Sinn [1. Aufl.] 9783839414767

Studierende der Soziologie und Leser_innen, die allgemein an geistes- und sozialwissenschaftlicher Theoriebildung intere

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German Pages 112 [109] Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung
I. Minimale anthropologische Annahmen
II. Heuristik: Drei Sinnbegrif fe
1. Subjektiv-egologischer Sinn
2. Objektiv-kommunikativer Sinn
3. Inkorporiert-praktischer Sinn
III. Soziologische Theorien und Sinn als Basiskategorie
1. Subjektiver Sinn: Weber, Schütz und Berger/Luckmann
1.1 Weber
1.2 Schütz
1.3 Exkurs: »Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit« (Berger/Luckmann)
2. Objektiver Sinn: Habermas und Luhmann
2.1 Habermas
2.2 Luhmann
3. Inkorporierter Sinn: Bourdieu
IV. Abschließende Überlegungen
Anmerkungen
Literatur
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Sinn [1. Aufl.]
 9783839414767

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Gregor Bongaerts Sinn

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld Korrektorat: Sarah Ress, Bielefeld Satz: Katharina Lang, Bielefeld Druck: Aalexx Buchproduktion GmbH, Großburgwedel ISBN 978-3-8376-1476-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff.

Inhalt Einleitung 5 I.

Minimale anthropologische Annahmen 12

II. 1. 2. 3.

Heuristik: Drei Sinnbegrif fe 20 Subjektiv-egologischer Sinn 20 Objektiv-kommunikativer Sinn 22 Inkorporiert-praktischer Sinn 23

III. Soziologische Theorien und Sinn als Basiskategorie 24 1. Subjektiver Sinn: Weber, Schütz und Berger/Luckmann 24 1.1 Weber 24 1.2 Schütz 30 1.3 Exkurs: »Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit« (Berger/Luckmann) 40 2.

Objektiver Sinn: Habermas und Luhmann 43 2.1 Habermas 43 2.2 Luhmann 55

3.

Inkorporierter Sinn: Bourdieu 67

IV. Abschließende Überlegungen 81 Anmerkungen 92 Literatur 100

Einleitung 1 Es gibt wohl kaum einen so schillernden Begriff in der soziologischen Theoriebildung wie Sinn. Aber nicht nur dort findet sich eine Vielzahl unterschiedlicher Gebrauchsweisen des Wortes, sondern auch in der Alltagssprache ist Sinn mit verschiedenen Bedeutungen aufgeladen. So kann zum Beispiel ein Konfliktgespräch als sinnvoll erachtet werden und Sinn meint in diesem und vergleichbaren Fällen so viel wie bedeutsam oder relevant, wichtig, ratsam. Gleichermaßen kann aber auch eine sprachliche Äußerung (»Mein rotes Auto ist blau.«) oder Handlung (»das Auto bei Regen im Freien waschen«) als sinnlos, sinnfrei oder unsinnig bezeichnet werden und in solchen Fällen meint Sinn offenbar so viel wie einer Logik oder Konvention entsprechend oder nicht entsprechend. Und wenn ein Plan, eine Äußerung (»Dafür nehme ich mal den Hammer.«) oder eine Handlung (»Jemand nimmt den Hammer, um einen Nagel für ein Bild in die Wand zu schlagen.«) oder ein Artefakt (»Das Bild verdeckt einen Fleck.«) Sinn haben oder Sinn machen, dann scheint Sinn zudem auf die Erfüllung eines Zwecks oder einer Funktion bezogen zu werden. Darüber hinaus wird Sinn auch übergeordneten Zusammenhängen wie dem Leben (vgl. Schützeichel 2008: 251) zugesprochen, das für Einzelne sinnerfüllt im Sinne von befriedigend oder glückbringend sein kann, das aber auch unabhängig von Einzelnen nach seinem Sinn befragt werden kann. Im Alltag sind diese verschiedenen Bedeutungen nicht scharf voneinander zu trennen und überlappen einander oftmals. Gleichermaßen ist es umgangssprachlich auch nicht nötig, eine klare Definition für Begriffe zu verwenden, weil im Kontext einer Situation für die sprachkompetenten Akteure der gemeinte Bedeutungshorizont in der Regel soweit verständlich ist, dass das kommunikative Geschehen mehr oder minder unproblematisch ablaufen kann. Die Ansprüche an eine wissenschaftliche Theorie sind deutlich andere, wenn es um die Bedeutungsbestimmung, also die Definition ihrer Begriffe geht. Wissenschaftliche Termini sollen im Rahmen der Theorie, in der sie definiert worden sind, möglichst nur eine Bedeutung haben, unabhängig davon, wer sie in welcher Situation mit welchem Erkenntnisinteresse gebraucht. 5

Je nach Theoriebezug sollte mithin zu erwarten sein, dass ein inhaltlich klar bestimmter Sinnbegriff formuliert ist. An dieser Stelle kann vorweggenommen werden, dass dies schon für die einzelnen soziologischen Theorien, wenn überhaupt, nur selten gelungen ist. Von einer theorieübergreifenden und einheitlichen Begriffsbildung kann ohnehin gar keine Rede sein. Für die Soziologie trifft dies allerdings nicht nur für den Sinnbegriff zu, sondern für eine Vielzahl weiterer Grundbegriffe wie etwa Verhalten, Handeln, Handlung, Struktur, System, Kultur usw. Die Soziologie ist zudem nicht die einzige wissenschaftliche Disziplin, die ihre Grundbegriffe nicht einheitlich definiert und in einzelnen Theorien oftmals gleich mehrere Bedeutungen identischer Termini aushält. Für die meisten sozial- und geisteswissenschaftlichen Fächer trifft dieser Sachverhalt gleichermaßen zu. Zum einen bestehen in diesen Wissenschaften unterschiedliche Theorieangebote nebeneinander. Zum anderen haben es alle Fächer mit dem Problem sprachlicher Bedeutungsoffenheit zu tun, die ihre Theorien primär durch Texte und damit auf Basis einer Präzisierung von Alltagssprache sowie durch die Aneignung von Begrifflichkeiten anderer Disziplinen bilden. Und letztlich sind dadurch alle Wissenschaften betroffen, die sich in jeweils besonderer Art und Weise mit sozialer Wirklichkeit, mit Kultur und Gesellschaft, befassen. Die Gegenstandsbereiche dieser Wissenschaften sind selbst schon sinnhafte Deutungen von Welt und Wirklichkeiten. Es ist dabei einerlei, ob sie sich mit Alltagssprache, alltäglicher Kommunikation, Wissen von alltäglich Handelnden, religiösen Heilsbotschaften, Literatur, Poesie, Kunst, politischen Ideologien und Systemen, Rechtstexten, Gesellschaftsgeschichte, Finanzwirtschaft, Erziehung, Familie, Erotik, Massenmedien, oder auch wissenschaftlichen Theorien beschäftigen. Die wissenschaftliche Begriffsbildung erfolgt in Abhängigkeit von den Sinnauslegungen und den Sprachen, die in den jeweiligen sozialen Feldern die Praxis regulieren. Wenn es in diesem Buch also um die soziologische Kategorie Sinn geht, dann geht es um durchaus sehr verschiedene inhaltliche Bestimmungen dieses Terminus. Aus den genannten Gründen ist Sinn auch in der Soziologie ein schillernder Begriff. Als soziologischer Grundbegriff ist Sinn zu bezeichnen, weil nahezu jede allgemeine soziologische Theorie diesen Terminus 6

oder verwandte Begrifflichkeiten wie etwa Wissen, Kultur, Semantik etc. verwendet. Eine gemeinsame Basis bietet der Sinnbegriff für die heterogenen theoretischen Paradigmen der soziologischen Theorien jedoch nicht. Zu verschieden sind die grundbegrifflichen Entscheidungen, die getroffen werden, um den Gegenstandsbereich soziologischer Forschung zu konstruieren. Und genau dafür werden Sinnbegriffe und vergleichbare Konzepte verwendet: Sie stecken den Gegenstandsbereich ab, auf den sich die Forschung in Theorie und Empirie richtet. Soziale Wirklichkeit wird als ein spezifischer Sinnzusammenhang konstruiert, und die Art und Weise, in der dieser Zusammenhang bestimmt wird, konstruiert das, was als Gegenstand soziologischen Forschens in Frage kommt. Gefragt wird also nach Sinnzusammenhängen und Sinngeschehnissen, die als sozial zu begreifen sind und dadurch für die soziologische Forschung von Interesse sind. Sozial sinnhafte Zusammenhänge und Geschehnisse werden mithin von solchen Sinnzusammenhängen unterschieden, die nicht sozial sind. In der Tradition der Soziologie erfolgt diese Abgrenzung fachlich vor allem gegenüber der Psychologie und der Philosophie, oder genauer: der Subjekt- bzw. Bewusstseinsphilosophie. Im Hinblick auf die Psychologie wird soziales Sinngeschehen von psychischem Sinngeschehen unterschieden. Im Hinblick auf die Philosophie des Bewusstseins wird es – ganz vergleichbar – von der Vorstellung unterschieden, dass das einzelne, individuelle Subjekt Ursprung jeglichen Sinngeschehens ist. Um eine solche Abgrenzung plausibel zu machen, ist es notwendig, ein Kriterium einzuführen, durch das sozialer Sinn bestimmt und von psychischem sowie individuell-subjektivem Sinn abgegrenzt werden kann. Auch wenn es zumeist nicht explizit formuliert wird, findet sich häufig das folgende Kriterium: Von sozialen Sinnzusammenhängen kann dann gesprochen werden, wenn sie notwendig auf die Hervorbringung, Erhaltung und Veränderung von sozialer Ordnung zu beziehen sind. Dies ist natürlich sehr abstrakt formuliert, aber gerade dadurch auch so allgemein anwendbar, dass es auf sehr verschiedene soziologische Theorieangebote passt. Diese unterscheiden sich in Bezug auf die Zurechnung sozialen Sinngeschehens auf verschiedene ›Strukturen‹ und ›Prozesse‹. Mittlerweile stehen sich klassi7

scherweise Handlungs- und Systemtheorien gegenüber. Die Frage ist dann, was oder wem zugerechnet werden kann, sozialen Sinn zu erzeugen. Ist es der Handelnde, der seinem Tun sozialen Sinn verleiht? Ist es aber vielleicht das Handeln selbst, das sozialen Sinn erzeugt? Sind es von den Handelnden und dem Handeln zu abstrahierende Regeln oder Strukturen, die sozialen Sinn stiften? Oder sind es spezifische Systeme, die durch ihre Elemente einen autonomen, sozialen Sinnzusammenhang hervorbringen? In den vergangenen circa 40 Jahren legten verschiedene Handlungstheorien, die oftmals auch als Praxistheorien oder auch kulturtheoretische Handlungstheorien bezeichnet werden (vgl. Reckwitz 2000), den Akzent zudem auf die Körper bzw. Körperlichkeit der Akteure und ihrer Handlungen. Der Körper selbst gerät dann als Sinnerzeuger in den Blick. Wie auch immer in den sehr verschiedenen Theorien optiert wird und wie auch immer die Begriffe des Handelnden, der Handlung, der Struktur oder des Systems und seiner Elemente inhaltlich bestimmt werden, so eint die Theorien, die Sinn als einen Grundbegriff verwenden, doch der Sachverhalt, dass die soziale Welt als eine sinnhaft konstituierte Wirklichkeit begriffen wird. Und im Rahmen der genannten Paradigmen werden Sinn und Sinnhaftigkeit menschlichen Tätigkeiten und deren Hervorbringungen zugesprochen. In dieser Hinsicht sind die soziologische und die alltagsweltliche Verwendung des Begriffs durchaus vergleichbar. Auch in der Alltagssprache wird Sinn im Zusammenhang mit der Wirklichkeit menschlichen Lebens und Zusammenlebens verwendet. Ob etwas logisch, sinnvoll, funktional ist oder überhaupt Sinn hat, erscheint letztlich immer nur im Hinblick auf die spezifisch menschliche Erfahrung von Welt und Wirklichkeit als sinnvoll oder auch sinnlos.2 Vor diesem Hintergrund ist es plausibel anzunehmen, dass soziologische Theorien, die einen Sinnbegriff verwenden, Annahmen über das Verhältnis menschlicher Akteure zur Welt im Allgemeinen und zur sozialen Welt im Speziellen machen. Solche anthropologischen Annahmen werden in manchen Theorien explizit formuliert und in anderen Ansätzen mehr oder minder implizit vorausgesetzt. Dass nur wenige theoretische Ansätze in der Soziologie ihre anthropologischen Annahmen aus8

formulieren und ein großer Teil es dabei belässt, vorauszusetzen, dass menschliches Erfahren und Handeln sinnhaft ist, hat wiederum gute Gründe. Gleichermaßen wie der Sachverhalt gute Gründe hat, dass die wenigen Ansätze im Kanon der soziologischen Theorien, die ihre Anthropologie explizieren, es bei einigen wenigen Annahmen belassen: bei einer Minimalanthropologie. Im Anschluss an das Konzept der Erkenntnishindernisse (obstacles épistémologiques) von Gaston Bachelard (1884-1962) (vgl. Bachelard 2004: 15) haben Pierre Bourdieu (1930-2002), Jean-Claude Chamboredon und Jean-Claude Passeron in ihrem Buch über die wissenschaftstheoretischen Voraussetzungen soziologischen Forschens, Soziologie als Beruf (Le métier de sociologue, 1968), einen guten Grund dafür angegeben (vgl. Bourdieu/Chamboredon/ Passeron 1991: 22ff.): Die Soziologie hat sich seit ihren Klassikern, also seit der ersten Generation von Soziologen, als eine empirisch arbeitende Wissenschaft verstanden. Wie jede andere moderne Wissenschaft ist sie darauf ausgerichtet worden, ihre Theorien so zu formulieren, dass sie die Beschreibung und Analyse sozialer Wirklichkeit anleiten. Dabei sollten die Basiskategorien soziologischer Theorien möglichst so bestimmt sein, dass mit ihnen Forschungsfragen gestellt werden können, ohne die Antworten direkt mitzuliefern. Diese ›Gefahr‹ besteht, wenn zum Beispiel substanzielle Annahmen über die Natur des Menschen gemacht werden, die dazu führen, dass aus theoretischen Gründen eine historisch entstandene soziale Wirklichkeit lediglich als Ausdruck dieser ahistorischen Natur interpretiert werden kann. Als Beispiel kann man sich vorstellen, dass von einem dem Menschen innewohnenden Machttrieb (oder auch anderen Trieben) ausgegangen wird und der empirisch beobachtbare Sachverhalt, dass Machtund Herrschaftsverhältnisse bestehen, in der Folge immer auf diesen Trieb zurückgeführt werden muss. Die erwartbare Antwort würde dem Muster entsprechen: »Dies ist so und nicht anders, weil der Mensch nun einmal so und nicht anders ist.« Mit solchen und vergleichbaren theoretischen Annahmen verbaut man sich also die Offenheit für überraschende Antworten auf Forschungsfragen. Und vor diesem Hintergrund erscheint auch der Begriff des Erkenntnishindernisses treffend, um deutlich zu machen, dass

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der Horizont möglicher Fragen und Antworten unnötig stark eingegrenzt wird. Soziologische Theorien, die ihre anthropologischen Annahmen ausweisen, beziehen sich deshalb in der Regel auf eine Tradition der Philosophischen Anthropologie, die in den 1920er Jahren etabliert wurde und vor allem mit den Namen Max Scheler (18741928), Helmuth Plessner (1892-1985) und Arnold Gehlen (19041976) verbunden ist. Allerdings gibt es nur wenige Theorien, in denen explizit diese Tradition zugrunde gelegt wird. Damit sind die drei Problembezüge benannt, die die Diskussion der soziologischen Sinnbegriffe orientieren: (a) die Verwendung des Sinnbegriffs zur Konstruktion des soziologischen Gegenstandsbereichs; (b) die unterschiedliche Bestimmung und Zurechnung von Sinn in verschiedenen soziologischen Theorien; (c) die anthropologische Begründung der soziologischen Sinnbegriffe. Diese Problembezüge werden in den unterschiedlichen Kapiteln des Buches aufgegriffen. Insbesondere wird bei der Rekonstruktion der Auswahl von Theorien, die einen Sinnbegriff verwenden, auf die begrifflich angeleitete Gegenstandskonstruktion eingegangen. Die Vorgehensweise kann dabei als ›Textempirie‹ in dem Sinne verstanden werden, dass ich verschiedene Sinnbegriffe aus soziologischen Theorieangeboten herauslese und in einer Weise abstrahiere, dass eine Heuristik formuliert werden kann. Die drei idealtypischen Sinnbegriffe, die das Ergebnis dieser Abstraktionen sind, ermöglichen wiederum den Vergleich zwischen den einzelnen Theorien. Zum Zwecke eines einführenden Buches erscheint mir dies aus mehreren Gründen fruchtbar: Zum Ersten kann so vermieden werden, in eine ins Bodenlose verweisende Geschichte des Sinnbegriffs zu geraten, die überdies interdisziplinär anzulegen wäre.3 Zum Zweiten lässt sich in dieser Weise das Problem umgehen, in die Tiefen und bisweilen auch Untiefen einzelner Theorien abtauchen zu müssen, ihre teilweise heterogenen oder unscharfen Sinnbegriffe theorieimmanent zu bergen und miteinander abzugleichen. Dies kann in einem einführenden Band nicht geleistet werden, in dem eine erste Annäherung an das Thema oder auch eine erste Vertiefung ermöglicht werden soll. Zum Dritten erlaubt die idealtypische Abstraktion, den Blick auf die Art 10

und Weise der Konstruktionen des Forschungsgegenstandes zu konzentrieren, die für die verschiedenen Sinnzurechnungen zu unterscheiden sind. Das Buch gliedert sich in vier Kapitel: In einem ersten Kapitel werden einige wenige anthropologische Grundannahmen vorgestellt, auf die soziologische Theorien implizit oder explizit Bezug nehmen, wenn sie Sinn als Grundbegriff verwenden. Im zweiten Kapitel wird eine Heuristik dreier Sinnbegriffe vorgeschlagen, die sich in den unterschiedlichen soziologischen Theorien beobachten lassen. Die Heuristik von subjektivem, objektivem und inkorporiertem Sinn abstrahiert von den Abweichungen im Detail und fokussiert die Zurechnung von sozialem Sinn auf unterschiedliche Sinnträger. Im Anschluss wird in einem dritten Kapitel die Heuristik nachträglich plausibel und zugleich fruchtbar gemacht, indem eine Auswahl von Theorien vorgestellt wird, die einen der Sinnbegriffe dominant verwenden. Natürlich können in einer Theorie auch mehrere der heuristischen Sinnbegriffe vorkommen. Allerdings kann, wenn ich recht sehe, die These vertreten werden, dass jeweils einer der Sinnbegriffe die Grundlage für die Einführung weiterer bildet, so dass die Differenz in der Gegenstandskonstruktion zwischen den Theorien bestehen bleibt. Im abschließenden vierten Kapitel werden Möglichkeiten vorgeschlagen, mit den Erträgen des Buches weiterzuarbeiten.

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I. Minimale anthropologische Annahmen Warum dieses Kapitel? In der Einleitung habe ich erwähnt, dass nur wenige soziologische Theorien anthropologische Annahmen explizieren. Dieser Sachverhalt und die angekündigte Vorgehensweise einer ›Textempirie‹ verpflichten eigentlich darauf, keine theoretischen Konzepte voranzustellen, die nicht auch in den Theorien zu finden sind, die später besprochen werden. Dennoch erscheint es mir sinnvoll, zumindest für das Problem zu sensibilisieren, dass soziologische Theorien, die Sinn als Grundbegriff verwenden, auch ein besonderes Verhältnis sozialer Akteure zur Welt voraussetzen. Dieses Verhältnis ist vor allem in der sogenannten Philosophischen Anthropologie herausgearbeitet und auf den Punkt gebracht worden. Für soziologische Theorien, die nicht explizit in diese Tradition einzugliedern sind, kann meines Erachtens dennoch angenommen werden, dass sie zumindest vergleichbare Annahmen machen müssten, wenn sie zu anthropologischen Fragen Stellung beziehen würden. Um diese Annahme plausibel zu machen, reicht es nach dem fundamentalen Erkenntnisproblem zu fragen, auf das Sinnbegriffe bezogen werden: die Vielfalt und Varianzen sozialer Wirklichkeiten. Im Bereich menschlichen Soziallebens lassen sich höchst unterschiedliche und voneinander abweichende Formen des Zusammenlebens beobachten. Dies betrifft Formen des Denkens, der Sexualität, der Wertbezüge, der Nahrungspräferenzen, der Mythen und Religionen, der Familienmodelle, der Geschlechterverhältnisse usw. Die beobachtbaren Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern und Kulturen, aber auch innerhalb ein und derselben Gesellschaft lassen vermuten, dass menschliche Akteure biologisch nicht auf eine oder einige wenige Formen des Zusammenlebens festgelegt sind. Es lässt sich somit ein besonderes Verhältnis zur Welt vermuten. Und dieses Weltverhältnis versucht die Philosophische Anthropologie herauszuarbeiten. Auch wenn die Philosophische Anthropologie wie jede andere Denkschule viele Wegbereiter hatte, wird sie doch vor allem mit den Namen Scheler, Plessner und Gehlen verbunden.4 Von diesen drei Autoren stammen auch die grundlegenden Konzepte, die das

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Weltverhältnis charakterisieren, das in Frage steht: Weltoffenheit, exzentrische Positionalität, Mensch als Mängelwesen. Die Philosophische Anthropologie bestimmt das Verhältnis des Menschen zur Welt in Abgrenzung zu den Verhältnissen, die andere biologische Lebewesen zu ihrem Lebensraum unterhalten. Bei Scheler und Plessner wird das besondere menschliche Weltverhältnis in Abgrenzung zu Pflanze und Tier bestimmt, während bei Gehlen allein der Unterschied zu Tieren im Zentrum steht. Für Scheler ist es in seinem Buch Die Stellung des Menschen im Kosmos (1928) der »Geist«, der dem Menschen eine Sonderstellung gegenüber den Tieren und Pflanzen einräumt. Er konzediert schon für Pflanzen eine erste Stufe des Psychischen, die als ein »Gefühlsdrang« bestimmt wird (vgl. Scheler 1995: 12), der sich im nach oben und unten Wachsen wie auch zum Beispiel in den Reaktionen auf Licht zeigt. Tiere verfügen im Unterschied dazu je nach Art über eine selbständige Lebensform. Sie sind nicht an einen Ort gebunden, können sich im Raum verhalten. Das Verhalten ist dabei je nach Tierart durch Triebe, Instinkte, assoziatives Gedächtnis, Gewohnheiten und praktische Intelligenz geleitet. Den Unterschied zum Menschen macht allein das Fehlen des Geistes aus, den Scheler radikal als Gegensatz zum organischen Leben begreift (vgl. Scheler 1995: 37). Dies ist aus heutiger Sicht sicherlich eine sehr ungewöhnliche Unterscheidung. Was Scheler aber wohl gemeint hat, ist, dass Menschen durch ihren Geist in der Lage sind, die Welt sachlich zu erfassen und sich gegenüber den eigenen »Triebimpulsen« zu verweigern (vgl. Fischer 2008: 67). Während Tiere durch ihre biologische Ausstattung in einer Umwelt leben, in der sie sich artspezifisch zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse bewegen, haben Menschen aufgrund ihres Geistes eine Welt von Gegenständen, gegenüber denen sie sich zwar nicht völlig beliebig verhalten können, aber doch mit einem großen Maß an Willkür. Der Mensch ist für Scheler im Unterschied zum Tier »der ›Neinsagenkönner‹« (Scheler 1995: 55). Menschen sind nicht in eine Umwelt eingeordnet, die durch den Instinktapparat in anziehende und abstoßende Reize oder Gegebenheiten geordnet ist. Menschen stehen kraft ihres Geistes der Welt gegenüber. Sie sind in sie eingegliedert, können sich aber durch ihr geistiges Vermögen gegen sie stellen und das heißt: Die Welt kann versach13

licht werden. Menschen können Triebimpulse unterdrücken, hungern, dursten, widerstehen usw. Eine notwendige Bedingung dafür, die Welt zu versachlichen, ist, dass Menschen sich selbst objektivieren können. Sie können sich selbst also versachlichen und als Ding in der Welt begreifen. Tieren fehlt dieses Vermögen. Sie können sich bewegen, sehen, riechen, schmecken, hören, aber im Unterschied zu Menschen können sie sich nicht als bewegtes, als sehendes, als riechendes, als hörendes organisches Wesen begreifen. Als biologische Wesen sind Menschen dann zwar in die Welt eingegliedert, aber als geistige Wesen können sie sich von ihrer Umwelt lösen. Sie sind in der Lage, die Gegebenheiten der Welt nach Maßgabe eigener Zwecke und Interessen zu verändern. Diese Grundstruktur der Weltoffenheit ist für Scheler der Grund für weitere Fähigkeiten und Errungenschaften, die menschlichen Gruppen vorbehaltenen sind. Scheler spricht von Monopolen des Menschen und meint damit etwa »Sprache, Gewissen, Werkzeug, Waffe, Ideen von Recht und Unrecht, Staat, Führung, die darstellenden Funktionen der Künste, Mythos, Religion, Wissenschaft, Geschichtlichkeit und Gesellschaftlichkeit« (Scheler 1995: 87). Deutlich geht es also um die oben schon erwähnte sinnhafte Deutung und auch Veränderung von Welt, die historisch und gesellschaftlich je unterschiedlich hervorgebracht wird. Plessner hat im selben Jahr wie Scheler sein grundlegendes Buch zur Philosophischen Anthropologie unter dem Titel Die Stufen des Organischen und der Mensch (1928) vorgelegt. Und ganz vergleichbar zu Scheler versucht auch Plessner, das besondere Verhältnis des Menschen zur Welt zu bestimmen, indem er es mit demjenigen der Pflanzen und Tiere vergleicht. Die Stufen des Organischen unterscheidet Plessner durch die Grenzen, die unterschiedliche Organismen zwischen ihrem Inneren und Äußeren bilden (vgl. Plessner 1975: 99ff.). Die Grenze zwischen Innen und Außen ist zugleich das Unterscheidungsmerkmal zu allen anorganischen Dingen (vgl. Plessner 1975: 98). Nur organische Lebewesen verfügen über ein Inneres und mithin über eine Grenze, die dieses Innere von der äußeren Beschaffenheit des Organismus sowie von der Umwelt trennt (vgl. Asemissen 1991: 156).

