120 19 5MB
German Pages [200] Year 2015
Martina Siems
Sofie Lazarsfeld Die Wiederentdeckung einer individualpsychologischen Pionierin
Mit 17 Abbildungen
V& R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0360-8 ISBN 978-3-8470-0360-1 (E-Book) Veröffentlicht mit Unterstützung des Forschungsrats der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt aus den Förderungsmitteln der Privatstiftung Kärntner Sparkasse. Ó 2015, V& R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Sofie Lazarsfeld; Ó Nationalbibliothek Österreich in Wien,
ÖNB Bildarchiv und Grafiksammlung. Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt
Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
2 Lebensstationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Von Schlesien nach Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Elternhaus und Kindheit . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Schulzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Jugend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Partnerschaft und Eheschließung . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Heirat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Hochzeitsreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Frühe Ehejahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Eigene Wohnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2. Ehekrise – Das Paternitätsgesetz . . . . . . . . . 2.3.3. Geburt der Kinder – Tod der Mutter . . . . . . . 2.4 Beginn des 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Familienjahre – Kultur- und Sozialleben in der Vorkriegszeit (1903 bis 1914) . . . . . . . . . . . 2.4.2 Kulturleben im Wien der Jahrhundertwende . . . 2.4.3 Etablierung in der bürgerlichen Gesellschaft . . . 2.4.4 Der erste Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.5 Basedow-Erkrankung . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Inspirierende Begegnungen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Eine lebenslange Freundschaft – Friedrich Adler 2.5.2 Neue Freundinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Zwei neue Welten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7 Engagement für die Individualpsychologie . . . . . . . . 2.8 Die Jahre von 1918 bis 1934 . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9 Politische Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
13 13 15 19 21 25 25 26 28 28 30 31 34
. . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
34 35 37 38 43 46 46 49 55 57 62 64
6
Inhalt
2.10 Europareisen und europäisches Frauennetzwerk . . . . . . . 2.10.1 WOWO, Women’s Organisation for World Order . . . 2.11 Flucht und Emigration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.11.1 Paris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.11.2 New York . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.11.3 Nachkriegszeit: Sommermonate in Europa . . . . . . . 2.11.4 Individualpsychologin in New York – Spätwerk (1941 – 1960) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.12 Lebensende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
68 69 70 71 73 76
. . . .
77 80
3. Pädagogische Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Entwicklung von pädagogischen Konzepten in der Zeitgeschichte 3.2 Die Erziehungsidee der Individualpsychologie . . . . . . . . . . . 3.2.1 Historische Bedingung der Individualpsychologie – Rotes Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2. Die Praktische Umsetzung: Beispiel Versuchsschule . . . . 3.3 Werkanalyse Sofie Lazarsfeld: Psychologische Pädagogik . . . . . 3.3.1 Richtige Lebensführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.1 Vom häuslichen Frieden . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Technik der Erziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Familien- oder Gemeinschaftserziehung – Handbuch der Individualpsychologie (1927) . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Mut zur Unvollkommenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81 82 90
4. Frauenfrage, Sexualität und Geschlechterrollen . . . . . . . . . . . 4.1 Historische Entwicklung der Frauenbewegung in Österreich . 4.2 Die Individualpsychologie zu Sexualität und Frauenrolle . . . 4.3 Individualpsychologinnen zum Geschlechterrollenverständnis 4.4 Sexualaufklärung, Eheberatung und Frauenfrage . . . . . . . 4.4.1 Sexualität und Sexualaufklärung . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Ehe und Partnerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2.1 Treue in Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2.2 Eifersucht – ein Störfaktor . . . . . . . . . . . . 4.4.3. Persönlichkeitsentwicklung von Frauen durch Berufstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3.1 Ehe und Berufstätigkeit . . . . . . . . . . . . . 4.4.4 Beratungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
95 98 101 101 102 106 111 115 117
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
119 119 125 130 134 136 141 144 146
. . . .
. . . .
147 149 154 156
7
Inhalt
5. Abschließende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Sofie Lazarsfeld im Kontext der psychologischen Pädagogik 5.2 Sofie Lazarsfeld im Kontext von Frauenfrage und Geschlechterverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Sofie Lazarsfeld als Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
159 159
. . . . . .
160 162
. . . . . . . . . . . . .
165 172 173 173 173 175 176 178 178 178 178 180 180
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
183 184 185
. . . . . .
186 188 192 193 197 199
6. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Internetquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Unveröffentlichte Quellen – Privatbesitz Zerner . . . . . . . . 6.3 Briefwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Sofie Lazarsfeld und Elin Wägner von 1935 bis 1948 . 6.3.2 Sofie Lazarsfeld und Friedrich Adler von 1916 bis 1960 6.4 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Zeitungsartikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1.1 Die Moderne Frau . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1.2 Arbeiterzeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1.3 Bunte Woche (Wien) . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1.4 Verschiedenes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1.5 Rezensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Stammbaum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Heiratsurkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Vermögensverzeichnis von jüdischen Bürgern unter Naziherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Zeitungsmeldungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 Certificate as Psychologist . . . . . . . . . . . . . . . 7.6 Fotos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.7 Brief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.8 Todesanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
Dank
Die vorliegende Arbeit ist die geringfügig überarbeitete und gekürzte Fassung meiner Dissertation, die im Jahr 2013 vom Institut für Psychologie der AlpenAdria Universität Klagenfurt angenommen wurde. Frau Prof. Dr. MenschikBendele (Klagenfurt) danke ich herzlich für ihre interessierte und liebenswürdige Betreuung. Weiterhin danke ich Herrn Prof. Dr. Dr. Danzer (Potsdam, Berlin, Neuruppin), der mit wichtigen Anregungen meine Recherchen und Forschungen in der Individualpsychologie unterstützte. Der aufmunternde Expertenkreis in Potsdam hat stets die Motivation geschürt und mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Ihnen gebührt ein herzlich verbundener Dank. Ganz besonderer Dank gilt Prof. Lotte Bailyn, Prof. Martin Zerner und Prof. Henri Zerner, die mir unvoreingenommen mit großer Offenheit und Wohlwollen persönliche Schriften aus dem Nachlass von Sofie Lazarsfeld zur Verfügung stellten und mit mir ihre Erinnerungen teilten. Große Unterstützung erfuhr ich in Wien, besonders im Paul-Lazarsfeld-Archiv (Herr Domes und Frau Mag.a Spitta) und im Archiv des VGA – Verein zur Geschichte der Arbeiterbewegung (Frau Mag.a Maier und Herr Dr. Maderthaner). Herzlichen Dank für Ihre Gastfreundschaft. Für die engagierte Textkorrektur danke ich der liebenswürdigen Eleni Efthimiou. Die größte Förderung wurde mir durch meine Familie gewährt. Ich bedanke mich bei meinen Töchtern Frederieke und Annelie für ihre Rechercheunterstützung in den USA und ihre unermüdliche Hilfe, mein Englisch zu verbessern. Meinem Ehemann Volker danke ich besonders herzlich für die anhaltende, interessierte und liebende Begleitung beim Schreiben und unsere Reisen nach Wien und Paris.
Martina Siems
1
Einleitung
Sofie Lazarsfeld (1881 – 1976) wurde von Alfred Adler (1870 – 1937) als Percy Heissporn1 der Individualpsychologie betitelt.2 Sie ist heute nur noch wenig bekannt, war aber in der Hochphase der Individualpsychologie nach einer Laienausbildung zur psychologischen Beraterin ein über die Grenzen von Österreich beachtetes Mitglied der Wiener Gruppe. Besonders für ihre Schriften zur Frauenrolle, Gleichberechtigung, Partnerschaft und Erziehung wurde sie häufig zu Vorträgen geladen. Sie veröffentlichte Artikel in Zeitschriften und Tages- bzw. Wochenpresse. Ihre Schriften weisen auf ein großes Engagement hin. Vor allem in den praktischen Bereichen der Individualpsychologie galt sie als sehr aktiv. Sie war eine der ersten Schülerinnen Alfred Adlers, die eine Beratungspraxis eröffnete. Sofie Lazarsfeld widmete sich Erziehungsfragen, der Eheberatung und Sexualberatung. Damit galt sie als Pionierin ihrer Zeit. Die praktische Arbeit konnte sie auch nach ihrer Emigration erfolgreich fortsetzen. Das führte in den USA zur beruflichen Anerkennung als Psychologin. Der Verein für Individualpsychologie in Wien zeichnete sich durch einen hohen Frauenanteil von 50 Prozent aus. Diese hoch motivierten, politisch engagierten Frauen prägten mit ihrer humanistisch-idealistischen Haltung den Verein. Voller Tatendrang erschlossen sie neue Praxisfelder.3 Sofie Lazarsfeld wurde eine der emsigsten und im historischen Kontext innovativsten Mitarbeiterinnen des Vereins für die Individualpsychologie in Wien. Biographien weiblicher Mitglieder der Individualpsychologie sind in zusammenfassenden Darstellungen oder Überblickswerken zur Geschichte der Individualpsychologie referiert,4 allerdings fehlen ausführliche Rezitationen. 1 Der Ausspruch ist angelehnt an eine Figur aus Shakespeares Werk König Heinrich IV. 2 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 128. 3 Handlbauer, B. (2004). Psychoanalytikerinnen und Individualpsychologinnen im Roten Wien in D. Ingrisch, I. Korotin & Zwiauer, Ch. (Hg.), Die Revolutionierung des Alltags (S. 75 – 100). Frankfurt am Main: Verlag: Peter Lang; S. 83.2. 4 Vgl. Friebus-Gergely, D. (2002). Sophie Lazarsfeld oder »Wie die Frau den Mann erlebt«. In A. L¦vy & G. Mackenthun (Hg.), Gestalten um Alfred Adler – Pioniere der Individualpsychologie
12
Einleitung
Der hohe Anteil der Frauen und ihre jeweiligen Werke sind bis heute in dem Kreis der Tiefenpsychologie unterrepräsentiert. Nach ersten Recherchen verfestigte sich die Idee, Sofie Lazarsfeld als Protagonistin einer auch von Frauen stark geprägten Psychologierichtung besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Besonders beachtenswert ist ihr später Einstieg in ein geistiges und lernintensives Thema, die Individualpsychologie, im Alter von ca. vierzig Jahren. Auch war es im historischen Kontext der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts nicht selbstverständlich, als verheiratete Frau und Mutter, eine Berufstätigkeit fest zu etablieren. Zu bedauern ist, dass mehr als 100 Jahre nach Gründung des Vereins für Individualpsychologie, die Schriften und die praktischen Impulse in Therapie- und Beratungsansätzen Sofie Lazarsfelds in Vergessenheit gerieten. Das vorliegende Werk wurde in zwei Abschnitte gegliedert. Der erste längere Teil beinhaltet eine ausführliche Biografie Sofie Lazarsfelds, die vor allem durch die großzügige Offenheit ihrer Enkel – Lotte Bailyn, Henri Zerner und Martin Zerner in Boston und Paris – ermöglicht wurde. Sie stellten mir umfangreiche unveröffentlichte Aufzeichnungen, Briefe und Fotos zur Verfügung, für die ich unendlich dankbar bin. Eine weitere große Informationsquelle zum Leben von Sofie Lazarsfeld war ein Teil des Nachlasses im Archiv der Geschichte der Arbeiterbewegung in Wien und ein archivierter Briefwechsel in der Universitätsbibliothek in Göteborg. Für den großen Themenbereich der psychologischen Pädagogik wurden erste Schriften aus der individualpsychologischen Arbeitsgruppe um Sofie Lazarsfeld verwendet. Zusätzlich fanden sich diverse Veröffentlichungen in der Zeitschrift für Individualpsychologie. Neben diesen Artikeln konnten in verschiedenen Bibliotheken in Wien Zeitungsartikel in Tages- oder Wochenzeitungen gefunden werden. Alle Werke sind nur noch antiquarisch aufzufinden. Als ein Hauptwerk Sofie Lazarsfelds gilt die Schrift Wie die Frau den Mann erlebt, das nach der Veröffentlichung 1931 später in mehreren Ländern und anderen Sprachen verbreitet wurde und als Grundlage für die Abschnitte zur weiblichen Persönlichkeitsentwicklung verwendet wurde. Mit diesen nach ersten Recherchen ermutigenden Funden ergab sich die Motivation für meine Dissertationsschrift, die hiermit leicht verändert veröffentlicht wird.
(S. 157 – 174). Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann GmbH; Handlbauer, B. (2004). Psychoanalytikerinnen und Individualpsychologinnen im Roten Wien. A.a.O.; Kenner, C. (2007). Der zerrissene Himmel – Emigration und Exil der Wiener Individualpsychologie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
2
Lebensstationen
Sofie Lazarsfeld begann im Alter von 90 Jahren, motiviert durch ihren Sohn Paul, ihre Lebenserinnerungen aufzuschreiben. Diese Manuskripte wurden nicht veröffentlicht. Sie befinden sich bis heute als Familienerinnerungen im Besitz des Enkelsohns Martin Zerner (Sohn von Sofie Lazarsfelds Tochter Elisabeth). Sofie Lazarsfeld schrieb einen ersten langen zusammenhängenden Teil während ihres neunzigsten Lebensjahres und verfasste später weitere kleinere neue Abschnitte und berichtigte oder erweiterte die vorige Fassung. Im Jahre 1975 veränderte sie die Anfangsabschnitte nochmals, weitere Details wurden hinzugefügt und sie versah die Manuskripte mit einer Überschrift: Ein Jahrhundert der Wandlungen gespiegelt in einem Einzelschicksal 1881 – 1975. Weitere Informationen und biographische Daten konnten aus verschiedenen Briefwechseln Sofie Lazarsfelds u. a. mit Elin Wägner und Friedrich Adler gewonnen werden.
2.1
Von Schlesien nach Wien
Sofie Lazarsfeld,5 geborene Munk, wurde am 26. Mai 18816 in Troppau im heutigen Tschechien geboren.7 Troppau, das heutige Opava, gehörte Mitte des 19. Jahrhunderts zum Kaiserreich Österreich-Ungarn. Seit 1675 zählte Troppau zu Schlesien, das als Land der böhmischen Krone vom Hause Habsburg regiert wurde. Im Siebenjährigen Krieg (1756 – 1763) wurde das Land geteilt, ein Teil 5 Für den Namen Sofie Lazarsfeld wird in den folgenden Abschnitten über Kindheit und Jugend zur besseren Lesbarkeit nur der Vorname verwendet, Anm. der Verfasserin. 6 In einigen Berichten über Sofie Lazarsfeld wird als Geburtsjahr 1882 angegeben. Laut ihrer eigenen Aufzeichnungen und Ansicht der Heiratsurkunde kann nun von dem richtigen Geburtsdatum im Jahre 1881 ausgegangen werden. 7 Beleg erfolgt durch die Heiratsurkunde, Matrikelamt der israelitischen Kultusgemeinde Österreichisches Staatsarchiv, Bereich Finanzen, Dokumentation Fonds zur Hilfeleistung an politisch Verfolgte, die ihren Wohnsitz und ständigen Aufenthalt im Ausland haben, Vorgang 08636.
14
Lebensstationen
Schlesiens gehörte von dort an zum damaligen Preußen. Troppau verblieb im österreichischen Teil, regiert von Kaiserin Maria Theresia. Die Grenze war unmittelbar am Fluss (Oppa) in Troppau erfahrbar. Sofie Lazarsfeld erinnerte sich an diese Örtlichkeiten: Der Fluss ist ungefähr sechs Meter breit und so sanft, dass wir Kinder als ein beliebtes Spiel quer durchschwommen, die schwarz weissen Pfähle berührten und zurückkommend triumphierten, dass wir eben aus Deutschland angekommen seien.8
Durch die Ausweitung des österreichischen Eisenbahnnetzes fand Troppau immer mehr Anschluss an Österreich. In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts war es möglich, mit der Bahn in etwa fünf bis sieben Stunden nach Wien zu gelangen. Ab 1867 kam es mit den Verträgen zum Österreichisch-Ungarischen Ausgleich zur Emanzipation der Juden in Österreich. Das beinhaltete seit der Revolution von 1848 das Berufswahlrecht und freie Religionszugehörigkeit. Entscheidend kam 1867 die Siedlungsfreiheit hinzu, die in den folgenden Jahren zur Migration der jüdischen Bevölkerung führte. Es kam zu großen Ansiedlungen in den Städten des Österreich-Habsburgischen Reiches. In Wien siedelten sich in den Jahrzehnten, nach Einführung des Gesetzes, bis 1890 etwa 110 000 jüdische Mitbürger an. Die Zuwanderung dieser Bevölkerungsgruppe löste viele kulturelle Veränderungen aus. Durch Arbeit und Bildung wollten jüdische Familien die gesellschaftlichen Unterschiede zum Bürgertum in Wien aufheben. Viele Juden entschieden sich für höhere Schulabschlüsse und studierten an den Universitäten. Zu diesen gut ausgebildeten jungen Menschen gehörten z. B. auch Sigmund Freud und Alfred Adler. Auch für Frauen änderten sich die Bedingungen allmählich, was Bildung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben anging. Töchter von bildungsinteressierten Familien erlangten höhere Schulabschlüsse und durften ab Beginn des 20. Jahrhunderts die Universitäten besuchen. Aber nicht nur positive historische Veränderungen erlebte die jüdische Bevölkerung. Zeitgleich entwickelte sich ein stetig zunehmender Antisemitismus9. Bereits sechs Jahre nach dem Emanzipationsgesetz kam es zu Hasstiraden gegenüber jüdischen Bankiers beim Börsenkrach 1873. Auch wuchs eine allgemeine Fremdenfeindlichkeit, z. B. stellten christliche Hospitäler keine jüdischen Ärzte ein. Mit der Wahl des Wiener Bürgermeisters Dr. Karl Lueger erfolgte eine deutliche politische Orientierung zum Nationalismus und Antisemitismus.10 In diesen wechselhaften Zeiten wuchs Sofie Lazarsfeld zunächst in Schlesien, und später in Wien auf. 8 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 1. 9 vgl. Hamann, B. (2009). Österreich Die Deutschen und ihre Nachbarn. Helmut Schmidt und Richard von Weizsäcker (Hg.). München: Beck. S. 103 – 116. 10 Zunächst verweigerte Kaiser Franz Josef I. die Ernennung Karl Luegers zum Bürgermeister, da er die Gleichberechtigung der Bürger nicht gewährleistet sah. Durch Einwirkung der
Von Schlesien nach Wien
15
2.1.1 Elternhaus und Kindheit Sofie Lazarsfeld war die Tochter von Moriz Munk und Henriette Munk, geborene Böhm.11 Berichte über Großeltern oder weitere Vorfahren liegen nicht vor. In ihren 1971/72 niedergeschriebenen Erinnerungen berichtete Sofie Lazarsfeld von eigenen Nachforschungen zu ihrem Mädchennamen Munk, den sie skandinavischen Ursprungs zuordnete. Das gefiel ihr persönlich besonders gut, weil sie durch ihre späteren Reisen eine Vorliebe für die skandinavischen Länder entwickelt hatte und es bedauerte, so wenig Gelegenheiten gehabt zu haben, diese Länder zu besuchen. Dem Mädchenname Böhm ihrer Mutter wurde eine Hugenottenvergangenheit zugeschrieben. Die Vorfahren seien möglicherweise mit den großen Hugenottenwanderungen nach Böhmen gekommen und die Ortsansässigkeit bestimmte den Nachnamen.12 […] deutete er an, dass viele Hugenotten nach der Bartholomäus Nacht nach Österreich geflüchtet wären, um ihr Leben zu retten. Schoen, aber wieso wurden sie Juden? Die Erklärung, die er gab ist folgende: Als Protestanten konnten sie sich nicht deklarieren, das hätte sie in ein ähnliche wenn auch mindere Misere geführt, sich katholisch zu nennen, war mit ihrem Gewissen nicht vereinbar, wenn sie das gekonnt hätten, wären sie ja besser in ihrer Heimat geblieben. Es war damals vorgeschrieben sich zu einer Religion zu bekennen, so blieb nur sich jüdisch zu erklären. Ihren französischen Namen tauschten viele und nannten sich nach dem Land, in das sie geflüchtet waren.13
Das war die Erklärung dafür, warum die Familie der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörte. Im Leben von Sofie Lazarsfeld und der Familie hatte die jüdische Religion allerdings kaum eine geistige oder praktische Relevanz. Eine belastende Rolle spielte sie dann in dramatischer Weise im nationalsozialistischen Österreich. Sofie Lazarsfeld lebte seit ihrem vierten Lebensjahr, nachdem der Vater katholischen Kirche kam es letztlich zum Sieg. Er wurde ein Volkstribun und baute politisch auf den Antisemitismus, vgl. Hamann, B. (2009), A.a.O. 11 Trauungszeugnis (1915), Bescheinigung der israelitischen Kultusgemeinde; Matrikelamt Wien, A.a.O. 12 Nach der Verbreitung der Reformation (1517) wenden sich immer mehr Gebiete in Europa der protestantischen Glaubensrichtung zu. In Frankreich bekannten die Hugenotten sich zu einer anderen Glaubensrichtung, was zu Konflikten in Frankreich führte. Katholiken und Protestanten konnten sich nicht auf ein Nebeneinander im Staat einigen und es kam zum Bürgerkrieg mit der Entwicklung einer Gewaltwelle gegenüber den Hugenotten mit unzähligen Morden an Hugenottenführern. In der Bartholomäusnacht (1572) wurden bis zu 20 000 Menschen ermordet. Zwischenzeitlich kam es durch das Edikt von Nantes zu einer relativen Religionsfreiheit, die aber durch die Herrschaft Kardinals Richelieus wieder aufgehoben wurde. In der Folge kam es zu einer Fluchtwelle in bereits schon reformierte Gebiete Europas. Böhmen gehörte im Grenzgebiet zu Preussen dazu. (vgl. DTV-Weltatlas Geschichte S. 240 – 247). 13 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 2.
16
Lebensstationen
(Geburtsdaten und Beruf nicht bekannt) gestorben war, ohne weitere Geschwister allein mit ihrer Mutter zusammen.14 Die Eltern waren beide, für damalige Verhältnisse, in einem fortgeschrittenen Alter – Mutter 30 Jahre, Vater 50 Jahre alt – als sie heirateten. Im zehnten Jahr der Ehe kam Sofie als einziges Kind auf die Welt. Die Mutter ging nicht mehr von einer Schwangerschaft aus und wurde vom Hausarzt aufgrund vermeintlicher menopausaler Beschwerden in ein Kurbad geschickt. Dort wurde die richtige Diagnose gestellt, die Schwangerschaft. Den Vater hatte Sofie in sehr guter Erinnerung. Sie erinnerte sich an regelmäßige Spaziergänge im Park mit ihm. In liebevoller und zugewandter Atmosphäre gehörte zu dem Spaziergang das Naschen einer Karlsbader Oblate. Der Vater zerbrach sie immer in zwei Hälften und reichte sie ihr. Zeit Lebens aß Sofie Lazarsfeld die Karlsbader Oblaten auf diese Weise. Der Vater verstand es, der kleinen Sofie früh Selbstvertrauen zu geben und sich als selbständige Person zu fühlen. Er ließ sich allabendlich ein Bier in einem Krug durch eine Hausangestellte bringen. Sofie hatte einen eigenen kleinen Krug und durfte sich auch immer etwas zapfen lassen, es selber kaufen und das Bier nach Hause tragen (»Ich habe keine Erinnerung je einen Schluck getrunken zu haben, aber es machte mich stolz«15). Von der weiteren Familie des Vaters habe sie lediglich eine Schwester des Vaters in Erinnerung, da sie einmal zu einer Hochzeit einer Cousine eingeladen war. Weitere persönliche Kontakte zu anderen Verwandten hatte Sofie nicht. Erinnerungen an den früh verstorbenen Vater waren immer emotional positiv, zur Mutter hatte sie eher ein distanziertes Verhältnis. Ich habe keine gefühlsbetonte Erinnerung an meine Mutter alles das ich erinnere ist rationel. So weiss ich ganz genau, dass ich im Trauerjahr nach meines Vaters Tod zu meiner Mutter ging und ihr sagte sie müsse bald wieder heiraten, damit, falls sie auch bald sterbe, jemand anders auf mich aufpassen würde.16
Als Sofie sieben Jahre alt war, reiste die Mutter nach Wien, um sich erneut um eine Eheschließung zu kümmern. Sie hatte sich an eine berufsmäßige Heiratsvermittlerin gewandt. Die Brautschau in Wien war erfolgreich und ein Umzug dorthin sollte stattfinden, als plötzlich ein Telegramm in Troppau eintraf, das der zukünftige Ehemann geschickt hatte. Es gab eine Verwicklung aufgrund des Vermögens der Mutter. Ihr Erbe war durch den Onkel verwaltet worden, der das Geld für seine Zwecke verwendete und daraufhin war keine Mitgift vorhanden.17 14 15 16 17
Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 2. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 9. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 4. Der Bruder der Mutter hatte nach dem Tod des Vaters die finanziellen Geschäfte in die Hand genommen und kümmerte sich um das ansehnliche Erbe von 30 000 Gulden, die der Mutter
Von Schlesien nach Wien
17
Sofie Lazarsfeld beschrieb eine sehr getroffene und auch »geistesabwesende« Mutter nach dieser Nachricht. Das vermeintliche Unglück konnte aber durch die Heiratsvermittlerin aufgeklärt werden und der auserwählte neue Partner mochte die Mutter wohl sehr und willigte letztlich in die Heirat ein. Der zweite Ehemann war nach Erzählungen von Sofies Enkel Henri Zerner strenggläubiger Jude und achtete auf eine koshere Haushaltsführung.18 Henri Zerner kann sich an Berichte seiner Großmutter erinnern, dass seine Urgroßmutter einiges Talent besaß, bei der kosheren Haushaltsführung geschickt zu schummeln, denn die Familie hatte bisher nicht nach den entsprechenden jüdischen Ritualen gelebt. Die Schummeleien bereiteten Sofie oft großes Unbehagen. Sie hatte als Kind eine überkorrekte Einstellung, die Unwahrheiten nicht duldete.19 Die Familie wohnte in der Praterstrasse jenseits des Donaukanals im Zweiten Bezirk Wiens. Die Praterstrasse galt seit dem 18. Jahrhundert als Paradestrasse, die vom Donaukanal zum Prater führt. Sie war häufig bevölkert mit hochherrschaftlichen Gefährten der Aristokratie, die zum Vergnügen und zur Erholung in den Prater fuhren. Doch der Anfang dieser Straße unmittelbar am Donaukanal hatte einen anderen Charakter. In dieser Umgebung wohnte die Familie in der Nähe des Geschäfts des Stiefvaters.20 Aber das gilt nicht für die ersten paar hundert Meter der Strasse, die sogar eine andere Zufahrt hatte als der elegante Teil. Dort war es eine recht armselige Strasse, bevoelkert fast ausschließlich von Kleingewerbe Treibenden, die ein recht kümmerliches Bild ergaben, zusammengesetzt, aus winzigen schäbigen Kramläden. Mein Stiefvater hatte mitten drin sein winziges Lokal das sich »Optiker und Juvelier« nannte. […] Dorthin waren wir übersiedelt. Und so eng wie das äussere Leben war auch das geistige, eng und kümmerlich. Das natürlich erlebte ich später, aber irgendwie muss ich es gespürt haben.21
Am 1. Mai 1890 diente die Praterstrasse als Weg für einen großen Aufmarsch der Arbeiter.22 Die Sozialdemokraten mobilisierten für diesen Aufmarsch 200.000 Arbeiter. Sofie blieb eine beeindruckend große Menge Menschen mit einer roten Nelke im Knopfloch in Erinnerung. Alle späteren Fassungen ihrer Lebenserinnerungen23 beginnen mit der Schilderung dieses ersten »Tag der Arbeit«. Sie
18 19 20 21 22 23
zugesprochen worden waren. Weitere 30 000 Gulden gehörten Sofie, waren aber bis zur Volljährigkeit festgelegt, bis dahin war kein Zugriff möglich. Gespräch am 16. 10. 2011 in Boston mit Henri Zerner, Enkelsohn. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 13 – 14. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 15. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 14 – 15. Das erste Mal riefen die Sozialdemokraten zu einem Aufmarsch der Arbeiter auf. Der erste Tag der Arbeit war mit der Forderung der Einführung eines Acht-Stunden-Tags verknüpft, vgl. Ackerl, I. (2008), S. 55. In dem Nachlass von Sofie Lazarsfeld, der sich bei dem Enkel Martin Zerner in Paris befindet,
18
Lebensstationen
berichtete von einer Atmosphäre des Schreckens, die die Bewohner in der Praterstrasse umgab. Angesichts der Massen befürchteten die Anwohner mögliche Gewaltausbrüche. Die Bevölkerung dachte, es marschierten »Banditen« auf. Sie fand es nicht nur beeindruckend, dieses Ereignis als Kind miterlebt zu haben, sondern schloss sich später sogar dieser Bewegung an. Sie wurde nicht zuletzt durch die enge Freundschaft mit Friedrich Adler24 eine engagierte und überzeugte Sozialdemokratin. In Wien erlebte Sofie einen Wandel von dem gutsituierten Leben in Troppau, das sich in einem Haus mit Garten und Blick ins Grüne abspielte, gegenüber einer beengten Wohngegend in einer schmalen, betriebsamen Straße einer Stadt. Das familiäre Leben beschrieb Sofie als karg mit einer geistig trostlosen Atmosphäre. Konzert- und Theaterbesuche fanden – anders als in Troppau – nicht mehr statt. In Troppau hatte die Familie eine Dauerloge im Stadttheater. Literatur vermisste sie ebenfalls in dem Haushalt der Praterstrasse, da sie sehr lesefreudig war. Als Kind hatte sie die einzigen Bücher im Haushalt immer und immer wieder gelesen. Wahrscheinlich gelangte eine Lessing-Gesamtausgabe als Schuldenbezahlung eines Kunden in den Haushalt. Emilia Galotti und Minna von Barnhelm konnte sie jederzeit sogar nachspielen25. Auch Gedichte von Lessing rezitierte sie bereits im Alter von zehn Jahren. Ihre Mutter forderte sie gern auf, Besuchern ein Gedicht vorzutragen. Einmal entschied Sofie sich ganz unbedarft für ein delikates Gedicht: So wählte ich einmal zufällig folgendes »Gedicht« von Lessing : Ein Hurenhaus geriet in Brand Da sprangen zu helfen oder retten Ein dutzend Moenche aus den Betten. Ein Hurenhaus geriet in Brand. Der gewohnte Applaus blieb aus, peinliches Schweigen, wie man sich vorstellen kann. Ich hatte Hurenhaus für eine veraltete Form von Herrenhaus gehalten; was wusste ich von Huren. Meine Mutter fasste sich ziemlich schnell und sagte zu mir, ich könne jetzt spielen gehen.«26
Die Mutter hatte durchaus erzieherisches Geschick, Sofies positives Selbstwertgefühl zu schützen, und sprach für das unglücklich gewählte Gedicht keine Strafe aus. sind weitere drei Anfangsfassungen ihrer Lebenserinnerungen vorhanden. Es sind jeweils die ersten Seiten verändert, auch tauchen neue einzelne Informationen in den etwa jeweils 16 Seiten auf. 24 Friedrich Adler war der Sohn von Viktor Adler, Gründers und Vorsitzenden der österreichischen Sozialdemokratischen Partei (SDAP) – Im Verlauf wird weiter auf seine Person eingegangen. 25 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 26. 26 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 27.
Von Schlesien nach Wien
19
Seit frühester Kindheit hatte die Familie in Troppau dafür gesorgt, dass Sofie als Einzelkind die Gelegenheit hatte, Spielkameraden zu treffen. Es war eine buntgemischte Gruppe, die sich aus Kindern einer Kapellmeisterfamilie und einer Familie von Militärangehörigen zusammensetzte. Sie erinnerte sich an eine Kindergruppe, in der sie das einzige Mädchen war. Es waren fünf Buben, wir alle unter sieben, und kein einziges Mädl. […] Die Religionsverteilung war equal, zwei christlich, zwei jüdisch (das wusste ich erst viel später, damals verstanden wir gar nichts darüber).27
Sofie Lazarsfeld wuchs in einem gesellschaftlich liberalen Haushalt auf. Der Kontakt zu anderen Glaubensgemeinschaften war möglich. Nach einem Besuch von zwei Nonnen, der für sie als Kind offenbar sehr beeindruckend war, nahm sie die beiden Klosterfrauen zum Vorbild und wollte selbst Nonne werden. Die Mutter machte sie darauf aufmerksam, dass sie in einem Nonnenkloster nicht weiter mit den Buben spielen könnte. Sofie antwortete schlagfertig, dass sie selbstverständlich in ein Mönchskloster eintrete, um den Kontakt zu den Buben aufrecht zu erhalten.28 In ihren Erinnerungen berichtete Sofie Lazarsfeld, dass sie erst sehr spät in ihrem Leben guten, freundschaftlichen Kontakt zu anderen Frauen bzw. Freundinnen bekam.
2.1.2 Schulzeit Die Schulzeit begann in Wien. In der Großstadt wurde sie das erste Mal bewusst mit ihrer Zugehörigkeit zum Judentum konfrontiert. Ich habe aus meiner frühen Kindheit keinerlei antisemitische Erinnerungen und hatte nie das Wort ›Jud‹ gehoert. Diese Erkenntnis, nämlich dass ich ein ›Saujud‹ sei, wurde mir im Alter von 7 – 8 Jahren bei meinem ersten Schultag in Wien sehr tatkräftig von zwei meiner Schulgenossen eingeprügelt.29
Sofie konnte sich an die Erklärungen der Mutter zu diesem Ereignis nicht erinnern, aber es wurde der Hausarzt gerufen, da sie am selben Tag hohes Fieber bekam. Der Arzt empfahl der Familie eine andere Schule für Sofie zu suchen.30 Es erfolgte eine Umschulung in ein »Pensionat für Mädchen aus dem Ausland«31, das auch außerhalb wohnende Schülerinnen, zu denen Sofie in der Praterstrasse gehörte, aufnahm. Sie ging sehr gern zur Schule. Sofie hatte eine besondere Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 5. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 6. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 2. Aus den Aufzeichnungen wird nicht ersichtlich um welche Schule oder welchen Bezirk in Wien es sich handelt. 31 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 162. 27 28 29 30
20
Lebensstationen
Vorliebe für den Französischunterricht. Französisch war damals die erste Fremdsprache, die es zu erlernen galt. Später wurde in den oberen Klassen Englisch eingeführt. Sofie war so sehr auf die französische Sprache eingeschworen, dass sie sich weigerte, Englisch zu lernen und das auch tatsächlich durchsetzte. Sie war laut ihrer Erinnerungen eine überragende Schülerin in Französisch. Zur selben Zeit, als ich meinen Sieg über England gewann machte ich so auffällige Fortschritte in Franzoesisch, dass man eine Superklassifikation für mich erfand, die vorher nicht existiert hatte. Die beste Note im Zeugnis war eine gewoehnliche »Eins« welche mehrere in meiner Klasse rechtmässig verdienten. Meine Kenntnis in Franzoesisch aber ging so weit darüber hinaus, dass meine sehr gewissenhafte Lehrerin fand, die müsse irgendwie ausgedrückt werden. So erfand sie für mein Zeugnis für Franzoesisch eine »Roemisch Eins«. Ihr Vorgehen ist umso bemerkenswerter als sie mich persoenlich nicht leiden konnte, aber schon gar nicht.32
Später bereute sie diese jugendliche Ablehnung des Englischen sehr. In den USA hatte sie zunächst Schwierigkeiten, sich sprachlich zurecht zu finden. Sofie Lazarsfeld schilderte sich selbst als sehr ehrgeiziges Kind, dass es durchaus verstand, die eigenen Ziele durchzusetzen. Eine beeindruckende und hochverehrte Persönlichkeit in der Schulzeit war der siebzigjährige Lehrer für Naturgeschichte für die vierzehnjährige Sofie. Sie war der Meinung, dass er im Grunde ihre erste große Liebe gewesen sei. Er habe klug und in einem wertvollen psychologischen Sinne unterrichtet, mit Aussprüchen, die sie ein Leben lang begleiteten.33 Viel später sei ihr aufgefallen, dass er auch gewisse Ähnlichkeiten im Aussehen mit dem Vater aufwies. Die Kontakte zu Gleichaltrigen gestalteten sich schwierig. Sie galt als »Brave« und wurde bei Abwesenheit des Lehrers zur Aufsicht über die Klasse verpflichtet. Das Lernen bereitete ihr keinerlei Mühe. Sie besaß eine schnelle Auffassungsgabe und ein ungewöhnlich gutes Gedächtnis. Eine ihrer Lehrerinnen warf ihr vor, immerzu nur auswendig zu lernen, was nicht immer gefragt war. Im Gegensatz zu ihren guten Schulleistungen hatte sie aber Schwierigkeiten bei den Mitschülerinnen anerkannt zu werden. Die ganze Schulzeit verlief wie halt solche Zeiten verlaufen mit ihren üblichen kleinen Sorgen, die aber damals sehr gross schienen, wie z. B. wenn drei Mädl, die etwas älter waren als ich, mich nicht in ihre Clique aufnehmen wollten und ich nicht Ruhe gab bis sie es doch taten. Um es zu erreichen schwindelte ich vor, dass ich bereits menstruierte 32 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 17. 33 Die Aussagen des Lehrers waren Sofie nicht genau erinnerlich und werden im Manuskript nicht detailliert aufgeführt. Die Verliebtheit drückte sich dahingehend aus, dass Sofie gern den aufgehängten Mantel des Lehrers heimlich umarmte und den Geruch einatmete, vgl. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 17.
Von Schlesien nach Wien
21
und das brachte mich nachher fast in eine Schlamastik als sie mir auf den Schwindel draufkamen, […].34
Sofies Familie war offensichtlich so aufgeschlossen, dass es eine gewisse sexuelle Aufklärung gegeben haben muss, denn die Bedeutung von »Menstruation« war für Sofie bereits in diesem Alter offensichtlich. Eine erste Freundin war ein Mädchen namens Gisela, die mit Sofie in die gleiche Klasse ging.35 Sofie mochte Gisi (Abkürzung für Gisela) außerordentlich gern und war über die Ehejahre hinaus, bis zu ihrem Tode mit ihr befreundet. Gisi war, nach ihren Berichten, eine sehr wohlbeleibte Person und kam ständig zu spät zur Schule. Sofie wollte ihr helfen, den pünktlichen Schulbeginn einzuhalten, deswegen holte sie Gisi zum Nachmittagsunterricht immer von Zuhause ab, so dass sie wenigsten zu einem Teil des Unterrichts hin und wieder pünktlich erschien. Vermutlich waren die beiden Mädchen – die eine sehr brav und Liebling der Lehrer, die andere ein sehr übergewichtiges Kind – eher Außenseiterinnen in der Klasse. Möglichweise haben Hänseleien der Mitschülerinnen die Mädchen zusammengeführt. Mit dem 16. Lebensjahr endete Sofies Schulzeit. Die Schulzeit endete in meinem sechzehnten Jahr, damals dachte man in unsern kleingewerblichen Kreisen noch nicht, dass ein Mädchen mehr Erziehung brauche. So ging die Schulzeit ihrem Ende zu, ich hatte die hoechsten Klassen, die das Pensionat zu bieten hatte, mit Glanz absolviert und in meiner Familie fand man das genügend für ein Mädl.36
Sie bedauerte diese Einstellung ihrer Familie, denn sie war begabt und besaß ungeheuren Wissensdurst, wie im weiteren Verlauf ihres Lebens deutlich wird.
2.1.3 Jugend Nach ihrem Schulabschluss lernte sie andere Personen aus verschiedenen sozialen Kreisen kennen, die ihren Lebensweg beeinflussten. Der Begriff Kultur wurde ihr das erste Mal bewusst. Während eines Sommeraufenthalts auf dem Land knüpfte sie Kontakte zu einer Familie mit vier Kindern – drei Söhnen und einer Tochter –, die etwa in ihrem Alter waren. Besonders die Mutter der Familie blieb Sofie in nachdrücklicher Erinnerung, die von Beruf Lehrerin und »das geistige Centrum«37 der Familie war. Sie genoss die Besuche bei dieser Familie sehr. Hineingewachsen in eine umtriebige Jugend, begann sie sich offenbar für das andere Geschlecht zu interessieren. Erste Verliebtheiten und Flirts bahnten 34 35 36 37
Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 18. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 19. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 20. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 22.
22
Lebensstationen
sich mit den Söhnen der Familie an. Der Älteste wollte eine elegante Dame im Aussehen und Habitus aus ihr machen, der Jüngste wollte sie politisch interessieren, nur der mittlere nahm sie so wie sie war. Der jüngste Sohn Adolf umwarb Sofie eindringlicher und traf weiterhin Verabredungen mit ihr. Zeitgleich lernte sie ihren späteren Mann Robert Lazarsfeld durch die gemeinsame Bekanntschaft der Elternpaare im Kaffeehaus kennen. Damals war es üblich, dass die Jugendlichen ihre Eltern regelmäßig ins Kaffeehaus begleiteten. So wurde eine Art Kontaktbörse hergestellt. Ein Wiener Kaffeehaus stellte eine Institution besonderer Art dar, weiß auch Stefan Zweig in seiner Autobiographie Die Welt von Gestern zu berichten: Es ist eigentlich eine Art demokratischer, jedem für eine billige Schale Kaffee zugänglicher Klub, wo jeder Gast für diesen kleinen Obulus stundenlang sitzen, diskutieren, schreiben, Karten spielen, seine Post empfangen und vor allem eine unbegrenzte Zahl von Zeitungen und Zeitschriften konsumieren kann.38
Familie Lazarsfeld hatte einen ähnlichen sozialen Hintergrund wie Sofies Familie. Auch sie waren Kaufleute mit einem Geschäft in Wien. Robert Lazarsfeld wurde 1872 in Budapest geboren, er war neun Jahre älter als Sofie. Ursprünglich war die Familie im damaligen Mähren ansässig.39 Die Religionszugehörigkeit war sowohl jüdisch als auch christlich. Der Vater von Robert betrieb früher eine Zuckerfabrik in Mähren.40 Die Mutter starb sehr früh an einem Herzleiden. Die zweite Ehefrau Paula führte mit Unterstützung eines Cousins der Familie ein Papiergeschäft und eine Druckerei. Roberts Vater war nicht sehr nicht aktiv an der Arbeit in dem Geschäft beteiligt. Sofie hatte ihn als charmanten, freundlichen Mann in Erinnerung, der seine Zeit überwiegend im gegenüberliegenden Kaffeehaus verbrachte. Dem Sohn Robert wurde eine höhere Schulbildung ermöglicht, er studierte Jura und war später als Anwalt tätig. Die Elternpaare der beiden Familien lernten sich vermutlich im gleichen Kaffeehaus kennen. In dieser Zeit schloss Sofie sich zeitweise einer Theatergruppe an. Dort konnte sie die kindliche Neigung für die Literatur mit einer Umsetzung ins Schauspiel ausleben. […], aber ich bin ploetzlich Mitglied eines kleinen geschlossenen Kreises, der eine Art Klub formte. Der hiess ›Freie Herzen‹ und versammelte sich regelmässig in einem ausrangierten Kegelklub Lokal. Man kommt dort zusammen zu diskutieren, aber 38 Zweig, S. (2010). Die Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, S. 57. 39 Email von David de Vries an Martin Zerner (Enkel Sofie Lazarsfelds). David de Vries ist ein entfernter Verwandter der Familie, der in Israel lebt und der sich mit der Erforschung seiner Familie beschäftigte. Für weitere Auskünfte wendete er sich an Martin Zerner und berichtete gleichzeitig von seinen bisherigen Ergebnissen. 40 Lazarsfeld, S. (1975). Lebenserinnerungen Teil 1 – Fassung A – unveröffentlicht, S. 15.
Von Schlesien nach Wien
23
hauptsächlich um kleine Konzerte oder Theateraufführungen zu arrangieren wo ausschliesslich Mitglieder die ausübenden ›Künstler‹ waren. […] Wir waren alle ganz junge Menschen, ältere Leute, Eltern inbegriffen, konnten weder Mitglieder werden, noch uneingeladen kommen. Aber sie wurden oft eingeladen und kamen reichlich. Mit heute verglichen, welch sanfte Revolution der Jugend!41
Sofie wurde immer noch von ihren Verehrern umschwärmt. Sie ging zunächst abwechselnd mit den jungen Herren aus. Da sie die Theatergruppe sehr mochte, wendete sie sich nach und nach dem jugendlichen Freund zu, der auch Interesse an der Schauspielerei und der Literatur hatte. Die Ferienbekanntschaft Adolf konnte dem Theater nicht viel abgewinnen und entpuppte sich eher als Gegner von Sofies Beschäftigungen. Somit traf Sofie sich immer häufiger mit dem an Literatur interessierten Robert Lazarsfeld. Großen Eindruck hatte Robert mit einem Geschenk auf Sofie gemacht. Das Buch Rudyard Kiplings »Dschungelbuch« war für Sofie ein Abschied von »Büchern für junge Mädchen« und sie sah es als ihre erste wirklich wichtige Lektüre an. Die Beziehung von Sofie und Robert entwickelte sich langsam und vorsichtig. Erst nach einer ausreichenden Kennlernphase wurde die Verlobung beschlossen und nach weiteren zwei Jahren heiratete das Paar. In ihren Manuskripten kam sie zu der Einschätzung, dass sie mit ihrem späteren psychologischen und therapeutischen Wissen dem Paar eine Therapie hätte empfehlen müssen. Die jugendliche Verlobungszeit hatte Sofie Lazarsfeld als formell und platonisch in Erinnerung. Auch war die Kommunikation des Paares in den Anfangsjahren von einigen Missverständnissen geprägt, die phasenweise zum Abbruch der Beziehung führte. Sofie Lazarsfeld strahlte mit ihrer Sprache in einer Unterhaltung manchmal eine gewisse Naivität aus, was die bürgerliche Ausdrucksweise und das Benehmen einer jungen Frau in der damaligen Gesellschaft beschädigte. Sie sprach unbedarft und relativ freizügig über körperliche Belange. Nach einer spontanen Erläuterung Sofies über »buschige Schwanzfedern bei Hühnern«, kam es zu einer Missstimmung des Paares. Robert Lazarsfeld hatte die Äußerung als sexuell anzüglich empfunden und das Verbalisieren als Tabubruch betrachtet. Wir waren schon lange verheiratet, als ich es wagte Robert zu fragen, ob er sich an den Vorfall erinnere, man musste ja sehr vorsichtig sein in solchen Dingen zu verbalisieren. Und er erinnerte sich sehr genau und ging sogar so weit mir zu erklären was in ihm vorgegangen war. Ich hatte beim Wort Schwanz eine Sekunde gestockt wie oben erwähnt, aber nur auf der auch erwähnten Basis. Für ihn war das anders. Das Wort Schwanz war damals der vulgärste Ausdruck für Penis (wovon ich keine Ahnung hatte)
41 Lazarsfeld, S. (1973). Lebenserinnerungen Teil 2 – unveröffentlicht, S. 35.
24
Lebensstationen
[…]. Sein Entsetzen, dass seine Heilige Sofie etwas so vulgäres wissen und sogar erwähnen konnte, brachte seine Reaction hervor.42
Robert meldete sich nach diesem Ereignis einige Zeit nicht. Stefan Zweig – als Zeitgenosse – bestätigt in seinem Werk die von Sofie erlebte Tabuisierung von Sexualität. So durften Frauen das Wort »Hose« nicht in den Mund nehmen, geschweige denn, dass sie Hosen hätten tragen dürfen. Diese Einschränkungen waren quasi Gebote und wurden von Gouvernanten und Müttern streng bewacht.43 Umso verständlicher, dass Roberts und Sofies Beziehung beinahe zerbrochen wäre, weil eine voreheliche Unschicklichkeit damals nicht akzeptabel war. Zunächst sei ihr die Beziehung zu Robert nicht sehr wichtig gewesen, aber als er sich plötzlich nicht mehr für sie interessierte, kam so etwas wie Liebeskummer auf. Ihre Freundin Gisi durchlitt mit ihr diese Phase und vermittelte zwischen den beiden. Robert kam schließlich zur Abschlussvorstellung der Theatergruppe und wartete nach der Vorstellung auf Sofie und begrüßte sie mit dem Ausspruch »Wenn Sie mich nicht heiraten, erschiesse ich mich«.44 Das Thema der jugendlichen Aufklärung in Partnerschaft- und Liebesdingen wurde dann im Laufe der individualpsychologischen Tätigkeit eines der Hauptthemen Sofie Lazarsfelds. Immer wieder plädierte sie in verschiedenen Artikeln und nicht zuletzt in ihrem ausführlichen Werk zu Liebe, Ehe und Sexualität Wie die Frau den Mann erlebt (1931) für mehr Informationen und offenen Umgang mit Fragen zur Partnerschaft, die auch Fragen der Sexualität beinhalteten. Noch 1931, über 30 Jahre später nach ihrer eigenen Verlobungszeit, monierte sie auf den ersten Seiten des Werkes »die mangelnde Vorbereitung der Jugend für die Fragen des ehelichen Zusammenlebens«.45 Die Kommunikation der Partner wurde in jedem ihrer Artikel besonders hervorgehoben. Sie erlebte in ihren Beratungen viele Fragen zur Partnerschaft, die nicht zwischen den Betroffenen ausgetragen wurden, sondern erst in der Beratungsstelle geäußert wurden. Ihr eigenes Erleben hatte eine offensichtliche Präsenz in ihrer späteren Beratungstätigkeit.
42 43 44 45
Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 45. Zweig, S. (2010). Die Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers, A.a.O., S. 93. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 42. Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Man erlebt. Leipzig. Wien: Verlag für Sexualwissenschaft Schneider & Co, S. 7.
Partnerschaft und Eheschließung
2.2
25
Partnerschaft und Eheschließung
2.2.1 Heirat Die Verlobung wurde nach dem Heiratsantrag Roberts etwa im Jahr 1898 offiziell geschlossen, aber noch nicht öffentlich bekannt gegeben. Sofies Mutter verlangte von ihrem zukünftigen Schwiegersohn die Erreichung des Doktorgrades. Das schaffte Robert Lazarsfeld bereits im ersten Jahr der Verlobung. Im Nachhinein tat Sofie Lazarsfeld dieser ausgeübte Zwang durch ihre Mutter leid, denn sie hatte das Empfinden, dass ihr Mann nicht für derartige Aufgaben geschaffen war. Sie erläuterte nicht, was er stattdessen hätte tun sollen. In einer Anmerkung ihrer Lebenserinnerungen erwähnte Sofie das intensive Klavierspiel ihres Mannes. Auch die Enkel (Martin Zerner, Lotte Bailyn)46, die noch Erinnerungen haben an Wien und die Wohnung der Großeltern, berichteten vom Klavierspiel des Großvaters. So hatte er möglicherweise gegen seine Begabung einen Beruf ergriffen, den er nicht mit Leidenschaft ausübte. Nach der Erreichung des Doktorgrades heiratete das Paar im darauffolgenden Jahr am 22. April 1900, kurz vor Sofies neunzehntem Geburtstag.47 Sofie betrachtete die Verbindung mit Robert Lazarsfeld zurückblickend mit Zweifeln. Sie schrieb, dass sie in der Verlobungszeit noch das Gefühl hatte, es müsse etwas passieren, das sie dazu bringen würde die Verlobung zu lösen. Auch Robert hätte vielleicht eines für ihn besseren Lebensweges gut daran getan »den Doktor mit samt mir laufen zu lassen«48, schrieb sie. Da sie diese Sätze im hohen Alter schrieb, ist nicht genau nachvollziehbar, wie wahrscheinlich diese Gefühle der Skepsis in der Verlobungszeit und jungen Ehe wirklich waren. Später verband sie ihre Ehe mit dem Empfinden, »dass da etwas sei wie es nicht sein solle, aber nicht genügend klar als dass ich es hätte ausdrücken können«.49 In der damaligen Zeit wäre es fast unmöglich gewesen eine Trennung durchzuführen, selbst wenn Sofie ihr Unbehagen besser hätte beschreiben können. Ein Grund für die Einhaltung der Verlobung und der anschließende Heirat könnte von Sofies großem Wunsch getragen gewesen sein, dem mütterlichen Haushalt zu entfliehen. Im zweiten Jahr der Verlobungszeit starb ihr Stiefvater. Um die finanzielle Situation der beiden Frauen zu verbessern, musste Sofies Zimmer untervermietet werden. Sofie zog in das Schlafzimmer der Mutter ein.
46 Interview mit Lotte Bailyn 17. 10. 2011, Interview mit Martin Zerner 17. 11. 2011. 47 Urkundliche Bescheinigung des Matrikelamts Israeltische Kultusgemeinde vom 09. 02. 1915, Österreichisches Staatsarchiv. 48 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 46. 49 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 46.
26
Lebensstationen
[…] und ich musste in dem Zwillingsbett neben meiner Mutter schlafen was mir in jedem Sinn sehr zuwieder war. Ich war schon vorher nicht gern zuhause gewesen, aber jetzt war mein Wunsch davon wegzukommen sehr verstärkt. Ich erreichte, dass die Verlobung ›offiziell‹ wurde, das heisst dass man sie in der Neuen Freien Presse bekannt machte wie hier in der Times. Dadurch durfte ich trotz des Trauerjahres manchmal mit Robert ausgehn.50
So war die Heirat für Sofie möglicherweise eine Flucht vor der Mutter und die Gelegenheit, ein eigenes Leben mit eigenem Haushalt führen zu können. Allerdings betonte sie auch, dass trotz der gefühlten Ambivalenzen die Partnerschaft von beiden nie aufgelöst werden sollte. Wenn Auguren gesagt hätten, die Heirat stehe unter einem so ungünstigen Stern, sie solle besser gar nicht stattfinden, hätten sie Unrecht gehabt, weil trotz aller damaliger und späterer Schwierigkeiten es schade gewesen wäre. Nicht nur wegen des vorher erwähnten Endresultats der Kinder und Enkel, sondern weil doch etwas starkes zwischen uns gewesen sein muss, das uns durch nahezu vierzig Jahre zusammenhielt ohne den Wunsch es abzubrechen.51
Der Hochzeitstag und die Zeremonie standen unter keinem guten Stern. Sofie war an einer schweren Halsentzündung erkrankt, die sie ans Bett fesselte. Sie verließ trotzdem das Krankenlager und taumelte zur Trauung. Sogar die Hochzeitsreise wurde trotz Krankheit angetreten. Sie machten sich auf den Weg zum Südbahnhof in Wien und begannen eine dreitätige Hochzeitsreise auf den Semmering.52 Laut Sofie war der finanzielle Rahmen für eine größere Reise nicht gegeben. Fast wäre die Abreise misslungen, da Robert sich im Bahnhof verlaufen hatte und buchstäblich in letzter Sekunde mit Sofie in den Zug steigen konnte.
2.2.2 Hochzeitsreise Spät nachts kamen sie in Semmering an und fanden fast kein Zimmer mehr. Unglücklicherweise hatten sie nichts reserviert. Ein Aufenthalt im Südbahnhotel sei geplant gewesen. Dies war damals ein berühmtes Grandhotel, das die Südbahngesellschaft als erstes von mehreren Feriendomizilen an der Südbahntrasse in 1000 Metern Höhe erbaute und damit den Beginn der Sommerfrische am
50 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 47. 51 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 55. 52 Semmering: es handelt sich hier um das unweit von Wien gelegene Passgebiet Semmering. Es bildet die Grenze zwischen der Wiener Neustadt (Niederösterreich) und Mürzzuschlag (Steiermark). Mit diesem Ziel wäre eine kurze Anfahrt und eine geringe Geldausgabe gewährleistet gewesen.
Partnerschaft und Eheschließung
27
Semmering markierte.53 Nach einigem Suchen konnten sie ein kleines, aber wohl unbequemes Zimmer im Waldhofhotel ergattern, das damals nicht als Grandhotel zu bezeichnen war. Es sei nichts für Gäste vorbereitet gewesen »und schon gar nicht für Hochzeitsleute«.54 Dennoch versuchte Sofie aufgrund von Berichten ihrer Freundinnen ihre Hochzeitsreise positiv zu sehen. Einige meiner Freundinnen hatten kurz vorher geheiratet und berichteten von festlich beleuchteten Zimmern, vorgerichtetem Essen und Blumen am Tisch. Nichts davon war vorhanden und man konnte auch nicht mehr Essen dorthin bekommen. Es war eine große Enttäuschung für mich aber was nachfolgte war weit ärger und die Details können wegbleiben.55
Sofie schilderte, dass ihre Mutter vor der Abreise einen Versuch der sexuellen Aufklärung in Bezug auf die Hochzeitsnacht unternommen hatte, der wohl nicht zur Wissenserweiterung über Eheleben und Sexualität beigetragen hatte. Es ist eher zu vermuten, dass Ängste geschürt wurden, denn die Mutter erwähnte etwas »Unangenehmes«, das man als Frau in Kauf nehmen müsste. Frauen sollten sich damit abfinden, weil die Männer es brauchen. Nur so könnten die Frauen Kinder bekommen. Somit war Sofie Lazarsfeld verwirrt und verängstigt, als sie das erste Mal allein mit einem – ihrem – Mann war. Sofie bekundete, dass sie die Hochzeitsnacht und die darauffolgenden Nächte grässlich fand. Sie habe sich tagsüber gewünscht, dass eine dritte Person im Hotel auftauchen würde, damit sie nicht mit Robert allein sein muss. Doch gleichzeitig habe sie das Gefühl gehabt, dass es auch etwas anderes geben müsse. Die ersten sexuellen Erlebnisse waren wahrscheinlich für beide sehr verstörend. Es kann für Robert auch nicht erfreulich gewesen sein, aber er war offenbar zu sehr gehemmt, z. B. sassen wir bei der Bahnfahrt zum Semmering allein im Compartment, aber er beim Fenster, ich bei der Türecke, mit leeren Plätzen dazwischen, ohne jegliche Berührung, wie während der Verlobungszeit.56
Das sexuelle Leben der Jugend habe sich unsichtbar unter der moralischen Oberfläche der Gesellschaft abzuspielen, deutete der Zeitgenosse Stefan Zweig die Konvention mit einer nicht existenten Sexualität umzugehen.57 Für Mädchen und junge Damen sollte sie vor der Ehe in keinem Fall stattfinden. Es galt das Gebot als Jungfrau in die Ehe zu gehen, nicht nur unbefleckt sondern auch unwissend. Für junge Männer habe sich nach damaligem Verständnis durch »aufgeklärte Väter« eine etwas informativere Situation ergeben. Sie bestand 53 vgl. http://geschichte.landesmuseum.net (06. 04. 2012): Geschichte Niederösterreichs und der Ausbau des Semmerings zum Höhenkurort. 54 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 55. 55 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 56. 56 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 46. 57 Zweig, S. (2010). Die Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers, A.a.O., S. 101.
28
Lebensstationen
häufig aus der Einbestellung des Hausarztes, der die Aufgabe hatte, den jungen Männern der Familien einen Vortrag über Geschlechtskrankheiten zu halten. Ein anderes probates Mittel sei die Einstellung eines jungen Dienstmädchens im Haushalt gewesen. Dem Mädchen fiel die Aufgabe zu, den jungen Mann zu belehren. Das heißt, dass außerhalb der bürgerlichen Schicht Sexualität von Mädchen vor der Ehe akzeptiert wurde, um dem männlichen Bürgertum zu dienen, Sexualität aber ansonsten weiterhin öffentlich unter Verschluss zu halten war.
2.3
Frühe Ehejahre
2.3.1 Eigene Wohnung Sofie Lazarsfeld schildert in diesem Abschnitt ihrer Lebenserinnerungen, wie sie ganz im Einklang mit damaligen gesellschaftlichen Konventionen als Frau ohne Beruf und weitere Ausbildung versuchte eine Hausfrau zu sein. In dieser Phase ihres Lebens war diese Aufteilung in der Partnerschaft gesellschaftskonform und der damaligen Erwartungshaltung entsprechend.58 Als junges Ehepaar eine geeignete Wohnung zu finden, gestaltete sich als schwierig. Sofie und Robert mussten die Leopoldstadt, den zweiten Bezirk von Wien, verlassen und in Mariahilf, Wiens sechstem Bezirk, eine Wohnung suchen. Das sei für sie wie ein Umzug ins Ausland gewesen. Der Umzug dorthin wurde notwendig, da Robert einige Jahre als Konzipient in einer Rechtsanwaltskanzlei arbeiten musste, ehe er als selbständiger Advokat zugelassen wurde.59 Die finanziellen Mittel des Paares waren zu diesem Zeitpunkt noch sehr gering, da Sofies Erbe noch nicht verfügbar war. Eine frühere Freigabe hätte beantragt werden können, war aber versäumt worden. Die Wohnungssuche war zunächst nicht erfolgreich, sie mussten in einem kleinen Hotelzimmer unterkommen. Nach einiger Zeit gelang es ihnen eine kleine Wohnung über einer Konditorei in der Mariahilfergasse zu bekommen. Leider gingen die Fenster der Wohnung in Richtung einer Bäckerei. Tag und Nacht hing ein Braten- und Fettgeruch in der Wohnung. Zusätzlich waren die Fenster nach Süden gerichtet, so dass die Wohnung in ständigem Sonnenschein lag, was zu großer Hitze im Sommer führte. Sofie erinnert sich an eine dauerhafte Übelkeit, die sie in dieser Wohnung verspürte. Eine Erinnerung an 58 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 57 – 60. 59 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 57.
Frühe Ehejahre
29
Schwangerschaftsübelkeit könne es nicht gewesen sein, denn dieses Unwohlsein habe Tag und Nacht angehalten.60 Für die Einrichtung der kleinen Wohnung bekam sie Möbel von ihrer Mutter. Das Speisezimmer wurde mit dunklen Möbeln, mit einer aufgemalten illusionären Schnitzerei, die sie eigentlich nicht mochte, ausgestattet. Für die Möblierung des Schlafzimmers konnte sie sich durchsetzten und bestellte helle glatte, nicht sehr hochwertige Möbel. Damals wusste sie noch nicht viel von den Design-Entwürfen der Secessions-Künstler, die ihr später sehr gefallen sollten. Dennoch wollte sie eine andere Art von Einrichtung suchen, als man sie aus dem Elternhaus kannte. Als Zugabe legte der Möbelhändler zwei Bilder dazu, die laut Robert sexuell anzügliche Situationen darstellten. Sofie gefielen die Bilder, die junge Menschen in schönen Kostümen abbildeten, aber Robert wurde über diese Werke wütend und zerstörte sie. Viel später bekam ich die Erklärung dass die Reproduktion sehr sexuelle Situationen darstellten, die er erkannte, aber wie hätte ich sie kennen können, die keine Ahnung von dem allen hatte. Der Moebelhändler hat es vielleicht gut gemeint, da es fürs Schlafzimmer war, dachte er, es wäre vielleicht eine gute Anregung.61
Allen Schwierigkeiten zum Trotz fühlte sich das junge Ehepaar mit der eigenen Wohnung etwas etablierter in der Wiener Gesellschaft. Sofie Lazarsfeld war keine vorbildliche Hausfrau. Sie führte den Haushalt ungern und es gelang ihr nicht besonders. In der Küche griff häufig ihre Mutter mit dem Ausspruch »eh ich zuschau wie schlecht du das machst, mach ich es selbst«62 ein. Das Verhältnis zu Robert Lazarsfeld blieb auch in der jungen Ehe schwierig. Laut Sofie Lazarsfeld hatte ihr Mann die Einstellung, dass eine Frau die Wünsche des Ehemanns erahnen und vorausschauend handeln solle. Sofie Lazarsfeld wurde recht schnell schwanger und die Haushaltsführung wurde noch schwieriger. Ein Versuch, mit Hilfe einer Cousine63 eine Haushaltshilfe zu finden, scheiterte, so dass sie weiterhin versuchte für alles zu sorgen. Humorvoll berichtet sie, dass ihre Cousine sie daraufhin beim Kochen unterstützte und beide immer das Gefühl hatten, man könnte das Essen niemandem vorsetzen. Doch hier erwies sich Robert Lazarsfeld als gutmütig und akzeptierte ihre Kochkünste. Mein Mann ertrug es bewundernswert. Entgegen seiner Theorie dass eine Frau alles richtig machen müsse, hab ich keine Klage darüber von ihm gehört. Vielleicht weil er 60 61 62 63
Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 57. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 58. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 59. Die genannte Cousine scheint die Tochter der Schwester des leiblichen Vaters zu sein, zu der zeitweise Kontakt bestand. Genaueres wird dazu nicht berichtet, vgl. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, 60.
30
Lebensstationen
mich nicht für eine richtige Frau ansah, womit er absolut recht hatte, immer noch ein retarded child. Es war hart daraus heraus zu wachsen und brauchte eine sehr lange Zeit.64
2.3.2. Ehekrise – Das Paternitätsgesetz In Österreich und Deutschland gab es ein Gesetz, das bei unehelichen Kindern die Zahlungen für dieses Kind durch den vermeintlichen Vater regelte. In den bürgerlichen Haushalten gab es häufig junge Dienstmädchen, die die jungen Herren in die Welt der Sexualität einführten. Nicht wenige dieser Kontakte führten zu einer Schwangerschaft. Häufig war nicht davon auszugehen, dass es sich nur um einen einzigen sexuellen Kontakt mit nur einem Mann handelte. Das Paternitätsgesetz ließ es vor Gericht zu, einen Vater zu benennen, der dann für Versorgungszahlungen (Alimente) verpflichtet wurde.65 Sofie Lazarsfeld berichtete, dass in der Regel von den schwangeren Mädchen ein zahlungskräftiger Mann ausgesucht wurde. Robert Lazarsfeld hatte ebenfalls ein solches Verhältnis und musste für ein Kind bezahlen. Sofie wusste zunächst nichts davon, bis sie eines Tages einen Brief vom Gericht in der Post fand. Sie hatte ihn versehentlich geöffnet, weil häufig alle Post für sie war. Es war die abschlägige gerichtliche Antwort auf ein Ansuchen, das Robert gestellt hatte. Er war angeklagt seinen Paternitätsverpflichtungen nicht nachgekommen zu sein, hatte um Aufschub bis ENDE MAI (von mir unterstrichen) gebeten und wurde abgewiesen. Ende Mai wurde meine Erbschaft frei. Die Klägerin war eine Hausgehilfin, die bei ihm zuhaus angestellt war.66
Es muss für Sofie Lazarsfeld ein großer Schock gewesen sein, dieses Schriftstück zu lesen. Sie betont ausdrücklich, dass es kein Trauma für sie geworden sei. Allerdings schrieb sie ihre Lebenserinnerungen im hohen Alter von über 90 Jahren und hatte vermutlich die damalige Krise im Laufe der Zeit kompensiert. In einem persönlichen Gespräch macht Henri Zerner (Enkel) darauf aufmerksam, dass seine Großmutter sehr gekränkt gewesen sei und wohl doch ein Bruch in der Beziehung zu Robert Lazarsfeld entstanden sei. In den Lebenserinnerungen hob Sofie Lazarsfeld hervor, dass das Enttäuschende an diesem enthüllten Geheimnis war, dass die juristische Auseinandersetzung schon vor der Eheschließung begonnen hatte. Sie fühlte sich nun doppelt betrogen, da Robert Lazarsfeld schon vorher mit der Erbschaft ge64 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 60. 65 vgl. Püttlingen v., J.V. (1860). Handbuch des in Österreich geltenden internationalen Privatrechtes. Wien: Braumüller, S. 161 – 163. 66 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 61.
