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German Pages 281 [279] Year 2016
Sophokles: Elektra
Griechische Dramen herausgegeben von Jens Holzhausen, Peter von Möllendorff und Bernd Seidensticker
De Gruyter
Sophokles
Elektra herausgegeben, übersetzt und kommentiert von
Thomas A. Schmitz
De Gruyter
ISBN 978-3-11-018824-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-022737-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-039065-0 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. 쑔 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandentwurf: Martin Zech, Bremen Einbandabbildung: akg-images/De Agostini Picture Library/G. Dagli Orti Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck 앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier 앪 Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort der Herausgeber Die Reihe Griechische Dramen möchte einen Wunsch all der Leser und Liebhaber der griechischen Tragödie und Komödie erfüllen, die über keine oder nur geringe Kenntnisse der griechischen Sprache verfügen: zu erfahren, was im griechischen Original steht. Deshalb sind die Übersetzungen anders als im Original nicht in Versmaßen gehalten, sondern – im Unterschied zu den gängigen deutschen Übersetzungen – in Prosa, um unabhängig von den Zwängen poetischer Rhythmisierung so genau wie möglich den Wortlaut wiedergeben zu können. Eine solche Übersetzung ist das Ergebnis einer gründlichen sprachlichen und inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Originaltext, die in den Bänden der Reihe auf mehreren Ebenen dokumentiert wird: Der Übersetzung ist der zugrunde gelegte griechische Text an die Seite gestellt, der von einem kritischen Apparat und sprachlichen Erläuterungen begleitet wird. Hier kann derjenige, der über Griechischkenntnisse verfügt, die sprachliche Basis der Übersetzung nachvollziehen. Der Kommentar, mit detaillierten Erläuterungen zu sprachlichen, sachlichen, dramaturgischen und interpretatorischen Problemen, setzt dagegen keine Kenntnisse der griechischen Sprache voraus. Das Druckbild ist so gestaltet, dass der Leser alle Informationen auf einen Blick erfassen kann: Die Doppelseiten präsentieren auf der linken Seite zunächst – als Ausgangspunkt der Lektüre und zugleich als Endpunkt der hermeneutischen Arbeit der Kommentatoren – den deutschen Text und darunter den griechischen Text mit textkritischen und sprachlichen Erläuterungen. Der Stellenkommentar begleitet den Text auf der rechten Seite. Dass die auf einer Doppelseite behandelten Textstücke dadurch in der Regel kurz sind, ist unvermeidlich; der Vorteil, alle Informationen zu einem Vers bzw. einer Textpassage unmittelbar nebeneinander zu finden, mag dafür entschädigen. In den umfangreichen Einführungen ziehen die Übersetzer in zusammenhängender Erörterung thematischer Schwerpunkte die Quintessenz ihrer Interpretation des Stücks und informieren über den Autor und sein Werk, über Datierung und historischen Hintergrund des Stücks, über die Geschichte des Stoffs und die vom Autor gewählte Akzentuierung, sowie über das Theater des 5. Jahrhunderts und die dramaturgische Realisierung des Stücks. Die Herausgeber und Autoren der Reihe Griechische Dramen hoffen, durch die Kombination von Einführung, Prosaübersetzung, Originaltext und Erläuterungen einem gräzistischen wie nichtgräzistischen Leserkreis den Zugang zum Theater des klassischen Athen und seinen großen Dramen zu erleichtern. Jens Holzhausen
Peter von Möllendorff
Bernd Seidensticker
Vorwort Wer sich intensiv mit einer Tragödie des Sophokles beschäftigt, steht auf den Schultern von Riesen. Es gibt eine Reihe ausgezeichneter Kommentare zu einzelnen Tragödien wie zum Gesamtwerk, aus denen ich bei der Arbeit für dieses Buch viel lernen durfte. Exemplarisch seien hier einige genannt, die besonders hilfreich waren: Für sprachliche und stilistische Erläuterungen ist der in vielen Auflagen erschienene Kommentar von Schneidewin/Nauck/ Bruhn [12] besonders nützlich (das Vorwort der ersten Auflage von 1849 präzisiert, die Ausgabe wende sich an „jüngere Leser, die in den Dichter eingeweiht werden wollen“); der Anhang von Bruhn [15] ist eine systematische Zusammenstellung von Besonderheiten der sophokleischen Sprache. Der 1896 gedruckte Kommentar von Kaibel [9] steht in der beeindruckenden Tradition der deutschen philologischen Forschung des 19. Jahrhunderts. Unverzichtbar ist immer noch der Gesamtkommentar zu allen Tragödien des Sophokles von Jebb [5]; der Band zur Elektra erschien 1894. Originelle eigene Wege geht häufig Kamerbeek [6] (1974) und bietet dadurch ein Korrektiv zu anderen Kommentaren. Der Schwerpunkt des Kommentars von March [11] (2001) liegt auf der sorgfältigen interpretatorischen Arbeit. Gekrönt wird diese Tradition von dem neuen, monumentalen Kommentar von Finglass [8] (2007). Textkritische und grammatische Fragen werden hier so ausführlich und intensiv diskutiert, dass ein Fortschritt auf diesem Gebiet wohl für längere Zeit kaum zu erwarten ist; daneben ist auch die Interpretation ungewöhnlich einfühlsam und ausgewogen diskutiert. Finglass hat seinem Kommentar zur Elektra 2011 einen ebenso groß angelegten zum Aias [21] folgen lassen; ein Kommentar zum König Ödipus ist in Arbeit; wenn die Serie mit den vier anderen Tragödien fortgesetzt wird, verfügen wir für Sophokles über einen so ausführlichen und erhellenden Kommentar wie für wenige andere antike Autoren. Auch deshalb konnten in diesem Buch Angaben zur Sprache und Textkritik stark reduziert werden; Leser, die sich für diese Fragen interessieren, seien auf Finglass verwiesen. Bei der Textkonstitution bin ich meist Finglass gefolgt; vielleicht teile ich nicht immer seinen Optimismus, dass moderne Emendationen den Text überzeugend wiederherstellen können, und halte deshalb einige Male am überlieferten Text fest, wo er Konjekturen aufnimmt; auch habe ich einige Textpassagen als korrupt gekennzeichnet, die Finglass zu erklären versucht. Anders als etwa der Text des Aischylos bieten die Handschriften der sophokleischen Tragödien einen oberflächlich meist verständlich wirkenden Text. Wer sich allerdings intensiver mit ihm auseinandersetzt, findet häufig, dass sich die Sprache nicht überzeugend durch Parallelen aus anderen griechischen Autoren erklären lässt. Wie sehr wir Sophokles singuläre Sprachexperimente und Kühnheiten zutrauen, ist eine Frage, auf die sich keine abschließende Antwort geben lässt; dass sich unter der oberflächlich glatten Textgestalt tiefere Korruptelen verbergen können, wollte ich in dieser Ausgabe zumindest andeuten, um Lesern einen Eindruck davon zu vermitteln,
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Vorwort
wie sehr wir oftmals von Zufällen der Überlieferung abhängig sind. Hinzu kommt, dass die umstrittene Deutung der Elektra insgesamt nicht selten am Verständnis einzelner Sätze und Ausdrücke hängt; auch hier habe ich es vorgezogen, den Benutzern einen Eindruck von der entscheidenden Wichtigkeit solcher Fragen und von den Zweifeln bei ihrer Beantwortung zu geben, statt ein trügerisches Gefühl von Sicherheit zu erzeugen. Um interessierte Leser in den Stand zu versetzen, selbständig an solchen Problemen weiterzuarbeiten, die angesichts der Ziele dieser Kommentarreihe hier nur knapp entfaltet werden konnten, habe ich Literaturhinweise im Kommentar reichlich gegeben. Zum Schluss dieses Vorworts bleibt die angenehme Pflicht des Danks: Zu danken habe ich zuerst Verlag und Herausgebern für ihre Geduld, die ich oftmals überstrapaziert habe; dieses Buch erscheint deutlich später, als sie erwartet und ich gehofft hatten. Peter von Möllendorff hat großzügig immer wieder Zeit aufgebracht, um Entwürfe zu lesen und durch originelle und immer förderliche Hinweise diesen Kommentar voranzubringen. Dank schulde ich den Studenten, die in den letzten Jahren in mehreren Seminaren und Übungen gemeinsam mit mir die Elektra durchgearbeitet haben und an denen ich Teile dieses Kommentars testen durfte; ihre Neugier und klugen Fragen und Anregungen haben mich an vielen Stellen vorangebracht und motiviert. Pascal Stumpf und Patrick Kunzendorf haben wertvolle Arbeit bei der Literaturbeschaffung und beim Korrekturlesen geleistet. Gesetzt wurde das Buch mit der freien Software ConTEXt; Hans Hagen sei wie immer für seine großzügige Hilfe bei technischen Problemen gedankt. Bonn, Juni 2016
T. A. S.
Inhalt Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Elektra und der Atridenmythos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Griechische Mythen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Der Elektramythos vor der Tragödie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Der Mythos bei Aischylos und Sophokles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Zweimal Elektra: Sophokles und Euripides . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Die Elektra des Sophokles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Elektra in der modernen Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Zur Überlieferung des Textes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Text, Übersetzung, Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Liste der Abweichungen von Finglass’ Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Metrische Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Elektra und der Atridenmythos Antike Texte und Bilder geben uns viele Versionen der Geschichte von Elektra und ihrer Familie. Wie bei allen griechischen Mythen gibt es nicht die eine „verbindliche“ Fassung, sondern eine Reihe von Variationen. Bestimmte Ereignisse kommen in (fast) allen Varianten vor; andere können wegfallen, hinzugefügt oder völlig anders erzählt werden. Vorangestellt sei hier zunächst eine Übersicht über Elektras Familie und die mythischen Vorgänge, soweit sie die Tragödie des Sophokles betreffen (im Stammbaum sind die Figuren, die im Drama auftreten, durch Fettdruck hervorgehoben):1 Pelops
yAtreusy
Thyestes
Aigisthos
Klytaimestra ⚭ Agamemnon
Iphigenie
Menelaos ⚭ Helenay
yElektray Chrysothemis yOresty
Thyestes und Atreus, die beiden Söhne des Pelops, werden zu Todfeinden. Atreus tötet die Söhne seines Bruders und setzt sie ihm gekocht vor; Thyestes verflucht deshalb die Familie. Einzig sein jüngster Sohn Aigisthos wird aus diesem Massaker gerettet. Atreus hat zwei Söhne: Agamemnon, der von ihm die Königsherrschaft erbt, und Menelaos. Die beiden heiraten die wegen ihrer Schönheit berühmten Töchter des Tyndareos, Klytaimestra und Helena. Als 1 Eine Anmerkung zu den griechischen Namen: Viele von ihnen sind über mehrere Zwischenstationen ins Deutsche gelangt. Aus dem griechischen Aigisthos wurde über den lateinischen Aegisthus und den französischen Égisthe der deutsche Ägisth; ähnlich wurde aus Orestēs der deutsche Orest. Der Name der Frau Agamemnons lautet ursprünglich Klytaimestra, wie Fraenkel [22] 2, 52f. klar gezeigt hat, doch wurde er bereits in spätantiker Zeit zu Klytaimnestra verändert. Durch die Dramen von Goethe, Hofmannsthal, Hauptmann und andere Texte (s. unten S. 28–37) sind die Figuren des Atridenmythos im deutschen Sprachraum heimisch geworden; meist werden hier die aus dem Französischen adaptierten verkürzten Namensformen verwendet (doch hat Hauptmann „Aigisthos“, Hofmannsthal hingegen „Ägisth“). Der heutige Sprachgebrauch hat vielfach, aber eben nicht immer, die ursprünglichen griechischen Namen zumindest teilweise wiederhergestellt (so spricht man von einem „Thyestesmahl“, nicht von einem „Thyestmahl“), teilweise hat er die traditionellen beibehalten. Mir schien für diesen Kommentar eine vollständige Vereinheitlichung in die eine oder andere Richtung zu artifiziell, daher habe ich mich zu dem vielleicht nicht ganz befriedigenden Kompromiss entschlossen, die wirklich eingebürgerte Form „Orest“ zu belassen, die anderen, weniger prominenten Namen hingegen in ihrer ursprünglichen Form zu verwenden.
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Einführung
Menelaos’ Frau Helena nach Troia entführt wird, ist es Agamemnon, der die Leitung des griechischen Heers übernimmt, das auszieht, um Troia zu erobern und Helena zurückzubringen. Auf dem Weg nach Asien erregt er den Zorn der Göttin Artemis, die das Heer nicht eher weiterziehen lässt, bis Agamemnon ihr seine älteste Tochter Iphigenie geopfert hat. Während seiner zehnjährigen Abwesenheit im troianischen Krieg beginnt Agamemnons Frau Klytaimestra ein Verhältnis mit Aigisthos, dem Sohn des Thyestes. Als Agamemnon heimkehrt, töten die beiden ihn und die spartanische Prinzessin Kassandra, die er als Teil der Beute heimführte. Elektra erlebt dieses Blutbad mit; weil sie um das Leben ihres Bruders fürchtet, lässt sie ihn außer Landes schaffen, zu Strophios, einem Gastfreund Agamemnons. Jahrelang herrschen Klytaimestra und Aigisthos über das Land, bis Orest, erwachsen geworden, zurückkehrt und für seinen getöteten Vater Rache nimmt, indem er Aigisthos und seine eigene Mutter tötet. Der Fortgang des Mythos wird in Sophokles’ Drama nicht mehr explizit erwähnt: Nach dem Muttermord wird Orest in vielen Fassungen von den Rachegeistern, den Erinyen, verfolgt, doch gelingt es ihm, ihnen zu entgehen (wie, darüber gibt es verschiedene Versionen). Durch Goethes Iphigeniedrama, Ende des 18. Jahrhunderts entstanden, ist eine weitere Fortsetzung des Atridenmythos in Deutschland besonders bekannt geworden: Iphigenie wurde nicht wirklich geopfert, sondern von Artemis bei der Opferung in das Land der Taurer am Schwarzen Meer entrückt; viele Jahre später kommt Orest mit seinem Freund Pylades dorthin und holt seine Schwester zurück.
Griechische Mythen Der Mythos um die Ermordung Agamemnons durch seine Ehefrau und die von seinem Sohn Orest geübte Rache an der Mutter Klytaimestra ist einer der prominentesten in der frühen griechischen Kultur. Er steht in enger Verbindung mit den Erzählungen über den troianischen Krieg, die in den beiden homerischen Epen Ilias und Odyssee, den ältesten Zeugnissen der griechischen Literatur, gestaltet sind. Schon früh in der griechischen Kultur wurden diese beiden Texte als herausragend empfunden und inspirierten Dichter und Künstler. Daher haben wir eine ungewöhnlich dichte Bezeugung für diese mythische Erzählung, sowohl in der Literatur als auch in der bildenden Kunst. Betrachtet man diese frühe Überlieferung genauer, erkennt man, wie flexibel griechische Mythen sind. Die griechische Religion ist polytheistisch; sie kennt eine Vielzahl von Göttern, die jeweils eigene Name, Attribute und Machtbereiche haben. Mit einer Reihe von Hochkulturen des Nahen Ostens teilen die Griechen die Vorstellung, dass die heute herrschenden Götter ihre Macht erst erobern mussten: Ihnen gingen zwei Generationen älterer Götter voran, die jeweils in gewaltigen Kriegen überwunden werden mussten. Schon diese Konstellation verlangt nach Erzählungen: darüber, wie die Götter und die Welt entstanden, wie sie
Griechische Mythen
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einander bekämpften und ihre jeweiligen Machtbereiche eroberten oder erhielten. Was die griechische Mythologie jedoch im Vergleich zu den Mythen anderer Kulturen besonders auszeichnet, sind die sogenannten Heroen. Bei ihnen handelt es sich um ein Geschlecht von besonders starken und mächtigen Menschen. Viele von ihnen lassen sich innerhalb weniger Generationen auf göttliche Vorfahren zurückführen. Diese Heroen sind das wichtigste Sujet der griechischen Mythen; Erzählungen über ihre Taten und Leiden machen den weitaus größten Teil der Überlieferung aus. Für die griechischen Heroen charakteristisch ist:2 1. Für die Griechen waren die Heroen eine historische Erscheinung. Sie lebten einige Generationen vor der Gegenwart; sie waren real. Besonders mächtige und bedeutende Familien führten sich oft auf heroische (und damit letztlich göttliche) Vorfahren zurück. 2. Heroen verfügten über Fähigkeiten und Kräfte, die diejenigen der heutigen Menschen weit übertrafen. So berichtet Herodot davon, dass bei Erdarbeiten besonders große Knochen gefunden wurden; sie werden als Überreste eines Heros identifiziert; Homer erzählt mehrfach davon, dass Heroen Lasten heben oder Waffen handhaben, die für Menschen seiner Zeit viel zu schwer wären. Andere Erzählungen schreiben Heroen auch märchenhafte Eigenschaften (Unverwundbarkeit, die Fähigkeit zu fliegen oder Zauberkräfte) zu, doch spielt dies in den griechischen Mythen eine untergeordnete Rolle: Heroen sind im Allgemeinen besonders starke und mutige Menschen, aber sie sind doch Menschen, und damit auch sterblich. 3. Auch nach ihrem Tod aber bleiben Heroen mächtig. Sie haben weiter die Kraft, den Menschen zu nutzen oder (mehr noch) zu schaden; sie konnten etwa eine Stadt gegen Angriffe von Feinden schützen oder ihre Einwohner mit Krankheiten und Katastrophen schlagen, wenn sie sich beleidigt oder vernachlässigt fühlten. Deshalb sind Heroen nicht nur in den Mythen, sondern auch im religiösen Kult wichtig: Man brachte ihnen Opfer und betete um ihren Beistand. Für Angehörige der griechischen Kultur war diese kultische Verehrung der Heroen klar unterscheidbar von der Verehrung, die sie ihren Göttern entgegenbrachten: Die Opfer und Rituale waren deutlich anderer Art. 4. Heroen sind zunächst in erster Linie lokaler oder regionaler Natur. Viele Städte haben heroische Gründer oder Heroen, die sie besonders verehren. Selbst wenn die Geschichten verschiedener Städte teilweise dieselben Heroen integrieren, unterscheiden sich die Erzählungen erheblich. Erst allmählich setzt ein Zug zur Systematisierung und Vereinheitlichung ein. Er scheint besonders angetrieben von den großen epischen Erzählungen, die eine Vielzahl von Heroen in einer gemeinsamen Unternehmung vereinen, etwa der Fahrt der Argonauten oder dem troianischen Krieg. Hier 2 Die folgenden Punkte werden in der Forschung teilweise kontrovers diskutiert. Auf die unterschiedlichen Auffassungen kann hier nicht eingegangen werden; verwiesen sei etwa auf Morris [284] oder Antonaccio [48].
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Einführung
stand man vor der Herausforderung, all diese Gestalten in eine chronologische und damit oft auch genealogische Ordnung zu bringen: Man gab den ursprünglich lokalen Helden Stammbäume, setzte sie in ein Netz von verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen, integrierte zunächst eher isolierte Abenteuer und Episoden in eine systematische „Biographie“ der jeweiligen Helden. Dieser Prozess der Systematisierung hat mit der Entstehung der großen (noch mündlichen) epischen Dichtung lange vor der Zeit der ältesten uns überlieferten Texte begonnen. Doch die zahlreichen Widersprüche, Dubletten, Varianten und Unklarheiten zeugen davon, dass solche lokalen Versionen noch lange lebendig blieben. So gibt es etwa im Atridenmythos mehrere abweichende Versionen darüber, was die Ursache für das Zerwürfnis zwischen den Brüdern Atreus und Thyestes war; in der Genealogie wird bei Aischylos mehrmals ein Pleisthenes erwähnt, der sich in den Stammbaum der Familie, wie wir ihn sonst kennen, nicht integrieren lässt. Doch nicht nur die Systematisierung zunächst unabhängiger lokaler Überlieferungen produziert solche Abweichungen, sondern auch eine Eigenschaft griechischer Mythen, die dem modernen Betrachter vielleicht am schwierigsten zu vermitteln ist. Menschen, die in der griechischen Kultur der archaischen und klassischen Zeit aufwuchsen, hörten wahrscheinlich zu vielen Gelegenheiten, privaten wie öffentlichen, Erzählungen über die Götter und großen Heroengestalten ihrer Heimat. Das meiste davon blieb rein informell und mündlich und ist uns völlig unzugänglich. Mythen waren auch Teil des Alltagslebens, doch hier wurden sie in der Regel nicht als Geschichten um ihrer selbst willen erzählt, sondern sie hatten ein argumentatives Ziel. Für diese Verwendungsweise haben wir in den homerischen Epen einige Beispiele. Eines der lehrreichsten finden wir etwa im 24. Buch der Ilias: Um den Leichnam seines Sohnes Hektor zur Bestattung zurückzuerhalten, hat sich der troianische König Priamos in das Lager der Griechen geschlichen und dort Achill, den Mann, der seinen Sohn getötet hat, um die Rückgabe angefleht. Achill ist dazu auch bereit, aber er versucht zunächst, Priamos zu bewirten und ihn zum Essen zu bewegen. Um dieser Bitte Nachdruck zu verleihen, erzählt er ihm einen Mythos: Auch Niobe habe in ihrer Trauer gegessen, obwohl ihr doch nicht nur ein Sohn, sondern gleich zwölf Kinder getötet worden seien.3 Diese Verwendung des Mythos illustriert beispielhaft eine Reihe wichtiger Gesichtspunkte: 1. Mythen werden ihrer jeweiligen argumentativen Situation angepasst; sie sind weitgehend flexibel. Die grundlegende Konstellation wird in der Regel beibehalten – dass Niobes zwölf Kinder von Apollon und Artemis getötet werden, weil Niobe die Mutter der Götter beleidigt hatte, ist der unveränderliche Kern der Geschichte. Motivationen, Begleitumstände, Personenkonstellationen jedoch können vom jeweiligen Erzähler so modifiziert 3 Dazu Willcock [410].
Griechische Mythen
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werden, dass es seinem argumentativen Zweck entspricht. Dass Niobe in ihrer Trauer aß, wird in keiner anderen Version des Mythos erwähnt. Das Detail erfüllt jedoch in Achills Rede eine ganz präzise Funktion; es ist der Zweck, auf den seine ganze Erzählung hinführt. Hier hat also offenbar der Dichter der Ilias ein Detail ad hoc erfunden, um den Mythos seinem Zweck anzupassen. Die Tatsache, dass wir eine ganze Reihe solcher Modifikationen kennen (und dass es wahrscheinlich noch deutlich mehr gibt, die uns unkenntlich bleiben, weil wir nicht genügend Kenntnisse über die verschiedenen Fassungen des Mythos haben), liefert einen klaren Hinweis darauf, dass solche Veränderungen allgemein akzeptiert waren. Abgesehen von ihrem narrativen Kern waren Mythen beweglich. Modernen Lesern begegnen Mythen meist in einer erzählerischen Grundform, beispielsweise Gustav Schwabs Sagen des klassischen Altertums oder im Lateinunterricht Ovids Metamorphosen. Wir sind daher oftmals geneigt zu fragen: „Was ist die ursprüngliche, die eigentliche Gestalt dieser Erzählung?“ Solche Normierungen aber sind erst ein Ergebnis späterer Sammlungen; in der archaischen und klassischen Zeit haben Mythen keine völlig festgelegte, kanonische Gestalt, sondern sind ein Bündel von Varianten und Fassungen. 2. Weil Mythen auf ihren argumentativen Zweck zugeschnitten sind, werden sie im Allgemeinen nicht vollständig erzählt, sondern gegeben wird lediglich der kleine Ausschnitt, der im Kontext hervorgehoben werden soll. In Achills Erzählung wird die Vorgeschichte der Kindestötung (die Beleidigung der Leto durch Niobe) nur ganz kurz gestreift; das Schwergewicht der Erzählung liegt auf Niobes Trauer über die unbestatteten Kinder und ihrer Bereitschaft, Nahrung zu sich zu nehmen. Solche eher andeutenden und anspielenden Erzählungen finden wir besonders markant in kürzeren dichterischen Formen, etwa der Lyrik;4 hier wird oftmals nur in wenigen Worten eine Szene aus einem Mythos als Vergleichspunkt oder Ansporn evoziert. Aber selbst wenn wir die epischen Großformen betrachten, erhalten wir in der Regel lediglich Ausschnitte: Die Ilias erzählt nicht die gesamte Geschichte des troianischen Kriegs, sondern nur wenige Tage im entscheidenden letzten Kriegsjahr; sie spart Ursache und Beginn des Kriegs ebenso konsequent aus wie sein Ende. Die Odyssee beginnt ebenfalls am Ende von Odysseus’ Irrfahrten (liefert allerdings deren Beginn in verschiedenen Binnenerzählungen nach). War dem Publikum wirklich in allen Fällen der gesamte erzählerische Zusammenhang bekannt, aus dem es einen mehr oder weniger kurzen Ausschnitt vorgeführt bekam? Oder war es öfter doch auf seine Kombinationsgabe angewiesen, weil es den Mythos nicht genau kannte? Auf solche pauschale Fragen Antworten zu
4 Vgl. etwa Köhnken [236].
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Einführung
geben, ist unmöglich. Gewiss war das Publikum der Antike recht heterogen. Dass wirklich alle Zuhörer und Zuschauer den gesamten mythischen Kontext präsent hatten, dürfte nicht die Regel gewesen sein. 3. Ausschnitte aus und Anspielungen auf Mythen gehörten zum Alltag antiker Menschen. Weil die Zuhörer etwa dichterischer Texte ständig damit rechneten, mit solchen Versatzstücken konfrontiert zu werden, weil deren argumentativer Zweck und die Relevanz für den unmittelbaren Kontext nicht immer unmittelbar erkennbar waren, dürfen wir davon ausgehen, dass das Publikum gewohnt und geübt darin war, Beziehungen herzustellen. Gerade die Tragödie bietet dafür illustrative Beispiele: Oftmals enthalten die Chorlieder mythische Parallelen, deren Beziehungen zum Bühnengeschehen nicht immer explizit gemacht werden. Hier Parallelen oder Kontraste, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu entdecken war für den antiken Zuschauer selbstverständlicher Bestandteil ihrer Erfahrung. Mythische Erzählungen und mythische Anspielungen präsentieren regelmäßig eine Herausforderung für das Verständnis und die Auffassungsgabe des Publikums. Seit dem späten sechsten Jh. v. Chr. entwickelt sich in Athen eine neue Kunstform, die einem zunächst vorwiegend lokalen, bald aber auch größeren Publikum diese mythischen Erzählungen präsentierte.5 Tragödien mit Stoffen aus der Geschichte oder frei erfundenen Sujets bleiben die Ausnahme; ganz überwiegend gestalten Tragödienaufführungen die bereits aus Epik und Lyrik bekannten mythischen Geschichten. Die Freiheit, die diesen Erzählungen aufgrund ihrer Funktion und Verwendung zukam, machten die tragischen Dichter sich zunutze: Sie konnten sich ganz auf einzelne Aspekte der Mythen konzentrieren, die besonderes Potential für eine dramatische Darstellung boten, konnten aus den zahlreichen Varianten auswählen und auch selbst neue Entwicklungen einführen.6 Die großen Linien der Erzählung waren vorgegeben, doch welchen Ausschnitt einer Geschichte man dramatisch darstellte, welche Figuren man auf der Bühne auftreten ließ, welche Motivationen man diesen Figuren für ihre Handlungsweise gab, wie man sekundäre Aspekte der mythischen Erzählung gestaltete, in all diesen Details waren die tragischen Dichter sehr frei. Leider haben wir nur in wenigen Fällen genügend Informationen, um die Variationen der Dichter in allen Einzelheiten zu analysieren, doch was wir an verstreuten Nachrichten und antiken Vergleichen7 besitzen, zeigt deutlich die schöpferische Unabhängigkeit der Tragiker. 5 Details der Entstehung und frühen Entwicklung der attischen Tragödie sind in der Forschung umstritten und können hier nicht diskutiert werden; als Ausgangspunkt vgl. etwa Lesky [247] 17–48; Herington [206]; Seeck [339] 27–44; Scullion [335]; Scodel [334] 33– 55. 6 Zu mythologischer Innovation bei Dichtern vgl. etwa Braswell [80] und March [265]. 7 Verwiesen sei etwa auf die 52. Rede des Dion von Prusa (2. Jh. n. Chr.), in der dieser von seiner Lektüre der Philoktetdramen aller drei Tragiker berichtet und die einzelnen Versionen miteinander vergleicht; vgl. Schein [35] 4–7.
Der Elektramythos vor der Tragödie
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Der Mythos um das Schicksal des von seiner eigenen Frau ermordeten Königs Agamemnon und seiner Kinder Elektra und Orest, die diesen Mord an ihrer eigenen Mutter rächen, ist von allen drei großen attischen Tragikern gestaltet worden, und in diesem Fall haben wir das Glück, dass uns mehrere Fassungen überliefert sind. Die folgenden Seiten geben einen knappen Abriss der Geschichte dieses Stoffs.
Der Elektramythos vor der Tragödie Bereits in der homerischen Odyssee wird der Mythos von der Rückkehr Orests und der Rache für seinen ermordeten Vater erwähnt.8 In den Passagen erkennen wir, wie je nach Sprecher und Redeabsicht jeweils andere Aspekte des Mythos in den Vordergrund gerückt, andere übergangen oder lediglich am Rande erwähnt werden. Mehrmals wird die Tat Orests dem jungen Telemach als Ansporn und Vorbild vorgehalten: Auch er solle sich solchen Ruhm erwerben.9 Wenn die Ermordung Agamemnons erwähnt wird, so werden die Anteile so gewichtet, wie es der Argumentation des jeweiligen Sprechers dient: Wenn Zeus im 1. Buch Aigisthos als Beispiel für besonders frevelhaftes, allen göttlichen Warnungen zuwiderhandelndes Verhalten schildert, so wird dessen Rolle in den Vordergrund gestellt, Klytaimestra hingegen kaum erwähnt;10 wenn hingegen Odysseus’ standhafte und treue Ehefrau Penelope mit Klytaimestra kontrastiert wird, so wird deren Rolle beim Mord betont.11 Die Verwendungsweise dieses Mythos in den homerischen Epen ist somit eine deutliche Illustration der oben beschriebenen Anpassungsfähigkeit und Variationsmöglichkeit mythischer Erzählungen. Elektra, die in der Handlung der Odyssee kein Gegenstück findet, wird dort nirgends erwähnt. Zwar kennt die homerische Ilias drei Töchter Agamemnons, doch stimmen ihre Namen nur teilweise mit denen überein, die die spätere Tradition nennt.12 Im Zuge der späteren Harmonisierung und Systematisierung solcher Traditionen versuchte man, die Namen anzugleichen, etwa, indem man sie als Varianten oder Beinamen identifizierte.13 Zum ersten Mal tritt eine von Orests Schwestern als eigenständige Figur in Erscheinung in einem epischen Text, der Hesiod zugeschrieben wird, über dessen Abfassungszeit und Autorschaft wir jedoch lediglich spekulieren können. Der sog. Große Frauenkatalog (nach dem stereotypen Beginn der einzelnen 8 Vgl. Olson [293]; de Jong [224] 12–4; Michel [277]. 9 So etwa 1, 298–302; 3, 195–200. 306–16. 10 1, 35–43; vgl. 4, 514–537. Zur argumentativen Verwendung und zur Freiheit in der Mythenerzählung bei Homer s. Willcock [410] und [411]; zu Pindar vgl. etwa Köhnken [236]. 11 So etwa 11, 421–434; 24, 95–97. 192–202. 12 9, 144f. ~ 286f.: Chrysothemis, Laodike und Iphianassa. 13 So erklärten etwa die Kyprien, frg. 20 gef Iphigenie und Iphianassa zu zwei verschiedenen Personen und ließen Agamemnon vier Töchter haben, während der Chorlyriker Xanthos (frg. 700 pmg) Elektra zu einem Beinamen Laodikes macht.
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Einführung
Episoden auch Ehoien genannt) zählt nacheinander die Verbindungen menschlicher Frauen mit Göttern auf, aus denen dann Heroen hervorgehen, deren Lebensgeschichte kurz dargestellt wird; uns sind durch Zitate und Papyri lediglich Bruchstücke erhalten. In einem dieser Fragmente (frg. 23 a mw) wird, offenbar zum ersten Mal in der griechischen Literatur, der Name Elektra erwähnt: Erzählt wird (V. 15–30), Agamemnon und Klytaimestra hätten zwei Töchter gehabt, Iphimede und Elektra, und einen Sohn, Orest. Iphimede wird beim Opfer nicht getötet, sondern von Artemis entrückt und unsterblich gemacht; Orest tötet aus Rache für die Ermordung seines Vaters seine eigene Mutter. Auch in der griechischen Lyrik vom 7. bis zum 5. Jh. v. Chr. wurde der Mythos mehrmals gestaltet. Schattenhaft bleibt für uns ein Xanthos. Er soll Vorbild gewesen sein für die Orestie des Stesichoros, der in der ersten Hälfte des 6. Jh. v. Chr. tätig war. Sein Gedicht muss einen gewissen Umfang besessen haben (Zitate beziehen sich auf ein zweites Buch). Uns sind lediglich einige kümmerliche Bruchstücke überliefert, die erläutern, dass die Tragiker einige Einzelheiten aus Stesichoros’ Darstellung übernommen haben.14 Nur wenige Jahre vor der ersten Gestaltung des Mythos in der Tragödie erzählt der Lyriker Pindar recht ausführlich von Orest. Seine 474 aufgeführte elfte Pythische Ode erwähnt Orest und seinen Freund Pylades und berichtet, Klytaimestra selbst habe Agamemnon und Kassandra getötet; ob für ihre Tat die Opferung Iphigenies oder das Verhältnis mit Aigisthos Auslöser gewesen sei, lässt die Erzählung pointiert offen. Den kleinen Orest habe seine Amme Arsinoe „aus den starken Händen Klytaimestras“ (V. 12f.) gerettet; er sei zu Strophios gelangt und später heimgekehrt, um seine Mutter und Aigisthos zu töten. Etwa zu dieser Zeit entstanden auch zahlreiche Werke der bildenden Kunst, die den Mythos zeigten.15 Ob sie von einer einzigen herausragenden poetischen Gestaltung inspiriert waren oder ob sie unabhängig von Texten entstanden, lässt sich heute nicht mehr erkennen. Deutlich ist jedoch: Als Aischylos im Jahr 458 v. Chr. seine Trilogie Orestie, bestehend aus den Tragödien Agamemnon, Die Weihgussträgerinnen und Die Eumeniden, auf die Bühne bringt, ist der Atridenmythos als poetisches Thema bereits mehrfach gestaltet worden.
Der Mythos bei Aischylos und Sophokles Aischylos’ Trilogie wurde rund eine Generation vor der sophokleischen Elektra aufgeführt. Wieviele von Sophokles’ Zuschauern die Orestie seinerzeit im Theater miterlebt hatten, wieviele sie bei Wiederaufführungen in kleineren 14 Frg. 217 pmgf: Den Bogen, den Orest von Apollon erhält, übernahm Euripides von Stesichoros; frg. 219 pmgf: Schon bei Stesichoros hat Klytaimestra einen ominösen Traum. Zu Stesichoros’ Darstellung des Mythos vgl. Garvie [23] xvii–xxiv. 15 S. Garvie [23] xxii–xxiv; March [11] 8–11.
Der Mythos bei Aischylos und Sophokles
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Theatern in der Umgebung Athens16 gesehen hatten oder vielleicht auch im Dionysostheater bei späteren Gelegenheiten,17 wieviele also die Trilogie noch in lebendiger Erinnerung hatten, lässt sich heute schwer abschätzen. Ebenso wenig können wir sichere Vermutungen dazu äußern, wieviele Zuschauer sich vielleicht eine Abschrift des Textes besorgt haben könnten und das Stück aus der Lektüre kannten. Mir erscheint plausibel, dass ein großer Teil des Publikums das ältere Stück gut kannte: In den Komödien der zweiten Hälfte des 5. Jh., insbesondere in den 405 aufgeführten Fröschen des Aristophanes, finden sich zahlreiche Anspielungen, Parodien und Zitate aus Aischylos’ Orestie.18 All diese Bezugnahmen funktionieren nur, wenn das Publikum (oder zumindest ein erheblicher Teil des Publikums) mit den aischyleischen Texten einigermaßen vertraut war. Somit ist wahrscheinlich, dass auch das Publikum von Sophokles’ Elektra das Werk des Aischylos zu einem gewissen Maß kannte. Berührungen, Anspielungen, pointierte Bezugnahmen des späteren Dichters auf seinen Vorgänger sind somit kein privates Glasperlenspiel des Intellektuellen, sondern wurden von den Zuschauern wahrgenommen und entschlüsselt. Betrachtet man die großen Züge der Handlung, so ähneln sich Aischylos’ Weihgussträgerinnen, das zweite Stück der Trilogie, und Sophokles’ Elektra: Orest kehrt nach vielen Jahren mit seinem Freund Pylades aus dem Exil heim. Dort trifft er seine Schwester Elektra, die unter den Zuständen in Argos leidet, und wird von ihr wiedererkannt. Um Klytaimestra und Aigisthos zu überrumpeln, täuscht Orest als Bote seinen eigenen Tod vor. So verschafft er sich Zutritt zum Palast und tötet Aigisthos und Klytaimestra. Neben diesen großen Linien bestehen auch in einer Reihe von Einzelheiten enge Berührungen zwischen Aischylos und Sophokles:19
16 S. Csapo/Slater [106] 121–138. 17 Eine etwas vage Nachricht besagt, „nach dem Tod des Aischylos“ sei offiziell beschlossen worden, jeder beliebige Athener dürfe mit einem Stück des Verstorbenen am Wettbewerb teilnehmen. Leider bleibt für uns ganz unklar, wann nach dem Tod dieser Beschluss erging und wie oft davon Gebrauch gemacht wurde. Aus Anspielungen in Komödien des Aristophanes haben einige Philologen den Schluss gezogen, in den 420er Jahren habe es eine Wiederaufführung der Orestie gegeben, doch kann dies bei unserer gegenwärtigen Kenntnis der Zeugnisse nur Spekulation bleiben. Zum Problem der Wiederaufführungen des Aischylos s. Newiger [289] 427–30; Cantarella [98]; skeptisch ist Bain [51] 111–3; zuletzt Biles [68]; zum Phänomen der Wiederaufführungen allgemein Revermann [316] 66–87; vgl. auch unten Fußnote 18. 18 Eine übersichtliche Zusammenstellung findet man bei Becker [60] und bei Radt [38] 56f., dessen Auffassung, jede Anspielung sei Beleg für eine Wiederaufführung, mir allerdings wenig attraktiv erscheint. 19 Die folgende Zusammenstellung geht in großen Teilen auf Vögler [395] 122–6 zurück; vgl. auch Deforge [122]; Müller [286].
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1. Schauplatz der Handlung ist bei beiden der Palast in Argos, in dem Elektra bei Klytaimestra und Aigisthos ein elendes Leben fristet. Das Grab Agamemnons befindet sich in unmittelbarer Nähe, entweder in der Orchestra (Aischylos) oder im hinterszenischen Bereich (Sophokles). 2. Beide Tragödien beginnen mit einer ähnlichen Szenenfolge: Orest und sein(e) Begleiter kommen in Argos an und sprechen über den Vollzug der Rache. Die erste Familienangehörige, die Orest sprechen hört, ist seine Schwester. 3. Orest gibt sich Elektra zu erkennen; die Geschwister äußern ihr Entzücken über das Wiedersehen und ihren Wunsch nach Rache für den getöteten Vater. 4. Klytaimestra hat in der Nacht vor Orests Ankunft einen Traum gehabt, der sie in Furcht versetzt und dessen Omen sie durch Opfergaben am Grab Agamemnons unschädlich machen will. In beiden Dramen führt die damit beauftragte Person (Elektra und der Chor bei Aischylos, Chrysothemis bei Sophokles) dieses Opfer nicht so durch, wie Klytaimestra es befohlen und erwartet hat. 5. Orest verschafft sich jeweils durch Überbringen der Botschaft seines eigenen Todes Zutritt zum Palast. 6. Auf die Todesnachricht reagiert Klytaimestra ambivalent, doch überwiegt in beiden Dramen ihre Erleichterung über die Befreiung von der Furcht vor Orest als Rächer jeweils die Trauer über den Verlust des Sohnes. 7. Schließlich ist als auffälliges Kennzeichen einer intertextuellen Berührung zwischen Sophokles und Aischylos auf die Todesschreie Klytaimestras aus dem Innern des Palasts zu verweisen: Sie nehmen deutlich Bezug auf die Szene aus Aischylos’ Agamemnon, in der Klytaimestra ihren Mann im Innern des Hauses tötet und dessen Schreie von Chor und Zuschauern vernommen werden (s. den Kommentar zu V. 1398–1441). Es kann also keinem Zweifel unterliegen, dass Sophokles Aischylos’ Orestie sehr genau kannte; dass er eine Kenntnis (sei sie auch weitaus oberflächlicher) auch bei den Zuschauern voraussetzte, ist eine plausible Vermutung. Doch Sophokles gibt dem Mythos selbstverständlich eine eigene Wendung und weicht in zahlreichen Aspekten von Aischylos ab. Eine Betrachtung dieser Unterschiede ist ein gutes Mittel, um die Physiognomie der sophokleischen Elektra zu erfassen. Einige der wichtigsten Abweichungen zwischen beiden Fassungen sind: 1. Es ist kein Zufall, dass Sophokles Stück nach Elektra benannt ist: Bei Aischylos berät sie mit ihrem Bruder die Rache für den Vater und bestärkt ihn in seinem Entschluss, doch danach verliert der Zuschauer sie aus den Augen; als sie nach V. 584, etwa in der Mitte des Stücks, die Bühne verlässt, kehrt sie nicht mehr zurück und wird nicht wieder erwähnt.20 20 Dazu Taplin [379] 340: “This uncompromising abandonment of a named character is remarkable. […] She has played her part and so she is dispensed with.”
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Bei Sophokles hingegen steht Elektra klar im Zentrum des Stücks: Sie hat die größte Präsenz auf der Bühne; ihr Leiden, ihr Verlangen nach Gerechtigkeit, ihr Hass auf ihre Mutter und Aigisthos beschäftigt die Zuschauer während der gesamten Aufführung. 2. Ein deutliches Zeichen für diese Verschiebung des Interesses lässt sich an der unterschiedlichen Gewichtung der einzelnen Teile ablesen: Bei Aischylos erfolgt die Wiedererkennung der Geschwister etwa nach 220 Versen, ungefähr einem Fünftel des Stücks. Bei Sophokles hingegen erkennen sich die beiden erst nach 1220 Versen, nach vier Fünfteln des Stücks. Elektra also bleibt deutlich länger in ihrer Verzweiflung, ihrer Isolation und ständig schwindenden Hoffnung vor unseren Augen. 3. Denselben Effekt erzielt auch eine charakteristische Umstellung von zwei Motiven: Die Täuschung, in der Orest seinen eigenen Tod ankündigt, erfolgt bei Aischylos erst, nachdem Elektra ihren Bruder erkannt hat, und das Motiv wird nur kurz angedeutet, ohne weiter ausgeführt zu werden. Bei Sophokles hingegen entwickelt es sich zu einer langen Szene, in deren Verlauf nicht nur Klytaimestra, sondern auch Elektra davon überzeugt ist, ihr Bruder sei tot. Damit ist sie ihrer letzten Hoffnung beraubt und auf dem absoluten Tiefpunkt ihrer dramatischen Existenz angelangt. 4. Einen wichtigen Unterschied sehen wir auch im Vollzug der Rachehandlung: Bei Aischylos wird zunächst Aigisthos überlistet; die auf der Bühne gezeigte Konfrontation mit der Mutter macht den Höhepunkt des Stücks aus. Bei Sophokles hingegen stirbt Klytaimestra zuerst; aus dem hinterszenischen Raum hören wir ihre Todesschreie, aber eine Konfrontation wird nur knapp angedeutet, nicht breit ausgeführt.21 Den Schluss des Stücks bildet die Überlistung des Aigisthos; vor den abschließenden Versen des Chors führt Orest ihn von der Bühne, um ihn zu töten. Während bei Aischylos also der Muttermord in seiner ganzen Tragik und in seinen ungeheuerlichen Konsequenzen das Ende des Stücks bildet (erst die Eumeniden, das letzte Stück der Trilogie, werden eine Lösung dieses unlösbaren Problems bringen), wird er bei Sophokles nicht so stark hervorgehoben. Wie man sieht, hat Sophokles in einigen Fällen Aspekte aufgegriffen, die bei Aischylos lediglich eine untergeordnete Rolle spielten, und ihnen in seiner eigenen Behandlung desselben Mythos deutlich größere Prominenz gegeben. Dies gilt etwa für die Todesnachricht: Bei Aischylos wird sie recht knapp abgetan; eine Urne mit der Asche Orests wird zwar Cho. 686f. erwähnt, aber nicht auf der Bühne gezeigt. Sophokles verteilt diese Todesbotschaft auf zwei Figuren und weitet sie zu einer langen Szene aus; die bei Aischylos nur kurz erwähnte Urne wird bei ihm zu einem entscheidenden Requisit, das die Wiedererkennung der Geschwister einleitet. Will man die Analyse zugespitzt formulieren, könnte man sagen, dass die Gesamtkonzeption der sophokleischen Tragödie in ähnlicher Weise gestaltet ist: Elektra ist bei Aischylos zwar 21 Zum Muttermord in den verschiedenen Elektradramen s. Segal [343].
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ein wichtiger Katalysator für Orests Rache, aber im Mittelpunkt steht bei ihm eindeutig Orest selbst. Sophokles macht aus dieser Nebenfigur den zentralen Charakter seines Dramas; Elektras Leiden, ihr Hass auf die Mutter, ihre Liebe zu ihrem Bruder stellt er den Zuschauern lebendig vor Augen: Er gibt Elektra eine Szene, in der sie ein ausführliches Streitgespräch mit Klytaimestra führt; während bei Aischylos (Cho. 734–65) eine Amme Orests Tod betrauert und über ihre Rolle bei der Erziehung und Pflege des Kleinkinds spricht, gibt Sophokles eine ähnliche bewegende Rede an Elektra (V. 1126–70; vgl. den Kommentar zu V. 1143–1148). Sophokles gestaltet in seiner Elektra also einen Mythos, den ein guter Teil des Athener Publikums bereits in einer anderen dramatischen Fassung kennengelernt hatte, und diese Vorgängerfassung verwendet er nicht lediglich als Steinbruch, um Material für seine eigene Tragödie zu gewinnen, sondern als Folie, vor deren Hintergrund die Eigentümlichkeit seiner Fassung deutlicher zutage tritt. In einer Szene zu Beginn des Stücks (V. 80–85) kann man diesen Aspekt deutlich erkennen: Als Orest aus dem Innern des Hauses eine Wehklage vernimmt, äußert er die Vermutung, die Klagende könnte Elektra sein, und fragt den Pädagogen, ob man warten und zuhören solle; dieser lehnt ein solches Vorgehen ab: am wichtigsten sei jetzt, Apollons Befehlen zu folgen und an Agamemnons Grab Opfer darzubringen. Betrachtet man diese Verse lediglich unter dem Postulat einer „realistischen“ Bühnenhandlung, so wirkt Orests Vorschlag recht merkwürdig. Zwar finden sich im attischen Drama öfter „Lauschszenen“, in denen eine Bühnenfigur ungesehen einer oder mehreren anderen zuhört,22 doch wird an unserer Stelle keinerlei Begründung dafür gegeben, warum ein solches Lauschen nötig oder nützlich sein sollte. Erst durch den Bezug auf Aischylos’ Weihgussträgerinnen gewinnen die Verse ihre Wirkung: Dort hatte Orest sich versteckt, um „zu erfahren, was dies für eine Bittprozession von Frauen ist“ (21). Wenn hier also ein solches Lauschen abgelehnt wird, kann man darin einen auch für die Zuschauer deutlichen Bezug auf den früheren Text erkennen; wie Kaibel [9] 81 zutreffend schreibt: Dies „bezeichnet deutlich die bewusste Abweichung von Aischylos, der Zuschauer weiss jetzt, dass er ein ganz anderes Drama sehen wird“.23
Zweimal Elektra: Sophokles und Euripides Auch Euripides, der etwas jüngere Zeitgenosse des Sophokles, hat den Atridenmythos in mehreren seiner Tragödien gestaltet: Seine von Goethe bewunderte und nachgeahmte Iphigenie bei den Taurern führt vor, wie Orest seine von Artemis entrückte Schwester wieder zurückholt; Iphigenie in Aulis zeigt die Opferung Iphigenies auf der Fahrt des griechischen Heers nach Troia. Der 22 Vgl. etwa Taplin [379] 334–6. 23 Vgl. auch Ringer [320] 143, mit Verweis auf Fraenkel [163] 22 Anm. 1.
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Orest gestaltet die Situation nach dem Muttermord und lässt Orest und Elektra an den Folgen der Tat beinahe zerbrechen.24 Am wichtigsten für die sophokleische Elektra jedoch ist das gleichnamige Stück des Euripides. Der bei ihm auch sonst sichtbare Zug zur „Entmythisierung“ (Seeck [36] 18) und „Verbürgerlichung“ der Tragödie ist in diesem Werk besonders deutlich ausgeprägt.25 Euripides’ Elektra ist von Aigisthos mit einem armen Bauern verheiratet worden, um sie vom Palast in Mykene zu entfernen. In dessen ärmlicher Hütte führt sie ein Leben, das aus Verzweiflung und Entbehrung besteht. Der Platz vor dieser Hütte ist Schauplatz der Tragödie; hierher kommen Orest und Pylades. Elektra erkennt ihren Bruder, als ein alter Diener sie auf eine charakteristische Gesichtsnarbe aufmerksam macht, die er sich bei einem Fall als Kind zugezogen hat. Gemeinsam planen und vollziehen sie die Rache. Zunächst berichtet ein Bote, dass Orest und Pylades Aigisthos überraschen und töten konnten, als dieser gerade ein Opfer darbringen wollte. Klytaimestra wird in Elektras Hütte gelockt unter dem Vorwand, Elektra habe einen Sohn zur Welt gebracht. Nach einem kurzen Streit mit Elektra betritt sie das Haus, in dem sie getötet wird. Euripides lässt Orest schon vor dem Vollzug der Rache zweifeln, ob der von Apollon befohlene Muttermord richtig ist; danach sind er und Elektra gebrochen und bereuen ihre Tat zutiefst. Erst die als dei ex machina auftretenden Dioskuren Kastor und Polydeukes (nach der mythischen Genealogie Brüder Klytaimestras) „stiften auf dem Trümmerfeld umsichtig Ordnung“ (Lesky [247] 402): Orest soll in Athen vor dem Areopag von seiner Schuld befreit werden; Pylades soll Elektra heiraten und sich mit ihr in Arkadien ansiedeln. Wie Sophokles, so setzt sich auch Euripides mit den Weihgussträgerinnen des Aischylos auseinander. Berühmt ist insbesondere sein Bezug auf die Wiedererkennungsszene bei Aischylos:26 Bei Euripides (El. 508–46) berichtet 24 Zu nennen wären noch vier weitere erhaltene Tragödien, die im weiteren Sinne in denselben mythologischen Zusammenhang gehören: Helena zeigt die Rückführung der Titelheldin aus Ägypten; Hekabe (dazu Matthiessen [30]) und Troerinnen die Situation nach der Eroberung Troias; in der Andromache tritt Orest noch einmal als Figur auf. Auch Sophokles hat den Atridenstoff noch in weiteren Tragödien gestaltet; von allen haben wir nur geringe Bruchstücke und teilweise verworrene oder widersprüchliche Nachrichten, so dass wir über den Handlungsverlauf und die Details der Gestaltung nicht einmal spekulieren können: Wir haben die Titel eines Atreus ([4] 162), einer Iphigenie ([4] 270f.), einer Klytaimestra ([4] 315) sowie von drei wohl voneinander verschiedenen Dramen mit dem Titel Thyestes ([4] 239f.); möglicherweise auch von einem Aigisthos ([4] 127). Einige der Titel könnten Alternativen für dasselbe Stück sein. 25 Dass dies nicht mit einer Zurücknahme des tragischen Charakters der Handlung einhergehen muss, hat Lloyd [250] gezeigt. 26 Die Wiedererkennungsszene bei Euripides ist Gegenstand zahlreicher gelehrter Diskussionen; in diesem Kommentar zur sophokleischen Elektra kann das nicht im Einzelnen verfolgt werden. Ältere und neuere Versuche, die Verse als unecht zu erweisen, scheinen mir mehr auf voreingenommenen Auffassungen über das, was eine antike Tragödie sein sollte, zu beruhen als auf wirklichen philologischen Kriterien. Zuletzt für die Echtheit eingetreten sind Davies [114] und Gallagher [166]; dort findet man auch die ältere Literatur verarbeitet; eine kritische Übersicht findet man auch bei Hose [214] 305–11.
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ein alter Diener Elektra davon, er habe an Agamemnons Grab Opfergaben, eine Haarspende und Fußabdrücke gefunden; er ist der Meinung, dies weise auf eine Rückkehr Orests hin. Doch Elektra polemisiert gegen diese Kennzeichen: Orest würde nicht heimkehren und ein Opfer bringen, weil dies für ihn viel zu gefährlich wäre; die Haare eines Mannes und einer Frau sehen völlig unterschiedlich aus, auch wenn sie Geschwister sind, und auch die Füße sind unterschiedlich groß. Auch seine Frage nach einem Gewand, das sie vielleicht selbst angefertigt haben könnte,27 wehrt Elektra ab: Orest war noch ein Kind, als er in das Exil ging, und könnte unmöglich heute noch dieselbe Kleidung tragen wie damals. Über die Deutung dieser Passage gehen die Meinungen der Interpreten auseinander; dass Euripides hier jedoch ungewöhnlich präzise auf eine Passage aus einer früheren Tragödie anspielt, ist offensichtlich. Was Euripides’ Konzeption des Mythos am meisten an die aischyleische Fassung annähert (und von Sophokles abhebt), ist die Reaktion auf das Rachegeschehen: Bei Aischylos verfällt Orest nach der Tat immer mehr in Verwirrung und meint schließlich (Cho. 1048–1050), die Erinyen, die Rachegeister seiner Mutter, zu sehen; seine Verfolgung durch die Erinyen und seine Befreiung durch den Richtspruch des Areopag in Athen sind dann Thema der Eumeniden, des letzten Stücks in der aischyleischen Trilogie. Bei Euripides sehen wir Elektra und Orest nach dem Muttermord verstört und zerknirscht; an die Stelle der Erinyen tritt hier das Entsetzen über die ungeheure Tat, die sie begangen haben. Wie wenig das göttliche Eingreifen der Dioskuren eine wirkliche Lösung dieses Problems bringen konnte, zeigt Euripides in seinem 408 v. Chr., also nach der Elektra, aufgeführten Orest: Der Beginn dieser Tragödie knüpft gewissermaßen an die Situation vor dem Eingreifen der Dioskuren an: Orest ist nach der Tat krank; immer wieder überkommen ihn Wahnsinnsanfälle. Während bei Sophokles die von Elektra und Orest vollzogene Rache nicht explizit problematisiert wird, steht das moralische und psychologische Problem des Muttermords also im Mittelpunkt der Darstellung sowohl bei Aischylos als auch bei Euripides. Wir können also zusammenfassend sagen, dass sowohl Sophokles als auch Euripides sich intensiv mit Aischylos’ Version des Atridenmythos auseinandergesetzt haben. Beide haben dann ihrerseits ganz unterschiedliche Gestaltungen desselben Geschehens vorgestellt. Beide betiteln ihre Tragödie Elektra; in beiden Texten hat Orests Schwester eine deutlich wichtigere Funktion als bei Aischylos. Darüberhinaus aber treten die Unterschiede in der Behandlung deutlicher hervor als die Gemeinsamkeiten. Beide Tragödien lassen sich nicht sicher datieren. Von den sieben erhaltenen Tragödien des Sophokles sind nur zwei mit Sicherheit zeitlich einzuordnen: Der Philoktet wurde 409 v. Chr. aufgeführt, der Ödipus auf Kolonos erst nach Sophokles’ Tod, im Jahr 401 v. Chr. Alle anderen Dramen lassen sich nur aufgrund von Indizien datieren, und über Wahrscheinlichkeiten gelangen wir nicht hinaus.28 27 An dieser Stelle ist der Text lückenhaft überliefert.
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Für die Elektra verfügen wir lediglich über wenige Anhaltspunkte zu Vermutungen. Viele Philologen vertreten die Auffassung, dass das Stück eher zum Spätwerk des Sophokles und zeitlich in die Nähe von Philoktet und Ödipus auf Kolonos gehört, aber belastbare Argumente für diese Annnahme gibt es nicht.29 Eine Verbindung des Motivs der falschen Todesmeldung in Euripides’ Helena (1049–56) und in der sophokleischen Elektra (59–64) scheint darauf hinzuweisen, dass Euripides sich hier auf Sophokles bezieht; das würde für die Elektra eine Datierung vor dem Aufführungsjahr der Helena 412 v. Chr. ergeben.30 Knapp und zutreffend urteilt daher Lloyd-Jones: “[…] people who confidently claim to know the date of Sophocles’ Electra or Trachiniae are living in a private world.”31 Ein wenig besser steht es um die Datierung der euripideischen Elektra. Im Fall des Euripides haben wir eine größere Anzahl an überlieferten Texten, und die philologische Forschung hat herausgearbeitet, dass sich die metrische Gestaltung der iambischen Partien im Lauf seiner Karriere verändert hat.32 Dieses Kriterium liefert keine ganz präzise Datierung, macht aber einen Ansatz etwa zwischen 422 und 417 am wahrscheinlichsten. Die ältere Forschung hatte die Annahme entwickelt, Passagen der euripideischen Elektra enthielten präzise Anspielungen auf politische und militärische Ereignisse des Jahres 413 v. Chr.33 Diese Hypothese wurde jedoch durch Zuntz [421] 64–71 soweit erschüttert, dass sie heute kaum noch akzeptiert wird und die meisten Forscher eine Datierung in die späten 420er oder frühen 410er Jahre am wahrscheinlichsten finden. Damit ergibt sich, dass das zeitliche Verhältnis der sophokleischen und der euripideischen Elektra offen ist. Zwei Werke setzen sich mit der aischyleischen Konzeption des Mythos auseinander und stellen grundverschiedene eigene Fassungen vor; beide lenken die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Figur Elektra, die bei Aischylos weniger prominent war. Auch wenn wir die Stücke nicht genau datieren können, ist doch deutlich, dass sie in recht großer zeitlicher Nähe zueinander entstanden sein müssen. Einer der beiden Dichter muss eine denselben Stoff behandelnde Tragödie seines Kollegen und Konkurrenten gekannt haben; das Publikum eines der beiden Stücke hatte wahrscheinlich kurz zuvor eine kontrastierende Fassung auf derselben Bühne 28 Zum König Ödipus vgl. etwa Manuwald [27] 6f. 29 Zu subjektiv sind etwa die Ausführungen von Reinhardt [314] 145–7; dass die Verwendung ähnlicher dramatischer Mittel in mehreren Stücken keineswegs bedeuten muss, dass diese Stücke in zeitlicher Nähe entstanden sind, merkt zu Recht Finglass [8] 1 an. 30 Vgl. Vögler [395] 100–102; Dale [17] 134. 31 Lloyd-Jones [255] 372 = [298] 54 = [252] 275; wiederholt [254] 37, zustimmend zitiert von Finglass [8] 1 Anm. 1. 32 Zusammenfassend dazu Cropp/Fick [103]. 33 Einen Abriss der Forschung bietet Lesky [247] 392–4; Matthiessen [271] 66–9 und zuletzt Roisman/Luschnig [33] 28–32. Die von Theiler [380] 104–7 = [381] 230–3 entworfene Schubladentheorie, wonach es sich um ein älteres Stück handelt, das Euripides dann mit leichten Überarbeitungen 413 aufführte, ist ein Ausweg der Verzweiflung, „der sich auf nichts stützen kann, was wir von der Produktion der antiken Dramatiker wissen“, wie Lesky [247] 394 zu Recht schreibt.
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gesehen. Wir haben die ganz verschiedene Anlage der beiden Dramen gesehen. Eine etwas schematische Form von Literaturgeschichte sah Sophokles und Euripides oftmals in stereotypisierten Rollen:34 Sophokles ist der heiter-fromme Vollender der Tragödie; Euripides der Rebell, der die Gattung gewaltsam verändert und revolutioniert. Unter diesen Voraussetzungen sah man unterschiedliche Behandlung des Elektra-Mythos nicht lediglich als verschiedene schöpferische Auseinandersetzungen mit demselben Stoff, sondern brachte die beiden Autoren in ein polemisches Verhältnis zueinander; je nach der Auffassung über die chronologische Ordnung der beiden Dramen ergaben sich dann unterschiedliche Stoßrichtungen dieser Polemik: 1. Euripides hat in seiner typischen Art den von Aischylos übernommenen Mythos entheroisiert: Seine Elektra ist ein Beispiel für die ihm so oft vorgeworfenen „Lumpenkönige“;35 die von ihr und Orest vollzogene Rache wird aller edlen Motive entkleidet und wirkt nur noch schäbig und grausam. Sophokles stellt daher die Ehre der Tragödie wieder her, wenn er Elektra heroische Größe verleiht und den Muttermord als von den Göttern gerechtfertigte Tat darstellt. 2. Sophokles hatte den Einfall, Elektra in das Zentrum des Orestmythos zu rücken und ihr in seiner Tragödie den prominentesten Platz zu geben. Weil in seiner Fassung aber dadurch der Muttermord zu unproblematisch dargestellt wurde, reagierte Euripides mit seiner Elektra darauf: Aus der einsam-großen Elektra macht er eine bettelarme Bäurin, die Gerechtigkeit der Rache stellt er in Frage, und sein „happy end“ mit den dei ex machina kann geradezu als Parodie der sophokleischen Konzeption verstanden werden. Da durch eine solche Betrachtungsweise die Frage nach der zeitlichen Abfolge der beiden Elektren zu einem wichtigen Aspekt der intellektuellen Geschichte Griechenlands wurde, ist es kein Wunder, dass das Forschungsinteresse an diesem Problem groß ist: Lesky [247] 404 spricht von einem „der perennierenden Probleme der Tragödienforschung“; Theiler [380] im Jahr 1966 von den „ewigen Elektren“. Doch die Ergebnisse der langen Diskussion sind leider ernüchternd: Sowohl die Priorität des Euripides als auch die des Sophokles ist, mit mehr oder weniger Zuversicht, von Forschern vertreten worden. Einige der besten Kenner der Tragödie haben ihre Meinung in dieser Frage diametral geändert: Wilamowitz glaubte zunächst an die Priorität des Euripides, revidierte sein Urteil aber;36 gerade umgekehrt plädierte Diller zunächst für die Priorität des Sophokles, widerrief aber ebenfalls.37 Bereits dies ist 34 Dies wird anschaulich illustriert bei Davies [115] 124–6.1 35 Vgl. Aristophanes, Ach. 412–3 und Olson [292] zur Stelle. Zu Elektras Lumpen vgl. aber Lloyd [250], der sie als Zeichen ihrer Trauer interpretiert. 36 Wilamowitz [408] 57f. Anm. 2: „Meine Datirung des Dramas hinter das euripideische ist widerlegt […]“; zu seiner Meinungsänderung vgl. Braun [81]. 37 Diller [364] 206f. Anm. 16, in einem Nachtrag zu [127]: „Die hier für die relative Chronologie der sophokleischen und der euripideischen Elektra vorgebrachten Gründe halte ich jetzt nicht mehr für zureichend.“
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ein Hinweis darauf, dass klare Indizien in die eine oder andere Richtung fehlen: Wir können in beiden Tragödien deutlich erkennen, dass Aischylos’ Weihgussträgerinnen eine wichtige Rolle spielen; es gibt jedoch, über die oben genannten allgemeinen Aspekte hinaus, keine wirklich überzeugenden sprachlichen Entsprechungen.38 Können wir annehmen, beide Dramen seien gleichzeitig entstanden, vielleicht ohne dass der eine Dichter Kenntnis von dem Unternehmen des anderen gehabt hätte? Ausschließen lässt sich selbst dies nicht; dass beide bei demselben Fest konkurrierend zueinander aufgeführt worden sein sollten, ohne dass unsere antiken Zeugnisse darüber ein Wort verlieren, ist allerdings unwahrscheinlich. Die Tatsache, dass die Diskussion keinen erkennbaren Fortschritt in der Frage nach der Chronologie der beiden Dramen ergeben hat, scheint darauf hinzuweisen, dass die zugrundeliegende Hypothese verfehlt ist: Dass es zwischen den beiden Elektren tatsächlich eine polemische Beziehung gibt, lässt sich aus dem Text nicht entnehmen. Wir müssen uns also mit der Antwort begnügen, dass unser gegenwärtiger Kenntnisstand keine gesicherte Vermutung über die relative Chronologie der beiden Dramen zulässt.39 Solange nicht, etwa in Gestalt von neuen Papyrusfunden oder Inschriften, neue Daten hinzukommen, wird sich das Problem der Elektren nicht lösen lassen. Doch es ist für die Interpretation auch weniger wichtig, als manche Gelehrte angenommen haben: Während der Bezug mit Aischylos für beide Fassungen ein zentraler Aspekt ist, fehlen klare textliche Berührungspunkte zwischen Euripides und Sophokles.
38 Ein Beispiel mag genügen: Die ersten Worte Elektras bei Sophokles lauten ὦ φάος ἁγνόν „oh reines Licht“ (V. 86); bei Euripides sind ihre ersten Worte ὦ νὺξ μέλαινα „oh schwarze Nacht“ (V. 54). Kann man daraus wirklich schließen, „dass die beiden Elektrastücke nicht unabhängig voneinander verfasst sind“ (Theiler [380] 107 = [381] 233)? Lässt sich daraus gar ein Argument für die Priorität der einen oder der anderen Anrufung machen? Beide Fragen wird man wohl verneinen müssen. 39 Auch der neue Kommentar zur sophokleischen Elektra von Finglass [8] 1–4 kommt zu diesem negativen Ergebnis; Finglass fügt hinzu: “[…] in the end the question of priority may be less important than it first appears.” An neueren, bei Finglass noch nicht berücksichtigten Untersuchungen sei verwiesen auf Deforge [122] oder Müller [286], die allerdings wieder versuchen, eine klare Position in der Diskussion zu beziehen.
Die Elektra des Sophokles Überblick über Aufbau und Inhalt Die folgende schematische Übersicht gibt zum einen den Aufbau der sophokleischen Elektra nach den von Aristoteles definierten formalen Elementen, zum anderen eine ganz knappe Zusammenfassung der jeweils beteiligten Figuren und der Art ihrer Interaktion: 1–120 1–85 86–120 121–250 251–471 251–327 328–471 472–515 516–822 516–659 660–803 804–822 823–870 871–1057 871–1057 1058–1097 1098–1383 1098–1325 1326–1383 1384–1397 1398–1510 1398–1441 1442–1507 1508–1510
Prolog Pädagoge, Orest Racheintrige Elektra Klageanapäste Parodos 1. Epeisodion Elektra, Chor Der Chor tröstet Elektra Elektra, Chrysothemis Streitgespräch 1. Stasimon 2. Epeisodion Elektra, Klytaimestra Streitgespräch Elektra, Klytaimestra, Pädagoge Bericht von Orests Tod Elektra Elektras Trauer 2. Stasimon 3. Epeisodion Elektra, Chrysothemis Streitgespräch 3. Stasimon 4. Epeisodion Elektra, Orest Wiedererkennung Elektra, Orest, Pädagoge Wiedererkennung 4. Stasimon Exodos Elektra, Orest Tod Klytaimestras Elektra, Orest, Aigisthos Ankunft des Aigisthos Chor Schlussanapäste
Nach dem kurzen Auftritt Orests und des Pädagogen im Prolog, durch den wir über die bevorstehende Rachehandlung, ihre göttliche Sanktion und das Mittel der List informiert werden, stellen die nächsten etwa 1.000 Verse Elektra ganz in den Mittelpunkt: Wir hören sie zunächst allein aus dem Haus
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klagen und sehen Sie dann in Interaktion mit dem Chor und anderen Figuren. Der Chor ist mir ihr solidarisch und versucht, sie zu trösten. Der Dialog mit ihrer Schwester Chrysothemis führt sogleich in einen Konflikt: Chrysothemis hat sich mit den in Argos bestehenden Verhältnissen arrangiert; obwohl sie Elektra gegenüber konzediert, dass es sich hierbei um einen faulen Kompromiss handelt, mahnt sie ihre Schwester, ebenfalls eine konziliantere Haltung einzunehmen. Als Elektra ihrer Warnung, Aigisthos wolle sie bald in ein Verließ einschließen, mit nahezu feindseliger Gleichgültigkeit begegnet, kommt es beinahe zum Zerwürfnis zwischen den Schwestern. Erst als Chrysothemis von Klytaimestras Angsttraum und ihrem Auftrag spricht, Opfergaben an Agamemnons Grab zu bringen, kommt es wieder zu einer Annäherung; Chrysothemis will Elektras Bitte folgen, stattdessen ein Haaropfer von ihnen beiden darzubringen und für die Rückkehr Orests zu beten. Endlich sehen wir Elektra mit ihrer Mutter Klytaimestra streiten; das zunächst scheinbar höflich und ruhig begonnene Gespräch eskaliert rasch zu einem heftigen Streit. Diese Szenenfolge bis zur Mitte des zweiten Epeisodions dient noch ganz der Exposition: Wir erleben Elektra im Dialog mit ihr freundlich gesinnten, gleichgültigen und feindlichen Partnern und können so ihr Leid und ihre Isolierung empfinden. Ab dem Auftritt des Pädagogen in V. 660 führt Sophokles die bis dahin getrennten Sphären der Rächer um Orest und der in Argos gebliebenen Familie allmählich zusammen. In einem lang ausgedehnten Bericht erzählt der Pädagoge vor Klytaimestra und Elektra von Orests Tod bei den Pythischen Spielen; die unterschiedliche Reaktion der beiden auf diese Nachricht dient noch einmal der Charakterisierung. Elektras zweiter Dialog mit Chrysothemis zeigt, dass sie bei aller Trauer über den Verlust ihrer Hoffnung auf Orest noch ungebrochen ist; ihr Plan, Aigisthos und Klytaimestra mit eigener Hand zu töten, ist zugleich eine Retardierung für das Publikum, das hier eine Fortsetzung der Racheintrige erwarten könnte. Im Dialog beharrt Elektra gegen Chrysothemis’ Meldung von Opfergaben, die sie am Grab gefunden hat, auf ihrer Annahme, Orest sei tot; dies provoziert beim Publikum eine komplexe Reaktion, weil es weiß, dass Elektra sich täuscht und Orest ihr schon ganz nahe ist, zugleich aber Mitgefühl mit ihrer Verzweiflung und Trauer empfindet. Auf dem Tiefpunkt ihres Leids sehen wir Elektra dann in der Begegnung mit Orest, der die Urne mit seiner angeblichen Asche überbringt. Die Emotionen der Zuschauer sind in dieser und bereits den beiden vorangehenden Szenen davon dominiert, dass mit dem Eintreffen der Todesbotschaft und der Urne tatsächlich die Intrige begonnen hat, die Elektra aus ihrem Unglück befreien wird, dass eben diese Intrige sie aber vorerst in noch tieferes Leid stürzt. Die Wiederkennung der Geschwister nach langen Retardierungen ist sicher ein emotionaler Höhepunkt des Dramas; Sophokles lässt sie nicht durch äußere Zeichen erfolgen, sondern vor allem durch Orests Reaktion auf Elektras Verzweiflung; treffend schreibt dazu Reinhardt [314] 169, dass „die Erkenntnis
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der Person Symbol des seelischen Sich-Findens wird“. Eine kurze Szene, in der der Pädagoge die beiden vor der Gefahr warnt, sich zu verraten, hält bei den Zuschauern das Bewusstsein dafür wach, dass der eigentliche Vollzug der Rache immer noch bevorsteht und mit Risiken verbunden ist. Dann aber beendet Sophokles die so lang retardierte Lösung in raschem Tempo: Überraschend ist es hier Klytaimestra, die als erste stirbt; ihre Todesschreie aus dem Innern des Hauses werden von Elektra vor den Türen beantwortet. Der in der langen Exposition so oft mit Angst genannte Aigisthos wird übertölpelt und in einem wirkungsvollen Theatercoup mit der verdeckten Leiche Klytaimestras konfrontiert, die er zunächst für den Leichnam Orests hält; dann führt Orest auch ihn in das Haus, um ihn zu töten. Auffällig sind in der Struktur und dem Aufbau des Stücks zum einen die Proportionen, wie deutlich wird, wenn man die Weihgussträgerinnen des Aischylos zum Vergleich heranzieht: Die Wiedererkennung der Geschwister erfolgt bei Aischylos nach etwa einem Fünftel des Stücks, bei Sophokles jedoch erst nach vier Fünfteln (bei Euripides erkennen sich Elektra und Orest kurz vor der Mitte des Dramas). Diese Verlagerung geht einher mit der zentralen Stellung Elektras bei Sophokles: Bei Aischylos war sie lediglich ein kleiner Teil der Rachehandlung; nachdem sie etwa in der Mitte des Stücks (V. 584) die Bühne verlassen hat, verschwindet sie völlig aus der Aufmerksamkeit der Zuschauer.40 Bei Sophokles ist sie beinahe während der gesamten Handlung auf der Bühne anwesend und tritt mit allen anderen Figuren in Kontakt.41 Dies bedeutet zum anderen eine starke Variation des dramatischen Tempos: Bis zur Wiedererkennung der Geschwister ist das Bühnengeschehen von Retardierungen dominiert. Die Zuschauer konnten erwarten, bald den Pädagogen, wie im Prolog angekündigt, mit der Todesnachricht auftreten zu sehen, stattdessen schieben sich aber immer wieder weitere Figuren und Konflikte vor die Auflösung der hier geweckten Spannung. Und auch der lange Bericht über Orests angeblichen Tod, das Herbeibringen der Urne und die Wiedererkennung der Geschwister nehmen noch viel Zeit in Anspruch. Erst mit dem Eintreten der Verschwörer in das Haus gewinnt das dramatische Geschehen an Geschwindigkeit; wenig mehr als 100 Verse später ist das Stück zuende. Die Rollenverteilung Tragödienaufführungen kamen in der Regel mit drei Schauspielern für die Sprechrollen aus.42 Für die Elektra lässt sich eine Aufführung mit drei Schau40 S. Garvie [23] 174f.; Bremer [82] 328; vgl. oben Fußnote 20. 41 S. die Übersicht bei Kamerbeek [6] 14f. 42 Eine feste „Regel“, dass lediglich drei Schauspieler eingesetzt werden dürfen, hat es wohl nicht gegeben, doch erleichtert die Beschränkung auf wenige Sprecher angesichts der Verwendung von Masken wohl auch dem Publikum die Identifizierung; vgl. Easterling [140] 152–4; Seeck [339] 43.
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spielern leicht bewerkstelligen, doch ist die Verteilung der Rollen nicht ganz sicher zu ermitteln. Hier sei zunächst eine Übersicht über die auftretenden Figuren in der Reihenfolge ihres Auftretens gegeben: 1 Pädagoge Orest 1 Elektra 86 Chrysothemis 328 Klytaimestra 516 Aigisthos 1442
1–85, 660–803, 1326–1375 1–85, 1098–1375, 1422–1437, 1466–1507 86–1383, 1398–1507 328–471, 871–1057 516–803 (1404–1416) 1442–1507
Daraus ergeben sich folgende Möglichkeiten zur Verteilung der Rollen: Pä. Or. El. Chr. Kl. Aig.
Pä.
Or.
El.
Chr.
Kl.
Aig.
Demnach waren die Rollen wahrscheinlich folgendermaßen verteilt:43 Erster Schauspieler: Zweiter Schauspieler: Dritter Schauspieler:
Elektra Orest, Chrysothemis, Klytaimestra Pädagoge, Aigisthos
Die Rolle der Elektra muss für den Protagonisten eine große Herausforderung gewesen sein: Sie ist beinahe während der gesamten Aufführung auf der Bühne präsent und durchlebt eine Reihe extremer Emotionen, die dem Publikum vermittelt werden mussten; sie hat ferner ungewöhnlich viele Gesangspartien, allein und im Austausch mit dem Chor und anderen Schauspielern.
43 Die Rolle der Chrysothemis könnte auch vom dritten Schauspieler übernommen worden sein; vgl. March [11] 13; Ringer [320] 131; für die Zuweisung an den zweiten Schauspieler vgl. die plausiblen, wenn auch etwas spekulativen Überlegungen von Marshall [269] 58f.
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Zur Deutung der sophokleischen Elektra Es ist deutlich geworden, dass Sophokles aus dem Atridenmythos eine Tragödie um die Figur Elektra geschaffen hat. Diese Fokussierung brachte es mit sich, dass die Struktur des Dramas die Emotionen der Titelfigur in den Vordergrund rückte; demgegenüber erhält der Vollzug der Rache deutlich weniger Raum und wird in hohem dramatischen Tempo dargestellt. Sophokles siedelt den Muttermord im außerszenischen Bereich an und lässt die Zuschauer Klytaimestras Todesschreie aus dem Palast hören; dadurch erreicht er zweierlei: Zum einen erinnert die Szene an die Sterbeszene Agamemnons in Aischylos’ Tragödie Agamemnon (ein Effekt, der durch wörtliche Anklänge noch verstärkt wird; vgl. den Kommentar zu V. 1398–1441), zum anderen kann er dem Publikum Elektras Reaktion auf den Tod der Mutter direkt zeigen, indem er sie von der Bühne auf Klytaimestras Schreie antworten lässt. Bei Aischylos (und auch bei Euripides) war der Muttermord dramatischer Höhepunkt und zugleich Ende der Handlung; an ihn schloss sich der Wahnsinn Orests bzw. die Reue der Geschwister über das Geschehen an. Sophokles hingegen lässt die Tragödie nicht mit dem Mord an Klytaimestra schließen, sondern mit dem Abgang des Aigisthos zum Tod. Dadurch nimmt er dem Muttermord seine hervorgehobene Bedeutung.44 Viele Interpreten des Sophokles haben aus dieser Verlagerung des Schwerpunkts den Schluss gezogen, die Elektra zeige den Muttermord als gänzlich unproblematische Rache für die Ermordung Agamemnons. So preist etwa August Wilhelm Schlegel (1767–1845) in seinen Vorlesungen Über dramatische Kunst und Literatur an Sophokles’ Elektra „die himmlische Heiterkeit bey einem so schrecklichen Gegenstande“ und hebt den göttlichen Auftrag zum Muttermord hervor: „Der lichte Gott Apollo, welcher die That befohlen, scheint seinen Einfluß darüber zu verbreiten, selbst der Tages-Anbruch am Eingange ist bedeutsam.“45 Schlegels Bemerkungen müssen im Kontext seiner Ausführungen gesehen werden: Er vergleicht die drei Dramen des Aischylos, Sophokles und Euripides miteinander; Sophokles lobt er auch deshalb, weil er Euripides ihm gegenüber als „seltnes Beyspiel poetischer, oder vielmehr unpoetischer Verkehrtheit“ kritisiert.46 In der Geschichte der Sophoklesdeutung hat Schlegels Sicht spätere Interpretationen „nur zu lange bestimmt“, wie Wilamowitz ([407] 48) meinte.47
44 Die Einwände von Segal [340] 461 Anm. 3 gegen diese evidente Auffassung scheinen mir wenig überzeugend; auf Kamerbeek [6] 17 und Kells [10] zu 957 beruft er sich für seine Ablehnung zu Unrecht. 45 Schlegel [331] 241f., nachgedruckt in [287] 80f. Auch die Weihgussträgerinnen des Aischylos und die Elektra des Euripides beginnen bei Tagesanbruch (s. Kommentar zu V. 17); warum das Motiv gerade bei Sophokles „bedeutsam“ sein soll, erklärt Schlegel nicht. 46 Vgl. Behler [61]. 47 Zum Einfluss Schlegels auf spätere Interpreten der Tragödie vgl. Davies [115], bes. 117– 22.
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Doch einige Philologen verstanden diese „Heiterkeit“ auch als Problem.48 So räumt etwa Jebb in der Einleitung zu seinem Kommentar ein, zwar werde Klytaimestra so negativ dargestellt, dass ihre Tötung vollends gerechtfertigt erscheinen müsse, und Apollon selbst habe die Rache klar befohle. “Still, that does not alter the fact of the matricidal stain upon Orestes. I do not know any adequate solution of this difficulty, which seems greater than has generally been recognised […]” (Jebb [5] xli). Kurze Zeit später bezeichnete Jebbs Oxforder Kollege Gilbert Murray die sophokleische Elektra (mit klarer Anspielung auf Schlegels Formulierung) als merkwürdige Mischung aus „Frohsinn und Muttermord“;49 Karl Reinhardt wunderte sich in seinem 1933 zum ersten Mal erschienenen Sophoklesbuch ([314] 147) darüber, „wie untragisch, wie unbeschwert, wie frischgemut, wie unorestisch […] dieser Orest“ sei. Zu dieser Zeit gab es allerdings bereits Interpreten, die für dieses Problem eine radikale Lösung vorschlugen. Wohl als erster zu nennen ist John T. Sheppard.50 Schon 1918 hatte er eine andere Deutung des sophokleischen Dramas vorgelegt [348]: Die eigentliche Tragödie bestehe darin, wie Elektra sich im Hass gegen ihre Mutter verhärte; “[…] she is a loving and a lovable person; her instincts are womanly. Is it not tragic that such a woman should be found crying παῖσον, εἰ σθένεις, διπλῆν?” (88).51 Sophokles sei weit davon entfernt, das Grauen des Muttermords zu vertuschen; tatsächlich lasse sich dieser zentrale Aspekt der Elektra nur verstehen, wenn man die Tat als moralisches Dilemma ernst nehme. Noch weiter geht Sheppards Beitrag von 1927 [347], den er „Verteidigung des Sophokles“ betitelt. Schlegels Auffassung von der „Heiterkeit“ der sophokleischen Elektra bezeichnet er als „foolish talk“ (2). Sein recht kurzer Aufsatz begründet eine Lesart der Tragödie, die man mit einem bequemen (wenn auch etwas unscharfen) Kürzel als „ironisch“ bezeichnen kann: Sophokles wollte seinem Publikum vor Augen führen, dass der von Orest begangene Muttermord moralisch verwerflich ist; am Ende des Stücks sollen wir Orest für seine Handlung verurteilen. Die Hauptargumente seiner These kann man folgendermaßen zusammenfassen: (1) Orest hat dem Orakel Apollons eine falsche Frage gestellt und deshalb eine irreführende Antwort erhalten;52 (2) als etwas naiver und begeisterungsfähiger junger Mann lässt er sich von dem zynischen und amoralischen Pädagogen korrumpieren; (3) Elektra trägt in ihrem leidenschaftlichen Hass Züge ihrer Mutter.
