slowenische Aufmärsche organisierte48. Der Erfolg der Narodna Delavska Organizacja unter den slowenischen Arbeitern in Triest zeugte auch vom Aufschwung der slowenischen Nationalbewegung im Allgemeinen. Spätestens im Jahre 1905 stellte die slowenische Partei in Triest die Hegemonie der liberalen Italiener über die Stadt in Frage, wobei sie auch durch das zahlenmäßige Wachstum ihrer Landsleute, die laut den Erhebungen der Volkszählung von 1910 in einem Verhältnis von fast 1:2 gegenüber den Italienern standen, gestärkt wurde49. Das Mobilisierungspotential der nationalistischen Arbeiterbewegung auch unter den Slowenen 44

AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 256, Bericht über die Arbeiterbewegung des Jahres 1901 vom 10. Januar 1902; Bericht über die Arbeiterbewegung des Jahres 1900 vom 10. Januar 1901. 45 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 255, Polizeibericht über den II. Gewerkschaftskongress vom 6. Januar 1904; Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1905, Wien 1906, S. 30; Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1912, S. 24 f. 46 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 257. 47 Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1904, Wien 1905, S. 19 f. 48 M. Cattaruzza, Italiani e Sloveni a Trieste: la formazione dell’identità nazionale, jetzt in: dies., Trieste nell’Ottocento – le trasformazioni di una società civile, Udine 1995, S. 119-165, insbesondere S. 150-157. 49 Ebd., S. 127 f.

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Triests, in deren Reihen die spontane Assimilation an die italienische Gruppe sogar in den untersten Schichten des Proletariats zum Erliegen gekommen war, bestätigt die Attraktivität eines Programms national-sozialer Befreiung für die städtischen Unterschichten bäuerlicher Herkunft. Der Tatsache, dass zahlreiche Slowenen in Triest von internationalistischen zur nationalen Bewegung überwechselten, lag ein erhöhtes Selbstbewusstsein, ein wachsender Nationalstolz und ein gewisser Optimismus hinsichtlich der Zukunft der eigenen Nation zugrunde, was sich wiederum durch das zahlenmäßige Wachstum und das größere politische Gewicht der slowenischen Gruppe im Adriahafen erklären lässt. Dieser Prozess erreichte in den Jahren unmittelbar vor dem Ausbruch des Krieges seinen Höhepunkt. Am Ersten Mai 1914 nahmen zum Beispiel 1.200 Personen an einer von der Narodna Delavska Organizacija organisierten Veranstaltung teil. Der Hauptredner, ein Mitglied der slowenischen Eisenbahnergewerkschaft, erklärte unter anderem: „In Triest speziell ist es der Arbeiter, der Siege [unlesbar, MC]. Er hat bewiesen, dass die gerühmte „italianità“ auf morscher Grundlage fußt. Wenn die slowenische Nation für die Zukunft Aspirationen hegt, werden diese vom slowenischen Arbeiter realisiert werden, der auf den Ruinen der geschichtlichen Überreste die südslawische Fahne hissen wird“50.

Die nationale Frage in der südslawischen Sozialdemokratie Bereits auf dem Wiener Parteitag des Jahres 1897 hatte sich Etbin Kristan durch seine einschlägigen und kompetenten Wortmeldungen zur neuen plurinationalen Gliederung der Partei, zur Arbeit der Parlamentsfraktion, den Beziehungen zu den südslawischen Genossen in Kroatien und Dalmatien und anderen Themen als maßgebliche intellektuelle Persönlichkeit der südslawischen Sozialdemokratie profiliert51. Der hauptsächliche Beitrag Etbin Kristans zum theoretischen Corpus der österreichischen Sozialdemokratie geht jedoch auf den Brünner Parteitag des Jahres 1899 zurück, wo er, im Gegensatz zu den von der Exekutive ausgearbeiteten Thesen zur föderalistischen Neuorganisation des österreichischen Staates nach sprachlich-nationalen Kriterien, einen in Artikel gegliederten Antrag vorlegte, in den er das Prinzip der vollen Autonomie der Nationen52 50 AST, Polizeidirektion, Gesellschaft, Bd. 648, Polizeibericht über die am Narodni Dom abgehaltene Volksversammlung zum Ersten Mai 1914. 51 Verhandlungen des sechsten österreichischen sozialdemokratischen Parteitages, S. 62 f., 87 f., 96 f., 107 f., 184 f., 211. 52 Slowenische Siedlungen waren, außer in der Krain, in der Steiermark, in Kärnten, in der Umgebung von Görz, in Triest und in anderen Gebieten des Küstenlandes sowie in verschiedenen Komitaten der ungarischen Krone anzutreffen.

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ungeachtet ihres territorialen Bezugs vorschlug. Dieser Auffassung Kristans lag die Situation der slowenischen Bevölkerung zugrunde, die über verschiedene österreichische und ungarische Länder zerstreut war, sich fast immer in der Minderheit befand und auf keine historischen oder staatlichen Errungenschaften zurückgreifen konnte. Der wichtigste Punkt des Gegenantrags Kristans in Brünn lautete folgendermaßen: „jedes in Österreich lebende Volk ist, ohne Rücksicht auf die von seinen Mitgliedern bewohnten Territorien, eine autonome Gruppe, welche alle ihre nationalen sprachlichen und kulturellen Angelegenheiten ganz selbständig regelt und besorgt“53. Das Hauptziel, das der Parteivorstand in Brünn verfolgte, war in erster Linie praktischer Art und bestand darin, die Basis für einen Mindestkonsens unter den verschiedenen nationalen Sektionen zu schaffen und somit die politische Kooperation innerhalb des Habsburgerstaates zu ermöglichen. Als nächstliegendes Ziel strebte der Brünner Parteitag eine gangbare Lösung der tschechischen Frage an, die sich seit der schwerwiegenden Krise der Regierung Badeni zwei Jahre zuvor als gefährlichster destabilisierender Faktor der Donaumonarchie erwiesen hatte. Auch innerhalb der sozialistischen Bewegung wiesen die Tschechen ausgesprochen zentrifugale Tendenzen auf, die einige Jahre später nicht nur die völlige Autonomie ihrer sozialistischen Partei, sondern auch der entsprechenden Gewerkschaftsorganisation bewirkten54. Gemäß den auf dem Brünner Parteitag vorgelegten Grundsätzen hätte Böhmen aufgehört, als historisch-staatliche Einheit zu existieren und wäre durch zwei autonome Staaten mit jeweils mehrheitlich tschechischer und deutscher Bevölkerung ersetzt worden55. 53 Verhandlungen des Gesamtparteitages der Sozialdemokratie in Österreich abgehalten zu Brünn, S. XV. 54 Zu den Bemühungen der tschechischen Sozialdemokratie um eine von Wien losgelöste, autonome Organisation vgl. H. Mommsen, Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage, insbesondere S. 208 ff., 401 ff. Zur Bedeutung des Brünner Parteitages für die unmittelbaren Probleme der österreichischen Sozialdemokratie vgl. H. Konrad, Die Herausbildung des Austromarxismus und das Verhältnis zu Deutschland, in: ders., Die deutsche und die österreichische Arbeiterbewegung zur Zeit der Zweiten Internationale, S. 25-46, insbesondere S. 30; ders., Nationalismus und Internationalismus am Beispiel der österreichischen Arbeiterbewegung vor dem Ersten Weltkrieg, Wien 1976, insbesondere S. 65-74. 55 Diese Absicht geht deutlich aus der Beschreibung des Antrags seitens des Referenten Seliger hervor. In einer aufgebrachten Erwiderung auf den Gegenantrag Kristans wies Victor Adler darauf hin, dass es keinen Bundesstaat ohne territoriale Begrenzung geben könne. In Bezug auf die Stellung der Tschechen gab er zu bedenken: „Ich frage die Tschechen, ob es nicht ein Hauptinteresse der tschechischen Nation wäre, dass diese fünf Millionen Tschechen unabhängig von allen zufälligen Ereignissen in diesem Österreich für alle Zukunft einen administrativen Verband unter sich haben“; Verhandlungen des Gesamtparteitages der Sozialdemokratie in Österreich, S. 75-78,

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Die Lösungen für national gemischte Gebiete blieben jedoch offen oder zumindest unzureichend definiert. Die Wortmeldung Kristans bezog sich auf diese Unzulänglichkeit. In seiner Erwiderung auf Einsprüche, die auf seinen Gegenantrag folgten, legte Kristan nochmals seine eigene Auffassung der Nation dar, die er als Summe aller Personen definierte, die sich in ihr wieder erkannten. Er schlug weiterhin vor, dass anstelle eines vom Parteivorstand beantragten Gesetzes zum Schutz der Minderheiten ein Staatsgesetz ausgearbeitet werden sollte, das in widerspruchsfreier Weise das Gemeinwesen der im selben Land lebenden Nationalitäten regeln würde. Nicht ohne Sarkasmus wies Kristan darauf hin, dass ein Minderheitenschutzgesetz der Auffassung Vorschub leisten könne, die Mehrheit habe grundsätzlich das Recht, Minderheiten zu unterdrücken, und diesem Recht müsse durch ein eigenes Gesetz Einhalt geboten werden56. Der auf dem Brünner Parteitag verabschiedete Beschluss, der als „Brünner Nationalitätenprogramm“ in die Geschichte eingegangen ist, griff weitgehend den vom Parteivorstand ausgearbeiteten Antrag auf und bewahrte das Prinzip einer Neuorganisation des Staates in territorial weitgehend homogene Länder, die vollkommene Autonomie genießen sollten und deren Gesetzesorgane durch nationale Kammern, gewählt auf Grund des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts gebildet werden sollten. Im Vergleich zum Antrag des Parteivorstands, der die Frage der gesetzgeberischen Gewalt seitens der neuen Selbstverwaltungskörper der Länder nicht behandelte, hob die vom Parteitag verabschiedete Grundsatzerklärung die Vorrechte der Nationalkammern in den ethnisch homogenen Gebieten, die den neuen Nationalitätenbundesstaat bilden sollten, klar hervor. Das Problem der Minderheiten sollte durch ein eigenes, vom Reichsparlament zu beschließendes Gesetz geregelt werden. Um die Empfindlichkeit der Tschechen nicht unnötig zu verletzen, verzichtete man in der definitiven Fassung 81 f. Interessant ist innerhalb der Debatte die völlig abweichende Position Wilhelm Ellenbogens, der sich der Bildung von Nationen als territoriale Einheiten widersetzt, da dies zu einer Zementierung des Status-quo führen könne und das Überleben selbst aussterbender Nationen garantieren würde. In seinem Beitrag führt Ellenbogen einen dynamischen und vitalen Nationsbegriff an, der auch von Ludwig Gumplowicz vertreten wurde. Er behauptet unter anderem: „Würden diese territorialen Grenzen abgesteckt, so würde das ein Stehenbleiben gewisser Nationen auf einer bestimmten Stufe bedeuten. Und da es auch zu Grunde gehende Nationen gibt, würden wir einen Zustand konservieren, der kein Recht auf Existenz hat. Denn die Kraft einer Nation, sich zu entwickeln, besteht nicht in der physisch größeren Zahl der Nation, sondern wir müssen diese Entwicklung als einen Kampf der gegenübertretenden ihr immanenten geistigen Kräfte auffassen. Diese Feststellung des Besitzstandes einer Nationalität an geistigem Gehalt, an der Fähigkeit, in Kunst und Literatur schöpferisch zu sein, können wir durch physische Grenzen nicht vornehmen“; ebd., S. 90. 56 Ebd., S. 85 f.

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des Brünner Programms darauf, die deutsche Sprache als Vermittlungsprache zwischen den verschiedenen Nationalitäten hervorzuheben57. Das im Antrag Kristans vertretene, ausschließlich an das Individuum gebundene Nationalitätenprinzip wurde daher nicht anerkannt. Nur Wilhelm Ellenbogen stimmte dafür. Im Großen und Ganzen wurden die von Kristan in Brünn verfochtenen Thesen in Bezug auf die Nationalitätenfrage von nun an aber zur Leitlinie der südslawischen Partei58. Bezogen auf den Austromarxismus decken sich die Thesen Kristans in vielen Punkten mit der Auffassung Carl Renners, nach der die Nationen eine „natürliche“ (und demzufolge vorpolitische) Gegebenheit darstellten und als substaatliche Selbstverwaltungskörperschaften zu organisieren waren59. Das könnte paradox anmuten, wenn man bedenkt, dass Renners Thesen einem österreichischen Staatspatriotismus verhaftet blieben, dem die Idee einer besonderen deutschen Sendung im Donau- und Balkanraum zugrunde lag60. 57

H. Mommsen, Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage, S. 335 f. Eine ausgezeichnete geschichtliche Einordnung des Brünner Programms und der Entwicklung des Nationalitätenproblems im Bereich der österreichischen Sozialdemokratie liefert Arthur G. Kogan in: ders., The Social Democrats and the Conflict of Nationalities in the Habsburg Monarchy, in: Journal of Modern History, 21 (1949), S. 204-217. Nachstehend wird der Wortlaut des vom Brünner Parteitag verabschiedeten Grundsatzprogramms wiedergegeben: „1. Österreich ist umzubilden in einen demokratischen Nationalitätenstaat. 2. An Stelle der historischen Kronländer werden national abgegrenzte Selbstverwaltungskörper gebildet, deren Gesetzgebung und Verwaltung durch Nationalkammern, gewählt auf Grund des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechtes, besorgt wird. 3. Sämtliche Selbstverwaltungsgebiete einer und derselben Nation bilden zusammen einen national einheitlichen Verband, der seine nationalen Angelegenheiten völlig autonom besorgt. 4. Das Recht der nationalen Minderheiten wird durch ein eigenes, vom Reichsparlament zu beschließendes Gesetz gewahrt. 5. Wir anerkennen kein nationales Vorrecht, verwerfen daher die Forderung einer Staatssprache; wie weit eine Vermittlungssprache nötig ist, wird ein Reichsparlament bestimmen“; Verhandlungen des Gesamtparteitages der Sozialdemokratie in Österreich abgehalten zu Brünn, S. XV f. 58 Verhandlungen des Gesamtparteitages der Sozialdemokratie in Österreich abgehalten zu Brünn, S. 85.; F. Rozman, Die Südslawische Sozialdemokratische Partei, S. 246 f. 59 R. Springer [Carl Renner], Der Kampf der Österreichischen Nationen um den Staat, Leipzig / Wien 1902; O. Bauer, Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie, Wien 1907. Mommsen zufolge war Renner bei der Formulierung seiner Thesen über die Nation als „substaatliche“, jedem Individuum anhaftende Einheit von Kristan beeinflusst worden. 1899 hatte Renner jedoch bereits unter dem Pseudonym Synopticus eine Vorwegnahme seiner Thesen über die Nation in der Broschüre Staat und Nation (Wien 1899) veröffentlicht. 60 Das gesamte Werk Renners ist vom österreichischen Staatspatriotismus durchdrungen. Seine Opposition gegenüber dem Bürgertum ist vor allem auf den Wunsch gegründet, den Staat zu bewahren. Mit einer leichten Übertreibung ließe sich gar

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Der rein personenbezogene Nationalitätenbegriff Etbin Kristans wurzelte hingegen, wie Hans Mommsen ausgeführt hat, „in einem radikal-individualistischen Anarchismus“, der auf dem Naturrecht gründete und dem jegliche geschichtliche Betrachtung im Sinne von Identität und gewachsener Tradition fehlte61. Es ist auch nicht verwunderlich, dass diese Auffassung von einem slowenischen Sozialisten und mithin dem Angehörigen einer „geschichtslosen Nation“ vertreten wurde, für den ein Rückgriff auf historische Traditionen oder früher bestehende Staatsrechte nicht möglich war. Insbesondere die Idee der Nation als persönliche Eigenschaft eines Individuums war für Etbin Kristan Teil seiner Vision einer „freien Gesellschaft“, die im Zuge einer bevorstehenden Auflösung des Staates genossenschaftlich organisiert werden sollte62. Das Prinzip einer von jeglichem territorialen Bezug losgelösten Nation ging mit der Auflösung der Bindung zwischen Nation und Staat einher. Es konnte daher zum Ausgangspunkt eines übernationalen Staatspatriotismus werden, der Renner zufolge jenen gegenüber der Nation übertraf. Mit gleicher theoretischer Kohärenz hätte eine solche Perspektive die Kulturnation aber

behaupten, dass Renners Sozialismus in seinem starken österreichischen Patriotismus und in seiner Sorge um das Vielvölkerreich wurzelte, den er durch die Streitsucht des Bürgertums der einzelnen Nationen gefährdet sah. Hinsichtlich der Rolle der Deutschen in einem erneuerten Österreich erklärt Renner: „Der Deutschösterreicher war einmal der herrschende Stamm in Österreich, mit der Herrschaft hat es ein Ende, aber das führende Volk wird er immer sein. Und besser ist es, sieben Nationen zu führen, als ein Hinterland der Hohenzollern zu bilden“; R. Springer, Der Kampf der Österreichischen Nationen, S. 170, eigene Hervorhebung. Das Werk schließt mit fast visionären Tönen: „Österreich kann wieder geboren werden aus dem Geiste der Massen, kann Macht und Größe gewinnen unter dem Zeichen der politischen Demokratie und nationalen Autonomie. Wohl seinen Lenkern, wenn sie die Zeichen zu deuten wissen!“; ebd., S. 247. Die gleichen Ansätze finden sich auch in R. Springer [Carl Renner], Grundlagen und Entwicklungsziele der österreichisch-ungarischen Monarchie, Wien 1906. 61 H. Mommsen, Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage, S. 264. Der ausschließlich ethnische Charakter des slowenischen Nationalismus, der sich seit seinen Anfängen im Jahre 1848 manifestierte, wird treffend von Robert Kann beschrieben; R.A. Kann, The Multinational Empire. Nationalism and National Reform in the Habsburg Monarchy 1848-1918, 2 Bde., New York 1950, hier Bd. 1, S. 299. 62 Im Jahre 1920 wurde Etbin Kristan in die Gründungsversammlung des neuen jugoslawischen Staates gewählt. Er vertrat in diesem Gremium ein radikales Programm demokratischer Freiheit, das mit seiner Auffassung einer progressiven Auslöschung des Staates übereinstimmte. Kristan forderte überdies eine sofortige Aufteilung des Bodens, der Besitz des ganzen Volkes werden sollte; Kristan Ebtin, in: Slovenski Biografski Leksikon, Ljubljana 1925-1932, Bd. 1, S. 572-573. In der Ausgabe vom 1. Dezember 1900 der Zeitung „Il Proletario“ veröffentlichte Kristan einen Artikel mit dem Titel „La chiamata alla libertà“, in dem er seine neoromantische Auffassung zum Ausdruck brachte, die seinem politischen Engagement in der radikalen Linken zugrunde lag.

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auch aus dem bestehenden staatlichen Kontext herausführen können63. Dem Brünner Parteitag gelang es nicht, das Problem des nationalen Gleichgewichts im Habsburgerstaat zufriedenstellend zu lösen. Eine Lösung dieser Frage hätte nur gefunden werden können, wenn sich in der bunten politischen Landschaft Österreichs und in seiner streitbaren öffentlichen Meinung ein nationaler, kulturell begründeter Identitätsbegriff ohne unmittelbare politische Implikationen herauskristallisiert hätte. Nur auf der Basis einer subpolitischen und substaatlichen Nationsidee hätten die nationalen Forderungen im Rahmen vorwiegend administrativer Maßnahmen befriedigt werden können. Eine derartige Auffassung lag den Theorien über die Nation zugrunde, die nach dem Brünner Parteitag ausgearbeitet wurden. Dies war sowohl in der von Otto Bauer ausgearbeiteten Konzeption der kulturellen Gemeinschaft, als auch in Carl Renners Begriff der Personalautonomie der Fall. Die Brünner Motion funktionierte auch in den folgenden Jahren als „offizielle Linie“ der österreichischen Sozialdemokratie in der Nationalitätenfrage. Auf sie bezogen sich die einzelnen nationalen Sektionen in ihrer politischen Agitation. Im Wesentlichen wurde in Brünn der Habsburger Staat zum festen Rahmen erklärt, in dem sich die politische Tätigkeit der plurinationalen Sozialdemokratie abzuwickeln hatte. Die „kulturelle“ Nationsidee behauptete sich überdies mehr oder weniger in den Beziehungen zwischen den Genossen innerhalb der „Kleinen Internationale“ Österreichs. Nichtsdestoweniger gingen 63 Es ist kein Zufall, dass Kristan das Brünner Programm verwarf, auch weil ihm das Prinzip der territorialen Abgrenzung auf nationaler und sprachlicher Grundlage wie eine Neuauflage des Prinzips des „Landbesitzes“ erschien (Verhandlungen des Gesamtparteitages der Sozialdemokratie in Österreich abgehalten zu Brünn, S. 86). Ein scharfes Urteil über die staatsgefährdenden Aspekte in den Konzepten Renners verdanken wir Hans Mommsen. Vgl. H. Mommsen, Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage, S. 336 f.: „Wenn bereits der im Brünner Nationalitätenprogramm vorliegende Kompromiß zwischen nationalstaatlichen Gedankengängen und dem österreichischen Zentralismus die Selbständigkeitsbestrebungen der österreichischen Völker nicht mehr voll befriedigen konnte, dann konnte das Persönlichkeitsprinzip, das doch im Grunde dem Gesamtstaatsgedanken sehr viel näher stand, auch keine Lösung bringen. Dann war vielmehr damit zu rechnen, daß durch die mit der industriellen Entwicklung nachhaltig verstärkte Verknüpfung nationaler und sozialer Emanzipationsbewegungen das alte Österreich auseinandergesprengt werden würde, ehe das demokratische entstand“. Die aus dem Prinzip einer ‚begrenzten‘ nationalen Autonomie bestehende Analogie der Thesen Renners und Kristans wird auch von Francé Klopčič aufgezeigt; F. Klopčič, Austromarxismus und nationale Frage bis zum Ersten Weltkrieg, in: Austriaca – Cahiers Universitaires d’Information sur l’Autriche, 15 (November 1982). In seiner Arbeit „Questione nazionale e socialismo“, die die gründlichste in italienischer Sprache verfügbare Untersuchung der Thesen Renners und Bauers zur nationalen Frage darstellt, betont Arduino Agnelli, meiner Ansicht nach in übertriebener Weise, eine scheinbare Gleichstellung von Nation und Staat im Denken Carl Renners; A. Agnelli, Questione nazionale e socialismo. Contributo allo studio del pensiero di K. Renner e O. Bauer, Bologna 1969, insbesondere, S. 87-89.

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die nationalen Konflikte innerhalb der österreichischen Arbeiterbewegung immer mehr über sprachlich-kulturelle Forderungen hinaus und nahmen entschieden zentrifugale Züge an. Dies traf nicht nur im paradigmatischen Fall der Tschechen zu, sondern galt auch für die polnischen Sozialisten64, während nach dem Anschluss Bosniens sogar die Slowenen begannen, ihren Blick über die Grenzen zu werfen – wenn auch vorderhand lediglich zur „Wiederentdeckung“ ihrer kulturellen Verwandtschaft mit den südslawischen Brüdern auf dem Balkan. Die letzte große einheitliche Mobilisierung der österreichischen Sozialisten fand im Jahre 1905 anlässlich der großen Kampagne für das allgemeine Wahlrecht statt und war von der russischen Revolution beseelt. Allein in Wien marschierten 250.000 Personen in Reih und Glied für das Wahlrecht auf. Nach der Einführung des allgemeinen männlichen Wahlrechts, das jedoch nicht die erhoffte Stabilisierung der Politik und des Parlaments mit sich brachte, trat die Krise der österreichischen Sozialdemokratie offen zutage. Ein nicht zu übersehendes Symptom der bestehenden Krise war die Unterteilung der sozialdemokratischen Fraktion in nationale „Klubs“, die im Jahre 1907 auf Drängen der Tschechen vom ersten durch allgemeine Wahlen bestellten Parlament beschlossen wurde: „zu dem Zeitpunkt, als die internationale sozialdemokratische Gesamtpartei Österreichs mit der Erringung des allgemeinen und gleichen Wahlrechtes auf dem Höhepunkt ihres Erfolges stand, war sie innerlich bereits von der zersetzenden Kraft des Nationalismus ausgehöhlt“65. Im Jahre 1909 rief die südslawische Sozialdemokratie einen außerordentlichen Parteitag in Laibach (den sogenannten Parteitag von Tivoli) ein, um über die neuen Aussichten auf eine Einigung der südslawischen Völker zu diskutieren, die sich durch die Annektierung Bosniens eröffnet hatten. Im Beschluss des Parteitags, an dem auch Victor Adler und Carl Renner teilgenommen hatten, wurde unter anderem erklärt: „Als Glieder eines großen einheitlichen Volkes streben wir nach der Konstituierung als einheitliche Nation ohne Rücksicht auf alle künstlich geschaffenen staatsrechtlichen und politischen Schranken, mit dem Wunsche nach einem gemeinsamen, nationalautonomen Kulturleben, als freie Einheit innerhalb einer vollkommen demokratischen Konföderation der Völker“66. Als erster effektiver Schritt in 64 Die zentrifugalen Tendenzen der polnischen Sozialdemokratie wurden durch die russische Revolution des Jahres 1905 und die Demokratisierungsperspektiven für die unter zaristischer Herrschaft stehenden Gebiete Polens verstärkt; H. Mommsen, Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage, S. 421 f. 65 Ebd. 66 Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1909, S. 20-22. Über die dem Parteitag vorausgehenden Ereignisse vgl. F. Rozman, Die Südslawische Sozialdemokratische Partei, S. 246-248. Die südslawische Sektion hatte ursprünglich einen Gesamtparteitag vorgeschlagen, an dem neben den Bosniern auch die Sozialisten des ungarischen Teils der Monarchie teilnehmen sollten.

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diese Richtung wurde ein südslawisches sozialistisches „Bureau“ gegründet, das aus jeweils drei kroatischen, bosnischen und österreichisch-südslawischen Vertretern bestand67. Die Gründung dieses Büros kann als erster Schritt betrachtet werden, dieser bisher nur als Absichtserklärung bestehenden „südslawischen“ Partei konkrete Gestalt zu verleihen. Eine Note des österreichischen Innenministeriums wies mit Besorgnis darauf hin, dass der in Laibach verabschiedete Aufruf zur kulturellen Einigung der Südslawen in Anbetracht seiner mehrdeutigen Formulierungen dahingehend verstanden werden konnte, dass eine neue Staatsbildung im südlichen Teil der Monarchie beabsichtigt würde. Auch für den slowenischen Historiker Rozman ließ der Beschluss von Tivoli verschiedene Interpretationen und verschiedene Möglichkeiten zukünftiger politischer Lösungen zu68. Als unmittelbares Ziel forderte der Laibacher Beschluss eine Wahlreform im Ungarischen Reich, weiterhin die Demokratisierung der Politik in Kroatien, die Gründung eines autonomen Landtags in Bosnien-Herzegowina und die Umbildung des Reiches in einen Bundesstaat69. Auf dem Parteitag schlug Kristan ein Programm der vollständigen Einigung der südslawischen Völker auf kultureller Ebene vor, dass mittels einer progressiven Vereinheitlichung der Sprachen, der Alphabete und der slowenischen, serbokroatischen und bulgarischen Literatur realisiert werden sollte70. Andere Delegierte, unter denen sich Henrik Tuma und Vertreter der Parteiströmung der „Masarykiti“ hervortaten71, betonten hingegen die Bedeutung der politischen Einigung und wirtschaftlichen Zusammenarbeit aller slawischen Völker des Balkans im Hinblick auf eine zukünftige österreichisch-slawischen Föderation, in der alle Volksgruppen ihre Individualität bewahren sollten. Einige Wochen nach dem Parteitag von Tivoli fand ein zweiter sozialdemokratischer Kongress in Belgrad statt, zu dem die südslawischen Sozialisten der Monarchie eigene Vertreter entsandten. Dort wurde nochmals die Notwendigkeit einer Vereinigung der 67

Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1909, S. 21 f. F. Rozman, Die Südslawische Sozialdemokratische Partei, S. 249-252. 69 C. Rogel, Slovenes and Yugoslavism, S. 60 f. 70 Ebd., S. 61. 71 Die Masarykiten (Masarykovci) waren eine stark vom liberal-nationalen tschechischen Politiker Thomas Masaryk beeinflusste Strömung innerhalb des slowenischen Sozialismus. Ihrer Meinung nach war das intellektuelle Moment für den Emanzipationsprozess des slowenischen Volkes von großer Bedeutung (ebd., S. 53). Auf dem Parteitag von Tivoli bezogen die Masarykiten gegen Etbin Kristan Stellung und sprachen sich für eine Beibehaltung der kulturellen und sprachlichen Identität der Slowenen aus. Zum Zusammenhang zwischen dem Austromarxismus und den Ideologien der slowenischen und kroatischen Parteien vgl. die Hinweise von W.D. Behschnitt, Nationalismus bei Serben und Kroaten 1830-1914. Analyse und Typologien der nationalen Ideologien, München 1980, insbesondere S. 192, 199. 68

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südslawischen Völker betont, die sich nach Auffassung der slowenischen und kroatischen (nicht jedoch der serbischen) Sozialisten innerhalb einer österreichisch-serbischen Föderation vollziehen sollte. Die Mehrdeutigkeit, die diese phantasievollen österreichisch-serbischen (oder sogar österreichischserbisch-bulgarischen) Pläne kennzeichnete, minderte jedoch keineswegs das Gewicht der Tatsache, dass sich die südslawische Sozialdemokratie eine nationale Einigungsstrategie zu eigen machte und fortan auf eine gemeinsame Identität der Balkanvölker hinarbeitete. Das Projekt einer kulturellen Einigung, das Etbin Kristan auf dem Parteitag von Tivoli vertreten hatte, war indes noch mit der austromarxistischen Auffassung kompatibel und stellte eine besondere, für die Probleme des Balkanraumes ausgearbeitete Lösung dar72. Die von Henrik Tuma bereits in der 1907 veröffentlichten Broschüre „Jugoslavanska ideja in Slovenci“ (Die jugoslawische Idee und die Slowenen) ausgearbeiteten Thesen über die südslawische Vorherrschaft in einem für den Austausch zwischen Mitteleuropa und dem Vorderen Orient wichtigen Gebiet, die sich zu Lasten der griechischen, türkischen und italienischen Volksgruppen vollziehen sollte73, entstammten hingegen deutlich einer nationalen südslawischen Ideologie, auch wenn sie den institutionellen Rahmen der Donaumonarchie nicht in Frage stellten. Tuma hatte seine Thesen einige Monate vor seinem offiziellen Beitritt zur Sozialdemokratie formuliert. Auch in den folgenden Jahren stellte er bei einer Einschätzung der Kräfteverhältnisse im mitteleuropäischen Gebiet die Interessen seiner eigenen Nation in den Vordergrund. Tuma zufolge hätte Triest Sitz einer italienisch-slowenischen Universität und mithin ein wesentliches Werkzeug für den kulturellen Reifungsprozess des slowenischen Volkes werden sollen. Die Gründung einer italienischen Universität hingegen beurteilte er als „schädlich“, da sie den italienischen Charakter der Stadt gestärkt hätte. Als sich gegen Ende des Ersten Weltkriegs Österreichs Niedergang immer deutlicher abzeichnete, veröffentlichte Henrik Tuma in der Zeitschrift „Der Kampf“ einen langen historischen Artikel über Triest, der mit der Forderung schloss, die Stadt der „Gruppe der südslawischen Staaten“ einzuverleiben. Ohne Triest, behauptete der slowenische Sozialist, müssten die „südslawischen Staaten“ ein Körper ohne regelmäßigen Kreislauf bleiben. Außerdem habe die Zuweisung Triests an Italien die imperialistischen Bestrebungen der Balkanländer ermutigt und somit eine beständige instabile Lage in Mittelund Südosteuropa gezeitigt. In seinem Artikel ordnete Tuma das nationale Selbstbestimmungsrecht ausdrücklich dem wirtschaftlichen Interesse einer „höchstmöglichen Produktivität der menschlichen Arbeit zum allgemeinen

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C. Rogel, Slovenes and Yugoslavism, S. 59-62. Ebd., S. 59.

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Wohlergehen“ unter74. Allerdings stimmte das allgemeine Interesse, wie Tuma es verstand, vollkommen mit den nationalen Zielen der Slowenen und Südslawen überein. Nach der Niederlage Österreichs änderte Tuma seine Einstellung und plädierte für eine von Briten und Amerikanern verwaltete „Freistadt“ Triest, deren Hafen weiterhin für das bestehende Hinterland zugänglich bleiben sollte. Dieses von Tuma aufgrund einer realistischen Einschätzung des internationalen Kräftespiels vertretene Projekt, das einen Anschluss Triests an den jugoslawischen Staat unwahrscheinlich werden ließ, ähnelte den von Valentino Pittoni ausgearbeiteten Thesen, die einen extraterritorialen Status für den Adriahafen vorsahen. Andere slowenische Sozialisten wie Rudolf Golouh und Josip Ferfolja fuhren ihrerseits fort, das Ziel eines Anschlusses der Stadt an den zu bildenden jugoslawischen Staat zu unterstützen75. Im Gegensatz zur lebhaften Auseinandersetzung mit der nationalen Frage innerhalb der slowenischen Sozialdemokratie sind auf Seiten der italienischen Sozialisten der adriatischen Sektion, zumindest bis zur Veröffentlichung von „Irredentismo adriatico“ von Angelo Vivante im Jahre 1912, keine nennenswerten Beiträge zu diesem Thema zu verzeichnen. Der Triester Parteivorstand der italienischen Sektion sah mit Sorge die wachsenden nationalen Gegensätze und die beschleunigte Abwanderung der slowenischen Wähler weg von den Sozialisten und hin zu einer ausgesprochen nationalistisch geprägten Massenbewegung. Die Stellungnahmen Valentino Pittonis zwischen 1905 und dem Ausbruch des Krieges scheinen von der Absicht gekennzeichnet, das gegenseitige Hochschaukeln der widerstreitenden Nationalismen zu bekämpfen, ließen jedoch neue theoretische Überlegungen vermissen76. In einem vorbereitenden Dokument zum italienisch-österreichischen Parteitag des Jahres 1905 schlug der Parteisekretär der adriatischen Sektion eine schon auf dem Brünner Parteitag diskutierte Ausgrenzung des Küstenlandes vor, wonach der nördliche Teil des 74 Ebd. Bezüglich der in der Broschüre „Jugoslavanska ideja in Slovenci“ enthaltenen Thesen und der fortbestehenden Einstellung Tumas zur slowenischen Frage und der Rolle Triests als slowenisches Wirtschaftszentrum vgl. auch J. Pleterski, Trieste nel pensiero politico sloveno fino alla prima guerra mondiale, in: Slovenski in italjanski socialisti na primorskem, S. 25-40, insbesondere S. 35-37. 75 E. Apih, Alcuni documenti sull’opera di Tuma a Trieste, in: Slovenski in italjanski socialisti na primorskem, S. 159-178; H. Tuma, Dalla mia vita, S. 408 f. 76 Zu diesem Punkt ist die folgende Äußerung des slowenischen Historikers Janko Pleterski sehr treffend: „Im allgemeinen kann … festgestellt werden, dass zu jener Zeit der Anti-Irredentismus der italienischen Sozialisten hauptsächlich von ihren antimilitaristischen und kriegsfeindlichen Einstellungen herrührte und nicht Ausdruck einer politischen und theoretischen Vertiefung der nationalen Frage der betreffenden österreichischen Grenzregionen und Triests war“; J. Pleterski, Trieste nel pensiero politico sloveno fino alla prima guerra mondiale, S. 35.

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Görzer Umlandes und einige andere Gebiete Istriens der Krain zugeordnet werden sollten. Damit sollte eine größere nationale Homogenität im Küstenland geschaffen werden, das durch diesen Schritt ein stärker italienisches Gepräge erhalten hätte77. Diese Thesen wurden in Istrien auch von vielen gemäßigten italienischen Liberalen vertreten. In den Jahren unmittelbar vor Kriegsausbruch schien Pittoni die Wiedereinsetzung eines italienisch-slowenischen Parteivorstandes in Triest zu befürworten. Im Juni 1914 wurde die südslawische Parteiexekutive erneut in die Adriastadt verlegt, in der mittlerweile eine größere Anzahl Slowenen lebte als in Laibach. Pittoni stimmte dieser Entscheidung zu, vermutlich weil er hoffte, dass die Partei auf diese Weise der Propaganda der südslawischen Nationalisten wirksamer würde begegnen können78. Die südslawische (eigentlich: slowenische) Sektion der sozialdemokratischen Partei war trotz ihrer organisatorischen Schwäche und ihres mangelnden Rückhalts bei den Wählern sowie der starken Konkurrenz der katholischen Volkspartei unter der Landbevölkerung in der Lage gewesen, eine eigene Strategie des nation building auszuarbeiten. Das relative Gewicht der Slowenen innerhalb der Parteistrukturen wurde außerdem durch die Allianz mit den ebenfalls stramm ethnisch organisierten und mit den Slowenen durch ein diffuses Gefühl der Kulturverwandtschaft verbundenen tschechischen Organisationen verstärkt79. Der klaren konzeptionellen und strategischen Stärke der südslawischen Sozialdemokratie in Bezug auf die nationale Frage stand die streng internationalistische Ausrichtung der adriatisch-italienische Sektion gegenüber, die völlig losgelöst von den übrigen politischen Organisationen der Italiener in der Habsburger Monarchie agierte.

77 V. Pittoni, Socialismo, Nazionalismo, Irredentismo nelle Provincie Adriatiche Orientali – Relazione per il Convegno di Trieste dei socialisti Italiani, Triest o.J., S. 18-21. 78 E. Apih, Sui rapporti tra socialisti italiani e socialisti sloveni nella Regione Giulia (1888-1917), in: Slovenski in italjanski socialisti na primorskem, S. 94 f. 79 H. Mommsen, Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage, S. 263 f.

Fünftes Kapitel Der Sozialismus in Istrien Der wesentliche Einflussbereich der Triester Sozialdemokratie war die istrische Halbinsel1, was nicht nur auf die 1897 beschlossene Organisationsstruktur der Partei zurückzuführen war, als Triest, Istrien und Görz die Sezione adriatica del Partito sociale-democratico del Litorale e della Dalmazia (Adriatische Sektion der sozialdemokratischen Partei des Küstenlandes und Dalmatiens) gebildet hatten. Hinzu kam, dass die allgemeine Situation in Istrien für eine Verbreitung der sozialistischen Ideen und Programme aus verschiedenen Gründen günstiger war als im Görzer Gebiet und in Dalmatien. Das Görzer Gebiet war von einem verhältnismäßig stabilen System von ländlichem Kleinbesitz im Norden und Pächterwesen in der Ebene sowie der unangefochtenen Position der habsburgerfreundlichen, katholischen Partei gekennzeichnet. Die nationalen Gegensätze zwischen der italienischen und der slowenischen Bevölkerungsgruppe waren schwach ausgeprägt, da beide Gruppierungen keine wesentlichen Unterschiede in ihrer sozialen Struktur aufwiesen und meist auch geographisch voneinander getrennt waren2. Lediglich in der Stadt Görz hatte die italienische liberale Partei die Mehrheit, doch hier wurde sie von einem slowenischen Bürgertum, dessen Selbstbewusstsein mit wachsendem Wohlstand zunahm, bedrängt3. In Dalmatien identifizierte sich die städtische Mittelschicht meist mit der dalmatinischen Rechtspartei. Ihr stand eine Minderheit von Autonomisten gegenüber, die eine auf das venezianische Erbe gegründete, kulturelle Besonderheit Dalmatiens betonten. Diese autonomistische Position hatte ihre Bastionen in den Küstenstädten Zara, Spalato und Sebenico (Šibenik), wo eine Patrizierelite italienischer Kultur ansässig war. In den Siebziger und Achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts hatte diese bis dahin

1 Vgl. dazu die Bemerkungen von E. Apih, Qualche testimonianza e qualche considerazione per la storia del socialismo in Istria, in: Centro di ricerche storiche, Rovigno, Atti (1977-1978), Bd. 8, S. 235-276, insbesondere S. 235 f. 2 C. von Czornig jr., Die ethnologischen Verhältnisse des österreichischen Küstenlandes, Triest 1885, insbesondere S. 18 f. 3 E. Sestan, Venezia Giulia. Lineamenti di una storia etnica e culturale, Bari 1965, S. 85; L. Fabi, Storia di Gorizia, Padova 1991, S. 9-46.

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dominante Gruppe einen traumatischen Rückgang ihres Einflusses in den politischen Repräsentativorganen verzeichnen müssen (in den Wahlen des Jahres 1882 errang die kroatische Partei zum ersten Mal die Mehrheit im Gemeinderat von Spalato). In der Folge des Nationalisierungsprozesses des kroatischen Bürgertums in Dalmatien ging die Vorherrschaft der italienischen Sprache und Kultur im Alltag, in der Schule und im Handel unaufhaltsam zurück. Die Situation des italienischen Patriziertums im dalmatinischen Küstenland war vergleichbar mit jener der deutschen Eliten in den slawischen Ländern der Habsburger Monarchie, die infolge der Nationalisierung der Mehrheitsbevölkerung zu „Minderheiten“ deklassiert wurden, wobei ihre Funktion als Kulturträger grundlegend in Frage gestellt wurde4. Aufgrund der mangelnden Industrialisierung des Landes und der extremen Rückständigkeit der zum großen Teil analphabetischen Landbevölkerung konnten sich sozialistische Ideen in Dalmatien nur zögerlich durchsetzen5. Die sozialistische Agitation im Görzer Gebiet blieb sporadisch und beschränkte sich auf gelegentliche Kundgebungen oder Versammlungen, die anfangs von wütenden, von ihren jeweiligen Pfarrern angeführten Bauernscharen unterbrochen wurden. Beispielhaft dafür waren die Ereignisse am Rande einiger Versammlungen der Lega Socialdemocratica im Sommer 1898. Während eine Versammlung der Steinmetze in Sagrado ohne Zwischenfälle verlief, wurden die nachfolgenden Manifestationen in Görz, Podgora und Lucinico (Ločnik) von Gegendemonstrationen der Bauern aus dem Umland gestört, die von kämpferischen Repräsentanten des slowenischen Klerus angeführt wurden. Die bedeutendste dieser Gegendemonstrationen christlich-sozialer Tendenz war jene des 27. Juni 1898 in Görz, wo es 2.000 Demonstranten gelang, eine sozialdemokratische Versammlung durch die vollständige Belagerung des Versammlungsortes (des weitläufigen Biergartens Dreher) zu verhindern. In den Slogans der Demonstranten kamen ihr religiöser Glaube und ihre Treue zur Dynastie („Zivijo nas Cesar“, „Zivjo Austria“, „Zivijo Franz Josef“) 4 Vgl. zu dieser Problematik H. Lemberg, Der Weg zur Entstehung der Nationalstaaten in Ostmitteleuropa, in: G. Brunner (Hrsg.), Osteuropa zwischen Nationalstaat und Integration, Berlin 1995, S. 45-71. 5 T. Ganza Aras, Il rapporto della politica croata in Dalmazia nei confronti degli italiani nel periodo della grave crisi che investì il dualismo austro-ungarico agli inizi del XX secolo, in: Centro di ricerche storiche, Rovigno, Atti (1984-1985), Bd. 15, S. 173-196; E. Maserati, Simboli e riti dell’irredentismo dalmata, in: Clio – rivista trimestrale di studi storici, 25 (1989), S. 475-487. Zur Entwicklung des politischen und nationalen Lebens in Dalmatien zu Beginn des 20. Jahrhunderts vgl. G. Schödl, Kroatische Nationalpolitik und ‚Jugoslavenstvo‘. Studien zu nationaler Integration und regionaler Politik in Kroatien-Dalmatien am Beginn des 20. Jahrhunderts, München 1990. Zur komplexen Stellung Dalmatiens im Beziehungsnetz zwischen Österreich, Ungarn und Kroatien vgl. L. Valiani, La dissoluzione dell’Austria Ungheria, Mailand 1966, S. 9-96.

