Self-Assessment an Hochschulen: Von der Studienfachwahl zur Profilbildung [1 ed.] 9783847098812, 9783899717259


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Self-Assessment an Hochschulen: Von der Studienfachwahl zur Profilbildung [1 ed.]
 9783847098812, 9783899717259

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Applied Research in Psychology and Evaluation Vol. 4

Edited by / Herausgegeben vom: Zentrum für Evaluation und Methoden (ZEM) der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Prof. Dr. Georg Rudinger, Direktor

Georg Rudinger / Katharina Hörsch (Hg.)

Self-Assessment an Hochschulen: Von der Studienfachwahl zur Profilbildung

Mit 47 Abbildungen

V&R unipress Bonn University Press

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8470-9881-2 Veröffentlichungen der Bonn University Press erscheinen im Verlag V&R unipress GmbH. © 2009, V&R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Titelbild:PhotoCase.com

Gedruckt auf Papier.

Inhalt

VORWORT ........................................................................................................ 7 BENEDIKT HELL Selbsttests zur Studienorientierung: nützliche Vielfalt oder unnützer Wildwuchs?..................................................................................................... 9 CHRISTIAN MONTEL BORAKEL – das Online-Beratungsangebot der Ruhr-Universität Bochum Motivation und Zielsetzung bei der Erstellung von BORAKEL................... 21 JOACHIM DIERCKS, KRISTOF KUPKA, KATHARINA BOLTEN »HAW-Navigator« - Internetbasierte Beratungs- und Selbsteinschätzungsinstrumente an der HAW Hamburg – Erfahrungen, Schlussfolgerungen und Perspektiven ..................................... 35 PHILIPP SONNLEITNER, KLAUS D. KUBINGER & MARTINA FREBORT Das Wiener Self-Assessment Psychologie mit seinen Verfahren der experimentalpsychologischen Verhaltensdiagnostik zur Messung studienfachübergreifender Soft Skills ........................................................... 63 SIEGBERT REIß, HELFRIED MOOSBRUGGER, ALEXANDER TILLMANN & DETLEF KRÖMKER Das Online-Self-Assessment für Psychologie an der Goethe Universität Frankfurt: Erfasste Merkmalsbereiche und Studien zur prognostischen Güte ...................................................................................... 73 VERENA HEUKAMP & LUTZ F. HORNKE SelfAssessments der RWTH Aachen Erfahrung mit der Online-Beratung Studieninteressierter ............................. 87

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Inhalt

SVEA VENT & EDGAR ERDFELDER Das Mannheimer Informationssystem für Studieninteressierte der Sozialwissenschaften Führt ein Erwartungstest als Self-Assessment tatsächlich zu korrekteren Erwartungen bei Studienanfängern?........................................... 99 SANDRA PIETRANGELI & EVA SINDERN Entwicklung von fachspezifischen Online Self-Assessments an der Rheinischen-Friedrich-Wilhelms Universität Bonn: Ein Pilotprojekt ......... 111 ASTRID SCHÜTZ, ANDRÉ BÖßNECK, LUISE BARTHOLDT, KRISTIN ROTTLOFF & ANDREAS MÜLLER Planung, Erprobung und Implementierung eines Online-SelfAssessments für Informatik an der Technischen Universität Chemnitz ..................................................................................................... 123 JOHANN PIXNER & DENNIS MOCIGEMBA Online Self Assessments an der Universität Freiburg: Im Spannungsfeld zwischen Studiengangsmarketing und Selbstselektion............................................................................................. 139 AUTORENVERZEICHNIS ................................................................................ 149

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Vorwort

Häufig klaffen Eignung und Neigung von Studierwilligen und die tatsächlichen Erfordernisse in den Studiengängen weit auseinander. Seit langem suchen Experten in den Hochschulen daher nach Lösungen, wie sich Fähigkeiten, Talente und Interessen von Studierenden mit den Studienanforderungen besser aufeinander abstimmen lassen. Wie passen Studieninteressierte mit ihren Stärken und Schwächen also zu dem jeweiligen Anforderungsprofil des einzelnen Studienfachs? Die Umstellung auf die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge erfordert auch Neuerungen in der Beratung und Unterstützung von Studieninteressierten bei der Studien(fach)wahl. Die hohe inhaltliche Differenzierung der neuen Studiengänge sowie die erweiterten Möglichkeiten der Studienortwahl erhöhen das Risiko, sich für ein Studium zu entscheiden, das nicht den eigenen Fähigkeiten, Interessen und Erwartungen entspricht. Die Folgen einer mangelnden Passung zwischen Studierenden und Anforderungen des Studiums sind bekannt: Erhöhter Studienabbruch und Fachwechsel, erhöhte Studiendauer, schlechtere Studiennoten, vermehrte Studienunzufriedenheit. Dies steht im Gegensatz zu den Ansprüchen deutscher Hochschulen und zu den Appellen der Bildungs- und Wissenschaftspolitik, die Studienerfolgsquoten zu erhöhen und auch im internationalen Vergleich exzellent abzuschneiden. Immer mehr Hochschulen im deutschsprachigen Raum begegnen dieser Problematik durch die Implementierung von webbasierten Selbsttest, so genannte Online Self-Assessments (OSA). Studieninteressierte bearbeiten online den Studienanforderungen entsprechende Fragen und Aufgaben und erhalten im Anschluss eine automatisch erstellte Rückmeldung zu ihrem Abschneiden. Da es sich bei OSA ausdrücklich nicht um Verfahren der Studierendenauswahl handelt, bleibt die Zulassung zum Studium von den Ergebnissen im OSA unberührt. Die Rückmeldung soll dem Studieninteressierten ausschließlich als Entscheidungshilfe bei der Studien(fach)wahl dienen. Es wird erwartet, dass über »Selbstselektionsprozesse« Attraktion geeigneter Bewerber und »Abschreckung« ungeeigneter Aspiranten erfolgen. OSA-Verfahren ergänzen auf diese Weise traditionelle Informationsquellen zur Studien(fach)wahl wie z.B. die Studienberatung. Das Self-Assessment ersetzt die Studienberatung also nicht, kann aber eine Entlastung für die Studienberatung bringen. Wer sich ausführlich Gedanken über sein Studium gemacht hat, wird dann gezielter vorgehen. Der Nutzen von SelfAssessments soll dabei sowohl bei Studieninteressierten als auch bei Hoch-

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Vorwort

schulen erkennbar werden: Langfristig wird eine Verringerung der Zahl der Studienabbrüche und der Studienfachwechsler erwartet. Als Onlinetests sind die Self-Assessments sehr ökonomisch und erreichen Studieninteressierte weltweit und können geradezu zur Rekrutierung von Studierenden im Wettbewerb der Hochschulen untereinander dienen, vor allem dann, wenn sie in weitere Informationen zur Universität, zu ihrer Forschung, zu ihrem Profil, zum Studium und Leben in der jeweiligen Stadt eingebettet sind. Wenn man aktiv um die besten Studierenden werben will, zählen eben auch weiche Standortfaktoren – wie etwa das kulturelle Umfeld und Freizeitmöglichkeiten. Self-Assessment als Teil des Informationssystems für Studieninteressierte signalisiert: »Studienanfänger/innen sind uns wichtig«. Es geht letztlich also um mehr als Passung und effiziente Gestaltung des Studiums, es geht um Bindungsmanagement beginnend in der Schulphase bis hin zur Alumniarbeit. Die Vielfalt an verschiedenen Self-Assessments unterschiedlicher Konzeption mit unterschiedlichen fachlichen Schwerpunkten zeigt, dass diese Entwicklung aus verschiedenen Richtungen vorangetrieben wird. Der Wissensstand und das Ausmaß an Erfahrung mit Self-Assessments sind dabei sehr unterschiedlich. Im Rahmen der vom Zentrum für Evaluation und Methoden (ZEM) veranstalteten Tagung im Jahr 2008 mit dem Thema »SelfAssessment zur Studienfachwahl an Hochschulen« tauschten sich Entwickler und Anwender verschiedener Hochschulen zu diesem Thema aus. Die Tagung 2008 konnte nicht ohne entsprechende Unterstützung zustande kommen. Deshalb möchten die Herausgeber für das ZEM – als dem Rektorat zugeordnete Organisationseinheit – an dieser Stelle unseren Dank an die Universität Bonn aussprechen, insbesondere an deren Kanzler, Herrn Dr. Reinhardt Lutz. Der vorliegende Band verschafft einen Überblick über verschiedene Ansätze und Einsätze von Self-Assessments an Hochschulen im deutschsprachigen Raum zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Die einzelnen Verfahren unterscheiden sich dabei in ihrer Ausrichtung (fachspezifisch vs. global) und in der Zusammensetzung von Aufgabentypen, gemeinsam ist ihnen jedoch allen, Studieninteressierte möglichst umfassend über Anforderungen und Herausforderungen eines (Fach-)Studiums zu informieren und so dazu beizutragen, Studienerfolg und Studienzufriedenheit zu erhöhen. Wir hoffen, auch durch diese Tagung und deren Dokumentation einen Beitrag zu einer fruchtbaren und zukunftsorientierten Auseinandersetzung zu leisten. Bonn, im Mai 2009 Die Herausgeber

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Benedikt Hell Selbsttests zur Studienorientierung: nützliche Vielfalt oder unnützer Wildwuchs?

Selbsttests zur Studienorientierung haben Hochkonjunktur. In den letzten Jahren sind an mehreren Hochschulen neuartige Tests entwickelt worden, die den Studieninteressierten die Studienwahl erleichtern sollen. Zielsetzung dieser Verfahren ist es, eine Klassifikations- oder Zuordnungsentscheidung zu treffen. Es gilt, für die Studieninteressierten das passende Studium zu finden und aus Sicht der Hochschulen die Grundquote der geeigneten Bewerber zu erhöhen. Erfüllen Selbsttests diese Aufgabe, dann sind sie sowohl für die Studieninteressierten wie auch für die Hochschulen nützlich. Und auch aus gesellschaftlicher Sicht wirken sich diese Verfahren günstig aus, denn aus dieser Perspektive muss es darum gehen, das Bildungspotenzial der Bevölkerung voll auszuschöpfen, also für die Studieninteressierte das Umfeld zu finden, das sie optimal fordert und das ihnen das größte Befriedigungspotenzial bietet. Gründe für das wachsende Angebot an Self-Assessments Zur zunehmenden Verbreitung von Selbsttests hat der kumulative Erkenntnisgewinn der differentiellen Psychologie wie auch der Eignungsdiagnostik beigetragen. Die inzwischen sehr weit gehende Akzeptanz einzelner Modelle in der differentiellen Psychologie, etwa des Big Five-Modells im Bereich der Persönlichkeitsbeschreibung (McCrae & Costa, 1997) oder des Modells zur Operationalisierung beruflicher Interessen von John Holland (Holland 1973, 1985, 1997), führt nicht nur dazu, dass sich die aktuellen Forschungsarbeiten auf einen gemeinsamen Referenzrahmen beziehen, sondern auch dazu, dass den Testanwendern (Psychologen, Studien- und Berufsberater) vor Ort die Einordnung neuer Instrumente erleichtert wird – zumal dann, wenn diese Instrumente explizit innerhalb etablierter Modelle verankert sind. Aber auch die in den letzten Jahren abebbende testkritische Haltung in der Bevölkerung hat zur größeren Akzeptanz (vgl. Hell & Schuler, 2005) und damit steigenden Verbreitung von Self-Assessments beigetragen. Seit der öffentlichkeitswirksamen Rezeption von PISA, TIMMS und anderen groß angelegten Bildungsstudien scheint die kritische Einstellung gegenüber psychologischen Tests sogar in eine positive, gar positivistische Haltung umzuschlagen: Populärwissenschaftliche Fernsehsendungen, in denen Fähigkeits-

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und Wissenstests eingesetzt werden (»Wie schlau ist Deutschland?«), entwickeln sich zu Quotenschlagern. Nicht zuletzt sind auch die neuen technischen Möglichkeiten und ganz besonders die flächendeckende Verbreitung des Internets für die wachsende Zahl an Selbsttests zur Studienorientierung verantwortlich. Die Mediennutzung der Zielgruppe – also Studieninteressierte im Alter zwischen 15 und 25 Jahren – hat sich in den letzten Jahren vollkommen gewandelt. Der Fernseher wurde vom Internet als Leitmedium abgelöst (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2008). Diese Entwicklung schlägt sich in enormen Nutzerzahlen von Self-Assessments nieder: Der Selbsttest zur Studienorientierung www.was-studiere-ich.de (Hell & Schuler, 2009) etwa verzeichnete in den vergangenen 2.5 Jahren über 380 000 komplett durchgeführte Testungen. Bei dieser Zahl handelt es sich nicht um sogenannte »Page Impressions«, also Seitenaufrufe, sondern um vollständige Bearbeitungen des Tests. Abbildung 1 gibt einen guten Eindruck, wie sich die Testbearbeitungen im Verlauf des angesprochenen Zeitraums entwickelten. Einzelne Spitzen fallen besonders ins Auge. Sie entstehen immer dann, wenn Medien mit einer größeren Reichweite (Frankfurter Allgemeine Zeitung, Spiegel-Online) über den Test berichteten. Die mit Abstand größten Auswirkungen hatten Berichte in SWR3 (Hörfunk) und auf tagesschau.de (Internet). 5 000

Beitrag in SWR 3

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Bericht auf tagesschau.de

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Abbildung 1: Vollständig bearbeitete Tests des Tools www.was-studiere-ich.de pro Tag in der Zeit vom 1.10.2006 bis zum 1.2.2008

Bearbeiteten im Jahr 2007 noch 117 227 Personen den Test, stieg die Zahl im darauf folgenden Jahr auf 181 642 Personen. Zum Vergleich: Im Jahr 2007 haben in der Bundesrepublik Deutschland ca. 260 000 Schüler die allgemeine Hochschulreife erworben (Quelle: Statistisches Bundesamt). Was-studiereich.de erreicht also statistisch gesehen über die Hälfte eines Abiturjahrgangs.

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Selbsttests zur Studienorientierung: nützliche Vielfalt oder unnützer Wildwuchs?

Vielfältige theoretische Ansätze, vielfältige Zielsetzungen Inzwischen bieten zahlreiche Hochschulen internetbasierte Verfahren zur Studienorientierung an. Als Pioniere auf diesem Feld taten sich die RuhrUniversität Bochum (»Borakel«) und die RWTH Aachen (studienfeldspezifische Verfahren für verschiedene Fächer) hervor. Mit einer geringen Verzögerung aber ebenso gut durchdachten Konzepten folgten andere Hochschulen, wie die Universität Freiburg (Tests für verschiedene Fächer) und die Universität Hohenheim, die ihren Test was-studiere-ich.de in Kooperation mit der Universität Konstanz zu einem bundeslandweiten Verfahren ausbaut. Weitere Verfahren sind in diesem Buch dokumentiert. Durch die vielfältigen Aktivitäten der Hochschulen entstanden Verfahrensvarianten, die unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen und denen verschiedene theoretische Annahmen zugrunde liegen. Nicht nur für die Studieninteressierten stellt sich diese Vielfalt als undurchschaubar dar. Auch die Studien- und Berufsberater, die in Deutschland im Gegensatz etwa zur Schweiz oder Liechtenstein meist nicht über eine testtheoretische Ausbildung verfügen, behalten schwerlich den Überblick. Und selbst diejenigen Beraterinnen und Berater mit einer soliden methodischen Ausbildung scheitern an einer Systematisierung des Testfeldes, weil ihnen schlicht die Zeit fehlt, die ständigen Neuentwicklungen im Auge zu behalten. Für eine Systematisierung von Self-Assessments bieten sich verschiedene Ordnungsgesichtspunkte an. Psychologen denken zuerst an diagnostische Grundkategorien: handelt es sich um einen Leistungstest oder eher um Persönlichkeits- bzw. Interessentest? Welche Testtheorie liegt zugrunde und wie ist die differentiell-psychologische Fundierung? Hierbei handelt es sich aber um Kategorien, die weder für Anwender noch für den diagnostisch nicht geschulten Berater nachvollziehbar oder nützlich sind. Stattdessen interessiert diese Zielgruppen, für welche Fragestellungen die Verfahren eingesetzt werden können. Wichtigstes Merkmal für die Anwender der Self-Assessments ist die Frage der Spezifität bzw. Reichweite der Verfahren. Erfasst das betreffende Instrument spezifische Anforderungen für ein einzelnes Fach oder bietet es Hilfestellung für die Wahl im Hinblick auf verschiedener Fächer? Bezieht sich der Test auf die Fächer einer Hochschule oder weist er über das Angebot einer Hochschule hinaus, informiert also hochschulübergreifend? In der Praxis haben sich drei Klassen herausgebildet: 1) Self-Assessments, die sich auf ein Fach an einer Hochschule beziehen, 2) Verfahren, die sich auf mehrere Fächer an einer Hochschule beziehen und 3) Verfahren, die sich hochschulübergreifend auf mehrere Fächer beziehen. Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt ist die Ausrichtung der Verfahren auf die Vermittlung von Informationen über die Studienangebote oder aber auf den Vergleich von Personenmerkmalen und Studienanforderungen (»Matching«). Informationsvermittelnde Verfahren liefern den Studieninte-

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ressierten Detailinformationen zu den Studieninhalten, Studienschwerpunkten, Berufsbildern und zu lokalen Besonderheiten. Self-Assessments, die auf eine Passungsanalyse abzielen, vergleichen Personenmerkmale wie Interessen, Werte, Persönlichkeitsmerkmale oder Fähigkeiten mit den Studienanforderungen; hierbei sind Verfahren zu unterscheiden, die die Passung für Studiengänge direkt oder indirekt über die den Studiengängen zugeordneten Berufe prüfen.

Unis Konstanz / Hohenheim

hochschulübergreifend fächerübergreifend

RU Bochum

hochschulspezifisch fächerübergreifend

hochschulspezifisch fachspezifisch

HAW Hamburg

RWTH Aachen

Studiengang Informationsvermittlung

Beruf

Passungsanalyse

Abbildung 2: Verortung ausgewählter Selbsttests zur Studienorientierung

Kombiniert man die eben eingeführten Unterscheidungsmöglichkeiten miteinander, entsteht ein Gitter, das die Verortung von Self-Assessments erleichtert (vgl. Abbildung 2). Da eine erschöpfende Darstellung aller Selbsttests zur Studienorientierung nicht möglich ist, seien vier Instrumente exemplarisch herausgegriffen: – »Navigator« der HAW Hamburg: Der Navigator konzentriert sich auf die Vermittlung von studiengangspezifischen Informationen der HAW Hamburg. Die Inhalte werden multimedial und zielgruppengerecht aufbereitet. – Self-Assessments der RWTH Aachen: Die Self-Assessments der RWTH Aachen leisten fachspezifisch eine detaillierte Passungsanalyse für die Fächer der RWTH Aachen. Hierbei bearbeitet der Ratsuchende – wie auch beim HAW Navigator für jedes Fach einen eigenen Test. – »Borakel« der RU Bochum: Dieses Self-Assessment bietet ein integriertes Konzept, das alle Studienangebote der RU Bochum abdeckt. Der Ratsuchende absolviert einen Test und erhält Rückmeldung für alle Bochumer Studienangebote. Neben einer Passungsanalyse für die Studiengänge

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Selbsttests zur Studienorientierung: nützliche Vielfalt oder unnützer Wildwuchs?

bietet Borakel auch Hinweise für die berufliche Entwicklung. Weiterhin werden Image- und Informationsfilme bereitgehalten. – »was-studiere-ich.de« der Universitäten Hohenheim und Konstanz: Hierbei handelt es sich um einen Test, der auf eine hochschulübergreifende Passungsanalyse abzielt. Die Passung für einzelne Studiengänge wird indirekt über den Vergleich mit den den Studiengängen zugeordneten Berufen erreicht. Auf die Self-Assessments der HAW-Hamburg, der RWTH Aachen, der RU Bochum und die weiteren vielfältigen Konzepte wird in diesem Band ausführlich eingegangen. Um dem Leser ein vollständiges Bild zu vermitteln wird nachfolgend der Test was-studiere-ich.de skizziert. Grundgedanke von was-studiere-ich.de Der ursprünglich in Hohenheim entwickelte und nun in Kooperation der Universitäten Konstanz und Hohenheim weitergeführte Test was-studiereich.de ist ein Selbsteinschätzungsverfahren, mit dem studien- und berufsrelevante Interessen systematisch erfasst werden. Der Test bietet Unentschlossenen Unterstützung und Hilfestellung in der Frage, welche Studienfächer zu ihren persönlichen Interessen passen. Hierbei liegt der Schwerpunkt darauf, den Ratsuchenden neue Anregungen zu bieten, anstatt die eine »richtige« Lösung zu finden. Der Test ermittelt in seiner jetzigen Fassung sechs generelle Interessenfelder, die in dieser Form erstmals von John Holland (1973, 1985, 1997) benannt und in der Berufsberatung benutzt wurden. Sein prominentes und in der beruflichen Interessenforschung seit mehreren Jahrzenten dominierendes, empirisch solide abgesichertes Interessenstrukturmodell nimmt an, dass sich die sechs Interessenfelder praktisch-technische Interessen (»realistic«), wissenschaftliche Interessen (»investigative«), künstlerischsprachliche Interessen (»artistic«), soziale Interessen (»social«); unternehmerische Interessen (»enterprising«) und ordnend-verwaltende Interessen (»conventional«) in Form eines Sechsecks anordnen lassen. Nach Holland können sowohl Personen als auch Berufe anhand dieser Systematik effizient und hinreichend genau charakterisiert werden, indem bei den Personen die drei dominierenden Interessenfelder und bei den Berufen die drei einschlägigsten Interessenanforderungen bestimmt werden (Anfangsbuchstaben der Interessenfelder: R, I, A, S, E oder C). So zeigt der Personen-Code CEI an, dass sich die Person für die Interessenfelder ordnend-verwaltend, unternehmerisch und forschend interessiert. Genau so können Berufe beschrieben werden: Der Drei-Buchstaben-Code RIC beispielsweise definiert die drei für den Beruf des Ingenieurs relevanten Interessenfelder. Über den Abgleich der Personen- und Berufs-Codes werden passende Berufe und im zweiten Schritt passende Studiengänge ermittelt.