Frühe Ehejahre
31
rechnet hatte, um diesen Verpflichtungen nachkommen zu können.67 Sofie sah seine Zwangslage wohl oder übel ein und sie lebten nach Freistellung der Gelder von der Erbschaft, da das Einkommen von Robert zu gering war. Von einer Auseinandersetzung oder Diskussion über dieses Thema berichtete sie nicht. Dennoch muss es eine nachhaltige Bedeutung für sie gehabt haben, da sie viele Jahre später mit dem jüngsten Enkel Henri Zerner darüber sprach.68
2.3.3. Geburt der Kinder – Tod der Mutter Als der Sohn Paul am 13. Februar 1901 geboren wurde, kam Sofie Lazarsfeld ihrer Mutter offenbar näher. Obwohl die Mutter weiterhin im zweiten Bezirk in der Praterstrasse wohnte, kam sie oft den Enkel besuchen. Es entstand eine enge Beziehung zwischen Großmutter und Enkelkind, so dass Sofie Lazarsfeld durch die Betreuung des Kindes eine Entlastung spürte.69 Sie wurde erneut im Jahr 1902 schwanger und brauchte auch aus diesem Grund die Unterstützung. Im Sommer fuhren sie mit der ganzen Familie aufs Land, in die sogenannte Sommerfrische. Während des Sommeraufenthalts erlitt die Mutter einen Schlaganfall, so dass Robert und Sofie Lazarsfeld beschlossen, eine zusätzliche Wohnung in der Mariahilferdinger Strasse anzumieten, um sie aus der Nähe versorgen zu können. Zu diesem Umzug kam es allerdings nicht mehr, da sich der Zustand der Mutter rapide verschlechterte. Sie musste in die Wohnung der Familie als Pflegefall aufgenommen werden. Am Ende des Jahres 1902, kurz vor Weihnachten, verstarb die Mutter. Den Tod betrauerte Sofie Lazarsfeld sehr. Obwohl sie üblicherweise nicht nach jüdischen Ritualen lebte, scheinen sie in dieser Zeit hilfreich gewesen zu sein. Sie hielt sich an die Schiwa70und saß sieben Tage auf einem niedrigen Schemel.71 Nach ihrem Tod verfiel ich in die einzige aber sehr schlimme Depression meines Lebens. Vorallem befolgte ich alle Rituale an die ich nicht glaubte, ich sass in hoher Schwangerschaft sieben Tage auf einem niedrigen Schemel, ging ein ganzes Jahr in
Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 61. Interview am 16. 10. 2011 mit Henri Zerner, Enkelsohn, in Boston. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 62. Der Ausdruck Schiwa bedeutet sitzen. Nach dem Tod des Angehörigen gehört es sich nach jüdischer Trauersitte auf einem kleinen harten Schemel in der Wohnung zu sitzen. In dieser Zeit wird keine Arbeit verrichtet, Angestellten muss frei gegeben werden. Auch wenn man Trauergäste empfängt, soll man sitzen bleiben und niemanden grüßen. Es ist eine Pflicht in der Heiligen Schrift zu lesen, vgl. Hirsch, L. (1966). Jüdische Glaubenswelt. Gütersloh: Bertelsmann, S. 79. 71 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 62.
67 68 69 70
32
Lebensstationen
Trauer und erlaubte mir nicht das kleinste Vergnügen oder auch nur eine Zerstreuung.72
Die starke Trauer konnte sie sich selbst nicht erklären. Wie schon beschrieben, war das Verhältnis zur Mutter nicht sehr innig. Auch hier betonte Sofie erneut eine emotionale Distanz. Die Mutter fehlte ihr nicht, sie ordnete die Trauergefühle eher als ein schlechtes Gewissen ein. Die religiösen Rituale scheinen eine Unterstützung für die Bewältigung der Trauer gewesen zu sein. Im Sommerurlaub des Jahres 1902 schloss Robert Lazarsfeld eine neue Freundschaft mit einer benachbarten Familie, die ihn beruflich voran brachte. Der Ehemann war ebenfalls Rechtsanwalt und Robert Lazarsfeld gründete mit ihm und einem dritten Anwalt eine Gemeinschaftskanzlei. Zunächst sollte er als Konzipient73 arbeiten, nach der Advokatenprüfung war eine Partnerschaft angedacht. Die ursprüngliche Wohnung der Lazarsfelds sollte in eine Kanzlei umgewandelt werden. Darum wurde in den Sommermonaten ein Umzug in eine Wohnung im dritten Stockwerk des Hauses notwendig. Sofie Lazarsfeld fand das zunächst unbequem, weil sie den kleinen Paul hinauftragen musste und die Schwangerschaft zusätzlich beschwerlich war. Doch nach der Besichtigung war sie positiv überrascht, denn die Wohnung war wesentlich komfortabler. Die Fenster waren nach Norden ausgerichtet, es schien keine heiße Sonne hinein und die Gerüche aus der Konditorei waren verschwunden. Ein weiterer moderner Aspekt war ein Badezimmer mit einem Badeofen. Zu den Räumen der Anwaltskanzlei gehörte eine neue technische Errungenschaft, es wurde ein Telefon installiert. An manchen Abenden nutzte Sofie Lazarsfeld den Apparat für Gespräche mit Freundinnen, die schon einen Privatanschluss hatten.74 Robert Lazarsfeld verbrachte an den Abenden viel Zeit mit den Partnern der Kanzlei und hielt sich bei der befreundeten Familie auf. Während Sofie Lazarsfelds zweiter Schwangerschaft hatten die Kinder der Freunde die Masern. Sie geht davon aus, dass Robert Lazarsfeld die Viren als Überträger mit nach Hause brachte. Der Hausarzt diagnostizierte bei der Schwangeren, mit den Symptomen eines hartnäckigen Hustens und einer Augenentzündung, die Masern.75
72 73 74 75
Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 63. Bedeutung: Rechtsanwaltsanwärter. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 64 vgl. Roche Lexikon Medizin (2003): Bei Masern handelt es sich um eine hoch kontagiöse Infektionskrankheit, die hauptsächlich Kinder trifft. Die Übertragung erfolgt durch eine Tröpfcheninfektion, auch auf Distanz, von Raum zu Raum als sog. fliegende Infektion. Als Symptome gelten in den ersten Tagen Fieber, Atemwegskatarrh, Bindehautentzündung, Kopfschmerzen und ein beginnendes Exanthem. Nach etwa 4 – 5 Tagen ist der auffällige Masernausschlag zu sehen. Es geht häufig einher mit schwerem Reizhusten, Milzschwellung und Lymphknotenschwellung. Die Prognose ist in der Regel gut. Komplikationen sind durch bakterielle Infektionen (z. B. Pneumonie, Enzephalitis) möglich.
Frühe Ehejahre
33
Wir wussten nicht, zumindest ich wusste es nicht, dass Masern durch Dritte übertragbar sind. Und prompt bekam ich sie, da man während Schwangerschaften sehr empfänglich für Ansteckung ist. Als ich schwer zu husten begann und bisschen entzündete Augen hatte, meinte mein Arzt ich hätte Masern. Für mich war das eine Kinderkrankheit und ich weiss noch, dass ich lachend erwiderte, ich sei zwar sehr jung aber doch nicht so jung für Masern. Aber da hörte das Lachen auf, denn am nächsten Morgen kam Lisl zur Welt.76
Die Tochter Elisabeth wurde am 30. 03. 1903 geboren. Das Kind kam mit einer Maserninfektion auf die Welt, da der Immunschutz durch die Mutter fehlte. Erst im Nachhinein wurde Sofie Lazarsfeld bewusst, wie gefährlich eine Masernerkrankung von einer erwachsenen Frau und einem neugeborenen Säugling sein kann. Später erfuhr ich, dass es bis dahin in der medizinischen Literatur nur drei bekannte Fälle gab wo Mutter und Kind unter solchen Umständen überlebt haben. Lisl war überhaupt ein Wunderkind. Während der tiefen Depression war meine grösste Sorge ob das nicht das werdende Kind depressiv machen würde. Der Arzt verneinte es und wirklich wurde sie das rosigste immer lächelnde Baby, das nie schrie und überhaupt keine Schwierigkeiten hatte, wovon ihr Bruder reichlich lieferte.77
Mit dieser ernsthaften Erkrankung und dem weiterhin zu versorgenden kleinen Sohn hatte Sofie Lazarsfeld schwierige Monate zu überstehen. Unterstützung durch den Ehemann fand nicht statt, da Robert Lazarsfeld sich parallel geschäftlich neu orientierte. Unklar ist, ob die Familie von Hausangestellten unterstützt wurde. In ihren eigenen Ausführungen zu Beschwerden in der Schwangerschaft in Wie die Frau den Mann erlebt78 beschrieb Sofie Lazarsfeld eine Ruhebedürftigkeit im letzten Drittel der Schwangerschaft. Die werdende Mutter sollte anerkennen, dass der Körper in dieser Zeit eine hohe Energieleistung für die Austragung des Kindes vollbringe und sich entsprechend schonen. Sie verknüpfte diese Argumentation mit der Forderung nach einer anerkannten Schutzfrist für die Mutter, sowohl in den letzten Wochen der Schwangerschaft als auch in der darauffolgenden Stillperiode. Sie war sogar der Meinung, dass diese Schutzfrist in der Gesellschaft anerkannt und gewährleistet sein müsste. Dieser zu schützende Zeitraum ist auch heute noch als Mutterschutzfrist bekannt und muss von jedem Arbeitgeber gewährt werden. Gefordert wurde die Mutterschutzfrist von Frauen der österreichischen Sozialdemokratie bereits im
76 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 64. 77 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 66. 78 Lazarsfeld, S. (1931). Wie die Frau den Mann erlebt. Leipzig, Wien: Verlag für Sexualwissenschaft Schneider & Co, S. 187 – 191.
34
Lebensstationen
Jahre 1910.79 Eine Umsetzung dieser Forderung konnte erst nach dem 12. November 1918 erfolgen – als die Republikgründung Deutschösterreichs vollzogen war. Sofie Lazarsfeld war damals noch nicht Mitglied der sozialdemokratischen Partei Österreichs, schloss sich aber in der Nachkriegszeit nach dem ersten Weltkrieg der Frauenvereinigung und der Partei an.
2.4
Beginn des 20. Jahrhundert
2.4.1 Familienjahre – Kultur- und Sozialleben in der Vorkriegszeit (1903 bis 1914) Die nächsten Jahre waren für Sofie Lazarsfeld von der Kindererziehung und dem häuslichen Leben geprägt. Sie verbrachte viel Zeit ohne ihren Mann. Die Arbeit in der Kanzlei war für Robert Lazarsfeld immer noch sehr mühselig. Die Erbschaft war mittlerweile aufgebraucht, sein Verdienst gering. Lediglich ein weiteres kleines Erbe durch den Tod der Mutter stand zur Verfügung. 1904 meldete sich Robert Lazarsfeld das erste Mal für die Advokatenprüfung an. Als geprüfter Advokat war es möglich, juristische Dienstleistungen höher zu berechnen. Um diese schwierige Prüfung gut vorbereiten zu können, fuhr Robert in diesem Jahr nicht mit der Familie in die Sommerfrische.80 Dazu kam, dass Robert verlangte, ich solle mit den Kindern schon sehr früh dorthin gehen, lang bevor die andern nach kamen. Er studierte für die Advokaten Prüfung und wollte nicht durch die Familie gestoert sein. Das machte mir nichts aus, ich war gern allein mit den Kindern, die noch ganz klein und sehr erfreulich waren. Aber die Pointe dieser Vorsichtsmassnahme für Roberts Studieren ist, dass es nicht half, er konnte die Prüfung nicht bestehen.81
Die nicht bestandene Prüfung traf Robert Lazarsfeld sehr, so dass er sich weiter von der Familie zurückzog und zur Ablenkung eine Reise in die Dolomiten unternahm. Somit blieb Sofie Lazarsfeld weitere Wochen allein. Sofie Lazarsfeld begann allmählich, durch Roberts häufige Abwesenheit, eigene soziale Kontakte zu knüpfen. Sie berichtete z. B. von einem jungen Mann, der häufig die Wartezeit für anwaltliche Gespräche bei ihr verbrachte. Robert Lazarsfeld vertrat den Onkel des jungen Mannes in einem Prozess. Sofie habe gern mit dem jungen Mann »geplauscht«, der ein Weinkenner war und ihr sein Wissen über Weine weitergab. Dies sei der Beginn von vielen Freundschaften mit Männern in ihrem Leben gewesen. Sie habe darüber später mit einer amerika79 http://www.dasrotewien.at (17. 04. 2012). 80 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 74. 81 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 74.
Beginn des 20. Jahrhundert
35
nischen Bekannten gesprochen, die hinter diesen Kontakten Liebesaffären vermutete. Doch das sei nicht der Fall gewesen, erzählte Sofie Lazarsfeld an dieser Stelle. Schon zu Beginn ihrer Lebenserinnerungen betonte Sofie Lazarsfeld, dass es ihr seit der Kindheit leichter gefallen war, mit Männern statt mit Frauen Freundschaften zu schließen. Der Kontakt zu Frauen blieb schwierig für Sofie Lazarsfeld.82 Ein Jahr später (1905) bestand Robert Lazarsfeld die Advokatenprüfung und fuhr – dieses Mal aus Freude – gemeinsam mit Sofie in die Dolomiten. Die Kinder wurden währenddessen von Roberts Eltern betreut.83 Im Anschluss an diesen Sommerurlaub zog die Familie erneut um.84 Eine befreundete Familie baute ein neues Haus und bot den Lazarsfelds in dem Haus zwei Wohnungen für Kanzlei und Privatwohnung an. Für Sofie Lazarsfeld stellte dieser Umzug eine Überforderung ihrer damaligen finanziellen Möglichkeiten dar. Das war sehr kostspielig und was Robert vermutlich gehofft hatte, dass die Proximität mit diesem Klienten genug Fälle eintragen werde um das wett zu machen, das traf nicht ein. Es zeigt sich bald, dass die Kanzlei Wohnung aufgegeben werden musste und in unserer Wohnung Räume dafür frei gemacht werden mussten. Dafür eignete sich diese Wohnung gar nicht, sonst hätte man ja von Anfang an diese Lösung gewählt. Aber es war tragbar und nicht schlimm. Wirklich schlimm war, dass die Kanzlei überhaupt keine Fort- sondern starke Rückschritte machte. Aber es ging immer noch irgendwie und machte mich nicht ernstlich besorgt, hinderte mich auch nicht ein kleines neues eigenes Privatleben zu führen.85
Diese Jahre des familiären und auch geschäftlichen Aufbaus waren offenbar eine fortwährende Bewährungsprobe für die Ehe. Sicherlich mag die Ehe schwierig gewesen sein, möglicherweise oft von Unstimmigkeiten getragen. Dennoch scheinen beide darüber hinaus die krisenhaften Zeiten mit gemeinsamen Lösungen überstanden zu haben.
2.4.2 Kulturleben im Wien der Jahrhundertwende Eine Öffnung der Kultur für neue Strömungen, Veränderungen ganzer kunstgeschichtlicher Stile, sowie allmähliche Beteiligung von Frauen in der Gesellschaft, kennzeichnen den Zeitgeist des beginnenden neuen Jahrhunderts. Erste Umbrüche erreichten die Gesellschaft zum Ende des 19. Jahrhunderts und in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts. Der Kulturhistoriker Carl E. Schorske be82 83 84 85
Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 70. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 75. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 78. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 78.
36
Lebensstationen
schreibt in seinem Werk Wien – Geist und Gesellschaft im Fin de SiÀcle den Einstieg in die Moderne.86 Für Schorske ist der Aufbruch in die Moderne ein Weg in die gewünschte Unabhängigkeit. Die bürgerliche Gesellschaft wendete sich der modernen Architektur, moderner Musik, moderner Philosophie und moderner Wissenschaft zu. Exemplarisch dafür, dass auch die Lazarsfelds begannen diese Kreise zu streifen, erzählte Sofie Lazarsfeld in ihren Lebenserinnerungen von einem Künstleratelier, in dem sie häufiger zu Gast war. Die Räumlichkeiten waren ein Treffpunkt für verschiedene Intellektuelle der Zeit. Ein Freund der Familie hatte sie gebeten, für ein Exlibri seiner stattlichen Privatbibliothek ein Bild von Sofie als Minerva mit Nike bei einem Maler87 anfertigen zu lassen.88 Während der Sitzungen kamen andere junge Männer in das Atelier, hauptsächlich Schriftsteller, darunter Stefan Zweig und diese Atmosphäre war neu und genussreich für mich. Ich ging auch manchmal nachdem das Bild fertig war hin. Später bestellte mein Mann bei dem gleichen Maler ein kleines Ölbild von mir, das er auf seinem Schreibtisch wollte. Auch das ist ein kleines Kunstwerk und wurde erhalten, es steht bei meiner Tochter in Paris.89
In diesem kulturellen Wandel hatte sich auch die Politik auf den Weg gemacht, die Gesellschaft zu verändern. Sofie Lazarsfeld hatte schon als Kind eindrücklich den Aufbruch der Arbeiterklasse und den Zulauf zur Sozialdemokratischen Partei in Österreich erleben können. Die bisherigen Traditionen waren mit den Interessen der neuen, jungen bürgerlichen Gesellschaft an Kunst, Kultur und Politik in Frage gestellt worden, was zu einer kritischen Umformulierung der Werte führte.90 Die Historikerin Brigitte Hamann spricht von Opposition mit den bisherigen gesellschaftlichen Übereinkünften.91 Besonders im jüdischen Milieu veränderte sich mit entsprechendem Bildungsanspruch auch die Rolle der Frau. Der Prozentsatz von jüdischen Studentinnen nahm stetig zu. Für die jüdischen Familien waren Bildung und Gelehrsamkeit, auch für die weiblichen Mitglieder der Familie, von großer Bedeutung.92 Diese Teilnahme an Bildung führte zu einem erhöhten Engagement für Frauenrechte und für das Frauenwahlrecht. Frauen erkannten langsam, dass sie für Veränderungen mehr Ein86 Schorske, C. E. (1982). Wien – Geist und Gesellschaft im Fin de Si¦cle. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag. 87 Der Maler war Italiener, sein Name wurde nicht genannt. Das Bild verschwand im zweiten Weltkrieg, sei aber sehr gelungen gewesen, Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 79. 88 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 78 – 79. 89 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 79. 90 Schorske, C. E. (1980). Wien – Geist und Gesellschaft im Fin de Si¦cle. A.a.O. 91 Hamann, B. (2009). Österreich. A.a.O., S. 117. 92 Hamann, B. (2009). Österreich. A.a.O.
Beginn des 20. Jahrhundert
37
flussmöglichkeiten brauchen. Zu diesem Zeitpunkt war Sofie Lazarsfeld noch nicht aktiv in politischen Frauenkreisen, wuchs aber immer mehr in die modernen, aufgeschlossenen Kreise der Wiener Gesellschaft hinein. Sofie Lazarsfeld bekam allmählich mehr Kontakt zu Frauen und es gab wohl auch einige aus der Schulzeit erhalten gebliebene Freundschaften, die aber nicht den bildungsengagierten Frauen zuzurechnen waren. Meine Jugendfreundinnen tauchen im Schreiben immer wieder auf und sie waren ja auch wirklich vorhanden. Wir haben zueinander gehalten bis äussere Ereignisse uns trennten. […] Wir waren damals alle zu wenig geformt als dass eine von uns auf die andern irgend Einfluss hätte ausüben oder auch nur einen besondern Eindruck hätte machen können weder sie auf mich noch ich auf sie. Unsere Mütter waren alle auch nicht besonders geeignet für positive Identifizierung. Erst sehr viel später hatten Frauen und deren Beispiel Einfluss auf mich.93
Die Zeit für weibliches Engagement war reif und Sofie Lazarsfeld streifte diese intellektuellen Gruppierungen immer häufiger. Die aufkeimende Frauenbewegung war nicht nur vom positiven Geist des Aufbruchs getragen. Von konservativen und reaktionären Kreisen wurde die Frauenbewegung misstrauisch beäugt und als typisch jüdisch bezeichnet und damit als Widerspruch zum Wesen deutscher Frauen aufgefasst.94 Hamann zitiert einen Ausschnitt aus der Wiener deutschnationalen Zeitung, in dem die emanzipierte Frau als »ein Zwitter – antideutsch und voll des jüdischen Geistes« bezeichnet wurde.95 Neben dem modernen Zeitgeist, der von aufstrebender, neuartiger Kunst, Kultur und Politik geprägt war, hielt sich parallel dazu der Antisemitismus am Leben.
2.4.3 Etablierung in der bürgerlichen Gesellschaft Die Suche nach einer geeigneten Wohnung blieb für die Familie weitere Jahre ein Problem. Robert Lazarsfeld entschied nach einiger Zeit, dass es erfolgversprechender für seine Berufstätigkeit sei, im ersten Bezirk der Stadt Wien zu leben. Ab 1913 konnten sie schließlich eine sehr schöne Wohnung im ersten Bezirk und in der Nähe des Stefandoms beziehen.96 1913 übersiedelten wir ganz in die Nähe des Stefansplatzes, im innersten Herzen Wiens. Eine meiner alten Freundinnen, die all die veränderten Adressen miterlebt hatte, brachte den Scherz in Circulation, die nächste Adresse und endgültiger Ruhepunkt würden die Katakomben unterhalb der Stefanskirche sein. […] Ich liebte diese Woh93 94 95 96
Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 80. Hamann, B. (2009). Österreich, A.a.O., S. 119. Hamann, B. (2009), Österreich. A.a.O., S. 119. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 80.
38
Lebensstationen
nung so sehr, dass ich erklärte niemals freiwillig – nur mit den Füssen, wie man Tote trägt – oder an den Haaren geschleift würde ich sie verlassen. 26 Jahre lebten wir dort bis Hitler meine Voraussage des unfreiwilligen Verlassens wahr machte.97
Das gesamte Wohnhaus wurde von dem Architekten und Stadtbaumeister Siegfried Kramer in der Seilergasse 16 erbaut.98 Kramer war ein eher traditioneller Architekt der damaligen Zeit, der es aber verstand, die neuen Strömungen, wie die neuen Gestaltungsformen der Sezession, Barockelemente sowie Jugendstilformen miteinander zu verbinden.99 Diese Kombination lässt sich auch am Haus in der Seilergasse 16, das bis heute erhalten ist, nachvollziehen. Eine Adresse im ersten Bezirk Wiens hatte eine hohe gesellschaftliche Bedeutung. Nun änderte sich auch das Klientel der Kanzlei. Die Verdienste erhöhten sich. Die Kanzlei wirtschaftete nun so gut, dass es sogar möglich war, ein Gartenhaus im Sievering zu mieten. Das Haus war etwas spärlich ausgestattet, aber der Garten erfreute sich reger Beliebtheit bei dem wachsenden Freundeskreis der Familie.100
2.4.4 Der erste Weltkrieg In Folge der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinands und seiner Gemahlin Sophie Chotek am 28. Juni 1914 in Sarajevo entstand eine Kriegsbereitschaft, die eine Kriegserklärung Österreich-Ungarns gegenüber Serbien hervorbrachte.101 Zunächst gab es einen nur kurzen Schock und eine leichte Empörung der Bevölkerung. Stefan Zweig beschrieb die Verbreitung der Nachricht als wenig erschütternd. Die Menschen nahmen es zur Kenntnis, waren aber nicht sonderlich erbittert. Der Thronfolger war nicht sehr beliebt bei den Österreichern.102 […] die Nachricht von seiner Ermordung erregt deshalb keine tiefe Anteilnahme. Zwei Stunden später konnte man keine Anzeichen wirklicher Trauer mehr bemerken. Die Leute plauderten und lachten, spät abends spielte in den Lokalen wieder die Musik.103
Es habe am nächsten Tag ausführliche Berichte und große Traueranzeigen in der Presse gegeben, aber keine Äußerungen, die auf eine politische oder gar krie97 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 80. 98 Gedenktafel mit Name des Architekten befindet sich im Eingangsbereich des Wohnhauses (persönlich dokumentiert am 08. 08. 2011). 99 http://www.architektenlexikon.at/de/321.htm (13. 11. 2011). 100 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 81. 101 Hamann, B. (2009). Österreich, A.a.O., S. 128 – 129. 102 Zweig, S. (2010). Die Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, S. 246 – 249. 103 Zweig, S. (2010). Die Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers, A.a.O., S. 249.
Beginn des 20. Jahrhundert
39
gerische Auseinandersetzung mit Serbien schließen ließ.104 Der Kaiser stand dem designierten Thronfolger nicht sehr nahe und ordnete aufgrund des minderen Ranges der Ehefrau des Thronfolgers keine große Beisetzung in Wien an. Die Wiener lebten unverdrossen in den Sommer hinein und ließen das Ereignis hinter sich.105 Hohe Militärs beurteilten das Attentat anders und arbeiteten eine Kriegserklärung gegenüber Serbien aus. Da Serbien als kleines Land und somit auch als kleines Kriegsproblem eingeschätzt wurde, unterschrieb der Kaiser die Mobilmachung.106 Allerdings standen hinter Serbien als Verbündete die großen Nationen Russland und Frankreich, die nacheinander in den Krieg eingriffen. Das führte zu einer Beteiligung Deutschlands, welches als österreichischer Bündnispartner am 1. August 1914 Russland den Krieg erklärte und Frankreich schnellstmöglich besiegen wollte. Es kam zu Übergriffen auf neutrale Länder wie Belgien, wodurch wiederum England in den Krieg eingriff.107 Von einer kurzen Kriegshandlung war nun nicht mehr auszugehen. Bereits im ersten Kriegswinter gab es viele Tote, Vermisste und Gefangene.108 Familie Lazarsfeld erlebte den Beginn des Krieges während der Sommerfrische im Haus in Sievering.109 Sofie Lazarsfeld hatte durch Erzählungen ihrer Mutter eine gewisse Vorstellung vom Krieg bekommen. Von Kämpfen war wenig die Rede, aber die Mutter wusste, dass man genug Vorräte im Haus haben sollte. Auch Sofie Lazarsfeld erlebte den Sommer 1914 nach dem Attentat und der Kriegserklärung so unbeschwert wie alle anderen Wiener : Das Einzige wofür man sorgen musste in ihrer Erinnerung [der Mutter, Anm. d. V.] war immer etwas zu Essen zu haben. Das also wusste ich und auch dass Kriege nicht lang dauern. Letzterer Meinung waren alle Leute, die wir kannten, so zu sagen ›in sechs Wochen ist alles vorüber‹, das hoerte man allgemein sagen auch am Marktplatz von Leuten, die man gar nicht kannte. Auf Grund dieser Erkenntnis ging ich mit meiner Tochter einkaufen und wir brachten genügend Lebensmittel heim um uns über die kurze Zeit voellig zu sichern.110
Zunächst ahnte die Familie nicht, dass auch sie in irgendeiner Form in den Krieg verwickelt werden sollte. Robert Lazarsfeld wurde bereits im Alter von 21 Jahren für untauglich erklärt, da er Schwierigkeiten mit seiner Schulter hatte.111 Dann aber, Anfang 1915, wurde Robert Lazarsfeld eingezogen, obwohl er bereits über 104 105 106 107 108 109 110 111
Zweig, S. (2010). Die Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers, A.a.O., S. 251 – 252. Hamann, B. (2009) Österreich, A.a.O., S. 130. Hamann, B. (2009), Österreich. A.a.O., S. 129 – 131. Hamann, B. (2009), Österreich. A.a.O., S. 130. Hamann, B. (2009), Österreich. A.a.O., S. 131. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 82. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 82. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 84.
40
Lebensstationen
40 Jahre alt war. Er wurde dem sogenannten Landsturm – eine Infanterieeinheit – zugeordnet. Die Marschiereinheiten waren für Robert Lazarsfeld sehr beschwerlich, dass Sofie Lazarsfeld und er sich entschlossen, ein Pferd zu kaufen. Wenn auf private Kosten ein Pferd zur Verfügung gestellt werden konnte, wurde der Soldat zur Kavallerie versetzt. Humorvoll beschrieb Sofie Lazarsfeld den Kauf eines Pferdes mit Namen »Nazi«, das Robert Lazarsfeld die Militärzeit erleichtern sollte.112 Wir kauften ein sehr schoenes, blondes Pferd, das den Namen ›Nazi‹ trug. Das hatte damals noch keinen schlechten Beigeschmack, es war nur die wienerische Abkürzung von Ignaz. Wir verwendeten dafür das Geld, das wir für ein gutes Klavier gespart hatten. Das war schade, denn Klavierspielen war Robert’s grosse Passion.113
Zunächst konnte Robert Lazarsfeld mit seiner Einheit in Wien bleiben. Durch die Bekanntschaft mit einem General wurde Sofie Lazarsfeld oft gebeten, eine Kriegsdienstbefreiung verschiedener Männer zu erwirken. Doch dieser General war unerbittlich und sie konnte in keinem Fall etwas erreichen.114 Ich hatte genau so viel Einfluss auf ihn wie auf den Felsen von Gibraltar. Unter jenen die diesen Versuch machten, war durch eine Freundin Rainer Maria Rilke, in Soldatenuniform, nicht mal Offizier, verkümmert und verschüchtert und wenn man ein Symbol für die wahnsinnige Verschwendung eines Krieges brauchte, so war es dieser Anblick. Diesen Dichter schickte man als Infanterie Soldaten ins Feld.115
Aus biographischen Werken zu Rilke ist bekannt, dass für ihn mit Hilfe anderer Freundeskreise ein sicherer Einsatzort gefunden wurde.116 Diese für den Kriegsdienst noch angenehme Zeit änderte sich. Robert Lazarsfeld wurde nach den weniger anstrengenden Reitstunden in Wien mit anderen »mittelalten Artilleristen« zum »Train« versetzt. Der »Train« sei dafür verantwortlich gewesen, sich um die Verteilung von Nahrungsmitteln zu kümmern.117 Robert Lazarsfeld gehörte mit anderen Akademikern zu einer Vielzahl von Soldaten mit gehobener Bildung, die ähnlich wie Reserveoffiziere, zunächst nur organisatorische Aufgaben in Wien zu übernehmen hatten. Die Offizierslaufbahn wurde damals automatisch mit dem Bildungsgrad verknüpft. Viele jüdische Intellektuelle wurden deshalb in die höheren Dienstgrade beordert und galten zunächst als Reserveoffizier, da sie in der Regel dauerhaft beruflich als Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 85. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 85. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 86 – 87. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 87. Er konnte nach Fürsprache eines Grafen aus Bayern in das Kriegsarchiv versetzt werden, in dem ebenfalls schon Stefan Zweig, Alfred Polgar und andere arbeiteten. Vgl. Schnack, I. (1990). Rainer Maria Rilke – Chronik seines Lebens und seines Werkes. Frankfurt am Main: Insel Verlag, S. 525. 117 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 85.
112 113 114 115 116
Beginn des 20. Jahrhundert
41
Arzt, Rechtsanwalt oder in anderen akademischen Berufen tätig waren. Im Verlauf des Krieges gab es bei den Kämpfen hohe Verluste unter den Offizieren, so dass eine Mobilmachung der Reservisten notwendig wurde.118 Anfang 1916 wurde auch Robert Lazarsfeld aus Wien abberufen. Es handelte sich nicht um ein direktes Kampfgebiet, so dass es üblich war, die Familien nachreisen zu lassen. Robert Lazarsfeld war in Südtirol (Italien – Grenze für Zivilisten war der Brennerpass) stationiert und musste erst die Zuzugerlaubnis für seine Familie bei den Behörden erwirken.119 Sofie Lazarsfeld musste ohne die gültigen Papiere in Steinach am Brenner warten. Dort stand ihr Rudolf Hilferding120, mit dem die Familie schon länger befreundet war hilfreich zur Seite. Er war dort als Militärarzt stationiert. Im Frühsommer 1916 wurde die Einreise nach Klausen in Südtirol zu Robert Lazarsfeld genehmigt.121 Die Kinder konnten bei den Freunden in Steinach bleiben. Der Aufenthalt in Klausen war sehr unbequem. Da Robert Lazarsfeld nur Reserveoffizier war, hatte er nur ein kleines Zimmer zur Verfügung gestellt bekommen, in dem er gemeinsam mit seiner Frau unterkommen musste. Den Umgang mit dem Militär hatte Sofie Lazasrfeld als äußerst unangenehm in Erinnerung. Die höheren Offiziere gebärdeten sich herablassend den niederen Ranggruppen gegenüber. Sofie Lazarsfeld fühlte sich sehr unwohl in dieser Situation. Keine Möglichkeit zumindest häusliche Arbeit zu machen, voellig ohne jede Beschäftigung für mich. Robert hatte zumindest seinen Dienst und sein Pferd mit dem er oft ausreiten konnte, aber für mich kann ich nur wiederholen eine dreifache Hoelle.122
Bald bekamen die Kinder die Bewilligung einreisen zu dürfen und die Stimmung besserte sich. Die Gesellschaft der Kinder heiterte Sofie Lazarsfeld auf. Mit der Schulpflicht der Kinder im Herbst sollte die Familie nach Brixen ziehen und eine kleine Wohnung bekommen.123 Leider hielt diese entspannte Lage nur kurz an, 118 Brugger, E., Keil, M., Lichtblau, A., Lind, C. & Staudinger, B. (2006, S. 489). Geschichte der Juden in Österreich. Wien: Verlag Carl Ueberreuter. 119 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 97. 120 Rudolf Hilferding ist nach Kriegsende nach Deutschland/Berlin gegangen, weil er die Überzeugung hatte, die bessere Zukunft für den Sozialismus läge in Deutschland als in Österreich. Er besuchte bei Aufenthalten in Wien immer die Familie Lazarsfeld und traf sich mit ihnen, wenn Sofie Lazarsfeld zu Vorträgen in Berlin weilte. Er wurde zweimal Finanzminister zur Zeit der Weimarer Republik. Nach der Machtergreifung Hitlers verließ er Deutschland zunächst in die Schweiz, später siedelte er um nach Arles in Frankreich. Dort wurde er wahrscheinlich an die Deutschen ausgeliefert und getötet, Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 99; vgl. http://www.dhm.de/lemo/html /dokumente/hilferding/index.html (18. 04. 2012). 121 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 100. 122 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 101. 123 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 102.
42
Lebensstationen
denn Robert Lazarsfeld musste der Familie die Mitteilung machen, dass auch in Brixen nur Angehörige von Offizieren das Recht hätten, eine Wohnung zu bekommen. Schweren Herzens entschied sich die Familie Anfang September 1916 nach Wien bzw. nach Sievering zurückzukehren. Robert Lazarsfeld traf das wesentlich härter, da er nun den Kriegsalltag bei der Versorgungstruppe ohne den Ausgleich des Familienlebens bestehen musste. Sofie Lazarsfeld konnte das Leben in Sievering im Sommerhaus gut meistern, da sie durch die Vermietung der Wohnung in der Seilergasse finanziell abgesichert war. Im Winter 1916/1917 wurde das Leben für alle Bürger schwerer. Der Mangel an Lebensmitteln bestimmte den Alltag. Die Entbehrungen der folgenden Jahre waren sehr hart, aber das galt für Alle, ausser für Schieber und Kriegslieferanten zu denen wir leider nicht gehoerten, also wozu in dem allgemeinen Elend ein Einzelschicksal schildern. Mit den harten Zeiten wurden auch die meisten Menschen härter, Theilnahme oder gar Hilfsbereitschaft schwanden fast gänzlich. Es hiess jetzt mehr oder minder ›Jeder für sich und keiner für Alle‹.124
Im Winter 1917 kam Robert Lazarsfeld völlig überraschend aus dem Krieg zurück. Eines Nachts läutete es an der Tür zu dem kleinen Vorgarten des Hauses. Ich schaute vom Fenster hinunter konnte aber bei der Finsternis nichts richtig unterscheiden. Immerhin schiens mir, dass dort ein Mann in Uniform stand, also hoffte ich auf Nachricht von Robert von dem ich lange nichts gehoert hatte. Er war inzwischen mit seiner Traintruppe viel näher an das wirkliche Kampfgebiet versetzt worden, dicht an die italienische Grenze mit Proviant für die Truppen. Ich lief hinunter um zu oeffnen und da stand Robert, oder besser ein Schatten seiner selbst.125
Er war sehr krank, geplagt von einer Furunkulose.126 Er hatte damit nicht mehr bei der Truppe bleiben können und wurde zur Genesung nach Hause geschickt. Mit dem erkrankten Mann war es der Familie unmöglich während des Winters in dem kalten und dunklen Sommerhaus zu bleiben. Sie zogen zurück in die Stadt und teilten die Wohnung mit den Mietern, indem sie die Räume der Kanzlei als Wohnraum nutzten. Nach einiger Zeit erholte sich Robert Lazarsfeld und dadurch bestand die Gefahr wieder an die Front zu müssen. Sofie Lazarsfeld konnte erneut keine Hilfe durch den General bekommen und einen weiteren Einsatz nicht verhindern. Zu diesem Zeitpunkt suchte das Militär aber organisatorische Stützpunkte in Wien. 124 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 103. 125 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 105. 126 vgl. Roche Lexikon Medizin (2003): Ein Furunkel ist eine eitrige meist schmerzhaft Entzündung des Haarbalgs und des umliegenden Hautgewebes. Wenn dies gehäuft und schubweise auftritt spricht man von Furunkulose. Im Krieg treten diese Entzündungen überwiegend aus hygienischen Gründen auf.
Beginn des 20. Jahrhundert
43
Robert Lazarsfeld meldete ihre Wohnung dafür an und konnte damit verhindern, wieder im Kampfgebiet eingesetzt zu werden. Wegen der guten Lage im ersten Bezirk wurde der Vorschlag sofort akzeptiert. Robert Lazarsfeld bekam den Posten für das Kohlenkommando. Die Familie konnte gemeinsam in Wien bis Kriegsende zusammenleben.127
2.4.5 Basedow-Erkrankung Im Jahr 1915, nachdem Robert Lazarsfeld zum »Train« versetzt worden war, bildete Sofie Lazarsfeld Symptome der Basedowschen Krankheit aus.128 Es handelt sich bei der basedowschen Erkrankung um eine Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion). Sie beschrieb die Symptome nicht genauer, aber es ist davon auszugehen, dass es sich um Anzeichen von hervortretenden Augäpfeln (Exophthalmus) und einer Vergrößerung von Schilddrüsengewebe (Struma) handelte. Auf Fotos von Sofie Lazarsfeld ist auch in späteren Jahren ein leichter Exophthalmus zu sehen. Weiter dazugehörige Symptome sind Gereiztheit, Nervosität, Schlaflosigkeit, Wärmeintoleranz, verstärkte Schweißneigung, Herzklopfen, Belastungsdyspnoe, Tremor und Gewichtsverlust.129 Nach Ausführungen Sofie Lazarsfelds hinsichtlich ihrer Stimmung zu Beginn der Behandlung in der Kurklinik könnte man auch die zusätzlichen psychischen Symptomen wie Unruhe, vermehrte Angst, Verlust der Fähigkeit sich zu konzentrieren bis hin zu depressiven Reaktionen annehmen. Unser Arzt empfahl Kurhaus Konried in Edlach und dorthin ging ich. Es lag sehr schoen mit genau dem Klima das ich brauchte und ich hätte mich wohl fühlen müssen. Aber das Gegenteil trat ein. Ich wollte nicht bleiben und hatte die einzige hysterische Reaction, die ich je hatte. Ich lief woertlich mit dem Kopf gegen die Wand meines Zimmers aus Elend und Verzweiflung, ich wollte nach Haus.130
Da mit der Symptomatik der hervortretenen Augen und der Schilddrüsen-vergrößerung in der Regel eine erhöhte Herz-/ Kreislauftätigkeit mit einem erhöhten Puls oder auch mit stärkerem Schwitzen einherging, vermuteten die Mediziner eine Störung am Herzen. Sie assoziierten die Symptome mit einer
127 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 106. 128 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 87. 129 Uexküll, T. v. (2008). Psychosomatische Medizin – Modelle ärztlichen Denkens und Handelns. München, Jena: Urban & Fischer, S. 139. 130 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 88.
44
Lebensstationen
Sympathikusschädigung.131 Daher sprach vieles für eine Bäderkur als Behandlung, um z. B. mit entspannenden Bädern auf die Pulsfrequenz einzuwirken. Außerdem erhoffte man sich insgesamt eine Besserung des Stoffwechsels, da die Bäder sich günstig auf den Ernährungszustand auswirkten und somit Einfluss auf die Ausscheidungsfunktionen der Niere und Haut nehmen können. Im vorhergehenden Zitat erwähnte Sofie Lazarsfeld auch die auftretende Nervosität, die bei den Basedowerkrankten häufig zu beobachten ist. Eine weitere Hypothese für die Entstehung der Erkrankung, war ein Zusammenhang zu kritischen Lebensereignissen. Es wurde eine Beziehung zu Stresserlebnissen hergestellt und der Begriff »Schreck-Basedow« verwendet.132 Diese Wechselwirkungen könnten 1915 für die Symptomatik Sofie Lazarsfelds auch diskutiert worden sein. Die Idee der psychischen Beteiligung wurde durch die Hypothese des »Schreck-Basedow« schon mit einbezogen und eben deswegen auch die »Kur« als Behandlungsoption gewählt: Durch Bäderbehandlung in Verbindung mit medikamentösen und diätetischen Massnahmen ist noch stets Besserung oder Heilung erzielt worden, und es musste therapeutischer Grundsatz werden, wenn nicht Lebensgefahr oder mechanische Druckerscheinungen seitens des Kropfes chirurgische Behandlung nötig machen, stets die Bäderbehandlung zuerst anzuwenden.133
Die Beschreibung der Stimmungslage von Sofie Lazarsfeld zu Beginn des Aufenthalts im Kurheim deuten zumindest auf Gefühlsaufruhr und innere Unruhe hin, die mit erniedrigten TSH-Werten einhergegangen sein könnten, die damals aber noch nicht laborchemisch bestimmt werden konnten. Zunächst konnte Robert Lazarsfeld sie einige Tage zur Kur begleiten, musste dann aber wegen seines Militäreinsatzes zurück. Nach der Abreise von Robert geriet Sofie Lazarsfeld regelgerecht in eine Krise. Sie packte panikartig und stand mit dem Gepäck an der Tür des Kurhauses. Sie verlangte nach einem Gefährt zum Bahnhof. Der Portier musste ihr leider mitteilen, dass keine Pferdedroschken zur Verfügung stehen, die zum Bahnhof fahren könnten, da alle Pferde vom Militär eingezogen wurden. In diesem Moment war plötzlich Pferdegetrampel zu hören und der befreundete General ritt in den Hof. Diesmal konnte er Sofie Lazarsfeld helfen. Er bewirkte, dass sie ein besseres Zimmer bekam, mit Balkon und Ausblick in die Berge.
131 vgl. Hirsch. (1905). Ueber Basedowsche Krankheit, ihren Zusammenhang mit Herzleiden und ihre Behandlung. München: Verlag der Aerztlichen Rundschau. 132 Uexküll, T. v. (2008) Psychosomatische Medizin – Modelle ärztlichen Denkens und Handelns. München, Jena: Urban & Fischer, S. 955. 133 Hirsch. (1905). Ueber Basedowsche Krankheit, ihren Zusammenhang mit Herzleiden und ihre Behandlung. München: Verlag der Aerztlichen Rundschau, S. 23.
Beginn des 20. Jahrhundert
45
Durch das schoene Zimmer änderte sich für mich alles. Ich war je mehr von Zimmern abhängig als der Durchschnitt. Ein Zimmer muss mich begrüssen koennen wenn man hineinkommt, dieses Zimmer tat es.134
Nach einigen Tagen kamen ihre Kinder zu Besuch, was die Stimmung nochmals wesentlich besserte. Ebenfalls zu dieser Zeit im Kurheim anwesend waren Victor Adler135 und sein Sohn Friedrich Adler136. Noch gemeinsam mit Robert hatte sie beide Herren dort kennengelernt. Vermutlich sympathisierte Robert Lazarsfeld in dieser Zeit schon mit sozialdemokratischer Politik und war hoch erfreut Viktor Adler, den Vorsitzenden der Partei, dort zu treffen.
134 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 92. 135 Victor Adler wurde am 24. Juni 1852 in Prag geboren. Auch er siedelte mit seiner Familie aus Böhmen nach Wien über. Die Familie gehörte der jüdischen Glaubensgemeinschaft an. Schon früh wurde er in der Schulzeit mit Antisemitismus konfrontiert und setzte sich gegen Ungerechtigkeiten zur Wehr. Er studierte Medizin und eröffnete eine Praxis als Psychiater. Durch diese Tätigkeit bekam er mehr Einblicke in die sozialen Nöte der Arbeiterschaft. Gemeinsam mit Otto Bauer und Karl Renner wurde er zu einem der ersten führenden Sozialdemokraten in Österreich. Begegnungen mit August Bebel und Friedrich Engels bestimmten sein politisches Engagement. Ab 1905 war er Abgeordneter im Reichsrat und setzte sich für das allgemeine Wahlrecht ein. Am 1. Mai 1890 hatte er das erste Mal zu einer Massendemonstration aufgerufen, um für die Durchsetzung des Achtstundentages zu kämpfen. Braunthal, J. (1965). Victor und Friedrich Adler – zwei Generationen Arbeiterbewegung. Wien: Verlag der Wiener Volksbuchhandlung. 136 Sohn von Victor Adler, geboren am 9. Juli 1879 in Wien. Auch er zeigte großes Interesse an Politik seit jungen Jahren. Zunächst studierte er Physik und arbeitete wissenschaftlich. Ab 1911 war er Parteisekretär für die SPÖ in Wien. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs legte er das Amt nieder und opponierte gegen die Kriegshaltung seiner Partei. Am 21. Oktober 1916 erschoss er den Ministerpräsidenten Karl Reichsgraf von Stürgkh. Zunächst wurde er zum Tode verurteilt, später begnadigt und im November im Zuge einer Amnestie frei gelassen. Er nahm das Amt des Parteisekretärs wieder auf. Ab 1923 wirkte er am Aufbau der Sozialistischen Internationale mit, deren Generalsekretär er 1925 wurde. Er setzte sich zeitlebens für die Bewahrung der Archive der Arbeiterbewegung ein, rettete über den Zweiten Weltkrieg hinweg wichtige Dokumente, die nach seinem Tod am 2. Januar 1960 durch Übergabe seiner Ehefrau im Verein der Geschichte der Arbeiterbewegung in Wien gelagert wurden, Maderthaner, W. (2009). In G. Benser & M. Schneider (Hg.), Bewahren-VerbreitenAufklären: Archivare, Bibliothekare und Sammler der Quellen der Deutschsprachigen Arbeiterbewegung. Bonn- Bad Godesberg: Friedrich Ebert Stiftung.
46
Lebensstationen
2.5
Inspirierende Begegnungen
2.5.1 Eine lebenslange Freundschaft – Friedrich Adler Robert Lazarsfeld war sehr an der politischen Arbeit der beiden Adlers interessiert und knüpfte Kontakt mit ihnen. Daraus entwickelte sich eine ›angenehme Sommerbekanntschaft‹ wie Victor Adler es nannte.137 Victor Adlers Einstellung zu mir war anfangs eine sehr freundliche. Er weckte mein Interesse an Detective Geschichten und gab mir sogar Collette’s ›Claudine‹ zu lesen, für jene Zeit eine ›gewagte‹ Literatur. Er dankte sogar meinem Mann und mir, dass wir durch unsere Gesellschaft seinen ›Steinesel von Sohn‹ manchmal von seiner Arbeitswut ablenkten.138
An den Abenden leistete Sofie Lazarsfeld Friedrich Adler, bei den damals sehr populären Tarokspielen, Gesellschaft. Die Freundschaft setzte sich nach dem Kuraufenthalt in Wien fort und brachte Sofie Lazarsfeld den politischen Ideen der Sozialdemokraten näher. Die Beziehung zu Fritz machte rasche Fortschritte, man koennte meinen, dass meine Beziehung zum Sozialismus in der Art von Peter Altenbergs139 Aphorismus erwuchs »Wenn eine Frau von Astronomie spricht, dann meint sie den Assistenten der Sternwarte«. Das war aber nicht der Fall, […]140
Friedrich Adler knüpfte auch eine freundschaftliche Beziehung zu den Kindern Elisabeth und Paul, die sich bald sozialdemokratischen Jugendorganisationen anschlossen.141 Besonders Paul interessierte sich durch den intellektuellen Austausch mit Friedrich Adler für wissenschaftliche Themen. Friedrich Adler hatte nach seinem Abitur in Zürich Physik studiert. Dort war er Weggefährte und Freund von Albert Einstein. Nach dem Abschluss in Physik blieb er zu137 Lazarsfeld, S. (1970). Übergabebrief: Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung Adler Archiv – Mappe 285, Tasche 1, 1970. 138 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 92. 139 Peter Altenberg (1859 – 1919, eigentlich Richard Engländer) war durch Kontakt mit Karl Kraus zum Schriftsteller geworden, nachdem er verschiedene Studiengänge – Jura und Medizin – nicht zu Ende brachte. Er gilt als schreibender Vertreter des Impressionismus zur Zeit der Wiener Moderne. Seine Texte sind fast ausschließlich Beobachtungsskizzen. Dennoch luden sie z. B. Alban Berg zur Vertonung ein, Egon Friedell trug sie zeitweise auf der Bühne vor. Altenberg lebte das Leben eines Bohemians, der sich überwiegend in Kaffeehäusern aufhielt und gegen Ende seines Lebens von Alkoholentzügen gezeichnet war, zusammengefasst nach Lunzer, H., & Lunzer-Talos, V. (2003). Peter Altenberg – Extracte des Lebens – Einem Schriftsteller auf der Spur. Salzburg: Residenz Verlag. 140 Erinnerungen Sofie Lazarsfeld (1972 – 1. Teil); unveröffentlichtes Manuskript, S. 93. 141 vgl. Lazarsfeld, P. F. (2008). Eine Episode in der Geschichte der empirischen Sozialforschung: Erinnerungen. In W. R. Langenbucher (Hg.), Paul Felix Lazarsfeld – Leben und Werk Wien: Wilhelm Braumüller ; S. 21 – 92.
Inspirierende Begegnungen
47
nächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Zürich, nach einer Phase als Assistent am Deutschen Museum und einer erneuten Dozentur in Zürich, entschloss er sich jedoch für eine ausschließlich politische Arbeit in Österreich. Albert Einstein übernahm als sein Nachfolger die Lehrtätigkeit in Zürich.142 Zurück in Wien war Friedrich Adler häufig Gast der Familie Lazarsfeld, wohnte auch zeitweilig in deren Wohnung. Anlässlich eines Konzertes von Richard Strauß, das Sofie Lazarsfeld mit Friedrich Adler besuchte, hatte sie die Möglichkeit, weitere neue Bekanntschaften zu knüpfen. An diesem Konzertabend lernte sie zwei beeindruckende Frauen kennen, die offenbar ein anderes Leben als Frau führten, als sie selbst. Sie erfuhr bald, dass es Frauen mit Berufsbiographien waren und die außerdem noch politisch aktiv waren. Die Freundschaft mit Friedrich Adler blieb bis zum Attentat kontinuierlich bestehen. Er hielt sich viel bei der Familie auf, da seine eigene Familie ungern aus Zürich wegzog und seine Frau mit den Kindern weiterhin dort lebte.143 Am 21. Oktober 1916 erschoss Friedrich Adler, als Protesthandlung gegen die Kriegshandlungen, den österreichischen Ministerpräsidenten Karl Grafen von Stürgkh. Nach der Inhaftierung konnten sowohl legale als auch illegale Briefgrüße mit Hilfe der Anwälte ins Gefängnis übermittelt werden und der Kontakt blieb über diese Zeit hinweg erhalten. In der Haft nutzte Friedrich Adler die Zeit eine wissenschaftliche Abhandlung Ernst Machs Überwindung des Mechanischen Materialismus zu schreiben. Er erhielt Unterstützung bei der Beschaffung der notwendigen Bücher und Zeitschriften durch Paul Lazarsfeld. Ein Dankesbrief auf Gefängnisbriefpapier ist in der Korrespondenz zwischen Sofie Lazarsfeld und Friedrich Adler erhalten.144 Sofie Lazarsfeld zog damals den Ärger Victor Adlers auf sich, weil sie Friedrich Adler in seinen Bestrebungen unterstützte, als zurechnungsfähig zu gelten, was Victor Adler gemeinsam mit den Anwälten145 seines Sohnes auf keinen Fall wollte. Er hatte die Absicht auf Unzurechnungsfähigkeit zu plädieren 142 vgl. Braunthal, J. (1965). Victor und Friedrich Adler – zwei Generationen Arbeiterbewegung. Wien: Verlag der Wiener Volksbuchhandlung. 143 VGA, Wien: Adler Archiv – Mappe 308, Tasche 1: Alice Waeger (Tochter von Friedrich Adler) erläutert die politischen Beweggründe der Familie 1914 von Wien nach Zürich übergesiedelt zu sein. Die Familie wurde wegen der russischen Herkunft von Kathia Adler (Ehefrau Friedrich Adlers) und deren Mutter von den österreichischen Behörden verfolgt. Es kam teilweise zu Ausgrenzungen, z. B. bei der Vergabe von Lebensmitteln – Brief Alice Waeger vom 01. 02. 1970 an Sofie Lazarsfeld. 144 VGA, Wien: Adler Archiv – Mappe 308, Tasche 1. 145 Anwälte von Friedrich Adler waren Dr. Gustav Harpner als angesehener Rechtsberater der sozialdemokratischen Partei und Dr. Sigmund Popper (Vater von Karl Popper, Wissenschaftstheoretiker) als enger Freund von Friedrich Adler. Vgl. Braunthal, J. (1965). Victor und Friedrich Adler – zwei Generationen Arbeiterbewegung, A.a.O., S. 232.
48
Lebensstationen
und damit die Schuldfähigkeit für das Attentat in Frage zu stellen. Friedrich Adler war es aber laut Sofie Lazarsfeld wichtig, seine Überzeugungen konsequent zu vertreten und deswegen nahm er die zu erwartende Todesstrafe in Kauf. Die Gerichtsverhandlung endete wie erwartet mit dem Todesurteil. Die Haltung Friedrich Adlers während des Prozesses machte einen großen Eindruck auf die Bevölkerung, so dass es nicht zu einer Vollstreckung des Urteils kam. Die Todesstrafe wurde in eine Kerkerstrafe von 18 Jahren umgewandelt.146 Durch die Amnestie für politisch Inhaftierte kam auch Friedrich Adler nach Beendigung der Monarchie in Österreich am 1. November 1918 frei. Ein Großteil dieser umfangreichen Korrespondenz mit Familie Lazarsfeld aus diesen Jahren musste nach den Gerichtsverhandlungen vernichtet werden. Paul Lazarsfeld wurde als politischer Demonstrant, der für die Freilassung Adlers auf die Straße gegangen war, verhaftet. Die Familie verbrannte die Briefe aus Angst vor einer polizeilichen Hausdurchsuchung. Sofie Lazarsfeld bedauerte dies sehr, weil darunter auch Ausführungen über die Motive zum Attentat enthalten waren, die nun historisch verloren sind.147 Über diese schwierige Phase hinaus sind Sofie Lazarsfeld und Friedrich Adler lebenslang freundschaftlich verbunden geblieben. Während der Zeit der Emigration in Frankreich von 1938 bis 1941 unterstützte Friedrich Adler von New York aus Sofie Lazarsfelds Familie. Auch er versuchte ein Visum für die Geflüchteten zu erwirken. In der Nachkriegszeit half er der Familie von Elisabeth Lazarsfeld, die in Frankreich zurückgeblieben war, u. a. mit Sendungen von Lebensmitteln. 1970 übergab Sofie Lazarsfeld ihren privaten Briefwechsel mit Friedrich Adler, der bis zum seinem Tod am 2. Januar 1960 aufrechterhalten wurde, dem Verein der Geschichte der Arbeiterbewegung (VGA) in Wien. In den Briefen werden auch Begegnungen und Besuche während der Sommeraufenthalte von Sofie Lazarsfeld im Erholungsort Engelberg in der Schweiz berichtet.148 Nach dem Tode Adlers blieb Sofie Lazarsfeld mit einer seiner Töchter weiterhin schriftlich verbunden.149 Die sozialdemokratische Idee und der politische Aktivismus wirkten durch diese Freundschaft in die ganze Familie hinein. Der Kontakt und Austausch trug maßgeblich dazu bei, dass Sofie Lazarsfeld animiert wurde, im Alter von fast 40 Jahren ihr Leben zu verändern. Mit ihren großen autodidaktischen Fähigkeiten sich in neue Aufgabengebiete einzuarbeiten und sich von anderen Menschen
146 Braunthal, J. (1965). Victor und Friedrich Adler – zwei Generationen Arbeiterbewegung. A.a.O., S. 260. 147 Lazarsfeld, S. (1970). Übergabebrief: Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung – Adler Archiv – Mappe 285, Tasche 1. 148 VGA, Wien Briefwechsel Sofie Lazarsfeld – Friedrich Adler Mappe 285 – 308. 149 VGA, Wien: Adler Archiv – Mappe 308, Tasche 1.
Inspirierende Begegnungen
49
inspirieren zu lassen, stürzte sie sich in ein absolut neuartiges Leben, das im Verlauf in ein Berufsleben mündete. Das Besondere an diesen Veränderungen scheinen auch verschiedene wichtige Frauenfreundschaften zu sein, die sich bisher für Sofie Lazarsfeld eher schwierig gestalteten und laut ihrer eigenen Aussage nicht einfach zu knüpfen waren.
2.5.2 Neue Freundinnen Der Konzertabend mit Friedrich Adler brachte – zusätzlich zu dem besonders schönen Erlebnis, ein Konzert von Richard Strauß persönlich gehört zu haben – eine bedeutende Erkenntnis für Sofie Lazarsfeld. Aber darüber hinaus brachte mir dieser Abend ein starkes persoenliches Erlebnis, und zwar durch zwei mir unbekannte Frauen. Wir begegneten ihnen während der Pause und Fritz grüsste sie freundlich, sichtlich als gute Bekannte, sprach sie aber nicht an und sie taten das gleiche. Ich fragte wer die Beiden wären und er antwortete, dass beide aktive Parteimitglieder seien, deren Leistungen gewürdigt würden. Meine sofortige innerliche spontane Reaction war, ob ich wohl je mit solchen Frauen bekannt werden koennte und vielleicht mit ihnen in ein Konzert gehen. Also nicht alle Frauen sprachen über Persianer Mäntel, man kann eine Frau sein und trotzdem etwas leisten.150
Sofie Lazarsfeld scheint durch den stetigen Einfluss Friedrich Adlers und besonders durch sein politisches Engagement, in eine für sie neue Welt eingetreten zu sein. Ihr Verständnis über Frauen im gesellschaftlichen Leben erweiterte sich deutlich. Aber ich begann mich ernstlich für Socialismus zu interessieren als einen Rahmen wo Frauen etwas galten.151
Bei den beiden Frauen handelte es sich um Helene Bauer (1871 – 1942), die Frau des Sozialdemokraten und späteren Nachfolgers Victor Adlers, Otto Bauer (1881 – 1938), und Jenny Adler (1877 – 1950), die Frau des Soziologen Max Adler (1873 – 1937). Es waren die ersten Frauen, die ernsthaft Einfluss auf Sofie Lazarsfelds Leben hatten.152 Die beiden Frauen waren ihrerseits begierig darauf, die Bekanntschaft mit Sofie Lazarsfeld zu machen. Als Begleitung von Friedrich Adler fiel sie auf, war aber bisher in der Partei unbekannt. Mit beiden Frauen, wie auch deren Ehemännern, entwickelten sich Familienfreundschaften. Die Begeisterung für 150 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 94. 151 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 94. 152 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 94.
50
Lebensstationen
»wahre Aufgaben« war plötzlich sehr groß, so dass Sofie Lazarsfeld möglichst schnell in den »Karl Marx Verein« eintreten wollte. Friedrich Adler hatte den Verein gegründet, um damit gegen die Kriegshaltung des Parteivorstandes – auch gegen Victor Adler, seinen Vater – zu protestieren. Die beabsichtigte Parteiarbeit Sofie Lazarsfelds lehnte Friedrich Adler zunächst ab. Bei Sofie Lazarsfeld stieß das auf Unverständnis. Aber nach dem Attentat wurden alle Mitglieder dieses Vereins verhaftet und sie hatte rückblickend das Gefühl, Friedrich Adler wollte sie vor Verfolgung schützen, da er die Tat offenbar schon lange geplant hatte.153 Die politische Tätigkeit kam nur sporadisch in Gang und wurde auch jäh unterbrochen, da Robert Lazarsfeld nach Südtirol versetzt wurde und Sofie Lazarsfeld mit den Kindern im Sommer in seine Nähe zog. Ein Grundstein des Interesses an politischer Arbeit wurde jedoch mit den neuen Frauenfreundschaften gelegt.
Helene Bauer Helene Bauer, geb. Gumplowitz, hatte Staatswissenschaften in Zürich studiert und dort 1905 promoviert. Durch die polnische Herkunft (geboren in Krakau 1871) war sie sehr aktiv in der polnischen Sozialdemokratie, später auch in der österreichischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP).154 Journalistisch setzte sie sich mit einer Vielfalt von Themen auseinander, die sowohl theoretisch-politische Diskussionen in Bezug auf die Sozialdemokratie als auch sozialistische Bildungspolitik und Wirtschaftsplanung beinhalteten. Sie galt als individuelle, emanzipierte Frau, die sich mit dem Aufbruch von jüdischen Frauen aus Osteuropa durch Bildung und eigenständige Arbeit vom Herkunftsmilieu lösten. Der zweite Ehemann von Helene Bauer, Otto Bauer, war ein führender sozialdemokratischer Politiker, den die Familie Lazarsfeld erst nach Ende dessen Kriegsgefangenschaft 1917 kennenlernte. Er war der Bruder von Ida Adler, die wohl eine der bekanntesten Fallbeschreibungen von Sigmund Freud unter dem Decknamen Dora155 war. Otto Bauer war Ökonom und Soziologe156, seit 1900 ein Mitglied der sozialdemokratischen Partei und zählte zu den Mitbegründern des kurz danach entstandenen Austromarxismus. Er hatte Helene 153 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 94. 154 vgl. Dvorak, J. (2008) (http://www.univie.ac.at/biografiA/daten/text/bio/bauer_he.htm), 15. 05. 2011. 155 Der Fall Dora beschreibt eine junge Frau, die um 1900 zu Freud in die Praxis kam. Der Vater brachte sie in die Praxis von Freud und es stellte sich durch die Gesprächstherapie heraus, dass die junge Frau von einem Freund des Vaters sexuell belästigt worden sei, vgl. gesammelte Werke Freud, 1999, Band V, S. 163 – 315. 156 vgl. Müller, R. (2008) (http://agso.uni-graz.at/marienthal/biografien/bauer_otto.htm) 15. 05. 2011.
Inspirierende Begegnungen
51
Bauer 1914 geheiratet. Otto Bauer war später ein entscheidender Ratgeber, um die Marienthalstudie157 von Marie Jahoda158 und Paul Lazarsfeld auf den Weg zu bringen. Die Freundschaft war viele Jahre sehr eng. Sofie Lazarsfeld unterstützte Helene Bauer besonders nach dem Tode Otto Bauers am 4. Juli.1938 in Paris. Und sie [die Wohnung, Anm. d. Verf.] ist halbwegs erschwinglich, mit Helene Bauer zusammen, die auch noch eine Enkelin zu sich nimmt, was wohl sehr kompliziert sein wird, aber was soll man tun, ich konnte sie nicht allein lassen, sie ist ganz gebrochen und nicht mal mehr der leiseste Schatten von dem was sie war.159
Als die Lazarsfelds im Jahr 1938 nach Paris flüchteten, lebte Helene Bauer einige Monate bei ihnen, bis sie 1939 nach Schweden zu ihrer Tochter übersiedeln konnte. Jenny Adler Jenny Adler war eine der ersten Frauen, die bereits in der Schweiz begonnen hatten zu studieren, nachdem dort die Zulassung für Frauen an die Universität ermöglicht worden war. Ab 1901 wechselte sie für das Medizinstudium nach Wien. Sie stammte ursprünglich aus Riga in Lettland. Sie gehörte zu den gut gebildeten Frauen aus dem osteuropäischen Raum, die vielfach an die Universitäten drängten. Sie heiratete 1909 den Soziologen Max Adler. Gemeinsam mit einer Arbeitsgruppe anderer sozialistischer Mitstreiter gründete das Ehepaar Adler unter der Leitung von Otto Felix Kanitz eine Erzieherschule in den Räumen des Schlosses Schönbrunn.160 Sowohl Jenny Adler als auch Max Adler waren dort Lehrkräfte. Ebenso zum Lehrkörper dazugehörend waren Alfred Adler, der Historiker Karl Kautsky, die Frauenrechtlerin Marianne Pollak als auch der Pianist Rudolf Serkin u. a.. Sie unterrichteten junge Menschen nach den soziologischen Theorien Max Adlers im Sinne des Neuen Menschen zum Erzieherberuf.161 Jenny Adler war außerdem Gründerin des Jüdischen Frauenbundes für Deutsch-Österreich.162 157 Paul Lazarsfeld schildert in seiner Autobiographie das Zustandekommen der Studie durch ein Gespräch mit Otto Bauer. »Als Teil meiner Tätigkeiten für das neue Forschungszentrum in Wien wollte ich irgendeine sozialwissenschaftliche Erhebung durchführen, um seine marktbezogenen Aktivitäten auszugleichen. Aus Gründen, an die ich mich heute nicht mehr erinnern kann, interessierte ich mich vor allem für Freizeitforschung, und ich erörterte diese Idee mit Otto Bauer, einem Führer der Sozialistischen Partei. Er hielt es für albern, in einer Zeit schwerer Arbeitslosigkeit Freizeitprobleme zu untersuchen, und er war es, der das neue Thema vorschlug«. Vgl. agis-Texte, 1992, S. 4. 158 Marie Jahoda (1907 – 2001) war die erste Ehefrau Paul Lazarsfelds. 159 Briefwechsel Sofie Lazarsfeld/ Elin Wägner vom 04. 11. 1938, KvinnSam at Gothenburg University Library. 160 Weiss, H. (2008). Das Rote Schönbrunn. Wien: echomedia verlag. 161 Weiss, H. (2008), Das Rote Schönbrunn. A.a.O.
52
Lebensstationen
Margarethe Hilferding In diesem sozialistischen bzw. austromarxistischen Kontext lernte Familie Lazarsfeld auch das Ehepaar Hilferding kennen. Besonders zu Margarethe Hilferding163 entwickelte Sofie Lazarsfeld ein enges Verhältnis. Als wir Rudolf kennen lernten war er noch mit seiner ersten Frau, Margret, verheiratet. Sie war ein wunderbarer Mensch, mit allen wünschenswerten Eigenschaften, sie ging in Theresienstadt zugrunde.164
Margarethe Hilferding entstammte einer politisch interessierten Familie. Ihre Mutter diente ihr – anders als bei Sofie Lazarsfeld – als Vorbild, da sie sich in der aufkeimenden Frauenbewegung bereits Ende des 19. Jahrhunderts engagierte. Sie übernahm die klare sozialistische und feministische Haltung ihrer Familie.165 Eine berufliche Ausbildung – zunächst von 1889 bis 1893 zur Lehrerin – wurde von der Familie gefördert. Als die Wiener Universität sich für studierende Frauen öffnete, schrieb sie sich an der philosophischen Fakultät ein und wechselte als eine der erste Frauen an die medizinische Fakultät. Sie wurde durch eine Bekanntmachung in der Zeitschrift Neues Frauenleben als erste Absolventin der medizinischen Fakultät in Wien gefeiert. »Am 24. Dezember (…) promovierte an der hiesigen Universität Frl. Margarete Hönigsberg zum Doktor der Medizin. Sie ist die erste, die das Doktorat als ordentliche Hörerin der Medizin an der Wiener Universität erwarb. Alle früher stattgehabten Promotionen zu Doktorinnen der Medizin waren Nostrifikationen eines im Ausland erworbenen Doktorats.«166
Sie war in der Studentenschaft aktiv und lernte bei der Freien Vereinigung sozialistischer Studenten der Universität Wien Rudolf Hilferding kennen und heiratete ihn 1904. Eveline List betitelt die Partnerschaft als eine »austromarxistische Intellektuellenehe«.167 Ab 1907 lebte das Paar in Berlin, da Rudolf 162 www.fraueninbewegung.onb.ac.at, Österreichische Nationalbibliothek in Kooperation mit dem Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien am 29. 07. 2012. 163 laut Geburtsurkunde wurde der Name »Margarethe« geschrieben. In unterschiedlichen Dokumenten wurden auch die Schreibweise Margarete oder auch Margret verwendet, vgl. List, E. (2006). Mutterliebe und Geburtenkontrolle – Zwischen Psychoanalyse und Sozialismus. Die Geschichte der Margarethe Hilferding-Hönigsberg. Wien: Mandelbaum Verlag, S. 7. 164 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen Teil 1 – unveröffentlicht, S. 97. 165 Kenner, C. (2007), Der zerrissene Himmel – Emigration und Exil der Wiener Individualpsychologie. A.a.O., S. 125. 166 Neues Frauenleben, 16. Jg. (104), Nr. 1, S. 17, zitiert nach List, E. (2006) Mutterliebe und Geburtenkontrolle – Zwischen Psychoanalyse und Sozialismus. Die Geschichte der Margarethe Hilferding-Hönigsberg. Wien: Mandelbaum Verlag, S. 100. 167 List, E. (2006), Mutterliebe und Geburtenkontrolle – Zwischen Psychonanalyse und Sozialismus. A.a.O., S. 101.
