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German Pages 265 [270] Year 2017
Corinna Albert
Sehen im Dialog Bedeutungsdimensionen intermedialer Phänomene in den spanischen Renaissancedialogen zu Kunst und Malerei
Romanistik Franz Steiner Verlag
Text und Kontext – 37
Corinna Albert Sehen im Dialog
TexT und KonTexT Romanische Literaturen und Allgemeine Literaturwissenschaft Herausgegeben von Klaus W. Hempfer Band 37
Corinna Albert
Sehen im Dialog Bedeutungsdimensionen intermedialer Phänomene in den spanischen Renaissancedialogen zu Kunst und Malerei
Franz Steiner Verlag
Umschlagabbildung: Diego de Sagredo: Medidas del Romano, Toledo, 1526, B2v. Universidad de Salamanca, Biblioteca General Histórica. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2017 Zugl.: Bochum, Univ., Diss., 2015 Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11711-1 (Print) ISBN 978-3-515-11713-5 (E-Book)
DANKSAGUNG Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im September 2015 von der Fakultät für Philologie der Ruhr-Universität Bochum angenommen wurde. Die Arbeit ist durch ein Promotionsstipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes ermöglicht worden, der mein besonderer Dank gilt. Der Grundstein der Studie wurde zuvor in den Bibliotheken Madrids während eines Forschungsaufenthaltes gelegt, den der Deutsche Akademische Austauschdienst dankenswerterweise mit einem Doktorandenstipendium finanzierte. Ich danke Prof. Dr. Klaus W. Hempfer und dem Franz Steiner Verlag für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe Text und Kontext. Die Abbildungen auf dem Umschlag und im Innenteil der Arbeit sind Editionen entnommen, die sich im Besitz der Biblioteca General Histórica der Universidad de Salamanca und der Österreichischen Nationalbibliothek befinden; beide Bibliotheken haben freundlicherweise die Abdruckrechte für die Bilder erteilt. Dieses Buch entstand mit der Unterstützung einer Reihe von Personen, denen ich an dieser Stelle danken möchte: Prof. Dr. Roger Friedlein, der die Entstehung dieser Schrift und meinen akademischen Werdegang stets mit wertvollem Rat und konstruktiver Kritik begleitet und gefördert hat. Prof. Dr. David Nelting für die Übernahme des Zweitgutachtens und die hilfreichen Hinweise für die Drucklegung. Prof. Dr. Lieselotte Steinbrügge, Prof. Dr. Valeska von Rosen und Prof. Dr. Roland Weidle für ihre Bereitschaft, als Prüferinnen und Prüfer an meiner Disputation teilzunehmen und die Arbeit auch danach inhaltlich weiter zu verfolgen. Den Kollegen und Freunden am Romanischen Seminar der Ruhr-Universität Bochum, insbesondere Dr. Isabel Müller und Dirk Brunke, M.A., für viele anregende Gespräche und wichtige Anmerkungen. Von ganzem Herzen danke ich meinen Eltern Elvira und Rolf Albert sowie meinem Mann Jens Meyer, die die Entstehung dieser Arbeit in den vergangenen Jahren mit tiefem Interesse, wertvollen Ratschlägen und unerschütterlicher Geduld begleitet haben. Ihnen sei dieses Buch gewidmet. Bochum, im Frühjahr 2017
INHALTSVERZEICHNIS I.
Einleitung ..................................................................................................11
II.
Künste und Wissenschaften – Kunstliteratur – Kunstdialog ....................19
1. 2. 2.1. 2.2. 2.3. 3.
Zur Debatte um die Künste und Wissenschaften im Siglo de Oro ...........19 Spanische kunsttheoretische Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts ........24 Autoren, Adressaten und Zentren .............................................................24 Argumente, Motive, Topoi und Kategorien ..............................................25 Gattungen ..................................................................................................32 Panorama des Kunstdialogs im Siglo de Oro und Korpus ........................37
III.
Ebenen und Dimensionen der Dialoganalyse ...........................................42
1. 2. 2.1. 2.2. 2.3. 3.
Zu den Konnexionen zwischen Dialog und Kunst ....................................42 Dialogtheoretische Leitlinien und Kriterien .............................................45 Formale Struktur .......................................................................................45 Binnenpragmatik sowie Argumentations- und Handlungsebene ..............49 Indexikalisierung der Argumentation .......................................................52 Intermediale Phänomene im Dialog und ihre Systematisierung ...............57
IV.
Leer, ver, alcanzar. Diego de Sagredos Medidas del Romano (1526) .....66
1. 2. 3. 4. 5. 5.1. 5.2. 5.3. 6.
Diego de Sagredo. Zu Leben und Werk ....................................................67 Editionsgeschichte ....................................................................................68 Formaler Aufbau und Konzeption ............................................................69 Dialogsetting und Sprecherkonstellation ..................................................73 Lesen, Sehen, Begreifen. Auctoritas und experientia in den medienkombinatorischen Medidas del Romano ...................................................78 Die Rolle der auctoritates .........................................................................79 Experientia als Weg zu architekturtheoretischem Wissen ........................83 Erfahrung durch visus und experimenta ....................................................86 Visuelle und experimentelle experientia neben auctoritas .......................95
V.
Ver la fuente. Cristóbal de Villalóns El Scholástico (ca. 1538–1542) ......97
1. 2. 3. 3.1.
Cristóbal de Villalón. Zu Leben und Werk ...............................................97 Textgeschichte ..........................................................................................98 Formaler Aufbau und Konzeption .......................................................... 100 Die besondere Rolle der Malerei im Prolog des Scholástico .................. 100
8 3.2. 4. 5. 5.1. 5.2. 6.
Inhaltsverzeichnis
Weitere Aspekte zur formalen Struktur .................................................. 103 Dialogsetting und Sprecherkonstellation ................................................ 106 Die (wahren) Quellen humanistischer Weisheit. Ekphrasen im Scholástico .............................................................................................. 108 Antike Architektur und alttestamentarische Fresken .............................. 109 Antike Mythologie und humanistische Weisheit. Zur zentralen Bedeutung des Brunnens ......................................................................... 113 Die Betrachtung des Brunnens der Weisheit .......................................... 130
VI.
Falar com os olhos. Francisco de Holandas Da Pintura Antiga (1548 / 1549) ............................................................................... 132
1. 2. 3. 4. 4.1. 4.2. 4.3.
Francisco de Holanda. Zu Leben und Werk ........................................... 132 Text- und Editionsgeschichte .................................................................. 136 Struktur und Konzeption von Da Pintura Antiga ................................... 137 Diálogos em Roma (1548 ptg., 1563 span.) ............................................ 142 Formaler Aufbau ..................................................................................... 142 Dialogsetting und Sprecherkonstellation ................................................ 143 Sprechen, Zeigen, Schauen. Intermediale Referenzen im Steigerungsprozess .................................................................................. 147 Zwischenresümee .................................................................................... 163 Do Tirar polo Natural (1549 ptg., 1563 span.) ....................................... 165 Formaler Aufbau ..................................................................................... 166 Dialogsetting und Sprecherkonstellation ................................................ 168 Medienkombination als Kulminationspunkt ........................................... 170 Kunstbetrachtung über Kunstgespräch. Die Superiorität des Sehens ..... 176
4.4. 5. 5.1. 5.2. 5.3. 6. VII.
La verdad de la pintura. Juan de Pinedas Diálogos familiares (1589) ..................................................................................... 178
1. 2. 3. 4. 5.
Juan de Pineda. Zu Leben und Werk ...................................................... 178 Text- und Editionsgeschichte .................................................................. 179 Formaler Aufbau ..................................................................................... 180 Dialogsetting und Sprecherkonstellation ................................................ 185 Zum christlichen Umgang mit paganen Fresken. Die Kunstbezüge der Diálogos familiares ........................................................................... 189 Kunsttheoretischer Gehalt und Betonung des Gesichtssinns .................. 190 Heidnische Fresken im Haus des Theologen. Die Ekphrasen der Diálogos ............................................................................................ 196 Die christliche Sicht auf pagane Fresken ................................................ 206
5.1. 5.2. 6.
VIII. Haber visto y saber dibujar. Antonio Agustíns Diálogos de medallas (1587) ....................................................................................... 208 1.
Antonio Agustín. Zu Leben und Werk .................................................... 210
Inhaltsverzeichnis
2. 3. 4. 5.
9
7.
Editionsgeschichte .................................................................................. 211 Formaler Aufbau ..................................................................................... 213 Dialogsetting und Sprecherkonstellation ................................................ 216 Über die Medaille zum Gespräch und vice versa. Kunstbezug, Kunstmethodik und Medienkombination in den Diálogos de medallas .......... 219 Haber visto. Visuelle Erfahrung als zentrales numismatisches Prinzip ..................................................................................................... 222 Saber dibujar. Skizzieren als numismatische Methode .......................... 227 Intertextueller Mythographie-Dialog versus intermedialer Kunstdialog. Juan Azpilcueta Navarros Diálogos de las imágenes de los dioses antiguos (ca. 1594) als Abgrenzung ....................................................... 232 Sehen und Zeichnen statt Textlektüre ..................................................... 243
IX.
Konklusion – Sehen im Dialog ............................................................... 245
X.
Literaturverzeichnis ................................................................................ 251
1. 2.
Primärtexte .............................................................................................. 251 Sekundärliteratur ..................................................................................... 253
5.1. 5.2. 6.
I. EINLEITUNG Unter den Schriften, die im spanischen 16. und 17. Jahrhundert zur Aufwertung, Theoretisierung und Nobilitierung der Bildenden Künste entstehen, nehmen die Renaissancedialoge zu Kunst und Malerei eine besondere Position ein: Aufgrund ihrer speziellen Verfasstheit und ihrer komplexen Faktur, so die zentrale These dieser Arbeit, gehen diese Dialoge über die Diskussion kunst- und malereitheoretischer Fragestellungen weit hinaus und inszenieren vielmehr im Text die Vormachtstellung des Sehens – mit allen Spannungen, die auf diese Weise erzeugt werden. Die vorliegende Arbeit untersucht die im spanischen 16. Jahrhundert und damit der spanischen Renaissance entstandenen literarischen Dialoge zur Kunstund Malereitheorie erstmalig als zusammenhängendes Textkorpus. In diesen Dialogen, in denen die kunsttheoretischen Aussagen in ihrem Äußerungskontext, ihrem pragmatischen Umfeld, gezeigt werden, kommen Künstler und Kunstinteressierte – Gelehrte, Geistliche oder Dichter – zu Wort. Sie diskutieren und besprechen kunst- und malereitheoretische Fragestellungen jeglicher Couleur; darunter auch solche, die bereits Konfliktpotential in sich tragen, wie etwa die nach der Zuordnung der Bildenden Künste zu den artes liberales oder nach dem Rangstreit der Künste, dem Paragone. Für diese spanischen Kunstdialoge ist nun ein Charakteristikum zu konstatieren, dessen Effekte und Auswirkungen auf die Sinnbildung der Texte in dieser Studie ausgelotet werden: Die Gesprächsteilnehmer sprechen nicht nur über die Kunst und die Kunsttheorie, sondern Kunst und Kunstwerke sind auch in der Welt des Gesprächs präsent und werden dort so inszeniert und funktionalisiert, dass über die Kunst und Malerei hinausgehende Sinngehalte und Bedeutungen der Dialoge zum Vorschein kommen. Unter dem Begriff des ‚Dialogs‘ ist hier die Gattung des theoretischen bzw. argumentativen Diskurses zu verstehen, die in einer Reihe mit Textformen wie dem Traktat, dem Essay, dem Brief, der Streitschrift, dem Kommentar und verschiedenen didaktischen Gattungen steht,1 und die von Rudolf Hirzel in seinem im Jahre 1895 erschienenen Standardwerk zum philosophischen und literarischen Dialog als „eine Erörterung in Gesprächsform“2 definiert wurde. Wie in anderen 1
2
Hempfer, Klaus W. / Häsner, Bernd / Müller, Gernot Michael / Föcking, Marc: „Performativität und episteme. Die Dialogisierung des theoretischen Diskurses in der RenaissanceLiteratur“, in: Paragrana. Internationale Zeitschrift für historische Anthropologie 10.1 (2001), 72. Hirzel, Rudolf: Der Dialog. Ein literarhistorischer Versuch, Bd. I, Hildesheim: Olms 1963, 7. Der Dialog als literarische Gattung ist abzugrenzen von dem Dialog „als wechselseitige Verständigungshandlung vermittels eines oder mehrerer Verständigungsmedien zwischen (realen oder fiktiven) Teilnehmern“, die „innerhalb von dramatischen, epischen oder lyrischen Texten“ vorkommen kann (Hess-Lüttich, Ernest W. B.: „Dialog1“, in: Weimar, Klaus (Hg.): Re-
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I. Einleitung
europäischen Literaturen wird der Dialog auch im spanischen 16. Jahrhundert zur bedeutsamsten Textgattung des theoretisch-argumentativen Diskurses.3 Als ausschlaggebend für diese zeitgenössische Blüte der Gattung sind sowohl die „epistemologische ‚Wende‘“4 der Renaissance als auch die für das humanistische Denken charakteristische „Pluralisierung des Wahrheitsbegriffs“5 zu nennen. Maßgeblich geht die Gattung auf die Dialoge Platons zurück;6 für den spanischen Renaissancedialog modellbildend sind ferner insbesondere die Dialoge Ciceros und Lukians.7 Die Eigenheiten dieser Texte nun wirken sich in besonderer Weise auf die Komplexität ihres Sinns aus, sodass Dialoge bezüglich ihrer kunst- und malereitheoretischen Aussagen sicherlich eine andere Bewertung und Analyse erfahren müssen als beispielsweise Traktate: Im Gegensatz zu den anderen Genera des theoretischen Diskurses sind Dialoge dadurch gekennzeichnet, dass in ihnen die
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allexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Berlin / New York: De Gruyter 1997, 350). Der Dialog als Wechselrede wiederum ist zu unterscheiden von den eingeschränkteren Begriffen des Gesprächs, der Konversation oder des Diskurses; auch unter Rekurs auf das auf Michail M. Bachtin zurückgehende Dialogizitätskonzept erscheint der Terminus semantisch ausgeweitet als „Chiffre postmoderner Literaturtheorie (‚Dialog der Texte‘)“ (ebd., 350–351). Es finden sich weitere Verwendungen als Metapher, sei diese hermeneutisch (‚Dialog zwischen Leser und Buch‘) oder auf wechselseitige Kommunikation bezogen (‚Dialog der Kulturen‘, ‚Dialog der Religionen‘, usw.) (Hempfer u.a. 2001, 71). Vian Herrero, Ana: „Diálogos españoles del Renacimiento: Introducción general“, in dies. (Hg.): Diálogos españoles del Renacimiento, Toledo: Almuzara 2010, XIIIff. Vgl. Hempfer, Klaus W.: „Probleme traditioneller Bestimmungen des Renaissancebegriffs und die epistemologische ‚Wende‘“, in ders. (Hg.): Renaissance. Diskursstrukturen und epistemologische Voraussetzungen. Literatur – Philosophie – Bildende Kunst, Stuttgart: Steiner 1993, 9–45. Hempfer 1993, 28. Fries, Thomas / Weimar, Klaus: „Dialog2“, in: Weimar, Klaus (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Berlin / New York: De Gruyter 1997, 354. Das „Fehlen einer Handlung“ (ebd.), das dort konstatiert wird, trifft allerdings für einen großen Teil der Dialogliteratur so nicht zu. Dies zeigen beispielsweise die Übersichten zu den Dialogtraditionen bei Ana Vian Herrero (vgl. Vian Herrero 2010, XXXIV–LV) und Jesús Gómez (vgl. Gómez, Jesús: El diálogo en el renacimiento español, Madrid: Cátedra 1988, 86–149; und Gómez, Jesús: El diálogo renacentista, Madrid: Laberinto 2000, 87–118). Dialogische Texte unterschiedlichster Couleur sind auch im Mittelalter in beträchtlicher Zahl zu finden, denn, so urteilte bereits Hirzel, auch dieser Epoche fehlte keineswegs die „Freude am Dialog“ (Hirzel 1963, Bd. II, 284). Dies zeigt sich zum einen in den Tenzonen der Troubadours, in den Rangstreitgedichten, im Dialog als altercatio in Versen, in den scholastischen Debatten und disputationes; zum anderen offenbart sich dies im Interesse am spätantiken patristischen Dialog (von Augustinus oder Boethius), in der Katechismenliteratur und im Religionsdialog, im philosophischen Dialog des 12. und 13. Jahrhunderts, im von Petrarca in Italien eingeführten lateinischen (Früh-) Renaissancedialog und im volkssprachlichen Dialog ab dem 14. Jahrhundert (vgl. Vian Herrero, Ana: „El diálogo en España en la época de Cisneros“, in: Pérez, Joseph (Hg.): La hora de Cisneros, Madrid: Ed. Complutense 1995, 97–98; Gómez 2000, 37–61; Friedlein, Roger: Der Dialog bei Ramon Llull. Literarische Gestaltung als apologetische Strategie, Tübingen: Niemeyer 2003, 8–14). Vgl. ausführlich zu den zentralen mittelalterlichen Dialogtraditionen Spaniens auch Vian Herrero 2010, LXV–CII.
I. Einleitung
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„Theoriebildung im Modus der Fiktion“8 geschieht und sie neben der Argumentationsebene auch über ein „Geschehens- und Handlungssubstrat“9 verfügen.10 Die spanischen Renaissancedialoge zu Kunst und Malerei weisen überdies nun als gemeinsames charakteristisches Merkmal eine Reihe von Phänomenen auf, die hier übergreifend als ‚intermedial‘11 bezeichnet werden und deren Potenzial für die Texte in dieser Arbeit vermessen wird: Die Kunst ist in diesen Gesprächen nicht nur das Thema, sondern Kunst und Kunstwerke sind auch fiktionsintern präsent und werden auf besondere Weise inszeniert – also besonders in Szene gesetzt, zur Schau gestellt, speziell hervorgehoben, markiert oder vorgeführt12 – und funktionalisiert. In einigen Dialogen beispielsweise werden Kunstwerke von den Gesprächspartnern gemeinsam betrachtet, thematisiert oder beschrieben; zuweilen werden Zeichnungen und Skizzen sogar erst während des Sprechens angefertigt. In anderen bilden Kunstwerke das Setting, vor dem sich der Dialog abspielt und durch das er sich thematisch speist; oder Bild und Gespräch gehen bemerkenswerte Fusionen ein, indem die Gesprächspartner etwa Kunstwerke betrachten und diskutieren, die auch dem Leser als Abbildung zur Verfügung gestellt werden. 8
Häsner, Bernd: „Der Dialog: Strukturelemente einer Gattung zwischen Fiktion und Theoriebildung“, in: Hempfer, Klaus W. (Hg.): Poetik des Dialogs. Aktuelle Theorie und rinascimentales Selbstverständnis, Stuttgart: Steiner 2004, 20. 9 Hempfer u.a. 2001, 73. 10 Die dialogtheoretischen Grundlagen dieser Arbeit entstammen zwei Forschungslinien zum Renaissancedialog, die hier zusammengeführt werden: Zum einen der aktuellen spanischen Dialogforschung, wie sie von Ana Vian Herrero und in dem von ihr und Consolación Baranda Leturio geleiteten Projekt Dialogyca BDDH: Biblioteca Digital de Diálogo Hispánico an der Universidad Complutense de Madrid betrieben wird; zum anderen den Erkenntnissen des Teilprojekts Performativität und episteme. Die Dialogisierung des theoretischen Diskurses in der Renaissance-Literatur (Italien, Frankreich, Spanien) zum Sonderforschungsbereich 447 Kulturen des Performativen (1999–2010) an der Freien Universität Berlin. 11 Unter den Begriff der Intermedialität werden in der literatur-, medien- und kulturwissenschaftlichen Forschung verschiedene Phänomenen des „Zusammenspiels mindestens zweier distinktiver Medien“, d.h. „Interaktionen zwischen Literatur, Film, Bildender Kunst, Musik etc.“, und ihrer „ästhetische[n] Kopplungen und/oder Brüche“ subsumiert (Siebert, Jan: „Intermedialität“, in: Schanze, Helmut (Hg.): Metzler Lexikon Medientheorie – Medienwissenschaft, Stuttgart / Weimar: Metzler 2002, 152). Von der Intermedialität werden dabei gemeinhin die Konzepte der Intramedialität (z.B. Intertextualität) und der Transmedialität abgegrenzt. 12 Dieses Verständnis des ursprünglich dem Theater entstammenden Terminus der Inszenierung geht auf Überlegungen zurück, wie sie u.a. Martin Seel über diesen Begriff angestellt hat: Bei Inszenierungen wird, wie Seel formuliert, etwas „vorübergehend in Szene gesetzt“ und ist damit „auffällig genug“, um „als eine artifizielle Präsentation“ erkennbar zu sein; Inszenierungen lassen „etwas in seiner augenblicklichen Besonderheit hervortreten“. Diese „ästhetische Auffälligkeit“ wird, so Seel weiter, „im Medium des Erscheinens“ zustande gebracht; mit anderen Worten: „Inszenierungen […] stellen etwas in seinem Erscheinen heraus, markieren es, um es für eine gewisse Dauer [...] spürbar zu machen“ (Seel, Martin: „Inszenieren als Erscheinenlassen. Thesen über die Reichweite eines Begriffs“, in: Früchtl, Josef / Zimmermann, Jörg (Hg.): Ästhetik der Inszenierung. Dimensionen eines künstlerischen, kulturellen und gesellschaftlichen Phänomens, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2001, 51–57).
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I. Einleitung
Die spanischen kunst- und malereitheoretischen Renaissancedialoge verfügen somit über eine weitere, eine intermediale Ebene, die mit der Geschehensebene des Dialogs koinzidiert. Gemeinsam ergänzen, explizieren, illustrieren oder durchkreuzen diese beiden Ebenen die Argumentationsebene, wodurch sich bei den Kunstdialogen jeweils über Kunst und Malerei hinaus weitere Bedeutungsdimensionen eröffnen: Die Kunstgespräche, so die hier vertretene These, stellen vielmehr eine jeweils andere Facette der Vorrangstellung des Sehens heraus. Im Fokus dieser Arbeit steht damit nicht primär die Aufarbeitung der kunstund malereitheoretischen Aussagen dieser Dialoge; dies ist bereits in anderen, vornehmlich kunsthistorischen Studien vollzogen worden. Stattdessen wird eine Lektüre der spanischen Renaissancedialoge zu Kunst und Malerei vorgenommen, die der soeben beschriebenen spezifischen Ebenentektonik dieser Texte Rechnung trägt: Die Dialoge werden jeweils auf ihre Argumentations-, Handlungs- und intermediale Ebene hin analysiert und es wird dabei gefragt, welche Effekte auf die Sinnstiftung durch dieses Gefüge zu verzeichnen sind, genauer, welche die rein kunst- und malereitheoretische Perspektive überschreitenden Bedeutungen und Anschlussmöglichkeiten sich bei den Dialogen auf diese Weise ergeben. Zu einer derartigen Revalorisierung und Auslotung des Potenzials dieser spanischen Renaissancedialoge zur Kunst und Malerei ist es bislang in der Forschung noch nicht gekommen, mehr noch: Die hier analysierten Dialoge haben bis zum jetzigen Zeitpunkt insgesamt nur eine sehr randständige Position erhalten. In der spanischen Dialogforschung werden die kunst- und malereitheoretischen Renaissancedialoge zwar bisweilen erwähnt, jedoch – mit Ausnahme der architekturtheoretischen Medidas del Romano von Diego de Sagredo und Cristóbal de Villalóns El Scholástico – zumeist kaum intensiver untersucht. Betrachtet man die romanistische Dialogforschung in Gänze, so sind nur vereinzelt Studien ausfindig zu machen, die sich detaillierter mit Kunstdialogen oder Dialogen kunst- und malereitheoretischen Gehalts auseinandersetzen: Ulrike Schneider beispielsweise analysiert die Strategien ‚verbaler Porträts‘ idealer weiblicher Schönheit in italienischen Renaissancedialogen.13 Untersuchungen romanischer Kunstdialoge finden sich bisher vor allem in der kunsthistorischen Forschung zu den Dialogen des italienischen Cinquecento. Auch für diese ist jedoch eine gewisse Nichtbeachtung seitens der modernen Forschung zu konstatieren: Nicht ohne Grund nimmt Valeska von Rosen ihre Analyse des kunsttheoretischen Dialogs des italienischen Cinquecento unter dem Titel einer „vernachlässigten kunsttheoretischen Gattung“14 vor, und auch Johannes Grave spricht von einer „immer noch herrschende[n] Marginalisierung der Dialoge in historischen Studien zur Kunsttheorie der 13 Vgl. Schneider, Ulrike: „Disegnare con parole. Strategies of Dialogical Portraits of Ideal Female Beauty in the Italian Renaissance“, in: Körte, Mona / Rebmann, Ruben / Weiss, Judith Elisabeth / Weppelmann, Stefan (Hg.): Inventing Faces. Rhetorics of Portraiture between Renaissance and Modernism, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2013, 84–98. 14 Rosen, Valeska von: „Multiperspektivität und Pluralität der Meinungen im Dialog. Zu einer vernachlässigten kunsttheoretischen Gattung“, in: Rosen, Valeska von / Krüger, Klaus / Preimesberger, Rudolf (Hg.): Der stumme Diskurs der Bilder. Reflexionsformen des Ästhetischen in der Kunst der Frühen Neuzeit, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2003, 317.
I. Einleitung
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Renaissance“.15 Mit den spanischen Kunstdialogen im Speziellen setzt sich die Kunstgeschichte, sofern diese Texte überhaupt zum Thema werden, nicht zentral aus einer gattungstheoretischen Perspektive auseinander. Die geringe Aufmerksamkeit, die der spanische Renaissancedialog zu Kunst und Malerei bisher erhalten hat, ist auf eine Problematik zurückzuführen, welche die ganze spanische Kunstliteratur der Frühen Neuzeit betrifft. Sie ist innerhalb der europäischen Kunsthistoriographie als Ausnahmefall zu bezeichnen: Lange Zeit war sie im Ausland kaum bekannt und fand in den großen Gesamtdarstellungen zur europäischen Kunsttheorie, wenn überhaupt, nur in wenigen Worten Erwähnung.16 Diese negierte oder allenfalls negative Betrachtung der spanischen Kunstliteratur hat zweierlei Gründe. Erstens ist die im europäischen Vergleich äußerst schlechte Editionslage der spanischen kunsttheoretischen Schriften als ursächlich anzusehen: Zahlreiche der Texte sind nach ihrem zeitgenössischen Erstdruck lange Zeit nicht neu herausgegeben worden; andere liegen bis heute nur als Manuskript vor – es lässt sich insgesamt also eine „verspätete Rezeption“17 der spanischen Kunstliteratur konstatieren. Zweitens ist vermutlich das Diktum Menéndez Pelayos in seiner Historia de las Ideas Estéticas en España ausschlaggebend, der sich Ende des 19. Jahrhunderts als Erster auf systematische Weise mit diesen Texten auseinandersetzte.18 Die spanischen Kunsttheoretiker, so urteilt er unter anderem, orientierten sich an ihren italienischen Vorgängern und erläuterten „de mil modos“ das, was sie bei Alberti, da Vinci, Lomazzo oder Vasari gelesen hätten.19 Diese Diskreditierung der spanischen kunsttheoretischen Schriften etablierte sich als Modell, dem zahlreiche weitere Forscher noch längere Zeit folgen sollten.20 Selbst Sánchez Cantón, dem mit seinen Fuentes literarias para la historia
15 Grave, Johannes: „Das Bild im Gespräch – Zu Situationen des Sprechens über Bilder in kunsttheoretischen Dialogen des Cinquecento und bei Nicolaus Cusanus“, in: Leuker, Tobias/ Kulessa, Rotraud von (Hg.): Nobilitierung versus Divulgierung? Strategien der Aufbereitung von Wissen in romanischen Dialogen, Lehrgedichten und Erzähltexten der Frühen Neuzeit, München: Meidenbauer 2011, 21. 16 Calvo Serraller, der dieses Urteil fällt, bezieht sich auf die Zusammenstellungen von Robert Goldwater und Marco Treves sowie Lionello Venturi (Calvo Serraller, Francisco: Teoría de la Pintura del Siglo de Oro, Madrid: Cátedra ²1991a, 29 und 29, Anm. 3). 17 Hellwig, Karin: „Kunstliteratur in Spanien 1600–1700“, in: Hänsel, Sylvaine / Karge, Henrik (Hg.): Spanische Kunstgeschichte. Eine Einführung, Bd. II, Berlin: Reimer 1992, 79. 18 Calvo Serraller 1991a, 23. 19 Vgl. Menéndez Pelayo, Marcelino: Historia de las Ideas Estéticas en España, Bd. II, Madrid: CSIC 1962, 387–388. 20 Die Ansicht, die spanischen Schriften seien lediglich Abbilder ihrer italienischen Vorgänger, findet sich z.B. bereits im Jahre 1915 bei Achille Pellizzari: „E d’allora in poi [nach der Veröffentlichung der ersten spanischen Kunstschrift, Sagredos Medidas del Romano (1526)], per ben tre secoli, i trattatisti delle arti in Ispagna continuarono, in varia forma e con diverso ingegno, ad elaborare più o meno artisticamente la materia offerta loro dagli scrittori italiani […]. La storia dei trattati d’arte nella Penisola Iberica, [...], e [...] storia dell’efficacia esercitata in codesto campo dall’arte e dal pensiero italiani sull’arte e sul pensiero spagnoli e portoghesi“ (Pellizzari, Achille: I Trattati attorno le Arti figurative in Italia e nella Penisola Ibe-
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I. Einleitung
del arte español das Verdienst der Veröffentlichung einer ersten Anthologie zur spanischen Kunstliteratur zukommt,21 beurteilt die Texte kritisch: […] puede asegurarse que sólo una quinta parte de cualquier tratado de arte antiguo interesa al investigador actual. [...] Sobre estos cimientos se edificaban arbitrarias construcciones [...] resultando volúmenes de fatigosa y desaprovechada lección.22
In seiner Nachfolge lässt sich jedoch zunehmend ein Wandel in der Betrachtung feststellen. Julián Gállego beispielsweise setzt sich in El pintor de artesano a artista (1976) systematisch mit den Schriften auseinander, die im Rahmen der sozioökonomischen Bestrebungen der Künstler entstehen.23 Besondere Bedeutung für die spanische Kunstliteratur kommt Francisco Calvo Serrallers kritischer Edition von Carduchos Diálogos de la pintura (1979)24 wie auch seiner Anthologie Teoría de la pintura (1981) zu. Ihm folgen nicht nur weitere Anthologien spanischer kunsttheoretischer Texte,25 sondern zunehmend auch moderne kritische Editionen zeitgenössisch bereits edierter oder bislang unveröffentlichter Schriften.26 In jüngerer Zeit sind aus kunsthistorischer Perspektive vor allem Karin Hellwigs Untersuchungen der aus dem 17. Jahrhundert stammenden Texte maßgebend.27 Für die deutschsprachige Hispanistik hat Helmut C. Jacobs mit seiner Forschung zur Debatte um die Künste und Wissenschaften im Mittelalter und Siglo de Oro wesentlich zum Interesse für die spanische Kunstliteratur beigetragen.28 Im Laufe der Zeit erfahren die kunsttheoretischen Schriften des 16. und 17. Jahrhunderts und damit des Siglo de Oro, des Goldenen Zeitalters, in der Forschung eine deutliche Aufwertung. Zumeist jedoch werden sie, wie bereits erwähnt, vor allem in älteren Studien trotz der Unterschiedlichkeit ihrer literarischen Gattungen und Entstehungsvoraussetzungen in gleicher Weise auf ihren Beitrag zur kunsttheoretischen Diskussion untersucht. In vielen Fällen werden die
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rica dall’antichitá classica al Rinascimento ed al secolo XVIII, Bd. I, Neapel: Perella 1915, 38–39). Sánchez Cantón, Francisco Javier: Fuentes literarias para la historia del arte español, 5 Bde., Madrid: JAE 1923–1941. Sánchez Cantón 1923, Bd. I, X, hier zit. n. Calvo Serraller 1991a, 25. Vgl. Gállego, Julián: El pintor de artesano a artista, Granada: Univ. de Granada 1976. Carducho, Vicente: Diálogos de la pintura. Su defensa, origen, esencia, definición, modos y diferencias, eingel. und hg. v. Francisco Calvo Serraller, Madrid: Turner 1979. Vgl. beispielsweise Fernández Arenas, José: Renacimiento y Barroco en España, Colección Fuentes y documentos para la Historia del Arte, Bd. VI, Barcelona: Gustavo Gili 1982; Enggass, Robert / Brown, Jonathan: Italian and Spanish Art. 1600–1700. Sources and documents, Evanston, IL: Northwestern Univ. Press ²1992; und Calvo Serraller, Francisco / Portús, Javier: Fuentes de la Historia del Arte II, Madrid: Historia 16 2001. Exemplarisch genannt seien hier Martínez, Jusepe: Discursos practicables del nobilísimo Arte de la Pintura, hg. v. Julián Gállego, Madrid: Akal 1988; und Pacheco, Francisco: El Arte de la Pintura, hg. v. Bonaventura Bassegoda, Madrid: Cátedra 1990. Vgl. Hellwig, Karin: Die spanische Kunstliteratur im 17. Jahrhundert, Frankfurt a.M.: Vervuert 1996. Man beachte auch die zahlreichen weiteren Veröffentlichungen dieser Kunsthistorikerin zum genannten Thema. Vgl. Jacobs, Helmut C.: Divisiones philosophiae. Spanische Klassifikationen der Künste und Wissenschaften im Mittelalter und Siglo de Oro, Frankfurt a.M.: Vervuert 1996.
I. Einleitung
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im Rahmen der Debatte um die Künste und Wissenschaften entstehenden Schriften – Traktate, juristische Texte, Bittschriften, Lehrbücher und die hier im Zentrum stehenden Dialoge – fast ausschließlich unter dem Gesichtspunkt ihrer Verwertbarkeit als kunsthistorisches Zeugnis betrachtet, losgelöst von ihrer unter Umständen komplexen textuellen Faktur; bei vielen Texten wird zudem häufig eine biographistische Lektüre vorgenommen. Insbesondere für die Gattung des Dialogs sind diese Vorgehensweisen problematisch. Sofern diese Kunstdialoge überhaupt rezipiert werden, werden sie zumeist als kunst- und malereitheoretische Aussagen des Autors gelesen. Die spezielle textuelle Struktur der Kunstdialoge wird in einigen Studien zwar erwähnt, hat jedoch keinen weiteren Einfluss auf die Interpretation; in anderen hingegen wird die literarische Gattung zuweilen völlig negiert. Obschon diese Texte ihre Gattungszugehörigkeit häufig bereits im Titel offenbaren, werden viele in der Sekundärliteratur nicht selten als ‚Traktat‘29 bezeichnet oder aber der ‚Traktatliteratur‘ zugeordnet und, als Konsequenz, auch als Abhandlung gelesen, in vielen Fällen ohne das Setting, die besondere Sprecherkonstellation oder die gesprächsinterne Dynamik in den Blick zu nehmen. Die Dialoge werden damit – um ein Urteil zur Hermeneutik der Dialoge der (italienischen) Renaissance aufzugreifen – wiederholt „um ihre zum Teil höchst komplexe Inszeniertheit gebracht“.30 Die vorliegende Studie will den spanischen Renaissancedialogen zu Kunst und Malerei eben jene in Rezeption und Interpretation verloren gegangene Vielschichtigkeit zurückgeben. Die Arbeit ist in drei größere Teile gegliedert: Der erste Teil (Kapitel II) nimmt eine sozialgeschichtliche und diskursive Kontextualisierung der Dialoge vor; der zweite Teil (Kapitel III) ist auf die Ebenen und Dimensionen der Dialoganalyse konzentriert; der dritte und entscheidende Teil (Kapitel IV bis VIII) setzt sich zusammen aus den Einzeluntersuchungen der zentralen spanischen Renaissancedialoge zu Kunst und Malerei. Der erste Teil der Arbeit beginnt mit einer Einführung in den sozialhistorischen Kontext der spanischen Kunstliteratur des Siglo de Oro, d.h. genauer, in die Debatte um die Künste und Wissenschaften (Kapitel II.1). Danach wird die spanische kunsttheoretische Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts in ihren Grundzügen skizziert (II.2), eingeteilt nach Autoren, Adressaten und Zentren (II.2.1), Argumenten, Motiven und Kategorien (II.2.2) sowie Gattungen des kunsttheoretischen Diskurses (II.2.3). Das Panorama des Kunstdialogs im Siglo de Oro im Allgemei-
29 Zeitgenössisch herrschte freilich lange Zeit keine klare Unterscheidung zwischen den Begriffen tra(c)tado und diálogo vor; diese etablierte sich erst mit Juan de Valdés’ Diálogo de doctrina cristiana (1529) und dem durch Erasmus von Rotterdam und dessen Colloquia in Spanien ausgelösten christlichen Humanismus (Briesemeister, Dietrich: „Humanistische Dialoge in Spanien im Übergang zur Frühen Neuzeit“, in: Guthmüller, Bodo / Müller, Wolfgang G. (Hg.): Dialog und Gesprächskultur in der Renaissance, Wiesbaden: Harrassowitz 2004, 193). 30 Hempfer, Klaus W.: „Lektüren von Dialogen“, in ders. (Hg.): Möglichkeiten des Dialogs. Struktur und Funktion einer literarischen Gattung zwischen Mittelalter und Renaissance in Italien, Stuttgart: Steiner 2002, 19.
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nen und das konkrete Korpus der Renaissancedialoge im Speziellen werden alsdann separat vorgestellt (II.3). Der zweite Teil präsentiert, nach Überlegungen zu den Konnexionen zwischen Dialog und Kunst (Kapitel III.1), die für die nachfolgenden Textanalysen maßgeblichen dialogtheoretischen Leitlinien und Kriterien (III.2). In einem anschließenden Schritt wird eine Identifizierung und Systematisierung der intermedialen Erscheinungen in den spanischen Kunstdialogen vorgenommen (III.3). Den dritten Teil der Arbeit schließlich bilden die Kapitel IV bis VIII, in denen die spanischen Renaissancedialoge zu Kunst und Malerei jeweils in Einzelanalysen untersucht werden. Das Textkorpus besteht dabei sowohl aus Dialogen, die Kunst oder Malerei zum zentralen Thema haben, als auch aus solchen, die einen anderen Gegenstand thematisieren, zudem jedoch einen beträchtlichen kunst- und malereitheoretischen Gehalt aufweisen. Die Einzelanalysen sind dabei im Wesentlichen in chronologischer Reihenfolge angeordnet: Untersucht werden Diego de Sagredos Medidas del Romano (1526); Cristóbal de Villalóns El Scholástico (ca. 1538–1542); Francisco de Holandas ursprünglich portugiesische, im Jahre 1563 ins Spanische übersetzte und hauptsächlich in dieser Übersetzung rezipierte Diálogos em Roma (1548, ptg.) und Do Tirar polo Natural (1549, ptg.) aus Da Pintura Antiga; Juan de Pinedas Diálogos familiares de la agricultura cristiana (1589) und Antonio Agustíns Diálogos de medallas, inscripciones y otras antigüedades (1587). Juan Azpilcueta Navarros Diálogos de las imágenes de los dioses antiguos (ca. 1594) werden abschließend als Abgrenzung in den Blick genommen. Aufgrund der zum Teil recht unbekannten Autoren und der bislang nicht konsequent vorgenommenen dialogtheoretischen Einordnungen der Texte beginnen die Untersuchungen jeweils mit Ausführungen zu Leben und Werk des Autors, zur Text- und Editionsgeschichte, zum formalem Aufbau sowie zum Gesprächssetting und zur Sprecherkonstellation. Es folgen im Anschluss jeweils die Analyseteile, die speziell ausgerichtet sind auf die Frage nach dem Verhältnis der Argumentations-, Handlungs- und intermedialen Ebene der Dialoge sowie nach den auf diese Weise generierten, über die Kunst und Malerei hinausgehenden Bedeutungsdimensionen. Falls in den Anmerkungen nicht anders angegeben, verwende ich als Textgrundlage bei den zeitgenössisch gedruckten Werken die jeweilige Erstedition; bei den in Manuskriptform überlieferten Texten zitiere ich aufgrund der schwierigen Zugänglichkeit aus modernen kritischen Editionen und verweise lediglich direkt auf die Handschriften, wo dies für die Analyse notwendig ist. Die Zitate werden, falls nicht anders angegeben, ohne Modernisierung übernommen, die Akzente beibehalten und lediglich die Abbreviaturen aufgelöst sowie die Wortabstände normalisiert.
II. KÜNSTE UND WISSENSCHAFTEN – KUNSTLITERATUR – KUNSTDIALOG Die folgende sozialgeschichtliche und diskursive Kontextualisierung der Renaissancedialoge zu Kunst und Malerei beginnt mit der Skizzierung der Debatte um die Künste und Wissenschaften im spanischen 16. und 17. Jahrhundert, dem Siglo de Oro, und nimmt auch die parallele Entwicklung in Portugal in den Blick. Es geht dabei insbesondere um die Frage nach der Aufwertung der Bildenden Künste von Handwerkskünsten zu artes liberales, welche gerade in Spanien steuerpolitische Wirksamkeit hat und sozioökonomische Konsequenzen nach sich zieht. Die Auseinandersetzung mit dieser Problematik findet sich in zahlreichen frühneuzeitlichen Kunstschriften der Iberischen Halbinsel, so auch in den hier im Zentrum stehenden Renaissancedialogen. Diese Debatte ist überdies auch die Grundlage für andere Thematiken und Diskurse, was sich in den Dialoganalysen in besonderem Maße zeigen wird.
1. ZUR DEBATTE UM DIE KÜNSTE UND WISSENSCHAFTEN IM SIGLO DE ORO Im Siglo de Oro entwickelt sich eine intensive Diskussion um die Bewertung und Positionierung der Bildenden Künste und Künstler innerhalb der etablierten kulturellen, disziplinären und gesellschaftlichen Ordnungen. Diese Debatte hat die bislang gültige Klassifikation der Künste, Wissenschaften und Disziplinen in artes liberales und artes mechanicae zum Ausgangspunkt.1 Ars meinte in der römischen Antike, analog zum griechischen téchne, eine Tätigkeit, die gelernt und gelehrt werden kann – ganz im Gegensatz zur Auffassung des Wortes ‚Kunst‘ in der modernen Ästhetik. Als artes liberales, als ‚freie Künste‘, bezeichnete man seit der lateinischen Antike und im Mittelalter eine Gruppe von sieben Wissenschaften und Disziplinen, die auf den griechischen Fächerkanon der enkyklios paideia zurückgehen, den Platon als Einführung zur Philosophie für freie Menschen gedacht hatte. Die artes liberales setzten sich zusammen aus den sprach1
Die folgenden Ausführungen zu artes liberales und artes mechanicae sowie zu den Grundlagen der Diskussion um Künste und Wissenschaften stützen sich auf die folgenden Beiträge: Curtius, Ernst Robert: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern / München: Francke 51965, 46–55; Klinkenberg, Hans Martin: „Artes liberales / Artes mechanicae“, in: Ritter, Joachim (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. I, Darmstadt: Wissensch. Buchgesellschaft 1971, 531–535; Jacobs 1996, 9–15, 50–54 und 64–65; und Reudenbach, Bruno: „Artes liberales / artes mechanicae“, in: Pfisterer, Ulrich (Hg.): Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, Stuttgart / Weimar: Metzler 2011, 31– 35.
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lichen Künsten Grammatik, Rhetorik und Dialektik sowie den mathematischnaturwissenschaftlichen Disziplinen Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie. Von zentraler Bedeutung für die Systematisierung dieses Fächerkanons ist vor allem Martianus Capella (4./5. Jh.) mit seinem De nuptiis Philologiae et Mercurii: Philologia erhält darin als Hochzeitsgeschenk von Merkur die sieben artes liberales als Dienerinnen, d.h. „grammatica“, „dialectica“, „rhetorica“ sowie „geometria“, „arithmetica“, „astronomia“ und „harmonia“, die sich nacheinander vorstellen.2 Maßgeblich zur Bewertung der artes liberales haben Cassiodors (um 485–580) Institutiones beigetragen, in deren Liber Secundus die sieben artes liberales überblicksartig dargestellt werden.3 Die Malerei, Bildhauerei und andere Handwerkskünste gelten in Antike, Spätantike und Mittelalter als von den freien Künsten ausgeschlossen. Im Gegensatz zu den artes liberales wurden die artes mechanicae weder zu einem allgemein akzeptierten Fächerkanon noch als Gesamtheit an Universitäten oder anderen Ausbildungsstätten gelehrt; zuweilen umfassten sie zudem unterschiedliche Disziplinen. Verstanden als technischer Produktionsprozess erscheint der Begriff mechanica bereits bei Isidor von Sevilla (um 560–636); von artes mechanicae für die handwerklichen Disziplinen sprach erstmalig der Syrakuser Julius Firmicius Maternus im Astrologielehrbuch Mathesis (ca. 335–337); die Siebenzahl der artes mechanicae findet sich im Martianus Capella-Kommentar von Johannes Scotus Eriugena (um 810–um 870). Es ist schließlich der Frühscholastiker Hugo von St. Viktor (1096–1141), der in seiner Enzyklopädie Didascalicon die handwerklichen Künste in „septem scientias“ einteilt – „lanificium, armaturam, navigationem, agriculturam, venationem, medicinam, theatricam“ –, wobei er innerhalb der Waffenherstellung („armatura“) die architektonische und die handwerklich-künstlerische Form unterscheidet, und dabei Tätigkeiten und Handwerke nennt, die Architektur, Bildhauerei und Malerei implizit integrieren.4 Zu wesentlichen inhaltlichen Veränderungen des artes liberales-Konzepts kommt es mit dem Humanismus: In der italienischen Frührenaissance werden die Disziplinen des trivium zu den studia humanitatis bzw. humaniora erweitert, die nun auch Poetik bzw. Dichtung, Moralphilosophie und Geschichte umfassen. In Spanien setzen sich die studia humanitatis, dort als letras humanas bezeichnet, zwar als Konkurrenz zur traditionellen Auffassung der artes liberales und zur scholastischen Bildungstradition durch; insgesamt ist für Spanien jedoch eine 2 3
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Vgl. Martianus Capella: De nuptiis Philologiae et Mercurii, hg. v. James Willis, Leipzig: Teubner 1983, 58ff. Dieser zweite Band behandelt die weltlichen Wissenschaften („Saecularium Litterarum“) in sieben Kapiteln: „De Grammatica“, „De Rhetorica“, „De Dialectica“, „De Arithmetica“, „De Musica“, „De Geometria“, „De Astronomia“; der erste Band hingegen widmete sich in 33 Kapiteln den geistlichen Wissenschaften („Divinarum Litterarum“) (vgl. Cassiodor: Institutiones divinarum et saecularium litterarum / Einführung in die geistlichen und weltlichen Wissenschaften, übers. und eingel. v. Wolfgang Bürsgens, Bd. II, Freiburg im Breisgau u.a.: Herder 2003). Vgl. Hugo von Sankt Viktor: Didascalicon de studio legendi / Studienbuch, übers. u. eingel. v. Thilo Offergeld, Freiburg im Breisgau u.a.: Herder 1997, 193–207 (II, Kapitel 20–27).
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stabilere Konzeption der artes liberales und der artes mechanicae zu konstatieren als für Italien. Dort werden bereits ab der Frührenaissance durch die Bemühungen von Künstlern und Schriftstellern wie Leonardo da Vinci oder Marsilio Ficino die Bildenden Künste von den artes mechanicae distanziert, die Malerei allmählich als intellektuelle Tätigkeit anerkannt und zur ars liberalis aufgewertet. Im Gegensatz zur italienischen Debatte des Quattro- und Cinquecento ist die Debatte um die Aufwertung der Bildenden Künste zu artes liberales in Spanien eng mit den sozialen und ökonomischen Bedingungen der Künstler verknüpft. Während die Italiener sich hauptsächlich der Demonstration der nobilitas der Malerei und ihrer Angleichung zu den anderen freien Künsten widmeten, interessierte man sich in Spanien zentral für die praktischen Konsequenzen dieser Aufwertung. Für die spanischen Künstler war vor allem die Erkenntnis von Bedeutung, dass: [...] sus profesores no eran ‚oficiales‘ o gente de oficio, ni sus talleres ‚tiendas‘, ni sus transacciones ‚ventas‘, ni sus obras ‚mercaderías‘; y que por ello, tenían derecho a los privilegios de los profesores de las otras Artes.5
Maler und Künstler hatten zunächst eine eher niedrige soziale Position innerhalb der spanischen Gesellschaft inne. Sie wurden einer schmalen Mittelschicht zugeordnet, der auch (andere) Handwerker und kleine Kaufleute angehörten. Handwerker waren nach mittelalterlicher Tradition in Zünften (gremios oder cofradías) organisiert, die strenge Statuten hatten; diese Zunftzugehörigkeit war für die Ausübenden der Bildenden Künste noch bis ins 17. Jahrhundert hinein obligatorisch. Sozialer Aufstieg war vornehmlich durch Heirat oder den Ruf an den Hof möglich. Doch auch in letzterem Fall blieb die finanzielle Situation oft prekär: Selbst für Hofmaler war die Finanzierung häufig nicht für längere Zeit abgesichert und der Lohn vergleichsweise niedrig.6 Im 17. Jahrhundert finden sich auch singuläre Beispiele von in beträchtlichem Wohlstand lebenden Malern – allen voran Diego de Velázquez –, insgesamt sind jedoch eher bescheidene ökonomische Verhältnisse für die Künstler des Siglo de Oro zu konstatieren.7 Mit der Aufwertung der Malerei und ihrer offiziellen Anerkennung als ars liberalis wären zahlreiche soziale und ökonomische Privilegien für die Maler einhergegangen, so die Freistellung von den durch die Zunftzugehörigkeit obligatorischen Fronarbeiten, der Dispens vom gefürchteten Wehrdienst sowie die Befreiung von der Zahlung der alcabala.8 Die Abgabe der alcabala ist nach Calvo
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Gállego 1976, 29. Vgl. Waldmann, Susanne: Der Künstler und sein Bildnis im Spanien des 17. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur spanischen Porträtmalerei, Frankfurt a.M.: Vervuert 1995, 21–24. Martín González, Juan José: El artista en la sociedad española del siglo XVII, Madrid: Cátedra 1984, 195–196. Martín González zeigt ebenso auf, welche immensen finanziellen Einbußen die Verkaufssteuer (alcabala) für die Maler des 17. Jahrhunderts bedeutete, und wie sie dadurch zu zahlreichen gerichtlichen Auseinandersetzungen mit der Steuerbehörde bewegt wurden (ebd., 206–214). Ich widme mich diesem Punkt im Folgenden. Calvo Serraller, Francisco: „La teoría de la pintura en el Siglo de Oro“, in: Pérez Sánchez, Alfonso u.a. (Hg.): El Siglo de Oro de la pintura española, Madrid: Mondadori 1991b, 207.
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Serraller als „asunto de primer orden para comprender la situación social de los artistas de nuestro Siglo de Oro“9 zu bewerten. Es handelte sich dabei um eine Umsatzsteuer auf alle Waren und Produkte der artes mechanicae, die zunächst auf Ersuchen von Alfonso XI mit zeitlicher Begrenzung am Hofe von Burgos im Jahre 1342 eingerichtet und von den Reyes Católicos übernommen und gesetzlich festgeschrieben worden war. Sie betrug zunächst 10% des Verkaufspreises, bezog sich auf alle Formen von verkaufsfähigen Gütern und wurde schließlich auch auf die Produkte der Maler erhoben. Die hohen Preise, die für Gemälde erzielt wurden, brachten vor allem im von (finanziellen) Krisen geplagten 17. Jahrhundert die Steuerbeauftragten (alcabaleros) dazu, diese Einkommensquelle stetig anzuzapfen.10 Die Diskussion um die liberalidad und die Nobilität der Malerei verbindet sich in Spanien demnach mit diesen konkreten finanziellen Bestrebungen der Künstler. Zum zentralen Wandel in der Eigenbewertung der spanischen Maler kommt es schließlich hauptsächlich durch den Kontakt zu ausländischen Künstlern. Insbesondere durch die zahlreichen Italiener, die Felipe II für den Bau des Klosters San Lorenzo de El Escorial berufen hatte, wurden die Spanier sich ihrer vergleichsweise schlechten finanziellen und sozialen Position bewusst: Die Italiener waren weitaus besser ausgebildet, erhielten Aufträge von größerer Bedeutung und Anzahl und wurden besser bezahlt.11 Zahlreiche spanische Künstler hatten außerdem Italien bereist oder dort gearbeitet. Die Maler forderten als Konsequenz aus diesen Erfahrungen eine Verbesserung ihrer Ausbildung: Die Bedingungen sollten denen Italiens angeglichen, das Zeichnen strukturierter gelehrt und die praxisorientierte Arbeit in den Werkstätten um eine akademischere Ausbildung ergänzt werden.12 Vor allem im durch politische, wirtschaftliche und kulturelle Krisen geprägten 17. Jahrhundert fordern die Maler in verschiedenen Schriften – auch im Rahmen des Diskurses unter den arbitristas, den Reformern – die Umgestaltung ihrer Arbeitsverhältnisse: Sie verlangen die Modifizierung der künstlerischen Ausbildung durch die Gründung von Akademien, die Optimierung ihrer wirtschaftlichen Lage sowie eine bessere Förderung der einheimischen Künstler durch die Institutionen Staat und Kirche. In allen Punkten ist die Situation der Kunst und der Künstler in Italien das Vorbild, an dem sich die Spanier orientieren.13 Aufgrund der genannten Benachteiligungen kommt es zu zahlreichen gerichtlichen Auseinandersetzungen (pleitos) mit der Finanzverwaltung. Bereits Antonio Palomino spricht in seinem Museo pictórico y escala óptica (1715) für das 17. Jahrhundert von insgesamt sieben Gerichtsentscheidungen, die zugunsten der Ma-
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Calvo Serraller 1991a, 38. Vgl. Gállego 1976, 11–28. Hellwig 1992, 80. Vgl. Hellwig 1996, 46–47. Vgl. Hellwig, Karin: „Reformgedanken in der spanischen Kunstliteratur des 17. Jahrhunderts“, in: Laufhütte, Hartmut (Hg.): Künste und Natur in Diskursen der Frühen Neuzeit, Wiesbaden: Harrassowitz 2000, 834–839.
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ler ausfielen.14 In diesen Prozessen präsentierten sich die Maler nicht nur allein als Verteidiger ihrer Kunst, sondern ließen Anwälte, Gelehrte oder geschätzte Literaten als Sprecher auftreten.15 Einer der ersten Gerichtsprozesse um die Malerei wurde nach 1603 von Domínikos Theotokópoulos, bekannt als El Greco, gegen den Steuereintreiber von Illescas bestritten. El Greco führte zahlreiche weitere Prozesse um die Malerei. Zum bedeutendsten und erfolgreichen Rechtsstreit wird jedoch der Prozess der Hofmaler Vincencio Carducho und Eugenio Cajés gegen die Abgabe der alcabala in Madrid im Jahre 1625. Um ihr Anliegen zu unterstreichen, sammelten sie Stellungnahmen der zentralen juristischen und literarischen Persönlichkeiten Madrids; diese deposiciones (die bekannteste stammt dabei von Lope de Vega) wurden 1629 zunächst in einem schmalen Pamphlet festgehalten und im Jahre 1633 zum Anhang von Carduchos Diálogos de la pintura. Als weitere Prozesse um die alcabala lassen sich der Rechtsstreit um den Maler Angelo Nardi zwischen 1636 bis 1638 nennen, ein weiterer wird um 1639 u.a. von Francisco Barrera angestrengt; zahlreiche weitere ließen sich aufzählen.16 Noch im Jahre 1677 nimmt Pedro Calderón de la Barca als Zeuge an einem Gerichtsprozess in Madrid teil: Calderóns daraus erhaltene Deposición gegen die Zahlung einer Soldatensteuer durch die Maler wird zu einem zentralen Dokument der spanischen Kunstliteratur, vergleicht er doch die Malerei darin mit den etablierten artes liberales und anderen Künsten und konkludiert, dass die Malerei all jene umfasse.17 Calderóns Zeugenaussage ist bereits ein recht spätes Dokument innerhalb dieser Debatte. Spätestens mit der Gründung der Academia de San Fernando im Jahre 1752 in Madrid darf die Malerei in Spanien als offiziell den artes liberales zugehörig eingestuft werden.18 Mit Verspätung zu Italien und zu Spanien treten auch in Portugal die Maler für die Aufwertung ihrer Kunst ein und stellen alsbald soziale Forderungen. Die aus dem Mittelalter stammende Organisationsform der portugiesischen Maler in corporações oder ofícios, in denen die Künstler zumeist strengen Regeln unterworfen waren, hielt sich in Portugal noch verhältnismäßig lange. Zum ersten sozialen Aufbegehren der Maler kommt es im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts durch den Renaissance-Humanismus. Vor allem der Manierismus jedoch ist es, der in Portugal die Bestrebungen zur nobreza und liberalidade der Malerei und damit den sozialen Aufstieg der Künstler förderte. Zur Schlüsselfigur wird der 14 Vgl. Palomino, Antonio: El Museo pictórico y escala óptica, Madrid: Aguilar 1947, 161–163 [Bd. I, 2. Buch, Cap. III, § III]. Vgl. dazu Lafuente Ferrari, Enrique: „Borrascas de la pintura y triunfo de su excelencia. Nuevos datos para la historia del pleito de la ingenuidad del arte de la pintura“, in: Archivo español de Arte 17 (1944), 77–103. 15 Hellwig 1996, 49. 16 Vgl. Gállego 1976, 101–178. 17 Vgl. Curtius, Ernst Robert: „Calderón und die Malerei“, in: Romanische Forschungen L (1936), 89–136 sowie in gekürzter Form in ders. 1965, 541–551. Vgl. auch Paterson, Alan K. G.: „Calderón’s Deposición en favor de los profesores de la pintura. Comment and text“, in: Davis, Charles / Smith, Paul Julian (Hg.): Art and Literature in Spain: 1600–1800, London / Madrid: Tamesis 1993, 153–166. 18 Waldmann 1995, 186.
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Hofmaler Diogo Teixeira, der im Jahre 1577 durch König Sebastião von seinen Pflichten in der Handwerkerzunft der Bandeira de São Jorge entbunden wird, nachdem er in einer Petition die Malerei als ars liberalis ausgewiesen hatte. Dieser Erfolg findet in Auseinandersetzungen und Petitionen zahlreicher anderer Künstler seine Fortsetzung.19
2. SPANISCHE KUNSTTHEORETISCHE LITERATUR DES 16. UND 17. JAHRHUNDERTS Die Bildenden Künste werden, ausgehend von diesen und weiteren Faktoren, im spanischen 16. und 17. Jahrhundert für alle literarischen Gattungen relevant:20 Früh erhebt die Lyrik sie zu einem zentralen Thema;21 im Barock erhalten sie verstärkt Eingang in die Dramatik, vor allem bei Lope de Vega und Calderón de la Barca.22 Die Konzeptualisierung und Valorisierung der Bildenden Künste geschieht im spanischen Siglo de Oro ferner insbesondere im Bereich der theoretisch-argumentativen Literatur. Um den kunst- und malereitheoretischen Renaissancedialog innerhalb dieses Feldes angemessen verorten und bewerten zu können, nehmen die folgenden Kapitel in aller Kürze eine Systematisierung der theoretisch-argumentativen Kunstschriften des 16. und 17. Jahrhunderts vor. Dies geschieht aufgeteilt in drei Bereiche: 1) Autoren, Adressaten und Zentren, 2) Argumente, Motive, Topoi und Kategorien sowie 3) Gattungen.
2.1. Autoren, Adressaten und Zentren Die Kunstliteratur des spanischen Siglo de Oro entsteht zunächst dort, wo die Künstler ihre wesentlichen Aufenthaltsorte hatten: Madrid und vor allem Sevilla, als zentrale Handelsstadt Spaniens, avancieren zu den Zentren; vereinzelt finden 19 Vgl. Serrão, Vitor: O maneirismo e o estatuto social dos pintores, Lissabon: Imprensa Nacional / Casa da Moeda 1983, 49–81. 20 Ein Panorama der literarischen Bezüge auf Kunst bietet die Anthologie von Herrero García, Miguel: Contribución de la literatura a la historia del arte, Madrid: Aguirre 1943. 21 Vgl. dazu insbesondere Bergmann, Emilie L.: Art Inscribed: Essays on Ekphrasis in Spanish Golden Age Poetry, Cambridge: Harvard Univ. Press 1979; Orozco Díaz, Emilio: Temas del barroco de poesía y pintura, Faks., Granada: Univ. de Granada 1989; sowie Egido, Aurora: „La página y el lienzo: Sobre las relaciones entre poesía y pintura“, in dies.: Fronteras de la poesía en el barroco, Barcelona: Crítica 1990, 164–197. 22 Zu Lope de Vega vgl. Portús Pérez, Javier: Lope de Vega y las artes plásticas, Madrid: Univ. Complutense 1992; Portús Pérez, Javier: Pintura y pensamiento en la España de Lope de Vega, Hondarribia: Nerea 1999, insbes. 173ff. Vgl. zu den Malereibezügen bei Lope de Vega insgesamt Sánchez Jiménez, Antonio: El pincel y el Fénix. Pintura y literatura en la obra de Lope de Vega Carpio, Madrid / Frankfurt a.M.: Iberoamericana / Vervuert 2011. Zu Calderón de la Barca vgl. Bauer, Helga: Der Index Pictorius Calderóns. Untersuchungen zu seiner Malermetaphorik, Hamburg / Cram: De Gruyter 1969.
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sich Texte auch aus anderen Regionen. Adressaten dieser Schriften sind zuerst vor allem theoretisch und praktisch Kunstinteressierte, gegen Ende des 17. Jahrhunderts vermehrt auch reine ‚Kunstliebhaber‘. Als Autoren fungieren nun nicht nur die Künstler selbst, sondern auch Schriftsteller, Dichter, Historiker und Juristen, seltener auch Geistliche; für Spanien typisch ist außerdem die Figur des pintorpoeta (z.B. Pablo Céspedes oder Juan de Jáuregui).23 Vor allem im 17. Jahrhundert geht die zunehmend wachsende Kunstliteratur Spaniens damit nicht nur von den sozialen und künstlerischen Bestrebungen der Künstler aus, sondern oft von einer beträchtlichen Gruppe von Intellektuellen, die diesen familiär, freundschaftlich oder ideologisch verbunden waren.24
2.2. Argumente, Motive, Topoi und Kategorien Es ist bereits gezeigt worden, in welcher Weise die Debatte um die Bildenden Künste im spanischen Siglo de Oro ihren Ursprung auch in der Auseinandersetzung mit den italienischen Künstlern und deren Kunsttheorie hat. Die Argumente und Motive, die die iberischen Autoren in ihren Schriften verwenden, sind dementsprechend vornehmlich italienischer Provenienz, werden jedoch mit der eigenen Tradition verbunden.25 Besondere Bedeutung kommt den Schriften von Leon Battista Alberti, Leonardo da Vinci, Benedetto Varchi, Giorgio Vasari, Giovan Paolo Lomazzo und Federico Zuccari zu; dies gilt ebenso für die italienischen Kunstdialoge De Sculptura (1504) von Pomponius Gauricus, Paolo Pinos Dialogo di Pittura (1548), Lodovico Dolces Dialogo della Pittura, intitolato l’Aretino (1557), Raffaele Borghinis Il Riposo (1584) und, als nicht genuin kunsttheoretische Schrift, auch Baldassare Castigliones Il Cortegiano (1528).26 Innerhalb der Architekturtheorie sind neben Albertis Texten vor allem die Sebastiano Serlios, Jacopo Barozzis (Il Vignola) und Palladios von Bedeutung.27 Zum Grenzbereich der Architekturtheorie gehört auch Francesco Colonnas allegorischer Roman Hypnerotomachia Poliphili (1499).28 In Italien werden als zentrale Beweisgründe der Aufwertung der Malerei zur ars liberalis vor allem ihre Verehrung in Antike oder Gegenwart – insbesondere durch Könige, Fürsten und Päpste –, der Hinweis auf ihre Praktizierung durch illustre Persönlichkeiten, die Betonung der notwendigen intellektuellen Fähigkei-
23 Vgl. Hellwig 1992, 82–84. Für die poeta-pintores oder pintor-poetas in Spanien vgl. Orozco Díaz 1989, 55–67. 24 Calvo Serraller / Portús 2001, 105. 25 Hellwig 1992, 91. 26 Für diese Texte vgl. beispielsweise die Anthologie Barocchi, Paola (Hg.): Scritti d’arte del Cinquecento, 9 Bde., Mailand: Ricciardi / Einaudi 1971–1977 sowie dies.: Trattati d’arte del Cinquecento, 3 Bde., Bari: Laterza 1960–1962. 27 Vgl. Kruft, Hanno-Walter: Geschichte der Architekturtheorie von der Antike bis zur Gegenwart, München: Beck 52004, 80–102. 28 Vgl. ebd., 66–68.
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ten sowie ihre Äquivalenz zur Dichtung aufgeführt.29 Die spanischen Theoretiker greifen diese Argumente auf und machen die Wertschätzung der Malerei durch antike oder zeitgenössische Könige und Fürsten sowie die Gunstbeweise und Ehrbezeugungen, die den Künstlern zuteilwurden, ebenso zu ihren Argumenten.30 Ähnlich verhält sich dies im Falle Portugals: Auch die portugiesischen Maler nehmen die Einwände der italienischen Theoretiker der Renaissance und des Manierismus auf, indem sie die Wertschätzung der Bildenden Künste in der Antike betonen, auf Prinzen und Fürsten hinweisen, die der Malerei mächtig waren, als Konsequenz ihre Zuordnung zu den Handwerkskünsten ablehnen und stattdessen die Aufwertung ihres sozialen Status fordern.31 Der Rekurs auf die hohe Wertschätzung der Malerei in der Antike ist entscheidend für die frühneuzeitlichen Kunstschriften. Das Prestige, das man den Bildenden Künsten im klassischen Altertum jedoch tatsächlich beimaß, ist geringer als die zahlreich zu findenden Vergleiche zwischen Malerei und Dichtung – bei Simonides, Platon, Aristoteles und Horaz – oder auch zwischen Malerei und Rhetorik – bei Cicero und Dionysios von Halikarnass – vermuten lassen. Aufgrund der antiken Geringschätzung körperlicher Arbeit lässt sich vielmehr von einer de facto niederen Positionierung der Malerei und der Bildhauerei sprechen. In den antiken Schriften findet sich weder eine selbstständige systematische Abhandlung über die Bildenden Künste, noch weist ihnen einer der Philosophen einen bedeutenden Rang innerhalb seines Erkenntnissystems zu.32 Trotzdem sind es die antiken Urteile zur Kunst, die in Italien und Spanien zu Prätexten für die Revalorisierung der Malerei und der Kunst werden. Vor allem eine Textstelle aus Horaz’ Ars poetica sollte zum Topos aufsteigen: […] ut pictura poesis: erit quae, si propius stes, te capiat magis, et quaedam, si longius abstes; haec amat obscurum, volet haec sub luce videri, iudicis argutum quae non formidat acumen; haec placuit semel, haec deciens repetita placebit.33
Obgleich Horaz in diesen Versen eigentlich auf die Bedingungen optimaler Rezeption von Gedichten oder Gemälden rekurrierte, erfährt der ut pictura poesis29 Vgl. Blunt, Anthony: Artistic theory in Italy, 1450–1600, Oxford: Univ. Press 1962, 48–51. 30 Vgl. Hellwig 1992, 91 und 1996, 77 und 120. Martín González (1984, 84–9) spricht für das 17. Jahrhundert davon, dass die von Adeligen und Königen ausgeübte Malpraxis neben dem Hinweis auf den göttlichen Ursprung der Malerei das zentrale Argument zur Verteidigung der Malerei gewesen sei. 31 Serrão 1983, 229. 32 Vgl. Kristeller, Paul Oskar: „Das moderne System der Künste“, in ders.: Humanismus und Renaissance, Bd. II, München: Fink 1976, 169–170. 33 „Eine Dichtung ist wie ein Gemälde: es gibt solche, die dich, wenn du näher stehst, mehr fesseln, und solche, wenn du weiter entfernt stehst; dieses liebt das Dunkel, dies will bei Lichte beschaut sein und fürchtet nicht den Scharfsinn des Richters; dieses hat einmal gefallen, doch dieses wird, noch zehnmal betrachtet, gefallen.“ (Horaz: Ars poetica / Die Dichtkunst, übers. und hg. v. Eckart Schäfer, Stuttgart: Reclam 1972, 26–27 (361–365)).
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Vers durch Veränderungen von Syntax oder Interpunktion im Laufe der Zeit eine Bedeutungserweiterung hin zu „ut pictura poesis erit“ – ‚lasst Dichtung wie ein Gemälde sein‘.34 In den Kunsttraktaten ab der (italienischen) Renaissance erlangt dieses Textversatzstück Signifikanz im Sinne einer Formel oder Vorgabe: Ausgehend von einem umgedrehten Verständnis von Horaz’ Versen argumentiert man für eine engere Verbindung zwischen den beiden ‚Schwesterkünsten‘, als es Horaz selbst wohl akzeptiert hätte.35 Zu „one of the most influential comments ever uttered on the relations of the arts“, wie Hagstrum urteilt,36 wird der Ausspruch des Simonides von Keos’ zur Malerei als stummer Poesie und der Dichtung als sprechender Malerei, den Plutarch ihm zuschreibt.37 Diese Auffassung, bereits ein Gemeinplatz in der italienischen Kunsttheorie,38 findet auch in die spanischen Kunstschriften Eingang, um dort ebenso zur Betonung der engen Beziehung zwischen Malerei und Dichtung funktionalisiert zu werden.39 Wie sich bereits an den wenigen hier genannten Beispielen zeigt, kommt es bei der Herausbildung der Kunsttheorie im italienischen Quattro- und Cinquecento immer wieder zur Übernahme von Begriffen, Konzepten und Verfahren der antiken Rhetorik, da es zum einen an einem theoretischen Fundament der antiken Malerei mangelt und man sich zum anderen bewusst war, dass die gedanklichen Grundlagen der Malerei mit denen der Rhetorik deckungsgleich waren.40 Die Rhetorik ist für jene Zeit demnach „im Sinne einer für alle Künste und Gattungen verbindlichen Produktionswissenschaft“41 zu verstehen und damit auch eine „Rhetorisierung der Künste“42 – und der Kunsttheorie – zu beobachten. Deutlich werden diese Verhältnisse auch dann, wenn man in Betracht zieht, dass zur zentralen Kategorie für die frühneuzeitliche Kunsttheorie Aristoteles’ Beobachtungen zu den Künsten werden sollten:43
34 Markiewicz, Henryk: „Ut Pictura Poesis… A History of the Topos and the Problem“, in: New Literary History 18.3 (1987), 535. 35 Lee, Rensselaer W.: „Ut Pictura Poesis: The Humanistic Theory of Painting“, in: Art Bulletin 22 (1940), 197. Lees Studie ist für diesen Untersuchungsbereich immer noch aktuell. 36 Hagstrum, Jean H.: The Sister Arts. The Tradition of Literary Pictorialism and English Poetry from Dryden to Gray, Chicago / London: Chicago Univ. Press 1985, 10. 37 „Simonides, […], calls painting inarticulate poetry and poetry articulate painting“ (Plutarch: Moralia, übers. v. Frank Cole Babbitt, Bd. IV, London: Hennemann / Cambridge, MA: Harvard Univ. Press 1962, 501 [347a]). 38 Vgl. beispielsweise Lee 1940, 197. 39 Vgl. beispielsweise Hellwig 1992, 91. 40 Rosen, Valeska von: Mimesis und Selbstbezüglichkeit in Werken Tizians. Studien zum venezianischen Malereidiskurs, Emsdetten / Berlin: Imorde 2001, 231. 41 Rosen, Valeska von: „Erosionen der Rhetorik? Strategien der Ambiguität in den bildenden Künsten, Dichtung und Musik. Einleitende Überlegungen“, in: Rosen, Valeska von (Hg.): Erosionen der Rhetorik? Strategien der Ambiguität in den Künsten der Frühen Neuzeit, Wiesbaden: Harrasowitz 2012, 1. 42 Ebd., 1, Anm. 1. 43 Die folgenden Ausführungen zum Thema (Natur-)Nachahmung in den italienischen Kunstschriften basieren auf Lee 1940, 203–210.
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II. Künste und Wissenschaften – Kunstliteratur – Kunstdialog […] sie alle sind, als Ganzes betrachtet, Nachahmungen. […] Denn wie manche mit Farben und mit Formen, indem sie Ähnlichkeiten herstellen, vielerlei nachahmen […], ebenso verhält es sich auch bei den genannten Künsten: sie alle bewerkstelligen die Nachahmung mit Hilfe bestimmter Mittel, […].44
Bei dieser Mimesis gehe es nicht nur darum, so Aristoteles, die Natur darzustellen, wie sie sei, sondern auch, wie sie sein sollte: Da der Dichter ein Nachahmer ist, wie ein Maler oder ein anderer bildender Künstler, […]: er stellt die Dinge entweder dar, wie sie waren oder sind, oder so, wie man sagt, daß sie seien, und wie sie zu sein scheinen, oder so, wie sie sein sollten.45
Die zwei bei Aristoteles bereits implizit enthaltenen Auffassungen von Naturnachahmung – naturgemäße Abbildung oder Idealisierung – existieren in der italienischen Kunsttheorie zunächst nebeneinander und werden intensiv diskutiert. Das Streben nach einer perfekten (Natur-)Illusion in der Kunst wird nicht selten durch (antike oder zeitgenössische) Illusions- oder Täuschungs-Anekdoten illustriert. Eine der am häufigsten erwähnten ist der Wettstreit zwischen Parrhasios und Zeuxis, den Plinius Secundus d.Ä. in seiner Naturalis Historia schildert.46 Die Frage nach der Idealschönheit (und damit häufig auch die nach der superatio des Naturvorbilds) wird zumeist durch Rekurs auf die Legende manifest, nach welcher Zeuxis ein Bild idealer Schönheit Helenas von Troja für den Tempel der Juno nach dem Vorbild der fünf schönsten Jungfrauen Krotons hergestellt haben soll.47 Gerade im Zusammenhang mit der Mimesis-Diskussion sind diese Geschichten mehr als bloße Künstlermythen: „Sie meinen, daß die Bildende Kunst unter den Künsten diejenige ist, die am meisten in der rein vergegenwärtigenden, insofern: mimetischen Dimension aufzugehen scheint“.48 In der italienischen Kunsttheorie sind diese Überlegungen eng verbunden mit den Auseinandersetzungen um den Begriff der (ursprünglich platonischen) idea: Diese wird zum einen, so formuliert der berühmte Kunsthistoriker Erwin Panofsky, verstanden als „Vorstellung einer naturübertreffenden Schönheit im Sinne des erst später fixierten Begriffs ‚das Ideal‘“, und zum anderen als „Vorstellung 44 Aristoteles: Poetik, übers. und hg. v. Manfred Fuhrmann, Stuttgart: Reclam 1982, 5 [1447a]. 45 Ebd., 85 [1460b]. 46 Zeuxis habe derart täuschend echte Trauben gemalt, dass die Vögel heranflogen, um sich an ihnen zu laben; Parrhasios führte Zeuxis hinters Licht, indem er diesem Gemälde einen täuschend echt gemalten Vorhang entgegensetzte (vgl. Plinius Secundus d.Ä.: Naturalis Historiae / Naturkunde, hg. und übers. von Roderich König in Zus.arbeit m. Gerhard Winkler, Bd. XXXV, München: Heimeran 1978, 54–55 [§65–66]). Plinius’ Text, insbesondere das 35. Buch, ist insgesamt die zentrale Quelle der kunstliterarischen Topoi und Motive, die, wenn auch von ihm so nicht intendiert, als Argumente in der Debatte um die Aufwertung der Malerei zur freien Kunst genutzt werden (Hellwig 1996, 108–109; vgl. auch Brown, Jonathan: Images and Ideas in Seventeenth-Century Spanish Painting, Princeton, N. J.: Princeton Univ. Press 1978, 93). 47 Cicero, M. Tullius: De Inventione. Über die Auffindung des Stoffes / De optimo genere oratorum. Über die beste Gattung von Rednern, hg. und übers. v. Theodor Nüßlein, Darmstadt: Wissensch. Buchgesellschaft 1998, 164–167 [II, I, 1–3]. 48 Küpper, Joachim: „Mimesis und Fiktion in Literatur, Bildender Kunst und Musik“, in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 53.2 (2008), 176.
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einer naturunabhängigen Bildgestalt“, genauer „jedwede künstlerische Vorstellung, die, im Geiste entworfen, der äußeren Darstellung vorangeht“.49 Damit einhergehend findet sich immer wieder die Frage nach der Bewertung des disegno, die zum zentralen Thema der italienischen Kunstschriften wird.50 Die spanische Kunstliteratur greift die soeben geschilderten Überlegungen in mannigfaltiger Weise auf. Erstens gilt dies insbesondere für das Verhältnis zwischen ars und natura, welches in den spanischen Schriften ausgelotet wird. Die vertretenen Ansichten reichen dabei von einer strikten imitatio der Natur und/oder antiker Vorbilder in der künstlerischen Darstellung (bei Holanda, Guevara, Gutiérrez, Pacheco), über selektive Imitation und damit einer idealtypischen Darstellung von Schönheit (bei Céspedes), oder einer imitierenden und zugleich korrigierenden Darstellung, die dem Objekt seine ursprüngliche, durch die irdische Transformation verlorene Perfektion zurückgibt (bei Carducho), bis hin zur Akzentuierung von künstlerischer Originalität und Fantasie und damit einer fast schon kritischen Auseinandersetzung mit dem imitatio-Gedanken (bei Martínez).51 Zweitens gilt dies für die Diskussion um die idea, die, wenn auch nicht mit der in Italien zu findenden Intensität, auch in der spanischen Kunstliteratur thematisiert wird und die (Bildenden) Künste als „‚trabajo del entendimiento‘, […], der ‚idea‘ und ‚inteligencia y teoría‘“ ausgewiesen werden.52 Drittens ist die Diskussion von bereits aus der italienischen Kunsttheorie bekannten Kategorien auch für den Bereich der Zeichnung zu konstatieren. Das Konzept der arti del disegno, unter dem Vasari in seinen Viten die Malerei, Skulptur und Architektur erstmalig zusammengeführt hatte, übernehmen jedoch nur wenige spanische Autoren des 17. Jahrhunderts: Bei ihnen bleibt die Zeichnung ein Teil der Malerei und deren Aufwertung zur freien Kunst letztendlich das zentrale Thema. Für die spanischen kunsttheoretischen Schriften ist damit insgesamt nur eine „reduzierte dibujo-Theorie“ festzustellen.53 Viertens wird die Frage nach der Vorherrschaft von dibujo oder color zentral. Der Gegensatz zwischen disegno und colore – und damit zwischen Florenz und Venedig – ist für die italienische Kunsttheorie von Mahon bereits treffend als „the major theoretical issue of the late Cinquecento“ bezeichnet worden.54 Diese Auseinandersetzung geht ebenfalls auf Vasari zurück, der in seiner Tizian-Vita fest49 Panofsky, Erwin: Idea. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie, Berlin: Bruno Hessling ²1960, 37. 50 Für einen konzisen Überblick des Begriffs in Italien vgl. Kemp, Wolfgang: „Disegno. Beiträge zur Geschichte des Begriffs zwischen 1547 und 1607“, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 19 (1974), 219–240. 51 Vgl. Sanz, María Merced Virginia: „La teoría española de la pintura en los siglos XVI y XVII“, in: Cuadernos de Arte e Iconografía 3.5 (1990), 93–116. 52 Hellwig 1996, 120. 53 Ebd., 124 und 126. Vgl. ebd., 130ff., für eine detaillierte Betrachtung der Position des dibujo in verschiedenen kunsttheoretischen Schriften des 17. Jahrhunderts. 54 Mahon, Denis: „Art Theory and Artistic Practice in the Early Seicento: Some clarifications“, in: Art Bulletin 35 (1953), 229.
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stellt, dass ein Maler, der nicht gut genug zeichnen könne – dem es also an der Fähigkeit mangele, vom Naturbild zu abstrahieren –, dies durch Farben verdecken müsse. Die Farbe täusche das Publikum, „sie diene der Verschleierung eines tieferliegenden Mangels des Gemäldes“.55 In den barocken Kunstschriften Spaniens (bei Carducho und Pacheco) lässt sich zunächst die Bevorzugung der Zeichnung und die fast vollständige Ablehnung der Kolorierung feststellen; im Laufe der Zeit (bei Martínez und García Hidalgo) ist jedoch zunehmend eine positivere Bewertung der anspruchsvollen Farbmalerei zu erkennen.56 Zu einem Rangstreit zwischen Malerei und Skulptur, wie er dem Paragone im Quattro- und Cinquecento Italiens vergleichbar wäre,57 kommt es in den kunsttheoretischen Schriften Spaniens verstärkt erst im 17. Jahrhundert. Wie in Italien räumt man der Architektur in diesem Paragone keinen Platz ein. Vielmehr wird der Malerei in den meisten Schriften der Vorrang zugesprochen; teilweise wird sie von den Autoren als oberste der Freien Künste verteidigt.58 Zwar wird auch der Skulptur zuweilen ein Status als ars liberalis im Kontext der artes del dibujo gewährt, in keiner der spanischen Kunstschriften des 17. Jahrhunderts gilt jedoch der Primat der Bildhauerei; ebenso wenig findet eine Unterscheidung zwischen Skulptur und Plastik, wie etwa bei Alberti, statt.59 Im Vergleich zu Italien findet sich der Paragone in Spanien zudem zumeist in theoretisch-argumentativen Texten, weniger jedoch in eigenen „obras de parangón“, d.h. in den Gemälden und in der Kunstpraxis selbst.60 Für die europäische Kunstpraxis und Kunsttheorie gleichermaßen entscheidend wird das als Reaktion auf die protestantische Ablehnung religiöser Kunst vom Tridentinischen Konzil (1545–1563) im Jahre 1563 erlassene Dekret De invocatione, veneratione, & reliquiis Sanctorum, & sacris imaginibus.61 Dieses Dekret, das die Beibehaltung der Bilder in den katholischen Kirchen und deren Verehrung erlaubt, da sie als Belehrung der Gläubigen, spirituelle Inspiration, Vorbild zum frommen Leben und Glaubensbestätigung fungieren, hat auf Spanien 55 Rosen 2001, 34–35. 56 Vgl. Darst, David H.: Imitatio. Polémicas sobre la imitación en el Siglo de Oro, Madrid: Orígenes 1985, 17–50. 57 Aufgrund der immens hohen Anzahl von Studien zum Paragone Italiens beschränke ich mich an dieser Stelle darauf, lediglich auf zwei Veröffentlichungen neueren Datums und die dort zu findenden Bibliographien zu verweisen: Vgl. Hessler, Christiane J.: Malerei, Skulptur und Dichtung in der Rangstreitkultur des Quattrocento, Berlin: De Gruyter 2014, und Hendler, Sefy: La guerre des arts. Le Paragone peinture-sculpture en Italie XVe–XVIIe siècle, Rom: L’Erma di Bretschneider 2013. 58 Zum spanischen Paragone im 17. Jh. vgl. insbesondere Hellwig 1996, 139ff. 59 Vgl. Hellwig 1992, 91–93. 60 Vgl. Hellwig, Karin: „El parangón en la España del Siglo de Oro: Un debate entre la teoría y la práctica del arte“, in: Riello, José (Hg.): ,Sacar de la sombra lumbre‘. La Teoría de la pintura en el Siglo de Oro (1560–1724), Madrid: Abada / Museo Nacional del Prado 2012, 231– 237. 61 Labbé, Philippe / Cossart, Gabriel: Sacrosancta Concilia Ad Regiam Editionem Exacta, Bd. XX, Venedig: Coleti Et Albrizzi 1733, 171–172. Vgl. Mâle, Emile: L’art réligieux après le concile de Trente, Paris: Colin 1932, 1.
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und die spanische Kunst tiefgehende Auswirkungen. Provinzkonzilen, diözesanen Synoden, den einzelnen Gemeindepfarrern, Theologen und Predigern sowie selbstverständlich auch der Inquisition obliegt nun die Umsetzung und Einhaltung der im tridentinischen Konzil erlassenen Normen sowie die Wahrung des Dogmas und der Moral in den Kunstwerken.62 Insbesondere die spanischen Kunsttheoretiker des 17. Jahrhunderts verteidigen in ihren Texten die Bilderverehrung entsprechend der Vorgaben des konziliarischen Dekrets, erkennen das zentral didaktisch-moralische Ziel der religiösen (und profanen) Malerei an, und entnehmen ihre Argumente für den Bilderkult und die besondere Rolle der Malerei für die Religion anderen zeitgenössischen gegenreformatorischen Kunsttheoretikern, jedoch auch den antiken und christlichen Autoritäten und nicht zuletzt der Bibel.63 Mit den Vorgaben des Konzils von Trient erlangt ein weiteres, ursprünglich der Rhetorik entstammendes Konzept immense Relevanz für die kunsttheoretischen Schriften: Das der Angemessenheit, des decorum. Die verschiedenen Dimensionen, die dieser Begriff bei den spanischen Kunsttheoretikern des ausgehenden 16. und des 17. Jahrhunderts umfasst, versuchte Cañedo-Argüelles mit den drei Konnotationen „Decoro = Conveniencia“, „Decoro = Orden“ und „Decoro = Honestidad“ zu kategorisieren: Conveniencia meint dabei die Angemessenheit in der Darstellung der Figur bezüglich Status, Haltung, Verhalten und Kleidung sowie in der Anpassung des Gemäldes an seine Umgebung; orden die Ordnung und Klarheit der Darstellung; und honestidad die Anständigkeit und Sittsamkeit in der religiösen wie profanen Malerei (d.h. Kritik an lasziven Szenen und Aktmalerei).64 Vor allem im 17. Jahrhundert ist der ideale Maler somit insbesondere ein pintor cristiano, der nicht nur sakrale Gemälde anfertigt, sondern auch selbst ein tugendhaftes, moralisch tadelloses und frommes Leben führt. Dieser muss, um die heiligen Geschichten angemessen darstellen zu können, zudem gebildet und belesen sein.65 Symbolfigur und Leitbild für den pintor cristiano ist innerhalb der theozentrischen Kunsttheorie des 17. Jahrhunderts der Evangelist Lukas, der Legende nach der Maler der Muttergottes,66 der zumeist metaphorisch mit dem berühmtesten Maler der Antike, Apelles, gleichgesetzt wird.67
62 Vgl. Saravia, Crescenciano: „Repercusión en España del decreto del Concilio de Trento sobre las imágenes“, in: Boletín del Seminario de Estudios de Arte y Arqueología 26 (1960), 129– 143. Ausführlich zu den Debatten und Diskussionspunkten zu und über die religiöse Kunst im spanischen 16. Jahrhundert, die insbesondere in den Ansichten Erasmus von Rotterdams ihren Ursprung haben, vgl. Martínez-Burgos García, Palma: Ídolos e imágenes. La controversia del arte religioso en el siglo XVI español, Valladolid: Secretariado de Publicaciones, Univ. de Valladolid 1990. 63 Vgl. Cañedo-Argüelles, Cristina: Arte y Teoría: La Contrareforma y España, Oviedo: Univ. de Oviedo 1982, 55–62. 64 Vgl. ebd., 67–73. 65 Vgl. ebd., 62–63. 66 Waldmann 1995, 40. 67 Hellwig 1996, 112, Anm. 417.
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Ein weiterer zentraler Gedanke, wiederum insbesondere in der theozentrischen Kunsttheorie des 17. Jahrhunderts, und zudem ein Argument im Paragone, ist die bereits im Mittelalter zu konstatierende Auffassung vom Deus artifex oder Deus pictor.68 Die Idee von Gott als ‚Künstler‘ oder ‚Bildner‘ wird allgemein auf Platon zurückgeführt, der Gott in dem Dialog Der Staat als „Handwerker“ des Himmels und der Erde,69 im ebenfalls in Dialogform verfassten Timaios als schöpfenden „Werkmeister“ des Kosmos70 darstellte. Die antiken Ideen eines Gottes als fabricator und aedificator (bei Cicero) oder opifex und genitor (bei Calcidius) erlangen durch die Gleichsetzung mit Vorstellungen aus der Bibel Eingang in das spätantike Schrifttum. Allen Termini gemeinsam ist die Vorstellung, dass bei der Schöpfung der Welt und des Menschen eine Handwerkstätigkeit vorgenommen wurde. In der Kunsttheorie der Renaissance ist es nicht mehr Gott, der mit dem Maler verglichen wird, sondern der Maler mit Gott, und es geht nicht mehr um eine metaphorische Darstellung der göttlichen Schöpfung, sondern um die Betonung der gottgleichen Fähigkeiten des Malers. In der Kunstliteratur des Siglo de Oro wird der Deus pictor-Topos nun […] zum führenden Argument der Legitimierung der nobleza der Malerei: erstens wird durch den göttlichen Ursprung die Malerei als ars liberalis bestätigt, was zugleich Steuerfreiheit bedeutet; zweitens wird die Vorrangstellung der Malerei vor der Bildhauerei theologisch hergeleitet, und drittens ist es ein Beweis für die Authentizität der Heiligenbilder […].71
Zuweilen findet in diesem Zusammenhang auch der „Lebendigkeits-Topos“ Verwendung: Indem das vom Menschen geschaffene Kunstwerk lebendig oder beseelt erscheint, hat der Künstler die höchste Form der imitatio creatoris erreicht.72
2.3. Gattungen Der folgende Überblick stellt die zentralen Gattungen und Titel des Siglo de Oro aus dem Feld der theoretisch-argumentativen Literatur zu den Bildenden Künsten vor, um in einem anschließenden Kapitel das Panorama des Kunstdialogs zu präsentieren. 68 Die folgenden Ausführungen zum Deus artifex und Deus pictor basieren auf Curtius 1965, 527–529, und Waldmann 1995, 37–41. Auch der Begriff Deus sculptor, als Argument der Bildhauer, ist gebräuchlich (vgl. Hellwig 1996, 185). 69 „Denn dieser selbe Handwerker ist imstande, nicht nur alle Geräte zu machen, sondern auch alles insgesamt, was aus der Erde wächst, macht er und alle Tiere verfertigt er, die anderen wie auch sich selbst, und außerdem noch den Himmel und die Erde und die Götter und alles im Himmel und unter der Erde im Hades insgesamt verfertigt er“ (Platon: „Politeia“, in ders.: Werke in acht Bänden, hg. v. Gunther Eigler, Bd. IV, Darmstadt: Wissensch. Buchgesellschaft 21990, 795–797 [X, 596c–d]). 70 „Urheber und Vater dieses Weltalls“, „Werkmeister“ der Welt (Platon: „Timaios“, in ders.: Werke in acht Bänden, hg. v. Gunther Eigler, Bd. VII, Darmstadt: Wissensch. Buchgesellschaft 21990, 35 [28c–29a]). 71 Waldmann 1995, 48–49. 72 Ebd., 100.
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Eine der zentralen Erscheinungsformen, die die theoretisch-argumentative Literatur über die Künste einnimmt, ist die des Traktats, d.h. von Texten, die einen normativen und programmatischen Anspruch haben, in denen eine künstlerische Disziplin definiert wird und die Elemente, Instrumente, Regeln und Normen dieser Disziplin beschreiben.73 Dies trifft für keinen der spanischen kunstliterarischen Texte so sehr zu wie Francisco de Pachecos (1564–1644)74 Arte de la pintura, im Jahre 1649 in Sevilla veröffentlicht und von Brown als „centerpiece in the history of Spanish art theory“75 bezeichnet. Pacheco war nicht nur der Schwiegervater von Velázquez, sondern selbst Maler und Kunsttheoretiker sowie Berater der Inquisition in ikonographischen Fragen.76 In Arte de la pintura behandelt er verschiedene Argumente für die Malerei als freie Kunst, darunter Ursprung und Geschichte sowie den Paragone zwischen Malerei und Skulptur (1. Buch), zentrale theoretische Fragen wie die nach decoro, dibujo und colorido (2. Buch) sowie Kunstgattungen, Kunstpraxis und, als Schwerpunkt, die religiöse Malerei (3. Buch).77 Auch die Discursos practicables del nobilísmo arte de la pintura des Malers Jusepe Martínez (1601–1682), die bis zu ihrer Erstedition im 19. Jahrhundert unveröffentlicht blieben, sind in diese Reihe von Schriften einzufügen: In 21 kurzen tratados befasst sich Martínez dort zunächst mit theoretischen Fragen zur Malerei, darunter die nach imitación, dibujo und colorido, Perspektive und Symmetrie (I– XII); er thematisiert die artes und ciencias, die der Maler beherrschen sollte (XIII–XIV); und nimmt (XVI–XX) nicht nur ein Lob herausragender, vor allem spanischer, Künstler vor (darunter Carducho, Ribalta, Velázquez, …), sondern stellt im Grunde einen historischen Überblick der spanischen Kunst zusammen.78 Zu dieser Gruppe der traktathaften Schriften gehören auch die Comentarios de la pintura des Humanisten und Kunstsammlers Felipe de Guevara (1500–1564), die bis zum Jahre 1788 unediert blieben, und in denen Guevara insbesondere die Geschichte der antiken griechischen und römischen Malerei aufarbeitet sowie sich mit den verschiedenen Kunstgattungen und -techniken beschäftigt, und an das Ende eine lexikonartige Zusammenstellung bekannter (antiker) Maler und Künstler stellt.79
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Calvo Serraller / Portús 2001, 10. Es findet sich in unterschiedlichen Studien als Todesjahr auch immer wieder 1654. Brown 1978, 44. Gaya Nuño, Juan Antonio: Historia de la crítica de arte en España, Madrid: Ibérico Europea de Ediciones 1975, 38–39. 77 Vgl. Pacheco, Francisco: Arte de la pintvra, sv antigvedad y grandezas, Sevilla: Simón Faxardo 1649. Pachecos Traktat enthält Verse und Gedichte anderer Künstler zur Malerei, darunter Fragmente von Pablo de Céspedes’ Poema de la Pintura (vgl. ebd., 10ff.). 78 Vgl. Martínez, Jusepe: Discursos practicables del nobilísmo arte de la pintura, Madrid: Real Academia de San Fernando 1866. 79 Vgl. Guevara, Felipe de: Comentarios de la pintura, Madrid: Geronimo Ortega 1788. Ein Kapitel widmet er der ägyptischen Malerei mit den Hieroglyphen sowie der Kunst des alten Amerika (ebd., 231ff.).
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Verschiedene andere, ‚traktathaft‘ zu nennende Texte erwachsen aus den Prozessen zur Zunft- oder Steuerbefreiung der Maler. Einer dieser Texte ist Gaspar Gutiérrez de los Ríos’ Noticia general para la estimación de las artes (1600), der im Rahmen eines Prozesses gegen die Maler entstand, die sich gegen die Abgabe der Soldatensteuer wehrten.80 Gutiérrez, Jurist und Professor, beginnt seinen Text – aufgeteilt in vier Bücher und eine Exortación a la honra y favor de los que trabajan contra los ociosos – mit einer Unterscheidung zwischen artes, ciencias und oficios (1. Buch), befasst sich anschließend mit den bisherigen Abgrenzungen zwischen artes liberales und mechanicae (2. Buch), verteidigt dann die artes del dibujo als artes liberales und vergleicht diese abschließend systematisch mit den anderen Künsten – neben den Disziplinen des trivium und quadrivium auch Dichtung, Geschichte, Medizin und Philosophie (3. Buch).81 Auch bei den Discursos apologéticos en que se defiende la ingenuidad del arte de la pintura (1626) von Juan de Butrón handelt es sich um einen juristischen Text, der nach dem Versuch der madrilenischen Behörden entstand, die Maler im Jahre 1625 zum Militärdienst zu verpflichten.82 Der Jurist Butrón nimmt in 15 discursos eine Apologie der Malerei vor; unter anderem diskutiert er darin die Beziehungen zwischen der Malerei und den artes liberales (4. bis 10. discurso).83 Félix de Lucio Espinosas El pincel (1681) ist vermutlich in Konsequenz des kurz vorher verhandelten Gerichtsverfahrens zur Nobilität der Malerei entstanden.84 In dieser kurzen Lobesschrift nimmt Espinosa die typischen Motive und Topoi zur Verteidigung der Nobilität der Malerei auf, darunter ihre Bedeutung in der Antike, ihr damit hohes Alter sowie ihre Fähigkeit, Menschen zu heroischen Taten zu ermuntern.85 Unter den architekturtheoretischen Traktaten ist besonders Juan de Arphe y Villafañes (1535–1603) illustriertes Varia Conmensuración para la Escultura y la Architectura (1585–1587) hervorzuheben, in dem in vier Büchern die Geometrie sowie die Proportionenlehre für Mensch und Tier, Säulen, Kirchenbau und Goldschmiedekunst behandelt werden.86 Eine zentrale Rolle innerhalb der Architekturtheorie Spaniens (und Europas) nimmt daneben Juan Bautista de Villalpando (1552–1608) ein, der wohl bedeutendste Architekturtheoretiker der Gegenreformation. Zwischen 1596 bis 1604 erscheinen in Rom die drei Bände seines In Eze80 Hellwig 1996, 49. 81 Vgl. Gutiérrez de los Ríos, Gaspar: Noticia general para la estimacion de las artes, y de la manera en qve se conocen las liberales de las que son Mecanicas y serviles, con una exortacion a la honra de la virtud y del trabajo contra los ociosos, y otras particulares para las personas de todos estados, Madrid: Pedro Madrigal 1600. 82 Hellwig 1996, 49. 83 Vgl. Butrón, Juan de: Discvrsos apologeticos en que se defiende la ingenuidad del arte de la Pintura. Qve es liberal y noble de todos derechos, Madrid: Luis Sánchez 1626. Ein Paratext der Discursos ist ein Gedicht von José de Valdivielso („A la apología por la pintura de Don Juan de Butrón“, b3r–b4v) – ein weiteres Zeugnis des intellektuellen Kreises, der zu jener Zeit in Madrid gemeinsam für die Aufwertung der Bildenden Künste eintrat. 84 Sanz 1990, 115. 85 Vgl. Espinosa y Malo, Félix de Lucio: El pincel, Madrid: Francisco Sanz 1681. 86 Kruft 2004, 248.
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chielem. Explanationes et Apparatus Urbis, ac Templi Hierosolymitani Commentariis et imaginibus illustratus, in der er die „Rekonstruktion des Salomonischen Tempels nach der Vision des Ezechiel“ vornimmt.87 Daneben sei hier Juan de Caramuels Traktat Architectura civil recta, y obliqua (1678) genannt, in dem unter anderem die Architektur als achte freie Kunst und als zehnte Muse eingeführt wird.88 Von großer Bedeutung für die spanische Architektur- und Kunsttheorie ist auch die bekannte Chronik des Hieronymiten-Ordens von José de Sigüenza (1544–1606). Der erste Teil (1595) von Sigüenzas Werk widmet sich dem Leben des Heiligen Hieronymus; der zweite Teil (1600) erzählt in vier Büchern die Geschichte des Ordens; der dritte Teil (1605) beschreibt die Gründung des Klosters, und es sind vor allem das dritte und vierte Buch für kunsttheoretische Belange wichtig.89 Sigüenza erläutert darin, eingeteilt in einzelne discursos, die Entstehung und Gründung des Klosters (3. Buch) und beschreibt Bau und Architektur, Räumlichkeiten, Ausstattung und Dekoration (vor allem Gemälde, Kunstwerke und deren Urheber) (4. Buch).90 In engem Zusammenhang mit den bereits genannten Traktaten, die veranlasst durch spezifische juristische Auseinandersetzungen um die Zunft- oder Steuerbefreiung der Maler entstehen, stehen die sogenannten memoriales, „Denk- und Bittschriften“91 geringen Umfangs, die von mehreren Autoren gemeinsam entwickelt und im spanischen Barock häufig und für zahlreiche Zwecke verwendet werden.92 Im Falle der Kunstdebatte lassen sich dabei zum einen memoriales für Akademiegründungen, zum anderen für die Steuerbefreiung der Maler (verwendet als Eingabe in Gerichtsverfahren) finden.93 Im Folgenden werde ich jeweils nur ein besonders prägnantes Beispiel nennen. Die vielleicht bekannteste Bittschrift zur Steuerbefreiung ist Juan de Butróns Memorial informatorio por los pintores en el Pleyto que tratan con el señor Fiscal de su Magestad, en el Real Consejo de Hazienda, sobre la exempción del Arte de la Pintura, die 1629 aufgrund einer weiteren juristischen Auseinandersetzung um staatliche Forderungen an die Maler entstand.94 Das memorial besteht aus sieben Stellungnahmen – darunter solche von Lope de Vega, Juan de Jáuregui, Antonio de León, José de Valdivielso und Lorenzo Vanderhamen – für die Malerei, die Carducho später als Anhang zu seinen Diálogos de la pintura drucken wird.95 87 88 89 90 91 92 93 94 95
Vgl. Kruft 2004, 249–252. Vgl. ebd., 254–255. Gállego 1976, 74. Vgl. Sigüenza, José de: Tercera parte de la Historia de la Orden de San Geronimo, Madrid: Imprenta Real Madrid por Iuan Flamenco 1605. Hellwig 1992, 97, Anm. 28. Calvo Serraller / Portús 2001, 115. Hellwig 1992, 82. Jacobs 1996, 71. Vgl. Carducho, Vincencio: Dialogos de la pintvra. Sv defensa, origen, essencia, definicion, modos y diferencias, Madrid: Francisco Martínez 1633, 164r–229v.
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Die Künstler erhielten in den Zünften eine rein praktische Ausbildung, die sie jedoch durch eine theoretische ergänzen wollten, was die Gründung von Zeichenakademien nach dem Vorbild Italiens erfordert hätte. In den vornehmlich in Madrid verfassten, zumeist an den König adressierten memoriales offenbaren sich diese Bestrebungen zur Akademiegründung auf besondere Weise.96 Ein bedeutendes Beispiel für eine Eingabe zur Gründung einer solchen Akademie ist das Memorial de los pintores de la Corte a Felipe III sobre la creación de una academia o escuela de dibujo (1619?).97 Die ursprünglich zum eigenständigen Erlernen der Zeichnung gedachten cartillas académicas oder cartillas de dibujo, die auch in den Ateliers verwendet worden sind, stellen eine weitere wichtige Quelle der spanischen Kunstliteratur dar. Zu diesen zumeist mit Illustrationen versehenen Lehrbüchern zählen neben den cartillas von Pedro de Villafranca (1637–1638), Jusepe de Ribera (1650), Fray Juan Ricci und Vicente Salvador Gómez98 vor allem die Principios para estudiar el nobilísimo y real arte de la pintura (1693) des Malers und Druckers José García Hidalgo, die mit 135 gedruckten Abbildungen versehen sind.99 Aus Portugal scheint für diese Gattung vor allem Filipe Nunes’ mit Skizzen und Zeichnungen illustrierte Arte da Pintura (1615) bekannt zu sein, die nicht nur hauptsächlich praktische Anweisungen zu Perspektivmalerei, Symmetrie, Materialien, Farben und Kunstgattungen gibt, sondern im Abschnitt „Louvores da Pintura“ die Malerei explizit als ars liberalis ausweist.100 Aus dem Bereich der Architekturtheorie ist hier Fray Lorenzo de San Nicolás’ zweibändige Arte y uso de Architectura (1633–1664) hervorzuheben, von George Kubler als „el mejor libro sobre instrucción arquitectónica escrito jamás“ bezeichnet.101 Eine Künstlervitenliteratur, wie sie in Italien im Cinquecento und Seicento existiert, lässt sich für das spanische Siglo de Oro nicht in vergleichbarer Weise feststellen.102 Pachecos Libro de descripción de verdaderos retratos de Ilustres y Memorables varones (ca. 1599), unediert bis 1892, nimmt in dieser Hinsicht eine wichtige Rolle ein, enthält sein Werk doch neben den gezeichneten Porträts zeitgenössischer Künstler, Dichter und Geistlicher auch Lobgedichte auf die jeweilige Person.103 Ein zentraler Text ist daneben Lázaro Díaz del Valles (1606–1669) Origen e Yllustración del nobilíssimo y real Arte de la Pintura y Dibuxo (1656– 1658), das sich als Künstlervitenbuch in der Nachfolge Vasaris versteht.104 96 97 98 99 100 101 102
103 104
Hellwig 1992, 88–89. Der Text dieser Bittschrift findet sich in Calvo Serraller 1991a, 165–168. Vgl. Hellwig 1996, 17, Anm. 1. Gaya Nuño 1975, 50–51. Vgl. Nunes, Filipe: Arte poetica, e da pintvra e symmetria, com principios de Perspectiua, Lissabon: Pedro Crasbeeck 1615, insbes. 42r–42v. Kubler 1957, 80, zit. n. Kruft 2004, 252 und 588, Anm. 68. Riello, José: „Entre el pintor pobre y el pintor perfecto. ‚Vidas‘ de pintores en la España del Siglo de Oro“, in ders. (Hg.): ,Sacar de la sombra lumbre‘. La Teoría de la pintura en el Siglo de Oro (1560–1724), Madrid: Abada / Museo Nacional del Prado 2012, 259. Gaya Nuño 1975, 38–39. Zu diesem Text vgl. Waldmann 1995, 74ff. Hellwig 1996, 81.