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In seiner endgültigen Fassung wird was-studiere-ich.de neben den berufsbezogenen Interessen auch den Bereich der kognitiven Fähigkeiten berücksichtigen. Hierbei wird auf das sogenannte Berliner Intelligenz-StrukturModell zurückgegriffen (Jäger, 1984). Dieses Intelligenzmodell ist in der Lage, verschiedene konkurrierende Modelle der kognitiven Leistungsfähigkeit zu integrieren und bietet eine für Orientierungszwecke wichtige Unterscheidung zwischen verschiedenen inhaltlichen Faktoren. Eine besondere Schwierigkeit bei der Konstruktion eines fächerübergreifenden Tests besteht darin, die Heterogenität der Anforderungen zwischen verschiedenen Studienfächern als auch die Heterogenität der Anforderungen innerhalb eines Fachs angemessen abzubilden. Nehmen wir das Fach Psychologie als Beispiel. Innerhalb der Psychologie werden die unterschiedlichsten Schwerpunkte angeboten, die zu unterschiedlichsten Tätigkeitsfelder führen: Ein klinischer Psychologe muss ganz andere Interessen mitbringen als ein Arbeits- und Organisationspsychologe. Letzterer ist von seinem Anforderungsprofil betriebswirtschaftlichen Berufen sogar ähnlicher als dem klinischen Psychologen. Es wäre also eine nicht zulässige Vereinfachung, wenn man ein Anforderungsprofil für das Fach Psychologie entwirft. Für den Test was-studiere-ich.de wurde eine neuartige Lösung des skizzierten Problems entwickelt: Statt auf homogene Studiengangsprofile zu setzen, bietet der Test die Möglichkeit, für jeden Studiengang unterschiedliche Profile zu hinterlegen. Hierzu werden jedem Studiengang die einschlägigsten Berufe mit ihren Berufsprofilen zugewiesen. Der Orientierungstest ermittelt also in einem ersten Schritt die für einen Testteilnehmer passenden Berufe und zeigt daraufhin die den Berufen zugeordneten Studiengänge. Konstrukt- und kriterienbezogene Validität von was-studiere-ich.de Zur Überprüfung der Modellannahmen wurden mit den Daten einer Stichprobe von 30 000 Probanden mehrere Strukturanalysen berechnet (vgl. Trapmann, Hell & Schuler, 2008; Hell, Päßler & Schuler, 2009). Sowohl die durchgeführten Faktorenanalysen als auch die angestellten multidimensionalen Skalierungen bestätigen die Konstruktvalidität des Tests: die Interessenfelder sind nicht nur kreisförmig angeordnet, sondern auch die Reihenfolge auf dem Kreisbogen stimmt mit den Modellannahmen Hollands überein. Darüber hinaus lassen sich zwei Hauptachsen interpretieren: Die waagerechte Achse reicht vom Pol Interesse für Dinge (R) zum Pol Interesse für Menschen (S), die senkrechte Achse wird durch die beiden Pole Interesse für Daten (C, E) vs. Interesse für Ideen (I, A) aufgespannt (vgl. Prediger, 1982). In einer Nachbefragung, an der sich 2 320 Testteilnehmer beteiligten, wurde das Verfahren einer ersten Evaluation unterzogen. Es wurde eingangs bereits erwähnt, dass der Test das Ziel verfolgt, den Ratsuchenden Anregungen für die weitere Studienwahl zu geben und dazu dienen soll, auf Perspek-

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tiven hinzuweisen, die vorher nicht unbedingt bedacht wurden. Daher wurde danach gefragt, ob der Test Studienfächer empfohlen hat, die neu und gleichzeitig passend waren. Bei 42.2% der Befragten führte der Test zu solchen Empfehlungen, bot also eine sinnvolle Anregung. Weiterhin waren wir an einer Gesamtbewertung des Tests interessiert. Zu diesem Zweck wurde gefragt, ob die Probanden den Test weiterempfehlen würden. 89.6% stimmten zu, 10.4% würden den Test nicht weiterempfehlen. Angesichts der sehr heterogenen Bedürfnisse der Ratsuchenden, die kaum durch einen einzigen Test ganz befriedigt werden können, handelt es sich bei einer Weiterempfehlungsquote von 90% nach unserer Einschätzung um einen sehr hohen Wert. Abschließend haben wir in der Nachbefragung eine erste Validierung des Tests an Außenkriterien vorgenommen. Zu diesem Zweck wurden die Probanden, die zum Zeitpunkt der Befragung einen Beruf ausübten, darum gebeten, die Zufriedenheit mit dem ausgeübten Beruf einzuschätzen. Außerdem wurde danach gefragt, ob der Test den Beruf empfohlen hat oder nicht. 104 Personen gaben an, dass sie einen Beruf ausüben, und taxierten die eigene berufliche Zufriedenheit nach dem Schulnotensystem auf 2.5. Wurde der Beruf vom Test empfohlen, lag die Zufriedenheit im Mittel bei 1.9; wurde der Beruf nicht empfohlen, so lag sie bei 2.8. Dieser Mittelwertunterschied ist statistisch hoch signifikant und belegt die Aussagekraft des Tests für das Kriterium berufliche Zufriedenheit. Weiterentwicklung von was-studiere-ich.de Der Test was-studiere-ich.de wurde ursprünglich an der Universität Hohenheim entwickelt. Inzwischen wird das Instrument – unterstützt durch das baden-württembergische Wissenschaftsministerium – in Kooperation der Universitäten Konstanz und Hohenheim zu einem Verfahren weiterentwickelt, das allen baden-württembergischen Universitäten und Fachhochschulen offen steht. Ein entsprechendes Angebot an die Landeshochschulen führte zu einer überwältigenden Resonanz: Alle 9 Landesuniversitäten, 4 der 6 Pädagogischen Hochschulen und 22 der 25 Fachhochschulen BadenWürttembergs beteiligen sich an der Weiterentwicklung zu einem landesweiten Orientierungstest. Erfreulicherweise wirken die Hochschulen aktiv und sehr engagiert an der Weiterentwicklung des Tests mit. Bis März 2009 haben sich 579 Fachexperten, meist Professoren und / oder Fachstudienberater, an der Beschreibung ihrer Studiengänge und der zugehörigen Berufe beteiligt. Auf diese Weise wurden bereits 1241 Berufe durch 9327 Einzeleinschätzungen charakterisiert. Wie bereits angesprochen, wird der Test auch inhaltlich erweitert, indem er in Zukunft auch den Bereich der kognitiven Fähigkeiten abdecken wird.

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Self-Assessments im deutschsprachigen Raum: keine transparente Testinformation Kersting (2006, S. 243) beklagt in seinem Resümee von Testbeurteilungssystemen eine weitreichende Intransparenz des Testmarktes: »Weder kann der Praktiker rasch und einfach erfahren, welche Tests wo und zu welchen Konditionen angeboten werden, noch kann er ohne weiteres unabhängige Bewertungen der Qualität der angebotenen Tests einsehen«. Dieses Fazit trifft auf den Markt von Print-Tests zu und müsste für die Online angebotenen Tests wohl noch pessimistischer ausfallen. Allenthalben sprießen neue Angebote aus dem Boden, deren theoretische Fundierung und auch kriterienbezogene Validität völlig unklar ist. Mögen die Print-Tests noch in gewissem Umfang in Fachzeitschriften, allen voran in der Diagnostica, oder in einschlägigen Sammelbänden und Handbüchern (z.B. Brähler, Holling, Leutner & Petermann, 2002) besprochen werden, fehlt eine kritische Besprechung von Online-Self-Assessments bislang vollständig. Selbst der fachkundige Psychologe und die fachkundige Psychologin kann sich aktuell kein fundiertes Urteil erlauben, da die für eine Testbeurteilung notwendigen Informationen (vgl. Testkuratorium, 2006) nicht zur Verfügung stehen. Wie hilflos müssen sich da erst die Schülerinnen und Schüler fühlen? Sie werden gerade in der Phase, in der es darum geht, sich für einen Bildungs- oder Berufsweg zu entschieden, mit zahllosen Informationen überhäuft. In dieser Situation werden sie kaum nach einem für ihre Situation geeigneten Self-Assessment suchen; stattdessen werden sie eher per Zufall (Empfehlungen von Mitschülern, Lehrkräften etc.) auf eines der zahllosen Testangebote stoßen. Ob das gewählte Angebot den Bedürfnissen des Ratsuchenden gerecht wird, ist daher ebenfalls Zufall. Und da die meisten SelfAssessments nicht auf andere Self-Assessments verweisen um ja keinen Studieninteressierten an eine andere Hochschule zu verlieren, wird der Studieninteressierte auch nie systematisch durch Selbsttests auf andere Selbsttests hingewiesen. Es fehlt ganz offensichtlich ein zentrales Portal, das die relevanten Informationen über die von den Hochschulen angebotenen Self-Assessments zusammenträgt. Diese Angaben müssten auf zwei Niveaus aufbereitet werden: a) für fachkundige Psychologen / Berater und b) für testtheoretisch ungeschulte Berater, Lehrkräfte und Schüler. Eine Testinformation für die erste Gruppe könnte sich an den vom Testkuratorium 2006 veröffentlichten Richtlinien orientieren. Für die zweite Gruppe müssten die Inhalte zielgruppenspezifisch aufbereitet werden. Eine Möglichkeit bestünde darin, sich am Prozess der Studienwahl zu orientieren (vgl. Tabelle 1). Die angebotenen SelfAssessments könnten in diesem Prozessmodell verortet werden, um den Ratsuchenden einen ersten Anhaltspunkt zu liefern. Diese Angaben sollten durch einen alphabetischen Fächerindex ergänzt werden, sodass Ratsuchende mit

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sehr konkreten Anliegen (»Ich interessiere mich für Fach X«) effizient zum für sie passenden Test geführt werden. Tabelle 1: Phasen der Studienentscheidung (vgl. Hell, Päßler & Schuler, 2009)

Phase Phase 1

Sensibilisierungsphase: Erkennen der Notwendigkeit einer Entscheidung

Phase 2

Selbstexploration: Herausarbeiten eigener Interessen, Fähigkeiten und Werte

Phase 3

Umweltexploration: Informieren über Ausbildungen, Berufe und Werdegänge

Phase 4

Phase 5

Phase 6 Phase 7

Phase 8

Einschlägige SelfAssessments

Beschreibung

Passungsprüfung Selbst-Umwelt: Vergleichen der eigenen Interessen / Fähigkeiten / Werte mit den beruflichen Umsetzungs- und Entfaltungsmöglichkeiten Reduktion und Vertiefung: Reduktion der Alternativen auf wenige Alternativen, Sammlung weitergehender Informationen Festlegungsphase: Festlegung auf eine Alternative Nachentscheidungsphase: Zunehmende Bindung an die Entscheidung oder Revidierung der Entscheidung Umsetzungsphase: Sammeln von Informationen für den Ausbildungs- oder Berufsbeginn

Übergreifende Tests: was-studiere-ich.de explorix.de …

Fachspezifische Tests: HAW-Navigator Tests der RWTH Aachen Self-Assessments der Universität Freiburg ...

Durch die vorgeschlagenen Zugänge würden erste Schneisen in das SelfAssessment-Dickicht für die Studieninteressierten geschlagen. Idealerweise sollten diese Informationen durch Angaben über die Qualität der Tests ergänzt werden. In Seminaren mit Studien- und Berufsberatern zum Thema Self-Assessments wird immer wieder ein »Test-TÜV« verlangt. Diese Aufgabe könnten nur Fachexpertinnen und -experten übernehmen. Zu denken ist an das Testkuratorium. Entwicklungspotenziale von Self-Assessments Konstrukteure von Self-Assessments stehen vor der schwierigen Aufgabe, Tests und Testrückmeldungen zu konzipieren, die einerseits so differenziert sein sollten, dass sie für Studienwahl der Studieninteressierten einen substanziellen Fortschritt induzieren. Auf der anderen Seite müssen die Rückmel-

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dungen verständlich sein und dürfen die Verarbeitungskapazität der oft jungen Ratsuchenden nicht überfordern. Es ist daher ratsam, auf Modelle zu setzen, die auf eine überschaubare Anzahl an Konstrukten bauen. Im Bereich der Interessen ist etwa an das Interessenstrukturmodell von John Holland zu denken. Mit der von Holland vorgeschlagenen Anzahl an Merkmalen ist nach unserer Erfahrung die Verarbeitungskapazität von Ratsuchenden bereits erschöpft. Steigt die Zahl der Konstrukte in den zweistelligen Bereich ist eine fehlerbehaftete Rezeption durch die Ratsuchenden vorprogrammiert. Sie ist sowohl auf die mangelnde inhaltliche Durchdringung der Konstruktbedeutung als auch auf die beschränkte Fähigkeit zur Gewichtung komplexer, mehrdimensionaler Informationen zurückführbar. In Rückmeldegesprächen lassen sich diese Defizite auffangen und abmildern – Online-Tests bieten diese Möglichkeit nicht. Eine weitere Schwierigkeit von Online-Self-Assessments besteht darin, dass ein Teil der Testbearbeiter den Testergebnissen ein unangemessen hohes Gewicht für die Entscheidungsfindung einräumen. Studien- und Berufsberater berichten von einer vielfach vorzufindenden »Testgläubigkeit« von Ratsuchenden. Bei derart »Testgläubigen« besteht die Gefahr einer scherwiegenden Verunsicherung durch die Teilnahme an Self-Assessments. Diesem Phänomen muss in den Rückmeldetexten von Self-Assessments in ausreichendem Maße Rechnung getragen werden. Angebote der Studien- und Berufsberatung sind um so wertvoller, je besser sie miteinander vernetzt sind. Bei manchen Selbsttests fehlt eine Vernetzung mit anderen Beratungsangeboten vollständig. Entweder wird befürchtet, dass die Ratsuchenden durch eine Vernetzung auf andere Bildungsangebote jenseits der eigenen Hochschule aufmerksam gemacht werden oder es handelt sich schlicht um ein Versäumnis. Sollten die Hinweise auf andere Beratungsangebote – seien es andere Tests oder Präsenzberatungsangebote – bewusst unterschlagen werden, läge eine inakzeptable Vermengung von Marketing und Beratung vor (vgl. auch Pixner & Mocigemba, in diesem Band). Aus den oben genannten Gründen (beschränkte Verarbeitungskapazität, Testgläubigkeit) wäre es aber fahrlässig, die Ratsuchenden nicht auf persönliche Beratungsgespräche hinzuweisen, in denen auch unerwartete Testergebnisse besprochen werden können. Besonders erfreulich ist die Tatsache, dass sämtliche dem Autor bekannten Self-Assessments begleitend evaluiert werden. Dabei wird oft nicht nur auf simple ad-hoc Befragungen gesetzt, sondern es werden methodisch anspruchsvolle, teilweise längsschnittliche Designs gewählt, um den entscheidenden Kernfragen nachzugehen: Sind die Verfahren kriterienbezogen valide? Leisten sie eine Prognose des Studienerfolgs und der Studienzufriedenheit? Ist die Wahl des Studiengangs angeregt durch Orientierungsverfahren besser durchdacht als ohne diese Tests? Erste überzeugende Antworten auf diese Fragen wurden – auch in diesem Band – gegeben und stellen das

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Selbsttests zur Studienorientierung: nützliche Vielfalt oder unnützer Wildwuchs?

beste Mittel dar, um aus dem derzeit zu beklagenden Wildwuchs an unbekannten Testkonzepten eine nützliche Vielfalt von Selbsttests zur Studienorientierung werden zu lassen. Literatur BRÄHLER, E., Holling, H., Leutner, D. & Petermann, F. (Hrsg.). (2002). Brickenkamp Handbuch psychologischer und pädagogischer Tests (Band 1 und 2; 3. vollständig überarbeitete und erweiterte Aufl.). Göttingen: Hogrefe. HELL, B., Päßler, K. & Schuler, H. (2009). was-studiere-ich.de: Konzept, Nutzen und Anwendungsmöglichkeiten. Zeitschrift für Studium und Beratung, 4, 9–14. HELL, B. & Schuler, H. (2005). Verfahren der Studierendenauswahl aus Sicht der Bewerber. Empirische Pädagogik, 19, 361–376. HELL, B. & Schuler, H. (2009). was-studiere-ich.de. Zugriff am 25.3.2009 unter http://www.was-studiere-ich.de HOLLAND, J.L. (1973). Making vocational choices: A theory of careers. Englewood Cliffs, NJ: Prentice Hall. HOLLAND, J.L. (1985). Making vocational choices: A theory of vocational personalities and work environments (2nd ed.) Englewood Cliffs, NJ: Prentice Hall. HOLLAND, J.L. (1997). Making vocational choices: A theory of vocational personalities and work environments (3rd ed.) Odessa, FL, US: Psychological Assessment Resources. KERSTING, M. (2006). Zur Beurteilung der Qualität von Tests: Resümee und Neubeginn. Psychologische Rundschau, 57, 243–253. MCCRAE, R.R. & Costa, P.T. (1997). Personality structure as a human universal. American Psychologist, 52, 509–516. MEDIENPÄDAGOGISCHER Forschungsverbund Südwest (Hrsg.). (2008). Jugend, Information, Multi-Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. Zugriff am 25.3.2009 unter www.mpfs.de PREDIGER, D.J. (1982). Dimensions underlying Holland’s hexagon: Missing link between interests and occupations? Journal of Vocational Behavior, 21, 259– 287. TESTKURATORIUM (2006). TBS-TK. Testbeurteilungssystem des Testkuratoriums der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen. Report Psychologie, 31, 492–499; sowie Psychologische Rundschau, 58, 25–30. TRAPMANN, S., Hell, B. & Schuler, H. (2008). Konstruktion und Evaluation eines mehrstufigen Auswahlverfahrens für Lehramtsstudierende im Fach Biologie an der Universität Hohenheim. In H. Schuler & B. Hell (Hrsg.), Studierendenauswahl und Studienentscheidung (S. 168–177). Göttingen: Hogrefe.

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Christian Montel BORAKEL – das Online-Beratungsangebot der RuhrUniversität Bochum Motivation und Zielsetzung bei der Erstellung von BORAKEL

Viele Abiturientinnen und Abiturienten treffen ihre Studienwahl auf einer Informationsbasis, die der Tragweite der Entscheidung nicht gerecht wird. Oftmals sind die Vorstellungen davon, welches Fach an welcher Hochschule studiert werden soll, ebenso wenig konkret, wie das damit angestrebte Ziel sorgfältig durchdacht und dessen Erreichbarkeit plausibel ist. Die Folgen liegen auf der Hand: Eine Orientierungsphase, in der die eigenen Erwartungen an einen Studiengang den tatsächlichen Bedingungen gegenübergestellt werden, wird nicht selten an den Anfang des Studiums gestellt. Am Ende dieser Orientierung steht für einen erheblichen Teil der jungen Studierenden der Studienfachwechsel oder gar –abbruch (vgl. z.B. Heublein, Spangenberg und Sommer, 2003). Man könnte nun den Standpunkt vertreten, dass eine Phase der Orientierung und des Umsehens zu Beginn des Studiums oder auch der späteren Berufstätigkeit normal und wichtig ist. Die Erfahrungen aus der Praxis zeigen jedoch, dass Studierende mit kurzer Studiendauer jenen, die länger studiert haben, häufig vorgezogen werden, wenn Arbeitsstellen vergeben werden. Analog werden längere Orientierungsphasen, die als Lücken im Lebenslauf z.B. zwischen Studienabschluss und Bewerbung auftauchen, bei der Stellenvergabe häufig als Zeichen mangelnder Zielstrebigkeit oder fehlender Berufsmotivation interpretiert und wirken sich auf diesem Wege chancenmindernd für den Absolventen oder die Absolventin aus. Hart auf den Punkt gebracht sind Phasen der Orientierung nur dann nicht mit Nachteilen für die Studierenden verbunden, wenn sie sich weder negativ auf die Studiendauer noch auf die im Studium erzielten Ergebnisse auswirken. Auch aus Sicht der Hochschulen werden Studierende, die »eigentlich« nicht zu den Anforderungen ihres Studiengangs passen oder die Inhalte »dann doch nicht so recht mögen«, selten als Bereicherung empfunden. Ähnliches gilt für diejenigen Studierenden, die nach einer langen Phase der »Orientierung« – Heublein et al. (2003) ermitteln für Studienabbrecher eine durchschnittliche Studiendauer von mehr als sieben Semestern – schließlich das Studienfach wechseln oder das Studium abbrechen. Die volkswirtschaftlichen Konsequenzen sind dramatisch; die allein durch den Studienabbruch

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verursachten Kosten werden von Zimmerhofer, Heukamp und Hornke (2006) auf ca. eine Milliarde Euro beziffert. »Mein Studiengang« – schneller Abgleich persönlicher Vorstellungen und Ressourcen mit den Anforderungen einer Vielzahl von Studiengängen Ein Grund für dieses Problem liegt sicherlich darin, dass vielen Abiturientinnen und Abiturienten der Einblick in die unglaubliche Vielfalt möglicher Studiengänge sowie der daraus erwachsenden beruflichen Möglichkeiten fehlt. Lewin, Heublein, Schreiber, Spangenberg und Sommer (2001) untersuchen die Informationsquellen, die vor der Aufnahme eines Studiums genutzt werden, und finden mit »Freunden«, »Medien« und »Eltern« besonders leicht verfügbare Quellen unter den am häufigsten genannten Antworten. Somit ist es nicht zu spekulativ anzunehmen, dass die Studiengänge und Berufsbilder, die bei Eltern und Freunden bekannt sind, intensiver bei der Studienfachwahl in Betracht gezogen werden als andere. Eigene Erfahrungen mit allgemein vertrauten Berufsbildern oder auch Berichte in den Medien erzeugen eine leichter »greifbare« Vorstellung von dem, wie das Leben als Ärztin, Lehrer oder Rechtsanwalt aussieht, sodass »Klassiker« wie Lehramt, Jura oder Medizin häufiger als »exotischere Studiengänge« für eine erste Orientierung in Erwägung gezogen werden. Lewin et al. (2001) berichten weiter, dass die meisten zukünftigen Studierenden schriftliche Informationen bei der Informationssuche nutzten und dieser – deutlich »anstrengender« zu beschaffenden – Quelle den höchsten subjektiven Nutzen beimäßen. Das übliche Vorgehen bei der Informationssuche dürfte sich damit mit »zunächst im Umfeld umhören und orientieren, dann Informationen zu einigen interessant erscheinenden Studiengängen einholen« beschreiben lassen. Ein Ziel bei der Schaffung von BORAKEL war es somit, bereits im ersten Schritt der Informationssuche den Aufmerksamkeitsfokus zu erweitern – konkret also die Chance zu erhöhen, einen gut zu den eigenen Vorstellungen passenden Studienplatz in die engere Wahl zu ziehen, auch wenn dieser im individuellen sozialen Umfeld weniger bekannt ist oder seltener in den Medien erwähnt wird. Dieses Ziel wird im BORAKEL-Modul B zur Wahl des Studienganges über einen systematischen Abgleich von eigenen Vorstellungen und Ressourcen mit den Anforderungen aller 61 integrierten Studiengänge realisiert. Auf Grundlage der systematischen Passungsaussage zu 61 Studiengängen können dann sehr gezielt weitere Informationen eingeholt werden, die dann z.B. zu einer besseren Vorbereitung eines persönlichen Beratungstermins in der Studienberatung dienen können. Wichtige Leitlinie bei der Gestaltung des Moduls war es, Informationen schnell erheben und Ergebnisse sofort präsentieren zu können, um auch Personen, die »nur mal eben schnell nachschauen möchten«, einen substanziel-

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BORAKEL – das Online-Beratungsangebot der Ruhr-Universität Bochum

len Nutzen zu bieten. Auch aus diesem Grund wurde in Modul B auf die Verwendung von Testverfahren im üblichen Sinne verzichtet und für ein entsprechendes Angebot das separate Modul »Mein Berufsweg« bereitgestellt. »Mein Berufsweg« – Testung berufs- und studienrelevanter Kompetenzen zur Konkretisierung beruflicher Vorstellungen Ein weiterer Grund für die oben angesprochene »Orientierungslosigkeit« vieler Abiturientinnen und Abiturienten besteht darin, dass wenig Kenntnisse vorliegen, wie stark für den Erfolg in Studium und Beruf relevante Stärken und Schwächen »tatsächlich« ausgeprägt sind. So könnte z.B. ein Abiturient mit mäßiger Mathematiknote und guten Zensuren in Deutsch und Englisch noch schließen, dass ihm »das Sprachliche mehr liegt«. Ob das Sprachverständnis für ein erfolgreiches Studium der Philosophie an einer bestimmten Hochschule hoch genug ausgeprägt ist, lässt sich jedoch – insbesondere in Bundesländern ohne Zentralabitur – weitaus schwerer feststellen. Noch problematischer ist es für Abiturientinnen und Abiturienten einzuschätzen, wie ihre »Soft Skills« ausgeprägt sind – also diejenigen Persönlichkeitsmerkmale, die in der Schule nicht systematisch beurteilt werden, jedoch hochgradig aussagekräftig für langfristigen Erfolg in Studium und Berufstätigkeit sind (vgl. Hossiep, Paschen und Mülhaus, 2000; Schmidt und Hunter, 1998). Um diesem Problem zu begegnen, wurde das BORAKEL-Modul A (»Mein Berufsweg«) erstellt. Der Ansatz dieses Self-Assessments berücksichtigt, dass in den wenigsten Disziplinen das Studienfach über die tatsächliche Ausgestaltung der späteren Berufstätigkeit (z.B. hinsichtlich Fach-, Führungs- oder Vertriebslaufbahn) entscheidet. Daher wird in der Rückmeldung zu Modul A die Passung des Testprofils der Rat suchenden Person zu den Anforderungen beruflicher Laufbahnen, die nach dem Studium eingeschlagen werden können, diskutiert. Auf diesem Weg wird gleichzeitig ein Reflexionsprozess in Gang gesetzt, an dessen Ende im günstigsten Fall eine Konkretisierung der »Lebensziele« steht, die mit der Aufnahme eines bestimmten Studienganges verbunden werden – verbunden mit der kritischen Prüfung, wie wahrscheinlich es ist, mit dem auf den ersten Blick interessant erscheinenden Studiengang dieses Ziel zu erreichen. »Meine Uni« – Darstellung des »Lebens« an der Ruhr-Universität Bochum Zweifelsohne bringt jede Universität ein ganz spezifisches Image mit, das – ganz ähnlich einer Marke – massiven Einfluss auf die Wahl des Studienortes hat. Um das »Markenimage« der Ruhr-Universität Bochum positiv zu beeinflussen, bietet Modul C Videoclips an, die aus der Perspektive der Studierenden das »Leben« in Bochum darstellen. Um die Glaubwürdigkeit zu

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erhöhen, wurden die entsprechenden Videoclips dabei ganz bewusst nicht bis ins letzte Detail hinsichtlich technischer Ausstattung und sprachlicher Gestaltung perfektioniert.