Inspirierende Begegnungen
53
Hilferding größere Chancen für die Umsetzung des Sozialismus in Deutschland sah. Seine Tätigkeit als Arzt gab er zu Gunsten der Politik auf. Nach der Geburt des zweiten Sohnes im Jahr 1908 kam es zur Trennung des Paares und Margarethe Hilferding kehrte nach Wien zurück. Im Wiener Bezirk Favoriten führte sie eine Privatpraxis und engagierte sich als aktive Sozialdemokratin bis 1934 als Bezirksrätin.168 In Wien zurück, begann sie sich immer mehr für die soziale und psychische Situation ihrer Patienten zu interessieren und wandte sich nach und nach psychologischen Themen zu. Margarethe Hilferding war die erste Frau, die in die freudianische Mittwoch-Gesellschaft aufgenommen wurde. Nach einer Grundsatzdebatte in der Gesellschaft, ob Frauen aufgenommen werden sollten, kam es nach einer Abstimmung zur Aufnahme des ersten weiblichen Mitglieds am 27. April 1910. Im Oktober 1911 verließ Margarethe Hilferding allerdings gemeinsam mit Alfred Adler die Vereinigung und folgte seitdem in ihrer medizinischen Ausrichtung der Individualpsychologie. In den Diskussionsrunden der Mittwoch-Gesellschaft war sie nicht konsequent der Libido-Theorie gefolgt, sondern verfolgte in der Beschreibung und Erklärung der psychologischen Phänomene einen flexibleren Standpunkt.169 Sie arbeitete weiterhin als Ärztin in einem Wiener Bezirk mit einer sozial schwächeren Bevölkerung. Sie arbeitete oft unentgeltlich. 1926 schrieb Margarethe Hilferding in der von Sofie Lazarsfeld herausgegeben Schriftenreihe Richtige Lebensführung einen damals viel beachteten Text zur Geburtenregelung. Sie setzte sich für Empfängnisverhütung ein und empfahl auch Schwangerschaftsabbruch bei Vorliegen einer genetischen Schädigung.170 Gemeinsam mit ihren Söhnen verbrachte sie viel Zeit mit der Familie Lazarsfeld. Die Kinder waren befreundet.171 Margarethe Hilferding verließ Wien nicht wie viele andere Ende der dreißiger Jahre, sondern blieb weiterhin als Ärztin im jüdischen Krankenhaus tätig. Am 30. September 1941 musste sie ihre Tätigkeit auf Anweisung der nationalsozialistischen Behörden einstellen.172 Sofie Lazarsfeld erwartete ihre Ankunft hoffnungsvoll in Paris, wie sie in einem Brief an Elin Wägner (1882 – 1949)173 im Mai 1939 schrieb174 : 168 Kenner, C. (2007). Der zerrissene Himmel – Emigration und Exil der Wiener Individualpsychologie. A.a.O., S. 126. 169 List, E. (2006). Mutterliebe und Geburtenkontrolle. A.a O., S. 123 – 127. 170 Hilferding, M. (1926), Geburtenregelung. In S. Lazarsfeld (Hg.), Richtige Lebensführung. Wien. 171 List, E. (2006), Mutterliebe und Geburtenkontrolle. A.a O., S. 154. 172 Kenner, C. (2007). Der zerrissene Himmel – Emigration und Exil der Wiener Individualpsychologie. A.a.O., S. 126. 173 Elin Wägner war eine schwedische Schriftstellerin, die sich in ihren Erzählungen und Romanen mit frauenspezifischen Fragen auseinandersetzte. Sie beschäftigte sich mit dem Leben weiblicher Bürokräfte in der Großstadt. In deutscher Sprache erschien der Roman mit dem Titel Kämpfende Frauen I. Später schrieb sie einen weiteren Roman über das
54
Lebensstationen
[…]dann fehlt nur Frau Dr. Hilferding, Flory kennt sie, aber die wird wohl nicht kommen.
In der Tat kam Margarethe Hilferding nicht mehr an. Sie bemühte sich vermutlich 1941 noch um eine Ausreise, die nicht mehr bewilligt wurde. Sie hatte ein Visum für Neuseeland, wo ihr jüngerer Sohn war, aber sie blieb, weil sie damals als Ärztin noch im jüdischen Rothschildspital arbeiten durfte und hoffte das werde weiter moeglich sein. Als sie schon wusste, dass sie deportiert werden würde, hat sie so viel Medikamente zusammengepackt als sie noch erhalten konnte, damit sie in Theresienstadt wieder als Ärztin nützlich sein koenne. Wir haben nie erfahren, wie ihr Ende dort war.175
Am 28. Juni wurde sie in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Als offizieller Todestag wird der 24. September angegeben – der Ankunftstag im Vernichtungslager Treblinka. Durch die sogenannten Altentransporte war sie dorthin gelangt.176 Mit Margarethe Hilferding verband Sofie Lazarsfeld nicht nur tiefe Freundschaft, sondern auch Engagement in der Politik sowie auch die Zusammenarbeit in der Individualpsychologie. Auch waren beide aktiv in der in den dreißiger Jahren gegründeten Frauenorganisation WOWO – Womens Organisation for World Order.177 Die politische Arbeit der Sozialdemokraten und der Austromarxisten beschäftigte sich mit den Auswirkungen der gesellschaftlichen Bedingungen und so lag nahe, sich auch den psychologischen Auswirkungen zu widmen. Die Freundschaft zu den politisch geprägten Frauen beflügelte Sofie Lazarsfeld in diesem neuen Lebensabschnitt zu großem Engagement, so dass sie selbst bald auch als politische Aktivistin galt und einen gewissen Bekanntheitsgrad erreichte.
174
175 176 177
Frauenstimmrecht, der in deutscher Sprache den Titel Kämpfende Frauen II erhielt. Seit etwa ab 1913 engagierte sie sich öffentlich in der Frauenpolitik. 1914 gründete sie in Schweden einen Frauenverband, war 1915 Teilnehmerin der Friedenskonferenz in Den Haag. Als ihre herausragendste Schrift gilt eine Biografie über Selma Lagerlöf. Wahrscheinlich lernte sie Sofie Lazarsfeld im Haus der Herausgeberin der ersten Wiener Kinderbibliotheken und Gründerin von Kakaostuben für hungernde Kinder, Genia Hoffmann, kennen, vgl. Auer, E. (2006). Elin Wägner in Österreich. Sammlung Elin Wägner, Kvinnohistoriska samlingarna (Briefe von 1935 bis 1948). Göteborg: Universitätsbibliothek: Es befinden sich 40 Originalbriefe in Göteborg archiviert (26 Briefe sind nicht vollständig datiert, Jahreszahlen fehlen überwiegend). Aus dem Inhalt lässt sich teilweise das Jahr erschließen. 10 Briefe sind wahrscheinlich aus den Jahren 1935 und 1936, in denen es um die Planung eines weiteren Kongresses der W.O.W.O (Women‹s Organisation for World Order) geht. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 97. Kenner, C. (2007), Der zerrissene Himmel – Emigration und Exil der Wiener Individualpsychologie. A.a.O., S. 127. Auer, E (2006). Elin Wägner in Österreich. A.a.O., S. 33.
Zwei neue Welten
2.6
55
Zwei neue Welten
Die unruhigen Zeiten, die auch Familie Lazarsfeld mit dem Krieg und dessen Folgen durchlebt hatten, endeten nun mit Kriegsende und dem Rückzug in die Wohnung in der Seilergasse. Sofie Lazarsfeld erlebte die Friedensphase und die politischen Veränderung nach dem 1. Weltkrieg als fast 40jährige Frau. Um diese Zeit [1918, Anm. d. V.] endeten die zweiten zwanzig Jahre meines Lebens, und etwas ganz neues beginnt. Ich vermute, dass jeder wenn er so zurückblickt irgendeinen Rhythmus in seinem Leben finden wird. Aber bei mir ist wirklich, wenn es auch nicht auf den Tag mit dem Kalender übereinstimmt, alle 20 Jahre etwas entstanden, das keine sichtbaren Vorzeichen hatte. Diesmal fällt es zusammen mit dem Beginn des ›Roten Wien‹ ohne welches es nicht so hätte geschehen koennen.178
Ihr Leben verlief nun auf zwei Pfaden. Der eine Weg war die Parteizugehörigkeit bei den Sozialdemokraten. Nachdem sie den Parteiausweis erhalten hatte, stellte sie sich sofort dem Bezirkssekretariat zur Verfügung. Dort übernahm sie die Aufgabe, sich um Korrespondenzen zu kümmern und Briefsendungen zu organisieren. Nach kurzer Zeit wurde sie Beauftragte der Kunststelle des ersten Bezirks und war zuständig für die Verteilung von Konzert- und Theaterkarten. Das bereitete ihr großes Vergnügen und ihre Arbeit fand viel Anerkennung bei den Bezirksstadträten.179 Der zweite neue Lebensweg wurde inspiriert durch ihren Sohn Paul. Er war Mitglied in der sozialdemokratischen Jugendbewegung und der sozialistischen Studentenbewegung. In der Anfangszeit der jungen Republik beobachtete der politisch orientierte Sohn wie der Nationalismus stetig zunahm und die sozialistischen Ideen sich nicht durchdringend in der Gesellschaft verankern ließen. Um Antworten und Erklärungen zu finden, näherte er sich mit seinen Mitstreitern der Psychologie. Wir zerbrachen uns den Kopf darüber, warum unsere Propaganda erfolglos blieb und wollten psychologische Studien durchführen, um diesen Fehlschlag zu erklären. Ich erinnere mich an eine Formel, die ich damals aufstellte: Eine beginnende Revolution muss die wirtschaftlichen Verhältnisse auf ihrer Seite haben (Marx); eine siegreiche Revolution braucht vor allem Ingenieure (Sowjetunion); eine erfolglose Revolution bedarf der Psychologie (Wien) […] Meine Bezugsgruppe fand sich in dem Zirkel um Alfred Adler, dessen Position im Vergleich zu Freud einen starken soziologischen Akzent trug. Er hatte viele Anhänger in der Lehrerschaft und Einfluss auf die Reformbewegung im Schulwesen, die von der sozialistischen Stadtregierung in Gang gesetzt worden war.180 178 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 111. 179 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 111. 180 Lazarsfeld, P. F. (2008). Eine Episode in der Geschichte der empirischen Sozialforschung:
56
Lebensstationen
Wahrscheinlich lernten Alfred Adler und Paul Lazarsfeld sich zunächst über die politische Arbeit kennen. Paul Lazarsfeld lebte und engagierte sich im ersten Bezirk Wiens. Auch Alfred Adler hatte in der frühen Nachkriegszeit eine Aufgabe für den Arbeiterrat des ersten Bezirks übernommen.181 Die Gesprächskultur innerhalb der Familie muss sehr offen und lebendig gewesen sein. Paul Lazarsfeld konnte sich wahrscheinlich sehr gut mit seinen Eltern, insbesondere mit seiner Mutter, über die politischen und dann auch die psychologischen Inhalte austauschen. Sie engagierten sich alle für dieselbe Sache und hatten dieselbe politische Einstellung. Auch die Tochter Elisabeth und ebenso Robert Lazarsfeld waren für die sozialdemokratische Partei aktiv. Er [Robert Lazarsfeld, Anm. d. V.] war auch der Partei beigetreten, hielt juristische Vorträge für Arbeiter und deren rechtliche Situation in für sie verständlicher Sprache. Er hatte die vom Abgeordneten Hoelzl eingerichtete Beratungsstelle für gewohnheitsmäßige Trinker und auch richtige Alkoholiker übernommen. Wenn man zuviel trinkt, kommt man unweigerlich früher oder später in Kollision mit dem Gesetz. Das war Roberts Domaene.182
Die Aufbruchzeit nach den furchtbaren Erlebnissen im Weltkrieg und die Chance eine politisch-gesellschaftliche Veränderung in Österreich bewegen zu können, beflügelte offenbar die ganze Familie. Sofie Lazarsfeld scheint sich mit der Arbeit für die Partei und ihrer Aufgabe dort sehr wohlgefühlt und als nützlich erlebt zu haben. Damit entstand zusätzlich ein Wissensdurst, Hintergründe besser zu verstehen. Sie beschäftigte sich mehr und mehr mit der Individualpsychologie, die sicherlich auch schon Gesprächsthema mit den neuen Freundinnen gewesen sein muss. Sie fing im Grunde richtig an zu arbeiten und hatte täglich regelmäßige Aufgaben. Durch meinen Sohn wurde ich mit den Theorien von Alfred Adler bekannt und später auch mit ihm. Er wurde mein Analyst und ich nachher noch sein Mitarbeiter in manchen Dingen. Ich fühlte mich in beiden Gebieten voellig zuhause, nicht durch Kenntnisse, sondern weil beide mir boten, was ich immer gesucht hatte. Einen Platz wo ich mich heimisch fühlen konnte und wohin ich gehoerte. Mein Bedürfnis nach solch einem Platz muss sehr stark gewesen sein, […].«
In den Lebenserinnerungen ist die Analyse durch Adler nur in diesem Zitat vermerkt. Direkte persönliche Beweggründe oder ein Lebensproblem werden nicht berichtet. Für die Gründe der Psychotherapie lassen sich nur Vermutungen formulieren. Denkbar wäre eine Selbstwertproblematik, weil sie sich jetzt neuen Herausforderungen gegenüber sah, die durchaus zu Verunsicherungen geführt Erinnerungen. In W. R. Langenbucher (Hg.), Paul Felix Lazarsfeld – Leben und Werk. Wien: Wilhelm Braumüller ; S. 21. 181 Handlbauer, B. (1984). Die Entstehungsgeschichte der Individualpsychologie Alfred Adlers. Wien-Salzburg: Geyer-Edition. 182 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 114.
Engagement für die Individualpsychologie
57
haben könnten. Im Vergleich zu den neuen Freundinnen hatte sie einen anderen Lebensweg. Sie konnte nicht auf eine höhere Schulbildung oder gar ein Studium zurückblicken. Als Laienhelferin fand sie den Einstieg und widmete sich mit großem autodidaktischen Einsatz der individualpsychologischen Arbeit. Möglicherweise sind Selbstzweifel angesichts der neuen Aufgaben aufgekommen, diese Aufgaben gut bewältigen zu können. Auch war es sicherlich sinnvoll, zunächst eine eigene Persönlichkeitsschulung zu durchlaufen, bevor sie selbst als Beraterin für die Individualpsychologie tätig war.
2.7
Engagement für die Individualpsychologie
Nachdem Sofie Lazarsfelds Interesse geweckt war, sie persönlich eine Therapie bei Alfred Adler vollzogen hatte und mit dessen psychologischen Lehren Kontakt hatte, schloss sie sich als Mitarbeiterin dem Verein für Individualpsychologie an. Sofie Lazarsfeld ging regelmäßig zu den Vorträgen von Alfred Adler, bei denen sie die Protokolle erstellte und dafür sorgte, dass diese Mitschriften als Artikel publiziert wurden.183 In welchem Jahr Sofie Lazarsfeld als ordentliches Mitglied dem Verein beitrat, kann nicht sicher bestimmt werden. In den Lebenserinnerungen ist keine Jahreszahl vermerkt. Hinweise auf den offiziellen Verein sind bis zum Jahr 1923 spärlich.184 Ab dem Frühjahr 1924 wurde die Bezeichnung Internationaler Verein für Individualpsychologie eingeführt und der Wiener Kreis wurde die Sektion Wien. Obwohl die Aktivitäten mit Schulungen, Vorträgen und Gründungen von Beratungsstellen bereits vielfältig waren, gibt ein Protokoll die juristische Neuexistenz nach der Gründung im Jahre 1911 erst im Frühjahr 1926 wieder.185 Im Jahre 1925 wurde in der Internationalen Zeitschrift für Individualpsychologie eine Liste der Mitglieder veröffentlicht. Paul und Sofie Lazarsfeld waren mit ihrer Adresse in der Seilergasse 16 vermerkt.186 Bereits 1924 war der Name Sofie Lazarsfeld in dem jährlichen Rückblick über die individualpsychologischen Veranstaltungen mit dem Vortrag Ein Fall von besonderer Verzärtelung eines Kindes zu finden.187 Im Jahr 1925 nahm sie am zweiten Internationalen Kongress für Individualpsychologie mit dem vielbe183 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 113. 184 Handlbauer, B. (1984). Die Entstehungsgeschichte der Individualpsychologie Alfred Adlers. A.a.O., S. 131. 185 Handlbauer, B. (1984). Die Entstehungsgeschichte der Individualpsychologie Alfred Adlers. A.a.O., S. 131. 186 Zeitschrift für Individualpsychologie (1925). Chronik, 3. Jahrgang, S. 351. 187 Zeitschrift für Individualpsychologie (1925). Chronik, 3. Jahrgang, S. 142.
58
Lebensstationen
achteten Vortrag Über den Mut zur Unvollkommenheit teil.188 Mit diesem Vortrag wurde bereits deutlich, dass die theoretischen Forschungen Sofie Lazarsfelds zwei Hauptthemen galten: Das Verhältnis von Kindern und Eltern im Zusammenhang mit Erziehungsfragen und die Beziehung der Geschlechter zueinander. Seit 1925 war Sofie Lazarsfeld als Ehe- und Erziehungsberaterin in eigener Praxis tätig.189 Ab diesem Zeitpunkt veröffentlichte sie regelmäßig Artikel in der Zeitschrift für Individualpsychologie und verfasste Monographien zu individualpsychologischen Themen. 1926 wurde auf die Veröffentlichung der Schriftenreihe Richtige Lebensführung hingewiesen.190 Am 1. April d.J. erscheint in Wien mit einem Geleitwort Dr. Alfred Adlers die erste Nummer der volkstümlichen Schriftenreihe »Die richtige Lebensführung«. Sie wird in einer für jedermann faßlichen Art, unter möglichster Vermeidung von Fremdwörtern und Fachausdrücken, die Fragen des täglichen Lebens individualpsychologisch behandeln und so eine Ergänzung bilden zu den Heften Dr. Künkels (»Mensch und Gemeinschaft«), dem »Mitteilungsblatt« der Doz. Ada Beil und den Monatsblättern von Otto und Alice Rühle. […]191
Sie war zu diesem Zeitpunkt bereits gut integriert in die Gruppe der Individualpsychologen, was die umfangreiche Autorenliste ihrer Herausgabe deutlich werden lässt.192 Die erste Ausgabe begann mit der Ausarbeitung eines frühen Vortrags Vom häuslichen Frieden, den Sofie Lazarsfeld bereits im Rahmen ihrer politischen Tätigkeit vor sozialdemokratischen Bezirksversammlungen gehalten hatte. Ab 1927 gab Sofie Lazarsfeld auch individualpsychologische Ausbildungskurse, die in der Zeitschrift für Individualpsychologie als Arbeit der Ortsgruppe Wien angekündigt wurden: Einführung in die Individualpsychologie, Kurs für Erzie188 Zeitschrift für Individualpsychologie (1925). Chronik, 3. Jahrgang, S. 344. 189 Handlbauer , B. (1984) Die Entstehungsgeschichte der Individualpsychologie Alfred Adlers. A.a.O., S. 140; Bruder-Bezzel, A. (1999). Geschichte der Individualpsychologie. A.a.O., S. 133. 190 Zeitschrift für Individualpsychologie (1926). Chronik, 4. Jahrgang, S. 106. 191 Zeitschrift für Individualpsychologie (1926). Chronik, 4. Jahrgang, S. 106. 192 Zeitschrift für Individualpsychologie (1926). Chronik, 4. Jahrgang, S. 170. Richtige Lebensführung, Ersterscheinung, mit den Autoren Dr. Erwin Wexberg (Entwicklungshemmungen und deren Behebung), Dr. Alfred Adler (Begabung und Unbegabtheit), Dr. Margret Hilferding (Geburtenregelung), Hilde Krampflitschek (Elternliebe), Dr. Robert Lazarsfeld (Schönheit und Persönlichkeit), Sofie Lazarsfeld (Erziehung und Ehe), Ida Löwy (Technik der Erziehung), Dr. Hugo Lukacs (Schule und Familie); Dr. Leopold Stein (Sprachstörungen). Die kleine abgedruckte Zusammenfassung des Artikels beschreibt das Thema Zusammenleben in der Familie im Zusammenhang mit auftretenden Minderwertigkeitsgefühlen von Familienmitgliedern und deren Umgang untereinander damit. Es gehe um das Ziel einer gegenseitigen Einflussnahme mit wohlmeinendem Entwicklungsgedanken.
Engagement für die Individualpsychologie
59
herinnen, Fürsorgerinnen, Frauen und Mütter.193 1928 weitete sie die Kurstätigkeit auch auf die Eheberatung aus.194 Für andere Mitglieder der Gruppe engagierte sie sich, indem sie Rezensionen über deren Werke verfasste und damit gleichzeitig ihre schreibende Tätigkeit weiterentwickelte.195 Parallel erschienen in der Zeitschrift auch Rezensionen von Kollegen über ihre Veröffentlichungen, z. B. zum Sammelband Technik der Erziehung, der von Sofie Lazarsfeld 1929 herausgegeben wurde.196 Zunächst waren die individualpsychologischen Erziehungsfragen Hauptgegenstand in den Beiträgen Sofie Lazarsfelds. Ende der Zwanziger Jahre und zu Beginn der dreißiger Jahre fokussierte sie mehr und mehr die Psychologie der Frau. 1931 erschien ihr umfassendes Werk Wie die Frau den Mann erlebt.197 Handlbauer beschreibt Sofie Lazarsfeld als eine der aktivsten Individualpsychologinnen. Im Vordergrund ihrer praktischen Arbeit stand über viele Jahre die Erziehungsberatung bzw. Ehe- und Sexualberatung, aber auch an den Vortragsreihen, die zur elementaren Tätigkeit des Vereins für Individualpsychologie gehörten, beteiligte sie sich rege.198 Sofie Lazarsfeld hielt in den Jahren 1931 bis 1933 etliche Vorträge zu den Aspekten Ehe, Liebe, Sexualität und zur Rolle der Frau.199 Mit dem Beitrag Erfahrungen aus der Ehe- und Sexualberatung erschien sie 1930 im Programm für den 5. Internationalen Kongress für Individualpsychologie.200 Sie trat als Gastrednerin der unterschiedlichen Arbeitsgemeinschaften des Vereins für Individualpsychologie auf.201 Zusätzlich, zu den innerhalb des Vereins gehaltenen Vorträge, wurde sie von zahlreichen weiteren
193 Zeitschrift für Individualpsychologie (1927). Chronik, 5. Jahrgang, S. XXII. 194 Zeitschrift für Individualpsychologie (1928). Chronik, 6. Jahrgang, S. XX. 195 Zeitschrift für Individualpsychologie (1927). Chronik, 5. Jahrgang, S. 238: Rezension zu Ada Beils Buch Die unbekannte Männerseele. Sofie Lazarsfeld hebt das Buch insbesondere durch die Anlehnung an individualpsychologische Ideen hervor, in dem das Verhältnis der Geschlechter nicht als Kampf gesehen werden sollte, sondern im Sinne Alfred Adlers eine Gemeinschaftsaufgabe darstellte. Zeitschrift für Individualpsychologie (1928). Chronik, 6. Jahrgang, S. 415: Rezension zu Hendrik de Mans Der Kampf um die Arbeitsfreude. Lazarsfeld vergleicht den Begriff der Arbeitsfreude mit dem Mut zur Leistung, der nach Alfred Alfred Adler als Symptom der gesunden Seelenverfassung gewertet wird. 196 Zeitschrift für Individualpsychologie (1930). Buchbesprechungen, 8. Jahrgang, S. 277. 197 Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. Leipzig, Wien: Verlag für Sexualwissenschaft Schneider & Co. 198 Müller, R. (2010). http://agso.uni-graz.at/biografien/lazarsfeld_sofie.htm – 15. 02. 2011. 199 vgl. Handlbauer, B. (1984). Die Entstehungsgeschichte der Individualpsychologie Alfred Adlers. A.a.O., S. 145, S. 153: Im ersten Halbjahr des Jahres 1932 unterrichtete Sofie Lazarsfeld die Kurse »Charakter und Lebenskunde« und »Arbeit am Charakter«. 200 Zeitschrift für Individualpsychologie (1930). Kongressankündigung, 8. Jahrgang, S. 549. 201 Handlbauer, B.(1984. Die Entstehungsgeschichte der Individualpsychologie Alfred Adlers. A.a.O., S. 149, Am 26. 01. 1934 hielt sie einen Vortrag mit dem Titel Die Geschichte der Psychotherapie für die Klavierpädagogische Arbeitsgemeinschaft.
60
Lebensstationen
Organisationen eingeladen, u. a. der Frauenpartei Österreichs.202 In ihren Lebenserinnerungen beschreibt sie diese aktiven Jahren als »wirklich berauschend«.203 Beim Schreiben der Erinnerungen ein halbes Jahrhundert konnte sie diese Empfindungen noch nachspüren. Dieser Enthusiasmus wurde von Paul Lazarsfeld nach einigen Jahren etwas gebremst; er ermahnte seine Mutter, mehr zu lernen und nicht nur von ihren eigenen Erfahrungen zu schreiben. Aber damals, mittendrin setzte mein Sohn einen Dämpfer darauf und leistete mir damit einen guten Dienst. Er sagte mir eines Tages ganz unvermutet, das sei alles schoen und gut, aber bisher hätte ich hauptsächlich aus mir heraus geschrieben und geredet, er denke es wäre an der Zeit das ich anfinge etwas zu lernen. Er hatte recht und ich tat es auch. Zwei Jahre durfte ich bei Charlotte Bühler als Gaststudent lernen und andere zwei Jahre hoerte ich aus eigener Wahl Psychiatrie.204
Sofie Lazarsfeld hatte im Laufe ihrer Tätigkeit einen höheren Anspruch an sich gestellt und konnte durch den unverkrampften Umgang mit ihrem Sohn seinen Rat annehmen und sich fachlich weiterqualifizieren. Eine besonders innovative Leistung für die Individualpsychologie war die Gründung der ersten Sommerschule im Jahre 1932, deren Initiierung auf Sofie Lazarsfeld zurückgeht. Ihr Einfall war es, eine individual-psychologische Ausbildungsschule zu gründen, »damit Kollegen aus andern Ländern in den Ferien kommen und lernen koennten.«205 Sie bekam Alfred Adlers Erlaubnis, in seinem Namen zu den Veranstaltungen einzuladen. Es sei nicht ganz einfach gewesen, diese neue Idee mit ihm zu verhandeln, dennoch fand alles letztlich mit großem Erfolg statt. Direktor der Veranstaltung war Alfred Adler und Sofie Lazarsfeld wurde mit der gesamten Organisation – Programm sowie Zusammenstellen der Mitarbeiter – betraut. Große Unterstützung für den Schriftwechsel mit Teilnehmern und bei der Organisation des Veranstaltungsorts bekam sie durch ihre Tochter Elisabeth. Die erste dreiwöchige Sommerschule am Semmering war ein großer Erfolg und etablierte sich in den folgenden Jahren.206 Das Alfred Adler Institut in New York organisierte nach einigen Jahren des Aufbaus weiterhin Sommerschulen, bis heute.207
202 Handlbauer, B.(1984). Die Entstehungsgeschichte der Individualpsychologie Alfred Adlers. A.a.O., S. 155. 203 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 113. 204 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 130. 205 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 130. 206 Mitteilungsblatt für individualpsychologische Veranstaltungen (1932), 1. Jahrgang, Nr. 7: 53 Teilnehmer aus 13 Ländern haben teilgenommen: Alfred Adler referierte über Medizinische Psychologie. Auch Sofie Lazarsfeld war als Dozentin aktiv mit einem Kurs über die »Erziehung zu den Lebensaufgaben: Gesellschaft, Beruf, Liebe-Ehe.« 207 Besonders Rudolf Dreikurs hat später die Idee der Sommerschule weiterverfolgt. Unter dem Namen International Committee for Adlerian Summer Schools and Institutes finden bis
Engagement für die Individualpsychologie
61
Die Vortragstätigkeit baute sich nicht zuletzt durch Alfred Adler selbst auch über die Grenzen Wiens und Österreichs stetig aus. Auch Sofie Lazarsfeld hatte an der internationalen Verbreitung der Individualpsychologie neben Alice Friedmann, Erwin Wexberg, Oskar Spiel, Ferdinand Birnbaum, Ida Löwy, Leonhard Deutsch u. a. Personen einen großen Anteil. Ab 1935 wurde Sofie Lazarsfeld vermehrt zu Vortragsreisen außerhalb Wiens eingeladen. Im September 1935 gab sie auf Einladung der individualpsychologischen Arbeitsgemeinschaft in Zürich einen viertägigen Kurs über Fragen der Erziehung, der Ehe und des Berufes.208 Im gleichen Jahr hielt sie Vorträge in Prag und Brünn zu den Themen Die Frau zwischen 30 und 50 und Adam und Eva bei der Eheberatung.209 1936 wurde sie durch den Kontakt zu europäischen Frauenorganisationen zu einer mehrtätigen Vortragsreise nach Skandinavien eingeladen.210 Parallel zu ihren Arbeiten im Bereich des Vereins für Individualpsychologie war Sofie Lazarsfeld auch journalistisch tätig. In verschiedenen Tages- und Wochenzeitungen erschienen Artikel zu psychologischen und gesellschaftlichen Themen, die eine Brücke für die individual-psychologische Idee zu einer größeren Leserschaft schlugen.211 Im Laufe der Jahre erarbeitete sich Sofie Lazarsfeld ein beträchtliches Schriftwerk. Die Anregungen zog sie überwiegend aus der praktischen Arbeit als Ehe- und Sexualberaterin. Hervorstechend ist – wie bereits erwähnt – das Buch Wie die Frau den Mann erlebt, das Ehe- und Sexualprobleme aus Sicht der Frauen behandelt, aber trotz dieser Sichtweise nicht gegen den Mann gerichtet sein sollte.212 Das Buch erschien später im englischen Sprachraum und wurde auch ins schwedische übersetzt.213
208 209 210
211
212 213
heute Veranstaltungen weltweit statt. Im Jahre 2012 haben die Kurse vom 15. bis 28. Juli in Litauen stattgefunden. http://www.icassi.net, 17. 10. 2012. Zeitschrift für Individualpsychologie (1935). Chronik, 13. Jahrgang, S. 259. Zeitschrift für Individualpsychologie (1936). Chronik, 14. Jahrgang, S. 63: In Prag erhielt Sofie Lazarsfeld eine Einladung der Deutschen Urania. In Brünn folgte sie der Einladung der Arbeitsgemeinschaft für Individualpsychologie und Journalistenvereinigung. Zeitschrift für Individualpsychologie (1936). Chronik, 14. Jahrgang, S. 192. Die mit Sofie Lazarsfeld befreundete schwedische Schriftstellerin Elin Wägner hatte unterstützend für Einladungen aus Skandinavien gesorgt wie Auer (2009) in ihrer Schrift Mütter, Väter und Amazonen- Elin Wägners Weg zu Väckarklocka über Österreich und die Schweiz, Universität Roskilde, erläutert. Bereits 1925 erschien Unser Kind will was gelten mit individualpsychologischen Inhalten in der Arbeiterzeitung. Jährlich erscheinen weitere Artikel, die über Erziehungsfragen bis hin zu Fragen der Ehe und Selbstverständnis der Frau gehen. 1927 wurde eine Kurzform von Die Ehe von heute und morgen in Neues Wiener Journal veröffentlicht. Es schlossen sich in den folgenden Jahren eine Vielzahl von Artikeln z. B. in Neue Freie Presse, Arbeiterwille, Der Kampf, Der Morgen und eine regelmäßige Kolumne in Bunte Woche von 1932 bis 1934 an. Handlbauer, B. (1984): Die Entstehungsgeschichte der Individualpsychologie Alfred Adlers. A.a.O., S. 165, Lazarsfeld, S. (1931), Blätter für sozialistisches Bildungswesen, S. 76. Auer, E. (2009). Mütter, Väter, Amazonen – Elin Wägners Weg zu Väckarklocka über
62
Lebensstationen
2.8
Die Jahre von 1918 bis 1934
Die Kinder wuchsen heran. Paul Lazarsfeld absolvierte 1919 die Schule mit Matura. Während der Schulzeit schloss er sich der Vereinigung sozialistischer Mittelschüler an und wurde ein aktiver Sozialist. Er war Leiter von Jugendgruppen und gestaltete im Sommer Kinderferienlager. Er war all die Zeit beschäftigt entweder Jugendbewegung an sich oder Mittelschüler Ferien Kolonien zu organisieren. Oder wenn Robert und ich nicht zuhause waren, bei uns meetings zu halten. Wir kamen eines nachts nach Hause, fanden die Wohnung hell beleuchtet und von ungefähr 30 Jugendlichen besetzt.214
Ab 1919 bis 1924 studierte er Mathematik und Physik an der Universität Wien. Die Entscheidung für diese Studienfächer wurde maßgeblich durch Friedrich Adler beeinflusst.215 In der sozialistischen Studentenvereinigung traf er die ebenso politisch interessierte Marie Jahoda. Sie freundeten sich zunächst an, daraus wurde eine Liebesbeziehung und sie heirateten 1927. Die Partnerschaft verlief nicht sehr glücklich, da Paul Lazarsfeld häufig parallel andere Frauenbeziehungen pflegte. 1930 kam ihre Tochter Lotte – Sofie Lazarsfelds erstes Enkelkind – zur Welt. Lotte wurde oft von ihrer Großmutter mütterlicherseits betreut, da Marie Jahoda ihr Studium und ihre Dissertation am Psychogischen Institut bei Karl und Charlotte Bühler beendete. Sofie Lazarsfeld hatte aus diesem Grund ein distanziertes Verhältnis zu ihrem ersten Enkelkind.216 Paul war mittlerweile Dozent am Institut für Psychologie. Gemeinsam mit Hans Zeisel arbeiteten Marie Jahoda und Paul Lazarsfeld an der Marienthalstudie. Mit dieser Studie war der Werdegang von Paul Larzarsfeld im Bereich der empirischen Sozialwissenschaft vorgezeichnet.217 Durch ein Stipendium der Rockefeller Foundation konnte Paul Lazarsfeld ab 1933 in den USA Forschungen zu sozialwissenschaftlichen Thematiken aufbauen. Nach den politischen Veränderungen in Österreich ab Februar 1934 wurde es für Paul zu gefährlich nach Österreich zurückzukommen. Als bekannter Sozialist wäre er einer Verhaftung nicht
214 215 216
217
Österreich und die Schweiz. Roskilde: Center for Ostrigsk-Nordiske Kulturstudier – Roskilde Universitetscenter, S. 28. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht, S. 127. Neurath, P. (2008). Paul Lazarsfeld – Leben und Werk. In W. R. Langenbucher (Hg.), Paul Felix Lazarsfeld – Leben und Werk. Anstatt einer Biografie. Wien: Edition Sozialwissenschaften, S. 116. vgl. Jahoda, M. (2002). Ich habe die Welt nicht verändert – Lebenserinnerungen einer Pionierin der Sozialforschung. Weinheim und Basel: Beltz Verlag; Hacohen, M. H. (2000). Karl Popper – The Formative Years, 1902 – 1945. Cambridge, United Kingdom: Cambridge University Press.; Lazarsfeld, P. F. (2008). Eine Episode in der Geschichte der empirischen Sozialforschung: Erinnerungen. In W. R. Langenbucher (Hg.), Paul Felix Lazarsfeld – Leben und Werk (S. 21 – 92). Wien: Wilhelm Braumüller . vgl. Neurath, P. (2008). Paul Lazarsfeld – Leben und Werk. In W. R. Langenbucher (Hg.), Paul Felix Lazarsfeld – Leben und Werk. Anstatt einer Biografie. A.a.O.
Die Jahre von 1918 bis 1934
63
entgangen. Er konnte das Visum verlängern und entschied sich, in den USA zu bleiben.218 Elisabeth Lazarsfeld bekam nach ihrem Schulabschluss ohne Matura nicht die Gelegenheit sich weiter zu bilden. Obwohl Sofie Lazarsfeld bereits in Kontakt mit Frauen aus der sozialdemokratischen Partei war und sich politisch für die Emanzipation zu interessieren begann, konnte sie in Bezug auf die schulische Förderung ihrer Tochter scheinbar nicht umdenken. Später haderte Sofie Lazarsfeld sehr mit ihrer ungenügenden Reflektion in Bezug auf ihre eigene Schulzeit. Die Tochter wurde trotz ihrer Intelligenz nicht ermuntert eine höhere Ausbildung zu machen oder gar zu studieren. »[…] , dass wir das gleiche Unrecht meiner Tochter angetan haben, aus Ignorance, aus Nachlässigkeit, und in ihrem Fall sehe ich es schon lange als ein Verbrechen, weil sie ungleich begabter ist als ich. Sie wäre ein ausgezeichneter Jurist geworden und sie hat es mir nie ganz verziehen, mit Recht, […].«219
Zeitlebens sei es Sofie Lazarsfeld schwer gefallen, eine förderliche Nähe zu den Frauen in ihrer Familie herzustellen und aktiv deren Ausbildung und Entwicklungsschritte zu begleiten.220 Fortschrittlich war allerdings, dass Elisabeth mit ihrem 17. Lebensjahr etwa ein Jahr im Ausland, in Berlin, verbringen durfte. Über Rudolf Hilferding war die Familie Lazarsfeld in Kontakt mit Paul Cassirer (1871 – 1926)221 und seiner Frau Tilla Durieux (1880 – 1971)222 gekommen. Das praktische Resultat davon war, dass Cassirer Lisl einlud nach Berlin zu kommen und in seinem Kunstverlag zu arbeiten. Lisl war von klein auf sehr selbständig und umsichtig gewesen.[…] Aber als sie dann ploetzlich von Haus weg sollte, war ich trotzdem bisl besorgt und wollte sie zumindest für ihre dortige Installierung begleiten was ihr nicht sehr gefiel. Während dieser Debatte war Fritz Adler anwesend und erklärte Lisl werde das schon sehr gut allein fertig bringen aber man dürfte sie nicht
218 Neurath, P. (2008). Paul Lazarsfeld – Leben und Werk, A.a.O., S. 119. 219 Lazarsfeld, S. (1973). Lebenserinnerungen Teil 2 – unveröffentlicht, S. 20. 220 Die Einschätzung berichtete Lotte Bailyn, Enkelin Sofie Lazarsfeld und Tochter des Sozialwissenschaftlers Paul Lazarsfeld (Oktober 2011). 221 Paul Cassirer war als studierter Kunstgeschichtler in den ersten Jahren Mitarbeiter der Zeitschrift Simplicissimus, später gründete er gemeinsam mit seinem Cousin Bruno Cassirer eine Kunst- und Verlagsanstalt. Paul Cassirer wurde Mitglied der Berliner Secession und stellte Bilder u. a. von Liebermann, Corinth aus, vgl. Kennert, C. (1996). Paul Cassirer und sein Kreis: ein Berliner Wegbereiter der Moderne. Frankfurt am Main: Lang. 222 Tilla Durieux wurde unter dem Namen Ottilie Godeffroy in Wien geboren. Sie wurde von ihrer Mutter in dem Wunsch Schauspielerin zu werden unterstützt, so dass es ihr gelang auf den Bühnen in Europa spielen zu können. Sie wurde Ensemblemitglied an verschiedenen Berliner Bühnen, vgl. Durieux, T. (1954). Eine Tür steht offen. Berlin-Grunewald: F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung.
64
Lebensstationen
damit belasten dass sie obendrein auch noch auf ihre Mutter aufpassen müsse, was nötig wäre.223
Paul Lazarsfeld war es, der seine Schwester nach Berlin begleitete. Ein Hauptgrund für den Ortswechsel von Elisabeth selbst war eine jugendliche Verliebtheit. Noch in Wien hatte sie Friedrich Zerner (1895 – 1951)224, den Sohn einer jüdischen Arztfamilie und Freund Robert Musils225, kennengelernt. Friedrich Zerner war ebenso wie Elisabeth überzeugter Sozialist und politisch aktiv. Er war von 1920 bis 1922 Assistent für angewandte Mathematik am Polytechnikum im Bezirk Charlottenburg in Berlin. Gern nutzte sie also das Angebot bei Cassirer zu arbeiten. Nach der Rückkehr nach Wien heirateten beide im Jahr 1925. 1932 wurde der Sohn Martin geboren, den Sofie Lazarsfeld sehr liebte und gern um sich hatte. Der zweite Sohn Henri wurde 1939 in der Emigration in Frankreich geboren.
2.9
Politische Veränderungen
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten schränkte die Tätigkeiten und die Verbreitung der Individualpsychologen jäh ein. Die Schriften Alfred Adlers wurden auf die Liste der zu verbrennenden Bücher aufgenommen. Ebenfalls gelistet war Sofie Lazarsfelds Werk Wie die Frau den Mann erlebt. Als Sozialdemokratin, Jüdin und Individualpsychologin galt sie als nicht akzeptabel.226 In Deutschland begannen die Einschränkungen und auch die Verfolgung von Personen abrupt im Januar 1933. Man¦s Sperber, der sich mittlerweile in Berlin aufhielt, wurde verhaftet.227 In Wien traten derartige Maßnahmen erst nach dem Sieg der Austrofaschisten über die Sozialdemokraten im Februar 1934 ein.228 Die 223 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht; S. 125. 224 Friedrich Zerner war der Sohn von Susanne und Theodor Zerner. Susanne Zerner konnte nicht aus Wien flüchten und wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und dort ermordet, vgl. Corino, K. (2003). Robert Musil. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt; S. 1725. 225 Friedrich Zerner diente als Vorbild des Sozialisten Schmeißer in Der Mann ohne Eigenschaften, vgl. Corino, K. (2003). Robert Musil. A.a.O., S. 896. 226 vgl. http://www.buecherlesung.de/liste.htm#L. (09. 06. 2013) Zum 80. Jahrestag der Bücherverbrennung wurde aus verschiedenen Quellen eine Übersicht erstellt, die sehr umfassend verdeutlicht, wieviele Autoren nicht mehr erwünscht waren. Die Bibliotheken wurden anhand dieser Listen ausgeräumt. Zum Gedenken fand am 08. 05. 2013 eine Lesung von Ausschnitten aus Sofie Lazarsfelds Buch in der Hochschulbibliothek Regensburg statt. Vgl. http://www.regensburger-nachrichten.de/freizeit/73175-lesung-in-gedenken-an-diebuecherverbrennung (09. 06. 2013). 227 Bruder-Bezzel, A. (1999). Geschichte der Individualpsychologie. A.a.O., S. 226. 228 Bereits im Januar 1934 gab es vehementen Druck und teilweise Gewaltausübungen von faschistischen Gruppierungen auf die von Bundeskanzler Dollfuß geführte Regierung Österreichs. Anfang Februar demonstrierten noch 100 000 Bauern gegen den NS-Terror.
Politische Veränderungen
65
Beratungsstellen wurden geschlossen. Otto Glöckel als Initiator der Wiener Schulreform wurde zeitweise verhaftet und in ein Lager gebracht.229 Fischl, Furtmüller und Papanek, die Mitarbeiter von Glöckel, emigrierten bereits in dieser frühen Phase in die USA. Die Sozialdemokratie und alle weiteren angeschlossenen Parteiorganisationen wurden aufgelöst. Das liberale und demokratische Verständnis von Erziehung wurde einer Rückentwicklung zu den hierarchisch-autoritären Erziehungskonzepten unterzogen. Die praktische Individualpsychologie wurde ihrer Reformprojekte beraubt. Alle Erziehungsberatungsstellen, Versuchsklassen und Versuchsschulen wurden geschlossen.230 Erste Verhaftungswellen kamen hinzu. Auch die Lazarsfelds bemerkten zu Beginn der dreißiger Jahre das sich verändernde politische Klima. Doch war zu diesem Zeitpunkt für sie noch nicht erkennbar, wohin die Veränderungen in dramatischer Weise führen würden.231 Ich hab erwähnt, dass 1932 schon genügend Zeichen waren für was weiter geschehn werde, aber wir haben die Signale nicht zu lesen verstanden, aber viel versiertere verstanden es auch nicht. Man wollte oder konnte es einfach nicht zur Kenntnis nehmen, es wäre zu bedrohend gewesen. Und diese Haltung – als eine Münze gesehn – hat wie eine solche zwei Seiten. Wenn man es verstanden hätte, was hätten diejenigen, die später sehr bedroht wurden dagegen tun können? Alles stehn und liegen lassen und beim ersten Anzeichen flüchten? Und wohin, mit wessen Hilfe? Das entwickelte sich erst als die große Katastrophe schon hereingebrochen war. Und zumindest hat uns diese Blindheit davor bewahrt, uns schon die ganze Zeit voraus zu fürchten, das ist die andere Seite der Münze. In meiner Umgebung war nur einer der es rechtzeitig verstand, aber auch die Möglichkeit hatte, für sich etwas dagegen zu tun, unser Sohn Paul. Er konnte als Rockefeller Student schon 1933 nach USA gehen und blieb dort für ständig erst unter schwierigen aber sehr favorablen Umständen in späterer Zeit. Für mich hatte es später den Vorteil dass ich am Leben blieb statt vergast worden zu sein.232
Viele blendeten die unangenehmen Zeichen des politischen Wandels aus und versuchten weiterzuleben wie bisher. Doch nach dem zwölften Februar 1934 begann sich die Lage zu verschärfen. Am ersten Tag der aufständischen Unruhen flüchtete Helene Bauer in die Wohnung der Lazarsfelds. Otto Bauer – als
229 230 231 232
Am 12. Februar war der Anlass eine Waffensuche in einem Linzer Arbeiterheim, das für 4 Tage einen bürgerkriegsähnlichen Zustand auslöste. Die faschistischen Gruppierungen verfolgten führende Sozialdemokraten. Viele mussten fliehen, neun von ihnen wurden standrechtlich zum Tode verurteilt und hingerichtet. Die amtierende Bundesregierung hob die Mandate der sozialdemokratischen Abgeordneten auf. Im Juli wurde Bundeskanzler Dollfuß von SS-Einheiten umgebracht. Kurt Schuschnigg wurde neuer Bundeskanzler, vgl. Ackerl, I. (2008). Geschichte Österreichs in Daten – von 1806 bis heute, S. 106 – 108. Handlbauer, B. (1984). Die Entstehungsgeschichte der Individualpsychologie Alfred Adlers. A.a.O., S. 194. Bruder-Bezzel, A. (1999). Geschichte der Individualpsychologie. A.a.O., S. 226. Lazarsfeld, S. (1973). Lebenserinnerungen Teil 2 – unveröffentlicht, S. 8. Lazarsfeld, S. (1973). Lebenserinnerungen Teil 2 – unveröffentlicht, S. 8.
66
Lebensstationen
Nachfolger Viktor Adlers – hatte sich bereits mit anderen hohen sozialdemokratischen Parteifunktionären in die damalige Tschechoslowakei abgesetzt. Durch den Aufenthalt Helene Bauers in ihrer Wohnung gerieten die Lazarsfelds verstärkt unter polizeiliche Beobachtung. Die Polizei hatte mittlerweile eine nationalsozialistische Gesinnung angenommen und stand Sozialdemokraten feindlich gegenüber. Nachdem Helene Bauer von Genossen in ein anderes Versteck gebracht worden war, wurden Robert und Sofie Lazarsfeld verhaftet. Meinen Mann nahm die Polizei gleich mit und mich holten sie gegen Abends. Erst waren wir bei der Staatspolizei abgeliefert aber bald wurden wir beide richtig ins Gefängnis überführt.[…] Es gab Fußtritte gegen meinen Mann, damit er schneller gehen solle, und mir wiederholten sie einige Male sehr hämisch aber unter völliger Unkenntnis der Tatsachen ›ich werde meinen Geliebten, den schönen Julius nicht so bald wiedersehen.‹ Damit war Julius Deutsch gemeint der bis dahin sozialdemokratischer Kriegsminister war, den ich ausser bei zwei offiziellen Gelegenheiten nie begegnet war.233
Eine Woche lang teilte sich Sofie Lazarsfeld eine Gefängniszelle mit der Sekretärin des sozialdemokratischen Justizministers. Auf eigene Kosten konnten sie sich warmes Essen bringen lassen. Dann wurde sie zum Verhör gebeten: I was called to the real Staatspolizei was bedeutete, dass sie mich sehr streng ausfragen würden. Nun hatte ich ja schon einige Erfahrungen und hatte für mich eine Technik trainiert gegen mehr als nur das Oberflächlichste zu sagen. Ich hatte mich mentally trainiert während der Befragung völlig zu vergessen, dass ja doch Gefahr vorlag,[…].234
Als sie aus dem Verhörraum entlassen wurde, saß dort im Flur ihre Tochter Elisabeth, die sie zunächst gar nicht erkannte, da ihr – wie allen anderen Gefangenen – die Brille abgenommen worden war. Elisabeth hatte die elegantesten Kleider ihrer Mutter an, um einen herrschaftlichen Eindruck bei der Polizei zu machen. Sie setzte sich offensichtlich mit nachhaltigen Argumenten für ihre Mutter ein. Der Amtsreferent ließ Mutter und Tochter gehen, nicht ohne zum Ausdruck gebracht zu haben, eine Menge Lügen gehört zu haben.235 Robert Lazarsfeld musste noch im Gefängnis bleiben. Erst mit einem Bittbesuch am nächsten Tag beim Polizeipräsidenten persönlich, konnte Sofie Lazarsfeld seine Freilassung erreichen.236 Für die Aktivitäten der Individualpsychologen gab es von nun an starke Einschränkungen. Nach der Machtergreifung der Austrofaschisten waren die Individualpsychologen von Ausgrenzung, Reglementierung und Verfolgung stärker betroffen als die Psychoanalytiker, da es offensichtlich enge Verbin233 234 235 236
Lazarsfeld, S. (1973). Lebenserinnerungen Teil 2 – unveröffentlicht, S. 15. Lazarsfeld, S. (1973). Lebenserinnerungen Teil 2 – unveröffentlicht, S. 17. Lazarsfeld, S. (1973). Lebenserinnerungen Teil 2 – unveröffentlicht, S. 18. Lazarsfeld, S. (1973). Lebenserinnerungen Teil 2 – unveröffentlicht, S. 23.
Politische Veränderungen
67
dungen – allein durch die Schulreformen und deren Beteiligten – zur Sozialdemokratie gab. Die Beratungsstellen mussten geschlossen werden. Ferdinand Birnbaum, Adlers Vertreter bzw. Nachfolger für die Vorlesungs- und Vortragsreihen, durfte nicht mehr dozieren. Die Beratungsstellen, die in öffentlichen Institutionen lokalisiert waren, wurden umgehend geschlossen.237 Sofie Lazarsfeld konnte noch einige Zeit weiterhin tätig sein, da sie ihre Beratungsstelle in der eigenen Wohnung hatte. Der Verein für Individualpsychologie wurde mit dem Beginn des Austrofaschismus diverse Male untersucht. Alfred Adler selbst war 1935 das letzte Mal in Wien. Er wollte seine Frau Raissa mit außer Landes nehmen.238 Raissa wollte – ähnlich wie zunächst Sofie Lazarsfeld – Wien nicht verlassen. Wien war zur Heimat geworden und es fiel schwer sich einen anderen Lebensmittelpunkt vorzustellen.239 Viele Mitstreiter verließen Wien. Die Zurückgebliebenen konstituierten sich nach dem Weggang Adlers neu, aber bereits 1935 wurde gegen alle Vorstandsmitglieder des Vereins polizeilich ermittelt.240 Sofie Lazarsfeld war 1937 mit Rudolf Dreikurs, Margarethe Hilferding, Ida Löwy u. a. als Klub der Freunde der Individualpsychologie aktiv, da der Verein für Individualpsychologie nicht mehr bestehen durfte. Sie versuchten weiterhin, Vortragsreihen zu organisieren, wurden aber skeptisch überwacht. Im Januar 1937 wurde im Wiener Morgenblatt eindeutig vor der Individualpsychologie und insbesondere vor Familie Lazarsfeld gewarnt: […] Dieses Gardebataillon jüdischer Individualpsychologen und Bewältiger der dekadenten Lebensaufgaben will also nun auf die Wiener Bevölkerung losmarschieren […] Es wird aber auch, das können wir heute schon versichern, das lebhafte Interesse anderer Stellen erwecken, denn der ominöse Name Lazarsfeld mahnt zu einiger Vorsicht und Wachsamkeit.241
Ab Februar 1938 spitzte sich die Lage in Österreich weiter zu. Kanzler Schusschnigg musste nach einem Besuch in Berchtesgarden Forderungen der deutschen Reichsführung erfüllen und nationalsozialistische Minister einsetzen. In 237 Handlbauer, B. (1984). Die Entstehungsgeschichte der Individualpsychologie Alfred Adlers. A.a.O., S. 194. 238 Handlbauer, B. (1984). Die Entstehungsgeschichte der Individualpsychologie Alfred Adlers. A.a.O., S. 197. 239 Schiferer, R. (2004). Raissa Adler (1872 – 1962)- Von der bürgerlichen Frauenbewegung zum österreichischen Trotzkismus. In D. Ingrisch, I. Korotin & Z. Charlotte (Hg.), Die Revolutionierung des Alltags. Frankfurt am Main: Verlag: Peter Lang, S. 202. 240 Handlbauer, B. (1984). Die Entstehungsgeschichte der Individualpsychologie Alfred Adlers. A.a.O., S. 197. 241 Wiener Montagblatt vom 25. 01. 1937 zitiert nach Handlbauer, B. (1984). Die Entstehungsgeschichte der Individualpsychologie Alfred Adlers. A.a.O., S. 198 – 199.
68
Lebensstationen
mehreren Städten fanden große nationalsozialitische Kundgebungen statt. Am 11. März konnte Schuschnigg dem Druck – Hitler hatte den militärischen Einmarsch nach Österreich angekündigt – nicht mehr standhalten und trat zurück. Am 12. März überschritten deutsche Truppen die Grenzen und wurden von einer jubelnden Menge empfangen. Es kam nicht zu Kampfhandlungen. Bereits in der Nacht vom 12. auf den 13. März wurden in Wien »feindliche« Personen verhaftet. Am 15. März hatte Hitler einen imposanten Auftritt auf dem Wiener Heldenplatz.242 Österreich gehörte nun mit allen Konsequenzen zum Großdeutschen Reich.
2.10 Europareisen und europäisches Frauennetzwerk Von 1935 bis 1937243 engagierte Sofie Lazarsfeld sich vermehrt für Frauenfragen in Organisationen – z. B. Women’s Organisation for World Order (WOWO) – und war teilweise in Planungen zu neuen Kongressen involviert. Die als österreichische Feministin bezeichnete Anna Helene Askanasy (1893 – ?)244 gründete in Genf zunächst mit einer kleinen Abordnung von Frauen – darunter Sofie Lazarsfeld und Elin Wägner – am Rande eines Kongresses die WOWO. Elin Wägner war 1920 zum ersten Mal nach Österreich gereist und hatte sich in einem Sozialprojekt für Kinder (Rädda Barnen – Rettet die Kinder) engagiert. Durch diese Reise bekam sie Kontakt mit ähnlich gesinnten Wienerinnen. Elin Wägner und Sofie Lazarsfeld haben sich vermutlich auf einer dieser Veranstaltungen kennengelernt. Beide Frauen engagierten sich in ähnlichen Bereichen und setzten sich mit ihren schriftstellerischen Tätigkeiten für die Veränderung der Stellung der Frau in der Gesellschaft ein.245 Zwischen den Tagungen der WOWO 1935 und 1936 intensivierte sich die Beziehung der beiden Frauen. Nach dem WOWO Kongress in Salzburg im Jahre 1936 verbrachten sie einen gemeinsamen Urlaub an der Glocknerstrasse in einem Rehabilitationszentrum im Kurort Bad Fusch.246 Elin Wägner lud Sofie Lazarsfeld zu Vorträgen mit den Themen Die Neurosen 242 Vgl. Hamann, B. (2009). Österreich – Die Deutschen und ihre Nachbarn. A.a.O. S. 151 – 157. 243 Vgl. Kapitel 2.7 Engagement für die Individualpsychologie. 244 Anna Helene Askanasy war eine österreichische Feministin, schriftstellerisch arbeitete sie an einem Frauenlexikon. Mit ihrem jüdischen Ehemann verließ sie 1938 Österreich, gelangte über London nach Kanada. Ihr weiterer Lebensweg konnte nicht abgebildet werden, vgl. Auer, E. (2009). Mütter, Väter, Amazonen – Elin Wägners Weg zu Väckarklocka über Österreich und die Schweiz. Roskilde: Center for Ostrigsk-Nordiske Kulturstudier – Roskilde Universitetscenter, S. 45, Fußnote 41. 245 vgl. Auer, E. (2006). Elin Wägner in Österreich. Roskilde: Zentrum für österreichischnordische Kulturstudien, Institut for Kultur og Identitet, Roskilde Universitetscenter. 246 Auer, E. (2006). Elin Wägner in Österreich. A.a.O., S. 32.
Europareisen und europäisches Frauennetzwerk
69
des Patriarchats und Der neue Stand der Frauenbewegung nach Skandinavien ein. Sofie Lazarsfeld bereiste Stockholm, Göteborg und Oslo. Im Anschluss an die Vortragsreisen lud Elin Wägner Sofie Lazarsfeld in ihr Haus nach Smland ein.247 Noch ganz bewegt schrieb Sofie Lazarsfeld 1937 in einem Brief an Elin Wägner : Wissen Sie, dass ich manchmal gar nicht glauben kann, dass ich wirklich in Schweden war? Es ist fast wiederum ein Traum geworden, allerdings einer den man nie vergisst.248
Elin Wägner war sehr beeindruckt von Sofie Lazarsfelds Schrift Wie die Frau den Mann erlebt und setzte sich später für eine Übersetzung ins Schwedische ein, die 1938 von Karin Alin unter dem Titel Hur kvinnan upplever mannen – Andras bekännelser och egna upplevelser realisiert wurde.249 1937 reiste Sofie Lazarsfeld mehrere Male in die Schweiz und die damalige Tschechoslowakei. Offenbar hielt sie nicht nur Vorträge, sondern half auch, Informationen ins Ausland zu bringen. […], obwohl diese Reisen ausser meiner beruflichen Freude, ja auch dem Zweck dienten, Wiener Genossen, die im Exil lebten über manches zu informieren und eine Art Verbindung wenn auch noch so gering von Zusammengehörigkeitsgefühl zu geben.250
2.10.1 WOWO, Women’s Organisation for World Order Die Organisation umfasste bald 300 Mitglieder aus aller Welt. Ihr Ziel war es, das Frauenbild in der Gesellschaft zu verändern und ihnen das nötige Selbstvertrauen und ein anderes Selbstverständnis zu geben. Die Organisation war keineswegs gegen Männer gerichtet, im Gegenteil: Männer sollten ebenso von den Veränderungen profitieren. Die WOWO hatte nicht grundsätzlich die Absicht, politisch zu sein, aber die Forderungen hatten durchaus einen gesellschaftlich diskursiven Charakter. Die Grundsätze führt Auer (2006) wie folgt auf: Frauen sollen das Alleinrecht haben, in Bevölkerungsfragen zu entscheiden, während in den übrigen Fragen die Macht zwischen Männer und Frauen geteilt wird (50:50). Die Befriedigung grundlegender Bedürfnisse soll jedem Menschen von der Wiege bis zum Grab garantiert werden. 247 Auer, E. (2006). Elin Wägner in Österreich. A.a.O., S. 29. 248 Elin Wägner, Briefwechsel mit Sofie Lazarsfeld vom 16.04. (wahrscheinlich 1937, da ohne Jahreszahl) KvinnSam at Gothenburg University Library. 249 Auer, E. (2009). Mütter, Väter, Amazonen – Elin Wägners Weg zu Väckarklocka über Österreich und die Schweiz. A.a.O., S. 28. 250 Lazarsfeld, S. (1973). Lebenserinnerungen Teil 2 – unveröffentlicht, S. 27.
70
Lebensstationen
Zweck und Sinn aller Produktion sollen Bedürfnisse der Menschen sein und nicht Gewinnstreben. Landwirtschaft soll nach biologischen Grundsätzen wie Wechselwirtschaft, organische Düngung und Kompostierung betrieben werden. Alle Staaten sollten Mitglieder im Völkerbund werden. Die Todesstrafe soll abgeschafft werden, Religion ist Privatsache, Kirche und Staat sind voneinander zu trennen. Männer und Frauen sollen wirtschaftlich unabhängig sein. Die Frau soll bei einer Heirat ihren Namen und ihre Staatsangehörigkeit behalten. Die Kinder sollen matrilinear aufwachsen, d. h., sie erhalten den Namen und die Staatsbürgerschaft der Mutter.
Dieses Programm wurde auf dem Kongress 1937 in Bratislava von den Mitgliedern erarbeitet. Nur ein Jahr später kam es zu einem Bruch für die Frauen der WOWO durch den Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland. Viele österreichische Mitglieder gingen ins Exil und verstreuten sich über ganz Europa bis hin in die USA. So kam es quasi zu einer Auflösung der Women’s Organisation for World Order. Sofie Lazarsfeld bedauerte nach ihrer Flucht nach Paris in ihren Briefen, den Verlust des Austausches zu den Frauen aus der WOWO.
2.11 Flucht und Emigration Die Tochter Elisabeth und ihre Familie lebten nach 1934 auch in der großen Wohnung in der Seilergasse. Aus politischen Gründen hatten sie ihre alte Wohnung verlassen müssen.251 Der Schwiegersohn Friedrich Zerner wurde für mehrere Monate ins Gefängnis gesteckt. Er wurde erst im Mai 1938 aus der Haft entlassen.252 Elisabeth und ihr Mann emigrierten sofort nach dessen Freilassung nach Paris.253 Auch für Sofie und Robert Lazarsfeld wurde deutlich, dass sie das Land verlassen müssen. Anfang August 1938 ging Robert Lazarsfeld, als er ein Visum für Frankreich erhalten hatte, wie für einen Spaziergang gekleidet aus dem Haus, bestieg einen Zug in Richtung Schweiz. Als Grund seiner Reise gab er Unter251 Lazarsfeld, S. (1973). Lebenserinnerungen Teil 2 – unveröffentlicht, S. 19. 252 Brief von Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner 28. 05. 1938, KvinnSam at Gothenburg University Library. 253 Brief von Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner 2. 1. 1937, KvinnSam at Gothenburg University Library.
Flucht und Emigration
71
stützung für die erkrankte Tochter an. Sofie blieb zunächst zurück, um keine Aufmerksamkeit auf ein reisendes Ehepaar zu lenken.254 Ich hätte zugleich mit Robert wegfahren koennen, aber wenn wir beide und mit dem bissl Besitz das wir noch hatten sofort abgepascht wären, hätte uns das unter Verdacht gebracht welche Schätze wir hinausschmuggelten und das konnte Komplikationen ergeben. Andererseits war es auch wichtig Männer so schnell als möglich hinaus zu bringen weil die gefährdeter waren.255
Die große Wohnung der Lazarsfelds war konfisziert worden und in den Räumen wurde eine Dependance einer deutschen Bank eingerichtet. Sofie Lazarsfeld teilte dem Bankchef einige Tage nach Roberts Abreise mit, dass sie im Begriff war das Land zu verlassen: Er kam zu mir, etwas konsterniert und fragte warum ich denn solche Eile habe, ob einer seiner Leute sich schlecht benommen hätte, er hoffe doch, dass ich mich nicht bedroht fühle. Und da kam es ganz spontan aus mir wie ein Reflex, ohne Mut, ohne Denken. Ob er nicht begreifen könne, dass ich so schnell als möglich in ein Land kommen möchte wo auf den Parkbänken keine Notiz ist ›Nicht für Juden‹. Für diese Äusserung hätte er mich sofort verhaften und ins Konzentrationslager schicken können und kein Hahn hätte danach gekräht.256
Am 16. August 1938 verließ Sofie Lazarsfeld Wien. Es war der letzte Tag an dem die allgemeinen österreichischen Pässe noch Gültigkeit besaßen. Ab dem 17. August wurde eine Kennzeichnung für Juden im Pass eingeführt und auch Österreicher mussten einen reichsdeutschen Pass mitführen.257 Demnach war es sehr gewagt, in genau dieser Nacht auszureisen, da durch eine Zugverspätung die Weiterfahrt hätte behindert werden können. In Zürich traf sie Robert Lazarsfeld und sie konnten von dort aus gemeinsam bis Paris reisen.258
2.11.1 Paris Die Ankunft in Paris war vorbereitet worden. Zwei gute Freundinnen, die Sofie Lazarsfeld über ihre Vortragstätigkeit kannte, hatten für eine Wohnung mit Einrichtung gesorgt. Lazarsfeld, S. (1973). Lebenserinnerungen Teil 2 – unveröffentlicht, S. 54. Lazarsfeld, S. (1973). Lebenserinnerungen Teil 2 – unveröffentlicht, S. 55. Lazarsfeld, S. (1973). Lebenserinnerungen Teil 2 – unveröffentlicht, S. 56. Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen, Reichsgesetzblatt, Jahrgang 1938, Teil 1 (RGBI I 1938, S. 1044), vgl. http:// alex.onb.ac.at (Österreichische Nationalbibliothek – ALEX, Historische Rechts- und Gesetzestexte Online). 258 Lazarsfeld, S. (1973). Lebenserinnerungen Teil 2 – unveröffentlicht, S. 58.
254 255 256 257
72
Lebensstationen
Unser Leben in Paris mit den vielen Möglichkeiten und auch unserer Frankophilie gab uns ein neues Heimatsgefühl, wieder ein fictives Gefühl von Sicherheit.259
Kontakte mit anderen Individualpsychologen erleichterten das Einleben in der fremden Stadt. Edmund Schlesinger, Emmerich Weißmann, Alexander Neuer und Man¦s Sperber waren bereits in Paris.260 Helene Bauer wohnte bei Robert und Sofie Lazarsfeld in der Wohnung. Angesichts der vielen Kollegen kam es zu regem geistigen Austausch, der Sofie und Robert Lazarsfeld belebte und aufatmen ließ, angesichts der gefährlichen Lage in Wien. Aufgrund Sofie Lazarsfelds exzellenter Französischkenntnisse bekam sie bald die Gelegenheit dort Kurse zu halten und auch eigene Schüler zu übernehmen.261 Im darauf folgenden Winter erholte Robert Lazarsfeld sich nur schwer von einer starken Erkältung. Die Ärzte diagnostizierten eine Herzschwäche und verordneten eine vierwöchige Liegekur.262 Einige Wochen später berichtete sie von einer Verschlimmerung, denn Robert hatte eine Lungenentzündung entwickelt. Damit wurde die finanzielle Lage zwischenzeitlich prekär. Ich musste meine Stunden aufgeben, nur den Kurs hab ich gehalten, aber mit welchen Gedanken nach zuhause. Und er hat niemand zu sich gelassen, auch die Nachtpflege hatte ich und das Essen kochen, er nimmt nichts von anderen. […] Er ist wie ein ganz kleines Kind. Mir ist noch unklar, wie er allein irgendwo auf Erholung gehen kann, denn die Kosten sind zu hoch, ich muss versuchen, hier inzwischen zu arbeiten.263
Im Mai 1939 verließ Helene Bauer Paris. Sie bekam ein Visum für Schweden. Doch es kamen immer wieder Emigranten und die Lazarsfeld wohnten weiterhin mit mehreren Personen in einer kleinen Wohnung. Die Tochter Elisabeth gebar den zweiten Sohn, Henri Thomas. Robert erholte sich kaum von der Erkrankung, bekam immer wieder neue Beschwerden. Den ganzen Sommer über lag er häufig darnieder und bedurfte der Pflege.264 Robert lag wieder zwei Wochen zu Bett, es hat aber gar nichts geholfen all was er zu schlucken bekam und Einreibungen und nichts nützt. Jetzt bekommt er intravenöse Injektionen, es sollte eigentlich in die Muskeln gespritzt werden, aber es ist keine Spur von Muskeln zu finden, er ist nur Haut und Knochen. In acht Monaten war er keine vier Wochen halbwegs gesund.265
259 Lazarsfeld, S. (1973). Lebenserinnerungen Teil 2 – unveröffentlicht, S. 62. 260 Handlbauer, B. (1997). Die Emigration der Wiener Individualpsychologie. A.a.O., S. 133. 261 Brief von Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner 4. 11. 1938, KvinnSam at Gothenburg University Library. 262 Brief von Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner 25. 2. 1939, A.a.O. 263 Brief von Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner 21. 3. 1939, A.a.O. 264 Brief von Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner 17. 5. 1939, A.a.O. 265 Brief von Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner 07. 08. 1939, A.a.O.