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sowie ihr Nationalstolz („Zivijo Slovenci“) zum Ausdruck6. In diesem Fall gesellten sich nationale Gegensätze zum harten Konkurrenzkampf zwischen Sozialdemokratie und christlich-sozialer Partei um die Gunst der Wähler aus den unteren Volksschichten. Einige Monate zuvor war eine Versammlung der Christlichsozialen in Triest durch eine Mobilisierung von Liberalen und Sozialisten, die sich zur Verteidigung des laizistischen Charakters der politischen Kultur der Stadt zusammengetan hatten, verhindert worden7. In Laibach waren nach der Gründung der sozialdemokratischen Partei Zusammenstöße mit den Christlichsozialen an der Tagesordnung8, und ähnliche Auseinandersetzungen fanden auch in verschiedenen anderen Orten des Reiches, u.a. in Trient, statt. Die scharfe Konfrontation zwischen den beiden politischen Kräften ist nicht nur auf die Unvereinbarkeit ihrer jeweiligen Prinzipien, sondern auch auf die Tatsache zurückzuführen, dass sich Christlichsoziale und Sozialdemokraten an dieselbe Wählerschaft wandten, d.h. an die damals in der V. Kurie zusammengefassten Volksschichten, die nach Einführung des allgemeinen Wahlrechts (1905) die Mehrheit des österreichischen Parlaments bestimmen 6 Eine Reihe von Polizeiberichten über die klerikalen und christlich-sozialen Gegendemonstrationen im Görzer Gebiet in: AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 300. Vgl. insbesondere den von Gradisca am 31. Mai 1898 an die Polizeidirektion von Triest übersandten Bericht, sowie die von verschiedenen Polizeiorganen in Görz an das Präsidium der Statthalterei von Triest übersandten Berichte vom 20. und 27. Juni und 4. Juli 1898. Aus dem Bericht vom 27. Juni des obersten Polizeikommissars A. Contin geht hervor, dass bei den großen Gegendemonstrationen folgende Slogans am häufigsten zu hören waren: „Zivijo nas Cesar“, „Zivijo Austria“, „Zivijo Slovenci“. Auf diese antworteten die Sympathisanten der Lega socialdemocratica mit den Ausrufen: „Fora i negri“ – womit die Priester gemeint waren –, „I preti in ciesa“ „viva Gorizia“. Die politische Auseinandersetzung von Christsozialen und Sozialdemokraten nahm bei diesem Anlass den Charakter einer Konfrontation zwischen einem katholischslowenischen und einem italienisch-laizistischen Lager an. Eigenartigerweise sind auf beiden Seiten keine Slogans sozialen Inhalts zu verzeichnen. Feindliche Manifestationen gegenüber der sozialistischen Propaganda auf dem Lande sind auch aus Deutschland (Rheinland und Westfalen) überliefert; H.G. Lehmann, Die Agrarfrage in der Theorie und Praxis der deutschen und internationalen Sozialdemokratie, S. 44 f. Über ähnliche Demonstrationen im Trentino vgl. R. Monteleone, Il movimento socialista nel Trentino 1894-1914, Rom 1971, S. 41 f., 64, 85. 7 Vgl. zur öffentlichen Konfrontation zwischen dem christlich-sozialen Jesuitenpater Antonio Passivich und einem hauptsächlich aus Sozialdemokraten und Liberalen bestehenden Publikum von 900 Personen AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 300, Polizeibericht vom 24. April 1898. Das öffentliche Streitgespräch am Sitz der Lega socialdemocratica bildete den Abschluss einer Reihe von Vorträgen des Jesuitenpaters in der Kirche S. Antonio Nuovo, die jedes Mal von antiklerikalen Demonstrationen umrahmt worden waren, E. Maserati, Il movimento operaio a Trieste, S. 145 f. Eine lebhafte Chronik der Ereignisse findet sich in G. Piemontese, Il movimento operaio a Trieste, S. 90-94. Die Texte der Vorträge in: A. Passivich, Conferenze triestine, Treviso 1902. 8 Vgl. das Vierte Kapitel in diesem Band.

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sollten. Auseinandersetzungen um Grundsatzfragen waren demnach gleichzeitig auch Rangeleien um Einflussbereiche und Wählerreservoirs. Im Görzer Gebiet gewannen jedenfalls die Christlichsozialen (gemeinsam mit der italienischen katholischen Volkspartei) die Oberhand. Erst im Jahre 1910 gelang es den Sozialisten mit der Einweihung der Sedi Riunite, eine feste Organisation in Görz zu begründen. Zur gleichen Zeit gab es im österreichischen Friaul bereits 84 christlich-soziale Genossenschaften mit über 8.000 Mitgliedern9. In Dalmatien stieß der Sozialismus unter den Handwerkern und Intellektuellen in den größeren Städten wie Spalato, Zara und Ragusa (Dubrovnik) auf Interesse; eine feste Organisationsstruktur wurde jedoch nicht geschaffen, da die lokalen Agitatoren vom Standpunkt der Wiener Zentrale aus wenig vertrauenswürdig waren und eher pittoresken Volksanführern als disziplinierten sozialdemokratischen Funktionären ähnelten10. Sowohl im Görzer Gebiet als auch in Dalmatien erschienen Blätter mit sozialistischer Tendenz, wie „Nuova Idea“ und „Il Socialista Friulano“ in Görz, „Il socialista“ in italienischer und kroatischer Sprache in Zara sowie „Glas Radnog narodna“ in kroatischer Sprache in Spalato11. Ihnen war jedoch meist 9 Vgl. zu den, wenn auch bescheidenen, sozialistischen Erfolgen im österreichischen Friaul in den Jahren vor Kriegsausbruch L. Patat, Giuseppe Tuntar, Udine 1989, S. 36-45. Zur Verbreitung des christlich-sozialen Genossenschaftswesens einige Hinweise in: E. Apih / C. Silvestri, Le Cooperative di Trieste, Istria e Friuli, Triest 1976, S. 24. 10 Für ein psychologisch-biografisches Profil Riccardo Cambers, des Sozialistenführers aus Spalato, vgl. G. Piemontese, Il movimento operaio a Trieste, S. 95-102. Vgl. auch die Bemerkungen im Dritten Kapitel dieses Bandes. Ähnliche Eigenschaften wie Camber wies der ebenfalls aus Spalato stammende Gerolamo Dorbič, unbestrittener Führer der Arbeiterbewegung Dalmatiens, auf. Im Polizeibericht über den regionalen Parteitag der adriatischen Sektion des Jahres 1904 werden die Delegierten Dorbič aus Spalato und Balanza aus Zara als „extrem angerucht“ (sic!) bezeichnet; AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 255, Bericht über den IV. Parteitag der sozialdemokratischen Partei, italienische adriatische Sektion, abgehalten in Triest am 3. und 4. Januar 1904. Dorbič betrieb im Übrigen ein illegales Vermittlungsbüro für Seeleute in Sebenico. Auf diese Tätigkeit bezieht sich wahrscheinlich auch die Intervention von Dorbič auf dem außerordentlichen regionalen Parteitag der adriatischen Sektion des Jahres 1900 gegen die Institution von amtlichen Vermittlungsbüros; Il Congresso Regionale Straordinario, in: Il Proletario, 13. Oktober 1900. Über den Einfluss, den Dorbič auf die Unterschichten in Spalato ausübte vgl. E. Maserati, Attività anarchica in Dalmazia nel primo novecento, in: Clio, Rivista trimestrale di studi storici, 18 (1982), S. 108-121, insbesondere S. 111. Gerolamo Dorbič hatte auch, gemeinsam mit Karl Linhardt, eine Broschüre über den Internationalismus verfasst, die das Vorurteil zerstreuen sollte, wonach die Sozialisten den nationalen Werten gleichgültig gegenüberständen, und jene sozialdemokratischen Führer hervorhob, die für diese Fragen besonders empfänglich waren, wie z.B. den Deutschösterreicher Pernerstorfer oder den Polen Diamand; G. Dorbič / K. Linhardt, L’internazionalismo e la tattica del partito socialista di fronte ai partiti borghesi nazionali, Triest 1902. 11 Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1903, S. 26.

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nur kurze Dauer beschieden und es gelang ihnen nicht, die Bevölkerung von ihren hergebrachten politischen Orientierungen, oder, vor allem in Dalmatien, von den tief verwurzelten ländlichen Traditionen abzubringen12. Istrien hingegen bot unter ethnischen und sozialen Gesichtspunkten bessere Voraussetzungen für die Entwicklung der sozialistischen Bewegung. Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Beziehungen waren eher traditionell verfasst und die ethnische Zugehörigkeit ging immer noch mit sozialen Unterschieden einher. Die Mittelschicht war fast ausschließlich italienisch (im Gegensatz zu Dalmatien, in dessen Städten ein wohlhabendes kroatisches Bürgertum lebte), während die Kleinbauern und Landarbeiter verschiedenen kroatischen und slowenischen Sprachgruppen angehörten und noch keine einheitliche nationale Identität entwickelt hatten. Der Boden war karg, der Landbesitz stark zersplittert und in verschiedene Grundstücke unterteilt, die oft weit voneinander entfernt waren. Die Bauern hatten bei den italienischen „Herren“ Hypotheken aufgenommen, so dass sie gezwungen waren, auf deren Besitztümern als Tagelöhner zu arbeiten. Dieses trostlose Bild wurde von einem kaum entwickelten Straßennetz, dem späten Bau einer Eisenbahnlinie und dem extrem mangelhaften Schulwesen auf dem Land vervollständigt13. Im Küstengebiet, wo sich die städtischen Zentren venezianischen Ursprungs befanden und das sprachlich und kulturell italienischen Charakter trug, wo häufige Schiffsverbindungen bestanden und wertvolle Landwirtschaftsprodukte für den Triester Markt und die Städte im Landesinneren der Monarchie erzeugt wurden, war die Situation zum Teil anders als im Hinterland14. Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts entwickelte sich hier auch eine bescheidene Gewerbetätigkeit. Vom industriellen Gesichtspunkt aus war 12 Bezeichnend dafür sind die Ergebnisse der Reichstagswahlen von 1911: Die südslawischen Sozialdemokraten erhielten 295 Stimmen in Spalato und 34 in Sebenico; Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1911, S. 21. 13 E. Sestan, Venezia Giulia, S. 69-103; P. Sema, La lotta in Istria. Il movimento socialista e il partito comunista italiano – La sezione di Pirano, Triest 1971, S. 15-74. In ihrem im Jahre 1900 in Pola gehaltenen Vortrag beschrieb die bedeutende istrische Sozialistenführerin Giuseppina Martinuzzi das Schulwesen im Landesinneren mit folgenden Worten: „Auch gegenwärtig haben 17tausend slawische Kinder keine Volksschulen und gleichzeitig werden, um sich gegenseitig zu kränken, zwei Gymnasien errichtet, Brutstätten zukünftiger Priester und verkrachter Existenzen, eines auf Kosten des Staates, das andere mit all seinem Aufwand auf der Provinz lastend, die sich von dieser Last zerdrückt fühlt und die Nation um Almosen bittet, um sie zu tragen“; G. Martinuzzi, La lotta nazionale in Istria considerata quale ostacolo al socialismo. Discorso tenuto a Pola 12 agosto 1900, in: M. Cetina, Giuseppina Martinuzzi, S. 87-101, hier S. 95. 14 Eine kurze Darstellung der wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen sowie der nationalen Zusammensetzung in Istrien bietet die Studie von N. del Bello, La provincia dell’Istria, Capodistria 1890. Zur Situation der Landbevölkerung vgl. insbesondere S. 117 f.

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Pola das bedeutendste Zentrum; später wurde es zum wichtigsten Militärhafen der Monarchie, nachdem die Unruhen des Jahres 1848 in Venedig gezeigt hatten, wie riskant es für Österreich war, seine Kriegsflotte in der Lagunenstadt stationiert zu lassen15. Innerhalb weniger Jahrzehnte wurde das von der Malaria heimgesuchte Pola mit zirka tausend Einwohnern zum wichtigsten Kriegshafen der österreichischen Flotte. 1856 wurde im Beisein des Kaiserpaares mit dem Bau des Arsenals, dem hauptsächlich die Wartung der Kriegsschiffe obliegen sollte, begonnen. Auf dem Olivenfels (Scoglio Olivi), der seit 1880 mit dem Festland verbunden war, befanden sich die Schiffswerften, Trocken- und Schwimmdocks, während die Werkstätten und Lagerschuppen auf dem Festland untergebracht waren16. Das Wachstum Polas kann im europäischen Vergleich mit den Städten der Kohlenreviere an der Ruhr verglichen werden. Gegen Mitte der Achtziger Jahre zählte die Stadt bereits 25.000 Einwohner, von denen zirka 2.500 im Arsenal beschäftigt waren17. Die Präsenz der Flotte kurbelte den Maschinen- und Schiffsbau an und stärkte dadurch die städtische Arbeiterschaft. Innerhalb dieses entstehenden Proletariats von Schiffsbauarbeitern, die vorwiegend aus den adriatischen Küstenstädten mit Schiffsbautradition stammten, verrichteten die aus dem Landesinneren zugezogenen Bauern Hilfsarbeiter- und Handlangerdienste18. 15 R. Basch-Ritter, Österreich auf allen Meeren – Geschichte der k. (u.) k. Marine 1382 bis 1918, Graz / Wien / Köln 2000, S. 249. 16 Ebd., S. 251-253; vgl. auch Pola, seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Eine Studie, Wien 1886, S. 41 f. 17 T. Crnobori, Le prime società operaie in Istria, in: Versch. Aut., La Repubblica di Albona nell’anno 1921, Rijeka 1972, S. 39-63, hier S. 45 f. 18 R. Basch-Ritter, Österreich auf allen Meeren – Geschichte der k. (u.) k. Marine 1382 bis 1918, S. 254: „Man unterschied in Pola drei große Bevölkerungsgruppen: die ‚bürgerliche‘ Gruppe, die Militär- und Marineangehörigen und die Arbeiter. In der ‚bürgerlichen‘ Bevölkerung, die zum einen Teil aus alteingesessenen Polesanern, zum anderen Teil aus neu hinzugezogenen Kaufleuten, Beamten und Handwerkern bestand, überwog das italienische Element. Italienisch war Verwaltungssprache, es war die Sprache, in der die Volksschüler unterrichtet wurden, und die Geschäfts- und Umgangssprache, italienisch waren auch die Straßenbezeichnungen. Die große Gruppe der ungelernten Arbeiter, die bei den Arsenalsbauten beschäftigt waren, kam in erster Linie aus dem Landesinneren. Sie sprachen kroatisch oder slowenisch. Bürger und Arbeiter fühlten sich fremd gegenüber dem dritten Bevölkerungselement, das die Militärs und Marineangehörigen bildeten. Hier überwog die deutsche Sprache, obwohl die Familiennamen auch auf italienische, slawische und sogar dänische und englische Herkunft schließen ließen“. Tone Crnobori erwähnt eine bedeutende Präsenz von am Arsenal beschäftigten Zuwanderern aus Rovigno. Zum Beweis des kosmopolitischen Charakters insbesondere der Marineoffiziere weist er auf die Existenz eines tschechoslowakischen Zirkels, die Ċtenarska beseda, die 62 Mitglieder zählte, hin; T. Crnobori, Le prime società operaie, S. 39-41. Die Offiziere und Beamten der Kriegsmarine lebten in einer Art Kolonie im neuen Stadtteil San Policarpo südlich des Arsenals; R. Basch-Ritter, Österreich auf allen Meeren –

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Bereits am Ende der napoleonischen Besatzung waren die Kohlengruben von Vines und Carpano (Krapan) bei Albona (Labin) in Betrieb genommen worden, die 1872 an ein Krainer Unternehmen mit Firmensitz in Wien, die Trifailer Kohlenwerks-Gesellschaft, übergingen. In ihnen fanden bis zu tausend Grubenarbeiter Beschäftigung, die unter den Bauern der Umgebung angeworben worden waren19. Weitere Produktionssparten entwickelten sich in Isola (Fischkonserven), Rovigno (Bootswerften, Fischkonserven, Tabakverarbeitung, Brennereien) und Pirano (Peran) (Glasfabriken)20. Obgleich dem Verwaltungsbezirk Capodistria (Koper, Kopar) zugehörig,21 stützte sich das bedeutende Arbeiterzentrum vom Muggia effektiv auf Triest, auch weil die Schiffswerften des Städtchens nicht nur ihren Firmensitz, sondern auch ihre Werkstätten für den Bau von Motoren und Heizkesseln im größten Hafen der Adria hatten. In den größeren Städten der istrischen Halbinsel entstand, ähnlich wie in Triest und mit einiger Verspätung gegenüber Westeuropa, eine lebhafte Bewegung zur Gründung von Unterstützungsvereinen und Genossenschaften. Zwischen 1869 und 1890 wurden in Capodistria (1869), Pirano (1870), Albona (1871), Rovigno (1872), Parenzo (Poreč) (1873), Dignano (Vodnjan) (1887), und Visignano (Višnjan) (1895) Selbsthilfevereine gegründet22. Diese Bewegung war in Pola besonders stark entwickelt, wo die Arbeiter des Arsenals, wie in den meisten staatlichen Fabriken zur Herstellung von Kriegsmaterial, nach streng hierarchischen Kriterien eingeteilt waren, eine feste Anstellung und großzügige Sozialleistungen genossen, aber einen geringeren Lohn als in privaten Unternehmen empfingen23. Laut der 1869 verabschiedeten Satzung des Arbeiterpersonals des Arsenals war die Belegschaft in zahlreiche Qualifikationsklassen unterteilt, und zwar in Personal mit Führungsaufgaben (Werkstättenvorstand, Meister, Vorarbeiter), handwerklich qualifizierte ArbeiGeschichte der k. (u.) k. Marine 1382 bis 1918, S. 254 f. Vgl. auch Pola, seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, S. 66 f. 19 M. Despot, Sugli scioperi dei minatori di Albona fino alla prima guerra mondiale, in: Versch. Aut., La Repubblica di Albona, S. 65-90, insbesondere S. 65-71. Über die Aktionäre und andere finanzielle und wirtschaftliche Merkmale der Trifailer Kohlenwerks-Gesellschaft vgl. Compass. Finanzielles Jahrbuch für Österreich-Ungarn, 37 (1904), 2. 20 P. Sema, Lotta in Istria, S. 43-51, 263; M. Budicin, Dieci documenti sulle origini del movimento socialista a Rovigno alla fine del XIX secolo, in: Centro di ricerche storiche, Rovigno, Atti (1978-1979), Bd. 9, S. 551-574, insbesondere S. 558 f. 21 M. Cattaruzza, La formazione del proletariato urbano, S. 109 f. 22 Eine Auflistung v on Gesellschaften wechselseitiger Hilfeleistung in: P. Sema, La lotte in Istria, S. 79 f.; T. Crnobori, Le prime società operaie, S. 54-56. 23 Pola, seine Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, S. 70 ff. Zum Vergleich der jeweils vom Arsenale in Pola und dem Stabilimento Tecnico Triestino in Triest ausgezahlten Löhne siehe die vom Kriegsministerium durchgeführte Untersuchung in: Kriegsarchiv Wien, Marinesektion, 1912, 322/S.K.

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ter (vier Klassen für Arbeiter und zwei für Lehrlinge), ungelernte Arbeiter (Haupthilfsarbeiter und Hilfsarbeiter). Ein paar hundert Frauen, meist Ehefrauen und Töchter von Arbeitern, waren als Segelmacherinnen beschäftigt24. Das im Arsenal eingeführte Organisationsmodell war patriarchalisch und zielte auf eine starke Bindung der festangestellten Arbeiter und ihrer Familien an das Unternehmen, das ihnen im Falle von Invalidität und nach mindestens zehn Dienstjahren eine von der Firmenkasse ausbezahlte Altersrente zusicherte, die in reduziertem Maße auch auf die Witwen übertragbar war. Das Arsenal hatte auch für den Bau einer Arbeitersiedlung gesorgt, eine unerlässliche Maßnahme angesichts der ungeheuren Schnelligkeit, mit der das Militär- und Industriezentrum fast aus dem Nichts entstanden war25. Die Sozialpolitik des größten Unternehmens der Stadt wurde von verschiedenen Unterstützungsvereinen für Arbeiter ergänzt. Bereits im Jahre 1869 wurde unter der Schirmherrschaft des Kaisers die Società Operaia Polese con mutuo soccorso cooperatrice gegründet, die hauptsächlich als Krankenkasse und Arbeitslosenversicherung fungierte. Die 1876 gegründete Società degli Artieri hatte sich auch die Organisation von Abendkursen im Zeichnen für die Söhne ihrer Mitglieder, offensichtlich im Hinblick auf deren Anstellung am Arsenal, zur Aufgabe gemacht. Zu ihren Mitgliedern zählten die höher qualifizierten Arbeiter des Arsenals. Trotz ihres guten Willens gelang es den beiden Hilfsvereinen nicht, Rentenkassen oder Konsumvereine zu gründen. Die beiden Vereine bestanden fast ausschließlich aus Arsenalarbeitern und zählten im Jahre 1886 jeweils 1069 und 623 Mitgliedern, woraus sich schließen lässt, dass zu jener Zeit alle fest angestellten Arbeiter des Arsenals Mitglieder eines der beiden Vereine waren, wozu sie von der Direktion ausdrücklich angehalten wurden26. Diese Politik entsprach der vom Arsenal angewandten Strategie, wonach die loyal orientierten Arbeiterunterstützungsvereine die Sozialpolitik der Kriegsmarine ergänzten und somit zur Wahrung Pola, seine Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, S. 73. Ebd. Die Siedlung in Pola wurde „Baracche“ genannt. Vgl. dazu T. Crnobori, Le prime società operaie, S. 40 f.: „Die Festung Pola entwickelte sich immer mehr und zog eine immer größere Anzahl von Zivilisten in ihren Bann. Dieser Prozess bestand zu Beginn darin, dass die Zugewanderten zwischen den bereits erwähnten Gruppen vermittelten. Es ist heute aus vielen Gründen sehr schwierig zu beweisen, ob diese Vermittlung erfolgreich war oder nicht; einer dieser Gründe ist die noch heute sichtbare urbanistische Einteilung der Wohnbezirke, welche die Marine und die große Masse der Arbeiter vom Stadtzentrum und der restlichen Bevölkerung vollkommen isolierte. Für die Arbeiter wurde ein ganzer Stadtteil, die ‚Baracche‘, gebaut. Dies brachte sicherlich eine einseitige Bindung einer Bevölkerungsschicht unter sich und die Trennung von den anderen mit darauffolgendem Selbstverschließen mit sich. Die Isolierung vom Zentrum hatte jedoch auch positive Seiten, denn es war die in einem eigenen Stadtteil am westlichen Stadtrand, den Baracche, konzentrierte Arbeitermasse, die viele Jahre lang den Kern der Arbeiterbewegung in Pola verkörpert hat.“ 26 Pola, seine Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, S. 67 f. 24 25

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des „sozialen Friedens“ in einem strategisch wichtigen Gebiet der Monarchie beitrugen. Unabhängig von den Behörden wurde 1881 von Arbeitern, die außerhalb des Arsenals beschäftigt waren, der Verein Fratellanza Polese gegründet. Dieser Verein positionierte sich im liberalen italienischen Milieu und war in gewisser Hinsicht mit der Società Operaia Triestina vergleichbar27. Für die Grubenarbeiter von Albona hingegen wurde auf Betreiben der Bergwerksleitung eine Bruderschaft mit Mitgliedspflicht und ausgesprochen korporativen Merkmalen gegründet28, die die Auszahlung von Beihilfen im Krankheits-, Todes- und Invaliditätsfall sowie von Hinterbliebenenrenten für verstorbene Bergarbeiter vorsah. Schon bevor sich im Küstenland eine organisierte sozialistische Bewegung herausbildete, hatten also in Istrien umfassende Wandlungsprozesse eingesetzt, die den gesellschaftlichen und ethnischen Status quo tiefgreifend veränderten: 1. Die Entstehung eines Vereinswesens, dessen Stützpfeiler die Hilfsvereine waren. Abgesehen von den erbrachten Sozialleistungen trugen diese Selbsthilfevereine dazu bei, unter den Volksschichten Geselligkeitsformen der Mittelschicht zu verbreiten, die sich in Istrien in der zweiten Jahrhunderthälfte entwickelt hatten, wie Laienspielgruppen, Sportvereine, italienische und kroatische Lesesäle, Schützen- und Jagdvereine sowie die typischen habsburgisch-vaterländischen Veteranenvereine und die Società Femminile di Soccorso della Croce Rossa29. 2. Eine beginnende Industrialisierung, die die ländliche Bevölkerung in Bewegung setzte und Migrationsprozesse in Gang brachte. 27 T. Crnobori, Le prime società operaie, S. 49-53. Auch die Unterstützungsvereine von Pola suchten nach symbolischen Identifikationselementen für ihre Fahnen, Mottos und Hymnen. Die Vereinsfahne der Società Operaia Polense con mutuo soccorsocooperatrice war aus weißem Stoff und trug das Berufszeichen auf der einen und die Aufschrift „Lavoro e Fratellanza, Società Operaia Polense, 1869“ auf der anderen Seite. Die Vereinsfahne der Fratellanza Polense hingegen war gelb mit grünen Bändern und trug die Aufschrift „Fratellanza Polense 1881“ auf weißem Hintergrund auf der einen und zwei ineinander verschränkte Hände zum Zeichen der Verbundenheit auf der anderen Seite. 28 Auch der ursprüngliche Name der Bruderschaft, Werksbruderlade, deutet auf dessen korporativen Charakter hin. 29 Für eine bibliographische Übersicht zum Thema des Vereinswesens im Europa des 19. Jahrhunderts vgl. M. Meriggi, Associazionismo borghese tra ’700 e ’800. Sonderweg tedesco e caso francese, in: Quaderni storici, 24 (1989), S. 589-627. Zum bürgerlichen Vereinsleben in Istrien vgl. T. Crnobori, Le prime società operaie, S. 56. Für das Fallbeispiel von Pisino im Inneren Istriens vgl. G. D’Alessio, Élites nazionali e divisione etnica a Pisino, (Istria) a cavallo tra XIX e XX secolo, in: Quaderni Storici, 32 (1997), S. 155-182.

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3. Die Verbesserung der Eisenbahnverbindungen, die zum gegenseitigen Kontakt von bis dahin isolierten Welten beitrugen: im Jahre 1876 war die Bahnlinie ins Landesinnere Istriens, eine Abzweigung der Linie TriestWien, die von Divaccia (Divača) über Mitterburg (Pisino, Pazin) nach Pola führte, eingeweiht worden.

Merkmale der Sozialdemokratie in Istrien Die Integration der istrischen Arbeiterbewegung in die österreichische Sozialdemokratie fand im Großen und Ganzen zwischen 1897 und 1904 auf Betreiben der Triester Parteiexekutive statt30. Auf dem Wiener Parteitag des Jahres 1897 beklagte der Delegierte Scotti aus Isola d’Istria die Schwierigkeit der Parteipropaganda im Küstenland, wo die sozialistische Bewegung von den italienischen Nationalisten und dem Klerus stark behindert würde. Er wies darauf hin, dass sich in Istrien das Industrieproletariat in der Minderheit befand, und dass die Bewegung von Intellektuellen ausgegangen war und sich erst danach unter dem Volk verbreitet hatte. Die sozialistische Organisation sei jedoch „ein Leib ohne Seele“, d.h. ohne Zusammenhalt, geblieben. Diese Beobachtungen veranlassten ihn zur Forderung nach einem Sekretariat für das Küstenland, das imstande sein sollte, eine einheitliche Strategie für alle Italiener durchzusetzen31. Im Gegensatz zu Triest, wo zumindest seit der Gründung der Confederazione operaia die sozialistische Bewegung fast ausschließlich von Arbeitern getragen wurde, war in Istrien, wie Scotti richtig feststellte, der Impuls zur Organisation vom aufgeklärten Teil des italienischen Bürgertums ausgegangen, der im Sozialismus vor allem die Möglichkeit einer Emanzipation des istrischen Proletariats aus einem Zustand der Verrohung sah. Beispielhaft dafür war der Fall des Barons Giuseppe Lazzarini, eines in Agrarwissenschaften graduierten Landbesitzers aus Albona, der als Sozialist für die Reichsratwahlen des Jahres 1907 kandidierte. In einer 1900 gedruckten Broschüre mit dem Titel „Lotta di classe e lotta di razza in Istria“ erhob Lazzarini eine scharfe Anklage gegen das lokale italienische Bürgertum, das unfähig sei, eine wirkliche Führungsrolle auszuüben. Lazzarini zufolge war es notwendig, die verlorene Zeit aufzuholen und der Propaganda der kroatischen Priester und Schullehrer ein Programm der landwirtschaftlichen Verbesserungen, des allgemeinen Schulunterrichts, der Organisation von Kreditgenossenschaften und die Förderung von Landkooperativen für die 30 Nach Meinung von Tone Crnobori beeinflusste bereits die Confederazione operaia in gewisser Hinsicht die Entwicklung der sozialistischen Arbeiterbewegung in Istrien; T. Crnobori, Le prime società operaie, S. 58. 31 Verhandlungen des sechsten österreichischen sozialdemokratischen Parteitages, S. 120 f.

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Produktion und den Vertrieb der Erzeugnisse entgegenzustellen. Es handelte sich im Grunde um ein Programm, das viele Berührungspunkte mit jenem der slowenischen christlich-sozialen Partei und der Volkspartei im österreichischen Friaul aufwies, das jedoch laizistisch-demokratische Züge trug32. Die Schrift Lazzarinis entstand aus dem Bedürfnis, ein Programm zur Befriedigung der Bedürfnisse der Landbevölkerung angesichts des erwachenden slawischen Nationalismus zu entwickeln: „Die italienische Rasse hat stets gegenüber der slawischen überwogen und zwar aufgrund ihrer wunderbaren lateinischen Assimilationskraft und weil sie reich, gebildet und intelligent ist, für sie ist daher nichts zu befürchten … Der in unserer Provinz geführte Kampf bedeutet für uns zwei Verhängnisse: das von den Italienern als Rasse durchgeführte Werk der Zivilisation aufzuhalten und das ländliche Proletariat immer mehr den verlogenen Idealen einiger Rechtsverdreher und der Versklavung durch einen ignoranten Klerus ohne Moral auszusetzen … Für die Bauern ist nur der Magen wichtig“, schloss Lazzarini zuversichtlich, „und national ist nur der von den Agitatoren künstlich gebildete Apparat“33. In dieser Schrift Lazzarinis finden wir zwei für den istrischen Sozialismus vor dem Krieg typische Motive: eine italienische Identität, die sich als zivilisierende „Schicksalsgemeinschaft“ artikuliert und das Bewusstsein, dass für Istrien das Problem der Bauern zentral sei. Auf beide Fragen konnte der Wiener Sozialismus keine befriedigenden Antworten geben. Gemessen an Lazzarinis Überzeugung, wonach eine „forcierte Italianisierung“ in Istrien die Voraussetzung zur Zivilisierung des Landes bilde34, 32 G. Lazzarini, Lotta di classe e lotta di razza in Istria – Studio e proposte per il Partito Socialista della Regione Adriatica, Pola 1900. Vgl. insbesondere S. 32: „Wenn die Propaganda heute aufgrund der schmerzlichen Umstände, in denen sich heute fast alle Orte auf dem Lande befinden, nicht klaren sozialistischen Charakter wie in den Industriezentren haben kann, soll, ja muss sie wirtschaftlich-soziale Ziele verfolgen“. Hinsichtlich der Agrarpolitik der sozialistischen Partei in Istrien befürwortete Lazzarini auch in der Folge ein pragmatisches Reformprogramm, das Sofortmaßnahmen zur Verbesserung der Lage der Kleinbesitzer beinhalten sollte. Vgl. z.B. die Intervention auf dem zweiten Parteitag der istrischen Sozialisten, in: Il Proletario, 2. November 1904: „Es gibt Genossen, die glauben, dass eines Tages der gesamte Landbesitz aufgeteilt sein wird; ich hingegen glaube, dass in den Dörfern mit Kleinbesitzern und besonders im Gebirge die Hoffnung nur in einer großen Landwirtschaftsgenossenschaft liegt. Was die von Vorano erwähnten Kooperativen, Kellereien usw. betrifft, sind wir einverstanden. Es handelt sich lediglich darum, die richtige Genossenschaftsform für das jeweilige Dorf zu wählen …“. 33 G. Lazzarini, Lotta di classe e lotta di razza in Istria, S. 32 f. 34 Ebd., S. 36: „Die Italiener hingegen (damit meine ich nicht die verknöcherten Nationalisten) haben ein Hauptinteresse im Lande: jene Reformen voranzutreiben, die den durch den nationalen Kampf beschädigten Weg zu ihren Gunsten ebnen, einen forcierten Italianisierungsprozess einleiten und somit eine rasche und fruchtbare Entwicklung wirklich moderner Ideen, die einzig und allein geeignet sind, die

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schienen die Beziehungen zwischen den nationalen Gruppen in der sozialistischen Bewegung Triests aus einer anderen Welt zu stammen. Lajos Domokos, ein Journalist aus Pola, und der spätere kommunistische Abgeordnete Giuseppe Tuntar teilten die Ansichten des Barons Lazzarini zur nationalen Frage35. In einer 1905 unter dem Titel „Socialismo e questioni nazionali in Istria“ erschienen Broschüre36 vermerkte Tuntar mit Besorgnis die Verbreitung klerikaler Propaganda unter den kroatischen Bauern und sah in der Verteidigung der „italienischen Rathäuser“ und der Verbreitung der italienischen Kultur die Voraussetzungen zur Behauptung des Sozialismus auf der istrischen Halbinsel. Bei der Lektüre solcher Pamphlete entsteht der Eindruck einer Bewegung, die sich ernsthaft um die Emanzipation der unteren Volksschichten aus einer wirtschaftlich und sozial äußerst rückständigen Lage engagierte. Gleichzeitig schienen diese ersten istrischen Sozialistenführer den einsetzenden Terrainverlust der italienischen Bevölkerungsgruppe gegenüber der kroatischen ganz unmittelbar, jenseits von jeglichem Bezug zum wissenschaftlichen Sozialismus, zu empfinden. In ihren Aussagen kommt in unmittelbarer und unreflektierter Weise die Furcht der „Kulturnation“ zum Ausdruck, die sich in ihrer historischen Rolle bedroht sieht. Eine andere politische Ansicht vertrat hingegen Giuseppina Martinuzzi, eine aus dem lokalen Grundbesitzertum stammende Lehrerin aus Albona, die zu einer der führenden Persönlichkeiten der Triester Arbeiterbewegung werden sollte37. Nachdem sie sich nach und nach von den Idealen des Risorgimento, die ihre Jugend geprägt hatten, entfernt hatte, vertrat Martinuzzi die austromarxistische Auffassung der Nation als sprachliche und kulturelle Entität. Es sei hier jedoch betont, dass die Annäherung Martinuzzis an den Austromarxismus in Triest stattfand, wo die Lehrerin von 1895 bis 1925 fast ununterbrochen lebte. Sie kann daher nur mit Vorbehalt unter die istrischen Sozialistenführer eingereiht werden. Das Problem des nationalen Konflikts in Istrien behandelte Martinuzzi vor allem in zwei im Jahre 1900 jeweils

Arbeitermassen aufzuwühlen und die Gewissen all derjenigen zu erobern, die es satt haben, sich im trägen und satten Müßiggang des Bürgertums zu wiegen“. 35 L. Domokos, Trieste. I fatti di febbraio. La politica nazionale e il partito socialista, Rom 1902. Ein Kommentar zur Einstellung von Domokos hinsichtlich der nationalen Frage in: A. Agnelli, Socialismo triestino, Austria e Italia, S. 230-265. 36 G. Tuntar, Socialismo e questioni nazionali in Istria, Pola 1905. 37 Für ein biografisches Profil von Giuseppina Martinuzzi vgl. M. Kopitar-Cetina, Giuseppina Martinuzzi – rivoluzionaria albonese, in: Versch. Aut., La Repubblica di Albona, S. 91-121; T. Sala, Appunti sull’opera e sui tempi di Giuseppina Martinuzzi, ebd., S. 123-131. Zwei Reihen von Beiträgen über verschiedene Aspekte der Tätigkeit Giuseppina Martinuzzis sind in den Bänden 4 und 5 der Quaderni des Centro di ricerche storiche di Rovigno erschienen.

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in Triest und Pola gehaltenen Vorträgen38. Wie ihr Landsmann Lazzarini erkannte auch Martinuzzi das Hauptproblem Istriens in der Rückständigkeit der Bevölkerung im Landesinneren: „Ein Volk von Landarbeitern, in Lumpen gekleidet und durch Mangelernährung ausgezehrt, wie Tiere in elenden Hütten hausend, vom Meer bis zum Gebirge hin, und es arbeitet, es ackert sich seit vielen Jahrhunderten auf einem Boden ab, der ihm nicht gehört. Auf seinem Gesicht liest man Verstand, aber er ist wie ein Licht, dem die Luft fehlt; seine Sprache ist von der natürlichen Grobheit des sich selbst überlassenen Menschen gezeichnet; sein Benehmen ist entweder brutal rebellisch oder von tierischer Unterwürfigkeit; in seinem Blick liegt die Einfalt des Kindes oder das Misstrauen und der müde Schmerz des Greises“39.

Wie Martinuzzi realistisch bemerkte, wurde diese Rückständigkeit von der slawischen Nationalpropaganda, die von wenigen Agitatoren und mit der Unterstützung kroatischer Priester und Landschullehrer verbreitet wurde, ausgenutzt. Gleichzeitig wurde das Proletariat der Küstenstädte noch weitgehend vom liberalnationalen Bürgertum mit seinem Programm intransigenter Verteidigung des historisch und kulturell italienischen Charakters Istriens beherrscht. „Aus diesem Grunde“, bemerkt Giuseppina Martinuzzi, „gibt es in Istrien zwei Proletariate – ein italienisches, das in die Idee der eigenen nationalen Überlegenheit vernarrt ist und das versucht, sie mit dem Plunder des historischen Rechtes zu legitimieren, das die gegenwärtige Hegemonie bestätigten soll, und ein slawisches, das von der Fata Morgana einer aufblühenden Wirtschaft geblendet ist und diese ausschließlich mit der Etablierung der Hegemonie der eigenen Rasse verbindet“40. Nach Ansicht Martinuzzis war die Verbrüderung der beiden Proletariate unter gegenseitiger Achtung der jeweiligen Sprache nicht nur das einzige Mittel, um Istrien aus seiner jahrhundertealten Rückständigkeit und seiner Armut zu befreien, sondern auch die einzige Möglichkeit für ein Überleben der italienischen Kultur in dieser Region. Der Nationalitätenkampf in Istrien sei nicht nur barbarisch und schädlich, sondern erweise sich auch als besonders zerstörerisch „für den italienischen Bevölkerungsteil, der sich in der Minderheit, isoliert und im großen Reich verloren, von einem jungen, mit ungestümem Schwung sich erhebenden Volk umgeben sieht und sich in einer schwachen, unvorteilhaften Position, oder, besser gesagt, am Rande eines Abgrunds befindet“41. Von Martinuzzis austromarxistischem Gesichtspunkt aus betrachtet, der sich auf die Realität des Habsburger Staates bezog, sahen sich die Italiener in 38 G. Martinuzzi, Che cosa è il nazionalismo? Conferenza tenuta al circolo di Studi Sociali, Trieste 1900; dies., La lotta nazionale in Istria considerata quale ostacolo al socialismo. Discorso tenuto a Pola – 12 agosto 1900, Pola 1900, jetzt in: M. Cetina, Giuseppina Martinuzzi, S. 77-101. 39 G. Martinuzzi, La lotta nazionale in Istria, S. 89. 40 Ebd. 41 Ebd., S. 89 f.

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Istrien bald 19 Millionen Staatsbürgern slawischer Rasse gegenüber, deren politisches Gewicht dazu prädestiniert war, immer weiter zuzunehmen. Die Begleitumstände der Krise der Regierung Badeni stellten aus ihrer Sicht unübersehbare Vorboten einer solchen Entwicklung dar42. In der Perspektive eines Fortbestehens des habsburgischen Vielvölkerstaates erscheinen die Einschätzungen Giuseppina Martinuzzis sicherlich realistischer als diejenigen von Lazzarini und Tuntar. Letzterer war in Anlehnung an die Thesen von Ludwig Gumplowicz, seinem vormaligen Lehrer an der Universität Graz43, der Auffassung, dass eine Nation mit höherer Kultur sich gegenüber einem Volk von geringerer Kultur durchaus zu behaupten in der Lage sei, und aufgrund ihrer „natürlichen“ Überlegenheit, die sich in der Geschichte herausgebildet habe, die Fähigkeit habe, das zu ihren Gunsten asymmetrische Verhältnis beizubehalten. In der internationalistischen Vision Giuseppina Martinuzzis sind hingegen die verschiedenen nationalen Kulturen gleichwertig. Auf einer 1900 in Triest abgehaltenen Konferenz über den Nationalismus scheint diese Anerkennung auf eine naturalistische (und vorpolitische) Auffassung der Nation zurückzugehen, die auf die Thesen Herders verweist. So schreibt Martinuzzi: „Der Sozialismus will von dem, was die Natur gemacht hat, nichts zerstören; er würde deshalb auch nicht irgendwelche Sprachen, deren Wahrheit Schönheit und vielfältiger Gedankenreichtum ist, verschwinden lassen: er wünscht vielmehr, dass jede sich frei, gemäß dem Geiste der Völker entfalte und diesen als Werkzeug fortschreitender Kultur und natürliches Mittel teurer Erfreuungen diene: er will, dass alle geachtet werden sowie alle ehrlichen Menschen die engen Bande der Familie achten“44.

Diese Auffassung wird in einem Beitrag des Jahres 1911 unter dem Titel „Nazionalismo morboso e internazionalismo affarista“ weiter präzisiert und erläutert. In dieser von der Commissione Esecutiva dei Circoli giovanili e Femminili socialisti italiani della regione Adriatica herausgegebenen Schrift behauptet Giuseppina Martinuzzi unter anderem: „Die Sprache, die wir sprechen, weist uns als Italiener aus und wir lieben sie, weil unsere Mutter sie uns auf die Lippen legte und nicht, weil sie erhaben und der slawischen Kultur überlegen ist. Wir müssen sie pflegen, weil sie über unsere Gedanken Auskunft gibt und Werkzeug unserer geistigen Freuden ist. Aber wie unsere Mutter nicht das Recht hat, uns zur Verachtung der Mütter der anderen zu zwingen, kann uns auch die italienische Sprache nicht die Sprache der Slawen, Ebd., S. 98. Ebd. 44 Eine gründliche Biographie Tuntars liefert die Studie von L. Patat, Giuseppe Tuntar; M. Cetina, Giuseppina Martinuzzi, S. 79. Im Verlauf derselben Konferenz schlug Martinuzzi als Gegenmittel gegen den in den Reihen der Sozialisten noch lebendigen Nationalismus „die Lektüre bedeutender, dem Geist dieses Volkes entsprungener Werke, mit deren Verachtung unsere Nationalisten prahlen“ vor; ebd., S. 78 f. 42 43

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die unsere Landsleute sind und nicht zufällige und geduldete Gäste, sondern rechtmäßige Söhne dieser istrischen Region und daher uns in ihren Rechten und Pflichten gleichgestellt, verachten lassen“45.

