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German Pages 258 [261] Year 2013
Juliane Welz
Segregation und Integration in Santiago de Chile zwischen Tradition und Umbruch
Geographie
Megacities and Global Change Megastädte und globaler Wandel
Franz Steiner Verlag
Band 11
Juliane Welz Segregation und Integration in Santiago de Chile zwischen Tradition und Umbruch
megacities and global change megastädte und globaler wandel herausgegeben von Frauke Kraas, Martin Coy, Peter Herrle und Volker Kreibich Band 11
Juliane Welz
Segregation und Integration in Santiago de Chile zwischen Tradition und Umbruch
Franz Steiner Verlag
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung GmbH – UFZ
Umschlagabbildung: Sozialer Wohnungsbau – las Casas Chubi – in Peñalolén © Welz
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © 2014 Franz Steiner Verlag, Stuttgart Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-10467-8
DANKSAGUNG An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Personen bedanken, die zum Gelingen der Dissertation beigetragen haben. Sie wäre ohne ihre Anregungen, Unterstützungen, Geduld und motivierenden Worte nicht entstanden. Mein Dank gilt an vorderer Stelle meinen Betreuern Prof. Dr. Sigrun Kabisch (Department Stadt- und Umweltsoziologie, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH – UFZ, Leipzig) und Prof. Dr. Christof Parnreiter (Institut für Geographie, Universität Hamburg), die nicht nur die wissenschaftliche Betreuung und Begleitung des Promotionsverfahrenes übernommen haben, sondern auch alle Stadien der Arbeit bereitwillig und konstruktiv begleiteten und diese durch ihre kritischen und inspirierenden Fachdiskussionen bereicherten. Darüber hinaus gilt mein besonderer Dank allen Kollegen der HelmholtzForschungsinitiative ‚Risk Habitat Megacity‘ und des Departments Stadt- und Umweltsoziologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ, die mich durch die Projektarbeit auf das spannende Thema der Dissertation aufmerksam machten, mir die Möglichkeit der Einbindung in den wissenschaftlichen Diskurs gaben und den Freiraum zum Verfassen dieser Dissertation in einem interdisziplinären Umfeld ermöglichten. Mein Dank gilt diesbezüglich dem Impuls- und Vernetzungsfond des Präsidenten der Helmholtz-Gemeinschaft, der diese Arbeit finanziell förderte. Besonderer Dank gebührt auch den chilenischen Kollegen und Interviewpartnern, die mir den Zugang zum Feld ermöglichten, wichtiges Datenmaterial zur Verfügung stellten und zu jeder Zeit mit wertvollen Hinweisen zur Seite standen. Weiterhin möchte ich meinen ganz besonderen Dank den Bewohnern in den Untersuchungsgebieten aussprechen, die Raum und Zeit für die Beantwortung des Fragebogens zur Verfügung stellten. Ohne sie hätten die Untersuchungsergebnisse nicht entstehen können. Zahlreiche lebendige Einblicke in chilenische Lebensverhältnisse wurden mir dadurch ermöglicht. Schließlich und nicht zuletzt danke ich von ganzem Herzen meiner Familie und Freunden, die mir über die gesamte Zeit zur Seite standen und wussten mich in schwierigen Zeiten zu ermutigen und zu motivieren. Vielen Dank!
INHALTSVERZEICHNIS Einleitung .............................................................................................................. 15 1
Die Stadt als gesellschaftlich produzierter Raum – Der konzeptionelle Diskussionsansatz ........................................................ 20
2
Die Stadt als Ort räumlicher Segregation .................................................. 27 2.1 Zum Konzept der räumlichen Segregation und dessen theoretische Erklärungsansätze.................................................................................. 27 2.2 Die homogene Stadt – Segregation als Problem ................................... 37 2.3 Die heterogene Stadt – Desegregation als Chance ................................ 44 2.4 Die Zusammenschau von Raum und Segregation................................. 51
3
Die Stadt als Ort sozialer Integration ......................................................... 53 3.1 Das Konzept der Integration – Annäherung an einen klassisch soziologischen Begriff........................................................................... 53 3.2 Die Sozialintegration und ihre Dimensionen der Eingliederung von Individuen in die Stadt ................................................................... 57 3.3 Die Bedeutung von Sozialintegration für den segregierten Raum – eine Synthese ......................................................................................... 63
4
Zum Zusammenhang von sozialer und räumlicher Nähe – Ein theoretisches Konstrukt und forschungsleitende Fragen .................. 65
5
Methodisches Design der Arbeit.................................................................. 72 5.1 Operationalisierung von räumlicher Segregation und sozialer Integration ............................................................................................. 72 5.1.1 Der Makro-Raum....................................................................... 73 5.1.2 Der Meso-Raum ........................................................................ 74 5.1.3 Der Mikro-Raum ....................................................................... 77 5.1.4 Methodisches Analyseverfahren ............................................... 78 5.2 Methodisches Instrumentarium I – Die standardisierte Befragung ....... 79 5.3 Methodisches Instrumentarium II – Die qualitativen Interviews .......... 81 5.4 Auswahl der Untersuchungsgebiete, Gebietsbeschreibung und historische Entwicklung ........................................................................ 82 5.4.1 Das Untersuchungsgebiet Huechuraba ...................................... 85 5.4.2 Das Untersuchungsgebiet Lo Barnechea ................................... 88 5.4.3 Das Untersuchungsgebiet Peñalolén ......................................... 91 5.5 Methodenreflexion und forschungspraktische Herausforderungen ...... 95
8
Inhaltsverzeichnis
6
Santiago de Chile – Sozial-raum-zeitliche Produktion von Segregation auf gesamtstädtischer Ebene .................................................. 98 6.1 Neue und alte Segregationsmuster – Zum aktuellen Diskussionsstand ................................................................................... 98 6.2 Die staatliche Wohnungsmarktpolitik in Santiago de Chile – Eine Politik der Produktion von Segregation? .................................... 102 6.3 Entwicklungen auf dem privaten Wohnungsmarkt – (De-)Segregation als nichtintendierte Nebenwirkung? ....................... 110 6.4 Innerstädtische Wanderungsbewegungen und ihre Bedeutung für die (De-)Segregation ........................................................................... 113 6.5 Sozial-raum-zeitliche Produktion von Segregation in Santiago de Chile – ein Resümee ........................................................ 121
7
Zum Habitus des Stadtquartiers – Sozialintegrative Mechanismen im Meso-Raum ............................................................................................ 123 7.1 Sozialintegration, soziale und räumliche Interaktion und lebensweltliche Aktionsräume – Zum aktuellen Diskussionsstand .... 123 7.2 Kommunikativ-interaktive Sozialintegration – Lebensweltliche Aktionsräume der Bewohner ............................................................... 127 7.3 Kommunikativ-interaktive Sozialintegration – Soziale Netzwerke .... 141 7.3.1 Die Ebene des Befragten – Allgemeine Strukturdaten von Ego ........................................................................................... 144 7.3.2 Die Beziehung zwischen Ego und seinen Alteri ..................... 149 7.3.3 Das Gesamtnetzwerk und seine Netzwerkdichte .................... 157 7.3.4 Zum Integrationspotenzial von sozialen Netzwerken ............. 158 7.4 Partizipativ-assoziative Sozialintegration – Partizipation in öffentlichen Veranstaltungen und Aktivitäten ................................ 162 7.5 Expressiv-kulturelle Form der Sozialintegration – Akzeptanz der räumlichen Durchmischung .......................................................... 173 7.6 Resümee – Der Einfluss der Sozialintegration auf den ‚Habitus des Stadtquartiers‘ ............................................................................... 180
8
Die soziale Praxis – Mechanismen der Sozialintegration auf Individualebene ........................................................................................... 182 8.1 Identifikativ-funktionelle Sozialintegration – Identifikation, Zugehörigkeit und Engagement .......................................................... 182 8.2 Affektiv-moralische Sozialintegration – Vertrauen und Gefühle der Unsicherheit .................................................................................. 202 8.3 Resümee – Sozialintegration auf individueller Ebene ........................ 221
9
Produktion und Reproduktion von Segregation in Santiago de Chile – Schlussbetrachtung .............................................. 223 9.1 Heterogener Stadtraum als sozial-raum-zeitliches Produkt (das Produzierte) ................................................................................. 224
Inhaltsverzeichnis
9.2 9.3
9
Heterogener Stadtraum als sozialintegrativer Stimulus (das Produzierende) ............................................................................. 226 Segregation und Integration in Santiago de Chile zwischen Tradition und Umbruch – Ein Ausblick .............................................. 228
Bibliographie ...................................................................................................... 230 Anhang ................................................................................................................ 250
ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1: Makro-Meso-Mikro-Modell der Integration (Dangschat 2000: 203) ................................................................................................................. 62 Abbildung 2: Makro-Meso-Mikro-Raummodell der Segregation und Integration ....................................................................................................... 67 Abbildung 3: Lage der Untersuchungsgebiete in Santiago de Chile ..................... 84 Abbildung 4: Innerstädtische Wanderungsbewegungen im Zeitraum von 1982 bis 2002 ......................................................................................... 115 Abbildung 5: Orte räumlicher Interaktion und Aktionsräume der Befragten differenziert nach sozialer Schicht in der Gemeinde Penalolén ................... 135 Abbildung 6: Orte räumlicher Interaktion und Aktionsräume der Befragten differenziert nach sozialer Schicht in der Gemeinde Lo Barnechea............. 136 Abbildung 7: Orte räumlicher Interaktion und Aktionsräume der Befragten differenziert nach sozialer Schicht in der Gemeinde Huechuraba................ 137 Abbildung 8: Kontakt zu anderen sozialen Gruppen aufgrund sozialer Partizipation differenziert nach Untersuchungsgebieten .............................. 167 Abbildung 9: Wie gern leben Sie in …? .............................................................. 187 Abbildung 10: Gründe für eine hohe Wohnzufriedenheit differenziert nach Untersuchungsgebieten ................................................................................. 188 Abbildung 11: Wie schätzen Sie ganz allgemein das Zugehörigkeitsgefühl der Bewohner für … ein? ............................................................................. 190 Abbildung 12: Hat sich das Zugehörigkeitsgefühl (Solidarität) der Bewohner für … seit Zuzug verändert? ................................................. 191 Abbildung 13: Wie schätzen Sie ganz allgemein das Engagement der Bewohner für … ein? ............................................................................. 195 Abbildung 14: Hat sich das Engagement der Bewohner für das Wohnumfeld in … seit Zuzug verändert?........................................................................... 197 Abbildung 15: Angenommen ein Gemeinschaftsprojekt (Aktion „Bäume pflanzen“) ist nicht direkt gewinnbringend für Sie, aber für viele Bewohner Ihres Stadtteils, würden Sie Zeit und / oder Geld in das Projekt investieren? ................................................................................................... 198 Abbildung 16: Haben Sie im vergangenen Jahr in irgendeiner Weise selbst etwas zur Wohnumfeldverbesserung in … beigetragen? ............................. 199 Abbildung 17: Wie vertrauenswürdig würden Sie Ihre Bewohner einschätzen? Dazu finden Sie im Folgenden einige Aussagen. Sagen Sie uns zu jeder, ob sie Ihrer Meinung nach zutrifft! ................................... 211 Abbildung 18: Hat sich das gegenseitige Vertrauen unter den Bewohnern in … seit Zuzug verändert?........................................................................... 212 Abbildung 19: Haben Sie sich jemals von Ihren Nachbarn in Ihrer Nachbarschaft oder in Ihrem Stadtquartier diskriminiert gefühlt? ............................ 214
TABELLENVERZEICHNIS Tabelle 1: Befragungsstatistik, Stichprobe und Rücklaufquote in den Untersuchungsgebieten ................................................................................... 80 Tabelle 2: Informationen zu Expertengesprächen ................................................. 81 Tabelle 3: Wanderungssaldo nach Bildungsgrad des Haushaltsvorstandes im Jahr 1982 ................................................................................................ 117 Tabelle 4: Wanderungssaldo nach Bildungsgrad des Haushaltsvorstandes im Jahr 1992 ................................................................................................. 118 Tabelle 5: Wanderungssaldo nach Bildungsgrad des Haushaltsvorstandes im Jahr 2002 ................................................................................................. 119 Tabelle 6: Wanderungssaldo, Herkunftsgemeinden und Anteil der sozioökonomischen Gruppen in den Untersuchungsgebieten zwischen 1997 und 2002 ....................................................................................................... 120 Tabelle 7: Größe des Aktionsraumes differenziert nach sozioökonomischen Statusgruppen und Untersuchungsgebieten .................................................. 131 Tabelle 8: Größe des Aktionsraumes differenziert nach Wohndauerklassen und Untersuchungsgebieten .......................................................................... 132 Tabelle 9: Ordinale Regression: Größe des Aktionsraumes in Abhängigkeit vom Einkommen und Wohndauer ................................................................ 132 Tabelle 10: Zusammenhang zwischen Heterogenität und Größe des Aktionsraumes, Einkommen und Wohndauer differenziert nach Untersuchungsgebieten ................................................................................. 133 Tabelle 11: Anzahl der Ego und genannten Alteri differenziert nach Untersuchungsgebieten ................................................................................. 143 Tabelle 12: Strukturmerkmale von Ego differenziert nach Untersuchungsgebieten ......................................................................................................... 147 Tabelle 13: Strukturdaten der Alteri differenziert nach Untersuchungsgebieten ......................................................................................................... 151 Tabelle 14: Heterogenität der sozialen Netzwerke hinsichtlich sozialer Rollen ............................................................................................................ 152 Tabelle 15: Heterogenität resp. Homogenität nach sozioökonomischer Schicht in den Untersuchungsgebieten ........................................................ 156 Tabelle 16: Integrationspotenzial nach Netzwerkdichte differenziert nach Untersuchungsgebiet..................................................................................... 158 Tabelle 17: Das allumfassende Integrationspotenzial sozialer Netzwerke .......... 159 Tabelle 18: Integrationspotenzial sozialer Netzwerke in Abhängigkeit von sozialen, zeitlichen und räumlichen Dimensionen ................................ 159 Tabelle 19: Ordinale Regression: Integrationspotenzial sozialer Netzwerke unter dem Einfluss sozialer, zeitlicher und räumlicher Dimensionen .......... 161 Tabelle 20: Mitgliedschaft in Vereinen und Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen differenziert nach Untersuchungsgebieten ........................ 163
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Tabellenverzeichnis
Tabelle 21: Mitgliedschaften nach Art des Vereins und Organisation differenziert nach Untersuchungsgebieten ................................................... 165 Tabelle 22: Partizipation differenziert nach sozioökonomischer Schicht und Untersuchungsgebieten .......................................................................... 166 Tabelle 23: Partizipation nach durchschnittlicher Wohndauer differenziert nach Untersuchungsgebieten ........................................................................ 166 Tabelle 24: Partizipativ-assoziatives Integrationspotenzial differenziert nach Untersuchungsgebieten ........................................................................ 170 Tabelle 25: Partizipativ-assoziatives Integrationspotenzial in Abhängigkeit von sozialen, zeitlichen und räumlichen Dimensionen ................................ 170 Tabelle 26: Ordinale Regression: partizipativ-assoziatives Integrationspotenzial und soziale, zeitliche und räumliche Dimensionen ....................... 172 Tabelle 27: Wie denken Sie über das Zusammenleben verschiedener sozioökonomischer Gruppen in … ? ..................................................................... 174 Tabelle 28: In welchem Maße nehmen Sie die sozioökonomischen Unterschiede in … wahr? ...................................................................................... 175 Tabelle 29: Haben sich die Unterschiede in der sozioökonomischen Zusammensetzung der Bewohner in … seit Zuzug verändert? .................... 177 Tabelle 30: Expressiv-kulturelles Integrationspotenzial differenziert nach Untersuchungsgebieten ................................................................................. 178 Tabelle 31: Expressiv-kulturelles Integrationspotenzial in Abhängigkeit von sozialen, zeitlichen und räumlichen Dimensionen ................................ 178 Tabelle 32: Ordinale Regression: expressiv-kulturelles Integrationspotenzial und soziale, zeitliche und räumliche Dimensionen ...................................... 179 Tabelle 33: Identifikativ-funktionelles Integrationspotenzial differenziert nach Untersuchungsgebieten ....................................................................... 200 Tabelle 34: Identifikativ-funktionelles Integrationspotenzial in Abhängigkeit von sozialen, zeitlichen und räumlichen Dimensionen ................................ 200 Tabelle 35: Ordinale Regression: identifikativ-funktionelles Integrationspotenzial und soziale, zeitliche und räumliche Dimensionen ....................... 201 Tabelle 36: Nun möchten wir genauer wissen, wie es um die Beziehungen in Ihrer Nachbarschaft bestellt ist. Dazu finden Sie im Folgenden einige Aussagen. Sagen Sie uns zu jeder, ob sie Ihrer Meinung nach zutrifft. ...... 208 Tabelle 37: Wie schätzen Sie heute die Sicherheit in Ihrem Stadtquartier ein? ................................................................................................................ 214 Tabelle 38: Wie hat sich gemäß Ihren Beobachtungen die Sicherheit in Ihrem Stadtquartier in … seit Zuzug entwickelt? ..................................... 216 Tabelle 39: Affektiv-moralisches Integrationspotenzial differenziert nach Untersuchungsgebieten ........................................................................ 219 Tabelle 40: Affektiv-moralisches Integrationspotenzial in Abhängigkeit von sozialen, zeitlichen und räumlichen Dimensionen ................................ 219 Tabelle 41: Ordinale Regression: affektiv-moralisches Integrationspotenzial und soziale, zeitliche und räumliche Dimensionen ...................................... 220
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS CORVI
Corporación de la Vivienda / Wohnungsgenossenschaft
D.F.L.
Decreto con Fuerza de Ley / Dekret mit Gesetzeskraft
D.S.
Decreto Supremo / Dekret des Staatspräsidenten
FSV
Fondo Social de la Vivienda / Wohnungssozialfond
GIS
Geographisches Informationssystem
INE
Instituto Nacional de Estadística / Nationales Institut für Statistik
LGUC
Ley General de Urbanismo y Construcción / Stadtplanungsund Baugesetz
MIDEPLAN
Ministerio de Planificación / Planungsministerium
MINVU
Ministerio de Vivienda y Urbanismo / Wohnungs- und Städtebauministerium
MOP
Ministerio de Obras Públicas / Bauministerium
ÖPNV
Öffentlicher Personennahverkehr
PRC
Plan Regulador Comunal / Kommunaler Flächennutzungsplan
PRMS
Plan Regulador Metropolitano de Santiago / Metropolitaner Flächennutzungsplan
RMS
Región Metropolitana de Santiago / Metropolregion Santiago
SEREMI
Secretaria Regional Ministerial / Regionales Staatssekretariat
SERVIU
Secretaria Regional de Vivienda y Urbanismo / Regionales Staatssekretariat des Wohnungs- und Städtebauministeriums
UF
Unidad de Fomento / Förderungseinheit
EINLEITUNG Prozesse der Segregation und Integration in Santiago de Chile begleiten die Geschichte und gesellschaftliche Struktur der Stadt seit mehreren Jahrzehnten. Erste Aufzeichnungen zur sozialräumlichen Verteilung der Bevölkerung finden sich bereits bei Benjamin Vicuña Mackenna, bedeutender Politiker und Bürgermeister (Intendente) der Stadt Santiago de Chile von 1872 bis 1875. In seinem 1873 veröffentlichtem Werk ‚Un año en la Intendencia de Santiago. Lo que es la Capital y lo que debería ser‘ verweist er bereits auf die zweigeteilte räumliche Stadtstruktur. „Santiago es, por su topografía, según ya dijimos, una especie de ciudad doble que tiene, como Pekín, un distrito pacífico y laborioso, y otro brutal, desmoralizado y feroz: la ciudad china y la ciudad tártara. No hay en esta imagen ni exageración. Hay una melancólica verdad. Barrios existen que en ciertos días, especialmente los domingos y los lunes, son verdaderos aduares de beduinos, en que se ven millares de hombres, mujeres y aun niños reducidos al último grado de embrutecimiento y de ferocidad, desnudos, ensangrentados, convertidos en verdaderas bestias y esto en la calle pública, y a la puerta de chinganas asquerosas, verdaderos lupanares consentidos a la luz del día”1 (zitiert in De Ramón 1978: 258).
Trotz zahlreicher städtepolitscher Maßnahmen erhält erst 90 Jahre später die Wohnungs- und Städtebaupolitik ein Ministerium, das 1964 gegründete ‚Ministerio de Vivienda y Urbanismo‘ (MINVU). Seither wird die prekäre Wohnungsmarktsituation für ärmere Bevölkerungsschichten kontinuierlich auf der politischen Agenda thematisiert und der soziale Wohnungsbau gewinnt für Santiago de Chile an strukturprägender Bedeutung. Im Zuge der starken Zuwanderung und Expansion der Stadt zusammen mit den wohnungspolitischen Strategien kristallisiert sich ein ‚traditionelles Muster der Segregation‘ (Sabatini 2003) heraus, welches die Frage nach der Integration und Exklusion sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen aufwirft. Doch mit der Öffnung des Weltmarktes im Rahmen einer neoliberalen Wirtschaftspolitik in den 1970er Jahren sind in Santiago de Chile neue Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt zu beobachten, die das traditionelle Muster der residenziellen Segregation aufzubrechen scheinen. Infolge dessen entfacht eine akademische Debatte um das Thema Segregation und Integration im städtischen Raum, die Chancen und Grenzen räumlicher Nähe und sozialer Distanz sozioökonomischer Bevölkerungsgruppen aufzeigt (u.a. Cáceres und Sabatini 1
„Wie bereits erwähnt, Santiago ist aufgrund seiner Topographie eine Art zweiseitige Stadt, die, wie Peking, einen friedlichen und einen arbeitsamen, und andererseits einen brutalen, verdorbenen und grausamen Distrikt hat: die chinesische Stadt und die tatarische Stadt. Dieses Bild ist nicht übertrieben. Es ist eine traurige Wahrheit. Es gibt Stadtviertel, die an bestimmten Tagen, insbesondere Sonntags und Montags, wahre Beduinenzeltlager sind, wo man tausende Männer, Frauen und sogar Kinder sehen kann, die bis zum letzten Grad verdummt, verwildert, nur spärlich bekleidet und mit Blut befleckt sind, wirkliche Flegel, und das in der Öffentlichkeit, und an der Tür zu den primitiven Bars, wahrhafte Bordelle geduldet am helllichten Tag.“ (Übersetzung durch die Autorin)
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Einleitung
2004, Salcedo und Torres 2004a, Sabatini und Salcedo 2007, Meyer-Kriesten et al. 2004, Hidalgo und Borsdorf 2005, Hidalgo et al. 2007). Basierend auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen wird folglich durch das MINVU im Jahre 2007 die ‚Politica Habitacional de Mejoramiento de Calidad e Integración Social‘ formuliert, die zum ersten Mal in der Geschichte Chiles Probleme der Sozialintegration mit wohnungspolitischen Strategien in Verbindung bringt. Dessen ungeachtet gab es bereits Anfang der 1960er Jahre Bemühungen um eine Sozialintegration unterschiedlicher sozioökonomischer Bevölkerungsschichten in Santiago de Chile. So wurden z.B. die Anstrengungen um eine Sozialintegration von dem amerikanischen Priester Gerardo Whelan – Leiter des hochangesehenen ‚College Saint George‘ in Santiago de Chile – durch den chilenischen Spielfilm ‚Machuca‘ (2004) ins Gedächtnis zurück gerufen. Whelan stellte im Rahmen eines Pilotprojektes im Jahr 1964 Stipendien für Schüler aus den am Rande des Flusses Mapocho gelegenen Armutssiedlungen zur Verfügung. Um soziale Gleichstellung bemüht, verfolgte der Schulleiter die Idee, Kindern aus zwei verschiedenen gesellschaftlichen Schichten – der privilegierten Oberschicht und der sozial benachteiligten Unterschicht – über den gemeinsamen Schulunterricht und Arbeitsprojekte die Möglichkeit zu geben, soziale Nähe aufzubauen. Der Spielfilm ‚Machuca‘ greift dieses Thema auf und schildert die Freundschaft zweier Kinder, die aus unterschiedlichen sozialen Schichten kommen und sich durch das Pilotprojekt Whelan’s kennenlernen. Über die Freundschaft entdecken beide die für sie andere, bislang ganz unbekannte Seite der chilenischen Gesellschaft und begreifen bald, wie groß und beinah unüberwindlich die Kluft zwischen den beiden sozialen Schichten in Chile ist. Das Integrationsprojekt Whelan’s stößt einige Jahre später bei der Mehrheit der Erziehungsberechtigten auf Misstrauen, welches sich aus der tiefen sozialen Polarisierung des Landes speist. Dieses Misstrauen verdeutlicht eine Filmszene, in der eine Erziehungsberechtigte sich dahingehend äußert, dass sie nicht meine, das die eine oder andere Schicht besser oder schlechter sei, aber sie sähe keinen Sinn darin, ‚Birnen‘ mit ‚Äpfeln‘ zu mischen. Dieser kleine Exkurs in die Lebenswelt Machucas, basierend auf den wahren Bemühungen um soziale Integration seitens Gerardo Whelans, inspirierte die vorliegende Forschungsarbeit. Die tiefgreifende Polarisierung der chilenischen Sozialstruktur hat über verschiedene Stadtentwicklungsphasen hinweg den städtischen Raum Santiagos sozialstrukturell, baulich und funktional geprägt. Die jüngsten Entwicklungen auf dem santiaginischen Boden- und Wohnungsmarkt haben gezeigt, dass die großräumige Bipolarität der Stadt sich zunehmend hin zu einem filigranen Muster reicher und armer Zellen (Borsdorf 2006) verlagert, die sich über den gesamten städtischen Raum verteilen und zum Teil in direkter räumlicher Nähe aufeinandertreffen. Diese neue räumliche Nähe völlig gegensätzlicher Sozialschichten eröffnet, der akademischen Debatte folgend, einzigartige Chancen für den Abbau sozialer Distanzen. Doch was passiert wirklich, wenn ‚Birnen‘ auf ‚Äpfel‘ treffen? Welche positiven als auch negativen Dynamiken entwickeln sich durch die neuartige räumliche Kontaktsituation? Befördert eine sozialräumliche heterogene Stadt-
Einleitung
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struktur tatsächlich die Sozialintegration? Oder ist es vielmehr so wie Bourdieu (1991) konstatiert: „Tatsächlich steht einem nichts ferner und ist nichts weniger tolerierbar als Menschen, die sozial fern stehen, aber mit denen man in räumlichen Kontakt kommt“ (ebd.: 32)?
Der vorliegende Band knüpft an diese Fragestellungen an und bettet sie in die Diskussionen um das Thema ‚Stadt als gesellschaftlich produzierter Raum‘ ein. Es wird davon ausgegangen, dass das ‚Räumliche‘ und das ‚Soziale‘ zwei Seiten einer Medaille sind und spezifische Räumlichkeiten nicht nur bestimmte Gesellschaften hervorbringen, sondern auch nach ihnen verlangen (Parnreiter 2007). Vor diesem Hintergrund wird ‚Stadt‘ bzw. ‚städtischer Raum‘ weder als ‚Subjekt‘ noch ‚Objekt‘ verstanden, sondern als ein historisch-sozial-räumliches Produkt. Dies wird ergründet durch das Verstehen der Beziehung zwischen der Reproduktion, Um- und Neugestaltung der baulichen Struktur und den daraus resultierenden neuen räumlichen Segregationsmustern und deren Wirkungen auf Prozesse der sozialen Integration. Im Mittelpunkt stehen dabei zwei zentrale Forschungsfragen:
Welche Möglichkeiten bieten sozioökonomisch heterogen strukturierte Stadträume in Santiago de Chile für die Sozialintegration der Bewohner? Inwieweit beeinflusst die Sozialintegration der Bewohner Prozesse der (Re-)Produktion von Segregation im Stadtraum?
Um Antworten auf diese komplexen Forschungsfragen zu finden, wird ein mehrschichtiges theoriegeleitetes Erklärungsmodell entwickelt. Es berücksichtigt verschiedene miteinander verbundene und wechselseitig aufeinander bezogene Raumebenen, innerhalb derer sich individuelle Handlungs- und Verhaltensstrukturen abspielen. Diese sind für die sozial-raum-zeitliche (Re-)Produktion von Segregation und Integration im Raum von Bedeutung. Auf der Basis der Ergebnisse quantitativer und qualitativer Erhebungen in drei Fallstudiengebieten innerhalb der Gemeinden Peñalolén, Lo Barnechea und Huechuraba werden zum einen zentrale Merkmale segregativer und sozialintegrativer Prozesse herausgearbeitet und zum anderen die verschiedenen Facetten des theoriegeleiteten Erklärungsmodells analysiert und diskutiert. Die Argumentation dieser Forschungsarbeit will darlegen, dass Veränderungen des räumlichen Segregationsmusters einerseits Ergebnis konkreter gesellschaftlicher Dynamiken sind und andererseits, dass soziale Integration als gesellschaftliches Entwicklungsziel nach spezifischen Räumen verlangt. Ziel ist es, Prozesse und Entwicklungszusammenhänge aufzuzeigen, die die Mechanismen der sozialen Integration begünstigen und folglich zur Entwicklung von Strategien zum Abbau sozialer Distanzen unter Bedingungen der sozialräumlichen Segregation beitragen. Vor diesem Hintergrund werden in den ersten drei Kapiteln die zentralen Konzepte ‚Raum‘, ‚Segregation‘ und ‚Integration‘ vorgestellt und hinsichtlich bestehender Diskussionsansätze beleuchtet. Das Kapitel 1 richtet sich auf die Stadt als gesellschaftlich produzierten Raum. Basierend auf ausgewählten Theo-
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Einleitung
rien der Raumsoziologie von Lefebvre, Bourdieu, Werlen, Lippuner, Soja und Löw wird zunächst erläutert, dass der physisch materielle Raum nicht unbearbeitet und frei von sozialen Verhaltens- und Wahrnehmungsschemata ist und dass Raumkonstitutionen nur vor dem Hintergrund historischer Prozesse zu verstehen sind. Eine grundlegende Annahme aller dieser Diskussionsansätze ist, dass gebaute Strukturen sowohl sozial produziert sind, als auch selbst strukturierend auf die sozialen Praxen der Bewohner und Akteure wirken. Von dieser Annahme ausgehend ist auch die Herausbildung von Ungleichheitsräumen Teil der sozialen Raumproduktion. Das Kapitel 2 widmet sich dem Thema Stadt als Ort räumlicher Segregation. Es werden zunächst relevante theoretische Erklärungsansätze der Segregation vorgestellt und kritisch geprüft. Dazu zählt die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen räumlicher Segregation, das heißt einerseits die Betrachtung negativer Kontexteffekte räumlicher Konzentration sozialer Gruppen und andererseits die Bedeutung räumlicher Nähe unterschiedlicher sozialer Gruppen für den Abbau sozialer Distanzierung. Ausgehend von den negativen und positiven Auswirkungen residenzieller Segregation wird das Konzept der Sozialintegration in Kapitel 3 aufgegriffen, welches sich mit den verschiedenen Formen der Eingliederung von Individuen in die Stadt als gesellschaftlich produzierter Raum auseinandersetzt. Dafür wird einleitend herausgearbeitet, wer wozu und mit welchem Ziel in die Stadt integriert werden soll, um anschließend Formen und Möglichkeiten zu benennen, durch die sich Individuen bzw. Gruppen in die Stadt integrieren können. Es werden die theoretisch-konzeptionellen Ansätze der Sozialintegration von Peters, Anhut und Heitmeyer, Esser sowie Dangschat vorgestellt und hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit auf die Stadt als gesellschaftlich produzierter Raum diskutiert. Die Erkenntnisse aus diesen ersten drei theoriegeleiteten Kapiteln münden in Kapitel 4 in das vorgeschlagene komplexe, mehrschichtige Erklärungsmodell, welches wesentliche Aspekte der Erklärungsansätze von Raum, Segregation und Integration aufgreift und miteinander in Verbindung bringt. Es werden drei Ebenen der (Re-)Produktion von Segregation und Integration im Raum präsentiert und bezüglich ihrer Wechselwirkungen betrachtet. Im Anschluss an die theoriegeleiteten Kapitel bildet die Beschreibung des methodischen Vorgehens den Schwerpunkt des Kapitels 5. Es werden die Operationalisierung des mehrschichtigen Erklärungsmodells erläutert, die methodischen Instrumentarien vorgestellt, die Auswahl der Stichprobe begründet und die ausgewählten Untersuchungsgebiete unter geographischen und demographischen Aspekten beschrieben. Am Ende des Kapitels 5 werden forschungspraktische Herausforderungen im Zusammenhang mit den angewendeten qualitativen und quantitativen Methoden im fremdländischen Kontext reflektiert und hinsichtlich ihrer methodischen Folgen diskutiert. In den darauf folgenden Kapiteln findet das theoriegeleitete mehrschichtige Erklärungsmodell der Segregation und Integration Anwendung auf den Stadtraum Santiago de Chile und die ausgewählten Untersuchungsgebiete. Kapitel 6 konzentriert sich auf die sozialstrukturellen Bedingungen, unter denen Prozesse der
Einleitung
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residenziellen Segregation auf gesamtstädtischer Ebene (Makroebene) produziert werden. Vor dem Hintergrund der verschiedenen Erklärungsansätze der Segregation wird der Beitrag der staatlichen und privaten Wohnungsmarktpolitik in Santiago de Chile sowie der innerstädtischen Wanderungsbewegungen zur (Re-) Produktion von Segregation auf gesamtstädtischer Ebene dargestellt. Das Zusammenspiel der verschiedenen Einflussfaktoren wird zeigen, dass die Herausbildung neuer segregativer Raumstrukturen ein Ergebnis der spezifischen gesellschaftlichen Raumproduktion der letzten Jahrzehnte ist. Im Mittelpunkt des Kapitels 7 stehen verschiedene Mechanismen der Sozialintegration auf Stadtquartiersebene (Mesoebene) und deren Bedeutung für die sozial-raum-zeitliche Produktion von Segregation. Demnach wird zu Beginn des Kapitels der allgemeine Diskussionsstand zu Prozessen der Sozialintegration in Santiago de Chile skizziert. Auf der Basis der Untersuchungsergebnisse werden anschließend die Chancen des Abbaus sozialer Distanzierungen durch die räumliche Nähe unterschiedlicher sozioökonomischer Gruppen unter dem Einfluss sozialer, räumlicher und zeitlicher Variablen analysiert. Der Blick richtet sich im Wesentlichen auf die lebensweltlichen Aktionsräume und sozialen Netzwerke der Bewohner, die Bereitschaft zum Wohnen in räumlicher Nähe zu einer sozial distinktiven Gruppe sowie zur Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen und Aktivitäten. Das Kapitel 8 betrachtet Mechanismen der Sozialintegration auf individueller Ebene (Mikroebene) unter dem Einfluss sozialer, räumlicher und zeitlicher Variablen. Besondere Aufmerksamkeit wird hier dem Individuum – dem einzelnen Bewohner – und dessen raumbezogener Identifikation, Zugehörigkeitsgefühl, Engagement, interpersonellem Vertrauen und affektiver Kriminalitätsfurcht geschenkt. Die wesentlichen Erkenntnisse aus den theoriegeleiteten Diskussionen und empirischen Analysen werden in Kapitel 9 rekapituliert und synthetisiert, um Schlussfolgerungen zur sozial-raum-zeitlichen (Re-)Produktion von Segregation und Integration in Santiago de Chile ziehen zu können. Die Arbeit schließt mit einer Reflektion zu möglichen Perspektiven und Schwerpunktsetzungen für die Weiterentwicklung des theoriegeleiteten und empirisch überprüften Erklärungsmodells der Segregation und Integration.
1 DIE STADT ALS GESELLSCHAFTLICH PRODUZIERTER RAUM – DER KONZEPTIONELLE DISKUSSIONSANSATZ Städte sind seit ihrer Entstehung Orte des Zusammenlebens unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen und somit Orte der Gegensätze und des Austausches. Sie charakterisieren sich durch die „gleichzeitige Existenz von Differentem“ (KrämerBadoni 2001: 24). Mit der Vielfalt und Heterogenität von Tätigkeiten, Individuen, Gruppen und Standorten gewinnt auch Segregation an Bedeutung und wird ein fester Bestandteil des Städtischen (Krämer-Badoni 2001). Segregation ist daraus folgend ein universelles Phänomen seitdem es Städte gibt (siehe u.a. Farwick 2001) – in manchen eher stärkerer und in anderen wiederum eher schwächerer Natur. Bevor jedoch genauer auf den Segregationsdiskurs und dessen vielfältigen Auswirkungen eingegangen wird (siehe Kapitel 2), soll zunächst der Blick auf die Stadt als gesellschaftlich produzierter Raum gerichtet werden. Denn eine unabdingbare Voraussetzung jeglicher Thematisierung von Segregation – neben der Fokussierung auf die Differenzierung sozialer Gruppen nach bestimmten Merkmalen – stellt eben auch der räumliche Bezug dar: „Ohne den jeweiligen Raum, in oder auf den spezifische Segregationsmerkmale projiziert werden, wäre Segregation als Phänomen gar nicht beobacht-, beschreib- und analysierbar. Ohne Raum keine Segregation“ (Pott 2001: 59).
Doch so offensichtlich diese Feststellung klingen mag, so unterschiedlich werden die Fragestellungen von Stadt und Raum über lange Zeit behandelt. Während die ‚Stadt‘ als Forschungsgegenstand theoretischer und empirischer Reflexionen auf eine lange Tradition in den Sozial-, Politik- und Kulturwissenschaften zurückblicken kann, spielt der ‚Raum‘ im Zusammenhang mit der Stadtforschung für lange Zeit eine eher untergeordnete Rolle (Schmid 2005, Dangschat 1996). So scheint die Grundlage jeder (stadt-)geographischen Diskussion stets der Raum gewesen zu sein, der allgemein als physisch materieller Raum beschrieben wird – der Raum der Entfernungen und Verkehrswege. Die Rede ist auch von einem sogenannten absoluten Raum (Container- oder Behälterraum), bestehend aus einem vorhandenen und unbeweglichen Strukturraster (Schroer 2008). Der Raum wird in diesem Zusammenhang nur als die Hülle für die darin befindlichen Körper verstanden. Er bleibt unabhängig von äußeren Dingen immer gleich unbeweglich und damit auch unveränderlich (Schroer 2006a). Diese starre Raumvorstellung verliert spätestes mit Beginn der Relativitätstheorie von Einstein an Bedeutung, denn seinen Erkenntnissen nach sind Raum und Zeit nicht absolut, sondern nur relativ zum jeweiligen Bezugssystem der Beobachter zu bestimmen. „Jede Veränderung im Raum ist eine Veränderung in der Zeit, jede Veränderung in der Zeit ist eine Veränderung im Raum“ (Elias 1987: 74f).
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Er ist demnach relativ, das heißt keine schlichte Gegebenheit mehr. Folglich ist auch jeder physisch materielle Raum nicht unbearbeitet und frei von sozialen Wahrnehmungsschemata, sondern immer etwas sozial Hergestelltes. Der Raum wird nach diesem Verständnis erst durch soziale Operationen konstituiert (Schroer 2006a). Diese Erkenntnisse leiten einige Dekaden später einen Paradigmenwechsel in den Kultur- und Sozialwissenschaften ein, indem der (geographische) ‚Raum‘ als kulturelle Größe neben der ‚Zeit‘ ins Zentrum kulturwissenschaftlicher Untersuchungen gestellt wird. Dieser im Allgemeinen als ‚spatial turn‘2 bezeichnete Paradigmenwechsel soll in den folgenden Absätzen als Anlass genommen werden, um den konzeptionellen Diskussionsansatz der vorliegenden Forschungsarbeit herauszuarbeiten. Um mit immer zunehmender Verstädterung – die Mitte des 20. Jahrhunderts in die Diskussion um die ‚Krise der Stadt‘ (Schubert 1981, Läpple 2004) mündet – die damit einhergehenden veränderten Formen der Urbanisierung zu problematisieren oder, besser noch, um zu einem neuen Verständnis von ‚Stadt‘ zu gelangen, wird in den 1960er Jahren die Kategorie des ‚Raumes‘ als Grundkategorie des Denkens über die Stadt und über Urbanisierungsprozesse entdeckt (Macher 2007). ‚Stadt‘ wird seither von einigen Autoren im Sinne von ‚Raum‘ diskutiert und analysiert. In diesem Zusammenhang wirft Henri Lefebvre 1974 in seinem Werk ‚La production de l’espace‘ die Frage auf: „Comment penser la Ville […] sans concevoir clairement l’espace qu’elle occupe, qu’elle s’approprie?“3 (ebd.: IV).
Es geht also nicht darum, Stadt im Sinne von Dichte, Einwohnerzahlen, Funktionen zu verstehen, sondern diese auch als genutzten bzw. sich angeeigneten Raum zu begreifen. Diese Art von Raumverständnis – Raum als Ergebnis eines gesellschaftlichen Produktionsprozesses – bildet die Argumentationslinie von Henri Lefebvre (1991), der zwischen einem deskriptiven (absoluten) und einem dynamischen (relativen) Raumverständnis unterscheidet. Lefebvre geht es nicht darum, Gegenstände im Raum zu betrachten, sondern diesen selbst als soziales Produkt zu analysieren und die in der Produktion des Raumes enthaltenen sozialen Verhältnisse aufzudecken (Schmid 2005). Lefebvre vertritt folglich die Position, dass es sich bei Raum nicht um eine immer schon vorhandene, natürlich gegebene Entität handelt, sondern um etwas sozial Hervorgebrachtes: „(Social) space is a (social) product“ (Lefebvre 1991: 30). Seine grundlegende Aussage beruht auf der 2
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Erste Verwendungen des Ausdrucks finden sich in dem von Edward Soja 1989 veröffentlichtem Buch ‚Postmodern Geographies: The Reassertion of Space in Critical Social Theory‘. Seither setzen sich zahlreiche Publikationen mit der neuen erkenntnistheoretischen Wende des Raums auseinander. Der ‚spatial turn‘ als raumkritische Wende bringt zum Ausdruck, dass es nicht ausreicht, den Raum allein als Untersuchungsgegenstand zu nutzen, sondern diesen räumlich zu denken und dessen räumlichen Kategorien zu ergründen. Das Konzept umfasst aber nicht nur die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Raum (Döring und Thielmann 2008), sondern formiert sich gegenwärtig auf vielfältigen (sozial)politischen Ebenen. „Wie kann Stadt erfasst werden, ohne den Raum klar zu begreifen, den sie einnimmt, den sie sich aneignet?“ (Übersetzung durch die Autorin).
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Annahme, dass die Gesellschaft Raum erst produziere und demnach der Raum ein gesellschaftliches Produkt sei. Aus diesem Grunde lasse sich das Konstrukt Raum nur aus der jeweiligen Gesellschaft heraus erschließen und verstehen (Schmid 2005). Mit dieser Annahme weist Lefebvre darauf hin, den Prozess der Produktion des Raumes stärker in den Fokus der Analyse zu rücken. Der physischmaterielle Raum als gegeben-natürlicher Raum verliert demnach an Bedeutung, denn Raum selbst ist, seiner Auffassung nach, ein sowohl mentales und physisches als auch symbolisches Konstrukt (Schmid 2005). Einen ähnlichen Zugang zum Phänomen Raum bietet die Theorie der gesellschaftlichen Unterschiede von Pierre Bourdieu, welches dem Raumkonzept Lefebvres nicht entgegengesetzt ist, vielmehr stehen beide Konzepte nebeneinander. Denn während Lefebvre die Theorie der gesellschaftlichen Produktion von Raum entwickelt, stützen sich die Annahmen von Bourdieu auf die gesellschaftliche Einschreibung in den physischen Raum (Schroer 2006a), welche wiederum in relevanten sozialen Differenzen erkennbar wird (Macher 2007). Bourdieu (1985) unterscheidet in seiner Theorie der gesellschaftlichen Unterschiede zwischen einem physischen, einem angeeigneten physischen und einem sozialen Raum. Dabei nimmt letzterer – der soziale Raum – eine zentrale Bedeutung in seinen Ausführungen ein. Anders als bei Lefebvres sozialer Dimension des Raumes, ist Bourdieus sozialer Raum ein mentales Konstrukt, welches eine „unsichtbare, nicht herzeigbare und nicht anfaßbare, den Praktiken und Vorstellungen der Akteure Gestalt gebende Realität“ (Bourdieu 1989/2006: 362)
widerspiegelt. Er definiert sich durch „die wechselseitige Ausschließung (oder Unterscheidung) der ihn bildenden Positionen […], d.h. als eine Aneinanderreihung von sozialen Positionen“ (Bourdieu 1997: 160).
Der soziale Raum ist ein relationaler Raum und ist im Wesentlichen durch die ‚soziale Lebenslage‘ der Akteure definiert. Über das Volumen und die Struktur der verschiedenen Kapitalien – wie soziales, ökonomisches und kulturelles Kapital – mit denen eine soziale Gruppe oder eine Person ausgestattet ist, wird der ‚Raum der sozialen Lebenslagen‘, das heißt, die Position der einzelnen Akteure im sozialen Raum, bestimmt. Der soziale Raum ist keineswegs statisch, sondern immer der gegenwärtige Ausdruck des Machtgefüges innerhalb einer Gesellschaft (Manderscheid 2008). Er ist für Bourdieu explizit sinnbildlich gemeint und fungiert als Repräsentationsform der sozialen Welt (Bourdieu 1985). Den physischen Raum versteht Bourdieu als den unbewohnten und nicht angeeigneten Raum, der „durch die wechselseitige Äußerlichkeit der Teile bestimmt“ (Bourdieu 1991: 26) ist. Dagegen ist der von uns bewohnte (materielle) Raum im Sinne Bourdieus immer ein angeeigneter physischer Raum, das heißt, „eine soziale Konstruktion und eine Projektion des sozialen Raumes“ (ebd.: 28) auf den physischen Raum, den er im Sinne von Verteilungen, Distanzen und Anordnungen versteht und damit als Oberfläche, in die sich der soziale Raum mehr oder weniger direkt einschreibt (Manderscheid 2008).
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Für das Verständnis des Zusammenspiels von materiellem und sozialem Raum kommt dem Habitus eine besondere Bedeutung zu. Der Habitus4 wird in Abhängigkeit von der Position im sozialen Raum geformt, da diese einen maßgeblichen Einfluss auf die Wahrnehmungs- und Handlungsmuster der Akteure hat. Darüber hinaus bringt er spezifische Handlungen und Praxisformen hervor, verschließt sich jedoch einer direkten Beobachtung. Er ist folglich vielmehr eine Hilfskonstruktion um die soziale Praxis zu erfassen und zu erklären. Das bedeutet, dass sich die Position im sozialen Raum erst über den jeweiligen Habitus in den physischen Raum einschreibt. In diesem Zusammenhang kommt Bourdieu zu der bedeutenden Erkenntnis: „Es ist der Habitus, der das Habitat macht“ (Bourdieu 1991: 32). Mit dieser Aussage verweist er auch auf einen Verteilungskampf unterschiedlicher Akteure mit unterschiedlichen Chancen der Aneignung, denn unter Berücksichtigung des „jeweiligen Wohnort[es], der Größe des bewohnten Hauses oder der Innenausstattung einer Wohnung [lassen sich] eindeutige Rückschlüsse auf die soziale Stellung eines Akteurs im sozialen Raum ziehen […], ebenso wie sich aus der körperlichen Erscheinungsweise, den Bewegungen und der Gestik einer Person […] Hinweise auf die Position des Akteurs im sozialen Raum ergeben“ (Schroer 2006b: 111).
Daraus kann geschlussfolgert werden, dass die Position im angeeigneten physischen Raum die Position im sozialen Raum entsprechend wiedergibt und dass infolgedessen „der von einem Akteur eingenommene Ort und sein Platz im angeeigneten physischen Raum hervorragende Indikatoren für seine Stellung im sozialen Raum abgeben“ (Bourdieu 1991: 25).
Bourdieu geht weiter von der Annahme aus, dass sich im sozialen Raum bestimmte Verteilungsstrukturen verschiedener Arten von Kapital herausbilden, da physisch lokalisierte individuelle Akteure und Gruppen jeweils unterschiedliche Chancen der Aneignung von Gütern und Dienstleistungen (also Kapitalarten) besitzen. Weiter stellt Bourdieu fest, dass sich diese verschiedenen physisch objektivierten sozialen Räume tendenziell überlappen können und Konzentrationen bzw. Dekonzentrationen von Kapitalarten an bestimmten Orten des angeeigneten physischen Raumes hervorbringen. Wenn nun – und dies ist eine der Kernaussagen Bourdieus, die für diese Arbeit grundlegend erscheint – die Nähe von Akteuren im sozialen Raum (mit ähnlicher Kapitalstruktur) auch mit der Nähe im angeeigneten physischen Raum korreliert, kommt es zur Herausbildung von Ungleichheitsräumen. Damit spricht Bourdieu (1991) die Bildung von homogenen Gruppen als Ursache und Wirkung der exklusiven Aneignung eines Raumes an, also eine Soziologie der Abstände und Distanzen. In seinem Modell entsprechen räumliche Distanzen den in der Gesellschaft herrschenden sozialen Distanzen. Denn die physische Nähe sozial fern stehender Personen wird als undenkbar erachtet, und folglich ist die räumliche Trennung sozial fern stehender Personen ein Produkt derselben. Das Ergebnis ist die Herausbildung von Ungleichheitsräumen, die 4
Eine gute Einführung in das Habituskonzept geben Krais und Gebauer (2002).
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zur sozialen Schließung5 tendieren. Laut Bourdieu scheint diese unvermeidlich zu sein und vielleicht sogar notwendig, um die auf sozialer Ungleichheit beruhende soziale Ordnung aufrechtzuerhalten. Eine soziale Nähe lässt sich folglich nicht durch räumliche Nähe herstellen, sondern vielmehr ist die Nähe im sozialen Raum Bedingung für eine Annäherung im physischen Raum (Schroer 2006a). Mit seinen Überlegungen zum physischen und sozialen Raum hat Bourdieu einen bedeutenden Anteil an der zunehmenden Präsenz der Raumkategorie in den Sozialwissenschaften, insbesondere im Zusammenhang mit sozialer Ungleichheit im städtischen Raum. Dennoch, Bourdieus Abhandlungen zum physischen Raum basieren auf einer Raumvorstellung, die hinter denen gegenwärtiger Sozialraumwissenschaftler weit zurückbleibt (Manderscheid 2008). Doch auch wenn in seinen Ausführungen keine abgeschlossene soziologische Theorie des Raums zu erkennen ist (Schroer 2006b), bedeuten Bourdieus Überlegungen zum Raum einen wichtigen Referenzpunkt, „da er wie kaum ein anderer auf den Zusammenhang von Raum, Macht und sozialer Ungleichheit eingeht“ (Schroer 2006a: 90).
Sozialwissenschaftliche Raumkonzeptionen, die anders als Bourdieu, die KoKonstitution von Raum und Sozialem betonen, werden u.a. in den Arbeiten von Benno Werlen (1987) und Roland Lippuner (2005) sichtbar, die den substanzialistischen Raumbegriff der traditionellen Geographie ablösen durch ein Verständnis von Raum, das durch alltägliches soziales Handeln bestimmt wird. Damit wird das aktuelle Raumdenken nachhaltig von der Vorstellung gelöst, Raum sei etwas absolut Gegebenes, ein unverrückbarer und unveränderlicher Behälter physischer Art – quasi ein Container, in dem sich die in ihm enthaltenen materiellen Teilchen absolut lokalisieren ließen – sondern vielmehr wird dieser als relativer (auch gesellschaftlicher) Raum verstanden, dessen Qualitäten sich erst aus der relationalen Position von materiellen Objekten und Ereignissen ergeben, also sozialen Handlungen. Soziales Handeln findet demnach nicht einfach im Raum statt, sondern konstituiert diesen erst (Dünne 2008, Schmid 2005). Auch Martina Löw (2001) nimmt in ihren Ausführungen zur Raumsoziologie diesen Perspektivenwechsel ein, um zu einem fundierten Raumbegriff zu gelangen,
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Im Zusammenhang mit ungleichheits-, macht- und konflikttheoretischen Fragestellungen bestehen in der Gesellschaft verschiedene Formen der sozialen Schließung. Das Bestreben, diese verschiedenen Formen differenziert und systematisch zu erfassen, mündete in eine Theorie der sozialen Schließung. Diese begreift Schließung als einen sozialen Prozess, „indem soziale Akteure um die Teilhabe an Rechten, Ressourcen, Macht, Prestige oder Privilegien kämpfen, die von unterschiedlichen sozialen Systemen qua Mitgliedschaft vergeben werden“ (Mackert 2004: 18). Mit Hilfe der Festlegung bestimmter Grenzen durch soziale Akteure oder Gruppen werden interaktive Annäherungen oder das Eindringen einzelner Personen(gruppen) verhindert (Hillmann 2007). Damit hat die Analyse der sozialen Ausschließung – als ein dynamischer Ansatz – zum Ziel, soziale Mechanismen und Grade der Inklusion und Exklusion zu identifizieren, um letztlich Erklärungen für Prozesse sozialer Ausschließung liefern zu können.
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„der nicht nur deskriptiv erhebbare Territorien erfasst, sondern die materiellen und symbolischen Aspekte der Produktion von Räumen durch die verschiedenen Akteurinnen“ (ebd.: 53)
berücksichtigt. Dies setzt ihrer Meinung nach jedoch voraus, dass nicht mehr zwei verschiedene Realitäten – Raum und Handeln – getrennt voneinander analysiert werden, sondern dass Raum als Wechselwirkung zwischen Struktur und Handeln zu verstehen ist. Daraus folgend ist „die Entstehung von Räumen selbst ein Moment sozialer Prozesse“ (ebd.: 130). Löw (2001) stützt sich hier auf ein prozessuales Raumverständnis, welches sie eindeutig von einem deskriptiven Raumverständnis (Raum als starre Struktur) abgrenzt (Macher 2007). Ähnlich wie Bourdieu geht Löw (2001) in ihren Ausführungen zur ‚Raumsoziologie‘ auch auf den Zusammenhang von Raumbildung und sozialer Ungleichheit ein. Sie kann eindrücklich herausarbeiten, dass die „Konstitution von Raum Verteilungen zwischen Gesellschaften und innerhalb einer Gesellschaft hervorbringt“ (ebd.: 217)
und dass „in hierarchisch organisierten Kontexten […] dies zumeist ungleiche Verteilungen bzw. unterschiedliche Personengruppen begünstigende Verteilungen“ (ebd.: 217)
sind. Diese Verteilungen haben laut Löw (2001) auch (des)integrierende Effekte, denn gesellschaftliche und räumliche Strukturen ermöglichen bzw. schränken soziales Handeln ein. Als Beispiel führt sie die Privatisierung von Boden an, der in kapitalistischen Gesellschaften zur Ware wird und damit soziale Ungleichheit hervorruft, nicht nur im Sinne von „Chancen, Raum zu konstituieren […], sondern Räume selbst können als Reichtum eine strategische Ressource im gesellschaftlichen Kräfteverhältnis werden“ (ebd. 217).
Raumkonstitutionen resultieren folglich nicht nur aus einer Ressourcen- und Machtfrage, sondern produzieren auch soziale Differenzierungen. Daraus kann gefolgert werden, dass räumliche Strukturen eine Form gesellschaftlicher Strukturen und oft Gegenstand sozialer Auseinandersetzungen sind. Gesellschaft und Raum bringen sich gegenseitig hervor und sind nur in ihrem Verhältnis zueinander zu begreifen. Eine grundlegende Konsequenz dieses Wechselspiels ist, dass „die Produktion von Raum die gleichen gesellschaftlichen Wurzeln hat wie das Machen von Geschichte, ja, einen Aspekt desselben darstellt“ (Parnreiter 2007: 53).
Raumkonstitutionen sind daraus schließend nur vor dem Hintergrund historischer Prozesse zu verstehen, die sich in und mit der Geschichte verändern. Damit gewinnt auch das Phänomen ‚Zeit‘ an Bedeutung, denn Raum kann nicht ohne Zeit begriffen werden, die ihn hervorbringt und die aus ihm hervorgeht. Der Schlüssel zum Verständnis des Raumes ist damit die historische Analyse. Auch die Stadt bildet unter diesem erkenntnistheoretischen Kontext eine bestimmte historische Konfiguration des Raumes, oder auch eine bestimmte Ebene der raum-zeitlichen Wirklichkeit, auf der, je nach historischer Situation, ein spezifischer (Stadt-)Raum oder eine spezifische Raum-Zeit produziert wird (Featherstone 1999, Schmid 2005). Raum und Zeit sind nach dieser Erkenntnis keine Gegebenheit der Natur,
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sondern historische / veränderliche Produkte. Doch die Verknüpfung der Analyse räumlicher und zeitlicher Entwicklungsformen der Gesellschaft erfordert sowohl eine dynamisierte Raumkonzeption, als auch eine historische Rekonstruktion der gesellschaftlichen Raumstrukturen (Läpple 1991). Das Ergebnis der vorangegangenen Diskussion ist die Erkenntnis, dass Gesellschaft, Raum und Zeit nicht voneinander getrennt werden können. Dieser Zusammenhang kommt auch in dem Werk von Edward Soja (1996) ‚Thirdspace: journeys to Los Angeles and other real-and-imagined places‘ zum Ausdruck, der ähnlich wie Lefebvre auf die trialektische Produktion von Raum verweist: räumlich, historisch und gesellschaftlich. Folglich ist jeder Raum – auch die Stadt – für ihn ein historisch-sozial-räumliches Phänomen (Soja 2000). Denn jede stadträumliche Ausprägung bezieht sich auf eine bestimmte Anordnung von sozialen Beziehungen, gebauten Formen und menschlichen Aktivitäten innerhalb der Stadt und seines geographischen Einflussbereiches. Sie beinhaltet folglich zweierlei Aspekte: (a) äußerliche oder morphologische und (b) prozessuale oder dynamische. Ersterer beschreibt die gebaute Umwelt, die sich in physischen Strukturen (Gebäude, Monumente, Straßen, Grünanlagen etc.) oder auch in kartierbaren Mustern der Landnutzung, des wirtschaftlichen Wohlstands, der kulturellen Identitäten, der Klassenunterschiede sowie in der ganzen Bandbreite an individuellen und kollektiven Attributen, Gedanken, Praktiken der städtischen Bevölkerung widerspiegelt. Letzterer begreift im weitesten Sinne die dynamische Qualität der sich kontinuierlich entwickelnden, vorsätzlich geplanten und politisch aufgeladenen Kontextualisierung und Verräumlichung des Soziallebens. Diese beiden Aspekte – Form und Prozess – sind, was Soja (2000) als die „historically evolving specific geography of cityspace“ (ebd.: 8) beschreibt. Seinen Ausführungen zufolge wird die spezifische Geographie der Stadträume häufig an den Rand der Diskussion gedrängt. Soziale Prozesse wie z.B. soziale Schichtung / Klassenbildung und städtische Gemeinschaften werden eher dahingehend analysiert, dass sie Städte formen und weniger unter der Berücksichtigung, dass diese sozialen und historischen Prozesse durch die spezifische Natur der Stadt selbst geformt werden, welche historisch-sozial produziert ist. Die Ausführungen zum Zusammenhang von Stadt und Raum als gesellschaftliches Produkt haben gezeigt, dass (Stadt-)Räume nicht nur sozial strukturiert sind, sondern selbst strukturierend auf die sozialen Praxen der sozialen Gruppen und Akteure wirken. „Räume helfen zu entscheiden, in welcher Situation wir uns befinden. Sie strukturieren vor, in welche Situationen wir kommen können, welche Erwartungen wir haben können, sie strukturieren Interaktionsabläufe, machen einige wahrscheinlich, andere unwahrscheinlich“ (Schroer 2006a: 176).
Soziale Räume können ganz bestimmte baulich-physische (materielle) Räume erzeugen, von denen wiederum ganz bestimmte soziale Wirkungen ausgehen (siehe auch Dangschat 1996). Welche sozialen Wirkungen von sozialen Ungleichheitsräumen ausgehen und wie diese ihrerseits soziales Handeln strukturieren, werden im nächsten Kapitel vertieft diskutiert.
2 DIE STADT ALS ORT RÄUMLICHER SEGREGATION 2.1 ZUM KONZEPT DER RÄUMLICHEN SEGREGATION UND DESSEN THEORETISCHE ERKLÄRUNGSANSÄTZE Das vorangegangene Kapitel hat verdeutlicht, dass Räume nicht einfach existieren, sondern in Abhängigkeit von sozialen Kontexten, Beobachtungsverhältnissen und Interessen in sehr unterschiedlicher Art und Weise hergestellt und reproduziert werden (Pott 2001). Raum ist zunächst immer ein gesellschaftlich produzierter Raum, der zu unterscheiden ist von konkreten Orten bzw. abgrenzbaren Territorien (Gestring und Janßen 2002). Erste Auseinandersetzungen mit den Räumen der Segregationsforschung zeigen, dass sich im Allgemeinen der räumliche Bezug auf administrativ markierte und vorgegebene Ausschnitte der Erdoberfläche konzentriert (z.B. Städte, Stadtteile, Bezirke oder Stadtquartiere), in denen Bewohner einer sozialen Kategorie in einer bestimmten, statistisch beschreibbaren Verteilung leben (Pott 2001). Segregation bezeichnet in diesem Verständnis „das Ausmaß der ungleichen Verteilung von Elementen über städtische Teilgebiete eines Gebietes“ (Friedrichs 1977: 217).
Demgemäß umfasst diese eher statische Betrachtung von Segregation ein statistisches Maß, das Abweichungen von einer Gleichverteilung feststellt (Häußermann und Siebel 2004, Friedrichs und Triemer 2009). Auch wenn der Begriff der Segregation im Allgemeinen für jede Form räumlicher Verteilungsmuster definiert ist, wird er häufig für die räumliche Verteilung der Wohnstandorte bestimmter Bevölkerungsgruppen verwendet (Friedrichs 1977). Hier ist dann die Rede von räumlicher oder residenzieller Segregation (siehe auch Taeuber 1968, Massey und Denton 1988). Zusätzlich wird in der Literatur zwischen verschiedenen Typen residenzieller Segregation unterschieden, z.B. in sozioökonomische residenzielle Segregation (Unterscheidung nach sozialer Schichtzugehörigkeit durch Bildungsgrad, Einkommen, Beschäftigung); in demographische residenzielle Segregation (Unterscheidung nach Stellung im Familienund Lebenszyklus bedingt durch Alter, Geschlecht und Haushaltstyp); oder auch in ethnisch-religiöse residenzielle Segregation (Unterscheidung nach ethnisch kultureller Zugehörigkeit bestimmt durch Herkunft, Glauben, Sprache, Hautfarbe) (Fischer et al. 2004, Biterman und Franzén 2007). Die verschiedenen Dimensionen der sozialräumlichen Struktur können einander ergänzen, überlagern und verstärken (Dangschat 1994). Dieser klassische Ansatz der Segregationsforschung – Klassifikation von städtischen Räumen mit sozialstrukturellen Ähnlichkeiten – erlaubt zunächst eine Typologie von städtischen Quartieren zu erstellen. Erste Ansätze einer solchen Typologisierung finden sich in der sozialökologischen Stadtforschung der ‚Chica-
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go School of Sociology‘. Vertreter wie Robert E. Park (1915) und Ernest Burgess (1926) untersuchen zu Beginn der 1920er Jahre am Beispiel der Stadt Chicago und unter den Bedingungen von Kapitalismus und Demokratie die Wechselwirkung zwischen polit-ökonomischen Entwicklungen (Industrialisierung, Urbanisierung und Einwanderung) und dem Wandel sozialer und kultureller Ordnungen (Schubert 2007). Sie können eine ungleiche Verteilung der Bevölkerung – je nach sozialem Status und ethnischer Zugehörigkeit – über verschiedene Gebiete der Stadt Chicago feststellen, die die Entstehung von so genannten ‚natural areas‘ als Lebensraum bestimmter ‚natural groups‘ (Park 1926/1975) hervorbringen. Die zentrale These, die sich aus seinen Forschungsarbeiten heraus kristallisiert und später zu einem zentralen Theoriebestandteil der Segregationsforschung wird, lautet: Räumliche Distanzen sind mehr oder weniger anerkannte Indikatoren für soziale Distanzen. Seinen Ausführungen nach liegt dieser Zusammenhang in den sozialen Beziehungen begründet, denn „social relations are so frequently and so inevitably correlated with spatial relations; because physical distances, so frequently are, or seem to be, the indexes of social distances“ (ebd.: 30).
Die sozial-räumlichen Selektions- und Segregationsmechanismen städtischer Bevölkerungsgruppen nach kulturellen und sozioökonomischen Kriterien tragen demnach dazu bei, dass sich die ‚natural areas‘ durch ein besonders hohes Maß an sozialer Homogenität und Distanz auszeichnen. Mit diesen erkenntnistheoretischen Erklärungsversuchen eines eher idealtypischen Konzeptes vertreten die Autoren zugleich die positiven Aspekte freiwilliger aber auch unfreiwilliger Segregation, denn ihren Annahmen folgend wirken homogen sozial-räumliche Einheiten im Allgemeinen gemeinschaftsbildend und integrierend (siehe auch Hanhörster und Mölder 2000). Gleichwohl ist der klassische Ansatz der Humanökologie aus verschiedenen Gründen stark kritisiert worden. Erstens sei die ausschließliche Ableitung sozialer Muster von biologischen Modellen nicht ausreichend, denn diese seien maßgeblich durch kulturelle, soziale und psychologische Prozesse beeinflusst (Gettys 1940, Wirth 1944). Ferner verharren die sozialökologischen Ansätze auf räumlich makroskaligen und funktionellen Annäherungen und greifen damit zu kurz, insbesondere wenn es darum geht, individuelles Verhalten einerseits konzeptionell (Firey 1945, Burch 1971, Dangschat 1996) und andererseits statistisch (Robinson 1950) zu erklären. Außerdem wird von den Kritikern angemerkt, dass soziales Verhalten immer im Kontext der jeweiligen sozialen Umwelt gesehen werden müsse. Zweitens sei der reduktionistische Ansatz der Chicagoer Schule – räumlichen Wettbewerb als den elementaren, universalen und fundamentalen Erklärungsmechanismus sozialer Verteilungen anzusehen – nicht vertretbar. Denn der humanökologische Ansatz beruhe auf dem Sozialdarwinismus, der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Theorierichtung etablierte, und zwar vor dem Hintergrund, soziale Ungleichheit von Personen, Gruppen, Rassen und Gesellschaften zu rechtfertigen und zu legitimieren (Grove und Burch 1997). Drittens wird angemerkt, dass die Chicagoer Schule den Einfluss politischer und insti-
2.1 Konzept und Erklärungsansätze der räumlichen Segregation
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tutioneller Faktoren, einschließlich des nationalen und lokalen Staates, vernachlässige. Globale Entwicklungen oder Megatendenzen wurden nicht mit in ihre Betrachtungen einbezogen. Die Erkenntnisse der Chicagoer Schule sind demnach im Wesentlichen amerikanischer, wenn nicht sogar ausschließlich ‚chicagoischer‘ Natur (Van Kempen 2007, Hunter 1980). Ein weiteres klassisches Erklärungsmodell residenzieller Segregation ist der neoklassische Ansatz, hinter dem sich eine stark nachfrageorientierte neoklassische Wirtschaftstheorie verbirgt, die sich – in Anlehnung an die wirtschaftsgeographische Standorttheorie von Johann Heinrich von Thünen – auf die Beziehung zwischen Kostenaufwand von Wohnraum und Transport gründet (Farwick 2001). Ausgehend von einer monozentrischen Stadt sowie rationalem Handeln und freiem Wettbewerb zwischen den Haushalten steht der Bodenpreis (als Indikator für den Kostenaufwand von Wohnraum) im gegensätzlichen Zusammenhang zur Distanz zum Zentrum (als Indikator für den Kostenaufwand von Transport). Das Stadtzentrum ist demnach der Ort mit den höchsten Bodenpreisen, die mit zunehmender Entfernung sinken, während dessen die Transportkosten steigen (Alonso 1975, Häußermann und Siebel 2004). Für die räumliche Segregation sozialer Gruppen bedeutet dieses Modell, dass die Stadtstruktur eindeutig durch die Standortpräferenzen und die Zahlungsfähigkeit unterschiedlicher Nachfragegruppen geprägt ist. So werden Haushalte mit hohem Einkommen und größerem Flächenverbrauch weiter entfernt vom Stadtzentrum wohnen als ökonomisch benachteiligte Bevölkerungsgruppen, die einen Wohnstandort in Zentrumsnähe aus rationalen Abwägungen heraus vorziehen (Farwick 2001). Die Annahmen des idealtypischen Modells der neoklassischen Ökonomie geraten in den Folgejahren in den Fokus der Kritik (siehe dazu Friedrichs 1977). Auch nachdem das anfängliche Modell der monozentrischen Stadt um einige Kriterien erweitert wird (Stadtverfall, Dezentralisierung, Arbeitsmarktchancen, Prozesse der Gentrification u.a.) (Knox und Pinch 2000), bleiben Zweifel an der vollständigen Markttransparenz, am freien Wettbewerb sowie am streng zweckrational handelnden und unter vollständiger Information nach Eigennutz strebendem ‚homo oeconomicus‘ bestehen. Das Modell stößt hier an seine Grenzen, denn die rationale Form der Nutzenmaximierung als Handlungsmaxime entspricht weder dem tatsächlichen Entscheidungsverhalten der Akteure (Schimank 2007) noch den komplexen Entfaltungsmechanismen sozialräumlicher Differenzierungen (Farwick 2001). Denn Wohnstandortwahl bzw. residenzielle Segregation ist nicht nur ökonomisch zu erklären, sondern vielmehr unterliegt sie auch kulturellen Variablen, wie z.B. der symbolischen Ortsbezogenheit oder verhaltensorientierten Motiven.6 Aus der Kritik an der sozialökologischen und neoklassischen Segregationsforschung heraus und als Reaktion auf die theoretischen Defizite derselbigen entwickelten sich seit den 1970er Jahren handlungs- und verhaltensorientierte Ansätze, die zunächst intra-urbane Wanderungsprozesse und selektive Umzugs6
Weitere Ausführungen zum neoklassischen Ansatz finden sich u.a. bei Hamm (1977), Bassett und Short (1980), Farwick (2001) und Maier und Tödtling (2006).
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entscheidungen als eine Folge individueller Wohnstandortentscheidungen sehen (Farwick 2001, Schnell und Ostendorf 2002, siehe auch Feijten und Van Ham 2009). Die Annahmen des sogenannten ‚behavioral approach‘ basieren auf dem von Herbert Alexander Simon (1955) eingeführten ‚Behavioral Model of Rational Choice‘, der den neoklassischen Ansatz um die Variablen Unsicherheit (uncertainty) und Risiko (risk) bei der Entscheidungsfindung erweitert (siehe auch Miebach 1991). Der mit dem Begriff der ‚bounded rationality‘ umschriebene Denkansatz argumentiert, das eingeschränkte Verhalten von Individuen bei Entscheidungsprozessen (aufgrund des knappen Zugriffs auf komplexe Sachverhalte der realen Welt infolge von begrenzter Datenverfügbarkeit sowie begrenzter Kapazität Informationen aufzunehmen) zu analysieren und zu bewerten. Der ‚behavioral approach‘ versteht folglich die Wohnstandortentscheidung als ein Resultat verhaltens- und personenbezogener Variablen und schließt ein vollständig rationales Handeln nahezu aus. Basierend auf den verhaltenstheoretischen Ansätzen der ‚bounded rationality‘ entwickelt Julian Wolpert (1965) erste Überlegungen zur Erklärung von individuellen Wohnstandortentscheidungen unter sozialpsychologischen Gesichtspunkten. Er geht dabei von einem beschränkt rational-handelndem Individuum aus, welches basierend auf Erwartungen und subjektiv verzerrten Handlungsalternativen versucht, bestimmte Wohnstandortentscheidungen zu treffen. Weiterhin nimmt er an, dass ein Haushalt als Entscheidungsträger der Wanderung seinen Wohnstandort hinsichtlich verschiedener Faktoren wie Größe der Wohnung, Wohnumfeld und Wohnungsansprüche bewertet (siehe auch Gans 1979). Je nachdem, wie die Wertung des Wohnstandortes ausfällt – positiv oder negativ –, wird ein gewisses Befriedigungsniveau erreicht. Wolpert (1965) führt dazu das Konzept der ‚place utility‘ ein. Im Kern dieses theoretischen Konzeptes steht die Annahme, dass jede Person jedem Wohnstandort eine gewisse Nützlichkeit beimisst, welche schließlich ihr Wanderungsverhalten erklärt. Solange der angestrebte Nutzen am Wohnstandort erreicht wird, strebt das Individuum keine Veränderung an. Erst wenn der subjektive Standortnutzen durch Faktoren der physischen und sozialen Umwelt bis zu einem Schwellenwert sinkt, ergibt sich eine Unzufriedenheit mit dem Wohnstandort und die Notwendigkeit einer Anpassung, bzw. die Motivation zu einem Wohnstandortwechsel wird überdacht (siehe auch Farwick 2001, Bassett und Short 1980). Der Schwellenwert ist dann von den individuellen Erfahrungen und dem erwarteten zukünftigen Standortnutzen abhängig und kann sich innerhalb des Lebenszyklus ändern (Wolpert 1965). Bestimmte Ereignisse / Erfahrungen bzw. demographische, ökonomische und ethnische Faktoren führen zur Bildung von jeweiligen Schwellenwerte während der Lebenszyklusphasen, die ihrerseits den subjektiven Standortnutzen bedingen (siehe auch Van Kempen und Sule Özüekren 1998). Auch wenn die Ursachen der individuellen Wohnstandortentscheidung von Individuum zu Individuum unterschiedlich sind, können sich Konzentrationen von Individuen im Raum bilden. So können Personen mit ähnlichem demographischen oder sozioökonomischen Hintergrund sowie ähnlichen Erwartungen an den Wohnstandort selektive Wanderungen bewirken, die sich letztendlich in Form von freiwilliger Segregation artikulieren.
2.1 Konzept und Erklärungsansätze der räumlichen Segregation
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Die konzeptionellen Überlegungen von Wolpert werden später Ausgangspunkt für weitere Modelle des Wohnstandortwandels. So basiert das ZweiPhasen-Modell residenzieller Mobilität / Migration von Brown und Moore (1970) auf Wolperts Erkenntnissen zur ‚place utility‘. Die Autoren argumentieren, dass Wohnstandortveränderungen als eine Form des Stressabbaus zu verstehen sind und sich in zwei Phasen artikulieren: (1) Anstoß und Entscheidung, eine neue Wohnung zu suchen (begründet durch individuelle Bedürfnisse an die Wohnung und das Wohnumfeld), und (2) die Wohnungssuche und Wohnungswahl (insbesondere bezogen auf das Suchverhalten und den Evaluierungsprozess möglicher alternativer Wohnstandorte). Eine Stresssituation entsteht laut Brown und Moore (1970) für einen Haushalt, wenn die individuellen Bedürfnisse und Erwartungen an den Wohnort bzw. das Wohnumfeld nicht erfüllt werden (siehe auch Lewis 1982, Farwick 2001). Seither haben sich verschiedenste Autoren mit den verhaltenstheoretischen Ansätzen kritisch auseinandergesetzt und die Modelle von Wolpert (1965) und Brown und Moore (1970) erweitert. So führt Roseman (1971) zwei weitere Schritte für die Phase II der Wohnungssuche und Wohnungswahl ein. Seinen Erkenntnissen zufolge muss zuerst eine allgemeine Entscheidung zu dem gewünschten Wohngebiet getroffen werden, um anschließend den Wohnstandort innerhalb des Wohngebietes festzulegen. Daneben berücksichtigt Popp (1976) auch die erzwungene Wanderung, denn diese muss nicht immer das Ergebnis einer Verminderung der ‚place utilities‘ sein. Er ergänzt weiter, dass die Entscheidungen der Phase I und der Phase II nicht chronologisch aufeinander aufbauen müssen. In einigen Fällen kann Phase I oder auch Phase II gar nicht erst stattfinden (siehe auch Lewis 1982).7 In Anlehnung an Dieleman (2001) lassen sich insgesamt drei bedeutende Einflussfaktoren der residenziellen Mobilität identifizieren: (i) das Alter einer Person; (ii) die Größe und Eigentumsverhältnisse der gegenwärtigen Wohnung und (iii) die Einschnitte im Lebenszyklus, wie z.B. Familienbildung oder -auflösung, Bildungs- und Berufskarriere (siehe auch Bolt und Van Kempen 2010, Skifter Andersen 2008). Die verhaltensorientierten Ansätze haben als Reaktion auf die sozialökologischen Annahmen der Chicagoer Schule einen wesentlichen mikroanalytischen Beitrag zum Verstehen von Wohnstandortentscheidungen und zur Erklärung residenzieller Segregation geleistet. Dessen ungeachtet, werden auch hier kritische Anmerkungen deutlich. Autoren wie Bourne (1981) und Hamnett und Randolph (1988) beanstanden den ausschließlich nachfrageorientierten Fokus des Ansatzes (siehe auch Speare 1974), da unzureichende Aufmerksamkeit auf ökonomische und institutionelle Beschränkungen (Wohnungsversorgung bzw. Wohnungszugang) gelegt würde. Die unzureichende Berücksichtigung ökonomischer Restriktionen und politischer Rahmenbedingungen steht in engem Zusammenhang mit den Zwängen bei der Wanderungsentscheidung. So muss nicht jeder Wohnstandortwechsel auf freiwilliger Entscheidungsfreiheit des Haushalts beruhen. Viel7
Weitere Ausführungen finden sich dazu bei Farwick (2001).
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mehr ist die ökonomische, kulturelle und soziale Ausgangssituation von entscheidender Bedeutung für das räumliche Mobilitätsverhalten. Zusätzlich gibt Steinführer (2004) zu Bedenken, dass die Abgrenzung von freiwilligem gegenüber unfreiwilligem Mobilitätsverhalten nicht immer eindeutig bestimmbar ist und folglich nur mit Hilfe „genauer Kenntnis der konkreten Umstände mit einem hohen Grad an subjektiver Bewertung durch den Forscher“ (ebd.: 35)
überwunden werden kann. Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf die Untergliederung der Wohnstandortwahl in einzelne Entscheidungsphasen. Denn basierend auf der psychologischen Entscheidungstheorie argumentieren Gärling und Friman (2002), dass der Entschluss, den Wohnstandort zu wechseln, also einen alternativen Wohnort zu suchen und auszuwählen, integrale Bestandteile eines Entscheidungsprozesses seien und nicht, wie bei Brown und Moore (1970) angenommen, unabhängige Phasen. Darüber hinaus fokussieren sie auf psychologische Aspekte der Haushalte bei der Wohnstandortwahl unter restriktiven Voraussetzungen. Die Autoren betonen, dass Wohnstandortwünsche wiederholt scheitern können, bedingt durch auferlegte Einschränkungen im Wohnungsmarkt (z.B. durch Knappheit bei Wohnungsversorgung). Resümierend hält Dieleman (2001) fest, dass die Wohnstandortwahl bzw. die darauf hinführenden Entscheidungen auf Mikroebene, welche den Prozess der residenziellen Mobilität stark beeinflussen, nicht allein auf Einflussvariablen wie Alter, Einkommen, Haushaltszusammensetzung oder Wohnausstattung zu reduzieren seien, sondern darüber hinaus durch folgende Meso- bzw. Makroebenen beeinflusst werden: (i) den lokalen (städtischen) Wohnungsmarkt; (ii) die sich über gewisse Zeiträume verändernden nationalen wirtschaftlichen und demographischen Verhältnisse; und (iii) die Wohnungspolitik sowie die Gesundheits- und Eigentumsstrukturen, die im jeweiligen Untersuchungskontext anders gelagert sind. Die von Dieleman (2001) angeschnittenen Punkte stehen in engem Zusammenhang mit zwei weiteren Erklärungsansätzen residenzieller Segregation: Zum einen mit institutionellen Ansätzen, die insbesondere auf Akteursgruppen und Koordinationsmechanismen fokussieren, und zum anderen mit polit-ökonomischen Ansätzen, welche ökonomische und politische (Rahmen-)Bedingungen berücksichtigen. Im Mittelpunkt der institutionellen Ansätze, die Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre parallel zum verhaltenstheoretischen Ansatz aufkommen (Farwick 2001), stehen die beteiligten Akteursgruppen und Koordinationsmechanismen, die bei der Verteilung und Entstehung von Wohnraum beteiligt sind (Klagge 2005). Anders als bei verhaltenstheoretischen Ansätzen wird hier auf makro- und mesoanalytischer Ebene versucht, räumliche Segregationsmuster als gesellschaftlichen Aushandlungsprozess zwischen verschiedenen Akteursgruppen unterschiedlichen Machtpotenzials (z.B. private Eigentümer, kommunale Wohnungsgesellschaften, Makler, Akteure aus der Bau- und Immobilienwirtschaft sowie aus der Kommunal- und Wohnungspolitik) um begrenzte Standortressour-
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cen zu erklären. Der eher auf die Angebotsseite fokussierende Ansatz liefert damit wichtige Erklärungen zu Zugangsbarrieren in den verschiedenen Segmenten des Wohnungsmarktes. Denn in Abhängigkeit der Wohnraumstruktur (Miet- oder Eigentumswohnung, staatlich subventioniert etc.) werden unterschiedliche Zugangsbarrieren eines Haushalts zu den Segmenten des Wohnungsmarktes wirksam (Klagge 2005), welche wiederum von den jeweils verfügbaren Ressourcen des Haushaltes abhängen. Als Vertreter für den institutionellen Ansatz stehen vor allem John Rex und Robert Moore. In ihrem 1967 veröffentlichtem Buch ‚Race, Community and Conflict‘ analysieren sie den Zusammenhang zwischen Wohnungsmarkt und Schichtzugehörigkeit anhand eines innerstädtischen Stadtteils von Birmingham. Mit ihrer Arbeit entwickeln sie einen theoretischen Rahmen, der einerseits die Erkenntnisse der Chicagoer Schule berücksichtigt und andererseits die soziologische Handlungstheorie von Weber8 integriert (siehe auch Saunders 1989). Segregation ist in Anlehnung an Rex und Moore (1967) das Ergebnis eines politisch-institutionellen Aushandlungsprozesses, da unterschiedliche soziale Gruppen – aufgrund unterschiedlicher ökonomischer Ressourcen – ungleichen Zugang zu Wohnungsmarktsegmenten haben. Die Grundaussage ist demnach, dass „the city does to some extent share a unitary status-value system“ (ebd.: 9) als Folge eines stetigen Bestrebens aller sozialer Gruppen, in Quartieren mit hoher Lebensqualität zu wohnen. Die Konsequenz aus der hohen Nachfrage nach qualitativ gut ausgestatteten Wohnstandorten macht aus dieser Ressource ein knappes Gut, dessen Zugang innerhalb einer städtischen Bevölkerung ungleich verteilt ist (siehe auch Saunders 1989). Zwei Kriterien sind hier entscheidend: (1) Einkommensumfang und sicherheit beeinflussen den Zugang zu Krediten und somit den Erwerb von Wohneigentum; (2) Wohnraumzuweisung durch soziale Wohnungsbauprogramme als Folge von Wohnraumnachfrage unterer Einkommensgruppen, die aufgrund unsicherer Einkommensquellen keinen Zugang zu Krediten erhalten können. Die Zugangschancen zu den unterschiedlichen Wohnungsmarktsegmenten sind daraus folgend überwiegend durch das Einkommen definiert und entscheidend für Prozesse der Segregation.9 Das besondere Herausstellungsmerkmal der institutionellen Ansätze ist die Verdeutlichung der Unterschiede in den verschiedenen Segmenten des Woh8
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Weber (1921/1984) argumentiert, dass soziale Ungleichheit die verschiedenartige Verteilung von Lebenschancen und Lebensrisiken beinhalte, deren Ursachen und Strukturen, Konsequenzen und Deutungen durch die drei Hauptdimensionen einer Gesellschaft – Wirtschaft, Herrschaft und Kultur – bestimmt wird. Macht und Herrschaft, Einfluss- und Durchsetzungschancen sind nach Webers Erkenntnissen in jeder Gesellschaft ungleich verteilt (siehe auch Bassett und Short 1980). Innerhalb des institutionellen Ansatzes wird noch der sogenannte ‚managerialist approach‘ von Pahl (1977) und Gray (1976) unterschieden. Pahl (1977) argumentiert, dass auf der Basis bestimmter Stereotypen – entstanden durch Normen, Werte, Erfahrungen und Ideologien – Wohnungen exklusiv an (nicht-)gewünschte Personen vergeben bzw. zugeteilt werden. Arbeiten aus dem angloamerikanischen Raum haben gezeigt, dass z.B. Grundstücksmakler primäre Informationsträger und Hauptagenten in diesem Zusammenhang sind (Galster et al. 1987, Turner und Wienk 1993).