Abbildung 1: Einstiegsseite http://www.rub.de/borakel/

für

BORAKEL,

zu

erreichen

unter

Die Erstellung von Modul A: »Mein Berufsweg« Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass psychologische Testverfahren zu den effizientesten Methoden zur Prognose beruflichen Erfolges zählen (vgl. z.B. Schmidt und Hunter, 1998 für eine Zusammenfassung der Befunde). In Metaanalysen wie der letztgenannten wird ebenfalls deutlich, dass es gewisse »Grundfertigkeiten« bzw. »–eigenschaften« bei Personen gibt, die mit beruflichem Erfolg in einer Vielzahl verschiedener Berufe einhergehen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass es wenig sinnvoll ist, auf Basis eines Testergebnisses einen bestimmten Beruf zu empfehlen. Auch die Beobachtungen aus der Beratungspraxis zeigen, dass durchschnittlich begabte Abiturientinnen und Abiturienten meist für eine Vielzahl mitunter völlig verschiedener Berufe prinzipiell geeignet sind. Gleichzeitig lässt sich erkennen, dass es sehr wohl emotionale »Passungen« zu den Anforderungen bestimmter Berufslaufbahnen gibt, die in hohem Maße erfolgsrelevant sind (so werden z.B. Menschen, die sich scheuen zu bestimmen, was andere tun sollen, in einer Führungsposition selten wirklich glücklich, stark introvertierte Personen fühlen sich als Vertriebskräfte häufig nicht so recht wohl).

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BORAKEL – das Online-Beratungsangebot der Ruhr-Universität Bochum

Zur effizienten Erfassung erfolgsrelevanter persönlicher Kompetenzen wurde für BORAKEL eine Batterie aus insgesamt 21 Online-Testverfahren erstellt, die die Anforderungen der klassischen Eignungsdiagnostik erfüllen, aber für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer deutlich ansprechender als »Papier-und-Bleistift-Tests« sind. Bei der Zusammenstellung der in Abbildung 2 dargestellten Kompetenzdimensionen waren sowohl die Literatur zur Eignungsdiagnostik (z.B. Schuler, 2000, 2001; Schuler und Funke, 1995) als auch praktische Erfahrungen aus der eignungsdiagnostischen Beratungstätigkeit im Wirtschaftskontext hilfreich. Die ebenfalls angegebenen Cronbach’s-Alpha-Werte wurden innerhalb der BORAKEL-Vorstudie ermittelt. Motivation • Kontaktstreben (.81) • Streben nach sozialer Akzeptanz (.74) • Leistungsmotivation (.76) • Einfluss anderer meiden (.56) • Führungsmotivation (.70) • Fehler vermeiden (.82)

Persönliche Leistungsmerkmale • Sprach- und Textverständnis (.64/.80) • Zahlenverständnis (.72) • Denkgeschwindigkeit (.91) • Einfallsreichtum (.85)

Arbeitsstil • Stressresistenz (.81) • Spontane Handlungsbereitschaft (.58) • Sorgfältiges Arbeiten (.76) • Selbstvertrauen (.78) • Offenheit für neue Erfahrungen (.72)

Zusammenarbeit mit anderen • Zuverlässigkeit (.83) • Teamorientierung (.89) • Stressresistenz im Kontakt mit anderen (.83) • Konfliktbereitschaft (.79) • Extraversion (.89) • Durchsetzungsfähigkeit (.84)



Erklären können (.85)

Abbildung 2: Überblick über 21 Kompetenzdimensionen aus Modul A; in Klammern angegeben die Werte für Cronbach’s Alpha

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Nach Abschluss der vollständigen Bearbeitung des Tests erhält die Teilnehmerin/der Teilnehmer eine schriftliche PDF-Rückmeldung, die mehr als 30 Seiten umfasst und im Corporate Design der Ruhr-Universität gestaltet ist. Die Rückmeldung umfasst eine Erläuterung der individuellen Testwerte, die es den teilnehmenden Personen gestattet, einen objektiven Überblick über die eigenen Stärken und Optimierungspotenziale im Vergleich zu anderen Abiturientinnen und Abiturienten zu erhalten. Darüber hinaus werden Hinweise gegeben, was die Teilnehmerinnen und Teilnehmer tun können, um ihre aus dem Test hervorgehenden Potenziale bestmöglich zu nutzen. Um eine Unterstützung bei der längerfristigen beruflichen Orientierung zu bieten, wurde innerhalb von BORAKEL von einzelnen Berufen abstrahiert und das Denkmodell der »Berufswege« konzipiert. De facto entstand damit ein Strukturschema aus sechs Begriffspaaren, in dem sich die meisten Berufstätigkeiten lokalisieren lassen: – abhängiges oder selbstständiges Arbeitsverhältnis, – Fach- oder Führungslaufbahn, – Arbeit eher mit Menschen oder mit Sachen, – Vertrieb oder Innendienst, – Forschung oder Anwendung von Wissen, – Lehramt oder Verwaltung. Für jeden dieser zwölf Berufswege wurden auf der Basis von Literatur und den Erfahrungen von Experten aus der Praxis die besonderen Anforderungen der jeweiligen Berufswege erarbeitet. Innerhalb der Ergebnisrückmeldung werden diese Anforderungen nun mit dem individuellen Testprofil einer Teilnehmerin/eines Teilnehmers abgeglichen und es wird die »Passung« zu diesen Anforderungen ermittelt. Abbildung 3 zeigt ein Beispiel dafür, wie die Passung rückgemeldet wird – die zunächst knappe und pointierte Darstellung der einzelnen Berufswege ist der Erfahrung geschuldet, dass lange Darstellungen im Fließtext ungern gelesen werden. Über Hyperlinks innerhalb des PDF-Dokumentes ist es jedoch möglich, zu umfangreicheren Darstellungen zu springen und hier detaillierte weiterführende Informationen zu erhalten.

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BORAKEL – das Online-Beratungsangebot der Ruhr-Universität Bochum

Abbildung 3: Rückmeldung der »Passung« zu verschiedenen Berufswegen in der Ergebniszusammenfassung zu Modul A

Die Erstellung von Modul B: »Mein Studiengang« Weiter oben wurde bereits erwähnt, dass es für Studieninteressierte nicht einfach ist, einen Überblick über die Vielzahl der angebotenen Studiengänge zu erlangen. Darüber hinaus stellen die Studiengänge nicht selten Anforderungen an die zukünftigen Studierenden, die sich diesen nicht auf Anhieb erschließen – so ist es z.B. bekannt, dass viele an einem Studium der Psychologie Interessierte überrascht sind, welcher Umfang an mathematischen Grundkenntnissen für ein Studium dieses Fachs erforderlich ist. Unsere Erhebungen in der Erstellungsphase von BORAKEL zeigten ferner, dass nicht selten falsche Vorstellungen vom konkreten Studienalltag bei den Abiturientinnen und Abiturienten vorherrschen und z.B. der erforderliche Zeitaufwand bisweilen drastisch unterschätzt wird. BORAKEL-Modul

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B soll hier dazu beitragen, die Anforderungen der an der Ruhr-Universität angebotenen Studiengänge mit dem zu vergleichen, was die Rat suchende Person ihrerseits an Voraussetzungen mitbringt, um hier eine Hilfestellung bei der Auswahl passender Studiengänge zu geben. Erster Schritt: Erhebung der Anforderungen der Studiengänge Um zu einem Überblick über die Anforderungen der verschiedenen Studiengänge an der Ruhr-Universität zu gelangen (aktuell sind 61 Studiengänge in BORAKEL integriert), wurden zuvor benannte Vertreter der teilnehmenden Fakultäten zu den Anforderungen befragt. Die Befragung basierte auf einem standardisierten Leitfaden, der die folgenden Aspekte thematisierte: – Schulische Leistungen Hier gaben die Vertreter der Fakultäten an, welche Fächer günstigerweise hätten belegt werden sollen und welche Zensuren erforderlich sind, damit der jeweilige Studiengang empfohlen wird. Hier wurden auch freiwillige Arbeitsgemeinschaften berücksichtigt. – Erfahrungen und spezifische Kenntnisse außerhalb der Schule Dazu zählten z.B. Sprachkenntnisse, Auslandsaufenthalte, bereits abgeleistete Praktika, aber auch soziales und politisches Engagement, Nebenjobs und andere Erfahrungen im beruflichen Kontext, Hobbys wie Literatur, Kunst, Sport, Musik und Technik sowie EDV. – Studienbedingungen im jeweiligen Studiengang Hier machten die Vertreter Angaben zu Aspekten wie wöchentlichem Zeitaufwand in Stunden während und außerhalb der Vorlesungszeit, geforderten Praktika und dazu, ob ein Auslandsaufenthalt empfohlen wird. Auch Kosten für Bücher und Materialien, die von den Studierenden zu tragen sind, sowie typische »Überraschungen« für neu hinzukommende Studierende wurden hier thematisiert. – Kompetenzen erfolgreicher Studierender Hier wurden die Vertreter der Fakultäten befragt, welche sozialen und methodischen Kompetenzen sowie Interessen zukünftige Studierende mitbringen sollten. Trotz der Standardisierung des Leitfadens war die Befragung offen angelegt, sodass die Vertreter der Fakultäten die Möglichkeit hatten, für die Empfehlung des jeweiligen Studiengangs wichtige Aspekte zu ergänzen. Zweiter Schritt: Erstellung und Erprobung eines Online-Fragebogens Der nächste Schritt bei der Entwicklung von Modul B bestand in der Konzeption eines Online-Fragebogens, mit dem die Daten der an einem Studium Interessierten erfasst werden können, um sie mit den Anforderungen der verschiedenen Studiengänge vergleichen zu können. Dazu wurden die An-

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forderungen der Fakultäten in geeignete Fragen zu deren Erhebung »übersetzt« und das Resultat zu Erprobungszwecken online zur Verfügung gestellt. Bei der Gestaltung der Fragen zu Kompetenzen erfolgreicher Studierender ergab sich das interessante Spannungsfeld, dass einige der dort genannten Kompetenzen gut mit einem psychologischen Test hätten erfasst werden können. Da der resultierende Fragebogen damit jedoch deutlich an Länge gewonnen (und damit an Attraktivität für viele potenzielle Nutzer verloren) hätte, wurde in Modul B der Versuch unternommen, die betreffenden Kompetenzen sehr plastisch zu formulieren, um auf diesem Weg eine valide Selbsteinschätzung zu vereinfachen. Beispiele für Formulierungen finden sich in Abbildung 4 bis Abbildung 6.

Abbildung 4: Zielgruppenspezifische Definitionen von Soft Skills am Beispiel der Frustrationstoleranz

Abbildung 5: Selbsteinschätzungen hinsichtlich der Ausprägung verschiedener Aspekte der kognitiven Leistungsfähigkeit – hier am Beispiel des räumlich-figuralen Denkens

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Abbildung 6: Sprachliche Abstraktionsfähigkeit als weitere Facette kognitiver Leistungsfähigkeit

Auf Basis der Eingaben von mehr als 1000 Personen, die an der BORAKEL-Erprobungsstudie teilgenommen haben, wurde der Fragebogen weiter überarbeitet, um z.B. missverständliche Formulierungen zu ersetzen oder den Fragebogen zu kürzen. Dritter Schritt: Formalisierung und Optimierung der Zuordnungsregeln Bei der oben dargestellten Befragung der Fakultäten entstand implizit ein komplexes Regelwerk, das für jeden Studiengang festlegt, welche Kriterien ein Studieninteressent/eine Studieninteressentin in jedem Fall erfüllen muss, damit ihm/ihr der Studiengang empfohlen wird, und welche Kriterien wünschenswerterweise erfüllt sein sollten. Die so entstandenen Regeln wurden innerhalb des Kommunikationsmanagers GEP formalisiert und auf die in der Erprobungsphase des Online-Formulars gewonnenen Teilnehmerdaten angewandt. Auf diese Weise konnte z.B. erkannt werden, welche Studiengänge besonders »strenge« Regeln formuliert hatten (und dementsprechend selten empfohlen wurden) und welche Studiengänge mit Regeln versehen waren, die zu zu häufigen Empfehlungen führten. Auffällige Befunde dieser Art wurden erneut mit den Vertretern der Fakultäten diskutiert, sodass diese entscheiden konnten, ob diese Effekte der Zuordnungsregeln erwünscht waren oder ob die Zuordnungsregeln modifiziert werden sollten. Gestaltung der Rückmeldung für die Abiturientinnen und Abiturienten Innerhalb der Rückmeldung wird der Rat suchenden Person ihre »Passung« zu den Anforderungen sämtlicher Studiengänge rückgemeldet, und zwar getrennt nach den oben bereits erwähnten »unverzichtbaren« sowie »wünschenswerten« Anforderungen. Dabei werden die fünf Studiengänge, die am besten zum Profil der Teilnehmerin/des Teilnehmers passen, besonders ausführlich beschrieben. Hier enthält die Ergebnisrückmeldung eine

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kurze Charakterisierung des Studiengangs sowie Links zu weiteren Details des Studiengangs, zur Homepage des Instituts und zu Interviews mit Studierenden, die aus erster Hand von ihren Erfahrungen im Studiengang berichten. Um interessierten Personen die Möglichkeit zu geben, auch die Passung zu ihrem »Wunschstudiengang« zu ermitteln, können im Online-Fragebogen bis zu fünf Studiengänge explizit ausgewählt werden, die ebenfalls ausführlich beschrieben werden. Die Erstellung von Modul C: »Meine Uni« Die von den Abiturientinnen und Abiturienten wahrgenommene Attraktivität der Universität und ihrer Umgebung ist ohne Zweifel wichtig für die Entscheidung, an welcher Universität ein Studium aufgenommen wird. Nicht wenige Universitäten haben kein sonderlich attraktives Image, was jedoch bei näherer Betrachtung schwer zu erklären ist. Modul C wurde erstellt, um auf zielgruppengerechte Art und Weise zu vermitteln, worin die Besonderheiten eines Studiums an der Ruhr-Universität bestehen. Zu den in 7 im Überblick dargestellten Themen wurden daher kurze Filme erstellt, in denen das »Leben« an der Ruhr-Universität aus Sicht der Studierenden, häufig mit einem locker-humorvollen Unterton, dargestellt wird.

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Was Sie nicht an jeder Uni finden … − Bochum spezial: Besondere Studiengänge an der RUB − Lehrer werden – aber mit System: Der spezielle Studienweg für angehende Lehrerinnen und Lehrer an der RUB − Studierende machen Kunst: Das Musische Zentrum – einzigartig in Deutschland − CampusKultur: Vom Radio bis zur Kunstsammlung

Und wenn Sie mal nicht studieren ... − Graue Beton-Uni? Die RUB im Grünen − Unisport: Mens sana in corpore sano (sit) − Das Ruhrgebiet – der Pott: 100 Gründe, warum es im Ruhrgebiet am schönsten ist … − Das Leben nach acht: Life@night@Campus und Bochum

Studieren müssen Sie selbst, aber ... − Erfolgreicher Uni-Start leicht gemacht: Einführungsprogramme und Tutorien für Erstsemester − Kids und Zwerge an der Uni: Studieren mit Kind an der RUB − RUBeL: Mit eLearning und Blackboard zeitgemäß studieren − Studium ohne Grenzen: Auslandserfahrung schon während des Studiums − Raus aus dem Hörsaal: Durch Praxis lernen

Kontakte zur RUB knüpfen ... − SchülerUni: Uniluft schon während der Schule schnuppern − Power-Girls: Schülerinnenprojekte nicht nur in Naturwissenschaft und Technik − Die Wissenschaft – kein Elfenbeinturm: RUBUnterstützung rund um den Berufseinstieg − Spin-offs erfolgreich gestalten: Starthilfe bei der Existenzgründung an der RUB − Mentoring und Networking: Uni-Kontakte langfristig nutzen Unser Campus ... − Alltag und Alltägliches: Das Leben auf dem Campus − Die Uni wird renoviert: Baustellen an der RUB − Campus-Feeling: Hier lässt es sich aushalten!

Abbildung 7: Überblick über die Themenbereiche von Modul C

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Erfahrungen und erste Evaluationsergebnisse BORAKEL beinhaltet Feedbackbögen, in denen Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Einschätzung zu den einzelnen Modulen des Tools angeben können. Besonders auffällig ist, dass relativ wenig Personen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen – so füllen im Schnitt etwa 0,7 % der Nutzer einen Evaluationsbogen zu einem Borakel-Modul aus. Angesichts dessen ist anzunehmen, dass die Ergebnisse der Evaluation die »wahren« Verhältnisse nicht exakt widerspiegeln. So ist die Tendenz bei unzufriedenen Personen erfahrungsgemäß höher, sich durch eine Rückmeldung »Luft zu machen«, während zufriedene Personen weniger dazu neigen, ein Webangebot explizit zu loben. Somit muss zunächst in Kauf genommen werden, dass diese Evaluationsergebnisse (ggf. auch in die Gegenrichtung) verzerrt sind. Nach der Bearbeitung des Moduls A (»Mein Berufsweg«) gaben 71 % der Feedbackgeber an, die Aussagen aus den Testfeedbacks bei ihrer Lebensplanung zu beachten. Nach Bearbeitung von Modul B (»Mein Studiengang«) gaben 73,6 % der Feedbackgeber an, in den Rückmeldungen zu möglichen Studiengängen Hinweise auf Neues bekommen zu haben. Dieser Befund deutet darauf hin, dass die oben erwähnte Zielsetzung von Modul B, nämlich die Erweiterung des Aufmerksamkeitsfokus bei der ersten Orientierung in der »Welt der Studiengänge«, erreicht werden konnte. Die Befragten bewerteten das Angebot einer Beratungshilfe wie BORAKEL ausgesprochen positiv: 90,5 % bewerteten es als »sehr positiv« bzw. »positiv«, dass eine Hochschule ein Angebot wie BORAKEL-Modul A (»Mein Berufsweg«) bereitstellt, im Falle von Modul B (»Mein Studiengang«) waren es 92,3 %. Weiterführende Befunde zur Evaluation von BORAKEL – insbesondere zur Wirkung von Modul A – finden sich z.B. bei Wenzel (2008). Über diese Evaluation hinaus hat die Stiftung Warentest (Stiftung Warentest, 2007) 23 Online-Tests zur Potenzialanalyse und Berufsorientierung untersucht und dabei auch das Modul A von BORAKEL getestet. BORAKEL wurde mit »sehr gut (1,5)« bewertet und ging mit dieser Bewertung zusammen mit einem anderen, kommerziellen Testangebot als Testsieger bei den Testangeboten für Jugendliche aus der Untersuchung hervor. Die Qualität der eingesetzten Testverfahren wurde bei keinem Testverfahren der Untersuchung als besser eingeschätzt als bei BORAKEL.

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Literatur HEUBLEIN, U., Spangenberg, H. & Sommer, D. (2003). Ursachen des Studienabbruchs. Analyse 2002. Hannover: Hochschul-Informations-System. HOSSIEP, R., Paschen, M. & Mülhaus, O. (2000). Persönlichkeitstests im Personalmanagement. Grundlagen, Instrumente und Anwendungen. Göttingen: Hogrefe. LEWIN, K., Heublein, U., Schreiber, J., Spangenberg, H. & Sommer, D. (2001). Studienanfänger im Wintersemester 2000/2001: Trotz Anfangsschwierigkeiten optimistisch in die Zukunft. Hannover: Hochschul-Informations-System. SCHMIDT, F. L. & Hunter, J. (1998). The Validity and Utility of Selection Methods in Personnel Psychology. Psychological Bulletin, 124 (2), 262–274. SCHULER, H. (2000). Psychologische Personalauswahl – Einführung in die Berufseignungsdiagnostik. Göttingen: Verlag für Angewandte Psychologie. SCHULER, H. (2001). Lehrbuch der Personalpsychologie. Göttingen: Hogrefe. SCHULER, H. & Funke, U. (1995). Diagnose beruflicher Eignung und Leistung. In H. Schuler (Hrsg.), Lehrbuch der Organisationspsychologie (S. 235–283). Bern: Hans Huber. STIFTUNG Warentest (2007). Eignungsprüfung im Netz. Weiterbildungstest ONLINE, 1–7 . Verfügbar unter http://www.test.de WENZEL, M. (2008). Soft-Skills in der Hochschulzulassung: Eine empirische Analyse zur Vorhersage des Studienerfolgs. Saar- brücken: VDM. ZIMMERHOFER, A., Heukamp, V. M. & Hornke, L. F. (2006). Ein Schritt zur fundierten Studienfachwahl – webbasierte Self-Assessments in der Praxis. Report Psychologie, 31, 62–72.

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Joachim Diercks, Kristof Kupka, Katharina Bolten »HAW-Navigator« -– Internetbasierte Beratungs- und Selbsteinschätzungsinstrumente an der HAW Hamburg – Erfahrungen, Schlussfolgerungen und Perspektiven

Zielsetzung Der vorliegende Beitrag beschreibt, wie die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg) unter der Bezeichnung »HAWNavigator« internetbasierte Studieninformations- und Selbsttestinstrumente einsetzt, um potenzielle Bewerber VOR der eigentlichen Bewerbung über wesentliche charakteristische Merkmale unterschiedlicher Studiengänge zu informieren und so über den Wirkungshebel »verbesserte Selbstauswahl« den individuellen und allgemeinen Studiererfolg zu erhöhen. Hochschulpolitischer Kontext Die im Juli 2004 beschlossene Reform der Hochschulzulassung bzw. das im August 2004 in Kraft getretene 7. HRGÄndG (Änderung des Hochschulrahmengesetzes) besagt im Kern, dass die Hochschulen in Deutschland künftig aktiver an der Auswahl ihrer Studierenden mitwirken sollen. Dabei sieht das 7. HRGÄndG für die Studienplatzvergabe in bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengängen die kurz mit ›20-20-60-Regelung‹ benannte Quotenverteilung vor: 20% der Studienplätze gehen an die Abiturbesten, die sich ihre Wunschhochschule aussuchen können. 20% der Studienplätze werden nach Wartezeit vergeben. Die Mehrzahl der Studienplätze, 60% nämlich, wird in Zukunft von den Hochschulen selbst vergeben. Wie die Hochschul-Rektoren-Konferenz (HRK) in einer Stellungnahme des 98. Senats im Februar 2004 übereinstimmend mit den »Empfehlungen zur Reform des Hochschulzugangs« des Wissenschaftsrates betonte, sollen bei der Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen im wesentlichen zwei Aspekte Berücksichtigung finden: – Ein auf Effizienz ausgerichtetes Hochschulsystem muss alle Chancen nutzen, die Studienerfolgsrate zu erhöhen. – Ein zugleich wettbewerbsorientiertes Hochschulsystem muss die Hochschulen dabei unterstützen, auch im Bereich der Lehre eigene Schwerpunkte zu setzen und ihr Studienangebot deutlich zu profilieren.

