Soziale Dienste und Umverteilung in Deutschland [1 ed.] 9783428494323, 9783428094325

Paradoxe Entwicklungen kennzeichnen die deutsche Sozialpolitik. So nehmen der Wohlstand und das Ausmaß der Umverteilung

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German Pages 291 Year 1999

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Soziale Dienste und Umverteilung in Deutschland [1 ed.]
 9783428494323, 9783428094325

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JÜRGEN VOLKERT unter Mitarbeit von Eva-Maria Schick

Soziale Dienste und Umverteilung in Deutschland

Sozialpolitische Schriften

Heft 79

Soziale Dienste und Umverteilung in Deutschland

Von Jürgen Volkert unter Mitarbeit von Eva-Maria Schick

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Volkert, Jürgen: Soziale Dienste und Umverteilung in Deutschland I von Jürgen Volkert. Unter Mitarb. von Eva-Maria Schick. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Sozialpolitische Schriften; H. 79) ISBN 3-428-09432-8

Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany

© 1999 Duncker &

ISSN 0584-5998 ISBN 3-428-09432-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

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Vorwort Soziale Dienste und Umverteilungsaktivitäten stehen in jüngster Zeit wieder verstärkt in der wissenschaftlichen und politischen Diskussion. Umstritten ist beispielsweise, ob der Sozialstaat ab- oder umgebaut werden muß, um seinen wesentlichen Zielen in der Zukunft gerecht werden zu können. Darüber hinaus erlangen die Fragen nach Potentialen und Auswirkungen der Zulassung gewerblicher Anbieter sozialer Dienste für die Abgrenzung der Aufgaben des Sozialstaates eine immer größere Bedeutung. Die vorliegende Arbeit kann nur ein bescheidener Beitrag zu dieser Diskussion sein. Es handelt sich um die aktualisierte und überarbeitete Fassung eines IAW -Gutachtens, das unter dem Titel "Fehlsteuerungen der Umverteilungspolitik in Deutschland und Ansätze für eine Neuordnung" erstellt wurde. Wir danken dem Bundesministerium für Wirtschaft für die finanzielle Förderung des Projekts. In die nun vorliegende Fassung konnten wichtige Klarstellungen, Ergänzungen und Korrekturen eingearbeitet werden. Bei den Mitarbeitern des Bundeswirtschaftsministeriums und der anderen beteiligten Bundesministerien möchten wir uns in diesem Zusammenhang für vieWiltige Anregungen bedanken. Weitere wichtige Hinweise und Unterstützung haben wir von Dr. Stefan Höflacher und Dr. Alexander Spermann erhalten. Besonderen Dank schulden wir Prof. Dr. Wolfgang Wiegard, der sich mit weiten Teilen der Arbeit intensiv beschäftigt hat und von dessen Ergänzungen und Korrekturen wir sehr profitiert haben. Eva-Maria Schick hat Abschnitt D.lV. verfaßt, alle anderen Teile wurden von Dr. Jürgen Volkert bearbeitet. Reinhild Birkenbeil, Irene Böpple, HansJürgen Fiederer, Petra Heimann, Daniela Negrini, Vanessa Steinmayer und Stefan Waskow haben in verschiedenen Projektstadien engagiert dazu beigetragen, die Arbeit fertigzustellen und in eine druckreife Form zu bringen. Ihnen allen gilt unser Dank. Tübingen, im Februar 1999

Jürgen Volkert

Inhaltsverzeichnis A. Einführung ...... ... ....... ... ........................................ ........ .................................... ..... 15

I. Problemstellung: Expansion der Umverteilung bei gleichzeitig auftretenden Sicherungsdefiziten .......................................................................................... 15 11. Vorgehensweise der Untersuchung .................................................................. 17 B. Zielsetzungen und Prinzipien einer systematischen Umverteilungspolitik ....... 20

c. Marktwirtschaftlicher Wettbewerb: Ursache und Voraussetzung redistribu-

tiver Maßnahmen.................................................................................................. 26

I.