In dieser Schrift entwickelte Giuseppina Martinuzzi bis zur äußersten Konsequenz den sprachlich-kulturellen Nationsbegriff und füllte ihn mit jenem humanistischen Egalitarismus46, der ihre Interpretation des Sozialismus kennzeichnete und ihn vom teilweise ähnlichen Internationalismus eines Valentino Pittoni unterschied, bei dem die Rezeption des Brünner Programms rein mechanisch erfolgte. Bei Giuseppina Martinuzzi hingegen vereinten sich die Prinzipien des Internationalismus mit der Idee einer progressiven Heilung des Proletariats von seinen ursprünglichen Wunden dank eines Entwicklungsprozesses, in dem die Befreiung vom wirtschaftlichen Joch Hand in Hand mit der kulturellen und ethischen Verfeinerung gehen sollte. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, stellte der Nationalismus eine nunmehr überwundene Epoche der menschlichen Entwicklungsgeschichte dar, die nach immer umfassenderen und universelleren Formen des Zusammenlebens strebte47. Zu diesem leidenschaftlich und konsequent verfolgten Ideal gelangte Giuseppina Martinuzzi nach einem komplexen intellektuellen und politischen Werdegang, der sie als anfängliche Anhängerin des italienischen Irredentismus über den humanitären Sozialismus zum Austromarxismus und weiter bis zum Eintritt in die Kommunistische Partei im Jahre 1921 führte. Ausgangspunkt für ihre Hinwendung zum Sozialismus um das Jahr 1895 war ihre Tätigkeit als Lehrerin im Stadtviertel Cittavecchia in Triest, wo sie, mit der Armut des Proletariats konfrontiert, nach einem Weg suchte, die Ideale der Gleichheit und Brüderlichkeit aufrechtzuerhalten, die schon in ihrer jugendlichen Hinwendung zum linken Irredentismus präsent gewesen waren48. Ebd. G. Martinuzzi, Nazionalismo morboso e internazionalismo affarista, Trieste 1911, jetzt in: M. Cetina, Giuseppina Martinuzzi, S. 213-230, hier S. 222. Vgl. hierzu auch die Artikel in: Canti jugoslavi, Triest 1910, jetzt in: M. Cetina, Giuseppina Martinuzzi, S. 212, ausgedrückten Gedanken: „Wer liest, dem kommt in den Sinn, was Nicolò Tommaseo in seinem ,Dizionario estetico‘ über die slawische Dichtkunst schrieb. Italien hat keine Volksdichtung von solcher Schönheit. Kennen die zeitgenössischen Italiener diese Feststellung? Wissen sie, dass sein gründliches Studium der slawischen Literatur dem berühmten Literat Domenico Chiampoli den Ausruf abnötigte: ‚Der slawische Volksstamm ist unter den europäischen Völkern das, was die Nachtigall unter den Vögeln ist?‘. Wie gut wäre es für die allgemeine Kultur, wenn es unter den Nationen gerechtere Urteile gäbe“. 47 Vgl. die klare Darstellung ihrer evolutionsgeschichtlichen Idee, in: G. Martinuzzi, Patria e Socialismo – Discorso letto pubblicamente li 30 luglio 1899 auspice la Lega ‚Sociale-Democratica‘ di Trieste, Triest 1899, jetzt in: M. Cetina, Giuseppina Martinuzzi, S. 49-70. 48 G. Scotti, La poesia militante di Giuseppina Martinuzzi (Centro di ricerche storiche, Rovigno. Quaderni, 5), Rovigo 1978-1981, S. 213-304, insbesondere S. 236 f. 45 46

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Die istrischen Sozialisten und die Triester Parteiexekutive Wie bereits bemerkt wurde, waren die istrischen Sozialisten mit einer zahlreichen Delegation auf dem im Dezember 1897 in Triest abgehaltenen Gründungskongress der adriatischen Sektion der sozialdemokratischen Partei vertreten. Zu jener Zeit schien sich ihr Sozialismus eher aus dem Mitleid mit den Entrechteten und dem Bewusstsein der Dringlichkeit der „sozialen Frage“ Istriens, als aus einer kohärent marxistischen Auffassung der Gesellschaftsentwicklung zu speisen. So betonte zum Beispiel der Delegierte Vittorio Gherson die Notwendigkeit, die Lebensbedingungen der Fischer zu erleichtern, die von wenigen Bootsbesitzern ausgenützt würden. Zu diesem Zweck schlug er ein detailliertes und konkretes Reformprogramm vor, das die Eröffnung von Berufsschulen und berufsbildende Vorträge vorsah, die Abschaffung der Steuerabgaben für die Fischer Istriens und Dalmatiens verlangte, die Einführung von staatlichen Kreditkassen und Formen der Versicherung für die Boote und die Fischfanggeräte anvisierte, die Möglichkeit vorschlug, billiges Salz einzukaufen und die Fangerträge direkt zu verkaufen, sowie Verbindungen zu den Arbeitern der Konservenindustrie herzustellen. Der Delegierte Giuseppe Benussi aus Rovigno forderte die Entfernung der Fischer aus Chioggia (nahe Venedig) von den istrischen Küsten, da sie mit den hiesigen konkurrierten49. Giuseppe Pugliese aus Isola und Luigi Sisto aus Cormons (Kormin, in der Grafschaft Görz und Gradiska) gaben dem Wunsch nach klaren Anweisungen seitens der Partei für ein Programm zugunsten der Bauern Ausdruck, während Benussi und der Delegierte aus Zara, Antonio Calich, berichteten, dass die sozialistische Agitation auf dem Land bereits Erfolge gezeitigt habe50. Die zugunsten der Fischer ausgearbeiteten Vorschläge wurden von Wilhelm Ellenbogen verworfen, da sie „zu bürgerlich“ seien. Hinsichtlich der Bauernfrage wurde beschlossen, eine Kommission zu bilden51. Der deutschösterreichische Sozialismus war in der Tat nicht imstande, ein wirkungsvolles Programm für die Landbevölkerung mit Klein- und Kleinstbesitz auszuarbeiten52, da sich seine Verbreitung hauptsächlich auf die Städte beschränkte. 49 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 255, Polizeibericht über den ersten Parteitag der adriatischen Sektion der sozialdemokratischen Partei in Österreich, abgehalten in Triest am 25. und 26. Dezember 1897. 50 Ebd. 51 Ebd. 52 K. Kautsky, Die Agrarfrage. Eine Übersicht über die Tendenzen der modernen Landwirtschaft und die Agrarpolitik der Sozialdemokratie, Stuttgart 1899. Für eine Rekonstruktion der Debatte über die Agrarfrage innerhalb der Zweiten Internationale vgl. H.G. Lehmann, Die Agrarfrage in der Theorie und Praxis der deutschen und

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Anfängliche lokale Versuche wurden nach und nach aufgegeben oder entmutigt, als man sich im nachhinein auch in Randgebieten an der Parteilinie orientierte, so wie sie auf den Gesamtparteitagen ausgearbeitet wurde. Zur Agrarfrage wurde gemäß der von Karl Kautsky gelieferten theoretischen Systematisierung des Problems die Figur des entlohnten Landarbeiters im Hinblick auf das baldige Verschwinden des Kleinbesitzes sehr stark hervorgehoben. In der deutschen Sozialdemokratie wurden nach einigen, hauptsächlich im Bereich der landwirtschaftlichen Genossenschaften von den bayerischen Sozialdemokraten durchgeführten Experimenten, auf dem Breslauer Parteitag des Jahres 1895 die Thesen Kautskys wieder aufgegriffen, wonach gegenüber den Kleinbauern ausschließlich eine sozialistische Agitation allgemeiner politischer Art durchgeführt werden sollte. Die österreichische Sozialdemokratie machte sich die Positionen der deutschen Genossen völlig zu eigen und bestätigte sie im Jahre 1900 auf dem Parteitag der deutschen Sektion in Graz und 1901 auf dem Gesamtparteitag in Wien, auf dem Victor Adler in resolutem Ton erklärte, dass die Partei weder beabsichtigte, den Bauern und Kleinbürgern hinterherzulaufen, noch sich ihrer Meinung anpassen werde53. In Graz war es Wilhelm Ellenbogen gewesen, der einen Vortrag über die Bauernfrage gehalten und ein Programm aufgestellt hatte, das in erster Linie darauf abzielte, die bäuerliche Realität soweit wie möglich jener der Fabrik anzugleichen, wobei auch die Grenzen der staatlichen Intervention erweitert (oder die den Gemeinden verbleibenden Befugnisse verstärkt) werden sollten. Im Dokument Ellenbogens gab man dem Wunsch nach landwirtschaftlichen Modernisierungs- und Verbesserungsinitiativen seitens der öffentlichen Hand Ausdruck und begrüßte die Erweiterung des öffentlichen Grund- und Bodenbesitzes (insbesondere an Wäldern, Weiden und Wasserkraftquellen). Vor allem aber wurden programmatisch die Interessen der Landarbeiter vertreten, die in Bezug auf Arbeitsverhältnis, Schutzformen, Kontrolle der Arbeitsbedingungen und Koalitionsrecht vollkommen den Industriearbeitern gleichgestellt werden sollten. Es wurde weiterhin, wie üblich, eine Verstärkung der sozialistischen Propaganda unter der Landbevölkerung gefordert54. Das Scheitern der Propagandakampagne im Görzer Gebiet und in Dalmatien ist wahrscheinlich auf das wenig überzeugende Programm für die Bauern zurückzuführen. In Görz sahen sich die Sozialisten einem detaillierten und internationalen Sozialdemokratie. Vgl. auch H.J. Steinberg, Sozialismus und deutsche Sozialdemokratie. Zur Ideologie der Partei vor dem 1. Weltkrieg, Hannover 1967, S. 83. 53 H.G. Lehmann, Die Agrarfrage in der Theorie und Praxis der deutschen und internationalen Sozialdemokratie, S. 211 ff.; Protokoll über die Verhandlungen des Gesamtparteitages der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Österreich, Wien 1901, S. 97. 54 K. Kautsky, Das Agrarprogramm der österreichischen Sozialdemokratie, in: Die Neue Zeit, 18 (1900), S. 782-792.

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konkreten Programm der Volks- und christlich-sozialen Parteien gegenüber, das auf einer Revision der Pachtverträge und auf dem ländlichen Genossenschaftswesen basierte, während in Dalmatien die Anweisungen der lokalen Aktivisten, eine genossenschaftliche Organisation der Bauern zu fördern, von den Zentralorganen nicht unterstützt wurden55. Als Vertreter Istriens in der adriatischen Parteizentrale wurde der Delegierte aus Pola, Cossutta, gewählt. Trotz der dortigen Konzentration eines modernen Industrieproletariats konnte sich der Sozialismus angesichts eines bereits bestehenden Netzes loyalistisch orientierter Vereine und des halbmilitärischen Status der Arsenalarbeiter auch in Pola nur schwer behaupten56. In den nachfolgenden Jahren wurde Pola dann immerhin das bedeutendste sozialistische und gewerkschaftliche Zentrum Istriens. Von den Arbeiterhilfsvereinen blieb nur die national-italienisch orientierte Fratellanza operaia polense weiterhin bestehen. Die Stadt wurde als natürlicher Mittelpunkt des istrischen Sozialismus betrachtet, in ihr befand sich die Redaktion der Zeitschrift „Il Proletario“, der Sitz des sozialistischen Provinzausschusses sowie ab 1907 eine Provinzsektion der südslawischen Sozialdemokratie. Auf dem 1907 in Isola abgehaltenen Provinzparteitag der istrischen Sozialisten bestand die Delegation aus Pola nicht nur aus Vertretern der Partei, sondern auch aus Repräsentanten der Genossenschaften, des Circolo di Studi Sociali und der Jungen Sozialisten. Es nahmen außerdem Delegierte der Mechaniker, Metallarbeiter und Kesselschmiede, der Maurer, Steinmetze und Maler, der Schuster und der Schreiner teil. In keiner anderen Stadt Istriens wies die sozialdemokratische Arbeiterbewegung eine dermaßen artikulierte Struktur auf 57. 55 Auf dem IV. Parteitag der adriatischen Sektion der Partei im Jahre 1904 schlug der Delegierte Dorbič die Gründung von Bauernkooperativen für den Weinverkauf vor. Dieser Vorschlag fand offensichtlich kein Gehör (Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1904, S. 21). Im Unterschied zur deutschen und österreichischen Sozialdemokratie wandte die italienische sozialistische Partei eine pragmatische Politik gegenüber der Landbevölkerung an. Diese war von Erfolg gekrönt, denn keiner anderen Partei der Internationale gelang eine derart tiefe Verwurzelung unter den Landarbeitern. Die große Mitgliederzahl unter der Landbevölkerung (und nicht nur unter den Landarbeitern) war eines der besonderen Merkmale der italienischen Arbeiterbewegung; R. Zangheri, I socialisti italiani e la questione agraria, in: Studi storici, 33 (1992), S. 263-283; M. Degl’Innocenti, Qualche considerazione in tema di protagonismo rurale e socialismo in Italia tra Ottocento e Novecento, in: M. Cattaruzza (Hrsg.), Trieste, Austria, Italia tra Settecento e Novecento, Udine 1996, S. 469-501. 56 Vgl. oben Anm. 23. 57 T. Crnobori, La donna nel movimento operaio in due discorsi di Giuseppina Martinuzzi a Pola nel 1898 e nel 1900 (Centro di ricerche storiche, Rovigno. Quaderni, 4), Rovigo 1974-1977, S. 247-262; ders., Le prime società operaie in Istria, S. 61-63;

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Die von der Triester Lega socialdemocratica bereits in den Jahren 18971898 mit sehr viel Eifer durchgeführte Propagandatätigkeit bestätigt die auf der Halbinsel herrschende politische und soziale Rückständigkeit. Im August 1897 wurde ein Ausflug von Sozialisten aus Triest und Pola über das Meer nach Rovigno, dem eine Versammlung folgen sollte, von den Behörden untersagt, welche außerdem eine große Anzahl Polizeikräfte einsetzten, die drei Verhaftungen vornahmen. Die offizielle Begründung dieser Maßnahmen war die Verhütung von Ausschreitungen zwischen den gegnerischen Faktionen und vor allem von möglichen Zusammenstößen mit den vom kämpferischen Pfarrer Bernardo Malusà angeführten Katholiken58. Obwohl die vom örtlichen Kommissar Biagio de Costantini vorgebrachten Gründe für das Verbot der Manifestation offenbar nur als Vorwand dienten, kann man dem vom Kommissar an den Stadtmagistrat abgesandten Bericht entnehmen, dass sich unter den ersten Anhängern des Sozialismus in Rovigno ein bedeutender Prozentsatz von Vorbestraften befand. Von sechsunddreißig Manifestanten, die sich zum Empfang der Genossen aus Pola und Triest (insgesamt ungefähr hundert) versammelt hatten, hatten zehn Strafen wegen Diebstahl oder Körperverletzung verbüßt. Andere wurden allgemein als „lasterhaft“ oder als Landstreicher bezeichnet. Hinsichtlich des moralischen und sozialen Profils der Sozialisten aus Rovigno vermerkte der Kommissar: „Abgesehen von wenigen Arbeiterinnen in der Tabakfabrik und einigen unerfahrenen Jugendlichen sind alle anderen lasterhaft und zum Großteil eine Gefahr für die Personen und den Besitz. Diese Individuen, die den Sozialismus auf ihre Art auslegen, reden bereits seit geraumer Zeit in den Wirthäusern und anderen Treffpunkten davon, dass der Besitz aufgeteilt werden und es keine Klassenunterschiede mehr geben soll, dass alle Genossen sein werden und der Arme kein Elend mehr spüren wird“59.

Auch durch die Brille eines österreichischen Polizeibeamten gesehen, vermittelt diese Beschreibung etwas von den naiven Hoffnungen und den palingenetischen Vorstellungen, die in der Anfangsphase der Verbreitung des Sozialismus unter den unteren Volkschichten, wie den Kleinbauern und Handwerker des istrischen Küstenlands, herrschten. Auch in der nachfolgenden Zeit ging die Obrigkeit mit äußerster Strenge gegen die Sozialisten in Rovigno vor. Im Oktober und Dezember des Jahres P. Sema, La lotta in Istria, S. 97-101. Bereits auf dem außerordentlichen Parteitag des Jahres 1900 hatte der Delegierte aus Rovigno, Giuseppe Benussi, die Eröffnung eines autonomen Sekretariats in Pola für die Propaganda in Istrien vorgeschlagen; M. Budicin, I primi convegni socialisti istriani (1902-1907), (Centro di ricerche storiche, Rovigno. Quaderni, 6) Rovigo 1981-1982, S. 8-44, hier S. 12, 30 f. 58 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 300, Bericht des Kommissars Biagio de Costantini an den Stadtmagistrat, 31. August 1897. 59 Ebd.

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1897, während der Vorbereitung der bereits erwähnten Teilnahme am Parteitag des Küstenlandes, konnten die Sozialisten Versammlungen lediglich auf Einladung veranstalten, wobei sie die Teilnehmerlisten zuvor der Polizei zur Prüfung vorlegen mussten. Im Jahre 1898 wurde eine öffentliche Versammlung, unter deren Rednern sich auch Carlo Ucekar befand, durch die Mobilisierung von dreihundert Bauern verhindert, die Pfarrer Malusà anführte. Im Oktober desselben Jahres sahen sich die Sozialisten gezwungen, sich in einem Privathaus zu versammeln, da ihnen die Behörden sogar eine Versammlung auf Einladung in einem öffentlichen Lokal verboten hatten. Was die soziale Zusammensetzung dieser ersten sozialistischen Bewegung in Rovigno betrifft, so trifft man auf eine bedeutende Präsenz von Schustern sowie einige Fischer, Bauern und einzelne Angehörige traditioneller Handwerksberufe60. Noch heftiger war im Juli 1899 die antisozialistische Reaktion in Pirano. Auch hier war ein Ausflug der Triester Sozialisten auf einem Dampfer geplant worden, dem sich ein Umzug und eine Rede Carlo Ucekars anschließen sollte. Der diesmal von den Liberalnationalen organisierten, antisozialistischen Mobilisierung schlossen sich Tausende von Personen an; es kam zu körperlichen Angriffen und Verwundungen. Antisozialistische Tumulte fanden im Jahre 1906 auch in Gallesano und 1911 in Visinada (Vižinada) statt. Im Jahre 1913 verhinderten Polizeikräfte sogar die Ausschiffung sozialistischer Manifestanten von einem Dampfer61. Im Vergleich zur Situation in Istrien scheinen in Triest die Beziehungen zwischen den politischen Kräften untereinander und zwischen diesen und der Obrigkeit bereits in den Sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts von einem durchaus liberalen Klima geprägt gewesen zu sein. Es kam seitens der Honoratioren zu keinerlei Versuchen, auch nicht in den Anfangsjahren der sozialdemokratischen Organisation, die Entwicklung der Arbeiterbewegung zu verhindern, und soweit diese sich in den Grenzen ihrer Satzungen hielt, konnte sie ihre politische Tätigkeit frei entfalten. Dies ist auf den größeren Pluralismus der politischen Kultur in der Adriametropole, die Präsenz einer starken demokratischen Komponente innerhalb der ersten liberalen Bewegung und auch auf das manchmal gespannte Verhältnis der Vertreter des Staates zur liberalen Führungsschicht zurückzuführen. Unter diesen Umständen

60 M. Budicin, Dieci documenti sulle origini del movimento socialista a Rovigno alla fine del XIX secolo. 61 G. Piemontese, Il movimento operaio a Trieste, S. 103-105. Bezüglich der Stellungnahme der sozialistischen Partei des Küstenlandes und Dalmatiens zu den Vorfällen in Pirano vgl. den am 31. Juli 1899 veröffentlichten und von Carlo Ucekar und Antonio Gerin unterzeichneten Anschlag, in: AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 300; E. Apih, Qualche testimonianza e qualche considerazione per la storia del socialismo in Istria, S. 245 f.

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wurden zu bestimmten Anlässen die Sozialisten gar als eine für die Integrität des Staates weniger gefährliche Partei als die politisch unzuverlässigen und national suspekten Liberalnationalen betrachtet. Zur Ermutigung der istrischen Genossen wurde der zweite Parteitag 1899 in Pola abgehalten. Es wurde dort hauptsächlich über die zu verfolgende Wahltaktik diskutiert, nachdem sich von der liberalnationalen Partei der radikale Flügel der Associazione democratica abgespalten hatte. Beschlossen wurde eine intransigente Linie, die jedoch auf dem Parteitag des Jahres 1902 zugunsten einer pragmatischeren Taktik wieder in Frage gestellt wurde62. Vor der Reform des Jahres 1908 war es für die Sozialisten Triests und Istriens faktisch unmöglich, eigene Vertreter in die jeweiligen Landtage wählen zu lassen. Was die Organisationsstruktur der Partei betraf, wurde auf dem Parteitag des Jahres 1899 der Vorschlag angenommen, dass die Parteizentrale ausschließlich aus Triester Sozialisten bestehen sollte, wobei den istrischen Sozialisten eine gewisse Autonomie zugestanden wurde. Um die Kandidaturen von Carlo Ucekar und Etbin Kristan zu festigen, war die zum außerordentlichen Parteitag des Jahres 1900 entsandte istrische Delegation besonders zahlreich mit Vertretern aus Albona, Isola, Muggia, Rovigno, Pola und, zum ersten Mal, auch aus dem Landesinneren (Mitterburg) vertreten. Zu diesem Anlaß schlug der Delegierte aus Rovigno, Benussi, die Einsetzung eines selbständigen Sekretariats in Pola für die Propaganda in Istrien vor. Die Kandidatur Kristans führte zu Missstimmungen, sodass einige Intellektuelle die Partei verließen. In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass damals die südslawische Sektion in Istrien noch keine eigene Organisationsstruktur besaß, sodass die Kandidatur Kristans als eine vollkommen abstrakte Huldigung an den Internationalismus verstanden werden konnte. Auf dem regionalen Parteitag im Januar 1902 machte Lazzarini erneut mit Nachdruck auf die Bauernfrage aufmerksam und legte eine detaillierte Analyse der Bedürfnisse der verschiedenen Gruppen von Landarbeitern, wie Tagelöhner, Pächter und die große Masse der Kleinbesitzer, vor. Auch Lajos Domokos betonte in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit, die Parteiorganisation den Bedürfnissen der Bauern anzupassen und „Versicherungsvereine für das Vieh, genossenschaftliche Lagerhäuser und Trockenöfen für die Kokons“ ins Leben zu rufen, um „nach und nach … jene Vereine zu gründen, die den Bedürfnissen jener Menschen am besten genügen“. Der Parteitag nahm die Vorschläge von Lazzarini und Domokos an und stellte eine Tagesordnung auf, nach der eine eigene Kommission Satzungsmodelle nicht nur für die Tagelöhner, sondern auch für die Pächter- und

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Kleinbesitzerorganisationen – letztere mit Genossenschaftscharakter – aufstellen sollte63. Das aus dem Parteitag von 1902 hervorgegangene Parteisekretariat bestand wiederum nur aus Triestern. Die Arbeiterbewegung des Küstenlandes erhielt durch den Generalstreik im Februar, die größte Protestkundgebung jenes Jahres in der Monarchie, neuen Schwung. Als Reaktion auf den Streik in Triest organisierten die Arbeiter von Pola und Fiume Solidaritätsstreiks, während in Trient, Wien und Prag Protestkundgebungen stattfanden64. Im Zuge der Triester Ereignisse erlebte die 1901 gegründete Confederazione operaia in Fiume neuen Aufschwung und die Zahl ihrer Mitglieder stieg rasch auf über 2.00065. Von da an wurde auch in Istrien der Erste Mai mit öffentlichen Aufmärschen gefeiert66. Mit dem wachsenden Zuspruch aus der Bevölkerung festigte sich auch die Organisationsstruktur der sozialistischen Bewegung in Istrien. Im November 1902 fand in Pola der erste Provinzparteitag statt, auf dem eine Organisationsstruktur aus Komitees beschlossen wurde, die überall dort gegründet werden sollten, wo es Sozialistengruppen gab, und von denen jede einen Vertreter für den istrischen Provinzausschuss wählen sollte67. Die unterschwellig bestehenden Spannungen mit dem Triester Zentrum traten auf dem ordentlichen Parteitag der adriatischen Sektion im Januar 1904 offen zutage, nachdem es Valentino Pittoni gelungen war, zu verhindern, dass die istrischen Provinzorgane volle Autonomie bei der Ausarbeitung ihrer politischen Linie erlangten, ohne dabei einer Kontrolle durch die Exekutive zu unterstehen. Als Entgegnung auf die Beschlüsse des Parteitags der adriatischen Sektion schrieb ein Redakteur der Zeitschrift „Il Proletario“ aus Pola im April desselben Jahres, dass „kein vorhergehender Beschluss vorsieht, dass unter der

63 Ebd., S. 12; T. Crnobori, La donna nel movimento operaio in due discorsi di Giuseppina Martinuzzi, S. 250. 64 P. Sema, La lotta in Istria, S. 58; T. Quarantotto, Le origini del movimento socialista a Rovigno (Centro di ricerche storiche, Rovigno. Quaderni, 2), Rovigo 1972, S. 495-515, insbesondere S. 497 f.; D. Foretić, Generalniu štraik radnika u Trstu u povudu štraika Lloydovih lozaca godine 1902, in: Pomorski zbornik, (1962), 1-2, S. 1675-1698; E. Maserati, Il movimento operaio a Trieste, S. 171. 65 I. Krota / I. Zurek, Zapisnici skupština radničkog saveza za Rijeku i njeno područje 1901. i 1902. godine, in: Vjesnik. Historijskih archiva u Rijeci i Pazinu, 22 (1978), S. 21-36 und 24 (1981), S. 69-126. 66 Protokoll über die Verhandlungen der Sozialdemokratischen Partei in Österreich, Wien 1903, S. 33; T. Quarantotto, Le origini del movimento socialista a Rovigno, S. 497 f. 67 M. Budicin, I primi convegni socialisti istriani, S. 14 f.; Il nostro Congresso regionale, in: Il Proletario, 11. November 1902.

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Aufsicht von Spezialorganen [damit war die Triester Exekutive gemeint, MC] einer ganzen Provinz die Vasallenschaft auferlegt wird“68.

Die nationale Frage im istrischen Sozialismus Auf dem zweiten, in Buje im Oktober des Jahres 1904 abgehaltenen istrischen Provinzparteitag stand als zentrales Thema die „nationale Frage“ zur Debatte. Die auseinander gehenden Meinungen traten nun in ihrer ganzen Unvereinbarkeit zutage. Die Diskussion wurde von Giuseppe Lazzarini und von Giuseppe Tuntar dominiert, der dem Parteitag die einige Monate später in der Broschüre „Socialismo e questioni nazionali in Istria“ veröffentlichten Thesen unterbreitete. Lazzarini wies darauf hin, dass gemäß den Brünner Beschlüssen die Sprache lediglich der Verteidigung der eigenen Kultur dienen dürfe und nicht dem Angriff auf andere Volksgruppen, und demnach eine Nationalität nicht nach einer Ausdehnung des Gebrauchs der eigenen Sprache zu Lasten der anderen Idiome streben solle. Demzufolge hätten die Italiener in Istrien, die sich dem Nationalismus ihrer eigenen Rasse widersetzten, auch den Nationalismus der anderen bekämpfen müssen. Am Schluss der Diskussion wurde über ein von Lazzarini vorgeschlagenes und von Pittoni abgeändertes Traktandum abgestimmt, demgemäß in Istrien „nationale Autonomien“ angestrebt werden sollten und das die Partei darauf verpflichten sollte, sich dafür einzusetzen, dass „jedes Volk zusammen mit seiner Kultur frei und selbständig seine ethnischen, politischen und wirtschaftlichen Ziele verfolgen möge“. Dieser Antrag war letztlich ein Kompromiss zwischen dem streng internationalistischen Standpunkt Valentino Pittonis, für den das nationale Problem einen rein kulturellen Charakter hatte, und den Positionen von Lazzarini, einem Verfechter der italienischen Kulturnation und Befürworter der Auflösung der Donaumonarchie und der völligen politischen und nationalen Autonomie ihrer Völker. Im selben Jahr 1904 hatte Giuseppe Lazzarini die Lebensbedingungen der verschiedenen Völker der Habsburger Monarchie mit denen von wilden Tieren verglichen, die zusammen in einem Käfig eingesperrt seien. Österreich hatte er „eine geschichtliche Übergangsform wie die Türkei“ genannt und sich hinsichtlich einer Reformierbarkeit des Vielvölkerstaates sehr skeptisch geäußert69. M. Budicin, I primi convegni socialisti istriani, S. 15 f. Ebd., S. 20; Secondo Convegno dei socialisti istriani, Buie 30 ottobre 1904, in: Il Proletario, 2. November 1904. Zu den Einstellungen Lazzarinis vgl. Socialisti e nazionalisti in Istria, in: Il Proletario, 14. Mai 1904. Hier behauptete der Baron aus Albona unter anderem: „Für uns Sozialisten zählt der Sozialismus in Österreich nur bedingt, da wir wissen, dass Österreich eine historische Übergangsform wie die Türkei ist; uns ist jedoch sehr an jenem [dem Sozialismus] der ganzen Welt gelegen, und zwar aufgrund seiner großen menschlichen Ziele sowie jener besonderen [Ziele], 68 69

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Im Vergleich zum Brünner Programm weist der in Buje verabschiedete Antrag eine gewisse Zwiespältigkeit auf, die angesichts des schwierigen Wegs bis zu seiner Verabschiedung verständlich ist. In Anbetracht der Bestätigung des kulturellen Charakters der Nation wird etwas obskur die Autonomie ihrer ethnischen und politischen Schicksale gefordert – eine Formulierung, die zu verschiedenen Auslegungen Hand reicht. Die Verabschiedung des Beschlusses markiert auf jeden Fall einen bedeutenden Moment für den istrischen Sozialismus, da in ihm ausdrücklich das Prinzip der Gleichberechtigung der verschiedenen Volksgruppen der Monarchie, einschließlich der Slawen Istriens, zum Ausdruck kommt. Ungeachtet der einstimmigen Verabschiedung des Antrags trat bei den Vorträgen des Parteitags zutage, dass die nationale Frage von den Sozialisten Istriens anders betrachtet wurde als in Triest. Für Giuseppe Tuntar, der das einleitende Referat zum Thema „Azione socialista in Istria e questioni nazionali“ hielt, bedeutete die Gleichberechtigung der Nationen, gemäß der Lehre von Ludwig Gumplowicz, Konkurrenzkampf bei gleichen Bedingungen – mit dem Zusatz, dass sich die verdienstvollere Nation behaupten sollte. Die Vorträge von Pittoni und Lazzarini veranlassten Tuntar, seine Thesen abzuändern und ihnen das Prinzip der Achtung der Rechte der slawischen Landbevölkerung hinzuzufügen. Er verzichtete jedoch nicht auf die Aufforderung, dass sich die Sozialisten den Übergriffen der slawischen Nationalisten in den italienischen Gemeinden entgegenzusetzen hätten, da diese, seiner Meinung nach, mit Hilfe des österreichischen Staates die Bedingungen des Kampfes, den die Italiener und Slawen zur Behauptung ihrer eigenen Nation führten, verzerrten70. die zur Lösung der nationalen Frage führen … Es ist zwecklos, dass man sich an mich wendet, um mich mit den deutschen, polnischen und ungarischen Genossen zur Befreiung Österreichs zu einigen, denn wir verstehen unter dieser Befreiung eine Befreiung der Völker, die nicht mehr wie wilde Tiere in einem Käfig aneinandergebunden leben, sondern ihre Probleme allein lösen wollen und sich die Zukunft wählen wollen, die jedem einzelnen Volk für seine ökonomischen und kulturellen Bestrebungen angemessen erscheint“. 70 M. Budicin, I primi convegni socialisti istriani, S. 21-24; Secondo Convegno dei socialisti istriani. Zur Einstellung Tuntars vgl. G. Tuntar, Socialismo e questioni nazionali in Istria. Siehe insbesondere S. 5: „Ludovico Gumplowics, der ehrwürdige Professor der Universität Graz, schreibt in einem seiner berühmten Werke: Man muss blind oder bar jeglichen Verstandes sein, um zu verneinen, dass der Kampf zwischen Volksgruppen Teil jenes ewigen Gesetzes ist, das im menschlichen Fortschritt die Begegnung und das Aufeinanderprallen von gleicherweise berechtigten, aber gegensätzlichen Interessen sieht. Und ein Gesetz der Natur, fährt unser Gumplowics fort, kann man wohl den veränderten sozialen Bedingungen anpassen, aber man kann es nie verleugnen. In diesen Zeilen liegt, unserer Meinung nach, die Lösung des Problems, die, falls sie angenommen wird, die sozialistische Partei aufgrund der großen Reife der wissenschaftlichen Disziplinen in eine unantastbare Stellung heben wird. Um es klar auszudrücken: Der Kampf zwischen Italienern und Slawen ist eine natürliche und

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Aus dem Tonfall, in dem „Il Proletario“ den in Buje verabschiedeten Beschluss kommentierte, geht hervor, dass die Frage nicht vollständig gelöst war. Wie die Poleser Zeitung behauptete, „hüteten wir Südländer uns nach den Brünner und Wiener Beschlüssen, die sozialen Vorteile, die aus der Verteidigung der ,italianità‘ entstehen, zu betonen, um die Symmetrie des internationalistischen Dogmas nicht durcheinander zu bringen“71. Es blieb außerdem Missstimmung hinsichtlich der Unterordnung unter die Triester Exekutive bestehen, der jedoch ab dem Jahr 1904 stets ein istrischer Delegierter angehörte72. Hinsichtlich des nationalen Problems blieben die Positionen der istrischen Sozialisten unvereinbar mit dem rigorosen und zuweilen dogmatischen Internationalismus der Triester. Paradoxerweise spiegelten erstere in ihrer Heterodoxie die nationalen Verhältnisse innerhalb der österreichischen Sozialdemokratie, die von starken Spannungen, Vorurteilen und zentrifugalen Tendenzen gekennzeichnet war (ein typisches Beispiel dafür ist der Fall der Tschechen), eher wider. Zweifellos warfen einige im „Il Proletario“ veröffentlichte Beiträge grundsätzliche Fragen auf, die nicht durch einen Verweis auf das Brünner Programm und die nachfolgenden Beschlüsse des Wiener Parteitages aus dem Weg zu räumen waren. Ein Leitartikel vom 6. August 1904 kritisierte zum Beispiel das Blatt „Il Lavoratore“ für seine Tendenz, die Verantwortung der nationalistischen Agitatoren für die nationalen Konflikte herunterzuspielen und sie ausschließlich dem habsburgischen Zentralismus zuzuschreiben73. Der anonyme Autor des Artikels wies darauf hin, dass an der Seite des staatlichen Zentralismus „große Kräfte, die wir als nationale bezeichnen würden“ am Werk seien, getragen „vom deutschen Kapital, das germanisiert … soviel es vermag, innen und außen, und die Begeisterung (andere nennen sie Frechheit), mit der eine äußerst vitale Rasse für den Traum eines Großen Kroatiens und für ein Russland, das die gesamte Adria beherrscht, kämpft“. Abschließend wurde die Kleinmütigkeit der italienischen Sozialisten bei der Verteidigung nationaler Forderungen bedauert und mit der Haltung der slawischen Sozialisten kontrastiert, „die nie vergessen, solche zu sein und es manchmal sogar soziale Angelegenheit: der Ausgang der Spannung ist der Zeit vorbehalten, hängt aber auch von anderen Faktoren ab, deren Aufzählung überflüssig ist. Es liegt daher an uns, diese aufgetauchten Faktoren zu beseitigen und danach zu streben, dass dieser Kampf zu gleichen Bedingungen geführt wird“. 71 M. Budicin, I primi convegni socialisti istriani, S. 26; Il significato del Convegno di Buie, in: Il Proletario, 9. November 1904. 72 M. Budicin, I primi convegni socialisti istriani, S. 26 f. Vgl. auch: Il significato del Convegno di Buie. 73 Irredentismo ed impreparazione socialista, in: Il Proletario, 6. August 1904.

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übertreiben“74. Giuseppe Tuntar, begeisterter Anhänger der Thesen von Gumplowicz über die unterschiedliche kulturelle Vitalität der menschlichen Rassen, vertrat in Fragen des nationalen Kampfes eine noch härtere Position. Tuntar nahm sich der Verteidigung der italienischen Volksgruppe in Istrien stärker an als jeder andere adriatische Sozialist, da er in ihr das Potential zu einer im sozialistischen Sinne fortschrittlichen Entwicklung sah, das er bei den angeblich rückständig-klerikalen slawischen Massen nicht erkannte. In einem Artikel vom 12. Oktober 1904 schrieb er zum Beispiel: „… angesichts der Rückständigkeit der slawischen Bevölkerung, der es noch nicht gelungen ist, die von einem ebenfalls rückständigen Bürgertum genährte Kruste der intellektuellen Perversion zu sprengen, endet jeder Übergriff zum Schaden des italienischen Elements schließlich und endlich in einem zivilisatorischen Rückschritt, in der Stockung jeglicher humanitären Idee, und ist indirekt ein Schlag gegen die sozialistische Agitation“. Abschließend richtete Tuntar einen Appell an die italienischen Gemeinden, auf dass sie sich in Festungen verwandelten „von welchen die Forderungen jeglicher Art und der Respekt vor der Freiheit und der Entwicklung der anderen ausstrahlen sollen“. Andernfalls „wird man nicht nur dem Verschwinden einer ethnisch-kulturellen Gruppe, sondern auch dem trostlosen Elend der proletarischen Aktion und dem ‚Wiederaufkommen‘ latenter und unterdrückter Kräfte beiwohnen“75. Im April 1905 bekräftigte Tuntar seine Thesen und berief sich dabei nachdrücklich auf Gumplowicz und auch auf Marx, der – insbesondere in seinen während der Unruhen des Jahres 1848 verfassten Schriften – die slawische Bevölkerung des Habsburgerreiches sehr hart beurteilt hatte. „Nach Absetzung gewisser gleichmacherischer Hohlheiten“, beteuerte Tuntar, „die den neuen Erkenntnissen des modernen Positivismus entgegengesetzt sind, muss sich unsere Partei jene vortrefflich sozialistische, besser gesagt, marxistische, Idee zu eigen machen, die den sich in ständiger Evolution befindlichen politischen Gruppen auferlegt, sich auf die am meisten entwickelten und sich ihrer Stärke bewussten Volksstämme zu stützen; ein sicher sehr grober und praktischer Gedanke, der jedoch stets die Triebfeder der großen Ereignisse in der Geschichte war und auch zukünftig sein wird und in das unerbittliche Urteil von Gumplowicz mündet: ‚Die Starken dominieren‘“76. Noch radikalere Stellungnahmen zum nationalen Problem erschienen in einem anonymen Artikel vom 13. Mai 1905, in dem die Überlegenheit der Ebd. G. Tuntar, La nostra politica estera, in: Il Proletario, 12. Oktober 1904. 76 G. Tuntar, Azione passata e futura del partito socialista istriano, in: La Terra d’Istria, 22. April 1905. 74 75

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italienischen Nation gegenüber den Slawen beteuert wurde: „wir können nicht zulassen“, hieß es in diesem, „dass an den politischen und sozialen Kämpfen die unbewussten und versprengten Kräfte teilnehmen, die nicht jene materielle und moralische Einheit, die Mazzini als Volk bezeichnet, erreicht haben“. Der Verfasser behauptete weiterhin, dass die Italiener einen reiferen Freiheitsbegriff besäßen als die Slawen, und er schloss mit den Worten, dass „die sozialistische Aktion in diesem Gebiet vorwiegend italienischen Charakter hat, da die „italianità das beste Mittel für den sozialen Kampf ist; und wir geben unserer Tätigkeit notwendigerweise nicht nur die äußere Form, sondern auch jene psychologische Regung, die derjenigen Nationalität, in der wir uns stärker als Menschen und stärker als Sozialisten fühlen, eigen ist“. In Bezug auf den slawischen Sozialismus im Küstenland wurde weiterhin, und nicht zu Unrecht, bemerkt: „Warum musste ein slawisches Sozialistenkomitee, das seinen Sitz in Triest hatte, verkommen und sich aufgrund einer beispiellosen Trägheit auflösen? Vielleicht durch unsere Schuld? Und nicht durch die Schuld seiner eigenen Umgebung? Wir werden nicht nur behaupten, dass das slawische sozialistische Komitee in Istrien nichts zuwege gebracht hat, sondern dass wir selbst jedes Mal versagt haben, wenn wir versuchten, für die Slawen Propaganda zu machen“77. Es muss tatsächlich betont werden, dass in diesem Gebiet in jenen Jahren sowohl eine Organisationsstruktur als auch jegliche Aktivität der slowenischen und kroatischen Sozialdemokratie gänzlich fehlte, sodass auch die kroatischen Sozialisten gezwungen waren, sich der italienischen Partei anzuschließen. Die südslawische Parteisektion für Istrien wurde erst später, im Jahre 1907, in Pola anlässlich der ersten allgemeinen, männlichen Wahlen gegründet und stellte auch eine Reaktion auf die Tatsache dar, dass die italienischen Sozialisten bei der Stichwahl einen liberalnationalen Kandidaten gewählt hatten78. Auf dem Parteitag in Buje stand erneut die Agrarfrage zur Debatte – für die lokalen Sozialistenführer das zentrale Problem im Hinblick auf die Behauptung des Sozialismus in der Region. Auch in Bezug auf dieses Thema hielt Valentino Pittoni am Grundsatz fest, „dass man angesichts von Vorschlägen zur Verbesserung der Situation der Kleinbesitzer „nicht vom allgemeinen sozialistischen Programm abweichen könne“ und dass bäuerlicher Grundbesitz angesichts der Abhängigkeit des Bauern vom Kapitalisten illusorisch sei79. Lazzarini gelang es jedenfalls, einen Antrag gegen den Wucher 77 Il necessario orientamento del partito internazionale in Istria, in: La Terra d’Istria, 13. Mai 1905. 78 M. Budicin, I primi convegni socialisti istriani, S. 26; I. Regent, Spomini, S. 59, 79-81. 79 Secondo Convegno dei socialisti istriani.