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Pflanzen bilden die erste Stufe des Organischen und zeichnen sich dadurch aus, dass die Grenze eine offene Organisationsform bildet, weil Pflanzen unmittelbar und unselbständig in ihre Umgebung eingegliedert sind (vgl. Plessner 1975: 219). Vereinfacht ausgedrückt ist die Pflanze an dem Ort, an dem sie wächst, darauf angewiesen, genügend Nahrung und zum Beispiel Licht zugeführt zu bekommen. Aus diesem Grund sind die Grenzen zur Umwelt auch offen organisiert. Tiere hingegen sind durch eine geschlossene Organisationsform charakterisiert. Sie sind ihrer Umwelt gegenüber als Organismus selbstständig. Sie können sich im Raum bewegen, verfügen über Sinnesorgane und ein zentrales Nervensystem. Sie sind damit in der Lage, sich zu ihrer Umwelt zu verhalten und autonom nach Nahrung zu suchen, sich gegen Feinde zu wehren oder vor ihnen zu fliehen usw. Das besondere Verhältnis zur Welt bezeichnet Plessner als »zentrische Positionalität« (vgl. Plessner 1975: 291). Tiere sind zentrisch positioniert, weil sie in ihrem Verhalten im Hier und Jetzt der Situation aufgehen. Sie sind im Unterschied zu Pflanzen erlebende und wirkende Organismen, verfügen über Empfindungen und Bedürfnisse, die ihr Wahrnehmen und Verhalten in ihrer Umwelt leiten. Die Umwelt ist der Ausschnitt der Welt, der für Tiere zum Leben und Überleben relevant ist. Durch ihr Empfinden der Widerstände in der Umwelt, aber auch der Wirkung ihres eigenen Verhaltens sind Tiere auf einer sehr grundlegenden Ebene reflexive Organismen (vgl. Asemissen 1991: 159). Allerdings fehlt ihnen Selbstbewusstsein. Sie erleben und wirken, aber sie können sich nicht als erlebende und wirkende Organismen selbst beobachten. Selbstbewusstsein bzw. Selbstreflexivität konzediert Plessner ausschließlich menschlichen Organismen. Nur Menschen sind in der Lage, sich selbst als erlebende und wirkende Individuen zum Objekt zu machen. Wie auch Scheler sieht Plessner die Fähigkeit, sich selbst zum Objekt machen zu können, als grundlegendes Konstituens des menschlichen Verhältnisses zur Welt. Er führt dies allerdings nicht auf das geistige Vermögen zurück, sondern belässt es bei der Beschreibung der besonderen Doppelstruktur des menschlichen Weltverhältnisses. Diese besteht darin, dass menschliche Organismen sich zugleich als Leib erfahren, der Empfindungen hat, und als Körper, der ein 15

Objekt neben anderen Objekten in der Welt ist. Plessner bezeichnet das menschliche Weltverhältnis als »exzentrische Positionalität« im Unterschied zur »zentrischen Positionalität« der Tiere. Exzentrisch ist diese Positionalität, weil Menschen sich von ihrem Hier und Jetzt als dem Zentrum ihrer leiblichen Erfahrung lösen können, indem sie sich objektivieren (vgl. Plessner 1975: 291f.). Sie überschreiten damit ihre Situation. In der exzentrischen Positionalität sind für Plessner besondere Sinngebilde fundiert wie etwa »Technik, Normativität, Sprache, Erkenntnis, Geschichte, Gesellschaft und Religion« (Fischer 2008: 79). Die exzentrische Positionalität begründet für Plessner ein Weltverhältnis, in dem der Mensch nicht in seiner Situation und seinem Tun aufgeht, sondern sich davon distanziert. Er kann seine zentrische Position als eine neben anderen möglichen begreifen und ist deshalb darauf angewiesen, Selektionen aus dem Bereich des möglichen Verhaltens und Handelns vorzunehmen; oder, um es mit Plessner zu formulieren: Der Mensch ist dazu gezwungen, »das Leben zu führen, welches er lebt, d.h. zu machen, was er ist – eben weil er nur ist, wenn er vollzieht – braucht er ein Komplement nicht-natürlicher, nicht-gewachsener Art« (Plessner 1975: 310). Dieses Komplement kann für Plessner nur etwas Künstliches sein. Menschen müssen sich eine Welt, eine Wirklichkeit als Kultur erschaffen (vgl. Plessner 1975: 311). Von Natur aus künstlich sind Menschen in diesem Verständnis – und zwar aufgrund ihres besonderen Verhältnisses zur Welt, das als exzentrische Positionalität bestimmt wird. Dass menschliche Organismen nicht aufgrund ihrer biologischen Ausstattung von vornherein und passgenau in eine Umwelt eingegliedert sind, sondern sich eine Wirklichkeit in Form von Kultur schaffen müssen, ist der Kern ihres besonderen Weltverhältnisses. Mit leicht voneinander abweichenden Begründungen stellen dies sowohl Scheler als auch Plessner heraus. Gehlen fügt einen weiteren Begründungszusammenhang hinzu, wenn er den Menschen als Mängelwesen bestimmt und Kultur als Entlastung von der Reizüberflutung versteht, die aufgrund der menschlichen Weltoffenheit entsteht. Das Verhältnis zur Welt ist für Gehlen vor allem durch Mängel im Sinne von Unspezialisiertheit und Unangepasstheit be16

stimmt (vgl. Gehlen 1995: 33). Menschliche Organismen haben zum Beispiel kein dichtes Fell, das sie vor den unterschiedlichen Wetterverhältnissen schützt, sie verfügen nicht über natürliche »Angriffsorgane« (ebd.) oder die körperliche Beschaffenheit zur schnellen Flucht und Jagd. Gleichermaßen sind ihrer Sinnesorgane im Vergleich mit hochspezialisierten Tierarten weniger leistungsfähig. Die Aufzucht und der Schutz von Kleinkindern dauert im Vergleich zu Tieren zu lange und es fehlt an Instinkten, die lebenswichtige Verhaltensweisen festlegen. Für Gehlen sind Menschen als biologische Wesen innerhalb »natürlicher, urwüchsiger Bedingungen« (ebd.) deshalb nicht überlebensfähig. Aufgrund ihrer biologischen Mängel sind Menschen für Gehlen »weltoffen« (vgl. Gehlen 1995: 39). Der von Scheler schon bekannte Begriff der Weltoffenheit wird bei Gehlen also nicht durch die Sonderstellung als Geistwesen, sondern durch die Sonderstellung als Mängelwesen begründet. Die Weltoffenheit bezieht sich sowohl auf die biologisch unspezialisierten Antriebe, die durch die Instinktarmut überschüssig vorhanden sind, als auch auf die Reizüberflutung, die dadurch entsteht, dass prinzipiell unbegrenzt viele Gegebenheiten der Welt als Reiz auf den Organismus wirken. Schließlich verfügt er über keine biologisch verankerten Selektionsprogramme für lediglich bestimmte und überlebenswichtige Umweltgegebenheiten. Menschliche Organismen haben in diesem Sinn auch bei Gehlen keine begrenzte Umwelt, sondern eine prinzipiell unbegrenzte Welt. Dabei ist auch für Gehlen eine weitere Besonderheit menschlicher Organismen mit ihrer Reflexivität gegeben (vgl. Böhler 1991: 270f.). Sie sind reflexive Subjektivitäten, die gerade aufgrund ihrer Unspezialisiertheit auch Unsicherheit erfahren und darauf mit reflexivem Handeln reagieren. Die so verstandene Weltoffenheit wird auch bei Gehlen zum Grund dafür, dass Menschen ihre Welt gestalten müssen, um in ihr leben zu können. Sie müssen gleichsam Ersatz für ihre biologischen Mängel schaffen. Den Ersatz für Instinktarmut, Antriebsüberschuss und Reizüberflutung findet Gehlen genau wie Scheler und Plessner in der Kultur. Menschen richten sich aus Gründen ihrer Natur eine Kulturwelt ein (vgl. Gehlen 1995: 38). Gehlen präzisiert dies jedoch vor dem Hintergrund einer Handlungstheorie. Die fehlenden natürlichen Orientierungen erfordern kulturelle Einrichtungen, die 17

Selektionen im Horizont des möglichen Erlebens und Handelns dauerhaft vornehmen. Zum einen wird dies durch Habitualisierungen von Handlungen geleistet und zum anderen durch Institutionen (vgl. Gehlen 1995: 65 u. 79). Habitualisierte Handlungen stabilisieren Handlungen als Gewohnheiten und Institutionen stabilisieren Handlungsorientierungen durch positive und negative Sanktionen. Handlungen werden dadurch in besonderen Kontexten erwartbar und gewinnen Strukturwert. Mit Schelers, Plessners und Gehlens Theorien finden sich jeweils Gründungstexte der Philosophischen Anthropologie, die in Details einander widersprechen und sich voneinander abgrenzen, die hier nicht berücksichtigt werden können. Dass Plessner und Gehlen ›Geist‹ als philosophische Kategorie zurückweisen und Scheler eine Theorie des Menschen als Mängelwesen und als weitere evolutionäre Entwicklungsstufe des Tieres ablehnt, mag als Hinweis auf Abgrenzungen und Widersprüche genügen. Für die Problemstellung, die hier in Frage steht, sind die Gemeinsamkeiten zu betonen, die sich an den Bestimmungen des besonderen Verhältnisses zur Welt ablesen lassen. Pointiert formuliert ist dieses Verhältnis im Wesentlichen dadurch bestimmt, dass menschliche Organismen aufgrund ihrer biologischen Ausstattung nicht an eine Umwelt angepasst und deshalb darauf angewiesen sind, sich eine Kulturwelt zu schaffen. Und diese Kulturwelt kann näher gefasst werden als Zusammenhang von sinnhaften Orientierungen in der Welt. Der Umkehrschluss ist dann, dass soziologische Theorien, die Sinn als Basiskategorie verwenden, eine solche oder vergleichbare Anthropologie voraussetzen. Und Theorien, die Sinn nicht als Basiskategorie führen, setzen entsprechend andere Annahmen über menschliche Organismen voraus. Jürgen Habermas (*1929) hatte in den 1970er Jahren aus diesem Grund auch Handlungs- und Kommunikationstheorien systematisch von Verhaltenstheorien unterschieden, indem er für die ersten beiden Sinn als Grundbegriff angenommen und für die dritte ausgeschlossen hatte (vgl. Habermas 1984a: 25). Als Beispiel für solche Theorien, die sich mit menschlichem und sozialem Verhalten befassen, aber es nicht als sinnhafte Orientierung in der Welt begreifen, lässt sich der klassische Behaviorismus der Psychologie nennen (vgl. Watson 18

1968: 228ff.). Dieser Ansatz hat ein deterministisches Verständnis von menschlichem Verhalten. Das heißt, so etwas wie die sinnorientierte Auswahl von Verhalten und Handeln aus einem Raum von Möglichkeiten wird streng genommen ausgeschlossen. Der Erwerb von neuen Verhaltensweisen und deren Stabilisierung wird im Behaviorismus durch die Kopplung von Reaktionen an bestimmte Reize erklärt, wobei die Reize die Ursache für die jeweiligen Reaktionen sein sollen. Eine Wahl zwischen verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten auf denselben Reiz oder auch eine Neuinterpretation eines Reizes kann im Rahmen einer solchen Theorie nicht berücksichtigt werden. Ein äußerer Reiz führt also notwendig zu einem bestimmten Verhalten. Behavioristische Theorien in diesem deterministischen Verständnis stehen mithin nicht im Blick der folgenden Kapitel.

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II. Heuristik: Drei Sinnbegrif fe Die Heuristik, die ich hier vorschlagen möchte, ist durch Abstraktion aus verschiedenen soziologischen Theorien gewonnen, von denen einige in den anschließenden Kapiteln kurz vorgestellt werden. Damit sehr unterschiedliche Theorien vergleichbar gemacht werden können, ist die Heuristik nicht auf jeweils einen inhaltlich klar definierten Begriff von Sinn begrenzt. Ins Zentrum werden vielmehr unterschiedliche Sinnträger gestellt, also die Strukturen oder Prozesse, die Sinn ›verwenden‹. Niklas Luhmann (1927-1998) ist in einem zentralen Text (vgl. Luhmann 1971: 71f.) genau umgekehrt verfahren und hat einen verallgemeinerbaren Sinnbegriff aus der Zurechnung auf einen bestimmten Träger befreit, um letztlich eigene Theoriebildung betreiben zu können, die Sinn nicht allein auf Bewusstseinsprozesse, sondern auch auf soziale Systeme zurechnen kann. An dieser Stelle geht es aber nicht um eine eigenständige Theoriebildung, sondern lediglich um die Beobachtung verschiedener Theorien, die Sinn in typischer Weise auf einen oder auch auf mehrere Sinnträger zurechnen. Wenn ich recht sehe, lassen sich in den verschiedenen soziologischen Theorien drei solcher Sinnzurechnungen unterscheiden: zum Ersten die Zurechnung auf die handelnden Subjekte, zum Zweiten auf die Ergebnisse oder auch Erzeugnisse des Handelns oder der Kommunikation und zum Dritten auf den Körper oder auch Leib der Handelnden. Die Zurechnung auf Subjekte führt zu einem subjektiv-egologischen Sinnbegriff, die auf Erzeugnisse des Handelns und/oder der Kommunikation zu einem objektiv-kommunikativen Sinnbegriff und die Zurechnung auf die Körper der Akteure zu einem Begriff inkorporiert-praktischen Sinns.5

1.

Subjektiv-egologischer Sinn

Soziologische Theorien, die mit einem subjektiv-egologischen Sinnbegriff arbeiten, rechnen alle Prozesse der Sinnsetzung und Sinndeutung auf Leistungen der Bewusstseine von individuellen Akteuren zu. Diese Akteure sind Subjekte des Handelns und ihre Sinnsetzungen und Sinndeutungen gehen von ihrem Ich, also 20

ihrem Ego aus. Der soziale Sinn des Erlebens und des Handelns der Akteure basiert auf den Erfahrungsschemata oder auch Wissensbeständen, über die Akteure verfügen. Diese Schemata und Wissensbestände sind im Laufe von Sozialisationsprozessen angeeignet und mithin sozial verteilt. Individuelle Akteure lernen sozial verteiltes Wissen und sind dadurch in der Lage, ihr eigenes Handeln auf die Erwartungen anderer Akteure abzustimmen und das Handeln der anderen Akteure gemäß den erwartbaren Bedeutungen dieses Handelns zu verstehen. Kurzum: Aufgrund ihres Wissens über die soziale Wirklichkeit können sie ihre Handlungen mit den Handlungen von anderen koordinieren und dadurch soziale Ordnung aufbauen und stabilisieren. Die Erfahrungsschemata und Wissensbestände sind es auch, die die sinngebenden Leistungen des Bewusstseins orientieren. Vor allem sind es Absichten bzw. Intentionen, mit denen soziale Akteure ihrem Handeln und Deuten Sinn geben. Die Absichten oder Intentionen können reflexiv entworfene Pläne sein, sie können Denkprozesse anleiten oder von Bewertungen begleitet sein. Wesentlich für die hier behandelten Zusammenhänge ist, dass alle sozialen Phänomene wie soziales Handeln und soziale Ordnung letztlich auf die bewussten Sinnsetzungen und Sinndeutungen der Akteure zurückgeführt werden. Alle sozialen Phänomene von der einzelnen sozialen Handlung bis hin zu den großen sozialen Strukturen wie Klassen oder auch Gesellschaft sind dann nichts anderes als Ergebnisse der subjektiv-egologischen Sinnsetzungen und Sinndeutungen. Soziologische Forschung ist in diesem Fall darauf orientiert, die typischen Wissensbestände, Handlungsabsichten und Handlungsmotive sozialer Akteure in einer besonderen sozialen Wirklichkeit zu rekonstruieren. Einerlei ob es sich bei diesen sozialen Wirklichkeiten um Interaktionen zwischen zwei Akteuren oder die globale Finanzwirtschaft handelt.

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2. Objektiv-kommunikativer Sinn In Theorien, in denen ein objektiv-kommunikativer Sinn Verwendung findet, wird das soziale Geschehen nicht auf die subjektiven Sinngebungen der Akteure, sondern auf objektiv-kommunikative Erzeugnisse zurückgeführt. Objektiv sind diese Erzeugnisse in dem Verständnis, dass sie prinzipiell allen Akteuren zugänglich sind.6 Subjektive Sinngebungen sind hingegen prinzipiell nur den Akteuren selbst durch Reflexion zugänglich. Und wenn sie anderen Akteuren mitgeteilt werden sollen, müssen objektive Sinnerzeugnisse verwendet werden. Kommunikativ sind diese Erzeugnisse, weil sie durch die kommunikative Handlungsabstimmung mehrerer Akteure hervorgebracht werden. Zu diesen Erzeugnissen zählen Zeichen, Sprache, Symbole, Normen, Werte, soziale Regeln usw. Wenn sie einmal entstanden sind, können sie von den subjektiven Sinngebungen der Akteure relativ unabhängig sein. Wenn zum Beispiel Geld gezahlt wird, um ein Auto zu erwerben, dann ist es für diese wirtschaftliche Transaktion unerheblich, welche genauen Motive und Absichten der Käufer hat. Ob er sich einen Firmenwagen kauft oder mit dem Kauf eine Midlife-Crisis bewältigen will, ist für den Tausch selbst unerheblich. Gleichermaßen kann man davon abstrahieren, mit welchem subjektiven Grund jemand etwas nicht klaut, zum Beispiel eine Uhr. Sei es, dass er es unmoralisch findet oder dass er Angst vor Strafe hat. Letztlich wird die Geltung der Norm »Du sollst nicht stehlen« als hinreichend betrachtet, um die vermiedene Handlung zu verstehen und zu erklären. Im Unterschied zu Ansätzen, die auf einem Konzept von subjektiv-egologischem Sinn basieren, werden hier also nicht die subjektiven Sinngebungen rekonstruiert, sondern die objektiv verfügbaren Sinnerzeugnisse werden als Ermöglichung und Begrenzung von Handeln betrachtet. Um Handlungen und Handlungszusammenhänge zu verstehen und zu erklären, reicht es dann zumeist, die sprachlich-kommunikativen Regeln zu kennen, die in einer sozialen Wirklichkeit in Kraft sind, oder auch die geltenden Normen und Werte, die in besonderer Art und Weise institutionalisiert sind – zum Beispiel in Rechtstexten.

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3. Inkorporiert-praktischer Sinn Inkorporiert-praktischen Sinn von subjektivem und objektivem zu unterscheiden, kann zunächst verwundern. Allerdings erscheint es mir durchaus berechtigt und angebracht, weil so Theorien gesondert berücksichtigt werden können, die den Körper für die Produktion und Reproduktion sozialer Handlungen und sozialer Ordnung ins Zentrum stellen (vgl. Gugutzer 2010). Inwiefern kann nun annäherungsweise der Körper als ein Sinnträger aufgefasst werden, der mit Bewusstsein und objektiven Sinnerzeugnissen vergleichbar, aber auch von beiden zu unterscheiden ist? Inkorporiert ist Sinn, wenn er im körperlich-leiblichen Verhalten eingeschrieben ist. Praktisch ist er, weil er innerhalb der sozialen Praxis wirksam ist, ohne dass allerdings die Akteure die Sinnhaftigkeit des Verhaltens reflexiv-bewusst geplant hätten oder sie ihnen in objektiv repräsentierter Form zugänglich wäre. Er ist also nicht intersubjektiv zugänglich wie beispielsweise eine niedergeschriebene Norm oder ein konventionelles sprachliches Zeichen oder auch Geld. In den Blick geraten hingegen sehr grundlegende körperlich-leibliche Verhaltensweisen, die maßgeblich daran beteiligt sind, soziale Ordnung hervorzubringen und zu reproduzieren. Exemplarisch kann man an die spontan hervorgebrachte Gestik und Mimik denken, durch die sprachliche Äußerungen begleitet und unterstützt werden, und die die Aufmerksamkeit der Hörer steuern. Zu denken ist auch an Vorlieben für bestimmte Kleidung, Nahrung, Musik, Kunst usw., die mit unterschiedlichen sozialen Lebensbedingungen zu verbinden sind und so als Ausdruck einer sozialen Struktur verstanden werden können – beispielsweise einer Klassenstruktur.

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III. Soziologische Theorien und Sinn als Basiskategorie Die Auswahl der Theorien, an denen die Heuristik dreier Sinnbegriffe im Folgenden zu Vergleichszwecken erprobt werden soll, erhebt nicht den Anspruch, vollständig zu sein. Allerdings erhebt sie den Anspruch, repräsentativ für das Feld soziologischer Theorien zu sein. Die Sinnbegriffe und die mit ihnen verbundenen Konstruktionen der Gegenstände soziologischer Forschung stecken das Spektrum ab, in dem Sinn als Grundbegriff in Theorien eingesetzt werden kann. Theorien, die nicht besprochen werden, verwenden lediglich Variationen der hier vorgestellten Begriffe. Die vorgeschlagene Heuristik und die Theorien, die mit dem Fokus auf die jeweiligen Sinnbegriffe vorgestellt werden, kann man mithin dazu verwenden, in anderen theoretischen Ansätzen die Sinnbegriffe zu sortieren und im Hinblick auf die Möglichkeiten der soziologischen Gegenstandskonstruktion zu befragen.

1.

Subjektiver Sinn: Weber, Schütz und Berger/Luckmann

1.1 Weber Mit Max Webers (1864-1920) Entwurf einer verstehenden Soziologie erlangt der Sinnbegriff seine Prominenz in der soziologischen Theoriebildung. Es ist ein konsequent gedachter subjektiver Sinn, den Weber ins Zentrum stellt. Soziale Phänomene haben nur dadurch einen Realitätsgehalt, dass sie auf die Sinnorientierungen individueller Akteure zurückgeführt werden können. Deshalb spricht Weber auch von der »individualistischen Methode« (Weber 1972: 9) und sein Ansatz wird als methodologischer Individualismus bezeichnet. Die Rückführung aller sozialen Gebilde auf das sinnhafte Handeln Einzelner ist in einer Kritik an der sogenannten »organischen Soziologie« (Weber 1972: 7) begründet. Die organische Soziologie betrachtet einzelne Handelnde und deren Handlungen als Teile eines umfassenden sozialen Ganzen. Ganz so wie einzelne Organe eines biologischen Organismus in der Biologie im Hinblick auf ihre Funktion zur Erhaltung des Ge24

samtorganismus betrachtet werden, werden in der organischen Soziologie auch die einzelnen Handlungen nur mit Blick auf ihren Beitrag zur Erhaltung des umfassenden sozialen Gebildes untersucht – zum Beispiel einzelne Wirtschaftshandlungen im Hinblick auf ihre Funktion für und ihre Wirkung auf die Volkswirtschaft. Für Weber gehen solche Betrachtungen nicht über eine Beschreibung hinaus, die aber durchaus fruchtbar ist, wenn sie dazu verwendet wird, Zusammenhänge herauszuarbeiten, in denen in besonderer Weise gehandelt wird. Negativ bewertet er, wenn Beschreibungen zum einen dazu tendieren, den Gesamtzusammenhang als Ursache für das Handeln zu betrachten, und zum anderen, wenn sie nicht über die funktionale Analyse hinausgehen. Für Weber geht die soziologische Analyse weiter, wenn sie die sozialen Zusammenhänge aus Handlungen erklärt, indem sie die Sinnorientierungen der Akteure versteht. Die Möglichkeit, den Sinn von Handlungen verstehen zu können, begründet für Weber auch den besonderen Stellenwert und die besondere Methode der Sozialwissenschaften im Unterschied zu den Naturwissenschaften (vgl. ebd.). Die Annahme, dass soziale Gebilde durch den gemeinten Sinn der Akteure zu verstehen und zu erklären sind, bedeutet jedoch nicht, dass die Gebilde von den Akteuren jeweils neu geschaffen oder gar erfunden werden. Weber geht vielmehr davon aus, dass sich die Akteure mit ihrem gemeinten Sinn auf historisch entstandene Vorstellungen über das Handeln richten. Für Weber sind dann sogenannte Kollektivbegriffe wie ›Staat‹, ›Familie‹, ›Schule‹ oder ›Wirtschaft‹ usw. nichts anderes als der Zusammenhang von Handlungen mehrerer, die ihr Handeln sinnhaft an Ordnungsvorstellungen orientieren (vgl. Weber 1972: 6f.). Die Soziologie hat als eine historische Wissenschaft die Aufgabe, solche historisch entstandenen Sinnorientierungen als Kulturerscheinungen zu verstehen. Die umfassende Kulturerscheinung, auf die Weber dabei ein Forscherleben lang sein Erkenntnisinteresse gerichtet hat, ist die moderne Gesellschaft, wie sie in Europa entstanden ist. Er interessiert sich dabei vor allem dafür, warum ausgerechnet im Okzident und in keinem anderen Teil der Welt diese besondere gesellschaftliche Formation entstanden ist (vgl. Weber 1988: 1).

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Die Besonderheit liegt darin, dass in der modernen Gesellschaft unterschiedliche Wertsphären bestehen, die in einer Weise rationalisiert sind, wie Weber es in anderen Gesellschaften nicht beobachten konnte. Solche Wertsphären sind die ›Wirtschaft‹, die ›Religion‹, die ›Wissenschaft‹, die ›Politik‹, ›Verwaltung‹, ›Musik‹ usw. Alle diese Sphären sind rationalisiert, weil in ihnen die Prozesse stark systematisiert geregelt sind. Zum Beispiel beobachtet Weber nur für den Okzident eine Wissenschaft, die auf Beobachtung, Experiment, Beweis, wissenschaftstheoretischer Reflexion usw. begründet worden ist; nur im Okzident ist Musik nach rationalen harmonischen Kriterien wie »Kontrapunktik und Akkordharmonik« (Weber 1988: 2) entwickelt worden; und auch eine »fachgeschulte Beamtenorganisation« von Recht, Politik und Verwaltung findet sich für Weber nur im Okzident wie auch eine dauerhaft auf Rentabilitätssteigerung orientierte kapitalistische Wirtschaft (vgl. Weber 1988: 2ff.). Man kann die Liste fortsetzen. Es reicht allerdings an dieser Stelle, erneut darauf zu verweisen, dass für Webers Verständnis alle diese Phänomene auf die subjektiven Sinnorientierungen sozialer Akteure zu beziehen sind. Da es die Soziologie als historische Wissenschaft auch immer mit historisch einmalig entstandenen Kulturerscheinungen zu tun hat, lehnt Weber es ab, sie nach dem Vorbild der Naturwissenschaften als gesetzesbildende (nomothetische) Wissenschaft einzurichten. Die Soziologie soll zwar allgemeine Regeln von historisch einmaligen Kulturerscheinungen herausarbeiten, aber sie kann nicht ahistorisch allgemeingültige Gesetze sozialen Geschehens benennen wie etwa die Physik das Gravitationsgesetz. Die Grundbegriffe der Soziologie müssen diesem Umstand gerecht werden und im Hinblick auf den beständigen historischen Wandel der soziokulturellen Formationen möglichst inhaltsarm, also möglichst offen formuliert sein (vgl. Mikl-Horke 2001: 132). Dies betrifft grundlegend die zentralen Kategorien von Sinn, Handeln und sozialem Handeln, die den Gegenstand der Soziologie abstecken. Webers bekannte Definition von Soziologie lautet wie folgt: »Soziologie […] soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will. ›Handeln‹ soll dabei ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder innerliches 26

Tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden. ›Soziales‹ Handeln aber soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist.« (Weber 1972: 1) Der Sinn des Handelns kann dabei von einem konkreten Akteur tatsächlich in einer Situation gemeint sein, er kann aber auch den durchschnittlichen Sinn bezeichnen, der von einer Masse von Handelnden gemeint worden ist, und er kann letztlich als ein typischer Sinn begrifflich konstruiert werden, der wiederum konstruierten Typen von Akteuren durch den Soziologen zugerechnet wird (vgl. Weber 1972: 1). Die verstehende Soziologie ist für Weber eine Wissenschaft, die solche Typen bildet. Sie abstrahiert aus der Fülle der beobachtbaren Wirklichkeit diejenigen Aspekte des Handelns und der Akteure, die für den Sinnzusammenhang bestimmend sind, der verstanden und erklärt werden soll. Die Typen, die in dieser Weise gewonnen werden, sind Idealtypen. Das heißt, sie steigern die relevanten Aspekte der Wirklichkeit zu einem sinnhaft kohärenten und logisch konsistenten Begriff, der Akteure und soziale Prozesse in der Art und Weise konstruiert, wie sie unter idealen Bedingungen, also ohne Störungen, Irritationen und Abweichungen, zu erwarten wären. Durch die Bestimmungen des Abstandes zu diesem idealen Modell kann dann ermessen werden, warum jemand tatsächlich so gehandelt hat, wie er gehandelt hat, und warum eine kulturelle Entwicklung ihren historisch einmaligen Verlauf genommen hat (vgl. Weber 1985: 191). In dem genannten Verständnis sind auch die vier Typen sozialen Handelns, die Weber unterscheidet, Idealtypen7: 1. Zweckrationales Handeln, 2. Wertrationales Handeln, 3. Affektuelles Handeln und 4. Traditionales Handeln (vgl. Weber 1972: 12). Diese vier Typen sind zugleich Bestimmungen des gemeinten Sinns einer Handlung, den Weber verstehen und erklären möchte. 1. Zweckrational handelt jemand, der im Hinblick auf bestimmte Zwecke verschiedene Mittel abwägt und dasjenige wählt, das am besten geeignet scheint. Der Zweck heiligt in diesem Fall

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die Mittel; beispielsweise wenn Torben für das Unternehmen X und nicht für Y arbeitet, um mehr Geld zu verdienen. 2. Wertrational handelt jemand, wenn der subjektiv gemeinte Sinn in dem unbedingten Glauben an besondere Werte besteht und die Zwecke den Werten untergeordnet werden; wenn also Torben beispielsweise auf Geld verzichtet, weil er die Ausbeutung von Niedriglohnländern durch Unternehmen X für unmoralisch hält und sich stattdessen für ein Unternehmen Y engagiert, das nachhaltige Wirtschafts- und Produktionsweisen verfolgt. Der Wert begrenzt mithin die Zwecke. 3. Im Falle affektuellen Handelns ist der gemeinte Sinn eine spontane Emotion. Wenn Torben Kevin im Affekt schlägt, handelt er affektuell. 4. Traditionales Handeln liegt schließlich vor, wenn der gemeinte Sinn durch Gewohnheiten hervorgebracht ist. Um bei dem begonnenen Beispiel zu bleiben, würde Torben traditional handeln, wenn er sich für ein Unternehmen entscheidet, in dem schon sein Vater und auch Großvater gearbeitet haben. Die Idealtypenbildung leitet das kontrollierte Verstehen der soziologischen Forschung an, das zugleich das Handeln erklärt. So können die vier Typen sozialen Handelns dazu dienen, die Sinnorientierungen eines historisch konkreten Falles zu analysieren und die Suche nach Gründen anleiten, warum nicht rein zweckoder rein wertrational gehandelt wurde. So würde man in der modernen Finanzwirtschaft rein zweckrationales Handeln erwarten, das auf dauerhafte Rentabilitätssteigerung ausgerichtet ist, und könnte versuchen zu verstehen, warum zu bestimmten Zeiten die Sphäre der kapitalistischen Finanzwirtschaft in Krisen geraten ist. Zum Beispiel könnte man versuchen, die globale Finanzkrise 2008 in dieser Weise verstehend zu erklären, wenn man zunächst ein ideales Modell der Kreditvergabe konstruiert, das zweckrational die zukünftige Deckung des Kredits als Bedingung der Kreditvergabe konstatiert, um dann im Vergleich zu den historisch realen Kreditvergaben zu ermessen, was falsch gelaufen ist. Man könnte also versuchen herauszustellen, welche traditional, affektuell, wertrational, aber auch in anderem Kontext zweckrational begründeten Handlungen und deren Verkettung die Krise befördert haben. 28

Das Verstehen der typischen Sinnorientierungen des sozialen Handelns wird dabei zu einem Erklären des Handlungszusammenhangs, wenn die Gründe oder auch Motive des Handelns rekonstruiert werden können. Weber unterscheidet zwischen einem aktuellen und einem motivationsmäßigen Verstehen (vgl. Weber 1972: 3f.), um das erklärende Moment der verstehenden Soziologie zu benennen. Aktuell versteht man eine Handlung, wenn man weiß, was jemand tut, also ein Buch lesen oder einen Kredit vergeben. Motivationsmäßig sind diese Handlungen verstanden, wenn man die typischen Motive kennt, die den aktuell verstandenen Handlungen zugrunde liegen; wenn man also weiß, dass jemand ein Buch liest, um für einige Zeit dem Alltag zu entfliehen, oder wenn man weiß, dass jemand einen Kredit vergibt, um mit den Zinsen in Zukunft einen Gewinn zu erzielen. Soziales Handeln ist für Weber dann soziologisch richtig verstanden und erklärt, wenn es zwei Kriterien genügt: der Sinnadäquanz und der Kausaladäquanz (vgl. Weber 1972: 5f.). Sinnadäquanz meint die typische und sinnvolle Ordnung des Handelns oder der Handlungszusammenhänge. Zum Beispiel müssen Mittel richtig auf die Zwecke bezogen werden oder auch die sinnhafte Handlungsorientierung auf die passende Ordnungsvorstellung usw. Das Modell muss insgesamt vor dem Hintergrund des alltäglichen sozialen Handelns stimmig sein. Kausaladäquanz meint dann darüber hinaus, dass das sinnadäquat verstandene Handeln mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit auch tatsächlich in der sozialen Wirklichkeit zu beobachten ist. Subjektiv gemeinter Sinn wird bei Weber insgesamt im Hinblick auf das methodisch angeleitete Verstehen als Grundbegriff eingeführt. Alle sozialen Geschehnisse können dann idealtypisch verstanden werden, wenn die typischen Sinnorientierungen der typischen Akteure rekonstruiert worden sind. Dass Weber dabei nicht in eine Position gerät, die nichts anderes als subjektive Deutungsprozesse in mikrologischen Situationen in den Blick bekommt, sollte dadurch deutlich sein, dass er Handeln auf sozial verteilte Ordnungsvorstellungen bezieht. Am Ende kann man also feststellen, dass der ›subjektiv gemeinte Sinn‹ bei Weber gar nicht so konsequent gedacht ist wie eingangs behauptet. Schließlich ist subjektiver Sinn als sozialer Sinn oftmals durch die Orientierung 29

an Ordnungsvorstellungen bestimmt, die als objektive Sinnzusammenhänge beschrieben werden können. Zudem ist die Sinnhaftigkeit des Handelns für andere und den soziologischen Beobachter verständlich und damit intersubjektiv verfügbar. Auch dies ist ein Charakteristikum objektiv-kommunikativen Sinns. Um auf Schütz vorzugreifen, lässt sich auch sagen, dass bei Weber subjektiver und objektiver Sinn nicht klar voneinander zu unterscheiden sind.