48 Einen (nicht immer ganz genauen) Überblick über die Geschichte der Deutung bietet Goldhill [172] 201–30. 49 Murray [31] vi: “This combination of matricide and good spirits […] will probably strike most intelligent readers as a little curious […].” 50 Zu ihm vgl. Goldhill [172] 221. 51 V. 1415: „Führ, wenn du die Kraft hast, einen Doppelschlag!“ 52 S. dazu den Kommentar zu V. 33.
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Sheppards „ironische“, deutlich pessimistischere und düsterere Interpretation der Elektra hat eine Reihe von Interpreten überzeugt.53 Selbstverständlich haben sie dies in unterschiedlicher Weise und mit je eigenen Nuancen getan; auch unter Befürwortern einer solchen Interpretationsweise gibt es keine Einigkeit darüber, wie eindeutig das Stück eine Verurteilung von Orests und Elektras Tat nahelegt. Zu den von Sheppard bereits gemachten Beobachtungen und Argumenten haben sie insbesondere folgende Aspekte hinzugefügt: 1. Das Ende der sophokleischen Elektra hat in den uns überlieferten attischen Tragödien keine Parallele: Anstelle eines wirklichen Abschlusses, der alle dramatischen Spannungen befriedigend auflöst, werden die Zuschauer entlassen mit dem Bild eines Menschen, der in seinen Tod geführt wird; Johansen [222] 29 schreibt dazu: „Die Elektra des Sophokles endet also, wie sie begann, in einer quälenden Atmosphäre der Unsicherheit.“ 2. Das Motiv der Erinyen, die Verwandtenmord strafen, ist von Sophokles keineswegs aus seiner Behandlung des Mythos völlig entfernt worden: Sie werden mehrfach erwähnt (etwa V. 112. 276. 491. 1080. 1388)54 und werden dem Publikum stets präsent bleiben, weil sie einen festen Bestandteil seines Erwartungshorizonts bilden. Wenn sie am Ende der Tragödie, nach dem Muttermord, nicht mehr genannt werden, so werden die Zuschauer eben dieses Schweigen als signifikant erkennen: “No pursuit by Furies; then no Delphi, no Athens, nor Areopagus, no acquittal and – above all – no reconciliation of the Furies by the persuasion of Athena.”55 3. So sehr Klytaimestra uns zu Beginn des Dramas als moralisch verwerflich vor Augen geführt wird, in dem Augenblick, als sie vom Tod ihres Sohns erfährt, betrauert sie ihn aufrichtig und gewinnt damit all unsere Sympathien; Kells [10] 7 bezeichnet die Verse 766–8 als „the very centre of the play“.56 Orests Tat erscheint vor diesem Hintergrund um so weniger gerechtfertigt. Allerdings hat es auch nicht an Stimmen gefehlt, die diese ironische Lektüre zurückweisen;57 ein Konsens der Intepreten hat sich nicht herausgebil-
53 Eine knappe Zusammenfassung der „helleren“ und „dunkleren“ Lesart mit bibliographischen Angaben findet man bei Wright [420] 172; vgl. auch MacLeod [263] 4–20. Zu den Befürwortern der pessimistischen Interpretation gehören, neben Sheppard und Wright selbst, insbesondere Kitzinger [232], Winnington-Ingram [416] und [417] 217–247, Johansen [222], Kamerbeek [6] 17–20, Kells [10] (bes. 4–12), Segal [344] und [340] 249–291, Schein [330], Minadeo [279]; vorsichtig zustimmend auch Wheeler [404]. 54 Vgl. den Kommentar zu V. 110–113 55 Winnington-Ingram [416] 25 = [364] = 409 [298] 215 ≈ [417] 227. 56 Vgl. dagegen den Kommentar zu V. 766. 57 Genannt seien hier lediglich Arbeiten, die sich mit der ironischen Interpretation explizit auseinandersetzen und sie ablehnen: Waldock [397] 169–95, Alexanderson [43], Erbse [144], Harder [200], Stevens [368], Stinton [370] 75–84 = [371] 465–79, Burnett [90] 119–41, March [11] 15–20.
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det.58 Die Diskussion scheint in einer Sackgasse angelangt, weil beide Seiten jeweils Aspekte des Dramas verabsolutieren: Die „Optimisten“ blenden die zweifelsohne vorhandenen Elemente aus, die Orests Muttermord und Elektras Befreiung von ihrem Leiden nicht als endgültige und unproblematische Lösung erscheinen lassen; die „Pessimisten“ verabsolutieren diese Elemente und versuchen, daraus eine Deutung des Dramas zu gewinnen, die das Ende vollständig als Scheinlösung entlarvt. Eher hinderlich als hilfreich ist hier sicher auch der Begriff der „ironischen“ Interpretation, weil der klassische Begriff der Ironie eine Sinnstabilität voraussetzt, die das Ende der Elektra sicherlich nicht bietet.59 Eher sollte man von ambivalenten Elementen und Spannungsmomenten sprechen. Dass eine Theateraufführung beim Publikum keine einheitliche Reaktion hervorruft, sondern Zuschauer individuell unterschiedlich reagieren, dass Text und Inszenierung ambivalente Signale enthalten, die selbst bei einzelnen Betrachtern gegensätzliche Reaktionen hervorrufen können, erscheint uns im modernen Theater selbstverständlich – die Lektüre verschiedener Presseberichte zu den meisten zeitgenössischen Theaterabenden dürfte dies schlagend bestätigen. Wir sollten nicht davon ausgehen, dass das athenische Theaterpublikum des fünften Jahrhunderts v. Chr. nicht zu solchen differenzierten Reaktionen in der Lage war oder dass es in seiner Sicht auf das Spiel vor seinen Augen als einheitliches Kollektiv funktionierte. Ich habe im Kommentar versucht, die Passagen besonders deutlich zu benennen und intensiv zu diskutieren, in denen sich die Ambivalenz optimistischer oder pessimistischer Tendenzen manifestiert, ohne den Lesern eine endgültige Antwort aufzudrängen.60 Metatheatralische Elemente in Sophokles’ Elektra Neben die Diskussion um die pessimistische Deutung der sophokleischen Elektra ist in den letzten Jahren eine weitere Deutungsperspektive getreten: Interpreten haben nachdrücklich auf die Existenz „metatheatralischer“ Elemente in dieser Tragödie hingewiesen.61 Damit bezeichnet man das Phänomen, dass das Drama selbst auf seinen Status als Theaterspiel hinweist und Zeichen seiner eigenen Theatralität (etwa in der Form eines Spiels im Spiel) in den Vordergrund rückt. In modernen Theaterstücken sind Formen des Metatheaters sehr häufig; hier entstehen dann auch Dramen, die zur Gänze antiillusionistisch und selbstreferentiell wirken (als besonders eindrückliches Beispiel sei Luigi Pirandellos Stück Sei personaggi in cerca d’autore von 1921 genannt). 58 Wenn Goldhill [172] 223 schreibt, die pessimistische Deutung sei heute eine „orthodoxy“, so erreicht er diese Sicht nur, indem er Interpreten, die eine andere Auffassung vertreten, als „very strangely ‘out of date’“ (226) diffamiert. 59 Dies hat Szlezák [377] deutlich gezeigt. 60 Auch in diesem Punkt scheint mir der neue Kommentar von Finglass [8] richtig zu liegen; vgl. bes. 8–10 und 525–8. 61 Bes. Ringer [320]; eine gute Zusammenfassung bietet Griffiths [188] 81–3.
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Dass die antike Tragödie solche zur Gänze metatheatralischen Dramen nicht kennt, hat Rosenmeyer [325] zu Recht betont; Taplin [378] geht sogar so weit zu behaupten, die attische Tragödie sei von metatheatralischen Elementen weitgehend frei; damit stehe sie in klarem Gegensatz zur gleichzeitigen Komödie, die solches Spiel über das Theaterspiel oftmals integriert.62 Doch die Forschung der letzten Jahre hat überzeugend darauf hingewiesen, dass auch die Tragödie einzelne metatheatralische Bestandteile enthält und sich mit ihren Zuschauern über das Phänomen „Theater“ verständigt.63 In der sophokleischen Elektra findet sich eine Reihe solcher metatheatralischer Hinweise; die wichtigsten werden im Kommentar ausführlicher besprochen64 und seien hier nur kurz erwähnt: Der falsche Botenbericht von Orests Tod lässt die Zuschauer die Wirkung einer fiktiven Schilderung von Unglück auf ein Publikum mitansehen; die von Orest auf die Bühne gebrachte leere Urne verkehrt in paradoxer Weise die übliche Pragmatik von Bühnenrequisiten; Orest tritt gegenüber dem Pädagogen und gegenüber Elektra mehrmals als „Regisseur“ auf, der anderen Bühnenfiguren Anweisungen erteilt, wie sie eine Rolle in einem Spiel auszuführen haben. Wir können nur darüber spekulieren, warum gerade der Mythos um Elektra sowohl bei Euripides65 als auch bei Sophokles mit solch auffälligen metatheatralischen Elementen auf die Bühne gebracht wurde: Möglicherweise war Aischylos’ Orestie im kollektiven Gedächtnis der Athener immer noch so lebendig, dass das Publikum den Mythos in dieser geprägten Version vor Augen hatte; wenn die Vermutung zutrifft, dass die Orestie in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts wiederaufgeführt wurde,66 hätten diese metatheatralischen Bezugnahmen noch prägnanter und unmittelbarer auf das athenische Publikum gewirkt. Wichtig ist aber, dass die metatheatralischen Elemente der Elektra nicht lediglich selbstreferentielles Glasperlenspiel für ein bildungsbürgerliches Publikum sind, sondern allen Zuschauern fundamentale Fragen nach dem Verhältnis von Wahrheit und Fiktion, Realität und Spiel und auch Recht und Unrecht in anschaulicher Weise vor Augen führen.
Elektra in der modernen Rezeption Zusammen mit Antigone und Medea gehört Elektra zu den großen Frauengestalten der attischen Tragödie, die moderne Autoren immer wieder zu produktiven Auseinandersetzungen angeregt haben. Eine vollständige Analyse
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Vgl. den Überblick bei von Möllendorff [280] 186–9. Vgl. etwa Easterling [139]; Henrichs [203]; Bierl [67]; skeptisch ist hingegen Radke [311]. S. etwa den Kommentar zu V. 751–756, 799, 1113–1114. S. oben Anm. 26. Dies muss ebenfalls Spekulation bleiben; vgl. oben Anm. 17.
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oder auch nur Aufzählung all der modernen Bearbeitungen ist hier nicht möglich; die folgenden Seiten werden daher lediglich einige der bedeutsamsten und literarisch interessantesten Fassungen kurz behandeln.67 Nicht immer lässt sich genau festlegen, inwiefern sich die modernen Bearbeiter konkret an der sophokleischen Elektra orientieren. Da Fassungen des Mythos von allen drei großen attischen Tragikern erhalten sind, finden sich in den modernen Fassungen häufig Elemente und Motive aus mehreren antiken Vorbildern. Grob kann man folgende Aspekte nennen, die aus den jeweiligen Fassungen in der Rezeption besonders wirkungsmächtig geworden sind: 1. In der Orestie des Aischylos ist Elektra weniger prominent als bei Sophokles und Euripides; Orest steht im Mittelpunkt der Darstellung. Seine Verfolgung durch die Erinyen und der Prozess vor dem Athener Areopag sind Elemente der aischyleischen Fassung, die in modernen Bearbeitungen häufig aufgegriffen werden. 2. Aus der euripideischen Elektra ist es einerseits das Leben der Heldin als Frau eines armen Bauers und die damit einhergehende Verpflanzung des Mythos in die Welt eines realistischen Alltags, die die Phantasie späterer Autoren angeregt haben, andererseits die psychologisch überzeugende Darstellung einer überwältigenden Reue nach dem Muttermord. 3. Sophokles schließlich stellt Elektra selbst so deutlich in den Mittelpunkt seiner Tragödie wie keine andere Fassung; Elektras Isolierung und Leid, aber auch ihre Verhärtung und ihr Hass noch im Triumph sind vielfach aufgenommen worden. Sicherlich war es der Aspekt des Muttermords, der als problematisch empfunden wurde und dafür sorgte, dass die Rezeption des Elektrastoffs auf europäischen Bühnen erst relativ spät einsetzt.68 In seiner einflussreichen Kommentierung der aristotelischen Poetik (1570) kritisiert etwa Lodovico Castelvetro (1505–1571) Aristoteles dafür, dass er den Orestmythos als Beispiel für einen Stoff genannt hatte, aus dem die besten Tragödien verfertigt würden (Poetik 13; 1453 a 20): Der Muttermörder Orest sei keine geeignete tragische Hauptperson.69 Der französische Dichtungstheoretiker Hippolyte-Jules Pilet de La Mesnardière (1610–1663) polemisiert zwar gegen Castelvetro und erklärt die Elektra zu einem „Meisterwerk“ und Orests Rache für gerechtfertigt, aber auch er kann nicht umhin zuzugeben, dass der Muttermord und besonders Elektras Ausruf in V. 1415 (s. den Kommentar zu diesem Vers) inakzeptabel für die „Schicklichkeit“, die „bienséance“, sei.70 So schreibt auch André 67 Ausführlichere und systematischere Darstellungen finden interessierte Leser in Friedrich [164] 140–187; Brunel [86]; Dalfen [108]; Bonnéric [72]; Haas-Heichen [194]; Laks [242]; Gründig [192]; Bakogianni [53] und [54]; eine Auswahl von Texten mit einem knappen Nachwort bietet die Sammlung [287]. 68 Vgl. Soare [354]. 69 Poetica d’Aristotele vugarizzata, et sposta per Lodouico Casteluetro, Wien 1570, f. 158v. 70 Jules de La Mesnardière, La Poëtique, Paris 1540, 55f. Dass La Mesnardière die sophokleische Elektra als „finest of all extant Greek tragedies“ bezeichnet, wie Hall/Macintosh [197] 152f. ohne nähere Angaben behaupten, habe ich in dem Traktat nicht finden können.
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Dacier (1651–1722) in der „Préface“ seiner Übersetzung von 1692 (253): « Je suis persuadé que le sujet de cette Pièce paroîtra aujourd’huy trop horrible, & que l’on ne pourra souffrir un fils qui tuë sa mere, & une fille qui exhorte son frere à ce meurtre. » Isoliert steht Thomas Goffes (1591–1629) Universitätsspiel The Tragedy of Orestes, zwischen 1609 und 1619 in Christ Church, Oxford, inszeniert:71 Es zeigt Orests Mord an Aegystheus und Clytemnestra auf offener Bühne; in seiner überbordenden Rhetorik, seinen Geistererscheinungen und seiner Blutrünstigkeit orientiert es sich vor allem an Seneca. Prosper Jolyot de Crébillon (1674–1762) umgeht in seiner Électre (1708) die Problematik des Muttermords, indem er Oreste im Handgemenge seine Mutter versehentlich umbringen lässt; das Drama ist mit einer ganzen Reihe von Liebesintrigen dem französischen Geschmack der Zeit angepasst und überfrachtet mit Nebenhandlungen und Verwirrungen (so ist Oreste selbst bis in den dritten Akt in Unkenntnis über seine eigene Identität und hält sich für Tydée, einen Sohn des Palamède). Niemand anders als Goethe, der das Stück bei seiner italienischen Reise 1786 sah, bezeichnete es als „abgeschmackt“ und „langweilig“. Bewusst als Gegenentwurf zu Crébillons Stück gestaltet Voltaire (1694– 1778) seinen Oreste (1750); im Widmungsbrief betont er, er habe den Stoff von den Überfrachtungen seines Vorgängers befreit und sich näher an Sophokles orientiert: « Je n’ai point copié l’Electre de Sophocle, il s’en faut beaucoup : j’en ai pris, autant que je l’ai pû, tout l’esprit & toute la substance. » Voltaire adaptiert daher einzelne Szenen aus Sophokles (etwa den Dialog Electres mit ihrer Schwester, die hier Iphianasse heißt), doch ist deutlich, dass auch er sich den Regeln der Schicklichkeit, der „bienséance“, verpflichtet fühlt, die das klassische französische Theater beherrschen. Seine Clytemnestre bereut den Mord an Agamemnon während des gesamten Stücks; für das Problem des Muttermords bedient Voltaire sich desselben Auswegs wie Crébillon (gegen den er eine heftige Abneigung empfand): Bei dem Versuch, Égisthe zu töten, trifft Oreste versehentlich seine Mutter. In diesem Punkt ähnlich geht auch Vittorio Alfieris (1749–1803) Oreste (1786) vor: Auch bei ihm wird eine von Reue über ihre Tat gebeugte Clitennestra von ihrem Sohn versehentlich ermordet, als sie versucht, Egisto gegen ihn zu schützen. Alfieri allerdings bemüht sich deutlich stärker als seine französischen Vorgänger, den Stoff von äußeren Elementen, Verwechslungen und Intrigen zu bereinigen und auf sein psychologisches Gerüst zu reduzieren: Seine Tragödie begnügt sich mit nur fünf Figuren (weder der Pädagoge noch Chrysothemis kommen bei ihm vor). Die Wiedererkennung der Geschwister Elettra und Oreste erfolgt, weil Oreste seine Erschütterung beim Anblick des Grabs Agamemnones nicht verbergen kann; Elettra ist sich daraufhin sicher: «E chi sarai tu dunque, | se Oreste non sei tu?» Wie Voltaire adaptiert auch Alfieri einzelne Szenen aus Sophokles, etwa die Schilderung von Orestes Tod beim Wagenrennen; die 71 S. Hall/Macintosh [197] 163.
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Figur der reuevollen und lebensmüden Clitennestra allerdings scheint er eher aus Euripides zu beziehen. Wenig originell ist die Adaptation des Atridenstoffs von Alexandre Dumas père (1802–1870):72 In seiner Orestie (1856) bedient er sich bei allen antiken Vorläufern in der Weise, dass man über weite Strecken von einer freien Übersetzung sprechen kann. Der erste Akt imitiert Aischylos’ Agamemnon; der zweite Akt folgt weitgehend der Elektra des Sophokles. Im dritten Akt schließt Dumas sich weithin an Aischylos’ Eumeniden an. Eng an Aischylos lehnt sich auch Charles Leconte de Lisle (1818–1894) mit seiner Tragödie Les Erinnyes; der Autor hatte zum Broterwerb eine Reihe von antiken Texten übersetzt, darunter auch Aischylos (1872). Das Stück wurde 1873 (mit Musik von Jules Massenet, die Leconte de Lisle wenig geeignet fand) zum ersten Mal gegeben.73 Leconte de Lisle zeigt eine Antike, die dem französischen Publikum fremd und wild vorkommen musste. Das beginnt schon bei der Präsentation der Namen: Eng an das Griechische angelehnt schreibt er „Klytaimnestra“ und „Électra“ anstelle der seit drei Jahrhunderten vertrauten Formen „Clytemnestre“ und „Electre“. Seine Fassung zeichnet auch ein deutlich verändertes Bild der Antike: Anstatt, wie seine Vorgänger, das grausame Geschehen zu bemänteln und zu dämpfen, steigert Leconte de Lisle die Brutalität noch; seine Klytaimnestra lässt er sagen: « J’ai tué l’Atréide, et j’ai coupé sa chair | Par morceaux ! Seulement ceci me désespère, | D’avoir manqué le fils en égorgeant le père ! » Auch in André Suarès’ (1868–1948) La Tragédie d’Elektre et Oreste (1905) wird die düstere Geschichte mit großer Brutalität dargestellt. Suarès hatte sich als Literaturkritiker zur Theorie des Theaters geäußert und sich gegen die Alltagswelt des Naturalismus gewandt; für ihn gehörte zur wahren Tragödie auch Größe des Gegenstands. Sein Drama wird daher von übermenschlichen Kräften angetrieben: Der Geist Agamenons motiviert Oreste zur Tat; Jupiter selbst in menschlicher Gestalt hilft ihm, grausam Rache zu nehmen. Dieser neue Blick auf eine dunkle, urtümliche, grausame Antike wurde im deutschsprachigen Bereich durch Hugo von Hofmannsthals (1874–1929) Elektra (1903) repräsentiert.74 Hofmannsthal nennt sein Drama „Tragödie in einem Aufzug frei nach Sophokles“, und in der Tat orientiert sich die Grundkonstellation deutlich an der sophokleischen Elektra: Die Titelheldin lebt in Argos völlig isoliert, in elementarem Hass auf ihre Mutter Klytämnestra und auf Ägisth; ihre Versuche, die Schwester Chrysothemis zur Mithilfe zu bewegen, scheitern. Aber Hofmannsthal hat aus diesen Motiven etwas völlig Neues geschaffen. Sein Blick auf die Antike will dezidiert frei sein von 72 Friedrich [164] 174 schreibt das Drama irrtümlich seinem Sohn zu, dem Verfasser der Kameliendame. 73 Friedrich [164] 174 setzt die Abfassung des Textes irrtümlich in das Jahr 1839. 74 Zu Hofmannsthal in seinem Verhältnis zu Sophokles vgl. Newiger [290]; König [237]; Günther [193].
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aller „Gipsgriechelei“,75 aller „edlen Einfalt und stillen Größe“; beeinflusst von den Mytheninterpretationen Freuds zeigt Hofmannsthal stattdessen ein archaisches Griechenland, in dem die unterdrückte Sexualität Elektras ein entscheidender Motor ihres Hasses auf die Mutter und ihres Zerwürfnisses mit Chrysothemis ist. Elektra schildert, dass ihr der Vater „den Hass als Bräutigam“ schickte, „da musste ich den Grässlichen, der atmet | wie eine Viper, über mich in mein Bett lassen, der mich zwang, | alles zu wissen, wie es zwischen Mann | und Weib zugeht.“ Chrysothemis möchte demgegenüber für sich „ein Weiberschicksal“, möchte heiraten und Kinder haben. Ebenso wichtig wie Freud ist für Hofmannsthal auch Nietzsches Geburt der Tragödie; seinen Reflexionen des abgründigen „Dionysischen“ ist es geschuldet, wenn Elektra am Schluss des Stücks im Augenblick des höchsten Triumphs tanzt („Wer glücklich ist wie wir, dem ziemt nur eins: | schweigen und tanzen!“) und dann tot zusammenbricht. Richard Strauss (1864–1949) besuchte die Uraufführung des Dramas und sah in Hofmannsthal Text sogleich das Potential für eine Oper.76 Das 1909 uraufgeführte Werk drückt Hofmannsthals düstere, von gewaltigen Emotionen getriebene Dramatik musikalisch perfekt aus; Elektras Isolation wird im Kontrast zu dem spätromantisch riesigen Orchesterklang besonders gut spürbar. Insbesondere gelingt es Strauss, die dämonische Präsenz des toten Agamemnon in seiner Musik spürbar zu machen; das „Agamemnon-Motiv“ taucht immer wieder auf:
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In seiner rhythmischen Struktur passt es sich dem natürlichen Sprachduktus des griechischen Namens an; sein klagendes b-Moll repräsentiert Elektras unablässige Trauer um den getöteten Vater.77 Am Schluss der Oper steht dieses Motiv fortissimo in c-Moll dem pianissimo in es-Moll gegenüber, das die Bestürzung und Trauer über Elektras Tod ausdrückt. Wenn die Figur Elektra noch heute auf den Bühnen der Welt zu Hause ist, dann dürften Hofmannsthals Text und Strauss’ Vertonung daran einen besonders großen Anteil haben. Auch in Robinson Jeffers’ (1887–1962) Tower Beyond Tragedy (1925) sehen wir den Einfluss der Freudschen Theorien über unterdrückte sexuelle Triebe (um Orestes davon zurückzuhalten, sie zu verlassen, bietet sich Electra ihm zu inzestuöser Liebe an). Agamemnon mit seiner geradezu tierischen Virilität (seine zottelig behaarte Brust wird immer wieder erwähnt) verkörpert die Leidenschaft ebenso wie Ægisthus und Clytemnestra mit ihrem unbedingten 75 S. Esselborn [147] 16f. Einen Vorläufer hatte Hofmannsthal hierbei in der Aufführung der sophokleischen Elektra unter der Regie Adolf Wilbrandts (1837–1911) im Jahr 1882, die ebenfalls auf alle antikisierenden Elemente verzichtete; vgl. Flashar [157] 98f. 76 Zu Strauss’ Oper vgl. aus der großen Menge an Literatur etwa den einführenden Sammelband [319]; Goldhill [173] 108–77. 77 Vgl. Abbate [41] 110–12.
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Elektra in der modernen Rezeption
Willen zur Macht und Electra mit ihrem Rachedurst. Jeffers’ Philosophie des „inhumanism“ entsprechend besteht für Orestes die Erlösung nach dem (in aller Brutalität geschilderten) Muttermord darin, sich von allen menschlichen Regungen zu befreien: “Orestes walked in the clear dawn; men say that a serpent | Killed him in high Arcadia. But young or old, few years or many, signified less than nothing | To him who had climbed the tower beyond time, consciously, and cast humanity, entered the earlier fountain.” Bei Jeffers steht im Vordergrund der Rezeption die aischyleische Orestie. Dies gilt auch für zwei weitere Versionen, die etwa gleichzeitig im englischsprachigen Raum entstanden und den Mythos jeweils in die moderne Welt versetzen: Eugene O’Neills (1888–1953) Trilogie Mourning Becomes Electra (1931) verfolgt über zwei Generationen die Konflikte im Innern der mächtigen und reichen Familie Mannon; genau werden die Verhältnisse aus dem Atridenmythos hier gespiegelt:
David Mannon Adam Brant
Abe Mannon Christine ⚭ Ezra
Vinnie
Orin
Ezra Mannon kehrt als General der Nordstaaten siegreich aus dem amerikanischen Bürgerkrieg nach Hause. Während seiner Abwesenheit hat seine Frau Christine ein Verhältnis mit Adam Brant angefangen, dem Sohn von David Mannon. David und Ezras Vater Abe Mannon waren verfeindet, David wegen einer unstandesgemäßen Verbindung aus der Familie verstoßen und um sein Erbe gebracht worden. Christine vergiftet ihren Mann nach dessen Heimkehr; ihre Tochter Vinnie findet das Verbrechen heraus und stachelt ihren Bruder Orin an, Rache zu nehmen. Orin tötet Adam; seine Mutter bringt sich um; doch auch Orin selbst kann mit dieser Verantwortung nicht leben und begeht Selbstmord. Bei O’Neill spielt wiederum das sexuelle Element der Familienbeziehungen eine entscheidende Rolle (Vinnies Liebe zu ihrem Vater ist pathologisch; ihre Mutter hasst sie nicht nur wegen des Mords an ihrem Mann, sondern auch aus Eifersucht, weil sie selbst Adam begehrt), verbunden mit der puritanischen Moral in den USA der 1860er Jahre. Wie O’Neill, so versetzt auch Thomas S. Eliot (1888–1965) in The Family Reunion (1939) den Atridenmythos in die Moderne, hier in eine Familie des englischen Landadels. Es handelt sich allerdings weniger um eine konsistente Adaptation als um ein Spiel mit einzelnen Motiven; so wird etwa aus Orests
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Einführung
Tod beim Pythischen Wagenrennen ein leichter Autounfall, der John Monchensey daran hindert, zum Abendessen auf dem Landsitz einzutreffen; als der jüngste Sohn nach einem Streit das Haus verlässt, stirbt seine Mutter. Kern des Dramas ist die niemals wirklich beantwortete Frage, ob Harry Monchensey wirklich, wie er sich selbst immer wieder vorwirft, für den Tod seiner jungen Frau verantwortlich war und ob es sich bei den „Eumenides“, die er mehrmals zu sehen meint, um mehr handelt als um Produkte seines eigenen schlechten Gewissens. Etwa zur selben Zeit entsteht auch in Frankreich eine Reihe neuer Elektra-Dramen, bei denen allerdings ein direkter Bezug auf Sophokles eher die Ausnahme darstellt; die Konzeption des Euripides ist in den meisten Fassungen deutlich prominenter. Jean Giraudoux (1882–1944) griff für sein Theater oft auf antike Stoffe zurück. Charakteristisch für ihn ist ein Stil, der auf sämtliche Register der französischen Sprache zurückgreift, und eine bewusste Mischung von tragischen und komischen, erhabenen und alltäglichen Elementen. Seine Électre (1937) nimmt die dramatische Grundsituation aus Euripides: Die Titelheldin soll mit einem Gärtner verheiratet werden, damit auf diese Weise von ihr keine Gefahr mehr für die Herrschaft Égisthes ausgeht. Giraudoux verändert in wichtigen Punkten die antiken Gegebenheiten: Égisthe ist bei ihm kein Tyrann, sondern ein erfolgreicher Herrscher; Électre ahnt zu Beginn des Stücks nicht, dass ihre Mutter und er ein Verhältnis haben und Agamemnons Mörder sind. Sie ist eine fanatische Wahrheitssucherin, eine „femme à histoires“, und als sie dies alles herausfindet, will sie um jeden Preis Rache: Obwohl Argos von Feinden umzingelt ist, obwohl Égisthe bereit ist abzudanken und sie um nur einen Tag Aufschub bittet, um den Kampf anzuführen, treibt sie Oreste dazu, ihn sofort zu töten, und bewirkt damit die Eroberung der Stadt. Am Ende des Stücks ist Argos zerstört, aber die dumpfe Atmosphäre von Lügen und Geheimnissen wie durch ein Gewitter gereinigt; die Schlussworte eines geheimnisvollen Bettlers (der der Gott Jupiter in menschlicher Gestalt sein könnte – oder auch nicht) fassen das zusammen: « Cela s’appelle l’aurore. » Giraudouxs Stück wurde zu einer Zeit aufgeführt, als in Frankreich auch aufgrund der wachsenden Besorgnis über den Nachbarn Deutschland Fragen nach Kompromissen und Intransigenz, Selbsterhaltung und Standhaftigkeit heftig diskutiert wurden; obwohl der Autor selbst als Politiker im Außenministerium tätig war, versucht es nicht, klare Antworten zu geben, sondern stellt dramatische Konflikte auf die Bühne. Giraudouxs „Pièce en deux actes“ reichert das Geschehen durch zahlreiche Nebenhandlungen und -figuren an und war zu seiner Zeit ein großer Erfolg. Unter der deutschen Besatzung schrieb und inszenierte Jean-Paul Sartre (1905–1980) in Paris sein Drama Les Mouches (1943). Er geht mit dem antiken Stoff noch freier um als Giraudoux: Argos lebt unter der Diktatur Égisthes, der das ganze Volk in Ritualen der Reue und Zerknirschung gefangen hält und so seine eigene Verantwortung für den begangenen Mord diffundieren lässt. In diesem falschen, unaufrichtigen Leben haben sich alle eingerichtet,
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mit Ausnahme Électres: Sie weigert sich, an diesen unauthentischen Reuebekundungen teilzunehmen. Ihren Bruder Oreste treibt sie zur Rache, doch als nach dieser befreienden Tat deutlich wird, dass die Geschwister völlig isoliert sind, nimmt Électre das Angebot Jupiters an, ein Leben in Buße zu führen, um der Einsamkeit des wirklich freien Menschen zu entgehen. Oreste hingegen übernimmt die Verantwortung für seine eigene Tat, selbst gegen Jupiters Anweisung, der ihm zu zeigen versucht, wie sinnlos die Auflehnung eines einzelnen Menschen in der kosmischen Ordnung ist: « J’ai fait mon acte, Électre, et cet acte était bon. […] Et plus il sera lourd à porter, plus je me réjouirai, car ma liberté, c’est lui. » Sartre verwendet Elemente besonders aus Aischylos und aus Sophokles (etwa die Rolle des Pédagogue), aber insgesamt ist seine Adaptation ganz frei und dient vor allem der Illustration seiner existentialistischen Philosophie. Obwohl erst 1954 veröffentlicht, entstand Marguerite Yourcenars (1903– 1987) Drama Électre ou la chute des masques ebenfalls während des Kriegs. Während die Ehe Électres mit dem bitterarmen Bauern Théodore auf Euripides als Vorbild verweist, übernimmt Yourcenar die Reihenfolge der Tötungen aus Sophokles: Oreste und Pylade bringen zuerst Clytemnestre um, erst dann Égisthe. Die Änderungen, die die Autorin an der mythischen Konstellation vornimmt, wirken auf den ersten Blick wie frivoles Spiel: Clytemnestres Tötung ist sinnlos, weil sie an einer unheilbaren Krankheit litt und ohnehin nur noch wenige Wochen zu leben hatte; Pylade hat als Doppelagent für Égisthe gearbeitet und Oreste verraten; Oreste ist in Wirklichkeit nicht Sohn Agamemnons, sondern Égisthes, mit dem seine Mutter bereits vor Agamemnons Abfahrt nach Troia ein Verhältnis hatte. Doch wie sie in einem ausführlichen „Avantpropos“ darlegt, wollte Yourcenar damit zeigen, dass die tragische Situation von solchen äußeren Umständen im Grunde unberührt bleibt: « […] il importe peu que la haine d’Électre soit ou non de l’amour retourné, comme il importe peu que le vengeur soit fils d’Agamemnon ou fils d’Égisthe. » Doch das Stück endet nicht in einer nihilistischen Orgie der Zerstörung. Während Oreste vom sterbenden Égisthe selbst freies Geleit erhält, wird Électres Ehemann Théodore bei seiner Heimkehr für eine Tat festgenommen, mit der er nichts zu tun hatte und von der er nichts ahnte; indem er sie auf sich nimmt, gibt er dem Geschehen einen Sinn: « Les victimes ont tué le tyran… Les anges ont rempli leur fonction de bouchers… » Etwa zur selben Zeit arbeitet in Deutschland Gerhart Hauptmann (1862– 1946) an seiner letzten vollendeten dramatischen Dichtung, der Atriden-Tetralogie (entstanden 1940–1944). Hauptmanns weit ausgreifendes Werk besteht aus Iphigenie in Aulis, Agamemnons Tod, Elektra und Iphigenie in Delphi; für die ersten drei Dramen verwendet er sehr frei Motive aus Euripides, Aischylos und Sophokles. Hofmannsthals Hinwendung zu einer düster-archaischen Antike folgt auch Hauptmann; bei ihm kommt noch ein Zielen auf naturalistische Darstellung hinzu; so spielt etwa der zweite Akt der Iphigenie in Aulis in einem Gasthaus am Kithairon, von Hauptmann in einer Regieanweisung
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als „düsterer und primitiver Bretterbau“ charakterisiert. Diesen Naturalismus verbindet er mit einer übersinnliche Komponente, etwa einem unheimlichen Totenschiff, das bei Aulis vor Anker liegt und aus dem immer wieder geheimnisvolle Stimmen ertönen. Elektra ist bei Hauptmann eine dämonische Gestalt, die in völliger Einsamkeit in dem Demetertempel lebt, in dem Agamemnons einst getötet wurde; wie eine „blutdürstige Wölfin“ treibt sie ihren Bruder zur Rache. Pylades bringt Aigisthos um; der zögernde Orest tötet seine Mutter, als sie selbst ihn mit den Worten „Die Welt soll endlich sterben: sie wie wir.“ angreift. Deutlich wird in der stark hervorgehobenen Brutalität der Handlung und dem Verweis auf ein übermächtiges Schicksal der Bezug zum Weltkrieg, in dem Hauptmann diese den antiken Mythos neu interpretierenden Dramen schuf. Auch Jean Anouilh (1910–1987), der zu Beginn seiner Karriere Mitarbeiter von Giraudoux war, hat eine ganze Reihe von Stücken über antike Stoffe auf die Bühne gebracht. Sein Drama Tu étais si gentil quand tu étais petit (1969) arbeitet mit Elementen des Metatheaters: Während auf der Bühne die Tragödie um Électre und Oreste aufgeführt wird (wobei Passagen insbesondere aus Aischylos integriert werden), unterhalten sich im Orchestergraben die Musiker, die die Aufführung begleiten. Anouilh lässt antiken Mythos und moderne Welt ineinander übergehen; der Gegensatz zwischen dem klassischen Text und der modernen Banalität ist ein wichtiges Element seines Dramas, etwa wenn Électre ihren Bruder zum Mord aufruft: « Tu vas lui crever son ventre – son ventre de putain où tous ses hommes ont besogné […]. Ils sont toujours à bouffer des loukoums et des chocolats sur leur lit, tous les deux… » Zwischen Oreste und Égisthe steht nicht nur der Mord an Orestes Vater, sondern auch ein Generationenkonflikt zwischen dem heißblütigen jungen Mann und dem müden Alten; wenn am Schluss des Stücks die Frauen im Orchestergraben sich gegen Oreste wenden, weil er seine eigene Mutter getötet hat, verarbeitet Anouilh in diesem Generationenkonflikt auch die Unruhen von 1968 und die Reaktionen des konservativen Bürgertums gegen die revoltierenden Studenten: « Voyou ! Petit salaud ! Ordure ! Pédéraste ! Une femme qui l’avait élevé et s’était sacrifiée pour lui ! Faites leur faire des études ! Sa propre mère, oui, Madame ! Une bonne paire de gifles, oui ! et droit en maison de correction ! » Am Ende jedoch beginnt das Theaterstück von Neuem; wieder wartet Électre auf die Rückkehr Orestes. Auch Jean-Jacques Varoujean (1927–2005) spielt in seinem Drama La Ville en haut de la colline (1969) mit Motiven des Metatheaters: Aus Argos ist das moderne „Planitza“ geworden, ein isoliertes Dorf, in dem alle Bewohner sich falsche Namen zulegen; ein junger Soldat, der aus dem Krieg heimkehrt, übernimmt die Rolle des „Oreste“ und sucht nach der Wahrheit über den Tod des Königs: « Si vous étiez, par exemple, Égisthe… vous savez, ce fameux personnage… disons de théâtre… ». Spielerisch eignet sich Jean-Pierre Giraudoux (1919–2000, Sohn von Jean Giraudoux) den Mythos an, wie schon
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deutlich wird, wenn er im „Avant-propos“ seiner Électre (1985) als Inspirationsquellen Euripides, Jean Giraudoux und Agatha Christie nennt: Aus dem Geschehen um den Mord an Agamemnon macht er einen Kriminalfall und lässt das Bühnengeschehen von einzelnen Stimmen eines Chors begleiten, die die Handlungen, Worte und Motive der Figuren jeweils kommentieren und bewerten; wie sein Vater, so mischt auch Jean-Pierre Giraudoux Elemente des antiken Mythos frei mit bewusst banalen Modernisierungen (bei ihm sind die Atriden eine moderne Patchworkfamilie, mehrfach geschieden und wiederverheiratet). Recht eng an Sophokles’ Text orientiert sich die Oper Elektra des griechischen Komponisten Mikis Theodorakis (entstanden 1992– 1993, Uraufführung 1995). Schließlich sei genannt Jonathan Littells Roman Les Bienveillantes (2006), ein Skandalerfolg, der in die Geschichte des deutschen Vernichtungsfeldzugs gegen die Sowjetunion und des Holocaust auch Elemente des Elektra-Mythos einflicht.78 Nur kurz sei schließlich verwiesen auf moderne Aufführungen der sophokleischen Elektra.79 Erst im 19. Jahrhundert wurde es üblich, antike Theaterstücke nicht als Bearbeitung, sondern als Übersetzung in ihrer originalen Form auf die Bühne zu bringen; als Initialzündung gilt eine Aufführung der sophokleischen Antigone in der Übersetzung von Johann Jakob Christian Donner, die Ludwig Tieck 1841 in Berlin auf die Bühne brachte; August Böckh hatte als fachlicher Berater mitgewirkt, Felix Mendelssohn-Bartholdy Musik zu den Chören beigesteuert.80 Die erste Aufführung der Elektra im deutschsprachigen Raum fand 1882 am Wiener Burgtheater unter der Regie Adolf Wilbrandts statt.81 Seit Anfang des 20. Jahrhunderts Hofmannsthal seine eigene Elektra schrieb und Strauss diesen Text mit seiner Musik zu einem beliebten Stück des Opernrepertoires gemacht hat, ist die sophokleische Elektra auf den Bühnen eher selten zu sehen (zu einer wichtigen Aufführung vgl. aber den Kommentar zu V. 1508–1510); seit Peter Steins (1980) und Ariane Mnouchkines (1990) wegweisenden Inszenierungen der aischyleischen Orestie und der damit einhergehenden Wiederentdeckung des Aischylos für das moderne Theater scheint das Stück des Sophokles außerdem etwas im Schatten der älteren Fassung zu stehen.82
78 Vgl. Grethlein [185]. 79 Eine Reihe neuer Untersuchungen hat diesen Aspekt ausführlicher behandelt; verwiesen sei für den deutschen Bereich auf Flashar [157], für Großbritannien auf Hall/Macintosh [197], für das moderne Griechenland auf Antoniou [49]; allgemeiner, aber besonders auf den König Ödipus konzentriert ist McDonald [276]. 80 Vgl. Flashar [157] 63–76; Krummacher [240]. 81 S. hierzu oben Anm. 75. 82 Vgl. Flashar [157] 335f.
Zur Überlieferung des Textes Sophokles war ein äußerst erfolgreicher und beliebter Tragiker; gemeinsam mit dem älteren Aischylos und dem Zeitgenossen Euripides wurde er bald nach seinem Tod als Vertreter der größten, eben „klassischen“ Periode der attischen Tragödie angesehen; ein sichtbares Symbol dieses Status war etwa die Aufstellung von Statuen eben dieser drei Autoren im Dionysostheater und die offizielle Aufbewahrung eines „Staatsexemplars“ ihrer Stücke durch den Politiker Lykurgos kurz nach der Mitte des 4. Jh. v. Chr.83 Schon vorher (386 v. Chr.) wurde in Athen zugelassen, dass bei den Dionysosfesten nicht nur neue Dramen aufgeführt, sondern auch Stücke der Klassiker wieder auf die Bühne gebracht werden durften. Von dieser Möglichkeit wurde offenbar reger Gebrauch gemacht; Demosthenes (or. 19, 246) berichtet etwa von prominenten Schauspielern, die „oftmals“ die Rolle der Antigone gespielt hätten. Seit dem Ende des 5. Jh. v. Chr. entwickelte sich in Athen auch eine Lesekultur, die die Tragödie nicht mehr ausschließlich in Aufführungen wahrnahm, sondern auch als Texte zur Lektüre. In seiner 405 aufgeführten Komödie Die Frösche präsentiert uns Aristophanes nicht nur den ersten Literaturleser des Abendlands (52–54: es ist der Theatergott Dionysos selbst, der ein Exemplar der wenige Jahre zuvor aufgeführten Andromeda des Euripides auf ein Schiff mitnimmt und dort liest), sondern spricht auch beiläufig von Menschen (151), die sich Passagen aus Tragödien abschreiben, wohl um sie später zu lesen.84 Wenn Aristoteles davon spricht, dass man das eigentlich Wichtige an der Tragödie „auch ohne Wettbewerb und Schauspieler“ wahrnehmen könne, dann scheint er die lesende Rezeption von Tragödien zu meinen.85 Wir dürfen also voraussetzen, dass von den Tragödien des Sophokles mehrere Exemplare existierten: Neben dem „offiziellen“, im Archiv Athens verwahrten Staatsexemplar auch private Abschriften (wahrscheinlich nicht immer vollständig, sondern nur besonders beeindruckende Passagen enthaltend) sowie Skripte für Wiederaufführungen. Im 3. Jh. v. Chr. gelangte das Staatsexemplar der Tragödien nach Alexandria: König Ptolemaios III. Euergetes hatte es gegen Zahlung einer hohen Kaution von den Athenern entliehen, um für seine große Bibliothek eine Abschrift anfertigen zu lassen, ließ dann jedoch die Kaution verfallen, behielt das Original und sandte den Athenern die Abschrift zurück.86 An der alexandrinischen Bibliothek beginnt eine Geschichte der kontinuierlichen Beschäftigung mit dem Text der Tragödien: Alexandrinische Philologen bearbeiteten den Text kritisch, schrieben Abhandlungen und Kommentare, erläuterten seltene Wörter 83 T 156 in [4]. 84 Vgl. dazu den Kommentar von Dover [128] mit weiteren Beispielen. 85 Poetik 6; 1450 b 19; in seiner Rhetorik, 3, 12; 1413 b 12f., könnte Aristoteles sogar auf die Existenz reiner „Lesedramen“ hinweisen, doch ist die Passage in ihrer knappen Ausdrucksweise nicht völlig klar; vgl. Pfeiffer [306] 48. 86 T 157 in [4]; Pfeiffer [306] 109f. warnt zu dieser Anekdote, man dürfe „ihren kritischen Wert nicht überschätzen“.
Zur Überlieferung des Textes
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und schwierige Passagen, analysierten die Metren der lyrischen Partien. Von dieser gelehrten Beschäftigung sind uns keine vollständigen Werke überliefert, doch haben sich in den Rand- und Interlinearnotizen der mittelalterlichen Handschriften, den sog. Scholien, in oftmals verkürzter und nicht immer ganz zuverlässiger Form viele Reste der alexandrinischen Tätigkeit erhalten.87 Seit der alexandrinischen Zeit wurde Sophokles wohl auch in den Schulen gelesen.88 Nicht zuletzt die Bedürfnisse der Schullektüre haben wohl dazu beigetragen, dass sich allmählich die Auswahl der Stücke verengte, die regelmäßig gelesen und daher immer wieder abgeschrieben wurden. Seit dem 2. Jh. n. Chr. können wir anhand der noch erhaltenen Papyrusfragmente sehen, dass eine Auswahl von sieben Dramen (die uns noch heute erhalten sind) wesentlich mehr Aufmerksamkeit erhielt als der Rest der dramatischen Produktion des Sophokles;89 da etwa in dieser Zeit auch der Wechsel von der Papyrusrolle zum Codex erfolgte, ist es eine plausible Vermutung, dass der Verlust der übrigen Stücke eng damit zusammenhing, dass nur die sieben ausgewählten Tragödien in die neue Buchform übertragen wurden. Während die westliche Hälfte des Römischen Reiches in der Zeit der Völkerwanderung einen tiefgreifenden kulturellen Wandel mitmachte, erhielt sich in der östlichen (byzantinischen) Hälfte das spätantike Bildungswesen. Zwar gab es auch hier Unterbrechungen (wie etwa die Zeit des Ikonoklasmus im 8. Jh. und besonders die Eroberung und Plünderung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer 1204), doch insgesamt wurden die sieben erhaltenen Tragödien weiter gelesen und von Philologen kommentiert. Die Auswahl von sieben Stücken wurde weiter verengt auf drei, die besonders häufig studiert und abgeschrieben wurden (Ai., OT und El.). Aus der byzantinischen Zeit stammen die Handschriften, die den Text bis in die Neuzeit überlieferten; besonders alt und wertvoll ist ein heute in Florenz befindliches Manuskript aus dem 10. Jh., der Laurentianus 32, 9.90 Von den Tragödien der „byzantinischen Trias“ haben sich insgesamt mehr als 200 Handschriften erhalten. Trotz intensiver Bemühungen von modernen Gelehrten91 haben sich diese Manuskripte nicht in einen Stammbaum (Stemma) einordnen lassen; die Überlieferung ist so offen, dass auch relativ späte Handschriften älteres Material enthalten können.92 Allerdings zeigen Stichproben, dass die Handschriften 87 Die Scholien zur Elektra sind zuletzt neu herausgegeben worden von Xenis [13]. Unsere Kenntnis davon, welche alexandrinischen Philologen sich mit dem Sophoklestext beschäftigt haben, ist sehr unvollständig, vgl. Finglass [155] 12f.; etwas optimistischer ist die Darstellung von Easterling [20] 241–3. 88 Vgl. Easterling [20] 244. 89 Vgl. Finglass [155] 13f. 90 In den Apparaten der wissenschaftlichen Editionen mit der Abkürzung „L“ bezeichnet; dieselbe Handschrift bietet auch die maßgebliche Überlieferung für die Tragödien des Aischylos, wird hier allerdings mit „M“ abgekürzt. 91 S. vor allem Turyn [388]. 92 Dies hat vor allem Dawe [118] gezeigt; knapp zusammengefasst in Dawe [19] 24–6.
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Einführung
sich in fünf Familien unterteilen lassen, die jeweils ähnliche Varianten überliefern. 1502 wurden die Tragödien in Venedig von Aldus Manutius zum ersten Mal gedruckt; wie häufig bei antiken Texten, so war auch hier Grundlage der Druckfassung ein dem Drucker zufällig verfügbares Manuskript ohne besonderen Wert.93 Dieser Text bildete für drei Jahrhunderte die Grundlage der Beschäftigung mit Sophokles; spätere Gelehrte trugen aus anderen Handschriften Korrekturen bei oder machten eigene Konjekturen, doch erst im 19. Jahrhundert erkannten Philologen die Wichtigkeit der Handschrift L und unternahmen Versuche, die überlieferten Textzeugen in einem Stemma zu ordnen.94
93 Zu den frühen Drucken vgl. Borza [76]. 94 Zur modernen Beschäftigung mit dem Text vgl. jetzt Finglass [155] 15–20.
Text, Übersetzung, Kommentar
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Prolog 1–2
Vor dem Palast Agamemnons in Mykene, in der Landschaft Argolis. Die Personen, in der Reihenfolge ihres Auftretens: Der Pädagoge, Orest, der Chor (bestehend aus jungen Frauen der Stadt), Elektra, Chrysothemis, Klytaimestra, Aigisthos. Orests Pädagoge Sohn Agamemnons, der einst vor Troia das Heer führte, jetzt endlich kannst du das Παιδαγωγός Ὦ τοῦ στρατηγήσαντος ἐν Τροίᾳ ποτὲ Ἀγαμέμνονος παῖ, νῦν ἐκεῖν’ ἔξεστί σοι
1 Haslam [201] und Finglass [8] zur Stelle verdächtigen diesen ersten Vers als unecht (aufgrund einer in den Scholien zu Euripides’ Phoinissen überlieferten Anekdote), doch reichen die Argumente zu einer Athetese nicht aus; vgl. van der Valk [389]; Lloyd-Jones/ Wilson [257] 42 und [258] 30.
Kommentar
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1–85 Prolog Elektra beginnt mit dem Auftritt von zwei Dramenfiguren. Sie kommen entlang eines der beiden seitlichen Zugänge (Parodoi), die in dieser Tragödie (wie in einer Reihe anderer attischer Dramen) eine klare symbolische Bedeutung haben (Taplin [379] 450f.): eine Seite repräsentiert das „Außen“, die Fremde, aus der Orest nach Jahren des Exils zurückkehrt und woher er später die falsche Nachricht seines eigenen Todes mit der angeblichen Urne bringen wird; die andere repräsentiert das Gebiet von Mykene; von hier wird später Aigisthos kommen (s. unten zu V. 55). Somit werden für die Zuschauer dramatische Funktion und Zugehörigkeit der Figuren bereits durch den Ort ihres Auftritts (und Abgangs) vorbereitet. Weil Orest, Pylades und der Diener auf ihrem Weg zur Spielfläche bereits längere Zeit sichtbar waren, bevor sie ihre ersten Verse rezitierten, konnte das Publikum sie in Ruhe betrachten und Mutmaßungen über ihre Identität anstellen. Durch Maske und Kostüm waren die drei Gestalten wohl recht eindeutig zu erkennen: Orest und Pylades als vornehme junge Männer, der Diener als deutlich älter und von niedrigerem Status. Durch entsprechende Kleidungsstücke (Mantel, Hut) war deutlich, dass die drei eine längere Reise hinter sich hatten. Wie die meisten hochgestellten Personen auf der tragischen Bühne werden auch Orest und Pylades außer von ihrem alten Diener von einer kleinen Entourage aus weiteren Dienern und Soldaten begleitet (vgl. dazu Taplin [379] 79–80; die Anwesenheit weiterer Diener ergibt sich aus V. 1123). Der alte Diener wird in der Tradition gewöhnlich als „Pädagoge“ bezeichnet, doch findet sich dieses Wort in der Elektra nicht (vgl. Kaibel [9] 1); in diesem Kommentar wird die Bezeichnung als bequeme, wenn auch nicht ganz präzise Kurzform verwendet. Daraus, dass Pylades im Prolog stumm bleibt, konnte das Publikum den Schluss ziehen, dass es sich bei ihm um eine typische „stumme Figur“ (kōphon prosōpon) handelte, den unbedeutenderen Teil eines Schauspielerpaars, der selbst nicht spricht (Taplin [379] 334). Allerdings hatte Pylades in Aischylos’ Weihgussträgerinnen an entscheidender Stelle doch einige Verse gesprochen (Taplin [379] 353f.). Wenn sich Sophokles’ Publikum daran erinnerte, so blickte es mit einiger Spannung auf Pylades; sicher zu Unrecht hält Kamerbeek [6] zu V. 15 diese Figur für „dramatisch ungeschickt“. 1–3 Die ersten Verse erlauben dem Publikum sogleich eine klare Identifizierung der Figuren und eine präzise Einordnung der dramatischen Handlung in den Zusammenhang des bekannten Mythos: Die Anrede „Sohn Agamemnons“ lässt die Zuschauer in dem angesprochenen jungen Mann Orest erkennen, in seinem Begleiter den engen Freund Pylades; wie zur Bestätigung dieser Identifikation werden die Namen in den folgenden Versen mehrfach genannt (6. 15. 16). Der Sprecher selbst wird erst in Orests Antwort 23–24 als sein Diener identifiziert, doch lässt sich aus der respektvollen Art der Anrede sowie seiner genauen Ortskenntnis erschließen, dass es sich um jemanden handeln muss, der bereits in Mykene im Dienst der Familie stand (zur Funktion von Sklaven und Dienern in der attischen Tragödie vgl. Hall [196] 110–118).
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Prolog 3–4
mit eigenen Augen sehen, was du immer ersehnt hast! Denn dies hier ist das alte Land Argos, das du vermisst hast, παρόντι λεύσσειν ὧν πρόθυμος ἦσθ’ ἀεί. τὸ γὰρ παλαιὸν Ἄργος οὑπόθεις τόδε,
Kommentar
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Die Aufzählung der prominenten Merkmale Mykenes, die Orest jetzt endlich selbst sehen kann und nach deren Anblick er sich immer gesehnt hat, macht deutlich, dass Orest sich hier auf der Rückkehr aus dem Exil befindet. Damit ist zum einen klar, dass seine entscheidenden Taten unmittelbar bevorstehen: als junger Erwachsener kehrt er zurück, um den Mord an seinem Vater zu rächen. Zum anderen werden die Zuschauer in die Atmosphäre der Bühnensituation eingeführt: Orest kommt, unerkannt und heimlich, in eine Stadt, die er bewusst noch nicht kennengelernt hat – und doch handelt es sich um seine Heimat, in der er als kleines Kind bereits gelebt und mit der er auf vielfache Weise verbunden ist. In seiner Poetik hat Aristoteles dem „Wiedererkennen“ (anagnōrisis) eine große Wichtigkeit für die Tragödie zuerkannt. Die Ausgangssituation der Elektra bietet dafür eine treffende Illustration: Die beiderseitige Unkenntnis, in der sich Orest und seine Familie in Mykene befinden, wird im Verlauf des Stückes gegenseitiger Erkenntnis weichen, und diese Erkenntnis wird mit dem „Umschlag der Handlung“ (peripeteia) zusammenfallen, was Aristoteles als „schönste Form der Wiedererkennung“ bezeichnet (Poetik 11; 1452 a 32–33). Ein wichtiger Teil der Zuschauererfahrung bestand in diesem Zusammenhang darin, dass das Publikum gegenüber den handelnden Figuren einen Wissensvorsprung besaß: es kannte zumindest die großen Züge der bevorstehenden Handlung, und ihm waren die Identitäten der beteiligten Figuren bekannt; die anfängliche Unkenntnis der Figuren beobachtet es also aus der Perspektive des Wissenden und reagiert emotional und intellektuell auf die Verkennung der Bühnenrealität. Dies ist eine der vielen Erscheinungsformen der „dramatischen Ironie“, die Sophokles in seinen Tragödien besonders häufig schafft und zum Bestandteil der Rezeptionserfahrung macht (auf diese Ironie hat 1833 als Erster, nach Anregungen aus der deutschen Frühromantik, Thirlwall [382] hingewiesen; zur Diskussion um das Konzept vgl. Lloyd [251], Goldhill [172] 252–6, Behler [62]; zu den verschiedenen Bezeichnungen wie „tragische“ oder „dramatische“ oder „sophokleische“ Ironie vgl. Lowe [262] 522). Pointiert wird Orest als „Sohn Agamemnons, der einst das Heer in Troia führte“ angesprochen: Der Tod des Vaters ist der Grund, warum Orest sein bisheriges Leben außerhalb seiner Heimat verbracht hat; er kehrt zurück, um diesen Tod zu rächen und die ihm zukommende soziale Stellung einzunehmen. Im Stück wird Orest zuerst durch diese genealogischen Umschreibungen, erst später (V. 6) durch seinen Namen bezeichnet: Seine eigene Identität ist definiert durch seine komplexe, von zahlreichen Verbrechen und ihrer Vergeltung geprägte Familiengeschichte. 4 Der Name „Argos“ wird sowohl für die Stadt Argos als auch für die sie umgebende Landschaft verwendet (die Einwände von Dunn [135] 188f. sind nicht stichhaltig). Während die alte Stadt Mykene (erwähnt V. 9), in prähistorischer Zeit eine der mächtigsten Griechenlands, bedeutungslos geworden und in der ersten Hälfte des 5. Jhdts. v. Chr. von ihrem Nachbarn Argos erobert und zerstört worden war, bestand die Stadt Argos weiter fort und war (als traditioneller Rivale Spartas) für die Athener Außenpolitik zur Zeit der Aufführung
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Prolog 5–9
der Bezirk der Tochter des Inachos, die von der Kuhbremse gestochen wurde. Dies hier, Orest, ist des wolfstötenden Gottes lykeischer Marktplatz. Zur Linken hier liegt Heras berühmter Tempel. Wo wir angekommen sind, darin, so kannst du sagen, erkennst du Mykene, reich an Gold, τῆς οἰστροπλῆγος ἄλσος Ἰνάχου κόρης· αὕτη δ’, Ὀρέστα, τοῦ λυκοκτόνου θεοῦ ἀγορὰ Λύκειος· οὑξ ἀριστερᾶς δ’ ὅδε Ἥρας ὁ κλεινὸς ναός· οἷ δ’ ἱκάνομεν, φάσκειν Μυκήνας τὰς πολυχρύσους ὁρᾶν,
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eine wichtige Größe. Bereits vor der Tragödie waren in der mythischen Tradition beide Orte als Königssitz Agamemnons genannt worden. Die Sprache der attischen Tragiker verwendet „Argos“ und „Mykene“ weitgehend als Synonyme zur willkommenen Variation. (Zur imaginären Geographie von Argos auf der Bühne der attischen Tragödie vgl. Saïd [326].) 5 Die Angaben der nächsten Verse verankern den Schauplatz der Handlung nicht nur in einer urbanen Geographie, sondern auch in einer mythischen Tradition (vgl. Dunn [135]). Die hinweisenden (deiktischen) Elemente in der Rede des Dieners, sicherlich verbunden mit entsprechenden Gesten des Schauspielers, lassen in der Vorstellung der Zuschauer die Landschaft Argos lebendig werden; Ringer [320] 133 spricht anschaulich von „Bühnenmalerei in Worten“ („verbal skenographia“). Kaum wahrscheinlich ist, dass elaborierte Bühnenbilder den Schauplatz der Handlung vor Augen führten; die Vergegenwärtigung blieb wohl weithin der Phantasie der Zuschauer überlassen (zur Frage der Bühnenmalerei bei Sophokles vgl. Blume [69] 60–65; Marshall [268] 197–9). Zunächst erwähnt der Pädagoge Io, die Tochter des ersten mythischen Königs von Argos, Inachos. Im Mythos wurde sie von Zeus in eine Kuh verwandelt (um sie vor der Entdeckung durch die eifersüchtige Hera zu schützen), von Hera durch eine Kuhbremse (oistros) in den Wahnsinn getrieben. alsos bezeichnet im Griechischen jeden einem Gott oder Heros geweihten Bezirk. Das Wort steht in Apposition zu Argos; hier ist also nicht an eine bestimmte Stelle in Argos gedacht, sondern die ganze Landschaft Argolis wird als „Bezirk der Io“ bezeichnet. 6 Die Etymologie des Beiwortes Lykeios ist unklar (vgl. Segal [344] 477 mit Anm. 11, Manuwald [27] zu OT 203). Die Dichter des 5. Jhdts. v. Chr. verbinden es mit lykos „Wolf“, allerdings in verschiedener Weise: Sophokles nennt Apollon hier „Wolfstöter“; Aischylos (Sept. 145–7) fordert ihn auf, selbst zum Wolf zu werden. Diese Diskrepanz scheint darauf hinzudeuten, dass es keinen allgemein bekannten Mythos gab, der die Verbindung Apollons zu Wölfen herstellte. Da zeitgenössische Münzen aus Argos einen Wolf zeigen, könnte die Herleitung Lykeios von lykos auch dort verbreitet gewesen sein. Am zentralen Markt- und Versammlungsplatz von Argos befand sich ein Tempel des Apollon Lykeios, der eines der bedeutendsten Bauwerke der Stadt war (Pausanias 2, 19, 3). Sophokles evoziert hier also Merkmale, die sein Publikum zumindest dem Namen nach kannte und mit Argos verbinden konnte. 7 Das Heraion befindet sich zwischen Mykene und Argos; es war tatsächlich einer der berühmtesten Tempel des antiken Griechenlands (Pfaff [305]). Die Tatsache, dass der alte Tempel 423, kurz vor der wahrscheinlichen Aufführungszeit der Elektra, niederbrannte, mag dem Bauwerk im Bewusstsein der Zuschauer zusätzliche Prominenz gegeben haben (vgl. Dunn [135] 193f.). Hera war die Hauptgottheit von Argos. Der Tempel liegt einige Kilometer von den beiden Städten entfernt und ist aus ihnen nicht sichtbar. Sophokles geht
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Prolog 10–22
und hier das Haus der Pelopiden, reich an Tod, woher ich dich einst aus dem Mord an deinem Vater von deiner blutsverwandten Schwester erhielt, fortschaffte, rettete und heranzog bis zu deinem jetzigen Alter, dem Vater ein Rächer des Mords. Jetzt aber, Orest und du, liebster aller Gastfreunde, Pylades, müssen wir rasch beraten, was zu tun ist, denn schon lockt der Sohne heller Glanz uns die klaren Morgengesänge der Vögel herbei, und die schwarze Sternennacht ist vorüber. Bevor also ein Mann aus dem Haus herauskommt, beratet ihr beiden euch: denn wir stehen hier, wo nicht mehr der Augenblick zu zögern ist, sondern Taten an der Zeit sind.
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πολύφθορόν τε δῶμα Πελοπιδῶν τόδε, ὅθεν σε πατρὸς ἐκ φόνων ἐγώ ποτε πρὸς σῆς ὁμαίμου καὶ κασιγνήτης λαβὼν ἤνεγκα κἀξέσωσα κἀξεθρεψάμην τοσόνδ’ ἐς ἥβης, πατρὶ τιμωρὸν φόνου. νῦν οὖν, Ὀρέστα καὶ σύ, φίλτατε ξένων Πυλάδη, τί χρὴ δρᾶν ἐν τάχει βουλευτέον, ὡς ἧμιν ἤδη λαμπρὸν ἡλίου σέλας ἑῷα κινεῖ φθέγματ’ ὀρνίθων σαφῆ, μέλαινά τ’ ἄστρων ἐκλέλοιπεν εὐφρόνη. πρὶν οὖν τιν’ ἀνδρῶν ἐξοδοιπορεῖν στέγης, ξυνάπτετον λόγοισιν· ὡς ἐνταῦθ’ †ἐμέν† ἵν’ οὐκέτ’ ὀκνεῖν καιρός, ἀλλ’ ἔργων ἀκμή.
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11 Dindorfs Interpretation der Überlieferung als φονῶν, von Finglass [8] zur Stelle befürwortet, ist nicht notwendig: wie Kaibel [9] zu Recht einwendet, kommt das seltene φονή sicher nachweisbar nur im Dat. pl. vor, vgl. auch V. 1133 sowie Lloyd-Jones/Wilson [258] 30. 21 Der Sinn des Verses ist völlig verständlich, doch für das letzte Wort lässt sich aus der Überlieferung keine wirklich überzeugende Form herstellen: ἐσμέν ist metrisch unmöglich; ἐμέν ist keine attische Form und wäre von Sophokles nicht in einer Dialogpartie gebraucht worden; Dawe [2] setzt die Konjektur ἴμεν seines Fast-Namensvetters Richard Dawes (1708–1766) in den Text, aber eine Futurform scheint hier nicht am Platz.
Kommentar
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es hier nicht darum, seinen Zuschauern eine präzise geographische Lokalisierung zu ermöglichen. Die genaue Stelle, an der sich Orest und seine Begleiter befinden, bleibt vage; entscheidend ist die im Bewusstsein der Zuschauer fest verankerte Vorstellung, dass er nun in seiner ursprünglichen Heimat angekommen ist, dass er Kontakt zu ihren mythischen Traditionen und damit auch zur blutigen Geschichte seiner eigenen Familie gewonnen hat. 10 Durch die Erwähnung des Pelops verknüpft der Diener die Geschichte Mykenes wieder mit der Familiengeschichte Orests (durch die Assonanz der beiden Adjektive poluchrusos „reich an Gold“ und poluphthoron „reich an Mord“ wird diese Verbindung betont). Pelops begründete die Dynastie der Atriden in Mykene. Er war ein Sohn des Frevlers Tantalos, und die meisten Versionen seines Mythos erzählen, dass er die Ehe mit Hippodameia durch unsaubere Methoden errang und den Tod seines Schwiergervaters verursachte; darauf wird am Ende des 1. Stasimons (V. 504–15) knapp, aber unmissverständlich verwiesen. Jedes neue Detail erinnert das Publikum an die große Last der Vergangenheit und die lange Reihe von Gräueltaten, an deren Ende eben Orests Tötung der eigenen Mutter stehen wird. 11 Unsere Fassungen des Mythos machen unterschiedliche Angaben darüber, wann und von wem Orest außer Landes geschickt wurde: bei Aischylos scheint es Klytaimestra selbst zu sein, die ihn noch vor dem Mord an Agamemnon fortbringt (Ag. 877–886); bei Pindar rettet ihn der alte Pädagoge (tropheus) Agamemnons, als er von Aigisthos getötet werden soll (Pyth. 11, 17f.). Das Motiv, dass Elektra für die Rettung Orests sorgte, scheint von Sophokles neu in die Erzählung eingefügt (vgl. Finglass [8]); dadurch gewinnt sie gleich zu Beginn eine wichtige Funktion in Orests Leben. In ihrer bewegenden Ansprache an die Urne, die sie für Orests Grabgefäß hält, wird Elektra diese Rettung noch einmal erwähnen (1127–1135). 14 Die Struktur dieser langen Periode bereitet das Publikum weiter auf die Tat Orests vor: zum einen werden die Worte „aus dem Mord deines Vaters“ (V. 11) pointiert in V. 14 „dem Vater ein Rächer des Mords“ wiederaufgenommen und verweisen darauf, dass sich hier ein Kreis schließt und das alte Gesetz der Vergeltung weiterwirkt. Zum anderen stehen die Worte „dem Vater ein Rächer des Mords“ in Apposition zum „dich“ in V. 11: Die Rache für den Mord an Agamemnon ist das Ziel, auf das Orests gesamtes bisheriges Leben hinführt, in dem seine Person ganz aufgeht. 17 Das Dionysostheater hatte nicht die Möglichkeiten einer modernen Bühne, durch künstliche Beleuchtung etwa die Atmosphäre eines frühen Morgens oder eines Sonnuntergangs optisch zu illustrieren; die Schilderung des Dieners ist für die Zuschauer also der einzige Hinweis darauf, dass die Szene am frühen Morgen, bei Sonnenaufgang, spielen soll. Der Morgen ist ein einleuchtender Ausgangspunkt für ein Drama, daher beginnt eine Reihe antiker Komödien und Tragödien früh am Tag (etwa Soph.,
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Prolog 22–39
Liebster all meiner Diener, was für genaue Zeichen du mir gibst, dass du vortrefflich zu uns bist! Denn wie ein edles Pferd, auch wenn es alt ist, in Gefahr seinen Mut nicht verliert, sondern das Ohr aufstellt, so treibst auch du uns an und bist selbst unter den Führenden. So werde ich denn meine Beschlüsse verkünden, du aber leihe meinen Worten genaues Gehör, und, sollte ich irgendwo das Rechte verfehlen, korrigiere mich! Als ich zum pythischen Orakel kam, um zu erfahren, auf welche Weise ich meinem Vater Recht von seinen Mördern könne zuteil werden lassen, da verkündet mir Phoibos solches, was du jetzt hören wirst: allein ohne Rüstung, Schild und Heer solle ich mit List und Täuschung Mord von gerechter Hand durchführen. Da ich ein solches Orakel gehört habe, geh du, sobald die Gunst der Stunde dich hineinführt
Ὀρέστης ὦ φίλτατ’ ἀνδρῶν προσπόλων, ὥς μοι σαφῆ σημεῖα φαίνεις ἐσθλὸς εἰς ἡμᾶς γεγώς· ὥσπερ γὰρ ἵππος εὐγενής, κἂν ᾖ γέρων, ἐν τοῖσι δεινοῖς θυμὸν οὐκ ἀπώλεσεν, ἀλλ’ ὀρθὸν οὖς ἵστησιν, ὡσαύτως δὲ σὺ ἡμᾶς τ’ ὀτρύνεις καὐτὸς ἐν πρώτοις ἕπῃ. τοιγὰρ τὰ μὲν δόξαντα δηλώσω, σὺ δέ, ὀξεῖαν ἀκοὴν τοῖς ἐμοῖς λόγοις διδούς, εἰ μή τι καιροῦ τυγχάνω, μεθάρμοσον. ἐγὼ γὰρ ἡνίχ’ ἱκόμην τὸ Πυθικὸν μαντεῖον, ὡς μάθοιμ’ ὅτῳ τρόπῳ πατρὸς δίκας ἀροίμην τῶν φονευσάντων πάρα, χρῇ μοι τοιαῦθ’ ὁ Φοῖβος ὧν πεύσῃ τάχα· ἄσκευον αὐτὸν ἀσπίδων τε καὶ στρατοῦ δόλοισι κλέψαι χειρὸς ἐνδίκου σφαγάς. ὅτ’ οὖν τοιόνδε χρησμὸν εἰσηκούσαμεν, σὺ μὲν μολών, ὅταν σε καιρὸς εἰσάγῃ
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26 ἀπώλεσεν ist ein sog. gnomischer Aorist, der eine zeitlose Wahrheit ausdrückt (eine anschauliche Erklärung dazu bei Cauer [99] 101–3), daher steht er mit dem Präsens ἵστησιν im nächsten Vers auf einer Stufe.
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Ai., Ant.; Eur., Ion; IA; Aristophanes, Wes., Wol.). In der dramatischen Gestaltung des Atridenmythos bekommt dieser Zeitpunkt eine besondere Signifikanz: Es ist der Morgen nach einem ominösen Traum Klytaimestras, der darauf hinweist, dass jetzt ein besonderer Tag beginnt. Orest und Pylades sind im Schutz der Nacht heimlich nach Argos gelangt, was ihre Ankunft noch geheimnisvoller und bedrohlicher macht. Alle attischen Dramen, die diesen Teil des Atridenmythos gestalten, beginnen explizit am frühen Morgen (Aischylos lässt alle drei Dramen seiner Orestie an einem frühen Morgen beginnen); der Gegensatz von Tag und Nacht, Licht und Dunkelheit wird in der sophokleischen Elektra immer wieder hervorgehoben (vgl. etwa 86. 91– 93. 825. 1224. 1354. 1395–1397; Segal [344] 477f. 491–3 und March [11] zu 17–9; für die Annahme Seafords [338] 276f., dies evoziere die Sprache der eleusinischen Mysterien, gibt es keine hinreichenden Belege). Vor diesem Hintergrund ist es eine bewusste Variation, wenn Hofmannsthal seine Elektra in der Abenddämmerung beginnen und dann auf einer sich immer mehr verfinsternden Bühne spielen lässt – seine dramatische Handlung repräsentiert nicht Aufbruch in einen neuen Tag, sondern Abschluss und Tod (zur Rolle des Lichts in Hofmannsthal Interpretation des Elektrastoffs vgl. Nehring [288] 135f.). 33 „Auf welche Weise“: In der Interpretation des Stücks spielt das Orakel, das Orest von Apollon erhalten hat, eine entscheidende Rolle; hier wird es zum ersten Mal erwähnt. Manche Interpreten (als erster offenbar Sheppard [347]) haben bereits in diesem Vers einen Hinweis darauf gelesen, dass die Tötung Klytaimestras nicht im Auftrag des Orakels von Delphi geschieht: Orest, so argumentieren sie, hätte nicht nur nach dem „Wie“ des Muttermords fragen sollen, sondern zunächst einmal nach dem „Ob“. Seine Frage hätte also lauten müssen: „Soll ich für meinen Vater Rache an meiner Mutter nehmen?“ Indem er nach der besten Art der Rache fragt, so diese Interpreten, setze er das Einverständnis des Gottes bereits stillschweigend voraus; damit habe er sich selbst um die Möglichkeit gebracht, vom Orakel eine wirklich relevante Antwort zu erhalten. Als Parallele verweisen die Interpreten auf eine Passage aus Xenophons Anabasis (3, 1, 5–7): Als Xenophon das Angebot erhält, bei dem Zug gegen den Perserkönig Artaxerxes mitzuwirken, berät er sich mit Sokrates darüber; Sokrates schlägt ihm vor, sich an das Orakel in Delphi zu wenden. Xenophon stellt daraufhin dem Orakel die Frage, zu welchen Göttern er beten und opfern solle, damit seine Reise möglichst erfolgreich sei. Daraufhin wird er von Sokrates getadelt: Er hätte zunächst fragen sollen, ob es überhaupt besser sei zu reisen oder nicht; seine Art der Frage setzt den Entschluss zur Reise bereits voraus. Die Mehrheit der Interpreten steht dieser Deutung ablehnend gegenüber, mit guten Gründen (s. besonders Alexanderson [43] 81f., Hester [205], Stevens [368] 112–4). Das Motiv des zweideutigen Orakels, das Menschen scheinbar falsche Auskünfte erteilt und damit in das Verderben führt, ist in der griechischen Literatur mehrfach belegt. Doch gehört es zum festen Bestandteil
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Prolog 40–44
in dieses Haus, bring alles, was geschieht, in Erfahrung, damit du uns genaue Nachricht über dein Wissen geben kannst. Denn wegen deines Alters und der langen Zeit werden sie dich nicht wiedererkennen und keinen Verdacht schöpfen, da du so grau geworden bist. Benutze eine Geschichte dieser Art: Du seist ein Gastfreund
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δόμων ἔσω τῶνδ’, ἴσθι πᾶν τὸ δρώμενον, ὅπως ἂν εἰδὼς ἧμιν ἀγγείλῃς σαφῆ· οὐ γάρ σε μὴ γήρᾳ τε καὶ χρόνῳ μακρῷ γνῶσ’, οὐδ’ ὑποπτεύσουσιν ὧδ’ ἠνθισμένον· λόγῳ δὲ χρῶ τοιῷδ’, ὅτι ξένος μὲν εἶ
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43 ἠνθισμένον, Part. Perf. Med./Pass. von ἀνθίζω, eigtl. „färben“; Parallelen für den Gebrauch des Wortes zur Bezeichnung der Weißfärbung von Haaren gibt Finglass [8] zur Stelle. Die Scholien merken an, dass ein Ergrauen nicht ausreicht, um einen Menschen unkenntlich zu machen, und dies hat Bergk zu der Konjektur ᾐκισμένον „entstellt“ veranlasst, doch sollte man hier nicht den Maßstab rationalistischen Kalküls anlegen.
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solcher Erzählungen, dass der Gott (in der Regel Apollon) selbst korrekt weissagte und lediglich die Deutung seitens der Orakelempfänger fehlerhaft war und dass diese Fehldeutung schließlich auch aufgedeckt wird, sei es, dass der in die Irre Geführte selbst seinen Irrtum erkennt, sei es, dass eine andere Instanz auf ihn hinweist. Nachdrücklich hervorgehoben wird dies etwa in den Trachinierinnen des Sophokles, als Herakles erst im Augenblick seines unausweichlich bevorstehenden Todes die ihm vor langer Zeit gegebenen Orakel richtig versteht (1159–73, bes. 1172, vgl. Segal [342]). Eben diese Erkenntnis, das Orakel fehlgedeutet oder dem Sehergott die falsche Frage gestellt zu haben, fehlt in der Elektra jedoch völlig. Weniger stark scheint der Einwand zu sein, in dem 36f. zitierten Orakel bezeichne Apollon selbst die Strafe, die Orest vollziehen soll, als „gerecht“; damit legitimiere er explizit die Rache. Zu Recht weist Kells [10] zur Stelle darauf hin, dass unsere Passage nicht völlig eindeutig sagt, dass diese Verse tatsächlich den Wortlaut des Orakels zitieren; „gerechte“ Strafe könnte auch eine Formulierung Orests sein. 42–3 Als Sophokles in der zweiten Hälfte des 5. Jh. v. Chr. seine Tragödien auf die Bühne bringt, hat das athenische Publikum bereits jahrzehntelang Erfahrung mit der dramatischen Form gesammelt. Nicht anders als heutige Zuschauer im Theater oder auch im Kino akzeptierten die Athener eine Reihe von Aspekten ihrer Theaterstücke, obwohl sie nicht „realistisch“ waren, etwa dass Schauspieler und Chor zu Instrumentalbegleitung sangen und tanzten, dass sie Masken trugen oder dass Szenen aus dem Inneren des Hauses mittels des Ekkyklema gezeigt werden konnten. Eine Reihe von Witzen und Anspielungen der Komödie zeigt, dass das Athener Pulikum nicht etwa naiv war und diese Konventionen nicht bemerkt hätte; sie wurden bewusst als Elemente dramatischer Aufführungen akzeptiert. Andere Aspekte hingegen scheinen zumindest die gewitzteren Zuschauern gestört zu haben, und so sehen wir, wie die tragischen Dichter in ihre Stücke Begründungen und Erläuterungen einbauen, die zwischen den Konventionen der Bühne und den Erwartungen des Publikums an eine realistische Darstellung vermitteln sollen: Warum verlässt eine Bühnenfigur gerade jetzt das Haus (dazu kurz und treffend Seeck [339] 200f.)? Warum eröffnet sie gerade jetzt in einem Monolog einen Einblick in ihr Inneres? Woher hat sie bestimmte Informationen erhalten? Legt man die Regeln einer streng rationalistischen Kritik an, so sind diese Begründungen nicht immer stringent und konsistent, aber sie geben uns einen Einblick darin, welche Erwartungen die Zuschauer (oder zumindest ein Teil von ihnen) an den Realismus der Dramen hegten. Die beiden Verse hier sind dafür ein gutes Beispiel: Aus Gründen der dramatischen Ökonomie ist es günstig, dass der alte Diener, der Orest damals gerettet hat und ihm nun bei seiner Rückkehr Auskunft über Argos geben kann, zugleich Teil der Racheintrige wird (in ähnlicher Weise ist im König Ödipus der Diener aus Korinth, der einst den jungen Ödipus rettete, zugleich auch der Bote, der den Tod seines Stiefvaters
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Prolog 45–50
und kommest von dem Phokier Phanoteus (denn der ist der wichtigste ihrer Waffenfreunde). Melde, und füge einen Eid hinzu, dass Orest gestorben sei durch Schicksalszwang, als er bei den pythischen Spielen aus dem Sitz seines rollenden Wagens geschleudert wurde – so soll deine Erzählung stehen!
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Φωκέως παρ’ ἀνδρὸς Φανοτέως ἥκων· ὁ γὰρ μέγιστος αὐτοῖς τυγχάνει δορυξένων· ἄγγελλε δ’, ὅρκον προστιθείς, ὁθούνεκα τέθνηκ’ Ὀρέστης ἐξ ἀναγκαίας τύχης, ἄθλοισι Πυθικοῖσιν ἐκ τροχηλάτων δίφρων κυλισθείς· ὧδ’ ὁ μῦθος ἑστάτω.
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47 Das überlieferte ὅρκῳ lässt sich kaum sinnvoll konstruieren, daher ziehen die modernen Editoren Reiskes Konjektur ὅρκον vor. Musgraves Konjektur ὄγκον (von Kells [10] in Erwägung gezogen und von West [402] 508f. empfohlen) überzeugt nicht; es fehlen Parallelen, dass ὄγκον so etwas wie „Ausschmückung“ bedeuten kann.