Flucht und Emigration
73
Nach einem kurzen Aufenthalt von Sofie Lazarsfeld in den Bergen, musste sie mit Robert einen Spezialisten konsultieren, der bei Robert Knochenkrebs diagnostizierte. Der Krebs war bereits so weit fortgeschritten, dass der Arzt mit einer Morphiumbehandlung begann. Sofie Lazarsfeld konnte nur noch an seinem Bett wachen. Am 16. September 1939 verstarb Robert Lazarsfeld.266 In den folgenden Briefen an Elin Wägner beschrieb Sofie Lazarsfeld eine depressive Verstimmung, die durch den Tod des Ehemanns hervorgerufen wurde. Durch ihre Tochter und den kleinen Enkel fand sie Ablenkung. Offenbar konnte sie auch weiter Schüler gewinnen und mit ihnen arbeiten. Dieser vermeintlich ruhige Lebensrhythmus änderte sich jäh als die deutsche Wehrmacht am 14. September 1940 in Paris einmarschierte. Abrupt wurde klar, dass alle Familienangehörigen rasch flüchten mussten. Friedrich und Elisabeth Zerner hatte sich damals schon der Resistance angeschlossen und Friedrich wurde aufgrund seiner politischen Tätigkeiten in Österreich weiterhin verfolgt.267 Die Schulkinder wurden in Anbetracht von Kriegshandlungen aus der Stadt gebracht, so dass Enkel Martin nicht rechtzeitig zur Familie zurückkehrte. Die Erwachsenen verließen Paris ohne ihn. Sie konnten nach Montauban268 flüchten. Eine umsichtige französische Familie konnte Martin mittels einiger Zufälle einige Tage später ebenfalls dorthin bringen. Der Schwiegersohn Friedrich Zerner war im Zuge der Besetzung von Paris in ein Arbeitslager verschleppt worden.269 Paul Lazarsfeld – sicher in Amerika – drängte zu einer Emigration in die USA. Die Lage wurde durch die Kriegshandlungen des Deutschen Reiches immer unsicherer.
2.11.2 New York Im Mai 1941 wurde Sofie Lazarsfeld 60 Jahre alt und war in Europa so verwurzelt, dass ihr die Vorstellung, den Kontinent endgültig zu verlassen, viele Sorgen bereitete. Ich hatte meine Abreise von Montauban so lange als moeglich verzoegert, hatte alle Visen lang parat und bekam dringend Briefe aus Lissabon, nicht mehr zu warten, es koennte bald nicht mehr moeglich sein. Deutlicher konnte man damals schon nicht mehr schreiben. Aber die wiederholten Weisungen klangen so ernst, dass es nur gemeint sein konnte, Amerika werde in den Krieg einbezogen werden, was auch bald 266 Brief von Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner 17. 09. 1939, A.a.O. 267 Persönliches Gespräch mit Martin Zerner in Paris am 18. 11. 2011. 268 In Montauban wurden österreichische Sozialisten unterstützt. Sie hatten dort eine Niederlassung, verhalfen vielen Personen zu Ausreisevisa. 269 Lazarsfeld, S. (1975). Lebenserinnerungen Teil 1 – Fassung B – unveröffentlicht, S. 12, von seiner Freilassung fehlt ein Bericht im Manuskript.
74
Lebensstationen
darauf geschah. So musste ich endgiltigen Abschied von Europa und meiner dortigen Familie nehmen. Ich glaube nie im Leben ist mir etwas schwerer geworden.270
Tochter und Schwiegersohn entschieden sich in Frankreich zu bleiben. Sie fanden Unterkunft bei einer Familie im Bas Cevennes.271 Die Familie272 kümmerte sich in den Kriegsjahren um die Enkelkinder, die sie als französische Kinder ausgab.273 Elisabeth und Friedrich Zerner waren weiterhin in der Resistance aktiv.274 Offenbar machte sich Sofie Lazarsfeld ohne weitere Begleiter allein auf den Weg. Um nach Lissabon zum Schiffsanleger zu kommen musste man über Madrid reisen, da es keine durchgehenden Züge gab. Von bereits Geflüchteten wurde der Ratschlag an die Nachkommenden weitergereicht, in Madrid im Hotel International abzusteigen, das eine gewisse Sicherheit für Emigranten versprach. Der Taxifahrer in Madrid verstand Sofie Lazarsfeld nicht richtig und fuhr sie ins Hotel National, das damals das Deutsche Hauptquartier war. Trotz der Verwechslung bekam sie über einen Kontaktmann das Zugticket für Lissabon und konnte am nächsten Tag weiterreisen. An der Grenze wurde sie von einem Grenzsoldaten auf die Ausfuhr von Geld untersucht, der eine Differenz in ihren Angaben monierte. Er drohte mit Gefängnis und einem Prozess in Madrid. Buchstäblich in letzter Sekunde erinnerte sich Sofie Lazarsfeld an die Hotelquittung, die die Differenz nachweisen konnte.275 Mein Zug war bereits unter Dampf, ich war wirklich und wahrhaftig verzweifelt und suchte immer noch krampfhaft nach dem fehlenden Dollar. Dabei fiel mir die bezahlte Rechnung des Hotel National in die Hand, die zeigte, dass ich nur eine Nacht in Madrid gewesen war. […] Er warf einen Blick auf den Namen des Hotels, packte meine Reisetasche rannte damit zu dem Abfahrt bereiten Zug, mir zurufend, ›passez Madame, passez vite‹ und warf die Tasche aber auch mich selbst in den Zug. […] Er wusste ziemlich sicher wofür das Hotel National stand und dass kein durchschnittlicher NaziFlüchtling das freiwillig wählen würde.276
Den Rest des Weges und die Überfahrt konnte Sofie Lazarsfeld problemlos bewältigen. Sie kam am 9. April 1941 in New York an.277 Ihr Sohn Paul und dessen
270 Lazarsfeld, S. (1973). Lebenserinnerungen Teil 2 – unveröffentlicht, S. 65. 271 Landstrich nördlich von Montpellier. 272 Bis heute sind die Enkelsöhne mit der Familie verbunden – Gespräch mit Henri Zerner Oktober 2011, mit Martin Zerner November 2011. 273 Lazarsfeld, S. (1975). Lebenserinnerungen Teil 1 – Fassung B – unveröffentlicht, S. 15. 274 Brief von Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, 27. 02. 1946, A.a.O. 275 Lazarsfeld, S. (1973). Lebenserinnerungen Teil 2 – unveröffentlicht, S. 65 – 68. 276 Lazarsfeld, S. (1973). Lebenserinnerungen Teil 2 – unveröffentlicht, S. 66 – 67. 277 Telegramm Sofie Lazarsfeld an Friedrich Adler 09. 04. 1941, VGA, Wien, Adler-Archiv, Mappe 303, Tasche 1.
Flucht und Emigration
75
zweite Frau Herta Herzog (1910 – 2010)278 nahmen sie auf. Sofie Lazarsfeld sah auch ihr mittlerweile elfjähriges Enkelkind Lotte wieder, die sie als richtiges amerikanisches Mädchen erlebte. Sie traf viele alte Freunde wieder.279 Sie litt unter ihren Sprachschwierigkeiten und brauchte finanzielle Unterstützung. Einige ihrer ehemaligen Schüler waren ebenfalls in New York und kamen offenbar zu ihr in Beratungsstunden, so dass sie allmählich wieder anfangen konnte zu arbeiten.280 Im Juli 1941 schrieb sie dann an Friedrich Adler, dass sie nun außerhalb von New York Englischkurse besuche. […] täglich 2 Stunden Grammatik und amerikanische Geschichte und Geographie, 1 Stunde Konversation und 1 Stunde Einzelunterricht […] Sie sehen man ist eingespannt, aber so ermüdend es ist, es war absolut richtig herzugehen.281
Die Wohnungssuche war für Sofie Lazarsfeld schwieriger als erwartet, so dass sie länger als geplant bei ihrem Sohn blieb. Die Enkeltochter Lotte hat das als kompliziert und anstrengend in Erinnerung. Sie erlebte ihre Großmutter als streng und pedantisch vor allem was Vereinbarungen über Pünktlichkeit anging. Besonders das leidenschaftliche Bridgespiel der Großmutter war für Lotte unangenehm, da sie immer mit ihrer Großmutter spielen musste und dann Vorwürfe bekam, wenn es nicht so gut lief.282 Sofie Lazarsfeld machte Fortschritte mit der englischen Sprache und konnte im Januar 1945 die amerikanische Staatsbürgerschaft beantragen.283 Nach der Beantragung fühlte sie sich nicht mehr so heimatlos. Wien sei nun allerdings restlos versunken für sie. Im Juli 1946 wurde sie amerikanische Staatsbürgerin.284
278 Herta Herzog war von 1936 bis 1945 mit Paul Lazarsfeld verheiratet. Sie war Kommunikationsforscherin. Beide waren gemeinsam sehr produktiv in der gemeinsamen Zeit an der Columbia University, vgl. Klaus, E. (2008). What do we really know about Herta Herzog? Eine Spurensuche. Medien & Kommunikationswissenschaft, 2(56), 227 – 252. 279 Brief von Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, 05. 06. 1941, A.a.O.. Henri Zerner (Enkel) berichtete, dass Sofie Lazarsfeld sich wöchentlich mit Raissa Adler zum Dinner traf (Gespräch, 15. 10. 2011). 280 Brief von Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, 05. 06. 1941. A.a.O. 281 Brief von Sofie Lazarsfeld an Friedrich Adler 11. 07. 1941, VGA, Wien, Adler-Archiv, Mappe 303, Tasche 1. 282 Gespräch mit Lotte Bailyn am 17. 10. 2011. 283 Brief von Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, 10. 01. 1945, A.a.O. 284 Brief von Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, 07. 07. 1946, A.a.O.
76
Lebensstationen
2.11.3 Nachkriegszeit: Sommermonate in Europa Der Besitz des Passes bedeutete nun, dass sie die Möglichkeit hatte nach Europa zu reisen. Die Familie ihrer Tochter hatte sie seit der Emigration nicht mehr gesehen und sie sehnte sich nach Europa, besonders nach Frankreich und Paris. Noch im Jahr 1946 wurde ihr ein Visum für drei Monate bewilligt.285 Diesen ersten europäischen Aufenthalt nutzte sie dafür, die Möglichkeiten abzuwägen, ob sie nach Paris zurücksiedeln könnte.286 Aber dann musste ich in die Stadt, weil ich ja für nächstes Jahr vorbereiten muss, wo ich dann hoffentlich fuer staendig her uebersiedeln kann. Damit begann ein ganz anderes Leben und jede Minute des Tags war ausgefüllt, heute abend findet sogar schon die erste Sitzung der neu zu gründenden psychologischen Vereinigung statt, […].287
Auch in Paris wäre es möglich gewesen, wieder als psychologische Beraterin zu arbeiten, schrieb sie weiter. Doch die Wohnungssituation war in Paris so eingeschränkt, dass sie ihre Pläne verschob. Diese Situation änderte sich in den nächsten Jahren nicht. 1947 waren die Lebensumstände in Frankreich noch schwieriger. Im ganzen hab ich die Lage sehr verschlimmert gefunden gegenueber vorigem Jahr. Da hatten die Menschen noch Plaene und Hoffnungen, diesmal nichts als teils verbitterte Resignation, Enttaeuschung in allen Dingen. Wohnungsproblem und Ernaehrung weit schlimmer als je, dazu der ueberstrenge Winter und der irrsinnig heiße Sommer […].288
Für Sofie Lazarsfeld war 1947 dennoch ein positives Jahr. Ihr Werk Wie die Frau den Mann erlebt erschien in Schweden in bereits dritter Auflage. Sofie Lazarsfeld hatte das den Verbindungen von Elin Wägner zu verdanken.289 Nach den ersten Besuchen in Frankreich und angesichts der instabilen Nachkriegszeit und in den Zeiten des aufkommenden kalten Krieges entschied sich Sofie Lazarsfeld in den USA zu bleiben. Bis zu ihrem Lebensende verbrachte sie die Sommermonate regelmäßig in Europa. Die ersten Jahre in Frankreich bei der Tochter Elisabeth, später in Engelberg, einem Luftkurort in der Schweiz.290
285 286 287 288 289 290
Brief von Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, 10. 08. 1946, A.a.O. Brief von Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, 19. 10. 1946, A.a.O. Brief von Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, 19. 10. 1946, A.a.O. Brief von Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, 04. 11. 1947, A.a.O. Brief von Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, 08. 02. 1947, A.a.O. Berichte aller Enkel im Oktober / November 2011 über die Sommeraufenthalte Sofie Lazarsfelds in der Schweiz. In verschiedenen Briefwechseln sind Anfragen zu Zimmerbuchungen zu finden.
Flucht und Emigration
77
1954 reiste Sofie Lazarsfeld zum ersten Internationalen Kongress der Individualpsychologie in der Nachkriegszeit nach Zürich.291
2.11.4 Individualpsychologin in New York – Spätwerk (1941 – 1960) Seit 1937 existierte auch in New York eine Individualpsychologische Vereinigung die Individual Psychology Society of New York, die später zur Individual Psychology Association of New York wurde.292 Wie auch in Wien wurden dort Kurse, Seminare und Vorträge organisiert. Sofie Lazarsfeld war eine Zeit lang Vizepräsidentin der Individual Psychology Association. Ab 1950 wurden wieder Ausbildungskurse für individualpsychologische Berater angeboten. Dafür wurde das Alfred Adler Institute for Individualpsychology gegründet. Gleichzeitig entstand ein Beratungszentrum, das später die Mental Hygiene Clinic wurde, in der auch schwierige psychiatrische Fälle behandelt werden konnten. In diesem Zentrum arbeiteten Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter und Berater.293 Das Alfred Adler Institut New York besteht bis heute und bietet eine individualpsychologische Ausbildung, verschiedene Kurse und Workshops an.294 Ab 1950 konnte Sofie Lazarsfeld mit 69 Jahren als anerkannte Psychologin arbeiten. Durch Einreichung von Unterlagen und Nachweisen – vermutlich die Ausbildungsnachweise als Individualpsychologin in Wien, Studienbescheinigung des psychologischen Instituts in Wien, Nachweisen von Psychiatriekursen295 – wurde ihr durch die New York State University am 12. Mai 1958 vom Education Department ein Certificate as Psychologist in the State of New York ausgestellt.296 Aus ihren Korrespondenzen geht hervor, dass sie täglich – auch samstags – sieben Klienten hatte und in eigener Praxis arbeitete. Nach einiger Zeit veröffentlichte sie in englischer Sprache Arbeiten im In291 Brief von Sofie Lazarsfeld an Friedrich Adler 17. 07. 1954, VGA, Wien, Adler-Archiv, Mappe 305, Tasche 1. 292 Kenner, C. (2007). Der zerrissene Himmel – Emigration und Exil der Wiener Individualpsychologie, S. 29. 293 Kenner, C. (2007). Der zerrissene Himmel – Emigration und Exil der Wiener Individualpsychologie, S. 30. 294 vgl. http://www.aai-ny.org (21. 06. 2013). 295 Diese Nachweise wird es vermutlich gegeben haben. Leider konnten die Enkel von Sofie Lazarsfeld keine weiteren Auskünfte zu der Arbeit am Alfred Adler Institut geben. Möglich ist, das Sofie Lazarsfeld im Rahmen ihrer Vizepräsidentschaft der Individual Psychology Association sich auch politisch für den Berufsstand der Individualpsychologen einsetzte. Die derzeitige Leitung, Ellen Mendel, (Telefonat am 09. 10. 2013) konnte keine weiteren Auskünfte geben. 296 Die Urkunde ist im Besitz von Henri Zerner (Enkelsohn) in Boston, siehe Anhang.
78
Lebensstationen
dividual Psychology Bulletin und auch später im American Journal of Psychotherapy. Schon 1936 war ihr Artikel Mut zur Unvollkommenheit mit dem Titel Dare to be less than perfect im International Journal of Individual Psychology erschienen.297 Ende der 40er und in den 50er Jahren erschienen nach aktuellem Forschungstand 10 Veröffentlichungen. Die Veröffentlichungen beschäftigten sich mit Inhalten zur Therapietechnik. 1947 knüpfe sie in dem Artikel War and Peace between the Sexes298 an Argumentationen aus Wie die Frau den Mann erlebt an. Sie trat weiterhin für die Gleichberechtigung ein. Den Männern schrieb sie ein Sicherstellungsstreben in Bezug auf ihre patriarchale Machterhaltung zu, sah aber, ernüchtert nach der Naziherrschaft, auch bei den Frauen Machtgebaren, die die Männer beherrschte Struktur gestützt haben. Was die Frauensolidarität anging, war sie skeptischer geworden und vermisste Kooperationsfähigkeiten bei Frauen. Sofie Lazarsfeld versuchte mit einigen Frauen die WOWO auch in den USA fortzuführen, was aber aufgrund von niedriger Beteiligung scheiterte.299 In Kooperation mit Aysa Kadis (1903 – 1971)300 schrieb Sofie Lazarsfeld einen Diskussionsbeitrag The respective roles of earliest recollections and images.301 Die Autorinnen unterschieden früheste Kindheitserinnerungen von Vorstellungen, den sogenannten Imagines. Die frühesten Kindheitserinnerungen vermitteln ein sehr subjektives Bild der frühen sozialen und emotionalen Umgebung, während Imagines Vorstellungen von Beziehungen zu anderen Personen seien. In den fünfziger Jahren widmete Sofie Lazarsfeld sich in zwei Artikeln der therapeutischen Beziehung. Sie beschrieb als einen Fallstrick in Pitfalls in Psychotherapy302 die mangelnde Anerkennung an der Eigenleistung des Analysanden im therapeutischen Prozess. Ein Therapeut sollte in hohem Maße über Selbstreflexion verfügen und Eitelkeiten und Ehrgeiz entlarven können. Ein zweiter wichtiger Aspekt fand Ausdruck in dem Artikel Sources of obstacles in 297 Die Übersetzung fertigte sicherlich nicht Sofie Lazarsfeld an. Es bleibt nur zu vermuten, dass der Sohn Paul Lazarsfeld möglicherweise geholfen hat. Belege dafür liegen nicht vor. 298 Lazarsfeld, S. (1947). War and peace between sexes. Individual Psychology Bulletin, 74 – 79. 299 Brief von Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, 10. 01. 1945, A.a.O. 300 Aysa Kadis war Individualpsychologin, die sich besonders auf dem Gebiet der Gruppentherapie einen Namen gemacht hat, vgl. Friebus-Gergely, D. (2002). Sophie Lazarsfeld oder »Wie die Frau den Mann erlebt«. In A. Levy & G. Mackenthun (Hg.), Gestalten um Alfred Adler – Pioniere der Individualpsychologie S. 170; http://www.ruth-cohn-institute.com/ page/7/geschichte& mm=13& sub=15 (22. 06. 2013). 301 Lazarsfeld, S. & Kadis, A. (1948). The respective roles of earliest recollections and images. American Journal of Psychotherapy, 2, 250 – 255. 302 Lazarsfeld, S. (1952). Pitfalls in Psychotherapy. American Journal of Indivdual Psychology, 20 – 26.
Flucht und Emigration
79
the course of therapy,303 indem Sofie Lazarsfeld auf Widerstand und Abwehr im therapeutischen Prozess hinwies. Sie erläuterte das Phänomen der Übertragung und Gegenübertragung als einen emotionalen Prozess, der unbefriedigte Bedürfnisse des Analysanden auf den Therapeuten projiziert. Ebenso sollte der Therapeut sich vergegenwärtigen – in fortgesetzten Nachanalysen – was er emotional mit dem Analysanden erlebt und möglicherweise in Gegenübertragung ausagiert. Parallel schrieb Sofie Lazarsfeld an einem weiteren Buch. Dieses Buch The Fiction Mirror – Reflections of Conscious and Subconscious Realities ist nicht mehr erschienen.304 Inspiration zu diesem Werk hatte Sofie Lazarsfeld im Laufe ihrer langjährigen Beobachtung in therapeutischen Gesprächen erlangt. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass Klienten sich oftmals mit Personen aus Romanen oder anderen Geschichten identifizieren und es ihnen leichter fiel, anhand von Literaturbeispielen ihr Innerstes zu beschreiben. Sie befragte die Analysanden nach deren ersten Märchenerinnerungen und stellte fest, dass sich die beschriebenen Szenarien teilweise stark vom Originaltext unterschieden. Weiterhin untersuchte sie relevante Erzählungen wie z. B. aus der griechischen Mythologie den Ödipus von Sophokles, Texte über Minerva, Werke von Goethe und Charles Dickens und erläuterte deren therapeutische Inhalte in Bezug auf Identifikation und Distanzierung mit Personen. Mit Change of Life – End of Life305 widmete sich Sofie Lazarsfeld gemeinsam mit Aysa Kadis 1958 dem Problem der weiblichen Menopause als schwierige Schwellensituation. Gemeinsam erläuterten sie, wie sich die Menopause z. B. auf Frauen auswirke, die bis zur Menopause ein eher erotisch ausgeprägtes Leben geführt haben. Sie stellten fest, dass sich bei diesen Frauen ein größeres Gefühl der Wertlosigkeit einstelle als bei anderen. Frauen, die andere Werte gelebt haben, würden häufiger weniger pathologische Stimmungsschwankungen oder körperliche Symptome ausbilden. Ab den 60er Jahren sind keine weiteren Veröffentlichungen zu finden. Viele Weggefährten waren mittlerweile verstorben. Besonders schmerzvoll war der Tod des langjährigen Freundes Friedrich Adler am 02. 01. 1960.306
303 Lazarsfeld, S. (1956). Sources of obstacles in the course of therapy. American Journal of Psychotherapy, 12, 136 – 138. 304 Eine Kopie der Schrift befand sich bei Henri Zerner (Enkel) in Boston und wurde zur Einsicht zur Verfügung gestellt. 305 Lazarsfeld, S. (1958). Change of Life – End of Life. Journal of Individual Psychology, 14, 167 – 170. 306 Telegramm von Alice Waeger (Adler) an Sofie Lazarsfeld 03. 01. 1960, VGA, Wien, AdlerArchiv, Mappe 308, Tasche 1.
80
Lebensstationen
2.12 Lebensende Noch im hohen Alter war Sofie Lazarsfeld eine aktiv arbeitende Psychologin. Alle Enkel bestätigen, dass sie in ihren achtziger und neunziger Lebensjahren weiterhin Analysanden empfing. Aus Briefwechseln mit Friedrich Adlers Tochter307 lässt sich entnehmen, dass sie weiterhin ihre Sommerreisen in die Schweiz antrat. Seit Ende der vierziger Jahre häuften sich allerdings auch Berichte über längere Erkrankungen, die in Abständen auftraten. So war Sofie Lazarsfeld häufig von Ischialgien geplagt, Gallekoliken traten auf, grippale Infekte hielten sich nachhaltig. Offenbar kontinuierlich gute medizinische Versorgung und ihr munterer Lebenswille halfen, die Beschwerden immer wieder einzudämmen. Mit 90 Jahren begann Sofie Lazarsfeld, ermuntert durch den Sohn Paul, ihre Lebenserinnerungen aufzuzeichnen. Sie arbeitete daran in den Sommermonaten bis zu ihrem 95sten Lebensjahr. Mit dem Tod des Sohnes am 30. 08. 1976 verlor sie all ihren Lebensmut und erholte sich von eigener Krankheit nicht.308 Sie verstarb im hohen Alter von 95 Jahren am 24. September 1976.
307 Briefe von Alice Waeger (Adler) an Sofie Lazarsfeld (1960 – 1970), VGA, Wien, Adler-Archiv, Mappe 308, Tasche 1. 308 Gespräch mit Lotte Bailyn (Enkeltochter) am 17. 10. 2011.
3.
Pädagogische Konzepte
Fokus dieses Werks ist die individualpsychologische Arbeit von Sofie Lazarsfeld in der Blütezeit der Individualpsychologie im Roten Wien. Nachdem sie wahrscheinlich selbst Beraterkurse besucht hatte und einen Einstieg in die theoretische Individualpsychologie absolviert hatte, wurde sie rasch eine aktive Individualpsychologin. Handlbauer berichtet von einem Ausbildungscurriculum, das Absolvierung theoretischer Kurse, Diplom, praktische individualpsychologische Tätigkeit und eine praktische Prüfung beinhaltete.309 Sie assistierte Alfred Adler bei seinen Vorlesungen, indem sie Protokolle führte. In diesem Rahmen begann sie bald selbst Vorträge über Individualpsychologie zu halten. Zunächst war die Vortragstätigkeit mit sozialdemokratischen Parteiversammlungen verbunden.310 Ihr erstes Thema war ein Vortrag mit dem Titel Vom häuslichen Frieden, der später auch schriftlich ausgearbeitet wurde und in den Heften Richtige Lebensführung311 erschien. Ab 1925 existierte in den Räumen der privaten Wohnung in der Seilergasse Sofie Lazarsfelds eigene Beratungsstelle. Mit dieser Beratungsstelle widmete sie sich der Erziehungsberatung, später hauptsächlich der Ehe- und Sexualberatung.312 Im ersten Abschnitt dieses Kapitels wird eine Betrachtung zur historischen Entwicklung der Pädagogik vorangestellt. Es folgt eine Ausarbeitung Adlers 309 Handlbauer, B. (1984). Die Entstehungsgeschichte der Individualpsychologie Alfred Adlers, A.a.O., S. 156. In den Lebenserinnerungen von Sofie Lazarsfeld gibt es keinen Hinweis, dass auch sie dieses Curriculum durchlaufen hat. In den Anfangszeiten des Vereins für Individualpsychologie vermutet Handlbauer eher eine wenig formale Umgangsweise. Wahrscheinlich zählte eher ein hohes Engagement, um eine individualpsychologische Beraterin zu werden. Auch ist unklar in wieweit Ausbildungs-analysen stattfanden. Nach Abschluss des Curriculums wurde ein Diplom ausgestellt, sowohl für Ärzte als auch Nicht-Ärzte. 310 Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht., S. 113. 311 Lazarsfeld (1926) Richtige Lebensführung – Volkstümliche Aufsätze zur Erziehung des Menschen nach den Grundsätzen der Individualpsychologie: Die erste Ausgabe erschien mit dem Titel Vom häuslichen Frieden mit einem Geleitwort von Alfred Adler. 312 Handlbauer, B. (1984), Die Entstehungsgeschichte der Individualpsychologie Alfred Adlers, A.a.O., S. 140.
82
Pädagogische Konzepte
individualpsychologischer Thesen zur Pädagogik und eine Betrachtung der politisch, historischen Gegebenheiten. Darauf folgt die deskriptive Darstellung einiger pädagogisch ausgerichteter Arbeiten Sofie Lazarsfelds.
3.1
Entwicklung von pädagogischen Konzepten in der Zeitgeschichte
Reformerische Ideen und Konzepte zur Erziehung von Kindern haben ihre Wurzeln schon Jahrhunderte zuvor. Zunächst waren es häufig Einzelpersonen, die mit einem Studium der Menschen nach philosophischen oder anthropologischen Gesichtspunkten, Erkenntnisse zur Erziehung und Bildung formulierten. In diesem Abschnitt sollen einige Vertreter von Erziehungskonzepten genannt werden, die als Vorläufer der tiefenpsychologischen Pädagogik gelten können. Auch die Bewegung der Reformpädagogik findet hier Erwähnung. Die pädagogische Individualpsychologie wuchs historisch zeitgleich mit einer größer werdenden Reformpädagogik. Auch hier gilt es einige Protagonisten kurz vorzustellen, um die historische Einordnung und die Rolle der Individualpsychologie besser darstellen zu können. Bereits im 16. Jahrhundert kann Michel de Montaigne (1533 – 1592) als Pädagoge benannt werden. In seinem Alterswerk widmete er sich nach dem Studium von überwiegend antiker Lektüren der Selbsterkenntnis. Daraus entwickelte er in Form von Selbstbetrachtungen eine Fülle von Essays, die die Bandbreite des menschlichen Lebens erfassten. Er übermittelte mit diesen Beiträgen ein Bild des unbefangenen Nachdenkens, wie ihm später Voltaire bescheinigte.313 Erziehung schätzte er als eine schwierige und wichtige Aufgabe für die Gesellschaft ein. Strenge hielt er für wenig sinnvoll. »Anstatt die Kinder zur Gelehrsamkeit an zu locken, verursacht man nichts als Abscheu und Grausen bei Ihnen«, erläutert er der Gräfin von Gurson.314 Mit wohlwollendem Beispiel sollte man den Kindern Bildung und Wissenschaft nahelegen. Er befürwortete – ebenso wie Plato dem Zeitvertreib Raum gab – den Kindern und Jugendlichen beim Spielen zuzuschauen und sich für sie zu interessieren. In diesen Beschäftigungen sah er auch gleichzeitig eine notwendige körperliche Ertüchtigung gegeben, die wir heute allgemein Sport nennen.
313 Rattner, J. (1981). Montaigne als Pädagoge. Große Pädagogen im Lichte der Tiefenpsychologie. Wien: Europa Verlag; S. 33 – 43. 314 Montaigne, M. (2010). Essais. Frankfurt am Main: Zweitausendeins: Brief an Frau Diane von Foix, Gräfin von Gurson in den Essais als 25. Hauptstück Von Erziehung der Kinder veröffentlicht. S. 157 – 194.
Entwicklung von pädagogischen Konzepten in der Zeitgeschichte
83
Ich wollte gerne, daß zugleich mit der Seele auch der Körper äußerlich wohl gebildet, und zu anständigen und geschickten Stellungen angewöhnet würde. Man will nicht eine Seele, nicht einen Körper, sondern einen Menschen ziehen: man muß sie also nicht trennen.315
Im Schulunterricht, so Montaigne, sollten Schüler zum eigenen Denken angeregt werden und nicht nur Aufgaben zum Nacherzählen bekommen. Man könnte meinen, er spreche sich gegen den Frontalunterricht aus, den wir auch heute weiterhin kritisch beäugen. Persönlich war er der Meinung, auch auf die Schule verzichten zu können und allein zu Hause unter Anleitung zu lernen, da er selbst durch seinen Vater unterrichtet worden war. Vielmehr brauche das Kind eine gute Umgebung mit schönen Bildern, Pflanzen und einer Ansammlung von guten Büchern. Um letztlich gesellschaftstauglich zu werden, legte Montaigne wert auf gutes Benehmen. Dazu gehöre Bescheidenheit im Umgang mit den Mitmenschen und ein Vernunft bedingtes Handeln. Seine Idee der Erziehung sollte also einen Menschen hervorbringen, der friedlich und respektvoll in einer gesellschaftlichen Gemeinschaft leben kann.316 Als ein Vertreter der Pädagogik des 17. Jahrhundert gilt Johann Amos Comenius (1592 – 1670). Er war ein studierter Theologe und später auch Lehrer und Rektor eines Gymnasiums. Er galt als einer der ersten, der die Pädagogik vom Kinde her entwarf. Erziehung und Bildung waren für Comenius die notwendigen Grundlagen, um in der Folge auch die Verbesserung der menschlichen Verhältnisse zu erreichen.317 Besonders nach den erlebten Wirren des Dreißigjährigen Krieges und eigenen Schicksalsschlägen entwickelte er ein pädagogisches Denkschema. Dieses beinhaltete den Grundgedanken, mit der Entwicklung von Kindern eine Gestaltung von Ordnung zu verbinden. Dieser Gedanke führte wahrscheinlich zu den folgenden, aus heutiger Sicht durchaus modern wirkenden, didaktischen Ausführungen. Er entwickelte ein Konzept der Allgemeinbildung. Comenius verknüpfte es mit dem Anspruch einer Bildung für alle. So waren in den Klassen Kinder von Adeligen, aus bürgerlichen Familien aber auch aus Bauernfamilien zu finden. Er entwarf ein siebenstufiges Schulsystem und entwickelte für jede Klasse einen Stundenplan. Auch eine Pausenregelung, wie wir sie heute nach jeder Schulstunde kennen, war vorgesehen. Das Lernen sollte ohne »harte Erziehungsmethoden«, wie z. B. körperliche Züchtigung, erfolgen. Für Comenius war es wichtig, den Kindern eine Lernbegeisterung zu 315 Montaigne, M. (2010 Essais. A.a.O.; S. 180 – 181. 316 Rattner, J. (1981). Montaigne als Pädagoge. Große Pädagogen im Lichte der Tiefenpsychologie. A.a.O. 317 Böhm, W., Schiefelbein, E. & Seichter, S. (2008). Johann Amos Comenius oder. Kann es eine gleiche Erziehung für alle geben? In Projekt Erziehung – Ein Lehr- und Lernbuch. Paderborn: Ferdinand Schöningh, S. 131 – 136.
84
Pädagogische Konzepte
vermitteln, die ein lebenslanges, interessiertes Lernen hervorbringen sollte.318 Mit den didaktischen Überlegungen seiner Erziehungsidee verband Comenius immer auch die Absicht, die Menschen und die Welt verändern zu können.319 Jean-Jacques Rousseau (1712 – 1778) verfasste im folgenden 18. Jahrhundert das bedeutende Werk Emil oder Über die Erziehung.320 Bereits in jungen Jahren hatte Rousseau eine Anstellung als Lehrer bei einer wohlhabenden Familie. Als erziehende Prämisse galt ihm die Liebe. Die Erziehung solle die Kinder nicht furchtsam werden lassen. Auch er verwehrte sich gegen jegliche Art von Züchtigung und er verband den Unterricht mit praktischen Ausbildungen wie Kunst und Handwerk. 1749 erhielt er den Preis der Akademie von Dijon für seine Abhandlung Discours. Rousseu analysierte Kunst und Wissenschaft, die langläufig als Kultur immanent und als positiv galten, kritisch. Er erörterte, dass sie zwar einen technischen Fortschritt für die Menschheit erreichen, aber nicht in jeder Beziehung zu einer menschlichen Weiterentwicklung im sozialen, politischen, kulturellen und moralischen Sinn führen. Der Mensch sei in seiner Freiheit eingeschränkt, weil er die naturgegebene Freiheit durch individuelle Abgrenzungen im zivilisatorischen Prozess hinter sich gelassen habe.321 An diese Thesen schließen sich auch seine Ausführungen in Emil oder Über die Erziehung an. Das Werk ist im Stil eines Romans mit Lehrbuchcharakter geschrieben. Schon in der Vorrede legte er dar, dass man für die Erziehung und Entwicklung der Kinder stets ihre Sichtweise einnehmen soll: Man kennt die Kindheit nicht: mit den falschen Vorstellungen, die man von ihr hat, verirrt man sich um so mehr, je weiter man geht. Die Klügsten bedenken nur, was Erwachsene wissen müssen, aber nicht, was Kinder aufzunehmen imstande sind. Sie suchen immer nur den Mann im Kind, ohne daran zu denken, was er vor seinem Mannsein war. […] Fangt also damit an, eure Schüler besser zu studieren, denn ihr kennt sie bestimmt nicht.322
Mit der im Roman formulierten Idee des Naturmenschen verband Rousseau eine Erziehung, die von jeglicher zukünftiger Vorstellung, wie ein Kind zu werden habe, absehe. Es solle sich um eine freie und ungezwungene Begleitung des kleinen Kindes von Geburt an handeln, die Lehren vermeide, sondern Erfah318 Rattner, J. (1981). Johann Amos Comenius Große Pädagogen im Lichte der Tiefenpsychologie. Wien: Europa Verlag, S. 45 – 63. 319 Böhm, W., Schiefelbein, E. & Seichter, S. (2008). Johann Amos Comenius oder Kann es eine gleiche Erziehung für alle geben? In Projekt Erziehung – Ein Lehr- und Lernbuch. Paderborn: Ferdinand Schöningh, S. 131 – 136. 320 Rousseau, J.-J. (1998). Emil oder Über die Erziehung (Vol. 13.). Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh. 321 Vgl. Rousseau, J.-J. (2010). Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen (P. Rippel, Trans.). Stuttgart: Reclam. 322 Rousseau, J.-J. (1998). Emil oder Über die Erziehung (Vol. 13.). Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh. S. 6.
Entwicklung von pädagogischen Konzepten in der Zeitgeschichte
85
rungen der Kinder einfach unterstütze. Für die ersten Lebensjahre des Kindes stellte Rousseau die Mutter als Hauptperson in den Vordergrund. Sie solle mit der Pflege des Kindes direkt betraut sein – von Ammen riet Rousseau ab. Der Vater solle der eigentliche Lehrer in späteren Jahren werden. Lernen müsse Vergnügen bereiten und solle ohne Strenge, Befehl, Härte oder Gewalt auskommen. Grundsätzlich sei die Individualität jedes Kindes zu erfassen. Aber auch eine Eingliederung in die Gesellschaft ließ Rousseau nicht außer Acht. Als Bürger ist er nur ein Bruchteil, der vom Nenner abhängt, und dessen Wert in der Beziehung zum Ganzen liegt, d. h. zum Sozialkörper. Gute soziale Einrichtungen entkleiden den Menschen seiner eigentlichen Natur und geben ihm für seine absolute eine relative Existenz. Sie übertragen sein Ich in die Allgemeinheit, so dass sich der einzelne nicht mehr als Einheit, sondern als Glied des Ganzen fühlt und angesehen wird.323
Rousseau brachte somit auch eine Vorstellung von Gemeinschaft mit ein, die man später ähnlich formuliert bei Alfred Adler wiederfindet. Noch zu Rousseaus Lebzeiten wurde Johann Heinrich Pestalozzi (1746 – 1827) zu einem angesehenen Pädagogen seiner Zeit. Ganz im Sinne der Aufklärer stand auch er für die Grundidee, mit einer vernunftgeleiteten Erziehung die gesellschaftlichen Missstände verändern zu können. Er wurde in Zürich von zwei Kennern der Literatur unterrichtet, in deren Haus auch Goethe zeitweilig verkehrte. Dort kam er über seine Lehrer mit einer Begeisterung für Recht und Freiheit in Berührung. Er las Rousseaus Schriften und schloss sich ihm an. Er gründete auf seinem Hof – Neuhof, auf dem er zunächst Landwirtschaft betrieb – eine Heimstatt für arme Kinder. Mit dem Konzept der praktischen Arbeit und des gleichzeitigen Lernens unterrichtete er die Kinder gemeinsam mit Handwerkern und Landwirten.324 Doch ging es Pestalozzi nicht nur um die praktischen Fragen von Erziehung, er arbeitete auch eine Theorie aus, die als pädagogische Anthropologie gelten kann. Er sah den Menschen dreifach verortet. Einmal als Werk der Natur, zum zweiten als Werk der Gesellschaft und drittens als Werk seiner selbst. Daraus entwickelte er Gedanken zur Fremd- und Selbstbestimmung und deren Auswirkungen auf die Erziehung.325 Pestalozzi war Anhänger der französischen Revolution mit dem Leitbild von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. So blieb auch die Relevanz von Politik in seinen pädagogischen Überlegungen erhalten. Er forderte für den Menschen eine Unabhängigkeit vom Staat, indem er nicht für Staatszwecke instrumentalisiert werde. 323 Rousseau, J.-J. (1998). Emil oder Über die Erziehung (Vol. 13.). Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh. S. 12. 324 Vgl. Rattner, J. (1981). Johann Heinrich Pestalozzi Große Pädagogen im Lichte der Tiefenpsychologie. Wien: Europa Verlag. 325 Böhm, W., Schiefelbein, E., & Seichter, S. (2008). Projekt Erziehung – Ein Lehr- und Lernbuch. Paderborn: Ferdinand Schöningh, S. 79.
86
Pädagogische Konzepte
Die Erziehung sollte so angelegt sein, dass aus den Menschen verantwortungsvolle Bürger werden, bevor sie als politische Menschen die Dinge des Staates in die Hand nehmen.326 Von den bisherigen Vertretern der Pädagogik unterscheidet sich Pestalozzi mit der expliziten Entwicklung einer Methode zur Erziehung auf Basis psychologischer Gesetze, die Anwendung fand beim Lesenlernen. Abhängig von der individuellen Zuwendung stellte er unterschiedliche Stimmungslagen fest, die sich auf die Entwicklung der Kinder auswirkten. Er forderte als Basis für den Umgang mit Kindern ein hohes Maß an Liebe. Die Befriedigung der primären Bedürfnisse, wie seelische und physische Wärme, genügend Nahrung und Kleidung zu haben, gehe daraus hervor.327 Er arbeitete eine Methode nach entwicklungs-psychologischen Grundsätzen aus, die die Fähigkeiten der Kinder in den verschiedenen Altersstufen berücksichtigte. Als Grundlage für ein motiviertes Lernen sei eine emotionale positive Grundstimmung zu schaffen. Theoretische Ausführungen dazu findet man in Pestalozzis Werk Wie Gertrud ihre Kinder lehrt. Pestalozzi benannte die Mutter als wichtigste Bezugsperson, die von Beginn an die kognitive und physische Bildung fördern sollte. Als Ziel der Methode formulierte er die Harmonie von drei humanen Kräften – Kopf, Körper, Herz. Das Herz stellte er den beiden anderen voran. Allerdings verblieb er mit seinen Forderungen für die Pädagogik doch zu sehr im privaten Raum (Mutter als elementare Figur der Erziehung), sodass sein Konzept später nicht für eine allgemeine Schulbildung nach Einführung der repräsentativen Demokratie 1930 in der Schweiz adaptiert werden konnte.328 Johann Friedrich Herbart (1776 – 1841) kann als Pädagoge in die Tradition von Rousseau und Pestalozzi eingeordnet werden. Deutlicher als Pestalozzi, versuchte er von einer pädagogischen Theorie zu einer erzieherischen Praxis zu kommen. In Erste Vorlesung über Pädagogik legte er aber auch umgekehrt dar, dass es im praktischen Handeln weiter wichtig bleibe, auf eine theoretische Basis zurückgreifen zu können. Die Person des Pädagogen oder Erziehers war für Herbart maßgeblich. Er führte in Erste Vorlesung über Pädagogik aus, wie z. B. die Stimmung des Erziehers sich auf die Erziehungstätigkeit auswirken kann. […] diese Einwirkung wird anders und anders ausfallen, je nachdem wir selbst anders oder anders gestimmt sind; auf diese unsere Stimmung sollen und können wir durch Überlegung wirken; von der Richtigkeit und dem Gewicht dieser Überlegung, von dem Interesse und der moralischen Willigkeit, womit wir uns ihr hingeben, hängt es ab, ob und wie sie unsere Stimmung vor Antretung des Erziehungsgeschäfts, und folglich ob und wie sie unsere Empfindungsweise während der Ausübung dieses Geschäfts und mit 326 Vgl. Tröhler, D. (2008). Johann Heinrich Pestalozzi. Bern: Haupt Verlag. 327 Vgl. Tröhler, D. (2008). Johann Heinrich Pestalozzi. A.a.O. 328 Vgl. Tröhler, D. (2008). Johann Heinrich Pestalozzi. Bern: Haupt Verlag.
Entwicklung von pädagogischen Konzepten in der Zeitgeschichte
87
dieser endlich jenen Takt ordnen und beherrschen werde, auf dem der Erfolg oder Nichterfolg unserer pädagogischen Bemühungen beruht.329
Als Takt bezeichnete Herbart die Vermittlung zwischen Theorie und Praxis. Takt war in seinem Sinne die erzieherische Handlungsweise, die sich aus dem Erarbeiten einer Theorie und der daraus resultierenden Praxis ergibt. In der ausgeübten Handlung sei man zwangsläufig mit dem Menschen konfrontiert, der Entscheidungen und Beurteilungen festlege. So wird der pädagogische Takt auch als eine psychologische Größe betrachtet, die zwischen Erzieher und Kind eine gewisse Dynamik herausbildet. Für die Anwendung der erzieherischen Praxis legte er großen Wert auf situationsbedingtes und kindgerechtes Handeln. Mit dieser Forderung bereitete er den Weg für ein entwicklungs-psychologisches Denken, das das Individuum und seine Fähigkeit als Taktgeber berücksichtigte.330 Im 19. Jahrhundert kam es zu einer Vielzahl von weiteren pädagogischen Errungenschaften. Mit dem Zeitalter der Industrialisierung wurden neue Anforderungen an die Gesellschaft gerichtet. Alte Traditionen und Ordnungen wurden in Frage gestellt, die Ständegliederung der herrschenden bürgerlichen Klasse bekam Risse. Die immer größer werdende Arbeiterschaft stellte die Privilegien des Bürgertums, zu denen auch das Recht auf Erziehung und Schulbildung gehörte, in Frage. Die sozialen Anliegen wurden politisch, besonders durch linke, sozialistische Gruppierungen, bearbeitet, die z. B. zu Gesetzesänderungen von Arbeitsschutz und Rente führten. Zugleich hatten die europäischen Staaten mit einer großen Jugendverwahrlosung zu kämpfen, sodass man versuchte, für diesen Missstand Lösungen zu finden. Die Gesellschaften suchten vermehrt nach pädagogischen und auch psychologischen Konzepten.331 Parallel dazu begannen gebildete Frauen, in der sich entwickelnden Frauenbewegung über Erziehungskonzepte und die Rolle der Frau nachzudenken. So kam der Aspekt der Mädchenausbildung für das Schulsystem hinzu. Es brach eine Zeit der Reformen an, die sich auf das kulturelle Leben der Gesellschaften ausbreitete. Mode, Kunst, Architektur, Literatur und Politik waren von Veränderungen gekennzeichnet. Es ging um das Erreichen einer egalitären Gesellschaft, in der jeder die gleichen Rechte hat und demzufolge gleiche Ansprüche stellen kann. Demokratie wurde gefordert. An diese Freiheits- und Gleichstellungsgedanken schloss sich die Frauenbe329 Herbart, J. F. (1802). Erste Vorlesung über Pädagogik in Böhm, W., Schiefelbein, E. & Seichter, S. (2008). Projekt Erziehung – Ein Lehr- und Lernbuch. Paderborn: Ferdinand Schöningh. S. 46 – 49. 330 Vgl. Böhm, W., Schiefelbein, E., & Seichter, S. (2008). Projekt Erziehung – Ein Lehr- und Lernbuch. Paderborn: Ferdinand Schöningh. S. 51 – 52. 331 Vgl. Scheibe, W. (1994). Die reform-pädagogische Bewegung. Weinheim: Beltz.
88
Pädagogische Konzepte
wegung an. Eine der bekanntesten Protagonistinnen in Deutschland, Helene Lange (1848 – 1930), forderte keine Absetzung der männlichen Herrschaft als Befreiung der Frauen, sondern trat im Sinne der Emanzipation für eine Gleichberechtigung ein.332 Sie war Lehrerin und setzte sich für die schulische Ausbildung von Mädchen ein und erwirkte die Zulassung zum Abitur für Frauen in Deutschland. Parallel war sie in Frauenverbänden aktiv und war Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine.333 Ellen Key (1849 – 1926) gilt als Vordenkerin der Reformpädagogik. Sie war Schriftstellerin und Lehrerin in Schweden. Sie vereinigte emanzipatorisches Denken und das Lösen von erzieherischen Problemen in ihren Schriften. Nicht nur die Stellung der Frau in der Gesellschaft war für sie diskussionswürdig, sondern auch die Rolle des Kindes in der Gesellschaft. Als eine der wichtigsten Aufgaben der Frau, sah sie die Mutterrolle an. Sie bemerkte eine Gefährdung von Familien und Kindern, weil Frauen mehr und mehr zu Erwerbstätigkeit in Fabriken zu ungünstigen Bedingungen herangezogen wurden. Deswegen trat sie für einen Arbeiterinnenschutz mit Einschränkung von Arbeitszeit, Mutterschutz während Schwangerschaft und Wochenbett ein. Ellen Key sprach von einer eigenen Individualität des Kindes. Sie schloss sich damit den Thesen Rousseaus an, dessen Schriften sie studierte. Genauso wie sie Veränderungen für Frauen forderte, sah Ellen Key eine gelingende Erziehung nur unter dem Aspekt einer freiheitlichen Umgebung für das Kind gegeben. Das Kind nicht in Frieden zu lassen, das ist das größte Verbrechen der gegenwärtigen Erziehung gegen das Kind. Dahingegen wird, eine im äußeren, so wie im inneren Sinne schöne Welt zu schaffen, in der das Kind wachsen kann; es sich darin frei bewegen zu lassen, bis es an die unerschütterliche Grenze des Rechts anderer stößt, – das Ziel der zukünftigen Erziehung sein.334
Ein anderes zentrales Thema war die Bewertung von vermeintlichem Fehlverhalten von Kindern, das mit herkömmlichen Erziehungsansichten als böse bzw. als nicht tugendhaft deklariert und in der Folge mit Strafen geahndet wurde. Ellen Key sprach sich eindeutig gegen Strafen aus. Sie wollte mit ihrem Verständnis von Erziehung die Kinder – je nach Ausprägung ihrer Stärken – fördern. Mit einer positiven Einstellung förderte sie Charakterstärken wie Liebenswürdigkeit, Intelligenz oder auch Unternehmungslust.335 Sie ordnete die Entwicklung von Kindern nicht nur der Pädagogik zu, sondern sprach, der sich zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelnden Kinderpsychologie, 332 Vgl. Lange, H. & Bäumer, G. (1902). Handbuch der Frauenbewegung. Berlin: W. Moeser. 333 Hopf, C. & Matthes, E. (2001). Helene Lange und Gertrud Bäumer : Ihr Engagement für die Frauen- und Mädchenbildung. Kommentierte Texte. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. 334 Key, E. (1902). Das Jahrhundert des Kindes. Berlin: S. Fischer Verlag, S. 50. 335 Key, E. (1902). Das Jahrhundert des Kindes, A.a.O., S. 51.
Entwicklung von pädagogischen Konzepten in der Zeitgeschichte
89
eine wichtige Rolle für Erziehungsmodelle zu.336 In der Praxis setzte Ellen Key diese Einstellung in ihrer Modellschule Högre Samskola um. Reiner Maria Rilke beschrieb nach einem Besuch das Klima der Schule: »Man ist in einer Schule, in der es nicht nach Staub, Tinte und Angst riecht, sondern nach Sonne, blondem Holz und Kindheit.«337 Ähnliche Ansätze vertrat Maria Montessori (1870 – 1952), die nach dem Studium der Medizin als erste Frau Italiens338 zu einer Vertreterin einer pädagogischen Anthropologie wurde. Nach dem Studium arbeitete sie in einer psychiatrischen Klinik und spezialisierte sich auf Kinderheilkunde. Auch sie vertrat die Idee der Gleichberechtigung und war 1896 Italiens Vertreterin bei einem internationalen Frauenkongress in Berlin. Ihr Interesse für Pädagogik kam durch bürgerliche italienische Frauenverbände zu Stande, die sich bei zunehmenden gesellschaftlichen Problemen auch in Rom mit der Erziehung der Kinder der vielen zugewanderten Arbeiter in der Stadt beschäftigten. Maria Montessori postulierte Freiheit als Grundelement für ihr Erziehungskonzept. Sie sah in der Anwendung von vorgefertigten Methoden eine Behinderung in der Entwicklung von Kindern. Sie arbeitete dennoch nicht methodenfrei. Es lagen ihr kindgerechte Materialien und Aufgaben am Herzen. In der Schulbildung hielt sie den individuellen Rhythmus jedes Kindes für maßgeblich. Der Lehrer oder Erzieher sollte ein Begleiter des Kindes und so geschult sein, dass er lernsensible Phasen erkennen könne und daraufhin Kinder entsprechend ihrer freien Auswahl im Lernen fördere. Maria Montessoris Pädagogik fand großen Zuspruch in Wien zwischen 1920 und 1930.339 Auch Sofie Lazarsfeld kam in Kontakt mit Maria Montessori. Laut ihren Aufzeichnungen arbeitete sie mit Maria Montessori zusammen.340 Im Zuge ihres Interesses an Pädagogik und Studien zu Pestalozzi, habe Sofie Lazarsfeld Maria Montessori zunächst bei Vorträgen kennengelernt. Eine weitere Zusammenarbeit in Wien gab es zwischen Maria Montessori und Kinderanalytikern. Es wurden damals einige Kinderhorte und Schulen nach dem Prinzip der Montessori-Pädagogik ausgestattet.341 Maßgeblich an diesem Austausch und dieser Verknüpfung beteiligt war Lili Roubiczek (1898 – 1966), die eine Montessori Schule gegründet hatte, aber auch als Psychoanalytikerin arbeitete. Früher be336 Mann, K. (2004). Ellen Key – Ein Leben über die Pädagogik hinaus. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 109. 337 Rilke, R.M. zitiert nach Mann, K. (2004). Ellen Key – Ein Leben über die Pädagogik hinaus. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 70. 338 Vgl. Kramer, R. (1976). Maria Montessori. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag. 339 Kramer, R. (1976). Maria Montessori. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, S. 378 – 384. 340 Lazarsfeld, S. (1975b). Lebenserinnerungen Teil 1 – Fassung B – unveröffentlicht, S. 4. 341 Kramer, R. (1976). Maria Montessori. A.a.O.
90
Pädagogische Konzepte
suchte Lili Roubiczek Psychologievorlesungen bei Karl und Charlotte Bühler.342 Dies könnte ein Kontaktpunkt zu Sofie Lazarsfeld gewesen sein. Nach der Emigration lebte Lili Roubiczek in New York und arbeitete dort als Lehr- und Kinderanalytikerin.343 Es ist nicht ersichtlich, ob es später Kontakt der Emigrantinnen in New York gab.
3.2
Die Erziehungsidee der Individualpsychologie
Das Werk Heilen und Bilden gilt als wichtiger Beitrag zur Darlegung der Bedeutung der Individualpsychologie für die Pädagogik.344 Alfred Adler und Carl Furtmüller haben in diesem Sammelband viele grundlegende Artikel und Schriften zusammengetragen, die die pädagogische Relevanz der Individualpsychologie verdeutlichen. Alfred Adler bezog schon in einer frühen Schrift Der Arzt als Erzieher345 das Thema der Erziehungsaufgaben in die psychologisch-medizinische Arbeit mit ein. Bereits im ersten Absatz erklärte er die Stagnation in der Erziehung von Kindern. Sowohl die Eltern als auch die Lehrer hätten sich der Zeit gemäß nicht weiterentwickelt. Trotz der sich weiterentwickelnden Kultur hatten sich die Erziehungsmethoden, so Adler weiter, nicht wesentlich geändert. Sie seien weiterhin geprägt von Unterdrückung und Zwang gegenüber den Kindern. Es sei eine Erziehung der Gleichförmigkeit. Adler hingegen legte Wert auf eine individuelle Einschätzung. Er postulierte die Förderung der individuellen Anlagen und Fähigkeiten der Kinder. Er verband mit diesem Anspruch gleichzeitig eine hohe Anforderung an die Erzieher : Daraus geht aber auch hervor, dass die Rolle des Erziehers keineswegs für jeden passt. Anlage und Entwicklung sind auch für ihn und seine Bedeutung ausschlaggebend. Er muß ausgezeichnet sein durch die Fähigkeit ruhiger Erwägung, ein Kenner der Höhen und Tiefen der Menschenseele, muß er mit einem Späherauge seine eigenen wie die fremden Anlagen und ihr Wachstum erfassen. Er muß die Kraft besitzen, unter Hintansetzung seiner eigenen persönlichen Neigungen sich in die Persönlichkeit des andern zu vertiefen und aus dem Schachte einer fremden Seele herauszuholen, was dort etwa geringes Wachstum zeigt. Findet sich solch eine Individualität einmal, unter 342 Vgl. http://www.univie.ac.at/biografiA/daten/text/bio/Roubiczek-Peller_Lili.htm (03. 01. 2013). 343 Handlbauer, B. (2004). Psychoanalytikerinnen und Individualpsychologinnen im Roten Wien. In D. Ingrisch, I. Korotin & Z. Charlotte (Hg.), Die Revolutionierung des Alltags. Frankfurt am Main: Verlag: Peter Lang; S. 97. 344 Adler, A., & Furtmüller, C. (1973). Heilen und Bilden – Ein Buch der Erziehungskunst für Ärzte und Pädagogen. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag. Die Erstausgabe erschien bereits 1914 mit zwei weiteren Auflagen 1922 und 1928. 345 Adler, A. (1904, 1973). Der Arzt als Erzieher in Heilen und Bilden, S. 201 – 209.
Die Erziehungsidee der Individualpsychologie
91
Tausenden einmal, mit dieser ursprünglichen Finderfähigkeit ausgestattet: das ist ein Erzieher.346
Alfred Adler stellte hohe Anforderungen an eine erziehende Person und bezweifelte, dass man häufig auf eine Person mit entsprechendem Wesen treffen würde. Eine diesbezüglich ausgerichtete Pädagogik könnte als Neurosenprophylaxe wirken und vorausschauend neurotische Fehlentwicklungen verhindern.347 1908 veröffentlichte Alfred Adler Das Zärtlichkeitsbedürfnis des Kindes348, in dem die individuelle, emotionale Situation des Kindes mit seinem Bedürfnis nach Zärtlichkeit in seinem finalen Aspekt mit einer Hinwendung zur Gemeinschaft verknüpft wurde. Er postulierte das Gemeinschaftsgefühl und das Machtstreben in dieser Schrift als Schicksal bestimmende Faktoren für die Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen.349 Die Erziehung sollte von vornherein zielorientiert sein und Kinder als zukünftige Teilnehmer einer gemeinschaftlichen Gesellschaft ansehen. Die Zärtlichkeitserfüllung der Eltern an die Kinder müsse ein vernünftiges Maß bilden, das sowohl Befriedigungsaufschub als auch eine immer wiederkehrende elterliche Erziehungshandlung beinhalte, die auf Zuverlässigkeit und Vertrauen beruhe. Befriedigungsaufschub sei notwendig, damit das Kind in seinem sich stetig erweiternden Erfahrungshorizont Sublimierungserfahrungen in anderen Bereichen der Kultur machen könne. Das führe in allmählichen Schritten zu einem selbstständigen Menschen, der nicht mehr auf die ausdrückliche Unterstützung der Eltern angewiesen sei.350 Pädagogische Zielsetzungen könnten nur umgesetzt werden, wenn Eltern ihre Kinder mit einem veränderten, aufgeklärten Bewusstsein erziehen würden. 1912 formulierte Adler entsprechende Thesen Zur Erziehung der Erzieher.351 Eine Hauptthese für das Gelingen von Erziehung sei der absolute Verzicht auf Gewalt und autoritärem Machtgehabe. Ein Beharren auf unabdingbare Folgsamkeit führe nur allzu häufig zu einem Gefühl der Gegensätzlichkeit des Kindes gegenüber den Eltern bzw. Erziehern. Adler meinte mit Gegensätzlichkeit ein konträres Verhalten und Empfinden der Kinder, das keine Vereinbarkeit mit den Anforderungen der Eltern fand. In der Folge entwickeln sich negative, emotio346 Adler, A. (1904, 1973). Der Arzt als Erzieher in Heilen und Bilden, S. 202. 347 Rattner, J. (1972), Alfred Adler. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuchverlag GmbH. S. 63. 348 Adler, A. (1908). Das Zärtlichkeitsbedürfnis des Kindes. Erstausgabe in Monatshefte für Pädagogik und Schulpolitik, 1, 7 – 9. 349 Adler, A. (1914). Das Zärtlichkeitsbedürfnis des Kindes. A.a.O., S. 63. 350 Adler, A. (1914). Das Zärtlichkeitsbedürfnis des Kindes. A.a.O., S. 64 – 66. 351 Adler, A. (1912). Zur Erziehung der Erzieher – Erstveröffentlichung in Monatshefte für Pädagogik und Schulpolitik, Bd. 8. Der Artikel wurde unter der Überschrift Zur Erziehung der Eltern (1914) in Heilen und Bilden erneut veröffentlicht.
92
Pädagogische Konzepte
nale Gemütszustände, die zu Aggressionen, Kinderfehlern und psychischen Entwicklungshemmungen führen. Als Symptomatik lassen sich z. B. Trotz, Jähzorn, Neid, Frühreife, übermäßige Ängstlichkeit und Schüchternheit bis hin zum Hang zur Lüge, als auch Ess- und Sprachstörungen beobachten.352 Adler sprach von der Erscheinung des gegenteiligen Erfolges.353 Besonders das zentrale Ziel der individualpsychologischen Erziehung – das Gemeinschaftsgefühl – werde in der Entwicklung behindert. Für einen Erziehungserfolg in diesem Sinne postuliert Adler : Der – wie ich glaube – natürliche Gegensatz von Kind und Umgebung lässt sich nur durch das Mittel des Gemeinschaftsgefühls mildern. Und der Geltungsdrang des Kindes, der den Gegensatz so sehr verschärft, muß einige freie Bahn auf kulturellen Linien haben, muß durch Zukunftsfreudigkeit, Achtung und liebevolle Leitung zum Ausleben kommen, ohne das Gemeinschaftsgefühl zu stören.354
Alfred Adler setzte sich – genau wie viele Erziehungsreformer vor ihm – für einen freien Gestaltungsrahmen der Kinder ein. Nach Adler übertragen Eltern unbewusst häufig ihre eigenen Lebensziele auf die Kinder.355 Das störe die notwendige freie Entwicklung des Kindes. Es sei hemmend – das scheint er besonders in der historischen Zeitenwende der aufkommenden Moderne beobachtet zu haben – in alten Erziehungsmethoden zu verharren: »Der rückwärts gewandte Blick der Eltern hindert oft ihr Voranschreiten, sie hängen oft an Dogmen und veralteten Erziehungsweisen fest, weil sie im Kampf des Lebens sich und ihre Familie isoliert haben.«356 Ihm war bewusst, wie schwierig es war, Veränderungen bei der Einstellung zur Erziehung zu erreichen. Alfred Adler bemerkte vielfach ein Festhalten an den alten, autoritären Methoden. Er forderte aber, Erziehung müsse auf die Zukunft ausgerichtet sein.357 Nicht nur für die familiäre Erziehung, sondern auch das Umfeld, wie Schule und Gesellschaft, müsse mitwachsen. Eine Diskrepanz in den Bereichen Elternhaus und Schule könne zu Unsicherheiten führen. Wenn Schulerziehung sich eher verändere und neue Methoden zuließe als die Wandlung in den Elternhäusern vollzogen werden könne, führe dies zu starken Verunsicherungen und Konflikten der Eltern in der familiären Erziehung. Als Folge von liberaler Schulerziehung machte Alfred Adler in den Elternhäusern eine Neigung zu gegenteiligen übertriebenen, autoritären Erziehungsmaßnahmen aus, da die Eltern versuchten, Unsicherheiten mit Strenge zu kompensieren. Es handele sich hier um Sicherungstendenzen, 352 353 354 355 356 357
Adler, A. (1914). Zur Erziehung der Eltern. A.a.O., S. 219. Adler, A. (1914). Zur Erziehung der Eltern. A.a.O., S. 219. Adler, A. (1914). Zur Erziehung der Eltern. A.a.O., S. 220. Adler, A. (1914). Zur Erziehung der Eltern. A.a.O., S. 220. Adler, A. (1914). Zur Erziehung der Eltern. A.a.O., S. 221. vgl. Rattner, J., & Danzer, G. (2010). Pädagogik und Psychoanalyse. Würzbug: Verlag Königshausen & Neumann GmbH, S. 32.
Die Erziehungsidee der Individualpsychologie
93
wie Adler es für den nervösen Charakter bereits beschrieben hatte.358 Er verlangte von den Eltern, eine Form von Authentizität, die z. B. den Mut habe, offen mit eigener Fehlbarkeit umzugehen und falschen Perfektionismus zu vermeiden. Drei individualpsychologische Hauptthesen formulierte er als Leitfaden für Eltern und Erzieher : 1. Übermäßige Autorität sei unverträglich für die menschliche Psyche. Die Erzieher sollen eine dauerhafte Unterwerfung und kleinmachende Erziehung der Kinder vermeiden. Das Resultat dieser Erziehung führe zu einer Verstärkung des Minderwertigkeitsgefühls. In der Folge komme es zu Kompensationsanstrengungen. Die Bewältigungsanstrengungen können sich sowohl positiv als auch negativ auswirken. Als aktive Sicherungstendenz könne Mut entstehen und Aufgaben können positiv bewältigt werden. Resultiert aus der Unterwerfung aber eine passive Haltung, dann könne sich übermäßige Angst, Scham und Schüchternheit entwickeln. Dieses seelische Pendeln zwischen Hemmung und Willen zur Überwindung von Unterdrückung führe zu einem Leben in Halbheiten. Adler nennt diesen Typus psychischer Hermaphrodit.359 2. Die Vorstellung eine Familie zu gründen und Kinder aufzuziehen löse bei jungen Paaren teilweise hohe Versagensängste aus. Überforderungsgefühle in Bezug auf Schwangerschaft und Geburt können dazu beitragen, sich von vornherein gegen Kinder zu entscheiden. Die Verantwortung, ein Kind aufzuziehen, könne zur übermäßigen Angst führen und sich bereits auf die Beziehung des Paares auswirken. Dadurch komme es zu Partnerschaftskonflikten, die in der Folge zu sexuellen Schwierigkeiten führen können. Komme doch ein Kind, so sei oftmals eine Unbeholfenheit im Umgang mit dem Kind feststellbar, die entweder zu Vernachlässigungen oder zu einer übermäßigen Betreuung, Verwöhnung, führe.360 3. Wachsen mehrere Kinder in der Familie heran, komme es zu unterschiedlichen Geschwisterkonstellationen.361 Daraus resultieren für die Eltern 358 Vgl. Adler, A. (1912). Über den nervösen Charakter. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 359 Adler, A. (1914). Zur Erziehung der Eltern in Heilen und Bilden, S. 224 – 225. In dem Aufsatz Der psychische Hermaphroditismus im Leben und in der Neurose. Zur Dynamik und Therapie der Neurosen (1910) in Alfred Adler Studienausgabe Band 1, Persönlichkeit und Entwicklung – Frühe Schriften (1904 – 1912), A. Bruder-Bezzel (Hg.) (2007), S. 104 – 107 definiert Adler den Hermaphroditismus mit dem Schwanken zwischen Männlich und Weiblich. Er arbeitete den männlichen Protest als Überkompensation für die vermeintlichen schwachen weiblichen Anteile heraus. 360 Adler, A. (1914). Zur Erziehung der Eltern. A.a.O., S. 225 – 227. 361 Vgl. Adler, A. (1929) Familienkonstellationen. In K. H. Witte (Hg.), Schriften zur Erziehung und Erziehungsberatung (1913 – 1937). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Die Thematik wurde immer wieder von Adler vertieft und gilt als eine der Grundpositionen in der Individualpsychologie.
94
Pädagogische Konzepte
Schwierigkeiten in Bezug auf die Gleichbehandlung bei mehreren Kindern. Das ältere Kind hat allein, weil es das Erstgeborene ist, natürliche Vorteile gegenüber den nachfolgenden Kindern. Bei den Geschwisterkindern komme es zu einem unbewussten hohen Geltungsdrang, die Stellung des Älteren erreichen zu wollen. Mit einem Gefühl der Zurücksetzung kämpfen die Kinder um die Anerkennung der Eltern. Traditionell werden Jungen häufig den Mädchen vorgezogen. Die Gesellschaft bevorzuge eher das männliche Geschlecht. Dieser Umstand sorge für das Entstehen des männlichen Protestes: In diesem Streben liegt durchaus kein weiblicher Zug, sondern dies ist der Protest des in seinem innersten Wesen unsicher gewordenen Kindes, es ist der unbewußte, unabweisbare Zwang, die gleiche Höhe mit dem Manne zu halten, kurz: der männliche Protest.362
Mit dem männlichen Protest manifestiert sich ein Gefühl der Zurückgesetztheit, das zur Ausbildung eines Protestcharakters führen könne und den Weg in eine soziale Gemeinschaft verfehle. Adler beschreibt Frauen, die zur Überwindung dieses Gefühls des männlichen Protests daran arbeiten, eine Niederlage eines Geschlechtsgegners herbeiführen zu wollen und somit einem ständigen Kampf ausgeliefert seien. Er rät dazu, im familiären Leben die Rolle der Frau nicht zu verkleinern und auf der anderen Seite den Knabenstolz nicht zu übertreiben. Ein Bewusstsein der Ausgewogenheit in Bezug auf die Geschlechtsrollen würde helfen, eine zu starke Polarisierung zu vermeiden.363 Adler geht mit der Schrift Zur Erziehung der Eltern über den Bereich der Familie hinaus und bezieht eine sozialpsychologische Stellung, indem er auch das Verhältnis der Geschlechter zueinander erörtert und damit die gesellschaftlichen Werte diskutiert. Viele Mitstreiter der Individualpsychologie verwendeten diese Theorie und erweiterten die Erziehungsmethoden insbesondere in der Praxis. Daraus resultierten eine Vielzahl von Veröffentlichungen z. B. in der Internationalen Zeitschrift für Individualpsychologie oder auch diverse Vorträge von Mitgliedern des Vereins auf Kongressen zum Thema Pädagogik. Die Praxis der Individualpsychologie war gekennzeichnet von den Erziehungsberatungsstellen, den öffentlichen Vorträgen und Schulungen von Alfred Adler für die Umsetzung der theoretischen Ideen. In besonderer Kooperation mit dem Unterrichtsministerium in Wien, boten sich Möglichkeiten, in Versuchsklassen und Kursen die Individualpsychologie weiter für die praktische Anwendung auszubauen. Nicht 362 Adler, A. (1914). Zur Erziehung der Eltern. A.a.O., S. 229. 363 Adler, A. (1914). Zur Erziehung der Eltern. A.a.O., S. 228 – 232.