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Neben diesen wesentlichen ließen sich noch kleinere Subgattungen des Ensembles kunsttheoretischer Schriften Spaniens nennen. Dies wären, an die Escorial-Chronik anknüpfend, beispielsweise weitere Texte aus dem Bereich der topographischen Literatur, d.h. Beschreibungen von Madrid, Granada oder Sevilla;105 sowie die handschriftlichen Randnotizen oder Kommentare in kunsttheoretischen Editionen, wie z.B. die El Grecos in seinen Exemplaren von Vasaris Viten und Vitruvs De architectura libri decem.106
3. PANORAMA DES KUNSTDIALOGS IM SIGLO DE ORO UND KORPUS Neben diesen Traktaten und traktathaften Schriften, memoriales, cartillas de dibujo, Künstlerviten im weitesten Sinne und anderen kunsttheoretischen Einzelgattungen stehen innerhalb der theoretisch-argumentativen Literatur die literarischen Dialoge. Im Folgenden werde ich das Panorama des Kunstdialogs im Siglo de Oro kurz umreißen.107 Für die in konkreten Einzelanalysen im dritten Teil der Arbeit untersuchten Renaissancedialoge gebe ich dabei jeweils die entsprechende Kapitelnummer an, für die übrigen Texte jeweils in den Anmerkungen die konsultierten Textausgaben oder Manuskriptsignaturen. Die Bedeutung des Dialogs für die spanische Kunstliteratur der Frühen Neuzeit offenbart sich bereits daran, dass diese durch einen Dialog – die Medidas del Romano (1526, Toledo) von Diego de Sagredo (Kapitel IV) – inauguriert wird. Bei Diego de Sagredos ‚Maßen des Römers‘ – dem ersten außerhalb Italiens verfassten Architekturtext108 – handelt es sich um einen illustrierten architekturtheoretischen Dialog zwischen dem Kleriker Tampeso und dem Maler Picardo zu den römischen Säulenordnungen und -proportionen. Die Medidas del Romano enthalten Aussagen zur Malerei, sind jedoch hauptsächlich architekturtheoretischen Fragestellungen gewidmet. Zur ersten Schrift der Iberischen Halbinsel, die sich ausschließlich mit der Malerei befasst,109 wird erst Francisco de Holandas Da Pintura Antiga (Kapitel VI). Die Schrift des Portugiesen, die aus einem kunsttheoretischen Traktat und einem gemeinhin als Diálogos em Roma (1548, Lissabon; Kapitel VI.4) bezeichneten Dialog besteht, geht in den Kanon der kunsttheoretischen Schriften Spaniens nicht nur aufgrund 105 Vgl. Hellwig 1992, 82; Hellwig 1996, 17. 106 Hellwig 1996, 17. 107 Erste Überlegungen zur Untersuchung der Kunstdebatte in den Dialogen des Siglo de Oro habe ich bereits im Jahre 2012 auf dem IV Simposio Internacional de Hispanistas „Encuentros 2012“ an der Uniwersytet Wroclawski (Polen) vorgestellt, jedoch mit einem Fokus auf den Barockdialog Diálogos de la pintura von Carducho (vgl. „El debate del arte en los diálogos literarios del Siglo de Oro“, in: Losada Palenzuela, José Luis / Ziarkowska, Justyna (Hg.): Teorías narrativas e interdiscursivas en la prosa hispánica, Wrocław: WUW 2014, 159–165). 108 García Melero, José Enrique: Literatura española sobre artes plásticas, Bd. I, Madrid: Encuentro 2002, 100; auch 79. 109 Vgl. Menéndez Pelayo 1962, 431.
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der Einheit von Spanien und Portugal auf der Iberischen Halbinsel unter der Herrschaft von Felipe II ein, sondern vor allem durch eine zeitgenössische Übersetzung ins Spanische, die der Maler Manuel Denis (oder Diniz) im Jahre 1563 erstellt. Die Diálogos em Roma enthalten vier Gespräche in und um die Klosterkirche San Silvestro zwischen der Figur Holanda und verschiedenen illustren Persönlichkeiten der römischen Kunst- und Künstlerszene, darunter die berühmte Gräfin Vittoria Colonna, ihr Vertrauter Lattanzio Tolomei, das Universalgenie Michelangelo sowie weitere Künstler. Im Anhang des Manuskripts von Da Pintura Antiga findet sich ein weiterer dialogischer Text, Do Tirar polo Natural (1549, Santarém; Kapitel VI.5). In diesem ursprünglich illustrierten Dialog befassen sich die Freunde Fernando und Braz Pereira im Hause des Letzteren in Porto mit der Porträtmalerei. In den zum Teil illustrierten Diálogos de medallas, inscripciones y otras antigüedades (1587, Tarragona; Kapitel VIII) des Erzbischofs von Tarragona, Antonio Agustín, ist nicht die Malerei das zentrale Thema, sondern die Medaillenkunst. In elf Gesprächen diskutieren die Gesprächspartner ‚B‘ und ‚C‘, sich anscheinend im Hause von ‚A‘ befindend, eine Sammlung antiker Medaillen, um deren Präsentation und Erklärung sie ‚A‘ gebeten haben.110 Neben diesen genuin kunst- oder malereitheoretischen Dialogen entstehen in der Renaissance zahlreiche Dialoge, die kunst- oder malereitheoretischen Gehalt unterschiedlichen Ausmaßes aufweisen. Dazu zählen nicht nur vereinzelte Gespräche, in denen Maler als Gesprächspartner auftreten, wie beispielsweise die Figur des Albrecht Dürer in Juan Luis Vives’ Dialog zum „Corpus hominis exterius“ in Exercitatio linguae latinae (1538, Basel).111 Die Bildenden Künste erhalten noch auf vielen weiteren Ebenen und Feldern Eingang in die Renaissancedialoge; es seien im Folgenden lediglich ausgewählte Beispiele genannt. In Cristóbal de Villalóns Ingeniosa comparación entre lo antiguo y lo presente (1539, Valladolid) etwa,112 einem Gespräch zwischen den Freunden Gaspar und Jerónimo, findet ein Vergleich zwischen den kulturellen Errungenschaften der Antike und der Moderne statt. Das Gespräch ist in Form einer Deklamation strukturiert und weist eine Dialog-im-Dialog-Struktur auf: Da Gaspar einem abendlichen Treffen bei dem gemeinsamen Freund Gabriel nicht beiwohnen konnte (S. 333ff.), erzählt Jerónimo ihm während eines Spaziergangs den Verlauf einer an 110 Agustíns Diálogos de medallas wiederum gelten als zentrale Quelle für einen weiteren spanischen Renaissancedialog: Juan Azpilcueta Navarro, Juraprofessor an der Universität Zaragoza, verfasst 1594 in Zaragoza den ersten Teil seiner Diálogos de las imágenes de los dioses antiguos: In zehn Gesprächen diskutieren drei männliche Gesprächspartner und zwei Frauen die Darstellung der antiken Götter und Tugenden, wie sie sich ihnen sowohl in antiken Quellen als auch in zeitgenössischen Schriften, darunter auch die zu jener Zeit populären Emblembücher, präsentieren (vgl. dazu Kapitel VIII.6). 111 Vgl. Vives, Juan Luis: „El cuerpo exterior del hombre (Corpus hominis exterius)“, in ders.: Obras completas, übers. und hg. v. Lorenzo Riber, Bd. II, Madrid: Aguilar 1948, 961–965. 112 Villalón, Cristóbal de: „Ingeniosa comparación entre lo antiguo y lo presente“, in: Vian Herrero, Ana (Hg.): Diálogos españoles del Renacimiento, Toledo: Almuzara 2010, 311–399. Die hier im Text angegeben Seitenzahlen beziehen sich auf diese Edition.
II. Künste und Wissenschaften – Kunstliteratur – Kunstdialog
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jenem Abend stattgefundenen Auseinandersetzung zwischen zwei weiteren Gästen, Alberto und Guillermo. Alberto verteidigte dabei in einer ersten Rede die Antike (S. 337ff.), Guillermo in einer sich anschließenden Gegenrede die Moderne (S. 363ff.). Beide Seiten ziehen dabei Kunstgattungen, Künstler und konkrete Kunstwerke als Argumente zum Lob der jeweiligen Epoche heran. Fernán Pérez de Olivas berühmter Diálogo de la dignidad del hombre (1546)113 ähnelt Villalóns Ingeniosa comparación nicht nur in seiner formalen Struktur, sondern auch, was die Vergleiche zu Künstlern und Kunstwerken betrifft: Weise und Gelehrte – so argumentiert Antonio, einer der drei Gesprächspartner des Dialogs – sollen sich in ihrem Handeln an den Künstlern orientieren, die sich vor der manuellen Anfertigung ihr Werk zunächst im Geiste vorstellen (S. 117). In Antonios Rede zur Würde des Menschen wird Gott wiederholt als „artífice del hombre“ – als Deus artifex also – dargestellt (S. 140); es findet sich ebenso ein Vergleich der göttlichen Schöpfung zur Bildhauerei („los príncipes, cuando mandan esculpirse, hazen que se busque alguna piedra excelente, […] cuando Dios quiso hazer la imagen de su representación […] la puso en la tierra, siendo tan excelente“, S. 143). Gottes bedeutendstes Werk ist der Mensch („la más admirable obra de cuantas Dios ha hecho“, S. 138). Wäre der Mensch mangel- und fehlerhaft, wäre dies folglich auf Gott zurückzuführen, eben wie bei dem Maler eines Selbstporträts: „Si en la figura pintada do algún hombre se nos muestra uviese alguna fealdad, ésta atribuiríamos a cuya es la imagen, si creemos que fue hecha con verdadera semejança“ (S. 140). Zwei Renaissancedialoge kunst- und malereitheoretischen Gehalts sind besonders hervorzuheben und sollen deshalb hier untersucht werden: Cristóbal de Villalóns El Scholástico (ca. 1538–1542; Kapitel V), ein Dialog verschiedener Angehöriger der Universität Salamanca über die ideale Studentenausbildung, macht Aussagen zur Stellung von Malerei und Architektur und ist insgesamt bezüglich der Diskussion über die Künste und Wissenschaften einschlägig. Der Landsitz des Duque de Alba, auf dem sich das Gespräch abspielt, ist zudem mit zahlreichen Kunstwerken dekoriert, die die Gesprächspartner beschreiben. Ähnlich gestaltet sind auch die Diálogos familiares de la agricultura cristiana (1589, Salamanca; Kapitel VII) zwischen Filateles, Policronio, Pánfilo und Filótimo, verfasst vom Franziskanerpater Juan de Pineda: Neben den vornehmlich religiösen Themen erhalten auch kunsttheoretische Fragestellungen, beispielsweise zur sakralen Malerei, Raum. Das Haus des Theologen Filateles, in dem sich die Gesprächsrunde hauptsächlich bewegt, ist zudem mit zahlreichen Fresken dekoriert, die sich die Teilnehmer nacheinander vom Gastgeber erklären lassen.
113 Pérez de Oliva, Fernán: „Diálogo de la dignidad del hombre“, in ders.: Diálogo de la dignidad del hombre. Razonamientos. Ejercicios, hg. v. María Luisa Cerrón Puga, Madrid: Cátedra 1995, 111–166. Die folgenden im Text angegeben Seitenzahlen beziehen sich auf diese Edition.
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II. Künste und Wissenschaften – Kunstliteratur – Kunstdialog
Im Gegensatz zur Renaissance lässt sich die Gattung des Kunstdialogs im spanischen Barock nur noch vereinzelt nachweisen:114 Diego de Arces Diálogos del pintor cristiano sind lediglich durch einen Hinweis in seiner Miscelánea Primera de Oraciones Eclesiásticas (1607) bekannt. Es handelt sich dabei anscheinend um ein vor der Miscelánea veröffentliches Werk, das jedoch heute immer noch als verschollen gilt.115 Analoges trifft auch für einen Text des vornehmlich durch seinen Dialog Días geniales o lúdicos bekannten und mit der sevillanischen Kunstszene vertrauten Rodrigo Caro zu: Das Manuskript seiner Diálogos de la pintura wird 1839 aus der Bibliothek der Kathedrale von Sevilla gestohlen und gilt seitdem als verloren.116 Zeitgenössisch ediert und damit heute noch in zahlreichen Exemplaren vorhanden sind hingegen Vincencio Carduchos Diálogos de la pintura aus dem Jahre 1633.117 In diesem Dialog, den einer der aktivsten und einflussreichsten (Hof-) Maler zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Madrid verfasst, diskutieren ein Malermeister und sein Schüler im Verlauf von acht Tagen in Madrid verschiedenste Fragestellungen zur Geschichte und Definition der Kunst, zu ihrem status quo und zu Techniken und Werkzeugen. Den acht Gesprächen folgen jeweils ein Gedicht und ein Kupferstich mit einem Lemma, die von den Gesprächspartnern erwähnt werden.118 Um 1690 (Rom?) verfasst der valencianische Kanoniker Vicente Vittoria den Dialog Academia de pintura del Señor Carlos Maratti, der allerdings nicht ediert
114 Die Subgattung des kunsttheoretischen Dialogs taucht im Barock auch in Frankreich auf: Als Beispiele wären hier Félibien des Avauxs Entretiens sur les vies et sur les ouvrages des plus excellens peintres anciens et modernes (1666–1685), Abraham Bosses Le peintre converty aux précises et universelles règles de son art (1667) und Roger de Piles’ Dialogue sur le coloris (1673) zu nennen. 115 Vgl. Herrero García 1943, 138–139. Renales nennt als vollen Titel: Diálogo del pintor christiano, o sea de la verdad y adorno de las pinturas de las iglesias (zit. n. Gómez 1988, 233). 116 Vgl. Brown 1978, 36–37 u. 61, Anm. 52; vgl. Hellwig 1996, 34, Anm. 65. 117 Vgl. zu Carduchos Barockdialog auch meinen Eintrag in der Dialogdatenbank BDDH Dialogyca, „Carducho, Vincencio: Diálogos de la pintura. Su defensa, origen, esencia, definición, modos y diferencias“ (BDDH73), in: Dialogyca BDDH. Biblioteca Digital de Diálogo Hispánico [http://iump.ucm.es/DialogycaBDDH/BDDH73/dialogos-de-la-pintura/]. 118 Genauer betrachtet bestehen die Text-Bild-Relationen am Ende der Gespräche damit aus einer pictura, einer lateinischen inscriptio und einer versifizierten subscriptio, folglich einer als Emblem zu beschreibenden Struktur. Nicht ohne Grund hatte auch Gállego in seinem Panorama der Emblem-, Impresen- und Hieroglyphen-Bücher des Siglo de Oro unter anderem Carduchos Diálogos (vgl. Gállego, Julián: Visión y símbolos en la pintura española del siglo de oro, Madrid: Aguilar 1972, 118–119) genannt; auch in Campas bedeutender Bibliographie zur spanischen Emblemliteratur finden sich Carduchos Diálogos (Campa, Pedro F.: Emblemata Hispánica. An annotated bibliography of Spanish emblem literature to the year 1700, Durham / London: Duke Univ. Press 1990, 146) erwähnt. Vgl. dazu auch Portús Pérez’ Untersuchung der Relationen zwischen Malerei und Dichtung in den Diálogos: Portús Pérez, Javier: „Painting and Poetry in Diálogos de la Pintura“, in: Andrews, Jean / Roe, Jeremy / Noble Wood, Oliver (Hg.): On Art and Painting. Vicente Carducho and Baroque Spain, Cardiff: Univ. of Wales Press 2016, 71–90.
II. Künste und Wissenschaften – Kunstliteratur – Kunstdialog
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wird.119 Im Verlauf von sieben Nächten sprechen in dieser römischen Academia der Maler Carlo Maratti, der Kunsthistoriker und Antiquar Pietro Bellori und ein Schüler über die Geschichte der Kunst von der Antike bis in die Moderne.120
119 Die einzige bekannte Handschrift dieses Textes befindet sich heute in der Biblioteca dell’Accademia Nazionale dei Lincei e Corsiniana in Rom (MS 660). Da es mir nicht möglich war, dieses Manuskript im Original zu sichten, danke ich Bonaventura Bassegoda i Hugas von der Universitat Autònoma de Barcelona für die freundliche Bereitstellung einer unveröffentlichten Transkription dieses Manuskripts aus seinem Fundus. Ausgewählte Textstellen hat Bassegoda in seinem Artikel „Vicente Vitoria (1650–1709) primer historiador de Joan de Joanes“, in: Locus Amoenus 1 (1995), 165–172, transkribiert. 120 Der Vollständigkeit halber sei hier auch der in Versen geschriebene Diálogo entre la naturaleza y las dos artes pintura y escultura, de cuya preminencia se disputa y juzga genannt, den der als pintor-poeta bekannte Juan de Jáuregui (1583–1641) im Jahre 1618 in seinen Rimas veröffentlicht. Es handelt sich dabei jedoch nicht um einen literarischen Dialog im hier definierten Sinn, sondern um eine Art Lehrgedicht, das als erster spanischer Beitrag zum Paragone gewertet wird (vgl. Hellwig 1996, 158–164).
III. EBENEN UND DIMENSIONEN DER DIALOGANALYSE 1. ZU DEN KONNEXIONEN ZWISCHEN DIALOG UND KUNST Dass es in der spanischen Renaissance und insbesondere im Humanismus mit solcher Intensität zu einem Sprechen über die Bildenden Künste kommt, ist auf mehrere Umstände zurückzuführen. Zunächst liegt dies sicherlich darin begründet, dass mit dem humanistischen Interesse für die Antike häufig ein generelles Kunstinteresse einherging. Die Renaissance-Humanisten waren überdies insgesamt um die Verwissenschaftlichung bestimmter Disziplinen bemüht;1 dies schloss auch die Bildenden Künste ein. Das Sprechen über die Künste schreibt sich zeitgenössisch ferner in den Kontext der literarischen Akademien ein, die in der Kultur des gesamten Siglo de Oro bekanntlich eine fundamentale Rolle spielten,2 und in denen sich das literarische und das künstlerische Feld vermischten. An diesen literarischen Akademien nahmen nicht nur nachweislich Bildende Künstler teil, es wurden zudem theoretische Fragen zur Malerei und den Bildenden Künsten, zuweilen auch konkrete Bilder diskutiert und insgesamt das Interesse für literarische Kunstwerkbeschreibungen, Embleme und Hieroglyphen kultiviert.3 Ursächlich ist zudem auch die Tatsache, dass sich zwischen den Bildenden Künsten und dem Humanismus zahlreiche theoretisch-diskursive Parallelen finden lassen;4 man denke hier beispielsweise an die ursprünglich rhetorischen Begriffe und Denkmuster, die in gleicher Weise von Kunsttheoretikern und Humanisten verwendet werden. Dass Auseinandersetzungen über die Kunst dabei konkret immer wieder in Dialogform gefasst worden sind, ist nun ebenfalls dem Humanismus zu verdanken; „das Sprechen über Künste“, so formulierte ja bereits
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Zur Frage nach Humanismus und Wissenschaft vgl. etwa Garin, Eugenio: „Los humanistas y la ciencia“, in ders.: La revolución cultural del Renacimiento, eingel. v. Miguel Ángel Granada, übers. v. Domènec Bergadà, Barcelona: Crítica 1984, 245–270. Vgl. Sánchez, José: Academias literarias del Siglo de Oro español, Madrid: Gredos 1961. In der Reihe der Akademien führt Sánchez auch Villalóns Scholástico als literarische Akademie in Salamanca auf (ebd., 299). Der Terminus academia konnte sich zeitgenössisch auch auf die von den Humanisten in Anlehnung an die Platonische Akademie gegründeten (neoplatonischen) Sodalitäten, auf regelmäßige freie Gesprächszirkel sowie auf die academia als Institution, d.h. etwa als Mathematik-, Nautik- oder Zeichenakademie, beziehen (vgl. Martín González 1984, 229–239). Vgl. Portús Pérez 1999, 92–94. Den Einfluss der Bildenden Künste auf den Renaissance-Humanismus hat für Italien Buck kurz beleuchtet (vgl. Buck, August: „Über die Beziehungen zwischen Humanismus und bildenden Künsten in der Renaissance“, in ders.: Die humanistische Tradition in der Romania, Bad Homburg v.d.H. / Berlin / Zürich: Gehlen 1968, 243–252).
III. Ebenen und Dimensionen der Dialoganalyse
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von Rosen, konstituierte sich „als ‚humanistic game‘ in der Renaissance überhaupt über ihren Vergleich“.5 Diese Verbindung zwischen der Textgattung des Dialogs und der Bildenden Kunst hat auch strukturelle Gründe. Analogien zwischen Dialog und Bild bzw. Kunst sind bereits in den italienischen Dialogpoetiken erkannt worden. Sperone Speroni beispielsweise vergleicht in seiner Dialogpoetik Apologia dei Dialogi (1574)6 die Kunst des Dialogs mit der Malerei: In Anlehnung an den Topos der Malerei als stumme Dichtung und der Dichtung als sprechende Malerei, den Plutarch Simonides von Keos zugeschrieben hatte, beschreibt Speroni die Malerei als „tacita poesia“ (S. 276); die Dichtung, zu der der Dialog gehöre, hingegen als „dipintura parlante“ (S. 277). Er erkennt Ähnlichkeiten in der Imitationsleistung von Dialog und Malerei („dee esser licito alla imitazion del dialogo il disputarsi probabilmente d’ogni materia tra le persone introdotte, quanto al poeta ed al dipintore lo effigiarla e rappresentarla“, S. 278), und schlussfolgert: (Dialog-) Schreiber seien wie Maler, denn sowohl die Lektüre von Dialogen als auch die Betrachtung von Gemälden solle erfreuen („Or non è dubbio che tai scrittori son molto simili ai dipintori: onde in quel modo ci suol piacer la scrittura, che la pittura ci è dilettevole“, S. 303). Grave stellt in seiner kurzen Studie zu den Situationen des Sprechens über Bilder in den kunsttheoretischen Dialogen des italienischen Cinquecento und bei Nicolaus Cusanus weitere Konnexionen zwischen Dialog und Bild fest, die über die bereits von Speroni beobachtete Analogie hinausgehen: Der literarische Dialog […] lebt […] vom Kontrast zwischen einer Illusion der Präsenz einerseits und der unhintergehbaren Bindung an die schriftlich-literarische Darstellung andererseits. Damit trägt der Dialog in sich eine grundlegende Differenz aus, die in ähnlicher Weise auch das frühneuzeitliche Bild kennzeichnet […].7
Zwischen Dialog und Bild könne damit eine „vergleichbare Spannung zwischen Fiktion und Darstellungsform“ konstatiert werden, so Grave weiter: Dialoge schilderten die Fiktion nicht nur, sondern machten „die literarisch geleistete Fiktionalisierung“ auch offensichtlich, indem sie immer wieder die Illusion mündlicher, lebendiger Kommunikation durch Hinweise auf die Schriftlichkeit des Dialogs durchbrechen. Diese „Störungen der Fiktion“ seien „die eigentliche Leistung der Fiktionalisierung“, die nun nicht nur im Dialog zutage trete, sondern auch im Bild, wenn beispielsweise in bestimmten Bildpartien Pinselstrich oder Oberflächenstruktur der Leinwand offensichtlich würden.8 Es scheinen jedoch vor allem die spezifischen ‚Möglichkeiten‘ des Dialogs – im Gegensatz zu anderen Gattungen des theoretischen Diskurses – zu sein, die ihn 5 6
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Rosen 2001, 105–106. Vgl. Speroni, Sperone: Opere, hg. v. Natale dalle Laste / Marco Forcellini, Bd. I, Venedig: Occhi 1740. Die folgenden Seitenangaben im Text beziehen sich auf diese Ausgabe. Vgl. Snyder, Jon R.: Writing the Scene of Speaking. Theories of Dialogue in the Late Italian Renaissance, Stanford, CA: Stanford Univ. Press 1989, 121–133. Grave 2011, 23. Vgl. ebd., 23–24.
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III. Ebenen und Dimensionen der Dialoganalyse
als für die (auch kritische) Betrachtung von Kunst als äußerst geeignet ausweisen. Bereits Torquato Tasso sprach bekanntlich in seiner Dialogpoetik Discorso dell’arte del dialogo (1586) davon, dass sich die Gattung des Dialogs dann eignet, wenn das behandelte Thema divers zu betrachten ist, Fragen – und Antworten – und damit Disput und Diskussion provoziert.9 Ähnliches konstatiert auch die moderne Dialogtheorie: Hempfer betont die „Varietät von Meinungen zu einem bestimmten Gegenstand“ als Voraussetzung für den Dialog.10 Häsner hebt die „deutliche Präferenz für Disziplinen und Problemstellungen, die sich gegen Systematisierung sperren oder diese gar nicht erfordern“ innerhalb der Dialogliteratur hervor.11 Genau betrachtet sind es also Fragen eines bestimmten Charakters, die in Dialogform verhandelt werden. Vor allem bei Fragestellungen oder Themen polemischer Dimension war es den Theoretikern durch die Wahl der Gattung des Dialogs möglich, keine genaue Systematisierung oder Zuordnung in ihren Texten vornehmen zu müssen, wie es beispielsweise in einem Traktat, in dem die Optionen zur (pluralisierten) Meinungsäußerung erheblich begrenzt sind, notwendig gewesen wäre. Die für die Gattung des Dialogs offenbar obligatorische Kontroversität des behandelten Themas gilt nun insbesondere für die Kunst und Malerei. Den Fragestellungen nach der ‚Freiheit‘ der Malerei, der angemessenen Mimesis, der Vorherrschaft von Farbmalerei oder Zeichnung und dem Paragone sind ja offensichtlich bereits ‚Konflikte‘ immanent. Nicht zufällig wählt Hempfer als illustrierendes Beispiel für einen Dialog, in dem die Divergenzen zwischen den Sprechern eben am Ende nicht aufgelöst werden und unterschiedliche Meinungen nebeneinander stehen bleiben dürfen (und dies von einer der Dialogfiguren diskursiv dargelegt wird), Dolces Dialog über die allegorische Bedeutung der Farben, Dialogo… nel quale si ragiona delle qualità, diversità, e proprietà de i colori (1565).12 Dialogische Schriften, so urteilt von Rosen in ihrer Untersuchung zum kunsttheoretischen Dialog der italienischen Renaissance, „versuchen gar nicht erst, ein einheitliches Wissen vorzutäuschen“ oder aber „konsistente Wahrheit in einer logischen Disposition vorzutragen“; was sie repräsentieren, ist „die Pluralität der Meinungen“ und der Prozess von Erkenntnisbildung und Repräsentation von Wissen.13 Von Rosen 9
10 11 12 13
„Dico, adunque, ch’in ogni questione si concede alcuna cosa e d’alcuna si dubita; e intorno a quella di cui si dubita nasce la disputa, la qual si forma della dimanda e della risposta; e perché ’l dimandare s’appartiene particolarmente al dialettico, par che lo scrivere il dialogo sia impresa di lui; […]. Se dunque l’interrogazione dialettica è una dimanda della risposta, o vero della proposizione, o vero dell’altra parte della contradizione; e la proposizione è una parte della contradizione; […]. Laonde io raccolgo che si posson fare i dialogi nel l’aritmetica, nella geometria, nella musica e nell’astronomia, e nella morale e nella naturale e nella divina filosofia; ed in tutte l’arti ed in tutte le scienze si posson far le richieste e conseguentemente i dialogi. […] E ’l dialogo sarà imitazione d’una disputa dialettica“ (Tasso, Torquato: „Discorso dell’arte del dialogo“, in ders.: Prose, hg. v. Ettore Mazzali, Mailand / Neapel: Ricciardi 1959, 337–338). Hempfer 1993, 28. Häsner 2004, 36, Anm. 54. Vgl. Hempfer 1993, 28–29. Rosen 2003, 329.
III. Ebenen und Dimensionen der Dialoganalyse
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hatte ja insbesondere dieses Gattungsspezifikum der „Polyperspektivität“, das heißt, der „Vielfalt von Meinungen und die rhetorische Formung“, sowie den Status der Dialoge als „Manifestationen einer epistemologischen Konfiguration“, die eben nicht mit der modernen Konzeption wissenschaftlichen Denkens, „wissenschaftlicher Objektivität“, kompatibel seien, als zentralen Grund für die jahrelangen Vorbehalte gegenüber den Kunstdialogen genannt.14 Der Dialog, so meint auch Grave, sei schließlich durch „eine besondere performative Qualität und Offenheit“ gekennzeichnet und es verwundere darum nicht, „dass theoretische Reflexionen über Bilder oder über Kunst immer wieder in dialogische Formen gefasst worden sind“.15 Der Dialog scheint damit aus soziokulturellen, strukturellen und inhaltlichen Gründen besonders für die Thematisierung von Kunst und Kunsttheorie ausgewiesen. Für die spanischen Kunstdialoge ist ferner zu konstatieren, dass die Kunst und die Kunsttheorie dort nicht nur das Thema sind, sondern auch als intermediale Phänomene in diesen Dialogen so inszeniert und funktionalisiert werden, dass sich über die Kunst und Malerei hinausgehende Bedeutungsdimensionen eröffnen. Bevor ich mich in den Kapiteln IV bis VIII den spanischen Renaissancedialogen zu Kunst und Malerei in Einzeluntersuchungen widme, möchte ich im Folgenden zunächst in aller Kürze die für die Analysen maßgeblichen dialogtheoretischen Kriterien, konstitutiven Merkmale und Leitlinien vorstellen. Es schließt sich eine erste Identifizierung und Systematisierung der intermedialen Erscheinungen in den spanischen Kunstdialogen der Renaissance an.
2. DIALOGTHEORETISCHE LEITLINIEN UND KRITERIEN 2.1. Formale Struktur Zunächst einige einführende Worte zur formalen Struktur der (Renaissance-) Dialoge, die definitorisch als „schriftliche Inszenierung einer mündlichen Kommunikationssituation“16 zu fassen sind: Bereits Aristoteles subsumiert in seiner Poetik die sokratischen Dialoge, obgleich in Prosa verfasst, unter die auf Mimesis beruhende Dichtkunst;17 dieser „Poetizitätscharakter des Dialogs“ wird von den drei zentralen Dialogpoetiken des italienischen Cinquecento – Carlo Sigonios De dialogo liber (1562), Sperone Speronis Apologia dei dialogi (1574) und Torquato Tassos Dell’arte del dialogo (1586) – aufgegriffen, und mit ihm sowohl die dialogische Mimesis theoretisiert als auch die Hybridität der Gattung begründet.18 14 15 16 17 18
Rosen 2003, 323. Grave 2011, 19. Hempfer 2002, 20. Aristoteles 1982, 5–7 [1447a–b]. Vgl. Hempfer, Klaus W.: „Die Poetik des Dialogs im Cinquecento und die neuere Dialogtheorie: zum historischen Fundament aktueller Theorie“, in ders. (Hg.): Poetik des Dialogs. Aktuelle Theorie und rinascimentales Selbstverständnis, Stuttgart: Steiner 2004, 70. Dialoge gelten als hybride Gattung, können sie doch als „Hybridisierung von ‚Literatur‘ und ‚Wissen-
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III. Ebenen und Dimensionen der Dialoganalyse
Von Beginn an wird der Dialog somit als mimetische Gattung, genauer als Mimesis eines Gesprächs, eingestuft. Um diese „mímesis conversacional“ bzw. „ficción conversacional“ zu erreichen, stehen dem Dialogautor eine Reihe von Rekursen zur Verfügung.19 Dazu zählen Formen von ‚Regieanweisungen‘, wie sie ursprünglich im Theater Verwendung finden, im Dialog dann entweder durch den Erzähler vermittelt werden oder in die Figurenrede eingebaut sind; als Beispiele wären hier zu nennen: Die direkte Beschreibung von äußerlichem Erscheinungsbild, Gesten oder Verhalten der Gesprächsteilnehmer oder auch von Dialogzeit und -raum („acotación descriptiva“), oder solche Angaben, aus denen sich indirekt die Präsenz oder das Verhalten einer Figur rückschließen lassen („acotación implícita“). Ursprünglich dramatische Rekurse werden auch benutzt, um die Illusion von Vertrautheit zwischen Gesprächsteilnehmern oder zwischen Figur und Leser herzustellen: Beiseitesprechen (aparte), Abgang (mutis) einer der Figuren (während deren Abwesenheit zumeist weitere für den Dialog relevante Punkte besprochen werden, sodass es zu einem Zuwachs der Informiertheit beim Leser kommt) und dramatischer Monolog machen den Leser nicht selten zum ‚Komplizen‘ eines der Gesprächsteilnehmer. Der Einbau von Witzen und Sticheleien, lustigen Andeutungen und Anspielungen, aber auch Themenbrüchen oder Digressionen erlauben es, Fluss und Vielseitigkeit der Konversation aufrechtzuerhalten. Um die besonderen Umstände, Emotionen oder Irrationalitäten einer mündlichen Konversation nachahmen zu können, ist es des Weiteren notwendig, die Gesprächsteilnehmer individuell zu charakterisieren; dies geschieht im Dialog hauptsächlich durch die Ideen und Argumentationen der jeweiligen Figuren. Zur Imitationsleistung des Dialogs können auch bereits seine Paratexte, d.h. etwa Vorreden oder Widmungsschriften, beitragen. Die Autoren nutzen die Prologe häufig nicht nur, um die Wahl der Textgattung explizit als literarischen Kunstgriff auszuweisen, in dem sie in mannigfaltiger Weise argumentieren, warum sie ihren Text „en estilo“, „a modo“, „a manera“ oder „en forma“ eines Dialogs präsentieren.20 Oft wird der Dialog in den Prologen bereits explizit als Transkription eines tatsächlich stattgefundenen Gesprächs dargestellt; dieses Vorgehen ist von Vian bereits früh als Konvention des literarischen Dialogs beschrie-
schaft‘, von ‚poetischem‘ und ‚argumentativem‘ oder von ‚fiktionalem‘ und ‚theoretischem‘ Diskurs“ (Hempfer, Klaus W.: „Zur Einführung“, in: Hempfer, Klaus W. / Traninger, Anita (Hg.): Der Dialog im Diskursfeld seiner Zeit. Von der Antike bis zur Aufklärung, Stuttgart: Steiner 2010, 10) beschrieben werden. 19 Für die folgenden Rekurse vgl. Vian Herrero, Ana: „La ficción conversacional en el diálogo renacentista“, in: Edad de Oro VII (1988), 173–186. Am Beispiel des Diálogo de la lengua von Juan de Valdés führt Vian Herrero diese Rekurse auch in „La mímesis conversacional en el Diálogo de la lengua de Juan de Valdés“, in: Criticón 40 (1987), 45–79, vor. Gómez unterteilt diese Rekurse der Gesprächsfiktion in zwei Gruppen, in a) Techniken theatralen Charakters, d.h. Regieanweisungen, Beiseitesprechen, Abgang und Monolog, und b) jegliche Form von Unterbrechung der zentralen Argumentation, d.h. Digressionen, Themenwechsel, etc., und bezieht diese Techniken vor allem auf die Subgattung des diálogo circunstancial (vgl. Gómez 1988, 77–85). 20 Gómez 1988, 18.
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ben worden.21 Ein solcher „Authentizitätsanspruch“ in einem Proömium wirft, so erläuterte bereits Häsner am Beispiel von Leonardo Brunis Dialogus ad Petrum Paulum Histrum, zumeist die Frage nach der „Faktizität bzw. Fiktivität des berichteten Gesprächsereignisses“ auf, die „naturgemäß nicht definitiv beantwortet werden kann“.22 Denn der Renaissancedialog ist weder das Protokoll eines faktischen Gesprächs noch ein „zur szenischen Aufführung bestimmter Text“, im Gegenteil: Durch die Beziehung zwischen Paratexten und Dialogtext „wird der Eindruck der Faktizität des Gesprächs oft implizit geschwächt oder explizit demontiert“.23 Dies geschieht nicht zuletzt dann, wenn Vorreden oder Widmungsschriften selbst bereits fiktionalisiert sind, und das dort ‚sprechende‘ Textsubjekt zwar Ähnlichkeiten zum Autor aufweist, doch von diesem als „fiktive Erzählerinstanz“ zu unterscheiden ist.24 Insgesamt sind die paratextuellen Elemente für die Aussage und die Rezeption des Dialogs häufig insofern entscheidend, als sie ihn ‚autorisieren‘, indem sie die Gesprächsfiktion diskursiv begleiten, das Argumentationsziel eindeutig machen (oder verschleiern), die Betrachtung des Gesprächsgeschehens leiten, „Referentialisierungsoptionen“ selektieren, oder, in dramatischen Dialogen, die fehlende Erzählerebene ersetzen.25 Analog zu diesen für die Gattung charakteristischen paratextuellen Elementen unterliegt häufig auch die weitere formale Struktur der Texte bestimmten Konventionen. In den Dialogpoetiken Italiens trat unter anderem Sigonio dafür ein, die einzelnen Teile des Dialogs mit Begriffen aus der Rhetorik zu belegen:26 So spricht er in De dialogo liber davon, den Dialog in eine einführende praeparatio und eine die eigentlichen Inhalte enthaltende contentio einzuteilen;27 letztere wie-
21 Vian Herrero 1987, 45 und 1988, 173. 22 Häsner, Bernd: „Leonardo Brunis Dialogus ad Petrum Paulum Histrum: Darstellung und Selbstkonstruktion einer humanistischen Kommunikationskultur“, in: Hempfer, Klaus W. (Hg.): Möglichkeiten des Dialogs. Struktur und Funktion einer literarischen Gattung zwischen Mittelalter und Renaissance in Italien, Stuttgart: Steiner 2002, 125. Häsner führt jedoch auch an, dass es nicht unnütz ist, diese Frage zu stellen, weisen humanistische Dialoge doch häufig ein historisches Dialogpersonal auf, dessen Zusammenkunft „historisch möglich und sogar wahrscheinlich“ war (ebd., 126). 23 Hempfer u.a. 2001, 86. 24 Häsner 2004, 23. 25 Ebd., 32 und 32, Anm. 45. 26 Vgl. Gómez 1988, 43–47. 27 „Partes autem sunt duae. Earum unam praeparationem, contentionem alteram nominamus. Praeparatio, […], est sermo ille uniuersus, qui in principio dialogi ad communiendum propositae contentioni aditum adhibetur. […] Contentio, […], est quidquid uerborum de re ad disputandum proposita uel confirmandi uel refellendi gratia sit“ (Sigonio, Carlo: De dialogo liber, Venedig: Giordano Ziletti 1562, 17v–18r). In diesem Zusammenhang ist auf die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Paratext und dialogischem Proömium hinzuweisen, die bereits Vian Herrero in ihrer Untersuchung zu den Paratexten der spanischen Dialoge des 15. bis 17. Jahrhunderts betonte: Das dialogische Proömium, in dem von einem Erzähler oder durch die Figuren Thema, Gesprächspartner, Zeit und Raum des Dialogs vorgestellt werden, ist keine Vorrede, sondern bereits Bestandteil des eigentlichen Dialogs (Vian Herrero, Ana: „Los paratextos dialógicos y su contribución a la poética del diálogo en los siglos XV a
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derum bestehe aus der propositio, der Einführung des Untersuchungsgegenstands des Dialogs, und der probatio, dem Meinungsaustausch im engeren Sinne.28 Neben den Paratexten und dem (auch rhetorischen) Aufbau ist es bei der Analyse von Dialogen ferner notwendig, ihren jeweiligen Modus im Blick zu haben: Findet sich eine Erzählerebene im Dialog, so lässt sich von einem narrativen (bzw. diegetischen) Dialog sprechen; fehlt diese vermittelnde Ebene, ist der Text in dramatischem (bzw. mimetischem) Modus verfasst.29 In der spanischen Dialogforschung wird zumeist unter dem Stichwort „formas de enunciación“30 ebenfalls zwischen diálogo narrativo und diálogo dramático bzw. mimético unterschieden.31 Relativ häufig finden sich im Siglo de Oro auch Mischformen dieser beiden Dialogmodi; dabei wechselt er beispielsweise nach der Darlegung eines narrativen Rahmens in den dramatischen Modus, oder vice versa.32 Aus welchem Grund ist diese Differenzierung von Bedeutung? Mit narrativem und dramatischem Dialogmodus, so stellt Häsner heraus, gehen jeweils unterschiedliche Autorisierungsmöglichkeiten einher: In narrativen Dialogen könnten „Autorisierungsansprüche“ besser durchgesetzt werden, da der Autor in der Eigenschaft als Autor im Text repräsentiert sein kann; dramatische Dialoge seien in dieser Hinsicht defizitär, denn Bedingungen der Textstruktur, Kontextualisierung der Handlung oder Figurencharakterisierung könnten schließlich nicht von einer Erzählerinstanz erläutert, sondern, wenn überhaupt, nur auf die einzelnen Repliken verlagert werden. Häsner nennt diese Unterscheidung nach dramatischem und narrativem Dialog dementsprechend die „wichtigste […] typologische Binnendifferenzierung der Gattung“, denn der Dialogmodus offenbare nicht nur „verschiedene Weisen der Wirklichkeitsdarstellung und Bedingungen der Bedeutungskonstituierung“, sondern auch „unterschiedliche ‚pragmatische‘ Funktionszusammenhänge und Wirkungsabsichten“.33 Ferner sind die zu beobachtenden Dialogmodi auch als Realisationsformen der für den Dialog charakteristischen Überschreitung seiner Gattungsgrenzen zu werten, wie diese sich beispielsweise auch in den Überschneidungen zu Drama und Roman,34 zur Novelle bzw. zum relato breve,35 zu den anderen kürzeren Formen des Erzählens wie
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XVII“, in: Arredondo, María Soledad / Civil, Pierre / Moner, Michel (Hg.): Paratextos en la literatura española (siglos XV–XVIII), Madrid: Casa de Velázquez 2009, 396–397). „Haec autem pars ut tota in rei contemplatione est posita, ita in duo quasi membra discerpitur, rei propositionem, et probationem“ (Sigonio 1562, 34v.). Vgl. beispielsweise Hempfer 2002, 20; und Häsner 2004, 29–30. Vian Herrero 2010, CXXXII. Vgl. beispielsweise Rallo Gruss, Asunción: La escritura dialéctica. Estudios sobre el diálogo renacentista, Málaga: Univ. de Málaga 1996, 12; und Vian Herrero 2010, CXXXII– CXXXIII. Vgl. Vian Herrero 2010, CXXXIII–CXXXIV. Häsner 2004, 30–31. Vgl. zusammenfassend Gómez 2000, 119–144, sowie dessen weitere Veröffentlichungen zu diesem Thema. Vgl. Gómez 2000, 145–160, und Gómez, Jesús: „El marco interlocutivo de los relatos incluidos en el diálogo“, in: Criticón 81–82 (2001), 247–269.
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exemplum, Fabel oder Anekdote,36 zur (fingierten) Autobiographie oder zur autobiographischen Erzählung,37 aber auch zur Epistel und Miszelle38 zeigt.
2.2. Binnenpragmatik sowie Argumentations- und Handlungsebene Der Dialog zeichnet sich, so ist bereits hinreichend deutlich geworden, durch eine besondere Kommunikationssituation aus, die ihn von den anderen Gattungen des theoretischen Diskurses unterscheidet: Im Gegensatz zum Traktat kommuniziert der Dialog keine mehr oder weniger komplexe Aussage eines extratextuellen auktorialen Subjekts über die Welt, sondern er kommuniziert zunächst die Darstellung einer Welt, in der mehrere menschliche oder anthropomorphe Subjekte kontrastierende oder komplementäre Aussagen über die Welt machen.39
Die Argumentkonstitution in den Dialogen entsteht damit „unter den Bedingungen binnenpragmatischer Ebenenbildung“:40 Dialoge weisen ein „textinternes Kommunikationssystem“41 auf, d.h. textintern wird eine kontextualisierte Sprechsituation dargestellt. Die Aussagen des Dialogs werden in ihrem Äußerungskontext, ihrem pragmatischen Umfeld gezeigt; die Theoriebildung kann damit im Dialog nicht nur in ihrem Ablauf und ihrer Dynamik präsentiert werden, sondern auch in ihrem situativen und kontextuellen Bezug. Im Dialog überlagern sich folglich zwei Kommunikationsebenen, die textinterne Ebene (verbale oder nonverbale Interaktion der Gesprächspartner im Dialog) und die textexterne Ebene (vom Autor zum Leser durch den schriftlichen Text). Diese für fiktionale Texte spezifische Überschneidung kommunikativer Ebenen ist es, die die spezifischen ‚Spielräume‘ des Dialogs eröffnet, aus denen etwa semantischer Mehrwert generiert oder durch die sich Komplexitätssteigerungen ergeben können. Neben dieser primären kann es des Weiteren zu sekundären binnenpragmatischen Ebenenbildungen kommen: Dies ist beispielsweise der Fall, wenn in narrativen Dialogen neben der Ebene des dargelegten Dialoggeschehens noch eine weitere, „extradiegetische discours-Ebene“ vorhanden ist; dazu zählen auch „,Dialog-im-Dialog‘-Strukturen“, bei denen die Figuren ein anderes Gespräch berichten oder es zusammenfassen; es lassen sich hier auch Formen der 36 Vgl. beispielsweise Vian Herrero, Ana: „Fábula y diálogo en el Renacimiento: confluencia de géneros en el Coloquio de la mosca y la hormiga de Juan de Jarava“, in: Dicenda. Cuadernos de filología hispánica 7 (1987), 449–494. 37 Für den Dialog Viaje de Turquía vgl. beispielsweise Ortolá, Marie-Sol: Un estudio sobre el Viaje de Turquía: autobiografía o ficción, London: Támesis 1983. 38 Vgl. Rallo Gruss, Asunción: „La confluencia de los géneros: Reflexiones sobre la autonomía del diálogo renacentista“, in: Insula. Revista de letras y ciencias humanas 542 (febrero de 1992), 14–15. Rallo Gruss spricht hier explizit von der „fluctuabilidad intergenérica“ und von der „indefinición del género diálogo“ (ebd., 15). Vgl. zum Dialog als hybride Gattung auch Rallo Gruss 1996, 45–156. 39 Hempfer u.a. 2001, 72. Vgl. auch Häsner 2004, 19ff. 40 Hempfer u.a. 2001, 73. 41 Häsner 2004, 29.
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bereits erläuterten fiktionalen Paratextualität nennen.42 Es sei noch darauf hingewiesen, dass mit dieser Interferenz von Kommunikationsebenen im Dialog selbstverständlich auch eine Überschneidung von Bezugsebenen einhergeht: Aus der Sicht des Lesers des Dialogtextes haben die Aussagen der dialoginternen Sprecherinstanzen immer eine doppelte Referenz: die intratextuelle Welt, in der das Dialogpersonal interagiert, und die extratextuelle Welt, in der der Dialogtext produziert und rezipiert wird.43
Mit anderen Worten: In der intra- und der extratextuellen Welt sind die Aussagen der Dialogsprecher unter Umständen unterschiedlich referentialisierbar. Für den in dieser Arbeit verfolgten Untersuchungszusammenhang ist nicht nur bedeutend, dass sich Dialoge durch eine binnenpragmatische Struktur und daraus resultierend durch eine Überschneidung von Kommunikationsebenen auszeichnen, sondern insbesondere die Tatsache, dass Dialoge im Gegensatz zu den anderen Gattungen des theoretischen Diskurses ein „Geschehens- und Handlungssubstrat“44 aufweisen. Diese Handlungsebene interferiert in besonderer Weise mit der argumentativen Diskursebene.45 Da es in dieser Arbeit die Relation dieser beiden zu der intermedialen Ebene in den Renaissancedialogen zu Kunst und Malerei zu evaluieren gilt, möchte ich diesen Aspekt im Folgenden gesondert ins Auge fassen. Die Handlungsebene des Dialogs unterliegt bestimmten Limitierungen; sie nimmt zumeist keine den anderen fiktionalen Gattungen vergleichbare Ausgestaltung an – dies ist schließlich bereits durch die Bezeichnung als „narratives Substrat“46 angezeigt. Die Geschichte muss vielmehr so eingegrenzt sein, dass der Dialog weiterhin als Textform des theoretischen Diskurses erkennbar bleibt, das Geschehens- und Handlungssubstrat sich also dem Argumentationsziel untergeordnet präsentiert. Hempfer spricht davon, dass beim Dialog schließlich die „Hierarchisierung der Ebenen“ von Bedeutung sei: „Im Dialog geht es nicht darum, eine Handlung darzustellen, sondern die Konstitution einer Handlungsebene ist
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Häsner 2004, 19–23. Hempfer u.a. 2001, 72. Häsner (2004, 42) spricht hier von der „Text-Welt-Relation“. Hempfer u.a. 2001, 73. Die für diese Arbeit zentrale Unterscheidung zwischen Argumentations- oder Diskursebene und Geschehens- oder Handlungsebene nimmt damit eine etwas andere Schwerpunktsetzung vor als das – ähnlich klingende – Begriffspaar histoire und discours, wie es der Linguist Émile Benveniste etabliert und Gérard Genette für die Narratologie fruchtbar gemacht hat: Dort wird unter histoire die Geschichte, also das Was, verstanden, unter discours hingegen das Wie, also die bestimmte Form der Darstellung, die spezifische Ordnung des „Zeichenverlauf[s] für den jeweils konkreten Adressaten“ (Kloepfer, Rolf: „Histoire vs. discours“, in: Nünning, Ansgar (Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, Stuttgart / Weimar: Metzler 2008, 287). 46 Hempfer u.a. 2001, 73. Zur Erklärung dieses Begriffs heißt es dort: „,Narratives Substrat‘ steht hier für ‚Handlungs- und Geschehenssubstrat‘; es kann sowohl im Modus der Erzählung wie auch ‚dramatisch‘, d.h. über eine Replikenfolge und ohne Konstituierung einer narrativen discours-Ebene entfaltet werden“ (ebd., 88, Anm. 9).
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funktional für die Vermittlung einer Argumentation“.47 Diese Begrenzung des narrativen Substrats wird auf unterschiedlichen Wegen erreicht: Diese Restriktionen manifestieren sich im einzelnen etwa in einer gegenüber genuin dramatischen Texten niedrigen Sprecherwechselfrequenz und größeren Replikenlänge, in einer Dominanz argumentbezogener gegenüber personen- oder kontextbezogener Repliken oder, vor allem in narrativen Dialogen, in deskriptiver Enthaltsamkeit. Diese und andere Restriktionen konvergieren oder kollaborieren darin, daß sie die Entfaltung der ‚Geschichte‘ der des Arguments (oder der Theorie) subordinieren und erstere in Hinblick auf ein Argumentationsziel funktional halten.48
Nach der Ausdehnung und Ausprägung dieser Geschehensebene wäre eine ‚Skalierung‘ der Subgattungen des Dialogs möglich, bei der am einen Ende dieser Skala Texte stünden, in denen aus didaktischen Gründen das Argument als wechselseitige Rede aufbereitet ist, wie im Falle von Lehrgesprächen oder in Dialogform verfassten Katechismen; am anderen Ende stünden Texte, in denen die Handlungsebene die Diskursebene fast unterzuordnen scheint, wie dies beispielsweise in den komisch-satirischen Dialogen Lukians geschieht.49 Das narrative Substrat ist nicht nur in seiner Expansion den Limitierungen des im Zentrum stehenden Argumentationsziels unterworfen, sondern Handlungs- und Argumentationsebene sind insbesondere inhaltlich verknüpft, mehr noch: Sie bedingen sich gegenseitig. Dies heißt auch, dass die Geschichte des Dialogs nicht als „bloß akzessorisch“ vom argumentativen Gehalt abtrennbar ist: „Vielmehr können diese Geschichte oder einzelne ihrer Elemente selbst argumentative Bedeutung erlangen“.50 Bei der Lektüre literarischer Dialoge dürfen somit nicht nur die inhaltlichen Aussagen im Fokus stehen, sondern insbesondere, wie diese dargestellt und inszeniert werden, d.h. von welchen Proponenten und Opponenten in welchem Szenario und Gesprächsverlauf – all dies produziert schließlich ein semantisches Surplus; die „Inszenierung“, so stellt Hufnagel ja bereits fest, „ist somit selbst bedeutungstragend“.51 Hempfer hatte diese Erkenntnis bereits früh zum Ansatzpunkt einer Dialogtheorie im Rahmen einer Performativitätstheorie52 gemacht: Dialoge wären in diesem Theoriehorizont insofern genuin performativ, als die Konstitution eines propositionalen Gehalts über die gleichzeitige Konstitution eines Handlungs- bzw. Geschehenszusammenhangs erfolgt, dessen Konstitutionsprinzipien den in und über ihn konsti-
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Hempfer 2004, 74. Häsner 2004, 29. Hempfer u.a. 2001, 73. Hufnagel, Henning S.: Ein Stück von jeder Wissenschaft. Gattungshybridisierung, Argumentation und Erkenntnis in Giordano Brunos italienischen Dialogen, Stuttgart: Steiner 2009, 24. 51 Ebd., 25. 52 Zum Performativitätsbegriff vgl. insbes. Hempfer, Klaus W.: „Performance, Performanz, Performativität. Einige Unterscheidungen zur Ausdifferenzierung eines Theoriefeldes“, in: Hempfer, Klaus W. / Volbers, Jörg (Hg.): Theorien des Performativen. Sprache – Wissen – Praxis. Eine kritische Bestandsaufnahme, Bielefeld: transcript 2011, 13–41. Hempfer beschreibt darin die sich verzweigende und auf mehreren Kernen beruhende Struktur des Theoriefeldes ‚Performativität‘ mit Deleuze und Guattari treffend als ‚Rhizom‘ (ebd., 38).
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III. Ebenen und Dimensionen der Dialoganalyse tuierten propositionalen Gehalt bedingen. Oder anders formuliert: Die Inszenierungsmodalitäten der Darstellungsebene sind zugleich Konstitutionsbedingungen des propositionalen Gehalts.53
Diese performative Dimension ist sicherlich als ein den Dialog von den anderen argumentativen Genera unterscheidendes Element anzusehen. Konkret handelt es sich an dieser Stelle um „strukturelle Performativität“, definiert als „in Texten inszenierte, dargestellte, implizierte usw. Performativität“, als „Performanz in Texten“.54
2.3. Indexikalisierung der Argumentation Als strukturell performativ werden auch solche Textelemente und -strategien bezeichnet, die eine Simultaneität des Textes fingieren, welche ihm – im Gegensatz zur Gleichzeitigkeit einer performativen Äußerung (‚Ich taufe dich auf den Namen…‘) oder einer theatralen Aufführung – schließlich fehlt: Dazu zählen, neben der Inszenierung von Mündlichkeit, vor allem die Strategien der Indexikalisierung.55 Die Argumentation im Dialog ist von bestimmten Gesprächspartnern in einem sowohl räumlich als auch zeitlich fixierten Umfeld, einem „Ko(n)text“, abhängig; es lässt sich bei Dialogen folglich von einer „Indexikalisierung der Argumentation“ sprechen.56 Bevor ich mich im Folgenden den einzelnen Kontextparametern – d.h. Zeit, Raum und Personen – für den spezifischen Fall des spanischen Renaissancedialogs etwas ausführlicher widmen will, möchte ich in aller Kürze noch einige allgemeinere Überlegungen zur Argumentationsstruktur literarischer Dialoge vorausschicken. Die genannte Indexikalisierung der Argumentation ist keine moderne Erkenntnis. Zum einen nennt sie implizit ja bereits Rodrigo de Espinosa in seinen dialogpoetologischen Ausführungen in Arte de retórica, wenn er hervorhebt, dass die Inhalte von Dialogen maßgeblich an Personen, Raum und Zeit gebunden seien.57 Zum anderen ist sie vor Espinosa schon in den italienischen Dialogpoeti53 Hempfer 2002, 22. 54 Hempfer u.a. 2001, 68. Einige der bereits genannten – sowie der noch zu nennenden – Strukturmerkmale und Elemente sind bereits als „,performative[ ]‘ Aspekte und Möglichkeiten des Dialogs“ zu verbuchen: Dazu zählt neben der Dependenz der Argumentation von Raum, Zeit, Sprecher und Affekten auch die – in Form von Dissimulation oder Ironie – mögliche Trennung von Subjekt und Aussage; sowie die sich aus der Darstellung einer Welt ergebende Frage nach Übereinstimmungen und Unterschieden zwischen intra- und extratextueller Welt; ebenso die Möglichkeit, dem Leser die Auswahl einer vermeintlichen ‚richtigen‘ aus den zahlreichen dargebotenen Positionen zu überlassen (vgl. ebd., 73–75). 55 Häsner, Bernd / Hufnagel, Henning / Maassen, Irmgard / Traninger, Anita: „Text und Performativität“, in: Hempfer, Klaus W. / Volbers, Jörg (Hg.): Theorien des Performativen. Sprache – Wissen – Praxis. Eine kritische Bestandsaufnahme, Bielefeld: transcript 2011, 83. 56 Hempfer 2004, 75. 57 Vgl. Espinosa y Santayana, Rodrigo de: Arte de retorica. En el qval se contienen tres libros. El primero enseña el arte generalmente. El segundo particularmente, el arte de Hystoriador. El tercero escriuir Epistolas y Dialogos, Madrid: Guillermo Drouy 1578, f. 78r–79v.
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ken des Cinquecento diskutiert worden: Der Wahrheitsstatus der im Dialog getroffenen Aussagen, so hat Hempfer festgestellt, ist auch für Sigonio, Tasso und Speroni ein zentrales Thema. Sie alle betonen die Situationsabhängigkeit der im Dialog getroffenen Aussagen und schließen, dass diese damit nicht zwangsläufig als ‚wahr‘, jedoch durchaus als ‚wahrscheinlich‘ angesehen werden können.58 Der Dialog ist damit ein „Diskurstyp, der aufgrund der für ihn spezifischen Argumentationsstruktur gar keinen Anspruch auf verbindliche Wahrheiten erheben kann und will, sondern die potentielle Wahrheit unterschiedlicher opiniones in einem Argumentationsspiel zur Anschauung bringt“.59 Die Vollziehung dieses ‚Argumentationsspiels‘ variiert von Dialog zu Dialog. Dialoge weisen – ein Merkmal, das insbesondere Vian an mehreren Stellen als konstitutiv für die Gattung hervorhebt – sowohl kooperative als auch konfliktive Elemente auf: Vian nennt dies „la doble cara de la argumentación de un diálogo literario“.60 Das Verhältnis dieser beiden Seiten führt schließlich zu unterschiedlichen Dialogtypen.61 Literarische Dialoge zeigen also verschiedene Meinungen und deren argumentative Aus- und Verhandlung; der eigentliche ‚Sinn‘ ergibt sich aus eben diesem Argumentationsspiel. Zwar existieren gerade in Spanien viele Texte, in denen ein dominanter Sprecher zweifelsohne die eigentlich intendierte Bedeutung darlegt; zahlreiche andere zeichnen sich jedoch vielmehr durch eine starke „Polyperspektivik“62 aus. Kommen wir nun konkreter zu den Elementen der Indexikalisierung, also den räumlichen, zeitlichen und personellen Bedingungen der Argumentation des spanischen Renaissancedialogs. Diese sind in besonderem Maße relevant, denn die Äußerungen der Subjekte in den Texten können, so formuliert es passend Häsner, „durch ihre Kontextualisierung konnotativ angereichert, affirmiert, konterkariert oder relativiert sein“.63 Die räumlichen, zeitlichen und personellen Bedingungen der Argumentation sind nicht nur bedeutungstragend, sondern sie weisen zum Teil auch topische Züge auf. Dies gilt, sofern sie denn in den Dialogen expliziert werden, für die zeitlichen Umstände des Gesprächs. Nach den von Ferreras analysierten spanischen Renais58 Vgl. Hempfer 2004, 86–93. 59 Ebd., 92. 60 Vgl. Vian Herrero, Ana: „Interlocución y estructura de la argumentación en el diálogo: algunos caminos para una poética del género“, in: Criticón 81–82 (2001), 169. In ihrem Aufsatz „Palabra y responsabilidad compartidas. Cooperación y conflicto en el diálogo renacentista hispánico“, in: Hempfer, Klaus W. / Traninger, Anita (Hg.): Der Dialog im Diskursfeld seiner Zeit. Von der Antike bis zur Aufklärung, Stuttgart: Steiner 2010, 241–289, führt sie diese Beobachtungen an einem Textkorpus von 25 spanischen Dialogen des 15. und 16. Jahrhunderts ausführlicher vor. Vian Herreros Beobachtung geht auf eine Erkenntnis von Francis Jacques zurück, der in Dialogiques. Recherches logiques sur le dialogue feststellte: „les locuteurs sont engagés dans une stratégie particulière qui comporte certains aspects de compétition, certains aspects de coalition. Une bonne théorie du dialogue ne peut négliger d’explorer le jeu dialogique comme jeu de stratégie“ (Jacques 1979, 180, zit. n. Vian Herrero 2001, 169, Anm. 53). 61 Vian Herrero 2001, 171. 62 Hempfer 2002, 20. 63 Häsner 2002, 116.
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sancedialogen tendieren diese zur Nennung von Hinweisen auf Jahres- und Tageszeit des Gesprächs; auch ob sich dieses etwa an einem Nachmittag oder an mehreren aufeinander folgenden Tagen vollzieht, wird häufig direkt ausgesprochen oder (z.B. durch Anspielungen auf vorherige Treffen) indiziert. Andere Rekurse verleihen dem Gesprächsgeschehen größere Wahrscheinlichkeit (so beispielsweise das zu späte Eintreffen eines Gesprächspartners) oder führen zu einer deutlichen temporalen Verbindung der einzelnen Gespräche. Diese Hinweise auf die zeitlichen Umstände erfüllen nun mehrere Funktionen: Erstens tragen sie zur Illusion einer tatsächlich stattgefundenen Konversation bei; zweitens kann ein Dialog auf diese Weise ohne finale Konklusion bleiben (und beispielsweise allein durch die hereinbrechende Nacht sein Ende finden); und drittens machen die zeitlichen Umstände aus einzelnen nebeneinander stehenden Gesprächen oder -teilen eine Einheit.64 Neben diesen zeitlichen Bedingungen ist vor allem die räumliche Indexikalisierung für die Argumentation von Bedeutung. Sofern die Texte Hinweise darauf geben, werden diese in den dramatischen Dialogen durch Referenzen oder Anspielungen im Gespräch deutlich, bei narrativen Dialogen können diese selbstverständlich auch durch den Erzähler erläutert werden.65 Der Großteil der Schriften, die Gómez in seiner Studie zum spanischen Renaissancedialog untersucht, sind nicht in einem spezifischen Szenario verortet; bei den anderen dominiert eindeutig die Situierung an einem bukolischen Ort, dem locus amoenus.66 Der locus amoenus, der „Lustort“, „von der Kaiserzeit bis zum 16. Jahrhundert das Hauptmotiv aller Naturschilderung“, ist, gemäß der Definition von Curtius, ein beschatteter Ort mit einem oder mehreren Bäumen, einer Wiese, einem Quell oder einem Bach, mit Vogelgesang und Blumen, gegebenenfalls weht ein laues Lüftchen – ein Szenario, wie es Theokrit und Vergil als Fundament für ihre pastorale Dichtung verwenden.67 Häufig spielen sich Teile der Gespräche auch an einem spezifischen locus amoenus, in einem Garten, ab. Dieses Vorgehen lässt sich hauptsächlich mit den ebenfalls in Gärten situierten Dialogen Ciceros begründen, denn nicht nur soll der gewählte Raum die Kommunikation durch Ruhe und Annehmlichkeit erlauben, sondern sie vielmehr fördern und zur Teilnahme einladen.68 Die besondere Rolle des locus amoenus für den Renaissancedialog im Allgemeinen und des Gartens im Speziellen hat Kushner für Beispiele des französischen Renaissancedialogs insbesondere um die Gruppe La Pléiade untersucht. Relevant ist der locus amoenus nicht nur deshalb, da er die für die philosophische Reflexion notwendige Ruhe ausstrahlt; Kushner konkludiert vielmehr allgemein für den Renaissancedia64 Vgl. Ferreras, Jacqueline: Los diálogos humanísticos del siglo XVI en lengua castellana, Murcia: Universidad de Murcia ²2008, 615–616. Bei dieser Ausgabe handelt es sich um eine aktualisierte, korrigierte, erweiterte und ins Spanische übersetzte Version ihrer grundlegenden Studie Les dialogues espagnols du XVI siècle ou l’expression littéraire d’une nouvelle conscience, 2 Bde., Lille: Atelier National de Reprod. des Thèses, Univ. de Lille III u.a. 1985. 65 Rallo Gruss 1996, 14. 66 Gómez 1988, 30. 67 Curtius 1965, 202. 68 Rallo Gruss 1996, 14.
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log, dass der Raum häufig direkt an die Gesprächsstruktur gebunden ist, den Diskussionsgegenstand widerspiegelt oder aber selbst zum Diskussionsobjekt wird.69 Es sei damit ein struktureller „parallélisme des descriptions“ zu den „méthodes d’argumentation“ festzustellen.70 Die bukolischen Orte sind selbstverständlich nicht die einzigen Szenarien des spanischen Renaissancedialogs. Ferreras macht für die humanistischen Dialoge Spaniens des 16. Jahrhunderts fünf Archetypen von Räumen aus: Erstens sind dies die bereits genannten bukolischen Orte (Gärten, Wiesen, rurale Gegenden), wie beispielsweise in Villalóns El Scholástico; zweitens öffentliche Orte (Straßen, Plätze, Kirchen, Wege), wie der Jakobsweg in Viaje de Turquía; drittens private Räume (ein Haus oder ein Zimmer, auch Ateliers oder Geschäfte), wie das Atelier in Sagredos Medidas del Romano; viertens allegorische Orte (das Boot des Charon, mysteriöse Inseln); und fünftens schließlich Dialoge ohne konkrete Nennung der räumlichen Umstände, die sich zuweilen jedoch aus den Repliken, Bewegungen oder Tätigkeiten der Figuren erschließen lassen, wie beispielsweise im Falle von Agustíns Diálogos de medallas, in denen die Gesprächspartner ‚B‘ und ‚C‘ sich anscheinend im Hause von ‚A‘ aufhalten.71 Mag diese ‚Welt‘ der Renaissancedialoge zwar „zumeist nur karg möbliert und auf ihre Umrisse reduziert“ sein,72 ist das Setting des Gesprächs dennoch nicht zufällig gewählt. Die Dialogwelt und ihre Elemente können zum Stimulus für das Gespräch werden oder einen Themen- oder Perspektivwechsel auslösen.73 Es geht, so resümiert Hempfer für den Dialog, und dies gilt es hier nochmals zu betonen, „nicht um die Konstitution einer ‚Welt‘, sondern die (ansatzweise) Konstitution einer ‚Welt‘ ist zur Vermittlung eines argumentativen Zwecks funktionalisiert“.74 Die Subordination unter Argumentationsprozess und -ziel trifft selbstverständlich auch für die Konstitution und Charakterisierung der Proponenten und Opponenten in den Dialogen zu. Auf die im Vergleich zu anderen Gattungen wie Romanen oder Theaterstücken abstraktere und anders geartete Charakterisierung der Dialogfiguren haben unter anderem Vian75 und Gómez76 mehrfach hingewie-
69 Vgl. Kushner, Eva: „Le rôle structurel du ,locus amœnus‘ dans les dialogues de la Renaissance“, in: Cahiers de l’Association internationale des études francaises 34 (1982), 46–49. 70 Ebd., 54. Bei einem Beispiel spricht sie sogar explizit von einer Homologie zwischen „estétique littéraire et esthétique horticole“ (ebd., 44). 71 Vgl. Ferreras 2008, 603–614. 72 Häsner 2002, 116. 73 Ferreras führt dies am Beispiel von Marc Antoni de Camós’ Renaissancedialog Microcosmia, y gobierno universal del hombre cristiano vor: Dort wird die Gesprächsrunde im Garten eines Klosters von der Betrachtung eines Bienenstocks („la república de las abejas“) zur Diskussion über die Republik der Menschen („la república de los hombres“) angeregt (Ferreras 2008, 186). 74 Hempfer 2002, 22. 75 Vian Herrero konstatiert unter anderem, dem Dialog sei, im Vergleich zu anderen Gattungen, die Charakterisierung der Figuren durch „palabras, sentimientos e ideas“ und damit vor allem durch Sprache und Ausdruck eigen (Vian Herrero, Ana: „Los personajes de los diálogos y su forma expresiva: La opinión de las retóricas áureas“, in: Rallo Gruss, Asunción / Malpartida
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sen. Die humanistischen Dialoge Spaniens des 16. Jahrhunderts, weisen, so zeigt wiederum Ferreras, eine variierende Anzahl von Gesprächspartnern auf, es dominieren jedoch eindeutig Dialoge mit zwei (unter Umständen auch drei) Gesprächspartnern; bei vier oder mehr Personen ist zumeist eine Differenzierung in primäre und sekundäre Gesprächspartner zu beobachten, und meistens nimmt eine Person eine leitende Rolle ein.77 Ferreras hat die Figuren der spanischen Renaissancedialoge zudem in verschiedene Klassen einteilen können: So treten zwar sowohl allegorische (el Desengaño, la Muerte, la Verdad, etc.) als auch mythologische Figuren (Merkur, Minerva, Jupiter, Charon, etc.) auf, zumeist sind die Gesprächspartner jedoch „personajes ‚novelescos‘“, d.h. hauptsächlich männliche Sprecher, die entweder dem hohen oder niederen Adel angehören, eine bestimmte Profession ausüben (Händler, Handwerker) oder aber Geistliche sind, und die zuweilen sogar Namen von Personen der zeitgenössischen Realität tragen.78 Bereits Hirzel hatte formuliert, dass der Unterschied zwischen Renaissancedialogen und mittelalterlichen Dialogen vor allem darin bestünde, dass erstere „individuelle Personen der historischen Gegenwart redend“ einführen und „sich hierdurch als Kinder des Lebens und der Wirklichkeit zu erkennen geben“;79 für den spanischen Renaissancedialog im Speziellen ist dies bestätigt worden.80 Die vornehmlich auf das ciceronianische Dialogmodell zurückgehende Präsenz historischer Gesprächspartner in den spanischen Renaissancedialogen ist, so heißt es, „más frecuente de lo que se ha dado a entender“.81 Die Autoren lassen nicht zufällig immer wieder Zeitgenossen unter ihren wirklichen Namen als Sprecher auftreten. Vielmehr eröffnen die „durch Namensprädikation gestifteten quasi-dokumentarischen Identitätsrelationen“ zahlreiche Möglichkeiten der semantischen Anreicherung, der Stilisierung und der Dissimulation, unter denen die extremste Variante sicherlich jene ist, bei der ein Dialogsprecher Positionen und Meinungen vertritt, die von denen der realen Person eklatant abweichen.82 Auch wenn dieses Vorgehen ein gewisses Konfliktpotenzial in sich barg, lässt sich doch feststellen, dass dies nicht nur ein von den Autoren gern verwendetes Mittel war, sondern auch von den historischen Namensgebern selbst geschätzt und die „Präsenz in einem Dialog von den Humanisten als eine
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Tirado, Rafael (Hg.): Estudios sobre el diálogo renacentista español: Antología de la crítica, Málaga: Univ. de Málaga 2006, 183, Anm. 40). Gómez betont, die psychologische Konstitution, die soziale Stellung sowie weitere identitätsstiftende Kennzeichen der Figuren seien in Dialogen homogener und stärker auf die Vermittlung einer Doktrin ausgerichtet als in anderen Gattungen (Gómez, Jesús: „La caracterización del personaje dialógico desde la ficción conversacional“, in: Baranda, Consolación / Vian Herrero, Ana (Hg.): El personaje literario y su lengua en el siglo XVI, Madrid: UCM 2006, 222). Ferreras 2008, 623. Vgl. ebd., 616–618. Hirzel 1963, Bd. II, 388. Gómez 1988, 28–29. Gómez 2000, 164. Hempfer u.a. 2001, 77.
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gern gesehene und erstrebenswerte Auszeichnung betrachtet wurde“.83 Die Außenwirkung, die der Dialog einnehmen kann, lässt sich mit dem Begriff der „funktionale[n] Performativität“ fassen, „die mit Texten realisierte Performativität“, der „Text in der Performanz“.84 Im Gegensatz zur bereits genannten strukturellen Performativität bezeichnet dieser Terminus die „kulturelle Wirkmächtigkeit“ des Textes, also das, „was ein Text auslöst“.85 Dialoge können nicht nur einzelne historische Persönlichkeiten zu Gesprächspartnern in der Dialogfiktion machen; sie können vielmehr ganze Gruppenidentitäten erst konstituieren.86 Die Texte sind einerseits also Inszenierungen des sozialen Umfelds, aus dem sie selbst hervorgehen; andererseits können sie diese (beispielsweise humanistischen) „Diskursgemeinschaften“ entwerfen, gestalten oder auch manipulieren. Dialoge zeigen in solchen Fällen ihr Potenzial als „soziale Praxis“, als „culture in action“ und wenden Strategien des „self- und vor allem des community-fashioning“87 an. Dialoge vermögen es damit, „die Grenze zwischen der Welt, die sie darstellen und der Welt, in der sie verfaßt und gelesen werden, zu schleifen oder doch jedenfalls zu verschleifen“.88 Wiederum handelt es sich hierbei um Möglichkeiten, die anderen argumentativen Gattungen – man denke nur an Traktate oder Essays – verwehrt bleiben.
3. INTERMEDIALE PHÄNOMENE IM DIALOG UND IHRE SYSTEMATISIERUNG Die spanischen Renaissancedialoge zu Kunst und Malerei schöpfen das beschriebene Potenzial der Gattung insofern aus, als die Gesprächspartner nicht nur über die Kunst und die Kunsttheorie sprechen, sondern die thematisierten Kunstwerke auch fiktionsintern, also in der Welt des Gesprächs, präsent sind und dort auf besondere Weise inszeniert werden. Die Gesprächspartner begehen beispielsweise Gebäude, die mit aufwendigen Fresken dekoriert sind, welche sie betrachten und auslegen; das gesamte Gespräch kann sich aber auch vor einem kunstvoll gemei83 Hempfer u.a. 2001, 83. 84 Ebd., 68. 85 Häsner u.a. 2011, 84. Funktionale und strukturelle textuelle Performativität schließen einander nicht aus, sondern sind vielmehr interdependent: „häufig sind es […] jene unter dem Begriff der strukturellen Performativität analysierten Strategien und Textstrukturen, die eine […] außertextuelle Wirkung und wirklichkeitsverändernde Dynamik entfalten können“ (ebd., 86). Dies gilt, so zeigen die Autoren, beispielsweise für die unter strukturelle Performativität fallenden Indexikalisierungsstrategien (vgl. ebd., 87ff.). 86 Die folgenden Ausführungen zum self- und community-fashioning durch den Dialog basieren auf Häsner 2004, 48–52. Die gekennzeichneten Zitate entstammen alle diesem Abschnitt. 87 Der Terminus self-fashioning geht zurück auf Greenblatt, der unter diesem Begriff die Prozesse und Strategien zur Konstruierung von Identität bei Autoren der englischen Renaissance (Morus, Tyndale, Wyatt, Spenser, Marlowe und Shakespeare) untersucht hatte (vgl. Greenblatt, Stephen: Renaissance Self-Fashioning from More to Shakespeare, Chicago / London: Univ. of Chicago Press ²2005). 88 Vgl. zum Aspekt des Verschleifens der Grenze von Text und Welt insbesondere Häsner 2002.
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ßelten Brunnen abspielen, der die Gesprächsteilnehmer nachhaltig beeinflusst; oder Zeichnungen und Skizzen werden zuweilen erst während des Gesprächs hergestellt. Es kann auch dazu kommen, dass der Dialogtext selbst bildliche Strukturen zu imitieren sucht; schließlich werden in mehreren Fällen die besprochenen Bilder und Kunstwerke dem Leser als Abbildung zur Verfügung gestellt. Diese besondere Präsenz und Inszenierung von Kunst und Kunstwerken, diese Phänomene also, die ich hier übergreifend als ‚intermedial‘ bezeichne, möchte ich im Folgenden genauer identifizieren und systematisieren. In einem ersten Schritt seien dabei die spanischen Kunstdialoge nach den aufgezählten Erscheinungen in Gruppen eingeteilt: Die erste Gruppe bilden die Dialoge, in denen die thematisierten Kunstwerke sowohl fiktionsintern vorhanden als auch fiktionsextern als Abbildung textbegleitend dargestellt sind – zu dieser zählen Sagredos Medidas del Romano, Holandas Do Tirar polo Natural und Agustíns Diálogos de medallas. Die zweite Gruppe besteht aus den Dialogen, denen keine Abbildungen der fiktionsintern vorhandenen Kunstwerke beigegeben sind und diese damit ausschließlich qua Text ‚sichtbar‘ werden; dies ist der Fall bei Villalóns Scholástico, Holandas Diálogos em Roma und Pinedas Diálogos familiares. Als dritte Gruppe vorstellbar wären darüber hinaus auch Dialoge, in die Illustrationen lediglich paratextuell integriert sind, es also innerhalb der ‚Welt‘ des Gesprächs zu keiner Präsenz, Thematisierung oder Beschäftigung mit diesen Kunstwerken kommt. Dieses Phänomen ausschließlich fiktionsexterner Abbildungen allerdings wird in dem hier untersuchten Textkorpus der spanischen Kunstdialoge nicht realisiert – ein Sachverhalt, der einmal mehr die Relevanz und Signifikanz der Gesprächsebene akzentuiert. Zur genaueren Beschreibung und Abgrenzung der einzelnen Phänomene innerhalb dieser beiden Gruppen möchte ich im Folgenden sowohl die zeitgenössisch rhetorisch-poetischen Kategorien als auch die Begrifflichkeiten der modernen Intermedialitätstheorie nach Werner Wolf89 und Irina O. Rajewsky90 verwen-
89 Für die dezidierte Erforschung des Wechselverhältnisses zwischen Literatur, Bildender Kunst und Musik kann die Komparatistik verantwortlich zeichnen, die sich im Forschungszweig der interart(s) bzw. comparative arts studies schon früh der Verbindung der ‚Hohen Künste‘ verschreibt (Rajewsky, Irina O.: Intermedialität, Tübingen u.a.: Francke 2002, 8). Im englischsprachigen Bereich ist meistens von intermedia (studies) die Rede; Werner Wolf – der sich in seiner Forschung hauptsächlich mit der ‚Musikalisierung‘ von Fiktion bzw. der Inszenierung von Musik in englischen Erzähltexten des 19. und 20. Jahrhunderts beschäftigt hat – stellt eine Ausnahme dar, da er als einer von wenigen Forschern aus dem Feld der interart studies den Begriff intermediality auch im Englischen verwendet (Rajewsky 2002, 9 und 9, Anm. 10). Er steht damit paradigmatisch für die Verbindung der interart mit den intermedia studies. 90 Neben dem genannten komparatistischen Forschungsstrang zur Intermedialität bildete sich, ausgehend von der Medienwissenschaft, ein weiteres Forschungsfeld zu ‚Film und Literatur‘ heraus (Rajewsky 2002, 8). Rajewsky entwickelt davon ausgehend eine Systematik intermedialer Bezüge: In einem Einführungsband in die Intermedialitätsforschung legt sie ihren Neuansatz theoretisch dar und begründet ihn (vgl. Rajewsky 2002). Im Rahmen ihrer Dissertation wird dieser dann zudem angewendet für die Analyse italienischer Texte, in denen immer wieder eine ‚filmische Erzähl- oder Schreibweise‘ erkannt worden ist (vgl. Rajewsky, Irina O.:
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den. Auf die Termini der modernen Intermedialitätstheorie greife ich dabei nicht zurück, um ein Fortschreiben dieser vorzunehmen, sondern vor allem, da dort bereits detaillierte Typologisierungskonzepte für Kunst- und Kunstwerkbezüge in der Literatur entwickelt worden sind, die sich auch zur Beschreibung der intermedialen Erscheinungen der spanischen Renaissancedialoge eignen. Diese Verknüpfung bietet sich zudem an, da einige der ursprünglich rhetorischen Konzepte, so beispielsweise das der Ekphrasis, bereits als spezifische historische Manifestationsformen von Intermedialität zu begreifen sind.91 Neben der Ekphrasis ließen sich zudem auch die Figurengedichte (technopaignia) der griechischen Antike von Simias von Rhodos oder Theokrit, illuminierte Handschriften oder die frühe Buchrollenillustration, das Horaz’sche ut pictura poesis und dessen Rezeptionsgeschichte, die Simonides von Keos zugeschriebene Definition von Malerei als ‚stummer Poesie‘ und von Dichtung als ‚sprechender Malerei‘ und schließlich der Paragone unter den Begriff der Intermedialität und ihrer Diskussion subsumieren.92 Es ließe sich in diese Aufzählung sogar der Dialog einreihen: Denkbar wäre auch, eine Geschichte der Intermedialitätsforschung mit Platons Phaidros einsetzen zu lassen, mit seiner gerade aus intermedialer Sicht hochinteressanten Schriftkritik im Rahmen eines Dialogs, im Rahmen einer literarischen Gattung also, für die eine simulierte Mündlichkeit und damit eine intermediale Relation zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit konstitutiv ist.93
Zunächst möchte ich näher auf die erste Dialoggruppe eingehen, in denen die besprochenen Kunstwerke auch als Abbildung textbegleitend dargestellt sind, wie es in Sagredos Medidas del Romano, Holandas Do Tirar polo Natural und Agustíns Diálogos de medallas der Fall ist. Von intermedialen Phänomenen ist hier zu sprechen, da die Abbildungen dem Text nicht etwa als fiktionsexterne Illustrationen lediglich beigegeben, sondern in der Welt des Gesprächs präsent sind, dort verhandelt werden und es somit zu Phänomenen kommt, die als „immer und fortwährend oszillierendes, vergängliches ‚Dazwischen‘“94 von Text und Bild bezeichnet werden können.
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Intermediales Erzählen in der italienischen Literatur der Postmoderne. Von den giovani scrittori der 80er zum pulp der 90er Jahre, Tübingen: Narr 2003). Peter Wagner beispielsweise sieht Ekphrasis – im weiteren Sinne verstanden als „all verbal commentary / writing (poems, critical assessments, art historical accounts) on images“ – in seinem Band zur Beschreibung und ‚Lektüre‘ visueller Darstellungen und Medienfusionen des 18. und 19. Jahrhunderts einerseits explizit angebunden an sogenannte iconotexts (mit den Emblemen der Renaissance als klassisches Beispiel), andererseits an das Intermedialitätskonzept (vgl. Wagner, Hans-Peter: „Introduction: Ekphrasis, Iconotexts, and Intermediality – the State(s) of the Art(s)“, in ders. (Hg.): Icons – Texts – Iconotexts, Berlin / New York: De Gruyter 1996, 14–17. Vgl. Rajewsky, Irina O.: „Intermedialität im Kontext der Möglichkeiten und Grenzen der Philologie“, in: Elze, Jens u.a. (Hg.): Möglichkeiten und Grenzen der Philologie. Philologische Forschung in internationaler Perspektive, GiNDok – Publikationsplattform Germanistik 2011, 26–27 [http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hebis:30-106620]. Ebd., 27. Rajewsky 2002, 22.
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In Sagredos Medidas del Romano, dem Dialog zu den Maßen, Regeln und Proportionen der antiken Säulenordnungen zwischen dem Kleriker Tampeso und dem Maler Picardo, sind zahlreiche Abbildungen eingefügt: Es handelt sich dabei um Skizzen und Entwürfe der verschiedenen architektonischen und ornamentalen Elemente der römischen Baukunst, die Tampeso seinem Freund nahebringen will. Diese Abbildungen sind in dem Dialog nun insofern weitaus mehr als reine Lehrbuchillustrationen, als diese nicht nur von den Gesprächspartnern explizit benannt oder erläutert, sondern zuweilen erst während des Sprechens gezeichnet werden, zu Erkenntnis verhelfen oder auf das Gesagte zurückwirken. Holandas Do Tirar polo Natural weist eine vergleichbare Struktur auf: Auch der Dialog der Freunde Fernando und Braz Pereira, die sich im portugiesischen Porto über die Porträtmalerei austauschen, war ursprünglich mit Abbildungen versehen, die aufgrund des Verlustes des Original-Manuskripts jedoch leider nicht überliefert sind. Dennoch finden sich in diesem Dialog freie Stellen, an denen Skizzen oder Entwürfe zu den erläuterten Vorschriften der Porträtmalerei eingefügt waren. Die für den Leser (ursprünglich) sichtbaren Abbildungen sind auch hier fiktionsintern vorliegend; die Sprecher betrachten diese Skizzen und verweisen auf sie. Als drittes Beispiel aus dem hier untersuchten Textkorpus seien Agustíns Diálogos de medallas genannt: Die Gesprächspartner A, B und C beschreiben und interpretieren dort Bilder und Inschriften, die sich auf der Vorder- und Rückseite einer Sammlung antiker Medaillen und Münzen aus dem Besitz von A befinden. Der Dialogtext ist mit Abbildungen dieser Medaillen und Münzen versehen, die den Sprechern in ‚ihrer‘ Welt wiederum direkt vor Augen sind und auf die sie explizit Bezug nehmen. Für die in dieser ersten Gruppe zu beobachtenden Phänomene sei im Folgenden übergreifend mit der modernen Intermedialitätsterminologie von Medienkombination95, von ‚manifester‘ oder direkter Intermedialität („,overt‘ or direct intermediality“)96 oder von Plurimedialität97 gesprochen. Mit diesen Begriffen 95 Rajewsky unterscheidet drei Bereiche des Intermedialen: Medienkombination, Medienwechsel (Phänomene des Medientransfers bzw. der -transformation) und die im Zentrum ihres systematischen Neuansatzes stehenden intermedialen Bezüge (vgl. Rajewsky 2002, 15–17). 96 Wolf, Werner: The Musicalization of Fiction: A Study in the Theory and History of Intermediality, Amsterdam: Rodopi 1999, 39. Schwerpunkt des literaturzentrierten Intermedialitätsansatzes von Wolf ist die typologische Differenzierung der Intermedialität nach mehreren Kriterien: Diese lässt sich seines Erachtens erstens nach den beteiligten Medien, zweitens nach deren Dominanzbildung, drittens nach der Quantität der intermedialen Teile des Werkes sowie viertens nach der Genese differenzieren; das fünfte und wichtigste Kriterium ist laut Wolf jedoch die Differenzierung nach der Qualität des intermedialen Bezugs (vgl. ebd., 37– 39). 97 Wolf, Werner: „Intermedialität. Ein weites Feld und eine Herausforderung für die Literaturwissenschaft“, in: Foltinek, Herbert / Leitgeb, Christoph (Hg.): Literaturwissenschaft: intermedial – interdisziplinär, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2002, 172. Wolf unterscheidet in dieser neueren Publikation nun zwischen einer ‚werkübergreifenden‘ (d.h. Transmedialität oder intermediale Transposition) und einer ‚werkinternen‘ Intermedialität, und grenzt innerhalb der werkinternen Intermedialität die auf der Werkoberfläche sichtbare Form der Plurimedialität (ehemals ‚offene Intermedialität‘) von der im weiteren Verlauf noch genauer zu erläuternden intermedialen Referenz (ehemals ,verdeckte Inter-
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werden mediale Produkte bezeichnet, in denen sich „die Kombination bzw. das Resultat der Kombination mindestens zweier, konventionell als distinkt wahrgenommener Medien“ zeigt, „die in ihrer Materialität präsent sind und jeweils auf ihre eigene, medienspezifische Weise zur (Bedeutungs-)Konstitution des Gesamtprodukts beitragen“.98 Dies ist beispielsweise auch der Fall bei den frühneuzeitlichen Emblemen, bei illustrierten Romanen, beim Theater, bei der Oper, aber auch beim Film oder beim Fotoroman. Diese Kombination kann von einem bloßen Nebeneinander medialer Ausdrucksformen bis zu einer echten Kooperation ohne jegliche Privilegierung reichen.99 Es sei nun die zweite Dialoggruppe behandelt, zu der Villalóns Scholástico, Holandas Diálogos em Roma und Pinedas Diálogos familiares gehören. Diesen Schriften sind keine Abbildungen beigegeben; die fiktionsintern vorhandenen Kunstwerke werden damit ausschließlich qua Text ‚sichtbar‘. Die moderne Intermedialitätstheorie spricht, wenn „Elemente und/oder Strukturen eines anderen, konventionell als distinkt wahrgenommenen Mediums mit den eigenen, medienspezifischen Mitteln thematisiert, simuliert oder, soweit möglich, reproduziert“ werden,100 von intermedialen Bezügen,101 von intermedialer Referenz102 oder von ‚verdeckter‘ bzw. indirekter Intermedialität („,covert‘ or indirect intermediality“)103. Um derartige intermediale Bezüge oder Referenzen handelt es sich beispielsweise bei der im engeren Sinne als literarische Kunstwerkbeschreibung verstandenen Ekphrasis oder bei der transposition d’art der Parnasse-Lyrik, ebenso jedoch auch bei Erscheinungen, die als „Narrativisierung der Musik“, „filmische Schreibweise“ oder „Literarisierung des Films“ beschrieben worden sind.104 In all diesen Fällen ist das dominante Medium mit seinen konventionellen Signifikanten, das nicht-dominante nur indirekt präsent.105 Die Präsenz des nichtdominanten im dominanten Medium kann sich in unterschiedlichen Formen zeigen; entscheidend für die weitere Differenzierung ist dabei die Tatsache, dass der literarische Text, der auf ein Produkt oder das semiotische System eines anderen Mediums referiert, dieses andere mediale System „nicht realisieren, sondern immer nur ‚thematisieren‘, ‚imitieren‘ oder ‚evozieren‘“106 kann. Die moderne Intermedialitätstheorie liefert nun innerhalb dieses Bereichs der intermedialen Referenzen weitere Unterscheidungskategorien, die ich im Folgenden für die Systematisierung der in den spanischen Kunstdialogen zu konstatierenden Phänomene verwenden will. Es wird sich insbesondere bei den in dieser Gruppe zu nen-
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medialität‘) ab, bei der ein Medium auf ein Fremdmedium referiert und dieses mit dem eigenen Zeichensystem integriert (vgl. ebd., 169–177). Rajewsky 2002, 15. Ebd. Ebd., 17. Ebd., 16. Wolf 2002, 174. Wolf 1999, 41. Rajewsky 2002, 17. Wolf 1999, 41. Rajewsky 2002, 56–57.
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nenden Beispielen und Erscheinungen wiederholt zeigen, wie sich die textuell vermittelte künstlerische Darstellung zur rhetorischen ‚Bildlichkeit‘ in den Kunstdialogen verhält; mehr noch, inwiefern die rhetorische Gestaltung der Texte die Möglichkeiten fingierter künstlerischer Darstellung nicht selten superiert. Die intermediale Referenz – sei sie auf das Fremdmedium als System oder als Einzelreferenz auf ein spezifisches Werk bezogen – kann, um eine erste Ausprägung zu nennen, als Thematisierung im Modus des telling auftreten: Dabei handelt es sich um intermediale Bezugnahmen, bei denen das Fremdmedium nur indirekt präsent ist und die Signifikanten des dominanten Mediums nicht ikonisch zum Fremdmedium verbunden werden, sondern dieses nur thematisieren.107 Bei dieser expliziten Referenz wird mit den Mitteln des Objektmediums auf das Fremdmedium verwiesen – so beispielsweise, wenn Figuren in einem Film über einen Roman diskutieren oder der Akt des Musizierens in einem Gemälde dargestellt wird.108 Diese ausdrückliche „Thematisierung des Bezugssystems in Form eines ‚Redens über‘ bzw. ‚Reflektierens‘ des Bezugssystems“ ist auch als explizite Systemerwähnung bezeichnet worden.109 Dieses Phänomen lässt sich in dem hier untersuchten Textkorpus beispielsweise in Holandas Diálogos em Roma beobachten, den römischen Gesprächen über die zeitgenössisch relevantesten kunsttheoretischen Fragestellungen zwischen Holanda und illustren Persönlichkeiten (darunter auch Vittoria Colonna und Michelangelo) der städtischen Kunst- und Künstlerszene: Die dort vorgenommenen Aufzählungen zeitgenössischer Kunstwerke – intermediale Einzelreferenzen auf bestimmte Werke oder Werkteile eines Fremdmediums110 – lassen sich als Thematisierungen des Mediums Malerei begreifen. Dieser intermedialen Thematisierung oder expliziten Referenz ist auch das Phänomen der Ekphrasis zuzurechnen.111 In der antiken Rhetorik ist mit dem Terminus der ἔκφρασις (Ekphrasis, griech.) oder der descriptio (lat.) ursprünglich „die detaillierte Beschreibung einer Person oder eines Gegenstandes“ bezeichnet worden.112 Im Laufe der Zeit jedoch hat eine Einschränkung des „Gegenstandsbe-
107 Wolf 1999, 44. Das explizite telling oder die Thematisierung ist in früheren Studien von Wolf noch eine Unterform der ‚verdeckten Intermedialität‘ (vgl. ebd., 44–46), er weitet dieses Konzept jedoch später aus. 108 Wolf 2002, 175. 109 Rajewsky 2002, 79 und insbes. Rajewsky, Irina O.: „Intermedialität ,light‘? Intermediale Bezüge und die ,bloße Thematisierung‘ des Altermedialen“, in: Lüdeke, Roger / Greber, Erika (Hg.): Intermedium Literatur. Beiträge zu einer Medientheorie der Literaturwissenschaft, Göttingen: Wallstein 2004, 46ff. 110 Wolf 2002, 174. 111 Vgl. Wolf 1999, 45; und 2002, 182, Anm. 45. Ekphrasis kann je nach Ausprägung daneben jedoch auch andere Varianten von Intermedialität – intermediale Imitation, intermediale Transposition oder Transmedialität – betreffen (ebd.). 112 Lausberg, Heinrich: Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft, Stuttgart: Steiner 2008, 544 (§1133).
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reich[s] […] auf Kunstwerke“ stattgefunden;113 Ekphrasis wird in diesem engeren, moderneren Sinne nun verstanden als literarische „,Bild‘- oder ‚Kunst(werk)beschreibung“.114 Für derartige Deskriptionen lassen sich unzählbare Beispiele finden; als bekannteste gelten jedoch die des Schildes des Achilles in Homers Ilias sowie die des Schildes des Aeneas in Vergils Aeneis.115 Es kann sich durchaus um Beschreibungen fiktiver, imaginärer Kunstwerke handeln; für diese Fälle ist der Begriff der „notional ekphrasis“ vorgeschlagen worden.116 Die Ekphrasis ist nun sicherlich das charakteristischste intermediale Phänomen der spanischen Kunstdialoge. In Villalóns Scholástico etwa lassen sich gleich mehrere Beispiele ausmachen: Der Landsitz des Duque de Alba, auf dem sich das Gespräch der Gelehrten über die Ausbildung des idealen Studenten und seines Lehrers abspielt, ist mit zahlreichen Kunstwerken dekoriert, die in Form von Ekphrasen in Szene gesetzt werden. Erstens legt der Hausverwalter der Gruppe bei einem ersten Rundgang die architektonischen Details des Gebäudes dar; zweitens beschreibt einer der Gäste die Fresken einer zum Garten hin offenen Galerie, die alttestamentarische Szenen zeigen; drittens ist die Deskription und Zentralität des kunstvoll gestalteten und mit antiken Mythen verzierten Brunnens im Garten des Hauses zu nennen: Dieser verweist nicht nur wiederum auf Ekphrasen aus Vergils Aeneis, sondern steht der bei der Entwicklung des Gelehrtenideals wortwörtlich im Zentrum der Runde. Auch in Pinedas Diálogos familiares trifft man auf als Ekphrasen zu bezeichnende intermediale Bezüge: Das Haus des Theologen Filateles, in dem sich die Runde um Policronio, Pánfilo und Filótimo hauptsächlich bewegt, ist mit zahlreichen Fresken dekoriert, die sich die anderen Gesprächsteilnehmer vom Gastgeber beschreiben, erklären und auslegen lassen. Bei den Fresken des vor ihnen liegenden und zum Garten hinauszeigenden Korridors im Haus des Theologen handelt es sich jedoch nicht etwa um religiöse Szenen, sondern um Darstellungen der antiken, griechischen Philosophen, der Athener Gerichtshöfe und mythologischer Figuren. In Holandas Diálogos em Roma, in denen es auch zur Betrachtung und Besprechung von Gemälden, Manuskriptilluminationen, Goldmünzen und kunstvoll gestalteten Gärten kommt, wählt der Sprecher ‚Holanda‘ an einer Stelle einen anderen Weg: In seiner Begründung der Vorherrschaft der Malerei vor der Dichtung rekurriert er auf Verse aus der Aeneis Vergils und zeigt, wie viel besser diese als Gemälde wirken würden. An dieser Stelle, an der Holanda mit der größeren Anschaulichkeit der Malerei argumentiert, zeigt sich beispielhaft, inwiefern die 113 Schaefer, Christina / Rentsch, Stefanie: „Ekphrasis. Anmerkungen zur Begriffsbestimmung in der neueren Forschung“, in: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 114 (2004), 138. 114 Ebd., 132. 115 Unzählbare Studien beschreiben die Geschichte der Ekphrasis durch die Jahrhunderte; einen guten Überblick bietet m.E. immer noch Heffernan, James A. W.: Museum of Words. The Poetics of Ekphrasis from Homer to Ashbery, Chicago / London: Univ. of Chicago Press 1993. 116 Hollander, John: „The Poetics of Ekphrasis“, in: Word & Image 4.1 (1988), 209.
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hier untersuchten Kunstgespräche – und die dort präsentierte (literarische) ‚Bildlichkeit‘ – zutiefst rhetorisch durchwirkt sind: Die Anschaulichkeit, das „VorAugen-Führen“, „sinnliche[ ] Vergegenwärtigen“, das „‚Sehen‘ über Worte“, bei dem „nicht nur deren innere Bildlichkeit zur Geltung gebracht, sondern v.a. der Gegenstand in seinen sinnlichen Details vorgeführt“ wird, ist schließlich unter den Termini enargeia (griech.) bzw. evidentia (lat.) in die klassische Rhetorik und Poetik eingegangen.117 In der Rhetorik ist evidentia das Hyperonym für Techniken der Verdeutlichung, Verlebendigung und Detaillierung, für „Mittel, die auf nicht-diskursive Weise, nämlich im Wege der Veranschaulichung, zur Einsicht führen“.118 Zentral ist dabei der „Bereich der sinnlichen Wahrnehmung“; in der Rede also dann, „wenn der Redner eine Sache so klar und deutlich, so lebendig und anschaulich darzulegen vermag, dass der Hörer sie gleichsam mit eigenen Augen zu sehen glaubt“.119 Die evidentia bzw. enargeia ist als Merkmal, als spezifische Eigenschaft der Ekphrasis120 und als ihr Ziel121 beschrieben worden; es ist gerade diese Anschaulichkeit, die die Ekphrasis vom bloßen Bericht unterscheidet.122 Von diesen intermedialen Thematisierungen sind die intermedialen Referenzen abzugrenzen, in denen „das Medium des untersuchten Werks Merkmale eines Fremdmediums mit seinen eigenen, meist formalen Mitteln imitiert und somit durch Ähnlichkeiten auf das Fremdmedium ikonisch verweist“ und die aus diesem Grunde als Imitation oder als implizite Form werkinterner Referenz bezeichnet werden.123 Dies ist beispielsweise zu beobachten bei Gedichten, die musikalische Strukturen zu imitieren versuchen, bei Filmszenen, die wie Gemälde aussehen,124 oder bei der sogenannten ‚musikalisierten Malerei‘125. Bei diesem showing werden die Signifikanten oder die Struktur des dominanten vom nicht-dominanten Medium beeinflusst; das dominante Medium macht daraufhin den Anschein, als würde es das nicht-dominante mimetisch abbilden.126 Wolf spricht an anderer Stelle für diese implizite Form werkinterner intermedialer Referenz auch von
117 Oschmann, Dirk: „Anschaulichkeit“, in: Burdorf, Dieter / Fasbender, Christoph / Moenninghoff, Burkhard (Hg.): Metzler Lexikon Literatur, Stuttgart / Weimar: Metzler 2007, 28. 118 Kemmann, Ansgar: „Evidentia, Evidenz“, in: Ueding, Gert (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. III, Tübingen: Niemeyer 1996, 39–40. 119 Ebd., 33. 120 Graf, Fritz: „Ekphrasis. Die Entstehung der Gattung in der Antike“, in: Boehm, Gottfried / Pfotenhauer, Helmut (Hg.): Beschreibungskunst – Kunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart, München: Fink 1995, 145. Enargeia ist nicht nur auf die Ekphrasis beschränkt, sondern gilt auch für andere rhetorische Kategorien als Ziel (ebd.). 121 Lausberg 2008, 544 [§1133]. 122 Graf 1995, 145. 123 Wolf 2002, 175. 124 Wolf 1999, 45. 125 Wolf 2002, 175. 126 Wolf 1999, 44–45.
III. Ebenen und Dimensionen der Dialoganalyse
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„intermedial iconicity“.127 Der entscheidende Punkt bei dieser ‚Systemerwähnung qua Transposition‘, die sich als evozierende, simulierende oder (teil-)reproduzierende Systemerwähnung realisieren kann,128 ist die „illusionsbildende Qualität“, der „‚Als ob‘-Charakter“, denn schließlich können Fremdmedien mit Hilfe des kontaktnehmenden Mediums nie realisiert werden, sondern immer nur als Illusion, in Form eines ‚Als ob‘, hergestellt werden.129 Ein Beispiel für ein solches showing sei zum Abschluss der hier vorgenommenen Systematisierung der intermedialen Phänomene in den spanischen Kunstdialogen angeführt: In den Diálogos em Roma beobachtet Holanda aus der Ferne die Festivitäten einer Adelshochzeit und beschreibt diese, als handele es sich dabei nicht um eine sich bewegende Szene, sondern vielmehr um ein Gemälde, um Malerei. Dieser Eindruck entsteht zum einen, da eine explizite Markierung der intermedialen Referenz auf das Medium Malerei gegeben ist, die eindeutig rezeptionslenkend wirkt; zum anderen ist die Beschreibung deutlich von der restlichen Erzählung abgegrenzt und durch die Distanz des erzählenden Beobachters gleichsam ‚gerahmt‘. Wolf beschreibt ein ähnliches, wenn auch modernes Beispiel einer solchen Piktoralisierung mit dem Begriff der „diagrammatic iconicity“: In this case it consists in imitating painting through the formal device of splitting a description into a central ‚freeze‘ and surrounding symmetrical movements: […] [The] portrait thus stands apart from its narrative context like an actual frame that separates a painting from its spatial context. 130
Holandas Dialog nimmt somit an der geschilderten Stelle eine ganz besondere Bildhaftigkeit an.
127 Vgl. Wolf, Werner: „Intermedial iconicity in fiction – Tema con variazioni“, in: Müller, Wolfgang G. / Fischer, Olga (Hg.): From Sign to Signing. Iconicity in Language and Literature, Bd. III, Amsterdam: Benjamins 2003, 339ff. 128 Vgl. Rajewsky 2002, 83–113. 129 Ebd., 85. 130 Wolf 2003, 343.
IV. LEER, VER, ALCANZAR. DIEGO DE SAGREDOS MEDIDAS DEL ROMANO (1526) Mit Diego de Sagredos Medidas del Romano (1526), deren Titel sich etwa als „Römermaße“1 übersetzen ließe, liegt ein illustrierter Dialog zur Architekturtheorie vor. Die Medidas sind in vielerlei Hinsicht besonders: Es handelt sich dabei nicht nur um die erste kunsttheoretische Schrift Spaniens,2 sondern auch um den ersten volkssprachlichen Architekturtext Europas.3 Der Text ist grundlegend für eine akademische Disziplin, und damit in seiner Bedeutung vergleichbar mit Werken wie der Gramática de la lengua castellana (1492) von Antonio de Nebrija oder dem Arte de Navegar (1545) von Pedro de Medina.4 Die Medidas del Romano thematisieren, wie bereits der Titel anzeigt, den Architekturstil ‚a la romana‘. Dieser im 16. Jahrhundert übliche Terminus verdeutlicht die Orientierung an der antiken römischen Architektur; heute wird eher die Bezeichnung ‚plateresk‘ verwendet, welche ursprünglich die Verzierungen in der Silberschmiedekunst meinte und nun auf die dekorativen Elemente und die Ornamentierung der Gebäude appliziert wird.5 Sagredos Dialog präsentiert Maße, Regeln und Proportionen der antiken Säulenordnungen. Das zentrale Interesse Sagredos ist damit ein ornamentales: Lo que le interesa en realidad es la decoración superficial a la romana – con una idea muy limitada de lo que era la arquitectura antigua – en clara consonancia con el imperante estilo ornamental ‚plateresco‘, al que va a dar medidas; siendo este estilo una decoración ‚a la romana‘, tratada a la manera del tardogótico español, y aplicada sobre estructuras todavía góticas.6
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Schlosser, Julius: Die Kunstliteratur. Ein Handbuch zur Quellenkunde der neueren Kunstgeschichte, Wien: Schroll 1924, 247. Dies stellte früh bereits Menéndez Pelayo (1962, 364) fest. Marías und Bustamante beispielsweise beschreiben den Text zusammenfassend als „el primer libro escrito en lengua romance, dedicado al tema de la arquitectura, que se publicó en la Europa del Renacimiento“ (Marías, Fernando / Bustamante, Agustín: „Introducción“, in: Sagredo, Diego de: Medidas del Romano, Faks. Ed. 1549, eingel. v. Fernando Marías und Agustín Bustamante, Madrid: Instituto de Conservación y Restauración de Bienes Culturales 1986, 7) sowie als „el primer texto de teoría artística que se imprime en España, el primero en castellano y el primer tratado renacentista no italiano que aparece en Europa“ (ebd., 28). Barbé Coquelin de Lisle, Geneviève: „L’Espagne de la Renaissance et Vitruve: Medidas del Romano de Diego de Sagredo“, in: Chevallier, Raymond (Hg.): Présence de l’architecture et de l’urbanisme romains. Actes du Colloque des 12, 13 décembre 1981, Paris, Académie d’architecture, Paris: Les Belles Lettres / Tours: Université, Institut d’Études Latines et Centre de Recherches A. Piganiol 1983, 160. Vgl. Rosenthal, Earl: „The Image of Roman architecture in Renaissance Spain“, in: Gazette des Beaux-Arts LII (Dez. 1958), 329. Marías / Bustamante 1986, 10.