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nungsmarktes und die daraus resultierenden Zugangschancen bzw. -barrieren für unterschiedliche sozioökonomische Gruppen (Farwick 2001). Sie fokussieren im Wesentlichen auf die Koordinationsmechanismen und handlungsleitenden Motive, Normen und Restriktionen der auf dem Wohnungsmarkt beteiligten Akteure (Klagge 2005, Van Kempen 2007). Dessen ungeachtet wird der institutionelle Ansatz im Allgemeinen hinsichtlich der fehlenden Einbindung gesellschaftlicher Bedingungen, die die marktwirtschaftlichen Koordinationsmechanismen beeinflussen, kritisiert. Im Speziellen wird angemerkt, dass die zugrunde gelegten Annahmen – Wohneigentum sei angesehener als Wohnen zur Miete, Peripherie sei anerkannter als Zentrum – zu unflexibel seien und empirisch nicht nachgewiesen (Saunders 1989).10 Neben dem institutionellen Ansatz entwickelt sich in den 1970er Jahren in den USA und Europa der polit-ökonomische Ansatz, der die auf Makroebene stattfindenden ökonomischen und politischen Strukturen und Entwicklungen berücksichtigt. Ausgehend von neomarxistischen Annahmen werden soziale Polarisierungstendenzen und räumliche Differenzierungsmuster vor dem Hintergrund ökonomischer und politischer Restrukturierungsprozesse, die sich auf lokaler, regionaler und globaler Ebene artikulieren, erfasst und diskutiert (u.a. Marcuse 1997, Massey und Fischer 2000). Sie betrachten im Allgemeinen die Auswirkungen des globalen politischen und gesellschaftlichen Wandels auf die lokalen sozialen und ökonomischen Strukturen der Stadtentwicklung. Der Restrukturierungsprozess wird als Folge der Krise des industriellen Fordismus gesehen und resultiert in einer Deindustrialisierung und Tertiärisierung der globalen Wirtschaftsstrukturen, Deregulierung und Flexibilisierung der ökonomischen Transaktionen, Stagnation der Arbeitsmärkte, Rückbau des Wohlfahrtstaates sowie wettbewerbsorientierten Politik. Als Reaktion auf den global stattfindenden kapitalistischen Verwertungsprozess gegenwärtiger Modernisierung und dessen (lokal-)politischen Regulierungen werden auf lokaler stadträumlicher Ebene zunehmende soziale Ungleichheiten deutlich (Dangschat 1997). Nach Van Kempen und Marcuse (1997) beeinflussen die räumlich unabhängigen Entwicklungen „a society that is increasingly socially and spatially disconnected, fragmented, and polarized. […] Urban areas might therefore include neighbourhoods where people with different incomes, ethnicities, skills, and education all live. Or polarization can have very different consequences for different groups, leading some to form enclaves, others to be confined to ghettos“ (ebd.: 286).
Es besteht demzufolge ein enger und dynamischer Zusammenhang zwischen individuellen Strategien, institutionellen Entscheidungsprozessen und allgemeinen sozialen, ökonomischen und politischen Strukturen (Phillips und Karn 1992). Konzepte wie ‚dual city‘ (Mollenkopf und Castells 1991, Van Kempen 1994), ‚divided city‘ (Fainstein et al. 1992, Marcuse 1993, Van Kempen 2007), ‚quartered city‘ (Marcuse 1989) oder ‚partitioned city‘ (Marcuse 2002) umschreiben genau diese Prozesse lokalräumlicher Ausdifferenzierung sozialer Gruppen in städtischen Teilräumen als Ergebnis globaler Restrukturierungsprozesse. 10 weitere Ausführungen hierzu bei Saunders (1989) und Farwick (2001)
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Als wohl erste Vertreter des polit-ökonomischen Erklärungsansatzes gelten David Harvey und Manuel Castells. Während David Harvey (1973) am Beispiel der Entwicklungen auf dem Landnutzungs- und Wohnungsmarkt die Rolle der lokalen und übergeordneten Regierungs- und Finanzinstitute herausstellt, konzentrieren sich die Überlegungen von Manuel Castells (1977) auf den Zusammenhang zwischen den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen und dem städtischen Kontext. Harvey (1973) folgend werden die verschiedenen Wohnungsmarktsegmente durch die von den beteiligten Institutionen gesetzten Rahmenbedingungen und Interessen beeinflusst, gesteuert und hierarchisiert. Die Abgrenzung einzelner Wohnungsmarktsegmente nach unterschiedlichem Prestige- und Sozialstatus wird jedoch nicht nur als Ursache, sondern gleichzeitig als verstärkender Faktor für sozialräumliche Differenzierungsprozesse gesehen. Wohnungs- und Bodenmarkt bilden daraus folgend die entscheidende Schnittstelle zwischen globalen Restrukturierungsprozessen und lokalen strukturellen Veränderungen. Ähnlich argumentierte Castells (1977), der auf systematische Art und Weise aufzeigen kann, dass die makrostrukturellen Veränderungen das gesamtstädtische Wachstum tiefgreifend beeinflussen. Dementsprechend sind die auf städtischer Ebene ablaufenden Prozesse sowohl von der sozialen Dynamik auf räumlicher Ebene als auch von den Entwicklungen kapitalistischer Produktion auf technologischer, ökonomischer und institutioneller Ebene geprägt (Castells 1977). Insgesamt finden die polit-ökonomischen Ansätze breiten Zuspruch innerhalb der Stadtforschung und Stadtsoziologie. Es kann eine Forschungslücke gefüllt werden, die bis dato weitgehend unbeachtet gewesen ist: der Einfluss makrogesellschaftlicher Entwicklungen und Kräfteverhältnisse als ein Ursachenkomplex gegenwärtiger städtischer sozialräumlicher Heterogenisierung und Differenzierung. Dessen ungeachtet gehen die polit-ökonomischen Ansätze kaum über allgemeine Beschreibungen des Zusammenhangs zwischen gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen und lokalen sozialräumlichen Ausdifferenzierungen hinaus (Marcuse 1997). Im Speziellen bringt Klagge (2005) zum Ausdruck, dass „polit-ökonomische Ansätze […] für empirische Untersuchungen von Segregationserscheinungen zwar ein erklärendes Bezugssystem, jedoch weder ein methodisches Instrumentarium zur Erfassung von Segregation noch Aussagen zur konkreten Ausprägung, Entwicklung und den Wirkungen von Segregation“ (ebd.: 42)
bieten. Im Rahmen einer allgemeinen Kapitalismuskritik verharren polit-ökonomische Ansätze auf den auf Makroebene generierten Ursachen sozialer und/oder räumlicher Ungleichheit. Dabei gelingt es ihnen nur selten, Argumente für den Abbau sozialräumlicher Segregation zu entwickeln (Dangschat 1997). Resümierend kann festgehalten werden, dass die hier in komprimierter Form vorgestellten Erklärungsansätze räumlicher Segregation Ausgangspunkt für eine mittlerweile unüberschaubare Anzahl von Studien zur residenziellen Segregation in verschiedensten Städten mit unterschiedlichsten kulturhistorischen Kontexten sind. Insgesamt haben diese Studien einen enormen Bestand an Wissen über verschiedene Segregationsformen (z.B. freiwillige oder erzwungene), über die Merkmale, die segregationsanalytisch untersucht werden sollten (wie Alter, sozia-
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ler Status, Geschlecht, Nationalität usw.), die angemessene Maßstabsebene (wie Stadtviertel, Quartier, Block) und die Vergleichbarkeit von Einzelstudien und deren theoretische Einbettung zusammengetragen (Pott 2001, Herlyn 1974). Es kann gleichfalls festgestellt werden, dass räumliche Segregation maßgeblich auf drei Raumebenen ensteht:
Mikroebene: verhaltens- und wanderungsbedingte Entscheidungen bestimmt durch ökonomische, kognitive, soziale und kulturelle Ressourcen der Haushalte; Mesoebene: institutionell bedingte Entscheidungen, bestimmt durch politische, strukturelle und normative Rahmenbedingungen in der Planungs- und Wohnungswirtschaft; Makroebene: globale demographische und wirtschaftliche Entwicklungen.
Die verschiedenen Ansätze residenzieller Segregation stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern vielmehr sind sie einander komplementär verstärkend (Grigsby et al. 1987). Gleichwohl verdeutlicht die Zusammenschau aller Ansätze räumlicher Segregation aber auch, dass jeder der vorgestellten Ansätze seine spezifische Stärke hat, keiner jedoch die Komplexität räumlicher Segregation in holistischer Form hinreichend herleiten und erklären kann. Gemeinsam haben alle Ansätze, dass sie residenzielle Segregation unter der Perspektive der Stadt oder des Quartiers als abgrenzbares Territorium analysieren (Schnell und Yoav 2001). Segregation bedeutet in diesem Zusammenhang immer die räumliche Separierung bzw. Konzentration von Bevölkerungsgruppen und bezieht sich folglich auf die vorhandenen oder fehlenden Möglichkeiten räumlicher Interaktion unterschiedlicher sozialer Gruppen (Wong 1993, Biterman und Franzén 2007). Auch vor dem Hintergrund der in Kapitel 1 vorgestellten Erkenntnisse, dass Raum zunächst immer ein gesellschaftlich produzierter Raum ist, unterstellt diese Art von Segregationsforschung eine Raumperspektive, die in unreflektierter Art und Weise den Raum als Behälter versteht, in dem gesellschaftliche Prozesse und soziale Beziehungen ablaufen, die aber von ihm gänzlich unabhängig sind (Hamm 1982, Gestring und Janßen 2002). In Anlehnung an Hamm (1982), der sich von dem ‚naiven‘ Raumverständnis eines Behälterraumes in den Segregationstheorien distanziert, wird deutlich, dass diese Segregationsforschung „allenfalls auf einer deskriptiven Ebene interessant [ist], aber völlig unfruchtbar für die Erkenntnis dessen, worauf es in einer solchen Soziologie ankäme: von sozialer Organisation nämlich“ (ebd.: 24).
Daher konstatiert auch Dangschat (1997), dass „eine Segregationsforschung, die das sozialräumliche Phänomen der Segregation auf einen Indexwert und dessen Analyse als eine pauschale Aussage über eine gesamtstädtische Situation reduziert, […] zwangsläufig in einer Sackgasse theoretischer Entwicklung“ (ebd.: 623)
stecke, und dringt auf eine geeignete Theorie, um die Ursachen der räumlichen Konzentrationsmuster zu erklären (Dangschat 2004).
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Eine solche Theorie, die versucht das sozialräumliche Phänomen der Segregation aus dem Konzept des gesellschaftlichen Raumes heraus zu entwickeln, fordert ein, zunächst die Perspektive der untersuchten Gruppen in den Mittelpunkt ihrer Analyse zu stellen. Sie wird sich mit der Frage befassen müssen, welche Bedeutung Raum sowohl für die Herausbildung und Reproduktion gesellschaftlicher Strukturen als auch für die Handlungsoptionen von Individuen und Gruppen hat (Gestring und Janßen 2002). Es stehen also primär die Handlungsmuster und Wirklichkeitswahrnehmungen der Bewohnerinnen und Bewohner im Mittelpunkt, die den jeweiligen Raum strukturieren und produzieren, und weniger die räumliche Verteilung sozialer Gruppen innerhalb vordefinierter Verwaltungsgrenzen. Denn in ihrer Eigendynamik und Potentialität können diese Räume und Orte dann auch selbst Generator von Segregationsprozessen werden. Eine wissenschaftlich strukturierte Annäherung sowohl an die Bedeutung von Raum für die Herausbildung und Reproduktion gesellschaftlicher Strukturen als auch für die Handlungsoptionen und Wirklichkeitswahrnehmungen von Individuen und sozialen Gruppen sollen die nächsten zwei Kapitel bieten. 2.2 DIE HOMOGENE STADT – SEGREGATION ALS PROBLEM Eine Segregationsforschung, die die Handlungsmuster und Wirklichkeitswahrnehmungen der sozialen Gruppen in den Mittelpunkt ihrer Analyse stellt und den Raum als gesellschaftlich produzierten Raum versteht, muss sich zwangsläufig mit der Frage auseinandersetzen, welche Auswirkungen die Segregation und Konzentration bestimmter sozialer Gruppen im Raum auf deren Bewohner hat bzw. vice versa wie die jeweiligen Bewohner ihren Raum strukturieren und produzieren. Der erste Eindruck, der bei der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen räumlicher Segregation entsteht, verweist auf einen überwiegend negativen Zusammenhang11. So wird räumliche Segregation häufig per se als eine nachteilige Situation dargestellt und diskutiert, die es gilt, weitgehend zu mildern (Van Kempen und Sule Özüekren 1998, Häußermann und Siebel 2001). Eine derartige Beziehung findet ihren Ursprung in der sozialökologischen Stadtforschung der 1920er Jahre, wo negative Kontexteffekte räumlicher Konzentration sozialer Gruppen mittels quantitativer Analyse angenommen und untersucht werden (Friedrichs 1998). Es wird geschlussfolgert, dass „segregation and concentration curtail the opportunities for people to participate in civil society“ (Bolt et al. 1998: 85) 11 In der Literatur werden auch positive Aspekte räumlicher Segregation angesprochen, insbesondere im Zusammenhang mit ethnischen Kolonien. Andersson et al. (2007) machen darauf aufmerksam, dass soziale Homogenität „may help to stimulate interaction and mutual support, which is especially important for newly arrived immigrants, who still have to learn their way in the place of settlement“ (ebd.: 1454). Ethnische Kolonien spielen demnach eine entscheidende Rolle für die erste Stufe der Assimilation (siehe auch Häußermann und Siebel 2004, Farwick 2009).
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als Folge fehlender Kontakte zu relevanten Institutionen und Individuen. Dementsprechend wird im Allgemeinen angenommen, dass das Ausmaß der räumlichen Konzentration einer sozialen Gruppe Effekte auf das Verhalten der Gruppenmitglieder habe (Friedrichs 1977). Doch bei genauerem Hinsehen wird schnell deutlich, dass es sich bei diesen Diskussionen und Analysen um vorwiegend undifferenzierte Betrachtungen handelt, die insbesondere die sich selbst verstärkenden Effekte räumlicher Konzentration benachteiligter Haushalte – also die Auswirkungen unfreiwilliger Segregation – in den Mittelpunkt ihrer Analyse stellen und fast ausschließlich die Bedeutung räumlicher Segregation besser gestellter Bevölkerungsgruppen ausblenden (Massey 1996). Eine mögliche Erklärung für diese fast ausschließlich eindimensionale Fokussierung, liegt definitiv in der Brisanz der Thematik begründet, denn die räumliche Konzentration benachteiligter Bevölkerungsgruppen unterstreicht eindeutig die divergierenden Formen der ‚geography of metropolitan opportunity‘ (Galster und Killen 1995) und schneidet somit gleichzeitig Themen wie soziale Ungleichheit und soziale Verwundbarkeit an. Vor diesem Hintergrund lassen sich zwei grundlegende Fragen stellen: 1.) Welche negativen Auswirkungen haften räumlicher Segregation insbesondere benachteiligter Bevölkerungsgruppen an? 2.) Wie strukturieren und beeinflussen die begrenzten Handlungsoptionen von Individuen und Gruppen ihren Raum? Während sich die erste Frage mit materiellen und strukturellen Folgen räumlicher Segregation benachteiligter Bevölkerungsgruppen auseinandersetzt, fokussiert die zweite Frage eher auf die selbstverstärkenden Aspekte räumlicher Konzentration benachteiligter Bevölkerungsgruppen, welche gemeinhin unter dem Konzept der ‚neighbourhood effects‘ diskutiert werden. In Bezug auf die erste Frage werden in der Literatur u.a. zwei Ansätze deutlich, die speziell auf das Zusammenwirken räumlicher Faktoren und individueller Handlungsoptionen eingehen. Zum einen die ‚Spatial Mismatch Hypothesis‘, die bereits 1968 von John Kain aufgestellt wird, aber erst seit den 1980er Jahren als Folge des beschleunigten sozialen und ökonomischen Wandels insbesondere in den USA wachsende Aufmerksamkeit erfahren hat. Zum anderen das Anfang der 1990er Jahre von George Galster entwickelte komplexe theoretische Modell der ‚Cumulative Causation‘, das die tiefgreifenden Auswirkungen räumlicher Segregation auf individuelle Handlungsoptionen in unterschiedlichen Lebensabschnitten herausstellt. Gegenstand der ‚Spatial Mismatch‘-Hypothese ist der Prozess des Auseinanderdriftens von sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen stark segregierter innerstädtischer Armutsgebiete – speziell Afroamerikanern in US-amerikanischen Großstädten – einerseits und deren Zugang zu einem immer stärker dezentralisierten städtischen Arbeitsmarkt andererseits. Kains (1968) Erkenntnissen nach reduziert die Suburbanisierung von Arbeitsplätzen, speziell im produzierenden Gewerbe,
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„employment opportunities of Negroes who are already handicapped by employer discrimination and low levels of education“ (ebd.: 196).
Mit seiner Hypothese kann Kain aufzeigen, dass strukturelle Änderungen im Raum und die räumlich ungleich verteilten Arbeitsmarktchancen tiefgreifende Auswirkungen auf soziale Strukturen haben. Seine ‚Spatial Mismatch‘-Hypothese beschreibt nicht nur, wie Raum einerseits die Arbeitsmarktprozesse beeinflusst, sondern macht zusätzlich deutlich, wie Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt den Raum strukturieren (Preston und McLafferty 1999). Ähnliche Entwicklungen werden auch in den Zugangsbarrieren zum Bildungssystem für sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen deutlich. So sehen sich Kinder dieser Sozialschicht in räumlich segregierten Quartieren mit schlechter ausgestatteten Bildungseinrichtungen konfrontiert, als Kinder sozial bessergestellter Haushalte (Bolt et al. 1998, Van Kempen und Sule Özüekren 1998, Wacquant 1998, Krivo et al. 1998, Reardon et al. 2000). Da die schulische Ausbildung (insbesondere höherwertige Bildungsabschlüsse) von Kindern und Jugendlichen eine zentrale Ressource für deren zukünftige Chancen auf dem Arbeitsmarkt darstellt, ist diese strukturelle Benachteiligung entscheidend für die Entwicklung räumlich segregierter Quartiere. Kains These hat insbesondere seit den 1980er Jahren die Erstellung zahlreicher empirischer Arbeiten hervorgerufen, die mehrheitlich die ‚Spatial Mismatch‘-Hypothese bestätigen (Ihlanfeldt und Sjoquist 1998, Kain 1992). Dessen ungeachtet wird sie sehr kontrovers diskutiert und ist nicht gänzlich frei von Kritik geblieben (Howell-Moroney 2005). Während Cohn und Fossett (1996) die inadäquate Datenverarbeitung bezüglich der räumlichen Verteilung von Beschäftigungsmöglichkeiten beanstanden, verweist Orfield (1997) auf den zunehmenden Verfall des suburbanen Raums, der sich ähnlichen Problemen ausgesetzt sieht, wie die innenstadtnahen Quartiere. Ihlanfeldt und Sjoquist (1998) machen zusätzlich auf die sich ändernde Ausprägung der ‚Spatial Mismatch‘-Hypothese in verschiedenen Städten aufmerksam, denn diese habe insbesondere in Großstädten mit hoher räumlicher Segregation und schlecht ausgebautem öffentlichen Nahverkehrssystem eine entscheidende Wirkung auf den Beschäftigungsanteil in benachteiligten Quartieren. Zusätzlich ergänzen Galster und Killen (1995), wie auch Galster und Mikelsons (1995), dass die ‚Spatial Mismatch‘-Hypothese nur eine Dimension der sich ändernden ‚geography of metropolitan opportunity‘ sei. Daraus folgend fordern Ihlanfeldt und Sjoquist (1998) eine integrale Betrachtung der Einflussfaktoren bzw. Zugangsbarrieren anstatt einer Analyse einzelner Bestandteile, um die Mechanismen der Entstehung räumlicher Ungleichgewichte besser beurteilen zu können. Die integrale Zusammenschau verschiedener Einflussfaktoren auf die Auswirkungen räumlicher Segregation umfasst das ‚Cumulative Causation Model‘ von George Galster. In Anlehnung an den von Gunnar Myrdal (1944) eingeführten Begriff der ‚kumulativen Kausalität‘ stellt Galster (1992) die sich gegenseitig verstärkenden Beziehungen exogener und endogener Faktoren in Bezug zueinander. Die zentrale Schlussfolgerung seines Modells ist, dass
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Diese Schlussfolgerung resultiert aus den engen Verflechtungen von drei Schlüsseldimensionen: (a) Individuen, Bewohner oder soziale Gruppen; (b) Wohnstandorte, Lage des Stadtviertels und (c) Zugang zum Arbeitsmarkt. Der Einfluss exogener Faktoren wie z.B. makro-ökonomische Transformationsprozesse, neue Technologien, Veränderungen in politischen Systemen und öffentliche Politiken auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene wirken sich nachhaltig auf die drei Schlüsseldimensionen aus. Die benachteiligenden Konsequenzen der exogenen Faktoren werden durch endogene Faktoren noch verstärkt, so dass das Zusammentreffen aller Faktoren benachteiligender wirkt als die Summe seiner Teile (Galster 1992). Beginnend mit dem Zugang zum Arbeitsmarkt erläutert Galster (1992) die Herausbildung dualer Arbeitsmarktchancen unter exogenen Bedingungen. Bildungsschwache Bevölkerungsgruppen sehen sich meist nur mit zweitrangigen Arbeitsangeboten konfrontiert, die durch eine geringe Entlohnung, schlechte Arbeitsbedingungen und fehlende Aufstiegschancen gekennzeichnet sind. Diese haben nicht nur einen direkten Einfluss auf die ökonomische Deprivation, sondern behindern zugleich die Zugangschancen zu erstrangigen Beschäftigungsangeboten. Die Einstellungen und Verhaltensweisen haben auch Auswirkungen auf die Nachbarschaft und das direkte Wohnumfeld. Galster (1992) erläutert hier einen Prozess der baulich-physischen Degradation aufgrund fehlender Investitionen in den Wohnbestand, ausbleibenden öffentlichen Subventionen oder Baumaßnahmen. Die allgemeine Verschlechterung der Lebensbedingungen in den betroffenen Quartieren stimuliert die Abwanderung besser gestellter Haushalte und die räumliche Isolierung benachteiligter Bevölkerungsgruppen. Zusammen mit einer sozioökonomischen Benachteiligung der Bewohner wirkt sich diese gleichzeitig auf die Individuen und Bewohner aus. Sozial-psychologische Ausgrenzung benachteiligter Quartiere aufgrund der Herausbildung subkultureller Verhaltensmuster sind häufig die Folge rationaler Anpassungsmechanismen (Galster 1992). Diese wirken wiederum selbstverstärkend indem sie den räumlichen Zugang zu erstrangigen Stellenangeboten und zu qualitativ hochwertigen Dienstleistungen hemmen und folglich die potenziellen zukünftigen Arbeitsmarktchancen begrenzen. Der hier kurz umrissene Erklärungsansatz der ‚kumulativen Kausalität‘ von Galster (1992) bildet ein umfangreiches Modell zur Darstellung der Auswirkungen räumlicher Segregation ab, welches den Zusammenhang exogener Rahmenbedingungen und endogener Entwicklungen als ein sich selbstverstärkendes komplexes System versteht. Die drei zentralen Schlüsseldimensionen dienen dabei zur Erläuterung einer kausalen Abwärtsspirale, welche ohne externes Eingreifen in einem Teufelskreis enden würde. Hinter der Abwärtsspirale stehen vielschichtige Annahmen von multiplen Zusammenhängen, die nicht das einfache Ergebnis konkreter institutioneller Praktiken und individuellen Verhaltens sind, sondern vielmehr die Folge spezifischer Wahrnehmungen, Einstellungen und Glaubensrich-
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tungen der Minoritäten einerseits und der Majoritäten andererseits. Gleichwohl dieses Modell einen tendenziell negativen Zusammenhang exogener und endogener Faktoren beschreibt, räumt Galster (1992) ein, dass nicht alle Minoritäten zwangsläufig und ständig in einer Teufelskreisfalle gefangen sind. Denn zweifelsohne sind nicht alle Zusammenhänge von gleicher Bedeutung, sondern immer in Abhängigkeit des spezifischen Kontextes zu interpretieren. Vor dem Hintergrund der beiden Erklärungsansätze ergeben sich demnach für räumlich segregierte Quartiere sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen materielle und strukturelle Folgen, die Wacquant (1998) auch unter dem Konzept der „organizational desertification“ (ebd.: 44) fasst. Die problembehafteten Quartiere sind im Allgemeinen vom Rückzug bzw. Abbau öffentlicher und privater Institutionen und Dienstleistungen betroffen, was erhebliche Folgen für die strukturelle und sozioökonomische Entwicklung dieser Quartiere nach sich zieht. Die Probleme gehen hier weit über die einfache Konzentration von Armut hinaus und umfassen einen Prozess, den Wilson (1987) als ‚the concentrated disadvantage‘ beschreibt. Peterson und Krivo (1999) folgend, ist „concentrated disadvantage […] the extent to which disadvantaged group members, including the poor, female-headed families, and jobless males, disproportionately reside within a limited number of neighborhoods in contrast to being spread throughout the urban area“ (ebd.: 468).
Die Konzentration sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen verstärkt folglich das Risiko der sozialen Exklusion aus wesentlichen Bereichen der städtischen Gesellschaft (Marcuse 1997). Vor diesem Hintergrund definiert Marcuse (1997) diese Quartiere als “new ghetto of the excluded” (ebd.: 314), denn sie sind „not simply an extreme form of traditional ghetto but a new form in which permanent exclusion from participation in the mainstream economy, whether formal or informal, has become its defining characteristic“ (ebd.: 316).
Exkludierte Bevölkerungsanteile werden von der übrigen Bevölkerung räumlich getrennt und soziale Exklusion bringt längerfristig mittels kumulativer Interaktionen exterritoriale, für Fremde unbetretbare Räume hervor. Resümierend wird deutlich, dass räumliche Segregation an der Schnittstelle sozialer und räumlicher Ungleichheit abläuft und einen entscheidenden Beitrag zur Konzentration strukturell benachteiligender Standortfaktoren leistet. Damit beeinflusst sie nicht nur die allgemeinen qualitativen Wohnumfeldbedingungen, sondern auch die individuellen Handlungsoptionen, welche unter bestimmten Voraussetzungen zur räumlichen Ausgrenzung von sozialen Gruppen führen kann (Skifter Andersen 2002). Gleichwohl gesellschaftliche Prozesse den Raum entscheidend prägen und strukturieren, so beeinflusst der Raum auch die gesellschaftlichen Strukturen (siehe auch Galster 1992). Darauf fokussiert die zweite Fragestellung, welche sich mit dem Zusammenhang auseinandersetzt, inwieweit die räumlich begrenzten Handlungsoptionen von Individuen und Gruppen ihren Raum selbstverstärkend reproduzieren. Ausgehend von Wilson’s (1987) These, dass
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2 Die Stadt als Ort räumlicher Segregation „a person’s patterns and norms of behavior tend to be shaped by those with which he or she has the most frequent or sustained contact and interaction“ (ebd.: 61),
sind in den sozial und strukturell benachteiligten Quartieren interne sich selbstverstärkende Prozesse der Exklusion nicht auszuschließen. Diese ‚endogenen Nachbarschaftseffekte‘ (Andersson et al. 2007) oder auch „interior processes of deprivation“ (Skifter Andersen 2002: 156) beschreiben den Anpassungsprozess eines Bewohners oder einer sozialen Gruppe an die Verhaltensmuster und Einstellungen seiner oder ihrer direkten Umgebung. Demnach nimmt ein Individuum Verhaltensmuster an oder geht einer Aktivität nach, wenn andere in seiner Nähe es auch tun (Friedrichs und Blasius 2000, Van Kempen 1997). Zu den internen Anpassungsprozessen zählen zunächst Veränderungen der Normen und Verhaltensmuster. Als Antwort auf die strukturellen Defizite der sozial benachteiligten Quartiere entwickeln die Bewohner verschiedene Anpassungsstrategien, insbesondere in Form devianter Verhaltensmuster, z.B. über Informalität und Kriminalität (Bolt et al. 1998), die gleichfalls zur Herausbildung eines ‚lokalen Klimas‘ bzw. einer bestimmten ‚Quartierskultur‘ beitragen (Friedrichs und Blasius 2003, Galster 1992). Weiterhin wird angenommen, dass diese abweichenden Anpassungsstrategien ‚kontagiöse Effekte‘ auslösen (Mayer und Jencks 1989) und demnach die Verhaltensweisen und Einstellungen der Bewohner durch den Kontakt zu anderen Bewohnern mit devianten Verhaltensmustern beeinflussen (Andersson et al. 2007). So stellt Van Kempen (1997) fest, dass „many of the behavior patterns and strategies that are defined as deviant by mainstream society thus arise as locally accepted and internalized adaptations to the specific circumstances of the poverty stricken environment“ (ebd.: 436).
In diesem Zusammenhang hat Skogan (1990) herausfinden können, dass z.B. der physische Verfall eines Quartiers (gekennzeichnet durch Straßenmüll, Abnutzung der Gebäude, Graffiti und Vandalismus) einen entscheidenden Beitrag zur Veränderung der Verhaltensweisen und Einstellung der Einwohner leistet. Ein ähnlicher Zusammenhang kann in Bezug auf die Entwicklung von Kriminalitätsraten in sozial benachteiligten Quartieren festgestellt werden. So finden Krivo und Peterson (1996) heraus, dass kriminelle oder deviante Verhaltensmuster in den betroffenen Gebieten besonders ausgeprägt sind, denn es mangelt hier nicht nur an Mechanismen der sozialen Kontrolle, sondern vor allem nehmen die Bewohner kriminelle Verhaltensmuster an, die zum Teil über ihr eigentliches Verhalten hinaus gehen, um sich der allgemeinen quartiersbedingten Kriminalität zu widersetzen (siehe auch Skogan 1990, Wacquant 1993, Massey 1995, Eitle 2009). In Anlehnung an Massey (2001) eröffnet die räumliche Konzentration von sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen erst eine Kriminalitätsnische, in denen das vorhandene Gewaltrisiko die Bewohner zu kriminellem Verhalten auffordert. Darüber hinaus unterstützen die hohen Kriminalitätsraten das Entstehen eines verstärkten Unsicherheitsgefühls unter den Bewohnern. Da im Allgemeinen die Sicherheit als entscheidender Faktor für die Identifizierung mit der Nachbarschaft und der Teilhabe am sozialen Leben und lokalen Ereignissen gesehen wird, können hohe Kriminalitätsraten und wachsende Unsicherheit zur sozialen Isolierung
2.2 Die homogene Stadt – Segregation als Problem
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beitragen (Skifter Andersen 2002). Denn sobald das direkte Wohnumfeld als kriminell oder gefährlich wahrgenommen wird, werden die bereits geringen sozialen Aktivitäten außerhalb der Wohnung eingeschränkt (Andersson et al. 2007). Die soziale Kohäsion und Partizipation in den sozial benachteiligten Quartieren verliert weiter an Gewicht (Musterd und Ostendorf 1998, Skifter Andersen 2002, Hirschfield und Bowers 1997, Van Kempen 1997). Das Zusammentreffen dieser nachteiligen Kontexteffekte leistet einen wichtigen Beitrag zur Herausbildung von Stereotypen unter den Bewohnern sowie negativem Image der betroffenen Gebiete (Bolt et al. 1998, Van Kempen 1997). So formuliert Wacquant (1996) drastisch, dass „advanced marginality tends to concentrate in well-identified, bounded, and increasingly isolated territories viewed by both outsiders and insiders as social purgatories, urban hellholes where only the refuse of society would accept to dwell“ (ebd.: 125).
Unkenntnis über die benachteiligten Quartiere bzw. fehlender Kontakt zu sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen sowie plakative Diskurse in öffentlichen Medien können zu mangelnder Empathie, Intoleranz und Angst bei denjenigen Bewohnern führen, die außerhalb sozial benachteiligter Quartiere leben (Bolt et al. 1998). Die individuelle Raumwahrnehmung ist dabei immer subjektiv und abhängig von den unterschiedlichen Bedeutungen, die der jeweilige Bewohner ihm zuweist (Skifter Andersen 2002). Sie ist in Anlehnung an Knox und Pinch (2000) nicht nur das Ergebnis objektiver Quartierseigenschaften, sondern hängt vielmehr von der wahrgenommenen sozialen und kulturellen ‚Raumausstrahlung‘ ab. So divergiert die jeweilige Innen- und Außenperspektive stark. Während die Wohnunzufriedenheit der ansässigen Bewohner, trotz struktureller Defizite und sozialer Problemlagen, bis auf extrem problembehaftete Quartiere, relativ niedrig ist (Knox und Pinch 2000), werden die sozial benachteiligten Quartiere von den Außenstehenden häufig räumlich stigmatisiert (siehe auch Wacquant 1993). Die Quartiere unterliegen dann einem „territorial labeling“ (Van Kempen 1997: 437), welches nicht einfach eine „subjective appreciation of a deviant situation by mainstream society but a social instrument as well“ (ebd.)
ist. In Anlehnung an Skifter Andersen (2002) kann diese Stigmatisierung nachhaltige Folgen für die Verhaltensmuster der Bewohner haben (wie z.B. Benachteiligung bei Kreditbewilligungen, Bewerbungen etc.), denn frei nach dem Motto ‚Sag’ mir, wo Du wohnst, und ich sag’ Dir, wer Du bist!‘ (Dangschat 1997) werden oftmals Bewohner sozial benachteiligter Quartiere durch Außenstehende aufgrund der Lage ihres Wohnstandortes stigmatisiert. Das kann vice versa dazu führen, dass die Bewohner ihre Verhaltensmuster ändern, indem sie z.B. ihre Wohnanschrift nicht weiter angeben (Skifter Andersen 2002). Neben der Außenperspektive wird auch die Selbstwahrnehmung des Quartiers als ein wichtiger Hinweis angesehen, der Aussagen über den selbst wahrgenommenen sozialen Status trifft und ein entscheidender Faktor für die Wohnmobilität ist. Ein selbst wahrgenommenes negatives Image des Quartiers bewirkt häufig einen Wohnstandortwechsel (Skifter Andersen 2008), insbesondere derjenigen, die über bessere finanzielle
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2 Die Stadt als Ort räumlicher Segregation
Ressourcen verfügen. Ökonomisch Benachteiligte Gruppen bleiben zurück (Feijten und Van Ham 2009) und die Konzentration und Dichte sozialer Problemlagen nimmt weiter zu. Resümierend hat dieses Kapitel – wenngleich in sehr gedrängter Form – verdeutlicht, dass sowohl externe strukturelle Entwicklungen räumliche und soziale Ungleichheiten produzieren, die einschneidende Folgen für die zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen insbesondere sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen haben. Gleichzeitig wirken die begrenzten Handlungsoptionen selbstverstärkend und reproduzieren sich innerhalb des bereits benachteiligten Gebietes. Als Ergebnis externer und interner Kontexteffekte entsteht ein Teufelskreis aus Armut, Ausgrenzung und Kriminalität, der die Handlungsoptionen und Verhaltensmuster nachhaltig prägt und nur schwer zu überwinden ist. Es entwicklt sich eine Parallelgesellschaft, die auch als Mobilitätsfalle wirken kann. Im Anschluss an die Diskussion um den komplexen Zusammenhang zwischen Individuen, Haushalten und benachteiligen Quartieren bleibt jedoch die Frage der Schwellenwerte (Atkinson und Kintrea 2001) ungeklärt. Galster und Zobel (1998) wie auch Galster et al. (2000) bemerken folgerichtig: Ab welchem Grad der Konzentration von sozial benachteiligten Minoritäten haben die Kontexteffekte nachteilige Auswirkungen? Auch wenn deutlich wird, dass es externe und interne Kontexteffekte gibt, so ist auch ungewiss inwieweit diese eindeutig zu identifizieren und abzugrenzen sind (Atkinson und Kintrea 2001). Darüber hinaus bleibt weiter zu klären, ob es im Zusammenhang mit endogenen Wechselwirkungen die einzelnen Bewohner oder die gesamte Nachbarschaft sind, die die Verhaltensmuster der Betroffenen beeinflussen (Mayer und Jencks 1989). Vor diesem Hintergrund entfachen homogene Quartiere sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen gleichzeitig die Debatte um den Einfluss räumlicher Nähe unterschiedlicher sozialer Gruppen. Denn in Anlehnung an Atkinson und Kintrea (2001) haben Kontexteffekte sowohl negative als auch positive Auswirkungen, denn „the stigma of one address may have its counterpart in the prestige of another“ (ebd.: 2278). Hier stellt sich die Frage, ob räumliche Interaktion sozial divergierender Gruppen begünstigende soziale Wechselwirkungen hervorruft und als Strategie des Abbaus räumlicher Segregation verstanden werden kann (Willems 2005). Diesem Thema stellt sich das anschließende Kapitel. 2.3 DIE HETEROGENE STADT – DESEGREGATION ALS CHANCE In den vorangegangenen Kapiteln konnte herausgearbeitet werden, dass räumliche Segregation sowohl eine symbolische als auch eine strukturelle Spaltung des sozialen Raums zur Folge hat und demnach auf verschiedenen räumlichen und sozialen Ebenen agiert. So wurde gleichzeitig deutlich, dass nicht nur makro-analytische Strukturentwicklungen einen entscheidenden Beitrag zur räumlichen Segregation leisten, sondern auch mikroökologische Prozesse von fundamentaler Bedeutung sind. Letzteren wird insbesondere im Zusammenhang mit der Auswirkung räumlicher Nähe (Anwesenheit von Fremdgruppen im Wohnquartier) auf
2.3 Die heterogene Stadt – Desegregation als Chance
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soziale Distanzierung (direkten Kontakt) eine wichtige Stellung eingeräumt. Chancen räumlicher Desegregation aus mikroökologischer Perspektive analysieren die auf individueller Ebene und in alltäglichen Lebensräumen (Schnell und Yoav 2001) wirkenden Prozesse der Annäherung / Ausgrenzung sozialer Gruppen (siehe auch Dixon et al. 2005). Räumliche Desegregation ist in diesem Sinne das Ergebnis zahlreicher spontaner, informeller, alltäglicher Handlungen, die einer ständigen Neuanordnung unterliegen (Dixon et al. 2005). Die „micro-ecology dimension of segregation“ (ebd.: 398) unterstreicht demnach das gleichmäßige Entstehen materieller und symbolischer Räume (Pred 1984) basierend auf den gelebten Erfahrungen sozialer Beziehungen in einem gegebenen Raum. Insbesondere die sozialpsychologische Forschung hat sich seit den 1940er Jahren verstärkt mit mikroökologischen Prozessen als Strategie zum Abbau sozialer Distanzierungen auseinandergesetzt. Die theoretischen Perspektiven von Desegregation werden vor dem Hintergrund von Intergruppenbeziehungen diskutiert und gemeinhin unter dem Konzept der Kontakthypothese analysiert (Dixon et al. 2005, Dixon und Durrheim 2004). Diese findet zunächst ihren Ursprung in den gesellschaftlichen Anstrengungen zum Abbau ethnischer Konflikte zwischen der weißen und der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA (Farwick 2009). Seither hat sie nicht nur bedeutenden Einfluss auf die soziale Wohnungsbau- und Bildungspolitik in den USA genommen, sondern auch im europäischen Raum zur politischen Debatte beigetragen (Connolly 2000). Dovidio et al. (2003) konstatieren daher, dass die Kontakthypothese „one of psychology’s most effective strategies for improving intergroup relations“ (ebd.: 5) sei. Die zentrale Annahme, die der Kontakthypothese zugrunde liegt, geht davon aus, dass Vorurteile und Diskriminierung sich durch räumliche Segregation und fehlende Vertrautheit entwickeln (Brewer 1997) und dass demnach regelmäßige Intergruppenkontakte unter bestimmten Bedingungen Gelegenheiten schaffen, Ähnlichkeiten zwischen der eigenen und der fremden Gruppe wahrzunehmen (Mummendey und Otten 2002) und dadurch einerseits zum Abbau von Vorurteilen und sozialen Konflikten (Dixon et al. 2005, Dixon und Durrheim 2004) und andererseits zu positiveren und toleranteren Einstellungen gegenüber der Fremdgruppe beitragen (Connolly 2000). Ausschlaggebend ist in diesem Zusammenhang das klassische Werk von Gordon W. Allport ‚Die Natur des Vorurteils‘ (1954/1971), in dem er zunächst zu der allgemeinen Schlussfolgerung kommt, „dass Bekanntschaft mit Mitgliedern und Wissen über Minderheiten tolerante und freundliche Einstellungen verstärken“ (ebd.: 273).
Demnach können „Kontakte, die Wissen und Bekanntschaft stiften, […] ein besseres Wissen über Minderheiten [erzeugen] und […] so zur Verminderung von Vorurteilen beitragen“ (ebd.: 273).
Obwohl Allport (1954/1971) dem Intergruppenkontakt generell eine positive Auswirkung beimisst, betont er die Notwendigkeit von vier grundlegenden Bedingungen, die zum Abbau von Vorurteilen erforderlich seien:
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1. Gleicher Status unter den Gruppen: Auch wenn die Bedingung ‚gleicher Status‘ schwer zu definieren ist und unterschiedlich verwendet wird, unterstreicht Allport (1954/1971) deren Bedeutung für den Intergruppenkontakt. Er betont, dass beide Gruppen in der Kontaktsituation einen gleichen Status erwarten. Die Möglichkeit eines Kontakts unter gleichen Statusbedingungen fördere positive Intergruppeneinstellungen und verringere die Vorurteile (siehe auch Pettigrew 1998, Pettigrew und Tropp 2008). Ebenso hilft der Kontakt zu statushöheren Gruppen. Dagegen ist der Kontakt zu statusniedrigeren Gruppen mit negativen Effekten belegt (siehe auch Jackman und Crane 1986, Tropp und Pettigrew 2005). 2. Gemeinsame Ziele: Der Abbau von Vorurteilen durch Intergruppenkontakt verlangt eine aktive Anstrengung zur Erreichung gemeinsamer Ziele. Denn in Anlehnung an Allport (1954/1971) stiftet das gemeinsame Streben nach einem Ziel ein Gefühl der Solidarität und trägt darüber hinaus zu einer Zunahme von gruppenübergreifenden freundschaftlichen Beziehungen bei (siehe auch Farwick 2009). Das vereinbarte Ziel motiviert jeden Einzelnen, im Vertrauen zu den Anderen, gemeinsam an dessen Erreichung zu arbeiten. Nach Allport (1954/1971) bietet folglich nur jene Art von Kontakt eine Chance zur Änderung von Einstellungen, wenn die Gruppenmitglieder gemeinsam etwas tun. Allein das Ziel sei wichtig und weniger die Zusammensetzung der Gruppen. 3. Intergruppen Kooperation: Die Anstrengung zur Erreichung gemeinsamer Ziele sollte darüber hinaus auf einer gruppenübergreifenden Zusammenarbeit und weniger auf einander konkurrierenden Kontakten basieren. Die kooperative Zusammenarbeit unter den Gruppen fördert die Entwicklung positiver Beziehungen zwischen den Gruppen. 4. Institutionelle Unterstützung: Intergruppenkontakten werden positive Wirkungen zugeschrieben, wenn diese zusätzlich durch öffentliche und soziale Einrichtungen unterstützt werden. Denn öffentliche Sanktionen können Normen der Akzeptanz und Richtlinien vorgeben, die Aussagen darüber treffen, wie Mitglieder verschiedener Gruppen einander agieren sollten. Allport (1954/1971) verweist in diesem Zusammenhang auf die Gesetzgebung, die einerseits durch den äußeren Druck die Intoleranz kontrollieren kann und andererseits eine indirekte Bedeutung für das persönliche Vorurteil hat, da der äußere Druck auch die inneren Gewohnheiten, Gedanken und Gefühle beeinflusst. Folglich kann mittels der Gesetzgebung Toleranz herbeigeführt werden, die zur Verringerung des privaten Vorurteils beiträgt. Basierend auf Allports Grundideen sind seit den 1950er Jahren zahlreiche Forschungsarbeiten zu der Bedeutung von Intergruppenkontakten und deren Potenzial zum Abbau von Vorurteilen entstanden. Unterschiedlichste empirische Ansätze – von Laborexperimenten bis zu Feldstudien – fanden hier ihre Anwendung (siehe dazu Pettigrew und Tropp 2008). In Anlehnung an Brewer (1997) manifestieren sich aus der Zusammenschau dieser Forschungsarbeiten zunächst zwei allgemeine Analyseebenen. Auf der einen Seite steht die Analyseebene der inter-individuellen und zwischenmenschlichen Prozesse, die sich insbesondere mit Glaubensein-
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stellungen und Gefühlen zu sozialen Gruppen oder Gruppenmitgliedern oder mit zwischenmenschlichen Wechselbeziehungen von Mitgliedern divergierender sozialer Kategorien auseinandersetzt. Demgegenüber stehen auf der anderen Seite Prozesse des kollektiven Verhaltens oder Intergruppenverhalten, in denen sich die Teilnehmer selbst als Vertreter ihrer jeweiligen sozialen Gruppe definieren. Diese Unterscheidung unterstreicht bereits Sherif (1966), denn seinen Erkenntnissen folgend „we cannot do justice to events by extrapolating uncritically from man’s feelings, attitudes, and behavior when he is in a state of isolation to his behavior when acting as a member of a group. Being a member of a group and behaving as a member of a group have psychological consequences“ (ebd.: 8).
Um die kognitiven Mechanismen, durch die kooperativer Kontakt entsteht, besser zu verstehen, entwickelt sich aus diesen ersten Ansätzen in den 1970er Jahren eine allgemein anerkannte und integrative Theorie der Intergruppenbeziehungen unter Einbezug der Theorie der Sozialen Identität (Miller und Brewer 1984, Brewer 1997). Die Theorie der Sozialen Identität basiert auf den von Henri Tajfel und John C. Turner (1979) durchgeführten kognitionstheoretischen Untersuchungen. Diese Theorie gilt als eine der ausführlichsten Erklärungen von Formen sozialer Distanz und leistet einen herausragenden Beitrag innerhalb der sozialpsychologischen Forschung zu den Ursachen sozialer Distanz (Farwick 2009). Im Mittelpunkt der Theorie Sozialer Identität steht die Grundannahme, dass soziale Vergleiche zwischen Gruppen durch die Distinktheit der Eigengruppe (‚in-group‘) von der Fremdgruppe (‚out-group‘) charakterisiert sind, mit dem Ziel, eine positive Selbstbewertung im Sinne einer sozialen Identität zu ermöglichen (Mummendey und Otten 2002). Die Selbstbewertung besteht neben einer persönlichen Identität aus einer sozialen Identität, die sich aus der Zugehörigkeit zu einer oder mehreren sozialen Gruppen ergibt (siehe auch Farwick 2009). Die Theorie der sozialen Identität vereint zwei unabhängige Forschungslinien: soziale Kategorisierung und sozialer Vergleich (Brewer und Miller 1984). Über den Prozess der sozialen Kategorisierung teilen Individuen ihre soziale Welt, basierend auf Merkmals- und Wertdimensionen, in soziale Kategorien oder Gruppen ein. Aus den sozialen Kategorien resultieren Formen des sozialen Vergleichs, welche die Distinktheit der Gruppen erst besonders fördern. Das Verlangen nach einer positiven Selbstbewertung führt letztendlich dazu, dass die Gruppenmitglieder zwischen der Eigengruppe und der Fremdgruppe unterscheiden anhand von Dimensionen, die eine positive Selbstbewertung der Eigengruppe erlauben (Brewer und Miller 1984). Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe und die Art der Beziehungen zu anderen Gruppen formt die soziale Identität eines Individuums. Informationen über die Eigenschaften der sozialen Identität erhält das Individuum über Ergebnisse von sozialen Vergleichen zwischen der Eigengruppe und der Fremdgruppe (siehe auch Mummendey und Otten 2002). Tajfel und Turner (1979) kommen folglich zu der Erkenntnis, dass die Prozesse der Herausbildung einer sozialen Identität Auswirkungen auf das Intergruppenverhalten haben. Der wechselseitige Zusammenhang zwischen strukturellen Merkmalen der sozialen
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Welt und individuellen Wahrnehmungen und Verhalten zeichnet die Theorie der Sozialen Identität aus und „provides a useful integrative framework for the study of intergroup contact and its effects“ (Brewer und Miller 1984: 283).
Vor dem Hintergrund der Prozesse sozialer Kategorisierung und möglicher Strategien zum Abbau sozialer Distanzierungen stellt sich die Frage, wie der Intergruppenkontakt gestaltet werden kann, so dass die kognitive Wahrnehmung dieser Situation auf eine Weise verändert wird, die zur Verminderung einer mit negativen Vorurteilen belasteten Unterscheidung zwischen der Eigen- und der Fremdgruppe beiträgt (Brewer 1997). Insgesamt lassen sich drei verschiedene Modelle unterscheiden, die die Veränderung der kognitiven Wahrnehmung in Intergruppensituationen beschreiben. Jedes der drei Modelle geht vom gleichen Verständnis der Intergruppenkontakte aus, gelangt allerdings zu unterschiedlichen Erkenntnissen in Bezug auf den Abbau von Intergruppenkonflikten (siehe auch Brewer 1996). Das erste Modell, welches von Brewer und Miller (1984) vorgeschlagen wird, ist das der Dekategorisierung oder Personalisierung. Das Modell beruht auf der Idee, dass die Kontaktsituation besonders wirksam sein wird, sobald die Wechselwirkungen personifiziert (Brewer und Miller 1984) und nicht kategorisiert werden. Daraus folgt, dass die Kontaktsituation den beteiligten Personen die Möglichkeit bieten sollte, die Mitglieder der Fremdgruppe als von dieser unabhängige Individuen kennen zu lernen, um im weiteren Verlauf bestehende Kategorisierungen zu reduzieren. Zuvor annähernd homogene Gruppenmitglieder werden durch den Prozess der Personalisierung zu jeweils unverwechselbaren Individuen und es kommt zur Aufweichung oder gar Auflösung bisher bestehender Kategorisierungen (Brewer und Miller 1984). Der Prozess der Personalisierung ermöglicht eine Differenzierung der Interaktionen nicht mehr zwischen Gruppen, sondern zwischen einzelnen Individuen mit ihren jeweiligen individuellen Besonderheiten. Auf diese Weise können Stereotypen und Vorurteile über Mitglieder fremder Gruppen widerlegt bzw. gemildert werden. Denn Personen mit persönlichen Freundschaftsbeziehungen zu einzelnen Mitgliedern einer Fremdgruppe äußern deutlich geringer ausgeprägte Vorurteile gegenüber der Fremdgruppe, welches über einen langfristigen Zeitraum die Verbesserung der Haltung zur anderen Gruppe beeinflussen wird (siehe auch Brewer 1996, Mummendey und Otten 2002, Farwick 2009). Auch das zweite Modell beruht auf der Annahme, dass Vorurteile am schwierigsten abzubauen sind, solange die Unterschiede zwischen der Eigen- und der Fremdgruppe besonders ausgeprägt sind. Jedoch anders als im vorangegangenen Modell, argumentieren Gaertner et al. (1993) in ihrem Modell der Rekategorisierung oder ‚Common Ingroup Identity Model‘, dass es nicht um die Auflösung von Kategorisierung durch Personalisierung geht, sondern vielmehr um eine neue Kategorisierung auf einer übergeordneten Inklusionsebene, die sowohl die Eigengruppe als auch die Fremdgruppe in einer sozialen Gruppe erfasst (siehe auch Brewer 1996, Mummendey und Otten 2002). Das ‚Common Ingroup Identity
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Model‘ versucht demnach nicht die bestehenden Kategorien aufzulösen, sondern die beiden bestehenden Gruppen zu einer übergeordneten zusammenzufassen und damit eine gemeinsame Gruppenidentität zu schaffen (siehe auch Farwick 2009). Kontaktsituationen, in denen zuvor zwischen ‚uns‘ und ‚denen‘ unterschieden wurde, resultieren unter dem Modell der Rekategorisierung in eine ‚unter uns‘ Interaktion (Mummendey und Otten 2002). Das dritte Modell der Subkategorisierung, oder auch ‚Distinct Social Identity Model‘ von Hewstone und Brown (1986) beruht im Gegensatz zu den ersten beiden Modellen auf der Idee, dass das Bedürfnis nach einer positiven sozialen Identität in der Kontaktsituation genutzt werden sollte und dass die Entwicklung einer positiven Intergruppenbeziehung ohne die Auflösung der Gruppen möglich sei. Um die Generalisierung positiver Erfahrungen mit einigen Mitgliedern auf die gesamte Fremdgruppe zu erleichtern, sollten in der Kontaktsituation die Gruppengrenzen erhalten bleiben. Das setzt jedoch voraus, dass während der Kontaktsituation die jeweiligen Stärken und Schwächen jeder der beteiligten Gruppen anerkannt und respektiert werden, um eine Gruppenauflösung zu vermeiden. Hewstone und Brown (1986) argumentieren daher, dass die Kontaktsituation so strukturiert werden sollte, dass Mitglieder der jeweiligen Gruppen verschiedene aber sich ergänzende Rollen einnehmen sollten, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Gelingt dies, so wirke sich der Kontakt selbst dann positiv aus, wenn die ursprünglichen Gruppenidentitäten erhalten bleiben. Beide Gruppen könnten damit ihre positive Distinktheit innerhalb eines kooperativen Rahmens aufrechterhalten (siehe auch Brewer 1996). Diese drei Modelle stellen einen wichtigen konzeptionellen Rahmen zur Verfügung, um die qualitativen Bedingungen der Kontakthypothese einordnen zu können. Kooperation und übergeordnete Ziele fördern die Entwicklung einer gemeinsamen Identität; gleicher Status und personalisierte Interaktionen begünstigen Prozesse der Dekategorisierung und Individualisierung (Brewer 1997). Obwohl zahlreiche Studien zur Kontakthypothese einen positiven Zusammenhang erkennen lassen, werden nur selten die Bedingungen, unter denen die Kontaktsituation stattgefunden hat, vollständig analysiert. Brewer (1997) gibt in diesem Zusammenhang zu Bedenken, dass es zu einer „oversimplification of the problems of desegregation“ (ebd.: 203) komme, sobald die Prozesse der Dekategorisierung und Rekategorisierung auf Situationen, in denen die Unterschiede zwischen den sozialen Gruppen besonders groß bzw. politisch brisant sind, angewendet werden. Einige Autoren konstatieren daher auch, dass keine vorzeitigen Schlüsse zu den Erfolgen des Intergruppenkontaktes getroffen werden sollten. Sigelman und Welch (1993) warnen z.B. vor einem „naive optimism“ (ebd.: 792), denn ihren Erkenntnissen folgend bedeuten Freundschaften mit Mitgliedern einer Fremdgruppe nicht gleichzeitig, dass die Intergruppenbeziehungen vorurteilsfreier wahrgenommen werden oder dass sie sich nun mehr verpflichtet fühlen würden, sich für die Beziehung zu engagieren. Taylor und Mogghadam (1994) sprechen auch von einer „illusion of contact“ (ebd.: 182), denn in vielen alltäglichen Kontexten ist die Art des Kontaktes als auch die Qualität der Intergruppenbeziehung begrenzter als allgemein angenommen und damit auch der Abbau sozialer Distanzie-
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rungen nur bedingt realisierbar. Innerhalb dieser Diskussion – dass die Effekte der Kontakthypothese zwar positive Tendenzen aufweisen, diese jedoch nicht zwingend erfolgversprechend sein müssen – rücken sowohl methodische als auch theoretische Bedenken in den Vordergrund (Connolly 2000). So fordert Maoz (2002) ein differenzierteres methodisches Vorgehen ein, um die konkreten Verhaltensweisen und Auswirkungen des Intergruppenkontakts interpretieren zu können. Seiner Ansicht nach reicht es nicht aus, die reine Interaktion bzw. den Blickkontakt zu messen, um die Thematik allumfassend zu verstehen (siehe auch Dixon et al. 2005). Denn nur weil Mitglieder verschiedener sozialer Gruppen sich an einem bestimmten Ort aufhalten oder begegnen, induziert das nicht zwangsläufig eine bedeutende Interaktion im positiven Sinne (Maoz 2002). Zusätzlich bekräftigen Dixon und Durrheim (2003), dass alltäglicher Intergruppenkontakt nur selten unter idealen Verhältnissen abläuft. Aus diesem Grund sind Forschungsarbeiten, die dazu tendieren, die Intergruppendynamik losgelöst vom gesellschaftlichen Kontext zu analysieren und sich ausschließlich auf die unmittelbare und leicht manipulierbare Interaktionsumgebung konzentrieren, nicht vollständig auf die alltägliche Lebenswelt übertragbar. Diese Art von Kontaktsituationen „are largely chimerical [and] they do not correspond to the lived experiences of the majority of people“ (ebd.: 2).
So verweist Brewer (1996) auf die Bedeutung existierender, historisch entstandener Statushierarchien in sozialen Systemen, die die Intergruppenbeziehungen und gegenseitigen Wahrnehmungen unter den Gruppen problematisieren. Die Vermeidung von Interaktion ist unter diesen Bedingungen eine durchaus gebräuchliche Reaktion auf die Möglichkeit des Kontakts. Dies führt im Zusammenhang mit dem Abbau sozialer Distanzierungen dazu, dass die ‚Resilienz der Segregation‘, wie Dixon und Durrheim (2003) es nennen, oftmals unterschätzt wird. Segregation ist ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Faktoren (siehe auch Kapitel 2.1), die über die disziplinarischen Grenzen der Sozialpsychologie hinausgehen. Aus theoretischen Beweggründen heraus, gelangen Dixon et al. (2007) zu der Erkenntnis, dass eine differenziertere Konzeptionalisierung der Auswirkungen des Intergruppenkontakts notwendig sei, die sowohl die Effekte des Kontakts auf kognitive als auch auf emotionale und verhaltensorientierte Dimensionen bei dem Abbau von Vorurteilen und Einstellungen anerkennen sollte (siehe auch Brewer 1997). Darüber hinaus gelte es, die Persistenz von Segregation zu analysieren und zu erklären (Dixon und Durrheim 2003). Denn sobald Mitglieder einer Gruppe vehement um ihre soziale Identität als Gruppe kämpfen, gehen die Ursachen laut Brewer (1997) über die rein kognitiven und emotionalen Dimensionen hinaus. Hier hat die „group identification […] motivational and functional origins that are deeply rooted in our evolution as a social species“ (ebd.: 203).
Dixon und Durrheim (2003) unterstreichen in diesem Zusammenhang zusätzlich die bisher nur lückenhaft untersuchte Bedeutung oberflächlicher und seltener Erfahrungen im Intergruppenkontakt für Prozesse der Desegregation. In Anlehnung an Schnell und Yoav (2001) sind innovative konzeptionelle und methodische Her-
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angehensweisen erforderlich, um die dynamische (Re-)Produktion von Segregation in alltäglichen Lebensräumen hinreichend verstehen zu können. Derartige methodologisch elaborierte Analysen müssen einerseits die dynamische und gewachsene Qualität von Prozessen der Grenzziehung, -aushandlung, -erhaltung und -auflösung innerhalb eines sozialen Raums erfassen können und andererseits die individuellen Handlungen, durch die Segregation ermöglicht, reproduziert oder verändert wird, aufdecken (Dixon et al. 2005). Trotz der aufgeführten methodischen und theoretischen Bedenken werden insgesamt in der Sozialpsychologie die positiven Auswirkungen der Kontakthypothese auf Prozesse der sozialen Distanzierung herausgestellt. Darüber hinaus unterstreicht diese nicht nur die Interaktionschance zwischen sozialen Gruppen, sondern auch den symbolischen Kontext, in dem sich intergruppale Beziehungen ereignen und in dem sich soziale Identitäten und Interaktionen konstituieren. Prozesse der Desegregation erzeugen zweifelsohne eine Reorganisation des sozialen Raums und beeinflussen den Transformationsprozess intergruppaler Grenzziehungen, der neue Formen der Begegnung und der zeitgleichen Anwesenheit unterschiedlicher Gruppen im Raum ermöglicht, die sich einst durch soziale Isolierung auszeichneten (Dixon und Durrheim 2004). Die Frage, die jedoch weitgehend ungeklärt bleibt, setzt sich mit dem Problem auseinander, wie viele Mitglieder einer Fremdgruppe eine autochthone Bevölkerung akzeptiert, um einen erfolgreichen Abbau sozialer Distanzierung zu gewährleisten. Auch die Frage, auf welcher räumlichen Ebene (Stadtteil- oder Blockebene) die Kohabitation von im sozialen Raum fernstehenden Akteuren eine soziale Annäherung oder auch eine soziale Distanzierung bewirken kann. Weiterhin bleibt offen, welche Gruppen sich wie annähern können? (siehe auch Andersson et al. 2007) Denn nicht nur direkter Kontakt, sondern auch indirekter Kontakt (Anwesenheit der Fremdgruppe und sporadische Begegnungen im Wohnquartier) hat eine Auswirkung auf den Abbau sozialer Distanzierung indem relevante Informationen über Lebensumstände und Verhaltensweisen vermittelt und die Auseinandersetzung mit der Fremdgruppe gefördert werden (siehe auch Oliver und Wong 2003). 2.4 DIE ZUSAMMENSCHAU VON RAUM UND SEGREGATION Ausgehend von den konzeptionellen Überlegungen zu ‚Raum‘ und ‚Segregation‘ wird deutlich, dass diese beiden sich einander bedingenden Dimensionen das Ergebnis verschiedener Strukturierungsmomente sozialer Gesellschaften sind. Weder ‚Raum‘ noch ‚Segregation‘ sind vor diesem Hintergrund statisch, sondern ganz im Gegenteil, sozial konstituiert. Sie sind immer vorhanden, denn sie sind Teil der sozialräumlichen Organisation menschlicher Gemeinschaften. Sie sind das Ergebnis alltäglicher sozialer Praktiken, in denen sich Geographien im Modus von Bedeutungen herstellen, reproduzieren und verändern (Lippuner 2005). Da ‚Raum‘ nicht einfach existiert, sondern durch höchst komplizierte arbeitsteilige Prozesse produziert wird, ist auch ‚Segregation‘ ein sozial-raum-zeitliches Produkt. Denn die Dynamik alltäglicher sozialer Praktiken bringt Räume gemäß eines
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ganz bestimmten Musters hervor. Das Muster der ungleichen Entwicklung oder auch ‚Segregation‘ ist hier nur das Ergebnis dieser sozial-raum-zeitlichen Dynamik. Sie ist ein konkreter Ausdruck kapitalistischer Raumproduktion (Smith 2007). Doch weil ‚Raum‘ durch soziale Abläufe produziert wird und der Ort ist, wo sich alle sozialen Interaktionen abspielen, wird jedem Raum mehr oder weniger eine soziale Bedeutung und Symbolik zugeschrieben. Diese Symbolik ist jedoch keine Eigenschaft, die dem ‚Raum‘ inhärent ist. In Anlehnung an Hamm (1982) gibt es keinen Raum, „der nicht erst durch Wahrnehmung soziale Bedeutung erlangte. Eben darin liegt die soziologische Bedeutung des Raumes begründet, dass er nicht existiert außer in unserer Wahrnehmung und dass diese Wahrnehmung immer und unausweichlich durch soziale Bezüge vorgeformt und vermittelt stattfindet“ (ebd.: 26).
Das sozialräumliche Produkt der ‚Segregation‘ als Teil gesellschaftlicher Wahrnehmung, der unterschiedliche soziale Bedeutungen und Symboliken zugewiesen werden, erfährt ab diesem Moment eine positive oder negative Konnotation. Diese findet zunächst ihren Ursprung in der normativen Kategorisierung des sozialen Raums durch unterschiedliche soziale Gruppen. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe artikuliert sich schließlich im materiellen Raum über die räumliche und soziale Nähe oder Distanz. Die differenzierten räumlichen Interaktionsstrukturen sozialer Gruppen in alltäglichen Lebensräumen kennzeichnet demnach ‚Segregation‘. Der Erkenntnisgrad von ‚Segregation‘ besteht generell darin, die sozialstrukturellen Bedingungen zu erkennen unter denen sich Segregation als sozial-raum-zeitliches Produkt konstituiert, gestaltet und verändert. Dementsprechend wurden verschiedene Erklärungsansätze und die vielfältigen Auswirkungen räumlicher Segregation herausgearbeitet, die verdeutlichen, dass Segregation auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen produziert und reproduziert wird. Dabei erscheint speziell die mikroanalytische Ebene von Bedeutung, denn diese ist die Ebene, auf der sich die alltäglichen Interaktionen im Raum artikulieren und diesen hinsichtlich sozialer Bedeutungen und Wahrnehmungen prägen. Darüber hinaus konnte herausgearbeitet werden, dass räumliche Nähe und/ oder Distanz sehr vielfältige Auswirkungen auf die individuellen Handlungsabläufe, Einstellungen und Verhaltensmuster der unterschiedlichen sozialen Gruppen haben. Zum einen konnte aufgezeigt werden, dass negative Kontexteffekte in sozial benachteiligten Räumen selbstverstärkend wirken und zum anderen, dass sich direkter und indirekter Kontakt unterschiedlicher sozialer Gruppen im Raum positiv auf den Abbau sozialer Distanzierungen auswirkt. In engem Zusammenhang mit den vielfältigen Effekten räumlicher Nähe bzw. Distanz, geprägt durch den alltäglichen Lebensraum, stehen die Prozesse der sozialen Integration und Desintegration. Denn direkter oder indirekter Kontakt allein erklärt noch nicht die Qualität der sozialen Beziehungen, bzw. liefert keine Erklärung für den einen oder anderen Ausgang des Kontaktes. Diesem Problem stellt sich das folgende Kapitel, das sich insbesondere auf die Formen sozialer Integration konzentriert.
3 DIE STADT ALS ORT SOZIALER INTEGRATION Nachdem in den vorangegangenen Kapiteln grundlegende Konzepte wie ‚Raum‘ und ‚Segregation‘ sowie deren Zusammenhang beschrieben wurden, soll nun, ausgehend von der Kontakthypothese, die Bedeutung räumlicher Nähe für den Abbau sozialer Distanz diskutiert werden. Dabei wird explizit das Konzept der Sozialintegration herangezogen, welches sich mit der Thematik der Eingliederung von Individuen auf mikro- und meso-analytischer Ebene auseinandersetzt. Da im Zusammenhang mit der Stadt der Begriff der Integration in verschiedenen Richtungen häufig als Kategorie der Erfassung städtischer Sozialprozesse verwandt wurde, ohne eindeutig zu klären, was ‚Integration‘ inhaltlich tatsächlich bedeuten soll, bzw. wer wozu und mit welchem Ziel in die Stadt integriert werden soll (Bauer 1972), stehen im Mittelpunkt des folgenden Kapitels die Begriffsklärung sowie Formen und Möglichkeiten, durch die sich Individuen bzw. Gruppen in die Stadt integrieren können. 3.1 DAS KONZEPT DER INTEGRATION – ANNÄHERUNG AN EINEN KLASSISCH SOZIOLOGISCHEN BEGRIFF Der Begriff der Integration zählt zu einer der zentralen sozialwissenschaftlichen Grundkategorien (Imbusch und Rucht 2005) und ist spätestens seit Emil Durkheim und Talcott Parsons ein wesentlicher Bestandteil der klassischen Soziologie (Bendle 1996, Willke 1978). Gerade im Zusammenhang mit den negativen Auswirkungen der residenziellen Segregation in den letzten Jahrzehnten hat er eine bemerkenswerte Konjunktur erfahren. Dessen ungeachtet bleibt er oft vage (Friedrichs und Jagodzinski 1999, Bauer 1972). Diese Breite des Integrationskonzeptes gilt als problematisch (Peters 1993), weshalb in modernen Gesellschaften mit zahlreichen theoretischen Perspektiven und Begriffsdimensionen darauf reagiert wird. Münch (1998a) folgend, sind jedoch diese Perspektiven weder ausreichend noch wertlos. Seiner Ansicht nach kommt es heute darauf an, aus den einzelnen theoretischen Ansätzen eine stimmig kohärente Theorie aufzubauen. Des Weiteren sind für Details der Integration spezifische Beiträge einzelner Theorieansätze notwendig, um eine Präzisierung des Begriffes zu erreichen (siehe auch Friedrichs und Jagodzinski 1999). Dennoch ist jede Präzisierung, wie sie u.a. Münch (1995) oder auch Anhut und Heitmeyer (2000) vornehmen, ein Hinweis darauf, dass es an einer umfassenden Explikation aller Aspekte des Integrationsbegriffes fehlt. Dieses Theoriedefizit (Friedrichs und Jagodzinski 1999) erfordert eine Spezifizierung des Integrationsbegriffes für jedwede Fragestellung (siehe auch Willke 1978), unter gleichzeitigem Anspruch an Komplexität, um den zahlreichen Theorieelementen gerecht zu werden (Heitmeyer 2008). Aus diesem Grund werden in diesem Kapitel allgemeine Definitionen von Integration vorgestellt, um anschlie-
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3 Die Stadt als Ort sozialer Integration
ßend spezielle Dimensionen der Sozialintegration herauszuarbeiten. Es wird keine umfassende theoretische Aufarbeitung und Systematisierung des Integrationsbegriffs vorgenommen. Der Begriff der Integration ist vom lateinischen Wort ‚integratio‘ abgeleitet und bedeutet soviel wie ‚die Wiederherstellung eines Ganzen‘. Der Begriff der Integration wurde von den Evolutionisten des 19. Jahrhunderts wie Auguste Comte (1830-1842/1974) und Herbert Spencer (1857/1972) in die Soziologie eingeführt. Comte definiert gesellschaftliche Integration über die Einheit und Ordnung gesellschaftlicher Beziehungen, die sich mittels vorgegebener geteilter Überzeugungen und gemeinsamer Werte zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft einstellen (siehe auch Brock et al. 2007). Demgegenüber sieht Spencer (1857/1972) im menschlichen Entwicklungsprozess eine Tendenz zunehmender Integration. Seinen Ausführungen folgend besteht menschliche Entwicklungsprozess darin, dass ursprünglich vereinzelt auftretende Aggregate derselben Struktur und mit denselben Funktionen sich zu einem System zusammenschließen, wodurch neuartige Einheiten mit differenzierteren Strukturen und Funktionen entstehen (siehe auch Schmid und Weihrich 1996). In diesem Szenario ist Integration ein Prozess der Herausbildung von Ganzheiten aus Teilen (Heitmeyer 2008), das Ineinanderfügen bzw. Zusammenfügen von Teilen zu einem größeren Ganzen (Imbusch und Rucht 2005), oder auch der Zusammenhalt von Teilen in einem systemischen Ganzen, gleichgültig worauf dieser Zusammenhalt beruht (Esser 2000). Bedeutend ist in allen Fällen, dass das Verhalten und die Zustände der Teile Auswirkungen auf das System insgesamt und auf die es tragenden Teile haben (Esser 2001). Weiterführend beinhaltet der Begriff der Integration eine Bezeichnung für dynamische Prozesse (Münch 1998b) der bewusstseinsmäßigen Eingliederung in bzw. Angleichung an Wertstrukturen und Verhaltensmuster (Hillmann 2007). Auch Peters (1993) konstatiert: „Integration ist nicht nur ein Zustand, ein Merkmal von Vergesellschaftungen, sondern auch ein Prozess“ (ebd.: 28).
In Anlehnung an Imbusch und Rucht (2005) bedeutet Integration jedoch nicht nur den Prozess der Eingliederung, Angleichung oder Einbindung sondern auch das Ergebnis eines solchen Prozesses. Die Frage, die sich aus dem Prozess der Eingliederung ergibt, ist wer oder was sich wie worin integriert? Denn „integration is integration of something“ (Galtung 1968: 376). Friedrichs und Jagodzinski (1999) verweisen in diesem Zusammenhang auf zwei grundlegende Verwendungsweisen des Begriffes. Die Erste ist relational, denn Integration geht hier von einer Beziehung zwischen dem Teil und dem Ganzen aus und bezieht sich auf ein Element, ein Subsystem oder ein Teil, welches sich in ein System, ein Kollektiv oder ein größeres Ganzes integriert. Wenn das Teil, welches integriert ist oder werden soll, Individuen sind, dann lassen sich hier drei Formen der Eingliederung unterscheiden:
3.1 Das Konzept der Integration
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(a) die Angleichung einzelner Personen an eine bestimmte Gruppe, Organisation oder in für sie relevante Bereiche einer Gesellschaft; (b) die Eingliederung bzw. Angleichung zwischen verschiedenen Gruppen, Schichten, Klassen oder Rassen einer Gesellschaft; und (c) zwischen verschiedenen Gesellschaften zugunsten der Herausbildung neuer, ‚höherer‘ gemeinsamer kultureller Strukturen und sozialer Ordnungen (Hillmann 2007). Diese Eingliederung in ein System kann in Anlehnung an Friedrichs und Jagodzinski (1999) durch das äußere Verhalten (z.B. Kooperation) oder durch die innere Einstellung (z.B. Motivation) oder durch eine Kombination von inneren Zuständen und äußerem Handeln erfolgen. Demgegenüber ist die zweite Verwendungsweise des Begriffes eher absolut, denn dem System selbst wird eine mehr oder minder hohe Integration zugeschrieben. Ein System gilt als besonders integriert, je größer der Anteil derer ist, die sich mit dem System identifizieren und die kollektiven Ziele oder Werte teilen (ebd.). Nach Esser (2001) wäre beispielsweise eine Nachbarschaft als soziales System integriert, sobald sich die Familien kennen und besuchen, auch wenn die Nachbarschaft zeitweise durch Auseinandersetzungen geprägt ist. Dagegen gilt laut Esser (2001) eine Nachbarschaft als nicht integriert bzw. segmentiert, wenn die Familien räumlich nah beieinander wohnen, aber isoliert nebeneinander her existieren und voneinander keinerlei Notiz nehmen. Als Ausgangspunkt relationaler und absoluter Verwendungsweisen nennen Friedrichs und Jagodzinski (1999) die Gleichheit, welche integriert, währenddessen Unterschiede desintegrieren. Diese relationale bzw. absolute Begriffsauffassung spricht die Zweiteiligkeit des Integrationsbegriffes in Systemintegration und Sozialintegration an. Mouzelis (1997) bietet hierzu eine kurze Zusammenschau von Habermas, Giddens und Lockwoods Unterscheidung von System- und Sozialintegration an und gelangt zu der Erkenntnis, dass die von dem britischen Soziologen David Lockwood (1964) vorgeschlagene Unterscheidung am umfassendsten sei und alle wesentlichen Aspekte gesellschaftlicher Integration erfasse. Unter Systemintegration versteht Lockwood (1964) den geordneten und konfliktarmen Zusammenhalt von Teilsystemen und demnach die Integration des Systems einer Gesellschaft als Ganzheit (siehe auch Esser 2001, Farwick 2009, Schimank 2005). Systemintegration umfasst demnach den Zusammenhalt der Teile eines sozialen Systems, der sich unabhängig von den speziellen Motiven und Beziehungen der individuellen Akteure vollzieht (Esser 2001, 2004). Dagegen geht es unter dem Gesichtspunkt der Sozialintegration um den geordneten und konfliktarmen Zusammenhalt von Akteuren bzw. der von ihnen gebildeten Gruppen eines sozialen Systems, also um die Integration der einzelnen Gesellschaftsmitglieder als Personen in die Gesellschaft (siehe u.a. Esser 2001, Farwick 2009, Schimank 2005). Sozialintegration ist der Einbezug der Akteure in die jeweiligen sozialen Systeme, welche die Motive, Orientierungen, Absichten und – speziell – die Beziehungen der Akteure untereinander erfasst (Esser 2001). Demnach bezeichnen diese beiden Integrationsbegriffe gänzlich andersartige Be-
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3 Die Stadt als Ort sozialer Integration
zugspunkte gesellschaftlicher Integration. Im ersten Fall ist – ähnlich wie bei der absoluten Verwendungsweise – das System der Gesellschaft der Bezugspunkt der Betrachtung, im zweiten sind es die Akteure bzw. die Bevölkerung und die verschiedenen Gruppen (Esser 2001), was der relativen Verwendungsweise gleichzusetzen ist. Auch wenn beide Integrationsdimensionen andersartige Bezugspunkte aufweisen und eine Systemintegration laut Esser (2001) auch ohne Sozialintegration möglich erscheint (siehe auch Lockwood 1964), ist deren Zusammenspiel für das Bestehen der Gesellschaft notwendig. Die Mechanismen der Systemintegration bedingen demnach die der Sozialintegration und vice versa (Imbusch und Rucht 2005). Beide Formen „do not merely co-exist as two independent viewpoints but they are entangled and intertwined“ (Perkmann 1998: 504)
und dementsprechend kann „nur eine halbwegs intakte systemische Integration […] gelingende soziale Integration bewirken“ (Geiling 2003: 93).
Darüber hinaus verbirgt sich hinter dem Begriff der Integration eine normative Konnotation (Peters 1993, Bauer 1972), denn die Logik der Integration wird gewöhnlich mit Funktionalität und Zusammenhalt (Kecskes 2004), Einheit, Kohärenz, Harmonie (Bendle 1996) und demnach „mit einem Zustand der relativen Problemlosigkeit, der Stabilität, des Gleichgewichts“ (Imbusch und Rucht 2005: 19)
assoziiert. Integration als Begriff wird folglich stillschweigend zu einem positiven Wert und „auf diese Weise zu einer Ideologie“ (Bauer 1972: 38). Dagegen wird sein Begriffspendant – die Desintegration – zumeist als Ausdruck von Instabilität, Verminderung von sozialen Kontakten oder Abnahme gemeinsamer Tätigkeiten (Heitmeyer 1997), demnach als ein eher unerwünschter, möglichst zu vermeidender Zustand gesehen, da mit ihm Reibungen und Funktionsverlust, Bestandsbedrohung, Verfall und Zerfall verbunden werden (Imbusch und Rucht 2005). In Anlehnung an Bendle (1996) bezieht sich Desintegration auf einen Prozess „by which systems fall away from integration, as well as to a notional final state of social chaos“ (ebd.: 72).
Peters (1993) hält fest, dass „Integrationsbegriffe in den Sozialwissenschaften […] offensichtlich einen »diagnostischen« Charakter [haben] – sie enthalten ein bestimmtes normatives Element, eine implizite oder explizite Vorstellung von »gelingender« oder »mißlingender« Vergesellschaftung“ (ebd.: 24).
In diesem Sinne erscheint die Diskussion um Desintegration nur dann sinnvoll, wenn sie im Hinblick auf Integration gedacht wird (siehe auch Nassehi 1997), woraus resultiert, dass residenzielle Segregation auch als Indikator gesellschaftlicher Integration gesehen werden kann (Friedrichs 1995, siehe auch Park 1925/ 1974). Dies bekräftigt u.a. Musterd (2003), indem er anmerkt, „there may be a relationship between levels of spatial concentration of a population category and levels of integration“ (ebd.: 635).