Die Erziehungsidee der Individualpsychologie
95
nur für Eltern wurden Beratungen364 zur Verfügung gestellt sondern insbesondere Lehrer wurden mit der individualpsychologischen Pädagogik vertraut gemacht und direkt in Lehrerseminaren darin ausgebildet.365
3.2.1 Historische Bedingung der Individualpsychologie – Rotes Wien Das kaiserliche Habsburgerreich zerfiel in neue eigene, kleine Nationalstaaten. Ungarn, die Tschechoslowakei, Polen, Teile Norditaliens wurden selbständig. Eine kleine deutschsprachige Region verblieb als Republik Österreich. Der Kaiser musste die Monarchie aufgeben und das Land verlassen. Am 12. November 1918 wurde die Republik Deutschösterreich ausgerufen.366 Victor Adler starb einen Tag zuvor, der nun seinen Lebenswunsch – die Republik – nicht verwirklicht erlebte. Otto Bauer wurde sein Nachfolger als Parteivorsitzender. Nach der Phase einer Übergangsregierung und der ersten Wahl im Februar 1919 waren die Sozialdemokraten mit 40 % die stärkste Partei und stellten den Staatskanzler Karl Renner (1870 – 1950).367 Die notwendige Koalition mit der Christlich-Sozialen Partei führte 1920 zu Unstimmigkeiten, die zu einem Austritt der Sozialdemokraten aus der Regierung führte. Nach der Wahl im Oktober 1920 verblieben sie in der Opposition. Wien wurde 1920 ein eigenes Bundesland. Dieser Umstand erlaubte es den Sozialdemokraten, ihre Politik auf kommunaler Ebene umzusetzen.368 Der Veränderungswillen der Sozialdemokraten war für die Praxisorientierung der Individualpsychologie wie geschaffen. Die geplanten Reformprojekte in den verschiedenen Lebensbereichen, wie z. B. im Woh364 Es wurden Elternvereine in den Bezirken gegründet, die monatliche Versammlungen abhielten, in denen es zur Aussprache über Erziehung kam. Olga Knopf beschrieb die Arbeit der Vereine ausführlich in einem Artikel der Ausgabe der Internationalen Zeitschrift für Individualpsychologie (1929), Ausgabe VII, S. 192 – 195. 365 vgl. Handlbauer, B. (1984). Die Entstehungsgeschichte der Individualpsychologie Alfred Adlers, S. 126: Nach Gründung des pädagogischen Instituts der Stadt Wien wurde die Lehrerausbildung ähnlich einem Studium mit einer viersemestrigen Kursfolge verbessert. Ab 1923 hielt Adler eine wöchentliche Vorlesung zum Thema »Schwer erziehbare Kinder«, die die Individualpsychologie vielen Lehrern nahebrachte. 366 Hamann, B. (2009). Österreich. A.a.O., S. 134. 367 Gemeinsam mit Otto Bauer und Adolf Braun brachte er die sozialdemokratische Zeitschrift Der Kampf heraus. 1918 wurde er zunächst Übergangskanzler, dann gewählter Kanzler in einer Koalition mit den Christlich-Sozialen. Nach einer Entscheidung Otto Bauers wurde die Koalition 1920 aufgekündigt. Es kam zu Zerwürfnissen zwischen beiden. Karl Renner war eher einem rechten Flügel der Partei zugehörig und konnte den sehr sozialistischen Bestrebungen Otto Bauers nicht folgen, vgl. http://austria-forum.org/af/AEIOU/Ren ner%2C_Karl (10. 02. 2013). 368 Handlbauer, B. (1984). Die Entstehungsgeschichte der Individualpsychologie Alfred Adlers. A.a.O., S. 117.
96
Pädagogische Konzepte
nungsbau, Gesundheits- und Sozialwesen und im Erziehungs- und Bildungswesen boten den Individualpsychologen in der Praxis vielfältige Tätigkeitsfelder.369 Persönliche Verknüpfungen wie durch Carl Furtmüller (1880 – 1951)370 im Wiener Stadtschulrat, gemeinsame Arbeit von Max Adler, Otto Kanitz und Alfred Adler in Schönbrunn bei den Kinderfreunden ließen die reformerischen Strömungen zusammenfließen. Viele Individualpsychologen standen der sozialdemokratischen Partei nahe. Nicht nur die Mitglieder der Familie Lazarsfeld hatten Kontakte zu führenden Sozialdemokraten wie z. B. Otto Bauer, Rudolf Hilferding, Viktor und Friedrich Adler. Auch Carl Furtmüller, Rudolf Dreikurs, Oskar Spiel, Erwin Wexberg und Margarethe Hilferding hatten enge Kontakte zur Partei oder waren selbst Mitglieder.371 Rudolf Hilferding arbeitete gemeinsam mit Max Adler und Otto Bauer die Idee des Austromarxismus aus.372 Dieses Konzept kann als ein sog. »dritter Weg« zwischen bolschewistischem/ sowjetischem Sozialismus und z. B. österreichischen-sozialistischen Strömungen betrachtet werden.373 Die Erziehungsfrage war für die aktiven Sozialisten der Dreh- und Angelpunkt für eine neue Gesellschaft. Allen Kindern sollten gleiche Startbedingungen zur Verfügung gestellt werden und somit alle sozialen Schichten an der Bildung teilhaben zu lassen. Otto Neurath (1882 – 1945)374 formulierte parallel zu Max Adlers Konzepten neue Lebensgrundsätze und forderte: 369 Bruder-Bezzel, A. (1999). Geschichte der Individualpsychologie. A.a.O., S. 59. 370 vgl. Fuchs, I. (2008) Carl Furtmüller – ein Politiker im Dienste der Jugend. A. Levy & G. Mackenthun (Hg.), Gestalten um Alfred Adler – Pioniere der Individualpsychologie (S. 91 – 98). Würzburg: Verlag Koenigshausen & Neumann und Kenner, C. (2007). Der zerissene Himmel – Emigration und Exil der Wiener Individualpsychologie. A.a.O.: Carl Furtmüller war von Beruf Lehrer. Er schloss sich in jungen Jahren der sozialistischen Bewegung an und entwickelte daraus seine Solidarität für die ärmeren Bevölkerungsschichten. Er wollte Bildungsprivilegien abschaffen und ein Recht auf Bildung schichtunabhängig durchsetzen. Er musste nach der Machtergreifung der Faschisten in Österreich flüchten und gelangte über Frankreich und Portugal in die USA. Durch die aktive Nähe zur Sozialdemokratie und durch seine Frau Aline war er mit der Familie Lazarsfeld befreundet. 371 Handlbauer, B. (1984). Die Entstehungsgeschichte der Individualpsychologie Alfred Adlers. A.a.O., S. 134. 372 Glaser, E. (1981). Im Umfeld des Austromarxismus. A.a.O., S. 67 – 70: Besonders Max Adler wurde mit der Verfassung seiner Schriften Neue Menschen zum Vermittler zwischen theoretischem Marxismus und gesellschaftlich implementierten Sozialismus. Im Vordergrund stand als Dreh- und Angelpunkt die Erziehungsfrage mit dem Grundsatz der Chancengleichheit für Kinder aller sozialer Schichten. Otto Bauer und Max Adler schrieben 1926 diese Grundsätze in einem Parteiprogramm der Sozialdemokratie fest. 373 Glaser, E. (1981). Im Umfeld des Austromarxismus. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte des österreichischen Sozialismus. A.a.O., S. 67 – 70. 374 Vgl. Glaser, E. (1981): Otto Neurath war studierter Ökonom und galt als Wissenschaftstheoretiker. Er arbeitete aktiv an der Wiener Schulreform mit und interessierte sich für die bildpädagogische Darstellungsmethode im Unterricht. Er war der Vater von Paul Martin Neurath, der Forschungsassistent bei Paul Lazarsfeld an der Columbia University wurde.
Die Erziehungsidee der Individualpsychologie
97
Sozialistische Sehnsucht genügt nicht, auch nicht Begabung allein oder das bloße marxistische Denken. Der kommende Mensch verlangt lebendige Verknüpfung mit der gesellschaftlichen Umgestaltung.375
Die politische Konzeption fand ihre Festschreibung und Veröffentlichung im Parteiprogramm der Sozialdemokraten, das unter Mitwirkung von Otto Bauer und Max Adler 1926 mit einem Parteitagsbeschluss in Linz verabschiedet wurde. In Wien war die Umsetzung des Parteiprogramms gegeben, da in den Jahren von 1920 bis 1934 die Sozialdemokraten mit einer Zweidrittelmehrheit regieren konnten. Besonders durch die Maßnahmen im sozialen Wohnungsbau wurde Wien unter dem Begriff Rotes Wien international bekannt. Alfred Adler hatte sich ebenso wie viele Mitglieder der damaligen sozialdemokratischen Partei mit den Thesen Marx’ auseinandergesetzt. Nicht die Ökonomie sondern die soziologischen Gedanken beeinflussten ihn stark.376 Die sozialistische Idee, die die Unterdrückung des Volkes und die unausgeglichenen Machtverhältnisse innerhalb der Gesellschaft klar benannte, waren für Adler entscheidende Aspekte sich ebenfalls politisch am Austromarxismus zu orientieren.377 Besonders die Unterdrückung der Kinder und Frauen waren für Alfred Adler ein Abbild der psychischen Struktur des Individuums in der Gesellschaft.378 Diese spürbare Form der Unterdrückung führte mit dem Bekämpfen der unangenehmen Kleinheitsgefühle zu kompensatorischen Bemühungen, die er eine Tendenz der Nivellierung nannte.379 Für das theoretische Fundament und die spätere praktische Umsetzung der Individualpsychologie auf dem Gebiet der Erziehung war der Kontakt und die Diskussion mit Max Adler sehr beeinflussend. Sie lernten sich während des Studiums im Verein sozialistischer Studenten kennen. Max Adler sah Alfred Adler fast selbstverständlich als Marxisten: Ich halte es übrigens für keinen Zufall, dass diese Übereinstimmung in diesen Grundgedanken zwischen Alfred Adler und mir mit der Tatsache zusammenfällt, dass wir beide Marxisten sind. Es wäre ein reizvolles Thema, die Fruchtbarkeit der marxistischen Denkweise für wissenschaftliche Arbeit an der Art aufzuzeigen, wie sie bei
375 376 377
378 379
Paul Martin Neurath gründete 1980 das Lazarsfeld-Archiv an der soziologischen Fakultät der Universität Wien. Neurath, O. (1928). Lebensgestaltung und Klassenkampf zitiert nach Glaser, E. (1981). Im Umfeld des Austromarxismus. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte des österreichischen Sozialismus. A.a.O., S. 323. vgl. Bruder-Bezzel, A, (1999). Geschichte der Individualpsychologie, A.a.O., S. 149. In einer frühen Schrift hatte Adler auf die ungünstigen Bedingungen des Schneidergewerbes aufmerksam gemacht, indem er die ökonomische Lage und das Aufkommen von Krankheiten in Zusammenhang setzte, vgl. Bruder-Bezzel, A. (1999). Geschichte der Individualpsychologie, A.a.O., S. 20. vgl. Bruder-Bezzel, A, (1999). Geschichte der Individualpsychologie, A.a.O., S. 149. Protokollmitschrift Zur Psychologie des Marxismus zitiert nach Bruder-Bezzel (Hg.), Gesellschaft und Kultur (1897 – 1937) – Alfred Adler Studienausgabe Band 7. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 58 – 60.
98
Pädagogische Konzepte
Alfred Adler zu einer sozialen Individualpsychologie und bei mir zu einer sozialen Erkenntnistheorie geführt hat.380
Alfred Adler war später nicht mehr politisch aktiv. Es kam zu einer Distanzierung mit einem Teil der strikt marxistisch ausgerichteten Mitglieder.381 Die Individualpsychologie engagierte sich von Anfang an besonders in den Bereichen Schulreform und Volksbildungswesen. Alfred Adler hielt zunächst in den Jahren 1919/1920 viele Vorträge im Volksheim. Die Vortragstätigkeit entwickelte sich später zur Erziehungsberatung, die in den folgenden Jahren das maßgebliche Aufgabenfeld der Individualpsychologen werden sollte. Durch die Zusammenarbeit mit Ärzten, Lehrern und Personen aus dem politischen Umfeld blieb die Individualpsychologie sehr praxisorientiert. Sie leistete pädagogische und psychohygienische Arbeit im Bereich der Lehrerausbildung sowie in der Lehrerund Schülerberatung. Das Pädagogische Institut der Stadt Wien wurde entsprechend der sozialdemokratischen Forderung ein Ausbildungsinstitut für Lehrer. Adler wurde dort zum Professor ernannt. Beratungsstellen für Erzieher und Eltern, therapeutische Ambulatorien wurden in vielen Bezirken der Stadt Wien eröffnet. Die Blütezeit der Individualpsychologie führte in diesem Zeitabschnitt auch zur Verbreitung in andere Länder. 1920 gründete sich bereits eine Ortsgruppe in München, die 1922 die erste Erziehungsberatungsstelle in Deutschland einrichtete.382 Die Entwicklung der Individualpsychologie wäre ohne die beschriebenen politischen Entwicklungen sicherlich anders verlaufen. Besonders am Lebensweg von Sofie Lazarsfelds wird deutlich, wie parallel sich einerseits die psychologische Arbeit als auch die ständig präsente politische Haltung auf ihre Tätigkeit auswirkte.
3.2.2. Die Praktische Umsetzung: Beispiel Versuchsschule In der Versuchsschule wurden die reformpädagogischen Ideen mit den Erkenntnissen der individualpsychologischen Theorie verknüpft.383 Als Haupt380 Max Adler (1925). Referat vor dem Verein für Individualpsychologie zitiert nach Glaser, E. (1981). Im Umfeld des Austromarxismus. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte des österreichischen Sozialismus. A.a.O., S. 278. 381 Vgl. Friederich, J (2013). Alice Rühle-Gerstel (1894 – 1943) – Eine in Vergessenheit geratene Individualpsychologin. Würzburg: Königshausen & Neumann. 382 Handlbauer, B. (1984). Die Entstehungsgeschichte der Individualpsychologie Alfred Adlers. A.a.O., S. 116. 383 Vgl. Bottome, P. (2013). Alfred Adler aus der Nähe porträtiert (C. Bach, K. Hölzer, G. Lenzen-Lechner, G. Mackenthun & H. Siebenhüner, Trans.). Berlin: Verlag für Tiefenpsychologie und Anthropologie, S. 162 – 170.
Die Erziehungsidee der Individualpsychologie
99
protagonisten für den Aufbau der Versuchsschulen gelten Oskar Spiel (1892 – 1961)384 und Ferdinand Birnbaum (1892 – 1947)385, die zu führenden Pädagogen innerhalb der Gruppe der Individualpsychologen wurden. Beide waren Lehrer und wurden teilweise durch ihr Studium bei Max Adler angeregt, Erziehungsmethoden an Schulen zu verändern. Insbesondere die Mitgestaltungsmöglichkeiten von Schülern und Eltern in der Schule lag ihnen am Herzen. Anfang der 30er Jahre arbeiteten Oskar Spiel und Ferdinand Birnbaum gemeinsam mit Franz Scharmer (1891 – 1964)386 nach Auftrag durch den Stadtschulrat in Wien am Aufbau einer Versuchsschule. Sie gingen von der absoluten Förderbarkeit jedes Kindes aus, indem sie die These der angeborenen Unbegabung ablehnten. Ähnlich wie von den Reformpädagogen gefordert, sollte die Perspektive des Kindes maßgeblich sein. Ebenso wie Adler verwahrten sie sich ausdrücklich gegen jegliche Form von Strafe. Die Kommunikation sollte von Drohgebärden und Ermahnungen frei sein, auch Belohnung sollte vermieden werden. Sie initiierten die freie Diskussion als Lehrform. Damit einhergehend gehörte zu den Erziehungsmitteln die »Aussprache« und »Klassenbesprechungen«. In der Hauptsache wurden der Klassengemeinschaft die erzieherischen und selbsterzieherischen Funktionen zugeschrieben, der Lehrer sollte lediglich eine anleitende Funktion ausüben.387 Neben der Herausbildung von Gemeinschaftsgefühl sollte das Individuum mit seinen persönlichen Eigenschaften immer im Fokus der Pädagogik bleiben: Große Aufgaben sind der Lehrerschaft gestellt. Soll die Schule eine Erziehungsschule werden, kann sie das Um und Auf der Gemeinschaftserziehung nicht in der Beeinflussung des Kollektivs sehen – so wichtig das auch ist – , sie muß auch der individuellen Behandlung gerade der schwierigen Fälle Rechnung tragen, und zwar im Sinne einer Erziehungsberatung.388
Die Hauptausrichtung der individualpsychologischen Beratung sahen auch Spiel und Birnbaum in der Prophylaxe, um damit kontinuierlich an einer Fehlervermeidung in der Erziehung zu arbeiten. Bei auftretenden Problemen sei zunächst ein Verstehensprozess einzuleiten.389 384 Kümmel, U. (2002). Oskar Spiel – Ein Mensch wächst mit seinen Aufgaben. In A. Levy & G. Mackenthun (Hg.), Gestalten um Alfred Adler – Pioniere der Individualpsychologie. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann GmbH, S. 272 – 273. 385 Vgl. Kenner, C. (2007). Der zerrissene Himmel – Emigration und Exil der Wiener Individualpsychologie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, S. 76 – 79. 386 Vgl. Kenner, C. (2007). Der zerrissene Himmel – Emigration und Exil der Wiener Individualpsychologie. A.a.O., S. 182 – 183. Franz Scharmer war Lehrer und hatte bei Max Adler studiert. 387 Vgl. Bruder-Bezzel, A. (1999). Geschichte der Individualpsychologie. A.a.O., S. 115 – 117. 388 Birnbaum, F., & Spiel, O. (1929). Schule und Erziehungsberatung. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 7, S. 189. 389 Birnbaum, F., & Spiel, O. (1929), Schule und Erziehungsberatung. A.a.O., S. 189.
100
Pädagogische Konzepte
Für die praktische Beratung in der Schule galten Ferdinand Birnbaums fünf Formalstufen, die sich aufteilen in 1. Kontaktfindung, 2. Entlastung, 3. Analyse, 4. Belastung, 5. Ablösung. Die Phase Belastung sah den Wirkungsbereich der Berater vor, die mit schwierigen Kindern in deren jeweiligem Problembereich (Schulverweigerung, Lernhindernisse u. a.) mit einem Training begannen. Es galt peinliche Situationen für das Kind grundsätzlich zu vermeiden und stattdessen mit dem Leistungsvermögen des Schülers Schritt für Schritt zu arbeiten und somit ermutigende Situationen für die Schulteilnahme zu schaffen.390 Zum Aspekt der Ermutigung heben die Autoren den von Sofie Lazarsfeld geprägten Ausdruck Mut zur Unvollkommenheit hervor (siehe Kapitel 4.3.4). Es gelte, den Mut des Kindes soweit wachsen zu lassen, dass es selbst vor scheinbar unlösbaren Aufgaben das Selbstwertgefühl nicht verliere und mutig versuche an einer Bewältigung zu arbeiten.391 Birnbaum und Spiel forderten für ein derartiges Schulkonzept als Beitrag der Lehrer drei bis vier Stunden wöchentliche Beratungsarbeit. Es sei notwendig, für Gespräche mit Schülern und Eltern präsenter zur Verfügung zu stehen, um die gemeinsame Erziehungsidee von Schule und Elternhaus auszufüllen.392 Mit der praktischen Umsetzung von individualpsychologischen Inhalten in den Versuchsschulen zeigte sich eine gelungene Verknüpfung von Reformpädagogik und Individualpsychologie. Im Vordergrund stand die Perspektive des Kindes – wie von den Reformpädagogen über die Jahrhunderte ausformuliert – und die individualpsychologische Forderung von solidarischer Gemeinschaft mit dem Wachsen des Gemeinschaftsgefühls, das eine Stütze für das individuelle Selbstwertempfinden werden sollte. Über einen Zeitraum von 10 Jahren entwickelten die Protagonisten die Versuchsschule mit tatkräftigen Unterstützern aus dem Verein für Individualpsychologie. Drei Phasen der Entwicklung dieser Schulform macht Handlbauer als konstituierende Schritte aus:393 1. Intensive Beschäftigung mit einem theoretischen Konstrukt 2. Entwicklung des Konzepts der Klassenbesprechungen 3. Gründung einer Schule. Im September 1931 konnte die Versuchsschule nach der Arbeits- und Gemeinschaftsschulidee der Individualpsychologie eröffnet werden. Sie fand im In- und Ausland hohe Aufmerksamkeit und wurde von vielen ausländischen Gästen besucht.
390 391 392 393
Birnbaum, F., & Spiel, O. (1929). Schule und Erziehungsberatung. A.a.O., S. 188. Birnbaum, F., & Spiel, O. (1929). Schule und Erziehungsberatung. A.a.O., S. 189. Birnbaum, F., & Spiel, O. (1929). Schule und Erziehungsberatung. A.a.O., S. 189. Vgl. Handlbauer, B. (1984). Die Entstehungsgeschichte der Individualpsychologie Alfred Adlers. A.a.O., S. 187 – 190.
Werkanalyse Sofie Lazarsfeld: Psychologische Pädagogik
3.3
101
Werkanalyse Sofie Lazarsfeld: Psychologische Pädagogik
3.3.1 Richtige Lebensführung Als Herausgeberin der Reihe Richtige Lebensführung etablierte sich Sofie Lazarsfeld unter den Individualpsychologen als schreibende Multiplikatorin der lebendigen Wissenschaft. Im Geleitwort fasste Alfred Adler den Sinn der Verbreitung der individualpsychologischen Theorien kurz zusammen: Eine Wissenschaft erfüllt ihren Zweck, wenn sie ihre wichtigsten Ergebnisse lebendig macht. Dies gilt ganz besonders von der Individualpsychologie, weil sie zur Menschenkenntnis, zur Selbständigkeit und zur Ermutigung anleitet. Sie ist so sehr mit dem Nutzen für die Allgemeinheit verknüpft, dass ihre Entwicklung sie in die breiten Schichten des Volkes führt.394
Alfred Adler stellte Sofie Lazarsfeld als begeisterte und volkstümliche Individualpsychologin vor. Mit einem Wunsch für den Erfolg der Schriftenreihe und die Verbreitung in der Öffentlichkeit, verknüpfte er die Überzeugung, der Menschheit auf diesem Wege ein glücklicheres Los bereiten zu können.395 In der Internationalen Zeitschrift für Individualpsychologie wurde in der dritten Ausgabe des Jahres 1926 die geplante Serie der Schriftenfolge angekündigt. Neben der ersten Schrift von Sofie Lazarsfeld Vom häuslichen Frieden wurde eine von Erwin Wexberg verfasste Ausarbeitung mit dem Titel Entwicklungshemmungen und deren Behebung veröffentlicht. In Planung waren 1927 folgende Aufsätze: Alfred Adler mit Begabung und Unbegabtheit, Margarethe Hilferding mit Geburtenregelung, Hilde Krampflitschek (1888 – 1958)396 mit Elternliebe, Robert Lazarsfeld mit Schönheit und Persönlichkeit, eine weitere Ausgabe von Sofie Lazarsfeld mit Erziehung zur Ehe, Ida Löwy (1880 – 1938)397 394 Lazarsfeld, S. (1926). Vom häuslichen Frieden Richtige Lebensführung – Volkstümliche Aufsätze zur Erziehung des Menschen nach den Grundsätzen der Individualpsychologie. Verlag Moritz Perles. Wien und Leipzig. Geleitwort Alfred Adler, S. 3. 395 Adler, A. (1926): Geleitwort in Richtige Lebensführung zur ersten Ausgabe von Sofie Lazarsfeld mit der Schrift Technik der Erziehung (1926). Verlag Moritz Perles, Wien und Leipzig. 396 Hilde Krampflitschek war Medizinerin und Anthropologin. Als Individualpsychologin beschäftigte sie sich mit Fragen der Entwicklungspsychologie und der Erziehung. Sie konnte 1938 über Schweden in die USA flüchten und engagierte sich in Pennsylvania weiter für die Individualpsychologie und arbeite dort als Lehrerin für Psychohygiene. Vgl. Kenner, C. (2007). Der zerissene Himmel – Emigration und Exil der Wiener Individualpsychologie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 141 – 143. 397 Ida Löwy war Klavierlehrerin und engagierte sich in der Individualpsychologie für Erziehungsberatung und Heilpädagogik. Sie war Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft für individualpsychologische Kriminologie. 1937 starb die als sehr einfühlsame Person beschriebene Ida Löwy an Krebs. Vgl. Kenner, C. (2007). A.a.O., S. 153 – 155; Eisner, M. (2002). Ida Löwy – Menschlichkeit und Engagement. In A. Levy & G. Mackenthun (Hg.), Gestalten um
102
Pädagogische Konzepte
mit Technik der Erziehung, Hugo Lukcs (1874 – 1939)398 Schule und Familie, Leopold Stein (1893 – unbekannt)399 mit Sprachstörungen.400 Im folgenden Text werden lediglich Sofie Lazarsfelds Schriften behandelt. Die Ausarbeitung Erziehung zur Ehe wird in einem späteren Kapitel einbezogen.
3.3.1.1 Vom häuslichen Frieden Fokus ihrer Publikation Vom häuslichen Frieden sind Familienklima und ElternKind-Dynamik. Im ersten Abschnitt thematisierte Sofie Lazarsfeld die familiäre Atmosphäre unter dem Aspekt der »alltäglichen Missstimmungen«401, die unter den Familienangehörigen auftreten können und damit das Zusammenleben erschweren. Es seien gerade nicht die großen oder auch tragischen Ereignisse, die zu Differenzen führen, sondern kleine Streitereien und Ärgernisse. Sofie Lazarsfeld erläuterte dies an einem Beispiel eines redeunfreundlichen Mannes, der von der Arbeit nach Hause komme und zunächst Ruhe brauche, aber von Fragen zum Tage durch die Ehefrau bedrängt werde. Er antworte ungehalten, weil er noch nicht bereit sei zu sprechen. Daraus entwickle sich eine misslaunige Atmosphäre, weil beide in ihren Bedürfnissen – Ruhe versus Gespräch – nicht befriedigt werden. Ähnliches könne sich auch zwischen Kindern und Eltern ereignen, wenn das Kind beispielsweise ungern über die Schule Auskunft gebe.402 Diese Stimmungslagen würde man allmählich als Gesetzmäßigkeit hinnehmen und einen Wandel nicht in Betracht ziehen, gleichzeitig mehr und mehr ein Unbehagen in den Beziehungen dulden. Als Grundlage für den Rückzug und Streitbarkeit der einzelnen Familienmitglieder erläuterte sie –
398
399
400 401 402
Alfred Adler – Pioniere der Individualpsychologie (S. 203 – 213). Würzburg: Verlag Koenigshausen & Neumann. Hugo Lukcs war Mediziner und arbeitete als Psychiater. Er war Leiter einer Erziehungsberatungsstelle im ersten Bezirk Wiens. Er war Therapeut von Robert Musil, der sein Buch Der Mann ohne Eigenschaften mit Hilfe von Hugo Lukcs beenden konnte. Nach Schwierigkeiten mit einer Morphiumabhängigkeit und einer unglücklichen Frauenbeziehung nahm Lukcs sich nach seiner Flucht 1939 in Paris das Leben. Vgl. Kenner, C. (2007). Der zerissene Himmel – Emigration und Exil der Wiener Individualpsychologie. A.a.O., S. 155 – 156. Leopold Stein war Mediziner und arbeitete auf dem Gebiet der Sprachstörungen. In der Erziehungsberatung arbeitete er mit Ida Löwy zusammen. Gemeinsam mit Sofie Lazarsfeld führte er Eheberatungen durch. Er emigrierte 1938 mit seiner Frau nach England. Vgl. Kenner, C. (2007). Der zerissene Himmel – Emigration und Exil der Wiener Individualpsychologie. A.a.O., S. 208 – 209. Fast alle Ausgaben der Richtigen Lebensführung können heute noch über die Archive von National- und Universitätsbibliotheken in Österreich und Deutschland gefunden werden. Lazarsfeld, S. (1926). Vom häuslichen Frieden Richtige Lebensführung – Volkstümliche Aufsätze zur Erziehung des Menschen nach den Grundsätzen der Individualpsychologie. Wien und Leipzig: Verlag Moritz Perles, S. 2 – 3. Lazarsfeld, S. (1926). Vom häuslichen Frieden Richtige Lebensführung. A.a.O., S. 5.
Werkanalyse Sofie Lazarsfeld: Psychologische Pädagogik
103
analog zu Adler – den Umgang mit Minderwertigkeitsgefühlen, die sie als unbewussten Faktor für die Affekte benannte. Jeder von uns kennt an sich selbst irgendetwas, womit er selbst nicht zufrieden ist, was ihm bei sich selbst nicht gefällt, wessen er sich vielleicht schämt, kurz irgend etwas, bei dem er das Gefühl hat, es wäre bei den anderen Menschen besser, schöner, wertvoller als bei ihm selbst, er wäre also weniger wert als die andern, mit einem Wort minderwertig.403
Sofie Lazarsfeld ging davon aus, dass unbeantwortete Fragen nach z. B. Schulerleben oder Arbeitstag auf einen Fehlschlag oder eine Niederlage im Tagesverlauf hinweisen könnten. Der Gefragte antworte nicht, weil er die unangenehme Situation nochmals durchleben müsse. Sie rät dem Fragenden, bei Bemerken dieser Schwierigkeiten das Thema des Gesprächs zu wechseln und ein angenehmes Ereignis in Erinnerung zu rufen, um so einen positiven Austausch einzuleiten. Zu diesem umsichtigen Verhalten gehöre eine sensible und empathische Beobachtungsgabe der Familienmitglieder untereinander. So könne es gelingen, das Familienklima grundsätzlich zu verbessern und zu verhindern, dass eine »gereizte, missmutige Umgebung« die Familie dominiere.404 Eine weitere Fallgeschichte beschäftigte sich mit der Berufstätigkeit von Müttern. Bei einem ältesten Sohn von mehreren Kindern in der Familie sei es bei einer vermeintlichen frühen Verwöhnung zu Vernachlässigungsgefühlen gekommen. Die Mutter kümmere sich nach der Arbeit vermehrt um die jüngeren Geschwister, so dass der Älteste abseits stehe. Um dem Nähebedürfnis des Kindes nachzukommen, schlug Sofie Lazarsfeld Haushaltsaufgaben für den Sohn vor, die er gemeinsam mit der Mutter erledigen könnte. Die Aufgabe erfülle den Sinn, dem Kind eine Machtfülle einzuräumen, so dass es nicht mit nachteiligen Eigenschaften nach Aufmerksamkeit streben müsse. Die aufgetragenen Aufgaben sollten dem Kind die Möglichkeit bieten, sie selbständig zu lösen. In einem zweiten Beispiel zur Berufstätigkeit von Müttern, berichtete Sofie Lazarsfeld von einer Mutter, die der Meinung war, alles mit einer erzieherisch durchgreifenden Art für ihr Kind tun zu müssen. Es stellte sich aber im Laufe eines Erziehungsberatungsgesprächs heraus, dass die gestellten Aufgaben einer hohen Kontrolle durch die Mutter unterlagen und auch Gewaltanwendung in Form von Ohrfeigen zum Erfolg beitragen sollten. Das Kind entwickelte eine manifeste Trotzhaltung. Um selbst eine gewisse Machtstellung zu erlangen und sich nicht nur minderwertig fühlen zu müssen, resultierte daraus aufmüpfiges Verhalten gegenüber Lehrern. Der Sohn wurde Anführer einer Gruppe rüpelhafter Jungen. Die ungünstige Einstellung des Kindes ging über den familiären 403 Lazarsfeld, S. (1926). Vom häuslichen Frieden. A.a.O., S. 6. 404 Lazarsfeld, S. (1926). Vom häuslichen Frieden. A.a.O., S. 10.
104
Pädagogische Konzepte
Rahmen hinaus und hatte Auswirkungen auf die Schulfähigkeit des Kindes. Durch einen umsichtigen Lehrer wurde die Begabung im Turnen bei dem Jungen entdeckt und daraufhin stark gefördert. Sein Selbstwertgefühl konnte durch gute Ergebnisse im Sport stabilisiert werden.405 Die vorhandene Bereitschaft und Energie, die ein Kind in sich spürt, könne in eine produktive, positive Handlung umgeleitet werden, wie bei dem o.g. Jungen zum Sport, stellte Sofie Lazarsfeld fest. Für diesen Fall bezog sie die schulische Umgebung als erzieherische Komponente mit ein. Mit einer letzten Fallbeschreibung verdeutlicht Sofie Lazarsfeld wie wenig jegliche Art von Bestrafung zu einer positiven Regulierung in der Erziehung führt. Ein Mädchen wurde während eines Ferienlagers von Ausflügen ganz ausgeschlossen (Separation von der Gruppe), weil es eine Freundin versehentlich ins Wasser gestoßen hatte. Den Rest des Aufenthalts verbrachte das Mädchen abseits der Gemeinschaft und entwickelte in der Isolierung eine große Wut, die nach der Reise in ein übergriffiges Verhalten gegenüber anderen Kindern mündete. Ein bereits bestehender Hüftgelenksschaden verstärkte sich und führte zu dauerhaftem Hinken. Bei diesem Kind kam es zu einer Verstärkung des Minderwertigkeitgefühls mit Ausprägung einer körperlichen Symptomatik. Sofie Lazarsfeld legte anhand dieses Fallbeispiels dar, dass durch Beratung und damit Offenlegung der dynamischen Zusammenhänge zwischen den Personen, eine Veränderung in der Erziehung erzielt werden kann. Alle diese Kinder haben durch unglückliche, ungeschickte Erziehung eine falsche Einstellung zum Leben gewonnen. Sie haben nicht gelernt, sich in ein soziales Gefüge, wie es die Schule ist, einzugliedern und sie würden auch im Leben einsam und friedlos bleiben, wenn sie sich in der alten Richtung weiterentwickelten. Allen diesen Kindern aber wird geholfen, wenn man sie aus der Sackgasse, in die sie sich verrannt haben, herausführt.406
Sie empfahl den Eltern mit den Kindern offen zu sprechen und auf die ungünstigen Verhaltensweisen aufmerksam zu machen. Ein nächster Abschnitt des Textes erläutert den Sinn von Spielen. Das Spielen und die erdachten Spiele der Kinder seien Vorbereitungen auf das erwachsene Leben. Durch geeignete Spiele könnten Minderwertigkeitsgefühle in den Hintergrund rücken. Sofie Lazarsfeld schloss sich damit der Pädagogik Maria Montessoris an.407 Spielen könne auf ungezwungene Art Fertigkeiten herausbilden. Spielübungen mit Holzstückchen in verschiedenen Farben können das 405 Lazarsfeld, S. (1926). Vom häuslichen Frieden. A.a.O., S. 12. 406 Lazarsfeld, S. (1926). Vom häuslichen Frieden. A.a.O., S. 13. 407 Lazarsfeld bezieht sich auf Montessori, M. (1913). Selbsttätige Erziehung im frühen Kindesalter – Nach den Grundsätzen der wissenschaftlichen Pädagogik methodisch dargelegt. Verlag Julius Hoffmann. Stuttgart.
Werkanalyse Sofie Lazarsfeld: Psychologische Pädagogik
105
Auge trainieren und das Abschätzen von Dimension und Raumverteilung schulen. Im besten Falle solle die Selbständigkeit der Kinder herausgebildet werden. Da viele Spiele nur in Gruppen gespielt werden können, werde der Gemeinschaftssinn als Nebeneffekt damit gefördert. Die Gruppe sollte ein gemeinsames Ziel verfolgen. So werde auch gleichzeitig das Leistungsvermögen des einzelnen Kindes durch Freude angeregt. Im Sinne des Gemeinschaftsgefühls sei es unvorteilhaft, einzelne Kinder in der Gruppe hervorzuheben. Es gehe darum, dass durch die Spieltätigkeit das individuelle Selbstvertrauen des Kindes gestärkt und immer ein Gemeinschaftsgefühl entwickelt werde.408 Die Rolle der Erwachsenen war für Sofie Lazarsfeld die des Vorbildes im Erziehungsprozess. Dazu gehörte die Grundbedingung, dass sowohl Eltern als auch Lehrer ohne Ermahnungen erziehen sollten und von Kindern nicht mehr fordern, als die Erwachsenen selbst bereit wären zu leisten. Die Erwachsenen der Familie haben die Aufgabe, eine angenehme Lernatmosphäre zu schaffen, um eine Motivation für Schulleistungen zu begünstigen. Hier verweist Sofie Lazarsfeld auf die Notwendigkeit eines guten Frühstücks vor der Schule, um den Tag angenehm zu beginnen. Wenn ein Kind ungern zur Schule gehe, könne es zu einer Verweigerungshaltung kommen, die z. B. in körperlichen Missbefinden wie Unwohlsein münden könne. Eine Haltung der Schulverweigerung bilde sich heraus, die sich durch Trödeln oder Verlieren von Schulmaterial ausdrücke.409 Analog zu Adler forderte sie, dass Eltern in ihrer Rolle authentisch sind. Eltern sollen offen mit ihren Schwächen umgehen. Vortäuschungen werden von Kindern entlarvt. Kinder hätten ein gutes Gespür für falsche Szenarien. Das Aufdecken von möglichen Scheinwelten führe im Ergebnis bei den Kindern zu einem Vertrauensverlust gegenüber den Eltern. Die Eltern entwickeln Schuldgefühle, die möglicherweise wieder in eine unnötige Erziehungsstrenge münden. Sofie Lazarsfeld postuliert: »Verzichten wir doch auf diese zwecklosen und schädlichen Versuche, einen Schein unseres Wesens anstatt das Wesen selbst wirken zu lassen!«410 Am Ende der Schrift hob sie die Individualpsychologie als geistige Haltung hervor, in der man psychodynamische Veränderungen lernen könne: Bei diesem Beginnen ist der individualpsychologische Geschulte im Vorteil. Für ihn wird es leicht, einen Fehler, ein Unvermögen einzugestehen, ohne doch in Not und Qual gestürzt zu werden. Da er gelernt hat, seine Angelegenheiten niemals als reine Privatsache anzusehen und zu behandeln. Erfolge nicht um des Geltungswertes willen, sondern nach ihrem Nutzen für die menschliche Gesellschaft einzuschätzen, alle Fragen als Teil einer Gemeinschaft 408 Lazarsfeld, S. (1926). Vom häuslichen Frieden. A.a.O., S. 17. 409 Lazarsfeld, S. (1926). Vom häuslichen Frieden. A.a.O., S. 20. 410 Lazarsfeld, S. (1926). Vom häuslichen Frieden. A.a.O., S. 24.
106
Pädagogische Konzepte
zu betrachten und zu achten und von dieser Warte ausgehend zu lösen, so wird er niemals solche arge Missgriffe und Fehlhandlungen begehen, wie der in diesem Punkte Unwissende sie begeht.411
Mit dieser Schlussfolgerung wirbt Sofie Lazarsfeld eindringlich für die Mitwirkung an der Individualpsychologie. Durch die vielen öffentlichen Veranstaltungen und die Existenz der Beratungsstellen in nahezu jedem Bezirk Wiens waren die Möglichkeiten der Mitarbeit vielfältig gegeben. Auch der Verein selbst war nach außen offen und lud, sowohl Studenten als auch Nichtakademiker ein, mitzulernen.412
3.3.2 Technik der Erziehung 1929 gab Sofie Lazarsfeld einen Sammelband als Erziehungsleitfaden für Eltern und Lehrer heraus. Sie konnte erneut eine Reihe aktiver Individualpsychologen als Mitautoren gewinnen. Über die Wiener Gruppe hinaus beteiligten sich u. a. auch Ruth Künkel (verst. 1932) aus Berlin, Leonhard Seif (1866 – 1949), Manes Sperber (1905 – 1984) aus Berlin oder auch Otto Rühle (1874 – 1943) aus Dresden. Diese Schriftensammlung wurde als komplettes Buch herausgegeben und nicht wie Vom häuslichen Frieden als in zeitlichen Abständen erscheinende Schriftenreihe. Das Werk hatte eine klare Gliederung, die sich an entwicklungspsychologischen Gesichtspunkten orientierte. In der Einführung wurden Grundbegriffe der Erziehung und Erziehungstechnik erläutert. Der zweite Teil befasste sich mit den pädagogischen Herausforderungen bei Säugling und Kleinkind. Der größte Raum wurde dem dritten Abschnitt Das Schulkind eingeräumt. Von der Schulwahl über die Ernährung während des Schultages bis hin zur körperlichen Ertüchtigung von Schulkindern wurde ein breites Spektrum an schulischen Themen beleuchtet. Paul Lazarsfeld hatte mit dem Artikel Hinter den Kulissen der Schule in seiner Funktion als Mittelschullehrer versucht, einen Blick in die Organisation des Schulbetriebes, besonders für Eltern zu ermöglichen. Menschliches Zusammenleben sei seiner Einschätzung nach, nur von innen heraus zu begreifen. Unter diesen Gesichtspunkten versuchte er, die strukturellen, organisatorischen und auch atmosphärischen Bedingungen von Schule zu erläutern.413 Entlang der entwicklungspsychologischen Phasen wurde im vierten Abschnitt die Pubertät diskutiert. Abschließend wurden im letzten 411 Lazarsfeld, S. (1926). Vom häuslichen Frieden. A.a.O., S. 24. 412 Handbauer, B. (1984), Die Entstehungsgeschichte der Individualpsychologie Alfred Adlers. A.a.O., S. 131. 413 Lazarsfeld, P. F. (1929). Das Schulkind. Technik der Erziehung – Ein Leitfaden für Eltern und Kinder, S. 95 – 104.
Werkanalyse Sofie Lazarsfeld: Psychologische Pädagogik
107
und fünften Kapitel Themen aller Altersklassen, wie das Autoritätsproblem, die Bedeutung der Geschwisterreihe, Fragen zur körperlichen Züchtigung und auch kindlicher Kriminalität Raum gegeben. Sofie Lazarsfeld trat als Autorin im Einführungskapitel mit dem Aufsatz Grundbegriffe der modernen Erziehung in Erscheinung und führte einleitend in die Themen des Buches ein. Sie begründete die Notwendigkeit eines Buches zu Erziehungsfragen, indem sie auf die Erkenntnisse der modernen Pädagogik hinwies. Sie erweiterte den Bereich der Erziehung, deutlicher als in Vom häuslichen Frieden, um die Forderung neuere pädagogische Erkenntnisse für die Schulausbildung der Kinder zu nutzen. Allzulange hat man geglaubt, Unterricht und Erziehung als zwei getrennte Faktoren behandeln zu dürfen, und nur langsam und zögernd hat sich die Erkenntnis allgemeine Geltung errungen, dass Unterricht, sofern er mehr sein soll, als das bloße mechanische Nachsagen angelernter Worte, zugleich Erziehungsarbeit leisten muß […].414
Sofie Lazarsfeld bekräftigte, wie Spiel und Birnbaum, dass es um eine gesellschaftliche Gesamteinstellung zu allen Gebieten der Erziehung gehe und nicht um eine Zergliederung in Einzelphänomene, die separate Problemlösungen verlangten. Vielmehr sei der Mensch als »unteilbares Ganzes«415 zu betrachten und Veränderungen »durch eine Bildung oder Wandlung des gesamten Menschen«416 zu erwirken. Sie postulierte einen Wandel von der alten Pädagogik zu einer neuen modernen Erziehung. Auf die Einstellung des Erziehers sei größter Wert zu legen. Er solle von pädagogischem Optimismus geprägt sein, der in jedem Kind Entwicklungsmöglichkeiten sehe. Erzieher sollten so verantwortungsbewusst sein, das Misslingen einer Erziehungsmethode auch als eigenes Versäumnis betrachten zu können.417 Dazu gehöre entscheidend, dass die Erzieher, sowohl Eltern als auch Lehrer, sich nicht als vollendet erzogen betrachteten, sondern selbst an ihrer eigenen Persönlichkeitsentwicklung weiterarbeiteten. So könne erreicht werden, dass Erwachsene und Kinder sich von »Gleich zu Gleich«418 gegenüber stehen und ein autoritäres Gefälle vermieden werde. Erziehung solle einen Bogen spannen, der von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft weise und einen Entwicklungshorizont entstehen lasse. Der Ausblick auf ein Ziel könne diesen Bogen der gesunden Erziehung spannen.419 Damit schloss sich Sofie Lazarsfeld eng an die Thesen Alfred Adlers zum 414 Lazarsfeld, S. (1929). Grundbegriffe der modernen Erziehung. Technik der Erziehung – Ein Leitfaden für Eltern und Kinder, S. 1 – 2. 415 Lazarsfeld, S. (1929). Grundbegriffe der modernen Erziehung. A.a.O., S. 2. 416 Lazarsfeld, S. (1929). Grundbegriffe der modernen Erziehung. A.a.O., S. 2. 417 Lazarsfeld, S. (1929). Grundbegriffe der modernen Erziehung. A.a.O., S. 4. 418 Lazarsfeld, S. (1929). Grundbegriffe der modernen Erziehung. A.a.O., S. 5. 419 Lazarsfeld, S. (1929). Grundbegriffe der modernen Erziehung. A.a.O., S. 5.
108
Pädagogische Konzepte
Sinn des Lebens an, der sagte, »Leben heißt sich entwickeln«.420 Alle Fragen des Lebens seien zielgerichtet und lägen jenseits von bisherigen Erfahrungen, das heißt, es müssen zwangsläufig neue Erfahrungen gemacht werden. Eng verknüpft mit einer zielführenden Entwicklung sei die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Die Ausprägung eines Gemeinschaftsgefühls gehöre zu der Verwirklichung eines sinngebenden Lebens als Bedingung dazu.421 Sofie Lazarsfeld hob die Individualpsychologie als Lehre mit großer Bedeutung auf dem Gebiet der Pädagogik hervor. Sie bekräftigte den hohen Praxisanspruch der Theorien. Die Pädagogik als Grundlage für die Erziehung gelte als vorbeugende Handlung, das Entstehen von neurotischen Charakter-Ausprägungen zu mindern. Damit verortete sie die pädagogische Individualpsychologie auch in dem Fachgebiet der Psychologie. Voraussetzung für die Wirkung des Erziehungskonzepts sei ein Verstehensprozess der Erziehenden, der mit einer Vertiefung in die Menschenkenntnis einhergehe.422 Durch Erziehung erschaffe man eine Perspektive für individuelle Entwicklung. Damit sei Erziehung insgesamt als Prophylaxe zu sehen, wie Adler es auch schon für die medizinische Individualpsychologie formulierte.423 Auch Sofie Lazarsfeld sah in der Erziehung eine Methode, ungünstige Kompensationen zu verhindern. Als einen der Grundpfeiler hob Sofie Lazarsfeld auch in diesem Artikel die Idee der Kompensation von Organminderwertigkeit hervor. Es gelte Ermunterungen für ein Kind mit körperlichen Schwierigkeiten so zu gestalten, dass eine übermäßige Verzärtelung oder auch Verwöhnung vermieden werde. Führe es zu symptomatischen Verhaltensauffälligkeiten solle man nicht nur das Symptom – also z. B. das Stottern – behandeln, sondern im Sinne eines Verstehensprozesses die Grundeinstellung des Kindes erfassen. Lasse sich keine Veränderung herbeiführen, könne man von einer mangelhaften Gesamtvorbereitung in der Erziehung ausgehen. Hier müsse mit Auswirkungen auf die sogenannten Schwellensituationen zu rechnen sein. Beim Eintritt in den Kindergarten oder auch in die Schule könnten sich die Symptomatiken verstärken und zusätzlich die Aufgabe misslingen, sich in die Gemeinschaft einzufügen.424 In dieser Frage schrieb Sofie Lazarsfeld besonders der Mutter eine wichtige Rolle zu. Die Mutter muß vielmehr durch ihr Beispiel das Kind dazu verführen, sein Teil an Leistung und die damit verbundene Verantwortlichkeit selbst zu übernehmen, indem 420 421 422 423
Adler, A. (2004). Sinn des Lebens. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, S. 185. Adler, A. (2005). Menschenkenntnis. A.a.O., S. 50 – 51. Lazarsfeld, S. (1929). Grundbegriffe der modernen Erziehung. A.a.O., S. 6. Adler, A. (1973). Die Theorie der Organminderwertigkeit und ihre Bedeutung für Philosophie und Psychologie. In A. Adler & C. Furtmüller (Hg.), Heilen und Bilden – Ein Buch der Erziehungskunst für Ärzte und Pädagogen. Frankfurt am Main Fischer Taschenbuch Verlag. 424 Lazarsfeld, S. (1929). Grundbegriffe der modernen Erziehung. A.a.O., S. 11.
Werkanalyse Sofie Lazarsfeld: Psychologische Pädagogik
109
sie es das Zweckmäßige dieser Lebenshaltung erleben lässt. Nur so kann das Kind die nötigste Lebensgrundlage, – das ist Selbstvertrauen und Vertrauen zum Nebenmenschen – gewinnen.425
Diese Haltung verpflichte die Mutter zur Authentizität, die ohne Täuschung und Lüge auskomme. Das Vertrauen zu den Eltern sei von entscheidender Bedeutung. Eine weitere Grundbedingung in der Erziehung sah sie in der Einschätzung der Leistungsfähigkeit des Kindes in Bezug auf das Entwicklungsalter. Diese Thematik ging auf Charlotte Bühler (1893 – 1974)426 zurück. In ihrem Werk Kindheit und Jugend wurde anhand von Messungs- und Beobachtungsstudien eine Einschätzung von altersgerechtem Leistungsvermögen entwickelt. Es wurden Altersstufen und einhergehend damit Fähigkeiten der Kinder beschrieben.427 In diesem Zusammenhang diskutierte Sofie Lazarsfeld den Aspekt der Begabung. Wie Alfred Adler lehnte sie genetische Dispositionen ab, sondern sah losgelöst von diesem Konstrukt individuelle Entwicklungsmöglichkeiten für jedes Kind als vorhanden an. Bei Lernschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten sollten die entsprechenden Umgebungsbedingungen der Kinder mit einbezogen werden.428 Das persönliche Verhältnis, und damit der Aufbau von Beziehung und deren Gestaltung mit gegenseitiger Empathie, sei dabei die Grundbedingung, so Sofie Lazarsfeld. So könne z. B. ein Lehrerwechsel zu Veränderungen der Leistungsbereitschaft führen. Auswirkungen von Umgebungsveränderungen im Schulalltag beschrieb Sofie Lazarsfeld bereits in einer früheren Veröffentlichung.429 In den Jahren zuvor hatte sie mit anderen individualpsychologischen Kollegen eine »Experimentierklasse« eingeführt und mit Schülern gearbeitet.430 Aus dieser Arbeit resultierte ein Artikel in dem Magazin Die Moderne Frau, in dem Sofie Lazarsfeld sich gegen den Frontalunterricht aussprach. Sie beschrieb, wie die bisherige Klassenordnung aufgelöst wurde und Lehrer und Schüler gemeinsam in einem Kreis 425 Lazarsfeld, S. (1929). Grundbegriffe der modernen Erziehung. A.a.O., S. 11. 426 Zu diesem Zeitpunkt gab es eine Zusammenarbeit des individualpsychologischen Vereins in Wien mit dem Psychologischen Institut auf dem Gebiet der Säuglingsforschung. Paul Lazarsfeld war Assistent von Charlotte Bühler und begann dort seine Karriere als Sozialwissenschaftler, vgl. Lazarsfeld, S. (1929). Grundbegriffe der modernen Erziehung. A.a.O., S. 11. 427 Bühler, C. (1928). Kindheit und Jugend – Genese des Bewusstseins. Leipzig: Verlag S. Hirzel. 428 Lazarsfeld, S. (1929). Grundbegriffe der modernen Erziehung. A.a.O., S. 12. 429 Lazarsfeld, S. (1927). Der abgebaute Katheder in Die Moderne Frau, Heft 14 – Magazin für die Frau – Jahrgang 1927. 430 Zwischen 1924 und 1930 entwickelten Spiel und Birnbaum das Konzept der Klassenbesprechungen. Individualpsychologen unterstützten diese Arbeit zahlreich an den Schulen. Zu diesen gehörte auch Sofie Lazarsfeld, vgl. Handlbauer, B. (1984). Die Entstehungsgeschichte der Individualpsychologie Alfred Adlers.
110
Pädagogische Konzepte
sitzen. Außerdem wurden die Schüler angeleitet, gestellte Aufgaben in Kleingruppen zu lösen und sich gegenseitig zu helfen. Es ließ sich eine verbesserte Lernatmosphäre beobachten, die vielen Kindern die Chance an der Beteiligung im Unterricht gab. Gleichzeitig wurde mit der neuen Ordnung im Klassenraum das Autoritätsgefälle minimiert, da das bisher erhöht stehende Lehrerpult (Katheder) abgeschafft wurde. Der Lehrer begab sich auf die Ebene der Schüler. Die gesamten veränderten Erziehungs- und Unterrichtsmethoden sollten darauf ausgerichtet sein, Kinder zu ermutigen. Dafür solle auch die Ansprache an die Kinder verändert werden. Ermahnungen seien nicht hilfreich, weil sie oft einer parallelen beispielhaften Handlung der Erwachsenen entbehren. Das Erziehungsverhalten verliere so an Authentizität. Dazu gehöre auch ein respektvoller Umgang mit dem Spielverhalten der Kinder. Spiele sollen möglichst nicht unterbrochen werden. Hier übt das Kind die Kräfte, die es später im Leben brauchen wird, und wir müssen lernen, diesem Tun zumindest die gleiche Achtung und Schonung entgegenzubringen wie wir sie gegenüber unserer eigenen Tätigkeit verlangen.431
Sofie Lazarsfeld plädierte für einen ständigen Perspektivwechsel in die Welt der Kinder, um den Verstehensprozess zu verbessern. Strafen bei vermeintlichem Fehlverhalten sollten nur bedingt angewendet werden. Sie sprach von absoluter Vermeidung von Gewalt. Falls Strafe notwendig sei, gelte für diesen Fall eine logische Vermittlung gegenüber dem Kind, so dass die Folge auch verstanden werden können. Man achte sorgsam darauf, dass dem Kinde die Folgen seines Tuns vorher klar gemacht werden; beharrt es trotzdem darauf, dann lasse man es ruhig die Konsequenzen tragen, ohne aber diesen Vorgang mit weisen Ermahnungen zu begleiten.[…] Das Kind merkt den Zusammenhang ja selbst, und ist bereit, daraus zu lernen, macht man es aber allzu nachdrücklich darauf aufmerksam, dann rebelliert es und lernt nichts zu.432
Im Zusammenhang mit der sexuellen Erziehung, insbesondere in der Phase der Pubertät, plädierte Sofie Lazarsfeld im Bereich der Schule für die Koedukation der Geschlechter. So seien Jungen und Mädchen von klein auf in einer Gemeinschaft aneinander gewöhnt. Für die Schulzeit empfahl sie eine kontinuierlich enge Zusammenarbeit von Lehrern und Eltern. Beim Auftreten von Problemen sei rechtzeitig das Gespräch zu suchen oder auch die Möglichkeit zu nutzen, sich an eine Erziehungsberatungsstelle zu wenden.433
431 Lazarsfeld, S. (1929), Grundbegriffe der modernen Erziehung. A.a.O., S. 15. 432 Lazarsfeld, S. (1929), Grundbegriffe der modernen Erziehung. A.a.O., S. 15. 433 Lazarsfeld, S. (1929). Grundbegriffe der modernen Erziehung. A.a.O., S. 16 – 17.
Werkanalyse Sofie Lazarsfeld: Psychologische Pädagogik
111
3.3.3 Familien- oder Gemeinschaftserziehung – Handbuch der Individualpsychologie (1927) In diesem von Erwin Wexberg (1889 – 1957)434 herausgegeben Werk zur Individualpsychologie, widmete sich Sofie Lazarsfeld verstärkt einem der zentralen theoretischen Konstrukte der Individualpsychologie: Dem Gemeinschaftsgefühl. Mit einem Vergleich zur Sozialpädagogik, erläuterte sie den psychologischen Zweck des Gemeinschaftsgefühls. Paul Natorps Ausführungen zum Begriff Sozialpädagogik erachtete sie als wegbereitend und lehnte sich mit ihrer Theorie an sein Konzept an. Paul Natorp (1854 – 1924)435 entwickelte aufbauend auf Pestalozzi, Herbart und Dilthey ein Konzept zur Sozialpädagogik. Er begründete das Gemeinschaftsprinzip der Bildung, das von einem »Sozialismus der Bildung« ausging. Er war ein ebenfalls überzeugter Sozialdemokrat. Mit seinen Gedanken zur Gemeinschaftserziehung hob er die Trennung von Individuum und Gemeinschaft auf. In Sozialpädagogik: Theorie der Willensbildung auf der Grundlage der Gemeinschaft436 legte er dar, dass Individuum und Gemeinschaft in stetiger
434 Erwin Wexberg war Mediziner. Er hatte schon vor dem ersten Weltkrieg Kontakt zu Alfred Adler und wurde zu einem der wichtigsten Mitarbeiter. In Vertretung von Alfred Adler übernahm er den Vorsitz bei Vereinssitzungen in dessen Abwesenheit. Auch Wexberg war in der Erziehungsberatung tätig und galt als »sozialistischer Individualpsychologe«. Erwin Wexberg veröffentlichte 1927 das zweibändige Handbuch der Individualpsychologie. Ebenso wie viele andere hielt er Kurse ab und setzte sich für die Ausbildung der Individualpsychologen ein. Er bearbeitete Themen zur Psychopathologie und vertrat auch für den Arztberuf integrative pädagogische Ansätze. Ähnlich wie Adler wurde er aufgrund seiner Publikationen 1934 in die USA eingeladen. Dort erwarb er das amerikanische Doktorat und blieb nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in den Vereinigten Staaten. Nach dem zweiten Weltkrieg war er in Washington tätig. Er hatte die Stelle des Direktors des Bureau of Mental Hygiene des Health Department inne. Ähnlich dem Beratungsstellensystem in Wien gründete er eine Einrichtung für Erziehungs-, Sucht-, und Psychiatrieberatung. Vgl. Kenner, C. (2007); S. 211 – 213; Kümmel, U. (2010). 435 Paul Natorp war nach einem Studium der Musik, Geschichte und klassischer Philologie zunächst Hauslehrer. Er hatte in Berlin, Bonn und Straßburg studiert. Die Straßburger Zeit brachte ihm die Philosophie näher. Er wurde durch einen Marburger Freund mit Friedrich Albert Lange (1828 – 1875) und Hermann Cohen (1842 – 1918) für den Kantianismus bzw. Neukantianismus begeistert. Er wechselte von Straßburg nach Marburg zunächst als Bibliothekar an die Universität; gab dort bald als Privatdozent Vorlesungen zur Philosophie. Aus der Zusammenarbeit mit Hermann Cohen ging die Marburger Schule hervor. In ihrem Werk geht es um weiterführende erkenntnistheoretische Ansätze. Natorp bezieht zu den objektiven Momenten für Erkenntnis basierten auf einem Logikkonzept der Wissenschaften ebenso subjektpsychologische Momente mit ein. Beide orientierten sich an der Philosophie Kants. Vgl. Holzhey, H. (1997). Natorp, Paul, in Neue Deutsche Biographie 18, S. 752 – 753. 436 Natorp, P. (1898). Sozialpädagogik. Theorie der Willensbildung auf der Grundlage der Gemeinschaft. In R. Pippert (Hg.), Schöninghs Sammlung pädagogischer Schriften.
112
Pädagogische Konzepte
Wechselwirkung zu sehen seien. Der Einzelne sei immer im sozialen Kontext zu sehen: »In Wahrheit gibt es kein isoliert gedachtes Individuum, denn der Mensch ist Mensch nur in menschlicher Gemeinschaft und durch Teilnahme an ihr.«437 Auch Sofie Lazarsfeld sah den Einzelnen immer in der Gesellschaft verortet und zwar jeweils abhängig von den historischen Strömungen. Politisch motiviert formulierte sie: Wirtschaft und Technik der letzten Jahrhunderte schienen die Gesellschaft durch Auflösung der Wirtschaftsverbände des Mittelalters in Atome zerlegt zu haben. Der Individualismus und seine Pädagogik waren der klassische geistige Niederschlag der neuen Produktionsformen. Aber in ihrem Schoß wachsen neue Elemente der Gesellung. Der Großbetrieb, die Gewerkschaft, das politische Leben, die Volksbildungseinrichtungen, die Speisehäuser, sie stellen neue psychologische Fragen, neue pädagogische Aufgaben. Sie bedingen wieder kollektivistisches Denken, wenn auch auf höherer Stufe, weil ja das Individualbewußtsein, einmal zu gesellschaftlicher Bedeutung gekommen, nimmer verschwinden kann.«438
Offenbar auch politisch motiviert durch ihre sozialdemokratische Grundhaltung, die sich auch bei Natorp und seinen Ausführungen vermuten lässt, argumentierte Sofie Lazarsfeld für eine Erziehung zur Gemeinschaft. Sie stellte sich, anknüpfend an Natorps Theorie, die Frage: Wer geht voran, die Gemeinschaft oder das Individuum? Eigentlich müsste die Frage erörtert werden, was Gemeinschaft sei. Nach Adler sei Gemeinschaft das Wirkliche als Summe alles dessen, was im realen Leben auf den Einzelnen einwirke.439 Gemeinschaft sei der Boden für eine sinnvolle Erziehung. Denn Erziehung, ganz allgemein gesprochen, bedeutet: Ein Individuum im Rahmen der biologischen Voraussetzungen und der äußeren Umstände zum Funktionieren zu bringen; funktionieren aber heißt, sein eigenes Agieren und Rezipieren zu beherrschen und für einen bestimmten Zweck sinnvoll zu verwenden.440
Die Individualpsychologie beantworte die Frage von Erziehung und Gemeinschaft in dem Sinne, dass ganz gleich welches Ziel für die Erziehung gelte, die Gemeinschaft immer im Mittelpunkt stehe. Daraus ergab sich für Sofie Lazarsfeld, dass alle individualpsychologischen Erzieher auch Sozialpädagogen
437 438 439 440
Quellen zur Historischen, Empirischen und Vergleichenden Erziehungswissenschaft (1974). Paderborn: Schöningh. Natorp, P. (1898). Sozialpädagogik. Theorie der Willensbildung auf der Grundlage der Gemeinschaft. A.a.O., S. 103. Lazarsfeld, S. (1927). Familien- und Gemeinschaftserziehung. In E. Wexberg (Hg.), Handbuch der Individualpsychologie. München: Verlag J. F. Bergmann, S. 323 – 335. Lazarsfeld, S. (1927). Familien- und Gemeinschaftserziehung. A.a.O., S. 324. Lazarsfeld, S. (1927). Familien- und Gemeinschaftserziehung. A.a.O., S. 326.
Werkanalyse Sofie Lazarsfeld: Psychologische Pädagogik
113
seien. Die Familienerziehung sollte allerdings der Gemeinschaftserziehung vorangestellt bleiben. Im nächsten Abschnitt erörterte Sofie Lazarsfeld die Position des Kindes in der Familie. Sie stellte fest, dass ein Kind (Einzelkind), umgeben von lauter Erwachsenen, das Minderwertigkeitsgefühl stärker ausbilde als andere. Insbesondere bestehe die Gefahr bei verzärtelten Kindern, die aufgrund von Verwöhnung nicht gelernt haben, eigene Leistungen zu erbringen, zu wenig Selbstbewusstsein zu entwickeln. Als Folge der Geschwisterkonstellation, des daraus resultierenden Umgangsverhalten der Eltern, komme es in den verschiedensten Ausprägungen – Ältestes, Jüngstes, Junge unter Mädchen, Mädchen unter Jungen – zu starken individuellen Bestrebungen, genau diese Rolle zu überwinden. So gerate das Streben nach Gemeinschaftsgefühl in den Hintergrund. Im Gegensatz dazu entstehen eher Entmutigungen beim Kind, weil die Sicherheit gebende Gemeinschaft nicht genügend präsent sei. Das Kind agiere zur Überwindung seiner vermeintlich ungünstigen Rolle gegen alle Anderen in der Familie insbesondere gegen die Erwachsenen. In Kindergruppen hätte das Kind die Gelegenheit eine andere Position als in der Familie einzunehmen.441 Deshalb plädierte Sofie Lazarsfeld eindeutig für Kindergemeinschaften, in denen sich alle Kinder frühzeitig sozialisieren können. Dennoch sei anzuerkennen, dass »Familie mit der Liebe der Eltern« ein bedeutungsvoller Entwicklungsbeginn sei. Familie sei eine Grundlage und könne durch nichts ersetzt werden. Die Kinder ziehen einen »psychischen Kredit« aus der Zuwendung der Eltern, um so als Heranwachsende das Potential zur Entwicklung neuer Erfahrungen zu erlangen.442 Es hängt dann im wesentlichen von der Entwicklung des Mutes des Heranwachsenden ab, ob aus diesen Sicherungen allmählich ein neurotisches System wird, oder ob er sie als Hilfsmittel für die reale Arbeit erkennen und nach Gebrauch auf sie verzichten lernt; […] Praktisch ist nun eine der Haupteinsichten der Individualpsychologie, dass es in jedem Stadium einer individuellen Entwicklung möglich ist, den Mut zum Zusammenleben mit anderen Menschen zu erhöhen und dadurch Charakter wie Leistung wesentlich zu beeinflussen.443
In der Familie sei dies aber nur rudimentär möglich, da die Familie weiterhin autoritär und patriarchalisch sei. Die autoritären Machtstrukturen führen dazu, die kindliche Individualität zu missachten, so dass sich Selbstbewusstsein und Gemeinschaftsgefühl und damit einhergehend die Leistungsfähigkeit vermin441 Lazarsfeld, S. (1927). Familien- und Gemeinschaftserziehung. A.a.O., S. 327. 442 Lazarsfeld, S. (1927). Familien- und Gemeinschaftserziehung. A.a.O., S. 329. 443 Lazarsfeld, S. (1927). Familien- und Gemeinschaftserziehung. A.a.O., S. 330.
