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English Pages 215 [214] Year 2005
M ONOGRAPHIEN AUS DEM G ESAMTGEBIETE DER P SYCHIATRIE
M ONOGRAPHIEN AUS DEM G ESAMTGEBIETE DER P SYCHIATRIE Herausgegeben von H. Saß, Aachen · H. Sauer, Jena · F. Müller-Spahn, Basel Band 89: Borna Disease Virus Mögliche Ursache neurologischer und psychiatrischer Störungen des Menschen Von K. Bechter (ISBN 3-7985-1140-3)
Band 100: Das dopaminerge Verstärkungssystem Funktion, Interaktion mit anderen Neurotransmittersystemen und psychopathologische Korrelate Von A. Heinz (ISBN 3-7985-1248-5)
Band 90: Psychiatrische Komorbidität bei Alkoholismus und Verlauf der Abhängigkeit Von M. Driessen (ISBN 3-7985-1169-1)
Band 101: Versorgungsbedarf und subjektive Sichtweisen schizophrener Patienten in gemeindepsychiatrischer Betreuung Evaluationsstudie im Jahr nach Klinikentlassung in der Region Dresden Von Th. Kallert (ISBN 3-7985-1263-9)
Band 91: Psychopathologische und SPECT-Befunde bei der produktiven Schizophrenie Von R.D. Erkwoh (ISBN 3-7985-1187-X) Band 92: Soziokulturelle Faktoren und die Psychopathologie der Depression Empirische Untersuchungen zum pathoplastischen Einfluß soziokultureller Lebensformen bei der Melancholie Von D. Ebert (ISBN 3-7985-1185-3) Band 93: Selbstbild und Objektbeziehungen bei Depressionen Untersuchungen mit der Repertory Grid-Technik und dem Gießen-Test an 139 PatientInnen mit depressiven Erkrankungen Von H. Böker (ISBN 3-7985-1202-7) Band 94: Elektrokrampftherapie Untersuchungen zum Monitoring, zur Effektivität und zum pathischen Aspekt Von H.W. Folkerts (ISBN 3-7985-1204-3) Band 95: Der Nerve Growth Factor bei neuropsychiatrischen Erkrankungen Ein pleiotroper Modulator mit peripherer und zentralnervöser Wirkung Von R. Hellweg (ISBN 3-7985-1205-1) Band 96: Aufklärung und Einwilligung in der Psychiatrie Ein Beitrag zur Ethik in der Medizin Von J. Vollmann (ISBN 3-7985-1206-X) Band 97: Tabakabhängigkeit Biologische und psychosoziale Entstehungsbedingungen und Therapiemöglichkeiten Von A. Batra (ISBN 3-7985-1212-4) Band 98: Die psychosozialen Folgen schwerer Unfälle Von U. Schnyder (ISBN 3-7985-1213-2) Band 99: Körperliche Aktivität und psychische Gesundheit Psychische und neurobiologische Effekte von Ausdauertraining bei Patienten mit Panikstörung und Agoraphobie Von A. Brooks (ISBN 3-7985-1240-X)
Band 102: Psychopathologie von Leib und Raum Phänomenologisch-empirische Untersuchungen zu depressiven und paranoiden Erkrankungen Von Th. Fuchs (ISBN 3-7985-1281-7) Band 103: Wahrnehmung der frühen Psychose Untersuchungen zur Eigen- und Fremdanamnese der beginnenden Schizophrenie Von M. Hambrecht (ISBN 3-7985-1292-2) Band 104: Schizophrenien prälingual Gehörloser Eine Untersuchung im lautlosen Kompartiment des „menschengemeinsamen Raums“ Von K. Schonauer (ISBN 3-7985-1348-1) Band 105: Zur Emotions/Kognitions-Kopplung bei Störungen des Affekts Neurophysiologische Untersuchungen unter Verwendung ereigniskorrelierter Potentiale Von D.E. Dietrich (ISBN 3-7985-1347-3) Band 106: Neuronale Korrelate psychopathologischer Symptome Denk- und Sprachprozesse bei Gesunden und Patienten mit Schizophrenie Von T. Kircher (ISBN 3-7985-1377-5) Band 107: Familienbefunde bei zykloiden Psychosen und manisch-depressiver Erkrankung Ein Beitrag zur Nosologie bipolarer phasischer Psychosen Von B. Pfuhlmann (ISBN 3-7985-1420-8) Band 108: Geschlechtsspezifische Unterschiede der schlafendokrinen Regulation und deren Bedeutung für die Pathophysiologie der Major Depression Von I.A. Antonijevic (ISBN 3-7985-1487-9) Band 109: Serotonin und akustisch evozierte Potentiale Auf der Suche nah einem verläßlichen Indikator für das zentrale 5-HT-System Von G. Juckel (ISBN 3-7985-1513-1)
Georg Juckel
Serotonin und akustisch evozierte Potentiale Auf der Suche nach einem verläßlichen Indikator für das zentrale 5-HT-System
PD Dr. med. Georg Juckel Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Charité – Universitätsmedizin Berlin Campus Mitte Schumannstr. 20/21 10117 Berlin e-mail: [email protected]
ISBN 3-7985-1513-1 Steinkopff Verlag Darmstadt Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils gültigen Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Steinkopff Verlag Darmstadt ein Unternehmen der Springer Science+Business Media GmbH www.steinkopff.springer.de © Steinkopff Verlag Darmstadt 2005 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt wer den dürften. Verlagsredaktion: Dr. Maria Magdalene Nabbe – Herstellung: Renate Münzenmayer Umschlaggestaltung: Erich Kirchner, Heidelberg SPIN 11414575
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Fiir Wula, Konstantin und Alexander
Danksagung Diese Monographie ist die uberarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die im Jahr 2003 an der Ludwig-Maximilians-Universitat Munchen fur die Erteilung der Lehrbefugnis fur das Fach Psychiatrie angenommen wurde. Die hier beschriebenen Untersuchungenwurden in den Jahren 1991-2001 in Berlin (Freie Universitat), Budapest (Akademie der Wissenschaften), Munchen (Ludwig-Maximilians-Universitat) und Princeton (Program in Neuroscience) durchgefuhrt. Einer Vielzahl von Forderen, Kollegen und Freunden verdanke ich dabei eine unschatzbare Hilfe. Herrn Prof. Dr. Ulrich Hegerl (Munchen, vormals Berlin) danke ich fur die langjahrige enge Freundschaft und Zusammenarbeit, die mich und mein wissenschaftliches Arbeiten in hohem Mal3 gepragt haben. Herrn Prof. Dr. Hans-Jurgen Moller (Munchen) danke fur ich seine stets wohlwollende und grofizugige Forderung meiner Forschungsaktivitaten und Herrn Prof. Dr. Hanfried Helmchen (Berlin), der mir fruh und entscheidend Orientierung war, mein psychiatrisches Verstandnis und Herangehen in klinischer und wissenschaftlicher Hinsicht zu finden. Bei vielen weiteren Personen, die mir geholfen haben und zum Gelingen der hier vorgestellten Arbeiten beigetragen haben, die ich hier aber leider nicht alle namentlich nennen kann, mochte ich auf diesem Weg herzlich danken: Allen gegenwartigen und fruheren Mitarbeitern der Abteilung fur Klinische Neurophysiologie der Klinik fur Psychiatrie und Psychotherapie der LMU insbesondere Dres J. Gallinat, P. Mavrogiorgou, 0. Pogarell, D. Rupp, Dr. H. Augustin, S. Bredemeier, A. Schroter, R. Mergl, J. Kunz, C. Mulert und unserem Sekretar Herrn Wolfgang Kotsowilis sowie unseren fleil3igen EEGDamen, vielen Arzten und Oberarzten der Stationen der Klinik insbesondere Dres. S. Stubner, G. Stotz, D. Rujescu, M. Riedel, R. Bottlender, F. Padberg, T. Frodl, F. Muller-Siecheneder sowie Prof. Dr. N. Muller und Prof. Dr. Dr.
VIII H.P. Kapfhammer, allen Schwestern und Pfleger insbesondere der Station C1, Herrn Prof. Dr. Karmos, Herrn Prof. Dr. M. Molnar, Frau Prof. Dr. V. Csepe und allen Mitarbeitern der Abteilung fur Psychopyhsiologie des lnstituts fur Psychologie der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Budapest, Herrn Prof. Dr. B.L. Jacobs (Program in Neuroscience, Princeton University, USA), Herrn PD. Dr. M. Zaudig (Psychosomatische Klinik Windach) und seinen Mitarbeitern insbesondere der Zwangsstation, Frau Dr. M. Carillo-de-la-Pena (Psychologische Fakultat der Universitat Santiago del Compostela, Spanien), Herrn Prof. W.M. Herrmann (+) und den Mitarbeitern des Labors fur Klinische Psychophysiologie (Psychiatrische Klinik der FU Berlin), Herrn Prof. Dr. L. Schmidt, Herrn Prof. Dr. H. Rommelspacher und den Mitarbeitern der Forschergruppe ,,Gemeinsame neurobiologische Mechanismen der Abhangigkeit" sowie meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. B. Muller-Oerlinghausen und vielen Mitarbeitern der Psychiatrischen Klinik
der
FU
Berlin
sowie
den
Drittmittelgebern
(Deutsche
Forschungsgemeinschaft, Bundesministerium fur Bildung und Forschung (Kompetenznetz ,,Depression"), Fa. Upjohn, Fa. Pfizer, Fa. Lilly, Lilly Foundation und Fa. Pharmacia-Upjohn). Meiner Frau, deren Anteil an meinem arztlichen und wissenschaftlichen Werdegang nicht in Worte zu fassen ist, meinen Sohnen, meinen Eltern und meinen Freunden gilt besonderer Dank. Sie wissen warum. Berlin, im Fruhjahr 2005 Georg Juckel
I
ElNLElTUNG
1
1. I Das serotonerge System
2
1.1.I Anatomie des zentralen serotonergen Systems
3
1.I .2
Funktion und Bedeutung des zentralen serotonergen Systems
5
1. I .3
lndikatoren des zentralen serotonergen Systems ?
11
1.2 Akustisch evozierte Potentiale
17
1.2.1
Komponenten der akustisch evozierten Potentiale
18
1.2.2
Generierende Strukturen und Prozesse der akustisch evozierten
1.2.3
Potentiale
20
Dipolquellenanalyse
25
1.3 Lautstarkeabhangigkeitakustisch evozierter Potentiale (LAAEP) 29 1.3.1
Augmenting-Reducing-Konzept der LAAEP
30
1.3.2
Gegenwartige Auffassung der LAAEP
32
1.3.3
Einflungronen auf die LAAEP
35
1.3.4
Neurobiologische Grundlagen der LAAEP
36
1.4 Serotonerges System und akustischer Kortex
39
1.4.1
Serotonerge Modulation der LAAEP
40
1.4.2
Inverse Beziehung der serotonergen Aktivitat zur LAAEP
43
2
ALKOHOL, SEROTONIN UND LAAEP
48
2.1 Einfuhrung
48
2.2 Methoden
50
2.3 Ergebnisse
55
2.3.1 Unterschied zwischen der LAAEP des primaren und sekundaren akustischen Kortex
55
2.3.2 Absetzeffekte von Alkohol auf die LAAEP bei Patienten mit Alkoholabhangigkeit vor und nach Entzug
56
2.3.3 Effekte von Alkohol auf die LAAEP bei gesunden Probanden vor und nach Alkohol-Einnahme
60
2.3.4 Beziehung der LAAEP zu serotonerg beeinflusstem Verhalten bei Patienten mit Alkoholabhangigkeit 2.4 Diskussion 3
ZWANGSSTORUNG, SEROTONIN UND LAAEP
60 64 72
3.1 EinfUhrung
72
3.2 Methoden
74
3.3 Ergebnisse
78
3.3.1 Vergleich der LAAEP zwischen Zwangspatienten und Gesunden
78
3.3.2 Einflufi von Sertralin auf die LAAEP
80
3.4 Diskussion
84
4
87
SCHIZOPHRENIE, SEROTONIN UND LAAEP
4.1 Einfuhrung
87
4.2 Methoden
88
4.3 Ergebnisse
90
4.3.1 Vergleich der LAAEP zwischen schizophrenen Patienten und Gesunden
90
4.3.2 Einflufi von atypischen Neuroleptika auf die LAAEP
91
4.4 Diskussion
94
5 P ~ D I K T I V EBEDEUTUNG DER LAAEP BE1 SEROTONINAGONISTEN 5.1 Einfuhrung
96
5.2 Lithium
99
5.3. Paroxetin
103
5.4. Citalopram
107
5.5. Diskussion
111
6 TIEREXPERIMENTELLE UNTERSUCHUNGEN 6.1. Einfuhrung 6.2. Methoden
6.3 Ergebnisse
126
6.3.1 Vergleich der LAAEP zwischen primarem und sekundaren akustischen Kortex 6.3.2 Effekte von Schlaf auf die LAAEP
126 127
6.3.3 Auswirkungen einer veranderten Feuerrate serotonerger Nervenzellen
im Raphe dorsalis auf die LAAEP des primaren akustischen Kortex 128 6.3.4 Auswirkungen postsynaptischerVeranderungen in der serotonergen Neurotransmission und der Einflul3 nicht-serotonerger Substanzen auf die LAAEP des primaren akustischen Kortex 6.4 Diskussion
131 135
7 ALLGEMEINE DlSKUSSlON 7.1 Neurobiologische Modellvorstellungen zur serotonergen Modulation der LAAEP 7.2 Spezifitat des Zusammenhangs zwischen dem serotonergen System und der LAAEP 7.2.1 Noradrenalin 7.2.2 Dopamin 7.2.3 Acetylcholin 7.2.4 Die spezifische Funktion von Serotonin bei der sensorischen Verarbeitung 7.3 Klinische Bedeutung der LAAEP als lndikator des zentralen serotonergen Systems 8 ZUSAMMENFASSUNG
160
9 ANHANG: Methodik der akustisch evozierten Potentiale beim Menschen
163
Seit seiner Entdeckung vor mehr als 50 Jahren als korpereigene Substanz, die im Darm, im Serum aber auch im Gehirn gebildet werden kann, gewann Serotonin und seine Neurotransmission zunehmend eine herausragende Bedeutung in der neuropsychiatrischen Forschung. lnsbesondere im letzten Jahrzehnt wurde Neurotransmission
immer deutlicher, dass die zentrale serotonerge eine
wichtige
Rolle
in
der
Pathophysiologie
psychiatrischer Erkrankungen wie affektive und schizophrene Storungen-, Zwangs-, Abhangigkeits- und Angsterkrankungen sowie gestorter Impulsund Aggressionskontrolle spielt. Diese Bedeutung fur die Psychiatrie durfte vor allem von dem gronen Einflun des serotonergen Systems auf so basale Funktionen wie Schlaf, Appetit, Aggression oder Stimmung herruhren, die bei psychiatrischen Erkrankungen haufig gestort sind. Hierbei muss eine Storung in der serotonergen Neurotransmission als nicht spezifisch fur irgendeine der traditionellen nosologischen Einheiten angesehen werden, sondern
eine
solche
charakterisiert
moglicherweise
Untergruppen
psychiatrischer Patienten, denen klinische oder pathogenetische Aspekte auf einer mehr syndromalen, wenn nicht Symptom-Ebene gemeinsam sind (Lopez-lbor Jr, 1988; van Praag et al., 1990). Aufgrund dieser Bedeutung des serotonergen Systems konzentrierte sich zunachst die psychopharmakologische Forschung im wachsendem Mane auf die Entwicklung von Substanzen, die moglichst selektiv das serotonerge System beeinflussen (2.B. Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)), und auf die Beobachtung der klinischen Response auf diese Pharmaka bei Untergruppen psychiatrischer Patienten (Montgomery und Fineberg, 1989; Feighner und Boyer, 1991). Zudem gelang es der neurobiologischen Forschung, auf der Suche nach der Klarung der pathogenetischen Rolle des serotonergen Systems bei verschiedenen psychiatrischen Erkrankungen wie
Depression oder Zwangsstorung,
wesentliche Bestandteile und Aspekte seiner Neurotransmission zu ergrunden. lnsgesamt jedoch ist das serotonerge System hinsichtlich seiner Funktion und pathogenetischen Bedeutung aufgrund seiner Komplexitat und nicht zuletzt aufgrund der bisher fehlenden validen lndikatoren fur seinen generelien Funktionszustandes nicht vollstandig verstanden worden und lasst noch viele Fragen offen. Gerade aber im Hinblick auf einen solchen Funktions-Markers weisen mittlerweile eine Vielzahl von theoretischen Argumenten und empirischen Befunden darauf hin, dass die Lautstarkeabhangigkeit der akustisch evozierten Potentiale (LAAEP) ein valider lndikator des serotonergen Systems sein konnte. Ziel der vorliegnden Arbeit war es, diesen Zusammenhang mittels Untersuchungen an psychiatrischen Patienten und gesunden Probanden sowie tierexperimentell weiter zu erhellen und zu bestatigen. Auch im Hinblick auf klinische Aspekte wie z.B. fruhzeitige Erkennung und Voraussage der Therapieresponse auf serotonerg wirksame Medikamente ware die praktisch einfache Verfugbarkeit eines validen lndikators des serotonergen Systems in Form der LAAEP von enormer Bedeutung. Um diese Relevanz fur Psychiatrie und Psychopharmakologie besser verstehen zu konnen, werden zunachst im Folgenden das serotonerge System, die evozierten Potentiale und ihr Zusammenhang naher dargestellt.