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und zugunsten des Istituto di Credito Fondiario verabschieden zu lassen, wobei er gleichzeitig auch für die Entwicklung aller möglichen Formen der Kooperation auf dem Lande plädierte80. In den nachfolgenden Jahren wurden Sparkassen für Bauern und Arbeiter und landwirtschaftliche Genossenschaften in Momiano, Visinada, Pirano, Mitterburg und Albona gegründet. Bereits im Jahre 1903 war in Momiano eine Lega agricolo-operaia mit den Merkmalen eines gegenseitigen Hilfs- und Bildungsvereins gegründet worden. Später, im Jahre 1906, entstand eine genossenschaftliche Molkerei81. Einen ausgeprägteren genossenschaftlichen Charakter wies der im Jahre 1904 gegründete Banco cooperativo agricolo-operaio di prestiti e risparmi in Visinada auf. Im Paragraphen 2 seiner Satzungen hieß es: „Zweck des Vereins ist die materielle und moralische Verbesserung der Lebensbedingungen seiner Mitglieder, indem er ihnen in der in dieser Satzung bestimmten Art und Weise das für die Ausübung ihrer Geschäfte, ihrer Landwirtschaft und ihres Gewerbes notwendige Geld zur Verfügung stellt und die Spartätigkeit fördert“. Im Artikel 3 wurden die Initiativen aufgezählt, welche die Gesellschaft zur Verwirklichung ihrer Satzungszwecke unternehmen wollte: „1. Der Sammeleinkauf landwirtschaftlichen Materials zur Verteilung an die Mitglieder, ohne jedoch ein Lager für diese Waren zu führen; 2. der Kauf von Landwirtschaftsmaschinen mit dem Vereinsvermögen, um sie an die Mitglieder zu vermieten; 3. für den Sammelverkauf der landwirtschaftlichen Erzeugnisse der Mitglieder zu sorgen; 4. die Gründung unabhängiger Gesellschaften für die Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse sowie unabhängiger Vereine, um die Produktion, den Verkauf und den Konsum zu fördern und Darlehen und Sparkassenkredite in den von diesem Statut vorgeschriebenen Grenzen zu gewähren“82. Die Gründung des Banco cooperativo agricolo operaio di prestiti e risparmi di Visinada stellte, ungeachtet der effektiv erzielten und schwer zu bewertenden Resultate, den kohärentesten Versuch eines Programms zugunsten der Bauern dar und war am ehesten an die Lebens- und Arbeitsbedingungen der istrischen Landbevölkerung angepasst. Weitere Initiativen im Vereinswesen, wie die Gründung von Lesezirkeln für Arbeiter und Bauern in Montona (Mozovun), in Pinguente (Buzet), in Torre, Valle (Bal) und Canfarano (Kanfaran) sowie von sozialistischen Zirkeln in 80 Ebd. Die sozialistische Presse Istriens widmete dem Problem der Kleinbesitzer große Aufmerksamkeit. Vgl. z.B. Ad un piccolo proprietario rurale, in: Il Proletario, 12. Juni 1902; Il credito in Istria, ebd., 11. Juni 1902; Occupiamoci della terra!, ebd., 10. August 1904. 81 M. Budicin, Contributo alla conoscenza degli inizi del movimento socialista nelle borgate istriane (Centro di ricerche storiche, Rovigno. Quaderni, 5), Rovigo 1978-1981, S. 7-75; ders., I primi convegni socialisti istriani, S. 30. 82 M. Budicin, Contributo alla conoscenza degli inizi del movimento socialista, S. 33.

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Buje und in Dignano (Vodnjan) ahmten in immer stärkeren Maße Vorbilder des sozialistischen Vereinslebens in Triest nach83. Im Jahre 1904 gelang es den Sozialisten, den Arzt Agostino Ritossa zum Bürgermeister von Visinada wählen zu lassen, und bei den Gemeindewahlen des Jahres 1906 in Albona wurden Sozialisten in den Gemeinderat gewählt. Bei den politischen Wahlen des Jahres 1907 konnte der Kandidat Lazzarini in Pola, Albona, Rovigno und Buje einen gewissen persönlichen Erfolg unter den Wählern verbuchen, auch wenn dieser nicht ausreichte, um in das Parlament gewählt zu werden. Im nachfolgenden Jahr wurden der Arzt Ritossa und der Kandidat aus Muggia, Zorzenon, als Abgeordnete in den Landtag gewählt84. Auch in Bezug auf die Erweiterung des Wahlrechts waren sich die istrischen Sozialisten der nationalen Verwicklungen wohl bewusst, sodass sich einige Exponenten gegen das vom österreichischen Parlament im Jahre 1905 verabschiedete erweiterte männliche Wahlrecht aussprachen, da, ihrer Meinung nach, die ungerechte Grenzziehung der Wahlbezirke die kroatischen Klerikalen begünstigt habe85. Im bedeutendsten Zentrum des istrischen Sozialismus, in Pola, nahm die Bewegung einen derart ausgeprägten italienischen Charakter an, dass sogar die Spitze der Kriegsmarine in Besorgnis geriet. In einem langen Bericht an das Regierungsoberhaupt ersuchten der Admiral Montecuccoli und der Vizeadmiral von Ripper um Einsetzung eines den Gemeindeorganen nicht untergeordneten staatlichen Polizeikorps in der Stadt. Zur Begründung dieser Forderung gaben sie neben dem starken Einfluss der Liberalnationalen die Tatsache an, dass die sozialistische Partei fast ausschließlich aus italienischen Elementen bestünde und das sie offen für einen Anschluss Istriens an das italienische Reich Propaganda mache. Diese Propaganda habe auch bei den Familien der slawischen Arbeiter, die im südlichen Teil der Halbinsel ansässig waren, einen gewissen Erfolg gezeitigt86. Die engen Beziehungen zur Triester Exekutive innerhalb der adriatischen Parteisektion wirkten sich für die istrischen Sozialisten widersprüchlich aus. Die Triester Agitatoren bemühten sich vor allem in den ersten Jahren unermüdlich um die Verbreitung der sozialistischen Prinzipien in der „Provinz“. Sie gründeten dort Filialen der Federazione dei lavoratori e delle lavoratrici

Ebd., S. 49 f.; M. Budicin, I primi convegni socialisti, S. 29 f. Ebd., S. 30-33; P. Sema, La lotta in Istria, S. 69, 98-100; Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1907, S. 28; Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1913, S. 20. 85 E. Vorano, I socialisti istriani e il suffraggio universale, in: La Terra d’Istria, 21. Juli 1906; La nuova distrettuazione, ebd., 21. Juli 1906. 86 AST, Statthalterei, Präsidialakten, Bd. 317, Bericht der ReichsministeriumsMarinesektion an den Ministerpräsidenten Max Wladimir Freiherr von Beck, Wien, 1. November 1906. 83 84

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und regten Lesezirkel für Arbeiter nach dem Vorbild jener in Triest an. Auch die genossenschaftlichen Initiativen, die sich anfangs selbständig entwickelt hatten, wurden innerhalb der Triester Struktur koordiniert und zentral geleitet87. Andererseits fungierte die Triester Exekutive als trait d’union zwischen istrischer Provinz und Parteizentrale in Wien und nötigte oft Lösungen auf, die der sozialen Struktur und den Besitzverhältnissen auf dem Lande nicht genügend Rechnung trugen. Anstatt den Realitäten ins Auge zu blicken, zog sie es vor, die auf den Gesamtparteitagen verabschiedeten Programme zu befolgen. Geradezu symbolisch für den istrischen Sozialismus war der Lebensweg des Barons Lazzarini, dieses unermüdlichen Verfechters eines umfassenden und pragmatischen Programms zur Modernisierung der Landwirtschaft, in dem der bäuerliche Kleinbesitz in ein artikuliertes Genossenschaftssystem eingegliedert werden sollte. Nach seinem Misserfolg bei den Wahlen des Jahres 1907 entfernte sich Giuseppe Lazzarini vom Sozialismus und übernahm die Leitung des internationalen Landwirtschaftsinstituts in Rom. Später ging er zum Faschismus über. Der istrische Sozialismus wies starke Verzahnungen mit dem linken Radikalismus auf; seine charakteristischen Züge bestanden in einem ausgeprägten Antiklerikalismus und einem starken nationalen Zugehörigkeitsgefühl, das sich in einem zuweilen naiven Stolz auf den Ruhm der Nation und ihre Literatur äußerte und Ausdruck einer Parteirealität war, in dem das intellektuelle Bürgertum sowie Handwerker- und Bauernstände überwogen. Innerhalb der Habsburgermonarchie wies diese Realität eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Trentiner Sozialismus88 und der Lage in den Gebieten mit gemischter deutscher und slawischer Bevölkerung (Steiermark, Kärnten) auf, in der eine ähnliche nationalpolitische Polarisierung zwischen einem deutschen, von liberalen und laizistischen Werten geprägten Element und einem slawisch-

87 Über die Tätigkeit der Federazione dei Lavoratori e delle Lavoratrici in Istrien und im Görzer Gebiet vgl. AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 314. Der Verein wurde im Jahr 1909 aufgelöst. Über die „Lesekabinette“ vgl. M. Budicin, Contributo alla conoscenza degli inizi del movimento socialista. Zum Zentralisierungsprozess der Genossenschaften vgl. E. Apih, Qualche testimonianza e qualche considerazione per la storia del socialismo in Istria, insbesondere S. 241-243. 88 Zur nationalen Haltung der Trentiner Sozialisten vgl. M. Cattaruzza, Il socialismo italiano in Austria: alcune riflessioni, jetzt in: dies., Trieste nell’Ottocento, S. 167-211. Bemerkenswerte Analogien über den Zerfall Österreichs weisen die Position Cesare Battistis, eines Sozialisten aus dem Trentino, der am Ersten Weltkrieg als Freiwilliger auf der Seite Italiens kämpfte und von Österreich als Verräter exekutiert wurde, und der ähnliche Gesichtspunkt Giuseppe Lazzarinis auf. Vgl. den Artikel des Letzteren: Socialisti e nazionalisti in Istria, in: Il Proletario, 14. Mai 1904, siehe oben Anm. 69.

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klerikalen Element anzutreffen war, was zu ähnlichen Ansprüchen kultureller Überlegenheit seitens der deutschen Sozialisten und zur Verteidigung der Vorherrschaft ihre Nationalität führte89.

89 Vgl. im Hinblick auf Kärnten A. Moritsch, „Slowenen“ und „Deutsche“ in den Städten Kärntens 1850-1940, in: ders. (Hrsg.), Alpen-Adria Städte im nationalen Differenzierungsprozess, Klagenfurt / Ljubljana / Wien 1997, S. 11-56.

Sechstes Kapitel Die sozialistische Partei in Triest In den Jahren zwischen der Gründung der Confederazione Operaia (1888) und der Konstituierung der adriatischen Parteisektion (1902) konnte sich der internationalistische Sozialismus als politischer Bezugspunkt für die Mehrheit der Triester Arbeiterschaft durchsetzen. Die Sezione italiana adriatica del Partito operaio socialista in Austria entwickelte sich in jenen Jahren zum Tragbalken einer neuen politischen Kultur, in der bisher abseits stehende soziale Gruppen den bereits formierten politischen Milieus der italienischen Liberalnationalen und der slowenischen Nationalen gleichberechtigt zur Seite traten. Diese neue politische Kraft gab dann den entscheidenden Impuls zur Mobilisierung der städtischen Massen1, die in Triest in den Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs ihren Höhepunkt erreichte. Ungeachtet des politischen Mandats, das die Masse der Lohnempfänger der sozialdemokratischen Partei als Vertreterin ihrer Interessen auf institutioneller Ebene verliehen hatte, entstanden in den Beziehungen zwischen der Partei und ihrer Basis oft unterschwellige Spannungen und manchmal sogar offen ausgetragene Konflikte2.

1 Das Phänomen der politischen Aktivierung der – vorwiegend städtischen – Volksschichten durch die sozialistischen Parteien der Zweiten Internationale ist von der Sozialgeschichtsschreibung vor allem in Bezug auf seine symbolischen und rituellen Aspekte untersucht worden. Hinsichtlich der ‚liturgischen‘ Aspekte der politischen Beteiligung innerhalb der deutschen Arbeiterbewegung vgl. G.L. Mosse, La nazionalizzazione delle masse, Bologna 1975 (Originalausg. 1974), S. 231-260. Bezüglich der Formen der Massenbeteiligung an der sozialistischen Politik in Italien vgl. M. Ridolfi, Il PSI e la nascita del partito di massa. 1892-1922, Rom / Bari 1992, insbesondere S. 181-271. Ein gegensätzliches Urteil über das geringe Gewicht der rituellen Aspekte der sozialistischen Bewegung in Europa wird von Eric Hobsbawm formuliert; E. Hobsbawm, The Transformation of Labour Rituals, in: ders., Worlds of Labour, S. 66-83. Für einen Gesamtüberblick der politischen Mobilisierung der Massen vgl. W. Mommsen, Società e politica nell’età liberale. Europa 1870-1890, in: P. Pombeni, (Hrsg.), La trasformazione politica nell’Europa liberale 1870-1890, Bologna 1986, S. 15-35, insbesondere S. 25-35. 2 Bezeichnend dafür ist das Beispiel des wilden Streiks der Triester Nieter, der 1901 gegen die Einstellung von dreißig gewerkschaftlich organisierten Arbeitern aus Genua ausbrach; G. Piemontese, Il movimento operaio a Trieste, S. 98-101.

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6. Kap.: Die sozialistische Partei in Triest

Die italienische adriatische Sektion der österreichischen Sozialdemokratie bekannte sich nicht nur voll und ganz zu den Beschlüssen der Parteiexekutive, sondern auch zur Grundhaltung des deutsch-österreichischen Sozialismus, die von der graduellen und abwartenden Strategie Karl Kautskys geprägt war. Dazu gehörte auch ein breitangelegtes Bildungs- und Vereinswesen, das die zukünftige Gesellschaft, die aus dem Zusammenbruch des Kapitalismus hervorgehen würde, vorbereiten sollte. Beispielhaft für die Zukunftsvision der österreichischen Sozialdemokratie war die Rede Victor Adlers anlässlich des Gründungskongresses der Zweiten Internationale im Jahre 1889 in Paris: „Wenn die kapitalistische Gesellschaftsordnung schließlich zusammenbrechen wird – und sie wird, ohne äußere Hilfe, von selbst zusammenbrechen“ – äußerte der österreichische Parteiführer – „wird das Schicksal des Proletariats von der von ihm erreichten geistigen Entwicklung abhängen. Wir haben auf diesen Moment weniger Einfluss, a ls wir glauben mögen – und noch viel weniger, als unsere Feinde wähnen. Aber eines liegt in unserem Vermögen: uns auf diesen Moment vorzubereiten. Und von dieser Vorbereitung hängt die Zukunft ab. Wird diese ihre Ketten zersprengende Sklaven vorfinden oder Menschen, die entschlossen sind, in Freiheit zu leben? Bereit sein, das ist alles. Aus diesem Grunde fordern wir allerorts ein Gesetz zum Schutze der Arbeiter, das für eine gute soziale Hygiene unerlässlich ist“3.

Wie ausführlich dargestellt worden ist, begünstigte diese Strategie die Entwicklung weit verzweigter Arbeiterorganisationen, die allmählich zu einer Art Parallelgesellschaft heranwuchsen und im Stande waren, die Bedürfnisse ihrer Anhänger und Sympathisanten „von der Wiege bis zur Bahre“ – oder vielmehr: „vom Arbeiterkindergarten bis zum Feuerbestattungsverein“4 – in Vorwegnahme der zukünftigen Gesellschaft zu befriedigen. Die sozialdemokratische Arbeiterbewegung in Deutsch-Österreich (sowie im Deutschen Kaiserreich) war somit stark gegenkulturell geprägt und verfügte über eine robuste Organisationsstruktur. Diesen Eigenschaften verdankte die mitteleuropäische Sozialdemokratie ihre Fähigkeit, auf die Massen ihrer Anhänger eine starke sozialisierende Funktion ausüben. In Übereinstimmung mit ihrer Vision einer Emanzipation des Proletariats, die in erster Linie durch die Sozialisierung innerhalb der Arbeiterbewegung zu bewerkstelligen war, versuchte die adriatische Sektion der sozialistischen Partei, sich eine Struktur zu verleihen, die den Organisationsmustern der Sozialdemokratie in den größeren Städten der Habsburger Monarchie glich. Sie förderte die Gründung von Gewerkschaftsorganisationen, die sich der Zentralen Gewerkschaftskommission in Wien anschlossen, und schuf ein weit verzweigtes und gut funktionierendes 3 Aus: Histoire de la IIe Internationale, Congrès International Ouvrier Socialiste, Paris 14-21 Juillet 1889, Genf 1976 (Minkoff Reprint), Bd. 6-7, S. 45. 4 Vgl. vor allem D. Groh, Negative Integration und revolutionärer Attentismus. Die deutsche Sozialdemokratie am Vorabend des Ersten Weltkrieges, Frankfurt a.M. 1973, insbesondere S. 36-80.

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Netz von Konsumgenossenschaften5. Zu diesen Stützpfeilern der sozialistischen Bewegung gesellten sich weitere Organisationen wie der Circolo giovanile socialista, die sozialistische Frauenvereinigung und der im städtischen Umfeld sehr einflussreiche C ircolo di Studi sociali6. Trotz dem unzweifelhaften Mobilisierungspotential der Partei und ihrer zuweilen bedeutenden Wahlerfolge, verfehlte sie aber doch das gesellschaftliche Hauptanliegen der Sozialdemokratie in der kapitalistischen Gesellschaft: einen Sozialisierungsund Organisationsprozess der Arbeiterschichten innerhalb der Strukturen der Arbeiterbewegung in Gang zu bringen. Dieses Scheitern war sowohl in der Parteiorganisation als auch in der Gewerkschaftsbewegung offensichtlich. Obwohl im ersten Jahrzehnt des Jahrhunderts in Triest ein exponentielles Wachstum der Masse der Lohnempfänger verzeichnet wurde, war deren Beteiligung am Partei- und Vereinsleben sehr unstet7. Ähnliche Beobachtungen gelten für die Gewerkschaftsorganisation. Denn obgleich sich in Triest bereits 1902 das Modell einer zentralisierten Gewerkschaft mit einer großen Anzahl von Anhängern und entsprechend hohen Beihilfesätzen im Falle von Streiks, Entlassungen usw. behauptet hatte, erfolgten die Beitritte von Arbeitern eher vereinzelt, so dass es bis zum Kriegsausbruch nicht einmal in den größten Schiffswerften möglich war, ein Netz von Vertrauensmännern in den Werkstätten zu aktivieren8. Ähnlich wie zur Partei pflegten die meisten 5 Zur Triester Genossenschaftsbewegung vgl. E. Apih / C. Silvestri, Le Cooperative Operaie di Trieste, Istria e Friuli. 6 Zum sozialistischen Vereinsnetz in Triest vgl. G. Piemontese, Il movimento operaio a Trieste, S. 220 f. Erwähnt werden der Circolo giovanile socialista (1907), der Circolo femminile socialista, der Circolo sportivo internazionale, der Circolo d’arte moderna, der Circolo corale socialista und der Circolo filarmonica. Bezüglich des Circolo sportivo internazionele vgl. S. Pivato, Sportismo e austro-marxismo. I socialisti triestini e il Circolo sportivo internazionale, in: Movimento operaio e socialista, 3 (1990), S. 331-348. Zum Circolo di studi sociali vgl. das Urteil von Scipio Slataper in: S. Slataper, Scritti politici, gesammelt von G. Stuparich, Rom 1925, S. 32-36. Vgl. insbesondere S. 32: „‚Circolo di Studi Sociali‘ gegründet 1899 zur Volkserziehung. Mittel: Bibliothek, Unterricht, wissenschaftliche Besichtigungen in den Fabriken und den Werkstätten nach dem Vorbild in Deutschland, wo die gebildete Gemeinschaft neue Werkzeuge zur Verbesserung ihrer Bedingungen zu erfinden weiss . Für Italien kenne ich keine Beispiele …“. Eine reiche Dokumentation über die Tätigkeit des Circolo di studi sociali findet sich in: AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 313. Vgl. insbesondere „Per l’idea nostra!“, Sondernummer aus Anlass des 5. Jahrestags der Gründung des „Circolo di studi sociali“ in Triest, 14. August 1904. 7 Vgl. z.B. die Beteiligung an den sozialistischen Kundgebungen zum Ersten Mai der Jahre 1905, 1909 und 1912, an denen mehr als tausend Personen teilnahmen; AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 365, Polizeibericht zum Ersten Mai 1912; AST, Polizei, Vereine, Bd. 556, Polizeibericht zum Ersten Mai 1905; AST, Polizeibericht zum Ersten Mai 1909. 8 Vgl. zur Stärke der Gewerkschaftsorganisation unter den Metall- und Werftarbeitern M. Cattaruzza, ‚Conflitto organizzato‘ e ‚azione diretta‘: gli scioperi nei cantieri navali di Amburgo e Trieste (1880-1914), in: dies., Trieste nell’Ottocento, S. 59-118.

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Arbeiter auch zur Gewerkschaft ein rein äußerliches Verhältnis. Zwar billigten sie den Gewerkschaftsfunktionären die Rolle ihrer Sprecher gegenüber der Gegenpartei und der Öffentlichkeit zu, was sie aber nicht dazu veranlasste, den Berufsorganisationen beizutreten, bzw. die Rechte und Pflichten, die dieser Beitritt mit sich brachte, zu akzeptieren. Noch im Jahre 1913 fasste die Sozialistenführerin Giuseppina Martinuzzi die Stellung der sozialistischen Partei in Triest in folgenden Worten zusammen: „Aus einer Veröffentlichung des Jahres 1907 geht hervor, dass die Berufsorganisationen in Deutschland 2 Millionen und 500 Tausend Mitglieder aufwiesen, in England 2 Millionen und 200 Tausend; von den Mitgliedsbeiträgen, die sie alle bezahlen, ganz zu schweigen. Wie viele von 56 Tausend Arbeitern in Triest sind organisiert? Ihr wisst es“9.

Ähnliche Beobachtungen gelten für den Beitritt zur sozialdemokratischen Partei, für die Unterstützung der sozialistischen Presse usw. Aufgrund einer derart verbreiteten Unlust der Lohnempfänger, den Organisationen der Arbeiterbewegung beizutreten und sie verlässlich zu unterstützen, und angesichts eines breiten Spektrums undisziplinierter Verhaltensweisen10 der Triester Arbeiterschaft verbreitete sich das Stereotyp des südländischen Arbeiters, der mehr zur Rebellion als zur Organisation neige und nicht imstande sei, sich jener Disziplin und Selbstkontrolle anzupassen, die für die Arbeiterklasse der deutschen Städte der Monarchie als typisch galt. Diese oft von sozialdarwinistischen Wertvorstellungen durchdrungene Einschätzung11 wurde paradoxerweise in schöner Einträchtigkeit sowohl von den k.k. Polizeibeamten und von den Arbeitgebern, wie auch von verschiedenen sozialdemokratischen Führern geteilt, wenngleich jeweils in leicht unterschiedlichen Färbungen. 9 G. Martinuzzi, I due proletariati, jetzt in: M. Cetina, Giuseppina Martinuzzi – Documenti del periodo rivoluzionario, S. 117-129, hier S. 121 f. 10 Das Problem des Vorhandenseins von Verhaltensweisen und Lebensformen im Proletariat, die mit den sozialistischen Emanzipationsidealen unvereinbar waren, wird vor allem von Giuseppina Martinuzzi, die während ihrer Tätigkeit als Volksschullehrerin im Stadtviertel Cittavecchia die Lebensbedingungen und die Mentalität der ärmsten Schichten der Bevölkerung aus nächster Nähe kennenlernte, behandelt. Zu diesem Thema hat Martinuzzi lebhafte, im Jahre 1899 in einer Broschüre unter dem Titel „Fra gli irredenti“ veröffentlichte Skizzen gezeichnet (in: M. Cetina, Giuseppina Martinuzzi, S. 311-324). Weitere realistische Beschreibungen der Verelendung und der moralischen Abstumpfung eines Großteils des Triester Proletariats sind in vielen Vortragstexten der Lehrerin aus Albona enthalten, die Marija Cetina gesammelt hat. Diese Alltagszenen, die oft von im Dialekt gesprochenen Dialogen belebt werden, wurden von Giuseppina Martinuzzi offensichtlich zur Belehrung des Publikums verwendet. Giuseppina Martinuzzi war auch die Seele des Circolo femminile socialista, wo sie ihre Tätigkeit als Erzieherin, insbesondere im Hinblick auf die Pflichten der proletarischen Mütter gegenüber ihren Kindern, ausübte; G. Martinuzzi, Relazione sul movimento femminile nella Regione Giulia per il Congresso regionale dei socialisti italiani del Litorale, ebd., S. 71-76; dies., Materinità dolorosa, ebd., S. 231-246. 11 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 255, Polizeibericht, 9. August 1897.

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Anlässlich der Streikwelle von 1897 und der Unruhen des Jahres 1902 stellte die Polizeidirektion nicht zu Unrecht fest, dass die Masse der als Tagelöhner im Hafen beschäftigten Verladearbeiter einen Unruheherd und eine beständige latente Bedrohung für die öffentliche Ordnung darstelle. Diesen Beobachtungen wurden nationale Stereotypen übergestülpt, sodass sich die unzusammenhängenden Gegebenheiten der lokalen Realität zu einem kohärenten Gesamtbild fügten, das gefestigte – und angeblich wissenschaftlich untermauerte – Überzeugungen hinsichtlich der Natur der romanischen (und slawischen) Bevölkerungen bestätigte. Während man die Ursache der Streiks des Jahres 1897 auf das lebhafte Temperament der Bevölkerung und ihr relativ niedriges Kulturniveau schob12, wurden die anlässlich des Generalstreiks von 1902 ausgebrochenen Unruhen mit der Annahme erklärt, dass die lokale Arbeiterschaft sowohl die Fehler des italienischen als auch des slawischen Volkes verkörpere. Die Arbeiter wurden als ungebildet, roh, unbotmäßig, anmaßend, nicht an eine regelmäßige Arbeit gewohnt und moralisch und religiös zügellos beschrieben. Die Verbreitung der sozialdemokratischen Lehren habe ihr erst kürzlich erworbenes und keineswegs durch Edelmut gezähmtes Selbstbewusstsein übersteigert und unweigerlich zu öffentlichen Ausschreitungen geführt. Auch die Arbeiter der Industrie und der kleinen Unternehmen seien anmaßend, jedoch weniger grob als die Hafenarbeiter und eher an regelmäßige Arbeit gewöhnt13. Der Wahrnehmung eines fremden, anthropologisch andersartigen und bedrohlichen Menschenschlags begegnet man in Worten wie jenen, welche nicht nur die Polizeibeamten14, sondern auch der sozialistische Agitator Lajos Domokos zur Beschreibung der heftigsten Phasen des Generalstreiks von 1902 benutzten: „Jene ‚an das Feuer gewöhnte‘ Menge stellte etwas dar, was nicht mehr der Protest der Streikenden gegen eine Regierung war, die ihren Soldaten befohlen hatte, als ,Streikbrecher‘ zu agieren, es war nicht der Protest gegen den Wucherer und Spekulanten Lloyd; es war der Protest des Elends gegen die gesamte Gesellschaft; es war die niedrigste Gesellschaftsschicht, die in dieser tragischen Szene mit dem Schrei vorwärtsschritt: ‚hier bin ich, vor dem Feuer, bereit, mich erschießen zu lassen, da ich nichts zu verlieren habe‘. Ich weiß nicht, warum die Soldaten hier sind, ich weiß nichts von Streiks, von Politik, von Organisationen, ich weiß nur, dass ich Hunger habe, ich weiß, dass hier getötet wird, aber man

AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 253, Polizeibericht, 22. November 1902. In einem Polizeibericht des Jahres 1903 wurden die Anhänger einer christlichsozialen und antisemitischen Gewerkschaftsorganisation als Angehörige „des Abschaums der niedrigsten Volksklasse“ bezeichnet; AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 256, Die Arbeiterbewegung im Jahre 1903. Vgl. auch die Bezeichnung der Unruhestifter in einem Bericht der österreichischen Kriegsmarine: „2000 oder 3000 zweideutige, revolutionäre und anarchische Elemente, Ausdruck des tiefsten Abschaums des Volkes“, in: Kriegsarchiv / Wien, Marinesektion (MS) XIV, 5/2, Bericht vom 16. Februar 1902. 14 L. Domokos, I fatti di febbraio, S. 122. 12 13

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kann auch töten und man kann sterben, indem man der Gesellschaft die höchste Schmähung entgegenschleudert: Mörderin! Ich bin hier, weil ich, was auch immer geschehen möge, nichts zu verlieren habe!“15.

In der von Domokos gelieferten Beschreibung der „an das Feuer gewöhnten Menge“ fehlt immerhin jegliche Form eines nationalen Vorurteils. Das vom Triester Sozialisten betonte Phänomen betrifft vielmehr einen Zustand tragischer Verkommenheit, welche die unterste Schicht des städtischen Proletariats für jegliche Art sozialistischer Mission unempfänglich mache: „Man sah Mütter ihre Kinder vor die Mündung der Gewehre tragen“; berichtete Domokos, „junge Mädchen und Frauen die sich vor die Soldaten stellten mit den Worten: Tötet uns, wenn ihr den Mut dazu habt; Jungen, die sich kühn von der Menge losrissen, um Steine auf Offiziere zu werfen, die Revolver in ihren Händen hielten; und man sah Gruppen von Demonstranten, die unbewegt dem Kugelhagel der Gewehre ins Auge blickten. Dies waren nicht mehr die Streikenden des Freitags; es war eine Menge, die wie unter einem Zauber den elendsten Hütten entwichen war und die Stigmata des Elends auf der Stirn trug; es waren Menschen, die anscheinend dem Ruf folgten, sich zu rächen, einem Instinkt, einer Leidenschaft, einem Hassgefühl freien Lauf zu lassen, ohne zu wissen, gegen wen und warum; es waren Menschen, die der Stadt fremd zu sein schienen oder die zumindest den Anschein erweckten, zum ersten Mal ihre Plätze und ihre neuen Hauptstraßen zu betreten. … Für sie hat das Wort Sozialismus, das Wort Brüderlichkeit keine Bedeutung“;

schloss der Triester Sozialist mit Bitterkeit; „sie sind dazu bestimmt, zu sterben und dabei zu leiden und zu hassen wie sie es seit ihrer Geburt getan haben. Es sind Individuen, die nicht geheilt werden können; sie werden aus der Welt verschwinden, wenn die Ursachen, die sie hervorgebracht haben, verschwunden sind“16.

Eine ähnliche Problematik wird von der Sozialistenführerin Giuseppina Martinuzzi behandelt, einer überzeugten Förderin der Arbeitererziehung, welche sie als wichtigstes Werkzeug der Emanzipation betrachtete. Sie verschwieg jedoch nicht, dass dieses Programm für die untersten Schichten des Proletariats unwirksam bleibe. In einem beim Circolo di Studi sociali gehaltenen Vortrag mit dem Titel „I due proletariati“ entwickelte die Lehrerin aus Albona diese Gedanken in systematischer Weise. Sie hob vor allem hervor, dass der soliden Organisationsstruktur der Arbeiterbewegung in Triest keineswegs eine rege Teilnahme der Lohnempfänger an den sozialistischen Veranstaltungen entsprach: „Ich komme hierher und finde fast immer dieselben Arbeiter vor, jene, die es weniger nötig haben, zu lernen, einige sind gebildeter als ich und beteiligen sich Ebd., S. 121 f. G. Martinuzzi, I due proletariati, jetzt in: M. Cetina, Giuseppina Martinuzzi, S. 117-129, hier S. 121-128. 15 16

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aus Solidarität oder um denjenigen, die weniger Lust am Lernen haben, mit gutem Beispiel voranzugehen. … Für eine Stadt mit 56tausend Arbeitern sollte ein ganzes Theater nicht ausreichen, schon dieser Saal hingegen scheint zu groß zu sein … Der Arbeiter in Triest findet günstige Umstände vor: er hat dieses Heim, das zwar arm ist, jedoch reich an Erinnerungen und groß durch die Ideale, die es leiten; er hat einen Zirkel für soziale Studien, der alle Sympathien verdient und viele Bildungsmöglichkeiten bietet; er verfügt über eine große Anzahl von fest eingesessenen und funktionierenden Berufsvereinen; und alle diese Institutionen bitten ihn, den Triester Arbeiter, um seine Mitarbeit; und alle bieten ihm ihre Unterstützung an; alle rufen ihn dazu auf, den Klassenkampf zu vertiefen, um disziplinierte Initiativen zu koordinieren und vor allem, um sich den anderen brüderlich zu nähern, auf dass die sozialistische Partei Triests nicht hinter dem Tatendrang zurück bleibt, der das deutsche und englische Proletariat erfüllt“.

Mit einem Sinn für die Realität fügte sie jedoch hinzu: „Alle diese Betrachtungen betreffen natürlich die obere Schicht des Proletariats, der wir, die hier versammelt sind, angehören. Wie bereits gesagt, kann sich die niedrigste Klasse nicht von allein erheben … Wir können von der niedrigsten proletarischen Klasse nicht so etwas wie eine Bekundung guten Willens verlangen. Der Analphabet hat immer noch etwas vom primitiven Menschen; abstrakte Begriffe sind für ihn unfassbar, geistige Vergnügen sind ihm unbekannt; für die Schönheiten der Natur und der Kunst hat er kein Empfinden … Könnte man ihnen die Worte von Marx wiederholen – Eure Befreiung muss von euch ausgehen? – Welche Befreiung? Sie wissen nicht, wie tierisch sie sind, sie spotten über jede Liebenswürdigkeit; für sie ist das Leben nur sinnliches Empfinden. Wenn sie ohne Arbeit sind, schimpfen sie über die Herren und wer kann, stiehlt; sie schimpfen über die Sozialisten, die die Welt nicht zu verändern vermögen: Geldfresser, Betrüger. … In den Elendsvierteln bleibt jedes Apostelwort ohne Wirkung. Man müsste dort mit wirtschaftlichen Reformen beginnen, aber diese sind nicht möglich, solange eine auf dem Privatbesitz begründete Gesellschaft besteht … Diese gesamte Masse wird sich weiterhin im Schlamm wälzen, bis die obere Klasse des Proletariats das Joch des Kapitals sprengen wird. Dann wird sie gezwungenermaßen auf den Weg der Befreiung mitgerissen werden, sie wird wie ein Schiff in Havarie ins Schlepptau genommen und langsam hochgezogen werden, bis sie einen wirklich menschlichen Charakter annimmt. Es ist eine vergebliche Mühe, sie heute auf geistigem Gebiet anzusprechen; sie kennt die Bedeutung des Wissens nicht und hat keinen Sinn für geistige Konzentration. Als Marx sprach: ‚Befreie dich selbst‘, meinte er damit den Arbeiter der großen Industriezentren, der bereits eine gewisse Bildung besitzt und dem es deshalb auch gelungen ist, die teilweise Anerkennung der Arbeitsrechte durchzusetzen“17.

Obgleich sie über die unterschiedlichen Entwicklungspfade der Arbeiterbewegung in verschiedenen Ländern im Bilde war und sich die beschränkten Möglichkeiten zur Verbreitung der sozialistischen Theorie unter den niedrigsten G. Martinuzzi, La leva di Archimede, Triest 1909, jetzt in: M. Cetina, Giuseppina Martinuzzi, S. 199-211, hier S. 202. 17

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Schichten des Proletariats bewusst machte, schrieb Giuseppina Martinuzzi, ebenso wie Lajos Domokos, diese widersprüchlichen Eigenschaften weder den jeweiligen „nationalen Eigenschaften“ zu, noch erklärte sie sie, nach der damals verbreiteten Lehre Lombrosos, aus psychologischen Konstanten. In einem Beitrag zur Entwicklung der internationalen Arbeiterbewegung stellte die Sozialistenführerin hingegen eine gedankliche Verbindung zwischen dem Organisationsniveau und der Schuldbildung her und hob hervor, dass Analphabetentum und Ignoranz die schlimmsten Feinde des Sozialismus seien. Für die Schwäche der sozialistischen Organisation in Italien machte sie die mangelhafte Verbreitung der Grundschulbildung verantwortlich. Dieser Ignoranz der Massen schrieb sie auch den verworrenen Charakter der Unruhen im benachbarten Königreich zu: „In Italien gibt es also mehr Wirren, Impulsivität, Massaker, Streiks als anderswo. Einige schreiben diese Gewalttaten dem vom Klima beeinflussten Temperament zu; sicher ist jedoch, dass auch die Ignoranz sie begünstigt. Die Analphabeten jeglichen Volks zu erziehen heißt, die Vernunft über die brutale Gewalt zu erheben“18.

Im Jahre 1909 war es wiederum Martinuzzi, die ihrer Freude über die in Italien von der Tagelöhner- und Genossenschaftsbewegung in der Emilia und in Apulien erzielten Fortschritte Ausdruck verlieh; diese Fortschritte wurden, soweit bekannt ist, von anderen Führern des adriatischen Sozialismus nicht erwähnt. Im Vergleich zum größten Teil der Sozialistenführer in Österreich erscheint das Gedankengut Giuseppina Martinuzzis erstaunlich immun gegenüber den gängigen nationalen Stereotypen, die auch von Wilhelm Ellenbogen und Victor Adler geteilt wurden19. Dieses Fehlen von Vorurteilen kommt in Martinuzzis Stellungnahmen zur nationalen Frage klar zum Ausdruck20. Wie Ebd., S. 208-210. Eine ausgezeichnete Darstellung der nationalen Standpunkte der wichtigsten Führungspersönlichkeiten der deutsch-österreichischen Sozialdemokratie bei H. Konrad, Nationalismus und Internationalismus. Die österreichische Arbeiterbewegung vor dem Ersten Weltkrieg, Wien 1976, insbesondere S. 75-104. In einem Brief an Engels vom 22. Juni 1891 schrieb Adler z.B.: „Zum Glück sind die nationalen Schwierigkeiten bei uns völlig überwunden, was davon bleibt, wird der Parteitag zeigen: furchtbare Langeweile beim Anhören ebenso begeisterter als endloser tschechischer Reden“ (ebd., S. 86). Zu den bekannten Vorbehalten von Marx und Engels gegenüber den slawischen Völkern (ausgenommen den Polen) vgl. F. Klopčič, Friedrich Engels und Karl Marx über die ‚geschichtslosen‘ slawischen Nationen 1847-1895, in: Marxismus und Geschichtswissenschaft, Internationale Tagung der Historiker der Arbeiterbewegung. Sonderkonferenz Linz, 6. bis 9. Jänner 1983, Wien 1984, S. 217-249. Über den Nationsbegriff Adlers, der, wie bekannt, aus der deutschen Nationalpartei aufgrund des aufkommenden Antisemitismus ausgetreten war, vgl. H. Mommsen, Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage, S. 187-191. Hinsichtlich der ‚großdeutschen‘ Auffassung Carl Renners und seiner Idee der Mission Österreichs gegenüber den slawischen Völkern vgl. das Vierte Kapitel in diesem Band. 20 Vgl. das Fünfte Kapitel in diesem Band. 18 19

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Valentino Pittoni hielt jedoch auch sie die Lage des Sozialismus in Triest und in der Habsburger Monarchie für deutlich fortgeschrittener als in Italien: als nachahmenswerte Vorbilder galten ihr die deutsche und die englische Arbeiterbewegung, jedoch gewiss nicht die italienische. Wie bereits erwähnt, spielte in Giuseppina Martinuzzis Verständnis des Sozialismus die Erziehung der Arbeiterklasse im Hinblick auf den Übergang zur klassen- und privatbesitzlosen Gesellschaft eine bedeutende Rolle. Für diese maßgebliche Persönlichkeit des adriatischen Sozialismus umfasst das sozialistische Erziehungsprojekt die gesamte Lebenssphäre des Proletariats: von der Freizeit bis zum Verhältnis zwischen den Geschlechtern und der Kindererziehung, in einer strengen Vision laizistischer Religiosität, in der die ethischen Werte des Sozialismus im Alltagsdasein gelebt werden und zu dessen Transformation beitragen21. Für die dem Selbsterziehungsprogramm gleichgültig gegenüberstehenden und an ihren Lebensgewohnheiten festhaltenden Gesellschaftsschichten konnte es nur Verachtung geben, auch wenn dieser ein Hauch von anthropologischem Positivismus innewohnte, der die Verantwortung des Einzelnen in der „sich im Schlamm wälzenden Masse“ abmilderte, indem er ihn als „Schiff in Havarie“ bezeichnete, wie es Giuseppina Martinuzzi tat. Streng urteilte Martinuzzi über die Anführer der Ausschreitungen während der Demonstrationen des Jahres 1902, die zur Plünderung und Verwüstung der Lagerräume des Österreichischen Lloyd, der Zerstörung von Gaslaternen und Angriffen mit Dachziegeln und Bausteinen auf die Polizei geführt hatten: „… jene kennen unsere Parteisitze nicht und sind nie Mitglied einer Organisation gewesen. Wenn aber die eingeschriebenen Genossen es für angebracht halten, eine öffentliche Protestkundgebung aufgrund einer erlittenen Ungerechtigkeit zu veranstalten, dann wird der Schlamm des Proletariats aufgewühlt und dann kommen seine Kröten an die Oberfläche. Was für schöne Gelegenheiten, um die eigenen Kräfte in bestialischen Gewalttaten, in barbarischer Zerstörungswut auszutoben. Sollte man diesen Verantwortungslosen die Verwarnung von Marx wiederholen? Ach was! Sie haben Fensterscheiben eingeworfen, Schilder ausgerissen, Laternen umgeworfen, scheint Euch das wenig? Was sollen wir da mit unseren Belehrungen! Sie haben ‚nieder‘ gerufen und sogar die Marseillaise gesungen, sie haben eine Revolution gemacht, wie sie sagen; wie sie behaupten, würden sie in wenigen Tagen die Gesellschaft verändern, wenn es nicht diese Volksverräter von Sozialisten gäbe“22.

Aus diesen Zeilen meint man das Echo zu den Betrachtungen des Kriminologen Scipio Sighele über die „verbrecherische Masse“ herauszuhören, in 21 Von dieser Vision des Sozialismus zeugen fast alle Beiträge Giuseppina Martinuzzis in der Sammlung von Marija Cetina. 22 M. Cetina, Giuseppina Martinuzzi, S. 127 (I due proletariati).

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denen sich der italienische Wissenschaftler auf die hauptsächlich in Frankreich angestellten Überlegungen zu den „gefährlichen Klassen“ bezog. Hinsichtlich des Problems der sozialen Zusammensetzung der „Massen“, die während der französischen Revolution zahlreiche Gräueltaten verübt hatten, stellte sich Sighele die Frage: „War es wirklich das Volk von ehrlichen Arbeitern und Werktätigen, das plötzlich zu einem Monster der Perversität wurde? Oder mischten sich vielleicht alle jene Individuen, die die unterste soziale Schicht bildeten – le troisième dessous, wie Victor Hugo sagen würde –, unter sie und verseuchten sie: alle jene, die jedes Mal, wenn es einen Aufruhr oder einen Aufstand gibt, aus den Kneipen und Bordellen, wo sie leben wie der Schlamm auf dem Grunde eines Teichs, dessen Wasser bewegt wird, emporsteigen?“23.