114
Pädagogische Konzepte
dere.444 Lazarsfeld brachte den Aspekt des Nützlichkeitsempfindens mit ein. Solange ein Kind sich die Frage »Wozu bin ich nützlich?« nicht beantworten könne, sei ein Weg in die Neurose vorgegeben. In Kindergemeinschaften lasse sich Nützlichkeit üben, indem Aufgaben der Gemeinschaft jeweils auf Kinder verteilt werden. Eine Lernstufe für das Gemeinschaftsgefühl sei das Erledigen von Aufgaben. Erfolge könne man in den Kindergruppen an Verbesserung von Sprache, Bewegungsgeschicklichkeit und Auffassungsfähigkeit ablesen.445 Auch im schulischen Bereich plädierte Sofie Lazarsfeld für einen sozialisierenden Erziehungs- und Unterrichtsstil, der nur durch die Gemeinschaftsschule erreicht werden könne. Die Rolle der Autorität sei in Frage zu stellen und zu einer modernen Form des Unterrichts zu gelangen. Die moderne methodische Forschung ist immer mehr auf das Problem des Aufgabenbewußtseins gestoßen. Wir sehen jetzt die Kunst des Unterrichts eigentlich darin, dem Schüler die Aufgabe so nahe zu bringen, daß er sie als sein Problem ansieht und sie in den Fluß seines freien assoziativen Denkens aufnimmt, statt sie nebenher und immer nur gezwungen zu behandeln.446
Die selbstwirksame Erfahrung der Schüler führe nach Sofie Lazarsfelds Argumentation zu einer positiven Lernleistung, die sich psychologisch niederschlage und das Selbstbewusstsein stärke. Eine generelle Selbsterziehung innerhalb der Klassengemeinschaft sei aber nicht zu praktizieren. Sofie Lazarsfeld räumte dem Lehrer bzw. Erzieher weiterhin eine orientierungsgebende Funktion ein. Als einen weiteren wichtigen Aspekt für die Atmosphäre der Erziehungsarbeit sah sie die gesamtgesellschaftlichen Umgebungsbedingungen an. Sie hob die neuen demokratischen Verhältnisse hervor, die mit dem Aufbruch der autoritären und hierarchischen Strukturen für mehr individuelle Entfaltungsfreiheit sorge. Die Flexibilität moderner Methoden und Organisationen führe auch zu demokratischem Verständnis in Schule und Unterricht. Ganztagsschulen seien eine hervorragende Möglichkeit dies umzusetzen. Sie beendete ihren Artikel mit der individualpsychologischen Forderung, die Eltern weiterhin zu schulen (»Erziehung der Eltern«447). Besonderes Augenmerk gelte der Mutter, die mit einem modernen Frauentypus verändernde Impulse in die Familie und Gemeinschaft einbringe. Mit diesem Schlussgedanken wurde Sofie Lazarsfelds Anliegen deutlich, die Stellung der Frau in der Gesellschaft neu zu definieren und ihre Mitarbeit in der Gesellschaft aktiver anzuerkennen.448 444 Friebus-Gergely, D. (2002). Sophie Lazarsfeld oder »Wie die Frau den Mann erlebt«. A.a.O., S. 161. 445 Lazarsfeld, S. (1927). Familien- und Gemeinschaftserziehung. A.a.O., S. 332. 446 Lazarsfeld, S. (1927). Familien- und Gemeinschaftserziehung. A.a.O., S. 332. 447 Lazarsfeld, S. (1927). Familien- und Gemeinschaftserziehung. A.a.O., S. 334. 448 Lazarsfeld, S. (1927). Familien- und Gemeinschaftserziehung. A.a.O., S. 334.
Werkanalyse Sofie Lazarsfeld: Psychologische Pädagogik
115
3.3.4 Mut zur Unvollkommenheit Dieser Artikel entstand früher als die zuvor referierten Schriften zur pädagogischen Individualpsychologie. Er soll aber an dieser Stelle erwähnt werden, da hier sowohl pädagogische Thesen als auch geschlechtsspezifische Aspekte diskutiert wurden. Mut zur Unvollkommenheit erschien 1926 in der Internationalen Zeitschrift für Individualpsychologie (IZI), wurde aber zunächst 1925 als Vortrag auf dem zweiten Internationalen Kongress für Individualpsychologie vom 5. bis 7. September 1925 in Berlin gehalten.449 Der Vortrag fand reichlich Anklang und wurde von ihren individualpsychologischen Kollegen sehr positiv bewertet. Mut zur Unvollkommenheit wurde ein von Sofie Lazarsfeld geprägter Begriff, der zum geflügelten Wort in der Individualpsychologie anvancierte.450 Den Begriff der Unvollkommenheit verknüpfte sie mit einem kaum einzulösenden Anspruch auf absolute Wahrheit, die sie damit als unmöglich entlarvte. Unvollkommenheit sollte ein Zugeständnis an sich selbst sein, um die Maßstäbe in Bahnen einzuordnen, die einen realistischen Umgang mit Wahrheit und eigenen Ansprüchen zulassen. Diese Argumentation ist als Ursprungsthese zur Deidealisierung der eigenen überhöhten Persönlichkeit zu sehen. Sofie Lazarsfeld forderte den eigenen Schwächen und Fehlern ehrlich gegenüberzustehen und sie auch anderen gegenüber einzuräumen. Der Kern des Problems ist also die Frage: Wie lernen wir es ertragen als das zu leben und zu wirken, was wir sind. Die Individualpsychologie bringt uns die Lösung, indem sie uns dazu befähigt, uns von unserer eigenen Unvollkommenheit nicht niederdrücken zu lassen, keine unerreichbare Idealgestalt aus uns selbst machen zu wollen, sondern die Aufgaben des Lebens nach besten Kräften und mit allem Mut zu erfüllen.451
Lazarsfeld ordnete diesen Anspruch als schwierige Aufgabe ein. Auch in diesem Vortrag knüpfte sie an den Gedanken von Gemeinschaft und Gemeinschaftsgefühl an. Ein positives Geltungsstreben könne mit Gemeinschaftssinn sowohl individuell als auch für die soziale Gruppe Nutzen bringen. Über Erziehung und das Verhältnis von Erwachsenen zu Kindern hinaus thematisiert Sofie Lazarsfeld die Aufgabe des Zusammenlebens der zwei Geschlechter. In einem authentischen Beziehungsleben von Mann und Frau sah sie ähnlich hohe Anforderungen wie in der Gestaltung von Erziehung. Flexibilität 449 IZI (1926), Bericht über den Zweiten internationalen Kongreß für Individualpsychologie. S. 340 – 344. 450 Bruder-Bezzel, A. (1999). Geschichte der Individualpsychologie. A.a.O., S. 147. Friebus-Gergely, D. (2002). Sophie Lazarsfeld oder »Wie die Frau den Mann erlebt«. A.a.O., S. 160. 451 Lazarsfeld, S. (1926). Mut zur Unvollkommenheit. A.a.O.
116
Pädagogische Konzepte
und Ehrlichkeit sei hier ebenfalls die Grundlage für eine offene und zugewandte Partnerschaft. Sie räumte ein, hier vor einer dauerhaft mühsamen Aufgabe zu stehen. Sie problematisierte dahingehend die Rolle der Frau in der Gesellschaft: […] heute soll nur von der kulturellen Situation gesprochen werden, deren Schäden zu allermeist die Frau treffen, die ja bisher in unserer manngerichteten Kultur weitaus der belastetste Teil auf diesem Gebiete gewesen ist. Seit Jahrtausenden hat man ihr vorgesagt, zu dem und jenem wäre sie nicht befähigt, das und jenes schicke sich nicht für sie, diesem wäre sie nicht gewachsen, oder es fehle dafür die Begabung, und wozu auch, dazu wären ja die viel besser veranlagten Männer da, und die würden alles schon recht und schön machen. Mit diesem Knebel hat man alle Kräfte, die sich regen wollten, erstickt, und so hat es der Mann ausgezeichnet verstanden, auf Grund seiner wirtschaftlichen Überlegenheit, die Frau in die Form zu zwingen, die ihm erotisch am genehmsten war. Er hat es verstanden, ihr Leben, ihre Tätigkeit, nicht angemessen ihren Fähigkeiten, sondern angemessen seinen Wünschen einzurichten, er hat alles unterdrückt, was diesem Ziele entgegensteht, die Frau wurde so beladen mit dem Gefühl ihrer Inferiorität, daß es Wundernehmen muß, den Pendelausschlag nach der anderen Seite nicht noch weit mehr ausschwingen zu sehen als es ohnehin der Fall ist.452
Hier trat Sofie Lazarsfeld durchaus kämpferisch auf. Mit Beispielen aus der Beratungspraxis belegte sie ihr Engagement, Frauen in diesem Gefühl der Unterdrückung entlasten zu müssen. Sie schilderte eine Frau, die eine Art Vollkommenheit in Bezug auf Folgsamkeit dem Mann gegenüber versuchte zu erreichen. Das führte auf Dauer zu körperlicher und seelischer Erkrankung. In der Beratung konnte die Frau Ermutigung zu geistiger und kultureller Erweiterung erfahren. Sie konnte dieses schwierige Rollenverständnis aufdecken und neu verstehen, wodurch sich die Symptome verringerten. Auch das Perfektionsstreben konnte gemildert werden. In einem weiteren Fallbeispiel beschreibt Sofie Lazarsfeld eine Frau, die den Eltern selbstentschieden in Bezug auf Heiratsvorschläge entgegentrat. Die Frau heiratete einen Mann gegen den Willen ihrer Eltern. Es stellte sich heraus, dass eine erotische Fehlpassung existierte, die zu Nebenbeziehungen des Mannes führten. Trotz der selbständigen Entscheidung zur Heirat, trug die Frau weiterhin die Wertvorstellung der elterlichen Erziehung in sich, die Vorgaben – eine folgsame und dem Mann stets beistehende Ehefrau zu sein – erfüllen zu müssen. Daraus resultierte ein scheinheiliges Eheleben für die Außenwelt und eine Kunst der Vertuschung. Die Ehefrau verharrte in ihrer Rolle, bis sich letztlich wie in dem vorigen Fall körperliche und psychische Schwierigkeiten einstellten. Auch in diesem Fall konnte ein aufdeckendes Gespräch diesen innerpsychischen Dynamiken abhelfen und ein Verstehensprozess eingeleitet werden. Beide Beispiele zeigten ein Festhalten an einem damals feststehenden her452 Lazarsfeld, S. (1926). Mut zur Unvollkommenheit. A.a.O., S. 379.
117
Fazit
kömmlichen Rollenverhalten sowohl für Frauen als auch für Männer, die Sofie Lazarsfeld unmittelbar mit den autoritären Erziehungsstrukturen in Verbindung brachte. Wenn die Geschlechter nicht die Gelegenheit bekämen, einen freieren, gleichberechtigten Umgang von Anfang an miteinander zu lernen, dann sei es in weiterführenden Beziehungen in Ehe und Familie schwierig, anders zu leben und neue Ansprüche geltend zu machen. Sofie Lazarsfeld trat dafür ein, diese Gefühle der Unvollkommenheit oder auch Minderwertigkeit bei sich selbst zu akzeptieren. Damit schloss sie beide Geschlechter – und zusätzlich auch die Generationen – ein. Sie verwies aber gleichzeitig darauf, dass es mit diesen Erkenntnissen nicht zum Entwicklungsstillstand kommen dürfe. Als hilfreich gelte die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Hier erfahre das Individuum immer wieder Ermutigung zur Weiterentwicklung. Nur mit den Mitgliedern einer Gemeinschaft lasse sich konsequent Toleranz und Solidarität üben.
3.4
Fazit
Sofie Lazarsfeld arbeitete, ähnlich wie andere Individualpsychologen in ihren Publikationen, mit Beispielen von Beratungsfällen, um gerade auch die Erziehungsberatung zu veranschaulichen. Sie verstand es, entlang von Fallgeschichten, der individualpsychologischen Theorie eine praktische Relevanz zu geben. Mit Fallvignetten versuchte sie vorsichtige Deutungen zu geben, die sie in der Folge mit Veränderungsvorschlägen verknüpfte. Sofie Lazarsfeld sah die Familie als Ursprung von Beziehungen an. Sie arbeitete den Begriff »psychischer Kredit« heraus, der dem Kind Rückhalt für Entwicklungsschritte gibt. In der späteren Bindungsforschung sind ähnliche Analysen wiederzufinden. John Bowlby (1907 – 1990) hat die emotionale Bindung als Grundlage für ein Gleichgewicht des Säuglings zwischen dem Bedürfnis nach Sicherheit und dem Drang nach Exploration beschrieben. Die Erfahrungen mit diesen frühen Bezugspersonen – in der Regel die Eltern – werden als internes Arbeitsmodell bezeichnet, das als Repräsentation im Gedächtnis gespeichert wird.453 Das Arbeitsmodell wird in der weiteren Entwicklung wiederholt und auf neue Bezugspersonen angewendet. Es können daraus sichere Bindungen mit einem positiven Selbstkonzept oder auch unsichere Bindungen – bei nicht adäquater Zuwendung – mit negativem Selbstkonzept werden.454
453 Bowlby, J. (2010). Frühe Bindung und kindliche Entwicklung. München: Reinhardt. 454 Vgl. Petermann, F., Niebank, K., & Scheithauer, H. (2004). Entwicklungswissenschaft Berlin Heidelberg: Springer.
118
Pädagogische Konzepte
Die Veränderung des Erziehungsstils war für Sofie Lazarsfeld eine Schlüsselposition, um eine selbstbewusste Sozialisation für Kinder zu erreichen. Mit diesem Selbstbewusstsein verband sie eine Bereitschaft, sich auch der Gemeinschaft zuwenden zu können. Zugehörigkeitsgefühle zur Gemeinschaft entwickeln Gemeinschaftsgefühle, die das Individuum zu einem solidarischen Mitmenschen macht, folgerte sie aus ihrem theoretischen und praktischen Wirken in der Erziehungsberatung. Deswegen sah sie es auch als notwendig an, diese Erkenntnisse im schulischen Leben zu implementieren und unterstützte tatkräftig die Konzeption der Versuchsschulen nach Spiel und Birnbaum. Mit diesen Konzepten zeigte sie sich fortschrittlich und schuf wichtige Grundlagen, die auch in der heutigen Pädagogik noch wiederzufinden sind.
4.
Frauenfrage, Sexualität und Geschlechterrollen
Im Alter von bereits 50 Jahren verfasste Sofie Lazarsfeld das Werk Wie die Frau den Mann erlebt455. Durch die engagierte Tätigkeit in ihrer Beratungsstelle war sie mit vielen Frauen in Kontakt gekommen, die Eheprobleme oder Fragen zu ihrer Persönlichkeitsentwicklung schilderten. In der Diskussion mit anderen Individualpsychologen wurde die Frauenemanzipation ein großes Thema. Ihr Buch erregte einiges Aufsehen in Frauenkreisen, das letztlich auch dazu führte, dass Sofie Lazarsfeld vermehrt mit interessierten, gleichgesinnten Frauen über den Kreis der Individualpsychologen hinaus in Kontakt kam. In diesem Kapitel werden zunächst historische Entwickung zur Frauenfrage und Emanzipation berichtet. Als Grundlage für Sofie Lazarsfelds Arbeit in der Ehe- und Sexualberatungsstelle gilt die Individualpsychologie. Aus diesem Grund wird in einem weiteren Abschnitt die Theorie der Individualpsychologie für diesen Themenbereich aufgezeigt. Daran schließen sich einige wichtige Schriften Sofie Lazarsfelds an.
4.1
Historische Entwicklung der Frauenbewegung in Österreich
Individuelle Biographien und deren lebensgeschichtlichen Daten sind wichtige Grundlagen für die Frauenforschung. Die Biographien zeigen Aspekte auf, die zur Veränderung der traditionellen Frauenrolle beitrugen. Eine große Anzahl von Frauen, die als Frauenrechtlerinnen bekannt wurden, waren gut gebildet und im Durchschnitt bereits ältere Frauen, die aufgrund ihrer bisherigen Lebenserfahrung anfingen, sich für Frauenrechte einzusetzen. Nicht nur für sich persönlich forderten sie Veränderungen, sondern sie wollten auch für zukünf-
455 Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. Leipzig, Wien: Verlag für Sexualwissenschaft Schneider & Co.
120
Frauenfrage, Sexualität und Geschlechterrollen
tige Frauengenerationen neue Möglichkeiten schaffen.456 Im Laufe der historischen Wandlungen entstanden Institutionen, Publikationsorgane und Verbände, die wichtige Grundsteine für die Frauenbewegung legten. Aus gleichgesinnten Interessengemeinschaften ging im 19. Jahrhundert das Vereinswesen als wichtige Wegbereitung für Frauengruppen hervor.457 Zunächst war die Zusammenkunft in Vereinen nur Männern vorbehalten. Die dort entstandenen Bünde hatten das Anliegen, politische Sachverhalte außerhalb der Regierungsstrukturen durchzusetzen. Überwiegend Angehörige aus dem Bürgertum nutzten diese Möglichkeit der politischen Mitwirkung. Über die Entstehung von Wohltätigkeitsvereinen kam es zu Zusammenschlüssen von Frauengruppen. Frauen aus dem Hochadel initiierten die Vereine und traten aus der ihnen zugeschriebenen Privatheit hervor, indem sie nach den napoleonischen-österreichischen Kriegen458 Unterstützung z. B. für Kriegsopfer, Waisen, Findelkinder, Wöchnerinnen oder Verarmte des Militär- und Zivilstandes gewährten.459 Gleichzeitig entstanden allerdings auch sogenannte »patriotische Frauenvereine«, die der Unterstützung von Männern in Bezug auf Kriegseinsätzen dienten. In Folge der Revolution von 1848460 wurde am 28. August der Wiener demokratische Frauenverein gegründet.461 Die Frauen beteiligten sich nun auch an politischen Themen und versuchten, mit ihren Organisationen, Einfluss zu gewinnen. Frauen wie Fanny Lewald, Hedwig Dohm, Lina Morgenstern oder Henriette Goldschmidt wurden politisch aktiv.462 Sie wollten die demokratischen Prinzipien in weiblichen Kreisen verbreiten und strebten die Gleichberechtigung der Frau an. Schon diesen ersten Bemühungen schlug Widerstand und Aggression durch Männer entgegen. Versammlungen des Frauenvereins wurden gestört, frauenfeindliche Verleumdungen in Zeitungen publiziert. Die potenti456 Weiland, D. (1983). Geschichte der Frauenemanzipation in Deutschland und Österreich. Düsseldorf : Econ Taschenbuch Verlag GmbH. 457 Vgl. Malleier, E. (2003). Jüdische Frauen in Wien: 1816 – 1938 Wien: Mandelbaum-Verlag, S. 35 – 37. 458 von 1804 bis 1815 mehrere Kriegsauseinandersetzungen mit Frankreich, vgl. DTV-Atlas (2010). 459 Vgl. Malleier, E. (2003). Jüdische Frauen in Wien: 1816 – 1938 Wien. A.a.O. 460 Im Laufe der 40er Jahre des 19. Jahrhundert kam es zu Unruhen aufgrund von Mangelversorgung in der Bevölkerung. Besonders die Arbeiterschaft hatte unter den Missverhältnissen zu leiden. Verschiedene Volksgruppen forderten Rechte in Bezug auf eine Verfassung ein. Mehrere Aufstände von Teilstaaten gegen die österreichische Regierung sorgten für Spannungen. Am 13. März 1848 kam es zu revolutionären Unruhen in Wien, in dessen Folge Staatskanzler Metternich nach Großbritannien floh. Im Dezember 1848 dankte Kaiser Ferdinand I. zu Gunsten seines Neffen Kaiser Franz Josef I. ab. 1849 kam es zur Konstituierung einer Verfassung, die Parlament und Abgeordnete berücksichtigt. Vgl. Ackerl, I. (2008). Geschichte Österreichs in Daten – von 1806 bis heute. A.a.O., S. 25 – 29. 461 Malleier, E. (2003). Jüdische Frauen in Wien: 1816 – 1938. A.a.O., S. 39. 462 Vgl. Malleier, E. (2003). Jüdische Frauen in Wien: 1816 – 1938. A.a.O.
Historische Entwicklung der Frauenbewegung in Österreich
121
elle Zerstörung der Familie wurde angeprangert und ein Schreckensbild der politischen, selbständigen Frau kreiert.463 In der Folge wurde für Frauen ein Verbot an politischer Vereinsarbeit ausgesprochen. Die überwiegend bürgerlichen Frauen stellten nach der Revolution von 1848 dennoch kontinuierlich als politische Bewegung die sogenannte Frauenfrage.464 Drei wichtige Themen standen jahrzehntelang im Vordergrund und wurden kämpferisch angegangen. 1. Bildung – insbesondere auch höhere Bildung und Zulassungen zu Universitäten – sollten für Mädchen und Frauen bedingungslos sein. 2. Freier Zugang zum Erwerbsleben. 3. Frauenstimmrecht für die Teilnahme an politischen Entscheidungen (Wahlen).465 Die Forderungen waren angelehnt an die Proklamationen der französischen Revolution Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Die bürgerlichen, wie auch die proletarischen Frauen, argumentierten für die Umsetzung der vollen Menschenrechte für den weiblichen Teil der Gesellschaft.466 Obwohl bürgerliche und proletarische Frauenbewegung nicht immer konform gingen, so waren sie sich doch in zwei Kernfragen einig. Mit zunehmender Bildung forderten die Frauen eine Teilnahme am Erwerbsleben und damit einhergehend eine Umgestaltung der Familie.467 Die Frau konnte nicht mehr allein für Kinderbetreuung und Haushaltsführung verantwortlich sein. Clara Zetkin (1857 – 1933), als Vertretrein der proletarischen Frauenrechtlerinnen in Deutschland, stellte klare Unterschiede zwischen den bürgerlichen und proletarischen Frauen fest. Die bürgerlichen Frauen forderten die soziale Gleichstellung mit dem Mann, während die proletarischen Frauenverbände sich im Klassenkampf befanden und die Benachteiligung mit der Schichtzugehörigkeit in Verbindung brachten. Clara Zetkin wollte das nicht vermischen und trat fast ausschließlich für eine Politik der Arbeiterklasse ein.468 In Österreich – hauptsächlich in Wien – wurden die politischen Ideen in der 463 Malleier, E. (2003). Jüdische Frauen in Wien: 1816 – 1938. A.a.O., S. 41. 464 Ellmeier, A. (2006). Frauenpolitik. Zur Geschichte emanzipatorischer Politik und Praxis (in der ersten Welt). Am Beispiel Österreich. Geschlechtergeschichte-GleichstellungspolitikGender Mainstreaming – Informationen zur Politischen Bildung, 26, S. 5. 465 Ellmeier, A. (2006). Frauenpolitik. Zur Geschichte emanzipatorischer Politik und Praxis (in der ersten Welt). A.a.O. 466 Ellmeier, A. (2006). Frauenpolitik. Zur Geschichte emanzipatorischer Politik und Praxis (in der ersten Welt). A.a.O., S. 6. 467 Menschik, J. (1977). Feminismus. Geschichte, Theorie, Praxis. Köln: Pahl-Rugenstein Verlag; S. 67. 468 Weiland, D. (1983). Geschichte der Frauenemanzipation in Deutschland und Österreich. Düsseldorf : Econ Taschenbuch Verlag, S. 292.
122
Frauenfrage, Sexualität und Geschlechterrollen
Hauptsache von den sozialistisch ausgerichteten Gruppierungen der politischen Gesellschaft getragen. In der sozialdemokratischen Partei Österreichs fanden sowohl bürgerliche als auch proletarisch orientierte Frauen zusammen. Gegenüber rein bürgerlichen Frauenvereinigungen (z. B. christlich-soziale Zusammenschlüsse) orientierten sich die Frauen in der Sozialdemokratie an austromarxistischen Inhalten. Als theoretische Grundlage galten ihnen die Ausführungen August Bebels in seinem Werk Die Frau und der Sozialismus.469 Bebel sah die Frauenfrage als Teil der allgemeinen sozialen Frage. Von unserem Standpunkt fällt diese Frage zusammen mit der Frage, welche Gestalt und Organisation die menschliche Gesellschaft sich geben muß, damit an Stelle von Unterdrückung, Ausbeutung, Not und Elend die physische und soziale Gesundheit der Individuen und der Gesellschaft tritt. Die Frauenfrage ist also für uns nur eine Seite der allgemeinen sozialen Frage, die gegenwärtig alle denkenden Köpfe erfüllt und alle Geister in Bewegung setzt, sie kann daher ihre endgültige Lösung nur finden durch die Aufhebung der gesellschaftlichen Gegensätze und Beseitigung der aus diesen hervorgehenden Übel.470
Er erläuterte, dass sich mit der Forderung nach Gleichberechtigung für die Frau, die Machtfrage für die Männer stelle. Die Emanzipation bedeutete Machtverlust und stellte die bisherigen patriarchalischen Verhältnisse in Frage. Die Unterdrückung der Frau war durch die ökonomische Abhängigkeit bedingt, so dass weibliche Erwerbstätigkeit als Mittel dagegen angesehen wurde. Auch floss der Aspekt der Sexualität in Bebels Ausführungen mit ein, indem er die repressive Sexualmoral der damaligen Zeit anprangerte (Keuschheit, Verfügung für den Mann). Er forderte die Frauen dazu auf, für ihre Rechte zu kämpfen.471 Als eine der ersten führenden Frauen in der österreichischen Frauenbewegung galt Auguste Fickert (1855 – 1910). Sie schloss sich allerdings nicht der sozialdemokratischen Bewegung an. Die ausgebildete Volksschullehrerin nahm nach der Lektüre von August Bebels Schrift zur Frauenfrage persönlich mit ihm Kontakt auf und erhoffte sich Ratschläge für die Öffentlichkeitsarbeit in Bezug auf das Anliegen der Frauen. Bebel riet ihr in einem Brief, zunächst mit einer kleinen Vereinigung – am besten über Frauen-Bildungsvereine – zu beginnen.472 1893 gründete Auguste Fickert den Allgemeinen österreichischen Frauenverein. Therese Schlesinger (1863 – 1940)473 wurde eine ihrer engsten Mitarbeiterinnen 469 Dieses Werk wurde zunächst 1878 unter dem Titel Die Frau in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft veröffentlicht. Vgl. Glaser, E. (1981), S. 158. 470 Bebel, A. (1959). Die Frau und der Sozialismus. Bonn: Verlag J.H.W. Dietz Nachf., S. 35. 471 Vgl. Bebel, A. (1959). Die Frau und der Sozialismus. A.a.O. 472 Glaser, E. (1981). Im Umfeld des Austromarxismus, A.a.O., S. 159. Auch für Sofie Laszarsfeld war August Bebels Schrift eine Grundlage für ihr Werk Wie die Frau den Mann erlebt. (Anm. der V.). 473 Therese Schlesinger war durch den frühen Tod ihres Ehemanns alleinerziehende Mutter mit
Historische Entwicklung der Frauenbewegung in Österreich
123
und versuchte, Auguste Fickert davon zu überzeugen, sich mit ihrem Verein der Sozialdemokratie – also in parteipolitischer Ausrichtung – anzuschließen. Auguste Fickert blieb aber unabhängig.474 Es kam zum Bruch der beiden Frauen. Es gab also nicht »die Frauenbewegung«, sondern, je nach Sympathie und politischer Ausrichtung, Zusammenschlüsse von Frauenvereinigungen. Therese Schlesinger wurde nach dem Ersten Weltkrieg eine der ersten Frauen im österreichischen Parlament.475 Sie arbeitete eng mit Friedrich Adler zusammen, sodass davon auszugehen ist, dass auch Sofie Lazarsfeld mit ihr Kontakt hatte. Therese Schlesinger war für die Ausformulierungen zur Frauenfrage im Linzer Parteiprogramm verantwortlich.476 Die Sozialdemokratie bekämpft die Vorurteile, die sich der Gleichberechtigung der Frauen entgegenstellen. Sie fordert auch für die Frauen volle Möglichkeiten der Entfaltung der Persönlichkeit. Sie fordert höhere Würdigung der gesellschaftlichen Funktion der Frau als Mutter und als Hausfrau und Schutz gegen Überbürdung der Frauen durch die doppelte Arbeit im Erwerb und im Haushalt. Daher fordert die Sozialdemokratie: Aufhebung aller Gesetze, durch die die Frauen rechtlich benachteiligt werden. Gleichberechtigung der Frauen im öffentlichen Dienst. Gemeinsame Erziehung beider Geschlechter durch beide Geschlechter im Erziehungswesen. Verbot der Frauenarbeit in allen dem weiblichen Organismus besonders schädlichen Berufen; freier Zutritt der Frauen zu allen andern Berufen und zu allen Verwendungen innerhalb der Berufe; gleiche Möglichkeit der beruflichen Ausbildung, gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Erleichterung der Haushaltsarbeit durch zweckdienliche Einrichtungen im Rahmen des gemeinnützigen Wohnungsbaues, Erleichterung der Arbeitslast der Mütter durch Einrichtung öffentlicher Tagesheimstätten für schulpflichtige und Krippenkinder. Rechtliche Gleichstellung der unehelichen Kinder mit den ehelichen.477
1899 schlossen sich mehrere Frauenverbände, trotz aller Brüche, zum Bund Österreichischer Frauenvereine zusammen. Um die Jahrhundertwende konnte erreicht werden, dass Frauen an den Universitäten zugelassen wurden. 1904 fand länderübergreifend ein Kongress des Internationalen Frauenbundes in Berlin statt, der in den nächsten Jahren regelmäßig an anderen Orten tagte, und zur weiteren Formierung der Frauenbewegung weltweit beitrug. Die Frauen forderten gemeinsam das Stimmrecht. 1904 und 1905 wurde in Schweden und Norwegen teilweise das Wahlrecht für Frauen eingeführt. In Österreich wurde, nach Ausrufung der Republik im Dezember 1918, den Frauen der Zugang zu
474 475 476 477
einer Tochter. Politisches Interesse gewann sie durch ihren Bruder Gustav Eckstein, der auch als Austromarxist bekannt war. Vgl. Glaser, E. (1981). Im Umfeld des Austromarxismus, A.a.O., S. 160. Glaser, E. (1981). Im Umfeld des Austromarxismus, A.a.O., S. 163. Glaser, E. (1981). Im Umfeld des Austromarxismus, A.a.O., S. 164 – 165. Glaser, E. (1981). Im Umfeld des Austromarxismus, A.a.O. Bauer, M., Adler, M., Renner, K., Kunfi, S., Fogarasi, B., & Lengyel, J. (1926). Programm der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschösterreichs im Austro-marxismus, Texte zu Ideologie und Klassenkampf. Wien: Europa Verlag, S. 391.
124
Frauenfrage, Sexualität und Geschlechterrollen
Wahlen erlaubt. Das Wahlalter wurde auf 20 Jahre festgelegt. Nach der Jahrhundertwende setzten sich Frauenverbände, da sie nun mit z. B. studierten Ärztinnen an Einflussmöglichkeiten gewannen, für Mutterschutz und Sexualreform ein. Aus diesen Bewegungen gingen erste Beratungsstellen für Sexualfragen, wie z. B. Verhütung, Bemühung zur Revidierung des §144 zur Abtreibungsgesetzgebung, hervor.478 1933 stagnierten diese Bestrebungen. Alle Frauenverbände in Deutschland wurden aufgelöst, wenn sie sich nicht der NSFrauenschaft anschließen wollten. In Österreich mussten sich die Frauenverbände 1934 nach dem Anschluss mit dieser Situation auseinandersetzen.479 Parallel zu den ersten Frauenverbänden im Rahmen von Vereinsgründungen gab es seit dem 18. Jahrhundert die sogenannten Salons. Damit schufen sich Frauen Foren, in denen Austausch auch politischer Natur möglich war, aber gesellschaftliche und kulturelle Themen im Vordergrund standen. Anders als in den Frauenvereinen waren in den Salons Männer zugelassen. Zu den bekanntesten Salons gehörten die Zusammenkünfte bei Berta Zuckerkandl (1864 – 1945)480 oder auch bei Eugenie Schwarzwald (1872 – 1940)481. Eugenie Schwarzwald zeichnete sich durch etliche Gründungen von Kinderferienheimen aus. Auch pflegte sie regen Kontakt zu Maria Montessori. Da Paul Lazarsfeld in ihrem Haus verkehrte, kann davon ausgegangen werden, dass auch Sofie und Robert Lazarsfeld gelegentlich zu den geladenen Gästen im Hause Schwarzwald gehörten.482 Ähnliche Salonveranstaltungen gab es in der Wohnung Sofie Lazars-
478 In Deutschland engagierte sich Helene Stöcker in Berlin für diese Fragen. Sie konnte für den Bund für Mutterschutz und Sexualreform führende Sexualwissenschaftler gewinnen und landesweit Ortsgruppen installieren. Der Bund wendete sich nicht gegen die Ehe, billigte den Frauen aber eine eigene Sexualität zu. Sie forderten Erleichterungen für Ehescheidungen. Vgl. Weiland, D. (1983). Geschichte der Frauenemanzipation in Deutschland und Österreich. Düsseldorf: Econ Taschenbuch Verlag, S. 59 – 60. 479 Vgl. Weiland, D. (1983). Geschichte der Frauenemanzipation in Deutschland und Österreich. Düsseldorf : Econ Taschenbuch Verlag, S. 312 – 316. 480 Berta Zuckerkandl wurde durch die Förderung ihres Vaters Journalistin und publizierte in der Wiener Allgemeinen Zeitung über Theater und Kunst. Sie kam mit vielen Kulturschaffenden, u. a. Gustav Klimt, Max Reinhardt, Johann Strauß in Kontakt und lud sie in ihr Haus ein, vgl. Dick, J. (1993). Zuckerkandl, Berta. In J. Dick & M. Sassenberg (Hg.), Jüdische Frauen im 19. und 20. Jahrhundert. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, S. 410 – 412. 481 Eugenie Schwarzwald galt als eine Pionierin der Mädchenbildung und hatte selbst nach einem Abschluss der höheren Schule und Ausbildung an einer Lehrerinnenbildungsanstalt ein Studium in Zürich in den Fächern Anglistik, Philosophie und Pädagogik abgeschlossen. Nach dem Universitätsabschluss lebte sie in Wien und leitete ein Mädchenlyzeum, vgl.http://www.univie.ac.at/biografiA/daten/text/bio/schwarzw.htm (18. 03. 2013). 482 Paul Lazarsfeld, Hans Zeisel und Marie Jahoda, organisierten in den Ferienlagern sozialistische Theatergruppen, vgl. Doll, J. (1997). Theater im Roten Wien: vom sozialdemokratischen Agitprop zum dialektischen Theater Jura Soyfers. Wien: Böhler Verlag, S. 86.
Die Individualpsychologie zu Sexualität und Frauenrolle
125
felds, die durch die vielen sozialdemokratischen Freunde eher politisch gekennzeichnet waren. Parallel zu den Frauenvereinen und den Salons begannen Frauen sich publizistisch oder schriftstellerisch zu äußern. Frauen schrieben Romane und Erzählungen über weibliche Hauptpersonen. Diese Entwicklung war nicht als Bewegung anzusehen, sondern individuell motiviert. Mit dem literarischen Feminismus wurden Themen wie Ehekritik, Abhängigkeit der Frau und Kritik an politischen Verhältnissen, über Romanfiguren zum Ausdruck gebracht.483 Sofie Lazarsfeld eroberte ebenfalls die beschriebenen drei Kategorien – politische Motivation, kultureller Austausch im Salon und Publizistik – als sie sich auf den Weg machte, eine andere Rolle, als die der Hausfrau und Repräsentantin der Familie, einzunehmen. Mit der Parteizugehörigkeit zu den Sozialdemokraten war sie bald nach ihrem Eintritt mit Themen der Frauenemanzipation beschäftigt. Gemeinsam mit anderen Frauen, wie Helene Bauer oder Margarethe Hilferding, wurde auch sie zu einer publizierenden Frau. Nach ersten Veröffentlichungen im Kreise der Individualpsychologen publizierte sie auch Kolumnen zu Erziehungs- und Partnerschaftsthematiken in Tages- oder Wochenzeitungen.
4.2
Die Individualpsychologie zu Sexualität und Frauenrolle
Mit seiner Einschätzung zur Sexualität unterschied sich Alfred Adler von Sigmund Freud. Sigmund Freud legte mit der Libidotheorie zu Grunde, dass die sexuelle Begierde die Ursache psychischen Handelns sei. Der Mensch sei in seinem Leben davon abhängig und Ausgestaltungen seiner Lebensbereiche basieren auf damit zusammenhängenden, unbewussten Handlungsanweisungen. Nach Diskussionen über diese Thematik in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung entfernten Adler und Freud sich in der Ausformulierung ihrer Theorien immer weiter von einander bis es zur offenen Konfrontation kam. Freud unterstellte Adler eine Ichpsychologie zu betreiben und nicht der Libidotheorie zu folgen. Alfred Adler ordnete Sexualität in den Gesamtzusammenhang der Geschlechterdiskussion und der sogenannten Frauenfrage ein.484 Aufgrund dieses Diskurses kam es schließlich zum Bruch. In der Tat sah Adler, anders als Freud, in den Trieben nicht die Ursache im psychischen und tat483 Dazu gehörten u. a. Fanny Lewald oder auch Berta von Suttner, vgl. Bock, G. (2000). Frauen in der europäischen Geschichte. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. München: C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, S.153. 484 Vgl. Bruder-Bezzel, A. (1999). Geschichte der Individualpsychologie. A.a.O., S. 32 – 36.
126
Frauenfrage, Sexualität und Geschlechterrollen
sächlichen Handeln.485 Für ihn war der Sexualtrieb eingeordnet in eine Dynamik des psychischen Lebens. Insgesamt stellte Adler die Sexualität in den Kontext von Liebe, Ehe und Familie.486 Adler sah in der Sexualität ein Ringen um Macht und betitelte die entsprechend daraus resultierenden Verhaltensweisen als männlichen Protest.487 In diesem Prozess nahm er die Verankerung des Minderwertigkeitgefühls als Grundlage an und analysierte dies als eine Grundbedingung für die Entstehung von Neurosen.488 Adler sah Frauen in eine Protesthaltung gezwungen, die aufgrund der patriarchalischen Struktur entstand. Das führte zur Ablehnung alles vermeintlich »Männlichen«. Auf der anderen Seite beobachtete er aber gleichzeitig Frauen, die diese männlichen Attribute übernahmen und versuchten »ihren Mann zu stehen«, um damit ihr Minderwertigkeitsgefühl zu kompensieren. In den zwanziger Jahren beschäftigten sich die Anhänger der Individualpsychologie ausführlich mit diesem Themenkreis.489 Hauptthemen der damaligen Reformbewegung, wie Sexualaufklärung, sexuelle Emanzipation und neue Sichtweisen zu Ehe, Familie und Kindererziehung, wurden diskutiert. Insbesondere wurden die Positionen von Mann und Frau zueinander, die Rolle der Mutter, Ehe und Partnerschaft untersucht und unter neuen Gesichtspunkten referiert. Die Thematik der Sexualität war verbunden mit frauenemanzipatorischen Interessen. Die Frauen forderten vermehrt Selbstbestimmung über ihren Körper, stellten selbstbewusster Fragen nach der eigenen Befriedigung in der Sexualität, nach Verhütung und auch zum Thema Schwangerschaftsabbruch. Insgesamt wurde die Sexualität im Rahmen des Gesamtseelischen betrachtet: »Das bedeutet, dass sexuelle Reaktionen niemals etwas Selbständiges und Eigengesetzliches darstellen: In ihnen handelt und reagiert das Subjekt als Ganzes, der Mensch mit seinen Gefühlen, Charakterzüge, Gewohnheiten, Wertorientierungen, mit Wesensstruktur und Weltanschauung.«490 Die Summe dieser Komponenten wurde bei Adler mit dem Begriff Lebensstil zusammengefasst. Entgegen einem sich verändernden Zeitgeist, war die Ehe für die Individual485 Vgl. Adler, A. (2007). Persönlichkeit und neurotische Entwicklung. Alfred Adler Studienausgabe Band 1. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 161. 486 Bruder-Bezzel, A. (1999). Geschichte der Individualpsychologie. A.a.O., S. 130. 487 Adler, A. (2007). Persönlichkeit und neurotische Entwicklung. A.a.O. 488 Adler, A. (2007). Persönlichkeit und neurotische Entwicklung. A.a.O., S. 176. 489 Die 6. Ausgabe der IZI (Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie) von 1925 trug die Überschrift Psychologie der Frau. Verschiedene Autorinnen wie Alice Friedmann, Valentine Adler, Ada Beil, Margarete Minor diskutierten Aspekte der Frauenthematiken wie auch Adlers Begriff des männlichen Protests, Frauenbewegung und Mütterlichkeit. Die Stellung der Frau wurde unter verschiedenen Gesichtspunkten eingeordnet. 490 Rattner, J. (1986). Alfred Adler zu Ehren – Zu seinem 50. Todesjahr (1937). Berlin: Verlag für Tiefenpsychologie, S. 192.
Die Individualpsychologie zu Sexualität und Frauenrolle
127
psychologen traditionsgemäß eine der Lebensaufgaben. Für Alfred Adler war die Ehe durch die Zusammenarbeit der Partner, die Gleichberechtigung und durch das Familienleben ein Ausdruck des Gemeinschaftsgefühls. Über die üblichen Probleme sozialer Anpassung hinaus verlangen Liebe und Ehe von beiden Partnern außergewöhnliche Sympathie, eine außergewöhnliche Fähigkeit, sich in den anderen Menschen hineinzuversetzen. Wenn heutzutage nur wenige Menschen richtig auf das Familienleben vorbereitet sind, so hat dies seinen Grund darin, dass sie niemals gelernt haben, mit den Augen des anderen zu sehen, mit seinen Ohren zu hören und mit dem Herz des anderen zu fühlen.491
Alfred Adler sprach sich bei Missstimmungen in der Ehe gegen allzu schnelle Scheidungsabsichten aus. Die Individualpsychologie sah, bei scheinbar unüberbrückbaren Streitigkeiten, die Hilfe der Beratung als nützlich an. Beratungsdienste könnten mit Hilfe einer weiteren Person – der Berater, die Beraterin – einem Paar dazu verhelfen, die Ereignisse in einem anderen Licht zu sehen. Scheidung zu empfehlen war eher unüblich, in den Beratungen wurde an dem Lebensstil beider Ehepartner gearbeitet. Die Berater sahen bei Trennung die Gefahr, in einer neuen Partnerschaft auf ähnliche Problematiken zu treffen.492 Eine Ehe zu führen, wurde als durchaus schwierige Aufgabe gewertet, da die Beteiligten relativ ungeübt beschließen, eine Zweisamkeit zu leben. Alfred Adler blieb immer ein Vertreter der Monogamie und sah die Ehe als eine Grundvoraussetzung für Partnerschaft an. Auch der Aspekt der Familiengründung war wichtig für ihn. Aus der Partnerschaft sollten Kinder hervorgehen. Die Haupterziehungsaufgaben sah Alfred Adler, trotz seiner Einstellung zur Gleichberechtigung, bei der Mutter. Auch zur Abtreibungsproblematik hatte er eine Einstellung. Er war der Meinung, dass eine Frau davon überzeugt sein müsse, ein Kind zu wollen, um eine fürsorgliche Mutter zu werden.493 Die Rolle der Frau sah er, trotz seiner als traditionell anmutenden Einstellung zur Ehe und Mutterschaft, als emanzipationsbedürftig an. Er argumentierte, ähnlich wie August Bebel,494 dass Frauen im Patriarchat – das er in der damaligen Zeit als vorhanden ansah – unterdrückt wurden. Dies war für ihn der zentrale Punkt für die Minderwertigkeitsgefühle der Frau. In seinem Werk Menschen491 Adler, A. (2005a). Lebenskenntnis. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, S. 129. 492 Adler, A. (2005b), Menschenkenntnis. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, S. 136. 493 Bruder-Bezzel, A. (1999). Geschichte der Individualpsychologie. A.a.O., S. 135. 494 In seinem Werk Menschenkenntnis Kapitel 7, Das Verhältnis der Geschlechter, verwies Alfred Adler ausdrücklich auf August Bebel, Die Frau und der Sozialismus, vgl. Adler, A. (2005b), S. 117.
128
Frauenfrage, Sexualität und Geschlechterrollen
kenntnis495 ging er ausführlich auf die Rolle der Geschlechter ein. Aus biologischer Sicht sah er die Menschen auf eine Zweigeschlechtlichkeit festgelegt. Aus der unterschiedlichen Körperbeschaffenheit, leitete er für das praktische Leben deshalb eine geschlechtsbedingte Arbeitsteilung ab.496 Alfred Adler verlangte zwar ein unvoreingenommenes Maß für die Teilung, sah aber bestimmte Arbeiten die ausschließlich von Frau oder Mann erledigt werden konnten: Sie schließt von vornherein einen Teil, die Frau, zufolge ihrer Körperbeschaffenheit von bestimmten Leistungen aus, während es anderseits gewisse Arbeiten gibt, die man Männern nicht zu weist, weil sie ihnen ihrer besseren Verwendbarkeit wegen nicht eigentlich gelegen sind.497
Beispiele zu dieser These fehlen. Von der Frauenbewegung verlangte Alfred Adler diese Aspekte anzuerkennen und den »Bogen nicht zu überspannen«.498 Dennoch wurde er ein Fürsprecher der Gleichberechtigung. Er schrieb dem Mann eine ungünstige Vormachtstellung zu. Bereits dem Knaben bringe man durch die Erziehung Privilegien von Männlichkeit bei. Daraus resultiere ein männliches Machstreben und eine nicht zu rechtfertigende Machtposition. Auf der anderen Seite sah Alfred Adler aber in den vermeintlichen schwächeren Attitüden der Frau – Eigenschaften wie Gehorsam und Unterwerfung – Mittel ihrerseits Macht auszuüben und somit den Mann auch in eine bestimmte Rolle zu drängen. Zusätzlich sei aus der Sicht der Frau die männliche Position auch eine Verlockung, die sie selber erreichen möchte, um dem Minderwertigkeitsgefühl zu entfliehen. Das führe seiner Ansicht nach zu einem männlichen Verhalten von Mädchen und Frauen. Hier stellte er Beispiele wie »auf Bäume klettern« und »weibliche Arbeiten ablehnen« zur Verfügung. Grundlage für dieses zu Problemen führende Verhalten sei die »Bevorzugung der Männlichkeit« – nämlich der männliche Protest.499 Der Übervorteilung der männlichen Position stehe das Vorurteil der Minderwertigkeit der Frau gegenüber. Zu Unrecht werde die Frau unterschätzt. Adler kam zu einer anderen Feststellung: Betrachtet man die Situation der Mädchen genauer, so stellt sich heraus, dass die Geschichte von der geringeren Fähigkeit eine Fabel ist, eine Lüge, die wie eine Wahrheit aussieht.500
Für den Gegenbeweis stützte er sich auf Zahlen einer damaligen Erhebung zur Begabtenprüfung, die für Mädchen im Alter zwischen 16 und 18 Jahren deutlich 495 496 497 498 499 500
Adler, A. (2005b). Menschenkenntnis. A.a.O. Adler, A. (2005b). Menschenkenntnis. A.a.O., S. 115. Adler, A. (2005b), Menschenkenntnis. A.a.O., S. 115. Adler, A. (2005b). Menschenkenntnis. A.a.O. Adler, A. (2005b). Menschenkenntnis. A.a.O., S. 120 – 121. Adler, A. (2005b). Menschenkenntnis. A.a.O., S. 119.
Die Individualpsychologie zu Sexualität und Frauenrolle
129
bessere Ergebnisse ergab als für Jungen. Weitere Untersuchungen belegten, dass die Entwicklung dieser Mädchen durch eine Berufstätigkeit der Mütter gefördert wurde. Das bedeutet, dass diese Mädchen zu Hause in einer Situation waren, wo sie das Vorurteil von der geringen Leistungsfähigkeit der Frau nicht oder nur in geringerem Grade zu spüren bekamen, weil sie insbesondere selbst sahen, wie sich die Mutter durch ihre Tüchtigkeit fortbrachte. Sie konnten sich demnach viel freier und selbständiger entwickeln, fast unbeeinflußt von allen Hemmungen, die mit diesem Vorurteil verknüpft sind.501
Eine Akzeptanz der Frau im Arbeitsleben sah Alfred Adler aber noch lange nicht verwirklicht. Um solch eine Veränderung gesellschaftlich durchsetzen zu können, müssten alte Denkmuster verlassen werden. Weiblichkeit sei fälschlicherweise ein Synonym für Minderwertigkeit. Diese Erkenntnis manifestiere sich psychisch. Die Unzufriedenheit mit der Frauenrolle führe zu einer unangemessenen Flucht aus dieser Stigmatisierung. Die seelische Entwicklung von Mädchen sei davon gekennzeichnet, diesem Vorurteil zu widersprechen und damit ihre Weiblichkeit abzulehnen.502 Für diese Art von Frauen erarbeitete Adler eine Typologie, in der er die Frauen in drei Kategorien einteilte: Die Mädchen der ersten Kategorie entwickelten sich nahezu männlich. Sie seien ehrgeizig, energisch und versuchten, z. B. ältere Brüder zu übertreffen. Gekennzeichnet sei diese Haltung in manchen Fällen durch übermäßiges Sporttreiben, Ablehnung gegenüber der Ehe und Verweigerung von Arbeiten im Haushalt. Der Typus der zweiten Kategorie ist nach Adler von Resignation geprägt. Diese Frauen zeichnen sich durch Ungeschicklichkeit und Borniertheit aus. Es sei bei ihnen ein Übermaß an nervösen Symptomen festzustellen, sie seien krank im Sinne Adlers. In einer dritten Kategorie beschreibt Adler Frauen, die die Frauenrolle nicht explizit ablehnen, aber ein quälendes Bewusstsein der eigenen Minderwertigkeit pflegen. Diese Frauen befürworten sogar die privilegierte Stellung des Mannes. Gefühle der Schwäche werden ausdrücklich zur Schau getragen.503 Alle drei Typen seien durch ungünstige Erziehungsstile bedingt, die eine Ungleichbehandlung der Geschlechter pflegten. Diese zugrunde liegenden Verhaltensweisen seien verantwortlich für die Stagnation in der Entwicklung von Mädchen und Frauen. Letztlich postulierte auch Alfred Adler eine Veränderung der gesellschaftlichen Bedingungen, um die bis zu diesem Zeitpunkt geltende kulturelle Minderwertigkeit der Frau zu wandeln. Könne dies nicht 501 Adler, A. (2005b). Menschenkenntnis. A.a.O., S. 124. 502 Adler, A. (2005b). Menschenkenntnis. A.a.O., S. 126. 503 Adler, A. (2005b). Menschenkenntnis. A.a.O., S. 126 – 128.
130
Frauenfrage, Sexualität und Geschlechterrollen
überwunden werden, würden daraus dauerhafte Spannungen zwischen den Geschlechtern daraus erwachsen.504 In den dreißiger Jahren beschreibt Alfred Adler Frauen eher wieder als Ehefrau, Mutter und Haushälterin. Nach Bruder-Bezzel war das fast mit einer Ermahnung verbunden, diese Rolle nicht für zweitrangig anzusehen und daraus eine »schöpferische Tätigkeit« zu machen oder auch die Haushaltsführung als Kunst zu betrachten. Berufstätigkeit wurde kaum noch thematisiert.505
4.3
Individualpsychologinnen zum Geschlechterrollenverständnis
Weibliche Mitglieder der Individualpsychologie griffen für ihre Veröffentlichungen zur Frauenfrage den Aspekt des männlichen Protests auf und folgten Alfred Adler teilweise mit ihren Argumentationen. Es gab aber auch abweichende Beiträge, in denen die Autorinnen Forderungen gegenüber Männern formulierten. Hedwig Schulhof fand mit ihrer Schrift Individualpsychologie und Frauenfrage schon 1914 teilweise direktere und deutlichere Kritik an der Herrschaftsvormacht des Mannes und der vermeintlichen Unterordnung der Frau. Der Anteil des Mannes an dieser Ungleichverteilung wird von ihr hervorgehoben: Mit seiner Idealsetzung, mit der gelegentlichen Anbetung seines Traumes vom Weibe und mit der Hexenverfolgung hat sich der Mann vom Standpunkte der vergleichenden Individualpsychologie gesehen, gleicherweise Sicherungen gegen die Gleichberechtigung der Frau geschaffen. […] Die Frau existierte für den Mann nur als Geschlecht, als Mittel zum Zweck, jede unwillkommene Regung des weiblichen Individualismus, jede persönliche Verselbständigung musste Sünde sein, um von Rechts wegen bekämpft werden zu können.506
Sie schlussfolgert deshalb, dass Frauen mit eigenständigen Ansprüchen durch konventionelle Eheverbindungen ihr eigenes Unglück manifestieren. Sie forderte Selbständigkeit von Frauen, den Mut sich gegen vorherrschende Konventionen zu stellen und sich nicht männlichen Attitüden anzuschließen. Sie wünschte in der Individualpsychologie, diesen Irrtümern der Kultur nachzuspüren. Um die Frauenfrage einer Lösung näher zu bringen, erachtete sie die Frauenbewegung als unbedingt notwendig an. Nur durch politische Forderun504 Adler, A. (2005b). Menschenkenntnis. A.a.O., S. 135. 505 Bruder-Bezzel, A. (1999). Geschichte der Individualpsychologie. A.a.O., S. 147. 506 Schulhof, H. (1914). Individualpsychologie und Frauenfrage. Schriften des Vereins für Individualpsychologie, S. 20 – 21.
Individualpsychologinnen zum Geschlechterrollenverständnis
131
gen – sie erwähnt die Diskussionsforen der sozialdemokratischen Frauen – lasse sich die Gesellschaft neu ordnen. Im Gegensatz zu Adler stellte sie die Mutterschaft als Schwierigkeit heraus. Freie Frauen sollten sich frei für oder gegen Kinder entscheiden dürfen. Die Frauenfrage war und ist, zentral gefasst eine Mütterfrage. Diese Tatsache drängt uns zu resümieren: Wir sehen im Strom des Lebens die Frau durch ihre lebenswichtigste Leistung, durch die Mutterschaft, in Zeiten starker menschlicher Naturgebundenheit, in eine Abhängigkeit geraten, die sie jahrhundertelang zwingt, sich zu erniedrigen, weil sie sich nicht anders erhöhen kann, als indem sie die Demut ihre Tugend nennt,[…].507
Mutterschaft dürfe nicht an Abhängigkeit und Unterordnung geknüpft sein, sondern alle Kulturländer seien dazu aufgerufen, diese Leistung so zu bewerten, dass die damit verbundene wirtschaftliche Leistung der Frau angemessen beachtet wird. Abschließend rief Hedwig Schulhof die Frauen zu Zusammenschlüssen auf, gemeinsam an Veränderung zu arbeiten. Sie sah in der politischen Formulierung der Frauensolidarität – getragen durch die Frauenbewegung – eine Vermeidung des männlichen Protests.508 1925 veröffentlichten in überwiegender Anzahl weibliche Individualpsychologinnen weitere Artikel zu dieser Thematik in einer Ausgabe zur Frauenpsychologie in der Internationalen Zeitschrift für Individualpsychologie. Anhand von mehreren Fallbeispielen zeigte Alice Friedmann (1897-?)509 auf, dass mit despotischen Ehemännern und Vätern viele engagierte, intelligente Frauen durch die Eheschließung ihre Aktivitäten einbüßten und sich pathologisch unterordneten. Diese Konstellation habe tragische Folgen für Töchter. Die Töchter erlebten durch diese Vorbildfunktion der Eltern ein Szenario der Unentschiedenheit, wodurch sie wiederum geprägt werden. Charakterzüge von Vater und Mutter spiegeln sich in ihnen wieder. Das führe zu psychischen Ambivalenzen, die verhindern, zielorientierte Lebenswege einzuschlagen. Sogar massive psychische Störungen könnten sich manifestieren. 507 Schulhof, H. (1914). Individualpsychologie und Frauenfrage. A.a.O., S. 30. 508 Schulhof, H. (1914). Individualpsychologie und Frauenfrage. A.a.O., S. 31. 509 Alice Friedmann promovierte 1922 am philosophischen Institut der Universität Wien. Sie schloss sich der Individualpsychologie an. Sie leitete gemeinsam mit Arthur Holub die Arbeitsgemeinschaft für wissenschaftliche Materialsammlung und gehörte zu den Verantwortlichen für die individualpsychologische Ausbildung. In der Praxis war sie in einer Erziehungsberatungsstelle tätig. Mit Anderen veranstaltete sie im Sommer die individualpsychologischen Kinderferienlager. 1938 emigrierte sie nach Großbritannien, 1940 nach New York. Sie wurde klinische Psychologin und arbeitete u. a. im Diagnostic Center in Menlo Park in New Jersey. Im Alter wurde sie psychotisch und starb vermutlich in einer psychiatrischen Klinik. Vgl. Klara Kenner (2002). Alice Friedmann in Keintzel, B., & Korotin, I. (2002). Wissenschaftlerinnen in und aus Österreich. Wien, Köln, Weimar : Böhlau Verlag, S. 205 – 208.
132
Frauenfrage, Sexualität und Geschlechterrollen
In dem geistigen und seelischen Aufbau dieser Gestalt liegt von Kindheit an ein starker Antrieb, die Intelligenz zu entwickeln. Dagegen werden aus Mangel an Selbstvertrauen rohe, primitiv wirkende Züge ausgebildet, die in der Pubertät, der Epoche größerer körperlicher und seelischer Inanspruchnahme, überhandnehmen.510
Alfred Adlers Tochter Valentine verfasste einen Artikel über soziologische Grundlagen des männlichen Protests. Gemäß ihrer damals schon beginnenden kommunistischen Ausrichtung, unterschied sie zwischen bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung. Die große Rolle, die der männliche Protest im Seelenleben Gesunder wie Kranker spielt, führt uns dahin, seine Grundlagen in der gesellschaftlichen Struktur zu suchen. Die Entstehung und Entwicklung des männlichen Protests ist nämlich nur möglich in einer Gesellschaftsordnung, in der das männliche Geschlecht die Vormachtstellung innehat, die es heute in der Privateigentumsordnung besitzt.511
Laut Valentine Adler waren nicht nur tatsächliche Machtpositionen der Männer vorhanden, sondern das ganze psychologische Denken sei von einer entsprechenden Ideologie durchdrungen. Aus diesem Grunde sei es so schwierig, dieses Ungleichgewicht zu überwinden. Das ganze Denken beruhe auf der Idee, dass Mann und Frau von einer durch die Natur bedingten psychischen und geistigen Polarität gekennzeichnet seien. Daraus entstehe eine Revolte, die mit dem Begriff des männlichen Protests in der Individualpsychologie erfasst werde. Dies sah sie vermehrt in der bürgerlichen Frauenbewegung existent und schloss sich mit diesem Aspekt konsequent ihrem Vater an, der damit ungünstige Kompensationsanstrengungen verband. Für die proletarische Frauenbewegung sah sie das anders. Hier sei der Kampf zunächst gegen die Minderwertigkeit in der Gesamtgesellschaft geführt worden. Es sei ein Klassenbewusstsein entstanden, wobei die Gleichheit von Mann und Frau eine Selbstverständlichkeit wurden.512 Denn der proletarische Befreiungskampf bedarf der Solidarität von Mann und Frau, und diese Solidarität vernichte das Schwächegefühl der Frau, die Wurzel des männlichen Protests einerseits und der eigenartigen Beschränktheit der bürgerlichen Frauenbewegung andererseits, die noch immer an besondere »Seelenkräfte« der Frau glaubt.513 510 Friedmann, A. (1925). Anfänge und Entwicklung des männlichen Protests. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, S. 298. 511 Adler, V. (1925). Bemerkungen über die soziologischen Grundlagen des »männlichen Protests«. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, S. 307. 512 Adler, V. (1925). Bemerkungen über die soziologischen Grundlagen des »männlichen Protests«. A.a.O., S. 309. 513 Adler, V. (1925). Bemerkungen über die soziologischen Grundlagen des »männlichen Protests«. A.a.O., S. 309 – 310.
Individualpsychologinnen zum Geschlechterrollenverständnis
133
Insgesamt hielt Valentine Adler das Proletariat für weniger neurotisch als das Bürgertum. Margarete Minor (1860 – 1927)514 sah in Alfred Adler einen Vordenker, der mit seinem Geschlechterrollenverständnis den Thesen der Frauen-bewegung nahe stand. Besonders beachtenswert hob sie Alfred Adlers Gedanken hervor, es sei ein Schaden an der Allgemeinheit, dass die Frauen so wenig Einfluss an der Gesamtkultur haben. Sie positionierte sich allerdings anders in Bezug auf die Herleitung der Missstände für die Frau: Die Unterdrückung der Frau werde durch Herrschsucht und Herrengefühle der Männer gespeist. Der Mann hat alle Gesetze, Sitten und Einrichtungen mit einer Art von naiver Selbstsucht auf sich und seine Bedürfnisse zugeschnitten. Er hat sich unbeschränkte Macht über die Frau angemaßt, sie als seinen Besitz betrachtet und behandelt, sie in der Ehe bevormundet wie ein unmündiges Kind, sie in eine sexuelle Hörigkeit gezwungen, die die Frauen, die sich ihres Persönlichkeitswertes bewusst geworden sind, nicht mehr ertragen konnten und wollten.515
Diese Form der Unterdrückung entmutige die Frauen und spiegele sich als Neurose wieder. Dies sei individualpsychologisch der männliche Protest. In diesem Punkt folgte auch sie Adler. Allerdings sah sie darin nicht nur eine Störung, sondern eine Notwendigkeit: »Der Widerspruch, die Rebellion erachten wir als Reaktion gegen die männlichen Überlegenheitsgefühle.«516 Sie sah das als Vorraussetzung an, um sich von Unterdrückung zu befreien. Dieser Mut, ganz sie selbst zu sein, die Entfaltung der eigenen Fähigkeiten und Wesensart zur freien Persönlichkeit, wird eine starke Quelle individuellen Glückes für sie sein!517
Ein wesentlicher Punkt für die Umsetzung dieser Gleichberechtigungs-forderungen sei die Besetzung von Frauen in vielfältigen Arbeitsbereichen. »Viele Stellen werden von Männern innegehabt, die viel weniger für sie geeignet sind,
514 Margarete Minor war eine bekannte Frauenrechtlerin, die Vizepräsidentin des Bundes österreichischer Frauenvereine war und sich vehement für das Frauenstimmrecht einsetzte. Sie war Ehefrau des Literaturhistorikers Jakob Minor. Sie publizierte in verschiedenen Zeitungen Artikel zur Rolle der Frau, vgl. http://www.onb.ac.at/ariadne/vfb/bio_minordaisy.htm (18. 08. 2013) 515 Minor, M. (1925). Ursachen und treibende Kräfte der Frauenbewegung im Lichte der Individualpsychologie. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, S. 311. 516 Minor, M. (1925). Ursachen und treibende Kräfte der Frauenbewegung im Lichte der Individualpsychologie. A.a.O., S. 312. 517 Minor, M. (1925). Ursachen und treibende Kräfte der Frauenbewegung im Lichte der Individualpsychologie. A.a.O., S. 313.
134
Frauenfrage, Sexualität und Geschlechterrollen
als so manche Frau«518, bemerkte sie. Margarete Minor fand Frauen in der Arbeitswelt effektiver und brachte schlechte Arbeits- und Produktionsergebnisse mit Fehlen weiblicher Arbeitskräfte in Verbindung. Margerete Minor war es ein großes Anliegen, dass Männer diese Erkenntnisse teilen können. Das sah sie bei Alfred Adler gegeben. Ähnlich wie die zuvor zitierten Frauen entwickelte Sofie Lazarsfeld im Laufe ihres Lebens eine politische Haltung und entdeckte gleichzeitig die Individualpsychologie als Betätigungsfeld und Forum für ihre Anliegen. Ebenso sind in ihren Schriften beide Haltungen herauszulesen. Sie versuchte die Rolle der Frau kritisch zu diskutieren und Veränderungsforderungen an die Gesellschaft zu formulieren. Im Folgenden wird ihr Geschlechtsrollenverständnis unter diesen Aspekten referiert.
4.4
Sexualaufklärung, Eheberatung und Frauenfrage
Sofie Lazarsfeld legte, nach einigen Jahren Beratungstätigkeit, ihren Fokus auf die Ehe- und Sexualberatung. Im Zusammenhang damit, diskutierte sie in daraus resultierenden Veröffentlichungen auch Fragen zur Emanzipation der Frauen und deren Stellung in der Gesellschaft. Wie im vorigen Kapitel berichtet, veröffentlichte Sofie Lazarfeld in den ersten Jahren als Mitglied des Vereins für Individualpsychologie zunächst Schriften zur individualpsychologischen Pädagogik. Ab 1927 schrieb sie fast ausschließlich Monographien zu Fragen von Sexualität, Partnerschaft und Frauenfrage. Schon 1926 hatte sie mit dem Vortrag und Artikel Mut zur Unvollkommenheit519 ausdrücklich auf die Rolle der Frau hingewiesen. Mit der weiteren Etablierung ihrer Beratungspraxis, wandte sich eine Vielzahl von Ratsuchenden, bezüglich Ehe und Partnerschaftskonflikten, an sie. Wie auch in der pädagogischen Beratung stellte sie fest, dass viele zwischenmenschliche Schwierigkeiten in Ehe und Partnerschaft mit dem Unverständnis und dem Aufklärungsstand über Sexualität und ehelichem Zusammenleben einhergingen. 1927 und 1928 ging sie in den Schriften Familien- und Gemeinschaftserziehung520 und Erziehung zur Ehe521 bereits auf diese Fragen ein. In den nächsten Jahren folgten explizit Aufklärungsschriften über Sexualität. So 518 Minor, M. (1925). Ursachen und treibende Kräfte der Frauenbewegung im Lichte der Individualpsychologie. A.a.O., S. 314. 519 Lazarsfeld, S. (1926). Mut zur Unvollkommenheit. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 4, 375 – 381. 520 Lazarsfeld, S. (1927). Die Ehe von heute und morgen. In A. Adler, L. Seif & O. Kaus (Hg.), Individuum und Gemeinschaft. München: Verlag J.F. Bergmann. 521 Lazarsfeld, S. (1928). Erziehung zur Ehe. Wien und Leipzig: Verlag Moritz Perles.
Sexualaufklärung, Eheberatung und Frauenfrage
135
erschien 1929 Sexuelle Fälle in der Erziehungsberatung522, 1930 Über Eheberatung523 und 1931 veröffentliche sie erneut als Autorin in der von ihr als Herausgeberin betreuten Schriftenreihe Richtige Lebensführung, die Ausgabe Sexuelle Erziehung524. Eine umfangreiche Zusammenfassung und Erweiterung dieser vielfältigen Thematik folgte dann 1931 mit dem 330 seitigen Werk Wie die Frau den Mann erlebt525. Mit diesem Buch wurde sie auch über die Grenzen Österreichs bekannt. Mittels ihrer Kontakte durch die WOWO526 wurde diese Publikation ins Schwedische übersetzt.527 Später erschien ihr Buch in Großbritannien. Allerdings scheint es sich um eine unautorisierte Ausgabe zu handeln.528 Wie die Frau den Mann erlebt entstand aus dem Wunsch heraus, Frauen über die Dynamiken in Ehe und Partnerschaften zu informieren und explizit individualpsychologisches Wissen zu vermitteln. Ein weiteres Motiv sah sie darin, dass bisher Bücher zum Thema von Ehe und Partnerschaft für Männer geschrieben wurden und Frauen wenig Zugang zu solchen Informationen hatten. Drei grundlegende Absichten bildeten das Fundament ihres Buches: Es muss vor allem drei Bedingungen entsprechen: es darf erstens nicht vom Mann, sondern muß von Frauen geschaffen sein, es muß zweitens auf praktischer Lebenserfahrung beruhen und es darf drittens nicht gegen den Mann gerichtet sein, – was nicht immer ganz leicht fällt, angesichts der bisher geübten, vom Mann diktierten Sexualpraxis.529 522 Lazarsfeld, S. (1929). Sexuelle Fälle in der Erziehungsberatung. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 7, 220 – 224. 523 Lazarsfeld, S. (1930). Über Eheberatung. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 8, 160 – 164. 524 Lazarsfeld, S. (1931a). Sexuelle Erziehung. Wien und Leipzig: Verlag Moritz Perles. 525 Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. Leipzig, Wien: Verlag für Sexualwissenschaft Schneider & Co. 526 Women’s Organsation Of World Order. 527 1938 Übersetzung ins Schwedische auf Vorschlag von Elin Wägner, vgl. Auer, E. (2009). Mütter, Väter, Amazonen – Elin Wägners Weg zu Väckarklocka über Österreich und die Schweiz. A.a.O. 528 Es sind einige Kapitel hinzugefügt worden, die nicht im Original vorhanden sind. Sofie Lazarsfeld wurde von Friedrich Adler auf diese Ausgabe aufmerksam gemacht, der sie in London entdeckte, (Brief Friedrich Adler an Sofie Lazarsfeld 16. 04. 1946, Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung (VGA)- Adler Archiv – Mappe 290, Tasche 1, 1946). Die englischsprachige Ausgabe wird z. B. wegen angeblicher Pornographischer Darstellungen in einem Extrabereich der Bibliothek der Harvard University gelagert, Gespräch mit Henri Zerner (Enkelsohn) und Lotte Bailyn (Enkeltochter), Oktober 2011. Ausführungen über Pornographie und Prostitution sind in der Originalausgabe von 1931 nicht enthalten und wurden wahrscheinlich von dem Herausgeber Norman Haire der Londoner Ausgabe hinzugefügt. Das Datum der Erstausgabe ist in diesem Buch mit 1938 angegeben. Die Originalausgabe von Sofie Lazarsfeld erschien in einem Wiener/ Leipziger Verlag 1931. 529 Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. Leipzig, Wien: Verlag für Sexualwissenschaft Schneider & Co., S. 3.