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meldet, vgl. Manuwald [27] 24–6). Zugleich jedoch wirft dies die rationalistische Frage auf: Ist es wirklich klug, genau diesen Menschen vorzuschicken; liefe er nicht Gefahr, von jemandem wiedererkannt zu werden? Orest begründet seinen Plan damit, dass die Jahre den Diener so verändert haben, dass niemand ihn wiedererkennen wird. Will man rationalistisch nachrechnen, so kann die Zeit von Orests Abwesenheit nicht übermäßig lang gewesen sein: Zum Zeitpunkt von Agamemnons Ermordung muss er mindestens neun Jahre alt gewesen sein (Agamemnon war zehn Jahre lang abwesend in Troia); bei seiner Rückkehr ist er ein junger Mann von nicht mehr als zwanzig Jahren. Die meisten Zuschauer haben sicher nicht auf diese Weise gerechnet, sondern für die dramatische Handlung akzeptiert, dass niemand den alten Diener wiedererkennt; später werden die Verse 1346–63 diese Voraussetzung für das Gelingen des Racheplans noch einmal schlagend bestätigen, wenn Elektra den Diener, der damals als einziger treu zu ihr gestanden hat, tatsächlich nicht wiedererkennt. 45 Nach der mythischen Tradition ist Phanoteus Zwillingsbruder und zugleich schlimmster Feind des Krisos, des Vaters des Strophios (zu ihm unten zu V. 1110; zu den Schwierigkeiten in der Mythenchronologie s. Kaibel [9] zur Stelle). Die Athener Zuschauer waren daran gewöhnt, ihre soziale Umwelt als Gefüge von „Freundschaften“ und „Feindschaften“ wahrzunehmen, bei denen oftmals nicht persönliche Zuneigungen, sondern Interessengemeinschaften im Vordergrund standen (vgl. etwa Dover [131] 180–84, Blundell [70] 26–49), ähnlich wie man ja auch heute noch von „Parteifreunden“ spricht. Betrachteten sie auch das Bühnengeschehen mit dieser Erwartung (dazu allgemein Belfiore [63]), so musste ihnen unmittelbar einleuchten, dass Phanoteus als Feind des Strophios auch Feind Orests und daher logischerweise Freund und Verbündeter Klytaimestras und Aigisths sein musste. Dass Klytaimestra einer eilig überbrachten Nachricht dieses Mannes besonders leicht Glauben schenken konnte, war daher für das Publikum verständlich. Es ist kaum anzunehmen, dass es eine mythische Tradition gab, die von einer tatsächlichen Gastfreundschaft zwischen Aigisthos und Phanoteus berichtete; es handelt sich eher um eine Augenblickserfindung an dieser Stelle. 47 Akzeptiert man, dass Apollon die Durchführung der Rache durch List befohlen hat (V. 37), dann stellt der hier von Orest befohlene Meineid lediglich ein Mittel dieser List dar, das durch den Befehl des Gottes sanktioniert ist. Bei der tatsächlichen Ausführung (V. 660–803) wird der Diener übrigens keinen Eid aussprechen. 49 Die pythischen Spiele wurden in Delphi alle vier Jahre zu Ehren Apollons gefeiert; ähnlich wie in Olympia gab es auch hier eine Reihe von sportlichen Wettkämpfen (und daneben auch musische Wettbewerbe). Die Konkurrenz mit dem vierspännigen Wagen war gefährlich, ein tödlicher Unfall ohne weiteres glaubhaft. Fanden diese Spiele jedoch auch schon in mythischer Zeit statt? Schon Aristoteles (Poetik 24; 1460 a 31f.) scheint ihre Erwähnung für einen Anachronismus gehalten zu haben, doch dies ist der Standpunkt des
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Prolog 51–58
Wir aber werden zunächst das Grab des Vaters, wie er es auftrug, mit Opfergüssen und kostbaren vom Kopf geschnittenen Gaben schmücken und dann wieder zurückkehren, nachdem wir das eherne Gefäß in unsere Hände genommen haben, das, wie auch du weißt, im Gebüsch versteckt liegt, damit wir sie mit unserer Rede betrügen und eine angenehme Kunde ihnen bringen: dass mein Körper dahin sei, bereits verbrannt und eingeäschert. ἡμεῖς δὲ πατρὸς τύμβον, ὡς ἐφίετο, λοιβαῖσι πρῶτον καὶ καρατόμοις χλιδαῖς στέψαντες, εἶτ’ ἄψορρον ἥξομεν πάλιν, τύπωμα χαλκόπλευρον ἠρμένοι χεροῖν, ὃ καὶ σὺ θάμνοις οἶσθά μοι κεκρυμμένον, ὅπως λόγῳ κλέπτοντες ἡδεῖαν φάτιν φέρωμεν αὐτοῖς, τοὐμὸν ὡς ἔρρει δέμας φλογιστὸν ἤδη καὶ κατηνθρακωμένον.
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51 Im Griechischen wird durch das Partikelpaar μέν – δέ und die Stellung der Personalpronomina „du – wir“ deutlich, dass dieser Vers sich eng an 39 anschließt; Subjekt zu „wie er auftrug“ ist Apollon. 53 στέφω eigtl. „bekränzen“, hier allgemein für „ehren, beschenken“ verwendet; vgl. 441. 458 und Ant. 431 (mit Griffith [24] zur Stelle).
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nachrechnenden Historikers, nicht der athenischen Zuschauer, die eine solche Übertragung der eigenen Lebenswelt in die heroische Zeit akzeptierten und auch vor Augen haben konnten, dass das 23. Buch der Ilias Wagenrennen als Bestandteil der mythischen Welt schildert (s. Easterling [137] 7–8). 51–52 Das Grab Agamemnons spielt bereits in den bildlichen Darstellungen des Mythos vor Aischylos eine wichtige Rolle (Trendall [387], Garvie [23] xv mit Anm. 18); möglicherweise wurde es bei Stesichoros erwähnt (frg. 215 pmgf). Bei Aischylos war es (wohl in der Orchestra, Garvie [23] xli–xlv) sichtbar und erfüllte wichtige Funktionen: Hier entdeckt Elektra das Gussopfer, die Haare und die Fußspuren ihres Bruders, die letztlich zur Wiedererkennung der Geschwister führen, hier beschwören die Geschwister in einer langen Gesangspartie die Hilfe ihres toten Vaters bei der bevorstehenden Rache herauf. Sophokles verlegt den Ort des Grabs in den außerszenischen Raum. Damit begründet er einerseits, warum Orest (und Pylades) die Bühne wieder verlassen, andererseits gewinnt er dadurch die Möglichkeit, eine dramatische Dynamik durch Zu- und Abgänge zu diesem drohend-mächtigen Grab zu schaffen (s. oben S.5f. zur Macht von Heroengräbern). Der tote Agamemnon ist bei Sophokles also weniger präsent als bei Aischylos, aber das komplexe Verhältnis der Figuren zu diesem abwesend Anwesenden gewinnt durch diese Entfernung an Dynamik: Ihre Beziehungen zueinander definieren sich ganz entscheidend durch das Verhältnis zum Verstorbenen (zum Hineinragen des Abwesenden in die Bühnenhandlung bei Richard Strauss s. oben S. 31). Die Umschreibung „kostbare vom Kopf geschnittene Gaben“ für das Haaropfer am Grab gewinnt ihren Sinn besonders aus dem Gegensatz zu Elektras ärmlicher Gabe von ungepflegtem Haar (V. 449–51). Das Abschneiden von Haaren am Grab als Zeichen der Trauer war in der antiken Kultur üblich (Eitrem [142] 344–72; vgl. Samter [327] 179–83). Bei Aischylos, Euripides (und bereits bei Stesichoros, frg. 217 pmgf) spielte die auf dem Grab niedergelegte Locke Orests eine Rolle bei der Wiedererkennung der Geschwister (Garvie [23] zu Cho. 6); Sophokles aber verwendet das Motiv in anderer Weise, wenn er Chrysothemis die Locke entdecken (V. 901–6), mit ihrem Bericht aber keinen Glauben finden lässt. An der Stelle hier kann das Publikum noch damit rechnen, dass Sophokles das Haaropfer ähnlich wie Aischylos als wichtiges Kennzeichen bei der Wiedererkennung der Geschwister verwenden wird. 54–55 Dies ist die erste Erwähnung der Urne, die als Requisit eine wichtige Rolle spielen wird (vgl. March [11]; allgemein zu dieser Technik bei Sophokles Segal [346]; Weiteres unten zu V. 1113–1114): sie symbolisiert den angeblichen Tod Orests (Segal [340] 287–9) und wird in einer emotional aufgeladenen Szene zwischen Orest und der am Boden zerstörten Elektra in den Focus des Interesses rücken (s. V. 1205–19). Schon hier macht der Verweis darauf, auch der Pädagoge wisse von dieser verborgenen Urne, den Zuschauern deutlich, dass sie Teil von Orests ausgeklügeltem Racheplan ist.
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Denn was stört mich daran, wenn ich nur dem Worte nach gestorben bin, tatsächlich aber überlebe und Ruhm davontrage? Ich glaube, kein Wort, das Vorteil bringt, ist falsch. Denn oft schon sah ich auch kluge Menschen dem Worte nach vorgeblich sterben, und dann, wenn sie nach Hause wieder kommen, tragen sie noch mehr Ehre davon. So bin ich zuversichtlich, dass auch ich aus dieser Kunde τί γάρ με λυπεῖ τοῦθ’, ὅταν λόγῳ θανὼν ἔργοισι σωθῶ κἀξενέγκωμαι κλέος; δοκῶ μὲν οὐδὲν ῥῆμα σὺν κέρδει κακόν· ἤδη γὰρ εἶδον πολλάκις καὶ τοὺς σοφοὺς λόγῳ μάτην θνῄσκοντας· εἶθ’, ὅταν δόμους ἔλθωσιν αὖθις, ἐκτετίμηνται πλέον· ὣς κἄμ’ ἐπαυχῶ τῆσδε τῆς φήμης ἄπο
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Manche Interpreten finden in der Bezeichnung der Urne hier noch weitergehende Bezüge (so etwa Ringer [320] 138f. oder Dunn [134]), doch die blieben dem Publikum im Theater zunächst noch vage. Zu Recht hat Saïd [326] 178–80 aus Orests Hinweis, der Pädagoge wisse von der in der Nähe des Grabs versteckten Urne, den Schluss gezogen, die Zuschauer müssten annehmen, dass Orest auf dem Weg nach Argos bereits am Grab vorbeigekommen sei und dort die Urne versteckt habe; der Abgang V. 85 wird also in dieselbe Parodos erfolgen, aus der Orest und seine Gruppe zu Beginn auch aufgetreten sind (unzutreffend die Rekonstruktion der Aufund Abgänge bei Finglass [8] zu dieser Stelle und zu V. 1442). 59–64 Ausführlich begründet Orest seinen listigen Plan, den eigenen Tod vorzutäuschen; dahinter sind sicherlich abergläubische Vorstellungen zu vermuten, die darin ein schlechtes Omen sahen. Interpreten haben versucht, die Präzedenzfälle zu identifizieren, auf die er sich hier beruft; eine wirklich schlagende Verbindung zu einer eine (mythischen oder historischen) Erzählung, an die die Athener Zuschauer unmittelbar gedacht haben werden, konnte nicht gefunden werden (s. etwa zu Euripides, Hel. 1055–6). Allzu kleinlich werden die Zuschauer nicht nachgerechnet haben: Zweifelsohne denkt man an Odysseus, der für tot gehalten wird und dann triumphal zurückkehrt (Davidson [109] 57f.), auch wenn dies sagenchronologisch erst nach Orests Heimkehr geschieht. Auch andere Helden (etwa Herakles oder Theseus) wurden wegen ihrer langen Abwesenheiten für tot gehalten. Denkbar wäre auch ein Verweis auf Schamanenfiguren, die angeblich ihren Körper verlassen und später wieder zurückkehren konnten; Herodot, den Sophokles wohl persönlich kannte, berichtet von solchen Wundermännern (vgl. Burkert [89] 140; Kannicht [25] 2, 298f.). In Aischylos’ Weihgussträgerinnen (674–687) täuscht Orest seinen eigenen Tod vor, allerdings erhält das Motiv dort niemals eine so zentrale Funktion wie in der sophokleischen Elektra. Bedenkt man, dass das von Orest in diesem Vers benutzte Wort sophoi nicht nur allgemein den „klugen“ oder „weisen“ Menschen, sondern auch speziell den „Dichter“ bezeichnen kann (so werden etwa in Aristophanes’ Fröschen 896 die beiden Tragiker Aischylos und Euripides sophoi genannt), so mag zumindest ein Teil des Publikums in den nur vage bezeichneten Vorgängern auch eine Anspielung auf Sophokles’ älteren Kollegen mitgehört haben. (Zu möglichen Berührungen der Stelle mit Euripides Hel. s. oben S. 17). Einige moderne Interpreten (etwa Winnington-Ingram [417] 236) haben schon in der Ausführlichkeit von Orests Rechtfertigung einen Hinweis auf die moralische Ambivalenz seines Racheplans sehen wollen. Zweifelsohne kann ein Schauspieler diese Passage auf eine Weise rezitieren, die den Zuschauern eine Mischung aus trotziger Entschlossenheit und schlechtem Gewissen suggeriert. Aber auch andere Vortragsweisen sind denkbar; die Verse deuten an, machen aber keine eindeutige Aussage. 66 In der homerischen Ilias findet sich eine Reihe von Gleichnissen, in
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Prolog 66–77
lebendig meinen Feinden wie ein glänzender Stern erscheinen werde! Doch du, Heimaterde, und Götter meines Landes, empfangt mich auf diesem Weg im Erfolg, auch du, Haus meines Vaters! Denn ich komme, um dich mit Recht zu reinigen, von den Göttern gesandt! Schickt mich nicht ehrlos aus diesem Land wieder fort, sondern als Herrn meines Reichtums und Ordner meines Hauses! Damit habe ich alles gesagt; jetzt soll dir, Alter, obliegen, zu gehen und deine Aufgabe genau zu erfüllen; wir beide gehen fort. Dies ist die Stunde der Entscheidung, für Männer der größte Vorstand jeder Tat!
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75
Elektra (aus dem Innern des Hauses) Ach weh, ich Unglückliche! δεδορκότ’ ἐχθροῖς ἄστρον ὣς λάμψειν ἔτι. ἀλλ’, ὦ πατρῴα γῆ θεοί τ’ ἐγχώριοι, δέξασθέ μ’ εὐτυχοῦντα ταῖσδε ταῖς ὁδοῖς, σύ τ’, ὦ πατρῷον δῶμα· σοῦ γὰρ ἔρχομαι δίκῃ καθαρτὴς πρὸς θεῶν ὡρμημένος· καὶ μή μ’ ἄτιμον τῆσδ’ ἀποστείλητε γῆς, ἀλλ’ ἀρχέπλουτον καὶ καταστάτην δόμων. εἴρηκα μέν νυν ταῦτα· σοὶ δ’ ἤδη, γέρον, τὸ σὸν μελέσθω βάντι φρουρῆσαι χρέος· νὼ δ’ ἔξιμεν· καιρὸς γάρ, ὅσπερ ἀνδράσιν μέγιστος ἔργου παντός ἐστ’ ἐπιστάτης. Ἠλέκτρα ἰώ μοί μοι δύστηνος.
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Kommentar
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denen ein angreifender Held mit einem unheilvoll funkelnden Stern verglichen wird (etwa 22, 25–32). Orests Ankündigung, auch er werde „wie ein glänzender Stern erscheinen“, enthalten also eine unausgesprochene Drohung gegen seine „Feinde“ (s. oben zu V. 45). 72 Orest kommt, um seinen Vater zu rächen und seine Mutter umzubringen. Eine Erwähnung des Reichtums, den er wiederzugewinnen hofft, erscheint modernen Rezipienten geradezu frivol. Für das antike Publikum ist der Wunsch hingegen verständlich: Der materielle Besitz ist Teil der ihm zustehenden Königswürde und seines persönlichen Status. 75 Wie der Diener (V. 22), so schließt auch Orest seine Rede mit einem Verweis auf den kairos, den entscheidenden Zeitpunkt, den es zu ergreifen gilt, für die Zuschauer ein Hinweis darauf, dass die gewichtigen Ereignisse nun unmittelbar bevorstehen. Nicht überzeugend ist die Deutung von Smith [352], der den Begriff in unserem Stück für ambivalent hält. 77 Elektras erste Äußerung im Drama ist ein Schrei des Schmerzes und der Trauer; im Lauf des Stücks werden viele ähnliche Ausrufe folgen, von ihr, aber auch von anderen Figuren. Solche lautmalerischen Schreie stellen ein Verständnis- und Übersetzungsproblem dar; für moderne Rezipienten ist es schwierig, sich ihre Wirkung auf Sophokles’ Athener Publikum vorzustellen. Lautes Jammern und Klagen war in der antiken griechischen Gesellschaft insbesondere bei Begräbnissen eine ritualisierte Form, deren Inszenierung weithin Frauen vorbehalten blieb (vgl. besonders Alexiou [44]). Elektras Klagelaute erinnerten die Zuschauer also an eine alltägliche Wahrnehmung und weckten in ihnen die Emotionen eines Begräbnisses (Dué [133] 242). Die athenische Demokratie versuchte mehrfach, diese in Familienclans verankerte, eher private Form der Totenklage gegenüber öffentlichen Ritualen (wie etwa der bekannten Gefallenenrede) zurückzudrängen; dadurch fiel der Tragödie die Rolle zu, solche in der politischen Öffentlichkeit zurückgedrängte Formen der Klage im imaginären Raum der dramatischen Bühne zu inszenieren (vgl. Foley [161] 103–8 ≈ Foley [160] 22–7; zum hier wirksamen Mechanismus vgl. die Analyse ähnlicher Theatralisierungen in der Renaissance von Greenblatt [183] 94–128). In Elektras Fall haben diese Klagen ferner eine spezifische dramatische Funktion: Wir Rezipienten erhalten in ihnen ein kondensiertes Bild dessen, was in Argos während der jahrelangen Abwesenheit Orests vorgegangen ist. Durch ihre Klagen hält Elektra nicht nur die Erinnerung an Agamemnon wach, sondern ruft indirekt auch zur Rache für den Getöteten auf und gefährdet damit die Herrschaft von Klytaimestra und Aigisthos (vgl. Ierulli [220] 486– 97). All diese Konnotationen schwingen mit, wenn das antike Publikum die zahlreichen Klagelaute vernahm. Für die Übersetzung in eine moderne Sprache sind sie problematisch, weil wir nicht über ein so umfangreiches und differenziertes Repertoire verfügen wie das Griechische: Weder wird uns der emotionale Gehalt eines Ausrufs wie iō oder pheu unmittelbar deutlich, noch haben wir entsprechende
62 Pä. Or. Pä.
Prolog 78–86
Ich glaube, eine der Dienerinnen innen hinter der Tür leise seufzen zu hören, mein Kind. Ist die Unglückliche vielleicht Elektra? Willst du, dass wir bleiben und ihre Klagen anhören? Auf keinen Fall! Als erstes lass uns das von Apollon Aufgetragene auszuführen versuchen und davon unseren Anfang nehmen, indem wir für deinen Vater Gussopfer bringen. Denn dies, so meine ich, bringt Sieg und Erfolg in dem, was wir tun.
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Orest, der Pädagoge und Pylades verlassen die Bühne über dieselbe Parodos, von der sie aufgetreten sind. Aus der Palasttür tritt Elektra, in ärmlicher Kleidung. El.
Oh reines Licht
Πα.
καὶ μὴν θυρῶν ἔδοξα προσπόλων τινὸς ὑποστενούσης ἔνδον αἰσθέσθαι, τέκνον. ἆρ’ ἐστὶν ἡ δύστηνος Ἠλέκτρα; θέλεις μείνωμεν αὐτοῦ κἀνακούσωμεν γόων; ἥκιστα· μηδὲν πρόσθεν ἢ τὰ Λοξίου πειρώμεθ’ ἔρδειν, κἀπὸ τῶνδ’ ἀρχηγετεῖν πατρὸς χέοντες λουτρά· ταῦτα γὰρ φέρειν νίκην τέ φημι καὶ κράτος τῶν δρωμένων.
Ορ. Πα.
Ηλ.
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ὦ φάος ἁγνὸν
78–85 Die Sprecherverteilung dieser Verse ist umstritten. Die Hss. weisen einmütig 78–79 dem Pädagogen, 80–81 Orest, 82–85 wieder dem Pädagogen zu. Der Vorschlag, 80–81 dem Pädagogen zu geben, 82–85 Orest, stammt von Nauck und wird von Dawe [2] in den Text übernommen; vgl. die ausführliche Begründung bei Sandbach [328]. Für den Eingriff spricht, dass der entschiedene Ton von 82 besser zu Orest zu passen scheint als zum Pädagogen, ebenso der Hinweis auf Apollons Orakel; auch das Wort „Vater“ (πατρός) in 84 klingt in seinem Mund natürlicher. Doch überwiegen die gegen den Eingriff sprechenden Argumente (s. Lloyd-Jones/Wilson [257] 44 und Finglass [8] zur Stelle): Derselbe Sprecher kann kaum die Klagende zunächst für eine Dienerin, dann für Elektra halten. Der Vorschlag, die neu Auftretende zu belauschen, geht in allen drei Elektradramen von Orest aus (s. den Kommentar zur Stelle). 84f. φέρει | νίκην τ’ ἐφ’ ἡμῖν codd.: φέρειν | νίκην τέ φημι Tournier, eine schlagende Verbesserung der Überlieferung, deren ἐφ’ ἡμῖν nicht recht verständlich ist.
Kommentar
63
deutsche Äquivalente (anschaulich dazu Schadewaldt [329] 2, 662f.). Vor die Wahl gestellt, die fremdartigen griechischen Ausrufe beizubehalten oder durch unsere unzureichenden Entsprechungen wie „ach“ und „weh“ wiederzugeben, wurde hier Letzteres gewählt, um so für den modernen Leser kein zusätzlichen Hürden zu errichten. Schreie aus dem Innern des Bühnengebäudes finden sich mehrfach in den überlieferten Tragödien (s. Hamilton [199]), insbesondere in Mordszenen, und so werden sie auch in diesem Stück später verwendet werden (V. 1404– 16). Den Kunstgriff, eine wichtige Bühnenfigur ihre ersten Worte noch ungesehen aus dem hinterszenischen Raum sprechen zu lassen, hatte Euripides in seiner 431 v. Chr. aufgeführten Medea bereits angewandt. Hier gewinnt er eine besondere Signifikanz: Der erste Eindruck, den der Zuschauer von der Titelgestalt erhält, ist der einer Verzweifelten, Isolierten, im Innern dieses Schreckenshauses Gefangenen. Hier finden wir zum ersten Mal das Spiel mit der „Wiedererkennung“ (s. oben zu V. 1–3), das im Folgenden eine so große Wirkung entfalten wird: Elektra und Orest sind sich jetzt bereits nah, Orest „erkennt“ seine Schwester in V. 80 beinahe schon wieder, doch wird es bis V. 1098 (nach etwa zwei Dritteln des Stücks) dauern, bis sie sich wirklich sehen, und bis V. 1222, bis Elektra ihren Bruder tatsächlich erkennt. Den Aspekt der völligen Isolierung Elektras hat besonders intensiv Hugo von Hofmannsthal aufgegriffen; die ersten Worte, die seine Elektra auf der Bühne spricht, sind: „Allein! Weh, ganz allein.“ Anders als Sophokles gibt er ihr auch keinen Chor zur Seite, der weithin mit ihr sympathisiert, sondern lässt im Gegenteil die anwesenden Dienerinnen (bis auf eine einzige) über sie schimpfen und spotten. 80–81 Zum Bezug dieser Verse auf Aischylos Weihgussträgerinnen s. die Einleitung, oben S. 14. Auch in Euripides’ Elektra hält Orest eine herauskommende Frauengestalt für eine Dienerin (prospolos 107, vgl. hier V. 78) und belauscht sie gemeinsam mit Pylades, ohne allerdings, wie er gehofft hatte, etwas Nützliches zu erfahren. 86–120 Anapäste Elektras. Orest und seine Begleiter gehen durch dieselbe Parodos ab, durch die sie die Bühne auch betreten haben, zum Grab Agamemnons (s. zu V. 51–52). Für kurze Zeit bleibt die Bühne leer, dann tritt aus der Tür des Bühnengebäudes Elektra auf; ihre Einsamkeit und Isolation in Argos wird den Zuschauern hier sichtbar gemacht. Immer wieder wird im Text ihr ärmliches, ungepflegtes und abgehärmtes Aussehen erwähnt; wir dürfen davon ausgehen, dass es für das Publikum auch in Maske und Kostüm sichtbar war. Von dieser Passage an bis zum Schluss des Dramas wird Elektra nahezu ununterbrochen auf der Bühne präsent sein, und bis V. 660 wird das Bühnengeschehen in erster Linie dazu dienen, ihre Lage in dem von den Mördern ihres Vaters beherrschten Argos dem Publikum anschaulich zu machen. Technisch gesehen gehören ihre rezitierten Anapäste (Finglass [8] 117–9) noch zum Prolog, weil sie vor dem Einzugslied des Chors stehen, doch leiten
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Prolog 87–103
und Luft, gleichen Teils wie die Erde, wie viele Klagegesänge hast du von mir gehört, wieviele Schläge auf die blutigen Brüste, die dazu erschallten, wenn die dunkle Nacht endete. All den Kummer meiner schlaflosen Nächte kennt mein verhasstes schlimmes Lager im grauenhaften Haus, den ich um meinen unglücklichen Vater weine. Nicht hat ihm im fremden Land der blutige Ares sein Gastgeschenk dargebracht, sondern meine Mutter und ihr Bettgenosse Aigisthos, wie Holzfäller einen Baum, spalten sein Haupt mit blutiger Axt, und Kummer darüber wird von niemandem als von mir empfunden, um dich, Vater, der du so schändlich und jammervoll getötet wurdest. Aber gewiss werde ich nicht καὶ γῆς ἰσόμοιρ’ ἀήρ, ὥς μοι πολλὰς μὲν θρήνων ᾠδάς, πολλὰς δ’ ἀντήρεις ᾔσθου στέρνων πλαγὰς αἱμασσομένων, ὁπόταν δνοφερὰ νὺξ ὑπολειφθῇ· τὰ δὲ παννυχίδων κήδη στυγεραὶ ξυνίσασ’ εὐναὶ μογερῶν οἴκων, ὅσα τὸν δύστηνον ἐμὸν θρηνῶ πατέρ’, ὃν κατὰ μὲν βάρβαρον αἶαν φοίνιος Ἄρης οὐκ ἐξένισεν, μήτηρ δ’ ἡμὴ χὠ κοινολεχὴς Αἴγισθος, ὅπως δρῦν ὑλοτόμοι, σχίζουσι κάρα φονίῳ πελέκει· κοὐδεὶς τούτων οἶκτος ἀπ’ ἄλλης ἢ ’μοῦ φέρεται, σοῦ, πάτερ, οὕτως αἰκῶς οἰκτρῶς τε θανόντος. ἀλλ’ οὐ μὲν δὴ
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87 Die Konstruktion des Genitivs γῆς ist schwierig; an ἰσόμοιρ’ „gleichen Anteil habend wie“ würde sich eher ein Dativ anschließen. Die von Finglass [8] in den Text aufgenommene Konjektur καὐγῆς befriedigt nicht, weil das Licht (der Sonne) bereits im vorhergehenden Vers erwähnt ist und eine solche Verdoppelung keine Funktion zu haben scheint. Klar ist, dass Elektra die Elemente anruft; eine genaue grammatische Analyse lässt sich nicht erzielen.
Kommentar
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sie bereits zu dem sich anschließenden lyrischen Wechselgesang (120–250) über, der hier die Parodos bildet (vgl. Matthiessen [30] zu Eur. Hek. 59–215). Sie bilden einen pointierten Gegensatz zu den kühl planenden, rationalen Iamben Orests und des Dieners: Während die Zuschauer durch den gesprochenen Prolog über den Stand der Dinge informiert werden, bieten diese Verse die emotionale Einstimmung auf das Kommende (s. Matthiessen [30] zu Hekabe 59–215). Finglass [8] zur Stelle weist auf den Umbruch in der Stimmung hin: Die Szene zuvor war ganz auf die Zukunft und die Tat ausgerichtet; jetzt sehen die Zuschauer Ausharren im Leiden und ein Verhaftetsein in der Vergangenheit: “For Orestes and the Paedagogus this is the crucial day which will change everything; for Electra, it is merely the latest in the long series of days since her father’s death.” Die von Elektra zu Beginn angerufenen Naturerscheinungen Licht, Luft und Erde haben nicht die Funktion, einen idyllischen Morgen zu schildern, sondern machen die Isolation Elektras noch anschaulicher: Sie hat keine menschlichen Gesprächspartner, sondern kann nur der stummen Natur ihr Leid klagen (vergleichbar ist etwa der sophokleische Aias 856–865; s. Wagener [396]). 88–91 Schreien und Schlagen der Brust sind die rituellen Gesten der Totenklage: Elektra beklagt ihren ermordeten Vater jeden Tag aufs Neue, als wäre sein Tod gerade erst eingetreten. 96 Das „Gastgeschenk des Ares“ ist der Tod; Agamemnon ist ihm in Krieg vor Troia entkommen, nur um nach der Heimkehr von ihm ereilt zu werden. 99 In literarischen und bildlichen Darstellungen der Ermordung Agamemnons ist die Waffe, mit der er getötet wird, bald ein Schwert (etwa Odyssee 11, 424), bald ein Beil (Euripides, Elektra 160). In der Orestie des Aischylos wird die Tatwaffe meist durch Bilder und Metaphern umschrieben, so dass die Interpreten bis heute intensiv darüber diskutieren, welche Waffe bei ihm gemeint ist (s. etwa Fraenkel [22] 3, 806–809; Prag [310], Davies [117]). Sophokles entscheidet sich wie Euripides für ein Beil, was wohl auch den Vergleich mit einem Holzfäller in diesen Versen beeinflusst hat. 100–120 In den Worten Elektras werden drei Aspekte nachdrücklich hervorgehoben, die für die Gestaltung ihrer Figur wichtig sind: (1) Mit ihrer Trauer um den getöteten Vater steht sie ganz allein. (2) Diese Trauer bestimmt ihr ganzes Leben; ein Ende ist für sie unvorstellbar. (3) Ihre einzige Hoffnung ist die Rückkehr ihres Bruders.
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Prolog / Parodos 104–122
aufhören mit Jammern und bitteren Klagen, solange ich die hellen Bahnen der Sterne erblicke und dieses Tageslicht, wie eine Nachtigall, die ihre Kinder getötet hat, mit Schluchzen hier vor den Türen meines Vaterhauses allen die Klage ertönen zu lassen. Haus des Hades und der Persephone, Unterweltshermes und Herrin Fluch, Rachegeister, ehrwürdige Töchter der Götter, die ihr auf die im Verbrechen Getöteten blickt und auf geschändete Ehebetten, kommt, helft, rächt meines Vaters Tod, und sendet mir meinen Bruder! Denn allein habe ich nicht mehr die Kraft, die niederdrückende Last des Kummers zu tragen. Chor (zieht in die Orchestra ein und singt die Parodos) Kind, Kind der unseligsten Mutter, Elektra, λήξω θρήνων στυγερῶν τε γόων, ἔστ’ ἂν παμφεγγεῖς ἄστρων ῥιπάς, λεύσσω δὲ τόδ’ ἦμαρ, μὴ οὐ τεκνολέτειρ’ ὥς τις ἀηδὼν ἐπὶ κωκυτῷ τῶνδε πατρῴων πρὸ θυρῶν ἠχὼ πᾶσι προφωνεῖν· ὦ δῶμ’ Ἀΐδου καὶ Περσεφόνης, ὦ χθόνι’ Ἑρμῆ καὶ πότνι’ Ἀρά, σεμναί τε θεῶν παῖδες Ἐρινύες, αἳ τοὺς ἀδίκως θνῄσκοντας ὁρᾶθ’, αἳ τοὺς εὐνὰς ὑποκλεπτομένους, ἔλθετ’, ἀρήξατε, τείσασθε πατρὸς φόνον ἡμετέρου, καί μοι τὸν ἐμὸν πέμψατ’ ἀδελφόν· μούνη γὰρ ἄγειν οὐκέτι σωκῶ λύπης ἀντίρροπον ἄχθος.
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Χορός ὦ παῖ, παῖ δυστανοτάτας Ἠλέκτρα ματρός, τίν’ ἀεὶ
στρ. αʹ
Kommentar
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107–109 In einer für die griechische Dichtersprache typischen Weise vermengt Sophokles in diesen Versen die Ebenen des Vergleichs: Die Nachtigall ist nach dem attischen Mythos (den Sophokles in seinem nur fragmentarisch erhaltenen Tereus gestaltete, Fitzpatrick [156], Sommerstein/Fitzpatrick/Talboy [7] 1, 141–95) Prokne, die (athenische) Frau des thrakischen Königs Tereus. Als dieser ihre Schwester vergewaltigt, zerstückelt sie aus Rache ihren gemeinsamen Sohn Itys (s. unten V. 148) und setzt ihn ihrem Mann als Essen vor; von ihm verfolgt, wird sie in eine Nachtigall verwandelt, deren Gesang Klage um den toten Itys ausdrückt (vgl. Mihailov [278], Monella [282]). In Sophokles’ Versen aber ist es scheinbar Elektra, die „nicht aufhören wird, wie eine Nachtigall Klage um den Tod des Kindes ertönen zu lassen“. Dieser syntaktischen Vermengung entspricht auch eine Vielschichtigkeit der Bezüge zwischen Prokne und Elektra: Letztere hat ihren Vater, nicht ihren Sohn verloren, doch wie sie mit Prokne das Motiv der Klage um den toten Verwandten teilt, so deutet der mythische Vergleich auch an, dass sie als Frau die Rache in die eigenen Hände nehmen könnte. 110–113 Hades und Persephone sind die Beherrscher der Unterwelt; Hermes geleitet die Seelen der Verstorbenen in das Jenseits; mit der Fluchgöttin ist die personifizierte Macht der Verwünschung des sterbenden Agamemnon bezeichnet, und die Erinyen verfolgen diejenigen, die Familienangehörige getötet haben. In rascher Folge nennt Elektra hier Götter, die nach griechischer Vorstellung alle in den Bereich des Todes und der Unterwelt gehören (sog. chthonische Gottheiten); auch sie selbst steht auf der Seite der Toten und der Rache für sie. Diese Verse erwähnen zum ersten Mal in der Elektra die Erinyen, die in der Orestie des Aischylos eine so zentrale Rolle spielen; eine Reihe weiterer Erwähnungen werden folgen. Daraus ziehen einige Interpreten (so besonders Winnington-Ingram, s. Winnington-Ingram [416] 20f. = [298] 210f. = [364] 400f. ≈ [417] 218) den Schluss, das Publikum von Sophokles’ Elektra habe sich an diesen Stellen an die Trilogie des Aischylos zurückerinnert und in den Erinyen den Hinweis gesehen, dass auch bei Sophokles Orests Rache den Fluch des Atridenhauses nicht beenden werde. Zumindest an dieser Stelle scheint jedoch Stinton [370] 76f. = Stinton [371] 467f. zu Recht darauf zu verweisen, dass Elektras Erwähnung der Rachegöttinnen ganz spezifisch auf die Tat Klytaimestras verweist. Dennoch wird das Publikum durch solche Erwähnung daran erinnert, dass die Erinyen in Aischylos’ Version des Mythos eine wichtige Funktion hatten, und dürfte sich gefragt haben, ob sie auch bei Sophokles so zentral sein werden. 120–250 Einzugslied des Chors. Das Einzugslied (Parodos) wird hier in der Form eines Wechselgesangs (gr.: Kommos) zwischen Elektra und dem Chor gestaltet; eine ähnliche Form wählt Sophokles auch in der Parodos seiner letzten Tragödie Ödipus in Kolonos. Der Chor besteht aus erwachsenen Bürgerinnen von Argos. Sein Verhältnis zu Elektra ist fein differenziert: Die
68
El.
Parodos 123–139
in was für unablässige Klagen zergehst du über Agamemnon, der vor langer Zeit von deiner listigen Mutter durch Betrug gefangen und mit grausamer Hand verraten wurde? Möge, wer dies getan hat, zugrundegehen, wenn mir dies zu sagen erlaubt ist. Ihr Abkömmlinge edler Familien, ihr kommt zum Trost meines Leids. Das weiß ich und verstehe es ja, und es entgeht mir nicht – und doch will ich dies nicht aufgeben, meinen unglücklichen Vater zu beklagen. Doch ihr, die ihr mir in wechselseitiger Liebe vielfältig verbunden seid, lasst mich in dieser Raserei, weh, das erbitte ich!
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Cho. Aber niemals wirst du aus dem See Gegenstr. 1 des Hades, der allen zuteil wird, deinen Vater auferstehen lassen, weder durch Klagen noch durch Gebete.
Ηλ.
Χο.
τάκεις ὧδ’ ἀκόρεστον οἰμωγὰν τὸν πάλαι ἐκ δολερᾶς ἀθεώτατα ματρὸς ἁλόντ’ ἀπάταις Ἀγαμέμνονα κακᾷ τε χειρὶ πρόδοτον; ὡς ὁ τάδε πορὼν ὄλοιτ’, εἴ μοι θέμις τάδ’ αὐδᾶν. ὦ γενέθλα γενναίων, ἥκετ’ ἐμῶν καμάτων παραμύθιον· οἶδά τε καὶ ξυνίημι τάδ’, οὔ τί με φυγγάνει· οὐδὲ θέλω προλιπεῖν τόδε, μὴ οὐ τὸν ἐμὸν στενάχειν πατέρ’ ἄθλιον. ἀλλ’, ὦ παντοίας φιλότατος ἀμειβόμεναι χάριν, ἐᾶτέ μ’ ὧδ’ ἀλύειν, αἰαῖ, ἱκνοῦμαι. Ἀλλ’ οὔτοι τόν γ’ ἐξ Ἀΐδα παγκοίνου λίμνας πατέρ’ ἀνστάσεις οὔτε γόοισιν οὔτ’ εὐχαῖς.
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135 ἀντ. αʹ
123 Der Akkusativ ἀκόρεστον οἰμωγάν steht als „inneres Objekt“ in freier Weise bei τάκεις „du zergehst“; von diesem komplexen Ausdruck, der in der Bedeutung einem οἰμώζεις „du beklagst“ nahekommt, hängt als „äußeres Objekt“ der Akkusativ Ἀγαμέμνονα ab (so schon Schneidewin/Nauck/Bruhn [12] zur Stelle).
Kommentar
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Frauen sind ihr gegenüber freundlich gesonnen, wie bereits die Anrede „Kind, Kind“ zeigt; auch sie verabscheuen die Mörder Agamemnons. Ihre Versuche, Elektra mit den üblichen Argumenten zu trösten und wieder in die „normale“ Gesellschaft einzugliedern, entspringen diesem Wohlwollen, weisen jedoch auf eine gewisse Ungeduld und Kritik hin (vgl. etwa Burton [91] 192). Wie in vielen seiner erhaltenen Tragödien macht Sophokles auch in der Elektra durch den Kontrast mit den mittelmäßigen Persönlichkeiten des Chors die Größe und Unbeugsamkeit, aber auch die fundamentale Isolierung des tragischen Helden oder der tragischen Heldin deutlich (s. etwa Waldock [397] 175f.; Ierulli [219]; gegen den Versuch von Vernant/Vidal-Naquet [391] 2, 159, diese Mittelmäßigkeit als Standpunkt der demokratischen Stadt zu deuten, macht Gould [175] überzeugende Einwände). Anders als in der Antigone jedoch bleibt die Protagonistin hier dem Chor gegenüber respektvoll und lässt den menschlichen Kontakt nicht abreißen. Diese lyrische Eingangspassage ist ungewöhnlich breit ausgeführt (nur die Parodos des Ödipus in Kolonos ist noch länger). Elektras Beharren auf ihrer Trauer, ihre Zurückweisung jedes Versuchs, sie zu trösten, stellen den Zuschauern sichtbar vor Augen, was sie gerade in ihren Anapästen über die Lage in Argos gehört haben; die repetitive Struktur der Partie illustriert die sich ständig wiederholende Klage um ihren toten Vater (zur Rolle der Zeit in der Elektra s. Hutchinson [218] 51–58). 126 Die Worte „wer dies getan hat“ sind im Griechischen Maskulinum; dies ist wohl generell gemeint („wer auch immer“) und sollte nicht nach der klaren Bezeichnung von Klytaimestra in 124f. als Hinweis auf Aigisthos verstanden werden (wie es March [11] zur Stelle erwägt). 127 Dieser Vers charakterisiert die Haltung des Chors: Grundsätzlich sind die Frauen auf Elektras Seite; auch sie verurteilen Klytaimestras Tat. Aber sie tun dies nicht bedingungslos, sondern arrangieren sich mit den bestehenden Verhältnissen. Auch wenn der Chor mit Elektra sympathisiert, ist ihre Verbindung zur Gemeinschaft brüchig, und im Lauf des Wechselgesangs wird die Kluft zwischen ihr und den Frauen immer deutlicher spürbar. Dieser Gegensatz zwischen der kompromisslosen tragischen Heldin und der durch alle Widrigkeiten lavierenden Mehrheit der Bürger hat auch viele moderne Bearbeiter des Elektrastoffes fasziniert. Giraudouxs Électre ist bereit, für ihren Sinn von Gerechtigkeit und Wiedergutmachung ihre gesamte Heimat zu opfern; Sartre kehrt Sophokles’ Motiv um: Bei ihm ist Électre die einzige, die sich weigert, bei dem alljährlichen Trauerritual mitzumachen. 137 Die Argumente des Chors sind in jeder Art von Trostrede bis heute zu finden: Dein Klagen kann das Geschehene nicht ändern, alle Menschen müssen sterben (138), und du bist nicht die einzige, der solches Unglück widerfahren ist (153).
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El.
Parodos 140–157
Über alles Maß erhebst du deine Klagen in sinnlosem Schmerz immerzu und richtest dich zugrunde; da gibt es kein Loskommen vom Unglück! Warum verlangst du nach Unerträglichem? Töricht, wer seine schauerlich getöteten Eltern vergisst! Aber vor meiner Seele steht fest der Vogel, der Itys, immer nur Itys beklagt, schluchzend, der Bote des Zeus. Ach, unglückliche Niobe, dich achte ich wie eine Göttin, die du im Felsengrab, wehe, weinst.
Cho. Wirklich ist nicht dir allein, mein Kind, unter allen Menschen Leid erschienen, in dem du über die da drinnen hinausgehst, mit denen du die Abstammung teilst und blutsverwandt bist, denn Chrysothemis lebt und Iphianassa,
Ηλ.
Χο.
ἀλλ’ ἀπὸ τῶν μετρίων ἐπ’ ἀμήχανον ἄλγος ἀεὶ στενάχουσα διόλλυσαι ἐν οἷς ἀνάλυσίς ἐστιν οὐδεμία κακῶν· τί μοι τῶν δυσφόρων ἐφίῃ; νήπιος ὃς τῶν οἰκτρῶς οἰχομένων γονέων ἐπιλάθεται· ἀλλ’ ἐμέ γ’ ἁ στονόεσσ’ ἄραρεν φρένας, ἃ Ἴτυν, αἰὲν Ἴτυν ὀλοφύρεται, ὄρνις ἀτυζομένα, Διὸς ἄγγελος. ἰὼ παντλάμων Νιόβα, σὲ δ’ ἔγωγε νέμω θεόν, ἅτ’ ἐν τάφῳ πετραίῳ, αἰαῖ, δακρύεις. οὔτοι σοὶ μούνᾳ, τέκνον, ἄχος ἐφάνη βροτῶν, πρὸς ὅ τι σὺ τῶν ἔνδον εἶ περισσά, οἷς ὁμόθεν εἶ καὶ γονᾷ ξύναιμος, οἵα Χρυσόθεμις ζώει καὶ Ἰφιάνασσα,
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156 Das generalisierende Maskulinum οἷς steht sicher, weil der Chor mit „die da drinnen“ τῶν ἔνδον zunächst ganz allgemein Elektras Schwestern bezeichnet (so richtig Jebb [422] und Kamerbeek [423] zur Stelle); zugleich scheint auch schon der Gedanke an den dann 158–63 genannten Orest vorzuschweben.
Kommentar
71
145 Sophokleische Helden beeindrucken die Zuschauer; Sympathie erwecken sie nicht immer. Elektra ist hier keine Ausnahme: Niemand hat von ihr verlangt, ihre „schauerlich getöteten Eltern zu vergessen“, und ihr Verdikt „töricht“ richtet sich indirekt auch gegen den wohlmeinenden Chor. Dass sie damit das Maß des „Normalen“ überschreitet (vgl. 140), ist ihr auch selbst bewusst (135 bezeichnet sie ihren Zustand selbst als „Raserei“; vielleicht übernimmt sie damit den Gesichtspunkt des Chors; vgl. Hutchinson [218] 53 Anm. 11), aber Kompromisse kann und will sie nicht eingehen. Für das Publikum wird dadurch die Frage nach einer moralischen und emotionalen Identifikation komplex: Dass Klytaimestra und Aigisthos verurteilenswert sind, dass Elektra im Mythos auf der von den Göttern unterstützten Seite steht, ist ihm bewusst, ebenso aber auch, dass es mit den Trostargumenten des Chors übereinstimmt und dass Elektras Verhalten alles sozialverträgliche Maß übersteigt. 147–152 Elektra vergleicht sich mit zwei mythischen Figuren, die als Urbilder ewiger Trauer häufig in der griechischen Literatur genannt werden: Die um ihren Sohn Itys trauernde Prokne hatte sie bereits V. 107 erwähnt; warum die Nachtigall hier als „Bote des Zeus“ bezeichnet wird, darüber können wir nur spekulieren. Hinzu kommt als weiteres Exempel Niobe, deren zahlreiche Kinder allesamt von Apollon und Artemis getötet werden und die aus Trauer über den Verlust in einen Fels im Gebirge Sipylos (in der heutigen Türkei) verwandelt wird. Den Niobemythos hatte Sophokles in einer (uns leider verlorenen) Tragödie gestaltet (Barrett [58]). Auch Antigone zitiert die Trauer Niobes als mythisches Vorbild (Antigone 823–833). 157 Zu den Namen und der Anzahl der Töchter Agamemnons s. oben S. 9f. und unten zu V. 1010.
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El.
Parodos 158–177
und in seiner Jugend, verborgen vor den Schmerzen, ist er glücklich, den einst das berühmte Land von Mykene empfangen wird, den Edlen, wenn er mit wohlwollendem Schritt des Zeus in dieses Land kommt: Orest. Auf ihn warte ich unermüdlich, kinderlos, ich Arme, unverheiratet, und verbringe meine Zeit tränennass, in diesem unendlichen Schicksal voller Kummer. Er aber vergisst, was er erlitt und was er erfuhr. Denn wieviel täuschende Botschaften sind mir nicht schon gekommen? Denn immer will er kommen, doch obwohl er will, geruht er nicht zu erscheinen.
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Cho. Nur Mut, nur Mut, mein Kind! Gegenstr. 2 Noch ist groß im Himmel Zeus, der alles sieht und lenkt. 175 Stell ihm deinen unmäßig schmerzenden Groll anheim und lass weder dich von denen, die du hasst, zu sehr belasten, noch vergiss!
Ηλ.
Χο.
κρυπτᾷ τ’ ἀχέων ἐν ἥβᾳ ὄλβιος, ὃν ἁ κλεινὰ γᾶ ποτε Μυκηναίων δέξεται εὐπατρίδαν, Διὸς εὔφρονι βήματι μολόντα τάνδε γᾶν Ὀρέσταν. ὅν γ’ ἐγὼ ἀκάματα προσμένουσ’, ἄτεκνος, τάλαιν’, ἀνύμφευτος, αἰὲν οἰχνῶ, δάκρυσι μυδαλέα, τὸν ἀνήνυτον οἶτον ἔχουσα κακῶν· ὁ δὲ λάθεται ὧν τ’ ἔπαθ’ ὧν τ’ ἐδάη· τί γὰρ οὐκ ἐμοὶ ἔρχεται ἀγγελίας ἀπατώμενον; ἀεὶ μὲν γὰρ ποθεῖ, ποθῶν δ’ οὐκ ἀξιοῖ φανῆναι. θάρσει μοι, θάρσει, τέκνον· ἔτι μέγας οὐρανῷ Ζεύς, ὃς ἐφορᾷ πάντα καὶ κρατύνει· ᾧ τὸν ὑπεραλγῆ χόλον νέμουσα μήθ’ οἷς ἐχθαίρεις ὑπεράχθεο μήτ’ ἐπιλάθου.
160
165
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ἀντ. βʹ 175
Kommentar
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163 Wirkungsvoll steht der Name Orest erst ganz am Ende dieses langen Satzes. Wenn die Frauen des Chors seine Heimkehr herbeisehnen, so befinden sich die Zuschauer in der Lage, schon mehr zu wissen als die Bühnenfiguren: dass Orest bereits heimgekehrt ist, haben sie gerade gesehen. Unmissverständlich sieht auch der Chor in dieser Heimkehr den Willen der Götter erfüllt. 164 In einer Gesellschaft, die Frauen Wert und Stellung ausschließlich in ihrer Funktion als Ehefrau und Mutter zumaß, klang Elektras Klage viel bitterer, als es moderne Leser zunächst wahrnehmen: „kinderlos“ und „unverheiratet“ zu bleiben, ist für eine antike griechische Frau nicht ein denkbarer Lebensentwurf, sondern ein völliges Verfehlen all dessen, was ein weibliches Leben als gelungen erscheinen lässt. 169 Über den genauen Inhalt von „was er erlitt und was er erfuhr“ sind die modernen Interpreten uneinig: weil „leiden“ (epath’) im Griechischen sowohl positive als auch negative Erfahrungen bezeichnen kann (wie unser „erleben“), könnte damit sowohl das Orest durch die Tötung seines Vaters und das Vorenthalten seines Erbes angetane Unrecht gemeint sein (so Jebb [5]) als auch die Wohltat, die er erhielt, als Elektra sein Leben rettete (Finglass [8]). Was das „erfuhr“ bezeichnen soll, ist ganz unklar: Meint Elektra damit eventuell Botschaften von ihr, die Orest über die Zustände in Argos informieren? Zu Recht wendet Finglass [8] ein, dass von solchen Botschaften sonst nirgendwo die Rede ist. Am besten scheint es wohl, „was er erlitt und was er erfuhr“ als unspezifischen „polaren Ausdruck“ aufzufassen, wie sie das Griechische und insbesondere die griechische Dichtersprache liebt: Ausdrücke wie „nah und fern“ oder „Menschen und Götter“ sollen durch die Nennung von Gegensätzen die Vollständigkeit eines Begriffs betonen, wobei „eines der beiden Glieder […] nur der Polarität wegen, also ohne Rücksicht auf eine mögliche Beziehung zu den Umständen oder Sachverhalten gesetzt werden kann“ (Kannicht [25] zu Eur. Helena 229–231; vgl. Finglass [8] zu V. 305–6; von Wilamowitz-Moellendorff [39] zu Eur. Herakles 1106). Elektra beklagt, ihr Bruder habe völlig vergessen, dass die Lage in Argos seine (sofortige) Rückkehr erfordert. Auch hier ergibt sich die besondere emotionale Wirkung daraus, dass die Zuschauer wissen, wie sehr diese Lage Orest präsent ist (s. oben zu V. 163). 171 Psychologisch meisterhaft drückt Sophokles in diesen Versen Elektras ganze Verzweiflung aus: „er sehnt sich“ scheint geradezu aus Botschaften Orests (wie sie V. 1153–1156 erwähnt werden) zu zitieren (so richtig Kaibel [9]; in moderner Literatur würden wir von „erlebter Rede“ sprechen). Wenn Elektra dieses „er sehnt sich“ mit dem nächsten Wort noch einmal aufgreift (pothei pothōn „er sehnt sich, doch obwohl er sich sehnt“), so verlagert sie ein beliebtes rhetorisches Mittel, die polemische Wiederholung einzelner Wörter des Gegners, in ihr eigenes Inneres (s. unten zu V. 790; Finglass [8] verweist auf die ähnliche Wiederholung in 319). Ebenso verdeutlicht das höhnische „er geruht nicht“ grell den Kontrast zwischen dem (aus Elektras Sicht) sorglos dahinlebenden Bruder und ihr selbst, die sie dem Unglück nicht entgehen
74
El.
Parodos 178–194
Denn ein günstiger Gott ist die Zeit, denn weder er, der bei Krisa die rinderweidende Küste bewohnt, der Sohn Agamemnons, ist unbekümmert, noch der Gott, der beim Acheron herrscht. Aber mir ist der größte Teil des Lebens schon vergangen ohne Hoffnung, und ich habe keine Kraft mehr: denn ohne Kinder vergehe ich, kein Mann stellt sich als treuer Beschützer vor mich, sondern wie eine Fremde, unwürdig, bewohne ich das Haus meines Vaters, in solch unansehnlicher Kleidung, und leer sind die Tische, an denen ich stehe.
Cho. Jammervoll war der Schrei bei der Heimkehr, jammervoll im Schlafzimmer deines Vaters,
Ηλ.
Χο.
χρόνος γὰρ εὐμαρὴς θεός· οὔτε γὰρ ὁ τὰν Κρῖσᾳ βούνομον ἔχων ἀκτὰν παῖς Ἀγαμεμνονίδας ἀπερίτροπος, οὔθ’ ὁ παρὰ τὸν Ἀχέροντα θεὸς ἀνάσσων. ἀλλ’ ἐμὲ μὲν ὁ πολὺς ἀπολέλοιπεν ἤδη βίοτος ἀνέλπιστος, οὐδ’ ἔτ’ ἀρκῶ· ἅτις ἄνευ τεκέων κατατάκομαι, ἇς φίλος οὔτις ἀνὴρ ὑπερίσταται, ἀλλ’ ἁπερεί τις ἔποικος ἀναξία οἰκονομῶ θαλάμους πατρός, ὧδε μὲν ἀεικεῖ σὺν στολᾷ, κεναῖς δ’ †ἀφίσταμαι† τραπέζαις. οἰκτρὰ μὲν νόστοις αὐδά, οἰκτρὰ δ’ ἐν κοίταις πατρῴαις,
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στρ. γʹ
187 Gegen Finkelberg [151], die das von der Mehrzahl der Hss. überlieferte τοκέων gegenüber τεκέων halten möchte, scheinen mir die Argumente von Finglass [8] stärker: Elektra kann kaum Klytaimestra und Agamemnon auf diese Weise gemeinsam als „Eltern“ bezeichnen. 192 Die von der Mehrzahl der Handschriften überlieferten Lesarten ἀφίσταμαι (Lac) oder ἐφίσταμαι sind metrisch wenig plausibel; das in einigen späten Manuskripten zu findende und von den meisten Herausgebern übernommene ἀμφίσταμαι (s. Dawe [118] 1.177–178) korrigiert zwar die metrische Form, nicht aber den Sinn: Elektra alleine kann nicht die leeren Tische „umstehen“. Wenn man nicht (mit 142) die ungewöhnliche Responsion akzeptieren will, muss man den Text ändern oder Cruces setzen.
Kommentar
75
kann. 178 Die als Gott personifizierte Zeit ist „günstig“ nicht im Sinn des Trostarguments „Zeit heilt alle Wunden“, sondern weil sie letztlich Orest herbeiführen wird; der Chor fordert Elektra also zur Zuversicht auf. 180 Krisa ist eine Stadt in der Landschaft Phokis, unweit von Delphi; dorthin war Orest gerettet worden. 183 „Der Gott, der beim Acheron herrscht“, ist Hades, der Beherrscher der Unterwelt, zu dem Elektra bereits in V. 110 gebetet hatte. 193 Der Chor war gekommen, um Elektra zu trösten und zur Mäßigung anzuhalten; in paradoxer Verkehrung aber schließt er sich jetzt Elektra an und gibt eine knappe, in ihrer impressionistischen Bildhaftigkeit überaus lebendige Darstellung des Mords an Agamemnon: Elektra hat „gesiegt“ (V. 253, vgl. Kitzinger [232] 306). Damit wird den Zuschauern deutlich, dass die Frauen tatsächlich auf Elektras Seite stehen: Mögen sie die Klagen unmäßig finden, so haben doch auch sie das Grauen dieses Tags keineswegs vergessen. Der „jammervolle Schrei“ in diesem und dem nächsten Vers muss Agamemnons Todesschrei sein; an Kassandra zu denken (so Jebb [5]), bietet unsere Stelle keine Veranlassung (so richtig Kaibel [9] und Finglass [8]).
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El.
Ηλ.
Parodos 195–211
als gegen ihn der Hieb des ehernen Rachens geführt wurde. List ersann, Leidenschaft tötete, grässlich erzeugten sie eine grässliche Gestalt, ob es nun ein Gott war oder ein Mensch, der dies tat. Oh jener Tag, mehr als alle anderen kam er zu mir als schlimmster Feind: Nacht, unsäglicher Mahlzeiten übermäßige Last! Sie erblickte mein Vater, schändlichen Tod von Zwillingshänden, die mein Leben raubten und preisgaben, die mich vernichteten. Möge ihnen der große Gott auf dem Olymp strafende Leiden zu leiden geben, mögen sie niemals mehr Festglanz genießen, ὅτε οἱ παγχάλκων ἀνταία γενύων ὡρμάθη πλαγά. δόλος ἦν ὁ φράσας, ἔρος ὁ κτείνας, δεινὰν δεινῶς προφυτεύσαντες μορφάν, εἴτ’ οὖν θεὸς εἴτε βροτῶν ἦν ὁ ταῦτα πράσσων. ὦ πασᾶν κείνα πλέον ἁμέρα ἐλθοῦσ’ ἐχθίστα δή μοι· ὦ νύξ, ὦ δείπνων ἀρρήτων ἔκπαγλ’ ἄχθη· τοὺς ἐμὸς ἴδε πατὴρ θανάτους αἰκεῖς διδύμαιν χειροῖν, αἳ τὸν ἐμὸν εἷλον βίον πρόδοτον, αἵ μ’ ἀπώλεσαν· οἷς θεὸς ὁ μέγας Ὀλύμπιος ποίνιμα πάθεα παθεῖν πόροι, μηδέ ποτ’ ἀγλαΐας ἀποναίατο
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205 Das Relativpronomen τούς schließt an das Neutrum ἄχθη im vorhergehenden Vers an, ist aber im Geschlecht an die Apposition θανάτους im nächsten Vers attrahiert. Die Konstruktion ist kühn, aber nicht unverständlich; Johnsons Konjektur τοῖς (von Finglass [8] in den Text übernommen) bezöge sich auf δείπνων: „(Mahlzeiten,) bei denen mein Vater den Tod erblickte…“. Dadurch wird, wie Lloyd-Jones/Wilson [257] 47 schreiben, die Syntax regelmäßiger, doch die Verschreibung ist kaum wahrscheinlich; der schwierigere Text der Handschriften sollte gehalten werden.
Kommentar
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203 Sophokles lässt die Ermordung Agamemnons in dessen Haus bei einem Gastmahl zur Feier seiner Heimkehr aus Troia geschehen (anders als Aischylos, der Agamemnon im Bad sterben lässt). Elektras Worte hier und V. 192 fassen die Pervertierung aller menschlichen und familiären Bindungen im Haus Agamemnons bildlich in Beschreibungen pervertierter Mahlzeiten zusammen (plausibel ist der Hinweis von Kaibel [9] zur Stelle, damit werde das Publikum auch an Thyestes erinnert, dem sein Bruder die eigenen Kinder als Mahl vorsetzte); der Gedanke an Agamemnons Todesmahl „belastet“ sie über alle Maßen. 210 Die deutliche p-Alliteration in diesem Vers malt Elektras steigende Erregung; sie wird in V. 213 vom Chor aufgegriffen, der sie wiederum zur Mäßigung auffordert.
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Parodos 212–226
die solche Taten verübt. Cho. Gib Acht, sag nicht noch mehr! Gegenstr. 3 Ist dir nicht bewusst, woher deine Lage stammt? Fällst du so schändlich 215 in dein eigenes Unglück? Ein Übermaß an Leiden hast du dir erworben, weil du in deiner zornigen Seele immer Kriege gebierst. Doch mit den Mächtigen kann man so nicht streiten und hadern. 220 El. Zu Schrecklichem wurde ich durch Schreckliches gezwungen! Ich weiß es, meine Leidenschaft entgeht mir nicht. Und doch werde ich in der Schrecknis nicht hemmen dieses Unheil, solange das Leben mich erhält. 225 Denn von wem, ihr lieben Mädchen, τοιάδ’ ἀνύσαντες ἔργα. Χο.
Ηλ.
φράζου μὴ πόρσω φωνεῖν· οὐ γνώμαν ἴσχεις ἐξ οἵων τὰ παρόντ’; οἰκείας εἰς ἄτας ἐμπίπτεις οὕτως αἰκῶς; πολὺ γάρ τι κακῶν ὑπερεκτήσω, σᾷ δυσθύμῳ τίκτουσ’ αἰεὶ ψυχᾷ πολέμους· τὰ δὲ τοῖς δυνατοῖς οὐκ ἐριστὰ πλάθειν. δείν’ ἐν δεινοῖς ἠναγκάσθην· ἔξοιδ’, οὐ λάθει μ’ ὀργά. ἀλλ’ ἐν γὰρ δεινοῖς οὐ σχήσω ταύτας ἄτας, ὄφρα με βίος ἔχῃ· τίνι γάρ ποτ’ ἄν, ὦ φιλία γενέθλα,
ἀντ. γʹ 215
220
225
220 Die von Lloyd-Jones/Wilson [257] 47 und Finglass [8] zur Stelle befürwortete Konjektur Jacksons τλᾶθι kann nicht überzeugen (eine Verschreibung in das selten πλάθειν erscheint paläographisch unplausibel); mit Jebb [5] sollte man der Überlieferung folgen und πλάθειν als epexegetischen Infinitiv konstruieren. 224 ἄτας antwortet auf das ἄτας des Chors in 215 und sollte nicht geändert werden; als polemisches Zitat des Gegenübers bezeichnet es Elektras jammervolles Leben. 226 Die Konstruktion von ἀκούω mit einem Dativ ist ungewöhnlich; die Kommentatoren denken an einen dativus ethicus (Jebb [5]: „in the judgment of what person?“) oder an eine Analogie zu Verben des Empfangens (Kaibel [9], nach den Scholien). Weniger überzeugend ist die von Leinieks [245] vorgeschlagene Textänderung.
Kommentar
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218 Schon zweimal (164, 187) hat Elektra ihre Kinderlosigkeit als Facette ihres Unglücks hervorgehoben. Der Chor greift dieses Motiv hier und V. 235 auf: Sie „gebiert Kriege“ durch ihren Zorn und Hass auf Klytaimestra und Aigisthos. 221 Elektra ist sich bewusst, dass ihr Verhalten Normen überschreitet, die andere Menschen als verbindlich ansehen; ihre Trauer entstammt nicht einer Verkennung der Machtverhältnisse, sondern dem festen Vertrauen, die Götter auf ihrer Seite zu haben.
80
Parodos 227–245
würde ich je ein zuträgliches Wort hören – von wem, der vernünftig denkt? Lasst mich, lasst mich, ihr Trösterinnen! Denn meine Lage kann man unlösbar nennen: Niemals werde ich von meinen Mühen rasten, jammern ohne Maß! Cho. Und doch sage ich mit Wohlwollen, wie eine treue Mutter, du sollst nicht Unheil zu Unheil gebären. El. Und welches Maß hat ihre Schlechtigkeit? Auf, wie wäre es schön, nachlässig zu sein bei den Verstorbenen? In welchem Menschen ist das je emporgekommen? Unter ihnen möchte ich weder Ehre genießen, noch, wenn ich etwas Trefflichem begegne, ruhig damit mein Leben verbringen, sollte ich die Schwingen meiner schrillen Klagen um die Eltern ohne Ehre halten. Denn wenn der Verstorbene Staub ist und als ein Nichts πρόσφορον ἀκούσαιμ’ ἔπος, τίνι φρονοῦντι καίρια; ἄνετέ μ’, ἄνετε, παράγοροι· τάδε γὰρ ἄλυτα κεκλήσεται· οὐδέ ποτ’ ἐκ καμάτων ἀποπαύσομαι ἀνάριθμος ὧδε θρήνων. Χο. Ηλ.
ἀλλ’ οὖν εὐνοίᾳ γ’ αὐδῶ, μάτηρ ὡσεί τις πιστά, μὴ τίκτειν σ’ ἄταν ἄταις. καὶ τί μέτρον κακότατος ἔφυ; φέρε, πῶς ἐπὶ τοῖς φθιμένοις ἀμελεῖν καλόν; ἐν τίνι τοῦτ’ ἔβλαστ’ ἀνθρώπων; μήτ’ εἴην ἔντιμος τούτοις, μήτ’, εἴ τῳ πρόσκειμαι χρηστῷ, ξυνναίοιμ’ εὔκηλος, γονέων ἐκτίμους ἴσχουσα πτέρυγας ὀξυτόνων γόων. εἰ γὰρ ὁ μὲν θανὼν γᾶ τε καὶ οὐδὲν ὢν
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Ep. 235
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ἐπ. 235
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236 Die Scholien und einige moderne Interpreten (etwa Jebb [5]) beziehen κακότατος auf Elektras „schlimme Lage“, doch wahrscheinlicher ist der Bezug auf die „Schlechtigkeit“ von Klytaimestra und Aigisthos.
Kommentar
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242 Für das anschauliche und schöne Bild der „Schwinge der Klagen“ gibt es in der griechischen Literatur keine wirkliche Parallele.
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Parodos / Erstes Epeisodion 246–260
erbärmlich daliegt, sie aber nicht ihrerseits vergeltende Buße für Mord zahlen werden, dann würde Respekt und Götterverehrung von allen Menschen verlassen. Cho. Ich kam, mein Kind, sowohl in deiner als auch in meiner eigenen Sache – wenn ich nicht recht spreche, behalte du den Sieg! Denn dir werden wir folgen. El. Ich schäme mich, ihr Frauen, wenn euch durch meine vielen Klagen scheint, meine Trauer sei übermäßig. Aber die Gewalt zwingt mich, so zu handeln, verzeiht! Denn wie könnte, wer eine edle Frau ist, nicht so handeln, wenn sie das Unglück ihres Vaters sieht – und ich muss bei Tag und bei Nacht immerzu sehen, dass es immer mehr erblüht statt abzusterben. κείσεται τάλας, οἱ δὲ μὴ πάλιν δώσουσ’ ἀντιφόνους δίκας, ἔρροι τ’ ἂν αἰδὼς ἁπάντων τ’ εὐσέβεια θνατῶν. Χο. Ηλ.
ἐγὼ μέν, ὦ παῖ, καὶ τὸ σὸν σπεύδουσ’ ἅμα καὶ τοὐμὸν αὐτῆς ἦλθον· εἰ δὲ μὴ καλῶς λέγω, σὺ νίκα· σοὶ γὰρ ἑψόμεσθ’ ἅμα. αἰσχύνομαι μέν, ὦ γυναῖκες, εἰ δοκῶ πολλοῖσι θρήνοις δυσφορεῖν ὑμῖν ἄγαν· ἀλλ’ ἡ βία γὰρ ταῦτ’ ἀναγκάζει με δρᾶν, σύγγνωτε· πῶς γὰρ ἥτις εὐγενὴς γυνή, πατρῷ’ ὁρῶσα πήματ’, οὐ δρῴη τάδ’ ἄν, ἁγὼ κατ’ ἦμαρ καὶ κατ’ εὐφρόνην ἀεὶ θάλλοντα μᾶλλον ἢ καταφθίνονθ’ ὁρῶ;
250
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Kommentar
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249–250 Wenn Klytaimestra und Aigisthos für ihr Verbrechen nicht bestraft würden, dann wären Respekt unter Menschen und Verehrung für die Götter sinnlos: In ähnlicher Weise stellt auch der Chor des König Ödipus (895–910) Reigentanz und Götterverehrung in Frage, wenn Schuld ungesühnt bleibt. 251–471 Erstes Epeisodion. In zwei kontrastierenden Szenen lernen wir Elektras Charakter und Leben näher kennen. Das Gespräch mit der Chorführerin führt in ruhigerer Sprache Motive aus dem gesungenen Dialog der Parodos fort und zeigt, dass der Chor zu Elektra steht, aber ihre Unbeugsamkeit nicht besitzt. Spannungsreicher verläuft die Begegnung mit ihrer Schwester Chrysothemis: In der sich zur Stichomythie verdichtenden Auseinandersetzung scheint es beinahe zum vollständigen Zerwürfnis der Schwestern zu kommen, bevor Chrysothemis der Bitte Elektras entspricht, die Opfergaben Klytaimestras nicht auf Agamemnons Grab zu legen. 251–327 In der griechischen Tragödie ist es nicht selten, dass dieselben Handlungen und Umstände in verschiedenen Metren (und damit oftmals auch verschiedenen Dialekten) dargestellt werden; regelmäßig fällt dabei der lyrischen Partie die Rolle zu, emotionale Aspekte in den Vordergrund zu stellen, während die Darstellung in Iamben stärker erzählerisch und abwägend ist (vgl. Dale [16] 74f.; Kannicht [25] 2, 85f.; weitere Beispiele in Fauner [149]; dort zu unserer Passage 28–32). Dieses Muster sehen wir auch hier: Während Elektra im Wechselgesang mit dem Chor ihr Leiden expressiv ausdrückt, gibt sie jetzt eine anschauliche Schilderung der alltäglichen Demütigungen, denen sie ausgesetzt ist. 251 Der Chor hat versucht, Elektra zu trösten und sie von seiner Solidarität zu überzeugen; inwiefern er auch „in eigener Sache“ gekommen ist, wird nicht ganz deutlich – auch hier handelt es sich wohl um eine „polare Ausdrucksweise“ (oben zu V. 169), die die enge menschliche Bindung zwischen Chorfrauen und Elektra ausdrücken soll. 254 Wenn Elektra sagt, sie „schäme sich“ für ihr Verhalten, so müssen wir verstehen, dass die griechische Konzeption der Scham stärker als unser modernes Verständnis gesellschaftlich ausgerichtet ist: Wer falsch handelt, verliert den Respekt der Gesellschaft, in der er lebt; ein solcher Gesichtsverlust ist ein mächtiger Antrieb, bestimmte Handlungen zu unternehmen oder zu unterlassen (grundlegend dazu Cairns [93]). Elektras unablässiges öffentliches Klagen ist ein Verstoß gegen gesellschaftliche Konventionen: so etwas „gehört sich nicht“ für eine Frau aus königlicher Familie. Ihr Eingeständnis, sich zu schämen, weist also nicht auf ein schlechtes Gewissen oder einen inneren Zwiespalt hin; vielmehr steht sie in einem Wertekonflikt: Trauer, Liebe und Respekt für ihren Vater verlangen etwas anderes von ihr als die gesellschaftlichen Konventionen. Elektra hat in diesem Konflikt eine klare Wahl getroffen: Was sie ihrem Vater schuldet, wiegt deutlich schwerer als die Verletzung der gesellschaftlichen Normen (vgl. MacLeod [263] 56–60).
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Erstes Epeisodion 261–277
Erstens ist mir die Mutter, die mich gebar, ganz verhasst. Ferner wohne ich in meinem eigenen Haus mit den Mördern meines Vaters zusammen, werde von ihnen beherrscht, von ihnen hängt ab, ob ich etwas bekomme oder Mangel leide. Weiter: Was für Tage, meinst du, verbringe ich, wenn ich Aigisthos auf dem Thron sehe, der meinem Vater gehört, wenn ich sehe, dass er dieselben Kleider trägt wie jener und an dem Herd Trankopfer ausgießt, an dem er jenen umbrachte, und schließlich den Gipfel der Verhöhnung sehe, den Mörder selbst, wie er im Bett meines Vaters liegt mit der verfluchten Mutter – wenn man denn „Mutter“ die nennen soll, die mit diesem schläft! Und sie ist so dreist, dass sie mit dem Mordbefleckten zusammen lebt, ohne Furcht vor einer Rachegöttin! Ja, als wolle sie sich noch lustig machen über das Geschehene, ᾗ πρῶτα μὲν τὰ μητρὸς ἥ μ’ ἐγείνατο ἔχθιστα συμβέβηκεν· εἶτα δώμασιν ἐν τοῖς ἐμαυτῆς τοῖς φονεῦσι τοῦ πατρὸς ξύνειμι, κἀκ τῶνδ’ ἄρχομαι, κἀκ τῶνδέ μοι λαβεῖν θ’ ὁμοίως καὶ τὸ τητᾶσθαι πέλει. ἔπειτα ποίας ἡμέρας δοκεῖς μ’ ἄγειν, ὅταν θρόνοις Αἴγισθον ἐνθακοῦντ’ ἴδω τοῖσιν πατρῴοις, εἰσίδω δ’ ἐσθήματα φοροῦντ’ ἐκείνῳ ταὐτὰ καὶ παρεστίους σπένδοντα λοιβὰς ἔνθ’ ἐκεῖνον ὤλεσεν, ἴδω δὲ τούτων τὴν τελευταίαν ὕβριν, τὸν αὐτοφόντην ἧμιν ἐν κοίτῃ πατρὸς ξὺν τῇ ταλαίνῃ μητρί, μητέρ’ εἰ χρεὼν ταύτην προσαυδᾶν τῷδε συγκοιμωμένην. ἡ δ’ ὧδε τλήμων ὥστε τῷ μιάστορι ξύνεστ’, Ἐρινὺν οὔτιν’ ἐκφοβουμένη· ἀλλ’ ὥσπερ ἐγγελῶσα τοῖς ποιουμένοις,
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Kommentar
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Daher kann sie sagen, dass sie „Scham empfindet“ (V. 616) und ihr Handeln „schändlich“ sei (V. 621) oder dass sie nicht „sittsam“ sein könne (308). 261–281 In einer leidenschaftlichen und mitreißenden, aber klar gegliederten Rede legt Elektra dem Chor dar, worin die Kränkungen bestehen, die sie erleidet: (1) Zwischen ihrer Mutter und ihr selbst herrscht nichts als Hass; (2) sie muss mit den Mördern ihres Vaters zusammenleben und ist von ihnen abhängig; (3) sie muss mitansehen, wie Aigisthos hat Macht und Besitz ihres Vaters angeeignet hat; (4) ihre Mutter schläft in ihrem Ehebett mit dem Mörder des Vaters. Klytaimestra nehmen die Zuschauer zunächst lediglich aus der Außenperspektive Elektras wahr. Während sie in Aischylos’ Agamemnon die Bühne beherrschte und ihren Standpunkt ausführlich darlegen konnte, lädt uns das Drama des Sophokles weniger dazu ein, auch ihre Motive zu verstehen. Stattdessen wird uns lebhaft vor Augen geführt, dass ihr Unrecht nicht nur in der Ermordung Agamemnons besteht, sondern sie sich auch seitdem in ihrem Verhalten immer wieder schuldig gemacht hat. Dieser Aspekt wird sich bei ihrem Auftritt schlagend bestätigen (s. unten zu V. 516). 273–274 Das Adjektiv talaina wird in dieser Tragödie meist mit Bezug auf Elektra und Chrysothemis in der Bedeutung „unglücklich“ verwendet (s. unten zu V. 879); hier und in V. 1426 bezieht es sich auf Klytaimestra und ist ein Ausdruck der Missachtung. Das Motiv, dass Klytaimestra die Bezeichnung „Mutter“ nicht verdient, weil ihr Verhalten alles andere als mütterlich ist (vgl. Griffith [187]), kehrt im Text mehrfach wieder; V. 1154 wird Elektra sie eine „Unmutter“ nennen. 277 In einer Kultur, die menschliche Beziehungen in erster Linie in Termini von „Freundschaften“ und „Feindschaften“ sieht (dazu Blundell [70]) und persönlichen Status und Statusverlust äußerst wichtig nimmt, ist es eine besonders schlimme Vorstellung, dass sich Feinde ungestraft über jemanden lustig machen, ihn verlachen können. Der tote Agamemnon kann diese Form der Entehrung nicht mehr selbst abwehren, und in manchen Augenblicken fühlt sich auch Elektra selbst dem Hohngelächter ihrer Feinde hilflos ausgesetzt (s. etwa V. 807. 880. 1153; vgl. dagegen V. 1295. 1300); zu diesem entehrenden Lachen s. Knox [235] 30f., Wright [420] 180. Die Opfer und Feste, die Klytaimestra jeden Monat am Tag der Ermordung Agamemnons organisiert, gelten den „rettenden Göttern“, nicht dem Toten, und sind somit eine Pervertierung üblicher Totenrituale (überspitzt Seaford [336] 316f.). Das Motiv des am Tag der Ermordung begangenen Festes ist in den modernen Fassungen in unterschiedlicher Form rezipiert worden: In Voltaires Oreste ist es Égisthe, der ein solches Freudenfest befiehlt, während Clytemnestre ihre Tat bereut. Sartre kehrt raffiniert das sophokleische Detail um, dass Elektra bei diesen Festen als einzige trauert (282–285): Aus dem Freudenfest wird bei ihm ein dumpfes und unheimliches Trauer- und Reueritual, an dem alle Bürger von Argos teilnehmen – mit Ausnahme Électres, die auf diese Weise
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Erstes Epeisodion 278–295
findet sie jeden Monat jenen Tag, an dem sie meinen Vater mit List getötet hat, und organisiert an ihm Reigentänze und Schafsopfer und Riten für die rettenden Götter. Und ich Arme muss das im Haus mitansehen; ich weine, verzehre mich, beschluchze das Unglücksmahl, das nach meinem Vater benannt ist, allein für mich. Denn nicht einmal weinen darf ich so viel, wie mein Inneres Lust hat. Denn die da, äußerlich ganz edle Frau, erhebt die Stimme und stößt solche schlimmen Beschimpfungen aus: „Du gottverhasstes Ekel, ist denn dir allein der Vater verstorben? Trauert denn kein anderer Mensch? Verrecke, und aus deinen Klagen sollen dich die Götter der Unterwelt niemals befreien!“ So verhöhnt sie mich – außer, wenn sie von jemandem hört, Orest werde kommen, dann ist sie außer sich, kommt zu mir und schreit: „Bist du mir nicht daran schuld? εὑροῦσ’ ἐκείνην ἡμέραν ἐν ᾗ τότε πατέρα τὸν ἀμὸν ἐκ δόλου κατέκτανεν, ταύτῃ χοροὺς ἵστησι καὶ μηλοσφαγεῖ θεοῖσιν ἔμμην’ ἱερὰ τοῖς σωτηρίοις. ἐγὼ δ’ ὁρῶσ’ ἡ δύσμορος κατὰ στέγας κλαίω, τέτηκα, κἀπικωκύω πατρὸς τὴν δυστάλαιναν δαῖτ’ ἐπωνομασμένην αὐτὴ πρὸς αὐτήν· οὐδὲ γὰρ κλαῦσαι πάρα τοσόνδ’ ὅσον μοι θυμὸς ἡδονὴν φέρει. αὕτη γὰρ ἡ λόγοισι γενναία γυνὴ φωνοῦσα τοιάδ’ ἐξονειδίζει κακά· “ὦ δύσθεον μίσημα, σοὶ μόνῃ πατὴρ τέθνηκεν; ἄλλος δ’ οὔτις ἐν πένθει βροτῶν; κακῶς ὄλοιο, μηδέ σ’ ἐκ γόων ποτὲ τῶν νῦν ἀπαλλάξειαν οἱ κάτω θεοί.” τάδ’ ἐξυβρίζει, πλὴν ὅταν κλύῃ τινὸς ἥξοντ’ Ὀρέστην, τηνικαῦτα δ’ ἐμμανὴς βοᾷ παραστᾶσ’· “οὐ σύ μοι τῶνδ’ αἰτία;
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278 Das Verb εὑροῦσ(α) „findet“ ist unerwartet (Finglass [8] zur Stelle; Lloyd-Jones/Wilson [257] 47 nennen den Ausdruck „perfectly natural“, ohne jedoch Parallelen anzugeben), doch die vorgeschlagenen Emendationen (etwa Reiskes τηροῦσ’ „sie passt den Tag ab“) sind wenig überzeugend.
Kommentar
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ihre Freiheit manifestiert, nicht die faulen Kompromisse der umgebenden Gesellschaft einzugehen, sondern ein authentisches Leben zu führen. 287 Der Gegensatz zwischen Schein und Sein, oder „Wort“ (logos) und „Tat“ (ergon) spielt im griechischen Denken eine wichtige Rolle (vgl. in unserer Tragödie V. 59f., 357f. 1360; zu Versuchen, ihn zum zentralen Element des Texts zu machen, s. die berechtigte Skepsis von March [11] zu 59–61). In der Sicht Außenstehender ist Klytaimestra als Königin eine „edle Frau“; dass dieser Schein trügt, will Elektra zeigen. Höhnisch zitiert sie hier das Attribut „edel“ ebenso wie kurz darauf (300) „berühmt“ (für Aigisthos), um diesen Zwiespalt zwischen Schein und Sein grell hervorzuheben. 289 Dass eine Bühnengestalt die direkte Rede eines anderen wiedergibt, ist in der attischen Tragödie nicht ungewöhnlich (s. Bers [65]). Dennoch ist auffällig, wie sehr sich Elektra hier in ihre verhasste Mutter verwandelt, wie leidenschaftlich sie deren Emotionen wiedergibt: Sie spielt hier geradezu eine Rolle. In der wiedergegebenen Rede verwendet Klytaimestra Argumente, die auch in Trostreden häufig zu finden sind und vom Chor ähnlich bereits vorgebracht worden waren (153–4), doch tut sie dies in aggressiver Weise, um ihre Tochter zu verletzen (und dieses Trostargument macht sich im Mund der Mörderin mehr als seltsam aus). Gerade die unterschiedliche Verwendungsweise macht für die Zuschauer den Kontrast wahrnehmbar: Während der Chor sich „wie eine Mutter“ um Elektra kümmert (234), ist Klytaimestra eine „Unmutter“ (1154, vgl. 273); darin liegt sicher keine Kritik am Chor, wie Kaibel [9] meint (so richtig Kamerbeek [6]). 293 Klytaimestras Furcht vor Orestes bereitet uns schon auf ihren Traum und die ängstliche Reaktion darauf (410–430) vor und bestätigt noch einmal, was wir schon aus der Erwähnung des Chors (159–163) und der Sehnsucht Elektras (164–172) schließen konnten: In Argos herrscht eine dumpfe Atmosphäre, deren Spannung nun durch das Kommen Orests gelöst wird; in dieser Dunkelheit wird er tatsächlich „wie ein Stern“ (66) erscheinen.
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Erstes Epeisodion 296–315
Ist das nicht dein Werk? Du hast aus meinen Händen Orest gestohlen und herausgeschafft! Aber wisse wohl: Dafür wirst du die gerechte Strafe zahlen!“ So bellt sie, und mit ihr führt daneben der famose Bräutigam dieselben Hetzreden wie sie, feiger Schwächling, Schädling ganz und gar, der nur im Verbund mit Frauen Schlachten schlägt! Und ich warte immerzu, dass Orest kommt und all dem ein Ende macht, ich Arme, und gehe zugrunde! Denn immer „wird er“ etwas tun und hat alle meine Hoffnungen, wirkliche und unwirkliche, zerstört. In einer solchen Situation, ihr Lieben, kann man weder vernünftig noch sittsam sein, sondern in schlechter Lage muss man ganz notwendigerweise auch selbst Schlechtes tun! Cho. So sag uns: ist Aigisthos in der Nähe oder aus dem Haus gegangen, während du so zu uns sprichst? El. Fort natürlich! Glaub nur nicht, dass, wäre er in der Nähe, ich nach draußen käme! Er ist gerade außerhalb der Stadt. Cho. Dann kann ja auch ich mehr Mut fassen und mit dir ins Gespräch kommen, da sich das so verhält.
Χο. Ηλ. Χο.