3.1 Das Konzept der Integration
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Auch vor dem Hintergrund, dass sich Gesellschaft durch eine komplexe und gegensätzliche Gleichzeitigkeit von Differenzierung und Entdifferenzierung auszeichnet, ist sowohl Integration als auch Desintegration auf unterschiedlichen Ebenen immer präsent (Krämer-Badoni 2001, Bauer 1972). Integration ist folglich ein graduelles Konzept, denn sie ist immer mehr oder weniger realisiert, auch wenn sich Art und Maß von Integration historisch wandeln können (Imbusch und Rucht 2005). Friedrichs und Jagodzinski (1999) machen diesbezüglich auf das Mehrebenenproblem der Integration in komplexen gesellschaftlichen Systemen aufmerksam. Im Allgemeinen und trotz stark vereinfachter Darstellung, unterscheiden sie drei gesellschaftliche Systemebenen: die Mikro-, die Meso- und die Makroebene. Die Makroebene bezieht sich auf die Gesellschaft mit ihren Subsystemen wie Politik, Wirtschaft oder rechtsstaatliche Organe, während die Mesoebene mit gesellschaftlichen Gruppen, wie Vereinen und Verbänden, verbunden wird. Dagegen beinhaltet die Mikroebene Individuen und Kleingruppen, wie Familien, Freundschafts- und Kontaktnetzwerke. Über diese Verteilung werden einzelne Personen sowohl dem Gesamtsystem zugeordnet als auch verschiedenen Teilsystemen, die auf verschiedenen Ebenen angesiedelt sind. Vollständige Integration wird jedoch selten den Einzelnen ganz umfassen, woraus deutlich wird, dass Integration (oder auch Desintegration) weder auf allen Ebenen zwingend realisierbar ist (Göschel 2001), noch ein unüberwindbares Problem darstellt (Schimank 2005). Aus der Perspektive der Stadt als sozial-raum-zeitliches Produkt kann zusammenfassend geschlussfolgert werden, dass die Sozialintegration der Stadtbevölkerung allgemein als zentrale Leistung der Stadt gesehen wird, die sie unter einem normativen Gesichtspunkt vollbringen sollte. Sie wird im Gegensatz zur Systemintegration als die eigentlich Städtische angesehen (Göschel 2001). Denn die Stadt im Sinne eines absoluten Raums, sowie Raumzusammenhänge ganz allgemein, seien für die Systemintegration weitgehend bedeutungslos bzw. hätten allenfalls einen marginalen Anteil an der Gestaltung von Funktionssystemen (Göschel 2001, Krämer-Badoni 2001). Dementsprechend soll im folgenden Kapitel auf die unterschiedlichen Dimensionen der Sozialintegration näher eingegangen werden, um anschließend zu einem für diese Forschungsarbeit relevanten Integrationsbegriff zu gelangen. 3.2 DIE SOZIALINTEGRATION UND IHRE DIMENSIONEN DER EINGLIEDERUNG VON INDIVIDUEN IN DIE STADT Wie im vorangegangenen Kapitel herausgearbeitet, ist Sozialintegration ein wesentlicher Bestandteil der klassischen Soziologie, der die normative Einbindung von Individuen in ein bestehendes soziales System (z.B. Stadt, Gesellschaft) beschreibt. Schon der Begriffsbestandteil ‚sozial‘ verweist diesbezüglich auf eine eher akteursbezogene Orientierung (Schwinn 2001). Sozialintegration ist nach Auffassung von Schimank (2005) diejenige Integrationsdimension, die bis heute
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die meiste und differenzierteste Aufmerksamkeit soziologischer Zeitdiagnosen gefunden hat. Münch (1998a), als deutscher Vertreter der zeitgenössischen Integrationstheoretiker, definiert Sozialintegration als einen „Zustand der Gesellschaft, in dem all ihre Teile fest miteinander verbunden sind und eine nach außen abgegrenzte Einheit bilden“ (ebd.: 27).
Basierend auf den Überlegungen von Blau (1960), der einen Theorieentwurf sozialer Integration vorlegt, konstituiert sich eine solche nach außen abgegrenzte Einheit – eine kohäsive soziale Struktur – über soziale Bindungen und affektive Interaktionsmuster aller Mitglieder einer sozialen Gruppe. Sozialintegration bedeutet nach Blau (1960), dass sich alle Mitglieder einer sozialen Gruppe unbeschränkt assoziieren und als eigenständige Mitglieder in ihrer Gruppe akzeptieren. In diesem Sinne bedeutet Sozialintegration die ganzheitliche Einbindung von Individuen und deren Handeln und Denken in lebensweltliche Gemeinschaften oder Gruppen, deren Mitglieder bestimmte Werte und Handlungspräferenzen teilen. Eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen theoretisch-konzeptionellen Ansätzen der Sozialintegration lässt deutlich werden, dass der Prozess der Eingliederung von Individuen in ein bestehendes System durch verschiedene Dimensionen oder Formen gekennzeichnet ist. An dieser Stelle sollen die Ansätze von Peters (1993), Anhut und Heitmeyer (2000), Esser (1999) sowie Dangschat (2000) kurz vorgestellt werden, um die für die vorliegende Untersuchung jeweils wichtigen Elemente herauszuarbeiten und nutzbar zu machen. Sozialintegration als Ausdruck von Ordnung und Strukturiertheit zielt nach Peters (1993) auf einen Erfolg, denn sie kann in höherem oder geringerem Maß gelingen oder auch fehlschlagen. Seinen Erkenntnissen nach werden drei Formen, in denen Sozialintegration gelingen kann (oder nicht), unterschieden: a) funktionale Koordination – Abstimmung verschiedener Aktivitäten, die bestimmte positiv bewertete Erfolge ermöglichen; b) moralische Integrität – Prinzipien von Gleichheit und Gerechtigkeit, Reziprozität und Fairness sowie Solidarität und moralische Bindungen unabhängig von Reziprozität, Rechten und Pflichten; und c) expressive Gemeinschaft – Formen kollektiver Identitätsbildung, Selbstverwirklichung und Bedürfnisbefriedigung, Übereinstimmung in Wertvorstellungen, gemeinsame Sinndeutungen, Konzeptionen guten Lebens, kollektive Projekte oder die Verfolgung genuin kollektiver Ziele. Bezogen auf das Verhältnis der drei Integrationsdimensionen erläutert Peters (1993), dass wenn konkrete soziale Lebensformen alle drei Integrationsformen aufweisen – ob in unterschiedlicher Mischung oder mit unterschiedlichem Gewicht – funktionale Koordination auch ohne moralische Integrität denkbar sei. Dagegen ist die Realisierung von Formen der expressiven Gemeinschaft kaum ohne eine Form der moralischen Integrität realisierbar, da die moralische Struktur ‚tiefer‘ liege. Moralische Integrität ist demnach diejenige Einheit, die notwendig ist, um Differenz zu ermöglichen.
3.2 Die Sozialintegration und ihre Dimensionen der Eingliederung
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In Anlehnung an Peters (1993) identifizieren Anhut und Heitmeyer (2000) zwei zentrale Bedingungen, an die die Sozialintegration gebunden ist: erstens, die Teilhabe an materiellen und kulturellen Gütern eines Kollektivs und zweitens, das Vorhandensein eines spezifischen subjektiven Zugehörigkeitsgefühls zu einem sozialen Kollektiv. Sozio-ökonomische Strukturen (hinreichende Teilhabechancen bzw. Zugänge zu den gesellschaftlichen Funktionssystemen wie Arbeits-, Wohnungs-, Konsummärkte), aber auch sozio-emotionale Strukturen (sozialer Rückhalt durch soziale Aufmerksamkeit, Zuwendung sowie Wertschätzung) sind vor diesem Hintergrund entscheidend für die Sozialintegration. Im Anschluss daran werden auch drei Integrationsdimensionen unterschieden, die sich von den Dimensionen Peters (1993) unterscheiden: individuell-funktionale Systemintegration, kommunikativ-interaktive und kulturell-expressive Sozialintegration. Im Rahmen der individuell-funktionalen Systemintegration auf struktureller Ebene umfasst diese Dimension einerseits die Gewährleistung individueller und kollektiver Teilnahme an Teilsystemen und Teilhabe an materiellen und kulturellen Gütern einer Gesellschaft (Arbeits-, Wohnungs- und Konsummarkt) und andererseits die Anerkennung und Zufriedenheit mit der beruflichen und sozialen Position (siehe auch Heitmeyer 1997). Sie setzt nicht die Lösung von Koordinationsund Orientierungsproblemen voraus. Insgesamt steht die positionale Anerkennung im Mittelpunkt dieser Integrationsdimension. Die kommunikativ-interaktive Sozialintegration beschreibt auf institutioneller Ebene die Teilnahmechancen und -bereitschaft an Verständigungsprozessen über Bestand und Veränderung vorhandener bzw. neuer Werte und Normen in der Gesellschaft (siehe auch Heitmeyer 1997). Diese Dimension zielt auf einen Ausgleich konfligierender Interessen, ohne die Integrität anderer Personen zu verletzen. Unter Einhaltung von Interessensausgleich und Grundnormen (Fairness, Gerechtigkeit und Solidarität) geht es hier im Wesentlichen um die moralische Anerkennung. Das Ziel der kulturell-expressiven Sozialintegration auf sozio-emotionaler Ebene ist die Entwicklung kollektiver und individueller Identität und des sozialen Rückhalts. Sie umfasst die lebensweltliche Vergemeinschaftung der Individuen in einer Gesellschaft durch Zugehörigkeit des Einzelnen zu verschiedenen sozialen Einheiten wie z.B. Familie oder Vereine. Das setzt gleichzeitig die Anerkennung bzw. Akzeptanz kultureller sozialer Praktiken, kollektiver Identitäten und ihrer jeweiligen Symboliken durch andere Kollektive voraus (siehe auch Heitmeyer 1997). Durch emotionale Anerkennung besteht die Möglichkeit, sich sozioemotionalen Rückhalt zu sichern und hierdurch ein Erleben von Nähe, Geborgenheit, Einbindung und Unterstützung zu erfahren. Der Integrationsansatz von Anhut und Heitmeyer (2000) stellt gegenüber vorangegangener Integrationskonzepte eine Weiterentwicklung dar und berücksichtigt sowohl die klassische Dichotomie von System- und Sozialintegration als auch die gängige, aber theoretisch oft unverbundene Teilung der Integrationsfrage entlang gesellschaftlicher Subsysteme oder Ebenen/Bereiche. Ähnlich wie Heitmeyer (1997), Anhut und Heitmeyer (2000) und hauptsächlich in Anlehnung an Lockwood (1964) unterscheidet Esser (1980, 1999) eben-
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falls zwischen Systemintegration und Sozialintegration. Die Sozialintegration umfasst den Einbezug der Akteure in einen gesellschaftlichen Zusammenhang, das heißt die Beziehungen der Akteure zueinander und zum System als Ganzes. Basierend auf vier aufeinander aufbauenden Teilprozessen der Assimilation12 sind laut Esser (2001) mindestens vier Formen der Sozialintegration unterscheidbar: 1.
2.
3.
4.
Kulturation umfasst den Prozess der Aneignung von bestimmtem Wissen (Codierungen von typischen Situationen, Normen und Werten), Fähigkeiten (Umsetzung der kulturellen Codes) und Kompetenzen, das den Akteuren ermöglicht ein sinnhaftes, verständiges und erfolgreiches Handeln und Interagieren im Eingliederungskontext zu realisieren. Platzierung steht im engen Zusammenhang mit der Kulturation und beschreibt die Besetzung einer bestimmten gesellschaftlichen Position durch einen Akteur (z.B. die Verleihung bestimmter Rechte, die Übernahme beruflicher und anderer Positionen) über die sich das Individuum gesellschaftlich verwendbare Kapitalien (ökonomisches bzw. Humankapital) aneignen kann. Interaktion umfasst jene Form des sozialen Handelns, die dazu beiträgt, dass die Akteure soziale Beziehungen im alltäglichen Bereich (wie Entstehen einer ‚guten‘ Nachbarschaft, Freundschaften oder Heirat) aufnehmen und soziale Netzwerke verschiedenster Formen der Kommunikation bilden. Identifikation versteht die Identifikation eines Akteurs mit einem sozialen System, das heißt der Akteur sieht sich und das soziale System als eine Einheit und generiert eine quasi gedankliche und emotionale Beziehung zu dem sozialen System (z.B. über Nationalstolz, Wir-Gefühl etc.), welche durch ausgeprägte Gefühle der Solidarität und Werteanerkennung begünstigt wird.
Esser (2004) nimmt zusammenfassend an, dass diese vier Formen der Sozialintegration sich einander bedingen. So setzt die Platzierung eine gewisse Kulturation voraus. Erst eine gelungene Kulturation vereinfacht eine Platzierung. Aus der Platzierung und der Teilnahme am Marktgeschehen heraus entwickelt sich ein individuelles Interesse an der kollektiven Unterstützung der Werte und Prinzipien. Folglich wird nicht nur Interaktion, sondern auch Identifikation möglich. Denn mit der erfolgreichen Platzierung von Minoritäten in die zentralen Bereiche der Gesellschaft und mit der damit einhergehenden Interdependenz steigen die Chancen für eine Identifikation. In Anlehnung an die Arbeiten von Peters (1993), Anhut und Heitmeyer (2000) und Esser (1999) erweitert Dangschat (2000) die auf Stadt- und Stadtteilebene angesiedelten Modelle auf ein Makro-Meso-Mikro-Modell, indem er sechs 12 Im Hinblick auf die Eingliederung von Migranten hat Esser (1980) eine Kausalstruktur für den Prozess der Assimilation vorgeschlagen, den er in vier Dimensionen unterteilt: die kognitive (sprachliche), die strukturelle (u.a. Bildung, Beruf), die soziale (Netzwerke) und die identifikative (u.a. Normen, Werte). Die vier Dimensionen stehen in einem stufenweisen kausalen Zusammenhang, wenngleich er betont, dass durchaus auch Rückwirkungen einzelner Dimensionen auf andere möglich sind (siehe auch Farwick 2009).
3.2 Die Sozialintegration und ihre Dimensionen der Eingliederung
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Integrationsebenen13 unterscheidet, die in einem komplexen, noch näher zu untersuchenden Wechselverhältnis zueinander stehen. Dangschat (2000) ergänzt den von Anhut und Heitmeyer (2000) vorgeschlagenen Ansatz um die institutionellfunktionale Systemintegration auf der Makro-Ebene (Rahmenbedingungen nationalstaatlichen und suprastaatlichen Handelns), denn es handelt sich seiner Ansicht nach um die Ebene, in der unterschiedliche Rahmenbedingungen für einzelne Bewohner strukturiert und entschieden werden (z.B. Zuwanderungsbedingungen, Bürgerrechte, struktureller Rassismus, Zugangsbeschränkungen). Darüber hinaus ergänzt er sein Modell um die von Anhut und Heitmeyer (2000) nicht berücksichtigte Individualebene (Mikroebene), basierend auf der von Esser (1999) vorgeschlagenen kognitiven und identifikativen Assimilation. Die sechs verschiedenen Integrationsformen und deren Interdependenzen setzt Dangschat (2000, S. 203) schließlich auf drei räumlichen Ebenen in Relation (siehe Abbildung 1). Auf der Makroebene wird, ausgehend von den ökonomischen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen, sowohl die institutionell-funktionale Systemintegration (nationalstaatliche, suprastaatliche Ebene) als auch die individuell-funktionale Systemintegration (Stadtregion, gesamtstädtische Ebene) reguliert und strukturiert. Diese auf einer Makroebene stattfindenden Prozesse der Systemintegration bedingen räumliche Strukturierungsprozesse sozialer Bevölkerungsgruppen sowie deren strukturelle Ressourcen und ‚constraints‘. Auf Stadtquartiersebene (Mesoebene) reflektieren sich diese räumlichen Strukturierungsprozesse über soziale Netzwerke und Intergruppenbeziehungen in sogenannten ‚Habitusformen des Quartiers‘. Dangschat (2000) sieht insbesondere in der Partizipation an kommunalen Veranstaltungen und lokalen Ereignissen (z.B. Stadtteilplanungen, kommunaler Politik, Festen etc.) bei gleichzeitiger kognitiver Individualintegration die Voraussetzung für eine identifikative Individualintegration (Mikroebene). Unter dem Gesichtspunkt des Zusammenhangs räumlicher Segregation und sozialer Integration sind die Segregationsmuster insbesondere Bestandteil der individuell-funktionalen Systemintegration, währenddessen die Qualität der Sozialintegration bzw. der Beitrag von Konzentrationsmustern zur (Des-)Integration von den Ebenen der Sozial- und Individualintegration abhängig ist (Dangschat 2004).
13 Die sechs Integrationsebenen im Makro-Meso-Mikro-Modell von Dangschat (2000, S. 196) sind: (1) institutionell-funktionale Systemintegration (gleiche staatsbürgerliche Rechte); (2) individuell-funktionale Systemintegration (Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt, zu Bildungseinrichtungen); (3) kommunikativ-interaktive Sozialintegration (Teilhabe an öffentlichen Angelegenheiten, Sicherung der Grundnormen); (4) expressiv-kulturelle Sozialintegration (Binnenintegration in Gemeinschaften, und Anerkennung dieser Gemeinschaften); (5) kognitive Individualintegration (Sprache, Fertigkeiten, Verhaltenssicherheit, Normenkenntnis und Situationserkennung in der Aufnahmegesellschaft); (6) identifikative Individualintegration (Überwindung der ausschließlich eigenethnischen und Akzeptanz der fremdethnischen Zugehörigkeitsdefinition sowie Loslösen von eigenethnischen Bräuchen und Akzeptanz fremdethnischer Bräuche) (siehe auch Dangschat 2004).
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3 Die Stadt als Ort sozialer Integration
Abbildung 1: Makro-Meso-Mikro-Modell der Integration (Dangschat 2000: 203)
3.2 Die Sozialintegration und ihre Dimensionen der Eingliederung
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Resümierend kann festgehalten werden, dass das vorgeschlagene Integrationsmodell von Dangschat (2000) nicht hinreichend die sozialen Wechselverhältnisse in Beziehung setzt und demzufolge die Rückwirkungen individualintegrativer auf sozial- und systemintegrativer Mechanismen geradezu ungeklärt bleiben. Die Integrationsschritte werden zwar dynamisch dargestellt, letztendlich jedoch hierarchisch analysiert. Dennoch gelingt es Dangschat (2000), den immer fehlenden Zusammenhang zwischen System- und Sozialintegration auf unterschiedlichen räumlichen Ebenen in seinem Modell herzustellen. Sozialräumliche Muster werden folglich als ein Faktor der Integration, im Speziellen der Sozialintegration, diskutiert. Diese kann im Sinne Dangschats (2004) nur gelingen, wenn Systemintegration hinreichend wirksam ist, denn der gesellschaftliche Kontext ist eine wichtige Voraussetzung für die Segregation einer Stadtgesellschaft. In diesem Sinne wird Dangschat (2000) in Ansätzen Münchs (1998a) Forderungen gerecht, indem er versucht zu einem umfassenden Verständnis von Sozialintegration zu gelangen unter Einbezug einzelner Integrationstheorien, die er in ein umfassendes Theorienetzwerk einordnet. Damit ist das von Dangschat (2000) vorgeschlagene Makro-Meso-Mikro-Modell der Integration das bisher umfassendste seiner Art im städtischen Kontext. Die hier vorgestellten Konzepte verdeutlichen, dass Sozialintegration auf unterschiedlichen räumlichen Ebenen stattfindet, die jeweils verschiedenen Dimensionen der Sozialintegration inhärent haben. Doch der Raum selbst wird weiterhin im Sinne eines Behälters aufgefasst und bestehende Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Raumebenen bleiben unerfasst. Jedoch vor dem Hintergrund des Erkenntnisinteresses dieser Forschungsarbeit, stellt sich die Frage: Welche Rolle spielt Sozialintegration für den gesellschaftlich produzierten Raum? Dieses Wechselverhältnis soll an dieser Stelle für den städtischen Raum resümierend reflektiert werden, um anschließend zu einem theoretischen Modellentwurf für die vorliegende Forschungsarbeit zu gelangen. 3.3 DIE BEDEUTUNG VON SOZIALINTEGRATION FÜR DEN SEGREGIERTEN RAUM – EINE SYNTHESE Vor dem Hintergrund des Erkenntnisinteresses der vorliegenden Forschungsarbeit ist zu klären, inwieweit sich der segregierte Raum auf die Sozialintegration auswirkt und welche Bedeutung die Sozialintegration für den Raum und die räumliche Segregation hat. Damit wird die zweite grundlegende Frage aus Kapitel 2.4 aufgegriffen, die versucht zu klären, auf welche Weise und unter welchen Bedingungen bestimmte Räume Segregation hervorbringen, bzw. wie und in welchem Ausmaß der Raum soziale Handlungsabläufe beeinflusst. Dazu sollen die konzeptionellen Überlegungen aus Kapitel 1 und 2 kurz aufgegriffen werden, um sie anschließend mit dem Konzept der Integration in eine synthetisierende Verbindung zu bringen. Ausgehend von den konzeptionellen Überlegungen im Kapitel 1 und 2 sind ‚Raum‘ und ‚Segregation‘ das Ergebnis verschiedener Strukturierungsmomente
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3 Die Stadt als Ort sozialer Integration
sozialer Gesellschaften. Segregationsmuster werden unter diesem Verständnis durch soziale Abläufe und Interaktionen produziert und generieren soziale Bedeutungen oder auch Symboliken des jeweiligen Raumes. Diese Symbolik bzw. Raumwahrnehmung ergibt sich entweder direkt aus den eigenen Erfahrungen mit dem Raum oder indirekt durch Überlieferungen (Werlen 1995). Raum ist vor diesem Hintergrund ein soziales Konstrukt, das durch soziale Handlungen konstituiert wird (siehe u.a. Werlen 1995, Miggelbrink 2002). Hier tritt die mikroanalytische Ebene in den Vordergrund, denn dies ist die Ebene, in der sich die alltäglichen Interaktionen im Raum artikulieren und diesen hinsichtlich sozialer Bedeutungen und Wahrnehmungen prägen. Für den jeweiligen Grad der Segregation ist direkter oder indirekter Kontakt (physische Nähe) unterschiedlicher sozialer Gruppen von entscheidender Bedeutung, auch wenn dieser keine weiteren Aussagen zu der Qualität der sozialen Beziehungen bzw. den Ausgang des Kontaktes treffen kann, denn entscheidend dafür ist der soziale Kontext, also die Form und die Voraussetzungen des Kontaktes. Das Konzept der Sozialintegration kann hier Aufschluss geben, wenngleich es keinen festen Integrationsbegriff gibt und folglich für jedwede Fragestellung und Erkenntniswert zu klären ist, wer wie in was zu integrieren gemeint ist. In diesem Zusammenhang konnte herausgearbeitet werden, dass Integration im Allgemeinen als ein Prozess verstanden wird, der die Herausbildung von Ganzheiten aus Teilen oder auch den Zusammenhalt von Teilen in einem systemischen Ganzen erfasst, das eine nach außen abgegrenzte Einheit bildet. Integration ist demzufolge ein sozialer Mechanismus, der die Eingliederung von Individuen oder Kollektive durch bestimmte Vermittlungsfaktoren in einen sozialen Gesamtverband beschreibt. Eine Integration ist nicht gegeben, wenn die Individuen für sich oder im konzentrierten Zusammenwirken auf eine bestimmte Art und Weise anomisch und unabhängig voneinander handeln. Die Beziehung zwischen den Teilen einer Gesellschaft ist jedoch nur in ihrem raum- und zeitgebundenen Wechselverhältnis zu verstehen. Denn das Gelingen einer Sozialintegration wird laut Anhut und Heitmeyer (2000) maßgeblich ‘vor Ort’ entschieden. Nach Schnell und Yoav (2001) sind der Wohnort und die unmittelbare Nachbarschaft bestimmend für alltägliche Lebenswelten, Aktionsräume, Identitäten und Lebensbedingungen der Bewohner. Dadurch werden unterschiedliche Raumerfahrungen und unterschiedliche Grade der Sozialintegration begründet. Dem Raum kann folglich eine spezifische Rahmung für Integration zugeschrieben werden. Der ‚Habitus des Ortes‘ (Dangschat 2000) spiegelt dieses raum- und zeitgebundene Wechselverhältnis wider, denn er ist einerseits das sozial-raum-zeitliche Produkt sozialen Handels und andererseits Träger verschiedener Mechanismen der Sozialintegration, die nach innen aber auch nach außen als Symbolik wirken. Demnach vereinigt der ‚Habitus des Ortes‘ sowohl das Konzept der Segregation als auch das der Sozialintegration. Beide Konzepte bedingen sich einander und unterliegen zahlreichen Wechselwirkungen.
4 ZUM ZUSAMMENHANG VON SOZIALER UND RÄUMLICHER NÄHE – EIN THEORETISCHES KONSTRUKT UND FORSCHUNGSLEITENDE FRAGEN Wie in Kapitel 1 herausgearbeitet werden konnte, ist die Stadt ein gesellschaftlich produzierter Raum. Sie ist ein Raum, der sich aus höchst komplexen, arbeitsteiligen Prozessen heraus entwickelt und Ergebnis verschiedener Strukturierungsmomente sozialer Gesellschaften ist. Die Stadt ist demnach immer Teil der sozialräumlichen Organisation menschlicher Gemeinschaften, sie ist sozial konstituiert. Gleichzeitig beeinflusst die Stadt auch die Handlungs- und Verhaltensmuster der Bewohner. Sie ermöglicht gesellschaftliche und räumliche Strukturen bzw. schränkt/regt soziales Handeln ein/an. Raum, ebenfalls wie Segregation und Integration, ist aus diesem Grund als Wechselwirkung zwischen Struktur und Handeln zu verstehen. Eine Theorie, die versucht, räumliche Segregation und soziale Integration miteinander zu verknüpfen – beides Phänomene, die innerhalb der Stadt wirken – sollte versuchen, sich aus dem gesellschaftlichen Raum heraus zu entwickeln. Ausgehend von diesem konzeptionellen Ansatz wird für die vorliegende Forschungsarbeit ein Erklärungsmodell vorgeschlagen (siehe Abbildung 2, S. 67), welches ermöglicht, den Zusammenhang zwischen räumlicher Segregation und sozialer Integration aus dem gesellschaftlichen Raum heraus zu beschreiben und zu erläutern. Es werden bereits bestehende Erkenntnisse in Zusammenhang gebracht und weiterenwickelt, indem bisher isoliert voneinander betrachtete Theoriekonstrukte aufeinander bezogen und überlagert werden. Dieses mehrschichtige, komplexe Erklärungsmodell berücksichtigt die Einbettung von individuellen Handlungs- und Verhaltensstrukturen auf unterschiedlichen Raumebenen und erklärt darüber hinaus die verschiedenen Ebenen der (Re-) Produktion von Segregation im Raum. Weiterhin verdeutlicht dieser akteursbezogene Ansatz, dass die verschiedenen Raumebenen miteinander verbunden und wechselseitig aufeinander bezogen sind und als Gesamtheit das Wechselspiel von Segregation und Integration widerspiegeln. Der Erkenntnisgewinn dieses Modells besteht darin, die einzelnen sozialen Gruppen, die ihren Raum konstituieren und durch ihr Handeln strukturieren, zu beschreiben und die sozialstrukturellen Bedingungen aufzudecken, unter denen sich Segregation als sozial-raum-zeitliches Produkt konstituiert, reproduziert, gestaltet und verändert. Im Zentrum des Erklärungsmodells stehen die folgenden zentralen Forschungsfragen, die durch weitere Detailfragen unterlegt werden:
Welche Möglichkeiten bieten sozioökonomisch heterogen strukturierte Stadträume in Santiago de Chile für die Sozialintegration der Bewohner?
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Inwieweit beeinflusst die Sozialintegration der Bewohner Prozesse der (Re-) Produktion von Segregation im Stadtraum?
Unter Berücksichtigung der theoretischen Diskussion um den Zusammenhang von Raum, Segregation und Integration, wird der heterogen strukturierte Stadtraum einerseits als sozial-raum-zeitliches Produkt des gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses verstanden und andererseits wirkt er als Stimulus auf Prozesse der Sozialintegration. Die folgenden Detailfragen greifen diese Wechselwirkung auf: a) Heterogener Stadtraum als sozial-raum-zeitliches Produkt (das Produzierte): Auf welche Weise und unter welchen ökonomischen, handlungs- und verhaltensorientierten sowie politisch-regulativen Bedingungen wurden sozioökonomisch heterogen strukturierte Stadträume in Santiago de Chile produziert? Welche Formen der Sozialintegration begünstigen bzw. hemmen dabei die sozial-raum-zeitliche Produktion von sozioökonomisch heterogen strukturierten Stadträumen? b) Heterogener Stadtraum als sozialintegrativer Stimulus (das Produzierende): Welche Bedeutung hat ein sozioökonomisch heterogen strukturierter Stadtraum für die Herausbildung von Formen der Sozialintegration? Welchen Einfluss haben soziale, räumliche und zeitliche Faktoren der Bewohner auf die Formen der Sozialintegration? Aufbauend auf den theoriegeleiteten Erkenntnissen und den Forschungsfragen setzt sich das vorgeschlagene Erklärungsmodell aus drei verschiedenen Raumebenen zusammen, die an dieser Stelle näher erläutert werden sollen. Die erste Raumebene ist der Makro-Raum: die Stadt. Der Makro-Raum ist die Raumebene, auf der ökonomische und politisch-regulative Kräfte die Produktion von Raum gestalten (siehe auch Dangschat 1996). Es werden die in Kapitel 2 beschriebenen Erklärungsansätze residenzieller Segregation mit ihren vielschichtigen Auswirkungen gleichwertig analysiert und in Bezug zueinander gesetzt, um die Produktion von Segregation auf gesamtstädtischer Ebene erklären und beschreiben zu können (siehe Abbildung 2). Es wird davon ausgegangen, dass sich innerhalb dieses Raumniveaus die verschiedenen Ebenen ‚kristallisierter‘ Geschichte (Läpple 1991) herausbilden. In Bezug auf die vorliegende Forschungsarbeit bezieht sich diese Analyseebene auf die Diskussion von sozialer Ungleichheit und daraus resultierenden Prozessen der sozial-räumlichen Differenzierung in Santiago de Chile unter dem Einfluss eines neoliberalen Wirtschaftssystems. Die Produktion von Segregation auf gesamtstädtischer Ebene manifestiert sich u.a. auf Stadtquartiersebene, dem Mesoraum (siehe Abbildung 2). Das Stadtquartier ist in Abhängigkeit von den Entwicklungen auf der gesamtstädtischen Ebene hinsichtlich demographischer, sozialer und struktureller Merkmale mehr oder weniger heterogen oder homogen strukturiert.
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Abbildung 2: Makro-Meso-Mikro-Raummodell der Segregation und Integration
Quelle: Eigener Entwurf
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Die jeweilige heterogene oder homogene Sozialstruktur des Stadtquartiers ist für diese Raumebene von besonderer Bedeutung, denn wie in Kapitel 2 dargelegt, haben räumliche Nähe und/oder Distanz sehr vielfältige Auswirkungen auf die individuellen Handlungsabläufe, Einstellungen und Verhaltensmuster der unterschiedlichen sozialen Gruppen. So kann beispielsweise ein sozial homogen strukturiertes Stadtquartier, insbesonders sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen, mit Diskriminierung, Ausgrenzung, Kriminalität, räumlicher und sozialer Isolation in Zusammenhang gebracht werden, die sowohl Handlungsoptionen als auch Verhaltensmuster nachhaltig formen. Dagegen kann sich ein direkter Kontakt, aber auch ein indirekter Kontakt zu anderen sozialen Gruppen (Anwesenheit der Fremdgruppe und sporadische Begegnungen im Wohnquartier), positiv auf den Abbau sozialer Distanzierungen auswirken, indem relevante Informationen über Lebensumstände und Verhaltensweisen vermittelt und das Verständnis für die Fremdgruppe gefördert werden. Der mehr oder weniger segregierte Raum wirkt folglich als Stimulus auf die Handlungs- und Verhaltensweisen der Bewohner. Die jeweiligen Kontaktsituationen bestimmen die individuellen Erfahrungen und Wahrnehmungen mit anderen sozialen Gruppen in alltäglichen Lebensräumen und ergeben ein differenziertes räumliches Interaktionsmuster. Welche spezifischen Interaktionsmuster sich zwischen sozialen Gruppen ereignen und dementsprechend die (Re-)Produktion von Segregation auf Stadtquartiersebene beeinflussen, werden in dieser Forschungsarbeit maßgeblich durch drei Formen der Sozialintegration beschrieben: kommunikativ-interaktive, partizipativ-assoziative und expressiv-kulturelle (siehe Abbildung 2). Die Formen der Sozialintegration auf Stadtquartiersebene werden hier kurz angerissen und in Kapitel 7 wieder aufgegriffen, um sie zusammen mit den empirischen Ergebnissen ausführlicher diskutieren zu können. In Anlehnung an die in Kapitel 3 dargelegten Formen der Sozialintegration umfasst die kommunikativ-interaktive Sozialintegration auf Stadtquartiersebene räumliche und soziale Intergruppenbeziehungen. So geben lebensweltliche Aktionsräume im Stadtquartier Auskunft über die selektive räumliche Nutzung desselbigen durch verschiedene soziale Gruppen sowie über Orte der Interaktion und Konzentration von räumlichen Kontaktgelegenheiten. Die Struktur der sozialen Netzwerke bietet dagegen eine Möglichkeit, die Beziehungen zwischen verschiedenen Akteuren zu beschreiben. Sie bilden folglich eine wichtige Analysefunktion zwischen räumlicher Nähe unterschiedlicher sozialer Gruppen und den tatsächlichen Formen des Intergruppenkontaktes. Somit bezieht sich die kommunikativinteraktive Form der Sozialintegration auf „the (visual or verbal) interaction between people in the neighbourhood and the idea that these people, via their interaction, adopt each other’s behaviours and attitudes“ (Friedrichs et al. 2003: 803).
Darüber hinaus berücksichtigt diese Form der Sozialintegration die Forderung von Schnell und Yoav (2001), dass
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„segregation should represent the agents’ location […] in respect to the spaces in which they practice their everyday life, mingle with meaningful others, and develop their socio-spatial networks“ (ebd.: 623).
Die partizipativ-assoziative Form der Sozialintegration, als eine weitere bestimmende Komponente in der (Re-)Produktion von Segregation auf Stadtquartiersebene, setzt sich maßgeblich mit der Teilhabe von Bewohnern an öffentlichen Aktivitäten auseinander, über die die Individuen sich aktiv an der Gestaltung des Zusammenlebens im Stadtquartier beteiligen und Kontaktmöglichkeiten zu anderen sozialen Gruppen schaffen. Für die vorliegende Forschungsarbeit wird jedwede Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen sowie regelmäßige Besuche religiöser, sportlicher und kultureller Aktivitäten in Betracht gezogen, welche Kontaktmöglichkeiten zu anderen sozialen Gruppen ermöglichen. Im Mittelpunkt dieser Form der Sozialintegration steht sowohl der visuelle als auch der verbale Intergruppenkontakt, über den wesentliche Ressourcen vermittelt, soziales Vertrauen gestärkt und individuelle Handlungs- und Verhaltensweisen beeinflusst werden können (Alesina und La Ferrara 2000). Einer aktiven Teilhabe am öffentlichen Leben des Stadtquartiers wird darüber hinaus eine positive Identifikation mit dem Stadtquartier zugesprochen (Galster 2003). Eine dritte Form der Sozialintegration, die für die (Re-)Produktion von Segregation auf Stadtquartiersebene relevant ist, ist die expressiv-kulturelle Sozialintegration. Sie steht in Anlehnung an Anhut und Heitmeyer (2000) für die Entwicklung kollektiver und individueller Identität, die Anerkennung bzw. Akzeptanz von Gemeinschaften innerhalb einer Gesellschaft, kulturelle soziale Praktiken und ihre jeweiligen Symboliken. Für die vorliegende Forschungsarbeit sind die alltäglich praktizierten Formen des Zusammenlebens von unterschiedlichen sozialen Gruppen von besonderer Relevanz, um Rückschlüsse auf die (Re-)Produktion von Segregation auf Stadtquartiersebene ziehen zu können. An dieser Stelle steht die Offenheit gegenüber dem Zusammenleben unterschiedlicher sozialer Gruppen in räumlicher Nähe (innerhalb des Stadtquartiers) im Mittelpunkt, die als Integrationsbereitschaft gedeutet wird und Zugang zum gesellschaftlichen Teilsystem ‚Stadtquartier‘ ermöglicht. Die expressiv-kulturelle Form der Sozialintegration beeinflusst ferner die soziale Diversität eines Raumes, denn über die Anerkennung andersartiger Bevölkerungsgruppen kann soziale Diversität gestaltet werden und einen Beitrag zur (Re-)Produktion von Segregation leisten. Insgesamt stehen diese drei Formen von Sozialintegration nicht isoliert nebeneinander, sondern bedingen sich einander. Zusammen beschreiben sie den ‚Habitus des Stadtquartiers‘ (Dangschat 2000) und lassen Rückschlüsse auf den von den Bewohnern gelebten Raum ziehen. Die auf gesamtstädtischer Ebene generierten Segregationsmuster werden hier durch Handlungs- und Verhaltensstrukturen auf Stadtquartiersebene überlagert. Das Stadtquartier und die von den Bewohnern gelebten Formen der Sozialintegration geben einen Einblick in die sozial-raumzeitliche Produktion von Segregation. Das Stadtquartier ist weiterhin von den individuellen Wahrnehmungen, Befindlichkeiten, Einstellungen, Bewertungen und Verhaltensweisen der Bewohner geprägt, die sich auf einer ganz individuellen Raumebene entfalten, dem Mikroraum. Hier steht das Individuum im Mittelpunkt
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der Analyse, das vor allem durch zwei Formen der Sozialintegration bestimmt ist: identifikativ-funktionelle und affektiv-moralische (siehe Abbildung 2). Auch diese beiden Formen der Sozialintegration werden hier kurz angerissen und in Kapitel 8 wieder aufgegriffen, um sie zusammen mit den empirischen Ergebnissen ausführlicher diskutieren zu können. Die identifikativ-funktionelle Form der Sozialintegration wird in der vorliegenden Forschungsarbeit und in Anlehnung an Esser (1980, 1999) als die Identifikation eines Individuums mit seinem Stadtquartier definiert. Das Individuum generiert eine gedankliche und emotionale Beziehung zu seinem Stadtquartier, die durch ausgeprägte Gefühle der Solidarität und Werteanerkennung begünstigt wird. Die raumbezogene Identität ist ein stetiger Prozess und wirkt stabilisierend auf das Individuum, indem Verhaltenssicherheit und soziale Vertrautheit aufgebaut werden (Gebhardt et al. 1995). Sie hat jedoch nicht nur Auswirkungen auf das Individuum, sondern auch auf soziale Gemeinschaften, wie z.B. das Stadtquartier. Laut Weichhart (1990) liegt der „Nutzen räumlicher Identität in einem Beitrag zur Integration, Stabilisierung und Aufrechterhaltung der zeitlichen Konstanz von Sozialsystemen“ (ebd.: 94ff)
(siehe auch Peters 1993). Hinter der Bindung an das Stadtviertel, an bewohnerspezifische Teilräume oder an individuelle Subräume stehen oftmals symbolische, soziale und emotionale Bedeutungsinhalte (Gebhardt et al. 1995), die sich auf ganz individueller Ebene entfalten. Aus diesem Grund ist die raumbezogene Identität in dieser Forschungsarbeit auf der individuellen Ebene angesiedelt. Sie ist für die (Re-)Produktion von sozial-raum-zeitlicher Segregation von Bedeutung, da sie die Bereitschaft und Fähigkeit des Individuums zur aktiven Mitgestaltung und Aneignung von materieller und sozialer Umwelt erklärt und folglich die Aneignung des Raumes durch weitgehende Bedürfnisbefriedigung in lebensweltlichen Zusammenhängen beschreibt (Mai 1989). Die Entwicklung individueller und kollektiver Identität wird maßgeblich bedingt durch eine weitere Form der Sozialintegration: die affektiv-moralische. Die affektiv-moralische Sozialintegration beschreibt den Grad der emotionalen Verbundenheit mit dem Stadtquartier und setzt sich mit der Rolle des interpersonellen Vertrauens in Intergruppenbeziehungen auseinander. Interpersonelles Vertrauen bezieht sich hier ganz allgemein auf ein Vertrauen, das sich die Bewohner eines Stadtquartiers einander entgegenbringen. Eine spezielle Form des interpersonellen Vertrauens ist u.a. das generalisierte Vertrauen. In Anlehnung an Ripperger (1998) umfasst es die „grundsätzliche Vertrauensbereitschaft eines Akteurs, unabhängig von den Spezifika einer bestimmten Situation“ (ebd.: 101).
Es bezieht sich auf die generelle Erwartung, dass bestimmte Individuen oder Gruppen glaubwürdig bzw. vertrauenswürdig handeln. Generalisiertes Vertrauen ist das Resultat kumulativer Erfahrungen eines Akteurs im Umgang mit anderen Bewohnern. Auf Basis von Erfahrungen aus verschiedenen Kontexten erwächst allmählich eine allgemeine Erwartungshaltung in Bezug auf die Vertrauenswürdigkeit einer Person oder auf einen Sachverhalt. Es ist eine auf individueller
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Ebene angeordnete persönliche Einstellung. Das bedeutet im Zusammenhang mit der vorliegenden Forschungsarbeit, dass ein immer wiederkehrender vertrauenswürdiger Kontakt eines Bewohners zu einem Nachbarn ein generalisiertes Vertrauen gegenüber diesem Nachbarn und seiner sozialen Gruppe entwickelt und hierdurch zur Herausbildung und Stabilität des sozialen Systems ‚Stadtquartier‘ beiträgt. Diese beiden Formen der Sozialintegration stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern sind miteinander verwoben. Die hier vorgenommene theoretische Trennung ist in der Praxis nicht nachvollziehbar. So können beispielsweise soziale Interaktionen, insbesondere in sozial durchmischten Stadtquartieren, sich positiv auf die Generierung des interpersonellen Vertrauens auswirken, das wiederum Voraussetzung für die Entstehung einer allumfassenden Identität über Gruppengrenzen hinweg ist (Stolle et al. 2008). Eine intakte, vertrauensgenerierende Nachbarschaft intensiviert folglich die Ortsbindung. Darüber hinaus werden die auf individueller Ebene entstandenen Identitäts- und Vertrauensmuster durch Raumbildungsprozesse auf Stadtquartiersebene geprägt. Der Meso-Raum agiert als Stimulus, indem er die individuellen Wahrnehmungen, Befindlichkeiten, Einstellungen, Bewertungen und Verhaltensweisen der Bewohner auf individueller Ebene vorstrukturiert. Umgekehrt schreiben sich Handlungsstrukturen auf der individuellen Raumebene in den Meso-Raum ein und prägen den ‚Habitus des Stadtquartiers‘ grundlegend. Daraus resultierend ergeben sich vielschichtige Interdependenzen, die deutlich machen, dass der Raum sowohl ein Produkt des jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses ist, als auch spezifische Handlungs-, Interaktions- und Verhaltensmuster der Bewohner bestimmt und hervorbringt.
5 METHODISCHES DESIGN DER ARBEIT In Anlehnung an Musterd (2003) ist festzuhalten: „there are many ways one can go about testing the relationship between levels of social and/or ethnic segregation in certain neighbourhoods and the social integration of those living there“ (ebd.: 629).
Auch der in den vorangegangenen Kapiteln diskutierte Zusammenhang von räumlicher Segregation und sozialer Integration lässt dies vermuten. Denn sowohl die Komplexität des Untersuchungsgegenstandes in Bezug auf die verschiedenen zu betrachtenden räumlichen Ebenen, als auch die Dynamik und die Mehrdimensionalität der zu untersuchenden individualistischen sowie kollektiven Prozesse der Sozialintegration sind nicht mit einem einzelnen Untersuchungsinstrument umfassend empirisch zu analysieren. Insofern wurde ein breiterer methodischer Zugang gewählt, der sowohl quantitative als auch qualitative Untersuchungsmethoden beinhaltet. Darüber hinaus verweisen Friedrichs et al. (2003) auf zwei Formen methodischer Ansätze, die insbesondere bei der Untersuchung von Nachbarschaftseffekten zur Anwendung kommen: raumbezogene Fallstudien und nichtexperimentelle statistische Längsschnittanalysen. Die vorliegende Analyse stützt sich auf den ersten methodischen Ansatz – raumbezogene Fallstudien – in dessen Mittelpunkt eine standardisierte schriftliche Haushaltsbefragung in insgesamt drei sozioökonomisch heterogen strukturierten Stadtquartieren steht. Darüber hinaus umrahmen qualitative Folgeinterviews mit Bewohnern und Expertengespräche mit lokalen Akteuren aus Wohnungspolitik und Stadtentwicklungsplanung, kommunalen Verwaltungen, Universitäten und lokalen Institutionen die erhobenen Daten. Das folgende Kapitel wird die Operationalisierung des Makro-Meso-MikroModells räumlicher Segregation und sozialer Integration erläutern, das angewandte methodische Instrumentarium detaillierter beschreiben, die Auswahl der Fallstudien begründen und eine kritische Reflexion der Methodik vornehmen. 5.1 OPERATIONALISIERUNG VON RÄUMLICHER SEGREGATION UND SOZIALER INTEGRATION Die Analyse des gesellschaftlichen Raums sieht sich mit unterschiedlichen Skalenniveaus konfrontiert, die jeweils eigene Wirkungszusammenhänge zwischen räumlich-materiellen Strukturen und gesellschaftlichen Verhältnissen haben (siehe u.a. Läpple 1991). Basierend auf den theoretischen Überlegungen in Kapitel 4 und in Anlehnung an Dangschat (1996) kann das Konstrukt ‚Raum‘ in einer sozialwissenschaftlichen Theorie unterschiedlich verortet werden: als Mikro-, Meso- und Makroraum. Da jedem Stadtquartier die räumliche Wirkung dieser drei Ebenen
5.1 Operationalisierung von räumlicher Segregation und sozialer Integration
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anhaftet, reicht es laut Dangschat (1996) für eine empirische Analyse raumbezogener sozialer Phänomene nicht aus, den Ort anhand seines Erscheinungsbildes zu typologisieren. Vielmehr muss bei der Analyse eines Ortes bzw. einer Fallstudie nicht nur der Gleichzeitigkeit der drei Raumhorizonte Rechnung getragen werden, sondern diese müssen aufeinander bezogen und konzeptuell verflochten werden. Erst dann können Rückschlüsse auf die sozialen Praktiken und Beziehungen eines gesellschaftlichen Raumes gezogen werden. 5.1.1 Der Makro-Raum Wie in Kapitel 4 hergeleitet, ist der ‚Makro-Raum‘ die Raumebene, auf der die Produktion von Raum über ökonomische, handlungs- und verhaltensorientiere sowie politisch-regulative Kräfte stattfindet. In der vorliegenden Forschungsarbeit bezieht sich diese Analyseebene auf die Gesamtstadt Santiago de Chile, die sich aus den 32 Kommunen der Provinz Santiago sowie der Kommune Puente Alto (Provinz Cordillera) und der Kommune San Bernardo (Provinz Maipo) zusammensetzt. Innerhalb dieses Raumniveaus bildet die Diskussion der Produktion von räumlichen Segregationsmustern unter Berücksichtigung ökonomischer, handlungs- und verhaltensorientierter und politisch-regulativer Faktoren den Kern der Analyse. Ziel dieser Analyse ist die Identifikation dynamischer Stadtquartiere, in denen sich die sozioökonomische Zusammensetzung der Bevölkerungsgruppen in dem Zeitraum von 1992 bis 2002 signifikant verändert hat und eine räumliche Nähe verschiedener sozialer Gruppen zu beobachten ist. Aus methodischer Sicht stehen hier sekundärstatistische Datenquellen im Vordergrund, insbesondere amtliche Statistiken wie die Zensusdaten von 1992 und 2002 des Instituto Nacional de Estadísticas (INE) und halbamtliche Statistiken des Observatorio Habitacional14 des MINVU. Räumliche Segregationstendenzen werden in diesem Rahmen nicht über Segregationsindizes operationalisiert, da die Vergleichbarkeit über verschiedene Zeitschnitte, gegenüber verschiedenen Raumeinheiten und gegenüber der jeweiligen sozialen Gruppe15, mit Problemen16 behaftet ist (Dangschat 2004, siehe auch 14 Das Observatorio Habitacional ist eine Internetplattform des MINVU, auf der verschiedene Informationen und Indikatoren des Wohnungsbau- und Wohnungsmarktsektors erfasst und analysiert werden. Dadurch erleichtert es die technische Unterstützung, Konzeption und Umsetzung öffentlicher Städtebau- und Wohnungspolitik (siehe auch www.observatoriohabitacional.cl). 15 Eine kleinere soziale Gruppe wird relativ gesehen immer stärker räumlich konzentriert wohnen, insbesondere bzgl. der Segregationsmerkmale Nationalität und Ethnie, weil die Zuwanderer auf die räumlich engen Netzwerke angewiesen sind und kleinere Gruppen daher eine geringe Zahl an räumlichen Clustern ausbilden. 16 Laut Janssen (2004) sind Segregationsindizes mit folgenden Problemen behaftet: (a) sie erfassen nicht das jeweilige Muster der Segregation; (b) sie liefern nur eine Zustandsbeschreibung und keine Information zu dem Prozess; (c) die Höhe eines Indexwertes liefert keine Aussage zur räumlichen Entfernung der Bevölkerungsgruppen; (d) sie sind rein deskriptiv und erlau-
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5 Methodisches Design der Arbeit
Cortese et al. 1976, Friedrichs 1977, Janssen 2004). So gilt aus mathematischen Gründen: Je kleiner die räumlichen Einheiten sind, desto eher sind sie homogen, d.h. umso höher sind die daraufhin gebildeten Segregationswerte17. Hinzu kommt, dass die zu vergleichenden Raumeinheiten nicht gleich groß sind. Da die Segregationsindizes laut Dangschat (2004) „weder theoretisch noch praktisch von hoher Bedeutung“ (ebd.: 55) sind, wird bei der Analyse die kartographische Darstellung der Konzentration sozialer Gruppen bevorzugt. Diese wird nicht nur als aussagekräftiger und anschaulicher erachtet, sondern kann auch im Vergleich über verschiedene Zeitpunkte hinweg (1992 und 2002) eine geeignete Aussage zur räumlichen Veränderung der Verteilung der Bewohnergruppen liefern. Die räumliche Segregationsanalyse betrachtet sozioökonomische Bevölkerungsgruppen, denn demographische und ethnisch-religiöse residenzielle Segregation spielt in Santiago de Chile eine untergeordnete Rolle (siehe auch Rodríguez 2001, Sabatini et al. 2010b). Da jedoch in der amtlichen Statistik (Zensus) die Einkommensverhältnisse nicht registriert sind, wird die Identifizierung der sozioökonomischen Bevölkerungsgruppen in Anlehnung an die vor Ort genutzten Gruppeneinteilungen vorgenommen. Insgesamt werden fünf sozioökonomische Gruppen18 auf Basis von zehn wichtigen Haushaltsgütern und dem Bildungsniveau des Haushaltsvorstandes identifiziert. Die Berechnung der fünf sozioökonomischen Gruppen erfolgt in Anlehnung an die Methodologie von Sabatini et al. (2010b). Diese sozioökonomischen Gruppen stellen nicht nur eine wichtige Grundlage für das Aufzeigen der Veränderung der sozioökonomischen Zusammensetzung der einzelnen Kommunen in Santiago de Chile dar, sondern auch für die Bestimmung der Fallstudien (siehe Kapitel 5.4). 5.1.2 Der Meso-Raum Wie in Kapitel 4 erläutert, ist der ‚Meso-Raum‘ die Raumebene, in der sich individuelle und kollektive Handlungen abspielen und in der räumliche Interaktionen unterschiedlicher sozioökonomischer Gruppen zu beobachten sind. Es ist der gelebte Raum, der durch Wahrnehmung und Kognition einzelner sozialer Gruppen geprägt ist, die den Raum selektiv nutzen (Dangschat 1996). Es ist die Raumebene kollektiver Sozialintegration, die, wie in Kapitel 4 beschrieben, durch kommunikativ-interaktive, partizipativ-assoziative und expressiv-kulturelle Formen gekennzeichnet ist. Die Operationalisierung der einzelnen Formen von Sozialintegration auf Meso-Ebene soll hier kurz vorgestellt werden. Die kommunikativ-interaktive Form der Sozialintegration beschreibt zum einen die lebensweltlichen Aktionsräume der sozialen Gruppen und zum anderen ben keine Aussagen zur Signifikanz der Ergebnisse und (e) die Höhe der Indexwerte wird beeinflusst durch die Größe der Teilgebiete und der Größe der Bevölkerungsgruppen. 17 Untersuchungsergebnisse von Sabatini (2004) belegen diese Aussage für Santiago de Chile. 18 Die fünf sozioökonomischen Gruppen lauten: ABC1 – Oberschicht; C2 – Mittelschicht; C3 – untere Mittelschicht; D – Unterschicht und E – prekäre Unterschicht.
5.1 Operationalisierung von räumlicher Segregation und sozialer Integration
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die Intergruppenbeziehungen mittels sozialer Netzwerke. Die lebensweltlichen Aktionsräume der fünf sozioökonomischen Gruppen werden mit Hilfe der standardisierten Haushaltsbefragung (siehe Kapitel 5.2) ermittelt. Unter dem Aktionsraum einer Person wird hier in Anlehnung an Dangschat et al. (1982) „die Menge jener Orte, die die Person innerhalb eines bestimmten Zeitabschnittes zur Ausübung bestimmter Aktivitäten aufsucht“ (ebd.: 4)
verstanden. Das generelle Ziel dieser Analyse besteht in der Beschreibung und Erklärung raumbezogenen Verhaltens (siehe u.a. Dangschat et al. 1982), indem die Orte, an denen sich die Bewohner (stellvertretend für eine sozioökonomische Gruppe) in der jeweiligen Fallstudie häufiger aufhalten, räumlich abgebildet werden. Dafür wurde ein Kartenausschnitt der jeweiligen Fallstudie in den Fragebogen integriert, auf dem die befragten Bewohner die von ihnen am häufigsten frequentierten Standorte mit Nummern eintragen sollten. Unterstützt wurden die numerischen Eintragungen durch die folgenden anleitenden Fragen:
Wo befinden sich kommerzielle Einrichtungen (z.B. Supermarkt, Markt, Videothek, Friseur, Restaurant etc.), die Sie häufig frequentieren? Wo befinden sich Grünflächen oder öffentliche Plätze, die Sie häufig nutzen? Wo wohnen ihre Freunde oder Familienangehörige, die Sie häufig besuchen? Wo befindet sich die Haltestelle des ÖPNV, den Sie häufig nutzen? Wo befinden sich Sportanlagen, kulturelle oder religiöse Einrichtungen, zu denen Sie häufig hingehen?
Anhand der in der Karte markierten Eintragungen konnte eine Punktwolke ermittelt werden. Durch das Verbinden der äußersten Punkte mittels einer Linie ergab sich eine Fläche, die den Aktionsraum der jeweiligen Person darstellt. Dieses Vorgehen hat den Nachteil, dass der jeweilige Aktionsraum auch Gebiete enthält, die die Person nie aufgesucht hat, bzw. die nicht zu ihrem subjektiven Stadtplan gehören (Friedrichs 1977). Wissend, dass dieses Vorgehen nicht den realen Aktionsraum des Befragten abbildet, kann er dennoch einen Aufschluss zu gruppenspezifischen Auswirkungen der räumlichen Konzentration von Gelegenheiten geben und hinsichtlich seiner Größe und sozioökonomischen Heterogenität analysiert werden. In Verbindung mit demographischen Daten der Befragten können Schlussfolgerungen über den jeweiligen Aktionsraum unterschiedlicher sozioökonomischer Gruppen getroffen werden. Die jeweiligen Intergruppenbeziehungen wurden mittels einer egozentrierten Netzwerkanalyse19 ermittelt. Ein wesentlicher Vorteil dieser Form von Netzwerk19 Dem Konzept des egozentrierten Netzwerks steht das Konzept des Gesamtnetzwerks gegenüber. Darunter wird die Menge der sozialen Beziehungen aller Personen (oder anderer Einheiten) einer bestimmten Gruppe verstanden (Wolf 2006). Egozentrierte Netzwerkanalysen zählen zu den partiellen Netzwerken, denn sie fokussieren auf einzelne ausgewählte Beziehungstypen aus der Gesamtmenge der möglichen Beziehungsarten eines Gesamtnetzwerkes (Gerich und Lehner 2003). Zu den Unterschieden zwischen egozentrierten und Gesamtnetzwerken kann bei Gerich und Lehner (2003) nachgelesen werden.
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5 Methodisches Design der Arbeit
analyse besteht darin, dass zur Erhebung und Auswertung egozentrierter Netzwerkdaten traditionelle Methoden, wie beispielsweise die standardisierte Befragung, angewendet werden können (Gerich und Lehner 2003, Jansen 2003, Wolf 1993). Laut Jansen (2003) ist die egozentrierte Netzwerkanalyse für Forschungsfragen geeignet, „in denen es um Ausmaß, Typus und Folgen der (Des-)Integration von Akteuren in ihre soziale Umwelt geht“ (ebd.: 65),
so dass diese Analyseform als geeignet erscheint. Bei der methodischen Herangehensweise werden direkte Angaben zu Egos Person und indirekte Aussagen über Egos Netzwerkpersonen (den Alteri) erhoben. Folglich handelt es sich bei den Angaben über die Alteri um Proxydaten (siehe auch Gerich und Lehner 2003), die mehr oder weniger starke Reliabilitätsprobleme (siehe u.a. Pfenning et al. 1991) in Abhängigkeit von der Art der Angaben hervorrufen. Ein weiteres Merkmal dieser Art von Netzwerk sind die immer realisierten Netzwerkbeziehungen zwischen Ego und seinen Alteri, da Ego per Definition zu allen Netzwerkmitgliedern eine direkte Beziehung aufweist. Damit geht einher, dass die Richtung der Beziehung immer eindimensional ist und die Reziprozität der Beziehung nur eingeschränkt analysiert werden kann. Zur Erfassung der Netzwerkstruktur werden Namensgeneratoren20 (Fragen nach Personen, mit denen die befragte Person in Beziehung steht) und Namensinterpretatoren (Fragen zu Eigenschaften der Alteri und zur Beziehung zwischen Ego und Alter) verwendet (Wolf 2006, Gerich und Lehner 2003, Jansen 2003). Da das Netzwerkkonzept sich zunächst auf die formale Struktur der sozialen Beziehungen (z.B. die Größe der Netzwerke, die Häufigkeit des Kontaktes oder die räumlichen Distanzen zwischen den Netzwerkmitgliedern) bezieht, können noch keine Rückschlüsse auf die jeweiligen Formen der sozialen Unterstützung bzw. die Leistungen dieser Beziehungen getroffen werden. Aus diesem Grunde wird in der vorliegende Forschungsarbeit mit dem Rollenansatz21 gearbeitet, in dem zunächst die Rollenbeziehung im Verhältnis zur Befragungsperson im Vordergrund (z.B. Verwandte, Freunde, Nachbarn, Kollegen) steht. Zu diesen Personen wurden sozialstrukturelle Merkmale ermittelt und im Anschluss daran die erbrachten Unterstützungsleistungen der Kontaktpersonen erfragt, die auf materielle, praktische und emotionale Unterstützungsleistungen verweisen (siehe auch Hollstein 2001). 20 Der hier verwendete Namensgenerator lehnt sich an den von Ronald Burt (1984) vorgeschlagenen Generator für den ‚General Social Survey‘ 1985 an und lautet wie folgt: „Im Folgenden würden wir gern mehr über Ihre persönlichen Kontakte erfahren. Um Ihnen die Beantwortung der folgenden Fragen zu erleichtern, würden wir Sie bitten, die Initialen der vier Personen aus Ihrer Kommune zu nennen, mit denen Sie am häufigsten Kontakt haben (unabhängig vom Motiv), die aber nicht in Ihrem eigenen Haushalt leben“. 21 Ein anderer Ansatz ist der Austausch-Ansatz (‚exchange network approach‘), in dem es primär um verschiedene Funktionen oder Inhalte von Beziehungen geht. Hierzu gehört die Frage, welche Funktionen von welchen Netzwerkmitgliedern übernommen werden und ob es sich um einen wechselseitigen Austausch handelt (Hollstein 2001).
5.1 Operationalisierung von räumlicher Segregation und sozialer Integration
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Um das soziale Netzwerk Egos genauer beschreiben zu können, sind für alle der genannten Netzwerkpersonen verschiedene Namensinterpretatoren zur Anwendung gekommen. Aussagen zur Beziehungsstärke zwischen Ego und Alter werden über die Art der Beziehung, die räumliche Nähe, die Häufigkeit des Kontakts und die Bekanntschaftsdauer getroffen. Ein wichtiger Indikator für den Kontakt zu Personen einer anderen sozioökonomischen Schicht bzw. für die Ähnlichkeit der Netzwerkpersonen hinsichtlich ihrer sozioökonomischen Schicht bildet der Grad der Homophilie (Wolf 1996). Zusätzlich sind auch die Beziehungen der Alteri untereinander von Interesse, denn sie stellen ein wichtiges Merkmal für die Berechnung der Netzwerkdichte dar. Hierzu wird ganz allgemein gefragt, ob bzw. welche Alteri sich kennen. Das Ausmaß der Beziehungsstärke wird an dieser Stelle nicht vertieft. Die partizipativ-assoziative Form der Sozialintegration beschreibt die aktive Teilnahme der unterschiedlichen sozialen Gruppen an formalen (z.B. Mitgliedschaft in Vereinen) und informellen Beteiligungsprozessen (z.B. Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen). Entscheidend für die formulierte Fragestellung ist einerseits der Grad der partizipativen Sozialintegration sowie andererseits die Möglichkeit, an dem Ort der stattfindenden Aktivitäten auf andere sozioökonomische Gruppen zu treffen. So wird zunächst gefragt, ob, wie oft und an welchen formalen kommunalen Veranstaltungen die Bewohner teilnehmen, sowie ob und welches kulturelle Angebot von den Haushaltsmitgliedern genutzt wird. Anschließend ist von besonderem Interesse, ob sich durch die formalen und informellen Beteiligungsstrukturen Möglichkeiten des Intergruppenkontaktes (mit Bewohnern einer anderen sozioökonomischen Schicht) ergeben und ob der Intergruppenkontakt weiter vertieft werden konnte. Die expressiv-kulturelle Form der Sozialintegration beschreibt die Anerkennung und Bereitschaft zur räumlichen Nähe unterschiedlicher sozioökonomischer Statusgruppen. Für die Operationalisierung dieser Form von Sozialintegration wurde die Akzeptanz anderer sozioökonomischer Statusgruppen, die Wahrnehmung und Veränderung der sozioökonomischen Durchmischung auf zwei räumlichen Ebenen untersucht: a) direkte Nähe (Blockebene) und b) indirekte Nähe (Stadtviertelebene). 5.1.3 Der Mikro-Raum Der Mikro-Raum ist die Raumebene in dessen Mittelpunkt das Individuum mit seinen Erfahrungen (Wahrnehmungen, Befindlichkeiten, Einstellungen, Bewertungen) steht. Da der Meso- und Makro-Raum auf individueller Ebene unterschiedlich wahrgenommen werden, sind vielfältige Raumerfahrungen zu vermuten, die wiederum elementare Auswirkungen auf die Formen der Sozialintegration erwarten lassen (siehe Kapitel 4). Auf dieser Ebene sind zwei Formen von Sozialintegration identifizierbar: identifikativ-funktionelle und affektiv-moralische. Die identifikativ-funktionelle Form der Sozialintegration wird – wie in Kapitel 4 beschrieben – als die Identifikation eines Individuums mit seinem Stadtquar-
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5 Methodisches Design der Arbeit
tier definiert. Das Individuum generiert eine gedankliche und emotionale Beziehung zu seinem Stadtquartier, die durch ausgeprägte Gefühle der Solidarität und Werteanerkennung begünstigt wird. Diese starke emotionale Verbindung zwischen dem Individuum und seinem Wohnort spiegelt die emotionale Ortsbindung und die lokale Identifikation wieder. Der Ort wird zu einem Teil des Individuums und es entsteht eine hohe „Affinität zwischen dem Menschen und seiner Lebenswelt“ (Reuber 1993: 120). Somit wird zu Beginn die Frage nach dem Wohlfühlen am Wohnstandort ganz allgemein aufgegriffen. Als Indikatoren für die soziale und emotionale Identifikation mit dem Stadtquartier wird die Verbundenheit der Bewohner mit der Entwicklung des Wohnumfeldes sowie der Wandel des Engagements der Bewohner für das Wohnumfeld auf zwei räumlichen Ebenen (Blockebene und Stadtquartiersebene) erhoben. Des Weiteren wird nach der Intensität und dem Wandel der Solidarität in der direkten Nachbarschaft und im Stadtquartier gefragt. Zusätzlich wird in beiden Fällen (Verbundenheit und Solidarität) versucht, die möglichen Gründe für einen Wandel bzw. die Veränderung aufzudecken. Das Engagement für die Quartiersentwicklung steht auch in engem Zusammenhang mit der Ortsbindung und Identifikation. Es wird folglich nach einer hypothetischen und einer tatsächlichen Bereitschaft zur Wohnumfeldverbesserung gefragt. Die affektiv-moralische Form der Sozialintegration setzt sich mit der Rolle des interpersonellen Vertrauens in Intergruppenbeziehungen auseinander. Interpersonelles Vertrauen bezieht sich hier ganz allgemein auf die andere Person oder Gruppe, der vertraut wird. In Kapitel 4 wurde erläutert, dass direkter bindender Kontakt zu anderen eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung einer allumfassenden Identität und von interpersonellem Vertrauen über Gruppengrenzen hinweg ist (Stolle et al. 2008). Entsprechend können soziale Interaktionen in durchmischten Stadtquartieren die Generierung interpersonellen Vertrauens positiv fördern. Stolle et al. (2008) kommen zu der Erkenntnis, dass diejenigen Bewohner, die in durchmischten Stadtquartieren leben und mit ihren Nachbarn regelmäßig sprechen, mehr Vertrauen generieren, als diejenigen, die keinen Kontakt zu ihren Nachbarn pflegen. Daher wird zunächst allgemein nach den Nachbarschaftsbeziehungen und deren Qualität gefragt. Anschließend wird der Grad des interpersonellen Vertrauens über die Indikatoren ‚Schlüssel hinterlegen‘, ‚auf Kinder aufpassen‘ und ‚Geld borgen‘ erhoben. Weitere Aspekte affektiv-moralischer Sozialintegration sind die Veränderung des interpersonellen Vertrauens in Abhängigkeit der Wohndauer, die Diskriminierung durch Bewohner in der Nachbarschaft und das allgemeine Sicherheitsgefühl im Stadtquartier. 5.1.4 Methodisches Analyseverfahren Unter Berücksichtigung des theoretischen Erklärungsmodells werden die fünf Formen der Sozialintegration der Meso- und Mikro-Ebene in drei Kategorien untergliedert, die eine Rangfolge bilden: starkes, mittleres und schwaches Integrationspotenzial. Um den Einfluss sozialer (Einkommen), räumlicher (Heterogenität
5.1 Operationalisierung von räumlicher Segregation und sozialer Integration
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den Aktionsraumes) und zeitlicher (Wohndauer) Dimensionen auf die fünf Formen der Sozialintegration zu prüfen, finden statistische Analyseverfahren für ordinal skalierte Variablen Anwendung. In einem ersten Schritt wird über die Berechnung der Rangkorrelation nach Somers’d, welche die Stärke des Zusammenhangs ordinal skalierter Variablen beschreibt, die Korrelation zwischen der jeweiligen Dimension der Sozialintegration und des sozialen, räumlichen und zeitlichen Einflussfaktors analysiert. Im Anschluss daran wird über die Berechnung einer ordinalen Regression geprüft, inwieweit einerseits ein Zusammenhang zwischen der abhängigen Variable (die jeweilige Dimension der Sozialintegration) und mehreren unabhängigen / erklärenden Variablen (Einkommen, Heterogenität des Aktionsraumes und Wohndauer) besteht und andererseits, inwieweit die unabhängigen Variablen zusammen in der Lage sind, die Dimension der Sozialintegration zu erklären22. Mögliche Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen unabhängigen / erklärenden Variablen werden hier nicht explizit in das Erklärungsmodell aufgenommen. 5.2 METHODISCHES INSTRUMENTARIUM I DIE STANDARDISIERTE BEFRAGUNG Die Erkenntnisse zum Zusammenhang von Segregation und Integration in Santiago de Chile basieren auf einer standardisierte Befragung von Bewohnern unterschiedlicher sozioökonomischer Gruppen in heterogen strukturierten Stadtquartieren. Um die verschiedenen Formen der Sozialintegration (siehe Kapitel 4) abschätzen zu können, ist ein standardisierter Fragebogen (siehe Anhang A1) entwickelt worden, der sowohl sprachlich als auch kulturell hohen Ansprüchen unterliegt. In Anlehnung an die in Kapitel 5.1 vorgestellte Operationalisierung des Makro-Meso-Mikro-Modells der räumlichen Segregation und Sozialintegration gliedert sich der Fragebogen in sieben inhaltliche Komplexe:
Wohnbiographie, Wohnzufriedenheit und allgemeine Entwicklung des Stadtquartiers; lebensweltliche Aktionsräume und Einschätzung der sozioökonomischen Durchmischung; Nachbarschaftsbeziehungen und Nähe zu unterschiedlichen sozioökonomischen Gruppen; Solidarität, interpersonelles Vertrauen und soziales Engagement der Bewohner für ihr Wohnumfeld; soziale Kontakte und egozentrierte Netzwerkbeziehungen; Sicherheit im Stadtquartier und Partizipation an öffentlichen Veranstaltungen; demographische Variablen des Haushaltes.
22 Weitere Ausführungen zur ordinalen Regression finden sich bei Bühl und Zöfel (2005), sowie Gerpott und Mahmudova (2006). Allgemeine Informationen zur logistischen Regression geben Backhaus et al. (2006).
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5 Methodisches Design der Arbeit
Der Fragebogen kombiniert geschlossene Fragen mit offenen Fragen. Die offenen Fragen sind insbesondere im Zusammenhang mit der Einschätzung zur Veränderung der verschiedenen Formen der Sozialintegration eingesetzt worden. Darüber konnten qualitative Eindrücke zur zeitlichen Dimension der Sozialintegration gewonnen werden. Der eigentlichen Befragung ging ein Pretest voraus, aus dessen Erkenntnissen heraus letzte Änderungen in die endgültige Version des Fragebogens einflossen. Als Grundgesamtheit gelten alle im Zensus 2002 registrierten Haushalte innerhalb der drei abgegrenzten Untersuchungsgebiete (siehe dazu Kapitel 5.4). Aufgrund der hohen Grundgesamtheit wird aus finanziellen und zeitlichen Limitierungen nur eine Teilmenge der Grundgesamtheit untersucht. In einem ersten Schritt wird die angestrebte Stichprobe für jedes Untersuchungsgebiet in Abhängigkeit von der Grundgesamtheit ausgewählt. Anschließend wird über eine geschichtete Zufallsstichprobe, in der die Haushalte der Grundgesamtheit in die fünf sozioökonomischen Gruppen unterteilt wird, die prozentuale Verteilung der Schichten in der Grundgesamtheit ermittelt (siehe Tabelle 1) und mittels einer einfachen Zufallsstichprobe die zu befragenden Haushalte festgelegt. Diese werden so gewählt, dass sie den Anteilen der Schichten der Grundgesamtheit entsprechen. Tabelle 1: Befragungsstatistik, Stichprobe und Rücklaufquote in den Untersuchungsgebieten
Geschätzte Haushalte Gesamt *
Peñalolén 8.11. - 26.11.2008 17.3. - 3.4.2009 18.001
Lo Barnechea 8.11. - 26.11. 2008 16.474
Huechuraba 8.11. - 26.11. 2008 8.332
ABC1 – Oberschicht C2 – Mittelschicht C3 – untere Mittelschicht D – Unterschicht E – prekäre Unterschicht Ermittelte Stichprobe Gesamt** Erreichte Haushalte Ausgefüllte Fragebögen Rücklaufquote Erfasste Haushalte
14,6% 13,5% 17,9% 40,8% 13,1% 376 275 232 61,7% 1,3%
31,3% 17,0% 16,6% 27,9% 7,4% 375 263 207 55,2% 1,3%
27,8% 27,0% 23,2% 17,7% 2,6% 367 251 207 56,4% 2,5%
Befragungszeitraum
* nach INE (2002) ** bei Konfidenzniveau von 95% und Konfidenzintervall von 5%
Die Befragung wurde in allen drei Untersuchungsgebieten mündlich durchgeführt. Es wurde immer eine Person aus dem jeweiligen Haushalt befragt, die dem Haushalt angehörte (wohnhaft) und volljährig (mind. 18 Jahre) war. Somit konnten alle Altersgruppen in die Befragung einbezogen werden. Die Rücklaufquote lag in allen drei Untersuchungsgebieten bei 55% bis 62%, was als zufriedenstellend gelten kann. Gleichwohl ist auf die hohe Zahl von Verweigerungen zu verweisen. Aus Gesprächen mit Kollegen in Chile und durch die eigenen Erfahrungen vor Ort wurde deutlich, dass insbesondere die oberen sozioökonomischen Gruppen die
5.2 Die standardisierte Befragung
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Teilnahme an der mündlichen Befragung ablehnen oder bestimmte Aussagen, z.B. zum Haushaltseinkommen verweigern. Durch mehrfaches Insistieren oder Ausweichen auf andere Wohnhäuser konnte dennoch eine gute Repräsentativität aller sozioökonomischen Gruppen erreicht werden (siehe auch Kapitel 5.5). 5.3 METHODISCHES INSTRUMENTARIUM II DIE QUALITATIVEN INTERVIEWS Die standardisierte Haushaltsbefragung wurde durch qualitative teilstandardisierte Leitfadengespräche ergänzt. Sie dienten einerseits der Exploration und Systematisierung vorwissenschaftlichen Verständnisses und andererseits als Ergänzung und Vertiefung der standardisierten Befragung. Im ersten Fall wurden Expertengespräche durchgeführt mit dem Ziel zusätzliche Hintergrundinformationen und Einschätzungen zu den Themen, wie z.B. aktuelle Entwicklungen in Bezug auf Prozesse der Segregation und Integration, Verständnis von Sozialintegration in der Stadtentwicklungspolitik, Auswirkungen räumlicher Nähe unterschiedlicher sozioökonomischer Gruppen, sowie Abschätzung der zukünftigen Entwicklung in Santiago de Chile zu gewinnen. Die ausgewählten Experten (siehe Tabelle 2) gehören lokalen Hochschul- und Forschungseinrichtungen, Stadtverwaltungen, der Stadtentwicklungspolitik, Vereinen, Schulen und kirchlichen Institutionen an. Tabelle 2: Informationen zu Expertengesprächen Experte E1 E2 E3 E4 E5 E6 E7 E8 E9 E10 E11 E12 E13 E14 E15 E16 E17 E18 E19
Institution Leiter der NGO Sur Corp. Estudios Sociales y Educación Abgeordneter der PS RM; Mitglied der Comisión de Vivienda y Desarrollo Urbano de la Cámara de Diputados Leiter des Desarrollo Comunitario der Stadtverwaltung Huechuraba Bürgermeisterin der Stadtverwaltung Huechuraba Leiter der NGO Cordillera Anthropologin der Universidad Academia de Humanismo Cristiano Soziologe der Pontificia Universidad Católica Rechtsanwalt Soziologe der Pontificia Universidad Católica Koordinatorin des Programa de Políticas Urbanas y de Suelo Junta de Vecinos Lo Ermita in Lo Barnechea Schuldirektor Colegio Alcántara in Peñalolén Leiter der División de Desarrollo Urbano, MINVU Geografin der Universität Duisburg Essen Soziologe der Pontificia Universidad Católica Leiter des Desarrollo Comunitario der Stadtverwaltung Lo Barnechea Junta de Vecinos Cerro 18 in Lo Barnechea Architektin der Universidad de Chile Diakon Kirche Santa Rosa de Lo Barnechea
Datum 19.11.2008 26.03.2009 07.04.2009 07.04.2009 23.10.2008 19.03.2009 28.10.2008 29.10.2008 03.04.2009 03.04.2009 24.11.2008 18.11.2008 04.11.2008 31.10.2008 27.03.2009 05.11.2008 24.11.2008 17.11.2008 24.11.2008
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5 Methodisches Design der Arbeit
Insgesamt wurden 19 Experteninterviews im Oktober / November 2008 und März / April 2009 durchgeführt. Die Experten wurden durch ein offizielles Anschreiben kontaktiert, indem um ein 40-minütiges Interview zu den genannten Forschungsthemen gebeten wurde. Alle Interviews wurden auf Tonband mitgeschnitten und anschließend von Muttersprachlerinnen transkribiert. Im zweiten Falle handelte es sich um Tiefeninterviews mit Bewohnern, die zuvor an der standardisierten Befragung teilgenommen hatten und dort ihr Interesse an einem vertiefenden Interview bekundet hatten. Eigens dafür wurde am Ende des standardisierten Fragebogens Name, Anschrift, Telefonnummer und / oder Email – bei Interesse für ein weiteres Gespräch – erfragt. Insgesamt waren rund 200 Bewohner an einem weiteren Tiefeninterview interessiert, die sich allerdings sehr unterschiedlich über die drei Untersuchungsgebiete verteilten: 42% in Huechuraba, 33% in Lo Barnechea und 21% in Peñalolén. Die tatsächliche Bereitschaft zu einem Interview war innerhalb der Untersuchungsgebiete sehr unterschiedlich. In Huechuraba konnten acht Interviews, in Lo Barnechea sechs Interviews und in Peñalolén fünf Interviews realisiert werden. Die Interviewführung basierte auf einem semi-strukturierten Leitfaden, der speziell auf die Vertiefung der verschiedenen Formen der Sozialintegration fokussierte. Darüber hinaus zielten die Gespräche auf die Wahrnehmung und Akzeptanz räumlicher Nähe unterschiedlicher sozioökonomischer Gruppen im Untersuchungsgebiet, Kontaktmöglichkeiten zu anderen sozioökonomischen Gruppen, Charakterisierung des Kontaktes sowie die Frage, ob Kontaktchancen ein soziokulturelles Thema sind oder eine politische Aufgabe. Die semi-strukturierten Fragen wurden durch ad-hoc Fragen ergänzt, die sich im Gesprächsverlauf ergaben. Damit bestand die Möglichkeit, auch Themen aufzunehmen, die durch den Fragebogen kaum Berücksichtigung fanden. In diesem Zusammenhang verschoben sich die inhaltlichen Schwerpunkte leicht. Die Gesprächsdauer schwankte zwischen 20 und 50 Minuten, ganz in Abhängigkeit von der persönlichen Bereitschaft zum Gespräch. Alle Gespräche wurden auf Tonband mitgeschnitten und durch Muttersprachlerinnen transkribiert. 5.4 AUSWAHL DER UNTERSUCHUNGSGEBIETE, GEBIETSBESCHREIBUNG UND HISTORISCHE ENTWICKLUNG Ausgehend von den forschungsleitenden Fragen wurden insgesamt drei Untersuchungsgebiete in Santiago de Chile ausgewählt, die einem zweistufigen Auswahlverfahren unterlagen. Ziel der ersten Auswahlstufe war die Identifikation von Gemeinden innerhalb der Stadt Santiago de Chile, die einerseits eine starke Veränderung der sozioökonomischen Zusammensetzung der Bevölkerungsstruktur zwischen den beiden Zensusperioden 1992 und 2002 verzeichneten und sich andererseits durch die räumliche Nähe unterschiedlicher sozioökonomischer Gruppen auf Stadtquartiersebene auszeichneten. Dafür wurde zunächst die prozentuale Verteilung der sozioökonomischen Gruppen für alle 34 Gemeinden in Santiago de Chile für die Zensusperioden 1992 und 2002 errechnet. Insgesamt ließen sich auf
5.4 Auswahl und Beschreibung der Untersuchungsgebiete
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gesamtstädtischer Ebene kaum Veränderungen in der prozentualen Verteilung erkennen. Jedoch konnten auf kommunaler Ebene erhebliche Unterschiede in der Veränderung der sozioökonomischen Zusammensetzung der Bevölkerung beobachtet werden. So lagen die drei Untersuchungsgebiete in Gemeinden, die durch einen starken Zuwachs der Oberschicht (ABC1) bei gleichzeitigem Rückgang der Unterschicht (E und D) gekennzeichnet waren. Vor dem Hintergrund, dass sich die prozentuale Verteilung auf gesamtstädtischer Ebene kaum verändert hat, ließ die prozentuale Verschiebung auf kommunaler Ebene innerstädtische Wanderungsbewegungen vermuten, die eine tiefgreifende Veränderung der Bevölkerungsstruktur auf Stadtquartiersebene nach sich zog. Eine räumliche Nähe unterschiedlicher sozioökonomischer Gruppen war demnach an diesen Standorten zu erwarten. Mit Hilfe von Geographischen Informationssystemen (GIS) konnten die Zensusdaten auf kleinräumiger Ebene (Blockebene) kartographisch für die drei Gemeinden Lo Barnechea, Huechuraba und Peñalolén dargestellt werden. Als eine wichtige Grundlage für die Auswahl der Untersuchungsgebiete diente somit das aktuellste Kartenmaterial von 2002. Die zweite Auswahlstufe zielte auf die konkrete Abgrenzung der Untersuchungsgebiete. Ein entscheidendes Auswahlkriterium waren in diesem Zusammenhang Untersuchungsgebiete bereits vor Jahren realisierter Forschungsarbeiten23, die auf die Untersuchung der sozialen Auswirkungen räumlicher Nähe unterschiedlicher sozioökonomischer Gruppen fokussierten. Dieses Auswahlkriterium war für die zeitliche Dimension von Sozialintegration ausschlaggebend, da diese Forschungsarbeiten wichtiges empirisches Material lieferten, um ergänzende Aussagen zu der Dynamik von Sozialintegration – unter Beachtung der divergierenden methodischen Herangehensweisen – treffen zu können. Vor diesem Hintergrund, und gerade auch unter Berücksichtigung der ersten Auswahlstufe, wurden die folgenden Gebiete bestimmt (siehe Abbildung 3):
Huechuraba: das gleichnamige westlich gelegene Stadtquartier Huechuraba, Lo Barnechea: das gleichnamige zentral gelegene Stadtquartier Lo Barnechea und angrenzende Stadtteile La Dehesa und El Arrayán und Peñalolén: die zentral gelegenen Stadtquartiere Lo Hermida und Peñalolén Nuevo.