136
Frauenfrage, Sexualität und Geschlechterrollen
Für Sofie Lazarsfeld waren die Eheberatungsstellen von immenser Wichtigkeit. Hier wurden Räume für Frauen geschaffen, sich frei zu Fragen von Ehe und Sexualität zu äußern. Frauen konnten in der damaligen Zeit allenfalls mit einem Arzt, der in der Regel männlich war, über solche Fragen sprechen. Diese Gespräche verliefen zu großen Teilen mit Hemmungen auf Seiten der Frauen, analysierte Sofie Lazarsfeld. Mit großer Offenheit und detaillierten Erläuterungen zu Liebesleben, Ehe und gesellschaftlicher Rollenverteilung beantwortete Sofie Lazarsfeld zahlreiche Fragen, die sie hauptsächlich ihrer Beratungstätigkeit entnahm. Spürbar war ihr aufklärender Wille, die Beziehungen zwischen Mann und Frau toleranter zu gestalten. Geleitet wurde sie stets von dem Gedanken, eine Gleichberechtigung der Partner nahezu verwirklichen zu können. In den nächsten Abschnitten erfolgt eine Einordnung der obengenannten Aspekte aus Veröffentlichungen ab 1927.
4.4.1 Sexualität und Sexualaufklärung Ein Kernpunkt in Sofie Lazarsfeld Ausführungen war die Aufklärung über Sexualität. Eine ihrer wichtigen Thesen war, dass die Unkenntnis der Biologie und Funktionalität der Geschlechtsorgane zu Unsicherheiten oder auch Ängsten in jungen Ehen führe. Sie erläuterte aus diesem Grunde ausführlich die organischen Bedingungen und den Vorgang des Geschlechtsaktes.530 Gleichzeitig machte sie darauf aufmerksam, dass biologisches Verständnis allein nicht ausreichend sei, um eine befriedigende Sexualität zu erleben. Die Einstellung zur Sexualität blieb für Sofie Lazarsfeld vorrangig mit der Atmosphäre in der Ehe oder Partnerschaft verbunden. Angelehnt an Alfred Adlers Aussagen zu Ehe und Sexualität sah sie in der Vermeidung von Sexualität den Ausdruck einer Lebensangst, die verhindere, dass das Individuum sich mutig den drei Lebensaufgaben – Gemeinschaft, Beruf, Partnerschaft – stellen könne. In der Vermeidung dieser Aufgabe stecke die Sorge zu scheitern, dadurch würde das Minderwertigkeitsgefühl erhöht. Die sexuelle Ausgeglichenheit werde durch ein Ungleichgewicht in den Machtverhältnissen gestört. Heute sind wir von diesem Gleichgewicht der Macht bei den Geschlechtern noch weit entfernt. Der Mann besitzt trotz nomineller Gleichstellung noch immer ein großes Übergewicht an Macht. […] Die Eigenart wird also nicht durch das Geschlecht bestimmt, sondern an erster Stelle durch das Machtverhältnis der Geschlechter, durch Vorherrschaft und Unter-ordnung.531 530 Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 18 – 28. 531 Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 72.
Sexualaufklärung, Eheberatung und Frauenfrage
137
Damit wandte sie sich auch ausdrücklich gegen die Triebtheorie von Sigmund Freud, der in der Verdrängung von Sexualität den Ursprung von Angst sah und die menschliche Entwicklung maßgeblich durch den Sexualtrieb beeinflusst sah. Sofie Lazarsfeld attestierte allerdings auch dem Mann Minderwertigkeitsgefühle, die sich im Sexualleben manifestieren und zu einer unbefriedigenden Sexualität führen können.532 Dem Mann werde uneingeschränkte Präsenz und Funktionstüchtigkeit im Sexualleben zugeschrieben. Dadurch entstünden zweifellos Ängste, die ein »Funktionieren-Müssen« implizieren. Das setze den Mann unter Druck und er entwickle ebenfalls ein Minderwertigkeitsgefühl in Bezug auf Sexualität. Daraus können ungünstige Überkompensationen resultieren, wie übertriebene Versuche, Macht auf allen Ebenen zu sichern oder auch die Frau als schwach darzustellen. Aber auch ungezügelte sexuelle Übergriffe könnten eine Folge sein. Dahinter stecke eine uneingeschränkte, gesellschaftlich legitimierte Verehrung der männlichen Potenz – teilweise wie ein Fetischkult.533 Um diesem Ungleichgewicht entgegenzutreten, postulierte Sofie Lazarsfeld eine Sexualreform.534 Positiv bewertete Sofie Lazarsfeld die damaligen (zu Beginn der dreißiger Jahre) Neuerscheinungen zu Liebes- und Sexualfragen. Die Möglichkeit für Informationen war somit gewachsen. Auch hatte sich die streng getrennte Sichtweise von biologischen und psychischen Bewertungen zu einer untrennbaren körperlich-seelischen Betrachtungsweise verschoben. Ein Denken in Zusammenhängen hatte sich entwickelt. Dazu gehörte auch die Berücksichtigung von sozial-gesellschaftlichen Aspekten, wie z. B. die Stellung von Frau und Mann in der Gesellschaft. Einen großen Stellenwert bei nichtgelingender Liebe und Sexualität hätten Schamgefühle, arbeitete Sofie Lazarsfeld heraus. Weitere Bedingungen seien auch Lebensgewohnheiten der Partner, die einen Lebensrhythmus abbilden. Dort sei eine gewisse Passung im Tagesrhythmus von Vorteil.535 Rein praktische Gewohnheiten sollten durchaus Beachtung bei der Partnerwahl sein. Dem ersten sexuellen Kontakt schrieb sie – sicherlich in Erinnerung an eigenes Erleben – eine große Bedeutung zu. Sie sprach dem Körper ein sexuelles Gedächtnis zu. Die ersten sexuellen Erfahrungen sollten demnach möglichst positiv ausfallen. Das könne häufig durch eine vorsichtige und offen formulierte Annäherung erreicht werden. Eine gesündere Einstellung zur Sexuellen Frage wird derlei Hemmung vermeiden lassen und sowohl Mann wie Frau das positive Bekenntnis zum eigenen Körper und zu seinen individuellen Neigungen ermöglichen und darüber hinaus die Fähigkeit ver532 533 534 535
Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 78. Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 79. Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 91. Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 95 – 100.
138
Frauenfrage, Sexualität und Geschlechterrollen
leihen, auch innerhalb der Ehe die eigenen Wünsche dem Partner einzugestehen. Sache des Partners, und zwar beider Partner, des Mannes sowohl wie der Frau, wird es dann sein, die körperlichen Gegebenheiten des anderen zu achten und nicht als quantit¦ n¦gligeable536 zu betrachten und zu behandeln.537
Durch diese Offenheit könne sich dann im Laufe der Zeit eine Körpervertrautheit der Partner zueinander entwickeln. Die Körpervertrautheit sei aber nicht nur an den sexuellen Akt gebunden. Es gelte auch außerhalb des Geschlechtsakts, eine Vertrautheit zu erreichen, die den ästhetischen Gefühlen des Paares bzw. des einzelnen Partners entsprechen. Das beträfe sowohl Kleidung als auch die Kenntnis der gegenseitigen erogenen Zonen. Auch hier gelte es einen gemeinsamen Rhythmus zu finden, damit beide sich miteinander wohlfühlen können. Auch die Laune, die gesamte Stimmung wechselt danach; die einen sind am Beginn des Tages gesprächig und anschlußfreudig, die andern sind es gegen Abend. Und ebenso wollen manche morgens allein und in Ruhe sein, andere wieder abends. Es ist ganz sicher, dass aus diesem ungleichen Stundenrhythmus Komplikationen und Belastungen im Liebesleben erwachsen können.538
Für einen gelingenden Sexualakt, der Befriedigung bis zum Orgasmus gewährt, stellte sie die Regel der feinfühligen Beobachtung des jeweils anderen auf. Nicht nur ein ähnlicher Tagesrhythmus sei wichtig, sondern auch ein Liebesrhythmus.539 Doch nicht nur Gemeinsamkeiten sollten miteinander kommuniziert werden, auch individuelle Abneigungen sollten dem Partner bekannt gemacht werden. Diese Regeln seien besonders in der Ehe zu berücksichtigen, sonst könne die »Monogamie zur Monotonie werden«.540 Grundlage für einen offenen und toleranten Umgang mit Sexualität sei eine sexuelle Erziehung, die von Anfang an mit Selbstverständlichkeit in die Erziehung des Kindes integriert werden solle. Die sexuelle Aufklärung sollte an die jeweilige Entwicklungsstufe des Kindes angepasst werden. Ebenso wie dem Kind das Einmaleins als Grundlage für spätere komplexere Mathematik lernt, sollen Fragen zur Sexualität ihre Relevanz haben. Dieser Methode aufgeschlossene Eltern begegneten Sofie Lazarsfeld häufig mit der Frage »Wie macht man das?« Die meisten Erwachsenen stünden diesem Problem mit großer Ängstlichkeit und Befangenheit gegenüber. Als Gründe für diese Haltung sah Sofie Lazarsfeld eine Unsicherheit auch in der Elterngeneration.541 536 537 538 539 540 541
Übersetzung: zu vernachlässigende Menge. Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 129. Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 100. Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 114. Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 134. Lazarsfeld, S. (1931a) Sexuelle Erziehung. A.a.O., S. 3 – 5.
Sexualaufklärung, Eheberatung und Frauenfrage
139
In der Erziehung des Kindes sei darauf Wert zu legen, die kindliche Seele zu stärken. Dem Kind solle fortlaufend Selbstvertrauen angeeignet und Ängstlichkeit und Misstrauen – soweit möglich – ferngehalten werden. Wichtigstes Kriterium für eine aufgeschlossene Sexualerziehung sei der Umgang der Erzieher mit der eigenen Sexualität. Gäbe es Probleme, so bestehe die Gefahr der Übertragung auf die Kinder. Ganz im Adlerschen Sinne betonte Sofie Lazarsfeld: Es ist also hier, mehr noch als sonst schon auch eine Erziehung der Erzieher nötig und keiner, der nicht klar über diese Fragen denken kann, sollte an Erziehung herangehen.542
Besonders für Fragen der sexuellen Erziehung sollte den Erziehern der Entwicklungsstand des Kindes gegenwärtig sein. Die Erzieher müssen eine altersgerechte Sprache anwenden. Zwischen dem dritten und sechsten Lebensjahr entstehen bei den Kindern häufig Fragen zu ihrer Herkunft, wie sie auf die Welt gekommen sind. Die Eltern sollten hier wahrheitsgemäß antworten, dass die Kinder aus dem Leib der Mutter kommen. Der Wissensdrang des Kindes könne durch einen Satz oder eine kurze Erläuterung gestillt werden. Die Frage nach der Herkunft der Babys werde häufig in anderen Kontexten, die den Wissensdurst der Kinder in diesem Alter widerspiegelt, gestellt. Lügengeschichten könnten das Vertrauen der Kinder in die Eltern oder Erzieher erschüttern, denn sie würden früher oder später die Unwahrheit bemerken. Bei unsicheren Antworten würde das Kind weiter forschen und aus dem Umfeld anderer Kinder oder anderer Erwachsener weitere Antworten zusammentragen, die möglicherweise zu fantasievollen Konstrukten verarbeitet werden. Wir wiederholen also, dass die erste Einführung mit aller Unbefangenheit als ein Stillen berechtigten, für die Gesamtentwicklung unbedingt nötigen Wissensdranges anzusehen ist, dass sie keine Ausflüchte oder Lügen, keinen Storch, kein »Das geht Dich nichts an.« enthalten darf, wenn sie als geglückte erste Stufe für die späteren schwierigen Phasen gelten soll.543
Die zweite Phase der kindlichen Informationssuche ordnete Sofie Lazarsfeld im Alter zwischen acht und zwölf Jahren ein, eine Phase der Frühpubertät. In dieser Phase stellen die Kinder häufig die Frage, wie es zur Entstehung des Babys im Bauch der Mutter komme. Hier genüge die Erklärung »wenn Vater und Mutter sich recht liebhaben und zärtlich miteinander sind, entsteht ein Kind«, nicht. In dieser Phase sei es wichtig nicht nur auf seelische Umstände einzugehen sondern in jedem Fall die Biologie zu berücksichtigen. Man könne durchaus mit Bei-
542 Lazarsfeld, S. (1931a) Sexuelle Erziehung. A.a.O., S. 7. 543 Lazarsfeld, S. (1931a) Sexuelle Erziehung. A.a.O., S. 12.
140
Frauenfrage, Sexualität und Geschlechterrollen
spielen aus Pflanzen- oder Tierreich (z. B. Blüte mit Stempel und Staubgefäßen) beginnen.544 »[…] wir kommen nicht darum herum, dem Kinde ehrlich zu sagen, dass der Mann, ebenso wie bei der Pflanze, den Stoff in seinem Körper trägt, der in den Körper der Frau eingeführt, das dort bereitete Ei zum Reifen bringt.«545
Jegliche Gefühlsbetonung in Zusammenhang mit der Erklärung solle vermieden werden. Mütter sollten keine Geschichten über die Schwierigkeiten der Schwangerschaft und Geburt erzählen, um keine Ängste im Kind hervorzurufen. Wir wissen aus der Individualpsychologie, dass alles, was wir ängstlich beginnen, schlechter ausgeht, als wenn wir es mutig anpacken.546
Im Rahmen der Aufklärungen sollten Geschlechtsunterschiede nicht hervorgehoben werden, damit Mädchen nicht das Gefühl einer geschlechtlichen »Unterwertigkeit« bekämen. Oberste Regel für den Beginn der sexuellen Aufklärung seien die Fragen der Kinder. Wenn keine Fragen gestellt werden, brauchen die Eltern nicht mit den Erklärungen zu beginnen. Hat ein Kind im Alter von zehn Jahren noch keine Fragen in dieser Hinsicht gestellt, dann könne man davon ausgehen, dass bereits Informationen durch andere Personen erlangt wurden oder dass sich das Kind durch Zuhören, irgendwelche Erklärungen selbst zusammen gestellt habe. Manchmal gäbe es für Eltern Hinweise von den Lehrern, dass ein Kind sich mit Sexualität beschäftige. Es male z. B. Bilder, die sich mit Geschlechtlichkeit befassen oder es spiele Spiele mit anderen Kindern, die auf eine innere Einstellung zur Sexualität schließen lassen. Die Eltern seien gut beraten, diese Informationen ernst zunehmen. Falls ein Kind in der zweiten Phase (achtes bis zwölftes Lebensjahr) weiterhin keine Fragen stelle, sollten die Erwachsenen unbedingt mit dem Thema von sich aus beginnen. Die dritte Phase schließe sich nach dem zwölften Lebensjahr an und wird somit die pubertäre Phase sein.547 In dieser Phase seien die Fragen bereits Ichbezogen. Interesse ist nicht mehr so wie früher ein allgemeines, sondern ist schon auf die Person des Fragenden abgestimmt. Man kann sagen, dass sich in den Fragen dieser Altersstufe schon die eigene Einstellung zum Sexualproblem teils ausdrückt, teils zu regulieren sucht.548 544 545 546 547 548
Lazarsfeld, S. (1931a) Sexuelle Erziehung. A.a.O., S. 12. Lazarsfeld, S. (1931a) Sexuelle Erziehung. A.a.O., S. 13. Lazarsfeld, S. (1931a) Sexuelle Erziehung. A.a.O., S. 13. Sofie Lazarsfeld nannte für die letzte Phase keine Alterseinteilung. Lazarsfeld, S. (1931a) Sexuelle Erziehung. A.a.O., S. 18.
Sexualaufklärung, Eheberatung und Frauenfrage
141
Eine der häufigsten Fragen dieser Phase beschäftigt sich damit, ob Sexualität in diesem Alter schon ausgeübt werden sollte. Zusätzlich sei Selbstbefriedigung auch ein wichtiges Thema. Anders als zur Jahrhundertwende, betonte Sofie Lazarsfeld, pflegte man mittlerweile (1931) einen anderen Umgang mit Onanie (in den Schriften der Individualpsychologie wird immer dieser Ausdruck verwendet, Anm. d. V.). Die Beschäftigung bzw. das Spielen mit dem eigenen Körper träfe für nahezu jedes Kind zu. Verbleibt es bei dieser Form der Sexualität, sei von einer Ersatzhandlung auszugehen, die die Hinwendung zum anderen Geschlecht behindere. Auch darüber sollte mit den Jugendlichen gesprochen werden. Dies sei in dieser Altersstufe bedeutend schwieriger und erfordere große Offenheit und Mut der Erwachsenen, die häufig ihre eigene Unzulänglichkeit überwinden müssen. Grundsätzlich sei mit Verboten nichts zu erreichen. Ein Unbehagen gegenüber der Sexualität der Heranwachsenden und eine damit einhergehende Hemmung zur Kommunikation, könne mit einem Berater gelöst werden. Eltern sollten den Mut aufbringen, eine Beratersprechstunde aufzusuchen. Um das andere Geschlecht weniger geheimnisvoll erscheinen zu lassen, warb die Individualpsychologie damals immer wieder für die Koedukation. Mädchen und Jungen sollten gemeinsam zur Schule gehen. Beide Geschlechter würden sich in den oben beschriebenen Phasen nebeneinander entwickeln und nicht als nahezu Unbekannte nach der Schulzeit als mögliche Heiratspartner aufeinander treffen.
4.4.2 Ehe und Partnerschaft Angelehnt an das Goethezitat »Die Ehe ist der Anfang und der Gipfel der Kultur«549, machte Sofie Lazarsfeld ihre grundlegende Haltung zum Ehebündnis deutlich. Sie hielt die Ehe für eine wichtige Institution. Auch gegen alle freiheitlichen Gedanken der neuen, demokratischen Zeit pochte sie auf ihren Bestand. Sie hielt sich an Alfred Adler, der in der Ehe eine spezielle Form und Aufgabe des menschlichen Zusammenlebens sah. In einem Überblick, überwiegend an die Literatur von J.J. Bachofens (1815 – 1887)550 Werk Das Mutterrecht (1897) angelehnt, berichtete Sofie Lazarsfeld über 549 Johann Wolfgang von Goethe, Wahlverwandschaften, zitiert nach Lazarsfeld, S. (1931). Wie die Frau den Mann erlebt. Leipzig, Wien: Verlag für Sexualwissenschaft Schneider & Co, S. 29. 550 Johann Jakob Bachofen war ein Jurist und vielseitig studierter Humanist, der sich mit Aspekten des Matriarchats auseinandersetzte. Zunächst formulierte er dazu eine visionäre Idee, fand aber mit der Erforschung von Quellen der Mythologie, Religions- und Urgeschichte zu einer Betrachtungsweise der nicht patriarchalischen Lebensordnung, Rattner,
142
Frauenfrage, Sexualität und Geschlechterrollen
unterschiedliche Einschätzungen zur Ehe. Mittels historischer Bezüge schilderte sie die Rolle der Geschlechter. Sie nannte Beispiele aus der Bibel, der römischen Geschichte, der Mythologie und führte Kulturvergleiche (z. B. chinesische Kultur) durch. In einer überwiegenden Anzahl der historischen Betrachtungen erkannte sie eine Unterordnung der Frau. In den unterschiedlichen historischen Überlieferungen machte sie die Forderung aus, die weibliche Erfüllung in der Hingabe an Ehe und Mutterrolle zu finden. Gleichzeitig aber kritisierte sie eine Heraushebung von Gesellschaften, die durch die Vormacht von Frauen (z. B. die Amazonen) gekennzeichnet waren. Sie blieb konstant bei ihrer Forderung nach Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann.551 Daran anlehnend stellte sie sechs Bezugsysteme für Mann und Frau in ihrer Beziehung zueinander heraus: 1. Im biologischen Sinne seien beide Partner gegenseitige Objekte der Triebbefriedigung, sexuelle und erotische Lust sei erlebbar miteinander. 2. Mit der Triebbefriedigung sei die Fortpflanzung verbunden. 3. Verbindung durch Arbeit und gemeinsames Bestreiten des Lebensunterhalts. 4. Stellung von Mann und Frau in der Gesellschaft. 5. Persönliche Geltung, insbesondere die der bisher vernachlässigten Frau. 6. Ausweitung der Person ins »Übersoziale«552 mit der Frage nach dem Sinn des Lebens.553 Alle Aspekte sollten Relevanz in der Gestaltung einer Partnerschaft haben. Beide Partner sollten gemeinsam nach Gleichberechtigung, aber auch nach Entwicklung der eigenen Persönlichkeit streben. In der Monographie Erziehung zur Ehe554 wies sie bereits auf den Aspekt der Erziehung hin, der auch für ein ihrer Meinung nach erlernbares Ehe- und Beziehungsleben geeignet sei. Erziehung – betonte sie hier erneut, wie auch zwischen Kindern und Eltern – sei ein gegenseitiges Lernen. Nicht einer gebe die Richtung vor, sondern beide Partner entwickeln das gemeinsame Leben zusammen. Dazu könne man auch die Erkenntnisse der psychologischen Forschung, insbesondere der Individualpsychologie, berücksichtigen: Man war in der Allgemeinheit bisher gewöhnt gewesen, die Ehe als einen Glücks- oder Unglücksfall anzusehen, der ganz zufällig im Menschenleben auftauchte, und der durchaus außerhalb jeder gesetzmäßigen Lenkbarkeit blieb. Daß ein glückliches Liebes- und somit auch Eheleben zu einem großen und entscheidenden Teil von Vorbe-
551 552 553 554
J., & Danzer, G. (2003). Johann Jakob Bachofen und die Mutterrechtstheorie Europäische Kulturbeiträge im deutsch-schweizerischem Schrifttum von 1850 bis 2000. Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 9 – 28. Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 19 – 28. Mit diesem Begriff meinte Sofie Lazarsfeld den Anschluss an eine Gemeinschaft und eine Ausweitung der Person in den Bereich der Kultur. Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 30 – 31. Lazarsfeld, S. (1928). Erziehung zur Ehe. Wien und Leipzig: Verlag Moritz Perles.
Sexualaufklärung, Eheberatung und Frauenfrage
143
dingungen abhängt, die systematisch erkennbar und erlernbar sind, diese Erkenntnis verdanken wir erst der modernen Seelenforschung.555
Mit einem psychologischen Ansatz begriff Sofie Lazarsfeld die Ehe als eine Verbindung zwischen zwei Menschen, die davon gekennzeichnet sei, eine Bereitschaft zur dauernden Gemeinschaft zwischen dem Ich und dem Du aufzubringen. Dieser Teil des menschlichen Lebens trage zur Lösung der zwei weiteren Aufgaben, Beruf und sozial-kulturelles Leben, bei. Zu den Lebensaufgaben gehöre die Ehe unbedingt dazu, so Sofie Lazarsfeld. Ebenso wie Erziehung nicht unabhängig von verschiedenen gesellschaftlichen Faktoren betrachtet werden könne, sei auch die Ehe nur im gesellschaftlichen Gesamtkontext zu sehen. So würde es auch nicht genügen, bei Störungen in der Ehe einzelne Symptome zu behandeln. Man könne nicht mit Hilfe der Psychologie die materiellen Bedingungen der Ehe (vor dem Hintergrund der sozialen und ökonomischen Verhältnisse der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts) verbessern sondern »dass es letzten Endes darauf ankommt, was der Mensch mit dem ihm anvertrauten Material, also mit seiner eigenen Person, mit seiner Umgebung und mit seiner sozialen Stellung anfängt.«556 Die Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann sah Sofie Lazarsfeld zu ihrer Zeit noch nicht verwirklicht. Im gesellschaftlichen-politischen Kontext gäbe es dennoch eindeutige Fortschritte in Bezug auf die Akzeptanz der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Man hat den Frauen Gleichberechtigung zugestanden, formell, auf dem Papier, und es gibt ›fortgeschrittene‹ Männer, die sich bemühen, diese Gleichberechtigung auch tatsächlich anzuerkennen.557
Im sprachlichen Gebrauch war für Sofie Lazarsfeld allerdings noch spürbar, dass Frauen weiterhin als minderwertig konnotiert werden. Sie vermisse in diesem Zusammenhang die tatsächliche Anerkennung der Frauen. Ausdrücklich verwehrte sie sich gegen eine Umkehrung der Verhältnisse, welche den Frauen eine Vormachtstellung einräumen würde. Sie kritisierte damalige literarische Werke558, die mit einer herausragenden Protagonistin die Umkehrung der Verhältnisse vollziehen würden. Aus ähnlichen Gründen wandte sich Sofie Lazarsfeld politisch gegen den russischen Kommunismus, der Frauengruppierungen hervorbringe, die jegliche sexuelle Freiheiten verlangten und damit wiederum Grenzen anderer Personen überschritten. Streben nach einer Vormachtstellung war für Sofie Lazarsfeld ebenso wie Alfred Adler Ausdruck neu555 Lazarsfeld, S. (1928). Erziehung zur Ehe. A.a.O., S. 7. 556 Lazarsfeld, S. (1927). Die Ehe von heute und morgen. In A. Adler, L. Seif & O. Kaus (Hg.), Individuum und Gemeinschaft. München: Verlag J.F. Bergmann, S. 6. 557 Lazarsfeld, S. (1927). Die Ehe von heute und morgen. A.a.O., S. 8. 558 Sie erwähnte als Beispiel Lulu von Wedekind.
144
Frauenfrage, Sexualität und Geschlechterrollen
rotischer Persönlichkeitsmerkmale.559 Sie zitierte Adler mit dem Satz »Wir werden feststellen können: auch in den Liebesbeziehungen eines Menschen schwingt seine ganze Persönlichkeit mit«.560 Es sei möglich, aus seinen Liebesbeziehungen den Menschen zu verstehen und auch umgekehrt, aus Betrachtung der Gesamtpersönlichkeit seine erotischen Ansprüche zu erraten.561 Um neurotische Ausprägungen möglichst gering zu halten, postulierte Sofie Lazarsfeld die Erkenntnisse der Individualpsychologie so frühzeitig wie möglich – für Familienerziehung und Schulausbildung – als Prophylaxe zu nutzen. So könnte man verhindern, dass ungünstige Entwicklungen schließlich zu Beeinträchtigungen im zwischen-menschlichen Bereich führen. Mit einer Art Training auf Basis der Individualpsychologie könne Fehlentwicklungen entgegen gewirkt werden bzw. bei Auftreten von Konflikten geholfen werden.562 Ein großes Missverständnis war für Sofie Lazarsfeld in diesem Zusammenhang eine Art erotische Erziehung, die dazu diente Männer zu erobern aber im Grunde nichts mit einer tatsächlichen Erotik zu tun hatte. Junge Frauen spielten sexualisiertes Verhalten, aber die praktische Seite der Sexualität sei ungeklärt und stürze Frauen damit in teilweise traumatisierende Ereignisse.563 Abgesehen von der sexuellen Hingabe und der emotionalen Liebesfähigkeit war die Bewältigung von Alltagsaufgaben in der Ehe für Sofie Lazarsfeld ein wichtiger Teil des Lebens, den es sich lohnte zu teilen. Sie war der Auffassung, dass Mann und Frau ein Leben miteinander verbringen und aus diesem Grund auch Konflikte und kleine Kümmernisse gemeinsam bewältigen sollten. Es gäbe durchaus eine abstumpfende Wirkung in der Ehe durch den Alltag, doch Sofie Lazarsfeld ordnete diese Unruhen und das Missempfinden eher als ein Scheitern an den Erfordernissen des Lebens und als neurotische Ausflucht ein.564
4.4.2.1 Treue in Beziehungen Für den Umgang mit Unstimmigkeiten sah Sofie Lazarsfeld die Treue als hilfreiche Größe an. Der treue Mensch sei durch diese Eigenschaft sicherer und 559 Lazarsfeld, S. (1927). Die Ehe von heute und morgen. A.a.O., S. 10 f. 560 Adler, A. (1926). Liebesbeziehungen und deren Störungen zitiert nach Lazarsfeld, S. (1927) Die Ehe von heute und morgen, A.a.O., S. 19. 561 Lazarsfeld, S. (1927). Die Ehe von heute und morgen, A.a.O., S. 13. 562 Sofie Lazarsfeld bezieht sich auf Alfred Adlers Ausführungen, der in Die Ehe als Aufgabe erläuterte, dass durch schlechte Gewohnheiten wie unordentliches Wesen, Pedanterie, Überempfindlichkeit, trotzige Opposition, Unsauberkeit in Wort und Haltung, Schamlosigkeit, herrisches Wesen, Jähzorn oder wildes Geschrei verstärkte zwischenmenschliche Beeinträchtigungen entstünden, vgl. Lazarsfeld, S. (1927). Die Ehe von heute und morgen, A.a.O., S. 15 f. 563 Lazarsfeld, S. (1927). Die Ehe von heute und morgen, A.o.O., S. 21. 564 Lazarsfeld, S. (1927). Die Ehe von heute und morgen, A.a.O., S. 51.
Sexualaufklärung, Eheberatung und Frauenfrage
145
ausgeglichener seinen Mitmenschen gegenüber, er müsse sich nicht fortwährend anderen Personen gegenüber beweisen. Daraus resultiere ein ausdauerndes Liebesverhältnis. Der untreue Typus sei ein ewig unruhiger und unzufriedener Mensch. Auch im Berufsleben gelte er als unzuverlässig.565 Zur weiteren Vertiefung des Begriffs Treue zog sie Georg Simmels soziologische Ausführungen heran.566 Treue sei auch eine gesellschaftliche Relevanz, die zum Fortbestand kollektiver Freundschaften, Familien oder gar Staaten unabdingbar seien. Sofie Lazarsfeld nennt die Treue nach Simmel ein »Beharrungsvermögen der Seele.« Treue sei eine innere Verfassung. Man könnte die Treue als das Beharrungsvermögen der Seele bezeichnen, welches sie in einer einmal eingeschlagenen Bahn festhält, nachdem der Anstoß, der sie überhaupt in diese Bahn geführt, vorbeigegangen ist.567
Rein von der begrifflichen Struktur ausgehend zeige die Treue einen soziologischen Effekt. Es gehe nicht um das Fühlen mit dem Anderen oder das Wohl des Anderen, die Treue diene der Erhaltung der Beziehung zum Anderen. Mit dieser Argumentation wollte sich Sofie Lazarsfeld nicht moralisch über andere erheben und die Individualpsychologie als eine »Besserungsanstalt« darstellen, sondern sah in dem Prinzip der Treue eher eine Bündelung von seelischer Kraft. Sofie Lazarsfeld bezeichnete diese Art von Kontinuität – wenn sie denn erreicht werden könne – als Meisterschaft. Insgesamt hänge Treue in der Gemeinschaft unbedingt mit Aufrichtigkeit zusammen. Um Aufrichtigkeit besser verstehen zu können, müsse man dem Gegenteil, der Lüge oder der Verheimlichung, eine Einstellung gegenüber entwickeln. Sie postulierte eine absolute Wahrhaftigkeit für die Gesellschaft, denn schwankende oder brüchige Teile könnten die Gesellschaft nicht zweckmäßig aufbauen. Fehlschläge sollten in eine Akzeptanz münden, Niederlagen hinzunehmen. Mit diesem Argument knüpfte sie an ihre Thesen aus dem Artikel Mut zur Unvollkommenheit568 an. Sofie Lazarsfeld plädierte für das Eingestehen von Schwächen und Fehlern, gepaart mit dem Willen zur Kontinuität. Diesen Willen zur Gemeinschaft forderte sie, sowohl für die Zweiergemeinschaft einer Ehe, als auch für zusammengehörige Gruppen und die ganze Gesellschaft. Die Gesellschaft müsse also üben, die Lüge zu entbehren um damit durch eine Wahrhaftigkeit, die Treue zu entwickeln. Man müsse nicht nur lernen die 565 Lazarsfeld, S. (1927). Die Ehe von heute und morgen, A.a.O., S. 29. 566 Lazarsfeld, S. (1927). Die Ehe von heute und morgen, A.a.O., S. 31. 567 Lazarsfeld, S. (1927). Die Ehe von heute und morgen, A.a.O., S. 31. Originalzitat nach Georg Simmel: Die Selbsterhaltung der sozialen Gruppe, 7. Teil, Exkurs über Treue und Dankbarkeit in Georg Simmel: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Duncker & Humbolt Verlag, Berlin 1908, S. 438 – 447. 568 Vgl. Lazarsfeld , S (1924): Mut zur Unvollkommenheit. In: IZI 4, 1926, S. 375 – 381.
146
Frauenfrage, Sexualität und Geschlechterrollen
Wahrheit zu sagen, sondern auch lernen, Wahrheiten anzuhören. Lügen würden hauptsächlich dadurch provoziert, dass es ein menschliches Unvermögen gäbe, unangenehme Wahrheiten zu vertragen. Der Mensch sei in der Gesellschaft übermäßig in Prestigekämpfe verwickelt. Um ein Gemeinschaftsgefühl in der Gesellschaft zu erreichen, dass auf gegenseitigem Vertrauen und Achtung beruhe, brauche man die Wahrheitsliebe. 4.4.2.2 Eifersucht – ein Störfaktor Eifersucht war für Sofie Lazarsfeld ein Mittel der Unterdrückung des jeweiligen Partners. Sie schloss sich damit Alice Rühle-Gerstel an, die Eifersucht als weibliche Sicherung beschrieb.569 Diese Form des »Weiblichen« würde sich in diesem Fall auch auf die Männer beziehen. Es gehe bei diesem Phänomen um die Unsicherheit eines Menschen, der mit dem Ausdruck der Eifersucht versuche, eine Machtfrage zu lösen. Eifersucht sei ein Symptom des Lebensplanes. Eifersucht sei anhand von zwei Gesichtspunkten zu untersuchen: »Nach ihren Gegenständen und nach ihren Äußerungsarten«.570 Unter Gegenständen seien z. B. Nebenbuhlerinnen zu verstehen. Die Eifersucht trete mit schweren moralischen Geschützen auf: Pflicht, Recht, Treue und ähnliche unkontrollierte Allgemeinbegriffe, werden eingefordert. Das sei eine Art legitime Eifersucht, die von außen für gesund gehalten werde. Sie habe den Anschein einer Natürlichkeit, weil bei Ehebruch der Frau durch die Untreue des Mannes materieller, seelischer und auch gesundheitlicher Schaden entstehen könne. Somit sei Eifersucht fast eine prophylaktische Handlung. Eifersucht könne sich auch auf weitere Gegenstände, wie weitere Personen aus dem Umfeld (z. B. Geschwister und andere Verwandte oder Freunde) oder auch Besitztümer, wie Haustiere, Briefmarkensammlungen etc. erstrecken. Derartige Eifersucht führe dazu über den anderen bestimmen zu wollen und Empfehlungen für Neigungen (politische Aktivität, Ausübung eines Sports) zu geben, um somit über die Person herrschen zu können. Diese Form der Eifersucht diene dem neurotischen Lebensplan. Im Gegenteil dazu führe die Suche nach Wertschätzung zum Anschluss an andere Personen, die im Zusammenleben Anerkennung geben sollen. Das sei häufig ein unbewusster Grund für Eheschließungen. Auf dieser Basis sehe Sofie Lazarsfeld allerdings von Anfang an Schwierigkeiten für die gegenseitige Toleranz und Akzeptanz. Das Gefühl einer Vernachlässigung bringe in der Folge
569 Vgl. Rühle-Gerstel, A. (1925). Über die Eifersucht als weibliche Sicherung. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 6, 314 – 320. 570 Lazarsfeld, S. (1927). Die Ehe von heute und morgen, A.a.O., S. 59.
Sexualaufklärung, Eheberatung und Frauenfrage
147
schneller das Gefühl der Eifersucht hervor, welches zu gegenseitiger Entwürdigung führe.571 Ihrer Meinung nach waren Frauen eher von Eifersucht geplagt, da sie an das Haus gebunden waren und von persönlichkeitsentwickelnden Möglichkeiten (z. B. Ausbildung und eigener Berufstätigkeit) ausgeschlossen blieben. Mit der Unzufriedenheit komme es zur Entfremdung der Ehepartner. Mehr Aufklärung wäre für Frauen angemessen, um diese Mechanismen zu verstehen. Außerdem sollte durch gesellschaftliche Unterstützung für die Hausarbeit wie z. B. Großküchen und Wirtschaftshilfen den Frauen neue Möglichkeiten gegeben werden.572 Gleichzeitig sollten die Frauen sich von der Vorstellung lösen, dass das eigenhändige Zubereiten von Speisen einen Mann in der Ehe festhalten könne und derlei Tätigkeiten nicht als bindungsrelevant ansehen. Ein Loslassen in dieser Frage führe dazu, den Mann nicht als eine Art Eigentum zu betrachten. Im Sinne der Individualpsychologie sei es notwendig, sich um ständige Persönlichkeitsentwicklung zu bemühen. Dazu gehöre in gewisser Form die Ausweitung der Zweierbeziehung hin zu anderen Personen, die zu einer Ergänzung des partnerschaftlichen Horizontes führen. Die Menschen würden dann aber auch verstehen lernen, dass der seelische Anschluß an einen Dritten die erste Gemeinschaft keineswegs unbedingt zu gefährden braucht, wenn er nicht zum Anlaß von Machtkämpfen genommen wird.573
Längere Trennungen (z. B. durch Berufstätigkeit des Partners, vorwiegend des Mannes) haben Gefühle der Zurücksetzung zur Folge. In den Beratungen habe Sofie Lazarsfeld erlebt, dass Frauen sehr unter den Trennungen leiden. Wenn die Frau aber eine Notwendigkeit durch äußere Gründe einsehe, dann sei die Trennung erträglich. Letztlich leide sie nicht an der Trennung, sondern eher an der Einbuße ihrer Geltung, die durch das Fehlen des Partners entstehe.
4.4.3. Persönlichkeitsentwicklung von Frauen durch Berufstätigkeit »Mit dem Berufsproblem ist sowohl die seelisch-geistige wie auch die wirtschaftliche und somit die sexuell-erotische Unabhängigkeit der Frau auf das Engste verknüpft.«574 Für die damalige Zeit (1930/1931) sah Sofie Lazarsfeld die ökonomischen Bedingungen so gelagert, dass sie ein zusätzliches Gehalt für das Familienein571 572 573 574
Lazarsfeld, S. (1927). Die Ehe von heute und morgen. A.a.O., S. 60 – 61. Lazarsfeld, S. (1927). Die Ehe von heute und morgen. A.a.O., S. 63. Lazarsfeld, S. (1927). Die Ehe von heute und morgen. A.a.O., S. 64. Lazarsfeld, S. (1931). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 156.
148
Frauenfrage, Sexualität und Geschlechterrollen
kommen notwendig machten. Über den wirtschaftlichen Aspekt hinausgehend, war für Sofie Lazarsfeld allerdings die psychologische Bewertung bedeutender. Wir wissen heute, dass eine volle Entfaltung der Persönlichkeit nicht möglich ist, wenn sie nicht auch ein Tätigkeitsbereich umfasst. Das gilt für Frauen wie für Männer. Ein großer Teil schwerer seelischer Schäden im Geschlechtsleben geht darauf zurück, daß den Frauen die Erfüllung ihrer Persönlichkeit durch Arbeit fehlt und daß sie dann eben, wie van de Velde ganz richtig sagt, außer ihrer Beziehung zum Mann, und eventuell noch zu den Kindern, keinerlei andere Lebenswerte besitzen. Aber weder Mann noch Kinder sind imstande, dauernd diese Lücke im Leben der Frau auszufüllen.575
Durch diese Konstellation würde es auch zu einer Überforderung des Mannes kommen, der über seine Möglichkeiten für die Lebensgestaltung seiner Frau Verantwortung übernehme. Wenn die Frau sich auf das Leben des Mannes ausrichte, dann fehle die eigene Persönlichkeitsentwicklung. Diese Lebensleere – und das ist das Tragische daran – lässt sich nämlich niemals durch einen Anderen ausfüllen, weil alles, was immer er leistet, und sei es noch so viel, stets nur der Ansporn zu neuerlichem Anspruch und so zu ständiger Unzufriedenheit wird und werden muß. Nicht von außen, immer nur aus uns selbst können wir die Lebenswerte finden, die das Leben wirklich lebenswert macht.576
Daraus folgerte sie, müsse es für jeden – ganz gleich ob Mann oder Frau – einen Lebensplan geben. Seit der Kindheit habe sich bereits eine unbewusste Vorstellung dieses Lebensplans herausgebildet. Das Kind lebe in seinen Spielen und Tagträumen in einem »Nochnicht«. Bezug nehmend auf ihre pädagogischen Konzepte, postulierte Sofie Lazarsfeld eine ermutigende Erziehung, die Arbeit und Beruf, vor allen Dingen als Möglichkeit für Mädchen, einbeziehe. Sofie Lazarsfeld sah vielfach eine Herabsetzung der Frau in Bezug auf ihre physiologische, biologische Konstitution gegeben. Daraus werde in der Regel ein zusätzliches Argument gegen die Berufstätigkeit von Frauen. Besonders kritikwürdig fand sie in diesem Zusammenhang die Schriften von Theodoor Hendrik van de Velde577. Es gab zwar, ihrer Meinung nach, durchaus beachtenswerte Ansätze in den Ausführungen van de Veldes – wie z. B. Erläuterungen zu eigenem erotischen Erleben von Frauen – dennoch hielt sie ihn für unfortschrittlich. Sofie 575 Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 158. 576 Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 160 – 161. 577 Theodoor Hendrik van de Velde war niederländischer Arzt, Fachgebiet Gynäkologie, der 1926 mit seinem Buch Die vollkommene Ehe vielfach gelesen wurde und großes Aufsehen erregte. Er schilderte freizügig sexuelle Techniken, die zur Befriedigung für beide Geschlechter führen können. Die katholische Kirche setzte dieses Werk auf die Liste der verbotenen Bücher. Es erreichte dennoch 42 Auflagen. Bereits 1928 wurde der Film Die Ehe nach dem Werk von van de Velde gedreht. Seine Werke galten bis in die 60er Jahre als teilweise pornographisch, vgl. Van de Velde, Theodoor Hendrik. (2009). In V. Sigusch & G. Grau (Hg.), Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt am Main: Campus-Verlag.
Sexualaufklärung, Eheberatung und Frauenfrage
149
Lazarsfeld sah in seinen Werken weiterhin die Vormachtstellung des Mannes als Forderung beschrieben. Mit großer Selbstverständlichkeit sei van de Velde davon ausgegangen, dass Frauen nicht zur Arbeitswelt dazugehören. Bei ihm fehle völlig der Gedanke, Arbeit und Berufstätigkeit ebenso als weiblichen Lebensinhalt zu sehen. Lediglich als Gehilfin des Mannes werde eine Tätigkeit für die Frau erlaubt. Sofie Lazarsfeld widersprach diesen Thesen und leitete ihrerseits her, warum auch die Frau selbstverständlich einer Arbeit nachgehen sollte. 4.4.3.1 Ehe und Berufstätigkeit Berufstätigkeit und Eintritt in die Arbeitswelt sollten im Hinblick auf die eigenständige Entwicklung jeder Frau zugestanden werden. Frauen, die einer Aufgabe nachgingen, waren Sofie Lazarsfelds Meinung nach, selbständiger und selbstbewusster, als reine Hausfrauen. Ein besonderes Augenmerk richtete sie auf die verheiratete Frau. Auch für sie forderte sie die freie Entscheidung, einer Arbeit nachgehen zu dürfen. Die verheiratete Frau war – bis auf verschwindend kleine Ausnahmen, die es überall gibt und die wir bei allem folgenden immer schon stillschweigend voraussetzen wollen – entweder ein verantwortungsloses Objekt der Ehe, das, aller Rechte der eigenen Persönlichkeit entkleidet, diesen Entgang mit der materiellen Sicherstellung bezahlt bekam, oder sie war das dreifach belastete Arbeitstier von Hausfrau, Mutter und Arbeiterin unter härtestem materiellen Zwang, […] und dabei immer noch ohne eigene Persönlichkeitsrechte.578
Aus Sofie Lazarsfelds Sicht wurde diese Rollenfunktion nicht offen besprochen. Arbeit wurde eher mit einer negativen Zwangslage in Zusammenhang gebracht und wurde deswegen auch bei den Frauen selbst als etwas »zu Fürchtendes« wahrgenommen. Diese Art der Bewertung der Frauenarbeit war, so Sofie Lazarsfeld, vielfach noch vorhanden. Sie stellte fest, dass Frauen nur für bestimmte Arbeiten vorgesehen waren. Es gäbe gesellschaftlich eine verankerte Reglementierung. Auch wurden in der Nicht-Berufstätigkeit der Frau im allgemeinen Vorteile für ihre Versorgung in der Ehe gesehen. Sofie Lazarsfeld berichtete von einem jungen Mädchen, dem vom Wiener Arbeitsamt geraten wurde, keinen Beruf zu erlernen, damit der künftige Mann dazu verpflichtet sei, sie zu versorgen und er somit nicht ausweichen könne, weil sie selbst einen Beruf habe.579 Die wirtschaftliche Lage der damaligen Zeit und auch die Folgen des ersten Weltkrieges führten allerdings dazu, dass es notwendig wurde, Mädchen nach 578 Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. Leipzig, Wien: Verlag für Sexualwissenschaft Schneider & Co., S. 193. 579 Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 193.
150
Frauenfrage, Sexualität und Geschlechterrollen
ihrem Schulabschluss einer Berufsausbildung zuzuführen. Diese Arbeit wurde vielfach als ein Provisorium betrachtet, das bei Eheschließung beendet wurde. Daraus ergebe sich für die Frauen häufig eine Ambivalenz, eine innere Zwiespältigkeit, die zur seelischen Belastung führe. Die Frau könne sich weder ernsthaft auf den Beruf, noch sich ganz auf das Dasein einer Hausfrau einlassen. In beiden Bereichen sei die Frau nur teilweise oder gar nicht ausgebildet, kritisierte Sofie Lazarsfeld. Bei einer möglichen Berufsausbildung werden einfache, minderwertige Leistungen erwartet. Aber auch mit der Führung eines Haushalts habe manche Frau Schwierigkeiten. Für die Erziehung von Kindern gebe es beispielsweise keine Anleitung. Auch in diesem Bereich könne Überforderung entstehen. Im Zusammenhang mit der Hausfrauenarbeit werde oft die entsprechende Anerkennung vernachlässigt. Der Wert dieser Arbeit werde kontinuierlich unterschätzt. Dadurch verstärke sich die Ambivalenz in Bezug auf die Frauenrolle, Minderwertigkeitsgefühle werden übermächtig.580 Es ist doch eine sehr auffällige Erscheinung, dass man die Frau so gern auf den Hausfrauenberuf als die von Gott und der Natur für sie bestimmte Tätigkeit verweist, während alle die mit der Hausarbeit verbundenen Arbeiten, wie kochen, waschen, Teppiche Reinigen, Boden bürsten, Fenster putzen usw. in dem Augenblick, wo sie zur bezahlten Arbeit avancieren und außer Haus ausgeübt werden, plötzlich Reservat des männlichen Geschlechts werden. […] Man sollte doch meinen, wenn der Mann diese angeblich weiblichen Arbeiten gegen Bezahlung sehr gut leisten kann, dass er sie dann, wenn es nötig ist, gelegentlich auch einmal innerhalb des eigenen Heims und zur Entlastung der außer Haus erwerbstätigen Frau tun könnte?581
Sofie Lazarsfeld berichtete einräumend von ihren Erfahrungen bei ihren individualpsychologischen Vorträgen, dass sie mittlerweile einige Männer kennengelernt habe, die ihren Ehefrauen Unterstützung geben. Sie forderte engstirnige Frauen, die die Hausarbeit kaum aus den eigenen Händen geben könnten, auf, in dieser Frage eine flexible Sichtweise zu entwickeln. Sie warf den Frauen sogar vor, eher unverständlich zu reagieren, wenn der Mann Hilfe im Haushalt anbot. Sie bemerken gar nicht, dass sie damit unumwunden eingestehen, dass sie sich selbst gerade gut genug finden für eine Arbeit, die sie als zu schlecht für den Mann ansehen. Solange die Frauen sich selbst so niedrig einschätzen, können sie nicht verlangen, für voll genommen zu werden.582
Um dieser Einstellung von vornherein entgegen zu wirken, postulierte sie an dieser Stelle nochmals eine veränderte Erziehung von Jungen und Mädchen in der Familie. Beide Geschlechter müssen mit Hausarbeit von Kindheit an vertraut 580 Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 194 – 195. 581 Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 195. 582 Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 196.
Sexualaufklärung, Eheberatung und Frauenfrage
151
gemacht werden. Mädchen könnten schon früh lernen, das es sich um eine Gemeinschaftsaufgabe handelt. Diese Gemeinschaftsaufgabe unterstütze gleichzeitig das Gelingen einer Ehe: Ganz sinnlos aber wäre es, diese Frauen an den berühmten häuslichen Herd zu verweisen, denn die Frauen sind aus wirtschaftlichen Gründen zu einer Erwerbstätigkeit gezwungen und sie werden mit fortschreitender geistiger Entwicklung dazu kommen, auch dort, wo es materiell nicht notwendig ist eine Berufstätigkeit zu wollen, weil nur dann ihre ganze Persönlichkeit sich entfalten und nur so ihre wirkliche Gleichstellung sich vollziehen kann.583
Eine Berufstätigkeit sei auch charakterbildend. In einer Fokussierung auf das Liebesleben sei die Frau von wechselnden Gefühlslagen gekennzeichnet. Das könne sich durch Berufstätigkeit auflösen. Hinzu komme, dass Frauen eine wirtschaftliche Unabhängigkeit erreichen können. Der psychologische Effekt auf das Selbstbewusstsein könne sich dadurch verstärken. Sofie Lazarsfeld sah darin eine gesunde Entwicklung des weiblichen Geschlechts. Die Umsetzung hielt sie in der damaligen Zeit, den zwanziger Jahren, mit einer hohen Arbeitslosigkeit zwar für schwierig, dennoch forderte sie ein Umdenken zu diesem Sachverhalt. Wir müssen den seelischen Boden bereiten, aus dem einmal die Saat wirklicher sozialer und wirtschaftlicher Gleichstellung der Geschlechter erwachsen soll, die für jede geglückte erotische und sexuelle Beziehung unerlässliche Bedingung ist.584
In diesem Sinne gebe es keine Wahl, die jeweils zwischen Arbeit und Liebe entscheide. Das darf aber nicht etwa so verstanden werden, als ob die Arbeit ein Ersatz für ein geglücktes Liebesleben sein könnte. Das kann sie ebenso wenig, wie es umgekehrt auch nicht möglich ist, die Leere eines untätigen Lebens dauernd durch Liebe auszufüllen. Wir sagten schon und es soll hier nachdrücklichst wiederholt werden, dass zur Entfaltung der vollen Persönlichkeit – auch der weiblichen – beide Faktoren nötig sind. Wo die Frau zur Arbeit greift, nur als einem Heilmittel gegen persönliche Enttäuschung, da besteht immer die gleiche Gefahr wie dort, wo von der Liebe die volle Erfüllung eines ganzen Lebens erwartet wird. Auch die Tätigkeit darf nicht mit den Anforderungen belastet werden, die sie niemals erfüllen kann; man verlangt von ihr zu viel, dann gerät man schnell in die Gefahr der Übertreibung. Man unterliegt dann der Versuchung, sich durch Arbeit gänzlich vom Gefühlsleben abzuschließen und das ist ebenso bedenklich wie die ausschließliche Hingabe an die Gefühlswelt.585
Mit dem Eintritt in die Arbeitswelt, verbinde die Umwelt die Sorge, dass die Frau ihre erotische Anziehungskraft verlieren würde. Arbeit hätte somit einen 583 Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 197 – 198. 584 Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 200. 585 Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 200.
152
Frauenfrage, Sexualität und Geschlechterrollen
schädigenden Einfluss auf die Ausstrahlung und Liebesfähigkeit der Frau. Sofie Lazarsfeld vertrat entschieden einen entgegengesetzten Standpunkt. Wenn die Frau nur mit Liebe und Begehren den Sinn ihrer Beziehung zum Mann begründe, dann verliere die Beziehung im Laufe der Zeit an Glanz und habe Schwierigkeiten zu einer dauerhaften, gefestigten Partnerschaft zu werden. Angelehnt an diese Betrachtungen arbeitete Sofie Lazarsfeld zwei Frauentypen heraus, wobei sie aber gleichzeitig mahnte, Typologien immer als Beschränkung zu sehen, da es in der Praxis notwendig sei, immer auf den Einzelfall einzugehen. Sie unterschied den Gefühlstypus im Gegensatz zum Leistungstypus. Vordergründig sehe sie eine gesellschaftliche Bevorzugung der gefühlsbetonten Frau eher gegeben, weil sie es in der Regel besser verstehe, sich erotisch anziehend darzustellen. Der Leistungsfrau, die vor allem ihre Darstellung durch die berufstätige Frau fand, werde auf diesem Gebiet zunächst geringere Fähigkeiten oder auch Unvermögen zugeschrieben. Eine Fokussierung auf Erotik und Liebesleben, gerade zu Beginn einer Partnerschaft, könne bei Abnahme dieses ausschließlichen Interesses zu seelischen Erkrankungen wie Melancholie oder Depression führen. Dieses Phänomen betreffe nicht nur Frauen allein, sondern ebenso Männer. In diesem Punkt kritisierte sie erneut van der Velde, der Depression als ausschließlich weibliche Erkrankung beschrieb. Außerdem legte er, so Sofie Lazarsfeld, fast ausschließlich biologische Ursachen zu Grunde und negierte Auswirkungen des sozialen Lebens als Ursachen für depressive Symptomatik. Sofie Lazarsfeld sah das anders. Sie machte Depression nicht am Geschlecht fest, sondern betonte, dass es um die Unterscheidung von entmutigten und lebensmutigen Menschen gehe. Wenn also die Tendenz zu einem schwankenden seelischen Gleichgewicht zweifellos eine Gefährdung der Liebesbeziehungen bedeutet, so ist es doch ebenso sicher, dass diese Störung gleichermaßen bei Männern wie bei Frauen auftreten und da wir wissen, woher sie stammen, nämlich von der Unzufriedenheit mit dem eigenen Selbst, so werden wir uns nicht wundern, sie besonders häufig in den zuvor geschilderten Schicksalen jener Frauen zu finden, die es versäumt haben, ihr eigenes Selbst auszubilden und die nun auf Kosten des Liebespartners leben wollen. Eine Zeitlang geht das ja, aber einmal wird doch die Rechnung präsentiert und dann steht es schlimm um diejenigen, welche keine eigenen seelischen Fonds besitzen.586
Um eine harmonische und zufriedenstellende Partnerschaft zu erreichen, legte Sofie Lazarsfeld den Frauen nahe, den Entschluss zu fassen einen aktiven Anteil an ihrem Leben selbst zu gestalten. Dieser aktive Teil solle aber nicht zu einer Abwendung von allem Weiblichen werden. Als ausgewiesenes Mitglied einer Frauenorganisation, übte sie Kritik an dem häufig anzutreffenden, allzu männlichem Habitus, von Frauen in der Frauenbewegung. Dennoch sah sie die 586 Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 206.
Sexualaufklärung, Eheberatung und Frauenfrage
153
Frauenbewegung als notwendige Erscheinung der Geschichte an, um die Gleichberechtigung weiter voranzubringen. Mittlerweile – sie bezog sich auf die Veränderungen in den 20er bis 30er Jahren des letzten Jahrhunderts – würden die Frauen mehr zu ihrer weiblichen Seite stehen und trotzdem für die Emanzipation kämpfen. Im Bewusstsein, sich mit ihrer Betrachtungsweise eher für die Gleichberechtigung und Berufstätigkeit der Frauen des Bürgertums einzusetzen, verwies Sofie Lazarsfeld in ihren Artikeln immer wieder auf die Frauen des Proletariats. Diese müssten aus einer Zwangslage heraus, die Familie zu versorgen, hart arbeiten. Gerade deswegen sei es ihr wichtig, eine gerechtere Bewertung von Frauenarbeit anzustreben. Deshalb ist es dringend nötig, die Gesamtheit der Frauen dafür zu interessieren, weil nur bei völlig gleichmäßiger Bewertung der Frauenarbeit mit der Leistung der Männer, nur bei prinzipieller wirtschaftlicher Unabhängigkeit der Frau vom Geschlechtspartner, eine dauernd gute Geschlechtsbeziehung für die Zukunft erhofft werden kann. […] Die Situation ist noch dadurch erschwert, dass die Frau, auch wenn sie qualitativ und quantitativ die gleiche Arbeit leistet, oft schlechter bezahlt wird und dadurch vom Mann als Lohndrückerin angesehen wird. Das können wir vorläufig nicht ändern, wir müssen nur, wie schon gesagt, dafür kämpfen, dass gleiche Arbeit auch gleichen Lohn erhält, gleichgiltig, ob sie von Frau und Mann ausgeführt wird.587
In Anbetracht der schwierigen wirtschaftlichen Situation in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts mit einer hohen Arbeitslosenzahl, räumte Sofie Lazarsfeld ein, dass es auch durchaus sinnvoll sei, wenn Frauen, deren Männer eine gute Arbeit haben, auf eine eigene Berufstätigkeit partiell verzichten würden. Man müsse dann aber beachten, dass dies für die Frauen ein psychischer Verlust sei. Es sei lediglich als soziale Geste zu sehen.588 Wenn es zur Scheidung komme, berge dieser Verzicht allerdings Gefahren für die Frauen. Dann sei nicht mehr gewährleistet, dass der Mann genügend für die Frau sorge. Um das Gesetz der Alimentationsregelung verändern zu können, befürworteten Männer offenbar die freie Berufstätigkeit von Frauen. Das sah Sofie Lazarsfeld als scheinheiliges Argument an. Gleichzeitig beurteilte sie aber die dauerhafte Zahlung von Unterhalt nach einer kurzen Partnerschaft ebenfalls als Ungerechtigkeit, dann aber im Sinne des Mannes. Insgesamt riet sie den Frauen, die mehr und mehr für die eigene Berufstätigkeit und damit für die Gleichberechtigung kämpften, dies schrittweise zu tun. Der Mann könne nach langer Gewöhnung an seine höhere Position nicht mit
587 Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 225. 588 Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 226.
154
Frauenfrage, Sexualität und Geschlechterrollen
einem plötzlichen und radikalen Umschwung die Ebenbürtigkeit der Frau anerkennen.589 So wie es zum Kriterium eines gut ausgeglichenen Seelenlebens gehört, den richtigen Rhythmus im Wechsel zwischen Arbeit und Liebe zu finden, nicht das eine auf Kosten des andern zu üppig in die Halme schießen zu lassen, so braucht die Harmonie der Liebe auch wieder ein gewisses Gleichgewicht von Nehmen und Geben. Wir lieben einen Menschen oftmals lange nicht so sehr für das, was er für uns tut, als dafür, dass er die Fähigkeit hat, unsere eigenen Kräfte zu wecken.590
4.4.4 Beratungspraxis Sofie Lazarsfeld erläuterte, dass die Ehe- und Sexualberatungsstellen auf Grundlage der Individualpsychologie basierten. Die Individualpsychologen hatten den großen Beratungsbedarf auf dem Gebiet der Ehe und Partnerschaft erkannt. Die Ehe- und Sexualberatungsstellen waren ebenso nach der Schule Alfred Adlers konstituiert wie die übrigen Beratungsstellen. Zunächst sei die Öffentlichkeit dieser Art von Beratungsstelle mit Misstrauen begegnet. Doch bald erfreute sich die Praxis regelmäßiger Anfragen und wurde selbstverständlicher und ohne Scheu in Anspruch genommen.591 Unabhängig von sozialen und wirtschaftlichen Unterschieden wurden die Fragen an die Berater herangetragen. Sofie Lazarsfeld berichtete von Themen wie Untreue, Eifersucht, Homosexualität, unglückliche Liebe, Onanie, erotische Vereinsamung, Entschlussunfähigkeit, seelisches und körperliches Unverstandensein, Widerstand der Eltern gegenüber der getroffenen Partnerwahl, konfessionelle und Weltanschauungsunterschiede, Depressionen und – als eines der Hauptthemen – die unerfüllte Sexualität. Innerhalb eines halben Jahres wurde die Beratungsstelle mit 168 Anfragen frequentiert.592 Die überwiegende Anzahl der Anfragen kam aus der Altersgruppe von 23 bis 38 Jahren. […]die Ratsuchenden, sowohl Männer wie Frauen, stammen aus allen sozialen Schichten, die vorgebrachten Mißhelligkeiten sind dort überall die gleichen, wenn auch perzentual verschieden verteilt: durch materielle Not hervorgerufener Unfrieden, durch körperliches oder seelisches Unverständnisbedingte Frigidität und Impotenz, eigene Untreue oder die des Liebes- oder Ehepartners, Zurücksetzung durch diesen, unheilvolle Einmengung der Umgebung, Entschlußunfähigkeit, neurotische Angst und 589 590 591 592
Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 230. Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 231. Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 234. Sofie Lazarsfeld hatte Zahlen aus der eigenen Praxis der letzten zwei Jahre (1930 – 1931) zu Grunde gelegt, vgl. Lazarsfeld, S. (1931). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 237.
Sexualaufklärung, Eheberatung und Frauenfrage
155
vor allem die Unfähigkeit, eine Situation, in der man selbst gefangen ist, objektiv zu überblicken und ihre Folgen abzusehen.593
Leitlinien für die Beratung waren die Fragen der Besucher der Eheberatungsstellen: – Mangelnde Vorbereitung der Jugend auf Fragen des ehelichen Zusammenlebens – Beratung vor der Eheschließung – Beratung bei Schwierigkeiten in der Ehe594 Für die Technik der Beratung legte Sofie Lazarsfeld eine große Behutsamkeit des Beraters zu Grunde, der vorsichtig die subjektive Problemstellung des Ratsuchenden exploriert. Es ging um das Aufdecken der psychischen Einengungen, so dass der Ratsuchende selbst eine neue Erkenntnis formulieren konnte. Die Beratung besteht nämlich niemals darin, dass man einen Rat erteilt, das könnte und dürfte sie auch gar nicht, sondern in der psychischen Klärung der Situation.595
Für jegliche Art der Fragen beschrieb Sofie Lazarsfeld ein ähnliches Vorgehen. Zunächst könne der Ratsuchende alle Fragen offen stellen. Sie ermöglichte dem Fragenden alle, auch scheinbar peinliche Gesprächsinhalte anzusprechen, indem sie selbst beispielsweise keine Scheu hatte über biologisch-medizinische Vorgänge frei zu sprechen. Das führte bei den Fragenden dazu, in nur wenigen Sitzungen frei und offen sprechen zu können. Die Atmosphäre versuchte Sofie Lazarsfeld so zu gestalten, dass der Gedankenaustausch in der Beratung zu einer Zusammenarbeit mit dem Ratsuchenden führte und sich letztlich daraus auch der Erfolg generierte. Der Ratsuchende solle durch den Austausch eine Position erreichen, die den Berater zukünftig weitgehend überflüssig mache. Die im folgenden gegebenen Berichte über Beratungstechnik verstehen unter Selbsterziehung jenen Abschnitt im Prozeß der Psychotherapie, der in dem Augenblick beginnt, wo die Tätigkeit des Ratsuchenden diejenige des Beraters überflügelt oder überflüssig gemacht hat. Es ist also mehr damit gemeint als die selbstverständliche Voraussetzung, dass ohne Mithilfe des Ratsuchenden eine Mithilfe nicht glücken kann.596
Die übergeordnete Frage zu Beratung und Therapie war für Sofie Lazarsfeld, wie man mit dem Analysanden eine Selbsterziehung erreichen könne. Grundbedingung für die Entwicklung sei eine Technik in der Gesprächsführung, die sich 593 594 595 596
Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 7 – 8. Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 7. Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 8. Lazarsfeld, S. (1930). Über Eheberatung. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 8, S. 160.
156
Frauenfrage, Sexualität und Geschlechterrollen
vor Starre hüten müsse. Der Therapeut sollte niemals eigensinnig einen vorgezeichneten Weg verfolgen, denn es sei davon auszugehen, dass jede Person eine individuelle Art der Anleitung brauche. Vielmehr sei es die Aufgabe des Therapeuten, den Analysanden so zu begleiten, dass er eine eigene Art der Technik findet, die für ihn hilfreich sei.597
4.4.5 Fazit
Ähnlich wie zu Fragen der pädagogischen Psychologie und zu Erziehungskonzepten, entwickelten sich die Fragen zu Sexualität und Geschlechterrollen für Sofie Lazarsfeld aus der Praxis heraus. Nach Schulung und Verinnerlichung der individualpsychologischen Theorie, baute sie recht schnell ihre Beratungspraxis auf und hatte nach anfänglicher Skepsis in der Bevölkerung einen hohen Zulauf von Ratsuchenden. Im Laufe der Jahre vertiefte sie sich parallel in theoretische und literarische Werke, zu denen sie eine eigene Haltung entwickelte. Die Motivation für eine Zusammenfassung und mehrere größere Artikel und Schriften zum Thema Sexualität und Eheleben speiste sich daraus, dass sie feststellte der Hauptanteil der Literatur dazu sei von Männern geschrieben worden. Mitte der zwanziger Jahre gab es gerade im Kreis der Individualpsychologen eine größere Anzahl von Frauen, die sich ebenso offen und teilweise kämpferisch für eine spezielle Sichtweise der Frauen zu den Themen Sexualität und Frauenfrage einsetzten. Parallel waren sie Frauen der Sozialdemokratischen Partei aktiv mit unterschiedlichen Vereinstätigkeiten und neu gegründeten Verbänden. Dieses Umfeld und die persönlichen Kontakte der Lazarsfelds boten eine fruchtbare Atmosphäre für die expansive und eifrige Tätigkeit von Sofie Lazarsfeld. Viele ihrer Freundinnen598 schrieben Texte, kleine Monographien und veröffentlichen Artikel in Zeitungen oder Magazinen. Auch Sofie Lazarsfeld wagte es, über ihre Praxistätigkeit, hinaus eine Art Beratung mittels einer Kolumne in verschiedenen Presseorganen.599 Besonderen Zuspruch für die durchaus mutigen Veröffentlichungen bekam sie offenbar auch von Klienten bzw. Ratsuchenden selbst. Durch ihre offene Art, 597 Lazarsfeld, S. (1930). Über Eheberatung. A.a.O., S. 160. 598 Helene Bauer war Redakteurin der sozialdemokratischen Zeitung Der Kampf, vgl. Dvorak, J. (2004). Helene Bauer – Materialistische Theorien von Wirtschaft und Gesellschaft und der Austromarxismus. In D. Ingrisch, I. Korotin & C. Zwiauer (Hg.), Die Revolutionierung des Alltags – zur intellektuellen Kultur von Frauen im Wien der Zwischenkriegszeit. Frankfurt am Main: Peter Lang, S. 15 – 42. 599 Veröffentlichungen mit individualpsychologischen und politischen Inhalten in der Arbeiterzeitung von 1925 bis 1927; Texte zur Aufklärung von Jugendlichen in Bildungsarbeit, Blätter für sozialistisches Bildungswesen, 1933; eine etwa wöchentliche Kolumne im Wiener Magazin Bunte Woche von 1933 bis 1934.
Sexualaufklärung, Eheberatung und Frauenfrage
157
konnte Sofie Lazarsfeld bei schamvollen und schuldbeladenen Themen der Klienten eine natürliche Beratungsatmosphäre aufbauen. Die Popularität und der zahlenmäßig hohe Zulauf in der Beratungspraxis sprechen für eine authentische Therapeutentätigkeit, die den Menschen Vertrauen gab. Obwohl sie besonders als Frau für die Frauen angetreten war und für deren Aufklärung sorgen wollte, wurde Sofie Lazarsfeld auch von einer Vielzahl Männer aufgesucht, die sie mit Fragen zu Partnerschaft und Liebe konfrontierten. Beiden Geschlechtern gab sie unmissverständlich zu verstehen, dass es in einer Partnerschaft immer um das Ziel der Gleichberechtigung gehe. Sie scheute nicht davor zurück, Aufgabenverteilungen in Ehen neu zu diskutieren. Damit forderte sie gleichzeitig auch einen gesellschaftlichen Umbruch. Die politische Intention war neben der individualpsychologischen Haltung immer spürbar : Hier trifft der individualpsychologische Grundgedanke auch mit einer der entscheidenden Forderungen des sozialistischen Gedankens zusammen, der Gleichberechtigung der Frau. Auch die Frauen traten nach dem Umsturz in alle bürgerlichen Rechte ein, aber es fehlt ihnen bei weitem noch die Fähigkeit, sie voll auszunutzen. […] Auch sie findet in der Individualpsychologie die Aufmunterung, die sie braucht, um diese durch wirtschaftliche Überlegenheit des Mannes ihre aufgezwungene seelische Verkrüppelung zu überwinden, die leider bisher so viele Frauen in die Neurose gedrängt hat.600
Mit einer gewissen Vehemenz trat sie für die Individualpsychologie ein. Sie sah in den ausgearbeiteten Theorien zu Minderwertigkeit versus Geltungsdrang, Gemeinschaftsgefühl und dem Verständnis von mitmenschlichen Beziehungen eine Grundlage, die mit dem darin steckenden politischen Gehalt zu gesellschaftlichen Veränderungen beitragen sollte.