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Bei Sagredos Text handelt es sich somit nicht um einen Architekturtraktat im engeren Sinne, denn, so urteilt bereits Bonaventura Bassegoda: „Su autor no piensa con mentalidad de arquitecto sino de retablista, de escultor, de ornamentador ,a lo romano‘ de obras ya construidas“.7 Dennoch sind die Medidas del Romano in ihrer Bedeutung für die Etablierung architektur- und kunsttheoretischen Vokabulars im 16. Jahrhundert kaum zu überschätzen:8 Die meisten zeitgenössischen Handwerker waren mit den Begriffen für die Elemente der antiken Ordnungen nicht vertraut. Sagredo bringt ihnen diese, auch durch die Illustrationen, näher.9 Bei den Medidas ist damit insgesamt wohl von einem „manual de morfología arquitectónica“10 zu sprechen. Im didaktischen System der spanischen Ateliers des 16. und 17. Jahrhunderts nahmen Sagredos Medidas einen festen Platz ein und galten Lehrlingen und oficiales verschiedener Handwerkskünste als Einführung in das Feld der Architektur.11 García Melero beschreibt Sagredos Dialog aus diesem Grund als „cartilla introductoria“ oder „cartilla elemental de introducción a la arquitectura“12 – Begrifflichkeiten, die leider einen schiefen Eindruck über die Textgattung entstehen lassen. Ähnliches zeigte sich bereits bei Marías und Bustamante, die den Dialog als „tratado pre-arquitectónico“13 bezeichneten. Bei den Medidas del Romano handelt es sich jedoch nicht um einen Traktat, sondern um einen Text und Bild kombinierenden Dialog. In den folgenden Kapiteln soll gezeigt werden, wie durch diese besondere Struktur in den Medidas ein aus den Komponenten ver, leer und alcanzar bestehendes Modell zur Erlangung architekturtheoretischen Wissens konstituiert und damit die visuelle und experimentelle experientia neben die Konsultation der auctoritates gestellt wird.
1. DIEGO DE SAGREDO. ZU LEBEN UND WERK Über den Autor der Medidas del Romano ist nur wenig bekannt. Die für gewöhnlich verwendete Biographie aus der Feder von Francisco Javier Sánchez Cantón beschreibt ihn als Toledaner aus dem Dorf Junclillos,14 ein Irrtum, der von den meisten nachfolgenden Forschern übernommen wird.15 Die weiteren Eckdaten 7 8
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Bassegoda i Hugas, Bonaventura: „Notas sobre las fuentes de las ,Medidas del Romano‘“, in: Boletín del Museo e Instituto ,Camón Aznar‘ 22 (1985), 118. Marañón, José María: „Las ediciones de las Medidas del Romano“, in: Zamora Lucas, Florentino / Ponce de León y Freyre, Eduardo (Hg.): Bibliografía española de arquitectura (1526–1850), Madrid: Asociación de libreros y amigos del libro 1947, 14. Rosenthal 1958, 332. Dies verdeutlicht insbesondere die beschriftete Illustration des Portikus auf A3r. Bassegoda 1985, 118. Marías / Bustamante 1986, 49. García Melero 2002, 79–80. Marías / Bustamante 1986, 8. Sánchez Cantón, Francisco Javier: „Diego de Sagredo y sus ,Medidas del Romano‘“, in: Arquitectura: Órgano de la Sociedad Central de Arquitectos 23 (1920), 66 und ders. 1923, 4. So beispielsweise von Gaya Nuño 1975, 18; Barbé 1983, 159; oder García Melero 2002, 80.
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seines Lebens lassen sich wie folgt zusammenfassen:16 Vermutlich um 1490 in Burgos in einer Familie von cristianos viejos geboren, nimmt die Universität Alcalá de Henares Sagredo 1512 als camarista auf; im Jahre 1515 verlässt er sie mit dem Titel des bachiller. 1517 ist Sagredo bereits Kaplan des Kardinals Cisneros und Geistlicher im Dienste der Kathedrale von Toledo. Neben dieser Haupttätigkeit widmet er sich kleineren architektonischen Arbeiten, so beaufsichtigt er beispielsweise die Bauarbeiten am erzbischöflichen Hause in Alcalá im Jahre 1524, oder betätigt sich als Konstrukteur von Bauwerken für religiöse oder weltliche Feierlichkeiten. Diese Arbeiten waren allerdings nicht wirklich architektonischer, sondern eher ornamentaler Natur. Für die Zeit zwischen 1518 und 1522 lassen sich keine Aufzeichnungen über Sagredo finden – die allgemein akzeptierte These lautet, dass er in dieser Zeit Italien bereist. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um eine Reise offizieller Art, bei der er vor allem Rom und Florenz besucht, vornehmlich die antiken Bauwerke betrachtet und sich nur wenig für die zeitgenössische Architektur interessiert. Anschließend lässt sich Sagredo wieder in Toledo nieder und arbeitet dort im Dienst der Kathedrale, zu deren Erzbischof am 31. Dezember 1523 Alfonso de Fonseca berufen wird. Der Widmung in den Medidas del Romano zufolge war Sagredo außerdem Kaplan von Juana la Loca – eine Behauptung, die sich jedoch durch zeitgenössische Hofdokumente nicht bestätigen lässt. Er reist zwischen Alcalá, Valladolid und Burgos umher; in Burgos hat er angeblich auch die bekannten Künstler León Picardo, Felipe Bigarny und Cristóbal de Andino kennengelernt, die zwischen 1522 und 1525 an der Condestablenkapelle der Kathedrale von Burgos arbeiteten. Ab 1525 befindet er sich wieder in Toledo, wo er, kurz nach der Veröffentlichung seiner Medidas del Romano, zwischen 1527 und dem Jahr 1528 verstirbt.
2. EDITIONSGESCHICHTE Die Medidas del Romano waren ein zeitgenössisch äußerst erfolgreiches Buch, was sich vor allem an den zahlreichen Neuauflagen des Textes in Spanien, Portugal und Frankreich erkennen lässt. Allein im 16. Jahrhundert wurde der Text elf Mal publiziert: Fünf Mal auf Spanisch – 1526 in Toledo, 1541 und 1542 in Lissabon (15. Januar und 15. Juni 1542), 1549 und 1564 in Toledo – sowie sechs Mal in Paris in französischer Übersetzung, und zwar zwischen 1528 und 1537, dann 1539, 1542, 1550, 1555 und 1608.17 16 Die folgenden Ausführungen zur Biographie Sagredos stützen sich auf Sánchez Cantón 1920, 66–67 und 1923, 4–5; Cervera Vera, Luis: Noticia de las Medidas del Romano. Separata de la edición facsímil de Medidas del Romano, Valencia: Albatros 1976, 9–10; und Marías / Bustamante 1986, 11–20. 17 Für eine ausführliche Besprechung der Editionen vgl. meinen Eintrag „Sagredo, Diego de: Medidas del Romano: necesarias a los oficiales que quieren seguir las formaciones de las basas, columnas, capiteles, y otras piezas de los edificios antiguos“ (BDDH50), in: Dialogyca BDDH: Biblioteca Digital de Diálogo Hispánico [http://iump.ucm.es/DialogycaBDDH/
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Die Beschäftigung mit der Editionsgeschichte des Textes ist vor allem aufgrund eines Sachverhalts ein beliebtes Thema in der Forschungsliteratur: Die erste französische Ausgabe, die zwischen 1528 und 1537 in Paris erscheint, hat Einfluss auf alle weiteren Editionen, werden doch dem ursprünglichen Text am Ende verschiedene Textteile und Illustrationen hinzugefügt, die danach in allen weiteren Editionen, auch den spanischen, erscheinen.18 Trotz literarischer, sprachlicher und struktureller Schwächen wird dieser „Sagredo francés“ zum Modell der folgenden Ausgaben, und es ist damit diese zweite, hybride Version des Textes, welche die weitaus größere Verbreitung erfährt.19 Im Verlauf der Editionsgeschichte haben auch die Illustrationen Änderungen und Neuerungen erfahren: Dies gilt nicht nur für das Titelblatt, das je nach Drucker unterschiedlich illustriert sein konnte, sondern vor allem für die Änderungen an den Abbildungen im Inneren des Textes, die von den französischen Editionen sowohl auf die portugiesischen als auch auf die kastilischen zurückwirkten.20 Zunehmend, dies stellte bereits Marañón fest, distanzieren sich die Abbildungen vom ursprünglich plateresken Stil Sagredos.21
3. FORMALER AUFBAU UND KONZEPTION In Sagredos Text zeigt sich auf besondere Weise die Wahrnehmung der Welt durch medidas, ein für die Renaissance charakteristisches Phänomen.22 Bereits im Untertitel „necessarias a los oficiales que quieren seguir las formaciones de las Basas, Colunas, Capiteles y otras pieças de los edificios antiguos“23 macht Sagredo den Zweck seines Werkes klar: Sein Text sei notwendig für all jene „oficiales“, die die Gestaltung der architektonischen Elemente antiker Gebäude erlernen wollen (A1r). Die expliziten Adressaten des Textes sind damit die ausführenden
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BDDH50/medidas-del-romano-necesarias-a-los-oficiales-que-quieren-seguir-lasformaciones-de-las-basas-columnas-capiteles-y-otras-piezas-de-los-edificios-antiguos/]; Marañón 1947, 11–34; und Marías / Bustamante 1986, 27–41. Die Änderungen des Textes hat insbesondere Sierra Cortés ausführlicher untersucht: Vgl. Sierra Cortés, José Luis: „Los añadidos temáticos franceses en Medidas del Romano de Diego de Sagredo“, in: Antonio, Trinidad de u.a. (Hg.): Tiempo y espacio en el arte. Homenaje al profesor Antonio Bonet Correa, Bd. I, Madrid: Ed. Complutense 1994, 595–610. Ebd., 607. Marías / Bustamante 1986, 131. Vgl. ebd., 131–139, für eine ausführliche Beschreibung der Ursprünge der einzelnen Illustrationen. Marañón 1947, 24. Ferreras 2008, 103–104. Sagredo, Diego de: Medidas del Romano. Necessarias a los oficiales que quieren seguir las formaciones de las Basas, Colunas, Capiteles y otras pieças de los edificios antiguos, Toledo: Remón de Petras 1526. Die folgenden Seitenangaben im Text beziehen sich auf diese Edition und setzen sich zusammen aus typographischer Signatur (A, B, C, D oder E), Nummer des Blattes sowie der Angabe ,r‘ für recto oder ,v‘ für verso.
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Handwerker, „los maestros que materializan los trabajos, no […] los arquitectos creadores“.24 Bei der Lektüre entsteht dennoch der Eindruck, dass der Text eigentlich für ein breiteres Publikum angelegt ist. Bassegoda beispielsweise meint, der Text richte sich an alle Handwerker, die mit den Bildenden Künsten in Kontakt kamen; all jene mussten schließlich mit den neuen italienischen Formen und deren Entwürfen vertraut gemacht werden.25 Llewellyn ist sogar der Ansicht, der Text sei nicht nur klar an eine breite handwerkliche Leserschaft adressiert, sondern an mögliche Mäzene und insgesamt ein gelehrtes Publikum.26 In der Widmung an den Erzbischof von Toledo, Alfonso de Fonseca, stellt Sagredo seine Intention deutlicher dar: Es sei Fonsecas Interesse und Vorliebe für Architektur gewesen, die ihn zur Redaktion dieses Textes veranlasst habe (A1v). Dazu habe er den ausführlichen antiken Werken über die Wissenschaft der Architektur einen kurzen Dialog über die römischen Maße ‚entnommen‘, die jene „oficiales“ kennen sollten, die die römischen Bauwerke nachahmen wollten: […] he sacado de las obras de los antiguos que en la sciencia de architetura largamente escriuieron este breue dialogo: en el qual se tratan las medidas que han de saber los oficiales que quieren imitar y contrahazer los edificios romanos […] (A1v–A2r).
Bisher habe es diesen an eben jenen Maßen gemangelt, sodass sie tagtäglich „muchos errores de disproporcion y fealdad“ bei Basen, Kapitellen und anderen Gebäudeelementen begangen hätten (A2r). Der didaktische Zweck des Textes, der bereits durch den Titel deutlich gemacht wurde,27 wird hier also nochmals hervorgehoben. Gemeint ist: Anstatt der informellen Zeichnungen und Stiche, die man zeitgenössisch üblicherweise in den Ateliers als Modelle benutzte, sollten diese „oficiales“ sich der Medidas del Romano bedienen.28 Aus der dedicatoria wird jedoch noch etwas anderes deutlich: Die Medidas del Romano sind auch als humanistische Schrift einzuordnen.29 Diese Stoßrichtung des Textes zeigt sich natürlich zum einen an der Wahl der antiken Textgattung des Dialogs, die in der Widmung bereits explizit als bewusst gewählt präsentiert wird. Zum anderen äußert sich dies insbesondere durch die Orientierung an einem konkreten antiken Modelltext zur Architektur. Dies wird bereits in den ersten Zeilen der Widmung offensichtlich, in denen Sagredo, indem er Ideen aus Vitruvs De architectura libri decem verwendet oder paraphrasiert,30 zunächst die 24 Cervera Vera, Luis: „El Arquitecto en las ,Medidas del Romano‘ de Diego de Sagredo“, in: Academia: Boletín de la Real Academia de Bellas Artes de San Fernando 68 (1989), 19. 25 Bassegoda 1985, 118. 26 Llewellyn, Nigel: „,Hungry and desperate for Knowledge‘: Diego de Sagredo’s Spanish Point of View“, in: Hart, Vaughan / Hicks, Peter (Hg.): Paper Palaces. The Rise of the Renaissance Architectural Treatise, New Haven / London: Yale Univ. Press 1998, 126. 27 Rosenthal 1958, 332. 28 Cervera Vera 1989, 19. 29 So hatte ja beispielsweise bereits Barbé geurteilt: „Le succès de l’œuvre de Sagredo dont nous espérons avoir mis en évidence la richesse non seulement comme ouvrage scientifique mais aussi comme livre humaniste“ (1983, 163). 30 Marías / Bustamante 1986, 65.
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Bedeutung der Schriftstücke hervorhebt, die die vergangenen für die zukünftigen Generationen hinterlassen haben: Nicht ohne Grund habe bereits Vitruv kritisiert, dass sich Könige und „grandes señores“ nie der ‚traurigen Schreiber‘ erinnerten, die deren Heldentaten, Triumphe und Siege schriftlich festhielten. Stattdessen würden diese für ihre Tätigkeit mit Erschöpfung bezahlen und durch ihr ständiges profundes Nachdenken schneller altern und früher sterben (A1v). Die Schriftstücke jener Autoren jedoch seien von größter Bedeutung: Sie schärften das Ingenium der heutigen Schriftsteller und autorisierten ihre Aussagen (A1v). So beziehe sich eben derjenige, der über Philosophie schreiben wolle, auf Aristoteles, und jener, der über Astrologie schreiben wolle, auf Ptolemäus (A1v). Wer über Architektur schreiben will, möchte man hier hinzufügen, für den ist Vitruv die maßgebliche Quelle.31 Wie sich im Verlauf des Dialogs noch herausstellen wird, ist neben Vitruvs Text für Sagredo aus der zeitgenössischen italienischen Architekturtheorie vor allem Albertis Architekturtraktat De re aedificatoria maßgeblich; im Kapitel über die Proportionen des menschlichen Körpers (A5r) bezieht er sich explizit auch auf Gauricus’ Dialog De Sculptura. Gerade die Orientierung an Vitruv und Alberti ist für die humanistisch beeinflusste spanische Architekturtheorie des 16. Jahrhunderts charakteristisch.32 In typisch humanistischer Manier schmückt Sagredo seine Erläuterungen zudem mit zahlreichen Zitaten antiker Autoren, die jedoch zumeist Sekundärtexten entnommen sind.33 Historische Anekdoten und antike exempla lockern die ausführlichen und teilweise sehr technischen Erklärungen dabei immer wieder auf.34 Der soeben zusammengefassten Widmungsschrift und ihrem Hinweis auf die maßgebliche Quelle des Textes folgen zunächst einige kurze Zeilen, in denen die Sprecher Tampeso und Picardo vorgestellt werden, und anschließend ein dialogisches Proömium, d.h. ein in Zeit, Raum und Thema des Dialogs einführendes Gespräch dieser beiden. Am Ende dieses Proömiums fordert Picardo seinen Freund auf, ihm die einzelnen Elemente der römischen Baukunst zu erklären. In den nun folgenden kurzen Gesprächen in mimetischem Modus hat Tampeso damit die weitaus größeren Redeanteile und nimmt die Rolle des Erklärenden ein. Aufgrund dieser Distribution fassen Llewellyn35 und Gómez36 die Relation der Ge31 Selbstverständlich sind die Medidas jedoch nicht etwa eine Übersetzung des Vitruv-Textes, sondern vielmehr eine Adaption dieses klassischen Architekturtraktats an die zeitgenössischen spanischen Gegebenheiten (Barbé 1983, 160–161). 32 Batllori hatte darauf in seiner Studie zu Humanismus und Renaissance mit explizitem Bezug auf Sagredos Medidas del Romano und Villalpandos Übersetzung von Serlio hingewiesen (Batllori, Miguel: Humanismo y Renacimiento. Estudios hispano-europeos, Barcelona: Ariel 1987, 38). 33 Vgl. Bassegoda 1985, 118–119. 34 Malpartida Tirado, Rafael: Varia lección de plática áurea. Un estudio sobre el diálogo renacentista español, Málaga: Univ. de Málaga 2005, 26. Dies ist beispielsweise im 16. Gespräch der Fall, in dem Tampeso eine von Vitruv bekannte Anekdote zur Entdeckung der korinthischen Kapitelle durch den Architekten Kallimachos erzählt (D1v–D2r). 35 Llewellyn 1998, 126–127. 36 Gómez 2000, 25 und 25, Anm. 16.
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sprächspartner in den Medidas del Romano als Lehrer-Schüler-Beziehung auf; Tirado ordnet die Medidas den katechetischen Dialogen zu.37 Das Gespräch ist jedoch komplexer gestaltet als diese Kategorisierungen vermuten lassen. Picardo beispielsweise entwickelt sich im Verlaufe des Dialogs, zweifelt und kritisiert zunehmend und übernimmt schließlich im 17. Gespräch sogar für kurze Zeit selbst die Rolle des Lehrers (D6r–D6v).38 Nach dem dialogischen Proömium beginnt der eigentliche Dialog („Comiençan las medidas del Romano“, A4v). In 19 Gesprächen39 unterhalten sich Tampeso und Picardo dabei zunächst über den menschlichen Körper als Modell perfekter Proportionen und über die Geometrie als Grundlage der Architektur (A4v–A8v). Nach Tampesos zu einer gewissen Bekanntheit gelangten Distinktion zwischen „architetos“ und „oficiales […] mecanicos“ (A7v) beginnt der zentrale inhaltliche Teil: Schritt für Schritt erläutert Tampeso seinem Freund mithilfe zahlreicher Zeichnungen und Skizzen die verschiedenen Elemente der Baukunst im römischen Stil. Er beginnt mit der cornisa (Kranzgesims) und ihren unterschiedlichen molduras (Gesimse) (B1r–B2v), fährt dann mit den columnas, den klassischen Säulenordnungen (dorisch, ionisch, korinthisch, toskanisch und attisch) und den Verzierungen dieser Säulen fort (B3r–B8v), um sich im achten Gespräch der Konstruktion von „colunas dichas monstruosas, candeleros y balaustres“ (B8v– C2v) zu widmen. Anschließend wendet er sich den verschiedenen Typen von Basen (basas und contrabasas, C3r–C7r) und Kapitellen (capiteles, C7r–D5r) zu, behandelt die Konstruktion von Architrav (architrave), Fries (fresso) und cornisa (D5r–E4v) und schließt am Ende noch einige Ratschläge zum Fundamentbau, zu Materialien und insgesamt zur praktischen Tätigkeit als Architekt (E4v–E6r) an.40 Die ‚römische‘ Architektur basiert für Tampeso insgesamt auf einer variablen Organisation von molduras, der kleinsten architektonischen Einheit. Nach und nach beschreibt er jedes Gesims, vergibt spezifische Namen, erläutert deren Etymologie und stellt eine Skizze jedes behandelten Elements zur Verfügung; mit anderen Worten: „resuelve uno de los problemas más difíciles de la interpretación
37 Vgl. Malpartida Tirado 2005, 24–29. 38 Interessanterweise geschieht letzteres, nachdem Picardo bei Tampesos Erklärungen zu den Architraven offensichtlich beinahe einnickt („Parece que todo te duermes segun tienes la cabeça inclinada?“, D6r) und Tampeso ihn daraufhin ermuntert, seine konzentriert vorgenommenen Überlegungen zur Größe der Architrave des Diana-Tempels in Ephesus auszusprechen („presto lo puedes saber si lo quieres contar“, D6r). Picardo übernimmt nun für kurze Zeit die Rolle des ‚Lehrers‘ und versucht, die Größe der Architrave des Tempels anhand der bekannten Maße und mithilfe der von Tampeso erklärten Regeln zurückzurechnen (D6r– D6v). 39 Zählt man nur die mit iniciales grabadas versehenen Überschriften, so ergeben sich insgesamt 19 Kapitel sowie ein als Exkurs einzustufender Abschnitt im 10. Gespräch (Síguese otra formacion de basas jonicas la qual pone Leo baptista en su libro que hizo de architetura, C4v–C5v). 40 Eine besonders systematische Übersicht der Struktur und Themen der Medidas del Romano findet sich bei Sierra Cortés, José Luis: Medidas del romano: fuentes y teoría, Diss. UCM 1985, Madrid: Univ. Complutense 2010, 485–487.
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de Vitruvio: la pluralidad de nombre para las mismas cosas y la falta de referencia visual que nos impide saber de qué se trata“.41 Die Abbildungen, die sich in den Medidas finden, sind unterschiedlicher Provenienz: Es sind darunter solche, die Sagredo den Vitruv-Editionen aus Italien entnimmt, d.h. der lateinischen Vitruv-Edition von Fra Giocondo de Verona (1511, Venedig) sowie der ersten italienischen Vitruv-Interpretation des Mailänders Cesare Cesariano (1521, Como). Andere grabados wiederum sind offensichtlich nach Zeichnungen von Sagredo selbst von einem Xylographen angefertigt worden.42
4. DIALOGSETTING UND SPRECHERKONSTELLATION Die Gesprächspartner des Dialogs werden nach der Widmung in einem kurzen Absatz vorgestellt. Es handelt sich bei bei ihnen, wie man erfährt, um „dos grandes amigos“ (A2r); der eine, Tampeso,43 sei „familiar de la yglesia de Toledo“; der andere, Picardo, sei Maler. Es fällt auf: Wenngleich das zentrale Thema des Dialogs die Architektur ist, so ist doch keiner der beiden Gesprächspartner Architekt.44 Wie lassen sich die beiden stattdessen charakterisieren? Es sei mit Tampeso begonnen: Mit dem „familiar“ einer Kirche bezeichnete man zeitgenössisch üblicherweise, so erläutert Ferreras, einen Geistlichen, der im Dienste eines Bischofs oder eines Abts stand.45 Dieses Amt scheint nicht direkt an die Institution Kirche gebunden gewesen zu sein, sondern vielmehr an das Privathaus einer kirchlichen Person, z.B. des Erzbischofs.46 Die Dialogfigur Tampeso weist damit Parallelen zum Autor auf, der ebenfalls Kleriker war – ein Sachverhalt, der für große Teile der Forschung zu den Medidas nicht ohne Konsequenzen geblieben ist: Tampesos Repliken werden in den meisten Studien und Untersu41 Vgl. Bassegoda 1985, 120. 42 Vgl. Marías / Bustamante 1986, 131. Sagredo scheint zudem Zugang zur sogenannten „literatura de taller“ gehabt zu haben, d.h. zu den in den Künstlerateliers zur Ausbildung verwendeten Zeichenheften („cuadernos de dibujo“) oder Schnittsammlungen („colecciones de grabados“) (Bassegoda 1985, 119–120). 43 In mehreren Texten wird ‚Tampeso‘ fälschlicherweise als ‚Campeso‘ bzw. ‚Campezo‘ (Fray Lorenzo de San Nicolás 1664, zit. n. Marañón 1947, 15, Anm. 1; Vasconcellos, Joaquim de: „I. Diego de Sagredo (1526)“, in: Holanda, Francisco de: Quatro Diálogos da Pintura Antiga, hg. v. Joaquim de Vasconcellos, Porto: Renascença Portugueza 1896, XXVI; Menéndez Pelayo 1962, 364, Anm. 1; Llaguno y Amirola, Eugenio: „Diego Sagredo“, in ders.: Noticias de los arquitectos y arquitectura de España desde su restauración, Bd. I, Madrid: Turner 1977, 176) oder als ‚Lampeso‘ (Bertaux 1911, Bd. IV, II, zit. n. Marañón 1947, 15, Anm. 1) bezeichnet. 44 Gállego 1976, 54. 45 Ferreras, Jacqueline: „Le premier traité d’architecture en langue vulgaire: le dialogue de Diego de Sagredo: Medidas del Romano (1526)“, in: Roig Miranda, Marie (Hg.): La transmission du savoir dans l’Europe des XVIe et XVIIe siècles, Paris: Honoré Champion 2000, 202, Anm. 1. 46 Marías / Bustamante 1986, 67.
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chungen klar als ‚Aussagen‘ des Autors Sagredo identifiziert. Es ist bei den Medidas damit eine Tendenz in der Dialogrezeption und -hermeneutik zu beobachten, die Hempfer treffend als ‚Monologisierung‘ der „Dialogizität des Dialogs“47 bezeichnet hatte. Bei den Medidas wird die Deutung von Tampesos Rede als eigentliche Rede Sagredos nicht nur aus der Übereinstimmung der Profession von Dialogfigur und Autor abgeleitet, sondern vor allem aus den Parallelen zwischen den Namen: Tampeso sei klar als Sagredo zu identifizieren, der sich lediglich hinter anderen Konsonanten verstecke (-a- - e-o).48 Während der Sprecher Tampeso, wie soeben dargestellt, üblicherweise zur Autor-persona erklärt wird, identifiziert man Picardo in so gut wie allen Studien mit einer historischen Gestalt desselben Namens, León Picardo.49 Dieser, in SaintOmer in Frankreich geboren und vermutlich im Jahre 1547 verstorben, arbeitete als Maler und auch Bildhauer in Spanien. Um 1511 ließ er sich in Burgos nieder, wo er angeblich Diego de Sagredo kennenlernte, und wird in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zum repräsentativsten Maler der Stadt. Um 1522/23 war er Maler des Condestable von Kastilien, Iñigo Fernández de Velasco, den er sogar ins Gefängnis begleitete. Die Übereinstimmungen zwischen den Dialogfiguren und den historischen Persönlichkeiten führten in der Vergangenheit immer wieder zu biographistisch motivierten Dialogauslegungen. Der Dialog wurde beispielsweise mithilfe des Lebensumfelds des Autors ausgelegt oder aber Elemente des fiktionalen Textes unkritisch in die Biographie Sagredos übernommen.50 Aufgrund der nachgewiesenen Bekanntschaft zwischen Diego de Sagredo und León Picardo wurden die Medidas zudem in verschiedenen Studien als wirkliche Transkription eines tatsächlich stattgefundenen Gesprächs zwischen diesen beiden gelesen. Sánchez Cantón beispielsweise argumentiert, es seien „aquellos diálogos“ über die Gebäude in antikem Stil oder über die zeitgenössische Kunst zwischen Sagredo und
47 Hempfer 2002, 19. 48 Dinsmoor 1942, 69, zit. n. Marías / Bustamante 1986, 67. Aufgrund von Tampesos Tätigkeit als Geistlicher wäre auch die Auslegung seines Namens mit Blick auf das Alte Testament denkbar: So heißt es dort, Gott habe alles nach Maß (medida), Zahl (número) und Gewicht (peso) geordnet (Weish 11, 20). Die Übereinstimmung zwischen dem Titel des Dialogs (medidas), den zahlreichen im Text erklärten Zahlen und Berechnungen (número) und dem Namen der Leitfigur, des Klerikers Tampeso oder tan peso, scheint nicht zufällig zu sein. 49 Der folgende Abschnitt zur Biographie von León Picardo basiert auf Huidobro y Serna, Luciano: „León Picardo, pintor y escultor“, in: Boletín de la Comisión de Monumentos de Burgos 1939, 189–194; und Marías / Bustamante 1986, 20. 50 Dies gilt zum Beispiel für Llaguno (1977, 175–176), der postuliert, über Sagredos Leben sei nur das bekannt, was dieser in seinem Dialog sage. Die moderne Forschung versucht, sich von diesem Vorgehen zu distanzieren, zuweilen allerdings mit mäßigem Ergebnis. So stellt beispielsweise Sierra Cortés (2010, 33) zunächst zwar fest, dass „se ha caído a veces en el círculo vicioso de incrementar los escasos datos históricos conocidos sobre Sagredo con datos obtenidos del tratado y ver luego en éste la confirmación de lo previamente elaborado“, um diese Aussage direkt zu relativieren: „Cuando comencé este estudio puse entre paréntesis el valor biográfico del diálogo; hoy me sumo a los que encuentran datos históricos en él“.
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Picardo während ihrer gemeinsamen Zeit in Burgos gewesen, die „formaron la trama y dieron sustancia á [sic] las Medidas del Romano“.51 Es ist in dieser Arbeit jedoch bereits darauf hingewiesen worden, dass die Präsentation als Transkription eines tatsächlich stattgefundenen Gesprächs eine der zentralen Gattungskonventionen des literarischen Dialogs ist. Die Reduktion des Gesprächs auf biographische Umstände wird der Faktur des Textes nicht gerecht. Der Sprecher Picardo ist, ganz im Gegensatz zur künstlerisch äußerst versierten historischen Person León Picardo, im Dialog unwissend, stellt zuweilen recht naive Fragen, zieht bisweilen unsachgemäße Vergleiche, für die er sogleich von Tampeso kritisiert wird, macht Scherze und nickt mitten im Gespräch fast kurz ein – nicht ohne Grund konstatierte bereits Llewellyn eine „characteristic naivité“ für diese Dialogfigur.52 Die Inszenierung eines zeitgenössisch bekannten Künstlers als unwissendem ‚Lehrling‘, obendrein belehrt von einem Geistlichen und keinem professionellen Architekten, hat, zumindest an manchen Stellen des Dialogs, dabei schon fast humoristische Züge. Zudem ist es gerade dieses Auftreten historischer Gestalten, das den Medidas del Romano ihre Kategorisierung als Dialog in ciceronianischer Tradition eingebracht hat.53 Nach diesem kurzen Überblick der Deutungen und Auslegungsvarianten der Sprecherkonstellation soll es nun um das Setting gehen, wie es im dialogischen Proömium präsentiert wird. Das Gespräch beginnt mit der Ankunft Picardos im ‚Atelier‘ seines Freundes Tampeso, den er beim Zeichnen eines Entwurfs für das Grabmal des Bischofs antrifft: [Picardo] Siempre que te vengo a ver te tengo de hallar o estudiando o debuxando o traçando: […] pero dime que pintura es esta que estas traçando que segun a mi me parece su ordenança es al romano? (Tamp.) Una muestra es de sepultura para nuestro obispo (A2r–A2v).
Dieser Entwurf wird sogleich auch dem Leser als beschriftete Illustration zur Verfügung gestellt (Abb. 1).
51 Sánchez Cantón 1920, 66. 52 Llewellyn 1998, 127. 53 Vgl. Ferreras 2000, 203.
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Abb. 1. Sagredo 1526, A3r.54
Das Grabmal, welches Tampeso gerade entwirft, als Picardo zu ihm stößt, wird zumeist als das Grabmal des burgalesischen Bischofs Juan Rodríguez Fonseca identifiziert, das Sagredo angeblich um 1522 plante.55 Das Gespräch wird aus die-
54 Ich danke der Biblioteca General Histórica der Universidad de Salamanca (Spanien) für die Erteilung der Abdruckrechte für die Abbildungen 1 bis 4, die einem Digitalisat (im Internet unter: ) der Medidas del Romano von Sagredo aus ihrem Bestand entstammen. 55 Zwar weist bereits Sánchez Cantón (1920, 66 und 1923, 5) darauf hin, dass Sagredo um 1522 ein Grabmal für den Bischof Juan Rodríguez Fonseca plante, das nie gebaut worden sei. Es
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sem Grund zumeist auf das Jahr 1522 datiert.56 Aus dem Ende des siebten und dem Beginn des achten Gesprächs ist zu entnehmen, dass man sich an einem Nachmittag und dem darauf folgenden Morgen unterhält.57 Dass der Schauplatz des Dialogs vermutlich Burgos ist, lässt sich nicht nur aus der Deutung des Grabmals, das Tampeso entwirft, rückschließen, sondern vor allem aus den Persönlichkeiten, die Tampeso im Verlauf des Dialogs nennt oder die Picardo auf sein Anraten hin besuchen soll – darunter der Kunstschmied Cristóbal de Andino und der Bildhauer Felipe Bigarny, die zwischen 1522 und 1525 gemeinsam mit León Picardo an der Condestablenkapelle der Kathedrale von Burgos arbeiteten.58 Das Umfeld, welches im Dialog erläutert wird, ist damit das der „artistes-ingénieurs“: Architekten, Bildhauer, Maler und andere Künstler, die keine wissenschaftliche Ausbildung erhalten haben, sich ihr Wissen aber durch Lektüre aneigneten.59 Am Ende dieses Proömiums, in dem es einerseits zu einem typisch humanistischen Lob auf die Arbeit als Grundlage der Tugend („la buena vida ha de ser de su principio exercitada en trabajos“, A2r), andererseits zu einer Diskussion um die Bewertung prunkvoller Grabmäler in den Kirchen kommt (A2v–A4v),60 fordert Picardo seinen Freund auf, ihm die einzelnen Elemente der römischen Baukunst zu erklären, die er bereits in der Skizze des Grabmals paradigmatisch zusammengefasst sieht:61
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scheint jedoch Cervera Vera (1976, 9) als erster in der Medidas-Abbildung eine Skizze eben jenes Grabmals von Fonseca gesehen zu haben. Sierra Cortés situiert die Handlung des Dialogs aufgrund der historischen Daten, auf die im Gespräch angespielt wird, auf das Jahr 1521 oder den Beginn des Jahres 1522 (vgl. 2010, 173–174). Dort neigt sich der Tag dem Ende und die beiden Gesprächspartner treffen sich am kommenden Morgen, nach Picardos Besuch im Atelier von Cristóbal de Andino, am verabredeten Treffpunkt wieder (B8r–B8v). Marías / Bustamante 1986, 17. López Piñero 1979, 53, zit. n. Ferreras 2000, 207. Bassegoda verdeutlicht auf konzise Weise, weshalb und wie Sagredo diese beiden zeitgenössisch kontrovers diskutierten Themen aufgreift: „El primero se plantea [...] contra el prejuicio aristocrático del trabajo y parece muy adecuado en un libro dirigido a artistasartesanos. [...] El segundo tema tiene su origen en las críticas de Erasmo a las iglesias llenas de sepulcros fastuosos y de otros objetos que dificultan el recogimiento y son signo de vanidad. Esta posición erasmista choca con las costumbres de la nobleza hispánica, que tiene en el sepulcro monumental uno de sus gastos representativos más arraigados. No debe sorprendernos, por tanto, que diversos autores [...] salgan en defensa de este hábito social“ (1985, 120–121). Auch Strosetzki hat auf die zentrale Rolle Erasmus’ hinsichtlich dieses Punktes hingewiesen sowie darauf, dass die Humanisten bei ihrer hohen Bewertung der Arbeit – als alternative Haltung zum Müßiggang – „an eine positive Besetzung des Begriffs der Arbeit an[knüpften], die auch im christlichen Mittelalter in Anlehnung an die Bibel formuliert worden ist“ (Strosetzki, Christoph: Literatur als Beruf. Zum Selbstverständnis gelehrter und schriftstellerischer Existenz im spanischen Siglo de Oro, Düsseldorf: Droste 1987, 14). Marías / Bustamante 1986, 71.
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IV. Diego de Sagredos Medidas del Romano […] en tal edificio como este todo es bien empleado: ca segun yo alcanço no ay mas en el Romano de lo que aqui se contiene: […] yo soy el hombre del mundo mas desseoso y perdido por saber estas medidas: y pues dios me ha traydo aca: merced me haras me las quieras comunicar y dezir los nombres de cada vna dellas (A4v).
Tampeso kann Picardo diese Bitte aufgrund der langjährigen und guten Freundschaft, die sie verbindet (A4v), nicht abschlagen: [...] lo que en este negocio yo he visto y leydo y alcançado: te lo dire de buena voluntad y gana. En esta traça que has visto: ay formaciones de Colunas, Basas, Capiteles, Architraues, Fressos, Cornixas, Frontispicios, Acroterias: y otras diuersas pieças como por ella se muestran. Por tanto digamos en particular la formacion, medida, y origen, de cada vna dellas en la manera siguiente (A4v).
Wiederum mit Bezug auf die Illustration des Grabmals kündigt Tampeso damit an, welche architektonischen Elemente, Maße und Themen er Picardo im Folgenden erklären wird.
5. LESEN, SEHEN, BEGREIFEN. AUCTORITAS UND EXPERIENTIA IN DEN MEDIENKOMBINATORISCHEN MEDIDAS DEL ROMANO Bei den im Jahre 1526 veröffentlichten Medidas del Romano handelt es sich um einen mit Abbildungen versehenen Architekturdialog. Die Renaissanceliteratur profitiert in besonderen Maße von der zentralen, den Buchmarkt revolutionierenden Erfindung des Buchdrucks, und die Ausbreitung der humanistischen Bewegung scheint ohne diese geradezu undenkbar.62 Auch die Auswirkungen auf die Kunstschriften sind immens, wird der grabado (xylographisch, chalkographisch oder lithographisch) doch seit der Erfindung des Buchdrucks und der Entwicklung verschiedener Möglichkeiten zur Reproduktion von Bildern in Büchern zum treuen und eloquenten Begleiter der Kunstliteratur.63 In den Architekturtexten haben Abbildungen einen etablierten Platz: Schrift und Bild sind in diesen Werken häufig einerseits untrennbar miteinander verbunden, d.h. geschriebenes Wort und reproduziertes Bild verlaufen nicht selten parallel zueinander. Andererseits können die grabados schließlich auch für sich selbst ‚sprechen‘, und Lehrmeister und Handwerker geringer Bildung können durch sie, ohne die theoretischen oder erklärenden Texte lesen zu müssen, bestimmte architektonische Modelle nachbauen. Die Architekturtraktate – und das ist ihre bedeutendste Errungenschaft – werden auf diese Weise zum Nexus zwischen Konzeption und Praxis.64
62 Rallo Gruss, Asunción: Humanismo y Renacimiento en la literatura española, Madrid: Síntesis 2007, 151; vgl. zum Einfluss des Buchdrucks auf die spanische Renaissanceliteratur ebd., 151–174. Zu den Auswirkungen, die der Buchdruck und die dadurch größere Verbreitung von Schriften auf den humanistischen Gelehrten als Schriftsteller, auf das nunmehr breite, auch Laien umfassende Lesepublikum und nicht zuletzt auf die Inhalte der Bücher selbst hatten, vgl. auch Strosetzki 1987, 135–173. 63 García Melero 2002, 20. 64 Vgl. ebd., 15.
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Ein gewisser didaktischer Wert lässt sich auch bei den Illustrationen der Medidas del Romano selbstverständlich nicht verleugnen. Sagredo nutzt die Abbildungen auch, um die im Dialogtext erklärten architektonischen Regeln zu illustrieren und die Bedeutung seines Textes evident zu machen.65 Das Text-BildVerhältnis in den Medidas del Romano verdient jedoch aus mehreren Gründen eine weiterführende Betrachtung. Zum einen ist der Dialog der erste gedruckte Architekturtext, der in solch ausgeprägter Weise auf Illustrationen basiert;66 Sierra Cortés zählt insgesamt 86 Illustrationen.67 Zum anderen – und das gilt es hier nochmals zu pointieren – handelt es sich hier eben nicht um einen Architekturtraktat, sondern um einen Dialog, um die Inszenierung eines Gesprächs, und zudem um eine Einbindung der Abbildungen in diesen fiktionalen Rahmen. Die Abbildungen in den Medidas sind keine reinen Lehrbuchillustrationen; vielmehr interagieren Bild und Dialogtext in besonderer Weise. Die Abbildungen stehen nicht unerwähnt neben dem Text, sondern sie erhalten Eingang in die Welt des Dialogs: Sie sind auch fiktionsintern präsent, sie werden von den Sprechern explizit benannt, erläutert oder erst während des Sprechens gezeichnet, verhelfen zu Erkenntnis und wirken auf das Gesagte zurück. In den medienkombinatorischen Medidas del Romano, so soll im Folgenden dargestellt werden, wird durch diese Faktur ein spezielles Modell zur Erlangung architekturtheoretischen Wissens konstituiert. Tampeso indiziert dieses bereits am Ende des einführenden Gesprächs: „lo que en este negocio yo he visto y leydo y alcançado: te lo dire de buena voluntad y gana“ (A4v; Hervorh. von mir).68 Architekturtheoretisches Wissen ist folglich auf drei Wegen zu erlangen: Durch die Lektüre („leydo“), durch das Sehen („visto“) und durch das intellektuelle Begreifen („alcançado“). Es ist diese Konzeption, die im Verlauf des Textes zunehmend zur bedeutungstragenden Struktur wird und auf der Argumentations-, der Handlungs- und der intermedialen Ebene entfaltet wird.
5.1. Die Rolle der auctoritates In der Forschung zum Renaissance-Humanismus besteht gemeinhin Konsens darüber, dass es bei der Auseinandersetzung mit dem Wissen und den Schriften der Antike nicht nur darum ging, diese zu erforschen, sondern um Lösungen für die Fragen der Gegenwart zu finden,69 und konkret „um Teile von ihnen als Bausteine und Argumentationshilfen im neuen Zusammenhang in einer eigenen Fragestellung im eigenen Werk zu verwerten“70. Dies gilt nun auch für die Kunstdialoge. 65 66 67 68
Marías / Bustamante 1986, 131. Llewellyn 1998, 130. Sierra Cortés 2010, 494. Mit einer ähnlichen Formulierung rechtfertigt beispielsweise auch die Figur Dorotea aus Pedro de Lujáns Renaissancedialog Coloquios matrimoniales ihre Erklärungen: „Así yo hablaré en esto según lo he visto, oído y aún leído“ (zit. n. Ferreras 2008, 93). 69 Strosetzki 1987, 273. 70 Ebd., 270.
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In Sagredos Dialog wird auf der Argumentationsebene, so ist im Folgenden zu zeigen, zur Erlangung architekturtheoretischen Wissens vornehmlich für die Konsultation der auctoritates plädiert: In seinen Repliken legt der Kleriker Tampeso die Lektüreergebnisse der für die Architekturtheorie zentralen, vornehmlich antiken Autoritäten dar. Sierra Cortés macht das Wort ‚Autorität‘ bzw. ,autorisieren‘ insgesamt vier Mal in den Medidas del Romano aus:71 „Con cuyas obras […] autorizamos lo que por nosotros queremos componer“ (A1v); „dar proporcion e autoridad a los repartimientos y ordenanças de sus edificios“ (A5r); „Los buenos oficiales y los que dessean que sus obras tengan autoridad y carezcan de reprehension“ (B8r) und „para acrescentamiento de mayor autoridad del edificio“ (C6v). Tampeso verwendet das Wort insgesamt in dem Sinne, wie es auf das lateinische augeo, d.h. ‚vermehren‘, ‚vergrößern‘ oder ‚steigern‘, zurückgeht, und wie auch Vitruv es kennt und benutzt.72 In enger Verbindung zum Begriff der Autorität steht, wie ebenfalls Sierra Cortés feststellte, in den Medidas del Romano der Terminus der antiguos, „es fundamentalmente un argumento de autoridad, siendo irrelevante – y, en casos, inexistente – su componente temporal“.73 Darauf wird zurückzukommen sein. Die zentrale Autorität in den Medidas del Romano ist Vitruv, was sich nach dem Prolog direkt im ersten Gespräch (A4v–A6r) zeigt: Tampeso stellt den Menschen dort als „Microcosmo que quiere dezir menor mundo“ vor, dessen perfekte Maße und Proportionen als Modell für die Architektur verwendet worden seien (A5r). Diese anthropomorphe Analogie zwischen der Form von Gebäuden und der Form des menschlichen Körpers hat ihre Ursprünge bei Vitruv und den von ihm beeinflussten Italienern des 15. Jahrhunderts.74 Im dritten Gespräch (A7r–A8v) etabliert Tampeso dann gemäß der vitruvianischen Definition die Geometrie als theoretisches Fundament der Architektur:75 La sciencia de geometria es vna de las siete artes liberales: muy necessaria a todos los oficiales mecanicos: ca si no tienen parte en ella: no pueden ser bien resolutos en sus artes. Es la geometria instrumento que mucho ayuda a comprehender todos los saberes del mundo [...] (A7r).
Bereits in der dedicatoria wurde die Architektur explizit als „sciencia“ (A1v) ausgewiesen. Hier nun zeigt sich das deutlichste Argument für die Zugehörigkeit der Architektur zur gelehrten Welt: Sie basiert auf einer der sieben artes liberales, der Geometrie.76 Tampeso zählt daraufhin verschiedene antike Anekdoten auf, die diese These unterstreichen: Bereits Platon habe über die Tür seiner Schule schreiben lassen, dass niemand eintreten dürfe, ohne die Wissenschaften der Geometrie und der Arithmetik erlernt zu haben. Auch der antike Maler Eupompo, der Lehrer 71 72 73 74 75 76
Sierra Cortés 2010, 365. Ebd. Ebd., 366. Llewellyn 1998, 136. Ferreras 2000, 209. Llewellyn 1998, 131.
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von Apelles, habe die Geometrie und die Arithmetik beherrscht und damit „muchos secretos e primores en la arte de la pintura“ erreichen können (A7r). Die Abbildungen der zentralen geometrischen Formen (A8r–A8v), nach dem Vorbild der Elemente des Euklid,77 die Tampeso Picardo zur Verfügung stellt, heben nochmals die Bedeutung der Geometrie für das Gespräch und die Architektur insgesamt hervor. Die ebenfalls in diesem dritten Gespräch dargelegte humanistische Definition des architectus hat ihren Ursprung wiederum bei Vitruv und Alberti.78 Tampeso differenziert zwischen dem Architekten im engeren Sinne und dem ausführenden Handwerker, er etabliert damit „el concepto de ‚arquitecto‘ (artista) en oposición al ‚maestro de obras‘ (artesano)“:79 Has otrosi de saber que architeto es vocablo griego: quiere dezir principal fabricador: e assi los ordenadores de edificios se dizen propriamente architetos. [...] cuyas ferramientas son las manos de los oficiales mecanicos (A7v).
Die Ausbildung dieses Architekten, die Tampeso am Ende des dritten Gesprächs in wenigen Worten umreißt, geht einmal mehr auf Vitruv zurück:80 Dieser habe gefordert, perfekte Architekten seien „obligados a ser exercitados en las sciencias de philosophia y artes liberales“ (A7v). Sagredo führt hier nicht nur den Terminus des ‚Architekten‘ im modernen Sinne ein, sein Text ist auch der erste (in Spanien), in dem die Bildenden Künste explizit als artes liberales ausgewiesen werden:81 Im Gegensatz zu den „oficiales mecanicos“, die mit dem „ingenio“ und den Händen arbeiteten, wie etwa „los Canteros, Plateros, Carpenteros, Cerrageros, Campaneros y otros oficiales que sus artes requieren mucho saber e ingenio“ (A7v), nenne man, so Tampeso weiter, „liberales […] los que trabajan solamente con el espiritu y con el ingenio“, wie „los Gramaticos, Logicos, Retoricos, Aritmeticos, Musicos, Geometricos, Astrologos: con los quales son numerados los Pintores y Esculptores“ (A7v). Tampeso zählt Maler und Bildhauer hier gemeinsam mit jenen auf, die die traditionellen Künste des trivium und des quadrivium kultivieren.82 In diesem Zusammenhang nennt Tampeso auch mehrere zentrale Argumente und Topoi, wie sie in den zeitgenössischen kunsttheoretischen Texten zur Aufwertung der Malerei Verwendung fanden. So nimmt er beispielsweise das bekannte Argument der Wertschätzung der Malerei und der Bildenden Künste in der Antike auf: Der Maler Eupompo, so erzählt Tampeso, sei für seine Werke vom gesamten Griechenland gerühmt und geehrt worden und so habe man schließlich entschieden, „de alli adelante […] que la arte de la pintura numerase con las libe77 Marías / Bustamante 1986, 133. Für eine ausführliche Beschreibung der einzelnen Elemente, ihrer Quellen und eventuellen Abwandlungen vgl. Sierra Cortés 2010, 100–104. 78 Cervera Vera 1989, 21. 79 Fernández Arenas 1982, 26. Ausführlich zur Definition und Verwendung der Konzepte von ,oficiales‘, ‚arquitecto‘ und ‚maestro‘ vgl. insbesondere Sierra Cortés 2010, 386–397. 80 Llewellyn 1998, 136. 81 Bassegoda 1985, 121. 82 Marías / Bustamante 1986, 93.
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rales: y no con las mecanicas“ (A7v). Später führt er dieses Argument nochmals auf: „los Pintores y Escultores, cuyas artes son tan estimadas por los antiguos que avn no son por ellos acabadas de loar“ (A7v). Die Vorherrschaft und der Ruhm der Malerei sei in der Antike, so Tampeso, unumstritten gewesen („diziendo que no puede ser arte mas noble ni de mayor prerogatiua que la pintura“, A7v). Besonders geschätzt habe man die Malerei, da sie es vermochte, vergangene Ereignisse und Heldentaten vor Augen führen zu können: „la pintura que nos pone ante los ojos las hystorias y hazañas de los passados“ (A7v). Interessanterweise lobt Tampeso an dieser Stelle die gemalte Präsentation von Geschichte nicht nur, sondern wertet die schriftliche Darstellung gleichsam ab: „las quales quando leemos o hazemos leer nos quebrantan las cabeças y nos perturban y fatigan la memoria“ (A7v). Dass die Lektüre im Gegensatz zum direkten und schnellen visuellen Erfassen von Historienmalerei mühevoll sei und müde mache, beschreibt Sierra Cortés als weiteren verbreiteten Topos der zeitgenössischen Kunstliteratur, der sich später in weiteren Texten, beispielsweise auch bei Gutiérrez de los Ríos, finden wird.83 Neben Vitruv rekurriert Tampeso dabei auch auf zeitgenössische Autoren, vor allem auf Alberti, den er zu den „antiguos“ zählt und ihn damit in den Rang einer Autorität erhebt. Der zeitliche Aspekt, so sieht man hier, spielt bei Tampesos Auffassung von ‚autoridad‘ folglich nur eine untergeordnete Rolle.84 Kurz: Wem das Prädikat antiguo zukommt, der gilt als Autorität.85 Bisweilen werden die Bezüge auf Autoritäten ausdrücklich als intertextuelle Relationen ausgewiesen, wie etwa im Titel des Exkurskapitels Síguese otra formacion de basas jonicas la qual pone Leo baptista en su libro que hizo de architetura (C4v–C5v),86 in dem Tampeso Albertis Formation von ionischen Basen mit der zuvor von ihm dargelegten Bauweise kontrastiert. An anderen Textstellen hingegen werden die Unterschiede zwischen antiker und zeitgenössischer Theorie erst im Verlauf des Gesprächs greifbar. So schlägt Tampeso beispielsweise im ersten Gespräch als Modell der Proportionen des menschlichen Körpers die Zahlenmaßgabe seines Zeitgenossen Felipe de Bigarny („Phelipe de Borgoña“) vor, der im Gegensatz zu Vitruvs zehn und Gauricus’ neun „rostros“ als Proportionsmaßgabe von „nueue [rostros] y vn tercio“ (A5r) spreche. Für den Fokus dieser Arbeit ist nun weniger von Belang, dass es sich dabei um eine spezifisch spanische Variante des italienischen und antiken Proportionenkanons handelt.87 Relevant ist vielmehr, dass Bigarny, so urteilte bereits Kruft, zur „Autorität als Bildhauer, auf die sich Sagredo ausdrücklich bezieht“,88 wird. Tampeso bevorzugt nicht die Regeln von Vitruv oder Gauri-
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Sierra Cortés 2010, 96–97. Ebd., 25. Ausführlicher zum Begriff der antiguos in Sagredos Dialog vgl. ebd., 367–369. „[…] la única referencia directa al tratadista florentino que hace Sagredo“ (ebd., 218). Llewellyn 1998, 136. Kruft 2004, 246.
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cus, sondern die Vorschriften der, wie er sie nennt, „modernos autenticos“89 (A5r), die vor allem von dem zeitgenössischen Bildhauer Bigarny repräsentiert werden; „c’est-à-dire si nous nous replaçons dans la polémique de l’époque, la conception qui intègre l’ancien au contemporain, entendons au gothique“.90 Nicht nur an dieser Stelle nimmt der Dialog damit eine klar umrissene humanistische Streitfrage auf, die Querelle des anciens et des modernes,91 die in Villalóns Ingeniosa comparación auf konzise Weise dargestellt wird,92 in Holandas Diálogos em Roma vorhanden ist, und die auch im letzten Gespräch bei Sagredo (D8v–E6r) nochmals thematisiert wird. Tampeso ermahnt Picardo dort, in der Architektur keinesfalls Modernes mit Antikem zu mischen: „E mira bien que no tengas presumpcion de mezclar romano con moderno“ (E4r). ‚Moderno‘ meint hier die heute als ‚hispanoflämische Gotik‘ bezeichnete Architektur; ‚antiguo‘ hingegen den römischen Stil.93 Picardo solle ebensowenig wagen, innovativ zu arbeiten, wie andere Zeitgenossen es täten: „ca ya conosco yo e avn tu tambien vn parrochiano del arte que en vnas finiestras que hizo formo en el petril las mesmas molduras que en las jambas e tintel“ (E4r).
5.2. Experientia als Weg zu architekturtheoretischem Wissen Auf der Argumentationsebene der Medidas del Romano wird, so ist gezeigt worden, vor allem die Konsultation der auctoritates zur Erlangung architekturtheoretischen Wissens empfohlen. Der Dialog schöpft die Möglichkeiten seiner Gattung nun insofern aus, als auf der Handlungsebene und der intermedialen Ebene der Medidas zentral die experientia als Weg zu architekturtheoretischem Wissen in Szene gesetzt wird. Früh hatte Maravall für die spanische Renaissance darauf aufmerksam gemacht, dass die Erfahrung im 16. Jahrhundert ihre größte Entfaltung und Bedeutungskraft in den Wissenschaften und Künsten erlangt hätte.94 Aktuell spricht Rallo Gruss in ihrem Überblickswerk zum Renaissance-Humanismus in der spa89 ,Modernos‘ (im Plural) ist in den Medidas zumeist im Sinne von ‚zeitgenössisch‘ gemeint; ‚autenticos‘ bezieht sich hier auf die Tendenzen zur Wiedereinführung des römischen Stils (Sierra Cortés 2010, 385). 90 Ferreras 2000, 209. 91 Marías / Bustamante 1986, 85. Vgl. dazu insbesondere Maravall, José Antonio: Antiguos y modernos. La idea del progreso en el desarrollo de una sociedad, Madrid: Soc. de Estudios Publicaciones 1966. 92 Vgl. dazu besonders Kohut, Karl: „Ingeniosa comparación entre lo antiguo y lo presente. Aufnahme und Kritik der antiken Tradition im spanischen Humanismus“, in: Heitmann, Klaus / Schröder, Eckhardt (Hg.): Renatae litterae: Studien zum Nachleben der Antike und zur europäischen Renaissance. August Buck zum 60. Geburtstag am 3.12.1971 dargebracht von Freunden und Schülern, Frankfurt a.M.: Athenäum 1973, 213–240. 93 Marías / Bustamante 1986, 67. 94 Maravall, José Antonio: Los factores de la idea en el progreso del Renacimiento español. Discurso leído el día 31 de marzo de 1963 en el acto de su recepción pública, Madrid: Real Academia de la Historia 1963, 110.
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nischen Literatur davon, dass neben dem Rekurs auf die Antike die „nueva sabiduría basada en el uso de la razón y la experiencia y una exaltación del individuo laico“ die essentiellen Elemente von Renaissance und Humanismus seien.95 Während dieser Epoche, so die Auffassung, ist in den Wissenschaften und Künsten ein anderes Verständnis, ein anderes Wahrnehmen der Welt zu beobachten: Zur Gelehrsamkeit tritt die Erfahrung hinzu, was nicht nur in den Werken der Medizin oder der Naturwissenschaften offensichtlich wird, sondern auch in der Reiseliteratur, wird der Begriff der experiencia doch oft in Zusammenhang mit der Entdeckung der Neuen Welt gebraucht.96 Mediziner, Historiker, Kosmographen und Autoren aus zahlreichen anderen Disziplinen und Techniken stellen die persönliche Erfahrung über die Autoritäten.97 Die Betonung des Erfahrungswissens erfasst selbstverständlich auch die Bildenden Künste sowie die über sie entstehenden theoretischen Schriften.98 Der Dialog ist dort selbstverständlich keine Ausnahme: Für die Entwicklung, in der neben die antiken auctoritates die eigene experientia tritt, ist neben der Gattung der Miszelle vor allem die des Dialogs maßgeblich.99 In ihrem Aufsatz zu den Medidas hatte auch Ferreras bereits davon gesprochen, dass in der Renaissance neben das traditionelle, auf der Heiligen Schrift und den antiken Autoritäten beruhende Buchwissen ein weiteres Wissenskonzept trete, welches „l’expérience comme source de connaissances“ integriert, und zu Recht davon gesprochen, dass „Il s’agit là d’une approche nouvelle du savoir et de sa fonction dans la société“.100 Die Erfahrung als Komponente architekturtheoretischen Wissens wird im Gespräch von Tampeso und Picardo mehrfach explizit ausformuliert: Bereits im ersten Gespräch lobt Tampeso Felipe de Birgany als Bildhauer, der nicht nur in den „artes mecanicas e liberales“ und in „todas las sciencias de architetura“ gebildet, sondern vor allem ein „varon [...] de mucha experiencia“ sei (A5r). Im sechsten Gespräch wird Picardo ermuntert, die erklärten Regeln „por experiencia“ (B7r) nachzuvollziehen. Als Tampeso im achten Gespräch den Baluster als ein die traditionellen Säulenordnungen ergänzendes Element vorstellt,101 gelangt Picardo „por experiencia“ (B8v) zu Erkenntnis. Im 17. Gespräch erklärt Tampeso die Interkolumnien und weist Picardo darauf hin, dass er diese besonders gut „por 95 96 97 98
Rallo Gruss 2007, 9. Vgl. ebd., 216–222. Maravall 1963, 113. Für das Verhältnis von artes mechanicae und Erfahrung im spanischen RenaissanceHumanismus hatte Flórez Miguel erste Überlegungen angestellt (vgl. Flórez Miguel, Cirilo: „Artes mecánicas y teoría de la experiencia en el Renacimiento“, in: Baliñas, Carlos (Hg.): Filosofía y ciencia en el Renacimiento. Actas del Simposio celebrado en Santiago de Compostela, del 31 de octubre al 2 de noviembre de 1985, Santiago de Compostela: Univ., Servicio de Publicaciones 1988, 161–170). 99 Rallo Gruss 2007, 222. 100 Ferreras 2000, 211. Das neben dieses „savoir livresque“ tretende Konzept beschreibt sie jedoch als praktisches Wissen („savoir pratique et fondé sur l’expérience“) oder Anwendungswissen („savoir appliqué“) (ebd., 210 und 211), was insofern verwundert, als bei den Medidas jegliches Wissen zur Architektur schließlich auf theoretischer Ebene verbleibt. 101 Vgl. Kruft 2004, 246.
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experiencia“ am Petersdom in Rom erkennen könne (D5v).102 Was genau allerdings Tampeso unter experientia versteht, ob damit auch erzeugendes, herstellendes Schaffen gemeint ist oder bereits theoretische Kenntnisse über die Architektur ausreichen, um als erfahren zu gelten – all diese Fragen bleiben auf der Argumentationsebene des Dialogs zunächst unbeantwortet oder zumindest unklar. Ein weiterer Punkt, der auf der Argumentationsebene des Dialogs besonders hervorgehoben, jedoch nicht eindeutig definiert wird, ist die optische Wahrnehmung. Mehrfach wird auf die Perspektive rekurriert (A7v, B6v, etc.) sowie der Gesichtssinn und das Auge explizit benannt oder ins Zentrum gerückt:103 Dies ist der Fall in Formulierungen wie „nos pone ante los ojos“ (A7v), „mostrarian diferencias en sus formaciones al juyzio del ojo“ (B6v) und „que es gran descanso para el ojo que no sufre corcouos“ (E3v), aber auch in häufigen Ausdrücken wie „parezcan“ (B6v, B7v) oder „se muestran a la vista“ (B6v). Auch damit nehmen die Medidas einen für die Renaissance zentralen Punkt auf, ergeben sich doch zu jener Zeit bedeutende Veränderungen in der Bewertung des Auges, der visuellen Wahrnehmung und der Position des Sehens unter den fünf Sinnen. Das neue Menschen- und Weltbild der Renaissance hat nicht zuletzt auch auf die Kunst einen nicht zu unterschätzenden Einfluss, fällt doch in jene Zeit die Entwicklung der Zentralperspektive, die Zunahme von Studien der menschlichen Anatomie, der Proportionen und Bewegungsabläufe sowie die deutlichere Individualisierung der Bilder.104 An all diesem offenbart sich „die neue Struktur des Sehens in der Renaissance“,105 die klare „Vorrangstellung des Auges“.106 Bei Sagredo wird auf der Argumentationsebene der Gesichtssinn nun nicht nur ins Zentrum gerückt, sondern darüber hinaus explizit als dem Gehör überlegen dargestellt. Als Beispiel kann hier der Moment des achten Gesprächs dienen, in dem Tampeso die Standfüße von Fackelhaltern beschreibt (C1v–C2r), die auf sehr unterschiedliche Art und Weise gestaltet seien (mit „pies de grifos, garras de leones y de mastines, y de otras bestias muy feroces“, C2r). Aufgrund der mannigfaltigen Formen rät Tampeso seinem Freund: „por tanto creeme que mas te aprouecharas veyendolo que oyendome“ (C2r). Auch bei seinen Erklärungen zu den weiteren Typen von Balustern stellt er den Sehsinn über das Gehör und lässt Picardo wissen: „Su formacion comprehenderas mejor de vista que de oydas“ (C2v). Diese Superiorität der Augen vor den Ohren findet sich bereits in der Antike als Topos etabliert. In Platons Dialog Timaios etwa wird eine Sinnenhierarchie
102 Die an dieser Stelle dargelegte Definition des Interkolumniums geht wiederum auf Vitruv zurück. Der Petersdom, genauer gesagt die antike konstantinische Basilika, wird hier als christliches Bauwerk präsentiert und die Existenz einer christlichen Architektur neben der heidnischen in der Antike präsupponiert (Marías / Bustamante 1986, 117–118). 103 Sierra Cortés untersuchte diese Punkte – „apariencia“, „La perspectiva“ und „El juicio del ojo“ – unter der Kategorie „percepción óptica“ in den Medidas (vgl. 2010, 412–417). 104 Vgl. Kleinspehn, Thomas: Der flüchtige Blick. Sehen und Identität in der Kultur der Neuzeit, Reinbek: Rowohlt 1989, 44–58. 105 Ebd., 52. 106 Ebd., 66.
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aufgestellt, bei der die Augen und der Gesichtssinn als erstes geschaffen und damit hervorgehoben werden.107 Es soll hier nun nicht darum gehen, zu zeigen, dass die Medidas das erste Beispiel innerhalb der spanischen Dialogliteratur für eine solche Sinnenhierarchisierung sind. Bereits in Rodrigo Sánchez de Arévalos am Übergang zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit zu situierender lateinischer Disputatio de pace et bello (1468) führen Alonso de Cartagena und Sánchez de Arévalo ein „Streitgespräch über den Vorrang des Gesichtssinns vor dem Gehör“; Cartagena verteidigt dabei das Gehör, Sánchez de Arévalo dagegen „das Auge als Organ der Beobachtung, Erfahrung, des Erkennens und Wissens“.108 Es lassen sich des Weiteren mehrere Beispiele von spanischen Renaissancedialogen finden, in denen das Verhältnis von Sehen und Hören ausgelotet wird – die stärkere Bedeutung des Visuellen lässt sich dabei auch auf die zunehmende Verbreitung des Buchdrucks zurückführen.109 Es soll hier vielmehr der Fokus auf die dialogische Faktur des Textes gelegt sein: Zwar werden auf der Argumentationsebene der Medidas Erfahrung und Gesichtssinn bereits hervorgehoben; es bleibt jedoch unklar, was genau Tampeso unter experientia versteht und vor allem, wie genau dieses Erfahrungswissen mit der optischen Wahrnehmung verknüpft ist. Die Argumentationsebene lässt die Fragen offen, ob die bloße Betrachtung von Architektur zur Erlangung von experientia ausreicht oder ob dafür die eigenständige, praktische Herstellung architektonischer Bauelemente notwendig ist. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, bieten die intermediale und die Handlungsebene des Dialogs Antworten auf diese Fragen an.
5.3. Erfahrung durch visus und experimenta Es wird nachstehend deutlich werden, dass experientia in Tampesos Definition maßgeblich auf zwei Wegen erlangt werden kann, und zwar zum einen durch das Sehen, die visuelle Wahrnehmung, im Folgenden kurz visus, sowohl von architekturtheoretischen Skizzen und Bildern, als auch von Architektur in der Realität; zum anderen durch die Durchführung von Experimenten, nachstehend kurz experimenta. Eigene Erfahrung, die Durchführung von Experimenten und der den Sinnen zugesprochene Wert insgesamt werden in den spanischen Renaissancedialogen gemeinhin als zusammenhängend dargestellt.110 Es sei hier zunächst die in unterschiedlicher Form vorgeführte Relevanz des visus durch die Betrachtung von Bildern oder Skizzen ausführlicher behandelt. Erstens geschieht dies selbstverständlich durch die Inklusion der Illustrationen;
107 „Unter den Sinneswerkzeugen bildeten sie zuerst die lichtbringenden Augen, […] durch den ganzen Körper bis zur Seele und erzeugt diejenige Sinneswahrnehmung, mittels der wir, wie wir sagen, sehen“ (Platon: Timaios 1990, 77 [45b–d]). 108 Briesemeister 2004, 190. 109 Vgl. Gómez 1988, 170–172. 110 Vgl. Ferreras 2008, 92ff.
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nicht ohne Grund bezeichnete Sierra Cortés die Medidas del Romano bereits als „tratado ‚visual‘“.111 Die Abbildungen sind durch deiktische Ausdrücke so mit dem Dialog verknüpft, dass sie nicht als ‚Fremdkörper‘ neben ihm stehen,112 sondern so, dass deutlich wird, dass sie auch auf der Geschehens- und Handlungsebene des Dialogs vorhanden sind: So wird das erste Gespräch beispielsweise, das die menschlichen Proportionen als Modell für die Architektur vorstellte, vom Bild eines Mannes mit einem Zirkel in der Hand begleitet (Abb. 2), auf das Tampeso explizit hinweist – „segun que por la presente figura se muestra“ (A5v) – und anhand dessen er Picardo die Lehre der Proportionen erklärt.113
Abb. 2. Sagredo 1526, A5v.
111 Sierra Cortés 2010, 494. 112 Malpartida Tirado 2005, 26. 113 Hier handelt es sich wahrscheinlich um die erste in Spanien publizierte Illustration eines komplett Nackten (Marías / Bustamante 1986, 132), die in vitruvianischer Tradition steht und damit dem von Tampeso im Text behandelte Kanon von Bigarny eigentlich widerspricht (ebd., 84).
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Diese Formulierungen werden auch in den weiteren Gesprächen beibehalten: „cuyo exemplo mostramos por estas que aquí ponemos“ (B6r); „Su figura es desta manera“ (C1r); „cuya formacion es como esta que aquí vees“ (D8v), „Lo qual todo se muestra en la figura de nuestra traça“ (E2v), „nos sera necessario poner la figura de cada vna dellas“ (B1r), etc. Die Skizzen der einzelnen architektonischen Elemente sind nicht nur in der Dialogwelt vorhanden, sondern sie werden teilweise während des Sprechens gezeichnet. Auch darauf weist bereits Sierra Cortés hin: „Tampeso presenta las ilustraciones o las va diseñando al filo de su explicación“.114 Es zeigt sich hier nochmals, dass die Abbildungen in den Medidas weitaus mehr sind als reine Lehrbuchillustrationen. Im 15. Dialog (C8r–D1v) beispielsweise stellt Tampeso seinem Freund nicht nur Skizzen der behandelten ionischen Kapitelle, vor allem ihrer charakteristischen schneckenförmigen Voluten, zur Verfügung (Abb. 3), sondern gibt ihm eindeutige Anweisungen, wie er solche Kapitelle selbst skizzieren könne: […] y para formar estas bueltas y traçar este capitel haras en la manera siguiente. Partiras primeramente vna línea que sea tan grande como el medio diametro de la planta de la coluna […]. Despues escriue vna línea derecha començando de la mano siniestra […]. Y del cabo siniestro colgaras ortogonalmente dos líneas […] Parte pues cada vno destos axes […] (C8r– C8v).
Es folgt sogleich auch für den Leser sichtbar die Skizze.
Abb. 3. Sagredo 1526, C8v.
Formulierungen wie „Partiras“, „escriue“, „colgaras“ und „parte“ (C8r–C8v) lassen hier den Eindruck entstehen, dass Tampeso genau in diesem Moment den Stift ansetzt, um die Grundmaße des ionischen Kapitells aufzuzeichnen. Anschließend nimmt er den Zirkel, um die Voluten zu skizzieren:
114 Sierra Cortés 2010, 494.
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[…] puesta la vna pierna del compas sobre el centro superior: y la otra abierta tanto que toque la primera linea del gruesso del tablero […] de alli començaras a mouer el compas descendiendo y señalando hazia fuera […] haras alli presa con la pierna del compas: cerraras la otra tanto que la pongas en el centro inferior y entonces proseguiras tu buelta començada […] y desta manera hauras traçado el vn caracol de la corteza […] (C8v–D1v).
Auch Picardo zeichnet im Verlauf des Gesprächs: Im achten Gespräch, in dem unter anderem die dreieckige Basis der Fackelhalter thematisiert wird, zweifelt er wieder einmal an Tampesos Erklärung: Tampeso selbst habe ihm zu Beginn (vgl. A6r–A6v) doch schließlich erklärt, dass jegliche römische Kunst runder oder quadratischer Form nach angeordnet sei (C2r).115 Auch Tampesos folgende Erklärung befriedigt Picardo nicht; stattdessen erwidert er, dass man wohl eine dreieckige Basis gewählt hätte, um eine bessere Absicherung für das Fackelöl zu erreichen – drei Füße, wenn nicht sogar vier, gäben schließlich viel Stabilität (C2r). Tampeso selbst habe ihm erzählt, so erklärt Picardo zu seiner Verteidigung, dass es nach Aristoteles keinen Körper gäbe, der stabiler sei als das Tetragon. Zur Bestätigung seiner Aussagen zeichnet Picardo seinem Freund die Skizze, die jener einst ihm zur Erklärung vorgezeichnet hatte („que me debuxaste desta manera“, C2r).116 Ähnliche Anweisungen, die eine temporale Übereinstimmung von Gespräch und Zeichnung vorgeben, sind auch für die Erklärungen Tampesos zur Verwendung des Zirkels für die Skizzierung eines korinthischen Kapitells (D2v– D3r) im 16. Gespräch sowie für die Verzierungen am Fries (D8r) im 18. Gespräch zu vermuten. Dieses Vorgehen – das Herstellen von Skizzen und Bildern während des Gesprächs – findet sich auch in anderen kunsttheoretischen Dialogen der Renaissance. Ein ähnliches Verfahren hatte bereits Schneider für Agnolo Firenzuolas Dialogo delle belleze delle donne (1541/48) beschrieben: Darin zeichnet der zentrale Sprecher Celso für seine vornehmlich weiblichen Gesprächspartnerinnen während des Gesprächs Skizzen zu den idealen weiblichen Gesichtsproportionen und erklärt diese. Wie Schneider insbesondere an einer von Celso angefertigen Profil-Zeichnung verdeutlicht, finden sich jedoch Modelle dieser Entwürfe in anderen zeitgenössischen architekturtheoretischen Texten Italiens, Francesco di Giorgio Martinis Trattato di architettura und Luca Paliolis De divina proportione (1509).117 Und so zeigt sich schließlich: „the intradiegetically motivated inclusion of drawings, with which Celso attempts to illustrate his speech […] are based on architectural treatises of the Quattrocento, contrary to their appearance of being completely spontaneous drawing exercises“.118 Analoges ist für die Medidas festzustellen, denn wie bereits erläutert, entstammen einige der dort eingefügten Abbildungen den Vitruv-Editionen aus Italien; die soeben beschriebene Skizze 115 Bereits Vitruv versuchte, die menschliche Figur und ihre Proportionen in die geometrischen Figuren von Kreis und Quader einzuschreiben („vitruvianische Figur“); als Mittelpunkt des Kreises gilt dabei der Nabel (Kruft 2004, 28). 116 Bei Picardos Argumentation handelt es sich hier jedoch um einen Sophismus (Sierra Cortés 2010, 194). 117 Schneider 2013, 92–93. 118 Ebd., 97.
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identifizieren Marías und Bustamante ebenfalls als Reproduktion einer Abbildung aus Paciolis De divina proportione.119 Kommen wir auf den nächsten Punkt zu sprechen, der die Relevanz der Betrachtung von Bildern zeigt: Offensichtlich wird dies auch in den Szenen, in denen Tampeso seinen Freund Picardo ermahnt, die bereitgestellten Skizzen genau anzuschauen und diese als elementaren Bestandteil seiner architekturtheoretischen Erklärungen aufzufassen. Im 14. Gespräch (C7r–C8r) beispielsweise legt Tampeso zunächst die historischen Ursprünge und das Aussehen der ersten Kapitelle dar, um Picardo am Ende eine Zeichnung zur Verfügung zu stellen und ihn anzuweisen, diese genau zu betrachten: Y nota que la formacion deste capitel no es otra cosa si bien quieres mirar: sino molduras tomadas de la cornixa. Ca la corona se muestra en el tablero: y el echino en el vaso: y la faxa en el cuello segun que en la presente figura se muestra [...] (C7v–C8r).
Man achte besonders auf die Formulierung des „si bien quieres mirar“ (C7v) – ‚wenn du mal genau hinschauen mögest‘. Picardo hat die Zeichnung genau betrachtet und stellt daraufhin eigenständig Parallelen zwischen den Gesimsen des Kapitells und anderen Formen („balaustres, candeleros y otras partes de ornamentos“, C8r) fest – all jene setzten sich aus den „molduras“ der „cornixa“ zusammen (C8r). Nur durch die ihm zuletzt gezeigten Bilder, so betont er, sei ihm dies aufgefallen: „porque segun yo he notado los debuxos passados son gulas, nacelas, echinos y todos los otros generos de molduras“ (C8r). Bilder, so zeigt der Dialog an dieser Stelle, führen zu Erkenntnis. Drittens erlangen die Abbildungen dort Bedeutung, wo erklärende Worte nicht ausreichen. Dies zeigt insbesondere das 16. Gespräch (D1v–D5r) über die korinthischen Kapitelle: Viele davon, so Tampeso, fände man an Gebäuden in Italien, aufgrund dessen man sie als ‚italische‘ Kapitelle bezeichnete. Deren Gestaltung sei so unterschiedlich, dass er Picardo mit Worten keine Regeln für ihre Formation darlegen könne; er zeige ihm lieber einige Bilder, die ihre Diversität besser verdeutlichen: „por su mucha diuersidad no se pueden asignar reglas de su formacion. pero mostrar te he algunos debuxos de los mas antiguos que pude hauer: y son estos que se siguen“ (D3v). Viertens fordert Picardo die visuellen Elemente schließlich mehrfach direkt von Tampeso ein, der diesem Wunsch gerne nachkommt: Als Tampeso es im neunten Gespräch (C3r–C4r) bei einer kurzen Definition der „molduras“ der Basen belassen will (C3r), insistiert Picardo, Tampeso möge ihm die jeweiligen Termini nennen und von jedem Element eine Zeichnung bereitstellen: „Deues pues dezir sus nombres: e avn poner el debuxo de la cosa que semejan: porque mejor te pueda entender“ (C3r). Ähnliches geschieht am Ende der Medidas del Romano: Dort erläutern die beiden Gesprächspartner verschiedene Themen, die für die tägliche Architekturpraxis von Bedeutung sind (Aufgaben des Architekten, Fundamentbau, Materialien, usw., E3r–E6r), und die im Verlauf des Dialogs noch nicht zur Sprache 119 Marías / Bustamante 1986, 135.
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kamen. Picardo bittet Tampeso unter anderem darum, dem Haussockel („embasamento“, E4r) noch ein paar Worte zu widmen. Trotz der folgenden relativ ausführlichen Erklärung (E4r–E4v) von Tampeso scheint sich Picardo noch nichts unter dem Begriff vorstellen zu können und bittet wiederum um ein paar Abbildungen: „Mejor te darias a entender si ponieses aquí el debuxo de algunos dellos“ (E4v). Picardos Sinn für die Relevanz von Abbildungen, so lässt sich an Textstellen wie diesen erkennen, hat sich im Verlauf des Dialogs weiter geschärft. Die Bedeutung der visuellen Wahrnehmung lässt sich nicht nur für die Betrachtung von Skizzen oder Bildern feststellen, sondern auch und ganz besonders für die Betrachtung von Architektur und architektonischen Elementen in der Realität. Dies wird in den Medidas del Romano nicht nur im Gespräch thematisiert, sondern wiederum vor allem durch die Handlung vorgeführt. Insbesondere tritt dies bei dem Besuch Picardos im Atelier des Künstlers Andino zutage, von dem nun zu sprechen sein wird. Tampeso berichtet im siebten Gespräch von verschiedenen griechischen und italienischen Säulen, die aus hartem Stein auf Basen aus Metall gebaut seien und metallische Kapitelle hätten (B8r). Picardo bezweifelt, dass es in der Realität überhaupt solch sorgfältig („con tanta diligencia y cuydado“) gebaute Säulen gäbe; die „oficiales de agora“ (im Gegensatz zu den Antiken) würden in ihren Werken wohl kaum all die genannten Vorschriften beachten (B8r). Tampeso widerspricht ihm mit dem Hinweis, dass es sehr wohl „buenos oficiales“ gäbe, die nach den antiken Vorgaben bauen würden – besonders exemplarisch täte dies Picardos Nachbar, Cristóbal de Andino,120 über den er urteilt: „sus obras son mas venustas y elegantes que ningunas otras que hasta agora yo aya visto“ (B8r). Andino, so berichtet Tampeso weiter, konstruiere derzeit ein Gitter der Schmiedeeisenkunst für Picardos Herren, den Condestable, das von besonderer Schönheit sei (B8r–B8v). Das Gespräch endet – es ist bereits Nacht geworden – mit Tampesos Ratschlag an Picardo, Andino doch einmal einen Besuch abzustatten, denn dort könne er mit eigenen Augen eine solche Säule sehen (B8v). Picardo, so erfährt man im folgenden achten Gespräch, hat sich diesen Rat Tampesos zu Herzen genommen: Am nächsten Morgen trifft er erst mit Verspätung am verabredeten Treffpunkt ein, an dem ihn Tampeso bereits, ausgestattet mit einem Zirkel in der Hand (B8v), erwartet. Nach einer schlaflosen Nacht habe er, so berichtet Picardo, Andino in seiner Werkstatt aufgesucht, um mit eigenen Augen ein paar Beispiele von Bauwerken zu sehen, die Tampeso ihm erläutert hatte: „por mas satisfazerme: quise ver alguna cosa dello y assi de camino me lance dentro del obrador de Andino“ (B8v).121 Dieser Besuch bei Andino, so erfahren wir, hat Picardo vor Augen geführt, dass die von Tampeso dargelegten Regeln auch in der künstlerischen Wirklichkeit Geltung haben, denn dort, so Picardo, „vi por experiencia ser verdad todo lo que ayer me dixiste“ (B8v). In der 120 Mit Cristóbal de Andino wählt Tampeso hier selbstverständlich einen plateresken Künstler aus, der exemplarisch für den römischen Stil steht (Rosenthal 1958, 341). 121 Picardo zeigt sich in der Rolle des „discípulo ideal“: „pierde el sueño, sugestionado por la enseñanza, e investiga por su cuenta“ (Malpartida Tirado 2005, 26).
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Werkstatt des Steinmetzes hat Picardo außerdem eine ihm bislang unbekannte Form von Säulen gesehen, die, so hätte man ihm in der Werkstatt gesagt, „balaustres“ genannt würden und die er nun von Tampeso erläutert bekommen möchte (B8v). Tampeso verteidigt sich für das Fehlen der Erläuterungen dieser Säulengattung mit dem Argument, die Baluster würden in den antiken Schriften eben nicht behandelt und somit habe er sie auch nicht erklärt (B8v) – Tampeso gibt, so wird hier nochmals deutlich, in seinen Erklärungen also vor allem Buchwissen wieder. Der soeben geschilderte Besuch Picardos bei dem befreundeten Künstler erfüllt mehrere Funktionen: Picardos Ausflug in das Atelier macht erstens die Einbindung eines Themas möglich, welches die von Sagredo verwendeten Quellen nicht behandeln.122 Zweitens wird dieser Ausflug didaktisch genutzt, um – für die Säulen mit metallischen Kapitellen – eine Verifizierung der Aussagen Tampesos vorzunehmen.123 Drittens führt die Handlungsebene des Dialogs hier vor, dass bloßes Buchwissen über Architektur nicht ausreicht. Tirado urteilt: „estos detalles fictivos, […], delatan perfectamente las diferencias entre teoría y praxis, que relativizan el valor de todo tratado y estimulan a refrendar con la experiencia“.124 Picardos Besuch bei Andino steht exemplarisch für die Signifikanz der eigenen Erfahrung in den Medidas, und zwar hier der Erfahrung durch die visuelle Wahrnehmung, die eben nicht nur im Dialog thematisiert, sondern durch die Handlung des Dialogs vorgeführt wird. Architekturtheoretisches Wissen erlangt man demnach nicht nur durch die Betrachtung von Bildern oder Skizzen, sondern auch – vielleicht sogar vor allem – durch die Betrachtung von Architektur in der Realität. Denn Theorie und Praxis, das führt der Dialog vor, können auch in Kontrast oder Widerspruch zueinander stehen. Dies wird nicht nur an der geschilderten Szene deutlich, sondern auch an den Stellen im Gespräch, an denen sich zeigt, dass sich in der Realität auch architektonische Besonderheiten finden, die in den antiken Schriftquellen nicht beschrieben werden:125 Dies gilt für die Baluster, die Picardo in der Werkstatt Andinos entdeckt hat (B8v), für die Basen am Portikus des Petersdoms (C6r) sowie für die antiken Ruinen, die sich in Spanien, vor allem in Mérida, fänden (E3v).126 Diese Verbindung von experientia und visus, die sich in den Medidas del Romano offenbart, wenn eine allen Dialogebenen Rechnung tragende Lektüre vorgenommen wird, ist als charakteristisch für die Epoche zu bezeichnen, in der 122 123 124 125
Marías / Bustamante 1986, 108; Sierra Cortés 2010, 171. Ferreras 2000, 204. Malpartida Tirado 2005, 25–26. Dennoch, so Tampeso, seien diese architektonischen Elemente nicht minder wertzuschätzen: „avn que no son escriptas por los antiguos: no por esso es de menospreciar su formacion“ (C6r). 126 „Mucha parte desto que auemos dicho podrias ver si quisiesses en edificios antiguos que se hallan en algunos pueblos de España e principalmente en Merida: donde los romanos edificaron con mucha diligencia edificios muy marauillosos que despues fueron por los godos destruydos “ (E3v). Es handelt sich hier um eine der ersten, wenn nicht sogar um die erste textuelle Erwähnung der römischen Ruinen auf der Iberischen Halbinsel (Marías / Bustamante 1986, 123).
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der Text entsteht. Für die humanistische Literatur ist bereits davon gesprochen worden, dass dort vermehrt die Aufmerksamkeit gelegt würde auf „cosas que han visto con sus ojos, experimentado personalmente y que, por eso, consideran ejercicio primario plasmar […] de la percepción inmediata“.127 Zuvor hatte Tafuri die experientia als essentiellen Bestandteil der vom Humanismus beeinflussten Architektur hervorgehoben128 und damit zusammenhängend von „il nuovo prestigio attribuito alla visione“129 gesprochen. Erfahrung ist in Tampesos Konzeption, so wird klar, also vor allem Erfahrung durch Sehen, d.h. durch die intensive Betrachtung einer Skizze und die Betrachtung von Architektur in der Realität. Nie bezieht sich experientia in den Medidas auf ein schaffendes, produzierendes Tun. Experientia meint die sinnliche, visuelle Wahrnehmung, und – dies möchte ich abschließend zeigen – auch ein intellektuelles Erkennen, und zwar durch Experimente oder experimentelle Methoden. Bereits Ferreras hatte als charakteristisches Element der humanistischen Renaissancedialoge festgestellt, dass experientia dort häufig auch experimentación meint, und sei es als rein visuelle Probe oder Überprüfung: Ziel ist dabei immer eine gesteigerte Objektivität, Rationalität und Wissenschaftlichkeit.130 Das prägnanteste Beispiel dafür findet sich im sechsten Gespräch: Picardo ist dort verwundert ob der vielen divergierenden Regeln zur Gestaltung und Verzierung von Säulen, die Tampeso ihm auch anhand von Illustrationen erklärt; man könne doch eine für alle Säulen anwenden. Tampeso stellt klar, dass zwar die Säulen unterschiedlicher Größe gleich gearbeitet aussähen, dies jedoch nur der Perspektive geschuldet sei, nach der von weitem alles kleiner scheine als es in Wirklichkeit sei. Um Einheitlichkeit in den verschiedenen Säulen zu erreichen, müssten diese auch verschieden gearbeitet sein (B6v). Bei anderen Säulen wiederum gelte es, andere ‚optische Täuschungen‘ zu beachten:131 Otras colunas ay: que se muestran a la vista mas gruessas de lo que son: […]. Estas colunas son las que se assientan dentro del templo: y la causa desto es: que toda cosa que esta cercada de agua o de ayre espesso y obscuro: parece mayor de lo que es [...] (B6v–B7r).
Um diese optischen Phänomene „por experiencia“ (B7r) zu erfahren, erklärt Tampeso ihm ein Experiment – zum Verständnis der Brechung des Lichts, wie sich herausstellt: […] metiendo en vna escudilla vazia vna sortija o moneda. Si te apartares hazia tras tanto que la pierdas de vista: y entonces te fuere echado del agua en la escudilla: veras la joya que primero no veyas: e avn te puedes retraer mas y no perderla de vista: puesto que los perspetiuos atribuyen la causa desto: [...] que todo lo que esta dentro del agua o cercado de ayre obscuro parece mayor de lo que es (B7r).
127 Rallo Gruss 2007, 216. 128 Vgl. Tafuri, Manfredo: L’Architettura dell’Umanesimo, Bari: Laterza 1969, 345ff. Vgl. Sierra Cortés 2010, 25. 129 Ebd., 346. 130 Vgl. Ferreras 2008, 94–103. 131 Vgl. Marías / Bustamante 1986, 106.
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Proben oder Überprüfungen geschehen daneben in den Medidas auch immer wieder mithilfe spezieller Werkzeuge und Instrumente, welche die Sprecher verwenden. Im siebten Gespräch ist dies der Winkel, den Picardo in die Hand nehmen soll, um die Abmessung und Form der Kannelüren (estrías) an einer Skizze (Abb. 4) selbst zu überprüfen: Pues mete tu esse angulo quadrado atrauessado en el hueco de la estria: e si bien formada estuuiere hallaras que el esquadra toca con los lados las esquinas de la estria: y con el canton la buelta del redondo (B7v).
Abb. 4. Sagredo 1526, B7v.
An anderen Stellen des Gesprächs greift Tampeso zum Zirkel, um Skizzen herzustellen, oder aber er weist auf die Relevanz dieses Werkzeugs hin (vgl. C8r–D1v oder D2v–D3r). Es fällt auf, dass die für das Gespräch bedeutsamen Instrumente keine Werkzeuge der praktisch ausführenden oficiales sind – Picardo soll nicht etwa mit Hammer oder Meißel umzugehen lernen –, sondern es handelt sich dabei um geometrische Werkzeuge. Wir befinden uns also weiterhin auf einer ‚Experimentebene‘ von Architektur. Der Geometrie fällt in den Medidas damit eine zentrale Rolle zu, denn sie ist im Gespräch ja nicht nur bereits als Fundament der Architektur hervorgehoben (A7r), sondern auch zum stärksten Argument für die Aufwertung der Architektur zur ars liberalis geworden. Essentiell für die Erfahrung und mit ihr verknüpft, so sei hier abschließend noch angemerkt, ist das Zweifeln. Auch dies hat bereits Ferreras als besonders charakteristisches Element der humanistischen Renaissancedialoge Spaniens festgestellt: „la duda pone a prueba el saber adquirido, el saber teórico: la experiencia lo confirme o lo contradice. Duda y experiencia se encuentran íntimamente ligadas“.132 Es sind hier bereits zahlreiche Textstellen erläutert worden, die den kritischen Geist beider Gesprächspartner zeigten. Insbesondere Tampeso ist dabei im Verlauf des Dialogs zunehmend als idealer ‚Lehrer‘ präsentiert worden, der scientia und experientia vereint.133
132 Ferreras 2008, 91–92. 133 Sierra Cortés 2010, 59.
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6. VISUELLE UND EXPERIMENTELLE EXPERIENTIA NEBEN AUCTORITAS Diego de Sagredos Medidas del Romano kommt die besondere Position zu, der erste spanische Text zu sein, in dem die Bildenden Künste explizit als artes liberales ausgewiesen werden. Darüber hinaus, so ist gezeigt worden, wird in diesem medienkombinatorischen Dialog die Konstituierung eines Modells zur Erlangung architekturtheoretischen Wissens vorgenommen, das sich aus den Komponenten auctoritas und experientia, letztere bestehend aus visueller Wahrnehmung (visus) und experimentellem Begreifen (experimenta), zusammensetzt. Dieses Wissensbzw. Erkenntismodell, das Tampeso mit seinem „lo que en este negocio yo he visto y leydo y alcançado: te lo dire de buena voluntad y gana“ (A4v) bereits auf der Argumentationsebene indiziert hatte, wird im Verlauf des Dialogs zunehmend zur bedeutungstragenden Struktur. Auf der argumentativen Ebene des Dialogs, so wurde im Verlauf gezeigt, legt Tampeso mündlich die Lektüreergebnisse antiker Autoritäten oder humanistischer Autoren zur Architekturtheorie dar, und erhebt zudem einen Zeitgenossen zur Autorität. Er tritt auf der Diskursebene damit zentral für die Konsultation der auctoritates ein. Auf dieser Ebene werden experientia und visus zwar bereits erwähnt, es bleibt jedoch zunächst noch unklar, wie beide Komponenten definiert sind und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Erst das Handlungssubstrat und die intermediale Ebene explizieren und ergänzen diese Punkte. Experientia, so wird erst durch die Geschehensebene und durch die Anfertigung und Diskussion der Skizzen im Dialog deutlich, meint in den Medidas kein schaffendes, produzierendes Tun, sondern visuelle Wahrnehmung und intellektuelles Erkennen durch Experimente. Die visuelle Wahrnehmung, so ist deutlich geworden, ist zum einen als Betrachtung von Bildern und Skizzen gemeint: Diese sind nicht nur auf der Handlungsebene – d.h. in der Dialogwelt – vorhanden, sie werden zum Teil erst während des Sprechens gezeichnet, intensiv betrachtet, verhelfen zu Erkenntnis, sind zuweilen wichtiger als die verbalen Erklärungen und werden von Picardo immer wieder explizit eingefordert. Zum anderen ist auch die Betrachtung von Architektur in der Realität damit gemeint – dies haben insbesondere das siebte und achte Gespräch mit Picardos Besuch im Atelier des befreundeten Künstlers gezeigt. Auf der Handlungsebene des Dialogs ist einerseits (für die spezifische Form von Säulen mit metallischen Kapitellen) eine Verifizierung der Aussagen Tampesos vorgenommen, andererseits die Signifikanz der eigenständigen Betrachtung und gleichzeitig der mögliche Kontrast zwischen Theorie und Praxis vorgeführt worden. Architekturtheoretische experientia, so zeigte sich weiter, ist nicht nur durch den soeben geschilderten visus zu erlangen, sondern auch durch experimentelles Durchführen: Möglich ist dies durch Experimente zum Verständnis architekturtheoretischer Regeln – man denke etwa an den Versuch zur Brechung des Lichts, den Picardo durchführen soll – sowie durch die Verwendung geometrischer Werkzeuge wie Winkel oder Zirkel. Die Fähigkeit zum Experimen-
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tieren wiederum zeigt nicht zuletzt auch die Fähigkeit zu eigenständiger Erkenntnis an. Während auf der Argumentationsebene vor allem die Relevanz der auctoritates hervorgehoben und experientia und Gesichtssinn lediglich erwähnt werden, explizieren erst die Geschehens- und die intermediale Ebene, was genau Tampeso unter experientia versteht und wie diese mit der visuellen Wahrnehmung verknüpft ist. Erfahrungswissen, so zeigte sich, kann durch visus und experimenta erlangt werden; ein eigenständiges erzeugendes, schaffendes Herstellen und Anfertigen von Architektur oder architektonischen Elementen ist dafür nicht notwendig. Picardo muss keine wirklichen handwerklichen Arbeiten durchführen, um architekturtheoretisches Wissen zu erlangen – es reicht das intellektuelle Erkennen und das theoretische Begreifen, „espiritu“ und „ingenio“ (A7v), wie Tampeso es als für die artes liberales notwendig beschrieben hatte.
V. VER LA FUENTE. CRISTÓBAL DE VILLALÓNS EL SCHOLÁSTICO (CA. 1538–1542) Cristóbal de Villalóns Dialog verschiedener Mitglieder der Universität Salamanca über die ideale Studentenausbildung behandelt zwar nicht primär die Malerei, ist aber dennoch bezüglich der Diskussion über die Künste einschlägig. Dass die Bildenden Künste für El Scholástico (‚Der Gelehrte‘) in besonderem Maße von Bedeutung sind, zeigt sich nicht nur bereits im Prolog, der die Bildende Kunst als zentrales Vergleichsobjekt heranzieht, sondern vor allem an dem mit mehreren Kunstwerken dekorierten Landsitz des Duque de Alba, auf dem sich das Gespräch abspielt. Ich werde mich im Folgenden diesen fiktionsintern vorhandenen und ekphrastisch beschriebenen Kunstwerken, insbesondere einer kunstvoll gestalteten Brunnenskulptur, widmen. Es wird sich dabei zeigen, dass diese räumliche Ausstattung der Dialogwelt in einem besonderen Verhältnis zur Argumentationsebene steht.
1. CRISTÓBAL DE VILLALÓN. ZU LEBEN UND WERK Von Cristóbal de Villalóns Leben liegen nur einige wenige biographische Eckdaten vor.1 Datum und Ort der Geburt sind unbekannt, vermutlich erblickt er in oder bei Valladolid zu Anfang des 16. Jahrhunderts das Licht der Welt. Er studiert an der Universität von Alcalá, die ihn im Jahre 1525 zum bachiller in Artes ernennt, und unterrichtet ab 1530 Logik an der Universität Valladolid. In dieser Stadt wird er ab dem Jahre 1532 den Kindern des Conde de Lemos Lateinunterricht erteilen; auch wird er dort mehrere Werke publizieren. 1545 verleiht ihm die Universität Valladolid den Titel des licenciado der Theologie; spätestens ab 1546 ist Villalón demnach als Geistlicher zu betrachten. Verschiedene Forscher vermuten, dass er sich auch an der Universität Salamanca aufgehalten habe. Diese Annahme führt immer wieder zu biographistischen Auslegungen des El Scholástico. Zu seinem Aufenthaltsort und seiner Tätigkeit zwischen 1545 und 1558 finden sich jedoch kaum verlässliche Informationen; ebenso wenig sind der genaue Ort und das genaue Datum seines Todes bekannt. Intensive Diskussionen hat in der Forschungsliteratur vor allem die Frage der Autorschaft Villalóns für verschiedene Schriften ausgelöst: Zu den sicher von ihm verfassten und publizierten Werken zählt die Tragedia de Mirrha (Medina del Campo, 1536), in deren Widmung er 1
Der folgende kurze Überblick zur Person Villalón und zu seinem Œuvre stützt sich auf den aktuellsten Artikel zu dieser Frage von Vian Herrero, Ana: „Hacia un perfil biográfico y literario del humanista Cristóbal de Villalón: reexamen crítico“, in: Boletín de la Real Academia Española, 93.308 (2013), 583–603, in dem sich die Autorin mit der schier unzählbaren Menge von Texten auseinandersetzt, die Aussagen zum Leben und Werk Villalóns treffen.
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V. Cristóbal de Villalóns El Scholástico
den baldigen Abschluss des Scholástico ankündigt. Dazu zählt auch der bereits genannte Dialog Ingeniosa comparación entre lo antiguo y lo presente (Valladolid, 1539) zur Überlegenheit von Antike oder Moderne. Im Jahre 1541 erscheint in Valladolid Villalóns didaktische Abhandlung Provechoso tratado de cambios y contrataciones de mercaderes y reprobación de usuras, die mehrmals reediert wird; 1546 findet sich eine Exhortación a la confesión gedruckt, die seinen Namen trägt. In Antwerpen wird im Jahre 1558 seine Gramática castellana veröffentlicht. Danach verliert sich seine Spur.2 Zweifelhaft und viel diskutiert ist die Zuschreibung der Autorschaft Villalóns für mehrere anonyme Manuskripte, darunter der Diálogo de las transformaciones de Pitágoras (1531–1535) sowie El Crotalón (1552–1556), Dialoge nach dem Vorbild von Lukians Der Hahn oder der Traum zwischen dem Schuster Micilo und einem Hahn, der letzten Reinkarnation des Philosophen Pythagoras. Intensiv diskutiert wurde die Autorschaft Villalóns auch für einen weiteren anonymen Text, die Viaje de Turquía (1556–1558), ebenfalls einem Dialog lukianesker Natur zwischen den Freunden Juan de Voto a Dios, Mátalascallando und Pedro de Urdemalas, der mit deutlich humoristischem und satirischem Unterton Pedros Entführung in das Osmanische Reich und seinen sozialen Aufstieg dort thematisiert.3
2. TEXTGESCHICHTE Obschon El Scholástico einer der bekanntesten spanischen Renaissancedialoge und das mit Abstand am intensivsten untersuchte Werk Cristóbal de Villalóns ist, wurde es zeitgenössisch nicht veröffentlicht. Der Dialog ist jedoch in zwei Manuskripten überliefert: Im Manuskript 9/1051 der Colección Salazar der Real Academia de la Historia (Ms. H), welches bis zum Jahre 1911 und der Teiledition durch Marcelino Menéndez Pelayo unveröffentlicht blieb,4 sowie im Manuskript der Real Biblioteca del Palacio (Ms. P), das im Jahre 1955 von Richard Kerr ent-
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Zur Problematik der tatsächlich von Villalón verfassten und ihm lediglich zugeschriebenen Werke vgl. insbes. Kincaid, Joseph J.: Cristóbal de Villalón, New York: Twayne 1973, der u.a. auch die aus dieser Problematik hervorgehende „Multiple-Villalón Theory of Authorship“ (Kapitel 7) darlegt. Zum lukianesken Dialog vgl. insbesondere Vian Herrero, Ana: „El diálogo lucianesco en el Renacimiento español. Su aportación a la literatura y el pensamiento modernos“, in: Friedlein, Roger (Hg.): El diálogo renacentista en la Península Ibérica. Der Renaissancedialog auf der Iberischen Halbinsel, Stuttgart: Steiner 2005, 51–95. Villalón, Cristóbal de: El Scholástico, hg. v. Marcelino Menéndez Pelayo, Madrid: Sociedad de Bibliófilos Madrileños 1911. Den Text des Ms. H reproduziert auch Armendáriz, Ángel M.: Edición y estudio de El Scholástico de Cristobal de Villalón, Diss., The Catholic University of America, Washington D.C. 1966. Beide Texte konnte ich leider nicht sichten. Ich danke dem an der Universidad Complutense de Madrid ansässigen Projekt Dialogyca BDDH: Biblioteca Digital de Diálogo Hispánico für die freundliche Bereitstellung eines Digitalisats des Ms. H.
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deckt und veröffentlicht wurde.5 Mit zwei Fragen zu diesen beiden Manuskripten setzt sich die Forschung bis heute auseinander: Zum einen bestehen Uneinigkeiten darüber, ob beide Manuskripte als autografisch anzusehen sind oder ob es sich um Kopien handelt;6 zum anderen wird auch weiterhin ihre zeitliche Einordnung diskutiert, ist doch keine der beiden Schriften datiert. Insgesamt scheinen sich die Manuskripte jedoch in den Zeitraum zwischen 1538 und 1542 einordnen zu lassen.7 Unstrittig ist die Chronologie der beiden Handschriften: Ms. P ist eindeutig nach Ms. H verfasst worden, was sich an mehreren Fakten erkennen lässt: So sind beispielsweise die Randbemerkungen des Ms. H in Ms. P bereits Bestandteile des Haupttextes; das zweite der beiden Proömien des Ms. H erscheint außerdem in Ms. P als einziges Vorwort in einer abgeänderten und gekürzten Version.8 Den Verfassungszeitraum des Textes gibt der Autor im Ms. H noch mit sechs Jahren („en estos mis quatro libros (avnque pequeños) estuve seis años cumplidos en los escrevir“, h. 3r)9, im Ms. P dagegen mit zehn Jahren („que en estos mis quatro libros (aunque pequeños) estuve diez años en los escrebir“, S. 5) an. Des Weiteren hebt er die Bedeutung des Ms. P explizit hervor: „Éste es mi único hijo, puesto caso que otros engendré, pero este tiene la mejora de mi caudal“ (S. 5). Die Beurteilung der zahlreichen Abweichungen zwischen den beiden Manuskripten ist jedoch auch weiterhin ein zentrales Diskussionsthema in der Forschung: Während Vian betont, die Änderungen seien eher formaler als inhaltlicher Art,10 hebt Martínez Torrejón hervor, dass sie nicht nur die Orthographie 5
Vgl. Kerr, Richard J. A.: „El ‚Problema Villalón‘ y un manuscrito desconocido del ‚Scholástico‘“, in: Clavileño 31 (1955a), 15–22. Das Ms. P ist auch Grundlage für seine Edition von Villalón, Cristóbal de: El Escolástico, hg. v. Richard J. A. Kerr, Madrid: CSIC 1967 sowie für die neueste Edition von José Miguel Martínez Torrejón, Barcelona: Crítica 1997. Die folgenden im Text angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf diese Edition von Martínez Torrejón. 6 Für einen Überblick über die verschiedenen Theorien vgl. Martínez Torrejón, José Miguel: „Prólogo“, in: Villalón, Cristóbal de: El Scholástico, hg. v. José Miguel Martínez Torrejón, Barcelona: Crítica 1997, XLVIII–L. 7 Vgl. dazu beispielsweise Martínez Torrejón 1997, LI–LII. 8 Vgl. Kerr, Richard J. A.: „Prolegomena to an Edition of Villalón’s Scholástico“, in: Bulletin of Hispanic Studies 32 (Juli 1955b), 135–138. 9 Im Folgenden verwende ich den spanischen Bezeichnungen entsprechend für das Manuskript H „h.“ (= hojas) für die unpaginierten Proömien (h. 2r–7v) und „f.“ ( = folios) für die paginierten Seiten (f. 1r–155r). 10 Vian Herrero, Ana: „El Scholástico de Cristóbal de Villalón: un manifiesto por el humanismo en la hora de los especialistas“, in: Boletín de la Real Academia Española 82.286 (2002), 309. Dieser Artikel ist eine erweiterte Version der folgenden Vorträge aus dem Jahre 2002, auf die ich im Weiteren nicht verweisen werde: Vian Herrero, Ana: „Images de l’Université et du professeur universitaire dans El Scholástico de Cristobal de Villalón: actualité de sa critique“, in: Bideaux, Michel / Fragonard, Marie-Madeleine (Hg.): Les Echanges entre les universités européennes à la Renaissance. Colloque international organisé par la Société Francaise d’Étude du XVe siècle et l’Association Renaissance-Humanisme-Réforme Valence, 15–18 mai 2002, Genève: Droz 2003, 113–128 und Vian Herrero, Ana: „Théorie et représentation du philologue humaniste dans El Scholástico de Cristóbal de Villalón“, in: Galand-Hallyn,
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und den Stil beträfen, sondern vielmehr den ideologischen Wert des Textes: Neben den verschiedenen inhaltlichen Erweiterungen seien in Ms. P beispielsweise ganze Passagen gestrichen worden, die in ideologischer Hinsicht kritisch waren oder bei denen es sich offensichtlich um Plagiate handelte; im Prolog zu Ms. P verschwindet ebenso Villalóns Verteidigung zu den Vorwürfen, mit dem Scholástico lediglich Castigliones Cortegiano imitiert zu haben; es wird zudem die Reihenfolge verschiedener Erzählungen und Anekdoten der Gesprächspartner verändert und insgesamt erscheint die Handlungsebene deutlich detaillierter.11 Im Folgenden werde ich mich hauptsächlich am Ms. P als letzte bekannte Redaktion des Scholástico orientieren und auf das Ms. H hinweisen, wenn es für den Untersuchungszusammenhang relevante Abweichungen aufweist.