οὐ σὸν τόδ’ ἐστὶ τοὔργον, ἥτις ἐκ χερῶν κλέψασ’ Ὀρέστην τῶν ἐμῶν ὑπεξέθου; ἀλλ’ ἴσθι τοι τείσουσά γ’ ἀξίαν δίκην.” τοιαῦθ’ ὑλακτεῖ, σὺν δ’ ἐποτρύνει πέλας ὁ κλεινὸς αὐτῇ ταὐτὰ νυμφίος παρών, ὁ πάντ’ ἄναλκις οὗτος, ἡ πᾶσα βλάβη, ὁ σὺν γυναιξὶ τὰς μάχας ποιούμενος. ἐγὼ δ’, Ὀρέστην τῶνδε προσμένουσ’ ἀεὶ παυστῆρ’ ἐφήξειν, ἡ τάλαιν’ ἀπόλλυμαι· μέλλων γὰρ αἰεὶ δρᾶν τι τὰς οὔσας τέ μου καὶ τὰς ἀπούσας ἐλπίδας διέφθορεν. ἐν οὖν τοιούτοις οὔτε σωφρονεῖν, φίλαι, οὔτ’ εὐσεβεῖν πάρεστιν· ἀλλ’ ἐν τοῖς κακοῖς πολλή ’στ’ ἀνάγκη κἀπιτηδεύειν κακά. φέρ’ εἰπέ, πότερον ὄντος Αἰγίσθου πέλας λέγεις τάδ’ ἡμῖν, ἢ βεβῶτος ἐκ δόμων; ἦ κάρτα· μὴ δόκει μ’ ἄν, εἴπερ ἦν πέλας, θυραῖον οἰχνεῖν· νῦν δ’ ἀγροῖσι τυγχάνει. ἦ κἂν ἐγὼ θαρσοῦσα μᾶλλον ἐς λόγους τοὺς σοὺς ἱκοίμην, εἴπερ ὧδε ταῦτ’ ἔχει.
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296 Wenn Klytaimestra hier die Rettung Orests durch Elektra für ihre Angst verantwortlich macht, so scheint sie damit nahezulegen, sie hätte Orest sonst ebenfalls umgebracht (March [11], vorsichtiger Kamerbeek [6]). Allerdings müssen wir bedenken, dass Klytaimestra hier nicht selbst spricht, sondern ihre Rede durch Elektras Hass gefiltert wird. 305 Ähnlich wie bereits in 171 (und später wieder in 319) beklagt Elektra das lange Ausbleiben ihres Bruders. Die Zuschauer wissen, dass Orest inzwischen nicht mehr lediglich etwas „tun will“, sondern tatsächlich bereits in Argos ist. 306 „Wirkliche und unwirkliche“, wörtlich „anwesende und abwesende“ Hoffnungen: ein weiterer „polarer Ausdruck“; s. oben zu V. 169. 310 Aigisthos erscheint erst V. 1442, kurz vor dem Ende des Stücks, selbst auf der Bühne, doch auch abwesend ragt er als bedrohliche Macht in das Geschehen. Seine Abwesenheit wird nicht erklärt; mit seiner Rückkehr ist ständig zu rechnen. Dass Elektra ihn besonders fürchten muss, wird in späteren Äußerungen bestätigt werden (vgl. etwa 386, 517–520, 626–627); er mag in ihren Augen ein „Schwächling“ (301) sein und bleibt doch eine Gefahr sowohl für sie als auch für den Plan des Orest.
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Erstes Epeisodion 316–332
El. Er ist fort; frag also, was du willst! Cho. So frage ich dich: Was sagst du von deinem Bruder, wird er kommen oder noch zaudern? Das möchte ich wissen. El. Er sagt, er kommt – doch von dem, was er sagt, tut er nichts! Cho. Ja, es pflegt ein Mann zu zaudern, der eine große Tat vorhat. El. Und doch hab ich ihn ohne Zaudern gerettet! Cho. Nur Mut! Er ist von edler Natur und wird seinen Lieben beistehen. El. Darauf vertraue ich – sonst hätte ich nicht so lange gelebt! Cho. Sag nichts mehr! Ich sehe aus dem Haus kommen deine Schwester, vom selben Vater gezeugt, Chrysothemis – und von derselben Mutter geboren. In den Händen trägt sie Grabspenden, wie sie für die Toten üblich sind. Chrysothemis (aus dem Palast auftretend) Was kommst du wieder vor den Hof hinaus und was erzählst du hier, Schwester? Willst du nicht nach so langer Zeit endlich lernen, deinem sinnlosen Zorn nicht nachzugeben? Und doch weiß ich auch über mich so viel: Ηλ. Χο. Ηλ. Χο. Ηλ. Χο. Ηλ. Χο.
ὡς νῦν ἀπόντος ἱστόρει τί σοι φίλον. καὶ δή σ’ ἐρωτῶ. τοῦ κασιγνήτου τί φῄς, ἥξοντος ἢ μέλλοντος; εἰδέναι θέλω. φησίν γε· φάσκων δ’ οὐδὲν ὧν λέγει ποεῖ. φιλεῖ γὰρ ὀκνεῖν πρᾶγμ’ ἀνὴρ πράσσων μέγα. καὶ μὴν ἔγωγ’ ἔσωσ’ ἐκεῖνον οὐκ ὄκνῳ. θάρσει· πέφυκεν ἐσθλὸς ὥστ’ ἀρκεῖν φίλοις. πέποιθ’, ἐπεί τἂν οὐ μακρὰν ἔζων ἐγώ. μὴ νῦν ἔτ’ εἴπῃς μηδέν· ὡς δόμων ὁρῶ τὴν σὴν ὅμαιμον, ἐκ πατρὸς ταὐτοῦ φύσιν, Χρυσόθεμιν, ἔκ τε μητρός, ἐντάφια χεροῖν φέρουσαν, οἷα τοῖς κάτω νομίζεται.
Χρυσόθεμις τίν’ αὖ σὺ τήνδε πρὸς θυρῶνος ἐξόδοις ἐλθοῦσα φωνεῖς, ὦ κασιγνήτη, φάτιν, κοὐδ’ ἐν χρόνῳ μακρῷ διδαχθῆναι θέλεις θυμῷ ματαίῳ μὴ χαρίζεσθαι κενά; καίτοι τοσοῦτόν γ’ οἶδα κἀμαυτὴν ὅτι
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317 Wir haben die Rückkehr Orests gerade miterlebt, in unserem Bewusstsein ist er präsent. Dennoch muss man, wollte man rationalistisch nachrechnen, zugeben, dass die Frage nach ihm gerade jetzt aus der Perspektive des Chors nicht recht motiviert ist: Elektra hat gerade V. 303f. erwähnt, dass sie Orest ständig erwarte, und warum sollte sie nach all den Jahren gerade heute in dieser Sache etwas Neues zu sagen haben? Kaibel [9] meint, der Chor sehe schon jetzt die mit Opfergaben aus dem Haus kommende Chrysothemis und schließe, diese Gaben könnten mit Orest zu tun haben, doch dies ist wenig plausibel: Das Verb „ich sehe“ (324) zeigt den Beginn des Auftritts an (s. Taplin [379] 72f.), und da Chrysothemis aus dem Bühnengebäude kommt und nicht von der Parodos, dauert ihr Auftreten nur recht kurze Zeit (s. Hourmouziades [216] 137–145; Mastronarde [270] 26–30), die von den vier Versen 324–327 ausgefüllt wird. Die dramatische Funktion lässt uns die fehlende Motivation der Frage vergessen: Wir erfahren, wie verzweifelt Elektras Lage ist und dass sie nur durch die Ankunft Orests gerettet werden kann (von Wilamowitz-Moellendorff [406] 172f.). 328–471 Aus dem Palast tritt Chrysothemis auf. Der Gegensatz zwischen beiden Schwestern wurde im Kostüm dem Publikum sichtbar gemacht; Chrysothemis’ prächtiges Gewand kontrastiert mit Elektras Lumpen. Das Unglück und Leid Elektras haben die Zuschauer in ihrem Austausch mit dem Chor ausführlich geschildert bekommen. Durch die Konfrontation mit ihrer Schwester wird uns ihre Entschlossenheit und heroische Stärke deutlicher: Elektra ist nicht nur eine Leidende, sondern in ihrer Unbeugsamkeit auch eine typische sophokleische Heldin. In ähnlicher Weise kontrastiert Sophokles auch seine Antigone mit einer weicheren, kompromissbereiten, unheroischen Schwester Ismene. Sicher zu Recht weisen einige Interpreten (etwa March [11] und Finglass [8]) darauf hin, dass Chrysothemis die warme Anteilnahme und Sorge für ihre Schwester fehlt, die Ismene auszeichnet; ihre Haltung scheint mehr von Eigennutz und Kalkül bestimmt als durch Ängstlichkeit. Deutlicher jedoch ist der Unterschied in der dramatischen Funktion: Chrysothemis trifft nicht nur (wie Ismene) in einer einzelnen kritischen Situation eine andere Entscheidung als ihre Schwester, sondern beide haben über viele Jahre fundamental unterschiedliche Leben geführt (Reinhardt [314] 153–156). Der Kontrast zwischen der abgehärmten und zerlumpten Elektra und ihrer Schwester macht die Zuschauer auf diesen Unterschied aufmerksam: Elektras Leben im Leid, so wird uns in der Konfrontation der beiden Schwestern noch einmal deutlich vor Augen geführt, entstammt ihrer eigenen, bewussten Entscheidung (s. oben zu V. 221); ihre Unbeugsamkeit verleiht ihr Größe. 328–330 Gleich in ihrer Anrede an die Schwester macht Chrysothemis deutlich, dass wir hier Zeugen einer Auseinandersetzung werden, die lange eine Vorgeschichte hat. Ihr „wieder“ und die Frage, ob Elektra nicht „nach so langer Zeit“ endlich Vernunft annehmen wolle, weisen auf den schon lange dauernden Konflikt zwischen den Schwestern hin; wenn sie gleich anschließend ihre eigene Lebensführung begründet und einräumt, auch sie traure um
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El.
Ηλ.
Erstes Epeisodion 333–351
Auch ich leide an der Situation! Könnte ich nur Kraft bekommen, dann wollte ich zeigen, was ich über sie denke! Doch jetzt muss man in schlimmem Wetter mit gerefften Segeln fahren und nicht nur etwas zu tun scheinen, ohne doch wirklich Schaden anzurichten. Ich wünschte, so würdest auch du handeln! Nun ist wirklich das Recht nicht so, wie ich rede, sondern wie du urteilst – aber wenn ich frei leben will, muss ich in allem auf die Machthaber hören. Das ist doch schrecklich: Du bist das Kind deines Vaters und vergisst ihn, kümmerst dich nur um die, die dich gebar! Denn alles, was du mir vorhältst, das hast du nur von ihr gelernt; nichts sagst du aus dir selbst! Denn eins von beiden musst du wählen: entweder unvernünftig sein oder vernünftig und an deine Liebsten nicht mehr denken. Gerade hast du doch gesagt, wenn du die Kraft bekommen könntest, würdest den Hass gegen sie schon zeigen: Wenn ich aber für unseren Vater in allem Vergeltung suche, dann machst du nicht mit, ja hältst mich vom Handeln ab! Ist das nicht schlecht und feige zugleich? ἀλγῶ ’πὶ τοῖς παροῦσιν· ὥστ’ ἄν, εἰ σθένος λάβοιμι, δηλώσαιμ’ ἂν οἷ’ αὐτοῖς φρονῶ· νῦν δ’ ἐν κακοῖς μοι πλεῖν ὑφειμένῃ δοκεῖ, καὶ μὴ δοκεῖν μὲν δρᾶν τι, πημαίνειν δὲ μή· τοιαῦτα δ’ ἄλλα καὶ σὲ βούλομαι ποεῖν. καίτοι τὸ μὲν δίκαιον οὐχ ᾗ ’γὼ λέγω, ἀλλ’ ᾗ σὺ κρίνεις· εἰ δ’ ἐλευθέραν με δεῖ ζῆν, τῶν κρατούντων ἐστὶ πάντ’ ἀκουστέα· δεινόν γέ σ’ οὖσαν πατρὸς οὗ σὺ παῖς ἔφυς κείνου λελῆσθαι, τῆς δὲ τικτούσης μέλειν. ἅπαντα γάρ σοι τἀμὰ νουθετήματα κείνης διδακτὰ κοὐδὲν ἐκ σαυτῆς λέγεις. ἔπειθ’ ἑλοῦ γε θάτερ’, ἢ φρονεῖν κακῶς ἢ τῶν φίλων φρονοῦσα μὴ μνήμην ἔχειν· ἥτις λέγεις μὲν ἀρτίως ὡς, εἰ λάβοις σθένος, τὸ τούτων μῖσος ἐκδείξειας ἄν· ἐμοῦ δὲ πατρὶ πάντα τιμωρουμένης οὔτε ξυνέρδεις τήν τε δρῶσαν ἐκτρέπεις· οὐ ταῦτα πρὸς κακοῖσι δειλίαν ἔχει;
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den Vater, aber es fehle ihr die Kraft zur Auflehnung, so wird deutlich, dass sie sich ihrer eigenen Wahl nicht sicher ist und in solchen Gesprächen „moralisch stets den kürzeren gezogen hat“ (Kaibel [9]; besonders deutlich ausgedrückt 338f.). 335 Antike Schiffe hatten keine Takelagen, daher ließen sie im Sturm die Segel herab, statt sie, wie neuzeitliche Schiffe, emporzuziehen; Ziel in beiden Fällen ist es, die Segelfläche zu verkleinern. Ähnliche Metaphorik findet sich in zahlreichen griechischen Texten (s. Kamerbeek [6]): Schifffahrt war vielen Zuschauern aus eigener Erfahrung vertraut, das Bild daher unmittelbar verständlich. 339–340 Die Ambivalenz, die das Athener Publikum gegenüber Chrysothemis empfunden hat, lässt sich an diesem Satz gut ablesen: Gegenüber Elektras Verhärtung und Hass mag sie einerseits, ähnlich wie der Chor, als Stimme der Vernunft und Mäßigung klingen; andererseits waren die Athener stolz auf ihre Demokratie, die dafür sorgte, dass jeder männliche Bürger sich frei fühlte und niemandem untertan sein musste. Ihre offensichtlich paradoxe Formulierung, wer frei leben wolle, müsse auf die Machthaber hören, musste dem Publikum auffallen. So sehr man Chrysothemis in manchen ihrer Meinungen zustimmen möchte, hier wird deutlich gesagt, sich mit bestimmten Situationen zu arrangieren, führe geradewegs in ein Sklavenleben. 345–6 Elektras Sprache ist an dieser Stelle eher an rhetorischer Kraft orientiert als an strenger Logik (vgl. die komplexen Erklärungen bei Jebb [5] und Kaibel [9]); wie öfter in ihren Reden greift sie Formulierungen ihrer Gesprächspartnerin polemisch auf. Durch ihre „Vorhaltungen“ stellt sie sich über Elektra, und dies enthält zwei alternative Implikationen, die beide gegen Chrysothemis sprechen: Entweder müsste auch sie ihre Trauer offen zeigen (vgl. 333f.) und damit „unvernünftig“ sein, also von ihrer klugen Vorsicht abweichen, oder bei dieser „Vernunft“ bleiben und damit so handeln, als habe sie ihren Vater ganz vergessen (vgl. 145f.)
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Erstes Epeisodion 352–367
Denn zeig mir doch, oder lass dir von mir zeigen, welchen Vorteil ich hätte, wenn ich mit diesen Klagen aufhörte. Lebe ich nicht? Im Elend, ich weiß, aber mir reicht das: Sie kränke ich, so dass ich dem Verstorbenen Ehre erweise – wenn es dort unten noch ein Gefühl dafür gibt. Und du bist mir eine schöne Hasserin: du hasst dem Worte nach, tatsächlich aber lebst du mit den Mördern unseres Vaters zusammen! Deshalb würde ich niemals – selbst wenn mir jemand deine Auszeichnungen geben wollte, mit denen du dich jetzt so brüstest – denen nachgeben; dir aber sei reich der Tisch gedeckt und das Leben bereitet! Meine einzige Nahrung sei 〈…〉. Deine Ehrenstellung will ich nicht bekommen – und du auch nicht, wenn du bei Verstand wärst! Obwohl du des allerbesten Vaters Kind heißen könntest, nenn dich nach der Mutter: so wirst du den meisten schlecht scheinen, ἐπεὶ δίδαξον, ἢ μάθ’ ἐξ ἐμοῦ, τί μοι κέρδος γένοιτ’ ἂν τῶνδε ληξάσῃ γόων. οὐ ζῶ; κακῶς μέν, οἶδ’, ἐπαρκούντως δ’ ἐμοί· λυπῶ δὲ τούτους, ὥστε τῷ τεθνηκότι τιμὰς προσάπτειν, εἴ τις ἔστ’ ἐκεῖ χάρις. σὺ δ’ ἧμιν ἡ μισοῦσα μισεῖς μὲν λόγῳ, ἔργῳ δὲ τοῖς φονεῦσι τοῦ πατρὸς ξύνει. ἐγὼ μὲν οὖν οὐκ ἄν ποτ’, οὐδ’ εἴ μοι τὰ σὰ μέλλοι τις οἴσειν δῶρ’, ἐφ’ οἷσι νῦν χλιδᾷς, τούτοις ὑπεικάθοιμι· σοὶ δὲ πλουσία τράπεζα κείσθω καὶ περιρρείτω βίος· ἐμοὶ γὰρ ἔστω †τοὐμὲ μὴ λυπεῖν μόνον† βόσκημα· τῆς σῆς δ’ οὐκ ἐρῶ τιμῆς τυχεῖν, οὐδ’ ἂν σύ, σώφρων γ’ οὖσα. νῦν δ’ ἐξὸν πατρὸς πάντων ἀρίστου παῖδα κεκλῆσθαι, καλοῦ τῆς μητρός· οὕτω γὰρ φανῇ πλείστοις κακή,
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363 Der überlieferte Text würde lauten „meine Nahrung sei einzig, mich nicht zu betrüben“; das scheint nicht in Elektras sonstige Argumentation zu passen, und das Wort λυπεῖν war 355 bereits verwendet worden: Elektra „betrübt“ durch ihre Trauer um den Vater Klytaimestra und Aigisthos; man würde also hier einen ähnlichen Bezug vermuten. Es gibt zahlreiche Konjekturen (aufgeführt sind viele bei Jebb [5] 6, 210, vgl. auch Finglass [8] zur Stelle), von denen keine wirklich zu überzeugen vermag.
Kommentar
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352 Im griechischen Denken werden ethische und intellektuelle Entscheidungen nicht strikt getrennt; eine moralische Haltung setzt zunächst einmal das Erkennen dessen voraus, was (allgemein oder in einer bestimmten Situation) richtig ist. Daher macht auch Elektra in ihrer Rede Chrysothemis vor allem den Vorwurf, ihre Haltung sei nicht konsistent, daher benutzt sie hier das Vokabular des „Zeigens“, im Griechischen: des „Belehrens“ und „Lernens“. 357 Wieder zitiert Elektra höhnisch ein Wort der Gegenseite, diesmal allerdings eines, das gar nicht Chrysothemis selbst verwendet hatte, sondern das ihr von Elektra in den Mund gelegt worden war (348). Zum Gegensatz „dem Worte nach – tatsächlich“ s. zu 287.
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Erstes Epeisodion 368–382
weil du deinen gestorbenen Vater und deine Lieben aufgegeben hast! Cho. Nicht so zornig, bei den Göttern! In euren Argumenten liegt beiderseits Gewinn, wenn du lernen könntest, ihre zu verwenden, und sie die deinen. Chr. Ihr Frauen, ich bin ihre Worte schon gewöhnt und hätte auch nichts erwähnt, hätte ich nicht gehört, dass ein großes Unglück auf sie zukommt, das sie von ihren langen Klagen abbringen wird! El. So sag schon, was so schrecklich ist – wenn du mir etwas Schlimmeres sagen kannst als meine gegenwärtige Lage, will ich dir nicht mehr widersprechen. Chr. Ja, ich will dir alles sagen, was ich weiß. Sie wollen nämlich, wenn du mit diesen Klagen nicht aufhörst, dich dorthin schicken, wo du niemals mehr der Sonne Licht sehen wirst; leben sollst du in einem überwölbten Haus außerhalb dieses Landes und deine schlimmen Lieder singen!
Χο. Χρ.
Ηλ. Χρ.
θανόντα πατέρα καὶ φίλους προδοῦσα σούς. μηδὲν πρὸς ὀργήν, πρὸς θεῶν· ὡς τοῖς λόγοις ἔνεστιν ἀμφοῖν κέρδος, εἰ σὺ μὲν μάθοις τοῖς τῆσδε χρῆσθαι, τοῖς δὲ σοῖς αὕτη πάλιν. ἐγὼ μέν, ὦ γυναῖκες, ἠθάς εἰμί πως τῶν τῆσδε μύθων· οὐδ’ ἂν ἐμνήσθην ποτέ, εἰ μὴ κακὸν μέγιστον εἰς αὐτὴν ἰὸν ἤκουσ’, ὃ ταύτην τῶν μακρῶν σχήσει γόων. φέρ’ εἰπὲ δὴ τὸ δεινόν· εἰ γὰρ τῶνδέ μοι μεῖζόν τι λέξεις, οὐκ ἂν ἀντείποιμ’ ἔτι. ἀλλ’ ἐξερῶ σοι πᾶν ὅσον κάτοιδ’ ἐγώ· μέλλουσι γάρ σ’, εἰ τῶνδε μὴ λήξεις γόων, ἐνταῦθα πέμψειν ἔνθα μήποθ’ ἡλίου φέγγος προσόψει, ζῶσα δ’ ἐν κατηρεφεῖ στέγῃ χθονὸς τῆσδ’ ἐκτὸς ὑμνήσεις κακά.
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381 Sowohl an κατηρεφεῖ als auch an χθονὸς τῆσδ’ ἐκτός haben Editoren und Erklärer Anstoß genommen und nach Verbesserungen gesucht (s. Lloyd-Jones/Wilson [258] 33f. und Finglass [8]), doch scheint für die Unschärfe des Ausdrucks nicht Textkorruption, sondern nachlässige Formulierung des Autors verantwortlich zu sein.
Kommentar
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368 In den Auseinandersetzungen mit Chrysothemis und später auch mit Klytaimestra (s. besonders V. 518) spielt die Frage, wer denn eigentlich die „Liebsten“ (philoi) sind, eine entscheidende Rolle. Im gewöhnlichen Sprachgebrauch bezeichnet das Wort (außer den „Freunden“, s. oben zu V. 45) den gesamten Familienkreis. Elektra aber hat gewählt: Klytaimestra, die Ehebrecherin und Mörderin ihres Vaters, gehört für sie nicht mehr zu diesem Kreis; wer sich nicht gegen sie stellt, erweist dem Vater nicht genügend Ehre und „gibt seine Lieben auf“ (vgl. auch 395). Dass die Zerrüttung der Ordnung zwischen „lieben“ und „feindlichen“ Personen und der Zusammenbruch der üblichen Familienbande ein entscheidendes Element in Handlung und Sprache der Elektra ist, hebt Blundell [70] 151–157 zu Recht hervor (vgl. Van Erp Taalman Kip [390]). 369 Wie häufig in der Tragödie, so setzen auch hier einige Verse der Chorführerin die Reden der beiden Gegner voneinander ab (vgl. etwa Ant. 724f., OT 404–407). In leidenschaftlichen Auseinandersetzungen verpuffen solche Appelle meist völlig wirkungslos. Ihre Funktion liegt wohl eher darin, den Zuschauern eine implizite Rezeptionsanweisung zu geben: Beide Standpunkte haben Argumente für sich, und es geht nicht um eine Entscheidung zwischen Gut und Böse oder Schwarz und Weiß, sondern um deren Abwägung. Einen solchen Wettbewerb der Argumente kannten die Athener Zuschauer aus dem Gericht und der Volksversammlung, und offenbar bereitete es ihnen großes Vergnügen, diese politische Realität auf der Bühne (oder in anderen Formen der Fiktion) gespiegelt zu sehen (s. Bers [66], Pelling [302]; vgl. die skeptischen Anmerkungen von Rhodes [318], bes. 117; zugespitzt, aber in der Sache richtig Dale [16] xxvii–xxix). 372 Chrysothemis spricht nicht Elektra, sondern die Chorführerin an (ein Zeichen der Distanz zwischen den beiden Schwestern) und wiederholt, dass sie solches Verhalten von Elektra bereits „gewohnt“ sei (s. oben zu V. 328– 330). 379 Der Plan, Elektra einzusperren, bleibt einigermaßen vage: Was es mit dem „gewölbten Haus“ außerhalb des Landes, wo Elektra niemals mehr das Sonnenlicht sehen wird, auf sich hat (viele Interpreten haben an etwas Ähnliches gedacht wie das Grab in der Antigone, in das die Titelheldin lebendig eingeschlossen werden soll, s. Seaford [337]), wird nicht ganz deutlich, und später wird das Vorhaben nicht mehr erwähnt. An unserer Stelle erfüllt das Motiv mehrere Funktionen: Es zeigt eine gewisse Fürsorge der Chrysothemis für Elektra und bringt so die Schwestern einander wieder etwas näher; es verdeutlicht noch einmal die Unbeugsamkeit Elektras; und es unterstreicht noch einmal die Unerträglichkeit der Situation in Argos, die eine sofortige Entscheidung verlangt. Während der packenden Ereignisse um den scheinbaren Tod und die Rache Orests wird wohl kaum ein Zuschauer mehr gefragt haben, warum der Plan nicht umgesetzt wird.
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Erstes Epeisodion 383–400
Chr. El. Chr.
Darüber denke nach und mach mir später, wenn es passiert ist, keine Vorwürfe! Jetzt ist die rechte Zeit, vernünftig zu sein. Das also ist ihr Plan? Das wollen sie mir antun? Gewiss! Sobald Aigisthos nach Hause kommt. Dann soll er nur schnell kommen, um es zu tun! Was sprichst du da für eine Verwünschung gegen dich selbst aus, Unglückliche? Kommen soll er, wenn er davon etwas zu tun plant! Damit dir was passiert? Bist du noch bei Verstand? Damit ich möglichst weit von euch entfliehe! Und an dein Leben hier denkst du überhaupt nicht? Ja, mein Leben ist wirklich zum Staunen schön! Aber es wäre schön, wenn du vernünftig zu sein lerntest! Versuche nicht, mir beizubringen, zu meinen Lieben schlecht zu sein! Aber das bringe ich dir nicht bei – vielmehr, den Mächtigen zu weichen! So krieche du nur! Meine Art ist das nicht, was du da vorschlägst. Und doch ist es schön, nicht aus Unverstand zu fallen. Ich werde fallen, wenn es nötig ist, bei der Rache für Vater. Vater, ich weiß es, verzeiht das alles!
Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ.
πρὸς ταῦτα φράζου καί με μή ποθ’ ὕστερον παθοῦσα μέμψῃ· νῦν γὰρ ἐν καλῷ φρονεῖν. ἦ ταῦτα δή με καὶ βεβούλευνται ποεῖν; μάλισθ’· ὅταν περ οἴκαδ’ Αἴγισθος μόλῃ. ἀλλ’ ἐξίκοιτο τοῦδέ γ’ οὕνεκ’ ἐν τάχει. τίν’, ὦ τάλαινα, τόνδ’ ἐπηράσω λόγον; ἐλθεῖν ἐκεῖνον, εἴ τι τῶνδε δρᾶν νοεῖ. ὅπως πάθῃς τί χρῆμα; ποῦ ποτ’ εἶ φρενῶν; ὅπως ἀφ’ ὑμῶν ὡς προσώτατ’ ἐκφύγω. βίου δὲ τοῦ παρόντος οὐ μνείαν ἔχεις; καλὸς γὰρ οὑμὸς βίοτος ὥστε θαυμάσαι. ἀλλ’ ἦν ἄν, εἰ σύ γ’ εὖ φρονεῖν ἠπίστασο. μή μ’ ἐκδίδασκε τοῖς φίλοις εἶναι κακήν. ἀλλ’ οὐ διδάσκω· τοῖς κρατοῦσι δ’ εἰκαθεῖν. σὺ ταῦτα θώπευ’· οὐκ ἐμοὺς τρόπους λέγεις. καλόν γε μέντοι μὴ ’ξ ἀβουλίας πεσεῖν. πεσούμεθ’, εἰ χρή, πατρὶ τιμωρούμενοι. πατὴρ δὲ τούτων, οἶδα, συγγνώμην ἔχει.
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385–414 Nach den längeren Reden geht das Gespräch der beiden Schwesten in eine Stichomythie über, in der beide Partner abwechselnd jeweils einen Vers sprechen; das gesteigerte Tempo des Austauschs drückt eine Steigerung der emotionalen Beteiligung beider Sprecherinnen aus (s. Pfeiffer-Petersen [307], Goldhill [172] 56–80). In unserem Fall gibt die Stichomythie dem festgefahrenen Gespräch in dem Augenblick eine ganz neue Richtung, als es gänzlich abzureißen droht: Die Ankündigung der Chrysothemis, die ihr aufgetragenen Opfer darzubringen (404–406), führt zur Erzählung des Traums der Klytaimestra und damit zu einer neuen Annäherung der beiden Schwestern. 391 Während Elektra bisher Klytaimestra und Aigisth als „sie“ bezeichnet hat (V. 348, 355, 361), spricht sie jetzt von „euch“ und stellt damit ihre Schwester als der Gruppe ihrer „Feinde“ zugehörig dar. Das ist verletzend, und in den V. 387–403 sieht man, wie Elektra sich zunächst immer weiter von Chrysothemis entfernt. 395 Zum Begriff „Lieben“ vgl. zu V. 368.
100 El. Chr. El. Chr. El. Chr. El. Chr. El. Chr. El. Chr. El. Chr. El. Chr.
Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ.
Erstes Epeisodion 401–420
Nur schlechte Menschen loben diese Worte! So willst du dich nicht überzeugen lassen und mir zustimmen? Natürlich nicht! Möge ich nie so hohl sein! Dann will ich gehen, wohin ich mich aufgemacht hatte. Wohin bist du unterwegs? Wem bringst du diese Opfergaben? Mutter schickt mich, Vater diese Spenden aufs Grab zu gießen. Was sagst du? Wirklich, ihrem ärgsten Feind? Ja, den sie selbst getötet hast – das willst du doch sagen! Von welchem Freund hat sie sich dazu überreden lassen? Wem ist das eingefallen? Von einem nächtlichen Alptraum, wie mir scheint. Ihr väterlichen Götter, steht mir jetzt endlich bei! Schöpfst du aus diesem Schreckenstraum irgendwie Mut? Wenn du mir ihre Vision erzählst, dann könnte ich es dir sagen. Aber ich weiß darüber nur Weniges zu sagen. So sag zumindest das! Schon oft haben unbedeutende Worte Menschen zu Fall gebracht oder zum Erfolg geführt. Es heißt, sie habe im Traum gesehen, wie sie mit deinem und meinem Vater ein zweites Mal verkehrte, nachdem er wieder ans Licht der Oberwelt gekommen war. Dann habe er den Stab genommen, den er einst selbst trug, ταῦτ’ ἐστὶ τἄπη πρὸς κακῶν ἐπαινέσαι. σὺ δ’ οὐχὶ πείσῃ καὶ συναινέσεις ἐμοί; οὐ δῆτα· μή πω νοῦ τοσόνδ’ εἴην κενή. χωρήσομαι τἄρ’ οἷπερ ἐστάλην ὁδοῦ. ποῖ δ’ ἐμπορεύῃ; τῷ φέρεις τάδ’ ἔμπυρα; μήτηρ με πέμπει πατρὶ τυμβεῦσαι χοάς. πῶς εἶπας; ἦ τῷ δυσμενεστάτῳ βροτῶν; ὃν ἔκταν’ αὐτή· τοῦτο γὰρ λέξαι θέλεις. ἐκ τοῦ φίλων πεισθεῖσα; τῷ τοῦτ’ ἤρεσεν; ἐκ δείματός του νυκτέρου, δοκεῖν ἐμοί. ὦ θεοὶ πατρῷοι, συγγένεσθέ γ’ ἀλλὰ νῦν. ἔχεις τι θάρσος τοῦδε τοῦ τάρβους πέρι; εἴ μοι λέγεις τὴν ὄψιν, εἴποιμ’ ἂν τότε. ἀλλ’ οὐ κάτοιδα πλὴν ἐπὶ σμικρὸν φράσαι. λέγ’ ἀλλὰ τοῦτο· πολλά τοι σμικροὶ λόγοι ἔσφηλαν ἤδη καὶ κατώρθωσαν βροτούς. λόγος τις αὐτήν ἐστιν εἰσιδεῖν πατρὸς τοῦ σοῦ τε κἀμοῦ δευτέραν ὁμιλίαν ἐλθόντος ἐς φῶς· εἶτα τόνδ’ ἐφέστιον πῆξαι λαβόντα σκῆπτρον οὑφόρει ποτὲ
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405–406 Die Gaben, die Chrysothemis zum Grab Agamemnons bringt, werden sowohl als „Brandopfer“ (empyra) als auch als „Weihegüsse“ (choas) bezeichnet. Wenn nicht beide Ausdrücke allgemein dieselben Gaben bezeichnen (so Kaibel [9]), müssen wir uns wohl vorstellen, dass Chrystothemis zwei verschiedene Arten von Opfern an das Grab trägt (Finglass [8]). 412 „Väterliche Götter“ war eine dem Athener Publikum geläufige Bezeichnung für Götter, die in jedem Haushalt eine besondere Verehrung erhielten (vgl. Platon, Euthydem 302 c–d; Aristoteles, Verfassung der Athener 55, 3 mit Rhodes [317] 617f.) und dadurch eine Familienidentität begründen; mehrfach nennen Bühnenfiguren bei Sophokles sie (Ant. 839, Phil. 933, OC 756, fr. 583, 8; in V. 428 ist mit „Götter der Familie“ vermutlich dasselbe gemeint). Wenn Elektra sie anruft, so erhält das Wort „väterlich“ in ihrem Munde allerdings noch eine besondere Bedeutung: Es sind zugleich die Götter, die ihrem Vater seine Rache zukommen lassen sollen, darauf weist das „jetzt endlich“ hin. 417 Auch in Aischylos’ Weihgussträgerinnen bewegt ein unheilverkündender Alptraum Klytaimestra dazu, ein Opfer an Agamemnons Grab zu schicken, und der Traum spielte schon bei Stesichoros (frg. 219 pmgf) eine Rolle. Während jedoch bei seinen Vorgängern im Traum eine Schlange prominent war, bedient sich Sophokles einer anderen, unmittelbar einsichtigen Symbolik: Agamemnon kehrt wieder in das Leben zurück und hält den Stab, Zeichen seiner Königsherrschaft und seiner Virilität, den ihm Aigisthos abgenommen hatte. In deutlich sexuell geprägter Symbolsprache bezeichnet das „Einstoßen“ des Stabes beim Herd, Zentrum des Familienlebens, und dessen Aufblühen die Wiedergewinnung der Herrschaft durch seinen Sohn Orest (vergleichbare Bildersprache findet man im zweiten Traum des Astyages bei Herodot 1, 108, 1; zum Verhältnis von Sophokles und Herodot vgl. Bowman [77] 138–142). Der Traum bei Sophokles konzentriert sich weniger stark auf das Motiv der Rache als auf das Fortleben der Linie und Herrschaft Agamemnons. Unterschiedlich ist auch die Wirkung des Traums: Während er bei Aischylos Klytaimestra in Schrecken versetzt und von Orest sogleich als günstiges Vorzeichen gedeutet wird (Cho. 540–50), versetzt er bei Sophokles lediglich Klytaimestra in Unruhe; eine Verbindung zur Rache für den Mord an Agamemnon bleibt ganz vage (V. 459–463, vgl. Flashar [158] 130f.). 418 Wie der deutsche Ausdruck „Verkehr“ kann auch das in diesem Vers verwendete griechische Wort homilia sowohl den gesellschaftlichen Umgang als auch speziell den Geschlechtsverkehr bezeichnen.
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El.
Ηλ.
Erstes Epeisodion 421–436
jetzt aber Aigisthos, und ihn am Herd eingepflanzt, und aus ihm sei ein grünender Zweig entsprossen, von dem das ganze Land der Mykener beschattet worden sei. So hörte ich es jemanden erzählen, der dabei war, als sie den Traum dem Sonnengott zeigte. Mehr weiß ich nicht, außer, dass sie mich schickt wegen dieses Schreckenstraums. So bitte ich dich bei den Göttern unserer Familie, höre auf mich und falle nicht aus Unverstand! Denn wenn du mich jetzt fortstößt, wirst du im Unglück wieder zu mir kommen! Meine Liebe: von den Gaben, die du in Händen hältst, trag nichts an das Grab! Es wäre weder richtig noch fromm von dir, Vater Bestattungsgaben seiner feindlichen Frau hinzustellen und Gussopfer darzubringen. Nein: gib sie den Winden oder birg sie tief vergraben im Staub, von wo in Vaters Ruhestätte αὐτός, τανῦν δ’ Αἴγισθος· ἐκ δὲ τοῦδ’ ἄνω βλαστεῖν βρύοντα θαλλὸν, ᾧ κατάσκιον πᾶσαν γενέσθαι τὴν Μυκηναίων χθόνα. τοιαῦτά του παρόντος, ἡνίχ’ Ἡλίῳ δείκνυσι τοὔναρ, ἔκλυον ἐξηγουμένου· πλείω δὲ τούτων οὐ κάτοιδα, πλὴν ὅτι πέμπει μ’ ἐκείνη τοῦδε τοῦ φόβου χάριν. πρός νυν θεῶν σε λίσσομαι τῶν ἐγγενῶν ἐμοὶ πιθέσθαι μηδ’ ἀβουλίᾳ πεσεῖν· εἰ γάρ μ’ ἀπώσῃ, σὺν κακῷ μέτει πάλιν. ἀλλ’, ὦ φίλη, τούτων μὲν ὧν ἔχεις χεροῖν τύμβῳ προσάψῃς μηδέν· οὐ γάρ σοι θέμις οὐδ’ ὅσιον ἐχθρᾶς ἀπὸ γυναικὸς ἱστάναι κτερίσματ’ οὐδὲ λουτρὰ προσφέρειν πατρί· ἀλλ’ ἢ πνοαῖσιν ἢ βαθυσκαφεῖ κόνει κρύψον νιν, ἔνθα μή ποτ’ εἰς εὐνὴν πατρὸς
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428 Die besten Hss. geben V. 428–30 Elektra, nur einige wenige späte an Chrysothemis. Zuweisungen an Sprecher sind notorisch unzuverlässig. Heubner [207] möchte die überlieferte Elektra nicht die Sprecherin sein kann; vgl. Jebb [5] zur Stelle und Dawe [118] 1, 179. Athetese (wie von Lloyd-Jones/Wilson [257] 49f. und Finglass [8] zur Stelle vorgeschlagen) scheint mir nicht notwendig.
Kommentar
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424 Klytaimestra erzählt ihren Traum der Sonne (als Mittel, um das böse Vorzeichen abzuwenden, erläutert ein Scholion zur Stelle), wird dabei von einem ungenannten Menschen belauscht, der Chrysothemis von Klytaimestras Worten erzählt, und diese gibt den Bericht an Elektra weiter. Die lange Vermittlungskette distanziert in dem Stück des Sophokles die Zuschauer von Klytaimestras Traum. 431 Wenn Elektra nach der harschen Kritik 397–403 ihre Schwester jetzt mit „meine Liebe“ anredet, so ist dies weniger auf eine „gehobene Stimmung“ (Kaibel [9]) zurückzuführen als darauf, dass ihr das Anliegen ernst ist, das sie vertritt: Grabgaben von der Mörderin wären eine Verhöhnung des Toten. Dies zu verhindern ist ihr jetzt wichtiger als die Auseinandersetzung mit Chrysothemis. 435 Etwas Unerfreuliches zu vergraben oder den Winden anzuvertrauen bezeichnet metaphorisch Mittel, es für immer verschwinden zu lassen.
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Erstes Epeisodion 437–452
davon nichts jemals vordringen wird – und wenn sie stirbt, so sollen ihr diese Kostbarkeiten unten aufbewahrt liegen! Denn überhaupt: wäre sie nicht die dreisteste aller Frauen, so hätte sie mit diesen hassenswerten Gaben niemals den geehrt, den sie getötet hat! Überlege doch, ob dir selbst scheint, der Tote im Grab werde freundlich diese Ehrengaben annehmen von ihr, von der er ehrlos getötet und wie ein Feind verstümmelt wurde, und zur Reinigung hat sie an seinem Kopf die Blutflecken abgewischt! Du glaubst doch wohl nicht, dass diese Gaben sie von dem Mord freisprechen? Bestimmt nicht! Nein, lass das bleiben! Stattdessen schneide von deinem Kopf Haarspitzen deiner Locken und auch von meinem – ich Arme, das sind zwar kleine Gaben, aber alles, was ich habe: gib ihm dies struppige Haar und diesen meinen Gürtel hier, nicht luxuriös gewirkt; τούτων πρόσεισι μηδέν· ἀλλ’ ὅταν θάνῃ, κειμήλι’ αὐτῇ ταῦτα σῳζέσθω κάτω. ἀρχὴν δ’ ἄν, εἰ μὴ τλημονεστάτη γυνὴ πασῶν ἔβλαστε, τάσδε δυσμενεῖς χοὰς οὐκ ἄν ποθ’, ὅν γ’ ἔκτεινε, τῷδ’ ἐπέστεφε. σκέψαι γὰρ εἴ σοι προσφιλῶς αὐτῇ δοκεῖ γέρα τάδ’ οὑν τάφοισι δέξασθαι νέκυς, ὑφ’ ἧς θανὼν ἄτιμος ὥστε δυσμενὴς ἐμασχαλίσθη, κἀπὶ λουτροῖσιν κάρᾳ κηλῖδας ἐξέμαξεν· ἆρα μὴ δοκεῖς λυτήρι’ αὐτῇ ταῦτα τοῦ φόνου φέρειν; οὐκ ἔστιν· ἀλλὰ ταῦτα μὲν μέθες· σὺ δέ, τεμοῦσα κρατὸς βοστρύχων ἄκρας φόβας κἀμοῦ ταλαίνης, σμικρὰ μὲν τάδ’, ἀλλ’ ὅμως ἅχω, δὸς αὐτῷ τήνδε †ἀλιπαρῆ† τρίχα καὶ ζῶμα τοὐμὸν οὐ χλιδαῖς ἠσκημένον·
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443 Den von den Hss. einhellig überlieferten Aorist δέξασθαι in das nach den Regeln der Syntax zu erwartende Futur δέξεσθαι zu verbessern, ist wohl nicht notwendig; es gibt Parallelen für die Verwendung des Aorists mit Bezug auf die Zukunft (Finglass [8]). 451 Sowohl das überlieferte ἀλιπαρῆ als auch die in einem Scholion tradierte Variante λιπαρῆ sind semantisch, morphologisch und prosodisch problematisch; vgl. Stinton [369] 131f. = [371] 276f.; Lloyd-Jones/Wilson [257] 50; Renehan [315] 354–6; Lloyd-Jones/ Wilson [258] 34f.; Allen [45]. Keiner der vorgebrachten Lösungsvorschläge kann restlos überzeugen.
Kommentar
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445f. Die grauenhafte Verstümmelung der Leiche Agamemnons wird auch in den Weihgussträgerinnen des Aischylos (439, vgl. dazu Garvie [23]) erwähnt; gemeint ist wohl, dass dem Körper die Gliedmaßen abgeschnitten werden. Das archaische Ritual sollte den Getöteten auch nach seinem Tod der Macht berauben, sich an seinen Mördern zu rächen; vgl. Aigner [42], Johnston [223] 156–159. Das Abwischen der Mordwaffe am Haar des Opfers sollte die aus der Bluttat entstandene Unreinheit beseitigen (vgl. Finglass [8]). 449–452 Zum Haaropfer am Grab s. oben zu V. 52. Elektra betont, dass ihr Haar ungepflegt, ihr Gürtel ärmlich ist, wie sie auch zuvor ihr entbehrungsreiches Leben geschildert hat.
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Erstes Epeisodion 453–471
fall zu Boden und bitte ihn, aus der Erde wohlgesonnen zu uns als Helfer gegen die Feinde zu kommen, und dass sein Sohn Orest mit überlegener Kraft lebend den Fuß auf seine Feinde setzen soll, damit wir in Zukunft ihn mit reicheren Händen ehren, als wir ihn jetzt beschenken! Ich meine, ja wirklich, ich meine, dass auch ihm daran liegt, ihr diese Träume von schlimmer Vorbedeutung zu senden! Und doch, liebe Schwester, tu diesen Dienst, der dir und mir hilft und dem liebsten aller Menschen, unser beider Vater, der im Hades ruht. Cho. Das Mädchen spricht aus reinem Herzen; du aber, meine Liebe, wirst so handeln, wenn du bei Vernunft bist. Chr. So werde ich handeln! Denn es ist nicht sinnvoll für zwei Menschen über das Gerechte zu streiten, sondern zu seiner Tat zu eilen. Doch wenn ich dies zu tun versuche, muss mir von eurer Seite Schweigen sein, ihr Lieben, bei den Göttern! Denn wenn die Mutter das erfahren sollte, dann werde ich einen bitteren Versuch unternehmen, glaube ich.
Χο. Χρ.
αἰτοῦ δὲ προσπίτνουσα γῆθεν εὐμενῆ ἡμῖν ἀρωγὸν αὐτὸν εἰς ἐχθροὺς μολεῖν, καὶ παῖδ’ Ὀρέστην ἐξ ὑπερτέρας χερὸς ἐχθροῖσιν αὐτοῦ ζῶντ’ ἐπεμβῆναι ποδί, ὅπως τὸ λοιπὸν αὐτὸν ἀφνεωτέραις χερσὶ στέφωμεν ἢ τανῦν δωρούμεθα. οἶμαι μὲν οὖν, οἶμαί τι κἀκείνῳ μέλειν πέμψαι τάδ’ αὐτῇ δυσπρόσοπτ’ ὀνείρατα. ὅμως δ’, ἀδελφή, σοί θ’ ὑπούργησον τάδε ἐμοί τ’ ἀρωγὰ τῷ τε φιλτάτῳ βροτῶν πάντων ἐν Ἅιδου κειμένῳ κοινῷ πατρί. πρὸς εὐσέβειαν ἡ κόρη λέγει· σὺ δέ, εἰ σωφρονήσεις, ὦ φίλη, δράσεις τάδε. δράσω· τὸ γὰρ δίκαιον οὐκ ἔχει λόγον δυοῖν ἐρίζειν, ἀλλ’ ἐπισπεύδειν τὸ δρᾶν. πειρωμένῃ δὲ τῶνδε τῶν ἔργων ἐμοὶ σιγὴ παρ’ ὑμῶν, πρὸς θεῶν, ἔστω, φίλαι· ὡς εἰ τάδ’ ἡ τεκοῦσα πεύσεται, πικρὰν δοκῶ με πεῖραν τήνδε τολμήσειν ἔτι.
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453 Das Gebet, Agamemnon möge aus seinem Grab zu Hilfe kommen, war bei Aischylos in einer langen und leidenschaftlichen Gesangspartie (Cho. 306–478), anschließend noch einmal in iambischen Trimetern (479–509) formuliert worden und bildet ein zentrales Stück der Weihgussträgerinnen. Wie Reinhardt [314] 156f. zu Recht bemerkt, hat Sophokles das Motiv in ganz veränderter Weise eingesetzt: Bei ihm geht es nicht mehr um eine überwältigende Beschwörung der Macht des verstorbenen Heros, sondern um eine Charakterisierung Elektras, deren einzige Helfer der verstorbene Vater und (aus ihrer Sicht) abwesende Orest sind. 461 Elektra glaubt, der Traum sei ein Zeichen dafür, dass Agamemnon ihnen bereits beisteht; dennoch soll Chrysothemis durch die beschriebenen Gaben seinen Beistand noch weiter sicherstellen. 469 Weil der Chor nach seinem Einzug während der gesamten Handlung auf der Bühne präsent bleibt, muss jede listige Intrige mit seinem Wissen geschehen und ist auf sein Schweigen angewiesen; das Motiv findet sich häufig in den erhaltenen Tragödien (s. Finglass [8] zur Stelle). Daher konnte in der Elektra Orest, der als Unbekannter nach Argos kommt und keine Beziehung zu einem Chor von Bürgerinnen haben kann, seine List nur im Prolog besprechen, also vor dem Einzug des Chors. Im Falle von Chrysothemis dient das konventionelle Motiv auch der Charakterisierung: Anders als ihre unbeugsame und rebellische Schwester geht sie an dieses Wagnis voller Angst, entdeckt zu werden.
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Erstes Stasimon 472–491
Cho. Wenn ich nicht als Seherin von Sinnen bin und kluge Ansicht verfehle, so wird kommen die Prophetin Gerechtigkeit, gerechten Sieg in den Händen tragend, auf Verfolgungsjagd, mein Kind, in kurzer Zeit. Mut kommt mir, hör ich gerade von dem süßen Traum. Denn niemals vergisst, der dich zeugte, der Feldherr der Griechen, und auch nicht der alte erzschlägige zweischneidige Rachen, der ihn getötet hat in schlimmster Schande! Kommen wird mit vielen Beinen und Armen sie, die sich im schrecklichen Hinterhalt verbirgt, die erzfüßige Rachegöttin, Χο.
Str. 1 475
480
485 Gegenstr. 1 490
εἰ μὴ ’γὼ παράφρων μάντις ἔφυν καὶ γνώμας λειπομένα σοφᾶς, εἶσιν ἁ πρόμαντις, Δίκα δίκαια φερομένα χεροῖν κράτη· μέτεισιν, ὦ τέκνον, οὐ μακροῦ χρόνου. ὕπεστί μοι θράσος, ἁδυπνόων κλύουσαν ἀρτίως ὀνειράτων. οὐ γάρ ποτ’ ἀμναστεῖ γ’ ὁ φύσας σ’ Ἑλλάνων ἄναξ, οὐδ’ ἁ παλαιὰ χαλκόπληκτος ἀμφήκης γένυς, ἅ νιν κατέπεφνεν αἰσχίσταις ἐν αἰκίαις.
στρ. αʹ
ἥξει καὶ πολύπους καὶ πολύχειρ ἁ δεινοῖς κρυπτομένα λόχοις χαλκόπους Ἐρινύς.
ἀντ. αʹ 490
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472–515 Erstes Stasimon Das Chorlied ist triadisch aufgebaut: Einer metrisch identischen Strophe und Antistrophos folgt eine variierende Epode. In Strophe und Antistrophos drückt der Chor seine Zuversicht aus, dass die Mörder Agamemnons ihre Strafe finden werden; in der Epode erwähnt er Pelops, den Ahnherrn des Atridenhauses, dessen Verbrechen bei der Gewinnung seiner Braut das erste Glied in der langen Kette von Freveln in der Familie war. 472 In ähnlicher Weise äußert auch der Chor im König Ödipus seine zuversichtliche Vorhersage zukünftiger Entwicklungen mit den Worten „wenn ich ein Seher bin“ (1086). Während sich dort allerdings die Zuversicht als irrig erweist, wissen die Zuschauer hier, dass Orest bereits in Argos angekommen ist, dass also die Gerechtigkeit tatsächlich auf dem Weg ist. 472–486 Dikē, die Göttin der (strafenden) Gerechtigkeit, ist eine „Prophetin“, weil der Chor davon ausgeht, dass sie den Traum Klytaimestras geschickt hat und zugleich für seine Realisierung sorgen wird. 484–485 Bildmächtig lässt der Chor das Mordbeil (s. oben zu V. 99; hier in bildmächtiger Metaphorik als „der alte erzschlägige zweischneidige Rachen“ bezeichnet) selbst sich an die Bluttat gegen Agamemnon erinnern. Das Motiv greift Hauptmann in seiner Elektra auf, wenn er die Titelheldin in dem verfallenen Demetertempel, in dem Agamemnon umgebracht wurde, dieses Beil wiederfinden lässt: „Und Bruder, eine Kraft geht von ihm aus, | von diesem – siehst du – schwarzgeronnenen Blut, | der nichts auf dieser Erde widersteht.“ 489–491 Wenn in dieser Gegenstrophe die Rachegöttin Erinys erwähnt wird, so wird das Publikum dies zunächst mit der Aussage der Strophe in Verbindung bringen. In beiden Strophen wird gesagt, dass eine strafende Gottheit (Dikē bzw. die Erinys) in das Haus Agamemnons kommen wird; in beiden Fällen scheint der Chor dieses Kommen zu begrüßen; hervorgehoben wurde diese Parallele durch gleiche metrische und tänzerische Gestaltung. Wenn es von der Erinys heißt, sie liege „im Hinterhalt“ verborgen, so ist der Bezug auf Orest, den das Publikum irgendwo neben der Bühne versteckt auf seine Gelegenheit lauern weiß, offensichtlich: Er verkörpert Recht und Rache und wir bald das Haus erreichen. Auch an dieser Stelle ergibt sich die Frage nach der Bedeutung der Erinys (s. oben zu V. 110–113). In diesem Stasimon jedoch wirft die Position der Erwähnung Fragen auf: Das Chorlied fährt fort mit der kurzen Erzählung des Mythos von Pelops und der Ermordung des Myrtilos, seit der „leidvolle Schmach“ das Haus der Atriden „niemals verlassen hat“. Gewiss ist den Interpreten zuzustimmen, die darauf hinweisen, dass die Konzeption hier nicht identisch ist mit dem aischyleischen Geschlechterfluch (der insbesondere von der Feindschaft zwischen Atreus und Thyestes ausgeht; vgl. Parker [300] 18; Stinton [370] 79f. = [371] 471f.). Dennoch werden sich die Zuschauer fragen, ob nicht auch Orests Tat in die Reihe dieser Leiden gehört, die die Tat des Pelops verursacht hat, ob die Ankunft der Erinys ausschließlich der Bestrafung
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Erstes Stasimon 492–510
In eine blutbefleckte Hochzeit ohne Ehebett, ohne Braut stürzten in Hast sie, die dazu kein Recht hatten. Daher die Zuversicht, dass niemals, ja niemals sich ohne Tadel naht das Omen denen, die taten und mittaten! Denn gewiss sind Weissagungen nicht in den schrecklichen Träumen der Menschen, nicht in Orakeln, wenn dieses nächtliche Schreckgespenst seinen Kurs nicht hält. Du alte leidvolle Wagenfahrt des Pelops, wie kamst du zum Verderben diesem Land! Denn seit ins Meer gestürzt Myrtilos den Schlaf fand aus ganz goldenem Wagen ἄλεκτρ’, ἄνυμφα γὰρ ἐπέβα μιαιφόνων γάμων ἁμιλλήμαθ’ οἷσιν οὐ θέμις. πρὸ τῶνδέ τοί θάρσος μήποτε μήποθ’ ἡμῖν ἀψεγὲς πελᾶν τέρας τοῖς δρῶσι καὶ συνδρῶσιν. ἤτοι μαντεῖαι βροτῶν οὐκ εἰσὶν ἐν δεινοῖς ὀνείροις οὐδ’ ἐν θεσφάτοις, εἰ μὴ τόδε φάσμα νυκτὸς εὖ κατασχήσει. ὦ Πέλοπος ἁ πρόσθεν πολύπονος ἱππεία, ὡς ἔμολες αἰανὴς τᾷδε γᾷ. εὖτε γὰρ ὁ ποντισθεὶς Μυρτίλος ἐκοιμάθη, παγχρύσων δίφρων
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492 Subjekt zu ἐπέβα ist ἁμιλλήματ(α) im nächsten Vers, hier zu verstehen im Sinn von „brünstiger Eifer“ (Kaibel [9]). 497 Mit τέρας ist wohl wieder die Erinys gemeint; manche Interpreten verstehen darunter den Traum der Klytaimestra, aber dann wäre das Futur πελᾶν nicht angebracht (Finglass [8]).
Kommentar
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von Klytaimestra und Aigisthos gilt oder ob auch Orest sie fürchten sollte. Wie häufig in Chorliedern, so öffnet der Text seinem Publikum Möglichkeiten der Deutung und Assoziation, ohne sein Verständnis eindeutig festzulegen. 492 Andeutend wird der Ehebruch von Klytaimestra und Aigisthos erwähnt; ihrer Verbindung fehlten alle Attribute, die zu einer rechtmäßigen Eheschließung gehören. 498–501 Sollte sich die durch den Traum angekündigte Bestrafung der Schuldigen nicht verwirklichen, sieht der Chor Weissagung überhaupt als vergeblich an. Damit sollen nicht fundamentale Zweifel an geäußert werden, sondern die sichere Zuversicht auf das Wirken der Gerechtigkeit. Ähnlich hatte der Chor V. 249–250 gesagt, wenn Klytaimestra und Aigisthos nicht bestraft würden, dann wäre alle Götterverehrung sinnlos. 504–515 Die gängigste Mythenversion erzählte, dass König Oinomaos seine Tochter Hippodameia nur demjenigen Freier zur Frau geben wollte, der ihn im Wagenrennen besiegte; wer unterlag, den tötete er. Pelops bestach Myrtilos, den Diener des Oinomaos, der daraufhin den Wagen des Königs manipulierte, so dass Oinomaos bei der Wettfahrt ums Leben kann. Nachdem Pelops so Hippodameia errungen hatte, brachte er Myrtilos um – verschiedene Erzählungen geben unterschiedliche Gründe dafür an: weil er den unbequemen Mitwisser loswerden wollte oder weil Myrtilos versucht hatte, Hippodameia zu vergewaltigen. Die Darstellung in diesem Chorlied ist eher reflektierend und andeutend als erzählend, daher lässt sich nicht ausmachen, an welche Version Sophokles und sein Publikum dachten (zu den verschiedenen Fassungen Finglass [8] zur Stelle; zum Bildmaterial Davidson [113]; zum Mythos in der Tragödie Moreau [283]). Der entscheidende Punkt der Darstellung ist die Auswirkung dieser Tat auf das Schicksal der Familie: Seit diesem Verbrechen hat das Leid niemals mehr das Haus verlassen.
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Erstes Stasimon / Zweites Epeisodion 511–527
in furchtbarer Schmach kopfüber geschleudert, hat noch nie das Haus verlassen die leidvolle Schmach. Klytaimestra (aus dem Palast tretend) Es scheint, du treibst dich wieder frei herum, denn Aigisthos ist nicht hier, der dich sonst immer davon abhielt, draußen vor dem Haus deiner Familie Schande zu machen. Jetzt, wo er weg ist, scherst du dich überhaupt nicht um mich; und doch sagtest du oftmals vor vielen Menschen, meine Herrschaft sei dreist und widerrechtlich und beleidige dich und alles, wofür du stehst. Solche Beleidigung steht mir fern, aber ich schimpfe mit dir, weil ich oft von dir beschimpft werde. Immer nur der Vater, sonst nichts – das ist dein Vorwand, er sei von mir getötet worden: von mir, das weiß ich doch genau, das bestreite ich doch gar nicht! δυστάνοις αἰκίαις πρόρριζος ἐκριφθείς, οὔ τί πω ἔλειπεν ἐκ τοῦδ’ οἴκους πολύπονος αἰκία. Κλυταιμήστρα ἀνειμένη μέν, ὡς ἔοικας, αὖ στρέφῃ. οὐ γὰρ πάρεστ’ Αἴγισθος, ὅς σ’ ἐπεῖχ’ ἀεὶ μή τοι θυραίαν γ’ οὖσαν αἰσχύνειν φίλους· νῦν δ’, ὡς ἄπεστ’ ἐκεῖνος, οὐδὲν ἐντρέπῃ ἐμοῦ γε· καίτοι πολλὰ πρὸς πολλούς με δὴ ἐξεῖπας ὡς θρασεῖα καὶ πέρα δίκης ἄρχω, καθυβρίζουσα καὶ σὲ καὶ τὰ σά. ἐγὼ δ’ ὕβριν μὲν οὐκ ἔχω, κακῶς δέ σε λέγω κακῶς κλύουσα πρὸς σέθεν θαμά. πατὴρ γάρ, οὐδὲν ἄλλο, σοὶ πρόσχημ’ ἀεί, ὡς ἐξ ἐμοῦ τέθνηκεν· ἐξ ἐμοῦ, καλῶς ἔξοιδα· τῶνδ’ ἄρνησις οὐκ ἔνεστί μοι·
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Kommentar
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516–822 Zweites Epeisodion. Das erste Epeisodion hat den Zuschauern Elektras Lage in der Auseinandersetzung mit dem Chor und mit Chrysothemis vor Augen geführt; das erste Stasimon mit der Ankündigung, bald werde die Strafe eintreffen, konnte sie erwarten lassen, jetzt werde der Plan Orests umgesetzt werden und der Pädagoge versuchen, Einlass in das Haus zu erhalten. Stattdessen tritt, eher überraschend, Klytaimestra auf (eine ähnliche überraschende Wendung findet sich im dritten Epeisodion des König Ödipus: Man erwartet den Auftritt des Dieners, der Tatzeuge der Tötung von König Laios war; stattdessen tritt der Bote aus Korinth mit einer Nachricht auf). Die dramatische Handlung bringt der Konflikt mit Klytaimestra nicht voran; er schärft aber unsere Wahrnehmung von Elektras Lage, weil wir sie jetzt in der Auseinandersetzung mit einer wirklich feindlich gesonnenen Figur sehen. Mit dem Eintreten des Pädagogen V. 660 kommt dann die lange erwartete List Orests endlich in Gang. 516 Wie Chrysothemis (s. zu V. 328–330), so beginnt auch Klytaimestra ihre Unterhaltung mit Elektra mit dem Hinweis, dass diese „wieder“ ein Verhalten zeige, das ihr missfällt. Der Ton ist hier noch deutlich aggressiver als bei Chrysothemis: Ihre Klage, Elektra „treibe sich frei herum“, klingt wie eine Beschwerde über ein Tier, das eigentlich eingesperrt gehört (Knox [235] 43), und im Laufe der Auseinandersetzung werden Wörter wie „immer“ (517, 525, 530, 556) oder „oft“ (520, 524) zeigen, dass der Streit, den wir miterleben, typisch ist für das Verhältnis von Elektra zu ihrer Mutter, das von Hass geprägt ist und durch die brutale Macht von Klytaimestra und Aigisthos über ihre Tochter den Charakter einer Zwangherrschaft erhält. 518 Dass „anständige“ athenische Frauen und Mädchen nicht in der Öffentlichkeit gesehen werden sollten, ist eine gesellschaftliche Konvention, die allen athenischen Zuschauern geläufig war (vgl. etwa Dover [131] 98). In der attischen Tragödie aber mussten Frauen das Haus verlassen und in der Öffentlichkeit sprechen, wenn sie überhaupt als dramatische Figuren sichtbar werden sollten. Dieser offenbare Widerspruch hindert Dramenfiguren nicht daran, an die etablierte Regel zu erinnern (vgl. McClure [272] 24f.). Klytaimestras Aussage ist in mehrfacher Weise paradox: Sie bezeichnet Elektras Aufenthalt außerhalb des Hauses als „schändlich“, obwohl sie selbst als Frau in der Öffentlichkeit spricht (vgl. Gould [176] 40 = [177] 116–7). Und gewiss hat ihr Mord an Agamemnon der Familie mehr Schande gebracht als Elektras Klagen um den Vater. Bereits hier wird auch ein fundamentaler Unterschied zwischen beiden deutlich: Für Elektra zählen zu den „nächststehenden Menschen“ (philous) in erster Linie ihr Vater und ihr Bruder (vgl. etwa 346, 368, 395); Klytaimestra hingegen sieht sich selbst und Aigisthos in dieser Rolle (vgl. oben zu V. 368). 520 Obwohl Elektra die Verbote ihrer Mutter missachtet, beklagt sie immer wieder, sie übe eine tyrannische Herrschaft über sie aus. Zum Motiv der Abwesenheit des Aigisthos s. oben zu V. 310. 528 Auch Klytaimestra beruft sich auf Dikē, die Göttin der Gerechtigkeit
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Zweites Epeisodion 528–542
Ja, Gerechtigkeit hat ihn gepackt, nicht ich allein; ihr müsstest du helfen, wärst du bei Verstand! Denn dieser dein Vater, den du immer als Trauerlied im Munde führst, hat allein von allen Griechen es über sich gebracht, deine Schwester den Göttern zu opfern – und doch hat er nicht so viel Schmerz empfunden bei ihrer Zeugung wie ich bei ihrer Geburt. Los, sag mir dies: Weswegen hat er sie denn geopfert? Du willst sagen „der Griechen wegen“? Aber die hatten kein Recht an meinem Kind, es zu töten! Ja soll er statt seines Bruders Menelaos meine Kinder töten und dafür nicht von mir bestraft werden? Hatte der denn nicht zwei Kinder, die eher als meine Tochter hätten sterben sollen, denn sie stammten von einem Vater und einer Mutter, für die diese Fahrt unternommen wurde? Oder hatte Hades mehr Sehnsucht nach meinen Kindern ἡ γὰρ Δίκη νιν εἷλεν, οὐκ ἐγὼ μόνη, ᾗ χρῆν σ’ ἀρήγειν, εἰ φρονοῦσ’ ἐτύγχανες· ἐπεὶ πατὴρ οὗτος σὸς ὃν θρηνεῖς ἀεὶ τὴν σὴν ὅμαιμον μοῦνος Ἑλλήνων ἔτλη θῦσαι θεοῖσιν, οὐκ ἴσον καμὼν ἐμοὶ λύπης, ὅτ’ ἔσπειρ’, ὥσπερ ἡ τίκτουσ’ ἐγώ. εἶεν, δίδαξον δή με 〈τοῦτο〉· τοῦ χάριν ἔθυσεν αὐτήν; πότερον Ἀργείων ἐρεῖς; ἀλλ’ οὐ μετῆν αὐτοῖσι τήν γ’ ἐμὴν κτανεῖν. ἀλλ’ ἀντ’ ἀδελφοῦ δῆτα Μενέλεω κτανὼν τἄμ’ οὐκ ἔμελλε τῶνδέ μοι δώσειν δίκην; πότερον ἐκείνῳ παῖδες οὐκ ἦσαν διπλοῖ, οὓς τῆσδε μᾶλλον εἰκὸς ἦν θνῄσκειν, πατρὸς καὶ μητρὸς ὄντας ἧς ὁ πλοῦς ὅδ’ ἦν χάριν; ἢ τῶν ἐμῶν Ἅιδης τιν’ ἵμερον τέκνων
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534 τοῦτο ist von Schmalfeld ergänzt; das in den Hss. überlieferte τοῦ χάριν τίνος bzw. τίνων lässt sich nicht sinnvoll konstruieren. 541 Von dem Begriffspaar πατρὸς καὶ μητρός greift das Relativpronomen ἧς nur das letzte Glied auf; das ist grammatisch ungewöhnlich, aber Helenas Bedeutung für den troianischen Krieg wird auf diese Weise hervorgehoben; vgl. Kaibel [9] zur Stelle.
Kommentar
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(s. zu 471–486). Sophokles gibt ihr weniger Raum zu ihrer Rechtfertigung, als dies Aischylos getan hatte. Ihr aggressiver Ton lässt sie wenig überzeugend erscheinen, und Elektra wird triftige Einwände gegen ihre Argumente erheben. Dennoch sollten wir nicht übersehen, dass auch sie Gelegenheit erhält, ihren Standpunkt vorzubringen: Auch bei Sophokles ist Klytaimestra eine menschlich glaubwürdige Gestalt, nicht eine Vertreterin des reinen Bösen. 529 Klytaimestra beschreibt die aus ihrer Sicht falsche moralische Wahl, die Elektra getroffen hat, als intellektuelle Fehleinschätzung (s. oben zu V. 352). 530–533 In Aischylos’ Eumeniden hatte Apollon bei der Gerichtsverhandlung um Orests Schuld das Argument vorgebracht, die Mutter sei nicht „Erzeugerin“ des Kindes, sondern lediglich das Saatfeld, in dem der Samen aufkeime (657–666; Sommerstein [37] zur Stelle warnt zu Recht davor, dies als die übliche griechische Sicht zu bezeichnen). Dass die Geburt eine schwere und gefährliche Mühe ist, lässt auch Euripides seine Medea vorbringen (250f.). Auffällig ist hier, dass Klytaimestra nicht in erster Linie von ihrem Schmerz oder ihrer Liebe zu Iphigenie spricht, sondern von ihrem „Besitzanspruch“ auf die Tochter (536, 538, 542, 544) 534–546 Die Reihe von Fragen, die Klytaimestra hier vorbringt, ist ein rhetorisches Mittel, die sog. Hypophora (vgl. Finglass [8]): sie ist sich sicher, dass Elektra auf diese Fragen keine überzeugenden Antworten haben wird und dass ihre eigene Position durch sie gestärkt wird. Zweifelsohne wirken diese Fragen auch auf das Publikum; sie erinnern uns daran, dass wir Agamemnons Verhalten nicht vollständig verstehen, geschweige denn gutheißen können (Budelmann [87] 69–71). Allerdings werden die Fragen zunehmend absurd und sarkastisch; 542–546 wirken in ihrer Polemik nicht mehr überzeugend. Zu Recht beschreibt Reinhardt [314] 158 dies als eine Rhetorik, „die, je falscher sie ist, sich um so heftiger verteidigt und umschanzt“. 539 Die homerischen Epen und Euripides nennen als einziges Kind des Menelaos seine Tochter Hermione. Ein Scholion zu unserer Stelle zitiert zwei Verse Hesiods (frg. 175 MW), nach denen er neben seiner Tochter auch einen Sohn Nikostratos hatte. Klytaimestras Argument wird dadurch stärker: Menelaos wäre nicht kinderlos geblieben – allerdings ist der ganze Gedankengang eben kontrafaktisch; es war eben Agamemnon, der von der Göttin Artemis zur Opferung seines Kinds gezwungen wurde.
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El.
Kl. El.
Ηλ.
Κλ. Ηλ.
Zweites Epeisodion 543–559
als nach ihren, sie zu verschlingen? Oder war diesem tödlichen Vater die Sehnsucht nach den von mir geborenen Kindern vergangen, aber nach denen des Menelaos geblieben? Tut so etwas nicht ein törichter und geistesgestörter Vater? Ich glaube ja – auch wenn ich dies gegen deine Auffassung sage! Und auch die Verstorbene stimmte mir zu, wenn sie wieder sprechen könnte. So bin ich wegen des Geschehenen nicht belastet – wenn ich freilich dir bösen Sinns zu sein scheine, so komm erst zu gerechter Urteilskraft und tadle dann deine Nächsten! Zumindest diesmal wirst du nicht behaupten, dass ich zuerst etwas Verletzendes gesagt und dann diese Beleidigungen von dir gehört habe. Aber wenn du es mir gestattest, so will ich für den Getöteten reden, wie es sich gehört, und zugleich für die Schwester. Ja, ich gestatte es – wenn du deine Reden an mich immer so anfingst, wärst du weniger verletzend anzuhören! So spreche ich denn zu dir: Du gibst zu, Vater getötet zu haben. Was könnte noch schändlicher als dieses Wort sein, ἢ τῶν ἐκείνης ἔσχε δαίσασθαι πλέον; ἢ τῷ πανώλει πατρὶ τῶν μὲν ἐξ ἐμοῦ παίδων πόθος παρεῖτο, Μενέλεω δ’ ἐνῆν; οὐ ταῦτ’ ἀβούλου καὶ κακοῦ γνώμην πατρός; δοκῶ μέν, εἰ καὶ σῆς δίχα γνώμης λέγω· φαίη δ’ ἂν ἡ θανοῦσά γ’, εἰ φωνὴν λάβοι. ἐγὼ μὲν οὖν οὐκ εἰμὶ τοῖς πεπραγμένοις δύσθυμος· εἰ δὲ σοὶ δοκῶ φρονεῖν κακῶς, γνώμην δικαίαν σχοῦσα τοὺς πέλας ψέγε. ἐρεῖς μὲν οὐχὶ νῦν γέ μ’ ὡς ἄρξασά τι λυπηρὸν εἶτα σοῦ τάδ’ ἐξήκουσ’ ὕπο· ἀλλ’ ἢν ἐφῇς μοι, τοῦ τεθνηκότος θ’ ὕπερ λέξαιμ’ ἂν ὀρθῶς τῆς κασιγνήτης θ’ ὁμοῦ. καὶ μὴν ἐφίημ’· εἰ δέ μ’ ὧδ’ ἀεὶ λόγους ἐξῆρχες, οὐκ ἂν ἦσθα λυπηρὰ κλύειν. καὶ δὴ λέγω σοι. πατέρα φῂς κτεῖναι· τίς ἂν τούτου λόγος γένοιτ’ ἂν αἰσχίων ἔτι,
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552–555 Elektras Ton ist höflich, beinahe demütig. Aber wir haben im bisherigen Verlauf ihre Unbeugsamkeit zu gut kennengelernt, um in dieser Demut etwas anderes zu sehen als ein rhetorisches Mittel, mit dem sie ihre Überlegenheit über die Mutter unterstreichen will (so wie auch diese 523 behauptet hatte, sie lasse sich nicht zu Beleidigungen hinreißen). 558–594 Gegen die Rede ihrer Mutter bringt Elektra vier Hauptargumente vor: (1) 560f. Nicht als Rache für Iphigenies Tod, sondern um mit ihrem Liebhaber Aigisthos zusammensein zu können, hat Klytaimestra Agamemnon getötet; (2) 563–576 Agamemnon hat Iphigenie nicht Menelaos zuliebe getötet, sondern weil ihm Artemis keine andere Wahl ließ; (3) 577–583 selbst wenn er es Menelaos zuliebe getan hätte, so hätte ihn doch Klytaimestra nicht töten dürfen; (4) 584–594 in jedem Fall berechtigt Iphigenies Tod sie nicht dazu, mit ihrem Liebhaber und Komplizen zusammenzuleben, mit ihm Kinder zu haben und den rechtmäßigen Erben ihren Besitz vorzuenthalten. Auf diese Argumentation wird Klytaimestra nur noch mit Beschimpfungen und Drohungen reagieren; wir können also nicht daran zweifeln, dass Elektra aus dieser argumentativen Auseinandersetzung als Siegerin hervorgeht.
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Zweites Epeisodion 560–574
ob du es nun mit Recht getan hast oder nicht? Und ich werde dir sagen, dass du nicht aus Gerechtigkeitsgefühl getötet hast, sondern es riss dich mit die Verführung durch den schlechten Mann, mit dem du jetzt zusammen bist. Frag doch Artemis, die Jägerin, zur Strafe wofür sie in Aulis das Wehen der Winde festgehalten hat! Oder soll ich es sagen? Denn von ihr kann man es nicht erfahren. Mein Vater, wie ich gehört habe, hat einst bei einem Spaziergang im Hain der Göttin durch den Schritt seiner Füße aufgeschreckt einen gescheckten, gehörnten Hirsch; über dessen Tötung entfuhr ihm ein allzu prahlendes Wort. Und deshalb wurde die Leto-Tochter zornig und hielt die Griechen zurück, damit Vater als Ausgleich für das Tier seine eigene Tochter opfere. So verhielt es sich mit ihrer Opferung – es gab keine andere Abfahrt für das Heer, weder nach Hause noch nach Troia! εἴτ’ οὖν δικαίως εἴτε μή; λέξω δέ σοι ὡς οὐ δίκῃ γ’ ἔκτεινας, ἀλλά σ’ ἔσπασεν πειθὼ κακοῦ πρὸς ἀνδρὸς ᾧ τανῦν ξύνει. ἐροῦ δὲ τὴν κυναγὸν Ἄρτεμιν, τίνος ποινὰς τὰ πολλὰ πνεύματ’ ἔσχ’ ἐν Αὐλίδι· ἢ ’γὼ φράσω; κείνης γὰρ οὐ θέμις μαθεῖν. πατήρ ποθ’ οὑμός, ὡς ἐγὼ κλύω, θεᾶς παίζων κατ’ ἄλσος ἐξεκίνησεν ποδοῖν στικτὸν κεράστην ἔλαφον, οὗ κατὰ σφαγὰς ἐκκομπάσας ἔπος τι τυγχάνει βαλών. κἀκ τοῦδε μηνίσασα Λητῴα κόρη κατεῖχ’ Ἀχαιούς, ὡς πατὴρ ἀντίσταθμον τοῦ θηρὸς ἐκθύσειε τὴν αὑτοῦ κόρην. ὧδ’ ἦν τὰ κείνης θύματ’· οὐ γὰρ ἦν λύσις ἄλλη στρατῷ πρὸς οἶκον οὐδ’ ἐς Ἴλιον.
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566 Als das griechische Heer auf dem Weg nach Troia sich in Aulis versammelte, muss Agamemnon seine Tochter opfern. Dieses Element des Mythos wird zwar nicht in den homerischen Epen erwähnt, aber in vielen späteren Fassungen, insbesondere in mehreren Tragödien. Wie regelmäßig in griechischen Mythen, so gibt es auch hier unterschiedliche Darstellungen der Einzelheiten die zu verschiedenen Beurteilungen von Agamemnons Verhalten führen: Trägt er am Zorn der Artemis irgendeine Schuld oder ist er hilfloser Spielball der Launen der Göttin? Hatte er eine andere Möglichkeit, als seine Tochter zu opfern? War die Opferung lediglich Bedingung dafür, dass die Flotte nach Troia fahren konnte, oder gab es überhaupt keine andere Möglichkeit, aus Aulis wieder fortzukommen? Aischylos hat in seiner Orestie eine ambivalente Antwort aus solche Fragen gegeben, über die antike und moderne Deuter kontrovers diskutiert haben (s. etwa die klassischen Untersuchungen LloydJones [253] = [252] 283–99; Dover [130] = [129] 135–50). Sophokles lässt seine Elektra eine Version vortragen, die Agamemnon weitgehend entlastet: Seine Tötung eines Hirschs geschieht eher zufällig als im vollen Bewusstsein der Tragweite; das „prahlende Wort“ wird nicht näher erläutert; die einsetzende Windstille versperrt dem gesamten griechischen Heer jede Möglichkeit, Aulis zu verlassen (so richtig March [11] zu 564; unzutreffend Kells [10] zu 534–45). Zweifelsohne ist Elektras Darstellung einseitig entlastend für ihren Vater (vgl. auch Scodel [333] 123–126). Darf man daraus schließen, das Athener Publikum habe ihre Argumentation als parteiisch empfunden und daher abgelehnt (so etwa Segal [344] 536f.; Winnington-Ingram [417] mit Anm. 15 spricht von einer „Trivialisierung“ von Agamemnons Schuld)? Dieser Schluss ist sicher nicht zulässig: Die Zuschauer kannten diese Art von Parteilichkeit aus ihren Erfahrungen mit Reden in der Volksversammlung oder vor Gericht (vgl. Hall [196] 118f.). Elektra spricht mit einem bestimmten Ziel, aber ihre Argumentation ist konsistent; das Publikum kann sie anhören und als persuasiv empfinden, ohne darüber aus den Augen zu verlieren, dass es auch Argumente für eine Gegenposition geben mag (s. oben zu V. 369). 571 Der Vers ist ein anschauliches Beispiel dafür, dass scheinbar kleine textkritische Entscheidungen weitreichende Konsequenzen für die Interpretation haben können. In den Hss. überliefert ist das griechische Wort hōs: Artemis hielt die Griechen zurück, damit Agamemnon seine Tochter opfere; damit wird die Verantwortung für Iphigenies Tod zu einem großen Teil der Göttin zugeschrieben. Die meisten modernen Herausgeber (Dawe [2], LloydJones/Wilson [1] und [258] 35f., Finglass [8], vgl. auch Walter [398] 13f.) drucken Fröhlichs Konjektur heōs: Artemis hielt das Heer auf, bis Agamemnon seine Tochter opferte. Das Wort wird (mit „Synizese“) einsilbig gesprochen; schon dies könnte eine der Ursachen für eine Verschreibung sein (die im übrigen trivial ist und sich auch an anderen Stellen in den Sophokles-Hss. findet). Grammatisch erforderlich ist die Änderung nicht; das Argument, das Imperfekt kateich’ lasse sich besser mit einem folgenden Temporalsatz als mit
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Zweites Epeisodion 575–590
Deshalb hat er, unter vielfachem Zwang und mit Widerstand, endlich doch sie geopfert, nicht für Menelaos. Doch lass mich deine Seite ausdrücken: Gesetzt, er tat dies, weil er Menelaos helfen wollte, musste er deswegen von dir getötet werden? Nach welchem Gesetz? Wenn du den Menschen dieses Gesetz gibst, dann sieh zu, dass du es nicht dir selbst zu Schaden und Reue gibst! Denn wenn wir den einen für den anderen töten, müsstest du bestimmt als erste getötet werden, wenn dir Recht geschieht. Aber sieh zu, dass du nicht einen unzutreffenden Vorwand aufstellst: denn bitte sehr, sag mir doch, weswegen du jetzt die schändlichste aller Taten begehst und mit dem Mordbuben schläfst, mit dem du zuvor meinen Vater vernichtet hast, und Kinder zur Welt bringst, während du die reinen Kinder, die von reinen Eltern entstammen, hinausgeworfen hast. ἀνθ’ ὧν, βιασθεὶς πολλὰ κἀντιβάς, μόλις ἔθυσεν αὐτήν, οὐχὶ Μενέλεω χάριν. εἰ δ’ οὖν, ἐρῶ γὰρ καὶ τὸ σόν, κεῖνον θέλων ἐπωφελῆσαι ταῦτ’ ἔδρα, τούτου θανεῖν χρῆν αὐτὸν οὕνεκ’ ἐκ σέθεν; ποίῳ νόμῳ; ὅρα, τιθεῖσα τόνδε τὸν νόμον βροτοῖς μὴ πῆμα σαυτῇ καὶ μετάγνοιαν τιθῇς· εἰ γὰρ κτενοῦμεν ἄλλον ἀντ’ ἄλλου, σύ τοι πρώτη θάνοις ἄν, εἰ δίκης γε τυγχάνοις. ἀλλ’ εἰσόρα μὴ σκῆψιν οὐκ οὖσαν τίθης· εἰ γὰρ θέλεις, δίδαξον ἀνθ’ ὅτου τανῦν αἴσχιστα πάντων ἔργα δρῶσα τυγχάνεις, ἥτις ξυνεύδεις τῷ παλαμναίῳ μεθ’ οὗ πατέρα τὸν ἁμὸν πρόσθεν ἐξαπώλεσας, καὶ παιδοποιεῖς, τοὺς δὲ πρόσθεν εὐσεβεῖς κἀξ εὐσεβῶν βλαστόντας ἐκβαλοῦσ’ ἔχεις.
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575 Die von Walter [398] 25 vorgeschlagene und von Dawe [2] (vgl. [118] 1, 181) und Finglass [8] übernommene Konjektur βιασθεὶς πολλά τ’ ἀντιβάς glättet den Text: „unter Zwang und vielfachem Widerstand“. Sie geht aber zu sehr von subjektiven Kriterien aus, als dass sie notwendig erschiene.