1.I Das serotonerge System Serotonin wird aus der essentiellen Aminosaure Tryptophan nur in den enterochromafinen Zellen des Darms, in den Pinealozyten der Epiphyse und in den Neuronen der Raphe-Kerne gebildet. Das in den Darmzellen produzierte Serotonin, welches mit uber 90% den groaten Anteil des im Korper vorhandenen Serotonins ausmacht, kann sowohl ins Darmlumen als
auch in das Portalblut sezerniert werden. Im Blut wird freies Serotonin mittels eines aktiven Transportmechanismus (Serotonintransporter) in den Thrombozyten aufgenommen und hier gespeichert. Circa 10% des gesamten im
Korper vorhandenen
Serotonins
zirkuliert
in
dieser
gespeicherten Form in den Thrombozyten. Nur zu einem geringen Teil von ca. 1% findet sich Serotonin im Gehirn und hier v.a. im Bereich der Epiphyse. Fur das zentrale serotonerge System verbleibt letztlich nur 0.1 % des gesamten, irn Korper vorhandenen Serotonins (HMher und Ruther, 2000).
1.I .IAnatomie des zentralen serotonergen Systems Das zentrale serotonerge System, welches zu den phylogenetisch und ontogenetisch altesten Neurotransmitter-Systemen zahlt, besteht aus einer vergleichsweise kleinen Zahl von Neuronen, die in den Raphe-Kernen des Mittelhirns lokalisiert sind (ca. 250.000 im Nucleus raphe dorsalis). Sie weisen jedoch einen extrem hohen Verzweigungsgrad auf und innervieren so gut wie das gesamte Zentralnervensystem (Abb. 1). So stammen die deszendierende
Hauptprojektionen in
das
Ruckenmark
aus
den
pontomedullaren Neurone der Raphe-Kerne (Ncl. raphes magnus, Ncl. centralis superior pars caudalis, Ncl. raphes obscurus und Ncl. raphes pallidus). Die ins Vorderhirn aufsteigenden Projektionen entstarnmen zu ca. 80% den mesopontinen Raphe-Kernen (Ncl. raphe dorsalis und Ncl. raphe medianus). Hierbei innerviert der aus den dorsalen Raphe-Kernen entspringende Axonstrang
den
Bereich
des
lateralen Vorderhirns
(Basalganglien, Amygdala, Ncl. accumbens), wahrend der aus den medialen Raphe-Kernen starnrnende Axonstrang zu Teilen des rnedialen Vorderhirns zieht (cingularer Kortex, Septum, Hippokampus). Weitere vier nicht irn medianen Vorderhirnbundel verlaufende Axonstrange innervieren jeweils die
Substantia nigra und den Nc. supraopticus, den Kortex, das periventrikulare System und die Corpora mammilaria und den Ncl. interpendunculus.
Abb. 1: Das zentrale serotonerge System: die serotonerge Neurone enthaltende
Raphe-Kerne und ihre Projektionsbahnen (Raphe dorsalis fur Vorderhirn, Raphe magnus fur Ruckenmark).
Die Axone der dorsalen Raphe-Kerne sind sehr dunn, rnarklos und weit verzweigt. Viele dieser Axone enden als freie Nervenendigungen; das hier ausgeschuttete
Serotonin
erreicht
sowohl
die
nachgeschalteten
Pyramidenzellen, Projektions- und lnterneurone als auch Ependym- und Gliazellen wie die Astrozyten. Vor allem irn frontalen Kortex und im kaudalen Ruckenmark ist der Anteil solcher serotonerger Neurone mit freien
Axonterminalen besonders hoch. Die Axone der medialen Raphe-Kerne sind hingegen kraftiger, markhaltig, weniger verzweigt und enden eher als typische Prasynapsen (Huther und Ruther, 2000). In den verschiedenen Zielgebieten des zentralen serotonergen Systems Iasst sich neben einer hohen lnnervationsdichte auch ein regional spezifisches lnnervationsmuster erkennen. Im Gegensatz zu den Nagetieren (Lidov et al., 1980) ist die serotonerge Innervation bei hoheren Saugetieren wie Katze, Affe oder Mensch nicht diffus und uniform, sondern weist hier einen hohen Grad von Differenziertheit und Spezifitat auf (Parnavelas und Papadopoulos, 1989; Papadopoulos und Parnavelas, 1991). Neben den serotonergen Neurone finden sich in den Raphe-Kernen auch GABA-erge, cholinerge, noradrenerge, dopaminerge, histaminerge und glutamaterge Zellgruppen, die an der Modulation der neuronalen Aktivitat der serotonergen Neurone der Raphe-Kerne beteiligt sind. Letztere weisen daruber hinaus rekurrente Axonkollateralen. ijber somatodendritische Synapsen stehen sie mit ihren Perikaryen in Verbindung und konnen so autoregulatorisch die serotonerge Feuerungsrate beeinflussen. Sowohl die dorsalen als auch medialen Raphe-Kerne erhalten ihre wichtigsten Afferenzen aus limbischen Vorderhirnzentren (d.h. aus den wesentlichen Zielgebieten ihrer eigenen Efferenzen) und sind somit vermutlich auch funktionell ruckgekoppelt (Huther und Ruther, 2000).
1.I .2 Funktion und Bedeutung des zentralen serotonergen Systems Die serotonergen Neurone insbesondere im Nucleus raphe dorsalis zeigen eine aul3ergewohnliche regelmanige und stabile Entladungsrate (3 Spikesls im Mittel im ruhigen Wachzustand), die als "Pacemaker"-Eigenschaft bezeichnet wird (Aghajanian und VanderMaelen, 1982; Aghajanian et al.,
1987). Offenbar ist dies Folge einer sehr engen Kopplung von Nervenzellen quer durch den Raphe dorsalis (Stezhka und Lovick, 1995). Die gleichmanige
Feuerrate
der
serotonergen
Neurone
unterliegt
moglicherweise genetischer Kontrolle, denn sie bleibt konstant von der Geburt bis zum Tod (Lanfumey und Jacobs, 1982; Adrien und Lanfumey, 1986). Sie zeigt keine diurnale Variationen (Trulson und Jacobs, 1983) und ist auch nicht beeinflu13 durch Veranderungen der Korper- oder der Aunentemperatur (Trulson und Jacobs, 1976; Fornal et al., 1987; Horrigan und
Horrowitz,
1990).
Regulationskreislaufe Prasentation
von
oder
Belastungen der
sensorischen
der
kardiovaskularen
Blutzucker-Kontrolle, oder
schmerzvollen
wiederholte Stimuli,
von
Umweltstressoren wie extrem lauter Larm fuhren nicht zu einer Anderung der Feuerrate der serotonergen Neurone (zum Uberblick siehe Jacobs und Fornal,l991; Jacobs und Azmitia, 1992). Lediglich mit Anderung des Vigilanzstadiums andert sich auch die serotonerge Feuerrate: im Falle einer Verhaltensaktivierung beschleunigt sie sich (4-5 und mehr Spikesls), im Falle von Mudigkeit und Schlafen mit seinen verschiedenen Stadien erniedrigt sie sich fortlaufend (1-2 Spikesls) bis zum volligen Stillstand im REM-Schlaf (McGinty und Harper, 1976; Trulson und Jacobs, 1979). Da das serotonerge System also offenbar eine aul3erst gleichmanige tonische Aktivitat aufweist, die nur entlang der Schlaf-Wach-Dimension variiert, wird ihm eine homoostatische Funktion im ZNS zu gesprochen. Es hat die Aufgabe die neuronale Aktivitat einer bestimmten Hirnregion, z.B. die sensorische Verarbeitung im akustischen Kortex, mit dem jeweiligen Verhaltens- und Vigilanzniveaus des Organismus abzustimmen (Aghajanian und VanderMaelen,
1986; Jacobs et al.,
1990; Baumgarten und
Grozdanovic, 1995). Dies wird durch Untersuchungen auf der zellularen Ebene gestutzt. So konnte gezeigt werden, daa Serotonin auf der zellularen Ebene die Aufgabe hat, Verstarkungsfaktoren (,,gain factors") oder Erregbarkeitsschwellen mit dem Ziel zu setzen, die Aktivitat eines Neurons
auf einem Niveau stabil zu halten (Kayama et al., 1989; Jacobs und Azmitia, 1992). Diese sich auf der Verhaltens- und zellularen Ebene entfaltenen Wirkungen des serotonergen Systems sind von einer Vielzahl von Faktoren abhangig, welche wesentlich den Serotonin-Stoffwechsel bestimmen. Das in den serotonergen Neuronen synthetisierte Serotonin wird mittels eines aktiven Protonenpumpen-gesteuertes Carriersystem
in
die
prasynaptischen
Vesikeln aufgenommen und gespeichert. Die durch Eintreffen eines Impulses bedingte Depolarisation der prasynaptischen Membran fuhrt zu einem verstarktem ca2'-~instrom und Freisetzung der intrasynaptischen ca2'-~peicher.Dadurch kommt es zu Kontraktionen des Cytoskeletts, durch welche die Serotonin-Speichervesikeln an die prasynaptische Membran gelangen. Hier kommt es zu einer Verschmelzung von Vesikel und Membran und damit zur exocytotischen Ausschuttung des darin enthaltenenen Serotonins in den synaptischen Spalt. Das freigesetzte Serotonin bindet nun an membranstandige 5-HT-Rezeptoren benachbarter Neurone bzw. an 5HT-Rezeptoren der postsynaptischen Membran und fuhrt zu deren Aktivierung. Wahrend sich die Wirkung des aus den serotonergen Prasynapsen freigesetzten Serotonins lediglich auf die Aktivierung der postsynaptischen 5-HT-Rezeptoren beschrankt, kann das aus freien serotonergen Axonterminalen ausgeschuttete Serotonin auch mit 5-HTRezeptoren interagieren, die aunerhalb postsynaptischer Strukturen, so z.B. an den Somata von Neuronen, lokalisiert sind. Nach Aktivierung wird das sich im synaptischen Spalt noch befindliche Serotonin durch die in der prasynaptischen (bzw. axonterminalen) Membran vorhandenen spezifischen Serotonin-Transporter aktiv wiederaufgenommen und in die prasynaptische Speichergranula transportiert. Es ist nicht verwunderlich, dass neben der Menge des freigesetzten Serotonins abhangig vom Ausman des durch einen lmpuls ausgelosten ~ a ~ ' - ~ i n s t r o r n s
v.a. die Rezeptor-Ausstattung der Ziel-Neurone fur die zellularen Wirkungen wesentlich zu sein scheint. Mittlerweile sind mehr als 15 verschiedene Serotonin (5-HT)-RezeptorSubtypen identifiziert worden, die sich aufgrund bestimmter struktureller und funktioneller Gemeinsamkeiten in bisher 7 Untergruppen (5-HT1 bis 5-HT7) einteilen lassen (siehe [Jbersicht Tab. 1; Huther und Ruther, 2000). Jedes Jahr werden weitere neue Subtypen kloniert.
Tab. 1: ijbersicht iiber den wesentlichen Teil der bisher identifizierten 5-HTRezeptoren
Nicht fur alle der identifizierten 5-HT-Rezeptor-Subtypen ist ihre Bedeutung und Funktion im Rahmen der serotonergen Neurotransmission vollstandig geklart. Der 5HT,A-Rezeptor-Subtyp wird im ZNS von den serotonergen Neuronen der Raphe-Kerne als somatodendritischer Autorezeptor exprimiert und dient v.a. zur Regulation der Feuerate dieser Neurone (Aghajanian et al., 1990). In den Zielgebieten ist er als postsynaptischer Rezeptor nachgeschalteter Neurone, als prasynaptischer Heterorezeptor an deren Axonterminalen, aber auch in extrasynaptischen Bereichen von Neuronen und Astrozyten
lokalisiert. Vor allem im Hippokampus, im Septum und in der Amygdala ist eine hohe Dichte dieses Rezeptor-Subtyps auszumachen. Er scheint bei der Regulation von unterschiedlichen Funktionen wie Nahrungsaufnahme, Angst, Sexualverhalten, Nozizeption, Korpertemperatur wesentlich beteiligt
zu sein. Die 5-HTl~ und 5-HTID-Rezeptor-Subtypen, die sich funktionell und pharmakologisch sehr ahnlich sind, werden im ZNS von serotonergen Neurone als somatodentritische Autorezeptoren in den serotonergen Kerngebieten sowie als Autorezeptoren an serotonergen Prasynapsen und Axonterminalen in den distalen Projektionsgebieten der Raphe-Kerne exprimiert (Gother, 1992). Durch negatives Feedback sind sie bei der Kontrolle der terminalen Serotonin-Freisetzung beteiligt (Davidson und Stamford, 1995; Pineyro et al., 1995). Besonders haufig sind diese Rezeptor-Subtypen in den Basalganglien, im Striatum und im frontalen Kortex anzutreffen. Die
5-HTIE
und
5-HTIF-Rezepfor-Subtypen, die
sich
in
ihren
pharmakologischen Merkmalen ahnlich sind, konnten hinsichtlich ihrer Lokalisation und Funktion noch nicht vollstandig charakterisiert werden. Der 5-HT2A-Rezeptor-Subtypfindet sich in einer hohen Dichte im Kortex, im Claustrum und in den Basalgangien und wird von Neuronen und Gliazellen in den serotonergen Projektionsgebietenexprimiert. Daruber hinaus findet er sich auch weit verbreitet in peripheren Organen, wo er u.a. an der Thrombozytenaggregation beteiligt ist. lnsgesamt lassen sich durch Stimulation von 5-HT2A-Rezeptoren vielfaltige Effekte auslosen, so z.B. die Aktivierung GABA-erger (Inter)Neurone, Hemmung der Glutamatfreisetzung im Hippokampus und Kortex, Stimulation der Acetylcholinfreisetzung im Striatum und Hemmung derselben im Hippokampus und Kortex, weiterhin die Stimulation der Freisetzung von LH, Prolaktin und CRF sowie die
Verringerung des REM-Schlafes. Neben der Beeinflussung des Schlafs scheint dieser Rezeptor-Typ auch an der Regulation von Appetit und Schmerz beteiligt zu sein. Der 5-HTZB-Rezepforwird sowohl in peripheren Organen wie Leber, Lunge, Herz, Niere und GI als auch im ZNS und hier besonders im Hypothalamus, Septum, Amygdala und Kleinhirn vorgefunden. Allerdings ist die Funktion dieser im ZNS exprimierten Rezeptoren noch nicht geklart. 5-HTZc-Rezeptoren werden v.a. von den
Epithelzellen des Plexus
choroideus exprimiert und scheinen hier bei der
Produktion der
Cerebrospinalflussigkeit mediatorisch beteiligt zu sein. Dieser Rezeptor-Typ, der pharmakologisch dem 5-HT2Aahnlich ist, findet sich in geringerer Zahl auch im Kortex, Hippokampus und Substantia nigra, allerdings ist hier seine genaue neuronale Funktion noch nicht vollstandig aufgeklart (Peroutka et al., 1990; Hartig et al., 1990). Der 5-HT3-Rezeptor-Subtyp ist der einzige Serotonin-Rezeptor, bei dem die Signaltransduktion durch Offnung eines lonenkanals (fur Na', K' und Ca"lone) erfolgt. Er findet sich sowohl in der Peripherie weit verbreitet als auch im ZNS, u.a. im Hirnstamm und im Vorderhirn. Daruber hinaus wird dieser Rezeptor-Subtyp auch von dopaminergen, noradrenergen und cholinergen Axonterminalen als Heterorezeptor sowie als postsynaptischer Rezeptor exprimiet. Durch eine Stimulation von 5-HT3-Rezeptoren kann es zu einer vermehrten Freisetzung von GABA und Dopamin und zu einer verminderten Ausschuttung von Noradrenalin und Acetylcholin kommen. Sein Einflul3 auf viszerale Neurone in Form einer Aktivierung erklart den klinischen Einsatz von 5-HT3-Rezeptorantagonisten zur Behandlung von ljbelkeit und Erbrechen.
In den eher dopaminerg versorgten Hirnregionen wie dem Striatum, den Basalganglien und dem Ncl. accumbens, trim man in hoher Dichte den 5HT4-Rezeptor
an,
dessen
Aktivierung
zu
einer
vermehrten
Dopaminfreisetzung fuhrt. In der Peripherie findet sich dieser RezeptorSubtyp v.a. im GI-Trakt und ist hier bei der Regulation der Darmmotilitat beteilgt. Uber die Rezeptor-Subtypen 5-HT5 (5-HT5* und 5-HT5B)r 5-HT6 und 5-HT, konnen derzeit kaum verlal3liche Aussagen uber ihre Verteilung und ihrer funktionellen Bedeutung im ZNS gemacht werden. Somit bleiben viele Fragen in Hinblick auf die Funktionsweise, aber auch im Hinblick auf die tatsachliche und spezifische Bedeutung des zentralen serotonergen Systems bei den verschiedenen psychiatrischen Storungen offen. Zudem ist ein Fortschritt hinsichtlich pathophysiologischer und psychopharmakologischer Fragestellungen hier auch durch den Umstand behindert, dass beim Menschen keine validen lndikatoren fur den generellen Funktionszustand der zentralen serotonergen Neurotransmission zur Verfugung stehen (van Praag et al., 1987; Nash und Meltzer, 1991; Yatham und Steiner, 1993).