Die Übereinstimmungen mit den Betrachtungen Giuseppina Martinuzzis sind offensichtlich, insbesondere auch in Bezug auf die angewandten Metaphern (zum Beispiel der Vergleich zwischen den untersten Gesellschaftsschichten und dem Schlamm auf dem Grund des Teiches), die auch in zeitgenössischen wissenschaftlichen Texten über soziale Devianz anzutreffen sind24. Auch Marx und Engels hatten bereits in ihrem „Kommunistischen Manifest“ das unorganisierte unterste Proletariat als Verwesungsprodukt der unteren Schichten der alten Gesellschaft bezeichnet. Auch innerhalb der deutschen Sozialdemokratie hatte sich eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen Arbeiterklasse und Lumpenproletariat durchgesetzt, wonach letzteres als völlig unempfänglich für die organisatorischen Bestrebungen und die politische Agitation der Sozialdemokratie galt. Für Rosa Luxemburg zum Beispiel befand sich das Lumpenproletariat außerhalb der Zukunftspläne der sozialdemokratischen Partei. Andere Autoren leiteten aus dieser Auseinanderhaltung genetische, der Kategorie der „Minderwertigkeit“ entstammende Unterschiede ab25. Die adriatischen Sozialistenführer waren daher mit dem Gedanken vertraut, dass die Lebensbedingungen eines Teils des Proletariats unüberwindbare Schranken für die Verbreitung der sozialistischen Ideen und die parteiliche Organisation darstellten und dass das Emanzipationsprojekt nur für eine bestimmte Schicht der Arbeiterklasse bestimmt war, die zweifellos noch nicht vollständig für die sozialistische Sache gewonnen war und um die man sich noch stärker bemühen musste. 23 S. Sighele, La folla delinquente. Studio di psicologia collettiva, 2. Aufl., Turin 1895, S. 86 f. Das Werk Scipio Sigheles war den damaligen Triester Sozialisten sicherlich bekannt. Domokos zitiert es ausdrücklich in: I fatti di febbraio (S. 21) im Hinblick auf die anthropologische Charakterisierung der Protagonisten von Gewalttaten. 24 Vgl. zu diesem wichtigen und vernachlässigten Thema der Geschichte der Arbeiterbewegung M. Schwartz, ‚Proletarier‘ und ‚Lumpen‘. Sozialistische Ursprünge eugenischen Denkens, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 42 (1994), S. 537-570. 25 Ebd.

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diese Urteile in seinem bewegten Nachruf für Valentino Pittoni, der am 12. und 15. April 1933 in der „Arbeiterzeitung“ veröffentlicht wurde29. Hierin beschreibt Ellenbogen die italienische Arbeiterbewegung als völlig verschieden von jener der deutschsprachigen Länder. Die erstere sei zwar gewiss von „starken Ausbrüchen der Begeisterung für eine große, schwunghafte und hinreißende Idee“ getragen worden, habe großartige Aktionen jedoch ohne die notwendige Klarheit der Ziele, ohne eine solide Organisation und ohne die nötige Entschlossenheit durchführen wollen. Für die italienische Arbeiterbewegung in Österreich kam als weitere Schwierigkeit die mit dem sozialistischen Gedankengut konkurrierende Anziehungskraft irredentistischer Ideen hinzu, die der Festigung spezifischer Klasseninteressen und der Erziehung zum Klassenkampf entgegenwirkten. Es sei ein beispielloses Glück gewesen, fuhr Ellenbogen fort, dass in jener Zeit der italienischen Arbeiterbewegung ein Mann wie Valentino Pittoni beschieden gewesen sei, der mit seiner Klugheit und kühlen Sachlichkeit einen Felsen im brandenden Meer der leidenschaftlich bewegten Arbeiterseelen im Küstenland dargestellt habe. Unverzüglich habe er begonnen, den aufgebauschten und begeisterten Freiheitsphrasen die Forderung nach einer wohlgefügten, festgegründeten, sicher und verlässlich funktionierenden Organisationsarbeit entgegenzustellen. Zu den größten politischen Verdiensten Pittonis zählte, Ellenbogen zufolge, der Aufbau von Partei-, Gewerkschafts- und Genossenschaftsorganisationen, der Kampf gegen den Irredentismus und die Verbreitung der bis anhin dem Proletariat der italienischen Provinzen völlig unbekannten Prinzipien des Marxismus. Er habe die italienischen Arbeiter an die organisatorische Kleinarbeit gewöhnt, an regelmäßige Beitragszahlungen und an die unermüdliche Werbearbeit für das Parteiorgan. „Mit einem Wort, er führte in diese Bewegung den deutschen sozialistischen Typus ein: Eine vielfach komplizierte, aber in allen ihren Teilen aufeinander eingespielte Organisation, in der Begeisterung und Nüchternheit, Idealismus und Sachlichkeit, Opferbereitschaft und Aufbauarbeit, Kampfesfreude und Beharrlichkeit eine wunderbar harmonische Einheit darstellten. Kurz, ein organischer Körper von einer Systematik und inneren Logik, in dem jedes der einzelnen Organe sein Eigenleben führte, das aber selbst ohne den Gesamtorganismus ebenso wenig denkbar war, wie dieser Gesamtorganismus das einzelne Organ entbehren konnte … Das Küstenland erhielt von ihm förmlich sein geistiges Gesicht“30.

Ausdauer aus. Sie seien nicht imstande, längere Anstrengungen durchzustehen, und ihre Impulsivität würde sie zu Sklaven ihrer Triebe machen. Ihre typischste Eigenschaft sei der Mangel an innerer Disziplin. Gleichgültig gegenüber dem tieferen Wesen der Dinge, seien sie wankelmütig und Revolutionen bisweilen zugetan, in Wirklichkeit aber weitgehend konservativ; ebd., S. 143 f. 29 Auch in: W. Ellenbogen, Ausgewählte Schriften, hrsg. von N. Leser / G.R. Rundel, Wien 1983, S. 105 f. 30 Ebd.

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Dieser Nachruf enthält nicht nur eine klare Beschreibung der Rolle Valentino Pittonis innerhalb des adriatischen Sozialismus, sondern auch die Bestätigung der Überzeugung, dass das Organisationsmodell der deutschen Arbeiterbewegung jenem der lateinischen Völker überlegen war. Der zur Beschreibung der Gegenüberstellung gewählten Bilder scheint eine beinahe sexuelle Symbolik zugrunde zu liegen, wonach die lateinischen Völker „weibliche“ Eigenschaften wie Begeisterung, mangelnde Entschlusskraft, Unüberlegtheit gegenüber den männlichen Eigenschaften der Selbstkontrolle, Entschlusskraft und Disziplin der deutschen Arbeiterbewegung aufwiesen. Diese Symbolik ist im Übrigen bei vielen zeitgenössischen Autoren wie zum Beispiel Otto Weininger und Thomas Mann anzutreffen. Es ist gewagt, vielleicht beinahe unzulässig, ein Urteil darüber zu fällen, inwieweit Faktoren wie der nationale Charakter zur spezifischen Ausprägung der Arbeiterbewegung in der Adriastadt beigetragen haben. Es muss jedoch hervorgehoben werden, dass gerade die aus dem liberalnationalen Lager kommenden Sozialistenführer (Carlo Ucekar, Giuseppina Martinuzzi, Angelo Vivante und Valentino Pittoni) einen wesentlichen Beitrag zur Angleichung der politischen und organisatorischen Realität der italienischen adriatischen Sektion an das deutsch-österreichische Vorbild leisteten. Es ist anzunehmen, dass die Mehrheit der Parteimitglieder und Sympathisanten, auch aufgrund ihrer Herkunft aus gemischtsprachigen Gebieten und einer oft oberflächlichen, auf den Sprachgebrauch begrenzten Assimilierung an die italienische Kultur, damals keinen bewussten Nationalisierungsprozess durchlaufen hatten31. Zumindest bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts war die Arbeiterschaft der Werft S. Rocco in Muggia von einer weitreichenden Einheitlichkeit der geographischen Herkunft gekennzeichnet: die Arbeiter wurden als Schiffszimmerleute in den ehemaligen italienischsprachigen Ortschaften Venetiens, in denen dieses Handwerk ausgeübt wurde, angeworben. Als Herkunftsorte sind neben dem Städtchen Muggia vor allem Chioggia nahe Venedig, die norddalmatinische Insel Lussino (Lošinj) und istrische Küstenstädte wie Rovigno und Pirano zu nennen32. In Muggia war die sozialistische Kultur von Anfang an homogener und gefestigter als in Triest. Anlässlich eines Streiks auf der Werft S. Rocco im Jahre 1897 begannen die sozialistischen Sympathisanten, sich in der Stadt mit roten Krawatten zu zeigen. Der zum Teil siegreiche Ausgang des Streiks wurde mit einem Volksfest gefeiert, 31 Beispiele einer dezidiert ‚habsburgischen‘ Identität unter Angehörigen der italienischen Sprachgruppe finden sich z.B. in: L. Spitzer, Lettere di prigionieri di guerra italiani 1915-1918, Turin 1976 (1. Aufl. 1921), insbesondere S. 210 f. Vgl. auch M. Cattaruzza, Italiani e Sloveni a Trieste, S. 119-165, insbesondere S. 153 f. 32 Vgl. die auf den 17. April 1894 datierte Liste der Arbeiter Werft S. Rocco des Stabilimento Tecnico-Triestino; AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 253.

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während dem die Arbeiter, angeführt von einer Musikkapelle, dreimal das Zentrum des Städtchens durchquerten. Die Kundgebung schloss mit einem Festessen im Freien, wo Speisen verzehrt wurden, die von dortigen Wirten und Lebensmittelhändlern spendiert worden waren33. Die Merkmale der Triester Arbeiterklasse können jedoch nicht vornehmlich auf den Einfluss anthropologischer und kultureller Faktoren zurückgeführt werden. Bei einer Untersuchung der Beziehungen des Proletariats der Adriastadt zur Arbeiterbewegung müssen die rasche Herausbildung einer breiten Lohnempfängerschicht, die ethnische Verschiedenartigkeit, die Vielzahl der Herkunftsorte, der unbeständige und wenig qualifizierte Charakter der meisten Beschäftigungen und, nicht zuletzt, das niedrige organisatorische Niveau der unternehmerischen Gegenpartei in Betracht gezogen werden34. Auch der „Inselcharakter“ der Wirtschaftszentren Triest, Fiume, Pola und Monfalcone mit einem ausgesprochen bäuerlichen Hinterland mag dazu beigetragen haben, dass die städtischen Arbeiter ein gewisses Überlegenheitsgefühl gegenüber der umliegenden ländlichen Welt entwickelten, das sich in einem dreisten und überheblichen Betragen äußerte. Andere Beobachter betonten in ihren Schilderungen des Betragens dieser Arbeiter eher deren Zugehörigkeit zu einem Hafen- und allgemein „südländischen“ Milieu als ihre nationalen Eigenschaften35. Hervorgehoben wurden Charakteristika wie ein starker 33 AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 263, Polizeibericht vom März 1909 über die Streikbewegung der Arbeiter der Werft S. Rocco. 34 In Bezug auf die Wanderbewegungen, die Beschaffenheit des Arbeitsmarkts und das Ausbildungsniveau des Triester Proletariats vgl. M. Cattaruzza, La formazione del proletariato urbano. Für einen Vergleich zwischen den industriellen Beziehungen und das Konfliktverhalten in der Schiffsbauindustrie in Hamburg und in Triest siehe auch dies., ‚Conflitto organizzato’ e ‚azione diretta‘: gli scioperi nei cantieri navali di Amburgo e Trieste (1880-1914). Über die ethnische Zusammensetzung der Arbeiterklassen vgl. dies., Italiani e Sloveni a Trieste. 35 Im Jahre 1909 z.B. sandte der in Wien stationierte deutsche Attaché der Kriegsmarine einen Bericht über die Produktionskapazität der österreichischen Schiffsbauindustrie nach Berlin, in dem er folgendes Urteil über die in den Schiffswerften des Küstenlandes beschäftigten Arbeiter zum Ausdruck brachte: „die breite Masse der Arbeiter steht mit ihrer Trägheit und Bequemlichkeit jedem Fortschritt auf dem Gebiet der Kultur oder Sozialpolitik im Wege, indem sie sich zu der für Arbeitgeber wie Arbeiter gleich vorteilhaften kürzeren, aber intensiveren Arbeit nicht bewegen lassen will, und sie gegenwärtig im Sommer lieber bei einer halbstündigen Arbeitspause 13 Stunden pro Tag arbeitet, als sich den Bedingungen des Stücklohns zu fügen. Die hierdurch entstehende Arbeitsverteuerung bleibt natürlich nicht ohne Einfluss auf den Gesamtpreis der Neubauten …“; Militärarchiv Freiburg, Reichsmarineamt 3V2983, Bericht vom 12. Juni 1909. Ähnliche wie die bei den Triester Arbeitern festgestellten Züge finden sich zum Beispiel bei den Arbeitern der Torpedofabrik Whitehead in Fiume. Als während des Ersten Weltkriegs diese Fabrik nach St. Pölten in Niederösterreich verlegt wurde, zeigte die lokale Bevölkerung eine ausgesprochen ablehnende Haltung gegenüber diesen „rebellischen“ und „anarchischen“, an hohe

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Die von Lajos Domokos und Giuseppina Martinuzzi entwickelte Vorstellung einer inneren Stratifikation des Triester Proletariats und deren politische und organisatorische Implikationen wurde hingegen von den deutschsprachigen Parteiführern nicht geteilt, da für sie die gesamte Triester Arbeiterklasse aufgrund ihrer spezifischen nationalen Eigenschaften tendenziell zum Lumpenproletariat gehörte. Der Generalsekretär der Zentralkommission der Gewerkschaften der Metallarbeiter, Anton Huber, fällte im Jahre 1904 angesichts der Schwäche der Gewerkschaftsorganisation im Adriahafen ein oberflächliches Urteil über den fehlenden Hang der „Latini“ zur Disziplin und zur mühseligen Alltagsarbeit in der Arbeiterbewegung. Trotz des gewaltigen Streiks vom Februar 1902 und ungeachtet der das ganze Jahr andauernden Gewerkschaftsagitation mit ihren bedeutenden Erfolgen im Hinblick auf Lohnerhöhungen und verbesserte Arbeitsbedingungen26 war nach Meinung Hubers die Gewerkschaftsbewegung in Triest gegenüber den deutschen Gebieten der Monarchie fünfzehn Jahre im Rückstand27. Es war jedoch der Sozialistenführer Wilhelm Ellenbogen, der die Anschauung, dass die Italiener aufgrund ihres Temperaments, ihrer Kultur und Geschichte nicht imstande seien, mit ihren deutschen Genossen beim Aufbau einer sozialistischen Organisation Schritt zu halten, am deutlichsten ausdrückte. Diese Überzeugung Ellenbogens, der unter den österreichischen Sozialdemokraten den häufigsten Kontakt mit den italienischen Sozialisten der Monarchie pflegte, tritt in verschiedenen Äußerungen sowohl auf Kongressen der adriatischen und Trentiner Sozialisten als auch in Wortmeldungen im Reichsrat zutage28. Am schlüssigsten formulierte Wilhelm Ellenbogen M. Cattaruzza, La formazione del proletariato urbano, S. 142-145. AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 255, Polizeibericht über den 2. Gewerkschaftskongress am 6. Januar 1904. 28 Zur Meinung Wilhelm Ellenbogens über die Organisationsfähigkeiten der adriatischen Arbeiter vgl. AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 255, Polizeibericht über den 4. Kongress der italienisch-adriatischen Sektion, abgehalten in Triest am 3. und 4. Januar 1904. Vgl. auch die Parlamentsdebatte über die Ereignisse von 1902, veröffentlicht in: Wiener Abendpost, Beilage zur Wiener Zeitung, 18. Februar 1902, Nr. 40, Reichsrath. 92. Sitzung des Abgeordnetenhauses, Wien 18. Februar. Die Verwendung nationaler Stereotypen als umfassenden Erklärungsansatz war in der positivistischen Kultur jener Epoche durchaus üblich. Eine der ersten Betrachtungen zum Einfluss des „italienischen Charakters“ auf die Gestaltung des Sozialismus ist diejenige von Gustave Le Bon, bekannt für seine Aufsätze über die ‚Masse‘; G. Le Bon, Psychologie du Socialisme, Paris 1920 (1. Aufl. 1898), insbesondere S. 113-224. Es handelt sich dabei um ziemlich allgemeine Betrachtungen hinsichtlich einer angeblich stärkeren Neigung der romanischen Völker zum Etatismus (im Gegensatz zu den Angelsachsen), als zum Sozialismus als politischer Bewegung. Le Bon zufolge zeichneten sich die romanischen Völker durch eine lebhafte Intelligenz, aber durch wenig Initiative und 26 27

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Unabhängigkeitssinn, ein latenter Hang zur Rebellion und die Gewöhnung an ein relativ hohes Einkommen, das sich in einem Hang zum „In-Den-TagHinein-Leben“ und einem gewissen Hedonismus äußere36. In einem Bericht der Direktion der Fabbrica Macchine St. Andrea (FMSA) an die Hauptstelle Industrieller Arbeiter-Organisationen in Wien, in dem verschiedene Fälle von Gewalttätigkeit seitens der Arbeiter in der Fabrik und der ihr angeschlossenen Werft S. Rocco beschrieben wurden, die in der Ermordung eines Ingenieurs durch einen entlassenen Arbeiter gipfelten, wurde die lokale Arbeiterschaft als zügellos und rebellisch bezeichnet. Als Beweis wurde darauf hingewiesen, dass es sogar den Gewerkschaftsorganisationen nicht gelungen war, in einem derartigen Arbeitsmilieu Fuß zu fassen. Die geringe Entschlusskraft der Polizeibehörde, einem nunmehr endemischen Ausmaß an Gewalttaten und Übergriffen gegenüberzutreten, habe bewirkt – so die Direktion der FMSA –, dass sich in den Arbeitern ein „übertriebenes Machtbewusstsein“ entwickelt hatte, „welches noch durch das Temperament und den nationalen Charakter der dortigen Arbeiterschaft bis zur Unerträglichkeit in offene Anarchie gesteigert wurde“37. Im Großen und Ganzen scheint sich in den wichtigsten Wirtschaftszentren des habsburgischen Küstenlandes eine Arbeitersubkultur mit besonderen, jedoch nicht in erster Linie national geprägten, Eigenschaften entwickelt zu haben. Nicht außer Acht zu lassen sind die zahlreichen Manifestationen von Habsburgertreue oder Feindseligkeit gegenüber den „Reichsitalienern“ seitens italienischsprachiger Arbeiter, für die offensichtlich der Sprachgebrauch keinen entscheidenden Identitätsfaktor darstellte38. Löhne gewöhnten Arbeiter, die nicht imstande waren, sich in die ruhige städtische Gesellschaft zu integrieren. Vgl. über die Arbeiter der Whitehead M. Cattaruzza, Sotto l’egida degli Asburgo (1875-1918), in: A. Casali / M. Cattaruzza, Sotto i mari del mondo. La Whitehead 1875-1990, Rom / Bari 1990, S. 5-126, insbesondere S. 111-126. 36 Eine interessante Dokumentation über das starke Selbstbewusstsein der Triester Arbeiter ist die Sammlung von Klagen der Arbeiter der Werft S. Rocco gegenüber dem deutschen Werkstattleiter Klönner, die diese an die örtliche Polizeidirektion richteten; AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 338, Muggia, 11. Februar 1909. In denselben Tagen war fast die gesamte Arbeiterschaft der Werft in den Streik getreten, um die Entlassung Klönners herbeizuführen; M. Cattaruzza, La formazione del proletariato urbano, S. 124 f. 37 AST, Statthalterei Präsidialien, Bd. 389, Bericht des Präsidiums der Hauptstelle industrieller Arbeitgeber-Organisationen an den Statthalter des Küstenlandes, Konrad Prinz zu Hohenlohe-Schillingfürst, Wien, 21. Februar 1914. 38 Die Frage nach dem Verbreitungsgrad einer „österreichischen“ Identität unter der italienischsprachigen Bevölkerung Triests wurde bis jetzt noch nicht systematisch angegangen. Missstimmungen gegenüber den nach Triest eingewanderten Italienern „aus dem Königreich“, die zuweilen loyalistische Züge aufweisen, sind in einigen Arbeitergruppen anzutreffen; M. Cattaruzza, Italiani e Sloveni a Trieste, S. 153 f.

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Von einem allgemeineren Gesichtspunkt aus ist ferner zu bedenken, dass das Programm der Arbeiteremanzipation, das mittels eines Selbsterziehungsprozesses in den Reihen der sozialdemokratischen Bewegung verwirklicht werden sollte, in erster Linie vom deutsch-österreichischen Sozialismus und nicht von allen der Zweiten Internationale angeschlossenen Parteien ausging. Tatsächlich vollzog sich die Bildung der Arbeiterklasse nur in Deutschland und in den größeren Städten Deutsch-Österreichs in einem so bedeutenden Ausmaß innerhalb der Strukturen der Arbeiterbewegung39, dass sie sich schließlich mit dieser deckte. Weder die Labour Party, noch die französischen und italienischen sozialistischen Parteien verfolgten das Ziel einer derart radikalen Transformation der Kultur und Verhaltensweisen ihrer Anhänger. Auf der einen Seite wies die gesellschaftliche Zusammensetzung der sozialistischen Bewegungen in Frankreich und Italien viel weniger einen proletarischen Charakter auf, als dies für die deutsche Sozialdemokratie der Fall war, wo selbst die Intellektuellen mit wenigen Ausnahmen Autodidakten waren, die ihre kulturelle Bildung der Partei verdankten40. Andererseits Eindeutig antiitalienischer Natur waren die von der Nachricht der Ermordung der Kaiserin Elisabeth durch den Anarchisten Luccheni hervorgerufenen Unruhen und die Kundgebungen anlässlich der Kriegserklärung Italiens an Österreich, als mehrere tausend Demonstranten sich vor dem Gebäude der Statthalterei versammelten, die Kaiserhymne sangen und darauf Gebäude italienisch orientierter politischer Institutionen oder solche, die Untertanen des italienischen Königreichs gehörten, plünderten und verwüsteten; dies., La formazione del proletariato urbano, S. 141, 146 f. 39 Vgl. zu diesem Thema D. Geary, Arbeiterkultur in Deutschland und Großbritannien im Vergleich, in: D. Petzina (Hrsg.), Fahnen, Fäuste, Körper. Symbolik und Kultur der Arbeiterbewegung, Essen 1986, S. 91-99. In ihrer Studie über den Arbeiterradikalismus in Düsseldorf hebt Mary Nolan hervor, dass in Deutschland die sozialdemokratische Partei ausschlaggebend für die Bildung der Arbeiterklasse gewesen sei, da sie den Arbeitern „eine gemeinsame Sprache vermittelt habe, durch die sie imstande waren, die Gesellschaft zu verstehen“; M. Nolan, Social Democracy and Society. Working Class Radicalism in Düsseldorf 1890-1921, Cambridge 1981. 40 Zu der Rolle der Intellektuellen in den verschiedenen Parteien der Zweiten Internationale vgl. J. Jemnitz, Die internationale Arbeiterbewegung nach dem Kriegsausbruch 1914, in: Internationale Tagung der Historiker der Arbeiterbewegung (V. Linzer Konferenz), Linz, 16.-20. September 1969, Wien 1971, S. 31-47. Eine ausführliche Behandlung des vorwiegend kleinbürgerlichen Charakters der Basis der italienischen Sozialdemokraten und der Vorherrschaft der freien Berufe des Bürgertums unter den Abgeordneten und der Führerschicht findet sich in: M. Ridolfi, Il PSI e la nascita del partito di massa, S. 118-149. Robert Michels hatte bereits im Jahre 1906 in einem gründlichen und ausführlichen sozial-politischen Aufsatz den bürgerlich-intellektuellen Charakter der Führerschicht der italienischen sozialistischen Partei hervorgehoben; R. Michels, Proletariat und Bourgeoisie in der sozialistischen Bewegung Italiens. Studien zu einer Klassen- und Berufsanalyse des Sozialismus in Italien, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 22 (1906), insbesondere Tl. 3, S. 424-466 und Tl. 4, S. 664-720. Hinsichtlich der großen Anzahl von Arbeitern sowohl in der Führung als auch unter den Mitgliedern der deutschen Sozialdemokratie gegenüber

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hatte sich im italienischen und französischen Sozialismus nicht jener Bruch mit den demokratischen und radikalen Strömungen vollzogen, der sich in Deutschland bereits zur Zeit der Konstituierung von Lassalles Allgemeinem Deutschen Arbeiterverein ergeben hatte. Völlig anders ist auch der Fall des englischen Labourismus gelagert, der vom Marxismus wenig beeinflusst wurde und wo die Arbeiterklasse aufgrund ihrer frühzeitigen Bildung bereits vor ihrer politischen Organisation eine eigene und ursprüngliche, von jeder politischen Formation unabhängige Kultur entwickelt hatte41.

Die Arbeiterbewegung in der politischen Massengesellschaft Die Triester Arbeiterbewegung war von einer streng nach dem deutschösterreichischen Modell ausgerichteten Parteiorganisation gekennzeichnet, die sich hier jedoch mit einer nach Nationalitäten gegliederten Gesellschaft und einer Arbeiterklasse konfrontiert sah, die wenig geneigt war, den Erwartungen der Sozialdemokratie in Bezug auf Organisation und verinnerlichte Werten zu entsprechen. Zudem machte den Parteiführern die Präsenz einer kämpferischen, wenn auch zahlenmäßig geringfügigen Gruppe von Anarchisten zu schaffen. Zumindest dem äußeren Anschein nach war die Organisationsstruktur der Triester Sozialdemokraten indes beeindruckend: der italienische Sozialist Angelo Cabrini, der 1902 die Parteiorganisation in Triest beschrieb, hob des klassenübergreifenden Charakters der italienischen sozialistischen Partei vgl. L. Valiani, Il movimento operaio socialista in Italia e in Germania, in: L. Valiani / A. Wandruszka (Hrsg.), Il movimento operaio e socialista in Italia e in Germania, S. 7-28. E. Ragionieri, Socialdemocrazia tedesca e socialisti italiani 1875-1895, Mailand 1961, liefert uns ein interessantes Zeugnis des toskanischen Anthropologen Jacopo Danielli, der anlässlich der Wahlen des Jahres 1893 in Berlin weilte und mit Erstaunen und Bewunderung feststellte, dass die Sozialisten einen einfachen Arbeiter als Kandidaten aufstellten, anstatt für den liberalen Kandidaten Virchow oder für den Kathedersozialisten Wagner zu stimmen. Danielli schloss mit den Worten: „Oh, bei uns hingegen, im Vaterland Machiavellis, kommt man bereits als Politiker auf die Welt, wir sind praktisch und deshalb gibt es Sozialisten, die die Kandidatur von Pantano, von Imbriani, von Cavallotti vorschlagen, und diese Sozialisten – und das ist das Schönste, wollen dem ausländischen Sozialismus eine Lektion erteilen!“; ebd., S. 297. 41 Vgl. zur Besonderheit der deutschen Sozialdemokratie im europäischen Vergleich J. Kocka (Hrsg.), Europäische Arbeiterbewegungen im 19. Jahrhundert. Zur Bildung einer ursprünglichen Kultur der englischen Arbeiterschicht bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, unabhängig von jeglicher politischen Formation, vgl. E.P. Thompson, The Making of the English Working Class, London 1963. Über die Eigenschaften einer besonderen Kultur der Arbeiterklasse im Industriezeitalter vgl. E.J. Hobsbawm, The Formation of British Working-Class Culture, in: ders., Worlds of Labour, S. 176-193.

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insbesondere deren proletarischen Charakter und ihre Bestrebungen zur Selbsterziehung hervor: „In Triest habe ich den Versammlungen sowohl wirtschaftlicher als auch politischer Vereinigungen beigewohnt: was dem Besucher aus dem sozialistischen Italien, der den Parteikongressen beiwohnt, besonders auffällt, ist das starke Überwiegen des proletarischen über das kleinbürgerliche Element … Diese Abwesenheit von Freiberuflern und Kleinbürgern … kam dem Triester Sozialismus zugute und entwickelte in den Reihen der Arbeiter jenen autodidaktischen Geist, den wir am deutschen sozialistischen Proletariat bewundern. Auch die deutsche Zähigkeit gekoppelt mit der geistigen Beweglichkeit unserer Landsleute erzeugten vorzügliche Früchte: Arbeiter, die in der Öffentlichkeit sprechen; Arbeiter, die in den Zeitungen schreiben; Arbeiter, die morgen – nach Änderung des Wahlsystems – Gemeinderäte, Landtags- und Parlamentsabgeordnete sein werden“42.

Diese Beurteilung scheint im Widerspruch zu den oben dargestellten Gegebenheiten zu stehen. Es gilt jedoch zu bedenken, dass Angelo Cabrinis Beobachtungen von einer vollkommen anderen politischen und organisatorischen Realität ausgingen: nämlich der italienischen, in der sich die sozialistische Partei aufgrund des niedrigen Industrialisierungsniveaus43 noch stark auf eine kleinbürgerliche Basis und eine bedeutende und einflussreiche Präsenz von Intellektuellen und Angehörigen freier Berufe stützte. Angesichts einer derartigen Realität konnte den Errungenschaften der Triester Sozialisten ein fast paradigmatischer Wert beigemessen werden. Wenn man die Situation Triests jedoch mit jener der größeren Industriezentren des deutschsprachigen Österreichs und Deutschlands verglich, erschien das Verhältnis zwischen der Sozialdemokratie der Adriastadt und ihrer gesellschaftlichen Basis prekär und wenig gefestigt. Die Erfolge der Sozialisten in Triest wurden, nicht ohne Grund, auch von „italienisch“ orientierten Dissidenten in Frage gestellt. In einer äußerst heftigen Schmähschrift mit dem Titel „Imperial-Regio socialismo Triestino“, 42 A. Cabrini, Introduzione, in: L. Domokos (Hrsg.), I fatti di Trieste, S. 5 f. Zu Cabrini vgl. F. Andreucci / T. Detti (Hrsg.), Il movimento operaio italiano, Bd. 1, S. 431439. Cabrini wurde später ein Mitläufer des Faschismus (auch wenn er sich nicht formell dem Regime anschloss) aufgrund des Prinzips der organisierten (in diesem Fall korporativen) Wirtschaftsordnung. 43 Zur Zusammensetzung der italienischen Arbeiterklasse zu Beginn des 20. Jahrhunderts vgl. G. Procacci, La lotta di classe in Italia agli inizi del secolo XX, 3. Aufl., Rom 1992, insbesondere S. 7-80. Zur verspäteten Herausbildung eines modernen Industrieproletariats in Italien im Vergleich zu Deutschland vgl. auch die Meinung von Werner Sombart in: E. Ragionieri, Socialdemocrazia tedesca e socialisti italiani, insbesondere S. 359-390. Über die kleinbürgerliche Zusammensetzung der italienischen sozialistischen Partei und deren demokratisch-radikale Ausrichtung vgl. ebd., S. 283-356.

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äußerte Communardo Braccialarghe, ein Anhänger der Arbeitskammer, die sich im Jahre 1910 als Abspaltung von den Einheitsgewerkschaften gebildet hatte, weil sie deren Mehrheit als zu stark philo-slowenisch betrachtete, unter anderem: „Wenn man in Triest und leider nicht nur in Triest von ‚sozialistischen Arbeitern‘ spricht, ist das eine sehr relative Wahrheit; eine jener Wahrheiten, die sehr eng mit der Lüge verwandt sind. Es wäre nicht übertrieben zu sagen, dass unter allen Triester Arbeitern, der einen Seite und der anderen, vielleicht etwa hundert ein sozialistisches Gewissen besitzen und eine Kenntnis des Sozialismus. Die anderen sind Gefühls- und Wunschsozialisten, Sozialisten nur von außen. In Triest sind, mehr als anderswo, die Faust, das Messer, der Stein, der Revolver Elemente der Argumentation. Wenn der Futurismus aus diesen besteht, dann wird Marinetti in Triest ein Heer finden. Man hat sehr viel vom Werk des Circolo di Studi sociali gesprochen: man hat behauptet, dass das Proletariat sehr viel Nutzen aus der Teilnahme an den unzähligen von diesem Circolo organisierten und von berühmten Persönlichkeiten der Politik, Wissenschaft und Kunst gehaltenen Vorträgen gezogen hat. Ja, diese Vorträge waren zahlreich und sehr schön, aber sie dienten nur dem Vergnügen von etwa Hundert Intellektuellen. An den meisten von ihnen nahm das Volk aus einem einfachen Grund nicht teil: es verstand nichts von den wunderbaren, von den tüchtigen Rednern erzählten Dingen. Ein Luxusunterricht war das. Man sagte sich: denken wir an das Proletariat – und man deckte einen Tisch mit exquisiten Speisen. Doch leider suchten die proletarischen Mägen vor allem ein nahrhaftes Essen. Man bot denjenigen mit leeren Mägen Champagner und Gebäck an“44.

Spätestens nach dem Generalstreik von 1902 wurden die Sozialisten jedoch zu einer politischen Kraft, mit der sich sowohl die Liberalnationalen als auch die slowenischen Nationalisten auseinandersetzen mussten. Was die Bündnispolitik betraf, behielt die adriatische Sektion in ihrem bedeutendsten Zentrum eine strenge Linie bei und tat sich nur selten mit anderen politischen Kräften zusammen, und dies auch nur dann, wenn die zur Diskussion stehenden Themen in das sozialistische Programm passten. Dies geschah anlässlich einiger antiklerikaler Mobilisierungskampagnen seitens der Liberalnationalen, zur Unterstützung der Forderung nach einer italienischen Universität in Triest sowie zur Hundertjahrfeier der Geburt Giuseppe Garibaldis oder während der heftigen antiklerikalen und spanienfeindlichen Kundgebungen, die nach der Hinrichtung des antiautoritären und antiklerikalen Pädagogen Francisco Ferrer in Spanien ausgebrochen waren und mehrere Tage dauerten45. In 44 F. Testena [C. Braccialarghe], I.R. socialismo triestino, Mailand 1910, S. 11. Über die Persönlichkeit von Braccialarghe, der anarchische und garibaldinische Einflüsse in sich vereinte, vgl. F. Andreucci / T. Detti (Hrsg.), Il movimento operaio italiano, Bd. 1, S. 396-399. Nach dem Ersten Weltkrieg wanderte Braccialarghe nach Argentinien aus und trat nach zahlreichen Kurswechseln zum Faschismus über. 45 Zu den republikanischen und sozialistischen Demonstrationen anlässlich der Hundertjahrfeier der Geburt Giuseppe Garibaldis vgl. AST, Statthalterei, APR, Bd. 317,

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diesen Fällen fanden sich die Sozialisten in einer breiten, alle politischen Kräfte der Stadt umfassenden „laizistischen“ Koalition mit Liberalnationalen, Mazzinianern, Republikanern und Anarchisten vereint. Die slowenische Partei Edinost, die einzige politische Kraft von Gewicht, die neben einer liberalen auch eine philokatholische Richtung aufwies, blieb den Kundgebungen fern. Üblicherweise wurden die Kundgebungen der Sozialisten jedoch unabhängig von den Liberalnationalen und der slowenischen Partei durchgeführt, und oft auch im offenen Gegensatz zu deren Politik. Während der Gründungsphase der nationalistischen slowenischen Arbeiterorganisation verübten die Sozialisten sogar tätliche Angriffe auf deren Anhänger, womit sie ihre Feindseligkeit gegenüber einer Partei kundtaten, die das Triester Proletariat teilweise ihrem Einfluss zu entziehen drohte. Auch beschädigten sie die Sitze der Edinost und störten deren Versammlungen46. Die Fähigkeit der Sozialisten zur Mobilisierung der Massen war beträchtlich. Eindrucksvoll führten dies die Kundgebungen von 1905 und 1906 zugunsten des allgemeinen Wahlrechts vor Augen, an denen mehrere tausend Personen teilnahmen. Die Politisierung der Massen eröffnete neue Formen der politischen Partizipation, die innerhalb der sozialdemokratischen Organisation durch heftige Dissensformen zum Ausdruck kam und von Pfeifkonzerten und Krawallen unter den Fenstern der jeweiligen Gegenpartei (Statthalterei, Rathaus, aber auch Privatwohnungen des Bürgermeisters, des Stadtrats oder liberalnationaler Politiker) bis zu verbalen Provokationen, Raufereien und gar bis zum Sturm auf öffentliche Versammlungslokale der politischen Gegner reichte47. Daraus ergibt sich das Bild einer stark von politischer Leidenschaft durchdrungenen Stadt, die, grob gesehen, in drei große politische Lager zerfiel: die italienischen Bericht vom 5. Juli 1907. Die etwa 300 Personen umfassende sozialistische Kundgebung wurde vom Vorsitzenden des Circolo di Studi sociali Michele Susmel angeführt. Zu den Demonstrationen des Jahres 1907 zugunsten der italienischen Universität, die von allen politischen Parteien mit Ausnahme der Edinost getragen wurden, vgl. AST, Statthalterei, APR, Bd. 317, Berichte vom 15., 16., 17. und 18. November 1907. An der öffentlichen, von den Sozialisten am 17. November abgehaltenen Versammlung nahmen ca. 1.800 Personen teil, unter denen sich auch Liberalnationale, Republikaner und Mazzinianer befanden. Zahlreiche, von der Polizeidirektion an die Statthalterei gesandte Berichte über die Protestkundgebungen anlässlich der Hinrichtung von Francisco Ferrer in: AST, Statthalterei, APR, Bd. 338. Über die Demonstrationen zur Erinnerung an die Einnahme Roms, an denen Liberalnationale und Sozialisten teilnahmen, vgl. AST, Statthalterei, APR, Bericht vom 21. September 1906. 46 Zum Versuch der Sozialisten, eine Versammlung der NDO zu stören, der mit einem Handgemenge endete, und zu anderen Feindseligkeiten gegenüber slowenischen Vereinen vgl. AST, Statthalterei, APR, Bd. 317, Polizeiberichte an die Statthalterei, 2. und 16. September 1907. 47 Zu großangelegten sozialistischen Kundgebungen des Jahres 1905 zugunsten des allgemeinen Wahlrechts, die in allen größeren Städten der Monarchie stattfanden, vgl. AST, Polizeidirektion, APR, Bd. 257. Vgl. zu den Manifestationen von 1906 zur

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Liberalnationalen, die Slowenen und die Sozialisten. Die radikalen Militanten dieser Lager (z.B. Republikaner und Anhänger Mazzinis auf „italienischer“ Seite), veranstalteten bei jeder Gelegenheit öffentliche Demonstrationen, nicht nur zur Bekundung ihrer Überzeugungen und Forderungen, sondern auch – und vor allem –, um den städtischen Raum mit ihrer Anwesenheit zu durchdringen und ihm die Prägung ihrer eigenen Politik und ihrer Ideale zu verleihen. Auf diese Weise und durch die Mobilisierung der städtischen Massen entstanden die jeweiligen Stereotypen der „italienischen“ Stadt, der „Arbeiterstadt“ und des „slawischen“ Zentrums. Es seien hierzu einige Beispiele angeführt. Im Juni des Jahres 1906 organisierten die Sozialdemokraten verschiedene Kundgebungen zur Erweiterung des allgemeinen männlichen Wahlrechts – das 1905 durch staatliches Gesetz nur für die Reichsratswahlen verfügt worden war – auf die Landtags- und Kommunalwahlen. Die Demonstranten bezweckten dabei unter anderem, dem Widerstand der italienischen liberalnationalen Parlamentarier gegen die Ausdehnung des Wahlrechts entgegenzutreten. Nach verschiedenen Demonstrationsaufrufen der Sozialisten versammelten sich im Laufe jenes Juli bis zu 3.000 Personen auf den Plätzen Triests. Zu diesen Massenaufläufen kamen Protestkundgebungen vor den Sitzen der liberalnationalen und republikanischen Presseorgane („Il Piccolo“, „L’Indipendente“), sowie Protestkundgebungen mit Geschrei und Gepfeife vor dem Haus des liberalnationalen Parteiführers Felice Venezian und des Bürgermeisters Scipione Sandrinelli. Auch wurde versucht, das Caffè Municipio zu stürmen, wobei Fensterscheiben eingeworfen wurden, nachdem die Demonstranten aus dem Inneren des Lokals mit Tellern und Geschirr beworfen worden waren. Auch bei einer Straßenbahn und am Haus von Felice Venezian wurden einige Fenster eingeworfen. Die Kundgebungen wurden erst eingestellt, nachdem die Nachricht eingetroffen war, dass die Liberalnationalen ihre Obstruktion in Wien aufgegeben hätten48. Während der Protestkundgebungen des Jahres 1907 gegen die Verteuerung des Brotes, an der auch zahlreiche Frauen und Kinder teilnahmen, wurden die Fensterscheiben einiger Bäckereien eingeschlagen, die Gäste des Caffè Specchi auf dem Hauptplatz der Stadt angegriffen und die Schaufenster weiterer öffentlicher Lokale, darunter jene des slawischen Cafés im Gebäude des Narodni Dom zerstört49. Besonders eindrucksvoll waren die Trauerkundgebungen aller politischen Parteien, die spontan auf die Nachricht von der

Ausdehnung des allgemeinen Wahlrechts auch auf die Landtags- und Kommunalwahlen AST, Statthalterei, APR, Bd. 305. 48 AST, Statthalterei, APR, Bd. 305, Polizeiberichte an die Statthalterei, 4. Februar sowie 12. und 13. Juni 1906. 49 AST, Statthalterei, APR, Bd. 317, Polizeiberichte an die Statthalterei, 12. und 14. September 1907.

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Hinrichtung des antiklerikalen Pädagogen Francisco Ferrer am 14. Oktober 1909 durch die spanische Regierung folgten. Bei diesem Anlass zeigte die Stadt eine seltene Einheit der Gefühle, die auch im Bewusstsein des laizistischen Charakters der eigenen Identität gründete. Sozialisten, Anarchisten und Anhänger Mazzinis fanden sich nun unter dem Ausruf „Es lebe Ferrer“ und „Nieder mit dem reaktionären Spanien!“ vereint. Sobald die Nachricht vom Vollzug der Hinrichtung eingetroffen war, wurden auf den Ruf des Publikums „Vorhang runter!“ die Theatervorstellungen abgebrochen. Nur mit großer Mühe gelang es der Polizei, den Sturm auf das spanische Konsulat zu verhindern, wobei die Jesuitenkappelle von jungen Demonstranten mit Steinen beworfen wurde. Am Mittag des darauf folgenden Tags traten die Arbeiter aller Betriebe für einen halben Tag in den Streik. Alle Gebäude der politischen Vereinigungen, auch die der slowenischen Edinost, zeigten Trauerbeflaggung. Nach einem nunmehr üblichen Brauch wurden die Fenster jener Lokale, die nicht geschlossen hatten, eingeworfen. Am Abend wurden aus den Reihen eines Demonstrationszuges von italienisch-republikanisch orientierten Sozialisten, Anarchisten und Anhängern Mazzinis einige Schüsse gegen die Polizei abgefeuert. Bei einigen Hotels wurden die Scheiben eingeschlagen50. Zieht man das Verhalten der Volksmassen während der Unruhen der Jahre 1897 und 1902 zum Vergleich heran, so wiesen die nachfolgenden Kundgebungen einige nicht zu unterschätzende Unterschiede auf. Bereits im Jahre 1905, als Triest sich geschlossen mit zahlreichen Versammlungen und Umzügen an der großen, die gesamte Monarchie umfassende Bewegung für das allgemeine Wahlrecht beteiligte, zeigten die Kundgebungen des Proletariats inhaltlich einen abstrakteren Charakter und waren weniger an punktuelle Anlässe gebunden. Dies zeugt von einer Mentalitätsveränderung in Richtung auf eine modernere Auffassung von politischer Partizipation und eine stärkere Definition der Rolle der Arbeiterklasse im österreichischen Staat. Bezeichnend für ein gereiftes Bewusstsein der eigenen Bürgerrechte innerhalb der Arbeiterklasse war die Tatsache, dass im Herbst 1906 6.000 Arbeiter Valentino Pittoni, der dem Landtag einen Antrag zur Erweiterung des Wahlrechts vorlegte, bis zum Versammlungsort begleiteten51. Diesem Modernisierungsprozess fielen allerdings jene Momente der „Selbstdarstellung des Volkes“ zum Opfer, die

50 AST, Statthalterei, APR, Bd. 338, Polizeiberichte an die Statthalterei, 14., 15. und 16. Oktober 1909. Die Hinrichtung Ferrers, der als moralischer Mandant des in der „tragischen Woche“ von Barcelona (Juni 1909) ausgebrochenen Aufstands gegen die Sendung von Truppen nach Marokko betrachtet wurde, hatte in ganz Europa heftige Reaktionen in der Öffentlichkeit ausgelöst. Generalstreiks wurden in Rom, Turin, Genua, Bologna und Neapel ausgerufen. In ganz Italien fanden Protestkundgebungen statt. Zu den Reaktionen in Italien vgl. Avanti, 14., 15. und 16. Oktober 1909. 51 AST, Statthalterei, APR, Bd. 305, Polizeibericht an die Statthalterei, 27. Dezember 1906.