Kommentar
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einem Finalsatz verbinden, ist äußerst schwach. Die Argumente für eine Änderung sind wohl nicht stark genug, aber für einen Herausgeber und Interpreten bleiben an dieser Stelle nagende Zweifel darüber, was das Athener Publikum bei der Aufführung tatsächlich hörte. 582–583 Diese beiden Verse haben für die Interpretation der Tragödie zentrale Bedeutung: Wenn das alte Prinzip der Blutrache gelten und jeder Mord durch einen neuen Mord gesühnt werden soll, so sagt Elektra, dann muss auch ihre Mutter fürchten, wegen des Mords an Agamemnon umgebracht zu werden. Aber gilt nicht dasselbe auch für Elektra und Orest? Müssen nicht auch sie damit rechnen, ihrerseits für die Tötung ihrer eigenen Mutter getötet zu werden? Für Anhänger einer „pessimistischen“ Deutung ist offensichtlich, dass Elektra sich hier selbst richtet (s. etwa Johansen [222] 19; WinningtonIngram [416] 22 = [298] 212 = [364] 404 ≈ [417] 221; Kells [10] zur Stelle; vgl. auch Landfester [241] 62–64). Interpreten, die dieser Deutung ablehnend gegenüberstehen, verweisen insbesondere auf die rhetorische Position, aus der Elektra diese Worte spricht: Dies alles steht unter der (irrealen) Annahme, ihre Mutter hätte Agamemnon zu Recht getötet (V. 577–578), und selbst dann könnte sie nicht hoffen, für diesen Mord straflos davonzukommen (vgl. etwa Alexanderson [43] 87f.). Diese Interpreten warnen oft nachdrücklich davor, hier „die einzelnen Aussagen weiterzudenken“ (Erbse [144] 290) und das „Gesetz“ (580) auch auf Orest und Elektra anzuwenden (ähnlich etwa Alexanderson [43] 87 oder Heath [202] 137). Ein solches „Denkverbot“ ist jedoch nicht nur in sich wenig überzeugend, auch die sprachliche Form hier scheint eine solche Einschränkung nicht zuzulassen: Wenn Elektra sagt „wenn wir töten“ (582), dann werden die Zuschauer geradezu genötigt, weiterzudenken und die Frage zu stellen, ob dieses „Gesetz“ nicht auch auf sie zutreffen wird. So scheint Finglass [8] zu Recht zu schließen, hier sei das wirkliche Paradox dieses Dramas formuliert: Lässt sich ein Ende dieser Kette von Vergeltungen durch eine weitere Vergeltungstat erreichen?
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Zweites Epeisodion 591–608
Wie könnte ich das gutheißen? Oder wirst du auch darüber sagen, dass du es als Vergeltung für die Tochter nimmst? Das wäre schändlich, selbst wenn du es sagst! Denn es ist nicht ehrenhaft, der Tochter wegen sich mit Feinden zu verheiraten. Aber man darf dich deswegen nicht einmal tadeln, oder du beschwerst dich lauthals, dass ich die Mutter schmähe – und so sehe ich dich nicht weniger als Zwingherrin denn als Mutter für mich an; ein elendes Leben verbringe ich, immer in Gesellschaft mit den zahlreichen Untaten von dir und deinem Gefährten. Der Bruder aber ist weit draußen, knapp deiner Hand entronnen, der arme Orest, verbringt sein Leben im Unglück. Dass ich ihn dir als Rachegeist aufziehe, dessen hast du mich oft beschuldigt – und wenn ich die Kraft hätte, täte ich es sicher, das wisse wohl! Was das angeht, kannst du mich per Herold bei allen ausrufen lassen, wenn nötig als schlechte Tochter, als Schandmaul, als aller Schamlosigkeit voll. denn wenn ich mich meinem ganzen Wesen nach auf diese Dinge verstehe, πῶς ταῦτ’ ἐπαινέσαιμ’ ἄν; ἢ καὶ τοῦτ’ ἐρεῖς, ὡς τῆς θυγατρὸς ἀντίποινα λαμβάνεις; αἰσχρῶς δ’, ἐάν περ καὶ λέγῃς· οὐ γὰρ καλὸν ἐχθροῖς γαμεῖσθαι τῆς θυγατρὸς οὕνεκα. ἀλλ’ οὐ γὰρ οὐδὲ νουθετεῖν ἔξεστί σε, ἣ πᾶσαν ἵης γλῶσσαν ὡς τὴν μητέρα κακοστομοῦμεν. καί σ’ ἔγωγε δεσπότιν ἢ μητέρ’ οὐκ ἔλασσον εἰς ἡμᾶς νέμω, ἣ ζῶ βίον μοχθηρόν, ἔκ τε σοῦ κακοῖς πολλοῖς ἀεὶ ξυνοῦσα τοῦ τε συννόμου. ὁ δ’ ἄλλος ἔξω, χεῖρα σὴν μόλις φυγών, τλήμων Ὀρέστης, δυστυχῆ τρίβει βίον· ὃν πολλὰ δή με σοὶ τρέφειν μιάστορα ἐπῃτιάσω· καὶ τόδ’, εἴπερ ἔσθενον, ἔδρων ἄν, εὖ τοῦτ’ ἴσθι. τοῦδέ γ’ οὕνεκα κήρυσσέ μ’ εἰς ἅπαντας, εἴτε χρὴ κακήν, εἴτε στόμαργον, εἴτ’ ἀναιδείας πλέαν· εἰ γὰρ πέφυκα τῶνδε τῶν ἔργων ἴδρις,
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Kommentar
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594 Aigisthos ist Sohn des Thyestes, der Bruder und zugleich Todfeind von Agamemnons Vater Atreus war (s. oben S. 3f.). In der Logik griechischer Beziehungsnetzwerke (s. oben zu V. 45) sollte er auch ein „Feind“ Klytaimestras sein. 601–609 Elektra beendet ihre Rede mit herausfordernden Verweisen auf Orest. Das Publikum hat zuvor gehört, dass jede Erwähnung von dessen Namen Klytaimestra erschreckt und erzürnt (V. 293–298) und dass der auf Orest deutende Traum sie in Furcht versetzt hat (V. 426f.); es versteht daher, dass Elektra die Mutter an ihrer empfindlichsten Stelle treffen will; Klytaimestras Reaktion wird zeigen, wie erfolgreich sie darin ist.
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Zweites Epeisodion 609–621
dann mache ich ja so ziemlich dem von dir ererbten Wesen keine Schande. Cho. Ich sehe, dass sie kräftig schnaubt – ob sie freilich auf Seiten des Rechts steht, darüber kann ich Rücksicht nicht erkennen. Kl. Was soll ich denn ihr gegenüber für eine Rücksicht haben, wenn sie gegen ihre Mutter solche Beleidigungen ausstößt, und das in ihrem Alter? Scheint dir nicht, sie wäre ohne Scham zu jeder Tat bereit? El. Wisse wohl: Natürlich schäme ich mich deswegen, auch wenn es dir nicht so scheint; ich tue Dinge, die nicht zu meiner Jugend und mir selbst passen. Aber deine Feindseligkeit und deine Taten zwingen mich gewaltsam, dies zu tun. Denn schändliche Taten werden von schändlichen Taten gelehrt.
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σχεδόν τι τὴν σὴν οὐ καταισχύνω φύσιν. ὁρῶ μένος πνέουσαν· εἰ δὲ σὺν δίκῃ ξύνεστι, τοῦδε φροντίδ’ οὐκέτ’ εἰσορῶ. ποίας δ’ ἐμοὶ δεῖ πρός γε τήνδε φροντίδος, ἥτις τοιαῦτα τὴν τεκοῦσαν ὕβρισεν, καὶ ταῦτα τηλικοῦτος; ἆρά σοι δοκεῖ χωρεῖν ἂν εἰς πᾶν ἔργον αἰσχύνης ἄτερ; εὖ νῦν ἐπίστω τῶνδέ μ’ αἰσχύνην ἔχειν, κεἰ μὴ δοκῶ σοι· μανθάνω δ’ ὁθούνεκα ἔξωρα πράσσω κοὐκ ἐμοὶ προσεικότα. ἀλλ’ ἡ γὰρ ἐκ σοῦ δυσμένεια καὶ τὰ σὰ ἔργ’ ἐξαναγκάζει με ταῦτα δρᾶν βίᾳ· αἰσχροῖς γὰρ αἰσχρὰ πράγματ’ ἐκδιδάσκεται.
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610 Dieser und der folgende Vers haben eine umfangreiche Kontroverse ausgelöst (von den neueren Beiträgen seien genannt Gregor [184], Booth [74], Lilley [248], Horsley [213], Segal [345], Lloyd-Jones/Wilson [257] 53f., Bollack [71]); diskutiert wird: (1) wer spricht die beiden Verse; (2) über wen wird in ihnen gesprochen? Grund für den Zweifel an der einhelligen Überlieferung ist das Unbehagen der Interpreten damit, dass der Chor hier Elektra zu kritisieren scheint, während er sonst fest auf ihrer Seite steht. Doch alle Versuche, diese überraschende Wendung durch Eingriffe in den Text (etwa Annahme einer durch keinerlei sonstige Anzeichen erkennbaren Lücke) oder gewagte Neudeutung des Überlieferten (πνέουσαν in 610 bezieht sich auf Elektra, ξύνεστι in 611 auf Klytaimestra) zu eliminieren, erweisen sich als wenig überzeugend, wie Finglass [8] zur Stelle klar zeigt. 611 Zu οὐκέτ’ vgl. Dawe [19] zu OT 115.
Kommentar
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609 Dass Elektra dem Wesen ihrer Mutter „keine Schande machen“ wird, ist ein Stück besonders heftiger Polemik, nicht ein Eingeständnis, dass sie ihre Natur teilt (so richtig Alexanderson [43] 86 gegen Johansen [222] 16f.) 610–611 Wie üblich (s. oben zu V. 369), trennen auch hier einige Verse der Chorführerin die Reden der beiden Kontrahentinnen. Allerdings nimmt sie hier recht klar Stellung und stellt in Frage, ob Elektras „kräftiges Schnauben“ auch gerecht ist. Viele Herausgeber und Erklärer haben vorausgesetzt, dass der Chor beständig zu Elektra steht, und deshalb versucht, den überlieferten Textbestand zu verändern oder anders zu erklären (s. die kritische Note), aber dazu gibt es keine Veranlassung. 612–615 Klytaimestra reagiert nicht mehr auf Elektras Argumente, sondern wirft ihr nur zornig vor, es an Respekt vor ihr fehlen zu lassen, obwohl sie die Jüngere sei. Für das Publikum ist deutlich, dass Elektra die Oberhand behalten hat. 616 Zum von Elektra verwendeten Begriff der „Scham“ vgl. oben zu V. 254.
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Κλ. Ηλ. Κλ. Ηλ. Κλ. Ηλ. Κλ.
Zweites Epeisodion 622–641
Du schamlose Brut, so bringen ich und meine Worte und meine Taten dich dazu, allzu viel zu sagen! Ja, das sagst du, nicht ich! Denn du vollbringst die Tat, die Taten aber finden die Worte. Aber bei der Herrin Artemis, aus dieser Frechheit läufst du nicht davon, wenn Aigisthos kommt! Siehst du? Du lässt dich zum Zorn hinreißen, obwohl du mir gestattet hast, zu sagen, was ich will, und du verstehst nicht zuzuhören. So willst du mich nicht einmal ohne schlechtes Omen opfern lassen, nachdem ich dir erlaubt habe, alles zu sagen? Ich lasse dich, ich bitte dich: opfere. Gib nicht meinem Mund die Schuld, ich werde weiter nichts mehr sagen. So hebe denn, meine Dienerin, die Opfergaben von allen Feldfrüchten, damit ich an den Herren hier Gebete richte, die mich von den Schrecken befreien, die ich jetzt habe. Schützer Apollon, bitte höre jetzt meine verborgene Rede – denn nicht unter Freunden befindet sich meine Rede, und nicht alles kann ich ans Licht entfalten, da sie hier in meiner Nähe ist, damit sie nicht mit Missgunst und vielzungigem Geschrei ὦ θρέμμ’ ἀναιδές, ἦ σ’ ἐγὼ καὶ τἄμ’ ἔπη καὶ τἄργα τἀμὰ πόλλ’ ἄγαν λέγειν ποεῖ. σύ τοι λέγεις νιν, οὐκ ἐγώ· σὺ γὰρ ποεῖς τοὔργον, τὰ δ’ ἔργα τοὺς λόγους εὑρίσκεται. ἀλλ’ οὐ μὰ τὴν δέσποιναν Ἄρτεμιν θράσους τοῦδ’ οὐκ ἀλύξεις, εὖτ’ ἂν Αἴγισθος μόλῃ. ὁρᾷς; πρὸς ὀργὴν ἐκφέρῃ, μεθεῖσά μοι λέγειν ἃ χρῄζοιμ’, οὐδ’ ἐπίστασαι κλύειν. οὔκουν ἐάσεις οὐδ’ ὑπ’ εὐφήμου βοῆς θῦσαί μ’, ἐπειδὴ σοί γ’ ἐφῆκα πᾶν λέγειν; ἐῶ, κελεύω, θῦε· μηδ’ ἐπαιτιῶ τοὐμὸν στόμ’, ὡς οὐκ ἂν πέρα λέξαιμ’ ἔτι. ἔπαιρε δὴ σὺ θύμαθ’ ἡ παροῦσά μοι πάγκαρπ’, ἄνακτι τῷδ’ ὅπως λυτηρίους εὐχὰς ἀνάσχω δειμάτων ἃ νῦν ἔχω. κλύοις ἂν ἤδη Φοῖβε προστατήριε, κεκρυμμένην μου βάξιν· οὐ γὰρ ἐν φίλοις ὁ μῦθος, οὐδὲ πᾶν ἀναπτύξαι πρέπει πρὸς φῶς, παρούσης τῆσδε πλησίας ἐμοί, μὴ σὺν φθόνῳ τε καὶ πολυγλώσσῳ βοῇ
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Kommentar
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627 Klytaimestra flüchtet sich in Drohungen. Wie Agamemnons nicht auf der Bühne sichtbares Grab Elektra (und Orest) beistehen soll, so ist der abwesende Aigisthos eine stets über ihr schwebende Drohung (s. oben zu V. 310). 634 Klytaimestra wird von einer Dienerin begleitet, der sie jetzt den Befehl erteilt, die Opfergaben bereitzumachen, die sie Apollon darbringen möchte. 635 Ein einfacher Altar und eine grob gearbeitete Statue von Apollon „Agyieus“ („Hüter der Gassen“) fand sich vor vielen Häusern in Athen. In einer Reihe von Tragödienszenen wird ein solcher Altar genannt; er war wohl Teil der Bühnenausstattung (vgl. Manuwald [27] zu OT 919). 637–659 Sophokles hat Klytaimestras Gebet an Apollon in eine komplexe dramatische Szene verwandelt, in der er mit dem Wissen und den Erwartungen von mehreren Zuhörergruppen spielt. Klytaimestra sagt ausdrücklich, dass ihr Gebet einen verborgenen Hintersinn hat, weil sie es vor einem feindlichen „Publikum“ spricht (637–642, vgl. Goldhill [171] 37–40). Klytaimestra ist zufällig belauscht worden, als sie den Inhalt ihres Traums der Sonne erzählte (V. 424f.); sie geht also davon aus, dass Elektra von diesem Traum nichts weiß und daher ihre Worte nicht richtig deuten kann. Die Zuschauer hingegen sind Zeuge geworden, wie Chrysothemis Elektra und dem Chor diesen Traum ausführlich geschildert hat (V. 417–424). Klytaimestra spricht ihr Gebet also vor einem Publikum, das über einen höheren Wissensstand verfügt als sie selbst. Zugleich weiß das Theaterpublikum mehr als Elektra und der Chor, nämlich dass Klytaimestras Traum dabei ist, in Erfüllung zu gehen, weil sich Orest bereits in Argos befindet. Sophokles hat also die Rezeptionssituation seines Theaterpublikums in der Situation des „Bühnenpublikums“ gespiegelt: Ein Sprecher redet vor Zuhörern, die mehr wissen als er selbst. Die Zuschauer finden mehrere Ebenen von „dramatischer Ironie“ (s. oben zu V. 1–3). 638 Finglass [8] argumentiert, der verborgene Sinn von Klytaimestras Gebet sei der Wunsch nach Orests Tod. Das ist zu spezifisch. Bisher haben die Zuschauer erfahren, dass das Opfer von ihrem nächtlichen Alptraum motiviert ist. So wird das Publikum zuerst an diesen Traum gedacht haben; Klytaimestra möchte ihn weiter vor Elektra verbergen, weil ihre daraus resultierende Angst ein Zeichen von Schwäche wäre. Darüber hinaus ist gerade das Unspezifische dramatisch wirkungsvoll: Klytaimestra will vor ihrer Tochter nicht offen sprechen; die Zuschauer werden in ihrem Gebet auf Einzelheiten achten, die einen verborgenen Sinn haben könnten.
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Zweites Epeisodion 642–658
leeres Gerede in der ganzen Stadt ausstreut! Sondern höre mich so an; auf diese Weise will ich sprechen: Denn die Erscheinungen zweideutiger Träume, die ich in dieser Nacht sah, die bring mir, lykeischer Herr, zur Vollendung, wenn ihre Erscheinung günstig ist, wenn feindlich, schick sie zurück auf meine Feinde. Und wenn jemand mich aus dem vorhandenen Wohlstand mit List zu werfen plant, lass es nicht zu, sondern dass ich immer so in einem unversehrten Leben das Haus der Atriden und diesen Herrscherstab halte, zusammen mit den Lieben, mit denen ich jetzt zusammen bin in Ruhe, und mit denen von den Kindern, von denen mir keine Feindseligkeit oder scharfer Kummer droht. Dies, lykeischer Apollon, erhöre gnädig und erfüll es uns allen, wie wir es erbitten. Alles andere, so bin ich überzeugt, weißt du als Gott, auch wenn ich schweige. σπείρῃ ματαίαν βάξιν εἰς πᾶσαν πόλιν· ἀλλ’ ὧδ’ ἄκουε· τῇδε γὰρ κἀγὼ φράσω. ἃ γὰρ προσεῖδον νυκτὶ τῇδε φάσματα δισσῶν ὀνείρων, ταῦτά μοι, Λύκει’ ἄναξ, εἰ μὲν πέφηνεν ἐσθλά, δὸς τελεσφόρα, εἰ δ’ ἐχθρά, τοῖς ἐχθροῖσιν ἔμπαλιν μέθες. καὶ μή με πλούτου τοῦ παρόντος εἴ τινες δόλοισι βουλεύουσιν ἐκβαλεῖν, ἐφῇς, ἀλλ’ ὧδέ μ’ αἰεὶ ζῶσαν ἀβλαβεῖ βίῳ δόμους Ἀτρειδῶν σκῆπτρά τ’ ἀμφέπειν τάδε, φίλοισί τε ξυνοῦσαν οἷς ξύνειμι νῦν εὐημεροῦσαν καὶ τέκνων ὅσων ἐμοὶ δύσνοια μὴ πρόσεστιν ἢ λύπη πικρά. ταῦτ’, ὦ Λύκει’ Ἄπολλον, ἵλεως κλυών δὸς πᾶσιν ἡμῖν ὥσπερ ἐξαιτούμεθα· τὰ δ’ ἄλλα πάντα καὶ σιωπώσης ἐμοῦ ἐπαξιῶ σε δαίμον’ ὄντ’ ἐξειδέναι·
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653 In sehr ungewöhnlicher Weise ist der zu erwartende Dativ τέκνοις an den folgenden (partitiven) Genitiv ὅσων attrahiert (KG 2, 414); bei dem in Hs. Xr über die Genitivendung geschriebenen οις dürfte es sich eher um eine grammatische Glosse handeln als um genuine Überlieferung (Dawe [118] 1, 182); daher erscheint es nicht angebracht, mit Finglass [8] τέκνοις in den Text zu setzen.
Kommentar
129
645 Die Bezeichnung „lykeisch“ für Apollon war in V. 6f. bereits verwendet und durch die etymologische Herleitung nachdrücklich hervorgehoben worden. Sie führt dem athenischen Publikum die Ironie der dramatischen Situation besonders deutlich vor Augen: Klytaimestra ruft als „Schützer“ (V. 637) dieselbe Gottheit an, die Orest als Rächer nach Argos geschickt und damit ihren Tod in die Wege geleitet hat. Vgl. auch zu V. 1379. 646–647 An dieser Stelle ist die dramatische Ironie von Klytaimestras Gebet besonders deutlich: Apollon wird in der Tat „Vollendung“ des Traums schicken, allerdings anders, als Klytaimestra es sich vorstellt. Das Publikum weiß, dass diese Erfüllung bereits ganz nah ist. Es wird auch in dem Wunsch, Apollon möge Unheil zu ihren „Feinden“ schicken, ein Echo von Elektras Hinweis V. 594 hören, dass Aigisthos zu diesen „Feinden“ zu rechnen sei. 649 Wenn Klytaimestra davon spricht, jemand (mit der Umschreibung ist Orest gemeint, den sie vor Elektra nicht erwähnen will, s. zu V. 638) wolle sie „mit List“ um ihre Stellung bringen (worauf es im Traum selbst keine Hinweise gibt), so zitiert sie damit, ohne es zu wissen, im Gebet an Apollon dessen eigenen Auftrag an Orest, „mit List“ die Rache für seinen Vater zu vollziehen (V. 37; vgl. Kaibel [9]). 657 Meint Klytaimestra mit „allem anderen“ den Tod Orests (so etwa Kaibel [9], March [11])? Ihr Gebet schließt, wie es begonnen hat, mit einem Hinweis auf den verborgenen Sinn ihrer Worte, den die Götter entschlüsseln (und vollenden) können. Als Rezipienten werden wir wieder darauf verwiesen, dass diese Figur menschliche Tiefe hat, dass wir auf die Deutung ihrer Worte angewiesen sind, um ihre Gedanken und Gefühle zu eruieren. Restlos verstehen können wir sie nicht.
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Zweites Epeisodion 659–674
Denn nur natürlich ist, dass die von Zeus abstammen, alles sehen. Pä.
Ihr fremden Frauen, wie könnte ich genau herausfinden, ob dies der Palast des Herrschers Aigisthos ist? Cho. Er ist es, Fremder. Du hast es selbst richtig vermutet. Pä. Treffe ich auch mit der Vermutung, dass sie hier seine Frau ist? Sie ist nämlich wie eine Herrscherin anzuschauen. Cho. Ganz und gar! In ihr steht sie vor dir. Pä. Sei gegrüßt, Herrin! Ich komme und bringe angenehme Kunde von einem Freund für dich und zugleich für Aigisthos. Kl. Das Wort nehme ich gerne an! Wissen möchte ich von dir als erstes, wer denn eigentlich dich geschickt hat. Pä. Phanoteus der Phokier, eine wichtige Aufgabe besorgend. Kl. Was für eine, Fremder? Sag es! Denn du kommst von einem Freund und wirst, das weiß ich genau, willkommene Worte sprechen. Pä. Orest ist tot – so fasse ich es kurz zusammen. El. Ich Unglückliche! Vernichtet bin ich an diesem Tag!
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τοὺς ἐκ Διὸς γὰρ εἰκός ἐστι πάνθ’ ὁρᾶν. Πα. Χο. Πα. Χο. Πα. Κλ. Πα. Κλ. Πα. Ηλ.
ξέναι γυναῖκες, πῶς ἂν εἰδείην σαφῶς εἰ τοῦ τυράννου δώματ’ Αἰγίσθου τάδε; τάδ’ ἐστίν, ὦ ξέν’· αὐτὸς εἴκασας καλῶς. ἦ καὶ δάμαρτα τήνδ’ ἐπεικάζων κυρῶ κείνου; πρέπει γὰρ ὡς τύραννος εἰσορᾶν. μάλιστα πάντων· ἥδε σοι κείνη πάρα. ὦ χαῖρ’, ἄνασσα· σοὶ φέρων ἥκω λόγους ἡδεῖς φίλου παρ’ ἀνδρὸς Αἰγίσθῳ θ’ ὁμοῦ. ἐδεξάμην τὸ ῥηθέν· εἰδέναι δέ σου πρώτιστα χρῄζω τίς σ’ ἀπέστειλεν βροτῶν. Φανοτεὺς ὁ Φωκεύς, πρᾶγμα πορσύνων μέγα. τὸ ποῖον, ὦ ξέν’; εἰπέ· παρὰ φίλου γὰρ ὢν ἀνδρὸς, σάφ’ οἶδα, προσφιλεῖς λέξεις λόγους. τέθνηκ’ Ὀρέστης· ἐν βραχεῖ ξυνθεὶς λέγω. οἲ ’γὼ τάλαιν’, ὄλωλα τῇδ’ ἐν ἡμέρᾳ.
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668 Der Aorist ἐδεξάμην drückt aus, dass Eintreten des Verbalinhalts und Aussprechen zeitlich zusammenfallen (engl. „instantaneous aorist“); vgl. Mastronarde [28] zu Eur. Med. 223.
Kommentar
131
660–822 Das Publikum sieht von der Parodos, die den Zugang von Außen markiert (s. oben zu V. 1–85), zum zweiten Mal den Pädagogen auftreten (zu der Frage, warum niemand ihn erkennt, s. oben zu V. 42–43). Der Auftritt eines Fremden bringt in vielen Tragödien einen sog. Botenbericht (s. Taplin [379] 80–85, Barrett [57]), und auch unser Pädagoge wird in vielerlei Hinsicht die Rolle eines solchen Boten spielen, zumindest für Klytaimestra, Elektra und den Chor (Goward [178] 114, Marshall [267] 207f.): Er wird von einem außerszenischen Geschehen, das für die anwesenden Figuren von großer Wichtigkeit ist, in einer langen und anschaulichen Rede erzählen. Allerdings gibt es einen bedeutenden Unterschied zu den üblichen Botenberichten: Während das Publikum solchen Berichten sonst vertrauen kann, weiß es hier, dass der Bericht des „Boten“ unwahr ist (in dieser Hinsicht lässt sich die Rede des Pädagogen vergleichen mit der des als Schiffskapitän verkleideten Spähers im Philoktet, vgl. Schein [35] 211f.). Wie bereits bei dem Gebet Klytaimestras (s. oben zu V. 637–659), so kann man auch hier wieder Elemente einer Spiegelung der dramatischen Situation sehen: Das Theaterpublikum sieht einer Figur, die eine andere Identität angenommen hat, dabei zu, wie sie einen fiktionalen Bericht vorträgt und wie verschiedene Zuhörer (Elektra, der Chor, Klytaimestra) auf diesen Bericht in ganz unterschiedlicher Weise emotional reagieren (vgl. dazu Ringer [320] 162–5). In der Abfolge der Handlungselemente lässt sich unsere Szene auch mit dem König Ödipus vergleichen (vgl. bes. Kaibel [9] 174): Auch dort spricht Iokaste ein Gebet an den „lykischen Apollon“ aus (V. 919); wie eine Antwort auf dieses Gebet tritt dann ein Bote mit einer Todesnachricht auf, die in beiden Fällen zunächst erlösend zu wirken scheint, doch die Erleichterung stellt sich als verfehlt heraus. Seit dem Abgang von Orest und seinen Begleitern V. 76 hat Elektra im Mittelpunkt der Bühnenhandlung gestanden; die dramatische Intrige schreitet erst hier wieder voran. Der Pädagoge hält sich an den Plan, den ihm Orest V. 44–50 vorgegeben hat. 660 Die Anrede „fremde (= ausländische) Frauen“ klingt für unsere Ohren grob oder unhöflich; sie kommt aber in der Tragödie mehrfach vor (Eur., Andr. 881, Phoin. 278) und ist, ebenso wie das „Fremder“, mit dem der Chor den Pädagogen in V. 662 anspricht, respektvoll einem Fremden gegenüber, der offensichtlich kein Mitbürger ist (vgl. Dickey [124] 146–9). Der Pädagoge ist bei allen seinen Fragen von ausgewählter Höflichkeit. 667–668 Dass Klytaimestra die Nachricht vom Tod ihres Sohns „angenehm“ sein werde, hatte Orest schon V. 56 vorweggenommen. In diesem Wort sieht Klytaimestra eine gute Vorbedeutung, die sie freudig „annimmt“ und damit sich zueigen macht (s. Jebb [5], Marshall [267] 208). 670 Zu den Beziehungen zwischen Phanoteus, Strophios und Aigisthos s. oben zu V. 45. 673 Den Hauptinhalt der Botschaft so knapp voranzustellen, ist eine in Botenberichten häufig zu findende Technik; vgl. Goward [178] 184.
132 Kl. El. Kl. Pä.
Κλ. Πα. Ηλ. Κλ. Πα.
Zweites Epeisodion 675–681
Was sagst du? Was sagst du, Fremder? Höre nicht auf sie! Orest ist gestorben, dass sage ich jetzt und hab es früher schon gesagt. Ich Arme wurde zugrundegerichtet und bin ein Nichts! Kümmere du dich um deine Angelegenheiten! Du aber, Fremder, sag mir die Wahrheit: Auf welche Art ist er umgekommen? Deswegen wurde ich geschickt und will alles darlegen. Er kam also zur berühmten Krone des Wettbewerbs
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τί φῄς, τί φῄς, ὦ ξεῖνε; μὴ ταύτης κλύε. θανόντ’ Ὀρέστην νῦν τε καὶ πάλαι λέγω. ἀπωλόμην δύστηνος, οὐδέν εἰμ’ ἔτι. σὺ μὲν τὰ σαυτῆς πρᾶσσ’· ἐμοὶ δὲ σύ, ξένε, τἀληθὲς εἰπέ· τῷ τρόπῳ διόλλυται; κἀπεμπόμην πρὸς ταῦτα καὶ τὸ πᾶν φράσω. κεῖνος γὰρ ἐλθὼν εἰς τὸ κλεινὸν Ἑλλάδος
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Kommentar
133
675 Klytaimestras erste Reaktion auf die Nachricht von Orestes Tod besteht nicht in einem Ausdruck des Leidens (oder zumindest Erschreckens), sondern ist (wie insbesondere der Kontrast zu Elektras grenzenlosem Schmerz zeigt) ein Erstaunen. Wie im Deutschen, so ist auch im Griechischen das „was sagst du?“ als Ausdruck der Erregung und der Verwunderung zu verstehen, nicht als sachliche Nachfrage; durch die Verdoppelung wird dieser Charakter noch hervorgehoben: Klytaimestra will sich hastig vergewissern, dass die Nachricht wirklich wahr ist, und möchte sie noch einmal hören. Ein Schauspieler (oder, auf dem modernen Theater, eine Schauspielerin) könnte dieser erregten Frage verschiedene Nuancen geben – freudig, schockiert, aber auch zweifelnd oder ambivalent. Durch den Kontrast zu Elektras Äußerung, für die mit dem Tod Orests alle Hoffnung verloren ist, und durch die monströse Gefühllosigkeit, mit der Klytaimestra Elektras Trauer hier und V. 678 zurückweist, wird das Publikum dahin gebracht, ih ihrer Reaktion eher Kühle und Distanz wahrzunehmen als tragisches Leiden. Dennoch bleibt sie auch hier eine Figur, bei der wir uns niemals sicher sein können, sie ganz zu durchschauen (s. oben zu V. 657). 680–763 Der fingierte Bericht über den Tod Orests ist eine der längsten zusammenhängenden Rede in den überlieferten Tragödien des Sophokles. Die Schilderung des Unfalls beim Wagenrennen ist lebendig und packend, die Beschreibung der Schmerzen und Verstümmelungen erregt unser Mitleid (vgl. Marshall [267]). Der Bericht ist in mehrfacher Hinsicht fest in das Handlungsgefüge eingepasst (vgl. bes. Schein [330] 75f.): Im 1. Stasimon hatten wir gehört (V. 504–515), dass das Leid der Atriden mit der Wagenfahrt des Pelops begonnen hatte; nun scheint es in der Wagenfahrt Orests seinen Höhepunkt zu finden. Apollon ist in dem Bericht in vielfacher Weise involviert: Er hat Orest den Gebrauch von List befohlen, Klytaimestra hat gerade zu ihm gebetet, und Orest ist angeblich bei einem Fest zu Apollons Ehren um das Leben gekommen (MacLeod [263] 112). Die Lebendigkeit des Berichts wird dazu beitragen, dass Klytaimestra ihn für einen „sicheren Beweis“ von Orests Tod hält (774). Dennoch finden nicht wenige Interpreten die Länge dieses falschen Berichts problematisch: Hätte man all diese Effekte nicht auch in deutlich weniger Versen erzielen können? Warum dehnt Sophokles eine Erzählung, von der die Zuschauer wissen, dass sie eine Lüge ist, so lang aus? Kaum, weil er sie auf die Reaktion Klytaimestras gespannt machen will (so Garvie [169] 59f.): Die ist seit V. 675–679 schon deutlich genug. Auch die Auffassung von Reinhardt [314] 162f., die Ausdehnung und rhetorische Ausschmückung seien so exzessiv, dass man den „Schein heraushören“ solle, hat wenig für sich. Kaibel [9] (zu V. 660, noch weiter geht Wilamowitz [406] 187–195, vorsichtiger Solmsen [355] 20 = [356] 49) meint, die Länge des Berichts lasse die Zuschauer vergessen, dass es sich um eine Lüge handle, nur so könne man Elektras Schmerz „mit wirklicher Theilnahme folgen“. Dagegen spricht der triftige Einwand, dass die Zuschauer Orest ja selbst im Prolog gesehen haben und dies kaum
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Zweites Epeisodion 682–695
in Griechenland, der delphischen Wettkämpfe wegen. Als er hörte, wie ein Mann mit lautem Heroldsruf den Wettlauf ausrief, die erste Entscheidung, da trat er an in vollem Glanz, allen Menschen dort verehrungswürdig anzusehen, und bestätigte seine Naturanlage durch den Ausgang des Rennens: er verließ die Bahn mit dem ehrenvollen Siegespreis. Um von vielen Dingen dir nur wenig zu berichten: Ich kenne keine Taten und Leistungen eines anderen solchen Mannes! Nur eines wisse: Von allen Wettbewerben, die die Schiedsrichter ankündigen ließen, [Läufe, Langläufe und was man als Fünfkampf bezeichnet,] von allen trug er den Sieg davon und wurde gepriesen, ausgerufen als Argiver namens Orest, Sohn dessen, der das berühmte Heer von Griechenland einst versammelte, Agamemnons! πρόσχημ’ ἀγῶνος, Δελφικῶν ἄθλων χάριν, ὅτ’ ᾔσθετ’ ἀνδρὸς ὀρθίῳ κηρυγμάτι δρόμον προκηρύξαντος, οὗ πρώτη κρίσις, εἰσῆλθε λαμπρός, πᾶσι τοῖς ἐκεῖ σέβας· δρόμου δ’ ἰσώσας τῇ φύσει τὰ τέρματα, νίκης ἔχων ἐξῆλθε πάντιμον γέρας. χὤπως μὲν ἐν πολλοῖσι παῦρά σοι λέγω οὐκ οἶδα τοιοῦδ’ ἀνδρὸς ἔργα καὶ κράτη· ἓν δ’ ἴσθ’ ὅσων γὰρ εἰσεκήρυξαν βραβῆς [δρόμων, διαύλων, πένταθλ’ ἃ νομίζεται,] τούτων ἐνεγκὼν πάντα τἀπινίκια, ὠλβίζετ’, Ἀργεῖος μὲν ἀνακαλούμενος, ὄνομα δ’ Ὀρέστης, τοῦ τὸ κλεινὸν Ἑλλάδος Ἀγαμέμνονος στράτευμ’ ἀγείραντός ποτε.
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683 Die Erläuterung von Finglass [8] zu der kleinen und paläographisch plausiblen Verbesserung des Genitivs ὀρθίων κηρυγμάτων in den instrumentalen Dativ sind überzeugend. 688 Die Einwände von Finglass [8] gegen ἐν πολλοῖσι παῦρα (s. auch Dawe [118] 1, 184 und Lloyd-Jones/Wilson [257] 55) überzeugen nicht; seine Übersetzung “to tell you a little in a long speech” beachtet nicht den Unterschied von ἐν πολλοῖς zu (ἐν) μακροῖς. Es geht hier nicht um das Motiv „vieles in wenigen Worten sagen“, sondern um den rhetorischen Topos pauca e multis, wie das nachdrücklich ἕν „eines“ in V. 690 zeigt. 691 Der Vers ist unmetrisch und kaum verständlich und wird daher von allen modernen Editoren athetiert.
Kommentar
135
jetzt vergessen können (Finglass [8] 304 Anm. 2; überzeugend gegen diese Auffassung bereits Waldock [397] 183f.). Dennoch können wir von den beiden zuletzt genannten Deutungen zu einem besseren Verständnis des Berichts gelangen: Noch auffälliger als in V. 637–659 hat Sophokles auch hier wieder eine Spiegelung der Zuschauererfahrung kreiert (Ringer [320] 162): Das Publikum im Dionysostheater sieht einem Publikum auf der Bühne zu, wie es emotional auf die Darstellung von Leid reagiert. Das Wissen, dass diese Leiden nicht wirklich sind, verstärkt hier den Aspekt eines „Spiels im Spiel“: Sophokles lässt die Zuschauer die emotionale Reaktion auf den lebendigen Bericht gleichzeitig selbst empfinden und bei einem zweiten Publikum distanziert wahrnehmen, weil sie um die Fiktionalität des geschilderten Unglücks wissen; durch diesen Kunstgriff lädt er sie dazu ein, das Verhältnis von Emotion und Theatralität zu reflektieren (zu diesem Aspekt vor allem Marshall [267] 211f.). 682 Zu den pythischen Spielen s. oben zu V. 49. 685 In dem fiktiven Bericht ist Orest heroisch durch seine Gestalt und seine Leistungen (vgl. Blundell [70] 173f.). Sophokles konnte bei seinem Publikum Kenntnis der berühmten Darstellung eines Wagenrennens in der homerischen Ilias (23, 262–652) voraussetzen, und der Bericht des Pädagogen weist zahlreiche klare Berührungen mit der homerischen Erzählung auf, die Orest in die Nähe der iliadischen Helden rücken. Durch den Kontrast zum Handeln Orests in unserer Tragödie wird das Publikum besonders darauf aufmerksam gemacht, dass er sich hier weniger durch seine heroische Kraft als durch Planung und List auszeichnet (vgl. MacLeod [263] 108). 694–695 Die Nennung des Namens des Siegers, zusammen mit dem seines Vaters und seiner Heimatstadt, war ein Höhepunkt für einen Sieger bei den Wettspielen. Zur Heimatstadt Argos s. oben zu V. 4, zur Nennung von Agamemnon als Führer des griechischen Heer auch zu V. 14.
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Zweites Epeisodion 696–714
So spielte sich dies ab. Doch wenn einer der Götter Schaden zufügt, dann könnte nicht einmal ein Starker entkommen. Denn an einem anderen Tag, als der Pferdewagen schnellfüßige Wettkampf war bei Sonnenaufgang, trat er mit vielen anderen Wagenlenkern an. Einer war Achaier, einer aus Sparta, zwei aus Libyen, Führer gejochter Wagen. Und jener unter ihnen, mit seinen thessalischen Stuten, war der Fünfte. Der sechste aus Aitolien, mit blonden Füllen; der siebte ein Mann aus Magnesia. Der achte mit weißen Pferden, Ainianer von Geschlecht. Der neunte aus dem gottgebauten Athen, ein anderer Boioter; er machte die Zehnzahl der Wagen voll. Sie nahmen Aufstellung, wo die zugewiesenen Kampfrichter den Platz per Los zuwiesen und die Wagen hinstellten, dann stürmten sie zum Klang der ehernen Trompete los. Sie riefen sogleich den Pferden zu und schwangen in den Händen die Zügel; die ganze Rennbahn wurde erfüllt vom Dröhnen der ratternden Wagen; Staub wurde empor καὶ ταῦτα μὲν τοιαῦθ’· ὅταν δέ τις θεῶν βλάπτῃ, δύναιτ’ ἂν οὐδ’ ἂν ἰσχύων φυγεῖν. κεῖνος γὰρ ἄλλης ἡμέρας, ὅθ’ ἱππικῶν ἦν ἡλίου τέλλοντος ὠκύπους ἀγών, εἰσῆλθε πολλῶν ἁρματηλατῶν μέτα. εἷς ἦν Ἀχαιός, εἷς ἀπὸ Σπάρτης, δύο Λίβυες, ζυγωτῶν ἁρμάτων ἐπιστάται· κἀκεῖνος ἐν τούτοισι Θεσσαλὰς ἔχων ἵππους, ὁ πέμπτος· ἕκτος ἐξ Αἰτωλίας ξανθαῖσι πώλοις· ἕβδομος Μάγνης ἀνήρ· ὁ δ’ ὄγδοος λεύκιππος, Αἰνιὰν γένος· ἔνατος Ἀθηνῶν τῶν θεοδμήτων ἄπο· Βοιωτὸς ἄλλος, δέκατον ἐκπληρῶν ὄχον. στάντες δ’ ὅθ’ αὐτοὺς οἱ τεταγμένοι βραβῆς κλήροις ἔπηλαν καὶ κατέστησαν δίφρους, χαλκῆς ὑπαὶ σάλπιγγος ᾖξαν· οἱ δ’ ἅμα ἵπποις ὁμοκλήσαντες ἡνίας χεροῖν ἔσεισαν· ἐν δὲ πᾶς ἐμεστώθη δρόμος κτύπου κροτητῶν ἁρμάτων· κόνις δ’ ἄνω
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Kommentar
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696–697 Gerade besonders erfolgreiche Menschen müssen befürchten, von den Göttern gestürzt zu werden; dass dagegen keine menschlichen Mittel helfen, ist eine Weisheit, die in den Tragödien des Sophokles öfters ausgedrückt wird (etwa Ai. 455f. oder OC 252f.). Im Bericht des Boten dient die sprichwörtliche Redensart dazu, auf dem Höhepunkt von Orests angeblichen Erfolgen auf sein Unglück hinzuweisen und damit Spannung zu erzeugen; die Athener Zuschauer hörten auch die Ironie des Pädagogen mit, denn tatsächlich ist es Klytaimestra, die dem von den Göttern verhängten Unheil nicht wird entrinnen können. 701–708 Die pythischen Spiele zogen Athleten aus allen Teilen Griechenlands an; dies galt besonders für den Wettbewerb mit dem Viergespann, der hohe Aufwendungen erforderte und deshalb nur von Mitgliedern reicher Familien bestritten werden konnte. Orest hat insgesamt neun Konkurrenten: zwei von der Peloponnes (welchen Teil Griechenlands Sophokles mit „Achaia“ bezeichnet, wissen wir nicht genau, vgl. Jebb [5] zu 701), zwei aus Nordafrika (s. zu V. 701–702) und fünf aus Nordgriechenland. Es handelt sich jeweils um Gebiete, die für ihre Pferdezucht bekannt waren; der Bericht des Pädagogen klingt also für das Publikum plausibel. 701–702 Mit den Wagenlenkern „aus Libyen“ sind Griechen aus den Kolonien um die Stadt Kyrene gemeint; die Argumentation von West [402], unter Verweis auf Herodot 4, 197, 2 an einheimische „Libyer“ zu denken, kann nicht überzeugen: Das Athener Publikum ging selbstverständlich von griechischen Teilnehmern bei den Spielen aus. 707 Der athenische Wagenlenker wird später als besonders geschickt beschrieben (731); den ersten Massenunfall überstehen nur er und Orest: Dies und das Attribut „gottgebaut“ (vgl. Roth [34] zu Eur. Hipp. 973–975) wird dem Stolz des athenischen Publikums besonders geschmeichelt und damit zugleich sein Interesse wachgehalten haben. 711 Eine Trompete gab das Startsignal bei antiken Rennen, vgl. Crowther [105].
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Zweites Epeisodion 715–730
gewirbelt. Alle waren in einer Masse zusammengepfercht und benutzten ihre Geißel ohne Unterlass, um vorbeizukommen an den Radnaben und dem Pferdeschnauben der anderen. Auf Rücken und Räderlauf schäumte und schnaubte der Pferdeatem. Er aber steuerte auf die Wendesäule zu und brachte die Radnabe jedesmal ganz nah, indem er dem rechten Seitenpferd die Zügel ließ und das an der Säule laufende zurückhielt. Und bis dahin fuhren alle Wagen unversehrt. Dann aber tragen die Fohlen des Ainianers ihn ungezügelt gewaltsam bei der Wende aus der Kurve, als er schon die sechste und siebte Bahn vollendet, und stoßen frontal mit dem Wagen aus Barke zusammen. Und danach hat im gemeinsamen Unglück einer den anderen zerschmettert und fiel selbst, es füllte sich die ganze Ebene von Krisa mit Pferdewagenwracks. φορεῖθ’· ὁμοῦ δὲ πάντες ἀναμεμιγμένοι φείδοντο κέντρων οὐδέν, ὡς ὑπερβάλοι χνόας τις αὐτῶν καὶ φρυάγμαθ’ ἱππικά. ὁμοῦ γὰρ ἀμφὶ νῶτα καὶ τροχῶν βάσεις ἤφριζον, εἰσέβαλλον ἱππικαὶ πνοαί. κεῖνος δ’ ὑπ’ αὐτὴν ἐσχάτην στήλην ἔχων ἔχριμπτ’ ἀεὶ σύριγγα, δεξιὸν δ’ ἀνεὶς σειραῖον ἵππον, εἶργε τὸν προσκείμενον. καὶ πρὶν μὲν ὀρθοὶ πάντες ἕστασαν δίφροι· ἔπειτα δ’ Αἰνιᾶνος ἀνδρὸς ἄστομοι πῶλοι βίᾳ φέρουσιν, ἐκ δ’ ὑποστροφῆς, τελοῦντος ἕκτον ἕβδομόν τ’ ἤδη δρόμον, μέτωπα συμπαίουσι Βαρκαίοις ὄχοις· κἀντεῦθεν ἄλλος ἄλλον ἐξ ἑνὸς κακοῦ ἔθραυε κἀνέπιπτε, πᾶν δ’ ἐπίμπλατο ναυαγίων Κρισαῖον ἱππικῶν πέδον.
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717 Die von Finglass [8] empfohlene und in den Text aufgenommene Konjektur Musgraves ἄλλων ist wohl nicht notwendig: Kaibel [9] und Kamerbeek [6] konstruieren αὐτῶν partitiv im Sinne von ἕκαστός τις αὐτῶν „ein jeder von ihnen“; denkbar ist auch ein prägnanter Gebrauch von αὐτῶν im Sinne von „damit einer die Pferde der Konkurrenten überhole“; vgl. Schneidewin/Nauck/Bruhn [12] zur Stelle.
Kommentar
139
722 Während die mittleren zwei Pferde unter einem Joch laufen, sind die beiden äußeren nur jeweils mit Seilen an der Deichsel befestigt (Jebb [5] gibt eine ausführliche Erklärung). Auf sie musste der Wagenlenker vor allem bei der Wende besonders achten: Weil das äußere Pferd (hier das rechte, weil die Fahrt gegen den Uhrzeigersinn geht) einen deutlich weiteren Weg zurücklegen muss, lässt der Fahrer ihm viel Zügel, während er das innere Pferd kräftig bremst. In der Ilias (23, 334–341) empfiehlt Nestor seinem Sohn Antilochos genau die Taktik, die Orest hier anwendet: Bei der Wendemarke soll er sein linkes Pferd zurückhalten und möglichst nah an der Wendesäule vorbei fahren (zu den Berührungen s. Barrett [57] 138–140, Davidson [109] 66f.). Orests Unfall wird darauf zurückgeführt, dass er das innere Pferd nicht genügend bremst (V. 743–745). 727 Barke ist eine Stadt in der Nähe von Kyrene; es handelt sich also um einen der „libyschen“ Wagenlenker (V. 701–702). 730 In der Nähe der Stadt Krisa (s. zu V. 180) befand sich die Bahn, auf der bei den pythischen Spielen die Rennen stattfanden; Delphi selbst liegt in einer Gebirgslandschaft, die nicht genügend Raum für Pferderennen bietet.
140
Zweites Epeisodion 731–749
Dies erkennt der tüchtige Wagenlenker aus Athen, zieht sein Gespann zur Seite und hält es zurück, vorbei an dem Pferdegewoge, das in der Mitte aufbraust. Es fuhr als letzter und hielt seine Pferde zurück Orest, auf den Endspurt vertrauend; doch wie er ihn nun allein noch übrig geblieben sieht, lässt er den schnellen Stuten einen schrillen Ruf durch die Ohren gellen, nimmt die Verfolgung auf, und mit den Wagen auf gleicher Höhe fuhren sie dahin; bald streckt der eine, bald der andere die Spitze seines Pferdegespanns voran. Ja, alle anderen Bahnen vollendet er sicher, der Arme, unversehrt auf unversehrtem Wagen. Doch dann lässt er locker den linken Zügel des Pferdes, das die Wendung einleitet, und unbemerkt trifft er den Rand der Säule; er zerschmetterte die Achsnaben mittendurch und rutschte aus dem Wagenkorb; verwickelt sich in die Lederriemen, und wie er zu Boden fiel, zerstreuten seine Pferde sich mitten über die Bahn. Als das Volk ihn aus seinem Wagen gefallen γνοὺς δ’ οὑξ Ἀθηνῶν δεινὸς ἡνιοστρόφος ἔξω παρασπᾷ κἀνοκωχεύει παρεὶς κλύδων’ ἔφιππον ἐν μέσῳ κυκώμενον. ἤλαυνε δ’ ἔσχατος μέν, ὑστέρας ἔχων πώλους, Ὀρέστης, τῷ τέλει πίστιν φέρων· ὅπως δ’ ὁρᾷ μόνον νιν ἐλλελειμμένον, ὀξὺν δι’ ὤτων κέλαδον ἐνσείσας θοαῖς πώλοις διώκει, κἀξισώσαντε ζυγὰ ἠλαυνέτην, τότ’ ἄλλος, ἄλλοθ’ ἅτερος κάρα προβάλλων ἱππικῶν ὀχημάτων. καὶ τοὺς μὲν ἄλλους πάντας ἀσφαλὴς δρόμους ὠρθοῦθ’ ὁ τλήμων ὀρθὸς ἐξ ὀρθῶν δίφρων· ἔπειτα, λύων ἡνίαν ἀριστερὰν κάμπτοντος ἵππου, λανθάνει στήλην ἄκραν παίσας· ἔθραυσε δ’ ἄξονος μέσας χνόας, κἀξ ἀντύγων ὤλισθε· σὺν δ’ ἑλίσσεται τμητοῖς ἱμᾶσι· τοῦ δὲ πίπτοντος πέδῳ πῶλοι διεσπάρησαν ἐς μέσον δρόμον. στρατὸς δ’ ὅπως ὁρᾷ νιν ἐκπεπτωκότα
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Kommentar
141
737 Wörtlich übersetzt lautet der griechische Text „er schwingt den schnellen Stuten einen schrillen Laut durch die Ohren“; ob mit dieser metaphorischen Ausdrucksweise ein lauter Zuruf oder ein Peitschenknall gemeint ist, ist unter den Interpreten umstritten (s. Kamerbeek [6]). 741–742 Der Bericht verzögert immer wieder die Schilderung des angekündigten Unglücks und weist auf die Erfolge und die heroische Statur Orests hin; damit hält er die Spannung aufrecht (Marshall [267] 214–218). In diesen Versen erreicht diese Strategie ihren Höhepunkt: Die Partikel men (entspricht im Deutschen etwa einem „zwar“) lässt die Zuhörer mit Bestimmtheit erwarten, dass jetzt ein Umschwung folgt; die Apposition „der Arme“ weist auf die folgende Katastrophe voraus. 743–756 Die Schilderung des Unfalls weist viele Berührungen mit dem Tod des Titelhelden in Euripides’ Hippolytos auf: Beide stoßen mit einem Rad an, verwickeln sich in die Zügel und werden von ihren Pferden zu Tode geschleift (s. Roth [34] zu 1232–1247).
142
Zweites Epeisodion 750–765
sah, bejammerte es den Jüngling, was für Taten er vollbracht habe, was für ein Unglück sein Los sei, zu Boden geschmettert, bald zum Himmel die Beine gestreckt, bis ihn die Wagenlenker, die nur mit Mühe den Pferdelauf aufhalten konnten, als blutige Masse befreiten, so dass keiner seiner Lieben seine unglückliche Gestalt mit Augen hätte erkennen können. Und sie verbrannten ihn auf dem Scheiterhaufen und bringen gleich in kleinem Bronzegefäß seinen mächtigen Leib, jetzt traurige Asche, die Männer von den Phokern, die dazu bestimmt worden sind, damit ihm ein Grab in heimatlicher Erde zuteil werde. So spielte sich dies ab – anzuhören ist es schmerzlich, doch für den, der es gesehen hat, wie wir es gesehen haben, das größte aller Unglücke, die ich jemals sah. Cho. Weh, weh! So ist den alten Herren das ganze Geschlecht vollständig vernichtet, wie es scheint.
Χο.
δίφρων, ἀνωτότυξε τὸν νεανίαν, οἷ’ ἔργα δράσας οἷα λαγχάνει κακά, φορούμενος πρὸς οὖδας, ἄλλοτ’ οὐρανῷ σκέλη προφαίνων, ἔστε νιν διφρηλάται, μόλις κατασχεθόντες ἱππικὸν δρόμον, ἔλυσαν αἱματηρόν, ὥστε μηδένα γνῶναι φίλων ἰδόντ’ ἂν ἄθλιον δέμας. καί νιν πυρᾷ κέαντες εὐθὺς ἐν βραχεῖ χαλκῷ μέγιστον σῶμα δειλαίας σποδοῦ φέρουσιν ἄνδρες Φωκέων τεταγμένοι, ὅπως πατρῴας τύμβον ἐκλάχοι χθονός. τοιαῦτά σοι ταῦτ’ ἐστίν, ὡς μὲν ἐν λόγοις ἀλγεινά, τοῖς δ’ ἰδοῦσιν, οἵπερ εἴδομεν, μέγιστα πάντων ὧν ὄπωπ’ ἐγὼ κακῶν. φεῦ φεῦ· τὸ πᾶν δὴ δεσπόταισι τοῖς πάλαι πρόρριζον, ὡς ἔοικεν, ἔφθαρται γένος.
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750 Die Überlieferung ἀνωλόλυξε würde einen rituellen (Jubel-) Schrei bezeichnen (vgl. Diggle [125] 477–80) und sollte mit Herwerden geändert werden. 758 Δειλαίας σποδοῦ ist ein definierender Genitiv zu σῶμα vgl. Kamerbeek [6] und Finglass [8].
Kommentar
143
751–756 Der Bericht des Pädagogen hat bereits zwei verschiedene Gruppen von Zuhörern: die Bühnenfiguren (für die die Worte wahr sind) und das Theaterpublikum (das die Täuschung kennt). Nun erwähnt er in seiner Erzählung noch ein drittes (fiktives) Publikum, das das Unglück Orests betrauert. Durch diese doppelte Spiegelung (s. oben zu V. 680–763) werden die Zuschauer im Theater motiviert, sowohl über ihre eigene emotionale Reaktion auf die Schilderung dieses Unglücks nachzudenken (empfinden sie, wie die fiktiven Zuschauer, Mitleid mit Orest, obwohl sie wissen, dass der Bericht erlogen ist?) als auch über die Emotionen der Zuhörer auf der Bühne (wer von ihnen empfindet ähnlich wie das Publikum in Krisa?). Paradoxerweise wird das Publikum dazu geführt, sich mit den Zuschauern und Hörern solidarisch zu fühlen, die sich von dem erfundenen Bericht täuschen lassen und ihre Trauer ausdrücken. Gorgias, ein Zeitgenosse des Sophokles, hatte erläutert, dass bei der Rezeption der Tragödie derjenige, der sich täuschen lasse, klüger sein, als wer sich nicht täuschen lasse (vgl. dazu Sier [350]). Diese besondere Rezeptionsweise eines fiktionalen Textes hat Sophokles durch den „metatheatralischen“ Aspekt dieser Szene (ein „Spiel im Spiel“) seinen Zuschauern verdeutlicht. 755–756 Auch in diesen Worten hört das Publikum im Theater wieder die Ironie des Pädagogen: Orest kommt ja tatsächlich listig so, dass „keiner seiner Freunde“ (s. oben zu V. 368) ihn erkennen kann. 758 Die Griechen der klassischen Zeit waren überzeugt, dass die Heroen tatsächlich größer und stärker waren als die Menschen ihrer Zeit; nach einem Bericht bei Herodot (1, 68) war der Leichnam Orests sieben Ellen (etwa drei Meter) groß. Zur Nennung der Urne s. oben zu V. 54. 764–765 Nach der langen Rede ist die Chorführerin die erste Figur, die ihre Reaktion äußert. Sie beginnt mit Schmerzensrufen (s. oben zu V. 77) und zeigt damit ihr Mitfühlen, aber das „wie es scheint“ demonstriert auch, dass ihre Reaktion hier ebenso intellektuell wie emotional ist – was sie gerade erfahren hat, ist eben doch nicht ihr eigenes Leid, sondern das ihrer „alten Herren“.
144 Kl. Pä. Kl. Pä. Kl.
Κλ. Πα. Κλ. Πα. Κλ.
Zweites Epeisodion 766–784
Zeus, was ist das? Soll ich es eine Glücksfügung nennen oder schrecklich, aber vorteilhaft? Schmerzlich ist es, wenn ich mit meinem eigenen Unglück mein Leben rette. Warum bist du so verzagt über diese Rede, Frau? Etwas Gewaltiges ist es, zu gebären: Nicht einmal, wenn man schlecht behandelt wird, kann man hassen, was man geboren hat. So bin ich also ganz umsonst gekommen, wie es scheint. Bestimmt nicht umsonst! Wie kannst du „umsonst“ sagen, wenn du mit sicheren Beweisen für den Tod dessen kommst, der als Leben von meinem Leben geboren wurde, von der Nahrung meiner Mutterbrust abfiel, als Exilant zum Fremden wurde, und mich, seitdem er dieses Land verlassen hat, nie mehr gesehen hat. Er machte mir Vorwürfe wegen der Tötung seines Vaters und drohte, mir Schreckliches anzutun, so dass weder bei Tag noch bei Nacht süßer Schlaf mich umfing, sondern die andrängende Zeit verging mir wie einer Todgeweihten! Jetzt aber – denn an diesem Tag sind wir alle Furcht los, von seiner Seite und von der da; die war noch eine schlimmere Plage, ὦ Ζεῦ, τί ταῦτα; πότερον εὐτυχῆ λέγω ἢ δεινὰ μέν, κέρδη δέ; λυπηρῶς δ’ ἔχει, εἰ τοῖς ἐμαυτῆς τὸν βίον σῴζω κακοῖς. τί δ’ ὧδ’ ἀθυμεῖς, ὦ γύναι, τῷ νῦν λόγῳ; δεινὸν τὸ τίκτειν ἐστίν· οὐδὲ γὰρ κακῶς πάσχοντι μῖσος ὧν τέκῃ προσγίγνεται. μάτην ἄρ’ ἡμεῖς, ὡς ἔοικεν, ἥκομεν. οὔτοι μάτην γε· πῶς γὰρ ἂν μάτην λέγοις; εἴ μοι θανόντος πίστ’ ἔχων τεκμήρια προσῆλθες, ὅστις τῆς ἐμῆς ψυχῆς γεγώς, μαστῶν ἀποστὰς καὶ τροφῆς ἐμῆς, φυγὰς ἀπεξενοῦτο· καί μ’, ἐπεὶ τῆσδε χθονὸς ἐξῆλθεν, οὐκέτ’ εἶδεν· ἐγκαλῶν δέ μοι φόνους πατρῴους δείν’ ἐπηπείλει τελεῖν· ὥστ’ οὔτε νυκτὸς ὕπνον οὔτ’ ἐξ ἡμέρας ἐμὲ στεγάζειν ἡδύν, ἀλλ’ ὁ προστατῶν χρόνος διῆγέ μ’ αἰὲν ὡς θανουμένην. νῦν δ’ – ἡμέρᾳ γὰρ τῇδ’ ἀπήλλαγμαι φόβου πρὸς τῆσδ’ ἐκείνου θ’· ἥδε γὰρ μείζων βλάβη
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Kommentar
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766 Klytaimestras erste Reaktion auf die Nachricht vom Tod ihres Sohns hatte viel Raum für Interpretation gelassen (s. zu V. 675); nach dem langen Bericht formuliert sie selbst die Frage, die sich auch das Publikum stellt (darauf weist zu Recht Finglass [8] nachdrücklich hin): Überwiegt in diesem Tod für sie das Glück, von ihrer Angst befreit zu sein, oder das Unglück über den Verlust des Sohns? Wichtig ist, dass Klytaimestra in beiden Alternativen von ihrem eigenen Vorteil spricht; fraglich ist ihr lediglich, ob es sich um eine reine Glücksfügung handelt oder doch um einen mit Leid verbundenen Gewinn. Abwegig ist daher eine Deutung wie die von Kells [10] 7, der in diesen Versen das „Zentrum“ des Dramas sehen will, weil Klytaimestra ihr „mütterliches Leiden“ ausdrücke (vgl. auch Winnington-Ingram [417] 232): Davon findet sich keine Spur im Text. Eine starke emotionale Anteilnahme ist nicht zu erkennen, nur die offene Frage, wie sie das Geschehen benennen soll. 770–771 Klytaimestras weitere Reaktion ist distanzierter: Sie spricht nicht über ihre eigenen mütterlichen Gefühle für Orest, sondern verwendet eine Redensart mit einem generalisierenden „man“ (im Griechischen Maskulinum, um den allgemeinen Charakter zu betonen). 772 Boten erwarten eine Belohnung, wenn sie gute Nachrichten bringen; Der Pädagoge verhält sich also rollenkonform, wenn er vorgibt, enttäuscht darüber zu sein, dass seine willkommene Nachricht nicht auf eine so reine Freude stieß, wie er gehofft hatte. 773–787 Klytaimestra gewinnt mit jeder neuen Äußerung mehr Sicherheit und Halt; für den Zuschauer ergibt sich der Eindruck, dass sie selbst jetzt die von ihr V. 766f. aufgeworfene Frage beantwortet: Orests Tod bedeutet für sie in erster Linie Befreiung von einem Leben in Angst. 776–777 Orest ist für Klytaimestra zu einem „Fremden“ geworden (s. oben zu V. 368); als „Exilant“ gehört er nicht mehr zur Polisgemeinschaft: Im Reden setzt Klytaimestra eine immer größere Distanz zwischen sich und ihren Sohn.
146
El.
Kl. El. Kl. El. Kl. El. Kl. Pä. Kl.
Ηλ. Κλ. Ηλ. Κλ. Ηλ. Κλ. Ηλ. Κλ. Πα. Κλ.
Zweites Epeisodion 785–802
weil sie bei mir wohnte und immer ungemischt mein Lebensblut ausschlürfte – jetzt aber werde ich ungestört von deren Drohungen meine Tage verbringen! Weh, ich Arme! Jetzt ist es an der Zeit, Orest, über dein Schicksal zu wehklagen – so steht es um dich, und du wirst von dieser Mutter hier verhöhnt – steht es nicht gut? Jedenfalls nicht für dich! Um ihn aber steht’s gut, so wie es steht. Hör zu, Vergeltungsgeist des gerade Gestorbenen! Er hat gehört, wen er hören musste, und es schön vollendet. Spotte nur, denn jetzt bist du im Glück! Wolltet nicht Orest und du dem ein Ende machen? Wir sind am Ende, keine Rede davon, dass wir dir ein Ende setzen. Dein Kommen, Fremder, wäre viele Gaben wert, wenn du ihrem vielzüngigen Geschrei ein Ende gemacht hast. So will ich also wieder gehen, wenn alles in Ordnung ist. Nicht doch! Denn das hätte weder ich verdient noch der Gastfreund, der dich schickte. Sondern tritt ein! Die aber lass hier draußen herausschreien ξύνοικος ἦν μοι, τοὐμὸν ἐκπίνουσ’ ἀεὶ ψυχῆς ἄκρατον αἷμα – νῦν δ’ ἕκηλά που τῶν τῆσδ’ ἀπειλῶν οὕνεχ’ ἡμερεύσομεν. οἴμοι τάλαινα· νῦν γὰρ οἰμῶξαι πάρα, Ὀρέστα, τὴν σὴν ξυμφοράν, ὅθ’ ὧδ’ ἔχων πρὸς τῆσδ’ ὑβρίζῃ μητρός· ἆρ’ ἔχει καλῶς; οὔτοι σύ· κεῖνος δ’, ὡς ἔχει, καλῶς ἔχει. ἄκουε, Νέμεσι τοῦ θανόντος ἀρτίως. ἤκουσεν ὧν δεῖ κἀπεκύρωσεν καλῶς. ὕβριζε· νῦν γὰρ εὐτυχοῦσα τυγχάνεις. οὔκουν Ὀρέστης καὶ σὺ παύσετον τάδε; πεπαύμεθ’ ἡμεῖς, οὐχ ὅπως σὲ παύσομεν. πολλῶν ἂν ἥκοις, ὦ ξέν’, ἄξιος τυχεῖν, εἰ τήνδ’ ἔπαυσας τῆς πολυγλώσσου βοῆς. οὐκοῦν ἀποστείχοιμ’ ἄν, εἰ τάδ’ εὖ κυρεῖ. ἥκιστ’· ἐπείπερ οὔτ’ ἐμοῦ καταξί’ ἂν πράξειας οὔτε τοῦ πορεύσαντος ξένου. ἀλλ’ εἴσιθ’ εἴσω· τήνδε δ’ ἔκτοθεν βοᾶν
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793 ὧν ist eher Maskulinum als Neutrum; vgl. Kamerbeek [6]; so auch schon Schneidewin/ Nauck/Bruhn [12].
Kommentar
147
788–790 Nach dem Bericht des Pädagogen hat Elektra lange geschwiegen; erst jetzt kann sie sich äußern. Ihre Verse sind ein Aufschrei, der nicht nur ihr eigenes Leiden beklagt, sondern in der Anrede an den (nach ihrem Wissen) verstorbenen Bruder (so auch V. 808) Liebe und Nähe ausdrückt. Ihr Mitgefühl gilt nicht nur dessen Tod, sondern auch der Missachtung, die er von Klytaimestra erleidet; sie schließt mit der sarkastischen Frage, ob jetzt nicht alles gut stehe (Kamerbeek [6]; ähnlich sarkastisch auch etwa V. 393, 804– 806, 816). 790–796 Für unsere modernen Ohren mag die Art, wie Elektra und Klytaimestra jeweils Wörter der anderen aufnehmen und sie als höhnische Replik verwenden, gelegentlich übertrieben oder gezwungen wirken; manche Wortspiele erscheinen uns geschmacklos. In Sophokles’ Tragödien (wie etwa auch in den Dramen Shakespeares) finden sich solche Anspielungen nicht selten; besonders eindrucksvoll im König Ödipus (vgl. Manuwald [27] 20f.; Kirkwood [231] 247–288). Zu einem Beispiel dort (V. 924–6) schreibt Knox [234] 183f., bei den Anklängen höre das Publikum das „ironische Lachen der Götter“ über die Ahnungslosigkeit des Ödipus. Auch in unserer Passage verbirgt sich hinter den Anspielungen mehr als leeres Wortgeklingel. Als rhetorisches Mittel zeigt das Aufgreifen der Formulierungen des anderen noch einmal die Feindschaft, die zwischen Elektra und ihrer Mutter herrscht (s. auch oben V. 171 und 319), betont aber zugleich auch, dass sie untrennbar miteinander verstrickt sind: Ihre gesamte Interaktion beschränkt sich auf diesen Austausch von Anfeindungen, der sie in paradoxer Weise zugleich voneinander entfernt und einander nahebringt (zu polemischen Auseinandersetzungen als Konstante der attischen Tragödie vgl. Burian [88] 199f.). Zugleich ist in den Wortspielen hier auch ein tieferer Sinnzusammenhang vernehmbar, der an das Mittel der tragischen Ironie erinnert: Korrespondenzen in der Sprache verweisen auf Bezüge in der Wirklichkeit, die den sprechenden Figuren nicht bewusst sein mögen, den Zuschauern aber durch die Anklänge vor Augen treten. Die Nemesis, der Rachegeist des toten Agamemnon, hat tatsächlich auf die gehört, die er „hören musste“; die Ankunft des falschen Boten wird in der Tag Elektras „Geschrei ein Ende machen“ (V. 798) – beides allerdings in ganz anderer Art, als Klytaimestra hier meint. 799 Die Ankündigung des Pädagogen, wieder zu gehen, kann vom Publikum nur so verstanden werden, dass er dem Streit zwischen Klytaimestra und Elektra ein Ende setzen und in den Palast geführt werden möchte (was ja das Ziel seines Auftritts war, vgl. V. 39–41): Er kommt im Auftrag von Phanoteus, Klytaimestras Gastfreund, und hat eine wichtige, für Klytaimestra positive Botschaft überbracht; nach den gesellschaftlichen Regeln Griechenlands kann man ihn unmöglich ziehen lassen, ohne ihn zu bewirten. Dadurch entsteht eine für das dramatische Spiel ungewöhnlich komplexe Form: ein Schauspieler spielt eine Figur (den Pädagogen), der eine Rolle einnimmt (Bote von Orests Tod), die wiederum eine Verstellung erfordert (gespielte Bereitschaft, fortzugehen); die metatheatralische Anlage dieser gesamten Szene (s. oben zu
148 El.
Ηλ.
Zweites Epeisodion 803–822
ihr Unglück und das ihrer Lieben! Glaubt ihr, dass sie in Schmerz und Jammer schrecklich beweinte und beklagte, die Arme, den Sohn, der so gestorben ist? Nein, lachend ging sie fort! Ach ich Unglückliche: Liebster Orest, wie hat dein Tod mich vernichtet! Denn du bist fort und hast aus meinem Sinn entfernt die einzigen Hoffnungen, die mir noch blieben, dass du dereinst lebend kommen werdest, zu rächen den Vater und mich Unglückliche. Wohin soll ich jetzt gehen? Ich bin allein, du bist mir geraubt und auch der Vater. Nun muss ich wieder Sklavin sein bei denen, die mir von allen Menschen am verhasstesten sind, den Mördern des Vaters – steht’s nicht schön um mich? Aber bestimmt werde ich in Zukunft nicht mehr ihre Mitbewohnerin sind, sondern hier am Tor dahinsinken und mein welkes Leben fristen. Dann soll mich, wenn er sich beschwert fühlt, einer töten von denen, die da drinnen sind! Denn ein Gefallen ist es, wenn er mich tötet, Trauer, wenn ich lebe – nach Leben habe ich kein Verlangen mehr. ἔα τά θ’ αὑτῆς καὶ τὰ τῶν φίλων κακά. ἆρ’ ὗμιν ὡς ἀλγοῦσα κὠδυνωμένη δεινῶς δακρῦσαι κἀπικωκῦσαι δοκεῖ τὸν υἱὸν ἡ δύστηνος ὧδ’ ὀλωλότα; ἀλλ’ ἐγγελῶσα φροῦδος· ὢ τάλαιν’ ἐγώ· Ὀρέστα φίλταθ’, ὥς μ’ ἀπώλεσας θανών. ἀποσπάσας γὰρ τῆς ἐμῆς οἴχῃ φρενὸς αἵ μοι μόναι παρῆσαν ἐλπίδων ἔτι, σὲ πατρὸς ἥξειν ζῶντα τιμωρόν ποτε κἀμοῦ ταλαίνης. νῦν δὲ ποῖ με χρὴ μολεῖν; μόνη γάρ εἰμι, σοῦ τ’ ἀπεστερημένη καὶ πατρός· ἤδη δεῖ με δουλεύειν πάλιν ἐν τοῖσιν ἐχθίστοισιν ἀνθρώπων ἐμοί, φονεῦσι πατρός· ἆρά μοι καλῶς ἔχει; ἀλλ’ οὔ τι μὴν ἔγωγε τοῦ λοιποῦ χρόνου ἔσομαι ξύνοικος, ἀλλὰ τῇδε πρὸς πύλῃ παρεῖσ’ ἐμαυτὴν ἄφιλος αὑανῶ βίον. πρὸς ταῦτα καινέτω τις, εἰ βαρύνεται, τῶν ἔνδον ὄντων· ὡς χάρις μέν, ἢν κτάνῃ, λύπη δ’, ἐὰν ζῶ· τοῦ βίου δ’ οὐδεὶς πόθος.
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Kommentar
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V. 680–763) wird hierin besonders deutlich sichtbar (vgl. Ringer [320] 174f.). 803 Dieser Vers ist die letzte Äußerung Klytaimestras bis zu ihren Todesschreien 1404–16; zu Recht hebt Kaibel [9] hervor, ihr letztes Wort sei eine „Widerwärtigkeit“ (vgl. auch MacLeod [263] 125f.). Das Bild, das das Publikum bis zu ihrem Schrei in Erinnerung behalten wird, ist das der scheinbar Triumphierenden, tatsächlich jedoch Betrogenen, die in der Gestalt des Pädagogen ihre eigene Bestrafung in den Palast führt. 804–822 Wieder bleibt Elektra mit dem Chor allein auf der Bühne zurück, doch ihre Situation hat sich verändert, und zwar in einer Weise, die aus der Perspektive des Publikums und der Figur erheblich divergiert: Die Zuschauer wissen, dass mit dem Eintritt des Pädagogen in den Palast der erste Schritt zur Rache Orests vollzogen ist; Elektra hat durch die Nachricht vom Tod ihres Bruders eine weitere Hoffnung verloren. Das Wissen der Zuschauer, dass sie von falschen Voraussetzungen ausgeht, verstärkt sich in den nächsten Szenen und wird in ihrer unerträglichen Trauer über der angeblichen Urne mit seiner Asche seinen Höhepunkt finden. 804–806 Elektra spricht mit bitterem Sarkasmus (s. V. 788–790): Ihre Mutter hat keinerlei Anzeichen von Trauer oder Schmerz gezeigt.
150
Zweites Stasimon 823–848
Cho. Wo sind die Blitze des Zeus, oder wo ist der strahlende Helios, wenn sie dies mitansehen und im Dunkeln lassen? El. Oh oh, ach! Cho. Mein Kind, was weinst Du? El. Weh! Ch. Sag nichts Unbeherrschtes! El. Du wirst mich umbringen! Ch. Wie? El. Wenn du mir Hoffnung auf sie, die so klar in den Hades gegangen sind, machen willst, wirst du mich in meinem Siechtum noch mehr niedertreten.
Str. 1 825
830 835
Cho. Ich weiß, dass der Held Amphiaraos durch goldGegenstr. 1 gewirkte Fallen von Frauen in der Erde geborgen wurde, und jetzt unter der Erde – El. Oh oh, weh! 840 Cho. herrscht er in voller Lebenskraft. El. Weh! Ch. Ja weh! Denn wirklich, seine Mörderin – El. wurde getötet. Ch. Ja! 845 El. Ich weiß, ich weiß! Denn es erschien ein Rächer für ihn in seiner Trauer; für mich gibt es keinen mehr. Denn er, der war, ist weg, dahingerafft. Χο. Ηλ. Χο. Ηλ. Ηλ. Ηλ.
Χο. Ηλ. Χο. Ηλ. Ηλ. Ηλ.
ποῦ ποτε κεραυνοὶ Διός, ἢ ποῦ φαέθων Ἅλιος, εἰ ταῦτ’ ἐφορῶντες κρύπτουσιν ἕκηλοι; ἒ ἔ, αἰαῖ. ὦ παῖ, τί δακρύεις; φεῦ. Χο. μηδὲν μέγ’ ἀΰσῃς. ἀπολεῖς. Χο. πῶς; εἰ τῶν φανερῶς οἰχομένων εἰς Ἀΐδαν ἐλπίδ’ ὑποίσεις, κατ’ ἐμοῦ τακομένας μᾶλλον ἐπεμβάσῃ.
στρ. αʹ
οἶδα γὰρ ἄνακτ’ Ἀμφιάρεων χρυσοδέτοις ἕρκεσι κρυφθέντα γυναικῶν καὶ νῦν ὑπὸ γαίας – ἒ ἔ, ἰώ. πάμψυχος ἀνάσσει. φεῦ. Χο. φεῦ δῆτ’· ὀλοὰ γ’ ἆρ’ – ἐδάμη. Χο. ναί. οἶδ’ οἶδ’· ἐφάνη γὰρ μελέτωρ ἀμφὶ τὸν ἐν πένθει· ἐμοὶ δ’ οὔτις ἔτ’ ἔσθ’· ὃς γὰρ ἔτ’ ἦν, φροῦδος ἀναρπασθείς.
ἀντ. αʹ
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830 836
840 845
Kommentar
151
823–870 Zweites Stasimon. Wie bereits die Parodos (120–250), so ist auch dieses Chorlied als Wechselgesang zwischen Elektra und dem Chor angelegt (ob wir diesen Kommos als Ersatz für ein Stasimon ansehen wollen oder das zweite Epeisodion sich bis V. 1057 erstrecken lassen, ist eine Frage der Terminologie, ohne Bedeutung für die Zuschauer im Theater; vgl. Kamerbeek [6]). Doch gegenüber der Parodos hat der Ton sich verändert: Elektra ist jetzt hoffnungslos verzweifelt; der Chor macht nur noch schwache Versuche, sie zu trösten, und versichert ihr sein Mitgefühl. 823–825 Mit Schneidewin/Nauck/Bruhn [12] sind die Verse wohl so zu erklären, dass der Chor Elektra versichern möchte: „Weil es die Götter gibt, werden sie dies nicht mitansehen, sondern dir beistehen.“ Der Chor wiederholt damit das bereits V. 245–250 von Elektra geäußerte Vertrauen in den Beistand der Götter, allerdings in einer Lage, die für Elektra solche Zuversicht sinnlos zu machen scheint. 827 Natürlich weiß der Chor, warum Elektra weint; der Vers ist keine Frage nach Information, sondern eine tröstende Aufforderung, ihren Kummer auszusprechen. 828–830 Ein Scholiast zu dieser Stelle führt aus, der Darsteller Elektras müsse an dieser Stelle zum Himmel blicken und die Hände heben; dadurch werde ein Erschrecken des Chors und seine Warnung vor unbedachten, die Götter herausfordernden Worten motiviert. Die Angabe ist eine plausible Interpretation der Stelle, beruht allerdings kaum auf Wissen, sondern verdankt sich einer (wohl zutreffenden) Deutung der Verse (Finglass [8]). 837–841 Wie regelmäßig in der griechischen Dichtung, so wird auch hier der Mythos als Argument verwendet: Amphiaraos war ein Seher in Argos. Als dort Polyneikes, einer der Söhne des Ödipus, Mitstreiter für einen Feldzug gegen Theben anwarb, verweigerte er die Teilnahme, weil er durch seine Seherkunst wusste, dass das Unternehmen ein schlimmes Ende nehmen würde (Aischylos’ Sieben gegen Theben stellen die Katastrophe des Feldzugs dar). Polyneikes bestach Amphiaraos’ Frau Eriphyle mit einem goldenen Halsband; weil dieser sich zuvor verpflichtet hatte, ihrer Weisung zu gehorchen, musste er gegen seinen Willen am Zug nach Theben teilnehmen. Seinem Sohn Alkmeon trug er auf, seinen Tod zu rächen, und so brachte Alkmeon seine eigene Mutter Eriphyle um. Sophokles schrieb mehrere Dramen, die diesen Sagenkreis behandeln, einen Amphiaraos, einen Alkmeon und eine Eriphyle (möglicherweise identisch mit den Epigonen), aber wir wissen über diese Stücke nicht genug, um sie rekonstruieren zu können (vgl. aber Sommerstein/Fitzpatrick/ Talboy [7] 2, 25–74). Amphiaraos wurde beim Kampf um Theben nicht von einem Feind getötet, sondern von der Erde lebendig verschlungen („geborgen“ V. 838). Unsere Passage ist ein interessantes Beispiel dafür, wie mythische Paradeigmata in der Dichtung funktionieren. Der Chor hat einen ganz bestimmten Aspekt des Mythos im Auge, der ihm als Argument (in diesem Fall als Trostargument) dient: Amphiaraos hat auch nach seinem Tod noch eine ehrenvolle
152
Zweites Stasimon 849–870
Cho. Du Unglückliche, Unglück ward dir zuteil. El. Das weiß ich auch genau, übergenau, in meinem ewigen, alle Schrecknisse und Grausamkeiten schleppenden Leben. Cho. Du sprichst zu einer Wissenden! El. So lenke mich nicht nicht mehr ab, da keine – Ch. was sagst du? El. helfenden Hoffnungen auf edle Geschwister mehr da sind! Cho. Für alle Sterblichen gibt es den Tod. El. Auch in hufschnellen Wettkämpfen, so wie jenem Unglücklichen, dass er von Lederzügeln geschleift wurde? Cho. Unfassbar ist der Schmerz! El. Natürlich! Da er in der Fremde, fern von meinen Händen Ch. Ach weh! El. begraben liegt und hat weder eine Bestattung von uns erhalten noch Totenklagen Χο. Ηλ. Χο. Ηλ. Ηλ. Χο. Ηλ. Χο. Ηλ. Ηλ.
Str. 2 850
855
Gegenstr. 2 861
865 870
δειλαία δειλαίων κυρεῖς. κἀγὼ τοῦδ’ ἴστωρ, ὑπερίστωρ, πανσύρτῳ παμμήνῳ πολλῶν δεινῶν στυγνῶν τ’ αἰῶνι. ἰδομένᾳ θροεῖς. μή μέ νυν μηκέτι παραγάγῃς, ἵν’ οὐ – Χο. τί φῄς; πάρεισιν ἐλπίδων ἔτι κοινοτόκων εὐπατριδᾶν τ’ ἀρωγαί.
στρ. βʹ 850
πᾶσι θνατοῖς ἔφυ μόρος. ἦ καὶ χαλάργοις ἐν ἁμίλλαις οὕτως, ὡς κείνῳ δυστάνῳ, τμητοῖς ὁλκοῖς ἐγκῦρσαι; ἄσκοπος ἁ λώβα. πῶς γὰρ οὔκ; εἰ ξένος ἄτερ ἐμᾶν χερῶν – Χο. παπαῖ. κέκευθεν, οὔτε του τάφου ἀντιάσας οὔτε γόων παρ’ ἡμῶν.
ἀντ. βʹ 861
855
865 870
852 Der Text von V. 851–2 ist höchst unsicher. Als letztes Wort in V. 852 bieten die Handschriften ἀχέων; wir erwarten jedoch ein Substantiv im Dativ, von dem die unverbundenen Adjektive πανσύρτῳ παμμήνῳ abhängen. Hermanns Konjektur αἰῶνι ergibt immerhin einen verständlichen Text, aber die harte Syntax legt den Verdacht nahe, dass die Textverderbnis tiefer sitzt als in einem einzelnen Wort.