600 Lazarfeld, S. (1925). Seelenforschung und Sozialismus – Was sagt die Individualpsychologie Alfred Adlers? In Arbeiterzeitung Nr. 265, 27. 09. 1925, S. 19.
5.
Abschließende Betrachtung
Sofie Lazarsfeld war eine wichtige Wegbereiterin der Individualpsychologie. Ihre Theorien und praktischen Anleitungen – insbesondere zu entwicklungspsychologischen, pädagogischen Themen und zu Fragen von Ehe und Partnerschaft – besitzen auch im 21. Jahrhundert Relevanz.
5.1. Sofie Lazarsfeld im Kontext der psychologischen Pädagogik Eingebettet in die pädagogischen Reformbewegungen der damaligen Zeit, arbeiteten die Individualpsychologen an einem anderen Verständnis von Erziehung. Autoritäre Methoden oder gar Gewaltanwendung verurteilten sie aufs Schärfste. Sie erläuterten immer wieder die Nutzlosigkeit dieser Methoden. Sofie Lazarsfeld schloss sich diesen Thesen sowohl theoretisch als auch praktisch an und erweiterte ihre eigene Arbeitsgrundlage durch Kontakte zu anderen psychologischen Schulen. So studierte sie bei Charlotte Bühler oder besuchte Vorträge von Maria Montessori. Daraus entwickelte Sofie Lazarsfeld, eng angelehnt an reformpädagogische Forderungen, einen Pädagogikstil, der uneingeschränkt und klar definiert die Perspektive des Kindes als Leitfaden für erzieherische Entwicklungsaufgaben voranstellt. Bei der Erziehung von Kindern war ihr ein Verstehensprozess, der stets bemüht ist, die individuellen Fähigkeiten und Talente des Kindes zu erkennen, ein grundlegendes Leitmotiv. Diesen Erziehungsstil und zugleich auch psychologisches Verständnis forderte Sofie Lazarsfeld sowohl von Eltern als auch von Erziehern in Kindergruppen und Lehrern in den Schulen. Eingebunden in die Aufbruchstimmung des Roten Wien versuchte sie mit hohem Engagement, die theoretischen Diskussionen um Schulpolitik und Fragen der Elternschaft in die Praxis umzusetzen. Analog zu Alfred Adler verband sie mit einer Veränderung des Erziehungsstils beim einzelnen Kind auch eine Veränderung in Gruppen. Damals aktuelle Themen wie die Rolle des Lehrers in der Klasse, die Unterrichtsmethodik, Autorität und Gleichberechtigung wurden von Sofie Lazarsfeld in einem fortschrittlichen
160
Abschließende Betrachtung
Sinne diskutiert und sind heute weiterhin aktuell.601 Die Veränderungsmöglichkeiten von Menschen sah sie nicht allein in der Gestaltung des persönlichen Lebens, sondern forderte, eng an die individualpsychologische Theorie angelehnt, eine Etablierung von Gemeinschaftsdenken. Da ihr politisches Engagement parallel immer mit in die Texte einfloss, wurden letztlich aus diesen psychologischen Argumentationen Forderungen für gesellschaftliche Veränderungen. Auch heute gelten in der psychologisch-pädagogischen Forschung Faktoren wie zugewandte Eltern, die auf autoritäre Vorherrschaft verzichten, ein Schulklima geprägt von Gemeinschaftssinn und eigenständiger Arbeit am Lernstoff mit dem Ziel der Selbstbewusstseinssteigerung, als risikomildernde Bedingungen für fehl angepasste Entwicklung.602
5.2
Sofie Lazarsfeld im Kontext von Frauenfrage und Geschlechterverhältnis
Sofie Lazarsfeld lässt sich in die Reihe der weiblichen Persönlichkeiten einreihen, die sowohl politisch als auch gesellschaftlich für Veränderungen der Frauenrolle eintraten. Ihre Freundinnen Helene Bauer und Margarethe Hilferding wurden darüber hinaus auch zu Vorbildern, ihr eigenes Leben und ihre damalige Rolle als Frau zu verändern. Mit ihrem Werk Wie die Frau den Mann erlebt arbeitete sie die historische Entwicklung des Patriarchats heraus und diskutierte darin die Rolle der Frau. Auch die biologischen Bedingungen ließ sie nicht außer Acht. Offen, für ihre Zeit innovativ, beschrieb sie den weiblichen Körper und ging auf die gynäkologischen Belange der Frau ein. Mutig analysierte sie das Thema der Sexualität. Weil es ihrer Meinung nach für beide Geschlechter schädlich sei, in einem Ungleichgewicht zu verharren, müsste allen, eben auch den Männern, daran gelegen sein, eine Veränderung herbeizuführen. Da dieser Wille zur Veränderung überwiegend ausbleibe, sei von einer dahinterliegenden Angst auszugehen. Ganz im Sinne des von Alfred Adler geprägten Begriffs der Lebensangst erläuterte sie die Hemmung, eine Veränderung und Verbesserung einzuleiten. Nicht ausgeführte Handlungen würden einer Mutlosigkeit unterliegen und lassen das von Adler postulierte Gemeinschaftsgefühl vermissen. Gemeinschaftsgefühl sei 601 Vgl. z. B. die Debatte Stellt die Schule auf den Kopf in Zeit, Ausgabe 16/2013; Druckermann; P. (2013). Klare Grenzen und viel Freiraum in Spiegel, Ausgabe 13/2013. 602 Vgl. Scheithauer, H., & Petermann, F. (2002). Prädiktion aggressiv/ dissozialen Verhaltens: Entwicklungsmodell, Risikobedingungen und Multiple-Gating-Screening. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie, 10, S. 121 – 140.
Sofie Lazarsfeld im Kontext von Frauenfrage und Geschlechterverhältnis
161
der ausschlaggebende Faktor für eine gelingende Liebesbeziehung, auch was die erotische Erfüllung angehe. Sie sah Gemeinschaftsgefühl als Grundlage für die Gleichberechtigung an. Auch bei der Analyse des Geschlechterverhältnisses blieb sie dem Prinzip des Perspektivwechsels treu. Aufgrund seiner vorherrschenden gesellschaftlichen Stellung werde dem Mann Omnipotenz unterstellt. Mit dieser Konstruktion des »starken Mannes« werde eine männliche Versagensangst gesellschaftlich negiert. Sofie Lazarsfeld forderte, die Überbewertung des Mannes aufzulösen, um auch für den Mann eine Authentizität zu gewährleisten.603 Lebensstilanalysen sollten hilfreich sein, Veränderungen zu entwickeln. Es sei wichtig, die Gangart und charakterliche Ausprägung der individuellen Person zu betrachten und daraus für den Ratsuchenden Einsichten zu formulieren. Innerhalb der patriarchalen Strukturen der Gesellschaft diskutierte sie, konsequenter als Alfred Adler, die Konstruktion von weiblicher Minderwertigkeit. In dieser Zuschreibung sah sie Gründe für Ehe- und Partnerschaftsprobleme. Entlang Alfred Adlers Begriff des männlichen Protests beschrieb Sofie Lazarsfeld Fehlkompensationen, die mit ungünstigem Geltungsdrang einhergehen. Bildungsoptionen und daraus erwachsene Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten für Frauen – besonders auch für Ehefrauen – wurden zu einem vordergründigen Thema. Der Berufstätigkeit von Frauen schrieb sie eine hohe selbstwertstabilisierende Bedeutung zu. Angekommen in einer modernen, hoch technologisierten Informationsgesellschaft des 21. Jahrhundert ist man verblüfft, wie aktuell die Thesen und Forderungen von Sofie Lazarsfeld aus den zwanziger und dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts sind. Auch heute sind Erziehungsbedingungen für Kinder eng verknüpft mit den Gestaltungsmöglichkeiten von Frauen in der Gesellschaft. Im Zusammenhang mit Familiengründung und Familienarbeit wird weiterhin die Stellung der Frau im Berufsleben diskutiert. Die Diskussion ist heute fortgeschrittener, da sich Frauen mittlerweile viele Berufsfelder erobert haben und dementsprechend Führungspositionen verlangen. Allerdings zeigen aktuelle Zahlen eine Frauenquote in leitenden Positionen von 10 % bis zu 30 %, dass eine wirkliche Gleichberechtigung längst nicht gegeben ist.604 Frauenverbände fordern aktuell eine noch größere Beteiligung im Arbeitssektor und damit einhergehend auch eine Gleichstellung bei gleicher Bezahlung. Besonders Frauen mit Kindern unter 15 Jahren sind seltener berufstätig als
603 Lazarsfeld, S. (1931b) Wie die Frau den Mann erlebt. A.a.O., S. 90. 604 Vgl. Statistisches Bundesamt: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/Qua litaetArbeit/Dimension1/1_4_FrauenFuehrungspositionen.html (15. 08. 2013).
162
Abschließende Betrachtung
andere Frauen.605 Mit diesem Ergebnis sind die Betreuungsbedingungen für Kinder verknüpft, die Sofie Lazarsfeld nicht nur mit Veränderungen von Erziehung, sondern auch explizit mit Lebensweggestaltungen von Frauen in Zusammenhang brachte. Die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau war für Sofie Lazarsfeld die Grundbedingung einer Partnerschaft und Ehe. Nicht nur gleichberechtigte Berufstätigkeit sollte gewährleistet sein, sondern auch eine gemeinsame Anstrengung für Familie und Haushalt. Sie forderte sehr direkt von den Männern, sich auch den Aufgaben von Kindererziehung und Haushaltsführung zuzuwenden. Mit gemeinsamen übergeordneten Aufgaben, wie Robert und Sofie Lazarsfeld es selbst lebten, lässt sich die Beziehung zusätzlich gestalten. Sofie Lazarsfeld beschreibt ein notwendiges Pendel zwischen Autonomie und Selbstverwirklichung verbunden mit einem Bedürfnis nach Gemeinschaftlichkeit. Diese Fragen werden heute, trotz aller Individualisierungsmöglichkeiten des 21. Jahrhunderts, weiterhin gestellt.
5.3
Sofie Lazarsfeld als Persönlichkeit
Aufbauend auf eine liberale Erziehung in ihrer Kindheit entfaltete Sofie Lazarsfeld, trotz einschränkender familiärer und gesellschaftlicher Möglichkeiten, ein lebenslanges Streben nach Weiterentwicklung ihrer Persönlichkeit. Die frühkindliche Gruppenerfahrung mit ihren Spielgefährten führte in ihrem Erwachsenenleben dazu, sich ohne Scheu mit einem gewissen Selbstverständnis auch männlichen Gruppierungen zu nähern und gemeinsame Ziele zu verfolgen. Ihr steter Bildungsdrang, der für sie nicht in eine höhere Schulbildung mündete und ein Studium oder Berufsausbildung nicht vorsah, führte zu enormen autodidaktischen Anstrengungen. Nicht nur die Ausbildungskurse der Individualpsychologie und die Textkenntnis von Alfred Adlers Veröffentlichungen gehörten zu Sofie Lazarsfelds Forschungsgrundlagen, sondern auch eine große Kenntnis von Literatur und Philosophie. Sie hatte die Gabe, sich unvoreingenommen von vielen ihrer Weggefährten zu neuen Wissensfeldern inspirieren zu lassen. Kollegen bescheinigten ihren Fleiß und ihre Einsatzbereitschaft und sahen sie als eine der wichtigsten Vertreterinnen des Vereins für Individualpsychologie. ManÀs Sperber würdigte den von ihr geprägten Begriff vom Mut zur Unvoll-
605 Vgl. Statistisches Bundesamt: https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemi tteilungen/zdw/2013/PD13_009_p002pdf.pdf ?__blob=publicationFile (15. 08. 2013).
Sofie Lazarsfeld als Persönlichkeit
163
kommenheit,606 Arthur Holub dankte Sofie Lazarsfeld für die Einführung der individualpsychologischen Sommerschule.607 Auch außerhalb der individualpsychologischen Gemeinschaft fand ihr Werk Zustimmung. Insbesondere in Frauenkreisen konnte sie sich als Persönlichkeit etablieren. Glaser ermittelte in ihrem Werk den Begriff der Menschwerdung der Frau. Mit dieser Formulierung sei die Voraussetzung für den Willen nach Veränderungen in den traditionellen Konstrukten zwischen Mann und Frau spürbar gewesen.608 Die Entwicklung des therapeutischen Konzepts von Sofie Lazarsfeld in späteren Jahren in den USA wurde im biographischen Teil des Buches lediglich in Form einer Zusammenfassung vorgestellt. Der Fokus dieses Werks lag überwiegend auf der Schaffensphase Sofie Lazarsfelds als aktive Individualpsychologin in Wien vor der Zeit des Faschismus. Sofie Lazarsfeld verlor in den später ausgearbeiteten Veröffentlichungen nie den Bezug zu ihren frühen Werken. Das Prinzip von Gestaltungsfreiheit, Perspektivwechsel und Gleichberechtigung – eben auch zwischen Therapeut und Klient – findet sich in ihren amerikanischen Veröffentlichungen wieder. Die Ebene der Beziehung in der therapeutischen Situation war in ihrem Verständnis maßgeblich geprägt von einer offenen Aussprache. Auch als Therapeutin versuchte sie stetig den Perspektivwechsel zu üben und Verstehens- und Werdensprozesse der Klienten zu fördern. Die vorliegende Arbeit soll dazu beitragen, die wenig referierten Frauenbiographien in der Tiefenpsychologie in Erinnerung zu bringen und deren Relevanz – in diesem Fall für die individualpsychologische Bewegung – zu verdeutlichen. Sofie Lazarsfeld gelang es auf besondere Weise ihre psychologische Arbeit mit einem politischen Engagement zu verknüpfen. Über ihr Wirken in der pädagogischen Ausrichtung der Individualpsychologie hinaus, wurde sie eine aktive Vertreterin der Frauenbewegung.
606 Sperber, M. (1971). Alfred Adler oder Das Elend der Psychologie. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag; S. 143. 607 Arthur Holub zitiert nach Handlbauer, B. (1984), Die Entstehungsgeschichte der Individualpsychologie, A.a.O., S. 160. 608 Glaser, E. (1981). Im Umfeld des Austromarxismus. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte des österreichischen Sozialismus. Wien: Europaverlag.
6.
Literaturverzeichnis
Ackerl, I. (2008). Geschichte Österreichs in Daten – von 1806 bis heute. Wiesbaden: Marix Verlag GmbH. Adler, A. (1904, 1973). Der Arzt als Erzieher. In A. Adler & C. Furtmüller (Hg.), Heilen und Bilden – Ein Buch der Erziehungskunst für Ärzte und Pädagogen (S. 201 – 209). Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag. Adler, A. (1908). Das Zärtlichkeitsbedürfnis des Kindes. Monatshefte für Pädagogik und Schulpolitik, 1, S. 7 – 9. Adler, A. (1908, 1973). Die Theorie der Organminderwertigkeit und ihre Bedeutung für Philosophie und Psychologie. In A. Adler & C. Furtmüller (Hg.), Heilen und Bilden – Ein Buch der Erziehungskunst für Ärzte und Pädagogen. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag. Adler, A. (1912). Über den nervösen Charakter (Vol. 2. Auflage). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Adler, A. (1926). Die Ehe als Aufgabe. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 1, S. 22 – 24. Adler, A. (1929). Familienkonstellationen. In K. H. Witte (Hg.), Schriften zur Erziehung und Erziehungsberatung (1913 – 1937). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Adler, A. (1929). Technik der Erziehungsberatung. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 196 – 202. Adler, A. (1937). Ist Fortschritt der Menschheit möglich? wahrscheinlich? unmöglich? sicher? In A. Bruder-Bezzel (Hg.), Gesellschaft und Kultur (1897 – 1937) – Alfred Adler Studienausgabe Band 7. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG. Adler, A. (2004). Sinn des Lebens. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag. Adler, A. (2005a). Lebenskenntnis. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag. Adler, A. (2005b). Menschenkenntnis. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag. Adler, A. (2007). Persönlichkeit und neurotische Entwicklung. Alfred Adler Sudienausgabe Band 1. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Adler, A., & Furtmüller, C. (1973). Heilen und Bilden – Ein Buch der Erziehungskunst für Ärzte und Pädagogen. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag. Adler, V. (1925). Bemerkungen über die soziologischen Grundlagen des »männlichen Protests«. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 6 (3), 307 – 310. agis, (1992). Die Marienthal-Studie-60 Jahre später. Marie Jahoda zum fünfundachzigsten
166
Literaturverzeichnis
Geburtstag, eingeleitet von Ali Wacker. Hannover : Forschungsverbund Interdisziplinäre Sozialstruktur-forschung der Universitäten Hannover und Oldenburg. Auer, E. (2006). Elin Wägner in Österreich. Roskilde: Zentrum für österreichisch-nordische Kulturstudien, Institut for Kultur og Identitet, Roskilde Universitetscenter. Auer, E. (2009). Mütter, Väter, Amazonen – Elin Wägners Weg zu Väckarklocka über Österreich und die Schweiz. Roskilde: Center for Ostrigsk-Nordiske Kulturstudier, Roskilde Universitetscenter. Bandhauer-Schöffmann, I. (1990). Frauenbewegung und Studentinnen: zum Engagement der österreichischen Frauenvereine für das Frauenstudium. Barboza, A., & Henning, C. H. (2006). Deutsch-Jüdsiche Wissenschaftsschicksale, Studien über Identitätsstrukturen in der Sozialwissenschaft. Bielefeld: transcript Verlag. Bauer, M., Adler, M., Renner, K., Kunfi, S., Fogarasi, B. & Lengyel, J. (1926). Programm der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschösterreichs im Austromarxismus, Texte zu Ideologie und Klassenkampf. Wien: Europa Verlag. Bebel, A. (1994). Die Frau und der Sozialismus. Bonn: Verlag J.H.W. Dietz Nachf. Beil, A. (1925). Mütterlichkeit. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 6 (3), 323 – 327. Benner, D. (1993). Die Pädagogik Herbarts: Eine problemgeschichtliche Einführung in die Systematik neuzeitlicher Pädagogik (Vol. 2. Auflage). Weinheim: Juventa Verlag. Birnbaum, F., & Spiel, O. (1929). Schule und Erziehungsberatung. Internationale Zeitschrift für Individulapsychologie, 7, 184 – 190. Bock, G. (2000). Frauen in der europäischen Geschichte. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. München: C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung. Böhm, W., Schiefelbein, E. & Seichter, S. (2008). Projekt Erziehung – Ein Lehr- und Lernbuch. Paderborn: Ferdinand Schöningh. Bortz, J., & Döring, N. (2003). Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler. Berlin, Heidelberg: Springer. Bottome, P. (2013). Alfred Adler aus der Nähe porträtiert (C. Bach, K. Hölzer, G. LenzenLechner, G. Mackenthun & H. Siebenhüner, Trans.). Berlin: Verlag für Tiefenpsychologie und Anthropologie. Bowlby, J. (2010). Frühe Bindung und kindliche Entwicklung (Vol. 6. Auflage). München: Reinhardt. Braunthal, J. (1965). Victor und Friedrich Adler – Zwei Generationen Arbeiterbewegung. Wien: Verlag der Wiener Volksbuchhandlung. Brenner, M., Jersch-Wenzel, S. & Meyer, M. A. (1997). Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit: Bd. II: Emanzipation und Akkulturation 1780 – 1871 Berlinische Monatsschrift (Vol. 9, pp. 133). Berlin: Edition Luisenstadt. Bruder-Bezzel, A. (1999). Geschichte der Individualpsychologie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Brugger, E., Keil, M., Lichtblau, A., Lind, C. & Staudinger, B. (2006). Geschichte der Juden in Österreich. Wien: Verlag Carl Ueberreuter. Bühler, C. (1928). Kindheit und Jugend – Genese des Bewusstseins. Leipzig: Verlag S. Hirzel. Corino, K. (2003). Robert Musil. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Danzer, G. (2012). Personale Medizin. Bern: Verlag Hans Huber. Dick, J. (1993). Zuckerkandl, Berta. In J. Dick & M. Sassenberg (Eds.), Jüdische Frauen im 19. und 20. Jahrhundert. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH.
Literaturverzeichnis
167
Doll, J. (1997). Theater im Roten Wien: vom sozialdemokratischen Agitprop zum dialektischen Theater Jura Soyfers. Wien: Böhler Verlag. Durieux, T. (1954). Eine Tür steht offen. Berlin-Grunewald: F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung. Dvorak, J. (2004). Helene Bauer- Materialistische Theorien von Wirtschaft und Gesellschaft und der Austromarxismus. In D. Ingrisch, I. Korotin & C. Zwiauer (Hg.), Die Revolutionierung des Alltags – zur intellektuellen Kultur von Frauen im Wien der Zwischenkriegszeit. Frankfurt am Main: Peter Lang. Eisner, M. (2002). Ida Löwy – Menschlichkeit und Engagement. In A. Levy & G. Mackenthun (Eds.), Gestalten um Alfred Adler – Pioniere der Individualpsychologie (S. 203 – 213). Würzburg: Verlag Koenigshausen & Neumann. Ellmeier, A. (2006). Frauenpolitik. Zur Geschichte emanzipatorischer Politik und Praxis (in der ersten Welt). Am Beispiel Österreich. Geschlechtergeschichte-Gleichstellungspolitik-Gender Mainstreaming-Informationen zur Politischen Bildung, 26, S. 5 – 23. Fassmann, M. (1993). Lewald, Fanny. In J. Dick & M. Sassenberg (Hg.), Jüdische Frauen im 19. und 20. Jahrhundert. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH. Florence, R. (1971). Fritz – The Story of a Political Assassin New York: The Dial Press. Freud, S. (1999, 1941). Gesammelte Werke – Band V – Werke aus den Jahren 1904 – 1905. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuchverlag. Friebus-Gergely, D. (2002). Sophie Lazarsfeld oder »Wie die Frau den Mann erlebt«. In A. Levy & G. Mackenthun (Hg.), Gestalten um Alfred Adler – Pioniere der Individualpsychologie (S. 157 – 174). Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann GmbH. Friederich, J. (2013). Alice Rühle-Gerstel (1894 – 1943) – eine in Vergessenheit geratene Individualpsychologin. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann. (in Vorbereitung) Friedmann, A. (1925). Anfänge und Entwicklung des männlichen Protests. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 6(3), 290 – 298. Fuchs, I. (2002). Carl Furtmüller – ein Politiker im Dienste der Jugend. In A. L¦vy & G. Mackenthun (Eds.), Gestalten um Alfred Adler – Pionier der Individualpsychologie. Würzburg: Verlag Koenigshausen & Neumann. Furtmüller, C. (1929). Die pädagogischen und psychologischen Auswirkungen der österreichischen Schulreform. Technik der Erziehung – Ein Leitfaden für Eltern und Kinder, S. 194 – 211. Furtmüller, C. (1983). Denken und Handeln. München, Basel: Verlag Ernst Reinhardt. Glaser, E. (1981). Im Umfeld des Austromarxismus. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte des österreichischen Sozialismus. Wien: Europaverlag. Grondin, J. (2009). Hermeneutik. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Hacohen, M. H. (2000). Karl Popper – The Formative Years, 1902 – 1945. Cambridge, United Kingdom: Cambridge University Press. Hamann, B. (2009). Österreich. Die Deutschen und ihre Nachbarn, Helmut Schmidt und Richard von Weizsäcker (Hg.). München: Beck. Handlbauer, B. (1984). Die Entstehungsgeschichte der Individual-psychologie Alfred Adlers. Wien-Salzburg: Geyer-Edition. Handlbauer, B. (1997). Die Emigration der Wiener Individulapsychologie. Zeitschrift für Individualpsychologie, 22, S. 118 – 141. Handlbauer, B. (2001). Auswirkungen der Emigration auf die Geschichte der Individual-
168
Literaturverzeichnis
psychologie. In U. Lehmkuhl (Hg.), Abschied und Neubeginn. Kontinuität und Wandel in der Individualpsychologie (Vol. 26, S. 59 – 74). München. Handlbauer, B. (2004). Psychoanalytikerinnen und Individual-psychologinnen im Roten Wien. In D. Ingrisch, I. Korotin & C., Zwiauer (Hg.), Die Revolutionierung des Alltags (S. 75 – 100). Frankfurt am Main: Verlag: Peter Lang. Heindl, W & Tichy, M. (Hg.), Durch Erkenntnis zu Freiheit und Glück: Frauen an der Universität Wien (ab 1897) (S. 49 – 78). Wien: Universitätsverlag. Hilferding, M. (1926). Geburtenregelung. In S. Lazarsfeld (Hg.), Richtige Lebensführung. Wien. Hirsch. (1905). Ueber Basedowsche Krankheit, ihren Zusammenhang mit Herzleiden und ihre Behandlung. München: Verlag der Aertzlichen Rundschau. Hirsch, L. (1966). Jüdische Glaubenswelt. Gütersloh: Bertelsmann. Holzey, H. (1997). Natorp, Paul. Neue deutsche Biographie (Vol. 18). Berlin: Duncker & Humbolt. Hopf, C. & Matthes, E. (2001). Helene Lange und Gertrud Bäumer : Ihr Engagement für die Frauen- und Mädchenbildung. Kommentierte Texte. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Jahoda, M. (2002). Ich habe die Welt nicht verändert – Lebenserinnerungen einer Pionierin der Sozialforschung. Weinheim und Basel: Beltz Verlag. Kenner, C. (2002). Lazarsfeld, Sophie. In S. Blumesberger, M. Doppelhofer & G. Mauthe (Hg.), Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft. 18. bis 20. Jahrhundert. München: Verlag K. G. Saur. Kenner, C. (2007). Der zerrissene Himmel – Emigration und Exil der Wiener Individualpsychologie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG. Kennert, C. (1996). Paul Cassirer und sein Kreis : ein Berliner Wegbereiter der Moderne (Vol. Band 4). Frankfurt am Main: Lang. Key, E. (1902). Das Jahrhundert des Kindes. Berlin: S. Fischer Verlag. Kinder, H., Hilgemann, W. & Hergt, M. (2010). dtv-Atlas Weltgeschichte. München: Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG. Klaus, E. (2008). What do we really know about Herta Herzog? Eine Spurensuche. Medien & Kommunikationswissenschaft, 2(56), S. 227 – 252. Knopf, O. (1929). Prophylaktische Erziehungsberatung in Elternvereinen. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 7, S. 192 – 195. Kramer, R. (1976). Maria Montessori. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag. Kümmel, U. (2002). Oskar Spiel – Ein Mensch wächst mit seinen Aufgaben. In A. Levy & G. Mackenthun (Hg.), Gestalten um Alfred Adler – Pioniere der Individualpsychologie. Würzbug: Verlag Königshausen & Neumann GmbH. Kümmel, U. (2010). Erwin Wexberg – Ein Leben zwischen Individualpsychologie, Psychoanalyse und Neurologie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Lange, H., & Bäumer, G. (1902). Handbuch der Frauenbewegung. Berlin: W. Moeser. Lazarsfeld, P. F. (1927). Marxismus und Individualpsychologie. Die sozialistische Erziehung, 5, S. 98 – 101. Lazarsfeld, P. F. (1929). Das Schulkind. Technik der Erziehung – Ein Leitfaden für Eltern und Kinder, S. 95 – 104. Lazarsfeld, P. F. (2008). Eine Episode in der Geschichte der empirischen Sozialforschung: Erinnerungen. In W. R. Langenbucher (Hg.), Paul Felix Lazarsfeld – Leben und Werk (S. 21 – 92). Wien: Wilhelm Braumüller.
Literaturverzeichnis
169
Lazarsfeld, P. F., Reininger, K., & Jahoda, M. (1929). Das Weltbild des Jugendlichen. Technik der Erziehung – Ein Leitfaden für Eltern und KInder, S. 213 – 237. Lazarsfeld, S. (1924). Erotisches Gedächtnis und erotische Treue. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 3, S. 31 – 33. Lazarfeld, S. (1925). Seelenforschung und Sozialismus – Was sagt die Individualpsychologie Alfred Adlers? In Arbeiterzeitung Nr. 265, 27. 09. 1925, S. 19. Lazarsfeld, S. (1926a). Mut zur Unvollkommenheit. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 4, S. 375 – 381. Lazarsfeld, S. (1926b). Vom häuslichen Frieden Richtige Lebensführung – Volkstümliche Aufsätze zur Erziehung des Menschen nach den Grundsätzen der Individualpsychologie (Vol. 1). Wien und Leipzig: Verlag Moritz Perles. Lazarsfeld, S. (1927a). Das lügenhafte Kind. Dresden: Verlag am anderen Ufer. Lazarsfeld, S. (1927b). Die Ehe von heute und morgen. In A. Adler, L. Seif & O. Kaus (Hg.), Individuum und Gemeinschaft. München: Verlag J.F. Bergmann. Lazarsfeld, S. (1927c). Familien- und Gemeinschaftserziehung. In E. Wexberg (Hg.), Handbuch der Individualpsychologie (pp. 323 – 335). München Verlag J. F. Bergmann. Lazarsfeld, S. (1928). Erziehung zur Ehe. Wien und Leipzig: Verlag Moritz Perles. Lazarsfeld, S. (1929a). Grundbegriffe der modernen Erziehung. Technik der Erziehung – Ein Leitfaden für Eltern und Lehrer, S. 1 – 16. Lazarsfeld, S. (1929b). Sexuelle Fälle in der Erziehungsberatung. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 7, S. 220 – 224. Lazarsfeld, S. (1930). Über Eheberatung. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 8, S. 160 – 164. Lazarsfeld, S. (1931a). Sexuelle Erziehung. Wien und Leipzig: Verlag Moritz Perles. Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. Leipzig, Wien: Verlag für Sexualwissenschaft Schneider & Co. Lazarsfeld, S. (1931c). Zehn Jahre Wiener Beratungsarbeit. Zeitschrift für Kinderforschung, 39, S. 68 – 80. Lazarsfeld, S. (1935). Sexual Cases on Child Guidance Clinics. International Journal of Individual Psychology, 1, S. 40 – 46. Lazarsfeld, S. (1936). Dare to be less than perfect. International Journal of Individual Psychology, 2, S. 76 – 82. Lazarsfeld, S. (1947). War and peace between sexes. Individual Psychology Bulletin, S. 74 – 79. Lazarsfeld, S. (1949a). Dreamlife and dream of life. Individual Psychology Bulletin, S. 87 – 93. Lazarsfeld, S. (1949b). The use of fiction in psychotherapy. American Journal of Psychotherapy, 3, S. 26 – 33. Lazarsfeld, S. (1952). Pitfalls in Psychotherapy. American Journal of Indivdual Psychology, S. 20 – 26. Lazarsfeld, S. (1956). Sources of obstacles in the course of therapy. American Journal of Psychotherapy, 12, S. 136 – 138. Lazarsfeld, S. (1958). Change of Life – End of Life. Journal of Individual Psychology, 14, S. 167 – 170. Lazarsfeld, S. (1959). Did Oedipus have an Oedipus Complex. In K. A. Adler (Hg.), Essays in Individual Psychology (pp. 118 – 125). New York: The Polyglot Press.
170
Literaturverzeichnis
Lazarsfeld, S. & Kadis, A. (1948). The respective roles of earliest recollections and images. American Journal of Psychotherapy, 2 250 – 255. List, E. (2006). Mutterliebe und Geburtenkontrolle – Zwischen Psychonalyse und Sozialismus. Die Geschichte der Margarethe Hilferding-Hönigsberg. Wien: Mandelbaum Verlag. Löwy, I. (1929). Aus der Praxis der Beratungsstellen. Technik der Erziehung – Ein Leitfaden für Eltern und Kinder, S. 301 – 313. Lunzer, H. & Lunzer-Talos, V. (2003). Peter Altenberg – Extracte des Lebens – Einem Schriftsteller auf der Spur. Salzburg: Residenz Verlag. Mackenthun, G. (2002). Otto Glöckel – Organisator der Wiener Schulreform. In A. Levy & G. Mackenthun (Hg.), Gestalten um Alfred Adler – Pioniere der Individualpsychologie (S. 99 – 117). Würzburg: Verlag Koenigshausen & Neumann. Maderthaner, W. (2009). In G. Benser & M. Schneider (Hg.), Bewahren-Verbreiten-Aufklären: Archivare, Bibliothekare und Sammler der Quellen der Deutschsprachigen Arbeiterbewegung. Bonn- Bad Godesberg: Friedrich Ebert Stiftung. Malleier, E. (2003). Jüdische Frauen in Wien: 1816 – 1938 Wien: Mandelbaum-Verlag. Mann, K. (2004). Ellen Key – Ein Leben über die Pädagogik hinaus. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Menschik, J. (1977). Feminismus. Geschichte, Theorie, Praxis. Köln: Pahl-Rugenstein Verlag. Minor, M. (1925). Ursachen und treibende Kräfte der Frauenbewegung im Lichte der Individualpsychologie Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 6 (3), S. 310 – 314. Montaigne, M. (2010). Essais. Frankfurt am Main: Zweitausendeins. Natorp, P. (1898). Sozialpädagogik. Theorie der Willensbildung auf der Grundlage der Gemeinschaft. In R. Pippert (Hg.), Schöninghs Sammlung pädagogischer Schriften. Quellen zur Historischen, Empirischen und Vergleichenden Erziehungswissenschaft (1974). Paderborn: Schöningh. Nekula, M. & Koschmal, W. (Hg.). (2006). Juden zwischen Deutschen und Tschechen – Sprachliche und kulturelle Identitäten in Böhmen 1800 – 1945. München: Oldenbourg Verlag. Neurath, P. (2008). Paul Lazarsfeld – Leben und Werk. In W. R. Langenbucher (Hg.), Paul Felix Lazarsfeld – Leben und Werk. Anstatt einer Biografie. (Vol. Band 1, S. 115 – 135). Wien: Edition Sozialwissenschaften. Oelkers, J. (2005). Reformpädagogik: eine kritische Dogmengeschichte. Weinheim und München: Juventa Verlag. Petermann, F., Niebank, K. & Scheithauer, H. (2004). Entwicklungswissenschaft. Berlin, Heidelberg: Springer. Püttlingen von, J. V. (1860). Handbuch des in Österreich geltenden internationalen Privatrechtes. Wien: Wilhelm Braumüller – k.k. Hofbuchhändler. Rattner, J. (1972). Alfred Adler. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuchverlag GmbH. Rattner, J. (1981a). Johann Amos Comenius Große Pädagogen im Lichte der Tiefenpsychologie (S. 45 – 63). Wien: Europa Verlag. Rattner, J. (1981b). Johann Heinrich Pestalozzi Große Pädagogen im Lichte der Tiefenpsychologie. Wien: Europa Verlag.
Literaturverzeichnis
171
Rattner, J. (1981c). Montaigne als Pädagoge Große Pädagogen im Lichte der Tiefenpsychologie (S. 33 – 44). Wien: Europa Verlag. Rattner, J. (1986). Alfred Adler zu Ehren – Zu seinem 50. Todesjahr (1937). Berlin: Verlag für Tiefenpsychologie. Rattner, J. & Danzer, G. (2001). Liebe und Ehe – Zur Psychologie der Zweierbeziehung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Rattner, J. & Danzer, G. (2003). Johann Jakob Bachofen und die Mutterrechtstheorie in Europäische Kulturbeiträge im deutsch-schweizerischem Schrifttum von 1850 bis 2000. Würzburg: Königshausen & Neumann. Rattner, J. & Danzer, G. (2009). Hermeneutik und Psychoanalyse – Das Verstehen als Lebensaufgabe, Wissenschaftsmethode und Fundamentalethos. Würzburg: Königshausen & Neumann. Rattner, J. & Danzer, G. (2010). Pädagogik und Psychoanalyse. Würzbug: Verlag Königshausen & Neumann GmbH. Roche. (2003). Lexikon Medizin (Vol. 5). München, Jena: Urban & Fischer Verlag. Rousseau, J.-J. (1998). Emil oder Über die Erziehung (Vol. 13.). Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh. Rousseau, J.-J. (2010). Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen (P. Rippel, Trans.). Stuttgart: Reclam. Rühle-Gerstel, A. (1925). Über die Eifersucht als weibliche Sicherung. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 6, S. 314 – 320. Scheibe, W. (1994). Die reform-pädagogische Bewegung (Vol. 10. Auflage). Weinheim: Beltz. Scheithauer, H. & Petermann, F. (2002). Prädiktion aggressiv/ dissozialen Verhaltens: Entwicklungsmodell, Risikobedingungen und Multiple-Gating-Screening. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie, 10, S. 121 – 140. Schiferer, R. (1995). Alfred Adler – Eine Bildbiographie. München, Basel: Ernst Reinhardt Verlag. Schiferer, R. (2004). Raissa Adler (1872 – 1962)- Von der bürgerlichen Frauenbewegung zum österreichischen Trotzkismus. In D. Ingrisch, I. Korotin & C. Zwiauer (Hg.), Die Revolutionierung des Alltags. Frankfurt am Main: Verlag: Peter Lang. Schnack, I. (1990). Rainer Maria Rilke – Chronik seines Lebens und seines Werkes (Vol. Erster Band). Frankfurt am Main: Insel Verlag. Schneider, C. (2006). Die Anfänge des Frauenstudiums in Europa – Ein Blick über die Grenzen Württembergs. Aus: http://www.uni-tuebingen.de/frauenstudium. Schorske, C. E. (1982). Wien – Geist und Gesellschaft im Fin de Si¦cle (H. Günther, Trans.). Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag. Schulhof, H. (1914). Individualpsychologie und Frauenfrage. Schriften des Vereins für Individualpsychologie, 6, S. 2 – 31. Seidler, R. (1929). Die individualpsychologischen Beratungsstellen in Berlin. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 7, S. 161 – 170. Seidler, R. (1935). Die Entwicklung der individualpsychologischen Erziehungsberatungsstellen In Wien. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, S. 217 – 220. Seidler, R. (1937). Alfred Adler als Erziehungsberater. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 15, S. 159 – 162.
172
Literaturverzeichnis
Simmel, G. (1908). Exkurs über Treue und Dankbarkeit Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Dankbarkeit (S. 438 – 447). Berlin: Duncker & Humbolt Verlag. Sicher, L. (1931). Das erste individualpsychologische Ambulatorium in Wien. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 9, S. 312 – 317. Sigusch, V. & Grau, G. (2009). Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt am Main: Campus. Sperber, M. (1971). Alfred Adler oder Das Elend der Psychologie. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag. Stauber, M. (2008). Psychosomatische Aspekte in der Geburtshilfe. In R. H. Adler, J. M. Herrmann, K. Köhle, W. Langewitz, O. W. Schnonecke, T. v. Uexküll & W. Wesiack (Hg.), Psychosomatische Medizin (Vol. 6). München, Jena: Urban & Fischer. Stern, F., & Eichinger, B. (2009). Wien und die jüdische Erfahrung 1900 – 1938. Wien, Köln, Weimar : Böhlau Verlag. Tröhler, D. (2008). Johann Heinrich Pestalozzi. Bern: Haupt Verlag. Uexküll, T. v. (2008). Psychosomatische Medizin – Modelle ärztlichen Denkens und Handelns. München, Jena: Urban & Fischer. Weiland, D. (1983). Geschichte der Frauenemanzipation in Deutschland und Österreich. Düsseldorf: Econ Taschenbuch Verlag GmbH. Weiss, H. (2008). Das Rote Schönbrunn. Wien: echomedia verlag. Wexberg, E. (1924). Alfred Adlers Individualpsychologie und die sozialistische Erziehung. Die sozialistische Erziehung, 12, S. 428 – 433. Zweig, S. (2010). Die Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers (38. Auflage). Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag.
6.1
Internetquellen
http://geschichte.landesmuseum.net, [06. 04. 2012] http://www.dasrotewien.at, [17. 04. 2012] http://www.architektenlexikon.at/de/321.htm, [13. 11. 2011] http://www.dhm.de/lemo/html/dokumente/hilferding/index.html, [18. 04. 2012] http://www.munzinger.de/document/00000001535 ,[11. 07. 2012] http://www.univie.ac.at/biografiA/daten/text/bio/bauer_he.htm, [15. 05. 2011] http://agso.uni-graz.at/marienthal/biografien/bauer_otto.htm, [15. 05. 2011] http://www.fraueninbewegung.onb.ac.at, [29. 07. 2012] http://www.icassi.net, [15. 05. 2011] http://agso.uni-graz.at/marienthal/biografien/lazarsfeld_sofie.htm, [15. 02. 2011] http://www.buecherlesung.de/liste.htm#L., [09. 06. 2013] http://www.regensburger-nachrichten.de/freizeit/73175-lesung-in-gedenken-an-die-bue cherverbrennung, [09. 06. 2013] http://alex.onb.ac.at [27. 05. 2013] http://www.ruth-cohn-institute.com/page/7/geschichte& mm=13& sub=15, [22. 06. 2013] http://www.univie.ac.at/biografiA/daten/text/bio/Roubiczek-Peller_Lili.htm, [03. 01. 2013]
Briefwechsel
173
http://austria-forum.org/af/AEIOU/Renner%2C_Karl [10. 02. 2013] http://www.aai-ny.org, [21. 06. 2013] http://www.dasrotewien.at/ausromarximus.html, [30. 01. 2013] http://www.univie.ac.at/biografiA/daten/ [18. 03. 2013] – Buchstabe S http://www.onb.ac.at/ariadne/vfb/bio_minordaisy.htm [18. 08. 2013] https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/QualitaetArbeit/Dimension1/1_ 4_FrauenFuehrungspositionen.html [15. 08. 2013] https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/zdw/2013/PD13_ 009_p002pdf.pdf ?__blob=publicationFile [15. 08. 2013]
6.2
Unveröffentlichte Quellen – Privatbesitz Zerner
Lazarsfeld, S. (1970). Übergabebrief: Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung – Adler Archiv. Lazarsfeld, S. (1972). Lebenserinnerungen, Teil 1 – unveröffentlicht. Lazarsfeld, S. (1973). Lebenserinnerungen Teil 2 – unveröffentlicht. Lazarsfeld, S. (1975a). Lebenserinnerungen Teil 1 – Fassung A – unveröffentlicht. Lazarsfeld, S. (1975b). Lebenserinnerungen Teil 1 – Fassung B – unveröffentlicht. Lazarsfeld, S. (1975c). Lebenserinnerungen Teil 1 – Fassung C – unveröffentlicht.
6.3
Briefwechsel
6.3.1 Sofie Lazarsfeld und Elin Wägner von 1935 bis 1948 In der Universitätsbibliothek von Göteborg befinden sich in der Sammlung Kvinnohistorika samlingarna 40 Originalbriefe, von denen 26 nicht mit einem Datum versehen wurden. 14 Briefe konnten mit Datum Zeitabläufen zugeordnet werden. Das Jahresdatum konnte für Briefe aus den Jahren 1939 anhand des Inhalts ergänzt werden.
Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, Wien, Österreich, 02. 01. 1937, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Flory Gate (Freundin von Elin Wägner), Wien, Österreich, 30. 01. 1938, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Flory Gate (Freundin von Elin Wägner), Wien, Österreich, 28. 05. 1938, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, Paris, Frankreich, 04. 11. 1938, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, Paris, Frankreich, 05. 12. 1938, KvinnSam at Gothenburg University Library.
174 Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, Paris, Frankreich, 06. 01. 1939, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, Paris, Frankreich, 25. 02. 1939, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, Paris, Frankreich, 21. 03. 1939, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, Paris, Frankreich, 13. 04. 1939, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, Paris, Frankreich, 17. 05. 1939, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, Paris, Frankreich, 07. 07. 1939, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, Paris, Frankreich, 02. 09. 1939, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, Paris, Frankreich, 14. 09. 1939, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, Paris, Frankreich, 17. 09. 1939, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, Paris, Frankreich, 25. 09. 1939, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, Paris, Frankreich, 30. 11. 1939, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, Paris, Frankreich, 29. 02. 1940, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, New York, USA, 05. 06. 1940, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, New York, USA, 10. 01. 1945, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, New York, USA, 01. 11. 1945, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, New York, USA, 27. 02. 1946, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, New York, USA, 07. 07. 1946, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, New York, USA, 10. 08. 1946, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, Paris, Frankreich, 19. 10. 1946, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, New York, USA, 08. 02. 1947, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, New York, USA, 05. 04. 1947, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, New York, USA, 22. 06. 1947, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, New York, USA, 04. 11. 1947, KvinnSam at Gothenburg University Library.
Literaturverzeichnis
Briefwechsel
175
Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, New York, USA, 09. 05. 1948, KvinnSam at Gothenburg University Library. Elin Wägner an Sofie Lazarsfeld, Bergslund, Schweden, 15. 05. 1948, KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner, New York, USA, 21. 11. 1948, KvinnSam at Gothenburg University Library.
6.3.2 Sofie Lazarsfeld und Friedrich Adler von 1916 bis 1960 Ein umfänglich erhaltender Briefwechsel mit einem Übergabebrief wurde dem Verein der Freunde der Geschichte der Arbeiterbewegung am 03. 07. 1970 zur Verfügung gestellt. Die Übergabe wurde durch Paul Lazarsfeld vermittelt. Im heutigen Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung in Wien sind die Briefe im Adler-Archiv einsehbar. Die unten stehenden Angaben beziehen sich auf, für diese Arbeit relevante, Archivmappen.
Übergabebrief Sofie Lazarsfeld an das Archiv 1970, Adler Archiv, Mappe 285, Tasche 1. Friedrich Adler an Sofie Lazarsfeld vom 04. 03. 1941 bis 31. 10. 1942, Adler Archiv, Mappe 286, Tasche 1, 23 Briefe. Friedrich Adler an Sofie Lazarsfeld vom 07. 04. 1946 bis 20. 12. 1946, Adler Archiv, Mappe 290, Tasche 1, 36 Briefe. Friedrich Adler an Sofie Lazarsfeld vom 10. 01. 1947 bis 21. 12. 1947, Adler Archiv, Mappe 291, Tasche 1, 23 Briefe. Friedrich Adler an Sofie Lazarsfeld vom 22. 01. 1954 bis 11. 10. 1954, Adler Archiv, Mappe 298, Tasche 1, 34 Briefe. Friedrich Adler an Sofie Lazarsfeld vom 06. 01. 1955 bis 24. 12. 1955, Adler Archiv, Mappe 299, Tasche 1, 29 Briefe. Friedrich Adler an Sofie Lazarsfeld vom 06. 01. 1956 bis 10. 11. 1956, Adler Archiv, Mappe 300, Tasche 1, 35 Briefe. Sofie Lazarsfeld an Friedrich Adler vom 14. 09. 1940 bis 07. 10. 1951, Adler Archiv, Mappe 303, Tasche 1, 35 Briefe. Sofie Lazarsfeld an Friedrich Adler vom 05. 01. 1953 bis 29. 12. 1953, Adler Archiv, Mappe 304, Tasche 1, 40 Briefe. Sofie Lazarsfeld an Friedrich Adler vom 27. 01. 1954 bis 24. 09. 1954, Adler Archiv, Mappe 305, Tasche 1, 28 Briefe. Sofie Lazarsfeld an Friedrich Adler vom 28. 01. 1955 bis 18. 11. 1958, Adler Archiv, Mappe 306, Tasche 1, 12 Briefe. Sofie Lazarsfeld, diverse und nicht datierte Korrespondenz, Einzelstücke, Adler Archiv, Mappe 307, Tasche 1. Friedrich Adler an Paul Lazarsfeld vom 16. 07. 1916 bis 24. 09. 1940, Adler Archiv, Mappe 308, Tasche 1, 7 Briefe.
176
Literaturverzeichnis
Friedrich Adler an Elisabeth Zerner (geb. Lazarsfeld) vom 14. 08. 1946 bis 23. 08. 1954, Adler Archiv, Mappe 308, Tasche 1, 10 Briefe. Elisabeth Zerner (geb. Lazarsfeld) an Friedrich Adler vom 09. 01. 1948 bis 28. 04. 1948, Adler Archiv, Mappe 308, Tasche 1, 3 Briefe. Alice Waeger (geb. Adler) an Sofie Lazarsfeld vom 03. 01. 1960 bis 21. 05. 1970, Adler Archiv, Mappe 308, Tasche 1, 16 Briefe.
6.4
Bibliographie
Diese Liste führt alle deutsch- und englischsprachigen Werke und Schriften von Sofie Lazarsfeld auf, von denen ich Kenntnis habe. Die Liste ist chronologisch sortiert. Zu ihren Veröffentlichungen gehören eine Vielzahl von Zeitungsartikeln, die ebenfalls chronologisch aufgeführt werden.
Lazarsfeld, S. (1924). Erotisches Gedächtnis und erotische Treue. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 3, S. 31 – 33. Lazarsfeld, S. (1926a). Mut zur Unvollkommenheit. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 4, S. 375 – 381. Lazarsfeld, S. (1926b). Vom häuslichen Frieden Richtige Lebensführung – Volkstümliche Aufsätze zur Erziehung des Menschen nach den Grundsätzen der Individualpsychologie (Vol. 1). Wien und Leipzig: Verlag Moritz Perles. Lazarsfeld, S. & Wagner, L. (1926c). Die Großstadt als Lebensform. Du und der Alltag, S. 179 – 188. Lazarsfeld, S. (1926/27). Kleist im Lichte der Individualpsychologie Jahrbuch der Kleistgesellschaft 1926/1927. Berlin: Kleistgesellschaft. Lazarsfeld, S. (1927a). Das lügenhafte Kind. Dresden: Verlag am anderen Ufer. Lazarsfeld, S. (1927b). Die Ehe von heute und morgen. In A. Adler, L. Seif & O. Kaus (Hg.), Individuum und Gemeinschaft. München: Verlag J.F. Bergmann. Lazarsfeld, S. (1927c). Familien- und Gemeinschaftserziehung. In E. Wexberg (Hg.), Handbuch der Individualpsychologie (S. 323 – 335). München Verlag J. F. Bergmann. Lazarsfeld, S. (1927d). Kleists Penthesilea. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 5, S. 450 – 457. Lazarsfeld, S. (1928). Erziehung zur Ehe. Wien und Leipzig: Verlag Moritz Perles. Lazarsfeld, S. (1929a). Grundbegriffe der modernen Erziehung. Technik der Erziehung – Ein Leitfaden für Eltern und Lehrer, S. 1 – 16. Lazarsfeld, S. (1929b). Sexuelle Fälle in der Erziehungsberatung. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 7, S. 220 – 224. Lazarsfeld, S. (1930). Über Eheberatung. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 8, S. 160 – 164. Lazarsfeld, S. (1931a). Sexuelle Erziehung. Wien und Leipzig: Verlag Moritz Perles. Lazarsfeld, S. (1931b). Wie die Frau den Mann erlebt. Leipzig, Wien: Verlag für Sexualwissenschaft Schneider & Co.
Bibliographie
177
Lazarsfeld, S. (1931c). Zehn Jahre Wiener Beratungsarbeit. Zeitschrift für Kinderforschung, 39, S. 68 – 80. Lazarsfeld, S. (1935). Sexual Cases on Child Guidance Clinics. International Journal of Individual Psychology, 1, S. 40 – 46. Lazarsfeld, S. (1936). Dare to be less than perfect. International Journal of Individual Psychology, 2, S. 76 – 82. Lazarsfeld, S. (1936). Jarl Skules Weg zu Gott. Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie, 14, S. 176 – 191. Lazarsfeld, S. (1947). War and peace between sexes. Individual Psychology Bulletin, S. 74 – 79. Lazarsfeld, S. (1949a). Dreamlife and dream of life. Individual Psychology Bulletin, S. 87 – 93. Lazarsfeld, S. (1949b). The use of fiction in psychotherapy. American Journal of Psychotherapy, 3, S. 26 – 33. Lazarsfeld, S. (1952). Pitfalls in Psychotherapy. American Journal of Indivdual Psychology, S. 20 – 26. Lazarsfeld, S. (1956). Sources of obstacles in the course of therapy. American Journal of Psychotherapy, 12, S. 136 – 138. Lazarsfeld, S. (1958). Change of Life – End of Life. Journal of Individual Psychology, 14, S. 167 – 170. Lazarsfeld, S. (1959). Did Oedipus have an Oedipus Complex. In K. A. Adler (Hg.), Essays in Individual Psychology (pp. 118 – 125). New York: The Polyglot Press. Lazarsfeld, S. & Kadis, A. (1948). The respective roles of earliest recollections and images. American Journal of Psychotherapy, 2, 250 – 255.
In Frankreich veröffentlicht Lazarsfeld, S. (1950). Le Rythme de L’ amour. Les editions de Paris; societe d’editions litteraire. Lazarsfeld, S., & Kadis, A. (1954). L’age critique« est-il un age critique? In: Psych¦ 9, S. 152 – 163.
Unveröffentlicht Lazarsfeld, S. (Jahreszahl unbekannt, vermutlich 1950er oder 1960er Jahre). The Fiction Mirror – Reflections of Conscious and Subconscious Realities. 300 Seiten, (Privatbesitz Henri Zerner).
178
Literaturverzeichnis
6.4.1 Zeitungsartikel 6.4.1.1 Die Moderne Frau Lazarsfeld, S. (15. 11 1927). Aus der Beratungsstelle. 2. Jg., Nr. 23 – 24. Lazarsfeld, S. (15. 06 1927). Der abgebaute Katheder. Ein Bericht über die Ergebnisse der österreichischen Schulreform. 2. Jg. Lazarsfeld, S. (15. 10 1927). Die Behandlung des Kleinkindes. 2. Jg., Nr. 20.
6.4.1.2 Arbeiterzeitung Lazarsfeld, S. (06. 02. 1925). Unser Kind will was gelten in Arbeiterzeitung, S. 9. Lazarfeld, S. (27. 09. 1925). Seelenforschung und Sozialismus – Was sagt die Individualpsychologie Alfred Adlers? In Arbeiterzeitung Nr. 265, 27. 09. 1925., S. 19. Lazarsfeld, S. (21. 02. 1926). Erziehung zur Ehe in Arbeiterzeitung, S. 19. Lazarsfeld, S. (25. 04. 1926). Kinderlügen in Arbeiterzeitung, S. 18.
6.4.1.3 Bunte Woche (Wien) Lazarsfeld, S. (06. 11. 1932). Ehrbarer Anschluß gesucht. Was soll ich Grete raten. In Bunte Woche. Nr. 1, S. 7. Lazarsfeld, S. (13. 11. 1932). Eifersucht. In Bunte Woche. Nr. 2, S. 13. Lazarsfeld, S. (20. 11. 1932). Auf diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege – Ratschläge an Grete – und ein Dutzend neuer Fragen. In Bunte Woche, Nr. 3, S. 13. Lazarsfeld, S. (27. 11. 1932). Treu und Untreu in der Liebe. In Bunte Woche. Nr. 4, S. 15. Lazarsfeld, S. (04. 12. 1932). Begabung zur Liebe. In Bunte Woche. Nr. 5, S. 15. Lazarsfeld, S. (11. 12. 1932). Die Frau und der Hampelmann – Sexuelle Hörigkeit. In Bunte Woche. Nr. 6, S. 15. Lazarsfeld, S. (18. 12. 1932). Der »Erste«. Das Problem der Jungfräulichkeit. In Bunte Woche. Nr. 7, S. 15. Lazarsfeld, S. (25. 12. 1932). Zehn Gebote für die »vollkommene Ehe«. In Bunte Woche. Nr. 8, S. 15. Lazarsfeld, S. (01. 01. 1933). Zigeuner der Liebe? In Bunte Woche. Nr. 1, S. 15. Lazarsfeld, S. (08. 01. 1933). Die männliche Kraft. In Bunte Woche. Nr. 2, S. 15. Lazarsfeld, S. (15. 01. 1933). Herz in Ziffern. Aus einer seelischen Beratungsstelle. In Bunte Woche. Nr. 3, S. 15. Lazarsfeld, S. (22. 01. 1933). »Frühlingserwachen«. In Bunte Woche. Nr. 4, S. 15. Lazarsfeld, S. (12. 02. 1933). Antworten zur Lebensberatung. In Bunte Woche. Nr. 7, S. 15.
Bibliographie
179
Lazarsfeld, S. (19. 2. 1933). Antworten zur Lebensberatung. In Bunte Woche. Nr. 8, S. 15. Lazarsfeld, S. (26. 02. 1933). Lebensberatung. In Bunte Woche. Nr. 9, S. 15. Lazarsfeld, S. (19. 03. 1933). Mensch in Not. In Bunte Woche. Nr. 12, S. 15. Lazarsfeld, S. (02. 04. 1933). Antworten zur Lebensberatung. In Bunte Woche. Nr. 14, S. 15. Lazarsfeld, S. (09. 04. 1933). Sind Träume – Schäume? In Bunte Woche. Nr. 15, Nr. 15. Lazarsfeld, S. (16. 04. 1933). Ein Mann fragt . . . In Bunte Woche. Nr. 16, S. 15. Lazarsfeld, S. (23. 04. 1933). Wann ist »rechtzeitig«? In Bunte Woche. Nr. 17, S. 15. Lazarsfeld, S. (23. 04. 1933). Antworten zur Lebensberatung. In Bunte Woche. Nr. 17, S. 15. Lazarsfeld, S. (07. 05. 1933). Kalte Frauen. In Bunte Woche. Nr. 19. S. 15. Lazarsfeld, S. (21. 05. 1933). Die alternde Frau. In Bunte Woche. Nr. 21, S. 15. Lazarsfeld, S. (28. 05. 1933). » . . . Von Herzen, ein wenig oder gar nicht.« In Bunte Woche. Nr. 22, S. 13. Lazarsfeld, S. (04. 06. 1933). Das Liebesthermometer. Eine Frage an unsere Leser. In Bunte Woche. Nr. 23, S. 13. Lazarsfeld, S. (02. 07. 1933). Antworten zur Lebensberatung. In Bunte Woche. Nr. 27, S. 15. Lazarsfeld, S. (09. 07. 1933). Liebe und Kirschenessen. Haben Sie richtig gewählt? In Bunte Woche. Nr. 28, S. 15. Lazarsfeld, S. (16. 07. 1933). Antworten zur Lebensberatung. In Bunte Woche. Nr. 29, S. 15. Lazarsfeld, S. (23. 07. 1933). Muß geschieden sein? In Bunte Woche. Nr. 30, S. 15. Lazarsfeld, S. (30. 07. 1933). Antworten auf unsere Anfrage im Artikel »Das Liebesthermometer«. In Bunte Woche. Nr. 31, S. 15. Lazarsfeld, S. (13. 08. 1933). Wenn die Liebe stirbt. In Bunte Woche. Nr. 33, S. 15. Lazarsfeld, S. (20. 08. 1933). Nicht schlagen! In Bunte Woche. Nr. 34, S. 15. Lazarsfeld, S. (27. 08. 1933). Also bitte – soll man heiraten? Eine Frage an unsere Leser. In Bunte Woche. Nr. 35, S. 13. Lazarsfeld, S. (10. 09. 1933). Was sagt uns ein Brief ? In Bunte Woche. Nr. 37, S. 15. Lazarsfeld, S. (24. 09. 1933) Wie sag’ ich’s meinem Mann, wie sag’ ich’s meiner Frau. In Bunte Woche. Nr. 39, S. 13. Lazarsfeld, S. (01. 10. 1933) Erster Schultag – und was dann . . . ? In Bunte Woche. Nr. 40, S. 13.
180
Literaturverzeichnis
Lazarsfeld, S. (08. 10. 1933) Trotz alledem – heiraten! In Bunte Woche. Nr. 41, S. 13. Lazarsfeld, S. (15. 10. 1933). Jede Frau hat heimlich eine Sehnsucht . . . In Bunte Woche. Nr. 42, S. 15. Lazarsfeld, S. (22. 10. 1933). Wie erlebt die Frau den Ehemann. In Bunte Woche. Nr. 43, S. 15. Lazarsfeld, S. (29. 03. 1933). Nur nicht heiraten! In Bunte Woche. Nr. 44, S. 15. Lazarsfeld, S. (05. 11. 1933). Rund um die Ehe. In Bunte Woche. Nr. 45, S. 15. Lazarsfeld, S. (19. 11. 1933). Antworten zur Lebensberatung. In Bunte Woche. Nr. 47, S. 15. Lazarsfeld, S. (07. 01. 1934). Antworten zur Lebensberatung. In Bunte Woche. Nr. 1, S. 15.
6.4.1.4 Verschiedenes Lazarsfeld, S. (16. 10. 1927). Zu Heinrich von Kleists 150. Geburtstag. In Arbeiterwille: Graz. Lazarsfeld, S. (21. 01. 1929). Was fragen die Besucher der Eheberatungsstellen? In Der Morgen (Wien) Nr. 3. Lazarsfeld, S. (Feb./März 1933). Sophie Lazarsfeld: Zur Frage der sexuellen Aufklärung der Jugend. In Bildungsarbeit (Wien). Nr. 2/3.
6.4.1.5 Rezensionen Tartaruga, U. (08. 04. 1927). Die Ehe von heute und morgen. In Neues Wiener Journal, Nr. 11. 989. Wertheimer, P. (22. 05. 1927). Kleist im Lichte Individualpsychologie. In Neue Freie Presse. Nr. 22. 516. Hilferding, M. (04.1928). Die Ehe von heute und morgen; Erziehung zur Ehe. In Der Kampf. Nr. 18. 21/4. Nathansin, A. (03. 03. 1929). Eltern, Kinder und Schule. In Arbeiterzeitung, S. 18. O. K. (Unbekannter Autor) (Mai/Juni 1929). Technik der Erziehung. In Bildungsarbeit, Blätter für sozialist. Bildungswesen. Nr. 5/6. Blum, K. (1931). Wie die Frau den Mann erlebt. In Der Kampf. S. 93 f. Nr. 2. K. K. (unbekannt) (1931). Wie die Frau den Mann erlebt. In Bildungsarbeit Blätter für sozialistisches Bildungswesen. Nr. 7/8. Unbekannt (1932). Die erste individualpsychologische Sommerschule. Mitteilungsblatt für Individualpsychologische Veranstaltungen. 1. Jahrgang. Nr. 7. K. B. (unbekannt) (1933). Wie die Frau den Mann erlebt. In Die Frau, Sozialdemokratische Monatsschrift für Politik, Wirtschaft, Frauenfrage und Literatur. Nr. 1.
Bibliographie
181
Unbekannt (23. 01. 1934). Wie die Frau den Mann erlebt. In Arbeiterzeitung. Nr. 21. Unbekannt (27. 03. 1936). Wie die Frau den Mann erlebt. In Neue Freie Presse. Nr. 25699. Unbekannt (28. 09. 1936). Aus dem Gerichtssaale. Aufgehobene Beschlagnahme eines Buches über Wie die Frau den Mann erlebt. In Neue Freie Presse. Nr. 25160. Lazarsfeld, S. (18. 05. 1947). Die seelische Auswirkung der Wechseljahre. In Wahrheit (Graz). Pasteur, P. (1986). Femmes dans le nouvement ouvrier autrichien 1918 – 1934. S. 410 f, These de Doctorat, Universite Rouen.
7
Anlagen
Dokumentation der Recherche Reisen mit Sichtung von Materialien in Bibliotheken und Archiven als auch Treffen mit den Enkeln von Sofie Lazarsfeld : – August 2011, Wien: VGA – Verein zur Geschichte der Arbeiterbewegung: Sichtung des Briefwechsels Sofie Lazarsfelds mit Friedrich Adler. Die Materialien wurden zu diesem Zeitpunkt erstmals zugänglich. – Oktober 2011, USA: 10. 10. 2011 Sichtung des Nachlasses von Paul Lazarsfeld an der Columbia University in New York; 16. 10. 2011 und 20. 10. 2011 Treffen mit Henri Zerner (Enkelsohn Sofie Lazarsfelds) in Boston, Professor of History of Art and Architecture, Harvard University ; 17. 10. 2011 und 21. 10. 2011 Treffen mit Lotte Bailyn (Enkeltochter Sofie Lazarsfelds) in Boston, Professor of Management Emerita and Professor of Organization Studies at the MIT Sloan School of Management. – November 2011, Paris: 18. 11. 2011 Treffen mit Martin Zerner (Enkelsohn Sofie Lazarsfelds) in Paris, Professeur de Math¦matiques ¦m¦rite, I.M.S.P., Universit¦ de Nice. – Oktober 2012, Wien: Paul-Lazarsfeld-Archiv am Soziologischen Institut der Universität Wien, Wienbibliothek im Rathaus Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Österreichisches Staatsarchiv, VGA – Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung, Österreichischer Verein für Individualpsychologie.
Patricia Louise Kendall (1921-1990) 3. Ehe
Herta Herzog (1910-2010) 2. Ehe
Lotte Bailyn, geb. Lazarsfeld * 1930
Robert Lazarsfeld * 1953
Paul Felix Lazarsfeld (1901-1976)
Sofie Lazarsfeld, geb. Munk (1881-1976)
Henriette Munk, geb. Böhm
Henri Zerner * 1939
Martin Zerner * 1932
Elisabeth Henriette Lazarsfeld (1903-1983)
Elisabeth Lazarsfeld, geb. Spitzer
Friedrich Zerner (1895-1951)
Robert Lazarsfeld (1872-1939)
Friedrich Lazarsfeld
7.1
Marie Jahoda (1907-2001) 1. Ehe
Moriz Munk
184 Anlagen
Stammbaum
Heiratsurkunde
7.2
Heiratsurkunde
Mit freundlicher Genehmigung des Österreichischen Staatsarchivs in Wien.
185
186
7.3
Seite 1
Anlagen
Vermögensverzeichnis von jüdischen Bürgern unter Naziherrschaft
Vermögensverzeichnis von jüdischen Bürgern unter Naziherrschaft
187
Seite 4 Archivbestand der Vermögensverkehrsstelle Akte VA.4.835 Sofie Lazarsfeld. Mit freundlicher Genehmigung des Österreichischen Staatsarchivs in Wien (12. 11. 2014).
188
7.4
Anlagen
Zeitungsmeldungen
Mit freundlicher Genehmigung der Nationalbibliothek Österreich in Wien, ÖNB Bildarchiv und Grafiksammlung.
Zeitungsmeldungen
Mit freundlicher Genehmigung der Nationalbibliothek Österreich in Wien.
189
190
Anlagen
Neue Freue Presse (Abendblatt), 28. 09. 1936, Nr. 25160. Mit freundlicher Genehmigung der Nationalbibliothek Österreich in Wien.
Zeitungsmeldungen
191
Wiener Montagblatt, 25. 01. 1937. Mit freundlicher Genehmigung der Nationalbibliothek Österreich in Wien.
192
7.5
Anlagen
Certificate as Psychologist
Mit freundlicher Genehmigung von Henri Zerner (Enkel Sofie Lazarsfelds), Boston im Oktober 2011.
193
Fotos
7.6
Fotos
Kopie mit freundlicher Genehmigung des Ernst Reinhardt Verlags, München aus Alfred Adler – eine Bildbiographie (1995), zusammengestellt und verfasst von Ruediger Schiferer (S. 164).
Kopie mit freundlicher Genehmigung des Ernst Reinhardt Verlags, München aus Alfred Adler – eine Bildbiographie (1995), zusammengestellt und verfasst von Ruediger Schiferer (S. 192).
194
(ca. 50er Jahre). Mit freundlicher Genehmigung von Henri Zerner (Enkel Sofie Lazarsfelds), Boston im Oktober 2011.
Anlagen
Fotos
195
(ca. 1960). Mit freundlicher Genehmigung von Henri Zerner (Enkel Sofie Lazarsfelds), Boston im Oktober 2011.
196
Anlagen
Mit freundlicher Genehmigung von Henri Zerner (Enkel Sofie Lazarsfelds), Boston im Oktober 2011.
197
Brief
7.7
Brief
Mit freundlicher Genehmigung der Universitätsbibibliothek Göteborg Sammlung KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner (Jahr unbekannt).
198
Anlagen
Mit freundlicher Genehmigung der Universitätsbibibliothek Göteborg Sammlung KvinnSam at Gothenburg University Library. Sofie Lazarsfeld an Elin Wägner (Jahr unbekannt), Seite 2.
Todesanzeige
7.8
199
Todesanzeige
Zeitschrift für Individualpsychologie USA: News and Notes. Journal of Individual Psychology (1977), 33 (1), S. 169. Mit freundlicher Genehmigung von University of Texas Press Journals Division, Publisher.