Nach der Auswahl der drei Untersuchungsgebiete fand eine Begehung vor Ort im Juni 2008 statt, um die kartographisch ermittelte räumliche Nähe unterschiedlicher sozioökonomischer Gruppen in situ zu überprüfen. Darüber hinaus wurde in Gesprächen mit chilenischen Kollegen die Auswahl der Untersuchungsgebiete 23 Für die Stadt Santiago de Chile stehen u.a. die Ergebnisse von Meyer-Kriesten und Bähr (2004) und MINVU (2009); speziell für die Gemeinde Huechuraba u.a. Sellés und Stambuk (2000), Salcedo und Torres (2004) sowie Marquez und Perez (2008); für die Gemeinde Lo Barnechea u.a. Campos und García (2002b, 2004); für die Gemeinde Penalolén u.a. Galleguillos Araya-Schübelin (2007) und Salcedo (2010).
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5 Methodisches Design der Arbeit
diskutiert und unterstützt. Um einen tieferen Einblick in die Charakteristika und Entwicklung der Untersuchungsgebiete zu erhalten, sollen diese kurz vorgestellt werden. Abbildung 3: Lage der Untersuchungsgebiete in Santiago de Chile
5.4 Auswahl und Beschreibung der Untersuchungsgebiete
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5.4.1 Das Untersuchungsgebiet Huechuraba Die Kommune Huechuraba befindet sich im Norden der Stadt Santiago de Chile, in ungefähr 10 km Entfernung zum Stadtzentrum. Sie grenzt an die Gemeinden Colina (Norden), Quilicura (Westen), Recoleta und Conchalí (Süden) sowie Lo Barnechea und Vitacura (Osten). Die Kommune hat eine Gesamtfläche von 4.532 ha, von denen mehr als 50% Gebirgsausläufer sind. Aufgrund der geologischen Beschaffenheit des Geländes ist die Kommune in zwei große Gebiete unterteilt – West und Ost – die durch ganz unterschiedliche Bodennutzungen charakterisiert sind. Der östliche Teil ist das historisch ältere Stadtgebiet. Der westliche Teil – das Untersuchungsgebiet – umfasst 507 ha von denen 143 ha Wohnnutzung und 139 ha industrielle Nutzung sind. Die industrielle Nutzung ist fast ausschließlich im südlichen Bereich, in der Nähe zur Ringautobahn Américo Vespucio, angesiedelt (Municipalidad de Huechuraba 2003). Die Gemeinde Huechuraba ist eine sehr junge Gemeinde. Sie entstand im März 1981 im Zuge der Gemeindereform durch das Dekret D.F.L. Nº 1–3.260 aus der Gemeinde Conchalí, die in die vier Gemeinden Recoleta, Independencia, Huechuraba und Conchalí unterteilt wurde. Doch erst zehn Jahre später – am 2. Juli 1991 – nahm die Gemeinde Huechuraba ihre administrative Arbeit am heutigen Standort auf (Municipalidad de Huechuraba 2003). Trotz ihrer relativ jungen Geschichte kann Huechuraba auf eine längere Entwicklung zurückblicken. Gleichwohl Huechuraba Ende der 1940er Jahre und Anfang der 1950er Jahre noch nicht zum urbanisierten Stadtgebiet zählte und sich überwiegend durch Agrarflächen auszeichnete, entstanden die ersten Siedlungen (‚villas‘) im östlichen Teil der Gemeinde aus gemeinschaftlichen Aktionen heraus (Garcés 1998). In den 1960er Jahren kamen zu den zahlreichen ‚villas‘ und Landbesetzungen (Villa Conchalí, Villa Barrero, Patria Nueva, Última Hora) weitere ‚poblaciones‘24 hinzu, die durch die öffentliche Wohnungsbaupolitik – insbesondere der ‚Operation Sitio‘25 – gezielt angelegt wurden (siehe auch Municipalidad de Huechuraba 24 Unter dem Begriff ‚poblaciones‘ werden in Chile allgemeinhin Marginalviertel oder Armenviertel gefasst, die darüber hinaus in ‚poblaciones Callampas‘ und ‚tomas de terrenos‘ unterschieden werden. Während die ‚poblaciones Callampas‘ meist durch eine individuelle Besetzung eines in der Stadt (noch) wertlosen Stück Landes (unter Autobahnbrücken, am Ufer von Flüssen, Abwasserkanälen etc.) charakterisiert werden, bezeichnen die ‚tomas de terrenos‘ die kollektive und organisierte illegale Besetzung von urbanem Land. Aber auch die in den 1980er und 1990er Jahre entstandenen Viertel des sozialen Wohnungsbaus werden häufig als ‚poblaciones‘ bezeichnet (Sperberg 2000). 25 In den 1960er Jahren versuchte der chilenische Staat, mit der sogenannten ‚operación sitio‘ das Wohnungsproblem ohne großen Kapitaleinsatz und aufbauend auf der Eigeninitiative der Bewohner einer Lösung zuzuführen. Im Rahmen dieses Programmes wurde von einer Wohnungsbaugesellschaft das Bauland lediglich in einfachster Weise erschlossen, parzelliert und an meist mittellose Berechtigte vergeben. Wenngleich das Programm auch positive Aspekte aufwies, wurden dadurch die Ausuferung der Stadt und die soziale Segregation weiter gefördert (Bähr 1976, Hidalgo 2004). Viele dieser Siedlungen konnten über die Jahre baulich konsolidiert werden, einige wurden abgerissen und durch Sozialwohnungen ersetzt, was laut Bähr und Meyer-Kriesten (2007) teilweise mit Umsiedlungen verbunden war.
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5 Methodisches Design der Arbeit
2003). Während der 1980er und 1990er Jahre wurden auch im westlichen Teil der Gemeinde Huechuraba neue ‚villas‘ gegründet, u.a. die im Untersuchungsgebiet gelegenen ‚Valle Verde‘, ‚Los Libertadores‘ und ‚Esperanza‘ (Garcés 1998). Diese Wohnsiedlungen für die Unterschicht und untere Mittelschicht unterschieden sich hinsichtlich ihrer baulichen Struktur und Entwicklung. Während ‚Villa Los Libertadores‘ und ‚Valle Verde‘ über staatliche Wohnungsbaupolitik urbanisiert und entwickelt wurden, entstand Villa Esperanza‘ in einem Kontext fehlender Entwicklungsmaßnahmen und Wohnungsbauregulierung. Die Grundstücke der ‚Villa Esperanza‘ waren zur Gründungszeit nicht in einen Bebauungsplan eingebunden. Die Bewohner selbst waren verantwortlich für den Wohnungsbau und den Ausbau der Infrastruktur (Trinkwasser, Strom, Asphaltierung der Straßen). Die ‚Villa Esperanza‘ ist noch heute durch eine sehr prekäre und heterogene Bebauungsstruktur gekennzeichnet, die sich in Form und Größe der Gebäude widerspiegelt (Garcés 1998, siehe auch Salcedo und Torres 2004a). Die ‚Villas Los Libertadores‘ und ‚Valle Verde‘ weisen dagegen eine strukturierte Planung und Entwicklung auf. Die reguläre Parzellierung, die zweistöckige, einheitliche Wohnbebauung, die asphaltierten Straßen sowie die öffentlichen Grünanlagen kennzeichnen daher die überwiegend homogene Struktur dieser Stadtviertel. Die drei ‚villas‘ repräsentieren innerhalb des Untersuchungsgebietes Huechuraba die drei unteren sozioökonomischen Bevölkerungsgruppen (E, D und C3) (INE 2002). Aufgrund der späten Gemeindegründung verfügte Huechuraba bis 1997 über keinen kommunalen Flächennutzungsplan (PRC), so dass alle Planungsaktivitäten dem übergeordneten Metropolitanen Flächennutzungsplan (PRMS) entsprechen mussten. Dies ist insofern von Bedeutung, da bis Ende der 1980er Jahre die Gesamtentwicklung der Stadt Santiago im PRMS in Richtung Süden begünstigt wurde. Doch seit Beginn der 1990er Jahre wurden aufgrund der räumlichen Nähe zum politischen und wirtschaftlichen Zentrum der Stadt Santiago und des bestehenden Freiflächen- und Baulandangebotes die nördlichen Gemeinden bevorzugt als Expansionsgebiete entwickelt. Ein erstes Zeichen wurde Mitte der 1980er Jahre gesetzt, indem der südlich an die Kommune angrenzende Autobahnring Américo Vespucio ausgebaut und somit eine wichtige Verkehrsverbindung zu den östlich gelegenen, wohlhabenden Gemeinden wie Vitacura und Las Condes geschaffen wurde. Der Ausbau dieser Verkehrsachse bildete seitdem einen entscheidenden Auslöser für zahlreiche Investitionen privater Immobilienfirmen, die seit Beginn der 1990er Jahre großflächige Immobilienprojekte in der Gemeinde entwickelten. Die zahlreichen Agrarflächen wurden als Bauland ausgewiesen, so dass zu Beginn der 1990er Jahre insgesamt 1.500 ha Bauland zur Verfügung standen (Municipalidad de Huechuraba 2003). Die Gemeinde Huechuraba begann sich in ein suburbanes Stadtgebiet zu verwandeln, weg von einer homogenen Struktur des sozialen Wohnungsbau und der ‚villas‘ hin zu einer heterogenen Struktur industrieller und gewerblicher Dienstleistungen sowie attraktiver Wohngebiete für obere Einkommensgruppen. Der Neubau großflächiger gehobener Wohnanlagen kennzeichnete insbesondere die westlich gelegenen Gebiete der Gemeinde und folglich auch die des Untersuchungsgebietes, in der sich seit den 1990er Jahren die bau-
5.4 Auswahl und Beschreibung der Untersuchungsgebiete
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lich-physische Struktur stark verändert hat. Die neue Wohnbebauung wurde meist großflächig geplant und ist in ihrer Struktur geschlossen, wie z.B. ‚El Carmen’, ,Santa Rosa‘, ,Santa Inés‘ oder ,Las Puertas‘ (siehe auch Sellés und Stambuk 2000). Diese Wohngebiete, die u.a. als „Neureichen-Condominio“ (Borsdorf 2000: 30) wohlhabender Jungfamilien bezeichnet werden, verfügen über großzügig geschnittene ein- bis zweigeschossige Wohngebäude mit Gartenanlagen sowie gemeinschaftlich genutzte Sport- und Freizeitanlagen und sonstige Dienstleistungen (Municipalidad de Huechuraba 2003). In einigen Fällen sind die neuen Wohnanlagen durch Mauern oder Zäune umgeben und mit privat finanzierten Sicherheitskräften oder -systemen ausgestattet, so dass sie nicht nur sozial homogene Inseln im Stadtgefüge bilden (siehe auch Borsdorf 2006), sondern sich auch qualitativ von den traditionellen Stadtstrukturen abheben. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die aktuelle Entwicklung von Huechuraba Bestandteil eines ständigen Expansionsprozesses der Stadt Santiago de Chile ist, der im Kontext des ökonomischen Wachstumsprozesses des Landes und dem Bevölkerungswachstum steht. Huechuraba und das Untersuchungsgebiet wachsen in Form von Enklaven mit unterschiedlichen Entwicklungshintergründen. Die bis Ende der 1980er Jahre dominierende Wohnbebauung unterer Einkommensgruppen wurde seit Anfang der 1990er Jahre massiv durch qualitativ hochwertige Wohnanlagen durchsetzt, so dass Huechuraba im Allgemeinen und das Untersuchungsgebiet im Speziellen heute durch eine sehr heterogene Stadtstruktur hinsichtlich des Wohnungsangebotes charakterisiert ist (prekäre Wohngebiete unterer Sozialschichten in räumlicher Nähe zu Einfamilienhäusern oberer Sozialschichten). Márquez und Pérez (2008) konstatieren dementsprechend, dass „Huechuraba […] a municipality [is] that was traditionally the home of economically deprived people. Only recently has it seen the emergence of new construction built specifically for the middle and upper-middle classes“ (ebd.: 1468).
Sowohl der quantitative Ausbau des Wohnungsbestandes wie auch die Veränderung der Sozialstruktur – speziell die sozioökonomischen Gruppen – spiegeln sich in der amtlichen Statistik wider. Während für Huechuraba im Zensus von 1992 noch 13.237 Wohneinheiten registriert wurden (17,8% mehr als 1982), war die Zahl im Zensus 2002 um 23,8% auf 16.386 Wohneinheiten angestiegen. Den Schwerpunkt dieser neuen Wohneinheiten bildeten Eigenheime. So wurden zwischen 1995 und 2007 insgesamt 14.704 Wohneinheiten angeboten, von denen 12.971 Eigenheime waren (www.observatoriohabitacional.cl). In engem Zusammenhang mit dem Anstieg des Wohnungsangebotes steht auch die Entwicklung der Einwohnerzahlen. Die Zahl der Einwohner in Huechuraba stieg zwischen 1992 und 2002 um 21,5% an (von 60.957 auf 74.070) (INE 1992, 2002). Im Untersuchungsgebiet lebten im Jahr 2002 rund 11,2% der Gesamtbevölkerung. Unter Berücksichtigung der Veränderung der Wohnungsmarktstruktur in Huechuraba hat sich auch die sozioökonomische Zusammensetzung der Bevölkerung stark verändert. Die noch 1992 gering vertretenen Ober- und Mittelschicht waren bis 2002 von 1,0% auf 8,9% (ABC1) und 8,2% auf 11,7% (C2) angestiegen. Sie nä-
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herten sich damit dem gesamtstädtischen Durchschnitt von 10,6% (ABC1) und 18,8% (C2) immer mehr an. Dagegen waren die Anteile der unteren Sozialschichten (D und E) zwischen 1992 und 2002 von 51,2% auf 43,4% (D) und 18,3% auf 14,9% (E) leicht gesunken. Ungeachtet dessen lagen sie noch weit über dem gesamtstädtischen Durchschnitt (D: 35,7% und E: 10,3%) (siehe auch MeyerKriesten und Bähr 2004). Die Zusammensetzung im Untersuchungsgebiet zeigt dagegen eine andere Situation, die in enger Beziehung zu der historischen Entwicklung des Gebietes steht. Die Oberschicht und Mittelschicht sind stärker vertreten als auf kommunaler Ebene, so dass sie mit 27,8% (ABC1) und 26,9% (C2) mehr als die Hälfte der Bewohner ausmachen. Dagegen sind die unteren Sozialschichten mit 17,7% (D) und 2,6% (E) unterdurchschnittlich vertreten. 5.4.2 Das Untersuchungsgebiet Lo Barnechea Das Untersuchungsgebiet Lo Barnechea gehört zu der gleichnamigen Gemeinde, die am Fuße der Anden im extremen Nordosten der Stadt Santiago de Chile liegt und sich nördlich des Flusses Mapocho erstreckt. Die Gesamtfläche der Gemeinde beträgt insgesamt 104.430 ha, die etwa 45,4% von der Provinz Santiago ausmachen und von denen sich nur 4.153 ha (~4%) unter der 1.000 m Höhenlinie befinden und somit zum städtischen Gemeindegebiet zählen (Municipalidad de Lo Barnechea 2004). Wie die Gemeinde Huechuraba wurde auch Lo Barnechea im März 1981 als Ergebnis der regionalen Gemeindereform gegründet. Sie entstand zusammen mit der Gemeinde Vitacura aus der Teilung der angrenzende Gemeinde Las Condes. Dessen ungeachtet verweist die Geschichte Lo Barnecheas auf einen langen Werdegang mit zahlreichen historischen Eckpunkten. Entscheidend für die vorliegende Forschungsarbeit ist jedoch die jüngere Geschichte. Noch bis 1954 zeichnete sich das Gebiet der Gemeinde Lo Barnechea durch überwiegend landwirtschaftliche Nutzungsstrukturen aus (Campos und García 2002b, 2004), die sich um den alten Dorfkern ‚Pueblo de Lo Barnechea‘ herum im ‚Valle La Dehesa‘ erstreckten. Die landwirtschaftlichen Aktivitäten führten dazu, dass einfache Bauern und Hirten in räumlicher Nähe zu den jeweiligen wohlhabenden Großgrundbesitzern lebten (ebd.). Über die Jahre hinweg hat sich das Gebiet um den alten Dorfkern stärker konsolidiert. Mit Beginn der 1970er Jahre wurde die Umnutzung und Parzellierung der Agrarflächen des ‚Valle La Dehesa‘ vorangetrieben, um diese in Form eines Gartenstadtmodells zu entwickeln. Hinzu kam, dass der PRMS von 1979 weite Teile der Stadt Santiago de Chile als Stadterweiterungsgebiete auswies, die u.a. auch die räumliche Entwicklung der Gemeinde Lo Barnechea, und insbesondere die des ‚Valle La Dehesa‘, betrafen. Neben der Ausweisung von Einfamilienhausgebieten wurden gleichzeitig Gebiete für den Sozialwohnungsbau festgelegt, die nicht nur die Wohnsituation für die lokale untere Sozialschicht verbesserten, sondern auch das allgemeine Wohnungsdefizit für Bewohner anderer Gemeinden lösen sollten. So wurde 1987 die ‚Villa Cerro 18‘ mit 1.541 Wohneinheiten gegründet, wo rund 3.000 bedürftige Familien aus den
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lokalen ‚Campamentos‘26 des Flusses Mapocho sowie der südlich am Stadtrand gelegenen Gemeinde Puente Alto einen festen Wohnstandort fanden. Auch der PRMS von 1994 sah eine Stadterweiterung unter gleichzeitiger Berücksichtigung von Verdichtungsmaßnahmen vor, so dass Lo Barnechea zahlreiche Veränderungen hinnehmen musste, die u.a. die Entstehung von großflächigen exklusiven Wohngebieten für die oberen Sozialschichten begünstigte (Municipalidad de Lo Barnechea 2001, 2004). Vor diesem Hintergrund lässt die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt in Lo Barnechea zwei polarisierende Tendenzen erkennen: Stadtteile mit exklusiver Wohnbebauung und geringer Bebauungsdichte in räumlicher Nähe zu illegalen Siedlungen bzw. Stadtteilen sozialen Wohnungsbaus höherer Bebauungsdichte. Das Untersuchungsgebiet Lo Barnechea betrachtet nur einen räumlichen Ausschnitt der Gesamtfläche der Gemeinde. Die dazu gehörigen Stadtteile sollen hier kurz vorgestellt werden. Nördlich vom Fluss Mapocho befindet sich der alte Dorfkern ‚Pueblo de Lo Barnechea‘. Dieser Teil des Untersuchungsgebietes zeichnet sich durch seinen traditionellen Charakter und seine historischen Wurzeln aus. Hier wohnen überwiegend sozial schwache Bevölkerungsschichten sowie traditionelle ländliche Bevölkerung (Familien der Maultiertreiber, Bauern und erste Siedler). Das Gebiet ist in jüngster Zeit vom Stadtverfall gekennzeichnet. Innerhalb des alten Dorfkernes ‚Pueblo de Lo Barnechea‘ und ‚San Enrique‘ sind verschiedene soziale Wohnungsbauprojekte entstanden. In diesen Gebieten besteht für die ansässige Unterschicht die Möglichkeit, einen Wohnort zu erhalten, ohne in andere Gemeinden der Stadt Santiago umsiedeln zu müssen (Municipalidad de Lo Barnechea 2001). Südlich des alten Dorfkernes von Lo Barnechea, am Ufer des Flusses Mapocho, befinden sich verschiedene legale und illegale Unterschichtsviertel. Eine für diese Forschungsarbeit wichtige Siedlung der Unterschicht ist die ‚Población Ermita de San Antonio‘. Das Gemeinschaftsprojekt der Gemeinde Lo Barnechea, der SERVIU und der Stiftung ‚San José de La Dehesa‘ wurde 1996 geplant und erschlossen. Insgesamt wurden 1.641 Sozialwohnungen gebaut, umgeben von öffentlichen Grünanlagen, Spielplätzen und Straßen. Der Bau wurde in vier Etappen durchgeführt. In der ersten Etappe wurden im Jahre 1998 414 Wohnungen an Bewohner der Campamentos ‚Transitorio‘ und ‚Quinchamalí‘ sowie an bedürftige Familien, die in der Gemeinde geboren und aufgewachsen waren, übergeben. Im Jahre 2000 wurde die zweite Etappe mit 491 Wohnungen fertig gestellt. In der dritten und vierten Etappe wurden jeweils 368 Sozialwohnungen gebaut (Municipalidad de Lo Barnechea 2004). Südlich der ,Población Ermita de San Antonio‘ befindet sich das Wohnviertel ,Monseñor Escrivá de Balaguer‘. Es bildet die Grenze zur Gemeinde Las Condes und ist durch eine direkte räumliche Nähe unterschiedlicher sozioökonomischer Gruppen gekennzeichnet. Auf kleinräumiger Ebene stoßen hier Unterschichtsquartiere auf Einfamilienhäuser und Wohnungen im Geschosswohnungsbau mitt26 Der Begriff ‚campamentos‘ bezieht sich auf eine Form der Landbesetzungen (‚tomas de terreno‘). Diese Siedlungen sind durch primitivste Behausungen charakterisiert (Sperberg 2000).
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lerer und oberer Sozialschichten. Diese direkte räumliche Nähe war in den vergangenen Jahren durch zahlreiche Probleme behaftet und kumulierte zu Beginn des Jahres 2002 in den Bau einer Mauer von 3m Höhe und 300m Länge, die die beiden Quartiere räumlich voneinander trennen sollte. Auslöser für den Bau waren zahlreiche Beschwerden seitens der oberen Sozialschichten, die über erhöhte Kriminalität und Belästigung seitens der unteren Sozialschichten klagten. Die Mauer war öffentlich so umstritten, dass sie die Namen ‚muro de los lamentos‘ (Klagemauer) oder ‚muro de Berlín‘ (Berliner Mauer) erhielt und kurze Zeit nach ihrem Bau durch die Anwohner zerstört wurde (Campos und García 2002b). Nördlich und westlich des alten Dorfkernes von Lo Barnechea befindet sich das Stadtviertel ‚La Dehesa‘. Es ist ein gehobenes Oberschichtsviertel, dass sich durch seinen Glanz und die avantgardistische Wohnbebauung auszeichnet, die sich von den traditionellen Bebauungsstrukturen stark unterscheidet. Die Bewohner des ‚Valle La Dehesa‘ zählen im Allgemeinen zur sozioökonomischen Elite Santiagos und Chiles. Die Konzentration wohlhabender Sozialschichten hat zu einer Diversifizierung der Bebauungsstrukturen beigetragen, die bedeutend mannigfaltiger ist, als in anderen Gemeinden der Stadt Santiago. Vor dem Hintergrund der Gartenstadt zeichnet sich dieses Gebiet durch eine geringe Bevölkerungsdichte, großzügige Einfamilienhäuser und halböffentliche Stadtstrukturen aus (Municipalidad de Lo Barnechea 2001). Die räumliche Nähe unterschiedlicher sozialer Gruppen verdeutlicht die ausgeprägte sozioökonomische Heterogenität der Gemeinde Lo Barnechea und lässt ein eindeutiges Muster erkennen: obere Sozialschichten in ‚Valle La Dehesa‘; mittlere Sozialschichten in ‚Pueblo de Lo Barnechea‘ und untere Sozialschichten in ‚Villa Cerro Dieciocho‘, ‚Población Ermita de San Antonio‘ und entlang des Flusses Mapocho. Insgesamt hat die Gemeinde Lo Barnechea seit den 1980er Jahren einen explosiven Anstieg der Bevölkerung erfahren, die in engem Zusammenhang mit der strukturellen Erweiterung der Stadt Santiago stand. Zwischen 1982 und 1992 war die kommunale Bevölkerung von 24.258 auf 50.062 Bewohner angestiegen. Dies entsprach einer jährlichen Wachstumsrate von 6,5% und einem direkten Anstieg um 106%. Im Jahre 2002 stieg die Bevölkerung um weitere 50% auf 74.749 Bewohner an, mit einer jährlichen Wachstumsrate von 4,5% (INE 1982, 1992, 2002). Im Untersuchungsgebiet lebten im Jahr 2002 rund 43% der Gesamtbevölkerung. In Bezug auf die Entwicklung des Wohnungsmarktes ist eine ähnliche Tendenz zu beobachten. Zwischen 1982 und 1992 hatten sich die Wohneinheiten um 110% erhöht und waren von 5.687 Wohneinheiten in 1982 auf 11.959 in 1992 angestiegen (INE 1982, 1992). Der Anstieg stand u.a. in engem Zusammenhang mit dem Bau von Sozialwohnungen, denn die Zahl der gebauten Sozialwohnungen innerhalb dieser Zensusperiode erreichte 1.821 Einheiten (Municipalidad de Lo Barnechea 2004). Zwischen 1992 und 2002 stiegen die Wohneinheiten um weitere 48% auf 17.746 Einheiten an. Den Schwerpunkt dieser neuen Wohneinheiten bildete neben dem sozialen Wohnungsbau der Eigenheimbau. So wurden zwischen 1995 und 2007 insgesamt 16.744 Wohneinheiten angeboten, von denen 9.595 Eigenheime waren (www.observatoriohabitacional.cl).
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Unter Berücksichtigung der Veränderung der Bevölkerungs- und Wohnungsmarktstruktur in Lo Barnechea hat sich auch die sozioökonomische Zusammensetzung der Bevölkerung stark verändert. Die Ober- und Mittelschicht waren schon 1992 stark vertreten, stiegen aber zwischen 1992 und 2002 von 30,1% auf 40,4% (ABC1) und 12,9% auf 16,7% (C2) noch weiter stark an und überragten damit den gesamtstädtischen Durchschnitt von 10,6% (ABC1) und 18,8% (C2) im Jahre 2002. Die unteren Sozialschichten sanken dagegen zwischen 1992 und 2002 von 30,6% auf 23,6% (D) und 11,5% auf 5,8% (E). Diese Werte lagen weit unter dem gesamtstädtischen Durchschnitt von 2002 (D: 35,7% und E: 10,3%). Die Zusammensetzung im Untersuchungsgebiet spiegelt die Gesamtsituation der Gemeinde wider. Die Ober- und Mittelschicht sind ähnlich stark vertreten wie auf kommunaler Ebene, so dass sie mit 31,3% (ABC1) und 17,0% (C2) knapp die Hälfte der Bewohner ausmachen. Die unteren Sozialschichten sind demgegenüber mit 27,9% (D) und 7,4% (E) auch stark vertreten und prägend für das Gebiet. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass auf räumlicher Ebene zwei unterschiedliche Entwicklungsmuster zu beobachten sind. Auf der einen Seite zeichnen sich das Gebiet des historischen Lo Barnechea und seine direkt angrenzenden Gebiete – ‚Cerro Dieciocho‘ und ‚Ermita de San Antonio‘ – durch eine Konsolidierung der Campamentos und Sozialwohnungen aus. Auf der anderen Seite unterliegen der westliche und nördliche Bereich der Gemeinde – ‚Valle La Dehesa‘ – einer starken Expansion von Einfamilienhäusern für obere Sozialschichten (Municipalidad de Lo Barnechea 2004). Die soziale Integration ist somit zu einer der wichtigsten Aufgaben der Gemeinde geworden. 5.4.3 Das Untersuchungsgebiet Peñalolén Das dritte Untersuchungsgebiet, Peñalolén, liegt ähnlich wie Lo Barnechea am Fuße der Anden, jedoch südlich der Gemeinde Lo Barnechea, im Osten der Stadt Santiago de Chile. Die Gesamtfläche der Gemeinde beträgt insgesamt 5.490 ha, von denen 860 ha (~15,7%) zu dem Untersuchungsgebiet zählen (Krellenberg et al. 2011). Ähnlich wie die Gemeinden Huechuraba und Lo Barnechea wurde Peñalolén im Rahmen der regionalen Gemeindereform 1981 gegründet. Sie entstand zusammen mit der Gemeinde Macúl aus der Teilung der angrenzenden Gemeinde Ñuñoa. Dessen ungeachtet verweist auch die Geschichte von Peñalolén auf einen langen Werdegang mit zahlreichen historischen Eckpunkten, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen. Entscheidend für die vorliegende Forschungsarbeit ist auch hier die jüngere Geschichte. Noch bis in die 1940er Jahre zeichnete sich das Gebiet der Gemeinde Peñalolén durch überwiegend landwirtschaftliche Nutzungsstrukturen aus (vorherrschend Weinanbau), gekennzeichnet durch eine große Anzahl an Parzellen, die bis heute die zentralen Achsen der Gemeinde prägen. Im Laufe der Zeit entstanden zunehmend mehr ‚poblaciones‘ auf illegal angelegten Parzellen und staatlich geförderte Sozialwohnungen der ‚Corporación de la
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Vivienda‘ (CORVI)27. Insbesondere im Rahmen der 1960 durchgeführten Umsiedlungspolitiken siedelten sich zahlreiche untere Sozialschichten in den Stadtteilen von ‚Lo Hermida‘ und ‚La Faena‘ an. Diese Armenviertel wurden über die Jahre kontinuierlich legalisiert und an das zentrale Strom- und Wassernetz angebunden, so dass sich die Lebensqualität der Bewohner bedeutend verbesserte (Salcedo 2010, Krellenberg et al. 2011). Infolgedessen hat das Bevölkerungswachstum seit 1952 kontinuierlich zugenommen. Zwischen 1970 und 1982 stieg die Bevölkerung der Gemeinde um 129% auf 137.298 Einwohner an (INE 1982). In den 1980er Jahren setzte sich die Siedlungspolitik unter dem Regime von Augusto Pinochet (1973 - 1990) fort, was zu einer starken Homogenisierung der Gemeinde und einer Konzentration von Armut führte. Das Gebiet war hinsichtlich seiner symbolischen Wahrnehmung stark stigmatisiert und zeichnete sich durch hohe Kriminalitätsraten aus. Darüber hinaus war es Zentrum der Auseinandersetzungen gegen die Pinochetdiktatur (Salcedo 2010). Aufgrund dieser historischen Entwicklungen zählte Peñalolén laut der Encuesta CASEN des MIDEPLAN im Jahr 1992 mit 179.781 Einwohnern zu einer der ärmsten Gemeinden in der RMS (INE 1992, Galleguillos Araya-Schübelin 2007). Anfang der 1990er Jahre wurden, ähnlich wie in Huechuraba, Immobilienunternehmen auf Peñalolén aufmerksam und kauften Teile der großen Landwirtschaftsflächen für den Bau von Einfamilienhaussiedlungen auf, speziell für die obere Mittelschicht. Die Gebiete waren aufgrund ihrer Lage am Andenfuß, den günstigen Bodenpreisen und die geringe Bebauungsdichte besonders attraktiv (Salcedo 2010, Stockins 2004). Der Bau von Einfamilienhäusern, zum Teil in geschlossener Form, umfasste im Zeitraum von 1995 bis 2007 insgesamt 17.398 Einheiten, die rund 9,5% des gesamten Einfamilienhausbaus in Santiago de Chile ausmachten (www.observatoriohabitacional.cl). Diese Investitionen hatten tiefgreifende Auswirkungen auf die sozialräumliche Struktur der Gemeinde, die dadurch einen massiven Zuwachs von Bewohnern mit mittleren und höheren Einkommen erlebte (Galleguillos Araya-Schübelin 2007). Die Analyse der Wanderungszahlen zeigt, dass zwischen 1997 und 2002 ein positiver Wanderungssaldo von 4.912 Haushalten der obersten Sozialschicht (ABC1) und 950 Haushalten der Mittelschicht (C2) zu verzeichnen war, währenddessen die untere Mittelschicht (C3) und die unteren Sozialschichten (E und D) negative Wanderungssalden aufwiesen (INE 2002, siehe auch Ebert et al. 2010). Peñalolén zählte mit 216.060 Einwohnern im Jahre 2002 zu einer der Gemeinden in Santiago de Chile, die durch einen starken Bevölkerungsanstieg gekennzeichnet war. Darüber hinaus war die Gemeinde durch starke interne Polarisierungstendenzen charakterisiert, denn mehr als 20% der Bevölkerung lag unter der Armutsgrenze und mehr als 20% kann den oberen Sozialschichten zugeordnet werden (Salcedo 2010). 27 Unter der Präsidentschaft von Ibañez kam es im Jahre 1952 zur Gründung der CORVI. Sie ist eine staatliche Institution zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus (Sperberg 2000). Laut Artikel 2 des Gesetzesbeschlusses DFL N° 285 ist die CORVI für die Ausführung, die Urbanisierung, den Wiederaufbau, die Umgestaltung und Entwicklung von Stadtteilen, die im Wohnungsbau- und Flächennutzungsplan des ‚Ministerio de Obras Públicas‘ (MOP) festgelegt sind, sowie für die Untersuchung und Förderung des Sozialwohnungsbaus verantwortlich.
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Zwei Stadtteile sind für das Untersuchungsgebiet besonders prägend: ‚Lo Hermida‘ im westlichen Bereich und im östlichen Bereich Teile von ‚Peñalolén Nuevo‘. ‚Lo Hermida‘ zählt zu einem der ältesten Stadtteile von Peñalolén, der sich besonders seit den 1970er Jahren durch illegale Landbesetzungen auszeichnete. Heute ist er der ärmste Stadtteil innerhalb der Gemeinde Peñalolén (35,7% der Haushalte leben in Armut). Charakteristisch für den Stadtteil ist auch die hohe Anzahl von Personen pro Zimmer (1,7) sowie die Anzahl der Familien, die in einer Wohnung leben. In 25,8% der Fälle leben mehr als eine Familie pro Wohnung. Lo Hermida zählt folglich rund 6.450 Wohnungslose, die auch ‚Allegados‘ genannt werden (Municipalidad de Peñalolén 2006). Die Überbelegung von Wohnungen, insbesondere unterer Sozialschichten, sieht Salcedo (2010) in der demographischen Alterung der Bevölkerung begründet. Die bereits erwachsenen Kinder der Familien bleiben nicht selten mit ihren neuen Familien bei ihren Eltern wohnen, da sie entweder keinen Zugang zu subventionierten Wohnungen haben oder es vorziehen, weiter in der Gemeinde zu wohnen, da subventionierte Wohnungen oftmals am Stadtrand mit schlechter Infrastruktur liegen. Das starke Wohnungsdefizit für untere Einkommensgruppen von rund 10.243 Wohnungen in Peñalolén im Jahr 1996 (Galleguillos Araya-Schübelin 2007) führte dazu, dass 1999 rund 1.900 Familien ein 16 ha großes Brachland besetzten: ‚La Toma de Peñalolén‘. Die betroffenen Familien klagten ihr Recht auf eine subventionierte Wohnung in Peñalolén ein und damit nicht nur ihr Recht auf ein Haus, sondern auch das Recht auf einen würdigen Wohnstandort (Salcedo 2010, Galleguillos Araya-Schübelin 2007). Im Jahre 2001 begann ein Verhandlungsprozess zwischen dem MINVU, der Gemeinde und den Landbesetzern, um subventionierten Wohnungsbau für untere Sozialschichten – aus Peñalolén stammend – innerhalb der Gemeinde zu schaffen. Insgesamt konnten sechs Wohnungsbauprojekte in Peñalolén genehmigt werden, im Rahmen derer ungefähr 80% der betroffenen Familien eine Unterkunft fanden. Die Familien hatten bei der architektonischen Gestaltung der Wohnhäuser allgemeines Mitspracherecht. Folglich wurden diese neuen Sozialwohnungen nicht nur besser an das städtische Leben angebunden, sondern waren zugleich architektonisch und infrastrukturell attraktiv. In Anbetracht der Wohnungsgröße (37,2m² erweiterbar auf 74,4m²) und der farblichen Fassadengestaltung der Gebäude heißen diese Sozialwohnungen umgangssprachlich auch ‚Casa chubi‘28 (Salcedo 2010). Zwei dieser Wohnsiedlungen befinden sich im Untersuchungsgebiet: eine im Stadtteil ‚Lo Hermida‘ und die andere im Stadtteil ‚Peñalolén Nuevo‘. Direkt gegenüber der ‚Casa Chubi‘ im Stadtteil von ‚Peñalolén Nuevo‘ befindet sich die ‚Comunidad Ecológica de Peñalolén‘. Sie ist laut Borsdorf (2000) eine Sonderform geschlossener Wohnanlagen, denn das Gebiet ist umzäunt bzw. ummauert und der offizielle Eingang wird bewacht. Sie wurde 1984 gegründet 28 Die ‚Casa Chubi‘ sind Reihenhäuser des sozialen Wohnungsbaus, in denen Familien aus den beräumten Landbesetzungsgebieten leben. Die allegorische Beschreibung der Häuser als ‚Chubi‘ geht auf bunte Schokoladenbonbons zurück, wegen ihrer Größe und leuchtenden Farben.
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und heute leben hier überwiegend rund 200 Familien, die ein Leben im Einklang mit der Natur suchen. Alle Häuser wurden nach ökologischen Kriterien errichtet und eine geringe Bebauungsdichte kennzeichnet diese Siedlung. Darüber hinaus befinden sich auf dem Gebiet ein Montessori-Kindergarten, Kinderspielplätze und andere Gemeinschaftseinrichtungen wie ein Café und kleinere Geschäfte für den täglichen Bedarf sowie Handwerkserzeugnisse (Borsdorf 2000). In der räumlichen Nähe zu den ‚Casa Chubi‘ und der ‚Comunidad Ecológica‘ befinden sich im Stadtteil ‚Peñalolén Nuevo‘ zahlreiche neu entstandene Einfamilienhaussiedlungen der oberen Sozialschichten, wie z.B. das Barrio ‚Casa Grande‘ (siehe Kapitel 6.3). Dieser Stadtteil hat in den letzten Jahren einen starken Bevölkerungszuwachs erfahren. In Anlehnung an den Metropolitanen Flächennutzungsplan (PRMS) könnte dieser Stadtteil um weitere 100.000 Bewohner in den nächsten 10 Jahren anwachsen (Municipalidad de Peñalolén, 2006). Vor dem Hintergrund der strukturellen und demographischen Entwicklung ist das Untersuchungsgebiet durch die räumliche Nähe unterschiedlicher sozialer Gruppen charakterisiert. Die sozioökonomische Zusammensetzung der Bevölkerung hat sich im Zeitraum von 1992 bis 2002 leicht verändert. Waren die obere und mittlere Sozialschicht (ABC1 und C2) 1992 mit 16,1% relativ gering vertreten, so stiegen diese zwischen 1992 und 2002 von 3,6% auf 9,6% (ABC1) und 12,5% auf 14,7% (C2) relativ stark an und erreichten damit fast den gesamtstädtischen Durchschnitt von 10,6% (ABC1) und 18,8% (C2) im Jahre 2002. Während die unteren Sozialschichten (D und E) 1992 noch 62,2% der Gesamtbevölkerung ausmachten, gingen diese Zahlen zwischen 1992 und 2002 von 45,2% auf 41,5% (D) und 17,0% auf 13,2% (E) leicht zurück. Dessen ungeachtet liegen diese Werte noch über dem gesamtstädtischen Durchschnitt von 2002 (D: 35,7% und E: 10,3%). Die Zusammensetzung im Untersuchungsgebiet spiegelt die Gesamtsituation der Gemeinde gut wider. Die Ober- und Mittelschicht sind ähnlich stark vertreten wie auf kommunaler Ebene, so dass sie mit 14,6% (ABC1) und 13,5% (C2) knapp ein Drittel der Bewohner ausmachen. Die unteren Sozialschichten sind demgegenüber mit 40,8% (D) und 13,1% (E) besonders stark vertreten. Darüber hinaus ist für das Untersuchungsgebiet Peñalolén festzuhalten, dass in enger räumlicher Nähe zwei unterschiedliche Sozialgruppen aufeinandertreffen. Die Frage der sozialen Integration rückt damit in den Vordergrund. Auf Grundlage der Beschreibung der drei Untersuchungsgebiete können sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede herausgearbeitet werden, die einen Vergleich attraktiv machen. Zu den Gemeinsamkeiten zählen vor allem die jüngsten Entwicklungstendenzen wie die Gemeindegründung im Jahre 1981, die periphere Lage und relative Nähe zum traditionellen Oberschichtsviertel der Stadt Santiago, der einst ländliche Charakter mit überwiegend unteren Sozialschichten und die jüngst entstandenen neuen Wohnsiedlungen für obere Sozialschichten. Unterschiede bestehen vor allem in der historischen Entwicklung der Untersuchungsgebiete und den prozentualen Anteilen/Verhältnissen unterer, mittlerer und oberer Sozialschichten. Während sich Lo Barnechea durch einen großen Anteil an oberen Sozialschichten auszeichnet, sind Huechuraba und Peñalolén noch immer stark durch untere Sozialschichten gekennzeichnet.
5.5 Methodenreflexion und forschungspraktische Herausforderungen
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5.5 METHODENREFLEXION UND FORSCHUNGSPRAKTISCHE HERAUSFORDERUNGEN Nachdem die vorangegangen Ausführungen die methodische Umsetzung des Forschungsvorhabens offenlegten, soll nachfolgend sowohl auf die Stärken als auch die Grenzen des gewählten methodischen Vorgehens eingegangen werden. Die folgenden Ausführungen dienen der Reflexion des Forschungsdesigns und greifen die methodischen Herausforderungen auf, die im Rahmen von Forschungsvorhaben in fremdländischen Kontexten auftreten. Bei allen Forschungsvorhaben stellt sich für den Forscher die Frage nach dem Zugang zum Forschungsfeld, der ein kritisches Moment zu Beginn der Feldforschung ist. Basierend auf den Erfahrungen und Kenntnissen im Umgang mit empirischer Sozialforschung in Santiago de Chile und der Operationalisierung der Forschungsfragen wurde eine repräsentative Auswahl und Abgrenzung der drei Untersuchungsgebiete getroffen. Darüber hinaus wurde nicht nur ein Fragebogen entwickelt, der kulturspezifische Besonderheiten berücksichtigt, sondern auch die mündliche Befragungsstrategie in Form von Tür-zu-Tür-Befragungen mit den Bewohnern präferiert, die sich bis dato sehr bewährt hatte. Aus der persönlichen Erfahrung heraus zeigen sich die Bewohner in der Regel sehr kooperativ und interessiert und die Einzelgespräche sind stets zufrieden stellend, wenn auch der Zugang zu den Wohngebieten der oberen und unteren Sozialschichten nicht immer einfach ist. Die Wohngebiete oberer und zum Teil mittlerer Sozialschichten sind gemeinhin durch Eingangstore oder Schranken verschlossen, die nur mit gesonderter Erlaubnis passierbar sind. Die Durchführung einer standardisierten Haushaltsbefragung in diesen Gebieten ist nur mit einem offiziellen Anschreiben an die Eigentümervereinigung möglich, die darüber entscheidet, ob die Befragung in dem abgeschlossenen Wohnquartier stattfinden darf. Es besteht die Möglichkeit über private Kontakte zu Bewohnern dieser Wohngebiete Zutritt zu erhalten und über weitere Nachbarschaftskontakte eine Teilnahme an der Befragung zu erbitten oder die Bewohner der Wohngebiete am Eingangstor auf die Befragung anzusprechen und sie für die Teilnahme an der Befragung zu gewinnen. Anders ist die Situation in den Wohngebieten unterer Sozialschichten. Hier wird die Befragung von Bewohnern durch ein Unsicherheitsgefühl seitens des Interviewers begleitet. Aufgrund von hohen Kriminalitätsraten sollten mündliche Befragungen nur vormittags stattfinden und möglichst durch Interviewer, die nicht durch ihr äußeres Erscheinungsbild besondere Aufmerksamkeit erregen, erfolgen. Das bedeutet, dass, wenngleich durch die Einzelgespräche zusätzliche Informationen übermittelt werden, die für die Interpretation und Auswertung von Vorteil sind, von einer persönlichen Durchführung der Tür-zu-Tür-Befragung abgewichen werden musste. Um Defizite zu minimieren waren an dieser Stelle zweifelsohne die darauf aufbauenden leitfadengestützten Einzelgespräche mit den Bewohnern sehr hilfreich. Über diese Gespräche konnten wertvolle Meinungsbilder erfasst und gebietsspezifische Alltagswelten aufgedeckt werden, die maßgeblich zu dem Erkenntnisgewinn der vorliegenden Forschungsarbeit beigetragen haben.
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Die bewusste Entscheidung für die Kombination quantitativer und qualitativer Methoden bei der Bearbeitung und Untersuchung von Segregation und Integration unter Berücksichtigung sozialer, räumlicher und zeitlicher Dimensionen in Santiago de Chile hat sich als empfehlenswert herausgestellt. Darüber hinaus betont Lentz (1992), dass „quantitative Erhebungsverfahren im fremdkulturellen Kontext außerordentlich voraussetzungsvoll und nur sehr begrenzt leistungsfähig sind. Sie bedürfen deshalb immer der Einbettung in und Kontrolle durch qualitative Verfahren“ (ebd.: 319).
Durch den verwendeten Methodenmix konnte ein breites, vielfältiges und tiefes Verständnis des Forschungsgegenstandes erworben und die gewonnenen Erkenntnisse besser begründet und abgesichert werden. Von mehreren Bezugspunkten aus wurde so das vorgeschlagene komplexe Modell der Segregation und Integration beleuchtet. Die Ergänzung der quantitativen Daten aus der Haushaltsbefragung mit Äußerungen und Argumenten aus den Einzelgesprächen hat dazu geführt, dass Aspekte, die mittels Fragebogen erhoben wurden, durch die subjektiven Einschätzungen der Bewohner besser bewertet werden konnten. Dieser Mehrwert hat eindeutig zu einer differenzierten Vervollständigung des Gesamtbildes beigetragen und vermittelt die vielfach geforderte Alltagsnähe und Offenheit des Forschungsgegenstandes. Die gewonnenen Ergebnisse erhalten dadurch die notwendige Gültigkeit und Verlässlichkeit. Die Anwendung verschiedener Methoden stellte das Forschungsvorhaben vor mehrere Herausforderungen. Die Organisation, Koordination und Durchführung verschiedener methodischer Instrumentarien war mit einem hohen zeitlichen und finanziellen Aufwand verbunden. Darüber hinaus bedeutet der Methodenmix auch eine Belastung für die Befragten, da sie mehrmals mit verschiedenen Formen von Interviews konfrontiert werden. Aus diesem Grund wurden die Befragten um ein freiwilliges Interview gebeten, indem sie Kontaktdaten auf dem Fragebogen hinterließen. Die große Resonanz an einem Folgeinterview bestätigte das allgemeine Interesse an dem Forschungsvorhaben. Jedoch war die tatsächliche Teilnahme an der Folgebefragung nur sehr begrenzt umsetzbar. Entweder waren die Befragten nicht erreichbar (aufgrund von Wohnungswechsel, telefonisch nicht erreichbar bzw. Nichtbeantwortung von E-Mail-Schreiben) oder zeigten kein Interesse an einem Folgeinterview. Sofern telefonisch ein Termin vereinbart werden konnte, war die Umsetzung der leitfadengestützten Interviews in den meisten Fällen möglich. Nur selten waren die Befragten zum ausgemachten Termin nicht auffindbar. Eine weitere Herausforderung stellte das Festlegen der Stichprobe dar. Basierend auf Zensusdaten aus dem Jahr 2002 wurden die verschiedenen sozioökonomischen Gruppen auf Blockebene berechnet. Dieses Verfahren hat sich grundsätzlich bewährt, seine Eignung ist für weitere Untersuchungen durchaus gegeben, doch ist die Auswahl der Stichprobe pro Untersuchungsgebiet mit Problemen behaftet. Hier ist insbesondere auf die veraltete Datenbasis zu verweisen. Vor dem Hintergrund, dass sich die ausgewählten Untersuchungsgebiete in den vergangenen Jahren sehr dynamisch entwickelt haben, konnte auf der Basis von Zensusdaten aus dem Jahr 2002 nur eine annähernd genaue Stichprobe ermittelt werden,
5.5 Methodenreflexion und forschungspraktische Herausforderungen
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was sowohl die Anzahl der Haushalte als auch die Berechnung der sozioökonomischen Gruppen pro Block betrifft. So liegen teilweise keine Daten für neu entstandene Wohngebiete vor, und nur durch gute Ortskenntnisse konnte die Auswahl der Stichprobe verbessert werden. Trotz dieser Unwägbarkeiten bietet die Verteilung innerhalb der Stichprobe eine hinreichend gute Grundlage für aussagekräftige Ergebnisse. Zum Schluss sei noch auf die Interpretation des Datenmaterials und Sprache als Herausforderung hingewiesen. Jede Studie, die ihr empirisches Material in einem fremdkulturellen Kontext erhebt, wird mit dem Thema Sprachübersetzung konfrontiert. Damit sind einerseits die Sprachkenntnisse und andererseits die Interpretation von Gesprochenem und das ‚zwischen den Zeilen lesen‘ gemeint. Hier soll auf zwei Herausforderungen aufmerksam gemacht werden: (i) Übersetzung des Fragebogens und (ii) Durchführung und Interpretation der Tiefeninterviews. Die Konzeption eines standardisierten Fragebogens in einer Fremdsprache ist mit sehr viel Vorsicht zu gestalten und bedarf mehrfacher Rückspiegelung an Experten vor Ort. Damit keine Missverständnisse während der Befragung entstehen, nicht nur aufgrund sprachlicher Barrieren oder der Übersetzung von Begriffen in autochthone Sprachstrukturen, sondern auch durch unterschiedliche Perzeptionen, kommt der Erfassung von Begriffen durch Vorstudien und Pretests eine besondere Bedeutung zu. Ohne den durchgeführten Pretest und die vielen Überarbeitungen des Fragebogens mit Experten vor Ort wäre die endgültige Fassung des Fragebogens nicht möglich gewesen. Auch bezogen auf die Durchführung und Interpretation der Tiefeninterviews lassen sich Problemfelder herausstellen. Als vorteilhaft, nicht nur aus zeitlichen Gründen, erwies sich die Transkription der Tiefeninterviews durch Muttersprachler. Gerade Bewohner ärmerer Wohngebiete verfügen über einen eigenen Wortschatz, den nur Muttersprachler wirklich identifizieren können. Diese Sprachspezifika, sowohl der Unter- als auch der Oberschicht, stellten die Durchführung der Tiefeninterviews vor eine große Herausforderung. Während des Interviews konnten aufgrund von Sprachbarrieren nicht immer alle Befindlichkeiten erfasst und tiefergehend besprochen werden. Aufgrund dieser kulturellen Distanz konnte das Potential des Datenmaterials, wie z.B. Überlegungen, Angaben oder Einschätzungen zu bestimmten Themen oder auch Sprechstile, nicht immer vollständig ausgeschöpft werden. Dessen ungeachtet, flossen sehr viele wertvolle Informationen aus den Tiefeninterviews in die Forschungsarbeit ein. Zusammenfassend kann das methodische Vorgehen als ausgewogen und als Stärke dieser Forschungsarbeit bezeichnet werden. Dem vielfach formulierten Anspruch hinsichtlich einer Vorgehensweise aus mehreren Blickwinkeln bei der Erforschung von Segregation und Integration konnte dadurch Rechnung getragen werden.
6 SANTIAGO DE CHILE – SOZIAL-RAUM-ZEITLICHE PRODUKTION VON SEGREGATION AUF GESAMTSTÄDTISCHER EBENE 6.1 NEUE UND ALTE SEGREGATIONSMUSTER – ZUM AKTUELLEN DISKUSSIONSSTAND Santiago de Chile zählt zu den lateinamerikanischen Großstädten mit einem ausgeprägten Segregationsmuster nach sozioökonomischen Variablen. Ethnische Variablen sind aufgrund der relativ geringen Quantität in diesem Fall zu vernachlässigen (Rodríguez 2001). Das für Santiago de Chile bestimmende ‚traditionelle Muster residenzieller sozioökonomischer Segregation‘ (Sabatini 2003) wird durch die Konzentration oberer Einkommensschichten in ausgewählten Wohngebieten (‚cono de alta renta‘) und die Verteilung aller anderen Einkommensgruppen auf die anliegenden städtischen Gemeinden beschrieben. Dockemdorff et al. (2000) folgend, konzentrierten sich die oberen Einkommensgruppen in den 1990er Jahren auf sechs von 34 Gemeinden in der Großstadt Santiago de Chile. Dagegen waren neun Gemeinden durch einen Anteil von 0% bis 10%, elf Gemeinden durch 10% bis 20% und fünf Gemeinden durch 20% bis 30% unterer Einkommensgruppen gekennzeichnet. Der gesellschaftliche Raum charakterisiert sich folglich dadurch, dass „the poorest quarter of families tends to settle in extensively poor areas, specifically over roughly equipped far peripheries“ (Sabatini et al. 2001:1),
während sich die Elite in luxuriöse Wohnquartiere in attraktiver Wohnlage zurückzieht. Soziale Ungleichheit scheint sich spiegelbildlich im gesellschaftlichen Raum abzubilden und spezifische Muster residenzieller Segregation zu formen. Obwohl diese These für viele Städte Nordamerikas und Europas zutreffen mag, stellten Sabatini et al. (2010b) fest, dass ein derartiger Zusammenhang für Santiago de Chile nicht hergestellt werden kann. In Anlehnung an die Erkenntnisse von Sabatini et al. (2010b) hat sich der Grad der Segregation zwischen 1992 und 2002 in Santiago de Chile verringert, während soziale Ungleichheiten weiterhin auf hohem Niveau verharren. Soziale Ungleichheit ist weder für Südamerika noch für Chile ein neues Phänomen. In Chile steht soziale Ungleichheit in engem Zusammenhang mit den ökonomischen und strukturellen Transformationsprozessen der 1980er Jahre, die die Liberalisierung und Privatisierung verschiedener Funktionsbereiche der chilenischen Gesellschaft zur Folge hatten. Diese tiefgreifenden ökonomischen und strukturellen Transformationsprozesse bewirkten eine weitere Differenzierung und Segmentierung im Arbeits-, Bildungs- und Gesundheitssektor. Mit Hilfe von zahlreichen staatlichen Programmen zur sozialen Unterstützung sowie durch den wirtschaftlichen Erfolg des Landes infolge der Internationalisierung und Öffnung
6.1 Neue und alte Segregationsmuster – zum Diskussionsstand
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der Märkte ist die Zahl der Haushalte, die unter die Armutsgrenze fallen, in der RMS29 zwischen 1990 und 2003 von 28,5% auf 10,8% gesunken (MIDEPLAN 1990, 2003, siehe auch CEPAL 2007). Trotz des erfolgreichen Abbaus der Armut bleibt die ungleiche Verteilung der Einkommen bestehen. So sind die Haushaltseinkommen des untersten Quintil (unterste Einkommensgruppe) zwischen 1990 und 2006 bei 4,7% relativ konstant geblieben. Im Vergleich hierzu umfassen die Haushaltseinkommen des obersten Quintils (oberste Einkommensgruppe) weiterhin einen Anteil von 55% (MIDEPLAN 1990, 2006). Die Ungleichheit in der Verteilung der Haushaltseinkommen kann auch durch den Ginikoeffizient30 dargestellt werden. Ungeachtet der Verringerung der Armut bleibt der Ginikoeffizient mit 0,55 zwischen 1990 und 2003/2005 für Chile im Vergleich zu anderen südamerikanischen Ländern beständig hoch (CEPAL 2007). Meller (2000) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich ohne das oberste Quintil eine relativ gleichmäßige Einkommensverteilung bilden würde und der Ginikoeffizient von dem sehr hohen Niveau von 0,55 auf ein geringes Niveau von 0,27 fallen würde. Hieraus wird deutlich, dass, obwohl eine Verbesserung der sozialen Segmente zu verzeichnen ist, die Ungleichheit in der Einkommensverteilung unverändert bleibt. Chile zählt folglich zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu einem der am stärksten durch soziale Ungleichheit gekennzeichneten Länder Lateinamerikas (Banco Mundial 2004). Trotz der Persistenz sozialer Ungleichheit sowohl in Chile als auch in Santiago de Chile, kommen Sabatini et al. (2010b) zu der Erkenntnis, dass sich die residenzielle Segregation in der Stadt zwischen 1992 und 2002 verringert hat. Sie führen aus, dass hohe soziale Ungleichheit nicht zwangsläufig mit hoher residenzieller Segregation im Raum verbunden ist. Doch wenn soziale Ungleichheit für die residenzielle Segregation in Santiago de Chile keine erklärende Variable ist, welche Faktoren beeinflussen dann diese Veränderungen? Mögliche Antworten auf diese Frage folgen in Kapitel 6, in welchem die verschiedenen Erklärungsansätze aus Kapitel 2.1 als Grundlage für eine Analyse herangezogen werden. Es soll zunächst auf die allgemeine Veränderung des Segregationsmusters eingegangen werden, um anschließend die verschiedenen Einflussfaktoren näher betrachten zu können. Laut Sabatini et al. (2010b, S. 29) wird das traditionelle residenzielle Segregationsmuster in Santiago de Chile durch zwei Dimensionen charakterisiert: erstens durch die räumliche Konzentration oberer Sozialschichten in einem determinier29 Die Región Metropolitana de Santiago (RMS) ist eine von den insgesamt 15 Regionen Chiles. Sie liegt im zentralen Bereich des Landes und schließt die Hauptstadt Santiago de Chile ein. Sie umfasst das politische, administrative und wirtschaftliche Zentrum Chiles. Laut INE (2002) leben hier 40% der Gesamtbevölkerung. 30 Der Ginikoeffizient oder Gini-Index ist ein statistisches Maß, das zur Darstellung von Ungleichverteilungen entwickelt wurde. Der Koeffizient kann beispielsweise als Kennzahl für die Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen eingesetzt werden. Der Wert kann beliebige Größen zwischen 0 und 1 (bzw. 0 und 100 Prozent) annehmen. Je stärker sich der Ginikoeffizient dem Wert 1 bzw. 100% annähert, desto größer ist die Ungleichheit der Einkommensverteilung (Massey und Denton 1988).
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6 Santiago de Chile – sozial-raum-zeitliche Produktion von Segregation
ten Raum, und zweitens durch die Herausbildung großflächiger homogener Gebiete unterer Sozialschichten. Damit benennen die Autoren Konzentration und Homogenität als die zwei bestimmenden Kriterien für die Segregation in Santiago de Chile. Die Konzentration oberer Sozialschichten stellt nicht die Heterogenität dieser Gebiete in Frage. Denn neben oberen Sozialschichten lebt in diesen Gebieten eine breite Palette anderer sozialer Gruppen. Demgegenüber bedeutet die Homogenität der Gebiete unterer Sozialschichten eingeschränkte Möglichkeiten des sozialen Kontaktes zu anderen sozioökonomischen Gruppen, weil kaum eine andere soziale Schicht hier lebt (siehe auch Sabatini 2003). Somit ist es gerade diese zweite Dimension der residenziellen Segregation, die für die städtische Entwicklung problematisch ist (siehe auch Kapitel 2.3) und zum Teil die Bildung von Ghettos fördert (siehe auch Kapitel 2.2). Als bestimmende Einflussfaktoren für die Herausbildung dieses traditionellen Segregationsmusters sehen Sabatini et al. (2010a, S. 9) insbesondere drei politische Strategien, die in engem Zusammenhang zu institutionellen Erklärungsansätzen stehen: (a) (b) (c)
regulative Instrumente in der Flächennutzungsplanung, die den Zugang zu Wohnungsmarktsegmenten für benachteiligte Sozialschichten hemmen; großflächige Umsiedlungspolitik von illegalen Landnahmen und ‚campamentos‘ unterer Sozialschichten, soziale Wohnungsbaupolitik mit einseitiger Ausrichtung auf die quantitative Reduzierung des Wohnungsmangels für untere Sozialschichten.
Das traditionelle Segregationsmuster hat seit den 1990er Jahren leichte Veränderungen, die in enger Verbindung zu polit-ökonomischen Erklärungsansätzen stehen, erfahren. Ursachen hierfür sind in den wirtschaftlichen und politischen Transformationsprozessen der 1980er Jahre sowie in der Einbindung lateinamerikanischer Megastädte in Globalisierungstendenzen zu finden (siehe u.a. Sabatini und Cáceres 2004). Sabatini (1997) folgend, sind neue stadträumliche Dynamiken in Santiago de Chile zu beobachten: (a) die Herausbildung neuer Wohnstandort- und Wohnformalternativen für die oberen und mittleren Sozialschichten außerhalb des ‚cono de alta renta‘, d.h. außerhalb der traditionellen Konzentrationsgebiete oberer Sozialschichten, oftmals in räumlicher Nähe zu Wohnquartieren unterer Sozialschichten; (b) die Entstehung von Einzelhandels-, Büro- und Dienstleistungszentren außerhalb des Zentrums und des ‚cono de alta renta‘, oftmals in der Nähe von strategischen Verkehrsachsen; (c) der Anstieg der Bodenpreise auf gesamtstädtischem Niveau und die damit verbundene Erschließung neuer Wohnquartiere für untere Sozialschichten am Stadtrand oder im suburbanen Raum; (d) Stadterneuerungsmaßnahmen in innerstädtischen Stadtgebieten, sowohl im Sinne von einer Sanierung alter Bausubstanz als auch Wohnungsneubau für mittlere Sozialschichten.
6.1 Neue und alte Segregationsmuster – zum Diskussionsstand
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Diese Einflussfaktoren haben laut Sabatini et al. (2010a) zu einer Verringerung der Konzentration oberer Sozialschichten (ABC1) zwischen 1992 und 2002 geführt, bei gleichzeitigem Anstieg der Homogenität unterer Sozialschichten (D). Das bedeutet, dass sich die soziale Oberschicht zu Beginn des 21. Jahrhunderts aus ihren traditionellen Wohnquartieren herauslöst und in vereinzelte vormals unattraktive Gemeinden eindringt und somit hier zur sozialen Heterogenität beiträgt. Demgegenüber verstärken sich die Tendenzen der Homogenisierung der Wohngebiete unterer Sozialschichten, insbesondere derjenigen, die durch den staatlichen Wohnungsbau gefördert wurden. Sabatini et al. (2010a) zeigen, dass die genannten Einflussfaktoren neuer stadträumlicher Dynamiken einen entscheidenden Beitrag zur Veränderung des Segregationsmusters geleistet haben. Dessen ungeachtet vernachlässigen die Autoren jedoch mögliche handlungs- und verhaltenstheoretische Erklärungsansätze. In der Diskussion um die Verringerung der residenziellen Segregation und unter Einbezug verschiedener innerstädtischer Wanderungsmuster bestätigen González und Rodríguez (2006) zu Teilen die Erkenntnisse von Sabatini et al. (2010a). Sie weisen jedoch gleichzeitig darauf hin, dass die Wanderungsströme oberer Sozialschichten nur ein Tropfen auf den heißen Stein seien, da sie nur punktuell zur Heterogenisierung weniger Gemeinden beitragen, währenddessen die große Masse der unteren Sozialschichten sich weiter über das gesamte Stadtgebiet ausbreitet. Die These stützen auch Bähr und Meyer-Kriesten (2007). Mit Hilfe einer Faktorenanalyse von Zensusdaten konnten sie Belege für das beschriebene Segregationsmuster der Stadt Santiago de Chile im Jahr 2002 erbringen. Dabei griffen sie auf eine vergleichbare Studie aus dem Jahr 1970 zurück (Bähr 1978). Die Erkenntnisse zeigen, dass sich die sozioökonomische Stadtstruktur zwischen 1970 und 2002 kaum verändert hat. Dies gilt insbesondere für die exklusiven Wohnbereiche im Nordosten der Stadt, die sehr homogen hinsichtlich ihrer sozioökonomischen Struktur sind und einen weitgehend geschlossenen Block bilden. Die Gemeinden Las Condes, Vitacura und zum Teil auch Lo Barnechea zählen laut Bähr und Meyer-Kriesten (2007) zu den Wohngebieten mit dem höchsten Sozialstatus. Demgegenüber hat sich das räumliche Verteilungsmuster der Wohngebiete mit gehobenem und mittlerem Sozialstatus zwischen 1970 und 2002 stark verändert. Wohngebiete oberer Sozialschichten verteilen sich heute auch in einzelnen Gemeinden des Stadtgebiets und grenzen dann häufig unmittelbar an alte Wohngebiete unterer Sozialschichten, wie z.B. in den Untersuchungsgebieten. So hat sich einerseits der südöstliche Sektor stärker differenziert und andererseits ist eine neue Achse in südwestliche Richtung entstanden. Diese Tendenzen sind ein Ergebnis einer relativ jungen Stadtentwicklung der 1990er Jahre, die hauptsächlich auf die neuen Wohnprojekte am Stadtrand in der Nähe von neuen Verkehrsknoten und Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs zurückzuführen sind. Die Wohngebiete unterer und unterster Sozialschichten (z.B. La Pintana, San Ramón, Lo Espejo und Cerro Navia) weisen auch laut Bähr und Meyer-Kriesten (2007) eine starke Persistenz auf. Sie sind das Ergebnis einer kontinuierlichen Konzentration von Sozialwohnungen seit den 1950er Jahren, die sich bis in die
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6 Santiago de Chile – sozial-raum-zeitliche Produktion von Segregation
1990er Jahre fortgesetzt hat und damit ganz wesentlich die räumliche Entwicklungsdynamik Santiagos bestimmt. Besondere Beachtung verdienen die extrem peripher gelegenen Einfachsiedlungen, die aufgrund der massiven Förderung des Baus von Einfachstwohnungen entstanden sind. Sie sind gegenwärtig in besonderem Maße durch städtische Armut gekennzeichnet und gelten als soziale Brennpunkte der Stadt. Das traditionelle residenzielle Segregationsmuster wird folglich nur in bestimmten Räumen von neuen Strukturen durchsetzt. Welche Bedingungen und Faktoren hierzu geführt haben, soll in den anschließenden Kapiteln näher analysiert werden. 6.2 DIE STAATLICHE WOHNUNGSMARKTPOLITIK IN SANTIAGO DE CHILE – EINE POLITIK DER PRODUKTION VON SEGREGATION? Die strukturellen Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt in Santiago de Chile sind mit Hilfe des politisch-regulativen Erklärungsansatzes der Segregation (siehe Kapitel 2.1) erfassbar, denn sie sind tiefgreifend durch die Veränderungen der polit-ökonomischen Rahmenbedingungen der Stadtentwicklung seit den 1970er Jahren geprägt. Diese stehen in engem Zusammenhang mit Chiles Globalisierung als Folge seines Übergangs vom Fordismus zum Postfordismus. So konstatieren Fischer und Parnreiter (2002), dass die „Abkehr von der importsubstituierenden Industrialisierung und die vertiefte Integration Lateinamerikas in den Weltmarkt (Forcierung der Exportproduktion, Öffnung des Binnenmarktes für Importe, Werben um ausländische Investitionen) sowie die Neugestaltung der Beziehungen zwischen Staat, Kapital und Arbeit (Privatisierungen, Flexibilisierung des Arbeits- und Bodenmarktes) auf die Stadtentwicklung“ (ebd.: 245)
bedeutende Auswirkungen haben. Die allgemeine Abkehr von einer Politik der Binnenentwicklung und Importsubstitution und die Hinwendung zu einer Öffnung des Weltmarktes im Rahmen einer neoliberalen Wirtschaftspolitik mit flexiblen Produktionsweisen, einer Internationalisierung des Finanzkapitals und der neuen Arbeitsteilung (Parnreiter 2003, Bähr und Meyer-Kriesten 2007, Gans 1992, De Mattos et al. 2004) hat auf gesamtstädtischer Ebene zu einer weitreichenden Deregulierung bestehender Verordnungen der Landnutzung und der Art der Bebauung sowie zur Privatisierung staatlicher und halbstaatlicher Gesellschaften geführt. Rechtliche Regeln und Normen der Stadtplanung, Bauvorschriften, Flächennutzungspläne und Bebauungspläne konnten unter diesen polit-ökonomischen Rahmenbedingungen außer Kraft gesetzt werden (Borsdorf und Hidalgo 2004), so dass nicht mehr der Staat, sondern die Privatwirtschaft Motor und Träger der Stadtentwicklung geworden ist (Bähr und Meyer-Kriesten 2007). „Die Stadt – vertreten durch Stadtpolitik, Stadtverwaltungen und Stadtplanung – hat das Gesetz des Handelns an private oder privatwirtschaftliche Akteure abgetreten“ (Borsdorf und Hidalgo 2004: 115).
6.2 Die staatliche Wohnungsmarktpolitik in Santiago de Chile
103
Obwohl der Einfluss des Immobilienkapitals in der Stadt nicht neu ist (Capel 2002), war er bis in die 1970er Jahre noch der Stadtpolitik unterworfen. Borsdorf und Hidalgo (2004) folgend, war der Wohnungsbau in Santiago de Chile bis in die 1970er Jahre an den reglementierten städtischen Bodenmarkt, die Stadtplanung und die Gesetzgebung gebunden und zeichnete sich durch vier Wohnungsmarktsegmente aus: den privaten Wohnungsbau, den sozialen Wohneigentumsbau, die Wohnraumvermietung sowie die selbsterbauten Wohnungen illegaler Hüttenviertel. Da eingangs die Bedeutung der staatlichen Wohnungsmarktpolitik für die sozial-raum-zeitliche Produktion von Segregation herausgestellt wurde, soll in diesem Kapitel speziell auf die Wohnungspolitik des sozialen Wohnungsbaus eingegangen werden, bevor im Anschluss daran der Schwerpunkt auf den privaten Wohnungsbau gelegt wird. Für den sozialen Wohnungsbau in Santiago de Chile stehen die nationale Wohnungspolitik und deren Programme im Mittelpunkt. Die Wohnungspolitik wird auf nationaler Ebene durch das MINVU geplant und auf regionaler Ebene durch die Ministerien – SEREMI und SERVIU – umgesetzt. Das MINVU wurde 1965 unter der Regierung von Eduardo Frei Montalva (1964-1970) gegründet. Dem MINVU unterstehen seit 1975 die SERVIUs, die auf regionaler Ebene für die Durchführung der vom Ministerium über die SEREMI erarbeiteten Planungsvorhaben verantwortlich sind (siehe auch Nickel-Gemmeke 1991). Ein wesentliches Ziel des MINVU ist die Lebensqualität der Bewohner zu verbessern, vor allem der besonders verwundbaren Bevölkerungsgruppen unter Berücksichtung ihrer sozialen Vielfalt. Darüber hinaus sollen die Sozialintegration begünstigt, soziale Ungleichheiten reduziert und die Bürgerbeteiligung gestärkt werden. Es stehen u.a. die Senkung des Wohnungsdefizits besonders benachteiligter Bevölkerungsgruppen, die Wiederbelebung verfallener und / oder armer Stadtquartiere sowie die Stärkung der Stadtentwicklung durch Stadtplanungsinstrumente und gezielte öffentliche Investitionen im Mittelpunkt der Wohnungspolitik (Brain et al. 2009). Seit Gründung des MINVU lassen sich vier Etappen der Wohnungspolitik ausmachen, die sich hinsichtlich der Rollenverteilung privater und öffentlicher Aufgaben grundlegend unterscheiden (siehe auch Kabisch et al. 2012). Die erste Phase von 1964 bis 1973 konzentrierte sich auf die stufenweise Entwicklung der Wohnungs- und Städtebaupolitik. Um das Stadtwachstum kontrolliert planen zu können, wurde neben verschiedenen kommunalen Flächennutzungsplänen im Jahre 1976 das ‚Ley General de Urbanismo y Construcción‘ (LGUC) verabschiedet. Der öffentliche Sektor, vertreten durch das MINVU, war in dieser Phase der Wohnungspolitik ein entscheidender Akteur. Der Staat war über das MINVU der wichtigste Wohnungs- und Bodenmarktanbieter für die unteren und mittleren Sozialschichten. Unter Präsident Eduardo Frei Montalva sollte vor allem die Wohnungslage (Nähe zum Stadtzentrum sowie gute Verkehrsanbindung) und die Ausstattung der Stadtquartiere mit Schulen, Pflegediensten, Erholungsorten und Einzelhandel eine wichtige Rolle spielen. Im Zusammenhang mit der Produktion von Segregation auf gesamtstädtischer Ebene erhält das 1965 realisierte Programm ‚Operación Sitio‘ (siehe auch Kapitel 5.4.1) eine besondere Bedeutung. Das Pro-
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6 Santiago de Chile – sozial-raum-zeitliche Produktion von Segregation
gramm zielte auf die Verringerung des Wohnungsdefizits besonders bedürftiger Familien ohne großen Kapitaleinsatz, aufbauend auf der Eigeninitiative der Bewohner (Bähr 1976, Hidalgo 2007). Das Bauland wurde von einer Wohnungsbaugesellschaft in einfachster Weise erschlossen, parzelliert und mit einer Mindestausstattung – Pultdachhaus (‚mediagua‘) – den bedürftigen Familien zur Verfügung gestellt. Eine minimale gemeinnützige Versorgung (provisorische Schulen, Gemeinschaftszentren und Einzelhandel) im Stadtquartier war vorgesehen. Insgesamt konnten zwischen 1964 und 1970 über das Programm rund 65.000 Wohnungen in Santiago de Chile (hauptsächlich am Stadtrand) geschaffen werden (Brain et al. 2009, siehe auch Hidalgo 2005). Obwohl das Programm dem Wohnungsdefizit entgegenwirken konnte, wurde es stark kritisiert. Einerseits hätte es die Expansion der Stadt begünstigt, indem die Siedlungen insbesondere am Stadtrand realisiert wurden. Andererseits hätte es die sozial-räumliche Segregation weiter verschärft (Bähr 1976), da die präkere Mindestausstattung der Wohnungen die Konsolidierung und Konzentration unterer Sozialschichten beförderte (Brain et al. 2009). Wenngleich die Regierung unter Salvador Allende (1970-1973) versuchte, eine soziale Mischung durch Umgestaltung der Städte und Stadtquartiere ohne Verdrängungsprozesse sowie eine Verbesserung der funktionalen Integration durch Wohnumfeldverbesserungen zu erreichen, war dieses Ziel weder explizit definiert noch wurden entsprechende Instrumente in der Wohnungspolitik entwickelt31 (Brain et al. 2009). Der private Sektor konzentrierte sich in dieser Phase der Wohnungspolitik fast ausschließlich auf den durch das MINVU beaufsichtigten sozialen Wohnungsbau. Vor diesem Hintergrund ist das räumliche Verteilungsmuster der Wohngebiete unterer und unterster Sozialschichten ein Ergebnis traditioneller Hüttenviertel, Landbesetzungen und neuer Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus, das bis in die 1970er Jahre ganz wesentlich die räumliche Entwicklungsdynamik Santiagos bestimmte (Bähr und Meyer Kriesten 2007). Die zweite Phase der Wohnungspolitik bezieht sich auf die Jahre zwischen 1973 und 1989, die durch die Militärdiktatur unter Augusto Pinochet geprägt wurden. Diese Phase ist gekennzeichnet durch einen starken ideologischen Wandel in der Wohnungspolitik. Die Liberalisierung des Bodenmarktes bildete hierbei die vorrangige politische Richtung. Der private Sektor, der bis dahin weitgehend abhängig von MINVU handelte, sollte seine Rolle als Wohnungsversorger für bedürftige Familien stärken. Dessen ungeachtet blieb das MINVU, als Vertreter des Staates, weiter verantwortlich für den Bau von Sozialwohnungen und wurde in den 1980er Jahren zu einer der wichtigsten Treiber des Wirtschafts- und Arbeitsmarktes. Ab Mitte der 1980er Jahre wurde das Wohnungsförderungssystem geändert, um das Angebot und die Nachfrage im Immobiliensektor besser steuern zu können. Es wurde ein Voucher-System eingeführt, das bis heute noch Gültigkeit erfährt (Brain et al. 2009). Unter der neoliberalistischen Einstellung bedeutete dies, dass jeder Bewohner, der mit eigenen Mitteln Wohneigentum erwerben konnte, nicht mehr vom Staat gefördert werden sollte. Dadurch wurde der Erwerb 31
Eine Ausnahme stellte das ‚Programa Habitacional‘ von 1972 dar, das in Ansätzen versuchte, die betroffenen Gebiete mit sozialer und Gemeinschaftsinfrastruktur auszustatten.
6.2 Die staatliche Wohnungsmarktpolitik in Santiago de Chile
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von Wohneigentum zu einer individuellen Aufgabe. Durch eigenständige Antragstellung konnte eine Subvention sowie Förderung beim MINVU beantragt werden. Der Staat gewährleistete eine Mindestausstattung und unterstützte die Familien mittels Ausbauplänen und Richtlinien bei nachträglichem Eigenausbau (‚autoconstrucción‘). Darüber hinaus wurde während dieser Phase die massive Umsiedlung von ‚campamentos‘ aus innenstadtnahen und wohlhabenden Gebieten in Wohngebiete des sozialen Wohnungsbaus am Stadtrand forciert. Gründe hierfür waren wirtschaftlicher Art, die Rückgabe besetzter Grundstücke an die Eigentümer und die Lage der Siedlungen in Risikogebieten. Die SEREMI der RMS registrierte im Jahr 1979 in Santiago de Chile 294 ‚campamentos‘ mit insgesamt 44.789 Familien bzw. 223.957 Personen. Daraufhin wurden zwischen 1979 und 1986 in Santiago de Chile rund 28.500 Familien umgesiedelt (Hidalgo 2007). Laut De Ramón (2007) konzentrierten sich 77,3% der Umsiedler in nur fünf Gemeinden der Stadt Santiago de Chile: La Pintana, Puente Alto, La Granja, San Bernardo und Peñalolén. Die neuen Wohnstandorte lagen meist am Stadtrand und die Wohnungsgrößen betrugen zwischen 40m² und 45m². Die Mehrheit der Umsiedler lebte bis zu diesem Zeitpunkt in Gemeinden mit relativ guter Ausstattung an sozialer und technischer Infrastruktur, wie z.B. Estación Central, Conchalí, Vitacura, Macul, Lo Espejo, Las Condes und La Cisterna (De Ramón 2007). Die Auswirkungen dieses großflächigen Umsiedlungsprogramms sind bis heute noch sichtbar. Die selektive Umsiedlung insbesondere unterer Sozialschichten hat während der 1980er Jahre dazu geführt, dass z.B. die illegalen Siedlungen in den wohlhabenden nordöstlich gelegenen Gemeinden Providencia, Las Condes, Vitacura und Lo Barnechea sehr stark reduziert wurden und sich der Charakter eines Raumes oberer Sozialschichten festigen konnte. Demgegenüber wurden die Aufnahmegemeinden, wie z.B. die südlich gelegenen Gemeinden La Granja, La Pintana, San Ramón und die westlich gelegene Gemeinde Pudahuel durch die Konzentration unterer Sozialschichten nachhaltig geprägt (De Ramón 2007). Aufgrund ihrer geringen Steuereinnahmen waren diese Gemeinden nicht in der Lage, eine adäquate soziale und technische Infrastruktur für die massiv neu zugezogenen Bewohner bereitzustellen. Die Folge der Umsiedlungspolitik der 1980er Jahre war eine Verstärkung und Verfestigung des räumlichen Segregationsmusters auf gesamtstädtischer Ebene, die den gesellschaftlichen Raum nachhaltig geprägt haben (Brain et al. 2009, Hidalgo 2007, Sabatini et al. 2010a). Der Zeitraum von 1990 bis 2005 bildet die dritte Phase der Wohnungspolitik. Sie ist im Allgemeinen durch die Wiederkehr der Demokratie bestimmt. Doch Anfang der 1990er Jahre sah sich der chilenische Staat mit einem Wohnungsdefizit von 771.935 Wohnungen in den Regionen des Landes konfrontiert, wovon sich allein 31,9% in Santiago de Chile konzentrierten (MINVU 2006). Oberstes Ziel des Staates war es daher, das Wohnungsdefizit zu reduzieren und die Wohnungsnachfrage besser zu steuern, um möglichen weiteren Landbesetzungen entgegen zu wirken. Darüber hinaus standen die Aufwertung der degradierten Gebiete und die Eingliederung der Wohnungsberechtigten in das städtische soziale Dienstleistungsnetz im Vordergrund. Das Voucher-System wurde beibehalten und die Zu-
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6 Santiago de Chile – sozial-raum-zeitliche Produktion von Segregation
gangsmechanismen wurden auch für mittlere Statusgruppen erleichtert32. Dessen ungeachtet führten die neuen Wohnungsprogramme die Philosophie des von der vorherigen Militärregierung auferlegten Modells weitgehend fort (Hidalgo 2007). Die bedürftigen Familien wurden weiterhin mittels Punktesystem (auf Basis von Einkommen, Wohnungsqualität, Belastung der Familie und Ersparnissen) in unterschiedliche Finanzierungskategorien eingeordnet. Sie konnten sich auf unterschiedliche Förderprogramme33 bewerben. Um das Wohnungsdefizit deutlich zu reduzieren und den Wohnungsmarkt an die neuen Anforderungen (steigende Zahl der Haushalte und Schutz vor Verfall) anzupassen, hatte sich das MINVU Anfang der 1990er Jahre zum Ziel gesetzt, jährlich mindestens 90.000 Wohnungen zu finanzieren (MINVU 2006, MIDEPLAN 2001). Unter Berücksichtung der Programme für den sozialen Wohnungsbau und der Förderprogramme für die mittleren Sozialschichten konnten zwischen 1990 und 1998 jährlich mehr als 96.000 Wohnungen in Chile geschaffen werden (über 80% davon im Neubau). Der Höhepunkt lag im Jahre 1996, als rund 117.000 neue Wohnungen übergeben wurden (MIDEPLAN 2001). In Santiago de Chile wurden zwischen 1990 und 2002 insgesamt 92.637 Sozialwohnungen gebaut, die sich zu 55,9% auf die Gemeinden Puente Alto, La Pintana, San Bernardo und Maipú konzentrieren (Hidalgo 2007, Hidalgo und Arenas 2003). Der Hauptanteil der neu geschaffenen Wohnungen beschränkte sich überwiegend auf neue Wohnsiedlungen am Stadtrand mit mindestens 300 Wohneinheiten in Geschossbauweise (meist vier Etagen und Wohnungsgröße maximal 42m²) für untere Sozialschichten. Die neuen Siedlungen wurden überwiegend auf staatlichen Grundstücken mit geringen Bodenpreisen gebaut. Neben dem Bau von Sozialwohnungen war auch der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, der sozialen und technischen Infrastruktur sowie der Grünflächen Schwerpunkt dieser Wohnungspolitik (MIDEPLAN 2001). Vor diesem Hintergrund ist diese dritte Phase in die Geschichte der chilenischen Wohnungsbaupolitik eingegangen, denn es war der Zeitabschnitt, in dem eine große Anzahl an Sozialwohnungen gebaut wurde und das Wohnungsdefizit mit rasanter Geschwindigkeit reduziert werden konnte. Obwohl die quantitativen Erfolge in der Wohnungspolitik national und international gewürdigt und von der UN-Habitat sogar als ‚best practice‘ deklariert (UN-Habitat 2003: 127) wurden, kamen Ende der 1990er Jahre starke Kritiken am System auf (siehe u.a. Rodríguez und Sugranyes 2004, 2005 sowie Ducci 1997): Der massive Bau von Sozialwohnungen habe neben administrativen Problemen bei der Vergabe von Subventionen und bei der 32 Der ‚Subsidio de Renovación Urbana‘ – Stadterneuerungsförderung aus dem Jahre 1990 – beinhaltete den Bau und Erwerb von Eigentumswohnungen für mittlere Einkommensgruppen in zentralen Stadtgebieten. Die Förderung war insgesamt höher als bei anderen Programmen aufgrund der vergleichsweise hohen Bodenpreise und des breiteren Angebotes an sozialer und technischer Infrastruktur. Das Ziel des Programms war die Verdichtung zentraler Stadtgebiete, die in den vergangenen Jahren durch starke Abwanderung gekennzeichnet gewesen waren (MINVU 2006). 33 Die Förderprogramme sind ‚Programa de Mejoramiento de Barrios‘ (Innenministerium), ‚Programa de Vivienda Progresiva Privada y SERVIU‘, ‚Programa de Vivienda Básica, Programa Chile Barrio‘ (MINVU 2006).