Kommentar
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Stellung inne. Elektra weist dieses Argument zurück, weil sein Fall doch anders liegt als der Agamemnons: Amphiaraos’ Tod wurde gerächt. Dass dies bald auch für Agamemnon gelten wird, weiß das Publikum; es nimmt also eine Dimension des mythischen Paradeigmas wahr, die Sprecher und Adressaten hier verborgen bleibt (vgl. Kamerbeek [6]). Sollten die Zuschauer in ihrer Entschlüsselung des Mythos noch weiter gehen? Winnington-Ingram [417] 226 weist darauf hin, dass Alkmeon in den meisten Versionen des Mythos nach dem Muttermord von den Erinyen verfolgt wurde; daher werde das Publikum auch an dieses Element der mythischen Parallele denken und entsprechend davon ausgehen, dass auch Orest ein ähnliches Schicksal drohe. Eine solche weiterführende Assoziation lässt sich zweifelsohne nicht gänzlich ausschließen, sie scheint aber weniger prominent als die bereits genannten Parallelen: Die Formulierung in V. 845–8 stellt Alkmeon als Vollzieher der Rache in den Vordergrund, nicht sein weiteres Schicksal, wie Finglass [8] zu Recht einwendet. Dennoch müssen wir in solchen Fällen immer bedenken, dass wir kaum die Rezeptionserfahrung antiker Zuschauer vollständig nachempfinden können, denen diese Mythen ganz vertraut waren und die (zumindest einige unter ihnen) dramatische Fassungen auf der tragischen Bühne miterlebt hatten. 865–870 Elektras Bestürzung darüber, dass sie ihren Bruder nicht einmal bestatten und betrauern konnte, bereitet die Zuschauer schon auf die Szene vor, in der sie in bewegenden Worten die Urne mit der angeblichen Asche ansprechen wird (V. 1126–1170).
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Drittes Epeisodion 871–884
Chr. Die Freude, meine Liebste, treibt mich an, die Schicklichkeit aufzugeben und schnell herbeizulaufen. Ich bringe nämlich Freuden, eine Atempause von dem Unglück, das du vorher hattest und beklagtest. El. Wie könntest gerade du für meine Leiden Hilfe finden, für die es keine Heilung mehr gibt? Chr. Orest ist hier bei uns, wisse es, höre es von mir, ganz leibhaftig, so wie du mich vor dir siehst! El. Ja bist du denn verrückt geworden, du Arme, und lachst über dein eigenes und über mein Unglück? Chr. Nein, beim väterlichen Herd! Nicht zum Spott sage ich das, sondern er ist wirklich bei uns beiden! El. Oh weh, du Arme! Und von welchem Menschen hast du diesen Bericht gehört, so dass du ihm allzu viel Glauben schenkst? Χρ.
Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ.
ὑφ’ ἡδονῆς τοι, φιλτάτη, διώκομαι τὸ κόσμιον μεθεῖσα σὺν τάχει μολεῖν· φέρω γὰρ ἡδονάς τε κἀνάπαυλαν ὧν πάροιθεν εἶχες καὶ κατέστενες κακῶν. πόθεν δ’ ἂν εὕροις τῶν ἐμῶν σὺ πημάτων ἄρηξιν, οἷς ἴασις οὐκ ἔνεστ’ ἔτι; πάρεστ’ Ὀρέστης ἧμιν, ἴσθι τοῦτ’ ἐμοῦ κλύουσ’, ἐναργῶς, ὥσπερ εἰσορᾷς ἐμέ. ἀλλ’ ἦ μέμηνας, ὦ τάλαινα, κἀπὶ τοῖς σαυτῆς κακοῖσι κἀπὶ τοῖς ἐμοῖς γελᾷς; μὰ τὴν πατρῴαν ἑστίαν, ἀλλ’ οὐχ ὕβρει λέγω τάδ’, ἀλλ’ ἐκεῖνον ὡς παρόντα νῷν. οἴμοι τάλαινα· καὶ τίνος βροτῶν λόγον τόνδ’ εἰσακούσασ’ ὧδε πιστεύεις ἄγαν;
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Kommentar
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871–1057 Drittes Epeisodion. Nachdem der Pädagoge die Intrige gegen Klytaimestra begonnen hat, konnten die Zuschauer erwarten, dass nun von derselben Parodos wie er Orest und Pylades auftreten würden. Stattdessen jedoch kommt, als weitere Retardierung des Geschehens, Chrysothemis. Wie in der Antigone die Schwestern Antigone und Ismene zweimal gegeneinander kontrastiert werden, so erhält auch Elektra durch diese zweite Unterredung mit ihrer Schwester noch präzisere Konturen. Diese Begegnung der beiden erfolgt unter ganz veränderten Bedingungen: Elektra ist fest davon überzeugt, Orest sei gestorben; in ihrer Verzweiflung ist sie fest entschlossen, nun selbst die Rache zu vollziehen. Chrysothemis schließt aus den Opfergaben, die sie an Agamemnons Grab gefunden hat, Orest sei nicht nur am Leben, sondern bereits in Argos; ihrer Freude begegnet Elektra mit Unglauben und Ablehnung. Dramatisch wirkungsvoll ist der Kontrast zwischen der verzweifelten und niedergeschlagenen Stimmung des vorangegangenen Chorlieds und der freudigen Erregung, mit der Chrysothemis im Laufschritt die Bühne betritt. Die Zuschauer werden in dieser Szene emotional hin- und hergerissen zwischen dem Mitgefühl mit Elektra und dem Wissen, dass ihre Verzweiflung auf falschen Voraussetzungen beruht. Durch die dramatische Ironie rückt ihre kompromisslose Härte noch schärfer in den Focus: Sie ist (moralisch) richtig und zugleich (objektiv) unnötig. Unser Urteil über Elektra wird damit noch klarer: Ihr Leiden und ihre Entschlossenheit, ihre vollständige Isolation am Ende der Szene machen sie groß über alle Maßstäbe gewöhnlicher Menschen; sympathisch muss sie den Zuhörern nicht sein. Zu Recht schreibt Finglass [8] 372: “her foolhardiness and aggression prevent our reaction from being simply admiration or approbriation.” Diese Seite Elektras hat in der Rezeption insbesondere Jean Giraudoux berücksichtigt: Seine Électre ist bereit, für ihre Vorstellung von Gerechtigkeit die gesamte Stadt zu opfern; alle guten Worte, ihre Rache an Égisthe und Clytmnestre nur um einen Tag zu verschieben, damit Argos verteidigt werden kann, weist sie brüsk zurück. Sie ist eine Frau, die „Scherereien macht“ („le type de la femme à histoires“). 872 In den Bewegungen der Schwestern symbolisiert sich ihr Wesen (March [11]): Elektra bleibt statisch auf der Bühne und verändert ihren Entschluss nicht. Chrysothemis ist flatterhafter; sie rennt vor Freude (zu schnelles Gehen gilt in der Antike als unschicklich). 875 Elektras erste Antwort auf Chrosthemis’ Freude setzt den Ton, mit dem sie ihrer Schwester in diesem ersten Teil des Epeisodions begegnen wird: Ihre Verzweiflung und Niedergeschlagenheit lässt sie bitter werden. 877–878 Wie der Pädagoge (s. oben zu V. 673), so stellt auch Chrysothemis den wichtigsten Punkt ihrer Nachricht in knapper Formulierung voran; beide Botschaften stehen in derselben Form am Versanfang: „Orest ist tot“ – „Orest ist hier“. 879 Mit „Arme“ oder „Unglückliche“ (gr. talaina) hatte Elektra bisher immer wieder sich selbst bezeichnet (165, 304, 674, 788, 807); jetzt verwendet
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Drittes Epeisodion 885–904
Chr. Von mir selbst habe ich es, nicht von jemand anderem! Sichere Zeichen habe ich gesehen; diesem Bericht vertraue ich. El. Was für ein Vertrauenszeichen hast du gesehen, du Arme? Was hast du gesehen, das dich in unheilbarem Feuer glühen lässt? Chr. Bei den Göttern, so höre mich an, damit du es erfährst und mich dann in Zukunft vernünftig oder irre nennst! El. So sprich, wenn dir das Sprechen irgendwie Freude macht! Chr. So sprech ich und sage dir alles, was ich sah. Denn als ich zum alten Grab unseres Vaters kam, da sehe ich von der Spitze des Grabhügels frische Ströme von Milch fließen, und ringsum bekränzt Vaters Grabstein mit allen Blüten, die es gibt. Ich sah’s und wunderte mich, und ich schaue mich um, ob etwa ein Mensch sich in unserer Nähe aufhält. Als ich den ganzen Ort in tiefer Stille ruhen sah, ging ich näher an das Grab. Und ganz an seinem Rand sehe ich eine frisch geschnittene Locke. Und sofort als ich es sah, da trifft ein vertrautes Bild meine Seele, dass ich dies als Zeichen des liebsten aller Menschen vor mir sah: Orests! Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ.
ἐγὼ μὲν ἐξ ἐμοῦ τε κοὐκ ἄλλου, σαφῆ σημεῖ’ ἰδοῦσα, τῷδε πιστεύω λόγῳ. τίν’, ὦ τάλαιν’, ἰδοῦσα πίστιν; ἐς τί μοι βλέψασα θάλπῃ τῷδ’ ἀνηκέστῳ πυρί; πρός νυν θεῶν ἄκουσον, ὡς μαθοῦσά μου τὸ λοιπὸν ἢ φρονοῦσαν ἢ μώραν λέγῃς. σὺ δ’ οὖν λέγ’, εἴ σοι τῷ λόγῳ τις ἡδονή. καὶ δὴ λέγω σοι πᾶν ὅσον κατειδόμην. ἐπεὶ γὰρ ἦλθον πατρὸς ἀρχαῖον τάφον, ὁρῶ κολώνης ἐξ ἄκρας νεορρύτους πηγὰς γάλακτος, καὶ περιστεφῆ κύκλῳ πάντων ὅσ’ ἔστιν ἀνθέων θήκην πατρός· ἰδοῦσα δ’ ἔσχον θαῦμα, καὶ περισκοπῶ μή πού τις ἡμῖν ἐγγὺς ἐγχρίμπτει βροτῶν. ὡς δ’ ἐν γαλήνῃ πάντ’ ἐδερκόμην τόπον, τύμβου προσεῖρπον ἆσσον· ἐσχάτης δ’ ὁρῶ πυρᾶς νεώρη βόστρυχον τετμημένον· κεὐθὺς τάλαιν’ ὡς εἶδον, ἐμπαίει τί μοι ψυχῇ σύνηθες ὄμμα, φιλτάτου βροτῶν πάντων Ὀρέστου τοῦθ’ ὁρᾶν τεκμήριον·
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sie das Wort mehrmals in mitleidig-spöttischem Ton in Bezug auf Chrysothemis (879. 883. 887. 924; zum Gebrauch des Worts s. die Übersicht bei Horsley [211]). Die dramatische Ironie ist offensichtlich: Beide Schwestern sind nur „unglücklich“, weil Elektra die Wahrheit verkennt. 885–886 Bisher hätte das Publikum glauben können, Chrysothemis sei an Agamemnons Grab Orest selbst begegnet; erst hier wird deutlich, dass sie sich auf „sichere Indizien“ stützt. Dass die Auffindung von Gussopfer und Haaren (s. oben zu V. 52) ein Hinweis auf die Anwesenheit Orests ist, wird in allen drei Tragödien, die diesen Teil des Atridenmythos behandeln, geäußert, allerdings jeweils von unterschiedlichen Figuren: In Aischylos’ Choephoren ist es Elektra selbst, die diese Vermutung zögerlich äußert (V. 176–178, im Dialog mit der Chorführerin); bei Euripides vermutet der alte Diener hinter den Gaben Orest (V. 516–519). Zumindest ein Teil des Publikums dürfte hier also bereits geahnt haben, um was für Indizien es sich handelt (einen Vergleich der drei Szenen bietet Solmsen [355]). 892–919 Chrysothemis’ Bericht über ihren Besuch an Agamemnons Grab ähnelt einem Botenbericht (s. oben zu V. 660–822); ihre Erzählung ist ebenso anschaulich und lebendig wie die des Pädagogen (s. MacLeod [263] 138). Während aber in dessen Fiktion der sonst in Botenberichten immer wieder betonte Aspekt der persönlichen Wahrnehmung (s. de Jong [225] 9. 183f.) lediglich eine untergeordnete Rolle spielt (V. 762), finden sich in den Worten der Chrysothemis zahlreiche Verben des Sehens in der ersten Person (892. 894. 897. 899. 900. 902. 904). Für die Zuschauer wird somit die durch die dramatische Ironie hervorgerufene Spannung intensiviert: Chrysothemis hat wirklich etwas gesehen, ihre daraus abgeleiteten Schlüsse sind zutreffend, aber sie findet damit keinen Glauben, im Gegensatz zu dem Lügengebäude des Pädagogen. 893 Mit dem „alten Grab“ ist wohl eine Grabstätte für die Familie der Atriden gemeint (s. unten V. 1134f.: dort wäre auch Orest bestattet worden, wäre er mit seinem Vater zusammen getötet worden). Aus der Beschreibung dessen, was Chrysothemis gesehen hat, geht deutlich hervor, dass Sophokles und sein Publikum an einen recht einfachen Grabhügel denken, nicht an eines der monumentalen Kuppelgräber, wie sie in der Nähe mykenischer Städte gefunden wurden. 897–898 Chrysothemis’ ängstliches Verhalten bestätigt das Bild von ihr, das sich die Zuschauer bisher machen konnten. 903 „Ein vertrautes Bild“: wörtlich heißt es im Griechischen „ein vertrautes Auge“. Durch Metonymie bezeichnet „Auge“ (omma) auch das Gesehene, insbesondere wenn es sich um den „Anblick“ eines Menschen handelt (vgl. Barrett [56] 359–361, bes. Anm. 41; Finglass [21] zu Soph. Ai. 977–8).
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Drittes Epeisodion 905–923
Ich nehme es in die Hand, lasse keinen Laut hören, aber vor Freude füllt sich sofort mein Auge mit Tränen. Und noch jetzt weiß ich genauso sicher wie eben: Diese Freudengabe kam von niemand anderem als ihm! Denn für wen gehört sich das, außer für mich und dich? Und ich habe es nicht getan, das weiß ich, und auch du nicht – wie denn? Bei den Göttern, du darfst ja nicht einmal schadlos von diesem Haus weggehen! Aber bestimmt auch nicht von Mutter: Weder pflegt ihr Sinn so etwas zu tun noch tat sie es heimlich. Nein, diese Ehrenbezeugung stammt von Orest! So fasse Mut, meine Liebe! Nicht immer steht bei denselben Menschen dasselbe Geschick. Unseres war zuvor schrecklich, doch vielleicht wird dieser Tag die Vollendung vieler guter Dinge bringen! El. Weh, welche Dummheit! Schon lange bedaure ich dich. Chr. Was ist denn? Macht dir nicht Freude, was ich sage? El. Du hast keine Ahnung, wo du bist und was du denkst! Chr. Ich weiß doch, was ich klar gesehen habe!
Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ.
καὶ χερσὶ βαστάσασα δυσφημῶ μὲν οὔ, χαρᾷ δὲ πίμπλημ’ εὐθὺς ὄμμα δακρύων. καὶ νῦν θ’ ὁμοίως καὶ τότ’ ἐξεπίσταμαι μή του τόδ’ ἀγλάϊσμα πλὴν κείνου μολεῖν· τῷ γὰρ προσήκει πλήν γ’ ἐμοῦ καὶ σοῦ τόδε; κἀγὼ μὲν οὐκ ἔδρασα, τοῦτ’ ἐπίσταμαι, οὐδ’ αὖ σύ· πῶς γάρ; ᾗ γε μηδὲ πρὸς θεοὺς ἔξεστ’ ἀκλαύτῳ τῆσδ’ ἀποστῆναι στέγης· ἄλλ’ οὐδὲ μὲν δὴ μητρὸς οὔθ’ ὁ νοῦς φιλεῖ τοιαῦτα πράσσειν οὔτε δρῶσ’ ἐλάνθανεν· ἀλλ’ ἔστ’ Ὀρέστου ταῦτα τἀπιτίμια. ἀλλ’, ὦ φίλη, θάρσυνε· τοῖς αὐτοῖσί τοι οὐχ αὑτὸς αἰεὶ δαιμόνων παραστατεῖ· νῷν ἦν τὰ πρόσθε στυγνός· ἡ δὲ νῦν ἴσως πολλῶν ὑπάρξει κῦρος ἡμέρα καλῶν. φεῦ τῆς ἀνοίας, ὥς σ’ ἐποικτίρω πάλαι. τί δ’ ἔστιν; οὐ πρὸς ἡδονὴν λέγω τάδε; οὐκ οἶσθ’ ὅποι γῆς οὐδ’ ὅποι γνώμης φέρῃ. πῶς δ’ οὐκ ἐγὼ κάτοιδ’ ἅ γ’ εἶδον ἐμφανῶς;
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914 Finglass [8] befürwortet Heaths Konjektur ἐλάνθαν’ ἄν, doch für die Auslassung von ἄν in solchen irrealen Gefügen gibt es Parallelen; vgl. Lee [26] zu Eur. Tro 397.
Kommentar
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905 Im Griechischen betont Chrysothemis, dass sie „keinen Laut von schlechter Vorbedeutung“ macht: Ein Ausruf der Überraschung oder des Schreckens könnte ein schlechtes Omen bedeuten (vgl. oben V. 630). Um davor sicher zu sein, ist es am besten, ganz zu schweigen. 909–915 Chrysothemis verlässt sich nicht ausschließlich auf den Augenschein, sondern begründet durch einen streng logischen Schluss, warum niemand als Orest das Haaropfer am Grab gelassen haben kann. Während die Zuschauer im Theater wissen, dass diese Folgerung in der Tat zutrifft, gelingt es der Sprecherin nicht, damit auch Elektra zu überzeugen. 920 Zu Elektras sarkastischen Ausdruck des Mitleids mit Chrysothemis hier und V. 924 s. unten zu V. 1199. 923 Ein letztes Mal im Dialog beruft sich Chrysothemis auf das, was sie mit eigenen Augen gesehen hat (s. oben zu V. 892–919) und deshalb weiß („Sehen“ und „Wissen“ sind im Griechischen etymologisch verwandt), lässt sich aber von Elektras zuversichtlichem Irrglauben überzeugen; V. 926 steht sie mit „ich Arme“ dann ganz auf dem Standpunkt der Schwester und fragt danach, von wem diese die Nachricht „gehört“ habe.
160 El. Chr. El. Chr. El. Chr. El. Chr.
El. Chr. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ.
Ηλ. Χρ.
Drittes Epeisodion 924–940
Tot ist er, du Unglückliche! Weg ist dir die Rettung von seiner Seite; blick nicht mehr auf ihn! Weh mir, ich Arme! Von welchem Menschen hast du das gehört? Von einem, der in der Nähe war, als er zugrunde ging. Und wo ist der? Verwunderung überkommt mich. Im Haus, der Mutter angenehm und gar nicht lästig. Weh mir, ich Arme! Von welchem Mensch waren dann die vielen Gaben an Vaters Grab? Ich glaube, am ehesten hat jemand sie als Erinnerungsgaben an den verstorbenen Orest dorthin gestellt. Der Arme! Und ich kam eilends voller Freude mit solchen Worten, ohne zu wissen, in welchem Unglück wir uns befinden; und jetzt komme ich und finde die vorigen Übel und noch andere dazu! Ja, so ist es. Doch wenn du auf mich hörst, wirst du Erlösung von der Last des gegenwärtigen Leids finden. Soll ich etwa die Toten wieder auferstehen lassen? τέθνηκεν, ὦ τάλαινα· τἀκείνου δέ σοι σωτήρι’ ἔρρει· μηδὲν ἐς κεῖνόν γ’ ὅρα. οἴμοι τάλαινα· τοῦ τάδ’ ἤκουσας βροτῶν; τοῦ πλησίον παρόντος ἡνίκ’ ὤλλυτο. καὶ ποῦ ’στιν οὗτος; θαῦμά τοί μ’ ὑπέρχεται. κατ’ οἶκον, ἡδὺς οὐδὲ μητρὶ δυσχερής. οἴμοι τάλαινα· τοῦ γὰρ ἀνθρώπων ποτ’ ἦν τὰ πολλὰ πατρὸς πρὸς τάφον κτερίσματα; οἶμαι μάλιστ’ ἔγωγε τοῦ τεθνηκότος μνημεῖ’ Ὀρέστου ταῦτα προσθεῖναί τινα. ὢ δυστυχής· ἐγὼ δὲ σὺν χαρᾷ λόγους τοιούσδ’ ἔχουσ’ ἔσπευδον, οὐκ εἰδυῖ’ ἄρα ἵν’ ἦμεν ἄτης· ἀλλὰ νῦν, ὅθ’ ἱκόμην, τά τ’ ὄντα πρόσθεν ἄλλα θ’ εὑρίσκω κακά. οὕτως ἔχει σοι ταῦτ’· ἐὰν δέ μοι πίθῃ, τῆς νῦν παρούσης πημονῆς λύσεις βάρος. ἦ τοὺς θανόντας ἐξαναστήσω ποτέ;
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Kommentar
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930–933 Chrysothemis’ berechtigte Frage weist noch einmal auf ihre Schlussfolgerung hin (oben V. 909–915); Elektras leichthin gegebene Antwort zeigt, wie fest sie in ihrer irrigen Auffassung befangen ist. Für das Publikum ergibt sich wiederum Spannung, die aus seinem Wissensvorsprung stammt: Chrysothemis ist ganz nahe an der Wahrheit, lässt sich aber von der unwissenden Elektra ablenken. 938–989 Zunächst im Dialog mit Chrysothemis, dann in einer langen Rede entwickelt Elektra den Plan, nach Orests Tod sollten die Schwestern nun selbst handeln und Aigisthos töten. Das Vorhaben wird niemals umgesetzt werden; über seine Funktion im Drama diskutieren die Interpreten intensiv (s. die knappe Zusammenfassung bei MacLeod [263] 140f.). Gewiss sollen die Zuschauer sehen, dass Elektra nach der Verzweiflung angesichts der Todesnachricht immer noch zu Entschlossenheit und Größe fähig ist (Sophokles war nicht daran interessiert, uns zu zeigen, wie Elektra diese Stärke findet, darin ist Wilamowitz [406] 196f. zuzustimmen). Um so bewegender wird dann ihr emotionaler Zusammenbruch beim Eintreffen der Urne wirken (V. 1216– 1170). Kaum erfüllt die Szene den Zweck, uns eine an ihrer „Unfähigkeit, sich zu erkennen“ scheiternde Elektra vor Augen zu führen (Lefèvre [243] 37f. ≈ [244] 168f.); weniger relevant ist wohl auch, dass Elektra, so überzeugend sie auch sprechen mag, rhetorisch ungeschickt agiert, weil sie ihr Zielpublikum Chrysothemis falsch einschätzt (diesen Aspekt hebt Finglass [8] zu 947–89 stark hervor). Für die Theaterzuschauer ergibt sich, ähnlich wie beim Bericht des Pädagogen (s. oben zu V. 680–763), auch hier ein kontrafaktisches Element: Dass Elektras Plan keinen Erfolg haben kann, dass sie niemals wirklich im Einzelnen zeigt, wie sie vorgehen möchte, dass die Schwestern mit einem solchen Vorhaben keine Chance haben, dass der Mythos in diesem entscheidenden Aspekt nicht verändert werden kann, all das wissen die Zuschauer. Doch in Elektras Rede stellt sich ihnen ein alternativer Handlungsverlauf vor Augen, der unterstreicht, dass nur die Ankunft Orests den Vollzug der Rache und die Lösung des dramatischen Konflikts gewährleisten können. 939 Unter der „Last des gegenwärtigen Leids“ versteht Chrysothemis, wie ihre Antwort deutlich macht, den Tod Orests; Elektra hingegen meint die Lage im von den Mördern Agamemnons beherrschten Argos.
162 El. Chr. El. Chr. El. Chr. El.
Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ.
Drittes Epeisodion 941–958
Das habe ich nicht gemeint; so verrückt bin ich nicht! Und wozu rufst du auf, was ich leisten kann? Tu mutig, wozu auch immer ich dich auffordere. Aber wenn es Nutzen bringt, werde ich mich nicht weigern. Sieh, ohne Mühe kann dir nichts glücken. Das sehe ich und will alles beitragen, wozu ich Kraft habe. So höre denn, wie vorzugehen ich plane: Du weißt doch auch selbst, das es für uns keinen Beistand von Freunden mehr gibt, sondern Hades hat sie genommen und geraubt, und wir bleiben ganz allein zurück. Solange ich aber hörte, dass unser Bruder lebendig blühte, hatte ich Hoffnungen, er werde einmal als Rächer für den Mord an Vater kommen. Jetzt aber, da er nicht mehr ist, blicke ich auf dich, dass du den, der mit eigener Hand Vater tötete, ohne zu zögern mit deiner Schwester umbringst, Aigisthos: denn jetzt darf ich nichts mehr vor dir verbergen. Worauf willst du leichtfertig warten, auf welche Hoffnung οὐ τοῦτό γ’ εἶπον· οὐ γὰρ ὧδ’ ἄφρων ἔφυν. τί γὰρ κελεύεις ὧν ἐγὼ φερέγγυος; τλῆναί σε δρῶσαν ἃν ἐγὼ παραινέσω. ἀλλ’ εἴ τις ὠφέλειά γ’, οὐκ ἀπώσομαι. ὅρα, πόνου τοι χωρὶς οὐδὲν εὐτυχεῖ. ὁρῶ· ξυνοίσω πᾶν ὅσονπερ ἂν σθένω. ἄκουε δή νυν ᾗ βεβούλευμαι ποεῖν. παρουσίαν μὲν οἶσθα καὶ σύ που φίλων ὡς οὔτις ἡμῖν ἐστιν, ἀλλ’ Ἅιδης λαβὼν ἀπεστέρηκε καὶ μόνα λελείμμεθον· ἐγὼ δ’, ἕως μὲν τὸν κασίγνητον βίῳ θάλλοντ’ ἔτ’ εἰσήκουον, εἶχον ἐλπίδας φόνου ποτ’ αὐτὸν πράκτορ’ ἵξεσθαι πατρός· νῦν δ’, ἡνίκ’ οὐκέτ’ ἔστιν, εἰς σὲ δὴ βλέπω, ὅπως τὸν αὐτόχειρα πατρῴου φόνου ξὺν τῇδ’ ἀδελφῇ μὴ κατοκνήσεις κτανεῖν, Αἴγισθον· οὐδὲν γάρ σε δεῖ κρύπτειν μ’ ἔτι. ποῖ γὰρ μένεις ῥάθυμος ἐς τίν’ ἐλπίδων
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941 Blaydes’ Konjektur οὐ τοῦτό γ’ εἶπον gibt den erforderlichen Sinn, den das überlieferte οὐκ ἔσθ’ ὅ γ’ εἶπον wohl nicht bieten kann (vgl. gegen Kaibel [9] und Kamerbeek [6] die überzeugenden Einwände von Lloyd-Jones/Wilson [257] 61 und Lloyd-Jones/Wilson [258] 40 sowie Finglass [8]).
Kommentar
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945–946 Nachdem das „Sehen“ in Chrysothemis’ Bericht eine zentrale Rolle gespielt hat (s. oben zu V. 892–919), werden jetzt Verben des Sehens in ganz anderer Weise gehäuft verwendet: Chrysothemis soll wegen ihrer Rettung nicht mehr auf Orest „blicken“ (V. 925), wird hier zur „Einsicht“ aufgefordert, soll überlegen, auf welche Hoffnung sie „schauen“ kann (V. 959); Elektra „blickt“ nur auf Chrysothemis (V. 954) als Helferin bei der Rache. Der Kontrast macht deutlich, dass Elektra hier „blind“ ist, weil sie sich täuschen ließ. 950 Hier und besonders gegen Ende ihrer Rede verwendet Elektra häufig den Dual, eine Verbform, die das gemeinsame Handeln eines Zweierpaars bezeichnet. Damit drückt sie nicht nur aus, dass sie beide nach dem Tod Orests als einzige legitime Kinder Agamemnons übriggeblieben sind (s. unten zu V. 1010), sondern richtet vor allem einen Appell an die Schwester, mit ihr gemeinsame Sache zu machen, wie insbesondere deutlich wird, wenn man die in die Zukunft projizierte Rede von den „beiden Schwestern“ (V. 977–983) hört. 955–957 Auffällig ist, dass Elektra nur davon spricht, Aigisthos zu töten, und Klytaimestra nicht erwähnt. Die Zuschauer konnten dies möglicherweise als rhetorische Strategie verstehen, der ohnehin schwer zu überredenden Chrysothemis nicht zuviel zuzumuten (es als bewusste Täuschung zu sehen, wie etwa Johansen [222] 21f. oder Kamerbeek [6] zu 957 vorschlagen, haben wir nicht genügend Hinweise). Deutlich ist aber auch, dass es für die Struktur des Stücks hier naheliegend war, lediglich Aigisthos zu nennen: Seine Ankunft schwebt seit geraumer Zeit als Drohung über Elektra (s. oben zu V. 310); die Tatsache, dass es ein Mann ist, den Elektra angreifen will, zeichnet ein klares Bild des Kontrasts zwischen der ängstlichen Chrysothemis und ihrer tollkühnen Schwester; wenn Chrysothemis die Tötung Klytaimestras diskutiert hätte, so hätte Sophokles kaum vermeiden können, Aspekte des Muttermords zu thematisieren, die in der Elektra nicht (oder zumindest nicht hier) im Vordergrund stehen (vgl. Blundell [70] 160f.).
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Drittes Epeisodion 959–976
schauen, die noch aufrecht steht? Du kannst nichts tun als seufzen, weil dir der Besitz des väterlichen Reichtums verwehrt ist, kannst trauen, weil du schon so lange Zeit unverheiratet und unvermählt alterst. Und hoffe nur ja nicht, davon irgendwann jemals etwas zu erlangen – so dumm ist er nicht, dieser Aigisthos, dass er zuließe, dass deine oder meine Nachkommenschaft gedeihe, das wäre für ihn sicher leidvoll. Doch wenn du meinen Plänen folgst, wirst erstens du bei Vater unten Ruhm für die Erfüllung deiner Pflicht davontragen und zugleich auch bei unserem Bruder. Dann wirst du frei, wie du geboren wurdest, in Zukunft heißen und eine angemessene Partie erhalten, denn jeder pflegt auf das Edle zu schauen. Ja siehst du nicht, wieviel edlen Ruf du dir selbst und mir verschaffst, wenn du auf mich hörst? Denn welcher Bürger oder Fremde wird nicht uns sehen und dann mit solchen Lobesworten grüßen: βλέψασ’ ἔτ’ ὀρθήν; ᾗ πάρεστι μὲν στένειν πλούτου πατρῴου κτῆσιν ἐστερημένῃ, πάρεστι δ’ ἀλγεῖν ἐς τοσόνδε τοῦ χρόνου ἄλεκτρα γηράσκουσαν ἀνυμέναιά τε. καὶ τῶνδε μέντοι μηκέτ’ ἐλπίσῃς ὅπως τεύξῃ ποτ’· οὐ γὰρ ὧδ’ ἄβουλός ἐστ’ ἀνὴρ Αἴγισθος, ὥστε σόν ποτ’ ἢ κἀμὸν γένος βλαστεῖν ἐᾶσαι, πημονὴν αὑτῷ σαφῆ. ἀλλ’ ἢν ἐπίσπῃ τοῖς ἐμοῖς βουλεύμασιν, πρῶτον μὲν εὐσέβειαν ἐκ πατρὸς κάτω θανόντος οἴσῃ τοῦ κασιγνήτου θ’ ἅμα· ἔπειτα δ’, ὥσπερ ἐξέφυς, ἐλευθέρα καλῇ τὸ λοιπὸν καὶ γάμων ἐπαξίων τεύξῃ· φιλεῖ γὰρ πρὸς τὰ χρηστὰ πᾶς ὁρᾶν. λόγῳ γε μὴν εὔκλειαν οὐχ ὁρᾷς ὅσην σαυτῇ τε κἀμοὶ προσβαλεῖς πεισθεῖσ’ ἐμοί; τίς γάρ ποτ’ ἀστῶν ἢ ξένων ἡμᾶς ἰδὼν τοιοῖσδ’ ἐπαίνοις οὐχὶ δεξιώσεται;
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Kommentar
165
962 Zum Motiv des unverheirateten Daseins vgl. oben zu V. 164. 968 Die „Erfüllung der Pflicht“ besteht darin, Rache für den Mord an ihrem Vater zu nehmen. Solange Orest noch lebte, lag diese Pflicht bei ihm als männlichem Erben; jetzt, da er selbst gestorben ist, fällt sie nach Elektras Auffassung an die überlebenden Schwestern. 971–972 Wie sehr ließen sich die Zuschauer im Theater von Elektras Rhetorik mitreißen? Im wirklichen Leben würden Männer eine Frau, die auf diese Weise Rache genommen hat, wohl kaum als attraktive Ehepartnerin wahrnehmen (Post [309] 152). Sahen sie Elektras Argument hier als Zeichen einer hoffnungslos verzweifelten Rhetorik, die nach jedem noch so unplausiblen Strohhalm greift? Oder waren sie bereit, sich für einen Augenblick eine alternative Version der Geschichte vorzustellen, in der eine solche ungewöhnliche Verhaltensweise tatsächlich möglich wäre? Dass man das Argument nicht vorschnell als absurd abtun sollte, dafür spricht die politische Konnotation der V. 975–985. 975–985 Schon in den homerischen Epen stellen sich manche Figuren vor, was man nach ihrem Tod über sie sagen wird; dies wird dann zu einem häufig verwendeten rhetorischen Argument (Wilson [414]). In unserer Passage legen die zahlreichen Duale und der Verweis auf die „politische“ Dimension des postumen Ruhms nahe, dass das Publikum ganz konkret an Harmodios und Aristogeiton dachte, die in Athen als Tyrannenmörder gefeiert wurden (vgl. Finglass [8] zur Stelle). Vielleicht erinnert V. 976–985 die Zuschauer auch konkret an das in Athen berühmte Standbild der Tyrannenmörder auf der Agora (so Juffras [227]). Jedenfalls ist der Anklang an eine im politischen Diskurs Athens sehr präsente Heldentat stark genug, um dem Publikum die Möglichkeit des hier fingierten Ausgangs und damit auch die „Mannhaftigkeit“ zweier junger Frauen lebendig vor Augen zu stellen.
166
Drittes Epeisodion 977–994
„Seht diese beiden Schwestern an, Freunde, die die väterliche Familie retteten, die ihren Feinden, die doch einst so sicher auf den Füßen standen, ohne Rücksicht auf das eigene Leben den Tod brachten. Die beiden muss man lieben, sie müssen alle ehren; sie müssen bei Festen und in der ganzen Stadt alle ehren wegen ihrer Mannhaftigkeit!“ So etwas wird ein jeder Mensch über uns beide sagen, so dass im Leben und im Tod der Ruhm uns niemals vergeht. Aber meine Liebe, hör auf mich, streng dich für Vater an, leiste Hilfe unserem Brufer, mach meinem Unglück ein Ende und deinem eigenen; erkenne dies: schändlich leben ist eine Schande für die, die edel geboren sind. Cho. In solchen Angelegenheiten ist die Voraussicht Verbündete sowohl des Sprechers als auch des Hörers. Chr. Ihr Frauen, schon bevor sie zu reden begann, hätte sie, wenn sie nicht schlecht bei Verstand wäre, sich die Vorsicht bewahrt – doch das tut sie nicht.
Χο. Χρ.
“ἴδεσθε τώδε τὼ κασιγνήτω, φίλοι, ὣ τὸν πατρῷον οἶκον ἐξεσωσάτην, ὣ τοῖσιν ἐχθροῖς εὖ βεβηκόσιν ποτέ, ψυχῆς ἀφειδήσαντε, προὐστήτην φόνου· τούτω φιλεῖν χρή, τώδε χρὴ πάντας σέβειν· τώδ’ ἔν θ’ ἑορταῖς ἔν τε πανδήμῳ πόλει τιμᾶν ἅπαντας οὕνεκ’ ἀνδρείας χρεών.” τοιαῦτά τοι νὼ πᾶς τις ἐξερεῖ βροτῶν, ζώσαιν θανούσαιν θ’ ὥστε μὴ ’κλιπεῖν κλέος. ἀλλ’, ὦ φίλη, πείσθητι, συμπόνει πατρί, σύγκαμν’ ἀδελφῷ, παῦσον ἐκ κακῶν ἐμέ, παῦσον δὲ σαυτήν, τοῦτο γιγνώσκουσ’ ὅτι ζῆν αἰσχρὸν αἰσχρῶς τοῖς καλῶς πεφυκόσιν. ἐν τοῖς τοιούτοις ἐστὶν ἡ προμηθία καὶ τῷ λέγοντι καὶ κλύοντι σύμμαχος. καὶ πρίν γε φωνεῖν, ὦ γυναῖκες, εἰ φρενῶν ἐτύγχαν’ αὕτη μὴ κακῶν, ἐσῴζετ’ ἂν τὴν εὐλάβειαν, ὥσπερ οὐχὶ σῴζεται.
980
985
990
980
985
990
977 Im klassischen Attisch findet sich für den Dual im Femininum sowohl eigene Formen (auf -α und -αῖν) als auch die Formen des Maskulinums (auf -ω und οῖν).
Kommentar
167
986–989 Mit großer Verve schließt Elektra ihre Rede: Fünf Imperative in drei Versen fordern Chrysothemis zum Handeln auf; eine knapp formulierte sprichwörtliche Redensart, der man als Zuhörer nur zustimmen kann, fordert zum Abschluss das Einverständnis ihrer Schwester und schmeichelt ihr zugleich als „edel geboren“. 990–991 In diesen konventionellen Versen der Chorführerin, die Rede und Gegenrede von Figuren (s. oben zu V. 369) trennen, sollte man in die Mahnung zur „Vorsicht“ nicht zu viel hineininterpretieren: Die sprachliche Formulierung („dem Sprecher“ und „dem Hörer“ ist Masculinum und zeigt, dass es sich um eine allgemeine Regel handelt; in dieselbe Richtung weist auch der polare Ausdruck, s. oben zu V. 169) macht deutlich, dass diese Mahnung sowohl für die Sprecherin Elektra (Sorgfalt bei Formulierung und Durchführung des Plans) als auch für Chrysothemis (Sorgfalt bei Abwägung oder Ablehnung) gilt. Der Chor bleibt hier neutral und zurückhaltend (so richtig Kaibel [9] und Kamerbeek [6]; anders Finglass [8]). 992 Ähnlich wie in V. 372 wendet sich Chrysothemis auch jetzt mit ihrer Antwort an den Chor, nicht an Elektra. Das Wort „Voraussicht“ der Chorführerin greift sie als „Vorsicht“ wieder auf. Elektras Versuch, zwischen sich und der Schwester Solidarität und Gemeinschaft zu stiften (s. zu V. 950), ist gescheitert; beide werden sich wieder ähnlich entzweien wie in ihrer ersten Szene; der entscheidende Unterschied liegt darin, dass Elektra jetzt glaubt, völlig allein gegen ihre Feinde zu stehen.
168
Drittes Epeisodion 995–1010
Denn mit Blick worauf rüstest du dich mit solcher 995 Kühnheit selbst und rufst mich auf, Komplizin zu sein? Ja siehst du nicht? Als Frau, nicht als Mann bist du geboren; die Kraft deines Arms ist geringer als die deiner Gegner. Ihnen ist das Schicksal heute günstig; uns entrinnt es und wird zu einem Nichts. 1000 Wer könnte planen, einen solchen Mann zu töten und unbeschadet aus der Sache davonkommen? Sieh zu, dass wir in unserer schlimmen Lage nicht noch größeres Unglück erwerben, wenn jemand diese Worte hört! Es bringt uns ja keinen Nutzen oder Vorteil, 1005 wenn wir einen schönen Ruf erhalten, aber schmachvoll sterben. Denn nicht das Sterben ist das Verhassteste, sondern wenn jemand sterben will und dann nicht einmal dies erlangen kann.] Doch ich flehe dich an: Bevor du ganz und gar uns vernichtest und unsere Familie auslöschst, 1010 ποῖ γάρ ποτ’ ἐμβλέψασα τοιοῦτον θράσος αὐτή θ’ ὁπλίζῃ κἄμ’ ὑπηρετεῖν καλεῖς; οὐκ εἰσορᾷς; γυνὴ μὲν οὐδ’ ἀνὴρ ἔφυς, σθένεις δ’ ἔλασσον τῶν ἐναντίων χερί. δαίμων δὲ τοῖς μὲν εὐτυχὴς καθ’ ἡμέραν, ἡμῖν δ’ ἀπορρεῖ κἀπὶ μηδὲν ἔρχεται. τίς οὖν τοιοῦτον ἄνδρα βουλεύων ἑλεῖν ἄλυπος ἄτης ἐξαπαλλαχθήσεται; ὅρα κακῶς πράσσοντε μὴ μείζω κακὰ κτησώμεθ’, εἴ τις τούσδ’ ἀκούσεται λόγους. λύει γὰρ ἡμᾶς οὐδὲν οὐδ’ ἐπωφελεῖ βάξιν καλὴν λαβόντε δυσκλεῶς θανεῖν· [οὐ γὰρ θανεῖν ἔχθιστον, ἀλλ’ ὅταν θανεῖν χρῄζων τις εἶτα μηδὲ τοῦτ’ ἔχῃ λαβεῖν.] ἀλλ’ ἀντιάζω, πρὶν πανωλέθρους τὸ πᾶν ἡμᾶς τ’ ὀλέσθαι κἀξερημῶσαι γένος,
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1000
1005
1010
1007 Es ist schwer zu sehen, was dieser und der nächste Vers bedeuten soll: Erläutert Chrysothemis hier, was sie mit einem „schmachvollen Tod“ in V. 1006 meinte, nämlich gefangen zu sein, gar gefoltert zu werden, ohne die Möglichkeit zu haben, diesen Qualen durch Selbstmord ein Ende zu setzen (so etwa Jebb [5], Kaibel [9] oder Schneidewin/ Nauck/Bruhn [12])? Das ergibt im Kontext keinen befriedigenden Sinn; wahrscheinlich gehören die beiden Verse nicht hierher und wurden nachträglich hinzugefügt; so Dawe [118] 1, 190f., Lloyd-Jones/Wilson [257] 61, Finglass [8].
Kommentar
169
997–998 Dass Frauen in jeder Hinsicht das schwächere Geschlecht sind, galt den Griechen zur Zeit von Sophokles als unumstößliche Tatsache. Doch selbst ohne eine solche Vorannahme ist Chrysothemis’ Argument, das Unternehmen habe keine Chance auf Erfolg, einsichtig: Zwei unbewaffnete junge Frauen stehen allein gegen die Machthaber der Stadt. Das Publikum bleibt in seinem Urteil über den beiden Schwestern zwiespältig: Chrysothemis ist eine junge Frau, wie die gültigen Konventionen sie forderten, Elektra eine Heldin, die für die gerechte Sache kämpft (s. oben zu V. 339–340). 1003 Auch Chrysothemis verwendet wieder häufig Verben des Sehens (995. 997. 1003; s. zu V. 945–946), jetzt aber, um Elektra zur „Einsicht“ in die Absurdität ihres Vorhabens zu bringen. 1010 In V. 157 wurde auch eine weitere Schwester Iphianassa als noch lebend erwähnt; hier scheint sie vergessen. Dem blätternden Leser fällt die Inkonsistenz auf; die Zuschauer im Dionysostheater wird sie kaum bemerkt haben.
170
Drittes Epeisodion 1011–1027
bezähme deinen Zorn. Und was du gesagt hast, werde ich dir unausgesprochen und unvollendet aufbewahren, Du selbst aber nimm, wenn auch erst nach langer Zeit, Vernunft an, den Mächtigen zu weichen, da du selbst so kraftlos bist! Hör auf mich! Nichts ist den Menschen ein 1015 größerer Vorteil als Voraussicht und kluger Sinn. El. Nichts, was du sagst, kommt unerwartet. Genau wusste ich, dass du fortwerfen würdest, was ich anbot. Doch dann muss ich mit eigener Hand und allein dies Werk vollbringen, denn ganz unverrichtet werde ich es nicht lassen. 1020 Chr. Ach je! Hättest du doch eine solche Einstellung bei Vaters Tod gehabt – alles hättest du vollbracht! El. Ich hatte dasselbe Wesen, doch meine Entschlusskraft war damals schwächer. Chr. Dann gib dir Mühe, dein Leben lang so entschlusskräftig zu bleiben! El. So tadelst du, weil du nicht mithelfen willst. 1025 Chr. Es ist doch klar, dass zuschaden kommt, wer Schlechtes versucht. El. Deine Einsicht ist beneidenswert, deine Feigheit hassenswert.
Ηλ.
Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ.
κατάσχες ὀργήν. καὶ τὰ μὲν λελεγμένα ἄρρητ’ ἐγώ σοι κἀτελῆ φυλάξομαι, αὐτὴ δὲ νοῦν σχὲς ἀλλὰ τῷ χρόνῳ ποτέ, σθένουσα μηδὲν τοῖς κρατοῦσιν εἰκαθεῖν. πείθου· προνοίας οὐδὲν ἀνθρώποις ἔφυ κέρδος λαβεῖν ἄμεινον, οὐδὲ νοῦ σοφοῦ. ἀπροσδόκητον οὐδὲν εἴρηκας· καλῶς δ’ ᾔδη σ’ ἀπορρίψουσαν ἁπηγγελλόμην. ἀλλ’ αὐτόχειρί μοι μόνῃ τε δραστέον τοὔργον τόδ’· οὐ γὰρ δὴ κενόν γ’ ἀφήσομεν. φεῦ· εἴθ’ ὤφελες τοιάδε τὴν γνώμην πατρὸς θνῄσκοντος εἶναι· πάντα γ’ ἂν κατειργάσω. ἀλλ’ ἦ φύσιν γε, τὸν δὲ νοῦν ἥσσων τότε. ἄσκει τοιαύτη νοῦν δι’ αἰῶνος μένειν. ὡς οὐχὶ συνδράσουσα νουθετεῖς τάδε. εἰκὸς γὰρ ἐγχειροῦντα καὶ πράσσειν κακῶς. ζηλῶ σε τοῦ νοῦ, τῆς δὲ δειλίας στυγῶ.
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1025
Kommentar
171
1015–1016 Die Verse werden in der Überlieferung der Chorführerin zugewiesen; damit würde sie hier klar für Chrysothemis Partei ergreifen. Nur wenige Verse später, im dritten Stasimon, wird der Chor sich ebenso klar auf Elektras Seite stellen, ohne dass in der dazwischen liegenden Partie irgendetwas einen solchen radikalen Umschwung motivieren würde. Der Vorschlag von Petropoulou [304], die Verse noch der Rede der Chrysothemis zuzuweisen, beseitigt diese Schwierigkeiten. Nicht begründet und zu subjektiv ist der Einwand von Finglass [8], V. 1014 müsse den Schluss von Chrysothemis’ Rede bilden. 1017 Elektra verschärft den Konflikt mit ihrer Schwester: Die Zuschauer wissen, dass sie hier die Unwahrheit sagt; sie hat ja in einer langen, rhetorisch mitreißenden Rede versucht, Chrysothemis auf ihre Seite zu ziehen. Ihre Aussage, sie habe die Ablehnung der Schwester schon vorher geahnt, werden die Zuschauer daher als Zeichen verletzten Stolzes verstehen (Finglass [8]). Wenn der Ton zwischen den beiden nun immer schärfer, polemischer, verletzender wird, zeigt sich Elektras fortschreitende Isolation immer deutlicher. Zugleich erinnert sich das Publikum daran, dass das Zerwürfnis ausgelöst ist durch die falsche Information, die der Botenbericht über Orests Tod gebracht hat. 1021–1022 Auch Chrysothemis reagiert jetzt mit Sarkasmus auf ihre Schwester: Warum hat sie eine solche Tollkühnheit nicht schon bei Agamemnons Ermordung gezeigt? 1023–1049 Bei der ersten Begegnung hatte der Dialog der Schwestern in einer Stichomythie durch die Enthüllung von Klytaimestras Traum (V. 404– 406) nach dem Streit eine Annäherung bewirkt; in dieser Szene wird in der Stichomythie das Zerwürfnis noch vertieft.
172
Drittes Epeisodion 1028–1046
Chr. El. Chr. El. Chr. El. Chr. El. Chr. El. Chr. El. Chr. El. Chr. El. Chr. El.
Ich werde geduldig später auch dein Lob hören! Von mir wird dir das sicher nie passieren! Das zu entscheiden ist auch die Zukunft lang genug. Geh fort! Von dir kommt keinerlei Hilfe. Doch, sie kommt. Aber bei dir ist kein Verstand. Geh und erzähle das alles deiner Mutter! Mit solch großem Hass hasse ich dich nicht. So wisse wenigstens, dass du mich in Ehrlosigkeit führst! Nicht Ehrlosigkeit, sondern Fürsorge für dich selbst. So soll ich deinem „Rechtsgrund“ folgen? Ja – wenn du bei Verstand bist, dann kannst du uns führen. Schrecklich ist es, so gut und doch so fehlerhaft zu reden. Ganz richtig hast du gesagt, welchem Übel du verfallen bist. Warum? Scheine ich dir dies nicht mit Recht zu sagen? Manchmal bringt selbst das Recht Schaden. Nach diesen Gesetzen will ich nicht leben. Wenn du dein Vorhaben umsetzt, wirst du mich noch loben. Allerdings werde ich es umsetzen; ich lasse mich von dir nicht schrecken. Chr. Ist das wirklich so? Du willst nicht umdenken? Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ. Ηλ. Χρ.
ἀνέξομαι κλύουσα χὤταν εὖ λέγῃς. ἀλλ’ οὔ ποτ’ ἐξ ἐμοῦ γε μὴ πάθῃς τόδε. μακρὸς τὸ κρῖναι ταῦτα χὠ λοιπὸς χρόνος. ἄπελθε· σοὶ γὰρ ὠφέλησις οὐκ ἔνι. ἔνεστιν· ἀλλὰ σοὶ μάθησις οὐ πάρα. ἐλθοῦσα μητρὶ ταῦτα πάντ’ ἔξειπε σῇ. οὐδ’ αὖ τοσοῦτον ἔχθος ἐχθαίρω σ’ ἐγώ. ἀλλ’ οὖν ἐπίστω γ’ οἷ μ’ ἀτιμίας ἄγεις. ἀτιμίας μὲν οὔ, προμηθίας δὲ σοῦ. τῷ σῷ δικαίῳ δῆτ’ ἐπισπέσθαι με δεῖ; ὅταν γὰρ εὖ φρονῇς, τόθ’ ἡγήσῃ σὺ νῷν. ἦ δεινὸν εὖ λέγουσαν ἐξαμαρτάνειν. εἴρηκας ὀρθῶς ᾧ σὺ πρόσκεισαι κακῷ. τί δ’; οὐ δοκῶ σοι ταῦτα σὺν δίκῃ λέγειν; ἀλλ’ ἔστιν ἔνθα χἠ δίκη βλάβην φέρει. τούτοις ἐγὼ ζῆν τοῖς νόμοις οὐ βούλομαι. ἀλλ’ εἰ ποήσεις ταῦτ’, ἐπαινέσεις ἐμέ. καὶ μὴν ποήσω γ’, οὐδὲν ἐκπλαγεῖσά σε. καὶ τοῦτ’ ἀληθές, οὐδὲ βουλεύσῃ πάλιν;
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1036 Die Genitive schließen sich an den Genitiv ἀτιμίας in V. 1035 an, den sie gewissermaßen zitieren (Kamerbeek [6]).
Kommentar
173
1028 In pointierter Kürze sagt Chrysothemis, sie ertrage Elektras höhnische Kritik jetzt genauso ruhig, wie sie in Zukunft ruhig anhören werde, dass Elektra ihr kleinlaut Recht gibt – wenn ihr verzweifelter Plan fehlgeschlagen ist. Das Publikum wird durch diesen Hinweis auch dazu eingeladen, an die „Zukunft“ des Schwesternpaars in den vorgegebenen Bahnen des Mythos zu denken: Wie können sich Elektra und Chrysothemis nach der vollzogenen Rache wieder begegnen; lässt sich der bittere und fundamentale Konflikt zwischen ihnen jemals wieder beilegen? 1033 Wie schon in ihrem ersten Streit (s. zu V. 391), so betont Elektra auch hier die Distanz zu Chrysothemis, indem sie sie an die Seite von Klytaimestra stellt und diese als „deine Mutter“ bezeichnet. 1036 Der Vers ist durch seine Form auffällig: Er hat einen Einschnitt genau in der Versmitte, was für iambische Trimeter eher ungewöhnlich ist (vgl. Stephan [367]); die Parallelität der beiden gleichen Vershälften wird durch die identische Endung der beiden metrisch äquivalenten Genitive atimias und promēthias (sog. Homoioteleuton) und den Binnenreim besonders hervorgehoben. Elektra und Chrysothemis kämpfen mit aller rhetorischer Macht gegeneinander. 1039 Elektra kritisiert, Chrysothemis rede geläufig und auf den ersten Blick plausibel, liege in der Sache aber ganz falsch. 1042 Wie schon in V. 338f., so gibt Chrysothemis auch hier zu, dass das Recht auf der Seite von Elektra steht; ihr eigenes Handeln ist von Angst vor Strafe und Repressalien bestimmt.
174 El. Chr. El. [Chr. El. El.
Drittes Epeisodion / Drittes Stasimon 1047–1062
Nichts bringt mehr Hass als ein schlechter Rat. Es scheint, du besinnst dich auf nichts von dem, was ich sage. Längst ist dies alles bei mir beschlossen, nicht gerade erst. So will ich gehen, denn weder kannst du meine Worte 1050 loben noch ich dein Verhalten. Dann geh hinein, denn niemals werde ich dir folgen, auch nicht, wenn du es sehr begehrst, denn leeren Dingen hinterherzujagen zeugt von großer Unvernunft.] Ja, wenn du selbst meinst, deine Ansicht sei 1055 sinnvoll, behalte diese Ansicht; wenn du im Unglück stehst, wirst du meine Worte loben.
Cho. Warum sehen wir, dass die Vögel oben sehr sinnreich dafür Sorge tragen, die zu ernähren, von denen sie entstammen und Nutzen erfahren haben, und tun dies nicht in gleicher Weise? Ηλ. Χρ. Ηλ. [Χρ. Ηλ. Χρ.
Χο.
βουλῆς γὰρ οὐδέν ἐστιν ἔχθιον κακῆς. φρονεῖν ἔοικας οὐδὲν ὧν ἐγὼ λέγω. πάλαι δέδοκται ταῦτα κοὐ νεωστί μοι. ἄπειμι τοίνυν· οὔτε γὰρ σὺ τἄμ’ ἔπη τολμᾷς ἐπαινεῖν οὔτ’ ἐγὼ τοὺς σοὺς τρόπους. ἀλλ’ εἴσιθ’· οὔ σοι μὴ μεθέψομαί ποτε, οὐδ’ ἢν σφόδρ’ ἱμείρουσα τυγχάνῃς· ἐπεὶ πολλῆς ἀνοίας καὶ τὸ θηρᾶσθαι κενά.] ἀλλ’ εἰ σεαυτῇ τυγχάνεις δοκοῦσά τι φρονεῖν, φρόνει τοιαῦθ’· ὅταν γὰρ ἐν κακοῖς ἤδη βεβήκῃς, τἄμ’ ἐπαινέσεις ἔπη. τί τοὺς ἄνωθεν φρονιμωτάτους οἰωνοὺς ἐσορώμενοι τροφᾶς κηδομένους ἀφ’ ὧν τε βλάστωσιν ἀφ’ ὧν τ’ ὄνασιν εὕρωσι, τάδ’ οὐκ ἐπ’ ἴσας τελοῦμεν;
Str. 1 1060
1050
1055
στρ. αʹ 1060
1050–55 V. 1055 schließt perfekt an V. 1049 an; die von Lloyd-Jones/Wilson [257] 62 und Finglass [8] angeführten Argumente für eine Tilgung der Verse 1050–1054 sind überzeugend.
Kommentar
175
1058–1097 Drittes Stasimon. Wie schon am Ende des ersten (V. 471) und des zweiten Epeisodions (V. 814), so bleibt Elektra auch jetzt allein auf der Bühne. Ihre Isolierung ist vollkommen, aber wir haben sie zuletzt nicht mehr als Trauernde und Gebrochene gesehen, sondern kühn und kämpferisch. Das Chorlied ist daher auch weniger Klage und Trost als Preis für Elektra und ein Gebet, sie möge Erfolg haben. 1058–1062 Mit dem Verweis auf die „sinnreichen“ (phronimōtatous) Vögel greift der Chor das Vokabular auf, das die beiden Schwestern in ihren letzten Äußerungen verwendet hatten („besinnst“, phronein, 1048; „sinnvoll“, phronein und phronei, 1056). Elektra war bereits zuvor mehrmals mit einer Nachtigall verglichen worden (s. oben zu V. 107–109 und 147–152; vgl. Most [285] 129). Dennoch bleibt die Verbindung dieser Verse zum Geschehen für die Zuschauer zunächst dunkel. Indem Chorlieder Verbindungen ziehen, die nicht offensichtlich sind, motivieren sie das Publikum, das Geschehen von mehreren Seiten zu betrachten. Einigen Vogelarten (so besonders die Störche) schrieben die Griechen zu, sich besonders sorgfältig um ihre Eltern zu kümmern. Hinter der empörten Frage des Chors steckt ein rhetorisches Argument: Wenn selbst Tiere diese Art von vernünftigem Verhalten zeigen, dann sollten Menschen dies erst recht tun. Erst nach und nach wird dann deutlich, dass der Chor damit Chrysothemis tadelt und Elektra lobt, weil nur letztere ihrem Vater gegenüber ihre kindliche Pflicht erfüllt.
176
Drittes Stasimon 1063–1078
Aber beim Blitz des Zeus und Themis im Himmel, lange werden wir nicht ungeplagt bleiben. Ruf, der für die Sterblichen unter die Erde dringt, verkünde laut mit klagender Stimme den Atriden unten, bring ihnen traurige Kunde der Schande,
1065
dass ihnen nicht nur die Familie krankt, Gegenstr. 1 sondern auch zwischen ihren beiden Kindern 1071 Streit herrscht und sie nicht mehr in liebevoller Harmonie zusammenleben. Im Stich gelassen ist allein in schwerer See seine Tochter; den Tod des Vaters 1075 beklagt die Arme immer, wie die Nachtigall, ganz Klage, nicht sorgt sie sich um ihren Tod, ἀλλ’ οὐ τὰν Διὸς ἀστραπὰν καὶ τὰν οὐρανίαν Θέμιν, δαρὸν οὐκ ἀπόνητοι. ὦ χθονία βροτοῖσι Φάμα, κατά μοι βόασον οἰκτρὰν ὄπα τοῖς ἔνερθ’ Ἀτρείδαις, ἀχόρευτα φέρουσ’ ὀνείδη, ὅτι σφιν ἤδη τὰ μὲν ἐκ δόμων νοσεῖται, τὰ δὲ πρὸς τέκνων διπλῆ φύλοπις οὐκέτ’ ἐξισοῦται φιλοτασίῳ διαίτᾳ· πρόδοτος δὲ μόνα σαλεύει ἁ παῖς οἶτον ἀεὶ πατρὸς δειλαία στενάχουσ’, ὅπως ἁ πάνδυρτος ἀηδών, οὔτε τι τοῦ θανεῖν προμη-
1065
ἀντ. αʹ 1071
1075
1063 οὐ τόν ≈ οὐ μὰ τόν; das zu ergänzende μά findet sich an mehreren Stellen dann als Interpolation in manchen Handschriften; vgl. Dawe [19] zu OT 660. 1070 Der Text dieses Verses ist sehr unsicher: νοσεῖται findet sich nur in einer einzigen späten Handschrift (Par. gr. 2794) und ist kaum alte Überlieferung (vgl. Kamerbeek [6]). Die von LloydJones/Wilson [257] 63 für das Medium angeführten Parallelen sind wenig überzeugend. Das überlieferte νοσεῖ ergibt passenden Sinn, verletzt aber die metrische Responsion mit V. 1058, der keinen Anlass zu Zweifeln bietet. Hier ist νοσεῖται aufgenommen, um einen verständlichen Lesetext zu bieten, ohne allzu großes Vertrauen.
Kommentar
177
1063–1065 Zeus als oberster Gott (vgl. V. 175) und Themis, die die Rechtsordnung verkörpert, wachen über die Einhaltung der Regeln des Zusammenlebens; Zeus straft mit seinen Blitzen all diejenigen, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Der Chor verallgemeinert seine Aussage, indem er davon spricht, dass „wir“ (gemeint sind alle Menschen, die ihre Kindespflicht vergessen) Strafen zu erwarten haben. 1066 In den Siegesliedern Pindars, eines etwas älteren Zeitgenossen des Sophokles, findet sich mehrfach der Wunsch, eine das menschliche Reden personifizierende Gottheit möge in den Hades hinabsteigen und den verstorbenen Eltern Nachricht vom Sieg ihres Sohnes bringen, um sie an der Freude und dem Glanz teilhaben zu lassen (Kaibel [9]). Hier soll im Gegenteil den Atriden (neben Agamemnon vor allem auch Orest, von dem der Chor ja ebenfalls annimmt, er sei gestorben) Nachricht von der schlimmen Verfassung ihrer Familie überbracht werden. 1074 Der Chor bedauert den Streit zwischen den beiden Schwestern, die nach dem Tod Orests als letzte noch übriggeblieben sind, um den Tod des Vaters zu beklagen. Die Metapher eines von „schwerer See“ geschüttelten Schiffs (ähnlich auch etwa Ant. 163. OC 23f.) lag dem Athener Publikum nahe; mit Seefahrt hatten viele Zuschauer eigene Erfahrung gemacht.
178
Drittes Stasimon 1079–1091
das Licht des Tages nicht mehr zu sehen ist sie bereit, wenn sie getötet hat den doppelten Fluchgeist – wer wäre so edel geboren wie sie? Kein Guter will schlecht leben und seinem Ruhm Schande machen namenlos, mein Kind, liebes Kind: so hast auch du ein Leben voller Trauer gewählt einen schönen Schnitter rüstend, um zwei Vorteile in einem Wort davonzutragen, weise und beste Tochter zu heißen. Mögest du leben, an Kraft und Reichtum den Feinden so sehr überlegen, θὴς τό τε μὴ βλέπειν ἑτοίμα, διδύμαν ἑλοῦσ’ ἐρινύν· τίς ἂν εὔπατρις ὧδε βλάστοι;
1080 Str. 2 1085
Gegenstr. 2 1091
1080
οὐδεὶς τῶν ἀγαθῶν ζῶν κακῶς εὔκλειαν αἰσχῦναι θέλει νώνυμος, ὦ παῖ, παῖ· ὡς καὶ σὺ πάγκλαυτον αἰῶνα †κοινὸν εἵλου†, τομῆ καλὸν καθοπλίσασα δύο φέρειν 〈ἐν〉 ἑνὶ λόγῳ, σοφά τ’ ἀρίστα τε παῖς κεκλῆσθαι.
στρ. βʹ
ζῴης μοι καθύπερθεν χερὶ πλούτῳ τε τῶν ἐχθρῶν, ὅσον
ἀντ. βʹ 1091
1085
1081 Dass hier Klytaimestra und Aigisthos als ἐρινύς bezeichnet werden, ist unerwartet (dass es keine wirklich überzeugenden Parallelen gibt, legt Kamerbeek [6] dar), aber der Vorschlag von Leinieks [246] 44–5, es im Sinne von „Rache“ zu verstehen (ähnlich auch schon Kaibel [9]), kann sich nicht auf überzeugende Parallelen stützen. 1086 Die Überlieferung scheint fehlerhaft; wieweit sich die Korruptel erstreckt, ist unsicher (vgl. Viketos [393], Most [285] Finglass [8]). Der Aorist εἵλου könnte sich nur auf eine einzelne Entscheidung beziehen und passt daher nicht zu dem Ausdruck „Leben voller Trauer“, der sich auf Elektras gesamte Lebensführung beziehen muss. κοινόν bleibt ganz unverständlich. 1087 τομῆ ist Mosts ([285]) Neuinterpretation des überlieferten τὸ μή. Der sich daraus ergebende Text ist äußerst kühn, aber verständlich: Das Substantiv τομεύς „Schnitter“ bezeichnet hier wohl die Waffe, die Elektra nach der Darstellung des Chors für ihren Anschlag auf Aigisthos und Klytaimestra bereit macht.
Kommentar
179
1081 Der Hinweis auf Elektras „edle Abkunft“ (wörtlich heißt der griechische Text „von gutem Vater abstammend“) begründet nicht nur ihre natürliche, „aristokratische“ Überlegenheit (vgl. Rose [324]), sondern betont auch ihre besondere Verbundenheit mit ihrem Vater (vgl. auch Stokes [372] 138f.). 1082–1083 Mit der Aussage, kein Guter wolle schlecht leben, greift der Chor pointiert die Formulierung Elektras in V. 989 auf („schändlich leben ist eine Schande für die, die edel geboren sind“) und gibt ihr damit in der Auseinandersetzung mit ihrer Schwester noch einmal recht. 1085–1087 Der von den Handschriften überlieferte Text dieser Verse bietet massive Verständnisschwierigkeiten; seit der Renaissance haben Philologen zahlreiche Verbesserungsvorschläge vorgelegt (einen Überblick bieten Most [285] und Finglass [8] zur Stelle). Keiner der Vorschläge kann völlig überzeugen; der hier vorgelegte Text ist lediglich tentativ.
180
Drittes Stasimon / Viertes Epeisodion 1092–1110
wie du ihnen jetzt unterlegen bist! Denn ich fand dich in nicht gutem Geschick stehend, doch was als größtes Recht erwuchs, darin davontragend den besten Preis in Frömmigkeit vor Zeus.
1095
Or.
Ihr Frauen, sind unsere Erkundigungen richtig, ist unser Weg richtig dorthin, wohin wir wollen? Cho. Was suchst du denn? Wozu bist du hier? 1100 Or. Meine Frage ist, wo der Wohnsitz des Aigisthos sich befindet. Cho. Du bist gut angekommen, und wer es dir gesagt hat, verdient keine Strafe. Or. Wer von euch könnte dann bitte denen drinnen unsere erwünschte Ankunft nach gemeinsamer Reise melden? Cho. Sie hier, wenn der Nächststehende es vermelden soll. 1105 Or. So geh denn hinein, Frau, und sage drinnen, dass einige Männer aus Phokien Aigisthos suchen. El. Weh mir, ich Arme, ihr bringt doch nicht etwa sichere Beweise für die Kunde, die wir gehört haben? Or. Von deiner Kunde weiß ich nichts; mir hat der alte 1110 νῦν ὑπόχειρ ναίεις· ἐπεί σ’ ἐφηύρηκα μοίρᾳ μὲν οὐκ ἐν ἐσθλᾷ βεβῶσαν, ἃ δὲ μέγιστ’ ἔβλαστε νόμιμα, τῶνδε φερομέναν ἄριστα τᾷ Ζηνὸς εὐσεβείᾳ. Ορ. Χο. Ορ. Χο. Ορ. Χο. Ορ. Ηλ. Ορ.
ἆρ’, ὦ γυναῖκες, ὀρθά τ’ εἰσηκούσαμεν ὀρθῶς θ’ ὁδοιποροῦμεν ἔνθα χρῄζομεν; τί δ’ ἐξερευνᾷς καὶ τί βουληθεὶς πάρει; Αἴγισθον ἔνθ’ ᾤκηκεν ἱστορῶ πάλαι. ἀλλ’ εὖ θ’ ἱκάνεις χὠ φράσας ἀζήμιος. τίς οὖν ἂν ὑμῶν τοῖς ἔσω φράσειεν ἂν ἡμῶν ποθεινὴν κοινόπουν παρουσίαν; ἥδ’, εἰ τὸν ἄγχιστόν γε κηρύσσειν χρεών. ἴθ’, ὦ γύναι, δήλωσον εἰσελθοῦσ’ ὅτι Φωκῆς ματεύουσ’ ἄνδρες Αἴγισθόν τινες. οἴμοι τάλαιν’, οὐ δή ποθ’ ἧς ἠκούσαμεν φήμης φέροντες ἐμφανῆ τεκμήρια; οὐκ οἶδα τὴν σὴν κληδόν’· ἀλλά μοι γέρων
1095
1100
1105
1110
Kommentar
181
1096–1097 Der Gedanke, dass es „größte Gesetze“ gibt, die nicht von Menschen formuliert wurden, sondern sich aus der natürlichen Ordnung der Welt ergeben, wurde zu Sophokles’ Zeit intensiv diskutiert. Sophokles selbst erwähnt diese „ungeschriebenen Gesetze“ auch Ant. 454f. (vgl. Griffith [24] zur Stelle) oder OT 865–872. Zeus steht als höchster Gott stellvertretend für alle Götter, die die Gültigkeit dieser Gesetze garantieren. 1098–1383 Viertes Epeisodion. Die Begegnung zwischen den Geschwistern Elektra und Orest schien bereits im Prolog unmittelbar bevorzustehen (s. oben zu V. 80–81). Seitdem hat die Dramaturgie des Stücks diesen von den Zuschauern antizipierten wichtigen Augenblick kunstvoll verzögert. Jetzt endlich stehen sie einander gegenüber; ihre Begegnung wird der emotionale Höhepunkt der Tragödie (und der Tiefpunkt von Elektras Leiden). Orest und Pylades werden wiederum von Dienern begleitet (vgl. zu V. 1–85), von denen einer die Urne trägt. Die von Sophokles früh im Stück (s. oben zu V. 42–43) vorgestellte Prämisse, dass Orests Abwesenheit lang genug war, um ihn für alle in Argos Lebenden unkenntlich zu machen, wird auch in diesem entscheidenden Moment des Dramas beibehalten und ermöglicht erst die komplexe Spannung zwischen Elektra und Orest, die zu ihrer Wiedererkennung führt (die Annahme früher Kommentatoren, etwa Jebb [5], Schneidewin/Nauck/Bruhn [12] oder Kaibel [9], Orest erkenne Elektra sofort bei seiner Ankunft, wird von den meisten neueren Interpreten zu Recht abgelehnt, vgl. etwa Solmsen [355] 26 = [356] 3, 54, Matthiessen [271] 117 Anm. 1 mit weiteren Literaturangaben sowie Finglass [8] zu 1098–1125). Für die Zuschauer ergibt sich aus dieser Konstellation erneut die Situation, dass sie den handelnden Figuren gegenüber einen Wissensvorsprung haben: Elektra ist der Erlösung aus ihrem qualvollen Leben ganz nah und glaubt sich eben in diesem Augenblick aller Hoffnungen beraubt; Orest steht der Person gegenüber, die ihn aus Argos gerettet hat und seine Ankunft am meisten ersehnt, meint aber zunächst noch, sich verstellen zu müssen. Einige Interpreten hatten den Eindruck, das Wissen der Zuschauer schmälere unser Mitgefühl mit Elektra (etwa Kitzinger [232] 322f.). Dagegen lässt sich zu Recht einwenden, dass gerade unser Wissen darum, wie nah Elektra ihrer Rettung ist, uns ihre Verzweiflung um so stärker spüren lässt. 1104 Die Worte „erwünschte Ankunft“ sind auf mehreren Ebenen zu verstehen (March [11]): Orest spricht einerseits in der Rolle eines Gesandten, der die willkommene Nachricht von Orests angeblichem Tod bestätigt (vgl. V. 666f.). Andererseits hat er selbst die Heimkehr seit langem ersehnt (vgl. V. 4). Wie sehr diese Heimkehr auch von der anwesenden Elektra ersehnt ist, weiß das Publikum. 1106 Orests Anrede an Elektra ist nicht unhöflich, aber die Aufforderung so knapp und unzeremoniell, dass sich der Eindruck einstellt, er halte Elektra für eine Dienerin. 1110 Orest gibt vor, von Strophios selbst geschickt zu sein und deshalb von der früheren Nachricht des Pädagogen, der ja behauptet hatte, von Strophios’
182 El. Or. El. Or. El.
Or.
Ηλ. Ορ. Ηλ. Ορ. Ηλ.
Ορ.
Viertes Epeisodion 1111–1125
Strophios aufgetragen, über Orest Meldung zu geben. Worum handelt es sich, Fremder? Wie mich Angst befällt! Wir tragen und bringen die kleinen Überreste des Toten in einem engen Gefäß, wie du siehst. Oh weh, ich Arme, das ist es also! Schon sehe ich mein Leid klar vor Augen, wie es scheint. Wenn dein Jammer irgendwie Orests Unglück gilt, so wisse: dieses Gefäß birgt seine Überreste. Fremder, bitte, bei den Göttern: wenn diese Urne ihn umfasst, lass sie mich in die Hände nehmen, damit ich mich selbst und zugleich die ganze Familie in dieser Asche beweine und bejammere! Bringt sie und gebt sie ihr, wer sie auch sei! Denn sie bittet nicht darum, als sei sie feindlich gesinnt, sondern gehört zu seinen Freunden oder ist blutsverwandt. ἐφεῖτ’ Ὀρέστου Στροφίος ἀγγεῖλαι πέρι. τί δ’ ἔστιν, ὦ ξέν’; ὥς μ’ ὑπέρχεται φόβος. φέροντες αὐτοῦ σμικρὰ λείψαν’ ἐν βραχεῖ τεύχει θανόντος, ὡς ὁρᾷς, κομίζομεν. οἲ ’γὼ τάλαινα, τοῦτ’ ἐκεῖν’· ἤδη σαφὲς πρόχειρον ἄχθος, ὡς ἔοικε, δέρκομαι. εἴπερ τι κλαίεις τῶν Ὀρεστείων κακῶν, τόδ’ ἄγγος ἴσθι σῶμα τοὐκείνου στέγον. ὦ ξεῖνε, δός νυν, πρὸς θεῶν, εἴπερ τόδε κέκευθεν αὐτὸν τεῦχος, εἰς χεῖρας λαβεῖν, ὅπως ἐμαυτὴν καὶ γένος τὸ πᾶν ὁμοῦ ξὺν τῇδε κλαύσω κἀποδύρωμαι σποδῷ. δόθ’ ἥτις ἐστί, προσφέροντες· οὐ γὰρ ὡς ἐν δυσμενείᾳ γ’ οὖσ’ ἐπαιτεῖται τόδε, ἀλλ’ ἢ φίλων τις, ἢ πρὸς αἵματος φύσιν.
1115
1120
1125
1115
1120
1125
1111 Zur Akzentuierung von Στροφίος s. Finglass [153] 106f. 1115 Das umgangssprachliche τοῦτ(ο) ἐκεῖνο (vgl. auch oben V. 665) sollte einen eigenen Satz bilden, vgl. Finglass [8].
Kommentar
183
Onkel Phanoteus (s. zu V. 45) zu kommen, nichts zu wissen. Dass die Nachricht von Orests Tod auf diese Weise von zwei unabhängigen Quellen bestätigt scheint, erhöht ihre Glaubwürdigkeit (March [11]). Dass Orest die Jahre in der Fremde bei Strophios in Phokien verbracht hat und in dessen Sohn Pylades einen treuen Freund gefunden hat, ist ein traditioneller Teil des Mythos, den wir auch bereits bei Pindar (Pyth. 11, 34f.) und Aischylos (Cho. 679) finden. Euripides erwähnt verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Strophios und Agamemnon (Willink [40] 284), doch bei Sophokles findet sich darauf kein Hinweis. 1113–1114 In mehreren Tragödien hat Sophokles Gegenstände symbolisch mit Bedeutung aufgeladen werden; dies gilt etwa für das Schwert, mit dem Aias Selbstmord begehen wird, oder für den Bogen Philoktets (Gould [174] 53 = [177] 95–96; s. auch oben zu V. 54). Die Aufmerksamkeit der Zuschauer konzentriert sich auf sie, weil sie dramatisch wichtige Wendungen einleiten. Das Erscheinen der Urne war mehrfach angekündigt worden (s. V. 54f. 757–759). Das Besondere an ihr liegt darin, dass sie auch in der Fiktion der Bühnenhandlung ein Requisit ist: Orest weiß, dass die Urne leer ist; Elektra wird es V. 1216–1220 erfahren. Damit ist die Urne in der dramatischen Welt dieses Stücks ein perfektes Symbol einer Theaterrequisite. Solche Requisiten sind immer „leer“, doch die Schauspieler behandeln sie, als seien sie „echt“, und das Publikum willigt in diese Fiktion implizit ein. Diese leere Urne hat Rezipienten der sophokleischen Elektra immer wieder fasziniert. Anschaulich schildert dies eine bei dem römischen Autor Aulus Gellius (2. Jh. n. Chr.): Er erzählt, der im 4. Jh. v. Chr. berühmte Schauspieler Polos habe die Urne mit der Asche seines über alles geliebten, gerade verstorbenen Sohnes gefüllt, um in der Rolle der Elektra die Trauer über den angeblich toten Orest besonders wirkungsvoll spielen zu können; Gellius schließt mit den Worten, damals sei „nur scheinbar ein Drama, tatsächlich aber wahrer Schmerz auf die Bühne gebracht“ worden (Noctes Atticae 6, 5, 3–8). Hier wird also das gewöhnliche Verhältnis von dramatischer Fiktion und Realität in paradoxer Weise umgekehrt: Eine solche Urne ist normalerweise real leer, in der Fiktion mit der Asche eines geliebten Menschen gefüllt. Auch Voltaire scheint sich in seinem Oreste (1750) an die raffiniert metatheatralische Urne zu erinnern: Bei ihm glaubt Égisthe, in der Urne die Überreste Orestes in der Hand zu halten, tatsächlich handelt es sich jedoch um Asche seines eigenen Sohns. 1117–1119 Sowohl Orest als auch Elektra verwenden die konditionale Konjunktion eiper „wenn wirklich“. Normalerweise drückt sie feste Zuversicht des Sprechers über das Zutreffen seiner Bedingung aus und nähert sich einer kausalen Bedeutung: „wenn tatsächlich“ ⇒ „da ja“ (vgl. Bakker [52] 152– 156). Hier hört das Publikum sowohl diesen kausalen Sinn (Orest möchte seine Täuschung glaubwürdig wirken lassen, Elektra ist von ihrer Realität überzeugt) als auch die konditionale, beinahe irreale Färbung (Elektra braucht nicht wirklich Orest zu betrauern, die Urne birgt nicht wirklich seine Asche).
184
Viertes Epeisodion 1126–1143
El.
Andenken an den mir liebsten Menschen, Überrest von Orests Leben: entgegen allen Hoffnungen, mit denen ich dich aussandte, empfange ich dich hier! Denn jetzt bist du ein Nichts, so halte ich dich in Händen, doch im Glanz habe ich dich aus dem Haus geschickt, Kind. 1130 Hätte ich doch zuvor das Leben verlassen, bevor ich dich in die Fremde schickte, dich mit diesen Händen aus dem Mord stahl und rettete, damit du lieber an diesem Tag gestorben Anteil am gemeinsamen väterlichen Grab erhalten hättest. 1135 Jetzt bist du außerhalb des Hauses, als Exilant in der Fremde einen schlimmen Tod gestorben, fern von deiner Schwester. Weder habe ich Arme dich mit lieben Händen gewaschen und geschmückt, noch aus dem allesverbrennenden Feuer aufgehoben, wie es sich gehört, als traurige Last, 1140 sondern von fremden Händen bestattet kommst du Armer als kleines Häuflein in kleinem Gefäß. Ach ich Arme, wie nutzlos war einst
Ηλ.
ὦ φιλτάτου μνημεῖον ἀνθρώπων ἐμοὶ ψυχῆς Ὀρέστου λοιπόν, ὡς 〈σ’〉 ἀπ’ ἐλπίδων ὑφ’ ὧνπερ ἐξέπεμπον εἰσεδεξάμην. νῦν μὲν γὰρ οὐδὲν ὄντα βαστάζω χεροῖν, δόμων δέ σ’, ὦ παῖ, λαμπρὸν ἐξέπεμψ’ ἐγώ· ὡς ὤφελον πάροιθεν ἐκλιπεῖν βίον, πρὶν ἐς ξένην σε γαῖαν ἐκπέμψαι χεροῖν κλέψασα ταῖνδε κἀνασώσασθαι φόνου, ὅπως θανὼν ἔκεισο τῇ τόθ’ ἡμέρᾳ, τύμβου πατρῴου κοινὸν εἰληχὼς μέρος. νῦν δ’ ἐκτὸς οἴκων κἀπὶ γῆς ἄλλης φυγὰς κακῶς ἀπώλου σῆς κασιγνήτης δίχα· κοὔτ’ ἐν φίλαισι χερσὶν ἡ τάλαιν’ ἐγὼ λουτροῖς σ’ ἐκόσμησ’, οὔτε παμφλέκτου πυρὸς ἀνειλόμην, ὡς εἰκός, ἄθλιον βάρος· ἀλλ’ ἐν ξένησι χερσὶ κηδευθεὶς τάλας σμικρὸς προσήκεις ὄγκος ἐν σμικρῷ κύτει. οἴμοι τάλαινα τῆς ἐμῆς πάλαι τροφῆς
1130
1135
1140
1128 Das überlieferte οὐχ ὧνπερ wird von vielen Kommentatoren angezweifelt und an seiner Stelle Weckleins Konjektur ὑφ’ ὧνπερ in Erwägung gezogen (etwa Schneidewin/ Nauck/Bruhn [12], Kamerbeek [6], zur Schwierigkeit, den Text zu konstruieren, vgl. die lange Anmerkung bei Jebb [5]); Finglass [8] setzt sie zu Recht in den Text.
Kommentar
185
1126–1170 Als Reaktion auf die erste Meldung von Orests Tod hatte Elektra lediglich einige Ausrufe des Schmerzes vorgebracht (V. 674. 677); jetzt lässt Sophokles sie ihre Trauer über den Verlust in einer langen und emotionalen Rede äußern. In ihr erhält das Verhältnis zwischen den Geschwistern eine neue Facette: Hatten die Zuschauer bisher vor allem Elektras Hoffnung auf Orest als Helfer und Rächer des Vaters gesehen, verstehen sie jetzt, dass auch in der Vergangenheit die Geschwister eng miteinander verbunden waren (s. unten zu V. 1143–1148). In bewegenden Worten macht Elektra deutlich, dass ihr Bruder ihr ein und alles war; mit seinem Tod ist auch ihr eigenes Leben vorüber. 1131–1135 Elektra vermengt hier zwei Gedanken: (1) Wäre ich doch .besser gestorben als deinen Tod zu erleben; (2) wärst du doch lieber gemeinsam mit Agamemnon gestorben, damit du zumindest in seinem Grab hättest bestattet werden können. 1138–1140 Elektra beschreibt die letzten Ehren, die man im antiken Griechenland Verstorbenen erwies: Der Leichnam wurde gewaschen und geschmückt, dann aufgebahrt; nach der Verbrennung sammelte man die Gebeine des Toten in einer Urne. Typischer Weise wurden diese Riten von den Frauen der Familie des Toten vollzogen (Garland [168]). 1143–1148 Elektra spricht von der „Pflege“ (trophē, 1143), die sie ihrem Bruder angedeihen ließ, und nennt sich seine „Pflegerin“ (trophos, 1148). Eine Pflegerin/Amme (trophos) Orests hatte in vorangehenden Fassungen eine Rolle gespielt (s. Finglass [153] 88f.); in Aischylos Weihgussträgerinnen ist sie es, die in einer längeren Trauerrede (734–765) an die Kindheit Orests zurückdenkt.