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zum Beispiel die Festlichkeiten anlässlich der Freilassung Riccardo Cambers aus dem Gefängnis oder gewisse „Exzesse“ während der Tumulte des Jahres 1902 geprägt hatten. Zu den Feiern zu Ehren Cambers, die mehrere Abende hintereinander im Arbeiterviertel S. Giacomo stattfanden und mehrere tausend Personen anzogen, bemerkte ein Polizeibeamter: „Camber, neuer Pisistratos, bot einer Frau von junonischen Formen, die sich ‚Führerin der Sozialistinnen‘ nannte, den Arm und durchquerte mit ihr triumphierend das Viertel. Die Bezeichnung ‚Fest‘ scheint wenig angemessen; wir würden diese Kundgebung eher als Bacchanalie bezeichnen“52. Anlässlich der Freilassung Cambers waren viele Fenster des Viertels S. Giacomo festlich erleuchtet, während der Sozialistenführer von einem Schwarm von Gassenjungen und sessolote (Tagelöhnerinnen, die im Hafen mit dem Verlesen von Kaffebohnen, Weihrauch und Zitrusfrüchten beschäftigt waren), die brennende Kerzen und Stöcke mit roten Papierfetzen in den Händen trugen, begleitet wurde. Es scheint jedoch, dass an dem Fest nur wenige Arbeiter teilnahmen, während die skandierten Slogans aus einem Durcheinander von national italienischem und sozialistischem Inhalt bestanden. Als politisches Subjekt agierte das Triester Proletariat zweifellos oft sehr abweichend von jenem Modell der „Ordnung und Disziplin“, auf das die österreichische Sozialdemokratie so stolz war53. Dies sollte jedoch vor allem der von allen politischen Lagern ausgeübten Art der Massenpolitik zugeschrieben werden. Raufereien, die Stürmung von Parteisitzen, Schlägereien in von Politikern besuchten Lokalen sind, häufig er noch als bei den Sozialisten, in den Auseinandersetzungen zwischen der „italienischen“ und der 52 AST, Polizei, APR, Bd. 255, Bericht vom 7. August 1897. Was die Unruhen des Jahres 1902 betrifft, so bedauerte auch der Innenminister in einer Veröffentlichung (Die sozialdemokratische und anarchistische Bewegung im Jahr 1902, S. 5), dass in Triest die sozialdemokratische Partei keine ausreichende Kontrolle über die Massen besäße. 53 Hinsichtlich der sozialdemokratischen Auffassung von der Rolle der Massen in der Politik vgl. die scharfsinnigen Bemerkungen Hans Mommsens: „Zweifellos scheute auch die Sozialdemokratie Österreichs vor der robusten Aktivierung der Massen nicht zurück; sie war die erste moderne Massenpartei in diesem Staate und hatte ihren Aufstieg mit Hilfe der Massen durch Demonstrationen und Kundgebungen erzwungen. Aber sie erstrebte nicht die Entfesselung, sondern die Disziplinierung der Massen. Ihre Agitation sollte überzeugen, nicht bloß mitreißen. Die Partei wollte, nach einer berühmt gewordenen Formulierung Victor Adlers, ‚die Revolutionierung der Gehirne‘ als Voraussetzung für die soziale Umwälzung. Dieser Sachverhalt wird deutlich, wenn man die manipulierte Spontaneität der nationalen Krawalle mit der erstaunlichen Disziplin der meisten sozialdemokratischen Demonstrationen vergleicht“; H. Mommsen, Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage, S. 297 f. Vgl. auch die denkwürdige Demonstration von 20.000 Personen, größtenteils Arbeitern, für die politischen Rechte, die am 13. Dezember 1869 in Wien in perfekter Ordnung stattfand; H. Steiner, Die Arbeiterbewegung Österreichs, S. 20-25.

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„slowenischen“ Partei anzutreffen, die sich während des letzten Jahrzehnts vor Ausbruch des Weltkriegs einen erbitterten Kampf um die symbolische Kontrolle über die Stadt lieferten. Jedes Anzeichen einer slowenischen Präsenz in den städtischen Bezirken rief eine sofortige Reaktion der militanten Komponente der nationalen Mehrheitsgruppe hervor. Es vollzog sich also während der ersten Jahre des Jahrhunderts eine Vereinheitlichung des politischen Verhaltens der maßgeblichen, in der Stadt präsenten Kräfte. Der sozialistischen Partei gelang es zweifellos, einige tausend Lohnempfänger für ihre politischen Ziele zu gewinnen. Ihrem Versuch, den Arbeiterklassen eine Perspektive der Emanzipation aufzuweisen, die anhand einer konsequenten Bemühung um „Selbstveredlung“ in den verschiedenen Bereichen des Arbeiterdaseins stattfinden sollte , war jedoch weniger Erfolg beschieden.

Siebtes Kapitel Adriatischer Sozialismus und nationale Frage In Bezug auf die nationale Frage nahmen die Triester Sozialisten eine konsequent internationalistische Haltung ein; sie hielten sich getreu an die Beschlüsse des Brünner Parteitages zur Erhaltung des Vielvölkerstaates und zu seiner föderalistischen Neuordnung auf ethnisch-nationaler Basis. Die Mobilisierung der Sozialisten zugunsten einer italienischen Universität in Triest deckte sich mit dieser Auffassung, nach der den verschiedenen Nationalitäten des Reiches das volle Recht auf kulturelle Entwicklung garantiert werden sollte. Von den sozialistischen Idealen war es vor allem der Internationalismus, der auch von den Arbeitern rezipiert wurde1. Hinsichtlich dieses zentralen Kerns der Ideologie der Zweiten Internationale gab es eine fast völlige Übereinstimmung zwischen der sozialdemokratischen Parteiführung und den sozialistisch politisierten Triester Arbeitern: sowohl die einen wie auch die anderen verteidigten den Internationalismus aus der Überzeugung heraus, dass nur die Bindung an den Vielvölkerstaat das wirtschaftliche Wachstum des Adriahafens, und damit den Wohlstand und das Gedeihen des Arbeiterstandes, garantiere. Die Bedeutung, die beide Seiten dem Internationalismus beimaßen und die in erster Linie in der Forderung nach Gleichberechtigung für alle Nationen Österreichs zum Ausdruck kam2, war folglich ein Ausdruck der Konvergenz

1 Vgl. in diesem Zusammenhang H. Konrad, Die Herausbildung des Austromarxismus und das Verhältnis zu Deutschland, S. 25-46, insbesondere S. 33 ff. Laut Konrad war der Internationalismus in der Arbeiterklasse Österreichs nicht verwurzelt und blieb eine rein rhetorische Übung: „Man dachte national und fühlte sich jener Nation zugehörig, deren Sprache man sprach“; ebd., S. 36. Für die deutsche Arbeiterklasse haben Dieter Groh und Werner Conze das Konzept der „unbewussten Nationalisierung“ entwickelt, die durch die Integration der Arbeiterbewegung in den Nationalstaat vonstatten gegangen sei; W. Conze / D. Groh, Die Arbeiterbewegung in der nationalen Bewegung. Die deutsche Sozialdemokratie vor, während und nach der Reichsgründung, Stuttgart 1966, S. 125 f. Zur starken nationalen Ausprägung der sozialdemokratischen Bewegung in den „geschichtslosen Völkern“ der Habsburgermonarchie vgl. H. Mommsen, Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage, S. 264 ff. 2 Die internationalistische Haltung der Triestiner Sozialisten erschöpfte sich aber nicht in der überzeugten Unterstützung des Brünner Programms. An der Konferenz Arturo Labriolas zur russischen Revolution nahmen zum Beispiel etwa 2.500 Personen teil; AST, Statthalterei, APR, Bd. 305, Polizeibericht an die Statthalterei, 21. Januar 1906. Zu den Reaktionen der Sozialisten auf die Hinrichtung von Francisco Ferrer, die

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zwischen der Parteiideologie und den Interessen der „Basis“ (die freilich in anderen Bereichen keine Analogie fand). So trug die Anwesenheit eines zahlenmäßig bedeutenden Proletariats in Triest dazu bei, die offizielle Linie gegenüber eventuellen nationalistischen Abweichungen zu stärken. Verglichen mit den sozialistisch gesinnten italienischsprachigen Arbeitern, die dem internationalistischen Ideal folgten, war die Situation der slowenischen Arbeiter in Triest eine andere. Sie waren weniger stark von der südslawischen Parteisektion beeinflusst und neigten seit der Gründung der Narodna Delavska Organizacija (NDO) im Jahre 1905 eher dazu, sich im Einflussbereich dieser letzteren zu bewegen. Diese unterschiedlichen Verhaltensweisen und Orientierungen sind auch auf die verschiedenen Perspektiven zurückzuführen, die sich den zwei Arbeitergruppen eröffneten: hätten sich die italienischen Arbeiter für den Nationalismus entschieden, so hätten sie ihre kollektive Existenz in Frage gestellt, da ein italienisches Triest nicht die wirtschaftliche Führungsposition hätte beibehalten können, die es im Rahmen des Habsburger Staates besaß. Für die Slowenen hingegen hätte eine nationale Haltung keine so drastischen Folgen gehabt, weil die slowenischen Politiker für die Slawen der Monarchie eine ähnliche staatsrechtliche Stellung forderten, wie sie die Ungarn besaßen. Das Dilemma zwischen den eigenen kollektiven Interessen und der nationalen Identität, das vom italienischen Proletariat Triests zu Gunsten ersterer entschieden wurde, stellte sich der slowenischen Komponente des Proletariats nicht. Hingegen fand diese letztere in der slowenischen Arbeiterorganisation ein kohärentes Emanzipationsprogramm, in welchem der Überwindung des Minderheitenstatus gleichzeitig soziale und nationale Bedeutung beigemessen wurde. Auch stellte der slowenische Arbeiternationalismus die Funktion des großen Adriahafens nicht in Frage – vielmehr ging der NDO davon aus, dass auch ein national slowenisch geprägtes Triest diese Rolle beibehalten könne3. Angesichts dieser Situation erscheint der große Erfolg der NDO verglichen mit der südslawischen Sektion der sozialdemokratischen Partei verständlich, da in der letzteren nationale Themen entsprechend den Richtlinien des Brünner Parteitages behandelt wurden, so dass sich der Nationalismus nur in verhaltener Form äußern konnte4.

in einem Streik von einem halben Tag mündeten, vgl. das Sechste Kapitel in diesem Band. 3 M. Cattaruzza, Italiani e Sloveni a Trieste, S. 119-165. 4 Zur Schwäche des sozialdemokratischen Programms in Bezug auf die nationale Frage und zur geringen Fähigkeit, mit den nationalistischen Parteien zu konkurrieren, vgl. H. Mommsen, Nationalitätenfrage und Arbeiterbewegung in Mittel- und Osteuropa, in: ders. (Hrsg.), Arbeiterbewegung und Nationale Frage, Göttingen 1979, S. 81-101, hier S. 95.

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Der Internationalismus der italienischen Sozialisten in Triest Mochte die Bindung des Triester Proletariats an den Internationalismus auch im Sinne der Partei sein, so verhinderte sie doch andererseits, dass die Sozialdemokratie ihren Einfluss über das Proletariat hinaus auf klein- und mittelbürgerliche Schichten ausweiten konnte. Denn obschon diese Schichten bisweilen mit dem sozialen und demokratischen Programm der Partei liebäugelten, waren sie nicht bereit, die nationale Frage auf ihre kulturelle Dimension zu reduzieren, besonders nicht im Hinblick auf das starke Anwachsen des slowenischen Nationalismus5. Dies trug dazu bei, dass der Sozialismus in Triest seinen klar proletarischen Charakter beibehalten und festigen konnte, zugleich aber selbst den aufgeschlosseneren Schichten des italienischen Bürgertums fremd blieb. Der Entscheid der Sozialisten, Slowenen in den städtischen Wahlkreisen kandidieren zu lassen, markierte in dieser Hinsicht gewissermaßen den point of no return, an dem die Sozialisten sich den Anhängern des mazzinianischen und demokratischen Radikalismus endgültig entfremdeten. Mit ihrer Entscheidung beabsichtigten die Sozialisten einerseits, den Urbanisierungsprozess der slowenischen Bevölkerungsgruppe anzuerkennen; andererseits bezweckten sie, mit diesen Kandidaturen den slowenisch-nationalen Kräften entgegenzutreten, um deren Anziehungskraft auf die slowenische Wählerschaft zu mindern6. Diese Rechnung ging nicht auf, und darüber hinaus provozierten diese wahltaktischen Entscheide der Partei die Abspaltung einer Reihe von Aktivisten, die empfindlicher auf die nationale Problematik reagierten, so zum Beispiel der Abgeordnete Silvio Pagnini, der eine den sozialdemokratischen Gewerkschaftsorganisationen entgegengesetzte Arbeitskammer gründete, ohne

5 Außer dem Erstarken der slowenisch-nationalen Organisationen machte sich in den Jahren unmittelbar vor dem Ausbruch des Weltkriegs ein gewisser Aktivismus von alldeutschen und antisemitischen Gruppen bemerkbar. Vgl. zum Beispiel in: AST, Statthalterei, APR, Bd. 327, Die Statuten der Ortsgruppe deutscher Arbeiter „Germania“ für die Alpenländer, für Triest und Gebiet, mit dem Sitze in Triest, die am 24. Februar 1908 in Graz präsentiert worden waren und gemäß deren nur deutsche Arbeiter arischer Abstammung Mitglieder des Vereins werden konnten. Die Statuten des Reichsverbands „Anker“ der deutschen Handels- und Privatangestellten Österreich – Ortsgruppe Triest folgten einem ähnlichen Tenor (AST, Statthalterei, APR, Bd. 327). Vgl. auch AST, Statthalterei, APR, Bd. 335, Die Statuten des Vereins der deutschen Staatsangestellten im Küstenlande, die am 5. Dezember 1909 den Behörden vorgelegt worden waren. Eine gewisse Beunruhigung über Anzeichen von Antisemitismus in Triest wurde schon 1904 vom liberalnationalen Parteiführer, dem Freimaurer jüdischer Abstammung Felice Venezian, in einem Brief an Ernesto Nathan geäußert; A. Levi, Ricordi della vita e dei tempi di Ernesto Nathan, Florenz 1945, S. 189 f. 6 E. Maserati, Il movimento operaio a Trieste, S. 224 ff.

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dass es allerdings deswegen zu Massenaustritten aus der sozialdemokratischen Partei gekommen wäre7. Die Mehrheit der Arbeiterschaft hielt der Partei in diesen Entscheidungen die Treue, was aber, wie bereits ausgeführt, zur Folge hatte, dass ihre Grenzen gegenüber dem nationaler gesinnten städtischen Bürgertum sehr klar umrissen wurden. Nach dem grandiosen Wahlsieg von 1907, als es den Sozialisten gelungen war, alle vier Reichsratsmandate der Stadt zu erringen, gingen die sozialistischen Stimmenanteile wieder zurück. In den Landtagswahlen von 1909 und 1913, zu denen in den städtischen Wahlkreisen auch slowenische Kandidaten aufgestellt wurden, konnten sozialistische Abgeordnete nur neun bzw. sieben Mandate für sich gewinnen; 58 bzw. 60 gingen dagegen an die Liberalnationalen – und dies, obwohl das neue Wahlgesetz das allgemeine Männerwahlrecht eingeführt hatte, allerdings beschränkt auf die vierte Kurie des Wahlkörpers. Von den slowenischen Kandidaten wurde keiner gewählt. Anlässlich der Wahlen von 1913 fand die antisozialistische Hetze neue Nahrung aufgrund einer Wahlbroschüre, die der slowenische Sozialist Ivan Regent verfasst hatte. Darin rief er die Slowenen in Triest dazu auf, für die sozialistischen Kandidaten zu stimmen, da diese ihnen vollumfängliche „nationale Rechte“ zusichern würden. Unvorsichtigerweise sprach Regent in seiner Schrift vom „Märchen von der Italianità Triests“. Die nationalbewussten Italiener der Stadt antworteten darauf mit wütenden Protesten, und selbst „Il Lavoratore“ griff den Autor für seine Position an. Es scheint aber, dass Valentino Pittoni Regent im Namen des Prinzips der nationalen Autonomie gegen die Kritik der eigenen Parteigenossen verteidigte8. Eine noch schwerere Niederlage erlitten die Sozialisten bei den Wahlen des Jahres 1911, in denen sie zwei der vier Abgeordneten verloren, die sie in den ersten Wahlen mit allgemeinem männlichen Wahlrecht von 1907 erhalten hatten – wobei sie damals auch vom Entschluss der Liberalnationalen, sich der Stimme in der Stichwahl des zweiten Wahlgangs zu enthalten, profitiert hatten9. Auch die reichsitalienischen Sozialisten zeigten sich überrascht von der nationalen Politik des adriatischen Sozialismus: Leonida Bissolati und Arturo Labriola zum Beispiel polemisierten sowohl gegen die Aufstellung von slowenischen Kandidaten für die Wahlen wie auch gegen die Stimmen der 7 Ebd., S. 225-243. Vgl. auch ders., Il sindacalismo autonomista triestino degli anni 1909-1914, Udine 1965. 8 Trieste venduta ai suoi nemici! La politica italiana dei socialisti triestini confermata dai socialisti sloveni, in: Il Piccolo, 6. Juni 1913. Vgl. zum Vorfall auch I. Regent, Spomini, S. 77. 9 E. Maserati, Il movimento operaio a Trieste, S. 214-270.

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slowenischen Nationalisten, die in der Stichwahl von 1911 den sozialistischen Kandidaten zufielen10. Zu diesen Auseinandersetzungen gesellten sich noch die Spannungen, die durch die Bosnienkrise ausgelöst worden waren. Die sozialdemokratischen Abgeordneten hatten die Annexion der Region durch Österreich stillschweigend akzeptiert, was unter den Genossen in Italien Überraschung und mehr oder weniger starken Unmut hervorrief. Für den angesehenen radikaldemokratischen Historiker Gaetano Salvemini bedeutete die Annexion Bosniens eine Korrektur seines früheren Anti-Irredentismus in Richtung auf eine Ablehnung des Dreibundes, welche schließlich beim Ausbruch des Weltkrieges in den „demokratischen Interventionismus“ münden sollte, der die Zerschlagung der Monarchie und die vollständige politische Unabhängigkeit der ihr angehörenden Nationen befürwortete11. In der „Critica sociale“ warf Salvemini den österreichischen Sozialisten vor, die vollendete Tatsache der Annexion unter Missachtung des Prinzips der nationalen Selbstbestimmung stillschweigend akzeptiert zu haben.12 Diesem Artikel gingen scharfe Angriffe auf Valentino Pittoni durch den italienischen Sozialisten Claudio Treves voraus, obwohl Pittoni in der außenpolitischen Kommission der österreichisch-ungarischen Delegation als einziger gegen die Ratifizierung der Annexion gestimmt hatte13 – sowie ein Beitrag von Angelo Vivante, ebenfalls in der „Critica sociale,“ der die gemäßigte Reaktion der Sozialisten auf den Verstoß Österreichs gegen die Beschlüsse des Berliner Kongresses rechtfertigte14. Nachdem Salvemini in einem ausführlichen, scharfsichtigen Artikel unter dem Titel „Irredentismo, questione balcanica e internazionalismo“15 die Widersprüche im Irredentismus des adriatischen Bürgertums analysiert hatte, nahm er entschieden Partei für die volle Unabhängigkeit der Serben und Montenegriner, indem er Mazzinis Vision eines demokratischen Erwachens der slawischen Völker wieder aufgriff und die Unterstützung, welche Ebd., S. 249-253. M. Salvadori, Gaetano Salvemini, Turin 1963, S. 90-103. Zu den Reaktionen einiger Exponenten des italienischen Sozialismus auf die Annexion Bosniens vgl. G. Sabbatucci, Irredentismo e movimento nazionalista in Italia, in: Storia Contemporanea, 2 (1971), S. 53-106, insbesondere S. 60 f. 12 G. Salvemini, Irredentismo, questione balcanica e internazionalismo, in: Critica sociale, 19, 1.-16. Januar, 1. Februar, 1. März 1909. 13 A. Casali, Claudio Treves – Dalla giovinezza torinese alla guerra di Libia, Mailand 1989, S. 269-271. 14 A. Vivante, L’internazionalismo ha fatto bancarotta?, in: Critica sociale, 18, 1. November 1908. 15 Vgl. oben Anm. 12. 10 11

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die österreichischen Sozialisten der imperialistischen Politik ihrer Regierung gewährten, bedauerte. Pittoni hatte schon früher zur Annexion Stellung genommen und dabei die Auffassung geäußert, dass diese die Kräfteverhältnisse auf dem Balkan nicht verschieben werde, und dass es daher keinen Grund für eine Mobilisierung der Sozialisten zugunsten der despotischen Monarchien der Karađorđević und der Njegoš gebe16. Hier widersprach Pittoni indes der Position, die er am italienisch-österreichischen Kongress von 1905 vertreten hatte, als er das Recht auf Selbstbestimmung der balkanischen Nationalitäten entschieden verteidigt hatte17. Pittonis Einschätzung der Bosnienkrise von 1908 steht höchstwahrscheinlich in Zusammenhang mit seiner Abneigung gegenüber dem Panslawismus (ähnlich jener, die er für den deutschen Nationalismus empfand) und mit der Vision von Österreich als ausgleichendem Faktor gegenüber den russischen und deutschen Expansionsschüben. Seine Auffassungen in dieser Frage hatte er am genannten Kongress von 1905 folgendermaßen ausgeführt: „Die deutschen Nationalisten wünschen sich fast alle das Ende des heutigen Österreich, um es jedoch durch ein ungeheuerliches Deutschland zu ersetzen, das sich über eigene und fremde Gebiete von der Ostsee bis zur Adria erstrecken soll, und die Slawen wünschen eine riesige slawische Macht, die Asien und drei Viertel von Europa umfassen soll“18. Diese Beurteilung zeugt sicher von erheblicher politischer Einsicht, hatte aber wenig mit den theoretischen Voraussetzungen des Sozialismus der Zweiten Internationale zu tun.

16 V. Pittoni, La questione balcanica. In risposta ai compagni di Milano, in: Il Lavoratore, 16. Oktober 1908: „Hätten wir die Pläne von König Peter und Fürst Nikola, die nicht allen Südslawen genehm waren, unterstützen sollen? Glaubt ihr, dass diese jämmerlichen Helden [‚eroi in sessantaquattresimo‘], die nicht vor Verbrechen und den verrücktesten Unternehmen zurückschrecken und sich mit jedem Mittel beliebt machen wollten, von Gott dazu berufen sind, die Südslawen zu befreien und den Frieden auf dem Balkan und in Europa zu fördern? Nur wer sich in weiter Ferne befindet, kann versäumen, die Politik dieser Abenteurer zu durchschauen“. 17 Vgl. Resoconto stenografico della relazione Pittoni, in: I convegni socialisti di Trieste, S. 41: „Weder die Sozialisten verschiedener Nationalität in Österreich, noch die Sozialisten in Italien wünschen, dass Österreich oder Italien den Balkan zerstückeln und seine Provinzen annektieren. Die Sozialisten diesseits und jenseits der Grenzen sind sich vollkommen darüber einig, dass die Unruhen auf dem Balkan ein für alle Mal ein Ende find en müssen. Die einzige Lösung ist jedoch ein freier Staatenbund dieser Völker“. Gegen jeden Gebietserwerb auf dem Balkan durch Österreich hatte sich einige Monate vor der Bosnienkrise auch Otto Bauer ausgesprochen; O. Bauer, Österreichs auswärtige Politik und die Sozialdemokratie, in: Der Kampf – Sozialdemokratische Monatsschrift, 1 (1908), S. 145-151. 18 V. Pittoni, Socialismo, Nazionalismo, Irredentismo nelle Provincie Adriatiche Orientali, S. 7.

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Die Divergenzen zwischen den reichsitalienischen und den adriatischen Sozialisten sind auf die grundlegend verschiedenen Umfelder zurückzuführen, in denen die zwei politischen Kräfte agierten und die ihren jeweiligen geistigen Horizont beeinflussten. Im Fall der reichsitalienischen Sozialisten stellte der Nationalstaat gleichsam ein „natürliches“ Umfeld der sozialistischen Bewegung dar. Für die adriatischen Sozialisten hingegen war das Überleben des habsburgischen Staatsverbands (in welcher institutionellen Form auch immer) lebenswichtig. Es ließ sich kaum vermeiden, dass dieser fundamentale Unterschied zu gegenseitigem Unverständnis und einer Reihe von Missverständnissen führte.

Angelo Vivante Die Haltung der adriatischen Sozialisten zur nationalen Frage wurde von Angelo Vivante, dem einzigen bedeutenden Intellektuellen unter ihnen, theoretisch untermauert. Vivante stammte aus einer Familie des italienisch gesinnten jüdischen Wirtschaftsbürgertums. Durch seine Entscheidung für den Sozialismus brach er nicht nur mit seiner sozialen Herkunft, sondern auch mit dem kulturellen und nationalen Vermächtnis seiner Familie19. Vivantes Engagement bei den Sozialisten führte zu seinem Ausschluss aus den liberalnationalen Kreisen, die er zuvor frequentiert hatte und die seine politische Entscheidung als Verrat einstuften. Erschwerend kam die weit verbreitete Auffassung hinzu, dass zu dieser Zeit (Anfang des 20. Jahrhunderts) die Verteidigung der italianità vor dem Vormarsch der Slawen die vereinten Kräfte aller Bürger erfordere. In einem solchen Klima nationaler Belagerung war es eher unwahrscheinlich, dass sich Vertreter des intellektuellen Bürgertums für den Sozialismus entschieden. Was schließlich die jüdische Komponente betrifft, war diese in Triest im Unternehmertum sowie in der italienischliberalnationalen Bewegung prominent vertreten und gehörte folglich in jeder Hinsicht zur städtischen Elite20. In einer solchen Situation, die für das Habsburgische Reich als relativ privilegiert gelten konnte21, fühlte sich das jüdische Bildungsbürgertum nur schwach zur sozialistischen Bewegung hingezogen. Der Triester Arbeiterbewegung fehlte so der geistige Beitrag einer wichtigen Komponente der mitteleuropäischen Intelligenz, die für andere Sektionen sehr 19 Vgl. die einfühlsame Rekonstruktion von Camillo Daneo zur Isolation, die Angelo Vivante in Triest erfuhr; C. Daneo, Il fantasma di Angelo Vivante, Udine 1988, S. 50 ff. 20 Zur jüdischen Komponente in der Triestiner Elite vgl. A. Millo, L’élite del potere a Trieste. Una biografia collettiva 1891-1938, Mailand 1989, insbesondere S. 21151. 21 Zur Lage der Juden in der Habsburger Monarchie vgl. R.S. Wistrich, The Jews of Vienna in the Age of Franz Joseph, Oxford 1989, insbesondere S. 164-202.

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bedeutend war. Dies hatte zur Folge, dass ihr pragmatischer und kaum zu theoretischen Reflexionen neigender Charakter noch weiter verstärkt wurde. Im Jahre 1912 wurde in Florenz beim Verlag von „La Voce“ das wichtigste Werk von Angelo Vivante, „Irredentismo adriatico – Contributo alla discussione sui rapporti austro-italiani“, veröffentlicht. Der Arbeit ging ein Beitrag in der einflussreichen Zeitschrift „La Voce“ voraus, der einige Thesen des Buchs vorwegnahm und das erklärte Ziel verfolgte, die Missverständnisse, die in Italien in Bezug auf die „unerlösten Gebiete“ bestanden, zu klären22. Mit seinem „Irredentismo adriatico“ beabsichtigte Angelo Vivante eine Neuinterpretation der Geschichte Triests und des Küstenlandes seit dem 18. Jahrhundert, in der er die sozialen und ethnischen Beziehungen in der Region nachzeichnete und die Entwicklung des Triester Hafens als wichtigstem Zugang des österreichischen Binnenlandes zu den Weltmeeren rekonstruierte. Vivante machte die spezifische politische Kultur des adriatischen Hafens an einem „Triestinismus“ fest, der autonomistisch und sowohl antislawisch als auch antiitalienisch orientiert sei. Zudem zeigte er auf, dass sich das nationale Bewusstsein, auch im Vergleich zum nahe gelegenen Istrien, sehr spät und auch nur schwach entwickelt hatte. Die Kernpunkte der Kritik Vivantes an einem möglichen Anschluss des Küstenlandes an das Italienische Königreich betrafen: (1) die Feststellung des ethnisch gemischten Charakters der Region, mit der Folge, dass eine klare Trennung der Gebiete aus nationaler Sicht unmöglich erschien; (2) die Überzeugung, dass die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt mit dem Fortbestand des habsburgischen Staates zusammenhing. Vivante argumentierte, dass Triest seine Funktion der wirtschaftlichen Vermittlung zwischen Mitteleuropa und der Levante nur im Rahmen einer Wirtschaftspolitik wahrnehmen könne, die den wichtigsten Meereszugang eines kontinentalen Staates (wie Österreich) bewusst förderte. Falls Triest einmal zu Italien kommen werde, würde Österreich seinen Verkehr auf einen anderen Hafen der östlichen Adria umleiten, während der italienische Staat weder das Interesse noch die Möglichkeit hätte, den Hafen innerhalb der nationalen Wirtschaft aufzuwerten: „Triest kann von sich genauso wenig sagen, es sei ein italienischer Hafen, wie es sich englisch, ägyptisch oder türkisch nennen könnte. Im Gegenteil, die Handelsbeziehungen zur Türkei, Ägypten, Britisch Indien usw. sind sogar intensiver als jene zu Italien“23.

22 A. Vivante, Il fattore economico e l’irredentismo triestino, in: La Voce, 8. Dezember 1910. 23 A. Vivante, Irredentismo adriatico, S. 232.

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Ein dritter wichtiger Punkt in Vivantes Studie ist durch seine Haltung zur nationalen Frage gegeben. Ähnlich wie Otto Bauer war auch Vivante der Ansicht, dass sich die Gegensätze zwischen den Nationen auflösen würden, sobald die untergeordneten Nationen ihren Emanzipationsprozess abgeschlossen und den Graben, der sie hinsichtlich der sozialen Differenzierung und der kulturellen Produktion von den dominanten Nationen trennte, überwunden hätten. Wenn das Bürgertum einmal die höchste geschichtliche Entwicklungsstufe erreicht hätte, dann sollten die horizontale Solidarität und der volle Einsatz für den Klassenkampf anstelle des nationalen Kampfes einsetzen. Aus dieser Perspektive zeigte Vivante – obwohl er jede Form von Nationalismus verurteilte, der ihm auch subjektiv fremd war – ein größeres Verständnis für den slowenischen und kroatischen Nationalismus, weil diese demokratischer seien als der italienische: „Offensichtlich hat dieser slawische Eifer eine wesentliche demokratische Grundlage, während sich der italienische fatalerweise sogar unter den kleinbürgerlichen Schichten als antidemokratisch herausstellen muss“24. In seiner Einschätzung des Nationalismus betrachtete Angelo Vivante nicht die konstitutiven Elemente des Phänomens – d.h. seine politischen und ideologischen Merkmale – als vorrangig, sondern ihre Auswirkungen auf die Transformation der jeweiligen nationalen Gesellschaft. Unter den Vertretern des Austromarxismus war Vivante vielleicht der einzige, der, wenn auch nur gelegentlich, dem Nationalismus der „geschichtslosen Völker“ einen emanzipatorischen Impetus zuerkannte25. Vivantes Studie wurde eine regionalistische Optik vorgeworfen26. In Wirklichkeit stellt aber „Irredentismo adriatico“ eine Anwendung von allgemeinen Prinzipien auf den Einzelfall des habsburgischen Küstenlandes dar. Vivante argumentierte stets vom theoretischen Standpunkt des Austromarxismus aus: in seiner Vorstellung von der Entwicklung der Gesellschaft in Richtung auf eine Polarisierung der Klassen, seiner Überzeugung von der Überlegenheit des wirtschaftlichen Faktors als Motor der Geschichte, in seiner Analyse der Tendenz zur Bildung von großen integrierten Wirtschaftsräumen und in der Unterschätzung des nationalen Problems selbst. Vivante geht hier sogar noch über die Positionen der Austromarxisten hinaus, indem er sein tiefes Unverständnis für die nationale Frage ausdrückt und seine eigene Haltung als „anational“ definiert. Ebd., S. 196. Zum Überlegenheitsanspruch der deutschen Komponente in der austromarxistischen Konzeption vgl. R. Löw, Der Zerfall der „Kleinen Internationale“. Nationalitätenkonflikte in der Arbeiterbewegung des alten Österreich (1889-1914), Wien 1984. 26 E. Colloti, Angelo Vivante, in: F. Andreucci / T. Detti, Il movimento operaio italiano, Bd. 5, S. 249-252; A. Agnelli, Socialismo triestino, Austria e Italia, S. 221280. 24 25

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Die genannte Studie, die auf den von der österreichischen Sozialdemokratie entwickelten Thesen zur nationalen Frage gründet, stellt einen originellen Versuch dar, solche Thesen auf eine spezifische Realität anzuwenden. Einen weiteren Hinweis auf den theoretischen Bezugsrahmen, in dem Vivantes Reflexionen eingebettet waren, lieferte seine Replik auf Salveminis Stellungnahme zum Problem der Annexion Bosniens. Auch hier brachte Vivante das austromarxistische Prinzip der Bildung von großen Wirtschaftsräumen aufs Tapet und zeigte auf, dass die slawischen Untertanen des Hauses Habsburg zahlreicher waren als die Slawen, die in Serbien oder Montenegro lebten. Zudem beurteilte er die beiden den Balkan beherrschenden slawischen Dynastien als mittelalterlich. Ihnen sei daher kaum zuzutrauen, die Entstehung eines modernen Proletariats zu fördern. Die Aussicht auf eine föderalistische und demokratische Evolution der Habsburgermonarchie biete den Slawen im Vielvölkerstaat sicherlich eine bessere Perspektive als jene, die sie als serbische oder montenegrinische Untertanen zu erwarten hätten27. Jedoch drang Vivante erst in seinen Schlussfolgerungen zum Kern des Problems vor, mit welchem sich die sozialistischen Parteien der Zweiten Internationale konfrontiert sahen und das sie bei Ausbruch des Weltkriegs auf die Feuerprobe stellen sollte: „Wo findet das gemeinsame Interesse des Proletariates und des Bürgertums an der kapitalistischen Expansion – das Interesse, auf dem die reformistische, d.h. positivistische Konzeption des Sozialismus beruht – wo findet dieses Interesse ein Ende, wo trennt sich die bestehende bürgerliche Gesellschaft von der proletarischen, die in ihrem Schoß heranwächst?“28.

Bei der Darstellung des Problems hatte Vivante die Realität des Vielvölkerstaates vor Augen: die jeweiligen Interessen des Bürgertums und des Proletariats fügten sich seines Erachtens in den Staat als Wirtschaftsraum jenseits nationaler Unterschiede ein, die er offensichtlich als zweitrangig erachtete. Die Argumentation von Vivante bewegte sich ganz im Rahmen der Vision einer friedlichen Entwicklung Europas in Richtung Sozialismus. Gerade weil er dem nationalen Problem wenig Gewicht beimaß, mussten ihm Salveminis Einwände wie das Produkt einer überholten, von risorgimentaler Romantik durchdrungenen Vision erscheinen. Was die Behandlung der nationalen Frage angeht, erweist sich Angelo Vivante sicherlich als originellerer Theoretiker als der Parteiführer Valentino Pittoni. Dieser beschränkte sich darauf, die Thesen von Brünn zur territorialen und administrativen Reorganisation der Monarchie nach ethnischen Gesichtspunkten mechanisch auf die Situation des Küstenlandes zu übertragen, indem 27

A. Vivante, Balcani e internazionalismo proletario, in: Critica sociale, 1. März

1909. 28

Ebd.

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er eine Demarkationslinie zwischen den vorwiegend italienischen Gebieten Triests sowie den Küstengebieten der Grafschaft Görz und Istriens einerseits und den hauptsächlich slowenischen und kroatischen Siedlungen im Innern des Görzer Gebietes und in Inneristrien, die mit Kärnten zusammengelegt werden sollten, andererseits, vorschlug29. Beiden adriatischen Führern gemein war hingegen eine geringe Aufmerksamkeit für das nationale Phänomen, das sie hauptsächlich als negatives, störendes Element und als Bremsfaktor in Bezug auf das Vorrücken des Sozialismus bewerteten. Dies, obwohl gerade Otto Bauer in seiner Darstellung „Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie“ die Vorstellung der Nation als einer autonomen geschichtlichen Kraft entwickelt hatte, wobei er ihre Eigenheiten sowie ihren stark homogenen Charakter herausstrich und behauptete, dass es mehr Ähnlichkeiten unter den Individuen einer Nation gebe als unter den Angehörigen einer Klasse. Im Rahmen einer breit angelegten historischen Abhandlung zur Herausbildung der Nationen in Mitteleuropa, in der er sich auf die marxistische Kategorie der „geschichtslosen Völker“ stützte30, definierte Otto Bauer die Nation als eine „Schicksalsgemeinschaft“ und führte aus: „Aber die Schicksalsgemeinschaft wird wirksam einerseits durch die natürliche Vererbung der durch das gemeinsame Schicksal der Nation angezüchteten Eigenschaften, andererseits durch die Überlieferung der durch das Schicksal der Nation in ihrer Eigenart bestimmten Kulturgüter“31. Die Erwägungen Bauers, die dem historisch-materialistischen Kern positivistische Elemente, sozialdarwinistisches Gedankengut und anthropologische Erkenntnisse beifügten, eröffneten Perspektiven, die über die traditionelle Definition Kautskys von der Nation als „Sprachgemeinschaft“ hinausgingen, indem sie die Konsequenzen eines historisch-kulturellen Aufbaus sowie den prozessualen Charakter aufzeigten, durch welchen sich die Abstammungsgemeinschaft in aufeinander folgenden Stadien erst zu einer Arbeitsgemeinschaft und dann zu einer Kulturgemeinschaft gewandelt hatte. Bauer forderte von der sozialistischen Bewegung, die unteren Schichten vollständig am nationalen Leben in seiner kulturellen Dimension teilnehmen

29 V. Pittoni, Socialismo, Nazionalismo, Irredentismo nelle Provincie Adriatiche Orientali – Relazione per il Convegno di Trieste dei Socialisti italiani 23 aprile 1905, in: I Convegni socialisti di Trieste: 21-22 maggio 1905, Triest 1905. 30 O. Bauer, Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie, insbesondere S. 187-207. Vgl. zum gleichen Thema auch ders., Die soziale Gliederung der österreichischen Nationen, in: Der Kampf, 1 (1907-1908), S. 30-38. 31 O. Bauer, Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie, S. 21. Eine Würdigung der Thesen Otto Bauers zur Nation, in: D. Langewiesche, „Die Sozialdemokratie hält die Nation für unzerstörbar und für nicht zerstörenswert“. Theoretische Reflexionen im Austromarxismus um 1900 und ihre Bedeutung für die heutige Nationalismusforschung, in: ders., Reich, Nation, Föderation. Deutschland und Europa, München 2008, S. 93-110.

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zu lassen, also die Kulturgemeinschaft von den gebildeten Schichten auf alle Angehörigen einer Nation auszuweiten32. Vivante hatte „Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie“ während der Niederschrift des „Irredentismo adriatico“ stets präsent. Die präzisen Bezugnahmen des Triester Sozialisten auf Bauers Werk betreffen in den meisten Fällen allerdings nur das Erwachen der slawischen Völker der Monarchie, und dies auch nur punktuell. Eine Ausnahme bildet die Stelle, an der Vivante „Die Nationalitätenfrage“ eine „meisterhafte theoretische und praktische Synthese“ des nationalen Phänomens und seiner konstitutiven Elemente nennt. Indem er die Definition Bauers von der Nation als „Schicksalsgemeinschaft“ aufgreift, unterstreicht er in erster Linie ihren geschichtlichen Charakter33. Vivante lässt sich jedoch nicht auf einen problematischen Vergleich der Nationskonzepte ein. Eher scheint der Bezug auf Bauer ein Winkelzug gewesen zu sein, um sich von der mühsamen Aufgabe zu befreien, das Phänomen irgendwie zu definieren34, was Vivantes grundsätzliches Unverständnis für die Wirkungsmacht des Nationalismus bestätigt. Diese Einengung wurde sehr früh von Robert Michels in einer Rezension des Werks, die im „Archiv für Sozialwissenschaften“ erschienen ist, aufgezeigt35. Einige Jahrzehnte später, nach dem Ende der beiden Weltkriege, räumte der Historiker Carlo Schiffrer in einem Beitrag zur austrophilen Geschichtsschreibung ein, dass die Analyse von Angelo Vivante die Frucht „seriöser und praktischer Kenntnisse der Probleme des Donaubeckens und seiner Völker“ war36. Er konstatierte bei Vivante jedoch eine unzulängliche Berücksichtigung der irrationalen Faktoren im geschichtlichen Verlauf und schloss, dass „es heute unmöglich ist, nicht anzuerkennen, dass Giuseppe Mazzini vor hundertzwanzig Jahren vorausahnte, wie sich die historisch-politische Entwicklung Europas, wenigsten 32 O. Bauer, Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie, insbesondere S. 82-120. Diese Thematik war Gegenstand einer weiteren Untersuchung von O. Bauer, Die Bedingung der nationalen Assimilation, in: Der Kampf, 5 (1911-1912), S. 246-263. 33 A. Vivante, Irredentismo adriatico, S. 146, 157, 168, 213. 34 Die Autoren, die Vivante in seiner Korrespondenz mit dem italienischen Intellektuellen Prezzolini in Zusammenhang mit dem nationalen Problem erwähnt, sind Walter Bagehot und unter den Sozialisten Gustave Hervé, der nicht von ungefähr einer jener ist, die über den Nationalismus ein höchst negatives Urteil abgegeben haben (z.B. „kollektive Raserei“ [selvaggeria collettiva]). Vgl. Lettere di Angelo Vivante, in: ders., Irredentismo adriatico, S. 324 f. (Brief von Prezzolini vom 17. August 1911) und S. 330 (Brief von Prezzolini vom 11. Februar 1914). 35 R. Michels, Vivante, Angelo: Irredentismo Adriatico. Contributo alla Discussione sui rapporti Austro-italiani, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 36 (1913), S. 982 f. 36 C. Schiffrer, L’irredentismo adriatico di Angelo Vivante nel quadro della storiografia austrofila (Centro Studi per la Storia del Risorgimento dell’Università di Trieste, 3), Triest 1955, S. 1-11.