6.2 Die staatliche Wohnungsmarktpolitik in Santiago de Chile
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qualitativen Ausstattung der Gebäude und Wohnquartiere zur weiteren Homogenisierung bereits benachteiligter Quartiere geführt und somit die räumliche Segregation von ärmeren Bevölkerungsgruppen am Stadtrand weiter konsolidiert (Hidalgo 2007, Rodríguez und Sugranyes 2004, Sabatini et al. 2010a). Sabatini und Brain (2008) postulieren in diesem Zusammenhang eine ‚Ghettoisierung‘ dieser Quartiere, denn zu den gravierenden Qualitätsproblemen im Wohnungsbestand, in der Wohnungsgröße sowie im Wohnumfeld kämen Unsicherheit, Kriminalität, Arbeitslosigkeit, Drogenhandel, Distanz zum Arbeitsmarkt, fehlende soziale Infrastruktur, zerrissene soziale Netzwerke, geringes Sozialkapital, Misstrauen, fehlende Solidarität bzw. Engagement und Wertverlust der Immobilie hinzu (siehe auch Ducci 1997). Die Auswirkungen dieser negativen Kontexteffekte homogener Stadtquartiere und deren Folgen für die Sozialintegration verweisen auf die im Kapitel 2.2 diskutierten theoretischen Ansätze. Die Akkumulation sozialer Konflikte wurde ab Mitte der 1990er öffentlich diskutiert und anerkannt. Verschiedene Maßnahmen wurden veranlasst, so z.B. die Wohnsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus auf maximal 300 Wohneinheiten zu beschränken und die Subventionen zu erhöhen, um den Bewerbern einen besseren Zugang zu anderen Wohnungsmarktsegmenten zu gewährleisten. Doch diese Programme blieben weitgehend erfolglos (Brain et al. 2009). Der Bau- und Immobiliensektor entwickelte Strategien, um weiterhin großflächig zu bauen (in einer ersten Etappe 299 Wohnungen und in der nächsten Etappe weitere 299 Wohnungen usw.), und auch wenn sich die Fördersummen um 100 UF34 zwischen 1994 und 2004 erhöhten, nahm die Distanz der Wohnsiedlungen zur Innenstadt weiter zu, denn preiswerte Grundstücke waren nur noch im Umland zugänglich. Erst ab 2007, nach der Wahl Michelle Bachelets zur Präsidentin, erhielt die Wohnungspolitik eine neue Ausrichtung. In dieser vierten Phase verpflichtete sich der öffentliche Sektor, exakt umrissene Verbesserungen in der Wohnungspolitik einzuleiten. Unter der neuen Wohnungs- und Städtebaupolitik (‚Nueva Política Habitacional y Urbana‘) standen die folgenden Maßnahmen im Mittelpunkt: Verringerung des Wohnungsdefizits für besonders bedürftige Bevölkerungsgruppen unter gleichzeitiger Verbesserung der Wohnungsqualität (Größe und Baumaterialien) sowie die Berücksichtigung von sozialer Integration (soziale Durchmischung unterer und mittlerer Einkommensgruppen) (Brain et al. 2007). Soziale und funktionale Integration, verbesserte Standortwahl bei Wohnungsneubau, Förderung von ‚gebrauchten‘ Wohnungen und Wohnumfeldaufwertung spielte von Anfang an eine wichtige Rolle in der neuen Wohnungspolitik, die in einer Reihe von In34 Die ‚Unidad de Fomento‘ (UF) – bedeutet soviel wie Förderungseinheit – ist eine Rechnungswährung in Chile. Die UF basiert auf dem Verbraucherpreisindex (‚Índice del Precio al Consumidor‘ – IPC), der monatlich von dem Nationalen Statistikinstitut (INE) ermittelt wird. Die Umrechnung erfolgt jedoch durch den von der Zentralbank (‚Banco Central de Chile‘) bekanntgegebenen aktuellen Wechselkurs. Sie ist kein Zahlungsmittel in Form von ausgemünztem Bargeld. Die UF wurde 1967 eingeführt, um eine inflationsangepasste Verzinsung für Kredite auf den internationalen Finanzmärkten zu ermöglichen. Heute wird die UF für zahlreiche Verträge, wie z.B. Bankkredite, private Investitionen, Hypothekenkredite, Baukosten und Immobilienwerte, genutzt (www.uf.cl).
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6 Santiago de Chile – sozial-raum-zeitliche Produktion von Segregation
strumenten und Programmen umgesetzt wurde. Die wichtigsten neuen Programme umfassten folgende Förderungen bzw. Maßnahmen:
Der ‚Fondo Solidario de Vivienda‘ (FSV I und II) unterstützt sowohl den Wohnungsneubau (auf eigenen oder neuen Grundstücken), die Grundstücksverdichtung als auch den Erwerb von gebrauchten Wohnungen. Die Förderung unterteilt sich in zwei Abschnitte: FSV I und FSV II. Ersterer berücksichtigt die unteren 20% (erstes Einkommensquintil, bzw. E) und letzterer die untersten 40% (zweites Einkommensquintil, bzw. D) besonders bedürftiger Bevölkerungsgruppen. Der Wohnungspreis (gebraucht oder neu) darf 650 UF nicht übersteigen. Die Antragstellung kann individuell oder gruppal erfolgen. Das Förderprogramm D.S.40 ist auf die untere Mittelschicht – untere 60% (drittes Einkommensquintil, bzw. C3) der bedürftigen Bevölkerungsgruppen – ausgerichtet, die bereits über Spareinlagen verfügen und Hypothekenkredite aufnehmen können. Die Förderung kann für den Wohnungsneubau auf einem eigenen Grundstück, den Erwerb einer neuen oder gebrauchten Wohnung (Baujahr vor 1960) im städtischen oder ländlichen Raum, in Stadterneuerungsgebieten, in Gebieten mit vorrangigen Entwicklungszielen oder in denkmalgeschützten Gebieten genutzt werden. Der ‚Subsidio Diferenciado a la Localización‘ zielt auf die verbesserte Lage des sozialen Wohnungsbaus. Eine Familie erhält eine zusätzliche Förderung (200 UF/Familie) sobald sich die zu erwerbende Sozialwohnung in der Herkunftsgemeinde bzw. an einem ‚guten‘ Standort befindet. Ein guter Standort bedeutet, dass die Wohnung in einer Stadt mit mindestens 5.000 Einwohnern angesiedelt ist, Anschluss an das lokale Wasser- und Abwassernetz hat, Zugang zum Straßennetz, ÖPNV in 500 m Entfernung, Schule in 1.000 m Entfernung und Ärztezentrum in 2.500 m Entfernung vorfindet35. Weitere Maßnahmen sind die sozial integrierten Wohnungsbauprojekte (‚Proyectos Socialmente Integrados‘). Ziel dieser Projekte ist es, eine soziale Durchmischung zu erreichen. In den Wohngebieten sollen sich Familien aus den Programmen D.S.40 und FSV räumlich mischen. Die Bedingungen für diese Projekte sind, dass: (i) mindestens 30% von D.S.40 und 30% von FSV sich auf diese Wohngebiete bewerben; (ii) eine Baugenehmigung für beide Programme besteht; (iii) die Baugrundstücke nur maximal 150 Wohneinheiten zählen; (iv) ein Grünflächenplan existiert und (v) der Wohnungswert 2.000 UF nicht überschreitet. Familien, die sich für diese Wohngebiete entscheiden, können zusätzlich Anträge auf die Förderprogramme ‚Subsidio de Equipamiento‘, ‚Subsidio de Iniciativas‘ und ‚Subsidio de Localización‘ stellen. Das Programm residenzieller Mobilität (‚Programa de Movilidad Habitacional‘) erlaubt zum ersten Mal, Sozialwohnungen innerhalb der ersten fünf Jahre zu verkaufen (Wohnungen mit ‚Subsidio a la Localización‘ erst nach 15
35 Innerhalb der Stadt Santiago de Chile sind diese Konditionen weitestgehend erfüllt, so dass es laut dieser Definition keinen Unterschied zwischen schlechter und guter Lage gibt.
6.2 Die staatliche Wohnungsmarktpolitik in Santiago de Chile
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Jahren), jedoch nur unter der Bedingung, dass von dem Verkaufswert eine neue Wohnung erworben wird. Ein besonders innovatives Programm ist das ‚Programa Quiero mi Barrio‘, das auf die Verbesserung der Lebensqualität in sozial und funktional degradierten Stadtteilen über mittelfristige Interventionen setzt. Durch ganzheitliche und partizipative Beteiligungsverfahren (Einbezug der Bewohner bei Entscheidungsprozessen) sollen benachteiligte Stadtteile in vier Phasen36 aufgewertet werden. Eine der Stärken des Programms ist die räumliche (nicht nur bezogen auf den Wohnungsbau, sondern auch auf das Wohnumfeld), multidimensionale und intersektoriale Fokussierung, dass heißt gemeinsame Entwicklung von Lösungsansätzen und intersektoriale Koordination.
Obwohl diese Programme sehr neuwertige Ansätze in der chilenischen Wohnungspolitik vorweisen können, konzentriert sich der private Immobiliensektor weiterhin auf den Wohnungsneubau und zeigt kaum Interesse an sozial integrierten Wohnungsbauprojekten. Auch die Förderprogramme haben sich in ihrer grundlegenden Struktur kaum geändert. Dennoch ist erwähnenswert, dass die Bewerber bei der Wahl ihrer Wohnung und des Wohnstandortes mehr Eigeninitiative einbringen können. Sie bekommen jetzt nicht notwendigerweise eine Wohnung zugewiesen, sondern können den Standort selbst wählen. Wie sich dies auf die räumliche Segregation im Sinne der gesellschaftlichen Raumproduktion auswirkt, ist bisher nicht abschätzbar. Vor diesem Hintergrund sind die Integrationsziele der Bachelet-Regierung als ein großer Fortschritt in der Wohnungspolitik zu interpretieren. Ungeachtet dessen ist der Begriff der sozialen Integration eher irreführend, denn der Fokus dieser Förderprogramme und -projekte liegt auf der räumlichen Nähe unterer und mittlerer Sozialschichten. Die Art des Zusammenlebens und dessen Konsequenzen bleiben weitgehend unbestimmt. Die Auswirkungen der Instrumente sind ungeklärt. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass seit den 1960er Jahren der quantitative Abbau des Wohnungsdefizits im Mittelpunkt der Wohnungspolitik stand. Ein bedeutendes Ergebnis aus der vorangegangenen Darstellung ist, dass zwischen 1979 und 2002 rund 200.000 Sozialwohnungen in Santiago de Chile gebaut wurden. Diese Zahl weist einerseits auf die verbesserte Regulierung der Wohneigentumsrechte hin (nur noch 1% der chilenischen Bevölkerung lebt in illegalen Siedlungen), sowie andererseits auf die Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen (Verringerung der Kindersterblichkeit und anderer Krankheiten) aufgrund des verbesserten Zugangs zu Trinkwasser und Strom (Ducci 1997). Über diese Mechanismen konnte eine funktionale Eingliederung der bedürftigen Bewohner gefördert werden. Neben diesen positiven Erfolgen in der Wohnungspolitik verweisen die Zahlen und Entwicklungen aber auch auf negative Auswir36 Die Phasen sind folgende: (1) Programminstallation; (2) Sensibilisierungsphase; Diagnose und Bildung des Nachbarschaftsrates, Nachbarschaftsvertrag mit Vertrauensprojekt; (3) Ausführung des Vertrauensprojektes und (4) Evaluierung und Projektabschluss (siehe auch Welz 2007).
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6 Santiago de Chile – sozial-raum-zeitliche Produktion von Segregation
kungen der staatlichen Förderprogramme. Eines der tiefgreifenden Probleme bezieht sich auf die Konzentration von Sozialwohnungen in bestimmten Gemeinden der Stadt Santiago de Chile. Laut Hidalgo (2007) verteilen sich von den 200.000 gebauten Sozialwohnungen 80,7% auf nur elf37 von insgesamt 34 Gemeinden der Stadt. Diese elf Gemeinden liegen alle am Stadtrand und verweisen auf den engen Zusammenhang zwischen sozialem Wohnungsbau, Flächenangebot und Bodenwerten. Die Konzentration von Sozialwohnungen festigt die bereits niedrigen Bodenwerte und steigert folglich die Anreize für weiteren Sozialwohnungsbau. Das wiederum hat zur Folge, dass der Wohnungsmarkt einzelner Gemeinden in Santiago de Chile (z.B. La Pintana) sich aus 70% bis 80% Sozialwohnungen zusammensetzt (Hidalgo und Arenas 2003). Darüber hinaus bedeutet die Konzentration von Sozialwohnungen und Geringverdienern geringe Steuereinnahmen und somit ein begrenztes Haushaltsbudget für die betroffenen Gemeinden und dies bei steigender Nachfrage nach öffentlichen Dienstleistungen (Schulen, Krankenhäuser, Abfallentsorgung, Grünflächenpflege etc.). Kommunale Einrichtungen sind oftmals überlastet und das Angebot ist mangelhaft. Folgen dieser Konzentration von Sozialwohnungen ist die räumliche Segregation unterer Sozialschichten sowie soziale Desintegration, Stigmatisierung und Hoffnungslosigkeit (siehe auch Kapitel 2.2). 6.3 ENTWICKLUNGEN AUF DEM PRIVATEN WOHNUNGSMARKT – (DE-)SEGREGATION ALS NICHTINTENDIERTE NEBENWIRKUNG? Die Entwicklungen auf dem privaten Wohnungsmarkt in Santiago de Chile stehen in engem Zusammenhang mit der Liberalisierung und Privatisierung des Bodenmarktes und der Deregulierung von Stadtplanungsinstrumenten (siehe Kapitel 6.2). Ein wichtiger Meilenstein für die Privatisierung des Bodenmarktes war die 1979 beschlossene Nationale Politik der Stadtentwicklung (‚Política Nacional de Desarrollo Urbano‘), die eine grundlegende Bodenreform beinhaltete. Wesentliche Bestandteile waren eine Gemeindereform und die Aufhebung der städtischen Grenzen. Letzere führte dazu, dass der städtische Boden keine knappe Ressource mehr war (MINVU 1981). Es wurde angenommen, dass durch diese Deregulierung die freie Marktwirtschaft den Bodenpreis beeinflussen und die Bodenpreise aufgrund der Freigabe potenzieller Bebauungsflächen sinken würden. Doch einflussreiche lokale Immobilien- und Wohnungsbauentwicklungsgesellschaften kauften – zum Teil unter spekulativer Motivation – preiswerte, große Flächen an Bauland, vor allem am Stadtrand, auf. In der Folge stiegen die Bodenpreise entgegen aller Erwartungen stark an (Sabatini 2000, Hidalgo 2004, Borsdorf und Hidalgo 2004). Vor dem Hintergrund der Liberalisierung des Bodenmarktes und der Deregulierung der Stadtplanung erlangte die Immobilien- und Bauwirtschaft 37 Puente Alto (15,6%), La Pintana (11,5%), San Bernardo (9,1%), La Florida (8,1%), Maipú (6,9%), Pudahuel (6,1%), Renca (5,8%), El Bosque (5,4%), Peñalolén (4,6%), Quilicura (4,0%) und La Granja (3,6%).
6.3 Entwicklungen auf dem privaten Wohnungsmarkt
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eine bedeutende Dynamik im Wohnungsmarktsektor, mit starken internen und externen Effekten. Denn die lokalen und internationalen Immobilien- und Wohnungsbauentwicklungsgesellschaften kauften nicht nur die Grundstücke, sondern erschlossen, bebauten, betrieben sie selbst, und verkauften sie schließlich gewinnbringend (Hidalgo et al. 2003, Hidalgo 2004, Borsdorf und Hidalgo 2004). Unter diesen Voraussetzungen haben die neuen polit-ökonomischen Rahmenbedingungen die Struktur des städtischen Raums sichtbar beeinflusst (siehe auch Kapitel 2.1). Eine größere Zahl neuer, zum Teil hochspekulativer Immobilienprojekte sind neben dem Aus- und Umbau des Autobahnnetzes sowie großflächigen Malls, Entertainmenteinrichtungen, Hotelkomplexen und Bürozentren entstanden (Sabatini 2000, Hidalgo et al. 2003). Dessen ungeachtet zählen die großflächigen Wohnungsbauprojekte in Form von ‚condominios‘38 oder ‚barrios cerrados‘ zu den auffälligsten neuen Elementen der Stadtstruktur (Meyer-Kriesten et al. 2004, Cáceres und Sabatini 2004, Hidalgo und Borsdorf 2005, Hidalgo et al. 2007). Vor dem Hintergrund eines steigenden Sicherheitsbedürfnisses und der Verwirklichung eines bestimmten Lebensstils hat diese Art von Wohnungsangebot auf der Nachfrageseite sehr viel Popularität erfahren. Auf der Angebotsseite – den Immobilienträgern – ist diese Art der Bebauung aus zwei Gründen besonders lukrativ. Erstens können sie preiswerte Flächen, die innerhalb oder am Rande von Armutszonen liegen, für den formellen Grundstücksmarkt nutzbar machen, da die soziale Distanz zur ansässigen Bewohnerschaft durch Mauern und Zäune garantiert wird, und andererseits können sie diese preiswerten Grundstücke profitabel verkaufen (Fischer und Parnreiter 2002, Galleguillos Araya-Schübelin 2006). Die ersten horizontalen ‚condominios‘ wurden in randstädtischen Gemeinden wie Peñalolén, La Florida, Puente Alto, San Bernardo und Huechuraba angelegt und umfassten mehr als 100 Wohneinheiten. In Anlehnung an Ergebnisse von Borsdorf et al. (2007) sind im Zeitraum von 1990 bis 2000 in den 34 Gemeinden der Stadt Santiago de Chile insgesamt 2.145 ‚condominios‘ mit rund 95.000 Wohneinheiten – sowohl in Form von Einfamilienhaussiedlungen als auch in Form von Geschosswohnungsbau – entstanden. Während der Geschosswohnungsbau charakteristisch für die nordöstlich gelegenen wohlhabenden Gemeinden wie z.B. Las Condes, Providencia, Nuñoa und Vitacura (75% des Gesamtanteils) ist, befinden sich die Einfamilienhaussiedlungen in den randstädtischen Gemeinden wie La Reina, Lo Barnechea, La Florida, Huechuraba und Peñalolén (55% des Gesamtanteils), die zum Teil in räumlicher Nähe zu großflächigen Armutsgebieten liegen (siehe auch Meyer und Bähr 2001 bzw. Kapitel 6.1). In Anlehnung an Borsdorf (2000) lassen sich heute mindestens drei Typen von ‚condominios‘ – Eigenheime auf großzügigen Gartengrundstücken in ge38 In Anlehnung an Borsdorf (2000) können ‚condominios‘ als künstlich geschaffene und geschlossene Wohnquartiere beschrieben werden, in denen eine interne Struktur von Freizeit, Sicherheit, Ruhe und Sozialkontrolle herrscht. Hinter den Mauern bleiben Arbeitswelt, Kriminalität, Lärm und Anonymität zurück und die negativen Auswirkungen der Zivilisation sind in dieser künstlich geschaffenen Idylle nicht zu spüren. Die ‚condominios‘ sind laut Borsdorf (2000) die extremste Form der Selbstsegregation, die im Zusammenhang mit sozioökonomischen und demographischen Entmischungsvorgängen zu sehen ist.
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6 Santiago de Chile – sozial-raum-zeitliche Produktion von Segregation
schlossenen Wohnanlagen mit Sicherheitssystemen – in Santiago de Chile identifizieren. Höchste Exklusivität bieten die luxuriösen ‚Lifestyle-Condominios‘, die zu den preisintensivsten Wohnanlagen Santiagos zählen und folglich ausschließlich für die Elite zugänglich sind. Eine dieser Anlagen – ‚Club de Golf Lomas de La Dehesa‘ – befindet sich in der Gemeinde Lo Barnechea und wurde bereits Anfang der 1980er Jahre auf 106 ha entwickelt (ebd.). Die Haushaltsgröße beträgt im Durchschnitt fünf Personen. In jedem Haushalt arbeiten mindestens zwei Hausangestellte, ein Chauffeur und ein Gärtner. Alle Wohnhäuser besitzen einen eigenen Swimmingpool (Meyer und Bähr 2001). Die exklusive Wohnanlage mit insgesamt 262 Grundstücken gruppiert sich um eine eigene Golf- und Countryanlage und ist mit zahlreichen Sicherheitsposten, zum Teil auch motorisiert, ausgestattet (Borsdorf 2000). Eine weitere Anlage dieses Typs – ‚Valle Escondido‘ – befindet sich ebenfalls in der Gemeinde Lo Barnechea. Diese Anlage wurde 1997 erschlossen (Meyer und Bähr 2001). Auf 175 ha Fläche wurden 127 Grundstücke mit einer Fläche zwischen 1.500 m² und 5.000 m² ausgewiesen. Ähnlich wie in der ersten Wohnanlage, unterliegt auch dieses ‚Lifestyle-Condominio‘ strikten Sicherheitsvorkehrungen (Sicherheitspersonal, Videoüberwachung und Koordination über Radio etc.), um den Bewohnern eine ruhige und entspannte Privatsphäre zu garantieren. Der zweite von Borsdorf (2000) definierte Typ sind die ‚NeureichenCondominios‘. Diese Art von ‚condominio‘ wird insbesondere von wohlhabenden Jungfamilien (‚familias aspiradoras‘) nachgefragt. Ihnen geht es weniger um den Lebensstil, sondern vielmehr um ein gesteigertes Sozialprestige. Die preiswerteren Häuser und Grundstücke, die Sicherheit, der Kontakt zu anderen Jungfamilien und das naturnahe Leben bei gleichzeitiger Nähe zu bestehenden Netzwerken, Infrastrukturen und Arbeitsplätzen sind entscheidende Standortvorteile. Obwohl die Wohnanlagen geringer dimensioniert und weniger extravagant sind als der zuerst genannte Typ, ist die Ausstattung sehr gut. Das Neureichen-Condominio ‚Los Almendros‘ in Huechuraba ist ein Beispiel dieses Typs. Die Wohnanlage befindet sich im östlichen Teil der Gemeinde und wurde zwischen 1993 und 1996 geplant. Auf etwa 14 ha befinden sich 85 Grundstücke mit Grundstücksgrößen zwischen 250 m² und 800 m² und insgesamt 256 Wohneinheiten. Innerhalb des ‚condominios‘ befindet sich ein exklusiverer Teil mit Schwimmbad, Parkanlage und Spielplatz, der nicht für alle Bewohner zugänglich ist. Andere Abschnitte sind durch eine geringere Ausstattung und verdichtete Bauweise gekennzeichnet, so dass verschiedene Ansprüche an das Wohnen erfüllt werden (siehe auch Campos und García 2002a). Ähnlich wie auch in dem ersten Typ ist der Eingang mit einem Sicherheitsservice ausgestattet. Ein weiteres Beispiel dieses Typs befindet sich im westlichen Teil Huechurabas: Das condominio ‚Los Olivos‘ als Teil des Wohngebietes ‚El Carmen de Huechuraba‘. Das Wohngebiet ‚El Carmen de Huechuraba‘ wurde seit 1996 in mehreren Schritten entwickelt und besteht aus einem Zusammenschluss von 21 condominios mit separatem Zugang. Insgesamt befinden sich in ‚El Carmen de Huechuraba‘ 787 Wohneinheiten auf 39 ha mit einer durchschnittlichen Wohnfläche von 144 m². Die 21 Untereinheiten (‚microbarrios‘) kennzeichnen die sukzessive Entwicklung des Gebietes. Die einzelnen
6.3 Entwicklungen auf dem privaten Wohnungsmarkt
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Wohnanlagen sind in sich geschlossen und mit Toren versehen, wodurch sie eine gewisse Selbstständigkeit erhalten (Borsdorf und Hidalgo 2006). Innerhalb der Wohnanlage ‚Los Olivos‘ befinden sich z.B. 55 Wohnhäuser mit einer Wohnfläche zwischen 140 m² und 172 m² und Grundstücksgrößen zwischen 400 m² und 520 m² (Meyer und Bähr 2001). Die Wohnanlage verfügt über einen Spielplatz. Alle weiteren Gemeinschaftseinrichtungen werden von dem Wohngebiet ‚El Carmen de Huechuraba‘ zur Verfügung gestellt (Meyer und Bähr 2001). Ein dritter Typ stellt das ‚Security-Zone-Condominio‘ dar. Diese Art von ‚condominio‘ wurde für die Ansprüche der oberen Mittelschicht entwickelt und grenzt sich folglich von den ersten beiden Typen hinsichtlich ihrer Ausstattung deutlich ab. Die Einfamilien- und Doppelhäuser sind standardisiert, Freizeiteinrichtungen und Gemeinschaftsanlagen sind kaum vorhanden oder fehlen gänzlich. Einzig das Bedürfnis nach Sicherheit aufgrund erhöhter Angst vor Kriminalität ist ausschlaggebend für einen Zuzug. Beispielhaft für diesen Typ ist das condominio ‚Ecobarrio Casa Grande‘ in Peñalolén. Das Anfang der 1990er Jahre erschlossene Wohngebiet beherbergt auf 29 ha rund 563 Wohneinheiten mit einer Grundstücksgröße zwischen 300 m² und 650 m². Aufgrund des besonderen Sicherheitsbedürfnisses werden die beiden Haupteingänge durch Pförtner, Schranke und Sicherheitspersonal rund um die Uhr kontrolliert. Das Wohngebiet unterteilt sich in verschiedene Untereinheiten. Anders jedoch als bei den ‚Neureichen-Condominios‘ sind die einzelnen Wohnhäuser umzäunt und mit privaten Sicherheitseinrichtungen (Elektrozaun, Videoüberwachung etc.) ausgestattet. Die Wohnanlage verfügt immerhin über einen Sportclub und einen Kindergarten zur gemeinsamen Nutzung. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen kann zusammenfassend festgehalten werden, dass der Wohnimmobiliensektor in Form von ‚condominios‘ ab Mitte der 1990er Jahre zunehmend an Bedeutung gewonnen hat. Seither hat sich die Anzahl der Wohnanlagen nicht nur quantitativ entwickelt, sondern auch hinsichtlich ihrer Zielgruppen diversifiziert (Borsdorf und Hidalgo 2006, Ducci 2002). Insgesamt entstand ein „Fleckerlteppich“ (Borsdorf und Hidalgo 2004: 116) von neuen Wohnanlagen überwiegend am Stadtrand. Dieser Akkumulationsprozess hat die Stadtstruktur entscheidend beeinflusst, indem zum Teil Haushalte mittlerer und höherer Sozialschichten in Stadtquartiere umsiedelten, die sich traditionell durch untere Sozialschichten auszeichneten. In unmittelbarer Nachbarschaft – wenn auch klar abgegrenzt – tragen diese neu errichteten Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen zu einer strukturellen Veränderung des räumlichen Gefüges der Stadt bei und lassen einen neuen gesellschaftlichen Raum entstehen (Galleguillos Araya-Schübelin 2006). 6.4 INNERSTÄDTISCHE WANDERUNGSBEWEGUNGEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DIE (DE-)SEGREGATION Wie bereits in Kapitel 2.2 ausführlich diskutiert, stellen handlungs- und verhaltensorientierte Ansätze, deren Fokus auf innerstädtischen Wanderungsprozessen
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6 Santiago de Chile – sozial-raum-zeitliche Produktion von Segregation
und selektiven Umzugsentscheidungen (als Folge individueller Wohnstandortentscheidungen liegt), eine wichtige Grundlage zur Erklärung residenzieller Segregation dar. Die Wohnstandortwahl wird nach diesen Ansätzen nicht nur durch demographische Variablen beeinflusst, sondern auch durch den lokalen (städtischen) Wohnungsmarkt und die Wohnungspolitik bedingt. Dieser Zusammenhang ist auch in der Stadt Santiago de Chile beobachtbar. Dessen ungeachtet, „most segregation research ignores the issue of residential mobility [… and …] no attention has been devoted to those moves between neighbourhoods that bring about changes in patterns of residential segregation“ (Bolt und Van Kempen 2010: 334).
Für eine Analyse sozial-raum-zeitlicher Produktion von Segregation liegt ein zentraler Schwerpunkt auf den innerstädtischen Wanderungsbewegungen. Denn innerstädtische Wanderungen werden auch in Santiago de Chile allgemein als bestimmende Einflussgröße für das Stadtwachstum, die Fragmentierung und die Veränderung des Sozialgefüges der Stadt gesehen (Escolano und Ortiz 2007). In Santiago de Chile haben innerstädtische Wanderungsbewegungen seit den 1970er Jahren an Bedeutung gewonnen. Nach Zensusanalysen von Rodríguez (2008) ist die Zahl der innerstädtischen Wanderungen von 473.596 im Zeitraum von 1977 bis 1982 auf 779.642 im Zeitraum von 1997 bis 2002 gestiegen (siehe auch González und Rodríguez 2006). Wenngleich sich hinter den Zahlen ein sehr komplexes Migrationsmuster verbirgt, ist ganz allgemein eine Wanderungsrichtung vom Zentrum in die Peripherie beobachtbar (Escolano und Ortiz 2007). Gleichzeitig ist auch die durchschnittliche Bildungsdauer der Bewohner, die ihren Wohnstandort innerhalb der Stadt Santiago de Chile wechselten, angestiegen. Während sich die Bewohner, die im Zeitraum von 1977 bis 1982 ihren Wohnstandort änderten, noch durch eine durchschnittliche Bildungsdauer von 7,8 Jahren auszeichneten, so erhöhte sich der Wert im Zeitraum von 1997 bis 2002 auf durchschnittlich 9,9 Bildungsjahre. Dieser Anstieg vermittelt zunächst den Eindruck, dass besser gebildete Bewohner zunehmend ihren Wohnstandort innerhalb der Stadtgrenzen wechseln würden. Auch wenn diese Tendenz für vereinzelte Gemeinden zutrifft (Rodríguez 2008), ist es notwendig darauf hinzuweisen, dass im gleichen Zeitraum die durchschnittlichen Bildungsjahre der Bewohner, die älter als 15 Jahre sind, von 8,0 in 1982 (Brahm 1991) auf 10,6 in 2002 (INE 2002) angestiegen sind, was als positive Entwicklung des chilenischen Bildungssystems im Allgemeinen gewertet werden kann. Bei der Analyse der Wanderungssalden nach Gemeinden wird deutlich, dass sich die Anzahl der Gemeinden mit negativen Wanderungssalden aufgrund von innerstädtischen Wanderungsbewegungen im Zeitraum von 1982 bis 2002 vergrößert hat. Waren es 1982 nur 11 von 34 Gemeinden, sind im Jahr 2002 mehr als die Hälfte (26) aller Gemeinden von negativen Wanderungssalden betroffen. Die negativen Salden (pro 1000 Einwohner) waren im Jahr 1982 besonders hoch in den zentral und peri-zentralen Gemeinden Ñuñoa (-140), Quilicura (-150), Santiago (-307) und San Miguel (-463). Dagegen sind im Jahr 2002 insbesondere die peri-zentralen Gemeinden wie Independencia (-99), La Cisterna (-92), Conchalí (-87) und Quinta Normal (-87) betroffen (INE 1982, 2002). Positive Wanderungs-
6.4 Innerstädtische Wanderungsbewegungen
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salden (pro 1000 Einwohner) sind in den 1980er Jahren vor allem für die randstädtischen Gemeinden wie La Florida (+188), La Pintana (+126) und El Bosque (+120) kennzeichnend. Im Jahr 2002 sind es erneut die randstädtischen Gemeinden, die positive Wanderungssalden aufweisen, darunter die Gemeinden Quilicura (+267), Puente Alto (+140) und Maipú (+96) (siehe auch Abbildung 4). Abbildung 4: Innerstädtische Wanderungsbewegungen im Zeitraum von 1982 bis 2002
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6 Santiago de Chile – sozial-raum-zeitliche Produktion von Segregation
Für die sozial-raum-zeitliche Produktion von Segregation sind jedoch nicht nur die quantitativen Wanderungssalden von Bedeutung, vielmehr sollten die verschiedenen Sozialgruppen analysiert werden, die in andere Gemeinden abwandern und folglich die Zusammensetzung der Bevölkerung auf Gemeindeebene verändern. Dies lässt sich nur diskutieren, wenn ein weiterer Indikator zur Analyse der Wanderungszahlen hinzugezogen wird. In Anlehnung an González und Rodríguez (2006), Rodríguez (2008) und Kabisch et al. (2012) soll zunächst der Indikator ‚durchschnittlicher Bildungsgrad der Gesamtbevölkerung‘39 betrachtet werden, um anschließend Korrelationen zu den sozioökonomischen Gruppen knüpfen zu können. Bis Mitte der 1980er Jahre waren die Wanderungsströme hauptsächlich durch untere Sozialschichten gekennzeichnet. So konnten zwischen 1977 und 1982 insgesamt 445.126 Wanderungen gezählt werden (siehe Tabelle 3), von denen 49,3% einen niedrigen Bildungsgrad, 42,2% einen mittleren Bildungsgrad und 8,5% einen höheren Bildungsgrad aufwiesen (INE 1982). Die Wanderungsströme unterer Sozialschichten standen in engem Zusammenhang mit der wohnungspolitischen Ausrichtung dieses Zeitraumes. Die Fokussierung auf die Umsiedlung von zahlreichen ‚campamentos‘ unterer Sozialschichten in randstädtische Gemeinden führte dazu, dass zwischen 1979 und 1985 28.231 Familien (146.801 Bewohner) von dieser Wohnungspolitik betroffen waren. Das Ergebnis waren sowohl interals auch intrakommunale Wanderungen, wenngleich erstere stark überwogen: mehr als 80,0% (23.112) aller Familien wurden in eine andere Gemeinde umgesiedelt (Nickel-Gemmeke 1991). In Bezug auf den Umfang und die Richtung der Wanderungen lassen sich zunächst drei Etappen unterscheiden. In den ersten drei Jahren (1979-1981) wurden nur 6.624 Familien umgesiedelt, die sich auf 22 verschiedene Gemeinden verteilten, bei gleichzeitig hoher intrakommunaler Wanderung (48,0%). Ab 1982 stieg die Zahl der Umsiedlungen – parallel zur Steigerung des Angebots von Einfachwohnbauten – sprunghaft an und erreichte 1984 ihren Höhepunkt mit 9.127 Familien. Die Umsiedlungen richteten sich nun nur noch auf acht Gemeinden innerhalb der Stadt Santiago de Chile, die sich alle am Stadtrand befinden: Renca, Cerro Navia, Peñalolén, El Bosque, San Bernardo, Puente Alto und La Pintana (ebd.). Anfang des Jahres 1985 wurden weitere 2.028 Familien umgesiedelt, insbesondere an den südlichen Stadtrand. Daneben gab es während dieser drei Etappen Gemeinden, die von starken Bevölkerungsverlusten betroffen 39 Da der Bildungssektor in Chile aufgrund von Privatisierungspolitiken starken Polarisierungstendenzen unterworfen ist, steht der Indikator ‚durchschnittlicher Bildungsgrad der Gesamtbevölkerung‘ in engem Zusammenhang mit dem ökonomischen Kapital des jeweiligen Haushaltes. Chile ist durch eine starke Segmentation sowohl im Bildungsangebot als auch im Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung gekennzeichnet, so dass die jeweiligen Bildungschancen sehr stark von der sozioökonomischen Situation des Haushaltes abhängig sind. So liegen die Schulleistungen und -ergebnisse öffentlicher Schulen weit hinter den privaten Bildungsangeboten (Sabatini et al. 2010b). Darüber hinaus sind die Bildungsjahre ein vergleichbar stabiler und leicht messbarer Indikator im Gegensatz zum Haushaltseinkommen, das durch Währungsschwankungen stark beeinflusst ist. Vor diesem Hintergrund lassen sich über diesen Indikator auch Rückschlüsse auf die residenzielle Segregation ziehen.
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6.4 Innerstädtische Wanderungsbewegungen
waren, wie z.B. Estación Central, Conchalí, Vitacura, Macul, Lo Espejo und Las Condes (ebd.). Diese massive Umsiedlungspolitik schlug sich auch in den offiziellen Wanderungssalden zwischen 1977 und 1982 nieder. So sind in diesem Zeitraum in den genannten Auffanggemeinden überwiegend positive Wanderungssalden insbesondere in den niedrigeren Bildungsgruppen zu beobachten (siehe Tabelle 3). Tabelle 3: Wanderungssaldo nach Bildungsgrad des Haushaltsvorstandes im Jahr 1982 Bildungsgrad Gesamt niedriger Mittlerer höherer Wanderungssaldo in Santiago de Chile 219.371 187.766 49,3 42,2 Wanderungssaldo ausgewählter Gemeinden Peñalolén 8.290 4.653 La Pintana 5.958 2.660 El Bosque 9.261 6.427 La Florida 15.691 15.340 Cerro Navia 5.594 2.874 Lo Prado 5.848 4.503 Renca 2.579 -303 Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis von INE 1982 Zu- und Fortzüge
absolut in %
37.989 8,5
445.126 100,0
717 148 556 2.755 91 337 -199
13.660 8.766 16.244 33.786 8.559 10.688 2.077
Die Umsiedlung der ‚campamentos‘ und die daraus resultierenden selektiven Wanderungsströme haben das residenzielle Segregationsmuster von Santiago de Chile folglich stark beeinflusst. Das Ergebnis war die Homogenisierung sozial schwacher Gemeinden am Stadtrand sowie die Konzentration sozial wohlhabender Bevölkerungsgruppen in einigen Gemeinden im nordöstlichen Teil von Santiago de Chile. Dies konstatieren auch Rodríguez und Winchester (2005), wenn sie argumentieren, dass die massiven Umsiedlungen und die damit einhergegangenen Wanderungen bis heute noch die soziale Entwurzelung und den Verlust von sozialen Netzwerken bedeuten. Mit Beginn der 1990er Jahre stellten sich weit diversifizierte Wanderungsströme ein. Es waren jetzt nicht mehr nur die niedrigen Bildungsgruppen, die vorrangig wanderten, sondern auch höhere Bildungsgruppen nahmen an Bedeutung zu. Diese Tendenz ist in engem Zusammenhang mit den neuen Wohnungsangeboten für obere Sozialschichten außerhalb der traditionellen Oberschichtgebiete zu sehen. Insgesamt hatte sich im Vergleich zum vorangegangenen Zeitraum die Zahl derjenigen, die ihren Wohnstandort zwischen 1987 und 1992 innerhalb der Stadt Santiago de Chile wechselten, fast verdoppelt40. Von den insgesamt 795.589 40 Mittels des Gesetzesbeschlusses D.F.L. N° 1-3.260 von 1981 wurden in den Folgejahren die administrativen Grenzen der Gemeinden in Santiago de Chile geändert. Infolgedessen entstanden aus den 17 Gemeinden – Santiago, Las Condes, Providencia, La Reina, Ñuñoa, La Florida, San Miguel, La Granja, La Cisterna, Maipú, Quinta Normal, Pudahuel, Renca, Quilicura, Conchalí, Puente Alto, San Bernardo – die heute existierenden 34 Gemeinden der Stadt Santiago de Chile. Die Änderung der Gemeindegrenzen hatte sowohl tiefgreifende sozioöko-
118
6 Santiago de Chile – sozial-raum-zeitliche Produktion von Segregation
gewanderten Personen zählten 44,2% zu den niedrigen Bildungsgruppen, 41,6% zu den mittleren Bildungsgruppen und 14,2% zu den höheren Bildungsgruppen (siehe Tabelle 4). Tabelle 4: Wanderungssaldo nach Bildungsgrad des Haushaltsvorstandes im Jahr 1992
Zu- und Fortzüge
Bildungsgrad niedriger Mittlerer höherer Wanderungssaldo in Santiago de Chile absolut 351.389 330.974 113.226 in % 44,2 41,6 14,2
Gesamt 795.589 100,0
Wanderungssaldo ausgewählter Gemeinden Vitacura 3.453 Lo Barnechea 5.418 Peñalolén 652 La Florida 13.412 Puente Alto 25.180 Maipú 19.122 La Pintana 24.072 Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis von INE 1992
3.929 3.286 1.769 12.619 26.669 22.309 9.996
5.487 3.339 1.634 5.036 5.792 4.050 388
12.869 12.043 4.055 31.067 57.641 45.481 34.456
Die Gemeinden, die zunehmend positive Wanderungssalden höherer Bildungsgruppen aufwiesen, waren vor allem die nordöstlich gelegenen Gemeinden Vitacura und Lo Barnechea, aber auch die östlich am Andenfuß gelegene Gemeinde Peñalolén. Wenngleich in den beiden letztgenannten Gemeinden die Wanderungsströme niedrigerer Bildungsgruppen weiterhin eine entscheidende Rolle spielten, kündigten die positiven Wanderungssalden höherer Bildungsgruppen eine Tendenz der sozialen Diversifizierung an. Diese blieb aber im Vergleich zu den weiterhin hohen Wanderungssalden niedriger Bildungsgruppen in randstädtischen Gemeinden wie La Pintana, Puente Alto, Maipú und La Florida weitgehend unbedeutend. Die Tendenz der sozialen Diversifizierung einzelner Gemeinden zeigte sich mit deutlichster Ausprägung im Zeitraum zwischen 1997 und 2002. Während die Zahl der gewanderten Personen im Vergleich zum vorangegangenen Zeitraum gleich hoch blieb, so änderten sich die relativen Verhältnisse sehr stark: die höheren Bildungsgruppen nahmen in Bezug auf die niedrigeren Bildungsgruppen stark zu. Von den insgesamt 779.642 gewanderten Personen zählten nur noch 33,8% zu den niedrigeren Bildungsgruppen, 38,4% gehörten zu den mittleren und 27,8% zu den höheren Bildungsgruppen (siehe Tabelle 5). Auch unter Berücksichtigung der stetigen Zunahme an besseren Bildungsangeboten und der Erleichterung des Zuganges zum tertiären Bildungs-
nomische und politische Folgen, als auch bedeutende Auswirkungen auf die Analyse von Wanderungsströmen. Aus diesem Grund sind die Wanderungssalden des 1992er Zensus nur bedingt interpretierbar.
119
6.4 Innerstädtische Wanderungsbewegungen
sektor41 sprechen diese Zahlen für ein diversifiziertes Wanderungsmuster innerhalb der Stadt Santiago de Chile. Tabelle 5: Wanderungssaldo nach Bildungsgrad des Haushaltsvorstandes im Jahr 2002 niedriger
Bildungsgrad Mittlerer
höherer
Gesamt
Wanderungssaldo in Santiago de Chile Zu- und Fortzüge
absolut in %
263.120 33,8
299.469 38,4
217.053 27,8
779.642 100,0
2.989 3.628 2.627 5.773 6.533 8.541 1.509
6.548 567 1.545 44.576 33.674 69.006 15.118
Wanderungssaldo ausgewählter Gemeinden Lo Barnechea 2.548 Penalolén -1.401 Huechuraba -144 Maipú 17.515 Quilicura 12.388 Puente Alto 30.198 San Bernardo 7.853 Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis von INE 2002
1.011 -1.660 -938 21.288 14.753 30.267 5.756
Die Gemeinden mit positiven Wanderungssalden höherer Bildungsgruppen waren nicht mehr nur die nordöstlich gelegenen der sozialen Oberschicht, sondern nunmehr auch die randstädtischen wie z.B. Peñalolén, Huechuraba, Puente Alto und Quilicura (siehe Tabelle 5). Während alle genannten Gemeinden in dieser Zeit durch hohe positive Wanderungssalden in den niedrigeren und mittleren Bildungsgruppen gekennzeichnet waren, verzeichneten die ursprünglich ärmeren Gemeinden Peñalolén und Huechuraba negative Wanderungssalden in den unteren Bildungsgruppen. Das Ergebnis dieser neuen Tendenz ist auch im Anstieg der durchschnittlichen Bildungsdauer zwischen 1992 und 2002 ablesbar. Die durchschnittliche Bildungsdauer in Peñalolén stieg insgesamt um 3,0 Bildungsjahre von 6,6 im Jahr 1992 auf 9,6 im Jahr 2002. Für Huechuraba sind ähnliche Tendenzen zu beobachten. Hier stieg die durchschnittliche Bildungsdauer um insgesamt 3,2 Bildungsjahre von 6,2 im Jahr 1992 auf 9,4 im Jahr 2002 (INE 1992, 2002). Beide Gemeinden lagen mit diesen Werten weit über der durchschnittlichen Differenz an Bildungsjahren (2,6) im Zeitraum von 1992 bis 2002 für die Gesamtstadt Santiago. Denn wie bereits angedeutet, stieg die Bildungsdauer der Gesamtbevölkerung insgesamt deutlich an (von 7,5 auf 10,1 Bildungsjahre).
41 Die Bezeichnung ‚tertiärer Bildungssektor‘ basiert auf der Definition der ISCED (‚International Standard of Classification of Education‘, Level 5 und 6). Diese von der UNESCO entwickelte Klassifikation dient im Allgemeinen der Charakterisierung von Schultypen und systemen. Dabei wird zwischen verschiendene Ebenen (Sektoren) unterschieden. Die Ebenen 5 und 6 umfassen dabei praxisbezogene Studiengänge an Fachschulen, Berufsakademien und die Hochschulausbildung unterhalb der Promotion (Level 5) sowie die höchsten akademischen Grade, wie z.B. den Doktorgrad (Level 6) (www.unesco.org).
120
6 Santiago de Chile – sozial-raum-zeitliche Produktion von Segregation
Die Analyse der drei Fallstudien nach Zuzugsgemeinden und sozioökonomischen Gruppen (siehe Tabelle 6) zeigt, dass die Zuwanderer überwiegend aus traditionellen Oberschichtgemeinden wie Las Condes, Vitacura, Providencia oder La Reina, bzw. aus angrenzenden Nachbargemeinden, wie im Fall von Huechuraba aus Recoleta und Conchalí, kommen. Diese Herkunftsgemeinden bestimmen mehr als die Hälfte aller Wanderungsströme, im Untersuchungsgebiet Lo Barnechea sogar fast 85%. Sofern die Zuwanderer aus Las Condes, Vitacura, Providencia und La Reina kommen, können sie fast ausschließlich der oberen Sozialschicht (ABC1) zugeordnet werden. Auf Basis dieser Ergebnisse kann eindeutig eine Abwanderung der Elite aus den traditionellen Oberschichtgemeinden belegt werden, die in engem Zusammenhang mit dem Angebot auf dem privaten Wohnungsmarkt (siehe Kapitel 6.3) steht. Neue Wohnformen am Stadtrand zu vergleichsweise günstigen Kaufbedingungen werden in Anspruch genommen. Diese befinden sich in relativer Nähe zu vormaligen Wohnstandorten. Dadurch können Netzwerke aufrechterhalten und Infrastrukturen (Arbeitsplatz, Bildungseinrichtung der Kinder etc.) weiter genutzt werden. Diese Prozesse tragen zur Veränderung des residenziellen Segregationsmusters auf kommunaler Ebene bei. Eine sozialräumliche Diversifizierung ist in einzelnen Gemeinden beobachtbar. Zuwanderer aus sozialen Oberschichten treffen hier in räumlicher Nähe auf Alteingesessene unterer Sozialschichten. Tabelle 6: Wanderungssaldo, Herkunftsgemeinden und Anteil der sozioökonomischen Gruppen in den Untersuchungsgebieten zwischen 1997 und 2002
Huechuraba
GH: 18.463 WS: 1.545
Lo Barnechea
Haushalte ges. (GH) und Wanderungssaldo (WS)
GH: 16.446 WS: 6.548
Herkunftsgemeinden Las Condes Recoleta Conchalí Vitacura Providencia Las Condes Vitacura Providencia La Reina
Gesamt Anteil ABC1 C2 C3 in % in % in % in % in % 17,8 12,0 9,6 8,3 6,5 44,0 28,2 6,6 4,0
54,2
84,7
Peñalolén
Ñuñoa 1,9 Ñuñoa 14,5 La Florida 12,7 GH: 56.795 56,6 La Reina 11,1 WS: 567 Las Condes 9,7 Macul 8,7 Quelle: eigene Berechnungen auf Basis von INE 2002
D in %
E in %
63,3 10,1 6,2 63,8 57,8 71,1 75,0 67,4 78,0
30,9 16,0 20,5 30,2 37,1 22,1 21,2 26,7 17,7
3,2 21,5 25,2 4,1 1,8 3,5 2,5 4,0 3,2
2,0 41,5 34,0 1,7 3,0 2,5 0,8 1,5 0,9
0,7 10,9 14,2 0,2 0,3 0,8 0,5 0,5 0,2
54,6 42,3 26,2 30,4 47,2 19,0
29,3 30,4 25,8 29,4 27,6 28,7
10,4 12,4 17,4 17,8 9,6 20,6
3,6 12,0 23,7 17,9 11,3 24,4
2,0 2,9 6,9 4,5 4,3 7,2
Dessen ungeachtet stehen demgegenüber Gemeinden, die weiterhin starken Zuwachs an unteren Bildungsgruppen verzeichnen und somit zu fortschreitender
6.4 Innerstädtische Wanderungsbewegungen
121
Homogenisierung sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen beitragen. Hiervon sind insbesondere die südlich am Stadtrand gelegenen Gemeinden Puente Alto, La Pintana und San Bernardo betroffen. Die unteren Bildungsgruppen machen in diesen Gemeinden zwischen 30% und 50% der Wanderungsströme aus. Sie sind die Folge des massiven staatlichen Wohnungsbaus am Stadtrand (siehe Kapitel 6.2), vollkommen losgelöst von sozialen Netzwerken, Infrastrukturen und Arbeitsplätzen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass, nachdem in den 1980er Jahren vor allem untere Sozialschichten das interkommunale Migrationsmuster bestimmten und zur Homogenisierung dieser Gruppen am Stadtrand beitrugen, gewannen in den letzten beiden Jahrzehnten obere Sozialschichten im Wanderungsverhalten an Bedeutung. Beide Gruppen trugen auf ihre Art und Weise zur Suburbanisierung der städtischen Peripherie bei und leiteten gleichzeitig vielfältige Entwicklungstendenzen ein, die eine wichtige Rolle für die sozial-raum-zeitliche Produktion von Segregation spielen: Homogenisierung auf gesamtstädtischer Ebene versus Heterogenisierung auf kommunaler Ebene. Die Entwicklungen auf dem staatlichen als auch dem privaten Wohnungsmarkt bildeten den Auslöser für die unterschiedlichen Wanderungsströme. In Anlehnung an Rodríguez und Arriagada (2004) lassen sich zusammenfassend drei Migrationsmuster erkennen: (a) die beständige Konzentration oberer Sozialschichten in einem begrenzten Gebiet; (b) die Homogenisierung unterer Sozialschichten am Stadtrand und (c) eine beginnende Suburbanisierung oberer Sozialschichten in räumlicher Nähe zu unteren Sozialschichten in einigen Gemeinden am Stadtrand. Die Zukunft dieser Wanderungstendenzen bleibt jedoch offen. Denn bisher ist es nur eine Minderheit der Elite, die ihren Wohnstandort an den Stadtrand verlegt (Rodríguez und Arriagada 2004). 6.5 SOZIAL-RAUM-ZEITLICHE PRODUKTION VON SEGREGATION IN SANTIAGO DE CHILE – EIN RESÜMEE Wie in Kapitel 2.4 herausgearbeitet, sind ‚Raum‘ und ‚Segregation‘ sozial konstituiert und bilden einen Teil der sozialräumlichen Organisation menschlicher Gemeinschaften. Segregation wird in diesem Zusammenhang als ein sozial-raumzeitliches Konstrukt interpretiert, dem die Produktion des Raums nach ganz bestimmten Mustern inhärent ist. Räumliche Nähe sozialer Gruppen im Raum kennzeichnet dabei den jeweiligen Grad der Segregation. Entscheidend für das Verständnis von Segregation als sozial-raum-zeitliches Produkt ist die Aufdeckung der sozialstrukturellen Bedingungen, unter denen sich Segregation konstituiert und verändert. Demnach wurde in diesem Kapitel der folgenden zentralen Frage nachgegangen: Auf welche Weise und unter welchen ökonomischen, handlungsund verhaltensorientierten sowie politisch-regulativen Bedingungen wurden sozioökonomisch heterogen strukturierte Stadträume in Santiago de Chile produziert? (siehe Kapitel 4)
122
6 Santiago de Chile – sozial-raum-zeitliche Produktion von Segregation
Die Analyse auf der Makroebene zeigte, dass sich die Stadt in einem sozialräumlichen Umstrukturierungsprozess befindet. Mit der Öffnung Chiles hin zu einem neoliberalistischen Wirtschaftsmodell haben verschiedene Wohnungsbauund Städtebaustrategien Eingang in die Politik gefunden. Während die Wohnungspolitik sich zunächst auf die Reduzierung und Beseitigung von illegalen Landnahmen konzentrierte, hat die Ausbreitung ummauerter Wohnviertel in der chilenischen Hauptstadt seit den späten 1980er Jahren an Akzeptanz gewonnen. An dieser Stelle wurden sowohl auf neoklassische als auch institutionelle sowie politökonomische Erklärungsansätze der Segregation verwiesen. Es konnte gezeigt werden, dass das Zusammenspiel verschiedener Einflussfaktoren die Herausbildung neuer Raumstrukturen in funktionaler und sozialräumlicher Hinsicht befördert und damit die traditionellen Muster der Segregation überlagert hat. Neue Formen der Entmischung von Funktionen und sozialräumlichen Elementen kennzeichnen das heutige Stadtprofil, in dem sich großräumige Gegensätze immer mehr zugunsten kleinräumiger, inselartiger Strukturen auflösen. Sowohl alte als auch neue Raumstrukturen haben Wanderungsströme hervorgerufen, die ganz unterschiedliche Wanderungsmotive und -muster erkennen lassen. In diesem Zusammenhang wurden verhaltenstheoretische Erklärungsansätze der Segregation als Grundlage der Analyse herangezogen. In der Zusammenschau aller Einflussfaktoren lässt sich resümierend festhalten, dass sich bereits in den 1980er Jahren ein eindeutiges Segregationsmuster innerhalb der Stadt eingestellt hatte, das eine klare Trennung oberer Sozialschichten im nordöstlichen Teil von unteren und mittleren Sozialschichten im restlichen Stadtgebiet erkennen ließ. Dieses klare Segregationsmuster ist ein Ergebnis der gesellschaftlichen Raumproduktion dieser Zeit und ist noch bis in die Gegenwart zu beobachten. Dass jedoch residenzielle Segregation kein statisches Ergebnis der Raumproduktion ist, sondern ein sozial-raum-zeitliches Produkt, zeigt sich in der Dynamik der Veränderung. Denn gegenüber den 1980er Jahren konnte für 2002 ein sehr viel komplexeres Segregationsmuster beobachtet werden, welches durch institutionelle, politökonomische und verhaltenstheoretische Einflussfaktoren bestimmt wurde. Das Segregationsmuster der 1980er Jahre wurde seit Anfang der 1990er Jahre durch ein komplexeres und vielfältigeres Muster mit sehr viel kleinräumigeren und inselartigen Strukturen mittlerer und oberer Sozialschichten überlagert. Damit ist in Santiago de Chile der Rückgang der Segregation in großräumiger und die Zunahme in kleinräumiger Perspektive zu beobachten. Auch wenn die Wohnbereiche im Nordosten der Stadt weiterhin eine sehr geschlossene homogene räumliche Einheit darstellen, verteilen sich Wohngebiete oberer und mittlerer Sozialschichten über das gesamte Stadtgebiet. Teilweise liegen sie in unmittelbarer Nähe zu Wohngebieten unterer Sozialschichten. Welche Bedeutung diese Prozesse auf Gemeindeebene für den Abbau sozialer Distanz und für die Sozialintegration haben, soll in den folgenden Kapiteln am Beispiel der Untersuchungsgebiete auf Meso- und Mikroebene analysiert werden.
7 ZUM HABITUS DES STADTQUARTIERS – SOZIALINTEGRATIVE MECHANISMEN IM MESO-RAUM 7.1 SOZIALINTEGRATION, SOZIALE UND RÄUMLICHE INTERAKTION UND LEBENSWELTLICHE AKTIONSRÄUME – ZUM AKTUELLEN DISKUSSIONSSTAND Im vorangegangenen Kapitel sind drei wesentliche Tendenzen herausarbeitet worden, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts sowohl für die gesamtstädtische Entwicklung als auch für die Entwicklungen auf Stadtquartiersebene von Bedeutung sind:
die beständige Konzentration oberer Sozialschichten im nordöstlichen Sektor der Stadt, in dem alle sozialen Gruppen vertreten sind, die Homogenisierung von großflächigen Bereichen der Stadt, die ausschließlich durch untere Sozialschichten gekennzeichnet sind und die kleinräumige Durchmischung vereinzelter Gemeinden, die zur Desegregation auf Stadtquartiersebene beigetragen haben.
Vor dem Hintergrund, dass die Homogenisierung von großflächigen Bereichen der Stadt – weitgehend gefördert durch staatliche Wohnungsbaumaßnahmen, die sich am städtischen Bodenpreis orientieren – zur Ausgrenzung unterer Sozialschichten vom städtischen Leben (Anbindung an ÖPNV, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen) sowie zur Anpassung an deviante Verhaltensmuster (Kriminalität, Drogenkonsum etc.) geführt hat, gelangt die Problematik der Ghettoisierung und Exklusion dieser Quartiere in den Mittelpunkt der Diskussion (Sabatini et al. 2010c, Sabatini und Brain 2008, Cáceres und Sabatini 2004). Gleichzeitig wird die neue räumliche Nähe unterer und oberer Sozialschichten in einzelnen Gemeinden – entstanden durch den Bau ummauerter Wohnquartiere privater Immobilienfirmen, die versuchen, preiswerten Boden gewinnbringend zu rentabilisieren – von Autoren wie Sabatini und Cáceres (2004), Campos und Garcia (2004), Salcedo und Torres (2004a) sowie Sabatini und Brain (2008) im Sinne einer Chance für die Sozialintegration gesehen. Die Notwendigkeit der Sozialintegration hat mit dem Regierungsantritt von Präsidentin Michelle Bachelet im Jahre 2004 Eingang in die Stadtentwicklungspolitik gefunden. Unter ihrer Regierung wurde die neue Wohnungsbaupolitik zur Verbesserung der Lebensqualität und der Sozialintegration eingeführt (‚Política Habitacional de Mejoramiento de la Calidad e Integración Social‘), die verschiedene politische Strategien mit dem Ziel, eine räumliche Durchmischung zu fördern, nicht nur diskutiert, sondern auch umgesetzt hat. Doch wie bereits in Kapitel 3 ausgeführt, bedeutet Sozialintegration weit mehr als nur räumliche Durchmischung unterschiedlicher sozialer Schichten.
124
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
Sie ist ein Zeichen für den jeweiligen Grad der Segregation, der vor dem Hintergrund der Kontakthypothese (siehe auch Kapitel 2.3) positive Wirkungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt entfalten kann. Daher stellt sich hier die Frage nach den positiven Wirkungen im Zusammenhang mit der räumlichen Nähe unterer und oberer Sozialschichten in sozial heterogen strukturierten Stadtquartieren in Santiago de Chile. Wie wird Sozialintegration in diesem Kontext konzeptionalisiert? Es soll hier die Diskussion um Sozialintegration in Santiago de Chile im Sinne eines ‚state of the art‘ kurz zusammengetragen werden, um anschließend auf bestehende Erkenntnisse zurückgreifen zu können und diese mit den eigenen Analysen gegebenenfalls zu validieren bzw. zu ergänzen. Schon Ende der 1990er Jahre hatte Sabatini (2001) auf das Wechselspiel von sozialer Integration und Exklusion in Santiago de Chile aufmerksam gemacht. Seiner Ansicht nach ist Sozialintegration kein idealisierendes Konzept im Sinne einer Schaffung von Gleichheit und Solidarität. Vielmehr bedeutet sie unter dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell das Gegenstück zur Exklusion, die folglich zwei Seiten einer Medaille bilden. Seinen Erkenntnissen nach enthält jede Klassengesellschaft Kräfte der Exklusion und Mechanismen der Integration, die sich in den Städten Lateinamerikas in Form einer Dialektik zwischen Exklusion und Integration räumlich manifestieren. Demnach vergrößern sich die Erwartungen an die Sozialintegration je kleiner ein homogenes Gebiet ist oder je diverser das soziale Umfeld eines Wohnquartiers ist (Sabatini 1997). Aus diesen ersten Erkenntnissen wird deutlich, dass eine wichtige Voraussetzung für die Sozialintegration der physische Kontakt zu anderen sozialen Gruppen ist. Die Wirkungen, die dieser soziale Kontakt auf die jeweiligen sozialen Gruppen hat, werden an dieser Stelle nicht näher erläutert. Erst das 2004 von Cáceres und Sabatini veröffentlichte Sammelwerk ‚Barrios Cerrados en Santiago de Chile: entre la exclusión y la integración residencial‘ bringt diesbezüglich mehr Aufklärung. Autoren wie Sellés und Stambuk (2004), Salcedo und Torres (2004b) sowie Gatica (2004) zeigen, dass die positiven Effekte sowohl materieller als auch symbolischer Art sind und die individuellen als auch kollektiven Lebensbedingungen bereichern. Die materiellen Effekte zeigen sich insbesondere in der steigenden Nachfrage nach preiswerten Arbeitskräften (Handwerker, Gärtner, Schreiner, Bäcker etc.) und Dienstleistungsanbietern (Sicherheitspersonal, Hausangestellte, Schneider etc.). Darüber hinaus werden die städtebauliche Aufwertung des Wohnumfeldes und der Ausbau des infrastrukturellen Netzes (ÖPNV-Anbindung, Straßenbeleuchtung, Anbindung an Wasser- und Abwassernetz, Errichtung von Bildungs- und Gesundheitsinstitutionen, Ausbau von Grünflächen, kommerzielle Einrichtungen etc.) als Imageverbesserung des Wohnquartiers seitens der benachteiligten Bevölkerungsgruppen interpretiert. Damit einher gehen auch Veränderungen im sozialen Verhalten der unteren Sozialschichten. Gleichwohl die hier aufgeführten positiven Effekte einen näheren Einblick in die Wirkungen räumlicher Nähe unterer und oberer Sozialschichten geben, mangelt es weitgehend an einer Systematisierung und Definition des Konzeptes der Sozialintegration. Aufbauend auf den bestehenden Erkenntnissen formulieren Sabatini und Salcedo (2007) drei Dimensio-
7.1 Sozialintegration in Santiago de Chile – zum aktuellen Diskussionsstand
125
nen der Sozialintegration, die für Santiago de Chile charakteristisch sind: funktionale, symbolische und gemeinschaftliche Integration. 1.
2.
3.
Funktionale Integration wird als die Eingliederung unterer Sozialschichten in den Arbeitsmarkt (als Arbeitnehmer), in demokratische Prozesse (Recht auf politische Teilhabe) und in städtische Strukturen (Zugang zu Dienstleistungen und städtischen Einrichtungen) verstanden. Symbolische Integration bezieht sich auf die emotionale Bindung und die soziale Verantwortung einer Person gegenüber seinem Wohnort. Sie umfasst im weitesten Sinne das Zugehörigkeitsgefühl am jeweiligen Wohnort und steht in engem Zusammenhang mit der Generierung von räumlicher Identität. Gemeinschaftliche Integration umfasst die Bildung von sozialen Beziehungen und die Anerkennung des Anderen als Seinesgleichen, mit dem die Grenzen der Privatsphäre überwunden werden können. Im Mittelpunkt dieser Dimension stehen Freundschaften, Solidaritätsnetzwerke und familiäre Beziehungen. Gemeinschaftliche Integration bedeutet demnach Vertrautheit und Unterstützung.
In einem Forschungsbericht des MINVU (2009) wurden die drei Dimensionen der sozialen Integration anhand der Bereitschaft zur Sozialintegration in heterogen strukturierten Stadtquartieren in drei chilenischen Städten analysiert, darunter auch in Santiago de Chile. Im Mittelpunkt der Studie stand die Analyse der Bereitschaft zur Sozialintegration hinsichtlich des allgemeinen Diskurses, des tatsächlichen Verhaltens und der Einstellungen zur Sozialintegration unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen. Nach ersten Erkenntnissen wird die Sozialintegration von der Bevölkerung als wichtiges gesellschaftliches Ziel anerkannt. Daraus folgt, dass die Mehrheit der Bevölkerung gegenüber dem Leben in sozial gemischten Stadtteilen offen ist. Diese Erkenntnis deckt sich mit den Forschungsergebnissen des PNUD (2002), wo 63,3% der chilenischen Bevölkerung angaben, dass sie sich vorstellen könnten, in der räumlichen Nähe zu unteren Sozialschichten zu wohnen. Demnach wird die räumliche Nähe unterschiedlicher sozialer Gruppen insgesamt als positiv gewertet, die vor allem Auswirkungen auf die funktionale und symbolische Dimension hat. Die Auswirkungen auf die gemeinschaftliche Dimension der Integration werden dagegen als problematischer angesehen. Eine gemeinsame Nutzung öffentlicher Freiflächen und ein Zusammenleben im Stadtquartier sei nach den Angaben der Bewohner möglich, doch selten stellen sich freundschaftliche Netzwerke oder Gespräche auf der Straße ein. Fehlender sozialer Kontakt liegt für die mittleren und oberen Sozialschichten in den folgenden Ursachen begründet: (i) allgemeines Gefühl der Unsicherheit, (ii) Vermeidung alltäglichen Kontaktes speziell der eigenen Kinder, um die Aneignung devianter Verhaltensmuster zu vermeiden und (iii) allgemeine Vorurteile und Probleme im Zusammenleben. Die unteren Sozialschichten dagegen gaben an, dass sie die Orte oberer Sozialschichten (z.B. Einzelhandelseinrichtungen) meiden, da sie nicht über die erforderlichen finanziellen Ressourcen verfügen. Sozialer Kontakt stellt sich demnach nur ein, sofern bereits familiäre oder freundschaftliche Bindungen
126
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
bestehen bzw. funktionale Bindungen (durch Arbeitsverhältnis oder Bildungseinrichtungen) generiert werden können. Über die positiven Effekte hinaus werden auch negative Auswirkungen wahrgenommen, wie z.B. Gefühle der Resignation und Diskriminierung gegenüber unteren Sozialschichten, die zum Teil Probleme im gemeinschaftlichen Zusammenleben generieren können. Eine eher zurückhaltende Bereitschaft zur Sozialintegration wird auch mit wirtschaftlichen Ursachen (z.B. sinkende Bodenpreise) und / oder kulturellen Unterschieden (z.B. Klassenbewusstsein) begründet. Gleichwohl im allgemeinen Diskurs zur Sozialintegration die räumliche Nähe zu unterschiedlichen sozialen Gruppen als denkbar erachtet wird, so weicht das tatsächliche Verhalten der befragten Bevölkerung nach den Erkenntnissen des MINVU (2009) ab. Denn die Mehrheit der Befragten zieht es vor, unter Seinesgleichen zu leben. Dies trifft insbesondere für untere Sozialschichten zu. Dagegen gab ein Teil der oberen und mittleren Sozialschichten an, dass sie durchaus bereit wären, untere Sozialschichten in ihr Wohnquartier aufzunehmen. Allerdings sollten folgende Voraussetzungen gewährleistet sein: keine Sozialwohnungen im Geschosswohnungsbau, keine Lärmbelästigung und Verschmutzung des Quartiers sowie eine ästhetische städtebauliche Eingliederung bzw. Anpassung der Gebäude unterer Sozialschichten an die bestehende Baustruktur. Darüber hinaus nimmt die Mehrheit der Befragten ein gewisses Niveau an sozialer Durchmischung wahr, wenngleich mittlere und untere Sozialschichten ihr soziales Wohnumfeld als räumlich segregierter empfinden als die oberen Sozialschichten. Eine starke soziale Homogenität (Wahrnehmung von nur einer sozialen Schicht) ist besonders für die Blockebene charakteristisch, währenddessen die Heterogenität des Gebietes mit der Größe des Raumes (Wohnquartier und Gemeinde) zunimmt. Zusammenfassend kann geschlussfolgert werden, dass in Anlehnung an die Erkenntnisse des MINVU (2009) die generelle Bereitschaft der Bevölkerung zur Sozialintegration von der zu integrierenden Bevölkerungsgruppe, das zu integrierende Wohnquartier und das Gestaltungsdesign des Wohnquartiers abhängig ist. In diesem Zusammenhang sollte die räumliche Nähe vor dem Hintergrund der verschiedenen sozialen Gruppen, deren Erhalt und Aufbau von Lebensstilen und sozialen Identitäten sowie der sozialen Vielfalt und Chancen eines Stadtquartiers diskutiert werden. Trotz der Erkenntnisse zu den positiven Tendenzen der Sozialintegration in heterogenen Stadtquartieren in Santiago de Chile werden die neuen Entwicklungen der räumlichen Segregationsmuster von anderen Autoren stark kritisiert. Insbesondere die soziale Homogenität der monofunktional neu angelegten Wohnkomplexe sowie die physische Trennung durch Mauern und Sicherheitsanlagen trage weder zu einer Interaktion zwischen den Bewohnern dieser Gebiete noch zu einer sozialen Vielfalt der Stadtquartiere bei (Svampa 2001). Darüber hinaus verhindern die relativ hohen Kaufkosten der Eigentumshäuser und die Privatisierung des öffentlichen Raumes durch selektive Nutzung vorhandener sozialer Infrastruktur- und Dienstleistungsangebote jegliche Art von sozialer Durchmischung (siehe u.a. Janoschka 2002). Interaktionsräume ergeben sich demnach nur in Grenzbereichen dieser Wohngebiete, die jedoch wiederum eher zu einem konfliktreichen
7.1 Sozialintegration in Santiago de Chile – zum aktuellen Diskussionsstand
127
Miteinander als zu einer gewünschten Integration führen würden. Denn im Vordergrund der neuen Bewohner stehe weniger das kollektive Bewusstsein als die Exklusivität und Konsolidierung eines ‚ländlich aristokratischen Lebensstils‘. Die gesamtstädtischen räumlichen Segregationsmuster bleiben dementsprechend auf Stadtquartiersebene bestehen (Hidalgo und Borsdorf 2005, Hidalgo et al. 2007), da der zu beobachtende sozialräumliche Wandel nur zur Konfrontation der sozialen Gruppen und zu steigender Kriminalität beitrage (Janoschka 2002, Hidalgo 2004). Diese eher kritische Diskussion folgt der allgemeinen internationalen Debatte zu abgeschlossenen Wohnquartieren, in der die physische Trennung durch Mauern und Sicherheitsanlagen als ‚Exklusionssymbol‘ (Low 2003) interpretiert wird und soziale und räumliche Segregation sich noch verstärken, indem sie „contribute to hypersegregation by reducing access and excluding individuals on the basis of social class“ (Lang und Danielson 1997: 876).
Basierend auf den in Kapitel 3 diskutierten Ansätzen ist die Sozialintegration nur in ihrem raum- und zeitgebundenen Wechselverhältnis zu verstehen. Diesem Wechselverhältnis werden die beiden kontrovers diskutierten Ansätze jedoch kaum gerecht. Der Stadtraum wird weder als sozial-raum-zeitliches Produkt noch als sozialintegrativer Stimulus in der aktuellen Debatte um die Sozialintegration in Santiago de Chile ausreichend berücksichtigt. Aus diesem Grund konzentriert sich das Kapitel 7 auf den ‚Habitus des Stadtquartiers‘ im Sinne eines sozial-raumzeitlichen Produktes sozialen Handelns einerseits und Träger verschiedener Mechanismen der Sozialintegration andererseits. Anhand der auf Stadtquartiersebene greifenden Dimensionen der Sozialintegration – kommunikativ-interaktive, partizipativ-assoziative und expressiv-kulturelle Sozialintegration – werden die Wirkungen der räumlichen Nähe unterschiedlicher sozialer Gruppen in den drei Untersuchungsgebieten der Gemeinden Huechuraba, Lo Barnechea und Peñalolén quantitativ und qualitativ diskutiert. Im Mittelpunkt der Analyse stehen dabei die folgenden Forschungsfragen (siehe auch Kapitel 4):
Welche Bedeutung hat ein sozioökonomisch heterogen strukturierter Stadtraum für die Herausbildung von Formen der Sozialintegration? Welchen Einfluss haben soziale, räumliche und zeitliche Faktoren der Bewohner auf die Formen der Sozialintegration? Welche Formen der Sozialintegration begünstigen bzw. hemmen dabei die sozial-raum-zeitliche Produktion von sozioökonomisch heterogen strukturierten Stadträumen? 7.2 KOMMUNIKATIV-INTERAKTIVE SOZIALINTEGRATION – LEBENSWELTLICHE AKTIONSRÄUME DER BEWOHNER
Die kommunikativ-interaktive Sozialintegration bezieht sich, wie in Kapitel 4 erläutert, auf lebensweltliche Aktionsräume und soziale Netzwerke. Beide Variablen stehen in engem Zusammenhang mit der Produktion und Wahrnehmung von
128
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
segregierten Räumen. Insbesondere lebensweltliche Aktionsräume, die in diesem Kapitel für die Untersuchungsgebiete in Santiago de Chile analysiert werden sollen, geben Auskunft über die selektive räumliche Nutzung des Stadtquartiers durch verschiedene soziale Gruppen sowie über Orte der Interaktion und Konzentration von räumlichen Kontaktgelegenheiten. Um die selektive räumliche Nutzung des Stadtquartiers sowie deren Ausmaß, Ursachen und Folgen zu erfassen, bedient sich dieses Kapitel der unter ‚Aktionsraumforschung‘ verstandenen Herangehensweise (siehe u.a. Friedrichs 1983, Dangschat et al. 1982). Die Aktionsraumforschung hat die Erforschung des Aktionsraumes eines Menschen zum Ziel. Sie richtet den Blick auf die Einbindung menschlichen Handelns in Raum und Zeit und nimmt dabei die Perspektive der, von dem Wohnort aus, im Raum agierenden Personen (oder sozialen Gruppen) ein (Trostdorf 1991). Die Bewegungen im Raum werden folglich als notwendige Handlungen begriffen, die im Aktionsraum das alltägliche ‚Geographie-Machen‘ von Individuen abbilden (Werlen 1997). Die Aktionsraumforschung untersucht die Nutzung der in einem Stadtquartier zur Verfügung stehenden Gelegenheiten durch die Bewohner und konzentriert sich demnach auf die Frage: Wer tut was, warum, wann, wie lange, wie oft und wo? (siehe auch Dangschat et al. 1982, SAS 1979, Dürr 1979, Schleswig 1985, Klingbeil 1978, Kutter 1973b). Im Mittelpunkt steht hier der Aktionsraum einer Person oder sozialen Gruppe, der in Abhängigkeit der Fragestellung ganz unterschiedlich definiert wird. So versteht Dürr (1972) unter einem Aktionsraum die „Menge der Orte, die eine Person (Gruppe) innerhalb eines bestimmten Zeitabschnitts zur Ausübung bestimmter Aktivitäten aufsucht, und deren zeitliche wie räumliche Relationen“ (ebd.: 72).
In Anlehnung an Klingbeil (1978) stellt „der Aktionsraum einer Person […] ein Aggregat von einzelnen Tätigkeitsarten dar, dessen Größe sich aus der gewählten zeitlichen und räumlichen Abgrenzung ergibt. Er ist daher in jeder seiner möglichen Definitionen ein zeiträumlicher Begriff“ (ebd.: 117).
Vor diesem Hintergrund ist der Aktionsraum das regelmäßige Handlungs- und Kontaktfeld einer Person oder Gruppe (während eines bestimmten Zeitraumes). Er ist immer ein direkt erfahrener Raum und konstituiert sich aus der Menge aller von einer Person in einem definierten Zeitraum aufgesuchten Orte (Friedrichs 1990). Da jedoch nur Örtlichkeiten aufgesucht werden können, die der Person bekannt sind, ist der Aktionsraum auch immer nur eine Teileinheit ihres Wahrnehmungsraumes (siehe auch Heuwinkel 1981, Kreibich et al. 1989). Aus diesen Definitionen heraus wird deutlich, dass der Aktionsraum ein komplexes, in Zeit und Raum dynamisches Gebilde darstellt. Die Abgrenzung in der Zeit und der Art der Aktivitäten beeinflussen dementsprechend die Ausprägung konkreterer Definitionen entscheidend (Trostdorf 1991). Der Aktionsraum wird in der Regel als außerhäusliches Tätigkeiten- und Punktemuster erfasst und dessen Ausdehnung stellt letztendlich ein möglichst realitätsnahes Maß für die Größe des benutzten Stadtraumes dar.
7.2 Kommunikativ-interaktive Sozialintegration - Aktionsräume
129
Der Aktionsraum steht in engem Zusammenhang mit der Lage und Ausstattung des Wohnortes. So bestimmt die Lage des Wohnortes im gesamtstädtischen Kontext im entscheidenden Maße die Aktivitäten und Aktionsräume von Personen (SAS 1979). Die Lage des Wohnortes kann restriktiv wirken, sobald ein erhöhter Wegeaufwand entsteht. Dieser kann allerdings mit einem höheren Mitteleinsatz kompensiert und somit teilweise überwunden werden (siehe Friedrichs 1983). Die Ausstattung des Stadtquartiers mit Gelegenheitsstrukturen beeinflusst die Häufigkeit von Aktivitäten, die durchschnittliche Distanz zu den genutzten Gelegenheiten und folglich die räumliche Struktur des Aktionsraumes (SAS 1979, Friedrichs 1983). Kutter (1973a) folgend, bestimmt die mangelnde Ausstattung eines Quartiers die Verlagerung von Aktivitäten oder die Verringerung des Aktivitätenumfangs, welche entscheidende Folgen für die Ausprägung des räumlichen Verhaltens hat (siehe auch Friedrichs 1983). Neben den aufgesuchten Örtlichkeiten wird der Aktionsraum einer Person oder sozialen Gruppe durch Merkmale wie Erwerbstätigkeit, Stellung im Lebenszyklus und sozioökonomischer Status beeinflusst. Diese sorgen nicht nur für eine unterschiedliche Wahrnehmung der Umwelt, sondern auch für eine spezifische Ausgestaltung des Aktionsraums (Friedrichs 1983). Vor diesem Hintergrund lassen sich drei wesentliche Merkmalskomplexe herausstellen, die die räumlichen Strukturen von Aktionsräumen entscheidend beeinflussen: die Mittelausstattung, die Stellung im Lebenszyklus und die Wohndauer. Die Ausstattung einer Person mit ökonomischem Kapital, Bildung und Sozialprestige hat einen bedeutenden Einfluss auf die von einer Person ausgeführten Tätigkeiten. So weisen obere Sozialschichten mit hoher Mobilität (eigener PKW) größere Aktionsräume auf, als untere Sozialschichten (siehe u.a. Golledge und Spector 1978). Darüber hinaus gelten Haushalte mit knapperen ökonomischen Ressourcen laut Dangschat et al. (1982) als ‚doppelt benachteiligt‘: Im Sinne der Restriktionshypothese (keine Aktivität aufgrund fehlender Gelegenheit) unterbleibt häufig die Nutzung von Gelegenheiten aufgrund mangelnder Infrastruktur und Verkehrserschließung, die jedoch im Sinne der Kompensationshypothese (Kompensation der schlechten Ausstattung des Wohnumfeldes durch Mobilität) von dieser sozialen Schicht nicht überwunden werden kann (siehe auch Friedrichs 1990). Die Stellung im Lebenszyklus wird als zweite wesentlich verhaltensbestimmende Einflussvariable genannt (siehe Friedrichs 1983, Michelson 1977, Chapin 1974). Aktionsräumliche Verhaltensmuster sind abhängig von den allgemeingültigen gesellschaftlichen Vereinbarungen und deren Übertragung in den Familienzusammenhang (siehe Kutter 1973a, b). So haben Mütter mit Kindern andere Bedürfnisse und Tätigkeitsmuster als beispielsweise Jugendliche, Studenten, Erwerbstätige oder Pensionäre (Pohl 2009). Darüber hinaus wirken innerhäusliche Aktivitäten, z.B. Hausarbeit und Kinderpflege, als restriktives Moment auf die Ausgestaltung und räumliche Struktur des Aktionsraumes. Die Wohndauer als drittes Merkmal beeinflusst das räumliche Verhalten nachhaltig. Sie steht in engem Zusammenhang mit der Erfahrung einer Person und deren Kenntnisse über die städtischen Strukturen. In Anlehnung an Dürr (1979)
130
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
konnten Abhängigkeiten zwischen der Kenntnis eines städtischen Teilgebiets, die sich mit zunehmender Wohndauer erweitert, und den genutzten Örtlichkeiten aufgezeigt werden. Der Aktionsraum stellt in diesem Zusammenhang eine Teilmenge des individuellen Wahrnehmungsraumes dar, der durch die Wohndauer als Indikator für die Erfahrung und Kenntnis eines Teilgebietes beeinflusst wird (Dürr 1979). Das bedeutet, dass „differential knowledge of specific places in an urban environment appears to be related to social and economic segregation in the use and understanding of different parts of space“ (Golledge und Spector 1978: 418).