3. FORMALER AUFBAU UND KONZEPTION 3.1. Die besondere Rolle der Malerei im Prolog des Scholástico Dass der Bildenden Kunst in Villalóns El Scholástico ein hoher Stellenwert zukommt, zeigt sich an der besonderen Rolle, die der Malerei bereits im Prolog zuteil wird. Zu Beginn exponiert Villalón das Vorhaben, das er mit diesem Text verfolgt, welchen er dem zukünftigen Felipe II widmet:12 [...] la presente obra, en la qual se forma una académica república o scholástica universidad, con las condiciones que debe tener el buen discípulo y debe ser elegido el buen maestro. Dirigido al muy alto y muy poderoso prínçipe don Phelipe, nuestro señor, hijo del invictísimo emperador Carlos, nuestro rey y señor (S. 3).
Ziel ist demnach, die Bedingungen des vollkommenen Schülers und zur richtigen Wahl des guten Lehrers in der perfekten Universität zu entwerfen. Im Folgenden wird es nicht unbedingt um eine realisierbare Ausbildung gehen, sondern vielmehr um den Entwurf eines Idealbildes. Den Idealitätscharakter der Darstellung unterstreicht Villalón mit einer bekannten Anekdote von Apelles:13 Bereits Alexander der Große verordnete, dass einzig Apelles ihn malen dürfe. Nicht nur schätzte er dessen Urteilsvermögen in besonderer Weise; nur Apelles sei fähig, so ließ er verlauten, mit seiner Kunst die Mängel wettzumachen, die die Natur verursacht habe (S. 3). Villalón, so wird hier gleich zu Beginn deutlich, nimmt in diePerrine / Hallyn, Fernand / Tournoy, Gilbert (Hg.): La philologie humaniste et ses représentations dans la théorie et dans la fiction, Bd. II, Genève: Droz 2005, 463–494. 11 Vgl. Martínez Torrejón, José Miguel: „Para una edición de El Scholástico, de Cristobal de Villalón“, in: Noguera Guirao, Dolores / Jauralde Pou, Pablo / Reyes, Alfonso (Hg.): La edición de textos. Actas del I Congreso Internacional de Hispanistas del Siglo de Oro, London: Tamesis 1990, 311–316. 12 Der letzte Abschnitt des Vorworts, in dem der Text nochmals dem „tan alto y tan poderoso príncipe, rey y señor“, „Vuestra Magestad“ (S. 7), d.h. Felipe II, gewidmet wird, ist laut Martínez Torrejón erst nach 1556 zum Text hinzugefügt worden (Villalón 1997, 7, Anm. 12). 13 Vgl. Plinius Secundus d.Ä.: Naturalis Historiae / Naturkunde, hg. und übers. von Roderich König in Zus.arbeit m. Gerhard Winkler, Bd. VII, München: Heimeran 1975, 92–93 [§125].
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sem Prolog ein klares self-fashioning vor: Er selbst setzt sich mit der herausragenden Malerpersönlichkeit der griechischen Antike, Apelles, gleich und offenbart damit, dass seine im Folgenden entfaltete Bescheidenheit und Demut lediglich vorgegeben ist und als captatio benevolentiae verstanden werden kann. Felipe II, den Widmungsträger, bringt er damit gleichsam in die Rolle von Apelles’ Patron Alexander dem Großen.14 Mit der genannten Apelles-Anekdote nun rekurriert er nicht nur auf die für die Kunst relevante Diskussion zwischen „Naturtreue“ und „Naturüberwindung“.15 Es ist damit außerdem die Schwierigkeit angezeigt, welcher der Künstler bei der Reproduktion seines Modells gegenübersteht.16 Dieser sieht sich nun auch Villalón in seinem Vorhaben des „pintar aquí una scolástica universidad, o académica república, o escuela de letras, en imitaçión de la república çevil que debujo Platón“ (S. 3) ausgesetzt. Auffallend ist hier wiederum der Bezug auf die Malerei, genauer die Anwendung malereitheoretischen Vokabulars: Das Verb pintar benutzt er sowohl in seiner Bedeutung von ‚malen‘ als auch als ‚bildlich darstellen bzw. beschreiben‘:17 „Es nuestra intençión pintar aquí una scolástica universidad“, sein Vorhaben ist eine „tan alta pintura“ (S. 3); später wird es heißen, niemand solle glauben, dass es im dritten Buch seine Intention wäre, „quererme yo pintar aquí“ (S. 5). Platon schrieb seine Politeia nicht, er zeichnete sie: „la república çevil que debujó Platón“ (S. 3). Im Ms. H formuliert er ferner sogar, er wolle eine Akademie oder Universität „en retrato y imitaçion de la república çevil que debujo Platon“ (h. 6r) entwerfen.18 Sein Ansinnen, ein Idealbild der Universität in Imitation von Platons Politeia zu entwerfen, ist, dessen sei er sich bewusst, derart ambitioniert, dass er sich allein bei dem Versuch schäme (S. 3–4).19 Zur Illustration seiner Empfindungen ob der großen Aufgabe, die er sich hier gestellt hat, nimmt er wiederum die Maler und die Malerei als Vergleich: Manche würden sich eher entscheiden, den Pinsel gar nicht erst in die Hand zu nehmen, als ihren hohen Ansprüchen nicht gerecht zu werden („estimando tanto la materia que tienen por mejor nunca tomar el pinçel en la mano que, tomado, faltar en la pintura quando deben mostrar mayor 14 Vgl. Bollard, Kathleen: „Ekphrasis and the Renaissance Student: Classical versus Biblical Authority in Villalón’s El Scholástico“, in: Armas, Frederick A. de (Hg.): Ekphrasis in the Age of Cervantes, Lewisburg: Bucknell Univ. Press 2005, 60. 15 Vgl. Panofsky 1960, 23–25. 16 Villalón 1997, 3, Anm. 2. 17 Bollard 2005, 60. 18 Den Vergleich des Dialogs als ‚Porträt‘ der Gelehrtengemeinschaft hatte bereits Castiglione im Widmungstext des Cortegiano vorgenommen: „mandovi questo libro come un ritratto di pittura della corte d’Urbino, non di mano di Rafaello o Michel Angelo, ma di pittor ignobile e che solamente sappia tirare le linee principali, senza adornar la verità de vaghi colori o far parer per arte di prospettiva quello che non è“ (Castiglione, Baldesar: Il Libro del Cortegiano con una scelta delle Opere minori, hg. v. Bruno Maier, Turin: Unione Tip.-Ed. Torinese 1964, 71). 19 An späterer Stelle wird Villalón nochmals darauf hinweisen, dass keinesfalls er der ideale Lehrer sei, der in diesem Werk porträtiert bzw. skizziert werde, jedoch: „no podemos negar que mostramos aquí quáles trabajamos ser, pues cobdiçiamos que tales sean todos“ (S. 5).
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perfeçión“, S. 4). Villalón greift weitere der Naturalis Historia entstammende Anekdoten auf:20 Von zwei Venusgemälden des Apelles, die im Laufe der Zeit verfallen oder nach dem plötzlichen Tod des Künstlers unvollendet geblieben waren, sei dem zweiten bereits in unbeendetem Zustand („en sombra“) solche Wertschätzung zugekommen, dass man glaubte, ein Abschluss von fremder Hand würde es lediglich in seinem Werte herabsetzen (S. 4). Villalón dagegen habe sich, trotz des immensen Respekts, den er dieser großen Aufgabe gegenüber empfand, dennoch entschieden, sein Vorhaben – genauer, jene „disputa“ zwischen den Universitätsangehörigen – herauszubringen („sacarla a luz“, S. 4). Ausschlaggebend sei dabei vor allem seine Beobachtung der sich immer weiter verschlechternden Lehr- und Studienbedingungen an den kastilischen Universitäten gewesen sowie insgesamt der Niedergang der letras, und er hoffe mit seinem Beitrag, so ist hier implizit zu erfahren, die Fürsten und Hochschulrektoren zu den notwendigen Reformmaßnahmen bewegen zu können (S. 4–5).21 Insbesondere von Vian ist darauf hingewiesen worden, dass El Scholástico zu einem Zeitpunkt verfasst worden ist, an dem die Krise des Unterrichts der artes liberales an den Universitäten aufgrund der zunehmenden Popularität der Jurisprudenz als Studienfach bereits begonnen hatte.22 Villalón erkennt die ersten Anzeichen und Gründe dieser Krise bereits und weiß sie in den Dialog über die ideale Universität einzuflechten.23 Am Ende des Prologs bittet der Autor den Leser um eine wohlwollende Aufnahme seiner Schrift. Wiederum nimmt er dazu eine Anekdote von Apelles zur Illustration: Er schließlich könne nicht, wie es Apelles zu tun pflegte, hinter seiner Leinwand stehen und die Kritik der Vorbeigehenden zurückweisen (S. 6).24 Kritik, so fährt er fort, sei insbesondere dann zu verurteilen, wenn sie von unwissenden Personen stamme. Der gleichen Ansicht sei wiederum auch Apelles gewesen: Dieser habe sogar seinem Patron Alexander eines Tages den Mund verboten, als er in seiner Unkenntnis mit ihm über die Kunst diskutieren wollte (S. 7).25 Villalón rekurriert im Prolog, so zeigte sich, in besonderem Maße auf die Malerei und die Maler. Er vergleicht sich (und sein Vorhaben) nicht etwa mit einem antiken Dichter oder Philosophen, sondern mit dem Maler Apelles. Immer wieder hebt er dabei Ähnlichkeiten in der Imitationsleistung von Dialog und Malerei hervor, ähnlich wie dies auch Speroni in seiner Dialogpoetik Apologia dei Dialogi (1574) tun wird. Es wird damit bereits vom Prolog an eine besondere Nähe zwischen dem Dialog und den Bildenden Künsten bzw. zwischen dem Dialogschreiber und dem Künstler zu Grunde gelegt, die sich im weiteren Verlauf explizit in der räumlichen Ausstattung des Dialogs manifestieren wird.
20 Vgl. Plinius 1978, 70–72 [§91–92]. Vgl. Villalón 1997, 4, Anm. 3. 21 Vgl. Kerr, Richard J. A.: „Prolegomena to an Edition of Villalón’s Scholástico“, II, in: Bulletin of Hispanic Studies 32 (Okt. 1955c), 204. 22 Vian Herrero 2002, 342ff. 23 Ebd., 347. 24 Vgl. Plinius 1978, 66–67 [§84–85]. Vgl. Villalón 1997, 6, Anm. 8. 25 Vgl. Plinius 1978, 68–69 [§85–86]. Vgl. Villalón 1997, 7, Anm. 11.
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3.2. Weitere Aspekte zur formalen Struktur Neben diesen bemerkenswerten malerei- und kunsttheoretischen Bezügen macht der Prolog auch Aussagen zu den verschiedenen Quellen und Traditionen, derer sich Villalón für die Komposition des Scholástico bedient – dies allerdings hauptsächlich im Proömium des Ms. H. Im Vorwort des Ms. P fehlt nicht nur Villalóns Zurückweisung der Vorwürfe, mit dem Scholástico lediglich Castigliones Cortegiano imitiert zu haben („Algunos que hasta aqui han visto este nuestro libro dizen […] que quasi le trasladé“, Ms. H, h. 3v) sowie seine Verteidigung, auf Spanisch anstatt auf Latein zu schreiben (Ms. H, h. 7r), sondern ebenso die Lektüreliste antiker und zeitgenössischer Autoren und Quellen (Ms. H, h. 3v–5v).26 In dieser Liste spricht sich Villalón wiederholt für die Lektüre paganer Autoren aus – eine Aussage, die sich für den weiteren Verlauf des Dialogs noch als besonders wichtig erweisen wird. Des Weiteren rechtfertigt er sein Werk an dieser Stelle auch aus gattungstheoretischer Perspektive, indem er Autoren nennt, die ihn „en el estilo del dialogar“ (Ms. H, h. 3v) beeinflussten:27 Zentral sind Platons Politeia, Macrobius’ Saturnalia, die Dialoge Ciceros sowie selbstverständlich Castigliones Cortegiano;28 als Quellen nennt er daneben vor allem Plutarch, Lukian und Seneca und räumt unter den christlichen Gelehrten Hieronymus einen zentralen Platz ein. Insgesamt schreibt sich der Scholástico in verschiedene (Dialog-) Traditionen ein, vor allem des ciceronianischen Dialogs; verschiedene Aspekte lassen sich jedoch auch auf den Symposion-Typus sowie auf die mittelalterliche Debatte oder Disputation zurückführen.29 Dass in der genannten Lektüreliste Erasmus von Rotterdam fehlt, war in der Forschung immer wieder Anlass zu Interpretationen. In seinem Erasme et l’Espagne hatte Bataillon, auch aufgrund dieser Tatsache, für den Scholástico noch behauptet: „L’érasmisme en est absent“.30 Kincaid jedoch wies als Erster daraufhin, dass zahlreiche Inhalte des Scholástico einem erasmischen Humanismus entstammen: Dazu zählen die Kritik an Aberglaube und Heuchelei, die 26 Vgl. Kincaid 1973, 115. 27 Martínez Torrejón, José Miguel: Diálogo y retórica en el Renacimiento español: El Escolástico de Cristóbal de Villalón, Kassel: Reichenberger 1995, 44. 28 Auf die Gemeinsamkeiten (und Unterschiede) zwischen Villalóns Scholástico und Castigliones Cortegiano, sicherlich eine der am häufigsten diskutierten Fragen in der Forschungsliteratur, kann im engen Rahmen dieser Arbeit leider nicht näher eingegangen werden. 29 Vgl. Martínez Torrejón 1995, 79–89. 30 Bataillon, Marcel: Érasme et l’Espagne. Recherches sur l’histoire spirituelle du XVIe siècle, Paris: Droz 1937, 702. Zum spanischen Erasmismus sei aufgrund der Grenzen dieser Arbeit an dieser Stelle lediglich darauf hingewiesen, dass bereits Rallo Gruss kritisierte, dass Bataillon die spanische Renaissance als „un caso muy especial de humanismo cristiano dependiente del pensador holandés“ dargestellt habe (Rallo Gruss 2007, 30–31). Rallo Gruss stellt im Gegensatz klar: „El erasmismo en literatura no puede entenderse como modalidad única de ideología humanista y renacentista en España“ (ebd., 41). Die Beurteilung und Bewertung des tatsächlichen Einflusses Erasmus’ auf die spanische Renaissanceliteratur gestalte sich schwierig, „porque su influencia nunca aparece de forma exclusiva sino combinada con otros autores, como los humanistas italianos“ (ebd., 39).
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Verurteilung heidnischer Zeremonien, die Kritik am Verfall des Klerus, die Verurteilung der Sophisterei sowie die Verteidigung der antiken heidnischen Schriften in der humanistischen Ausbildung.31 In einer späteren Veröffentlichung postuliert Bataillon dann die Orientierung von vier Kapiteln des Scholástico (II.2, III.5, III.8, III.9) an Erasmus’ Antibarbarorum liber.32 Batllori nennt Villalón in seiner Aufzählung der „erasmistas españoles“.33 Auch Rallo Gruss urteilt in ihrer Studie zum Einfluss Erasmus’ auf die Prosa der spanischen Renaissance für Villalón, „Como escritor inquietante y sugeridor Erasmo está en su obra, aunque en ninguna lo nombre“, auch bei Villalón fänden sich schließlich „antibelicismo, la crítica escolástica, el reformismo social y la misoginia“ genannt.34 El Scholástico ist im diegetischen Modus verfasst. Villalón tritt in drei Rollen bzw. auf drei Ebenen in diesem Text auf, die sich zuweilen überschneiden oder vereinen.35 Wir treffen, erstens, auf einen „Villalón-autor“, der im Prolog auf die Jahre des Schreibens hinweist: „en estos mis quatro libros […] estuve diez años […], trabajando con mis posibles fuerzas por sacar la muestra de todo mi saber“ (S. 5). Auf einer zweiten Ebene tritt er als „Villalón-amanuense“, als Schreiber, Sekretär oder Chronist auf, der das nun Folgende als Transkription von Gesprächen präsentiert, denen er beiwohnte („En el año del Señor de mil y quinientos y veinte y çinco yo me hallé en esta bienaventurada universidad“, S. 13–14), an denen er jedoch nicht aktiv als Sprecher teilnahm. Kapitel I.1 („en el qual el auctor propone el convite donde por los convidados fue formado el scholástico, y mueve a los oyentes a atençión“, S. 11) und Kapitel I.2 („en el qual el auctor propone los convidados y comiença a narrar el prinçipio de su conversaçión“, S. 12), in denen er in der ersten Person Singular die Umstände des Gesprächs schildert, sind als Prolog dieses Sekretärs oder Transkriptors zu verstehen. Dieser Transkriptor verschwindet jedoch ab Kapitel I.3 zunächst, und macht den Weg frei für einen nicht näher charakterisierten Erzähler, der die weiteren Geschehnisse in der dritten Person schildert: „Pues juntos todos aquellos señores […], salieron“ (S. 16); „Todos aquellos señores rieron mucho“ (S. 23); „En esta buena conversaçión iban todos aquellos señores“ (S. 63), etc. Der Transkriptor wird auf dem Rückweg nach Salamanca von den anderen Gesprächsteilnehmern gebeten, die Unterhaltung in schriftlicher Form zu fixieren: El Rector y todos aquellos caballeros me mandaron que yo me recogiese y con el mayor estudio y industria que yo pudiese escribiese lo que en su feliçe pasatiempo habían hablado, [...] Yo les prometí de se lo escrebir por su demasiada importunaçión, quedando ellos de rever y corregir mi trabajo de cada día. Y yo también lo açepté [...]. Quando tuve acabado el 31 Vgl. Kincaid 1973, 134–137. 32 Vgl. Bataillon, Marcel: „Héritage classique et culture chrétienne à travers El Scholástico de Villalón“, in: Redondo, Augustin (Hg.): L’Humanisme dans les lettres espagnoles. XIXe Colloque International d’Études Humanistes, Tours 5–17 Juillet 1976, Paris: J. Vrin 1979, 15–29. 33 Batllori 1987, 41. 34 Rallo Gruss, Asunción: Erasmo y la prosa renacentista española, Madrid: Laberinto 2003, 115–116. 35 Die folgenden Ausführungen basieren auf Martínez Torrejón 1995, 61–62.
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presente trabajo yo se le ofreçí a estos generosos y sabios varones, y ellos hallaron ser escripto conforme a su intinçión (S. 338–339).
Es ist dieser Transkriptor, der wiederholt einen weiteren Grund für die Redaktion des Textes nennt, nämlich um eine rühmliche Erinnerung an die salmantinische Universität und ihre Gelehrten zu hinterlassen. So heißt es im Prolog zum vierten Buch aus seinem Munde: Pues ¿con quánto mayor ánimo podré yo intentar este interés si con el uso de la virtud, en imitaçión de los buenos, le procuramos alcançar, trabajando con todo nuestro estudio dexar memoria en nuestra escriptura de la doctrina y valor destos egregios varones de que en nuestra obra entendemos representar, y engrandeçer la nuestra gloriosa Universidad de Salamanca con loores destos sus buenos hijos? […] a lo menos quiero lo intentar por que el gran saber y merescimiento destos gloriosos varones no quede sin se publicar […] (S. 239).
Die Inszenierung des Dialogs als Transkription eines tatsächlich stattgefundenen Gesprächs ist – darauf ist in dieser Arbeit bereits hingewiesen worden – als Konvention des literarischen Dialogs zu verstehen. Die Beauftragung einer Person, das Gespräch zu transkribieren, wie es auch im Scholástico geschieht, ist eine häufige Vorgehensweise. Mit dem nunmehr dargelegten „Authentizitätsanspruch“ stellt sich jedoch immer gleich auch die Frage nach der „Faktizität bzw. Fiktivität des berichteten Gesprächsereignisses“, die jedoch nicht abschließend beantwortet werden kann.36 Gleichwohl wird sie auch in der Forschung zum Scholástico immer wieder aufgegriffen und diskutiert. So meint beispielsweise Kerr, dass sich das dargestellte Gespräch auch in der Realität abgespielt haben könnte, denn tatsächlich hätten sich einige der im Text genannten Personen zu jener Zeit nachweislich in Salamanca aufgehalten und auch die Überreste des Landguts, in dem die Gespräche stattfanden, seien noch erhalten; einzig für Villalóns Anwesenheit sei lediglich der Scholástico Zeugnis.37 Später jedoch räumt Kerr ein: „There is of course no certainty that the debate ever took place“.38 Der Transkriptor gibt uns zu Beginn des ersten Buches Hinweise darauf, wie der nun folgende Dialog einzuordnen ist: Er stellt Cicero, Platon und weitere antike Dialogautoren nicht nur als sich in Gesprächen und Diskussionen ereifernde Persönlichkeiten vor, sondern weist ebenso daraufhin, dass diese „sabios antiguos“ zahlreiche Fest- oder Gastmähler in schriftlicher Form hinterlassen hätten, und er – diesen Vorbildern entsprechend – hier ebenso vorgehen wolle: Así como lo hizieron éstos que dixe […], así yo agora quiero en exemplo déstos escrebir un notable convite de sabios varones, en el qual hubo muy suaves manjares, y entre ellos se movió una subtil disputa, que era querer saber qué se requería para que un virtuoso mançebo pudiese seguir las scienças en scuelas, y formar un scholástico natural […] (S. 12).
Er wolle nun in gefälligem Stil die Eloquenz der illustren Gesprächsteilnehmer darlegen:
36 Häsner 2002, 125. 37 Kerr 1955a, 17. 38 Kerr 1955c, 206.
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V. Cristóbal de Villalóns El Scholástico Yo trabajaré por os mostrar en apazible estilo la facunda eloquençia destos elegantes varones [...]. Ninguna cosa deseo más que escrebirlo para todos tan dulçe quanto sabrosos nos fueron los manjares y conversaçión a los que en el convite nos hallamos (S. 12).
Dies betont er auch in der Rolle des Transkriptors an späterer Stelle nochmals: „yo imitarlos en eloquencia para hazer lo que digo verdad“ (S. 240). Die Gespräche zwischen den Gelehrten erscheinen entsprechend der vier Tage, an denen die Diskussion stattfindet, aufgeteilt in vier Bücher. Die an diesen Tagen insgesamt behandelten Themen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Das 1. Buch (I) behandelt vor allem moralische Themen als Studienvoraussetzung, d.h. die Freundschaft, die Tugend und insbesondere die Freiheit, die auf unterschiedliche Weise eingeschränkt wird; das 2. Buch (II) thematisiert die Ausbildung des perfekten Schülers, nennt dabei zunächst die universitären Hauptfächer (Theologie, Recht, Medizin) und stellt dann konkrete Leitlinien des idealen Schülers auf, die nicht nur das Studium, sondern insgesamt den Lebensstil betreffen. Die Konstitution des idealen Lehrers ist Schwerpunkt des 3. Buches (III); dort werden zumeist Negativbeispiele zur Abschreckung genannt. Das 4. Buch enthält allgemeine Regeln und Normen, die der Scholástico im gesellschaftlichen Umgang – in Bezug auf Kleidung, Freundschaften und Konversationsverhalten, aber auch hinsichtlich der Rolle der Frau und der Liebe – einhalten sollte.39 Neben diesen Hauptthemen lassen sich im Scholástico zahlreiche Digressionen nachweisen, die zumeist in Form von kurzen Erzählungen, scherzhaften Geschichten und exempla erscheinen. Unter den exempla historischer, poetischer (d.h. literarischen oder mythologischen Ursprungs) und wahrscheinlicher Natur dominiert das illustrative, nicht das explikative, exemplum; häufig stellen die erzählten Geschichten, der mittelalterlichen Tradition nach, Negativbeispiele dar. Villalón, so konkludiert Martínez Torrejón in Rückgriff auf Walter Pabsts zentrale These zur Novellentheorie (1967), geht es primär nicht um das docere der exempla, sondern vielmehr um das delectare: „La voluntad de narrar desplaza a la necesidad de ilustrar, el deleite a la doctrina“.40 Und nicht zuletzt gehört gerade das Erzählen zu den Kommunikationsfähigkeiten des idealen Scholástico.
4. DIALOGSETTING UND SPRECHERKONSTELLATION Das erste Buch des Scholástico ist in platonisch-ciceronianischer Tradition als Präambel zu betrachten: Es stellt die Gesprächspartner vor, führt in Zeit und Ort der Diskussion ein und präsentiert bereits einige marginale Themen, die den Hauptdiskurs unterstützen.41 Im Sommer des Jahres 1528, so erfahren wir, lädt der 39 Vgl. Rallo Gruss, Asunción: La prosa didáctica en el siglo XVI, Madrid: Taurus 1987, 101– 102. 40 Vgl. Martínez Torrejón, José Miguel: „Valor retórico del relato corto en El Scholástico de Cristobal Villalón“, in: García Martín, Manuel (Hg.): Estado actual de los estudios sobre el Siglo de Oro. Actas del II Congreso Internacional de Hispanistas del Siglo de Oro, Bd. II, Salamanca: Univ. Salamanca 1993, 635–640. 41 Vian Herrero 2002, 312.
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Prior von Roncesvalles, Francisco de Navarra, nach seiner Wahl zum Rektor der Universität von Salamanca eine illustre Runde von Gelehrten, Humanisten und Kirchenmännern ein, die sommerliche Hitze auf einem Landsitz des Duque de Alba, in „un aldea fresca que está ahí çerca en la ribera de Tormes“ in der Nähe Salamancas, zu verbringen (S. 15–16). Villalón situiert das Gesprächsgeschehen damit in einem „pasado salmantino idealizado“.42 Das Gespräch findet, wie bereits erwähnt, an vier Tagen statt. Morgens ereifert man sich in Debatten und Diskussionen, die Nachmittage sind dem otium cum dignitate vorbehalten und damit leichteren Gesprächsthemen, die auch während des Mittag- oder Abendessens behandelt werden können.43 Auch die Inszenierung des Gesprächsortes lässt eine eindeutige Verbindung zur dialogischen Tradition Platons und Ciceros erkennen: Vor allem die Gärten des Landguts, in die sich die Gelehrten zuweilen zurückziehen, sind ein locus amoenus, fern ab von den Verpflichtungen der Stadt, der den Geist erfrischt und zu intellektueller Betätigung anregt.44 Der Einladung des neu ernannten Rektors folgen, so erfahren wir zu Beginn des ersten Buches, zahlreiche gelehrte und in verschiedensten Disziplinen bewandte Persönlichkeiten, die sich zu jener Zeit an der Universität Salamanca aufhielten. Zu dem Rektor gesellen sich neben dem Humanisten Fernán (oder Hernán) Pérez de Oliva und dem „Maestrescuela de la Universidad“, Francisco de Bobadilla – diese drei als zentrale Figuren des nun folgenden Dialogs – zahlreiche weitere, eher als sekundär einzustufende Persönlichkeiten, die alle in Beziehung zur hier gerühmten Universität stehen: Der Theologe Alonso Osorio, die Toledaner Francisco de la Vega und Gabriel Manrique, Antonio de Velasco, Álvaro de Mendoza, der aus Úbeda stammende Alberto de Benavides, der Portugiese Francisco Manrique sowie zahlreiche weitere „varones señalados“ (vgl. S. 14–15). Eine singuläre Position in der Gruppe nimmt Bonifacio ein, ein Verwalter und Diener des Duque de Alba, der die Gruppe bei ihrer Ankunft im Dorf in Empfang nimmt. Beschrieben als „viejo sabio y de buena conversaçión, […] bien razonado y del palaçio“ (S. 63), ist er der einzige Nicht-Akademiker und, im Gegensatz zu den anderen Figuren, von fortgeschrittenem Alter; er repräsentiert damit eher eine soziale Gruppe (des Dieners, des Alten) als ein Individuum. Dies entspricht nicht unbedingt der platonisch-ciceronianischen Dialogtradition, ist jedoch für den spanischen Renaissancedialog nicht ungewöhnlich.45 Die historische Person Francisco de Navarra wird erst 1529 zum Rektor der Universität Salamanca gewählt, nimmt dort ab diesem Zeitpunkt eine bedeutende Rolle ein und wählt später einen kirchlichen Berufsweg; während dieser Zeit nimmt er unter anderem am Konzil von Trient teil. In Villalóns Dialog erfüllt er die Rolle eines Moderators, der die Regeln des Gesprächs aufstellt, die zu behandelnden Themen festlegt und zuweilen Erklärungen von den Sprechern einfordert. Der historische Pérez de Oliva war Navarras Vorgänger im Amt des Rektors; 42 43 44 45
Vian Herrero 2002, 337. Ebd., 312. Ebd. Martínez Torrejón 1995, 59–60.
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seine Bedeutung für die Universität manifestiert sich unter anderem in der Veröffentlichung der unter seiner Obhut entstandenen reformerischen Statuten des Jahres 1529. Er starb bereits 1531 und damit vor dem Abschluss des Scholástico, womit ihm als Figur im Dialog eine besondere Position zukommt. Oliva ist der wahre Protagonist und der ausgewiesene „maestro“ des Dialogs. Neben Oliva und dem Rektor steht als weiterer Sprecher Francisco de Bobadilla (bzw. de Mendoza y Bobadilla), der, aus historischer Perspektive, einer der bekanntesten Humanisten seiner Zeit war. Im Jahre 1528 wird er zum „Maestrescuela“ der Universität Salamanca ernannt, 1536 wird er Bischof von Coria.46 Die Sprecherkonstellation und Rollenverteilung des Scholástico mit der Dreiteilung der primären Ebene (Navarra, Bobadilla und Oliva) sieht Martínez Torrejón als Parallele zu Castigliones Cortegiano: Dort delegiere schließlich die Duchessa Elisabetta das Gespräch an ihre Schwägerin Emilia Pia, die wiederum Ludovico da Canossa den Entwurf des perfekten Hofmanns übertrage. Die Figuren bei Villalón, so fährt Martínez Torrejón fort, wiesen jedoch eine geringere Flexibilität auf; insbesondere Oliva nähme gegenüber seinen Gesprächspartnern im Gegensatz zu Ludovico eine klare Vorrangstellung ein.47 Ähnlich dazu hatte auch Vian davon gesprochen, dass die argumentative Tiefenstruktur des Scholástico einer Lehrer-Schüler-Beziehung entspreche, nur dass hier die ‚Lehrerfigur‘ aus drei prestigeträchtigen Personen und die des ‚Schülers‘ aus verschiedenen sekundären Gesprächsteilnehmern bestehe, analog zu Ciceros De Oratore.48
5. DIE (WAHREN) QUELLEN HUMANISTISCHER WEISHEIT. EKPHRASEN IM SCHOLÁSTICO Wie bereits der Prolog offenbarte, fällt der Bildenden Kunst in El Scholástico eine besondere Rolle zu, zieht Villalón doch dort die Malerei und die Maler in intensiver Weise als Vergleichsobjekte für den Dialog und den Schreibprozess heran. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, inwiefern in literarischen Dialogen die Argumentation räumlich indexikalisiert ist. Das Landgut nun, in dem das Gespräch der Gelehrten über die Ausbildung des idealen Studenten und seines Lehrers stattfindet, ist mit zahlreichen Kunstwerken ausgestattet, die als intermediale Bezüge, genauer: in Form von Ekphrasen, literarischen Kunstwerkbeschreibungen, in Szene gesetzt werden. Zwar erscheinen dabei alle drei Gattungen der Bildenden Kunst (d.h. Architektur, Malerei und Bildhauerei) in Form ekphrasti46 Vgl. Martínez Torrejón 1995, 50–52 und 50–51, Anm. 17–19. Pérez de Oliva wird in den meisten Studien als Simulacrum des Autors wahrgenommen, vgl. z.B. Bataillon (1979, 23): „Oliva, porte-parole de Villalón“. 47 Vgl. Martínez Torrejón 1995, 52–53 und 1997, XXI. Die „signora Duchessa Elisabetta Gonzaga“ (Castiglione 1964, 85) sei „per grandissima signora conosciuta“ (ebd., 86); über „la signora Emilia Pia“ heißt es, „per esser dotata di così vivo ingegno e giudicio, come sapete, pareva la maestra di tutti“ (ebd., 85); darum ist auch sie es, die schließlich entscheidet, dass Ludovico da Canossa den perfekten Hofmann entwerfen soll (ebd., 101ff.). 48 Vian Herrero 2002, 312–313.
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scher Beschreibungen; im Zentrum des Gesprächs steht jedoch immer wieder ein kunstvoll gestalteter und mit antiken Mythen und Erzählungen verzierter Brunnen, der sich als entscheidend für den Scholástico erweisen wird.
5.1. Antike Architektur und alttestamentarische Fresken Nach der Einführung in Personenkonstellation und Gesprächsumstände lernen wir die vom Erzähler vorgestellten Gesprächspartner auf ihrem Spaziergang zum Landsitz des Herzogs kennen. So erzählen sie sich zunächst gegenseitig vergnüglich verschiedene Geschichten über die Freundschaft (vgl. S. 16–36); anschließend gelangen sie über das Lob des epikureischen Hedonismus zur Erkenntnis, dass die Tugend die zentrale Voraussetzung für die Erlangung von Weisheit sei (vgl. S. 37–58). Anhand dieser Gesprächsthemen führt der Dialog die zentralen Eigenschaften vor, durch die sich die Gruppe auszeichnet: Freundschaft und Tugend.49 In Gespräche vertieft, erreichen sie das Dorf und werden nach dem für die nächsten Tage obligatorischen Besuch der Messe vom Hausverwalter Bonifacio in Empfang genommen (S. 63). Nach dem gemeinsamen Essen, bei dem es zu einer Debatte zwischen Bonifacio und Francisco de Bobadilla über die vier Schwierigkeiten des Alters kommt (vgl. S. 68–82), bietet der Verwalter der Gruppe an, ihnen zur Erholung das Haus zu zeigen. Die Gelehrten folgen Bonifacio bei einem Rundgang durch das Gebäude, dessen architektonische Details ihnen von dem Hausverwalter beschrieben werden. Es kommt hiermit zur ersten ekphrastischen Beschreibung im Scholástico: Luego todos aquellos caballeros, puestos en pie, siguieron a Bonifaçio, y puestos en el patio de la casa, se la començó a mostrar cada pieça por sí. –Veis aquí, señores, el patio: el más bien quadrado y de más razonable tamaño, con cada seis colunas en cada quadra. Mirad que cada coluna es de una pieça, […], con su follaje y romanía en los arcos, bases y chapitel. Sentid aquel aire y vivo de aquella medalla que está entre cada arco, de la qual paresce ser Aganides el tallador. Mirad cómo parescen desde aquí bien aquellos dos altos de corredores, […] y son solana y entrada para cada quarto por sí. Subamos la escalera y mirad si Dédalo la pudiera más perfecta fundar: […], y mirad las moldaduras del chapitel, raçimos y artesones. […] Mirad todos los techos labrados […]. Mirad estas ventanas y rejas que se abren en esta plaza […]. Mirad quán graçiosa quadra para hazer una cama, con este retrete y recámara, por la qual salimos a estos corredores que caen sobre el jardín. En éstos hizo el duque pintar estas pinturas que aquí veis, […] (S. 83–84).
Zweifelsfrei wird durch diese besondere Form der Beschreibung das Haus und dessen Architektur hervorgehoben. Betrachten wir zunächst die sprachliche Gestaltung: Bonifacio beschreibt das Haus, indem er die anwesesenden Gelehrten in Imperativen („mirad“, „sentid“, etc.) zur Betrachtung und Wahrnehmung der be49 Das am vierten Tage von Bobadilla genannte Kriterium Platons, dass die ideale Republik auf Freundschaft gebaut sein sollte („que si hubiese de constituar alguna república, que él trabajaría que fuese compuesta de grandes amigos“, S. 303), erfüllt die hier gezeigte Gelehrtengruppe damit in besonderem Maße.
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sonderen Details des Gebäudes animiert.50 Nimmt man nun die von Bonifacio genannten und damit besonders markierten Gebäudeelemente genauer in den Blick, fallen die architekturtheoretischen Fachbegriffe auf, die er verwendet. Es wird deutlich, dass das Landgut des Herzogs architektonische Elemente aufweist, wie sie uns spätestens seit der Analyse von Sagredos Medidas del Romano aus der antiken Architektur bekannt sind – Säulen („colunas“), die besonders gestaltet sind („follaje y romanía“), typische Bögen, Basen und Kapitelle („arco“, „arcos, bases, y chapitel“), Gesimse („moldaduras del chapitel“) sowie besondere Pilaster („bestiones“) (S. 83–84). Das Haus des Herzogs ist damit nachweislich im Stil der antiken Architektur gebaut und das auf so authentische Weise, dass einzelne Elemente, so hebt Bonifacio hervor, von den antiken Künstlern persönlich gestaltet zu sein scheinen („aquella medalla que está entre cada arco, de la qual paresce ser Aganides el tallador“, S. 83) oder mit diesen eindeutig konkurrieren können („Subamos la escalera y mirad si Dédalo la pudiera más perfecta fundar“, S. 83). Die Gruppe betritt danach eine zum Garten hin offene Galerie, deren Seitenwände mit kunstvollen Malereien geschmückt sind, für deren Anfertigung der Herzog besonders talentierte Künstler aus fremden Ländern beauftragt hatte (S. 84). Bei diesen Fresken in dem an die antike Architektur angelehnten Landhaus handelt es sich um Darstellungen von Szenen aus dem Alten Testament, die im Folgenden der Kunstkenner und -liebhaber Pérez de Oliva ausführlich beschreibt. Als erstes findet sich dort eine Darstellung der Opferung Isaaks durch Abraham,51 die Oliva mit den folgenden Worten schildert: Por Dios, señores, ésta es la obra más subida que yo nunca vi, y de la más injeniosa mano y natural que en el mundo se pueda haber. Esta historia es de Habrahán quando sacrificaba a su hijo Is[a]ac: notad aquella humildad del buen hijo [...], y el buen viejo apesarado porque le ha de matar por obedescer a Dios [...]. Mirad con qué aire alça el espada; [...]. No hay coraçón que de piedad no vaya corriendo a tenerle el braço y humillado de rodillas no le suplique tenga lástima de aquella gloriosa juventud y no dexe huérfana de tal hijo tan bienaventurada vejez (S. 84).
Oliva weist seine Gesprächspartner, ähnlich wie Bonifacio, in Imperativen („notad“, „mirad“) auf die einzelnen Elemente des Bildes hin.52 Wie bei solchen literarischen Kunstwerkbeschreibungen üblich, so wird auch in der ScholásticoForschung immer wieder die Frage nach der Existenz oder der Fiktivität des hier beschriebenen Kunstwerks aufgeworfen; diese erscheint jedoch obsolet. Vielmehr soll uns beschäftigen, dass Olivas Beschreibung der Isaak-Malerei sich hier als Ekphrasis erweist,53 die viele Rekurse der antiken und rinascimentalen Kunstwerkbeschreibungen aufgreift. Zu diesen zählt nicht nur das einführende Lob des Kunstwerks, sondern auch, dass Oliva neben der Darstellung der Ereignisabfolge außerdem die Emotionen und Intentionen der gemalten Figuren ganz so ‚liest‘, 50 51 52 53
Bollard 2005, 61. Vgl. Gen 22,1–19. Bollard 2005, 61. Darauf weisen Vian Herrero (2002, 312) und insbesondere ausführlich Bollard (2005, 60ff.) hin.
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wie es für die poetische und die kunsthistorische Ekphrasis typisch ist:54 So sähe man „aquella humildad del buen hijo“ sowie „el buen viejo apesarado“, „gimiendo de su spíritu“ (S. 84). Besondere Bedeutung kommt damit einhergehend dem Ende der Beschreibung der Isaak-Szene zu, denn die gemalte Darstellung ist von solcher Ingeniösität und Vorzüglichkeit, dass der Betrachter geneigt ist, Abrahams Hand zu ergreifen, um damit die Tragödie abzuwenden (S. 84). Oliva fährt danach mit einer weiteren Kunstwerkbeschreibung fort. In diesem Falle handelt es sich um eine Bilderreihe, die verschiedene Episoden der Josefserzählung zeigt:55 Acá delante está pintada la historia de Jacob, quando junto con sus doze hijos oye los sueños de su muy amado Joseph. ¡Oh, válame Dios, qué colores y pintura! Paresce que en el vivo están. Mirad cómo todos los hermanos, puestos en çircuito en el campo de Sichimis consultan [...]. Mirad con qué aire y aparencia con que Rubén le defiende [...]. Veis aquí cómo persuadidos le echan en la çisterna [...]. Notad cómo por consejo de Judas le venden [...], Rubén, el qual, venido en la noche por le sacar al poço, como no le halla [...]. Notad cómo traen al padre la vestidura teñida con sangre [...]. Véis aquí cómo le venden los ismaelitas a Putiphar, despensero de Pharaón, [...]. Véis aquí cómo la muger de Putiphar, [...], le persuade que le comunique su amor [...], y él, menospreçiándola, huye de la cama. [...] Mirad cómo por la afrenta que rescibió da vozes, [...], muestra la capa que en las manos le dexó quieréndola forçar (S. 84–86).56
Wie die Isaak-Ekphrasis ist auch die Josef-Ekphrasis in sprachlicher Hinsicht durch die Verwendung von Imperativen gekennzeichnet („mirad“, „notad“, „veis aquí“, etc.). Statt eines einzelnen Freskos wird hier jedoch eine ganze Reihe von Bildern ins Zentrum gerückt, deren Beschreibung, mit Ausnahme der Darstellung der Frau Potifars, eher narrativ denn deskriptiv zu nennen ist; Gespräche und Reden werden zusammengefasst, insgesamt überwiegt die Handlung.57 Diese narrative Struktur ist auch für die klassische Ekphrasis typisch.58 Worauf ich hier den Fokus legen möchte, ist der kunsttheoretische Gehalt dieser Ekphrasis: Neben dem obligatorischen Lob des Malers („su hermosura, porque altamente se mostró el injenio del pintor“, S. 85) finden sich der Rekurs auf den Topos der Lebensechtheit („Paresce que en el vivo están“, S. 84) sowie die Beto54 Vgl. Hollander 1988, 209. 55 Vgl. Gen 37,1–41,36. Insgesamt handelt es sich damit hier eigentlich nicht ausschließlich, wie noch Martínez Torrejón urteilte, um Darstellungen verschiedener biblischer Episoden, die allesamt einen gewaltsamen Tod zeigen – vorausgeahnt, fingiert oder real (Martínez Torrejón 1995, 49). 56 Im Ms. H fällt diese Textstelle einige Zeilen ausführlicher aus: U.a. wird explizit die Szene genannt, an der die Brüder die Kleidung Josefs mit Blut tränken; die Beschreibung der verzweifelten Reaktion des Vaters auf den vermeintlichen Tod Josephs ist etwas detaillierter: „contemplad al pobre viejo aqui llorando a su hijo Joseph, llenas las mexillas de lagrimas sin cabellos ya que pelar, vestido de un saco, sentado en el suelo con el rostro muy triste que nunca se vio“ (Ms. H, f. 35v). 57 Vgl. Bollard 2005, 63–66. 58 Boehm, Gottfried: „Bildbeschreibung. Über die Grenzen von Bild und Sprache“, in: Boehm, Gottfried / Pfotenhauer, Helmut (Hg.): Beschreibungskunst – Kunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart, München: Fink 1995, 33.
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nung der hervorragenden Kolorierung des Bildes („¡Oh, válame Dios, qué colores y pintura!“, S. 84). Besonders sticht die Beschreibung von Potifars Frau hervor, legt Oliva doch dort einen klaren Fokus auf die ingeniöse künstlerische Darstellung („altamente se mostró el injenio del pintor, el qual, […] fue tan subtil que dio lugar a que pudiésemos juzgar la proporçión de cada miembro por sí“, S. 85). Dies wird noch deutlicher, wenn man die an dieser Stelle leicht veränderte Formulierung im Ms. H betrachtet: Y mirad como ella saliendo tras el descubre toda su hermosura: en la qual altamente se mostro el injenio del pintor i bistiola en la pintura de vna delgada camisa: la qual aunque della la cubrio nos quiso mostrar la delicadeça y buena proporçion de cada miembro por si (Ms. H, f. 36r).
Auch werden dort mit Josefs Deutungen der Träume des Bäckers und des Pagen des Pharaos im Gefängnis sowie der Reise der Söhne Jakobs nach Ägypten in der Zeit der Dürre (Ms. H, f. 36r) noch zwei weitere Szenen der Bilderreihe genannt, die im Ms. P jedoch nicht mehr vorhanden sind. Im Ms. H spricht Oliva klar aus, worum es ihm bei der Schilderung der Szenen eigentlich geht, und zwar um die Vollständigkeit der Darstellung der Geschichte durch den Maler: „Delante esta hasta el fin de la historia. […] En fin no le falta nada a la historia porque en todo se mostró delicado el pintor“ (Ms. H, f. 36r). Als sich die Gelehrtenrunde von diesen Fresken entfernt, lobt Oliva die betrachteten Bilder abschließend. Dieses Lob ist in besonderem Maße bedeutsam, stellt er mit Blick auf die Wandmalereien doch fest, dass es scheine, als hätten die bekanntesten antiken Maler hier ihr Wissen zeigen wollen: „¡Oh, válame Dios, qué divina pintura! Por çierto que pareçe que Prothógenes, Apeles, Zeuso y Panhasio, famosos pintores, quisieron mostrar aquí su saber“ (S. 86). Diese Lobesworte haben besondere Brisanz, wenn man bedenkt, dass es sich hier schließlich um biblische, alttestamentarische Szenen handelt. Zu einem späteren Zeitpunkt wird diese Aussage Olivas ihr volles Bedeutungspotenzial entfalten. Insbesondere am Ende des (älteren) Ms. H wird der Wert der Bilder im Hause und das kunsttheoretische Interesse der Gelehrten an diesen Bildern deutlich: Zwar setzte sich wie im Ms. P dort der Rundgang durch das Gebäude fort, es findet sich dort allerdings eine weitere Replik Bonifacios zu den Gebäudeelementen und die Gelehrten beschreiten weitere Gemäldegalerien. Dabei weist Oliva auf die Malereien von Kain und Abel sowie des Turmbaus zu Babel hin; im Ms. H taucht erst dort sein oben genanntes Antike-Lob der Szenen auf (Ms. H, f. 36r). Das Haus scheint insgesamt durchgängig mit Fresken und Malereien dekoriert zu sein: [...] se avían detenido mucho en mirar el edificio alto y las pinturas porque también las avía muy buenas en las alcobas y retrete que avía en el otro quarto por donde bajaron. Venidos al patio se entraron en unas salas bajas que estaban junto a los jardines, [...], que no sufre tapizería estaban las paredes pintadas de unas historias muy notables que ponían grande admiraçion (Ms. H, f. 36v).
In diesem mit Fresken ausgestatteten Saal – leider finden sich keine Hinweise darauf, welcher Art die Malereien sind – begeben sich die Gelehrten zum Abend-
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essen, welches sie damit verbringen, die Architektur, die hervorragende Ausstattung des Hauses sowie die sie umgebenden Fresken zu bewerten und zu loben: Y entretanto que cenavan no se les ofreció cosa que sea de notar: por que toda la scena gastaron en loar el edeficio de la casa y el buen orden y concierto de las piezas y hermosura: y lo que del tiempo les quedo ponderavan ally las pinturas que estaban en aquella sala: porque eran mucho [sic] buenas y eran todos aquellos señores afizionados a las ver (Ms. H, f. 36v).
Damit findet der erste Tag des Gesprächs sein Ende. Für die Ekphrasen des ersten Buches lässt sich nun zusammenfassend konstatieren: Bonifacios GebäudeEkphrasis verdeutlicht zunächst die antike Architektur des Hauses – diese ist so authentisch, dass einzelne Elemente von den antiken Künstlern persönlich gestaltet zu sein scheinen. Auch die im Inneren dieses durch die Antike inspirierten Gebäudes zu findenden, alttestamentarische Szenen zeigenden Fresken, wiederum als Ekphrasen in Szene gesetzt, werden aufgrund ihrer Vorzüglichkeit als wie von antiker Künstlerhand gemalt dargestellt. Überdies fiel auf, dass die Kunstwerke im Inneren des Hauses fast ausschließlich aufgrund ihres kunsttheoretischen und emotiven Gehalts gelobt werden. Das eigentlich zentrale Thema des Zusammentreffens der Gelehrten – der Entwurf der Bedingungen des perfekten Schülers und zur richtigen Wahl des guten Lehrers in der idealen Universität – entfaltet sich jedoch noch nicht an diesen Kunstwerken, sondern erst an dem danach im Zentrum stehenden Brunnen.
5.2. Antike Mythologie und humanistische Weisheit. Zur zentralen Bedeutung des Brunnens Das zweite Buch wird zunächst mit einem Wechsel des Settings eröffnet: Die Gespräche am folgenden Morgen finden nicht mehr im Haus, sondern im Garten statt, zu dem sie Bonifacio nach dem Besuch der Morgenmesse geleitet (S. 87). Die Beschreibung dieses Gartens als locus amoenus,59 genauer als paradiesischer hortus conclusus,60 nimmt nun der Erzähler vor: Era una huerta en ribera de Tormes, muy fértil y abundante de muchas frutas y arboleda, y a la entrada estaba un jardín tan fresco, tan delectable y hermoso que dixeras no diferir del lugar dedicado para la creaçión del primer padre Adán. En el medio dél estaba una fuente hecha en toda perfeçión; […]. Estaban las piedras labrados por arte maravillosa (S. 87).
Bereits während des Weges zum Landsitz des Herzogs war die sie umgebende Landschaft von Alonso Osorio auf ähnliche Weise als locus amoenus mit seinen bekannten Elementen („la serenidad del çielo, la deleitable mañana, la suavidad del verde prado, la amena arboleda, el graçioso canto de los pájaros“, S. 37) beschrieben worden. Später wird Oliva sogar explizit darauf hinweisen, dass dieses Garten-Setting auch im Besonderen als Anspielung auf den antiken Dialog zu verstehen ist: „Estaba muy ufano aquel divino Sócrates quando en el coloquio de 59 Bollard 2005, 67. 60 Villalón 1997, 87, Anm. 2.
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Phedón […]. No estoy agora menos ufano que Sócrates, […]; ni falta aquí aquel deleitoso y ameno huerto donde disputó Sócrates con Phedrón de pulchro“ (S. 119). Hier allerdings legt der Erzähler sein besonderes Augenmerk auf einen in der Mitte des Gartens befindlichen Brunnen, der vor allem durch seine kunstvolle Gestaltung auffällt. Der Brunnen wird für das gesamte Gespräch eine zentrale Position einnehmen: Die Gesprächspartner werden zu Beginn eines jeden Tages zu diesem Brunnen zurückkehren (so am dritten Tag, S. 173, und am vierten Tag, S. 241) und in der immer gleichen Sitzordnung um diesen Brunnen herum ihre Gespräche führen. In die vier Seiten des quadratischen Brunnenbeckens, so berichtet der Erzähler, sind Szenen des Aeneas-Mythos eingemeißelt, und zwar – um diese zunächst nur kurz aufzuzählen – der Seesturm, Aeneas’ Treffen mit seiner Mutter Venus, Aeneas und Dido in Karthago sowie Aeneas’ Abreise und Didos Selbstmord; auf dem Säulenschaft ist die Erzählung von Pyramus und Thisbe dargestellt:61 Estaba allí esculpida aquella fragosa tempestad […]. Vieras los quatro vientos que con su ímpetu mueven […]. Vieras cómo, quebradas las antenas [...]. En otro quarto del alberca estaba esculpido cómo, [...] tomando Eneas su arco [...]. En otro quarto del alberca estaba esculpido cómo, venido de Carthago, entran en el templo [...]. Vieras cómo, venida la reina Dido al templo, [...]. En el otro quarto estaba cómo Eneas vuelve a proseguir su viaje y la reina Dido se mata apasionada de amor. En la piedra en que estaba el caño de la fuente, estaba esculpida, [...], la historia de Píramo y Tisbe [...] (S. 87–88).
Die Ekphrasis des Brunnens unterscheidet sich von den ekphrastischen Beschreibungen des ersten Buches nicht nur inhaltlich, wie ich sogleich zeigen werde, sondern auch sprachlich: Statt eines Dialogsprechers nimmt nun der Erzähler die Beschreibung vor; dieser Wechsel geht mit einer Änderung der zur Beschreibung verwendeten Verben einher, indem statt Imperativen hier neben dem Imperfekt Indikativ („estaba esculpido“) das im Renaissancespanischen sowohl als Konditional als auch als Subjunktiv zu lesende „vieras“, an den Leser gerichtet, steht. Insbesondere diese Subjunktive hatte Bollard als Hinweis auf den imaginären Status des Kunstwerks gedeutet und die Brunnenbeschreibung damit als „notional ekphrasis“ eingestuft.62 Die Beschreibungen des Erzählers, so hatte sie damit einhergehend ebenfalls postuliert, „rely on literary descriptions impossible in artistic representation“.63 Zwar lese ich „vieras“ als Konditional; zweifelsfrei stimme ich ihr jedoch darin zu, dass der Brunnen durch die hier gewählte anders gestaltete Ekphrasis in seiner Relevanz für den Dialog besonders hervorgehoben ist.
61 Kerr 1955c, 206. Die ausführlichste Darstellung der Aeneas-Erzählung findet sich bei Vergil (vgl. Vergil: Aeneis, übers. und hg. v. Wilhelm Plankl, Stuttgart: Reclam 1974, I, 102–130, 305–320, 450–642 und IV, 663–705; vgl. Villalón 1997, 88, Anm. 3–6). Die Erzählung von Pyramus und Thisbe findet sich erstmals in Ovids Metamorphosen (vgl. Ovid: Metamorphoses / Verwandlungen, eingel. und übers. v. Hermann Breitenbach, München: DTV 2003, 72– 78). 62 Bollard 2005, 69. 63 Ebd., 72.
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Auf den vier Seiten des Brunnenbeckens („quarto del alberca“, S. 87–88) sind die folgenden Szenen des Aeneas-Mythos zu sehen: Zunächst der Seesturm mit all seiner Kraft und Gewalt (die vier Winde, riesige Wellen, gebrochene Schiffsmasten und -segel, die schreiende Besatzung), den Aeneas überlebt und an die Küste Karthagos gespült wird (S. 87–88). Auf der nächsten Seite sieht man Aeneas mit seinem Freund Achates bei der Erkundung der Gegend und bei der Jagd im Wald, wie er seiner Mutter Venus, diese in ausführlich beschriebenem und gelobtem „hábito de cazadora“, begegnet (S. 88). Es folgen auf der dritten Seite Szenen aus dem Juno-Tempel in Karthago: In eine Wolke gehüllt betreten Aeneas und seine Begleiter den Tempel; Aeneas weint vor den dort gemalten Bildern der Troja-Zerstörung. Die Königin Dido tritt ein: Man präsentiert ihr die Schiffbrüchigen Sergestus, Gyas, Cloanthus und Ilioneus, von denen letzterer zu einer Rede anhebt („hecho en tan perfeta arte que no le faltaba sino que naturaleza le diera las vozes con que hablar“). Aeneas tritt daraufhin aus der Wolke vor Dido, die ihn mit großer Liebe empfängt (S. 88). Schließlich ist auf der vierten und letzten Seite Aeneas’ Abreise und Didos Selbstmord (S. 88) eingemeißelt. Dass die in den Kunstgesprächen präsentierte textuell vermittelte ‚Bildlichkeit‘ in einem besonderen Verhältnis zur Rhetorizität der Texte steht, wird an dieser Stelle paradigmatisch dadurch deutlich, dass mit der Szene, in der Aeneas im JunoTempel die Bildererzählung des trojanischen Kriegs betrachtet, auf eine bekannte klassische Ekphrasis aus Vergils Aeneis rekurriert wird.64 Auch der Säulenschaft des Brunnens ist kunstvoll verziert: Zu sehen ist dort, wie ebenfalls bereits erwähnt, die Erzählung von Pyramus und Thisbe. Diese erscheint reduziert auf das tragische Ende mit dem doppelten Suizid – zu sehen ist unter anderem Thisbe in dem Moment, in dem sie sich bereits mit dem Dolch verletzt hat. Wiederum wird hier die starke Wirkung dieser Darstellung auf den Betrachter betont: „no te puedes sufrir sin que conmovido de piedad acorras al puñal que en la mano tiene, por estorbarle el golpe“ (S. 88). Der Brunnen zeigt damit Szenen der zwei zentralen antiken, unglücklich endenden Geschichten leidenschaftlicher Liebe. Sprachlich wie inhaltlich kontrastiert diese Brunnen-Ekphrasis folglich mit der Ekphrasis der biblischen Fresken und Gemälde im Inneren des Hauses. Martínez Torrejón hatte diesen Kontrast folgendermaßen interpretiert: Die Fresken biblischer Episoden in der Galerie, die alle durch gewaltsamen Tod (vorausgeahnt, fingiert oder real) gekennzeichnet seien, ließen den „jardín-paraíso“, der auch in dem Brunnen Elemente des ciceronianischen sowie des christlichen Gartens zusammenführe und damit zum „jardín ciceroniano-cristiano“ würde, als Trugbild erscheinen; man sei geneigt, in der Gesamtheit damit eine Version des allegorischen, ambigen, täuschenden Paradieses zu sehen, in dessen Annehmlichkeit sich gleichsam auch Sünde und Bedrohung verberge.65 Bollards These hingegen lautete, dass durch die Wahl der komplexeren Form, in der die Brunnen-Ekphrasis verfasst ist, Villalón dessen Bedeutung hervorhebe; implizit, so meint sie, bestärke er hier die Argumentation des 64 Vgl. Vergil 1974, I, V. 453–493. 65 Vgl. Martínez Torrejón 1995, 48–49.
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gesamten Dialogs für den Gebrauch antiker Texte im universitären Curriculum.66 In der Tat wird die Bedeutung der antiken, paganen Schriften für den idealen Gelehrten im Verlauf des Dialogs auf der Argumentationsebene mehrfach hervorgehoben; ich werde sogleich darauf zurückkommen. Geht man davon aus, dass bei literarischen Dialogen die Argumentation auch räumlich indexikalisiert ist, so muss dieser besonders gestaltete Brunnen, der in allen Gesprächen wortwörtlich im Zentrum der Gelehrtenrunde steht, signifikant für die Makroproposition des Dialogs sein. Es geht dabei nicht ausschließlich darum, dass sich die Gesprächsrunde um einen Gegenstand herum versammelt; dies kennen wir bereits aus der Dialogtradition. Auch in Ciceros De Oratore, der seinerseits ja auf das Setting von Platons Phaidros verweist, finden sich die Gesprächspartner um eine Platane herum zusammen;67 in Ciceros Brutus wiederum ist es eine Statue Platons, um die sich die Gesprächsteilnehmer scharen;68 in Pérez de Olivas Diálogo de la dignidad del hombre finden Aurelio und Antonio den für ihr Gespräch als weiser Richter fungierenden Dinarco mit seinem Gefolge um eine Quelle sitzend vor.69 Es ist darüber hinaus die künstlerische Gestaltung dieses Brunnens im Scholástico auffallend: Trotz des eigentlich für das Gespräch zentralen Themas des idealen Gelehrten zeigt der Brunnen hier nicht etwa Prometheus, Vergil oder Platon – also mit dem zentralen Thema des Dialogs einhergehende Abbilder der idealen Gelehrten –, sondern stattdessen Szenen leidenschaftlicher, unglücklich endender Liebe. Den auf den beschriebenen Artefakten dargestellten Szenen kommt schon in den antiken Kunstwerk-Ekphrasen immer eine bedeutungstragende Funktion zu: Man denke nur an die „Bildererzählung vom trojanischen Krieg auf den Mauern des Junotempels in Karthago“, ein „von Aeneas gestiftetes Gewand mit der Darstellung der Ganymedsage“, oder an das Schild des Aeneas mit Szenen aus der zukünftigen Geschichte Roms.70 Es ist diese „doppelte[ ] Repräsentationsstruktur“,71 die für die Ekphrasis immer wieder als grundlegend genannt wird. Yacobi spricht sogar von einer „tripartite chain of mimesis“, die aus Abgebildetem („[the] represented“), Bild („representational“) und Text („representational“) bestehe.72 Für die mit dem Dialog verfolgte Makroproposition ist, so meine ich, sowohl signifikant, was auf diesem Kunstwerk zu sehen ist, als 66 67 68 69
Bollard 2005, 71. Villalón 1997, 89, Anm. 8. Martínez Torrejón 1997, XXX. „Aurelio. – Dinarco es el que está sentado cabe la fuente, y los otros que con él están son los hombres buenos amadores de saber que lo siguen siempre. Antonio. – Pues ésos no serán estorvo, antes he gran plazer que están aquí porque Dinarco sea nuestro juez, al cual yo doy la ventaja de todos nuestros tiempos así en virtud como en letras“ (Pérez de Oliva 1995, 118– 119). 70 Wandhoff, Haiko: Ekphrasis. Kunstbeschreibungen und Virtuelle Räume in der Literatur des Mittelalters, Berlin / New York: De Gruyter 2003, 49. 71 Schaefer / Rentsch 2004, 139. 72 Yacobi, Tamar: „The Ekphrastic Model: Forms and Functions“, in: Robillard, Valerie / Jongeneel, Els (Hg.): Pictures into Words – Theoretical and Descriptive Approaches to Ekphrasis, Amsterdam: VU Univ. Press 1998, 22.
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auch, wie die Sprecher auf dieses Kunstwerk reagieren, d.h. welche Auswirkungen die ekphrastische Beschreibung des Brunnens auf das Sprechen der Dialogfiguren hat. Wie zu zeigen sein wird, kommt die Inspiration zum Gespräch über den idealen Gelehrten erst bei der Betrachtung dieses mit heidnischen Liebesmythen verzierten Brunnens; erst dieser inspiriert zu humanistischer Gelehrtheit. Während, wie ich im Folgenden erläutern möchte, auf der Argumentationsebene für die Lektüre paganer Schriften und für das Ideal der tugendhaften, (neu-)platonischen Liebe sowie für die Notwendigkeit kunst- und architekturtheoretischer Kenntnisse für die ideale Gesprächsführung argumentiert wird, ergibt sich in Verbindung mit der Geschehensebene und der intermedialen Ebene ein komplexeres Bild, was die Quellen humanistischer Weisheit im Gesamten betrifft.
Weisheit durch Lektüre und Weisheit durch Mythos Der mit leidenschaftlichen Liebesgeschichten verzierte Brunnen übt auf die Gelehrten, die ihn am Morgen des zweiten Tages im Garten entdecken, unterschiedliche Wirkung aus. Pérez de Oliva fühlt sich interessanterweise von dem paganen Brunnen sogleich an den legendären Tantalosbrunnen erinnert, der Philosophen aus denen machte, die von seinem Wasser tranken: Por Dios, señores, de las perfectas obras es ésta que he visto en mi vida, que en verla se me representa aquella fuente que leemos de Tántalo, la qual hazía philósophos a los que della bebían (S. 89).73
Oliva setzt den Brunnen damit direkt im engeren Sinne als Quelle der Weisheit in Szene. Alonso Osorio hingegen hebt die „estrañeça“ dieser Brunnenskulptur hervor, und scheint durchaus auch das unglückliche Ende der darauf abgebildeten Geschichten sofort zu erfassen, spricht er doch davon, der Brunnen habe ihm „quitado el deseo de ver cosas buenas“ (S. 89). Es ist daraufhin zu erleben, wie die Gelehrten die Auslegung des Mythos des Tantalosbrunnens – angeregt durch den Brunnen direkt vor ihnen – vornehmen, und zwar jeder Sprecher seinem Fachgebiet oder seinen Interessen entsprechend. Was die Allegorese insgesamt betrifft, so standen bekanntlich mehrere Formen zur Disposition.74 Auf Bitten von Alonso Osorio legt Oliva, ganz wie es seiner Rolle als maestro entspricht, zunächst die textuell überlieferte „verdad desta histo73 Martínez Torrejón (1997, XXX) sieht in diesem Vergleich zum Tantalosbrunnen und seiner Position auch wiederum Ähnlichkeiten zum Baum der Weisheit des biblischen Paradieses. 74 Aus der langen Reihe von Theorietexten zur Allegorese und Exegese sei an dieser Stelle lediglich auf den konzisen Beitrag von Meier hingewiesen, die in besonderen Maße auf die Überschneidungen zwischen der „Bibelallegorese nach der Lehre des mehrfachen Schriftsinns“ (d.h. Exegese), der „Allegorese der antiken auctores“ und der „mittelalterlichen Dichterallegorie entsprechend dem integumentum-Konzept“ eingeht (Meier, Christel: „Überlegungen zum gegenwärtigen Stand der Allegorie-Forschung. Mit besonderer Berücksichtigung der Mischformen“, in: Frühmittelalterliche Studien 10 (1976), 1–69, hier: 2).
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ria“ (S. 89) dar – diese Formulierung ist zeitgenössisch geläufig gerade für die euhemeristisch-historische Mythenallegorese. Unter den indischen Brahmanen, so habe Oliva es bei Philostratos gelesen,75 habe ein Philosoph namens Tantalos solche Achtung genossen, dass sein Nachfolger einen skulptierten Brunnen mit Tantalos als Gefäßträger habe errichten lassen, aus dem Wasser sprudelte – der Tantalosbrunnen also. Der Genuss dieses Wassers, so sagte man, erwecke den Geist zum Studium der Philosophie (S. 89–90). An diese historische Lesart nun fügen die anderen Gesprächsteilnehmer weitere Auslegungen und Erklärungen an. Der Theologe Osorio zeigt sich, wie üblich, auch über sein Fachgebiet hinausgehend interessiert und fügt eine ernährungsphysiologisch anmutende Erklärung an: Man habe das Wasser dieses Brunnens lediglich deshalb als weise machend empfunden, da es mit besonderen Inhaltsstoffen aus der „sierra“, aus der es stammte, angereichert gewesen sei, die gut für den Magen und erfrischend für den Geist gewesen seien (S. 90–91). Eine ähnliche naturphilosophische Allegorese des Mythos nimmt auch der nächste Sprecher vor: Der an der Medizin interessierte Guillermo nun fühlt sich durch den Brunnen dazu angeregt, allgemein zu postulieren, dass gesunde Ernährung und die bewusste Wahl der Getränke insgesamt von Vorteil für das Studium seien (S. 91). Francisco de la Vega lobt die Runde für diese Auslegungen („Muy bien me paresce, señores, lo que habéis dicho açerca de la fuente de Tántalo y de su propiedad“) und affirmiert abschließend Guillermos These („paresce que la esperiençia muestra ser así lo que, señor Guillermo, dezís“, S. 91). Die von de la Vega selbst in Bezug auf den Brunnen genannte zentrale Quelle der Weisheit verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass er sich im gesamten Gespräch als besonders rational und an Fächern wie der Jurisprudenz interessiert zeigt: „sobre todas estas causas“, so lässt er verlauten, „es mi opinión que la prinçipal parte de ser sabios los hombres está en la virtud del maestro y en el trabajo del discípulo“ (S. 92). Jener an die Tantalosquelle erinnernde Springbrunnen wird nun zum Stimulus für die Diskussion der Gelehrten über die Gründe des Niedergangs der letras,76 und schließlich für das eigentliche Thema des Dialogs, den Entwurf des idealen Gelehrten. Ein zentraler Punkt auf der Diskursebene des Dialogs ist dabei die sich wiederholende und intensiv entfaltende Argumentation für die Lektüre paganer Schriften. Francisco de la Vega eröffnet die Diskussion mit einer Kritik an den schlechten Lehrern, den „tan bárbaros idiotas“ (S. 92), jenen scholastischen „viri obscuri“, gegen die sich der Kampf der humanistischen Bewegung in ganz Europa, 75 Tatsächlich lassen sich zwei Quellen für die Beschreibung der indischen Brahmanen hier erkennen: Zum einen Philostratos’ Vita des Apollonios von Tyana, der die Brahmanen auf seiner Indienreise kennenlernt; zum anderen Erasmus’ Anmerkungen zu den Briefen des Hieronymus an Priester Paulinus. Aus letzterer Quelle übernimmt Villalón die Beschreibung der indischen Brahmanen und der Skulptur (Martínez Torrejón 1997, XXXIX; Villalón 1997, 89, Anm. 10 und 90, Anm. 12). 76 Martínez Torrejón hatte das Gespräch über die Beschaffenheit der Tantalosquelle zwar im Gegensatz zu meiner Deutung als Digression gewertet, jedoch ebenso davon gesprochen, dass diese schlussendlich zum Gespräch über die Gründe des Verfalls der letras führe (1995, 40).
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selbstverständlich auch in Spanien, wendete.77 De la Vegas Vorwurf trifft in der Gruppe auf breite Zustimmung: Alonso Osorio unterstützt ihn und legt eine vor allem astrologisch motivierte Erklärung für den Niedergang der letras dar (S. 92– 93); der Maestrescuela Bobadilla sieht die Ursache eher in der degenerativen Alterung der menschlichen Natur (S. 93–94); Oliva schließlich gibt den Rektoren und Konsuln der Republiken und der Universitäten die Schuld (S. 95) – es seien schließlich diese, die jene „bárbaros idiotas“ als Lehrende einstellten (S. 96); ebenso Schuld seien jedoch auch die Eltern, die offensichtlich nicht darauf achten würden, wer die Lehre ihrer Kinder übernähme (S. 97).78 Die „bárbaros idiotas“, so Oliva, würden das Studium der klassischen, heidnischen Texte verurteilen und stattdessen ausschließlich kirchliche Schriften als maßgeblich erachten: [...] unos bárbaros idiotas, los quales se entremeten, sin saber ni ser examinados, a enseñar [...]. Estos tales luego presumen dezir mal de las doctrinas y lecturas de los sabios antiguos, de aquellas poesías y coloquios, diziendo que corrompen las buenas costumbres y que daña el juizio aquella gentilidad. […] (S. 96). Asalarían, pues, unos bárbaros idiotas que tienen por inviolable opinión que la gramática se debe enseñar a los mochachos con un psalterio, con un centones y con la gramática de un sanctoral y latín de himnos y oraçiones, [...], y detestan y maldizen las buenas leturas de los antiguos como Horaçio, Persio, Juvenal, Marçial, Ovidio, Terençio y Lucano, Vergilio, […], diziendo que éstos corrompen los juveniles juizios con fiçiones gentílicas, y que muestran a los mançebos la lascivia del amor y el satiricar y morder a todos, [...] (S. 98).
Auf Anordnung des Rektors setzen sich die Gesprächspartner nun um den besagten Brunnen, und zwar in protokollarischer und hierarchischer Anordnung (S. 99– 100):79 Estaba la fuente çercada de un çenadero de edefiçio muy subido: tenía sus mármoles en derredor con una red de madera que los çerraba, y toda entretegida de un seto de parras, jazmines, rosas y clavellinas que le daba mucho frescor, y era grande el deleite que daban de sí aquellas flores con su buen olor. Tenía aquel seto, de partes de dentro, unos poyos en derredor de la fuente. Y luego como el Maestro Oliva acabó su razonamiento, mandó el Prior a todos aquellos señores que se sentasen allí, y todos se sentaron con el comedimiento que cada uno debía guardar, acatando la antigüedad y merescer entre sí (S. 99–100).
Diese Positionen werden sie an den folgenden Tagen immer wieder einnehmen; der Brunnen wird damit wiederholt in eine zentrale Position gerückt. Mit Blick auf den Brunnen wird nun das zentrale Gesprächsthema, der Entwurf des idealen Studenten und seines Lehrers, eröffnet: Así que quiero yo [Rector] que entre todos nosotros formemos aquí un scolástico o perfecto varón, con las condiçiones que debe tener para seguir las letras, y dezirle hemos las costumbres y virtudes de que debe adornar su persona para conversar los varones señalados
77 Morreale, Margherita: „Luciano y las invectivas antiescolásticas en ,El Scholástico‘ y ,El Crótalon‘“, in: Bulletin Hispanique 54 (1952), 370. 78 Vgl. Vian Herrero 2002, 319–321. Ähnliche Gründe des Niedergangs der „buenas letras“ werden auch in Villalóns Dialog Ingeniosa comparación entre lo antiguo y lo presente genannt (vgl. Villalón 2010, 334–337). 79 Vian Herrero 2002, 312.
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V. Cristóbal de Villalóns El Scholástico en ellas. Y dársele ha un conforme maestro que le deba enseñar, y darle hemos las leyes conforme a las quales debe elegir, porque con este buen trabajo nuestra salida terná loable efeto, pues consumimos el tiempo de nuestra conversaçión en virtuoso exerçiçio (S. 101).
Bevor Oliva auf Anordnung des Rektors die Normen und Qualitäten des idealen Studenten skizziert, werden von seinen Mitstreitern zunächst Lobreden auf die universitären Hauptfächer („sciencias“, S. 102) gehalten: Osorio spricht über die Theologie, Francisco de la Vega über die Jurisprudenz und Guillermo Carrillo über die Medizin (vgl. S. 102–118). Es obliegt Pérez de Oliva, die Grundsätze des perfekten Schülers zu skizzieren: Er solle gottesfürchtig sein (S. 120), dem Lehrer gegenüber Gehorsam zeigen (S. 131) sowie im Studium Konzentration, Fleiß und Zurückgezogenheit an den Tag legen (S. 133). Der ideale Student weist außerdem ein Universalwissen auf („tener maestros sabios de diversas doctrinas y sciençias“, S. 136). Bereits Cicero habe, so berichtet uns Oliva, schließlich als Orator alle Künste und Wissenschaften erlernt, neben den artes liberales auch die Malerei („aprendió […] la pintura de Diogeneto“, S. 138), die Architektur und die Magie (S. 137–138). Diesem Vorbild solle der Scholástico unter der Aufsicht guter Lehrer nacheifern, sich als aufmerksamer Schüler und guter Christ allerdings dabei ausschließlich den „sciençias líçitas“ (S. 142) und nicht „el arte mágica, nigromançia, zorzismos, conjuros, […], y qualquiera otra speçie de divinança“ (S. 144) widmen.80 Er solle, so fährt Oliva fort, eine klare und verständliche Sprache verwenden und nicht schlecht über andere reden (S. 149–150). Die Auffassung eines naturgegebenen Unvermögens von „memoria“, „injenio“ oder „juizio“ weist Oliva scharf zurück; kausal für Unwissenheit seien immer Nachlässigkeit und Faulheit des Einzelnen (S. 151–154).81 Nach dieser Skizzierung des idealen Studenten will der Rektor sogleich zu den Normen des idealen Lehrers übergehen. Es kommt hier allerdings zu einer dialogtypischen Interferenz von Handlungsund Diskursebene: Ein Page unterbricht die Gesprächsrunde, da das Essen aufgetischt wird. Auch bei dem nun folgenden gemeinsamen Mahl wird das Gespräch, wenn auch mit leichterer Thematik, fortgeführt, und als weitere Leitlinien für den Schüler werden die Abstinenz vom Alkohol (S. 160–164) sowie unterhaltende, jedoch maßvolle Freizeitaktivitäten (S. 164–169), die „pasatiempos honestos“ (S. 169), genannt. Wie zur Bestätigung der letztgenannten Norm vergnügen sich die Gelehrten zu Abschluss des Tages in Spielen und leichten Gesprächen, und auch das Abendessen verläuft „en mucho regoçijo y pasatiempo“ (S. 170–172). Im dritten Buch, in dem es auf der Argumentationsebene hauptsächlich um die Normen des idealen Lehrers geht und wiederum für die Lektüre der heidnischen Schriften und gegen die Ansichten der bárbaros idiotas argumentiert wird, 80 An dieser Stelle folgen zur Illustration vier Anekdoten – von unterschiedlichen Gesprächspartnern als Augenzeugenbericht erzählt –, die jeweils einen Bereich zeigen, der mit schwarzer Magie zu tun hat (S. 144–149) und damit für den christlichen Studenten ausgeschlossen ist (Kincaid 1973, 122). 81 Die Natur habe schließlich selbst die Tiere mit außergewöhnlichen Fähigkeiten ausgestattet, so Oliva. Auch diese Auffassung wird durch die weiteren Gesprächspartner anhand von vier exempla illustriert, die von besonders klugen und talentierten Tieren sowie wundersamen Gewässern erzählen (S. 155–159).
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steht der Brunnen nochmals an exponierter Stelle. Auch hier kehren die Gelehrten zu Anfang des Tages in den Garten zurück; dieser wird auf der Erzählerebene wiederum als locus amoenus und zudem als Bild der Seligkeit inszeniert: Venida la mañana, las regocijadas aves hazían por el jardín muy dulçe armonía, y era tanta la suavidad que daban de sí aquellas olorosas yerbas y flores con el frescor del alba, y tan apazible deleite el susurro y caída de la fuente, que el ánima que alumbrada de fee no estuviera tocada, le fuera façilmente persuadido consistir la bienaventurança en el gozo de aquel tan delectable lugar (S. 173).
Die Gruppe setzt sich um den Brunnen an ihre angestammten Plätze (S. 173). Nach einer einführenden Rede des Rektors wird Oliva gebeten, nun von den Bedingungen des idealen Lehrers zu sprechen (S. 176). Die Auswahl und Kontrolle, so legt Oliva dar, müsse durch die Regierenden und die Eltern geschehen; insbesondere für die Studenten adeliger Herkunft seien Kenntnisse in armas und letras verpflichtend (S. 176–183). Die Lehrer selbst müssten frei sein (S. 183–195) sowie weise,82 durch die curiositas geleitet universell gebildet und auch in ihrer Lebensführung vorbildlich (S. 195–203), ganz im Gegensatz zu den wiederholt kritisierten bárbaros idiotas. Diese plädierten im Grunde für eine Limitierung des Wissens: Hay un género de hombres tan bárbaro y tan pertinaz en su errada opinión que con todas vozes y palmadas posibles trabajan por defender que sea pecado mortal […] querer saber más de lo razonable y estudiar tanto que presuman querer alcanzar el çentro de las letras humanas. […], y para corroboraçión y fundamento desta su errada y ignorante opinión, procuran haber auctoridades y exemplos de la Sagrada Escriptura […] (S. 197).
Der Lektüre antiker Schriften stünden diese feindlich gegenüber: Y si en su presençia habláis de las escripturas de los sabios antiguos, deziros han que habéis sido curioso en escudriñar lo que no trae algún provecho, y huelgan de gastar con vos sus çenas y tiempos si de contino habláis en vinos o en arte de cozina […] (S. 200).
Daneben betont Oliva das bevorzugt hohe Alter der Lehrer („se deben elegir por maestros de su república scholar varones viejos, sabios, auctoriçados por gravedad“, S. 203–207).83 Bereits Kiger hatte in ihrer numerisch angelegten Studie gezeigt, dass sich im Scholástico insgesamt eine deutlich höhere Anzahl klassischer denn christlicher Namen, Zitate, exempla und Referenzen finden lassen.84 Neben den bereits genannten Beispielen finden sich die meisten expliziten Argumentationen für die Lektüre antiker, paganer Schriften jedoch im achten und neunten Kapitel des 82 An dieser Stelle wird wiederum auf den weisen Tantalos hingewiesen: „Y así, mientra en aquellos pueblos bragmanes (que así se llamaban en la India) vivía aquel sabio Tántalo y su discípulo Iarcas, fue afamada de sabios aquella provinçia y por rescebir dellos aquella doctrina navegaron gran copia de egregios varones de lejas tierras a ser sus discípulos“ (S. 195– 196). 83 Ein Vorschlag, der mit dem Status der Gesprächsteilnehmer klar kontrastiert (Vian Herrero 2002, 314). 84 Vgl. Kiger, Jean Moore: „The Extent and Nature of the Use of Classical Sources in Villalón’s El scholástico“, in: Renaissance Quarterly 36.3 (1983), 368–398.
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dritten Buches (S. 212–220 und S. 221–224). Oliva hat sich inzwischen den Vorgaben für die Lehre zugewandt, im Speziellen den Büchern und Autoren, die zur Lektüre angeordnet und gelehrt werden sollen. Im Gegensatz zu den bárbaros, die die Lektüre der antiken, heidnischen Schriften verurteilen (S. 213–215), solle der humanistische Lehrer klassische Werke unterrichten, so die Meinung Olivas: Quiero yo, […], que los maestros de nuestra academia y universidad lean a sus discípulos siempre las lecturas de los antiguos sabios y eloquentes philósophos, oradores, historiadores y poetas, porque en la verdad en éstos está la verdadera doctrina, incorrupta latinidad y elegançia de dezir y exemplo de buenas costumbres (S. 212).
Die ablehnende Haltung der „bárbaros idiotas“ den Schriften der „gentiles“ gegenüber sei insofern hinfällig, als dann ebenso die Ausübung jeglicher Profession, Kunst oder Wissenschaft unterlassen werden müsse, denn so gut wie alles sei bereits in der heidnischen Antike erfunden worden85 – auch die Malerei: „Cesen ya los pintores sus colores y de tratar los altos y vivos matices, pues Apeles y Diogeneto primero los trataron“ (S. 216). Auf die heidnische Antike, so fährt er fort, gehe schließlich ebenso die Erfindung der Schrift zurück, deren Ursprung signifikanterweise wiederum in der Malerei liegt: Cosa muy notoria es, según dizen Platón y Cornelio Táçito, que antiguamente no había figuras de letras con que escrebir, y que para cumplir esta necesidad de entenderse los hombres en ausencia, usaban pintar una culebra deleznable para designar el tiempo, y por la envidia una serpiente, y por escrebir el rey pintaban una abeja haziendo miel en la colmena, y así pintaban diversas figuras para significar y manifestar sus intençiones (S. 219).
Olivas Hinweis auf die Hieroglyphen als Vorläufer der Schrift ist auch insofern aufschlussreich, als die (ägyptischen) Hieroglyphen in den zeitgenössischen Kunstschriften doch, das hohe Alter der Malerei betonend, ein häufig verwendetes Argument zur Aufwertung der Malerei waren.86 Zum Schluss spricht Oliva sich ohne Vorbehalte nochmals für die Lektüre der antiken Schriften aus: Pues aprendamos de aquí adelante a sacar provecho de las escripturas de los gentiles, porque en la verdad todas están preñadas de sentençias y doctrinas muy saludables para nuestra salvaçión; no sigamos ni miremos a sus luxurias, avariçias, ambiçiones ni superstiçiones, […] (S. 223).
Er argumentiert für die Lektüre der antiken Schriften, und nicht etwa für die Verbannung der christlichen Schriften aus der Lehre: Pues quiero yo, señor don Antoño, que nuestro buen maestro con su gran prudençia, vista la dispusiçión del discípulo, le lea destos buenos libros con buena industria, y no es mi intinçión expeler de nuestra universidad del todo aquellos libros de sanctos varones, […], mas e mi intinçión traer a nuestra lectura y estudio aquellos libros gentiles, […] (S. 224). 85 „En conclusión: no tenemos algo los cristianos que no lo hayamos rescebido de los gentiles, y ellos como inventores nos lo han dexado“ (S. 219). 86 Vgl. dazu beispielsweise Calvo Serrallers Erklärung in Bezug auf den Discurso de la comparación... von Pablo de Céspedes: „Mencionar a los jeroglíficos egipcios como elemento precursor de la pintura es un lugar común que, sobre la base de ciertos textos clásicos, se repite en la mayoría de los tratados artísticos del Renacimiento“ (Calvo Serraller 1991a, 94, Anm. 3).
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Wie viele andere christliche Humanisten in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, so meint Kiger, „Villalón thus affirms in the words of his discussants his fervent belief that the study of buenas letras of the ancient Greeks and Romans is of great spiritual and temporal benefit to Christian scholars“.87 Diese vereinigende Ansicht entspricht in besonderer Weise der Forderung nach Universalwissen des Humanisten, wie er später nochmals exponieren wird: Así que avisamos al nuestro buen maestro que con gran cuidado y continuación vea y pase muchos libros de diversos auctores, porque con la variedad dellos y freqüente liçión se hará universal sabio y en muchas doctrinas visto (S. 234–235).
Auf der Argumentationsebene wird damit in großen Teilen des Dialogs der Lektüre der paganen Schriften eine besonders zentrale Position für den idealen Gelehrten zugesprochen. Dies ist beachtlich, wenn man bedenkt, dass sich das Gespräch nicht nur vor dem besagten, mit paganen Mythen verzierten Brunnen abspielt, sondern die Inspiration zum Gespräch erst durch die Betrachtung dieses Brunnens gekommen ist, er also der Stimulus für das Gespräch, für den Entwurf des idealen Gelehrten war. Nicht etwa die Auseinandersetzung oder das Gespräch über einen antiken Text hat die Gelehrtenrunde auf ihr zentrales Thema gebracht, sondern die Betrachtung und die Auslegung der Brunnenskulptur: Diese wird nicht nur explizit durch den Vergleich zur mythologischen Tantalosquelle als Quelle der Weisheit hervorgehoben, erst durch die Auseinandersetzung mit eben diesem Mythos und seinen verschiedenen Auslegungen durch die Sprecher kommen die Gelehrten auf das eigentliche Gesprächsthema. Die intermediale und die Geschehensebene zeigen also gemeinsam insofern ein komplexeres Bild als die Argumentationsebene, als für die Erlangung (humanistischer) Weisheit nicht nur die Lektüre der paganen Schriften zentral zu sein scheint, sondern überdies auch die Auseinandersetzung mit der paganen Mythologie im Allgemeinen.
Tugendhafte versus leidenschaftliche Liebe Dies zeigt sich noch deutlicher im vierten Buch des Scholástico. Wiederum kehren die Gelehrten zu Beginn des Tages, nachdem sie die Messe gehört haben, in den Garten zurück und setzen sich an die ihnen zugewiesenen Plätze um den Brunnen: Venida la mañana, después que todos aquellos señores, despedido el sueño, se levantaron de sus camas, se juntaron para oír misa, y después que se les fue dicha volviéronse al xardín por proseguir en el orden de su intençión, y desque se asentaron cada uno en su lugar acostumbrado, el Rector propuso así: […] (S. 241).
Der Rektor lobt nun die bisher für den perfekten Gelehrten aufgestellten Regeln und Vorschriften, gibt jedoch zu bedenken, dass es noch weitere Kriterien gäbe, die der ideale Gelehrte erfüllen müsse („otras muchas cosas que le adornarán la persona y costumbres, y le harán ser de más estima de aquellos con quien hubiere 87 Kiger 1983, 391.
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de conversar“, S. 241). Auf Wunsch des Rektors sprechen sie daraufhin über das Auftreten und insgesamt das Sozialverhalten des idealen Schülers: Bescheiden und ernst solle er sein, höflich, wohlerzogen, nicht unangemessen heiter, im Gespräch verbindlich und bedacht und in der Wahl der ihn umgebenden Personen sorgsam (vgl. S. 247–251). Über diese letztgenannte Bedingung gelangen die Gelehrten zum zentralen Diskussionsthema des Tages: Der Umgang des Studenten mit den Frauen und der Liebe (vgl. S. 251–305). In aufeinanderfolgenden Reden sprechen sich Francisco de la Vega, Alberto de Benavides, Guillermo Carrillo, Alonso Osorio und der Maestro Oliva für bzw. gegen die Frauen und bestimmte Formen der Liebe aus.88 Man bedenke bei der nun folgenden Erläuterung dieser Reden zwei Dinge: Zum einen sitzen die Gelehrten dabei wiederum vor dem mit unglücklich endenden Liebesmythen verzierten Brunnen; zum anderen sind diese Vorträge selbstverständlich auch als performative Inszenierung verschiedener Formen der Rede, der Rhetorik und damit in letzter Konsequenz auch als Darstellung der idealen humanistischen Argumentationsweise zu verstehen. Francisco de la Vega, Alberto de Benavides und Guillermo Carrillo beginnen mit Reden gegen die Frauen und die Liebe: Vega soll zu Beginn das „dezir mal del amor“ (S. 255) übernehmen und nennt dabei antike, historische Beispiele für die „miseria“ der Liebe (S. 257). Benavides spricht danach in einer extrem misogynen Rede über die „engaños de las mugeres“ (S. 260) und führt ebenso negative exempla an. Carrillo stellt zwar die Frage danach, ob nicht auch die Männer Schuld am Verhalten der Frauen hätten (S. 266ff.) und plädiert für die tugendhafte Liebe (S. 268), konzentriert sich jedoch hauptsächlich auf die Nennung abschreckender exempla untreuer Frauen (S. 266ff.). Alonso Osorio, so wird am Erzählerkommentar deutlich, zeigt sich von diesen Reden aufgewühlt: No se podía ya sufrir don Alonso Osorio, que por muchas vezes había querido romper el razonamiento a don Guillermo, y así vino a hablar sin le dexar más dezir, y levantado medio en pie por mostrar más enojo y vehemençia, dixo mirando a todos: […] (S. 272).
Er nimmt daraufhin eine Verteidigung der Frauen vor (S. 272ff.), in der er unter anderem eine ganze Liste von weisen (S. 274, 277f.) und tugendhaft-keuschen (S. 280ff.) Frauen aufzählt. Er steht damit insgesamt für die Liebeskonzeption ein, die der Renaissance-Neuplatonismus um Ficino in Florenz postuliert hat:89 „un amor virtuoso, que consiste, según Platón, en contemplar el amante la perfeçión y virtudes de la cosa amada“ (S. 273).
88 Martínez Torrejón weist in den Fußnoten seiner Edition für diesen Gesprächsteil immer wieder auf die ähnlichen Textstellen im Cortegiano sowie die Inspiration in Platons Symposion und bei Ficino hin (vgl. Villalón 1997, 298, Anm. 131ff.). Die neoplatonische Liebestheorie führt auch Rallo Gruss auf die Orientierung an diesen Texten zurück (Rallo Gruss 2007, 78). 89 Vgl. Villalón 1997, 273, Anm. 82. Dem Florentiner Renaissance-Neuplatonismus nach Ficino schreibt man die Erfindung der Bezeichnung der ‚platonischen Liebe‘ zu, nach der die Seelen gemeinsam in spiritueller Vereinigung das höchste Gut erreichen, und durch die sinnliche Kontemplation der Schönheit eines Körpers zur Kontemplation der göttlichen Schönheit gelangt werden konnte (Rallo Gruss 2007, 72).
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Benavides widerspricht ihm, indem er unter anderem erklärt: „entre todos los animales criados de Dios, el más pesado y incomportable sea la muger“ (S. 283). Oliva spricht als Nächster. Er verteidigt die Frauen, allerdings, wie er betont, aus Gründen der Rhetorik und des Respekts: „porque es cosa injusta condenar al ausente, yo determino de ser su procurador, […] y trabajar de defenderlas lo mejor que podré“ (S. 288–289). Der Rollencharakter der Reden wird hier nochmals deutlich. Auch Oliva bringt nun berühmte Beispiele tugendhafter Frauen („exemplo de muchas notables“) (S. 289ff.). Olivas Rede ist von solch rhetorischer Elaboriertheit, dass er bei der Iphigenie-Geschichte die Gelehrten schlussendlich sogar zu Tränen rührt (S. 291). Guillermo widerspricht ihm wiederum mit Gegenbeispielen für die weibliche Grausamkeit (S. 291); Oliva entgegnet weitere exempla tugendhafter Frauen (S. 292ff.). Dass es bei diesen Reden nicht ausschließlich um die Inhalte, sondern auch um die Inszenierung überzeugender Argumentation geht, zeigt sich in besonderem Maße daran, dass der Rektor in seinem Resümee vornehmlich die ausgezeichnete Argumentationsart und Rhetorik der vergangenen Reden lobt („pues con la elegançia de vuestro dezir engrandeçéis vuestros nombres en los advenideros siglos y hazéis que las futuras edades a vosotros y a vuestras patrias puedan loar“) und urteilt: „quédese al nuestro scholástico por persuadido que no debe consumir su tiempo en el serviçio, fiestas y requiebros de las damas, por ser cosa disconveniente al estudio de las letras“ (S. 297). Sogleich hält er Oliva an, mit anderen Themen fortzufahren, wird allerdings von Bobadilla unterbrochen. Aufgrund der Position dieser Rede Bobadillas hinter der eigentlichen disputa und auch noch nach der conclusio des Rektors, darf davon ausgegangen werden, dass dieser Rede zentrale Relevanz für das Ideal des humanistischen Gelehrten zukommt. Bobadilla rühmt nun die tugendhafte, göttliche Liebe im Vergleich zur lasterhaften, irdischen Liebe: „la diferençia del bueno y del torpe amor“; die eine ist „virtuoso y divino“, die andere hingegen „viçioso y terrenal“ (S. 299); die eine hat „por objecto y fundamento […] a la hermosura del ánima“ und die Neigung zur Tugend, die andere hingegen ist „vulgar y común“ sowie nieder, weltlich und hat ausschließlich „deleite y plazer corporal“ zum Ziel (S. 299). Die „çelestial amor“ hingegen weiß den „apetito sensual“ zu bändigen (S. 303), sie ist stattdessen „prudentísimo y sabio“ (S. 304). Was er hier vorstellt, ist also das Liebesideal des Neuplatonismus.90 Diese Liebe soll der Scholástico praktizieren: „del buen amor; déste quiero yo que adorne su spíritu el nuestro scholástico“ (S. 305). Diskursiv kommt also die tugendhafte, reine Liebe, die neuplatonische Liebeskonzeption als die für den idealen humanistischen Gelehrten zu verfolgende heraus. Bedenkt man nun allerdings, dass die Gesprächspartner wiederum vor dem mit leidenschaftlichen Liebesmythen verzierten Brunnen sitzen, auf den sie während ihrer Reden für und gegen die Frauen und die Liebe schauen, ergibt sich hier eine interessante Konstellation zwischen den Dialogebenen. Martínez Torrejón hatte die folgende Deutung dieses Verhältnisses vorgeschlagen: Die auf dem Brunnen zu sehenden und durch Ekphrasis hervorgehobenen Fälle des durch 90 Vgl. Kincaid 1973, 130; Rallo Gruss 2003, 148.
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unglückliche Liebe ausgelösten Suizids nähmen die Missbilligung und Verurteilung der weltlichen Liebe vorweg, wie sie (später) im vierten Buch entfaltet würde.91 Damit würde die Brunnenbeschreibung eine (proleptische) Funktion einnehmen, wie sie für die Ekphrasis in der Renaissance typisch sei.92 Ich möchte jedoch argumentieren, dass das Verhältnis ein deutlich komplexeres ist und dabei nochmals auf die räumliche Indexikalisierung der Argumentation in literarischen Dialogen verweisen: Die ‚Welt‘ des Dialogs erfüllt ja immer auch einen argumentativen Zweck; damit einhergehend sitzen die Dialogsprecher zumeist vor sinnbildlich bereits für Weisheit stehenden Objekten – die Statue Platons etwa, die Platane, etc. Es erscheint mir zu gewagt, zu behaupten, es zeige sich hier durch die intermediale Ebene im Gegensatz zur Argumentationsebene gerade die leidenschaftliche Liebe als Quelle der Inspiration humanistischer Weisheit, schließlich sind auf dem Brunnen zwei Beispiele unglücklich endender Geschichten dargestellt. In Anlehnung an die bisher für den Scholástico gewonnenen Erkenntnisse möchte ich vielmehr die folgenden Überlegungen anstellen: Bedenkt man, dass am zweiten Tag zunächst die äußere Form des Brunnens von Bedeutung war, dabei seine Analogie zur mythologischen Tantalosquelle festgestellt und anschließend die historische Lesart des Mythos vorgenommen worden ist, wäre hier mit Bezug auf die dargestellten Szenen im Grunde von einer weiteren Allegorese zu sprechen. Implizit manifestiert sich hier in dem schlussendlich herauskommenden humanistischen Liebesideal doch eine bestimmte ‚Lesart‘ der leidenschaftlichen Szenen. Die Darstellung negativer exempla auf dem Brunnen geht schließlich auch mit der sonstigen im Scholástico zu findenden Integration negativer Beispiele einher.93 Der Brunnen mit den Liebesgeschichten von Aeneas und Dido sowie Pyramus und Thisbe, also mit zwei weiteren Negativbeispielen, tritt zu den zahlreichen Liebes- und Frauen-exempla, die die Sprecher in ihren Reden aufzählen, hinzu. Das im Gespräch entworfene Ideal der tugendhaften, reinen und divinen Liebe für den idealen Gelehrten wird durch diese eingemeißelten Beispiele unglücklich endender Leidenschaft damit durchkreuzend, also durch Negativexempla, bekräftigt. Wiederum zeigt sich hier in letzter Konsequenz auch, dass humanistische Weisheit nicht ausschließlich nur durch die Lektüre antiker Schriften zu erlangen ist, sondern ihre Inspiration vielmehr in der Auseinandersetzung mit der Antike und der Auslegung der antiken Mythologie im Allgemeinen findet.
Über die Kunst(theorie) zu humanistischer Weisheit Es lässt sich damit insbesondere anhand des im Zentrum der Gelehrtenrunde stehenden Brunnens zeigen, welche über die Argumentationsebene hinausgehenden Quellen humanistischer Weisheit im Scholástico durch die intermediale 91 Martínez Torrejón 1995, 48–49; 1997, XXIX und Villalón 1997, 88, Anm. 7. 92 Kurman 1979, 10, zit. n. Martínez Torrejón 1995, 49 und 1997, XXIX, Anm. 41. 93 Vgl. u.a. Martínez Torrejón 1993, 636–637.
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Ebene inszeniert werden. Die besondere Relevanz der Bildenden Kunst für den Humanistenschüler schließlich wird, so möchte ich abschließend erläutern, im vierten Buch expliziert. Am Ende des vierten Tages befasst sich die Gruppe mit den Wissenschaften und Künsten, von denen der universell gebildete Humanistenschüler neben den universitären Hauptfächern Kenntnisse haben sollte: Quiero [Oliva] que de más de saber de total y prinçipal intento una de las quatro sciençias principales: theología, cánones, leyes y medeçina, que junto con ser de prinçipal en una, tenga notiçia universal de todas, y junto con esto tenga notiçia de la música y de la pintura, de la architectura, de la cosmographía, agricultura y astrología (S. 306–307).94
Die Bedeutung des universellen Wissens ist bereits am zweiten Tage mit Hinweis auf Cicero unterstrichen worden, der neben den artes liberales auch verschiedene artes mechanicae erlernt haben soll (vgl. S. 137–138). Gleiches gilt nun für den idealen Studenten. Von den im Folgenden beschriebenen „sciençias“ und „artes“ (S. 306) soll der Gelehrte Kenntnis haben, um in Gesprächen damit zu glänzen, wie Oliva mehrfach deutlich macht: „qué sciençias y artes cumple tener notiçia el nuestro scholástico en universal y en particular para se entretener en sus razonamientos y conversaçión“ (S. 250); „quiero yo que para se entretener en la conversaçión de los sabios muestre tener notiçia de diversas sciençias, cosas y artes“ (S. 306). Gefordert sind demnach keine praktischen Fähigkeiten, sondern theoretische Kenntnis dieser Disziplinen zur besseren Gesprächsführung. Die verschiedenen Wissenschaften und Künste finden also eher soziale als intellektuelle Anwendung.95 Es werden explizit malerei- und architekturtheoretisches Wissen als für den humanistischen Gelehrten verpflichtend vorgestellt. Oliva, der zentrale Sprecher hier, nimmt dabei eine konzise Zusammenschau der zeitgenössisch relevanten Motive und Topoi zur Aufwertung der Bildenden Künste zu artes liberales vor. Überdies weist er die Bildenden Künste als weitere Quellen humanistischer Weisheit aus. Nach den Vorgaben zur Musik (S. 307–310) erläutert Oliva, warum der perfekte Schüler auch theoretische Kenntnisse der Malerei, als eine unter anderen Künsten, vorweisen solle (S. 310ff.).96 Wie bereits in der Beschreibung des Landguts, des Gartens und des Brunnens kann man in den nun folgenden, die Künste 94 Drei dieser Hauptfächer, mit Ausnahme des kanonischen Rechts, waren ja bereits am zweiten Tage von den Gesprächspartnern in Lobreden vorgestellt worden (S. 102–118) (vgl. Villalón 1997, 306, Anm. 156). Oliva hatte des Weiteren am dritten Tag einen Lehrplan umrissen, der im Grunde die studia humanitatis umfasste, auch wenn zeitgenössisch Uneinigkeit über die dazu zu zählenden Fächer bestand (Vian Herrero 2002, 345). So hieß es dort: „Leerse ha gramática, latinidad, lógica, philosophía, matemáticas y astrología, cánones, theología, leyes y medecina. Las lenguas griega y hebrea, música y cosmographía“ (S. 226). 95 Villalón 1997, 237, Anm. 1. 96 Auch im Cortegiano wurde erst die Ausübung der Musik (Castiglione 1964, 168ff.), dann der Malerei (ebd., 172ff.) für den Hofmann als zentral ausgewiesen und diskutiert. Insbesondere das Gespräch über die Malerei ist jedoch als Paragone-Gespräch zu werten, bei dem der Conte für die Malerei, Ioan Cristoforo Romano für die Skulptur als ranghöchste Kunst eintritt.
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thematisierenden Kapiteln den „keen artistic sense of Villalón“, wie Kerr es ausdrückt, vernehmen.97 Dass die Malerei und die Malereitheorie im Grunde als weitere Quellen humanistischer Weisheit ausgewiesen werden, zeigt sich sofort in dem Lob, mit dem Oliva seine Erläuterungen beginnt: Die Malerei „es arte de grandes juizios, y trae consigo grande erudiçion“; der Maler ist zu verehren, denn er sei „de entendimiento casi divino“ und weise „alteza de su juizio“ sowie „subtileza de invençión“ (S. 311) auf. Oliva konzentriert sich im Folgenden vor allem auf die besondere Imitationsleistung der Malerei: Er zählt zahlreiche exempla – darunter eine Geschichte eines mit ihm befreundeten Malers – zur Illustration der Täuschungskraft der Malerei auf, welche an die Anekdoten erinnern, die man vor allem aus Plinius’ Naturalis Historia kennt. Die Gemälde von Tieren, Menschen, Pflanzen und Gegenständen, die er nennt, sind so täuschend perfekt gemalt, dass sie immer wieder von ihresgleichen für wahrhaftig gehalten werden (vgl. S. 311–312). Auch aufgrund dieser Imitationsleistung sei die Malerei mit der Dichtung und der Redekunst vergleichbar: „Hallaréis que la pintura tiene gran conveniençia con la poesía y oratoria, porque los vivos y naturales que había de representar el orador los muestra la pintura con el pinçel“ (S. 312). Wie nah diese drei Bereiche beieinanderliegen, das erklärt Oliva hier signifikanterweise mit dem Hinweis auf den berühmten Ausspruch der Malerei als stummer Poesie und der Dichtung als sprechender Malerei: „así dezía Simónides, poeta famoso, que la pintura era poesía sin lengua y que la poesía era la pintura hablada“ (S. 312). Die Malerei sei nicht nur von Eleganz und schön anzusehen, so Oliva weiter, sondern vor allem beachtlich sei ihr Vermögen, Geschichte für die Ewigkeit festhalten und Menschen zu großartigen Taten bewegen zu können:98 „es perpetua memoria de las cosas pasadas y en eternos tiempos presente historia de famosos hechos de varones antiguos“; sogar Tote lasse sie auferstehen (S. 312). Die Malerei, die eine Imitationsleistung vollbringt, regt wiederum zu Nachahmung edler Taten an: „tiene sobre todo más que es espuela y exemplo de la virtud, porque viendo los buenos en la pintura las hazañas de los generosos y las magnanimidades de los esforzados, son inçitados a los imitar“ (S. 312). Die exempla illustrer Persönlichkeiten der Antike – darunter Mark Aurel, Platon und Cicero –, die selbst die Malerei ausübten oder diese besonders verehrten (S. 312– 313), und die Oliva anschließend aufzählt, sind ebenfalls in der zeitgenössischen Debatte um die Aufwertung zur ars liberalis gebrauchte Argumente. Seine Ausführungen schließt Oliva bezeichnenderweise mit Bezug auf die Politeia: Bereits Platon habe dort schließlich die Kenntnis der Malerei gefordert, „para que con ella se incumbrase el juizio humano a la especulaçión de las cosas divinas“ (S. 314).99 Und wie seit dem Beginn des Gesprächs klar ist, ist es dieses Idealbild, dem die Runde in ihrer Diskussion nacheifern will. 97 Kerr 1955c, 206. 98 Bollard 2005, 72. 99 Dieser Kommentar ist jedoch so nicht bei Platon zu finden (Villalón 1997, 314, Anm. 178).