1.I .3 lndikatoren des zentralen serotonergen Systems ? Die lange Zeit als mogliche lndikatoren fur das serotonerge System untersuchten biochemischen peripheren Parameter, die als aussichtsreich galten, da man aufgrund des Strahlenrisikos nicht immer -insbesondere bei wiederholter Notwendigkeit von serotonergen Funktionsbestimmungenradioaktive Liganden fur SPECT- und PET-Untersuchungen injezieren wollte, erwiesen sich als nicht ausreichend valide (Murphy, 1990a). Beispielsweise
die
Konzentration
des
Serotonin-Metaboliten
5-
Hydroxyindolessigsaure (5-HIES) im Liquor oder der Serotonin-Transport in den Thrombozyten spiegeln lediglich Teilaspekte der zentralen serotonergen Neurotransmission wieder. Zudem sind sie wahrscheinlich nur sehr kurzfristige Momentaufnahmen der serotonergen Funktion. Zwar wurden von einigen Autoren signifikante Korrelationen zwischen 5-HIES im lumbalen Liquor und derjenigen im Gehirngewebe beschrieben (Stanley et al., 1985; Mignot et al., 1985; Martin und Artigas, 1992), aber die quantitative und qualitative Beziehung zwischem diesen peripheren Parametern und funktionalen Aspekten des zentralen serotonergen Systems ist nach wie vor unklar (Beckmann et al., 1983; Potter und Manji, 1993). So schatzten z.B. Beckmann et al. (1983) die ljbereinstimmung von 5-HIES im Liquor und Serotonin im Hirngewebe auf ungefahr 10%. Messungen der Liquor-5-HIES-Konzentration sowohl im Lumbalbereich als auch im Bereich der Ventrikel ergaben, dass hinsichtlich dieser Gro13e keine Korrelationen zwischen den beiden punktierten Regionen bestehen (Gjerris, 1988). Desweiteren ist ein Anstieg von 5-HIES im Liquor nicht notwendigerweise verursacht durch Veranderungen der Konzentration dieses Metaboliten im Hirngewebe (Bacopoulos et al., 1979). Sowohl die intrazellulare als auch die extrazellulare 5-HIES-Konzentration an der Synapse ist nicht korreliert zu der Hohe der tatsachlichen Serotonin-Freisetzung, d.h. zum tatsachlich synaptisch aktiven wirksamen Serotonin (Auerbach et al., 1989; Wilkinson et al., 1991; Martin und Artigas, 1992). Eine niedrige 5-HIES-Konzentration im Liquor mu13 daher nicht notwendigerweise auf eine erniedrigte serotonerge Gesamtaktivitat hinweisen. Auf der anderen Seite gibt es einige Hinweise in der Literatur, dass 5-HIES im Liquor mit Verhaltensmerkmalen, deren Regulation dem serotonergen System zugeschrieben wird, in Verbindung seht. Dies gilt vor allem fur suizidales (Asberg et al., 1987; Lester, 1995) und aggressives Verhalten (Tuinier et al., 1995; Moller et al., 1996).
Die Bestimmung von Serotonin selber in peripheren Korpelflussigkeiten wie dem Blut wurde vielfach angewandt, unterliegt aber einer ausgedehnten kritischen Diskussion, da Serotonin im Blut aufgrund der fur Serotonin nicht zu passierenden Blut-Hirn-Schranke vollig getrennt von dem zentralen Serotonin betracht werden mu13. So wurde innerhalb der biologischpsychiatrischen
Forschung
die
Serotonin-Wiederaufnahme in
den
Thrombozyten als vielversprechender Parameter fur serotonerge Aspekte bei Patienten mit affektiven Storungen diskutiert (Lingjaerde, 1984; Healy und Leonard, 1987). Das Rational fur die Untersuchung der SerotoninWiederaufnahme in den Thrombozyten oder aber auch der Bestimmung der Serotonin-Konzentration in Blutkompartimenten ist die Vorstellung, dass der Thrombozyt sich biochemisch wie eine prasynaptische serotonerge Nervenendigung verhalt. Das im Blut anfallende Serotonin stammt, wie schon ausgefuhrt, mehrheitlich aus den enterochromafinen Zellen der Dunndarmwand und ist dort zu ungefahr 95% in den Thrombozyten gespeichert (Sneddon, 1973; Da Prada und Picotti, 1979). Thrombozyten weisen eine Parallelitat zu zentralen serotonergen Neuronen bezuglich biochemischer und pharmakologischer Eigenschaften wie SerotoninAufnahme, -Speicherung und -Freisetzung auf (Sneddon, 1973; Lingjaerde, 1984; Da Prada et al., 1988). Daher wird angenommen, dass Thrombozyten als Modell fur den prasynaptischen Teil serotonerger Neurone dienen konnten (Sneddon,l973; Da Prada et al., 1988), und die SerotoninWiederaufnahme in Thrombozyten und damit auch die SerotoninKonzentration in Blutkompartimenten Aspekte des zentralen serotonergen Stoffwechsels reflektieren konnten (Rao und Fels, 1987; Braunig et al., 1989; Murphy, 1990b). Jedoch mu13 eingeraumt werden, dass mit dem Parameter der Serotonin-Wiederaufnahme in den Thrombozyten viele methodische bestimmten
Schwierigkeiten Abnahme-,
wie
Transport-
z.B. und
Empfindlichkeit
gegenuber
Aufbereitungsbedingungen,
ausgepragte circadiane Rhythmus und Abhangigkeit von der Jahreszeit verbunden sind (Healy et al., 1986; Chiz-Demet et al., 1991; Thies-Flechtner
et al., 1994). Zudem spiegelt die Serotonin-Wiederaufnahme in den Thrombozyten nur einer der vielen Subfunktionen von serotonergen Neuronen wiederspiegeln, namlich die Wiederaufnahme des synaptisch ausgeschutteten Serotonins, was keine Ruckschlusse auf die zentralen Nettoeffekte oder die Hohe der Freisetzung von Serotonin in den synaptischen Spalt erlaubt (Moret und Briley, 1991). Die ahnliche Schlussfolgerung mu13 auch bezuglich aller gegenwartig bei SPECT- und PET-Untersuchungen eingesetzten radioaktiven Liganden wie 13-CIT, ADAM oder DASB getroffen werden, die alle am Serotonintransporter binden und so lediglich eine Aussage uber die metabolische Seite, nicht jedoch uber die synaptische Aktivitat des serotonergen Systems zulassen. Als eine weitere Moglichkeit, Aussagen uber den Funktionszustand des serotonergen Systems zu gewinnen, konnen neuroendokrinologische Tests angesehen werden, bei denen die Ausschuttung von Neurohormone wie Prolaktin und Cortisol im Blut nach Stimulation mit serotonerg wirksamen Substanzen uber den Zeitverlauf gemessen wird. Bisher gebrauchliche Substanzen waren m-Chlorophenylpiperazin (m-CPP) (2.B. Kahn und Wetzler, 1991), Fenfluramin (2.B. Mannel et al., 1997) und Citalopram (2.B. Seifritz et al., 1996). Solche Challenge-Untersuchungen haben jedoch den Nachteil, dass (1) die komplizierten autoregulativen Feedback-Kreislaufe innerhalb des serotonergen Systems und die lnteraktion mit anderen Neurotransmitter-Systemen wie z.B. dem dopaminergen System die Interpretation eines serotonergen "Netto-Effekts" erschweren, (2) gro13e Unterschiede zwischen
akuter
und
chronischer Verabreichung zu
beobachten sind, und (3) Ergebnisse bei gesunden Probanden anders zu werten sind als bei psychiatrischen Patienten, und (4) die benutzten Substanzen keine ausschliefiliche Selektivitat fur das serotonerge System besitzen, bzw. die Freisetzung von Prolaktion und Cortisol auch von anderen Neurotransmitter-Systemen abhangt.
Als ein neuer Marker fur das serotonerge System wird der sog. TryptophanDepletions-Test seit einigen Jahren diskutiert. Hier wird durch das Trinken eines
tryptophanfreien
Aminosaurengemischs ein
vorubergehendes
Absinken der biochemischen Vorstufe des Serotonins, namlich des Plasmatryptophans, erreicht, und es sol1 damit zu einer vorubergehenden Verringerung des zentralen Serotoningehalts kommen (Salomon et al., 1993; Neumeister et al.,
1997). Dadurch kann indirekt uber die
resultierenden Verhaltenseffekte Ruckschlusse uber den Zustand und Beteiligung des serotonergen Systems gezogen werden. Dieser Test ist jedoch nicht nur belastend fur Patienten (Ubelkeit und Erbrechen), sondern auch recht ungenau und schlecht zu steuern. Die von vielen EinflufigrijrJen abhangige komplexe MefigroBe ,,Verhalten6'in diesem Test durfte fur viele psychiatrische
und
psychopharmakologische
Fragestellungen
zu
unspezifisch sein, da z.B. das Wechselspiel mit anderen Neurotransmittern nicht abzuschatzen ist. Offen ist auch noch die Frage, ob die Wirkung des Tryptophan-Depletions-Testtatsachlich uber das serotonerge Systems, bzw. in welchem AusmarJ vermittelt wird (Moore et al., 2000). Die Interpretation diesbezuglicher tierexperimenteller Daten war bisher z.B. durch die gleichzeitige Wirkung der Gabe von SSRls oder Anasthetika eingeschrankt (Bel und Artigas, 1996; Moore et al. 2000). Zudem ist die Anwendung des Tryptophan-Depletions-Test eingeschrankt, da er vor allem nur bei schon behandelten und klinisch gebesserten Patienten des depressiven Spektrums einen Verhaltenseffekt (,,brief clinical relapse") induziert, nicht jedoch irgendwelche Veranderungen bei z.B. gesunden Probanden (Heninger et al., 1996; Reilly et al., 1997; Moore et al., 2000). Somit ist dieser Test auch als ethisch problematisch anzusehen, da bei solchen Patienten zum Teil mit starker Verschlechterung ihres Krankheitsbildes zu rechnen ist. SchlierJlich durfte
der
Tryptophan-Depletions-Test
auch
fur
depressive
Stimmungsanderung unspezifisch sein, da auch die Einnahme anderer Aminosauren-imbalancierten Gemische, d.h. Gemische, bei denen eine
andere essentielle Aminosaure als Tryptophan weg gegelassen wird, zu
Befindlichkeitsanderungen fuhrt (Leyton et al., 1999; Huther und Ruther,
2000). All diesen Challenge-Verfahren ist gemeinsam, dass sie die Reagibiltat und das dynamische Antwortverhalten des serotonergen Systems auf eine definierte Intervention testen. Dies erlaubt jedoch nur indirekte und unsichere
Ruckschlusse
auf
die
unbekannte
Ausgangslage
der
serotonergen Neurotransmission, da das serotonerge System als Ganzes mit all seinen Rebound- und Feedbackphanomenen und seine nicht genau abzuschatzenden
Wechselwirkung
mit
vielen
anderen
Neurotransrnittersysteme durch die jeweilige Stimulation oder Depletion
angestonen wurde.
Wunschenswert ware
daher
eine
dynamische
MengroBe, die zum einen vom jeweiligen Ausman der serotonergen Neurotransmission insgesamt direkt abhangt, aber die selber und deren Meaverfahren nicht wiederum zu Veranderungen in der serotonergen Neurotranmission selber fuhrt, d.h. dass sie als ZielgroBe der Wirkung der serotonergen Systems aunerhalb von diesem liegt. Eine solche Meagrone stellt die Lautstarkeabhangigkeitakustisch evozierter Potentiale (LAAEP) dar. Sie ist ein dynamischer Parameter und ist Ausdruck der Reagibiltat kortikaler Nervenzellen auf die akustische Stimulation mit Tonen unterschiedlicher Lautstarke. Es wird dabei davon ausgegangen, dan die
LAAEP
als
Zielgrone
der
,,Netto"-Wirkung
der
serotonergen
Neurotransmission im akustischen Kortex, in dem sie generiert wird, invers von dem jeweiligem Ausman der serotonergen Aktivitat abhangt: 1st die serotonerge Aktivitat insgesamt gering, ist die LAAEP stark; ist die serotonerge Aktivitat hoch, ist die LAAEP schwach (Hegerl und Juckel, 1993). Die Mengrone der LAAEP ist selber kein Teil des serotonergen Systems, sondern hangt von der jeweiligen Aktivitat des serotonergen Systems ab, und kommt daher ais ein sehr aussichtsreicher lndikator fur den jeweiligen Gesamtzustand der serotonergen Neurotransmission in Frage.
Zudem hat diese Mefigrofie den Vorteil, dafi sie nicht invasiv ist, uberhaupt keine Belastung darstellt, und preiswert und einfach bestimmbar ist. Bevor aber diese inverse Beziehung der LAAEP des akustischen Kortex zur zentralen serotonergen Neurotransmission ausfuhrlich dargestellt wird, sol1 zunachst ein [Jberblick uber die evozierten Potentiale gegeben werden.
1.2 Akustisch evozierte Potentiale Evozierte Potentiale (EP) sind insofern ein vielversprechender Ansatz, als dass sie
Regelhaftigkeiten der
Massenaktivitat kortikaler Neurone
wiederspiegeln (Freeman, 1975) und sowohl von basalen biochemischen als auch von komplexen Hirnfunktionen beeinflufit werden. Mit Hilfe der EP konnen zentrale Prozesse, die sich im Zeitbereich von Millisekunden abspielen, einem Zeitbereich, in dem auch Bewufitseinsvorgange und kognitive Prozesse angesiedelt sind, abgebildet werden. Sie liegen auf einem hoheren Ordnungsniveau als beispielsweise zellphysiologische Prozesse und bilden mit hoher zeitlicher Auflosung Aspekte der Reagiblitat des ZNS auf definierte Ereignisse ab. Dies kann sowohl zustandsabhangige als auch zeitstabile Charakteristika des ZNS betreffen. EP weisen einen klar umrissenen Zeitverlauf nach standardisierten Reizen auf und bieten so in ihrer Regelhaftigkeit einen Vorteil gegenuber dem spontanen Ruhe-EEG, als dafi sie leichter mit ihren basalen biochemischen und physiologischen Entstehungsmechanismenin Verbindung gebracht werden konnen. Auf der anderen Seite weisen EP eine grofiere Nahe zum Verhaltensbereich als beispielsweise
molekularbiologische
Parameter
auf
(Schlaf-Wach-
Dimension, Kognition, Personlichkeitsmerkmale, Psychopathologie). EP sind somit
gut
geeignet,
eine
Brucke
zwischen
Biochemie und
der
Verhaltensebene, wie sie z.B. in der Psychiatrie eine grofie Rolle spielt, zu schlagen.
Evozierte Potentiale sind letztlich der Ausdruck von hirnelektrischen Prozessen, die mit zeitlicher Koppelung vor oder nach bestimmten Ereignissen auftreten. Es handelt sich hierbei in der Regel um sensorische Ereignisse wie z.B. akustische Stimuli. Ein Problem bestand nun darin, die ereignisgekoppelte elektroenzephalographischeAktivitat von der haufig vie1 groaeren, nicht-ereignisgekoppeltenHintergrundaktivitat zu trennen. Mit der Entwicklung der Computer-Technik wurde es moglich, Mittelungstechniken anzuwenden. Durch Mittelung (Averaging) mehrerer ereigniskorrelierter EEG-Segmente (Sweeps) wird eine Verbesserung des Signal-RauschVerhaltnisses erreicht, da sich nach der gangigen Auffassung die nichtereignisgekoppelte Aktivitat der Sweeps gegenseitig aufhebt. So konnen evozierte Potentiale einfach und reliabel aus der Hintergrundaktivitat des spontanen EEGs herausgemittelt werden. Es werden heute VEP (visuell evozierte Potentiale), AEP (akustisch evozierte Potentiale) und SEP (somatosensibel evozierte Potentiale) unterschieden. Da die Methodik der EP-Untersuchung in grol3en [Jbersichtsarbeiten umfassend dargestellt worden ist (Rockstroh et al., 1989; Stohr et al,. 1989), sollen hier nur einige wenige Aspekte dargestellt werden.
1.2.1 Komponenten der akustisch evozierten Potentiale Evozierte Potentiale nach akustischen Stimuli (Hirnstammpotentiale, PI-, N1-, P2-, N2-, P3- Komponenten) sind in Abb. 2 dargestellt. Die Nomenklatur ist uneinheitlich. Von einigen Autoren werden die Potentiale mit P I , N1, P2 usw. ,entsprechend Abb. 2, bezeichnet, von anderen durch Angabe der Polaritat und der Gipfellatenz (2.B. N100, P200).
Abb. 2: Darstellung der hauptsachlichen Komponenten evozierter Potentiale nach akustischer Stimulation.