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Joachim Diercks, Kristof Kupka, Katharina Bolten

In der Konsequenz muss dies zu einer wesentlich größeren Mitwirkung der Hochschulen an den Auswahlverfahren für die Studienbewerber/innen führen. Nach den vorliegenden Erkenntnissen ist die Durchschnittsnote einer Hochschulzugangsberechtigung, insbesondere die Abiturnote, bester Einzelparameter für die Prognose des Studienerfolgs und deshalb für eine optimale Bewerberauswahl weiterhin unverzichtbar (Hell, Trapmann, Weigand, Hirn & Schuler, 2005). Es kann argumentiert werden, dass das Vorhandensein einer Hochschulzugangsberechtigung auch das Vorhandensein einer allgemeinen Studierfähigkeit aussagt. Aufgrund des hohen Aggregationsniveaus der Abiturdurchschnittsnoten ist aber der Abgleich mit studienfachspezifischen Anforderungen nicht im wünschenswerten Umfang möglich. Von daher wird vermehrt auf den Begriff der Passfähigkeit verwiesen, wobei Passfähigkeit verstanden wird als möglichst hohe Übereinstimmung individueller Kompetenzen der Studienanfänger/innen mit den grundlegenden und spezifischen Anforderungen eines Studiums, differenziert nach Inhalt und Profil (u.a. Lewin & Lischka, 2004 sowie die Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Reform des Hochschulzugangs, 2004). Das Prinzip der Passfähigkeit impliziert somit grundsätzlich, dass sowohl die Kompetenzen der Studieninteressierten als auch die Anforderungen der Hochschulen / Studienfächer Variablen sind. Eine Passung kann folglich durch eine jeweils einseitige Anpassung der Leistungsvoraussetzungen der Studienanfänger/innen oder der Studienanforderungen der Hochschulen oder durch Anpassung und Annäherung beider Seiten bewirkt werden. Insbesondere das dynamische Begriffsverständnis der zuletzt genannten Alternative bietet zahlreiche Möglichkeiten zur weiteren Profilbildung der Hochschulen und zum weiteren Wettbewerb um geeignete Studierende. Durch stärker herausgearbeitete Profile der Hochschulen / Studienfächer wird auch die Selbst-Selektion passender Studienbewerber/innen unterstützt. Wissenschaftsrat und HRK kommen zu dem Schluss, dass bei der Gestaltung der Auswahlprozesse durch Hochschulen bzw. Studiengänge nicht einseitig auf die Überprüfung bewerberseitig vorhandener Kompetenzen abgestellt werden sollte (bspw. über Auswahltests), sondern dass die Optimierung von Auswahlverfahren mit einem Beratungsvorgang einhergehen sollte, der zur größeren Sicherheit der Studienentscheidung und daher zur Senkung der Abbruchquote beiträgt. Es geht darum, die individuellen studiengangspezifischen Eignungen der Studienbewerber/innen, die nur von Hochschulen selbst bewertet werden können, bei der Zulassungsentscheidung besser als bisher zu berücksichtigen. Das »Hochschul E-Assessment Projekt« – HEAP Vor dem Hintergrund der genannten Entwicklungen wurde im November 2004 das »Hochschul E-Assessment Projekt – HEAP« gestartet, mit dem

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»HAW-Navigator« -– Internetbasierte Beratungs- und Selbsteinschätzungsinstrumente

Ziel, den Auswahlprozess im Rahmen der Studienwahl durch einen OnlineSelbsttest zu unterstützen. HEAP wurde unter der Trägerschaft des E-Learning Consortiums Hamburg (ELCH) und unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. A. Redlich und Prof. R. Schulmeister als sowohl hochschulübergreifendes- als auch im Sinne einer Public-Private-Partnership organisiertes Projekt aufgesetzt. Beteiligt waren insgesamt fünf Studiengänge aus den drei größten Hamburger Hochschulen. Von der Universität Hamburg waren dies die Studiengänge Betriebswirtschaftslehre und Psychologie, von der TU Hamburg-Harburg die Studiengänge Informatik und Telematik und von der HAW Hamburg das Department Maschinenbau und Produktion. Die zentrale Fragestellung hinter dem HEAP war: – Führt eine verbesserte Information und die Möglichkeit zur Selbsttestung VOR der eigentlichen Bewerbung zu einer besseren Studienwahl? Unter Federführung des Fachbereichs Psychologie der Universität Hamburg (Prof. A. Redlich) wurde zur Evaluation des Projekts ein Fragebogen entwickelt, der sich aus projektübergreifenden und jeweils einigen fachbereichsspezifischen Fragen zusammensetzt. Dabei wurden Daten zur Struktur der Teilnehmer/innen (personenbezogene Daten), Zufriedenheit und Akzeptanz, möglichen Imagebildung sowie Studienwahlsicherheit und Erwartungsklarheit erhoben. Die aus dieser Befragung der Teilnehmer/innen gewonnenen Erkenntnisse legten nahe, dass die Ausgangsfragestellung bejaht werden konnte. Nachfolgend einige Kernergebnisse: – Von den Teilnehmern, die das eStudienberatungsangebot des Fachbereichs Psychologie vollständig durchlaufen haben, haben 72% angegeben, dass das Angebot einen positiven Einfluss auf das Image des Fachbereichs hat. 23,7% der Teilnehmer gaben an, dass es keinen Einfluss auf das Image hat und nur 3,9% stellten einen negativen Einfluss fest. Knapp zwei Drittel der befragten Personen beantworteten die Aussage »Das eStudienberatungsangebot hat mir bei der Studienentscheidung geholfen.« mit »stimme absolut zu«, »stimme zu« oder »stimme überwiegend zu«. 21,6 % stimmten zumindest teilweise zu und nur 12,9% gaben die Antworten »stimme kaum zu«, »stimme nicht zu« oder »stimme absolut nicht zu«. – Die Teilnehmer des Angebots für das Department Maschinenbau und Produktion der HAW Hamburg wurden sowohl vor als auch nach der Teilnahme nach ihrer Studienwahlsicherheit befragt. Zu Beginn des eStudienberatungsangebots gaben gut 40% der Teilnehmer an, dass sie sich sicher seien, einen Studiengang am Department antreten zu wollen. Nach Abschluss des Angebots waren es über 50%. Die Anzahl der Teilnehmer, die sich unsicher in Bezug auf das Studium waren, konnte durch das Beratungsangebot von über 10% auf gut 5% etwa halbiert werden.

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– Von den Teilnehmern des eStudienberatungsangebots für den Studiengang Betriebswirtschaftslehre gaben 45% an, dass das Angebot einen positiven Einfluss auf das Image des Fachbereichs habe. 44,9% sahen keinen Einfluss auf das Image und 11% einen (meist geringen) negativen Einfluss. Doch nicht nur die Ergebnisse der Evaluation des HEAP legen nahe, dass Selbstauswahl eine geeignete Methode zur Erhöhung des Studienerfolgs ist. Die Macht des »Auswahlinstruments« Selbstauswahl wird schnell deutlich, wenn man sich einen einfachen Sachverhalt vor Augen hält: Gelänge es einer Hochschule beispielsweise ausschließlich »passende« Bewerber anzulocken, bedürfte es im Grunde keines weiteren Auswahlverfahrens mehr. Wenn man so will, zöge selbst ein auf Zufall basierendes Losverfahren immer einen richtigen Bewerber aus dem Lostopf. Umgekehrt jedoch gilt dieses Beispiel natürlich auch: Einer Hochschule, die keinen einzigen »passenden« Bewerber erreicht, hilft auch das beste – i.S. der Selektionsdiagnostik »valideste« – Auswahlverfahren nicht. Wo kein geeigneter Bewerber ist, kann ihn auch kein noch so gutes Verfahren aufspüren. In der Realität dürfte die Grundquote, also der prozentuale Anteil »passender« Bewerber in der Grundgesamtheit aller Bewerber, selten 100 und wohl ebenso selten Null sein, jedoch zeigt sich, dass bereits graduelle Verbesserungen der Grundquote z.T. deutlich erhöhte Trefferquoten zur Folge haben (Taylor & Russell, 1939). Aus Sicht der Hochschulen ist also die Einflussnahme darauf, wer sich um einen Studienplatz bewirbt, in keiner Weise bloßes »Window-Dressing«, sondern überlebenswichtig im Wettbewerb um erfolgreiche Studierende. Die längerfristige Positionierung als Hochschulmarke hilft dabei, sich als Hochschule im sogenannten »Relevant set« bei der Wunschzielgruppe zu verankern. Das Relevant (oder Evoked-) Set beschreibt dabei die von der Zielgruppe in Betracht gezogenen Hochschulen. Jean M. Phillips von der Rutgers University in New Jersey hat in ihrer Meta-Analyse »Effects of Realistic Job Previews on Multiple Organizational Outcomes: A Meta-Analysis« (Phillips, 1998) nachgewiesen, dass der Einsatz sogenannter »Realistic Job Previews«, also der möglichst realistischen Darstellung der Begebenheiten eines Jobs oder Berufsbildes (in diesem Fall eines Studiums) bevor ein Kandidat diesen antritt, generell positive Auswirkungen auf verschiedene organisatorische Ziele hat. Neben eher übergeordneten Zielen wie »allgemeiner Performance« waren hierunter auch sehr spezifisch auf den Recruitingkontext bezogene Ziele, beispielsweise die »Klarheit der ursprünglichen Erwartungen« (Accuracy of initial expectations) oder die Gefahr des vorzeitigen bewerberseitigen »Rückzugs aus dem Recruitingprozess« (attrition from the recruitment process). Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse geht die HAW Hamburg den Weg der internetbasierten Beratungs- und Selbsteinschätzungsinstrumente – der Ansatz der »HAW-Navigatoren«.

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Das »Vier-Welten-Modell« des »Kennen-Können-Wollen-Sollen« Sowohl »HEAP« als auch die »HAW-Navigatoren« basieren auf dem »Vier-Welten-Modell« des »Kennen-Können-Wollen-Sollen« nach Alexander Redlich (2005). Hiernach stellt das »Können«, also Fähigkeiten, die sich unter Umständen über den Einsatz von Auswahltests überprüfen ließen, lediglich einen von vier wichtigen Bereichen einer »richtigen Studienwahl« dar. Für eine umfassende, langfristig erfolgreiche Studienwahlentscheidung ist allerdings vielmehr die Berücksichtigung aller vier Bereiche notwendig und wichtig. Neben dem Können spielen also auch Kennen, Wollen und Sollen eine große Rolle. Die Dimension des »Kennens« lässt sich durch Informationen zu den einzelnen Studiengängen abdecken. Die Leitfragestellung hierbei ist: »Was muss eine studieninteressierte Person alles über die Hochschule, die Fakultät, den Studiengang sowie typische Berufsperspektiven oder sachfremde Kriterien wie Wohnsituation, Finanzierung oder Studienkultur alles wissen, damit er/sie eine fundierte Entscheidung treffen kann?«. Doch auch bei einer i.S. der Studierfähigkeit für einen Studiengang »geeigneten« und über alle wichtigen Teilaspekte informierten Person kann selbstverständlich nicht unterstellt werden, dass diese den Studiengang auch studieren will. Auch die Studienwahlsicherheit (das »Wollen«) bildet also eine wichtige Grundlage des Studienerfolgs. Die Dimension des »Sollens« bedient sowohl Facetten der Fähigkeit als auch der Information und entspricht wahrscheinlich am ehesten dem Begriff des Self-Assessments. Sowohl im Rahmen der HEAP-Teilprojekte als auch innerhalb der HAW-Navigatoren werden Teilnehmern u.a. Aufgaben mit typischen Anforderungen des Studiengangs gestellt. Der Bewerber/ die Bewerberin erhält daraufhin ein Feedback zu den gelösten Aufgaben und zu den erwarteten Antwortniveaus und kann so darüber reflektieren, ob er/ sie diesen Studiengang studieren sollte und die nötigen Voraussetzungen mitbringt. Man erkennt, dass das »Vier-Welten-Modell« von einem mündigen, vernunftbegabten Menschen ausgeht. Die virtuellen Studieninformationssysteme sowohl des HEAP als der HAW-Navigatoren nehmen dem Interessenten die Entscheidung nicht aus der Hand, sondern liefern über verschiedene Instrumente Informationen, anhand derer der Interessent eine fundiertere Entscheidung treffen kann. Man muss sich in diesem Kontext zudem vergegenwärtigen, dass eine getroffenen Auswahlentscheidung (sowohl die seitens des Bewerbers als auch die seitens der Hochschule getroffene) gewaltige Auswirkungen auf den weiteren Lebensweg der jeweiligen Person hat, da hiervon direkt eine in vielen Fällen jahrzehntelange Erwerbskarriere abhängt. Hierdurch bekommt der Auswahlkontext eine erhebliche moralisch-ethische Dimension, die in

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den meisten anderen Rekrutierungsfragestellungen im Unternehmenskontext eher zu vernachlässigen ist. Internetbasierte Beratungs- und Selbsteinschätzungsinstrumente an der HAW Hamburg – »HAW-Navigator« Die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg geht vor dem beschriebenen Hintergrund den Weg der virtuellen Studienorientierung mit SelfAssessment Elementen. Über das Internet werden potenzielle Bewerber VOR der eigentlichen Bewerbung über die wesentlichen charakteristischen Merkmale des jeweiligen Studiengangs informiert. Unterteilt in verschiedene Themenkapitel umfassen die »HAW-Navigatoren« Informationen z.B. zu Berufswelt, Studienorganisation, Studienkultur, benötigten Fachkenntnissen oder gestellten und erwarteten Anforderungsniveaus etc. des jeweiligen Studiengangs. Die virtuellen Beratungsmodule des HAW-Navigators setzen ganz klar vor der eigentlichen Bewerbung an. Statt »fatalistisch« darauf zu warten, wer sich für den einen oder anderen Studiengang bewirbt, um diese Bewerber dann »auszuwählen«, wird aktiv darauf eingewirkt, dass sich von vornherein möglichst passende Kandidaten angezogen und bestärkt, während sich unpassende Kandidaten möglicherweise eher »abgeschreckt« fühlen. Der Wirkungshebel der virtuellen Studienberatung der HAW-Navigatoren ist also in erster Linie die Erhöhung des Anteils passender Kandidaten unter den Bewerbern (»Erhöhung der Grundquote«), nicht primär die Verbesserung der Validität der Fremdauswahl, die sich aufgrund der hohen Prognosegüte der Abiturnote nur relativ aufwändig weiter verbessern ließe. Gründe für den Weg der virtuellen Studienberatung mit SelbsttestElementen an der HAW Hamburg Die HAW Hamburg hat sich aus verschiedenen Gründen zu dieser Art der virtuellen Studienberatung entschieden: Der HAW Hamburg ist es wichtig, nicht darauf zu warten, wer sich bei der Hochschule um einen Studienplatz bewirbt, sondern bereits im Vorfeld Einfluss darauf zu nehmen. Dies bedeutet, dass sich Bewerber, die nicht zu diesem Studiengang passen und ihn deswegen auch mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit erfolgreich abschließen würden, gar nicht erst bewerben sollten. Aus diesem Grund, wird dem Bewerber bereits vor der Bewerbung klar gemacht, was dieser Studiengang ist und auch, was er nicht ist. Unpassende Bewerber fühlen sich auf diese Weise möglicherweise eher »abgeschreckt« und hinterfragen ihre Entscheidung noch einmal. Passende Bewerber werden jedoch in ihrer Auswahl bestärkt. Auch Studieninteressierte, die einen Studiengang bisher noch gar nicht in Betracht gezogen haben, können durch die virtuelle Studienberatung auf den Studiengang aufmerksam ge-

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macht werden und diesen (wenn er zu ihnen passt) in ihre Auswahl einbeziehen. Es steigt der Anteil an Bewerbern, die diesen Studiengang nicht nur studieren können, sondern auch studieren wollen. Das heißt, es steigt die bewerberseitige Auswahlsicherheit. Ein weiterer Grund für die Nutzung der virtuellen Studienberatung ist, dass diese das Profil der Hochschule stärkt. Die Hochschule kann auf diese Weise ihre Stärken kommunizieren, auf ihre Schwerpunkte der Lehre und ihre Besonderheiten hinweisen. Insofern stellen die HAW-Navigatoren einen wichtigen Baustein beim Aufbau einer klar positionierten Bildungsmarke dar. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Studienbewerber die Hochschule in ihr »Relevant Set« aufnehmen. Die Durchführung der virtuellen Studienberatung über das Internet ist ökonomisch. Es kann parallel ein »One-to-Many-Dialog« mit einer Vielzahl an Studieninteressierten geführt werden. Gleichzeitig ist es wichtig zu betonen, dass die HAW-Navigatoren in keiner Weise die Arbeit der Studienberatung ersetzen soll. Vielmehr ist darin eine sinnvolle Ergänzung sowie eine Entlastung von Routinen zu sehen. Das Beratungspersonal kann sich verstärkt den Fällen zuwenden, die intensiven (Einzel-) Beratungsbedarf haben. Ein wesentlicher Vorteil der internetbasierten Durchführung ist die Ortsund Zeitunabhängigkeit. Dadurch bietet sich für Ratsuchende, die Möglichkeit, die virtuelle Studienberatung dann durchzuführen, wenn das Bedürfnis beim Ratsuchenden entsteht. So ist eine wirksamere Beratung durch die Verbindung von spontanen Änderungsimpulsen (Bedürfnissen) mit dem Änderungsbedarf, der sich aus dem Beratungsverfahren ergibt, möglich (vgl. Sieland, 2002). Die Darstellungsmöglichkeiten im Internet sind multimedial. Es besteht nicht nur die Möglichkeit, Studieninteressierte in diesem Medium mit Informationen zu den einzelnen Studiengängen zu versorgen, sondern es ist ein großer Grad an »Erleben« möglich. Informationen können nicht nur über Texte und Bilder vermittelt werden, sondern vielmehr kann ein »Blick hinter die Kulissen« gewährt werden. In vielen Navigatoren berichten Studierende, Absolventen oder Dozenten in Videoform über die verschiedenen Studiengänge, das Leben als Studierender oder die berufliche Laufbahn nach dem Studium. Auf diese Weise werden die Informationen auf spannende und authentische Art und Weise vermittelt. Durch interaktive Fallbeispiele und Aufgaben zu verschiedenen Themenbereichen können Interessierte schon einmal »ausprobieren«, was sie im Studium erwartet. Dies vermittelt spielerisch Informationen zu Anforderungen und Studieninhalten. Zudem kommen methodische, ethische und juristische Bedenken gegenüber einer reinen »eignungsdiagnostischer Prüfung« hier nicht zum Tragen. Bei dieser Art der Auswahl (Selbstauswahl) wird nicht getestet, ob ein Studienbewerber dem Studium gewachsen ist. Vielmehr wird Interessierten die

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Möglichkeit gegeben, selbst herauszufinden, ob dieser Studiengang zu Ihnen passt. Und Passfähigkeit ist mehr als Eignung! Aufbau der HAW-Navigatoren sowie Integration in den Bewerbungsprozess Zu Beginn jedes Navigators werden die Interessenten begrüßt (teilweise per Video von Studierenden des jeweiligen Departments) und über die Inhalte und Ziele des HAW-Navigators aufgeklärt. Im Anschluss an diese Informationen erfolgt die Registrierung.

Abb. Videobegrüßung aus dem HAW-Navigator für Ökotrophologie

Die Registrierung ist aus zwei Gründen in den HAW-Navigator integriert. Zum einen dient sie der Speicherung des Fortschritts jedes Users. Auf diese Weise besteht die Möglichkeit die virtuelle Studienberatung zwischendurch zu unterbrechen. Loggt sich der User anschließend wieder mit seinen Zugangsdaten ein, so wird er an den Beginn des letzten nicht abgeschlossenen Moduls gesetzt und kann die Beratung von dieser Stelle an weiter durchlaufen. Zum anderen ist die Absolvierung des HAW-Navigators bei den meisten Studiengängen an der HAW ein verpflichtender Bestandteil des Bewerbungsprozesses. Anhand der Mailadresse, mit der sich der Bewerber für den

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HAW-Navigator registriert hat, wird überprüft, ob die virtuelle Studienberatung mindestens einmal komplett absolviert wurde. Nach der Registrierung gibt es zunächst eine Modulübersicht. In dieser wird dargestellt, welche Themenkapitel dieser Navigator enthält und was den Bewerber in den einzelnen Kapiteln erwartet. Die anschließenden Module variieren im Detail je nach Studiengang. Allerdings umfassen die meisten Navigatoren ein Set von Themenmodulen bestehend aus – Berufswelt, – Studieninformationen, – Studienorganisation, – Anforderungen und – Studienkultur. In den Themenmodulen zur Berufswelt werden Informationen bereitgestellt bspw. zu den späteren Tätigkeitsfeldern, Branchen oder Berufsaussichten. In Videointerviews berichten Absolventen darüber, welchen Beruf sie ausüben und wie sie das Studium auf diesen Beruf vorbereitet hat.

Abb. Beispiele für Alumni Interviews aus dem Wirtschafts-Navigator

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In den Modulen zur Studieninformation werden Einblicke in Studienabläufe, Studieninhalte oder Besonderheiten der Studiengänge gewährt.

Abb. Darstellung von Studieninhalten aus dem Navigator für Medientechnik und Media Systems

Die Module zur Studienorganisation decken in vielen Navigatoren den eher formalen Teil der Informationen zum Thema Studium ab. Hier geht es um Themen wie (Pflicht-)Praktika, Finanzierung des Studiums, Kosten oder Praxissemester. Auch das Thema Zeitmanagement spielt hier eine wichtige Rolle. Anhand von Beispielstundenplänen die auch die Vor- und Nachbereitung eines Studiums beinhalten oder eines interaktives Zeitreglersystem durch das Interessierte planen können, wie ein Tag während des Studiums aussehen könnte, wird Interessierten der Zeitaufwand eines Studiums verdeutlicht. Auf diese Weise kann der Anteil derer, die das Studium abbrechen, da sie einen deutlich geringeren Zeitaufwand erwartet haben, reduziert werden.

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Abb. Darstellung des Zeitmanagement-Tools aus dem HAW Navigator für den Bereich Soziale Arbeit

Die Anforderungen, die ein Studiengang an seine Bewerber stellt, werden zumeist durch Selbsttests abgebildet. Je nach Studiengang werden Aufgaben zu Grundlagen wie Mathematik, Technik, Biologie oder Englisch gestellt, die wichtige Grundlagen des jeweiligen Studiengangs darstellen oder bzgl. derer es häufig falsche Vorstellungen gibt (...»ich wusste gar nicht, dass ich im Rahmen des Pflegemanagement-Studiums betriebswirtschaftliche Zusammenhänge lernen muss...«). Nach Beantwortung der jeweiligen Aufgaben oder Fallstudien erhält der User ein Feedback zu seinen Lösungen. Dieses dient nicht dazu, eine Eignung oder das Vorhandensein eines gewissen Niveaus »zu messen«. Vielmehr ist die zentrale Zielsetzung, dem User erwartete Niveaus vor Augen zu führen und zur Selbstreflektion darüber anzuregen, ob dieses Studium das Richtige ist. Bewerbern, die mit den Aufgaben nicht so gut zurecht gekommen sind, wird nicht von diesem Studiengang abgeraten, es wird ihnen jedoch klar gemacht, dass sie sich mit genau solchen Inhalten beschäftigen müssen, wenn sie sich für den Studiengang entscheiden.