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Es schließen sich Olivas Erläuterungen der Notwendigkeit der Kenntnisse von Architektur, Kosmographie und Ackerbau für den Studenten an (S. 314ff.). Dass Oliva dies übernimmt, ist insbesondere deshalb bemerkenswert, da man auch der historischen Person Pérez de Oliva ein besonderes Interesse für die Architektur nachsagt.100 Es wird wiederum von Beginn der Rede an deutlich, welche Bedeutung architekturtheoretische Kenntnisse für die humanistische Weisheit einnehmen: „no es menos conveniente la architectura para despertar el soñoliente juizio a la consideraçión de las cosas altas que todas las otras sciençias“ (S. 314). Die Architektur, so betont er, setzte schließlich Wissen von anderen Künsten (Malerei, Geometrie, Kosmographie) voraus. Er unterscheidet in den genannten Disziplinen dabei bereits sogar klar Farbmalerei und Zeichnung als notwendig für den Architekturinteressierten: „porque el buen architecto es neçesario que tenga notiçia de la pintura y sepa del dibujo, porque ha de edificar lo que primero traçó con el pinçel“ (S. 314–315). Auch hier geht Oliva in seiner Argumentation so vor, wie es zeitgenössisch in vielen Architekturtraktaten zu finden ist: Er erläutert die Anwendungsgebiete der Architektur in Kriegs- und Friedenszeiten, analysiert Ursprung und Erfinder, lobt die antiken Architekten und Bauwerke (darunter selbstverständlich auch den Diana-Tempel in Ephesus) sowie abschließend die klassischen Autoren und Schriften zur Architektur, insbesondere Vitruv (vgl. S. 315– 316). Er betont dabei, aus welchen Gründen die Architekturtheorie von besonderer universeller Relevanz ist: „En esta arte se incluye hazer cualquiera instrumento bélico“, „con su saber engrandeçían sus personas y con su industria ennoblezían sus repúblicas“ (S. 315), manche Architekturtheoretiker wie Vitruv hätten architekturtheoretische Schriften hinterlassen, „por dexar fama de sí“ (S. 316). In Imitation dieser „sabios varones“ solle auch der hier entworfene ideale Gelehrte architekturtheoretisches Wissen haben, denn: „son estas artes las que más se ofrecen para conversar los doctos en las çenas y convites por recrear sus spíritus“ (S. 316). Gleiches gilt für die Landwirtschaft und die Kosmographie, die Oliva als für den Studenten notwendige Disziplinen nennt und betont, inwiefern dieses theoretische Universalwissen erst zu wirklicher humanistischer Weisheit führe: Pues siendo el nuestro scolástico industriado en estas doctrinas y artes, será sabio en la verdad, y en su conversaçión; sabiéndose aprovechar dellas, dará muestra y aparençia de gran varón y adquirirá en la vida estima y en la muerte fama y gloria (S. 317).
Osorio lobt in seiner sich anschließenden Replik zur Astrologie als weiteres wichtiges Element der Ausbildung zunächst Oliva für seine überzeugende und eloquente Rede; es zeigt sich also nochmals die Signifikanz nicht nur des Inhalts, sondern vor allem der Form: Con toda la elegançia posible habéis, señor Maestro, tocado el valor de las artes y doctrinas de que queréis que esté el nuestro Scholástico adornado, loándolas y persuadiéndolas con tanta subtileza y copiosidad quanta se puede dezir (S. 317).
Dies bestätigt anschließend auch der Rektor, bevor sich die Gesprächsrunde den letzten Hinweisen zum Verhalten des Studenten – er solle Humor haben, jedoch 100 Fuertes Herreros 1985, 85, zit. n. Martínez Torrejón 1997, XXIII.
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nur der Situation und der Umgebung angemessen scherzen und nicht spotten (S. 321–338)101 – zuwendet und der Tag mit einem gemeinsamen Essen und nachmittäglichen Freizeitbeschäftigungen endet: Por çierto, señor Maestro, scientíficamente habéis enseñado al nuestro scolástico en particular las buenas costumbres y graves doctrinas para el exerçiçio de su cotidiano estudio, y en universal las artes y sciencias que debe tener para engendrar de sí buena opinión (S. 321).
6. DIE BETRACHTUNG DES BRUNNENS DER WEISHEIT Bereits im Prolog des El Scholástico, so zeigte sich, wählt Cristóbal de Villalón die Maler und die Malerei als besonders adäquate Vergleichsobjekte für sich und seinen Dialog. Mittels eines interessanten self-fashioning und anhand zahlreicher Apelles-Anekdoten und Rekurse auf die Malerei führt er dabei immer wieder Ähnlichkeiten in der Imitationsleistung von Dialog und Malerei sowie von Dialogschreiber und Maler auf. Er lässt damit bereits vom Prolog an eine besondere Nähe zwischen dem Dialog und den Bildenden Künsten entstehen, die sich explizit in der räumlichen Ausstattung der Dialogwelt manifestierte. Das Landgut, auf dem sich die humanistischen Gelehrten und Kirchenmänner der Universität Salamanca zur Diskussion über die Bedingungen des idealen Universitätsstudenten und zur richtigen Wahl des guten Lehrers zusammenfinden, ist mit zahlreichen Kunstwerken ausgestattet, die als intermediale Bezüge in Szene gesetzt werden. Es stand in diesem Kapitel damit in besonderem Maße die räumliche Indexikalisierung der Argumentation im Zentrum, hat diese doch für den Dialog semantischen Wert. Es stellte sich heraus, dass sich durch die auf der Handlungsebene verorteten und ekphrastisch beschriebenen Kunstwerke, d.h. durch die Geschehens- und die intermediale Ebene des Scholástico, ein über die Argumentationsebene hinausgehendes komplexeres Bild ergibt, was die Quellen humanistischer Weisheit und Gelehrsamkeit im Gesamten betrifft. Als entscheidend für die Makroproposition des Scholástico hat sich dabei der kunstvoll gestaltete und mit antiken Mythen verzierte Brunnen im Garten des Landguts erwiesen. Bereits anhand der Ekphrasen des ersten Buches fiel auf, dass das gesamte Setting des Dialogs an der paganen Antike orientiert ist: Man denke an die besonders in Szene gesetzte antike Architektur des Landguts und an die Fresken im Inneren des Hauses, die, trotz ihres alttestamentarischen Inhalts, aber aufgrund ihrer Vorzüglichkeit, als wie von antiker Künstlerhand geschaffen ausgewiesen worden sind. In das Relief des Brunnens nun, der sich in dem als locus amoenus inszenierten Garten des Hauses befindet, sind Geschichten der leidenschaftlichen, sinnlichen Liebe – Szenen des Mythos von Aeneas und Dido und der Erzählung von Pyramus und Thisbe – eingemeißelt. Dieser heidnische Brunnen ist durch die zu konstatierende, im Vergleich zu den Bibel-Szenen komplexere Form 101 Diese Vorgaben werden wiederum anhand zahlreicher exempla durch die verschiedenen Gesprächspartner illustriert. Vgl. zu den facecias im Scholástico auch Prieto, Antonio: La prosa española del siglo XVI, Madrid: Cátedra 1986, 33–37.
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der Ekphrasis in seiner Relevanz für den Dialog besonders hervorgehoben, und steht an jedem Tag wortwörtlich im Zentrum des Gelehrtengesprächs. Mittels dieses kunstvollen Brunnens zeigte sich nun ein komplexeres Bild hinsichtlich der Quellen humanistischer Weisheit. Es ergaben sich dabei die folgenden Erkenntnisse: Während auf der Diskursebene des Dialogs vornehmlich für die Lektüre paganer Schriften argumentiert wird, spielt sich das Gespräch nicht nur vor dem besagten, mit paganen Mythen verzierten Brunnen ab, sondern die Inspiration zum Gespräch kommt erst durch die Betrachtung dieses Brunnens. Dieser wird nicht nur explizit durch den Vergleich zur mythologischen Tantalosquelle als Quelle der Weisheit hervorgehoben, erst durch die Auseinandersetzung mit diesem Mythos und verschiedenen Auslegungen kommen die Gelehrten auf ihr eigentliches Gesprächsthema. Im Grunde wird nicht nur für die Lektüre der paganen Schriften zur Erlangung von Weisheit argumentiert, sondern vielmehr für die Auseinandersetzung mit der paganen Mythologie im Allgemeinen. Dies zeigte sich noch deutlicher im vierten Buch des Scholástico: Im Gespräch über den Umgang des idealen Studenten mit den Frauen und der Liebe ergibt sich dort auf der Argumentationsebene das (neuplatonische) Ideal der tugendhaften, reinen Liebe, die der Scholástico praktizieren solle. Die zentrale Position des heidnischen Liebesbrunnens beachtend, wurde schließlich geschlussfolgert, dass für dieses Liebesideal wiederum eine bestimmte ‚Lesart‘ der leidenschaftlichen Szenen, die auf dem Brunnen zu sehen sind, vorgenommen worden ist: Der Brunnen mit den zwei gezeigten (Negativ-)Beispielen tritt zu den zahlreichen, von den Sprechern in ihren Reden genannten Liebes- oder Frauen-exempla hinzu, um als Makroproposition schließlich das Ideal der tugendhaften, reinen und divinen Liebe für den Gelehrten zu offenbaren. Auch hier zeigte sich in letzter Konsequenz, dass humanistische Weisheit nicht ausschließlich durch die Lektüre antiker Schriften zu erlangen ist, sondern ihre Inspiration vielmehr in der Auseinandersetzung mit der Antike und ihrer Mythologie im Allgemeinen findet. Mittels der Kunstwerke des Scholástico, insbesondere mittels des Brunnens, wird im Grunde eine Aussage darüber getroffen, wo die humanistische Weisheit ihren Ursprung hat, steht dieser doch – als (mythologische) Quelle der Weisheit – immer im Zentrum. Dass humanistische Weisheit auch aus der Kunst und der Kunsttheorie entspringen kann, wird schließlich am Ende sogar auf der Argumentationsebene entfaltet: Nicht nur für die bessere Gesprächsführung und Konversation ist kunst- und architekturtheoretisches Wissen notwendig, sondern auch, da erst die Beherrschung all jener artes, ciencias und doctrinas zu der Weisheit führt, wie sie dem humanistischen, universalwissenschaftlichen Anspruch entspricht.
VI. FALAR COM OS OLHOS. FRANCISCO DE HOLANDAS DA PINTURA ANTIGA (1548 / 1549) Obschon in portugiesischer Sprache verfasst, hat Da Pintura Antiga (1548) von Francisco de Holanda durch die Übersetzung ins Spanische im Jahre 1563 Eingang in den Kanon kunsttheoretischer Schriften Spaniens erhalten: Holandas Werk gilt nicht nur als erste Schrift der Iberischen Halbinsel, die sich ausschließlich mit der Malerei befasst,1 es ist auch im Jahre 1800 von Ceán Bermúdez als bestes Malereibuch Spaniens bewertet worden.2 Da Pintura Antiga besteht aus einem Livro Primeiro in Traktatform und einem als Dialog verfassten Livro Segundo, für das sich im Laufe der Zeit die Betitelung Diálogos em Roma durchgesetzt hat. Personen der römischen Kunstund Künstlerszene unterhalten sich dort über die relevantesten kunsttheoretischen Fragestellungen. Im Anhang des Manuskripts von Da Pintura Antiga findet sich mit Do Tirar polo Natural (1549) ein weiterer, etwas später entstandener dialogischer Text, der im Speziellen der Porträtmalerei gewidmet ist. Im Folgenden werde ich sowohl die Diálogos em Roma als auch Do Tirar polo Natural einer intensiven Untersuchung unterziehen. Es wird sich dabei herausstellen, dass die beiden Texte als Kompositum zu betrachten sind, welches – durch eine Steigerung von intermedialen Referenzen in den Diálogos em Roma und der Integration von Zeichnungen in ihrer tatsächlichen Bildlichkeit in Do Tirar polo Natural – in der Makroproposition klar die Superiorität des Sehens postuliert.
1. FRANCISCO DE HOLANDA. ZU LEBEN UND WERK Über Francisco de Holanda ist nur wenig bekannt; die meisten Informationen sind Rückschlüsse aus seinen Schriften. Geboren wird Francisco vermutlich im Jahre 1517 in Lissabon als Sohn des bei Hofe arbeitenden Miniatur- und Buchmalers António de Holanda. Für Holandas Entwicklung zentral ist die Zeit im Dienste des Infanten Afonso in Évora, kommt er doch dort in Kontakt mit den bedeutendsten portugiesischen Humanisten und Literaten jener Zeit. Er lernt den erasmistischen Humanisten André de Resende kennen, der gemeinsam mit Nicolaus Clenardus die Infanten unterrichtet,3 und trifft auf Jorge Coelho, Manuel da Costa
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Vgl. Menéndez Pelayo 1962, 431. Ceán Bermúdez, Juan Agustín: Diccionario histórico de los más ilustres profesores de las Bellas Artes en España, Faks., Madrid: ISTMO / Akal 2001, 296. Saraiva, António José: O Humanismo em Portugal, Lissabon: Jornal do fôro 1954, 53.
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und António Pinheiro.4 Dieses „milieu académique“, wie Frèches es nennt, erweckt in Holanda das Interesse für die griechische und römische Kultur und Sprache.5 Zwischen 1537 und 1538 wird er vom kunst- und architekturbegeisterten König João III nach Italien gesandt. Mit diesem königlichen ‚Stipendium‘ nimmt nicht nur die Biographie Holandas als Kunsttheoretiker ihren Anfang,6 sondern auch seine humanistische Laufbahn: Viaja por quase toda a Itália, em busca de antiguidades e outros monumentos, […] São estes os anos decisivos da sua carreira de artista, em que forma a cultura que havia de o tornar um dos primeiros humanistas portugueses.7
Auf seiner Reise durch Italien fertigt Holanda eine Sammlung von Zeichnungen an, die unter dem Titel Álbum de desenhos das antigualhas bekannt ist und in dem sich neben einigen wenigen Porträts vor allem Skizzen von Bauwerken, Skulpturen, Freskenmalereien, Mosaiken und Gärten sowie Landschaften finden lassen.8 In die Intellektuellenzirkel Roms um Blosio Palladio und Lattanzio Tolomei, die ihn wiederum mit Vittoria Colonna und Michelangelo bekannt machen, wird Holanda durch Miguel da Silva eingeführt.9 Diese Tatsache ist von besonderer Bedeutung, gilt da Silva doch als „Schlüsselfigur für den portugiesischen Humanismus“, im Speziellen was dessen italienische Prägung betrifft.10 Zwischen 1515 und 1525 ist er Botschafter des portugiesischen Königs in Rom. Er erhält dort Zugang zu den italienischen Humanisten-, Künstler- und Gelehrtenzirkeln und lernt deren wichtigste Persönlichkeiten – Vittoria Colonna, vermutlich Pietro Bembo und Baldassare Castiglione – kennen. Letzterer wird ihm einen der bedeutendsten Texte der italienischen Renaissance widmen, den Dialog zum perfekten Hofmann, Il Cortegiano. Nach einer Periode im Amt des Geheimkanzlers (Escrivão da Puridade) unter König João III und als Bischof von Viseu in Portugal, wird der als außerordentlich papsttreu geltende da Für Holandas Biographie vgl. Alves, José da Felicidade: Introdução ao estudo da obra de Francisco de Holanda, Lissabon: Livros Horizonte 1986, 127–213; Stichini Vilela, José: Francisco de Holanda. Vida, Pensamento e Obra, Lissabon: Instituto de Cultura e Língua portuguesa / Ministério da Educação e das Universidades 1982, 9ff.; Segurado, Jorge: Francisco D’Ollanda, Lissabon: Excelsior 1970, 11–30; und Vasconcellos, Joaquim de: „Einleitung“, in: Hollanda, Francisco de: Vier Gespräche über die Malerei geführt zu Rom 1538, übers. und hg. v. Joaquim de Vasconcellos, Wien: Graeser 1899, VIff. 5 Frèches, José: „Introduction“, in: Hollande, François de: Les Dialogues de Rome, übers. und hg. v. José Frèches, Paris: Fundação Calouste Gulbenkian / Centro Cultural Português 1973, 12–13. 6 González Garcia, Angel: „Introdução“, in: Holanda, Francisco de: Da pintura antiga, hg. v. Angel González Garcia, Lissabon: Imprensa Nacional / Casa da Moeda 1983, XXV–XXVI. 7 Mendes, Manuel: „Prefácio“, in: Holanda, Francisco de: Diálogos em Roma, hg. v. Manuel Mendes, Lissabon: Sá da Costa 1955, XXXIX. 8 Vgl. Alves 1986, 17–24. 9 Deswarte-Rosa, Sylvie: Idéias e imagens em Portugal na época dos descobrimentos. Francisco de Holanda e a teoria da arte, Lissabon: Difel 1992, 77. 10 Friedlein, Roger: „Einführung“, in: Rodrigues de Sá de Meneses, João: Die Platane. Liber de platano (1537), hg. v. Roger Friedlein und Angelika Lozar, München: Fink 2008, 36. 4
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Silva später Kardinal – pikanterweise war er 1540 nach Italien geflohen, da ihm in seinem Heimtland die Verhaftung aufgrund der Unterstützung des Papstes und des damit einhergehenden Verrats an König João III drohte.11 Wie nur wenige andere steht dieser Miguel da Silva damit zum einen für den „italienisch-portugiesischen Kulturtransfer“12 im 16. Jahrhundert und zum anderen für einen portugiesischen Humanismus italienischer Prägung.13 Über da Silva kann Holanda während seines Italienaufenthalts eine Reihe von Kontakten zur italienischen Kunst-, aber vor allem zur Humanistenszene knüpfen. Wie eng Holandas Bekanntschaft zu den zentralen Persönlichkeiten der römischen Kunstszene und vor allem zu Michelangelo wirklich war, ist in der Forschung jedoch umstritten: Während Ceán Bermúdez noch von einer „estrecha amistad“ zwischen Holanda und Michelangelo sowie den anderen berühmten Künstlern in Rom spricht,14 und schon Menéndez Pelayo die enge Beziehung Holandas zur Gruppe um Michelangelo und Colonna betont hatte,15 geht Tietze von einer eher flüchtigen Bekanntschaft des Portugiesen zum zentralen Künstler der Renaissance aus.16 Ein persönlicher Brief Holandas an Michelangelo aus dem August 1553 wird zumeist als Indiz für eine Freundschaft zwischen den beiden gewertet.17 Vermutlich zwischen 1540 und 1541 kehrt Holanda nach Portugal zurück.18 Dort scheint er in seinem Beruf nicht besonders erfolgreich gewesen zu sein; Bestellungen bleiben aus, seine finanzielle Situation ist prekär.19 Vermutlich aus diesem Grunde beginnt Holanda bald nach der Rückkehr mit der Redaktion von Da Pintura Antiga, die ihn die nächsten Jahre beschäftigen sollte. Er beendet das erste Buch am 18. Februar 1548; die Diálogos em Roma schließt er am 18. Oktober 1548 ab,20 Do Tirar polo Natural hingegen erst am 3. Januar 1549. Im Jahre 1571 präsentiert er König Sebastião zwei weitere Schriften, den Traktat Da fábrica que falece à cidade de Lisboa, ein illustriertes Memorandum über die Befestigungsanlagen und die Gestaltung Lissabons, sowie den illustrierten Text Da ciência do desenho, über den Wert der Zeichnung in Kriegs- und Friedenszeiten. Zwischen 1545 und 1573 fertigt Holanda ein religiöses Zeichenalbum mit teilwei-
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Vgl. Friedlein 2008, 36–38. Ebd., 37. Vgl. ebd., 46–47. Ceán Bermúdez 2001, 294. Menéndez Pelayo 1962, 432. Tietze, Hans: „Francisco de Hollanda und Donato Giannottis Dialoge und Michelangelo“, in: Repertorium für Kunstwissenschaft 28 (1905), 302–303. Vgl. Deswarte-Rosa, Sylvie: „Vittoria Colonna und Michelangelo in San Silvestro al Quirinale nach den Gesprächen des Francisco de Holanda“, in: Ferino-Pagden, Sylvia (Hg.): Vittoria Colonna, Dichterin und Muse Michelangelos, Wien: KHM u.a. 1997, 353. Vgl. Stichini Vilela 1982, 31. Alves, José da Felicidade: „Introdução“, in: Holanda, Francisco de: Da Pintura Antiga, hg. v. José da Felicidade Alves, Lissabon: Livros Horizonte 1984a, 8– 9. Tietze 1905, 303. Frèches 1973, 15. Alves 1984a, 8–9 und Alves, José da Felicidade: „Nota introdutória“, in: Holanda, Francisco de: Diálogos em Roma, hg. v. José da Felicidade Alves, Lissabon: Livros Horizonte 1984b, 7.
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se farbigen Bibelillustrationen an, De aetatibus mundi imagines.21 Neben den genannten Schriften weiß man noch von weiteren, die Holanda verfasste, die heute jedoch verloren sind: Die Louvores eternos, die Holanda zwischen 1568 und 1569 abschließt, enthalten Verse an seinen Schutzengel.22 Bei Amor da Aurora, zwei Bänden mit Gedichten und Bildern, handelt es sich vermutlich um sein neuplatonisches magnum opus.23 Die letzte von ihm bekannte Schrift stammt aus dem Jahre 1583 und trägt den Titel De Christo homen debuxado com considerações.24 Am 19. Juni 1584 verstirbt Holanda; seine Grabstätte ist unbekannt.25 Sich einen Überblick über Holandas Œuvre zu verschaffen ist schwierig: Keiner seiner Texte ist zeitgenössisch gedruckt worden, die meisten Zeichnungen und Gemälde sind verloren. Obgleich er sich seit seiner Jugend der Porträtmalerei widmete, sind nur einige wenige Bilder erhalten.26 Auch wenn es bei Pamplona heißt, Holanda sei „arquitecto, pintor, escultor, desenhador e iluminador“27 gewesen, war er kein Maler im engsten Sinne des Wortes – er war hauptsächlich Zeichner sowie Illustrator und Buchmaler; in seinen letzten Lebensjahren hatte er Ambitionen, sich auch als Architekt zu betätigen.28 Insgesamt arbeitete er eher theoretisch als praktisch und ist als Literat bedeutender denn als Maler und Illuminator.29 In seinen Texten präsentiert er sich jedoch als der zentrale Vermittler der italienischen Kunst- und Architekturtheorie in Portugal.30
21 Vgl. Bury, John B.: Two notes on Francisco de Holanda, London: The Warburg Institute 1981, 33–35. Die portugiesischen Buchtitel habe ich hier modernisiert. 22 Segurado 1970, 418; Bury 1981, 36. 23 Deswarte-Rosa 1992, 155. 24 Mendes 1955, LIII. 25 Vasconcellos 1899, LXIII. 26 Erhalten sind drei Porträts aus den Antigualhas (Papst Paul III, f. 1v; Michelangelo, f. 2r; der Doge Pietro Lando, f. 40r), das Selbstporträt Holandas in De aetatibus mundi imagines (f. 89r) sowie das Abbild der Königsfamilie auf Veneração de Sta. Maria de Belém (vgl. Bury 1981, 38–41 und Bury, John B.: „Introducción“, in: Holanda, Francisco de: Del Sacar por el natural, hg. v. John B. Bury, Madrid: Akal / Museo del Prado 2008, 11–14). 27 Pamplona, Fernando de: „Holanda ou Olanda (Francisco de)“, in ders.: Dicionário de pintores e escultores portugueses ou que trabalharam em Portugal, Bd. III, Barcelos: Civilização 4 2000, 120. 28 Menéndez Pelayo 1962, 432–433. Zu Holandas Buchmalerei im portugiesischen Kontext vgl. insbesondere Deswarte-Rosa, Sylvie: Les Enluminures de la Leitura Nova, 1504–1552. Étude sur la culture artistique au Portugal au temps de l’humanisme, Paris: Fondation Calouste Gulbenkian 1977. 29 Frèches 1973, 21. 30 Vgl. Deswarte-Rosa, Sylvie: „Francisco de Holanda ou le Diable vêtu à l’italienne“, in: Guillaume, Jean (Hg.): Les traités d’architecture de la Renaissance, Paris: Picard 1988, 335.
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2. TEXT- UND EDITIONSGESCHICHTE Holandas älteste Schrift, Da Pintura Antiga, zeichnet sich durch eine komplexe Text- und Editionsgeschichte aus, die im Folgenden kurz zusammengefasst sei.31 Bedauerlicherweise gilt das portugiesische Originalmanuskript spätestens seit 1873 als verloren. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts befindet es sich noch im Besitz des Madrilenen José Calderón, eines Ordensritters und Offiziers der königlichen Garde, und geht danach in die Hände seines Freundes Diogo de Carvalho e Sampaio über, Handelsbeauftragter Portugals und Mitglied der Academia Real das Ciências de Lisboa. Jene Akademie entsendet um 1790 den Portugiesen Joaquim José Ferreira Gordo nach Madrid, um portugiesische Quellentexte in den spanischen Archiven zu studieren. Gordo fertigt eine handschriftliche Kopie von Da Pintura Antiga sowie Do Tirar polo Natural an, die er nach Lissabon bringt und die noch heute in der Bibliothek der Academia Real das Ciências liegt.32 In den Kanon der kunsttheoretischen Schriften Spaniens geht Holandas Text vor allem durch die zeitgenössische spanische Übersetzung von Da Pintura Antiga sowie Do Tirar polo Natural ein, die Manuel Denis (oder Diniz), ein spanischer Maler portugiesischer Abstammung, im Jahre 1563 erstellt.33 Bis zu Denis’ Übersetzung existierte in spanischer Sprache – abgesehen von den architekturtheoretischen Medidas del Romano – nur ein einziges, unediertes Malereitraktat, die Comentarios de la pintura (ca. 1560) von Felipe de Guevara, sowie einzelne, die Kunst thematisierende Kapitel aus Cristóbal de Villalóns El Scholástico (1538), seiner Ingeniosa comparación entre lo antiguo y lo presente (1539) sowie das 11. Kapitel des 1. Buches des im Jahre 1534 von Boscán ins Spanische übersetzten Cortegiano.34 Der spanische Text von Denis gilt als direkte Übersetzung des portugiesischen Originals. Bereits Vasconcellos urteilte, dass der Übersetzer sich in der Wortwahl penibel am Original orientiere.35 Die Unterschiede zwischen dem portugiesischen und dem spanischen Text sind, von den unterschiedlichen einge-
31 Eine konzises Panorama sowohl der Textgeschichte als auch der zentralen bisherigen Arbeiten zu Holanda bietet Fonseca, Raphael: ,,Francisco de Holanda: uma revisão historiográfica“, in: Revista de história da arte e da arqueologia 15 (2011), 29–50. Vgl. dazu auch meinen Eintrag ,,Holanda, Francisco de: Da pintura antigua“ (BDDH265), in: Dialogyca BDDH: Biblioteca Digital de Diálogo Hispánico [http://iump.ucm.es/DialogycaBDDH/ BDDH265/da-pintura-antigua/]. 32 Vgl. Alves 1984a, 7. Da Pintura Antigua / Dialogo de tirar polo natural, Ms. 650 (Serie Azul de Manuscritos), Lissabon: Academia das Ciências. 33 Libro de la pintura antigua; trasladado nuevamente de portugués en castellano por Manuel Denis, 1563, Ms. 3–361, Madrid: Real Academia de Bellas Artes de San Fernando. Zu Denis vgl. Riello, José: ,,Sobre Manuel Denis, traductor de Francisco de Holanda“, in: Holanda, Francisco de: Del Sacar por el natural, hg. v. John B. Bury, Madrid: Akal / Museo del Prado 2008, 95–98. 34 González Garcia 1983, IX–X. 35 Vasconcellos 1899, LXXI.
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fügten Lobgedichten und einem bei Denis am Anfang des Prologs zum zweiten Buch fehlenden Absatz abgesehen,36 marginal. Holandas Manuskript und Denis’ Übersetzung bleiben zeitgenössisch unediert und geraten für fast zwei Jahrhunderte in Vergessenheit. Erst Pedro Rodríguez Campomanes erwähnt in seinem Discurso sobre la educación popular de los artesanos (1775) das spanische Manuskript der Diálogos, das sich zu jener Zeit im Besitz des Bildhauers Felipe de Castro befand, und nach dessen Tod in die Bibliothek der Real Academia de Bellas Artes de San Fernando in Madrid übergeht. Zur ersten, wenn auch fragmentarischen Publikation von Da Pintura Antiga kommt es mit der französischen Übersetzung der Diálogos em Roma durch den Maler M. Roquemont, die Athanasius Raczinsky im Jahre 1846 in Les Arts en Portugal veröffentlicht.37 Maßgeblich für die Verbreitung des Œuvres von Holanda ist jedoch der Historiker Joaquim de Vasconcellos verantwortlich, der nicht nur im Jahre 1879 bereits Holandas Da fábrica und Da ciência veröffentlichte,38 sondern auch das Da Pintura Antiga-Manuskript von Gordo im Original konsultierte. Nach verschiedenen Teileditionen dieses Manuskripts in A Vida Moderna (1890– 1892) veröffentlicht er im Jahre 1896 die vier Dialoge über die Malerei zusammen mit einer Biographie Holandas.39 1899 lässt er eine kommentierte deutsche Übersetzung folgen, im Jahre 1918 schließlich die erste gemeinsame Edition von Da Pintura Antiga und den Diálogos.40 Zu einer breiteren Rezeption von Holandas Text kommt es vor allem durch die modernen Editionen der spanischen Übersetzung von Denis. Die heute hauptsächlich verwendete Edition der Denis-Übersetzung stammt von Elías Tormo und Francisco Javier Sánchez Cantón aus dem Jahre 1921.41
3. STRUKTUR UND KONZEPTION VON DA PINTURA ANTIGA Sowohl der kunsttheoretische Traktat als auch die Diálogos em Roma sind João III gewidmet und mit jeweils einem Prolog und Schlussworten versehen, und sind, so sieht dies auch der Herausgeber Alves, trotz ihrer strukturellen Unterschiedlichkeit als komplementär zu bezeichnen.42
36 Für die textuellen Unterschiede vgl. insbesondere die Anmerkungen in der Edition: Holanda, Francisco de: De la pintura antigua seguido de ,El diálogo de la Pintura‘, Faks., eingel. v. Elías Tormo, hg. v. Francisco Javier Sánchez Cantón, Madrid: Visor / Real Academia de Bellas Artes de San Fernando 2003. 37 González Garcia 1983, XII–XIV. 38 Da fabrica que fallece á cidade de Lisboa. Da sciencia do desenho, hg. v. Joaquim de Vasconcellos, Porto: Imprensa Portugueza 1879. 39 Quatro Diálogos da Pintura Antigua, hg. v. Joaquim de Vasconcellos, Porto: Renascença portuguesa 1896. 40 Da Pintura Antigua. Contém: a) Livro Primeiro – Parte Theorica. b) Livro Segundo – Diálogos em Roma, hg. v. Joaquim de Vasconcellos, Porto: Renascença portuguesa 1918. 41 Vgl. Holanda 2003 (Neuauflage der Edition von 1921). 42 Alves 1984a, 7.
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Im Prolog zum Traktat macht Holanda das Ziel seines Werkes klar: Er wolle im Folgenden die Vorzüglichkeit der Malerei – die er signifikanterweise mehrmals als „ciência“ bezeichnet – zeigen: […] determinei d’escreuer este liuro Da Pintura Antigua […], em o qual se achará alguma sombra de excelente pintura, e assi mesmo alguns preceitos e avisos della, porque eu mais não prometo. Porque a minha tenção não é já tão confiada que spere de ensinar a pintar a quem o não sabe. Mas sómente desejei d’escrever sobre a minha arte algumas declarações mal entendidas do que nella entendia (S. 14).43
Obwohl die Malerei bereits von den Griechen als eine der artes liberales angesehen worden sei, erfahre sie in Portugal immer noch nicht die Wertschätzung, die ihr gebühre (S. 7). Er hingegen spreche von „Pintura Antigua“, da nur die antike Malerei sich wirklich Malerei nennen dürfe (S. 18). Diesem Prolog folgen zwei Lobgedichte, verfasst von Pedro Sanches („In nemus Elysium postquam migrauit Apelles“) und António Pinheiro („Astra, quod in varias rerum distincta figuras“) (S. 19–20). In Denis’ spanischer Übersetzung ist an gleicher Stelle lediglich noch Pinheiros Gedicht enthalten (f. 10v).44 Sanches’ Text findet sich in Denis’ Übersetzung an anderer Stelle neben einem Lobgedicht von Jorge Coelho („Artis Apelles numeros formamque decusque“), und zwar direkt nach Denis’ knapper Inhaltsszusammenfassung und seinem kurzen Prolog zu Anfang des Manuskripts (f. 1r–3v). Die Präsenz von Coelho und Sanches hier hat für die Bewertung des Textes und seines Autors im Hinblick auf seine Position innerhalb des portugiesischen Humanismus besondere Bedeutung: Nicht nur wird Coelho wiederholt als wichtige Figur des portugiesischen Humanismus italienischer Prägung genannt.45 Laut Dias ist Coelho sogar das Zentrum eines Zirkels portugiesischer Humanisten, zu dem auch Pedro Sanches gehört, die in der Zeit zwischen 1532 und 1539 einen, wie er ihn nennt, ‚literarischen Humanismus‘ („uma fraternidade de intelectuais seduzidos pelo humanismo literário“) vertreten,46 der sich an der Humanismustradition Italiens und nicht dem christlichen Humanismus orientiert, wie er in den Niederlanden, in Deutschland und Frankreich immens bedeutend war. Holanda lässt sich, dies wird sich auch in der weiteren Analyse wiederholt zeigen, damit ebenfalls auf dieser Seite des portugiesischen Humanismus italienischer Prägung positionieren. 43 Die Seitenangaben in Klammern im Text beziehen sich im Folgenden, falls nicht anders angegeben, auf die Edition Da pintura antiga, hg. v. Angel González Garcia, Lissabon: Imprensa Nacional / Casa da Moeda 1983, die auf der Vasconcellos-Edition aus dem Jahre 1918 basiert. Die Textausgaben von Vasconcellos, dies ist bereits gesagt worden, basieren auf der handschriftlichen Kopie, die Gordo von dem Original-Manuskript von Da Pintura Antiga und Do Tirar polo Natural angefertigt hatte. 44 Im Folgenden verwende ich der spanischen Bezeichnung entsprechend „f.“ (= folios) für die paginierten Seiten der Manuskripte, falls notwendig explizit versehen mit den Hinweisen auf ‚Denis‘ oder ‚Gordo‘. 45 Vgl. Friedlein 2008, 39–40 und 42. 46 Dias, José Sebastião da Silva: A Política Cultural da Época de D. João III, Bd. I, Coimbra: Univ. de Coimbra 1969, 245. Vgl. ausführlicher zu Coelho ebd., 241–252.
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Im sich anschließenden Traktat behandelt Holanda in 44 Kapiteln verschiedene theoretische Fragestellungen der Malerei und der Künste, darunter Ursprung und Geschichte, die vom perfekten Maler zu beherrschenden Wissenschaften sowie zahlreiche Vorschriften zu Maltechniken, -gattungen und -themen. Es seien hier nur zwei der zahlreichen Inhalte aus diesem Traktat genannt: Zum einen findet sich die Verknüpfung der Rolle des Künstlers mit der platonischen idea, bei der der Maler eine transzendentale und metaphysische Rolle einnimmt.47 Zum anderen ist insbesondere die definitorische Abgrenzung zwischen dem Antiken, dem Mittelalterlichen und der „antiquitas nova“ der Renaissance (11. Kapitel) hervorzuheben,48 also zwischen dem „antigo, que é muitos annos antes que nosso Senhor Jesu-Christo encarnasse“, dem „velho, que são as cousas que sa fazião no tempo velho dos reyes de Castella, e de Portugal“ und „o que hoje se pinta […] podemos lhe chamar tambem antigo“ (S. 79). Holanda nimmt damit hier eine bereits für die italienischen Humanisten zentrale Abgrenzung zwischen diesen drei Bereichen vor: „Na mente dos humanistas italianos“, so stellte schon Dias fest, „a noção de clássico contrapôs-se, desde cedo, à noção de medieval“;49 „Situando o clássico na história, os humanistas distanciaram-no e, por isso, distinguiram-no, desde logo, do medieval e do moderno“.50 Wiederum zeigt sich hier also Holandas Orientierung an einem italienisch geprägten Humanismus. Passend dazu hat das zweite Buch von Da Pintura Antiga Rom als Setting: Die Diálogos em Roma bestehen aus vier Gesprächen zwischen der Figur Holanda und verschiedenen illustren Persönlichkeiten der städtischen Kunst- und Künstlerszene. Insgesamt stellen die Diálogos em Roma ein Kompendium der zeitgenössisch diskutierten kunsttheoretischen sowie kunstpraktischen Fragestellungen dar. Allein der erste Dialog nimmt mit der Kritik an der flämischen und dem Lob der italienischen Malerei,51 dem Aufgreifen des Deus pictor-Topos,52 der Aufzählung typischer Argumente zur Wertschätzung der Malerei (S. 242–244) und der Betonung ihrer religiösen Funktion (S. 244–247) eine ganze Reihe von Themen und Motiven auf, die in der zeitgenössischen europäischen Kunstdiskussion mehr als relevant waren. Auf Traktat und Dialog folgen verschiedene Listen von zeitgenössischen Künstlern Europas (Illuminatoren, Bildhauer, Architekten sowie Kupfer- und
47 Deswarte-Rosa, Sylvie: „Idea et le Temple de la Peinture. I. Michelangelo Buonarroti et Francisco de Holanda“, in: Revue de l’Art 92 (1991), 25 und 1992, 139. Zur neoplatonischen Kunst- und Künstlertheorie bei Holanda vgl. auch die weiteren Publikationen von DeswarteRosa; zum Platonismus bei Holanda vgl. Saraiva 1954, 157–170. 48 Deswarte-Rosa 1991, 24. 49 Dias 1969, 2. 50 Ebd., 5. 51 Michelangelo urteilt: „Sómente as obras que se fazem em Italia podemos chamar quasi verdadeira pintura, e por isso a boa chamamos italiana, que, quando noutra terra se assim fezesse, d’aquella terra ou provincia lhe dariamos o nome“ (S. 236); „Assi que não se chama pintura de Italia qualquer pintura feita em Italia, mas qualquer que fôr boa e certa“ (S. 238). 52 Michelangelo definiert: „a boa pintura não é outra cousa senão um terlado das perfeições de Deos e uma lembrança do seu pintar“ (S. 236).
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Hornschnitzer), die Holanda „águias“ (S. 347), also Adler, nennt. Neben den bekanntesten italienischen Malern zählt er auch die Spanier Pedro Machuca und Alonso Berreguete (S. 351) sowie die Bildhauer Bartolomé Ordóñez und Diego de Siloé (S. 359) dazu.53 Holanda führt auch seinen Vater António als ersten ‚Adler‘ der Buchmalerei auf (S. 353). Den Listen schließen sich einige wenige Sprichwörter zur Malerei (S. 375) sowie eine memória (S. 377) an. Angefügt findet sich der bereits genannte Dialog aus dem Jahre 1549, Do Tirar polo Natural, der ein Gespräch zwischen den Figuren Fernando und Braz de Pereira darstellt, die sich über die Kunst der Porträtmalerei austauschen. Vermutlich war Do Tirar von Holanda als dritter Teil von Da Pintura Antiga geplant. Trotz des Gattungsunterschieds zwischen Livro Primeiro und Livro Segundo ist Da Pintura Antiga in gedanklicher Hinsicht eine homogene Abhandlung; beide Texte als „yuxtaposición artifical de dos libros dispares“ zu betrachten, wie es zuweilen in der Forschung geschieht, ist, wie González Garcia kritisiert, eine problematische Herangehensweise.54 Die beiden Bücher ergänzen sich trotz ihrer stilistischen Unterschiede und stellen als Einheit die künstlerischen Problematiken der Epoche in ihrer Totalität dar.55 Dies ist auch auf die vielfältigen Quellen zurückzuführen, aus denen sich Holanda bedient. Bei den antiken Autoren orientiert er sich vor allem an Plinius und Vitruv.56 Die Relevanz Vitruvs offenbart sich bereits im Prolog zum Livro Primeiro, entwickelt Holanda doch dort eine Analogie zwischen seiner Beziehung zu König João III und der Vitruvs zu Kaiser Augustus (S. 8); in den Listen bezeichnet er sich schließlich selbst als ‚jüngsten‘ Architekten (S. 366). Der Architektur kommt demnach in Holandas Kunstauffassung eine zentrale Position zu. Auch aus diesen Gründen wird in der Forschung immer wieder eine mögliche Verbindung zwischen Holandas Da Pintura Antiga und Sagredos Medidas del Romano diskutiert. Mit hoher Wahrscheinlichkeit kannte Holanda Sagredos Text, denn die Medidas wurden zu Lebzeiten Holandas drei Mal in Lissabon verlegt. Deswarte-Rosa spricht sogar davon, dass Holanda den Spanier als seinen großen Rivalen ansah, was den Plan, den ersten Kunsttraktat der Iberischen Halbinsel zu verfassen, betraf, schließlich nennt er die Medidas del Romano ungewöhnlicherweise nicht ein einziges Mal.57 Auch inhaltlich lassen sich Parallelen
53 Zur Beziehung zwischen diesen Listen und Holandas Betätigung als Sammler von Zeichnungen und Drucken vgl. Deswarte-Rosa, Sylvie: „,Tudo o que se faz em este mundo é desenhar‘. Francisco de Holanda entre théorie et collection“, in: Redondo Cantera, María José (Hg.): El modelo italiano en las artes plásticas de la Península Ibérica durante el Renacimiento, Valladolid: Univ. de Valladolid / Secretariado de Publicaciones e Intercambio Editorial 2004, insbes. 258ff. 54 González Garcia 1983, XVII–XVIII. 55 Stichini Vilela 1982, 38. 56 Vasconcellos 1899, CIV. Vgl. für Holandas Quellen insgesamt Vasconcellos 1899, CIV– CXV. 57 Deswarte-Rosa 1992, 171.
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finden; so postulieren Holanda wie Sagredo unter anderem die klare Trennung zwischen Antikem und Mittelalterlichem.58 Daneben ist selbstverständlich die Kunstliteratur der italienischen Renaissance insgesamt für Holanda von besonderer Bedeutung, vor allem was Leonardo und Alberti betrifft.59 Angeblich war Holanda zudem der erste, der Serlio in Portugal bekannt gemacht hat. Auch Gauricus sagt man einen zentralen Einfluss auf Holandas Text nach.60 Was die Gattung des literarischen Dialogs im Speziellen betrifft, so findet Holanda zeitgenössisch zwar in Portugal zahlreiche Modelle vor: Zu nennen wären beispielsweise João de Barros’ Ropicapnefma (1532), Diálogo de Preceitos Morais (1540) und sein Diálogo da Viciosa Vergonha (1540), oder João de Castros illustrierter Dialog Tratado da Esfera por Perguntas e Respostas (1545–1548).61 Entscheidende Bedeutung scheint jedoch Castigliones italienischer Renaissancedialog Il Cortegiano zu haben; ich werde darauf an späterer Stelle eingehen. Zunächst möchte ich jedoch noch einige Bemerkungen zur formalen Konzeption von Da Pintura Antiga anfügen, und zwar bezüglich ihrer Illustrierung. Zwar war das portugiesische Originalmanuskript von Da Pintura Antiga mit zahlreichen Illustrationen versehen, diese sind wie das Manuskript jedoch leider verloren.62 Gordo hat bei seiner Kopie Holandas Zeichnungen lediglich beschrieben.63 Die spanische Übersetzung von 1563 enthält unterschiedliche Abbildungen, wobei die Zeichnungen mit Feder und Tinte dem Übersetzer Denis zugesprochen werden (angeblich handelt es sich dabei um Kopien von Holandas Zeichnungen, die das portugiesische Original enthielt); die Skizzen mit Kohle ordnet man Felipe de Castro zu, dem dieses Exemplar gehörte.64 Gordos Beschreibungen und Denis’ Manuskript zufolge allerdings fanden sich nur in zwei Teilen von Da Pintura Antiga überhaupt Illustrationen: Zum
58 Sagredo: „E mira bien que no tengas presumpcion de mezclar romano con moderno“ (E4r); Holanda: „Ha ahi grande deferença entre o antigo [...] e entre o antigo a que eu chamo velho“ (S. 79). 59 Vasconcellos 1899, CVI und CVIII. 60 Stichini Vilela 1982, 23–25. 61 Zum Korpus portugiesischer Renaissancedialoge vgl. Friedlein, Roger: „Dialoge der Renaissance in Portugal (1525–1595)“, in ders. (Hg.): El diálogo renacentista en la Península Ibérica. Der Renaissancedialog auf der Iberischen Halbinsel, Stuttgart: Steiner 2005, 141–146; und Vargas Díaz-Toledo, Aurelio: „Uma primeria aproximação do corpus dos Diálogos Portugueses dos séculos XVI-XVII“, in: Criticón 117 (2013), 65–130. Zu den Dialogen Holandas vgl. ebd., 86-87. 62 Zur Ikonographie und Illustration portugiesischer Drucke vgl. Martins, José V. de Pina: Humanisme et Renaissance de l’Italie au Portugal, Lissabon / Paris: Fondation Calouste Gulbenkian 1989, 857–947. 63 So beispielsweise „Seguia-se depois na pagina seguinte um Edificio, o qual […]“ (Gordo, f. 4v). Die Beschreibungen von Gordo finden sich auch bei Mendes 1955, LV–LVI, und Vasconcellos 1899, LXXXIV–LXXXV, zusammengefasst. 64 Redondo Cantera, María José / Serrão, Vitor: „El pintor portugués Manuel Denis, al servicio de la Casa Real“, in: Cabañas Bravo, Miguel (Hg.): El arte foráneo en España. Presencia e influencia, Madrid: CSIC, Instituto de Historia 2005, 76.
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einen im Traktat, zum anderen in Do Tirar polo Natural. Klar zu identifizierende Zeichnungen in Denis’ Manuskript sind der Domus Picturae (f. 2v), die Umbra Picturae (f. 4r), eine Öllampe, die Verkündigungsszene (nach dem Ende von Do Tirar) sowie kleinere Randzeichnungen. Bei Do Tirar polo Natural zeigen Aussparungen im Text an, dass dort ebenfalls Zeichnungen geplant waren. Die Diálogos em Roma jedoch sind, gemäß den heutigen Erkenntnissen, nicht illustriert gewesen. Wenn ich mich im Folgenden also den intermedialen Phänomenen in diesen beiden Dialogen widme, dann geschieht dies für die Diálogos em Roma unter dem Begriff der intermedialen Bezüge, für Do Tirar polo Natural unter dem Stichwort der Medienkombination.
4. DIÁLOGOS EM ROMA (1548 PTG., 1563 SPAN.) Mit Recht hat Maria Teresa Nascimento in ihrer umfangreichen Studie zum Dialog in der portugiesischen Literatur der Renaissance und des Manierismus behauptet, „nenhum outro diálogo português exprime melhor a ambiência renascentista do que os Diálogos em Roma“.65 Zahlreiche Punkte gäbe es aus dialogtheoretischer, aber auch aus kunsttheoretischer Perspektive an diesen römischen Gesprächen hervorzuheben. In der folgenden Analyse dieses überaus dichten Textes soll der Fokus auf die Funktionalisierung intermedialer Referenzen in den Diálogos em Roma gelegt werden.
4.1. Formaler Aufbau Erst seine kurz zuvor abgeschlossene Reise nach Italien – so berichtet uns Holanda im Prolog zu den Diálogos em Roma an João III – habe ihm bewusst gemacht, wie wenig man in seinem Heimatland die Malerei zu schätzen wisse (S. 219). Spanien und Portugal hätten damit zumindest eine Sache gemein: „não conhecem a pintura, nem fazem boa pintura; nem tem seu honor a pintura“ (S. 219). Holanda selbst weiß die Malerei im Gegensatz zu seinen Landsleuten jedoch richtig zu bewerten: Für ihn ist sie eindeutig eine „sciencia“ (S. 219 und S. 220); er ist der ‚Ritter‘, der die ‚Prinzessin Malerei‘ mit seinen Waffen und Möglichkeiten verteidigen will (S. 219). Die Dialogform – so wird anschließend deutlich – ist bewusst gewählt: [...] eu entendo de mostrar neste segundo livro, quão honrada e nobre coisa é ser pintor e quão deficel, e de quanto serve e val a illustre e mui necessaria sciencia da pintura na republica, no
65 Nascimento, Maria Teresa: O Diálogo na literatura portuguesa. Renascimento e maneirismo, Coimbra: Centro Universitário de Estudos Camonianos 2011, 209. Nascimento zeigt auf, welche ‚kulturellen Instrumente‘ sich in den Dialogen Portugals wiederfinden lassen; Holandas Diálogos em Roma und Do Tirar polo Natural sind, neben etwa der Sprachenfrage oder der Astrologie, ihre Beispiele für die Präsenz der Malerei und der Bildenden Künste in den Dialogen (vgl. ebd., 206–214).
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tempo de paz e no da guerra, e os preços e valia d’ella noutras provincias, por maneira de um dialogo (S. 220).
Die Formulierung „por maneira de um dialogo“ am Ende dieser kurzen Zusammenfassung der Dialogthemen zeigt – wie bereits bei Sagredo (bei dem es hieß: „he sacado de las obras de los antiguos [...] este breue dialogo“, A1v) –, dass es nicht Holandas Intention war, die Diálogos als historische Tatsachenberichte oder Transkription tatsächlich stattgefundener Gespräche darzustellen – eine Debatte in der Forschung, auf die später noch zurückzukommen sein wird. Diesem Prolog folgen nun vier Gespräche, deren Entstehungsumstände und Abläufe jeweils von Holanda als Erzähler berichtet werden; der vierte Dialog weicht in Personeninventar, Aufbau und Thematik von den drei vorhergehenden stark ab (das Gespräch wird dort zudem durch Zwischenüberschriften strukturiert). Aufgrund dieser Erzählerebene lässt sich bei den Diálogos em Roma folglich von einem diegetischen bzw. narrativen Dialog sprechen. Osório hatte die Diálogos gerade aufgrund dieses sich in der ersten Person äußernden Erzählers („A própria participação do autor como ‚eu‘“) sowie der Betonung von Authentizität und Wahrscheinlichkeit der Gesprächsumstände als „bom exemplo de diálogo humanista“ bezeichnet.66 Maria Teresa Nascimento hatte darauf aufmerksam gemacht, dass diese Erzählung in der ersten Person Holandas Diálogos em Roma unter den portugiesischen Renaissancedialogen eine Ausnahmeposition zukommen lässt.67 Dem Ende des vierten Gesprächs folgt eine conclusão, die inhaltlich an den Prolog anknüpft und in der sich Holanda mit der Bitte an die portugiesische Nation und an den König wendet, seinen „mui pequeno serviço de […] engenho“ zur Malerei wohlwollend aufzunehmen (S. 344). Holanda bezeichnet sich zudem explizit als ersten Schriftsteller, der in Spanien und Portugal über die Malerei schreibe, und dies „quasi como um dos antigos que d’ella muito melhor screveram“ (S. 344). Wie bereits im Prolog nennt Holanda auch hier die Malerei mehrfach ausdrücklich „sciencia“ (S. 344). Zum Abschluss richtet er sich an das potentielle Publikum seines Textes, die „illustres pintores“ und die „menores pintores“. Sein einziges Ziel, so macht er hier am Ende nochmals klar, sei immer gewesen, die Nobilitierung und Ehrung der Malerei zu erreichen (S. 344–345).
4.2. Dialogsetting und Sprecherkonstellation Die dem Prolog folgenden Gespräche sind in Rom situiert; allein an dieser Tatsache lässt sich der humanistische Ursprung des Textes beobachten.68 Den ersten der vier Dialoge beginnt der Erzähler (‚Holanda‘) mit einem Bericht über die Umstände seines Aufenthalts in Italien: Da ihn der König entsandt habe, beschäftigte 66 Osório, Jorge Alves: „O diálogo no humanismo português“, in: Martins, José V. de Pina (Hg.): O Humanismo Português (1500–1600), Lissabon: Academia das Ciências 1988, 398– 399. 67 Nascimento 2011, 387. 68 Sanz 1990, 95.
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er sich hauptsächlich mit der Frage, „como poderia roubar e trazer a Portugal roubados os primores e gentilezas de Italia“ (S. 221).69 Während seiner Tage in Rom, so ist zu erfahren, begibt Holanda sich eines Sonntags zum Hause Lattanzio Tolomeis70 (S. 224), zu jener Zeit Botschafter von Siena in Rom, Mitglied des Zirkels um die Markgräfin Vittoria Colonna sowie Freund Michelangelos.71 Er trifft ihn jedoch nicht an, denn Tolomei nimmt gemeinsam mit Colonna in der Klosterkirche San Silvestro an einer Lesung der Paulusbriefe teil (S. 225). Holanda begibt sich zum auf dem Monte Cavallo gelegenen Kloster und lauscht gemeinsam mit den beiden der Epistelauslegung durch Fra Ambrogio. Es ist schließlich die Marquesa, die nach Michelangelo schicken lässt (S. 226), der kurze Zeit darauf in der Kirche erscheint (S. 227), sodass der eigentliche Dialog beginnen kann. Die hier umrissene Gesprächssituation wird in den folgenden drei Dialogen beibehalten: Man trifft sich sonntags im Kloster San Silvestro zum Gespräch; in den ersten beiden Dialogen im Kirchenschiff, im dritten Dialog wechseln die Gesprächspartner in den Klostergarten, fernab des Lärms der Festlichkeiten zur Hochzeit Ottavio Farneses mit Margarethe von Österreich (S. 280). Diese zu Beginn des dritten Dialogs von der Figur Holanda beobachteten und beschriebenen Festivitäten werden in der Forschung (nicht unumstritten) zumeist zur zeitlichen Verortung des Dialogs genutzt: Wenn das dritte Gespräch während der Hochzeitsfeierlichkeiten stattgefunden hat – so urteilt beispielsweise Vasconcellos – dann lässt es sich auf den 3. (Sonntag) oder 4. November 1538 datieren; das vierte Gespräch damit („ao seguinte dia da pratica que tevemos sem a Marquesa“, S. 309) auf den darauf folgenden Tag.72 Der vierte Dialog weicht in Raum und Figureninventar von den drei vorhergehenden Gesprächen deutlich ab und findet im Palazzo Grimani („Grimaldo“, S. 309) statt. Die Figurenkonstellation der Gespräche variiert; einzig Holanda nimmt an jedem der vier Dialoge teil. Dieser führt den Leser im ersten Teil nicht nur in die zeitlichen und räumlichen Umstände des Gesprächs ein, sondern erklärt auch die Identität der zentralen Gesprächspartner.73 Es handelt sich bei diesen, ganz den Charakteristika des Renaissancedialogs entsprechend, um historische Gestalten, Zeitgenossen Holandas, die unter ihren wirklichen Namen als Sprecher im Dialog auftreten. Unter diesen nimmt Lattanzio Tolomei eine bedeutende Rolle ein: Er ist – so die Beschreibung durch Holanda im Dialog – eine „pessoa mui grave assi por nobreza de animo como de sangue“, mit profunden Kenntnissen des Lateinischen, Griechischen und Hebräischen und von großer Autorität (S. 224). Vittoria Colon69 Im Gespräch mit den anderen wird er später betonen, dass er hoffe, nach seiner Rückkehr in Portugal zur Aufwertung der Kunst beizutragen, damit diese mit der italienischen konkurrieren könne (S. 241). 70 Bei der Schreibweise der Sprechernamen orientiere ich mich an der in ihrem jeweiligen Herkunftsland üblichen Form („Lattanzio Tolomei“ statt „Lactancio Tollomei“, „Diego Zapata“ statt „Çapata“, usw.). 71 Vgl. Holanda 1983, 222, Anm. 592–600, vgl. Holanda 2003, 144, Anm. 1–7. 72 Vasconcellos 1899, 214, Anm. 106. 73 Osório 1988, 399.
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na ist zwar nur in den ersten zwei Dialogen anwesend, ihr Geist allerdings scheint auch in den anderen Gesprächen fortzuwirken.74 Holanda beschreibt sie als eine der illustren und bekanntesten Frauen Italiens und ganz Europas – „casta, e inda fremosa, latina, e avisada, e com todas as mais partes de virtudes e clareza que se numa femea podem louvar“ –, die seit dem Tod ihres Mannes ein bescheidenes und frommes Leben führe; ihr verdanke er die Freundschaft zu Tolomei (S. 225– 226). In der Tat ist die historische Colonna eine Frau von hohem Einfluss, die zahlreiche Beziehungen zur Iberischen Halbinsel unterhielt und an die Holanda wahrscheinlich empfohlen war.75 Colonna veröffentlicht im Jahre 1538 ihre erste Gedichtsammlung und steht auch damit beispielhaft für den Eintritt der Frauen in die letras.76 Sie unterhielt eine enge Bindung zu Michelangelo.77 Ihr zeitgenössisches Ansehen lässt sich bereits daraus ablesen, dass sie als eine von nur sehr wenigen Frauen eine (zentrale!) Rolle als Figur eines Renaissancedialogs erhält.78 Gerade an dieser Stelle wird deutlich, warum Castigliones Cortegiano in der Forschung immer wieder als das Vorbild zu Holandas Diálogos em Roma genannt wird.79 Deswarte-Rosa beispielsweise nennt Holanda in einer Reihe mit den großen italienischen und spanischen Dialogschreibern – Castiglione, Aretino, Juan und Alfonso de Valdés – und ist sich sicher, dass Holandas Diálogos in der Zukunft als „obra-prima da arte do diálogo no século XVI“, genauer als „Cortegiano português“ anerkannt werden wird.80 Später wird sie sogar postulieren, die Diálogos seien weniger mit anderen Dialogen über Kunst (Gauricus, Sagredo, Pino, Dolce, Doni, Vasari) als vielmehr mit Castigliones Cortegiano zu vergleichen.81 Dies ist insofern erstaunlich, als Il Cortegiano zeitgenössisch in Portugal als verpönt galt: Castiglione hatte, wie bereits erwähnt, seinen Cortegiano Miguel da Silva gewidmet; dieser allerdings floh aufgrund einer Klage zum Verrat an König João III nach Italien und sorgte dafür, dass der „Cortegiano in Portugal, wenigstens zu Lebzeiten von João III, quasi als verbotener Text“82 galt. Doch zurück zu den Sprechern der Diálogos em Roma: Die wichtigste Rolle unter den Figuren nimmt Michelangelo ein, der an den ersten drei Gesprächen teilnimmt und diese maßgeblich beeinflusst. Das Auftauchen Michelangelos in den kunsttheoretischen Dialogen ist fast als obligatorisch zu bezeichnen, gilt er, auch in denen Italiens (z.B. bei Doni), doch als exemplarische Verbindung von
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Alves 1984b, 13. Tietze 1905, 306. Frèches 1973, 14. Zur Beziehung zwischen Colonna und Michelangelo und Holandas Übernahme der Motive und Themen ihrer Gedichte und Schriftstücke in seine Diálogos vgl. Deswarte-Rosa 1997. Zur geringen Präsenz weiblicher Figuren in spanischen Renaissancedialogen vgl. Gómez 1988, 25ff. Auf die besondere Rolle der Frauen in Castigliones Cortegiano ist bereits hingewiesen worden. Menéndez Pelayo 1962, 440; Aru, Carlo: „I Dialoghi romani di Francisco da Hollanda“, in: L’Arte. Rivista di storia dell’arte mediovale e moderna XXXI (1928), 119. Deswarte-Rosa 1992, 155. Deswarte-Rosa 1997, 363. Friedlein 2008, 38.
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Malerei, Bildhauerei und Skulptur und damit als Autorität.83 Holanda präsentiert sich insbesondere im ersten Dialog als enger Freund Michelangelos:84 Seien sie sich im päpstlichen Hause oder auf der Straße begegnet, hätten sie sich sofort so ins Gespräch vertieft, dass oft nur der Einbruch der Nacht sie wieder habe trennen können (S. 223). Aufgrund der Präsenz von Michelangelo erhielten Holandas Diálogos (neben Condivi und Vasari) in der Biographieschreibung und in der MichelangeloForschung insgesamt einen zentralen Platz. Geschuldet ist dies der ersten Diálogos-Edition von Raczinsky: Er betrachtete die Gespräche als mögliches biographisches Zeugnis über Michelangelo und stufte aus diesem Grund den ersten Teil von Da Pintura Antiga als wenig interessant ein.85 Die Rolle der Diálogos in der Biographieschreibung Michelangelos steht wiederum in engem Zusammenhang zur Debatte um die Authentizität der Gespräche: Noch im Jahre 1946 versucht Clements die Authentizität der römischen Dialoge zu beweisen, indem er die Übereinstimmungen zwischen den Aussagen der Dialogfigur Michelangelo und denen der historischen Person aufzeigt.86 Tietze87 und Aru88 betonten jedoch bereits, dass die Dialoge dem Modell des Renaissancedialogs entsprechen und damit eben keine Abschrift eines tatsächlich stattgefundenen Gesprächs darstellen. Schlosser hatte, in Anlehnung an Tietze, gezeigt, dass Michelangelo in den Diálogos bloß dramatis persona sei und dem Toskaner die Aussagen lediglich in den Mund gelegt worden seien, um ihnen mehr Gewicht zu verleihen.89 Auch wenn Holanda bereits im Prolog (S. 220) die literarische Gattung als „willkürlich gewählte Kunstform“ offenlegte, die für seine Zwecke die effizienteste darstellte,90 und Formulierungen wie „a manera de“ oder „en forma de“ in den spanischen Renaissancedialogen insgesamt üblich sind, um anzuzeigen, dass der Dialog bloß didaktisches oder pädagogisches Prinzip ist, um die Doktrin besser zugänglich zu machen,91 dominiert auch in der Holanda-Forschung die Diskussion um die Faktizität oder Transkription der Dialoge. Während Ceán Bermúdez noch der Meinung ist, die Diálogos könnten aufgrund der Wahrscheinlichkeit auf wirklich abgehaltenen Gesprächen basieren,92 schließt Menéndez Pelayo jegliche Fiktion bei den Dialogen aus und stuft sie als Transkription ein („estos coloquios son los que transcribe, [...] que excluyen toda idea de ficción o de artificio retórico“).93 Auch Sánchez Cantón bezieht eine eindeutige Position 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93
Tietze 1905, 306. Frèches 1973, 30. González Garcia 1983, XIV. Vgl. Clements, Robert J.: „The authenticity of De Hollanda’s Dialogos em Roma“, in: Publications of the Modern Language Association of America 61 (1946), 1019ff. Vgl. Tietze 1905. Vgl. Aru 1928, 118–119. Nach Aru ist Holandas Modell Castigliones Cortegiano. Schlosser 1924, 247–249. Tietze 1905, 304. Gómez 1988, 88. Ceán Bermúdez 2001, 295. Menéndez Pelayo 1962, 432.
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zur Transkriptionsdebatte: „tiene toda la frescura y atractivo de una conversación escuchada. Después de leer el libro no habrá quien dude de la autenticidad de los coloquios tenidos en San Silvestre“.94 Klein hingegen distanzierte sich von der Deutung der Diálogos im Rahmen der Diskussion um die Biographieschreibung Michelangelos mit dem Argument, die Relevanz der Diálogos liege doch darin, dass Holanda, wie vor allem die italienischen Kunsttheoretiker, von der Gattung des Traktats Abstand nähme und zum Dialog wechsele.95 Neben diesen zentralen Gesprächspartnern tauchen verschiedene Figuren zweiten Ranges im Verlauf der vier Dialoge auf, die jedoch zuweilen nur dem Gespräch beiwohnen und nicht sprechen: Da wären neben Fra Ambrogio (1. Dialog), dem Diener der Marquesa (1. Dialog) und Diego Zapata (1. und 3. Dialog) noch der Römer Camillo, ein weiterer römischer Ritter sowie die Künstler Giulio Clovio („Julio de Macedonia“, S. 309–310) und Valerio Belli (genannt Valerio Vicentino, „Valerio de Vicença“, S. 311) (4. Dialog) zu nennen.96
4.3. Sprechen, Zeigen, Schauen. Intermediale Referenzen im Steigerungsprozess Holandas Vorhaben, in Gesprächsform die Ehre, Nobilität und den Nutzen der Malerei zu zeigen (vgl. S. 220), realisiert er auf der Ebene der räumlichen, zeitlichen und personellen Ausstattung also zunächst, indem er die römischen Gespräche von einem illustren Zirkel von Humanisten und Künstlern führen lässt: In den ersten drei Gesprächen in und um das Kloster San Silvestro treten neben ihm selbst noch Tolomei, Colonna und Michelangelo auf; das vierte Gespräch findet in einem privaten Palazzo statt und integriert weitere Künstler als Sprecher. Die römischen Dialoge warten des Weiteren mit verschiedensten Kunst- oder Kunstwerkbezügen in Form intermedialer Referenzen auf. Wie im Folgenden aufzuzeigen sein wird, sind diese Erscheinungen, die mit den Begriffen Sprechen, Zeigen und Schauen überschrieben sind, nicht nur auf unterschiedlichen Dialogebenen realisiert, sondern sie vollziehen vielmehr im Laufe der Diálogos eine deutliche Steigerung, die wiederum die Makroproposition des Dialogs deutlich macht.
Sprechen – Thematisierung von Kunstwerken und Malerei Im Rahmen der Verhandlung der kunsttheoretischen Fragestellungen kommt es auf der Diskursebene der Diálogos em Roma immer wieder zu Berichten über verschiedene zeitgenössische Kunstwerke. Eine besondere Position im Rahmen 94 Sánchez Cantón, Francisco Javier: „Noticia de Francisco de Holanda“, in: Holanda, Francisco de: De la pintura antigua seguido de ,El diálogo de la Pintura‘, Faks., eingel. v. Elías Tormo, hg. v. Francisco Javier Sánchez Cantón, Madrid: Visor / Real Academia de Bellas Artes de San Fernando 2003, XXIV. 95 Vgl. Klein, Robert: „Francisco de Hollanda et les secrets de l’art“, in: Colóquio. Revista de Artes e Letras XI (1960), 6–9. 96 Zu den biographischen Daten der historischen Figuren der Diálogos vgl. Frèches 1973, 137ff.
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dieser Kunstwerkberichte nimmt darunter der erste Teil des zweiten Dialogs ein, dem ich im Folgenden besondere Aufmerksamkeit schenken möchte. Nachdem sich Holanda in typischer Dialog-Manier bei diesem Treffen in San Silvestro verspätet hat, was ihm den Unmut seiner Gesprächspartner einbringt (S. 249), eröffnet er das Gespräch mit der Bitte an Michelangelo, ihm die berühmtesten Gemälde Italiens aufzählen (S. 249). Er legt damit den Grundstein für die nun folgenden Berichte über die europäischen Kunstschätze. Michelangelo zählt daraufhin zentrale Kunstwerke von Malern in den verschiedenen Palästen oder Häusern außerhalb Roms (S. 250ff.) auf.97 Einzig den Palast des Fürsten Doria in Genua, der von Perino del Vaga dekoriert wurde (S. 253), beschreibt er näher. Die Marquesa, die nun das Wort ergreift und über die Kunstwerke in Rom berichtet, wird bereits etwas konkreter. So beginnt sie ihre Ausführungen mit einer kurzen Beschreibung eines Gewölbes („abobeda“) des Petersdoms, die Michelangelo mit Fresken ausgestattet habe (S. 254). Wahrscheinlich bezieht sie sich hier auf die Sixtinische Kapelle, die für die Marquesa die Quelle der Malerei darstellt – die Kunst steht für sie ausschließlich im Dienst des Schöpfers und der Religion.98 Als nächstes nennt Colonna die Stanzen Raffaels, die sich ebenfalls in den Palästen des Petersdoms befänden (S. 255). Sie lobt nun jeweils einen Künstler und ergänzt das wichtigste Kunstwerk, das dieser in Rom gestaltet hat (S. 256) – Rom, so urteilt sie am Ende, sei „a cidade […] mais pintada que outra alguma do mundo todo“ (S. 257). Nun ist Holanda an der Reihe. Nachdem er zunächst noch das von Michelangelo gestaltete Medici-Grabmal in San Lorenzo in Florenz zu den lobenswerten Kunstwerken außerhalb Roms ergänzt (S. 258), berichtet er von einem Bild, welches er in einem Franziskanerkloster im französischen Avignon gesehen habe: Das Porträt einer Toten, das der „bella Anna“ (S. 259), das ein französischer König (René I. d’Anjou), der die bereits Verstorbene porträtierte, mit Versen versah: „que a tirou inda polo natural, com muitos versos ao redor, que a choravam e inda estão chorando“ (S. 259). Auch wenn Holanda seine Ausführungen über das Bild der Schönen Anna „pintura“ nennt (was auch ‚Beschreibung‘ heißen kann), findet sich hier wiederum keine Beschreibung dieses Gemäldes, Holanda erläutert vielmehr dessen makabre Entstehungsgeschichte. Insgesamt handelt es sich bei diesem ersten Teil des zweiten Dialogs nicht um echte Bildbeschreibungen, sondern vielmehr um Aufzählungen oder Nennungen im Sinne eines Kunstverzeichnisses.99 Auch diese Aufzählungen von Kunstwerken, so habe ich es bereits in der in Kapitel III.3 vorgenommenen Identifizierung und Systematisierung der intermedialen Phänomene in den hier untersuchten Renaissancedialogen erläutert, lassen sich als intermediale Phänomene begreifen. Es 97 Diese Replik Michelangelos wird mehrfach dahingehend gedeutet, dass Holanda-Autor hier die Städte aufzählt, die er selbst gesehen habe. Bury spricht hier von einer „transposition of speakers“ (1981, 21): Holanda habe hier Michelangelo seine eigenen Reisebeobachtungen in den Mund gelegt (ebd., 18–19). Deswarte-Rosa urteilt ebenso: „Esta lista é, com toda a evidência, uma indicação das cidades que o próprio Holanda visitara“ (1992, 254, Anm. 172). 98 Frèches 1973, 32. 99 Vgl. Vasconcellos 1899, LXXXVII; Tietze 1905, 308; und Nascimento 2011, 212.
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handelt sich hierbei um intermediale Einzelreferenzen auf bestimmte Werke eines Fremdmediums. Das Bezugssystem wird also explizit erwähnt und reflektiert, jedoch nicht etwa imitiert oder reproduziert. Genauer haben wir es hier, dies sei nochmals hervorgehoben, also mit Thematisierungen des Mediums Malerei im Modus des telling zu tun. Diese terminologische Konkretisierung ist hier wichtig, da sich die Form des Sprechens über Kunstwerke im Verlauf des zweiten Gesprächs zwar ändert, jedoch im Rahmen dieser Thematisierung verbleibt. Im Anschluss an die genannten Aufzählungen der zentralen in Italien und Frankreich existierenden Kunstwerke werden im zweiten Dialog drei Fragestellungen der Ästhetik diskutiert, die die Systematisierung und Klassifizierung der Künste betreffen: Holanda und Michelangelo beschäftigen sich mit dem Vorrang von Malerei oder Bildhauerei (S. 260ff.); Tolomei nimmt daraufhin die Verteidigung von Malerei und Dichtung als Schwesterkünsten vor; am Schluss verteidigt Holanda gegenüber Tolomei und Colonna die Vorherrschaft der Malerei über die Dichtung.100 Im Rahmen dieser Diskussionen kommt es zu weiteren, im Folgenden genauer zu betrachtenden Referenzen auf die Malerei, die anders gelagert sind als die bisher zu konstatierende Aufzählung von Kunstwerken. Zunächst ein Blick auf den ersten Diskussionspunkt, die Beziehung zwischen Malerei und Bildhauerei. Holanda begegnet Lattanzios Zweifeln zur Eingliederung der Skulptur als Teil der Malerei gleich mit mehreren Argumenten: Bereits Fidias und Praxiteles würden in den antiken Quellen zu den Malern gezählt, obwohl sie als Bildhauer tätig gewesen seien (S. 260), und auch Pomponius Gauricus beschreibe die Skulptur als Teil der Malerei (S. 261).101 Danach erhebt er Michelangelo zum zentralen Argument und zum lebenden Beispiel für die Vereinigung der arti del disegno:102 „o grande debuxador M. Angelo, que aqui stá, sculpe tambem em marmor, que não é seu officio“ (S. 261). Am Schluss bekennt sich Holanda – ganz im Sinne der zeitgenössisch üblichen Diskussion um Zeichnung und Kolorierung – zur zentralen Bedeutung der Zeichnung für alle Bildenden Künste (S. 262–263). Der perfekte Maler, so ergänzt Michelangelo, habe nicht nur in den „artes liberaes e outras sciencias“ sowie in Architektur und Skulptur instruiert zu sein, sondern in allen Handwerkskünsten (S. 263–264).103 Schließlich wird dem Universalgenie selbst die Verteidigung der Malerei als Ursprung aller Künste in den Mund gelegt: Deixo já todos os officios e artes, de que pintura é fonte principal, dos quaes uns são rios que nascem d’ella, como a scultura e arquitectura, alguns são ribeiros, como os officios macanicos, e alguns são charcos que não correm (tal como algumas enuteis manhas como entretalhar da tisoura e outras taes) da agoa […] (S. 264).
100 Menéndez Pelayo 1962, 448. 101 Vgl. Traktat: „não sómente a scultura é parte e membro da pintura; mas assi como scultor não o pode ser sem saber desenhar ou pintar“ (S. 68). 102 Vgl. Bury 1981, 19–20. 103 Vgl. Traktat: „Que sciencias convem ao pintor“ (S. 63–71).
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Es handelt sich hier um eine Metapher, mit der Holanda-Autor bereits auf die Vorherrschaft der Malerei hinweist,104 die sich im weiteren Verlauf des Dialogs zunehmend herauskristallisieren wird. Falls die bisher beschriebene Diskussion bereits Züge eines Paragone, eines Wettstreits der Künste, hat, so nimmt dieser im weiteren Verlauf des Gesprächs noch konkretere Form an.105 Der Wettstreit vollzieht sich im Folgenden zwischen Malerei und Dichtung – ein Paragone, wie man ihn zwar bereits von Leonardo da Vinci kennt,106 der hier jedoch in einer literarischen Gattung aufgegriffen wird, die signifikanterweise in verschiedenen Poetiken ja selbst immer wieder der Dichtung zugeordnet worden ist. Lattanzio eröffnet die Diskussion mit einem Hinweis auf die große Konformität zwischen den „letras“ und der Malerei: Die zwei „sciencias“ seien Schwesterkünste („legitimas irmãs“), die nur gemeinsam perfekt seien (S. 265). Die nun folgenden Ausführungen präsentieren Lattanzio klar als den großen Humanisten der Diálogos.107 Bereits Quintilian, so erklärt er, habe in seiner Rhetorik die Tätigkeit des Redners mit der des Malers verglichen,108 auch Michelangelo setze das Vorgehen von Malern und Dichtern gleich, und in der Antike seien Malerei und Bildhauerei insgesamt gleichermaßen als ‚Malerei‘ bezeichnet worden (S. 265–266). Im Folgenden nennt er Beispiele (antigraphia, Hieroglyphen, S. 266) für diese Analogie, die zu einem Großteil Gauricus’ De Sculptura entlehnt sind.109 Er wolle Holanda beweisen, wie sehr die Dichter die Malerei lobten und dass sie anscheinend kein anderes Ziel hätten, als die Vorzüge der Malerei aufzuzeigen. Diese Beschreibung seines Vorhabens schließt er mit folgender Feststellung ab: […] uma das cousas em que elles mais studo poẽm e trabalham (digo os famosos poetas), é em bem pintar ou emitar uma boa pintura. E este tem polo primor, que com mais pronteza e cuidado desejam de explicar e fazer. E o que isto póde alcançar, este é o mais excelente e claro (S. 266).
Es ist hier das Textversatzstück des „emitar uma boa pintura“, das die Dichter vornehmen, dem besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Unter den Beispielen, die Lattanzio im Folgenden für Vergils Fähigkeit nennt, mit Worten zu ‚malen‘ („como tem com letras pintado“, S. 267), findet sich unter anderem die Beschreibung der von Alkimedon geschnitzten Becher aus der dritten Ekloge sowie die Beschreibung des Hafens von Karthago, des brennenden Troja oder des von Vulkan für Aeneas angefertigten Schildes aus der Aeneis (S. 267–268). So-
104 Hellwig 1996, 144. 105 Hellwig fasst die Diskussion um Skulptur und Malerei trotz klarer Hinweise auf die Ranghöhe der Malerei nicht als Thematisierung des Paragone auf (ebd.). Im Allgemeinen wird der nun folgende Textteil von S. 265 bis S. 275 als Paragone bezeichnet, aus dem die Malerei als ranghöchste Kunst hervorgeht. 106 Deswarte-Rosa 1991, 34; vgl. auch 1992, 195ff. 107 Frèches 1973, 33. 108 Quintilian vergleicht hier eigentlich die Rhetorik und die Geometrie (Holanda 1983, 265, Anm. 723). 109 Vgl. Holanda 1983, 266, Anm. 725.
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wohl die Becher des Alkimedon110 als auch der Schild des Aeneas111 gelten als klassische Beispiele für Ekphrasen. Das Textversatzstück des „emitar uma boa pintura“ scheint somit auf die Beschreibungen von Kunstwerken in Dichtung zu rekurrieren. Lattanzio jedoch führt hier nicht eigene Ekphrasen an, sondern zählt stattdessen ekphrastische Beschreibungen aus dem dichterischen Œuvre Vergils auf. Lattanzios Vorgehen ergibt sich aus dem Ziel seiner Argumentation: Er will seinen Gesprächspartnern den lobenswerten Umgang der Dichter mit der Malerei auf theoretische Weise verdeutlichen. Das Phänomen der Ekphrasis ist dabei sein zentrales Argument für die Äquivalenz und ‚Schwesternschaft‘ von Malerei und Dichtung, zeigt es doch wie kaum ein anderes, um eine Formulierung von Maria Moog-Grünewald zum ekphrastischen Schreiben aufzugreifen, „das Verhältnis von Bild und Text, von Visualität und Skripturalität“.112 Lattanzio beschließt seine Ausführungen mit dem Aufruf, man solle Vergil lesen, denn bei ihm fände man im Grunde das Werk eines Michelangelo vor („que outra cosa lhe não achareis senão o officio de um Micael Angelo!“, S. 268). Er nennt Ovid – „não é outra cousa todo senão retavolo“ – und andere römische Dichter als weitere Beispiele, um die Äquivalenz zwischen Malerei und Dichtung nochmals zu betonen. All jene würden schließlich zugeben, dass auch sie ‚malen‘ und von der Malerei als „poesia muda“ sprechen (S. 268–269). Lattanzio lässt zum Abschluss somit auch den Topos der pictura als muta poesis in seiner Argumentation einen Platz finden und erregt vor allem damit Holandas Interesse. Holanda widerspricht ihm nun nicht nur, sondern nimmt zugleich eine parodisierende Umkehrung des Simonides zugeschriebenen Ausspruches vor:113 […] de chamarem á pintura poesia muda me parece que sómente os poetas não souberam bem pintar; que se elles alcançaram quanto mais ella declara e falla que essa sua irmã, não o dixeram; e antes eu a poesia sustentarei por mais muda (S. 269).
Holanda weist, so wird hier deutlich, der Malerei die größere Eloquenz zu.114 Nichtsdestotrotz nimmt er sein Lob der Malerei („louvar uma minha namorada“, S. 269), das er nach Aufforderung der Marquesa auf die soeben zitierte Aussage hin vornimmt, in seiner Rolle als „descipulo d’uma muda senhora e sem lingoa“ (S. 269) vor. Nicht als Feind der Dichtung wolle er nun sprechen;
110 Diese werden u.a. bei Hollander (1988, 210) als Beispiel für eine „notional ekphrasis“ angeführt. 111 Vgl. Putnam, Michael C. J.: Virgil’s epic designs. Ekphrasis in the Aeneid, New Haven u.a.: Yale Univ. Press 1998, 119–188. 112 Moog-Grünewald, Maria: „Der Sänger im Schild – oder: Über den Grund ekphrastischen Schreibens“, in: Drügh, Heinz J. / Moog-Grünewald, Maria (Hg.): Behext von Bildern? Ursachen, Funktionen und Perspektiven der textuellen Faszination durch Bilder, Heidelberg: Winter 2001, 1. 113 Deswarte-Rosa 1992, 195. 114 Nascimento, Cristiane Maria Rebello: „A palavra pintada: a ecfrase na tratadística de pintura no século XVI“, in: Revista de história da arte e da arqueologia 9 (2008), 13.
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VI. Francisco de Holandas Da Pintura Antiga […], mas por defender essoutra senhora, que é inda mais minha, só pola qual eu folgo com a vida, e pola qual eu confesso que tenho voz e fallo, sendo ella muda, só de um dia acertar de lhe vêr mover os olhos. E quando ella ensina a fallar com os olhos, que fará se lhe vira mover os sabios beiços (S. 270)?
Bereits an diesen, die Argumentation einleitenden Worten wird eine besondere Ansprache des Gesichtssinns durch die Malerei deutlich, die sich im Verlauf seiner Argumentation als besonders relevant herausformen wird. Dies zeigt sich bereits in seinen sich anschließenden Erläuterungen zur „Wirkmächtigkeit“ von Dichtung und Malerei: Gute Dichter vollbrächten mit Worten nicht mehr als mittelmäßige Maler mit ihren Bildern; danach rekurriert er auf die ciceronianische Trias der officia oratoris – die Malerei schaffe das docere („que aquelles contam o que estes exprimen o declaram“), das delectare – „ouvidos ocupam“, „olhos satisfazem“ – und das movere („presos e embelesados“) (S. 270).115 Wiederum stehen hier also die Sinne im Zentrum, die von der Malerei berührt werden. Die zu erkennende Superiorität der Augen vor den Ohren erfindet Holanda nicht neu; es handelt sich dabei um einen antiken Topos, der auf die Horaz’sche Ars poetica zurückgeht,116 in der es heißt: „segnius inritant animum demissa per aurem / quam quae sunt oculis subiecta fidelibus“.117 Vor Horaz, darauf ist bereits hingewiesen worden, ist schon bei Platon eine Hierarchie der Sinne aufgestellt und der Gesichtssinn als der vorrangige ausgewiesen worden. Im Folgenden wird Holanda verschiedene Beispiele geben – Malereien eines Seesturms, eines Stadtbrands, einer Venusdarstellung –, die die Vorherrschaft der Malerei vor der Dichtung durch das Argument ihrer höheren Anschaulichkeit begründen, womit er schließlich wiederum den Gesichtssinn ins Zentrum rückt. Holandas erstes Beispiel bezieht sich auf die Darstellung eines Seesturms: Anhand dessen stellt er dar, wie schwierig es ist, eine Geschichte zu erfassen, wenn man sie in vielen Versen lesen würde – sobald man am Ende angelangt sei, habe man den Anfang schon wieder vergessen, und nur der gerade vor Augen stehende Vers sei dem Leser noch präsent (S. 271). Wie viel mehr könne doch da die Malerei! Sie zeige das Unwetter mit all seinen Facetten – mit Donner und Blitzen, den Wellen, dem Schiff und den Felsen: „juntamente vos mostra aquella tormenta cos trovões, raios, ondas e rottas, naos e penedos“ (S. 271). Er rekurriert sodann auf einige Verse aus Vergils Aeneis, in denen ein solches Unwetter beschrieben wird (S. 271).118 Von Rosen sah an dieser Textstelle zum einen Holandas Orientierung an der antiken enargeia, zum anderen auch einen Bezug auf die visiones-Definition von Quintilian realisiert: Im Gegensatz zum Gedicht, in dem der Leser bzw. Zuhörer am Ende nur eine visio vor Augen hat, ist der Maler in der Lage, mehrere visiones gleichzeitig in einem Bild zu verschmelzen, „das dadurch quasi eine Summe der Wirkmacht jeder einzelnen visio auf sich vereint“.119 Die 115 Rosen 2001, 240. 116 Holanda 1983, 270, Anm. 749. 117 „Schwächer erregt die Aufmerksamkeit, was seinen Weg durch das Ohr nimmt, als was vor die verlässlichen Augen gebracht wird“ (Horaz 1972, 14 und 15 (V. 180–181)). 118 Vgl. Vergil 1974, I, V. 91–125. Vgl. Holanda 1983, 271, Anm. 751–754. 119 Rosen 2001, 242.
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besondere Fähigkeit der Malerei, die Holanda-persona hier hervorhebt, fasst von Rosen folgendermaßen zusammen: „Der unmittelbaren Evidenz der natürlichen Zeichen der Malerei wegen bewirke ein Gemälde größere Vergegenwärtigung als ein sein Sinnpotential sukzessiv entfaltender Text“.120 Holanda verdeutlicht seine Auffassung anhand eines zweiten Beispiels, des Brandes einer Stadt (S. 271–272). Jene Malerei zeige ebenfalls alle Aspekte des Unglücks, als trüge es sich wirklich zu: „mostra mui presente e vesivelmente todo aquelle incendio d’aquelle cidade, em todas as suas partes, representado e visto tão igualmente como se fosse mui vero“ (S. 271). Holanda weist zum einen hier auf die Unfähigkeit der Dichtung hin, simultan stattfindende Handlungen und Emotionen darzustellen.121 Zum anderen wird wiederum die besondere Ansprache der Sinne durch die Malerei ins Zentrum gestellt:122 Während bei der Dichtung nur die Ohren im Fokus ständen, würden bei einem Gemälde vor allem die Augen – „mas vesivelmente gostam os olhos d’aquelle spectaculo“ –, aber auch der Geruchssinn – „Parece-vos que cheiraes o fumo“ – aktiviert (S. 272). Die zentrale Bedeutung der Augen offenbart sich hier nicht nur daran, dass einzig sie mit dem positiv konnotierten Verb gostar belegt werden, sondern vor allem durch die sich erst durch sie ergebende Möglichkeit der Vermittlung von Emotionen. So befand bereits Cristiane Nascimento: „Esta virtude de mover os afetos é também a dos olhos, superior aos demais sentidos e, em particular, superior ao ouvido“.123 Erst bildliche Darstellung und visuelle Wahrnehmung lassen Emotionen entstehen: Parece-vos […] que fugis de flama, que temeis as ruinas dos edificios; estaes para dar a mão aos que caem, staes para defender aos que pelejam com muitos: para fugir com os que fogem, e para star firme com os esforçados (S. 272).
Auch in diesem Beispiel greift Holanda auf eine konkrete Textvorlage zurück, Vergils Aeneis, was nicht zuletzt durch die erwähnten Personen und Ereignisse klar wird.124 Auch wenn Holanda hier, wie in Ekphrasen üblich,125 neben den Fak-
120 Rosen, Valeska von: „Die Enargeia des Gemäldes. Zu einem vergessenen Inhalt des Utpictura-poesis und seiner Relevanz für das cinquecenteske Bildkonzept“, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 27 (2000), 191. 121 Deswarte-Rosa 1992, 195. 122 „Wohl von Leonardo angeregt ist sein Gedanke, daß nur eine gemalte Darstellung alle Sinne ihres Rezipienten anzusprechen vermöge“ (Rosen 2001, 240). 123 Nascimento 2008, 14. 124 Vgl. Vergil 1974, II, V. 310–707ff. Vgl. Holanda 1983, 271–272, Anm. 755–761. Vasconcellos war noch davon ausgegangen, Holanda habe hier Raffaels ‚Borgobrand‘ der Stanza dell’Incendio und den von Giulio Romano dekorierten Sala di Troja im Herzogspalast von Mantua im Kopf gehabt (1899, 213, Anm. 100). 125 Bereits von Rosen hatte die Textstelle als ausführliche Beschreibung eines „imaginäre[n] Gemälde[s] mit dem Brand einer Stadt“ (Rosen 2001, 240) beschrieben und als Ekphrasis bezeichnet (ebd., 242). Auch Maria Teresa Nascimento hat das Beispiel des Stadtbrandes bei Holanda gewählt, um das Phänomen der Ekphrasis in den portugiesischen Renaissancedialogen darzustellen (2011, 532–533).
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ten des Geschehens auch die Affekte schildert;126 und auch wenn die narrative Struktur, die dieser Beschreibung zugrunde liegt, für Ekphrasen, vor allem den antiken Beispielen nach, charakteristisch ist127 – geht es Holanda hier ja eigentlich nicht um eine irgendwie geartete Bildbeschreibung. Vielmehr will er den anderen Gesprächsteilnehmern demonstrieren, dass die allen bekannte literarische Szene als Gemälde optimaler wirken würde. Es geht ihm schlussendlich um die Darstellung der höheren Anschaulichkeit und Wirkungsmacht der Malerei, die im Gegensatz zur Dichtung Emotionen und Affekte hervorrufen kann. Ähnliches zeigt sich auch im dritten Beispiel; auch dort zieht Holanda eine Szene aus Vergils Aeneis heran.128 Wie viel besser, so stellt er dar, könne doch die Malerei die weinende, zu den Füßen Jupiters liegende und um Gnade flehende Venus zeigen – ihre Statur, ihre Kleidung, ihre Bewegungen, ihre Schönheit, bis hin zu kleinen Details (S. 274). Wiederum stehen hier die Vorteile die Malerei bei der Darstellung dieser Szene im Vergleich zur Dichtung im Mittelpunkt: Details und Besonderheiten einer Geschichte und ihrer Figuren könne ein Dichter eben nicht ohne größere Konfusionen darstellen, der Maler hingegen schon; er kann den Betrachter nicht nur bewegen, sondern das zu Sagende vielmehr direkt vor Augen stellen: „porá diante dos olhos“ (S. 274), wie Holanda es formuliert. Eben jenes ‚Vor-Augen-Führen‘ oder ‚Vor-Augen-Stellen‘, die sinnliche Vergegenwärtigung, Verlebendigung und Veranschaulichung, dies ist hier bereits gesagt worden, fasst die antike Rhetorik mit den Termini der enargeia bzw. evidentia. Schon für das exemplum des Stadtbrandes hatte von Rosen davon gesprochen, dass Holanda die Übertragung des enargeia-Konzeptes auf das erzählende Gemälde vornimmt: „Die Malerei kann ihm zufolge durchaus eine Handlung in ihrer Komplexität dem Betrachter vor Augen stellen und vergegenwärtigen“.129 Ähnlich hatte auch Maria Teresa Nascimento zu dieser Textstelle geurteilt, Holanda „pretende […] demonstrar que a pintura que lhe deu origem tem características de presentificação insuperáveis“.130 Auch bei dem Venus-Beispiel rekurriert Holanda so denn nicht nur auf die Bedeutung der visuellen Wahrnehmung an sich, sondern insbesondere auf die evidentia, die eben nur das Gemälde (und nicht die Dichtung) erzielen könne. Und so stellt er als „descipulo d’uma
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Vgl. Boehm 1995, 34. Ebd., 33. Vgl. Vergil 1974, I, V. 227–253. Vgl. Holanda 1983, 273, Anm. 765. Rosen 2001, 243. Von Rosen hatte für Holandas exemplum eines Brandes einer Stadt darauf hingewiesen, dass das gewählte Beispiel Quintilians Institutio oratoria (VIII, 3, 68f.) entnommen sei, in der es „zur Erläuterung der ebenfalls mit enargeia umschriebenen Technik der ‚Pragmatographie‘, der anschaulichen Beschreibung“ entnommen sei (2001, 242). Vgl. Rosen 2000. – Lausberg hebt bei der evidentia hervor, dass der „Gesamtgegenstand […] kernhaft statischen Charakter [hat], auch wenn er ein Vorgang […] ist“, „Die den statischen Charakter des Gesamtgegenstandes bedingende Gleichzeitigkeit der Einzelheiten ist das Gleichzeitigskeitserlebnis des Augenzeugen“ (2008, 399 [§810]). Für den Fall des Stadtbrandes trifft dies ja über alle Maßen zu. 130 Nascimento 2011, 532–533.
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mestra sem lingoa“ (S. 275) am Schluss seine Position – die Vorherrschaft der Malerei über die Dichtung – klar heraus: […] tenho inda por mór a potencia da pintura que da poesia em causar móres effeitos, e ter muito mór força e vehemencia, assi para commover o spirito e a alma, a alegria e riso, como a tristeza e lagrimas, com mais efficaz eloquencia (S. 275).
Fassen wir zusammen: Im zweiten Gespräch der Diálogos em Roma finden sich auf der Diskursebene des Dialogs verschiedene intermediale Bezugnahmen, die sich bisher alle unter dem Stichwort Thematisierung bzw. telling subsumieren ließen: Michelangelo, Colonna und Holanda nahmen zunächst im ersten Teil des Dialogs Aufzählungen von Kunstwerken vor, ohne diese genauer zu beschreiben. Es schloss sich eine Diskussion ästhetischer Fragestellungen zur Bewertung der Künste an, die zu großen Teilen einem klassischen Paragone entsprach. Während Lattanzio darin die Ekphrasis als das Argument für die Analogie von Dichtung und Malerei verwendet, schildert Holanda verschiedene Beispiele – Malereien eines Seesturms, eines Stadtbrands, einer Venusdarstellung –, die zunächst wie exempla von Ekphrasen wirken; tatsächlich allerdings greift er lediglich Verse aus Vergils Aeneis auf und erläutert, wie viel besser und evidenter diese als Gemälde wirken würden. Damit begründet er nicht nur die Vorherrschaft der Malerei vor der Dichtung, sondern zeigt wiederholt die Superiorität des Gesichtssinns auf. Dies wird nicht zuletzt durch die prägnante Stellung von Formulierungen wie „mover os olhos“, „fallar com os olhos“, „olhos satisfazem“ (S. 270), „gostam os olhos“ (S. 272) oder „porá diante dos olhos“ (S. 274) deutlich.
Zeigen – Der Dialog als Bild Nach diesem Lob der Malerei und der Betonung der Kraft der visuellen Wahrnehmung und des Gesichtssinns auf der Argumentationsebene des Dialogs kommt es im dritten Gespräch der Diálogos em Roma zu einer höchst interessanten Form von Bildhaftigkeit des Dialogtextes. Die zuvor auf der Diskursebene des Dialogs betonte visuelle Kraft scheint der Dialog im Folgenden mit den ihm eigenen Mitteln in gewisser Weise umzusetzen zu versuchen; dabei steht nun insbesondere die Handlungsebene des Dialogs im Vordergrund. Die Einführung zum dritten Dialog bildet die Beschreibung der Festivitäten zur Hochzeit zwischen Ottavio Farnese und Margarethe von Österreich, die Holanda an jenem Sonntag aus der Ferne beobachtet (S. 277). Die Feierlichkeiten, so Holanda, verwandelten die Stadt in ein einziges Fest – zahlreiche Bankette werden abgehalten und Feuerwerke veranstaltet, man feiert verschiedene karnevaleske Feste, darunter die „festa do monte Trestacho“, eine Art Stierkampf, sowie das „paleo“ (S. 278), einen Wettlauf von Pferden und Stieren, bei dem der Sieger ein Pallium aus hochwertigem Stoff erhält.131 Reich geschmückte Wagen ziehen durch die Stadt, die mit Figuren und Skulpturen sowie Devisen illustrer Persön131 „correre il palio“ (vgl. Holanda 2003, 178, Anm. 2).
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lichkeiten geschmückt sind (S. 278). Die abgehaltenen Spiele, die Wagen und auch die Verkleidungen der feiernden Römer gehen auf antike Traditionen zurück. Unter den auf antike Art gekleideten Einwohnern („vestidos á antigua“ bzw. „antiga“, S. 278 und S. 279) fallen Holanda besonders 100 berittene junge Römer auf, denn ihre Kleider sind auf besondere Weise mit Samt und Federn geschmückt. Unzählige weitere Verkleidungen und Besonderheiten („de que Italia eicede a todas as outras provincias de Europa“) sieht Holanda, darunter auch den Bannenträger Giuliano Cesarini mit der Standarte der Stadt Rom (S. 279). Diese Einführung ist nicht nur deshalb von Interesse, da mit diesen Feierlichkeiten der Dialog zeitlich verortet wird. Die Beschreibung fällt auch aus anderer, aus intermedialer Sicht ins Auge: So entsteht der Eindruck, dass Holanda diese Festivititäten betrachtet und beschreibt, als handele es sich dabei um ein Gemälde, um eine Malerei. Mehrere Aspekte sind dafür als ursächlich anzusehen. Zu nennen ist hier zunächst die eine explizite Markierung der intermedialen Referenz auf das Medium Malerei, beschreibt Holanda die beobachtete Szenerie doch explizit als „galantaria da pintada antiguidade“ (S. 279). Dies wirkt, so meine ich, an dieser Stelle eindeutig rezeptionslenkend. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die besondere Position von Formulierungen der visuellen Wahrnehmung („eu vi descer“, „vi passar“, S. 279). Am bedeutendsten ist jedoch, dass die Beschreibung deutlich von der restlichen Erzählung abgegrenzt ist, mehr noch, dass die gesamte Szene durch die Distanz des erzählenden Beobachters im Grunde tatsächlich wie ein Bild ‚gerahmt‘ ist und auch so beschrieben wird. Am Ende wendet sich Holanda schließlich gedankenverloren von diesem ‚Bild‘ des Hochzeitsfestes ab: Mas como eu vi descer esta nobre phalange e companhia do Capitolo com muita infantaria, e considerei toda a invenção dos carros e dos edis, vestidos á antiga, e vi passar o senhor Julião Cesarino […], virei logo o meu rocim lá para contra Monte Cavallo, e assi me fui passeando caminho das Thermas, cuidando muitas cousas do tempo passado, em que me então mais via que no presente (S. 279).
Es ist in diesem Zusammenhang wissenswert, dass die hier beschriebene Szenerie des Testaccio-Festes in einigen Aspekten mit einer Illumination von Giulio Clovio – bezeichnenderweise einem Gesprächspartner des Dialogs – für das Stundenbuch (1537–1546) des Kardinals Alessandro Farnese übereinstimmt.132 Die Miniatur von Clovio zeigt ein Panorama des Testaccio-Festes mit der Stadt Rom im Hintergrund.133 Ein Stier zieht einen Karren den Berg hinunter, ein anderer wird im Stierkampf von verschiedenen Rittern attackiert; zahlreiche berittene Soldaten säumen die Szene. Auf dem Seitenrahmen dieser Miniatur finden sich verschiedene Abbildungen von jungen Rittern, in fantasievolle antike Gewänder gehüllt und mit gefederten Helmen, die von einem Berg aus das Fest beobachten. Eventuell hatte Holanda-Autor bei dem Verfassen dieser Textstelle also sogar ein ganz spezifisches Bild im Kopf. Deutlich wird in jedem Falle aber hier, dass der Dialog 132 Vgl. Holanda 1983, 278–279, Anm. 778 und 780. 133 Clovio, Giulio: Das Farnese-Stundenbuch. Ms M.69 der Pierpont Morgan Library New York, Faks., hg. v. William M. Voelkle und Ivan Golub, Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt 2003, 40v–41r.
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an dieser Stelle eine besondere Bildhaftigkeit annimmt. In diesem dritten Gespräch vollzieht sich der Bezug auf das Fremdmedium also nicht etwa durch die Thematisierung von Bildern auf der Argumentationsebene, sondern es ist vielmehr der (Dialog-)Text selbst, der wie ein Bild strukturiert wirkt. Es ließe sich an dieser Stelle, so ist dies bereits in der Systematisierung intermedialer Phänomene dargelegt worden, also von impliziter werkinterner Referenz, genauer einer Imitation, eines showing sprechen: Es hat hier den Anschein, als wolle der Text Merkmale der Malerei mit seinen eigenen Mitteln imitieren, mimetisch abbilden oder zumindest durch Ähnlichkeiten ikonisch auf das Fremdmedium verweisen. Welch besondere Funktion diese Ähnlichkeitsbeziehung zwischen Dialog (-text) und Bild hat, ist sogleich zu erfahren. Nachdem Holanda-persona seinen Beobachtungsposten verlassen hat, erlangt er von seinem Diener Kenntnis darüber, dass sich zwar Michelangelo, Lattanzio und Fra Ambrogio im Kloster befänden, entgegen seiner Hoffnungen aber nicht Vittoria Colonna (S. 279). Dennoch begibt er sich gemeinsam mit Diego Zapata, einen Diener der Marquesa, auf den er trifft und den er sehr schätzt, nach San Silvestro. Die beiden finden Michelangelo und Lattanzio im Klostergarten vor, in den sie sich zur Siesta zurückgezogen haben (S. 280). Man lässt sich auf Steinbänken nieder, umgeben von Lorbeer und anderen Pflanzen, um das Gespräch zu beginnen. Der Klostergarten wird zum hortus conclusus134 fernab vom Lärm der Stadt und dennoch nahe genug, um ihren größten Teil im Blick zu haben: „fugir da confusão da cidade, e acolher-se a esta enseada e porto“; „e d’ali viamos nós uma boa parte da cidade, muito graciosa e cheia de magestade antigua“ (S. 280). Die zu Anfang des Dialogs beschriebene Szenerie wird nun zum Hintergrundbild, vor dem sich das Gespräch abspielt und aus dem es sich im Folgenden thematisch speist. Bereits am Ende der letzten Zusammenkunft hatte man das Gesprächsthema – die Malerei in Kriegs- und Friedenszeiten – festgelegt (S. 275). Michelangelo eröffnet den Dialog sogleich mit einem Monolog zu Anwendungsgebieten und Funktionen der Malerei in Kriegszeiten (S. 281ff.). Man brauche die Malerei für das Entwerfen von Kriegsmaschinerie und Waffen (S. 282–283), für die Planung von Befestigungsanlagen; für das Zeichnen von Insignien auf Flaggen und Standarten; für die Devisen auf den Schilden (S. 283) sowie für die Planung von Truppeneinsätzen. Unter anderem sei es die Funktion der Malerei in Kriegszeiten, „mostrar ante os olhos dos bisonhos e desacostumados soldados a feição da cidade que hão de combater“ (S. 284). Die bildhafte Beschreibung der Festlichkeiten zu Beginn des Dialogs, so wird hier deutlich, zielte auch darauf ab, einige der Funktionen zu illustrieren, die Michelangelo der Malerei an dieser Stelle zuweist, wie die des Entwerfens von Waffen, Livreen, Standarten oder Devisen.135
134 Candelas Colodrón nennt hier explizit die Garten-Szenerie des Scholástico (2. Buch) als Beispiel (Candelas Colodrón, Manuel Ángel: „Modelos dispositivos del diálogo en el siglo XVI español“, in: Hesperia. Anuario de filología hispánica 6 (2003), 65). 135 Vgl. Traktat: „Outros generos e maneiras de pinturas temos, […] como são as armas ou scudos e brasões, […] e invenções que ha na armaria e insinhas. […] na pintura a invenção e o achar das devisas“ (S. 211).
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Auf Bitten von Zapata schließt Michelangelo weitere Erläuterungen zur Funktion der Malerei in Friedenszeiten an (S. 285ff.), in denen er unter anderem die Malerei explizit „proveitosa arte e sciencia“ (S. 286) nennt und ihre Staat und Adel lobpreisende Funktion hervorhebt:136 Assi que a paz, dos grandes principes deve de ser desejada para fazerem grandes obras a suas republicas na pintura, por ornamento de seu stado e gloria, e para receberem d’ella spirituaes e particulares contentamentos e fremosos spectaculos (S. 287).
Das Gespräch läuft in diesem System weiter: Einer der Gesprächspartner wirft eine kunsttheoretische Frage auf; Michelangelo antwortet und erklärt ausführlich. Holanda beispielsweise treibt das Thema der schlechten Bezahlung der Maler in Spanien im Vergleich zu Italien um, das Michelangelo in gewohnt ausführlicher Form darlegt (S. 287ff.). Schon im ersten Dialog hatte Holanda Kritik an der Geringschätzung der Künste in Portugal (S. 239) und auch implizit an der Bezahlung der Künstler in seinem Heimatland (S. 240) geäußert. Der ökonomische Status von Kunstwerken und Künstlern wird in diesem Dialog nun genauer analysiert als in den vorhergehenden. Holanda stellt unter anderem die zentrale Frage: Nach welchen Kriterien bewerte man ein Kunstwerk (S. 290)?137 Michelangelo legt daraufhin seine Ansichten zur Bewertung von Kunstwerken dar (S. 291–292). Des Weiteren diskutieren die Gesprächspartner die groteske Malerei (S. 292ff.), den ‚wahren‘ Maler (S. 297), die religiöse Malerei (S. 298f.), die Bedeutung der Zeichnung als Grundlage der Bildenden Künste („o desenho, a que por outro nome chamam debuxo, nelle consiste e elle é a fonte e o corpo da pintura e da escultura e da arquitectura e de todo outro genero de pintar e a raiz de todas as sciencias“, S. 300)138 sowie die möglichen Definitionen von Malerei, bei der Michelangelo die folgende nennt: […] a pintura, […], será emitar alguma só cousa das que o imortal Deos fez, com grande cuidado e sapiencia, e que elle inventou e pintou […]. E por sentença minha, aquella é a excellente e divina pintura que mais se parece e melhor emita qualquer obra do imortal Deos […] (S. 301–302).139
Zu den verschiedenen Arten und Stilen der Malerei (S. 307f.) legt bezeichnenderweise nur Holanda seine Meinung dar, womit der Dialog sein Ende findet. Nach den unter dem Stichwort Thematisierung bzw. telling zusammenzufassenden intermedialen Bezugnahmen des zweiten Gesprächs ist das dritte Gespräch von völlig anderem Charakter. Wie gezeigt werden konnte, nimmt der Dialog an dieser Stelle eine besondere Bildhaftigkeit an: Holandas Beschreibungen 136 Bereits am Anfang des ersten Dialogs nannte Michelangelo die Malerei „nobelissima sciencia“ (S. 238). 137 Frèches 1973, 36. 138 Vgl. Traktat: „quem quizer saber em que consiste toda a sciencia e força d’esta arte que celebro, saiba que ella consiste toda no desenho, ou debuxo“ (S. 98). 139 Vgl. Traktat: „A pintura […] É emitação de Deos e da natureza prontissima“ (S. 26–27). Vgl. auch Michelangelos Definition im ersten Dialog („a boa pintura não é outra cosa senão um terlado das perfeições de Deos e uma lembrança do seu pintar“, S. 236), in der er den Topos des Deus pictor aufnimmt.