In diesem Zusammenhang gilt die Wohndauer als eine bestimmende Einflussgröße für die Ausdehnung und Dichte des Aktionsraumes. Denn „those who had been in the city for a longer period of time […] were more likely to have a more extensive activity pattern and a wider understanding of spatial relationships in the city“ (ebd.: 418f.).
Auch die Verbundenheit mit einem Stadtquartier, die sich gegebenenfalls mit zunehmender Wohndauer einstellt, sorgt für eine verstärkte Konzentration von alltäglichen Aktivitäten (Roppelt 2002). Neben den drei Einflussgrößen ist für alle Aktionsraumanalysen zu klären, ob die Untersuchungs- und Aussageeinheit Individuen und deren zeiträumliches Verhalten oder Gruppen und deren durchschnittliche Verhaltensmuster sind. In der vorliegenden Forschungsarbeit werden die Befragten hinsichtlich ihres Haushaltseinkommens in fünf sozioökonomische Gruppen (siehe Kapitel 5.1) unterteilt und deren Aktionsräume werden dementsprechend in fünf Farben kartographisch wiedergegeben (siehe z.B. Abbildung 5, 7, 8, S. 135-137). Daraus lassen sich bestimmte Verhaltensmuster für jede sozioökonomische Gruppe ableiten. Es wird davon ausgegangen, dass die verschiedenen sozioökonomischen Gruppen als verhaltenshomogen im Raum agieren. In Anlehnung an Kutter (1973a, b) – als Vertreter für den Ansatz der verhaltenshomogenen Gruppen – sind die Tätigkeitsmuster von Stadtbewohnern ausschließlich von deren Merkmalen ‚Status‘ und ‚Rolle‘ abhängig. Seinen Erkenntnissen nach, weisen verhaltenshomogene Gruppen relativ einheitliche Tätigkeitsmuster auf, die an räumlich fixierte Gelegenheiten gebunden sind und von der Ausstattung mit Infrastruktureinrichtungen und deren räumliche Verteilung abhängig sind. Folglich werden Bewohner mit ähnlichen Tätigkeitsmustern zu vergleichbaren Aktionsbereichen tendieren42. Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Forschungsarbeit gilt der Produktion und Wahrnehmung segregierter Stadtquartiere. Dementsprechend steht für die kommunikativ-interaktive Sozialintegration die Nutzung eines Stadtquartiers durch den Bewohner – sein sogenannter Aktionsraum – im Mittelpunkt. Sie repräsentiert die räumliche Dimension der Sozialintegration. Wie bereits erläutert, kann sich der Aktionsraum hinsichtlich seiner Größe und Heterogenität in Abhängigkeit vom sozioökonomischen Status der Bewohner und der Wohndauer unter42 Weitere Ausführungen zum verhaltenshomogenen Ansatz von Kutter (1973a, b) finden sich bei Scheiner (2000, 35ff.).
7.2 Kommunikativ-interaktive Sozialintegration - Aktionsräume
131
scheiden. Die Größe der Aktionsräume in den drei Untersuchungsgebieten beträgt im Durchschnitt 0,46 km². Zwischen den Untersuchungsgebieten lassen sich leichte Unterschiede feststellen. Die Befragten des Untersuchungsgebietes Peñalolén weisen mit 0,52 km² den größten durchschnittlichen Aktionsraum auf, gefolgt von Lo Barnechea mit 0,49 km² und Huechuraba mit 0,37 km² (siehe Tabelle 7). In Abhängigkeit des Haushaltseinkommens lassen sich signifikante Unterschiede feststellen, die im Einklang mit den theoretischen Ausführungen stehen. So weisen im Durchschnitt obere und mittlere Sozialschichten (ABC1, C2, C3), die mehrheitlich über einen PKW verfügen, größere Aktionsräume auf (> 0,50 km²), als untere Sozialschichten (D und E) (< 0,36 km²), die auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind (siehe Tabelle 7). Tabelle 7: Größe des Aktionsraumes differenziert nach sozioökonomischen Statusgruppen und Untersuchungsgebieten Untersuchungsgebiet Peñalolén Lo Barnechea Huechuraba Gesamt
Gesamt 0,52 0,49 0,37 0,46
Aktionsraum in km² nach Einkommensklassen ABC1 C2 C3 D 0,66 0,84 0,56 0,34 0,44 0,59 0,65 0,48 1,06 0,45 0,36 0,22 0,52 0,66 0,50 0,36
E 0,25 0,24 0,25 0,25
Quelle: Eigene Erhebung und Berechnungen auf Basis der Haushaltsbefragung, Frage 6 und 51
Die Wohndauer, als weitere Einflussvariable, lässt einen relativ geringen negativen Zusammenhang erkennen (Spearmans’s Rho. = -0,141, p = 0,000). Im Allgemeinen bedeutet dies, dass mit zunehmender Wohndauer die Größe des Aktionsraumes schrumpft. Doch bei genauer Analyse der durchschnittlichen Aktionsraumgrößen nach Wohndauerklassen lässt sich zunächst eine Vergrößerung des Aktionsraumes mit zunehmender Wohndauer feststellen, der jedoch mit sehr langer Wohndauer (> 21 Jahre) wieder abnimmt (siehe Tabelle 8). Die einzelnen Untersuchungsgebiete weisen diesbezüglich divergierende Ergebnisse auf. Für das Untersuchungsgebiet Peñalolén trifft dieser negative Zusammenhang zwischen Größe des Aktionsraumes und der Wohndauer zu. Hier ist der Aktionsraum von neuzugezogenen Bewohnern mehr als doppelt so groß (0,74 km²), als der der Alteingesessenen (0,29 km²). Wenngleich für das Untersuchungsgebiet Huechuraba ein signifikant negativer Zusammenhang errechnet wurde, lassen sich nur bedingt eindeutige Richtungen aus der Tabelle 8 ablesen. Demgegenüber gibt es keinen Zusammenhang zwischen der Wohndauer und der Größe des Aktionsraumes in Lo Barnechea.
132
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
Tabelle 8: Größe des Aktionsraumes differenziert nach Wohndauerklassen und Untersuchungsgebieten Aktionsraum in km² nach Wohndauerklassen in Jahren Gesamt 21 Spearman’s rho Peñalolén 0,52 0,74 0,70 0,56 0,40 0,29 -,283** Lo Barnechea 0,49 0,45 0,55 0,54 0,49 0,43 -,106 Huechuraba 0,37 0,39 0,49 0,23 0,27 0,36 -,173* Gesamt 0,46 0,47 0,58 0,50 0,40 0,35 -,141** ** p = < 0,01 (signifikant); * p = < 0,05 (signifikant) Quelle: Eigene Erhebung und Berechnungen auf Basis der Haushaltsbefragung, Frage 1 und 6 Untersuchungsgebiet
Die Ergebnisse der ordinalen Regression (siehe Tabelle 9) verdeutlichen im Allgemeinen, dass das Modell mit 0,000 besonders signifikant ist, jedoch können nur 8,9% der Größe des Aktionsraumes durch die unabhängigen Variablen ‚Einkommen‘ und ‚Wohndauer‘ erklärt werden. Die Wohndauer zeigt insgesamt keinen Einfluss auf die Größe des Aktionsraumes, da die Werte keinerlei Signifikanz aufweisen. Dagegen ist ein Einfluss des Einkommens auf die Größe des Aktionsraumes nachweisbar. Generell gilt, dass ein hohes Einkommen einen größeren Aktionsraum bewirkt. Tabelle 9: Ordinale Regression: Größe des Aktionsraumes in Abhängigkeit vom Einkommen und Wohndauer Gesamt Schätzer Sig. Schwelle
Lo Barnechea Schätzer Sig.
Huechuraba Schätzer Sig.
,000
-2,741
,001
-1,335
,003
-4,109
,004
-,868
,008
-1,269
,110
-,554
,201
-3,162
,025
0,22 - 0,41 km²
-,018
,955
-,505
,522
,461
,286
-2,145
,126
0,42 - 0,72 km²
,990
,003
,353
,655
1,725
,000
-1,084
,435
< 3 Jahre 3 – 7 Jahre 8 – 13 Jahre 14 – 21 Jahre > 21 Jahre E D C3 C2 ABC1
,004 ,196 -,038 -,009 0a -1,321 -,916 -,439 ,194 0a
,987 ,473 ,879 ,969 . ,000 ,003 ,162 ,546 .
,110 ,180 -,377 ,486 0a -2,103 -1,857 -,827 ,032 0a
,828 ,680 ,362 ,288 . ,011 ,017 ,266 ,965 .
,206 ,742 ,421 ,006 0a -,718 ,235 ,580 ,610 0a
,683 ,139 ,325 ,988 . ,213 ,564 ,235 ,203 .
-,235 -,097 -,834 -,858 0a -3,144 -3,483 -2,583 -2,037 0a
,704 ,883 ,223 ,169 . ,022 ,009 ,046 ,116 .
Modellanpassung
Signifikanz
,000
,000
,206
,001
Anpassungsgüte
Signifikanz
,056
,065
,034
,488
Pseudo R²
Nagelkerke
,089
,178
,068
,184
Größe des Aktionsraums
-1,904
0,11 - 0,21 km²
Einkommen
Wohndauer
Lage
< 0,11
Peñalolén Schätzer Sig.
Quelle: Eigene Berechnung Verknüpfungsfunktion: Logit. a. Dieser Parameter wird auf Null gesetzt, weil er redundant ist.
133
7.2 Kommunikativ-interaktive Sozialintegration - Aktionsräume
Diese Erkenntnis ist insbesondere für das Untersuchungsgebiet Peñalolén und Lo Barnechea zutreffend. Damit können die theoretisch hergeleiteten Erkenntnisse bedingt bestätigt werden. Nur für das Untersuchungsgebiet Huechuraba sind andere Einflussvariablen entscheidender, als der sozioökonomische Status und die Wohndauer. Zu prüfen wäre in diesem Untersuchungsgebiet, ob die Stellung im Lebenszyklus eine erklärende Variable für die Größe des Aktionsraumes ist. Neben der Größe des Aktionsraumes wurde auch dessen Heterogenität analysiert. Die Heterogenität des Aktionsraumes gilt in diesem Kontext als eine Schlüsselvariable, denn sie deutet auf die räumliche Nähe unterschiedlicher sozialer Gruppen im durch den Bewohner tatsächlich genutzten Raum. Denn auch wenn ein Bewohner in einem Stadtquartier wohnt, dass durch das Zusammenleben verschiedener sozialer Gruppen gekennzeichnet ist, lässt dies nicht gleich auf eine räumliche Nähe innerhalb des lebensweltlichen Aktionsraumes schließen. Im Allgemeinen wird ein Zusammenhang zwischen der Größe und der Heterogenität des Aktionsraumes angenommen. Das bedeutet, je größer der Aktionsraum eines Bewohners ist, desto heterogener ist auch dessen Ausprägung. Dieser Zusammenhang trifft für alle Untersuchungsgebiete gleichermaßen zu (siehe Tabelle 10). Tabelle 10: Zusammenhang zwischen Heterogenität und Größe des Aktionsraumes, Einkommen und Wohndauer differenziert nach Untersuchungsgebieten Gesamt Somers‘d Sig.
Untersuchungsgebiete Peñalolén Lo Barnechea Somers‘d Sig. Somers‘d Sig.
Größe des Akti,490** ,000 ,507** ,000 ,583** onsraumes Einkommen ,115** ,003 ,332** ,000 ,017 ** Wohndauer -,137 ,000 -,355** ,000 -,090 ** Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant (zweiseitig). * Die Korrelation ist auf dem 0,05 Niveau signifikant (zweiseitig). Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der Haushaltsbefragung
Huechuraba Somers‘d Sig.
,000
,463**
,000
,814 ,113
-,106 ,124*
,121 ,016
Des Weiteren wurde der Einfluss des Haushaltseinkommens und der Wohndauer auf die Heterogenität des Aktionsraumes überprüft. Es konnte festgestellt werden, dass ein signifikanter, wenngleich schwacher Zusammenhang sowohl zwischen dem Einkommen als auch der Wohndauer und der Heterogenität des Aktionsraumes besteht. Somit tendieren sozioökonomisch benachteiligte Bevölkerungsgruppen mit längerer Wohndauer zu homogenen lebensweltlichen Aktionsräumen. Dagegen sind die Aktionsräume neuzugezogener Bewohner der mittleren und oberen Sozialschicht wesentlich heterogener einzuschätzen. Der Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Schicht, Wohndauer und Heterogenität des Aktionsraumes ist insbesondere für die Bewohner von Peñalolén entscheidend. Eine mögliche Ursache könnte in der historischen Entwicklung dieses Quartiers liegen. Alteingesessene, oftmals sozioökonomisch benachteiligte Bevölkerungsgruppen organisieren ihr alltägliches Leben in räumlicher Nähe. Nur zu bestimmten Anläs-
134
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
sen müssen sie größere Distanzen überwinden und durchqueren dann auch Gebiete mittlerer und oberer Sozialschichten. Ergänzend zu der Größe und der Heterogenität des Aktionsraumes wurde versucht, über die flächenhafte Darstellung der Aktionsräume, Örtlichkeiten zu identifizieren, die eine Nutzung durch unterschiedliche sozioökonomische Gruppen aufweisen. Das Erkenntnisinteresse gilt an dieser Stelle vordergründig dem räumlichen Kontakt. Denn, wie in Kapitel 2.3 erläutert, kann auch indirekter räumlicher Kontakt (Anwesenheit der Fremdgruppe und sporadische Begegnungen im Quartier) eine Auswirkung auf den Abbau sozialer Distanzierung haben. Es konnte beobachtet werden, dass folgende Orte von verschiedenen sozialen Gruppen aufgesucht werden:
Peñalolén: Einkaufsmärkte Jumbo und Santa Isabel, Metrostationen Grecia und Lo Presidente, öffentliche Grünfläche in der Av. Tobalaba sowie die Stadtverwaltung (siehe Abbildung 5); Lo Barnechea: Einkaufszentrum Mall La Dehesa, Einkaufsmarkt Lider und die Kirche Santa Rosa (siehe Abbildung 6); Huechuraba: Einkaufszentrum Mall Plaza Norte, Einkaufsmarkt Santa Isabel und öffentliche Grünfläche in Av. Pedro Fontova (siehe Abbildung 7).
Bei allen drei Untersuchungsgebieten handelt es sich um Orte, die überwiegend auf die Bedürfnisse des täglichen Bedarfs ausgerichtet sind und sowohl die Nachfrage unterer als auch oberer Sozialschichten berücksichtigen. Darüber hinaus stellen Orte des öffentlichen Interesses (z.B. Grünflächen, ÖPNV Haltestellen und religiöse Einrichtungen) wichtige Punkte des räumlichen Kontaktes dar. Gleichwohl über diese induktive Herangehensweise Orte des räumlichen Kontaktes unterschiedlicher sozioökonomischer Gruppen identifiziert werden konnten, verharrt der Ansatz auf einem eher objektivistischen Raumverständnis. In Anlehnung an Scheiner (2000) sollte in einer handlungstheoretischen Aktionsraumforschung „dem Handeln das Primat zukommen. Dann sind nicht Wahrnehmung und Verhalten (nur) aus der objektiven Raumstruktur abzuleiten, sondern Handeln und Wahrnehmung konstruieren (auch) subjektive Räume“ (ebd.: 44).
In diesem Sinne sind nicht nur die Bewegungen in Raum und Zeit zu betrachten, sondern auch die Motive bzw. die Wahrnehmungen des Handelnden. Auch wenn die Ergebnisse zeigen, dass die katholische Kirche ein zentraler Ort des Zusammentreffens verschiedener sozioökonomischer Gruppen ist, verweist das folgende Zitat einer Bewohnerin der Unterschicht (D) aus Lo Barnechea auf klare soziale Distanzen innerhalb der Kirche:
7.2 Kommunikativ-interaktive Sozialintegration - Aktionsräume
Einkaufsmarkt JUMBO
Einkaufsmarkt SANTA ISABEL
Gemeindeverwaltung
Abbildung 5: Orte räumlicher Interaktion und Aktionsräume der Befragten differenziert nach sozialer Schicht in der Gemeinde Penalolén
135
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
Einkaufsmarkt LIDER
Kirche Santa Rosa
Abbildung 6: Orte räumlicher Interaktion und Aktionsräume der Befragten differenziert nach sozialer Schicht in der Gemeinde Lo Barnechea
Mall La Dehesa
136
7.2 Kommunikativ-interaktive Sozialintegration - Aktionsräume
137
Abbildung 7: Orte räumlicher Interaktion und Aktionsräume der Befragten differenziert nach sozialer Schicht in der Gemeinde Huechuraba
Einkaufsmarkt Santa Isabel
Grünanlage Pedro Fontova
Mall Plaza Norte
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7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene „… acá tu vas a la iglesia católica y están todos los cuicos, entonces tu como soy…un poroto en la paila marina… como que todos te miran como bicho raro… entonces mejor mantenemos límites… tu de tu lado y ellos de su lado… aunque el cura igual lo dice que no importa la raza o la edad, pero igual, sobre todo cuando vas a dar la paz, ellos no te agarran la mano…“43
Dieses Zitat verdeutlicht, dass kirchliche Einrichtungen Orte des räumlichen Kontaktes sind, jedoch innerhalb des Gebäudes soziale Distanzen aufrechterhalten werden. Diese vermitteln sogar eine gewisse Unsicherheit und ein Maß an Diskriminierung. Wenngleich versucht wird, über die kirchlichen Predigten Gleichheit und Gerechtigkeit zu vermitteln, erscheint die Umsetzung in der Realität nicht möglich. Dessen ungeachtet gibt es auch Beispiele, in denen die Kirche – in diesem Fall die Evangelische – den Abbau sozialer Distanzierungen praktizieren und über gegenseitige Hilfeleistungen Handlungs- und Verhaltensmuster beeinflussen. Ein Bewohner aus der Oberschicht (ABC1) und Angehöriger einer evangelischen Kongregation berichtet: „… pertenezco a la iglesia… debiera de brindar apoyo a las iglesias […] porque la única organización que realmente logra efectos sociales importantes es la iglesia… porque la iglesia […] cambia también hábitos de vida de forma radical […] hay cambios sustanciales, entonces la iglesia es una organización que hace eso.“44
Die kirchlichen Einrichtungen ermöglichen diesen Ausführungen nach soziale Unterstützung und initiieren Hilfeleistungen insbesondere für sozial Benachteiligte, an denen sich obere Sozialschichten beteiligen. Doch soziale Distanz wird dadurch nur in Ansätzen abgebaut. Auch Einkaufsmärkte des täglichen Bedarfs ermöglichen lediglich den räumlichen Kontakt zu anderen sozioökonomischen Gruppen. Soziale Nähe wird dadurch kaum geschaffen, wie eine Bewohnerin der prekären Unterschicht (E) aus Peñalolén berichtet: „…relaciones con ellos… no, nada… es lejos y a no ser que trabajes ahí, que tengas como contactos. Yo he ido para allá arriba a comprar a los supermercados, por ejemplo, el Jumbo me gusta, pero es lindo p’allá. Es como no sé poh, es como ir a otros lados, a parte que va hacia arriba y uno ve la cordillera y es como otro mundo. Es más bonito, pero contacto con gente así, excepto del supermercado… uno mira no mas.“45
43 „… man geht hier in die katholische Kirche und da sind alle Reichen, also so jemand wie ich … ist wie eine Bohne in einer Fischsuppe … alle sehen dich, wie ein seltsames Insekt an … also es ist besser, die Grenzen aufrecht zu erhalten … du auf der einen Seite und die auf ihrer Seite … auch wenn der Pfarrer sagt, dass nicht die Rasse oder das Alter entscheidend ist, aber trotzdem, insbesondere wenn man den Segen gibt, geben sie nicht ihre Hand …“ (Übersetzung durch die Autorin). 44 „… ich gehöre der Kirche an … man sollte der Kirche mehr Unterstützung anbieten, […] weil sie die einzige Organisation ist, die wirklich wichtige soziale Effekte erreicht … weil die Kirche […] auch die Lebensgewohnheiten radikal verändert […] also es gibt substanzielle Veränderungen, also die Kirche ist eine Organisation, die so etwas schafft …“ (Übersetzung durch die Autorin). 45 „…Beziehungen zu ihnen… nein, gar nicht… sie leben weit weg, es sei denn du arbeitest dort, dann hast du Kontakte. Ich gehe dort in den Supermarkt einkaufen, z.B. der Jumbo ge-
7.2 Kommunikativ-interaktive Sozialintegration - Aktionsräume
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Über den räumlichen Kontakt hinaus, bewirken diese neu geschaffenen Orte die Wahrnehmung einer anderen Welt, die insbesondere für sozial benachteiligte Bewohner als unerreichbar gilt. Sie schafft im besten Fall eine Form der ‚visuellen Integration‘, wie ein Bewohner der unteren Mittelschicht (C3) aus Huechuraba konstatiert: „…mira, algunos espacios podrían ser las multicanchas que existen, donde se vuelcan a jugar futbol, algunas plazas, el supermercado, el LIDER o el Mall […] y los pocos espacios que podrían haber de la parte nueva, podrían ser como digo, el mall, el patio de comidas, que se yo… una integración por lo menos visual, una cosa de cercanía, no sé si ya de tanto compartir.“46
Ähnliche Beobachtungen lassen sich im Zusammenhang mit der Nutzung von öffentlichen Grünflächen festhalten. Diese werden, laut den Ergebnissen der Haushaltsbefragung, zu 48,2% von der Unterschicht (E, D), zu 41,0% von der Mittelschicht (C3, C2) und zu lediglich 10,8% von der Oberschicht (ABC1) genutzt. Die geringe Nutzung öffentlicher Grünflächen durch die Oberschicht steht in enger Verbindung zu dem breiten Angebot an verfügbaren privaten Grünanlagen, auf die diese soziale Gruppe zurückgreifen kann. Dagegen sind untere Sozialschichten und zum Teil auch mittlere Sozialschichten auf die Nutzung öffentlicher Grünanlagen angewiesen. Die Ergebnisse zur Nutzung der Grünanlagen verweisen demnach auf Orte räumlichen Kontaktes überwiegend unterer und mittlerer Sozialschichten. Doch auch hier ergeben sich nur bedingt Möglichkeiten des Abbaus sozialer Distanzierungen. Vielmehr entstehen Nutzungskonflikte zwischen den unterschiedlichen sozialen Gruppen, wie eine Bewohnerin der unteren Mittelschicht (C3) aus Huechuraba schildert: „…para mi el problema con la gente de ahí es su vocabulario. […] ¡Eso me molesta! […] Llevo a mis hijos, de hecho ahí hay unos juegos […] pero cuando mis hijos van a jugar con otros niños, primero miro a la mamá, no es que sea pesada ni nada, pero es que como las mamás hablen con sus hijos.“47
Aus diesem Interview wird deutlich, dass die divergierenden Verhaltensmuster und insbesondere der abweichende Sprachgebrauch kulturellen Ursprungs Grenzen für den Abbau sozialer Distanzierung schaffen (siehe auch Kapitel 8.1). Diefällt mir, es ist schön dort. Es ist, ich weiß nicht, es ist wie auf der anderen Seite, außerdem wenn man dort ist, sieht man die Berge, es ist wie eine andere Welt. Es ist schöner, aber Kontakte mit den Bewohnern dort, außer im Supermarkt … man schaut nur mal…“ (Übersetzung durch die Autorin). 46 „…also, einige Orte könnten die Fußballplätze sein, einige Grünanlagen, der Supermarkt LIDER oder die Einkaufsmall […] und von den wenigen Orten, die es hier gibt, könnten es, wie gesagt, die Mall, die Gourmetmeile sein… zumindest eine visuelle Integration, eine Sache der Nähe, aber ein gemeinsames Beisammensein, ich weiß nicht …“ (Übersetzung durch die Autorin). 47 „…das Problem, dass ich mit den Leuten von dort habe, ist deren Redensart. […] Das stört mich! Ich gehe mit meinen Kindern dort auf den Spielplatz […] aber wenn meine Kinder dort mit anderen Kindern spielen, schaue ich mir zuerst die Mütter an, es ist nicht so, dass sie unfreundlich wären, aber wie sie mit ihren Kindern sprechen…“ (Übersetzung durch die Autorin).
140
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
ses Zitat verweist auf die in Kapitel 2.3 angedeutete Bedeutung existierender, tradierter Statushierarchien, die zum Ausbleiben von Interaktionen zwischen verschiedenen sozialen Gruppen führen kann und eine ‚Resilienz der Segregation‘, mit den Worten Dixons und Dürrheims (2003) gesprochen, andeuten. Damit unterstreicht diese Analyse, die Erkenntnisse von Maoz (2002), der feststellen musste, dass ein räumlicher Kontakt verschiedener sozialer Gruppen an einem bestimmten Ort nicht zwangsläufig zu einer bedeutenden Interaktion im positiven Sinne führen muss (siehe Kapitel 2.3). Vor diesem Hintergrund stellt sich die allgemeine Frage, ob es Orte gibt, die über den räumlichen Kontakt eine soziale Nähe zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen herstellen können. In Anlehnung an die Gespräche mit Experten vor Ort sind es vor allem die Bereiche des Sports (im Speziellen Fußball) und der Kultur, die eine Sozialintegration fördern können, wie das folgende Zitat verdeutlicht: „…tenemos dos canchas sintéticas de fútbol, que no las tenía Lo Barnechea y que hoy día hemos hecho escuelas de fútbol, antes solamente teníamos niñitos del pueblo, hoy día hay niñitos de La Dehesa que están viniendo a nuestras canchas de fútbol a jugar, a entretenerse…“48 (E16).
Dagegen sind Bildungseinrichtungen weniger sozialintegrativ. Aufgrund des segmentierten Bildungssystems ergeben sich nur selten Möglichkeiten des räumlichen Kontaktes. Untere Sozialschichten sind in diesem Zusammenhang auf öffentliche Schulen angewiesen und obere Sozialschichten wählen die besten privaten Schulen aus, die oftmals nicht im Stadtquartier vorzufinden sind, sondern in den traditionellen Gebieten der Oberschicht. Dies bedeutet, dass sich der Aktionsraum oberer Sozialschichten ‚enträumlicht‘ und sich über die Grenzen des Stadtquartiers erstreckt, wie das folgende Gespräch bestätigt: „…antes los ricos iban a colegios de ricos porque como vivían en barrios de ricos, los colegios de ricos les quedaban cerca; hoy día […] para los ricos finalmente hay como una red de ‘clase’ que excede el barrio, y como se han ido diferenciando en lugares, esa red de clase como que empieza a apropiarse de distintos sectores de la ciudad; entonces […] las elites chilenas, y eso ha sido históricamente también, arman sus relaciones sociales ya sea, en el colegio, en la universidad o en la familia…“49 (E15).
Neben den privaten Schulen der oberen Sozialschicht existieren auch private Schulen, die öffentlich subventioniert werden. Innerhalb des chilenischen Bildungssystems stellen sie einen Ort relativer sozialer Heterogenität dar, da hier 48 „…wir haben zwei synthetische Fußballplätze, die Lo Barnechea vorher nicht hatte und heute haben wir Fußballschulen, früher kamen nur Kinder aus der Unterschicht, heute kommen auch Kinder aus La Dehesa (Oberschicht), um auf diesen Plätzen zu spielen und um Spaß zu haben …“ (Übersetzung durch die Autorin). 49 „…früher gingen die Reichen in Schulen der Reichen, weil sie im Oberschichtsviertel wohnten und die Schulen dort in der Nähe waren; heute […] gibt es für die Oberschicht ein ‚Netzwerk‘, dass sich über das Stadtquartier hinaus erstreckt und dadurch, dass sie jetzt an verschiedenen Orten leben, beginnt sich dieses Netzwerk auf verschiedene Orte innerhalb der Stadt anzupassen; also […] die chilenische Elite, und das war schon früher so, baut ihre sozialen Netzwerke in der Schule, Universität und Familie auf…“ (Übersetzung durch die Autorin).
7.2 Kommunikativ-interaktive Sozialintegration - Aktionsräume
141
sowohl Schüler unterer als auch oberer Mittelschichten aufeinandertreffen. Beispielhaft steht dafür das ‚Colegio Alcántara‘ in der Gemeinde Peñalolén. Im Gespräch mit dem Schuldirektor wurde jedoch deutlich, dass wenngleich eine bestimmte soziale Heterogenität in der Schule sichtbar ist (die Schüler kommen sowohl aus unteren, als auch mittleren und oberen Sozialschichten), innerhalb der Schule und unter den Schülern soziale Distanzierungen gelebt werden: „…esta comuna se caracteriza precisamente por su heterogeneidad y este colegio también, tienes chicos de bajos ingresos y tienes chicos que viven en Casa Grande, por ejemplo que son los condominios más prestigiosos en el sentido de costo, entonces este colegio puede decirse que es un colegio diverso, [pero dentro del colegio pasa] esa diferenciación, […] generalmente, pero fundamentalmente aparecen con los objetos, el uso de los objetos y la capacidad de poder acceder a ellos es el factor de prestigio, de segmentación más grande en el plano simbólico … el celular es probablemente uno de los factores más importantes […] de los niños, las zapatillas, los mp3, mp4 y demás, el tipo de música que escuchas, esto en la convivencia interna, después está el lugar donde vives por supuesto…“50 (E12).
Folglich werden auch innerhalb einer Schule, die sich objektiv durch soziale Diversität auszeichnet, soziale Unterschiede über die Nutzung materieller Gegenstände, aber auch Verhaltensmuster reproduziert. Die Nutzung bestimmter Symbole schafft eine interne Zuordnung zu einer sozialen Schicht, die bewusst soziale Distanzierung bewirkt. Diese ist von wesentlicher Bedeutung, um sich abgrenzen zu können. Sie stellt eine Dimension dar, die über das alltägliche Leben in der Nachbarschaft hinausgeht (weitere Ausführungen dazu in Kapitel 8.1). Dementsprechend lässt sich an dieser Stelle schlussfolgern, dass räumliche Kontaktmöglichkeiten bestehen, die über einen indirekten Kontakt Chancen einer sozialen Nähe suggerieren. Jedoch werden bei genauer Analyse an diesen Orten der räumlichen Interaktion über individuelle Handlungs- und Verhaltensmuster soziale Distanzierungen sichtbar. 7.3 KOMMUNIKATIV-INTERAKTIVE SOZIALINTEGRATION – SOZIALE NETZWERKE Neben den lebensweltlichen Aktionsräumen stellen soziale Netzwerke eine wichtige theoretische und methodische Funktion kommunikativ-interaktiver Sozialintegration dar (siehe Kapitel 4), denn eine Sozialstruktur zeichnet sich nicht nur durch die Summe individueller Merkmale aus, sondern auch durch die Beziehun50 „…diese Gemeinde charakterisiert sich durch ihre Heterogenität, wie diese Schule auch, es gibt Schüler aus sozial schwachen Familien und Schüler, die in Casa Grande wohnen, eines der angesehensten Wohnviertel in Bezug auf den Immobilienpreis, also diese Schule kann sich eine durchmischte Schule nennen, [aber innerhalb der Schule existiert] diese Differenzierung, […] vor allem durch materielle Gegenstände, die Nutzung von Gegenständen und die Möglichkeit diese zu erwerben ist ein Prestigefaktor, die größte symbolische Segmentierung … das Handy ist wahrscheinlich eines der wichtigsten Faktoren der Schüler, die Schuhmarke, der MP3 oder MP4 Player etc., der Musikstil, den sie hören, das Zusammenleben und natürlich der Wohnort …“ (Übersetzung durch die Autorin).
142
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
gen zwischen verschiedenen Akteuren (Jansen 2003). Im Mittelpunkt jeder Netzwerkanalyse steht demnach nicht das Individuum, sondern seine Beziehung zu anderen Akteuren. Da über die Analyse von sozialen Netzwerken die Entstehung bzw. Veränderung von individuellen Handlungsstrukturen erklärt werden kann, stellen sie ein wichtiges Verbindungsglied zwischen Mikro- und Makroansätzen in den Sozialwissenschaften dar (Jansen 2003). Im diesem Kapitel bilden soziale Netzwerke eine wichtige Analysefunktion zwischen räumlicher Nähe unterschiedlicher sozialer Gruppen und den tatsächlichen Formen des Intergruppenkontaktes, der laut Dixon et al. (2007) sowohl Auswirkungen auf kognitive als auch auf emotionale und verhaltensorientierte Dimensionen bei dem Abbau von Vorurteilen und Einstellungen haben kann (siehe Kapitel 2.3). Darüber hinaus geben soziale Netzwerke im Allgemeinen Aufschluss über das Eingebettetsein von individuellen Akteuren in deren soziales Umfeld (Jansen 2003) sowie über mögliche Unterstützungsstrukturen und soziale Anerkennung (Friedrichs und Blasius 2001, Diewald 1991). Insbesondere informelle Beziehungen, wie z.B. Freundschafts- oder Nachbarschaftsbeziehungen, haben eine wichtige Funktion in Krisenzeiten, allgemeinen Belastungssituationen oder Verlustereignissen. Sie geben Geborgenheit, sozialen Halt und schaffen Zugehörigkeit, Verortung und Positionierung im gesellschaftlichen System (Hollstein 2001). Soziale Beziehungen sind sinnstiftend, wirken verhaltensstrukturierend, stellen Normenmodelle bereit und gelten als orientierungsweisend. Zusammengefasst sind sie entscheidend für die alltägliche Sozialintegration, denn sie erfüllen viele wichtige kognitive, emotionale und praktische Leistungen (ebd.). Ohne soziale Beziehungen wäre der Mensch sozial und emotional isoliert. Allgemein wird zwischen starken und schwachen Beziehungen unterschieden, die vor allem auf den Erkenntnissen von Granovetter (1973) beruhen. Unter starken Beziehungen werden Kontakte zu Personen subsumiert, zu denen eine sehr enge Beziehung unterhalten wird. Dagegen sind die schwachen Beziehungen eher flüchtige, wenig zeitintensive Kontakte, die durch geringes gegenseitiges Vertrauen, emotionales Engagement und Austausch an Gütern charakterisiert sind. Nach den Erkenntnissen von Granovetter (1973) sind es eher diese schwachen Beziehungen, die verschiedenartige und neue Informationen und Normen vermitteln und für alle Mobilitäts-, Modernisierungs-, Innovations- und Diffusionsprozesse von entscheidender Bedeutung sind (siehe auch Jansen 2003, Hollstein 2001). Darüber hinaus sind diese schwachen weit verzweigten Netzwerke in der Lage, große räumliche und soziale Distanzen zu überwinden. Sie sind besonders leistungsstark, je größer und weit verzweigter die Bindungen zu anderen Personen sind, die Brückenköpfe zu anderen Netzwerken darstellen. Granovetter (1973) spricht deshalb von „the strength of weak tie“ (ebd.: 1360). Das Kapitel 7.3 fokussiert auf die ego-zentrierte Netzwerkanalyse (siehe Kapitel 5), die verschiedene Analyseebenen des Netzwerkes unterscheidet. In Anlehnung an Wolf (1993) gibt es insgesamt drei Analyseebenen, die immer konzeptionell zu trennen sind:
7.3 Kommunikativ-interaktive Sozialintegration – soziale Netzwerke
1. 2.
3.
143
Die Ebene des Befragten (Ego): Hier werden alle relevanten sozialen, demographischen und ökonomischen Strukturmerkmale analysiert. Die Ebene der Beziehung zwischen dem Befragten (Ego) und der von ihm angegebenen Kontaktpersonen (Alteri): Hier stehen vor allem Strukturmerkmale dieser Beziehungen im Vordergrund, wie z.B. Kontakthäufigkeit, Beziehungsdauer, räumliche Distanz oder Dispersion, Grad der Homogenität. Die Ebene der Strukturmerkmale des Gesamtnetzwerks: Zu den wesentlichen Strukturparametern zählen die Netzwerkgröße (Indikator für die soziale Einbindung und die potentielle Beschaffung an Informationen) und seine Dichte (Indikator für das allgemeine Zusammengehörigkeitsgefühl, sozialen Rückhalt und soziale Kontrolle) (siehe auch Schenk 1984, Hollstein 2001).
Insgesamt konnten in der Haushaltsbefragung 616 Egos (befragte Personen, die mindestens eine Kontaktperson genannt haben) und 2.157 Alteri (Kontaktpersonen) identifiziert werden. Die Verteilung in den Untersuchungsgebieten stellt sich sehr heterogen dar. Während die Anzahl der Egos relativ gleich verteilt ist, unterscheidet sich die Anzahl der angegebenen Alteri innerhalb der Untersuchungsgebiete stark. Im Untersuchungsgebiet Peñalolén wurden mit durchschnittlich 3,8 Kontaktpersonen insgesamt 885 Alteri erreicht. Dagegen ist die Anzahl in Lo Barnechea mit 692 Alteri (Ø 3,6 Personen) und in Huechuraba mit 580 Alteri (Ø 3,0 Personen) geringer (siehe Tabelle 11). Im Allgemeinen nannten von den 616 Befragten 5,7% eine Kontaktperson, 10,4% zwei, 9,6% drei und 69,7% vier Kontaktpersonen. Tabelle 11: Anzahl der Ego und genannten Alteri differenziert nach Untersuchungsgebieten Ego Alteri Häufigkeit % Häufigkeit % Peñalolén 232 37,7 885 41,0 Lo Barnechea 193 31,3 692 32,1 Huechuraba 191 31,0 580 26,9 Gesamt 616 100,0 2.157 100,0 Quelle: Eigene Erhebung auf Basis der Haushaltsbefragung, Frage 30
Anzahl der Kontaktpersonen 3,8 3,6 3,0 3,5
Die genannten Werte beschreiben die Netzwerkgröße, die als Indikator für die soziale Einbindung des Befragten verwendet wird. Sie hat laut Hollstein (2001) vor allem Einfluss auf die Menge an verfügbaren Informationen und kann demnach als potentielle Ressource für die Beschaffung von Unterstützungsleistungen gesehen werden. Denn mit steigender Netzwerkgröße nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass das Netz sowohl Ressourcen als auch emotionale Unterstützung bieten kann (Gestring et al. 2006). Dessen ungeachtet konstatiert Hollstein (2001), dass die Netzwerkgröße nur ein sehr grober Indikator für die individuelle Zufriedenheit, die subjektive Wahrnehmung und Angemessenheit von Interaktionen ist. Infolge dessen sollen an dieser Stelle noch weitere relationale und strukturelle Merkmale der Netzwerke diskutiert werden.
144
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
7.3.1 Die Ebene des Befragten – Allgemeine Strukturdaten von Ego Zu den allgemeinen Strukturdaten von Ego, die in der Haushaltsbefragung erfasst wurden, zählen das Geschlecht, der Bildungsabschluss, die Haushaltsstruktur, das Haushaltseinkommen, das durchschnittliche Alter und die durchschnittliche Wohndauer. Einen zusammenfassenden Überblick dieser Strukturdaten bietet die Tabelle 12 (S. 147). Insgesamt haben von den 616 Egos mehr Frauen (62,0%) als Männer (38,0%) Angaben zu den jeweiligen Kontaktpersonen gemacht. Der Unterschied ist besonders groß in Lo Barnechea, wo nur 28,5% die Männer und 71,5% die Frauen repräsentieren. Die Differenzierung nach Geschlecht ist insofern von Bedeutung, da geschlechterspezifische Aspekte in der Netzwerkforschung beobachtet werden konnten51, wenngleich die Ergebnisse entsprechender Untersuchungen nicht durchweg konsistent sind (Röhrle 1994). So verfügen Frauen im Allgemeinen über ein größeres und differenzierteres Netzwerksystem als Männer. Häufig wird dies mit Sozialisationsunterschieden begründet, denn Frauen werden nach Erkenntnissen von Röhrle (1994) „zu sozial-interaktiven Spezialistinnen sozialisiert“ (ebd.: 193). Sie sind „by virtue of biology, socialisation, cultural expectations, structural position, or all four, more disposed to be sociable and personally sensitive than are men“ (Fischer 1982: 253f).
Auch Nestmann und Schmerl (1990) gelangen zu der Schlussfolgerung, dass „der weibliche Sozialcharakter […] als emotional wärmer, offener, ausdrucksfähiger und -bereiter im Bereich von Gefühlen, als bescheidener, nachgiebiger und weniger scheu, Hilfe zu akzeptieren, sich selbst als hilflos oder hilfebedürftig zu zeigen, und um Beistand zu bitten [gilt]. Der männliche Sozialcharakter betont demgegenüber Rationalität, Unabhängigkeit, Kompetenz, Härte (auch gegen sich selbst), Gefühlsbeherrschung, Konkurrenzfähigkeit und Leistung“ (ebd.: 11).
51 Die Ursachen der Geschlechtsunterschiede werden mit Faktoren wie Erwerbsstatus, Familienstand und Alter begründet (Wnuck 1987). So ergaben Forschungen, dass nichtberufstätige Frauen eher nachbarschaftliche und verwandtschaftliche Kontakte und Männer eher Beziehungen aus der Zeit vor der Eheschließung und zu lokalen Berufsgruppen pflegen (Strohmeier 1983). Junge Frauen, vor allem Mütter, besitzen weniger Kontakte als gleichaltrige Männer, ältere Frauen bauen dagegen größere Netzwerke als Männer auf (Fischer 1982, Mayr-Kleffel 1991). Nach Erkenntnissen von Mayr-Kleffel (1991) sind Netzwerke von Frauen auch eher homogener als die der Männer, was ein bestimmtes Risiko beinhaltet, denn dadurch können Frauen „weniger Brücken zu vielfältigen Informationen und Ressourcen außerhalb ihrer unmittelbaren Nahumwelt“ (ebd.: 176) aufbauen. Darüber hinaus betont Schenk (1995), dass die Netzwerke von Frauen tendenziell geschlossener (höhere Dichte) sind und Männer über größere Netzwerke verfügen. Laut Nestmann und Schmerl (1990) geben und erhalten Frauen mehr soziale Unterstützung, pflegen häufigere, intimere und stabilere Beziehungen und erhalten mehr emotionale Unterstützung als Männer, die ihre Probleme eher kognitiv bewältigen.
7.3 Kommunikativ-interaktive Sozialintegration – soziale Netzwerke
145
Dementsprechend sollten bei der Analyse der Netzwerkbeziehungen zwischen Ego und seinen Alteri geschlechterspezifische Unterschiede berücksichtigt werden. In Bezug auf die Altersstruktur sind die Befragten im Durchschnitt 41 Jahre alt ( = 14,9). Zwischen den Untersuchungsgebieten bestehen nur leichte Abweichungen. Die Befragten des Untersuchungsgebietes Peñalolén sind mit durchschnittlich 40 Jahren ( = 12,1) am jüngsten, währenddessen die Bewohner Lo Barnecheas mit durchschnittlich 42 Jahren ( = 18,1) am ältesten sind (siehe Tabelle 12, S. 147). Ähnlich wie die geschlechtsspezifischen Unterschiede, lassen sich auch für das Alter unterschiedliche Phasen der Netzwerkbildung erkennen52. Entscheidend dafür sind vor allem die einschneidenden Etappen im Lebensverlauf – Kinder- und Jugendzeit, Gründung einer Familie und Altern – in denen sich die Wünsche und Anforderungen ändern. In engem Zusammenhang zur Altersstruktur ist auch die jeweilige Haushaltsstruktur von Ego zu interpretieren. Denn die sozialen Netzwerke von Alleinstehenden sind anders strukturiert, als die der Familien mit Kind(ern). In den drei Untersuchungsgebieten gaben 71,4% aller Befragten an, dass sie in einer Familienstruktur mit Kind(ern) leben (davon Lebensgemeinschaft mit Kind(ern) 53,3% und bei den Eltern lebend 18,3%) (siehe Tabelle 12, S. 147). Während das Untersuchungsgebiet Lo Barnechea diese Durchschnittswerte gut repräsentiert, unterscheiden sich die Werte zwischen Peñalolén und Huechuraba stark. Das Untersuchungsgebiet Huechuraba ist mit 76,5% durch einen sehr hohen Anteil an Familien mit Kind(ern) gekennzeichnet, dagegen weist das Untersuchungsgebiet Peñalolén mit 67,3% einen viel geringeren Anteil an Familien mit Kind(ern) auf. Mit 12,5% sind hier vor allem erweiterte Familien- bzw. Haushaltsstrukturen – das Wohnen mit Verwandten – von Bedeutung (siehe Tabelle 12, S. 147). Diese Art der Haushaltsstruktur spielt in den anderen Untersuchungsgebieten eine eher untergeordnete Rolle. Aber auch Lebensgemeinschaften ohne Kinder sind für Peñalolén mit 9,1% und für Lo Barnechea mit 9,3% eine wichtige Haushaltsstruktur. Den Ergebnissen entsprechend ist zu erwarten, dass die sozialen Netzwerke in den drei Untersuchungsgebieten sich durch Beziehungen auszeichnen, die sowohl 52 Während der verschiedenen Lebensphasen werden ganz unterschiedliche soziale Netzwerke aufgebaut. In Anlehnung an Röhrle (1994) verfügen bereits dreijährige Kinder über soziale Netzwerke, die sich hauptsächlich durch Beziehungen zu Gleichaltrigen auszeichnen und mit den Jahren an Umfang gewinnen. Mit dem jeweiligen Ein- und Austritt in bzw. aus Kindergarten- und Schuleinrichtungen verändern sich die sozialen Netzwerke, wenngleich die Beziehungen zu Gleichaltrigen im Jugendalter bestehen bleiben (siehe u.a. Mietzel 1989). Im Erwachsenenalter bestimmen vor allem die verschiedenen Statusetappen (z.B. räumliche Mobilität, Einstieg in das Erwerbsleben, Veränderungen im Beruf und/oder der Wohnsituation, Eheschließung, Geburt der Kinder, Ehescheidung, Auszug der Kinder etc.) die Zusammensetzung und Veränderung von sozialen Netzwerken (Wagner 1989, Diewald 1991). Im höheren Alter nimmt die Netzwerkgröße ab und die Netzwerkstruktur wird homogener, als Folge von verschiedenen Komponenten wie z.B. Übergang in den Ruhestand, gesundheitliche Verfassung, Tod von Freunden oder Verwandten (Diewald 1991, Schenk 1995).
146
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
durch das Erwerbsleben der Eltern als auch durch Kontakte über die Kinderfreundschaften geprägt sind. Denn laut Mayr-Kleffel (1991) haben insbesondere Kinderfreundschaften im Schulalter, durch die Eltern in Kontakt zu anderen Eltern kommen, eine beziehungsstiftende Wirkung. Da jedoch das Bildungssystem, insbesondere die Primär- und Sekundärbildung, in Chile stark segmentiert ist, sind relativ homogene Netzwerke hinsichtlich der sozialen Schicht zu erwarten. Bezogen auf die Schichtzugehörigkeit ist das Haushaltseinkommen ein repräsentativer Indikator, wenngleich 17,5% der befragten Egos hierzu die Aussage verweigerten. Im Allgemeinen sind die 508 Befragten, die dazu Angaben machten, zu 45,1% der Unterschicht (Schicht E und D), zu 46,1% der Mittelschicht (Schicht C3 und C2) und zu 8,9% der Oberschicht (Schicht ABC1) zuzuordnen (siehe Tabelle 12, S. 147). Die große Mehrheit der sozialen Netzwerke von Ego gehört dementsprechend der Unter- und Mittelschicht an. Auch hier sind wieder schichtspezifische Aspekte der sozialen Netzwerke zu beachten. Röhrle (1994) folgend, haben Angehörige unterer Sozialschichten vergleichsweise kleinere, dichtere und zugleich multiplexere soziale Netzwerke. Sie setzen sich vorwiegend aus Freunden und Angehörigen zusammen. Dessen ungeachtet sind sie gleichzeitig stärker isoliert. Auch Diewald (1991) konstatiert, dass Netzwerke von Personen mit höherem Einkommen „im Schnitt größer, räumlich weiter verstreut, […] mehr Freundschaftsbeziehungen [enthalten] und […] insbesondere mehr an kognitiv-emotionalen Formen der sozialen Unterstützung [vermitteln]“ (ebd.: 117).
In Anlehnung an Hollstein (2001) haben Angehörige der Mittelschicht deutlich mehr Freundschaften, als die der Unterschicht. Diese schichtspezifischen Unterschiede werden durch die höheren sozialen Kompetenzen (‚social skills‘), die für die Pflege und Kontaktgenerierung erforderlich sind, und durch den breiteren Zugang zu Bildungseinrichtungen, Ausbildungsstätten, öffentlichem Engagement oder abweichenden Freizeitaktivitäten begründet. Die informellen Beziehungen der Unterschicht setzen sich dagegen vor allem aus Verwandten, Nachbarn und Arbeitskollegen zusammen. Freundschaften spielen bei der Unterschicht eine eher untergeordnete Rolle. Darüber hinaus stellen Eltern, die der Mittelschicht zuzurechnen sind, nach Erkenntnissen von Mayr-Kleffel (1991) „signifikant mehr finanzielle Hilfe, Kinderbetreuung, Ratschläge und wertvolle Geschenke“ (ebd.: 86) bereit als Eltern der Unterschicht. Schenk (1995) gelangt dagegen zu der Erkenntnis, dass es keinen statistischen Zusammenhang zwischen sozialer Schichtung und Netzwerkgröße gibt, wohl aber einen zwischen sozialer Schichtung und Kontakthäufigkeit sowie Stärke / Schwäche sozialer Beziehungen. So ist die Kontaktfrequenz mit zunehmendem sozialen Status (höhere soziale Schicht) uneinheitlicher und der Anteil schwacher Beziehungen höher als in den unteren sozialen Schichten. Innerhalb der Untersuchungsgebiete sind signifikante Unterschiede zu beobachten. In Peñalolén gleichen die Durchschnittswerte denen der Gesamtstichprobe, auch wenn die Oberschicht (ABC1) nur 3,8% ausmacht.
7.3 Kommunikativ-interaktive Sozialintegration – soziale Netzwerke
147
Tabelle 12: Strukturmerkmale von Ego differenziert nach Untersuchungsgebieten Untersuchungsgebiet Peñalolén N = 232
Lo Barnechea Huechuraba N = 207 N = 207
Gesamt N = 646
Geschlecht Männlich
44,4%
28,5%
39,8%
38,0%
Weiblich
55,6%
71,5%
60,2%
62,0%
Primärbildung (Grundschule)
9,5%
17,2%
16,2%
14,0%
Sekundärbildung (Mittelschule und berufsbildende Schule)
50,9%
36,5%
48,7%
45,7%
Tertiärbildung (Universität, postgraduale Studien)
39,7%
45,8%
35,1%
40,2%
ohne Schulbildung
0,0%
0,5%
0,0%
0,2%
Ich lebe allein.
1,3%
2,6%
2,6%
2,1%
Ich bin alleinerziehend.
6,9%
6,7%
7,9%
7,1%
Ehe od. Lebensgemeinschaft ohne Kind(er).
9,1%
9,3%
6,3%
8,3%
Ehe od. Lebensgemeinschaft mit Kind(ern).
52,2%
41,5%
66,0%
53,1%
Ich lebe bei meinen Eltern.
15,1%
30,1%
10,5%
18,3%
Bildungsabschluss
Haushaltsstruktur
Ich lebe bei meinen Kindern.
3,0%
1,0%
3,1%
2,4%
Ich lebe mit Verwandten.
12,5%
5,7%
0,0%
6,5%
Sonstige
0,0%
3,1%
3,7%
2,1%
Haushaltseinkommen < $120.000 (E)
15,4%
10,4%
10,3%
12,4%
$120.000 - $300.000 (D)
33,2%
37,2%
26,5%
32,7%
$300.000 - $1.000.000 (C3)
24,0%
16,5%
36,8%
25,0%
$1.000.000 - $3.000.000 (C2)
23,6%
15,2%
24,3%
21,1%
> $3.000.000 (ABC1)
3,8%
20,7%
2,2%
8,9%
Ø Alter in Jahren
39,7
42,2
41,8
41,1
Ø Wohndauer in Jahren
15,5
16,4
7,9
13,4
Quelle: Eigene Berechnung auf Basis der Haushaltsbefragung
148
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
In Lo Barnechea entspricht der Wert der Unterschicht (D und E) dem der gesamten Stichprobe, dagegen sind die Anteile der Mittelschicht (C3 und C2) mit nur 31,7% geringer und die der Oberschicht (ABC1) mit 20,7% viel höher als die allgemeinen Durchschnittswerte. In Huechuraba ist die Mittelschicht (C3 und C2) mit 61,0% neben der Unterschicht (D und E) mit 36,8% im Vergleich zu den anderen beiden Untersuchungsgebieten am stärksten vertreten. Vor diesem Hintergrund sind in Peñalolén und Huechuraba soziale Netzwerke der Unter- und Mittelschicht zu erwarten, währenddessen in Lo Barnechea auch soziale Netzwerke der Oberschicht eine große Bedeutung spielen werden. Der Bildungsgrad der befragten Bewohner ist ein weiterer Indikator, der für die Integration in soziale Netzwerke bedeutend ist. Gleichwohl in der soziologischen Forschung allgemein angenommen wird, dass Personen mit einem höheren Bildungsgrad über größere egozentrierte Netzwerke verfügen, die offener und weniger dicht sind als die von Personen mit niedrigerer Bildung, konnte Schenk (1995) diese Hypothesen nur bedingt nachweisen. Nach seinen Erkenntnissen nimmt nur die Bildungsheterogenität im Netz mit zunehmender Bildung der Befragten zu und lediglich eine leichte Tendenz zu schwächeren Beziehungen ist mit zunehmender Bildung nachweisbar. Darüber hinaus betont Hollstein (2001), dass bei Personen mit geringer schulischer Bildung ein erhöhtes Risiko bestehe weder in Freundschafts- noch in Verwandtschaftsbeziehungen integriert und somit sozial isoliert zu sein. Die Ergebnisse der Haushaltsbefragung zeigen, dass 45,7% einen sekundären Bildungsgrad (Mittelstufe bzw. berufsbildenden Abschluss), 40,2% einen tertiären Bildungsgrad (universitären und postgradualen Abschluss) und nur 14,0% einen primären Bildungsgrad (Grundschulabschluss) haben (siehe Tabelle 12, S. 147). Der sekundäre Bildungsgrad spielt insbesondere in Peñalolén und Huechuraba eine bedeutende Rolle. In Lo Barnechea ist dagegen der tertiäre Bildungsgrad mit 45,8% am stärksten vertreten. Des Weiteren ist der Anteil der Befragten, die angaben, eine Grundschulausbildung zu haben, mit 17,2% in Lo Barnechea und 16,2% in Huechuraba relativ hoch. Zuletzt soll noch die durchschnittliche Wohndauer der Befragten analysiert werden, denn allgemein wird angenommen, dass zwischen Wohndauer und sozialen Netzwerken ein Zusammenhang besteht. So werden mit zunehmender Wohndauer die sozialen Netzwerke tendenziell ausgebaut und gefestigt. Nach Erkenntnissen von Friedrichs et al. (2002) nimmt mit zunehmender Wohndauer die Netzwerkgröße leicht zu (siehe auch Schenk 1995). Darüber hinaus sind die Netzwerke von Personen, die weniger als 10 Jahre Wohndauer nachweisen können bedeutend außenorientierter und offener. Dagegen verfügen Personen, die länger als 11 Jahre am Ort ansässig sind über besonders dichte Netzwerke (Schenk 1995). Die durchschnittliche Wohndauer aller Befragten in den drei Untersuchungsgebieten beträgt 13,4 Jahre. Während die Wohndauer in Lo Barnechea mit 16,4 Jahren am höchsten ist, gleich gefolgt von Peñalolén mit 15,5 Jahren, so leben die Bewohner in Huechuraba im Durchschnitt seit 7,9 Jahren an ihrem Wohnstandort (siehe Tabelle 12, S. 147). Diese Ergebnisse lassen annehmen, dass die sozialen Netzwerke in Huechuraba eine geringere Größe aufweisen, jedoch offener und heterogener sind als in Lo Barnechea oder Peñalolén.
7.3 Kommunikativ-interaktive Sozialintegration – soziale Netzwerke
149
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass aufgrund der Strukturmerkmale ganz unterschiedliche Einflüsse auf die Heterogenität bzw. Homogenität der Netzwerke, deren Netzwerkgröße und -dichte zu erwarten sind. Insgesamt ist zu prüfen, ob „Netzwerke, die durch geringe Größe, hohe Dichte, starke Bindungen, geringe Dispersion und hohe Homogenität gekennzeichnet sind, […] eher die Bildung und Aufrechterhaltung eines Identitätsmusters, das relativ einfach strukturiert ist und sich wenig ändert“ (Keupp 1987: 32),
ermöglichen. Andererseits erhalten große heterogene Netzwerke mit geringer Dichte und eher schwachen Bindungen eine relativ komplexe, für Veränderungen offene Identität aufrecht. Neue soziale Kontakte sind in Netzwerken mit schwachen Bindungen zu erwarten, in denen Verbindungen zu anderen Netzwerken hergestellt werden. So vermitteln „Netzwerke, die schwache Bindungen enthalten (geringe Intensität) und dadurch Verbindungen zu anderen Netzwerken herstellen, […] am ehesten Zugang zu neuen sozialen Kontakten“ (ebd.: 32).
Unter Berücksichtigung des Erkenntnisinteresses dieser Forschungsarbeit und der zugrundeliegenden forschungsleitenden Fragen (siehe Kapitel 4), werden vor allem die Netzwerke von Bedeutung sein, die für Offenheit und Veränderung stehen: heterogene außenorientierte Netzwerke mit geringer Dichte und schwachen Bindungen, die Brücken zu anderen sozialen Gruppen bauen können. In diesem Sinne soll die folgende Annahme von Burt (1983) für dieses Kapitel übernommen werden: Je größer das egozentrierte Netzwerk ist, je mehr Alteri darin vertreten sind, die in Bezug auf ihre sozialen und ökonomischen Merkmale verschiedenartig sind, desto leistungsfähiger ist das Netzwerk als Informationslieferant und desto stärker ist seine mobilisierende, verändernde Wirkung auf das Individuum (siehe auch Jansen 2003). Bevor jedoch näher auf die Befragten eingegangen wird, die ein solches Netzwerk vorzeigen können, sollen die Beziehungen der Netzwerkmitglieder untereinander in den verschiedenen Untersuchungsgebieten betrachtet werden. 7.3.2 Die Beziehung zwischen Ego und seinen Alteri Zu den Strukturdaten der Netzwerkbeziehung, die in der Haushaltsbefragung erfasst wurden, zählen die sozialen Rollen, die Beziehungsdauer und die Kontakthäufigkeit sowie der Wohnort und die Schichtzugehörigkeit von Alter. Einen zusammenfassenden Überblick zu diesen Strukturdaten bietet die Tabelle 13 (S. 151). Im Sinne des Rollenansatzes (siehe Kapitel 5.1) wurden die Befragten zunächst gebeten, Angaben zu den Bereichen zu machen, aus denen die Netzwerkkontakte resultieren. In Anlehnung an Gestring et al. (2006) ist ein Netzwerk, das viele unterschiedliche Bereiche als Quellen hat, als leistungsfähiger einzuschätzen. Das bedeutet, je vielfältiger die sozialen Rollen der Alteri sind (Kontakte aus Arbeitsverhältnis, Nachbarschaft, Vereine etc.), desto vielfältiger sind auch die
150
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
mit den Kontakten verbundenen Ressourcen. Die Frage nach den sozialen Rollen, die den einzelnen Beziehungen zugrunde liegen, gibt demnach einen guten Einblick in die Einbettung der Akteure. Für die Untersuchungsgebiete konnte festgestellt werden, dass die genannten Alteri zu 43,7% ein(e) Freund(in), zu 31,2% ein(e) Nachbar(in) und zu 16,1% ein Verwandter sind. Die restlichen 9,0% verteilen sich auf die Variablen ‚ein Kollege‘, ‚ein Händler‘ oder ‚sonstige Personen‘ (siehe Tabelle 13, S. 151). Die Unterschiede in den Untersuchungsgebieten sind diesbezüglich marginal. Interessant erscheint, dass die freundschaftlichen Beziehungen besonders in Lo Barnechea (49,0%) und Peñalolén (45,1%) im Vordergrund stehen, dagegen sind in Huechuraba eher nachbarschaftliche Kontakte (36,2%) von Bedeutung. Unter Berücksichtung verschiedener Forschungsarbeiten können für bestimmte soziale Rollen Aussagen zu deren Bedeutung für die Sozialintegration getroffen werden. In Anlehnung an Hollstein (2001) und Wolf (1996) ist das zentrale Merkmal von Freundschaften – im Unterschied zu Familienangehörigen – die Freiwilligkeit der Bindung. Freundschaften sind prinzipiell jederzeit kündbare Beziehungen. Diese Freiwilligkeit der Bindung ermöglicht Beziehungen mit Personen einzugehen, die gleiche oder ähnliche Erfahrungen, Interessen oder Einstellungen haben. Diese Homogenität kann sich auf ganz unterschiedliche Merkmale beziehen. Generell sind Freundschaften geprägt von Geselligkeit und Intimität sowie ein Mindestmaß an gegenseitigem Vertrauen und wechselseitiger Unterstützung (Wolf 1996). Nachbarschaftliche Beziehungen sind hingegen laut Hollstein (2001) sehr unterschiedlich strukturiert. Sie zeichnen sich allgemein durch ihre räumliche Nähe sowie durch eine bedingte Freiwilligkeit der Beziehung aus, die durchaus vernachlässigt werden kann. Die räumliche Nähe kann aber nicht nur intensiven räumlichen Kontakt und freie Verfügbarkeit bedeuten, sondern auch ein hohes Maß an sozialer Kontrolle, insbesondere wenn dem Nachbarn ein tieferer Einblick in die Privatsphäre gewährleistet wird. Gewöhnlicherweise sind Nachbarschaftsbeziehungen durch eher zufällige, nicht gezielte Kontakte und geringe Offenheit gekennzeichnet. Es gibt aber auch sehr enge Beziehungen zu Nachbarn, die sich insbesondere in homogenen, stark segregierten Nachbarschaften einstellen, da hier zu der räumlichen Nähe noch andere Gemeinsamkeiten hinzukommen. Da in den Untersuchungsgebieten keine räumliche Nähe unterschiedlicher sozialer Statusgruppen in direkter Nachbarschaft zu erwarten ist, stellen nachbarschaftliche Beziehungen (ähnlich wie familiäre Beziehungsnetzwerke) keine gute Voraussetzung für die Heterogenität der Netzwerke dar. Die dritte überwiegend genannte soziale Rolle sind familiäre Beziehungsnetzwerke. Diese zählen laut Diewald (1991) zu den wichtigsten, stabilsten und belastbarsten persönlichen Netzwerken aufgrund des besonderen Solidarverhältnisses unter Familienangehörigen. Anders als freundschaftliche Netzwerke sind familiäre und verwandtschaftliche Beziehungsnetzwerke vorgegeben und übernehmen wichtige Unterstützungsaufgaben bei gesundheitlichen und finanziellen Fragen, allgemeinen Dienstleistungen sowie ratgebenden Gesprächen (Diewald 1991, Mayr-Kleffel 1991).
7.3 Kommunikativ-interaktive Sozialintegration – soziale Netzwerke
151
Tabelle 13: Strukturdaten der Alteri differenziert nach Untersuchungsgebieten Untersuchungsgebiet Peñalolén N = 885
Lo Barnechea N = 692
Huechuraba N = 580
Gesamt N = 2.157
ein Freund(in)
45,1%
49,0%
35,2%
43,7%
ein Nachbar
32,4%
25,3%
36,2%
31,2%
ein Verwandter
15,0%
17,3%
16,2%
16,1%
ein Händler
3,1%
3,2%
3,6%
3,2%
ein Kollege
3,4%
2,6%
3,3%
3,1%
Sonstige
1,0%
2,6%
5,5%
2,7%
7,7%
3,9%
10,7%
6,5%
seit 1 bis 3 Jahren
13,0%
11,4%
21,9%
14,9%
seit 3 bis 5 Jahren
14,7%
6,6%
12,2%
11,5%
mehr als 5 Jahre
64,6%
78,0%
55,2%
66,4%
Täglich
39,7%
40,6%
39,0%
39,8%
ein bis zweimal die Woche
39,2%
37,4%
42,9%
39,6%
mindestens einmal pro Monat
16,3%
15,0%
14,0%
15,3%
Selten
4,8%
6,9%
4,1%
5,3%
im Wohnblock
45,3%
38,2%
41,2%
41,9%
im Stadtviertel
37,6%
31,5%
38,1%
35,8%
in einem anderen Stadtviertel der Gemeinde
17,1%
30,3%
20,7%
22,3%
Soziale Rolle
Beziehungsdauer (Stabilität) weniger als ein Jahr
Kontakthäufigkeit (Intensität)
Wohnort der Kontaktperson
Zugehörigkeit zu sozialer Schicht von Alter gleiche sozioökonomische Schicht
82,5%
78,5%
83,2%
81,4%
höhere sozioökonomische Schicht
12,5%
15,1%
10,7%
12,9%
niedrigere sozioökonomische Schicht
5,0%
6,4%
6,1%
5,7%
Quelle: Eigene Erhebung auf Basis der Haushaltsbefragung
152
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
Für den Erhalt familiärer und verwandtschaftlicher Netzwerke ist die räumliche Entfernung ein wichtiges Kriterium, denn laut Strohmeier (1983) werden mehr als die Hälfte der geleisteten Hilfen von Verwandten erbracht, die im gleichen Stadtteil wohnen. Wenngleich die Familie eine besondere Rolle in den Netzwerkbeziehungen spielt, da wichtige Unterstützungsleistungen emotionaler und materieller Art erfolgen, sind sie für das vorliegende Forschungsinteresse eher nachteilig einzustufen. Aufgrund ihrer Stabilität und Homogenität lassen sie kaum Außerorientierung zu. Vor dem Hintergrund, dass freundschaftliche, nachbarschaftliche und familiäre Beziehungsnetzwerke als relativ homogene Netzwerke eingeschätzt werden, wird an dieser Stelle die Zusammensetzung der Netzwerke von Bedeutung sein. Wie bereits angedeutet sind für das Erkentnisinteresse Netzwerke relevant, die eher heterogen in ihrer sozialen Zusammensetzung sind, da von ihnen eine stärkere Außenorientierung angenommen wird. Dementsprechend wurde in einem ersten Schritt in Abhängigkeit von den angegebenen Alteri die Heterogenität des Netzwerkes hinsichtlich der sozialen Rollen ermittelt (siehe Tabelle 14). Insgesamt ist für die drei Untersuchungsgebiete festzustellen, dass je mehr Alteri pro Netzwerk angegeben wurden, desto heterogener auch die Netzwerke hinsichtlich der sozialen Rollen sind. Dessen ungeachtet zeichnen sich die meisten Netzwerke durch ein bis zwei verschiedene soziale Rollen aus. Nur selten treten drei bis vier verschiedene soziale Rollen pro Netzwerk auf. Die prozentualen Anteile von Netzwerken, in denen drei Alteri genannt wurden und drei verschiedene soziale Rollen angegeben wurden, betragen lediglich 6,5%. Netzwerke mit vier Alteri und vier verschiedenen sozialen Rollen entsprechen sogar nur 2,7%. Folglich ist nur eine Minderheit der sozialen Netzwerke vollständig heterogen hinsichtlich der sozialen Rollen und integrationsfördernd im Sinne des Erkenntnisinteresses dieser Forschungsarbeit. Tabelle 14: Heterogenität der sozialen Netzwerke hinsichtlich sozialer Rollen Anzahl der sozialen Rollen pro Netzwerk Zahl der genannten Alteri 1 2 3 4 Anzahl 37 0 0 0 1 % 100,0 0,0 0,0 0,0 Anzahl 43 24 0 0 2 % 64,2 35,8 0,0 0,0 Anzahl 30 28 4 0 3 % 48,4 45,2 6,5 0,0 Anzahl 170 195 72 12 4 % 37,9 43,4 16,0 2,7 Anzahl 280 247 76 12 Gesamt % 45,5 40,2 12,4 2,0 Quelle: Eigene Erhebung; Frage 30
Gesamt 37 100,0 67 100,0 62 100,0 449 100,0 615 100,0
Die Stabilität sozialer Beziehungen ist sowohl für die Ressourcengenerierung als auch für die emotionale Unterstützung von Bedeutung (Gestring et al. 2006). Im Allgemeinen wird der Schwerpunkt auf eher langlebige Netzwerkbeziehungen
7.3 Kommunikativ-interaktive Sozialintegration – soziale Netzwerke
153
gelegt, da diese Stabilität und Routine vermitteln, Konflikte aushalten und überstehen können, den Beteiligten eine gemeinsame Vergangenheit bzw. Vorgeschichte verleihen und wechselseitiges Vertrauen generieren (siehe auch Coleman 1995). In diesem Sinne wird gewöhnlich angenommen, dass mit zunehmender Beziehungsdauer die Gelegenheiten des Austausches und der wechselseitigen Beeinflussung sich erhöhen (siehe auch Ganter 2003). Zunächst noch divergierende Meinungen, Einstellungen und Verhaltensmuster erfahren mit ansteigender Beziehungsdauer eine zunehmende Anpassung. Stabile bzw. dauerhafte Beziehungen sind demnach aus mehrfachen Gründen eine wichtige Dimension sozialer Integration. Dessen ungeachtet bedeutet eine starke Beziehung zwischen zwei Akteuren aber auch, dass sich diese über die Jahre hinweg ähnlicher, dass heißt homogener, werden. In diesem Zusammenhang kommt Granovetter (1973) zu der Erkenntnis, dass starke stabile Beziehungen keine Brücken zu anderen Netzwerken bauen. Neue Brücken entstehen seiner Ansicht nach eher über schwache Beziehungen von kurzer Dauer, dass heißt flüchtige, wenig zeitintensive Kontakte, die sich durch wenig gegenseitiges Vertrauen auszeichnen (Granovetter 1973). Das sind letztendlich auch die Beziehungen, die hier von Interesse sind. Für die drei Untersuchungsgebiete konnte insgesamt beobachtet werden, dass 66,4% von den 2.157 genannten Alteri Ego schon mehr als fünf Jahre, 11,5% zwischen drei bis fünf Jahre und 14,9% zwischen ein bis drei Jahre kennen. Diejenigen, die angaben, ihre Kontaktpersonen weniger als ein Jahr zu kennen, entsprachen nur 6,5% (siehe Tabelle 13, S. 151). Zwischen den Untersuchungsgebieten lassen sich signifikante Unterschiede feststellen. Während Lo Barnechea mit 78,0% durch einen sehr großen Anteil an sehr stabilen Beziehungen, die sich länger als fünf Jahre kennen gekennzeichnet ist, sind es in Huechuraba nur 55,2%. In Huechuraba sind darüber hinaus die größten prozentualen Anteile an flüchtigen und kurzlebigen Kontakten – 10,7% kennen sich weniger als ein Jahr und 21,9% zwischen ein und drei Jahren – zu beobachten. Das bedeutet, dass wenngleich die Mehrheit aller Beziehungen in Huechuraba dauerhafte stabile Beziehungen sind, die Routine und Vertrauen vermitteln, ein Potenzial an schwachen Beziehungen, die mögliche Brücken zu anderen Netzwerken herstellen können, besteht. Ähnliche Beobachtungen treffen auch auf die Intensität der Beziehungen zu, die sich im Allgemeinen auf die Häufigkeiten von Kontakten bezieht. Laut Gestring et al. (2006) wird davon ausgegangen, dass je häufiger sich Ego und Alter treffen, desto leichter kann Ego im Normalfall auf die Informationen und Ressourcen von Alter zurückgreifen. Doch in Anlehnung an Granovetter (1973) erhöhen sich die Chancenstrukturen bei lockeren, weit verzweigten Kontakten. Das bedeutet, dass eher sporadische Kontakte und locker geknüpfte Netzwerke für die Brückenfunktion zu anderen sozialen Netzwerken von Bedeutung sind. Demgegenüber sind engmaschige intensive Netzwerke durch hohe soziale Homogenität gekennzeichnet und demnach gibt es kaum Möglichkeiten, Brücken in andere gesellschaftliche Bereiche zu bauen. Bezüglich der Kontakthäufigkeit in den drei Untersuchungsgebieten haben von den 2.157 angegebenen Alteri 39,8% täglich und 39,6% wöchentlich ein- bis zweimal Kontakt zu Ego. Lediglich 15,3% sehen ihre Alteri mindestens nur ein-
154
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
mal pro Monat und 5,3% eher selten (siehe Tabelle 13, S. 151). Signifikante Unterschiede zwischen den Untersuchungsgebieten sind hinsichtlich der Kontakthäufigkeit nicht zu finden. Lediglich der prozentuale Anteil an seltenen Kontakten liegt in Lo Barnechea mit 6,9% leicht über denen von Peñalolén und Huechuraba. Diese Ergebnisse deuten auch hier wieder eine generelle Tendenz zu relativ geschlossenen Netzwerken an. Ein weiteres Strukturmerkmal der Netzwerkbeziehung, das in der Haushaltsbefragung ermittelt wurde, bezieht sich auf den Wohnort von Alter. Dieser Indikator gibt zusätzlich Aufschluss darüber, ob sich die Netzwerke von Ego in räumlicher Nähe bzw. Distanz befinden. Gleichwohl laut Gestring et al. (2006) ein räumlich nahes Netzwerk Ego mehr Nutzen bringt, bedeuten stark räumlich konzentrierte Netzwerke jedoch auch eine erhöhte räumliche Gebundenheit. Schwache Beziehungen steigen mit der räumlichen Distanz zwischen Ego und seinen Alteri an, wenngleich es auch räumlich entfernte Netzwerkbeziehungen gibt, die sich durch einen engen, intensiven Kontakt auszeichnen können (Schenk 1995). Darüber hinaus sind im Allgemeinen die Beziehungen sehr distanzempfindlich, dass heißt, die Kontaktpflege außerhalb des Stadtteils ist mit mehr Aufwand und Planung verbunden und demnach können sie nur seltener aufrechterhalten werden. Demgegenüber weisen soziale Beziehungen in räumlicher Nähe eine Persistenz auf (Gestring et al. 2006). Bezogen auf die Untersuchungsgebiete geben räumlich konzentrierte Netzwerke einen Hinweis auf die Existenz stark homogener Netzwerkstrukturen hinsichtlich ihrer sozioökonomischen Zusammensetzung. Denn je kleiner die räumliche Ebene ist (z.B. Wohnblock), desto homogener sind die Sozialstrukturen (siehe auch Kapitel 7.2). An dieser Stelle wurden drei verschiedene Raumebenen des Wohnortes von Alter vorgegeben: Wohnblock, Stadtviertel oder anderes Stadtviertel innerhalb der Gemeinde. Es muss darauf hingewiesen werden, dass hinsichtlich der Wohnblockebene relativ sicher angenommen werden kann, dass es sich hierbei um homogene Netzwerke handelt. Dagegen können solche eindeutigen Rückschlüsse nicht für die Stadtviertelebene getroffen werden. Dafür existieren zwei Gründe: Erstens, bei der Angabe des Wohnorts von Alter im Stadtviertel könnte eine räumliche Durchmischung sozioökonomischer Gruppen erwartet werden, jedoch grenzt jeder Ego sein Stadtviertel räumlich anders ein und folglich kann, aber muss nicht, von einer eindeutigen sozialen Durchmischung ausgegangen werden. Zweitens ist bei der Angabe ‚anderes Stadtviertel innerhalb der Gemeinde‘ nicht eindeutig klar, welche sozialen Gruppen in diesem Stadtviertel überwiegend wohnen, so dass auch hier nicht eindeutig auf ein heterogeneres Netzwerk von Ego geschlossen werden kann. Dessen ungeachtet und basierend auf den Erkenntnissen zum positiven Zusammenhang zwischen Größe und Heterogenität des Aktionsraumes von Ego (siehe Kapitel 7.2) wird an dieser Stelle eine stärkere Heterogenität des Netzwerkes hinsichtlich der sozioökonomischen Durchmischung mit steigender Distanz angenommen. Die Tabelle 13 (S. 151) zeigt für die drei Untersuchungsgebiete, dass die Mehrheit der Beziehungen der Befragten in räumlicher Nähe liegen, es sich also um Alteri handelt, die im gleichen Straßenzug bzw. Wohnblock (41,9%) wohnen. Weitere 35,8% der Befragten gaben an, dass ihre Kontaktpersonen im gleichen
7.3 Kommunikativ-interaktive Sozialintegration – soziale Netzwerke
155
Stadtviertel wohnen. Der geringste prozentuale Anteil (22,3%) entfällt auf Kontaktpersonen, die in anderen Stadtvierteln der Gemeinde leben. Der Vergleich zwischen den drei Untersuchungsgebieten verdeutlicht, dass sich die prozentuale Verteilung mit zunehmender Distanz stärker differenziert. Die Befragten im Untersuchungsgebiet Lo Barnechea weisen mit 30,3% die höchsten Anteile an Kontaktpersonen auf, die am weitesten entfernt wohnen (anderes Stadtviertel innerhalb der Gemeinde). Die Netzwerkbeziehungen in Peñalolén sind dagegen sehr räumlich nah orientiert. Lediglich 17,1% der Befragten gaben an, dass ihre Alteri in anderen Stadtvierteln der Gemeinde wohnen. Der letzte Indikator, der die Beziehung zwischen Ego und seinen Alteri beschreibt, wendet sich der sozioökonomischen Zusammensetzung des Netzwerkes zu. Dieser kann über die Homogenität resp. Heterogenität der Netzwerke gemessen werden. In Anlehnung an Gestring et al. (2006) ist ein Netzwerk sozial homogen, das aus Personen derselben sozialen Schicht besteht. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Netzwerkmitglieder eines heterogenen Netzwerkes hinsichtlich sozioökonomischer Merkmale sehr verschieden sind und demnach diversen sozialen Kreisen angehören (siehe u.a. Feld 1981, 1982, Kadushin 1966). In Anlehnung an Schenk (1995) ist Homogenität „ein Indikator dafür, dass sich das primäre soziale Milieu als relativ einheitlich erweist, wohingegen Heterogenität mehr die Offenheit und Diversität signalisiert, also auf mehr oder weniger große Reichweite schließen lässt“ (ebd.: 110).
Folglich kann davon ausgegangen werden, dass homogene Beziehungen mit einer annähernd gleichen Menge an Ressourcen ausgestattet sind, währenddessen heterogene Netzwerke eine höhere oder geringere Ressourcenausstattung aufweisen (Lin 2001). Gemäß diesen Erkenntnissen können heterogene Netzwerke durch ein größeres Ausmaß an Ressourcenheterogenität gekennzeichnet sein, das auf ein höheres Integrationspotenzial deutet. Im Allgemeinen tendieren jedoch soziale Beziehungen in Bezug auf sozioökonomische Merkmale zu einer gewissen Homogenität. Insbesondere statushohe Personen neigen dazu, relativ homogene Netzwerke mit Statusgleichen zu bilden (Laumann 1966, Verbrugge 1977). Doch wenn die Beziehungen heterogener werden und Personen mit einem anderen Status gewählt werden, dann greifen sie eher auf statushöhere Personen zurück (Wolf 1993, Farwick 2009). Diese Tendenz wurde von Laumann (1966) unter dem Begriff des ‚Prestigeprinzips‘ beschrieben. Die tendenzielle Zuwendung von Ego hin zu Personen in gleicher oder leicht höherer Position geht in der Regel auch mit einer Erweiterung der oberen Reichweite zugänglicher Ressourcen einher. Darüber hinaus behaupten Lin und Dumin (1986), dass statushöhere Personen nicht nur im Schnitt mit statushöheren Personen verkehren, sondern auch mehr Möglichkeiten haben, soziale Beziehungen über einen größeren Bereich der Statusskala zu pflegen. Die Thesen zur Homogenität hinsichtlich des sozioökonomischen Status treffen ansatzweise auch auf die Untersuchungsgebiete in Santiago de Chile zu. Die Befragten gaben an, dass ihre Alteri zu 81,4% gleichen, zu 12,9% höheren und zu 5,7% niedrigeren Status sind (siehe Tabelle 13, S. 151). Zwischen den drei Unter-
156
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
suchungsgebieten lassen sich nur sehr geringe Unterschiede feststellen. Auffallend ist, dass die Befragten aus Lo Barnechea mit 78,5% den geringsten Anteil an statusgleichen Alteri und mit 15,1% den höchsten Anteil an statushohen Kontaktpersonen aufweisen. Entscheidend ist hier – wie bei allen anderen Indikatoren auch – die Zusammensetzung der Netzwerke hinsichtlich der sozioökonomischen Schicht der Kontaktpersonen. Diese ist gleichzeitig ein Hinweis für die Heterogenität resp. Homogenität und lässt Aussagen zum Integrationspotenzial treffen. Die sozioökonomische Homogenität eines Netzwerkes wird in diesem Kapitel als schwaches Integrationspotenzial bewertet, da der Befragte keinen Kontakt zu anderen sozialen Gruppen nachweisen kann und im Sinne des Konzeptes der Segregation weitgehend isoliert handelt. Dagegen sind die heterogenen Netzwerke zu statusniedrigeren und statushöheren Schichten als integrationsfördernd einzustufen, da die soziale Distanz zu anderen sozialen Gruppen geringer ist. Insgesamt dominieren mit 66,3% in den drei Untersuchungsgebieten Netzwerke zu statusgleichen Schichten, gefolgt von heterogenen Netzwerken zu statushöheren Schichten mit 25,4% (siehe Tabelle 15). Diese Ergebnisse deuten auf ein relativ hohes Integrationspotenzial der Bevölkerung hinsichtlich des Abbaus sozialer Distanz hin. Tabelle 15: Heterogenität resp. Homogenität nach sozioökonomischer Schicht in den Untersuchungsgebieten Zusammensetzung der Netzwerke nach sozioökonomischer Schicht Anzahl statusgleiche Schicht % Anzahl statusniedrigere Schicht % Anzahl statushöhere Schicht % Anzahl Gesamt % Quelle: Eigene Erhebung, Frage 34
Peñalolén 143 61,6 22 9,5 67 28,9 232 100,0
Untersuchungsgebiet Lo Barnechea Huechuraba 129 136 67,2 71,2 12 17 6,3 8,9 51 38 26,6 19,9 192 191 100,0 100,0
Gesamt 408 66,3 51 8,3 156 25,4 615 100,0
Innerhalb der Untersuchungsgebiete lassen sich leichte Unterschiede beobachten. So weist Huechuraba mit 71,2% den höchsten Anteil an homogenen Netzwerken auf und ist im Vergleich zu Peñalolén mit einem geringen Integrationspotenzial einzustufen. Die Bewohner des Untersuchungsgebietes Peñalolén umfassen mit insgesamt 38,4% nicht nur den höchsten Anteil an heterogenen Netzwerken, sondern auch das stärkste Integrationspotenzial. Mit 28,9% heterogenen Netzwerken zu überwiegend statushöheren Schichten bestehen hier zahlreiche Möglichkeiten, Ressourcen zu erweitern. Hier sind es vor allem die oberen sozialen Schichten, die Kontakte zu anderen sozioökonomischen Bevölkerungsgruppen pflegen, wenngleich mit steigendem Haushaltseinkommen der Anteil zu heterogenen Netzwerken mit überwiegend statushöheren Kontaktpersonen ansteigt.