1.2 Schütz Im Anschluss an Weber und in kritischer Aufbereitung von dessen Grundbegriffen entwickelt Alfred Schütz (1899-1959) einen eigenen Ansatz der verstehenden Soziologie. Dabei geht es ihm vor allem darum, den Sinnbegriff zu präzisieren, der ihm bei Weber zu ungenau formuliert worden ist. Schütz reicht es offenbar nicht, dass Weber den Sinnbegriff mit Blick auf sozial etablierte Ordnungen und auf das Verstehen bestimmter Motive wie Zwecke, Werte, Affekte und Traditionen einführt (vgl. Schütz 2004: 100). Er will genauer wissen, was es heißen kann, dass ein Akteur mit seinem Handeln einen Sinn verbindet. Mit Hilfe der philosophischen Methode der Phänomenologie von Edmund Husserl (1859-1938) soll diese Frage beantwortet werden. Die Phänomenologie eignet sich für Schütz dazu, weil Husserl nachzuvollziehen versucht, wie im einzelnen Bewusstsein der Sinn aller Phänomene der Welt (Erscheinungen des Wahrnehmens und des Denkens) erzeugt wird. Husserl geht es bei diesem Programm um eine Erkenntnistheorie, die nach der Letztbegründung von wissenschaftlicher Erkenntnis fragt (vgl. Husserl 1995: 8). Dieses Erkenntnisinteresse geht Schütz nicht mit. Er belässt es bei einer Konstitutionsanalyse von Sinn für soziologische Zwecke. Die Schlüsselunterscheidung der Phänomenologie ist die von Bewusstsein und Welt. Gefragt wird danach, wie dem Bewusstsein Welt gegeben ist und welche Leistungen es dazu beiträgt, den Sinn der Welt zu erzeugen. Mit Husserl geht Schütz dabei von der intentionalen Struktur des Bewusstseins aus. Das Bewusstsein ist dadurch bestimmt, dass ein Ego durch bestimmte Bewusstseinsakte (auch: noesen oder cogitationes wie: wahrnehmen, denken, 30

bewerten, fühlen usw.) auf einen sinnhaften Gegenstand (auch: noema oder cogitatum) gerichtet ist (vgl. Husserl 1995: 52). Die Bewusstseinsakte erzeugen eine Perspektive auf Welt, die etwas als etwas und somit in einem spezifischen Sinn in den Blick nimmt. An die Unterscheidung von Bewusstsein und Welt knüpft Schütz jedoch zunächst im Anschluss an Henri Bergson (18591941) und dessen Unterscheidung von durée und der raum-zeitlichen Welt an (vgl. Schütz 2004: 139). Die durée ist die innere Zeitlichkeit des Bewusstseins, die als Erlebnisstrom vorgestellt werden kann, in dem es keinerlei Unterscheidungen gibt. Sie ist ein kontinuierlicher Übergang von Erlebnissen. Die räumlichzeitliche Welt meint dann als Gegensatz die Welt der Unterscheidungen. Die räumliche Ordnung und zeitliche Einteilung der Welt ist diskontinuierlich. Für Schütz ist mit dieser Unterscheidung die Frage der Konstitution von Sinn gestellt: Wie werden im Bewusstsein der reinen Dauer (durée) die Unterscheidungen der räumlich-zeitlichen Welt hervorgebracht und damit sinnhafte Erlebnisse konstituiert, die aus dem Erlebnisstrom herausgehoben sind? Nur wohlunterschiedene Erlebnisse sind für Schütz sinnhafte Erlebnisse. Sie werden dadurch konstituiert, das sich das Bewusstsein seiner inneren Dauer in einem Akt der Reflexion zuwendet und Erlebnisse, die in der Zeit sukzessive entstanden sind, als fertig konstituierte Erlebnisse erfasst (vgl. Schütz 2004: 173). Dies ist nun für eine Besonderheit von Schütz’ Sinnbegriff besonders relevant, weil nach diesem Verständnis Sinn immer erst im Nachhinein durch die Reflexion erzeugt wird: »Denn da der Begriff des sinnvollen Erlebnisses immer voraussetzt, daß das Erlebnis, dem Sinn prädiziert wird, ein wohlunterschiedenes sei, so zeigt sich mit großer Klarheit, daß Sinnhaftigkeit nur einem vergangenen, d.h. nur einem Erlebnis zuerkannt werden kann, das sich dem rückschauenden Blick als fertig und entworden darbietet. […] Nur das Erlebte ist sinnvoll, nicht das Erleben.« (Schütz 2004: 146) Für die Grundbegriffe der verstehenden Soziologie bedeutet dies nun, dass jeweils ihr spezifischer Sinn angegeben werden muss. Eine Orientierung dafür liefert zunächst die Kritik an Webers Grundbegriffen, die von Schütz inhaltlich neu bestimmt werden. Die Kritik lässt sich kurz dahingehend zusammenfassen, 31

dass Weber aus Schütz’ Perspektive zu wenige begriffliche Unterscheidungen eingeführt hat, um seine Grundbegriffe unmissverständlich und eindeutig zu bestimmen. So fehlen für Schütz die Unterscheidungen von Handeln als einem Prozess und der Handlung als dem Ergebnis des Handelns. Gleichermaßen vermisst er die Unterscheidung zwischen dem Sinn des eigenen Handelns und dem Sinn des fremden Handelns und damit fehlt die Unterscheidung von Selbstverstehen und Fremdverstehen (vgl. Schütz 2004: 87). Damit ist vor allem ein weiteres Problem angedeutet: Weber kann aus der Sicht von Schütz den Unterschied von aktuellem und motivationsmäßigem Verstehen nicht trennscharf einführen und damit erscheint eine Kernunterscheidung der verstehenden Soziologie uneindeutig. Zur Verdeutlichung führt Schütz verschiedene Beispiele an, die sich mit Webers Begrifflichkeiten nicht ohne Weiteres unterscheiden lassen. Der Sinn des Handelns eines Mannes, der nach einer Klinke greift, um eine Tür zu öffnen, der Holz hackt oder im Wald mit einem Gewehr auf ein Tier anlegt, um es zu schießen, kann nach Webers Verständnis aktuell verstanden werden. Schütz wendet allerdings ein, dass zwar verständlich ist, dass jemand nach der Klinke greift, Holz hackt oder ein Gewehr anlegt, aber nicht, welcher Sinn von den Handelnden damit verbunden ist (vgl. Schütz 2004: 11). Der soziologische Beobachter kann auf Grund seiner kulturellen Erfahrungen wissen, dass gemeinhin die Tür geöffnet wird, wenn nach der Klinke gegriffen wird, oder dass Holz gehackt wird, wenn jemand mit einer Axt auf etwas schlägt, oder dass ein Tier geschossen wird, wenn jemand es mit einem Gewehr anvisiert. Damit ist allerdings etwas erfasst, was Schütz ganz im Verständnis der hier verwendeten Heuristik den objektiven Sinn einer Handlung nennt, und nicht der subjektiv gemeinte Sinn, um den es der verstehenden Soziologie geht. Und auch dies konnte Weber nicht sehen, weil er nicht zwischen subjektivem und objektivem Sinn unterschieden hat. Für die genannten Beispiele könnte sich dann herausstellen, dass der subjektive vom objektiven Sinn abweicht. Nach der Klinke kann auch gegriffen werden, um sie zu putzen oder zu reparieren und das Tier kann mit dem Zielfernrohr des Gewehres schlicht beobachtet werden usw. Die Problematik des aktuellen Verstehens kann noch weiter zugespitzt werden, wenn es mit Weber über32

haupt schwierig wird, Verhalten von Handeln zu unterscheiden. Das affektuelle und traditionale Handeln liegt für Weber auf der Grenze zum bloßen Verhalten. Schütz sieht darin erneut eine unzureichende Begriffsklärung, weil offenbar kein klares Kriterium zur Unterscheidung von Verhalten und Handeln vorliegt (vgl. Schütz 2004: 99). Wie die Begriffe von Verhalten, Handeln und Handlung bestimmt werden, wird so zu einem zentralen Problem, weil damit die Möglichkeiten eines methodisch kontrollierten Verstehens unmittelbar verknüpft sind. Nur wenn die spezifischen Sinnhaftigkeiten der verschiedenen Begriffe geklärt sind, lässt sich auch angeben, wie und was ein soziologischer Beobachter genau verstehen und mithin erklären kann. Es geht also darum, wie genau sein Gegenstandsbereich zu konstruieren und die entsprechende Methode seiner Erforschung auszurichten ist. Die Reflexion kann im egologischen Bewusstsein wohlumgrenzte Erlebnisse herausheben, weil der Erlebnisstrom die vergangenen Erlebnisse verfügbar hält. Dies erfolgt in Form sogenannter Retentionen. Zugleich ist das gegenwärtige Erleben auf zukünftige Erlebnisse ausgerichtet, die durch sogenannte Protentionen erwartet werden. In dem Erlebnisstrom kann die Reflexion dann weiter Erlebnisse unterscheiden, die vom Ich, also vom Ego, aktiv hervorgebracht worden sind. Für die Grundbegriffe des Verhaltens, des Handelns und der Handlung sind nur diese Erlebnisse von Interesse. Verhalten erscheint der reflexiven Zuwendung als spontane Ich-Aktivität. Handeln erscheint als eine Ich-Aktivität, die auf einen zuvor gefassten Plan oder Entwurf ausgerichtet ist. Und eine Handlung erscheint als das Resultat des Handelns (vgl. Schütz 2004: 173f.). Als Verhalten kann dann jede Äußerung verstanden werden, die durchaus auch sozial sinnhaft sein kann, wenn kein Plan vorliegt; also zum Beispiel spontanes Lachen oder auch ungeplante Gestik und Mimik usw. Handeln ist dann jedes Verhalten, das auf einem mehr oder minder bewusst gefassten Entwurf beruht. Immer wenn jemand etwas tut, um etwas in der Zukunft zu realisieren, liegt also Handeln vor: jemandem Geld geben, um ein Auto zu kaufen; mit einem Hammer einen Nagel in die Wand schlagen, um ein Bild aufzuhängen; auf dem Schwarzmarkt eine Pistole besorgen, um eine Bank zu überfallen usw.

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Die Unterscheidung von Handeln und Handlung ist zum einen relevant, um zu berücksichtigen, dass das tatsächliche Ergebnis des Handelns von dem ursprünglichen Plan erheblich abweichen kann. Zum anderen, um genauer zu bestimmen, was als Entwurf des Handelns zu begreifen ist. Denn der Plan selbst kann nicht das Handeln sein, das ihn realisiert, sondern nur die Vorstellung einer Handlung, die durch das Handeln hervorgebracht wird. Wenn ich mit dem Auto zum Supermarkt fahren will, dann plane ich nicht das Handeln, also die Schritte, die mich aus dem Haus führen, den Griff nach dem Autoschlüssel und dem Türgriff usw., sondern das Ziel, am Supermarkt angekommen zu sein. Der Plan des Handelns ist für Schütz deshalb immer eine Handlung, die erst in der Zukunft abgeschlossen sein wird (vgl. Schütz 2004: 156). Der Plan ist als Ziel des Handelns zugleich auch eines seiner Motive. Schließlich ist das Handeln dadurch motiviert, dass es einen Plan in der Zukunft realisieren wird. Schütz spricht vom Um-zu-Motiv des Handelns (vgl. Schütz 2004: 195ff.). Wenn man das Um-zu-Motiv kennt, dann weiß man allerdings noch nicht, warum der Akteur diesen und keinen anderen Plan gewählt hat. Warum fährt ein Akteur zum Biosupermarkt und nicht zum Discounter? Warum will jemand eine Bank überfallen, um an Geld zu kommen, anstatt sich Arbeit zu suchen? Man fragt also nach den Gründen für den Plan selbst. Schütz nennt einen solchen Grund Weil-Motiv des Handelns (vgl. Schütz 2004: 202ff.). Im Unterschied zu den Um-zu-Motiven, die auf die Realisierung eines Plans in der Zukunft gerichtet sind, erscheinen Weil-Motive immer als Erfahrungen, die in der Vergangenheit gemacht worden sind. Der subjektiv gemeinte Sinn, den Weber in das Zentrum der verstehenden Soziologie gestellt hat, kann nach dieser Begriffsbestimmung dann nur das Um-zu-Motiv des Handelns sein. Schließlich ist auch bei Weber der gemeinte Sinn sozialen Handelns auf die Zukunft gerichtet, weil er das Handeln in seinem Ablauf orientiert (vgl. Weber 1972: 1). Im Unterschied zu Weber kann der subjektiv gemeinte Sinn bei Schütz jedoch nicht mehr einfach als intersubjektiv verständlich vorausgesetzt werden. Die Um-zuMotive des Handelns sind immer nur dem Handelnden selbst zugänglich. Ein außenstehender Beobachter kann sie nicht erfassen. 34

Das Problem des Verstehens ist mit dieser Begriffsbestimmung für Schütz deutlich herausgearbeitet. Das Verstehen von anderen, also das Fremdverstehen, erscheint als generelles Problem: für die Akteure im sozialen Alltag und für den Soziologen (vgl. Schütz 2004: 219ff.). Damit ist nicht nur die Frage nach dem methodisch kontrollierten Verstehen des Soziologen aufgeworfen, sondern auch die Frage danach, wie Akteure im Alltag überhaupt in der Lage sind, ihre Handlungen derart zu koorientieren und zu koordinieren, dass die soziale Wirklichkeit als eine sozial geordnete Wirklichkeit erscheinen kann. Wie also schaffen es die Akteure des Alltags ihre Handlungspartner zumindest so weit zu verstehen, dass sie ihr Handeln an dem Handeln anderer ausrichten können, dass sie miteinander kommunizieren können und dies vor dem Hintergrund relativ stabiler Erwartungen? Ganz der Schlüsselunterscheidung Bewusstsein/Welt der Phänomenologie verpflichtet, versucht Schütz herauszuarbeiten, wie die soziale Wirklichkeit von einem beliebigen Akteur erfahren wird und welche Leistungen des Bewusstseins vorauszusetzen sind, damit diese Erfahrung zustande kommen kann. Die Alltagswelt ist die Welt in naiv natürlicher Einstellung (vgl. ebd.). Sie ist damit durch eine besondere Weise bestimmt, in der sich ein Akteur der Welt zuwendet. In naiv natürlicher Einstellung erscheint die Welt, so wie sie ist, als selbstverständlich und wird nicht hinterfragt. Für die Sozialwelt bedeutet dies vor allem, dass wir mit anderen in ihr leben, die genauso bewusstseinsbegabt sind wie wir und mit denen wir unsere Handlungen zumeist unproblematisch koordinieren können. Obwohl jeder Einzelne streng genommen immer und ausschließlich seine Perspektive auf einen besonderen Weltausschnitt kennen kann, geht er davon aus, dass seine Welt dieselbe ist, in der auch die anderen leben und dass diese anderen die Welt prinzipiell in vergleichbarer Weise erfahren. In diesem Sinne wird die Welt in natürlicher Einstellung von Grund auf als intersubjektiv erfahren. Getragen wird die Erfahrung der Selbstverständlichkeit durch unterschiedliche Thesen und Idealisierungen:

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1. Jeder geht davon aus, dass alle anderen bewusstseinsbegabt sind wie er selbst und dass die Strukturen der Alltagswelt von allen vergleichbar erfahren werden (Generalthesis des Alter Ego). 2. Jeder geht davon aus, dass er vergangene Handlungen in zukünftigen Handlungen wiederholen kann (Idealisierung des »Ich kann immer wieder«). 3. Jeder geht davon aus, dass die als selbstverständlich gegebene Welt so bleibt, wie sie war und ist, und es immer irgendwie weiter geht (Idealisierung des »Und so weiter«). 4. Jeder geht im Alltag davon aus, dass er eine Situation genauso wahrnehmen würde wie sein Interaktionspartner, wenn er dessen Position einnehmen würde (Idealisierung der Vertauschbarkeit der Standorte); zudem geht jeder davon aus, dass in der Situation für sein Gegenüber dieselben Sachverhalte und Dinge relevant sind (Idealisierung der Kongruenz der Relevanzsysteme). Beide Idealisierungen bilden zusammengenommen die Generalthesis der Reziprozität der Perspektiven. Für das Problem des Fremdverstehens ist die Generalthesis der Reziprozität der Perspektiven von besonderem Interesse. Sie beschreibt die Grundlage dafür, dass Akteure davon ausgehen, wechselseitig verstehen zu können, was der jeweils andere sinnhaft meint. Die Annahmen der Austauschbarkeit der Standorte und der Kongruenz der Relevanzsysteme motivieren die Akteure dazu, typische Wissensbestände zu aktivieren, die soziokulturell verbreitet sind, um die Situation zu deuten (vgl. Schütz 2010: 341). Das heißt, beide Akteure sehen von ihren notwendig individuellen Perspektiven auf die Situation ab und orientieren sich an den Wissensbeständen, die in einer Gesellschaft in jeweils vergleichbaren Sozialisations- und Erziehungsverläufen gelernt werden. Die typischen Wissensbestände werden vor allem durch Zeichensystemen, allen voran die Sprache, zur Verfügung gehalten und vermittelt (vgl. Schütz 2010: 343; Bongaerts/Ziemann 2000). Sprachlich werden typische Wissensbestände und Relevanzen für typische Situationen vermittelt, die Akteure zur Handlungskoordinierung und zu Zwecken des Fremdverstehens aufrufen und einsetzen können. Ein Akteur versteht einen anderen dadurch, dass er dessen Äußerungsverhalten auf seine eigenen typischen Wissensbestände 36

bezieht. Diese können ihm zumindest die kulturell und im Falle der Sprache und sprachähnlicher Zeichensysteme auch die konventionell verbreitete Bedeutung oder Sinnhaftigkeit dieses Verhaltens aufschlüsseln. Mit Blick auf die Heuristik (vgl. Kapitel II) handelt es sich um objektiv-kommunikative Sinnzusammenhänge. Echtes Fremdverstehen findet für Schütz darüber hinaus statt, wenn über die äußerlich und objektiv verständlichen Verhaltensweisen hinaus nach dem Um-zu-Motiv gefragt wird, das der andere mit seinem Handeln verfolgt. Das Verstehen geht erneut von eigenen Erfahrungen und typischen Wissensbeständen aus und hat somit die Form einer Selbstauslegung. Allerdings versetzt sich der Verstehende in die andere Person explizit hinein. Er versucht nachzuvollziehen, welches Um-zu-Motiv er verfolgen würde, würde er in der äußerlich und damit objektiv beobachtbaren Form handeln. Um Schütz Formulierung aufzugreifen: »Wir nehmen also gewissermaßen eine Personenvertauschung vor […].« (Schütz 2004: 242) Das soziologische Verstehen funktioniert in einer völlig vergleichbaren Weise. Schütz lenkt die Aufmerksamkeit der verstehenden Soziologie darauf, dass eine Kontinuität zwischen Verstehensprozessen im Alltag und in der Wissenschaft gegeben ist. Der Gegenstandsbereich der Soziologie ist schließlich schon immer ein sinnhaft ausgedeuteter. Im Alltag ordnen Akteure die Wirklichkeit durch Sinnsetzungs- und Sinndeutungsakte, die auf typischen Wissensbeständen fußen. Diese Sinnauslegungen können mit Schütz als Konstruktionen erster Ordnung verstanden werden. Der soziologische Forscher hat die Aufgabe, diese Konstruktionen methodisch kontrolliert zu verstehen, und das Ergebnis dieses soziologischen Verstehens sind Modelle, die als Konstruktionen zweiter Ordnung bezeichnet werden. Dies ist schließlich die Besonderheit im Unterschied zu den Naturwissenschaften. Naturwissenschaftler konstruieren Sinnzusammenhänge in Form von Theorien, um zum Beispiel zu erklären, warum ein Gegenstand immer zu Boden fällt, wenn man ihn fallen lässt. Das Phänomen, das es zu erklären gilt, formuliert jedoch selbst keine Theorie über dieses Kausalverhältnis. Kurzum: Nur im Bereich des sozialen Lebens hat es die Wissenschaft mit einer vorgedeuteten Wirklichkeit zu tun und ist darauf angewiesen, zu verstehen, wie 37

die Wirklichkeit sinnhaft gedeutet wird. Das Grundproblem sozialwissenschaftlicher Methodologie ist letztlich, wie subjektiver Sinn objektiver Forschung zugänglich gemacht werden kann (vgl. Schütz 2010: 367). Schütz formuliert für das soziologische Verstehen drei Postulate, die erfüllt sein müssen, damit ein soziologisches Modell von Handlungen und Handlungszusammenhängen Geltung beanspruchen kann (vgl. Endreß 2006: 59f.; Schütz 2010: 374f.): 1. Das Postulat der logischen Konsistenz besagt, dass die sozialwissenschaftlichen Modelle mit dem höchsten Grad an Klarheit, begrifflicher Präzision und im Einklang mit der formalen Logik formuliert sein müssen. Nur dann ist so etwas wie wissenschaftliche Objektivität im Sinn der Nachvollziehbarkeit und kritischen Überprüfbarkeit gewährleistet. 2. Das Postulat der subjektiven Interpretation besagt, dass der Sozialwissenschaftler Modelle der sozialen Welt konstruieren muss, die auf die subjektiven Sinnsetzungen von menschlichen Akteuren verweisen können oder müssen. Es geht um die Konstruktion von Modellen individueller Bewusstseine und die Zuschreibung von typischen Sinnsetzungen und Sinndeutungen, die den beobachtbaren Handlungszusammenhang verständlich machen. 3. Das Postulat der Adäquanz besagt, dass die Modelle von Handlungen und Handlungszusammenhängen in einer Weise konstruiert werden müssen, dass die typischen Akteure, die typischen Handlungen, die typischen Situationen und die als typisch zugeschriebenen Motive für die konkreten Akteure der Alltagswelt in dem Sinne verständlich sind, dass sie an der Stelle des Modell-Akteurs genau so handeln würden wie dieser. Durch dieses Postulat wird der Wirklichkeitsgehalt des Modells sichergestellt. Der Gegenstandsbereich, den Schütz mit Hilfe seiner Grundbegriffe von Sinn, Handeln und Handlung bestimmt, ist zunächst die Alltagswelt oder die Welt in natürlicher Einstellung, in der Akteure handelnd wirken, sich mit anderen koordinieren und verständigen und in der sie ihre pragmatischen Ziele verfol38

gen. Darüber hinaus nimmt aber Schütz auch weitere Bereiche der Wirklichkeit in den Blick, die sich von der Alltagswelt durch unterschiedliche Bewusstseinseinstellungen bzw. Erkenntnisstile unterscheiden (vgl. Schütz 2003a). So ist zum Beispiel die Wissenschaft eine Sinnprovinz, die sich von der Alltagswelt der natürlichen Einstellungen schon dadurch unterscheidet, dass in ihr nicht der Glaube an die Selbstverständlichkeit der Welt dominant ist, sondern im Gegenteil der Zweifel an der Selbstverständlichkeit der Welt. Wissenschaft hat den Zweifel an der Welt, so wie sie erscheint, zum Programm. Eine weitere Sinnprovinz, die Schütz anführt, ist der Traum. Ist man in der Welt der natürlichen Einstellung hellwach auf den Vollzug seines Handelns ausgerichtet, so ist man im Traum schlafend und von pragmatischen Zwängen und der Logik der Alltagspraxis befreit. Schütz grenzt die Anzahl der möglichen Sinnprovinzen nicht ein. Es ist dann eine empirische Frage, welche Sinnzusammenhänge als Sinnprovinzen beschrieben werden können. Der Zusammenhang aller Sinnprovinzen mitsamt der Alltagswelt benennt den Gegenstandsbereich der Soziologie als Lebenswelt der sozialen Akteure (vgl. Endreß 2006: 91ff.). Wesentlich ist für die Konstruktion des Gegenstandsbereichs aufgrund von Schütz’ Sinnbegriff, dass alle sozialen Phänomene letztlich durch Konstruktionen zweiter Ordnung der Wissensbestände und Typiken der Bewusstseinseinstellung von Akteuren auf die soziale Welt rekonstruiert werden müssen. Auch objektive Sinnzusammenhänge haben ihren Realitätsgehalt nur, wenn sie subjektiv gedeutet werden. Alle auch makrologischen sozialen Gebilde wie zum Beispiel Klassen, Schichten oder auch einige der schon genannten Sinnprovinzen werden also als Phänomene sinnhaften Erlebens rekonstruiert und geraten aufgrund der phänomenologisch fundierten soziologischen Grundbegriffe nur als solche Sinnphänomene in den Blick. Die Aufgabe der verstehenden Soziologie ist es, die soziale Wirklichkeit in ihrem Gesamtzusammenhang als Lebenswelt in drei Hinsichten zu rekonstruieren, wie Martin Endreß (vgl. 2006: 60f.) herausstellt: Zum Ersten geht es um den Nachvollzug der Prozesse der Sinnsetzung, zum Zweiten geht es um die Analyse des Wirkens als sinnorientiertes Handeln in der Wirklichkeit und zum Dritten geht es um das Pro39

blem der Erzeugung von Intersubjektivität und intersubjektiven Sinnstrukturen.