Die redistributionspolitische Bedeutung marktwirtschaftlicher Steuerung in quantitativer und qualitativer Hinsicht ............................................................. 26

11. Ordnungspolitische Defizite: Ursachen für das Entstehen und die Verfestigung sozialpolitischer Defizite ........................................................... .............. 29 III. Die Notwendigkeit gestaltender Ordnungspolitik............................................ . 31 IV. Allgemeine Grenzen des Marktwettbewerbs: Anlaß für redistributive Korrekturen außerhalb des Marktes........................................................................ 33 D. Möglichkeiten und Grenzen nichtstaatlicher Hilfen .......................................... 37 I.

Unterstützung in Familien und kleinen Gruppen: Derzeitige Situation und Probleme .......................................................................................................... 37

11. Gewerbliche Anbieter sozialer Dienste ............................................................ 48 1. Möglichkeiten gewerblicher Anbieter .......................................................... 48 2. Probleme und Grenzen .................................................................... ............. 52 3. Mögliche Rahmenbedingungen für gewerbliche Anbieter sozialer Dienste. 60 III. Wohlfahrtsverbände: Im Dienst der wirtschaftlich Schwachen? ...................... 64 1. Komparative Vorteile von Wohlfahrtsverbänden im Vergleich zu privaten Anbietem ....... .......................... ...... ............ ................................................... 64 2. Probleme und Grenzen ........ ................ ...... ................................................... 69 IV. (In-)Effizienz der Aufgabenverteilung zwischen kommerziellen Anbietern, gemeinnützigen und sozialadministrativen Trägem sozialer Dienste............... 78

8

Inhaltsverzeichnis 1. Effiziente Aufgabenverteilung auf der Basis komparativer (Transaktions-) Kostenvorteile.. .. ... ... ..... .......................... .................... .......... ........................ 78 2. Rechtliche Zugangsbarrieren und Absprachen ............. .... .......... ...... ........ .... 81 3. Finanzielle Marktzutrittsbarrieren ................................................................ 89 4. Weitere Wettbewerbs verzerrungen auf dem Markt für soziale Dienste........ 94 V. Prinzipielle Bedeutung von Umverteilungsmotiven für die Aufgabenverteilung zwischen privaten und staatlichen Trägern............. .............. .................... 97

E. Umverteilungsanreize im Sozialstaat ................................................................... 102 I.

Umverteilungspolitik: Ergebnis des Zusammenspiels rational handelnder Wähler und politischer Entscheidungsträger .................................................... 103 1. Investitions- und Konsummotiv der Wahlbeteiligung .................................. 103 2. Ergebnisse der empirischen Wahlforschung ................................................. 106 3. Charakteristika von Um verteilungs anreizen im politischen Wettbewerb ..... 110

11. Die Einflußnahme von Interessenorganisationen auf die Umverteilungspolitik ..................................................................................................................... 113 1. Anreize zur Gruppenbildung im Umverteilungswettbewerb ........................ 113 2. Voraussetzungen für die Mobilisierung latenter Gruppen ............................ 114 3. Konsequenzen für die Durchsetzungsfähigkeit wirtschaftlich Schwacher im politischen Wettbewerb ........................................................................... 117 4. Auswirkungen des Verbands wettbewerbs auf die Umverteilung ................. 121 5. Verfehlung umverteilungspolitischer Ziele als Ergebnis von RentSeeking-Aktivitäten Wohlhabender .............................................................. 123 III. Die Realisierung von Umverteilungspolitik durch die Sozialadministration .... 124 IV. Zwischenergebnis ............................................................................................. 128

F. Sozialstaatliche Umverteilung: Ziele und Prinzipien versus sozialpolitische Realität - eine Bestandsaufnahme ....................................................................... 130 I.

Struktur und Expansion des Sozialbudgets: Ursachen, neue Belastungen und Begrenzungsmöglichkeiten .............................................................................. 130 1. Struktur und Entwicklung des Sozial budgets ............................................... 130 2. Arbeitskosten, Wechselkurse und Produktivität .......................................... 137 3. Sozialausgaben: Europäischer Vergleich und Entwicklungstendenzen ....... 142 4. Versicherungsfremde Leistungen und Umverteilung ................................... 144