Fruhe Potentiale der EP mit Latenzen von weniger als 100 ms nach dem Stimulus unterscheiden sich von spaten Potentialen mit Latenzen von mehr als 100 ms dadurch, dass ihre intraindividuelle Varianz zu einem grol3en Teil durch
physikalische
Stimulus-Parameter
wie
Modalitat,
Intensitat,
lnterstimulusintervall etc. erklarbar ist. Die Varianz spater Potentiale ist dagegen besser durch psychologische Konstrukte wie z.B. Aufmerksamkeit, Motivation oder Wachheit sowie den Stimulus-Kontext erklarbar. Fruhe Potentiale wurden auch als exogene, und spate Potentiale als endogene Potentiale bezeichnet. Die Unterscheidung zwischen fruhen und spaten
Potentialen ist jedoch nicht trennscharf und zur Klassifikation der EP wenig geeignet, da z.B. durch Variation der selektiven Aufmerksamkeit bereits deutliche Effekte im Latenzbereich ab 20 ms feststellbar sind (Hillyard et al., 1973). Zudem hangen spate Potentiale wie z.B. die P300 durchaus auch von rein physikalischen Eigenschaften des Ereignisses wie z.B. der Stimulusintensitat oder der sensorischen Modalitat ab (Johnson, 1989; Sugg und Polich, 1995). Zur Parametrisierung der EP werden im einfachsten Fall die Latenzen und Amplituden der
verschiedenen positiven und
negativen
Potentiale
herangezogen. Die Latenz bezeichnet meist die seit dem Ereignis, z.B. dem Reizbeginn, bis zu dem Gipfelpunkt des jeweiligen Potentials verstrichene Zeit. Der Gipfelpunkt eines Potentials wird meist als die Stelle des positivsten bzw. negativsten Potential-Wertes innerhalb eines Zeitfensters definiert. Neben diesen Parametern werden eine Vielzahl weiterer Parameter gewonnen, die sich aus der Struktur und Dynamik der erhobenen Daten ergeben. Beispiele sind hierfur MarJe fur die Variabilitat der ungemittelten EP auf der Ebene der Einzelsweeps, fur die Habituation der EP,
fur
die
Intensitatsabhangigkeit
(beispielsweise
die
Lautstarkeabhangigkeit der AEP (LAAEP)), fur die Amplituden bestimmter Komponenten, fur die Kovarianz (Koharenz) zwischen unterschiedlichen Ableiteorten oder topographische Mal3e. In dieser Arbeit geht es um die LAAEP einer bestimmten Komponente, narnlich der NllP2-Komponente.
1.2.2 Generierende Strukturen und Prozesse der akustisch evozierten Potentiale Fur die Beziehung der EP zu neurochemischen Aspekten ist es entscheidend zu wissen, welche makro- und mikroanatomische Strukturen
und welche physiologischen Prozesse bei der Generierung der EP involviert sind. DIE Z E L L P H Y ~ ~ ~ L EBENE: ~ G ~ ~Die C Heigentlichen E Generatoren der am Skalp ableitbaren
akustischen, visuellen
und
somatosensiblen evozierten
Potentiale sind die palisadenformig angeordneten Pyramidenzellen der Grol3hirnrinde, die damit ein offenes elektrisches Feld bilden. Die eigentlich zu messende Aktivitat ist die Summation von inhibitorisch und exzitatorisch postsynaptischen Potentialen der Pyramidenzellen (IPSP, EPSP), die, bedingt durch den sensorischen Reiz, in afferenten Kreislaufen immer wieder erregt werden (Goff et al., 1980; Creutzfeld, 1983). Bekannt ist auch, dass an der Generierung insbesondere der spaten evozierten Potentiale die lnteraktion von nicht-pyramidalen, vermutlich GABAerge lnterneuronen wie z.6. Sternzellen und pyramidalen Zellen in den Kortex-Schichten Ill, IV und V entscheidend ist, wobei der spezifisch thalamokortikale Input in Schicht IV eintrifft und dann in die eigentlichen Pyramidenzellschichten Ill und V weiterprojeziert wird (Goff et al., 1980; Mitzdorf, 1985 und1988). Dies sei am Beispiel des allgemeinen Modells von Mitzdorf (1985, 1988; siehe auch Abb. 3) erlautert: Die PllNIlP2-Komplex ist demnach eine Mischung aus Typ B (NI) und Typ A (PI, P2). Typ A ist eine EPSP-Aktivierung oberer Pyramidenzellschichten durch schnell leitende spezifische thalamokortikale Afferenzen (Pl-Komponente) oder durch intrakortikale Verschaltungen (P2-Komponente). Typ B ist die gemeinsame Aktivierung von lnterneuronen wie Sternzellen und apikaler Dendriten
tieferer
Pyramidenzellschichten durch
langsam
leitende
spezifische thalamokortikale Afferenzen und intrakortikale tangentiale Verbindungen (N 1-Komponente).
Type:
surface potential:
A
B
v
c
D
- -
Abb. 3: Schematische Darstellung der Generierung evozierter Potentiale aus Mitzdorf (1985, mit freundlicher Genehmigung). Es werden 4 Haupttypen der kortikalen Aktivierung und ihrer jeweiligen Entsprechung im Oberflachen- bzw. Skalppotential unterschieden. Zelltypen, synaptische Kontakte und der StromfluR irn extrazellularen Raum sind eingezeichnet.
Fur AEP konnte gezeigt werden, dal3 die N1- und P2-Komponenten Aktivitat von Pyramidenzellschicht Ill und etwas schwacher von Schicht V wiederspiegelt, die nach initialer Depolarisation der Schicht IV auftritt. Dabei scheint die Schicht IV der Ausgangspunkt aller grol3en intrakortikalen Erregungskreislaufe zu sein, eingeschlossen derjenigen, die evozierte Potentiale generieren (Barth und Di, 1990; Steinschneider et al., 1992). Welche biochemischen Vorgange bei diesen zellphysiologischen Prozessen von Bedeutung sind, ist weitestgehend unbekannt. Es ist anzunehmen, dass es bei Erregung kortikaler Strukturen durch einen z.B. akustischen Stimulus zu einer phasischen Freisetzung von vor allem Neurotransmittern wie Glutamat und GABA kommt, die EPSP und IPSP an den Generatorzellen der EP, den Pyramidenzellen, auslosen. Es wird dabei davon ausgegangen, dass die primare postsynaptische Depolarisation der Pyramidenzellen durch
Glutamat geschieht, und dass dies durch GABAerge inhibitorische lnterneurone und durch monaminerge Fasern moduliert wird (Javitt et al., 1995). Hierbei besitzt GABA im allgemeinen wahrscheinlich einen eher inhibitorischen Effekt auf die evozierten Antworten des akustischen, visuellen und somatosensorischen Kortex (Knight und Brailowsky, 1990; Simpson und Knight, 1993). Die inhibitorische Wirkung von GABA wurde vor allem in infra- und supragranularen Kortexschichten beobachtet (Schroeder et al., 1995; Javitt et al., 1995). Die Effekte von Glutamat auf die EP sind intrakortikal bislang nur unzureichend untersucht worden fanden. NMDARezeptoren vermitteln Exzitation in den oberen Schichten der primaren sensorischen Kortici (Schroeder et al., 1995). Moglicheweise spielen hier Non-NMDA-Rezeptoren eine noch spezifischere Rolle (Javitt et al., 1995). Der Einflun seitens von Neurotransmitter oder Neuromodulatoren wie z.B. Serotonin, Acetylcholin, Neuropeptiden und anderer auf das synaptische Geschehen an den Pyramidenzellen (siehe McCormick und Williamson, 1989) ist bisher nicht systematisch untersucht worden. Die gegenwartigen Auffassungen lassen sich daher in der Weise zusammenfassen, dass am Skalp abgeleitete evozierte Potentiale aus der [Jberlagerung der simultanen Aktivitat mehrerer kortikaler Schichten bestehen,
dass
hierbei
lnteraktionen
zwischen
nicht-pyramidalen
Interneuronen (2.B. Sternzellen in Schicht IV) und Pyramidenzellen in Schicht Ill und V hinsichtlich der Generierung der EP auaerordentlich wichtig sind, und dass die dort in den synaptischen Kontakten ausgelosten EPSP und IPSP die mikrophysiologischen Korrelate der EP darstellen. Die Depolarisation der Pyramidenzellen geschieht durch Glutamat und wird durch GABAerge lnterneurone und monaminerge Fasern moduliert. DIE MAKROANATOMISCHE EBENE:Bezuglich der akustisch evozierten NllP2-
Komponente sind in den letzten 20 Jahren die Kenntnisse uber die generierenden Strukturen auf der makroanatomischen Ebene wesentlich
vermehrt worden (zum ijberblick siehe Wood et al., 1984; Makela und Hari, 1990). Diese Kenntnisse stutzen sich auf die Skalpverteilung der EP, Untersuchungen mit der Magnetenzephalo-graphie (MEG), intrakranielle Ableitungen, Ableitungen nach zerebralen Lasionen, tierexperimentelle Untersuchungen und auf die Dipolquellenanalyse. Die akustisch evozierte NllP2-Komponente wurde anfanglich als Ausdruck der kortikalen Aktivierung durch diffuse, unspezifische thalamokortikale Bahnen angesehen und wegen des modalitatsunspezifischen Auftretens sowie wegen des Maximum am Vertex mit dem vom EEG her bekannten Vertex-Potential in Verbindung gebracht (Goff et al., 1980). Von Vaughan und Ritter (1970) wurde jedoch bereits fruh eine Polaritatsumkehr der NIlP2-Komponente der AEP in Hohe der Sylvi'schen Furche beobachtet und auf Generatoren dieser Komponente im oberen Temporalbereich geschlossen. Durch MEG- Untersuchungen konnte schliel3lich ein vom Latenzbereich her der N1-Komponente entsprechender Stromdipol ermittelt werden, der eine tangentiale Orientierung aufwies und im Bereich des Horkortex lokalisiert war (Hari et al., 1980; Yamamoto et al., 1988). Die am Skalp registrierbare NllP2-Komponente besteht hauptsachlich aus zwei sich uberlappenden Anteilen in jeder Hemisphare. Der eine Teil wird im Planum temporale superior, also dem primaren akustischen Kortex, der andere in den Gyri temporale laterales generiert, d.h. in den sekundaren akustischen Areale.
Dies
ergaben
ubereinstimmend magnetenzephalographische
(Yoshiura et al., 1996), intrakranielle Ableitungen (Liegeois-Chauvel et al., 1994)
und
Lasions-Studien
Elektroenzephalographische
(O'Donnell
Dipolquellenanalysen
et
al., bestatigten
1993). die
Lokalisation der Generatoren der NllP2-Komponente im primaren und sekundaren akustischen Kortex (Scherg und von Cramon 1985, 1990; Tarkka et al., 1995).
1.2.3 Dipolquellenanalyse Unter
Dipolquellenanalyse versteht
man
die
Untersuchung
von
mathematisch errechneten Stromquellen (d.h. Dipole) der am Skalp gemessenen hirnelektrischen Aktivitat wie z.B. der evozierten Potentiale. Voraussetzung fur die Dipolquellenanalyse (zum ljberblick siehe Scherg, 1991) ist ein Kopfmodell, das die geometrischen Gegebenheiten und die Ausbreitung des durch den Stromdipol generierten elektrischen Feldes hinreichend genau abbildet. Als gute Annaherung hat sich ein spharisches 3-Schalen-Kopfmodell erwiesen,
dass das
Gehirn als
eine
Kugel
reprasentiert, die von 3 konzentrischen Schalen (Liquor und Gehirnhaute, Kalotte, Kopfhaut) mit unterschiedlicher Leitfahigkeit umgeben ist (Meijis, 1988). Wenn die Konfiguration der Stromquellen bekannt ist, dann kann mit Hilfe dieses Kopfmodells die Potentialverteilung an der Kopfoberflache errechnet werden. Durch iterative Verfahren und Optimierungsalgorithmen wird versucht, diejenigen Dipolparameter zu finden, die die Skalppotentiale am besten erklaren, indem die Abweichungsquadrate der gemessenen zu den errechneten Potentialen minimiert werden. Der Gefahr lokaler Minima bei dem Optimierungsverfahren kann durch Nutzung von Vorwissen beim Start
der
Optimierung und durch
Vergleich der
Ergebnisse von
verschiedenen Startpunkten verringert werden (Scherg und Berg, 1991). Zu unterscheiden ist, ob im Rahmen des Modells von wandernden oder stationaren Dipolquellen ausgegangen wird (Fender, 1987; Achim et al., 1991). Im ersten Fall werden fur jeden Zeitpunkt neue Dipole mit neuer Lokalisation
errechnet.
Latenzprobleme
und
Derartige
insbesondere
Dipolbestimmung: Fur jeden
wandernde
Dipole
bedingen
Berechnungsprobleme bei
der
Dipol mussen 6 freie Parameter (3
Lokalisationsparameter, 2 Orientierungsparameter in Winkelgraden und die jeweilige Dipolstarke) aus den Skalppotentialen errechnet werden. Unter idealen Bedingungen waren deshalb, wenn von 4 Dipolen ausgegangen wird
(2 pro Hemisphare), mindestens 4x6=24 Ableitekanale zur Berechnung
notig, in der Praxis jedoch - insbesondere wegen des Rauschanteils der Skalppotentiale - bedeutend mehr. Da der lnformationsgewinn bei Erhohung der Kanalzahl oberhalb von 40 Kanalen stark abnimmt, bedeutet dies, dass bei Annahme wandernder Dipole kaum mehr als 2 Dipole pro Zeitpunkt bestimmt werden konnen. Wird demgegenuber von stationare Dipolen ausgegangen, die uber die Zeit ihre Dipolstarke, nicht jedoch ihre Lokalisation und Orientierung andern, so ist die Situation wesentlich gunstiger, da zur Bestimmung der Dipole nicht nur die Skalppotentiale zu einem Zeitpunkt, sondern die Skalppotential-Verlaufe herangezogen werden konnen. Es werden nicht fur jeden Zeitpunkt der Skalppotentiale Dipole errechnet, sondern die Skalppotential-Verlaufe aller Kanale werden reduziert auf Aktivitatsverlaufe einiger weniger Dipole. Dies stellt eine deutliche und physiologisch sinnvoll erscheinende Datenreduktion dar. Dieser zweite Ansatz wurde insbesondere von Michael Scherg entwickelt (Scherg, 1991). Voraussetzung fur diesen Ansatz ist aber neuroanatomisches Wissen und Vorannahmen,
fur
welche
Strukturen
und
EP-Komponenten
die
Dipolquellenanalyse sinnvollerweise eingesetzt werden kann. So ist jeweils zu uberlegen, ob die zu untersuchenden Generatoren von umschriebenen kortikalen Strukturen generiert werden, die durch Dipole gut abgebildet werden konnen, oder ob gronflachige kortikale Bereiche involviert sind, die durch einige wenige Dipole nur unzureichend zu modellieren sind. Wie weiter
oben
beschrieben, fuhrt
ereigniskorrelierte Aktivitat in den
oberflachlichen und tiefen Kortexschichten zu Stromen, die den am Skalp gemessenen
EP
zugrundeliegen.
Aktivitat
eines
umschriebenen
Kortexareals wird im Rahmen der Dipolquellenanalyse durch einen "aquivalenten Dipol", der senkrecht zur Kortexoberflache orientiert ist, reprasentiert.
Modellrechnungen
haben
ergeben,
dass
aktivierte
Kortexflachen, deren Durchmesser kleiner als ihr Abstand zur Elektrode ist, recht gut durch einen aquivalenten Dipol reprasentiert werden konnen. Der
errechnete
Dipol
entspricht dann
Schwierigkeiten treten
aber
dem
auf, wenn
Schwerpunkt das
aktivierte
der
Flache.
Kortexareal
ausgedehnter oder gekrummt ist. Es ist daher sinnvoll, die Dipolquellenanalyse vor allem fur hirnelektrische Prozesse bekannter umschriebener Lokalisation wie fur die akustische NllP2-Komponente einzusetzen. Mit der Dipolquellenanalyse kann die Aktivitat der beiden Generatoren der akustisch evozierten NllP2Komponente in die des primaren akustischen Kortex und in die sekundarer akustischer Areale aufgetrennt werden. Bei den traditionellen SkalpAbleitungen uberlappten sich dagegen die Aktivitaten dieser beiden Generatoren ununterscheidbar, was bei manchen Versuchspersonen als eine sogenante Doppelgipflichkeitzur Darstellung kommt, ein bei der NllP2Komponente von Skalppotentialen haufig auftretendes und intraindividuell recht stabiles
Phanomen (Naatanen und
Picton, 1987). Mit der
Dipolquellenanalyse (Brain Electric Source Analysis, BESA) konnte also ijberzeugend gezeigt werden, da13 die akustisch evozierte NllP2Komponente im wesentlichen aus der Aktivitat zweier Generatoren im Bereich des Gyrus temporale superior besteht (Scherg und von Cramon, 1985, 1990). Die Skalppotentialverteilung im Zeitbereich der NllP2Komponente kann durch zwei Stromdipole pro Hemisphare mit geringer Restvarianz erklart werden: (1) Der eine Dipol ist im Bereich der Heschl'schen Querwindungen (primarer akustischer Kortex) lokalisiert und ist tangential orientiert, d.h. vertikal zum Planum temporale. (2) Der andere Dipol ist im lateralen Teil des Gyrus temporale superior (sekundare akustische Areale) lokalisiert und radial orientiert, d.h. horizontal zum Planum temporale (Abb. 4). Damit steht mit der Dipolquellenanalyseeine Methode zur Verfugung, die es erlaubt, die beiden Generatoren der NllP2-Komponente auf eine nicht-
invasiv Weise voneinander getrennt und damit die LAAEP des primaren und sekundaren akustischen Kortex unabhangig voneinander zu untersuchen.
Abb. 4: Dipolquellenanalyse mit BESA anhand der AEP-Daten von gesunden
Probanden. Mit 2 Dipolen pro Hemisphere kann mehr als 98% der Varianz der Skalppotentiale im Zeitbereich der NllP2-Komponente erklart werden. Der Hauptteil der Varianz wird durch die tangentialen Dipole (1 und 2) erklart, die im Bereich der Heschl'schen Querwindung (prirnarer akustischer Kortex) lokalisiert sind. Die Dipolquellenpotentiale der radialen Dipole (3 und 4) sind kleiner, und die NllP2Komponente hat eine Iangere Latenz als die der tangentialen Dipole. Die radialen Dipole sind in den lateralen und tiefen Abschnitten des Gyrus temporalis superior lokalisiert (sekundare akustische Kortici).