186
Viertes Epeisodion 1144–1161
die Pflege, die ich dir so oft mit süßer Mühe angedeihen ließ, denn du warst niemals mehr Liebling der Mutter als meiner, und nicht die Diener im Haus, sondern ich war deine Pflegerin. Und immer wurde ich von dir „Schwester“ genannt. Und jetzt: vorbei ist all das an einem Tag mit deinem Tod. Denn alles hast du mit dir genommen wie ein Wirbelwind, als du davongingst. Fort ist Vater; durch dich bin ich gestorben; du selbst bist tot dahin; es lachen die Feinde; es rast vor Freude Mutter, die Unmutter; heimlich vor ihr hast du oft Botschaften geschickt, du werdest selbst als Rächer dich zeigen. Doch all das hat dein und mein Unglücksschicksal ausgelöscht, das dich so zu mir geschickt hat, statt der lieben Gestalt nur nutzlosen Staub und Schatten. Weh mir, ach weh! Bemitleidenswerte Gestalt! Ach weh, weh! ἀνωφελήτου, τὴν ἐγὼ θάμ’ ἀμφὶ σοὶ πόνῳ γλυκεῖ παρέσχον· οὔτε γάρ ποτε μητρὸς σύ γ’ ἦσθα μᾶλλον ἢ κἀμοῦ φίλος, οὔθ’ οἱ κατ’ οἶκον ἦσαν, ἀλλ’ ἐγὼ τροφός· ἐγὼ δ’ ἀδελφὴ σοὶ προσηυδώμην ἀεί. νῦν δ’ ἐκλέλοιπε ταῦτ’ ἐν ἡμέρᾳ μιᾷ θανόντι σὺν σοί· πάντα γὰρ συναρπάσας θύελλ’ ὅπως βέβηκας· οἴχεται πατήρ· τέθνηκ’ ἐγώ σοι· φροῦδος αὐτὸς εἶ θανών· γελῶσι δ’ ἐχθροί· μαίνεται δ’ ὑφ’ ἡδονῆς μήτηρ ἀμήτωρ, ἧς ἐμοὶ σὺ πολλάκις φήμας λάθρᾳ προὔπεμπες ὡς φανούμενος τιμωρὸς αὐτός. ἀλλὰ ταῦθ’ ὁ δυστυχὴς δαίμων ὁ σός τε κἀμὸς ἐξαφείλετο, ὅς σ’ ὧδέ μοι προὔπεμψεν, ἀντὶ φιλτάτης μορφῆς σποδόν τε καὶ σκιὰν ἀνωφελῆ. οἴμοι μοι. ὦ δέμας οἰκτρόν. φεῦ, φεῦ.
1145
1150
1155
1160
1145
1150
1155
1160
1147 οἱ κατ’ οἶκον etwa = οἰκέται. 1152 Zum Dativ σοι, der wie bei einem Passiv den Urheber ausdrückt, vgl. Kaibel [9]; Finglass [152] 342f.
Kommentar
187
1154 Zur Bezeichnung „Unmutter“ vgl. oben zu V. 273–274. 1160–1162 Drei anapästische Verse unterbrechen die iambische Partie und markieren einen emotionalen Ausbruch Elektras; vgl. Kaibel [9].
188
Viertes Epeisodion 1162–1179
Weh mir: Du Liebster, auf furchtbarsten Wegen ausgesandt, wie hast du mich vernichtet! Ja vernichtet, du brüderliches Haupt! So nimm mich denn auf in dieses dein Gefäß, 1165 mich Nichts ins Nichts, dass ich mit dir dort unten in Zukunft wohne; denn auch, als du hier oben warst, hatte ich mit Dir Anteil am Gleichen, daher wünsche ich mir jetzt, nach deinem Tod nicht deines Grabs beraubt zu sein. Denn ich sehe, dass die Verstorbenen nicht betrübt werden. 1170 Cho. Von einem sterblichen Vater stammst du ab, Elektra: halte Maß! Sterblich war Orest, jammere daher nicht zu sehr! Denn dies zu erleiden schulden wir alle. Or. Weh weh! Was soll ich sagen? Zu welchen Worten in meiner Not mich wenden? Meine Zunge kann ich nicht länger beherrschen! 1175 El. Was für einen Schmerz hast du empfangen? Weswegen sagst du das? Or. Bist du denn wirklich die berühmte Gestalt Elektras? El. Ja, so ist es, wenn auch in ganz schlimmer Verfassung. Or. Oh weh, wie unglücklich ist dies Geschick!
Χο. Ορ. Ηλ. Ορ. Ηλ. Ορ.
ὦ δεινοτάτας, οἴμοι μοι, πεμφθεὶς κελεύθους, φίλταθ’, ὥς μ’ ἀπώλεσας· ἀπώλεσας δῆτ’, ὦ κασίγνητον κάρα. τοιγὰρ σὺ δέξαι μ’ ἐς τὸ σὸν τόδε στέγος, τὴν μηδὲν εἰς τὸ μηδέν, ὡς σὺν σοὶ κάτω ναίω τὸ λοιπόν· καὶ γάρ, ἡνίκ’ ἦσθ’ ἄνω, ξὺν σοὶ μετεῖχον τῶν ἴσων· καὶ νῦν ποθῶ τοῦ σοῦ θανοῦσα μὴ ἀπολείπεσθαι τάφου· τοὺς γὰρ θανόντας οὐχ ὁρῶ λυπουμένους. θνητοῦ πέφυκας πατρός, Ἠλέκτρα, φρόνει· θνητὸς δ’ Ὀρέστης· ὥστε μὴ λίαν στένε· πᾶσιν γὰρ ἡμῖν τοῦτ’ ὀφείλεται παθεῖν. φεῦ φεῦ· τί λέξω; ποῖ λόγων ἀμηχανῶν ἔλθω; κρατεῖν γὰρ οὐκέτι γλώσσης σθένω. τί δ’ ἔσχες ἄλγος; πρὸς τί τοῦτ’ εἰπὼν κυρεῖς; ἦ σὸν τὸ κλεινὸν εἶδος Ἠλέκτρας τόδε; τόδ’ ἔστ’ ἐκεῖνο, καὶ μάλ’ ἀθλίως ἔχον. οἴμοι ταλαίνης ἆρα τῆσδε συμφορᾶς.
1165
1170
1175
Kommentar
189
1162–1163 Mit dem Ausdruck „furchtbarste Wege“ möchte Elektra wohl nicht eine konkrete Reise Orests bezeichnen (die modernen Interpreten haben an den Weg von Argos nach Krisa bei Agamemnons Ermordung oder den von Krisa nach Argos als Asche in der Urne gedacht oder auch an das Pferderennen in Delphi; vgl. March [11]), sondern bezieht sich metaphorisch auf die gesamte „Lebensbahn“ Orests, von der sie glauben muss, sie habe unter einem schlechten Stern gestanden; vgl. zu dieser Metapher Bond [14] 176 zu Eur. HF 433. 1171–1173 Die Chorführerin versucht, Elektra mit der Formel „alle Menschen müssen sterben“ zu trösten (s. oben V. 153f.). Zu dem Gedanken, dass der Tod eine Schuld ist, die alle Menschen zahlen müssen, vgl. Wankel [399]; Parker [32] zu Eur. Alk. 416–9. 1174–1226 Wenn wir die Szene nach rationalen Kriterien beurteilen, muss Orest spätestens seit V. 1137 klar sein, mit wem er redet (vgl. auch oben zu V. 1098–1383). Dennoch dauert es noch rund 50 Verse einer erregten Stichomythie, bis auch Elektra versteht, dass ihr Bruder zurückgekehrt ist. Hinter dieser erneuten Retardierung sollten wir weniger ein besonderes psychologisches Feingefühl Orests sehen, der seine Schwester schonend auf die Nachricht vorbereiten will (so March [11], ähnlich Finglass [8]; dagegen spricht etwa die für Elektra schockierende Bitte V. 1204–1210, die Urne wieder abzugeben) als vielmehr die dramatische Funktion: Elektra ist in ihrer Trauerrede am Tiefpunkt ihrer Existenz angekommen und wird von nun an bis zum Ende des Stücks allmählich wieder emporkommen. Die Bedeutung dieses Wendepunkt unterstreicht Sophokles durch seine Ausdehnung. Ferner zeigt uns die folgende Szene Orest in einem neuen Licht: Bisher hatten die Zuschauer ihn als kühl Planenden wahrgenommen, hier aber wird er von seinen Emotionen so überwältigt, dass ihn der Pädagoge (V. 1326–1339) zur Vorsicht mahnen muss. Elektra Rede hatte gezeigt, wie nah sie ihrem Bruder steht; nun sehen wir, dass auch er emotional seiner Schwester nahesteht.
190 El. Or. El. Or. El. Or. El. Or. El. Or. El. Or. El. Or. El. Or.
Ηλ. Ορ. Ηλ. Ορ. Ηλ. Ορ. Ηλ. Ορ. Ηλ. Ορ. Ηλ. Ορ. Ηλ. Ορ. Ηλ. Ορ.
Viertes Epeisodion 1180–1195
Fremder, dein Seufzen gilt doch nicht etwa mir? Du ehrlos und gottlos zugrundegerichteter Körper! Nein, du beleidigst keine andere als mich, Fremder. Weh, was führst du für ein Leben, unverheiratet und unselig! Warum blickst du so, Fremder, und seufzst? Wie habe ich doch nichts von meinem Unglück gewusst! Durch welches meiner Worte kamst du zu der Erkenntnis? Weil ich sehe, wie du in vielen Schmerzen steckst. Und doch siehst du nur wenig von meinem Unglück. Ja wie wäre es möglich, noch Schrecklicheres als dies zu erblicken? Weil ich mit den Mördern unter einem Dach lebe. Wessen Mördern? Woher stammt das Unglück, das du mir eröffnet hast? Denen meines Vaters – und dann muss ich ihnen Sklavin sein. Welcher Zwang von Menschen treibt dich dazu? Mutter heißt sie, doch in nichts gleicht sie einer Mutter. Was tut sie dir an? Mit eigenen Händen, oder durch Schmälerung des Lebensunterhalts? οὐ δή ποτ’, ὦ ξέν’, ἀμφ’ ἐμοὶ στένεις τάδε; ὦ σῶμ’ ἀτίμως κἀθέως ἐφθαρμένον. οὔτοι ποτ’ ἄλλην ἢ ’μὲ δυσφημεῖς, ξένε. φεῦ τῆς ἀνύμφου δυσμόρου τε σῆς τροφῆς. τί δή ποτ’, ὦ ξέν’, ὧδ’ ἐπισκοπῶν στένεις; ὡς οὐκ ἄρ’ ᾔδη τῶν ἐμῶν οὐδὲν κακῶν. ἐν τῷ διέγνως τοῦτο τῶν εἰρημένων; ὁρῶν σε πολλοῖς ἐμπρέπουσαν ἄλγεσιν. καὶ μὴν ὁρᾷς γε παῦρα τῶν ἐμῶν κακῶν. καὶ πῶς γένοιτ’ ἂν τῶνδ’ ἔτ’ ἐχθίω βλέπειν; ὁθούνεκ’ εἰμὶ τοῖς φονεῦσι σύντροφος. τοῖς τοῦ; πόθεν τοῦτ’ ἐξεσήμηνας κακόν; τοῖς πατρός· εἶτα τοῖσδε δουλεύω βίᾳ. τίς γάρ σ’ ἀνάγκη τῇδε προτρέπει βροτῶν; μήτηρ καλεῖται, μητρὶ δ’ οὐδὲν ἐξισοῖ. τί δρῶσα; πότερα χερσὶν ἢ λύμῃ βίου;
1180
1185
1190
1195 1180
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1190
1195
1185 Die Argumente von Dawe [118] 1, 194f. gegen die von Lloyd-Jones/Wilson [1] in den Text übernommene Lesart ὅσ’ … ἐγώ sind überzeugend. 1193 Lloyd-Jones/Wilson [257] 68 zeigen die Schwierigkeiten des ebenfalls überlieferten Dativs ἀνάγκῃ: Für die Konstruktion mit προτρέπει fehlen Parallelen (die von Finglass [8] angeführten Stellen überzeugen nicht), was sie dazu führt, für das Verb die Konjektur προστρίβει vorzuschlagen. Zu verstehen ist ἀνάγκη βροτῶν = τίς βροτῶν ἀναγκάζων, mit adverbialem τῇδε = εἰς τοῦτο (so schon die Scholien, vgl. Kaibel [9]).
Kommentar
191
1180 Während Orest seine Sympathie für die niedergebeugte und entstellte Elektra äußert, redet sie ihren Bruder in drei aufeinanderfolgenden Äußerungen (1180. 1182. 1184) „Fremder“ an. Solche Details machen den unterschiedlichen Wissensstand der beiden anschaulich und verstärken bei den Zuschauern die Spannung und Erwartung, dass Elektra ihren Bruder endlich erkennen soll. 1181 Elektras Entstellung durch die lange Zeit ihres Unglücks spielt in der Rezeption eine wichtige Rolle. Bei Hofmannsthal kann Orest nicht glauben, dass die verhärmte, alte Frau vor ihm tatsächlich Elektra sein soll: „Elektra muß | zehn Jahre jünger sein als du. Elektra | ist groß, ihr Aug ist traurig, aber sanft | wo deins voll Blut und Haß.“ Bei Hauptmann ist die einsame Elektra zu einem dämonischen, ganz dem Hass lebenden Wesen geworden, über das Orest sagt: „[…] so | ist nichts vom Menschlichen, so scheint’s, in die geblieben, | seitdem ich dich zuletzt gesehn.“ 1185 Elektras unglückliches Leben ist ein Teil von Orests Unglück, von dem er in seinem Exil nichts ahnte; Orest identifiziert sich in diesem Vers also mit seiner Schwester. 1191 Orest hat in den vorhergehenden Versen alle Vorsicht fallen gelassen und seine Emotionen gegenüber Elektra deutlich gezeigt. Dass er hier jetzt wieder die Rolle des unwissenden Fremden spielen sollte (so etwa Kamerbeek [6], March [11], Lloyd-Jones/Wilson [257] 68), hat wenig für sich, wie Finglass [8] zu Recht bemerkt. Seine Nachfrage ist bei rationalistischem Nachfragen nicht plausibel erklärbar, gibt aber Elektra noch einmal Gelegenheit, vor ihm das ganze Ausmaß ihres Unglücks zu schildern. 1194 Vgl. oben zu V. 273–274.
192
Viertes Epeisodion 1196–1213
El. Or.
Mit Händen, Schmälerungen und allem Unheil! Ist denn niemand da, dir zu helfen oder sie zu hindern? Überhaupt niemand. Der da war, den hast du als Asche mitgebracht. Ungückliche! Schon lange sehe und bemitleide ich dich. Dann wisse, dass du mich als einziger Mensch jemals bemitleidest! 1200 Ich komme ja auch als einziger, der an deinem Unglück leidet. Du kommst doch nicht etwa als unser Verwandter? Das würde ich dir sagen, wenn die da wohlgesinnt sind. Sie sind wohlgesinnt, du sprichst zu Menschen, die Vertrauen verdienen. So lasse dieses Gefäß jetzt los, damit du alles erfährst. 1205 Nein, bei den Göttern, tu mir das nicht an, Fremder! Hör auf das, was ich sage, und du wirst niemals fehlgehen! Nein, bei deinem Haupt, nimm mir nicht das Liebste! Ich weigere mich, es dir zu lassen! El. Ich Arme deinetwegen, Orest, man raubt mir die Möglichkeit, dich zu begraben! 1210 Sprich keine Unglücksworte! Du jammerst zu Unrecht. Wie ist mein Weinen für den verstorbenen Bruder unrecht? Es gehört sich nicht, dass du so von ihm redest.
Or. El. Or. El. Or. Or. El. Or. El. Or. Or. El. Or. Ηλ. Ορ. Ηλ. Ορ. Ηλ. Ορ. Ηλ. Ορ. Ηλ. Ορ. Ηλ. Ορ. Ηλ. Ορ. Ορ. Ηλ. Ορ.
καὶ χερσὶ καὶ λύμαισι καὶ πᾶσιν κακοῖς. οὐδ’ οὑπαρήξων οὐδ’ ὁ κωλύσων πάρα; οὐ δῆθ’· ὃς ἦν γάρ μοι, σὺ προὔθηκας σποδόν. ὦ δύσποτμ’, ὡς ὁρῶν σ’ ἐποικτίρω πάλαι. μόνος βροτῶν νυν ἴσθ’ ἐποικτίρας ποτέ. μόνος γὰρ ἥκω τοῖσι σοῖς ἀλγῶν κακοῖς. οὐ δή ποθ’ ἡμῖν ξυγγενὴς ἥκεις ποθέν; ἐγὼ φράσαιμ’ ἄν, εἰ τὸ τῶνδ’ εὔνουν πάρα. ἀλλ’ ἔστιν εὔνουν, ὥστε πρὸς πιστὰς ἐρεῖς. μέθες τόδ’ ἄγγος νῦν, ὅπως τὸ πᾶν μάθῃς. μὴ δῆτα πρὸς θεῶν τοῦτό μ’ ἐργάσῃ, ξένε. πίθου λέγοντι κοὐχ ἁμαρτήσῃ ποτέ. μή, πρὸς γενείου, μὴ ’ξέλῃ τὰ φίλτατα. οὔ φημ’ ἐάσειν. Ηλ. ὢ τάλαιν’ ἐγὼ σέθεν, Ὀρέστα, τῆς σῆς εἰ στερήσομαι ταφῆς. εὔφημα φώνει· πρὸς δίκης γὰρ οὐ στένεις. πῶς τὸν θανόντ’ ἀδελφὸν οὐ δίκῃ στένω; οὔ σοι προσήκει τήνδε προσφωνεῖν φάτιν.
1200
1205
1210
1197 οὑπαρήξων = ὁ ἐπαρήξων, Futur von ἐπαρήγω. 1208 Wörtlich heißt πρὸς γενείου „bei deinem Kinn“, das man als Geste des Bittflehens berührte.
Kommentar
193
1199 Orest gebraucht hier Elektra gegenüber eine ganz ähnliche Formulierung wie diese gegenüber Chrysothemis (V. 920). Das Publikum hört diesen Anklang und nimmt dadurch die Umkehrung der dramatischen Situation wahr: Orests Mitleid mit seiner fälschlich trauernden Schwester ist begründet und wird in Kürze dazu führen, dass er sich Elektra zu erkennen gibt; Elektras sarkastisches Mitleid mit ihrer freudig erregten Schwester ist eine Folge ihrer Täuschung über Orests Tod; sie selbst verdient unser Mitleid, weil sie so nah vor ihrer Erlösung noch verzweifelt ist. 1203 Zum Motiv des Schweigens des Chors s. oben zu V. 469. 1205 Dramaturgisch wirksam beginnt Orest den Prozess, Elektra zur Wiedererkennung zu führen, bei der mit symbolischer Bedeutung aufgeladenen (oben zu V. 1113–1114) Urne: Sie loszulassen, zu erkennen, dass sie tatsächlich lediglich das leere Requisit einer Intrige ist, bedeutet den ersten Schritt Elektras aus der Täuschung in die Wahrheit (vgl. Finglass [8] 456). 1206 Kurz vor der endgültigen Wiedererkennung redet Elektra Orest noch einmal mit „Fremder“ an (s. oben zu V. 1180). 1209 An dieser Stelle wird die regelmäßige Stichomythie (s. oben zu V. 385–414) zum ersten Mal dadurch unterbrochen, dass ein Sprecher mitten im Vers das Wort ergreift (Antilabē); dies drückt gegenüber der ohnehin schon rasch fortschreitenden Stichomythie noch einmal eine Erhöhung des Tempos und damit der emotionalen Intensität aus (vgl. Schein [35] 128f. zu Phil. 54). An dieser Stelle drückt es Elektras Entsetzen darüber aus, dass ihr die vermeintliche Asche Orests genommen werden soll, in den V. 1220–1226 hingegen die überwältigende Freude über die Rückkehr Orests. 1211 Zu der Furcht, dass eine Erwähnung des eigenen Todes ein schlechtes Omen sein könnte, s. oben V. 59–64.
194
Viertes Epeisodion 1214–1232
El. Or. El. Or. El. Or. El.
Habe ich so wenig Recht an dem Verstorbenen? Du hast alles Recht an ihm, doch dies hier gehört nicht dir! Wenn ich aber doch hier Orests Leichnam halte! Nein, nicht Orests; nur zum Schein so ausstaffiert. Wo ist denn dann das Grab dieses Unglücklichen? Es ist nirgends, denn es gibt kein Grab für einen Lebenden. Was sagst du, Kind? Or. Nichts von dem, was ich sage, ist gelogen! El. So lebt der Mann? Or. Ja – wenn ich denn lebe! El. So bist du er? Or. Schau hier auf meinen väterlichen Siegelring und erfahre, ob ich die Wahrheit sage. El. Oh liebster Tag! Or. Ja liebster, das bezeug ich auch! El. Klang deiner Stimme, bist du hier? Or. Suche ihn nirgendwo anders! El. Halte ich dich in den Armen? Or. Mögst du mich so in Zukunft immer halten! El. Ihr liebsten Frauen, Mitbürgerinnen, seht hier Orest, durch List gestorben und jetzt durch List gerettet. Cho. Wir sehen ihn, mein Kind, und für sein Schicksal fließt mir eine Freudenträne aus den Augen. El.
Oh du Nachkomme,
Ηλ. Ορ. Ηλ. Ορ. Ηλ. Ορ. Ηλ. Ηλ. Ηλ.
οὕτως ἄτιμός εἰμι τοῦ τεθνηκότος; ἄτιμος οὐδενὸς σύ· τοῦτο δ’ οὐχὶ σόν. εἴπερ γ’ Ὀρέστου σῶμα βαστάζω τόδε. ἀλλ’ οὐκ Ὀρέστου, πλὴν λόγῳ γ’ ἠσκημένον. ποῦ δ’ ἔστ’ ἐκείνου τοῦ ταλαιπώρου τάφος; οὐκ ἔστι· τοῦ γὰρ ζῶντος οὐκ ἔστιν τάφος. πῶς εἶπας, ὦ παῖ; Ορ. ψεῦδος οὐδὲν ὧν λέγω. ἦ ζῇ γὰρ ἁνήρ; Ορ. εἴπερ ἔμψυχός γ’ ἐγώ. ἦ γὰρ σὺ κεῖνος; Ορ. τήνδε προσβλέψασά μου σφραγῖδα πατρὸς ἔκμαθ’ εἰ σαφῆ λέγω. ὦ φίλτατον φῶς. Ορ. φίλτατον, ξυμμαρτυρῶ. ὦ φθέγμ’, ἀφίκου; Ορ. μηκέτ’ ἄλλοθεν πύθῃ ἔχω σε χερσίν; Ορ. ὡς τὰ λοίπ’ ἔχοις ἀεί. ὦ φίλταται γυναῖκες, ὦ πολίτιδες, ὁρᾶτ’ Ὀρέστην τόνδε, μηχαναῖσι μὲν θανόντα, νῦν δὲ μηχαναῖς σεσωμένον. ὁρῶμεν, ὦ παῖ, κἀπὶ συμφοραῖσί μοι γεγηθὸς ἕρπει δάκρυον ὀμμάτων ἄπο.
Ηλ. Ηλ. Ηλ. Ηλ. Χο. Ηλ.
ἰὼ γοναί,
1215
1220
1225
1230
1215
1220
1225
1230
Kommentar
195
1216 Noch einmal verwendet Elektra die Konjunktion eiper (s. zu V. 1117– 1119), hier kombiniert mit der Partikel ge, die eine Enschränkung ausdrückt und damit den Weg zur befreienden Wahrheit vorbereitet, die dann in Orests nächstem Vers ausgesprochen wird. 1220–1222 In diesen drei Halbversen gelangt Elektra endlich zu der Erkenntnis, dass niemand anderes als Orest vor ihr steht. Meisterhaft ist dieser Erkenntnisprozess in ihren Halbversen ausgedrückt: Zunächst verwendet sie statt der Anrede „Fremder“ das weniger distanzierte „Kind“, kann endlich glauben, dass Orest nicht tot ist, und schließlich, dass er selbst vor ihr steht (vgl. Kaibel [9]). Zu der Schwierigkeit, Elektras Frage in V. 1222 angemessen zu übersetzen, vgl. Schadewaldt [329] 2, 660f. 1223 Orests Verhalten im Dialog, sein Mitleiden und seine Fürsorge haben Elektra bereits überzeugt; der Siegelring bekräftigt lediglich noch einmal seine Identität und die Legitimität seines Anspruchs auf das Erbe seines Vaters. 1224 Das griechische Wort phōs, hier als „Tag“ übersetzt, heißt wörtlich „Licht“; es setzt die zu Beginn des Stücks (V. 17. 66) bereits entfaltete Metaphorik von Orest als „Lichtbringer“ fort. Für die These Seafords [338], dahinter verberge sich eine Anspielung auf die Sprache der Mysterienkulte, findet sich kein überzeugender Beleg. 1232–1287 Wie bereits in V. 251–327, so wird auch hier die Freude über die Wiedererkennung noch einmal in lyrischer Form ausgedrückt, nachdem sie zuvor Gegenstand einer Sprechpartie gewesen ist. Das Duett zwischen Elektra und Orest besteht aus metrisch identischer Strophe und Antistrophos und einer Epode (sog. triadische Struktur). Im Strophenpaar zeigen Elektras lyrische Metren, wie aufgewühlt und überglücklich sie ist, Orests iambische Sprechversen hingegen rufen zu Zurückhaltung und Vorsicht auf. Der dadurch hervorgerufene Kontrast wirkt ähnlich wie in dem Gegensatz zwischen iambischem Prolog und Elektras Anapästen V. 86–120 (s. oben zu dieser Partie): Orest ist auf die Ausführung seines Plans und die Zukunft konzentriert; Elektra verkörpert die emotionale Reaktion auf die dramatische Situation (es trifft kaum zu, dass Orest hier als besonders kalt und gefühllos seiner Schwester gegenüber gezeichnet werden soll, wie Schein [330] 77f. meint; in der vorangegangenen Szene hat auch er sein Mitgefühl mit Elektra sehr deutlich gezeigt). Das Publikum empfindet Spannung zwischen dem Mitfühlen der Freude über die Vereinigung der Geschwister und dem Wunsch, Orests Intrige erfolgreich vollendet zu sehen; dieser Aspekt des Wechselgesangs bereitet die nächste Szene V. 1288–1383 vor. In der Epode nähert sich Orest emotional seiner Schwester wieder und erklärt, er wolle ihr die Freude über sein Kommen nicht verübeln; diese Annäherung wird auch dadurch deutlich, dass sich Orest jetzt nicht mehr in Sprechversen äußert, sondern in Elektras lyrische Maße einstimmt.
196
Or. El. Or. El.
Or. El.
Ορ. Ηλ. Ορ. Ηλ.
Ορ. Ηλ.
Viertes Epeisodion 1233–1245
Nachkomme des mir liebsten Menschen, gekommen bist du plötzlich, du fandest, kamst, sahst, die du wünschtest! Wir sind hier, aber sei still und warte! Was ist denn? Schweigen ist besser, dass uns nicht jemand von drinnen hört. Nein bei Artemis, der ewig jungfräulichen, niemals werde ich diese unnütze Last von Frauen fürchten, die dort drinnne wohnen. Doch sieh: auch in Frauen findet sich die Kraft des Ares: Du weißt es selbst aus Erfahrung. Ach weh, 〈…〉 γοναὶ σωμάτων ἐμοὶ φιλτάτων, ἐμόλετ’ ἀρτίως, ἐφηύρετ’, ἤλθετ’, εἴδεθ’ οὓς ἐχρῄζετε. πάρεσμεν· ἀλλὰ σῖγ’ ἔχουσα πρόσμενε. τί δ’ ἔστιν; σιγᾶν ἄμεινον, μή τις ἔνδοθεν κλύῃ. ἀλλ’ οὐ τὰν θεὰν τὰν ἀεὶ ἀδμήταν, τόδε μὲν οὔποτ’ ἀξιώσω τρέσαι περισσὸν ἄχθος ἔνδον γυναικῶν ὂν αἰεί. ὅρα γε μὲν δὴ κἀν γυναιξὶν ὡς Ἄρης ἔνεστιν· εὖ δ’ ἔξοισθα πειραθεῖσά που. ὀττοτοῖ 〈⏑ _ ⏑ _〉,
1235
1240
1245
1235
1240
1245
1235 ἤλθετ’ ist verdächtig (Lloyd-Jones/Wilson [257] 68f., Finglass [8]): Es wiederholt inhaltlich lediglich ἐμόλετ’ aus V. 1234, ist anders als ἐφεύρετ’ und εἴδεθ’ intransitiv, steht in der Reihenfolge der asyndetischen Verben an einer überraschenden Position und fehlt in einigen späten Manuskripten. Die Verbesserungsvorschläge können allerdings ebenfalls nicht überzeugen. 1239 Der von den Hss. überlieferte Text ist fehlerhaft, wie der metrische Vergleich mit dem respondierenden V. 1260 zeigt. Letzte Sicherheit lässt sich nicht gewinnen, doch ist der Sinn deutlich. 1242 Zu Recht merkt Finglass [8] an, dass die von Viketos [392] 256 vorgeschlagene und von Dawe [2] und Lloyd-Jones/Wilson [257] 69 übernommene Interpretation der Überlieferung ὃ ναίει (statt ὂν αἰεί) eine Trivialisierung, keine Verbesserung des Textes bedeutet. 1245 Der Vergleich mit dem respondierenden V. 1265 zeigt, dass der überlieferte Text nicht stimmen kann; dass von vielen Herausgebern abgedruckte ὀττοτοῖ ὀττοτοῖ (oder ähnlich) ist eine wenig überzeugende Notlösung.
Kommentar
197
1241 Der Ausdruck „unnütze Last von Frauen“ geht auf homerische Vorbilder zurück (etwa Ilias 18, 104), in denen jemand als „nutzlose Last der Erde“ bezeichnet wird, vgl. Kaibel [9]. Kamerbeek [6] schlägt vor, in dem vagen Ausdruck auch eine Anspielung auf den „weibischen“ Aigisthos zu sehen (s. auch V. 301–302), allerdings befindet der sich in diesem Augenblick gerade nicht im Haus. 1243 Wörtlich: „auch in Frauen ist Ares“, der Kriegsgott: Klytaimestra bleibt eine gefährliche Gegnerin.
198
Or. El.
Or. El. Or. El.
Ορ. Ηλ.
Ορ. Ηλ. Ορ. Ηλ.
Viertes Epeisodion 1246–1262
Was du erwähntest, lässt sich niemals lösen, noch auch jemals vergessen, unser Unheil, wie es war. Ich weiß auch dies; aber wenn die Möglichkeit sich zeigt, dann muss man sich an diese Taten erinnern.
1250
Die ganze Zukunft, die ganze Zukunft soll mir gelegen sein, dies mit Recht zu sagen; 1255 denn gerade erst erhielt mein Mund seine Freiheit. Ich stimme zu, darum bewahre dies! Was soll ich tun? Wo dazu nicht der Zeitpunkt ist, da wolle nicht lange reden! Wer könnte denn in dieser Weise Schweigen 1260 für Reden eintauschen? Wäre das deines Erscheinens würdig? Wo ich dich wider alles Denken †ἀνέφελον† ἐνέβαλες οὔποτε καταλύσιμον, οὐδέ ποτε λησόμενον ἁμέτερον οἷον ἔφυ κακόν. ἔξοιδα καὶ ταῦτ’· ἀλλ’ ὅταν παρουσία φράζῃ, τότ’ ἔργων τῶνδε μεμνῆσθαι χρεών. ὁ πᾶς ἐμοί, ὁ πᾶς ἂν πρέποι παρὼν ἐννέπειν τάδε δίκᾳ χρόνος· μόλις γὰρ ἔσχον νῦν ἐλεύθερον στόμα. ξύμφημι κἀγώ· τοιγαροῦν σῴζου τόδε. τί δρῶσα; οὗ μή ’στι καιρός, μὴ μακρὰν βούλου λέγειν. τίς οὖν ἀξίαν σοῦ γε πεφηνότος μεταβάλοιτ’ ἂν ὧδε σιγὰν λόγων; ἐπεί σε νῦν ἀφράστως
1250
1255
1260
1246 Die modernen Kommentatoren übernehmen die Erklärung des Scholiasten, ἀνέφελον bedeute „unverhüllt“, doch gibt es dafür keinerlei Parallele. Die von Finglass [8] zur Erläuterung angeführte Passage Pindar, Ol. 7, 45 zeigt vielmehr, dass der Ausdruck hier unverständlich ist, denn bei Pindar ist von einer „Wolke des Vergessens“ die Rede; gerade diesen erklärenden Zusatz vermissen wir hier. Angesichts der sonstigen Überlieferungslage der Partie (s. zum vorangehenden Vers) lässt sich keine überzeugende Emendation finden. 1251 Die beste Erklärung zu dem schwierigen παρουσία bietet Kamerbeek [6]: Sophokles hat es als Verbalabstraktum zu πάρεστι „es ist möglich“ gebildet, ähnlich wie ἐξουσία zu ἔξεστι gebildet ist; in der Bedeutung kommt es dann καιρός nahe. Weniger ansprechend Long [259]: „Wenn die Anwesenheit [sc. von Klytaimestra und Aigisthos] das Signal gibt.“
Kommentar
199
1251–1252 Orest will sagen, dass in diesem Augenblick noch nicht Gelegenheit dazu ist, über die vergangenen Leiden zu sprechen, weil der Racheplan noch nicht vollendet ist. 1257 „Bewahre dies“: Orest warnt Elektra, durch ihre Freudenausbrüche gefährde sie die Rache und damit ihre gerade erst erlangte Freiheit.
200 Or. El.
Or. El. Or. El. Or. El.
Ορ. Ηλ.
Ορ. Ηλ.
Ορ. Ηλ. Ορ. Ηλ.
Viertes Epeisodion 1263–1280
und Hoffen hier erblickte! Erblickt hast du mich sogleich, als die Götter mich zu kommen drängten. 〈…〉 Was du verkündetest, geht noch hinaus 1265 über die Freude zuvor, wenn ein Gott dich brachte zu unserem Haus: als göttliche Fügung sehe ich es an. 1270 Zwar zögere ich, deinen Jubel einzuschränken, aber ich fürchte, du lässt dich von Freude zu sehr überwältigen. Oh, nach so langer Zeit hast du auf liebstem Weg geruht, mir so zu erscheinen. Doch dass du nicht, wenn du mich in diesem Leiden siehst – Was soll ich nicht tun? Nimm mir nicht die Freude über dein Gesicht, dass ich sie loslassen muss! Sähe ich andere das tun, so würde ich heftig zürnen. Versprichst Du es? Or. Natürlich! ἀέλπτως τ’ ἐσεῖδον. τότ’ εἶδες, ὅτε θεοί μ’ ἐπώτρυναν μολεῖν. 〈× _ ⏑ _ × _ ⏑ _ × _ ⏑ _〉 ἔφρασας ὑπερτέραν τᾶς πάρος ἔτι χάριτος, εἴ σε θεὸς ἐπόρισεν ἁμέτερα πρὸς μέλαθρα· δαιμόνιον αὐτὸ τίθημ’ ἐγώ. τὰ μέν σ’ ὀκνῶ χαίρουσαν εἰργαθεῖν, τὰ δὲ δέδοικα λίαν ἡδονῇ νικωμένην. ἰὼ χρόνῳ μακρῷ φιλτάταν ὁδὸν ἐπαξιώσας ὧδέ μοι φανῆναι, μή τί με, πολύπονον ὧδ’ ἰδὼν – τί μὴ ποήσω; μή μ’ ἀποστερήσῃς τῶν σῶν προσώπων ἡδονὰν μεθέσθαι. ἦ κάρτα κἂν ἄλλοισι θυμοίμην ἰδών. ξυναινεῖς; Ορ. τί μὴν οὔ;
1275
1280
1265 1270
1275
1280
1264 a Die Responsion mit V. 1234f. zeigt, dass entweder hier eine Lücke vorliegt oder einer der Verse 1234–1235 interpoliert ist. Da keiner der beiden Verse verdächtig ist, scheint die Annahme einer Lücke plausibler.
Kommentar
201
1265 Als Zuschauer müssen wir folgern, dass Elektra von Apollons Orakel noch nicht wusste und erst jetzt über diesen göttlichen Auftrag unterrichtet wird. 1274 In V. 172 hatte sich Elektra bitter darüber beklagt, ihr Bruder „geruhe nicht zu erscheinen“ (ouk axioi phanēnai); jetzt verwendet sie einen ganz ähnlichen Ausdruck (epaxiōsas […] phanēnai), um sein Kommen nach langer Zeit zu bezeichnen.
202 El.
Viertes Epeisodion 1281–1295
Ihr Lieben, ich hörte eine Kunde, die ich niemals erwartet hätte! Ohne Stimme hielt ich meine Gemütsbewegung zurück und ohne Schreien hörte ich Arme sie an. Jetzt aber halte ich dich; du erschienst mit deinem mir so lieben Anblick, den ich auch im Unglück nicht vergessen könnte.
1285
Or.
Lass ab vom Überschuss der Worte und belehre mich nicht, dass Mutter schlecht ist noch dass Aigisth unseren väterlichen Besitz aus dem Haus 1290 teils ausschöpft, teils ausgießt, teils sinnlos verstreut, denn diese Rede ließe dich den besten Augenblick der Zeit verpassen. Doch was zum jetzigen Zeitpunkt für mich wichtig ist, das zeige mir, wo wir offenbar oder versteckt dem Lachen der Feinde ein Ende machen können auf unserem Weg. 1295
Ηλ.
ὦ φίλαι, ἔκλυον ἃν ἐγὼ οὐδ’ ἂν ἤλπισ’ αὐδάν· ἔσχον ὀργὰν ἄναυδον οὐδὲ σὺν βοᾷ κλύουσ’ ἁ τάλαινα. νῦν δ’ ἔχω σε· προὐφάνης δὲ φιλτάταν ἔχων πρόσοψιν, ἇς ἐγὼ οὐδ’ ἂν ἐν κακοῖς λαθοίμαν.
Ορ.
τὰ μὲν περισσεύοντα τῶν λόγων ἄφες, καὶ μήτε μήτηρ ὡς κακὴ δίδασκέ με μήθ’ ὡς πατρῴαν κτῆσιν Αἴγισθος δόμων ἀντλεῖ, τὰ δ’ ἐκχεῖ, τὰ δὲ διασπείρει μάτην· χρόνου γὰρ ἄν σοι καιρὸν ἐξείργοι λόγος. ἃ δ’ ἁρμόσει μοι τῷ παρόντι νῦν χρόνῳ σήμαιν’, ὅπου φανέντες ἢ κεκρυμμένοι γελῶντας ἐχθροὺς παύσομεν τῇ νῦν ὁδῷ.
1285
1290
1295
1281 Finglass [8] widerlegt überzeugend die Argumente von Lloyd-Jones/Wilson [257] 70 gegen das überlieferte φίλαι. 1283 Möglicherweise ist am Beginn dieses Verses in der Überlieferung etwas ausgefallen, aber die von Dawe [2] und Lloyd-Jones/Wilson [1] vorgeschlagenen Ergänzungen sind matt.
Kommentar
203
1282 Der Gegensatz zu V. 1285 „jetzt aber“ zeigt, dass mit der „unerwarteten Kunde“ die Nachricht von Orests Tod gemeint sein muss, wie schon ein Scholion zu dieser Stelle richtig anmerkt, vgl. Kaibel [9]. 1288–1383 Nach der emotionalen Wiedererkennung wendet sich das dramatische Geschehen wieder der Durchführung des Racheplans zu, die etwa seit V. 1115 in den Hintergrund getreten war. Die Zuschauer werden wieder daran erinnert, dass die Umsetzung gefährlich ist und Eile not tut. 1290–1291 Zum Motiv des Reichtums, den Orest zurückerobern möchte, s. oben zu V. 72. 1292 Mit dem Hinweis auf den entscheidenden Zeitpunkt, den kairos, knüpft Orest pointiert wieder an die Ausdrucksweise in V. 75 an: Nach vielen Worten ist jetzt der Augenblick des Handelns gekommen. 1295 Zum Motiv des „Ende Machens“ vgl. oben V. 795–798; zum Hohngelächter der Feinde oben zu V. 277.
204
El.
Ηλ.
Viertes Epeisodion 1296–1311
Dass Mutter nichts erkennt an deinem strahlenden Gesicht, wenn wir zum Haus gehen. Sondern, als sei es wegen des nur zum Schein verkündeten Unglücks, seufze: Wenn wir Erfolg haben, dann wird Gelegenheit sein, dich freimütig zu freuen und zu lachen. 1300 Ja, mein Bruder: So, wie es dir lieb ist, so soll auch mein Verhalten sein, denn meine Freude habe ich von dir erhalten, nicht als eigene erworben. Und bestimmt würde ich nicht dich auch nur ein wenig betrüben wollen und damit einen großen Gewinn erzielen, denn 1305 damit würde ich der gegenwärtigen Fügung einen schlechten Dienst erweisen. Aber du weißt doch alles Weitere, natürlich, hast gehört, dass Aigisthos nicht im Haus ist, Mutter aber daheim. Hab keine Angst, dass sie mein Gesicht vor Lachen freudig strahlen sieht: 1310 Der alte Hass ist in mir eingeschmolzen, †οὕτως† δ’ ὅπως μήτηρ σε μὴ ’πιγνώσεται φαιδρῷ προσώπῳ νῷν ἐπελθόντοιν δόμους· ἀλλ’ ὡς ἐπ’ ἄτῃ τῇ μάτην λελεγμένῃ στέναζ’· ὅταν γὰρ εὐτυχήσωμεν, τότε χαίρειν παρέσται καὶ γελᾶν ἐλευθέρως. ἀλλ’, ὦ κασίγνηθ’ ὧδ’ ὅπως καὶ σοὶ φίλον, καὶ τοὐμὸν ἔσται τῇδ’· ἐπεὶ τὰς ἡδονὰς πρὸς σοῦ λαβοῦσα κοὐκ ἐμὰς ἐκτησάμην. κοὐδ’ ἄν σε λυπήσασα δεξαίμην βραχὺ αὐτὴ μέγ’ εὑρεῖν κέρδος· οὐ γὰρ ἂν καλῶς ὑπηρετοίην τῷ παρόντι δαίμονι. ἀλλ’ οἶσθα μὲν τἀνθένδε, πῶς γὰρ οὔ; κλυὼν ὁθούνεκ’ Αἴγισθος μὲν οὐ κατὰ στέγας, μήτηρ δ’ ἐν οἴκοις· ἣν σὺ μὴ δείσῃς ποθ’ ὡς γέλωτι τοὐμὸν φαιδρὸν ὄψεται κάρα· μῖσός τε γὰρ παλαιὸν ἐντέτηκέ μοι,
1300
1305
1310
1296 Ob das überlieferte οὕτως Verschreibung eines anderen Wortes (etwa ὅρα „sieh zu“) ist oder vor V. 1296 ein Vers ausgefallen ist, lässt sich nicht entscheiden; in jedem Fall erwarten wir ein Verb, um den in 1296 beginnenden Nebensatz einzuleiten. 1307 Finglass [8] möchte das Part. Präs. κλύων statt des Aor. κλυὼν lesen, doch dies ändert nichts an dem im Kommentar genannten Mechanismus; auch das Präs. würde bedeuten „weil du in Erfahrung gebracht hast.“
Kommentar
205
1296–1300 Wie ein Regisseur plant und ordnet Orest die Rolle, die seine Schwester zu spielen haben wird, und erinnert damit das Publikum an das doppelte Spiel, das sie vor sich sehen (s. auch unten zu V. 1323–1325). 1304–1305 Elektra meint: „Um keinen Preis der Welt würde etwas tun, womit du nicht einverstanden bist.“ 1307 Tatsächlich hat Orest dies noch nicht gehört. Dass Bühnenfiguren Wissen um dem Publikum bekannte Details zugeschrieben wird, das sie bei genauem Nachrechnen nicht haben können, ist ein in der attischen Tragödie regelmäßig anzutreffender Kunstgriff zur Beschleunigung und Verschlankung, vgl. Mastronarde [29] 451 zu Eur. Phoin. 1090–2, Davies [18] 218 zu Soph. Tr. 934. 1311 Wie ein geschmolzenes Metall, das man in eine Form gießt, so ist der Hass ein Teil von Elektras Wesen geworden, den sie nicht mehr von sich trennen kann.
206
Or.
Ορ.
Viertes Epeisodion 1312–1325
und da ich dich gesehen habe, werde ich nicht aufhören, vor Freude Tränen zu vergießen – wie könnte ich aufhören, habe ich dich doch in dieser einen Ankunft zugleich gestorben und lebendig erblickt! Was du mit mir getan hast, ist unbegreiflich, 1315 so dass ich, wenn Vater lebendig zu mir käme, dies nicht mehr als Wunder ansähe, sondern glaubte, es zu sehen! Wenn du also auf diese Weise zu uns gekommen bist, geh du voran, wie dir im Sinn ist – allein hätte ich wohl nicht beides verfehlt, denn ich hätte entweder mich ehrenhaft 1320 gerettet oder wäre ehrenhaft untergegangen. Ich empfehle zu schweigen, denn ich höre, dass jemand von drinnen zu uns hinaus kommt! El. Geht hinein, ihr Fremden, zumal ihr etwas bringt, was man weder aus dem Haus stoßen noch mit Freude empfangen kann! 1325 κἀπεί σ’ ἐσεῖδον, οὔ ποτ’ ἐκλήξω χαρᾷ δακρυρροοῦσα. πῶς γὰρ ἂν λήξαιμ’ ἐγώ, ἥτις μιᾷ σε τῇδ’ ὁδῷ θανόντα τε καὶ ζῶντ’ ἐσεῖδον; εἴργασαι δέ μ’ ἄσκοπα, ὥστ’, εἰ πατήρ μοι ζῶν ἵκοιτο, μηκέτ’ ἂν τέρας νομίζειν αὐτό, πιστεύειν δ’ ὁρᾶν. ὅτ’ οὖν τοιαύτην ἧμιν ἐξήκεις ὁδόν, ἄρχ’ αὐτὸς ὥς σοι θυμός· ὡς ἐγὼ μόνη οὐκ ἂν δυοῖν ἥμαρτον· ἢ γὰρ ἂν καλῶς ἔσωσ’ ἐμαυτήν, ἢ καλῶς ἀπωλόμην. σιγᾶν ἐπῄνεσ’· ὡς ἐπ’ ἐξόδῳ κλύω τῶν ἔνδοθεν χωροῦντος. Ηλ. εἴσιτ’, ὦ ξένοι, ἄλλως τε καὶ φέροντες οἷ’ ἂν οὔτε τις δόμων ἀπώσαιτ’ οὔτ’ ἂν ἡσθείη λαβών.
1322 Der Aorist ἐπῄνεσ(α) ist verwendet wie ἐδεξάμην in V. 668.
1315
1320
1325
Kommentar
207
1316–1317 Elektra verdeutlicht die extremen Emotionen, denen sie in den vergangenen Szenen ausgesetzt war, durch eine rhetorisch wirkungsvolle Übertreibung: Innerhalb kurzer Zeit war sie fest von Orests Tod überzeugt und hält ihn jetzt lebendig in ihren Armen – das ist ebenso unglaublich, als wenn der ermordete Agamemnon wieder lebendig würde! Kells [10] sieht darin die ersten Anzeichen einer krankhaften Obession mit einer Rückkehr des Vaters in das Leben, die dann V. 1361 in einer wahnhaften Vision kulminiere, doch dafür finden sich im Text keinerlei Indizien. 1319–1321 Mit diesen Versen nimmt Elektra noch einmal Bezug auf ihren Plan, Aigisthos und Klytaimestra selbst anzugreifen, den sie in der Szene mit Chrysothemis (V. 938–1057) erläutert hatte; hier sagt sie zu Orest: „Für mich alleine wäre der Erfolg des Unternehmens ungewiss gewesen, selbst im Falle des Misslingens aber wäre ich ehrenvoll gestorben; mit dir aber bin ich zuversichtlich“ (so Heubner [208], nach gründlicher Diskussion anderer Interpretationsversuche). 1322–1375 Hinweise auf das Geräusch einer auftretenden Figur finden sich auch sonst in der Tragödie, etwa Soph. Phil. 205–7. Hier ist die Ankündigung besonders pointiert, weil Orest und Elektra in den Versen zuvor die Wichtigkeit erwähnt haben, nicht in ihrer freudigen Erregung von Klytaimestra bemerkt zu werden. Dass noch einmal der Pädagoge auftritt, stellte für die Zuschauer sicherlich eine Überraschung dar: Mit dem langen Botenbericht hatte er im Grunde seine dramatische Funktion erfüllt; das Publikum konnte erwarten, ihn nicht mehr wieder zu sehen. 1323–1325 In einer Antilabē (s. zu V. 1209) ergreift Elektra das Wort und redet Orest und Pylades wieder mit „Fremde“ an; dies charakterisiert die Geschwindigkeit ihrer Reaktion und damit ihre Geistesgegenwart: Nach Orests Hinweis, jemand komme aus dem Palast, spielt Elektra sofort wieder die Unwissende, die die Identität der Ankommenden nicht kennt. Auch hier also finden wir wieder eine komplexe dramatische Situation, ein „Spiel im Spiel“, in der Elektra die Rolle spielt, die ihr Orest zuvor (V. 1296–1300) detailliert beschrieben hat (vgl. Ringer [320] 197). Zugleich sind ihre Worte durchzogen von der Ironie, die insbesondere ihren Dialog mit Aigisthos (V. 1442–1465) prägen wird: das „etwas“, das man „weder aus dem Haus stoßen noch mit Freude empfangen kann“, ist für die Ohren eines feindlichen Lauschers die angebliche Asche Orests, tatsächlich jedoch die mit Orest ankommende Vergeltung (Kamerbeek [6]). Das Publikum sieht hier wiederum eine komplexe dramatische Situation auf mehreren Ebenen: Elektras doppeltes Spiel, das allerdings von falschen Voraussetzungen ausgeht (sie hat den Ankommenden noch nicht bemerkt oder noch nicht verstanden, dass er Teil von Orests Intrige ist, worauf ihre Frage V. 1346 hinweisen könnte), die ironische Doppelbödigkeit ihrer Worte, die überlegene Position des auftretenden Pädagogen, der die beiden schon länger beobachtet hat (s. unten zu V. 1331–1333), Orests Wechsel von Erschrecken über die Ankunft einer Figur aus dem Palast zu Erleichterung darüber, dass es sich um
208 Pä.
Or. Pä. Or. Pä. Or. Πα.
Ορ. Πα. Ορ. Πα. Ορ.
Viertes Epeisodion 1326–1343
Ihr völligen Toren, allen Verstands beraubt, sorgt ihr euch überhaupt nicht mehr um euer Leben? Oder besitzt ihr keinerlei angeborene Vernunft, wenn ihr nicht erkennt, dass ihr euch nicht am Rand, sondern bereits in der Mitte des größten Unglücks befindet? Wenn ich nicht bei diesen Torpfosten hier schon lange Wache hielte, dann wären uns im Haus eure Pläne früher angekommen als eure Leiber! Jetzt aber habe ich Vorsichtsmaßnahmen dagegen getroffen. Reißt euch jetzt los von langen Reden, ihr beiden, und diesem unersättlichen Freudengeschrei und kommt herein, denn Zögern ist von Übel in solchen Umständen, fertig zu sein ist das Höchste! Wie steht es also da drinnen, wenn ich hineingehe? Vortrefflich: es ist gewiss, dass niemand dich erkennt. Du hast offenbar verkündet, dass ich tot bin. Wisse wohl: hier giltst du als einer von denen im Hades. Freuen sie sich darüber? Oder was sagen sie? ὦ πλεῖστα μῶροι καὶ φρενῶν τητώμενοι, πότερα παρ’ οὐδὲν τοῦ βίου κήδεσθ’ ἔτι; ἢ νοῦς ἔνεστιν οὔτις ὗμιν ἐγγενής, ὅτ’ οὐ παρ’ ἄκροις, ἀλλ’ ἐν αὐτοῖσιν κακοῖς τοῖσιν μεγίστοις ὄντες οὐ γιγνώσκετε; ἀλλ’ εἰ σταθμοῖσι τοῖσδε μὴ ’κύρουν ἐγὼ πάλαι φυλάσσων, ἦν ἂν ἧμιν ἐν δόμοις τὰ δρώμεν’ ὑμῶν πρόσθεν ἢ τὰ σώματα· νῦν δ’ εὐλάβειαν τῶνδε προὐθέμην ἐγώ. καὶ νῦν, ἀπαλλαχθέντε τῶν μακρῶν λόγων καὶ τῆς ἀπλήστου τῆσδε σὺν χαρᾷ βοῆς, εἴσω παρέλθεθ’· ὡς τὸ μὲν μέλλειν κακὸν ἐν τοῖς τοιούτοις ἔστ’, ἀπηλλάχθαι δ’ ἀκμή. πῶς οὖν ἔχει τἀντεῦθεν εἰσιόντι μοι; καλῶς· ὑπάρχει γάρ σε μὴ γνῶναί τινα. ἤγγειλας, ὡς ἔοικεν, ὡς τεθνηκότα. εἷς τῶν ἐν Ἅιδου μάνθαν’ ἐνθάδ’ ὢν ἀνήρ. χαίρουσιν οὖν τούτοισιν; ἢ τίνες λόγοι;
1330
1335
1340
1330
1335
1340
1329 Dawes und Diggles Konjektur ἄκροις statt des überlieferten αὐτοῖς ist eine klare Verbesserung: Das Pronomen könnte das Substantiv κακοῖς nur im zweiten Glied des präpositionalen Ausdrucks ersetzen, nicht im ersten, vgl. Finglass [8]. 1333 τὰ δρώμενα wörtlich: „was gerade getan wird“, wegen der Parallele mit dem folgenden τὰ σώματα ist das Partizip hier in ungewöhnlicher Weise mit dem Genitiv ὑμῶν verbunden. 1335 Der Dual ἀπαλλαχθέντε spricht Orest und Pylades an.
Kommentar
209
den Pädagogen handelt. 1326–1338 Bereits in V. 82 hatte der Pädagoge mit einer Bestimmtheit gesprochen, die für einen Diener in der Tragödie ungewöhnlich ist; die Heftigkeit, mit der er Orest (und Elektra) hier tadelt, ist beispiellos, erfüllt aber einen klaren dramaturgischen Zweck: Die Zuschauer sollen noch intensiver an die Gefahr erinnert werden, in der Orest schwebt, und noch gespannter auf den Fortgang der Intrige warten. 1331–1334 Unbemerkt von allen Figuren auf der Bühne und von den Zuschauern hat der Pädagoge schon seit geraumer Zeit im Innern des Palasts an der Tür Wache gehalten, um zu verhindern, dass Orest und Elektra bei ihrem Gespräch überrascht werden. 1343–1345 Auf Orests Frage, wie „sie“ auf die Nachricht seines Tods reagiert haben (wir dürfen wohl zu Recht vermuten, dass er vor allem nach der Reaktion Klytaimestras fragt), antwortet der Pädagoge kurz und ausweichend; damit wird er einerseits seiner Funktion gerecht, zur Eile bei der Ausführung des Plans zu mahnen, andererseits vermeidet er, noch einmal zu berichten, was die Zuschauer in der Szene V. 660–822 bereits ausführlich miterlebt hatten. „Das nicht Gute“ erinnert uns noch einmal an Klytaimestras kaum verhohlene Freude über den Tod ihres Sohns.
210
Viertes Epeisodion 1344–1359
Pä.
Wenn sich alles vollendet, will ich es sagen; wie die Sache jetzt steht, ist alles von ihrer Seite gut – selbst das nicht Gute. 1345 Wer ist das, Bruder? Bei den Göttern, sage es! Erkennst du ihn nicht? El. Jedenfalls nicht bewusst. Weißt du nicht, in wessen Arme du mich einst gabst? Ja wem denn? Was sagst du? Or. Von dessen Armen ich in die phokische Ebene durch deine Vorsorge geschafft wurde. 1350 So ist er jener Mann, den ich einst unter vielen allein treu fand bei Vaters Tod? Er ist es; frage mich jetzt nicht mit noch mehr Worten! Du liebstes Licht, alleiniger Retter von Agamemnons Haus, wie bist du hierher gekommen? Bist du wirklich der, 1355 der ihn und mich aus vielen Leiden gerettet hat? Ihr liebsten Hände! Die treuesten Dienste verrichteten deine Füße! Warum hast du mir verschwiegen, dass du hier bist, es nicht gezeigt, und mich
El. Or. Or.
El. Or. El.
Πα. Ηλ. Ορ. Ορ. Ηλ. Ηλ. Ορ. Ηλ.
τελουμένων εἴποιμ’ ἄν· ὡς δὲ νῦν ἔχει, καλῶς τὰ κείνων πάντα, καὶ τὰ μὴ καλῶς. τίς οὗτός ἐστ’, ἀδελφέ; πρὸς θεῶν, φράσον. οὐχὶ ξυνίης; Ηλ. οὐδέ γ’ †ἐς θυμὸν φέρω†. οὐκ οἶσθ’ ὅτῳ μ’ ἔδωκας ἐς χέρας ποτέ; ποίῳ; τί φωνεῖς; Ορ. οὗ τὸ Φωκέων πέδον ὑπεξεπέμφθην σῇ προμηθίᾳ χεροῖν. ἦ κεῖνος οὗτος ὅν ποτ’ ἐκ πολλῶν ἐγὼ μόνον προσηῦρον πιστὸν ἐν πατρὸς φόνῳ; ὅδ’ ἐστί· μή μ’ ἔλεγχε πλείοσιν λόγοις. ὦ φίλτατον φῶς, ὦ μόνος σωτὴρ δόμων Ἀγαμέμνονος, πῶς ἦλθες; ἦ σὺ κεῖνος εἶ ὃς τόνδε κἄμ’ ἔσωσας ἐκ πολλῶν πόνων; ὦ φίλταται μὲν χεῖρες, ἥδιστον δ’ ἔχων ποδῶν ὑπηρέτημα, πῶς οὕτω πάλαι ξυνών μ’ ἔληθες οὐδ’ ἔφαινες, ἀλλά με
1345
1350
1355
1347 Für den Ausdruck ἐς θυμὸν φέρω im Sinne von “I cannot form an idea” (Jebb [5]) finden sich keine überzeugenden Parallelen; keine der vorgeschlagenen Emendationen empfiehlt sich. 1349 οὗ ist durch ein ungewöhnlich weites Hyperbaton von seinem Bezugswort χεροῖν getrennt. 1354 φῶς hier wohl nicht „Tag“ (Jebb [5], Lloyd-Jones/ Wilson [258] 44f.), sondern der Pädagoge wird als „rettendes Licht“ angeredet (Kaibel [9]). 1359 Zu ἔφαινες ist zu ergänzen: συνόντα σε (Kamerbeek [6]); der Vorschlag ἔσαινες von Lloyd-Jones/Wilson [257] 72, von Finglass [8] akzeptiert, ist keine Verbesserung.
Kommentar
211
1346–1375 Die kurze Stichomythie V. 1339–1343 hat der Pädagoge mit einem Doppelvers abgeschlossen, der noch einmal das erfolgreiche Ende der Intrige erwähnt und damit zum Handeln antreibt, doch Sophokles retardiert die Durchführung noch einmal: Bevor Orest den Palast betritt, gibt es noch eine kurze, aber wiederum emotional intensive Wiedererkennung zwischen Elektra und dem Pädagogen. Finglass [8] tadelt die Szene als überflüssig. Doch das Dreiergespräch zwischen Elektra, Orest und dem Pädagogen hat die Funktion, die beiden zu Beginn der Tragödie so stark getrennten Welten (s. oben zu V. 86–120) endgültig zusammenzubringen: In dieser kurzen Szene vereint sich Elektra vollständig mit der Gruppe der „Intriganten“ um ihren Bruder. 1348–1352 Mit der Erinnerung an seine Rettung durch den Pädagogen knüpft Orest an den Beginn des Stücks (V. 11–14) an; diese Tat bildet das starke Band, das Elektra, Orest und den Pädagogen seit langem verbindet. 1357–1358 Der griechische Ausdruck podōn hypēretēma, wörtlich „Dienstwerk der Füße“, gehört zum gehobenen dichterischen Stil der Tragödie (Long [260]); in einer modernen Sprache lässt er sich kaum wiedergeben, ohne dass man in Absonderlichkeiten verfällt, wie sie der englische Dichter Alfred E. Housman (1859–1936) in seinem „Fragment of a Greek Tragedy“ (vgl. Marcellino [264]) parodiert hat.
212
Pä.
Or.
Πα.
Ορ.
Viertes Epeisodion 1360–1375
mit Worten vernichtet, obwohl du Taten bringst, die mir so lieb sind? Sei gegrüßt, Vater – denn in dir meine ich, den Vater zu erblicken! Sei gegrüßt – und wisse, dass am meisten von allen Menschen ich dich an einem einzigen Tag gehasst und geliebt habe! Ich finde, das ist genug, denn Worte über die Zwischenzeit – zahlreiche Nächte drehen sich und ebensoviele Tage, die dir dies alles genau zeigen werden, Elektra. Euch beiden aber, die ihr hier daneben seht, sage ich, dass jetzt der Zeitpunkt zum Handeln ist: jetzt ist Klytaimestra allein, jetzt ist von den Männern niemand drinnen; wenn ihr jetzt zögert, bedenkt, dass ihr mit diesen und noch klügeren als sie, zahlreicheren, werdet kämpfen müssen! Dann dürften für uns nicht mehr lange Reden von Nöten sein, Pylades, sondern möglichst schnell hineinzugehen, nachdem wir die Bilder der väterlichen Götter zuvor angebetet haben, die sich in dieser Vorhalle befinden. λόγοις ἀπώλλυς, ἔργ’ ἔχων ἥδιστ’ ἐμοί; χαῖρ’, ὦ πάτερ· πατέρα γὰρ εἰσορᾶν δοκῶ· χαῖρ’· ἴσθι δ’ ὡς μάλιστά σ’ ἀνθρώπων ἐγὼ ἤχθηρα κἀφίλησ’ ἐν ἡμέρᾳ μιᾷ. ἀρκεῖν δοκεῖ μοι· τοὺς γὰρ ἐν μέσῳ λόγους, πολλαὶ κυκλοῦνται νύκτες ἡμέραι τ’ ἴσαι αἳ ταῦτά σοι δείξουσιν, Ἠλέκτρα, σαφῆ. σφῷν δ’ ἐννέπω γε τοῖν παρεστώτοιν ὅτι νῦν καιρὸς ἔρδειν· νῦν Κλυταιμήστρα μόνη, νῦν οὔτις ἀνδρῶν ἔνδον· εἰ δ’ ἐφέξετον, φροντίζεθ’ ὡς τούτοις τε καὶ σοφωτέροις ἄλλοισι τούτων πλείοσιν μαχούμενοι. οὐκ ἂν μακρῶν ἔθ’ ἧμιν οὐδὲν ἂν λόγων, Πυλάδη, τόδ’ εἴη τοὔργον, ἀλλ’ ὅσον τάχος χωρεῖν ἔσω, πατρῷα προσκύσανθ’ ἕδη θεῶν, ὅσοιπερ πρόπυλα ναίουσιν τάδε.
1360
1365
1370
1375 1360
1365
1370
1375
1372 οὐδέν ist adverbial zu fassen. 1373 Von τόδ’ εἴη τοὔργον hängt sowohl der Genitiv λόγων ab als auch der Infinitiv χωρεῖν. 1374 Wörtlich „väterliche Bilder der Götter“, eine Enallage.
Kommentar
213
1360 Zum Gegensatz „Worte – Taten“ s. oben zu V. 287. 1361 Die Anrede „Vater“ ist als Zeichen von Respekt zu sehen; die Ausführung „in dir meine ich, meinen Vater zu sehen“ ein Ausdruck innigsten Dankes dafür, dass der Pädagoge Orest nach Argos zurückgebracht hat. Kells Deutung ([10] 213 zu 1346–1383), Elektra erblicke hier im Wahnsinn in dem Pädagogen ihren Vater, haben andere Interpreten zu Recht zurückgewiesen (vgl. etwa March [11], Finglass [8]; vorsichtig akzeptierend jedoch Wright [420] 191f.). 1364 „Worte über die Zwischenzeit“ ist vage und hat verschiedene Deutungen hervorgerufen (Finglass [8] gibt eine klare Zusammenfassung); der Fortgang im nächsten Vers schließt grammatisch nicht sauber an (Anakoluth). Mit Lloyd-Jones/Wilson [257] 72f. sollte man die Möglichkeit nicht ausschließen, dass die Überlieferung hier gestört ist und etwa ein oder mehrere Verse ausgefallen sind. 1368–1369 Der Pädagoge erinnert wieder an die Dringlichkeit der Situation; die dreifache Anapher „jetzt“ vergleicht Kamerbeek [6] anschaulich mit „Hammerschlägen auf dem Amboss des kairos“ (vgl. zu V. 75). 1370–1371 Die Verse scheinen zwei Gruppen von potentiellen Gegnern zu unterscheiden; beide Gruppen werden durch ein Pronomen im Maskulinum bezeichnet: Wenn Orest und Pylades noch länger warten, werden sie es mit „diesen“ und „anderen, zahlreicher und noch klüger [geschickter] als sie“ zu tun haben. Wer diese beiden Gruppen sind, ist nicht leicht zu sehen, weil ja in V. 1369 gesagt ist, es sei „niemand von den Männern“ im Haus. Dass an Aigisthos und sein Gefolge gedacht wird, ist wahrscheinlich, doch der Pädagoge scheint bewusst undeutlich zu sprechen, um die Bedrohlichkeit der Situation zu unterstreichen und Orest und Pylades zum Handeln anzutreiben. 1373 Nur in diesem Vers redet Orest seinen Freund Pylades mit Namen an. Vielleicht erinnerten sich einige Zuschauer an die markante Szene in Aischylos’ Weihgussträgerinnen (V. 899, vgl. auch oben zu V. 1–85), in der Orest vor seiner Mutter steht und zögert, sie umzubringen; ratlos wendet er sich dort an seinen Freund: „Pylades, was soll ich tun?“ In den einzigen drei Versen, die Pylades (zur Überraschung der Zuschauer, vgl. Garvie [23] 275) spricht, erinnert er Orest an Apollons Gebot. Im Kontrast dazu ist es hier Orest, der ohne eine Spur von Zögern dazu aufruft, jetzt müsse die Tat möglichst rasch vollendet werden. 1374–1375 Zu den „väterlichen Göttern“ vgl. oben zu V. 412. Orest identifiziert sie hier mit dem Bild des Apollon Agyieus vor dem Hauseingang (s. zu V. 635). Seine letzten Worte vor dem Muttermord unterstreichen damit noch einmal den göttlichen Auftrag für seine Tat.
214 El.
Viertes Epeisodion / Viertes Stasimon 1376–1394
Herrscher Apollon, höre die beiden gnädig an und mich mit ihnen: oftmals hab ich dich ja mit bittender Hand von dem wenigen, was ich hatte, angefleht. Jetzt aber, lykeischer Apollon, mit allem, was ich habe, bitte, flehe, bete ich, sei uns williger 1380 Helfer bei diesen Plänen, und zeig den Menschen, welchen Lohn die Götter für Frevel schenken!
Cho. Schaut, wie er sich seinen Weg bahnt, Ares, Blut schnaubend, gegen das kein Kampf ist! Schon sind sie unter das Dach des Hauses getreten, auf der Hatz nach ruchlosen Verbrechen, die unentrinnbaren Hunde. Daher wird nicht mehr lange warten müssen der Traum meines Herzens, in Spannung schwebend. Denn ins Innere des Hauses wird geführt listigen Fußes der Helfer der Verstorbenen, in den Wohnsitz des Vaters voll alten Reichtums, frischgewetzte Bluttat in den Händen haltend. Ηλ.
Χο.
ἄναξ Ἄπολλον, ἵλεως αὐτοῖν κλύε, ἐμοῦ τε πρὸς τούτοισιν, ἥ σε πολλὰ δὴ ἀφ’ ὧν ἔχοιμι λιπαρεῖ προὔστην χερί. νῦν δ’, ὦ Λύκει’ Ἄπολλον, ἐξ οἵων ἔχω αἰτῶ, προπίτνω, λίσσομαι, γενοῦ πρόφρων ἡμῖν ἀρωγὸς τῶνδε τῶν βουλευμάτων, καὶ δεῖξον ἀνθρώποισι τἀπιτίμια τῆς δυσσεβείας οἷα δωροῦνται θεοί.
Str. 1 1385
1390 Gegenstr. 1
1380
ἴδεθ’ ὅπου προνέμεται ὁ δυσέριστον αἷμα φυσῶν Ἄρης· βεβᾶσιν ἄρτι δωμάτων ὑπόστεγοι μετάδρομοι κακῶν πανουργημάτων ἄφυκτοι κύνες· ὥστ’ οὐ μακρὰν ἔτ’ ἀμμενεῖ τοὐμὸν φρενῶν ὄνειρον αἰωρούμενον.
στρ. αʹ 1385
παράγεται γὰρ ἐνέρων δολιόπους ἀρωγὸς εἴσω στέγας, ἀρχαιόπλουτα πατρὸς εἰς ἑδώλια, νεακόνητον αἷμα χειροῖν ἔχων·
ἀντ. αʹ
1390
Kommentar
215
1376–1383 Orest, Pylades und der Pädagoge betreten den Palast; der lange vorbereitete und mit Spannung erwartete Augenblick der Rache ist endlich gekommen. Zum dritten Mal wird Apollon Lykeios angerufen (vgl. zu V. 6f. und 645); noch einmal wird ausdrucksstark der Gedanke beschworen, dass Orests Tat von den Göttern sanktioniert ist. 1378 Der Gedanke, dass ein Gott dem Betenden Hilfe als Entgelt für frühere Opfergaben schuldet, ist in der antiken griechischen Kultur weit verbreitet; man spricht vom Prinzip des do ut des (vgl. 16–38). Elektra konnte in ihrer Armut keine reichen Gaben machen, doch hat sie von dem wenigen, das sie besaß, Apollon geopfert (ein ähnliches Motiv findet sich V. 450f.). 1384–1397 Viertes Stasimon. Nach den zahlreichen Retardationen schreitet die eigentliche Rachehandlung jetzt rasch voran; das kurze Chorlied, aus einem einzigen Strophenpaar bestehend, drückt Zuversicht und Vertrauen auf die Hilfe der Götter aus, deutet aber auch das Grauen der blutigen Tat an, die sich gleich vollziehen wird; die Sprache ist oftmals andeutend und verschleiernd. Die Götter Ares und Hermes repräsentieren die Gewalt des Muttermords und die List, mit der Orest in den Palast gelangt ist. 1384 Mit „schaut“ redet der Chor sich selbst an mit einem „sense of urgent excitement“ (Easterling [20] zu der ähnlichen Selbstaufforderung des Chors in Tr. 821). 1388 Im ersten Stasimon hatte der Chor gesagt, dass die Erinys auf der Lauer liege und bald kommen werde (s. oben zu V. 489–491). Wenn Orest und Pylades hier mit Hunden auf der Jagd verglichen werden, so dürfte dies bei den Zuschauern Assoziationen an die Erinyen wecken, die in der Orestie des Aischylos (und auch in der Elektra des Euripides) metaphorisch als „Hündinnen“ bezeichnet werden (die Belegestellen sammelt Finglass [8], vgl. auch March [11]). Bei aller Zuversicht in die göttliche Berechtigung der Tat hören wir in diesen Versen auch, wie unheimlich das ist, was sich im Palast gleich vollziehen wird: „Unter dem Dach“ finden Menschen gewöhnlich Schutz, in dieser Passage aber sind dort die „unentrinnbaren Hunde“ und der „der Helfer der Verstorbenen“ (Orest, als Rächer des verstorbenen Agamemnon) eingedrungen. 1390 Mit dem Ausdruck „Traum meines Herzens“ bezieht sich der Chor auf seine im ersten Stasimon ausgesprochene Prophezeiung zurück, die Rache werde bald kommen. 1394 Die Metonymie „frischgewetztes Blut“ (statt „Bluttat, mit frischgewetztem [Messer] verübt“) ist äußerst kühn, und eine Reihe von Forschern (etwa Schneidewin/Nauck/Bruhn [12], Kaibel [9]) hat daher den Text angezweifelt. Doch bei aller Kühnheit ist der Text in seiner Bildmächtigkeit problemlos verständlich; stilistisch fügt sich die bedrohliche, andeutende Sprache in den Rest dieses Chorlieds. Die Annahme einer Korruptel ist daher unnötig.
216
Viertes Stasimon / Exodos 1395–1399
Der Sohn der Maia, Hermes, führt sie, im Dunkel ihre List verbergend, zum Ziel selbst und zögert nicht mehr. El.
Ihr liebsten Frauen, die Männer werden gleich das Werk vollbringen – sei still und warte ab! ὁ Μαίας δὲ παῖς Ἑρμῆς σφ’ ἄγει δόλον σκότῳ κρύψας πρὸς αὐτὸ τέρμα κοὐκέτ’ ἀμμένει.
Ηλ.
ὦ φίλταται γυναῖκες, ἅνδρες αὐτίκα τελοῦσι τοὔργον· ἀλλὰ σῖγα πρόσμενε.
1395
Str.
1395
στρ.
1399 Die Anrede an den Chor kann im Singular oder Plural erfolgen, s. Bruhn [15] 104.
Kommentar
217
1395–1397 Hermes als Geleiter der Reisenden und Gott der List ist wie sein Bruder Apollon Helfer Orests. Einen Anklang an den „Unterweltshermes“, den Elektra selbst V. 111 angerufen hatte und der in Aischylos’ Weihgussträgerinnen so prominent im ersten Vers genannt worden war, hier gänzlich auszuschließen, wie es Finglass [8] möchte, scheint mir, auch angesichts des Verweises auf das Reich der Toten in V. 1391 und der Dunkelheit in V. 1396, eine unnötige Verengung der Deutung: Auch hier ist hinter den zuversichtlichen Worten etwas Beunruhigendes zu spüren. 1398–1510 Exodos. In wenig mehr als 100 Versen stellt Sophokles in zwei dichten und rasch fortschreitenden Szenen die Tötung von Klytaimestra (V. 1398–1441) und die Ankunft des Aigisthos (1442–1507) dar, bevor drei wenig aussagekräftige Verse des Chors das Drama beenden. Die beiden Szenen sind durch ihre Form deutlich voneinander unterschieden: Klytaimestras Todesszene ist epirrhematisch aufgebaut, d. h. hier werden gesungene Verse des Chors und gesprochene der Schauspieler gemischt (mit Ausnahme des ersten Schreis Klytaimestras V. 1404, der ebenfalls gesungen ist). In der nächsten Szene haben Aigisthos, Elektra und später Orest ausschließlich Sprechverse, die sich meist in schnellem Dialog bewegen. Auch wenn geringe Ausdehnung nicht gleichbedeutend sein muss mit geringer Wichtigkeit, ist doch auffällig, dass Sophokles dem, was in anderen Tragödien über diesen Stoff den Höhepunkt der dramatischen Handlung ausmacht, nur wenig mehr Verse einräumt als der langen Trugrede des Pädagogen (V. 680–762). Dies hat Reinhardt [314] 170 zu dem Verdikt gebracht, „von dem Ende [sei] nicht viel mehr zu sagen, als daß es das Ende ist“. Was dieses Ende jedoch bedeutsam macht, ist das Anklingen von zahlreichen ambivalenten, beunruhigenden Details, die das Gefühl eines befriedigenden Abschlusses des Dramas konterkarieren. 1398–1441 Kommos. Szenen, in denen die Schreie einer Figur hinter der Bühne zu hören sind, hatten sich zu einem Typ entwickelt, der sich besonders bei Euripides häufiger findet (vgl. Matthiessen [30] zu Eur. Hek. 1035 und [271] 144–166, Hamilton [199]). Sophokles lässt seine Klytaimestra insgesamt fünf Mal sich äußern, was nicht zu der von einigen Interpreten vorgebrachten Auffassung passt, in seiner Elektra werde die Bedeutung des Muttermords heruntergespielt (so zu Recht Finglass [8] 510). Deutlich ist auch, dass unsere Szene über die typologischen Gemeinsamkeiten hinaus präzise wörtliche Anspielungen auf die Todesszene Agamemnons in Aischylos’ Tragödie aufweist (s. Schneidewin/Nauck/Bruhn [12] zu V. 1415; zu Recht schreibt Johansen [222] 26, der Anklang gehe deutlich über die bloße „conventionelle Formel“ hinaus, die Kaibel [9] hier geltend macht). Ambivalent bleibt, wie diese Anspielung von dem Teil des Publikums, der sie wahrnahm, verstanden wurde: Empfanden die Zuschauer dies als befriedigenden Abschluss des Geschehens, weil Klytaimestra in derselben Einsamkeit, fern von allen Freunden, getötet wird, in die sie einst ihr eigenes Opfer gelockt
218
Exodos 1400–1405
Cho. Wie jetzt? Was tun sie nun? El. Sie bereitet für die Bestattung 1400 das Gefäß vor, die beiden aber stehen nah dabei. Cho. Und du, wozu eiltest du heraus? El. Um aufzupassen, dass Aigisthos nicht hineinkommt, ohne dass wir es bemerken. Kl. Weh mir! Ach Haus, von Freunden leer, von Mördern voll! 1405 Χο. Χο. Κλ.
πῶς δή; τί νῦν πράσσουσιν; Ηλ. ἡ μὲν ἐς τάφον λέβητα κοσμεῖ, τὼ δ’ ἐφέστατον πέλας. σὺ δ’ ἐκτὸς ᾖξας πρὸς τί; Ηλ. φρουρήσουσ’ ὅπως Αἴγισθος 〈ἡμᾶς〉 μὴ λάθῃ μολὼν ἔσω. αἰαῖ. ἰὼ στέγαι φίλων ἔρημοι, τῶν δ’ ἀπολλύντων πλέαι.
1400
1405
Kommentar
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hatte? Oder sahen sie die beunruhigende Möglichkeit, dass beide Taten moralisch äquivalent waren, Orest also die blutige Familiengeschichte keineswegs zu einem Abschluss bringt, sondern lediglich ein weiteres Glied in der Kette des Unrechts darstellt? Eine textkritische Schwierigkeit der Passage liegt darin, dass die Responsion zwischen der Strophe V. 1398–1421 und der Gegenstrophe V. 1422–1441 nicht vollkommen ist: Die Verse 1404–1406, 1409 und 1411 b haben dort kein Gegenstück. Inhaltlich vermisst man an dieser Stelle nichts; ohne das Argument der metrischen Responsion hätte wohl niemand nach V. 1427 und V. 1429 eine Lücke vermutet. Allerdings wird eben an dieser Stelle der Dialog zwischen Elektra und Orest durch die Ankündigung des Chors unterbrochen, Aigisthos nähere sich, so dass der Gedankenverlauf recht abrupt ist und sich fehlende Verse auch nicht notwendigerweise bemerkbar machen. Manche Editoren (etwa Jebb [5] 222) haben die Annahme vertreten, Sophokles sei hier bei der metrischen Responsion mit einer gewissen Freiheit verfahren, doch da es für eine solche freie Komposition keine Parallelen gibt, scheint die Annahme von Lücken in der Überlieferung unausweichlich. 1398 Elektra hatte vor dem kurzen Chorlied die Bühne verlassen; nun tritt sie wieder auf. In V. 1402–1403 lässt Sophokles sie ihr rasches Wiederauftreten damit begründen, sie wolle an der Tür Wache halten, was Kaibel [9] „gut und zweckdienlich erfunden“ nennt. Dennoch stellt sich der Eindruck ein, dass ihre Bewegung eher Gründen der dramaturgischen Ökonomie geschuldet ist (s. oben zu V. 42–43): Ihr Abgang zeigt sie im Bund mit Orest und dem Pädagogen; ihre kurze Anwesenheit im Palast gibt ihr die Gelegenheit, über die Verhältnisse im Innern zu berichten; ihre Anwesenheit gestattet es den Zuschauern, ihre Reaktion auf die Tötung Klytaimestras unmittelbar mitzuerleben, nicht etwa nur in einem nachträglichen Bericht. Sommerstein [357] 212f. sieht in Elektras Abgang und gleich folgendem Wiederauftritt eine subtile Irreführung des Publikums: Zusammen mit anderen Hinweisen soll der Eindruck entstehen, Elektra selbst werde bei der Tötung Klytaimestras mitwirken, bevor dann durch ihre Rückkehr auf die Bühne die Handlung wieder in konventionelle Bahnen zurückkehrt und Orest es ist, der die Rache tatsächlich durchführt. 1401 Dass die Zuschauer bei dem Wort „Gefäß“ (lebēta) an etwas anderes denken sollen als eben an die Urne, die Orest zu Beginn des vierten Epeisodions auf die Bühne brachte und die bei der Wiedererkennung der Geschwister so lange Zeit im Mittelpunkt stand (so Finglass [8]: “not the urn, which was never taken inside”), sondern an eine andere Urne, die Klytaimestra gerade zur Bestattung schmückt, ist eine wenig überzeugende Idee. 1404 Der erste von Klytaimestras fünf Schreien aus dem Haus nimmt das im ersten Teil der Tragödie so prominente Thema der philoi (s. oben zu V. 368) wieder auf: Der vermeintliche Fremde aus Phokis ist tatsächlich ihr Sohn, also ein philos, zugleich aber ihr schlimmster Feind, der sie jetzt töten wird.