Inhalts verzeichnis

9

Il. Unterstützung Nicht-Bedürftiger durch sozialpolitische Redistribution .......... 148 I. Subventionen: Transfers außerhalb des Sozialbudgets ................................. 148 2. Sozialer Wohnungsbau: Anpassungsbedarf und Reformen ...... .................... 151 3. Unsystematische Belastungsunterschiede zwischen einzelnen Berufs- und Einkommensgruppen .................................................................................... 154 4. Wahlzyklen: Ergebnis politisch rationaler Umverteilung ............................. 162 5. Sozialkriminalität und Leistungsmißbrauch von seiten der Unternehmen und Nicht-Bedürftigen .................................................................................. 163 III. Inanspruchnahme existenzsichernder Sozialleistungen .................................... 168 1. Mißbrauch von Sozialleistungen für wirtschaftlich Schwache .......... ........... 168 2. Hohe Dunkelziffern als Ergebnis der Überforderung von Sozial verwaltung und Anspruchsberechtigten .......................................................................... 169 3. Sozialhilfeausgaben und -empfangerzahlen ................................................. 173 IV. Zur Situation wirtschaftlich Schwacher............................................................ 176 I. Die Kontroverse um Sozialhilfeniveau, Arbeitsanreize und Lohnabstand ... 176 2. Die Entwicklung der verfügbaren Einkommen von Sozialhilfeempfängern. 182 3. Möglichkeiten und Grenzen der Armutsdefinition und -erfassung ............... 190 4. Armutsentwicklung in Deutschland ............................................................. 193 5. Probleme der Unterstützung von Behinderten und psychisch Kranken ....... 196 6. Begrenzte Fortschritte durch die gesetzliche Pflegegversicherung ............... 201 7. Armutsrisiken bei Gruppen mit geringem politischen Einfluß ..................... 203 8. Existenzsicherung von Familien Alleinerziehender und Kinderreicher: Ein internationaler Vergleich .............................................................................. 206 V. Zwischenergebnis: Zielverfehlungen und Inkonsistenzen derzeitiger Umverteilungspolitik ................................................................................................... 211 I. Umverteilungspolitische Ziele und Realität: Ein Vergleich ......................... 211 2. Unabweisbare Zielkonflikte sozialpolitischer Umverteilung mit anderen Politikbereichen? .......................................................................................... 214 3. Beseitigung von Sicherungsdefiziten und Effizienzerhaltung ein tatsächlicher Trade-Off? ...................................................... ...................................... 215

Inhaltsverzeichnis

lO

G. Ergebnis: Wege einer erforderlichen Neuorientierung bundesdeutscher Umverteilung ............................................................................................................... 218 I.

Erhöhung der Ordnungskonformität marktwirschaftlichen Wettbewerbs als Fundament jeglicher Umverteilung .................................................................. 218

11. Systematisierung der Aufgabenverteilung zwischen kommerziellen Anbietern, Selbsthilfe, Wohlfahrtsverbänden und Sozialadministration .................... 220 1. Möglichkeiten des Wettbewerbs zwischen Wohlfahrtsverbänden und kommerziellen Anbietern sozialer Dienste .......................................................... 220 2. Effizienzsteigerung bei Wohlfahrtsverbänden .............................................. 225 3. Selbsthilfegruppen - Alternativen zu Wohlfahrtsverbänden und kommerziellen Anbietern ........................................................................................... 228 III. Beseitigung unsystematischer Redistribution und Verbesserung der Situation wirtschaftlich Schwacher .................................................................................. 232

1. Begrenzung der Expansion des Umverteilungsstaates ................................. 232 2. Stärkung der Existenzsicherung wirtschaftlich Schwacher .......................... 236 IV. Möglichkeiten und Grenzen einer negativen Einkommensteuer ...................... 239 1. Erwartungen an das Konzept einer negativen Einkommensteuer ................. 239 2. Verbesserte Abstimmung und Leistungsanreize durch das Standardmodell einer negativen Einkommensteuer? .............................................................. 241

3. Konsistente, realisierbare Konzeptionen zur Verbesserung der Arbeitsanreize für Transferempfänger .......................................................................... 246 4. Verwaltungsintegration durch Sozialtransfer- oder Finanzämter? ............... 250 V. Konsequenzen für die Sicherung Nicht-Leistungsfähiger ................................ 252 VI. Politische Rahmenbedingungen für eine zielkonforme Umverteilungspolitik . 254 I. Neustrukturierung von Entscheidungsregeln und -prozessen in der Umverteilungspolitik ......................................................................................... 254

2. Institutionelle Reformansätze in der Sozialbürokratie .................................. 262 Fazit ............................................................................................................................ 263 Anhang ....................................................................................................................... 264 Literaturverzeichnis .................................................................................................. 269