1.3 Exkurs: »Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit« (Berger/Luckmann) Die Konstruktion sozialer Wirklichkeit als einer intersubjektiven Wirklichkeit ist als Problemstellung von zwei Schülern von Schütz in einer mittlerweile klassischen Theorie der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit fortgeführt worden. Thomas Luckmann (*1927) und Peter L. Berger (*1929) haben in ihrem zuerst im Englischen erschienenen Buch Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit (The Social Construction of Reality, 1966) die Fragestellung ins Zentrum gerückt, wie aus subjektiven Prozessen der Sinnsetzung und Sinndeutung eine soziale Wirklichkeit entstehen kann, die den Akteuren, die in sie hineinwachsen, als objektiv gegeben und von ihrem Handeln unabhängig zu sein scheint: »Wie ist es möglich, dass subjektiv gemeinter Sinn zu objektiver Faktizität wird? Oder, in der Terminologie Webers und Durkheims: Wie ist es möglich, daß menschliches Handeln (Weber) eine Welt von Sachen hervorbringt?« (Berger/Luckmann 1969: 20) Die Antwort liegt für Berger und Luckmann in einer Theorie der Institutionalisierung. Institutionen sind zunächst als dauerhafte Lösungen für soziale Probleme zu verstehen. Das Gesetz reguliert Konflikte, die Schule sorgt für die Vermittlung legitimer Bildungsinhalte, die Ehe sichert und reguliert Intimbeziehungen, Trauerfeiern regulieren symbolisch den Umgang mit dem Verlust eines Nächsten usw. Ohne an dieser Stelle in die Details der Theorie einzusteigen, soll kurz erläutert werden, wie Berger und Luckmann die Entstehung solcher und weiterer Institutionen erklären. Sie gehen zunächst davon aus, dass jedes menschliche Handeln habitualisiert, also zu einer Gewohnheit wird, wenn man es wiederholt (vgl. Berger/Luckmann 1969: 56). Wenn habitualisierte Handlungen von mindestens zwei sozialen Akteuren »reziprok typisiert werden« (Berger/Luckmann 1969: 58), beginnt ein Prozess der Institutionalisierung. Wichtig ist, dass die Akteure, die an der 40

wechselseitigen Typisierung beteiligt sind, selbst zu typischen Akteuren werden, sobald der Institutionalisierungsprozess in Gang gekommen ist. Wenn ein Paar zusammenzieht und die Haushaltsarbeit aufteilt, können solche Institutionalisierungsprozesse stattfinden. Wenn Frau X jedes Wochenende die Großeinkäufe übernimmt und Mann Y gleichzeitig den Hausputz und wenn beide sich als typische Einkäuferin und typischer Hausputzer dabei begreifen, hat ein Institutionalisierungsprozess begonnen, der eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung begründet. Die Gründe für diese Arbeitsteilung mögen darin liegen, dass der einen das eine und dem anderen das andere besser von der Hand geht, weil es Gewohnheitshandlungen sind. Damit ist im Verständnis von Berger und Luckmann jedoch der Prozess der Institutionalisierung noch nicht beendet. Der letzte notwendige Schritt ist die Weitergabe an Dritte, in der Regel an die nächste Generation (vgl. Berger/Luckmann 1969: 62). Erst wenn Dritte die typisierten Handlungsabläufe übernehmen, die an der Situation der Begründung der Institution nicht Teil hatten, wird die Institutionalisierung abgeschlossen. Für einen Dritten erscheint die Arbeitsteilung als gegeben und die Gründe, die X und Y dafür hatten, sich so und nicht anders aufzuteilen, sind ihm nicht unmittelbar zugänglich. Der Dritte ist auf Erzählungen angewiesen, in denen der nun tradierte Handlungsablauf legitimiert und dadurch sinnvoll gemacht wird. Je komplexer und differenzierter Institutionen in einer Gesellschaft sind, umso kompliziertere Legitimationen werden notwendig, um die soziale Ordnung für ihre Akteure sinnvoll erscheinen zu lassen. Um bei dem einfachen Beispiel häuslicher Arbeitsteilung zu bleiben: Eine einfache Form und erste Stufe der Legitimierung sind schlichte sprachliche Objektivationen (vgl. Berger/Luckmann 1969: 101), in denen die Handlungen beschrieben werden und die von einem »Das macht man so« begleitet sind. Besteht ein stärkerer Legitimationsbedarf, können auf einer zweiten Stufe der Legitimierung »rudimentäre theoretische Postulate« (Berger/Luckmann 1969: 101) formuliert werden. Sprichwörter sind dafür ein Beispiel. Auf einer dritten Stufe der Legitimierung kann zudem Sonderwissen über die jeweilige Institution theoretisch ausgearbeitet und bereitgestellt werden (vgl. Berger/Luckmann 1969: 101). Hier zählen alle mög41

lichen Begründungen dafür, warum die Haushaltsarbeit in dieser Weise sinnvoll aufgeteilt ist: Die Frau geht einkaufen, weil sie besser weiß, was benötigt wird, der Mann putzt besser, weil er mehr Sinn für Sauberkeit hat usw. Schließlich gibt es auf einer vierten Stufe der Legitimierung das, was Berger und Luckmann als »Synoptische Traditionsgesamtheiten« (Berger/Luckmann 1969: 102) bezeichnen, die einzelnen institutionellen Bereichen, sei es der häuslichen Arbeitsteilung oder der öffentlichen Berufswelt oder auch dem Freizeitsport usw., übergeordnet sind und nach mehr oder minder abstrakten Prinzipien und Inhalten den Zusammenhang aller differenzierten Institutionen begründen sollen. Religiöse Kosmologien, in denen den Geschlechtern vor dem Hintergrund einer Schöpfungsgeschichte klare Bereiche der Welt und Aufgaben zugewiesen werden, können als Beispiel dienen, aber auch das moderne naturwissenschaftliche Weltbild, das alle anderen Wissensbereiche wissenschaftlich rationalisiert (vgl. Berger/ Luckmann 1969: 102). Auch wenn dieser Exkurs lediglich eine grobe Fassung von Berger und Luckmanns Theorie ist, so ist doch deutlich, dass auch in diesem Fall die gesamte gesellschaftliche Wirklichkeit durch die Wissensbestände erfasst wird, die den Akteuren zur Verfügung stehen. Institutionen sind schließlich nichts anderes als typisches Wissen, das das konkrete Handeln orientiert. Ist es im ersten Teil des Buches Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit die objektive Wirklichkeit, die es zu erklären gilt, so widmen sich Berger und Luckmann im zweiten Teil der Gesellschaft als subjektiver Wirklichkeit. In diesem Theorieteil wird eine Sozialisationstheorie formuliert, die die Weitergabe der Wissensbestände und die Identitätsbildung der Gesellschaftsmitglieder erläutert. Ohne dies an dieser Stelle ausführen zu müssen, ist auch damit deutlich, dass gesellschaftliche Wirklichkeit im Fokus von Berger und Luckmanns Theorie als Wissensordnung oder Zusammenhang von Wissensordnungen erscheint, die es zu verstehen und zu erklären gilt.

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2. Objektiver Sinn: Habermas und Luhmann

2.1 Habermas Im Hinblick auf Bergers und Luckmanns Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit hat Jürgen Habermas in seinem gesellschaftstheoretischen Hauptwerk Theorie des kommunikativen Handelns (1981) von einer kulturalistisch verkürzten Konzeption der Lebenswelt gesprochen (vgl. Habermas 1981b: 210). Der Ausgang von Schütz’ Zurechnung von Sinn auf egologische Bewusstseine führt zur Rekonstruktion sozialer Wirklichkeit aus der Perspektive der einzelnen Akteure. Und wie in Kapitel I/1.3 und im Exkurs herausgestellt worden ist, bedeutet dies für die Konstruktion des Gegenstandsbereichs der Soziologie, dass nach den typischen Wissensbeständen der Akteure gefragt wird. Für Habermas folgt daraus, dass das Handeln und Kommunizieren der Akteure, das durch deren Wissensbestände sinnhaft orientiert ist, nur im Hinblick auf die Reproduktion dieses kulturellen Wissens thematisiert werden kann (vgl. Habermas 1981b: 210). Die Intersubjektivität der sozialen Wirklichkeit wird dann immer schon vorausgesetzt und kommt lediglich darin zum Ausdruck, dass Akteure ihre Sinnsetzungen und Sinndeutungen mit denen der jeweils anderen Akteure vergleichen und dabei prüfen, ob ihre Definitionen der Situation für die Realisierung ihrer Handlungspläne hinreichend übereinstimmen. Man kann es an dieser Stelle dahingestellt sein lassen, ob diese Kritik wirklich triftig ist. Sie ist aber für Habermas’ Theorie aufschlussreich, weil er an ihr seine eigene theoretische Position schärft. Die Verkürzung des Lebensweltkonzeptes besteht für Habermas darin, dass Berger und Luckmann über den Test hinaus, ob das Wissen von der Welt hinreichend geteilt ist, nicht die Prozesse der Vergesellschaftung und Integration erfassen können, die im Falle kommunikativen Handelns notwendig auch stattfinden. Immer wenn Akteure ihre Handlungen koordinieren und dabei auf kommunikative Mittel zurückgreifen, aktualisieren sie dabei nicht nur Wissen über die Welt, sondern sie orientieren sich auch an »Maßstäben für die Solidarität der Angehörigen und für die Identität des vergesellschafteten Individuums« (Habermas 1981b: 43

211). Worauf es Habermas letztendlich dabei ankommt, ist, dass Berger und Luckmann die normative Verbindlichkeit von kommunikativen Handlungen eines Akteurs für andere Akteure nicht verstehen können. Der Hinweis auf die Solidarität und auch die vergesellschaftete Identität der Akteure meint, dass Akteure mit ihrem kommunikativen Handeln normative Ansprüche erheben, die in einer Gesellschaft verbindlich gelten. Um ein Beispiel zu geben: Schütz hat kommunikatives Geschehen am Beispiel einer Frage-Antwort-Wirkensbeziehung oder auch Kommunikation dargestellt (vgl. Schütz 2004: 309f.). Im Rahmen von Schütz’ und auch Berger/Luckmanns Handlungstheorie wird das Frage-Antwort-Geschehen als die Verkettung von Motiven verständlich. Zum Beispiel ist die Frage nach der Uhrzeit durch das Um-zu-Motiv bestimmt, die Uhrzeit wissen zu wollen. Die Antwort wiederum ist für Akteur Y durch die Frage von Akteur X motiviert. Das Um-zu-Motiv von X wird mithin zum Weil-Motiv für die Handlung von Y. Für Habermas reicht diese Erläuterung jedoch nicht, weil nicht verständlich ist, warum Y sich in der Regel verpflichtet fühlt, zu antworten. Es fehlt mithin die Berücksichtigung des normativen Moments kommunikativen Handelns. Für Habermas ist die Frage nach der normativen Dimension kommunikativen Handelns, das er als grundlegenden Typus des sozialen Handelns begreift, nicht primär für die Rekonstruktion der Bedingungen für die Produktion und Reproduktion sozialer Ordnung von Interesse. Es geht ihm vielmehr darum, die normative Dimension kommunikativen Handelns für die eigene Theorie fruchtbar zu machen. Sein Ziel ist es, eine kritische Gesellschaftstheorie zu formulieren, die den normativen Maßstab ihrer Kritik begründen und ausweisen kann. Als der wohl prominenteste Vertreter der zweiten Generation der Kritischen Theorie in der Tradition der Frankfurter Schule setzt er sich mit genau dieser Programmatik von der ersten Generation ab, die vor allem mit den Namen Max Horkheimer (1895-1973) und Theodor W. Adorno (1903-1969) verbunden ist. Aus der Sicht von Habermas hat die erste Generation der Frankfurter Schule zwar Gesellschaftskritik betrieben – vor dem Krieg mit einem emanzipatorischen Interesse und nach dem Zweiten Weltkrieg in Form einer eher pessimistischen Geschichtsphilosophie –, aber ohne die Legitimität 44

ihrer kritischen Position im Rahmen der Theorie zu begründen.8 Habermas will den normativen Maßstab der Kritischen Theorie durch einen Rationalitätsbegriff ausweisen, der insofern formal ist, als er allgemeine Möglichkeiten der Entfaltung von Rationalität benennt. Der formale Rationalitätsbegriff umfasst damit also keine inhaltliche Bestimmung darüber, was in einer Gesellschaft als rational und als irrational erscheinen kann, sondern Prozesse und Verfahren, mit denen rationale Beurteilungen über Handlungen möglich sind. Habermas versucht einen solchen Begriff zu gewinnen, indem er Handlungstheorie und Sprachpragmatik miteinander verknüpft. Die Sprachpragmatik ist ein Forschungsfeld, das die Verwendung von Sprache als Sprechhandeln untersucht. Habermas geht es auch dabei nicht um die Untersuchung historisch konkreten Sprechhandelns, sondern allgemein um die Rekonstruktion der Bedingungen der Möglichkeit, die Sprecher in die Lage versetzen, sich verständlich zu äußern (vgl. Greve 2009: 197). Der Anspruch der sprachpragmatischen Annahmen ist dann ein universeller und damit wiederum ein formaler. Habermas geht es in diesem Sinn auch bei der Sprachpragmatik um eine Universal- oder Formalpragmatik.9 Dass Habermas die Handlungstheorie mit der Formalpragmatik verknüpft, hängt unmittelbar mit dem Sinnbegriff zusammen, den er für seine Theoriebildung zugrunde legt. Und einen Begriff von Sinn legt er zugrunde, weil diese Kategorie Handeln von Verhalten unterscheidbar macht (vgl. Habermas 1984a: 11). Verhalten plus Sinn ist gleich Handeln. Für die soziologische Forschung bedeutet dies, dass die sinnhaften Orientierungen der Akteure zu rekonstruieren sind. In Verhaltenswissenschaften wird hingegen nur der äußere Ablauf des Verhaltens beobachtet. Was versteht Habermas unter Sinn? Er wendet sich radikal gegen einen Sinnbegriff, wie er in der bewusstseinsphilosophischphänomenologischen Tradition verwendet wird. Die Theorien von Schütz und Berger und Luckmann greifen für ihn – wie gesehen – zu kurz, wenn sie Sinn aus den konstituierenden Leistungen der egologischen Bewusstseine herleiten.10 Einerseits fehlt die Berücksichtigung des normativen Moments sozialen und kommunikativen Handelns und zum anderen lässt sich für Habermas die 45

Intersubjektivität von Sinn nicht begründen, wenn alle Sinnprozesse in das einzelne Bewusstsein verlagert werden. Intersubjektivität meint für Habermas, dass Gegebenheiten für mindestens zwei Akteure eine identische Bedeutung haben können (vgl. Habermas/Luhmann 1971: 195). Und Sinn im Sinne identischer Bedeutung kann es für Habermas nur im Bereich von sprachlichen Symbolen geben: »›Sinn‹ verstehe ich paradigmatisch als Bedeutung eines Wortes oder Satzes. Ich gehe also davon aus, daß es so etwas wie reine oder vorgängige Sprecherintentionen nicht gibt; Sinn hat oder findet immer einen symbolischen Ausdruck; Intentionen müssen stets, um zur Klarheit zu gelangen, eine symbolische Form annehmen und geäußert werden können.« (Habermas 1984a: 11f.) Das bedeutet, dass die Intentionen, die ein Akteur hat, immer schon sprachlich vermittelt oder zumindest in Sprache zu artikulieren sind. Und auch leibliche Äußerungen wie Gestik und Mimik können, wenn sie sinnhaft sein sollen, in Worten ausgedrückt werden (vgl. Habermas 1984a: 12). Der Unterschied einer solchen sprachtheoretischen Grundlegung der soziologischen Theorie (vgl. Habermas 1984a: 11) zu einer bewusstseinsphilosophischen liegt vor allem darin, dass die Erzeugung von Sinn einem anderen Handlungsträger zugerechnet wird. Für die subjektivistisch-egologische Handlungstheorie ist es ausschließlich das Bewusstsein des einzelnen Akteurs, das Sinn setzen und Sinn deuten kann und das den typischen Wissensbeständen vorausgeht, die vor allem über Sprache tradiert und verbreitet werden. Für Habermas’ Theorie des kommunikativen Handelns ist es das kommunikative Geschehen, das die Bewusstseine der Akteure mit den Kategorien und Schemata versorgt, die eine sinnhafte Orientierung und Verständigung in der Welt erst ermöglichen (vgl. Habermas/Luhmann 1971: 212f.). Eine vorsprachliche Umgrenzung von Erlebnissen des eigenen Bewusstseins, wie sie bei Schütz den ersten Sinnbegriff bildet, ist für Habermas nicht geeignet, um intersubjektiv geteilte Bedeutungen zu erzeugen. Schließlich können sich in einem einzelnen Bewusstsein keine Kategorien und Schemata der Erfahrung ausbilden, die für alle anderen Akteure gleichsinnig Geltung beanspruchen können. Intersubjektivität ist mithin immer schon vorauszuset46

zen, will man mit anderen seine Handlungen koorientieren und koordinieren oder mit ihnen kommunizieren. Habermas bemüht argumentativ das sogenannte Privatsprachenargument von Ludwig Wittgenstein (1889-1951), um die bewusstseinsphilosophische Position zurückzuweisen (vgl. Habermas 1984a: 55, 65f.). Für Wittgenstein bedeutet eine Sprache sprechen, Regeln zu befolgen. Und Regeln kann man nicht allein, also privatim befolgen. Schließlich könnte man zwar meinen, einer Regel zu folgen, aber sich zugleich darüber täuschen, dass man ihr tatsächlich folgt (vgl. Wittgenstein 1984: 345). Es fehlt ein Kriterium, das als Korrektiv dienen kann, wenn man von der Regel abweicht. Und ein solches Korrektiv sieht Wittgenstein – zumindest in der Lesart von Habermas – durch andere Mitglieder einer Sprach- oder Kulturgemeinschaft gegeben. Regelgeleitetes Handeln ist mithin nur möglich, wenn in der sozialen Praxis andere beständig beobachten und korrigieren, ob man tatsächlich der Regel folgt: »So etwas sagt man nicht!«; »Das macht man nicht!«; »Richtig heißt es: Individuum, nicht Individium!«; »Ist was? Du guckst so seltsam« usw. Jeder wird somit von Beginn der Sozialisation an sprachlich in die Regeln des Handelns eingeübt und die Sprache bietet Kategorien und Schemata, die die Welt gliedern. Sprachlich wird der Unterschied zwischen Ich und Du genauso vermittelt wie zwischen belebten und unbelebten Objekten, zwischen Subjekten und Objekten, Lebewesen und Dingen, Qualitäten und Quantitäten usw. Und jeder erfährt dies alles durch die Teilnahme an kommunikativem Geschehen. Man sieht etwas und bekommt gesagt, dass es ein Baum ist. Man hat ein unbestimmtes Unwohlsein und bekommt gesagt, ob es ein Kreislaufproblem oder Verliebtheit oder Kummer usw. ist. Kommunikatives Handeln ist schon allein aus diesem Grund für Habermas der grundlegende Handlungsmodus (Habermas/Luhmann 1971: 206ff.). Auch zweckrationales Handeln, das für Weber den Typus darstellt, der durch die Verknüpfung von Zwecken und Mitteln am besten und einfachsten zu verstehen ist, setzt eine Erfahrungswelt als Objektbereich des Handelns voraus, in dem Zwecke und Mittel verschiedener Art unterschieden werden können. Und auch diese Erfahrungswelt ist sprachlich-kommunikativ vermittelt. Allerdings ist das zweck47

rationale Handeln von kommunikativem Handeln strikt zu unterscheiden. Die Unterscheidung von zweckrationalem bzw. erfolgsorientiertem und kommunikativem bzw. verständigungsorientiertem Handeln ist die Schlüsselunterscheidung für die Theorie des kommunikativen Handelns. In Frage steht schließlich ein Rationalitätsbegriff, der eine kritische Gesellschaftstheorie fundieren soll. Einen solchen Rationalitätsbegriff kann Habermas nicht aus dem Typus des zweckrationalen Handelns ableiten, weil mit ihm Typen sozialen Handelns nicht rational bewertet werden können, die nicht am individuellen Erfolg des Akteurs orientiert sind, sondern an dem Einverständnis mehrerer Akteure über etwas in der Welt. Und genau diese Einverständnis- oder Verständigungsorientierung ist das unterscheidende Charakteristikum kommunikativen Handelns. Zweckrationales Handeln kann lediglich mit Blick auf seine Wirksamkeit in der objektiven Welt rational beurteilt werden. Dies gilt letztlich auch für einen Typus sozialen Handelns, der sich vom zweckrationalen Handeln herleitet. Habermas bezeichnet erfolgsorientiertes soziales Handeln als strategisches Handeln. Strategisch ist soziales Handeln, wenn ein Akteur am Erfolg seiner individuellen Interessen orientiert ist und dabei das Handeln anderer Akteure strategisch in seinen Handlungsplan integriert. Die Handlungspartner sind dann nichts anderes als Mittel zur Erreichung der eigenen Zwecke. Für kommunikatives Handeln beansprucht Habermas hingegen, dass eine rationale Beurteilung auch für die normativen und auch subjektiven Verbindlichkeiten möglich ist, die Akteure eingehen und anerkennen, wenn sie sich wechselseitig daran orientieren, sich zu verständigen. Die Verständigungsorientierung meint dabei, dass beide Akteure ihre Handlungspläne nur realisieren, wenn sie sie wechselseitig aufeinander abstimmen können. Keiner der Akteure verfolgt also »egozentrische Erfolgskalküle« (Habermas 1981a: 385). Die Entfaltung von Rationalitätspotenzialen, die mehr umfassen als Zweckrationalität, sieht Habermas darin begründet, dass mit jedem kommunikativen Handeln genau drei Geltungsansprüche erhoben werden (vgl. Habermas 1981a: 412). Mit jeder sprachlichen Äußerung werden ein Geltungsanspruch auf Wahrheit, ein Geltungsanspruch auf normative Richtigkeit und ein Geltungsan48

spruch auf subjektive Wahrhaftigkeit erhoben. Fragt jemand zum Beispiel nach der Uhrzeit, so erhebt er einen Anspruch auf Wahrheit, dass es für sein Gegenüber möglich ist, nach der Uhrzeit zu schauen; er erhebt einen Anspruch auf normative Richtigkeit dahingehend, dass er beansprucht, sein Gegenüber nach der Uhrzeit fragen zu dürfen, und er erhebt insofern einen Anspruch auf Wahrhaftigkeit, als er beansprucht, wirklich zu meinen, was er sagt. Ein anderer Akteur versteht die Frage nach der Uhrzeit, weil er die Bedingungen kennt, unter denen sie wahr, berechtigt und wahrhaftig ist. Und unter bestimmten Bedingungen können die im kommunikativen Handeln erhobenen Ansprüche jeweils kritisiert werden. In der Möglichkeit der kritischen Zurückweisung der Ansprüche liegt für Habermas auch das Potenzial, kommunikative Rationalität zu entfalten. Die Frage nach der Uhrzeit kann im Hinblick auf den Wahrheitsanspruch zurückgewiesen werden, wenn ersichtlich ist, dass der Gefragte keine Uhr trägt. Sie kann im Hinblick auf den Richtigkeitsanspruch zurückgewiesen werden, wenn der Fragende, zum Beispiel aufgrund eines sozialen Statusunterschiedes, nicht berechtigt ist, sein Gegenüber anzusprechen. Vorstellbar ist dies für das Verhältnis eines Herrschers und Dieners unter der Bedingung einer klaren normativen Regelung, die besagt, dass der Untergebene nur nach Aufforderung seitens des Herrschers eine Redeerlaubnis hat. Und schließlich kann die Wahrhaftigkeit der sprachlichen Äußerung in Zweifel gezogen werden, wenn beispielsweise die Uhrzeit allen Beteiligten bekannt ist. Die Zurückweisung eines Geltungsanspruchs überführt das kommunikative Handeln in eine Metakommunikation, also eine Kommunikation über Kommunikation, die Habermas Diskurs nennt. Für jeden Geltungsanspruch gibt es einen entsprechenden Diskurs, in dem jeweils rational geklärt werden kann, ob ein Geltungsanspruch zu Recht oder zu Unrecht erhoben worden ist. Der Geltungsanspruch auf Wahrheit kann in einem theoretischen Diskurs, der Geltungsanspruch auf normative Richtigkeit in einem praktischen Diskurs und der Geltungsanspruch auf Wahrhaftigkeit in einem ästhetisch-therapeutischen Diskurs geklärt werden (vgl. Habermas 1981a: 448). Ein rationaler Konsens kann durch die Ab-

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wägung des jeweils besseren Argumentes erzielt werden. Aber in Bezug auf was genau wird abgewogen? Für zweckrationales Handeln ist es leicht vorzustellen, dass die Wahrheit oder Wirksamkeit einer Handlung oder Äußerung im Hinblick auf die objektive Welt überprüft werden kann. Man kann aus dem Fenster schauen, um zu sehen, ob es regnet oder nicht. Und man kann versuchen, einen Nagel mit einem Schuh in die Wand zu schlagen, um zu prüfen, ob das funktioniert oder nicht. Der Bezug des Akteurs zur objektiven Welt kann aber nicht eine Klärung normativer oder subjektiver Geltungsansprüche verständlich machen. Habermas unterscheidet deshalb von der objektiven Welt eine soziale Welt und eine subjektive Welt.11 Die objektive Welt umfasst alle existierenden Sachverhalte (vgl. Habermas 1981a:132), die soziale Welt alle geltenden Normen einer Gesellschaft (vgl. ebd.) und die subjektive Welt umfasst alle subjektiven Erlebnisse, die nur dem Handelnden selbst zugänglich sind (vgl. Habermas 1981a: 137). Im Hinblick auf die drei Welten sind dann rationale Klärungen von Geltungsansprüchen möglich. Eine Einschränkung ist natürlich für die subjektive Welt zu machen, weil sie nur dem Akteur selbst zugänglich ist. Die Wahrhaftigkeit einer Äußerung ist deshalb nur am zukünftigen Handeln zu prüfen oder im ästhetisch-therapeutischen Diskurs zumindest glaubhaft zu machen. Die drei Welten sind im kommunikativen Handeln immer gleichermaßen impliziert. Dies ist eine weitere Besonderheit des kommunikativen Handelns gegenüber weiteren Handlungstypen, die in der soziologischen Tradition zu beobachten sind und die Habermas heranzieht, um alle drei Weltbezüge zu begründen.12 Aus diesem Grund kann Habermas auch argumentieren, dass das kommunikative Handeln gegenüber dem strategischen Handeln der »Originalmodus« sozialen Handelns ist (vgl. Habermas 1981a: 388). Damit ein Akteur einen anderen Akteur strategisch in seine Handlungspläne einbauen kann, indem er ihn zum Beispiel über seine eigentlichen egoistischen Ziele täuscht, muss er in der Lage sein, die Handlungsregeln des verständigungsorientierten kommunikativen Handelns umzusetzen. Um jemandem vorzugeben, dass man an einer Verständigungsorientierung interessiert ist, obwohl man erfolgsorientiert handelt, muss man also