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der Hochzeitsfestivitäten zu Beginn des Gesprächs erscheinen an exponierter Stelle und abgetrennt von der restlichen Erzählung, werden zudem noch explizit als intermediale Referenz auf das Medium Malerei markiert und damit visuell wie ein Gemälde wahrgenommen. Anschließend erscheint dieses Bild der Feierlichkeiten, das Holanda entstehen lässt, als Hintergrundbild des weiteren Dialogs, vor dem sich das Gespräch abspielt und aus dem es sich thematisch speist. Die zuvor auf der Diskursebene des Dialogs hervorgehobene Kraft der Visualität scheint der Text hier mit den ihm eigenen Mitteln umzusetzen zu versuchen; es hat den Anschein, als wolle er das Medium Malerei mimetisch abbilden oder imitieren. Statt eines telling wählt der Dialog die Variante des showing.
Schauen – Das Kunstwerk als Gegenstand der Dialogwelt Im vierten Gespräch schließlich werden Kunstwerke in der Dialogwelt präsent. In diesem Gespräch, in dem die Künstler Giulio Clovio und Valerio Belli sowie der Römer Camillo und ein weiterer Ritter die Plätze der zentralen Figuren eingenommen haben, steht in besonderem Maße die Handlungsebene bzw. die Verquickung der Geschehens- mit der intermedialen Ebene im Vordergrund. Es ereignet sich dort das Folgende: Die Marquesa lässt nach Holanda schicken (S. 309); da es noch früh ist, macht dieser auf dem Weg zum Kloster im Palazzo des Kardinals halt, um „Dom Julio de Macedonia, seu gentil homem, […] o mais consumado de todos os iluminadores d’este mundo“ an ein Werk zu erinnern, das dieser für ihn herstellt (S. 310–311).140 Giulio empfängt ihn und gemeinsam betrachten sie ein Bild, das sie „nossa obra“ nennen, da die Zeichnung von Holanda, die Kolorierung hingegen von Giulio stammt (S. 309–310). Was hier zunächst wie ein Ausgleich des sonst üblichen Rangstreits zwischen Zeichnung und Farbe aussieht, ist in Wirklichkeit ein self-fashioning Holandas: Die Zeichnung ist im Verlauf des Dialogs immer wieder als die vorrangige und fundamentale Kunst hervorgehoben worden – Holanda inszeniert sich hier nun als der Künstler, der nicht die weniger geschätzte Farbmalerei, sondern die schwierigere und essentiellere Zeichnung liefern darf. Ferner fällt auf, dass das Kunstwerk nun nicht mehr ein dem Dialog fernes Artefakt ist, das (wie im zweiten Dialog) genannt oder beschrieben wird, es ist stattdessen auf der Handlungsebene des Dialogs präsent. Das Kunstobjekt ist zum Gegenstand der Dialogwelt geworden. Bei diesem einmaligen Auftauchen von Kunstwerken auf der Handlungsebene soll es nicht bleiben: Als Holanda sich gerade von Giulio verabschieden will, um seinen Weg zum Kloster fortzusetzen, tritt Valerio Belli, Medaillenschmied und Medaillenkünstler („a arte de sculpir medalhas fundas ou de meo relevo, em ouro,
140 Es ist bekannt, dass der Autor Holanda Clovio häufig in seinem Atelier besuchte, da dieser eine große Sammlung von Grafiken, Zeichnungen und Drucken sein Eigen nannte (DeswarteRosa 2004, 258).
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e em cristal, e em aço“), mit drei Begleitern ein (S. 311).141 Auf den freudigen Vorschlag Valerios hin, man könne doch dort eine ebenso illustre Runde („côrte“) veranstalten, entscheidet Holanda sich, im Atelier Giulios zu verweilen (S. 311). Gleich zu Gesprächsbeginn erhält eine Reihe weiterer Kunstartefakte Eingang in die Dialogwelt: [...] quando Valerio de Vicença […] tirou, de baixo da ropa de veloudo que trazia, cincoenta medalhas de ouro purisimo, feitas pola sua mão, ao modo das antigas, tão admiravelmente feitas, que me fezeram ja parecerme mór a opinião que tinha da antiguidade. E estas eram feitas de cunho, maravilhosamente (S. 312).
Die Medaillen, die Holanda hier präsentiert werden, sind nicht etwa wirkliche antike Fundstücke, sondern signifikanterweise neue Münzen, die in antiker Tradition geprägt worden sind (antiquitas nova!). Die Medaillenkunst, also sowohl die Beschäftigung mit antiken Originalen als auch die Herstellung neuer Medaillen gemäß der antiken Tradition, ist in der Renaissance extrem populär, wie ich an späterer Stelle insbesondere anhand von Agustíns Diálogos de medallas, inscripciones y otras antigüedades (1587) noch zeigen werde. Im Gegensatz zum gemeinsamen Bild von Holanda und Giulio Clovio werden die Medaillen nicht einfach nur präsentiert; stattdessen beschreibt Holanda zwei der Münzen genauer, die ihm besonders ins Auge fallen – fast ist man geneigt, von Ekphrasen zu sprechen: Die eine Münze ist nach griechischer Tradition geprägt und zeigt auf der einen Seite Artemis und auf der anderen Seite das Mausoleum;142 die andere Münze, auf römisch-lateinische Art geschmiedet, präsentiert Vergil und eine Hirtenszene (S. 312).143 Dass es hier gerade Goldmünzen sind, die beschrieben werden, ist kein Zufall: Die Münzen präfigurieren vielmehr bereits das zentrale Thema dieses vierten Dialogs – die Preise und die Bezahlung der Malerei. Anhand der sich über den Münzen entfaltenden Diskussion lässt sich jedoch noch ein anderer, für diese Arbeit besonders relevanter Sachverhalt zeigen, und zwar die Superiorität der Betrachtung des Kunstwerks vor der Besprechung. Nachdem Valerio nun die Münzen gezeigt und Holanda diese ansatzweise beschrieben hat, wollen die anderen Gesprächsteilnehmer von Holanda wissen, welche Themen er mit der Marquesa und Michelangelo diskutiert habe; Holanda allerdings gibt sich auf diese Frage wortkarg (S. 312). Statt die vergangenen Gespräche zusammenzufassen, fordert er Giulio auf, doch lieber einige seiner Werke zu zeigen, um keine Zeit mit bloßem Reden über Malerei zu vergeuden: „Fareis melhor (lhe respondi eu), senhor dom Julio, de nos mostrardes, a estes senhores e 141 Verschiedenen Etappen des Lebens von Holanda-persona, die in diesem Gespräch erwähnt werden, sind in die Biographieschreibung des Autors eingeflossen: „e havendo um anno só que stou nesta terra“ (S. 310); „antes de me el rey nosso senhor mandar para Italia, estando eu em Evora“ (S. 314); „eu parti de Lusitania, de uma inclita cidade, […] a qual se chama Lisboa“ (S. 325). 142 Ein doppelseitiges Bild von Artemis und dem Mausoleum findet sich bereits in Holandas Zeichenalbum Antigualhas (f. 45v–46r) (Alves 1986, 23). 143 Holanda Interesse für die Medaillenkunst offenbart sich auch in den zahlreichen Medaillen, die er am unteren Bildrand der Seiten von De aetatibus mundi imagines gezeichnet hat (vgl. Alves 1986, 49–55) sowie in den drei als Medaillen eingefassten Porträts in den Antigualhas.
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a mi, as excelentes obras d’ella de vossa mão, que não em gastáremos o tempo em fallar d’ella“ (S. 313). Giulio fragt daraufhin ungläubig nach, ob Holanda tatsächlich das ‚Plaudern‘ über die Kunst („o praticar da gravissima nossa arte“) als „menos nobre“ als das Sehen von Malerei („vê-las obras de pintura“, S. 313) einschätze. Er könne nicht glauben, so Giulio weiter, dass Holanda das Behandeln der Vorzüge der Malerei tatsächlich geringer als das Sehen der Malerei bewerte (S. 313). Holandas Antwort fällt extrem knapp, jedoch umso aufschlussreicher aus: Holanda rät Giulio, er solle der Gruppe nun zunächst die Bilder zeigen, dann könne man sich mit dem Reden über die Malerei beschäftigen („Mostrai-nos vós todavia já a primeira, então ocupai-nos na segunda“, S. 313) – und bestätigt damit eindeutig die von Giulio unterstellte Rangordnung, nach der er die visuelle Betrachtung dem Sprechen über Malerei vorziehe. An dieser Stelle nun kommt es zum dritten Mal zur Präsentation von Kunstobjekten im Dialog: Giulio zeigt der Gruppe verschiedene seiner Bilder und Illuminationen, darunter ein Ganymed und eine Venus sowie zwei große Buchmalereien, die unter anderem den Paulus und die Caritas zeigen (S. 313). Holanda lobt nicht nur Giulios Illuminationen;144 Giulios Bilder und ihre Beschreibungen sind an dieser Stelle auch der Anlass, die Technik der ‚Atome‘ zu erläutern („uma maneira de lavrar de uns certos pontos, […] a maneira de veos tecidos, que parecem uma nevoa lançada por cima da pintura“), die Giulio zwar als erster in Italien, Holanda und sein Vater jedoch bereits in Portugal angewandt hätten (S. 313–314). Die beschriebenen Buchmalereien fungieren des Weiteren als Movens für die Diskussion über die Kunstkritik: Giulio bittet den Römer Camillo um Kritik an seinen soeben gezeigten Werken, da Holanda ihm diese nicht gewähren wolle (S. 314). Camillo argumentiert daraufhin gegen die Kritiker, die ein Kunstwerk zu unrecht verurteilen (S. 314ff.) und wird dabei von dem zweiten anwesenden Römer unterstützt (S. 316). Am Ende seiner Replik greift dieser die im Dialog bereits mehrmals geäußerte Kritik an der spanischen Einstellung zur Kunst auf (S. 317). Holanda entgegnet, über Spanien wisse er nichts, in Portugal jedoch gäbe es Fürsten, die die Malerei sehr wohl schätzten sowie für sie bezahlten (S. 317). Quasi als Gegenbeweis für den Geiz der Spanier legt Holanda Giulio sodenn Geld („vinte cruzados em ouro“) für die Kolorierung des gemeinsamen Bildes auf den Tisch (S. 317), das dieser allerdings erst annehmen will, als Holanda als Versicherung für die Auszahlung des restlichen Geldes ein Goldkreuz dazugibt (S. 318). Die Bezahlung Giulios ist hier nicht nur als Symbol für die Superiorität des Zeichners über den Farbmaler zu verstehen – Holanda bezahlt Giulio eben nur für seinen „trabalho das colores“ (S. 318), er hingegen hat mit dem desenho den wahren Grundstein des Gemäldes gelegt.145 Es ist die Präsenz der Münzen, für alle Gesprächsteilnehmer sichtbar, die zum zentralen Thema des Dialogs führt: Giulio 144 Ein ähnliches Lob findet sich bereits im Traktat: „E as obras de illuminaçam, que Don Julio de Macedonia me mostrou em Roma, erão dinas dos antigos e de qualquer grande principe cristão; e a Don Julio daria eu a palma, que lhe não nega mestre M. Angello n’este genero de pintar [...]“ (S. 200). 145 Holanda 1983, 318, Anm. 853.
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entscheidet, dass man heute über kein anderes Thema sprechen werde als über die Preise und die Bezahlungen, die man in der Antike für die Malerei habe erreichen können (S. 318), worauf Camillo einen Pagen bittet, ihm eine Ausgabe von Plinius’ Naturalis Historia zu bringen (S. 319). Nachdem im zweiten Gespräch Kunstwerke thematisiert und die evidentia der Malerei herausgestellt wurde, es dann im dritten Gespräch zu einer besonderen Bildhaftigkeit des Dialogs, einer die Malerei imitierenden Modifikation des Textes kam, finden die Kunstartefakte im vierten Gespräch schließlich Eingang in die Dialogwelt – es verquicken sich damit hier die intermediale und die Geschehensebene. Diesen Kunstwerken kommt auch ein größerer Stellenwert zu, da es sich bei diesen Objekten im Gegensatz zu den im zweiten Gespräch thematisierten um persönlich von den Dialogsprechern erschaffene Kunstwerke handelt. Die Präsenz der Artefakte auf der Handlungsebene zieht hier wiederum Konsequenzen für die Diskursebene nach sich, deren zentrale Themen nun die Preise und die Bewertung der Malerei und Kunst in der Antike werden. Während Camillo in einem langen Abschnitt, der in großen Teilen Argumente und Ideen aus Plinius’ Naturalis Historia aufgreift,146 verschiedene berühmte Kunst- und Bauwerke aus der Antike (S. 321–325), darunter einige der sieben Weltwunder (S. 320–321),147 lobt und Holanda das von Camillo zusammengestellte Verzeichnis um die Römerstraßen ergänzt und am Ende ein Lob Portugals anfügt (S. 325–327), bringt der Diener die Plinius-Ausgabe, die Camillo zur Hand nimmt (S. 327). Die Figuren lesen nun aus Plinius’ Naturalis Historia.148 Fast alle typischen Motive und Argumente zur Aufwertung der Malerei, die in der zeitgenössischen Kunstliteratur Verwendung fanden, werden nun angeführt. Mit dem Beginn der Lektüre von Plinius’ Werk durch die Gesprächspartner ändert sich jedoch auch der Charakter des Textes: Plinius’ Theorien zur Malerei werden in einer Abfolge von Monologen präsentiert, von nur wenigen oder keinen Diskussionen unterbrochen.149 Die Gattung Dialog scheint sich hier fast aufzulösen, der Text wird zum literarischen Kommentar.150 Unter anderem befasst sich die Gruppe mit Plinius’ Aufzeichnungen zu den spezifischen Preisen einiger antiker Gemälde; genannt werden dabei die Anekdoten des berühmten (und wohlhabenden) Zeuxis, der ein Bild idealer Schönheit nach dem Vorbild der fünf schönsten Jungfrauen Krotons hergestellt und täuschend echte Trauben gemalt haben soll („Preço d’algumas pinturas“, S. 334– 335). In „Nobreza da pintura“ wird die Malerei schließlich, aufgrund der notwendigen Kenntnisse in Arithmetik und Geometrie, als eine der artes liberales etabliert (S. 335). Man widmet danach Apelles einen beträchtlichen Abschnitt („De Apelles, pintor ilustre“, S. 336–338). Bezeichnenderweise endet die Zusammen146 Vgl. Holanda 1983, 319, Anm. 854ff. 147 Es finden sich an dieser Stelle Tendenzen einer Querelle des Anciens et des Modernes: Die aktuelle Kunst, so argumentiert Camillo, liege darnieder; die Antike habe die einzig wahren Schönheiten hervorgebracht. 148 Vor allem das 35. Buch ist in diesem Zusammenhang relevant. 149 Frèches 1973, 27. 150 Ebd., 38.
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schau von Plinius’ Argumenten mit dem Thema „Preços da pintura“: Verschiedene antike exempla zur Bewertung und Bezahlung von Kunst werden genannt, die mit einer Anekdote zur Rache eines Malers an der Königin Stratonike enden (S. 338–343). Die gemeinsame Lektüre nimmt jedoch nach dieser unehrenhaften KöniginAnekdote ein überraschendes Ende – Holanda steht auf und entreißt dem Vorlesenden das Buch, um ihn wütend anzufahren: […] que mais ali não pareceria e que não se tratasse mais, emquanto eu ali stevesse, de tal livro, que tanto honrava os pintores passados e fazia enveja só aos presentes e anulava as proves pagas da pintura do misero e presente tempo com a memoria do passado (S. 343).
Valerio ist es, der die kritische Situation auflöst: Wenn Holanda es wolle, dann würde man heute nicht weiter über die Malerei sprechen. Stattdessen sollten doch nun alle einen Spaziergang entlang des Tibers machen (S. 343). Der Dialog schließt nun wiederum mit einem Bezug auf in der Dialogfiktion präsente Kunstobjekte ab: Gemeinsam spazieren die Gesprächspartner am Fluss entlang, bis sie zu den schönen Gärten und Häusern von Augustin Guis (bzw. Chigi) gelangen, die von Raffael gestaltet worden sind. Wo man aufgehört hätte, über die Malerei zu sprechen, da begänne man nun, ihre Vorzüglichkeit mit eigenen Augen zu betrachten: Consentimos todos no seu parecer e erguemo-nos e fomo-nos a pé, passeando ao longo do nobre Tybre, topando algumas romanas, amortalhadas polo caminho, até que chegámos ás graciosas ortas e casas de Agustin Guis, as quaes são pintadas não menos manificamente pola mão de Rafael de Orbino, que as obras dos antigos, onde acabando de fallar os louvores da pintura, começámos a ver com os mesmos olhos a grande excelencia d’ella (S. 343–344).
Mit dem Ende des Dialogs sind die Kunstwerke nur noch auf der Handlungsebene präsent.
4.4. Zwischenresümee Zweifelsfrei stellen Holandas Diálogos em Roma ein konzises Kompendium der in der Renaissance diskutierten kunsttheoretischen sowie kunstpraktischen Fragestellungen dar: Als Gesprächsthemen und Argumente tauchen beispielsweise die hohe Wertschätzung der Bildenden Künste in der Antike, der Paragone und damit einhergehend die Frage nach der idealen Mimesis, der Topos der Malerei als ‚stummer Poesie‘, die Frage nach der Vorherrschaft von Zeichnung oder Kolorierung sowie der Deus pictor-Topos auf. In der hier vorgenommenen Analyse hat sich jedoch gezeigt, dass neben diesem theoretischen Gehalt insbesondere die auf den unterschiedlichen Dialogebenen realisierten intermedialen Referenzen und die dezidiert ausgestaltete Handlungsebene des Kunstgesprächs zwischen dem Portugiesen Holanda und seinen römischen Zeitgenossen ein Bedeutungsplus für die Textaussage generieren. Für die intermedialen Referenzen ließ sich dabei ein klarer Steigerungsprozess feststellen, durch den der Dialog in der Makroproposition die Superiorität des Sehens und der visuellen Betrachtung vermittelt.
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Zunächst zeigten sich im ersten Teil des zweiten Gesprächs auf der Argumentationsebene des Dialogs Formen von Thematisierungen (‚Sprechen‘) von Kunstwerken und Malerei. Erst handelte es sich dabei um reine Aufzählungen verschiedenster bedeutender Kunstwerke. Innerhalb der sich anschließenden Diskussion dreier Fragestellungen zur Ästhetik der Künste, genauer in der zur Vorherrschaft von Dichtung oder Malerei, rekurrierte Lattanzio auf das Phänomen der Ekphrasis im engeren Sinne der literarischen Kunstwerkbeschreibung und funktionalisierte es als zentrales Argument für die von ihm im Gespräch verteidigte Äquivalenz von Dichtung und Malerei. Holanda widersprach ihm, indem er anhand verschiedener (Text-)Beispiele aus Vergils Aeneis darstellte, wie viel besser diese als Gemälde wirken würden. Er begründete damit die Vorherrschaft der Malerei vor der Dichtung, und zwar insbesondere mit ihrer höheren Anschaulichkeit und der klaren Ansprache des Gesichtssinns argumentierend. Im dritten Gespräch nahm der Dialog mit Holandas Beschreibungen der Hochzeitsfeierlichkeiten eine besondere Bildhaftigkeit und damit eine andere Form intermedialer Referenz an, bei der nicht mehr von Thematisierung, sondern von imitierender Modifikation des Textes (‚Zeigen‘) zu sprechen war. Holanda beschrieb die beobachtete Szenerie zunächst so, als handele es sich dabei um ein Gemälde; dieses wurde danach zum Hintergrundbild des Dialogs, vor dem das weitere Gespräch stattfand und aus dem es sich thematisch speiste. Der Dialog als Text schien eine bildhafte Struktur aufzubauen; es hatte den Anschein, als wolle er das Medium Malerei mimetisch abbilden oder imitieren. Im vierten Dialog, der unter dem Stichwort ‚Schauen‘ stand, potenziert sich der Kunstbezug abermals, indem die Kunstwerke nicht mehr nur sprachlich aufgerufen, sondern der Dialogwelt immanent wurden. Insbesondere in diesem Gespräch stand damit die Handlungsebene bzw. die Verquickung der Geschehensmit der intermedialen Ebene im Vordergrund. In der Dialogwelt tauchen nun Kunstwerke auf, die die Gesprächspartner einzeln oder gemeinsam hergestellt haben, die betrachtet und zuweilen (fast ekphrastisch) beschrieben werden: Ein Bild, bei dem die Zeichnung von Holanda, die Kolorierung hingegen von Giulio Clovio stammt; verschiedene Gemälde und Illuminationen, die Giulio hergestellt hat; und goldene Medaillen und Münzen von Valerio Belli. Die Präsenz der Kunstartefakte auf der Handlungsebene blieb in keinem der Fälle ohne Konsequenzen für die Argumentationsebene: Das gemeinsame Betrachten und Beschreiben der Medaillen und der Bilder resultierte in einer Fokussierung des Gesprächs auf das Thema der Bezahlung und Bewertung von Malerei in der Antike. Der Dialog führte die besondere Relevanz des Schauens am Ende auf der Geschehensebene auf deutliche Weise vor, indem Holanda die Diskussion abbrach, die Gesprächspartner den Diskussionsort verließen, gemeinsam am Fluss entlang spazierten und schließlich eine weitere Kunstgattung – kunstvoll gestaltete Gärten – ganz ohne Diskussion betrachteten. Der mit der Begriffstrias Sprechen – Zeigen – Schauen umschriebene Steigerungsprozess vollzieht sich also wie folgt: Von einer reinen Thematisierung von Kunstwerken und Malerei auf der Diskursebene (‚Sprechen‘) geht es über die Imitation bildlicher Strukturen im Text (‚Zeigen‘) hin zu einem Auftauchen und Be-
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schreiben von Kunstwerken in der Dialogwelt (‚Schauen‘) und schließlich einem Abbrechen des Kunstgesprächs und einer eindeutigen Fokussierung auf die reine Kunstbetrachtung. Die alleinige Präsenz der Kunstwerke in der Dialogwelt am Ende des Textes muss damit klar als Höhepunkt gewertet werden. Die so ins Zentrum gerückte Superiorität des Sehens und der Betrachtung wurde zwar zuvor zuweilen auch auf der Diskursebene genannt: Man denke dabei beispielsweise an die sich über den Münzen entfaltende Diskussion, bei der Holanda-persona mehrfach das Reden über Malerei der Betrachtung von Kunstwerken subordinierte („Fareis melhor […] de nos mostrardes, […], as excelentes obras d’ella de vossa mão, que não em gastáremos o tempo em fallar d’ella“; „Mostrai-nos vós todavia já a primeira, então ocupai-nos na segunda“, S. 313) sowie an die sich wiederholende Betonung der Augen und des Gesichtssinns: „mover os olhos“, „fallar com os olhos“, „olhos satisfazem“ (S. 270), „gostam os olhos“ (S. 272), „porá diante dos olhos“ (S. 274), „mostrar ante os olhos dos bisonhos e desacostumados soldados a feição da cidade que hão de combater“ (S. 284) oder „começámos a ver com os mesmos olhos a grande excelencia d’ella“ (S. 344). Für eine eindeutige Theoriebildung sind jedoch die Handlungsebene und die intermediale Ebene zentral; erst sie explizieren die auf Diskursebene bereits evozierte Auffassung einer Vorherrschaft der Betrachtung.
5. DO TIRAR POLO NATURAL (1549 PTG., 1563 SPAN.) Das soeben geschilderte Vorgehen und die damit gezeigte Makroproposition des Dialogs mag zunächst performativ widersprüchlich wirken: Im Gespräch über die Malerei kritisiert eine Dialogfigur das Reden über Malerei; die Ranghöhe der Malerei und des Sehens insgesamt wird nicht im Medium der Malerei und damit durch das Sehen, sondern in einem als mündliche Kommunikationssituation inszenierten geschriebenen Text vermittelt. Für die Dialogliteratur allein wäre diese Form des performativen Widerspruchs nicht ungewöhnlich; man denke beispielsweise an die bekannte Schriftkritik von Sokrates in Platons Phaidros: Sokrates Kritik an der Schrift wird auf der Ebene der Autor-Leser-Kommunikation zum performativen Widerspruch, „insofern die Kritik der Schrift offensichtlich des kritisierten, erfolgreiche Kommunikation vereitelnden Mediums bedarf, um selbst kommunikabel zu sein“.151 Wie ich im Folgenden zeigen möchte, löst Holanda diese vermeintliche Widersprüchlichkeit für Da Pintura Antiga mit dem zweiten Dialog, Do Tirar polo Natural, der sich im Anhang zu Da Pintura Antiga findet, schlussendlich auf: Der in den Diálogos em Roma vollzogene Steigerungsprozess der intermedialen Referenzen erklimmt dort eine weitere Stufe, indem die Malerei schließlich in ihrer tatsächlichen Bildlichkeit in den Dialog integriert wird. Für die Kunstgeschichte und -geschichtsschreibung, darauf sei an dieser Stelle hingewiesen, nimmt Do Tirar gleich in zweierlei Hinsicht eine bedeutende Rolle ein: Do Tirar polo Natural ist der erste autonome Theorietext Europas, der sich 151 Häsner 2004, 44.
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ausschließlich der Porträtmalerei widmet.152 Ferner entstammt er einer Zeit, in der auf der Iberischen Halbinsel noch die realistisch-objektive Porträtmalerei Flanderns und noch nicht die idealisierende, zuweilen auch spirituelle Malerei der italienischen Renaissance bevorzugt wurde.153
5.1. Formaler Aufbau Auch Do Tirar polo Natural ist mit einem Prolog versehen; in diesem berichtet uns Holanda die Entstehungsumstände des Dialogs.154 Mit dem Infanten Luís sei er auf Wallfahrt nach Santiago de Compostela gewesen und habe einige Tage im Hause eines Freundes aus Kindertagen, Braz Pereira, verbracht. Da Pereira nicht nur ein „fidalgo“ mit zahlreichen Fähigkeiten sei, sondern auch viel über Malerei und Architektur wisse, sei es bei ihnen üblich, Vorschriften und Regeln der Malerei und der Architektur zu diskutieren (S. 11).155 Auf dem Rückweg von Santiago habe er Pereira ein zweites Mal besucht. Da ihnen nun mehr Freizeit gegönnt war, hätten sie die Diskussion über die Malerei im Allgemeinen und die Porträtkunst im Besonderen wieder aufgenommen (S. 11–12). Bedeutsam ist an dieser Einleitung nicht nur, dass Holanda, im Gegensatz zu den Diálogos, in denen für die Malerei vor allem die Bezeichnungen arte oder sciencia dominiert hatten, die beiden Künste hier als „disciplinas“ (S. 11) bezeichnet. Er weist im Prolog auch implizit auf die beiden Bände von Da Pintura Antiga hin („E dizendo-lhe eu como tinha escrito novamente sobre a pintura um volume em dois livros“, S. 12), die er zu jener Zeit bereits beendet hatte.156 Pereira, so lässt er uns wissen, habe ihm ans Herz gelegt, an das Ende jenes Buches ihre gemeinsame Diskussion über die Porträtmalerei anzufügen, was Holanda ihm sogleich versprochen habe (S. 12). Insbesondere dieser Satz hat dazu geführt, dass in der Forschung zu Do Tirar immer wieder die Frage nach dem Dialog als Transkription eines tatsächlich stattgefundenen Gesprächs und damit einhergehend die nach dem ‚Wahrheitsgehalt‘ des Dialogs gestellt worden ist. Ceán Bermúdez beispielsweise sieht den tatsächlichen Besuch Holandas bei Braz und die dort abgehaltenen Konversationen als Grundlage für die später verfassten
152 Pommier, Édouard: Théories du portrait. De la Renaissance aux Lumières, Paris: Gallimard 1998, 129. 153 Vgl. Bury 2008, 14ff. 154 Alves, José da Felicidade: „Nota introdutória“, in: Holanda, Francisco de: Do Tirar polo Natural, hg. v. José da Felicidade Alves, Lissabon: Livros Horizonte 1984c, 10. 155 Die Seitenangaben für Do Tirar beziehen sich auf die Edition Do Tirar polo Natural, hg. v. José da Felicidade Alves, Lissabon: Livros Horizonte 1984, die auf der Vasconcellos-Edition von 1892 basiert. 156 Holanda 1984, 46, Anm. 5. Im 9. Dialog weist die Figur Fernando nochmals implizit auf Da Pintura Antiga hin: „com alguns preceitos das figuras antigas que eu em um livro da pintura escrevi. […] Em Lisboa deixo este livro“ (S. 36).
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Gespräche in Do Tirar.157 Osório spricht dem Dialog seine Zuweisung zu den humanistischen Dialogen gleich ab: A sua natureza mais técnica não permite colocá-los no domínio do diálogo humanista, mas nem por isso Francisco de Holanda deixou de procurar produzir a sugestão de veracidade das suas conversas com Brás Pereira, cidadão do Porto, situando-as nesta cidade e afirmando a fidelidade do texto escrito ao diálogo oral.158
Bury hingegen weist Do Tirar eindeutig als Fiktion und den Dialog nicht als Transkription eines Gesprächs, sondern als rein literarische Darstellungsform aus.159 Darauf deutet auch das Ende des Prologs hin: Holanda lässt diesen mit dem Hinweis enden, es sei nun besser, keine weitere Zeit zu verlieren, sondern lieber selbst zu hören, was jeder Einzelne in diesem Gespräch gesagt habe („porém será melhor ouvir o que cada um dizia nesta prática, que perder-se mais o tempo“, S. 12) – eine typische Wendung aus den Renaissancedialogen, die wir beispielsweise auch im Vorwort von Juan de Valdés’ Diálogo de la doctrina cristiana (1529) vorfinden.160 Es folgen nun elf kurze Gespräche zu den verschiedenen Vorschriften, die es beim „tirar ao natural“ zu beachten gilt. In den ersten zwei Gesprächen geht es um allgemeinere Fragestellungen („Como poucos podem fazer perfeição“, S. 13–16; „Como nenhuma obra perfeita deve de ser vista, antes de ser acabada“, S. 17–19), danach folgen Vorschriften zur Körperhaltung und Position von Maler und Objekt (S. 21–24) und zu den einzelnen zu porträtierenden Elementen – Augen (S. 25– 26), Augenbrauen (S. 27–28), Nase (S. 29–30), Mund (S. 31–32), Ohren (S. 33– 34), Körper (S. 35–36) und Kleidung (S. 37–38), und schließlich einige „Finais avisos no tirar ao natural“ (S. 39–42). Im Gegensatz zu den römischen Dialogen ist Do Tirar nicht mit einer Erzählerebene ausgestattet, die Gespräche vollziehen sich stattdessen im mimetischen Modus. Bereits im Hinblick auf den Dialogmodus lässt sich also eine Parallele zwischen Sagredos Medidas del Romano und Holandas Do Tirar konstatieren; ich werde auf diese Beobachtung zurückkommen. Der Text endet mit der Nennung von Ort und Datum des Textabschlusses (S. 42).161
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Ceán Bermúdez 2001, 294–295. Osório 1988, 400. Bury 1981, 3. ,,y porque fuera cosa prolixa y enojosa repetir muchas vezes: dixo el arçobispo: y dixo el cura: y dixe yo: determine de ponerlo de manera que cada vno hable por si: de suerte que sea dialogo mas que tratado: […] pues a el piense [...] que oye y no a mi“ (Valdés, Juan de: Diálogo de la doctrina cristiana, Faks., eingel. v. Marcel Bataillon, Coimbra: Imprensa da Univ. 1925, f. 3v). 161 In Alves’ Edition folgt im Anhang ein lateinischer Brief von Papst Leo X. an Raffael de Urbino (S. 43–44). Im Originalmanuskript scheint dieser Brief jedoch nicht enthalten gewesen zu sein.
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5.2. Dialogsetting und Sprecherkonstellation Dem Prolog zufolge soll sich das Gespräch während acht Tagen (,,e havendo ocasião teve-me em sua casa oito dias“, S. 12) im Hause Pereiras in Porto zugetragen haben. Die Gesprächspartner des Dialogs sind der Gastgeber, Braz Pereira, und Fernando, der gemeinhin als ‚Stimme‘ Holandas angesehen wird. Die Präsentation des Gesprächspartners nimmt Holanda-Autor dieses Mal nicht im Dialog, sondern bereits im Prolog vor: Gemeinsam seien Braz Pereira, Sohn des höfischen Garderobiers Fernando Brandão, und er im Hause des Infanten Fernando aufgewachsen und seitdem eng befreundet (S. 11). Die historische Persönlichkeit Braz de Pereira war in der Tat Sohn des Garderobenmeisters des Infanten Fernando, arbeitete als Page in dessen Hause und lernte dort angeblich auch Holanda kennen. Braz entstammte einer Patrizierfamilie aus Porto und verstarb 1583. Sein künstlerisches Interesse zeigte sich nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch, was zwei von ihm erhaltene Manuskripte verdeutlichen, zum einen eine Illumination einer Chronik, zum anderen ein von ihm gestaltetes Titelblatt eines Wappenbuchs aus dem Jahre 1575.162 Was die zeitliche Einordnung der Gespräche angeht, so lässt sich nur biographisch argumentieren: In Da fábrica berichtet Holanda, wie er nach der Redaktion von Da Pintura Antiga den Infanten Luís auf eine Wallfahrt begleitet habe und auf der Rückreise eine Weile bei seinem Jugendfreund Pereira in Porto gewesen sei, bei dem er die Grundstruktur von Do Tirar polo Natural verfasst habe.163 Diesen Angaben zufolge hätten die Gespräche also an mehreren Tagen zwischen dem Oktober 1548 (dem Abschluss der Diálogos) und dem Januar 1549 (dem Abschluss von Do Tirar) stattgefunden. Die fiktionsinterne Zeit des Gesprächs lässt sich auf andere Weise eingrenzen: Nicht am Tage wird über die Vorschriften zur Porträtmalerei diskutiert, sondern nachts, wie wir nicht nur aus dem Prolog, sondern auch aus dem Beginn des ersten Gesprächs erfahren, fragt doch Pereira: „Em que prática mais nobre podemos gastar este pedaço da noite que em a doutrina do tirar ao natural?“ (S. 13). Fernando lehnt zunächst ab – schon häufig hätten sie über dieses Thema gesprochen; Braz jedoch insistiert: Man könne doch Neues entdecken und die Nacht böte sich aufgrund ihrer Stille und Würde für dieses Thema geradezu an. Fernando gibt sich geschlagen, schließlich sei die Malerei „a coisa mais digníssima deste mundo“, und das Porträtieren im Speziellen schließlich das, was bereits Gott getan habe (S. 13). Im Verlauf des Dialogs sprechen die beiden sodann über verschiedene Vorschriften, die es beim „tirar ao natural“ zu beachten gelte. Es ist vor allem Fernando, der diese Vorschriften fast monologisch darlegt, Braz fasst sie zuweilen im Sinne von Merksätzen zusammen (z.B. „Assim que o primeiro preceito que se no tirar ao natural há-de guardar é…“; S. 14; „Assim que concluís…“, S. 16). Bury weist auf die Ähnlichkeiten zwischen der Verteilung der Rollen bei Do Tirar und Sagredos Medidas hin: 162 Bury 2008, 19. 163 Frèches 1973, 21–22.
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[…] a conversation between master and pupil in which the former who is also usually the author (Tampeso, […], Holanda) expounds rethorically, while the latter (Picardo, […], Pereira) listens and usually only intervenes to ask brief questions which elicit further long passages of exposition from the master.164
Wie bei den Medidas del Romano lässt sich also im Falle von Do Tirar eine relativ eindeutige Dominanz zwischen den Sprechern feststellen, die in weiten Teilen einer Lehrer-Schüler-Beziehung entspricht. In den Medidas fragte der ‚Schüler‘ Picardo, der ‚Lehrer‘ Tampeso erklärte in langen Repliken; im 17. Gespräch übernahm Picardo selbst für kurze Zeit die Rolle des Lehrers (D6r). Bei Holandas Do Tirar lässt sich eine ähnliche Struktur konstatieren: Braz stellt die Fragen oder bittet um Erklärungen, auf die Fernando wie ein Lehrer antwortet. Im dritten Gespräch soll Braz auf Fragen von Fernando hin Erkentnisse aus früheren Gesprächen zusammenfassen (S. 22–24). Dieses Vorgehen wird auch im vierten Gespräch noch beibehalten – Braz wehrt sich jedoch dagegen wie ein unwilliger Schüler: Fernando – Passemos adiante e demos mais luz a esta obra, e não deixeis de referir e lembrarme o que em as outras vezes tratamos. Braz Pereira – Oh, não quero, Fernando! Basta o que lembrado tenho. Procedei vós adiante […] (S. 25).
Nach der Thematisierung von elf Themen weist Braz darauf hin, dass es nun Zeit sei, das Gespräch zu beenden („pois que já aqui chegamos, e é tempo de acabar“) und auch Fernando stimmt zu („Tempo era de descansar“, S. 39). Neben diesen wenigen Hinweisen auf zeitliche und räumliche Umstände zeigen auch die Gesprächspartner nur wenige individuelle Charakterzüge oder Emotionen; die einzige Stelle, an der es dazu kommt, dass sich eine Dialogfigur zumindest in Ansätzen in Rage redet, findet sich bei Fernandos Kritik an der zeitgenössischen Mode des Augenbrauenzupfens.165 Die Argumentation in Do Tirar weist damit nur eine geringe räumliche, zeitliche oder personelle Indexikalisierung auf, die Handlungs- und Geschehensebene ist kaum ausgestaltet. Der Dialog ist damit insgesamt von ganz anderem Charakter als die dynamischen und facettenreichen Diálogos em Roma. So urteilt auch bereits Vasconcellos: „An Gehalt, anschaulicher Charakteristik und kunstvoller Einkleidung steht das Zwiegespräch hinter den Dialogen des zweiten Buches weit zurück“.166 Nascimento hatte die Diálogos em Roma als „reuniões diversas e multifacetadas“ beschrieben,167 bei Do Tirar polo Natural hingegen von einem technischem „diálogo de eminente função pedagógica“168 gesprochen. In Bezug auf den Dialogmodus, die Sprecherkonstellation und den starken technischen 164 Bury 1981, 4. 165 ,,deviam antes de arrancar os dentes, que tirar um deles […]. Mas não quero começar a falar nisto, porque é prática em que sinto tanto, que virei a me não contentar com dizer pouco“ (S. 27). 166 Vasconcellos 1899, LXXXIX. 167 Nascimento 2011, 207. 168 Ebd., 206.
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Charakter – auch dieser Dialog ist wie ein Handbuch lesbar – lassen sich also zwischen Holandas Do Tirar polo natural und Sagredos Medidas del Romano offensichtliche Parallelen erkennen. Wie zu sehen sein wird, weisen die Texte auch Ähnlichkeiten hinsichtlich ihrer intermedialen Phänomene auf, die jedoch unterschiedlich auszulegen sind.
5.3. Medienkombination als Kulminationspunkt Wie bereits erwähnt, enthielt der Dialog Do Tirar im Gegensatz zu den Diálogos em Roma tatsächlich Illustrationen, die zwar aufgrund des Verlustes des Manuskripts heute nicht mehr erhalten sind, auf die jedoch Aussparungen und leere Stellen in Denis’ Übersetzung sowie in Gordos Kopie hinweisen. Es lässt sich damit für Do Tirar von Medienkombination sprechen, wie sie uns bereits aus dem architekturtheoretischen Dialog Medidas del Romano vertraut ist. Das Schauen, das bereits für die Diálogos em Roma als Höhepunkt der intermedialen Referenzen ausgewiesen worden ist, wird nun hier zum grundlegenden Prinzip des Dialogs. In den ersten zwei Gesprächen von Do Tirar geht es zunächst um allgemeinere Feststellungen zum Porträtieren als hervorragender Form der Malerei. Braz beginnt das Gespräch und führt seinen Wunsch nach der erneuten Diskussion der Porträtmalerei mit einer Apelles-Anekdote ein, nach der dieser ein vorzügliches Porträt der Geliebten von Alexander dem Großen anfertigte (S. 13). Nachdem Fernando dem Wunsch von Braz nachgegeben hat, gibt er sogleich die erste Vorschrift zur Porträtmalerei preis: Ein Porträtmaler solle besser wenige Menschen sehr gut porträtieren, als viele und schlecht; vor allem Fürsten und Könige seien würdig, für die Nachwelt festgehalten zu werden (S. 14). Wie bereits in Da Pintura Antiga und in den Diálogos wird im Anschluss die Auffassung expliziert, dass der Mensch in der Kunst den göttlichen Schöpfungsprozess imitiere,169 im Speziellen bei der Porträtmalerei („o tirar ao natural aquilo que só Deus fez“, S. 13) sowie im Allgemeinen („imitar ao sumo Deus nas suas obras“, S. 14). Für Holanda ist der Akt des Porträtierens bereits bei Gott zu finden; das Porträtieren ist nicht nur die „höchste Perfektion der Malerei“, sondern vor allem „die höchste Stufe der imitatio creatoris, die der Maler erreichen kann“.170 Danach thematisieren die beiden den moralischen Wert von Porträts – diese hätten ihre Berechtigung für viele Zwecke (als Erinnerung und Vorbild für Nachfolger, für in der Ferne weilende Liebende, S. 15), allerdings, so wird eigentlich gezeigt, gehört das Porträtieren gewöhnlicher Menschen nicht zum Tätigkeitsfeld exzellenter Maler.171 Im zweiten Gespräch („Como nenhuma obra perfeita deve de ser vista, antes de ser acabada“) legt Fernando auf Frage von Braz die nächste Regel für das Porträtieren dar: Beim Malen eines Königsporträts bräuchten Maler und König 169 Bury 1981, 7. 170 Waldmann 1995, 93. 171 Bury 2008, 21.
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absolute Ruhe, jegliche Ablenkung müsse verhindert werden (S. 17–18). Im besten Falle solle der Maler völlig allein sein, und den König lediglich durch seine ‚spirituellen Augen‘ sehen: „muito melhor seria que tê-la diante dos olhos visíveis se a visse com os invisíveis“ (S. 18). Mit anderen Worten: Die physische Präsenz der darzustellenden Person kann den Künstler unter Umständen sogar von seiner idea ablenken.172 Während in den ersten zwei Gesprächen damit eher die moralische Verortung der Porträtmalerei thematisiert wird, befasst sich das dritte Gespräch („Do escolher o posto e a vista no tirar ao natural“) nun tatsächlich mit praktischen Vorschriften und Anweisungen zur Porträtmalerei.173 Das zentrale Thema dieses dritten Gesprächs ist die Haltung und Position des Porträtierten sowie der Platz des Malers für ein optimales Ergebnis. Dass dieses Gespräch im Dialog eine exponierte Position einnimmt, ist bereits dadurch angezeigt, dass sich an dieser Stelle auch die Rollenverteilung im Dialog ändert: Braz soll auf Fragen von Fernando hin Erkentnisse aus früheren Gesprächen zusammenfassen (S. 22–24). Dieses Vorgehen wird nur im vierten Gespräch noch beibehalten, das signifikanterweise die Augen als erstes zu porträtierendes und zentrales Element behandelt: „comecemos pelos olhos, porque deles tem começo toda luz, e eles são as janelas e portas por onde tudo tem a entrada“ (S. 25). Außerdem, und insbesondere darum soll es nun gehen, nimmt Holanda hier, nachdem er in den Diálogos em Roma die besondere Relevanz des Schauens durch sich im Verlauf des Dialogs steigernde intermediale Referenzen betont hat, eine weitere Stufe, indem er die Malerei in ihrer tatsächlichen Bildlichkeit in den Dialog integriert: So finden sich in diesem recht kurzen Gespräch insgesamt vier Stellen, an denen Skizzen oder Entwürfe zu den erläuterten Vorschriften der Porträtmalerei auftauchen, die die Figuren betrachten und auf die sie verweisen. Das dritte Gespräch beginnt mit einem Hinweis von Braz, der sich sowohl in einem übertragenen Sinne – gedeutet auf das Gespräch – als auch in einem wörtlichen Sinne – auf tatsächliches Zeichnen der Sprecher – lesen lässt: Es sei nun an der Zeit, so lässt Braz verlauten, ein paar „linhas“ oder „traços“ über die „tábua“ für das Porträt einzuwerfen (S. 21). Fernando lässt verlauten, dafür sei es eigentlich noch etwas früh, aber wo er doch gerade den Stift zur Hand genommen habe, sollten sie doch damit beginnen („mas pois o estilo comecei a tomar na mão, digamos mais alguma coisa“, S. 21). Zunächst erklärt Fernando, in welchen Formen und mit welchen Materialien ein Porträt hergestellt werden kann: Als Illuminierung, als Öl- und Freskenmalerei, in Marmor- oder Steinstatuen, als Relief auf Silber, Metall oder Bronze, und auf viele andere Arten (S. 21). Mit dem Hinweis auf die Porträts „em relevo de prata, ou de metal e bronze“ rekurriert Holanda hier auf die meist verbreitete Form des Porträts, nämlich die auf Münzen oder Medaillen.174 Holandas Vorliebe für die Medaillenkunst zeigte sich ja bereits im 172 Bury 2008, 25. 173 Vgl. ebd., 22. 174 Holanda, Francisco de: Del Sacar por el natural, hg. v. John B. Bury, Madrid: Akal / Mueso del Prado 2008, 53, Anm. 41.
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vierten Gespräch der Diálogos em Roma, und ist auch zentral für sein künstlerisches Œuvre. Bevor Fernando darlegen will, wie man angemessen porträtiere, solle Braz ihm in Erinnerung rufen, was sie in anderen Gesprächen bereits über dieses Thema gesagt hätten (S. 21). Hier nun wird die bisher etablierte Rollenverteilung des Dialogs umgekehrt: Fernando stellt im Folgenden die Fragen („Que coisa é tirá-lo fronteiro?“, „Que coisa é tirar do natural do meio rostro?“, etc.), auf die Braz in Erinnerung an frühere Gespräche antwortet (S. 22ff.). Braz erklärt sodann erinnernd, dass es die Aufgabe des Malers sei, den Blick, die Haltung oder die Bewegung des Porträtierten so zu wählen, dass sie dem Charakter der Person entspreche (S. 22). Das Gesicht solle sich der Maler eingefasst in eine geometrische Form vorstellen: Depois que imaginasse o seu rostro em um quadrado ou em um triângulo, ou num ovado, segundo a conformidade que mais tiver com estas formas, e depois que visse se determinava de o pintar fronteiro ou de meio rostro, ou treçado (S. 22).
Braz nimmt an dieser Stelle nicht nur bereits drei der vier Porträtformen vorweg, die er im Folgenden auf Fragen von Fernando hin erklären wird. Wir finden zudem hier die erste Leerstelle im Dialog, an der ursprünglich eine Skizze enthalten war: In den Manuskripten bei Denis und Gordo (Denis, f. 169r; Gordo, f. 194r) folgt hier eine Leerstelle direkt nach „ou num ovado“. Tormo schließt aufgrund des Gesprächsthemas, dass Holanda hier wohl ursprünglich ein Bild eingefügt hatte, welches dem Schema der Vorstellung geometrischer Figuren bei der Zeichnung entsprach, das man bereits aus dem berühmten Album Villard de Honnecourts, des bekannten Architekten des 13. Jahrhunderts, kannte.175 Braz fährt mit der Erklärung des Frontal- oder Enfacebildes fort: „fronteiro“ bedeute, dass das Gesicht dem Betrachter mit beiden Augen sowie mit Nase, Mund, Bart, Stirn, Wangen und allen Gesichtzügen zugewandt sei (S. 22–23). Er zeigt Fernando ein Bild, welches genau diese Porträtform habe: „tanto de uma parte, como da outra, como este mal feito desenho“ (S. 23). Sowohl im Manuskript von Denis (f. 169r) als auch in der Gordo-Kopie (f. 194r) findet sich hier wiederum nur eine leere Stelle. Auf gleiche Weise fährt Braz für die anderen Porträtformen fort: Er erklärt sowohl das Profilbild („Tirar do natural de meio rostro [...] é quando o rostro está virado de uma ilharga e lhe não vemos mais que meio olho, [...]“, S. 23) als auch die Dreiviertel-Ansicht („Tirar um rostro treçado é […] mostrando-se meio fronteiro […]“, S. 23) jeweils erst theoretisch und zeigt Fernando dann eine Zeichnung davon, auf die er explizit hinweist („e vê-se então o perfil do rosto da pessoa que é coisa nobilíssima na pintura, como...“ und „fazem uma igual desigualdade mui conforme e escolhida, ao modo deste desenho“, S. 23) und die danach im Text als sichtbares Bild auftaucht, was sich an den jeweiligen Leerstellen in den erhaltenen Manuskripten (Denis, f. 169v–170r;
175 Holanda 2003, 262, Anm. 1.
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Gordo, f. 194v–195r) erkennen lässt. Man stimmt überein, dass die Dreiviertelansicht der Enface- und der Profildarstellung vorzuziehen sei (S. 23).176 Fernandos letzter Hinweis in diesem Gespräch ist, dass es auch Menschen gäbe, bei denen keine der drei Portätformen passend sei (S. 24). Braz erläutert daraufhin die Form des „recursado“: Dabei würde der Porträtierte beispielsweise das Gesicht zum Himmel erheben oder aber den Blick senken (S. 24), sodass die Gesichtszüge aus einem anderen Winkel betrachtet werden können. Diese Darstellung verdeutlicht Braz wie üblich mit einer Zeichnung, auf die er hinweist – „e parecendo pouco da boca, e pouco da barba, e quase nada do pescoço como significa este desenho“ (S. 24) – und die auch als Zeichnung integriert wird (Denis, f. 171r; Gordo, f. 196v). Das Gespräch endet mit Braz’ Zweifeln zur Proportionenlehre des Gesichts nach Vitruv (S. 24).177 Insgesamt finden sich damit in diesem Gespräch vier Stellen, an denen Skizzen oder Zeichnungen zu den Porträtformen auftauchen, die die Figuren im Gespräch betrachten und auf die Braz explizit hinweist. Auf die Parallelität hinsichtlich Dialogmodus, Sprecherkonstellation und technischem Charakter zwischen Holandas Do Tirar polo natural und Sagredos Medidas del Romano ist bereits aufmerksam gemacht worden. Es lassen sich nun auch Analogien bezüglich der intermedialen Phänomene feststellen: Wie bei Sagredos ebenfalls medienkombinatorischen Medidas del Romano sind die Zeichnungen in Holandas Do Tirar keine bloßen unkommentierten Illustrationen, sondern sie erhalten Eingang in die intratextuelle Welt des Dialogs, werden explizit benannt und betrachtet; die Geschehens- und die intermediale Ebene sind also auch hier wieder verbunden. Nachdem Holanda in den Diálogos em Roma die besondere Relevanz des Sehens und der Betrachtung durch sich im Verlauf des Dialogs steigernde intermediale Referenzen betont hat, nimmt er in Do Tirar damit eine weitere Stufe, indem er die Malerei in ihrer tatsächlichen Bildlichkeit in den Dialog integriert. Nach der Thematisierung von Kunstwerken und Malerei auf der Diskursebene (‚Sprechen‘), der Imitation bildlicher Strukturen im Text (‚Zeigen‘) sowie der Präsenz und Beschreibung von Kunstwerken in der Dialogwelt (‚Schauen‘) zeigen sich hier die ‚Kunstwerke‘ in ihrer tatsächlichen bildlichen Form. Insbesondere durch den Vergleich zu den Skizzen der Medidas del Romano – dort vollzog sich das Skizzieren als Prozess während des Gesprächs – lässt sich dem Beginn dieses dritten Gesprächs und der Einbindung der Zeichnungen in die Dialogwelt eine andere Dimension beimessen: Es ist durchaus denkbar, dass die Skizzen von Braz und Fernando gezeichnet worden sind oder, mehr noch, während des Sprechens gezeichnet werden. Dafür spricht, dass Braz zu Beginn des Gesprächs feststellt, es sei nun an der Zeit, „de lançarmos já algumas linhas ou traços sobre a tábua do tirar ao natural“ 176 Vgl. Vasconcellos 1899, XC. 177 Der Ratschlag, sich für die menschlichen Proportionen an den Vorgaben Vitruvs zu orientieren, findet sich bereits im 17. Kapitel von Da Pintura Antiga (Holanda 2008, 60, Anm. 54) und wird in Do Tirar im vierten bzw. fünften sowie im neunten Gespräch nochmals aufgegriffen (vgl. Bury 2008, 23).
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(S. 21), was durchaus auch wörtlich auf den Zeichenprozess zu deuten wäre. Fernando scheint zudem gerade den Stift zur Hand genommen zu haben: „mas pois o estilo comecei a tomar na mão“ (S. 21). Braz legt im Folgenden die Zeichnungen vor; da es sich hier um die Stelle handelt, an der er bereits von Fernando erlernte Zeichenregeln wiedergeben soll, kommt man nicht umhin, zu denken, dass es sich hier nun um von ihm (in Anlehnung an Erkenntnisse aus vorab stattgefundenden Lehrstunden?) hergestellte Zeichnungen handelt. Eine der Skizzen bezeichnet er explizit als „mal feito desenho“ (S. 23), womit er wohl kaum eine Skizze des in der Porträtzeichnung versierten Fernando beschreiben würde. Zweifelsfrei erfüllen diese Zeichnungen der Porträtformen in diesem dritten Gespräch für den gesamten weiteren Dialog eine besondere Rolle. Zunächst aus kunsttheoretischer Hinsicht, denn, trotz der Betonung der Wichtigkeit der Darstellung von Körper (S. 35–36) und Kleidung (S. 37–38), steht bei der Kunstgattung des Porträts freilich das Gesicht im Mittelpunkt. Dann nehmen diese Zeichnungen auch im Dialog selbst einen besonderen Platz ein: So wird sich zuweilen bei den weiteren Gesprächen über die einzelnen zu porträtierenden Elemente (Augen, Nase, Mund, etc.) auf die bereits durch die Zeichnungen dargestellten Porträtformen bezogen. So werden etwa die Erläuterungen „Do perfil do nariz“ im sechsten Gespräch klar für die genannten vier Porträtformen („se é em figura que esteja de meio rostro, […]. Mas do rosto treçado, ou fronteiro, ou recursado não é assim“, S. 29) ausgelegt. Für die besondere Rolle dieser Zeichnungen spricht auch das Fehlen weiterer Skizzen; sie werden damit ganz besonders im Text herausgestellt. Lediglich zu einer weiteren Textstelle finden sich widersprüchliche Informationen über eine mögliche Integration einer Abbildung: In den „Finais avisos no tirar ao natural“ (S. 39–42) rät Fernando, das Aussehen des Porträtierten im Rahmen des Erlaubten (also des decorum) zu modifizieren, allerdings so, dass die Person in jedem Falle noch eindeutig zu erkennen sei (S. 39).178 Das Porträt stellt sich damit bei Holanda also als eine Korrektur der Natur dar.179 Braz solle zudem beim Porträt die „direitos e correspondências“ zwischen einzelnen Elementen beachten (S. 40), d.h. die Symmetrie zwischen Augen, Mundwinkeln, Ohren und Nase. Braz zeigt sich verwundert über diese Vorschrift, die ihm neu zu sein scheint (S. 40). An dieser Stelle nun folgt im Denis-Manuskript eine nicht genau einzuordnende freie Stelle, die jedoch lediglich ein etwas nach oben verschobenes Seitenende zu sein scheint (f. 180v). Während Tormo hier explizit von einem „Espacio en blanco para un dibujo“ spricht,180 nennt Bury keine Leerstelle, und auch bei Gordo (f. 210v) hat der Textfluss an dieser Stelle keinerlei Unterbrechung. Damit einhergehend weist Alves, der in seiner Edition von Do Tirar aus dem Jahre 1984 die anderen Stellen alle explizit durch den Hinweis „Seguia o desenho“ (vgl. S. 23–24) kennzeichnet, an der besagten Stelle nicht auf eine mögliche Leerstelle für eine Abbildung hin. Schlussendlich – und dies darf hier wohl als zentrales Argument
178 Bury 2008, 23. 179 Pommier 1998, 132. 180 Holanda 2003, 280, Anm. 1.
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für das Fehlen einer Illustration gewertet werden – wird keinerlei Zeichnung oder Skizze von den Gesprächspartnern erwähnt. Diese Textstelle ist jedoch insbesondere aus anderem Grunde von Bedeutung. Um die Übereinstimmungen zwischen den einzelnen Elementen des Porträts zu erreichen, rät Fernando seinem Freund, einen Spiegel zu benutzen („do juízio do espelho“); dazu habe bereits Alberti in seinem Buch über Malerei geraten, das erst vor Kurzem veröffentlicht worden sei (S. 40). Vermutlich meint Fernando hier Albertis Della Pittura, das im Jahre 1540 erstmalig auf Latein (De Pictura) gedruckt wurde und 1547 in italienischer Übersetzung in Venedig erscheint.181 Holanda-Autor vergleicht damit sein Da Pintura Antiga mit dem Text Albertis, betont jedoch, dass er zur Zeit der Redaktion von Da Pintura Antiga keine Kenntnis von Albertis Text gehabt habe, und betont damit seine Unabhängigkeit von dessen Theorie.182 Er als „bárbaro português“ habe einen anderen Weg als Alberti genommen, der als „artífice e matemático na pintura“ über die Malerei geschrieben habe (S. 41). Sein Weg habe stattdessen über Michelangelo und die antike Kunst geführt („Pratiquei com eminentes desenhadores, e um deles foi M. Micael Agnelo em Roma“),183 deren Vorschriften er in Rom erlernt habe – Albertis Buch habe er somit gar nicht lesen müssen („todavia tenho-lhe estas vantagens, que digo. E esta é a razão por onde folgo de não ter lido este seu livro“) (S. 41). Klar grenzt er sich damit von der mathematisch beeinflussten Kunsttheorie Albertis ab, was als Hinweis auf seine zunehmend manieristische Kunstauffassung gewertet werden kann.184 Aus literaturwissenschaftlicher und geistesgeschichtlicher Perspektive wird hier doch humanistisches Gedankengut erkennbar: Den ‚Umweg‘ über zeitgenössische Texte brauchte Fernando nicht, er hat die antike Kunst – ad fontes also – direkt in Rom studiert. Braz’ stellt danach die Frage nach dem besten europäischen Porträtmaler, auf die Fernando ohne zu zögern Tizian nennt, nicht jedoch ohne auch auf das Lob der Porträtkunst seines Vaters durch Carlos V hinzuweisen (S. 41). Trotz der hauptsächlich realistisch orientierten Porträtmalerei des Autors bevorzugt die Dialogfigur Fernando die Porträts Tizians, der eine andere Modalität der Porträtmalerei vertritt. Was Holanda-Autor erreichen will, ist die Abkehr vom in Portugal bis dato populären flämischen Realismus, und die Hinwendung zur Typologie der italienischen Renaissance.185 Dies äußerst sich auch daran, dass, nach einigen Ratschlägen zu Miniaturbildnissen und großformatigen Porträts, die Thematisierung der typisch italienischen Technik des chiaroscuro („retratos que tiram com o lume da candeia“, S. 42) das vorletzte Thema des Dialogs bildet. Fernando scheint nun langsam ermattet („mas dexeimos já esta prática, que me começa a cansar“)
181 Holanda 1984, 48, Anm. 17. 182 Deswarte-Rosa 1992, 198. 183 Dies ist vermutlich als Hinweis auf die Entstehungsvoraussetzungen der Diálogos em Roma zu begreifen. 184 Bury 2008, 27. 185 Ebd., 14.
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und der Dialog gelangt nach ein paar letzten Ratschlägen an Braz zu seinem Ende (S. 42).
6. KUNSTBETRACHTUNG ÜBER KUNSTGESPRÄCH. DIE SUPERIORITÄT DES SEHENS Francisco de Holandas Da Pintura Antiga, das bereits im Jahre 1563 ins Spanische übersetzt worden ist, kommt nicht nur das Verdienst zu, die erste Schrift der Iberischen Halbinsel zu sein, die sich ausschließlich mit der Malerei befasst. Die Diálogos em Roma und Do Tirar polo Natural – die beiden Dialoge dieses Kompositums – postulieren auf besondere, intermediale Weise klar die Superiorität des Sehens. Die unter dem Titel Diálogos em Roma bekannten Kunstgespräche zwischen dem Portugiesen Holanda und seinen römischen Zeitgenossen, so zeigte sich, sind nicht nur durch eine dezidiert ausgestaltete Handlungsebene, sondern auch durch zahlreiche, auf unterschiedlichen Dialogebenen realisierte intermediale Referenzen gekennzeichnet. Es konnte bei der Analyse nachgewiesen werden, dass die intermedialen Referenzen im Verlauf des Dialogs einen klaren Steigerungsprozess durchlaufen, der schließlich als Makroproposition die Superiorität des Sehens und der visuellen Betrachtung vermittelt. Dieser Prozess begann mit einer reinen Thematisierung von Kunstwerken und der Begründung der Überlegenheit der Malerei aufgrund ihrer höheren Anschaulichkeit und der klaren Ansprache des Gesichtssinns auf der Argumentationsebene (‚Sprechen‘). Die nächste Stufe erklomm der Dialog, indem bildliche Strukturen im Text imitiert wurden (‚Zeigen‘). Anschließend tauchten von den Gesprächsteilnehmern hergestellte Kunstwerke in der Dialogwelt auf und wurden beschrieben, bevor das Kunstgespräch schließlich vollständig abbrach und mit der reinen Kunstbetrachtung als Höhepunkt endete (‚Schauen‘). Zwar ist die auf diese Weise in den Mittelpunkt gerückte Superiorität des Sehens und der Betrachtung zuvor auch auf der Argumentationsebene genannt worden; für eine eindeutige Theoriebildung jedoch waren die Geschehensebene und die intermediale Ebene signifikant. Holandas zweiter Dialog, Do Tirar polo Natural, in dem Fernando und Braz Pereira in nächtlichen Gesprächen im Hause Braz Pereiras in Porto die Porträtmalerei besprechen, ist von anderer Couleur als die facettenreichen Diálogos em Roma. Die Argumentation in Do Tirar weist nur eine geringe räumliche, zeitliche oder personelle Indexikalisierung auf, die Handlungs- und Geschehensebene ist kaum ausgestaltet. Der Text weist zudem eine andere Form von intermedialem Phänomen auf, und zwar das der Medienkombination: So fanden sich in diesem Dialog insgesamt vier Stellen, an denen Skizzen oder Entwürfe zu den Porträtformen auftauchen, die die Sprecher betrachten und auf die sie verweisen. Der in den Diálogos em Roma vollzogene Steigerungsprozess der intermedialen Referenzen erklimmt hier – und das ist der entscheidende Punkt – durch die Medienkombination eine weitere Stufe, indem die Malerei schließlich in ihrer tatsächlichen Bildlichkeit in den Dialog integriert wird. Nach der Steigerung von
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‚Sprechen‘, ‚Zeigen‘ und dem klar als Höhepunkt einzustufenden ‚Schauen‘ zeigen sich hier die ‚Kunstwerke‘ in ihrer tatsächlichen bildlichen Form. Die Skizzen des dritten Gesprächs nehmen in jeglicher Hinsicht eine exponierte Stellung im Dialog ein; das Skizzieren an sich war ebenfalls als Prozess im Gespräch zu vermuten. In gleichem Maße also, wie sich die Einschmelzung der Handlungsebene vollzieht, rückt die Bedeutung der intermedialen Ebene in den Vordergrund. In der Makroproposition vermittelt Da Pintura Antiga damit klar den Primat des Sehens. Zwar sind also in Bezug auf den Dialogmodus, die Sprecherkonstellation, den technischen Charakter und der vorzufindenden intermedialen Aspekte zwischen Holandas Do Tirar polo Natural und Sagredos Medidas del Romano Analogien festzustellen. Erst als Teil von Da Pintura Antiga entfaltet Do Tirar jedoch sein volles Bedeutungspotenzial, mehr noch: Es dort wird deutlich, inwiefern Holanda eine Stufe weiter als Sagredo geht und die visuelle Wahrnehmung als vorrangig ausweist.
VII. LA VERDAD DE LA PINTURA. JUAN DE PINEDAS DIÁLOGOS FAMILIARES (1589) In den umfangreichen Diálogos familiares de la agricultura cristiana (1589), verfasst vom Franziskanerpater Juan de Pineda, stehen, so geht es aus dem Titel hervor, vornehmlich religiöse Fragen zur Diskussion. Es mag daher zunächst verwundern, dass diesem Text in einer Arbeit zum Kunstdialog der Renaissance gesonderte Aufmerksamkeit geschenkt wird. Pinedas Text allerdings ist als weiterer Dialog mit kunst- und malereitheoretischem Gehalt einzustufen, werden doch von den Sprechern auch kunsttheoretische Fragestellungen erörtert. Im Mittelpunkt der folgenden Analyse der Diálogos familiares soll allerdings die räumliche Ausstattung des Hauses des Theologen Filateles stehen, in dem sich die Sprecher hauptsächlich bewegen: Dieses ist mit zahlreichen Fresken dekoriert, die sich die Gesprächsteilnehmer vom Gastgeber erklären und auslegen lassen.
1. JUAN DE PINEDA. ZU LEBEN UND WERK Verlässliche biographische Daten zu Juan de Pineda zusammenzutragen, gestaltet sich schwierig, denn auch in der Biographieschreibung zu Pineda zeigt sich eine Problematik, wie sie für einen Großteil der Dialogautoren in dieser Arbeit bereits zu konstatieren war: Die wenigen, historisch sicheren Daten über den Autor werden durch Aussagen des (zumeist) zentralen Dialogsprechers, der als ‚Stimme‘ des Autors gesehen wird, ergänzt oder durch diese erst konstitutiert. So ist auch in der Forschung zu Pineda häufig nicht eindeutig, ob es sich bei den Daten um tatsächlich aus historischen Dokumenten zusammengestellte Informationen handelt oder um Aussagen von Sprechern seines (fiktionalen) Textes. Die aus diesen Gründen mit Vorsicht zu betrachtenden Eckdaten von Pinedas Leben lauten wie folgt:1 Pineda wird vermutlich um das Jahr 1521 in Madrigal de las Altas Torres (Ávila) geboren. Ab 1536 oder 1537 studiert er an der Universität Salamanca, an der er im Jahre 1540 das Studium der Philosophie erfolgreich abschließt und sich danach der Theologie widmet. Wann er seinen Abschluss in die1
Die folgenden Ausführungen zu Leben und Werk Juan de Pinedas basieren auf Meseguer Fernández, Juan: „Introducción. Juan de Pineda ¿1521–1599? Clásico de la lengua“, in: Pineda, Juan de: Diálogos familiares de la agricultura cristiana, hg. v. Juan Meseguer Fernández, Bd. I, Madrid: RAE 1963, V–LXXXII; und Lorenzo, Javier: „Pineda, Juan de“, in: Jauralde Pou, Pablo (Hg.): Diccionario filológico de literatura española siglo XVI, Madrid: Castalia 2009, 809–815. Der Franziskaner Juan de Pineda ist nicht zu verwechseln mit zwei anderen Personen desselben Namens: Weder mit dem Sevillaner Jesuiten Juan de Pineda (1558–1637), Exeget und Theologe, noch mit dem Sevillaner Protestanten Juan Pérez de Pineda, der vermutlich um das Jahr 1500 geboren wurde (Meseguer 1963, VIII).
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sem Fach erlangt, ist unklar; gleiches gilt für den Zeitpunkt seines Eintritts in den Franziskanerorden. Es wird vermutet, dass dies im Konvent Salamanca und nicht vor 1544 geschieht. Seine Tätigkeit als Prediger führt ihn vornehmlich in die Provinzen Salamanca, Zamora, León und in Teile Aragóns; daneben betätigt er sich vor allem literarisch. Angeblich brachten ihn Rivalitäten und der Neid anderer Ordensbrüder dazu, sich vom Predigen ab- und zentral der Meditation und dem Schreiben zuzuwenden. Er stirbt vermutlich im Jahre 1599 in Medina del Campo. Schwierig gestaltet es sich auch, ein Panorama des Œuvres Pinedas zusammenzustellen. Im Vorwort zu seinen Diálogos familiares zählt er als von ihm verfasste Texte eine Vita von Johannes dem Täufer, die Monarquía Eclesiástica sowie eine Hecatompea de sermones en latín und die Chiliada del Universo (Bd. I, S. 4 und S. 7) auf.2 Zeitgenössisch gedruckt worden sind der Libro de la vida y excelencias maravillosas del glorioso San Juan Baptista (Salamanca, 1574), seine insgesamt aus 30 Büchern bestehende und zeitgenössisch immens populäre Universalgeschichte mit dem Titel Monarquía Eclesiástica (in zwei Teilen veröffentlicht, und zwar in Zaragoza, 1576 und Salamanca, 1588) sowie die hier zu behandelnden Diálogos familiares de la agricultura cristiana (Salamanca, 1589). Von ihm stammt auch eine Ausgabe des Libro del Paso Honroso, defendido por el excelente Caballero Suero de Quiñones, die im Jahre 1588 in Salamanca gedruckt wird. Erhalten sind des Weiteren Manuskripte Pinedas über die königlichen Erblinien Spaniens (die Genealogía del rey don Phelippe nuestro señor por la línea de la casa de Austria und die Tabla de la sucesión de los reyes de España). Mehrere weitere Texte jedoch scheinen heute verloren.
2. TEXT- UND EDITIONSGESCHICHTE Die Umstände, unter denen die Diálogos familiares geschrieben und gedruckt wurden, sind nicht eindeutig. Meseguer spricht zwar davon, dass Pineda den Text in Sevilla verfasst habe;3 es ist jedoch wiederum fraglich, ob es sich dabei nicht um eine Schlussfolgerung aus dem Dialogsetting handelt. Jacobs erwähnt, der Text sei zwischen 1578 und 1580 entstanden,4 was bereits Meseguer aus den verschiedenen im Dialog genannten historischen Ereignissen geschlossen hatte.5 Zeitgenössisch hatten die Diálogos offenbar nur wenig (Editions-)Erfolg, denn mit der editio princeps in zwei Bänden, die im Jahre 1589 in Salamanca erscheint, ist lediglich eine einzige zeitgenössische Ausgabe des Textes bekannt. Erst ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts wandten sich insbesondere Sprachhistoriker und Lexikografen den Diálogos wieder verstärkt zu.6 2
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Pineda, Juan de: Diálogos familiares de la agricultura cristiana, hg. v. Juan Meseguer Fernández, 5 Bde., Madrid: RAE 1963–1964. Die folgenden im Text angegeben Band- und Seitenzahlen beziehen sich auf diese Edition. Meseguer 1963, XIX. Jacobs 1996, 58. Meseguer 1963, XXXVIII. Lorenzo 2009, 813. Zu diesem Punkt vgl. ausführlicher Meseguer 1963, LXXXIII–XCIII.
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Editorisch ist dem Dialog auch in der Moderne kein großer Erfolg beschieden: Im Jahre 1919 scheint im Madrider Renacimiento-Verlag eine Edition der Diálogos herausgegeben worden zu sein, die jedoch bereits Meseguer als „edición fantasma“ einstuft,7 und deren Existenz auch gegenwärtig nicht bewiesen ist.8 Die zentrale moderne Ausgabe des Textes stammt von Juan Meseguer Fernández und erscheint zwischen 1963 und 1964 in fünf Bänden in der Biblioteca de Autores Españoles der Real Academia Española.
3. FORMALER AUFBAU Hauptsächlich sind Pinedas Diálogos familiares Kenntnissen, Vorgaben und Handlungsanweisungen für das christliche Leben gewidmet. Wie bereits Meseguer feststellt, schreibt sich Pinedas Dialog damit in eine Reihe von Renaissancetexten ein, die Normen für bestimmte Fachbereiche aufstellen, wie etwa Erasmus’ Enchiridion militis Christiani (1503–1504) oder Castigliones Cortegiano;9 auch die weiteren in dieser Arbeit untersuchten Dialoge wären in dieser Reihe zu nennen. Pinedas Diálogos familiares de la agricultura cristiana bestehen insgesamt aus 35 Gesprächen, die in der editio princeps aus dem Jahre 1589 in zwei Bänden erschienen sind.10 Der erste Band umfasst dabei die Gespräche 1 bis 16, der zweite die Gespräche 17 bis 35. Beide Bände werden jeweils durch ein Vorwort von Pineda eingeleitet;11 der erste Band enthält zusätzlich neben der Genehmigungsschrift (Bd. I, S. 4) noch eine Widmung an die Jungfrau Maria (Bd. I, S. 3). Bemerkenswert ist diese Widmung aus dem Grunde, dass auch sie die Landwirtschaftsmetaphorik aufgreift, die nicht nur den Titel des Werkes ziert, sondern die auch die Gesprächsteilnehmer für den Titel ihrer Unterhaltung verwenden (Bd. I, S. 46). Die Jungfrau Maria, so ist es in der Widmung zu lesen, ist für den „jardín celestial“ ausgewählt worden, da sie „la más trabajada y la más aprovechada labradora“ sei, „que jamás cultivó la viña concejil de la Redención del género humano“; unterstützt wird sie, der diese „Cristiana Agricultura“ gewidmet ist, vom Heiligen Geist, auch dieser wiederum beschrieben als „el jardinero y hortolano desta divinal agricultura el vuestro divino Esposo, el Spíritu Sancto, que con la sombra de su bondad infinita os resfrescó para fructificar, […], aquel retoño del Verbo Eterno“ (Bd. I, S. 3). Auf die in dieser Widmung genannte
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Meseguer 1963, LXXIX. Vgl. Lorenzo 2009, 814. Meseguer 1963, XCIII–XCIV. Pineda, Juan de: Primera parte de los treynta y cinco dialogos familiares de la Agricvltvra christiana, Salamanca: Pedro de Adurça / Diego Lopez 1589; und Segvnda parte de la agricvltvra christiana qve contiene los diez y nveve Dialogos postreros dende el decimo setimo, Salamanca: Diego Lopez / Pedro de Adurça 1589. 11 Das Vorwort zum zweiten Band erscheint in der modernen Edition von Meseguer erst am Ende des fünften Bandes (S. 435).
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Weinberg-Metapher werden die Gesprächspartner im Dialog wiederholt Bezug nehmen; ich werde darauf zurückkommen. Es schließt sich das Vorwort Pinedas an, „El autor a los lectores“ (Bd. I, S. 47). Zwei, im Folgenden etwas genauer zu betrachtende Aspekte sind daran auffällig: Zum einen offenbart sich in diesem Vorwort die Vertrautheit Pinedas mit der dialogliterarischen Tradition; zum anderen betont er in besonderem Maße den universalwissenschaftlichen Ansatz seines Textes. Im Verlauf der hier vorgenommenen Untersuchung sind immer wieder bestimmte Konventionen und Rekurse in den Dialogprologen beobachtet worden, die sich auch bei Pineda wiederfinden lassen; dazu gehört vor allem das Rekurrieren auf die angebliche historische Grundlage der Gespräche.12 Pineda stellt zunächst fest, „es tan importante ser la escritura histórica y no fingida“ (Bd. I, S. 4), um gleich die für Dialoge charakteristische Darstellung des Textes als Transkription tatsächlich stattgefundener Gespräche aufzugreifen, bei denen er lediglich die Namen der Sprecher und manche ihrer Aussagen leicht verändert habe, damit man die Personen nicht identifizieren könne: […] digo que los más encuentros y cuentos de los interlocutores que aquí fueren nombrados con nombres disfrazados pasaron en todo o en parte, como aquí se leerán, con sólo desfigurarlos algunas veces un poquillo por los hacer desconocidos, procurando evitar en unos la sospecha de lisonjero y en otros la infamia de murmurador, que anda trabada con el decir verdades [...] (Bd. I, S. 4).
Postwendend jedoch wird die bewusste Wahl der Gattung offen gelegt: So heißt es, es handele sich hierbei um „pláticas recreativas“, um erholsame Plaudereien also, „por que no canse tanto el hablar siempre en cosas de mucho seso y de dificultosa inteligencia“ (Bd. I, S. 5). Aufgrund des zwanglosen Charakters der Gespräche würden die Themen nicht stringent hintereinander behandelt; dies geschehe schließlich nur in Traktaten: „por las leyes de los diálogos familiares no debieron ir las materias proseguidas, porque esa fuera ley de tratados doctrinales y que cansara a los lectores“ (Bd. I, S. 5). Nicht ohne Grund hatte damit auch Malpartida Tirado für Pinedas Text schon formuliert, die Dialogform sei als „endulzador doctrinal“ des Textes zu verstehen.13 Der Authentizitätsanpruch, der mit dem Verweis auf die historische Tatsächlichkeit der Gespräche erhoben wird, ist auch bei Pineda durch weitere Hinweise auf die literarische Gestaltung als Dialog im Grunde eingeschränkt: So stellt er die zentralen Sprecher nicht nur kurz vor (Bd. I, S. 5); er weist zudem auch darauf hin, dass er diese so zu Wort kommen lassen wird, wie es ihrem Rang und Stand sowie der Situation gebühre.14 Er entspricht damit der Vorgabe des decorum („las
12 Darauf hatten auch Meseguer (1963, XCVI) und Ferreras (2008, 67–68) bereits hingewiesen. 13 Malpartida Tirado 2005, 139. 14 „que aquí van representadas cuatro diferentes personas, por poner en cada cual dellas lo debido aplicarse a los de aquel grado y estado, ansí en lo bueno que deben tener como en lo malo en que suelen entropezar, dándoles a veces el hablar en seso de cosas graves, y a veces en seso de cosas ligeras, [...], y a veces con palabras toscas y conversables, y a veces en to-
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palabras de cada uno de los que aquí hablan de ordinario, y que entienda guardarse el decoro de las personas“, Bd. I, S. 5). Zahlreiche weitere für Dialogprologe typische Rekurse sind an Pinedas Vorwort hervorzuheben: Dazu gehören etwa die übliche Bescheidenheitsrhetorik (er bittet Experten anderer Fachrichtungen dafür um Verzeihung, dass er trotz seiner Unwissenheit immer wieder auf ihre Disziplinen zurückgegriffen habe), Anspielungen auf die großen Schwierigkeiten, Gefahren und Anstrengungen, die dieses Werk zu schreiben ihn gekostet hat, oder auch die Hinweise auf den richtigen Umgang mit Kritikern und Feinden (Bd. I, S. 6). Ich möchte jedoch nun den von Pineda in besonderem Maße in seinem Vorwort vertretenen und betonten universellen Wissensanspruch ins Auge fassen. Die Diálogos familiares, so lässt er direkt zu Beginn des Prologs verlauten, habe er geschrieben, um „cosas de provecho“ zu verbreiten, und zwar dergestalt, „que no solamente pudiesen aprovechar a muchos, sino a todos, quien por un respeto, quien por otro“ (Bd. I, S. 4). Ein solcher Nutzen für ein breites Publikum lässt sich, so fährt er fort, nur durch Varianz und Vielseitigkeit von Themen erreichen, denn: „quien guisa para muchos no pueda cumplir con todos con un manjar guisado de una mesma manera, supuesta la diversidad de los gustos“ (Bd. I, S. 5), und somit habe er seinen Text mit so vielen Themen ‚gewürzt‘, dass jeder etwas darin finde: „procuré de los salpicar con tanta variedad de materias doctrinales que con dificultad se pueda dar alguno que no halle algo de que prender“ (Bd. I, S. 6). Strosetzki hat auch in Bezug auf die hier von Pineda unterstrichene Nützlichkeit seines Werkes davon gesprochen, dass sich der Autor explizit an eine breite Leserschaft und durchaus an die Gruppe „wissenschaftlich nicht vorgebildeter Laien“ richte.15 Pineda erfüllt diesen universellen Anspruch nun in vollem Maße, denn zu den im Dialog verhandelten Themen gehören schließlich nicht nur Fragestellungen zu den verschiedenen Aspekten des christlichen Lebens, sondern eben auch solche nach der Moral, den Tugenden, der Stellung der Frau, Liebe, Leitlinien und Problemen in der Ehe, aber auch zur Kindererziehung, zur Ernährung und Fragen nach dem Verhältnis der artes liberales und artes mechanicae oder dem Nutzen sakraler Malerei. Aufgrund dieser immensen thematischen Vielfalt der Diálogos wird in der Forschung neben der katechetischen Ausrichtung des Textes auch immer wieder sein enzyklopädischer und damit einhergehend oft sein didaktischer Charakter hervorgehoben – sowohl in den Studien, die sich ausschließlich auf Pineda konzentrieren, als auch in Überblickswerken zum Renaissancedialog oder zu den Klassifikationen der Künste und Wissenschaften in Mittelalter und Siglo de Oro. Pinedas Diálogos rücken damit in besondere Nähe zur Gattung der Miszelle und werden in Anlehnung an den berühmten Text von Pedro Mexía wie-
ques pungitivos, [...]; y a veces algunos cometen ignorancias o dicen algunas nescedades“ (Bd. I, S. 5). 15 Strosetzki 1987, 152.
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derholt als silva de varia lección beschrieben.16 Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch die Untersuchung von Malpartida Tirado, der Pinedas Agricultura cristiana als Beispiel für die Subgattung der diálogos misceláneos analysiert, die in der von ihm entwickelten Dialogtypologie neben den vornehmlich belehrenden diálogos catequísticos und den vor allem durch ihren Debattencharakter gekennzeichneten diálogos polémicos stehen.17 Den für den diálogo misceláneo charakteristischen kooperativen Ansatz, der sich unter anderem in einer Themenvielfalt und der Verteilung auf die für das jeweilige Gebiet kompetentesten Sprecher manifestiert, macht Malpartida Tirado auch bei Pineda aus.18 Von primärer Relevanz für die weitere hier vorgenommene Analyse ist Pinedas Hinweis im Prolog, dass er in die christliche Doktrin wiederholt auch Themen aus den „letras humanas“ eingeflochten habe („porque […] tienen un saborcillo engolosinador“), die er jedoch stets gemäß ihres christlich-doktrinalen Sinns ausrichten würde, um zu zeigen, dass „la teología de los paganos es de condenar y que se debe censurar por reglas de la teología cristiana entre quien bien esgrime de sus instrumentos“ (Bd. I, S. 6). Diese besondere Konnexion christlicher und paganer Inhalte auf der einen Seite und die christliche Auslegung heidnischer Mythen auf der anderen Seite werden uns hier noch näher beschäftigen. Interessanterweise begründet Pineda die Einflechtung von paganen Inhalten mit ihrer Nützlichkeit für junge Leser: Hasta la mitad de la obra va mucho destas letras gentílicas por ser más proporcionadas las materias de la obra con ellas hasta allí para los jóvenes; porque después entran cosas de mucho peso y en la edad del hombre, […], que ya debe vivir cargado de cuidados de sí y de su familia, para lo cual debe darse a lo de Dios […] (Bd. I, S. 5).
Der zweite Teil des Textes, der in der editio princeps die Dialoge 17 bis 35 umfasst, ist dann tatsächlich sehr viel deutlicher auf die christliche Doktrin ausgerichtet; er nimmt, wie Malpartida Tirado es beschreibt, „un rumbo más grave y abunda el contenido teológico, incluidas glosas bíblicas y oraciones, hasta aborcar el ‚amén‘ unánime de los cuatro interlocutores después de alabar el maestro el reino celestial“.19 Diese stärkere Ausrichtung auf die religiösen Inhalte wird auch im Vorwort zu diesem zweiten Teil von Pineda unterstrichen: Er spricht dort nicht nur explizit aus, dass er in diesem Teil „más gravedad a la doctrina de nuestra cristiana labor para mayor provecho doctrinal y moral de los que profesan la doctrina cristiana y aun siquiera la ley natural“ (Bd. V, S. 435) gelegt habe; er gibt auch einen kurzen Überblick über einige der Themen, die behandelt werden:
16 Meseguer 1963, XCV; Kurtz, Barbara E.: „The Agricultura cristiana of Juan de Pineda in the Context of Renaissance Mythography and Encyclopedism“, in: Inti: Revista de literatura hispánica 24 (1986), 191; Malpartida Tirado 2005, 143; Lorenzo 2009, 813. 17 Vgl. Malpartida Tirado 2005, 15. 18 Ebd., 137–142. 19 Ebd., 142. „FILATELES. – [...] por toda la eternidad in eternum et ultra. POLICRONIO. – Amén, amén. PÁNFILO. – Amén, Dios Señor; amén, Dios, que sois amén y Vos todo nuestro bien. FILÓTIMO. – Amén cante yo mil veces, amén digan mis potencias, amén yo y todas las cosas; [...]. FILATELES. – Amén. Fin de la Agricultura cristiana“ (Bd. V, S. 434).
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VII. Juan de Pinedas Diálogos familiares Van aquí declaradas las materias de todas las virtudes y de todos los pecados, que es lo tocante al complimiento o quebrantamiento de la ley de Dios. [...] Van declaradas la oración dominical del Pater noster, y la salutación angelical del Ave María, [...]. Vase rematando la obra con la muerte de los vivientes, [...], y con el juicio universal [...], y, en fin, concluyo con la gloria del paraíso, [...]. Amén (Bd. V, S. 435).
Das Vorwort zum ersten Teil beendet Pineda, indem er drei Sentenzen römischer Autoren einfügt, die paradigmatisch für den Anspruch des Textes stehen. Er beginnt mit einem Zitat aus Ciceros De Oratore, mit dem er nochmals einen breiten Wissensansatz propagiert: „Non est interdictum aut a rerum natura aut a lege aliqua aut a more, ut singulis hominibus ne amplius quam singulas artes nosse liceat“ (Bd. I, S. 7).20 Mit dem sich anschließenden Zitat aus Macrobius’ Saturnalia unterstreicht er die Vorteile und den Nutzen von Gesprächen: „Neque enim recte institutus animus requiescere aut utilius aut honestius usquam potest, quam in aliqua opportunitate docte ac liberaliter colloquendi, interrogandique et respondendi comitate“ (Bd. I, S. 7).21 Das dritte Zitat stammt, dem christlichen Schwerpunkt des Textes entsprechend, aus der 40. Epistel des Kirchenvaters Ambrosius: „Male se habet liber qui sine assertore non defenditur“ (Bd. I, S. 7). Neben diesen drei Autoren wird er in seinem Text noch eine Vielfalt anderer zitieren, die er in einem „Catálogo de quasi setecientos autores“ einzeln aufführt (Bd. I, S. 8–14): Genannt werden dort alle antiken kanonischen Autoren (Cicero, Ovid, Vergil, Platon, Terenz, etc.) sowie Erasmus. Auch darauf Bezug nehmend hatte Meseguer zu Recht geurteilt: „no hubo campo del saber humano de su tiempo al que no se asomara la curiosidad de Pineda“22 – auch diese Liste steht damit für den universalwissenschaftlichen Ansatz, den Pineda verfolgt, und für die typisch rinascimentale curiositas. Daneben trägt dieser Katalog einen auffallenden Zusatz: Unter den zitierten Autoren befänden sich auch solche, „los cuales, si acaso fueren algunos prohibidos por la sancta inquisición, yo los condeno también, sino que se compuso esta obra antes de salir los catálogos“ (Bd. I, S. 8). Auch auf dem Titelblatt des ersten Teils der Edition von 1589 prangt bereits rechtfertigend der Satz, dass Autoren Verwendung fänden, die von der Inquisition bereits auf den Index gesetzt worden seien: Algunos autores condenados por el Sancto oficio se nombran algunas vezes, porque se compuso este libro antes de salir el Catalogo; mas condenamos los con sus errores: y los que se nos ofrecieron quitamos de la tabla de los autores.
20 „Es ist nämlich weder von der Natur noch von einem Gesetz oder einer Sitte untersagt, dass einzelne Menschen mehr als eine Kunst kennen dürfen“ (Cicero, M. Tullius: De Oratore / Über den Redner, hg. und übers. v. Theodor Nüßlein, Düsseldorf: Artemis & Winkler 2007, 101 [I, 216]). 21 „Ein wahrhaft gebildeter Geist kann sich ja nirgendwo nutzbringender oder würdiger erholen, als wenn er Gelegenheit findet, sich gelehrt und wissenschaftlich zu unterhalten, wobei man in aller Freundschaft fragt und antwortet“ (Macrobius, Ambrosius Theodosius: Tischgespräche am Saturnalienfest, eingel. und übers. v. Otto und Eva Schönberger, Würzburg: Königshausen & Neumann 2008, 27 (1,2,4)). 22 Meseguer 1963, XLIII.
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In der Forschung wird dies zumeist im Zusammenhang mit der Frage nach Pinedas Position zu den Ansichten und Schriften Erasmus von Rotterdams behandelt. So urteilt doch bereits Bataillon in seiner wegweisenden Studie Erasme et l’Espagne, dass Pineda trotz dieses Hinweises auf dem Titelblatt Erasmus nicht aus der Quellenliste gestrichen habe, und seine Ausbildung mit der der „moralistes érasmisants“ koinzidiere.23 Bataillons Einschätzung beruht auch auf der in den Diálogos familiares zu findenden Formulierung der filosofía cristiana,24 die bekanntlich auf Erasmus zurückgeht.25 Meseguer hebt hervor, dass Pineda Erasmus’ Werke – die dem Index von 1583 nach teilweise nur in zensierten Versionen erlaubt waren – mindestens fünfzehn Mal zitiere, zwei Mal davon sogar, indem der Rotterdamer als „nuestro amigo“ (Bd. I, S. 98; Bd. III, S. 287) beschrieben wird.26
4. DIALOGSETTING UND SPRECHERKONSTELLATION Die von immenser Themenvielfalt gekennzeichneten Gespräche, so erklärt Pineda im Prolog, sind nicht ohne Grund als Diálogos familiares betitelt, werden sie doch von freundschaftlich verbundenen Gesprächspartnern geführt: Y por eso se llamala la obra de Diálogos familiares, en que se representan algunos amigos que, como familiares y llanos y conversables entre sí, se avienen bien, sin pundonores de cumplimiento ceremonial y que llaman de pelillo, sino que como lo sienten ansí lo dicen, tomándolo todo a buena parte y dicho con buena intención [...] (Bd. I, S. 5).
Die Gesprächsteilnehmer, so wissen wir bereits, sind dabei lediglich durch andere Namen verdeckte Persönlichkeiten, die diese hier aufgrund ihrer zentralen Eigenschaft erhalten; durchaus ist von einer semantischen Anreicherung durch diese Namen zu sprechen. Die derart maskierten vier zentralen Sprecher Filateles, Policronio, Filótimo und Pánfilo stellt Pineda sogleich im Prolog vor. Dem Theologen Filateles, dessen Name Pineda als „amador de verdad“ übersetzt, fällt im Dialog eine zentrale Rolle zu: Er führt ein religiöses, bescheidenes Leben, und ist derart tugendhaft und gebildet, dass ihn aufsucht, wer in den letras und den virtudes belehrt werden will. Er ist Vorbild in Worten und Taten, und nicht zuletzt deshalb ist er es, der die zu diskutierenden Sachgebiete bestimmt (Bd. I, S. 5). In seinen Unterricht hat sich unter anderem der junge, als gutaussehend, tugendhaft, edelmütig und wohlhabend beschriebene Pánfilo begeben, „muy amigo de saber letras y de tratar con virtuosos“; einhergehend mit seinem Namen, der laut Pineda „todo amable“ bedeutet, „hay en este mancebo cuerpo hermoso y alma sancta y virtudes muy amables“ (Bd. I, S. 5). Der dritte Gesprächsteilnehmer ist Policronio: Wie sein Name bereits zeigt, handelt es sich bei ihm um einen Mann hohen Alters, beschrieben als adeliger und wohlhabender „caballero“, dem es jedoch an 23 24 25 26
Bataillon 1937, 854. Ebd. Strosetzki 1987, 36, Anm. 43. Meseguer 1963, XLIX.
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Tugendhaftigkeit mangelt und der sich, um auf den rechten Weg zu gelangen, der Schule von Filateles angeschlossen hat (Bd. I, S. 5). Der ambitionierte Filótimo, der vierte Sprecher, ist von Beruf Arzt, jedoch leider „no muy sabio en su arte“; er ist von fröhlichem Gemüt und lockert die Gespräche immer wieder auf, indem er mit dem jungen Pánfilo und dem alten Policronio scherzt, jedoch nie mit Filateles, „varón sabio y grave y religioso“ (Bd. I, S. 5). Im Verlauf des Dialogs lassen sich noch viele weitere Details zum Leben und Verhalten der einzelnen Gesprächsteilnehmer finden: So erfährt man etwa, dass Policronio achtzig Jahre alt ist („Quien viviese ochenta de esos años, como yo los he vivido“, Bd. I, S. 161), verheiratete Töchter hat (Bd. I, S. 209) und Soldat war (Bd. IV, S. 32), Filótimo sich vor dem Erlernen des Arztberufs der Theologie verschrieben hatte (Bd. I, S. 17) und Filateles sich bereits seit 42 Jahren den Wissenschaften widmet („que con tener cuarenta y dos años de muy continuado trabajo en lo de las sciencias“, Bd. II, S. 477). Diese Sprecher treten in den 35 Gesprächen immer wieder auf; nur punktuell werden einzelne von ihnen durch andere Teilnehmer ersetzt: Am zweiten und dritten Gespräch, in dem unter anderem das Militär und die Gesetze thematisiert werden, nehmen die Soldaten Ferénico und Andrónico anstatt Pánfilo und Filótimo teil; im die Ehe behandelnden fünften Gespräch wird der junge Pánfilo vom bereits mehrfach verheirateten Polígamo ersetzt; im dreißigsten Gespräch tritt schließlich zusätzlich Mariscal auf, dessen Name an seinen Militärberuf erinnert.27 Bisweilen sind zudem auch Marquillos, der Diener von Filateles, oder Mendocilla, die Dienerin von Policronio, anwesend, die jedoch nie zu Wort kommen. Die einzelnen Gespräche der Diálogos familiares werden, mit Ausnahme des genannten dreißigsten, damit immer von vier Personen geführt, hatte doch Filateles zu Beginn entschieden, dass sich die Runde explizit an der Anzahl der Gesprächsteilnehmer von Hermes Trismegistos’ ebenfalls religiösen und göttlichen Fragestellungen gewidmetem Dialog Asclepius zu orientieren habe:28 PÁNFILO. – Acuérdeseos de que se movió la pregunta de por qué quisisteis que fuésemos cuatro en el convite y no más ni menos. […] FILATELES. – […] me dió gusto este número y en tales subjectos, acordándoseme del onceno y del último fragmentos del Asclepio de mi familiar Trismegisto, dondo son introducidos Trismegisto, Tacio, Asclepio y Amnón para tratar de cosas subidísimas de Dios y de religión, y después de cansados de tratar de aquéllas, se convierten al convite corporal para tomar la substancia nutrimental del cuerpo […] (Bd. I, S. 39).
Die Orientierung an gerade diesem Modell begründet Filateles an späterer Stelle mit der Bedeutung der Bestandteile des Autorennamens: „Trismegisto quiere decir grande en tres cosas: en el sacerdocio, en la filosofía y en la teología“, Hermes dagegen „quiere decir intérprete o declarador“ (Bd. III, S. 308) – allesamt Aspekte, die auch Filateles in sich vereint (oder vereinen will). Die Orientierung an einem Dialog des Hermes Trismegistos, welchen Pineda in seiner Quellenliste als „teólogo pagano“ (Bd. I, S. 14) vorstellt, ist jedoch durchaus besonders: Die in 27 Meseguer 1963, XCVII. 28 Das hatte auch bereits Meseguer festgestellt (vgl. ebd., XCV–XCVI).
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der Renaissance wiederentdeckten anonymen griechischen Schriften aus dem 2. und 3. Jahrhundert n. Chr., die als Offenbarungen eben jenes ‚Dreimalgrößten‘ tradiert wurden, enthielten schließlich okkulte Lehren. Dass diese Orientierung kein Zufall ist, wird sich insbesondere bei der späteren Behandlung der Fresken im Hause von Filateles zeigen. Die einzelnen Gespräche der Diálogos familiares sind dabei oft als Gastmahl konzipiert: Sie finden während eines gemeinsamen Essens oder auf dem Weg dorthin statt; gleichzeitig stehen auch die Speisen selbst häufig im Fokus oder werden zum Vergleich herangezogen.29 Das Gastmahl ist schließlich nicht nur eine tatsächliche „Form der Geselligkeit der Männer im antiken Griechenland, bei der nach festgelegten Regeln Wein getrunken, reihum Reden gehalten, Gespräche geführt, aber auch Musik, Tanz und Rezitationen dargeboten wurden“, sondern darüber hinaus auch eine besondere, von Xenophons und insbesondere Platons Symposion begründete Form des literarischen Dialogs, der in der Spätantike, beispielsweise in Macrobius’ Saturnalia, zur Anordnung von „Wissenssammlungen“ funktionalisiert wird.30 Dass sich Pinedas Diálogos familiares in diese Tradition einschreiben, manifestiert sich schon im ersten Gespräch; dieses geht in medias res: Filateles will die Segnung des Esstisches vornehmen, wird jedoch von Policronio und Filótimo unterbrochen, da der Wein fehle. Das Gespräch dreht sich zunächst um die Frage, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, um die Segnung vornehmen zu dürfen; erst als der Wein und die Speisen gebracht werden, setzt sich die Runde (Bd. I, S. 15–16). Nach einem einführenden Gespräch über das Salz, das als eine der Bedingungen genannt wurde, und seine Qualitäten als Symbol für Weisheit und Freundschaft („la sal, que es símbolo de la sabiduría, es también símbolo del amistad“, Bd. I, S. 20) kommen sie auf das Gastmahl bei Filateles im Speziellen („el convite del señor Maestro“, Bd. I, S. 29) und auf die Kriterien eines Gastmahls im Allgemeinen zu sprechen. Insbesondere Filateles erläutert zunächst den Begriff des convivium, dann die gewünschten Qualitäten des Gastes und die adäquaten Gesprächsthemen (Bd. I, S. 30), kommt schließlich auf die Frage nach der Anzahl der Gäste (Bd. I, S. 32) und darüber auf die christliche Zahlensymbolik zu sprechen (Bd. I, S. 33ff.). Filateles wird nun von den Gästen für den weiteren Verlauf der Gespräche als Vermittler der Wissensinhalte auserkoren; bemerkenswerterweise geschieht dies, indem Policronio ihn direkt mit der Position des Sokrates in den platonischen Dialogen vergleicht: En lo que es de conversación todos podemos hablar, mas no en lo que es de doctrina, so pena que lo habéis vos de tornar a recorrer, sino que, como en los Diálogos de Platón se reducen
29 Im dritten Gespräch beispielsweise, in dem die Runde beim gemeinsamen Essen sitzt, werden der Zwiebel zehn Eigenschaften und Wirkungen zugeschrieben, die auf das christliche Leben umgedeutet werden. So heißt es beispielweise: „la cebolla [...] ayuda a la digestión, [...] y digerir [...] es el valor espiritual que consume los humores superfluos de los pecados en el estómago“ (Bd. I, S. 198). 30 Matuschek, Stefan: „Symposion“, in: Burdorf, Dieter / Fasbender, Christoph / Moenninghoff, Burkhard (Hg.): Metzler Lexikon Literatur, Stuttgart / Weimar: Metzler 2007, 746.
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VII. Juan de Pinedas Diálogos familiares todas las averiguaciones a Sócrates, así en nuestras conferencias han de parar en vos todas [...] (Bd. I, S. 39).
Doch damit nicht genug der Übereinstimmungen zu platonischen Dialogen: Nachdem sich die Gesprächsteilnehmer im Anschluss an das Essen zu einem Spaziergang aufgemacht und den Fluss erreicht haben,31 setzen sie sich in den Schatten eines Baumes, genauer einer Pinie, die den gelehrten und aufmerksamen Pánfilo sogleich an die Platane bei Platon erinnert: FILATELES. – Paréceme que se nos atreve un poco el calor; por tanto, acojámonos a la sombra de aquel pino albar, que por ser alto y bien proveído de ramos nos defenderá deste buchornillo africano, que, aun con salir aguado del mar, callenta como puro. PÁNFILO. – ¡Oh, qué bien formado y crescido pino!; no debe nada a los tan alabados por los poetas Teócrito y Mosco; paréceme al plátano [...] de Platón (Bd. I, S. 44–45).
Dieses Setting ist nur eines von mehreren der Diálogos familiares. Die Gespräche finden im Haus von Filateles oder auch im Landhaus von Policronio statt, oder vollziehen sich auf einem Spaziergang, wie beispielsweise am nahen Fluss.32 In welcher Stadt sie sich aufhalten, wird nicht expliziert; aufgrund der zahlreichen Hinweise auf Andalusien, insbesondere Sevilla – Pánfilos Mutter beispielsweise lebt in der Calle de la Sierpe (Bd. IV, S. 30), Policronio besitzt mehrere Häuser in der Calle de Escobas (Bd. IV, S. 159) – scheint diese Stadt als Schauplatz zu denken zu sein.33 Aufgrund des mimetischen Modus des Dialogs sind die weiteren Umstände des Gesprächs und auch die einzelnen Elemente der Handlungsebene lediglich aus den Repliken der Sprecher zu abstrahieren. Auf diese Weise ist zu erfahren, dass die Unterhaltung an einem Sonntag, genauer dem Dominica in Septuagesima, dem liturgischen Kalender nach dem siebzigten Tag vor dem Ende der Osterwoche,34 beginnt: „A buen tiempo“, so spricht beispielsweise Policronio, „me ha socorrido el Evangelio de la Dominica Septuagesimal de hoy para mayor abono de mi razón“ (Bd. I, S. 17). Dieser Tag des liturgischen Kalenders, an dem, wie auch Policronio später erklärt, im Evangelium das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg erzählt wird (Bd. I, S. 45),35 ist auch der Grund für die wiederholte Verwendung dieser Metapher im Dialog sowie für den Titel der Gespräche („tanto
31 „POLICRONIO. – Paréceme que nos debríamos salir un poco hacia el río, donde no nos faltarán materias en que nos ocupar otro rato, y el día templado nos convida a ello“ (Bd. I, S. 44). 32 Meseguer 1963, XCVII–XCVIII. 33 Vgl. ebd., LVII–LVIII. Meseguer hat auch darauf hingewiesen, welch nostalgischen Blick die Gesprächspartner zuweilen auf Salamanca erkennen lassen (ebd., XIX): „FILÓTIMO. – Si estuviéramos en Salamanca [...]. FILATELES. – Eso se quede para cuando Dios nos tornare allá con bien“ (Bd. I, S. 54). 34 Noch im ersten Gespräch erklärt Filateles den anderen, warum der Sonntag, an dem sie sprechen, septuagesima genannt wird: „Hoy se cubre la Iglesia de luto [...], y no acabará de quitar este luto hasta la dominica in Albis, en la cual se cumplen setenta días dende hoy, y por este número que hoy comienza se llama Septuagésima; […]. Ansí que dende hoy pone la Iglesia en silencio el aleluya, que es cántica de alegría“ (Bd. I, S. 48). 35 Vgl. Mt 20,1–16.
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mejor cultivada será nuestra Agricultura Cristiana. FILATELES. – Ese nombre sea el que terná nuestra plática“, Bd. I, S. 46). Die Unterhaltung findet angeblich im Jahr 1578 statt (Bd. II, S. 134), was durch Hinweise auf mehrere historische Ereignisse jener Zeit – eine Kometensichtung von 1577 bis 1578, die Schlacht von Alcácer-Quibir im Jahre 1578 – untermauert wird.36 Aufgrund der Schwierigkeit und der Menge an zu verhandelnden Themen werden sich die Gespräche laut Policronio über mehrere Tage erstrecken müssen: FILATELES. – [...] Mas es gran carga la que me ponéis y aun me parece que nos saldrá muy prolija, y que cuando la quisierdes ver conclusa no estará demediada. POLICRONIO. – Por eso hizo Dios un día cabe otro, y, si a vos no os faltase tiempo, a nosotros nos sobra; y podréis dejar para mañana y muchas trasmañanas, lo que hoy no se acabare de bien discutir; y cuantas más cosas se sacaren en plática, tanto mejor cultivada será nuestra Agricultura Cristiana (Bd. I, S. 46).
Ein Gespräch umfasst zwar jeweils einen Tag,37 zwischen den einzelnen Treffen liegt allerdings zuweilen längere Zeit, so beispielsweise ein Monat zwischen dem fünften und sechsten, oder sogar zwei Monate zwischen dem 21. und 22. Gespräch (Bd. IV, S. 7).
5. ZUM CHRISTLICHEN UMGANG MIT PAGANEN FRESKEN. DIE KUNSTBEZÜGE DER DIÁLOGOS FAMILIARES Zu Recht hatte Meseguer davon gesprochen, die Diálogos familiares seien Pinedas magnum opus, denn: „En ellos palpitan con vigor su sentido religioso y afanes apostólicos, su concepción de la interdependencia estructural de las ciencias y sus gustos humanísticos y literarios“.38 In Pinedas Dialog zeigen sich nicht nur auf besonders konzise Weise die Verschmelzung von Religion, Wissenschaft, Literatur und Humanismus, sondern auch die Kontaktpunkte all dieser Sphären zu den Bildenden Künsten. Zunächst möchte ich im Folgenden darlegen, warum es sinnvoll ist, Pinedas Diálogos familiares de la agricultura cristiana im Kontext der Diskussion um die Bildenden Künste in der spanischen Renaissance zu lesen: Obwohl der Dialog sich zentral religiösen Fragen widmet, weist er kunst- und malereitheoretischen Gehalt und eine besondere Hervorhebung des Gesichtssinns auf. Zentrale Aufmerksamkeit soll danach den Fresken im Haus des Theologen Filateles, in dem sich die Gelehrtenrunde einfindet, zukommen, werden doch diese vom Gastgeber ekphrastisch beschrieben und gedeutet. Am Umgang mit diesen Fresken und ihrer dialogischen Verhandlung lässt sich, so werde ich zeigen, das Spannungsverhältnis beobachten, in dem sich die christlichen Humanisten – und die humanistischen
36 Meseguer 1963, XXXVIII. 37 Ebd., XCVII. 38 Ebd., XXXVIII.
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Theologen – befanden, wenn sie christliche Lehren und antike Wissensbestände zu vereinen suchten.