7.3 Kommunikativ-interaktive Sozialintegration – soziale Netzwerke
157
7.3.3 Das Gesamtnetzwerk und seine Netzwerkdichte Für die Bestimmung der Verbundenheit eines Netzwerkes wird üblicherweise die Netzwerkdichte berechnet. Sie definiert sich als das Verhältnis der tatsächlich vorhandenen Beziehungen im Netzwerk zur Zahl der potentiell in einem Netzwerk möglichen Beziehungen (Schenk 1995, Jansen 2003, Schenk 1984). Der Indikator reicht von vollkommener Geschlossenheit (1,00) – alle Kontaktpersonen kennen sich untereinander – bis zu völliger Offenheit (0,00) – die Kontaktpersonen von Ego kennen sich nicht untereinander (Schenk 1995). Die Netzwerkdichte verschafft einen ersten Einblick darüber, inwieweit die Kontaktpersonen innerhalb des Netzwerkes miteinander verwoben sind. Für die Annahme der Verbundenheit der Kontaktpersonen wurde das Kriterium ‚sich kennen‘ zugrundegelegt. Gleichwohl die Dichte eines Netzwerks ein einfaches Maß ist, ist ihre Interpretation alles andere als einfach, denn sie ist maßgeblich abhängig von der Größe des Netzwerks und der Art der Beziehungen. Im Allgemeinen wird angenommen, dass eine hohe Netzwerkdichte besonders in Krisenzeiten wichtig ist, denn sie vermittelt ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl, Geborgenheit und sozialen Rückhalt (Hollstein 2001). Andererseits weisen dichte Netzwerke auch ein höheres Maß an sozialer Kontrolle auf. So kann eine Loslösung aus bestehenden Sozialkontexten erschwert werden (siehe auch Keupp 1987, Kähler 1983). Dessen ungeachtet ist für den Zusammenhang zwischen Netzwerkdichte und Integrationsleistung von Bedeutung, welche soziale Gruppe im Zusammenhang mit welchem Unterstützungsbedarf untersucht wurde (Nestmann 1988). So gelangt Nestmann (1988) – ähnlich wie Granovetter (1973) – zu der Erkenntnis, dass „je mehr in der Unterstützung neue Informationen, neue soziale Kontakte, neue Perspektiven, Rollenwechsel und Veränderungen von Denken, Fühlen und Handeln gefordert ist, desto hilfreicher scheinen lockerere, offenere und eher ‚schwache‘ Beziehungen. Je mehr persönliche Versorgung, verlässliche und sichere Basis für Problemlösungen, dauerhafte Betreuung und Pflege etc. notwendig wird, desto besser können dichte, enge, multiple Netzwerke diesen Anforderungen nachkommen“ (ebd.: 66).
Vor dem Hintergrund des Erkenntnisinteresses stehen vor allem erstere Netzwerke im Vordergrund, die hinsichtlich ihrer Netzwerkdichte offener sind. Dabei wird eine Netzwerkdichte von bis zu 0,32 als gering, zwischen 0,33 und 0,66 als mittel und zwischen 0,67 und 0,99 als hoch betrachtet (Haß 2002). Die Ergebnisse zur Netzwerkdichte in den drei Untersuchungsgebieten zeigen, dass sich die meisten Beziehungen überwiegend in geschlossenen Netzen befinden. In 65,0% der Fälle handelt es sich um Netzwerke hoher Dichte (> 0,66), die auf ein schwaches Integrationspotenzial verweisen. Offene Netze mit geringer Dichte (< 0,33) machen mit 19,0% den zweithöchsten Anteil aus (siehe Tabelle 16). Zwischen den Untersuchungsgebieten lassen sich auch für diesen Indikator leicht divergierende Tendenzen feststellen. Insgesamt haben die Bewohner Lo Barne-cheas mit 73,1% den höchsten Anteil an geschlossenen Netzwerken, der auf ein geringes Integrationspotenzial hinweist. Der höchste Anteil an offenen
158
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
Netzwerken und folglich ein hohes Integrationspotenzial ist mit 25,1% in Huechuraba zu beobachten. Tabelle 16: Integrationspotenzial nach Netzwerkdichte differenziert nach Untersuchungsgebiet Integrationspotenzial nach Netzwerkdichte (ND) Anzahl schwach (ND > 0,66) % Anzahl mittel (ND = 0,33–0,66) % Anzahl stark (ND < 0,33) % Anzahl Gesamt % Quelle: Eigene Erhebung, Frage 37
Peñalolén 136 58,9 51 22,1 44 19,0 231 100,0
Untersuchungsgebiet Lo Barnechea Huechuraba 141 123 73,1 64,4 27 20 14,0 10,5 25 48 13,0 25,1 193 191 100,0 100,0
Gesamt 400 65,0 98 15,9 117 19,0 615 100,0
7.3.4 Zum Integrationspotenzial von sozialen Netzwerken Abschließend soll auf die Zusammenschau aller Strukturmerkmale des Netzwerkes von Ego und seinen Alteri eingegangen werden. Das allumfassende Integrationspotenzial der sozialen Netzwerke als Beitrag zum Abbau der sozialen Distanz wird durch einen Index operationalisiert. Dieser setzt sich aus den sozialen Rollen, der räumlichen Nähe, der Bekanntheitsdauer, der Kontakthäufigkeit, der sozioökonomischen Zusammensetzung der Netzwerke und der Netzwerkdichte zusammen. Das einzelne Netzwerk ist mit einem starken Integrationspotenzial ausgestattet, wenn es hinsichtlich der sozialen Rollen und der sozioökonomischen Zusammensetzung heterogen ist, die räumliche Distanz zunimmt, die Bekanntheitsdauer eher kurzfristig, die Kontakthäufigkeit eher selten und die Netzwerkdichte gering ist. Dabei handelt es sich folglich um Netzwerke, die sich überwiegend durch schwache Beziehungen auszeichnen, die laut Granovetter (1973) „are here seen as indispensable to individuals’ opportunities and to their integration into communities“ (ebd.: 1378).
Für die drei Untersuchungsgebiete in Santiago de Chile kann geschlussfolgert werden, dass die sozialen Netzwerke nur einen sehr geringen Beitrag zur Sozialintegration auf Stadtquartiersebene leisten. Lediglich 13 von insgesamt 616 Netzwerken sind mit einem starken Integrationspotenzial versehen (siehe Tabelle 17). Knapp zwei Drittel aller Netzwerke (58,1%) weisen ein schwaches Integrationspotenzial hinsichtlich des Forschungsinteresses auf. Dies gilt vor allem für das Untersuchungsgebiet Lo Barnechea, das mit 64,8% den höchsten Anteil an Netzwerken aufzeigt, die nur einen geringen Beitrag zur kommunikativ-interaktiven Sozialintegration leisten. Ein weiterer großer prozentualer Anteil (39,8%) fällt auf Netzwerke, die mit einem mittleren Niveau der Sozialintegration versehen sind. Das gilt mit 43,1% vor allem für das Untersuchungsgebiet Peñalolén, das darüber
7.3 Kommunikativ-interaktive Sozialintegration – soziale Netzwerke
159
hinaus mit 3,0% den höchsten Anteil an Netzwerken mit bedeutendem Integrationspotenzial erkennen lässt. Tabelle 17: Das allumfassende Integrationspotenzial sozialer Netzwerke Untersuchungsgebiet Integrationspotenzial gesamt Peñalolén Lo Barnechea Huechuraba Anzahl 125 125 108 schwach % 53,9 64,8 56,5 Anzahl 100 64 81 mittel % 43,1 33,2 42,4 Anzahl 7 4 2 stark % 3,0 2,1 1,0 Anzahl 232 193 191 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 Quelle: Eigene Erhebung und Berechnung
Gesamt 358 58,1 245 39,8 13 2,1 616 100,0
Weiterhin gilt der Einfluss sozialer, zeitlicher und räumlicher Aspekte als besonders relevant. Aus diesem Grund wurde zunächst über statistische Zusammenhangsmaße die Stärke und Richtung des Zusammenhangs zwischen dem Integrationspotenzial der sozialen Netzwerke – als ein Merkmal der kommunikativ-interaktiven Sozialintegration – und das Haushaltseinkommen, die Wohndauer und die Größe und Heterogenität des Aktionsraumes ermittelt. Die Ergebnisse in Tabelle 18 zeigen, dass sowohl soziale als auch zeitliche und räumliche Dimensionen insgesamt einen Einfluss auf das Integrationspotenzial sozialer Netzwerke haben, wenngleich die Stärke des Einflusses relativ gering ist. Tabelle 18: Integrationspotenzial sozialer Netzwerke in Abhängigkeit von sozialen, zeitlichen und räumlichen Dimensionen Größe des Heterogenität des Einkommen Wohndauer Aktionsraumes Aktionsraumes Somers‘d Sig. Somers‘d Sig. Pearson Sig. Somers‘d Sig. Gesamt ,225** ,000 -,168** ,000 ,116** Peñalolén ,362** ,000 -,323** ,000 ,244** ** Lo Barnechea ,252 ,000 -,076 ,132 -,024 Huechuraba ,001 ,987 -,083 ,124 ,005 * Die Korrelation ist auf dem 0,05 Niveau signifikant ** Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant Quelle: Eigene Berechnung auf Basis der Haushaltsbefragung
,004 ,000 ,741 ,944
,103** ,239** -,018 ,045
,000 ,000 ,763 ,395
Den Ergebnissen nach lassen sich für die unabhängigen Variablen (Haushaltseinkommen, Wohndauer, Größe und Heterogenität des Aktionsraumes) folgende Tendenzen beobachten:
Das Einkommen – als sozialer Aspekt – hat für alle Untersuchungsgebiete hinsichtlich der Zusammenhangsmaße den stärksten Einfluss (siehe Tabelle 18). Insgesamt kann festgehalten werden, dass mit steigendem Einkommen das Integrationspotenzial sozialer Netzwerke zunimmt. Demnach neigen vor allem Haushalte mit höheren Einkommen zu einem stärkeren Integrationspo-
160
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
tenzial. Diese Erkenntnis spiegeln auch die Ergebnisse der ordinalen Regression wieder (siehe Tabelle 19). Der Einfluss der Variable ‚Einkommen‘ auf die abhängige Variable ‚soziale Netzwerke‘ ist mit Signifikanzwerten zwischen 0,000 und 0,818 nicht durchgängig hoch signifikant, jedoch lassen die Parameterschätzer eine Tendenz erkennen. Für die Einkommensgruppe E wurde z.B. der Parameter -1,718 geschätzt, der aussagt, dass Personen, die dieser Einkommensgruppe angehören, über ein geringeres Integrationspotenzial durch soziale Netzwerke verfügen als Personen, die der oberen und mittleren Einkommensgruppen (ABC1 und C2) zuzuordnen sind. Diese Erkenntnis gilt auch für die Untersuchungsgebiete Peñalolén und Lo Barnechea, wenngleich die Signifikanzwerte von Lo Barnechea nicht hoch signifikant, aber die geschätzten Parameter plausibel und konsistent sind. Die Wohndauer – als zeitlicher Aspekt – lässt für alle Untersuchungsgebiete hinsichtlich der Zusammenhangsmaße den zweitstärksten Einfluss erkennen. Es ist insgesamt ein negativer Zusammenhang zwischen dem Integrationspotenzial sozialer Netzwerke und der Wohndauer zu beobachten, der darauf deutet, dass mit zunehmender Wohndauer das Integrationspotenzial sinkt. Vor allem neuzugezogene Bewohner handeln offener und außenorientierter, als die alteingesessene autochthone Bevölkerung. Die eher schwachen Beziehungen, die in diesem Kapitel mit einem großen Integrationspotenzial eingestuft werden, sind bei den Bewohnern zu finden, die ihren Wohnstandort erst vor einigen Jahren in die Untersuchungsgebiete verlegt haben. Aufgrund der schwachen Signifikanzwerte konnte diese Tendenz nur teilweise über die ordinale Regression bestätigt werden. Lediglich in Peñalolén nimmt mit zunehmender Wohndauer das Integrationspotenzial ab, dass insbesondere bei Bewohnern zu finden ist, die eine Wohndauer zwischen 14 und 21 Jahren aufweisen. Sowohl die Größe als auch die Heterogenität des Aktionsraumes – als räumlicher Aspekt – zeigen einen positiv signifikanten wenngleich geringen Zusammenhang zum Integrationspotenzial sozialer Netzwerke (siehe Tabelle 18). Das bedeutet, dass sich das Integrationspotenzial mit steigender Größe und mit zunehmender Heterogenität des Aktionsraumes verstärkt. Dementsprechend sind Bewohner mit einem großen, sozial durchmischten Aktionsraum offener und außenorientierter als Bewohner, die sich nur in räumlich naher Nachbarschaft aufhalten. Die Ergebnisse der ordinalen Regression bestätigen diesen Zusammenhang nur ansatzweise für das Untersuchungsgebiet Peñalolén (siehe Tabelle 19). Auch wenn der Einfluss der Heterogenität des Aktionsraumes mit Signifikanzwerten zwischen 0,042 und 0,503 nicht hoch signifikant ist, deuten die Parameterschätzer auf Plausibilität und Konsistenz. So verringert sich das Integrationspotenzial, je homogener der Aktionsraum des Befragten ist.
161
7.3 Kommunikativ-interaktive Sozialintegration – soziale Netzwerke
Tabelle 19: Ordinale Regression: Integrationspotenzial sozialer Netzwerke unter dem Einfluss sozialer, zeitlicher und räumlicher Dimensionen
Heterogenität
Wohndauer
Lage
Einkommen
Schwelle
Integration
Gesamt Schätzer Sig.
Peñalolén Schätzer Sig.
Lo Barnechea Schätzer Sig.
Huechuraba Schätzer Sig.
schwach
-,172
,747
-,501
,667
-,920
,365
1,218
,415
mittel
3,415
,000
3,312
,006
2,677
,018
5,156
,002
E D C3 C2 ABC1 < 3 Jahre 3 - 7 Jahre 8 - 13 Jahre 14 - 21 Jahre > 21 Jahre 0,0% 20,0% 40,0% 60,0% 80,0% 100,0%
-1,718 -,914 -,576 -,086 0a ,853 ,689 ,397 ,023 0a ,932 -,754 -,472 -,369 -,124 0a
,000 ,012 ,117 ,818 . ,011 ,045 ,215 ,946 . ,677 ,129 ,269 ,370 ,765 .
-3,435 -,771 -,694 -,208 0a 1,852 1,369 1,084 ,118 0a
,012 ,408 ,439 ,812 . ,007 ,021 ,052 ,870 .
,216 ,523 ,721 ,750 . ,309 ,665 ,359 ,782 .
,042 ,480 ,358 ,503 .
,015 ,021 ,210 ,884 . ,462 ,800 ,447 ,839 . ,662 ,741 ,543 ,227 ,429 .
1,771 ,864 ,478 ,428 0a ,806 ,351 -,852 -,219 0a
-1,913 -,595 -,738 -,523 0a
-2,779 -1,207 -,787 -,080 0a ,454 -,160 -,430 -,104 0a 1,039 -,335 -,575 -1,127 -,730 0a
,170 -,516 ,245 -,470 0a
,882 ,441 ,698 ,504
Modellanpassung
Signifikanz
,000
,000
,016
,355
Anpassungsgüte
Signifikanz
,979
,998
,959
,965
Pseudo R²
Nagelkerke
,158
,391
,202
,120
Quelle: Eigene Berechnung Verknüpfungsfunktion: Logit. a. Dieser Parameter wird auf Null gesetzt, weil er redundant ist.
Insgesamt zeigen die Ergebnisse der ordinalen Regression, dass das Modell mit 0,000 besonders signifikant ist und 15,8% die kommunikativ-interaktive Sozialintegration durch die unabhängigen Variablen Einkommen, Wohndauer und Heterogenität des Aktionsraumes erklärt werden (siehe Tabelle 19). Dies trifft insbesondere für das Untersuchungsgebiet Peñalolén zu, wo zu 39,1% die unabhängigen Variablen diese Form der Sozialintegration erklären. Demgegenüber verdeutlichen die Ergebnisse für das Untersuchungsgebiet Huechuraba, dass die unabhängigen Variablen diese Form der Sozialintegration nicht beeinflussen. Die Signifikanz der Modellanpassung ist mit 0,355 zu hoch und Pseudo R² mit 0,120 zu gering. Schlussfolgernd kann für die kommunikativ-interaktive Sozialintegration festgehalten werden, dass wenngleich ein hohes Integrationspotenzial durch soziale Netzwerke nur einen geringen Beitrag leistet, dieses durch soziale, zeitliche und räumliche Aspekte geprägt ist.
162
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
Demnach kann allgemein beobachtet werden, dass obere Sozialschichten, die relativ kurz im Wohnquartier leben und einen sozial durchmischten Aktionsraum haben, offener und außenorientierter handeln und stärker Kontakt zu anderen sozialen Gruppen suchen. Diese allgemeine Schlussfolgerung varriert jedoch in den drei Untersuchungsgebieten. So ist das Integrationspotenzial sozialer Netzwerke der Bewohner Peñaloléns von sozialen, zeitlichen und räumlichen Aspekten beeinflusst; das der Bewohner von Lo Barnechea lediglich von sozialen Aspekten. 7.4 PARTIZIPATIV-ASSOZIATIVE SOZIALINTEGRATION – PARTIZIPATION IN ÖFFENTLICHEN VERANSTALTUNGEN UND AKTIVITÄTEN Neben der kommunikativ-interaktiven Form der Sozialintegration hat die partizipativ-assoziative Form einen weiteren entscheidenden Einfluss auf den ‚Habitus des Stadtquartiers‘ (siehe auch Kapitel 4). Sie ist eine Form der Sozialintegration, über die die Individuen aktiv an der Gestaltung des Zusammenlebens im Stadtquartier teilhaben. Darüber hinaus eröffnen partizipativ-assoziative Integrationsprozesse Kontaktmöglichkeiten zu anderen sozialen Gruppen. Bezogen auf den Begriff der Partizipation werden im Allgemeinen zwei Formen unterschieden: formelle und informelle. Erstere beinhaltet die Teilnahme von Bewohnern an lokalen Entscheidungsprozessen und letztere umfasst die freiwillige Mitgliedschaft und Beteiligung an Organisationen, Vereinigungen oder Bürgerinitiativen (Dekker 2007). In diesem Kapitel wird unter Partizipation jedwede Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen sowie regelmäßige Besuche religiöser, sportlicher und kultureller Aktivitäten verstanden, welche Kontaktmöglichkeiten zu anderen sozialen Gruppen ermöglichen. Diese Tätigkeiten können sowohl formeller als auch informeller Art sein. Der Partizipation in Stadtquartiersaktivitäten wird im Allgemeinen positive Wechselwirkungen mit den anderen Dimensionen der Sozialintegration zugeschrieben. So kann in Anlehnung an Alesina und La Ferrara (2000) die Teilnahme an lokalen Freizeitangeboten, an denen unterschiedliche soziale Gruppen teilhaben, zur Ressourcenübermittlung führen, soziales Vertrauen stärken, individuelle Wirkungen auf Handlungs- und Verhaltensweisen haben oder den Zugang zum Arbeitsmarkt fördern. Sie beeinflusst darüber hinaus die positive Identifikation mit dem Stadtquartier (Galster 2003). Dekker (2007) konstatiert diesbezüglich, dass „people who are socially involved with each other are more integrated into their community and feel more positive about it, which may stimulate them to take a more active role in social and political affairs“ (ebd.: 360).
Vergleichbar mit der kommunikativ-interaktiven Form der Sozialintegration werden auch partizipativ-assoziative Integrationsprozesse durch sozioökonomische und soziodemographische Variablen beeinflusst. In Anlehnung an Dekker (2007) nehmen Bewohner unterer Sozialschichten weniger an formellen Aktivitäten / Veranstaltungen teil, weil
7.4 Partizipativ-assoziative Sozialintegration
163
„they have less well-developed interpersonal skills, fewer social interactions, and less access to institutions and participation activities“ (ebd.: 359f.).
Derartige Beobachtungen bestätigt auch Oliver (1999), welcher darauf hinweist, dass Partizipation in wohlhabenden Stadtquartieren höher ist, da die Bewohner mehr Gelegenheiten haben an Stadtquartiersaktivitäten teilzunehmen. Gleichzeitig verweist Oliver (1999) auf Studien, die zeigen konnten, dass Partizipation in wohlhabenden Quartieren auch niedriger sein kann, da weniger soziale Bedürfnisse bestehen. Neben den sozioökonomischen Variablen wurden auch Unterschiede bei der Partizipation hinsichtlich sozialdemographischer Variablen beobachtet. In Anlehnung an Alesina und La Ferrara (2000) sind Frauen, Familien mit Kindern, ältere Bewohner sowie Wohneigentümer stärker in Nachbarschaftsaktivitäten involviert. Darüber hinaus verweisen die Autoren auf einen Zusammenhang zwischen der Wohndauer und dem Grad der Partizipation. Dementsprechend erhöht sich die Partizipation in Stadtquartiersaktivitäten mit steigender Wohndauer und steigender Bindung an das Stadtquartier. Insbesondere die Bindung an das Stadtquartier fördert laut Alesina und La Ferrara (2000) die Identifikation mit dem unmittelbaren Wohnumfeld und folglich eine stärkere Einbindung und Teilhabe an Stadtquartiersaktivitäten. So sind Bewohner, die sich mit ihrem Stadtquartier besonders identifizieren, eher bereit ihr soziales Umfeld mit zu gestalten und zu verbessern. Dieser Zusammenhang gilt auch vice versa, dass bedeutet, dass auch eine stärkere Teilnahme in Stadtquartiersaktivitäten einen positiven Einfluss auf die Bindung an das Stadtquartier hat (ebd.). Für die drei Untersuchungsgebiete in Santiago de Chile konnten hohe prozentuale Anteile für die Teilnahme an Stadtquartiersaktivitäten beobachtet werden. Insgesamt sind 63,1% in derartige Aktivitäten involviert, wobei der größere Anteil (37,9%) auf die freiwillige Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen fällt und nur knapp ein Viertel (25,2%) formal Mitglied in Vereinen und Organisationen ist (siehe Tabelle 20). Tabelle 20: Mitgliedschaft in Vereinen und Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen differenziert nach Untersuchungsgebieten Untersuchungsgebiet Gesamt Peñalolén Lo Barnechea Huechuraba Anzahl 54 64 45 163 Mitgliedschaft in Vereinen, Organisationen % 23,3 30,9 21,7 25,2 97 97 51 245 Teilnahme an kulturellen Anzahl Veranstaltungen % 41,8 46,9 24,6 37,9 Anzahl 81 46 111 238 keine Teilnahme % 34,9 22,2 53,6 36,8 Anzahl 232 207 207 646 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 100,0 Quelle: Eigene Erhebung, Frage 41
Die Bewohner der Gemeinde Lo Barnechea sind mit insgesamt 77,8% im Vergleich zu den anderen beiden Untersuchungsgebieten am aktivsten. Hier werden
164
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
vor allem kulturelle Angebote der Gemeinde von fast der Hälfte aller Befragten (46,9%) wahrgenommen. Im Gegensatz dazu gaben nur knapp ein Viertel (24,6%) der Befragten in der Gemeinde Huechuraba an, an öffentlichen kulturellen Veranstaltungen teilgenommen zu haben. Mögliche Ursachen für diese divergierenden Ergebnisse liegen gegebenenfalls in dem unterschiedlichen Angebot der Gemeinden. Gleichwohl aus den Experteninterviews mit Stellvertretern der Gemeinde Lo Barnechea und Huechuraba deutlich wurde, dass innerhalb der Gemeinden ein breites Angebot an Vereinen, Organisationen und kulturellen Veranstaltungen besteht, werden diese von den Bewohnern unterschiedlich wahrgenommen, wie die folgenden Zitate zeigen. „…sí, hacen [eventos] acá en la sede… ¿y participa Ud. ahí? No, porque siempre estoy ocupada, hasta el sábado por la tarde, y el contacto que yo tengo con mis vecinas es porque ellas vienen para acá a encargar trabajos, pero yo no, nunca participo en nada…“53 (Bewohnerin, Unterschicht (D), Huechuraba). „…sí, la municipalidad hizo hartos cursos […] mira, yo tomé el curso de “apresto laboral”, e impartido por buenas instituciones […] nos llevaron a diferentes mall, nos daban la plata de locomoción, nos daban la colación. Yo en la municipalidad he tomado 3 o 4 cursos, curso que hay, que me gusta, yo voy y lo hago…“54 (Bewohnerin, untere Mittelschicht (C3), Huechuraba). „…la municipalidad ofrece algunos cursos de capacitación, de computación, de yoga, de deporte… ¿Ud. participa ahí?... no, porque he conocido casos en que han ido y no han sacado nada bueno de ahí. Hay gente que realmente no es idónea para el puesto de profesor […] no sé, quizás estoy prejuzgando, no sé“55 (Bewohnerin, untere Mittelschicht (C3), Lo Barnechea). „…es una municipalidad que tiene muchos recursos, hacen hartas actividades. De hecho yo participo en cursos de computación, de manualidades con otras dueñas de casa […] y son buenísimos, y gratis, y en horario de 7 a 9 pm, que es súper accesible, las instalaciones también, buenísima, porque es una municipalidad con recursos, de hecho cuando nosotros, cuando fuimos a preguntar pensábamos que era para gente de escasos recurso, y no, dijeron que para cualquier persona que viva en la comuna, ningún problema […] yo estoy siempre infor-
53
54
55
„…ja, es gibt Veranstaltungen hier … Und nehmen Sie daran teil? Nein, weil ich immer beschäftigt bin, sogar Samstagnachmittag, und der Kontakt, den ich mit meinen Nachbarn habe, ist, weil sie zu mir kommen, sie geben mir Auftragsarbeiten, aber ich, nein, ich nehme nie an Veranstaltungen teil…“ (Übersetzung durch die Autorin). „…ja, die Gemeinde bietet eine Menge Lehrveranstaltungen / Kurse an […] also, ich habe an dem Kurs “Arbeitsvorbereitung” teilgenommen und an guten Institutionen […] sie haben uns in verschiedene Malls geführt, sie haben die Transportkosten bezahlt, sie haben uns mit Mittagessen versorgt. Ich habe schon 3 oder 4 Kurse besucht, Kurse die es gibt, die mir Spaß machen, die mache ich“ (Übersetzung durch die Autorin). „…die Gemeinde bietet Weiterbildungen an, Computerkurse, Yoga, Sport … Und nehmen Sie daran teil? Nein, weil ich Fälle kenne, wo die Leute dort hingegangen sind und nichts Gutes mitgenommen haben. Es gibt Menschen, die sind wirklich nicht als Lehrer geeignet […] ich weiß nicht, vielleicht habe ich zu schnell geurteilt, ich weiß nicht“ (Übersetzung durch die Autorin).
7.4 Partizipativ-assoziative Sozialintegration
165
mada de los cursos, es que la gente no lo aprovecha…“56 (Bewohnerin, Oberschicht (ABC1), Lo Barnechea).
Wie aus den Aussagen dieser Bewohner zu entnehmen ist, liegen die Ursachen in der unterschiedlichen Nutzung von Stadtquartiersangeboten in persönlichen Erfahrungen, Interessen und Zeitressourcen begründet. Unterschiede zwischen den verschiedenen Sozialschichten lassen sich nicht eindeutig beweisen. Sowohl untere als auch obere Sozialschichten sind für eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen und Aktivitäten offen. Bezogen auf die Frage nach der Art des Vereins bzw. Organisation, denen die Bewohner angehören, wurde deutlich, dass insbesondere kirchliche Organisationen (36,2%), Sportvereine (20,9%) und Nachbarschaftsvereine (14,1%) eine entscheidende Rolle spielen (siehe Tabelle 21). Tabelle 21: Mitgliedschaften nach Art des Vereins und Organisation differenziert nach Untersuchungsgebieten Untersuchungsgebiet Art des Vereins, Organisation Peñalolén Lo Barnechea Huechuraba Anzahl 10 29 20 kirchliche Organisation % 18,5 45,3 44,4 Anzahl 16 9 9 Sportverein % 29,6 14,1 20,0 Anzahl 14 2 7 Nachbarschaftsverein % 25,9 3,1 15,6 Anzahl 4 11 1 Seniorenverein % 7,4 17,2 2,2 Anzahl 6 6 1 Kulturverein % 11,1 9,4 2,2 Anzahl 0 5 4 Frauen- und Familienverein % 0,0 7,8 8,9 Anzahl 4 2 3 sonstige % 7,4 3,1 6,7 Anzahl 54 64 45 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 Quelle: Eigene Erhebung, Frage 41
Gesamt 59 36,2 34 20,9 23 14,1 16 9,8 13 8,0 9 5,5 9 5,5 163 100,0
Die Rolle der Kirche ist vor allem für die Bewohner Lo Barnecheas mit 45,3% und Huechurabas mit 44,4% von Bedeutung. Dagegen sind in Peñalolén insbesondere Mitgliedschaften in Sportvereinen mit 29,6% und in Nachbarschaftsvereinen mit 25,9% von Bedeutung. Neben der Teilnahme in kirchlichen Organisationen sind für die Bewohner Lo Barnecheas auch Mitgliedschaften in Seniorenver56
„…das ist eine Gemeinde mit vielen finanziellen Ressourcen, sie bieten viele Veranstaltungen an. Ich habe an Computerkursen, Handarbeitskursen teilgenommen mit anderen Hausfrauen […] und die sind gut und kostenlos und zwischen 19.00 und 21.00 Uhr, was super zugänglich ist, auch die Einrichtungen sind gut, weil die Gemeinde Geld hat, als wir dort waren und gefragt haben, dachten wir, die Kurse seien nur für benachteiligte Haushalte, aber nein, sie sind für alle Bewohner der Gemeinde, kein Problem […] ich bin immer über das Kursangebot informiert, aber die Leute nutzen das Angebot viel zu wenig…“ (Übersetzung durch die Autorin).
166
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
einen (17,2%) und für die Bewohner Huechurabas Mitgliedschaften in Sportvereinen (20,0%) nennenswert. In Bezug auf die sozioökonomische Schicht konnte beobachtet werden, dass überwiegend die Unterschicht (D) mit 42,0% und die untere Mittelschicht (C3) mit 28,3% in nachbarschaftliche Aktivitäten (Mitgliedschaft in Vereinen und / oder Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen) integriert sind (siehe Tabelle 22). Demgegenüber beteiligen sich die Oberschicht mit 5,2% (ABC1) und die Mittelschicht mit 11,2% (C2) nur geringfügig an nachbarschaftlichen Aktivitäten. Tabelle 22: Partizipation differenziert nach sozioökonomischer Schicht und Untersuchungsgebieten Sozioökonomische Schicht Untersuchungsgebiete Gesamt E D C3 C2 ABC1 Anzahl 24 43 28 10 2 107 Peñalolén % 22,4 40,2 26,2 9,3 1,9 100,0 Anzahl 9 48 20 15 11 103 Lo Barnechea % 8,7 46,6 19,4 14,6 10,7 100,0 Anzahl 3 22 28 5 1 59 Huechuraba % 5,1 37,3 47,5 8,5 1,7 100,0 Anzahl 36 113 76 30 14 269 Gesamt % 13,4 42,0 28,3 11,2 5,2 100,0 Quelle: Eigene Erhebung, Frage 41 und 51
In Bezug auf die Wohndauer, als zeitliche Dimension, machen die Ergebnisse der Haushaltsbefragung deutlich, dass die soziale Partizipation im Durchschnitt mit einer hohen Wohndauer von 18,0 bis 18,5 Jahren einhergeht (siehe Tabelle 23). Das bedeutet, dass hauptsächlich die alteingesessene autochthone Bevölkerung stärker die lokalen Stadtquartiersangebote wahrnimmt, als die Neuzugezogenen. Tabelle 23: Partizipation nach durchschnittlicher Wohndauer differenziert nach Untersuchungsgebieten Untersuchungsgebiet Gesamt Peñalolén Lo Barnechea Huechuraba Mitgliedschaft in Vereinen, 19,5 21,5 Organisationen Teilnahme an kulturellen 20,7 19,4 Veranstaltungen Cramers V (Mitglied und / oder ,363** ,219* Teilnahme) * Die Korrelation ist auf dem 0,05 Niveau signifikant ** Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant Quelle: Eigene Erhebung, Frage 1 und 41
11,1
18,0
12,4
18,5
,352**
,330**
Diese Beobachtungen sind insbesondere für die Untersuchungsgebiete Peñalolén und Lo Barnechea charakteristisch. Dagegen sind in dem Untersuchungsgebiet Huechuraba auch neuzugezogene Bewohner in soziale und kulturelle Aktivitäten innerhalb der Gemeinde eingebunden. Hier liegt die durchschnittliche Wohndauer derjenigen, die angaben, Mitglied in einem Verein oder Organisation zu sein und /
7.4 Partizipativ-assoziative Sozialintegration
167
oder an kulturellen Veranstaltungen teilgenommen zu haben, bei 11,1 bis 12,4 Jahren. Jedoch muss an dieser Stelle beachtet werden, dass die durchschnittliche Wohndauer der Befragten in Huechuraba insgesamt niedriger ist, als in den anderen beiden Untersuchungsgebieten (siehe dazu Kapitel 7.3.1). Von besonderem Interesse ist die soziale Interaktion zwischen verschiedenen sozioökonomischen Bevölkerungsgruppen. Dementsprechend wurde geprüft, ob über eine Beteiligung an kulturellen Veranstaltungen oder eine Mitgliedschaft in Vereinen und Organisationen der Kontakt zu anderen Sozialschichten gegeben war. Insgesamt wurde deutlich, dass von den 300 Befragten, die angaben, Mitglied in einem lokalen Verein oder Organisation zu sein und / oder an kulturellen Veranstaltungen teilgenommen zu haben, 64,0% Kontaktmöglichkeiten zu anderen sozioökonomischen Gruppen hatten (siehe Abbildung 8). Abbildung 8: Kontakt zu anderen sozialen Gruppen aufgrund sozialer Partizipation differenziert nach Untersuchungsgebieten
Quelle: Eigene Erhebung, Frage 43 und 44
Dieses hohe Ergebnis ist vor allem für die Untersuchungsgebiete Lo Barnechea mit 72,9% und Peñalolén mit 60,4% relevant. Die Orte der sozialen Interaktion sind in Lo Barnechea die Kirche, der Sport- und Seniorenverein (siehe Tabelle 21, S. 165). Die folgenden Zitate bestätigen dieses Ergebnis für die kirchlichen Einrichtungen. „¿Ud. va a la iglesia? Sí, […] yo voy a Santa Rosa, sí, ¡ahí va de todo! A mi, ¡me da lo mismo! No es el punto quién va o quién no va a misa […] que vamos todos a misa y genial, y te encontrai con el zapatero, lo saludo, como me lo puedo encontrar en cualquier otro lado…“57 (Bewohnerin, Mittelschicht (C3), Lo Barnechea).
57
„Gehen Sie in die Kirche? Ja, […] ich gehe in die Santa Rosa, ja, da gehen alle hin! Mir ist es egal wer dahin geht! Es ist nicht wichtig, wer zum Gottesdienst geht und wer nicht […] lasst
168
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene „…sí, todos los domingos [voy] acá a la iglesia, [y] va de todo, es extraño, porque si te das vuelta durante la semana, tu no ves ese tipo de gente por acá, pero sí el domingo en la iglesia [pero] es que hay discriminación, inconciente por decirlo así, porque la gente que es del pueblo se sienta en un lado de la iglesia y la gente que es de más dinero se sienta al otro lado, bueno igual hay gente que sí se mezcla y que se dan la mano al momento de ‘La Paz’…“58 (Bewohnerin, untere Mittelschicht (C3), Lo Barnechea).
In Bezug auf die kirchlichen Einrichtungen bestätigt dieses Ergebnis die aus der Aktionsraumanalyse hervorgegangenen Orte der Interaktion (siehe Kapitel 7.2). Dennoch soll an dieser Stelle auf den begrenzten Beitrag der Kirche zur Sozialintegration verwiesen werden. Obgleich die Kirche als Ort räumlicher Integration dient und Kontaktmöglichkeiten eröffnet, erfolgt nur selten eine soziale Interaktion unter den verschiedenen sozioökonomischen Gruppen innerhalb der Einrichtung, wie das zweite Zitat zeigt (siehe dazu auch Kapitel 7.2). Dagegen sind in Peñalolén Kontakte zu anderen sozioökonomischen Schichten sowohl über Nachbarschafts- und Kulturvereine als auch die Kirche möglich, wie u.a. das folgende Zitat für kulturelle Veranstaltungen unterstreicht. „…yo creo que Peñalolén ahora, hay gente como de un estrato más alto, derepente ponte tu, han llevado espectáculos de tipo, teatro a mil […] antes Peñalolén nada, y en los últimos años, el alcalde se ha encargado de llevarse como de este tipo de cosas, yo me acuerdo haber visto obras de teatro derepente, de compañías francesas, hay películas, esto todo en el centro Chimkowe […] igual va harta gente, yo creo que sí, se llenan… y porque generalmente son gratis, igual va todo el mundo… sí, yo acuerdo de haber ido a obras de teatro […] igual se llenaba de todo tipo de gente…“59 (Bewohnerin, Mittelschicht (C2), Peñalolén).
Inwieweit die soziale Interaktion durch Beteiligung an Stadtquartiersaktivitäten zu einer Vertiefung des Kontaktes geführt hat, zeigt Abbildung 8 (S. 167). Die Möglichkeit einer Vertiefung des Kontaktes zu anderen sozialen Schichten ist von besonderer Bedeutung für die partizipativ-assoziative Form der Sozialintegration. Denn über die Vertiefung von Kontakten werden wiederum soziale Netzwerke aufgebaut (siehe Kapitel 7.3), die ein starkes wirkungsvolles Bindemittel darstellen, um den Zugriff auf Ressourcen materieller und immaterieller Art zu gewährleisten. Insgesamt konnten von den 192 Befragten, die angaben, durch soziale
58
59
uns alle zum Gottesdienst gehen, genial, und man trifft dort auf den Schuster, ich grüße ihn, wie ich ihn auch an anderen Orten treffen kann…“ (Übersetzung durch die Autorin). „…ja, jeden Sonntag [gehe] ich hier in die Kirche [und] da gehen alle hin, das ist seltsam, denn unter der Woche siehst du diese Menschen nicht, aber am Sonntag in der Kirche, [aber] es gibt Diskriminierung, sozusagen unbeabsichtigt, weil die Bewohner des Dorfes sich in der Kirche auf die eine Seite setzen und die Leute mit mehr Geld auf die andere, gut, es gibt auch Leute, die sich mischen und sich die Hand im Moment des ‚Segens‘ geben…“ (Übersetzung durch die Autorin). „…ich glaube, da es heute in Peñalolén mehr Leute der oberen Sozialschicht gibt, gibt es plötzlich auch Theatervorstellungen […] früher gab es das nicht in Peñalolén und in den letzten Jahren hat sich der Bürgermeister sehr bemüht, dass diese Art von Veranstaltungen hier stattfinden, ich kann mich erinnern, französische Theatervorstellungen gesehen zu haben, es gibt Filmabende, alles das im Kulturzentrum Chimkowe […] und da gehen viele Leute hin, ich glaube, ja, das ist immer voll … und in der Regel ist es kostenlos, da geht die ganze Welt hin … ja, ich kann mich erinnern, dass ich mal bei einer Theateraufführung war […] und da waren auch alle möglichen Leute …“ (Übersetzung durch die Autorin).
7.4 Partizipativ-assoziative Sozialintegration
169
Partizipation Kontakt mit anderen sozioökonomischen Bevölkerungsgruppen gehabt zu haben, die Hälfte (49,5%) diesen weiter vertiefen. Es konnten im Allgemeinen vier verschiedene Kontakttypen herausgearbeitet werden: freundschaftliche Beziehungen (45,7%); flüchtige Bekanntschaften (wie z.B. gegenseitiges Grüßen, sich ab und zu unterhalten etc.) (28,7%); Beziehungen, die auf gegenseitige Hilfeleistungen beruhen (10,6%) und funktionale Beziehungen durch ein Beschäftigungsverhältnis (9,6%). Die drei Untersuchungsgebiete zeigen diesbezüglich ganz unterschiedliche Tendenzen. Die Vertiefung des Kontaktes zu anderen sozioökonomischen Schichten über die soziale Partizipation ist mit 60,5% in Lo Barnechea am höchsten (siehe Abbildung 8, S. 167). Bei den Beziehungen handelt es sich zu 47,1% um freundschaftliche Beziehungen und zu 27,5% um flüchtige Bekanntschaften. Demgegenüber konnten die Befragten der Gemeinde Peñalolén nur zu 31,1% die Kontakte, die durch soziale Partizipation entstanden sind, weiter vertiefen. Diese haben auch hier fast ausschließlich freundschaftlichen (45,0%) und flüchtigen (40,0%) Bekanntschaftscharakter. Die Befragten der Gemeinde Huechuraba konnten dagegen zu 54,8% ihre Kontakte intensivieren. Neben freundschaftlichen (43,5%) und flüchtigen Bekanntschaften (21,7%) sind hier auch gegenseitige Hilfeleistungen von Bedeutung (17,4%). Nachdem die Indikatoren der Beteiligung und Teilhabe an Stadtquartiersaktivitäten im Einzelnen diskutiert wurden, soll auf die Zusammenschau dieser Indikatoren näher eingegangen werden. Denn erst diese beschreibt die partizipativ-assoziative Form der Sozialintegration als Ganzes. Der Beitrag dieser Form der Sozialintegration wurde auch hier über drei verschiedene Grade gemessen: starkes, mittleres und schwaches Integrationspotenzial. Einen starken Beitrag zur partizipativ-assoziativen Form der Sozialintegration leisten diejenigen Bewohner, die Mitglieder in einem lokalen Verein und / oder Organisation sind und die angebotenen Veranstaltungen regelmäßig besuchen und wo alle Haushaltsmitglieder schon einmal an lokalen kulturellen Veranstaltungen teilgenommen haben und über diese Formen der sozialen Partizipation Kontakte zu anderen sozioökonomischen Schichten knüpfen und vertiefen konnten. Demgegenüber umfasst ein schwaches Integrationspotenzial keinerlei soziale Partizipation und folglich auch keine Möglichkeiten des sozialen Kontaktes. Die Tabelle 24 macht deutlich, dass soziale Partizipation nur einen sehr geringen Beitrag (4,2%) zur Sozialintegration auf Stadtquartiersebene leistet. Insgesamt zeichnen sich 72,0% der Bewohner durch ein schwaches Integrationspotenzial über sozial partizipative Prozesse aus. Zwischen den drei Untersuchungsgebieten lassen sich nur geringfügige Unterschiede feststellen. Lediglich die Bewohner Lo Barnecheas leisten mit 5,3% starkem und 33,3% mittlerem Integrationspotenzial einen vergleichbar großen Beitrag zur partizipativ-assoziativen Sozialintegration.
170
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
Tabelle 24: Partizipativ-assoziatives Integrationspotenzial differenziert nach Untersuchungsgebieten Untersuchungsgebiet Integrationsniveau Gesamt gesamt Peñalolén Lo Barnechea Huechuraba Anzahl 168 127 170 465 schwach % 72,4 61,4 82,1 72,0 Anzahl 53 69 32 154 mittel % 22,8 33,3 15,5 23,8 Anzahl 11 11 5 27 stark % 4,7 5,3 2,4 4,2 Anzahl 232 207 207 646 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 100,0 Quelle: Eigene Berechnung auf Basis der Haushaltsbefragung
Wie bereits erwähnt, wird für das Erkenntnisinteresse der Einfluss sozialer, zeitlicher und räumlicher Aspekte auf die Formen der Sozialintegration beleuchtet. Aus diesem Grund wird auch hier über statistische Zusammenhangsmaße die Stärke und Richtung des Zusammenhangs zwischen dem partizipativ-assoziativen Integrationspotenzial und das Haushaltseinkommen, der Wohndauer und der Größe und Heterogenität des Aktionsraumes ermittelt. Die Ergebnisse in Tabelle 25 zeigen, dass insgesamt für alle drei Untersuchungsgebiete ein sehr positiv signifikanter, jedoch schwacher Zusammenhang zwischen dem partizipativ-assoziativem Integrationspotenzial und der sozialen und zeitlichen Dimension zu beobachten ist. Der Einfluss der räumlichen Dimension (Größe und Heterogenität des Aktionsraumes) ist weitgehend zu vernachlässigen. Tabelle 25: Partizipativ-assoziatives Integrationspotenzial in Abhängigkeit von sozialen, zeitlichen und räumlichen Dimensionen Größe des Heterogenität des Einkommen Wohndauer Aktionsraumes Aktionsraumes Somers‘d Sig. Somers‘d Sig. Pearson Sig. Somers‘d Sig. Gesamt -,090** ,001 ,135** ,000 ,100* Peñalolén -,077 ,076 ,068 ,116 ,137* Lo Barnechea -,119* ,026 ,122** ,008 ,008 Huechuraba -,098* ,031 ,145** ,001 ,091 * Die Korrelation ist auf dem 0,05 Niveau signifikant ** Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant
,012 ,040 ,907 ,194
,015 -,050 ,050 ,090*
,572 ,303 ,329 ,018
Den Ergebnissen aus Tabelle 25 und Tabelle 26 nach, lassen sich für die unabhängigen Variablen (Haushaltseinkommen, Wohndauer, Größe und Heterogenität des Aktionsraumes) folgende Tendenzen beobachten:
Das Einkommen – als sozialer Aspekt – hat für alle Untersuchungsgebiete hinsichtlich der Zusammenhangsmaße einen relativ geringen Einfluss. Dessen ungeachtet lassen sich einige Tendenzen erkennen. Insgesamt kann festgehalten werden, dass mit steigendem Einkommen das partizipativ-assoziative Integrationspotenzial abnimmt. Demnach neigen vor allem Haushalte mit geringem Einkommen zu einem stärkeren Integrationspotenzial durch Betei-
7.4 Partizipativ-assoziative Sozialintegration
171
ligung an Stadtquartiersaktivitäten. Diese Erkenntnis spiegeln auch die Ergebnisse der ordinalen Regression wider (siehe Tabelle 26). Der Einfluss der unabhängigen Variable ‚Einkommen‘ auf die abhängige Variable ‚partizipativ-assoziative Sozialintegration‘ ist mit Signifikanzwerten zwischen 0,005 und 0,500 nicht sehr hoch signifikant. Dennoch deuten die Parameterschätzer auf Plausibilität und Konsistenz. Für die Einkommensgruppe ABC1 wurde z.B. der Parameter 0,469 geschätzt, der aussagt, dass Personen, die dieser Einkommensgruppe angehören über ein geringes Integrationspotenzial verfügen, als Personen, die den unteren Einkommensgruppen (D und E) zuzuordnen sind. Diese Ergebnisse sind auch in den Untersuchungsgebieten Peñalolén zu beobachten, wenngleich die Signifikanzwerte zu hoch sind. Die Wohndauer – als zeitlicher Aspekt – lässt mit einem positiv signifikanten Zusammenhangsmaß von 0,135 insgesamt einen schwachen Einfluss erkennen (siehe Tabelle 25). Dieser deutet darauf hin, dass mit zunehmender Wohndauer das partizipativ-assoziative Integrationspotenzial steigt und dass alteingesessene autochthone Bewohner leicht mehr Beteiligung an lokalen Vereinen, Organisation und öffentlichen Veranstaltungen ausüben und darüber Kontakte zu anderen sozialen Gruppen knüpfen, als neuzugezogene. Diese Tendenz wird auch durch die ordinale Regression bestätigt. Wenngleich auch hier der Einfluss der unabhängigen Variable ‚Wohndauer‘ auf die abhängige Variable ‚partizipativ-assoziative Sozialintegration‘ mit Signifikanzwerten zwischen 0,012 und 0,957 nicht sehr hoch signifikant ist, deuten die Parameterschätzer auf Plausibilität und Konsistenz. Für die Bewohner, die weniger als 3 Jahre im Untersuchungsgebiet leben, wurde der Parameter -0,896 geschätzt, der aussagt, dass diese Bewohner über ein geringes Integrationspotenzial verfügen. Mit zunehmender Wohndauer steigen die Parameterschätzer leicht an. Für die einzelnen Untersuchungsgebiete konnte kein konsistenter Einfluss der Wohndauer auf die partizipativ-assoziative Form der Sozialintegration nachgewiesen werden. Sowohl die Größe als auch die Heterogenität des Aktionsraumes – als räumlicher Aspekt – zeigen keinen signifikanten Zusammenhang zum partizipativassoziativem Integrationspotenzial (siehe Tabelle 25). Die leicht positiv signifikanten Werte für Peñalolén und Huechuraba sind an dieser Stelle auch vernachlässigbar. Das bedeutet insgesamt, dass die räumliche Dimension keinerlei Einfluss auf das Integrationspotenzial besitzt. Die Ergebnisse aus Tabelle 25 werden durch die ordinale Regression (siehe Tabelle 26) bestätigt. Hier konnte auch kein Einfluss der räumlichen Dimension auf das Integrationspotenzial nachgewiesen werden.
Insgesamt zeigen die Ergebnisse der ordinalen Regression, dass das Modell mit 0,000 besonders signifikant ist. Jedoch werden nur 11,1% der partizipativ-assoziativen Sozialintegration durch die unabhängigen Variablen Einkommen, Wohndauer und Heterogenität des Aktionsraumes erklärt (siehe Tabelle 26). Innerhalb der Untersuchungsgebiete erreicht Huechuraba mit 26,6% die höchste prozentuale Modellanpassung, die auf eine akzeptable Erklärung des Modells hinweist.
172
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
Tabelle 26: Ordinale Regression: partizipativ-assoziatives Integrationspotenzial und soziale, zeitliche und räumliche Dimensionen
Heterogenität
Wohndauer
Lage
Einkommen
Schwelle
Integration
Gesamt Schätzer Sig.
Peñalolén Schätzer Sig.
Lo Barnechea Schätzer Sig.
Huechuraba Schätzer Sig.
schwach
1,106
,077
1,808
,174
2,292
,079
17,225
,000
mittel
3,362
,000
4,074
,003
4,716
,000
19,665
,000
,369 1,351 1,291 ,469 0a -,896 -,873 -,268 -,016 0a -17,411 -,306 -,787 -,205 -,125 0a
,500 ,005 ,008 ,360 . ,012 ,017 ,381 ,957 . . ,529 ,081 ,633 ,773 .
1,013 1,931 1,926 ,337 0a ,686 -,158 ,550 -,102 0a
,419 ,102 ,098 ,774 . ,292 ,786 ,286 ,865 .
,000 ,000 ,000 . . ,085 ,214 ,043 ,953 .
,846 ,113 ,318 ,398
,560 ,018 ,025 ,050 . ,363 ,171 ,724 ,933 . . ,973 ,378 ,312 ,354 .
16,955 18,054 18,077 17,053 0a -1,495 -1,089 -2,502 -,046 0a
-,159 -1,347 -,802 -,655 0a
,451 1,378 1,487 1,282 0a -,563 -,941 ,173 -,037 0a -15,968 -,046 1,069 1,213 1,120 0a
-1,461 -2,219 -,880 -,484 0a
,272 ,010 ,206 ,512
E D C3 C2 ABC1 < 3 Jahre 3 - 7 Jahre 8 - 13 Jahre 14 - 21 Jahre > 21 Jahre 0,0% 20,0% 40,0% 60,0% 80,0% 100,0%
Modellanpassung
Signifikanz
,000
,031
,026
,004
Anpassungsgüte
Signifikanz
,998
,714
,918
,995
Pseudo R²
Nagelkerke
,111
,136
,171
,266
Quelle: Eigene Berechnung Verknüpfungsfunktion: Logit. a. Dieser Parameter wird auf Null gesetzt, weil er redundant ist.
Schlussfolgernd kann für die partizipativ-assoziative Form der Sozialintegration festgehalten werden, dass über die Analyse der einzelnen Indikatoren positive Tendenzen herausgearbeitet werden konnten. Doch bei der Zusammenschau aller Indikatoren fällt der Beitrag zur Sozialintegration gering aus. Insgesamt ist die Sozialintegration auf Stadtquartiersebene nur durch soziale und zeitliche Aspekte beeinflusst. Demnach kann in Ansätzen beobachtet werden, dass untere Sozialschichten, die schon länger im Wohnquartier leben, stärker an Stadtquartiersaktivitäten teilnehmen und über diese Form stärker sozial integriert sind. Räumliche Aspekte, wie die Größe und Heterogenität des Aktionsraumes, spielen für diese Form der Sozialintegration keine Rolle. Innerhalb der Untersuchungsgebiete lassen sich nur wenig klare Einflüsse beobachten.
7.5 Expressiv-kulturelle Sozialintegration
173
7.5 EXPRESSIV-KULTURELLE FORM DER SOZIALINTEGRATION – AKZEPTANZ DER RÄUMLICHEN DURCHMISCHUNG Die expressiv-kulturelle Form der Sozialintegration steht in Anlehnung an Anhut und Heitmeyer (2000) für die Entwicklung kollektiver und individueller Identität, die Anerkennung bzw. Akzeptanz von Gemeinschaften innerhalb einer Gesellschaft, kulturelle soziale Praktiken und ihre jeweiligen Symboliken (siehe Kapitel 3). In diesem Kapitel wird diese Form der Sozialintegration im Wesentlichen durch die im Alltag präferierte und praktizierte Art des Zusammenlebens von unterschiedlichen sozialen Gruppen konzeptionalisiert, um Rückschlüsse auf die Produktion von Segregation auf Stadtquartiersebene ziehen zu können. Dabei wird die Akzeptanz des Zusammenlebens in räumlicher Nähe – auf Stadtquartiersebene – als ‚Integrationsbereitschaft‘ interpretiert. Hoffmann-Nowotny (1990) verbinden mit dieser Form der Integration die „Partizipation an der Struktur“ (ebd.: 16) des gesellschaftlichen Lebens auf Stadtquartiersebene. Demgegenüber steht eine fehlende Integrationsbereitschaft für eine bewusst gelebte und erwünschte räumliche Segregation. Die expressiv-kulturelle Form der Sozialintegration steht in engem Zusammenhang mit der sozialen Diversität eines Raumes. Soziale Diversität beschreibt hier die Zusammensetzung eines Quartiers durch unterschiedliche soziale Gruppen. Diese Diversität generiert für das Stadtquartier und dessen Bewohner wichtige Vorteile. Fainstein (2005) folgend, „diversity attracts human capital, encourages innovation, and ensures fairness and equal access to a variety of groups“ (ebd.: 4).
Über die Anerkennung andersartiger Bevölkerungsgruppen kann soziale Diversität gestaltet werden, die einen Beitrag zur Schaffung von materiellen und immateriellen Ressourcen leisten kann. Für Santiago de Chile konnten die Ergebnisse aus dem Forschungsbericht des MINVU (2009) zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung gegenüber dem Leben in sozial gemischten Stadtteilen offen ist und folglich die räumliche Nähe zu anderen sozialen Gruppen insgesamt als positiv gewertet wird (siehe Kapitel 7.1). In diesem Kapitel wird die Integrationsbereitschaft der Bewohner in den drei Untersuchungsgebieten über die Frage „Wie denken Sie über das Zusammenleben verschiedener sozioökonomischer Gruppen in Ihrer Nachbarschaft?“ ermittelt, die zunächst die allgemeine Einstellung der Bewohner zur räumlichen Nähe unterschiedlicher sozioökonomischer Gruppen in einem Stadtquartier erfasst. Insgesamt konnte festgestellt werden, dass die Mehrheit der Bewohner gegenüber einer räumlichen Nähe unterschiedlicher sozialer Gruppen sowohl in direkter Nachbarschaft (57,1%) als auch auf Stadtquartiersebene (62,5%) positiv eingestellt ist (siehe Tabelle 27). Darüber hinaus wird aus den Ergebnissen deutlich, dass diese positive Integrationsbereitschaft mit zunehmender Größe des Raumes ansteigt. Die Befragten sind folglich eher bereit in räumlicher Nähe zu einer anderen sozialen Gruppe auf Stadtquartiersebene als in der direkter Nachbarschaft zu wohnen.
174
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
Dieses Ergebnis deckt sich mit den Erkenntnissen von MINVU (2009) und PNUD (2002) (siehe Kapitel 7.1). Innerhalb der Untersuchungsgebiete lassen sich eindeutige Unterschiede feststellen. Die Bewohner der Gemeinden Lo Barnechea und Huechuraba sind mit mehr als zwei Drittel Zustimmung deutlich aufgeschlossener als die Bewohner der Gemeinde Peñalolén (nur etwa ein Drittel Zustimmung). Die Mehrheit der Bewohner des Untersuchungsgebietes Peñalolén sind gegen ein Zusammenleben unterschiedlicher sozialer Gruppen sowohl in der direkten Nachbarschaft als auch auf Stadtquartiersebene. Tabelle 27: Wie denken Sie über das Zusammenleben verschiedener sozioökonomischer Gruppen in … ? Untersuchungsgebiete Gesamt Peñalolén Lo Barnechea Huechuraba … Ihrer direkten Nachbarschaft Anzahl 73 144 152 369 Ich finde das gut. % 31,5 69,6 73,4 57,1 Anzahl 159 60 41 260 Ich finde das nicht gut. % 68,5 29,0 19,8 40,2 Anzahl 0 3 14 17 Ist mir egal. % 0,0 1,4 6,8 2,6 Anzahl 232 207 207 646 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 100,0 … Ihrem Stadtquartier Anzahl Ich finde das gut. % Anzahl Ich finde das nicht gut. % Anzahl Ist mir egal. % Anzahl Gesamt % Quelle: Eigene Erhebung, Frage 11
86 37,1 146 62,9 0 0,0 232 100,0
161 77,8 43 20,8 3 1,4 207 100,0
157 75,8 35 16,9 15 7,2 207 100,0
404 62,5 224 34,7 18 2,8 646 100,0
Mögliche Gründe für diesen starken Unterschied konnten in den Tiefeninterviews gefunden werden. Die räumliche Nähe unterschiedlicher sozialer Gruppen hat in Peñalolén in den letzten Jahren zu einer stärkeren Sichtbarkeit der sozialen Ungleichheit geführt, die mit sozialen Konfliktsituationen im alltäglichen Zusammenleben einhergeht, wie eine Bewohnerin der Mittelschicht (C2) schildert: „… sí, me preocupa también esto de tanta mezcla, bueno, por un lado lo encuentro bueno, pero por otro me preocupa […] por los niños, [porque] a mis hijos les afecta, uno tiene 12 y la otra tiene 16, entonces […] Franco ha ido en bicicleta para el Jumbo y trataron de quitarle la bicicleta, igual a amigos de mi hija que han estado en mi casa, han ido a comprar copete a la esquina y los asaltaron ahí en la plaza... “60. 60
„… ja, mich beunruhigt auch zu viel soziale Mischung, gut, auf der einen Seite finde ich sie gut, aber auf der anderen Seite beunruhigt sie mich […] wegen der Kinder, [weil] sie meinen Kindern schadet, der eine ist 12 Jahre und die andere 16 und […] Franco ist mal mit dem
175
7.5 Expressiv-kulturelle Sozialintegration
Die beschriebenen Schwierigkeiten im Zusammenleben unterschiedlicher sozialer Gruppen könnten demnach die abweichenden prozentualen Anteile erklären. Darüber hinaus könnten sie die Ursache für einen fehlenden sozialen Kontakt zu anderen sozialen Gruppen sein (siehe Kapitel 7.1). Neben der allgemeinen Akzeptanz der räumlichen Nähe unterschiedlicher sozialer Gruppen wurde auch die tatsächliche Wahrnehmung dieser auf zwei räumlichen Ebenen – direkte Nachbarschaft und Stadtquartier – erfasst (siehe Tabelle 28). Tabelle 28: In welchem Maße nehmen Sie die sozioökonomischen Unterschiede in … wahr? Untersuchungsgebiete Gesamt Peñalolén Lo Barnechea Huechuraba … Ihrer direkten Nachbarschaft Anzahl 16 15 3 34 in sehr großem Ausmaß % 6,9 7,4 1,5 5,3 Anzahl 37 41 46 124 in großem Ausmaß % 16,0 20,1 22,9 19,5 Anzahl 145 115 128 388 in geringem Ausmaß % 62,8 56,4 63,7 61,0 Anzahl 33 33 24 90 in sehr geringem Ausmaß % 14,3 16,2 11,9 14,2 Anzahl 231 204 201 636 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 100,0 … in Ihrem Stadtquartier Anzahl in sehr großem Ausmaß % Anzahl in großem Ausmaß % Anzahl in geringem Ausmaß % Anzahl in sehr geringem Ausmaß % Anzahl Gesamt % Quelle: Eigene Erhebung, Frage 12
37 16,0 55 23,8 120 51,9 19 8,2 231 100,0
28 13,7 64 31,4 92 45,1 20 9,8 204 100,0
17 8,5 60 30,2 102 51,3 20 10,1 199 100,0
82 12,9 179 28,2 314 49,5 59 9,3 634 100,0
Auf kleinräumiger Ebene (direkte Nachbarschaft) werden überwiegend kaum soziale Unterschiede wahrgenommen. So gaben die Befragten an, dass sie die sozioökonomischen Unterschiede zu 61,0% in geringem Ausmaß und zu 14,2% in sehr geringem Ausmaß wahrnehmen würden. Dies entspricht den Ergebnissen von MINVU (2009) (siehe Kapitel 7.1) und der Aktionsraumanalyse (siehe Kapitel 7.2). Wenngleich die Wahrnehmung anderer sozialer Gruppen mit der räumlichen Größe ansteigt (im Stadtquartier) nimmt die Mehrheit der Befragten die sozioöko-
Fahrrad zum Jumbo gefahren und da haben sie versucht, ihm das Fahrrad zu entwenden, genauso auch bei Freunden meiner Tochter, die mal bei uns zu Hause waren; sie gingen Getränke an der nächsten Ecke kaufen und wurden auf dem Platz überfallen...“ (Übersetzung durch die Autorin).
176
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
nomischen Unterschiede hier nur in einem geringen bis sehr geringen Ausmaß wahr. Innerhalb der Untersuchungsgebiete sind es vor allem die Bewohner von Lo Barnechea, die sozialen Unterschiede auf Stadtquartiersebene am stärksten wahrnehmen. Dies könnte mit dem nachgewiesenen Zusammenhang zwischen der Größe und der Heterogenität des Aktionsraumes der Bewohner (siehe Kapitel 7.2) begründet werden. So steigen mit zunehmender räumlicher Größe der tatsächliche und der wahrgenommene Grad der sozialen Nähe unterschiedlicher sozialer Gruppen an. Dagegen könnte eine mögliche Ursache für die geringe Wahrnehmung der sozialen Unterschiede in Peñalolén und Huechuraba die zum Teil große räumliche Distanz zu anderen sozialen Gruppen innerhalb der Untersuchungsgebiete sein. Neben der Wahrnehmung unterschiedlicher sozialer Gruppen im Raum war des Weiteren von Interesse, inwieweit die Bewohner eine Veränderung der sozioökonomischen Struktur in räumlicher Nähe (Nachbarschaft) und / oder Stadtquartier seit ihrem Zuzug beobachten konnten. Es wurde deutlich, dass die große Mehrheit weder Veränderungen auf Nachbarschaftsebene (77,8%) noch auf Stadtquartiersebene (68,0%) festgestellt hat (siehe Tabelle 29). Dabei handelt es sich vor allem um Bewohner mit einer geringeren durchschnittlichen Wohndauer (11,7 Jahre). Diejenigen, die im Durchschnitt schon sehr lange in den Wohngebieten leben (>15 Jahre), nehmen deutlich mehr Veränderungen in der sozioökonomischen Zusammensetzung der Bevölkerung wahr. Eine Verstärkung der sozioökonomischen Unterschiede sowohl auf Nachbarschaftsebene (19,0%) als auch auf Stadtquartiersebene (28,3%) haben die Bewohner aus Lo Barnechea verspürt. Diese Ergebnisse spiegeln sich auch in den Tiefeninterviews mit den Bewohnern aus Lo Barnechea wider. Im Gespräch mit einer Frau, die schon seit 36 Jahren in Lo Barnechea wohnt, wurde deutlich, dass die sozioökonomischen Unterschiede größer geworden sind. Es sind in jüngster Zeit nicht nur ressourcenstarke Bevölkerungsgruppen nach Lo Barnechea gezogen, sondern auch sozioökonomisch randständige Haushalte, so dass die soziale Schere weiter auseinander gegangen ist. „…en los últimos años [Lo Barnechea] ha cambiado bastante… en todo sentido, en la construcción, las personas, las autoridades, todo, todo […] hay más casas, para mucha gente y casas no apta para familias grandes, de 5 o 6 habitantes. Estas casas son jóvenes, harán unos 20 años […] se vinieron desde Puente Alto, Cerro Navia… [¿Y también vino gente con mucha plata al sector, y construyeron hartos condominios?] …sí, es que claro, ahora la línea divisoria entre los que tienen más y los que tenemos menos está muy marcada, exageradamente marcada…“61 (Bewohnerin, untere Mittelschicht (C3), Lo Barnechea).
61 „…in den letzten Jahren hat sich hier viel [in Lo Barnechea] verändert … in jeglicher Hinsicht, bezogen auf den Bausektor, die Personen, die Verwaltung, alles, alles […] es gibt jetzt mehr Häuser für mehr Leute und Häuser, die nicht für Großfamilien mit fünf oder sechs Personen geeignet sind. Diese Häuser sind noch recht jung, vielleicht so 20 Jahre alt […] die Leute kommen aus Puente Alto, Cerro Navia… [Es sind aber auch Leute mit viel Geld in diesen Stadtteil gezogen und es wurden viele abgeschlossene Wohnquartiere gebaut?] …ja, das
177
7.5 Expressiv-kulturelle Sozialintegration
Tabelle 29: Haben sich die Unterschiede in der sozioökonomischen Zusammensetzung der Bewohner in … seit Zuzug verändert? Untersuchungsgebiete Gesamt Peñalolén Lo Barnechea Huechuraba … Ihrer direkten Nachbarschaft Anzahl 21 39 34 94 Ja, sie sind % 9,1 19,0 16,4 14,6 heute größer. Ø Wohndauer 23,5 21,1 14,1 19,1 Anzahl 18 21 10 49 Ja, sind heute % 7,8 10,2 4,8 7,6 geringer. Ø Wohndauer 22,8 17,8 11,2 18,3 Anzahl 193 145 163 501 Nein, es hat % 83,2 70,7 78,7 77,8 sich nichts geändert. Ø Wohndauer 13,9 14,7 6,4 11,7 Anzahl 232 205 207 644 % 100,0 100,0 100,0 100,0 Gesamt Ø Wohndauer 15,4 16,2 7,9 13,3 … Ihrem Stadtquartier Anzahl Ja, sie sind % heute größer. Ø Wohndauer Anzahl Ja, sind heute % geringer. Ø Wohndauer Anzahl Nein, es hat sich nichts % geändert. Ø Wohndauer Anzahl % Gesamt Ø Wohndauer Quelle: Eigene Erhebung, Frage 13
57 24,6 16,6 19 8,2 21,7 156 67,2 14,3 232 100,0 15,5
58 28,3 18,9 13 6,3 13,4 134 65,4 14,7 205 100,0 14,3
46 22,3 12,3 13 6,3 10,0 147 71,4 6,4 206 100,0 7,9
161 25,0 16,2 45 7,0 18,1 437 68,0 11,7 643 100,0 13,3
Inwieweit die Wahrnehmung der Verstärkung der sozialen Unterschiede einen Beitrag zur expressiv-kulturellen Form der Sozialintegration leistet, wurde in der Zusammenschau mit den anderen Indikatoren analysiert. Einen starken Beitrag zur expressiv-kulturellen Form der Sozialintegration leisten diejenigen Bewohner, die eine räumliche Nähe zu anderen sozialen Gruppen auf Nachbarschafts- und auf Stadtquartiersebene befürworten, die sozialen Unterschiede auf Nachbarschafts- und Stadtquartiersebene wahrnehmen und eine Verstärkung dieser über die vergangenen Jahre verspürt haben. Demgegenüber umfasst ein schwaches Integrationspotenzial eine fehlende Akzeptanz und Wahrnehmung der räumlichen Nähe unterschiedlicher sozialer Gruppen sowie die Wahrnehmung einer Veränderung der sozioökonomischen Zusammensetzung der Bevölkerung. Die expressivkulturelle Form der Sozialintegration wurde über drei verschiedene Grade gemessen: starkes, mittleres und schwaches Integrationspotenzial.
stimmt, heute ist die Trennungslinie zwischen denen, die mehr haben und denen, die weniger haben sehr deutlich, übertrieben deutlich…“ (Übersetzung durch die Autorin).
178
7 Zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘ – Sozialintegration auf Mesoebene
Die Tabelle 30 macht deutlich, dass die expressiv-kulturelle Form der Sozialintegration mit insgesamt 55,1% auf einen hohen Anteil an starkem Integrationspotenzial verweist. Lediglich 4,3% der Bewohner sind durch ein schwaches Integrationspotenzial gekennzeichnet. Diese Form der Sozialintegration ist im Vergleich zu der kommunikativ-interaktiven und partizipativ-assoziativen Form eine, über die sich die Bewohner am stärksten auf Stadtquartiersebene einbringen. Tabelle 30: Expressiv-kulturelles Integrationspotenzial differenziert nach Untersuchungsgebieten Untersuchungsgebiet Integrationsniveau gesamt Gesamt Peñalolén Lo Barnechea Huechuraba Anzahl 22 3 3 28 schwach % 9,5 1,4 1,4 4,3 Anzahl 135 67 60 262 mittel % 58,2 32,4 29,0 40,6 Anzahl 75 137 144 356 stark % 32,3 66,2 69,6 55,1 Anzahl 232 207 207 646 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 100,0 Quelle: Eigene Berechnung auf Basis der Haushaltsbefragung
Doch zwischen den drei Untersuchungsgebieten lassen sich deutliche Unterschiede feststellen. Mehr als zwei Drittel der Bewohner Lo Barnecheas und Huechurabas leisten einen starken Beitrag zur expressiv-kulturellen Sozialintegration. Dagegen sind die Bewohner des Untersuchungsgebietes Peñalolén nur zu einem Drittel über diese Form der Sozialintegration stark integriert. Der Einfluss sozialer, zeitlicher und räumlicher Aspekte auf diese Form der Sozialintegration verdeutlicht die Tabelle 31, die über die statistischen Zusammenhangsmaße die Stärke und Richtung des Zusammenhangs zwischen der expressiv-kulturellen Form der Sozialintegration und des Haushaltseinkommens, der Wohndauer und der Größe und Heterogenität des Aktionsraumes darstellt. Tabelle 31: Expressiv-kulturelles Integrationspotenzial in Abhängigkeit von sozialen, zeitlichen und räumlichen Dimensionen Größe des Heterogenität des Einkommen Wohndauer Aktionsraumes Aktionsraumes Somers‘d Sig. Somers‘d Sig. Pearson Sig. Somers‘d Sig. Gesamt ,020 ,550 -,027 ,338 ,060 Peñalolén ,065 ,202 -,070 ,165 ,163* Lo Barnechea -,025 ,651 ,059 ,207 ,037 Huechuraba -,061 ,303 ,040 ,392 ,034 * Die Korrelation ist auf dem 0,05 Niveau signifikant ** Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant Quelle: Eigene Berechnung auf Basis der Haushaltsbefragung
,131 ,014 ,604 ,631
,063* ,085 -,005 ,075
,037 ,098 ,918 ,109
Die Ergebnisse zeigen, dass weder das Einkommen, die Wohndauer noch die Größe des Aktionsraumes einen Einfluss auf diese Form der Sozialintegration in
179
7.5 Expressiv-kulturelle Sozialintegration
allen drei Untersuchungsgebieten hat. Lediglich die Heterogenität des Aktionsraumes zeigt einen geringen, positiv signifikanten Zusammenhang, der sich aber nicht in den Untersuchungsgebieten widerspiegelt und dementsprechend vernachlässigt werden kann. Ergänzend zu den Ergebnissen aus Tabelle 31 lassen auch die Ergebnisse der ordinalen Regression (siehe Tabelle 32) keinen Einfluss der unabhängigen Variablen (Haushaltseinkommen, Wohndauer und Heterogenität des Aktionsraumes) auf die expressiv-kulturelle Form der Sozialintegration erkennen. Wenngleich die Signifikanz der Modellanpassung von 0,000 eine Verbesserung des Modells durch die Aufnahme der unabhängigen Variablen bedeutet, erklären diese nur zu 11,0% die expressiv-kulturelle Form der Sozialintegration. Insgesamt sind die einzelnen Signifikanzwerte der unabhängigen Variablen für einen statistischen Einfluss zu hoch und die Parameterschätzer lassen keine Rückschlüsse auf Plausibilität und Konsistenz zu. Tabelle 32: Ordinale Regression: expressiv-kulturelles Integrationspotenzial und soziale, zeitliche und räumliche Dimensionen
Heterogenität
Wohndauer
Lage
Einkommen
Schwelle
Integration
Gesamt Schätzer Sig.
Peñalolén Schätzer Sig.
Lo Barnechea Schätzer Sig.
Huechuraba Schätzer Sig.
schwach
-4,186
,000
-2,670
,015
-21,928
,000
-4,135
,014
mittel
-1,257
,024
,557
,603
-18,439
,000
-,784
,612
E D C3 C2 ABC1 < 3 Jahre 3 - 7 Jahre 8 - 13 Jahre 14 - 21 Jahre > 21 Jahre 0,0% 20,0% 40,0% 60,0% 80,0% 100,0%
-,707 ,085 ,286 -,549 0a ,335 -,260 -,328 -,018 0a 18,166 -1,854 -,736 -,717 -1,038 0a
,087 ,812 ,441 ,141 . ,300 ,418 ,260 ,949 . . ,000 ,109 ,109 ,020 .
-,557 ,557 1,275 -,387 0a ,424 -,644 -,353 -,843 0a
,549 ,520 ,132 ,638 . ,480 ,212 ,464 ,119 .
,457 ,325 ,556 ,807 . ,524 ,829 ,425 ,767 .
,184 ,685 ,911 ,855
,695 ,342 ,292 ,802 . ,071 ,731 ,412 ,088 . 1,000 ,000 ,000 ,000 . .
1,103 1,399 ,815 ,336 0a ,540 -,184 -,680 ,245 0a
-1,066 -,321 -,085 ,135 0a
,278 ,479 ,672 ,143 0a -1,113 -,222 -,451 -,832 0a ,102 -17,735 -17,591 -17,376 -18,111 0a
-1,445 -,789 -,795 -,985 0a
,221 ,327 ,309 ,228
Modellanpassung
Signifikanz
,000
,002
,226
,773
Anpassungsgüte
Signifikanz
,493
,653
,998
,705
Pseudo R²
Nagelkerke
,110
,171
,126
,077
Quelle: Eigene Berechnung Verknüpfungsfunktion: Logit. a. Dieser Parameter wird auf Null gesetzt, weil er redundant ist.
5.5 Methodenreflexion und forschungspraktische Herausforderungen
180
Lediglich im Untersuchungsgebiet Peñalolén deuten die Parameterschätzer der unabhängigen Variable ‚Heterogenität des Aktionsraumes‘ auf einen Einfluss auf die expressiv-kulturelle Form der Sozialintegration. Da die Parameterschätzer überwiegend negativ sind und die Werte mit zunehmender Heterogenität zunehmen, kann davon ausgegangen werden, dass mit zunehmender Heterogenität des Aktionsraumes das Integrationspotenzial steigt. Für Bewohner deren Aktionsraum relativ heterogen ist (80%) wurde z.B. der Parameter 0,135 geschätzt, der aussagt, dass Personen, die dieser Gruppe angehören sich stärker über die expressivkulturelle Sozialintegration in das Stadtquartier eingliedern. Dementsprechend ist eine räumliche Nähe unterschiedlicher sozialer Gruppen in Peñalolén förderlich für die Sozialintegration. Im Fall von Peñalolén zeigt auch die Signifikanz der Modellanpassung von 0,002 und Pseudo R² von 0,171, dass die unabhängigen Variablen diese Form der Sozialintegration in Ansätzen erklären kann. Diese Aussage trifft nicht für Lo Barnechea und Huechuraba zu. Hier können die sozialen, zeitlichen und räumlichen Dimensionen die expressiv-kulturelle Sozialintegration nicht erklären. Zusammenfassend kann für die expressiv-kulturelle Form der Sozialintegration festgehalten werden, dass über die Analyse aller Indikatoren der Beitrag zur Sozialintegration hoch ausfällt. Diese Form der Sozialintegration leistet folglich einen Beitrag zum ‚Habitus des Stadtquartiers‘. Doch auffällig ist, dass die Sozialintegration auf Stadtquartiersebene weder durch soziale, räumliche noch zeitliche Aspekte beeinflusst wird. 7.6 RESÜMEE – DER EINFLUSS DER SOZIALINTEGRATION AUF DEN ‚HABITUS DES STADTQUARTIERS‘ Das Kapitel 7 hat über die Analyse von drei Formen der Sozialintegration zum einen versucht zu klären, welche Bedeutung ein sozioökonomisch heterogen strukturierter Stadtraum für die Herausbildung von Formen der Sozialintegration auf Stadtquartiersebene hat und welchen Einfluss dabei soziale, räumliche und zeitliche Faktoren der Bewohner spielen. Zum anderen wurde analysiert, inwieweit diese Formen der Sozialintegration die sozial-raum-zeitliche Produktion von sozioökonomisch heterogen strukturierten Stadträumen begünstigen bzw. hemmen (vgl. Kapitel 4). Dabei wurde in Anlehnung an das Kapitel 3.3 davon ausgegangen, dass das Gelingen der Sozialintegration maßgeblich ‚vor Ort‘ entschieden wird, denn der Wohnort und die unmittelbare Nachbarschaft sind für alltägliche Lebenswelten, Aktionsräume, Identitäten und Lebensbedingungen der Bewohner bestimmend. Es galt, den ‚Habitus des Stadtquartiers‘ zu verstehen, der durch unterschiedliche Raumerfahrungen und Grade der Sozialintegration geprägt ist. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass die kommunikativ-interaktive Form der Sozialintegration – operationalisiert durch lebensweltliche Aktionsräume und soziale Netzwerke der Bewohner – insgesamt in geringem Maß zum Abbau der sozialen Distanz beiträgt. Es konnte aufgedeckt werden, wie die Bewohner der drei
7.6 Resümee – Sozialintegration im Stadtquartier
181
Untersuchungsgebiete den urbanen Raum nutzen und sich ihn handelnd erschließen. Über indirekten räumlichen Kontakt verschiedener sozialer Gruppen an einem bestimmten Ort wird die Chance sozialer Nähe ermöglicht, doch diese wird durch individuelle Handlungs- und Verhaltensmuster der sozialen Distanzierung nicht weiter vertieft. Insgesamt konnte der Einfluss des Einkommens, als soziale Dimension, auf die Größe und die Heterogenität des Aktionsraumes nachgewiesen werden. Die Wohndauer, als zeitliche Dimension hat dagegen nur einen Einfluss auf die Heterogenität des Aktionsraumes. So sind die Aktionsräume neuzugezogener Bewohner der mittleren und oberen Sozialschicht deutlich heterogener. Auch die sozialen Netzwerke, als zweite Variable der kommunikativ-interaktiven Form der Sozialintegration, ließen nur einen geringen Beitrag zum Abbau der sozialen Distanz erkennen. Dieser ist sowohl durch soziale, zeitliche als auch räumliche Aspekte geprägt: Obere Sozialschichten, die relativ kurz im Wohnquartier leben und einen sozial durchmischten Aktionsraum haben, handeln offener und außenorientierter und suchen stärker Kontakt zu anderen sozialen Gruppen. Vergleichbar mit der kommunikativ-interaktiven Form ist auch der Beitrag der partizipativ-assoziativen Form der Sozialintegration, welche durch soziale und zeitliche Aspekte beeinflusst wird, zum Abbau der sozialen Distanz gering einzuschätzen. Dementsprechend konnte herausgearbeitet werden, dass vor allem die unteren Sozialschichten, die schon länger im Wohnquartier leben, sich über diese Form stärker sozial integrieren. Anders als die ersten beiden Formen der Sozialintegration, ist der Beitrag der expressiv-kulturellen Form der Sozialintegration zum Abbau der sozialen Distanz hoch. Diese wird jedoch weder durch soziale, räumliche noch zeitliche Aspekte beeinflusst. Die Ergebnisse haben insgesamt gezeigt, dass über die drei Formen der Sozialintegration auf Stadtquartiersebene spezifische Handlungen und Praxisformen zu erkennen sind, die den ‚Habitus des Stadtquartiers‘ beschreiben. Dieser ist einerseits gekennzeichnet durch offene und außenorientierte und andererseits durch persistente und distanzorientierte Handlungs- und Verhaltensmuster. Im Allgemeinen ist die Aktzeptanz der räumlichen Nähe unterschiedlicher sozioökonomischer Gruppen beobachtbar, bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung von Mechanismen der sozialen Distanzierung. Innerhalb der sozioökonomisch heterogen strukturierten Stadtquartiere verharren traditionelle Muster der Segregation und es kann von einer ‘Resilienz der Segregation’ (Dixon und Durrheim 2003) ausgegangen werden.