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Abb. Casestudy (B.E.A.N.Z) aus dem HAW-Navigator Wirtschaft

Die Navigatoren enthalten außerdem Informationen zum Studium in Hamburg, an der HAW im Allgemeinen und an den jeweiligen Departments im Speziellen. Durch Fotorundgänge, virtuelle Grundrisse, Bilder, Texte oder Videos mit Studierenden wird dem Bewerber vermittelt, wie es an der HAW aussieht, wie das Leben als Studierender abläuft und was ihn erwartet, wenn er sich für das Studium entscheidet.

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Abb. Fotorundgang aus dem HAW-Navigator für Soziale Arbeit und Pflege und Management

Beendet wird jeder HAW-Navigator durch ein Abschlussmodul. Hier wird noch einmal die Gelegenheit gegeben über die in den vorherigen Modulen enthaltenen Informationen zu reflektieren. Zudem werden statistische Daten und Einschätzungen zur virtuellen Studienberatung erhoben. Die Ergebnisse dieser Evaluation werden im weiteren Verlauf noch näher beleuchtet. Auch das Abschlussmodul ist mindestens einmal komplett zur durchlaufen, damit der HAW-Navigator insgesamt als »vollständig bearbeitet« gilt. Da die mindestens einmalige vollständige Absolvierung des HAWNavigators zwingender Bestandteil einer Bewerbung ist, wurde die Applikation mit dem Online Bewerbungssystem der HAW Hamburg verknüpft. Die Information, ob ein Bewerber einen bestimmten Navigator durchlaufen hat, wird direkt an dieses System übergeben. Nur wenn der Bewerber den Navigator durchlaufen hat, wird er für die Bewerbung für den jeweiligen Studiengang automatisiert freigeschaltet.

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Aktueller Ausbaustand sowie weitere Entwicklung Bislang existieren Navigatoren für folgende 21 Studiengänge: − Hochschulübergreifender Studiengang Hamburger Wirtschaftsingenieurwesen (HWI), − Studiengänge Soziale Arbeit, Pflegeentwicklung und Management sowie Bildung und Erziehung in der Kindheit, − Studiengänge Technische BWL (Logistik und Marketing) sowie Außenwirtschaft / Internationales Management, − Studiengänge Energie- und Anlagensysteme, Entwicklung und Konstruktion sowie Produktionstechnik und Management, − Ökotrophologie und Health Sciences, − Medientechnik und Media Systems, − Public Management, − Medizintechnik, Hazard Control und Rescue Engineering sowie − Biotechnologie, Verfahrenstechnik und Umwelttechnologie. Bis zur Bewerbungsfrist für das Wintersemester 2009/2010 erfolgt der Ausbau auf dann 31 Studiengänge. Nach Erreichung dieser Ausbaustufe werden nahezu alle grundständigen Bachelor-Studiengänge der HAW Hamburg in den HAW-Navigatoren abgebildet sein. Einzige Ausnahme bildet der Studiengang Design, da hier ein anderes Bewerbungsverfahren vorgesehen ist. Die Übersicht aller verfügbaren HAW-Navigatoren ist auf www.haw-navigator.de zu finden. Zugang zu den »HAW-Navigatoren« Wie bereits beschrieben ist die mindestens einmalige vollständige Absolvierung des jeweiligen HAW-Navigators zwingende Voraussetzung, um sich an der HAW Hamburg überhaupt für den jeweiligen Studiengang bewerben zu können. Dabei kommt es nicht auf das »wie«, also die Qualität der Bearbeitung, sondern nur auf das »ob« an. Um die Teilnahme einem bestimmten User zuordnen zu können, muss dieser sich zu Beginn des HAW-Navigators registrieren. Gleichwohl können die HAW-Navigatoren auch zu reinen Informationszwecken, also ohne expliziten Bewerbungswunsch genutzt werden. Hierzu wurde ein anonymer freizugänglicher Gastzugang eingerichtet. Auf den jeweiligen Startseiten der Navigatoren (Adressen nachfolgend aufgelistet) ist hierzu oben rechts auf »Login« zu klicken und die E-Mailadresse »[email protected]« und das Passwort »gast« als Zugangsdaten einzugeben. − Hochschulübergreifender Studiengang Hamburger Wirtschaftsingenieurwesen (HWI): www.haw-navigator.de/hwi. − Studiengang Soziale Arbeit / Sozialpädagogik: www.haw-navigator.de/sp. − Studiengang Pflegeentwicklung und Management: www.hawnavigator.de/pm.

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− Studiengang Bildung und Erziehung in der Kindheit: www.hawnavigator.de/bek. − Studiengänge des Departments Wirtschaft: www.haw-navigator.de/sdw. − Studiengänge Department Maschinenbau und Produktion: www.hawnavigator.de/mp. − Studiengänge am Department Technik: www.haw-navigator.de/mtms. − Studiengang Ökotrophologie: www.haw-navigator.de/oet. − Studiengang Health Sciences: www.haw-navigator.de/gws. − Studiengang Medizintechnik: www.haw-navigator.de/mt. − Studiengänge Hazard Control und Rescue Engineering: www.hawnavigator.de/rehc. − Studiengang Biotechnologie: www.haw-navigator.de/bt. − Studiengang Verfahrenstechnik: www.haw-navigator.de/vt. − Studiengang Umwelttechnik: www.haw-navigator.de/ut. Die Tatsache, dass die Zugriffszahlen außerhalb der Bewerbungszeiträume, die an der HAW in den Zeiträumen zwischen 01.12. und 15.01. sowie 01.06 und 15.07. liegen, immerhin etwa einem Drittel der Zugriffszahlen innerhalb der Bewerbungszeiträume entsprechen, belegen die allgemein informatorische Bedeutung der HAW-Navigatoren.

Abb. Übersicht der Zugriffszahlen auf die Seite www.haw-navigator.de 2008

Evaluationsergebnisse Die nachfolgend dargestellten Evaluationsergebnisse beziehen sich auf die Befragungsergebnisse aus den Beratungsangeboten für die Studiengänge Hochschulübergreifender Studiengang Hamburger Wirtschaftsingenieurwesen (HWI), Soziale Arbeit, Pflegeentwicklung und Management, Bildung und Erziehung in der Kindheit, Technische BWL (Logistik und Marketing), Außenwirtschaft / Internationales Management, Energie- und Anlagensysteme, Entwicklung und Konstruktion, Produktionstechnik und Management, Ökotrophologie, Health Sciences, Medientechnik und Media Systems. Seit Start der ersten Navigatoren Mitte 2006 haben knapp 25.000 Personen registriert an einem der virtuellen Studienberatungsangebote teilgenommen. Gut 15.000 hiervon haben dabei den Status »vollständig absolviert« erreicht, d.h. den jeweiligen Navigator mindestens einmal komplett durchlaufen. Da auch die Absolvierung des abschließenden Evaluationsmoduls erforderlich ist, um den Navigator abzuschließen, basieren die im Folgenden vorgestellten Ergebnisse auf dieser Datenbasis.

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Im Mittelpunkt der Befragung standen explizit Aspekte der »Studienwahlsicherheit«, der »Beratungsqualität« und der »Benutzerzufriedenheit«: − Wie hat den Teilnehmern das Angebot gefallen? − Fühlten sich die Teilnehmer durch die virtuelle Studienberatung gut beraten? − Fühlten sie sich in ihrer Studienwahl sicherer? − Hatten sie das Gefühl, die maßgeblichen Informationen erhalten zu haben? Darüber hinaus wurde auch überprüft, ob der durchlaufene HAW-Navigator einen Effekt auf das Image der Departments, der Studiengänge bzw. der HAW Hamburg insgesamt hatte und somit auch – im Sinne eines Marketinginstruments – nachhaltig zur Profilbildung beitrug. Gesamtheitliche Beurteilung des Studienberatungs-Angebotes Die Gesamtbeurteilung der HAW-Navigatoren wurde mittels der Frage »Wie hat Ihnen das virtuelle Studienberatungs-Angebot insgesamt gefallen?«, die auf einer Schulnotenskala zu beantworten war, erhoben. Die Durchschnittsbenotung reichte hierbei von 1,73 (Medientechnik und Media Systems) bis zu 2,15 (Department Wirtschaft). 80,57% der Befragten haben dabei die Noten »sehr gut« oder »gut« vergeben.

60 50 40 30 20 10 0 6 - ungenügend

5

4

3

Angaben in % Hamburger Wirtschaftsingenieurwesen

Ökotrophologie

Soziale Arbeit und Pflege

Medientechnik und Media Systems

Studiendepartment Wirtschaft

Bildung und Erziehung in der Kindheit

Department Maschinenbau und Produktion

Abb. Gesamtbeurteilung der HAW-Navigatoren

50

2

1 - sehr gut

»HAW-Navigator« -– Internetbasierte Beratungs- und Selbsteinschätzungsinstrumente

Diese Ergebnisse weisen auf eine hohe Nutzerakzeptanz hin. Im Folgenden werden die Ergebnisse der Evaluationsdimensionen detailliert dargestellt. Beitrag zur begründeten Entscheidung Auf die Frage »Wie sicher sind Sie, hier studieren zu wollen?« gaben 77,61% der Befragten zur Antwort, dass sie sich in der Entscheidung »sicher« oder »sehr sicher« seien.

60 50 40 30 20 10 0 völlig unsicher eher mäßig unsicher unsicher

eher sicher

sicher

absolut sicher

Angaben in % Hamburger Wirtschaftsingenieurwesen

Ökotrophologie

Soziale Arbeit und Pflege

Medientechnik und Media Systems

Studiendepartment Wirtschaft

Bildung und Erziehung in der Kindheit

Department Maschinenbau und Produktion

Abb. Beitrag zur Studienwahlsicherheit

Dieses Ergebnis bestätigt, dass nach Durchlaufen der Navigatoren eine durchschnittlich hohe Studienwahlsicherheit bei den Teilnehmern existiert. Bei den Navigatoren, die mehr als einen Studiengang abdecken, wurde ferner hinterfragt, ob die virtuelle Studienberatung die Präferenz für einen der enthaltenen Studiengänge verändert hat (bspw. »Technische BWL – Logistik« versus »Technische BWL – Marketing«). Hierbei gaben immerhin 19,24% der Befragten an, dass die Präferenz durch die virtuelle Studienorientierung zumindest teilweise verändert wurde, 11,4% sagten aus, dass ihre Präferenz »eher ja« oder »absolut« verändert wurde. Wenngleich also die Teilnehmerschaft insgesamt hinsichtlich ihrer Studienwahl auch vor der Teilnahme am HAW-Navigator bereits relativ sicher war, hat der Navigator doch innerhalb der Studiengänge noch bei etwa einem Drittel der Teilnehmer zu einer (mind. teilweisen) Veränderung der Präferenz geführt. In sofern scheint

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das Beratungsangebot im Kern auch das Ziel erreicht zu haben, hinreichend auf Unterschiede zwischen den Studiengängen hinzuweisen. Informationsgehalt / Beratungsqualität Die Teilnehmer sollten auch den Informationsgehalt bzw. die Beratungsqualität einschätzen. Die Fragen bezogen sich auf die Neuigkeit der Information, den Hilfegrad bzgl. der Entscheidung sowie auf die Erwartungen in Bezug auf das Studium. In Bezug auf den Bekanntheitsgrad der Information stimmten 88,07% der Befragten der Aussage »Ich habe etwas Neues über das Studium und die Berufsbilder erfahren.« teilweise bis absolut zu. Diese Aussagen belegen deutlich, dass der HAW-Navigator einen zusätzlichen Informationsnutzen für einen Großteil der Nutzer stiftet.

60 50 40 30 20 10 0

stimme absolut nicht zu

stimme absolut zu

Angaben in % Hamburger Wirtschaftsingenieurwesen

Ökotrophologie

Soziale Arbeit und Pflege

Medientechnik und Media Systems

Studiendepartment Wirtschaft

Bildung und Erziehung in der Kindheit

Department Maschinenbau und Produktion

Abb. Neuheit der abgebildeten Informationen

Dass der virtuelle Studienberater Hilfestellung in Bezug auf die Studienentscheidung leistet, wird aus der Reaktion auf die Aussage »Das virtuelle Studienberatungs-Angebot hat mir bei der Studienentscheidung geholfen.« ersichtlich. Dieser Aussage stimmte die Mehrheit von 73,73% teilweise bis absolut zu.

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60

50

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30

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10

0

stimme absolut nicht zu

stimme absolut zu

Angaben in % Hamburger Wirtschaftsingenieurwesen

Ökotrophologie

Soziale Arbeit und Pflege

Medientechnik und Media Systems

Studiendepartment Wirtschaft

Bildung und Erziehung in der Kindheit

Department Maschinenbau und Produktion

Abb. Hilfe bei Studienentscheidung

Darüber hinaus konnten die Erwartungen an das jeweilige Studium im Zuge der virtuellen Beratung geklärt werden. Der Aussage »Das virtuelle Studienberatungs-Angebot hat meine Erwartungen in Bezug auf das Studium geklärt.« stimmten 93,16% der Befragten teilweise bis absolut zu. Es lässt sich aus diesen Ergebnissen ableiten, dass die Beratungsqualität demnach als sehr gut einzuschätzen ist.

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stimme absolut nicht zu

stimme absolut zu

Angaben in % Hamburger Wirtschaftsingenieurwesen

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Bildung und Erziehung in der Kindheit

Department Maschinenbau und Produktion

Abb. Klärung der Erwartungen

Studien zufolge berichten Studienabbrecher über viele Belastungen (Jobs, Familie) und sind schlechter über das Studium informiert (Wissenschaftsrat, 2004 sowie Heublein, Spangenberg & Sommer, 2003). Die Ergebnisse der Befragung im Rahmen des HAW-Navigators legen den Schluss nahe, dass durch den Einsatz des virtuellen Studienberaters demzufolge Abbrecherquoten, die aus einer Unsicherheit in Bezug auf den Studiengang und die Bewerbungsentscheidung resultieren, reduziert werden können. Gestaltung des HAW-Navigators Zur Evaluation der Gestaltung des HAW-Navigators wurden drei Fragen gestellt, die sich auf den Nutzen der multimedialen Inhalte, den Umfang der multimedialen Inhalte sowie den Umfang des gesamten StudienberatungsAngebotes bezogen. Bei der Frage »Wie fanden Sie die multimedialen Inhalte (Filme, Animationen, Tonaufnahmen)?«, die auf einer siebenstufigen Skala von »überflüssig« bis »hilfreich« zu beantworten war, ergaben sich bei allen Navigatoren deutlich linksschiefe Verteilungen.

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60 50 40 30 20 10 0 überflüssig

hilfreich

Angaben in % Hamburger Wirtschaftsingenieurwesen

Ökotrophologie

Soziale Arbeit und Pflege

Medientechnik und Media Systems

Studiendepartment Wirtschaft

Bildung und Erziehung in der Kindheit

Department Maschinenbau und Produktion

Abb. Beurteilung der multimedialen Inhalte

Der Umfang der multimedialen Inhalte wurde mit 60,77% von nahezu zwei Drittel der Befragten mit »genau richtig« bewertet. Auch die Frage »In Bezug auf Ihr Interesse am Studium in einem der Studiengänge – Wie schätzen Sie den Umfang des virtuellen Studienberatungs-Angebotes ein?« beantworteten mit 73,91% fast drei Viertel der Befragten mit »genau richtig«. Diese jeweils den Umfang der Beratung betreffenden Ergebnisse scheinen kaum zu verbessern, da es jeweils kaum Befragte gab, die den Umfang als deutlich zu gering oder deutlich zu groß einstuften. Und auch diejenigen, die den Umfang als »eher zu gering« oder »eher zu groß« einstuften hielten sich in etwa die Waage.

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70 60 50 40 30 20 10 0

Deutlich zu wenig

Eher zu wenig

Genau richtig Eher zu viel

Deutlich zu viel

Angaben in % Hamburger Wirtschaftsingenieurwesen

Ökotrophologie

Soziale Arbeit und Pflege

Medientechnik und Media Systems

Studiendepartment Wirtschaft

Bildung und Erziehung in der Kindheit

Department Maschinenbau und Produktion

Abb. Umfang der multimedialen Inhalte

90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

Deutlich zu wenig

Eher zu wenig

Genau richtig Eher zu viel

Angaben in % Hamburger Wirtschaftsingenieurwesen

Ökotrophologie

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Medientechnik und Media Systems

Studiendepartment Wirtschaft

Bildung und Erziehung in der Kindheit

Department Maschinenbau und Produktion

Abb. Gesamtumfang

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Deutlich zu viel

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Diese Ergebnisse können als Indiz für eine sehr gelungene Gestaltung des HAW-Navigators verstanden werden. Auswirkung der Schilderung von Anforderungen Hierbei wurden die Bewerber dazu aufgefordert, die Aussage »Die geschilderten Anforderungen durch das Studium an der HAW Hamburg haben mich...« mithilfe zweier Skalen zu komplettieren. Auf der ersten Skala mit den Extremen »abgeschreckt« bzw. »angezogen« tendierte die deutliche Mehrzahl der Bewerber zu »angezogen«, woran man den offensichtlich »werbenden Charakter« erkennen kann.

60

50

40

30

20

10

0

abgeschreckt

angezogen

Angaben in % Hamburger Wirtschaftsingenieurwesen

Ökotrophologie

Soziale Arbeit und Pflege

Medientechnik und Media Systems

Studiendepartment Wirtschaft

Bildung und Erziehung in der Kindheit

Department Maschinenbau und Produktion

Abb. »Die geschilderten Anforderungen durch das Studium an der HAW Hamburg haben mich abgeschreckt / angezogen«

Bei der zweiten Skala mit den Extremen »belastet« bzw. »erleichtert« ist eine Tendenz in Richtung »erleichtert« zu verzeichnen.

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60

50

40

30

20

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0

belastet

erleichtert

Angaben in % Hamburger Wirtschaftsingenieurwesen

Ökotrophologie

Soziale Arbeit und Pflege

Medientechnik und Media Systems

Studiendepartment Wirtschaft

Bildung und Erziehung in der Kindheit

Department Maschinenbau und Produktion

Abb. »Die geschilderten Anforderungen durch das Studium an der HAW Hamburg haben mich belastet / erleichtert«

Diese Aussagen entkräften die Befürchtungen, dass die Schilderung von Anforderungen negative Auswirkungen auf die Entscheidung der Bewerber hat. Sie deuten aber auch an, dass die Anforderungen, die das Studium an die Studierenden stellt, offen dargestellt wurden. Es ist davon auszugehen, dass sich die Schilderung von Anforderungen positiv auf die Entscheidungsfindung und die Sicherheit der Entscheidung auswirkt. Beeinflussung des Images 78,8% der befragten Bewerber/innen sagten aus, dass der HAW-Navigator einen eher positiven bzw. deutlich positiven Einfluss auf das Bild des Studiengangs, des Departments bzw. der Fakultät ausübt. Dieses Ergebnis belegt, dass der HAW-Navigator ebenfalls dem Ziel der Imageförderung dient und unterstreicht die bereits weiter oben beschriebene Marketingwirkung.

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»HAW-Navigator« -– Internetbasierte Beratungs- und Selbsteinschätzungsinstrumente

70 60 50 40 30 20 10 0

deutlich negativ

eher negativ

keinen Einfluss (neutral)

eher positiv

deutlich positiv

Angaben in % Hamburger Wirtschaftsingenieurwesen

Ökotrophologie

Soziale Arbeit und Pflege

Medientechnik und Media Systems

Studiendepartment Wirtschaft

Bildung und Erziehung in der Kindheit

Department Maschinenbau und Produktion

Abb. Einfluss der HAW Navigatoren auf das Image

Ausgewählte O-Töne von Teilnehmern In einer abschließenden offen gestellten Frage wurden die Teilnehmer/innen gefragt, was ihnen am virtuellen Studienberatungsangebot gefällt und wo ggf. Verbesserungspotenziale liegen. Nachfolgend ist eine zufällige Auswahl an hier vorgenommenen Einträgen aufgeführt. >> Ich finde das virtuelle Studienberatungsangebot sehr gut. In den meisten Fällen ist man sich nicht ganz sicher, ob Ökotrophologie das Richtige ist. Hier wird sehr deutlich beschrieben, was auf einen zukommt und wo man vielleicht noch mal nachbessern sollte. Sehr Gut!!! (HAW-Navigator Ökotrophologie). >> Man wird sehr gut und überschaubar durch den Navigator geführt. (HAWNavigator Bildung und Erziehung in der Kindheit). >> Ausführliche Informationen über die Studiengänge. Der Selbsttest ist sehr gut und sollte für alle Bachelor Studiengänge eingerichtet werden. (HAW-Navigator Medientechnik und Media Systems). >> Gefallen haben mir die Ratschläge und Erfahrungswerte der Studenten bzw. des Professors in den einzelnen Videoklips. Auch der modulare Aufbau des Selbsttestes ist sehr hilfreich und übersichtlich gestaltet. Verbessern könnte man das Aufgebot an Videos. Interessant wäre es, wenn man einen Kurzfilm über den Tagesablauf an der HAW betrachten könnte. Zusammen geschnitten aus verschiedenen

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Joachim Diercks, Kristof Kupka, Katharina Bolten Vorlesungen an einem Tag und weiteren Kurzinterviews der Studierenden und Professoren. ... (HAW-Navigator Maschinenbau und Produktion). >> Mir gefiel erst einmal sehr, dass Sie überhaupt solche Studienberatung angeboten haben. Leider findet man bei anderen Hochschulen nicht solche Studienberatung. Es ist zwar zeitintensiv, aber ich denke nach dem Selbsttest kann sich man gut selber einschätzen. (HAW-Navigator Wirtschaft). >> Insgesamt hat mir ihr virtuelles Studienberatungs-Angebot gut gefallen, nur die Ergebnisse des Selbsttests könnten ausführlicher dargestellt werden. (HAWNavigator Medientechnik und Media Systems). >> Ich fand die Interviews sehr interessant, da man so einen viel besseren Eindruck des Studentenlebens erfährt und auch schon Einblicke in die späteren beruflichen Perspektiven bekommt. Und das direkt von der Position der betreffenden Person! Außerdem fand ich es sehr gut schon einmal ein paar Aufgaben zu machen. So kann man schon mal sehen was einen ungefähr erwartet. (HAW-Navigator Ökotrophologie). >> Die Multimedias haben mich sehr angezogen. Meiner Meinung nach könnte man 2 Videos mehr machen und zwar von Absolventen bei ihrer täglichen Arbeit (HAWNavigator Maschinenbau und Produktion).

Fazit Die HAW Hamburg verfolgt mit den HAW-Navigatoren verschiedene Ziele. Studieninteressierte sollen vor ihrer Bewerbung für einen Studienplatz informiert werden, was sie im Studium erwartet und was nicht. Studienbewerber sollen aufgrund einer verbesserten Selbstauswahl dazu in der Lage sein, ihre Studienentscheidung zu verbessern. Auf dieser Weise soll der individuelle und auch der allgemeine Studienerfolg verbessert werden. Diese Ziele wurden, soweit sich dies aus heutiger Sicht beurteilen lässt, zufriedenstellend erfüllt. Für eine abschließende Aussage darüber, ob die virtuelle Studienberatung der HAW-Navigatoren eine messbare Wirkung hinsichtlich der Senkung von Studien-Abbrecherquoten respektive einer Erhöhung des allgemeinen Studienerfolgs hat, sind weitere Analysen über einen längeren Zeitraum nötig. Laut dem 7. HRGÄndG ist es Aufgabe der Hochschulen alle Chancen zu nutzen, um die Studienerfolgsrate zu erhöhen. Diese Aufgabe erfüllt die HAW Hamburg durch die HAW-Navigatoren. Die Schwerpunkte, die die HAW Hamburg in ihrer Lehre setzt können durch das Instrument HAWNavigator und die daraus resultierende Marketingwirkung profiliert werden Die Ergebnisse der Evaluation der einzelnen Navigatoren deuten darauf hin, dass auch aus Sicht der Studienbewerber der HAW-Navigator ein sinnvolles und gewinnbringendes Instrument ist.