5.1. Kunsttheoretischer Gehalt und Betonung des Gesichtssinns Dass Pinedas Dialog auch in Bezug auf Kunst- und Malereitheorie zu lesen ist, davon zeugen insbesondere die Gespräche, die konkreteren kunsttheoretischen Fragestellungen gewidmet sind. Primäre Relevanz haben in diesem Zusammenhang die Gespräche 18 und 19, in denen eine Klassifikation der Künste, Wissenschaften und Disziplinen entwickelt wird.39 Ausgangspunkt im 18. Gespräch ist dabei die Ansicht von Filateles, dass sich jeder der Wissenschaft widmen solle, die seinem ingenio entspreche („que cada uno aprovechase en la sciencia proporcionada con su ingenio y saliese para servir a su patria, que es el fin de los ejercicios de los ciudadanos“, Bd. III, S. 223). Es ist Policronio, der auf diese Aussage hin Filateles darum bittet, darzulegen, welcher ingenio für welche Wissenschaft befähige, und dies insbesondere mit dem Ziel, dass Eltern daraus erführen, welche Wissenschaft ihrem Kind am meisten läge (Bd. III, S. 224). Filateles’ Überlegungen basieren auf der Idee von memoria (Gedächtnis), entendimiento (Verstand) und imaginativa (Vorstellungsvermögen), deren Ausprägung jeweils zu bestimmten Wissenschaften und Disziplinen befähige:40 FILATELES. – […] será bien hacer lo que decís. Y como las facultades doctrinales dependan de la memoria o del entendimiento o de la imaginativa, inclinándose cada uno a la facultad que corresponda a la habilidad déstas, que en él prevalece, […] (Bd. III, S. 224).
Er beginnt seine Erläuterungen mit dem letzten Punkt, dem Vorstellungsvermögen. Dazu zählt er die sieben artes liberales sowie Regierungskunst, Dichtung, das Predigen, praktische Medizin, Kriegkunst, Lesen, Schreiben und bezeichnenderweise auch die Malerei: [...] digo ser tocantes a la buena imaginativa las artes y sciencias armónicas, corresponsivas, figurales y proporcionales, cuales son las artes liberales, lo tocante a la facultad gubernativa, poesía, predicación, medicina curativa, la milicia, pintar, leer y escrebir, [...] (Bd. III, 224).
Die Malerei wird damit nicht explizit als ars liberalis bezeichnet, sie wird aber aufgrund des für sie notwendigen Vorstellungsvermögens auf eine Stufe mit den freien Künsten gestellt, und, so zeigt sich auch im weiteren Verlauf der Erläuterungen, damit klar von den artes mechanicae abgegrenzt. Bevor er auf die
39 In der folgenden Deutung der beiden Gespräche beziehe ich mich auf Strosetzki 1987, 99– 102, und Jacobs 1996, 58–61, die Pinedas Text ebenfalls hinsichtlich der dort entworfenen Wissenschafts- und Disziplinensystematik untersucht haben. 40 Die Frage, ob Pineda sich in seinem Wissenschaftssystem direkt an Galen oder vielmehr an Huarte de San Juans Examen de ingenios orientiert, hat Jacobs (1996, 58) aufgeworfen und untersucht. Strosetzki, so urteilt Jacobs, scheint davon auszugehen, dass Pinedas Systematik direkt aus Galen entspringt (ebd., Anm. 185).
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Handwerkskünste zu sprechen kommt, erklärt Filateles zunächst, dass eine starke Ausprägung der memoria insbesondere zum Erlernen von Sprachen befähige; mit dem entendimiento hingegen korrespondierten Logik, Metaphysik, Natur- und Moralphilosophie, Theologie sowie theoretische Medizin (Bd. III, S. 224). Auffallend ist insgesamt, dass sowohl für eine Spezialisierung in einer Disziplin oder Wissenschaft als auch für ein über diesen Bereich hinausgehendes Universalwissen plädiert wird: En lo de una o de muchas sciencias ya dejamos dicho, […], ansí el hombre, aunque haya de ocuparse con la filosofía, madre de la virtud y de todas las sciencias, bien es dar vista a las otras sciencias, […]; y lo mesmo digo del médico y del jurista y de todos los demás, que sabiendo bien la sciencia que profesan, procuren saber algo de las otras, y especialmente de las más necesarias, […] (Bd. III, 226).
Es schließen sich die Erklärungen zu den artes mechanicae an (Bd. III, S. 259ff.), welche nach Ansicht von Filateles auf das Verdienen des Lebensunterhalts ausgelegt sind. In aufsteigender Reihenfolge erklärt Filateles jede ars, nennt ihre Erfinder, ausübende Persönlichkeiten und notwendige Instrumente. Die von Filateles benannte Siebenzahl der artes mechanicae und die insgesamt von ihm vorgenomme Einteilung scheinen dabei von Hugo von St. Victor inspiriert: Er unterteilt die artes mechanicae in Landwirtschaft, Jagd, Handwerke, in denen ein Hammer verwendet wird (Schmied, Schlosser, Schreiner, etc.), Weben und Spinnen, Handelsschifffahrt, Militärs- und Kriegskunst und die praktische Medizin, im Besonderen die Chirurgie (Bd. III, S. 259–269). Die Malerei zählt Filateles nicht zu den Handwerkskünsten; sie ist schließlich bereits mit den artes liberales auf eine Stufe gerückt und daher mit den „sciencias nobles, que llaman liberales por ser intelectuales“ (Bd. III, S. 276) vergleichbar, wie Filateles die freien Künste am folgenden Tag beschreibt. In diesem 19. Gespräch nun geht es um die Definitionen der bislang noch nicht genauer erläuterten artes liberales: FILATELES. – […] En fin, que se llaman artes liberales las siete que tienen tal nombre, porque deben ser deprendidas de los hombres libres y nobles; y éstas son: gramática, lógica, retórica, que son las tres que enseñan a bien hablar; y las otras cuatro son: aritmética, música, geometría, astrología, que enseñan a bien entender lo tocante a la cuantidad discreta y continua (Bd. III, S. 276).
Auf Nachfragen der anderen Gesprächsteilnehmer erklärt und definiert wiederum Filateles die einzelnen freien Künste in der Form, wie er dies bereits für die artes mechanicae vollzogen hat (Bd. III, S. 276–295). Einer der dabei auffallenden Punkte ist die höhere Bewertung des quadrivium. Filateles leitet seine Erklärungen zu Arithmetik, Musik, Geometrie und Astrologie mit den Worten ein: „Otras cuatro facultades más elevadas, que las dichas, son las matemáticas“ (Bd. III, S. 280). Daneben fällt auch die dialogtypische Interferenz von Argumentations- und Geschehensebene im Gespräch zur Musik auf: Nach einer ersten theoretischen Abhandlung tragen die Diener das Essen auf, bei dem man sich passenderweise mit „musicales narraciones“ (Bd. III, S. 284) vergnügen will. Anschließend erläutert die Runde die Geometrie und die Astrologie (Bd. III, S. 291–295). Das Gespräch endet schließlich mit Filateles’ Erklärungen zur Philosophie (Bd. III,
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S. 295–299) und zur Jurisprudenz (Bd. III, S. 299–321). Es ist festzustellen, dass Pineda insgesamt eine besondere Lösung hinsichtlich des Verhältnisses von artes liberales und artes mechanicae sowie der Position der Bildenden Künste findet: Bei ihm ist, wie Strosetzki formuliert, eine „Ausweitung des Bereichs der artes liberales“ vorzufinden, da „ihre Maßstäbe auf weitere Disziplinen, wie […] bildende Kunst übertragen“ werden.41 Der kunst- und malereitheoretische Gehalt der Diálogos familiares bleibt jedoch nicht auf diese Frage nach artes liberales und artes mechanicae beschränkt. So werden bisweilen auch konkretere Fragenstellungen zur Malereitheorie besprochen. Exemplarisch nennen ließen sich dort etwa das 22. Gespräch zur Ablehnung unsittlicher Gemälde oder das 34. Gespräch über die religiöse Malerei, die Gründe der Bilderverehrung und die Zurückweisung der Idolatrie.42 Gerade im Nachklang des Tridentinums, seiner Normen zur Beibehaltung der Bilder in den Kirchen und den Vorgaben zur Wahrung des decorum verwundert es freilich nicht, dass der alte Policronio im 22. Gespräch vor lasziven und unsittlichen Bildern und Malereien warnt, vor denen es sich ebenso fernzuhalten gelte wie vor unreinen Worten, denn beides rege lediglich zu verwerflichem Verhalten an. Als Negativbeispiel führt er Kaiser Tiberius an: [...] tenía su aposento lleno de pinturas carnalísimas para con su vista y contemplación se provocar a lujurias; y con la vista de tales pinturas dijo el fingido eunuco de Terencio que se había atrevido a corromper una doncella (Bd. IV, S. 66).
Selbstverständlich wird er in dieser Aussage vom tugendhaften Filateles bestärkt, der darauf hinweist, dass es schließlich auch die Aufgabe der Fürsten und Herrschenden sei, derart gewissenslose Maler („gran pecado de pintores desalmados“) zu bestrafen (Bd. IV, S. 66). Im 34. Gespräch setzt sich die Runde schließlich mit der zeitgenössisch relevanten Frage nach der Legitimation der Bilder und Kunstwerke in den Kirchen auseinander. Filateles ist noch ins Gebet vertieft, als die Gäste bei ihm eintreffen, und so lässt er sie in seiner Hauskapelle warten. Wie Policronios Reaktion zu entnehmen ist, scheint diese Kapelle mit Bildern ausgestattet zu sein: „Andad acá para el oratorio del Maestro, donde nos manda esperarle, y veremos su imágines, que tienen fama de muy devotas“ (Bd. V, S. 329). Diese Gemälde jedoch werden nicht – im Gegensatz zu den Fresken im Inneren des Hauses, auf die ich später zu sprechen kommen werde – beschrieben oder in anderer denkbarer Form inszeniert. Ihre Präsenz auf der Handlungsebene des Dialogs wird lediglich genutzt, um die Argumente darzulegen, die die katholische Kirche als Gründe für die Beibehaltung der Bilder anführt. Der sich im gesamten Dialog durch Tugendhaftigkeit und Gelehrsamkeit auszeichnende – und dabei immer etwas übereifrige – Pánfilo stellt sofort klar, was der Nutzen dieser Bilder ist:
41 Strosetzki 1987, 105. 42 Portús, Javier: „Tratados de pintura y tratados de imágenes sagradas“, in: Riello, José (Hg.): ‚Sacar de la sombra lumbre‘. La teoría de la pintura en el Siglo de Oro (1560–1724), Madrid: Museo Nacional del Prado / Abada 2012, 22.
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[...] con que me mueva a devoción [...] en poniéndome devoción, está todo acabado conmigo, [...] y para esta devoción podemos ser movidos por los ojos con lo que vemos o por los oídos con lo que se nos dice, y las imágines sirven a la vista y los sermones doctrinales al oído (Bd. V, S. 329).
Sie sollen die Gläubigen zu Frömmigkeit bringen und zu einem gottesfürchtigen Leben anregen; auch ist ihnen ein gewisser belehrender Charakter inhärent. Filótimo stößt nun zur Gruppe hinzu. Im Gegensatz zum gelehrigen, strebsamen und ernsten Studenten Pánfilo ist Filótimo die am wenigsten berechenbare Person der Gesprächsrunde – häufig tritt er arrogant, von sich überzeugt und allem anderen gegenüber kritisch auf, was sich jedoch an mehreren Stellen als reine Fassade entpuppt. So auch hier: Er hat schlecht geschlafen, (aufgrund ihres letzten Gesprächs) vom Antichristen und dem Jüngsten Gericht geträumt und ist nun besorgt und ängstlich (Bd. V, S. 329). Pánfilo lässt es sich nicht nehmen, ihn in seiner Angst zu bestätigen: „me parece no sé qué pronóstico de que no tenéis muy cierta vuestra salvación“ (Bd. V, S. 330). Filótimo jedoch hat sogleich eine Lösung für sein Dilemma parat: Die Betrachtung sakraler und frommer Gemälde, so heiße es doch, sei von Vorteil für die Erlösung, „sé que Dios tiene en respecto las sanctas imágines, y que por amor dellas ha hecho mercedes a los que las reverencian debidamente“ (Bd. V, S. 330). Filateles nimmt diese Aussage von Filótimo zum Anlass, drei Gründe für den Bilderkult in den Kirchen zu nennen: Y la primera es para enseñamiento de los que poco saben, que se sirven de las imágines como de libros donde deprenden doctrina. La segunda es porque viendo las tales imágines tengan presentes en alguna manera a aquellos cuyas son, y se acuerden mejor de las cosas que los sanctos hicieron. La tercera es para despertar más la devoción del pueblo, para lo cual aprovecha más la representación que se ve al natural [...] que la doctrina seca de palabras (Bd. V, S. 331).
Dies nun sind auch die Gründe, wie sie im Rahmen des Tridentinischen Konzils und des Dekrets zur Beibehaltung der Bilder in den Kirchen geltend gemacht wurden: So wird der Nutzen der sakralen Bilder hier doch explizit damit begründet, dass sie als Belehrung der Gläubigen fungieren, die Heiligengeschichten Vorbild zu einem frommen Leben sein können und dass die bildliche Darstellung besser zu Frömmigkeit anrege als bloße Worte. Exemplarisch für die besondere Bedeutung der Malerei im Christentum steht schließlich der Heilige Lukas, die Symbolfigur der christlichen Malerei, den Filateles in seiner Argumentation ebenfalls nennt. Bei den Heiligen- und Gottesdarstellungen im Christentum, so fährt er fort, handele es sich nicht um Götzenbilder, denn „representan verdad; [...] y la honra, que se hace a tales imágines, no para ellas, sino en lo que representan o singnifican [sic]“ (Bd. V, S. 332). Nicht das Bild an sich sei zu verehren, sondern das, was es repräsentiere („la regla sea, que la mesma honra se hace a la imagen que a lo mesmo que es representado por la imagen“, Bd. V, S. 332). Aus diesem Grunde ist die Verehrung der paganen Gottheiten auch „mayor bestialidad“, denn sie repräsentieren nichts, „la deidad es falsa y es puramente nada“ (Bd. V, S. 332). Es offenbart sich bei den Sprechern insgesamt ein klares Bewusstsein für den religiösen Nutzen von Kunstwerken. Doch nicht nur damit greift Pinedas Dialog theoretische Fragen zur Malerei und den Bildenden Künsten auf, wie sie im Siglo
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de Oro häufig zu finden sind. Es zeigt sich zudem auch das Interesse für literarische Kunstwerkbeschreibungen – darauf werde ich im weiteren Verlauf genauer zu sprechen kommen – sowie für die zeitgenössisch immens populären Text-BildRelationen, d.h. Embleme,43 Hieroglyphen, Devisen und Impresen.44 Zentrale Texte des 16. Jahrhunderts aus diesem Bereich sind Alciatos Emblematum liber (1531), Valerianos wiederum auf Horapollo zurückgehende Hieroglyphica (1556), Horozco y Covarrubias’ Emblemas morales (1591), aber auch Paolo Giovios Dialogo dell’Imprese militari et amorose (1555), Jeronimo Ruscellis Imprese illustri (1564) oder Paradins Devises héroiques.45 Interessant ist dabei, dass Embleme oder Hieroglyphen nicht nur von Pinedas Sprechern zur Erklärung einzelner Sachverhalte herangezogen werden,46 sondern die Begriffe ‚Emblem‘ und ‚Hieroglyphe‘ überdies im Gespräch theoretisch definiert werden, sodass alle Teilnehmer sie in gleicher Weise verwenden können. Dies ist insofern bedeutend, als im 16. Jahrhundert die Grenzen zwischen Hieroglyphe, Imprese und Emblem in großen Teilen noch nicht klar abgesteckt waren; erst ab dem 17. Jahrhundert ist eine deutliche Differenzierung zu erkennen.47 Gemeinhin drückt dabei etwa die aus res picta und Motto bestehende Imprese Grundsätze und Normen der „individuelle[n] Lebensführung“ aus, während das idealtypisch dreiteilige Emblem „auf allgemeine moralische, politische, religiöse Unterweisung“ ausgerichtet ist.48 In den Diálogos familiares wird nun die folgende Differenzierung vorgenommen: Pánfilo erklärt auf Nachfrage von Policronio zunächst den etymologi43 Wenn ich hier von ,Emblem‘ spreche, dann beziehe ich mich auf das Emblem in seinem dreiteiligen Aufbau von pictura, inscriptio und subscriptio, wie es sich idealtypisch in Schönes Studie zur europäischen Emblematik des 16. und 17. Jahrhunderts und dem deutschen Barockdrama bestimmt findet (vgl. Schöne, Albrecht: Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, München: Beck 1964, 18–20). 44 Auf die bei Pineda auszumachenden Referenzen auf Embleme (Bd. II, S. 114–116), Hieroglyphen (Bd. II, S. 456–457) und die weiteren isolierten Bezüge auf Alciato und Valeriano hat Campa in seiner Bibliographie zur spanischen Emblemliteratur vor 1700 hingewiesen (Campa 1990, 141). 45 Zahllose Werke widmen sich den bekanntesten Hieroglyphen-, Devisen-, Impresen- und Emblembüchern des 16. Jahrhunderts; besonders empfehlenswert ist dazu die bereits klassische Studie von Volkmann, Ludwig: Bilderschriften der Renaissance. Hieroglyphik und Emblematik in ihren Beziehungen und Fortwirkungen, Nieuwkoop: B. de Graaf 1969. Für einen ersten Überblick zur spanischen Frühen Neuzeit vgl. insbesondere Sánchez Pérez, Aquilino: La literatura emblemática española. Siglos XVI y XVII, Madrid: SGEL 1977. 46 „Dice mi Pierio Valeriano que la sal es jeroglífico o símbolo y figura del amistad“ (Bd. I, S. 18); zur Darstellung der Göttin Nemesis heißt es: „y desto compuso Alciato un emblema“; auch Hinweis auf Hieroglyphe bei Valeriano (Bd. I, S. 372), etc. 47 Moog-Grünewald, Maria: „Zwischen Kontingenz und Ordo. Das Emblem in Renaissance und Barock“, in: Küpper, Joachim / Wolfzettel, Friedrich (Hg.): Diskurse des Barock. Dezentrierte oder rezentrierte Welt?, München: Fink 2000, 204–205. 48 Ebd., 206. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass Alciato selbst „unter Emblem Bild-anregende und Bild-verweisende Epigramme“ verstand und erst der Herausgeber der editio princeps von 1531 Bilder hinzufügt, und zwar als Erklärung für die Leser, die des Lateinischen nicht mächtig waren und um ein „ästhetisches Vergnügen (magnas delitias) zu bereiten“ (ebd., 207).
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schen Ursprung des Wortes ‚Emblem‘, welches vom griechischen „emballin, que quiere decir entreponer o entremeter o enjerir“ abstamme und auf Mosaikwerke zurückgehe; aus diesem Grund bezeichne man Dinge, die aus mehreren Elementen bestehen, als Emblem (Bd. II, S. 115). Pánfilo lässt es sich nicht nehmen, den „Emblematum Pater & Princeps“49 genannten Juristen Alciato als den hervorragendsten aller Emblemautoren zu loben. Er lässt zudem bereits ein Bewusstsein für die Unterscheidung von Emblematik – d.h. von Emblem, Symbol, schema (im Sinne von Figur oder Gestalt) sowie Bild –, Heraldik und Numismatik erkennen (Bd. II, S. 115), jedoch ebenso für die Überlagerungen und Verbindungen dieser Felder. Dies zeigt sich, wenn er das erste Auftreten dieser „escrituras cifradas o enigmáticas o simbólicas o, en fin, figurativas“ bezeichnenderweise in den Hieroglyphica des Horapollo ausmacht, die Valeriano in seinem gleichnamigen Werk lediglich verbessert habe (Bd. II, S. 115–116). Später wird Policronio noch Filateles nach der Bedeutung des Wortes ‚Hieroglyphe‘ fragen, was dieser als ‚heilige Schrift‘ übersetzt („Hieros significa cosa sancta, y glifo quiere decir escrebir, y, juntándolo todo, dice jeroglífico, que es escritura sancta“) und die Funktionsweise dieser Bildzeichen bei den Altägyptern erklärt (Bd. II, S. 456). Es ist also durchaus davon zu sprechen, dass sich bei den Figuren der Diálogos familiares ein bildliches, visuelles Denken beobachten lässt. Damit einher gehen die deutliche und mehrfache Hervorhebung des Gesichtssinns im Verlauf der Gespräche sowie die wiederholt besprochene Frage nach der Bewertung und Rangfolge der Sinne. Nicht nur liefert Filateles etwa eine recht ausführliche Erklärung der Regeln der Perspektive (Bd. II, S. 14–18), sondern er zählt auf Wunsch von Policronio sieben Bedingungen idealer visueller Wahrnehmung auf, die er – als Theologe – selbstverständlich sogleich auf die spirituelle Wahrnehmung überträgt (Bd. II, S. 18–21), denn neben den „ojos corporales“ existierten schließlich weitere „ojos del alma“ (Bd. II, S. 20). Seinen Kommentar zu Aristoteles’ Ansichten hinsichtlich der fünf Sinne (in Abgrenzung zu Galen und Hippokrates) wird er mit dem Lob des Sehsinns beginnen: „la potencia del ver excede a los demás sentidos corporales, señaladamente en que nos enseña más diferencias de cosas, que todos ellos“ (Bd. II, S. 445).50 Der Arzt Filótimo wird später betonen, dass die Augen nicht ohne Grund an der höchsten Stelle des Körpers angebracht seien, stünden sie doch wie kein anderes zum wichtigsten Körperteil, dem Gehirn, in direkter Verbindung – kurz: „la cabeza se hizo por amor de los ojos“ (Bd. II, S. 261). Das Sehen ist bei Filótimo nicht nur der erstgenannte, sondern auch der bevorzugte der Sinne, „con ninguno de los otros sensorios hace 49 Bohuslaus Balbinus: Verisimilia humaniorum disciplinarum seu iudicium privatum de omni literarum (quas humaniores appellant) artificio, Augsburg 1710 (Erstdruck 1687), 232, zit. n. Schöne 1964, 24. Zur Darstellung Andrea Alciatos als Begründer einer Gattung vgl. auch Scholz, Bernhard F.: Emblem und Emblempoetik. Historische und systematische Studien, Berlin: Schmidt 2002, 145–182. 50 Filateles tritt an zahlreichen Stellen explizit für die primäre Relevanz des Gesichtssinns ein; es sei jedoch auch darauf hingewiesen, dass er an einer Stelle auch eine Aussage von Aristoteles wiedergibt, in der es heiße: „para lo que toca a las sciencias y a la prudencia es más necesario el oído, porque las sciencias se enseñan por palabra“ (Bd. II, S. 457).
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naturaleza las diligencias que con el ojo por tan acabado estilo“ (Bd. II, S. 262). In seiner medizinischen Erklärung des Auges (Bd. II, S. 447–448) und des Sehnervs (Bd. II, S. 448–450) urteilt Filótimo damit einhergehend: „la potencia visiva es la más subtil y preciosa de todas las corporales“, das Auge sei „el más artizado y compuesto de los instrumentos“ (Bd. II, S. 447). Filateles fügt ergänzend eine kurze Aufzählung der besonderen Eigenschaften hinzu, die dem Auge bei den antiken Autoren (bei Aristoteles, Platon, Plutarch, etc.) zugesprochen werden, und fügt schließlich Worte Jesu („diciéndonos que por el ojo se significa la intención“, Bd. II, S. 451) hinzu, die für ihn vermutlich einen höheren Wert als die der antiken Autoritäten haben.
5.2. Heidnische Fresken im Haus des Theologen. Die Ekphrasen der Diálogos Die obigen Ausführungen dürften gezeigt haben, dass die Diálogos familiares durchaus auch auf ihren kunst- und malereitheoretischen Gehalt hin zu lesen sind. Gerade der miszellenartige Charakter und selbstverständlich die Dialogform des Textes ermöglichen die Integration zahlreicher, unter Umständen hinlänglich voneinander entfernter Themengebiete. Im Folgenden werde ich nun das Augenmerk auf die Fresken im Haus des Theologen Filateles legen, welche dieser seinen Gästen im fünften Gespräch erklärt und auslegt. Bevor ich auf diese Wandmalereien zu sprechen komme, möchte ich jedoch zunächst den Ablauf der Argumentation auf dem Spaziergang zum Haus von Filateles zusammenfassen, steht dieser doch paradigmatisch für die Art der Vermischung von Themenfeldern und -strängen in Pinedas Diálogos. Zu diesem fünften Gespräch bringt Policronio einen Freund mit, der Pánfilo ersetzen wird. Seinen außergewöhnlichen Namen – Polígamo – hat dieser Freund erhalten, da er schon mehrfach verheiratet war (Bd. I, S. 303). Auch in seiner jetzigen Ehe hat Polígamo Probleme,51 aufgrund derer er seinen Freund Policronio zu dem Treffen der illustren Runde begleiten wollte: POLICRONIO. – [...] y ansí él, ya concordado con su mujer de los disgustos en que andaban, quiso venirse conmigo para escuchar como pitagórico lo que vosotros como platónicos tenéis por bien de nos platicar (Bd. I, S. 302).
Auf Geheiß von Filateles (Bd. I, S. 303) werden im Folgenden die Bedingungen einer kinderreichen Ehe besprochen. Es geht insgesamt um das Verhalten der Eltern, die ein gesundes und kluges Kind zur Welt bringen möchten, aber auch um die Kriterien der Auswahl eines Ehepartners oder etwa um die für Geburt von Junge oder Mädchen jeweils empfohlene Ernährung. Da diese Fragen häufig auf die Humoralpathologie nach Galen und Hippokrates rekurrieren (so beispielsweise Bd. I, S. 304ff.), hat der Arzt Filótimo große Redeanteile; Filateles ergänzt einige der Punkte durch Aussagen aus den Schriften der Kirchenväter. Schließlich 51 So urteilt er resigniert: „los más recios hombros de los más robustos gigantes son muy débiles para sustentar las cargas matrimoniales“ (Bd. I, S. 303).
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kommen sie auf die Frage nach der Statur und dem Körperbau des perfekten Menschen zu sprechen (Bd. I, S. 334), womit dieses übergeordnete Thema beendet wird, und Polígamo die Gruppe auffordert, sich zum Haus von Filateles zu begeben. Polígamo deutet bereits an, welche gemalten Schätze und Geschichten sich dort verbergen: „bien sería, señor Maestro, declinar hacia vuestra posada, donde gocemos también de ciertos regalos literarios, que se dice tener pintados de muy buena mano“ (Bd. I, S. 334). Filateles schlägt vor, man solle den Weg zu seinem Haus nehmen, der an den zwei Mühlen entlangführt. Es ist dieser Weg, der das Gespräch der Runde auf die Götter Aiolos und Neptun bringt, wird doch eine der Mühlen von Wind (Aiolos), die andere von Wasser (Neptun) angetrieben (Bd. I, S. 335ff.). Zwar werden die Götter beschrieben und ihre Abstammung geklärt; in letzter Konsequenz allerdings geht es allgemeiner um die (Rang-) Ordnung der Elemente (Bd. I, S. 337), und diese wiederum steht symbolisch für die Ordnung, die zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft zur Wahrung des Gemeinwohls herrschen sollte (Bd. I, S. 339–340). Als diese thematische Koppelung geschehen ist, kommen sie am Hause von Filateles an (Bd. I, S. 343).52 Polígamo zögert nach dem Betreten des Hauses nicht lange und vergleicht die Fresken, die er auf den Wänden des vor ihnen liegenden und zum Garten hinauszeigenden Korridors sieht, mit den Malereien, die der antike Maler Polygnotos in die Stoa Poikile, die ‚bunte Halle‘ der Agora von Athen, gemalt hatte (Bd. I, S. 343).53 Zwei Bilderreihen sind auf diesen Fresken zu sehen: Die eine, so fasst Filateles zusammen, zeige die Schulen und Akademien der wichtigsten griechischen Philosophen, die andere die juristischen Ratssitzungen der Athener (Bd. I, S. 343). Beide werden im Folgenden nacheinander vom Gastgeber erklärt, auch, indem er Fragen der Gesprächsteilnehmer nach einzelnen Elementen beantwortet (vgl. Bd. I, S. 343ff.).54 Dass diese Fresken für den Dialog eine besondere Rolle spielen, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sie in besonderer Weise markiert und in Szene gesetzt sind: Wie bereits in Villalóns Scholástico hat man es auch in diesem Dialog mit als Ekphrasen zu bezeichnenden intermedialen Bezügen zu tun. Auch bei Pineda wird die literarische Kunstwerkbeschreibung vollzogen, indem Filateles seine Gesprächspartner in Imperativen („notad“ und „Catad acá“, Bd. I, S. 350) oder im
52 Policronio beendet das Gespräch zu den Mühlen mit einem durchaus humoristischen Wortspiel: „Nunca vi molinos que menos me moliesen que aquestos que tanto bien nos han molido, que después de muy molidos nos hallamos granos más granados que granadas y más enteros que antes de nos moler“ (Bd. I, S. 343). 53 Diese zeige den Sieg der Griechen über die Barbaren, was schließlich zur Benennung der Stoiker geführt habe. 54 Außerhalb dieses Korridors, so Filateles, habe er andere Bilder, die für ihn weitaus größeren Wert besäßen: „Las pinturas que yo dije tener fuera deste corredor, y en más estima que a éstas, pintadas por estas paredes, son los conceptos de mi potencia racional de las cosas que he deprendido con mis estudios; y con tales pinturas me atrevo a decir las nonadas que me oís, y éstas muchas veces las habéis visto y tratado con vuestras manos“ (Bd. I, S. 344). Er will diese jedoch den Anderen anscheinend nicht zeigen, und so gibt sich Filótimo mit dieser Aussage zufrieden (ebd.).
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Indikativ („Veis aquí“, Bd. I, S. 347; „Veis acá“, Bd. I, S. 352; „Veis ahí“, Bd. I, S. 353; „no le notáis“, Bd. I, S. 361) auf die einzelnen Bildelemente aufmerksam macht. Teilweise finden sich detaillierte Erläuterungen, wie die Personen dargestellt sind: Zu Aristoteles beispielsweise heißt es, „En eso veréis la perfeción de la pintura, […], y en lo del vestir pasó como ahí se muestra, que se preció de polido y curioso y de traer anillos en los dedos, […]“ (Bd. I, S. 349). Auf diese Weise entsteht auch vor dem geistigen Auge des Lesers ein detaillierter Eindruck dieser Galerie, die wie folgt gestaltet ist: Die erste Reihe zeigt jeweils in einzelnen Bildern (vornehmlich griechische) Philosophen – Platon, Sokrates, Aristoteles, Cicero, Chryssipos von Soloi, Diogenes von Sinope, Antistehens und Zenon von Kition (Bd. I, S. 346–355) – und ihre philosophischen Schulen und Akademien. Durch die einzelnen Bildelemente, die zuweilen symbolischer Natur sind, werden Inhalte der jeweiligen Lehren, Anekdoten oder weitere biographische Details erläutert. Es seien hier kurz einige wenige Beispiele genannt: Platon etwa wird auf seinem Bild von einem Hahn attackiert, der, so erfahren wir, seinen ihm widersprechenden Schüler Aristoteles darstellen soll (Bd. I, S. 347). Dieser ist später gehend gezeigt, ein Hinweis auf seinen peripatetischen Unterricht (Bd. I, S. 348). Ciceros Kopf, der Sitz der Intelligenz, und seine rechte Hand, sein Schreibinstrument – beides ließ Marcus Antonius ihm abschlagen – finden sich aufgrund seiner platonischen Denkweise auf dem Fresko Platons; sein Körper hingegen ist zwischen den Peripatetikern auszumachen, galt er doch auch als großer Bewunderer Aristoteles’ (Bd. I, S. 348). Die zweite Bilderreihe enthält dagegen Szenen zu den Gerichten und der Rechtsprechung der Athener (Bd. I, S. 356ff.). Zu sehen ist dort der Areopag, der erste und älteste Gerichtshof: Seinen Namen hat dieser vom mythologischen Mars, griechisch Ares, der dort als Erster in einer Mordsache verurteilt wurde, und der mit wütender Miene bei seiner Verhandlung zu sehen ist (Bd. I, S. 357). Daneben ist die mythologische Figur des jungen, um Gnade bittenden Orestes auszumachen, der zum Mörder seiner Mutter Klytaimnestra geworden war, da sie seinen Vater Agamemnon getötet hatte; er allerdings wird, so ist zu sehen, freigesprochen (Bd. I, S. 357). Ein weiteres Bild zeigt die Umstände der nächtlichen Rechtsprechung auf dem Areopag (Bd. I, S. 359). Auf dem nächsten Bild ist der auf dem Areopag predigende Paulus auszumachen (Bd. I, S. 360ff.). Die letzten Bilder dieser Reihe präsentieren die weiteren Gerichtshöfe und Räte Athens, und zwar in der Reihenfolge, wie bereits Pausanius sie beschrieben hatte, d.h. mittleres und großes Parabystum, Trigonum, Batrachium, Puniceum, Heliaea, Palladium, Delphinium und Prytaneum (Bd. I, S. 362–363). Mehrfach ist in dieser Arbeit bisher davon gesprochen worden, dass der situative Kontext des Dialogs diesen semantisch anreichert. Bei Pinedas Diálogos familiares ist für die räumliche Austattung also festzustellen, dass das Haus des Theologen Filateles nicht etwa mit religiösen Bildern dekoriert ist, wie bei der Kapelle der Fall und wie es für einen Theologen zu vermuten wäre, sondern mit Darstellungen der antiken Philosophen, mit den Athener Gerichtshöfen und mythologischen Figuren. Allein diese Tatsache ist für einen hauptsächlich Fragestellungen des christlichen Lebens gewidmeten Dialog erstaunlich. An der dialo-
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gischen Verhandlung dieser Fresken, so werde ich im Folgenden konkretisieren, zeigt sich nun in besonderem Maße die Konfliktsituation, in der sich die christlichen Humanisten – oder die humanistischen Theologen – befanden, was die Beschäftigung mit der heidnischen Antike, ihren Schriften und Wissensbeständen betraf. Dabei wird, wie bereits bei Villalóns Scholástico, nicht nur von Relevanz sein, was auf diesen Fresken zu sehen ist, sondern insbesondere, wie die Sprecher bei der Betrachtung dieser Bilder auf eben diese reagieren. Die durchaus problematische Position, in der sich die christlichen Humanisten diesen antiken, heidnischen Wissensbeständen gegenüber befanden, wird bereits hinlänglich deutlich, wenn man die kuriose Entstehungsgeschichte der Fresken hört, von der Filateles seinen Gesprächspartnern berichtet. Polígamo hatte zunächst in diesen Bildern des Korridors zwei Besonderheiten entdeckt: Estoy considerando dos cosas en estas pinturas: la una que parecen antiquísimas y de mejor mano que las deste tiempo, y más si es de nuestra tierra; y la otra, que están fresquísimas, como recién pintadas (Bd. I, S. 344).
Polígamo bemerkt, dass die Wandmalereien zwar von hohem Alter und von hervorragender Hand gemalt zu sein scheinen, und dennoch frisch, wie vor Kurzem gemalt, wirken. Filateles berichtet der Runde sodann, wie er an dieses Haus und die Fresken geraten ist – eine bemerkenswerte Textstelle, die sicherlich für die hier untersuchten Dialoge einzigartig ist. Bezeichnend ist dabei, dass Filateles die anderen zunächst darum bittet, die folgende Geschichte möge die Runde nicht verlassen (Bd. I, 344), denn sie ist durchaus brisant: Vor langer Zeit gehörte dieses Haus einem gewissen Maestro Mequinecio, „gran judiciario y morisco“ (Bd. I, S. 344),55 der von der Inquisition festgenommen wurde und Filateles bat, als sein Verteidiger wirksam zu werden. Da man ihm aber nicht wirklich etwas nachweisen konnte, verhängte man nur eine leichte Strafe und sprach ihn schließlich frei. Als der kinderlose Moriske wenig später verstarb, vererbte er Filateles aus Dankbarkeit sein mit geheimnisvollen Fresken ausgestattetes Haus, deren Entstehungsgeschichte ihm Mequinecio vorab erzählt hatte: Seine Eltern, so berichtete dieser, seien die fernen Nachfahren eines Mauren, dem einst das Haus gehörte. Dieser tat sich nun mit Gerbert – dem zukünftigen Papst Silvester II., der zu ihm gekommen war, um die Magie zu erlernen – zusammen, und „hicieron por sus artes esta pintura antes del canto del gallo, habiéndose aprovechado de los demonios“ (Bd. I, S. 344) – die Bilder also sind auf magische Weise ins Haus gekommen. Die Vorzüglichkeit und Dauerhaftigkeit der Fresken sind, so heißt es, auf ihren dämonischen Ursprung zurückzuführen: En gran secreto me descubrió lo tocante a estas pinturas por arte mágica y me juró que todas las figuras que aquí están pintadas no pudieron por saber de ningún hombre ser tan bien sacadas al natural como aquí están, por ser obra de los spíritus malignos, que conocieron bien a los que aquí pintaron; y me certificó que ni por agua, ni sol, ni aire, ni por antigüedad perderán su frescura (Bd. I, S. 344).
55 Die kuriose Mequinecio-Episode schildert auch Meseguer in seinem Vorwort (vgl. 1963, XLVI).
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Des Weiteren habe Mequinecio ihm noch eine Öllampe vererbt, die auf wundersame Weise seit mehreren Jahren brenne, ohne zu erlöschen (Bd. I, S. 344–345). Filateles gibt nun zu, dass er diese Fresken bislang – wie Meseguer die Textstelle deutet, aus Angst vor der Inquisition56 – versteckt gehalten hat: No he descubierto estas cosas a hombre vivo, dende que a mi poder vinieron, por tener experiencia de que donde quiera se atraviesa un matasanos, que escupe de lo que no entiende y revuelve un par de filosofías, graduadas en bodegón, con que castiga con razón al que no guarda el precepto del Señor […] (Bd. I, S. 345).
Soweit die Geschichte von Mequinecio und der vermeintlichen Entstehungsweise der Bilder. Doch damit nicht genug der Kuriosa zu diesen Fresken: Während Filateles seinen Gesprächsteilnehmern nun die einzelnen Bilder erläutert, erscheinen auf magische Weise die Namen der dargestellten Personen, allerdings nur im Falle der antiken Heiden, nicht etwa bei dem ebenfalls dargestellten Apostels Paulus, denn dieser sei „tremendo a los demonios“ (Bd. I, S. 360–361). Die Fresken, die die antiken Philosophen, die Gerichtshöfe der Athener sowie Figuren der griechischen Mythologie zeigen, sind nun also durch schwarze Magie in Filateles’ Haus gelangt, und auf magische Weise erscheinen die Namen der Dargestellten, sobald diese genannt werden. Es manifestiert sich hier, so meine ich, in besonderem Maße die konfliktive Situation, mit der sich vor allem die christlichen Humanisten bzw. die humanistischen Theologen konfrontiert sahen, wenn sie sich mit der heidnischen Antike und ihren Wissensbeständen auseinandersetzten. Wer sich mit der heidnischen Antike und ihren Göttern beschäftigt – so könnte man überspitzt formuliert aus der Mequinecio-Episode lesen – macht sich verdächtig, rückt in die Nähe der schwarzen Magie und läuft letzten Endes Gefahr, inquisitorisch belangt zu werden. Filateles hat zunächst mit dem Verstecken dieser Bilder und seinem Stillschweigen darüber einen Umgang mit diesen Fresken gefunden, wie es den zeitgenössischen Theologen durchaus als Verhaltensweise gegenüber mythologischen Bildern empfohlen worden ist. Kardinal Paleotti beispielsweise lässt in einem Kapitel („Delle pitture di Gioue, di Apolline, Mercurio, Giunone, Cerere, et altri falsi Dei“) seines Discorso intorno alle imagini sacre e profane (Bologna, 1582) – um nochmals ein besonders emblematisches Beispiel aus der italienischen Literatur zu bemühen – zur Beschäftigung mit mythologischen Bildern verlauten: Se dirai che sono prezzate queste imagini, […]; ouero per seruitio de’ letterati, ò per cognitione dell’antichità, […]. Noi per replica di queste & altre simili obiettioni, rimettiamo […] principalmente l’abuso del tenere queste cose in prospetiua, & come por ornamento de i luoghi, […] onde che se alcuno per causa di studio delle lettere solamente si dilettasse di hauere presso di se queste imagini, doueria almeno secondo la prudentia christiana tenerle in luoghi tanto remoti, che si conoscesse che fà gran differenza tra queste, & quelle di persone Christiane & honorate.57
56 Vgl. Meseguer 1963, XLVI. 57 Paleotti, Gabriele: Discorso intorno alle imagini sacre et profane, Faks., eingel. v. Paolo Prodi, Bologna: Arnaldo Forni 1990, 124r–124v [II. Buch, X. Kap.]. Vgl. Seznec, Jean: Das
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Schon Seznec hatte in besonderem Maße darauf hingewiesen, dass, trotz der offiziell kritischen Einstellung der Kirche den antiken Heiden und ihrer mythologischen Götter gegenüber, auch in der Zeit der Gegenreformation und nach dem Tridentinum „in Literatur und Kunst ein unbezwingbares Reich der Mythologie errichtet“ wurde.58 Diese Kontradiktion wiederum läge „in der Kultur der Kirchenleute selbst“ begründet, denn „sie schätzten auch weiter als Humanisten, was sie als Theologen verdammten oder hätten verdammen müssen“.59 Wie gehen die anderen christlichen Gesprächsteilnehmer nun also mit diesen heidnischen Bildern um? Zunächst gilt ihr Interesse den einzelnen Elementen und Symbolen jedes Bildes, deren Hintergründe und Bedeutungen sie von Filateles dargelegt und erklärt bekommen. Polígamo präsentiert sich als aufmerksamer Betrachter, der – so hatte er es Filateles zu Beginn des Gesprächs zu den Fresken versprochen – die Funktion des „interrogatorio sobre cada cosa“ (Bd. I, S. 346) erfüllt und im Grunde mit seinen Fragen festlegt, welches Bildelement Filateles zu erklären hat. Filótimo zeigt sich durchweg skeptisch und kritisch, und stellt häufig die berichteten Geschichten oder Sachverhalte in Frage. Die Fresken fungieren hier nun keinesfalls lediglich dazu, Informationen und Wissensbestände der Antike komprimiert zusammentragen zu können. Es ist vielmehr eine besondere Form ihrer Betrachtung und Auslegung zu beobachten: Zwar gilt das Interesse der Sprecher den einzelnen Bildelementen, d.h. im übertragenen Sinne den einzelnen Bestandteilen der heidnischen Antike; sie übertragen jedoch die bildlichen Darstellungen auf die christliche Heilslehre, das Verhalten der Kleriker und das Leben als Christ an sich. Bereits zu Beginn stellt Policronio fest, dass hinter diesen Malereien, genauer „cosas tan disparatas“, doch ein tieferliegender Sinn verborgen liegen müsse (Bd. I, S. 347). Dieser Aussage Rechnung tragend, erklärt Filateles die Hintergründe für die einzelnen Elemente und Symbole in der hier bereits aufgezeigten Art und Weise. Bei allen Sprechern ist die Tendenz zu erkennen, die Geschichten über die antiken Philosophen und die heidnischen Athener auf eine höhere, christliche Ebene zu heben und sie in diesem Kontext zu deuten. Manche Malereien etwa will Filateles in seinen Erklärungen überspringen, denn „no sea negocio que lleva al cielo“ (Bd. I, S. 347); allein an dieser Aussage ließe sich ja bereits ablesen, auf welche Weise er diese Bilder betrachtet. Mehrere andere Beispiele sind zu nennen: Auf Filótimos Urteil zur bildlichen Darstellung von Antisthenes, dieser sehe recht „andrajoso“ (‚zerlumpt‘) aus, erklärt Filateles beispielsweise, dass er sein Hab und Gut an andere verteilt habe, um sich der Philosophie des Sokrates hingeben zu können; dies sei, so schließt Filateles, doch bereits das Verhalten, was auch der christliche Erlöser postuliere (Bd. I, S. 352). In einem noch größeren Rahmen werden manche Bildinhalte teilweise auf die grundlegenden Strukturprinzipien der Heiligen Schrift zurückgedeutet: Auf dem Fortleben der antiken Götter. Die mythologische Tradition im Humanismus und in der Kunst der Renaissance, München: Fink 1990, 203–204. 58 Seznec 1990, 201. 59 Ebd., 202.
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Fresko zu Aristoteles ist ein Fluss zu erkennen, in dem, so erklärt Filateles, sich angeblich Aristoteles ertränkt habe. Filótimo kann wie gewohnt diese Geschichte nicht glauben, und der Theologe sieht sich daraufhin gezwungen, zuzugeben, dass Aristoteles sich nach Diogenes mit Gift umgebracht habe. Der Kritiker Filótimo fragt streng zurück: „¿Pues cómo se puede salvar la verdad de la pintura y más hecha por los demonios, que no ignoraban la verdad de cómo esta muerte pasó?“ (Bd. I, S. 349). Filateles nennt drei Möglichkeiten: Erstens wäre es nicht verwunderlich, wenn Satan hier lügen würde, schließlich sei er der „padre de mentiras“; zweitens sei es möglich, dass Aristoteles wirklich so zu Tode gekommen sei; und drittens „sin mentir, la pudo pintar ansí, en caso que haya sido de otra manera, si se conformó con el común hablar, porque aún por esta manera se dicen muchas cosas en la sancta Escritura“ (Bd. I, S. 349–350). Erst auf dieses Argument, das auf die biblischen Erzählungen verweist, gibt Filótimo sich geschlagen. Darüber hinaus finden Übertragungen der Bildinhalte auf die zeitgenössische Situation der Kirche statt. Filótimo reagiert auf ein Fresko, welches den in Armut, Bescheidenheit und Milde lebenden Diogenes von Sinope zeigt, beispielsweise mit einer Kritik an den nach Macht und Reichttum strebenden Klerikern seiner Zeit: Eso habla con los religiosos que votaron pobreza y humildad, algunos de los cuales que debieran ir por donde Diógenes, van por donde Alejandro; y no tienen escrúpulo de profanar el sancto hombre de la filosofía cristiana con las viviendas de unos Sardanápalos, y ansí, si no pararen donde Diógenes, pararán donde Alejandro; y llévalo razón, pues si él se llamó Grande, también ellos revientan por ser tenidos por grandes en rentas y dignidades y regalos lujuriosos (Bd. I, S. 351).
Diese Kritik am Verfall des Klerus ist ein Argument, wie es im erasmischen Humanismus zentral ist. Ferner zeigt sich am Umgang mit diesen Fresken insgesamt eine Vorgehensweise, wie sie für den Erasmismus charakteristisch ist: Die Kenntnis heidnischer Wissensbestände, jedoch ihre Interpretation gemäß der christlichen Doktrin und Moral. Die in den Diálogos familiares sprechenden Christen nehmen nun nicht nur einen Transfer der Bildinhalte auf die allgemeine Situation der Kirche vor, sondern auch auf ihre konkreten Verhaltensweisen, wie das folgende Beispiel zu zeigen vermag: Zur Erklärung des Freskos von Zenon von Kition berichtet Filateles von dem Verhalten, das dieser gegenüber Kritikern an den Tag legte. Insgesamt postulierte er, lobenswerte Punkte eines Werkes zu verbreiten, statt seine Nachteile öffentlich zu tadeln. An dieser Stelle ist es nun Polígamo, der diesen antiken philosophischen Leitsatz auf sein christliches Leben und konkret auf sein undankbares Verhalten gegenüber den Predigern und Priestern überträgt. Obschon diese sich aufopfern würden, um ihn vor der Hölle zu bewahren, kritisiere er sie für jede Unachtsamkeit sogleich: A muchos, cuales yo, se debría dar tal reprehensión como aquella, que oímos a los predicadores para los acusar en diciendo un descuido, y no se lo avisamos, como nos obliga la ley natural divina; donde se comete gravísima ingratitud, que haya gastado el predicador su vida y hacienda deprendiendo la sancta teología para medicinar mi alma y sacármela del
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infierno y me cure de gracia y trasude por que me aproveche, y que yo le procure infamar a él en pago (Bd. I, S. 354).
Es gilt nun, die soeben geschilderten Überlegungen hinsichtlich der Fresken im Hause von Filateles in Vergleich zum Rest des Textes zu setzen. Auf der Argumentationsebene der Diálogos familiares ist bis zu diesem fünften Gespräch eindeutig Position bezogen worden, was die heidnischen Mythen und insgesamt die Wissensbestände der Antike betrifft: Mehrfach lässt sich feststellen, dass die Gesprächsteilnehmer eine christliche Auslegung der paganen Mythen vornehmen oder diese explizit zu ‚christianisieren‘ suchen; bisweilen heißt es, die heidnische Mythologie fungiere lediglich zur Auflockerung des behandelten Stoffs und des Gesprächs insgesamt. Insbesondere den letzten Punkt hatte auch Meseguer hervorgehoben: So heißt es bei ihm, Pineda insistiere, dass die Einfügung der „letras clásicas y las leyendas teogónicas y mitológicas del paganismo“ einen spezifischen Zweck erfülle, und zwar „la de proporcionar solaz al diálogo y descansar de la lectura de cuestiones graves de filosofía y teología“.60 Zur Verdeutlichung dieser Beobachtungen sollen hier lediglich einige ausgewählte Beispiele aus dem ersten, vierten und fünften Gespräch genügen. Die im ersten Gespräch mit der platonischen Platane verglichene Pinie, die auch in der Bibel genannt würde, nutzt Filateles beispielsweise, um zu erläutern, dass man in ihrem Schatten auch über die „doctrinas paganas“ sprechen wolle, jedoch „no para las adorar, sino para las mejorar con que nos recrear; y atavíos del templo de Dios, que es nuestra alma, con las doctrinas católicas que se nos ofrecieren“ (Bd. I, S. 45). Policronio spricht sich daraufhin explizit für die Integration paganer Geschichten aus, da sie der behandelten christlichen Lehre ihre Schwere nehmen würden („podremos mezclar también de los escritos los paganos algunas florecillas, [...], para nos desenfadar de la pesadumbre que las doctrinas de veras traen consigo“), worauf Filateles zustimmend zurückgibt, dass diese Mischung aus Sakralem und Profanem schließlich bereits bei Salomo zu finden und deshalb berechtigt sei (Bd. I, S. 45–46). Später ist explizit von der „gentílica erudición acristianada“ (Bd. I, S. 73) die Rede. Ähnliche Ansichten zeigen sich beispielsweise auch im vierten Gespräch: In diesem befindet sich die Gruppe auf Policronios Landgut, welches sie im Rahmen eines Spaziergangs erkunden (Bd. I, S. 260). Dabei erzählen sie sich verschiedene pagane Mythen, die Filateles nicht nur moralisch, sondern auch christlich auslegt: Im Falle des Phaeton-Mythos beispielsweise heißt es, der griechische Sonnengott habe sich der Strahlen entledigt, die seinen Sohn Phaeton davon abhielten, ihn zu sehen; der christliche Gott habe sich den Menschen ebenfalls offenbart, indem er seinen Sohn selbst hat Mensch werden lassen (Bd. I, S. 282). Ähnliche Beispiel finden sich zuhauf: Im fünften Gespräch, in dem Filateles die christliche Auslegung der Narziss-Fabel vornimmt, heißt es unter anderem: „Por que no os desesperéis, os porné la doctrina dicha en términos proprios de la teología cristiana, […]; que todo pecador muere pecando por amarse a sí mesmo (como Narciso)“ (Bd. I, S. 377). Filateles wird für die Art und Weise, mit der er (christlichen) Nutzen aus diesen 60 Meseguer 1963, XCV.
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(erfundenen) paganen Fabeln zu abstrahieren weiß, im vierten Gespräch sogar von Filótimo gelobt: „Cosa maravillosa es ver cómo mezcláis con lo divino lo profano y cómo descubrís doctrinas provechosísimas entre las mentiras paganas“ (Bd. I, S. 283). Nicht nur, so gibt Filateles darauf zurück, sollen die paganen Geschichten das Gespräch erleichtern, sondern insgesamt in den Dienst der christlichen Doktrin gestellt werden (ebd.). Die Auslegung der paganen Fabeln obliegt in den Diálogos familiares zumeist Filateles, der zudem mehrfach explizit die zur Disposition stehenden Formen der Allegorese erklärt. Im Gespräch zur Übertragung der Bezeichnung ‚Dichtung‘ auf die Theologie, in dem auch pagane Mythen zur Erklärung herangezogen werden, stellt Filateles klar: Y notad esta regla para la inteligencia de la doctrina poética que nos da, que las alegorías fabulosas se toman física, o moral, o teologalmente [...]; y que ansí Homero significó física o naturalmente, con los nombres de […]. Pasando a lo teologal, los nombres masculinos significan […] (Bd. I, S. 73).
Diese drei möglichen Bedeutungsebenen wird er auch später nochmals nennen (Bd. III, S. 224), dann allerdings, indem er sich auf ihre konkrete Definition bei Caelius beruft.61 Kurtz, die sich mit der Allegorese paganer Mythen bei Pineda im Zusammenhang mit der zeitgenössischen Mythographie und Enzyklopädie befasst hat, macht darüber hinaus deutlich, inwiefern Pinedas Umgang mit den paganen Mythen exemplarisch für die zunehmende Durchlässigkeit und Transformation der mittelalterlichen Auslegungspraxis im 16. Jahrhundert steht:62 Pineda analysiert den Mythos nicht nur, sondern kommentiert die Kommentatoren dieses Mythos – die antiken Autoren sowie die antiken und zeitgenössischen Mythographen; sein Text „thus comes close to being a mode of taxonomic organization of mythography and allegoresis themselves“.63 Es ist hier nun bereits hervorgehoben worden, inwiefern die Sprecher die Bildinhalte der heidnischen Fresken auf das christliche Leben übertragen. Auch wenn sie damit den heidnischen Szenen durchaus doktrinale Relevanz beimessen, lassen sie doch keinen Zweifel daran aufkommen, welche Wissensbestände sie eigentlich präferieren. Besonders offensichtlich wird diese Ansicht am Übergang des Gesprächs von den Bildern der Philosophen zum Fresko des Prytaneums, einem der Gerichtshöfe. Dort loben Polígamo und Filateles die Klarheit und Eindeutigkeit des christlichen Glaubens und kritisieren die Ungenauigkeit und Willkürlichkeit des antiken Paganismus: POLÍGAMO. – Estoy alabando a Dios por nos haber dado una doctrina tan limpia y cierta para saber la verdad de Dios y de las virtudes que nos sirven de llevarnos a El, y que hayan andado las otras gentes tan revueltas en errores, […], que las diferencias de las sectas de los filósofos se desgarraron en tantos andrajos, que llegaron a docientas y ochenta y ocho, […]. FILATELES. – Bueno está de entender la razón del error de los gentiles, […], y ansí en lo de la
61 Strosetzki 1987, 163. 62 Kurtz 1986, 193. 63 Ebd., 196.
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fe y verdad de doctrina cada uno setenciaba como se le presentaba o por letras alcanzaba, […], (Bd. I, S. 355).
Trotz dieses Urteils lässt sich, wenn man die dialogische Verhandlung der Fresken im Auge behält, ein Gedanke nicht verdrängen: Die Szenen der antiken Philosophen, der Athener Ratssitzungen und der mythologischen Figuren werden als Ekphrasen deutlich markiert und damit besonders inszeniert. Es kommt ihnen großer Raum zu, mehr noch: Es kommt ihnen größerer Raum zu als den christlichen Bildern in Filateles’ Hauskapelle, von denen hier bereits die Rede war. Die sakralen Gemälde wurden nicht beschrieben, sie wurden in keiner Weise besonders markiert, man hat ihnen nicht als Ekphrasen eine besondere Position zukommen lassen. Während die religiösen Kunstwerke lediglich Anlass dazu boten, die Argumente abzuhandeln, mit denen die katholische Kirche zeitgenössisch die Beibehaltung der Bilder zu legitimieren suchte, hat sich doch um die heidnischen Fresken ein ganzes Gespräch – um einzelne Bildelemente, ihre Bedeutungen und Auslegungsmöglichkeiten – entfaltet. Die paganen, historischen und mythologischen Szenen im Privathaus von Filateles haben damit eine weitaus größere Wirkung auf die christlichen Sprecher als die sakralen Kunstwerke in der Kapelle. Es lässt sich nur schwerlich der Eindruck verwehren, dass es zwar die christlichen Lehren sind, denen die Sprecher folgen sollen, die Antike und ihre Mythologie jedoch auf sie eine Anziehungskraft ausüben, der sie sich nur schwer entziehen können. In der dialogischen Verhandlung der christlichen Bilder und der heidnischen Fresken zeigt sich nun, so meine ich, in besonderem Maße die Schwierigkeit, mit der sich die christlichen Humanisten bzw. die humanistischen Theologen konfrontiert sahen, wenn sie Wissensbestände beider Bereiche vereinen wollten. Dass auf den heidnischen Fresken zudem noch eine christliche Figur, nämlich der Apostel Paulus auf dem Areopag, zu sehen ist, mag hier als letzte Verdeutlichung dieser Beobachtung angeführt sein: Während nämlich die Szenen der Philosophen, der Athener, der mythologischen Figuren Mars und Orestes, als „antiquísimas y de mejor mano“ (Bd. I, S. 344) gelobt werden, wird dem Bild des Paulus mangelnde Qualität attestiert. Policronio ist es, der Filateles’ Erläuterungen zum Wahlverfahren der Athener für ihre Präsidenten unterbricht, da sein Blick auf der mangelhaften Darstellung eines Mannes („este mal pintado“) hängen geblieben ist, der zu einer Gruppe ihn bewundernder Menschen spricht; Funken und Blitze scheinen aus seinen Augen zu sprühen (Bd. I, S. 360). Filateles klärt ihn auf: Er sehe dort Paulus, der auf dem Areopag predigt.64 Der Teufel, so habe Mequinecio ihm erzählt, habe diese Szene nicht malen wollen, und so sei dies nun eine Malerei aus menschlicher Hand, aber leider „ni es tan perfecta, ni está tan fresca como esotras nigrománticas“ (Bd. I, S. 360).
64 Vgl. Apg 17,19.
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6. DIE CHRISTLICHE SICHT AUF PAGANE FRESKEN Zu Recht sind die spätrinascimentalen Diálogos familiares de la agricultura cristiana als das magnum opus des Franziskanerpaters Juan de Pineda bezeichnet worden. Die zwanglosen Gespräche, die sich hauptsächlich zwischen dem Theologen Filateles, dem alten Policronio, dem Arzt Filótimo und dem Studenten Pánfilo vollziehen, sind zwar vornehmlich Fragen des christlichen und religiösen Lebens gewidmet, verfolgen jedoch einen universalwissenschaftlichen Ansatz. Wie bei einer Miszelle wird eine Vielzahl anderer Themen in diesem Dialog verhandelt, darunter auch Fragestellungen zu den Bildenden Künsten. Dabei wird die Malerei von den Sprechern zwar nicht explizit als ars liberalis bezeichnet, aber aufgrund des für sie notwendigen Vorstellungsvermögens auf eine Stufe mit den freien Künsten gestellt. Mit dieser Klassifizierung wird sowohl ihr nobler und intellektueller Status unterstrichen als auch ihre klare Abgrenzung von den artes mechanicae vollzogen. Besprochen werden auch Fragen zur Malerei, die sich insbesondere im Nachklang des Tridentinums und im Rahmen der Gegenreformation stellen: Die Gesprächspartner warnen vor unsittlichen Gemälden und handeln auch die Argumente ab, mit denen die katholische Kirche zeitgenössisch die Beibehaltung der Bilder in den Kirchen zu legitimieren suchte. Ferner zeigen die Sprecher ein theoretisches und anwendungsbezogenes Interesse für die ab dem 16. Jahrhundert populären Text-Bild-Relationen wie Embleme und Hieroglyphen. Insgesamt lässt sich ihnen ein bildliches, visuelles Denken attestieren, was sich auch am wiederholten Lob des Gesichtssinns und des Auges manifestiert. Im Fokus der Untersuchung stand neben dieser kunst- und malereitheoretischen Argumentationsebene die räumliche Ausstattung des Hauses des Theologen Filateles: Wiederum ließ sich hier eine Verschmelzung der Geschehensebene mit der intermedialen Ebene des Dialogs beobachten, ist doch dieses Haus mit zahlreichen Fresken dekoriert, die der Gastgeber mit seinen Besuchern betrachtet, ekphrastisch beschreibt und auslegt. Die zwei Bilderreihen zeigen Szenen der heidnischen Antike: Zum einen Darstellungen der Akademien der wichtigsten griechischen Philosophen und zum anderen die Gerichtshöfe und Räte der Athener und ihre mythologischen Figuren. Nicht nur an der kuriosen, d.h. magisch-dämonischen Entstehungsweise dieser Wandmalereien, von der Filateles berichtet, sondern insgesamt am Umgang mit diesen heidnischen Fresken ließ sich die schwierige Situation beobachten, in der sich die christlichen Humanisten – und die humanistischen Theologen – befanden, wenn sie sich mit der heidnischen Antike, ihren Schriften und Wissensbeständen auseinandersetzen. Zwar interessieren sich die Sprecher für die einzelnen Bildelemente – im übertragenen Sinne also für die einzelnen Elemente der heidnischen Antike –; sie nehmen jedoch eine besondere Form der Auslegung vor, die an die Tradition der mittelalterlichen Mythen-Exegese anknüpft: Sie transferieren die bildlichen Darstellungen und die dahinterstehenden Geschichten der heidnischen Antike auf die Heilsgeschichte, das Verhalten der Kleriker und das christli-
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che Leben an sich. Es ließe sich also von einer christlichen Allegorese dieser heidnischen Fresken sprechen. Zwar wird durchweg in den Diálogos familiares auf der Argumentationsebene für die christliche Leseweise paganer Mythen plädiert. Die Verhandlung der heidnischen Fresken hier ist jedoch eine spezielle, denn durch ihre Inszenierung als Ekphrasen sind sie auf besondere Weise markiert und hervorgehoben. Das volle Bedeutungspotenzial dieser Fresken entfaltete sich insbesondere im Vergleich zu den christlichen Gemälden in Filateles’ Hauskapelle: Nicht nur kommt ihnen weitaus größerer Raum zu, erst bei ihrer Betrachtung entwickelt sich ein wirkliches Gespräch, bei dem es um die einzelnen Bildelemente, Bedeutungen und Auslegungsmöglichkeiten geht. Es sind die Geschichten der Antike und ihrer paganen Mythologie, die das Interesse der Sprecher wecken, auch wenn es die christlichen Lehren sind, die eigentlich für sie maßgeblich sein sollen. Die dialogische Verhandlung der Fresken zeigt damit die konfliktive Situation, in der sich die christlichen Humanisten bzw. die humanistischen Theologen befanden, wenn sie die antiken Wissensbestände mit christlichem Gedankengut zu vereinen suchten.
VIII. HABER VISTO Y SABER DIBUJAR. ANTONIO AGUSTÍNS DIÁLOGOS DE MEDALLAS (1587) Ich möchte im Folgenden mit Antonio Agustíns Diálogos de medallas, inscripciones y otras antigüedades (1587), in denen drei Gesprächspartner Motive und Inschriften antiker Medaillen diskutieren, einen weiteren Dialog der Spätrenaissance in den Fokus rücken. Meine Erkenntnisse zu diesem Text werde ich durch einen Vergleich zu einem Dialog, der explizit auf Agustín Bezug nimmt und der aus diesem Grunde häufiger in einem Atemzug mit den Diálogos de medallas genannt wird, verdeutlichen: Juan Azpilcueta Navarros Diálogos de las imágenes de los dioses antiguos (ca. 1594), einem Gespräch von fünf Figuren über die Darstellungskonventionen der antiken Götter und Tugenden. Mit dem Humanismus konstituieren sich ganze Fachdisziplinen neu: Neben der Numismatik begründen sich die Archäologie und die Epigraphie in dieser Zeit, damit einhergehend entstehen zahlreiche „libros de antigüedades“.1 Im Jahre 1600 wird Baltasar de Céspedes in seinem Discurso de las letras humanas, llamado El Humanista für die Erarbeitung historischen Wissens neben der Lektüre antiker Autoren „das Studium von Münzen, Steinen und Inschriften“, also „Numismatik, Archäologie und die im 16. Jahrhundert sehr wichtige Epigraphik“ für den Humanisten empfehlen.2 Den Medaillen und ihren motivischen und figürlichen Darstellungen haben die Renaissance-Humanisten vor allem deshalb Interesse entgegengebracht, da sie in ihnen wahrhaftige ‚Bilder‘ der Antike sahen. Das hatte bereits Haskell in seiner Studie zum Einfluss des Bildes auf die Vorstellungen über die Geschichte konstatiert;3 dies zeigt sich daneben auch in der Forschung, wenn die Medaillen als „visión del mundo clásico“ des 16. Jahrhunderts untersucht werden, wie bei López Torrijos,4 oder dort, wo vom „imagen de la Antigüedad en las medallas“ die Rede ist, wie in Rallo Gruss’ Untersuchung
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Rallo Gruss 2007, 209. Strosetzki 1987, 286. „[…] it was naturally coins that provided by far the most accessible supply of figured images to survive from the ancient world – images, moreover, that were securely datable“ (Haskell, Francis: History and its images. Art and the interpretation of the past, New Haven / London: Yale Univ. Press 1993, 14); „it was naturally coins and medals that provided a uniquely rich – and (so it was believed) – authentic fund of information about the features of the emperors and other figures who were already familiar from written accounts“ (ebd., 26). Vgl. López Torrijos, Rosa: „Las medallas y la visión del mundo clásico en el siglo XVI español“, in: Centro de Estudios Históricos / Departamento de Historia del Arte ‚Diego Velázquez‘ (Hg.): La visión del mundo clásico en el arte español, Madrid: CSIC / Alpuerto 1993, 93–104.
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von Agustíns Diálogos de medallas.5 Zu den intellektuellen Fähigkeiten des Humanisten gehörte es, nicht nur in den antiken Schriften, sondern auch in den erhaltenen Medaillen oder Steinen ‚lesen‘ zu können,6 oder, wie Gallardo formuliert, „de aprender y enseñar a comprender a la vez que a mirar, de ser capaces de leer las imágenes, de hacerlas hablar“.7 Agustíns Diálogos de medallas sind bislang vor allem in einer Reihe mit anderen Numismatik-Büchern der europäischen Frühen Neuzeit rezipiert worden – Texten also, die allesamt „die Wissenschaft von den Münzen in allen ihren Beziehungen, also als staatliches Gebilde, als Umlaufsmittel, als Kunstwerk, als Schriftund Sprachdenkmal“8 behandeln. Agustíns Text wurde damit ähnlich zu Guillaume Rouillés Promptuarii Iconum (1553), Jacopo Stradas Epitome thesauri antiquitatum (1553), Enea Vicos Discorsi... sopra le medaglie de gli antichi (1555), Guillaume du Chouls Discours de la religion des anciens romains (1556), Hubertus Goltzius’ Vivae omnium fere imperatorum imagines (1557) und Sebastiano Erizzos Discorso... sopra le medaglie antiche (1559) – um lediglich die bekanntesten Numismatik-Bücher des 16. Jahrhunderts zu nennen9 – gelesen. Agustíns Dialog jedoch allgemeiner unter die spanische Kunstliteratur zu kategorisieren, ist schließlich auch deshalb sinnvoll, da sich bei ihm weitere kunsttheoretische Aussagen finden lassen: So nehmen die Gesprächspartner nicht nur Beschreibungen der motivischen und figürlichen Darstellungen auf den Medaillen vor, sondern vermitteln auch andere kunsttheoretische Kenntnisse – architekturtheoretisches Grundlagenwissen beispielsweise, wenn wie im vierten Gespräch die baulichen Unterschiede zwischen Theater, Amphitheater und Circus (DM, S. 123)10 oder die klassischen Säulenordnungen (DM, S. 125–126) erklärt werden. Daneben finden sich immer wieder auch Motive und Elemente, die uns aus der anfangs geschilderten Kunstdebatte bekannt sind, wie das obligatorische Lob zeitgenössischer Künstler und ihrer hervorragenden Werke und Techniken – beispielsweise die Metallarbeiten und Münzen von Valerio Belli (DM, S. 329– 330), der bezeichnenderweise bereits in Holandas Diálogos em Roma als Dialogsprecher auftrat. Auch in den römischen Gesprächen war ja bereits zu erkennen, 5
Vgl. Rallo Gruss, Asunción: „La imagen de la Antigüedad en las medallas. Antonio Agustín y la forma dialogada“, in: Lozano-Renieblas, Isabel / Mercado, Juan Carlos (Hg.): Silva. Studia philologica in honorem Isaías Lerner, Madrid: Castalia 2001, 503–524. 6 Egido, Aurora: „Numismática y literatura de los diálogos de Agustín al Museo de Lastanosa“, in: Alvar, Manuel u.a. (Hg.): Estudios sobre el siglo de oro. Homenaje al profesor Francisco Ynduráin, Madrid: Editora Nacional 1984, 213. 7 Gallardo Mediavilla, Carmen: „Los lenguajes de las medallas: De un diálogo de Antonio Agustín“, in: Pérez González, Maurilio (Hg.): Congreso internacional sobre Humanismo y Renacimiento, Bd. I, León: Univ. de León 1998, 340. 8 Regling, Kurt: „Münzkunde“, in: Schröter, Friedrich von (Hg.): Wörterbuch der Münzkunde, Berlin / Leipzig: De Gruyter 1970, 421. 9 Vgl. insbesondere Dekesel, Christian Edmond: Bibliotheca nummaria. Bibliography of 16th century numismatic books, London: Frederick Kolbe 1997, 1ff. 10 Die im Text mit ‚DM‘ gekennzeichneten Seitenzahlen beziehen sich auf die Erstedition: Agustín, Antonio: Dialogos de medallas, inscriciones y otras antiguedades, Tarragona: Felipe Mey 1587.
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dass Münzen nicht nur als Zahlungsmittel verwendet worden sind, sondern auch als beliebtes Sammel- und Kunstobjekt galten. Agustíns medienkombinatorische Diálogos de medallas, so soll im Folgenden gezeigt werden, führen darüber hinaus jedoch durch ihr spezielles Gefüge die visuelle Erfahrung – haber visto – als zentralen Weg zur Erlangung von Wissen über die Medaillen und andere antiguallas sowie das Skizzieren – saber dibujar – als konkrete Methode der Numismatik vor.
1. ANTONIO AGUSTÍN. ZU LEBEN UND WERK Antonio Agustín Abanell11 wird am 26. Februar 1517 in Zaragoza als jüngstes von sechs Geschwistern einer von Tätigkeiten in Juristik und Verwaltung geprägten Familie beträchtlichen sozialen Ranges geboren. Er studiert in Zaragoza, Alcalá und Salamanca, wo er im Jahre 1534 seinen Jura-Abschluss erhält. Im Herbst 1535 begibt er sich nach Italien, genauer nach Bologna, um dort in zivilem und kanonischem Recht zu promovieren. Bologna ist für Agustíns Entwicklung von zentraler Bedeutung: Nicht nur, weil er dort ab 1538 Stipendiat des bekannten Real Colegio Mayor de San Clemente ist; er wird dort außerdem Schüler und Bewunderer des berühmten Juristen und Humanisten Andrea Alciato. Antonio verbringt Reise- und Studienaufenthalte in Padua, Venedig und Florenz. Sehr früh zeigt sich sein tiefgehendes Interesse für römisches Recht, für die griechische und lateinische Sprache und für die (antike) Geschichte und die letras. Zu ihrer größten Entfaltung gelangen diese Interessen durch seine Zeit in Rom, dessen ehrenvollen Titel des cittadino romano er später erhalten wird. Vergleichsweise jung wird Agustín 1544 Auditor des Gerichts der Römischen Rota. Schnell findet er sich in die humanistischen Zirkel Roms ein und lernt vermutlich dort den Humanisten Fulvio Orsini (Literat, Bücherfreund und (Kunst-)Sammler, der im Jahre 1570 das ikonographische Werk Imagines et elogia virorum illustrium veröffentlichen wird)12 kennen, zu dem Agustín zeitlebens eine enge intellektuelle 11 Die folgende kurze Zusammenfassung der Biographie Antonio Agustíns basiert auf: Maians i Siscar, Gregori: Vida de D. Antonio Agustín, Arzobispo de Tarragona, Madrid: Juan de Zúñiga 1734, 1–154 (diese Biographie erscheint in demselben Band wie Maians’ Edition von Agustíns Diálogos de las armas); und Carbonell i Manils, Joan: Epigrafia i numismàtica a l’epistolari d’Antonio Agustín (1551–1563), Diss. UAB, Barcelona: Univ. Autònoma de Barcelona 1991, 1–73; sowie Duran, Eulàlia: „Antonio Agustín y su entorno familiar“, in: Crawford, Michael H. (Hg.): Antonio Agustín between Renaissance and Counter-Reform, London: The Warburg Institute, Univ. of London 1993, 5–19. Die verschiedenen Varianten des Nachnamens gehen auf den väterlichen Zweig der Familie zurück, der aus Fraga, einer sich auf der Grenze zwischen Katalonien und Aragon befindlichen Ortschaft, stammte: Als Varianten finden sich ‚Agustín‘ im Aragonesischen und Kastilischen, ,Agustí‘ oder ,Agosti‘ im Katalanischen, ,Agostino‘ im Italienischen und ,Augustinus‘ in lateinischen Dokumenten (Duran 1993, 5). Duran diskutiert in ihrem Aufsatz auch detaillierter die These, dass die Familie Agustín ursprünglich von jüdischen conversos abstamme (vgl. ebd., 12–16). 12 Marinis, Tammaro de: „Orsini, Fulvio“, in: Gentile, Giovanni (Hg.): Enciclopedia italiana di scienze, lettere ed arti, Bd. XXV, Rom: Instituto della Enciclopedia italiana 1949, 607–608.
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Beziehung aufrechterhält. Es gelingt Agustín im Laufe seines Lebens, Bekanntschaft zu zahlreichen illustren spanischen und italienischen Humanisten sowie Persönlichkeiten erheblichen politischen und religiösen Einflusses zu schließen, was sich auch anhand seines regen Briefkontaktes mit einigen dieser Personen zeigt: So ist er bekannt mit Diego Hurtado de Mendoza, dem spanischen Botschafter in Venedig, mit dem Historiker Jerónimo Zurita, Ambrosio de Morales, und zahlreichen italienischen Gelehrten, allen voran Fulvio Orsini. Dass Agustín hervorragend vernetzt ist, offenbart sich auch an seinen weiteren Aufgaben und Tätigkeitsbereichen: Im Jahre 1555 geht er als Nuntius des Papstes Julius III. nach England, 1558 nach Deutschland; Ende 1557 wird er Bischof von Alife (bei Neapel), 1559 königlicher Inspektor auf Sizilien, 1561 Bischof von Lleida und schließlich im Jahre 1577 Erzbischof von Tarragona. Er scheint intensiv in die Gegenreformation eingebunden und aktiv am Konzil von Trient teilgenommen zu haben. Agustín ist gleichzeitig Jurist, Geistlicher und Humanist: Er sammelt und studiert antike (Kunst-)Artefakte, insbesondere Medaillen, kopiert Inschriften und interessiert sich für Heraldik. Er fertigt Skizzen der Antiquitäten an, nutzt seine zahlreichen Reisen, um weitere Fundstücke käuflich zu erwerben oder diese in Bibliotheken und anderen Sammlungen zu studieren, und erhält von seinen gleichermaßen an antiker Geschichte interessierten Bekannten Medaillen im Original, als Abdruck oder als Beschreibung. Seine erzbischöfliche Residenz in Tarragona, so heißt es, wird zum humanistischen Musterbeispiel, ausgestattet mit einer reich bestückten Bibliothek, einer Buchdruckerei (wie bereits in Lleida) sowie einem zum Museum antiker Fundstücke, Medaillen und lateinischer Inschriften umgestalteten Garten. Gleichermaßen aktiv ist Agustín in literarischer Hinsicht: Er ist unter anderem Autor zahlreicher auf Latein verfasster juristischer Schriften, darunter Emendationum et opinionum libri quattuor (1543) oder De legibus et senatus consultis (1583, mit Anmerkungen von Fulvio Orsini). Agustín verstirbt am 31. Mai 1586 in Tarragona – die drei von ihm bekannten Dialoge erscheinen erst postum: De Emendatione Gratiani Dialogorum libri duo (Tarragona, 1587) zum kanonischen Recht, die hier zu besprechenden Diálogos de medallas, inscripciones y otras antigüedades (Tarragona, 1587) sowie die Diálogos de las armas y linajes de la nobleza de España (Madrid, 1734), die der Heraldik und den spanischen Adelfamilien gewidmet sind. Agustín vereint in sich also mehrere Aspekte: Er ist Jurist und Theologe, aber auch Humanist mit einem ausgeprägten Interesse für die Bildenden Künste und die Archäologie.
2. EDITIONSGESCHICHTE Die editio princeps der hier zu besprechenden Diálogos de medallas erscheint, ein Jahr nach Agustíns Tod, im Jahre 1587 in Tarragona bei Felipe Mey. Diese Erst-
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VIII. Antonio Agustíns Diálogos de medallas
ausgabe trägt auf dem Frontispiz das Wappen des Erzbischofs13 und ist im Inneren mit Kupferstich-Abbildungen der thematisierten Medaillen und Münzen versehen.14 In einigen Exemplaren findet sich zudem am Ende des Buches auf einem nicht paginierten, eingeklebten Blatt ein Porträt Agustíns, welches ein unbekannter Künstler angefertigt hat.15 Kurze Zeit nach dieser Erstausgabe wird im Jahre 1592 in Rom die von Dionigio Ottaviano Sada besorgte italienische Übersetzung von Agustíns Text publiziert.16 Auch diese ist illustriert, allerdings mit neuen, schematischeren Abbildungen, da die Kupferplatten der Abbildungen der Edition von 1587 nicht mehr aufzufinden waren.17 Die römische Ausgabe ist auch mit einem Porträt von Agustín versehen, welches jedoch weitaus aufwendiger und herrschaftlicher gestaltet ist als das der spanischen editio princeps.18 In Italien, so lässt sich nach der Anzahl der Neuauflagen dieser Übersetzung zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert urteilen, war dem Text offenbar größerer Erfolg beschieden: Nach 1592 werden die Diálogos de medallas in den Jahren 1625, 1648, 1650, 1698 und 1736 in Rom wieder aufgelegt. Weitere Verbreitung erhalten die Diálogos de medallas durch ihre Übersetzung ins Lateinische, die Anfang des 17. Jahrhunderts der Jesuit Andreas Schott vornimmt: Seine Übersetzung wird im Jahre 1617 in Antwerpen erstmalig veröffentlicht,19 und 1653 dort sowie 1774 im italienischen Lucca neu aufgelegt. Schotts Übersetzung weist eine Besonderheit auf: Den ursprünglich elf Diálogos fügt er einen eigenen zwölften Dialog („De prisca religione diisque gentium“) sowie eine Biografie Agustíns hinzu. Dieser zwölfte Dialog erscheint danach auch in den späteren italienischen Editionen. Eine Neuauflage der Diálogos de medallas in spanischer Sprache erfolgt erst im Jahre 1744, dieses Mal in Madrid.20 In jüngerer Zeit scheinen einzelne Zweige der Forschung wieder auf Agustíns Text aufmerksam geworden zu sein: Indiz
13 Socias Batet, Immaculada: „Algunes consideracions entorn de l’edició princeps dels ,Dialogos de Medallas inscriciones y otras antiguedades‘, d’Antoni Agustí (1587) de la ,Hispanic Society of America‘“, in: Pedralbes. Revista d’Història Moderna II, 23 (2003), 532; und Socias Batet, Immaculada: „The Power of Images in Antonio Agustin’s Diálogos de Medallas, inscripciones y otras antigüedades (1587)“, in: American Journal of Numismatics. Second Series 23 (2011), 213. 14 Socias Batet 2003, 536. 15 So beispielsweise in dem Exemplar der Hispanic Society of America, das Socias Batet verwendet und untersucht (vgl. 2003, 547–550 und 2011, 221–223). 16 Dialoghi intorni alle medaglie, inscrittioni et altra antichità, tradotti di lengua spagnuloa in italiana di D.O. Sada, Rom: Ascana e Girolamo Donangeli 1592. 17 Socias Batet 2011, 220–221. 18 Ebd., 222–223. 19 Antiqvitatvm Romanarvm Hispanarvmque in nummis veterum dialogi XI, latinè redditi ab Andrea Schotto,… Seorsim editae nomismatvm icones a Jacobo Biaeo aeri graphicè insicisae, Antwerpen: Henricum Aertssium 1617. 20 Dialogos de medallas, inscriciones y otras antiguedades, Madrid: Josep Francisco Martínez Abad 1744.
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dafür sind die Faksimile-Ausgaben der Diálogos de medallas aus dem Jahre 1744, die auf den Markt gekommen sind.21
3. FORMALER AUFBAU Die im Überblick zu Leben und Werk beschriebene geistige und akademische Orientierung Agustíns schlägt sich auch in der Thematik, im Aufbau und in der formalen Struktur der Diálogos de medallas nieder. Der Dialog besteht aus Beschreibungen oder Interpretationen von Bildern und Inschriften, die sich auf der Vorder- und Rückseite („los rouersos como dizen en Italia“, DM, S. 25) vornehmlich römischer, aber auch griechischer Medaillen finden. Gesprochen wird über die figürlichen Darstellungen der Herrscher, Tugenden und Gottheiten, aber auch der Gebäude, Tiere oder Attribute, die diese begleiten. Häufig wird dabei nicht nur die geographische Herkunft der Medaillen erläutert, sondern auch der Ursprung der Motive erklärt, Begriffe und Inschriften etymologisch hergeleitet und insgesamt anhand der Darstellungen historisches und mythologisches Wissen vermittelt. Agustíns Diálogos de medallas weisen damit eine derartige Themenbreite auf, dass Rallo Gruss diesen Text zwar als literarischen Dialog liest, ihn thematisch jedoch einer verkomplizierten silva bzw. Miszelle im Stile Pedro Mexías angenähert sieht:22 „los Diálogos de medallas tienen bastante de miscelánea, al menos en el modo de operar; […] es miscelánea temática, encauzada en la forma dialogal“.23 Der editio princeps fehlen Bewilligungstexte oder Drucklizenzen, sie ist auch nicht mit einem Prolog versehen. Der Dialog selbst ist im mimetischen Modus gehalten und das erste Gespräch dabei als dialogisches Proömium zu lesen. Was die maßgeblichen Quellen und Grundlagentexte betrifft, so nimmt bei Agustín wiederholt Cicero eine zentrale Rolle ein.24 Dessen Eloquenz und Spracheleganz werden als das (lateinische) Modell schlechthin bewertet: Er sei „el mas elegante y eloquente hombre que huuo entre Romanos“, dessen Schreibstil und Sprachgewandtheit es nachzufolgen gelte („assi el escriuir de entonces fue el mas perfecto. […] la elegancia y eloquencia de Cicero y Iulio Cesar y de los demas“, DM, S. 341). An späterer Stelle wird Ciceros „estremada eloquencia en sus oraciones, como de su elegancia y gracia y dotrina en todo lo demas que escriuio“ (DM, S. 373) nochmals gelobt. Besonders signifikant ist der intertextuelle Verweis auf den für den Renaissance-Humanismus modellbildenden Dialog, De Oratore, zu An21 So u.a. die Diálogos de medallas, inscripciones y otras antigüedades, Faks. Ed. 1744, hg. v. José María de Francisco Olmos / Fermín de los Reyes Gómez, Madrid: Escuela Universitaria de Biblioteconomía y Documentación / Univ. Complutense 2006. 22 Rallo Gruss 2001, 505. 23 Ebd., 511. 24 Dies stellen auch bereits Egido und Ferreras fest: Egido beobachtet „las huellas de Cicerón“ in Agustíns Diálogos de medallas und seinen Diálogos de las armas (1984, 217–218); Ferreras spricht davon, dass Cicero für Agustín „un modelo de estilo como un modelo intelectual y un modelo político“ darstelle (2008, 58).
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fang des Gesprächs bei Agustín („Haga v.m. lo que dize Ciceron en los libros de Oratore: ruegue al señor de las balas que las descoja y las muestre“, DM, S. 24) – eine Textstelle, auf die später zurückzukommen sein wird. Neben Cicero sind die wichtigsten antiken Autoritäten bei Agustín Plinius und Plutarch, die Geschichtsschreiber Sueton, Titus Livius und Terenz sowie Vergil und Ovid; ebenso orientiert er sich an zeitgenössischen humanistischen Autoren: Neben Erasmus an seinen spanischen Zeitgenossen Florián de Ocampo, Hurtado de Mendoza, de Morales und Zúrita, jedoch insbesondere an den italienischen Humanisten – Bembo, Alciato, Sigonio und allen voran Fulvio Orsini.25 Es finden sich damit hier insbesondere Verweise auf zeitgenössische italienische, vorwiegend den römischen Zirkeln zugehörige Humanisten. Da Agustín schließlich in Bologna bei Alciato studiert hatte, finden sich bei ihm auch die bekannten Emblem- und Hieroglyphenbücher und -autoren sowie konkrete Devisen und Impresen benannt. Es lässt sich insgesamt zwischen der Numismatik und der Emblematik von einem reziproken Verhältnis sprechen: So werden die Emblembücher nicht nur von den Numismatikern der Renaissance zur Interpretation der Medaillen herangezogen oder, wie Gallardo erläutert, die Medaillen wie Embleme oder Impresen rezipiert, und zwar mit dem Verständnis, das Bild sei der ,Körper‘ und die Inschrift die ,Seele‘ der Medaille;26 auch sind Medaillen und ihre motivischen und figürlichen Darstellungen zu Vorbildern für Embleme und deren picturae geworden.27 Damit einhergehend sind in die Diálogos de medallas Abbildungen eingefügt (Abb. 5): Dem ersten und zweiten Gespräch folgen eine Reihe von aufwendig und sorgfältig gestaltenen Abbildungen der Vorder- und Rückseiten verschiedener Medaillen, die mit Kürzeln für das verwendete Material und die Größe versehen sind.
25 Rallo Gruss 2001, 511. 26 Gallardo 1998, 345. Der Vergleich der Elemente des Emblems mit ‚Leib‘ und ‚Seele‘ ist eine interpretative Struktur, wie sie seit Paolo Giovios Dialogo dell’imprese militari et amorose als etabliert gilt: Giovio nennt diesen Vergleich in seinen fünf conditioni von Impresen, die auch für Embleme geltend gemacht werden (vgl. Sánchez Pérez 1977, 19–21). In der Nachfolge von Giovio wird in einer ganzen Reihe von Impresen- und Emblemtraktaten der bildliche Teil als ‚Körper‘ und der sprachliche Teil als ‚Seele‘ bezeichnet (Scholz 2002, 186). 27 Vgl. Lamarca Ruiz de Eguílaz, Rafael: „De la moneda al emblema. Los repertorios y colecciones numismáticas como fuente de inspiración para la literatura emblemática“, in: López Poza, Sagrario (Hg.): Literatura emblemática hispánica. Actas del I Simposio Internacional (A Coruña, 1994), A Coruña: Univ. da Coruña 1996, 533–557.
VIII. Antonio Agustíns Diálogos de medallas
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Abb. 5. Agustín 1587, Abbildungen nach dem ersten Gespräch.28
Socias Batet hat diese Abbildungen sowie das Titelblatt, die kunstvollen Initialen an den Gesprächsanfängen und das Modul für Medaillengrößen in der Erstausgabe von 1587 aus technischer und typografischer Perspektive näher untersucht:29
28 Ich danke der Österreichischen Nationalbibliothek für die Bereitstellung der Abbildungen 5 und 6, die einem Digitalisat (ÖNB public private partnership mit Google, im Internet unter: ) der Diálogos de medallas von Agustín aus ihrem Bestand entstammen. 29 Die Erkenntnisse im folgenden Abschnitt entstammen Socias Batet 2011, 209–218. Einige ihrer dort zusammengefassten Beobachtungen hat sie bereits in einem früheren Artikel (2003, 525–550) veröffentlicht. Socias Batet untersucht auch das Porträt von Agustín, das sich am
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Da Agustín vor der Fertigstellung der Publikation mit allen Abbildungen verstarb, finden sich lediglich für die ersten beiden Dialoge Illustrationen; es scheint aber sicher, dass er den gesamten Text mit Abbildungen versehen wollte. Dafür sprechen vor allem die römischen Ziffern am Rande des Textes, die auf die entsprechenden Bilder im Anhang verweisen. Agustín hat, so weist Socias Batet nach, große Sorgfalt bei diesen Abbildungen an den Tag gelegt (auch deshalb verzögerte sich die Veröffentlichung des Werkes): Nicht nur scheint er Skizzen von den Münzen für die Drucker bereitgestellt zu haben, er hat – so urteilt Socias Batet aufgrund von Papier, Farbgebung und Qualität der Medaillen-Abbildungen – diese, im Gegensatz zum Dialogtext, nicht in Tarragona, sondern im für qualitativ hochwertige Druckerzeugnisse bekannten Rom drucken lassen. Wie bereits bei Sagredos Medidas del Romano und Holandas Do Tirar polo Natural lässt sich bei Agustíns Text folglich wiederum von einem medienkombinatorischen Dialog sprechen. Es wird zu erläutern sein, welchen Wert diese Tatsache für den Sinn und die Funktion des Dialogs hat.
4. DIALOGSETTING UND SPRECHERKONSTELLATION Wie bereits kurz erwähnt, ist bei den Diálogos de medallas das erste Gespräch als Vorstellung der Sprecher und ihrer Beziehung zueinander, als Präsentation der Ausgangssituation und vor allem als thematische Hinführung zu lesen. Agustíns Diálogos de medallas vollziehen sich zwischen drei Gesprächspartnern, die lediglich als ‚A‘, ‚B‘ und ‚C‘ benannt sind. Selbstverständlich ist in der Forschung wiederholt versucht worden, für die so betitelten Gesprächspartner historische Vorbilder ausfindig zu machen, auch, da die Figuren in Agustíns anderen Dialogen, De Emendatione Gratiani und Diálogos de las armas, ebenfalls so betitelt sind.30 ,A‘ als zentraler Sprecher wird dabei selbstverständlich mit dem Autor Antonio Agustín identifiziert, für ,B‘ und ,C‘ werden für die drei Dialoge vor allem Personen aus der weit verzweigten Familie und Verwandtschaft Antonios als Identifikationsfiguren diskutiert, darunter sein Bruder Juan oder seine Neffen (der Kaplan Rodrigo Zapata, der Kanoniker Martín, der Jesuit Antonio, der Prior Vicencio),31 jedoch auch Freunde wie Pere Galès.32 Das gesamte Umfeld Antonio Agustíns war, so heißt es wiederholt, wie er in besonderer Weise an den Schönen Künsten und der Antike interessiert, was sich in zahlreichen Gesprächsrunden und Ende des von ihr verwendeten Exemplars aus der Hispanic Society of America findet (vgl. 2003, 547–550 und 2011, 221–223). 30 Vgl. Agustín, Antonio: De Emendatione Gratiani Dialogorvm libri dvo, Tarragona: Felipe Mey 1587; und Dialogos de las armas, i linages de la nobleza de España, hg. v. Gregori Maians i Siscar, Madrid: Juan de Zúñiga 1734. 31 Dies berichten beispielsweise auch Gallardo 1998, 340; Egido 1984, 216; und Rallo Gruss 2001, 517. Zentral für die Identifizierung mit diesen Personen scheint der diesbezügliche Kommentar in der lateinischen Übersetzung der Diálogos de medallas von Andreas Schott zu sein (vgl. Agustín 1617, 1). 32 So beispielsweise bei Maians 1734, 79.
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Zirkeln rund um seine Person niederschlägt. Bereits 1734 hatte Maians mit Bezug auf Andreas Schott und auf Aussagen in Dokumenten Agustíns geurteilt: Siendo tales los que concurrian en casa del Auditor Agustin, facilmente puede colegirse, que la conversacion seria un provechoso, i deleitable comercio de noticias. [...] se tratava de las Antiguedades de Roma, de las Inscripciones, Medallas, i sucessos antiguos, de la Historia Literaria, Latina, i Griega, de la Secular, i Eclesiastica, de todas las Artes, i Ciencias, i de quanto podia alimentar un animo generoso.33
Es ist darum nicht verwunderlich, dass Agustíns Dialoge immer wieder als Zeugnisse oder Transkriptionen tatsächlich stattgefundener Gespräche gelesen worden sind, die sich in seinem Hause (in Rom, Lleida oder Tarragona) abgespielt haben. Das Gespräch in Agustíns Diálogos de medallas geht gleich in medias res und beginnt mit der Bitte von B und C, die Medaillen und Antiquitäten von A sehen zu dürfen und erklärt zu bekommen: B. Mucho desseo tengo de ver las medallas y otras antiguallas34 de V.S. y en algunos ratos desocupados entender lo que son, y el prouecho que de tenellas y poner gran estudio en ellas resulta: y por conocer la misma gana en el señor C. nos hauemos concertado los dos de proponer esto a V. Señoria (DM, S. 1).
In gewohnter Weise reagiert der zentrale Sprecher A auf diese Bitte zunächst mit der angemessenen Bescheidenheitsrhetorik („no estoi tan adelante en este estudio como v.m. piensa“, DM, S. 2), um sich schließlich dennoch auf das Ersuchen seiner beiden Freunde einzulassen. Auf Bitten von B werden zunächst einige grundlegende Fragen behandelt: So die Etymologie des Begriffs ,Medaille‘, deren ursprüngliche Verwendung sowie ihr aktueller Nutzen, wobei es zu einer bemerkenswerten Rechtfertigung für das Studium der antiken Medaillen kommt, von der hier noch zu sprechen sein wird. Am Ende des ersten Gesprächs legt B mit seinem geäußerten Wunsch – „sus medallas, y dizeme en general lo que hai en todas ellas. yo queria ver cada genero destas cosas, y ahun cada medalla por si“ (DM, S. 23) – gleichsam den weiteren Gesprächsablauf fest. Bereits an diesem kurzen Einblick zeigt sich, dass A der zentrale Sprecher des Dialogs, B und C hingegen in der besprochenen Thematik weniger bewandt sind. Die Sprecherkonstellation der Diálogos de medallas ist aus diesen Gründen mehrfach als Lehrer-Schüler-Beziehung beschrieben worden.35 Für dieses hierarchische Verhältnis spricht auch die Anrede der Gesprächspartner untereinander: B 33 Maians 1734, 22. 34 Den in der Renaissance verwendeten Terminus der antiguallas definiert Rallo Gruss folgendermaßen: „lo que actualmente denominamos ‚antigüedades‘ […] durante el Renacimiento se llamaba ‚antigualla‘ sin ningún matiz peyorativo, porque durante el siglo XV y hasta bien entrado el XVI el término ‚antigüedad‘ se refería más a los hechos y dichos de los ‚antiguos‘ que no a los restos materiales de ruinas, lápidas o medallas“ (2007, 177). 35 Egido spricht früh von dem „interlocutor A, que, […], encarna la voz autorizada del maestro“ (1984, 217); Rallo Gruss unterscheidet zwischen dem „maestro de los diálogos“ und seinen „discípulos interlocutores“ (2001, 510). Solervicens macht das „esquema mestre-deixeble“ sogar für alle drei Dialoge Agustíns aus (Solervicens, Josep: El diàleg renaixentista. Joan Lluís Vives, Cristòfor Despuig, Lluís del Milà, Antoni Agustín, Barcelona: Publicacions de l’Abadia de Montserrat 1997, 200).
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und C richten sich mit „Vuesa Señoría“ an A, er hingegen spricht die beiden mit „Vuesa Merced“ an.36 B und C lassen sich dennoch in allgemeiner Gelehrsamkeit und Erfahrung fast auf demselben Niveau wie A einordnen,37 was sich an den zahlreichen Hinweisen auf Bücher und Medaillen zeigt, die die beiden Dialogteilnehmer gesehen und studiert haben.38 Eine ausführlichere Charakterisierung ist aus dem Gespräch nur für A zu abstrahieren; die genannten Eigenschaften oder Erlebnisse – Alter, Freundschaften, Aufenthalte, Aufgaben und Werke – stimmen dabei mit den biographischen Daten des Autors überein.39 A ist hohen Alters (DM, S. 76), ein ‚Priester der Gerechtigkeit‘ (so sagt B zu ihm: „desseo que venga V.S. a la Iusticia; cuyo sacerdote ha sido y es tanto tiempo“, DM, S. 49), hat ein Buch mit dem Titel Emendaciones verfasst, auf das B mehrfach hinweist (DM, S. 10, S. 29 und S. 344) und ist bekannt mit berühmten, auch italienischen Humanisten seiner Zeit („Fuluio Vrsino my amigo“, DM, S. 23). Am bedeutendsten sind aber sicherlich die zahlreichen Hinweise auf die Reisen von A: Vor allem in Italien, insbesondere in Rom hat er sich aufgehalten („he comunicado con todos o los mas dotos hombres de Italia y he visto las antiguallas de Roma“, DM, S. 2), aber auch in Bologna („en Boloña los Collegiales del Collegio donde yo estuue“, DM, S. 84) und in Sizilien („Quando yo estuue en Sicilia“, DM, S. 185). Die räumliche und zeitliche Kontextualisierung fällt bei Agustíns Text im Vergleich zu Dialogen wie Holandas Diálogos em Roma oder Villalóns El Scholástico nur gering aus. In den Diálogos de medallas finden sich nur wenige Hinweise auf die zeitliche Struktur des Gesprächs: Quedan, pues, los mínimos indicadores temporales para establecer el decurso organizado, faltando cualquier referencia al momento o situación en que va a desarrollarse la sesión y prescindiendo de las salutaciones y despedidas que escenifican los encuentros.40
Es ist davon auszugehen, dass sich die Unterhaltung an elf aufeinander folgenden Tagen vollzieht.41 Als weitere Einordnung ließen sich lediglich die Publikations36 Rallo Gruss 2001, 517. 37 Ebd., 520. 38 Vgl. dafür die folgenden Beispiele: „B. Poco ha que lei en no se que libro que […]“ (DM, S. 21); „C. De la reja no me acuerdo que diga Ouidio nada“ (DM, S. 46); „C. Yo he visto poco ha en vn libro de vna persona curiosa [...]“ (DM, S. 132); „A. Vuessa merced lea el libro de frai Alonso Chacon, y no hallara mas de lo que alli esta escrito. B. Porque lo he leido lo demando“ (DM, S. 134); „C. En las medallas de molde que ha publicado Eneas Vico hai vna del Emperador Galba [...]“ (DM, S. 308); oder „B. Que es en vn rouerso que he visto de Neron vn edificio con muchas colunas con vnas letras [...]“ (DM, S. 158); „C. De otro don Alonso Rey solamente de Castilla vi los dias passados otra moneda, en la qual hauia vna cabeça de vn Rey“ (DM, S. 305). 39 Vgl. Ferreras, 998, zit. n. Rallo Gruss 2001, 518 und vgl. Rallo Gruss 2001, 519. 40 Rallo Gruss 2001, 522. 41 Anhand kurzer Hinweise der Gesprächspartner lässt sich erkennen, dass die einzelnen Gespräche jeweils den Verlauf eines Tages in Anspruch nehmen und sich nacheinander vollziehen: So lässt A beispielsweise im ersten Gespräch verlauten, dass man an einem anderen Tag detaillierter über die gefälschten Medaillen sprechen werde (DM, S. 17), was schließlich im elften und letzten Gespräch geschieht (DM, S. 443ff.); B stellt am Ende des ersten Gespräch erschöpft fest, „Ya veo que hai que aprender para muchos dias en esta materia“ (DM, S. 25);
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daten der im Gespräch genannten, zeitgenössisch veröffentlichten Texte heranziehen: Insbesondere die am Ende hauptsächlich von A aufgezählte Liste von weiteren Büchern, die Medaillen (DM, S. 463ff.) sowie Inschriften und Epitaphe (DM, S. 467ff.) behandeln, situiert das Gespräch auf 1560/1570, stammen doch die jüngsten Werke aus dieser Zeit. An anderer Stelle hatte A bereits eine ähnliche zeitliche Einordnung vorgenommen: „Eneas Vico publico en mi tiempo vn libro de medallas de mugeres“ (DM, S. 451), womit vermutlich Vicos Le Imagini delle Donne Auguste aus dem Jahre 155742 gemeint sind. Das Gespräch scheint im Haus von A stattzufinden, dessen Garten (A: „La piedra vera v.m. en la huerta desta casa“, DM, S. 19) und Garderobe (B: „los lios y balas que ayer me mostro por vn agujero de su guarda ropa“, DM, S. 27) genannt werden. Die zahlreichen Hinweise auf die vorliegende Medaillensammlung von A unterstreichen diese Vermutung.
5. ÜBER DIE MEDAILLE ZUM GESPRÄCH UND VICE VERSA. KUNSTBEZUG, KUNSTMETHODIK UND MEDIENKOMBINATION IN DEN DIÁLOGOS DE MEDALLAS Die personelle, räumliche und zeitliche Indexikalisierung fällt bei Agustíns Dialog im Gegensatz zu anderen in dieser Arbeit untersuchten Texten – Villalóns Scholástico oder Holandas Diálogos em Roma etwa – damit vergleichsweise gering aus. Der Text weist zudem eine starke enzyklopädische Systematik auf, was für die iberische Spätrenaissance als durchaus charakteristisch zu beurteilen ist. Texte wie Mexías Silva de varia lección oder Lorenzo Palmirenos Stromata philologi (1569), in denen unterschiedlichste Themen erörtert, in voneinander unabhängigen Kapiteln neu geordnet und Aussagen antiker Autoren kommentiert werden, gehören einem insbesondere am Ende des 16. Jahrhunderts häufigen und spezifisch humanistischen „Literaturtyp“ an.43 Auch auf die Gattung des Dialogs hat dies Auswirkungen. Für Pinedas Diálogos familiares konnte diese Tendenz bereits festgestellt werden. Unter anderem mit Bezug auf Agustíns Diálogos de medallas hatte Gómez davon gesprochen, dass die spanischen Dialoge am Ende des 16. Jahrhunderts vermehrt zu „extensos diálogos librescos y enciclopédicos“ würden.44 Solervicens beobachtete für die Dialoge der katalanischen Spätrenaissance (darunter neben Agustíns Dialogen auch solche von Francesc Comte und Marc Antoni de Camós) Einschränkungen der gattungsspezifischen Möglichkeiten und führte diese vor allem auf die tridentinische und gegenreformatorische
zuweilen ist davon die Rede, dass man mit einem Thema die „jornada“ (DM, S. 442) beenden wolle, etc. 42 Dekesel 1997, 977. 43 Strosetzki 1987, 291. 44 Gómez 1988, 172.
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Prägung zurück.45 Die Dialoge der Spätrenaissance, so sein Urteil, unterschieden sich von den vorherigen vor allem insofern, als: [...] els diàlegs de la tardor del Renaixement escrits per inteŀlectuals de l’àrea catalana perden aquella capacitat de fer reflexionar, de vehicular la incertesa; ben al contrari, són diàlegs dogmàtics, portadors de certeses, on cap argumentació no posa en dubte l’ortodoxia religiosa i política del moment, i fan servir majoritàriament el més pedestre dels models dogmàtics: el de pregunta-resposta. Això suposa un empobriment evident de les possibilitats filosòfiques del gènere, i coincideix amb un empobriment considerable de les possibilitats estètiques [...].46
Bei der Lektüre der Dialoge von Agustín entsteht in besonderem Maße der Eindruck einer Einschränkung der ästhetischen Möglichkeiten der Gattung des Dialogs. Mit dem Vokabular dieser Arbeit ließe sich, anknüpfend an Solervicens’ Beobachtung, von einer deutlichen Reduzierung oder Einschmelzung der Handlungsebene des Textes sprechen. Dennoch geschieht die Wahl des Dialogs als Textgattung ja auch hier intentional. Ich möchte nachfolgend auch den Text von Agustín auf seine Argumentations-, Geschehens- und intermediale Ebene untersuchen. Es ist hier bereits erläutert worden, dass die Argumentationsebene im Falle der Diálogos de medallas von Agustín aus Beschreibungen und Interpretationen von Bildern und Inschriften besteht, die sich auf der Vorder- und Rückseite bestimmter Medaillen finden. Zu Beginn des Gesprächs trägt A die bereits erwähnte Rechtfertigung für das Medaillenstudium vor. Darin heißt es, das Studium der antiken Objekte sei vor allem für Maler, Bildhauer, Silberschmiede, vergleichbare „maestros de obras“ und Medailleure nützlich (DM, S. 15), da sie erstens von der antiken Perfektion und dem späteren Niedergang der Künste zeugten;47 zweitens, da sie in diesen Beispiele perfekter naturgetreuer Abbildung vorfänden;48 und drittens, da diese nicht nur ein äußerliches Porträt berühmter historischer Persönlichkeiten böten, sondern auch ihrer inneren, moralischen Konstitution.49 Trotz dieser Betonung des kunsttheoretischen Gehalts von Medaillen geht es auf diskursiver Ebene in den Diálogos de medallas jedoch nicht um die Gemachtheit der Medaillen als Kunst, um Kunsttechnik oder die Art ihrer Gestaltung, also nicht um Kunst als Kunst. Die Münzen und ihre motivischen und figürlichen Dar45 Solervicens 1997, 193. 46 Ebd., 194. 47 „hauiendose perdido todas estas artes como se vee por las obras de cien años atras y claramente por las mismas medallas de todos los tiempos desde Alexandro Magno en cuyo tiempo estuuieron en Grecia y Asia en su perfecion, hasta el tiempo del Emperador Galieno en el qual cayeron con el Imperio Romano“ (DM, S. 15). 48 „gran muestra del perfeto debuxo y postura de todos los personages y cosas que se representan tan al natural que no puede hazerse mejor. estan algunas de baxo y medio relieue tan biuas como [...]“ (DM, S. 16). 49 „el retrato del gesto y habito de tantas personas señaladas Reyes, Emperadores, Capitanes, y otras personas singulares de los siglos passados. […] a los que hizieron cosas buenas o marauillosas: assi tambien tenemos desseo de saber que gesto tuuieron“ (DM, S. 17). Insbesondere Rallo Gruss (2001, 507) hatte bei dieser Textstelle betont, dass gesto hier „la catadura moral del personaje“ meint.