Tabellenverzeichnis Tab. 1:

Anzahl der Abweichungen der Preise für soziale Dienstleistungen vom vorherrschenden Preisgefüge in ausgewählten Regionen der Bundesrepublik ......................................................................................................... 87

Tab. 2:

Unterschiedliche Belastung der Bewohner von Pflegeheimen in Abhängigkeit vom Umfang der Heimförderung ...... .............. ............................... 92

Tab. 3:

Sozialbudget und Sozialleistungsquote in Deutschland ............................. 131

Tab. 4:

Sozialbudget: Funktionen (Anteil am Sozialbudget für Westdeutschland in Prozent) .................................................................................................. 134

Tab. 5:

Finanzierungsarten des Sozialbudgets: Ein Überblick über die Entwicklung seit 1960 ............................................................................................. 136

Tab. 6:

Arbeitskosten und Wechselkurse (Veränderung in Prozent) ...................... 139

Tab.7a:

Verfügbare Einkommen je Haushalt sowie je Verbrauchereinheit in DM nach Berufsgruppen für Westdeutschland im Jahr 1993 ............................ 155

Tab.7b:

Verfügbare Einkommen je Haushalt sowie je Verbrauchereinheit in DM nach Berufsgruppen für Gesamtdeutschland im Jahr 1996 ........................ 156

Tab. 8:

Transfersaiden 1993 nach Haushaltsgruppen in Prozent des Einkommens 157

Tab. 9:

Transferbedingte Be- und Entlastung von Haushalten nach Einkommensgruppen (1992) .................................................................................. 159

Tab. 10:

Illegale Ausländerbeschäftigung: Verwarnungen und Geldbußen, Strafanzeigen..................................................................................................... 165

Tab. 11:

Illegale Arbeitnehmerüberlassung .............................................................. 166

Tab. 12:

Schätzung des Leistungsmißbrauchs bei unterschiedlichen Sozialleistungen in Deutschland für das Jahr 1994 ........................................................ 168

Tab. 13:

Anteil der Ablehnungen von Arbeitsplatzangeboten im Rahmen der "Hilfe zur Arbeit" nach §§ 19 (I), 19 (2) 1. Var., 19 (2) 2. Var., 20 BSHG ......................................................................................................... 177

Tab. 14a: Entwicklung der verfügbaren Einkommen je Verbrauchereinheit in Westdeutschland bis 1993 .......................................................................... 185 Tab. 14b: Entwicklung der verfügbaren Einkommen je Verbrauchereinheit in Gesamtdeutschland ......................................................................................... 187

12

TabelIenverzeichnis

Tab. 15:

Anzahl westdeutscher Personen nach Anteilen am verfügbaren Einkommen je Verbrauchereinheit 1973 - 1990 .................................................... 194

Tab. 16:

Relative Einkommensarmut in Deutschland ab 1990 (Äquivalenzeinkommen nach BSHG-Skala) ...................................................................... 195

Abbildungsverzeichnis Abb. I:

Anteil der zur Überwindung von Armut erforderlichen Ausgaben in Prozent der im Sozialbudget enthaltenen Sozialausgaben sowie des Sozialproduktes.................................................................................................... 16

Abb.2:

Nichtwähleranteile bei der Bundestagswahl 1990 in den alten Bundesländern nach Bildungsgrad und Beruf.. ...................................................... 107

Abb. 3:

Nichtwähleranteile nach Einkommensgruppen bei der Bundestagswahl 1990 in den alten Bundesländern ............................................................... 109

Abb.4a:

Entwicklung der verfügbaren Einkommen je Verbrauchereinheit in Westdeutschland ........................................................................................ 183

Abb.4b: Entwicklung der verfügbaren Einkommen je Verbrauchereinheit in Gesamtdeutschland ......................................................................................... 183 Abb.5:

Entwicklung des Abstands der verfügbaren Einkommen je Verbrauchereinheit von Arbeitslosen und Sozhialhilfeempfangern zu entsprechenden Arbeitereinkommen in Westdeutschland ..................................... 188

Abb. 6:

Sen-Index für Familien mit drei und mehr Kindern vor und nach Umverteilung in verschiedenen Ländern ......................................................... 207

Abb.7:

Verringerung der durchschnittlichen Armutslücke von Familien mit drei oder mehr Kindern als Resultat der Umverteilungspolitik ......................... 209

Abb. 8:

Verringerung der Armutshäufigkeit von Familien mit drei oder mehr Kindern als Resultat der Umverteilungspolitik .......................................... 210

Abb. AI: Zahl sozialpolitischer Leistungsgesetze in den ersten fünf Legislaturperioden der Bundesrepublik Deutschland ....................................................... 264 Abb. A2: Durchschnittliche Anzahl sozialpolitischer Schlüsselgesetze mit Expansions- bzw. Kürzungscharakter .................................................................. 265 Abb. A3: Sen-Index für Alleinerziehende vor und nach Umverteilung in verschiedenen OECD-Ländern ................................................................................ 266 Abb. A4: Verringerung der Durchschnittlichen Armutslücke von Alleinerziehenden als Resultat der Umverteilungspolitik ................................................. 267 Abb. A5: Verringerung der durchschnittlichen Armutshäufigkeit von Alleinerziehenden als Resultat der Umverteilungspolitik ............................................ 268

A. Einführung I. Problemstellung: Expansion der Umverteilung bei gleichzeitig auftretenden Sicherungsdefiziten Die derzeitige bundesdeutsche Umverteilungspolitik ist durch paradoxe Entwicklungen gekennzeichnet. Zwar wird einerseits aus Sorge um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft eine grundsätzliche Kürzung oder Beschränkung der Kosten des Sozialsystems verlangt, da dieses die Grenzen seiner Finanzierbarkeit erreicht habe. I Dafür spricht, daß sich in der Tat das Sozialbudget in den alten Bundesländern zwischen 1972 und 1997 von 232,7 Milliarden DM auf 1022,0 Milliarden DM erhöht hat. Aber während diese Expansion über den Anstieg des bundesdeutschen Sozialproduktes deutlich hinausging,2 zeigt sich jedoch andererseits zugleich, daß die Zunahme der Sozialhilferegelsätze ebenso wie die der verfügbaren Einkommen je Verbrauchereinheit unter den Sozialhilfeempfängern, langfristig hinter dem entsprechenden durchschnittlichen Einkommensanstieg der Gesamtbevölkerung zurückgeblieben sind. 3 Und dies obwohl gerade die Sozialhilfeempfänger als einkommensschwächste Gruppe von einer zielkonformen Redistributionspolitik bevorzugt unterstützt werden sollten. Hierauf aufbauend wird deshalb von sozialstaatlichen Instanzen verlangt, ungeachtet des durchaus gestiegenen Sozialbudgets eine solidere und zumindest in Teilbereichen auch finanziell aufgestockte Absicherung der wirtschaftlich schwächsten Bundesbürger zu gewährleisten. 4 Wenn jedoch die Sozialleistungen insgesamt erheblich ansteigen, zugleich aber manche der wirtschaftlich Schwächsten trotz allem vom allgemeinen Wohlstandszuwachs abgekoppelt werden, so ist zum einen zu vermuten, daß ein nicht geringer Teil der gesamtwirtschaftlichen Redistribution als Folge von Ineffizienzen und Ziel ungenauigkeiten nicht bei den tatsächlich Bedürftigen ankommt. Andererseits profitieren weit weniger bedürftige Gruppen erheblich von Vgl. unter anderem Hansen (1994), S. 18. Vgl. hierzu Sozialbericht (1993), S. 171 und Sozialbericht (1997), S. 282 und S. 285, sowie Materialband zum Sozialbericht (1993). 3 Vgl. Hauser/Semrau (1990) sowie Statistisches Bundesamt (1994). 4 Vergleiche hierzu Bethusy-HuclBeckmann (1989) sowie die Armutsberichte seit Beginn der 90er Jahre, beispielsweise von Hanesch (1994) und Hauser/Hübinger (1993). I

2

A. Einführung

16

Transfers und anderweitigen Vergünstigungen. Zugleich zeigen die in Abbildung 1 wiedergegebenen Ergebnisse einer international vergleichenden Studie der OECD (1994), daß eine stärkere Ausrichtung der gesamten Umverteilung auf die wirtschaftlich Schwächsten zu einer im Vergleich zu den sonstigen Sozialausgaben nur geringen finanziellen Zusatzbelastung führen würde.

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