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bis gestern, vollzogen hat, und er dies mit einer viel größeren Stichhaltigkeit tat als die Sozialdemokraten Wiens 60 Jahre später in ihren rationalen und praktischen Studien“37. Bezeichnenderweise betrafen die wichtigsten gedanklichen Anleihen des „Socialismo adriatico“ bei Bauer das nationale Erwachen der slawischen Völker (für die Vivante im Unterschied zu Bauer den Begriff „geschichtslose Völker“ aber nicht verwendete) und die unterschiedliche Verbreitung des Nationalismus in den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen – Themen, bei denen der Bezug auf die marxistische Klassenanalyse am deutlichsten hervortrat. Die Analogien zwischen der Untersuchung Bauers über die Ausbreitung des Nationalismus im tschechischen Kleinbürgertum und der Studie Vivantes zu den entsprechenden slowenischen und kroatischen Gruppen im Küstenland sind offensichtlich38. Die beiden Autoren teilen schließlich die Überzeugung, dass der moderne Nationalismus in Bezug zur kapitalistischen Entwicklung gesetzt werden müsse, die in ethnisch durchmischten Gebieten eine vertikale Solidarität erzeuge, und dass dieses Phänomen wieder verschwinden würde, wenn sich die (horizontale) Solidarität der Klassen durchgesetzt und sich die bürgerlichen Interessen jenseits der nationalen Differenzierungen wieder gefestigt hätten. Für beide Autoren – wie im Übrigen für jeden marxistischen Intellektuellen jener Zeit – stellte das Bürgertum eine grundsätzlich einheitliche soziale Entität dar. Diese Auffassung stellte für das Verständnis des Nationalismus als einer Haltung, die vor allem von den kleinbürgerlichen Schichten und den intellektuellen Berufen vertreten wurde, eine nicht unwesentliche Schwierigkeit dar. Vivante und Bauer wiesen auf diesen Umstand hin, der im Übrigen jedem unvoreingenommenen Beobachter klar sein musste. Ihre Vorstellung des Bürgertums als einer „Klasse“ im marxistischen Sinn (die sich durch eine spezifische Rolle innerhalb der Produktionsverhältnisse auszeichnete) verleitete sie einerseits dazu, den Nationalismus der Mittelschichten als eine vorübergehende Erscheinung zu betrachten, die mit einer bestimmten Phase der kapitalistischen Entwicklung zusammenhing. Andererseits führte diese Vorstellung sie dazu, eine eher künstliche Beziehung zwischen dem Nationalismus des Klein- und des Großbürgertums herzustellen, indem sie unterstrichen, dass das Großbürgertum die nationalen Konflikte als Mittel für seine Zwecke nutzte39. Anders als Vivante hob allerdings Otto Bauer Ebd. O. Bauer, Die Nationalitätenfrage in Österreich, S. 174-281; A. Vivante, Irredentismo adriatico, S. 194-203. Noch deutlicher wird der Einfluss Otto Bauers in Vivantes Untersuchung zum Ursprung der Nationalitätenkonflikte in Österreich in: A. Vivante, Nazioni e Stato in Austria-Ungheria (vgl. L’Unità, 4. Juli, 1. August, 29. August und 14. November 1913). 39 O. Bauer, Die Nationalitätenfrage in Österreich, S. 233-235; A. Vivante, Irredentismo adriatico, S. 195-199. 37 38

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die positive Bedeutung des Akkulturationsprozesses der unteren Schichten innerhalb ihrer jeweiligen nationalen Kultur hervor40. Vivante nahm die Fragestellungen des „Irredentismo adriatico“ in einer Serie von Artikeln wieder auf, die Salvemini im Laufe des Jahres 1913 in der „Unità“ veröffentlichte und die allgemein dem Thema „Nationen und Staat in Österreich-Ungarn“ gewidmet waren. Neuerlich ausgehend von Bauers Thesen zur gesellschaftlichen Grundlage des Nationalismus in der Habsburgermonarchie ordnete Vivante das Phänomen einem mittleren Stadium der kapitalistischen Entwicklung zu, nämlich der Bildung von einander gegenüberstehenden Klassen des Bürgertums und des Proletariats. Nach einer ersten Phase wirtschaftlichen Erfolgs, die sich durch die Dominanz des deutschen Bürgertums und das Überwiegen assimilatorischer Tendenzen auszeichnete, kam es gemäß dem Triester Sozialisten als Folge einer weiteren Ausbreitung der kapitalistischen Produktionsweise zu einer gesellschaftlichen Differenzierung auch innerhalb der so genannten „geschichtslosen Völker“, die bis dahin in bäuerlichen Gemeinschaften gelebt hatten. In dieser Phase herrschte die Tendenz vor, sich innerhalb der eigenen nationalen Gemeinschaft zu organisieren und sich so der bis dahin dominanten Nationalität entgegenzustellen. Diese Entwicklung zeigte sich am ausgeprägtesten im nationalen Konflikt zwischen Deutschen und Tschechen, nicht nur in Böhmen, sondern auch in Wien selbst. Als Folge des nationalen Antagonismus – durch den sich das Proletariat und die Mittelschicht um das jeweilige Bürgertum scharten und das Ziel verfolgten, die relative Position der eigenen Gruppe in Bezug auf alle anderen Völker der Monarchie zu verbessern – wurde die politische Aktivität auf der Regierungsebene lahm gelegt, eine ausweglose Situation ohne Gewinner oder Verlierer. In dieser Aussage war der Bezug auf Bauer wieder ganz deutlich: „Das Recht auf Obstruktion stellte die ungeschriebene Verfassung der Völker der Monarchie dar“, hatte der Vordenker des Austromarxismus einmal gesagt41. Am Ende seiner Untersuchung, die Vivante während des blutigen interbalkanischen Krieges um die Aufteilung der osmanischen Kriegsbeute durchführte, nahm er das föderalistische Brünner Programm wieder auf, das er als das alleinige Mittel betrachtete, um aus der verfahrenen Situation herauszukommen. In den Schlussfolgerungen Vivantes ist sein großes Entsetzen über das Blutbad auf dem Balkan spürbar: „Ich denke, dass auch die, welche noch an die problemlösende Wirkung des Krieges glauben, die schrecklich und zugleich unerlässlich sein soll, nach einem Jahr balkanischen Gemetzels überzeugt sind, dass diese angebliche Tugend des kollektiven Mordens – falls sie je existiert hat – nun überholt ist. Der türkische

O. Bauer, Die Nationalitätenfrage in Österreich, S. 139-142, 276. H. Mommsen, Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage im Habsburgischen Vielvölkerstaat, S. 295. 40 41

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Erbfolgekrieg hat nicht die Türkei zerstört, er hat das Nationalitätenprinzip, das er eigentlich befolgen wollte, schlimmer als je zuvor verletzt, hat überall den Militarismus und Nationalismus gestärkt, hat die europäischen Gesellschaften zurück in die Barbarei getrieben. Ein österreichischer Erbfolgekrieg – welchen Ursprungs auch immer – hätte jeder menschlichen Voraussicht nach noch schlimmere Folgen. Angenommen, es würde ihnen unter Inkaufnahme von Millionen von Opfern an Menschen und Dingen gelingen, das österreichisch-ungarische Staatsgebilde zu zerstören, dann würden die Gewinner auf seinen Trümmern, bis an die Zähne bewaffnet, aufeinander losgehen und einander bedrohen, und jeder würde Landstriche, die der andere erobert hat, im Namen des nationalen Rechts zurückfordern … und so für Jahrzehnte oder für Jahrhunderte die heutigen Grausamkeiten fortsetzen und verschärfen“42.

„Nazioni e Stato in Austria-Ungheria“ ist die letzte bedeutende theoretische Schrift Angelo Vivantes. Ihre Argumentation richtet sich gegen den habsburgischen Zentralismus, der ein Ausdruck der vorkapitalistischen Elite sei und daher ungeeignet, einen sich rasch industrialisierenden Staat zu regieren. Die Schrift ist durchzogen von der leisen Angst vor einer ungewissen Zukunft. Fast scheint es, als wollte sich der Autor selbst davon überzeugen, dass das Hindernis auf dem Weg zur Koexistenz der Völker der Monarchie einzig durch diesen Zentralismus verkörpert werde. Diesen Zentralismus zu überwinden, sei die Aufgabe des politischen Kampfes des Proletariats, um so den Weg zu einer föderalen Ordnung zu ebnen, in welcher die Rechte und Pflichten der verschiedenen Nationalitäten ein für allemal festgelegt werden sollten, damit diese keinen Anlass mehr zu endlosen Streitereien und zur gegenseitigen Lähmung bieten würden. Die Untersuchung endet mit einem besorgten Blick in die Zukunft und einer fast prophetische anmutenden Frage: „Für die Proletarier Österreichs beginnt eine schreckliche Zeit der großen Verantwortung. Werden sie ihr gewachsen sein? Werden sie die zentrifugalen Strömungen überwinden, die ihre Kräfte bedrohen? Werden sie den Streit schlichten, der zwischen Tschechen und Deutschen ausgebrochen ist und denjenigen, der im Versteckten zwischen Polen und Ruthenen schwelt? Werden sie den Internationalismus, der in der Theorie ziemlich einfach auszurufen ist, verstehen und in die Realität umsetzen? In der Beantwortung dieser Fragen liegt nicht nur die Zukunft Österreich-Ungarns, sondern vielleicht auch der Frieden in Europa, der Schlüssel zur Geschichte des 20. Jahrhunderts“43.

Fast hat es den Anschein, als wollte Vivante dem Nationalismus, den er in anderen Situationen als „obskur“ bezeichnete, hier die teuflische Macht austreiben.

42 A. Vivante, Nazioni e Stato in Austria-Ungheria, 3. Folge, S. 361-363; O. Bauer, Unser Nationalitätenprogramm und unsere Taktik, in: Der Kampf, 1 (1907-1908), S. 204-210. 43 A. Vivante, Nazioni e Stato in Austria-Ungheria, 4. Folge, S. 408 f.

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Und wir gehen unter … Zum ersten großen Streit zwischen den adriatischen Sozialisten und der deutsch-österreichischen Sozialdemokratie kam es beim Ausbruch des Weltkrieges. Der Ursprung des Streits lag im Artikel „Der Tag der deutschen Nation“44, den Friedrich Austerlitz in der „Arbeiter-Zeitung“ vom 5. August 1914 publiziert hatte und in dem die vorbehaltlose Ausrichtung der reichsdeutschen Sozialdemokratie auf die Nation pointiert zum Ausdruck kam. Der Artikel, der die Zustimmung zu den Kriegskrediten begrüßte, die die sozialdemokratische Fraktion im deutschen Parlament abgegeben hatte (das österreichische Parlament war geschlossen), ist von einer ausgeprägt nationalen Gesinnung durchdrungen. Austerlitz machte ausschließlich die Mächte der Entente (insbesondere Russland) für den Ausbruch des Krieges verantwortlich, beschwor die tödliche Gefahr für die umzingelte Nation, feierte die nationale Solidarität der sozialistischen Abgeordneten und forderte das ganze deutsche Volk auf, sich im Kampf um die eigene Existenz zu vereinen. Der Artikel schloss mit den Worten: „Und so zieht das deutsche Volk einig in den Kampf um die Bewahrung seines staatlichen und nationalen Daseins. Auf der anderen Seite elende Spekulationen, Schacherkoalitionen, denen jede sittliche Idee fehlt. Hier ein einig kraftvoll bewegtes Volk; die Weltgeschichte müsste den Lauf rückwärts nehmen, wenn den Deutschen nicht ihr Recht würde!“. Der Artikel von Austerlitz löste bei den führenden Triester Aktivisten große Verwirrung aus. Sie wurden nun unmissverständlich mit dem nationalen Charakter der stärksten Komponente der Sozialdemokratie Österreichs konfrontiert, die sie immer als Vorbild betrachtet hatten und deren Richtlinien ihren Internationalismus genährt hatten. Im September 1914, in Folge ähnlicher Beiträge des sozialdemokratischen Organs in Wien, bestürmten Julius Schmiedek, ein deutschsprachiger Aktivist, der seit vielen Jahren in Triest wohnhaft war, und Valentino Pittoni die Parteisekretäre Ferdinand Skaret und Victor Adler mit ihren Forderungen nach Aufklärung45. „Il Lavoratore“ distanzierte sich öffentlich von der patriotischen deutschösterreichischen Linie der „Arbeiter-Zeitung“, unterlag allerdings der Zensur46. In einem langen und wohlüberlegten Brief versuchte Victor Adler Valentino Pittoni von der Gefahr für die Gesellschaft, die vom Zarentum ausging, zu überzeugen: „Schlimmer als der Krieg an sich kann nur noch eine Sache sein: 44 Der Tag der deutschen Nation, in: Arbeiter-Zeitung – Zentralorgan der Deutschen Sozialdemokratie in Österreich, 5. August 1914. 45 Ebd. 46 VfGABW, Adler-Archiv, 166a/71, Brief von Victor Adler an Julius Schmiedek, 22. September 1914; 166a/72, Brief von Schmiedek an Adler, 24. September 1914; 166a/69, Brief von Schmiedek an Adler, 29. September 1914; 166a/70, Brief von Schmiedek an Ferdinand Skaret, 17. September 1914.

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eine Niederlage der Deutschen und Österreicher und ein Sieg Russlands. Zur Position der „Arbeiter-Zeitung“ fügte Adler hinzu: „Und nun begreifen Sie, dass die Deutschen – und die Arbeiter-Zeitung ist das Organ der deutschen Sozialdemokraten und hat sich nie mehr angemaßt, als das zu sein – heute in einer Gefahr sind, wie niemals ein Volk war. Ob das Reich schuld trägt oder nicht, das ist in diesem Moment so gleichgiltig (sic!), wie es gleichgiltig (sic!) ist, ob ein Streik in berechtigter Weise begonnen wurde oder nicht. In diesem Momente ist das deutsche Volk in der schwersten Gefahr, in der jemals ein Volk war, umgeben von übermächtigen Gegnern und Sie begreifen, dass wir dieser Empfindung, die jeder deutsche Sozialdemokrat ebenso wie alle Deutschen hat, Ausdruck geben“47.

Adler schloss den Brief mit der Empfehlung an Pittoni, für Klärung unter den Genossen des Italienischen Königreichs zu sorgen, sodass die Angriffe des „Avanti!“ auf die angebliche Kriegstreiberei und den Militarismus Deutschlands aufhörten und die Neutralität der reichsitalienischen Sozialisten effektiv beiden Seiten gelte, und sie nicht einseitig der Entente Sympathie entgegen brächten48. Bei Ausbruch des Krieges wich die ambivalente Haltung der deutschösterreichischen Sozialdemokraten im Vielvölkerstaat einem vollständigen Bekenntnis zu jener „deutschen Nation“, der nun auch die österreichischen Sozialisten gänzlich angehören wollten. Der Kreis schien sich mit der Rückkehr zur ursprünglichen Position der Arbeiterbewegung in Zentraleuropa zu schließen, als die österreichischen Sozialisten auf dem Parteitag von Eisenach in jeder Hinsicht als eine Sektion der deutschen Sozialdemokratie betrachtet wurden49. Paradoxerweise kam es mitten im Krieg zu jener Trennung von 47 Vgl. den Brief von Schmiedek an Ferdinand Skaret vom 17. September 1914, der den Text des Beschlusses der Triestiner Sozialisten enthält, der im „Lavoratore“ veröffentlicht und der Zensur unterworfen war: „Genossen und Nichtgenossen haben wiederholt bei uns angefragt, ob wir mit dem einen oder anderen Artikel der ArbeiterZeitung einverstanden sind. Um jedwedem Missverständnis vorzubeugen, bringen wir unseren Lesern in Erinnerung, dass ‚Il Lavoratore‘ einen Artikel der Arbeiter-Zeitung schon scharf tadeln musste und sich leider auch mit dem Inhalte von darauf folgenden Artikeln nicht einverstanden erklären kann. Zugleich erklären wir jedoch, dass wir in diesem Augenblicke gar nicht geneigt sind, mit der Zeitung der deutschen Genossen in eine Polemik einzutreten, denn wir sind der Meinung, dass die Debatten und die Beurteilung der Haltung der Sozialdemokraten bei den jetzigen Ereignissen auf eine fernere Zeit notwendig verschoben werden müssen. Während sich die Gegner alle Mühe geben, um alles herauszufinden, was uns trennen könnte, geben wir uns alle Mühe, um das herauszufinden, was uns einigen könnte.“ 48 VfGABW, Adler-Archiv, 166a/63, Brief von Adler, 22. August 1914. 49 Zur Stellung, welche die österreichische Sozialdemokratie innerhalb der deutschen einnahm, vgl. H. Konrad, Österreichische Arbeiterbewegung und nationale Frage, S. 119-130. Laut Hans Mommsen endete die Personalunion zwischen der deutschen und der österreichischen Partei erst mit dem Kongress von Wien 1897, als die föderale Organisation der Partei auf nationaler Basis beschlossen wurde;

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Staat und Nation, welche die Theoretiker des Austromarxismus als Lösung des nationalen Konflikts angestrebt hatten. Nun bedrohte diese Trennung jedoch nicht nur die Solidarität innerhalb der internationalen sozialistischen Bewegung, sondern auch die staatliche Ordnung in Zentraleuropa, wie sich einige Jahre später in dramatischer Weise herausstellen sollte. Es war kein Zufall, dass Adler in den Antworten an die Triester Genossen vom Existenzrecht des deutschen Volkes und nicht des österreichischen Staates ausging. Julius Schmiedek antwortete Adler kurz angebunden: „Wenn Sie dazu als wichtigste Sache nehmen – da spreche ich insbesondere von jenem viel erwähnten 5. August – daß wir als Deutsche unter dem furchtbaren Eindruck einer ungeheueren Gefahr für die Selbständigkeit und die Zukunft unseres Volkes gestanden sind, eine Zukunft, die unter anderem auch die Vorbedingung für die Zukunft der deutschen Sozialdemokratie ist, so werden Sie vielleicht manche allerdings erregte Äußerungen begreifen. Schließlich haben wir Deutsche ebenso das Recht, an unsere Zukunft als Volk zu denken, wie die Franzosen oder die Serben an ihre, was ihnen niemand übel nimmt“50.

Ebenfalls im Monat August begab sich Wilhelm Ellenbogen zusammen mit einigen Triester Genossen nach Mailand, um die Absichten der reichsitalienischen Sozialisten in Bezug auf die Neutralität zu ergründen. Nie zuvor war der Empfang in Triest so kühl gewesen. Rückblickend rekonstruierte Wilhelm Ellenbogen die Atmosphäre jener Tage mit den folgenden Worten: „Die Triester Genossen empfingen uns sehr kühl. Sie gehörten jenem Teil der Sozialdemokratie an, der den Krieg fanatisch ablehnte … Keine Überlegung zur Verteidigung der lebenswichtigen Interessen Triests konnte sie dazu bringen, von der heftigen Verurteilung des Verbrechens, das die Wiener Regierung begangen hatte, abzulassen. Nur dank der engen persönlichen Freundschaft, die mich mit den Abgeordneten Pittoni und Oliva verband, gelang es mir, die alten herzlichen Beziehungen wiederherzustellen“51 .

Noch nie zuvor hatten die adriatischen Sozialisten ihre Wertschätzung für die streng neutrale Linie der reichsitalienischen Genossen so klar zum Ausdruck gebracht. Deren Neutralität sei „klar und geradlinig“52 und entspreche völlig dem eigenen Empfinden in dieser dramatischen Lage. Ein paar

H. Mommsen, Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage, S. 207. Nach der großen Mobilisierung für das allgemeine Wahlrecht teilte sich die Vereinigung der Sozialdemokratie in verschiedene Richtungen auf, die von den nationalen Sektionen autonom verfolgt wurden, ebd., S. 421 ff. 50 VfGABW, Adler Archiv, 166a/71, Brief an Julius Schmiedek, 22. September 1914. 51 E. Ragionieri / L. Valiani, Socialdemocrazia austriaca e socialisti italiani nell’agosto del 1914, in: Studi Storici, 2 (1961), 1, S. 100-104. 52 E. Apih, Valentino Pittoni tra Austria e Italia, S. 62 f.

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Monate später weitete sich die Katastrophe mit dem Eintritt Italiens in den Krieg aus, während sich die Front Triest gefährlich näherte. Angelo Vivante, der den Kriegsausbruch als Negation aller Ideale erlebte, an die er geglaubt hatte, stürzte sich aus dem Fenster der psychiatrischen Klinik, in die er wegen eines schweren Nervenzusammenbruchs eingeliefert worden war, und erlag ein paar Tage später seinen Verletzungen. Man schrieb den Juli 191553. Der bekannte Triester Intellektuelle Scipio Slataper, der zu diesem Zeitpunkt bereits als Freiwilliger im italienischen Heer diente und ein paar Monate später (am 3. Dezember 1915) auf dem Karst fallen sollte, veröffentlichte einen ehrenden Nachruf in der römischen Zeitung „La Tribuna“ als Antwort auf eine verleumderische Kurzmeldung im selben Blatt: „Die Logik, die dem Selbstmord eines armen, von vielen Schmerzen müden Unglücklichen zugrunde liegt, ist die Verzweiflung eines Mannes, der, nachdem er an eine im Vergleich zum kleinen wirtschaftspolitischen Problem Triests viel komplexere oder größere Wahrheit geglaubt hatte, diese in sich zusammenstürzen sah und nicht mehr die Kraft verspürte, alles von neuem zu beginnen. Die Vorstellung, dass sich Millionen von Männern umbrachten, bereitete ihm ein fast physisches Entsetzen“54.

Gewisse Vorzeichen für Vivantes Tat kann man übrigens bereits in einigen oben erwähnten Passagen aus „Nazioni e Stato in Austria-Ungheria“ finden, in denen eine tiefe Beklemmung durchscheint, mit welcher der von humanitären Werten erfüllte Sozialist über das Blutbad auf dem Balkan nachdachte und versuchte, sich die Konsequenzen eines möglichen „österreichischen Erbfolgekrieges“ auszumalen. Bei Ausbruch des Konflikts war bereits klar, dass der „Schlüssel für die Geschichte des 20. Jahrhunderts“ auf die falsche Seite gedreht worden war. Ein paar Monate vor dem Kriegseintritt Italiens hatte Vivante notiert: „Ich verstehe …, dass das, was ich geschrieben habe, keinen Sinn mehr ergibt; es galt für den Fall eines auf Italien und Österreich beschränkten Krieges unter Beibehaltung aller anderen Bedingungen“55. Welchen Sinn konnte es nun noch haben, irredentistischen Thesen im Namen einer positiven Evolution hin zu einer wirtschaftlich höheren Ordnung entgegenzutreten, nachdem das ganze europäische Gleichgewicht gewaltsam in Frage gestellt worden war?

C. Daneo, Il fantasma di Angelo Vivante, S. 78 ff. A proposito del dott. Vivante, in: La Tribuna, 19. Juli 1915, jetzt in: S. Slataper, Scritti politici, S. 432-434. 55 E. Apih, La genesi di ‚Irredentismo adriatico‘, in: ders., Il socialismo italiano in Austria, S. 101-144. Gemäß dem Psychoanalitiker Cesare Musatti weist der Selbstmord durch Sturz aus der Höhe besondere Merkmale auf: „Abstürzen: um sich selbst auszulöschen. Aber auch, um die Welt und die Realität selbst auszulöschen. In einem Antrieb totaler Vernichtung. Der daher nicht nur gegen sich selbst gerichtet ist“; C. Musatti, Curar nevrotici con la propria autoanalisi, Mailand 1987, S. 125. 53 54

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Die Tragödie Vivantes blieb kein Einzelfall unter den adriatischen Sozialisten. 1917 starb Francesco Pittoni, der Bruder von Valentino56. 1924 beging Michele Susmel Selbstmord, der vielleicht mehr als alle anderen Triester an eine vollständige Verwirklichung der Nationalität im kulturellen Sinn geglaubt hatte, in diese Idee alle seine Energie gesteckt und sie in den regen Aktivitäten des Circolo di Studi Sociali erlebbar gemacht hatte57. Valentino Pittoni, der in Triest vom radikalen Flügel der Partei überstimmt wurde, übersiedelte nach Mailand, wo er sein Werk im Rahmen der Kooperativen fortsetzte. Wenige Monate nach dem „Marsch auf Rom“ machte er sich wieder auf den Weg nach Wien, wo er verantwortlicher Geschäftsführer der „Arbeiter-Zeitung“ werden sollte58. Bereits 1916 hatte Pittoni in einem Brief an den slowenischen Sozialisten Henrik Tuma angekündigt, dass er nicht in Triest bleiben werde, wenn „die Ereignisse des Krieges meinen Gegnern Recht geben und zum Triumph des Imperialismus führen sollten“, worunter er offensichtlich den Triumph der Ententemächte verstand59. Das Ausmaß dieser individuellen Tragödien deutet auf eine existenziell unerträgliche Situation hin, in der sämtliche Anhaltspunkte für eine Orientierung in der Wirklichkeit verloren gegangen waren. Während die sozialistische Partei in Österreich nach den großen Kampagnen für das allgemeine Wahlrecht praktisch aufgehört hatte zu existieren und sich faktisch in ihre verschiedenen nationalen Komponenten aufgespaltet hatte – die jeweils ein weitgehend autonomes Leben führten und sich nur an den internationalen Zusammenkünften (die Tschechen nicht einmal an diesen) geeint zeigten – unternahm man in Triest den Versuch der nationalen Koexistenz, die auf einer vollständigen Artikulation der kulturellen Nation gründen sollte. Die Grenzen eines solchen Vorhabens wurden bereitwillig und bewusst akzeptiert60. Die 56 E. Apih, Valentino Pittoni fra Austria e Italia, S. 63; G. Piemontese, Il movimento operaio a Trieste, S. 158 f. Gemäß Giuseppe Piemontese erlitt Francesco Pittoni beim Ausbruch des Weltkrieges im Juli 1914 einen schweren Nervenzusammenbruch, von dem er sich nicht mehr erholen sollte. 57 G. Piemontese, Il movimento operaio a Trieste, S. 161-166. 58 Im politischen Tagebuch von Aldo Oberdorfer zu den Jahren unmittelbar nach dem Ende des Krieges findet sich auch ein Hinweis auf die Neurasthenie von Giuseppe Passigli, eines führenden Aktivisten der reformistischen Strömung; A. Oberdorfer, Il socialismo del dopoguerra a Trieste, Florenz 1922, S. 90. 59 E. Apih, Alcuni documenti sull’opera di Tuma a Trieste, in: Slovenski in italijanski socialisti na primorskem 1900-1918, S. 159-178, hier S. 164. 60 H. Mommsen, Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage, S. 420 ff. Nach der Abspaltung der Tschechen leiteten alle anderen Parteien mit Ausnahme der Italiener Schritte ein, um vom Büro der Internationale als autonome politische Kräfte anerkannt zu werden. In diesem Zusammenhang wies Victor Adler mit Ironie

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Triester Sozialisten erachteten es als möglich, ihre kulturelle Identität innerhalb des plurinationalen Raumes der Habsburgermonarchie, zu der sie eine tiefe Zugehörigkeit empfanden, zu bewahren. Noch 1905 hatte sich Valentino Pittoni zuversichtlich gezeigt: „Die nationale Solidarität kann auch ohne politische Union existieren. Wir leben solidarisch mit dem italienischen Volk, während wir durch wirtschaftspolitische Interessen mit anderen Ländern und Nationalitäten verbunden sind, was uns überhaupt nicht daran hindert, unsere Sprache und unsere Nationalität zu pflegen. Es gibt Interessen, die stärker sind als die nationalen …“61.

Diese Zuversicht konnten auch die zahlreichen Warnsignale nicht erschüttern, die in Triest in jenen unruhigen Jahren vor Kriegsausbruch laut wurden. Allfälligen Zukunftssorgen stand die Entwicklung des Hafenumsatzes entgegen, der ausgerechnet 1913 einen absoluten Höchstwert erreichte. Triest rangierte in Bezug auf das Volumen der Transitwaren noch vor Bremen und reihte sich gleich hinter Genua ein. Die Triester Werften stellten am Vorabend des Krieges

darauf hin, dass sowieso nur die Deutschen die österreichische Sozialdemokratie repräsentierten. In seiner Studie zu „Le tendenze politiche dell’Austria contemporanea“ stellte der italienische Sozialist Arturo Labriola die folgenden Beobachtungen zum Internationalismus der österreichischen Sozialisten an: „Der Gedanke, welcher der Anwendung des allgemeinen Wahlrechts vorausging, war dieser. Das allgemeine Wahlrecht wird die Nationalitätenfragen durch die Klassenfrage ersetzen. Die homogenen politischen Parteien, welcher Nation sie auch immer angehören mögen, werden miteinander verschmelzen. Die Liberalen werden mit den Liberalen, die Sozialisten mit den Sozialisten, die Klerikalen mit den Klerikalen gehen, auch wenn die einen Slawen und die anderen Romanen und die dritten Deutsche sind. Die sozialen Kämpfe werden an die Stelle der nationalen Kämpfe treten und die Parteien werden sich internationalisieren. Es war jedoch ein Fiasko. Die Parteien internationalisierten sich so wenig, dass sogar eine ausgesprochen internationale Partei wie die sozialistische sich am Ende aufspaltete und die Tschechen nun ihre volle Autonomie fordern, während das internationale Band, zum Beispiel zwischen Polen und Deutschen, nur auf dem Papier existiert. Die einzigen echten internationalistischen Sozialisten in Österreich sind unsere tüchtigen Triester ‚Genossen‘, die unserem Herrn Fürsten Hohenlohe und anderen praktischen Dingen zuliebe auch bereit sind, Türken oder zumindest Haremswächter des Paschas zu werden“; A. Labriola, Le tendenze politiche dell’Austria contemporanea. Conferenza tenuta a Bologna, nella sala dei Notari, il 20 marzo 1911, Neapel o.J., S. 61 f. Die Anspielung auf Hohenlohe bezog sich auf den Umstand, dass die Triestiner Sozialisten eine Beschneidung der Gemeindeautonomie durch den Statthalter unwidersprochen hingenommen hatten. Labriola und andere unterstellten den Sozialisten, dass ihr Schweigen auf einen Gefälligkeitstausch zwischen der Partei und der Statthalterei zurückgehe. Vgl. in diesem Zusammenhang F. Testena [C. Braccialarghe], I.R. socialismo triestino. Es ist in diesem Kontext interessant, dass Wilhelm Ellenbogen im Nachruf auf Valentino Pittoni unter anderem behauptet, dass sich der Statthalter gewöhnlich vor jedem wichtigen politischen Entscheid mit Pittoni beriet. 61 I convegni socialisti a Trieste, S. 39 f.

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eine Tonnage her, die diejenige aller reichsitalienischen Werften übertraf. Die Stadt schien einer Zukunft unter den wichtigsten Wirtschaftszentren Europas entgegen zu gehen62. Für eine politische Kraft, die es gewohnt war, die Realität an ökonomischen Indikatoren zu messen, schienen solche Kennziffern die irredentistischen Unruhen oder die Schlägereien zwischen mazzinianischen und slowenischen Aktivisten mehr als aufzuwiegen. Angelo Vivante aber hatte im Mai 1914, als die Stadt zum Schauplatz heftiger Zusammenstöße zwischen slawischen und italienischen Demonstranten wurde, mit der ihm eigenen Scharfsinnigkeit und Sensibilität den Sturm, der sich zusammenbraute, vorausgeahnt: „Die zwei Nationalismen entfesseln sich immer mehr in einer gegenseitigen Unnachgiebigkeit, die bestialisch und absurd ist und die gewöhnlich ein Spiel der Wenigen gegen Viele ist“, beobachtete Vivante. Ihm war nicht verborgen geblieben, dass der nationale Gegensatz wenigstens vorläufig die Hoffnungen auf einen weiteren Aufstieg der sozialistischen Bewegung in der Adriastadt blockierte63. Noch in den letzten Monaten des Jahres 1918, als sich die Habsburgermonarchie bereits aufgelöst hatte, arbeitete Valentino Pittoni am Projekt eines unabhängigen Status für Triest und das unmittelbare Hinterland. Damit wollte Pittoni die Rolle Triests als internationalen Hafens sichern, worin er vom slowenischen Sozialisten Henrik Tuma unterstützt wurde. Es handelte sich um die alte Idee, die bereits am Kongress von 1905 präsentiert worden war und auf den Entschlüssen von Brünn basierte. Nun, in der neuen

62 A. Vivante, Nazioni e Stato in Austria-Ungheria, 4. Folge, S. 408 f. Zur wirtschaftlichen Entwicklung Triests in den Jahren unmittelbar vor dem Krieg vgl. M. Cattaruzza, Population Dynamics and Economic Change in Trieste and its Hinterland 1850-1914, in: R. Lawton / R. Lee (Hrsg.), Population and Society in Western European Port-Cities c. 1650-1939, Liverpool 2002, S. 176-211. 63 Die letzte Schrift von Angelo Vivante ist ein bitterer Bericht über die nationalen Zusammenstöße zwischen Italienern und Slawen, die den Ersten Mai 1914 in Triest überschattet hatten. Der Artikel mit dem Titel „I fatti del 1. maggio a Trieste: le ,due intransigenze‘“ wurde im „Avanti!“ vom 15. Mai 1914 und im „Lavoratore“ vom 20. des gleichen Monats veröffentlicht. Der Beitrag schloss mit dem Satz „Die Gesundung liegt in uns“ und bezog sich auf die Fähigkeit, sich den Grausamkeiten der einander gegenüberstehenden Nationalismen, denen die Menge weitgehend ausgeliefert war, zu widersetzen. Camillo Daneo liefert eine eindrückliche Interpretation dieses Satzes, des letzten, den Vivante für die Presse geschrieben hatte. Daneo zufolge habe Vivante angesichts des zunehmenden Nationalismus die Rolle der subjektiven Faktoren der Geschichte neu bewertet; C. Daneo, Il fantasma di Angelo Vivante, S. 68. Tatsächlich weicht jedoch „I fatti del 1. maggio“ nicht von den anderen Beiträgen des Triestiner Sozialisten ab. Angesichts der starken Arbeitermobilisierung mit slowenisch-nationalem Charakter wirft hier Vivante die These einer Instrumentalisierung des Nationalismus durch das Wirtschaftsbürgertum erneut auf, ohne dass es ihm gelingt, die Komplexität des Phänomens zu erfassen.

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Situation Nachkriegseuropas, zielte sie auf vollständige politische Autonomie ab64. Im politischen Tagebuch des Sozialisten Aldo Oberdorfer zur unmittelbaren Nachkriegszeit wird der Untergang der „Welt von gestern“ beschrieben – das Ende einer Zivilisation, die auf einer Ordnung gegründet hatte, an der der reformorientierte österreichische Sozialismus in jeder Hinsicht beteiligt gewesen war. In einem Eintrag vom 8. April 1919 liefert Oberdorfer eine treffende Beschreibung des Triester Sozialismus der Vorkriegszeit: „Authentischer Sozialismus ohne revolutionäre Phrasen, ohne Angeberei, ohne Übertreibungen; manchmal ein wenig zu parlamentarisch, aber immer äußerst streng in der Durchsetzung seiner Prinzipien; immer klassisch antikollaborationistisch. Ein aus Ziffern gebildeter Sozialismus, der sich nach deutscher Art an Statistiken hält, langsam im Entscheiden und im Handeln, hartnäckig im Verteidigen des bereits Erreichten; methodisch, ohne sentimentale Anflüge, aber ohne zynische Kälte; reich an Idealen, aber immer darauf bedacht, die eigenen Impulse im Zaum zu halten und sie mit einem klaren Bewusstsein für Mittel und Zwecke zu lenken“65.

In den Eintragungen von Aldo Oberdorfer zeichnet sich der gänzliche Zerfall der Gesellschaft des vormaligen Küstenlandes in der Nachkriegszeit ab. All das, was in den Jahren vor dem Krieg zurückgehalten worden war – auch dank der geduldigen und vermittelnden Arbeit der Sozialisten – explodierte nun ganz unvermittelt. Die Slowenen liefen in Massen zu revolutionären Positionen über, die in erster Linie von nationalem Hass bestimmt waren und weniger von Klassengegensätzen. Auch in Istrien verlegte sich das Proletariat auf ein extremistisches Rebellentum, das die Triester Parteiführung nicht länger bändigen konnte. Das sozialistische Projekt einer friedlichen Entwicklung durch Bildung war gänzlich gescheitert, von ihm blieb auch nicht ein matter Abglanz zurück. Am 3. August 1919 griffen die italienischen Carabinieri im Zentrum der Stadt einen Kinderumzug an, der von einem von Sozialisten organisierten Ausflug zurückkehrte. Der Grund scheint ein Wortgefecht zwischen einem Aufseher der kleinen Ausflügler (etwa 1.600!) und einem Carabiniere gewesen zu sein. Die aufgebotenen Carabinieri feuerten zahlreiche Schüsse auf den Umzug ab und versetzten die Kleinen und ihre Mütter in Schrecken. Darauf folgte die Durchsuchung und Verwüstung der Sedi Riunite. Diese Episode wies bereits jene Züge auf, die sich in unterschiedlichem Ausmaß in einer langen Serie von Gewaltakten, welche die Stadt in den folgenden 64 E. Apih, Valentino Pittoni tra Austria e Italia, S. 70 ff. Zu den übereinstimmenden Ansichten von Pittoni und Tuma in Bezug auf einen übernationalen Status für den Hafen von Triest und sein Territorium vgl. ihren interessanten Briefwechsel, gesammelt und veröffentlicht von E. Apih, Alcuni documenti sull’opera di Tuma a Trieste. 65 A. Oberdorfer, Il socialismo del dopoguerra a Trieste, S. 28 f., 85.

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Jahren überschatteten, wiederholen sollte. Am 4. August reagierte Triest mit einem Generalstreik, der mit einer Kundgebung der sozialistischen Partei endete. Es kam zu Zusammenstößen zwischen Streikenden, Soldaten und Carabinieri. Arditi (Angehörige eines Elitenkorps) und Nationalisten schritten zum Angriff auf den Narodni Dom. Die Sedi Riunite wurden ein zweites Mal von den Carabinieri besetzt, die von nationalistischen Elementen und Kriegsveteranen unterstützt wurden. Diese ambivalente Allianz sollte sich – mit dem Faschismus, der sich im Grenzgebiet bereits weitgehend konsolidiert hatte und in der Lage war, die Rolle eines Kristallisationspunktes für alle hier aktiven Komponenten der italienischen radikalen Rechten zu übernehmen – im Juli 1920 beim Brand des Narodni Dom und bei den folgenden Verwüstungen von Gewerkschaftssitzen, sozialistischen Zirkeln und Presseorganen der Arbeiterschaft wiederholen. Der ganze sozialistische Führungsstab wurde in Haft genommen. In der Ausgabe vom 5. August veröffentlichte „Il Lavoratore“ einen Aufruf zur Wiederaufnahme der Arbeit, um die drohende Gefahr eines Bürgerkriegs zu verhindern. In diesem Aufruf wird die Verwirrung des anonymen Publizisten angesichts einer immer fremder werdenden Wirklichkeit deutlich: „Wieso soviel Gift im zivilen Kampf der Ideen? Wieso soviel Hass von Bürger zu Bürger, von Italiener zu Italiener?“ fragte sich der Artikelschreiber. Und er fuhr fort: „… wir hier, diese Nacht, alleine, alleine wie nie zuvor, mit dem Genossen Pittoni krank zu Hause, mit den Genossen des politischen Komitees und der Exekutive und der Kommission der Berufsorganisationen in Haft …, wir denken an euch mit Beunruhigung und Mitgefühl, an alle Arbeiter, an euch alle, Genossen: an euch alle, die ihr für ein besseres Morgen kämpft. Und wir hören eure tragische Frage: ‚Was tun?‘ Da sind wir, alleine, alleine wie nie zuvor, und suchen nach einer Antwort“66.

66 Giornata terribile, in: Il Lavoratore, 5. August 1919; vgl. auch L’escursione dei piccoli. Il tragico ritorno. Colpi di rivoltella e di moschetto. Feriti e arrestati, in: Il Lavoratore, 4. August 1919; der Bericht zum Brand des Narodni Dom in: I gravissimi fatti di ieri, in: Il Lavoratore, 14. Juli 1920.

Achtes Kapitel Schlussfolgerungen In der Zeit von 1888 bis 1914 gelang es der Sozialdemokratie im Küstenland, sich neben den Klerikalen und den Liberalen als drittes politisches Lager zu etablieren. Besonders in den städtischen Zentren von Triest und Pola, die eine steile infrastrukturelle und industrielle Entwicklung durchliefen1 und zu Ballungszentren eines modernen Proletariats wurden, konnte die Sozialdemokratie Wurzeln schlagen. Darüber hinaus war sie auch in anderen Zentren Istriens, die ebenfalls eine gewisse Modernisierung erfuhren, politisch präsent. In den eher ländlichen Gebieten der Provinz von Görz und Gradiska konnten die Sozialdemokraten hingegen kaum Fuß fassen, da hier die Christlich-Sozialen mit ihrer verzweigten und effektiven Genossenschaftsbewegung als Sieger aus der politischen Modernisierung hervorgingen. Die stark heterogenen bürgerlichen Schichten in den Städten identifizierten sich zumeist mit den Liberalen. Die sozialdemokratische Bewegung partizipierte zusammen mit den anderen Massenparteien an der politischen Modernisierung der Monarchie2. Nach der Einführung der Verfassung 1867 wurden im Küstenland italienische, slowenische und kroatische Parteien und Assoziationen gegründet. Ähnlich wie in den meisten Kronländern des österreichischen Teils der Monarchie konkurrierten auch hier Parteien und Vereine um relativen Einfluss in den repräsentativen Organen (Landtagen und Gemeinderäten) und in der Gesellschaft im Allgemeinen. Ein besonders wichtiges Politikfeld war dabei die Schulpolitik, und dies hauptsächlich im Hinblick auf die Unterrichtssprache. Dabei verfestigten sich exklusive nationale Identitäten und sich gegenseitig abschottende nationale Lager3. Die nationale Polarisierung trat im Laufe der 1 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfuhr die Wirtschaft Triests und Polas einen bedeutenden Aufschwung, der in erster Linie von dem Ausbau der Hafenanlagen, der Stärkung der Kriegs- und Handelsflotte, dem Zuwachs der Produktion im Schiffbau und Maschinenbau und in der Etablierung eines Netzes von mittleren und Kleinbetrieben zur Verarbeitung von importierten Rohstoffen abhing; M. Cattaruzza, Population Dynamics and Economic Change in Trieste and its Hinterland. 2 G. Cohen, Nationalist Politics and the Dynamics of State and Civil Society; P.M. Judson, Introduction. Constructing Nationalities in East Central Europe. 3 Zu den Netzwerken im Küstenland vgl. M. Cattaruzza, Italiani e Sloveni a Trieste; E. Maserati, Simbolismo e rituale nell’irredentismo adriatico, in: F. Salimbeni

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Erweiterung des Wahlrechts (1882, 1896, 1906) immer deutlicher hervor. Sie war ein Produkt der Politisierung und Mobilisierung von Schichten, deren Teilnahme am politischen Leben weder durch Bildung noch durch Besitz begründet war4. Hauptsächlich in den sprachlich und kulturell gemischten Städten des Küstenlandes wie Triest (italienisch, slowenisch, deutsch), Görz (italienisch, slowenisch, deutsch) und Pola (italienisch, kroatisch, deutsch) bildeten sich seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts nationale „Bastionen“. Ihnen gehörten allerdings jeweils bloß einige Tausend Menschen an, die aber als Stellvertreter für die ganze Nation auftraten5. Diese „Bastionen“ wurden durch solche Konstruktionen wie Eigen- und Fremdbilder, Wertsysteme und eine diskursive Praxis, die danach trachtete, eigene Ausschließlichkeitsansprüche auf ein bestimmtes Gebiet zu artikulieren, voneinander getrennt6. Zwar nahm nur eine Minderheit der städtischen Gesellschaft aktiv an der Inszenierung nationaler Ansprüche teil, die etwa durch Umzüge, Ausflüge, die Beteiligung am nationalen Vereinsleben, das Aufhängen und Schwenken von Fahnen und die Zurschaustellung von Kokarden zum Ausdruck gebracht wurde. Dennoch war eine solche performative Praxis7 dazu angetan, dem nationalen Konflikt eine hohe Sichtbarkeit zu verleihen,

(Hrsg.), Miscellanea di Studi Giuliani in onore di Giulio Cervani per il suo LXX compleanno, Udine 1990, S. 125-150; G. D’Alessio, Élites nazionali e divisione etnica a Pisino (Istria) a cavallo tra XIX e XX secolo; V. D’Alessio, Italiani e croati a Pisino tra fine Ottocento e inizio Novecento: la costruzione di identità conflittuali, in: M. Cattaruzza (Hrsg.) Nazionalismi di frontiera. Identità contrapposte sull’ Adriatico nord-orientale 1850-1950, Soveria Manelli 2003, S. 73-121. Zur integrativen Kraft der italienischen nationalliberalen Partei in Triest siehe insbesondere die lebendige Beschreibung des Nationalisten Ruggero Timeus (Fauro); R. Fauro, Trieste, Triest 1965 (1. Aufl. 1915), S. 32-48. Einige Hinweise zum Küstenland auch in J. Schmid, Kampf um das Deutschtum. Radikaler Nationalismus in Österreich und dem Deutschen Reich 1890-1914, Frankfurt a.M. 2009. 4 Vgl. zur Entstehung einer politischen Massengesellschaft in der Habsburger Monarchie G. Cohen, Nationalist Politics and the Dynamics of State and Civil Society, insbesondere S. 260; L. Höbelt, „Wohltemperierte Unzufriedenheit“. Österreichische Innenpolitik 1908-1918, in: M. Cornwall (Hrsg.), Die letzten Jahre der Donaumonarchie. Der erste Vielvölkerstaat im Europa des frühen 20. Jahrhunderts, Wien 2004, S. 58-84. 5 Zur Quantifizierung der nationalen Bewegungen vgl. M. Cattaruzza, Italiani e Sloveni a Trieste, S. 130-165. 6 Zum „politischen Lager“ als analytische Kategorie in der sozialwissenschaftlichen und historischen Forschung vgl. K. Rohe, Wahlen und Wählertraditionen in Deutschland. Kulturelle Grundlagen deutscher Parteien und Parteiensysteme im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1992. 7 Zu performativen Handlungen, die neue Realitäten schaffen, vgl. P. Burke, Performing History: The Importance of Occasions, in: Rethinking History, 9 (2005), 1, S. 35-52; J. Schmid, Kampf um das Deutschtum, S. 105-297.