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»HAW-Navigator« -– Internetbasierte Beratungs- und Selbsteinschätzungsinstrumente

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Philipp Sonnleitner, Klaus D. Kubinger & Martina Frebort Das Wiener Self-Assessment Psychologie mit seinen Verfahren der experimentalpsychologischen Verhaltensdiagnostik zur Messung studienfachübergreifender Soft Skills

Einleitung Zur Studienplatzbewirtschaftung bzw. für ein ansprechendes Hochschulmarketing sind psychologische Self-Assessments in Zukunft wohl nicht mehr weg zu denken. Spätestens seit der Änderung des Hochschulrahmengesetzes (HRG) 2004 in Deutschland bzw. des Beschlusses des Österreichischen Nationalrats 2005, der es österreichischen Universitäten ermöglicht, für gewisse Studienfächer Zugangsbeschränkungen zu erlassen, stellen SelfAssessments eine wesentliche Ergänzung zu den verschiedensten Auswahlverfahren dar. Sie bieten einerseits den Interessenten ein differenziertes Stärken-Schwächenprofil in Bezug auf die Anforderungen des beabsichtigten Studiums – und zwar online und damit bequem auch von zu Hause aus; andererseits erhöhen sie als Konsequenz dieses Feedbacks und durch Selbstselektion ungeeigneter Studieninteressierter die Grundrate bei den folgenden Auswahlverfahren. So stellt auch das Wiener Self-Assessment Psychologie (vgl. Frebort & Kubinger, 2008; s. auch Kubinger, Moosbrugger, Frebort, Jonkisz & Reiss, 2007) eine die Studieneingangsphase flankierende Maßnahme dar, vor allem für Studienbewerber(innen) an der Fakultät für Psychologie der Universität Wien. Aus eigenen Mitteln ohne irgendwelche finanzielle Förderung entwickelt, angeboten und evaluiert wurde es von der Test- und Beratungsstelle des Arbeitsbereichs Psychologische Diagnostik an der Fakultät für Psychologie. Die seit Oktober 2005 daran teilnehmenden, über 7500 Studienbewerber(innen) bieten nun die Datenbasis, um dieses Self-Assessment zu optimieren. Seit seinem ersten Einsatz sind zwar an etlichen anderen Universitäten Self-Assessments für die Studienrichtung Psychologie eingeführt worden (genannt werden soll hier jenes aus Frankfurt, welches praktisch gleichzeitig zu Wien online ging; vgl. Kubinger et al., 2007); das Charakteristische für das Wiener Self-Assessment Psychologie ist jedoch der Einsatz von Verfahren der experimentalpsychologischen Verhaltensdiagnostik (s. vor allem Kubinger, 2006), früher als Objektive Persönlichkeitstests (sensu R. B. Cattell)

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Philipp Sonnleitner, Klaus D. Kubinger & Martina Frebort

bezeichnet. Damit sollen persönlichkeitsabhängige Fertigkeiten erfasst werden, die mittels herkömmlicher Persönlichkeitsfragebogen nicht oder nicht unverfälscht erhoben werden können. Obwohl kaum irgendwo verbindlich definiert, geht es also um so genannte »Soft Skills«. Diese bzw. ihre Erfassung scheint universell, unabhängig vom Studienfach relevant. Und genau darauf soll in diesem Beitrag eingegangen werden. Gemeinsame Basis von Anforderungsprofilen An der genannten Test- und Beratungsstelle wurden mittlerweile in Bezug auf zahlreiche Studienrichtungen Anforderungsanalysen vorgenommen. Sie lassen ganz klar erkennen, dass es gewisse »Schlüsselanforderungen« gibt, die offenbar jedes Studium, und zwar unabhängig vom jeweiligen Standort stellt. Plädieren Heukamp und Hornke (2008) noch dafür, mehrere »benachbarte« Studien in einem Self-Assessment zusammen zu fassen, so bemerkten Khorramdel, Maurer und Kubinger (in Vorb.) sogar für die ziemlich unterschiedlichen Studienrichtungen Soziologie, Architektur, Publizistik- u. Kommunikationswissenschaften, Maschinenbau, Wirtschaftswissenschaften sowie Rechtswissenschaften (alle am Standort Wien), dass sie alle gemeinsame, studienfachübergreifende Soft Skills bzw. Persönlichkeitseigenschaften voraussetzen – selbstverständlich neben spezifischen, durchaus erwarteten kognitiven Fähigkeiten sowie allgemeinen kognitiven Fähigkeiten (z. B. schlussfolgerndes Denken; Leseverständnis). Dass solche studienfachübergreifenden Soft Skills bzw. Persönlichkeitseigenschaften nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern auch international verstärkt Eingang in Anforderungsprofile von Studienfächern finden, zeigt die Analyse von Haase (2008). Eine typische solche Persönlichkeitseigenschaft (Soft Skill) ist, fast trivial, die Leistungsmotivation. Diese oder auch andere Soft Skills mittels herkömmlicher Persönlichkeitsfragebogen zu erfassen, ist allerdings nicht trivial. Zum ersten spricht dagegen, dass sie kaum noch Akzeptanz haben; sie wirken im »Multi-Media-Zeitalter« anachronistisch, decken mit ihren punktuell zu erinnernden Verhaltensweisen in spezifischen oder generalisierten Situation zu wenig anschaulich die Breite der Persönlichkeit ab (nach Meinung des Laien). Zum zweiten spricht dagegen, dass sich ihre Inhalte schnell verbreiten bzw. grundsätzlich immer ähnlich sind, so dass Studienbewerber(innen), die sich gleichzeitig für mehrere Studienrichtungen interessieren, immer »dasselbe« beantworten müssen (was der Compliance abträglich sein dürfte). Und schließlich spricht drittens dagegen, dass herkömmliche Persönlichkeitsfragebogen grundsätzlich verfälschbar sind (vgl. z. B. nur die beiden Themenhefte von Kubinger, 2002, und Ones, Viswesvaran, Dilchert & Deller, 2006). Zwar ist diesbezüglich zu argumentieren, dass im gegebenen Setting, bei dem niemand anderer als die Testperson selbst Konsequenzen aus den

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Das Wiener Self-Assessment Psychologie

Testergebnissen zieht, »Faking good« nicht virulent wird – ein realistisches Feedback liegt ja durchaus im Interesse des/der Studienplatzbewerbers/in; wie aber Frebort und Kubinger (2008) argumentieren, muss auch im gegebenen Zusammenhang bei Persönlichkeitsfragebogen nicht nur unbewusstes Verfälschen oder »selbstverkennendes« Verhalten einkalkuliert werden, sondern auch das aus der Internetforschung bekannte Phänomen, dass der User nicht unbedingt auf die zugesagte Anonymität vertraut. Dem steht gegenüber das »neue Genre« einer experimentalpsychologischen Verhaltensdiagnostik, von dem konzeptionell zu erwarten ist – und wozu es auch einige bestätigende Befunde gibt –, dass weniger leicht und weniger oft als bei Persönlichkeitsfragebogen verfälscht wird. »Die experimentalpsychologische Verhaltensdiagnostik als eine (psychologische) ›Technologie‹ bezieht sich auf Verfahren, die aus dem beobachtbaren Verhalten bei experimentell variierten Leistungsanforderungen persönliche Stilmerkmale erschließen, wobei die Registrierung der Art und Weise der Problembearbeitung der Computer übernimmt.« (Kubinger, 2006, S. 50). Wenn es also um studienfachübergreifende Soft Skills bzw. Persönlichkeitseigenschaften geht, interessiert gerade die experimentalpsychologische Verhaltensdiagnostik. Da es dabei nicht oder nur am Rande um die Beantwortung von Fragen geht und das Messprinzip nicht leicht durchschaubar ist, verspricht sie erstens weitgehende Unverfälschbarkeit. Weil dabei regelmäßig Leistungen gefordert sind, kommt es zwar im Wiederholungsfall dazu, dass »dasselbe« gemacht werden muss, dies aber eben immer aufs Neue eine Herausforderung darstellt; was nun ein zweiter Vorteil entsprechender Verfahren ist. Und drittens spricht für die experimentalpsychologische Verhaltensdiagnostik, dass wegen der mediengerechten und realitätsnahen Leistungsanforderungen seitens der Testperson hohe Akzeptanz gegeben ist. Universelle Studienanforderungen im Self-Assessment Psychologie Im Wiener Self-Assessment Psychologie konnte immerhin mehr als die Hälfte der erhobenen Anforderungen durch derartige Verfahren abgedeckt werden. Nach Meinung der Verfasser sind sie generell einsetzbar – zumindest unter entsprechender Modifikation – und sollen daher im Folgenden näher vorgestellt werden. Realistisches Selbstkonzept eigener Fähigkeiten Die Fähigkeit, eigene Stärken und Schwächen bzw. eigenes Wissen richtig einschätzen zu können, stellt eine wichtige Voraussetzung für einen optimalen Studienverlauf dar. Insofern ist eine Rückmeldung an Studienbewerber(innen), wie sehr sie zu systematischem Über- oder Unterschätzen der eigenen Fähigkeiten neigen, eine wichtige Komponente für die Studienwahlberatung. In Anlehnung an den Lexikon-Wissens-Test (LEWITE, Wagner-

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Philipp Sonnleitner, Klaus D. Kubinger & Martina Frebort

Menghin, 2004) wurde von Frebort und Wagner-Menghin (in Vorb.) eine Variante »Psychologie« konstruiert. Sie bezieht sich dem Anforderungsprofil (vgl. Frebort & Kubinger, 2006) entsprechend auf erstrebenswertes Vorwissen in den Bereichen Biologie, Mathematik und Psychologie. Das Testkonzept sieht wie folgt aus: Jeweils nach der Einschätzung durch die Testperson, ob ihr ein bestimmtes Wort (ein Fachausdruck) begrifflich bekannt ist und sie es gegebenenfalls auch erklären kann, muss sie das als Definition mit Textlücken verfasste Item zu diesem Wort (diesem Fachausdruck) bearbeiten – die beiden Textlücken sind mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten entsprechend zu füllen (so genanntes »2 mal 1 aus 4 MultipleChoice Antwortformat«; s. Abb. 1). Damit wird also nicht nur das Ausmaß des für das Psychologiestudium (in Wien) relevanten Vorwissens erfasst, sondern auch das Ausmaß, die eigenen Fähigkeiten zu überschätzen (oder zu unterschätzen). Nebenbei erfüllt der Test die Funktion eines »Realistic Job Previews«, also einer möglichst realistischen Vermittlung der schwerpunktmäßigen Inhalte im Studium.

Abbildung 1: Beispielitem aus der Instruktion des LEWITE-Psychologie

Angemessenes Anspruchsniveau Auch ein den eigenen Fähigkeiten und den gegebenen Anforderungen angemessenes Anspruchsniveau stellt für erfolgreiches Studieren eine wichtige Voraussetzung dar. Bei zu niedrigem Anspruchsniveau werden zum Beispiel Prüfungen häufig verschoben oder die Vorbereitung auf sie erfolgt nur ungenügend. Bei zu hohem Anspruchsniveau werden zum Beispiel in der einkalkulierten Zeit unbewältigbare Stoffmengen geplant. Damit es bald zu einem angemessenen Anspruchsniveau kommt, ist auf Seiten der Studienbewerber(innen) auch die adäquate Verarbeitung von Feedback zu bisher

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Das Wiener Self-Assessment Psychologie

erbrachten Leistungen Voraussetzung. In Variation des Subtests »Symbole Kodieren« der Testbatterie Arbeitshaltungen (Kubinger & Ebenhöh, 1996) kann nun innerhalb des Wiener Self-Assessments Psychologie das individuelle Anspruchsniveau erfasst werden, insbesondere in Reaktion auf die Rückmeldung der unmittelbar zuvor erbrachten Leistung: Nach jedem Durchgang fortlaufend zu kodierender Symbole (s. Abb. 2) und nach der jeweils erfolgten Rückmeldung über die Anzahl richtig kodierter solcher Symbole muss die Testperson eine Leistungsprognose für den nächsten Durchgang geben. Die Abweichung zwischen vorausgehender Leistung und nachfolgender Leistungsprognose operationalisiert das Anspruchsniveau.

Abbildung 2: Screenshot aus den Arbeitshaltungen-Version Self-Assessment. Den Symbolen in der obersten Reihe ist das jeweils darunter wiedergegebene Symbol als Code zugeordnet. D. h., zu den fortlaufend in der Mitte präsentierten Symbol muss das passende aus der Auswahlleiste am unteren Ende des Bildschirms gefunden und angeklickt werden. Die Anzahl bisher richtig kodierter Symbole wird rückgemeldet, die verbleibende Bearbeitungszeit angegeben.

Effizienter Lernstil Im Weiteren ist für erfolgreiches Studieren auch ein effizienter Lernstil vonnöten. Es geht dabei darum, mehr oder weniger unstrukturierte, oft genug nicht logisch deduzierbare Informationen zu lernen und langfristig zu merken – auch im Studium der Psychologie, wenn vielleicht dort weniger als beim Jura- und/oder Medizinstudium. Im Test LAMBDA (Lernen auswendig, Merken, Belastbarkeit, Denken analytisch; von Kubinger & Maryschka, unpubl., s. dzt. Ortner, 2002), wird nun vor allem die Lernstrategie erfasst: Ein Organigramm eines fiktiven Unternehmens mit 20 Informationseinheiten muss auswendig gelernt werden (s. Abb. 3), wobei die Lernphase nach individuellem Bedarf verschieden lang, aber auch, nach dem Scheitern in der

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Philipp Sonnleitner, Klaus D. Kubinger & Martina Frebort

Prüfphase, (beliebig) oft wiederholt werden kann. Die Prüfphase funktioniert so, dass Fehler im Organigramm identifiziert und korrigiert werden müssen. Der Test endet erst, wenn mehrmals hintereinander die immer variierenden Fehler im Organigramm der Prüfphase komplett richtig gestellt wurden; dieses Kriterium operationalisiert gemäß der Methode des vollständigen Reproduzierens die Beherrschung des Lernstoffs. Verrechnet wird unter anderem die insgesamt benötigte Zeit bis zur Erfüllung dieses Kriteriums, die Anzahl der nötigen Lernphasen sowie die Anzahl »unerwarteter« Fehler (d. s. Fehler, die in früheren Prüfphasen nicht mehr begangen wurden). Das Testergebnis besteht in der Zuteilung zu einem von vier Lerntypen.

Abbildung 3: Screenshot aus der Instruktion zu LAMBDA

Reasoning und Belastung Schlussfolgerndes Denken (Reasoning) ist eine zentrale Anforderung praktisch aller Studienrichtungen; zumindest findet es sich in den Anforderungsprofilen der Bundesagentur für Arbeit (für Deutschland) und des Arbeitsmarktservices (für Österreich). Ähnliches gilt wohl für Belastbarkeit, zumindest was Zeitdruck und Aufgabenkollision betrifft. Innerhalb von LAMBDA gibt es nun einen Reasoning-Test, nämlich Rechnen in Symbolen. Während der erste Teil zur Messung der entsprechenden Fähigkeit genutzt werden kann, interessiert hier, im Zusammenhang mit der Vorstellung von Verfahren der experimentalpsychologischen Verhaltensdiagnostik, der zweite Teil. Dabei wird nämlich während des Lösungsversuchs jedes Mal die Prüf-

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Das Wiener Self-Assessment Psychologie

phase mit Organigramm zwischengeschaltet, was Beanspruchung seitens der Testperson provozieren soll. Die Differenz zwischen dem Testwert im ersten und im zweiten Teil des Reasoning-Tests operationalisiert das Ausmaß, mit dem die Testperson der Beanspruchung standhält, also belastbar ist. Befunde zur Akzeptanz und Validität des Wiener Self-Assessments Psychologie Wenn in diesem Beitrag die im Wiener Self-Assessment Psychologie verwendeten psychologisch-diagnostischen Verfahren der experimentalpsychologischen Verhaltensdiagnostik für andere Standorte und vor allem für andere Studienfächer als Psychologie diskutiert bzw. angeboten werden, dann interessiert freilich die Validität jedes einzelnen Verfahrens sowie insbesondere die Akzeptanz seitens der Studienbewerber(innen). Hochschulpolitisch interessiert darüber hinaus, zu welchem Prozentsatz tatsächlich (negative) Selbstselektion greift, also Studienbewerber(innen) wegen des Feedbacks über ihre Stärken und Schwächen Abstand davon nehmen, dieses Studium zu wählen. Was die Validität betrifft, ist mehreres zu sagen. Einerseits haben sich die hier eingesetzten Verfahren, zumindest in den Originalversionen in verschiedensten Auswahlprozessen bereits bewährt – entweder wirklich prognostisch oder wenigstens retrospektiv prognostisch (eine kurze Zusammenstellung solcher Ergebnisse gibt Kubinger, 2008). Andererseits ist wiederholt anzuführen, dass wegen der zensierten Daten, die in diesem Zusammenhang immer gegeben sind – gerade bei validen Verfahren werden Personen mit niedrigen Testwerten ausselektiert, so dass von ihnen gar kein (negativer) Wert mehr im Erfolgskriterium vorliegt –, fallen entsprechende Validitätskoeffizienten unverhältnismäßig niedrig aus (vgl. z. B. Kubinger, 2009). Schließlich liegen für das Wiener Self-Assessment Psychologie aber auch schon erste Validitätsbefunde vor, wenn auch nur an einer sehr kleinen Stichprobe – da die Durchführung des Self-Assessments freiwillig ist, hängt auch eine Validierungsstudie davon ab, dass die Testpersonen mittels eines universitären Verwaltungsakts der Test- und Beratungsstelle die Zustimmung geben, in die späteren Prüfungsnoten Einsicht nehmen zu dürfen. Und da ergaben sich immerhin allein für den Test LEWITE-Psychologie in beiden Testkennwerten Korrelationskoeffizienten in Bezug auf die relative Anzahl der im darauf folgenden Studienjahr positiv absolvierten Prüfungen von knapp über 0,40; im Sinn einer inkrementellen Validität scheint das fürs Erste befriedigend zu sein. Was die Akzeptanz betrifft, sei hier nur eine Zusammenstellung gegeben, mit typischen Ergebnissen zu einer Befragung, die ungefähr ein halbes Jahr nach der Durchführung des Self-Assessments erfolgte (s. Abb. 4). So geben 70 % der Antwortenden an, dass ihnen die Bedeutung der eingesetzten

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Philipp Sonnleitner, Klaus D. Kubinger & Martina Frebort

Verfahren für das Studium der Psychologie klar nachvollziehbar war. Auch wird die Informationsdichte der Rückmeldung der Ergebnisse von 86 % als ausreichend beschrieben. 76 % werden das Wiener Self-Assessments Psychologie auch weiter empfehlen.

Ergebnisse zur Akzeptanz: „Die Bedeutung der einzelnen Testteile für das Studium d. Psychologie war für mich nachvollziehbar“

„Nach der Testung erhielt ich ausreichend Information über meine Ergebnisse“ 14%

30%

70%

„Das Feedback hat meine Entscheidung in Bezug auf das Studium beeinflusst“ 36%

trifft zu trifft nicht zu

n=102

86%

„Das Self-Assessment empfehle ich gerne weiter“ 24%

64%

76%

36

Abbildung 4: Ergebnisse zur Akzeptanz des Wiener Self-Assessments Psychologie

Was schließlich den Prozentsatz selbst selektierter Studienbewerber(innen) betrifft, ist klar zu stellen, dass es sich hierbei zwar um eine hochschulpolitisch brisante, jedoch naive Frage handelt. Eine Kausalinterpretation ist bei Erhebungen grundsätzlich nicht möglich, da bedürfte es eines Experiments; ganz offensichtlich hängt nun die letztliche Entscheidung für oder gegen ein Studium bzw. für oder gegen einen Studienplatz von mannigfachen Einflussgrößen ab, die alle die Varianz der Variable Feedback überlagern. Dann muss bezweifelt werden, dass tatsächlich alle, die das Self-Assessment konsumieren, ernsthaft das betreffende Studium in Erwägung ziehen. Außerdem ist es möglich, dass grundsätzlich Ungeeignete sich erst wegen des SelfAssessments und trotz (negativen) Feedbacks zu dem Studium der Psychologie entscheiden, weil sie genau das Thema des Testens neugierig gemacht hat. Immerhin liefert Abbildung 4 aber doch ein interessantes Ergebnis dazu: 36 % der Antwortenden geben an, dass sie das Wiener Self-Assessment Psychologie bei der Entscheidung für oder gegen das Studium beeinflusst hat.

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Das Wiener Self-Assessment Psychologie

Schluss Die hier vorgestellten und in gewisser Weise bewährten Verfahren der experimentalpsychologischen Verhaltensdiagnostik des Wiener Self-Assessments Psychologie scheinen durchaus geeignet, auch für andere Studien und/oder Standorte adaptiert zu werden. Darüber hinaus könnten aber auch noch andere solche Verfahren angedacht werden, um (allgemein) studienrelevante Soft Skills zu messen. Literatur FREBORT, M. & Kubinger, K.D. (2006). Ermittlung eines Anforderungsprofils für Studierende der Psychologie. In B. Gula, R. Alexandrowicz, S. Strauß, E. Brunner, B. Jenull-Schiefer & O. Vitouch (Hrsg.), Perspektiven psychologischer Forschung in Österreich. Proceedings zur 7. Wissenschaftlichen Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Psychologie (S. 408–414). Lengerich: Pabst. FREBORT, M. & Kubinger, K.D. (2008). Qualitätsansprüche an ein Self-Assessment zur Studienwahlberatung: Der Wiener Ansatz. In H. Schuler & B. Hell (Hrsg.), Studierendenauswahl und Studienentscheidung (S. 95–101). Göttingen: Hogrefe. FREBORT, M. & Wagner-Menghin, M.M. (in Vorb.). An adaption of LEWITE for the subject psychology within a self-assessment test-battery for student applicants’ consulting – psychometric issues. HAASE, K. (2008). Studierendenauswahl im internationalen Vergleich. In: H. Schuler & B. Hell (Hrsg.), Studierendenauswahl und Studienentscheidung (S.21–31). Göttingen: Hogrefe. HEUKAMP, V. & Hornke, L.F. (2008) Self-Assessment – Online-Beratung für Studieninteressierte. In: H. Schuler & B. Hell (Hrsg.), Studierendenauswahl und Studienentscheidung (S.78–84). Göttingen: Hogrefe. KHORRAMDEL, L., Maurer, M. & Kubinger, K.D. (2008, July). A requirement analysis of study specific demands – Which requirements of ability and personality th do students need to be successful? Paper presented at the 29 International Congress of Psychology, Berlin, Germany. KUBINGER, K.D. (Ed.). (2002). Personalty questionnaires: Some critical points of view. Psychologische Beiträge, 44/1. KUBINGER, K.D. (2006). Ein Update der Definition von Objektiven Persönlichkeitstests: Experimentalpsychologische Verhaltensdiagnostik. In T.M. Ortner, R. Proyer & K.D. Kubinger (Hrsg.), Theorie und Praxis Objektiver Persönlichkeitstests (S. 38–52). Bern: Huber. KUBINGER, K.D. (2008). Einige Ansätze einer experimentalpsychologischen Verhaltensdiagnostik. In W. Sarges & N. Scheffer (Hrsg.), Innovative Ansätze in der Eignungsdiagnostik (S. 109–120). Göttingen Hogrefe. KUBINGER, K.D. (in Druck). Psychologische Diagnostik – Theorie und Praxis psychologischen Diagnostizierens (2. Aufl.). Göttingen: Hogrefe.