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stellungen werden, so die übliche Forschungsmeinung, vielmehr dazu genutzt, Wissensbestände über die Geschichte der Antike, ihrer Kultur, Kunst und Mythologie zu vermitteln.50 Die Medaillen scheinen – so der allein durch die Argumentationsebene entstehende Eindruck – hauptsächlich als Kompendium antiker Geschichte,51 oder als „una especie de ‚enciclopedia visual‘ dialogada“52 genutzt zu werden. Selbstverständlich sind die Medaillen in der Tat von den zeitgenössischen Numismatikern und Autoren (auch) als historische Zeugnisse angesehen worden.53 Der Nutzen der Medaillen wird auch von den Dialogfiguren angesprochen. Dies geschieht im Rahmen eines Einwands von B: „porque hauemos de estimar la medalla de [...] y de otros semejantes mostros que arden en los infiernos“ (DM, S. 18) – wozu, so fragt er, sei die Beschäftigung mit Medaillen der heidnischen Antike statt der ausschließlichen Beschäftigung mit christlichen notwendig. A zählt daraufhin weitere Vorteile des Medaillenstudiums auf: Zunächst würde man auf den Medaillen dieser „ruines hombres y mostros“ auch auf die „retratos de algunas fieras estrañas y mostros“ treffen und damit erlernen, „como se pinta el crocodilo y el hipopotamo y la esphynge y el rhinocerote, y como pintauan los antiguos a Scylla y a la Chimera y al Pegaso y a las Serenas y otras cosas“ (DM, S. 18). Insbesondere die Betrachtung der Rückseiten der Medaillen sei von Nutzen, so A weiter: Man lerne die darauf abgebildeten antiken Provinzen, Städte, Flüsse und Gebäude (DM, S. 22) sowie architektonische Elemente bekannter antiker Bauwerke, Darstellungen von Tugenden, Musen und heidnischen Gottheiten, von Instrumenten, Waffen und Kleidung kennen und erlerne schlussendlich sogar die richtige Orthographie von römischen Namen und lateinischen Wörtern (DM, S. 23). Nicht ohne Grund, so zeigt sich bereits an diesem kurzen Zitat, hatte Gallardo sich entschieden, ihre Untersuchung von Agustíns Diálogos de medallas eingeteilt in sieben ,Sprachen‘ vorzunehmen, die die antiken Medaillen sprächen – „lenguaje epigráfico“, „lenguaje gramatical“, „lenguaje histórico“, „lenguaje filosófico y moralizante“, „lenguaje artístico“, „lenguaje numismático“ und „len-
50 Bereits Carbonell (1991, 56) stellte fest: „[Agustín] accedirà a editar els seus Diálogos de medallas adoptant la forma clàssica dels torns de pregunta-resposta que li serviran per a exposar no només la pura descripció, sinó també el seu saber sobre l’antiguitat, acumulat durant tota la vida“; Gallardo (1998, 342) formuliert: „La moneda se hace, [...], relato histórico, texto metálico de la historia de Roma“; Rallo Gruss (2001, 505) meint: „Las monedas se convierten entonces no tanto en pruebas históricas y lingüísticas, sino en motivo de discursos sobre la cultura y la vida romana“. 51 Schon García Bellido hatte geurteilt, die Diálogos de medallas funktionierten wie ein Kompendium antiken Wissens (1997, 49, zit. n. Rallo Gruss 2001, 505). 52 Gómez 1988, 174. Denselben visuellen Charakter macht Gómez (1988, 175) auch in dem anderen bereits genannten Dialog Agustíns, Diálogos de las armas, aus, einem Dialog über die Heraldik, in dem die figürlichen und bildlichen Darstellungen auf Wappen kommentiert werden. 53 So hatte bereits Haskell (1993, 20) diagnostiziert: „Almost without exception these many and varied authors stressed that the principal reason for studying coins was the value that they had for the historian“.
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guaje emblemático“54 – sieben Formen von Wissensbeständen (über die Antike) also, die die Medaillen vermitteln oder die in ihnen zu finden sind. Es mag nur mit Blick auf die Argumentationsebene des Dialogs damit der Eindruck entstehen, die Medaillen seien lediglich ein Gerüst, an dem auf enzyklopädische Weise Wissensbestände über die Antike vermittelt würden. Durch die Konstruktion als Dialog mit seinen verschiedenen Ebenen – durch Argumentation, Handlung und intermediale Phänomene – jedoch, so möchte ich im Folgenden zeigen, geht der Text über den Status einer reinen Enzyklopädie der antiken Geschichte und Mythologie hinaus und nimmt stattdessen dreierlei vor: Erstens vermittelt er auf der Argumentationsebene selbstverständlich theoretisches Wissen über antike Medaillen, mit dem es möglich ist, diese eigenständig bewerten und sammeln zu können – dazu zählen Bewertungskriterien wie Größe, Gewicht, Form, Material oder nationale Besonderheiten, Indikatoren echter und gefälschter Münzen, und allem voran typische Motive und Inschriften sowie grundlegende Mythen oder historisches Hintergrundwissen. Zweitens führt der Dialog die visuelle Erfahrung als zentralen Weg zur Erlangung von Wissen über die Medaillen und andere antiguallas vor; und drittens zeigt er das Skizzieren als konkrete Methode der Numismatik. Ich möchte im Folgenden auf den zweiten und dritten Punkt ausführlicher eingehen, da beide besonders mit der Ebenentektonik des Dialogs zusammenhängen. Schließlich werde ich zeigen, wie diese beiden Punkte mit der medienkombinatorischen Konstitution des Dialogs verbunden sind.
5.1. Haber visto. Visuelle Erfahrung als zentrales numismatisches Prinzip Wenn in Agustíns Diálogos de medallas die Bilder und Inschriften auf den Medaillen erklärt werden, geschieht dies bereits auf der argumentativen Ebene zumeist mit explizitem Bezug auf die Erfahrung, insbesondere von A. Bereits zu Beginn berichtet A, er habe mit den gelehrtesten Italienern kommuniziert und zahllose antiguallas Roms gesehen (DM, S. 2); er berichtet von seinen konkreten Beobachtungen an verschiedensten Orten („en Boloña los Collegiales del Collegio donde yo estuue“, DM, S. 84; „Quando yo estuue en Sicilia“, DM, S. 185, etc.) oder im Allgemeinen von den Objekten, die er bei anderen Antiquaren gezeigt bekam („me mostro el Almirante de Napoles vna piedra antigua en Barcelona donde se via […]“, DM, S. 168; „La culebra he visto con estatuas de Pallas en la viña del Cardenal de Carpi en Roma“, DM, S. 182; „En Roma me mostro vn Español afficionado a medallas vnas modernas“, DM, S. 452, etc.). Insbesondere offenbart sich die zentrale Wichtigkeit der Erfahrung aber an den zahlreichen Medaillen, die A mit eigenen Augen gesehen hat und die er seinen Gesprächspartnern beschreibt. Diese Erfahrung, so zeigt sich, wird nicht etwa durch das eigenständige Herstellen solcher Medaillen erlangt – was, wenn man die immense Popularität von modernen, den antiken Vorbildern nachgeahmten Medaillen in der Renaissance 54 Vgl. Gallardo 1998, 341–347.
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bedenkt,55 durchaus vorstellbar wäre. Als erfahren gilt derjenige, der möglichst viele Medaillen sowie andere Kunstobjekte in der Realität oder als Skizze gesehen hat – wie bereits bei Sagredos Medidas del Romano ist unter ‚Erfahrung‘ damit kein schaffendes, herstellendes Tun zu verstehen, sondern insbesondere visuelle Erfahrung. So fallen schon bei einer ersten Lektüre des Textes die zahllosen Formulierungen zur Augenzeugenschaft von A auf; es seien hier nur einige paradigmatische Beispiele für dieses haber visto56 genannt: [...] en Roma se muestra vno de los treynta dineros en que vendio Iudas a nuestro Señor [...]. [...] la qual yo he visto, y tengo algunas a ella semejantes (DM, S. 27); [...] ha se hallado en Roma vn cornucopia de metal grande que yo he visto (DM, S. 46); Acuerdome hauer visto en la viña del Cardenal Rodolpho Pio de Carpi en Roma vna piedra (DM, S. 66); En otras medallas de Emperadores baxos he visto tres mugeres de vna manera que declaran los tres metales (DM, S. 76); Dos fuertes de medallas he visto con este nombre (DM, S. 104); Este nombre he visto en vna medalla moderna (DM, S. 119); He notado mirando vna estatua de cobre desta loba que esta en el Capitolio de Roma (DM, S. 112); Yo he visto medallas de Antonino Caracalla y de Alexandro donde esta vn edificio que algunos llaman hipodromo (DM, S. 130); Vno solo he visto [alguno de estos arcos] a dos leguas de Tarragona muy bien labrado (DM, S. 142); [...] y otros Emperadores. y la tabla yo la he visto (DM, S. 155); Bien he visto en S. Pedro de Roma vnas piedras con muchos gryphos releuados (DM, S. 202); Yo he visto en Venecia edificios antiguos con pinturas o relieuos de animales y frutas que declarauan lo que en el debuxo faltaua (DM, S. 295); [...] y de cinco medallas que he visto las quatro tienen H. (DM, S. 321).57
Die visuelle Wahrnehmung von A, die Betrachtung von Medaillen und anderen Kunstobjekten mit den eigenen Augen wird bei Agustín zum schlagkräftigsten 55 Vgl. beispielsweise Gallardo 1998, 343, die die Medaillenherstellung als „creación característica del Renacimiento“ beschreibt. Spanien mangelt es im 16. Jahrhundert allerdings an Medaillen, die von einheimischen Künstlern hergestellt worden sind; die Medaillenproduktion ist auf königliche, von ausländischen Künstlern angefertigte Medaillen und Fassadenmedaillons begrenzt (López Torrijos 1993, 93 und 99). 56 Vgl. dazu auch die Beobachtung von Rallo Gruss (2001, 515): „El verbo ver en su forma ,he visto‘ se reitera una y otra vez a lo largo de toda la obra. No sólo como confirmación de la existencia de determinadas imágenes, sino también como diversificación de posibilidades. En cuanto a lo primero la posesión o visión directa de la moneda se convierte en argumento contundente“. 57 Ähnliches findet sich für die Figuren B und C nur vereinzelt: „B. Que es en vn rouerso que he visto de Neron vn edificio con muchas colunas con vnas letras MAC. O MAG. AVG. A. Poco se yo desse rouerso“ (DM, S. 158); B: „Yo he visto algunos Emperadores en medallas coronados con corona con ciertas rayos“ (DM, S. 224); „En dos medallas mias estan las mismas letras“ (DM, S. 227); „Mirando las medallas de V.S. he visto muchas differencias de metales: y vnas parece que tienen oro, y otras son mas coloradas“ (DM, S. 230); „C. De otro don Alonso Rey solamente de Castilla vi los dias passados otra moneda, en la qual hauia vna cabeça de vn Rey“ (DM, S. 305); B: „[…] de las inscriciones, que tantas he visto en Tarragona, y de otras partes“ (DM, S. 337).
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aller Beweisgründe; es wird damit sowohl das Vorhandensein als auch das Aussehen bestimmter Medaillen zweifelsfrei belegt. Selbstverständlich dienen die vor allem durch die Erfahrung von A eingeführten verschiedenen Varianten von Medaillen auch der Demonstration der Weisheit des Humanisten.58 Vor allem aber steht dabei im Mittelpunkt, dass als erfahrener Numismatiker gilt, wer eine möglichst große Anzahl von Medaillen selbst gesehen hat; wie bereits in den Medidas del Romano ist experientia bei Agustín folglich vor allem durch visuelle Wahrnehmung zu erlangen. Für Agustíns Diálogos de medallas ließe sich noch schärfer formulieren: Hat A die Medaille mit eigenen Augen gesehen, so ist ihre Existenz damit begründet; hat A die Medaille nicht gesehen, impliziert dies die Absenz der Darstellung oder gar der Existenz der Medaille an sich:59 B. Nunca se vee [IVISTITIA] con la espada y las balanças? A. Yo no la he visto en medallas (DM, S. 50); Yo no lo he visto. pero tengo vna medalla en la qual hai estas letras (DM, S. 91); Del circo Maximo y de otros que hauia en Roma no he visto medallas (DM, S. 131); [...] hombre que alçaua los ojos y las manos al cielo orando, lo qual yo no he visto en las medallas que agora tenemos. (DM, S. 141); Las harpyas no he visto en medallas, pero en vna corneria tengo dos, son compuestas de mugeres y aues (DM, S. 183); De Barcelona no he visto ninguna, pero de Tarragona algunas (DM, S. 263); B. […]. Pero que me dira V.S. de la medalla que alaba tanto Ambrosio de Morales persona tan leida y estimada, […]? A. Yo no he visto medalla donde esten las cosas que el dize, […] (DM, S. 294).
Die Vorrangstellung der visuellen Erfahrung und der Beschäftigung mit dem Kunstobjekt vor der Lektüre von Texten zeigt sich nicht nur implizit in diesen Formulierungen,60 sondern wird von A an zwei Stellen expliziert, die hier kurz skizziert seien. Im zweiten Gespräch beispielsweise weist A auf den Medaillen von PAX die Pflugschar als Attribut nach, worauf C einwendet, dass Ovid über dieses Attribut doch gar nicht spreche – A stellt klar: „Siempre hai mas en las antiguallas que en los libros“ (DM, S. 46). Zu Anfang des neunten Gesprächs konstatiert A zudem zufrieden, wie viel höher der Wissenszuwachs doch durch die Beschäftigung mit den Medaillen als direkten Zeugnissen und Werken der Antike im Vergleich zur Lektüre von Schriften sei:61 No me pesa que vs. ms. tengan essa afficion: porque si las pocas palabras que hai en las medallas nos enseñan tantas cosas como hauemos visto estos dias, […] y si con los libros escritos de molde o de mano muchas vezes mentirosos aprendemos las vidas y las historias de 58 Rallo Gruss 2001, 516. 59 Vgl. ebd., 515. 60 Bereits Gallardo (1998, 346) hatte davon gesprochen, dass: „los Diálogos de medallas discurren de lo visto […] a lo leído […] a lo experimentado“. 61 Vgl. ebd., 341. Haskell (1993, 22) hatte gerade auf diese Textstelle verwiesen, um seine Ansicht, für die Numismatiker seien nicht die Bilder, sondern Texte und Inschriften leitend, zu unterstützen: „But when he [Agustín] proclaimed that greater trust should be put in medals and carved inscriptions than in books, he was referring not to otherwise unknown historical information that was to be obtained only from such sources, but merely to matters of spelling and script“.
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todos los tiempos passados, mas ciertamente se aprende con lo que fue parte de sus palabras y obras (DM, S. 337).
Zwar werden nicht selten die eigenen Erfahrungen in den Diálogos de medallas mit Aussagen und Erklärungen antiker Autoritäten affirmiert.62 Die Funktionalisierung der Texte hat dabei jedoch immer eine eindeutige Richtung: [...] los textos ofrecen los apoyos, mientras que las medallas son los objetos del análisis y de la atención. Los libros valen tanto en cuanto permitan la lectura correcta de las imágenes, expliquen la experiencia visual.63
Daneben kommt es mehrfach zur Kritik der antiken und zeitgenössischen Autoritäten, deren Ansichten A anhand von eigenen Beobachtungen und visuellen Erfahrungen widerlegt:64 B. Que me dize V. S. del minotauro que poco le ha nombrado? A. Que es falso lo que dixo Ouidio del, […], porque en las medallas de muchas ciudades del reyno de Napoles […] (DM, S. 187); [....] y en Marcial esta errado un verso que habla de Bilbilis, segun me dixo un amigo mio (DM, S. 93); B. […]. Pero que me dira V.S. de la medalla que alaba tanto Ambrosio de Morales persona tan leida y estimada, […]? A. Yo no he visto medalla donde esten las cosas que el dize, […]. B. Pues no deue de ser essa la medalla. y que cosas hai en la que V.S. ha visto? A. La que el dize que es Vitoria, a mi me parece cien cosas otras, como vna langosta o grillo, o vna celada (DM, S. 294).
Was die Referenzen auf die anderen zeitgenössischen Autoren betrifft, die sich in ihren Texten mit Numismatik beschäftigen (wie beispielsweise Chacon, Vico oder Strada), so werden zwar zuweilen die von diesen zusammengestellten Informationen wiederholt; insgesamt wird ihnen gegenüber jedoch eine konkurrierende, rivalisierende Position eingenommen.65 Mit der Erfahrungskomponente offenbart sich damit bei Agustíns Diálogos de medallas eine deutliche Parallele zu Sagredos Medidas del Romano. In Sagredos Text wurde die Bedeutung der experientia zur Erlangung architekturtheoretischer Kenntnisse vornehmlich auf der Handlungsebene inszeniert; bei Agustín zeigt sich dies sowohl auf der Argumentations- als auch auch auf der Geschehensebene des Dialogs. Die besprochenen Medaillen und Inschriften (oder deren Skizzen),
62 So beispielsweise in den folgenden Fällen: „La culebra he visto con estatuas de Pallas en la viña del Cardenal de Carpi en Roma, y en Vergilio esta que los dos serpientes […]“ (DM, S. 182); „En vna antigualla que vi en las viñas de Roma […] hai vna estatua muy bien hecha desta figura de Scylla, [...]. Deste mostro habla Vergilio en aquellos versos […]“ (DM, S. 186–187). 63 Rallo Gruss 2001, 516. Socias Batet (2003, 544) scheint die umgekehrte Richtung in Agustíns Diálogos festzustellen: Der Grund dafür, dass ein und dasselbe Motiv oder Symbol auf den Rückseiten der Medaillen in vielen unterschiedlichen Realisierungsformen erscheint, seien die verschiedenen literarischen Quellen, auf denen die Darstellungen beruhen. 64 Zu dieser kritischen Methode vgl. auch Rallo Gruss 2001, 513–514. 65 Rallo Gruss 2001, 514.
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die der Sammlung von A entstammen,66 liegen den Gesprächspartnern direkt vor, d.h. sie sind in der Dialogwelt präsent. Es seien hier nur einige wenige der zahlreichen Textstellen genannt, an denen dies deutlich wird: Ya he començado a ver las medallas de V.S. (DM, S. 89); Por estas medallas se vee que [...] (DM, S. 180); Mirando las medallas de V.S. [...] (DM, S. 230); Veamos agora lo que hai en la medalla de Afriano (DM, S. 260); Pongamos agora las medallas del Rey Vvamba (DM, S. 297), etc.
Auch die später behandelten Inschriften haben die Gesprächspartner direkt vor Augen, wie sich an deiktischen Ausdrücken der Form „Aqui se vee el nombre de la familia o gente que era […]. Esta aqui puesto su prenombre Lucio“ (DM, S. 351) oder Formulierungen wie „Todos essos versos es gran plazer oillos y tenellos juntos por muestra, para que otros los puedan imitar“ (DM, S. 400) offenbart. Die Medaillen sind zudem für den Leser als Abbildungen, die Inschriften zuweilen als Abschriften sichtbar; auch hier ist wiederum eine Parallele zu Sagredos ebenfalls medienkombinatorischen Medidas del Romano zu konstatieren. In den Diálogos de medallas wird damit zwar eine minimale, aber für die Dynamik des Diskurses sehr wichtige Handlung aufrechterhalten, die an der Präsenz und Betrachtung von Medaillen – und der Konsultation einiger Notizzettel – ausgerichtet ist, welche möglicherweise auch vor den Gesprächspartnern korrespondierend zu den behandelten Themen und Motiven angeordnet sind.67 Die auf der Geschehensebene des Dialogs vorhandenen Medaillen „son guía del discurso“.68 Hier liegt nun im Vergleich zu anderen Numismatikbüchern die Besonderheit des Textes von Agustín, insbesondere hinsichtlich der Anordnung der Abbildungen: Die Münzen sind nicht, wie für Numismatikbücher gemeinhin üblich, nach Chronologie, Größe oder Material angeordnet, sondern dem Gesprächsablauf entsprechend.69 Während Rallo Gruss davon sprach, Agustíns Dialog zeichne sich durch die „combinación de la erudición y la experiencia“70 aus, und sie unter erudición 66 Dass es sich um Stücke aus der Sammlung von A handelt, wird insbesondere durch Formulierungen wie die folgenden deutlich: „C. Mucho holgare de ver essa medalla. A. Bien toparemos con ella presto“ (DM, S. 6); „[...] monedas. Puedo yo destas mostrar algunas assi en plata como en cobre“ (DM, S. 12); „y destas monedas se hallan oy en dia y de muy buena mano, y toparemos con alguna entre mys medallas“ (DM, S. 13); „Puedo mostrar semejantes medallas de las quales se aprende la figura desta hierua […]“ (DM, S. 14); „se conserua vna medalla de peso de dos reales, la qual he visto, y tengo algunas a ella semejantes“ (DM, S. 27); „Para esto siruen muchas medallas chiquitas de metal que tengo con dos letras“ (DM, S. 161); „començando de las monedas de Africa, […], yo tengo vna medalla del Rey Iuba de Mauritania“ (DM, S. 220); „pero dire las que hai en vna de oro y en muchas de plata que yo tengo de Augusto con el mismo rouerso“ (DM, S. 267); „Poblicius esta en este letrero y en muchas medallas que yo tengo“ (DM, S. 393), etc. 67 Rallo Gruss 2001, 521. 68 Rallo Gruss 2007, 215. 69 „[…] unlike many numismatic books in which the coins are organized by chronology, size, or material, the order of the images in Augustín’s book is determined by the text. This arrangement endows the illustrations with a strong didactic character“ (Socias Batet 2011, 209). 70 Rallo Gruss 2001, 510.
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dabei im Grunde all das gefasst hatte,71 was in dieser Arbeit wiederholt als Autoritäten-, aber auch als Buchwissen bezeichnet worden ist, sollte, auch aufgrund des Vergleichs zu Sagredo deutlich geworden sein, dass in Agustíns Diálogos de medallas vielmehr auf allen Ebenen eine eindeutige Vorrangstellung der visuellen Erfahrung als zentrales numismatisches Prinzip in Szene gesetzt wird.
5.2. Saber dibujar. Skizzieren als numismatische Methode Bei Agustín wird an diesen tatsächlich vorliegenden, auf der Handlungsebene situierten Medaillen oder Abbildungen dieser Artefakte nicht nur die besondere Relevanz der visuellen Erfahrung vorgeführt, sondern es werden zudem zentrale Methoden der Numismatik inszeniert. Ich möchte nun auf den eingangs genannten dritten Punkt, der durch die Konstruktion des Textes als Dialog mit den genannten Ebenen zustande kommt, zu sprechen kommen. Zunächst macht die bloße Verquickung von Geschehensebene und intermedialer Ebene in den Diálogos de medallas deutlich, dass die Auslegung von Medaillen sich im Idealfall über tatsächlich vorliegenden Artefakten vollziehen sollte, die gesehen, berührt und verglichen werden können. Falls dem Interessierten keine tatsächlichen Medaillen (oder andere antike Kunstobjekte) vorliegen und diese auch nicht beschafft werden können, ist deren Auslegung und Diskussion auch anhand von Beschreibungen oder Skizzen möglich. Auf der Handlungsebene zeigt sich in diesem Zusammenhang eine konkrete numismatische Methode: Der ideale Numismatiker und der an der Antike und ihren Artefakten interessierte Humanist, so wird insbesondere im ersten und zweiten Gespräch vorgeführt, soll diese Medaillen mit ihren Motiven und Inschriften nicht nur adäquat beschreiben, sondern angemessen skizzieren und abzeichnen können. Das erste Gespräch endet mit einem bedeutsamen Hinweis auf eine Reihe von Papieren und Zetteln von A: B spricht davon, „V.S. junta muchas cosas en pocas palabras, que parece que quiere hazer lios y balas para embarcarse con sus medallas“ (DM, S. 23). Auf diesen „lios“ und „balas“, Stapeln und Bündeln aus Papier also, sind, so scheint es, vor allem Skizzen von Medaillen zu finden. Diese Bündel, dies lässt sich aus A’s Antwort schließen, sollen nun im Gespräch im übertragenen und wortwörtlichen Sinne entfaltet werden: „Haga v.m. lo que dize Ciceron en los libros de Oratore: ruegue al señor de las balas que las descoja y las muestre“ (DM, S. 24). Die angesprochene Aussage aus Ciceros De Oratore lautet: „‚Ego vero‘ inquit Cotta ‚a te peto, Scaevola‘ – […] – sed tu hanc nobis da veniam, Scaevola, et perfice, ut Crassus haec, quae coartavit et peranguste refersit in
71 D.h. die Referenzen auf antike griechische oder römische, aber auch auf spanische Autoren ab dem 15. Jahrhundert sowie – typisch für den Renaissance-Humanismus – auf zeitgenössische Autoren (Erasmus, die bereits genannten italienischen Humanisten und die Spanier) (vgl. Rallo Gruss 2001, 511).
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oratione sua, dilatet nobis atque explicet“.72 Eine vergleichbare Entfaltung von Kenntnissen soll auch hier nun geschehen. Zu Beginn des zweiten Gesprächs wird deutlich, dass B am ersten Gesprächstag noch einen ersten Blick auf diese Papierbündel in einer Kammer des Hauses von A erhascht hat: „B. Antes que V.S. trate de los rouersos y se desembueluan los lios y balas que ayer me mostro por vn agujero de su guarda ropa, querria saber, si […]“ (DM, S. 27). In diesem zweiten Gespräch, in dem die Rückseiten von Medaillen und insbesondere die darauf dargestellten Tugenden und ihre jeweiligen Attribute Thema sind (DM, S. 34ff.), wird dann die Signifikanz des zeichnerischen Talents, die der Medaillenstudent aufweisen sollte, auf der Handlungsebene in Szene gesetzt. Um die einzelnen Tugenden beschreiben zu können, nimmt A die Zettel von seiner Italienreise zur Hand, auf denen er offensichtlich Skizzen von Rückseiten spezifischer, die Tugenden abbildenden Medaillen angefertigt hat: B. Dirame V.S. de la Virtud como la hazian en los rouersos de las medallas? A. No pudiera dezir mucho della y de sus especies y compañeras, sino topara con vn papel estos dias de cierto trabajo que hize en Italia mirando diuersos rouersos de medallas (DM, S. 34).
A orientiert sich im Folgenden für die Beschreibungen der jeweiligen Personifikationen (Virtus, Pietas, Aeternitas, Felicitas, Nobilitas, etc.) an diesen Aufzeichnungen; so heißt es beispielsweise am Ende des zweiten Gesprächs: „La postrera que tengo en my papel es la Libertad“ (DM, S. 85). Das Ende dieses Gesprächs macht zudem unmissverständlich deutlich, dass es zur obligatorischen Fähigkeit des Numismatikers gehört, Medaillen mit ihren Bildmotiven und Inschriften auch skizzieren zu können. Denn auf diesen Zetteln, so lässt A verlauten, sei noch Platz für weitere Skizzen, die B und C nun während der weiteren Betrachtung von Medaillen hinzufügen könnten: Yo quiero vsar de libertad en acabar de tratar desta materia, ahunque bien se que faltan otras figuras que se hallaran mirando las medallas. como son Gloria, Memoria, y otras: vs. ms. las añadiran pues en el papel hai blanco para otras (DM, S. 87).
B stellt daran anschließend die Frage nach dem Nutzen dieser zeichnerischen Fähigkeiten – „que prouecho hai de saber debuxar estas cosas?“ (DM, S. 87) –, woraufhin A ihm vier Gründe aufzählt, die nicht nur die Notwendigkeit des Skizzierens dieser spezifischen Tugenddarstellungen, sondern vielmehr insgesamt die Notwendigkeit zeichnerischer Fähigkeiten explizieren: Notwendig sei dies, um, erstens, die Medaillen insgesamt verstehen zu können, denn „son los mejores libros y memorias que de los antiguos tenemos“; zweitens, um die anderen zu diesem Thema existierenden Bücher besser zu begreifen; drittens, um sich dieser Figuren in anderen Kompositionen bedienen zu können, wie es exemplarisch die
72 „‚Dies bitte ich vielmehr dich, mein Scaevola‘, entgegnete Cotta; ,[…]; aber du, mein Scaevola, erweise uns den Gefallen und setze durch, dass Crassus das, was er zusammengedrängt und sehr eng aufeinander gehäuft hat in seiner Rede, vor uns ausbreitet und entfaltet. […]‘“ (Cicero 2007, 74 und 75 [I, 163]).
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Dichter täten; und viertens, da sie Inspirationsquelle73 für verschiedene Bildgattungen seien, wie beispielsweise für die bei öffentlichen Feierlichkeiten zum Einsatz kommenden Impresen, für die dekorative Gestaltung von Gebäuden („para pintar en vn palacio de vn señor, o en vn edificio publico o particular“) oder für Tapisserie und Malerei (DM, S. 87–88). Für den idealen Numismatiker ist es demnach obligatorisch, die Medaillen und die auf ihnen zu findenden Elemente angemessen skizzieren zu wissen. Dies führt A seinen Gesprächspartnern exemplarisch vor und dazu fordert er sie, so ließ sich anhand der hier etwas ausführlicher geschilderten Szene zeigen, explizit auf. Auch später wird er immer wieder auf seine Notizzettel oder Bilder hinweisen, die er von bestimmten Objekten angefertigt hat. So beispielsweise von Bildern, die er auf kunstvoll gemeißelten Steinen gesehen hat: A. [...] Acuerdome hauer visto en la viña del Cardenal Rodolpho Pio de Carpi en Roma vna piedra que mostraua […], y mas hauia vn debuxo de vna donzella con vna rueda de carreta […]. y de la otra parte de la piedra estaua esta Fortuna como esta en las medallas, [...]. B. Holgaria de ver esse debuxo, si V.S. le tuuiesse. A. Si tengo. […] En la otra parte de la piedra que estaua hazia el camino hauia otro letrero que yo hallare entre mys papeles (DM, S. 66– 67); [...] de hombres y de delfines y de cauallos. Todo esto esta mas claramente en vna piedra releuada en casa del Cardenal Maseo, de la qual tengo vn debuxo: y alli hai vno que haze señal con vn paño de manos […] (DM, S. 131).
Analoges gilt auch für die ebenfalls angemessen abzuzeichnenden Inschriften: Desta fuerça me mostro el Almirante de Napoles vna piedra antigua en Barcelona donde se via […], y puedo mostrar vna copia que hize sacar della, y cierta interpretacion [...] (DM, S. 168); B. Agora me acuerdo que el maestro Iuan Bautista Perez Canonigo de Toledo me dio vn papel con muchas letras estrañas sacadas de diuersas medallas (DM, S. 322); [...] la inscricion que esta en Barcelona junto a la iglesia de S. Iuste, que es por ventura la mejor inscricion y de mayor prouecho que hai en España […] Luego la buscaremos entre mis papeles y vera v.m. que prouecho se saca della (DM, S. 339).
Das Skizzieren bei Agustín wird damit in seinem numismatischen Zweck senso strictu vorgestellt: Skizzen und das Skizzieren an sich sind für den Numismatiker von besonderer Notwendigkeit, da erst diese die ‚Konservierung‘ der Medaillen in Bildform sowie deren weitere – von den kostbaren, seltenen oder auch schwer auffindbaren Originalen unabhängige – Verwendung und Analyse ermöglichen. Bedenkt man diese Funktion von Skizzen für die Numismatik der Renaissance, lässt sich auch die Medienkombination von Agustíns Diálogos begründen: Die illustrierten Diálogos de medallas sind zum einen eine Sammlung von Interpretationen sowie modellhaften Beschreibungen von Medaillen und Inschriften;74
73 „He also stresses that the coins might serve as an inestimable source of inspiration that can ‚help the inventions that often are needed for the ornamentation of a public party, […]‘“ (Socias Batet 2011, 220). 74 Rallo Gruss (2001, 506) hatte Ähnliches festgestellt: „la obra de A. Agustín se ofrece simultáneamente como recolección de temas a propósito de monedas reales y métodos de in-
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zum anderen sind sie eine Sammlung von Medaillenabbildern, die als Grundlage zu weiteren Gesprächen über und zur Diskussion und Auslegung von Medaillen zu verwenden sind. Dieser Zusammenhang wird deutlich, wenn man für die beiden illustrierten Gespräche des Dialogs einen Vergleich zwischen Text und Bild vornimmt, d.h. zwischen ‚gesprochener‘ Medaillenbeschreibung und der jeweiligen Abbildung im Anhang, auf die die römischen Ziffern am Rande des Textes verweisen. Für das erste Gespräch lässt sich dabei zunächst konstatieren, dass Dialogtext und Abbildungen in der Anzahl der Medaillen, der Reihenfolge und den zentralen (gesprochenen oder bildlich dargestellten) Elementen, Motiven und Figuren einhergehen. Insgesamt lässt sich damit von einer engen Verbindung zwischen Text und Bild sprechen; ein Sachverhalt, den Socias Batet als zentrale Intention Agustíns hervorgehoben hatte: Undoubtedly, it is quite remarkable that the publication of the Diálogos should have been delayed a number of years because Agustín […] sought to tie together as closely as possible the work’s iconic and textual structures, a relationship that Agustín considered eminently didactic in nature.75
Trotz dieser Analogien ist der Dialog nicht oder nicht gut ohne die Illustrationen zu verstehen, ist doch der Erkenntnisprozess maßgeblich von den visuellen Referenzen abhängig; die Diálogos de medallas wie auch Agustíns Diálogos de las armas sind damit „dos excelentes ejemplos de la ‚visualización‘ del diálogo que se produce también a finales del siglo XVI, proceso paralelo, [...], al desarrollo del carácter libresco del diálogo“.76 Die Münzen – bzw. deren Abbildungen – sind häufig weitaus aufwendiger und mit noch mehr Elementen gestaltet als die Beschreibungen dies vermuten lassen (dies ließe sich allerdings durchaus auch auf die spezifischen Präferenzen des Druckers zurückführen). Es lässt sich nicht nur durch die Abbildungen die gesprochene Beschreibung der Medaillenelemente, ihre Auslegung und Interpretation sogleich am gedruckten Bild nachvollziehen. Mehr noch offenbart sich hier die Inszenierung der numismatischen Methodik in diesem Dialog: Denn schließlich werden nicht einfach die einzelnen Elemente der Medaille besprochen, sondern gleichzeitig auch das Wie ihrer Beschreibung vorgeführt; der Dialog inszeniert also auch die ideale numismatische Ekphrasis in ihrem rhetorischen Sinne. Während die Text-Bild-Relationen im ersten Gespräch damit insbesondere die Art und Weise möglicher Interpretationen und modellhafter Beschreibungen der Medaillen vorführen, lässt sich am zweiten Gespräch vor allem demonstrieren, dass Agustíns Diálogos de medallas als Bild-Grundlage zu weiteren Diskussionen über Medaillen gedacht sind. In diesem zweiten Gespräch geht es im Speziellen um die Tugenden auf den Medaillenrückseiten („De los Rouersos y del prouecho dellos. y especialmente de los Rouersos de las Virtudes y de sus compañeras“, terpretación de éstas, cumpliendo la doble vertiente que implica el diálogo resumido en el formar renacentista“. 75 Socias Batet 2011, 218. 76 Gómez 1988, 175.
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DM, S. 27), d.h. etwa VIRTVS, PIETAS, AETERNITAS, FIDES, etc. Bei dem Vergleich von Dialoggespräch und Illustrationen entsteht zunächst der Eindruck, dass die Verbindung zwischen Text und Bild hier nicht mehr so eng zu sein scheint wie noch im ersten Gespräch. Die Reihenfolge der Tugenden ist im Dialog und in den Abbildungen weitgehend gleich; besonders auffällig ist jedoch, dass die Anzahl der im Anhang abgebildeten Medaillen die der im Dialog besprochenen nicht selten weit übertrifft. Bei CONCORDIA beispielsweise erläutert A im Gespräch lediglich sechs zentrale Darstellungsweisen (DM, S. 44–45), im Anhang finden sich jedoch insgesamt 18 Abbildungen dazu (Abb. 6); bei PAX stehen den sieben im Dialog genannten Darstellungsweisen (DM, S. 45–48) ganze 21 Abbildungen im Anhang gegenüber.
Abb. 6. Agustín 1587, Abbildungen zu CONCORDIA nach dem zweiten Gespräch.
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Ein detaillierter Text-Bild-Vergleich offenbart jedoch, dass A im Gespräch die zentralen Elemente einer großen Zahl von Medaillen zusammenfasst (so beispielsweise bei PAX die Attribute Fackel, Olivenzweig, Füllhorn, Merkurstab, Rute und Flügel) und lediglich einzelne, besonders paradigmatische Beispiele von Medaillen explizit herausgreift und nennt. Aufgrund der zuvor auf Argumentations- und Geschehensebene deutlich gewordenen Signifikanz der visuellen Erfahrung und der Präsentation numismatischer Methoden in den Diálogos de medallas möchte ich diese Beobachtung zur Medienkombination folgendermaßen hinsichtlich der Funktionalisierung des Textes deuten: Während im ersten Gespräch anhand der Beschreibungen und der Abbildungen im Anhang die ideale numismatische Medaillenbeschreibung im Gespräch zunächst nachvollzogen werden kann, können die vorgeführten Interpretations- und Auslegungsmethoden anschließend ab dem zweiten Gespräch an diesen zusätzlichen Beispielen, die immer bereits erklärte Elemente und Motive aufweisen oder Varianten bereits erklärter Münzen darstellen, direkt ,eingeübt‘ werden. Man bedenke, dass wir uns hier in dem Moment befinden, in dem A die Papiere von seiner Italienreise zur Hand genommen hat, um die Tugenddarstellungen zu erläutern – es ist also davon auszugehen, dass die Abbildungen auch den Gesprächspartnern in der Dialogwelt vor Augen sind. Agustíns illustrierte Diálogos de medallas sind damit sowohl eine Sammlung von im Gespräch vorgenommenen modellhaften Medaillenbeschreibungen und -auslegungen als auch Bild-Grundlage zu weiteren Gesprächen über Medaillen. Agustíns Werk, in dem auf Argumentations-, Handlungs- und intermedialer Ebene das visuelle Erfahren der Medaillen und die numismatische Methodik inszeniert wird, ist damit selbst nach genau diesen, im Dialoggespräch gezeigten und vorgeführten Methoden zu verwenden. Es lässt sich damit von einem besonderen funktionalen Zirkel sprechen.
6. INTERTEXTUELLER MYTHOGRAPHIE-DIALOG VERSUS INTERMEDIALER KUNSTDIALOG. JUAN AZPILCUETA NAVARROS DIÁLOGOS DE LAS IMÁGENES DE LOS DIOSES ANTIGUOS (CA. 1594) ALS ABGRENZUNG Um die Bedeutung der Verquickung von Handlungsebene und intermedialer Ebene für Agustíns Diálogos de medallas zu unterstreichen und um die zentrale Disparität zwischen Dialogen, die das intermediale Potenzial ausschöpfen, und solchen, die allein textexegetisch vorgehen, abschließend zu verdeutlichen, möchte ich an dieser Stelle Azpilcuetas Diálogos de las imágenes zum Vergleich heranziehen. Schon Gómez hatte von einer „cierta relación“ zwischen diesen beiden Texten gesprochen: Unter den zahlreichen Autoren, die Azpilcueta zitiert, käme Agustín eine äußerst privilegierte Rolle zu.77 Während es bei Augustín um die Medaillen geht, ist Azpilcuetas Text jedoch ein Dialog über die Darstellungen der
77 Gómez 1988, 174, Anm. 62.
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antiken Götter und Tugenden. Crosas hatte die Diálogos de imágenes nicht ohne Grund als „un tratado de iconografía en forma de diálogo“78 beschrieben. Azpilcuetas Text ist in zwei Manuskripten erhalten – unter dem Titel Diálogos de las imágines de los dioses antiguos (1594) an der Bibliothèque Nationale de France in Paris (Ms. Espagnol 73) und als Diálogo de las virtudes y imágines de los Dioses Antiguos an der Biblioceta Nacional de España in Madrid (Ms. 7534, f. 68r–135r).79 Die wenigen Informationen über Azpilcueta Navarro entstammen dem Titelblatt und der Drucklizenz, die sich im (Pariser) Manuskript seiner Diálogos finden:80 Dort wird er beschrieben als „Doctor Juan de Azpilcueta Navarro Catedrático de Código en la Universidad de Çaragoça“ (DI, S. 33) bzw. als „doctor Joan Azpilicueta Navarro, de la ciudad de Çaragoça“ (DI, S. 35), als Jura- oder Rechtsprofessor an der Universität Zaragoza. Wie der Großteil der ersten Professoren der Universität Zaragoza, ist vermutlich auch Azpilcueta Navarro Kanoniker (der Basílica del Pilar oder der Catedral del Salvador, ‚la Seo‘, zugehörig).81 Wie Agustín ist somit auch Azpilcueta Jurist, Theologe und Humanist. Koinzidenzen zwischen Agustín und Azpilcueta lassen sich auch in formaler und dialogtheoretischer Hinsicht für ihre Texte nachweisen: Auch Azpilcuetas Dialog ist im mimetischen Modus gehalten, wiederum ist das erste Gespräch als dialogisches Proömium zu lesen. Mit seinen fünf Sprechern ist die Anzahl der Gesprächspartner in den Diálogos de imágenes im Gegensatz zu Agustíns Dialog zwar höher, das Gespräch ist dadurch aber nicht unbedingt komplexer. Es sprechen in diesem Dialog drei Männer – Teófilo, Claudio und Fabio – und zwei Frauen – Cesarea und Safo. Schon Saquero urteilte, dass die Figuren von Azpilcuetas Dialog bereits durch ihre Namen eine direkte Anbindung an die Antike zeigen, der schließlich das Gespräch thematisch gewidmet sei.82 Die Sprecher 78 Crosas López, Francisco: „Introducción“, in: Azpilcueta Navarro, Juan: Diálogos de las imágines de los dioses, hg. v. Francisco Crosas López, Pamplona: Gobierno de Navarra 2003, 21. 79 Das madrilenische Manuskript weist einige Divergenzen und Fehler im Vergleich zur Pariser Handschrift auf und enthält außerdem einen zweiten Teil (f. 105r–135r), einen Dialog zwischen den Figuren Cesarea und Teófilo, die in 16 Gesprächen die auf Stoffen in einer Galerie dargestellten Götterbilder diskutieren. Dieser Textteil scheint jedoch nicht von Azpilcueta, sondern vermutlich später von einem anderen Autor verfasst worden zu sein (vgl. Crosas López 2003, 18–22). Der zweite Teil der Diálogos wird in dieser Arbeit aufgrund der genannten Unsicherheit über den Autor keine weitere Betrachtung erfahren. 80 Die folgenden im Text mit ‚DI‘ gekennzeichneten Seitenzahlen beziehen sich auf die moderne Edition des Textes, die auf dem Pariser Manuskript basiert: Azpilcueta Navarro, Juan: Diálogos de las imágines de los dioses, hg. v. Francisco Crosas López, Pamplona: Gobierno de Navarra 2003. 81 Crosas López 2003, 16. Wahrscheinlich scheint zudem eine Verwandtschaft mit dem als „Doctor Navarro“ bekannten Kirchenrechtler Martín de Azpilicueta, der ab 1524 in Toulouse, Salamanca und Coimbra lehrte (Saquero, Pilar: „Mitología y Diálogo en el Renacimiento: Los Diálogos de las imágenes de los dioses de Juan de Azpilicueta“, in: Aldama Roy, Ana María (Hg.): De Roma al Siglo XX, Bd. II, Madrid: Sociedad de Estudios Latinos-UNED 1996, 913; Crosas López 2003, 17). 82 Saquero 1996, 916.
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verbleiben jedoch weitestgehend ohne Charakterisierung; lediglich für Teófilo lassen sich individualisiertere Informationen finden. Auch aus diesem Grunde ist behauptet worden, aus ihm spreche der Autor Azpilcueta.83 Teófilo scheint höheren Alters zu sein; zu erfahren ist außerdem, dass er sich literarisch betätigt hat: So erwähnt Claudio einen Text, an dem Teófilo anscheinend in seiner Jugend gearbeitet, den er jedoch nicht beendet hat (DI, S. 81); später rezitiert Claudio ein vermeintlich von Teófilo in seiner Jugendzeit verfasstes Gedicht (DI, S. 97). Im Vergleich zu Agustín ist die zeitliche und räumliche Situierung bei Azpilcueta noch unspezifischer; die Handlungsebene insgesamt ist fast vollständig getilgt. Anhand des Gesprächsbeginns lässt sich lediglich nachweisen, dass sich die Unterhaltung nicht in einer Universität abspielt:84 „No començaré a deslindar el origen de los primeros dioses, […], por ser cosas más para desputarse en los patios de las universidades que para refererise en conversación“ (DI, S. 37). Mit Ausnahme des sechsten und siebten Gesprächs, die beide an einem Tag stattfinden, gehen alle anderen mit dem Ablauf eines Tages einher.85 Ausgangspunkt der Unterhaltung in Azpilcuetas Diálogos, so erfährt man im ersten Gespräch, ist Cesareas offensichtlich bereits vor einer Weile geäußerte Bitte an Teófilo, ihr die Abbilder der Gottheiten zu erklären (DI, S. 36–37). Teófilo, der sich zunächst geziert hatte, diesem Wunsch zu entsprechen, lässt sich nun darauf ein – nicht jedoch, ohne vorher mit der Bescheidenheitstopik und dem Lob und Verweis auf den in dieser Materie weitaus bewandteren Agustín zu reagieren: Si Don Antonio Augustín hubiera querido alargar la pluma a más de lo que sus medallas se estendían, con más satisfactión pudiera Cesarea entender las imágines de los dioses que quiere que yo le declare, pues fue quien con más verdad supo las cosas tocantes a sus religiosas figuras (DI, S. 36).
Nach der Festlegung des Gesprächsablaufs und des allgemeinen Vorgehens – Teófilo, Fabio und Claudio werden jeweils die Beschreibungen der Gottheiten darlegen, Cesarea und Safo hingegen mit Fragen und Zweifeln eingreifen (DI, S. 36)86 – lässt Teófilo verlauten, welcher Autorität er bei den folgenden Beschreibungen der Götter und Tugenden folgen wolle:
83 So beispielsweise Saquero (1996, 914): „Azpilicueta, a quien podemos identificar con el interlocutor Teófilo“. 84 Saquero 1996, 916–917. 85 Ebd., 917 und 917, Anm. 14. So heißt es beispielsweise am Ende des ersten Gesprächs „con que se puede dar fin a la conversación de hoy“ und am Beginn des zweiten „se ha de tratar hoy de las imágines de la diosa Virtud“ (DI, S. 49). Diese konventionalisierten Formulierungen fehlen am Ende des sechsten Gesprächs – es ist dort lediglich ein Hinweis auf die Tageszeit des Gesprächs zu finden („No es justo que lleve Teófilo en peso todo el trabajo de la conversación desta tarde“, DI, S. 102) – und tauchen erst am Ende des siebten wieder auf („en esto se puede dar fin a la conversación de hoy“, DI, S. 136). 86 Längere Beschreibungen von (weiblichen!) Gottheiten nehmen Cesarea und Safo lediglich an zwei Stellen vor – Safo beschreibt die PANDORA als ‚primera figura del hombre‘ (DI, S. 40– 41), Cesarea die Darstellungen der POMONA (DI, S. 116–117).
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[…] aquel gran maestro de todos en esta materia, Lilio Gregorio Giraldo en sus célebres Syntagmas de los dioses, cuya autoridad pienso seguir – de quien tomó todas sus imágines Vicencio Cartario […] (DI, S. 37).
Das Gespräch ist in seinem Ablauf an Giraldos De musis syntagma und Historia de diis gentium sowie an Cartaris Le imagini degli dei degli antichi ausgerichtet.87 Diese Orientierung ist für den Text zentral; ich werde später darauf zurückkommen. Im Anschluss an diesen expliziten intertextuellen Verweis werden im ersten Gespräch zwei einleitende Themen diskutiert, und zwar die ersten (Ab-)Bilder der Götter (DI, S. 37ff.) sowie die Materialien, aus denen in der heidnischen Antike die Abbilder der Gottheiten hergestellt wurden (DI, S. 43ff.). Anschließend werden die Darstellungskonventionen von insgesamt fast 60 Gottheiten und personifizierten Tugenden der Antike (beispielsweise von Flora, Ceres oder Tellus sowie Spes, Virtus und Fama), aber auch von personifizierten Lastern (Invidia, Discordia, Furor, etc.)88 sowie abschließend von „unos diocesillos de poca importancia“ (DI, S. 160), auch aus dem ägyptischen Altertum, beschrieben und diskutiert. Es werden die jeweiligen Attribute, Kennzeichen und Symbole erläutert, wie man sie in verschiedenen antiken Kunstgattungen – vornehmlich Medaillenkunst, Skulptur und Architektur – sowie zeitgenössischen Bilddarstellungen in Hieroglyphen-, Emblem-, Impresen- und Devisensammlungen findet. Die jeweiligen Darstellungsformen werden durch die bekanntesten Mythen und Göttergeschichten, mit Bezug auf die antiken Autoritäten, kommentiert. Agustíns und Azpilcuetas Dialoge scheinen sich damit zunächst zwar formal und strukturell durchaus zu ähneln; bei genauerer Betrachtung jedoch lassen sich zwischen den beiden Texten maßgebliche Unterschiede in der Verhandlung und Diskussion konstatieren. Denn obschon Azpilcuetas Dialog das Wort imágenes im Titel trägt, fehlen Bilder in seinem Dialog nicht nur völlig,89 sie spielen eigentlich auch keine Rolle (mehr). Azpilcuetas Text schöpft damit sein intermediales Potenzial nicht aus; vielmehr, so werde ich zeigen, ist hier von einem intertextuellen, mythographischen Kompendium in Dialogform zu sprechen. Eine zentrale Rolle in Azpilcuetas Text spielen die zahlreichen Referenzen auf die zeitgenössisch populären Hieroglyphen-, Emblem- oder Impresenbücher.90 Die Dialogsprecher verweisen ständig auf die Abbildungen in Valerianos und Horapollos Hieroglyphica, auf Alciatos Emblematum liber (1531) sowie auf die 87 Azpilcueta 2003, 37, Anm. 7. 88 Teófilo leitet die Erklärungen der Laster mit den folgenden Worten ein: „otros dioses en alguna manera contrarios a los referidos, pues no sólo las virtudes, pero también los vicios merecieron este nombre“ (DI, S. 142). 89 Saquero (1996, 914, Anm. 5) hatte davon gesprochen, Azpilcueta folge in seinem Text dem Modell der bekanntesten ikonografischen Werke, jedoch ohne imagines in den Text als Abbildung zu integrieren. 90 Crosas López (2003, 22) hatte die mythologischen Manuale und die Emblem-, Impresen- und Devisenbücher unter dem Begriff „libros de emblemas“ noch gleichgesetzt und sie neben den „libros de antiguallas [...] como los Diálogos de Antonio Agustín“ und den juristischen Traktaten als zentrale Quellen der Diálogos von Azpilcueta gewertet.
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VIII. Antonio Agustíns Diálogos de medallas
Emblemas morales (1591) von Juan de Horozco y Covarrubias.91 Daneben finden sich Verweise auf Impresenbücher – Paolo Giovios Dialogo dell’Imprese militari et amorose (1555) und Jeronimo Ruscellis Imprese illustri (1564) beispielsweise – sowie auf Devisensammlungen, darunter Claude Paradins Devises héroïques (1551). An diesen Referenzen lässt sich nun mehreres beobachten: Erstens wird deutlich, welche Bedeutung allgemein die „Bilderschriften“, wie Volkmann sie genannt hatte, für die Renaissance einnehmen;92 zweitens, wie sehr die Humanisten ein „modernes Äquivalent“ zu den Hieroglyphen, den „antiken Kryptogrammen“, suchten, welches sie vor allem in den Emblemen fanden;93 und drittens zeigt sich hier, welch enge Beziehung zwischen Ikonographie, Mythographie, Numismatik und Emblematik im Renaissance-Humanismus bestand: Die Referenzen auf diese Emblem- oder Impresensammlungen sind in Azpilcuetas die Götterbilder behandelndem Dialog selbstverständlich aus dem Grunde so zahlreich, da die Mythologie für diese traditionell eine immens große Rolle spielte.94 Allerdings, genau darauf kommt es mir im Vergleich zu Agustíns Diálogos de medallas an, spielt die Bildlichkeit dieser Embleme, Devisen und Impresen bei Azpilcuetas Sprechern im Grunde nur eine untergeordnete Rolle. Um darzustellen, was ich damit meine, möchte ich anhand eines konkreten Textausschnitts – der Darstellung von SPES im vierten Gespräch – beispielhaft zeigen, wie sich die Beschreibung der Gottheiten und Tugenden in Azpilcuetas Dialog genau vollzieht. Teófilo beginnt seine Beschreibung der „imágines“ von SPES dort zunächst mit ihrer Darstellung in einem Emblem von Alciato: […] començando por la emblema de Alciato, donde está la Esperança vestida de verde, con los ojos puestos en el cielo, y en las manos las saetas de la muerte, sentada sobre un pipotillo o barrilio, en compañía de Némesis, Cupido y Buen Suceso (DI, S. 72).
Im Anschluss ist sogleich zu erfahren, aus welchen Gründen SPES von genau diesen Attributen, Gottheiten und Personifikationen begleitet wird (die Büchse der Pandora beispielsweise enthielt als einzig Gutes die Hoffnung): Cuya declaración depende de la fábula de la Pandora, pues abriendo el vaso – que vaso quieren algunos que sea y no dolio o tonelejo […] donde estaban las virtudes. Merced de la Pandora y de su buena diligencia quedó ésta en la boca del vaso. [...] Y adviértase de paso en esta emblema que entonces tienen las amorosas esperanças por compañía al Buen Suceso cuando se espera lo justo (DI, S. 72).
Es folgt die Aufzählung weiterer Formen von SPES: Ihre Darstellung in den Hieroglyphen bei Valeriano und bei Celio Augusto; in den Medaillen bei Agustín; ihre von Martianus Capella geschilderte Darstellung in einem Tempel; ihre Statue auf dem Kapitol in Rom, etc. (DI, S. 73–74). Insgesamt wird eine enumeratio und
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Gómez 1988, 174, Anm. 63; Saquero 1996, 918. Vgl. Volkmann 1969. Seznec 1990, 79. Vgl. Seznec 1990, 80, der die besondere Rolle der Mythologie in den Emblemata von Alciato hervorhebt.
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comparatio der unterschiedlichen Darstellungsformen und -konventionen von SPES vorgenommen. Dieses Textbeispiel steht paradigmatisch für das Beschreibungsprozedere in den Diálogos de las imágenes. Auffallend sind dabei zwei Punkte: Erstens werden die Darstellungskonventionen anhand der Götterbeschreibungen in anderen Texten zusammengefasst und verglichen; zweitens sind die Darstellungen dabei nur auf der Argumentationsebene des Dialogs verortet, d.h. nie werden sie in der Handlung vorgeführt – die Figuren tauschen nicht etwa Medaillen untereinander aus, zeichnen Skizzen dieser Götter oder begehen gemeinsam eine Skulpturensammlung. All dies wäre in der Gattung des Dialogs schließlich mehr als denkbar. Soweit sich erkennen lässt, sind in der intratextuellen Welt keinerlei Bilder, Skulpturen oder andere Kunstobjekte tatsächlich vorhanden.95 Nie richten sich die zahlreichen Beschreibungen künstlerischer Götter- und Tugenddarstellungen an tatsächlich in der Dialogwelt vorliegenden Kunstwerken oder Zeichnungen aus; nie werden sie im Gespräch gezeichnet, betrachtet, beschrieben oder ausgetauscht. Die Erläuterung der imágenes geschieht stattdessen immer mit Bezug auf ihre Beschreibung oder Darstellung in anderen Texten. Dies gilt auch für die zahlreichen Referenzen auf die Götterdarstellungen in Hieroglyphen, Emblemen, Impresen oder Devisen, wie sie sich in den bereits genannten zeitgenössischen Emblem-, Impresen- oder Devisensammlungen finden lassen. Bereits Saquero und Crosas haben die Referenzen auf die Emblematik bei Azpilcueta betont: So hebt Saquero bei Azpilcueta das Zitieren von Texten wie Agustíns Diálogos de medallas, Alciatos und Horozco y Covarrubias’ Emblemas sowie Valerianos Hieroglyphica hervor, und urteilt: „Por estas citas, que pretenden asociar las descripciones de las imágenes a su visualización, los Diálogos son un modelo de fusión con la emblemática“96; Crosas weist den Text später als Fusion von „diálogo, mitografía y Emblemática“97 aus. Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass die Dialogsprecher die Embleme, Devisen oder Hieroglyphen direkt vorliegen haben; es finden sich keine deiktischen Ausdrücke, die ein hic et nunc deutlich machen, wie wir es für die Medaillen bei Agustín und für andere Kunstgegenstände in den hier untersuchten Dialogen beobachten konnten. Zwar benutzen Azpilcuetas Dialogsprecher Formulierungen des haber visto: Esa estatua de Sirófanes (si bien me acuerdo) la he visto pintada en Pierio Valeriano tratando de los altares y Misericordia (DI, S. 42); 95 Lediglich an einer Stelle scheinen die Gesprächspartner gemeinsam auf ein vorliegendes Gemälde zu schauen: So meint Teófilo zu Cesarea in der Beschreibung von AETERNITAS, „si nos importa mucho saber sus figuras [las de las cuatro edades] en estos lienzos de Flandes que tenemos delante las podemos ver, que yo no sé otras más auténticas“ (DI, S. 140). Diese Aussage steht jedoch isoliert, sie bleibt völlig ohne Wirkung, sie löst keinerlei Reaktion aus und ist aus meiner Sicht deshalb zu vernachlässigen. 96 Saquero 1996, 918. Man bedenke nochmals, dass sich die Autoren von Emblem- und Hieroglyphensammlungen für deren picturae häufig von Medaillensammlungen inspirieren ließen; so beispielsweise Valeriano und Sambucus (vgl. Lamarca 1996, 540). 97 Crosas López 2003, 15.
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VIII. Antonio Agustíns Diálogos de medallas Y he visto una figura désta [de la honra] que la pintan con una ropa de púrpura llena de ojos y lenguas, con alas en los pies, como Mercurio (DI, S. 50); […] del suceso de Hércules he visto una pegma (DI, S. 55–56); […] ya yo he visto algún emblema harto curioso a la Honestidad y clausura de las mugeres en figura de Venus, que se declarará en sus imágines (DI, S. 90); […] de la diosa Agenora me acuerdo haber visto una pegma que su figura tiene la faja o venda en la mano (DI, S. 131); En una emblema de Alciato he visto una bandera con su figura: […] [zu Minotaurus] (DI, S. 132); En las Emblemas de Alciato he visto pintada la imagen del Silencio en hábito de letrado con un libro en las manos y el dedo al labio (DI, S. 135); La figura deste dios, espantosísima, colérica, airada, sangrienta y llena de heridas el rostro […] la he visto pintada en algunas partes (DI, S. 155).
Diese sind jedoch insgesamt nicht, wie bei Agustín, als Code für die zentrale Wichtigkeit der eigenen visuellen Erfahrung zu verstehen.98 Vielmehr scheint es eigentlich um den Nachweis der Lektüre dieser Bücher zu gehen. Darüber hinaus spricht dafür, dass zwischen haber leído und haber visto – zwischen der Schilderung einer Götterdarstellung in einer antiken Schrift und der Beschreibung und/oder Darstellung in einer zeitgenössischen Emblem- oder Impresensammlung – kein qualitativer Unterschied zu bestehen scheint. Zudem werden zwischen ver und leer auch rein sprachlich kaum wirkliche Grenzen gezogen; nicht selten verschwimmen sogar die Bezüge: Bücher werden gesehen statt gelesen („la Demonomaquia, que en italiano he visto, dize que […]“, DI, S. 46; Teó.: „Venus, dexando la compañía de la Paz (que en sola la comedia de Aristófanes las he visto juntas)“, DI, S. 79; „No he visto autor que lo escriba“, DI, S. 40; „En Alexandro Napolitano se puede ver, y después dél en Polidoro Virgilio“, DI, S. 103); und Hieroglyphen geschrieben statt gezeichnet („De la Justicia escribe Pierio una hieroglyfica estraña“, DI, S. 61).99 Es geht bei diesen Verweisen auf die zeitgenössisch immens populären Text-Bild-Relationen nie um ihre künstlerische Darstellung im engeren Sinne; ihre besonderen Konstitutionen, wie beispielsweise die Dreiteiligkeit der Embleme, sind nie wirklich von Interesse. Vielmehr werden diese Text-Bild-Kombinationen lediglich als eine von mehreren möglichen Darstellungsformen oder -konventionen der Gottheiten und Tugenden aufgefasst. Impresen, Devisen, Hieroglyphen und Embleme stehen damit auf einer Stufe mit allen anderen, textuellen Zeugnissen der Darstellungskonventionen. Zwar basieren letztendlich Embleme oder Impresen selbst häufig auf Beschreibungen in antiken Schriften; der Ursprung des mythologischen Wissens – die auch bildliche Darstel98 Im gesamten Text bezieht sich haber visto nur an einer Stelle tatsächlich auf die visuelle Wahrnehmung eines Kunstwerks, jedoch als Beobachtung Cesareas in der Vergangenheit: „Fue tan rara esta Piedad que se hizieron muchas pinturas de ella en Roma. Ces. Y en algunas tapicerías modernas la he visto yo“ (DI, S. 76). An einer weiteren Stelle spricht Fabio über die vergangene Betrachtung einer Bronzefigur („un curioso me mostró una figura de bronzo, que dixo que era suya“, DI, S. 164). 99 Damit einhergehend wird pintar immer wieder auch im Sinne von describir verwendet: „aquel varón grave que en persona de Neptuno nos pinta Virgilio“ (DI, S. 77); „Torquato Tasso en su Hierusalem Liberata, que, pintando las diferentes muertes“ (DI, S. 126).
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lung – rückt für Azpilcuetas Sprecher vollständig in den Hintergrund. Zwischen der künstlerischen Darstellung an sich und dem Diskurs darüber wird kein Unterschied mehr gemacht. Referenzen auf Hieroglyphen, Impresen, Devisen und Embleme, so ist bereits erwähnt worden, ließen sich auch bei Agustín ausfindig machen: Auch in den Diálogos de medallas sind zuweilen die bekannten Emblem- und Hieroglyphenbücher und -autoren (Johannes Sambucus, DM, S. 466; Horapollo und Valeriano, DM, S. 139) sowie konkrete Devisen (DM, S. 229) und Impresen (DM, S. 172; DM, S. 303) benannt. Diese Referenzen auf die zeitgenössische Emblematik sind in der Vergangenheit gerade als Bindeglied zwischen Agustíns und Azpilcuetas Dialog verstanden worden.100 Ich möchte jedoch aufgrund der hier gewonnenen Erkenntnisse davon sprechen, dass es gerade diese Verweise auf die Emblematik – dies sei hier als Hyperonym für die verschiedenen Text-Bild-Relationen wie Hieroglyphen, Impresen, Devisen und Embleme verstanden – sind, an denen sich die Disparität der Dialoge von Agustín und Azpilcueta manifestiert. Entscheidend sind dafür die unterschiedlichen Richtungen, die die Texte in ihrer Diskussion der antiken Kunst und Kunstgattungen vornehmen. Agustíns Prozedere bei der Betrachtung von Medaillen lässt sich besonders gut an der Unterscheidung zwischen Imprese und Medaillenrückseite, die A im zweiten Gespräch mit C vornimmt, exemplifizieren: C. Es lo mismo empresa que rouerso? A. En ninguna manera. C. Pues que es lo que dizen de la medalla de Augusto Cesar con el anchora y delphin con vna letra que dezia, Festina lente? A. Yo no la he visto. Pero bien se que […] Tito hazia medallas con essa empresa de la anchora con el delphin sin letra que declarasse por que la hiziesse debuxar. […] C. Veo que V. S. llama empresa a essa anchora, y la misma es rouerso de la medalla de Tito: luego essa misma es rouerso y empresa. A. Como no todas las empresas del libro de Paulo Iouio o de Geronimo Ruscelli son rouersos, assi no todos los rouersos de medallas son empresas. […] C. Quales llamaremos empresas en medallas? A. Lo que tiene dos significaciones, vna clara como es vn capricorno, vn cometa, vna anchora, […]; y otra significacion escura, como es entender Augusto por el capricorno su ascendiente, y por el cometa la anima de Iulio Cesar, por el anchora la firmeza, […]. C. Sospecho que esso llaman letras hieroglyphicas de las quales hablan Horo y Piero. A. En muchas cosas son semejantes. […] En medallas por marauilla hai empresas con letra escura, y sin ella hai muchas: como tampoco en las hieroglyphicas no hauia otras letras, antes ellas seruian de letras. Las letras que hai con empresas en medallas dan a entender las medallas, como FIDES […] (DM, S. 32–33).
Auffallend an dieser Definition ist nun das Folgende: A gibt nicht etwa eine allgemeine Definition des Begriffs Imprese, sondern er richtet diese ganz explizit ausschließlich auf Impresen auf Medaillen aus. Zwar gäbe es durchaus zahlreiche weitere, doch nicht alle davon werden auf den Rückseiten der Medaillen realisiert („no todas las empresas del libro de Paulo Iouio o de Geronimo Ruscelli son rouersos, assi no todos los rouersos de medallas son empresas“) und sind damit nicht von Bedeutung. Nur diesen „empresas en medallas“ spricht er klar zwei Bedeutungsdimensionen – eine offene und eine verdeckte – zu; nur für diese defi100 Vgl. Gómez 1988, 174 und 174, Anm. 63.
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niert er, dass sie mit und ohne Text existieren; nur für diese sieht er Ähnlichkeiten zu den Hieroglyphen, wie man sie von Horapollo und Valeriano kennt. Im Gesprächsverlauf geht es immer um die spezifischen Realisationsformen von Impresen, Devisen und Hieroglyphen auf konkreten Medaillen – im genannten Textausschnitt etwa solche von Titus, Augustus und Julius Cäsar; in anderen etwa die folgenden: En muchas medallas labradas en Sicilia esta vna empresa de tres piernas juntas y en algunas con vna cara en medio de muger con ciertas espigas (DM, S. 103); [...] como en medallas de nuestra Caesaraugusta hai un vexillo por empresa, y en otras dos buyes arando, [...] (DM, S. 110); A. [...] y pienso que hai vna medalla de los de Corintho con semejante empresa, de vn delphin que trae vn hombre a ponerle debaxo de vn arbol (DM, S. 172); A. […] Pero tornemos a las medallas de Carthago. […] aquella gente que tienen aquel cauallo por empresa (DM, S. 231); CONCORDIA. Esta letra se halla con la misma deuisa de las dos manos derechas (DM, S. 44). Es de creer que aquella cabeça de cauallo que entonces hallaron, la tomaron por deuisa en muchas cosas publicas (DM, S. 229).
Das Gespräch entwickelt sich folglich immer ausgehend von den konkreten Medaillen; entscheidend sind ihre spezifischen Realisationsformen. Auf (vornehmlich antike) Schriften und Texte wird nur zur Auslegung der motivischen, symbolischen und figürlichen Darstellungen auf den Münzen zurückgegriffen. Dies geschieht zugegebenermaßen bei Agustín derart intensiv, dass Egido von diesem Text als „arsenal de fuentes clásicas“ spricht und in ihren Ausführungen zu Vincenzio Juan de Lastanosas Museo de las medallas desconocidas españolas (1645) konkludiert, Agustín habe mit seinem Text eine bestimmte Methode der Erklärung und Auslegung von Medaillen etabliert.101 Stets aber ist eine eindeutige Funktionalisierung dieser Texte, eine eindeutige Analyserichtung zu erkennen: […] los textos ofrecen los apoyos, mientras que las medallas son los objetos del análisis y de la atención. Los libros valen tanto en cuanto permitan la lectura correcta de las imágenes, expliquen la experiencia visual.102
Bei Agustín sind folglich die konkreten Medaillen der zentrale Untersuchungsgegenstand; Schriften werden, wenn überhaupt, zur Auslegung und Interpretation der jeweiligen Motive, Abbildungen und Inschriften ausgewählter Medaillen verwendet. Das Gespräch entwickelt sich also eindeutig vom Kunstobjekt ausgehend. Im Vergleich dazu ist die Richtung der Analyse bei Azpilcueta invertiert: Das Gespräch entwickelt sich bei ihm nicht ausgehend von den Kunstobjekten, sondern von den Texten, die entweder die Darstellung der jeweiligen Gottheit in Statuen, Tempeln oder anderen antiken Kunstobjekten beschreiben oder gleich in Form von Emblemen, Hieroglyphen oder Impresen darstellen, welche zumeist bereits auf antike Texte zurückgehen. Azpilcuetas Text ist damit nicht durch intermediale Phänomene, sondern durch Intertextualität gekennzeichnet, da seine 101 „las monedas antiguas se ilustraban con fragmentos poéticos y otras fuentes literarias, como la propia tradición aragonesa pedía desde Antonio Agustín“ (Egido 1984, 212). 102 Rallo Gruss 2001, 516.
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zentralen Fixpunkte eben nicht die Kunstartefakte selbst – wie bei Agustín – sind, sondern andere, die Gottheiten und Tugenden beschreibende Texte. Damit nimmt er etwas vor, was bereits Seznec als zentral für die bekannten italienischen Mythographen Giraldo, Cartari und Conti festgestellt hatte: […] geschieht es bei allen dreien oft, daß sie nach Beschreibungen beschreiben: statt also Kunstwerke anzuführen, die sie selbst gesehen, schreiben sie nach, was sie bei Philostratos oder Pausanias gelesen haben. So bilden sogar auf diesem Gebiet die Texte, und zwar ausschließlich, noch immer die Basis der Information.103
Die intertextuelle, mythographische Ausrichtung des Textes wird insbesondere im Epilog „Al lector“ (DI, S. 166) erkennbar, den Azpilcuetas Handschrift neben einer Bewilligung und Druckerlaubnis (DI, S. 35–36) aufweist. Dort zeigt sich dreierlei: Erstens wird deutlich, dass Azpilcueta ursprünglich insgesamt drei Bände geplant hatte („Toda la materia de los dioses [...] me ha parecido dividirla en tres partes“); zweitens rechtfertigt er die relative Kürze des Textes sowie die Redaktion auf Spanisch („en romançe, que ha de andar por todas manos“);104 drittens spricht er offen die Fixpunkte seines Textes aus: He seguido los autores que particularmente tratan desto, como son Gregorio Giraldo, Pierio Valeriano, Alexandro Napolitano y otros, cuyos lugares con facilidad hallará el curioso. […] He querido poner el mismo título que tiene el libro de las Imágines de los dioses para que juntos entrambos se agradezca a cada uno el trabajo (DI, S. 166).
Neben den zahlreichen antiken Autoritäten, die Azpilcueta in seinem Dialog zitiert (darunter neben Cicero selbstverständlich auch Plinius, Plutarch, Ovid, Vergil, usw.),105 und der bereits genannten, häufigen Referenz auf Agustíns Diálogos de medallas (DI, S. 36),106 nennt er an dieser Stelle drei zeitgenössische italienische Autoren, deren Werke für ihn besonders leitend waren: Giglio Gregorio 103 Seznec 1990, 185. 104 Vgl. auch Saquero 1996, 919. Längere lateinische Zitate werden in den Diálogos bisweilen v.a. für die Gesprächsteilnehmerinnen auf Spanisch zusammengefasst: Teófilo: „[…] como las enigmas de Damón y Menalcas en las Églogas de Virgilio: Da. Dic quibus in terris (et eris mihi magnus Apollo) […]. Ces. ¿Qué dizen estos versos? Teo. Pregunta Damón a Menalcas que le diga, y le terná por Apolo, que […]“ (DI, S. 121–122). Agustíns Freund Zurita plädierte dafür, das Buch über die Medaillen auf Latein zu verfassen (Carbonell 1991, 68). Da sich Agustín jedoch gegen diesen Vorschlag entschied, erschien ihm wohl eine Rechtfertigung notwendig. 105 Crosas López stellt eine Liste der zitierten Autoritäten zusammen und zählt rund 150 (vgl. 2003, 22–23). 106 Die Dialogfiguren verweisen wiederholt auf die Beobachtungen und Darstellungen von und bei Agustín: „don Antonio Augustín no acabó de dar crédito a esta opinión, con todo lo que supo de antigüedades“ (DI, S. 52); „no quedan sino algunas medallas desta diosa, que las truxo don Antonio Augustín“ (DI, S. 57); „para mí, bástame que un hombre tan grave como don Antonio Augustín a un propósito harto antiguo no truxo más autoridad de la que tienen dos versos de un romance antiguo a propósito de lo que trataba“ (DI, S. 63); „Lo demás que desta diosa se podría dezir lo remito a lo que della escribió don Antonio Augustín“ (DI, S. 72); „ni pienso alargar esta imagen refiriendo medallas, pues don Antonio Augustín me quita de trabajo“ (DI, S. 99); „Las medallas desta diosa las refiere don Antonio Augustín“ (DI, S. 140), etc.
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Giraldi (oder Giraldo), an literarischen, antiquarischen und mythologischen Fragestellungen interessierter Humanist, der vor allem durch Werke wie De musis (1512) und De diis gentium (1548) Bekanntheit erlangte;107 Pierio Valeriano, dessen bekannte Hieroglyphica 1556 erstmalig in Basel veröffentlicht wurden; und der Jurist und Humanist Alessandro Alessandri, zu seiner Zeit einer der Vorreiter der neuen juristischen Schule, der literarisch vor allem durch seine den Noctes Atticae von Aulus Gellius nachempfundenen Genialium dierum libri sex bekannt wurde.108 Auch den Titel seines Werkes lehnt Azpilcueta dabei explizit an einen italienischen Renaissancetext an, Vicenzo Cartaris ikonographisches Le imagini degli dei degli antichi (1556).109 Cartari wiederum, so behauptete Teófilo ja im ersten Gespräch des Dialogs, habe sich bei seinem Text vornehmlich an Giraldo orientiert (DI, S. 37).110 Saquero hat Azpilcuetas Dialog mit Giraldos Text verglichen und festgestellt, dass sowohl die Reihenfolge der Gottheiten als auch die zumeist lateinischen Götternamen auf Giraldo zurückgehen (die Reihenfolge entspricht dem zweiten Abschnitt „Dei ex humanis actionibus“ des Syntagma I bei Giraldo).111 Abweichungen von dieser durch Giraldo vorgegebenen Reihenfolge werden von den Figuren ausdrücklich angesprochen.112 Zwar lassen sich damit wie bei Agustín auch bei Azpilcueta die besonderen Verweise auf zeitgenössische italienische, vorwiegend den römischen Zirkeln zugehörige Humanisten finden.113 Überdies aber ordnet sich Azpilcuetas Text mit Orientierung an Giraldo und Cartari in eine Texttradition der besonderen Art ein, und zwar der frühneuzeitlichen Tradition von mythographischen Sammelwerken, Kompendien und Handbüchern. Bocaccio begründete diese im 14. Jahrhundert mit seiner Genealogia Deorum; im Jahre 1532 wird sie von Georg Pictors in Dialogform verfasster Theologia mythologica erneuert; zentral für das 16. Jahrhundert ist neben Giraldo und Cartari vor allem Natale Contis Mythologiae… fa-
107 Turchi, Nicola: „Giraldi, Giglio Gregorio“, in: Gentile, Giovanni / Tumminelli, Calogero (Hg.): Enciclopedia italiana di scienze, lettere ed arti, Bd. XVII, Rom: Instituto della Enciclopedia italiana 1951, 279. 108 Ermini, Giuseppe: „Alessandri, Alessandro“, in: Gentile, Giovanni / Tumminelli, Calogero (Hg.): Enciclopedia italiana di scienze, lettere ed arti, Bd. II, Rom: Instituto della Enciclopedia italiana 1950, 301. 109 Azpilcueta 2003, 37, Anm. 7. 110 Cartari hingegen nennt in seiner „Prefatione al letore“ explizit „I Dialoghi di D. Antonio Agostini“ – neben u.a. den Texten von Valeriano, Alciato und Orsini – als maßgeblich (Cartari, Vincenzo: Imagini delli dei de gl’antichi, Nachdr. d. Ausg. Venedig 1647, eingel. v. Walter Koschatzky, Graz: Akad. Druck- und Verlagsanstalt 1963, a5v). Im „Catalago d’avtori antichi, et moderni Che sono in essere; & di proposito“, der diesem Vorwort nachfolgt, führt er dann u.a. auch Giraldi sowie die Numismatiker Goltzius und Choul auf (ebd., o.S.). 111 Saquero 1996, 914. 112 So z.B. Claudio im 6. Gespräch: „aunque después de la Fama refiere el Ferrariense [d.h. Giraldo] una infinidad de dioses cuyo ministerio es conservar las mieses y otras cosas tocantes a las plantas, cuyas imágines ni tenemos, será bien dexarlos todos y tratar de la Tierra para dar asiento a los dioses del campo“ (DI, S. 110). 113 Als möglicher Nexus zwischen den beiden Autoren ist, da die römischen Humanisten gemeinhin als papstnah gelten, unter Umständen das Tridentinum denkbar.
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bularum libri decem (1551).114 Auch wenn sich in Spanien mit der Philosophia secreta (Madrid, 1585) des Mathematikers und Humanisten Juan Pérez de Moya ein Beispiel aus der Traditionslinie dieser Handbücher findet, welches starke Ähnlichkeit zu Contis Mythologiae aufweist,115 sind es die italienischen RenaissanceMythographen, auf die sich Azpilcueta bezieht.
7. SEHEN UND ZEICHNEN STATT TEXTLEKTÜRE Antonio Agustín und Juan Azpilcueta Navarro lassen eine ähnliche disziplinäre Konstitution erkennen: Beide sind zugleich Juristen, Theologen und an künstlerischen und archäologischen Artefakten interessierte Humanisten, die besonders in die italienischen, speziell römischen Humanistenzirkel eingebunden scheinen. Diese vergleichbare Orientierung, so konnte gezeigt werden, schlägt sich auch im Aufbau und in der formalen Struktur der Diálogos de medallas von Agustín und den Diálogos de las imágenes von Azpilcueta Navarro nieder. Die Argumentation ist nur wenig personell, räumlich und zeitlich indexikalisiert; beide Texte weisen zudem einen starken enzyklopädischen Charakter auf; auch ist eine deutliche Reduzierung der Geschehensebene zu konstatieren. Diese drei Punkte scheinen charakteristisch für die Dialoge der iberischen Spätrenaissance zu sein. Trotz dieser Analogien und obschon sich Azpilcuetas Text eindeutig an Agustíns Diálogos de medallas anbindet, ließen sich maßgebliche Unterschiede zwischen den beiden Dialogen feststellen. Agustíns medienkombinatorische Diálogos de medallas gehen durch ihre spezielle Struktur über den Status einer reinen auf Medaillen dargestellten ‚Enzyklopädie‘ der antiken Geschichte und Mythologie weit hinaus. Erstens vermitteln sie auf der Diskursebene theoretisches Wissen über (antike) Medaillen, mit dem es möglich ist, diese eigenständig bewerten und sammeln zu können. Zweitens wird die Vorrangstellung der visuellen Erfahrung (haber visto) auf allen Ebenen des Dialogs inszeniert; insbesondere ist dies an der zentralen Bedeutung der tatsächlich vorliegenden und damit auf der Handlungsebene situierten Medaillen oder Abbildungen zu erkennen. Erneut war hier damit die Verquickung von Handlungs- und intermedialer Ebene festzustellen. Für Azpilcuetas Diálogos de las imágenes gilt dieser letzte Punkt nicht: Die zahlreichen Beschreibungen künstlerischer Götter- und Tugenddarstellungen und -bilder sind nicht auf der Geschehensebene verortet, sie tauchen nicht als Kunstwerke oder Abbildungen in der Dialogwelt auf. Stattdessen wird ihre Beschreibung oder Darstellung immer mit Bezug auf andere Texte vollzogen. Dies gilt auch für die zahlreichen Referenzen auf die Götterdarstellungen in Hieroglyphen, Emblemen, Impresen oder Devisen. Formulierungen des haber visto sind bei
114 Vgl. Seznec 1990, 163ff. 115 Ebd., 244. Bedeutender und weiterverbreitet als die Philosophia secreta sollte im mythographischen Bereich in Spanien jedoch das Teatro de los Dioses de la Gentilidad von Fray Baltasar de Victoria werden, das allerdings erst 1620 erscheint (ebd., 245).
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VIII. Antonio Agustíns Diálogos de medallas
Azpilcueta nie als Code für die zentrale Wichtigkeit der visuellen Erfahrung zu verstehen; vielmehr scheint es eigentlich um den Nachweis der Lektüre dieser Emblem-Bücher zu gehen. Die in beiden Texten zu findenden Referenzen auf die zeitgenössisch immens populäre Emblematik, Hieroglyphik und Impresenkunst sind damit nicht als ein die beiden Dialoge einendes Element, sondern als exemplarisch für die Disparität der Texte gedeutet worden. Die Dialoge schlagen unterschiedliche Richtungen ein: Bei Agustín sind stets die konkreten Medaillen (oder Inschriften) der zentrale Untersuchungsgegenstand; die antiken Schriften sowie die Hieroglyphen-, Impresen- und Emblembücher werden, wenn überhaupt, zur Auslegung und Interpretation der jeweiligen Motive, Abbildungen und Inschriften ausgewählter Medaillen verwendet. Das Gespräch entwickelt sich also eindeutig vom Kunstobjekt ausgehend – vorrangig ist damit die visuelle experientia, die mit einer klaren Funktionalisierung der antiken Schriften als Auslegungsmittel einhergeht. Im Vergleich dazu ist die Untersuchungsrichtung bei Azpilcueta invertiert: Das Gespräch entwickelt sich bei ihm ausgehend von Texten, die die Darstellung der jeweiligen Gottheit beschreiben oder zeigen, und eben nicht ausgehend von den Kunstobjekten. Azpilcuetas Text ist damit nicht als Kunstdialog, der das intermediale Potenzial ausschöpft, sondern als intertextuell aufgestelltes, mythographisches Kompendium in Dialogform zu beschreiben. Die bei Agustín so zentrale visuelle Erfahrung ist bei Azpilcueta nicht vorhanden. Erfahrung ist, wenn überhaupt, bei ihm nur noch als Lektüreerfahrung zu erkennen. Diese Unterscheidung ist bedeutend, da die intermediale Ebene in Verschränkung mit der Handlungsebene den Kunstdialogen ihr jeweiliges Bedeutungsplus hinzufügt. Agustíns Dialog ist nicht nur ein zentrales Beispiel für die Vorrangstellung der visuellen Erfahrung in der Renaissance, sondern zudem auch methodologische Reflexion: Denn es werden an diesen, den Gesprächspartnern vorliegenden Münzen oder Abbildungen zentrale Methoden der Numismatik inszeniert; als besonders relevant ist dabei vor allem auf der Geschehensebene das Skizzieren als obligatorische Fähigkeit des Numismatikers ausgewiesen worden (saber dibujar). Diese besondere Bedeutung von Skizzen und Abbildern für die Numismatik bedenkend, wurde die medienkombinatorische Konstitution von Agustíns Diálogos de medallas noch deutlicher: Die mit Abbildungen versehenen Diálogos sind zu beschreiben als Sammlung von Medailleninterpretationen sowie -abbildern in Gesprächsform, welche wiederum als Bild-Grundlage zu weiteren Gesprächen über Medaillen zu verwenden sind. Agustíns Diálogos, in denen die visuelle Erfahrung der Medaillen und die konkrete Anwendung numismatischer Methoden als zentral hervorgehoben wird, können als Gesamtwerk damit nach genau diesen, im Dialoggespräch gezeigten und vorgeführten Methoden weiterverwendet werden.
IX. KONKLUSION – SEHEN IM DIALOG Die im 16. Jahrhundert in der spanischen Renaissance entstandenen literarischen Dialoge zu Kunst und Malerei sind hier erstmalig als zusammenhängendes Textkorpus analysiert worden. Untersucht wurden dabei zum einen Dialoge, die Kunst oder Malerei zum zentralen Thema haben – Sagredos Medidas del Romano, Holandas Diálogos em Roma und Do Tirar polo Natural sowie Agustíns Diálogos de medallas, inscripciones y otras antigüedades; zum anderen Dialoge, die einen anderen Gegenstand thematisieren, aber einen beträchtlichen kunst- und malereitheoretischen Gehalt aufweisen – Villalóns El Scholástico und Pinedas Diálogos familiares de la agricultura cristiana. Im Panorama der kunsttheoretischen Schriften, die im spanischen 16. und 17. Jahrhundert entstehen, nehmen diese Renaissancedialoge zu Kunst und Malerei aus mehreren Gründen einen besonderen Platz ein. Erstens, da sie im Gegensatz zu den anderen Gattungen des theoretisch-argumentativen Diskurses über eine binnenpragmatische Struktur und somit, zwischen Theoriebildung und Fiktion oszillierend, neben einer Argumentationsebene auch über ein Geschehensund Handlungssubstrat verfügen. Zweitens, da sie, als ihr charakteristisches Merkmal, intermediale Phänomene aufweisen: So sprechen die freundschaftlich verbundenen Künstler und Kunstinteressierten in diesen Dialogen nicht nur über die Kunst und die Kunsttheorie, sondern Kunst und Kunstwerke sind auch in der Gesprächswelt gegenwärtig und werden dort so in Szene gesetzt und funktionalisiert, dass über die Kunstperspektive hinausgehende Bedeutungsdimensionen offenbar werden. Systematisiert man die Kunstdialoge nach diesen intermedialen Erscheinungen, so ergeben sich zwei Gruppen: Zum einen Dialoge, in denen die thematisierten Kunstwerke sowohl fiktionsintern vorhanden als auch fiktionsextern als Abbildung dargestellt sind. Für Sagredos Medidas del Romano, Holandas Do Tirar polo Natural und Agustíns Diálogos de medallas, für die dies zutrifft, ist aufgrund der materiellen Präsenz von Text und Bild übergreifend von Medienkombination gesprochen worden. Zum anderen sind Dialoge vertreten, bei denen die fiktionsintern präsenten Kunstwerke ausschließlich qua Text ‚sichtbar‘ werden. Derartige intermediale Referenzen lassen sich in Villalóns Scholástico, Holandas Diálogos em Roma und Pinedas Diálogos familiares feststellen. Als signifikant für die Relevanz der Gesprächsebene ist zudem auch die Tatsache zu werten, dass sich in dem hier untersuchten Textkorpus spanischer Kunstdialoge somit keine Dialoge mit lediglich fiktionsexternen Abbildungen realisiert finden. Die besonderen Auswirkungen auf die Sinnbildung sowie das Potenzial dieser Phänomene für die Dialoge sind in dieser Arbeit ausgelotet und geprüft worden. Dazu sind die Texte jeweils auf ihre Argumentations-, Handlungs- und intermediale Ebene hin untersucht und dabei ermittelt worden, welche weiteren, die kunst- und
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IX. Konklusion
malereitheoretischen Fragestellungen übersteigenden Dimensionen, Sinngehalte oder Anschlussmöglichkeiten sich durch diese spezielle Faktur ergeben. Dieses Potenzial offenbart sich bei einer die komplexe Inszeniertheit der Kunstdialoge berücksichtigenden Lektüre. Bislang wurden diese Dialoge, sofern sie überhaupt rezipiert worden sind, vornehmlich in einer Reihe mit anderen theoretisch-argumentativen Texten der spanischen Kunstliteratur des Siglo de Oro lediglich als kunsthistorisches Zeugnis und zudem zumeist monologisiert, als kunst- und malereitheoretische Aussagen des Autors gelesen. Natürlich enthalten einige der Dialoge tatsächlich Fragestellungen und Elemente der zeitgenössischen Diskussion um die Künste, Wissenschaften und Disziplinen, wie diese als sozialgeschichtlicher und diskursiver Kontext und als einer von mehreren Faktoren für die Entstehung der frühneuzeitlichen Kunstliteratur auf der Iberischen Halbinsel zu Beginn dieser Arbeit vorgestellt worden sind. In den Medidas del Romano etwa werden die Bildenden Künste erstmals in einem spanischen Text explizit als artes liberales ausgewiesen: Tampeso hebt hervor, dass die Architektur auf der Geometrie und damit auf einer der artes liberales basiere, und ordnet die Malerei und die Bildhauerei explizit als weitere freie Künste ein, da für sie espíritu und ingenio notwendig seien. Er unterstreicht diese Ansicht mit mehreren aus der frühneuzeitlichen Kunstdebatte bekannten Argumenten. Im Scholástico ist es Pérez de Oliva, der von der Malerei und der Architektur explizit als Wissenschaften (ciencias) und Künsten (artes) spricht und insgesamt eine konzise Zusammenschau der zeitgenössisch relevanten Motive und Topoi vornimmt: Er betont das für die Bildenden Künste notwendige intellektuelle Vermögen und die Gelehrsamkeit, er hebt die besondere Imitationsleistung der Malerei hervor, unterstreicht ähnlich zur Formel ut pictura poesis die Ähnlichkeiten von Malerei, Dichtung und Redekunst, und unterscheidet Farbmalerei und Zeichnung. In den Diálogos em Roma finden sich verschiedene Formen des Paragone: Zunächst beschäftigen sich Holanda und Michelangelo mit dem Vorrang von Malerei oder Bildhauerei; danach nimmt Tolomei die Verteidigung von Malerei und Dichtung als Schwesterkünste vor; schließlich spricht sich Holanda für die Vorherrschaft der Malerei über die Dichtung aus. In den Diálogos familiares de la agricultura cristiana wird die Malerei zwar nicht explizit als ars liberalis bezeichnet, sie wird aber auf eine Stufe mit den freien Künsten gestellt und ihr nobler und intellektueller Status unterstrichen. Die Gesprächspartner tauschen sich außerdem über konkrete Fragestellungen zur Malerei aus, die sich insbesondere im Nachklang des Tridentinums und in der Phase der Gegenreformation stellen: Policronio warnt vor unsittlichen Bildern und Gemälden; Pánfilo und Filateles stellen die auch von der Kirche genutzten Argumente zur Legitimation der Bilderbeibehaltung zusammen; Filótimo sieht die Betrachtung sakraler Gemälde gar als direkten Weg zur persönlichen Erlösung. Insgesamt jedoch wurde hier deutlich, dass die untersuchten Dialoge sich nicht in diesen und anderen kunst- und malereitheoretischen Fragestellungen erschöpfen. Durch das Zusammenfallen der intermedialen Ebene mit der Geschehensebene des Dialogs kommt es vielmehr zu folgender Besonderheit: Diese koinzidierenden Ebenen erweitern, explizieren oder durchkreuzen die Argumenta-
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tionsebene, lassen also weitere oder andere Sinngehalte an den Texten hervortreten, als dies in den Propositionen der Sprecher geschieht. Es eröffnen sich auf diese Weise, so lässt sich konkludierend nun konstatieren, bei den spanischen Renaissancedialogen zu Kunst und Malerei hierüber hinaus weitere Bedeutungsdimensionen, die sich alle unter den Begriff eines Primats des Sehens im Dialog subsumieren lassen. Die in den hier analysierten Texten in unterschiedlichen Facetten beleuchtete und vorgeführte Suprematie des Sehens schließt in ihren Grundlagen dabei an die antike Sinnenhierarchie an, wie sie insbesondere Platon im Timaios aufgestellt hat; als Betonung der Vorrangstellung der Augen tritt sie zudem aber beispielsweise auch in der Ars poetica des Horaz in Erscheinung. Einhergehend mit dem neuen Menschen- und Weltbild sowie ausgelöst durch bahnbrechende Entwicklungen wie die Erfindung des Buchdrucks oder die Entdeckung der Zentralperspektive ergeben sich in der Renaissance nun, anknüpfend an eben diese Sinnenhierarchie, bedeutende Veränderungen in der Bewertung des Auges, der visuellen Wahrnehmung und der Rangstufe des Sehens unter den Sinnen. Das Sehen in der Renaissance ist ein neues Sehen, dem überdies klar die Vorrangstellung zukommt. Die unterschiedlichen Aspekte dieses Primats des Sehens, wie sie in den spanischen Dialogen zur Kunst- und Malereitheorie vorgeführt werden, seien im Folgenden nochmals für die einzelnen analysierten Texte dargelegt. In Sagredos illustrierten Medidas del Romano wird die Konstituierung eines Modells zur Erlangung architekturtheoretischen Wissens vorgenommen, bei dem neben die auctoritates die eigene experientia tritt, letztere bestehend aus visus und experimenta. Während auf der Argumentationsebene des Dialogs von Tampeso vornehmlich für die Konsultation der (antiken) auctoritates eingetreten und Erfahrung und Gesichtssinn lediglich erwähnt werden, stellen die Handlungsebene und die intermediale Ebene die Erfahrung heraus und explizieren sie: Unter Erfahrungswissen ist kein eigenständig durchgeführtes, erzeugendes, schaffendes Herstellen von Architektur oder architektonischen Elementen zu verstehen. Experientia ist primär durch das Sehen von Architektur zu erlangen – von Skizzen architektonischer Elemente und von Architektur in der ‚Realität‘. In Holanda Diálogos em Roma durchlaufen die intermedialen Referenzen einen Steigerungsprozess, der die Superiorität des Sehens als Makroproposition deutlich macht. Dieser vollzieht sich von einer reinen Thematisierung von Kunstwerken und Malerei auf der Argumentationsebene (‚Sprechen‘), über die Imitation und Simulation von bildlichen Strukturen im Text (‚Zeigen‘) hin zur Präsenz und Beschreibung von Kunstwerken in der Dialogwelt und schließlich zum Abbruch des Gesprächs und zur Fokussierung auf die reine Kunstbetrachtung (‚Schauen‘). Die vermeintliche Widersprüchlichkeit, die Superiorität des Sehens gerade in der schriftlichen Inszenierung einer mündlichen Kommunikationssituation zu zeigen, löst Holanda auf, indem er in Do Tirar polo Natural eine weitere Stufe erklimmt, die Malerei in ihrer tatsächlichen Bildlichkeit in den Dialog integriert und somit die Medienkombination zum Kulminationspunkt macht. Agustíns illustrierte Diálogos de medallas sind mehr als eine auf den Medaillen dargestellte ‚Enzyklopädie‘: Neben dem auf der Argumentationsebene
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vermittelten numismatischen Grundwissen wird auch hier der Vorrang der visuellen Erfahrung inszeniert. Insbesondere ist dies an den auf der Handlungsebene vorliegenden Medaillen zu erkennen, nach deren Ordnung sich das Gespräch richtet. Die Zentralität des Gesichtssinns wird außerdem deutlich durch die zahlreichen Berichte von A über die Medaillen, die er gesehen (haber visto) und auch gezeichnet (saber dibujar) hat. Das Zeichnen wird insgesamt als zentrale numismatische Methode hervorgehoben. Kontrastierend zu Agustíns Dialog werden in Azpilcuetas spätrinascimentalen, als Konterbeispiel herangezogenen Diálogos de las imágenes de los dioses antiguos die sich darbietenden intermedialen Möglichkeiten des Textes gerade nicht ausgeschöpft. In Villalóns El Scholástico ergibt sich durch die auf der Handlungsebene verorteten und ekphrastisch beschriebenen Kunstwerke des Landguts ein über die Argumentationsebene hinausgehendes komplexeres Bild, was die Quellen humanistischer Weisheit und Gelehrsamkeit im Gesamten betrifft. Als entscheidend erweisen sich dabei nicht die alttestamentarischen Fresken im Inneren des Hauses, sondern der mit antiken, paganen Liebesmythen verzierte Brunnen im Garten. Während die Dialogsprecher in ihren Aussagen immer wieder für die Lektüre paganer Schriften eintreten, entsteht die Inspiration zum Gespräch erst durch die Brunnenbetrachtung und die Auslegung des mythologischen Brunnens der Weisheit, an den dieser erinnert. Die Signifikanz dieser Brunnenskulptur wird ferner insofern deutlich, als das im Gespräch entworfene Ideal der tugendhaften, platonischen Liebe durch diese eingemeißelten Beispiele unglücklich endender Leidenschaft nunmehr durchkreuzend, also durch Negativexempla, bekräftigt wird. In Pinedas Diálogos familiares zeigt sich in den Propositionen der Sprecher zwar wiederholt die Hervorhebung des Sehsinns, des Auges und der visuellen Wahrnehmung, zentral sind jedoch insbesondere die ekphrastisch beschriebenen Fresken vermeintlich ‚okkulten‘ Ursprungs im Haus des Theologen Filateles. Die Sicht der Sprecher auf die antiken, heidnischen Szenen zeigt die Konfliktsituation, in der sich die christlichen Humanisten oder die humanistischen Theologen befinden, wenn sie sich mit der heidnischen Antike und ihren Wissensbeständen auseinandersetzen: Die Gesprächspartner interessieren sich für die einzelnen Bildelemente und ihre Geschichten, sie transferieren jedoch die bildlichen Darstellungen und die dahinterstehenden Geschichten auf die Heilsgeschichte, das Verhalten der Kleriker und das christliche Leben an sich. An diesen verschiedenen Aspekten des Primats des Sehens, wie sie für die hier untersuchten spanischen Renaissancedialoge zu Kunst und Malerei herausgearbeitet worden sind, lassen sich übergreifend sechs Manifestationsformen des Sehens im Dialog beobachten. Erstens zeigt sich das Sehen in den Texten als sinnliches Sehen: Nicht nur sind die Kunstwerke den Sprechern in ‚ihrer‘ Welt direkt vor Augen, der Gesichtssinn wird auch implizit oder explizit hervorgehoben, die visuelle Wahrnehmung betont und das Auge als wichtigstes Organ präsentiert. So loben die Sprecher in den Diálogos familiares wiederholt den Gesichtssinn als den bevorzugten und das Auge als wichtigstes Instrument. In den Medidas del Romano werden Sehsinn und Auge nicht nur benannt oder ins Zentrum gerückt, sondern
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der Gesichtssinn wird auch explizit als dem Gehör überlegen dargestellt. In den Diálogos em Roma offenbart sich die zentrale Bedeutung der Augen unter anderem daran, dass einzig sie mit dem positiv konnotierten Verb gostar belegt werden. Zweitens ist das Sehen in diesen Dialogen selbstverständlich auch ein rhetorisches Sehen, was grundsätzlich in den Parallelen zwischen den Bildenden Künsten und dem Humanismus begründet liegt. Man denke hier insbesondere an die ursprünglich rhetorischen, sowohl von Kunsttheoretikern als auch Humanisten verwendeten Konzepte und Denkmuster. Immer wieder ist in dieser Arbeit deutlich geworden, inwiefern die Kunstgespräche zutiefst rhetorisch durchwirkt sind und in welchem besonderen Verhältnis die textuell vermittelte künstlerische Darstellung zur rhetorischen ‚Bildlichkeit‘ steht. Dies manifestiert sich paradigmatisch an der zentralen Bedeutung des Phänomens der Ekphrasis. Als eines von vielen weiteren Beispielen sei hier nochmals Holandas besonderer Rekurs auf die Verse aus Vergils Aeneis angeführt: Holanda stellt in den Diálogos em Roma dar, wie viel evidenter diese Verse als Gemälde wirken würden, und begründet die Vorherrschaft der Malerei vor der Dichtung damit insbesondere mit ihrer höheren Anschaulichkeit, der evidentia. Die Malerei vermag es also, das zu Sagende direkt vor Augen zu stellen. An Stellen wie diesen zeigt sich auch, in welcher Weise die rhetorische Gestaltung der Kunstdialoge die Möglichkeiten fingierter künstlerischer Darstellung nicht selten übertrifft. Drittens offenbart sich, dass das Sehen im Dialog auch immer ein gemeinsames Sehen und ein hierüber Sprechen ist; bisweilen aber ließ sich auch beobachten, dass das Sehen sogar wichtiger als das Sprechen wird. Man denke dabei etwa an die in den Diálogos em Roma zu entdeckende Rangordnung: Holanda zieht dort nicht nur die visuelle Betrachtung dem Sprechen über Malerei vor, die Gesprächsrunde verstummt am Ende sogar ganz, um die Vorzüglichkeit der Kunst(werke) auf einem Spaziergang still mit eigenen Augen zu betrachten. Die vierte Form des Sehens im Dialog, wie sie hier vorgeführt wird, betrifft den Begriff der Erfahrung: Neben das Autoritätenwissen tritt das Erfahrungswissen, ganz so, wie es für die immer wieder betonte ‚Pluralisierung‘ der Renaissance charakteristisch ist. Es spiegelt sich dort das neue Sehen in der Renaissance, dieses andere Wahrnehmen der Welt, dieses andere Verständnis innerhalb der Wissenschaften und Künste. Die eigene experientia wird neben die antiken auctoritates gestellt, und nicht selten sogar über die Autoritäten. Diese Erfahrung, so ließ sich ferner zeigen, ist nicht als tatsächliches Anfertigen, Herstellen oder Produzieren von Kunstwerken zu verstehen. Experientia ist vornehmlich visuelle experientia. Als erfahren gilt derjenige, der möglichst viele Kunstobjekte in der Realität oder als Skizze gesehen hat, der somit ein tatsächlicher Augenzeuge von Kunstwerken ist. Fünftens präsentiert sich das Sehen in den hier untersuchten Texten immer auch als auslegendes Sehen, als Allegorese. Dieses die reine Betrachtung übersteigende Sehen ist insbesondere in El Scholástico und in den Diálogos familiares und den dortigen Auslegungen der Brunnenskulptur und der paganen Wandmalereien zu beobachten. Die konkrete Allegorese der Kunstwerke lässt sich dabei
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immer wieder auch als allgemeine Auslegung der Antike und ihrer Mythen und Erzählungen verstehen. Sechstens zeigt sich übergreifend an allen hier analysierten Kunstdialogen, dass das Sehen im Dialog immer auch ein erkennendes Sehen ist: In allen Texten ist zu beobachten, wie der Erkenntnisprozess maßgeblich von visuellen Referenzen abhängig ist, wie also das Sehen die Erkenntnis beeinflusst. Die Kunstdialoge haben damit eine erkenntnistheoretische Dimension, die fachspezifisch ist und möglicherweise auch darüber hinausgeht. Die Kunst- und Malereitheorie, so ist damit in dieser Arbeit gezeigt worden, ist nicht die exklusive Perspektive der spanischen Renaissancedialoge zu Kunst und Malerei. Bei genauer Betrachtung offenbart sich bei diesen Texten vielmehr die Nutzung der Bildenden Kunst als Reflexionsgrundlage rinascimentaler, genauer humanistischer Diskursivität. Über den Umgang und die Auseinandersetzung der Sprecher mit der Bildenden Kunst, ihre Thematisierung, Beschreibung, Betrachtung und Auslegung lassen sich paradigmatisch die Denkstrukturen und diskursiven Grundlagen des Renaissance-Humanismus beobachten. Ausgehend von den kunst- und malereitheoretischen Fragestellungen, sie doch letztlich übertreffend, eröffnet sich bei den hier untersuchten Dialogen ein vielfältiges Panorama diskurstheoretischer, rhetorisch-ästhetischer und epistemologischer Facetten der humanistischen Gesprächs- und Dialogkultur, welche sich in ihrer Gesamtheit als zutiefst vom Sehen geprägt erweist.
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Die spanischen Renaissancedialoge, die von Autoren wie Diego de Sagredo, Cristóbal de Villalón oder Antonio Agustín im 16. Jahrhundert zur Kunst- und Malereitheorie verfasst wurden, zeichnen sich durch eine Reihe von Besonderheiten aus. Im Gegensatz zu den anderen Gattungen des frühneuzeitlichen kunsttheoretischen Diskurses verfügen sie über eine binnenpragmatische Struktur und somit neben einer Argumentationsebene auch über ein Handlungssubstrat. Hinzu kommen intermediale Phänomene: Gesprächsteilnehmer wie der Humanist Fernán Pérez de Oliva, Michelangelo oder Vittoria Colonna diskutieren nicht nur über
die Kunst und ihre Theorie – Kunstwerke sind auch fiktionsintern gegenwärtig. Sie werden, so zeigt Corinna Albert es durch die Analyse des kompletten Korpus der Kunstdialoge aus der spanischen Renaissance, dergestalt in Szene gesetzt, dass über die Kunst und Malerei hinausgehende Bedeutungsdimensionen offenbar werden. Die Kunsttheorie ist mithin nicht die exklusive Perspektive dieser Dialoge. Sie stellen vielmehr eine jeweils andere Facette der Vorrangstellung des Sehens heraus und präsentieren dieses als zentrales Element der humanistischen Gesprächskultur.
www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag
ISBN 978-3-515-11711-1
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7835 1 5 1 1 7 1 1 1