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zumindest so tun können, als sei man auf Einverständnis aus (vgl. Habermas 1981a: 394f.). Der sprachtheoretisch und am Symbolischen gewonnene Sinnbegriff führt bei Habermas, so lässt sich nun beobachten, dazu, dass dominant kommunikatives Geschehen in den Blick gerät. Und diese Blickrichtung bestimmt letztlich die Konstruktion des Gegenstandsbereichs der soziologischen Forschung. Es wird nicht nach den typischen Wissensbeständen der Akteure und den darauf basierenden subjektiven Sinnorientierungen gefragt, sondern danach, wie Handlungen aneinander angeschlossen werden. Für kommunikatives Handeln erfolgt dies durch das Akzeptieren der Geltungsansprüche, die ein Sprecher mit seiner Äußerung erhoben hat. Die am kommunikativen Geschehen Beteiligten können sich auf ihr Einverständnis einigen und so ihre Handlungspläne miteinander abstimmen und realisieren. Davon zu unterscheiden sind die zweckrationalen Handlungstypen, die akzeptiert werden, wenn sie zu dem gewünschten Erfolg führen. Für soziales Handeln hat man es hier mit strategischem Handeln zu tun, das die egoistischen Ziele der Akteure realisiert. Wenn es nicht verdeckt abläuft, also nicht in täuschender Absicht erfolgt, kann es offen Handlungen mehrerer koordinieren, indem es Handlungsfolgen miteinander verknüpft. Mit den beiden Handlungsorientierungen korrespondieren für Habermas die zwei Formen der Reproduktion von Gesellschaften. Durch kommunikatives Handeln reproduzieren sich Gesellschaften symbolisch und durch erfolgsorientiertes zweckrationales bzw. instrumentelles Handeln reproduzieren sich Gesellschaften materiell (vgl. Habermas 1981a: 208ff.). Die symbolische Reproduktion erfolgt im kommunikativen Handeln dadurch, dass Kultur tradiert, Solidarität durch den Rekurs auf legitime Ordnungen gesichert und Identitäten kompetenter Sprecher und Akteure in Sozialisationsprozessen erzeugt werden (vgl. Habermas 1981b: 209). Kommunikatives Handeln findet dabei immer vor dem Hintergrund der von Habermas im Rekurs auf die phänomenologische Tradition so genannten Lebenswelt statt. Die Lebenswelt umfasst die strukturellen Komponenten der Kultur, der Gesellschaft und der Persönlichkeit; genau die Komponenten also, die durch kommunikatives Handeln reproduziert werden (vgl. ebd.). Zugleich bildet 51

sie für die Akteure aber auch das zumeist implizite Hintergrundwissen, das es ihnen erst ermöglicht, ihr Handeln auf Verständigung und Konsens zu orientieren und abzustimmen. Die materielle Reproduktion der Gesellschaft erfolgt durch zweckrationales Handeln, indem auf Welt mit geeigneten Mitteln eingewirkt wird. Dabei kommt es nicht auf die verständigungsorientierte Koordinierung der Handlungen an, sondern auf die Wirksamkeit der Mittel. Für die Handlungszusammenhänge, die die materielle Reproduktion einer Gesellschaft garantieren, ergänzt Habermas die handlungstheoretische Konstruktion der Gesellschaft mit einer systemtheoretischen. Er erachtet dies für notwendig, weil die lebensweltliche Rekonstruktion der Handlungsorientierungen der Akteure nicht die Effekte der Handlungen in den Blick nehmen kann, die sich unabhängig von den Orientierungen der Akteure herausbilden. Die Folgen von Handlungen können sich in einer Weise verketten, die nicht von den Akteuren intendiert war. In anderer Terminologie lässt sich auch von den nicht-intendierten Folgen intentionalen Handelns sprechen (vgl. Esser 1999: 390f.). Die Analyse der Lebenswelt erfordert eine handlungstheoretische Rekonstruktion aus der Teilnehmerperspektive der Akteure. Die nicht-intendierten Folgen des Handelns können aus dieser Perspektive dann konsequent nicht erfasst werden. Die Systemtheorie leistet darüber hinaus die Konstruktion der Gesellschaft aus einer Außenperspektive. Als Beispiel für die Verkettung von Handlungsfolgen, die gegenüber den Orientierungen der Akteure relativ unabhängig sind, dient Habermas der wirtschaftliche Markt, wie er sich in modernen Gesellschaften herausgebildet hat (vgl. Habermas 1981: 265). Der Markt ist eine soziale Struktur, dessen Sinnzusammenhang objektiv durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage und die Preisbildung stabilisiert wird. Als sinnhafter Zusammenhang ist er nicht auf die einzelnen Handlungsorientierungen von Akteuren zu reduzieren. Aus welchen persönlichen Gründen jemand etwas zu einem bestimmten Preis kauft und aus welchen persönlichen Gründen genau ein anderer etwas zu einem bestimmten Preis verkauft, sagt nichts über das von außen objektiv zu bestimmende Verhältnis von Angebot, Nachfrage und Preisen aus. Gleichermaßen sind in modernen 52

kapitalistischen Wirtschaftssystemen die individuellen Motive irrelevant, um zu erklären, warum eine wirtschaftliche Transaktion stattfinden kann. Es reicht zu wissen, dass jemand Geld gibt, um etwas zu erwerben, und jemand anderes dieses Geld annimmt und dafür etwas verkauft oder leistet. Geld leistet dabei als sogenanntes Steuerungsmedium die Verkettung der Handlungsfolgen (vgl. Habermas 1981b: 248f.). Neben der Wirtschaft sieht Habermas in modernen Gesellschaften ein weiteres System, das auf die materielle Reproduktion der Gesellschaft gerichtet ist: das gesellschaftliche Subsystem Politik. Genauso wie im Subsystem der Wirtschaft werden Handlungsfolgen durch ein Steuerungsmedium verkettet. Dieses Medium ist Macht, das analog zu Geld (relativ) unabhängig von individuellen Motivlagen und Gründen Akteure dazu veranlasst, zu tun, was mit legitimierter Macht durchgesetzt werden soll und durch potenzielle Sanktionen gesichert ist. Habermas geht davon aus, dass sich systemische Strukturen im Lauf der historisch evolutionären Entwicklung von Gesellschaften immer stärker gegenüber den Strukturen der Lebenswelt verselbständigt haben. Sehr grob und verkürzt zusammengefasst ist in einfachen, segmentär differenzierten Gesellschaften – zum Beispiel Stammesgesellschaften – die systemische Struktur mit der Lebenswelt deckungsgleich (vgl. Habermas 1981b: 230ff.). Die symbolische und materielle Reproduktion wird von derselben sozialen Einheit geleistet, also dem Stamm oder Klan. Tausch- und Machtstrukturen, die schon etabliert sein können, sind in die symbolischen Deutungen der sozialen Welt integriert. Zum Beispiel sind Tauschverhältnisse und Machtbefugnisse an bestimmte Verwandtschaftsordnungen und Abstammungsverhältnisse gebunden. In modernen Gesellschaften haben sich dann mit Wirtschaft und Politik faktisch zwei gesellschaftliche Subsysteme gegenüber der Lebenswelt herausgebildet, in denen nicht kommunikativ, sondern erfolgsorientiert gehandelt wird. Die moderne Gesellschaft besteht aus der Sicht der Theorie des kommunikativen Handelns dann aus dem Zusammenhang von Lebenswelt und System, die sich voneinander entkoppelt haben.13 Für den hier verhandelten Problembezug von Sinnbegriff und Gegenstandskonstruktion ist vor allem interessant, dass sowohl 53

auf der Ebene der Lebenswelt als auch auf der Ebene der Systeme nach der Verkettung oder nach den Anschlussbedingungen für Handlungen gefragt wird. Wie schon oben erwähnt worden ist, orientiert der sprachlich-symbolische Sinnbegriff darauf, nach den intersubjektiven und Intersubjektivität stiftenden Strukturen des Handelns zu fragen. In den Blick geraten damit die objektiv sinnhaften Bedingungen des kommunikativen und/oder erfolgsorientierten Handelns; zum einen also die Bedingungen der Entfaltung der Rationalitätspotenziale kommunikativen Handelns und zum anderen die Frage nach den Steuerungsmedien erfolgsorientierten Handelns. Die Kritik der Gesellschaft, die die kommunikative Rationalität zum normativen Maßstab hat, fragt nach den Bedingungen und Strukturen, die kommunikatives Handeln einschränken oder ermöglichen. Die Einschränkung der Logik kommunikativen Handelns, also der Beanspruchung und Verteidigung der Geltungsansprüche, begründet normativ Kritik an Gesellschaft. Habermas hat dies prominent mit der Formel der Kolonialisierung der Lebenswelt auf den Punkt gebracht (vgl. Habermas 1981b: 293). Sobald die Logik der Subsysteme von Wirtschaft und Politik in die Lebenswelt eindringen, indem die Logik von Geld und Macht die Akteure der Lebenswelt daran hindert, sich kommunikativ über ihre Geltungsansprüche einvernehmlich zu verständigen, hat man es mit gesellschaftlichen Pathologien zu tun. Wenn Akteure primär wirtschaftlichen Zwängen oder Logiken folgen und wenn sie in verwaltete Machtstrukturen eingebunden sind, die verständigungsorientiertes Handeln verhindern, ist die Lebenswelt durch die Subsysteme kolonialisiert. Der symbolischen Reproduktion geht gewissermaßen der Sinn aus, weil sie der Handlungslogik des Erfolges und nicht der Verständigung folgt (vgl. Habermas 1984c: 564). Es kann beispielsweise im Bereich der Kultur zu einem Sinnverlust kommen, wenn etwa kulturelle Errungenschaften wie Bildungseinrichtungen oder Kunst nach ökonomischen Kriterien bewertet werden – wenn also bislang als gültig anerkannte Wissensbestände systemisch in Frage gestellt werden. Im Bereich der Gesellschaft kann es zu Anomie führen, einer Normlosigkeit für die Integration verständigungsorientierter Handlungen. Akteure können sich etwa primär strategisch orientieren, um ökonomischen oder machtstrategischen 54

Ansprüchen zu genügen, wenn sie mit kommunikativen Mitteln andere für ihre Zwecke und Karrieren einspannen. Die Solidarität steht mithin auf dem Spiel. Auf der Ebene der Persönlichkeit können schließlich Psychopathologien, die vermehrt auftreten, ein Symptom für die Kolonialisierung der Lebenswelt sein. Bei all dem geht es, um es nochmals zu betonen, nicht primär um das jeweils subjektive Sinngeschehen, sondern um die objektiv-sinnhaften Kontexte, in denen Akteure verständigungs- oder erfolgsorientiert handeln. Und diese Kontexte rahmen das kommunikative Geschehen, das kommunikatives und strategisches Handeln umfassen kann, gleichermaßen wie sie durch Kommunikation erzeugt und reproduziert werden.

2.2 Luhmann Für die Entwicklung einer soziologischen Systemtheorie hat Niklas Luhmann gleichermaßen wie Habermas für die Theorie des kommunikativen Handelns den Sinnbegriff als zentralen Grundbegriff eingeführt.14 Sinn fungiert auch bei Luhmann als Basiskategorie für eine allgemeine Theorie des Sozialen, die als Systemtheorie durchgeführt wird, sowie für eine spezielle Gesellschaftstheorie. Die Gesellschaftstheorie ist durch die Kopplung von drei wechselseitig aufeinander verweisenden Theorien ausgearbeitet worden: eine Kommunikationstheorie, eine Evolutionstheorie und schließlich die Systemtheorie. Wie bei den anderen in diesem Buch behandelten Theorien geht es auch im Fall der Luhmann’schen Systemtheorie nicht darum, grundlegend in diese Theorie einzuführen und alle ihre Grundbegriffe wie auch ihre Teiltheorien systematisch zu rekonstruieren. In den Blick soll hingegen die Funktion und Rolle des Sinnbegriffs gerückt werden und das heißt, es sollen die theoretischen Bezugsprobleme besprochen werden, für die der Sinnbegriff eine Lösung sein soll. Besonders deutlich werden diese Bezugsprobleme, die als Probleme der Theoriekonstruktion zu verstehen sind, in der frühen Kontroverse, die Luhmann mit Habermas geführt hat. Worum es im Großen gegangen ist, wird schon durch den Titel des Buches deutlich hervorgehoben: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie (1971). Von Habermas’ Seite ist die Möglichkeit in Frage ge55

stellt worden, mit den Mitteln der Systemtheorie eine umfassende Gesellschaftstheorie zu formulieren, und von Luhmanns Seite ist genau diese Möglichkeit verteidigt worden. Für Habermas kann die Systemtheorie lediglich die Verknüpfung von Handlungsfolgen und die Erfolgsbedingungen dieser Verknüpfung durch das Konzept der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien beschreiben (vgl. Kapitel III/2.1). Systemtheorie als eine Theorie, die für die Modellierung der Funktionsweise von Maschinen und lebenden Organismen entwickelt worden ist (vgl. Habermas/Luhmann 1971: 146), kann für Habermas nicht hinreichen, um die subjektiven Sinnorientierungen menschlichen Handelns zu erfassen. Sie muss deshalb Sozialtechnologie bleiben, die nach den Funktionen sozialer Strukturen und Prozesse für die Produktion und Reproduktion von Gesellschaft fragt. Die Dimension verständigungsorientierten, kommunikativen Handelns gerät dann erst gar nicht in den Blick. Dies geschieht auch aus dem Grund nicht, dass Luhmann den Sinnbegriff in einer komplett anderen Weise fasst, als Habermas es tut. Er schreibt sich erneut stärker in die bewusstseinsphilosophische Tradition der Phänomenologie ein, ohne aber in die Probleme geraten zu wollen, die sich ergeben, wenn Sinn ausschließlich den Bewusstseinsprozessen von Akteuren zugerechnet wird. Der Gewinn einer Begriffsbildung, die es erlaubt, auch soziale Strukturen als objektive Sinnstrukturen zu konstruieren, die sich dem bewussten Zugriff der sozialen Akteure entziehen, soll bei Luhmann nicht aufgegeben werden. Im Unterschied zu Habermas sollen aber das Ganze der Gesellschaft und alle anderen sozialen Gebilde als Sinnzusammenhänge begriffen werden, die als Systeme konstruiert sind. Alles Soziale wird mithin als System begriffen und jedes System als ein Sinnzusammenhang. Aus diesem Grund erscheint das zentrale Konstruktionsproblem der Systemtheorie darin zu bestehen, den Systembegriff mit dem Sinnbegriff zu verknüpfen (vgl. Habermas/Luhmann 1971: 30). Wie aber führt Luhmann die Begriffe System und Sinn in seine Theorie ein? Die Idee, überhaupt eine allgemeine soziologische Theorie als Systemtheorie zu begründen, übernimmt Luhmann von Talcott Parsons (19021979). Parsons hat ab den 1940er Jahren seine allgemeine volun56

taristische Handlungstheorie als Theorie des Handlungssystems um- und ausgearbeitet.15 Er orientiert sich dabei an einem Begriff lebender Systeme, die ihren Bestand gegenüber ihrer jeweiligen Umwelt sichern müssen. Systeme sind dadurch bestimmt, dass sie aus Elementen bestehen, die in bestimmten Relationen zueinander stehen. Die Elemente und die Relationen bilden zusammengenommen das System, wenn sie eine Grenze zu einer Umwelt hervorbringen und zumindest kurzfristig stabil halten. In dieser Abstraktion formuliert, kann der Systembegriff für Parsons’ und für Luhmanns Theorie verwendet werden. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Parsons’ und Luhmanns Begriffsbildung besteht jedoch darin, dass Parsons einen analytischen und Luhmann keinen analytischen Systembegriff verwendet (vgl. Luhmann 1984: 16f.). Für Parsons ist der Systembegriff lediglich ein wissenschaftlich konstruierter Begriff, mit dem die Fülle der beobachtbaren Wirklichkeit strukturiert und in einzelne, für das Erkenntnisinteresse des Forschers wesentliche Bestandteile aufgegliedert und aufgelöst werden kann. Systeme gibt es in diesem analytischen Verständnis nicht. Die Differenz von System und Umwelt wird von außen, vom soziologischen Beobachter eingeführt. Problematisch ist bei einer solchen analytischen Begriffsbildung, nach welchen Kriterien bestimmt werden soll, wo ein Handlungssystem aufhört, also wo seine Grenzen gegenüber der Umwelt eingerichtet sind, die ja durchaus auch andere Handlungssysteme umfassen kann. Luhmann hingegen geht davon aus, dass es Systeme gibt (vgl. Luhmann 1984: 16). Die Schlüsselunterscheidung jeder neueren Systemtheorie, die Differenz von System und Umwelt, muss demnach in der sozialen Wirklichkeit beobachtbar sein und nicht von außen an sie herangetragen werden. Etwas schwächer formuliert geht es Luhmann darum, Sinnzusammenhänge in der sozialen Wirklichkeit zu beobachten, die sich von anderen Sinnzusammenhängen abgrenzen und somit als Systeme im Unterschied zu ihrer Umwelt konstruiert werden können. In Frage steht also nicht nur, wie Luhmann Sinn definiert und welche Systeme überhaupt Sinn verwenden, sondern auch, wie es sich vorstellen lässt, dass Systeme Sinngrenzen zu einer Umwelt bilden.

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Um dem Problem zu entgehen, dass Sinn nur einem Sinnträger zugerechnet wird und werden kann, sieht Luhmann zunächst davon ab, Sinn exklusiv einem Träger oder Systemtypus zuzurechnen. Er versucht, den Sinnbegriff zum einen als eine Struktur zu begreifen, die unabhängig von einem spezifischen System beschrieben werden kann, und zum anderen bestimmt er die Funktion, die Sinn als ein universelles Medium für Systeme erfüllt. Die Strukturbeschreibung und der Funktionsbezug verweisen dabei aufeinander. Zunächst geht Luhmann davon aus, dass Sinn die Form jeden menschlichen Erlebens ist (vgl. Luhmann 1971: 31).16 Die Struktur von Sinn bringt Luhmann im Rekurs auf Husserl sinngemäß auf die Formel: »Sinn ist die Einheit der Differenz von Aktualität und Potenzialität.« (Vgl. Luhmann 1984: 100) Damit ist gemeint, dass man es mit Sinn zu tun hat, wenn ein aktuelles Erleben oder Handeln im Moment des Erlebens und Handelns auf andere und weitere Möglichkeiten des Erlebens und Handelns verweist. In der Phänomenologie ist für diesen Sachverhalt der Begriff des Verweisungshorizonts eingeführt worden (vgl. Husserl 1995: 46f.). Sinn wählt in diesem Verständnis also eine Möglichkeit des Erlebens und Handelns aus einer Vielzahl von anderen Möglichkeiten aus und verweist zugleich auf diese anderen Möglichkeiten. Wie ist dies vorzustellen? Für psychische Systeme ist diese Form der Ordnung des Erlebens und Denkens leicht nachzuvollziehen. In der Phänomenologie ist es vor allem die Wahrnehmung, an deren Beispiel das sinnförmige Erleben beschrieben worden ist (vgl. Husserl 1995: 41). Wenn jemand in einer Situation zum Beispiel einen Tisch wahrnimmt, dann ist dieser Tisch nur von einer Seite und aus einer bestimmten Perspektive gegeben. In der visuellen Wahrnehmung dieses Ausschnitts ist der Wahrnehmende aber unmittelbar darauf verwiesen, dass der Tisch andere Seiten hat, die später wahrgenommen werden könnten, dass er zudem andere Perspektiven einnehmen könnte, wenn er seine Position veränderte, und er ist auf andere Gegebenheiten des Raumes verwiesen. Die weiteren Möglichkeiten der Wahrnehmung, auf die jemand verwiesen ist, können beispielsweise die Lampe auf dem Tisch, die Stühle vor dem Tisch, die Tür zum Raum, das Treppenhaus vor der Tür, das Auto im Hinterhof des Hauses, die Straße vor der 58

Einfahrt usw. sein. In vergleichbarer Weise ist man im Prozess des Denkens beständig von einem aktuellen Gedanken auf andere, potenzielle Gedanken verwiesen. Der Geburtstag der Mutter kann einem einfallen und einen daran denken lassen, dass noch ein Geschenk zu kaufen ist, aber welches? Und hat man an dem Tag überhaupt Zeit, zur Feier zu gehen, und wenn ja, mit wem usw.? Wenn man in dieser Weise die Struktur von Sinn beschreibt, kann man als Theoretiker berechtigt die Frage stellen, wozu das aktuelle Erleben und Handeln beständig auf einen Horizont weiterer Möglichkeiten des Erlebens und Handelns verweist. Man kann also nach der Funktion fragen, die Sinn für psychische und soziale Systeme erfüllt, die beide gleichermaßen Sinn verwenden. Die funktionale Bestimmung von Sinn geht von der Beschreibung der Struktur aus und legt die Differenz von aktuellem und potenziellem Erleben und Handeln dahingehend aus, dass niemals alle Möglichkeiten des Erlebens und Handelns aktuell realisiert werden können. Potenziell kann man also mehr erleben und handeln als man aktuell erleben und handeln kann. Luhmann spricht von einer »Selbstüberforderung des Erlebens« (Luhmann 1971: 32). Der systemtheoretische Begriff für die Selbstüberforderung durch die Überfülle an Möglichkeiten ist Komplexität. Aus der Sicht eines Systems erscheint die Welt, die als Möglichkeitsraum von Erleben und Handeln begriffen wird, als komplex. Sinn als Selektion von aktuellem Erleben und Handeln reduziert diese Weltkomplexität. Die Reduktion von Komplexität meint aber nun nicht, dass die Selektion zu einer verringerten Komplexität führt. Ganz im Gegenteil ist im Moment der Selektion der Horizont weiterer Möglichkeiten präsent. Die Reduktion von Komplexität verweist also beständig auf die Komplexität der Welt. Dadurch ist die Selbstüberforderung des Erlebens nicht nur durch Komplexität gekennzeichnet, sondern auch durch Kontingenz. Kontingenz meint nichts anderes als den Verweis darauf, dass das aktuelle Erleben und Handeln nur eine Selektion darstellt und anderes Erleben und Handeln möglich wäre.17 Die phänomenologische Beschreibungssprache, die Sinn als Gleichzeitigkeit der Unterscheidung von Aktualität und Potenzialität bezeichnet, wird so in die systemtheoretische Terminologie übersetzt, indem der Funktionsbezug von Sinn angegeben wird. Dieser Funktionsbezug ist die Reduk59

tion und gleichzeitige Erhaltung von Komplexität, indem aktuelle Selektionen des Erlebens und Handelns immer auf andere, kontingente Möglichkeiten verweisen (vgl. Luhmann 1971: 37). Psychische und soziale Systeme verwenden Sinn und das bedeutet, dass sie sich durch Sinn von ihrer Umwelt abgrenzen, indem sie Komplexität reduzieren und kontingente Selektionen vornehmen. Sie bringen dabei die Elemente, aus denen sie bestehen, beständig selbst hervor und vernetzen sie miteinander. Das Problem, wie Systeme und Sinn miteinander verbunden sind, stellt sich vor allem als Frage danach, wie Systeme, die Sinn verwenden, Grenzen zu ihrer Umwelt bilden. Ähnlich wie schon Parsons nimmt Luhmann lebende Systeme zum Vorbild für die Konstruktion psychischer und sozialer Systeme.18 Lebende Systeme bilden ihre Grenzen zur Umwelt anders aus als nicht-lebende, aber sinnverwendende Systeme. Lebende oder auch organische Systeme sind physisch und räumlich von ihrer Umwelt abgegrenzt. Zellen verfügen zum Beispiel über eine Membran, durch die sie zugleich an ihre Umwelt gekoppelt und von ihrer Umwelt abgegrenzt sind. Über solche physisch-räumlichen Grenzen verfügen psychische und soziale Systeme nicht. Um als Systeme konstruiert werden zu können, ist es deshalb notwendig, nach alternativen oder auch funktional äquivalenten Möglichkeiten zu fragen, durch Sinn Grenzen zur Umwelt zu erzeugen. Psychische und soziale Systeme bilden Sinngrenzen zu ihrer Umwelt aus (vgl. Luhmann 1984: 95), indem sie sich als Sinnzusammenhänge schließen. Dies erfolgt grundsätzlich dadurch, dass die Elemente und die Relationen, in denen sie zueinander stehen, sinnhaft aufeinander verweisen und dadurch von anderen Sinnzusammenhängen unterschieden werden können. Wiederum ist dies zunächst für psychische Systeme leicht nachzuvollziehen. Psychische Systeme prozessieren Sinn in Form von Gedanken und Vorstellungen (vgl. Luhmann 1995a: 60ff.). Denken ist die spezifische Operationsweise psychischer Systeme und das Medium, das die Operation des Denkens ermöglicht, ist Sinn. Wie schon im weiter oben angeführten Beispiel der Wahrnehmung eines Tisches und der Gedankenfolge an den Geburtstag der Mutter wird psychisch Sinn prozessiert, indem von einem Gedanken auf weitere vorangegangene und anschließende Gedanken aktuell verwiesen wird und daraufhin ein Folgegedanke 60

an den jeweils vorangegangenen anschließt. Als Sinnzusammenhang schließt sich ein psychisches System durch seine spezifische Systemgeschichte. In anderer Nomenklatur formuliert schließt es sich dadurch, dass es eine individuelle, biografische Geschichte von Erfahrungen durchlebt, die die Struktur oder Organisation der Denkprozesse prägt. Das heißt, dass die Verweisungsstruktur, die mit einem aktuellen Gedanken aufgerufen wird – die Selektion des Möglichkeitshorizontes also –, individuell in psychischen Systemen variiert. Durch die Systemgeschichte ist im Verweisungshorizont nicht alles gleichermaßen möglich (vgl. Luhmann 1984: 118), sondern bestimmte Gedankenfolgen und Denkweisen sind wahrscheinlicher als andere und aus diesem Grund lassen sich gegenüber psychischen Systemen auch Erwartungen ausbilden (vgl. Göbel 2000: 199). Die Systemgeschichte führt in diesem Verständnis zu Erwartungsstrukturen, also zu verfestigten und typischen Arten und Weisen des Denkens, mitsamt des selektiven Erinnerns und Vergessens, das als psychisches Gedächtnis bezeichnet wird. Die Schließung psychischer Systeme ist auch deshalb gut nachzuvollziehen, weil psychische Systeme mit Körpern, also organischen Systemen, gekoppelt sind und mithin durchaus durch physisch-materielle Grenzen von anderen psychischen Systemen unterschieden werden können. Soziale Systeme verfügen hingegen nicht über eine primäre materielle Umwelt, durch die sie von anderen sozialen Systemen getrennt sind. Als Sinnzusammenhänge schließen sich aber soziale Systeme sehr vergleichbar, indem sie im Verlauf ihrer Systemgeschichte Erwartungsstrukturen ausbilden. Jeder Zusammenhang von aufeinander verweisenden Kommunikationen, der durch Sinn als Medium erzeugt worden ist, grenzt sich durch diese Geschichte von anderen kommunikativ erzeugten Sinnzusammenhängen ab. Bis hierher ist die Schließung allerdings zu vage beschrieben, weil nicht einsichtig ist, wie genau man sich vorstellen kann, dass durch Kommunikationen Sinngrenzen zu einer Umwelt gebildet werden, die auch andere soziale Systeme umfassen kann. Luhmann führt für drei Typen sozialer Systeme, die sich im Verlauf der Evolution von Gesellschaft differenziert haben, spezifische Grenzbildungsmechanismen an (vgl. Luhmann 1975a). Er 61

unterscheidet als Typen Interaktionssysteme (1), Organisationssysteme (2) und das Gesellschaftssystem (3). Für die moderne Gesellschaft sind auf der Ebene des Gesellschaftssystems zudem gesellschaftliche Funktionssysteme (4) zu berücksichtigen. Ad 1: Die Grenzbildungsmechanismen von Interaktionssystemen sind Anwesenheit und die Unterscheidung von Themen und Beiträgen (vgl. Luhmann 1975a: 10). Anwesenheit meint, dass Interaktionssysteme gebildet werden, wenn sich mindestens zwei psychische Systeme wechselseitig als füreinander anwesend beobachten. Das heißt, nicht die bloße körperlich-räumliche Anwesenheit reicht als Bedingung für die Bildung von Interaktionssystemen aus, sondern es muss hinzukommen, dass die beteiligten psychischen Systeme sich aneinander orientieren und dies auch zum Ausdruck bringen, indem sie sich einander zuwenden. Dieser Zusatz ist wichtig, weil in dieser Weise verschiedene Interaktionssysteme gedacht werden können, die sich im gleichen Raum bilden und voneinander abgrenzen können. Man kann an das Beispiel eines Restaurants denken, in dem mehrere Interaktionssysteme nebeneinander gebildet werden können, wenn die jeweiligen Tischpartner sich einander zuwenden und sich damit zugleich von allen anderen Gästen abgrenzen. Darüber hinaus schließen sich Interaktionssysteme durch Themen und Beiträge. Ein bestimmtes Thema wird dadurch kommuniziert, dass Beiträge zum Thema aufeinander bezogen werden. An einem Tisch des Restaurants wird zum Beispiel durch verschiedene Beiträge über einen neuen Geschäftsabschluss geredet, während am Nachbartisch eine aktuelle Beziehungskrise des gemeinsamen Freundes Thema der Beiträge ist. Ad 2: Im Fall von Organisationssystemen sind es Mitgliedschaftsregeln, durch die Grenzen zur Umwelt gebildet werden (vgl. Luhmann 1975a: 12). Organisierte soziale Systeme stellen Regeln auf, die zum einen bestimmen, wer als Mitglied des Systems gilt und wer nicht, und die zum anderen Erwartungen an das Verhalten der Mitglieder festlegen. Jede Kommunikation, die einem Mitglied der Organisation zugerechnet werden kann und die den gesetzten Erwartungen der Mitgliedschaftsregeln entspricht oder 62