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Philipp Sonnleitner, Klaus D. Kubinger & Martina Frebort KUBINGER, K.D. & Ebenhöh, J. (1996). Arbeitshaltungen – Kurze Testbatterie: Anspruchsniveau, Frustrationstoleranz, Leistungsmotivation, Impulsivität/ Reflexivität [Test: Software und Manual]. Frankfurt/Main: Swets Test Services. KUBINGER, K.D., Moosbrugger, H., Frebort, M., Jonkisz, E. & Reiß, S. (2007). Die Bedeutung von Self-Assessments für die Studienplatzbewerbung. Report Psychologie, 32, 322–332. ONES, D.S., Viswesvaran, C., Dilchert, S. & Deller, J. (Ed.) (2006). Considering response distortion in personality measurement for industrial, work and organizational psychology research and practice. Psychology Science, 48/3. ORTNER, T.M. (2002). Zur Lernfähigkeitsdiagnostik: Die dynamischen Testbatterien ACIL und LAMBDA, der differentialdiagnostische FOLT. Psychologie in Österreich, 22, 34–38. REIß, S., Jonkisz, E. & Moosbrugger, H. (2008). Das Online-Self-Assessment für den Studiengang Psychologie an der J. W. Goethe-Universität Frankfurt am Main. In H. Schuler & B. Hell (Hrsg.), Studierendenauswahl und Studienentscheidung (S. 85–94). Göttingen: Hogrefe.

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Siegbert Reiß, Helfried Moosbrugger, Alexander Tillmann & Detlef Krömker Das Online-Self-Assessment für Psychologie an der Goethe Universität Frankfurt: Erfasste Merkmalsbereiche und Studien zur prognostischen Güte

1. Entwicklungsanlass Da sowohl mangelnde Eignung als auch unzureichende Orientierung häufig zu Misserfolgen im Studium führen, sollte eine intensive Studien vorbereitende Beratung ebenso im Interesse der Hochschulen liegen wie eine eingehende Auseinandersetzung der Studierenden mit den eigenen Fähigkeiten, Interessen und Bedürfnissen einerseits und den Anforderungen und Möglichkeiten des angestrebten Studienfachs andererseits. Die Beratung von Studieninteressierten vor einer Studienentscheidung stellt somit eine notwendige und wichtige Kommunikations- und Serviceleistung der Hochschulen dar und trägt zu deren Profilierung bei. Studienanfänger fühlen sich jedoch vor Studienbeginn häufig nicht ausreichend informiert, obwohl dies gerade angesichts langer Studienzeiten und hoher Abbruchquoten dringend geboten wäre. Nach einer Erhebung von Heine, Spangenberg, Schreiber & Sommer (2005) verfügt fast jeder Fünfte nach eigenen Angaben kaum oder überhaupt nicht über entsprechende Informationen. Als wichtigste Informationsquelle über Studium und Hochschule wird vor Studienbeginn von den Erstimmatrikulierten das Internet zu Rate gezogen und auch besonders positiv bewertet (a. a. O.). Da die personellen Ressourcen für eine individuelle Studienberatung begrenzt sind, bieten Hochschulen verstärkt die Möglichkeit web-basierter Informationen an. Ziel ist es, alle, das Studium und seine Anforderungen betreffenden, Informationen übersichtlich aufzubereiten und online verfügbar zu machen. Nur für weiter gehende Fragen soll dann noch die Möglichkeit einer persönlichen Beratung von fachkundiger Seite bestehen. Einige Hochschulen ergänzen das Informationsangebot für ausgewählte Studienfächer um webbasierte Varianten eines Self-Assessments. Hierbei handelt es sich um eignungsdiagnostische Testungen mit anforderungsspezifisch erstellten psychometrischen Verfahren, bei denen die Durchführung und die Verwertung der Ergebnisse allein in der Autonomie der Getesteten liegt (vgl. Kubinger, Moosbrugger, Frebort, Jonkisz & Reiß, 2007). Die Teilneh-

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Siegbert Reiß, Helfried Moosbrugger, Alexander Tillmann & Detlef Krömker

mer an diesen Verfahren können im Internet Fragen und Aufgaben bearbeiten, die sich an den konkreten Anforderungen eines Studiengangs orientieren. Nach der Bearbeitung erhalten sie eine Ergebnisrückmeldung zu ihren persönlichen Voraussetzungen bezüglich des intendierten Studiums. Im Unterschied zu Auswahltests im Zuge eines Zulassungsverfahrens dürfen bei SelfAssessment-Verfahren auch nicht-kognitive Variablen einbezogen werden (vgl. Kubinger, Moosbrugger, Frebort & Jonkisz, & Reiß, 2007). Die Synergie von Information, Selbsterkundungsmaßnahmen, Tests und Rückmeldungen soll Studieninteressierten Klarheit über die eigenen Fähigkeiten und Interessen verschaffen und die Sicherheit bei der Studienentscheidung erhöhen. Zugleich wollen die Hochschulen auf diese Weise möglichst viele geeignete Kandidaten zu einer Bewerbung anregen und den weniger geeigneten ihre fehlende »Passung« zum Leistungs- und Anforderungsprofil des betreffenden Fachbereichs bzw. der Hochschule erkennbar machen. An der Goethe-Universität in Frankfurt haben die Studiengänge Psychologie und Informatik einerseits die hohen Abbruchquoten in Informatik und andererseits die langen Studienzeiten in Psychologie zum Anlass genommen, gemeinsam ein für den jeweils eigenen Studiengang spezifisches Online-SelfAssessment-Verfahren zu entwickeln. Mit der Platzierung dieser Instrumentarien auf den Internetseiten der Studiengänge (http://www.psychologie.uni-frankfurt.de/Self-Assessment__Psychologie bzw. http://www.gdv.informatik.uni-frankfurt.de) verbindet sich längerfristig die Erwartung, dass es im Auswahlprozess von Studiengang und Studienort zu einer Selbstselektion der potentiellen Studienplatzbewerber kommt. Eine durchdachte und wohl begründete selbstgesteuerte Vorselektion der Studienplatzbewerber sollte sich in einer Verminderung der Anzahl ungeeigneter Bewerber, in einer besseren Passung zwischen den Bewerbern und dem Studiengang sowie letztlich in weniger Studienabbrüchen und einer kürzeren Studiendauer niederschlagen. Im Folgenden sollen das Online-Self-Assessment-Verfahren für den Studiengang Psychologie an der J.W. Goethe-Universität Frankfurt am Main (Reiß, Jonkisz, & Moosbrugger, 2008b) sowie Ergebnisse zur prognostischen Güte des Verfahrens vorgestellt werden. 2. Methodisches Vorgehen und technische Realisierung In einer breit angelegten Anforderungsanalyse mittels Expertenbefragung, differenzierter Analyse von Abiturzeugnissen, einer Studie zur inkrementellen Validität psychologischer Tests sowie einer Befragung anhand eines speziell hierfür konzipierten Fragebogens wurden studiengangspezifische Prädiktoren des Studienerfolgs ermittelt (Moosbrugger & Reiß, 2005; Jonkisz, Moosbrugger & Mildner, 2006; Moosbrugger, Jonkisz & Fucks,

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Das Online-Self-Assessment für Psychologie an der Goethe Universität Frankfurt

2006), die schließlich zur Konstruktion von Skalen des web-basierten SelfAssessments führten (Reiß, Jonkisz, & Moosbrugger, 2008b). Der Zugriff auf das Self-Assessment erfolgt mit Browsern im Internet, wobei die Anonymität der Benutzer gewahrt bleibt. Das Verfahren ist in die Homepage des Studienganges (http://www.psychologie.uni-frankfurt.de) eingebunden und informiert zunächst über die Ziele und die Funktionen des Verfahrens (vgl. Abb. 1).

Abbildung 1: Startseite des Online-Self-Assessments für den Studiengang Psychologie an der Universität Frankfurt.

Das Online-Self-Assessment ist in drei Testeinheiten (Module) unterteilt, die innerhalb einer vorgegebenen Zeit durchgeführt werden müssen; die einzelnen Module können sowohl im Online- als auch Offline-Betrieb bearbeitet werden. Dank einer Navigationsleiste kann der Self-AssessmentTeilnehmer die bisherige Bearbeitungszeit, seinen Bearbeitungsfortschritt und die verbleibende Bearbeitungszeit laufend kontrollieren.

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Siegbert Reiß, Helfried Moosbrugger, Alexander Tillmann & Detlef Krömker

Im Rahmen der Assessment-Module werden zehn thematisch getrennte Aufgabenblöcke dargeboten, die Items zum Studierverhalten und zur Studienmotivation (vgl. Abb. 2), zu bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen, zum deutschen und englischen Textverständnis, zur mathematischen Kompetenz, zum schlussfolgernden Denken (vgl. Abb. 3) sowie zum Interesse an Inhalten des Psychologiestudiums beinhalten.

Abbildung 2: Beispielseite aus dem Frankfurter Online-Self-Assessment für den Studiengang Psychologie mit Items aus dem Bereich »Studierverhalten und Persönlichkeitsmerkmale«.

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Das Online-Self-Assessment für Psychologie an der Goethe Universität Frankfurt

Abbildung 3: Beispielseite aus dem Frankfurter Online-Self-Assessment für den Studiengang Psychologie mit einem Item aus dem Bereich »schlussfolgerndes Denken«.

Sobald die Module vollständig bearbeitet sind, wird für den Teilnehmer eine individuelle Auswertung erstellt, in der die Ergebnisse als Prozentrangwerte unter Bezug auf die Normierungsstichprobe der Psychologiestudierenden an der Goethe-Universität zurückgemeldet werden (vgl. Abb. 4). Der zeitliche Gesamtaufwand für die Bearbeitung des Verfahrens überschreitet in der Regel eine maximale Bearbeitungsdauer von ca. 90 Minuten nicht (siehe auch Reiß, Jonkisz & Moosbrugger, 2008a).

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Siegbert Reiß, Helfried Moosbrugger, Alexander Tillmann & Detlef Krömker

Abbildung 4: Beispielhafte Ergebnisrückmeldung aus dem Frankfurter Online-SelfAssessment für den Studiengang Psychologie.

3. Evaluation 3.1 Erste Erprobungsstichprobe Eine erste Erprobung des Self-Assessments erfolgte im SS 2006 und WS 2006/07 mit 76 Studierenden des ersten und zweiten Studiensemesters im Studiengang Psychologie, die auf freiwilliger Basis das vollständige Verfahren bearbeiteten. Ihre Daten wurden für erste Skalenanalysen und Validitätsstudien herangezogen. Im Zuge einer Itemanalyse wurden die den einzelnen Aufgabenbereichen zugeordneten Items hinsichtlich ihrer Schwierigkeiten und Trennschärfen überprüft. Diejenigen Items, welche unbefriedigende Ergebnisse aufwiesen, wurden aus den Aufgabenblöcken entfernt. Nach testtheoretischen Analysen wurden die Items in acht Subtests zur kognitiven Leistungsfähigkeit sowie in zwölf Subtests zum Studierverhalten, zur Studienmotivation und zu Aspekten der Persönlichkeit zusammengefasst. Vier Interessenskalen zu inhaltlichen Bereichen der Psychologie vervollständigten den Assessment-Test. Für eine erste Überprüfung der prognostischen Güte wurde die Leistung im Fach »Psychologische Statistik I« herangezogen, da diese sich in einer Studie von Moosbrugger & Reiß (2005) als bester Prädiktor für den Notendurchschnitt in der Diplomhauptprüfung erwies. Es muss jedoch einschränkend berücksichtigt werden, dass es sich bei der Erprobungsstichprobe

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Das Online-Self-Assessment für Psychologie an der Goethe Universität Frankfurt

um eine durch das passungsoptimierte Zulassungsverfahren (Moosbrugger, Jonkisz & Fucks, 2006; zur Zulassungssatzung s. auch: http://www.unifrankfurt.de/studium/bewerbung/beweundzul/) ausgelesene Studierendenstichprobe handelt. Weiterhin stellten die freiwilligen Teilnehmer eine Bestenauswahl aus allen Studierenden dar (Reiß, Jonkisz, Peters und Moosbrugger, 2007), so dass durch diese Variationsbeschränkung sowohl in den Self-Assessment-Variablen als auch im vorläufigen Kriterium eine erhebliche Reduktion der erzielbaren prognostischen Validität des Self-Assessments zu erwarten war. Die Kriteriumsvalidität, gemessen als Korrelation zwischen den Subtestwerten und der Leistung im Fach »Psychologische Statistik I«, fielen dementsprechend niedrig aus. Eine substantielle Beziehung zwischen den einzelnen Subtests und der Leistung im Fach »Psychologische Statistik I« war innerhalb der ersten Erprobungsstichprobe lediglich für einen über alle Subtests des Leistungsteils summierten Gesamtskalenwert der kognitiven Items nachweisbar (vgl. Reiß, Jonkisz & Moosbrugger, 2008a). 3.2 Zweite Erprobungsstichprobe Da davon auszugehen war, dass die vorausgehend erwähnten Selektionseffekte ursächlich für die niedrigen Validitätskoeffizienten verantwortlich waren, wurde im Sommersemester 2007 eine zweite Erprobungsstichprobe erhoben. An ihr nahmen insgesamt 74 Studierende der Pflichtlehrveranstaltung »Psychologische Statistik I« im ersten Studiensemester teil und erhielten dafür Credits auf den zu erbringenden Leistungsschein. Diese Erhebung kann als Vollerhebung einer Semesterkohorte im Studiengang Psychologie angesehen werden. Die an der zweiten Erprobungsstichprobe durchgeführten testtheoretischen Analysen zeigten nur geringfügige Differenzen zu jenen der vorherigen Stichprobe, so dass beide Stichproben zusammengefasst und die Skalenanalysen über alle Teilnehmer hinweg durchgeführt wurden. Die skalenanalytischen Befunde sind in Tabelle 1 und 2 aufgeführt und erbrachten für die Gesamtstichprobe durchweg befriedigende bis gute Reliabilitäten wie auch eindeutige, einfaktorielle Lösungen mit guten Varianzaufklärungen. Insgesamt gesehen, kann demzufolge von homogenen Subtests ausgegangen werden. Tabelle 1 zeigt für die acht revidierten Aufgabenblöcke zur kognitiven Leistungsfähigkeit Angaben zur Itemanzahl und zur internen Konsistenz (Cronbachs alpha). Sämtliche Subtests weisen eine für die teilweise geringe Itemanzahl befriedigende bis gute Reliabilität (Cronbachs alpha von .53 bis .82) auf. Gemäß dem Eigenwert-Kriterium und auf der Basis von Parallelanalysen ergaben sich für alle Skalen einfaktorielle Lösungen (Faktorenana-

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Siegbert Reiß, Helfried Moosbrugger, Alexander Tillmann & Detlef Krömker

lyse für dichotome Variablen nach Häusler & Kubinger, 2009) mit befriedigenden Varianzaufklärungen (39–73%). Tabelle 1: Ergebnisse der Skalenanalysen zum Bereich der kognitiven Leistungen des Online-Self-Assessments für den Studiengang Psychologie an der Universität Frankfurt. N=144-146. Nr.

1 2 3 4 5 6 7

Aufgabenblock

Algebrakenntnisse Bruchrechnungskenntnisse Prozentrechnungskenntnisse Stochastikkenntnisse Textverständnis Deutsch Textverständnis Englisch Schlussfolgerndes Denken (verbal) Schlussfolgerndes Denken (figural)

Itemanzahl

Cronbachs Alpha

5 6 4 5 8 5 11

.53 .62 .66 .53 .56 .54 .66

Einfaktoriell erklärte Varianz der Items 52,3 % 61,7 % 73,6 % 44,8 % 39,1 % 55,4 % 39,0 %

12

.82

66,3 %

Die acht Subtests ließen sich faktorenanalytisch auf zwei grundlegende Dimensionen, nämlich die »Globale kognitive Leistungsfähigkeit« und das Text- und Stochastikverständnis zurückführen, die jeweils ca. 36% und 16% Varianz aufklären. Tabelle 2 zeigt die Testanalysen für die zwölf Subtests zu den Bereichen des Studierverhaltens, der Studienmotivation und der Persönlichkeit des Online-Self-Assessments. Auch hier erbrachten die Skalenanalysen durchweg zufriedenstellende Resultate.

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Das Online-Self-Assessment für Psychologie an der Goethe Universität Frankfurt

Tabelle 2: Ergebnisse der Skalenanalysen zum Bereich des Studierverhaltens, der Studienmotivation und der Persönlichkeit des Online-Self-Assessments für den Studiengang Psychologie an der Universität Frankfurt. N=144-146. Aufgabenblock

Anspruchsniveau Arbeitshaltung Leistungsanspruch Lernbereitschaft Zielgerichtetheit Ängstlichkeit Entscheidungsfähigkeit Flow Kontrollüberzeugung Offenheit für Neues Stressbewältigung Zuversicht

Itemanzahl

Cronbachs Alpha

7 8 10 5 9 9 6 8 4 6 9 10

.87 .82 .83 .51 .79 .82 .79 .77 .55 .76 .83 .86

Einfaktoriell erklärte Varianz der Items 57,1 % 45,2 % 41,5 % 35,0 % 39,2 % 42,7 % 50,0 % 39,2 % 43,3 % 45,9 % 43,2 % 47,0 %

Die für diese zweite Erprobungsstichprobe durchgeführten Analysen zur prognostischen Validität für das Kriterium »Leistung im Fach Psychologische Statistik I« erbrachten diesmal erwartungskonforme, substanzielle Beziehungen zu den Subtests des Online-Self-Assessments und dokumentierten damit die Brauchbarkeit des Online-Self-Assessments hinsichtlich eines Studienerfolgskriteriums. Gleichzeitig wird auch deutlich, dass die vorausgehend dargestellte Selbstselektion aufgrund der freiwilligen Untersuchungsteilnahme für die mangelnde prädiktive Validität des Self-Assessments in der ersten Erhebungsstichprobe verantwortlich gemacht werden kann. Für die weiteren Analysen zur prognostischen Güte wurden daher die beiden Stichproben zusammengefasst, wobei bedacht werden muss, dass diese Stichprobenzusammenfassung die tatsächliche Kriteriumsvalidität mutmaßlich unterschätzt. Tabelle 3 zeigt die Beziehungen zwischen den kognitiven Subtests des Online-Self-Assessments und der Leistung in den am Beginn des Studiums stehenden Fächern »Psychologische Statistik I« (erstes Fachsemester) und »Psychologische Statistik II« (zweites Fachsemester). Das Studienleistungskriterium des erstens Semesters ist sowohl durch generelle kognitive Fähigkeiten als auch spezifische mathematische Kompetenzen prognostizierbar, dasjenige des zweiten Studiensemesters vorzugsweise durch die Fähigkeit, logische Strukturen in Texten besser schlussfolgernd verarbeiten können (»schlussfolgerndes Denken – verbal«), sowie durch das Text- und Stochastikverständnis.

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Siegbert Reiß, Helfried Moosbrugger, Alexander Tillmann & Detlef Krömker Tabelle 3: Beziehung zwischen den Skalen zu kognitiven Leistungen des Online-SelfAssessments und der Leistung in den Fächern »Psychologische Statistik I« und »Psychologische Statistik II«. Psychologische Statistik I N=130 Subtest

Validität Spearman

Psychologische Statistik II N=118 Subtest

ρ

Validität Spearman

ρ

Stochastikkenntnisse

.26 **

Stochastikkenntnisse

.12

Algebrakenntnisse

.26 **

Algebrakenntnisse

.03

Schlussfolgerndes Denken (verbal) Globale kognitive Leistungsfähigkeit (Faktor) Text- und Stochastikverständnis (Faktor) ** p< .01

.31 **

Schlussfolgerndes Denken (verbal) globale kognitive Leistungsfähigkeit (Faktor) Text- und Stochastikverständnis (Faktor)

.24 **

.27 **

.26 ** .12

.22 **

Die Beziehung der Subtests zum Studierverhalten, zur Studienmotivation sowie Persönlichkeitsmerkmalen des Online-Self-Assessments und den Studienleistungen in den Fächern »Psychologische Statistik I« (erstes Fachsemester) und »Psychologische Statistik II« sind Tabelle 4 zu entnehmen. Bezogen auf das Leistungskriterium des ersten Semesters lassen sich substanzielle Kriteriumsvaliditäten für die Subtests »Flow«, also das völlige Aufgehen einer Person in einer Tätigkeit, »Stressbewältigung« und »Zuversicht« feststellen. Im zweiten Semester weist nur noch der Subtest »Stressbewältigung« eine bedeutsame Kriteriumsvalidität auf. Ein mittels schrittweiser Regression erstelltes Vorhersagemodell für das Kriterium »Leistung im Studienfach Psychologische Statistik I« wäre in der Lage, mit den Prädiktoren »schlussfolgerndes Denken – verbal«, »Stressbewältigung« und »Stochastikkenntnissen« 24 % Varianzaufklärung (R = .49) zu leisten.

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Das Online-Self-Assessment für Psychologie an der Goethe Universität Frankfurt

Tabelle 4: Beziehung zwischen den Skalen zum Studierverhalten, zur Studienmotivation sowie Persönlichkeitsmerkmalen des Online-Self-Assessments und der Leistung in den Fächern »Psychologische Statistik I« und »Psychologische Statistik II«. Psychologische Statistik I N=129 Subtest

Validität Spearman

Psychologische Statistik II N=113-117 Subtest

ρ

ρ

Flow

.17 **

Flow

Stressbewältigung

.28 **

Stressbewältigung

Zuversicht

.20 *

Validität Spearman

Zuversicht

.13 .30 ** .16

** p< .01; * p< .05

Während sich also für die Prognose früher Studienleistungen – bei denen es sich noch um schulunterrichtsnahe Leistungen handelt – gleichermaßen kognitive Leistungsmaße wie auch Persönlichkeitsvariablen des Online-SelfAssessments als geeignete Prädiktoren erweisen, scheinen die kognitiven Leistungsmaße für die Prognose der späteren Studienleistungen an Einfluss zu verlieren. Erste Analysen zur Durchschnittsnote der in der Regel im 3. bzw. 4. Fachsemester stattfindenden Vordiplomsprüfungen konnten aus dem Bereich der kognitiven Fähigkeitsskalen keine bedeutsamen Beziehungen finden. Dagegen scheint die Bedeutung guter Stressbewältigungsstrategien (»Stressbewältigung«: r= .32**) und hoher Leistungsorientierung (»Leistungsanspruch«: r= .24*) für diese Durchschnittsnote zuzunehmen. Diese beiden Skalen klären gemeinsam in einem Regressionsmodell 12 % Varianz der Vordiplomsdurchschnittsnote auf (R = .35), wobei das Faktum der selegierten Stichprobe vermutlich wiederum die erklärte Varianz mindert (Reiß, Mildner, Schreiner, Schweizer, & Moosbrugger, 2008). Neben den psychometrischen Item- und Skaleneigenschaften sowie der Überprüfung der Kriteriumsvalidität ist insbesondere bei einem Selbsterkundungsverfahren dessen Akzeptanz bei den Teilnehmern ein wesentliches Qualitätsmerkmal. Das Online-Self-Assessment wurde im Juli 2008 in die Studiengangsinformationsseiten des Instituts für Psychologie der Goethe Universität Frankfurt am Main integriert und zur öffentlichen Nutzung freigegeben. In den ersten drei Monaten danach wurde das Verfahren insgesamt von 259 Personen durchgeführt, darunter 63 Studienanfänger der Psychologie in Frankfurt. Nach Durchführung des Online-Self-Assessments hatten die Teilnehmer die Möglichkeit, den Nutzen des Verfahrens in ihrem Entscheidungsprozess zu bewerten. Diese Verfahrensbewertung der 63 Studienanfänger wurde ausgewertet. Abbildung 5 zeigt, dass die Studienanfänger durch das Online-Self-

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Siegbert Reiß, Helfried Moosbrugger, Alexander Tillmann & Detlef Krömker

Assessment zwar eher keine Verbesserung ihres Kenntnisstandes zum Psychologiestudium erfahren haben, aber im Mittel eine verbesserte Einschätzung der Studienanforderungen sehen. Ebenso halten sie die präsentierten Inhalte für glaubwürdig und informativ. Das Verfahren wird insgesamt als nützlich bei der Entscheidungsfindung angesehen. 6 5 4 3 2 1 Nutzen für Entscheidung

Inhalt glaubwürdig

1= trifft überhaupt nicht zu 2 = trifft nicht zu

Informativ für Studieninhalte

Verbesserung des Kenntnisstandes

3 = trifft eher nicht zu 4 = trifft eher zu

Verbesserte Einschätzung der Anforderungen

5 = trifft zu 6 = trifft vollkommen zu

Abbildung 5: Beurteilung des Online-Self-Assessments durch teilnehmende Studienanfänger (N=63).