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Exodos 1406–1417
El. Es schreit jemand da drinnen; hört ihr es nicht, Freundinnen? Cho. Ich Unglückliche hörte, was ich nicht hätte hören sollen, und mich schaudert es. Kl. Weh mir, ich Arme: Aigisth, wo bist du denn? El. Schau, da schreit schon wieder jemand! Kl. Kind, Kind, 1410 hab Mitleid mit der, die dich gebar! El. Doch von dir erhielt weder er Mitleid noch der Vater, der ihn zeugte. Cho. Du Stadt, du armes Geschlecht, jetzt geht dir das Tag für Tag anhaltende Geschick zugrunde, ja zugrunde. Kl. Weh mir, ich bin getroffen! El. Führ, wenn du die Kraft hast, einen Doppelschlag! Kl. Weh mir, schon wieder! El. Wäre es doch mit Aigisthos zugleich! Cho. In Erfüllung gehen die Flüche – es leben die, Ηλ. Χο. Κλ. Ηλ. Χο. Κλ. Κλ. Χο.
βοᾷ τις ἔνδον· οὐκ ἀκούετ’, ὦ φίλαι; ἤκουσ’ ἀνήκουστα δύστανος, ὥστε φρῖξαι. οἴμοι τάλαιν’· Αἴγισθε, ποῦ ποτ’ ὢν κυρεῖς; ἰδοὺ μάλ’ αὖ θροεῖ τις. Κλ. ὦ τέκνον, τέκνον, οἴκτιρε τὴν τεκοῦσαν. Ηλ. ἀλλ’ οὐκ ἐκ σέθεν ᾠκτίρεθ’ οὗτος οὔθ’ ὁ γεννήσας πατήρ. ὦ πόλις, ὦ γενεὰ τάλαινα, νῦν σοι μοῖρα καθημερία φθίνει, φθίνει. ὤμοι πέπληγμαι. Ηλ. παῖσον, εἰ σθένεις, διπλῆν. ὤμοι μάλ’ αὖθις. Ηλ. εἰ γὰρ Αἰγίσθῳ θ’ ὁμοῦ. τελοῦσ’ ἀραί· ζῶσιν οἱ
1410
1415
Kommentar
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1406 Die Zuschauer hatten in den vorhergehenden Szenen Elektra zunächst wegen der Todesnachricht emotional am Tiefpunkt gesehen, dann ihr Glück nach der Wiedererkennung ihres Bruders miterlebt. Jetzt sehen Sie wieder die verhärtete, hassende, aber in ihrer Unbeugsamkeit auch beeindruckende Elektra aus den Szenen mit Klytaimestra und Chrysothemis. Sie weiß genau, wer im Haus schreit; ihr „jemand“ hier und in V. 1409 ist höhnisch (so richtig Kaibel [9] und Kamerbeek [6]; „drohend“, wie Finglass [8] meint, kann es nicht sein, da Elektra ja nicht Klytaimestra selbst anspricht). Gerade im Kontrast mit der Reaktion des Chors in den nächsten Versen muss das Publikum Elektras Verhalten in besonders grellem Licht sehen: Während der Chor angesichts der ungeheuren Tat erschüttert ist, lässt sich Elektra auch von den Todesschreien der eigenen Mutter nicht bewegen (vgl. oben zu V. 871–1057). 1410–1412 Bei Aischylos (Cho. 896–8) hatte Klytaimestra Orest nicht nur angefleht, nicht seine eigene Mutter zu töten, sondern diesen Appell durch Verweis auf ihre Mutterbrust emotional noch packender gemacht; Orest war von diesem Flehen so gepackt worden, dass er sich mit der hilflosen Frage „Was soll ich tun?“ an Pylades wandte und von diesem an Apollons Orakel erinnert werden musste (s. oben zu V. 1373). Sophokles vermeidet die Begegnung Orests mit seiner Mutter auf der Bühne; auf Klytaimestras Schreie hinter der Bühne antwortet nur Elektra mit feindlichen Entgegnungen; Klytaimestras „die dich gebar“ stellt sie pointiert den „Vater, der dich zeugte“ entgegen. 1413 Überliefert ist am Ende dieses Verses der Akkusativ se; dies scheint die Deutung nahezulegen: „du armes Geschlecht, das Schicksal des heutigen Tages richtet dich zugrunde“. Die Haltung des Chors zu Orests Rache wäre damit weit kritischer, als wir nach dem vierten Stasimon erwarten würden. Aber das Verb phthinei ist sonst nicht transitiv, und der Ausdruck moira kathameria bedeutet wohl eher „das Geschick, das Tag für Tag auf dir gelegen hat“. Daher wird statt des Akkusativs von allen modernen Herausgebern Hermanns Konjektur soi (Dativ) akzeptiert. Dennoch sollte man sich mit Kamerbeek [6] deutlich vor Augen halten, dass diese für die Interpretation nicht unwichtige Passage auf einer unsicheren Textgrundlage steht. 1415 Manche moderne Interpreten haben Elektras Worte schockiert; so schreibt von Fritz [165] 136: „Dieser Ausruf der Tochter bei der Ermordung der Mutter ist wohl das Äußerste an Härte des Hasses, was in einer antiken Tragödie […] zu finden ist.“ Die antiken Zuschauer, die Rache für selbst erlittenes oder der Familie zugefügtes Unrecht grundsätzlich für gerechtfertigt hielten, mögen etwas weniger empfindsam gewesen sein als ein heutiges Publikum; dass auch sie vor dieser überlebensgroßen Hasserin Schauder empfunden haben, ist plausibel. Zur Entsprechung von Klytaimestras Todesschreien hier mit den Todesrufen Agamemnons bei Aischylos s. oben zu V. 1398–1441. Das genaue Verständnis von Elektras Worten paison … diplēn „schlag einen doppelten Schlag“ ist nicht ganz einfach. (1) Die übliche Deutung versteht sie als „einen zweiten Schlag“; „doppelt“ wäre dann im Sinne von „ein weiterer“, „ein zweiter“ verwendet (so ausdrücklich etwa Kamerbeek [6]). Das
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Exodos 1418–1424
die unter der Erde liegen. Zurückfließend entziehen das Blut der Mörder die längst Getöteten.
El.
Ja, hier sind sie tatsächlich. Rot tropft Gegenstr. die Hand vom Aresopfer, und ich vermag es nicht zu 〈…〉. Orest, wie steht es um euch? Or. Im Haus γᾶς ὑπαὶ κείμενοι· παλίρρυτον γὰρ αἷμ’ ὑπεξαιροῦσι τῶν κτανόντων οἱ πάλαι θανόντες.
Ηλ.
1420
καὶ μὴν πάρεισιν οἵδε· φοινία δὲ χεὶρ στάζει θυηλῆς Ἄρεος, οὐδ’ ἔχω †λέγειν†. Ὀρέστα, πῶς κυρεῖ〈τε〉; Ορ. τἀν δόμοισι μὲν
1420 ἀντ.
1424 Die meisten Handschriften überliefern κυρεῖ, wodurch der Trimeter eine Silbe zu kurz ist; die Varianten κυρεῖ δέ und κυρεῖ γε sind byzantinische Versuche, die Metrik zu heilen. Reisigs Konjektur κυρεῖτε ist paläographisch und inhaltlich am überzeugendsten.
Kommentar
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Problem an dieser Deutung ist nicht, dass dann der Konditionalsatz „wenn du die Kraft hast“ sinnlos wäre (Holford-Strevens, zitiert von Lloyd-Jones/Wilson [257] 74: “Orestes must be a feeble specimen if Electra can doubt whether he has a second blow in him”: hier geht es nicht, wie in V. 998, um körperliche Stärke, sondern um die Entschlossenheit und geistige Kraft), sondern dass es für eine solche Verwendungsweise keine Parallele gibt (die von Jebb [5] angeführten Passagen enthalten Worte wie „zweiter“ und sind daher nicht vergleichbar). (2) Dasselbe gilt auch für die von Lloyd-Jones/Wilson [257] 74 vorgeschlagene, von Finglass [8] akzeptierte Deutung „twice as hard“: Überzeugende Parallelen fehlen. (3) Linforth [249] 109 Anm. 5 schlägt vor, Elektra spreche in diesem Vers (wie in V. 1411f.) Klytaimestra an und sage ihr ironisch: „schlag zurück, wenn du kannst“. Aber in V. 1415f. ist es Orest, der Schläge führt; da Elektra nicht durch Hinwendung deutlich machen kann, dass ihr „schlag zu“ sich an einen anderen als ihn richten soll, wäre dies für das Publikum (in Ermangelung einer konkreten Anrede) kaum nachzuvollziehen. (4) Ganz ohne Rückhalt im Text ist die Auffassung von Kells [10], Elektra imaginiere, sie selbst führe den tödlichen Schlag, und rede sich selbst an. (5) Daher ist es wohl am besten, an eine neue Deutung des Verses zu denken: mit paison … diplēn bezeichnet Elektra dasselbe, was sie auch in V. 1416 ausdrückt: Der „Doppelschlag“ soll Klytaimestra und Aigisthos gelten; zu verstehen ist also „wenn du die Kraft hast, erschlage beide!“ 1418–1421 Sophokles hat das Motiv „die Toten ermorden die Lebenden“ in mehreren Tragödien verwendet (die Parallelen werden aufgeführt bei March [11] und Finglass [8]). Mit den „längst Getöteten“, die „unter der Erde liegen“, meint der Chor wohl nicht nur den toten Agamemnon, sondern auch den zum Schein verstorbenen Orest. Zuschauer, die sich an Aischylos’ Fassung erinnerten, werden auch an die Worte denken, mit denen ein Diener Klytaimestra nach der Tötung des Aigisthos warnt (Cho 886): „Ich sage, dass die Verstorbenen den Lebenden töten.“ Mit seinem bildhaften, andeutenden Stil knüpft der Chor an die Sprache des vierten Stasimons an. Mit dem Wort „zurückfließend“ ist die Idee eines strafenden Ausgleichs bezeichnet: So wie die Mörder Klytaimestra und Aigisthos einst das Blut ihres Opfers vergossen, so wird ihnen nun ihr Blut genommen; das griechische Verb hypexairousi bedeutet „heimlich und allmählich wegnehmen“; es evoziert das Bild eines unheimlichen, vampirartigen Wesens, passend zu der ominösen Aussage, dass die Ermordeten sich das Blut zurückholen (vgl. auch V. 784–6). 1423 Noch einmal macht es ein textkritisches Problem schwierig, die Haltung des Chors genau zu eruieren (s. oben zu V. 1413). Die überlieferten Worte oud’ echō legein würden übersetzt bedeuten „und ich kann nicht sagen“. Wenn wir aus ihnen den Sinn „und ich bin sprachlos“ gewinnen könnten, wäre der Chor hier (insbesondere nach V. 1407f.) äußerst zurückhaltend, würde durch sein Schweigen vielleicht sogar leichte Kritik anklingen lassen. Allerdings benötigt legein eine Ergänzung; für die hier postulierte Formulierung, in der es ohne Objekt (absolut) verwendet wird, gibt es keine Parallele. Deshalb
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Exodos 1425–1435
steht es gut, wenn Apollon gut geweissagt hat. So ist die Verfluchte tot? Or. Hab keine Angst mehr, dass die mütterliche Schroffheit dich jemals wieder verletzt! El. 〈…〉 〈…〉 Or. 〈…〉 Seid still! Denn ich sehe Aigisthos deutlich hierher kommen. Or. 〈…〉 El. Ihr Kinder, geht ihr wohl zurück! Or. Wo seht ihr den Mann? El. Zu uns hierher kommt er aus der Vorstadt frohgemut 〈…〉. Cho. Geht möglichst schnell in den Vorraum nach eurem vorherigen Erfolg, macht auch jetzt – Or. Hab Mut, wir werden es vollenden! El. Eile, wohin du planst!
El.
Ηλ. Ηλ. Ορ. Χο. Ορ. Ηλ. Χο. Ορ.
καλῶς, Ἀπόλλων εἰ καλῶς ἐθέσπισεν. τέθνηκεν ἡ τάλαινα; Ορ. μηκέτ’ ἐκφοβοῦ μητρῷον ὥς σε λῆμ’ ἀτιμάσει ποτέ. 〈_ ⏖ _ ⏑ ⏓〉 〈× _ ⏑ _ × _ ⏑ _ × _ ⏑ _〉 〈× _ ⏑ _ × _ ⏑ _ × _ ⏑ _〉 παύσασθε. λεύσσω γὰρ Αἴγισθον ἐκ προδήλου. 〈× _ ⏑ _ × _ ⏑ _ × _ ⏑ _〉 ὦ παῖδες, οὐκ ἄψορρον; Ορ. εἰσορᾶτέ ποῦ τὸν ἄνδρ’; Ηλ. ἐφ’ ἡμῖν οὗτος ἐκ προαστίου χωρεῖ γεγηθὼς 〈× _ ⏑ _ × _ ⏑ _〉 βᾶτε κατ’ ἀντιθύρων ὅσον τάχιστα νῦν, τὰ πρίν εὖ θέμενοι, τάδ’ ὡς πάλιν – θάρσει, τελοῦμεν. Ηλ. ᾗ νοεῖς ἔπειγέ νυν.
1425
1430
1435 1425
1430
1435
1427 a Angesichts der durch die Lücke bedingten Unsicherheit des Texts ist es nicht ratsam, noch weitere Änderungen vorzunehmen, wie etwa Dawe [2] und Finglass [8] vorschlagen. Letzte Sicherheit lässt sich nicht gewinnen; der Sinn der Passage ist jedoch deutlich. 1434 Der überlieferte Text flößt wenig Vertrauen ein. Entweder ist die Syntax ungewöhnlich hart (Kaibel [9] versucht eine Erklärung), oder Orest unterbricht den Chor (so offenbar Lloyd-Jones/Wilson [1], obwohl sie [257] 74 auf Kaibel verweisen). Die von Finglass [8] akzeptierte Umstellung Musgraves νῦν πάλιν εὖ θέμενοι τάδ’, ὡς τὰ πρίν ist keine Verbesserung (das Aoristpartizip θέμενοι wirkt deplaziert).
Kommentar
225
folgen die meisten modernen Editoren Erfurdts Konjektur psegein: „und ich kann nicht tadeln“. Die angenommene Verschreibung ist trivial: In der sog. Minuskelschrift sehen die Buchstaben lambda und psi ähnlich aus; so bietet etwa in V. 551 eine Handschrift statt des überlieferten lege die Variante psege. Dennoch bleibt bestehen, dass das entscheidende Wort dieses Verses womöglich korrupt überliefert ist (s. Johansen [222] 27 Anm. 33), daher sollen die cruces im Text (so Kamerbeek [6]) die Leser auf diese Unsicherheit hinweisen. Hinzu kommt, dass die Sprecherverteilung in den V. 1422–6 nur tentativ sein kann (die klarste Diskussion bietet Kaibel [9]). Dass die Ankündigung des Auftritts in V. 1422f. vom Chor gegeben wird, die erregte Frage nach den Vorgängen im Innern des Hauses in V. 1424 von Elektra stammt, ist plausibel. Der Beginn von V. 1426 wird von den Handschriften Orest zugewiesen; die Worte sind dann als Aussage zu verstehen: „Die Elende ist tot; hab keine Angst mehr […].“ Da im respondierenden V. 1402 an dieser Stelle der Sprecher wechselt, ist ein Wechsel auch hier wahrscheinlich. Dennoch bleibt dies alles mit Unsicherheiten und subjektiven Entscheidungen behaftet, wie McDevitt [273] 25 zu Recht feststellt. 1425 Orests Antwort auf die Frage „wie steht es um euch?“ verwendet wieder einen Konditionalsatz (s. zu V. 1117–1119 und 1216). Auch hier können wir ihn beinahe in kausalem Sinn verstehen: Alles steht gut, weil Apollons Weissagung richtig war (Finglass [8] führt Parallelen an; vgl. auch March [11]). Aber wir sollten nicht ausschließen, dass aufmerksame Zuschauer hinter diesem Wort ein kleines Zögern wahrnehmen konnten, eine geradezu beschwörende Anrufung des göttlichen Auftrags, um die eigenen Zweifel zu übertönen, (darauf weisen zu Recht etwa Kaibel [9], Bowra [78] 252f., Kamerbeek [6] oder Alexanderson [43] 92 hin; eine gute Besprechung der Implikationen beider Deutungen bei MacLeod [263] 172f.). 1426 Zum Adjektiv talaina vgl. oben zu V. 273–274 und zu V. 879. 1428–1429 Nur zwei Verse lang lässt Sophokles Elektra und Orest über den Muttermord sprechen, dann erfolgt die Ankündigung von Aigisthos’ Kommen; dass darin Gefahr liegt, hat eine Reihe von Ankündigungen zuvor verdeutlicht (vgl. etwa V. 310–15. 516–8. 626f. 1370f.). Anders als Aischylos (und Euripides) lässt Sophokles sein Publikum die Implikationen dieses Aspekts nicht lange überdenken, sondern lenkt die Aufmerksamkeit sogleich auf neue Spannungen. Aigisthos betritt die Bühne von der Parodos, die zur Stadt führt (s. oben zu V. 54–55); die Ankündigung seines Auftritts erfolgt lange, bevor er tatsächlich mit den auf der Bühne Anwesenden in Kontakt tritt (vgl. Mastronarde [270] 20f.) und bevor er für den größten Teil des Publikums sichtbar wurde. 1433–1436 In raschem Dialog wird die Intrige gegen Aigisthos vorbereitet: Orest und Pylades verstecken sich im Haus, Elektra und der Chor empfangen Aigisthos. Auffällig ist, dass Elektra jetzt mit Zuversicht spricht und eine eigenständige Rolle bei der Überlistung spielen will, ein großer Kontrast zu der Verzweifelten und Gebrochenen in der Mitte des vierten Epeisodions.
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Exodos 1436–1453
Ich bin schon fort. El. Die Angelegenheit hier lass meine Sorge sein! Cho. Nur wenig, ganz sanft, ins Ohr zu sprechen diesem Mann, dürfte nützlich sein, um ihn zum ungeahnten 1440 Kampf mit Dike zu treiben.
Or.
Aigisthos Wer von euch weiß, wo die phokischen Fremden sind, die, so heißt es, uns berichten, Orest habe sein Leben in einem Pferdewagenunfall verloren? Dich da, dich frage ich, ja dich, die du zuvor 1445 so frech warst: dich geht das am meisten an, denke ich, und du weißt am meisten und kannst mir Bescheid geben. El. Ich weiß Bescheid – wie nicht? Sonst wäre ich ja fern vom Geschick der mir liebsten Menschen. Ai. Wo sind denn nun die Fremden? Sag es mir! 1450 El. Drinnen – sie trafen eine freundliche Gastgeberin. Ai. Und haben sie tatsächlich seinen Tod gemeldet? El. Nein, nicht im Wort allein, sondern sie haben ihn genau gezeigt. Ορ. Χο.
καὶ δὴ βέβηκα. Ηλ. τἀνθάδ’ ἂν μέλοιτ’ ἐμοί. δι’ ὠτὸς ἂν παῦρά γ’ ὡς ἠπίως ἐννέπειν πρὸς ἄνδρα τόνδε συμφέροι, λαθραῖον ὡς ὀρούσῃ πρὸς Δίκας ἀγῶνα.
Αἴγισθος τίς οἶδεν ὑμῶν ποῦ ποθ’ οἱ Φωκῆς ξένοι οὕς φασ’ Ὀρέστην ἧμιν ἀγγεῖλαι βίον λελοιπόθ’ ἱππικοῖσιν ἐν ναυαγίοις; σέ τοι, σὲ κρίνω, ναὶ σὲ τὴν ἐν τῷ πάρος χρόνῳ θρασεῖαν· ὡς μάλιστά σοι μέλειν οἶμαι, μάλιστα δ’ ἂν κατειδυῖαν φράσαι. Ηλ. ἔξοιδα· πῶς γὰρ οὐχί; συμφορᾶς γὰρ ἂν ἔξωθεν εἴην τῶν ἐμῶν γε φιλτάτων. Αι. ποῦ δῆτ’ ἂν εἶεν οἱ ξένοι; δίδασκέ με. Ηλ. ἔνδον· φίλης γὰρ προξένου καθήνυσαν. Αι. ἦ καὶ θανόντ’ ἤγγειλαν ὡς ἐτητύμως; Ηλ. οὔκ, ἀλλὰ κἀπέδειξαν, οὐ λόγῳ μόνον.
1440
1445
1450
Kommentar
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1442–1507 Aigisthos’ Kommen hatte als Bedrohung schon lange über Elektra und Orest geschwebt; als er nun, beinahe am Ende des Dramas, tatsächlich die Bühne betritt, erweist er sich als weniger gefährlich, als man erwartete. Sein Tod wird in Sophokles’ Tragödie nicht erzählt (oder gar gezeigt); stattdessen führt uns sein Dialog mit Elektra und später mit Orest seine völlige Unterlegenheit vor Augen: Gegen die triumphierenden Rächer hat er keine Chance (in der Wirkungsweise vergleichbar ist vielleicht die Szene in Aischylos, Ag. 905–57, in der Klytaimestra Agamenon überredet, gegen seine religiösen Skrupel auf Purpurteppichen zum Palast zu schreiten; seine Niederlage in diesem Dialog macht seine Unterlegenheit gegenüber Klytaimestra deutlich und deutet auf seine Ermordung vorweg; vgl. Matthiessen [271] 160). Das Katz-und-Maus-Spiel, das die beiden mit dem Todgeweihten spielen, die höhnische Ironie und kalte Brutalität, mit der sie ihn behandeln, ist nicht dazu geeignet, uns Sympathie mit den Geschwistern empfinden zu lassen. Doch auch Aigisthos selbst mit seiner polternden Art und seiner ungemischten Freude über Orests Tod und Elektras Unglück erregt nicht unser Mitgefühl. Sophokles lädt uns in dieser Szene nicht dazu ein, uns mit einer Seite zu solidarisieren: Dass Aigisthos seine Strafe verdient hat, dass er als Ehebrecher und Tyrann nach allen juristischen und politischen Vorstellungen des Athener Publikums zu Recht getötet wird, kann keinem Zweifel unterliegen, ebenso aber auch, dass der Vollzug dieser Rache keinen befreienden und befriedigenden Abschluss aller Konflikte bringt. Unser Eindruck bei Aigisthos’ Abgang in den Tod ist zutiefst ambivalent (dies wird gut herausgearbeitet bei Stinton [370] 84 = [371] 478f.). 1442–1446 Aigisthos gebraucht keine formelle Anrede; die Art, wie er sich an Elektra wendet, mit dem dreifach wiederholten „dich“, ist barsch und überheblich (vgl. Kannicht [25] zu Eur. Hel. 546). 1448–1449 Die Ironie, die Elektra in ihren Antworten an Aigisthos verwendet, ist von etwas anderer Art als die bei Sophokles sonst zu findende „dramatische Ironie“ (s. oben zu V. 1–3): Während in letzterer Figuren eine Wahrheit mitklingen lassen, derer sie selbst sich nicht bewusst sind, verwendet Elektra Wendungen, deren volle Bedeutung ihrem unmittelbaren Adressaten Aigisthos verborgen bleibt, vom Chor (und dem Publikum) jedoch erfasst wird. In diesen Versen muss Aigisthos hinter dem „Geschick der mir liebsten Menschen“ Orests Unglück vermuten, doch das griechische symphora ist wie das deutsche „Geschick“ ein neutraler Begriff und kann auch das günstige Schicksal, hier eben die unverhoffte Rückkehr Orests, bezeichnen. 1451 Das griechische Verb kathēnysan bezeichnet das „Antreffen“ (hier mit Gen., wie OC 1755), aber auch das „Beenden“, und damit hier das „Töten“. 1453 Aigisthos soll verstehen „sie haben seinen Tod nicht nur berichtet, sondern den Toten wirklich vorgewiesen“; für den Chor und die Zuschauer jedoch bedeutet der Vers „sie haben Orest selbst gezeigt, und das nicht nur im Bericht, sondern leibhaftig“. 1454–1455 Das Wortspiel mit dem griechischen paresti lässt sich im
228 Ai. Ai. El. Ai.
Αι. Ηλ. Αι. Ηλ. Αι.
Exodos 1454–1463
Ist er denn hier, so dass ich es genau wahrnehmen kann? Er ist in der Tat hier, und um den Anblick beneidet man niemanden. 1455 Du sagst mir viel zur Freude, das ist ganz ungewohnt! Du kannst dich ruhig freuen, wenn dir dies erfreulich ist. Schweigen befehle ich und dass die Türen ihn allen Mykenern und Argeiern zu sehen geben, damit, falls einer von ihnen zuvor mit leeren Hoffnungen 1460 auf diesen Mann sich erhoben fühlte, er jetzt die Leiche sieht und mein Zaumzeug akzeptiert, und nicht erst gewaltsam von mir bestraft lernt, Verstand zu haben! πάρεστ’ ἄρ’ ἡμῖν ὥστε κἀμφανῆ μαθεῖν; πάρεστι δῆτα, καὶ μάλ’ ἄζηλος θέα. ἦ πολλὰ χαίρειν μ’ εἶπας οὐκ εἰωθότως. χαίροις ἄν, εἴ σοι χαρτὰ τυγχάνει τάδε. σιγᾶν ἄνωγα κἀναδεικνύναι πύλας πᾶσιν Μυκηναίοισιν Ἀργείοις θ’ ὁρᾶν, ὡς εἴ τις αὐτῶν ἐλπίσιν κεναῖς πάρος ἐξῄρετ’ ἀνδρὸς τοῦδε, νῦν ὁρῶν νεκρὸν στόμια δέχηται τἀμά, μηδὲ πρὸς βίαν ἐμοῦ κολαστοῦ προστυχὼν φύσῃ φρένας.
1455
1460
1458 Die Syntax mit dem Subjektswechsel zwischen σιγᾶν und ἀναδεικνύναι (so Campbell [97] 154) ist hart, aber wohl nicht, wie Finglass [8] meint, „undenkbar“ (vgl. etwa oben V. 445f. für einen ähnlich harten Subjektswechsel im Hauptsatz; Ai. 549f. beim Infinitiv).
Kommentar
229
Deutschen nicht nachahmen: Aigisthos verwendet es unpersönlich im Sinn von „ist es möglich?“, Elektra greift das Wort in dem Sinn „er [nämlich Orest selbst] ist anwesend“ auf. Dies bereitet die Täuschung mit dem verdeckten Leichnam vor, in dem Aigisthos Orest vermutet. 1458–1463 Aigisthos’ Worte in diesen Versen zeigen ihn noch einmal als brutalen Tyrannen (MacLeod [263] 175); seine politische Rhetorik erinnert an die Art, wie er sich am Schluss des aischyleischen Agamemnon präsentiert (bes. 1617–53), aber auch an den Kreon in der sophokleischen Antigone (vgl. besonders das Bild des „Zaumzeugs“ Ant. 477f.). Der Befehl zum „Zeigen“ ist ein in der attischen Tragödie regelmäßig zu findendes Signal für den Gebrauch des Ekkyklemas, der Rollplattform, die Innenszenen dem Publikum vor Augen führt (dazu zuletzt von Möllendorff [281]). Dass dieses technische Mittel auch an unserer Stelle zum Einsatz kam, ist wahrscheinlich, aber nicht sicher; möglich wäre auch, dass der aufgebahrte und verhüllte Leichnam Klytaimestras nach außen getragen wird (eine ähnliche Unsicherheit besteht auch Ant. 1293; vgl. die Diskussion bei Griffith [24]). Gegen die Verwendung des Ekkyklema an unserer Stelle scheint zu sprechen, dass der sonst so häufig thematisierte Gegensatz zwischen „Innen“ und „Außen“ hier kaum zum Tragen kommt (obwohl Aigisthos’ Befehl, die Tür zu öffnen, darauf hinweist, dass der Leichnam sich im Innern des Hauses befindet, machen spätere Äußerungen, bes. V. 1491. 1493, deutlich, dass sich die Szene außerhalb des Hauses abspielt; nicht ganz zutreffend die Analyse bei Kamerbeek [6] zu V. 1491), und dass die von Moellendorff herausgearbeitete Funktion einer „zweiten Bühne“ hier ausbleibt: Der Leichnam wird ohne besonderen „Zeigegestus“ sogleich funktional in das Bühnenspiel einbezogen. Dies würde auch eine Schwierigkeit beseitigen, die March [11] (zu 1476–7) angemerkt hat: Wenn Orest am Ende des Stücks Aigisthos mit gezücktem Schwert in das Haus abführt, wäre ein im oder am Eingang befindliches Ekkyklema, um das die beiden herumgehen müssten, ein umständliches Hindernis. Wir erwarten also, dass es irgendwann vor V. 1507 zurückgezogen wird; es gibt aber keine Stelle, die dazu markant einlädt. March selbst plädiert dafür, die Auseinandersetzung zwischen Orest und Aigisthos absorbiere die Aufmerksamkeit des Publikums so sehr, dass ein diskretes Zurückziehen nicht auffällt; einfacher wird die Szene aber sicherlich, wenn das Ekkyklema gar nicht verwendet wurde. Man könnte darüber nachdenken, ob eine Inszenierung ohne Ekkyklema an dieser Stelle eine präzise theatralische Funktion besitzt: Wenn Taplin [379] 357. 442f. Recht hat, dass die Szene in Aischylos Weihgussträgerinnen, in der Orest mit den beiden Leichen sichtbar ist, ohne Ekkyklema in Szene gesetzt wurde, dann wäre hier der Verzicht auf dieses (zu Sophokles’ Zeit längst etablierte) Mittel geradezu ein Zitat der Inszenierung seines Vorgängers. Allerdings muss dies reine Spekulation bleiben, weil wir in beiden Fällen nur Vermutungen über die Art der Inszenierung haben. 1464–1465 Ein letztes Mal verwendet Elektra doppeldeutige Sprache:
230 El. Ai.
Or. Ai. Or.
Ηλ. Αι.
Ορ. Αι. Ορ. Αι.
Exodos 1464–1475
Sieh: mein Anteil wird vollbracht, denn mit der Zeit habe ich Vernunft angenommen, mit den Mächtigeren übereinzustimmen. Zeus! Der Anblick, den ich sehe, ist nicht ohne Götterneid vorgefallen; doch wenn das Anstoß erregt, will ich nichts gesagt haben. Löst alle Hüllen von dem Gesicht, damit das Verwandte auch von mir Totenklagen erhalte! Nimm du sie selbst! Es ist deine Sache, nicht meine, 1470 dies zu sehen und voller Liebe anzureden. Was du rätst, ist gut, und ich will folgen; doch wenn im Haus irgendwo Klytaimestra ist, so ruf sie her! Hier ist sie nah bei dir; such sie nicht mehr woanders! Weh mir, was sehe ich! Or. Wen fürchtest du? Wen kennst du nicht? καὶ δὴ τελεῖται τἀπ’ ἐμοῦ· τῷ γὰρ χρόνῳ νοῦν ἔσχον, ὥστε συμφέρειν τοῖς κρείσσοσιν. ὦ Ζεῦ, δέδορκα φάσμ’ ἄνευ φθόνου μὲν οὐ πεπτωκός· εἰ δ’ ἔπεστι νέμεσις, οὐ λέγω. χαλᾶτε πᾶν κάλυμμ’ ἀπ’ ὀφθαλμῶν, ὅπως τὸ συγγενές γε κἀπ’ ἐμοῦ θρήνων τύχῃ. αὐτὸς σὺ βάσταζ’· οὐκ ἐμὸν τόδ’, ἀλλὰ σόν, τὸ ταῦθ’ ὁρᾶν τε καὶ προσηγορεῖν φίλως. ἀλλ’ εὖ παραινεῖς κἀπιπείσομαι· σὺ δέ, εἴ που κατ’ οἶκόν μοι Κλυταιμήστρα, κάλει. αὕτη πέλας σοῦ· μηκέτ’ ἄλλοσε σκόπει. οἴμοι, τί λεύσσω; Ορ. τίνα φοβῇ; τίν’ ἀγνοεῖς;
1465
1470
1475
Kommentar
231
Aigisthos muss glauben, sie füge sich endlich seiner überlegenen Macht (wozu Chrysothemis sie mehrmals aufgerufen hatte); der Chor und die Zuschauer hingegen verstehen, dass die „Mächtigeren“ nunmehr die Rächer sind, mit denen sie im Bunde steht. Die Zuschauer hören in Elektras Wörtchen „vollbracht“ auch den drohenden Anklang an das Wort „vollbringen“ in V. 1399: Dort war damit die Tötung Klytaimestras bezeichnet. 1466–1467 Aigisthos bezeichnet den Anblick des Leichnams als phasma, was im Griechischen auch das Wort für ein Gespenst, eine geisterhafte Erscheinung ist (in diesem Sinn etwa von Klytaimestras Traumbild gebraucht in V. 644). Bald wird sich herausstellen, dass Aigisthos in der Tat ein phasma vor sich hat: Orest, den er für tot hält, steht lebendig vor ihm. Über Orests Tod spricht Aigisthos in generellen und vagen Termini, weil er vor der Leiche, die er für die Orests hält, seine Freude nicht offen ausdrücken möchte. Die Interpreten sind sich daher uneinig, was er genau ausdrückt. Am plausibelsten ist, dass er Orests Tod dem „Neid der Götter“ zuschreibt, der alle bedroht, die über das menschliche Normalmaß hinaus erfolgreich sind. Wodurch Orest diesen Neid herovrgerufen haben soll, sagt Aigisthos nicht (von Orests angeblichen Erfolgen bei den Pythischen Spielen kann er kaum gehört haben, doch s. oben zu V. 1307). Der zweite Teil seiner Aussage bezieht sich auf die Nemesis, die alle Menschen straft, die durch Worte oder Taten die Götter reizen (vgl. OC 1753). Heuchlerisch nimmt er seine Worte zurück, Orest sei durch Götterneid gestorben, falls diese Aussage anstößig sei (so die Deutung von Jebb [5], Schneidewin/Nauck/Bruhn [12], Kamerbeek [6]). 1475 Auch hier handelt es sich um eine „Wiedererkennung“, doch der Effekt dieser theatralisch äußerst wirkungsvollen Szene ist ein ganz anderer als bei den vorherigen: Für Elektra war die Erkennung Orests ein Augenblick höchsten Glücks; der selbstzufriedene, sich in Sicherheit wiegende Aigisthos wird durch den Anblick der getöteten Klytaimestra jäh in das Unglück gestürzt. Kommentatoren haben sich gefragt, auf wen sich in Orests Worten das Fragepronomen „wen“ bezieht (eine klare Zusammenfassung der Positionen findet man bei Kamerbeek [6]): Greift er das „was“ des Aigisthos auf, das mit Sicherheit den Leichnam Klytaimestras bezeichnet? Oder spricht Orest hier schon über sich selbst? Wenn man die Worte als geschriebenen Text sieht, ist eine sichere Entscheidung in dieser Frage wohl nicht zu erreichen; ein Regisseur hingegen müsste eine solche Entscheidung treffen: Lässt er Orest (wie es die Antilabē nahelegt) sehr rasch auf Aigisthos antworten, während dieser noch schreckensstarr auf Klytaimestra blickt, würde das Publikum das Pronomen wohl ebenfalls auf sie beziehen; wenn er nach Aigisthos’ Worten eine Weile verstreichen lässt, in der dieser um sich blickt und erkennt, dass er von Feinden umzingelt ist (darauf könnte „schon längst“ in V. 1477 hinweisen), liegt ein Bezug auf Orest nahe. Deutlich ist in jedem Fall, dass ab V. 1476 Aigisthos’ Interesse nicht mehr Klytaimestras Leiche, sondern den Männern gilt, die drohend um ihn stehen (so zu Recht Calder [95] 214f.).
232 Ai. Ai.
Ai.
Αι. Αι. Ορ. Αι.
Exodos 1476–1489
In welcher Menschen Netze bin ich Armer mitten hineingeraten? Or. Merkst du nicht schon längst, dass du lebendig mit Toten wie mit deinesgleichen sprichst? Weh mir, das Wort verstehe ich – dies kann niemand anderes als Orest sein, der mich hier anspricht. 1480 Obwohl du so ein glänzender Seher bist, hast du dich so lange täuschen lassen? Ich Unglücklicher, mit mir ist’s aus. Aber gestatte mir noch kurz zu reden! El. Lass ihn nicht weiter sprechen, bei den Göttern, Bruder, und nicht lang die Reden ausdehnen! [Denn wenn Menschen mitten im Unglück stehen, 1485 welchen Vorteil trägt dann der davon, der zu sterben zögert?] Sondern töte ihn so bald wie möglich, und wenn du ihn getötet hast, dann setze ihn den Bestattern vor, die er verdient hat, fern von unseren Augen! Denn dies allein τίνων ποτ’ ἀνδρῶν ἐν μέσοις ἀρκυστάτοις πέπτωχ’ ὁ τλήμων; Ορ. οὐ γὰρ αἰσθάνῃ πάλαι ζῶν τοῖς θανοῦσιν οὕνεκ’ ἀνταυδᾷς ἴσα; οἴμοι, ξυνῆκα τοὔπος· οὐ γὰρ ἔσθ’ ὅπως ὅδ’ οὐκ Ὀρέστης ἔσθ’ ὁ προσφωνῶν ἐμέ. καὶ μάντις ὢν ἄριστος ἐσφάλλου πάλαι; ὄλωλα δὴ δείλαιος. ἀλλά μοι πάρες κἂν σμικρὸν εἰπεῖν. Ηλ. μὴ πέρα λέγειν ἔα, πρὸς θεῶν, ἀδελφέ, μηδὲ μηκύνειν λόγους. [τί γὰρ βροτῶν ἂν σὺν κακοῖς μεμιγμένων θνῄσκειν ὁ μέλλων τοῦ χρόνου κέρδος φέροι;] ἀλλ’ ὡς τάχιστα κτεῖνε, καὶ κτανὼν πρόθες ταφεῦσιν ὧν τόνδ’ εἰκός ἐστι τυγχάνειν, ἄποπτον ἡμῶν· ὡς ἐμοὶ τόδ’ ἂν κακῶν
1480
1485
1485–6 Diese beiden Verse fehlen in 2 der ältesten Manuskripte und sind dort von späterer Hand nachgetragen (vgl. dazu allerdings Dawe [118] 1, 202); sie bieten grammatische Schwierigkeiten und passen nicht recht in den Zusammenhang, deshalb sind sie wohl als Interpolation anzusehen (nicht überzeugend die Interpretation von Segal [344] 522f.).
Kommentar
233
1476 Gewiss ist richtig, dass die Metapher vom „Netz“, das einen Menschen umgarnt, in der Tragödie nicht selten ist (einige Belegstellen findet man bei Finglass [8]). Die Zuschauer dürften hier jedoch besonders an den Tod Agamemnons gedacht haben: Das Gewand, mit dem ihn Klytaimestra im Bad umgibt, wird von Orest in den Weihgussträgerinnen als Beweis für ihre Gewalttat präsentiert (980–1004, in einer textkritisch problematischen Passage) und mehrfach als „Umstrickung“ und „Netz“ bezeichnet (vgl. Taplin [379] 314f.; Garvie [23] zu Cho. 491–2). Jetzt ist Aigisthos selbst in einem solchen „Netz“ gefangen. 1477–1478 In Orests Versen scheint eine Abwandlung des Motivs „die Toten morden die Lebenden“ vorzuliegen (s. oben zu V. 1418–1421). Die von manchen Philologen vorgeschlagenen Textänderungen sind unnötig; in verrätselt andeutender Weise sagt Orest (vgl. Longman [261]): „Merkst Du nicht, dass du die ganze Zeit schon mit einem Toten [nämlich mit mir, den du für tot gehalten hast] sprichst, als wäre er lebendig, wie du selbst es bist?“ Orests Rätsel und die Antwort des Aigisthos spielen wiederum auf eine markante Szene von Aischylos’ Weihgussträgerinnen an: Nachdem Aigisthos getötet worden ist, klopft ein Diener an die Tür des Frauengemachs und warnt Klytaimestra mit einem ähnlichen Rätsel (886): „Ich sage, dass die Verstorbenen den Lebenden morden“; wie Aigisthos hier entgegnet Klytaimestra: „Dein Wort verstehe ich auch im Rätsel.“ 1483–1490 Anhänger der pessimistischen Deutung sehen Elektras Drängen, Aigisthos nicht mehr sprechen zu lassen, sondern möglichst rasch umzubringen, eine Verletzung von Geboten der Fairness, die die Athener Zuschauer empört hätte: Vor Athener Gerichten erhielt auch der Angeklagte Gelegenheit, sich zu rechtfertigen. Wenn dies Aigisthos verwehrt wird, so deutet das darauf hin, dass Elektras rechtlicher Standpunkt nicht allzu stark ist: Hier geschieht in Justizmord, nicht Gerechtigkeit (so besonders Kells [10] 11 mit Anm. 1). Auch wenn es richtig ist, dass es sich hier nicht um einen Prozess handelt und dass Aigisthos’ Schuld nicht in Frage steht (Erbse [144] 297), sehen wir doch auch in diesen Worten wieder die heroische Größe von Elektras Hass, die die Zuschauer beeindruckt, kaum aber ihre ungeteilte Sympathie hervorruft. 1488 Wen meint Elektra mit den „Bestattern, die er verdient hat“ (wörtlich: „von denen es wahrscheinlich/angemessen ist, dass er sie erlangt“)? Die meisten Interpreten haben gemeint, dass Elektra sich hier mit kaltem Spott auf die wilden Tiere bezieht, die Aigisthos’ Leiche fressen werden; die Worte wären also nur eine Umschreibung dafür, dass er unbestattet bleiben soll (ähnliche Ironie finden wir etwa auch Ant. 1081f.). Befürworter einer optimistischen Interpretation wollten Elektra eine so grausame Ankündigung nicht machen lassen und meinten, ihre Worte seien bewusst ambivalent und ließen sich auch mit einer Bestattung vereinbaren (etwa Bowra [78] 255; Johansen [222] 27 Anm. 34; Erbse [144] 297). Aber wenn an tatsächliche „Bestatter“ gedacht ist, wäre der Relativsatz „die er verdient hat“ ganz unverständlich. Man kann kaum bezweifeln, dass Elektra hier vorschlägt, Aigisthos den Tieren zum Fraß
234 Or. Ai. Or. Ai. Or. Ai. Or.
Ορ. Αι. Ορ. Αι. Ορ. Αι. Ορ. Αι.
Exodos 1490–1504
könnte mich von meinem alten Unglück befreien. 1490 Geh geschwind hinein: jetzt geht der Kampf nicht um Worte, sondern um dein Leben. Warum führst du mich ins Haus? Wenn diese Tat schön ist, warum bedarf sie der Dunkelheit, bist du nicht bereit, mich rasch zu töten? Gib keine Anweisungen! Geh dahin, wo du unseren Vater 1495 getötet hast, damit du am selben Ort stirbst! So ist es ganz notwendig, dass dieses Haus das gegenwärtige und das künftige Unglück der Pelopiden sieht? Jedenfalls das deine; das sage ich dir als Seher genau voraus. Die Kunst, derer du dich rühmst, hast du aber nicht vom Vater! 1500 Du entgegnest viel, und unser Gang verzögert sich. So geh schon! Ai. Zeig den Weg! Or. Du musst zuerst marschieren. Damit ich dir nicht entkomme? Or. Nein, damit du nicht so stirbst, wie du selbst es wünschst – diese Bitternis muss ich dir bewahren. μόνον γένοιτο τῶν πάλαι λυτήριον. χωροῖς ἂν εἴσω σὺν τάχει· λόγων γὰρ οὐ νῦν ἐστιν ἁγών, ἀλλὰ σῆς ψυχῆς πέρι. τί δ’ ἐς δόμους ἄγεις με; πῶς, τόδ’ εἰ καλὸν τοὔργον, σκότου δεῖ, κοὐ πρόχειρος εἶ κτανεῖν; μὴ τάσσε· χώρει δ’ ἔνθαπερ κατέκτανες πατέρα τὸν ἁμόν, ὡς ἂν ἐν ταὐτῷ θάνῃς. ἦ πᾶσ’ ἀνάγκη τήνδε τὴν στέγην ἰδεῖν τά τ’ ὄντα καὶ μέλλοντα Πελοπιδῶν κακά; τὰ γοῦν σ’· ἐγώ σοι μάντις εἰμὶ τῶνδ’ ἄκρος. ἀλλ’ οὐ πατρῴαν τὴν τέχνην ἐκόμπασας. πόλλ’ ἀντιφωνεῖς, ἡ δ’ ὁδὸς βραδύνεται· ἀλλ’ ἕρφ’. Αι. ὑφηγοῦ. Ορ. σοὶ βαδιστέον πάρος. ἦ μὴ φύγω σε; Ορ. μὴ μὲν οὖν καθ’ ἡδονὴν θάνῃς· φυλάξαι δεῖ με τοῦτό σοι πικρόν.
1490
1495
1500
Kommentar
235
zu überlassen. 1490 Mit den letzten Worten, die sie in dieser Tragödie spricht, bekräftigt Elektra noch einmal, dass nichts als der Vollzug der Rache ein „Lösemittel“ (so müsste man das griechische lytērion wörtlich übersetzen) für ihr langes Leid sein kann. Dieses Leid haben die Zuschauer ausführlich miterleben können und müssen sich jetzt fragen, wie sie sein Ende beurteilen. 1493–1496 Eine Tötung wurde in der griechischen Tragödie nicht auf der Bühne dargestellt, sondern im hinterszenischen Raum. Sophokles weist sein Publikum auf diese Konvention hier nachdrücklich hin: Aigisthos argumentiert, wenn die Tat schön und richtig sei, dann solle Orest sie nicht „im Dunkeln“ durchführen; Orest antwortet, Aigisthos solle dort sterben, wo er auch Agamemnon umgebracht habe. Zweifelsohne ist Orests Antwort überzeugend: Aigisthos’ Tod ist als Strafe seiner Tat angemessen (so March [11]). Aber dass die Frage nach dem Ort so pointiert und nachdrücklich gestellt wird, passt zu den zahlreichen Elementen dieser Schlussszene, die verhindern, dass bei den Zuschauern ein Gefühl zufriedener Spannungsauflösung aufkommt (so zu Recht Finglass [8]): Aigisthos unterliegt in diesem Streit in der Sache, er ist ein Mörder und Tyrann – und doch kann auch er für sich Argumente geltend machen. 1497–1498 Diese beiden Verse von Aigisthos sind wiederum Gegenstand intensiver Diskussion (eine gute Zusammenfassung bietet MacLeod [263] 179f.): Worauf genau sollen sich die Worte „das künftige Unglück der Pelopiden“ beziehen? Für Anhänger einer triumphalistischen Lesart der Elektra kündigt Aigisthos, der ja selbst Nachkomme des Pelops ist, damit lediglich seinen eigenen Tod an. Befürworter einer pessimistischen Interpretation hingegen sehen in den Worten einen Hinweis auf Orests zukünftige Verfolgung durch die Erinyen (insbesondere Winnington-Ingram [416] 25 = [298] 214f. = [364] 408 ≈ [417] 226f.). Eine solch präzise Anspielung auf die Erinyen ist hier nicht plausibel, denn deren Verfolgung spielte sich ja eben nicht im Innern des Hauses ab, sondern trieb Orest nach Delphi und Athen. Die Worte des Aigisthos sind vage und ambivalent – und eben damit bedrohlich und beunruhigend für die Zuschauer. Ob die Tötung des Aigisthos die Kette der Bluttaten, die dieses Haus mitangesehen hat, wirklich abschließen wird, bleibt eine offene Frage. Auch in anderen Tragödien des Sophokles werden zum Ende weitere Entwicklungen angedeutet und Fragen aufgeworfen; vgl. Roberts [323]. 1500 Aigisthos spottet über Agamemnon: Dieser habe seinen eigenen Tod nicht vorausgesehen; Orest könne diese „Kunst“ also nicht von seinem Vater gelernt haben. Aigisthos kann Orest durch seine sarkastischen Worte noch Widerstand entgegensetzen, aber er muss Folge leisten; man wird kaum sagen können, dass Aigisthos „im Wortstreit doch einen letzten Sieg über seinen Gegner davonträgt“ (so Johansen [222] 28). 1505–1507 Orest schließt das Wortgefecht mit einer generellen Maxime: Alle Übeltäter müssten gleich hingerichtet werden, dann gäbe es nicht so viel
236
Exodos 1505–1510
Diese Strafe müsste allen sofort zuteil werden: den, der etwas außerhalb der Gesetze tun will, zu töten; dann wäre das Verbrechen nicht mehr so zahlreich. Cho. Du Saat des Atreus, wie viel hast du erlitten und bist mit Mühe zur Freiheit gelangt, durch diese Unternehmung zur Vollendung gebracht. χρῆν δ’ εὐθὺς εἶναι τήνδε τοῖς πᾶσιν δίκην, ὅστις πέρα πράσσειν γε τῶν νόμων θέλει, κτείνειν· τὸ γὰρ πανοῦργον οὐκ ἂν ἦν πολύ. Χο.
ὦ σπέρμ’ Ἀτρέως, ὡς πολλὰ παθὸν δι’ ἐλευθερίας μόλις ἐξῆλθες τῇ νῦν ὁρμῇ τελεωθέν.
1505
1510 1505
1510
Kommentar
237
Unrecht. Dass manche moderne Interpreten von den Worten schockiert waren, ist verständlich; Ringer [320] 211 spricht von einer „Cowboy-Moral“. Manche Philologen sind sogar so weit gegangen, die Verse für unecht zu erklären, doch wenn man die Argumentation etwa bei Finglass [8] prüft, sieht man, dass es keine sprachlichen Argumente gibt, sondern allein der Eindruck entscheidend ist, die Verse seien fehl am Platz (daher plädieren Lloyd-Jones/Wilson [257] 77 zu Recht gegen Athetese). Doch die Zuschauer in Athen hatten eine andere Auffassung von Recht; dass die Todesstrafe die wirksamste Abschreckung für potentielle Verbrecher darstellen, war für sie eine akzeptable Doktrin. 1508–1510 Die meisten Tragödien des Sophokles enden mit Anapästen des Chors (bis auf OT; zum wahrscheinlich unechten Ende vgl. Manuwald [27] 320f.; die Zuweisung der Anapäste am Ende von Tr. ist umstritten). Immer wieder haben Philologen diese Schlussverse als wenig befriedigend empfunden und/oder ihre Echtheit angezweifelt, doch eine pauschale Verurteilung beruht oftmals lediglich auf modernen Konzeptionen davon, wie eine Tragödie enden sollte (Roberts [322]; vgl. Lloyd-Jones/Wilson [257] 78). In dieser Passage ist nicht klar, wen der Chor mit seinen Worten anredet; verbunden mit dieser Unsicherheit ist auch die Frage, wann genau die auf der Bühne befindlichen Akteure Elektra, Orest und Aigisthos abgehen; zu ihrer Beantwortung sind wir auf die Interpretation des Texts angewiesen. Das Abstraktum „Saat des Atreus“ kann Elektra oder Orest oder beide Kinder Agamemnons bezeichnen. V. 1508 mit seiner Betonung der Leiden und der endlich erlangten „Freiheit“ scheint am besten auf Elektra zu passen. So ist es am plausibelsten anzunehmen, dass Orest und Aigisthos wirklich abgehen und lediglich Elektra noch auf der Bühne bleibt: Sie ist die Hauptfigur dieser Tragödie; dass ihrem langen Leidensweg und ihrer späten Erlösung die letzten Worte gelten sollen, ist nur folgerichtig (vgl. Calder [95] 215f.; Flashar [158] 227). Eine Anekdote aus der Aufführungsgeschichte der sophokleischen Elektra mag zeigen, dass auch solche für viele Interpreten enttäuschenden Schlussverse eine eigene Dynamik entfalten können: Im Juli 1972 fand in Athen im Theater des Herodes Atticus eine Aufführung der sophokleischen Elektra unter der Regie von Thanos Kotsopoulos statt. Seit 1967 stand Griechenland unter der Militärdiktatur der Obristen; 1972 begann in der Bevölkerung die Unzufriedenheit mit dem Regime zu wachsen (und sollte sich dann im nächsten Jahr beim Aufstand der Studenten des Polytechnio manifestieren). Die Verse am Ende des Stücks mit dem Wort „Freiheit“ wurden vom Chor mehrfach wiederholt, was vom Publikum begeistert bejubelt wurde; die anwesenden Offiziere verließen daraufhin mit versteinerter Miene das Theater. (Ich verdanke die Kenntnis dieser Aufführung einer mündlichen Mitteilung von Ruth Scodel, bestätigt wurde sie von Kostas Georgoussopoulos; beide waren persönlich anwesend; vgl. weiter die Kritik von Stathis Spiliotopulos, „Μία τραγωδία ἀπὸ δύο θιάσους“ in der Zeitschrift Nea Hestia vom 1. August 1972; Antoniou [49] 175f.) Was bei der Lektüre matt oder banal erscheinen mag,
238
Kommentar
kann in einer lebendigen Aufführung ein gewaltiges Potential entfalten. Dass die Texte, die wir lesen, dafür geschrieben sind, in solchen Aufführungen realisiert zu werden, sollten wir bei unserer Lektüre nie vergessen.
Liste der Abweichungen von Finglass’ Text Vers 11 81 87 116 139 145 192 205 219 220 224 249 278 312 314 345 363 364 428–30 433 451 571 575 606 628 688 717 723 736 743 783 844 914
Finglass φονῶν κἀπακούσωμεν καὐγῆς Lücke †λιταῖσιν† ὧν ἀμφίσταμαι τοῖς τάδε τλᾶθι ἀχάς τἂν †εὑροῦσ’† καὶ κάρτα ἦ δὴ ἄν †ἔπειθ’ ἑλοῦ γε† τούς με χρὴ λυπεῖν μόνον λαχεῖν athetiert Lücke τ’ ἀλιπαρῆ ἑὼς τ’ ἀντιβὰς χρῇς παρεῖσα ἐν παυροῖσι πολλά ἄλλων δίφροις ὃ δ’ ὡς τανύων ἀπηλλάγην δ’ οὖν ἐλάνθαν’ ἄν
diese Ausgabe φόνων κἀνακούσωμεν καὶ γῆς – εὐχαῖς (Erfurdt) τῶν †ἀμφίσταμαι† τοὺς τὰ δέ πλάθειν ἄτας τ’ ἂν εὑροῦσ’ ἦ κάρτα ἦ κἂν ἔπειθ’ ἑλοῦ γε †τοὐμὲ μὴ λυπεῖν μόνον† τυχεῖν – ἀπό †ἀλιπαρῆ† ὡς κἀντιβάς χρή μεθεῖσα ἐν πολλοῖσι παῦρά αὐτῶν δίφροι ὅπως δ’ λύων ἀπήλλαγμαι γ’ ἆρ’ ἐλάνθανεν
242 924 973 995 1015–1016 1070 1087 1091 1174 1233 1235 1246 1296 1307 1359 1374 1416 1423 1431/1432 1434
Anhang
τἀκ κείνου λόγων ποτε βλέψασα Chor †νοσεῖ† †τὸ μή† καὶ πλούτῳ τεῶν ἀμηχάνων ἰώ ἐλάβεθ’ ἀνέφελον Versausfall κλύων ἔσαινες προσκύνανθ’ γ’ ψέγειν Lücke in 1431 πάλιν εὖ θέμενοι, τάδ’ ὡς τὰ πρίν 1505–1510 athetiert
τἀκείνου λόγῳ ποτ’ ἐμβλέψασα Chrysothemis νοσεῖται dubitanter τομῆ πλούτῳ τε τῶν ἀμηχανῶν γοναί ἤλθετ’ †ἀνέφελον† †οὕτως† κλυών ἔφαινες προσκύσανθ’ θ’ †λέγειν† Lücke in 1432 τὰ πρὶν εὖ θέμενοι, τάδ’ ὡς πάλιν –
Metrische Analysen Die folgenden Analysen möchten nicht mehr, als eine Hilfe zum Verständnis und zum Lesen der gesungenen Partien der Elektra zu bieten. Benutzer, die eine ausführliche wissenschaftliche Diskussion der metrischen Komposition suchen, seien auf die jeweiligen Passagen im Kommentar von Finglass [8] verwiesen. So ausführlich und kenntnisreich dessen Analysen allerdings sind: Wirkliche Sicherheit darüber, nach welchen Prinzipien Sophokles seine Gesangspartien gestaltet hat, können wir heute nicht mehr gewinnen, deshalb gelangen wir nicht über Hypothesen hinaus (vgl. dazu die erhellenden Bemerkungen bei Seeck [36] 218f.). Wie Sophokles selbst seine Verse aufgeschrieben hat, wie er für seine Schauspieler und Chorsänger metrische Gestaltung und Strophenformen markiert hat, wissen wir nicht. Die ältesten Ausgaben schrieben Gesangspartien wohl einfach als Prosa, ohne Versabtrennung; erst die alexandrinischen Gelehrten (s. oben S. 37) unterteilten diese Passagen in kurze „Kola“ (Verse). Weil
243
Metrische Analysen
sie aber selbst nicht mehr über sichere Kenntnis der metrischen Prinizipien verfügten, können wir nicht davon ausgehen, dass diese Kola uns einen wirklichen Eindruck davon vermitteln, wie Chor und Schauspieler bei der Aufführung in Athen sangen (und tanzten). Dies gilt in noch höherem Maß für die byzantinischen Schreiber: Ihre Art, die Verse zu schreiben, beruht auf keiner Kenntnis der antiken metrischen Prinzipien. Wegen der von den Byzantinern ererbten und in den frühen gedruckten Ausgaben übernommenen, manchmal unsystematischen Unterteilung des Texts in kurze Kola ist die Verszählung in den lyrischen Partien gelegentlich gestört. Zum leichteren Verständnis der folgenden Analysen seien hier die wichtigsten der verwendeten Abkürzungen erläutert. Wenn wir solche kleinsten Elemente isolieren und längere Verse nach einem „Baukastenprinzip“ (Seeck [36] 219) zusammengesetzt denken, so ist dies lediglich als bequemes Hilfsmittel zur Bezeichnung der Verse zu verstehen; tatsächlich hat ein Dichter zu Sophokles’ Zeit metrische Perioden wohl kaum als Zusammensetzung aus solchen Elementen verstanden. Iambische Rhythmen Bezeichnung Iambus Creticus Baccheus Trochäus
Abkürzung ia cr ba tr
Schema ×_⏑_ _⏑_ ⏑__ _⏑_×
Iambische Metren kommen in vielen Chorliedern als Bauelemente vor; oftmals begegnen sie in „synkopierten“ Formen wie dem Creticus oder dem Baccheus. Während in unser akzentuierenden Metrik der Trochäus (der mit einer betonten Silbe beginnt) als Gegenstück zum Iambus erscheint, sind die beiden Metren in der quantitierenden griechischen Metrik eng verwandt. Anapäste Bezeichnung Anapäst
Abkürzung an
Schema ⏔⏕⏔⏕
In Anapästen können sowohl die Doppelkürzen durch Längen als auch die Längen durch Doppelkürzen ersetzt werden; dadurch ist dieses Metrum außergewöhnlich wandlungsreich.
244
Anhang
Daktylen Bezeichnung Daktylus
Abkürzung da
Schema _⏖
Die aus der epischen Tradition bekannten Daktylen treten in mehreren gesungenen Partien der Elektra auf, meist als „reine“ Daktylen (d. h. ohne Ersetzung der Doppelkürze durch eine Länge) und meist in Form von Tetrametern oder Hexametern. Daktyloepitriten Bezeichnung (Hemiepes) (Creticus)
Abkürzung D e
Schema _⏖_⏖_ _⏑_
Seltener treten sog. daktyloepitritische Rhythmen auf, die daktylische und iambische/trochäische Elemente miteinander verbinden; in der Elektra sind dies nur die Elemente D und e (letzteres metrisch identisch mit dem Creticus). Äolische Maße Bezeichnung Glyconeus Pherekrateus Aristophaneus Alkäischer Zehnsilber Ithyphallicus Lecythion Choriambus
Abkürzung glyc pher aristoph alc dec ith lecyth cho
Schema _⏖_⏑_ _⏖__ _⏖_⏑__ _⏖_⏖_⏑__ _⏑_⏑__ _⏑_⏑_⏑_ _⏖_
Die aus der äolischen Tradition stammenden Rhythmen sind vielseitig und werden durch äußere oder innere Erweiterungen sowie Verkürzungen am Anfang (sog. Akephalie) oder am Ende (sog. Katalexe) variiert; in den Kontext dieser Rhythmen scheint auch der Choriambus zu gehören, der ein charakteristisches Bestandteil vieler äolischer Metren ist. Dochmien Bezeichnung Dochmius Hypodochmius
Abkürzung δ hδ
Schema ⏑__⏑_ _⏑_⏑_
Besonders vielseitig ist schließlich der Dochmius, der in einer Reihe von Formen vorkommt; oftmals sind die langen Silben in Kürzen aufgelöst.
245
Metrische Analysen
77. 86–120: Anapäste Elektras Diese Verse Elektras sind sog. Marschanapäste (zur Unterscheidung von gesungenen „lyrischen“ Anapästen s. Snell [353] 31; West [401] 121). Sie sind hier meist, aber nicht immer als anapästische Dimeter realisiert: ⏔⏕⏔⏕⏔⏕⏔⏓
Einige der Verse sind am Ende um eine Silbe verkürzt (sog. Katalexe: V. 88. 89. 102. 105. 106. 120): ⏔⏕⏔⏕⏔⏕_⏓
An drei Stellen (V. 86. 103. 116) scheint, ohne dass wir ein Prinzip darin erkennen können, ein anapästischer Monometer in diese Reihe von Dimetern eingefügt zu sein. ⏔⏕⏔⏕
Einige Philologen haben versucht, durch die Annahme von Lücken eine genaue Responsion von 86–102 und 103–120 herzustellen, aber wie Lloyd-Jones/ Wilson [257] 45 schreiben, muss in anapästischen Systemen die Responsion nicht exakt sein. 121–250: Parodos Die als Wechselgesang zwischen Elektra und dem Chor angelegte Parodos besteht überwiegend aus daktylischen und iambischen Metren, bevor sie zu Anapästen übergeht. 1. Strophenpaar 121 = 137 122 = 138 123 = 139 124 = 140 125 = 141 126 = 142 128 = 144 129 = 145 130 = 146 131 = 147 132 = 148 133 = 149 134 = 150 135 = 151 136 = 152
____ _⏖_ ____ _⏖_ ___⏖_⏑_ __ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ ⏑_⏑⏕ ⏑⏔⏑_ ⏑⏔⏑_ ⏑__ _⏑_⏑__ _⏖_ ___ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ __ __ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ ⏒_⏑_ ⏑__ __ ⏑__
cho dim cho dim glyc + sp 4 da 4 da 3 ia ba + ith cho + mol 4 da 4 da 4 da 4 da 6 da ia + ba sp + ba
246
Anhang
2. Strophenpaar 153 = 173 154 = 174 155 = 175 156 = 176 157 = 177 159 = 179 160 = 180 161 = 181 162 = 182 163 = 183 164 = 185 165 = 186 167 = 187 168 = 188 169 = 189 170 = 190 171 = 191 172 = 192
___ __ ⏖⏑⏖⏑_⏑_ ⏒⏖⏑_ _⏑_⏑__ _⏖⏑_ _⏑_⏑_⏑ __ _⏕ _⏔ _⏔ _⏖ _⏓ ⏒_⏑_ ⏑__ _⏑⏑⏑_ __ _⏑⏑⏑_ __ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖⏑⏕ ⏑_⏑⏕ ⏑__ _⏖⏑⏖ ⏑⏕⏑_ ⏑__ _⏕⏑_ _⏑_⏑__ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ ⏑__ _⏑_ ⏑__ _⏑_⏑__
mol + ba lekyth ia + ith ia + ith 6 da ia + ba ia + sp ia + sp 4 da 2 ia + ba 2 ia + ba ia + ith 4 da 4 da 4 da 4 da ba + cr ba + ith
3. Strophenpaar 193 = 213 194 = 214 195 = 215 196 = 216 197 = 217 198 = 218 199 = 219 200 = 220 201 = 221 202 = 222 203 = 223 204 = 224 205 = 225 206 = 226 207 = 227 208 = 228 209 = 229 210 = 230 211 = 231 212 = 232
____ ___ ____ ____ ⏖___ ____ ⏔___ ___ ⏖_⏖_ ⏖___ ____ ⏔___ __⏕_ ⏖_⏖_ _⏑_⏑__ ____ _⏔_⏔ ____ ___ ____ ____ ____ _⏑⏑⏑⏑⏑_ ⏖_⏕_ ⏖_⏕_ _⏑⏑⏑_ _⏑_ ⏖⏑_⏑_⏑⏑ ⏓⏖⏑⏖ ⏑_⏑_ ⏓⏖⏑⏖ ⏑_⏑_ _⏖_⏖_⏖_⏖ ⏓⏖⏑_ ⏑__
paroem 2 an 2 an paroem 2 an 2 an 2 an ith 2 an paroem 2 an an δ 2 an ia + cr lecyth 2 ia 2 ia 4 da ia + ba
247
Metrische Analysen
Epode 233 234 235 236 237 238 239 240 241 242 243 245 246 247 248 249 250
____ ___ ____ ___ ____ ___ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ _⏖ __ __ ____ ____ ____ ____ ____ __⏖_ ____ __⏖⏑ _⏖_⏑_ _⏖_⏑_ _⏖_⏑_ _⏑_⏑_ _⏑_⏑_ ___⏖_⏑_ _____ ⏑__ _⏑_⏑__
paroem paroem paroem 4 da 4 da 4 da 2 an 2 an 2 an 2 an δ 2δ hδ hδ glyc δ ba + ith
472–515: 1. Stasimon Die einzige Triade dieses Chorlieds besteht hauptsächlich aus iambischen und äolischen Versen, vielfach mit Synkope und Katalexe. Strophenpaar 472 = 489 474 = 490 475 = 491 476 = 492 477 = 494 478 = 495 480 = 496 481 = 497 482 = 498 483 = 498b 484 = 499 485 = 500 486 = 501
___⏖__⏖__ ___⏖_⏑_ _⏑_⏑_⏒ ⏑_⏑_ ⏑⏖⏑_ ⏑_⏑_ ⏑_⏑_ _⏑_⏑_⏑_ ⏑_⏑_ _⏑ _⏖_⏑__ _⏑_⏑_⏑_ __⏑_ __⏑_ ___ _⏑_ __⏑_ __⏑_ ⏒__ _⏑⏒ __⏖_⏑_ ⏓_⏑_ __
asclep glyc ith 3 ia ia + lecyth ia + ba aristoph lecyth 2 ia mol + cr 2 ia ba + cr tel + ia + sp
Epode 504 505
_⏖⏑_ __ ⏑⏖⏑_ __
ia + sp ia + sp
248 506 507 508 509 510 511 512 513 514 515
Anhang
_⏖⏑_ __ _⏑_ _⏖⏑_ __ _⏖⏑_ __ __ _⏑_ ___ ___ __⏑_ __ _⏑_ ⏑_⏑_ ___ ⏑⏖⏑_ __
ia + sp cr ia + sp ia + sp sp + cr 2 mol ia + sp cr ia + mol ia + sp
823–870: 2. Stasimon Das 2. Stasimon, ein lyrischer Wechselgesang zwischen Elektra und dem Chor (Kommos), verwendet vorwiegend choriambische und äolische Metren; die Verse und Elektras ganz kurze, oft nur aus Interjektionen bestehende Einwürfe drücken ihre emotionale Aufgewühltheit aus. 1. Strophenpaar 823 = 837 824 = 838 825 = 839 826 = 840 827 = 841 828 = 842 830 = 845 831 = 846 832 = 847 836 = 848
_⏖⏑_ _⏖_ _⏖_ _⏖_ _⏖__ __⏖__ ⏖__ __⏖__ ___⏖__ ⏖__ _ _⏖_ _⏖_ _⏖_ _⏖_ _⏖_ _⏖_ _⏖_ __
ia + cho 2 cho + ad reiz io reiz pher io anc + 2 cho 3 cho 2 cho + sp
2. Strophenpaar 849 = 860 850 = 861 851 = 862 852 = 863 853 = 864 854 = 865 855 = 866 856 = 867 857 = 870
_⏑_ _⏑_⏑_ ____ _⏖__ ____ ____ ____ __⏓ ⏒⏖_⏒_ _⏑_ _⏑⏑ ⏖⏑_⏑_⏑_ ⏑_⏑_ ⏑_⏖_⏖_ _⏖_⏑__
cr + hδ 2 an 2 an paroem δ 2 cr lecyth iambel aristoph
249
Metrische Analysen
1058–1097: 3. Stasimon Das 3. Stasimon besteht aus zwei Strophenpaaren. Die metrische Analyse des ersten ist umstritten, doch scheinen äolische Verse zu überwiegen; das zweite Strophenpaar besteht aus iambischen Rhythmen. 1. Strophenpaar 1058 = 1070 1059 = 1071 1060 = 1072 1061 = 1073 1062 = 1074 1063 = 1075 1064 = 1076 1065 = 1077 1066 = 1078 1067 = 1079 1068 = 1080 1069 = 1081
⏑_⏑_ _⏖_⏑_⏓_ _⏖_ ⏑_⏑_ _⏖_ ⏑_⏑_ _⏖_ ⏑_⏑_ _⏖_⏖_⏑_⏓ __⏖_⏑_ __⏖_⏑_ _⏓_⏖__ _⏖_ ⏑_⏑_ _⏖_ ⏑_⏑_ _⏖_ ⏑_⏑_ _⏖_⏖_⏑__
ia + ¨gl ? cho dim A cho dim A cho dim A alc dec glyc glyc pher cho dim A cho dim A cho dim A alc dec
2. Strophenpaar 1082 = 1090 1083 = 1091 1084 = 1092 1085 = 1093 1086 = 1094 1087 = 1095 1088 = 1096 1089 = 1097
___⏖__ ⏑__ _⏑_ __⏑_ _⏖___ ⏓_⏑_ _⏑_ _⏑_ ⏑__ ⏑_⏑⏕ ⏑_⏑_ ⏑⏖⏑_ ⏑⏖⏑_ ⏑_⏑_ _⏑_ ⏑__
pher ba + cr + ia cho + sp ia + cr cr + ba 2 ia 2 ia ia + cr + ba
1232–1287: Kommos Während in dieser Triade Orest iambische Trimeter spricht, singt Elektra vorwiegend in Iamben und Dochmien, die ihre Aufregung ausdrücken. Strophenpaar 1232 = 1253 1233 = 1254 1234 = 1255 1235 = 1256 1236 = 1257 1237 = 1258 1238 = 1259
⏑_⏑_ ⏑__⏑_ ⏑__⏑_ ⏑⏖_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ⏑_⏓ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_
ia 2δ δ 3 ia 3 ia ba 3 ia
250 1239 = 1260 1240 = 1261 1241 = 1262 1242 = 1263 1243 = 1264 1244 = 1264a 1245 = 1265 1246 = 1266 1247 = 1267 1250 = 1270 1251 = 1261 1252 = 1262
Anhang
⏒__⏑_ _⏖_⏒_ ⏑⏖_⏑_ ⏑__⏑_ ⏑_⏑_ ⏑__ ⏑__ ⏑__ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ _⏑⏕ _⏑_ ⏓⏖⏖⏑⏖ _⏖⏖⏑⏖ _⏑⏖ _⏑⏖ _⏑⏖ _⏖_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_
2δ 2δ ia + ba 2 ba 3 ia 3 ia 2 cr 2δ 3 cr δ 3 ia 3 ia
Epode 1273 1274 1274a 1275 1276 1277 1278 1279 1280 1281 1282 1283 1284 1285 1286 1287
⏑_⏑_ ⏑__⏑_ ⏑⏖_⏑_ __⏑_ ⏑__ _⏑⏖ ⏑⏖_⏑_ _⏑⏖ ⏑⏖_⏑_ ⏑_⏑_ __⏑_ ⏑__ __⏑_ __⏑_ ⏑__ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ⏑__ ⏑__ _⏖_⏖_ ⏑_⏑_ ⏑__ _⏑_ _⏑_⏑ _⏑_⏑ _⏑_ _⏑_⏑ _⏑_⏑ _⏑_⏑ _⏑_⏑ _⏑_⏑ _⏑_⏑ _⏑_⏑__
ia 2δ ia ba cr δ cr δ 2 ia ba 2 ia ba 3 ia 2 ba D ia + ba cr + tr tr + cr + tr 2 tr 2 tr tr + ith
1384–1397: 4. Stasimon Das kurze Lied besteht aus einem Strophenpaar und enthält iambische Metren und Dochmien. Strophenpaar 1384 = 1391 1385 = 1392 1386 = 1393 1387 = 1394 1388 = 1395
⏖⏑_ ⏖⏑_ ⏑⏖_⏑_ ⏑__⏑_ ⏒_⏑_ ⏑_⏑_ ⏑_⏑_ ⏒_⏑_ ⏑_⏑_ ⏑_⏑_ ⏑__⏑_
2 cr 2δ 3 ia 3 ia δ
251
Metrische Analysen
1389 = 1396 1390 = 1397
__⏑_ ⏑_⏑_ __⏑_ ⏑_⏑_ ⏒_⏑_
2 ia 3 ia
1398–1441: Kommos Klytaimestras Tod wird in einer epirrhematischen Szene dargestellt, in der die Schauspieler und der Chor sowohl gesungene Versen als auch iambische Trimeter vortragen. Zu den Schwierigkeiten in der Responsion und der Annahme von Lücken vgl. den Kommentar zu V. 1398–1441 und Finglass [8] zur Stelle. Strophenpaar 1398 = 1422 1399 = 1423 1400 = 1424 1401 = 1425 1402 = 1426 1403 = 1427 1404 = 1427a 1405 = 1427b 1406 = 1427c 1407 = 1428 1408 = 1429 1409 = 1429a 1410 = 1430 1411 = 1431 1412 = 1432 1413 = 1433 1414 = 1434 1415 = 1435 1416 = 1436 1417 = 1437 1418 = 1438 1420 = 1440 1421 = 1441
×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ _⏖_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ __⏑_ _⏑_ _⏑_⏑__ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ _⏖_⏖_ ⏑ _⏖_⏖_ ⏑ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ⏑_⏑_ _⏑_ _⏑_ _⏑_ ⏑_⏑_ ⏑_⏑_ _⏑_⏑_⏒
×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ _⏑_ ⏓ _⏑_ ×_⏑_ ×_⏑_ ⏒_⏑_ ⏑__
3 ia 3 ia 3 ia 3 ia 3 ia 3 ia δ 3 ia 3 ia ia + cr ith 3 ia 3 ia 3 ia 3 ia D⏑e⏓ D⏑e 3 ia 3 ia ia + cr 2 cr 3 ia + ba ith
252
Anhang
Literaturverzeichnis Ausgaben und Kommentare zu Sophokles [1] Sophocles: Fabulae, hrsg. von Hugh Lloyd-Jones und Nigel G. Wilson, Oxford 1990. [2] Sophocles: Tragoediae, hrsg. von Roger D. Dawe, 7 Bde., München 3 1996. [3] The Papyrus Fragments of Sophocles. An Edition with Prolegomena and Commentary, hrsg. von Richard Carden (Texte und Kommentare 7), Berlin 1974. [4] Tragicorum Graecorum Fragmenta, vol. 4 Sophocles, hrsg. von Stefan Radt, Göttingen 1977. [5] Jebb, Richard C.: Sophocles, The Plays and Fragments, with Critical Notes, Commentary, and Translation in English Prose, 8 Bde., Cambridge (Engl.) 1892–31900. [6] Kamerbeek, J. C.: The Plays of Sophocles, 7 Bde., Leiden 1959–84. [7] Sommerstein, Alan H., Fitzpatrick, David und Talboy, Thomas: Sophocles, Selected Fragmentary Plays, 2 Bde., Oxford 2006. Ausgaben und Kommentare der Elektra [8] Finglass, Patrick J.: Sophocles, Electra (Cambridge Classical Texts and Commentaries 44), Cambridge (Engl.) 2007. [9] Kaibel, Georg: Sophokles Elektra, Leipzig 1896. [10] Kells, J. H.: Sophocles, Electra, Cambridge (Engl.) 1973 (Nachdruck 1997). [11] March, Jennifer: Sophocles, Electra, Edited with Introduction, Translation and Commentary, Warminster 2001. [12] Schneidewin, Friedrich W., Nauck, August und Bruhn, Ewald: Sophokles erklärt, Fünftes Bändchen: Elektra, Berlin 101912. [13] Scholia vetera in Sophoclis Electram, hrsg. von Georgios A. Xenis (Sammlung griechischer und lateinischer Grammatiker 12), Berlin 2010. Ausgaben und Kommentare anderer Tragödien [14] Bond, Godfrey W.: Euripides Heracles, with Introduction and Commentary, Oxford (Nachdruck 1990). [15] Bruhn, Ewald: Sophokles erklärt von F. W. Schneidewin und A. Nauck. Achtes Bändchen: Anhang, Berlin 1899 (Nachdruck 1963). [16] Dale, Anne M.: Euripides Alcestis Edited with Introduction and Commentary, Oxford 1954 (Nachdruck 1987).
Literaturverzeichnis
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[17] Dale, Ann M.: Euripides Helen Edited with Introduction and Commentary, Oxford 1967 (Nachdruck London 1996). [18] Davies, Malcolm: Sophocles, Trachiniae, with Introduction and Commentary, Oxford 1991 (reprint 1996). [19] Dawe, Roger D.: Sophocles, Oedipus Rex, Cambridge (Engl.). [20] Easterling, Patricia E.: Sophocles, Trachiniae, Cambridge (Engl.) 1982. [21] Finglass, Patrick J.: Sophocles Ajax (Cambridge Classical Texts and Commentaries 48), Cambridge (Engl.) 2011. [22] Fraenkel, Eduard: Aeschylus, Agamemnon, Edited with a Commentary, Oxford 1950. [23] Garvie, Alexander F.: Aeschylus Choephori, Edited with Introduction and Commentary, Oxford 1986 (verbesserter Nachdruck 1988). [24] Griffith, Mark: Sophocles, Antigone, Cambridge (Engl.) 1999. [25] Kannicht, Richard: Euripides Helena, herausgegeben und erklärt, 2 Bde., Heidelberg 1969. [26] Lee, Kevin H.: Euripides Troades, Edited with Introduction and Commentary, London 1976 (Nachdruck 1997). [27] Manuwald, Bernd: Sophokles König Ödipus, herausgegeben, übersetzt und kommentiert, Berlin 2012. [28] Mastronarde, Donald J.: Euripides Medea, Cambridge (Engl.) 2002. [29] Mastronarde, Donald J.: Euripides Phoenissae Edited with Introduction and Commentary (Cambridge classical texts and commentaries 29), Cambridge (Engl.) 1994. [30] Matthiessen, Kjeld: Euripides Hekabe, herausgegeben, kommentiert und übersetzt, Berlin 2008. [31] Murray, Gilbert: The Electra of Euripides. Translated into English Rhyming Verse with Explanatory Notes, London 1906. [32] Parker, L. P. E.: Euripides, Alcestis. With Introduction and Commentary, Oxford 2007. [33] Roisman, Hanna M. und Luschnig, Cecelia A. E.: Euripides’ Electra. A Commentary (Oklahoma series in classical culture 38), Norman. [34] Roth, Peter: Euripides, Hippolytos, herausgegeben, kommentiert und übersetzt, Berlin 2015. [35] Schein, Seth L.: Sophocles, Philoctetes, Cambridge (Engl.) 2013. [36] Seeck, Gustav Adolf: Euripides, Alkestis, herausgegeben, kommentiert und übersetzt, Berlin 2008. [37] Sommerstein, Alan H.: Aeschylus Eumenides, Cambridge (Engl.) 1989. [38] Tragicorum Graecorum Fragmenta, vol. 3 Aeschylus, hrsg. von Stefan Radt, Göttingen 1985. [39] Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Euripides Herakles, 3 Bde., Berlin 21895 (Nachdruck Darmstadt 1981). [40] Willink, Charles W.: Euripides Orestes with an Introduction and Commentary, Oxford 1986 (Nachdruck 1989).
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Anhang
Sekundärliteratur [41] Abbate, Carolyn: „Elektra’s Voice: Music and Language in Strauss’s Opera“, in: [319], 107–27. [42] Aigner, Petra: „Zum Maschalismos“, in: [321], 107–22. [43] Alexanderson, Bengt: „On Sophocles’ Electra“, CM 27 (1966) 79–98. [44] Alexiou, Margaret: The Ritual Lament in Greek Tradition, hrsg. von Dimitrios Yatromanolakis und Panagiotis Roilos, Lanham 2002. [45] Allen, Archibald: „Electra’s Hair“, AJPh 107 (1986) 246–248. [46] Altmeyer, Markus: Unzeitgemässes Denken bei Sophokles (Hermes Einzelschr. 85), Stuttgart 2001. [47] Antikerezeption heute. Protokoll eines Kolloquiums, hrsg. von Max Kunze (Beiträge der Winckelmanngesellschaft 13), Stendal 1985. [48] Antonaccio, Carla M.: Tomb Cult and Hero Cult in Early Greece, Lanham 1995. [49] Antoniou, Michaela: Acting Tragedy in Twentieth-Century Greece: The Case of Electra by Sophocles, Diss. London 2012. [50] Arktouros. Hellenic Studies Presented to Bernard M. W. Knox on the Occasion of his 65th Birthday, hrsg. von Glenn W. Bowersock, Walter Burkert und C. J. Putnam, Berlin 1979. [51] Bain, David: „[Euripides], Electra 518–44“, BICS 24 (1977) 104–116. [52] Bakker, Egbert J.: „Ὅσπερ en εἴπερ, en aspect van attische conversatie“, Lampas 19 (1986) 142–58. [53] Bakogianni, Anastasia: „The Taming of a Tragic Heroine: Electra in Eighteenth Century Art“, IJCT 16 (2009) 19–57. [54] Bakogianni, Anastasia: Electra Ancient and Modern: Aspects of the Reception of the Tragic Heroine (Bulletin of the Institute of Classical Studies Supplement 113), London 2011. [55] Barrett, James C.: „Mêtis in Sophocles’ Electra“, TuP 19 (1998) 16– 23. [56] Barrett, William Spencer: Greek Lyric, Tragedy, and Textual Criticism. Collected Papers, Oxford 2007. [57] Barrett, James: Staged Narrative: Poetics and the Messenger in Greek Tragedy, Berkeley (Calif.) 2002. [58] Barrett, William S.: „Niobe“, in: [3], 171–235. [59] Bechet, Florica: „Electra, the Father’s Daughter: (Sophocles, Electra, first episode, duo, 328–471)“, StudClas 31–33 (1995–1997) 17–25. [60] Becker, Heinrich Theodor: Aischylos in der griechischen Komödie, Darmstadt 1915. [61] Behler, Ernst: „A. W. Schlegel and the NinetNine-Century Damnatio of Euripides“, GRBS 27 (1986) 335–67. [62] Behler, Ernst: „Der Ursprung des Begriffs der tragischen Ironie“, Arcadia 5 (1970) 113–42.
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