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ihn ins Zentrum des politischen Lebens zu rücken und das Verhalten breiter Gruppen von Wahlberechtigten zu beeinflussen. Auch anlässlich der letzten Volkszählung im Jahr 1910 zeigte sich der neue Impetus, der dem nationalistischen Diskurs innewohnte. Obwohl die Volkszählung nach wie vor die „Umgangssprache“ erhob und nicht nach der nationalen Zugehörigkeit fragte, wurde sie zu einem nationalen Plebiszit. Nachdem die Statthalterei in Triest eine Revision der Volkszählung in eigener Regie durchführte, zeigte sich, dass selbst slowenische Dienstmädchen in italienisch- oder deutschsprachigen Haushalten oder ledige slowenische Tagelöhner, die bei nicht-slowenischen Arbeitergebern beschäftigt bzw. bei italienischen Zimmervermieterinnen untergebracht waren, Slowenisch als die Sprache angaben, die sie im Alltag benutzten8. So befanden sich Funktionen, die für den Gesamtstaat von außerordentlicher Bedeutung waren (Seehandel, Seerüstung und Kriegsmarine), in einer Peripherie, die konfliktträchtigen Nationalisierungsprozessen ausgesetzt war, und wo die italienischsprachigen Mittelschichten zunehmend mit dem Irredentismus aus dem benachbarten Regno d’Italia liebäugelten9. Über die politische Modernisierung hinaus wirkten sich auch Verstädterung, geographische und soziale Mobilität und Industrialisierung begünstigend auf den Nationalisierungsprozess aus: in einer Gesellschaft, die tief greifenden Veränderungen ausgesetzt war, und in der die traditionellen identitätsstiftenden Faktoren weitgehend weggebrochen waren, bot die Nation ein effektives und attraktives Identifikationsangebot10. Infolge der Anerkennung der Rechte der Volksstämme in der österreichischen Verfassung 1867 sowie der Bildung von modernen Parteien und der Erweiterung des Wahlrechts wurde der privilegierte Zugang der eigenen „Nation“ zu den Ressourcen, die vom Staat im Laufe des Modernisierungsprozesses zunehmend zur Verfügung gestellt wurden (Ausbildung, Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst oder in den Gemeinden, Beteiligung an den politischen Entscheidungen usw.), zur höchsten politischen Priorität11. Die Monarchie verwandelte sich immer mehr von einem supranationalen zu einem multinationalen Staatsgebilde12.

M. Cattaruzza, Italiani e Sloveni a Trieste, S. 127-129. Dies., L’Italia e il confine orientale 1866-2006, Bologna 2007, S. 46-68. 10 D. Rusinow, Ethnic Politics in the Habsburg Monarchy and Successor States: Three Answers to the National Question, in: R.L. Rudolph / D.F. Good (Hrsg.), Nationalism and Empire: The Habsburg Empire and the Soviet Union, New York 1992, S. 243-267, insbesondere S. 246-249, 254-256. 11 D. Langewiesche, Nation als Ressourcengemeinschaft. Ein generalisierender Vergleich, in: ders., Reich, Nation, Föderation, S. 36-52. 12 G. Stourzh, The Multinational Empire Revisted: Reflections on Late Imperial Austria, in: Austrian History Yearbook, 23 (1991), S. 1-22. 8 9

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In dem Maße, wie die sozialdemokratische Bewegung sich über die Grenzen der deutschsprachigen Länder hinaus verbreitete, partizipierte sie auch am Nationalisierungsprozess der Gesellschaft im Habsburger Reich. 1897 wurden die verschiedenen nationalen Sektionen der Partei anerkannt; 1899 wurde am Parteikongress in Brünn ein Programm zur Lösung der Nationalitätenfrage angenommen, das im Grunde das Staatsgebiet als Ort der politischen Praxis der Sozialdemokratie anerkannte. Die deutschsprachigen Urheber des Programms, Otto Bauer und Carl Renner, erhofften sich von seiner Annahme eine Entpolitisierung des Nationalitätenproblems, in Wirklichkeit aber wurde das Brünner Programm unterschiedlich ausgelegt. Manche italienischsprachige Sozialisten, wie Cesare Battisti aus Trient13 oder Giuseppe Lazzarini aus Istrien, verstanden die Autonomie der nationalen Gruppen im Sinne des Rechts auf Abtrennung, so dass nicht einmal über die Akzeptanz des Habsburger Staates immer Einigkeit herrschte. Im Trentino waren Kontakte mit den deutschsprachigen Sozialisten Tirols höchst selten. Nach dem Ausbruch des Krieges konnte Cesare Battisti guten Gewissens behaupten: „Ich habe stets jegliche Stütze von den deutschen Sozialisten verweigert“14. In den meisten nationalen Sektionen der sozialdemokratischen Partei in Österreich wurden die internationalistischen Grundsätze als Lippenbekenntnis beteuert, fungierten aber kaum als Richtlinien für die politische Praxis. Zu den anhaltenden liberalnationalen Einflüssen auf die sozialistische Bewegung in den deutschsprachigen Gebieten der Monarchie bemerkte z.B. Helmut Konrad: „Man las Schiller, sang deutsche Volkslieder, trat der altkatholischen Kirche bei (die als deutsche Nationalkirche angesehen wurde) und war damit unzugänglich für die Gedankenwelt des proletarischen Internationalismus. Diese Form des Nationalismus an der Basis der Bewegung war vor allem typisch für wenig und nur punktuell industrialisierte deutsche Sprachgebiete der Habsburgermonarchie“15. Konrad zufolge wies also die sozialistische Bewegung in ländlichen Gebieten einen kleinbürgerlichen und antiklerikalen Charakter auf, der mit einer Verquickung von sozialen und nationalen Elementen einherging. In den nur schwach industrialisierten Gebieten der Monarchie, wo seine Anhängerschaft überwiegend aus dem Kleinbürgertum stammte, wies M. Cattaruzza, Die sozialistische Bewegung in den italienischsprachigen Teilen Österreich-Ungarns, in: Mitteilungsblatt des Instituts zur Erforschung der europäischen Arbeiterbewegung, 21 (1998), S. 207-224, insbesondere S. 213-215; dies., Il socialismo italiano in Austria: alcune riflessioni, insbesondere S. 178-190. 14 Brief an Giovanni Pedrotti vom 20. Oktober 1914, in: Cesare Battisti. Epistolario, hrsg. von R. Monteleone / P. Alatri, Florenz 1966, Bd. 1, S. 356-358, hier S. 358. 15 H. Konrad, Die Herausbildung des Austromarxismus, S. 34. Zur starken nationalen Ausprägung der sozialdemokratischen Bewegung bei den „geschichtslosen Völkern“ der Habsburgermonarchie vgl. H. Mommsen, Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage, S. 264 ff. 13

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der Sozialismus ungeachtet der jeweiligen Nationalität seiner Anhänger noch eine starke Verbindung zum Linksliberalismus auf. Den Moment ihrer größten Geschlossenheit erlebte die Sozialdemokratie in Österreich im Laufe der Kampagne für die Einführung des allgemeinen männlichen Wahlrechts zum Abgeordnetenhaus. Nachdem dieses Ziel erreicht war, entwickelte sich die Bewegung wieder zunehmend auseinander, wobei die nationalen Sektionen der Partei sich stärker in die jeweilige politische Landschaft der eigenen Nation integrierten. Nicht einmal im Reichsrat bestand eine einheitliche sozialdemokratische Fraktion16. Nach der Krise, die auf den Ausbruch des Krieges folgte, war die Sozialdemokratische Arbeiterpartei in Österreich ein zerbrochenes Spielzeug17. Insofern könnte man die Krise der sozialdemokratischen Gesamtpartei nach 1906 und die zunehmende Verselbständigung ihrer nationalen Sektionen als Teilaspekt der Nationalisierungsprozesse in der Habsburger Monarchie deuten18. Auch im Küstenland waren nationale Gegensätze in der sozialdemokratischen Bewegung durchaus vorhanden. Während der gesamten Aufbauphase der sozialdemokratischen Sektion wurde immer wieder Missmut über den Umstand laut, dass die SDAP in Wien angeblich slowenische Funktionäre favorisiere. Der Anspruch der Slowenen, bei Versammlungen und Kundgebungen Übersetzungen der Wortmeldungen in die eigene Sprache zu bekommen, wurde mit Unverständnis quittiert. Von Anfang an organisierten sich sozialistische Vereine auf der Basis nationaler Zugehörigkeit, oder sie bildeten nationale Sektionen innerhalb einer Dachorganisation, obwohl ein solches Organisationsverhalten nicht notwendigerweise mit einem nationalen Programm verknüpft war. Die Bildung der zwei nationalen Parteien – der südslawischen und der italienisch-adriatischen für das Küstenland und Dalmatien – trug zu einer Entspannung in den Beziehungen zwischen beiden „Lagern“ bei, wobei hauptsächlich die italienisch-adriatische Sektion sich dem strengsten Internationalismus verpflichtete. Sie nahm dafür auch Stimmenverluste in Kauf, wie z.B. 1909 und 1913, als sie slowenische Kandidaten für die Landtagswahlen in die Stadtbezirke Triests aufstellte. Insofern stellte die italienisch-adriatische Sektion auf der einen Seite ein Paradebeispiel des sozialdemokratischen Internationalismus dar, auf der anderen Seite einen Sonderfall innerhalb der Sozialdemokratie Österreichs. Schon im benachbarten Istrien war die Lage eine ganz andere und der schwache Organisationsgrad der Kroaten, so wie die Intensität ihres Nationalismus, wurden vielfach von den italienischen Sozialdemokraten angeprangert. Ebd., S. 420-421; L. Höbelt, „Wohltemperierte Unzufriedenheit“, S. 66. Wesentlich für das Thema R. Löw, Der Zerfall der „Kleinen Internationale“, S. 177-182. 18 G. Cohen, Nationalist Politics and the Dynamics of State and Civil Society. 16 17

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Alle Massenparteien in der k. und k. Monarchie versuchten, die eigenen Sympathisanten in umfassende Strukturen zu integrieren und selbst ihre privaten Entscheidungen zu beeinflussen, wie z.B. die Wahl der Schule für die eigenen Kinder19. Im Vergleich zur deutschen Sozialdemokratie wurde in Österreich in noch stärkerem Maße das auf einem bürgerlichen Bildungsideal beruhende Projekt der Selbsterziehung der Arbeiter verfolgt. Siegfried Mattl zufolge verzeichnete die österreichische Sozialdemokratie ihre bedeutendsten Erfolge nicht auf politischer Ebene, sondern in der Herbeiführung eines neuen Lebensstils für die Arbeiterklassen. Dieser way of life war von grundsätzlicher Askese, Bildungsbereitschaft, einem verantwortungsvollen Umgang mit dem eigenen Körper (z.B. Hygiene, Alkoholkonsum und Empfängnisverhütung), von Kameradschaftlichkeit in den Beziehungen zum anderen Geschlecht und den humanistischen Idealen der deutschen Klassik gekennzeichnet20. Daran scheiterte aber gerade die Sezione italiana-adriatica des partito operaio socialista in Austria. Ihre Erfolge bei der Umerziehung der Massen der Lohnabhängigen blieben bescheiden. Die Sonderstellung der italienischsprachigen Sozialdemokratie in Triest, die sich durch ihre starke Anlehnung an die Beschlüsse der Parteizentrale in Wien und durch ihren rigorosen Internationalismus manifestierte, lässt sich durch eine Reihe von Faktoren erklären. Wie schon in der Einleitung angedeutet, war Triest eine der ganz wenigen Städte der Monarchie, die eine supranationale Funktion innehatte. Eine solche Funktion war unmittelbar augenfällig durch die Präsenz von staatlichen Unternehmungen wie den k. und k. Lagerhäusern im Hafen und dem österreichischen Lloyd oder durch den Stabilimento Tecnico Triestino, die größte Schiffswerft der Monarchie, die von Aktionären aus dem ganzen Staatsgebiet finanziert wurde. Die Arbeiterschaft stammte aus den benachbarten Kronländern oder aus anderen Bezirken des Küstenlandes, hatte sich den lokalen Dialekt angeeignet und 19 P.M. Judson, Introduction. Constructing Nationalities in East Central Europe, S. 6-7. Zur Schulpolitik der italienischen Nationalliberalen in Triest und zum Selbstverständnis des italienischen Lehrkörpers vgl. V. Capporella, Strategie educative dei ceti medi italiani a Trieste tra la fine del XIX sec. e il 1914. Erziehungsmuster von italienischen Familien des Mittelstandes im Triest der Jahrhundertwende, phil. Dissertation Bologna / Berlin 2006, online unter: http://www.diss.fu-berlin.de/diss./receive/ FUDISS thesis_000000007142 (31. Oktober 2010). 20 Hinsichtlich des Gewichts und der Rolle der sozialdemokratischen Subkultur in Deutschland und in Österreich vgl. G. Roth, The Social Democrats in Imperial Germany, New York 1979 (1. Aufl. 1963); S. 206-242. Vgl. auch S. Mattl, Austria, in: M. Van Der Linden / J. Rojahn, (Hrsg.) The Formation of Labour Movements 1870-1914. An International Perspective, 2. Bde., Leiden 1990, hier Bd. 1, S. 293-320; A. Rabinbach, The Crisis of Austrian Socialism. From Red Vienna to Civil War 19271934, Chicago / London 1983, insbesondere S. 16-18; V.L. Lidtke, The Alternative Culture: Socialist Labor in Imperial Germany, New York u.a. 1985.

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war für nationale Belange wenig empfänglich. Anders sah es bei einem Teil der slowenischsprachigen Arbeiter aus, die 1905 eine Arbeiterorganisation mit ausgesprochen nationalem Programm gründeten. Der Triester Historiker Fabio Cusin zeichnete 1946 folgendes Bild der anationalen Einstellung des italienischsprachigen Triester Proletariats, das auch nach dem Ende der k. und k. Monarchie weiter bestand: „Nicht sozialisiert im Sinne der nationalen Kultur und daher weniger empfänglich für die Sentimentalität der nationalen Einheit, an die strenge, aber faire österreichische Verwaltung und die harte, aber gut bezahlte Arbeit gewöhnt, spürten unsere Arbeiter die ganze Last der bourbonischen italienischen Verwaltung und verachteten daher – oft leider nicht zu Unrecht – was ‚aus dem Königreich‘ kam …“21.

Als weiterer Faktor fallen die engen Beziehungen ins Gewicht, die einige Triester Funktionäre zur Partei in Wien unterhielten. Die Kontakte zwischen Wilhelm Ellenbogen und Valentino Pittoni waren von Anfang an besonders eng. Ellenbogen fungierte auch als Verantwortlicher für die adriatische Sektion in Wien, ohne dass es je zu Spannungen mit den Triester Genossen gekommen wäre. In seinem Nachruf an Valentino Pittoni, der nicht zufällig 1922 nach dem Sieg des Faschismus in Italien den Weg zurück nach Wien eingeschlagen hatte, schloss Ellenbogen mit den Worten: „An dem Italiener Pittoni ist uns deutschen Sozialdemokraten einer der Unseren verloren gegangen“22. Angelo Vivante23 und Giuseppina Martinuzzi stammten wie Pittoni aus dem liberalnationalen Lager. Auch sie hatten allerdings in der Folge ihres sozialistischen Lagerwechsels eine politische Sozialisierung im austro-marxistischen Sinne vollzogen. Bezeichnenderweise stellte Wilhelm Ellenbogen, als er 1912 Vivantes „Irredentismo adriatico“ in „Der Kampf“ rezensierte, die Studie in eine Reihe mit den „grundlegenden Werken von Renner und Bauer“ und prophezeite, dass sie ihren führenden Platz unter der sozialdemokratischen Literatur zum nationalen Problem behalten werde24. Im Jahre 1909 (nach den Polemiken mit dem Partito Socialista Italiano, die auf die Bosnienkrise und auf die Unterstützung slowenischer Kandidaten folgten) schrieb Giuseppina Martinuzzi die Kritik der italienischen Genossen

21 F. Cusin, La liberazione di Trieste, Triest 1946, jetzt in: G. Cervani (Hrsg.), Gli scritti politici di Fabio Cusin nel „Corriere di Trieste“. Gli anni dell’opposizione (1949-1951), Udine 1994 (ergänzt durch den Neudruck von: La liberazione di Trieste), S. 9-40, hier S. 28. 22 Jetzt in: W. Ellenbogen, Ausgewählte Schriften, S. 105 f. 23 A. Millo, Storia di una borghesia. La famiglia Vivante a Trieste dall’emporio alla guerra mondiale, Gorizia 1998, S. 141-213. 24 W. Ellenbogen, Die Irrtümer des Irredentismus, in: Der Kampf, 5 (1911-1912), S. 355-360.

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der historischen Verspätung zu, mit welcher sich der Marxismus in Italien verbreitet habe, und legte den Triestern bei dieser Gelegenheit nahe, die deutsche und englische Arbeiterbewegung zum Vorbild zu nehmen: „Und wir, Arbeiter, während wir uns wünschen, dass die Sozialisten Italiens immer stärker aus der reinen marxistischen Quelle schöpfen und sich wirklich als unsere liebenswerten Genossen erweisen, und nicht als unkundige Kritiker unseres reinen und starken internationalen Prinzips, wir, die wir noch schwach organisiert und sehr schlecht ausgebildet sind, richten wir doch den Blick auf das, was man in den deutschen und englischen Ländern macht“25.

Im Übrigen betrachteten sich die adriatischen Sozialisten als Teil der Arbeiterbewegung in Österreich. Ihre Beziehungen zu den reichsitalienischen Genossen unterschieden sich nicht von jenen der anderen Parteiführer und waren eher von internationaler Solidarität als von nationalen Affinitäten geprägt. Gelegentlich dienten die adriatischen Sozialisten als Vermittler bei gemeinsamen politischen Initiativen der österreichischen und reichsitalienischen Sozialisten wie zum Beispiel anlässlich der Konferenz der reichsitalienischen und österreichischen Sozialisten von 1905 in Triest, an der eine gemeinsame Strategie gegen die Kriegsgefahr entwickelt werden sollte26, oder wie im Jahre 1914, als sich eine Delegation von österreichischen Sozialisten nach Mailand begab, um das Verhältnis der reichsitalienischen Sozialisten zur Neutralität zu überprüfen27. Auch in diesen Fällen verhielten sich die Triester Führer als organischer Teil der österreichischen Sozialdemokratie. Die mehrmals unternommenen Anstrengungen, den reichsitalienischen Genossen die Realität des österreichischen Küstenlandes näher zu bringen, sollten der immer stärker werdenden irredentistischen Kampagne im italienischen Königreich entgegenwirken und die österreichisch-italienischen Beziehungen innerhalb des Dreibundes festigen28. 25 G. Martinuzzi, Il Manifesto dei Comunisti e L’associazione internazionale (abbozzo di conferenza per il compagno di fede Ottone Lantieri), Triest 1909, jetzt in: M. Cetina (Hrsg.), Giuseppina Martinuzzi, S. 105-116, hier S. 115. 26 R. Monteleone, Iniziative e convegni italo-austriaci per la pace nel decennio prebellico, in: Rivista storica del socialismo, 32 (1967), S. 1-42. 27 E. Ragionieri / L. Valiani, Socialdemocrazia austriaca e socialisti italiani nell’agosto del 1914 – Un colloquio di Wilhelm Ellenbogen con Benito Mussolini e Carlo Treves, in: Studi storici, 2 (1961), S. 100-113. 28 Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die während der Balkankriege formulierte Stellungnahme Angelo Vivantes zu den politischen Aufgaben all derer, die außerhalb der Doppelmonarchie lebten: „Die Weisung für diejenigen, die außerhalb der Doppelmonarchie leben, ist ziemlich deutlich: den kriegstreiberischen Irredentismen Widerstand leisten, ihre versteckten Übel und Bedrohungen, ihre Zweideutigkeiten und Widersprüche aufdecken, insbesondere jene wirtschaftlicher Natur, die unter allen Strömungen, die auf die Aufteilung Österreich-Ungarns unter die umliegenden Nationalstaaten zielen, mehr oder weniger die Achillesferse darstellen. Sicherlich ist in dieser Hinsicht der julische Irredentismus der schwächste, während der trentinische

8. Kap.: Schlussfolgerungen

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Man kann also im Fall der sozialdemokratischen Elite in Triest von einer Sozialisierung im österreichischen Sinne sprechen. Die Identifizierung mit der Gesamtmonarchie wurde auch von den internationalen Krisen 1908 und 1911 nicht erschüttert: die Annexion Bosniens oder die Balkankriege nahmen die Sozialdemokraten in Triest nur im Hinblick auf die Gefahr eines bevorstehenden Krieges in Europa zur Kenntnis. Die südslawische und die ruthenische Sektion z.B. nahmen diese Krisen hingegen zum Anlass, um – in aller Vorsicht! – alternative geopolitische Szenarien zu entwerfen und entsprechende Stellungnahmen zu formulieren29. Gegenüber solch kühnen Szenarien, die eine Einigung der slawischen Völker des Balkans mit den Slawen der Monarchie oder aber einen Anschluss von Galizien an Russland implizierten, plädierte Valentino Pittoni nur für eine neue Bezirkseinteilung des Küstenlandes, die unter Ausgliederung der Bezirke mit einer slowenischen bzw. kroatischen Mehrheit ethnisch homogenere Bevölkerungen ergeben hätte. Selbst am Ende des Krieges, als die k. und k. Monarchie nicht mehr existierte, konnte Valentino Pittoni sich nur für einen „Freistaat“ Triest erwärmen, wobei sich allerdings zu diesem Zeitpunkt andere italienischsprachigen Sozialisten wie Edmondo Puecher in der Zeitschrift „La Lega delle Nazioni“ für den Anschluss des Küstenlandes an Italien stark machten. Die Sozialdemokratie des Küstenlands war durchaus in die Nationalisierungsprozesse einbezogen, die in den letzten Jahrzehnten der k. und k. Monarchie auf gesamtstaatlicher Ebene stattfanden. Allerdings verliefen solche Prozesse aufgrund des fragmentarischen und heterogenen Charakters des Gebiets sehr unterschiedlich. Während in Istrien die Sozialisten sich dem Lager der italienischen Parteien annäherten und während die slowenischen Sozialisten sich an der Heraufbeschwörung von trialistischen bzw. austroslawischen Szenarien beteiligten, entwickelten die Triestiner einen Internationalismus im Sinne Carl Renners, der die Funktion des österreichischen Staates ins Zentrum stellte und der die Nation als rein kulturelle Entität verstand. In Anlehnung an die Thesen Stein Rokkans zum Verhältnis zwischen Zentrum und Peripherie könnte man postulieren, dass Triest aufgrund seiner supranationalen Funktionen, den Verkehrsverbindungen mit Wien und seines Charakters als Verwaltungszentrum (Seebehörde, Statthal-

und der rumänische vielleicht stärker sind. Insgesamt stoßen sie jedoch alle gegen eine historische Solidarität der Interessen und damit gegen den Antrieb zu einem staatlichen Zusammenleben der verschiedenen Nationen, die innerhalb des Gebiets der Sudeten, der Karpaten, der Alpen und der Adria aufeinanderprallen und sich vermischen“; A. Vivante, Nazioni e Stato in Austria-Ungheria, 4. Folge, S. 409. 29 Vgl. zur ruthenischen sozialdemokratischen Partei K.S. Jobst, Zwischen Nationalismus und Internationalismus. Die polnische und ukrainische Sozialdemokratie in Galizien von 1890 bis 1914. Ein Beitrag zur Nationalitätenfrage im Habsburgerreich, Hamburg 1996, S. 224-241.

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8. Kap.: Schlussfolgerungen

terei usw.) als eine Peripherie betrachtet werden könnte, die dem Zentrum sehr nahe stand30. Dies könnte den intensiven Kulturtransfer erklären, der von der sozialdemokratischen Partei in Wien auf die italienisch-adriatische Sektion ausging, und der zu einer regelrechten Sozialisation im „österreichischen“ Sinne führte. In Istrien kam nur Pola als Sitz der k. k. Kriegsmarine eine ähnliche Funktion zu, wobei allerdings hier eine erhebliche Spaltung zwischen den militarisierten Arbeitern des Arsenals und der übrigen – eher italienisch gesinnten – Arbeiterschaft bestand. In den anderen sozialistischen Sektionen Istriens war die Bindung an die Monarchie nicht besonders stark entwickelt, wobei die Sozialisten wie die anderen italienischen Parteien der Beibehaltung der Vorrangstellung der italienischen Sprache und Kultur hohe Priorität beimaßen. Die Sozialisten des Trentino und Istriens behielten als langfristige Perspektive den Anschluss ihres Gebiets an Italien im Auge. Trotz ihrer Akzentsetzung auf die Integration der Unterschichten in die nationale Gesellschaft und auf die Demokratisierung des politischen Lebens waren ihre Stellungnahmen zur nationalen Frage nicht weit von denjenigen der Liberalnationalen bzw. der Republikaner entfernt. Da zwischen den langfristigen Zielen bzw. theoretischen Postulaten der Sozialdemokratie Österreichs und ihrem Minimalprogramm kein zwingender Zusammenhang bestand, konnten zu zentralen Fragen völlig unterschiedliche Positionen koexistieren – so zur Frage nach der Beibehaltung bzw. der Zerstörung des Vielvölkerstaates oder zum Verhältnis zu den bürgerlichen Kräften. Die wirtschaftliche und politische Rückständigkeit eines Gebiets (mit letzterer war im Grunde ein Übergewicht der klerikalen Parteien gemeint) rechtfertigte die Unterstützung der Liberalen in der Erwartung, dass dadurch „fortschrittlichere“ Bedingungen für einen zukünftigen politischen Kampf entstehen würden. Auch in Hinsicht auf die nationale Frage bestanden ähnliche Zweideutigkeiten. Das Brünner Programm wird meistens, wie schon erwähnt, als Bekenntnis zum Fortbestand eines erneuerten Vielvölkerstaates verstanden. Dennoch wurde von manchen das Ziel der internationalen Koexistenz als zweite Phase nach dem Erringen der nationalen Unabhängigkeit interpretiert. Ein radikalnationales Programm ließ sich dadurch mit der vagen Vorstellung einer zukünftigen Völkerverbrüderung vereinbaren. Dies war nicht nur bei den Sozialisten des Trentino und Istriens der Fall, sondern auch bei den Südslawen, den Tschechen, den Polen und den Ruthenen. Die Kluft zwischen maximalen Zielen und Alltagspolitik konnte so mit beliebigen politischen Inhalten gefüllt werden – bis der Ausbruch des Krieges die Partei mitsamt ihren nationalen Sektionen zu unmissverständlichen Stellungnahmen zwang.

30 S. Rokkan u.a., Centre-Periphery Structures in Europe. An ISSC Workbook in Comparative Analysis, Frankfurt / New York 1987, S. 17-50, insbesondere S. 40-45.

Personenregister Adler, Victor 7, 15, 35, 42, 43, 46, 50, 53, 54, 62, 76, 81, 103, 120, 126, 141, 158-160, 162 Agnelli, Arduino 56, 80, 98, 151 Alatri, Paolo 170 Aldermann, Geoffrey 62 Andreucci, Franco 37, 39, 57, 136, 137,151 Apih, Elio 12, 17, 21, 23, 57-59, 73, 84, 85, 87, 90, 106, 116, 121, 160-162, 165 Ara, Angelo 11, 72 Ardelt, Rudolf G. 13, 14 Austerlitz, Friedrich 158 Austerlitz, Hugo 56, 57 Avancini, Augusto 39 Badeni, Kasimierz 47, 76, 100 Bagehot, Walter 154 Balanza 90 Bartl 66 Basch-Ritter, Renate 92 Battara, Giovanni 30 Battisti, Cesare 39, 116, 170 Bauer, Otto 78, 80, 148, 151, 153-157, 170, 173 Bebel, August Friedrich 28 Beck, Max Wladimir Freiherr von 115 Behschnitt, Wolfgang Dietrich 82 Bellotti, Goffredo 30 Benussi, Giuseppe 102, 105, 107 Bismarck, Otto von 28 Bissolati, Leonida 146 Bortoluzzi, Matilde 51 Botz, Gerhard 34 Boyer, John W. 15 Bravo, Gian Mario 24 Brunner, Georg 88 Budicin, Marino 93, 105-111, 113-116 Burke, Peter 168 Cabrini, Angelo 135, 136 Calich, Antonio 102 Camber, Riccardo 49, 50, 53, 54, 56, 90, 141 Capporella, Vittorio 172

Casali, Antonio 133 ,147 Cattaruzza, Marina 17, 49, 58, 74, 93, 104, 116, 121, 129, 131-133, 144, 164, 167-170 Cavallotti, Felice 135 Cech, Antonio 56 Cervani, Giulio 12, 168, 173 Cesari, Giulio 21, 23, 24, 25 Cetina, Marija 73, 91, 99-101, 122, 124, 125, 127, 174 Chiampoli, Domenico 101 Chiussi, Ezio 56 Cobal, Melhijor 65, 66, 69 Cohen, Gary B. 15, 167, 168, 171 Collotti, Enzo 37, 39, 54, 57, 59 Contin, A. 89 Conze, Werner 143 Cornwall, Mark 168 Cossutta 104 Costa, Andrea 30 Crnobori, Tone 92-96, 104, 108 Cusin, Fabio 173 Czornig jr., Carl von 87 D’Alessio, Giovanni 95, 168 D’Alessio, Vanni 168 Daneo, Camillo 149, 161, 164 Danielli, Jacopo 135 Davidek, Johann 29 De Costantini, Biagio 105 Degl’Innocenti, Maurizio 7, 104 del Bello, Nicolò 91 Despot, Miroslava 93 Detti, Tommaso 37, 39, 57, 136, 137, 151 Diamand, Hermann 90 Dobauschek, Ferdinando 56 Domokos, Lajos 58, 98, 107, 123, 124, 126, 128, 129, 136 Dorbič, Gerolamo 56, 90, 104 Drofenik, Rok 64, 66, 71 Elisabeth, Kaiserin 92, 134 Ellenbogen, Wilhelm 13, 38, 39, 46, 51, 52, 57, 58, 77, 78, 102, 103, 126, 129, 130, 160, 163, 173, 174

178

Personenregister

Engels, Friedrich 126, 128 Faber, Eva 12 Fabi, Lucio 87 Fauro, Ruggero (Pseudonym für Ruggero Timeus) 168 Ferfolja, Josip 84 Ferrer, Francisco 137, 138, 140, 144 Foretić, D. 108 Franz Josef, Kaiser 36, 88, 92, 94 Ganza Aras, Teresa 88 Garibaldi, Giuseppe 24, 137 Geary, Dick 134 Gerin, Antonio 37-41, 45, 46, 50-56, 61, 106 Gerin, Pietro 54 Gerschenkron, Alexander 11 Gherson, Vittorio 102 Giekar, C. 37 Ginsborg, Paul 12 Glatz, Ferenc 61 Golouh, Rudolf 84 Gombač, Boris 41 Good, David F. 169 Gratton, Guilio 37 Groh, Dieter 120, 143 Grünes, Giuseppe 27 Gumplowicz, Ludwig 77, 100, 110, 112 Habsburger, Dynastie 70 Hanisch, Ernst 14, 15 Hauer, Lodovico 27 Hautmann, Hans 14 Herder, Johann Gottfried 100 Hervé, Gustave 154 Hesse, Heidrun-Ute 55 Hirschel, Joachim 18 Höbelt, Lothar 168, 171 Hobsbawm, Eric 28, 119, 135 Hoffmann, Robert 17 Hohenlohe, Conrad 11, 133, 163 Hohenwart, Karl Sigmund 22 Hohenzollern, Dynastie 79 Huber, Anton 129 Hubmayer, Carl 29 Hugo, Victor 24, 128 Imbriani, Matteo Renato 135 Jászi, Oscar 14 Jemnitz, Janos 134 Jerneičič, Franz 66

Jobst, Kerstin S. 175 Judson, Pieter M. 13, 167, 172 Kandler, Pietro 20 Kandolini, Max 29, 41 Kann, Robert A. 79 Karađorđević, Dynastie 148 Karađorđević, Peter 148 Kautsky, Karl 14, 28, 70, 102, 103, 120, 153 Klemenčič, Andrej 34, 35 Klönner 133 Klopčič, Francé 80, 126 Kocka, Jürgen 14, 135 Koerber, Ernst von 11 Kogan, Arthur G. 78 Kogovsek 66 Konrad, Helmut 14, 24, 28, 36, 50, 76, 126, 143, 159, 170 Kopač, Josip 52, 61, 62, 64, 65, 73 Kopitar-Cetina, Marija 98 Kordelič, Karl 34 Kovčnik, Ferdinand 66 Krek, Janez Evangelist 70 Kristan, Etbin 52, 61-69, 71-73, 75-80, 83, 107 Kropf, Rudolf 14 Krota, Ines 108 Labriola, Antonio 38 Labriola, Arturo 143, 146, 163 Langewiesche, Dieter 153, 169 Lassalle, Ferdinand 135 Lawton, Richard 164 Lax, Josef 35, 37, 41 Laykauf, Ziga 64 Lazzarini, Giuseppe 96-100, 107, 109, 110, 113, 115, 116, 170 Le Bon, Gustave 129 Lee, Robert 164 Lehmann, Georg Hans 71, 89, 102, 103 Lemberg, Hans 88 Leo XIII., Papst 70 Leser, Norbert 39, 130 Levi, Alessandro 145 Lidtke, Vernon L. 172 Liebknecht, Wilhelm 28 Linhardt, Karl 90 Lombroso, Cesare 126 Löw, Raimund 151, 171 Luccheni, Luigi 134 Lukan, Walter 70

Personenregister

Luxemburg, Rosa 128 Macartney, Carlile Aylmer 47 Machiavelli, Niccolò 135 Maderthaner, Wolfgang 14, 24, 36 Malato, Charles 30 Malusà, Bernardo 105, 106 Mann, Thomas 131 Marinetti, Tommaso 137 Martinuzzi, Giuseppina 73, 91, 98-101, 104, 122, 124-129, 131, 173, 174 Marx, Karl 112, 125-128 Masaryk, Thomas 82 Maserati, Ennio 17, 18, 19, 23, 24, 26, 27, 30, 34, 36, 38-40, 43, 88, 89, 90, 108, 145, 146, 168 Mattl, Siegfried 172 Mauroner, Leopoldo 40, 41 Maver, Ignatz 29 Mazzini, Giuseppe 18, 113, 139, 140, 147, 154 Melik, Vasilij 62 Melville, Ralph 61 Meriggi, Marco 95 Merlino, Saverio 30 Michels, Robert 134, 154 Mihevc, Ignacij 66 Millo, Anna 149, 173 Mingotti, Giorgio 43 Mommsen, Hans 14, 36, 41, 76, 78-81, 85, 126, 141, 143, 144, 156, 159, 160, 162, 170 Mommsen, Wolfgang 119 Montecuccoli, Raimondo 115 Monteleone, Renato 39, 89, 170, 174 Moritsch, Andreas 117 Mosse, George L. 119 Most, Johann 28 Musatti, Cesare 161 Nathan, Ernesto 145 Negrelli, Giorgio 17, 18, 21, 25 Njegoš, Dynastie 148 Njegoš, Nikola 148 Nolan, Mary 134 Oberdan, Guglielmo 36 Oberdorfer, Aldo 162, 165 Oberwinder, Heinrich 23 Oliva, Giovanni 56, 66, 73, 160 Padovani, Antonio 25

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Pagnini, Silvio 145 Panek, Ludwig 66 Pantano 135 Parmeggiani, Luigi 30 Pascutti, G.B. 26 Passigli, Giuseppe 162 Passivich, Antonio 89 Patat, Luciano 90, 100 Pedrotti, Giovanni 170 Perco, Renato 46 Pernerstorfer, Engelbert 67, 90 Pertici, Roberto 17 Petrič 66 Petrich 50 Petzina, Dietmar 134 Piemontese, Giuseppe 19, 35, 37, 38, 40, 46, 49, 54, 59, 89, 90, 106, 119, 121, 162 Pini, Vittorio 30, 42 Piscel, Antonio 39 Pittoni, Francesco 162 Pittoni, Silvio 58 Pittoni, Valentino 13, 46, 56-59, 84, 85, 101, 108-110, 113, 127, 130, 131, 140, 146-148, 152, 153, 158-166, 173, 175 Pivato, Stefano 121 Pleterski, Janko 84 Pombeni, Paolo 119 Pregant, Giovanni 44 Prepeluh, Albin 71 Prezzolini, Giuseppe 154 Procacci, Giuliano 136 Puecher, Edmondo 175 Pugliese, Giuseppe 102 Quarantotto, Tommaso 108 Rabinbach, Anson 172 Radvičič 71 Ragionieri, Ernesto 39, 135, 136, 160, 174 Rangan, Pietro 26 Rascovich, Edgardo 24 Regent, Ivan 73, 113, 146 Renner, Carl 78-81, 126, 170, 173, 175 Revoltella, Pasquale 18 Ridolfi, Maurizio 119, 134 Rinaldini, Theodor von 42 Ripper, Julius von 115 Ritossa, Agostino 115 Ritter, Gerhard A. 55 Rogel, Carole 70, 71, 82, 83 Rohe, Karl 168

180

Personenregister

Rojahn, Jürgen 172 Rokkan, Stein 175, 176 Roth, Günther 172 Rovigo, Giuseppe 30, 42, 43 Rozenblit, Marsha L. 13 Rozman, Franc 61, 62, 68, 78, 81, 82 Rudolph, Richard L. 169 Rumpler, Helmut 14 Rundel, George 39, 130 Rusinow, Dennison 169 Sabbatucci, Giovanni 147 Sado, Josef 55 Sala, Teodoro 98 Salimbeni, Fulvio 168 Salvadori, Massimo 147 Salvemini, Gaetano 147, 152, 156 Sandrinelli, Scipione 139 Sapelli, Giulio 17 Scheu, Andreas 23 Schiffrer, Carlo 11, 18, 154 Schiller, Johann Christoph Friedrich 170 Schmid, Julis 168 Schmiedek, Julius 158-160 Schödl, Günter 88 Schröder, Wilhelm Heinz 55 Schulze-Delitzsch, Hermann 23 Schwartz, Michael 128 Scotti 50, 96 Scotti, Giacomo 101 Seliger, Josef 76 Sema, Paolo 91, 93, 105, 108, 115 Sestan, Ernesto 87, 91 Sighele, Scipio 127, 128 Silvestri, Claudio 90, 121 Simoniti, Vasko 33 Sisto, Luigi 102 Skaret, Ferdinand 65, 69, 158, 159 Skok, Iwan 66 Slataper, Scipio 121, 161 Šolle, Ždenek 28 Sombart, Werner 136 Spitzer, Leo 131 Springer, Rudolf (Pseudonym für Carl Renner) 78-81, 126, 170, 173, 175 Stefanie, Prinzessin 26 Steinberg, Hans Joseph 103 Steiner, Herbert 23, 24, 33, 36, 44, 141 Stemjelj 66 Štih, Peter 33

Stourzh, Gerald 169 Strossmeyer, Josip 29 Stuparich, Giani 121 Susmel, Michele 138, 162 Swift, Ferdinand 30 Tedeschi Gerin, Luigia 54 Testena, Folco (Pseudonym für Communardo Braccialarghe) 137, 163 Thompson, Edward Palmer 135 Tommaseo, Nicolò 101 Treves, Claudio 147 Tribel, Antonio 24 Tuma, Henrik 62, 71, 82-84, 162, 164, 165 Tuntar, Giuseppe 90, 98, 100, 109-112 Turati, Filippo 49 Turrinus, Antonius 20 Tuschek, Franz 65 Ucekar, Carlo 36, 37, 42-47, 49, 50, 52, 53, 56, 57, 59, 66, 72, 73, 106, 107, 131 Urbanitsch, Peter 14, 15 Valiani, Leo 43, 55, 56, 88, 135, 160, 174 Valsecchi, Franco 12 Van Der Linden, Marcel 172 Venezian, Felice 139, 145 Virchow, Rudolf 135 Vivante, Angelo 23, 84, 131, 147, 149, 150-152, 154, 155-157, 161, 162, 164, 173-175 Vodopivec, Peter 33, 62, 70 Volk, Aleksander 26, 29, 35, 41 Vorano, Emilio 97, 115 Wagner 135 Waitz, Jacob 29 Wandruszka, Adam 12, 43, 55, 56, 135 Weininger, Otto 131 Wistrich, Robert S. 149 Wögener, Giovanni 41 Zadnik, Josef 41 Zadnik, Ludvig 39, 41, 43-46, 55, 61, 64, 66 Zangheri, Renato 104 Zavertnik, Josef 52, 55, 61, 62, 64, 66, 71 Železnikar, France 66, 71 Zorzenon 115 Zurek, Ive 108