auch in einem relevanten Maße widerspricht, kann in diesem Sinne dem System zugerechnet werden. Als Beispiel für Organisationssysteme können Universitäten dienen, die an wissenschaftliche Angestellte wie an Studierende spezifische Anforderungen stellen. Wissenschaftliche Angestellte müssen in der Regel über akademische Abschlüsse verfügen, um von Universitäten angestellt zu werden, und sie müssen sich den vertraglich festgelegten Dienstpflichten unterordnen. Studierende benötigen den erforderlichen Schulabschluss und sie müssen sich immatrikulieren und im Verlauf des Studiums die in den Studien- und Prüfungsordnungen festgesetzten Leistungen erbringen, um das Studium erfolgreich abschließen zu können. Ad 3: Gesellschaft bildet ihre Grenzen zur Umwelt durch alle »kommunikativ füreinander erreichbaren Handlungen« (Luhmann 1975a: 11). Hinzugefügt werden muss noch, dass die Handlungen oder Kommunikationen nicht nur füreinander erreichbar, sondern zudem auch füreinander verständlich sein müssen, damit von einer Gesellschaft geredet werden kann. Durch diese Definition ist es möglich, mehrere bestehende Gesellschaften als umfassende soziale Systeme zu denken. Als Beispiel können umfassende soziale Systeme dienen, die räumlich so weit auseinanderliegen, dass mit den Transportmitteln, die zu einer historischen Zeit verfügbar sind, die Distanz nicht überbrückt werden kann. Aber auch Gesellschaften, die sprachlich und kulturell nebeneinander bestehen, ohne füreinander verständliche Kommunikationen hervorzubringen, wären ein – wenn auch wahrscheinlich nur gedanklich konstruiertes – Beispiel. Für die moderne Gesellschaft geht Luhmann davon aus, dass es nur noch eine Weltgesellschaft gibt (vgl. Luhmann 1975b). Durch Kommunikationsmedien (Schrift, Telefon, Internet usw.) und Verkehrstechnologien (Schiff, Zug, Auto, Flugzeug usw.) sowie durch symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien wie Geld, Macht, Recht, Wahrheit usw. sind prinzipiell alle Kommunikationen füreinander erreichbar und verständlich. Ad 4: Die moderne Weltgesellschaft ist für Luhmann dadurch charakterisiert, dass sie auf der Gesellschaftsebene funktional 63

differenziert ist (vgl. Luhmann 1997: 613 u. 745f.). Das heißt, sie umfasst neben Interaktionen und Organisationen Teilsysteme, die eine jeweils spezifische Funktion für die Gesellschaft insgesamt erfüllen. Die Funktionssysteme sind dabei sowohl im Hinblick auf die Funktion, die sie erfüllen, als auch sachlich gegeneinander differenziert. Um es tautologisch zu formulieren, geht es sachlich im Wissenschaftssystem ausschließlich um Wissenschaft, im Rechtssystem um Recht, im System der Politik um Politik, im Wirtschaftssystem um Wirtschaft usw. Funktional geht es in der Wissenschaft darum, neue Erkenntnisse hervorzubringen (vgl. Luhmann 2008: 101); in der Wirtschaft darum, knappe Güter zu verteilen (vgl. Luhmann 2008: 67); in der Politik darum, kollektiv verbindliche Entscheidungen zu treffen (vgl. Luhmann 2008: 109ff.) und im Rechtssystem geht es darum, Konflikte zu regulieren und stabile normative Erwartungen zu schaffen (vgl. Luhmann 2008: 84). Die besonderen Grenzbildungsmechanismen von Funktionssystemen sind binäre Codes (vgl. Luhmann 2008: 59ff.). Funktionssysteme schließen sich als Sinnzusammenhänge gegenüber ihrer Umwelt, indem sie ihre Kommunikationen auf ihren je spezifischen Code beziehen. So wird im Wissenschaftssystem die systemspezifische Kommunikation auf den Code wahr/unwahr bezogen. Wissenschaftliche Kommunikation ist mithin entweder wahr oder unwahr, und dadurch, dass sie immer mit diesem Code reflektiert wird, ist sie rein wissenschaftliche Kommunikation. Vergleichbar ist die Kommunikation im Rechtssystem auf den Code Recht/Unrecht bezogen, im System der Politik auf den Code politische Macht innehaben/nicht innehaben (Regierung/Opposition), im Wirtschaftssystem auf den Code Zahlen/Nicht-Zahlen. Mit der sinnhaften Schließung der Funktionssysteme durch binäre Codes ist zwar deutlich herausgestellt, dass Kommunikationen, die zwischen wahr und unwahr oder Recht und Unrecht usw. unterscheiden, dem Wissenschafts- oder dem Rechtssystem zugerechnet werden können, aber es ist noch nicht klar, welche Kommunikationen genau dies sind. Schließlich ist nicht jede Alltagskommunikation, die einen Anspruch auf Wahrheit erhebt, zugleich Wissenschaft: »Ja, es ist wahr, dass ich gestern in der Kirche war.« Auch ist nicht jedes »Ich habe aber doch recht« ein 64

kommunikativer Beitrag des Rechtssystems. Über den Mechanismus der Grenzbildung durch Codes verfügen Funktionssysteme zudem über Programme (vgl. ebd.), die die Kriterien bereitstellen, nach denen im System entschieden wird, welche Kommunikationen dem jeweiligen Code zugerechnet werden und welche nicht. Es geht also zum Beispiel um die Kriterien, die eine Aussage oder Theorie als wissenschaftliche Wahrheit qualifizieren. Für die hier beispielhaft angeführten Funktionssysteme sind solche Programme Theorien und Methoden für die Wissenschaft, Rechtstexte (Gesetze, Verfassung) für das Recht, politische Programme für die Politik und Preise für die Wirtschaft. Preise entscheiden genauso darüber, ob gezahlt oder nicht gezahlt wird, wie Rechtstexte die Kriterien bereitstellen, nach denen Recht gesprochen wird, und Theorien und Methoden bestimmen, wann eine Aussage den Anspruch auf wissenschaftliche Wahrheit erheben kann. Dass überhaupt Kommunikationen innerhalb der Funktionssysteme erfolgreich weitere Kommunikationen motivieren, wird durch symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien garantiert (vgl. Luhmann 1984: 222ff.). Sie sorgen in diesem Sinn für die Reproduktion des Systems. Wie im Wirtschaftssystem Geld dafür sorgt, dass Zahlungen angenommen werden, so motiviert Recht als Medium im Rechtssystem die Annahme einer Rechtsprechung, Wahrheit als Medium im Wissenschaftssystem die Akzeptanz einer Erkenntnis und Macht als Medium im System der Politik die Unterordnung unter eine kollektiv bindende Entscheidung.19 Betrachtet man nun Luhmanns Sinnbegriff im Hinblick auf die Gegenstandskonstruktion, die durch ihn angeleitet ist, dann ist deutlich, dass soziale Systeme als objektive Sinnzusammenhänge erscheinen. Durch die Konstruktion psychischer Systeme hat Luhmann zwar eigenständig auch das dem Bewusstsein zugerechnete Konzept des subjektiven Sinns berücksichtigt. Faktisch kommt aber subjektiver Sinn in der Konstruktion sozialer Systeme und damit als sozialer Sinn bei ihm nicht vor. Kommunikation findet in sozialen Systemen statt und nicht in psychischen Systemen. Luhmann entkoppelt den Sinn von Kommunikation strikt von psychischen Sinnprozessen, wenn er davon ausgeht, dass nur Kommunikation kommunizieren kann (vgl. Luhmann 1995b: 113). 65

Der Sinn der Kommunikation ist im Rahmen der Systemtheorie dann insofern objektiv gedacht, als er gegenüber den psychischen Sinnsetzungen und Sinndeutungen der Bewusstseine, die notwendig an Kommunikation beteiligt sind, autonom ist. Um einen autonomen Sinnzusammenhang handelt es sich, weil nicht die Intention eines psychischen Systems den Sinn von Kommunikationen bestimmt, sondern das tatsächliche kommunikative Verhalten. Kommunikation kommt für Luhmann immer erst dann zustande, wenn an ein Verhalten ein zweites anschließt und das erste Verhalten als die Mitteilung einer Information qualifiziert und in diesem Sinne versteht (vgl. Luhmann 1995b)20. Wenn zwei sich streiten, dann liegt für einen soziologischen Beobachter in diesem objektiven Sinne ein Streit vor, unabhängig davon, was die Beteiligten dabei denken, wenn sie so streiten, wie sie streiten. Ob der eine sich der Situation entziehen will oder der andere den Streit in Kauf nimmt, um von unangenehmen Wahrheiten abzulenken, ist dann systemtheoretisch solange nicht interessant, wie es nicht in Kommunikation überführt wird. Wenn die Motive gedacht werden, sind sie in diesem Sinne sozial nicht relevant. Erst wenn sie kommuniziert werden, sind sie einem soziologischen Beobachter zugänglich. Der Streit interessiert dann vor allem im Hinblick auf die konkrete Art und Weise, in der er ausgetragen wird, bis die Beteiligten sich trennen und die Interaktion sich verflüchtigt. Sinn erscheint in Luhmanns Systemtheorie mit Blick auf psychische und soziale Systeme als ein universelles Medium, das durch seine Struktur dafür sorgt, dass die Elemente der Systeme fortwährend aneinander angeschlossen werden können. Allerdings wird im Laufe der Systemgeschichten der Möglichkeitshorizont, wie gesehen, strukturiert, so dass bestimmte Anschlüsse erwartbarer werden als andere. Strukturen, die dafür sorgen, sind Formen von Sinn. Sinn wird niemals ohne Form in Systemen verwendet. Er wird in Form von Gesten, von mündlicher Sprache, Schrift oder auch symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien in Systemen prozessiert. Solche Formen, die dafür da sind, dass Kommunikation regelmäßig überhaupt in einer irgendwie geordneten Weise abläuft, nennt Luhmann Kommunikationsmedien. Sie sorgen dafür, dass Kommunikation, die aufgrund der 66

wechselseitigen Unbeobachtbarkeit und Geschlossenheit psychischer Systeme in mehreren Hinsicht unwahrscheinlich erscheint, wahrscheinlich wird (vgl. Luhmann 1981). Sprache dient dabei als Verstehensmedium dazu, die Unwahrscheinlichkeit zu überwinden, dass psychische Systeme einen kommunikativen Beitrag in vergleichbarer Weise verstehen können (vgl. Luhmann 1981: 28). Schrift dient als Verbreitungsmedium dazu, die Unwahrscheinlichkeit zu überwinden, dass Empfänger erreicht werden, die nicht anwesend sind (vgl. ebd.). Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien dienen schließlich als Erfolgsmedien dazu, die Annahme eines Kommunikationsangebotes zu motivieren und zu garantieren, die unwahrscheinlich ist, wenn man sie von besonderen Personen und Situationen unabhängig macht (vgl. ebd.). Die Gegenstandskonstruktion wird mithin durch den Sinnbegriff, der die Abfolge der Anschlüsse von Systemelementen hervorhebt, auf Prozesse und Strukturen gelenkt, die genau diese Anschlüsse in einer soziohistorisch hervorgebrachten und geordneten, also erwartbaren Weise ermöglichen.21 In gewisser Weise ist das Problem, das Luhmann im Hinblick auf soziale Systeme verfolgt, mit Habermas’ Problem gelingender Kommunikation vergleichbar. Wird sozialer Sinn auch in noch so unterschiedlicher Art und Weise auf Kommunikation bezogen, dann wird das Gelingen oder der Anschluss von Kommunikationen aneinander zum zentralen theoretischen Problem. Mit der Luhmann’schen Systemtheorie die soziale Wirklichkeit zu konstruieren, bedeutet dann, die objektiven Sinnzusammenhänge sozialer Systeme auf den Ebenen von Interaktion, Gesellschaft und Organisation in ihren jeweils historischen Ausprägungen22 zu konstruieren.

3. Inkorporierter Sinn: Bourdieu Mit dem theoretischen Projekt, das Bourdieu in seinem Buch Entwurf einer Theorie der Praxis (Esquisse d’une théorie de la pratique, 1972) erstmals systematisch vorgelegt hat, ist der Versuch verbunden, im Kontrast zu den damals etablierten Theorien eine neue sozialtheoretische Perspektive zu formulieren. Damit ist auch eine neue Fassung des Begriffs des sozialen Sinns verknüpft. Dies wird 67

mit dem Titel Le sens pratique (1980) des zweiten großen Theorieentwurfs deutlich, der etwas unglücklich mit Sozialer Sinn (1987) ins Deutsche übersetzt worden ist. Die Theorieoptionen, von denen sich Bourdieu produktiv abgrenzt, sind der von ihm so genannte Subjektivismus und Objektivismus. Beide Sammelbegriffe, denen Bourdieu eine Vielzahl im Detail sehr heterogener Ansätze subsumiert, lassen schon vermuten, dass es um eine Abgrenzung von subjektiven und objektiven Sinnkonzepten geht. Allerdings sind es nur zum Teil Abgrenzungen von Theorien, die in diesem Band behandelt werden. Bourdieu hat vor allem zwei Theoretiker und deren Theorien als Prototypen für Subjektivismen und Objektivismen im Blick, die zu der Zeit, in der er wissenschaftlich ausgebildet worden ist, das akademische Feld in Frankreich beherrscht haben. Als Prototyp für subjektivistische Theorien bezieht sich Bourdieu auf Jean-Paul Sartre (1905-1980) und dessen existenzialistische Handlungstheorie (vgl. Bourdieu 1987: 79ff.) und als Prototyp für objektivistische Theorien bezieht er sich auf Claude Lévi-Strauss (1908-2009) und dessen Strukturalismus (vgl. Bourdieu 1987: 70ff.). Beiden theoretischen Positionen wirft Bourdieu vor, dass sie mit entgegengesetzten Akzentsetzungen die soziale Wirklichkeit nur verkürzt konstruieren können und dies aus einem vergleichbaren Grund. Der Subjektivismus formuliert eine Handlungstheorie, die den Handelnden als absolut freien Urheber seines Handelns begreift. Jeder gesellschaftliche Zwang erscheint aus dieser Perspektive als selbst gewählt, weil jedem Handelnden zu jeder Zeit die Möglichkeit offen steht, seine Situation radikal zu verändern, wenn er sich nur gegen sie entscheidet. Verkürzt und damit reduktionistisch ist dieses Handlungsverständnis, weil mit ihm nur schwer verständlich ist, warum in der sozialen Wirklichkeit stabile Handlungsmuster, also soziale Ordnungen, regelmäßig durch das Handeln der Akteure reproduziert werden und nicht vielmehr beständig Revolutionen oder zumindest Rebellionen zu beobachten sind. Genau dieses Phänomen der Stabilität sozialer Ordnung, vor allem sozial ungleicher und ungerechter Strukturen, ist es von Anfang an, von dem Bourdieu erstaunt ist und das er mit den Mitteln seiner Theorie verständlich und erklärbar macht (vgl. Bourdieu 2005: 7); allerdings nicht in der 68

Art und Weise wie es der Objektivismus tut, wenn er eine dem Subjektivismus diametral entgegengesetzte Theorie des sozialen Handelns formuliert. Die strukturalistische Theorie des Handelns geht davon aus, dass die Handelnden in ihrem Tun durch Strukturen determiniert sind, die ihnen übergeordnet und damit für sie nicht verfügbar und bewusst veränderbar sind. Ein solches deterministisches Handlungsverständnis kann zwar die relativ stabilen Regelmäßigkeiten sozialen Handelns verständlich machen, jedoch nicht die in der konkreten sozialen Praxis zu beobachtenden Widersprüche und Ungenauigkeiten, die Handelnde offenbar aushalten oder gar nicht bemerken. Zudem wird die Improvisationsfähigkeit der Akteure nicht verständlich, die zu beobachten ist, wenn sie auf neue oder unerwartete Situationen treffen (vgl. Bourdieu 1987: 107). Das deterministische Handlungsverständnis geht schließlich davon aus, dass jedes Handeln klar formulierbaren Regeln folgt, die den Gesetzen der Logik entsprechen, zu denen grundlegend der Satz der Widerspruchsfreiheit gehört (vgl. Bourdieu 1987: 75ff.). Wenn sich also im Hinblick auf die wissenschaftlich konstruierten Regelsysteme widersprüchliche oder im engeren Sinn unlogische Verhaltensweisen beobachten lassen, dann kann dies mit den Mitteln der objektivistischen Theorie weder verständlich gemacht noch erklärt werden. Eine Strategie des Theoretikers kann es dann sein, den Faktor, der den Widerspruch erzeugt, als irrelevant für die Erklärung sozialen Handelns und sozialer Ordnung auszuschließen oder zu marginalisieren. Und dieser Faktor ist innerhalb des Strukturalismus als Prototyp objektivistischer Theorien der subjektive Sinn der Akteure.23 Als bekanntes Beispiel für einen Widerspruch zwischen einer objektivistischen Regelkonstruktion des Strukturalismus und den phänomenologischen Deskriptionen der subjektiven Sinnsetzungen der Akteure in der sozialen Praxis kann der von Marcel Mauss (1872-1950) am Beispiel archaischer Gesellschaften analysierte Gabentausch dienen (vgl. Bohn/Hahn 1999: 256). Der Gabentausch erscheint aus der subjektiven Perspektive, die Mauss vor allem im Blick hatte, als ein großzügiges und freimütiges Geschenk,24 für das keine Gegengabe erwartet wird oder zumindest erwartet werden darf. Zugleich lässt sich aber objektiv 69

und mithin strukturalistisch aus einer Beobachterposition heraus feststellen, dass, entgegen der subjektiven Deutung der Gabe, immer eine Gegengabe erfolgt. Bourdieu geht noch weiter und stellt fest, dass das Bewusstsein von der Erwartung einer Gegengabe nie vollständig unterdrückt werden kann. Warum aber kann dann die Gabe nur als legitim gelten, wenn sie eine Verpflichtung zu einer Gegengabe abweist? Wie ist ein solcher »individueller und kollektiver Selbstbetrug« (Bourdieu 2001: 246) möglich? Für den Strukturalismus ist der Widerspruch selbst nicht relevant, weil er die subjektiven Sinnsetzungen für falsche Modelle der sozialen Wirklichkeit hält, von ihnen deshalb absieht und stattdessen seine Regelkonstruktionen, die einem logischen Kalkül vergleichbar sind, als die eigentlichen praktisch wirksamen Faktoren angibt. Dies ist für Bourdieu genauso unbefriedigend wie ein von Seiten des Subjektivismus mögliches Insistieren auf den Verzicht auf eine Gegengabe. Schließlich verfehlen beide Deutungsangebote den Kern der Logik der Praxis des Gabentausches, der offenbar in der beschriebenen Widersprüchlichkeit und dem Selbstbetrug liegt. Der Widerspruch ist also ernst zu nehmen und als Ausdruck der spezifischen Logik der sozialen Praxis zu lesen, die nicht mit der Logik des wissenschaftlichen Arbeitens und der Logik der Logik – wie Bourdieu pointiert – übereinstimmt (vgl. Bourdieu 1987: 157). Um die Widersprüchlichkeit zwischen der objektivistischen und subjektivistischen Deutung, aber auch den Selbstbetrug in der konkreten sozialen Praxis verständlich und erklärbar zu machen, berücksichtigt Bourdieu die Zeit, die zwischen Gabe und Gegengabe vergeht. Indem weder der Subjektivismus noch der Objektivismus berücksichtigen, dass längere Zeiträume zwischen den beiden Gaben liegen, können sie auch nicht verständlich machen, wie der Widerspruch in der Praxis ausgehalten werden kann. Die sozialen Akteure sind in der Lage, ihn auszuhalten und auch zu verdrängen, weil nach der ersten Gabe so viel Zeit vergangen ist, dass die Gegengabe nicht als Erwiderung auf die erste Gabe erscheinen muss. Sie kann wiederum als freimütiges und großzügiges Geschenk erfolgen. In praxi wird die Widersprüchlichkeit erst offensichtlich und wirksam, wenn auf eine Gabe keine Gegengabe folgt. In einem solchen Fall wird der Unmut der einseitig Gebenden zum Ausdruck gebracht. 70

Gleichermaßen kommt es einer Entehrung gleich, wenn das Geschenk so groß ist, dass es unmöglich gleichwertig erwidert werden kann (vgl. Bourdieu 1976: 21ff.). Neben der eigentümlichen Logik der Praxis, die durch Widersprüche, Ungenauigkeiten und Selbstbetrug charakterisiert ist, verkennen der Subjektivismus wie der Objektivismus in ihren Handlungstheorien insbesondere die spezifische Zeitlichkeit sozialer Praxis. Deutlich wird dies für den Subjektivismus, wenn mit Sartre Handlungen als absolut freie Entscheidungen konzipiert werden, in denen sich die Akteure gegen ihre eigene Geschichte entscheiden können (vgl. Bourdieu 1987: 83ff.). Zu jeder Zeit ist schließlich jeder dafür verantwortlich, was er ist und wie er lebt, und er kann sich zu jeder Zeit dagegen entscheiden. In diesem Konzept ist die Zeit reversibel gedacht. Die Vergangenheit kann ungeschehen gemacht, alte Entscheidungen können durch neue aufgehoben werden. Im Unterschied dazu erscheint aber die Zeitlichkeit der Praxis als irreversibel und mit praktischen Dringlichkeiten verbunden. Derjenige, der zu lange eine Gabe nicht erwidert hat, hat den Unmut der anderen und möglicherweise seine Entehrung schon bewirkt und kann nicht einfach daraufhin durch ein zu spät erfolgtes Gegengeschenk sein Fehlverhalten ungeschehen machen. Das Verhältnis des Objektivismus zur Zeitlichkeit wird deutlich, weil er den Ablauf sozialer Praxis in der Zeit überhaupt nicht berücksichtigt. Die Regelmodelle, die er von den Zusammenhängen sozialer Praxis konstruiert, sind nach den Gesetzen der wissenschaftlichen Logik formuliert. Die Regeln müssen demnach einen kohärenten Zusammenhang bilden, der in sich widerspruchsfrei ist. Gefragt wird also nicht nach den zeitlichen, sondern nach den logischen Verhältnissen unterschiedlicher Handlungen. Dadurch ist es für die objektivistische Handlungstheorie auch nicht nachvollziehbar, dass Akteure in der Praxis sich widersprüchlich oder auch improvisierend neuartig verhalten können. Abweichungen können nur berücksichtigt werden, wenn sie regelmäßig auftreten und durch eine Sonderregel ins Modell eingebaut werden, oder sie müssen als die berühmte Ausnahme von der Regel im Modell unberücksichtigt bleiben. Der Objektivismus bekommt in diesem Sinne und aus diesem Grund 71

immer nur das schon gewordene und vollendete Handeln in den Blick, nicht aber die Genese, das Werden einer Handlung. Deshalb kann er auch dominant nach den logischen Verhältnissen fragen, in denen die schon vergangenen Handlungen stehen. Eine Theorie allerdings, die der Praxis in ihrem Ablauf und in ihrer eigenen Logik gerecht werden will, eine Theorie der Praxis in Bourdieus Sinne also, ist darauf ausgerichtet, nicht das opus operatum, das vollendete Werk, sondern den modus operandi zu rekonstruieren, die Art und Weise, in der soziale Praxis immer neu hervorgebracht wird (vgl. Bourdieu 1987: 28). Bourdieu spricht auch von der Erzeugungsgrundlage der sozialen Praktiken (vgl. ebd.). Dass sowohl der Subjektivismus als auch der Objektivismus die Logik der Praxis und mithin den Gegenstandsbereich der Sozialwissenschaften eigentümlich verzeichnen, hat für Bourdieu einen vergleichbaren Grund (vgl. Bourdieu 1987: 148): Die Theoretiker beider Paradigmen berücksichtigen nicht, dass das Handeln des Wissenschaftlers einer anderen Logik folgt als das Handeln der Akteure im Alltag. Dennoch nehmen die Theoretiker beider Paradigmen die Logik ihres eigenen Forschungshandelns zum Vorbild für ihre Handlungstheorie. Der Vorwurf lautet mithin, dass im Subjektivismus und im Objektivismus die Differenz zwischen der Logik der Theorie und der Logik der Praxis nicht reflektiert wird und so notwendig in Forschung und Theoriebildung unberücksichtigt bleiben muss. Der Theoretiker des Subjektivismus nimmt insofern das eigene Forschungshandeln zum Vorbild seiner Handlungstheorie, als er die Freiheit, die er seiner eigenen Theorie gegenüber hat, als Modus jeglichen Handelns generalisiert und auf die alltägliche Praxis projiziert. Als Theoretiker kann er Hypothesen und Konzepte aufstellen und sie später verwerfen, wenn sie ihn dauerhaft nicht überzeugen. Er kann das, was er getan hat, überdenken und revidieren. Er kann mit Blick auf seine Theoriebildung also ein reversibles Zeitverhältnis einnehmen und frühere Theorieentscheidungen durch spätere ersetzten. Der Theoretiker des Objektivismus hingegen generalisiert die besondere Beziehung zu seinem Forschungsobjekt, die darin besteht, dass er eine Vielzahl von Daten in Gleichzeitigkeit über72

schauen kann (vgl. Bourdieu 1987: 152ff.). Die Daten, die er in synoptischer Überschau zur Grundlage der Entwicklung seiner Regelmodelle macht, sind jedoch nichts anderes als Interpretationen und damit auch schon verkürzte Darstellungen des konkreten Handelns, das sich in langen Zeiträumen verkettet hat. Nur dadurch, dass er gleichzeitig auf eigentlich teils weit auseinander liegende Zeiträume blicken kann, kann er Regeln extrahieren und diese Regeln als die Ursachen des konkreten Handelns auf die alltägliche Praxis projizieren. Dabei unterschlägt der objektivistische Theoretiker, dass zwischen den Handlungen, die durch die Daten repräsentiert werden, Zeit vergangen ist. Durch die Kritik an dem sogenannten scholastischen Irrtum (vgl. Bourdieu 2001: 64ff.), der in Theorien begangen wird, wenn die Differenz zwischen Theorie und Praxis nicht reflektiert und damit die Theorie mit der Praxis verwechselt wird (vgl. Bourdieu 1987: 53), gelangt Bourdieu zu der Ausgangsposition seiner Praxeologie.25 Eine angemessene Theorie der Praxis ist aus seiner Sicht nur dann möglich, wenn die Unterscheidung von Theorie und Praxis zur Schlüsselunterscheidung der Theoriebildung und der durch sie angeleiteten empirischen Forschung wird.26 Die Logik der wissenschaftlichen Theoriebildung, die durch die logischen Kriterien der Widerspruchsfreiheit, Eindeutigkeit und Kohärenz bestimmt ist, wird dann zu einer Kontrastfolie, auf der die Logik der Praxis deutlich herausgearbeitet werden kann. Sie erscheint als ein Negativmodell der Logik der Logik wissenschaftlicher Praxis (vgl. Bourdieu 1987: 159). Soziale Praxis als alltägliche Praxis ist widersprüchlich, uneindeutig und inkohärent – vielleicht nicht immer, aber oft. Um der beschriebenen Logik der Praxis gerecht zu werden, und um die gleichzeitige Regelmäßigkeit wie auch die Fähigkeiten der Akteure zu berücksichtigen, Situationen neu und improvisierend zu definieren und zu gestalten, führt Bourdieu sein bekanntes Konzept Habitus als Kern seiner Handlungstheorie ein (vgl. Krais/Gebauer 2010). Durch die Vermittlung von Regelmäßigkeit und subjektiver Sinnsetzung und Sinndeutung wird mit dem Habituskonzept zugleich das jeweils Bewahrenswerte der subjektivistischen und objektivistischen Erkenntnisweise integriert. Wie kann dies gelingen? 73