1.3 Lautstarkeabhangigkeit akustisch evozierter Potentaile (LAAEP) Bei der LAAEP handelt es sich um die physiologische Eigenschaft des akustischen Kortex wie die der anderen sensorischen Kortici, bei ansteigender Stimulusintensitat mit Reizantworten veranderter Starke zu reagieren. Dieses Antwortverhalten stellt sich in der Veranderung der Arnplitudengrol3e
der
evozierten
Potentiale
als
Antwort
auf
die
unterschiedlich starke Stimulusintensitat dar (Abb. 5). So wurden fur die AEP ubereinstimmend gefunden, dass mit ansteigender Lautstarke der Stimuli die Amplituden von Komponenten im mittleren und Iangeren Latenzbereich zunehmen (Picton et al., 1977; Adler und Adler, 1989).
Abb. 5: Mit steigender Stimulusintensitat von 58 bis 88 dB SPL nimmt die GroRe der NIlP2-Amplitude zu.
Jedoch zeigt die Abhangigkeit der sensorisch evozierten Potentiale von der Stimulusintensitat (sog. Intensitatsabhangigkeit, wobei die der akustischen Modalitat die LAAEP ist) eine auffallend hohe individuelle Variablitat (Schechter und Buchsbaum, 1973). Solche individuellen Unterschiede in der Intensitatsabhangigkeit spater sensorisch evozierter Potentiale wurden anfanglich
mit
"augmenting"
(Amplitudenzunahme
mit
ansteigender
Stimulusintensitat) oder als "reducing" (Amplitudenabnahme oder keine Amplitudenanderung mit
ansteigender
Stimulusintensitat) bezeichnet
(Buchsbaum und Pfefferbaum, 1971).
1.3.1 Augmenting-Reducing-Konzept der LAAEP Fur die Theoriebildung dieses Jugmentig-Reducing6'-Konzept war der Gedanke leitend, dass die AugmenterIReducer-Charakteristik Ausdruck eines zentralen Regelmechanismus ist, der
den
Organismus vor
sensorischer Uber- bzw. Unterstimulation schutzt (Buchsbaum, 1976; von Knorring et al., 1978). Eine Reducer-Charakteristik wurde demnach als Ausdruck eines protektiven Regelmechanismus angesehen, der -in Anlehnung an das Pavlov'sche Konzept der "transmarginalen Hemmungndas Nervensystem vor Uberstimulation durch intensive Reize schutzt. Bei lndividuen mit Augmenter-Charakteristik liegt die Schwelle fur das Einsetzen der "transmarginalen Hemmung" hoher, so dass eine Zunahme der Reizintensitat auch im oberen Intensitatsbereich zu einer Zunahme der neuronalen Antwort fuhrt (Davis et al., 1983; Stenberg et al., 1990). Das von Buchsbaum et al. (1983) und von Knorring et al. (1978) im Wesentlichen vertretene AugmentingIReducing-Konzept ist jedoch aus einer Reihe von Grunden kritisiert worden: (1) AugmentingIReducing ist ursprunglich ein von Petrie (1960) entwickeltes Konzept, das verwendet wurde, um Personen nach der Art ihrer
kinasthetischen Nacheffekte zu klassifizieren. Die ijbernahme dieses Konzeptes fur evozierte Potentiale stiftete Verwirrung, da psychosensorisches
AugmentingIReducing
und
elektrophysiologisches
AugmentingIReducing nicht, wie von Buchsbaum angenommen, etwas Gemeinsames, sondern offensichtlich Verschiedenes abbildeten (Davis et al., 1983). (2) Die ursprungliche Annahme, da8 AugmentingIReducing eine fur alle Sinnesmodalitaten in gleicher Weise zutreffende, nicht-spezifische zentrale Charakteristik ist, konnte nicht bestatigt werden (Blenner und Yingling, 1993). Der Grund fur die schlechten "cross-modalityw-Korrelationendurfte darin liegen, dass am Vertex (gegen verbundene Mastoid-Elektroden) bei AEP aufgrund der anatomischen Lage des primaren Horkortex im Temporallappen vor allem Aktivitat des primaren akustischen Kortex abgeleitet wird,
bei VEP aber Aktivitat sekundarer, unspezifischer
zentroparietaler Areale (Scherg et al., 1989). Es ist zu vermuten, dass sich die Intensitatsabhangigkeit primarer und sekundarer sensorischer KortexAreale unterscheidet. (3) Aufgrund der von Buchsbaum und Pfefferbaum (1971) beschriebenen bimodalen Haufigkeitsverteilung der Intensitatsabhangigkeit der VEP wurde ursprunglich AugmentingIReducing als ein dichotomes Merkmal betrachtet. Diese bimodale Haufigkeitsverteilung lie8 sich in anderen Arbeiten jedoch nicht bestatigen (Buchsbaum et al., 1983). (4) Daneben wurde eine Vielzahl methodischer Einwande gegenuber dem
AugmentingIReducing-Konzept erhoben (Connolly und Gruzelier, 1982alb). Aufgrund
mangelnder
Standardisierung wurden
oft
unterschiedliche
Ableiteorte verwendet und somit unterschiedliche Ergebnisse hinsichtlich der AugmenterlReducer-Charakteristik gefunden. So wurde zwischen zentralen Elektroden wie Cz und Elektroden, die direkt uber den jeweiligen
sensorischen
Arealen
(VEP:
Oz;
AEP:
T3/T4),
hinsichtlich
der
Intensitatsabhangigkeit intraindividuell wenig Ubereinstimmung gefunden. Viele Studien unterscheiden sich auch hinsichtlich des benutzten Bereichs der Stimulusintensitaten und anderer Stimulusparameter. Daruberhinaus wurde
auch
die
Parametrisierung
der
Lautstarke-,
bzw.
Intensitatsabhangigkeitkritisiert.
1.3.2 Gegenwartige Auffassung der LAAEP Die Kritik des alten Augmenting-Reducing-Konzept fuhrte zur Entwicklung neuer methodischer Standards und Auswerteverfahren, die eine verbesserte Ableitung und Auswertung der LAAEP bedingen:
(1) Da die LAAEP offenbar kein dichotomes Merkmal darstellt, wird in neueren Studien auf eine Einteilung in Augmenter und Reducer verzichtet. So wird die Lautstarke- und Intensitatsabhangigkeit evozierter Potentiale heutzutage als eine kontinuierliche Variable gehandhabt. So bezeichnet eine starke
Abhangigkeit
der
evozierten
Potentialamplituden von
der
Stimulusintensitat,z.B. von der Tonlautstarke, eine starke Veranderung, d.h. starke Zunahme der Amplituden mit Zunahme der Lautstarke. Eine schwache Lautstarkeabhangigkeit bezeichnet dagegen nur eine schwache Anderung
der
Amplituden,
sprich
nur
eine
geringe
oder
keine
Amplitudenzunahme mit zunehmender Lautstarke. Somit zeigt die jeweilige Starke, mit der die Amplituden von der Stimulusintensitat abhangen, d.h. wie stark oder schwach die Amplituden auf die Anderung der Stimulusintensitat reagieren, das Ausmal3 der einer starken oder schwachen Reagibilitat der die EP generierenden kortikalen Neuronenverbande auf Veranderung der Stimulusintensitat an.
(2) Die von Buchsbaum und Pfefferbaum (1971) propagierte Least-Square-
Technik,
die
als
Ma8 der
LAAEP die
Steigung einer einfache
Regressionsgrade durch die Amplitudenwerte zu den verschiedenen Intensitatsstufen ermittelt (Abb. 6), wurde wegen der Nonlinearitat der Intensitatsfunktion kritisiert (Connolly und Gruzelier, 1982alb). So ist z.B. oft ein leichtes Amplitudenplateau im mittleren Intensitatsbereich zu finden (Abb. 6), dem eine Regressionsgrade nur eingeschrankt Rechnung tragen kann. Um solchen Phanomenen gerecht zu werden und den Einflu8 von Extremwerten zu minimieren, wurde hierzu als eine Alternative der "MedianSlope"
vorgeschlagen,
wobei
der
Median
aller
Steigungen von
Regressionsgraden zwischen den einzelnen Amplitudenwerten zu den verschiedenen Intensitatsstufen bestimmt und als Ma8 fur die LAAEP verwendet wird (Hegerl et al., 1994).
Abb. 6: Zur Bestimmung der LAAEP wurde in der Regel eine Regressionsgrade
durch die zu den einzelnen Intensitatsstufengewonnenen Arnplituden-Werten gelegt (Least-Square-Technik). Lautstarkeabhangigkeit.
Die
Steigung
dieser
Graden
ist
das
MaR
der
(3) AuBerdem bietet die Verwendung lediglich der akustische Modalitat eine Reihe von Vorteilen. AEP sind methodisch einfacher, und im Vergleich mit der visuellen Modalitat ist hier das Problem mit okularen Artefakten weniger gegeben. Zudem sind die wesentlichen generierenden Strukturen der akustisch evozierten NllP2-Komponente inzwischen gut bekannt (siehe 1.2.2), so dass hier die Situation fur die physiologische Interpretation der Befunde gunstiger ist. AuBerdem steht nunmehr mit der Dipolquellenanalyse unter Nutzung der Information aus vielen Elektroden eine vielversprechende Methode zur Verfugung,
die LAAEP der beiden sich am Skalp
uberlappenden Generatoren der NllP2-Komponente der AEP im Bereich des primaren und sekundaren akustischen Kortex getrennt voneinander zu untersuchen. Hiermit wird nicht nur die physiologische lnterpretierbarkeit der Daten verbessert, sondern auch ihre Reliabilitat. So fanden Hegerl et al. (1988) in einer Studie mit 33 gesunden Probanden bei der Analyse herkommlicher Skalppotentiale bei der Untersuchung nach 3 Wochen eine Test-Retest-Reliabilitat fur die LAAEP vom Ableiteort Cz von r=0.74. Mithilfe
der Dipolquellenanlyse wurde dagegen bei 36 gesunden Probanden bei erneuter Untersuchung nach 3 Wochen eine Test-Restest-Reliablilitat von r=0.91 fur die LAAEP des tangentialen Dipols (primarer akustischer Kortex) gefunden (Hegerl et al., 1994). Ein ahnlich gutes Ergebnis mit r=0.88 fur die LAAEP des tangentialen Dipol fand Carrillo de la Pena (2001) bei 21 gesunden Probanden sogar bei einem Retest nach einem Jahr. Diese methodischen Verbesserungen erhohten in der Folge die klinische Bedeutung der LAAEP fur die psychiatrische Forschung hinsichtlich der biologischen
Charakterisierung
von
Gruppen
und
Untergruppen
psychiatrischer Patienten und den Bezug zu neurochemischen Aspekten. Diese Bedeutung ergab sich aus den vielfaltigen Beziehungen der LAAEP und der Intensitatsabhangigkeit der VEP zu Personlichkeitsmerkmalen, diagnostischen
Kategorien,
pradiktiven
Aspekten
medikamentoser
Behandlung, psychophysikalischen und biochemischen Variablen (zum
[Jberblick siehe von Knorring et al., 1978; Hegerl und Herrmann 1990; Carrillo de la Pena, 1992). Die Bedeutung der LAAEP und der Intensitatsabhangigkeit der VEP als ein verlaf3licher biologischer Parameter ergab sich auch daraus, dass diese elektrophysiologischen Phanomene intraindividuell recht stabil stabil sind (Buchsbaum und Pfefferbaum, 1971; von Knorring et al., 1978). So fanden sich auch erste Hinweise auf eine genetische Determiniertheit (Siegel und Driscoll, 1996; Sandor et al., 1999).
1.3.3 EinflussgroRen auf die LAAEP Der EinfluI.3 von Kovariablen auf die LAAEP ist bisher nur unzureichend und mit widerspruchlichen Ergebnissen untersucht worden. Hegerl et al. (1988) fanden bei gesunden Probanden fur die LAAEP keinen Effekt von Alter, Geschlecht oder Tageszeit der Ableitung. Dies wurde unter Nutzung der Dipolquellenanalyse bestatigt, jedoch
wurde
hierbei eine
negative
Korrelation der LAAEP des tangentialen Dipols zum Alter der Probanden mit schwacherer LAAEP mit zunehmendem Alter gefunden (Hegerl et al., 1994). In einigen Studien zur Intensitatsabhangigkeitder VEP wurde eine starkere Intensitatsabhangigkeitfur Frauen als fur Manner beschrieben (Buchsbaum und Pfefferbaum, 1971; Buchsbaum et al., 1974), in einer fruheren Studie wurde jedoch das Gegenteil gefunden (Buchsbaum und Silverman, 1968). Jungere Probanden zeigten eine starkere Intensitatsabhangigkeit als altere Probanden (Buchsbaum et al., 1974). Dies gilt fur das Erwachsenenalter, nicht aber fur Kindheit und Jugend (Dustman et al., 1982; Cohn et al., 1985). Hinsichtlich
der
Alters-
und
Geschlechtseinflusse
auf
die
Intensitatsabhangigkeit wurden jedoch auch negative oder gegenteilige Ergebnisse berichtet (von Knorring et al., 1978; Buchsbaum et al., 1983; Lafont et al., 1989).
Die Handigkeit der Probanden scheint keine Rolle hinsichtlich der Intensitatsabhangigkeit der VEP zu spielen (Buchsbaum und Pfefferbaum, 1971). Hemispharale Asymmetrien der Intensitatsabhangigkeitder VEP und AEP wurden in einer Arbeit beschrieben (Lolas et al., 1987), in einer anderen jedoch nicht (Buchsbaum und Pfefferbaum, 1971). Der Einflua von einigen unspezifischen, vom Zustand der Versuchsperson abhangigen Faktoren auf die Intensitatsabhangigkeit der VEP und der LAAEP ist beschrieben worden. So beeinflusst "Aufmerksamkeit" nachhaltig die Intensitatsabhangigkeitder VEP und die LAAEP (Baribeau et al., 1988; Stenberg et al., 1990). Dabei kann es sich um gerichtete Aufmerksamkeit oder Nachlassen von Aufmerksamkeit handeln. Ein kognitiver Vorgang wie ,,Aufmerksamkeit" ist nur schwer standardisiert erfanbar und wahrend der Ableiteprozedur nicht vollstandig kontrollierbar. Fixation der Augen auf einen Punkt bei einer moglichst kurzen Ableitedauer hat sich erfahrungsgemal3 als gunstig herausgestellt, Vigilanz und ,,Aufmerksamkeit" einigermanen zu stabilisieren. Habituationsphanomene der Imtensitasabhangigkeit der VEP und der LAAEP wurden vor allem bei den ersten Stimulusantworten nach Beginn der Stimulation beobachtet (Buchsbaum und Pfefferbaum, 1971; Lutzenberger et al.,
1980). Langerdauernde Habituationsphanomene
wahrend der Ableitedauer wurden nicht gefunden.
1.3.4 Neurobiologische Grundlagen der LAAEP Hinsichtlich der neurobiologischen Grundlagen oder Prozesse, die zu den ausgepragten individuellen Unterschieden bei der LAAEP (Abb. 7) fuhren, ist bislang wenig bekannt. lndividuelle Unterschiede der LAAEP scheinen von Unterschieden in kortikalen Mechanismen, die in der Generierung spater AEP-Komponenten beteiligt sind, herzuruhren, da diese individuellen Auspragungen der LAAEP in keinster Weise mit peripheren, thalamischen
oder anderen subkortikalen Anderungen der dort evozierten Aktivitat mit Anstieg der Stimulusintensitat einhergehen (Lukas, 1987; Siegel et al., 1996).
Abb. 7 : Manche Probanden weisen eine starke Zunahme der AEP- Amplitude mit Zunahme der Tonlautstarke auf (starke LAAEP, unten), bei anderen kommt es dagegen zu fast keiner oder nur geringen Zunahmen dieser Amplituden (schwache LAAEP, oben).
Von verschiedenen Autoren wurde daher angenommen, dass individuelle Unterschiede in der kortikaler Reagibilitat gegenuber eintreffenden Stimuli unterschiedlicher
Intensitat
von
einer
individuell
unterschiedlichen
Aktivierung kortikaler Areale, bzw. Modulation kortikaler Prozesse seitens sogenannter unspezifischer Systeme
aus
dem
subkortikalen
bzw.
Hirnstamm-Bereich verursacht werden (Jutai et al., 1984a; Bruneau et al., 1993). Aussichtsreiche Kandidaten fur diese sogenannte unspezifische Modulation der LAAEP sind die extrathalamischen monaminergen Systeme wie z.B. das serotonerge System, deren Projektionsbahnenvom Hirnstamm zum Kortex ziehen (Foote und Morrison, 1987; Morrison und Hof, 1992). Dies wird noch aus einer anderen ijberlegung verstandlich. Wie schon oben angedeutet, durfte die Grol3e der Amplitude sensorisch evozierter Potentiale von der durch den Stimulus ausgelosten phasischen Freisetzung der Neurotransmitter Glutamat
und GABA abhangen.
Die Starke der
Lautstarkeabhangigkeit dieser Amplitude, die die globale Reagibilitat kortikaler Neurone auf eintreffende Stimuli mit unterschiedlicher Lautstarke wiederspiegelt, wird dagegen eher von der Aktivitat von Neuromodulatoren wie z.B. Serotonin abhangen, die in einer fonischen Weise gleichbleibend und langandauernd diese Reagibilitat beeinflussen und bestimmen. Zusammenfassend lal3t sich also sagen, dass die Lautstarkeabhangigkeit der akustisch evozierten NllP2-Komponente eine gut untersuchte und reliable Variable ist, die eine individuelle Charakteristik sensorischer Verarbeitung
im
akustischen
Kortex
wiederspiegelt.