4. Resümee Die ersten Erfahrungen mit dem Online-Self-Assessment für den Studiengang Psychologie an der Universität Frankfurt bekräftigen, dass die Zielsetzung, Studieninteressierten ein inhaltsvalides und praktikables Instrument an die Hand zu geben, welches sie bereits vor Studienbeginn über ihre individuelle Passung zum interessierenden Studiengang informiert, erreichbar ist. Die internen Konsistenzen der Skalen und die Bewertung des Verfahrens durch die Teilnehmer entsprechen weitgehend dem, was unter den technischen und administrativen Rahmenbedingungen, unter denen ein solches Verfahren realisiert wurde, erwartet werden kann. Die Kriteriumsvalidität, also die in der Erprobungsstichprobe nachweisbare Beziehung der Self-AssessmentSkalen zu Studienerfolgsvariablen, sind aufgrund von Varianzeinschränkungen sowohl auf Prädiktor- als auch Kriteriumsseite durch bereits erfolgte Eignungsselektion der zugelassenen Studierenden und Teilnahme-Selbstselektion der leistungsfähigen Studierenden bei der ersten Erprobungsstichprobe mutmaßlich unterschätzt. Dennoch gleichen die nachgewiesenen prädiktiven Validitäten für die bisher verfügbaren Studienleistungen aber in ihrer Größenordnung etwa den für Studierendenauswahltests festgestellten Validitäten (z. B. Lengenfelder, Baumann, Allesch & Nuerk, 2008). SelfAssessment-Verfahren wie das vorliegende sind jedoch nicht für Auswahlzwecke gedacht, sondern sollen Studieninteressierten – im Sinne einer

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Das Online-Self-Assessment für Psychologie an der Goethe Universität Frankfurt

Studienberatung – einen möglichst realistischen Ausblick auf die Anforderungen im Studium geben und ihnen eine selbstkritische Prüfung ihres Studierverhaltens und ihrer Studienmotivation abverlangen. Insbesondere die aufgezeigte Prognosefähigkeit für spätere Studienleistungen durch Merkmale aus dem Bereich des Studierverhaltens, der Studienmotivation und der Persönlichkeit bietet für die Beratung von Studieninteressierten und Studierenden Erfolg versprechende neue Ansätze. Denkbar wäre auch, dass der individuell ausgedruckte Feedbackbogen aus dem Self-Assessment von Studieninteressierten in ein detaillierteres Beratungsgespräch eingebracht und gemeinsam mit professionellen Beratern zweckdienlich genutzt werden. 5. Literatur HÄUSLER, J. & Kubinger, K. (2009). Faktorenanalyse für dichotome Variablen (mixFactorEval.exe ). Zugriff im Januar 2009 unter http://psychologie.univie.ac.at/diagnostik/software-downloads/statistik/ HEINE, C., Spangenberg, H., Schreiber, J. & Sommer, D. (2005). Studienanfänger in den Wintersemestern 2003/04 und 2004/05. Wege zum Studium, Studien- und Hochschulwahl, Situation bei Studienbeginn. Hannover: HochschulInformations-System. JONKISZ, E., Moosbrugger, H. & Mildner, D. (2006). Die »Frankfurt Study« zur Vorhersage des Studienerfolges. In B. Gula, R. Alexandrowicz, S. Strauß, E. Brunner, B. Jenull-Schiefer & O. Vitouch (Hrsg.), Perspektiven Psychologischer Forschung in Österreich. Wien: PABST. KUBINGER, K. D., Moosbrugger, H., Frebort, M., Jonkisz, E. & Reiß, S. (2007). Die Bedeutung von Self-Assessments für die Studienplatzbewerbung. Report Psychologie 32, 322–332. LENGENFELDER, P., Baumann, U., Allesch, C. & Nuerk, H.-C. (2008). Studierendenauswahl an der Universität Salzburg: Konzeption und Validität. In H. Schuler & B. Hell (Hrsg.), Studierendenauswahl und Studienentscheidung. Göttingen: Hogrefe. MOOSBRUGGER, H., Jonkisz, E. & Fucks, S. (2006). Studierendenauswahl durch die Hochschulen – Ansätze zur Prognostizierbarkeit des Studienerfolgs am Beispiel des Studiengangs Psychologie. Report Psychologie, 31, 114–123. MOOSBRUGGER, H. & Reiß, S. (2005). Determinanten von Studiendauer und Studienerfolg im Diplomstudiengang Psychologie. Eine Absolventenstudie. Zeitschrift für Evaluation, 2, 177–194. REIß, S., Jonkisz, E. & Moosbrugger, H. (2008a). Das Online-Self-Assessment für den Studiengang Psychologie an der J. W. Goethe-Universität Frankfurt am Main. In H. Schuler & B. Hell (Hrsg.), Studierendenauswahl und Studienentscheidung. Göttingen: Hogrefe. REIß, S., Jonkisz, E. & Moosbrugger, H. (2008b). Online-Self-Assessment für den Studiengang Psychologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Zu-

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Siegbert Reiß, Helfried Moosbrugger, Alexander Tillmann & Detlef Krömker griff am 21. Januar 2009 unter http://www.psychologie.uni-frankfurt.de/SelfAssessment_-_Psychologie/index.html REIß, S., Jonkisz, E., Peters, B. & Moosbrugger, H. (2007, September). Das Frankfurter Online-Self-Assessment für Psychologie: Selektionseffekte und Validitäten. Präsentiert auf der 9. Arbeitstagung der Fachgruppe Differentielle Psychologie, Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik, Wien. REIß, S., Mildner, D., Schreiner, M., Schweizer, K. & Moosbrugger, H. (2008, September). Prediction of course achievement beyond school achievement: The impact of cognitive and non-cognitive variables on academic success. Presented at the 2nd Biennial Symposium on Personality and Social Psychology: Personality, Cognition, and Emotion, Warsaw.

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Verena Heukamp & Lutz F. Hornke Self-Assessments der RWTH Aachen Erfahrung mit der Online-Beratung Studieninteressierter

Studienorientierung und Entscheidungsfindung Schülerinnen und Schüler sehen sich in der Oberstufe mit Fragen hinsichtlich ihres weiteren Ausbildungs- und Berufswegs und damit erstmals mit ihrem eigenen Lebensplan konfrontiert. Für Schulabgänger1 mit Hochschulzugangsberechtigung, die in Deutschland etwa 43% ihrer Altersgruppe ausmachen (Brugger, Scharfe & Stroh, 2008), stehen drei Entscheidungen im Vordergrund: (1) Die Entscheidung für oder gegen die Aufnahme eines Studiums, (2) die Entscheidung für eine fachliche Orientierung und (3) die Entscheidung für ein bestimmtes Studienfach (Heine, Egeln, Kerst, Müller & Park, 2006). Um eine tragfähige und langfristig zufriedenstellende Wahl zugunsten eines bestimmten Studienfachs treffen zu können, stellen z.B. Hochschulen zahlreiche Informationen zur Verfügung, die dann einzuholen und gegeneinander abzuwägen sind. Dazu gehört es, sich sowohl intensiv mit den Studienmöglichkeiten auseinanderzusetzten als auch die eigenen (Lebens-)Ziele, Stärken und Interessen zu erkunden. Die eigene Entscheidung kann vorbereitet werden, indem Informationen über Anforderungen, Inhalte und Entwicklungsmöglichkeiten in den angebotenen Studiengängen mit der Kenntnis über die eigene Person abgeglichen wird. Bei der Suche nach verwertbaren Informationen stützen sich Schülerinnen und Schüler laut einer HIS-Studie von Heine und Willich (2006) an erster Stelle auf das Internet, sowie auf Materialien von Hochschulen und Beratungseinrichtungen, die durch Gespräche in Beratungen sowie im persönlichen Umfeld ergänzt werden. Um sich ein Bild von den eigenen Stärken und Schwächen zu machen, greifen Studieninteressierte vor allem auf zurückliegende (Lern-)Erfahrungen zurück, die sie z.B. in der Schule, in Praktika oder im Freizeitbereich gesammelt haben. Oftmals fällt es Studieninteressierten jedoch schwer, alle Schritte bis zur Entscheidungsfindung konsequent zu gehen und eine stabile Studienentscheidung zu treffen, die in ein persönlich zufriedenstellendes und erfolgrei1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden die männliche Form benutzt. Gemeint sind stets sowohl männliche als auch weibliche Personen gleichermaßen.

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Verena Heukamp & Lutz F. Hornke

ches Studium mündet. So verläuft die Informationssuche und Entscheidungsvorbereitung oft weniger systematisch und ist von zufälligen Begegnungen und Ereignissen mitbestimmt, was die Entscheidungsrationalität und damit die Entscheidungsqualität gefährdet. Obwohl die meisten Studieninteressierten berichten, bereits zu Beginn der Oberstufe mit der Informationssuche zu beginnen, fühlt sich laut Heine und Quast (2009) lediglich ein Viertel (26%) der Studienberechtigten ein halbes Jahr vor Ende der Schulzeit ausreichend über die in Frage kommenden Studienoptionen informiert. Schwierigkeiten bereiten zum einen die Vielfalt der wählbaren Studien- und Ausbildungsmöglichkeiten und zum anderen die Arbeitsmarktentwicklung. Bei den personenbezogenen Informationen ist es die unzureichende Einschätzung eigener Stärken und Fähigkeiten sowie studienrelevanter Interessen, die die Klärung der eigenen Präferenzen und Ziele und damit die Entscheidungsfindung behindern. Manche Unsicherheit schlägt sich später, oftmals erst nach Aufnahme des Studiums nieder. Nach Heublein, Schmelzer, Sommer und Wank (2008) wechselten an den Universitäten bezogen auf den Absolventenjahrgang 2006 bis zu 17% der Studierenden in ein anderes Studienfeld; darüber hinaus brachen bis zu 28% der Studierenden ihr Studium ab. Besonders stark betroffen sind die naturwissenschaftlich-mathematischen Fächer mit einer Schwundquote (Abbrecher plus Fächergruppenwechsler) von [17+28=]45% sowie die Ingenieurswissenschaften mit [17+25=]42%, während medizinische Studiengänge mit [5+5=]10% und Lehramtsstudiengänge mit [12+8=]20% die niedrigsten Schwundquoten aufweisen. Befragt nach den Gründen für Wechsel oder Abbruch gaben nach Heublein, Spangenberg und Sommer (2003) 33% der Studienabbrecher des Absolventenjahrgangs 2000 mangelnde Studienmotivation (z.B. nachlassendes Interesse, enttäuschte Erwartungen) und eine Neuorientierung (z.B. Wunsch nach praktischer Tätigkeit) als Abbruchgrund an. Weitere 19% der Befragten nennen Leistungsprobleme und Prüfungsversagen als Hauptgrund für den Studienabbruch; beidem hätte man mit einer fundierten, wohlüberlegten Entscheidungsvorbereitung vor der Studienfachwahl zumindest teilweise begegnen können. Angesichts dieser Umfragen bemühen sich Hochschulen, auf Schüler und Studieninteressierte bereits in der Phase der Studienorientierung zuzugehen, um sie gezielt zu informieren und zu beraten. Vornehmes Ziel ist es, die Zahl der Abbrecher und Wechsler zu verringern und so den Anteil der erfolgreichen Studienabschlüsse zu erhöhen. Dies hat eine institutionelle und individuelle Komponente: Hochschulen wollen ihrem Forschungs- und Bildungsauftrag nachkommen, und Studierende wollen zufrieden und erfolgreich ihr Studium abschließen. Entsprechend soll die Selbstselektion der künftigen Studierenden dahingehend unterstützt werden, dass geeignete und informierte Kandidaten sich früh an die für sie passendeHochschule binden. Während das Direktangebot der Studienberatungen in den letzten Jahren kontinuierlich um

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Self-Assessments der RWTH Aachen

Informationstage, Schnupperstudium und ähnliche Veran-staltungen für Studieninteressierte, Eltern und Schüler erweitert wurde, hat sich auch das im Internet verfügbare Angebot der Hochschulen gewandelt und erweitert. Die meisten Internetseiten stellen Informationen über Inhalte und Struktur des Studienangebots bereit und informieren über Anforderungen und formale Rahmenbedingungen, sodass inzwischen etwa 93% der Studienberechtigten das Internet bei ihrer Informationssuche als wichtige und informative Quelle nutzen (Heine & Willich, 2006). Self-Assessments als ein Element der Studienorientierung Ein Baustein der internetbasierten Beratung und Unterstützung von Studieninteressierten sind Self-Assessments (Abbildung 8). Als Ende der 1990er Jahre an nahezu allen deutschen Universitäten in den Fächern Informatik und Elektrotechnik die Bewerber- aber leider auch die Abbrecherquoten stiegen, wurde an der RWTH Aachen das erste Self-Assessment zur Studienorientierung entwickelt und angeboten (Zimmerhofer, & Hornke, 2005; Zimmerhofer 2008). Es zählte so schon 2002 zu den Maßnahmen, die in die Zielvereinbarung der RWTH Aachen mit dem Land Nordrhein-Westfalen aufgenommen wurden, um die Studienerfolgsquote langfristig zu steigern (Dezernat Planung, Entwicklung und Controlling der RWTH Aachen, 2002). Dazu wurden anhand einer umfassenden Anforderungsanalyse mit Dozenten, Studierenden und Studienberatern die Anforderungen der beiden beteiligen Studienfächer zusammengestellt und in einem ca. 90 minütigen Self-Assessment in verschiedenen kognitiven und nicht-kognitiven Skalen und Fragebogen nebst einer ausführlichen Ergebnisrückmeldung umgesetzt. Klasse 11

12

(13)

Abitur Einschreibung

Studienfachwahl Zunehmend begleitet durch:

Noten

Internet, Medien Eltern, Lehrer, Alumni, Freunde

Auswahl

Entscheidung

SelfAssessment Informationsquellen der Hochschulen Beratungs- und Informationsdienste Abbildung 8: Self-Assessments als eine Informationsquelle im Entscheidungsprozess

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Verena Heukamp & Lutz F. Hornke

Inzwischen werden von zunehmend mehr Hochschulen Self-Assessments angeboten, die als internetbasiertes Beratungs- und Informationsangebot von Studieninteressierten zur Orientierung genutzt werden können. In der Regel bestehen diese Self-Assessments aus verschiedenen Aufgabenbereichen, damit die Teilnehmer die Anforderungen kennenlernen, wie sie gerade zu Beginn des Studiums vorkommen, aber damit sie auch erfahren, wie sie sich hinsichtlich Neigungen und Eignungen selber und im Vergleich zu anderen darstellen. Nach der Bearbeitung der einzelnen Aufgabenbereiche, darunter in der Regel sowohl Fragebogen zur Selbsteinschätzung (z.B. zu Interessen oder Studienmotivation) als auch Leistungsaufgaben (z.B. Textverständnis, Mathematik), erhalten die Teilnehmer eine ausführliche automatisierte Rückmeldung. Sie erläutert das Stärkenprofil des Einzelnen, setzt es in Relation zu den Ergebnissen anderer Studieninteressierter und verdeutlicht die Relevanz der thematisierten Inhalte für das Studium. Zum Teil werden auch medial aufbereitete Interviews mit Studierenden oder Filmclips vom Campus ergänzt, um den Teilnehmern ein anschauliches Bild vom Studienalltag zu vermitteln. Die Teilnehmer gewinnen auf diese Weise einen ersten Eindruck, inwieweit die eigenen Stärken, Interessen und Erwartungen zu den Anforderungen eines anvisierten Studiums passen. Dabei unterscheiden sich verschiedene Self-Assessment-Angebote darin, ob sie den Teilnehmern vorrangig Kenntnisse über die eigenen Fertigkeiten, Fähigkeiten und/oder Interessen vermitteln (personenzentriert) oder ob sie verstärkt auf den Auf- und Ausbau von Kenntnissen über das Studium abzielen (umweltzentriert) (Heukamp, Putz, Milbradt & Hornke, 2009). Die Verfahren sprechen damit unterschiedliche Informationsbedürfnisse von Studieninteressierten an und können je nach Entscheidungssituation des Ratsuchenden einzeln oder kombiniert genutzt werden. Gemeinsam ist verschiedenen Self-AssessmentAngeboten das Ziel, die Entscheidungsfindung von Studieninteressierten vorzubereiten, zur weiteren Informationssuche und z.B. zum persönlichen (Fach-)Beratungsgespräch an einer Hochschule anzuregen. Ziele und Nutzen, Möglichkeiten und Grenzen Die Erwartungen, die von Hochschulen und Studieninteressierten an SelfAssessments geknüpft werden sind vielfältig. Für Studieninteressierte liegt der Nutzen der webbasierten Selbsttests in der Möglichkeit, sich eigenständig und unverfänglich einen Eindruck von den eigenen Stärken und Schwächen im Hinblick auf ein Studium zu verschaffen. Dabei können sie sich sowohl zeitlich als auch räumlich unabhängig von einer beratenden Stelle zu orientieren. Bei der Aufgabenbearbeitung im Self-Assessment setzen sich die Teilnehmer mit den Inhalten und Anforderungen des Studienfeldes auseinander und können so ihre eigenen Erwartungen, ihre Kompetenzen und ihre persönliche Studienmotivation erkunden. Die Ergebnisrückmeldung fasst ihr indivi-

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Self-Assessments der RWTH Aachen

duelles Passungsprofil zusammen, zeigt Informationsdefizite auf und unterstützt so die Entscheidungsvorbereitung. Hochschulen und ihre Fachbereiche nutzen Self-Assessments auch als Teil des Bindungsmanagements, um bereits in der gymnasialen Oberstufe Kontakt zu potentiellen Studierenden aufzunehmen und sie auf die jeweiligen Studienangebote und Schwerpunkte aufmerksam zu machen. Durch die Informationsangebote können Self-Assessments Maßnahmen der (Fach-)Studienberatungen vorbereiten, kanalisieren und damit entlasten. Insbesondere die Ergebnisrückmeldung kann dabei persönliche Gespräche anregen und Studieninteressierten sowie Beratern den Einstieg in den Entscheidungsprozess erleichtern. Neben dem Wunsch Studieninteressierte möglichst frühzeitig im Entscheidungsprozess anzusprechen, sollen vor allem geeignete Studieninteressierte angeworben und damit langfristig die Erfolgsquoten der Studierenden erhöht werden. Die grundlegende Idee dabei ist, mithilfe der SelfAssessments die Selbstselektion der Studienbewerber für das Studienfach und den Studienort zu fördern. So sollen Studieninteressierte ihre Studienentscheidung besser informiert treffen und mit realistischen Erwartungen in ihr Studium starten. Indem also versucht wird, den Anteil geeigneter Studienbewerber anzuheben, sollen zugleich verbesserte Lehr- und Lernbedingungen an der Hochschule geschaffen werden. Self-Assessments sind als Informationsinstrumente zu verstehen, die frühzeitig einen Prozess der Information und Selbstselektion anregen können. Sie setzen damit im Studienentscheidungsprozess weit früher an als Verfahren der Studierendenauswahl, mit denen erst unmittelbar vor Studienaufnahme geeignete Kandidaten für zulassungsbegrenzte Studiengänge in dem Bewerberpool identifizieren werden sollen. Self-Assessments wirken allerdings nur indirekt auf das Entscheidungsverhalten und können damit, anders als Auswahlverfahren, den Zugang zu überlasteten Studienfächern nicht regulieren. Sie stellen im Kontext der Hochschulzulassung daher keine Alternative, sondern nur eine sinnvolle Ergänzung zu Verfahren der Studierendenauswahl dar. gibt einen Überblick über wesentliche Unterschiede zwischen SelfAssessments und testbasierter Studierendenauswahl.

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Verena Heukamp & Lutz F. Hornke

Tabelle 1: Unterschiede zwischen Self-Assessment und testbasierter Studierendenauswahl Self-Assessment

Testbasierte Auswahlverfahren

☺ Ziel der HS: Basisrate der geeigneten

☺ Ziel der HS: Geeignete Bewerber

Bewerber erhöhen

auswählen

☺ Frühzeitige Begleitung der Studienfachwahl durch die HS (Bindungsmanagement) Überlastung beliebter Fächer nur informationell steuerbar

☺ Erfassung nicht-kognitiver Komponenten möglich

☺ Ortsunabhängig im Internet verfügbar ☺ Wenig Angriffsfläche für juristische Anfechtungen

☺ Längerfristig einsetzbar

Später Kontaktpunkt zur Hochschule mit Abschluss der Studienfachwahl

☺ Auslastung der Studienfächer direkt steuerbar Nur kognitive Komponenten erfassbar Ortsgebunden an Testzentren Einzelne Klagen gegen Ablehnungsbescheide Jährliche Neuentwicklung der Aufgaben

Erfahrungen mit Self-Assessments Seit der Entwicklung des ersten Self-Assessment im Jahr 2002 sind an der RWTH Aachen inzwischen Self-Assessment-Angebote für verschiedene Studienfächer (www.assess.rwth-aachen.de), aber auch für Hochschulverbünde wie den Verbund norddeutscher Hochschulen (www.selfassessment.uni-nordverbund.de) oder die TU9 (selfassessment.tu9.de) entstanden. Die Angebote werden von Studieninteressierten gerne genutzt, um sich über die eigenen Stärken und Schwächen im Hinblick auf die Studienanforderungen und -inhalte zu informieren. Allein die Self-Assessments des Verbundes Norddeutscher Universitäten, die fünf Studienfelder abdecken, verzeichnen inzwischen täglich etwa 50 Teststarts, wobei nur die Hälfte der Teilnehmer aus dem unmittelbaren Einzugsgebiet stammt. Obwohl die Bearbeitung der Self-Assessments mit 120 Minuten Bearbeitungszeit für ein Internetangebot recht aufwändig ist und je nach Aufgabentyp durchaus als anstrengend erlebt wird, wird etwa die Hälfte aller gestarteten Bearbeitungen auch vollständig abgeschlossen. Die Teilnehmer berichten darüber hinaus, einen spürbaren Nutzen aus der Teilnahme am Self-Assessment zu ziehen. Statistische Auswertungen verdeutlichen, dass die Unsicherheit bei der Studienentscheidung mit Hilfe von Self-Assessments reduziert werden kann. Für diese Analyse wurde u.a. in den studienfeldspezifischen Self-Assessments des Verbundes norddeutscher Universitäten unmittelbar vor und nach der Bearbeitung des Verfahrens jeweils die Entscheidungsunsicherheit mithilfe einiger Selbsteinschätzungsfragen durch die Teilnehmer bewertet und die Einschätzungen zu zwei Zeitpunkten einander gegenübergestellt (n=2.748). Dabei ist nach der Bearbeitung des SelfAssessments ein statistisch signifikanter Zuwachs der jeweils von den Teil-

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Self-Assessments der RWTH Aachen

nehmern berichteten Informiertheit (t=24,64; p