Unter Habitus versteht Bourdieu ein System von Dispositionen für Wahrnehmen, Denken, Verhalten/Handeln und Beurteilen. Der Habitus soll dabei die Erzeugungsgrundlage sozialer Praktiken sein, indem er als ein generativer Mechanismus27 (modus operandi) konzipiert wird, der die Art und Weise bestimmt, in der Akteure soziale Praktiken hervorbringen, der aber nicht bestimmt, welche Praktiken genau sie hervorbringen (opus operatum). Der Habitus wird dabei als ein unbewusstes bzw. vorbewusstes Dispositionensystem gedacht, das erstens in sozialen Situationen wiederum unbewusst angemessenes Verhalten und Handeln erzeugt oder das zweitens als Präferenzsystem für reflexiv geplantes Handeln fungiert. Im zweiten Verständnis schränken die Dispositionen die Möglichkeiten der reflexiv verfügbaren Handlungsentwürfe ein. Zugleich sind aber auch spezifische Dispositionen notwendig, damit überhaupt reflexives und insbesondere rationales Handeln hervorgebracht werden kann, wie Bourdieu in seinen Studien zur kabylischen Gesellschaft in den 1950er und 1960er Jahren belegen konnte.28 Als unbewusste Dispositionensysteme unterlaufen die Habitūs die Dichotomie von objektiven Strukturen, verstanden als objektiv-kommunikativer Sinn in Form von Regeln oder auch Klassen und Schichten, und vom subjektivem Sinn der Akteure in Form von Motiven und Absichten. Der Habitus unterläuft diese Dichotomie einerseits insofern, als er durch objektive Strukturen hervorgebracht wird. Akteure erwerben im Verlauf ihrer Sozialisation Dispositionen dadurch, dass sie an sozialen Situationen teilnehmen, die durch objektive Strukturen definiert sind. Andererseits ist er die Grundlage für subjektive Sinnsetzungen und Sinndeutungen und deshalb mit diesen nicht identisch. Bourdieu kritisiert die subjektivistische Handlungstheorie schließlich auch dahingehend, dass sie lediglich das Wissen der alltäglich Handelnden rekonstruiert, aber nicht in der Lage ist, anzugeben, unter welchen Bedingungen genau dieses Wissen zustande gekommen ist (vgl. Bourdieu 1987: 97f.). Mit dem Habitusbegriff kann diese Frage insofern beantwortet werden, als er auf die objektiven Strukturen verweist, die bestimmtes Handlungswissen ermöglichen und anderes ausschließen. Dadurch, dass Habitūs durch objektive Strukturen erzeugt sind und zugleich die Dis74

positionen für subjektive Handlungen bilden, verknüpfen sie die Regelmäßigkeit sozialer Handlungen mit den Kompetenzen der Akteure, in abweichenden Situationen improvisierend, kreativ und in den Grenzen ihrer Habitūs selbstbestimmt zu handeln (vgl. Bourdieu 1987: 109). Der Habitus ist es dann, der die Akteure mit dem von Bourdieu so genannten praktischen Sinn ausstattet. Das Dritte dieses Sinns gegenüber subjektivem und objektivem Sinn ist zunächst die Zurechnung auf den Körper oder die Körperlichkeit der Akteure. Darüber hinaus geht es in diesem Fall nicht um eine Form der Repräsentation sozialen Handelns, entweder als Entwurf oder als Regel oder Norm, sondern es geht um etwas, das als implizites Wissen (vgl. Polanyi 1985) bezeichnet werden kann und die Repräsentationen subjektiven oder objektiven Handelns erzeugt (vgl. Bourdieu 1987: 126ff.). Dieses habituelle Wissen selbst ist nicht in repräsentierbarer – und das heißt reflexiv verfügbarer – Form gegeben. Gemeinhin wird für diesen Wissenstypus das sprachliche Regelwissen als Beispiel angeführt, ohne das kein kompetenter Sprecher sprechen kann, das er aber auch nicht explizit kennen und angeben können muss, um ein kompetenter Sprecher zu sein. Gleichermaßen verhält es sich mit dem Habitus, der jeden Akteur zu einem sozial kompetenten Akteur macht, indem er ihn befähigt, mehr oder minder angemessenes Handeln in unendlich vielen und verschiedenen sozialen Situationen hervorzubringen. Der Habitus stattet die Akteure mithin mit einem Gespür für Situationen aus. Kompetente Akteure wissen, ob ein Handeln für eine soziale Situation mehr oder minder angemessen ist. Sie wissen dies nicht explizit, haben aber ein Gefühl für die Situation. Und genau in diesem Sinne ist praktischer Sinn als ein Gespür für die Situation zu verstehen (vgl. Bourdieu 1987: 163). Mehr oder minder angepasst ist das durch einen Habitus hervorgebrachte Handeln je nachdem, ob der Habitus selbst unter Lebensbedingungen erzeugt worden ist, die denen vergleichbar sind, unter denen er später Handeln erzeugen soll, oder ob er unter völlig anderen Bedingungen erzeugt worden ist, so dass seine Dispositionen nicht an die Strukturen angepasst sind, die eine bestimmte Situation definieren. Die Lebensbedingungen, unter denen ein spezifischer Habitus erzeugt wird, konkretisiert Bour75

dieu durch seine Kapitaltheorie im Verbund mit den Konzepten des sozialen Raumes und der sozialen Felder, wovon Letztere im Rahmen dieses Kapitels eingeklammert werden. Bourdieu unterscheidet vier Arten von Kapital, die allesamt in einem Sinn als Kapital zu verstehen sind, den Karl Marx (18181883) exklusiv für ökonomisches Kapital bestimmt hat: Sie gewinnen ihren Wert, weil sie akkumulierte, also angehäufte, Arbeit zum Ausdruck bringen (vgl. Bourdieu 1997: 49). Die Kapitalarten sind ökonomisches, kulturelles, soziales und symbolisches Kapital. Das kulturelle Kapital ist wiederum in drei Unterformen gegliedert: objektiviertes, inkorporiertes und institutionalisiertes kulturelles Kapital. Ökonomisches Kapital meint vor allem Eigentum und Geld. Es ist auf andere übertragbar und kann mithin zum Tausch und für wirtschaftliche Transaktionen dienen. Kulturelles Kapital ist hingegen personengebunden. Es ist der Ausdruck der Bildungsbiografie eines Akteurs, zumindest in seiner inkorporierten und institutionalisierten Form. In objektivierter Form meint kulturelles Kapital Kulturgüter wie Bücher, Bilder, Instrumente, Maschinen, die Verkörperungen von Theorien, Kritiken, technischen und anderen Problemstellungen sind (vgl. Bourdieu 1997: 53). In inkorporierter Form ist es wesentlicher Bestandteil des Habitus’. Inkorporiertes kulturelles Kapital ist die verinnerlichte Bildung, über die ein sozialer Akteur verfügt. Dieser Bildungsprozess, gedacht als Inkorporierungsgeschichte, benötigt Zeit und ist nicht von Person zu Person übertragbar. Jeder ist darauf angewiesen, sich Bildung in langwierigen Lernprozessen anzueignen (vgl. Bourdieu 1997: 55f.). Bildung braucht aus diesem Grund auch immer Zeit!29 In institutionalisierter Form ist kulturelles Kapital vor allem in Titeln vorhanden. Institutionalisiertes kulturelles Kapital schafft durch Titel die Differenz zwischen dem kulturellen Kapital eines Autodidakten und demjenigen, der sein kulturelles Kapital in Form von Titeln dokumentiert hat. Der Titelträger verfügt damit über gesellschaftlich legitimiertes Kapital und der Titel garantiert ihm ein Leben lang, dass er über die verbürgte Kompetenz und Bildung verfügt. Der Unterschied zum Autodidakten, der über vergleichbares oder auch mehr inkorporiertes kulturelles Kapital 76

verfügen kann, besteht vor allem darin, dass der Titel Karrierechancen und damit eine soziale Laufbahn ermöglicht, die dem Autodidakten verwehrt ist. Auch soziales Kapital verschafft demjenigen, der darüber verfügt, dauerhaft Vorteile, seine soziale Position zu verbessern. Es besteht aus einem Netzwerk an Beziehungen zu anderen sozialen Akteuren, das zusammengenommen seinen Mitgliedern Ressourcen bereitstellt. Die Mitgliedschaft in einem Netzwerk erfordert dauerhaft die Arbeit an den Beziehungen zu den anderen Mitgliedern (vgl. Bourdieu 1997: 63). Die vierte Kapitalform führt Bourdieu nicht als eine Grundform von Kapital ein. Symbolisches Kapital beruht nämlich darauf, dass ein Akteur von anderen Akteuren Anerkennung dafür erhält, dass er über eine der Grundformen von Kapital verfügt (vgl. Bourdieu/Wacquant 1996: 151); Anerkennung dafür also, dass er beispielsweise reich, ausgesprochen gebildet oder mit interessanten Persönlichkeiten bekannt ist. Die Menge an Kapital, über die ein Akteur verfügt, und die Zusammensetzung der verschiedenen Kapitalformen, über die er verfügt, bestimmen seine Position im sozialen Raum der Klassen. Das Konzept des sozialen Raums ist es, mit dessen Hilfe Bourdieu die gesellschaftlichen Strukturen primär konstruiert. In einer marxistisch-weberianischen Tradition und im Verbund mit der Kapitaltheorie geht er dabei davon aus, dass moderne Gesellschaften dominant sozial ungleich und in Klassen strukturiert sind. Das Kapitalvolumen und die Kapitalzusammensetzungen bestimmen letztlich die soziale Position eines Akteurs innerhalb einer gesellschaftlichen Klasse. Der Habitus eines Akteurs wird mithin primär als Ausdruck der Lebensbedingungen von Klassen gedacht. Der Habitus eines Angehörigen der oberen Klasse ist dann erwartbar von dem der mittleren und unteren Klassen zu unterscheiden usw. Die Unterschiede kommen in unterschiedlichen Lebensstilen zum Ausdruck, die Bourdieu mit der Kategorie des Geschmacks erfasst (vgl. Bourdieu 1982: 17). Das, was jemand gerne isst und trinkt, die Musik, die er hört, die Kunst, die er mag, und ob er überhaupt welche mag, der Sport, den er treibt, usw. sind als Lebensstil Ausdruck der jeweiligen Klassenzugehörigkeit (vgl. Bourdieu 1982: 277ff.).30 77

Bourdieu führt für diese Erkenntnis eine Fülle von Bespielen an, etwa, dass männlichen Angehörigen der Arbeiterklasse in den 1960er Jahren das Essen von Fisch als unmännlich gegolten hat und abgelehnt worden ist. Dies ist nicht durch den Fisch als Nahrungsmittel begründet, sondern durch die feinmotorisch aufwändige Art, den Fisch von den Gräten zu lösen und vorsichtig zu essen. Die gesamte ›Körpertechnik‹ des Fischessens31 hat den Virilitätsvorstellungen dieser Klasse widersprochen, während dies in den oberen Klassen kein Problem dargestellt hat (vgl. Bourdieu 1982: 308). Dieser Unterschied belegt, dass es sich um ein Verhalten handelt, das klassenspezifisch stilisiert ist und dadurch dazu beiträgt, die Unterschiede zwischen den Lebensstilen und damit den Klassen zu reproduzieren. Das praktische Gespür gelangt nicht nur in den benannten Geschmackspräferenzen zum Ausdruck, sondern auch im körperlichen Benehmen insgesamt. Auch in diesem Sinne ist praktischer Sinn ein inkorporierter, verkörperter Sinn. Bourdieu reserviert für diese Dimension – vielleicht etwas unglücklich32 – den Begriff Hexis. Mit Hexis bezeichnet Bourdieu die konkreten körperlichen Verhaltensweisen, aus denen wiederum ein Rückschluss auf die Klassenzugehörigkeit gezogen werden kann. Es geht um die Art und Weise, in der ein Akteur in einer sozialen Situation Raum und Zeit einnimmt, wie breit sich also jemand gegenüber anderen macht, welche körperliche Präsenz und Autorität er durch Gestik und Mimik ausübt. Gleichermaßen ist im Hinblick auf die zeitliche Dimension gemeint, wie viel Rederecht ein Akteur für sich beansprucht und auch, wie viel Aufmerksamkeitsdauer er von seinen Gesprächspartnern erwartet usw. (vgl. Bourdieu 1982: 739; Bourdieu 1990: 89ff.). In den Blick gebracht ist damit in der Theorie der Praxis die Abstimmung der Körper in sozialen Situationen und mit der situativen Umgebung. Im Diskurs der Körpersoziologie wird aufgrund des körperlichen Abstimmungsverhaltens in Interaktionssituationen deshalb auch dafür plädiert, den Ausdruck der Vis-à-Vis- bzw. Face-to-Face-Situation durch Body-to-Body-Situation zu ersetzen (vgl. Böhle/Weihrich 2010: 13). Die Theorie der Praxis geht jedoch über diese interaktionistische Perspektive hinaus, wenn jegliches Verhalten und Handeln den Habitus des Akteurs realisiert. Auch in Situationen, in denen ein 78

Akteur alleine handelt, aktualisiert er habituelle Dispositionen und mithin soziale Strukturen – beispielsweise, wenn aufgrund habitueller Dispositionen Museen nicht besucht, bestimmte Kneipen/Restaurants/öffentliche Orte gemieden, bestimmte Musikstile nicht gemocht und deshalb nicht gekauft/heruntergeladen, bestimmte Kleidungstücke hässlich gefunden und nicht angezogen usw. werden. Alle Verhaltens- und Handlungsweisen, die als Lebensstilisierungen beobachtbar sind, gehören dazu, also auch jene, die sich dadurch auszeichnen, dass etwas, das für andere lebensstilisierend ist, für den Betroffenen selbst nicht in Erwägung gezogen wird. Im Hinblick auf die soziologische Gegenstandskonstruktion fügen Bourdieus Begriff des praktischen Sinns und vergleichbare Ansätze, z.B. solche der Körpersoziologie (vgl. für einen Überblick: Gugutzer 2010), den subjektiven und objektiven Sinnkonzepten also durchaus etwas hinzu. Er bedeutet eine Erweiterung der theoretisch angeleiteten Beobachtungsmöglichkeiten sozialer Wirklichkeiten. Während in objektivistischen wie auch subjektivistischen Theorien der genannten Typen vor allem Texte (aber auch Zahlen, Diagramme usw.) zur Konstruktion der sozialen Wirklichkeit verwendet werden, in denen überindividuelle oder individuelle Handlungsbeschreibungen im oben genannten Sinne (vgl. Kapitel III/1, III/2) zu lesen sind, rückt die Theorie der Praxis das gesamte sozial relevante33 körperliche Verhalten in den Blick. Damit ist auch eine Abkehr von der für die soziologische Theoriebildung sonst konstitutiven Idee der Koorientierung von mindestens zwei sozialen Akteuren verbunden. Sei dies wie bei Weber die minimale Bedingung, dass Handeln subjektiv sinnhaft in seinem Ablauf und seinen erwarteten Wirkungen an einem anderen orientiert ist, oder sei dies die bei Habermas und Luhmann gleichermaßen dominante Frage nach den Anschluss- und Gelingensbedingungen von Kommunikation. Natürlich geht es auch Bourdieu um die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit sozialer Ordnung. Nur geht er davon aus, dass soziale Ordnung nicht nur dann produziert, reproduziert und transformiert wird, wenn zwei Akteure sich explizit einseitig oder wechselseitig aufeinander beziehen. Was Bourdieu mit seinem Konzept des Habitus in den Blick rückt, ist vielmehr die Dimension sozialer 79

Wirklichkeit, in der Akteure durch die Stilisierung ihres Lebens und durch ihren bloßen Kultur- und Sinnesgeschmack ungewollt fremdbestimmt handeln, wobei sie den Erwartungen entsprechen, die durch die Strukturen ihrer sozialen Welt definiert sind.

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IV. Abschließende Überlegungen Abschließend ist zu fragen, was mit den voranstehenden Rekonstruktionen der verschiedenen beispielhaft herangezogenen Theorien und den drei Typen von Sinnbegriffen anzufangen ist. Schließlich soll es in dem vorliegenden Band nicht nur darum gehen, an einigen wenigen Theorien zu belegen, dass die vorgeschlagene Heuristik nicht willkürlich gesetzt, sondern textempirisch zu gewinnen ist. Allerdings ist die Theorieauswahl, wie ich schon in der Einleitung erwähnt habe, nicht mit dem Anspruch auf Vollständigkeit erfolgt. Die diskutierten Theorien sind zwar auch nach ihrer Bekanntheit innerhalb des theoretischen Diskurses der Soziologie sowie der Dominanz des Sinnbegriffs als Basiskategorie ausgewählt, aber sie sind zugleich Ausdruck meiner persönlichen Präferenzen. Es gibt also eine Vielzahl weiterer Theorien, die vielleicht weniger prominent einen Sinnbegriff verwenden, die aber dennoch vergleichbare Begrifflichkeiten und damit verbundene Gegenstandskonstruktionen umfassen. Aus diesem Grund ist es nötig, am Ende des Buches Perspektiven und Möglichkeiten aufzuzeigen, wie entlang des Sinnbegriffs weitergedacht und weiter gearbeitet werden kann: einerseits mit den Theorien, die behandelt worden sind, andererseits mit den vielen möglichen anderen Theorieangeboten innerhalb der Soziologie, aber auch angrenzender Handlungswissenschaften. Ich möchte für den Ausblick drei Vorschläge formulieren: zum Ersten die Arbeit an einer eigenständigen Theorie (a), zum Zweiten die Verwendung der Heuristik für die Aneignung und Bewertung von weiteren soziologischen Theorieansätzen, die im Rahmen dieses Buches nicht zur Sprache gekommen sind (b), und zum Dritten die kritische Weiterentwicklung von Theorien, indem ihre Potenziale ausgelotet werden, weitere Sinnzurechnungen zu berücksichtigen (c). Ad (a): Die Versuchung liegt nahe, am Ende dieses Buches einen integrativen Theorieansatz vorzuschlagen: eine Theorie, die in der Lage ist, alle drei Sinnbegriffe als Basiskategorien zu berücksichtigen und miteinander grundbegrifflich zu vermitteln, um einen reinen Eklektizismus zu vermeiden. In diesem Fall müsste 81

die Zurechnung von Sinn derart angelegt werden, dass inkorporierter, subjektiver und objektiver Sinn als wechselseitige Fundierungen erscheinen können. Zu diesem Zweck müsste vor dem Hintergrund eines abstrakt angelegten Sinnbegriffs (vgl. Kapitel II) ausgearbeitet werden, wie und auf welchen Wegen aus inkorporiertem Sinn, subjektiver und objektiver, aus subjektivem Sinn inkorporierter und objektiver und aus objektivem Sinn subjektiver und inkorporierter Sinn konstituiert werden kann. Nur um es kurz anzudeuten: Eine solche Theoriebildung würde meines Erachtens neben der Arbeit an Grundbegriffen einer Handlungstheorie, die mit den drei Sinnzurechnungen verknüpft werden können, darauf hinauslaufen, soziale Bedingungen herauszuarbeiten, in denen die verschiedenen Sinndimensionen aktualisiert, angeeignet und wechselseitig aufeinander bezogen werden. Soziale Bedingungen im Verständnis von situativen Settings, in denen Handeln primär durch inkorporiertes, durch subjektives oder durch objektives Sinngeschehen orientiert ist. Gedacht werden kann für inkorporierten Sinn an Situationen, in denen dominant Intuition, Empfinden (Bauchgefühl), Mimesis, Kreativität (Kunst/musikalische Improvisation usw.) oder aber Gewohnheit und Routine (z.B. Büro/Fabrik/Autofahren/Intimbeziehung) gefragt und erwartet sind. Für subjektiven Sinn können dies Situationen sein, in denen zwischen Handlungsentwürfen abgewogen werden muss und Planung und Überlegung sowie explizite Sinnorientierungen an Zwecken oder Werten erwartet sind (z.B. Krisenmanagement). Schließlich kann typologisch für primär durch objektiven Sinn angeleitete Handlungen an stark normativ regulierte Situationen gedacht werden (z.B. Militär). Schließlich ginge es darum, das Wechselspiel von inkorporiertem, subjektivem und objektivem Sinn in konkreten Handlungszusammenhängen zu analysieren. Zu diesem Zweck lassen sich exemplarisch mögliche Forschungsfragen formulieren, die im Einzelnen mit empirischen Analysen zu beantworten sind: 1. Zunächst lässt sich nach den Situationsbedingungen fragen, unter denen eine der Sinnorientierungen dominant aufgerufen wird bzw. unter denen dominant eine Sinnzurechnung auf Inkor82

poration, Bewusstsein oder objektive Strukturen erfolgen kann. Dabei ist vorausgesetzt, dass niemals nur eine der Sinnorientierungen aktualisiert ist, sondern immer ein Wechselspiel vorliegt. Allerdings wird als Hypothese formuliert, dass je nach Situationstypus eine Zurechnung dominant erfolgen kann und die jeweils anderen Sinnzurechnungen das Verhalten und Handeln relational weniger orientieren. Diese Hypothese ist natürlich mit Messschwierigkeiten verbunden, weil kaum ein Maß für ein relationales Mehr oder Weniger theoretisch begründbar ist. Deshalb sind pragmatische Kriterien zu suchen, die für typische Situationen aus einer Teilnehmerperspektive rekonstruiert werden können. 2. Des Weiteren lässt sich nach den Situationsbedingungen fragen, unter denen die Dominanz einer Sinnorientierung bricht und zu einer anderen dominant gewechselt wird. Die aus der pragmatistischen Handlungstheorie (vgl. Dewey 2003) stammende Idee, dass das reflexive Bewusstsein insofern eine Phase des Handelns ist, als es genau dann auftritt, wenn der Handlungsablauf problematisch wird, kann diese Frage präzisieren. Erfolgt der Wechsel von inkorporierter oder auch objektiv sinnhafter Handlungsorientierung auf subjektive Sinnsetzung immer dann, wenn das Handeln in seinem gewohnten, routinierten oder normativ institutionalisierten Ablauf problematisch wird und auf Widerstände oder Hindernisse stößt? Gleichermaßen kann nach dem Wechsel von subjektiv sinnhaftem auf inkorporiert und objektiv sinnhaftes Verhalten und Handeln gefragt werden. Wird etwa in Situationen, in denen Erwartungsunsicherheit oder Erwartungsinstabilität vorherrscht, von Sinnsetzungsprozessen in Form von mehr oder minder rationalen Entscheidungen dominant auf inkorporierte Orientierungen umgeschaltet? 3. Mit einem stärker gesellschaftstheoretischen Erkenntnisinteresse kann nach der Korrelation von Situationen, in denen dominant eine der drei Sinnorientierungen aktualisiert und erwartet wird, und nach gesellschaftlichen Strukturen gefragt werden. Gesellschaftliche Differenzierung wird dabei in den gängigen – meist systemtheoretisch dominierten – Gesellschaftstheorien durch die Relation der Teilbereiche einer Gesellschaft bestimmt. Sind 83

die Teilbereiche gleichartig nebeneinandergestellt, kann von segmentärer Differenzierung (Dörfer, Clans) gesprochen werden (vgl. Durkheim 1992, Luhmann 1997). Sind sie ungleich strukturiert und hierarchisch gegliedert (z.B. Stände, Klassen), kann von stratifikatorischer Differenzierung gesprochen werden, und wenn die Teilbereiche gleichermaßen sachlich gegeneinander differenziert sind und eine spezifische Funktion für Gesellschaft erfüllen, kann von einer sachlichen und funktionalen Differenzierung gesprochen werden (vgl. Luhmann 1997: 613). Letzteres ist das Charakteristikum für moderne Gesellschaft(en). In der gesellschaftstheoretischen Tradition konkurrieren jedoch für die differenzierungstheoretische Beschreibung moderner Gesellschaft(en) eine Theorie der Klassengesellschaft, also eine Form stratifikatorischer Differenzierung, und eine Theorie der sachlichen oder funktionalen Differenzierung (vgl. Kieserling 2008). Im Hinblick auf beide Theorieoptionen kann gefragt werden, ob entweder die Zugehörigkeit zu einer Klasse oder die Teilnahme an einem sachlich ausdifferenzierten Teilbereich eine der drei Sinnorientierungen fördert oder auch hemmt. Gibt es zum Beispiel Klassen und/oder Milieus, in denen reflexiv rationales Handeln stärker gefördert wird als in anderen Klassen? Sind Angehörige der herrschenden Klassen rationaler als Angehörige der beherrschten Klasse? Mit Blick auf sachliche Differenzierung kann zudem gefragt werden, ob es gesellschaftliche Teilbereiche gibt, in denen eine der drei Sinnorientierungen historisch dominant erwartbar wird. Wird etwa in den Bereichen der Wirtschaft und Wissenschaft stärker rational reflexives Handeln von den Teilnehmern erwartet als in den Bereichen der Kunst und Religion? Gibt es sachlich ausdifferenzierte Bereiche, in denen dominant Gewohnheiten, Routinen (inkorporierter Sinn) oder auch Gehorsam und Disziplin (objektiver Sinn) erwartet werden? Wie diese grobe Skizze schon vermuten lässt, ist eine solche Theorieentwicklung ein umfangreiches Unternehmen, das im Rahmen dieses Bandes weder geleistet werden könnte noch gewünscht wäre. Schließlich soll interessierten Lesern keine eigenständige Theorie vermittelt werden, sondern Einsicht in unterschiedliche Verwendungsweisen soziologischer Grundbegriffe. Zudem können Möglichkeiten der Weiterarbeit an und mit den 84

entsprechenden Grundbegriffen aufgezeigt werden. Die grobe Skizze kann also maximal als eine Anregung dienen, in dieser oder anderer Art und Weise an solch einer Theorie zu arbeiten. Ad (b): Wie in der Einleitung schon angedeutet, ist es ein naheliegender Umgang mit den drei Sinnzurechnungen, im Rahmen der Lehre und/oder des Selbststudiums weitere Theorievergleiche durchzuführen. Das heuristische Schema (vgl. Kapitel II) dient dann vor allem dazu, nach den Sinnzurechnungen in den unterschiedlichen Theorien zu fragen und zugleich Hypothesen darüber formulieren zu können, wie und mit welcher Einschränkung und Fokussierung der Gegenstandsbereich konstruiert wird oder auch konstruiert werden kann. Verwendet man die Erträge dieses Bandes in dieser Weise, dann dient er als eine Folie, um die Perspektiven zu sortieren, die eine Theorie durch den verwendeten Sinnbegriff für die Beobachtung sozialer Wirklichkeit eröffnet. Zugleich stehen Kriterien zur Verfügung, mit deren Hilfe beurteilt werden kann, ob die Gegenstandskonstruktion konsequent von der Basiskategorie abgeleitet worden ist oder ob im Prinzip begrifflich nicht vermittelbare Positionen im Sinne eines Eklektizismus nebeneinander gestellt werden. So ist es zum Beispiel grundbegrifflich problematisch und kaum vermittelbar, eine Handlungstheorie, die soziales Handeln aus den subjektiven Sinnsetzungen und Sinndeutungen der Akteure verständlich und erklärbar macht (vgl. Kapitel III/1.2), mit einer Systemtheorie im Sinne Luhmanns zu verkoppeln (vgl. Kapitel III/2.2), die von Anfang an darauf ausgerichtet ist, den Sinn sozialer Systeme von psychischem Sinngeschehen strikt zu unterscheiden und entsprechend eine handlungstheoretische Grundlegung der Systemtheorie zu vermeiden. In diesem Sinn ist man darauf orientiert, nach den Möglichkeiten und Grenzen einer Theorie zu fragen, die durch ihre Grundentscheidungen oder besser: durch ihre Schlüsselunterscheidungen, mit denen Sinnbegriffe verknüpft werden, vorbereitet sind. Solche Schlüsselunterscheidungen sind mit Blick auf die Theorien, die in diesem Buch vorkommen, zum Beispiel Handeln/Ordnung bei Weber, Bewusstsein/soziale Wirklichkeit bei Schütz und Berger/Luckmann, erfolgsorientiertes/verständigungsorientiertes Handeln bei Habermas, System/Umwelt bei 85