Mithilfe
der
Dipolquellenanalyse ist es moglich, die LAAEP des primaren und des sekundaren akustischen Kortex (tangentialer und radialer Dipol) getrennt zu untersuchen. Die Auspragung dieser individuellen Charakteristik hangt vermutlich von der jeweiligen Starke der serotonergen Innervation des akustischen Kortex ab.
1.4. Serotonerges System und akustischer Kortex Nervenfasern, die Serotonin enthalten, einem der, wenn nicht der onto- und phylogenetisch alteste Neurotransmitter des Nervensystems (Steinbusch et at., 1990), gehoren zu den monaminergen allgemein aktivierenden Systemen, die Aktivitat in den meisten kortikalen und subkortikalen Regionen direkt ohne Beteiligung thalamischer Kerne modulieren (Foote und Morrison, 1987). Diese allgemein aktivierenden Systeme bilden einen wesentlichen Teil der altbekannten Struktur der Formatio reticularis (Aghajanian und VanderMaelen, 1986). Die hochsten Konzentrationen von Serotonin, seiner Prekursor und Abbauprodukte und seine hochsten Syntheseraten wurden in solchen Kortexregionen gefunden, die die starkste Auspragung von Schichten mit granularen Zellen aufweisen. Dies sind die primaren sensorischen Kortices und im besonderen Mal3e der primare akustische Kortex im oberen Temporallappen (Brown et al., 1979; Takeuchi und Sano, 1983; Azmitia und Gannon, 1986; Mulligan und Tork, 1988; Rouiller et al., 1989). Beim Ubergang vom primaren zum sekundaren akustischen und visuellen Kortex wurde eine deutliche Abnahme der serotonergen Innervation gefunden (Takeuchi und Sano, 1983; Lewis et al., 1986).
Dieses
serotonerge
lnnervationsmuster
der
sensorischen
Kortexareale bleibt uber die Lebenszeit des lndividuums aufierst stabil (Goldman-Rakic und Brown, 1981; Steinbusch et al., 1990). Die serotonerge Hauptinnervation des akustischen Kortex erfolgt in erster Linie durch axonale Endigungen serotonerger Neurone aus dem im Hirnstamm liegenden Nucleus raphe dorsalis (Mulligan und Tork, 1988; Wilson und Molliver, 1991a). lnteressanterweise fanden Azmitia und Segal (1978) eine direkte Projektionsbahn des Raphe dorsalis zum temporalen Kortex. Der Raphe dorsalis ist, wie schon ausgefuhrt, die Hirnstruktur mit den meisten serotonergen Nervenzellen (Jacobs et al.,
1984). Die
Projektionsbahnen zum Kortex sind im Raphe dorsalis topographisch
geordnet (Wilson und Molliver, 1991a). Schicht IV, die den grofiten Anteil des spezifisch sensorischen thalamokortikalen Inputs erhalt (Zilles, 1990; Pandya und Rosene, 1993), ist von allen Kortexschichten am dichtesten serotonerg innerviert (Takeuchi und Sano, 1983; Lewis et al., 1986). Hierbei handelt es vor allem um dunne feinvarikose Axonendigungen aus dem Nucleus raphe dorsalis (Wilson und Molliver 1991alb). Bezuglich der Serotonin-Rezeptoren wurde gefunden, dass Schicht IV des primaren akustischen Kortex die hochsten Konzentrationen von 5-HT2- und 5-HT,, Bindungsstellen aufweist (Pazos et al., 1987alb; Lidow et al., 1989). lnsbesondere 5-HT2-Rezeptoren wurden in Assoziation mit den Fasern aus dem Raphe dorsalis gefunden (Wilson und Molliver, 1991b). Aus der Tatsache, dass die Projektionsbahnen aus dem Nucleus raphe dorsalis eine selektive Ordnung sowohl in ihrem Ursprungkern als auch in ihrer terminalen kortikalen Axonverteilung zeigen, wurde gefolgert, dass sie eine Rolle in der Koordination neuronaler Erregbarkeit von funktional verbundenen kortikalen Strukturen spielt, so z.B. in der Koordination der Aktivitat der lnterneurone von Schicht IV mit der in den Pyramidenzell-Schichten IIIIII und V (Wilson und Molliver, 1991a; Dilts und Boadle-Biber, 1995).
1.4.1 Serotonerge Modulation der LAAEP Aus den bisherigen Ausfuhrungen geht hervor, dass das serotonerge System gut geeignet zu sein scheint, in einer allgemein regulatorischen und tonischen Weise
die
kortikale Verarbeitung des
thalamokortikalen
sensorischen Inputs der Schicht IV insbesondere im primaren akustischen Kortex zu modulieren. Die folgenden Argumente legen die Vorstellung nahe, dass ein individuell unterschiedlicher Auspragungsgrad der serotonergen Neurotransmission durch eine unterschiedliche Beeinflussung der kortikalen Reagibilitat eine unterschiedliche Verarbeitung von akustischen Stimuli verschiedener Lautstarke im primaren akustischen Kortex und damit eine
unterschiedliche Lautstarkeabhangigkeit der akustisch evozierte NllP2Komponente nach sich zieht. Vorallem aufgrund der Befunde, dass der akustische Kortex besonders dicht serotonerg innerviert ist, ist es gut vorstellbar, dass unterschiedliche individuelle
Auspragungen
dieser
serotonergen
lnnervation
zu
Unterschieden in der LAAEP fuhren. So wurde nach der Gabe von einer Serotonin entleerenden Substanz (PCPA) und einem Serotoninagonisten (Buspiron) eine Veranderung spater AEP bei Versuchstieren, insbesondere eine Zunahme der LAAEP gefunden (Ehlers et al., 1991; O'Connor et al., 1992). Zudem wurde gefunden, dass die NllP2-Komponente der AEP eine negative Korrelation zu dem Gehalt an Serotonin im akustischen Kortex bei Ratten aufweist (Manjarrez et al., 2001). Da es beim ljbergang vom primaren zum sekundaren akustischen Kortex zu einer starken Abnahme der Dichte der serotonergen lnnervation kommt, ist es zu erwarten, dass sich serotonerg modulierende Effekte eher in der LAAEP des primaren akustischen Kortex wiederspiegeln, und dass sich die LAAEP der evozierten Antworten vom primaren akustischen Kortex von der des sekundaren akustischen Kortex unterscheidet. Einen ersten Hinweis, dass die Lautstarkeabhangigkeit der evozierten Antworten des primaren akustischen Kortex eher serotonerg modulierende Effekte wiederspiegelt als die des sekundaren, bietet der Befund von Hegerl et al. (1995a), dass nur die LAAEP des primaren akustischen Kortex (tangentialer Dipol) und nicht die des sekundaren akustischen Kortex (radialer Dipol) eine signifikante Beziehung zum Personlichkeitsmerkmal "Sensation Seeking", das durch eine niedrige serotonerge Aktiviat gekennzeichnet ist, aufweist. Zum anderen stutzten weitere Studien die Annahme, dass die LAAEP sich zwischen dem primaren und sekundaren akustischen Kortex unterscheidet (Connolly und Gruzelier, 1982a; Pineda 1991, Carrillo de la Pena, 1999): So wurde eine starkere LAAEP uber den Mittellinien-Elektroden, die vor allem
Aktivitat des primaren akustischen Kortex auffangen, als uber temporalen Elektroden gefunden, die die Aktivitat sekundarer Areale ableiten. Dies weist auf eine unterschiedliche Intensitatsfunktion der beiden Generatoren der akustisch evozierten NllP2-Komponente im primaren und sekundaren akustischen Kortex hin, was Ausdruck der unterschiedlichen serotonergen Innervation dieser beiden Kortexareale sein konnte. Die Schicht IV des primaren akustischen Kortex, in der der grol3te Teil des spezifisch sensorischen Inputs aus dem Thalamus eintrifft, ist im Vergleich zu den anderen Kortex-Schichten extrem dicht durch Serotonin enthaltende Fasern innerviert. Die besondere Rolle von Schicht IV ergibt sich auch daraus,
dass
sie
eine
wichtige
Rolle
in
den
intrakortikalen
Verbindungskreislaufe des akustischen Kortex spielt (Wallace et al., 1991), also nicht nur subkortikalen Input erhalt, sondern auch als eine Art "Nadelohr" zentral in die weitere akustische Verarbeitung eingeschaltet ist. Morrison et al. (1982) kommen zu dem Schlul3, dass sich die serotonergen Projektionsbahnen in dem primaren akustischen Kortex somit in einer Position befanden, die lnformationsverarbeitung in einem recht fruhen Stadium zu modulieren. Als weiteren Hinweis fur die Bedeutung der Schicht IV kann angefuhrt werden, dass McCormick und Williamson (1989) den starksten modulierenden Einflul3 von Serotonin in den mittleren KortexSchichten gefunden haben. Wie schon bereits ausgefuhrt wurde, konnte in Untersuchungen mit Mikroelektroden gezeigt werden, dass die Schicht IV in der Generierung sensorisch evozierter Potentiale eine Schlusselstellung einnimmt. In Schicht IV, eine Schicht mit Zwischen- oder Interneuronen wie z.B. den Sternzellen, die zu den Pyramidenzell-Schichten Ill und V weiterprojiziert, den eigentlichen Generatoren der am Skalp zu messenden Potentiale, liegt der Beginn aller gronen intrakortikalen Ablaufe, wozu auch diejenigen gehoren, die die spaten evozierten Potentiale und die LAAEP generieren (Vaughan und Arezzo, 1988; Mitzdorf, 1988). lnteressanterweise fuhrte die Gabe des hochselektiven 5-HT,-Antagonisten Ketanserin zu einer
Vergronerung der evozierten Amplituden in den mittleren Schichten des primaren visuellen Kortex (Mitzdorf, personliche Mitteilung). Die serotonerge tonisch modulierende Innervation kortikaler Strukturen besitzt offenbar die Funktion, den Grad der neuronalen Exzitabilitat mit den jeweiligen Bedingungen vor allem des Schlaf-Wach-Rhythmus abzustimmen und auf einem Niveau konstant zu halten (Jacobs und Azmitia, 1992). lnsofern kann man sagen, daB Serotonin die kortikale sensorische Verarbeitung vermutlich wie ein ,,sensorischer Filter" reguliert. Auf diesem durch das serotonerge System "voreingestellten" Niveau der neuronalen Reagibilitat findet, hervorgerufen durch den sensorischen Input in den akustischen Kortex, die phasische Freisetzung von Glutamat und GABA statt, die sich in der Grol3e der AEP-Amplituden wiederspiegeln durfte. Die neuronale Voreinstellung oder die Reagibilitat der kortikalen Zellen zu Tonen unterschiedlicher Lautstarke, d.h. in welchem Ausmal3 die Zelle als Antwort darauf zu feuern vermag, kommt dagegen durch die LAAEP zum Ausdruck.
1.4.2 Inverse Beziehung der serotonergen Aktivitat zur LAAEP Aus der Literaturlage lassen sich verschiedene Hinweise ableiten, dass die serotonerge Aktivitat in einer inversen Beziehung zur LAAEP steht, d.h.
Abb. 8: 1st die Feuerrate der serotonergen Neurone in den Raphe-Kerne hoch, so ist die LAAEP im primaren akustischen Kortex schwach, ist die Feuerrate der serotonergen Neurone jedoch niedrig, so ist die LAAEP stark.
dass eine starke LAAEP des primaren akustischen Kortex mit einer niedrigen serotonergen Neurotransmission einhergeht und umgekehrt (Abb. 8). Vor allem pharmakologische Untersuchungen mit serotoninagonistischen
Substanzen, auf die im folgenden naher eingegangen werden soll, legen diese Beziehung zwischen serotonerger Aktivitat und LAAEP nahe: So fuhrte die einmalige Gabe von Dexfenfluramin, das sowohl die SerotoninWiederaufnahme hemmt als auch eine Entleerung von Serotonin aus seinen Speichervesikeln bewirkt, zu einer signifikanten Abnahme der LAAEP bei gesunden Probanden und symptomfreien Patienten mit Migraneattacken, da es vermutlich akut zu einer vermehrten synaptischen Verfugbarkeit von Serotonin kam (Proietti-Cecchini et al., 1997). Gezeigt werden konnte auch, dass
nach
mehrmalige
Gabe
des
SSRls
Zimelidin
die
Intensitatsabhangigkeit der visuell evozierten NllP2-Komponente bei Patienten mit chronischen Schmerzsyndromen als auch bei gesunden Probanden abnimmt (von Knorring et al., 1980; von Knorring, 1982). Triptane wie Zolmifriptan oder Naratriptan sind Agonisten am terminalen 5HTIB-Autorezeptor und fuhren bei einmaliger Gabe folglich zu einer Abnahme der Feuerrate serotonerger Neurone sowie der synaptischen Serotoninfreisetzung. Die einmalige Gabe von Zolmitriptan und von Naratriptan fuhrte zu einer Zunahme der LAAEP bei gesunden Probanden und symptomfreien Patienten mit Migraneattacken (Proietti-Cecchini et al., 1997, Roon et al., 1999). Lithium besitzt eine serotoninagonistische Wirkung besonders auf der prasynaptischen Seite (Muller-Oerlinghausen, 1985; Odagaki et al., 1992). Lithium fuhrt bei einer mindestens zweiwochig wahrenden Gabe zu einer Abnahme der Intensitatsabhangigkeit der VEP und
der
LAAEP
bei
Patienten
mit
affektiven
Storungen
und
Alkoholabhangigkeit (Buchsbaum et al. 1971, Hubbard et al. 1980, Juckel 2001). Pritchard et al. (1986) fanden, dafi Phenytoin, dem eine serotoninagonistische Wirkung zugeschrieben wird, die Intensitatsabhangigkeit der VEP gesunder Probanden signifikant reduziert. Nikotin fuhrt -neben anderen
Effekten- in kurzester Zeit zu einer Zunahme der Serotonin-Freisetzung im Kortex und in anderen Hirnstrukturen (Ribeiro et al., 1993). Dem entspricht, dass die Intensitatsabhangigkeit der VEP nach akutem Genun einer Zigarette abnimmt
(Hall et
Amphetaminderivate Nervenzellen; es
eine fuhrt
al.,
1973). Ecstasy hat wie
neurotoxische zu
einer
Wirkung
auf
Degeneration der
andere
serotonerge serotonergen
Nervenendigungen und Axone und damit zu einer starken Abnahme von Serotonin in den terminalen Hirnregionen (Molliver et al., 1990; Colado et al., 1999). [Jbereinstimmend damit fanden Tuchtenhagen et al. (2000) eine starkere LAAEP des tangentialen Dipols bei chronischen Ecstasy-Benutzern gegenuber gesunden Kontrollenpersonen oder Personen mit langjahrigem Cannabis-Gebrauch. Dieser Befund konnte von Croft et al. (2001) repliziert werden. Hinweise fur die inverse Beziehung von LAAEP und serotonerger Aktivitat lassen sich auch aus Untersuchungen an Patienten mit unterschiedlichen neuropsychiatrischen
Erkrankungen,
bei
denen
eine
serotonerge
Dysfunktion vermutet wird, ableiten: Depression/Somatisierungsstorung: Klassischerweise diskutiert man bis
heute die sog. Serotoninmangel-Hypothese der Depressionsentstehung (Coppen, 1967), die durch eine Vielzahl von Untersuchungen gut belegt ist (z.B. Mann et al., 1996; Bremner et al., 1997). In einer kleineren Stichprobe wurden 22 depressive Patienten mit 12 gesunden Probanden hinsichtlich der LAAEP verglichen, und es fand sich eine statistisch tendenziell starkere LAAEP bei den Depressiven als bei den Gesunden (Juckel2001). Patienten mit einer Somatisierungstorung, die eine hohe Komorbiditat rnit der Depression aufweisen (Kapfhammer, 2000) und ebenfalls durch eine niedrige serotonerge Aktivitat charakterisiert sein durften (Phillips et al., 1998), weisen eine starkere LAAEP als gesunde Kontrollen auf (James et al., 1990). Bei der Borderline-Storung wird eine serotonerge Dysfunktion im
Sinne einer verringerten Aktivitat dieses Systems angenommen (Verkes et al., 1998). Serotoninagonistische Substanzen haben eine gute Wirkung bei Borderline-Patienten (Hollander, 1999). Patienten rnit einer BorderlineStorung weisen eine starkere LAAEP des tangentialen Dipols (primarer akustischer Kortex) als Normalpersonen auf (Norra et al., 2003). Anorexia nervosa: Rothenberger et al. (1991) fanden eine gronere Zahl von anorektischen Patientinnen rnit einer schwachen LAAEP als in einer Kontrollgruppe. Dies konnte moglichweise rnit einer erhohten serotonergen Aktivitat einhergehen, wie sie fur anorektische Patienten beschrieben wurde (Brewerton, 1995). Migrane: Eine erniedrigte Funktion des serotonergen Stoffwechsels bei Migrane wird schon lange diskutiert (Ferrari und Saxena, 1993;).
Patienten rnit
Migrane
ohne
weitere
psychiatrische oder
neurologische Auffalligkeiten wiesen eine signifikant starkere LAAEP als gesunde Kontrollen auf (Wang et al., 1996; Siniatchkin et al., 2000). lndirekte Evidenz fur den Zusammenhang einer starken LAAEP rnit einer niedrigen serotonergen Aktivitat ergeben sich auch aus meheren Studien zu
Personlichkeitsmerkmalen wie "Sensation Seeking", ,,Novelty Seeking" und "lmpulsivitat", die in Verbindung mit einer niedrigen 5-HIES-Konzentration im Liquor
gefunden
(Zuckerman
1993)
und
einer
starken
Intensitatsabhangigkeitder VEP und der LAAEP gefunden wurde (Barratt et al. 1987, Carrillo de la Pena 1992, Hegerl et al. 1995a, Juckel et al. 1995). Auch wurde eine Beziehung zwischen serotonerg kontrolliertem Verhalten wie
Aggression,
Schmerz
und
Schlaf
und
der
LAAEP,
bzw.
Intensitatsabhangigkeit der VEP, verschiedentlich beschrieben (Hall et al. 1970, von Knorring et al. 1974, Buchsbaum et al. 1975). Patienten rnit einer serotonergen ljberfunktion im Rahmen des meist durch Antidepressiva ausgelosten, sog. Serotoninsyndroms waren druch eine schwache LAAEP gekennzeichnet
(Hegerl et
al.
1998). Schlussendlich liegen erste
Studienergebnisse vor, die Assoziationen der LAAEP rnit genetischen
Polymorphismen des serotonergen Systems (Tryptophanhydroxylase, Serotonintransporter)zeigen (Preuss et al. 2000, Gallinat et al. 2003). Trotz oder gerade aufgrund der vielfaltigen Hinweise eines Zusammenhangs zwischen serotonerger Aktivitat und der LAAEP entwickelte sich die Notwendigkeit hierfur eindeutige Belege zu gewinnen. Methodische Fortschritte in Form der Dipolquellenanalyse eroffneten zudem die Moglichkeit, die beiden Generatoren der NllP2-Komponente getrennt und damit die LAAEP des primaren und sekundaren akustischen Kortex unabhangig voneinander zu untersuchen. Im folgenden werden die Ergebnisse
aus
Untersuchungen
dargestellt,
die
mittels
der
Dipolquellenanalysean psychiatrischen Patienten und gesunden Probanden durchgefiihrt
wurden
und den
inversen Zusammenhang
zwischen
serotonerger Neuotransmission und LAAEP des primaren akustischen Kortex (tangentialer Dipol) bestatigen. Diese werden untermauert von den Ergebnissen tierexperimentelle Studien, bei denen zum ersten Mal direkt die Beziehung der LAAEP des primaren akustischen Kortex und die Aktivitat der serotonergen Neurotransmissionuntersucht wurde.
2 ALKOHOL, SEROTONIN UND LAAEP 2.1 Einfuhrung Das
Rational,
die
Wirkungen
von
Alkohol
auf
die
serotonerge
Neurotransmission mittels der LAAEP zu untersuchen, besteht in der Beobachtung, dass Alkohol unmittelbar und akut zu einer Steigerung der serotonergen Aktivitat fuhrt (Ollat et al., 1988; Tollefson, 1989). Auf der anderen Seite findet sich bei Patienten mit Alkoholabhangigkeit eine verringerte serotonerge Aktivitat (erniedrigte Konzentrationen von 5-HIES in
verschiedenen Hirnarealen und im Liquor) nach Absetzten von Alkohol im abstinenten Zustand, d.h. nach Entzug, gegenuber dem intoxikierten Zustand im Sinne eines praexistierenden Serotonindefizits, was durch die serotoninagonistische Substanz Alkohol sonst ausgeglichen wird (Ballenger et al., 1979; Borg et al., 1985; Heinz et al., 2001). Daruber hinaus wurde wiederholt gefunden, dass eine Untergruppe Alkoholkranker durch eine erniedrigte
zentrale
serotonerge
Aktivitat
(verringerte
5-HIES-
Konzentrationen im Liquor) gekennzeichnet ist, die auch durch besonders sich unter Alkohol manifestierendem antisozialen Verhalten (aggressives, gewalttatiges, impulsives und risiskobereites Verhalten) charakterisiert ist (Virkkunen et al., 1994; Badawy, 1998; Heinz et al. 2000). Fur diese Gruppe sol1 auch eine verstarkte Tendenz fur Suizidvesuche und Suizide bestehen (Roy und Linnoila, 1989; Buydens-Branchey et al., 1989alb). Ein offenbar Nosologie-unabhangiger Zusammenhang
zwischen
einer
niedrigen
serotonergen Aktivitat und Suizidalitat ist gut gesichert: In vielen Studien wurden erniedrigte 5-HIES-Spiegel im Liquor im Zusammenhang mit Suizidversuchen vor allem in der unmittelbaren Vorgeschichte gefunden (Asberg et al., 1986; Lester, 1995; Mann et al., 2001). Dies trim auch fur vollzogene Suizide zu (Mann et al., 1989; Stanley und Stanley, 1990). [Jberzeugend konnte daruber hinaus gezeigt werden, dass erniedrigte 5HIES-Spiegel in Verlaufsbeobachtungen Suizidversuche und Suizide zu pradizieren vermogen (Traskrnan et al., 1981; Roy et al., 1989; Nordstrom et al., 1994). Daneben is eine andere Untergruppe von Patienten mit Alkoholabhangigkeit
wahrscheinlich
durch
eine
ausgepragte
Angstsymptornatik gekennzeichnet (Cloninger, 1987; Sellers et al., 1991). Angstzustande werden im allgemeinen mit einer hohen serotonergen Neurotransmission in Verbindung gebracht (Handley et al., 1993; Nutt, 2001). Diese erste
Untersuchung zum Zusammenhang von Alkohol und
serotonerger Aktivitat mittels der LAAEP des primaren und sekundaren
akustischen Kortex, durch die Dipolquellenanalyse bestimmt, wurde an Patienten mit Alkoholabhangigkeit vor und nach Alkoholentzug sowie an gesunde Probanden vor und nach Alkoholgabe durchgefuhrt. Hierbei wurde aufgrund
der
schon
angesprochenen
serotonergen
lnnervationscharakteristik erwartet, dal3 die Wirkungen von Alkohol, bzw. sein Entzug, sich nur in der LAAEP des primaren akustischen Kortex (tangentialer Dipol), nicht aber des sekundaren akustischen Kortex (radialer Dipol) wiederspiegelt. Daruberhinaus wurde in dieser Studie untersucht, ob die LAAEP des tangentialen Dipols einen Zusammenhang mit serotonerg beeinflufitem Verhalten wie antisoziale Tendenzen, Suizidalitat und Angst bei den Patienten mit Alkoholabhangigkeit aufweist.
2.2 Methoden 2.2.1 Versuchspersonen Die Rekrutierung der Patienten mit bestehender Alkoholabhangigkeit erfolgte
durch
die
Psychiatrischen
Ambulanz
Klinik
der
standardisiert
Familien-, erhoben
und
Abhangigkeitserkrankungen
FU-Berlin.
Untersuchungsterminen wurden Medikamenten-
fur dort
An
Angaben
biographischen die
mindestens zur
und
psychiatrische
der zwei
Abhangigkeits-, Sozialanamnese
Eingangsdiagnostik
durchgefuhrt (siehe unten) sowie die Diagnose nach ICD 10 gestellt. Ausschlul3kriterien fiir die Studie waren schwere korperliche Erkrankungen, Psychosen, Abstinenz und akute Suizidalitat. Am stationaren Aufnahmetag (TI) zum Entzug wurden neben in der Klinik ublichen Diagnostik und Aufnahmeuntersuchungen
folgende
Messungen
durchgefuhrt:
Dokumentation der Einnahme von Alkohol und anderer psychotroper Substanzen in
den
letzten Tagen
vor
Aufnahme,
Drogen- und
Medikamentenscreening im Urin, Ableitung der AEP inklusive Routine-EEG,
Abnahme von Blut zur Bestimmung des Alkoholspiegels und des Carbohydrate-deficient-Transferrins (CDT). Eine Woche danach (T2) wurden
erneut die AEP abgeleitet und die Patienten fullten Selbstbeurteilungsskalen zu Angst und Depression aus (siehe unten). Am Ende der dritten Klinikwoche erfolgte i.R. die Entlassung. Der Verlauf des Entzugs sowie der neurologische und internistische Status wurden ausfuhrlich dokumentiert. lnsgesamt konnten 44 Patienten mit bestehender Alkoholabhangigkeit (ICD 10: F 10.25) an T I und T2 untersucht werden. Ausgeschlossen muaten 16 Patienten werden meistens aus methodischen Grunden (technische und okulare Artefakte bei den AEPs, Hhorminderung). Die in der Auswertung verbliebenen 28 Patienten werden in Tab. 2 naher beschrieben. Alle Patienten wiesen eine vollstandigen AEP-Ableitung zu T I und zu T2 auf und hatten innerhalb der letzten 60 Stunden vor Aufnahme noch Alkohol zu sich genommen. Das erhohte CDT zu T I weist auf einen Ianger bestehenden Alkoholabusus hin (Stibler et al., 1980).
Tab. 2: Klinische Beschreibung der 28 Patienten mit Alkoholabhangigkeit
Klinische Charakteristika
Patienten-Daten
Geschlecht
25m,3w
Alter
45.5 (31-66) Jahre
Psychopathologie - BPRS
42.5k7.7
- GAS Blutalkoholgehalt
(n=10)
6l.8+lO.6 zu
T I 1.7k0.9
[Promille] Anamnest. Noch an T I getrunken
15 Patienten
CDT [mgll] - T I
0.84k0.87
- T2
0.38k0.22
Familiare Belastung (Alkoholabh.)
6 Pat. mit krankem Vater
6 Pat. mit kranker Mutter 3 Pat. mit kranken Geschwistern Psychiatrische Komorbiditat
2 Patienten
Benzodiazepine im Urin
3 Patienten
Cannaboide im Urin
2 Patienten
Nikotinabusus
alle
Patienten
(im
Mittel
28
Zigarettenld) Tgl. Alkoholmenge vor Aufnahme
254.4k136.7g
Dauer der Alkoholabhangigkeit
im Mittel ca. 10 Jahre
Erste Toleranzentwicklung vor
l2.3klO.8 Jahren
Erster Kontrollverlust vor
10.5k11.15 Jahren
Erstes starkes Craving vor
9.05k8.85 Jahren
Fruhere Entgiftungsbehandlungen
bei 17 Patienten
In der Audiometrie fand sich keine Horminderung bei den Patienten. Im Routine-EEG wurden nur unspezifische Effekte gefunden, jedoch keine Zeichen gesteigerter hirnelektrischer Erregbarkeit, bzw. kein Herdbefund. Das Schadel-CT ergab bei 25 Patienten Hinweise fur eine globale Hirnatrophie. Wahrend des Entzuges erlitten 2 Patienten zerebrale Krampfanfalle. Bei einem CIWA-Wert uber 12 wurde Clomethiazol verabreicht. Dies war bei 10 Patienten fur 1.25 Tage (0.5-7 Tage) in der Gesamtdosis
von
lO52.4k2ll9.7
mg
notig.
Es
wurde
keine
Zusatzmedikation wie Diazepam oder Haloperidol gegeben. Fur alle 28 Patienten betrug der erreichte Gesamt-CIWA-Wert 40.1k46.5 Punkte. Der Entzug dauerte im Schnitt 2.25 Tage (0-7 Tage). Bei der zweiten Ableitung (T2) wurden weder psychotrope Substanzen im Urin noch ein positiver Blutalkoholspiegel gefunden. Die letzte Einnahme von Clomethiazol lag mindestens 14 Stunden zuruck, so dal3 bei der geringen Halbwertzeit dieser Substanz (3-5 Stunden) kein lnteraktion mit den AEP zu erwarten war.
Die gesunden Probanden wurden mittels bestehender Probandenlisten rekrutiert. Alle Probanden erhielten eine Aufwandsentschadigung
Sie
wurden aufgefordert, in der Woche vor Untersuchungsbeginn auf den Konsum von Alkohol zu verzichten. Am ersten Untersuchungstag (TI) wurden folgende Messungen durchgefuhrt: Standardisierte Erhebung der Alkoholismus-, Familien-, biographischen und Sozialanamnese, Drogen- und Medikamentenscreening im Urin, Ableitung der AEP, Abnahme von Blut zur Bestimmung des Alkoholspiegels und des CDTs. An dem darauf folgenden Tag (T2) wurden die Probanden mit 1 g Ethanol (96 %) pro Kilogramm Korpergewicht belastet. lnnerhalb von 20 Minuten tranken die Probanden die jeweilige Menge Ethanol gemischt mit Orangensaft, dessen Menge frei gewahlt werden konnte. Eine Stunde nach Ethanolaufnahme wurden die AEP abgeleitet. Ungefahr zweieinhalb Stunden nach dem Alkohol-Trinken erfolgte die Abnahme von Blut zur Bestimmung derselben Parameter wie an TI. Bei keinem der untersuchten 17 Probanden, die vom Alter und Geschlecht gut mit den Patienten vergleichbar warfen (42.0 (30-59) Jahre; alles Manner),
konnten
Hinweise fur
eine
bestehende
Alkohol-
oder
Drogenabhangigkeit (CDT zu T I 0.22k0.08 mgll, CDT zu T2 0.25k0.05 mgll) und fur relevante psychiatrische Erkrankungen weder in der biographischen noch in der Familienanamnese gefunden werden. Von 3 dieser 17 Probanden konnten an T2 keine im Sinne des Design verwertbaren Daten erhoben werden. Fur die Fragestellung vorlnach Alkoholeinnahme konnten somit nur die Daten von 14 Probanden herangezogen werden. Der Blutalkoholspiegel betrug bei diesen zu T2 0.84k0.23 Promille.
2.2.2 Akustisch evozierte Potentiale Die Ableitung und Auswertung der akustisch evozierten Potentiale, die Bestimmung der LAAEP und das Vorgehen bei der Dipolquellenanalysewird ausfuhrlich, so wie fur die weiteren Untersuchungen an psychiatrischen Patienten, im Anhang I (Kap. 9) beschrieben
2.2.3 Erfassung klinischer Variablen In der beschriebenen Eingangsdiagnostik kam die Brief Psychiatric Rating Scale (BPRS, Overall und Gorham, 1962) und die Global Assessment Scale (GAS, Endicott et al., 1976) zur Anwendung. Angaben zur Abhangigkeits-, Medikamenten- Familien-, biographischen und Sozialanamnese wurden mittels dem Trierer Alkoholismus-lnventar (TAI; Funke et al., 1987) und einem an das Composite International Diagnostic Interview (CIDI; Robins et al., 1988) angelehnten, soziodemographischen und Sucht-Fragebogen (Wittchen und Semler, 1990) bei Patienten und Probanden standardisiert erhoben. Die Entzugssymptomatik wurde mithilfe des "Clinical Instrument of Withdrawal Assessment" (CIWA, Shaw et al., 1981; Sullivan et al., 1988) zweimal
taglich
eingeschatzt.
Als
psychopathologische
Selbstbeurteilungsskalen wurden die Selfrating Depression Scale (SDS) und die Selfrating Anxiety Scale (SAS) von Zung (CIPS 1986) verwendet.
2.2.4 Statistik Bei der statistischen Auswertung mithilfe des Statistikpakets SPSS ergab der Kolmogorov-Smirnov-Test die Normalverteilung aller zu testenden Variablen. Fur Gruppenvergleiche wurde T-Teste fur abhangige und unabhangige Stichproben durchgefuhrt. Fur die Beziehung zu Skalen oder
Fragebogen wie SDS oder SAS wurden Spearman-Korrelationskoeffizienten berechnet, sonst Pearson-Korrelationskoeffizienten.Die Datenwerte werden als Mittelwerte k Standardabweichung dargestellt. Das Signifikanzniveau wurde mit pc0.05 festgesetzt. Ein p-Wert von kleiner 0.1 wurde als statistische Tendenz gewertet.
2.3 Ergebnisse 2.3.1 Unterschied zwischen der LAAEP des primaren und sekundaren akustischen Kortex Hierfur wurden nur die Ableitungen ohne Einflul3 der intervenierenden Variable
"Alkohol",
also
die
Ableitungen
der
28
Patienten
mit
Alkoholabhangigkeit nach erfolgtem Entzug (T2) und die Ableitungen der 17 gesunden Kontrollpersonen ohne Alkoholbelastung (TI) herangezogen. Sowohl bei den Patienten als auch bei den Probanden fand sich, dass die LAAEP des tangentialen Dipols (primarer akustischer Kortex) ungefahr dreifach so stark war als die LAAEP des radialen Dipols (sekundarer akustischer Korztex) (Abb. 9).
Abb. 9: Die LAAEP des tangentialen Dipols ist steiler als die des radialen Dipols sowohl bei den Patienten (linker Teil der Abb.: 0.17+0.07 versus 0.06+0.06 pVIlOdB, pc0.001) als auch bei den Probanden (rechter Teil der Abb.: 0.17*0.12 versus 0.05+0.08 pVIlOdB, pc0.001).