Luhmann und Theorie/Praxis sowie ökonomische/symbolische Ökonomie bei Bourdieu. Ad (c): Eine dritte Möglichkeit, mit den Sinnbegriffen theoretisch weiterzuarbeiten, liegt darin zu fragen, ob eine Theorie, die primär eine Sinnzurechnung vornimmt, um andere Zurechnungen systematisch erweitert werden kann. Für die Theorien, die in diesem Band rekonstruiert worden sind, kann dies grob skizziert werden. 1. Für Webers verstehende Soziologie ist danach zu fragen, inwiefern inkorporierter Sinn Berücksichtigung finden kann. Da der Sinnbegriff bei Weber insgesamt unscharf und kaum definiert ist, lässt sich die Sinnorientierung durch die Handlungstypen, die Weber analytisch unterscheidet, erschließen. Weber führt vier Typen des Handelns ein: zweckrationales, wertrationales, affektuelles und traditionales Handeln (vgl. Kapitel III/1.1). Zweckrationales und wertrationales Handeln sind mehr oder minder bewusstes Handeln, das subjektiv sinnhaft Mittel für Zwecke abwägt, oder das Handeln selbst mit Blick auf objektiv sinnhafte Werte. Affektuelle und traditionale Handlungen sind hingegen für Weber an der Grenze zum Verhalten zu denken, weil ihnen keine bewussten Abwägungen von Alternativen zugrunde liegen. Affektuelles Handeln erfolgt aufgrund einer aktuellen Emotion und traditionales Handeln erfolgt durch eine »eingelebte Gewohnheit« (Weber 1972: 12). Beide Typen können mithin als inkorporiertes Sinngeschehen interpretiert werden, weil Affekte und Emotionen gleichermaßen wie Gewohnheiten körperlich zugerechnet werden können. Gefragt werden kann mit Weber dann, ob es notwendig erscheint, Körper und Körperlichkeit handlungstheoretisch zu berücksichtigen, oder ob Webers Handlungstypologie für die Analyse derart orientierter Handlungszusammenhänge nicht schon völlig ausreicht. 2. Für Schütz’ reflexiven Sinnbegriff ist nach der Möglichkeit zu fragen, objektiven und inkorporierten Sinn zu berücksichtigen. Über einen Begriff objektiven Sinns verfügt Schütz’ Theorie. Zum einen ist der Begriff Handlung objektiv sinnhaft gedacht, weil er 86

das Ergebnis des subjektiv sinnhaften Handelns bezeichnet. Zum anderen fasst Schütz unter objektivem Sinn Kulturobjekte wie Sprache, Kunst, Staat usw. zusammen (vgl. Schütz 2004: 268ff.). Objektiver Sinn ist mithin als intersubjektiv verfügbarer Sinn konzipiert und entspricht damit dem hier zugrunde gelegten Typus objektiv-kommunikativen Sinns. Wie aus subjektivem Sinn objektiver Sinn abgeleitet werden kann, ist einerseits durch Schütz’ Unterscheidung von Handeln und Handlung, andererseits aber vor allem mit Bergers und Luckmanns Institutionalisierungstheorie zu denken (vgl. Kapitel III/Exkurs). Im Hinblick auf inkorporierten Sinn fällt es aufgrund des reflexiven Sinnbegriffs schon schwerer, einen Ansatzpunkt zu finden. Schließlich ist es ein wesentliches Charakteristikum inkorporierten Sinngeschehens, dass es präreflexiv abläuft. Mit den Bordmitteln von Schütz’ Theorie ist dies nur in der Weise zu denken,34 dass ehemals bewusstes Handeln mit der Zeit zur Routine wird und unter die Ebene des Bewusstseins herabsinkt. In dieser Weise hat Thomas Luckmann Gewohnheitshandlungen mit Hilfe des reflexiven Sinnbegriffs Schütz’ verständlich zu machen versucht (vgl. Luckmann 1992: 134).35 Damit ist aber das inkorporierte Sinngeschehen, das zum Beispiel Bourdieu mit seinem Habitusbegriff und dem Konzept des praktischen Sinns in den Blick rückt, nicht erfasst. Auch wenn bei Schütz Handeln in der Alltagswelt immer als ein Wirken und damit körperlich gedacht ist, ist es nicht der Körper, dem die Konstitution von Sinn zugerechnet wird, sondern das egologische Bewusstsein. 3. Für Habermas’ Theorie des kommunikativen Handelns ist vor allem nach den Möglichkeiten zu fragen, subjektiven und inkorporierten Sinn zu rekonstruieren. Da der Sinnbegriff im Rahmen dieser Theorie an Sprache gekoppelt ist, ist er grundsätzlich objektiv-kommunikativ formuliert. Subjektives Sinngeschehen berücksichtigt Habermas im Rahmen seiner Dreiweltentheorie, wenn er die Typen des dramaturgischen, strategischen und kommunikativen Handelns auf den Geltungsanspruch der Wahrhaftigkeit und auf die subjektive Welt im Unterschied zur objektiven und sozialen Welt bezieht. Im Verlauf dramaturgischen Handelns (vgl. Habermas 1981a: 135ff.) präsentiert ein Handelnder sein Selbst und 87

ob er dies wahrhaftig tut oder nicht, kann nur er selbst wissen. Andere können lediglich am Folgehandeln in Zukunft prüfen, ob seine Äußerungen wahrhaftig waren. Vergleichbar ist auch bei kommunikativem Handeln die Wahrhaftigkeit erst später zu prüfen und mithin zu entscheiden, ob es sich eigentlich um strategisches Handeln gehandelt hat. Der subjektive Sinn ist aber nicht im Schütz’schen Sinne subjektiv und vorsprachlich gedacht, sondern immer schon sprachlich vermittelt. Deshalb kann auch in einem therapeutischen Diskurs eine Klärung des Geltungsanspruchs erwartet werden. Subjektiver Sinn ist mithin immer schon sprachlich angeeignet und ›geformt‹. Inkorporiertes Sinngeschehen kann mit den Mitteln der Theorie des kommunikativen Handelns vermutlich nicht rekonstruiert werden. In einer frühen Vorlesung hat Habermas untersucht, welche Rolle Körperbewegungen für die Realisierung von Handlungen spielen (vgl. Habermas 1984b). Er erfasst Körperbewegungen als notwendige Infrastruktur des Handelns, aber nicht als Handlungen. Sie realisieren keinen Sinn im Verständnis von Habermas, sondern werden durch Operationsregeln konstituiert (vgl. Habermas 1984b: 296ff.), die der Handlungskompetenz zuzurechnen sind. Sie sind aber nicht als regelgeleitete Selektion aus einem Möglichkeitshorizont und auch nicht als Deutung einer Situation gedacht und deshalb auch nicht sinnhaft. Sinnvoll können sie aber durchaus bei dem Vollzug einer Handlung sein, die von einem Handelnden erfolgs- oder verständigungsorientiert sinnhaft geplant worden ist. 4. Für Luhmanns Theorie ist vor allem nach der Möglichkeit zu fragen, inkorporierten Sinn zu berücksichtigen. Durch die strikte Trennung von sozialen und psychischen Systemen als jeweils autonome Sinnzusammenhänge ist sowohl objektiv-kommunikativer als auch subjektiv-egologischer Sinn hinreichend berücksichtigt, auch wenn die Kopplung der beiden Systemtypen problematisch erscheinen kann. Der Körper und die Körperlichkeit können schon allein aufgrund der exklusiven Zurechnung von Sinn auf Bewusstsein oder soziale Systeme nicht als Sinnträger in Frage kommen. Der Körper erscheint im Rahmen der Systemtheorie dann auch konsequent mit Referenz auf psychische oder 88

soziale Systeme. Mit Blick auf psychische Systeme fungiert der Körper als Identitätsstifter, weil sich das Bewusstsein durch die Beobachtung des eigenen Körpers identifiziert. Gleichzeitig wird der Körper dadurch bewusst, also psychisch als Einheit von einer Umwelt unterschieden.36 Mit Blick auf soziale Systeme identifiziert Luhmann symbiotische Mechanismen als Strukturen, die in sozialen Systemen den Bezug zu ihrer organischen Infrastruktur, also den Körpern der psychischen Systeme, regulieren. Insbesondere denkt Luhmann an die Absicherung der binären Codes der Funktionssysteme, die durch die Möglichkeit erfolgt, unter definierten Bedingungen auf die organische Umwelt zu wirken. Unterschiedliche symbiotische Mechanismen werden dabei unterschiedlichen »symbolisch generalisierten Medien-Codes« (Luhmann 1981: 231) zugeordnet. So wird zum Beispiel Macht durch die Möglichkeit abgesichert, in rechtlich definierter Art und Weise physisch Gewalt auszuüben. Liebe wird als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium durch Sexualität abgesichert usw. In all diesen Fällen ist es aber nicht der Körper oder das Organische, das die Art und Weise der Regulierung definiert, sondern es handelt sich immer um Konditionierungen sozialer Systeme (vgl. Luhmann 1981: 230f.). 5. Für Bourdieus Theorie der Praxis kann vor allem gefragt werden, inwiefern subjektiv-egologischer Sinn berücksichtigt werden kann. Inkorporiert-praktischer Sinn ist schließlich die Basiskategorie der Theorie der Praxis und objektiv-kommunikativer Sinn ist durch den sozialen Raum der Klassen sowie durch die Theorie sozialer Felder theoretisch erfasst. Zudem ist das Zirkelverhältnis von inkorporierten sozialen Strukturen, die das Handeln strukturieren, und den habituell hervorgebrachten Handlungen, die wiederum strukturierend wirken, derart gefasst, dass Transformationen und mithin die Entstehung neuer objektiver Sinngebilde konstruiert werden können. Die Frage nach dem subjektiven Sinn stellt sich für die Theorie der Praxis, weil habituelles Handeln primär als vorbewusst konzipiert wird. Die habituellen Dispositionen erzeugen in Relation zu den Gegebenheiten einer sozialen Situation mehr oder minder 89

passendes Verhalten und Handeln. Ob ein Akteur dies will oder nicht, könnte man ergänzen. Der soziale Sinn als praktischer Sinn leitet sich gerade nicht aus den bewusstseinsfähigen Intentionen/ Absichten/Plänen/Entwürfen der Handelnden ab, sondern aus den inkorporierten sozialen Strukturen, die als Erfahrungsaufschichtungen zu spezifischem Handeln disponieren. Akteure erscheinen mithin nicht als Urheber ihrer Handlungen, weil sie durch ihren Habitus orientiert werden. Allerdings bedeutet habituelles Handeln im Hinblick auf die Definition des Habitusbegriffs gerade nicht, dass der gesamte Handlungsablauf unbewusst oder notwendig vorbewusst zu denken ist. Habitus wird schließlich als ein System von Dispositionen von Verhalten, Handeln, Denken, Wahrnehmen/Bewerten eingeführt. Durch die Berücksichtigung der Dispositionen des Denkens und des Handelns sind subjektive Sinnprozesse offenbar immer als Bestandteil oder Phase habituellen Handelns gedacht. Pragmatistisch kann reflexives Handeln an bestimmte Bedingungen geknüpft werden. Solange der Handlungsablauf ungestört abläuft, sind auch keine bewussten Abwägungen von Handlungsalternativen notwendig. Im Alltag funktioniert ein Großteil des Handelns mit Selbstverständlichkeit und erfordert keine oder nur geringe bewusste Planung. Treten allerdings Widerstände und Störungen auf, wird es notwendig, reflexiv und bewusst das eigene Handeln zu beobachten und zu überdenken (vgl. Krais/Gebauer 2010: 73). Dies ist allerdings nicht eine völlig freie Reflexion im Sinne Sartres, sondern immer ein Denken und Reflektieren im Rahmen eines Raumes von Denk- und Handlungsmöglichkeiten, die durch den Habitus eingegrenzt sind. In diesem Sinne schließen sich subjektiv sinnhaftes und inkorporiert sinnhaftes Handeln gerade nicht aus. Durch die habituelle Eingrenzung des Möglichkeitsraumes für Denken und Handeln ist eine subjektiv sinnhafte Orientierung geradezu erst möglich, weil das Bewusstsein des Akteurs dadurch mit Kriterien ausgestattet ist, die überhaupt eine Entscheidung zwischen Handlungsalternativen erlauben. Der Habitus bezeichnet die Erfahrungsgeschichte eines Individuums und diese Geschichte ist durch die Lebensbedingungen in einer sozial typischen Weise geformt, so dass Präferenzen für bestimmte Handlungen erwartbar sind. Dass vor dem Hintergrund von eigenen Erfahrungen 90

gedacht und reflektiert wird, bedeutet also nicht, dass Akteure Marionetten der objektiven sozialen Strukturen sind, sondern einfach, dass sie nicht für ihre Geschichte und mithin für das, was sie sind, vollständig verantwortlich zeichnen.

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Anmerkungen 1 2

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Für wichtige Korrekturarbeiten, Anregungen und Kommentare bin ich André Armbruster zu Dank verpflichtet. Sicherlich, jemand kann auch nach dem Sinn des nichtmenschlichen Lebens und Seins fragen, aber das nichtmenschliche Leben und Sein selbst hat diese Frage nicht gestellt – zumindest soweit mir bekannt ist. Und wenn in diesem Sinne nach dem Sinn von allem gefragt wird, läuft die Antwort doch zumeist auf einen menschenähnlichen Schöpfer hinaus. Um einen kleinen Einblick zu geben, mit welchen Diskursen man sich auseinanderzusetzen hätte, reicht der Hinweis auf die sprachphilosophische Tradition ab Gottlob Frege (1848-1925), die sich mit der ausgesprochen problematischen Unterscheidung von Sinn und Bedeutung herumgeschlagen hat. Unterschieden wird damit der Gegenstand, den ein Zeichen bezeichnet und die Gegebenheitsweise des Gegenstandes, die herausgehoben wird. Freges bekanntes Beispiel ist die Differenz von »Morgenstern« und »Abendstern«, die denselben Stern in unterschiedlichen Gegebenheitsweisen bezeichnen. Die Bedeutung ist der identische Stern und der Sinn die Gegebenheitsweise (vgl. Frege 1986: 41). Um ein alltagsnäheres Beispiel zu nennen: Dieselbe Person (Bedeutung) kann manchmal als ›Idiot‹ und manchmal als ›Freund‹ (Sinn) bezeichnet werden. Da die Unterscheidung in dieser Form nicht recht überzeugt hat, wird sie oft weniger strikt auf unterschiedliche Dinge bezogen. Bedeutungen gibt es nur im Bereich der sprachlichen und sprachähnlichen Konventionen, während Sinn Handlungen zugesprochen werden kann (vgl. Kamlah/Lorenzen 1973: 130f., Tugendhat 1970: 35). Für das Erkenntnisinteresse dieses Buches ist nun einerseits nicht ersichtlich, inwiefern die Unterscheidung soziologisch relevant ist. Die zu besprechenden Theorien nehmen auf diese Unterscheidung keinen Bezug. Aus diesem Grund müsste die soziologische Relevanz von einem theoretischen Standpunkt erst formuliert werden, der von außen an die soziologi-

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schen Theorien herangetragen würde, deren Sinnbegriffe in dieser Arbeit behandelt werden. Für einen umfassenden Einblick in die Entstehungsgeschichte und das Denkprogramm der Philosophischen Anthropologie vgl. Fischer 2008. Vergleichbar unterscheidet auch Schützeichel (vgl. 2003: 31) Sinnbegriffe im Hinblick auf die Theorien von Weber, Schütz, Mead, Mannheim und Habermas. Es stehen die Begriffe des subjektiv gemeinten Sinns (Weber, Schütz), des pragmatischen Sinns (Mead), des Dokumentsinns (Mannheim) und des sprachlichen Sinns (Habermas) zur Abgrenzung möglicher Sinnbegriffe in der soziologischen Theoriebildung nebeneinander. In der Heuristik, die in diesem Band vorgeschlagen wird, können der pragmatische und der sprachliche Sinnbegriff dem objektiv-kommunikativen Sinn und der Dokumentsinn dem inkorporiert-praktischen Sinnbegriff subsumiert werden. ›Objektiv‹ wird hier also synonym mit ›intersubjektiv‹ gebraucht. Gleichermaßen sind die Sinnbegriffe Idealtypen, die in Kapitel I als Heuristik vorgeschlagen worden sind. Es finden sich natürlich Begründungen, die Habermas aber nicht zureichend erscheinen. Man kann Vernunftpotenziale in einer historischen Epoche ausmachen, die später faktisch nicht realisiert worden sind, und dies kritisieren. Wenn sich im Verlauf der Aufklärung nur eine Dimension zweckrationaler Vernunft durchsetzt und wertrationale Potenziale – um mit Weber zu reden – verloren gehen, dann lässt sich das immanent kritisieren (vgl. Horkheimer 1991: 174f.). Allerdings gibt die Theorie kein Argument dafür, warum die verlorenen Vernunftpotenziale unbedingt realisiert werden müssten. Bei Adorno finden sich auch Annahmen, dass in der Avantgarde-Kunst kritische Potenziale entfaltet werden, sofern sie sich gegen die ästhetischen Maßstäbe der sogenannten »Kulturindustrie« wendet (vgl. Adorno 1973). Habermas schließt dabei vor allem an die Arbeiten einer Transzendentalpragmatik von Karl-Otto Apel (*1922) an.

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10 Vergleichbar wirft er auch Luhmann vor, einen egologischen Sinnbegriff in der Tradition der Bewusstseinsphilosophie zu verwenden (vgl. Kapitel III/2.2). 11 Habermas (vgl. 1981a: 114ff.) entwickelt sein Konzept der drei Welten in Auseinandersetzung mit der Dreiweltentheorie von Karl Raimund Popper (1902-1994). Popper hat die Welt in die physische Welt, die subjektive Welt des Bewusstseins und die Welt der geistig-kulturellen Inhalte unterschieden (vgl. Popper 1973: 123). 12 Habermas unterscheidet die erfolgsorientierten Typen des zweckrationalen und strategischen Handelns, die auf die objektive Welt bezogen sind, von den verständigungsorientierten Typen des normenregulierten Handelns, das auf die soziale Welt bezogen ist, und des dramaturgischen Handelns, das auf die subjektive Welt bezogen ist (vgl. Habermas 1981a: 448). 13 Habermas geht dabei nicht nur davon aus, dass Systeme sich gegenüber der Lebenswelt etablieren, sondern auch davon, dass die Lebenswelt sich im Hinblick auf ihre drei Komponenten von Kultur, Gesellschaft und Persönlichkeit zugleich rationalisieren muss. Zudem können sich die systemischen Strukturen nur durchsetzen, wenn sie institutionell in der Lebenswelt verankert sind. Die institutionellen Prinzipien verändern sich mit einer jeweils anderen Gesellschaftsform. Die grundlegenden institutionellen Prinzipien von Stammesgesellschaften sind zum Beispiel Verwandtschaftsordnungen, von geschichteten Stammesgesellschaften sind es Statusund Abstammungsordnungen, von staatlich organisierten bzw. staatlich stratifizierten Klassengesellschaften sind es politische Herrschaftsordnungen und von modernen, ökonomisch konstituierten Klassengesellschaften sind es die mediengesteuerten Subsysteme von Wirtschaft und Politik (vgl. Habermas 1981b: 242ff.). 14 Im Rahmen der Systemtheorie lassen sich durchaus verschiedene Sinnbegriffe im Verlauf der Werkentwicklung beobachten. Diese Details werden hier ausgespart, können aber bei Schützeichel (2003) nachgelesen werden. 15 Am Ende dieser Ausarbeitungen steht das Konzept des allgemeinen Handlungssystems, das in vier Subsysteme unter94

gliedert ist, die jeweils eine besondere Funktion erfüllen, die den Bestand des Systems gegenüber seinen Umwelten sichern. Parsons kennt für alle Handlungssysteme genau vier Funktionen, deren Erfüllung den Erhalt des Systems garantieren: Adaption, Goal-Attainment, Integration und Latent-Pattern-Maintenance. Mit Blick auf die vier Funktionen wird auch vom AGIL-Schema des Handelns gesprochen, wenn Parsons’ strukturfunktionalistische Handlungstheorie erörtert wird (vgl. Parsons/Platt 1990: 20ff.). 16 Dies kann man natürlich kritisch diskutieren, weil Luhmann schließlich soziale Systeme als sinnverwendende Systeme konstruiert und als Sinnzusammenhänge strikt von psychischen Systemen, den Bewusstseinen, unterscheidet. Luhmann argumentiert dahingehend, dass es zwar richtig ist, dass jedes sinnförmige Erleben und Handeln auf psychische Systeme verweist, dass aber in gleichem Maße Sinn auf soziale Systeme verweist, weil erwartbares Erleben und Handeln nur durch Teilnahme an sozialen Systemen möglich sind (vgl. Luhmann 1971: 29). 17 Luhmann übernimmt den aristotelischen Begriff von Kontingenz. Kontingenz meint in dieser Tradition etwas, das weder notwendig noch unmöglich ist. 18 Besonders deutlich wird dies in dem Buch Soziale Systeme (1984), in dem Luhmann das Konzept der Autopoiesis für den Begriff sozialer Systeme übernimmt, das Humberto Maturana, Francisco Varela und Ricardo Uribe zur Definition lebender Systeme in der Biologie vorgeschlagen haben (vgl. Maturana/Uribe/Varela 1974). 19 Es gibt durchaus Funktionssysteme, in denen kein vergleichbares symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium zu beobachten ist. Beispielsweise ist für das Religionssystem umstritten, ob der Glaube diese Funktion erfüllt (vgl. Luhmann 2000: 204ff.). 20 Im Unterschied zu einem psychischen Verstehen, das durch das bewusste Verstehen des vom anderen Gemeinten charakterisiert ist, geht es Luhmann um soziales Verstehen, das dann vorliegt, wenn an eine Kommunikationsofferte derart ange-

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schlossen wird, dass weitere Kommunikation möglich ist (vgl. Fuchs 1993: 30ff.). 21 Weil der Sinnbegriff niemals ohne Form zu beobachten ist, ergänzt Luhmann ihn später durch die Unterscheidung von Medium und Form (vgl. Luhmann 2000: 15ff.). Sinn ist als universelles Medium nicht von etwas anderem, also NichtSinn unterscheidbar. Schließlich ist noch die Behauptung, etwas sei Unsinn, selbst eine sinnhafte Äußerung. Die Unterscheidung von Medium/Form reagiert auf diese Ununterscheidbarkeit von Sinn. Das Medium wird als eine Art Substrat gedacht, das schon geformter Sinn ist, das aber zugleich in nahezu unendlich viele weitere feste Formen überführt werden kann. Es eröffnet einen Möglichkeitsraum für Sinnselektionen, die als Formen bestimmt werden. Die Wörter der Sprache wären ein solches mediales Substrat, das nach grammatikalischen Regeln in nahezu unendlich viele Äußerungen, Sätze und Texte als Formen überführt werden kann. Äußerungen, Sätze und Texte können dann ihrerseits wiederum zu Medien für weitere Formen werden usw. In diesem Verständnis sind dann auch die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien Medien, die in die Formen der unterschiedlichen wirtschaftlichen Zahlungen, rechtlichen Urteile, politischen Entscheidungen, wissenschaftlichen Erkenntnisse gebracht werden können. 22 Man fragt also grundlegend nach den Strukturen und Prozessen, die soziale Systeme zu einem historischen Zeitpunkt reproduzieren, aber auch grundlegend transformieren können. Dies können zum Beispiel entsprechende Kommunikationsmedien sein. 23 Exemplarisch kann das folgende Zitat von Lévi-Strauss angeführt werden: »Ein Modell mag bewußt oder unbewußt sein, diese Tatsache berührt seine innerste Natur nicht. Man kann nur sagen, daß eine oberflächlich im Unbewußten verborgene Struktur die Existenz eines Modells, das diese Struktur dem kollektiven Bewußtsein verhüllt, wahrscheinlicher macht. Tatsächlich zählen ja bewußte Modelle – die man allgemein ›Normen‹ nennt – zu den armseligsten, die es gibt, wegen ihrer Funktion, die mehr darin besteht, den Glaubensinhalten 96

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und Bräuchen zur Dauer zu verhelfen, als ihre Quellgründe freizulegen. So trifft die strukturale Analyse auf eine paradoxe Situation, die der Sprachforscher bereits kennt: je genauer die erscheinende Struktur ist, desto schwieriger wird es, die tiefer liegende Struktur, wegen der bewußten und deformierten Modelle, die sich wie Hindernisse zwischen den Beobachter und sein Objekt stellen, zu erfassen.« (Lévi-Strauss 1967: 304) Allerdings muss betont werden, dass Lévi-Strauss selbst die Analysen von Mauss als phänomenologisch und damit subjektivistisch verkürzt beschrieben hat, um eine strukturalistische Analyse gegenüberzustellen. Mauss hat den Widerspruch zwischen der Pflicht der Gabe als einem großzügigen Geschenk und der Pflicht der Gegengabe schon deutlich herausgearbeitet (vgl. Mauss 1968: 15ff.). Praxeologie nennt Bourdieu die dritte Erkenntnisweise für die Sozialwissenschaften, die vom Subjektivismus und Objektivismus abzugrenzen ist (vgl. Bourdieu 1976: 147). Dabei ist empirische Forschung für Bourdieu immer auch der Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung der Theoriebildung. Es handelt sich also um ein wechselseitig belehrendes Verhältnis zwischen Theorie und Empirie. Das Konzept eines generativen Mechanismus übernimmt Bourdieu von dem Linguisten Noam Chomsky (*1928). Chomsky hat versucht, die Frage zu beantworten, warum Kinder in einer sprunghaften Entwicklung zu kompetenten Sprechern werden können und in der Lage sind, sehr früh unendlich viele grammatikalisch richtige Sätze zu produzieren. Die Antwort lag in dem Konzept eines angeborenen generativen Mechanismus, der sie auf Basis relativ weniger Grundregeln zu kompetenten Sprechern macht (vgl. Chomsky 1970: 118). Bourdieu übernimmt die Idee, geht aber davon aus, dass der Mechanismus historisch erworben ist. Dennoch meint er, dass für soziale Praktiken das gleiche gilt wie für Sprache. Aufgrund des Erwerbs eines Habitus, der Dispositionen für Praktiken umfasst, sind Akteure kompetent, in unendlich vielen sozialen Situationen mehr oder minder passende Praktiken hervorzubringen (vgl. Bourdieu 1976: 165).

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28 Bourdieu konnte in diesen Studien zeigen, dass der homo oeconomicus, also die Vorstellung des menschlichen Akteurs als rationaler Entscheider, historisch und sozialstrukturell höchst voraussetzungsvoll ist. Es muss gesellschaftlich ein gewisser Lebensstandard etabliert und stabilisiert sein, auf dessen Grundlage die Entfaltung rationaler Wahlhandlungen möglich wird. Bourdieu konnte dies nachweisen, weil die Akteure der kabylischen Stammesgesellschaft mit den Erwartungen der kapitalistischen Ökonomie der Kolonialmacht Frankreich nicht umgehen konnten und nicht in der Lage waren, wirtschaftlich rationale Handlungsentscheidungen zu treffen. Genauer: Sie waren dazu erst in der Lage, wenn sie die sozialstrukturelle Position des Subproletariats überwunden hatten und sich in einer sozialen Lage befunden haben, in der sie nicht von der Hand in den Mund leben mussten und Tag für Tag nur auf die eigene Existenzsicherung konzentriert waren (vgl. Bourdieu 2000: 87ff.). 29 Eine Einsicht, die durchaus einer Kritik an den Schul- und Universitätsreformen zugrunde gelegt werden kann. 30 Für die Zwecke dieses Buches lasse ich beiseite, dass Bourdieu mit seinem Konzept des sozialen Raumes auch Varianzen der Lebensstile innerhalb der Klassen durch die Kapitalzusammensetzung berücksichtigt. Gleichermaßen lasse ich die Theorie sozialer Felder unberücksichtigt, die jeweils besondere Transformationen des jeweiligen Habitus’ durch sekundäre Sozialisationsprozesse bewirken (vgl. Bongaerts 2008a: 117ff.). 31 »Nicht zuletzt aber will Fisch auf eine Weise gegessen sein, die in allem dem männlichen Essen zuwiderläuft; mit Zurückhaltung, maßvoll, in kleinen Happen, durch sachtes Kauen mit Vordermund und Zungenspitze (wegen der Gräten).« (Bourdieu 1982: 308) 32 Unglücklich ist die Begriffswahl, weil Hexis das griechische Wort für das lateinische Habitus ist, dennoch aber etwas anderes akzentuieren soll. 33 Sozial relevant ist Verhalten, wenn es auf die Produktion, Reproduktion und Transformation sozialer Strukturen bezogen werden kann. Unabhängig davon, wie diese Strukturen theo98

retisch konstruiert werden, ob als Klassen, Kommunikationsmuster oder typische Wissensbestände. 34 Es sei denn, man deutet den Sinnbegriff um und setzt für präreflexive Sinnsetzungen an der Differenz vom Plan des Handelns und der tatsächlich vollzogenen Handlung an (vgl. Bongaerts 2008b). 35 »Dennoch darf nicht vergessen werden, daß Gewohnheitshandlungen alles andere als instinktives Verhalten sind. Sie wurden vom Handelnden entworfen, richten sich in ihren einzelnen Schritten am Entwurf aus und stehen im Vollzug unter der bewußten Kontrolle des Handelnden, obwohl sie bei zunehmender Routinisierung nicht mehr seine volle Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen.« (Luckmann 1992: 134) 36 »Im übrigen ist dieser Körper nur für das Bewußtsein eine Einheit, die sich von (einer!) Umwelt unterscheidet. Als Agglomerat lebender Systeme gesehen ist der Organismus eine Symbiose zahlreicher autopoietischer Systeme mit gemeinsamem genetischen Programm, aber nicht das, was das Bewußtsein beobachtet, wenn es sich selbst oder andere in Unterscheidung von einer Umwelt beobachten und in der Welt lokalisieren will.« (Luhmann 1995c: 192)

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Uwe Schmidt, Marie-Theres Moritz Familiensoziologie 2009, 158 Seiten, kart., 11,50 €, ISBN 978-3-89942-671-7

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Andreas Ziemann Soziologie der Medien 2006, 132 Seiten, kart., 12,50 €, ISBN 978-3-89942-559-8

Wulf D. Hund Rassismus 2007, 170 Seiten, kart., 15,80 €, ISBN 978-3-89942-310-5

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