2.3.2 Absetzeffekte von Alkohol auf die LAAEP bei Patienten mit Alkoholabhangigkeit vor und nach Entzug Hier wurde die Wirkung des Absetzens der serotoninagonistischen Substanz Alkohol auf die LAAEP bei Patienten mit Alkoholabhangigkeit gepruft. Alle Patienten befanden sich zum Zeitpunkt der ersten Ableitung im intoxikierten Zustand, bzw. in der Phase des Abklingen der Intoxikation. Bei der zweiten
Ableitung nach einer Woche Entzug waren weder Alkohol im Blut noch Entzugssymptome nachweisbar. Die LAAEP des tangentialen Dipols war nach Absetzen von Alkohol und einer Woche Entzug signifikant starker ausgepragt als im intoxikierten Zustand vor Entzug (Tab. 3). Die LAAEP des radialen Dipols zeigte keinen derartigen Unterschied. Weder die Schwere der Entzugssymptomatik noch die Einnahme von Clomethiazol stand mit der LAAEP des tangentialen Dipols zu beiden Zeitpunkten oder ihren ~nderungenin einem statistischen Zusammenhang. Daruberhinaus gab es keine wesentliche Korrelation zu Alter, Artefaktrate oder Depressivitat (SDS).
Tab. 3: Die LAAEP [pVllOdB] der 28 Patienten mit Alkoholabhangigkeit vor und nach einwochigem Entzug.
ILAAEP
I vor Entzug I nach Entzug I T-Test (gepaart) 1 I
I
0.1 7kO.07
p=0.03
radialer Dipol
0.06k0.06
n.s.
0.06k0.05
I I
I
tangentialer Dipol 0.1 3kO.05
Auch bei diejenigen Patienten, die anamnestisch angegeben hatten, am Morgen des Aufnahmetages (TI) noch getrunken zu haben (n = 15), kam es zu einem Anstieg der LAAEP lediglich des tangentialen Dipols nach dem Entzug (0.13k0.05 versus 0.18k0.07 pVIlOdB, p=0.05). Zehn Patienten hatten zum Untersuchungszeitpunkt der LAAEP noch einen positiven Blutalkoholspiegel(l.7+0.9
(0.1-3.2)
Promille).
Dieser
korrelierte
hochsignifikant negativ mit der LAAEP des tangentialen Dipols (r=-0.80, p=0.002; Abb.
lo), aber nicht mit der des radialen Dipols (r=-0.01, n.s.).
thanol level (rn Abb. 13: Negative Korrelation zwischen dern Blutalkoholgehalt und der LAAEP des tangentialen Dipols bei 10 Patienten rnit Alkoholabhangigkeit.
Desweiteren zeigten die Patienten rnit positivern Blutalkoholspiegel zu T I eine Verdopplung der LAAEP des tangentialen, aber nicht des radialen Dipols nach einer Woche Entzug (0.1OkO.04 versus 0.22k0.06 pV/l OdB, p=0.003, Abb. 11).
-
healthy subjects (R = 14)
patients (n 10)
P
before after ethanol withdrawal
Abb.
11:
Die
LAAEP
des
tangentialen
before after ethanol intake
Dipols
bei
10
Patienten mit
Alkoholabhangigkeit und posiitvem Blutalkoholspiegel zu T I vor und nach Entzug sowie bei 14 gesunden Probanden vor und nach Alkohol-Einnahme (Iglkg Korpergewicht). Die LAAEP war in beiden Gruppen starker in der Ableitung ohne Alkohol-Einflul3.
2.3.3 Effekte von Alkohol auf die LAAEP bei gesunden Probanden vor und nach Alkohol-Einnahme Die Probanden wurden zuerst nach einer einwochigen Alkoholkarenz untersucht (TI) und am nachsten Tag unter dem Einflufi von I g Alkohollkg Korpergewicht (T2). Die Ableitung an diesem Tag fand genau eine Stunde nach Trinken des Alkohols, also auf dem Plateau der Alkohol-Wirkung s t a t Verglichen mit der Ableitung vom Vortag kam es unter dieser kontrollierten Alkohol-Belastung zu einer signifikanten Abnahme der LAAEP des tangentialen Dipols (primarer akustischer Kortex) um ca. ein Drittel (Tab. 4, Abb. 11). Auch hier ergab sich wiederum keine bedeutsame Veranderung
der LAAEP des radialen Dipols (sekundarer akustischer Kortex).
Tab. 4: Die LAAEP [pVIlOdB] der 14 gesunden Probanden vor und unter Alkohol
LAAEP
vor Alkohol unter Alkohol T-Test (gepaart)
tangentialer Dipol 0.1 5+O.ll
0.1 OkO.06
p=0.02
0.04k0.07
0.03k0.04
n.s.
radialer Dipol
2.3.4 Beziehung der LAAEP zu serotonerg beeinflufitem Verhalten bei Patienten mit Alkoholabhangigkeit Wie bereits oben angesprochen, legen verschiedene Studien nahe, dass nicht die Gesamtgruppe der Alkoholabhangigen durch eine reduzierte serotonerge Neurotransmission charakterisiert ist, sondern vermutlich nur eine
Untergruppe. Die
Patienten dieser
Untergruppe zeigen
ein
gewalttatiges, impulsives, aggressives, antisoziales, risikofreudiges und suizidales Verhalten,
das
mit und ohne Beteiligung von Alkohol
beispielsweise durch Schlagereien, Straftaten, Selbstmord(versuchen) und Verkehrsproblemen zum Ausdruck kommt. Die andere Untergruppe rnit einem hohen serotonergen Stoffwechsel ist durch ein eher angstliches Verhalten und Angstzustande gekennzeichnet. Zur Untersuchung der Beziehung von antisozialen Tendenzen zur LAAEP wurde der an das ClDl angelehnte soziodemographische und SuchtFragebogen benutzt. Hierzu wurden die Items ,,Verurteilung wegen einer Straftat", ,,Trunkenheit am Steuer", ,,Schlagerei unter Alkohol", ,,Benutzung illegaler Drogen" und ,, Auffalliges Sozialverhalten in Kindheit und Jugendzeit (2.B. LugenIStehlen)" herangezogen. Patienten, die in mehr als einem Item Angaben machten, wurden als solche mit starken antisozialen Tendenzen, die anderen rnit schwachen antisozialen Tendenzen eingestuft. Wie aus Tab. 5 hervorgeht, sind die Patienten rnit starken antisozialen Tendenzen in den meisten klinischen Parametern rnit den Patienten mit schwachen antisozialen Tendenzen vergleichbar. Auffalligerweise wiesen die Patienten rnit
schwachen antisozialen Tendenzen
einen
signifikant hoheren
Angstscore (SAS) auf (siehe unten). Bezuglich der LAAEP (zum Zeitpunkt T2) fand sich, dass Patienten rnit starken antisozialen Tendenzen durch eine
signifikant starkere LAAEP des tangentialen, aber nicht des radialen Dipols, also durch eine niedrige serotonerge Aktivitat, charakterisiertwaren (Tab. 5).
Tab. 5: Vergleich der alkoholabhangigen Patienten mit starken antisozalen Tendenzen (n=9) mit denen, die schwache antisoziale Tendenzen aufwiesen (n=17)
starke
antisoziale schwache
Tendenzen
Tendenzen
Alter [Jahre]
42.9k9.2
47.6k9.2
Artefaktrate
54.7k49.8
59.3k51.9
SAS
25.5k4.7
31.7k7.0
SDS
30.0k5.2
31.4k4.9
antisoziale
LAAEP [pVll OdB]
tangentialer Dipol radialer Dipol
Bei der Analyse noch weiterer Patienten mit Alkoholabhangigkeit rnit dann insgesamt 53 Patienten, einschliealich der hier vorgestellten, konnte von unserer Arbeitsgruppe dieses Ergebnis bestatigt werden (Hegerl et al., 1995b). Die 22 Patienten mit starken antisozialen Tendenzen wiesen eine starkere LAAEP des tangentialen Dipols,also des primaren und nicht des sekundaren akustischen Kortex, auf als die 31 Patienten mit schwachen antisozialen Tendenzen (0.23k0.07 versus 0.12k0.08 yVIlOdB, p=0.003, Abb. 12).
5,5
-
5
-
high antisocial tendencies
low antisocial tendencies 4,5
-
4
-
3,5
-
3
I
I
I
I
I
60
70
80
90
100
Stimulus intensity (db SPL) Abb. 12: LAAEP des tangentialen Dipols bei alkoholabhangigen Patienten mit starken und schwachen antisozialen Tendenzen.
Hinsichtlich der Beziehung der LAAEP zu Suizidalitat gaben 10 der 28 Patienten mit Alkoholabhangigkeit anamnestisch mindestens
einen
Suizidversuch in der nicht-akuten Vorgeschichte an. Diese wiesen gegenuber den Patienten, die keinen Suizidversuch in der Vorgeschichte angegeben hatten, eine signifikant schwachere LAAEP des tangentialen Dipols auf als die ohne einen Suizidversuch (T2: 0.13+0.05 vs. 0.19+0.07, p=0.02). Bei den zu T2 abstinenten Patienten mit Alkoholabhangigkeit konnte aul3erdem die Beziehung der LAAEP zu dem Ausmal3 an Angst (SAS) untersucht werden. Ein hoher Summenscore auf der SAS ging bei
diesen Patienten mit einer schwachen LAAEP des tangentialen Dipols (r=0.52, p25), angespannt und nervos waren, und dadurch vermutlich nur eingeschrankt die 20-minutige Ableitedauer tolerieren konnten. Die klinischen Charakteristika der 48 Patienten, die auswertbare AEP-Ableitungen zur Baseline hatten, werden in Tab. 6 beschrieben. Alle diese Patienten waren zu diesem Ableitezeitpunkt fur mindestens zwei Wochen ganzlich unmediziert gewesen. Von den 48 Patienten hatten 34 Patienten in den 12 Monaten vor Studienbeginn eine Pharmakotherapie erhalten. 27 Patienten besanen Erfahrungen mit einer fruheren, meist lang zuruckliegenden Psychotherapie. Nach der Baseline-Untersuchung wurden die Patienten mit Sertralin fur 10 Wochen (50-100 mgld) zusammen mit einer in der Psychosomatischen Klinik
Windach
standardisiert
durchgefuhrten,
multimodalen
Verhaltenstherapie behandelt (Hauke, 1998). Nach 10 Wochen Behandlung (70.3k1.6 Tage) wurden die bis zu diesem Zeitpunkt in der Studie verbliebenen Patienten erneut elektrophysiologisch untersucht. Von den 48 Patienten, die eine auswertbare Ableitung zur Baseline aufwiesen, hatten 31 Patienten auch eine auswertbare AEP-Ableitung zum zweiten Meazeitpunkt nach 10 Wochen.
76 Tab. 6 Vergleich der 48 unmedizierten Patienten mit einer Zwangsstorung und den nach Alter und Geschlecht gematchten 48 gesunden Probanden
Zwangspatienten
Zesunde 'robanden
34.3k12.3
Alter [Jahre]
20
Geschlecht Ausbildungsjahre Alter
bei
Frauen,
28 ?O Frauen, 28
Manner
vlanner
13.2k2.8
15.2k3.3
Erkrank- 21.5k11.3
ungsbeginn [Jahre] Erkrankungsdauer [Jahre] Y-BOCS HDRS CGI MOCl BDI STAl
Aus einer groneren Zufallsstichprobe des Munchner Einwohnermeldeamtes wurden gesunde mannliche und weibliche Probanden uber 18 Jahre aus der Munchner Bevolkerung quer durch alle Alters- und Bevolkerungsgruppen ausgewahlt und zur Teilnahme an der Studie eingeladen. Die Teilnahme war freiwillig und erfolgte gegen eine finanzielle Aufwandsentschadigung. 200 Probanden konnten elektrophysiologisch untersucht werden. 137 Probanden hatten auswertbare AEPs, bzw. unterlagen nicht den Ausschlul3kriterien. Diese waren: neurologische, psychiatrische oder schwere somatische Erkrankungen wie z.B. Herzinsuffizienz oder schwer einstellbaren arteriellen Hypertonus, Schilddrusenerkrankungen, Horstorungen (im Audiometer
(Philips) eine Horschwelle uber 30 dB bei 1000 Hz), Einnahme einer psychotropen Substanz in den zuruckliegenden 14 Tagen, pathologisches Ruhe-EEG. Aus dem Pool der 137 Probanden wurden den 48 Patienten mit einer Zwangsstorung 48 Probanden vergleichbar nach Alter, Geschlecht und Schul- und Ausbildungsniveau zugematcht. Diese werden ebenfalls in Tab. 6 naher dargestellt. Da diese Probanden ebenfalls nach ca. 10 Wochen
noch einmal elektrophysiologisch untersucht wuirden, konnte den 31 Zwangspatienten, bei denen eine auswertbare zweite AEP-Ableitung nach 10 Wochen vorlag, 31 gesunde Probanden vergleichbar nach Alter, Geschlecht und Ausbildungsjahren gegenuber gestellt werden. Trotz dieses sorgfaltigen Vorgehens waren die Patienten mit der Zwangsstorung und die gesunden Probanden zwar bzgl. Alter und Geschlecht gut miteinander vergleichbar, jedoch wiesen die gesunden Probanden signifikant ungefahr 2 Ausbildungsjahre mehr auf als die Zwangspatienten. Die Ableitung und Auswertung der akustisch evozierten Potentiale ist im Anhang I (Kap.9) dargestellt.
3.2.2 Erfassung klinischer Variablen Der psychopathologischen Zustand der Patienten wurde zu den zwei Menzeitpunkten mittels Yale-Brown-Obsessive-Compulsive-Skala (Y-BOCS, Goodman et al., 1989a/b), HDRS (17 Items) und CGI von den in der Psychosomatischen Klinik Windach tatigen Projektarzten eingeschatzt, die die Patienten wahrend der gesamten Studiendauer neben den zustandigen Arzten und Therapeuten auf Station mitbetreuten. Die Projektarzte waren blind gegenuber den in Munchen stattgefundenen AEP-Ableitungen. Die AEP wurden erst nach Studienende in Unkenntnis der klinischen Daten ausgewertet. Zudem wurden die Selbstbeurteilungsinstrumente MaudsleyObsessive-Compulsive-Inventory (MOCI, Hodgson und Rachman, 1977),
Beck-Depression-Inventory (BDI, Beck und Steer, 1987) und State-TraitAnxiety-Inventory (STAI, Laux et al., 1981) eingesetzt.
3.2.3 Statistik Es lag Normalverteilung der zu testenden Variablen vor (KolmogorovSmirnov-Test: p>0.05). Gruppenunterschiede wurden mittels zweiseitigem T-Test fur unabhangige Stichproben gepruft. Kovarianzanalysen wurden mithilfe von ANCOVA durchgefuhrt. Effekte uber die Zeit wurden mittels TTest fur abhangige Stichproben untersucht. Fur die Beziehung zwischen der LAAEP und klinischen Merkmalen wurden Spearman- und Pearson'sKorrelationskoeffizienten berechnet. Als Signifikanzniveau galt pc0.05. Ein p-Wert kleiner als 0.10 galt als staistische Tendenz.
3.3 Ergebnisse
3.3.1 Vergleich der LAAEP zwischen Zwangspatienten und Gesunden Die unmedizierten Patienten mit einer Zwangsstorung wiesen eine signifikant starkere LAAEP des tangentialen, nicht aber des radialen Dipols als die gesunden Probanden auf (0.28k0.22 vs. 0.11&0.10 pVIlOdB, p=0.006, Abb. 13; 0.17*0.14 vs. 0.10&0.11 pVIlOdB, ns.). Da in der Kovaribalenanalyse sich fur die LAAEP des tangentialen Dipols eine signifikante Korrelation zum ,,Alter bei Erkrankungsbeginn", so junger bei Erkrankungsbeginn so starker die LAAEP des tangentialen Dipols (r=-0.30, p=0.04), nicht jedoch fur die anderen Kovaribalen gefunden hatte, wurde gepruft, ob dieses Ergebnis auch in einer Kovarianzanalyse mit der
Kovariable ,,Alter bei Krankheitsbeginn" stabil blieb, was der Fall war (F1,94=13.9, pI 7.5 Jahre, n=25) (0.24k0.19 versus 0.17k0.14 pV/lOdB, p=0.08) (Abb. 14). Der direkte Vergleich der Patienten mit einem fruhen versus spaten Krankheitsbeginn erbrachte bezuglich der LAAEP keinen signifikanten Unterschied zwischen diesen
beiden Gruppen
(0.31k0.25 versus 0.24k0.19 pV/l OdB, n.s.).
I
Patienten mit Zwangsstorung
Gesunde Probanden
Abb. 13: LAAEP des tangentialen Dipols (primarer akustischer Kortex) der 48
Patienten mit einer Kontrollpersonen.
Zwangsstorung und der
48 gematchten gesunden
Zwangspat. mit friihem Krankheitsbeginn
Zwangspat mit spatem Krankheits -beginn
Gesunde Probanden
b
Abb. 14: LAAEP des tangentialen Dipols bei Patienten mit friihem Krankheitsbeginn
( ~ 1 7 . 5Jahre) und spaten Krankheitsbeginn
sowie bei gesunden Probanden
Kontrollpersonen.
3.3.2 EinfluR von Sertralin auf die LAAEP Von 31 Patienten mit einer Zwangsstorung konnten sowohl zur Baseline als auch zum zweiten Untersuchungstermin nach 10 Wochen Behandlung mit Sertralin und standardisierter Verhaltenstherapie (VT) auswertbare AEP abgeleitet werden. Die ebenfalls zweimal in diesem zeitlichen Abstand abgeleiteten 31 gesunden Probanden waren hinsichtlich der klinischen
Eckdaten gut mit den Patienten vergleichbar (Tab. 7). Unter der kombinierten Behandlung rnit Sertralin und VT besserten sich die Patienten klinisch deutlich (Y-BOCS: p