8 DIE SOZIALE PRAXIS – MECHANISMEN DER SOZIALINTEGRATION AUF INDIVIDUALEBENE 8.1 IDENTIFIKATIV-FUNKTIONELLE SOZIALINTEGRATION – IDENTIFIKATION, ZUGEHÖRIGKEIT UND ENGAGEMENT Die identifikativ-funktionelle Form der Individualintegration wird – wie in Kapitel 4 beschrieben – als die Identifikation eines Individuums mit seinem Stadtquartier definiert. Dementsprechend widmet sich dieses Kapitel dem Zusammenhang von Raum und Identität als Bestandteil der raumbezogenen Sozialforschung. Das zentrale Interesse gilt der Identifikation von Personen (oder Gruppen) mit bestimmten Räumen. Letzteres wird durch Begriffskonstruktionen wie ‘place identity’ (Proshansky et al. 1983)‚ ‚Regionalbewußtsein‘ (Blotevogel et al. 1986), ‚Ortsverbundenheit‘ (Schmied 1987), ‚räumliche Identität‘ (Mai 1989) oder ‚raumbezogene Identität‘ (Weichhart 1990) thematisiert. In diesem Kapitel wird vorwiegend mit dem Begriff der ‚raumbezogenen Identität‘ gearbeitet, die in Anlehnung an Weichhart (1990) auf die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Raum verweist und zu verstehen ist „als gedankliche Repräsentation und emotional-affektive Bewertung jener räumlichen Ausschnitte der Umwelt, die ein Individuum in sein Selbstkonzept einbezieht, als Teil seiner selbst wahrnimmt“ (ebd.: 23).
Daraus folgt, dass raumbezogene Identität einen Aspekt der sozialen Identität des Menschen darstellt (Miggelbrink 2009). Neben dem individuellen Aspekt kann raumbezogene Identität auch einen kollektiven Aspekt beinhalten, der auf der Ebene sozialer Systeme auf die Identität einer Gruppe verweist, „die einen bestimmten Raumausschnitt als Bestandteil des Zusammengehörigkeitsgefühls wahrnimmt, der funktional als Mittel der Ausbildung von Gruppenkohärenz wirksam wird und damit ein Teilelement der ideologischen Repräsentation des ‚Wir-Konzepts‘ darstellen kann“ (Weichhart 1990: 23).
Eine kollektive Identität konstituiert laut Peters (1993) soziale Einheiten eines bestimmten Typs, wie z.B. eine soziale Gemeinschaft mit definierten Mitgliedschaften, einem gemeinsamen kollektiven Selbstbild, faktisch übereinstimmenden Überzeugungen, die im Bewusstsein dieser Gemeinschaft verankert sind, sowie übereinstimmende individuelle Ziele, die sich auf die Zukunft der Gemeinschaft beziehen. Da aber die raumbezogene Identität den Identitätsbegriff beim Subjekt lässt und sich die Identität auf einer ganz individuellen Ebene entfaltet, indem das Individuum räumliche Gegebenheiten und Sachverhalte in seinen Identitätsprozess mit einbezieht, soll die raumbezogene Identität hier auf der individuellen Ebene (Mikroebene) angesiedelt werden. Wesentlich für die Entstehung raumbezogener Identität sind u.a. die Einflussfaktoren Kommunikation, Interaktion, Kognition und Zeit. Die raumbezogene
8.1 Identifikativ-funktionelle Sozialintegration
183
Identitätsbildung ist laut Ipsen (1999) zunächst das Ergebnis eines kommunikativen Prozesses, denn Identität bedeutet Sich‐selbst‐versichern, und hierfür ist ein kommunikativer Prozess entscheidend. Für den kommunikativen Prozess muss ein Individuum soziale Beziehungen eingehen, indem es ein Netzwerk von Freunden, Bekannten, Verwandten und Nachbarn aufbaut, mit denen es sich schließlich über den Raumausschnitt, z.B. das Stadtquartier, identifiziert. Für Ipsen (1999) sind soziale Beziehungen „die kommunikative Basis des Raumbezuges, und diese wiederum ist die Grundlage der Identitätsbildung“ (ebd.: 152).
Der Aufbau sozialer Beziehungen steht darüber hinaus in engem Zusammenhang mit der Interaktion verschiedener Individuen. Über die soziale Interaktion wird eine soziale Beziehung eingegangen, die mittels kommunikativer Prozesse identitätsstiftend wirken kann. Raumbezogene (insbesondere kollektive) Identitäten werden darüber hinaus durch menschliche Kognitionsleistungen beeinflusst. Denn nur über die Wahrnehmung, regelmäßige Thematisierung und Aushandlung von gemeinsam als relevant empfundenen Merkmalen des Raumausschnittes kann eine Identitätsbildung generiert werden (Zeitler 2001). Eine weitere wesentliche Eigenschaft raumbezogener Identität ist der Parameter Zeit. Raumbezogene Identität fußt auf einem gemeinsam anerkannten und aus der Geschichte einer Gesellschaft heraus entwickelten Aushandlungsprozess, welcher auf kollektivem Erinnern basiert. Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass sich Zeit und Maß an raumbezogener Identität proportional zueinander verhalten. Identitätskonstruktionen sind weder ausschließlich vergangenheitsorientiert noch statisch. Sie können auch Zukunftsvisionen beinhalten oder müssen sich sogar an verändernde Bedingungen anpassen und dementsprechende Transformationsprozesse bewältigen (siehe u.a. Werthmöller 1995, Remy 2006, Kranepuhl 2008). Mit den Worten von Ipsen (1999): „Identität hat man nicht, sondern kann sie gewinnen und verlieren, man kann um sie ringen oder sie dumpf verspielen“ (ebd.: 151).
Für die raumbezogene Identität sind weiterhin spezifische Zeichen der Zugehörigkeit, wie z.B. spezifische Dialekte, gemeinsame Sprachgewohnheiten und Redewendungen, entscheidend, die sowohl für die ‚in-group‘ als auch für die ‚outgroup‘ eindeutig wahrnehmbar sind. Weichhart (1990) folgend symbolisiert der Dialekt eines Individuums seine Identität als Mitglied einer Ortsgemeinschaft. Über den Dialekt kann ein Gruppenidentitätsbewußtsein geschaffen werden, „das sich als symbolisch vermittelte Kohäsion der In-group auswirkt und zugleich der Abgrenzung nach außen, gegen andere Sprechergruppen etwa, dient“ (Eßer 1983: 126).
Insgesamt verweisen diese Referenzen auf raumbezogene Identität als einen stetigen Prozess, der sich stabilisierend auf das Individuum auswirkt, indem Verhaltenssicherheit und soziale Vertrautheit aufgebaut werden (Gebhardt et al. 1995). Sie spiegelt die Bereitschaft von Individuen wider, sich als Mitglied einer Identitätsgruppe zu identifizieren (Mai 1989). Sie hat jedoch nicht nur Auswirkungen auf das Individuum, sondern auch auf soziale Gemeinschaften wie z.B. das Stadt-
184
8 Die soziale Praxis – Sozialintegration auf Mikroebene
quartier. Ihre soziale Kohäsions- und Integrationswirkung vermittelt laut Weichhart (1990) „das Gefühl emotionaler Geborgenheit durch die wahrgenommene Zugehörigkeit zu einem größeren sozialen Ganzen“ (ebd.: 95).
Dementsprechend generiert das Individuum auch eine gedankliche und emotionale Beziehung zu seinem Raumausschnitt (z.B. dem Stadtquartier), welche durch ausgeprägte Gefühle der Solidarität und Werteanerkennung begünstigt wird (Esser 1980, 1999). Raumbezogene Identität ist folglich „ein Ergebnis erfahrener Sozialisation in einer Bezugsgruppe“ (Mai 1989: 12). Sie äußert sich aber nicht nur in Formen der Zugehörigkeit, Werteanerkennung und Solidarität, sondern erhält erst ihre räumliche Komponente durch eine aktive Raumnutzung und Raumaneignung, das bedeutet das Hinterlassen von Spuren in der materiellen Umwelt. Gelungene raumbezogene Identität ist somit „kein Produkt beschwörender Gemeinsamkeitsformeln, sondern eher das Ergebnis tätiger und mitverantwortlicher Aneignung des Raumes durch weitgehende Bedürfnisbefriedigung in lebensweltlichen Zusammenhängen“ (ebd.: 14).
Bevor auf konkrete empirische Ergebnisse der identifikativ-funktionellen Sozialintegration eingegangen wird, sollen an dieser Stelle bereits vorhandene Erkenntnisse zur raumbezogenen Identität in Santiago de Chile kurz erläutert werden. In diesem Zusammenhang konnten Márquez und Perez (2008) zeigen, dass raumbezogene Identität sowohl durch die historisch gewachsenen segregativen Bedingungen beeinflusst wird als auch segregativ wirkt. Anhand von zwei Fallstudien – in einem sozial benachteiligten Stadtquartier in Cerro Navia und in einem ‚condominio‘ der oberen Mittelschicht in Huechuraba – konnten die Autorinnen zeigen, dass sich innerhalb der sozialen Gruppen bestimmte konsolidierte Muster entwickelt haben, die auf eine homogene soziale Identität hinweisen. Hinter der Ober- und Mittelschicht steht ein positives kollektives Identitätsmuster, das sich auf die Privatisierung des Raumes und einen neo-kommunitaristischen Lebensstil stützt, indem bestimmte kulturelle Zeichen gemeinsam geteilt werden (wie Sprache, Normen und Werte) und eine nostalgische Sehnsucht nach einer idealisierten ländlichen Vergangenheit vorherrscht. Die Grenzen zwischen dem ‚Wir‘ und den ‚Anderen‘ sind eindeutig (Pérez 2006). Es hat sich eine kleine Mikro-Gemeinschaft gebildet, in der die kollektive räumliche Identität auf einer sozialen, kulturellen, ökonomischen, politischen und religiösen Homogenität basiert. Der Alltag und die Identität dieser Bewohner beruht auf dem Schutz der Familie, auf der Solidarität und dem Vertrauen unter Gleichgesinnten (Pérez 2006). Im Gegensatz hierzu scheinen eine positive, kollektive, räumliche Identität und die Vision einer Gemeinschaft für die Bewohner benachteiligter Stadtquartiere unerreichbar. Ihre sozialstrukturelle Homogenität wird als negativ aufgefasst, denn es ist die soziale Exklusion, mit der sich die Bewohner tagtäglich konfrontiert sehen. Ob Familien der mittleren oder der unteren Sozialschicht, es überwiegt die Wahrnehmung, dass ihre Identitätsmuster in einer sozial differenzierten Gesellschaft zu erodieren erscheinen (Márquez 2006).
8.1 Identifikativ-funktionelle Sozialintegration
185
Letztendlich gelangt Márquez (2006) zu der Feststellung, dass der Stadtraum Santiago de Chile nicht nur Möglichkeiten der Integration und Identifikation innerhalb der jeweiligen Gruppengrenzen schafft, sondern gleichzeitig auch zur Distinktion und Differenzierung innerhalb der städtischen Gesellschaft beiträgt, und zwar über sich permanent verändernde kulturelle Handlungs- und Verhaltensmuster wie die Art der Bekleidung, des Sprachgebrauchs, des Lebensstils, des jeweiligen Habitus, des persönlichen Werdegangs, der sozialen Schicht und des Konsumverhaltens. Dieses für Santiago spezifische Paradoxon wird auch durch den folgenden Ausschnitt aus einem Tiefeninterview bestätigt: „Por una parte, hay una fuerte segregación, es decir, tu ya partes siempre dividiendo Santiago en el barrio alto [y] el barrio bajo. Dentro de ese, el barrio alto y barrio bajo, tú también distingues muchos islotes, o sea, esta idea de ciudad archipiélago que tiene muchas islas [entre las cuales existen] fronteras identitarias, fronteras socioeconómicas […] tampoco son grandes muros y grandes fortificaciones, sino que más bien se tiende a mantener una cierta apariencia de austeridad. Sin embargo, yo diría que a pesar de esta ciudad archipiélago, al interior de cada uno de los archipiélagos […] uno encuentra […] niveles o grados de integración y de capacidad de convivencia barrial, fuertes. […] Entonces yo creo que esa es la paradoja: segregación, pero también mucha identidad territorial“62 (E6).
Dieses Paradoxon findet auch in den Arbeiten von Salcedo und Torres (2004b) Bestätigung, die sich u.a. mit kollektiver Identität in Huechuraba auseinandersetzten. Mit Hilfe von 36 Tiefeninterviews und einem strukturierten Fragebogen überprüften die Autoren die Identitätsmuster in zwei sozioökonomisch gegensätzlichen Wohngebieten: ‚Villa La Esperanza‘ (Unterschichtsquartier) und ‚Condominio Santa Rosa de Huechuraba‘ (Quartier der oberen Mittelschicht und Oberschicht). Obgleich die einheitlichen Wohngebäudestrukturen des ‚Condominio Santa Rosa de Huechuraba‘ eine soziale Homogenität vermuten lassen, konnten Salcedo und Torres (2004b) innerhalb dieser Wohnanlage Differenzen bezüglich der Grundstückspreise aufdecken und dementsprechend eine sozioökonomische Heterogenität nachweisen. Die Aufrechterhaltung alter, gewohnter Netzwerkstrukturen außerhalb der Wohnanlage und der Gemeinde sowie die Herkunft aus divergierenden sozialen und familiären Kontexten erschienen als Ursprung zahlreicher interner Konflikte, die den Aufbau eines gemeinschaftlichen Identitätsmusters innerhalb der Wohnanlage hinderten. Dies bedeutete aber nicht, dass dieser Raum frei von räumlicher Identität gewesen wäre. Vereinzelt knüpften Familien Kontakte zu Nachbarn, für die jedoch die jeweiligen Kindesfreundschaften zentral waren. 62 „... auf der einen Seite gibt es eine starke Segregation, das heißt man unterteilt Santiago immer in ein Oberschichtsviertel [und] ein Unterschichtsviertel. Innerhalb dieser Oberschichtsund Unterschichtsviertel kannst du auch viele kleine Inseln unterscheiden, also, diese Idee von einer inselhaften Stadt, die viele Archipel hat [innerhalb derer es] Identitätsgrenzen und sozioökonomische Grenzen gibt [...] das sind nicht immer große Mauern oder Festungsanlagen, sondern sie neigen eher dazu, den Anschein von Einfachheit aufrecht zu erhalten. Dennoch würde ich sagen, dass trotz dieser inselhaften Stadt in jeder dieser einzelnen Archipel [...] ein großes Ausmaß oder ein hoher Grad an Integration und der Fähigkeit des nachbarschaftlichen Zusammenlebens zu finden ist. [...] Ich denke, das ist das Paradoxon: Segregation, aber auch viel räumliche Identität“ (Übersetzung durch die Autorin).
186
8 Die soziale Praxis – Sozialintegration auf Mikroebene
Dagegen konnten die Autoren in dem kleinen Wohngebiet ‚Villa La Esperanza‘ gefestigte Identitätsmuster beobachten. Aus der Innenperspektive heraus empfanden die Bewohner ein starkes Zugehörigkeitsgefühl sowohl zu ihrer Nachbarschaft als auch zum Wohngebiet. Die Bewohner der ‚Villa La Esperanza‘ zählen sich selbst zu einer ländlichen Arbeiterklasse, die sich von den anderen ‚pobladores‘ in Huechuraba (‚La Pincoya‘) distanziert. Sie schätzen sich als verantwortungsvolle Arbeiter ein, während die anderen ‚pobladores‘ angeblich kriminelle (deviante) Verhaltensweisen aufweisen, denen sie mit Misstrauen und Angst gegenüberstehen. Mit dem Modernisierungsprozess und dem Immobilienboom um die ‚Villa La Esperanza‘ herum hat dieses Gebiet seitdem an Ansehen gewonnen und das einstige Stigma – von der Außenperspektive her betrachtet – ist heute nicht mehr spürbar. Diese Erkenntnisse bestätigen sich ebenfalls im Tiefeninterview, wo zunächst erläutert wird, dass die santiaginische Oberschicht ein enträumlichtes, vom Wohnquartier unabhängiges Identitätsmuster aufweist, währenddessen sich die soziale Unterschicht durch eine starke quartiersbezogene räumliche Identität auszeichnet: „Los pobres siguen viviendo en la lógica del territorio, los ricos viven en la lógica al revés. Y yo creo que eso es interesante. […] Los ricos viven en un lugar, pero de hecho, no lo habitan sino que viven físicamente en ese lugar, pero su conexión tiene que ver con la red con los amigos, con una serie de nodos en la ciudad que están bastante fuera del territorio. Y por eso […] muchas clases altas echan de menos sus barrios de niños que eran efectivamente más barrios donde la gente se conocía, jugaban a la pelota y, se van a vivir a barrios cerrados para recrear eso. Pero finalmente, ya sea por presiones de tiempo o porque tienen unas costumbres vitales distintas, la verdad es que tampoco la recrean. […] Yo creo que finalmente, el hecho de que los ricos no crean o no tengan relaciones territoriales, hace que no vean a los otros del barrio, como otros del barrio, sino que como parte de una gran masa de otros. [Así] los ricos ven cada vez menos a los pobres, cada vez menos tienen una imagen de ellos, porque saben menos de su existencia y son capaces de distinguir menos“63 (E 15).
Aufbauend auf den bestehenden Erkenntnissen zu raumbezogener Identität in Santiago de Chile soll in diesem Kapitel zunächst geklärt werden, inwieweit die verschiedenen sozialen Gruppen in den drei Untersuchungsgebieten der Gemein63 „Während die Unterschicht immer noch in der Logik des Raumes lebt, ist es bei der Oberschicht genau umgekehrt. Und ich denke, das ist interessant. [...] Die Oberschicht wohnt an einem Ort, aber sie lebt dort nicht wirklich, sondern sie ist dort nur physisch anwesend, was mit ihren Freundschaftsnetzwerken zusammenhängt und zahlreichen anderen Knotenpunkten, die sich über die ganze Stadt erstrecken. Und deshalb [...] vermissen viele Bewohner der Oberschicht die Nachbarschaften, die sie aus ihrer Kindheit kennen, die tatsächlich noch etwas mit Nachbarschaften gemeinsam hatten, wo die Bewohner sich untereinander kannten, die Kinder zusammen Ball spielten, und nun ziehen sie in geschlossene Wohnquartiere, um dies wieder auferstehen zu lassen. Aber letztlich, entweder weil ihnen die Zeit fehlt oder weil sie andere Lebensgewohnheiten haben, und das ist die Wahrheit, bauen sie diese nicht wieder auf. [...] Ich denke, die Tatsache, dass die Oberschicht keine Beziehungen im Wohnquartier hat oder aufbaut, führt dazu, dass sie den ‚Anderen‘ aus der Nachbarschaft nicht als ‚Anderen‘ sehen, sondern als Teil einer Masse von ‚Anderen‘. [Somit] sieht die Oberschicht die in der Nachbarschaft lebende Unterschicht immer weniger, weil sie immer weniger ein Bild von ihr hat, immer weniger von ihrer Existenz weiß und dementsprechend immer weniger in der Lage ist, sie wahrzunehmen“ (Übersetzung durch die Autorin).
8.1 Identifikativ-funktionelle Sozialintegration
187
den Huechuraba, Lo Barnechea und Peñalolén üeber die identifikativfunktionellen Form der Sozialintegration eingegliedert sind. Eine erste Annäherung an diese Form der Sozialintegration wurde über die Frage „Wie gern leben Sie in …?“ vorgenommen. Diese Frage soll Auskunft über die individuelle Zugehörigkeit zum Stadtquartier geben. Insgesamt konnte ermittelt werden, dass die Mehrheit der Bewohner sehr gern (48,7%) bzw. gern (42,3%) in ihrem Stadtquartier lebt (siehe Abbildung 9: Wie gern leben Sie in …?). Nur eine Minderheit (9,0%) fühlt sich nur mäßig bis sehr unwohl in ihrem Stadtquartier. Dieser erste Indikator räumlicher Identität ist für alle Untersuchungsgebiete gleichermaßen zutreffend. Abbildung 9: Wie gern leben Sie in …?
Quelle: Eigene Erhebung, Frage 3
Als Gründe für diese positive Wohnzufriedenheit sind vor allem das ruhige und angenehme Wohngefühl (45,1%), die saubere Luft, verbunden mit zahlreichen Grünflächen und einem nahegelegenen Naturraum (13,7%), sowie die gewohnte und vertraute Umgebung (13,3%) zu nennen (siehe Abbildung 10). Darüber hinaus sind auch die folgenden Merkmale entscheidend: Sicherheitsgefühl im Stadtquartier, familiäre Bindungen, nachbarschaftliche Beziehungen, ländliche Quartiersstrukturen sowie vorhandene Arbeitsmöglichkeiten. Zwischen den Untersuchungsgebieten lassen sich leichte Unterschiede feststellen. So ist für die Bewohner in Huechuraba mit 59,9% das ruhige und angenehme Wohngefühl, verbunden mit ländlich geprägten Quartiersstrukturen (7,8%), ausschlaggebend. Dagegen ist für die Bewohner in Lo Barnechea das ruhige und angenehme Wohngefühl (40,7%), verbunden mit der gewohnten und vertrauten Umgebung (12,8%), sowie den vielfältigen Arbeitsmarktchancen (7,0%) relevant. Für die Bewohner in Peñalolén sind außer dem ruhigen und angenehmen Wohngefühl (34,4%), der sauberen Luft, verbunden mit zahlreichen
188
8 Die soziale Praxis – Sozialintegration auf Mikroebene
Grünflächen und einem nahegelegenen Naturraum (20,8%), sowie der gewohnten und vertrauten Umgebung (14,6%), die familiären Bindungen (8,3%) von Bedeutung (siehe Abbildung 10). Abbildung 10: Gründe für eine hohe Wohnzufriedenheit differenziert nach Untersuchungsgebieten
Quelle: Eigene Erhebung, Frage 3
In Gesprächen mit Bewohnern aus den Untersuchungsgebieten konnten die Ergebnisse bestätigt werden. So erzählt z.B. eine Bewohnerin, der Unterschicht (D) zugehörig, dass sie sehr gern in Peñalolén lebt, besonders weil sie schon sehr lange hier lebt: „[¿Y le gusta vivir acá?] Sí poh, sí, yo llegué lola acá, yo llegué de 17, y ahora tengo 55. ¡Imagínese! [¿Y se va a quedar acá?] Yo creo que sí poh, iré a morir acá, si es que no nos sacan de aquí. “64
Auch eine andere Bewohnerin, der Mittelschicht (C2) zugehörig, fühlt sich in Peñalolén wohl, insbesondere weil sie hier das Gefühl hat, es sei das Ende der Stadt und wegen der ländlichen Wohnumgebung: „[¿Y en general te gusta vivir ahí?] Me gusta que sea el fin de Santiago. No es comuna de paso, no es como Ñuñoa. O sea, yo llego allá y es como que: “llegué”. ¿Te fijay? Igual podis ver un cerrito, igual pasa un caballito por afuera de vez en cuando, o sea todavía queda cierto tipo de reminiscencia en los jardines. Hay algo que puede ser igual como una cosa de barrio: de
64 „[Und gefällt es Ihnen, hier zu leben?] Ja, ja, ich kam als junges Mädchen (‚lola‘) hier her, mit 17, und jetzt bin ich 55. Stellen Sie sich das mal vor! [Und wollen Sie hier bleiben?] Ja, ich denke schon, ich werde hier sterben, wenn sie uns nicht von hier vertreiben“ (Übersetzung durch die Autorin).
8.1 Identifikativ-funktionelle Sozialintegration
189
que los niños tienen amigos que están en este condominio u otro, que van de lado a lado, tienen harta movilidad de jóvenes, lo cual es bueno para ellos también. “65
Auch in den Interviews mit den Bewohnern aus Huechuraba konnten die Ergebnisse bestätigt werden. So gründet sich das Wohlfühlen im Stadtquartier für einen Bewohner, aus der unteren Mittelschicht (C3) kommend, auf der Beziehung zwischen Städtischem und Ländlichem: „A mi me gusta y esa es una de las razones por las que me fui para allá. Me gusta el campo, me gusta la ciudad […] y aquí he encontrado las dos cosas. Y aunque suene como divertido, yo soy papá de dos niños chicos, entonces a mi me gustaba la idea de enseñarles lo que es una gallina y una vaca y un caballo, en el lugar donde vivimos. Y no tener que llegar al zoológico o a un campo en el sur de Chile para mostrarles: Mira, esto es la vaca, lo que viste en el Discovery Channel, esto es lo mismo pero acá en Chile. Y de hecho es tan así que nos encontramos muy frecuentemente con animales que ven frecuentemente cruzando la calle, el caballo con el carretón, saben de donde vienen los huevos, el limón, la naranja, o sea, saben que es un árbol, saben que la sandía nace en la tierra y no nace en el supermercado. […] Bueno, cuando me fui para allá me gustó mucho esa combinación.“66
Insgesamt spiegeln die Interviews mit den Bewohnern die Ergebnisse aus der Befragung sehr gut wider. Darüber hinaus wurde auch deutlich, dass die positive Wohnzufriedenheit über die Einkommensgruppen und die Wohndauer hinausgeht. Sie basiert in erster Linie auf Lebensstilmustern, die von der Verwurzelung mit dem Wohnstandort bis hin zur Suche nach einem ländlich-romantischen Wohnstil reichen. Bestimmend für eine raumbezogene Identität ist das Zugehörigkeitsgefühl der Bewohner, das eine subjektive Vertrautheit des Individuums mit seiner Umgebung schafft. Diese gedankliche und emotionale Beziehung zu einem Raumausschnitt, z.B. zu der direkten Nachbarschaft oder dem Stadtquartier, wurde über die Frage „Wie schätzen Sie ganz allgemein das Zugehörigkeitsgefühl der Bewohner für … ein?“ determiniert. Die Ergebnisse in Abbildung 11 zeigen, dass ein Zugehörigkeitsgefühl mit 45,1% in direkter Nachbarschaft und mit 39,6% im Stadt65 „[Und, leben Sie gern hier?] Ich mag es, dass es der Stadtrand von Santiago ist. Es ist keine Durchgangsgemeinde, nicht wie Ñuñoa. Ich komme dort an und es ist wie ‚ich bin angekommen‘. Verstehen Sie? Man kann auch Hügel sehen, manchmal kommt sogar ein Pferd vorbei, also es gibt immer noch diese Überbleibsel von Natur in den Gärten. Es gibt etwas, was ein Stadtviertel ausmacht: die Kinder haben Freunde in der gleichen Wohnanlage oder in einer anderen, sie können von hier nach dort gehen, sie sind mobil und das ist gut für sie“ (Übersetzung durch die Autorin). 66 „Ich mag es und das ist auch ein Grund dafür, warum ich dort wohne. Ich mag die Landschaft, ich mag die Stadt […] und hier gibt es beides. Und obwohl es wie ein Scherz klingen mag, ich habe zwei Söhne, und mir gefällt die Idee, ihnen zu zeigen, was ein Huhn und eine Kuh und ein Pferd ist, und zwar dort, wo wir leben. Und nicht erst in den Zoo zu gehen oder nach Südchile fahren zu müssen, um ihnen zu zeigen: Guckt mal, das ist die Kuh, wie ihr sie aus dem ‚Discovery Channel‘ kennt, das ist das Gleiche, aber hier in Chile. Und in der Tat ist es wirklich so, dass wir sehr oft Tiere sehen, die die Straße überqueren, den Pferdekarren; sie wissen woher die Eier kommen, wo die Zitronen oder Orangen wachsen, nämlich an einem Baum; sie wissen, dass die Wassermelone auf dem Boden wächst und nicht im Supermarkt. [...] Naja, als ich dorthin gezogen bin, hat mir diese Mischung aus Stadt und Land sehr gut gefallen“ (Übersetzung durch die Autorin).
190
8 Die soziale Praxis – Sozialintegration auf Mikroebene
quartier vorhanden ist. Weitere 25,0% schätzen das Zugehörigkeitsgefühl auf Nachbarschaftsebene sogar als sehr groß ein. Mit zunehmender Größe des Raumes nimmt das Zugehörigkeitsgefühl jedoch stetig ab, denn ein Drittel der Befragten finden, dass es auf Stadtquartiersebene eher gering ist. Nach Untersuchungsgebieten unterschieden, ist für die Befragten aus Peñalolén das Zugehörigkeitsgefühl in der direkten Nachbarschaft mit 15,5% (sehr groß) und 59,5% (vorhanden) am stärksten, nimmt jedoch mit zunehmender Größe des Raumes ab (siehe Abbildung 11). Für die Befragten aus Huechuraba lassen sich nur geringfügige Verschiebungen zwischen den zwei Raumebenen festmachen. Dagegen verringert sich das Zugehörigkeitsgefühl der Befragten aus Lo Barnechea mit der Größe des Raumausschnittes stetig, was bedeutet, dass mit 35,1% (gering) und 15,6% (sehr gering) mehr als die Hälfte der Befragten nur ein schwaches Zugehörigkeitsgefühl auf Stadtquartiersebene verspüren. Abbildung 11: Wie schätzen Sie ganz allgemein das Zugehörigkeitsgefühl der Bewohner für … ein?
Quelle: Eigene Erhebung, Frage 18
Wie bereits am Anfang dieses Kapitels erwähnt, basiert die raumbezogene Identität auf einem zeitlichen Aushandlungsprozess. Dynamische Prozesse innerhalb eines Stadtquartiers, wie z.B. die Veränderung der Sozialstruktur aufgrund des Zuzugs einkommensstarker Bevölkerungsgruppen, können einen Wandel im Zugehörigkeitsgefühl verursachen. Dementsprechend wurde neben der allgemeinen Darstellung des Zugehörigkeitsgefühls erfragt, ob die Bewohner eine Veränderung desselben seit Zuzug in räumlicher Nähe (Nachbarschaft) und / oder Stadtquartier beobachten konnten. Wie Abbildung 12 verdeutlicht, konnte eine große Mehrheit weder Veränderungen auf Nachbarschaftsebene (69,8%) noch auf Stadtquartiersebene (75,9%) feststellen. Ein ausbleibender Wandel des Zugehörigkeitsgefühls auf Nachbarschaftsebene ist unter Anbetracht des nachgewiesenen Zusammenhangs zwischen der Größe und der Heterogenität des Aktionsraumes
8.1 Identifikativ-funktionelle Sozialintegration
191
der Bewohner (siehe Kapitel 7.2) und der damit einhergehenden homogenen Nachbarschaft nicht überraschend. Das jedoch auf Stadtquartiersebene ein Wandel des Zugehörigkeitsgefühls noch viel weniger wahrgenommen wird, wirft die Frage nach Einflussfaktoren wie Wohndauer, Kommunikation und Interaktion auf. Die Bewohner, die keine Veränderungen wahrnehmen, leben im Durchschnitt seit 11,6 Jahren im Untersuchungsgebiet. Eine relativ kurze Wohndauer im Zusammenhang mit dem Aufbau von Identitätsmustern. Mit zunehmender Wohndauer verspüren die Befragten jedoch Veränderungen. So nehmen die Bewohner ein geringeres Zugehörigkeitsgefühl in ihrer direkten Nachbarschaft wahr, je länger sie dort wohnen. Anders verhält sich der Zusammenhang auf Stadtquartiersebene. Hier verspüren die Bewohner eine Verstärkung des Zugehörigkeitsgefühls mit zunehmender Wohndauer (siehe Abbildung 12). Abbildung 12: Hat sich das Zugehörigkeitsgefühl (Solidarität) der Bewohner für … seit Zuzug verändert?
Quelle: Eigene Erhebung, Frage 19
Für die einzelnen Untersuchungsgebiete kann beobachtet werden, dass vor allem die Bewohner aus Peñalolén sowohl auf Nachbarschaftsebene als auch auf Stadtquartiersebene die höchsten prozentualen Werte erlangen bezüglich eines positiven Wandels des Zugehörigkeitsgefühls. Im Zusammenhang mit einer sehr hohen durchschnittlichen Wohndauer auf Nachbarschaftsebene (20,3 Jahre) und auf Stadtquartiersebene (25,3 Jahre) kann daher für dieses Untersuchungsgebiet geschlussfolgert werden, dass eine längere Wohndauer sich positiv auf das Zugehörigkeitsgefühl auswirkt. Anders ist der Zusammenhang im Untersuchungsgebiet Huechuraba. Sofern ein positiver Wandel des Zugehörigkeitsgefühls auf Nachbarschaftsebene (18,8%) und auf Stadtquartiersebene (11,4%) wahrgenommen wird, geht dieser mit vergleichsweise geringeren Durchschnittswerten in der Wohndauer einher. Jedoch muss an dieser Stelle auch auf die ingesamt geringere durchschnittliche Wohndauer der Bewohner in Huechuraba verwiesen werden (siehe auch Kapitel 7.3.1). Eine ähnliche Beobachtung kann auch für das Untersuchungsgebiet Lo Barnechea gemacht werden, wenngleich die Befragten hier aus-
192
8 Die soziale Praxis – Sozialintegration auf Mikroebene
sagen, dass sich ein negativer Wandel des Zugehörigkeitsgefühls auf Stadtquartiersebene (18,4%) über die Jahre (Wohndauer = 17,7 Jahre) eingestellt hat (siehe Abbildung 12). Dagegen konnte auf Nachbarschaftsebene mit 17,4% ein vergleichsweise positiver Wandel über eine lange Wohndauer (18,4 Jahre) beobachtet werden. Gründe für die Zu- und Abnahme des Zugehörigkeitsgefühls konnten über eine offene Frage im Fragebogen erfasst werden. Den Aussagen der Befragten folgend hat sich das Zugehörigkeitsgefühl in der direkten Nachbarschaft und im Stadtquartier über die Jahre hinweg verstärkt, insbesondere aufgrund von gemeinsamen Interessenslagen. So koordinieren sich die Bewohner bei bestimmten Vorkommnissen / Ereignissen, vor allem im Zusammenhang mit dem Thema Sicherheit. Über die Organisation von gemeinsamen Projekten lernen sich die Bewohner besser kennen und unterstützen sich gegenseitig. Es entstehen neue solidarische Beziehungsnetzwerke, die u.a. das Zugehörigkeitsgefühl sowie das allgemeine Vertrauen gegenüber den Nachbarn (siehe auch Kapitel 8.2) stärken. Darüber hinaus ist jedoch auch das Zusammenleben in räumlicher Nähe ein entscheidender Faktor. Der Zuzug neuer Bewohner weckt die Neugier, den neuen Nachbarn kennen zu lernen. Das Interesse an dem ‚Anderen‘ mündet in neuartige Interaktionsstrukturen, die sich über die Jahre hinweg stabilisieren können. Demgegenüber ist für die Abnahme des Zugehörigkeitsgefühls die zunehmende Individualisierungstendenz von besonderer Bedeutung. Die Bewohner sind entweder aufgrund von Zeitrestriktionen, differentem Lebensstil oder auch Desinteresse nicht an sozialen Interaktionen beteiligt. Die Bewohner begründen den Rückgang des Zugehörigkeitsgegühls mit Neid, Misstrauen, Gefühlen der Unsicherheit und Angst gegenüber der Fremdgruppe. Dies bewirkt den Rückzug in den ganz persönlichen Nahraum: die Familie. Darüber hinaus werden auch die sozialen, demographischen und sozioökonomischen Unterschiede als ausschlaggebend angesehen. Wie zu Beginn dieses Kapitels erwähnt, zählen zu den Formen des Zugehörigkeitsgefühls auch bestimmte Zeichen wie Sprachgewohnheiten und Bekleidungsstile, die für alle Bewohner eindeutig wahrnehmbar sind und ein Gruppenidentitätsbewusstsein schaffen bzw. Gruppengrenzen markieren. Über die schriftliche Befragung wurden derartige Zeichen nicht erfragt. Jedoch geben die Tiefeninterviews mit den Bewohnern Aufschluss über Anpassungs- oder auch Abgrenzungsmuster. So beschreibt z.B. eine Bewohnerin, der Mittelschicht (C2) zugehörig, dass unter den Jugendlichen in Peñalolén keinerlei Differenzen hinsichtlich der Bekleidung festzumachen seien. Vielmehr hat sich über die Jahre ein einheitlicher Bekleidungsstil entwickelt, der die Anpassungsstrategien widerspiegelt. „Entonces, claro, como los cabros van al colegio, con pelos de colores, van desordenados, entonces tú no sabís si viven en la población o si van al colegio Altamira, porque se visten igual.
8.1 Identifikativ-funktionelle Sozialintegration
193
¿Cachai? Entonces ese es como el tema, pero yo no lo veo como un problema. Lo veo como una oportunidad como te digo, para mí. “67
Während sich die Jugendlichen über ihr äußeres Erscheinungsbild einander anpassen und dementsprechend die äußerlichen Distinktionen zwischen den sozialen Gruppen verwischen, werden dennoch Distinktionsmechanismen aufrecht erhalten, die im Zusammenhang mit dem ethischen Materialismus / Konsumismus stehen (siehe dazu Interview mit E 12 in Kapitel 7.2). Bezogen auf die Erwachsenen beschreibt eine andere Bewohnerin, aus der Oberschicht (ABC1) kommend, eine gegensätzliche Beobachtung für Huechuraba: „Hay esa cosa aspiracional de la gente. Claro que mucha gente vive ahí, efectivamente en una casa de $120 millones, que le habría costado a lo mejor $200 millones en Vitacura, pero hizo esa opción, pero está todo el rato creyendo que está en Vitacura. ¡No cachan! ¡Y están ahí en Huechuraba! ¡Están al lado de la Villa La Esperanza! Sí, es divertido analizar el fenómeno, como la gente está todo el rato ‘producida’ en los supermercados. O sea, ¡yo ando así! cacha como vengo a trabajar, además llego a mi casa y me pongo hawaianas entonces voy al supermercado en hawaianas y cacho a todas las mujeres, ¡producidas! como si fueran las 9 de la mañana y con la nana con su delantal, es como extraña. […] Llama la atención porque todas las mujeres andan con sus uñitas muy hechas y una cosa así, invierten ahí en producirse. “68
Die Beobachtungen in Huechuraba bestätigen sich auch in einem weiteren Gesprächsausschnitt mit einer Bewohnerin, allerdings aus der Unterschicht (D) kommend. Sie findet nicht nur Verständnis, sondern auch Gründe für die soziale Abgrenzung. „Yo creo que con eso [mezcla social] se han abierto posibilidades para la gente acá y eso está súper bien. […] Pero tampoco son tan ricos. […] [¿Pero igual se establece esa diferencia?] Claro, desde el momento que viven ahí cambian. [¿Por qué cree que cambian? ¿Porque tienen la casa ahí?] No, yo creo que es razonable, yo creo que cambian porque todo lo que les rodea es diferente, entonces ya los niños tienen que vestir y hablar diferentes, tratan de ponerlos en colegios donde van los vecinos para que los niños se relacionen con niños de ese ambiente. “69 67 „Also, klar, die Jugendlichen gehen mit gefärbten Haaren in die Schule, sehen liederlich aus, also man weiß nicht, ob sie aus einer ‚población‘ (sozial schwaches Viertel) kommen oder ins Altamira (private Schule) zur Schule gehen, weil sie sich gleich kleiden. Verstehst du? Das ist also das Thema, aber ich sehe es nicht als ein Problem. Ich sehe es eher als eine Chance für sie, wie ich finde“ (Übersetzung durch die Autorin). 68 „Es ist diese Suche nach Aufstieg, den die Menschen erhoffen. Natürlich leben viele Menschen dort, in einem Haus, das 120 Millionen Pesos gekostet hat, wofür sie in Vitacura (traditionelles Oberschichtsviertel) vielleicht 200 Millionen Pesos bezahlt hätten, aber sie haben diese Wahl getroffen und glauben die ganze Zeit, sie würden in Vitacura leben. Sie verstehen es einfach nicht! Sie sind in Huechuraba! Sie sind gegenüber der ‚Villa La Esperanza‘! Ja, es macht Spaß, das Phänomen zu analysieren, wie die Leute sich ‚aufmotzen‘, wenn sie in den Supermarkt gehen. Also, ich gehe so! Verstehst du, so gehe ich zur Arbeit und wenn ich nach Hause komme, dann ziehe ich meine ‚Hawaianas‘ (Strandsandalen) an und gehe damit in den Supermarkt und ich sehe alle diese Frauen, ‚aufgemotzt‘, als ob es morgens 9 Uhr wäre und mit der Hausangestellten in Schürze, es ist so seltsam. […] Das fällt auf, weil alle Frauen mit ihren perfekten Fingernägeln und so weiter herumlaufen und super herausgeputzt sind“ (Übersetzung durch die Autorin). 69 „Ich denke, damit [mit der sozialen Mischung] haben sich viele Möglichkeiten für die Bewohner hier eröffnet und das ist super gut. [...] Aber sie sind nicht so reich. […] [Aber den
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8 Die soziale Praxis – Sozialintegration auf Mikroebene
Für Lo Barnechea betont dagegen eine Bewohnerin der unteren Mittelschicht (C3), dass derartige Abgrenzungen schon immer in Chile existiert hätten, da die sozialen Unterschiede sehr markant seien: „Son prejuicios que han pasado por siempre. Chile es así, las clases sociales son súper marcadas, pero acá en Lo Barnechea, o sea, se nota cuando la gente es del pueblo porque la gente anda con sombrero, otros que andan con bastón, que uno los cacha que es gente antigua del pueblo, y se nota también cuando baja gente del cerro, que hay una diferencia, en la forma de vestir y de hablar. “70
Durch diese Beobachtungen wird deutlich, dass die jeweiligen sozialen Schichten die gefühlten Grenzen zwischen dem ‚Wir‘ und den ‚Anderen‘ eindeutig zum Ausdruck bringen. Insbesondere die Erwachsenen möchten die gelebten Distinktionsmerkmale aufrechterhalten, die jedoch bei den Kindern und Jugendlichen bereits eine gewisse Abschwächung erfahren. Das bedeutet, dass soziale Differenzen nicht nur wahrgenommen, sondern auch bewusst gelebt werden. Vor dem Hintergrund der Theorie Sozialer Identität (siehe Kapitel 2.3) kann dadurch eine positive Selbstbewertung der Eigengruppe (‚in-group‘) im Sinne einer sozialen Identität erfolgen. Neben dem Zugehörigkeitsgefühl wurde auch nach dem Engagement der Bewohner für ihre direkte Nachbarschaft und ihr Stadtquartier gefragt (siehe Abbildung 13). Dieser Indikator liefert erste Einblicke in die aktive Raumnutzung und Raumaneignung durch die Bewohner. Insgesamt zeigen die Ergebnisse in Abbildung 13, dass die Befragten der Untersuchungsgebiete das Engagement der Bewohner für ihre direkte Nachbarschaft und für ihr Stadtquartier sehr positiv bewerten, wenn auch das Engagement der Bewohner mit zunehmender Größe des Raumes abnimmt. Die Befragten scheinen eher bereit, sich in ihrer direkten Nachbarschaft zu engagieren (33,0% sehr große und 28,3% große Bereitschaft) als auf Stadtquartiersebene (23,2% sehr große und 30,8% große Bereitschaft). Innerhalb der Untersuchungsgebiete lassen sich geringfügige Unterschiede feststellen. Die Bewohner der Gemeinde Huechuraba schätzen das Engagement der Bewohner für ihre direkte Nachbarschaft mit 37,6% (sehr groß) und 29,8% (groß) deutlich positiver ein, als die Bewohner der Gemeinden Peñalolén und Lo Barnechea (siehe Abbildung 13). Dies ist ebenso für die Stadtquartiersebene beobachtbar, auch
Unterschied merkt man trotzdem?] Natürlich, seitdem sie hier wohnen, haben sie sich verändert. [Warum glauben Sie, dass sie sich verändert haben? Weil sie dort ein Haus haben?] Nein, ich denke, es ist verständlich, ich glaube, dass sie sich verändern, weil alles um sie herum anders ist, schon die Kinder müssen sich anders kleiden und anders sprechen, sie versuchen die Kinder in Schulen zu geben, in denen die Nachbarn sind, damit die Kinder mit Kindern aus dem gleichen Umfeld (Schicht) spielen“ (Übersetzung durch die Autorin). 70 „Das sind Vorurteile, die es schon immer gab. Chile ist so, die sozialen Klassen sind deutlich markiert, aber hier in Lo Barnechea, also, man merkt es, wenn die Menschen aus dem Dorfkern stammen, weil sie einen Hut tragen, andere einen Spazierstock, man weiß sofort, dass es Menschen aus dem alten Dorfkern sind, aber man sieht es auch, wenn Menschen vom Hügel kommen [Cerro 18 – Gebiet sozialen Wohnungsbaus], es gibt Unterschiede in der Art, wie sie sich kleiden und wie sie sprechen“ (Übersetzung durch die Autorin).
8.1 Identifikativ-funktionelle Sozialintegration
195
wenn hier die Zahlen etwas niedriger ausfallen (32,0% sehr große und 28,6% große Bereitschaft der Bewohner in Huechuraba). Abbildung 13: Wie schätzen Sie ganz allgemein das Engagement der Bewohner für … ein?
Quelle: Eigene Erhebung, Frage 25
Die hohe Bereitschaft, sich für die Nachbarschaft zu engagieren, kommt auch zum Teil in den Tiefeninterviews zum Ausdruck. Sie bestätigen, dass das Engagement sich vor allem auf die direkte Nachbarschaft bezieht und weniger auf das übergreifende Stadtquartier. Die Chancen einer sozialen Durchmischung bzw. ein Abbau sozialer Distanzen durch intergruppale Kontaktsituationen ist dadurch kaum gegeben. Dies ist für alle sozioökonomischen Gruppen gleichermaßen zutreffend. Das Engagement kann, den Interviews folgend, sehr unterschiedlicher Art sein. Die Beispiele aus Peñalolén zeigen, dass sich Nachbarn zusammenschließen, um gemeinsame Maßnahmen zu ergreifen, wie z.B. den Verkehrslärm im Wohngebiet zu verringern oder festliche Aktivitäten zu organisieren. Eine Bewohnerin der Mittelschicht (C2) aus Penalolén berichtet von folgendem nachbarschaftlichem Engagement: „[En cuanto a los vecinos que tienen alrededor: ¿Se entienden bien, se llevan bien, se cuidan entre ellos?] Yo creo que depende de cada pasaje, y a la vez es más impersonal, yo como vivo en una de las calles […] entonces ahí es tránsito todos los viernes y los sábados hay mucha gente. […] Y más que nada, nos hemos puesto de acuerdo, ponte tú, pidiendo a la municipalidad que pongan un lomo de toro, porque los autos pasan rajados o que nos permitan cerrar la reja que ya existe. […] [¿En esos temas se ponen de acuerdo?] Claro, pero tampoco hay tanto.“71 71 „[Bezüglich Ihrer Nachbarn: Verstehen Sie sich gut? Kommen Sie gut miteinander aus? Tragen Sie Fürsorge für einander?] Ich denke, es hängt von jeder Gasse ab, und gleichzeitig ist es sehr unpersönlich, da ich an einer Straße wohne [...] also, da ist jeden Freitag und Samstag sehr viel Verkehr, sehr viele Menschen. [...] Und in erster Linie sind wir mit den Nachbarn überein gekommen, z.B. bei der Gemeinde anzufragen, ob sie eine Bremsschwelle auf der
196
8 Die soziale Praxis – Sozialintegration auf Mikroebene
Eine kleine Gruppe von Nachbarn, die in ärmlichen Verhältnissen auf dem Gebiet einer ehemaligen Landbesetzung lebten, hat sich zusammengeschlossen, um Aktivitäten verschiedenster Art zu organisieren. Ziel ihrer Nachbarschaftsaktivitäten ist vor allem die Einbindung von Jugendlichen, um ihnen Werte und Normen zu vermitteln, die sie vor devianten Verhaltensmustern (wie Drogenkriminalität) bewahren. Das Aufbringen der notwendigen finanziellen Ressourcen ist Bestandteil ihres nachbarschaftlichen Engagements. Das Komitee ‚Die guten Nachbarn‘ (‚Los Buenos Vecinos‘), wie sie sich selbst nennen, unterstreicht im Interview das ausschließlich auf die Nachbarschaft bezogene Engagement: „Y se hacen bastantes actividades, incluso tenemos fotos de las actividades que se han hecho y todo. [¿Y qué actividades son?] Ponte tú, se celebra el día de la mamá, el día del papá, el día de niño. Hace poco se empezaron a celebrar lo que era la salida de vacaciones de invierno con los niños, ahora mismo Halloween, para la pascua, el año nuevo, cachai, importantes cosas se celebran. [¿Y ahí participa harta gente?] Sí, toda la gente. Sobre todo de ese sector, […] entonces en ese punto somos como bien unidos. […] Se reúne más o menos la gente joven, en eso estamos ahora, estamos reuniéndonos con la gente joven, y recopilando ideas, todas las ideas y los fondos los hacemos a base de beneficios. El fin de mes que pasó hicimos un bingo, y recopilamos fondos, como unos 80.000 pesos, y ya pretendemos hacer otro bingo más, y en la medida de que vamos haciendo eventos financiamos los actos que hacemos, que para la gente es importante. “72
Neben dem Engagement der Bewohner für ihre direkte Nachbarschaft und ihr Stadtquartier war des Weiteren von Interesse, inwieweit die Bewohner seit ihrem Zuzug eine Veränderung desselben in räumlicher Nähe (Nachbarschaft) und / oder dem Stadtquartier beobachten konnten (siehe Abbildung 14). Es wird deutlich, dass die große Mehrheit weder Veränderungen auf Nachbarschaftsebene (73,8%) noch auf Stadtquartiersebene (79,7%) feststellen kann. Dabei handelt es sich vor allem um Bewohner, die schon etwas länger im Untersuchungsgebiet leben (Wohndauer = 12,1 Jahre). Für weitere 18,0% der Befragten hat sich das Engagement der Bewohner seit Zuzug verstärkt (siehe Abbildung 14).
Straße anbringen können, weil die Autofahrer da so schnell rasen, oder uns zu erlauben, das Tor zu schließen, das ja bereits vorhanden ist. [...] [Also, zu diesen Themen stimmen Sie sich ab?] Ja, aber es gibt nicht allzu viel in dieser Art“ (Übersetzung durch die Autorin). 72 „Es werden viele Aktivitäten gemacht, wir haben sogar Fotos von den Veranstaltungen, die gemacht wurden. [Und welche Aktivitäten sind das?] Zum Beispiel feiern wir den Muttertag, oder den Vatertag, den Kindertag. Kürzlich haben wir einen Winterausflug mit den Kindern gemacht, jetzt Halloween, Ostern, Neujahr, weißt du, halt wichtige Dinge. [Und daran beteiligen sich viele Bewohner?] Ja, alle Bewohner. Vor allem aus diesem Sektor; […] also in diesem Punkt sind wir sehr eng verbunden. [...] Wir sind gerade dabei, die Jugendlichen zusammen zu bringen und Ideen zu sammeln. Alle Ideen und Ressourcen dafür erhalten wir durch Zuwendungen. Im vergangenen Monat haben wir ein Bingo organisiert und darüber Geld eingesammelt, rund 80.000 Pesos, und wir wollen noch ein Bingo machen und im Rahmen dessen können wir die Ereignisse finanzieren, die für die Bewohner hier wichtig sind.“ (Übersetzung durch die Autorin).
8.1 Identifikativ-funktionelle Sozialintegration
197
Abbildung 14: Hat sich das Engagement der Bewohner für das Wohnumfeld in … seit Zuzug verändert?
Quelle: Eigene Erhebung, Frage 26
Die höchsten Werte wurden für die Bewohner aus Peñalolén auf Nachbarschaftsebene (19,8%) und auf Stadtquartiersebene (12,9%) errechnet, die gleichzeitig mit einer sehr langen Wohndauer (19,5 und 25,3 Jahre) einhergehen. Für die Befragten aus Peñalolén bedeuten diese Werte, dass ein sich verstärkendes Engagement der Bewohner mit ansteigender Größe des Raumes und Wohndauer sinkt. Eine ähnliche Beobachtung gilt auch für die Bewohner des Untersuchungsgebietes Huechuraba. Gründe für die Zu- und Abnahme des Engagements der Bewohner für ihr Wohnumfeld konnten über eine offene Frage im Fragebogen erfasst werden. Den Aussagen der Befragten folgend ist die Motivation der Bewohner, sich für ihr näheres Wohnumfeld einzusetzen, gestiegen, aufgrund der strukturellen Verbesserungen (wie z.B. neue Wohnhäuser, Strassen und Grünflächen) in der Nachbarschaft und im Stadtquartier. Die Bewohner haben dadurch einen Anreiz erhalten und organsieren sich. Über die Organisation und Kommunikation lernen sie sich besser kennen und verstehen, was ein allgemeines Gemeinschaftsgefühl fördert. Auf Stadtquartiersebene sind vor allem kleine Projekte motivationsstiftend für die Bewohner, insbesondere wenn die Beteiligung der Gemeindeverwaltung wahrgenommen wird. Insgesamt ist den Bewohnern aber auch das gepflegte äußere Erscheinungsbild ihrer Wohnumgebung von Bedeutung. Die Suche nach Sauberkeit, Sicherheit und Harmonie mündet in ein Engagement und Interesse, das Wohnumfeld zu pflegen. Demgegenüber wird die Abnahme des Engagements mit Individualismus, Egoismus, Desinteresse, Desillusion, Misstrauen, fehlende Motivation, kein Zugehörigkeitsgefühl sowie begrenzte Zeitressourcen begründet. Die raumbezogene Identität wird jedoch erst ihrem Begriff gerecht, indem, laut Mai (1989), eine aktive Raumnutzung und Raumaneignung stattfindet. Dementsprechend wurde im Anschluss an den Indikator ‚Engagement der Bewohner
198
8 Die soziale Praxis – Sozialintegration auf Mikroebene
für ihre Nachbarschaft / ihr Stadtquartier‘ eine hypothetische und eine tatsächliche Frage zur aktiven Wohnumfeldgestaltung angefügt. Erstere bezieht sich auf die finanzielle und zeitliche Bereitschaft, an einem Gemeinschaftsprojekt teilzunehmen, das gewinnbringend für das Stadtquartier ist, aber nicht direkt für den Befragten. Die Ergebnisse zeigen, dass 77,0% der Befragten sich vorstellen könnten, Zeit für ein Gemeinschaftsprojekt aufzuwenden, und 52,4% auch bereit wären, einen monetären Beitrag zu leisten (siehe Abbildung 15). Abbildung 15: Angenommen ein Gemeinschaftsprojekt (Aktion „Bäume pflanzen“) ist nicht direkt gewinnbringend für Sie, aber für viele Bewohner Ihres Stadtteils, würden Sie Zeit und / oder Geld in das Projekt investieren?
Quelle: Eigene Erhebung, Frage 28 (Antwortangabe: Ja)
Diese Zahlen sprechen für eine sehr positive raumbezogene Identität. Innerhalb der Untersuchungsgebiete sind die Befragten aus Huechuraba besonders bereitwillig, sowohl Zeit (80,7%) als auch Geld (61,2%) in ein Gemeinschaftsprojekt einzubringen. Auch die Bewohner von Peñalolén sind mit 77,2% besonders bereit, vor allem zeitliche Ressourcen für ein Gemeinschaftsprojekt aufzubringen. Dagegen ist ein monetärer Aufwand für mehr als die Hälfte der Befragten (53,9%) in Peñalolén nicht denkbar. Die Befragten in Lo Barnechea sind mit 73,2% im Vergleich zu den beiden anderen Untersuchungsgebieten weniger bereit, ihre Freizeit in ein Gemeinschaftsprojekt zu investieren (siehe Abbildung 15). Die hypothetische Frage nach der aktiven Wohnumfeldgestaltung lässt jedoch offen, ob die Befragten die Projekte auch wirklich umsetzen würden. Daher wurde an dieser Stelle die Frage der aktiven Raumaneignung vertieft, indem tatsächliche Aktivitäten abgefragt wurden. Über die Frage „Haben Sie im vergangenen Jahr in irgendeiner Weise selbst etwas zur Wohnumfeldverbesserung in … beigetragen?“ relativieren sich die positiven Ergebnisse zur raumbezogenen Identität. Wie in Abbildung 16 zu erkennen ist, sind es nur noch 43,5% der Befragten, die sich aktiv an der Wohnumfeldverbesserung in ihrer direkten Nachbarschaft beteiligt haben. Auf Stadtquartiersebene sind es nur ein Drittel der Befragten (32,6%). Dar-
8.1 Identifikativ-funktionelle Sozialintegration
199
aus lässt sich auch hier wieder schließen, dass mit ansteigender Größe des Raumes die tatsächliche, aktive Raumaneignung sinkt. Am aktivsten sowohl auf Nachbarschaftsebene als auch auf Stadtquartiersebene sind die Bewohner aus Huechuraba. Dagegen zeigen die Befragten aus Lo Barnechea die geringste aktive Raumaneignung in ihrer direkten Nachbarschaft (40,6%) und in ihrem Stadtquartier (28,0%). Abbildung 16: Haben Sie im vergangenen Jahr in irgendeiner Weise selbst etwas zur Wohnumfeldverbesserung in … beigetragen?
Quelle: Eigene Erhebung, Frage 29 (Antwortangabe: Ja)
Inwieweit die verschiedenen Indikatoren der raumbezogenen Identität einen Beitrag zur identifikativ-funktionellen Form der Sozialintegration leisten, wird in der Zusammenschau aller Indikatoren ermittelt. Einen starken Beitrag zu dieser Form der Sozialintegration leisten diejenigen Bewohner, die sich am Wohnstandort wohlfühlen, die sowohl ein Zugehörigkeitsgefühl auf Nachbarschafts- und Stadtquartiersebene verspüren als auch ein Engagement der Bewohner für die Nachbarschaft und das Stadtquartier erleben, welches sich über die Jahre verstärkt hat sowie diejenigen Bewohner, die sowohl hypothetisch als auch tatsächlich durch ihre aktive Aneignung und Mitgestaltung Spuren im Raum hinterlassen. Demgegenüber ist ein schwaches Integrationspotenzial verbunden mit einer starken Unzufriedenheit am Wohnstandort, einem geringen Zugehörigkeitsgefühl und Engagement der Bewohner, welches sich über die Jahre verschlechtert hat sowie fehlende aktive Raumaneignung. Die identifikativ-funktionelle Form der Sozialintegration wurde über drei verschiedene Grade gemessen: starkes, mittleres und schwaches Integrationspotenzial. Tabelle 33 belegt, dass die identifikativ-funktionelle Form der Sozialintegration mit insgesamt 25,5% auf einem sehr bedeutsamen Anteil an starkem Integrationspotenzial fußt. Jedoch fast drei Viertel der Befragten (72,8%) zeichnen sich durch ein lediglich mittleres Integrationspotenzial aus. Nur 1,7% der Bewohner sind durch ein schwaches Integrationspotenzial gekennzeichnet. Zwischen den
200
8 Die soziale Praxis – Sozialintegration auf Mikroebene
drei Untersuchungsgebieten lassen sich deutliche Unterschiede festmachen. Während mit 82,1% die Bewohner Lo Barnecheas den höchsten Anteil eines mittleren Integrationspotenzials aufweisen, verweisen die Bewohner aus Huechuraba mit 33,3% auf den höchsten Anteil an starkem Integrationspotenzial. Die Bewohner des Untersuchungsgebietes Peñalolén entsprechen mit 69,8% mittlerem und 26,3% starkem Integrationspotenzial dem Gesamtdurchschnitt. Tabelle 33: Identifikativ-funktionelles Integrationspotenzial differenziert nach Untersuchungsgebieten Untersuchungsgebiet Integrationsniveau gesamt Gesamt Peñalolén Lo Barnechea Huechuraba Anzahl 9 2 0 11 schwach % 3,9% 1,0% 0,0% 1,7% Anzahl 162 170 138 470 mittel % 69,8% 82,1% 66,7% 72,8% Anzahl 61 35 69 165 stark % 26,3% 16,9% 33,3% 25,5% Anzahl 232 207 207 646 Gesamt % 100,0% 100,0% 100,0% 100,0% Quelle: Eigene Erhebung
Den Einfluss sozialer, zeitlicher und räumlicher Aspekte auf die Formen der Sozialintegration verdeutlicht Tabelle 34, die über die statistischen Zusammenhangsmaße Stärke und Richtung des Zusammenhangs zwischen der identifikativ-funktionellen Form der Sozialintegration einerseits und des Haushaltseinkommens, der Wohndauer und der Größe und Heterogenität des Aktionsraumes andererseits darstellt. Die Ergebnisse zeigen, dass keiner der sozialen, zeitlichen und räumlichen Indikatoren einen Einfluss auf die Form der Sozialintegration in den drei Untersuchungsgebieten hat. Diese statistische Erkenntnis findet Bestätigung in den Tiefeninterviews, in denen sich keine Unterschiede bezüglich der sozioökonomischen Herkunft der Bewohner und ihrer Wohndauer feststellen lässt. Deutlich wird jedoch, dass individuelle, familiär bedingte Faktoren sehr wohl eine Rolle spielen, deren Abhängigkeit hier jedoch nicht weiter statistisch überprüft wurde. Tabelle 34: Identifikativ-funktionelles Integrationspotenzial in Abhängigkeit von sozialen, zeitlichen und räumlichen Dimensionen Größe des Heterogenität des Einkommen Wohndauer Aktionsraumes Aktionsraumes Somers‘d Sig. Somers‘d Sig. Pearson Sig. Somers‘d Sig. Gesamt -,012 ,659 ,030 ,244 ,044 Peñalolén ,040 ,389 ,082 ,059 ,043 Lo Barnechea -,054 ,240 ,074 ,055 ,107 Huechuraba -,026 ,658 ,007 ,882 ,066 * Die Korrelation ist auf dem 0,05 Niveau signifikant ** Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant Quelle: Eigene Berechnung auf Basis der Haushaltsbefragung
,274 ,519 ,133 ,348
,022 -,002 ,002 ,014
,398 ,972 ,569 ,768
201
8.1 Identifikativ-funktionelle Sozialintegration
Anknüpfend an die Erkenntnisse aus Tabelle 34 lassen auch die Ergebnisse der ordinalen Regression (siehe Tabelle 35) keinen Einfluss der unabhängigen Variablen Haushaltseinkommen, Wohndauer und Heterogenität des Aktionsraumes auf die identifikativ-funktionelle Form der Sozialintegration erkennen. Die Signifikanzwerte der Modellanpassung sind zu hoch und die Pseudo R² deuten mit Werten von maximal 0,107 auf eine geringe Verbesserung des Modells durch die unabhängigen Variablen. Auch die Signifikanzwerte der Schätzer sind zu hoch, bzw. die Parameterschätzer lassen keine Rückschlüsse auf Plausibilität und Konsistenz erkennen. Tabelle 35: Ordinale Regression: identifikativ-funktionelles Integrationspotenzial und soziale, zeitliche und räumliche Dimensionen
Heterogenität
Wohndauer
Lage
Einkommen
Schwelle
Integration
Gesamt Schätzer Sig. Schwach Mittel E D C3 C2 ABC1 < 3 Jahre 3 - 7 Jahre 8 - 13 Jahre 14 - 21 Jahre > 21 Jahre 0,0% 20,0% 40,0% 60,0% 80,0% 100,0%
Peñalolén Schätzer Sig.
Lo Barnechea Schätzer Sig.
-4,516
,000
-5,888
,000
-5,249
,000
,514
,368
-1,520
,169
1,011
,431
,249 ,451 ,710 ,352 0a -,366 -,918 -,385 -,782 0a -1,083 -1,051 -,772 -,340 -,556 0a
,615 ,291 ,102 ,428 . ,277 ,013 ,224 ,015 . ,704 ,034 ,075 ,411 ,189 .
-1,121 -,905 -,183 -,699 0a -1,415 -1,458 -,790 -1,699 0a
,245 ,311 ,830 ,402 . ,034 ,012 ,131 ,008 .
-1,379 -1,393 -,723 -1,164 0a
,096 ,091 ,347 ,127
,544 ,280 ,398 ,230 0a -,449 -1,369 -,577 -,471 0a -,750 -1,094 -,695 -,220 -,085 0a
,534 ,675 ,605 ,761 . ,534 ,117 ,343 ,381 . ,844 ,420 ,563 ,851 ,943 .
Huechuraba Schätzer Sig.
18,925
,000
17,603 18,331 18,047 17,911 0a ,585 ,072 ,171 ,128 0a
,000 ,000 ,000 . . ,468 ,931 ,839 ,872 .
-17,847 -,375 -,081 ,308 0a
,997 ,563 ,897 ,655 .
Modellanpassung
Signifikanz
0,146
0,130
0,911
0,614
Anpassungsgüte
Signifikanz
0,990
0,555
1,000
0,026
Pseudo R²
Nagelkerke
0,048
0,107
0,063
0,095
Quelle: Eigene Berechnung Verknüpfungsfunktion: Logit. a. Dieser Parameter wird auf Null gesetzt, weil er redundant ist.
Lediglich im Untersuchungsgebiet Huechuraba deutet die unabhängige Variable ‚Heterogenität des Aktionsraumes‘ auf Plausibilität und Konsistenz bezüglich des Einflusses auf die identifikativ-funktionelle Form der Sozialintegration. Die Parameterschätzer sind überwiegend negativ und die Werte steigen mit zunehmender Heterogenität, so dass davon ausgegangen werden kann, dass je heterogener
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der Aktionsraum der Bewohner ist, desto größer wird das Integrationspotenzial. Dementsprechend begünstigt ein sozial durchmischtes Wohnumfeld in Huechuraba diese Form der Sozialintegration. Zusammenfassend kann für die identifikativ-funktionelle Form der Sozialintegration festgehalten werden, dass über die Analyse aller Indikatoren der Beitrag zur Sozialintegration hoch ausfällt. Doch auffällig ist, dass die Sozialintegration auf individueller Ebene (Mikroraum) unzureichend durch soziale, räumliche noch zeitliche Aspekte erklärt werden kann. Diese Erkenntnis trifft überwiegend auf alle Untersuchungsgebiete gleichermaßen zu. 8.2 AFFEKTIV-MORALISCHE SOZIALINTEGRATION – VERTRAUEN UND GEFÜHLE DER UNSICHERHEIT Neben der identifikativ-funktionellen Form der Sozialintegration findet sich auf der Ebene des Mikroraumes eine weitere Form der Sozialintegration: die affektivmoralische. Sie gründet sich auf dem entgegengebrachten Vertrauen und dem Sicherheitsgefühl der Bewohner. Der Begriff des ‚Vertrauens‘, der eine zentrale Rolle in dieser Form der Sozialintegration einnimmt, wird als ein Grundbegriff zur Beschreibung von zwischenmenschlichen Beziehungen und sozialem Handeln verstanden, „der erst durch die Ergänzung eines ‚zu wem‘ oder ‚wofür‘ sinnvoll wird“ (Petermann 1996: 16). Mit dem Begriff des ‚Vertrauens‘ wird laut Petermann (1996) im alltäglichen Sprachgebrauch die Qualität einer persönlichen Beziehung verbunden, die das Verhalten einer bestimmten Person oder Personengruppe gegenüber anderen beeinflusst. Laut Ripperger (1998) erfordert Vertrauen immer ein Mindestmaß an Wissen, welches sich auf vergangene Erfahrungen gründet. Vertrauen wird zwar einerseits immer von einem Quäntchen Ungewissheit, Risiko und möglicher Enttäuschung begleitet, kann aber andererseits auch motivierend und sinnstiftend sein, für denjenigen, der vertraut und demjenigen, dem vertraut wird (Petermann 1996). Eine Form des Vertrauens ist das interpersonelle Vertrauen, welches ein Vertrauen bezeichnet, das sich Individuen oder Personengruppen einander entgegenbringen. Innerhalb des Begriffs des interpersonellen Vertrauens wird in ein spezifisches und ein generalisiertes Vertrauen unterschieden. Das generalisierte Vertrauen umfasst in Anlehnung an Ripperger (1998) die „grundsätzliche Vertrauensbereitschaft eines Akteurs, unabhängig von den Spezifika einer bestimmten Situation“ (ebd.: 101).
Generalisiertes Vertrauen im städtischen Kontext ist das Ergebnis kumulativer Erfahrungen einer Person im Kontakt zu anderen Bewohnern oder Bewohnergruppen aus dem allmählich eine Erwartungshaltung bezüglich ihrer Vertrauenswürdigkeit erwächst. Es umschreibt die generelle Erwartung, basierend auf Erfahrungen, dass bestimmte Bewohner oder auch Bewohnergruppen vertrauenswürdig handeln werden. Es ist also eine erlernte, in der Persönlichkeitsstruktur des Ver-
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trauensgebers verankerte Einstellung, die den Erfolg von Vertrauenssituationen in seiner Vergangenheit verdeutlicht (Ripperger 1998). Generalisiertes Vertrauen ist damit vergangenheitsbasierend. Dagegen ist das spezifische Vertrauen im städtischen Kontext auf die subjektive Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit eines Bewohners in einer bestimmten Situation gerichtet (Ripperger 1998, Petermann 1996). Die subjektive Einschätzung erfordert sowohl genaue Kenntnisse über den Vertrauensnehmer (z.B. Nachbarn) als auch einen gewissen Grad an Kontaktsituationen. Obgleich diese Art des Vertrauens auch auf vergangenen Erfahrungen basieren kann, ist es eher gegenwartsorientiert, da die spezifische Erwartungshaltung in jeder Vertrauenssituation neu gebildet wird (Ripperger 1998). Oftmals verschwimmen aber die Grenzen zwischen generalisiertem und spezifischem Vertrauen, denn sobald dem Vertrauensgeber nicht ausreichend subjektive Erfahrungen mit dem Vertrauensnehmer zur Verfügung stehen, die für spezifisches Vertrauen notwendig wären, wird sich seine Vertrauenserwartung verstärkt auf generalisiertem Vertrauen gründen. Dies bedeutet, dass sofern ein hohes Maß an Vertrautheit und ein geringes Maß an situationsspezifischen Informationen vorhanden ist, die Vertrauenserwartung überwiegend auf generalisiertem Vertrauen aufbaut, währenddessen eine wenig vertraute Situation mit jedoch zahlreichen situationsspezifischen Informationen eher auf spezifischem Vertrauen basiert (ebd.). Losgelöst von den Spezifika beider Formen interpersonellen Vertrauens bedeutet dies für das vorliegende Kapitel, dass ein immer wiederkehrender positiver vertrauenswürdiger Kontakt eines Bewohners zu einem Nachbarn eine Vertrauenserwartung gegenüber diesem Nachbarn und seiner sozialen Gruppe entstehen lässt, die zur Herausbildung und Stabilität des sozialen Systems ‚Stadtquartier‘ beiträgt. In Anlehnung an Ripperger (1998) wird sich eine positive Vertrauenseinstellung erst dann entwickeln, wenn sich die beiden Bewohner(gruppen) – Vertrauensgeber und Vertrauensnehmer – in der Vergangenheit überwiegend Vertrauen entgegengebracht haben. In engem Zusammenhang mit dem Grad des interpersonellen Vertrauens steht das allgemeine Unsicherheitsgefühl – oder auch die affektive Kriminalitätsfurcht73 (Schwind et al. 2001) – im Stadtquartier. Laut Heitmeyer und Thome (2012) gilt Vertrauen als eine gesellschaftliche Ressource, die Gefühle der Angst und Unsicherheit im Stadtquartier reduzieren kann (Walklate 2001). So konnten u.a. Ross et al. (2001) belegen, dass die Wahrnehmung von physischem Verfall und abweichendem Verhalten der Bewohner (‚disorder‘) im Wohngebiet das Vertrauen in Mitmenschen beeinträchtigt (siehe auch Ross und Mirowsky 2006). Aber nicht nur physischer Verfall des Stadtquartiers und abweichendes Verhalten der Bewohner prägen die Vertrauensdimension, sondern auch private Sicherheitsmaßnahmen (wie z.B. Sicherheitskräfte, abgeschlossene Wohnanlagen mit Wachpos73 Neben der affektiven Kriminalitätsfurcht unterscheiden Schwind et al. (2001) zwei weitere Formen: die kognitive (bewertete) und die konative (umgesetzte) Kriminalitätsfurcht. Erstere umfasst eine Kriminalitätseinschätzung sowie eigene Viktimisierungserwartungen, dagegen werden unter letzterer das Vermeidungsverhalten und Abwehrmaßnahmen zusammengefasst (Schwind et al. 2001: 219ff).
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8 Die soziale Praxis – Sozialintegration auf Mikroebene
ten, Waffenbesitz, Alarmanlagen in Autos und Wohnungen, sowie Inkassobüros) sind laut Sztompka (2000) eindeutige Anzeichen für ein verloren gegangenes Vertrauen in Mitmenschen. Der Zusammenhang zwischen ‚disorder‘ und ‚mistrust‘ ist ein Wechselspiel zwischen Bewohnern und Raum, denn die von den Bewohnern produzierte ‚disorder‘ beeinflusst gleichzeitig deren weiteres Verhalten (siehe auch Kapitel 2.2), so auch deren Vertrauenserwartungen. Ross et al. (2001) konstatieren, „mistrust emerges in disadvantaged neighborhoods where residents report high levels of disorder, and among individuals with few resources who feel powerless to avoid harm. Mistrust is the product of an interaction between person and place, but the place gathers those who are susceptible and intensifies their susceptibility“ (ebd.: 568f).
Fehlendes Vertrauen seitens der Bewohner beeinflusst folglich auch deren kooperatives Verhalten und die Bereitschaft, sich für gemeinschaftliche Ziele zu engagieren. Umgekehrt festigt stabiles Vertrauen in die Mitmenschen die sozialen Beziehungen (Coleman 1995) und bildet eine Grundlage für Toleranz, soziales Engagement und Interaktion (siehe auch Stolle 1998). Stolle (2002) folgend „trusters do not only engage in mutual beneficial relations more frequently […], they are also generally more socially active, engaged, tolerant, and more inclined to support liberal rights“ (ebd.: 399).
Die Frage, die für das Erkenntnisinteresse von besonderer Relevanz ist, bezieht sich auf den Einfluss sozial heterogener Stadtquartiere auf die Entwicklung von interpersonellem Vertrauen und dem allgemeinen Gefühl der Unsicherheit. Stolle et al. (2008) betonen diesbezüglich, dass soziale Interaktion in durchmischten Stadtquartieren die Generierung interpersonellen Vertrauens positiv fördern kann (siehe auch Marschall und Stolle 2004). Die Autoren kommen zu der Erkenntnis, dass diejenigen Bewohner, die in durchmischten Stadtquartieren leben und sich mit ihren Nachbarn regelmäßig unterhalten, mehr Vertrauen generieren als diejenigen, die keinen Kontakt zu ihren Nachbarn pflegen: „While diversity itself (without contact) may push interpersonal trust downwards, interaction and actual experiences with members of other social or racial groups can have counteracting positive effects“ (ebd.: 61).
Entscheidend für den Kontakt sind laut Ripperger (1998) schwache Verbindungen von Bewohnern mit unterschiedlichem sozialen Hintergrund, die häufig eine Brückenfunktion einnehmen (siehe auch Kapitel 7.3). Die Weitergabe von relevanten Informationen erreicht über die ‚weak ties‘ eine größere Anzahl von Akteuren, die für die Bildung und Ausbreitung von Vertrauen innerhalb eines sozialen Systems entscheidend sind (Ripperger 1998, S. 188). Dagegen begünstigen die sogenannten ‚strong ties‘ Prozesse lokaler Kohäsion und sozialer Fragmentierung (Granovetter 1973). Die affektiv-moralische Form der Sozialintegration, gemessen über die Variablen interpersonelles Vertrauen und affektive Kriminalitätsfurcht, kann mit bereits bestehenden Forschungsergebnissen aus Santiago de Chile verknüpft werden. Der Bericht über die menschliche Entwicklung in Chile (PNUD 2000) widmet sich u.a. dem Thema des interpersonellen Vertrauens. Dementsprechend empfin-
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205
den nur ein Drittel der Chilenen, dass anderen Mitmenschen vertraut werden könne. Insgesamt 63,0% aller Chilenen geben an, dass sie kein Vertrauen gegenüber ihren Mitmenschen aufbringen. Im Allgemeinen erscheinen die Bewohner Santiagos vertrauenswürdiger als ihre regionalen Nachbarn. Unterschiede in der Vertrauenswürdigkeit können auch zwischen den verschiedenen sozioökonomischen Gruppen festgestellt werden. Einkommensstarke Bevölkerungsgruppen bringen mit 53,1% mehr Vertrauen auf, als sozial Benachteiligte (27,5%). Im Tiefeninterview mit einem Soziologen konnte dieses hohe Maß an fehlendem Vertrauen, welches besonders unter den ärmeren Sozialschichten vorzuherrschen scheint, bestätigt werden. Gleichzeitig hinterfragt er aber auch die Validität dieser Ergebnisse, denn seiner Ansicht nach wurden die Stichproben überwiegend in sozial homogenen Stadtquartieren ausgewählt, und dementsprechend sei das Vertrauen in den Nachbarn ein Vertrauen in seinesgleichen. Seinen Erfahrungen folgend verschiebt sich der Grad des Vertrauens in die Mitmenschen nach sozioökonomischen Gruppen mit der Heterogenität des Stadtquartiers. „¿Qué sabemos de esta cultura nuestra? Sabemos que es una cultura de desconfianza radical. Si tú ves las encuestas sobre confianza, tú te das cuenta que efectivamente en América Latina y en Chile, en particular, la distancia social en términos de confianza, es enorme. Y paradojalmente son los grupos de más bajos ingresos los que tienen, teóricamente, una respuesta más alta de desconfianza hacia el otro. Yo creo que eso tiene que ver con patrones de homogeneidad o heterogeneidad espacial. […] ¿Qué es lo que aparece en general en una encuesta de confianza? Que los sectores altos tienen más confianza que los sectores bajos. ¡Pero los sectores altos están segregados! Entonces la confianza en el otro es la confianza en el igual. Entonces hay una distorsión total en ese dato agregado, incluso por condición socioeconómica. […] Entonces en ese sentido los niveles de confianza creo que van a variar significativamente“74 (E9).
Trotz des relativ hohen Anteils an Personen die ihren Mitmenschen nicht vertrauen würden, gibt es auf Nachbarschaftsebene vertrauensvolle Beziehungen. Dammert et al. (2004) konnten in ihrer Forschungsarbeit zu ‚Bürgerschaft, öffentlichem Raum und Angst in Chile‘ Vertrauensbeziehungen in der Nachbarschaft aufdecken. So generieren vor allem Frauen und Familien mit Kindern vertrauenswürdige Beziehungen zu ihren Nachbarn. Im Allgemeinen existieren auf Nachbarschaftsebene jedoch eher sozial distanzierte, aber respektvolle Beziehungen.
74 „Was wissen wir über unsere Kultur? Wir wissen, dass sie eine Kultur des radikalen Misstrauens ist. Wenn du dir die Umfragen zu Vertrauen ansiehst, dann merkt man, dass in der Tat die soziale Distanz in Bezug auf Vertrauen in Lateinamerika und insbesondere in Chile enorm ist. Und paradoxerweise sind die unteren Einkommensgruppen diejenigen, die theoretisch größeres Misstrauen gegenüber den anderen haben. Ich glaube, dass das mit den Mustern der räumlichen Homogenität oder Heterogenität zu tun hat. […] Was erscheint normalerweise in einer Befragung zu Vertrauen? Dass die oberen Sozialschichten vertrauenswürdiger sind als die unteren Sozialschichten. Aber die oberen Sozialschichten leben segregiert! Somit ist das Vertrauen in den Anderen Vertrauen in seinesgleichen. Es gibt also eine totale Verzerrung der zusammengesetzten Daten, sogar nach sozio-ökonomischen Gruppen. [...] In diesem Sinne, glaube ich, dass der Grad des Vertrauens erheblich variieren wird“ (Übersetzung durch die Autorin).
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8 Die soziale Praxis – Sozialintegration auf Mikroebene
Ursachen für fehlendes Vertrauen auf Nachbarschaftsebene werden für die chilenische Bevölkerung in Gefühlen der Angst und Unsicherheit gesehen. Lenguas und Ruprah (2008) konnten in ihrer Studie zu ‚Fear of Crime: Does Trust and Community Participation Matter?‘ für Chile feststellen, dass ein Vertrauen zu Nachbarn Gefühle der Angst reduziert. Darüber hinaus erstellten die Autoren ein Personenprofil von denjenigen, die ihren Nachbarn vertrauen, sich im Stadtquartier sicher fühlen und eine geringe Viktimisierungserwartung angaben. Dies sind vor allem ältere, verheiratete Frauen mit geringem Einkommen, die aktiv Mitglied in einer Organisation sind, sich für die Verbesserung des Wohnumfeldes einsetzen, über eine positive Wahrnehmung des Stadtquartiers verfügen und schon länger im Wohngebiet leben. Damit konnten die Autoren den Zusammenhang von Vertrauen und Gefühlen der Unsicherheit und Angst mit weiteren Variablen der Sozialintegration belegen. Die Wechselwirkung zwischen Gefühlen der Unsicherheit und Angst und dem Grad der Sozialintegration wurde auch im dem folgenden Ausschnitt aus einem Tiefeninterview deutlich, in dem betont wird, dass diese Wechselwirkung insbesondere in heterogenen Stadtquartieren von Bedeutung für alle sozialen Gruppen ist: „El tema de la integración social es un tema que se relaciona también con la seguridad, incluso mucha gente establece relaciones proporcionales, o sea mayor sea la integración social, mayor es la seguridad; a mayor desintegración social menor seguridad, entonces hay una manera, ahí hay un manejo bastante como práctico del concepto asociado a la seguridad y la integración social de los grupos diferentes, de grupos socioeconómicos diferentes, les trae ventaja a ambos grupos“75 (E14).
Das Gefühl der Unsicherheit und Angst im städtischen Raum ist laut Dammert (2004) eines der Hauptprobleme der chilenischen Gesellschaft, hinter dem sich ein sehr komplexes Ursachenkonstrukt versteckt. Zu den Ursachen zählt nicht nur die Wahrscheinlichkeit der Viktimisierung, sondern u.a. auch das fehlende interpersonelle Vertrauen. Insgesamt zeichnet sich Santiago de Chile durch eine hohe Präsenz an Gefühlen der Unsicherheit und Angst in der Bevölkerung aus. Den Ergebnissen der VII ‚Nationalen Umfrage zur Sicherheit der städtischen Bevölkerung‘ (INTERIOR 2009) folgend glauben sogar 40,4% der Bewohner Santiagos, dass sich die Kriminalität im Stadtquartier in den letzten 12 Monaten erhöht habe. 44,9% der Bewohner gaben an, dass sie gleich geblieben sei76. Insgesamt sinkt 75 „Die Frage der sozialen Integration ist ein Thema, das auch mit der Sicherheit zusammenhängt, viele Menschen stellen sogar eine proportionale Beziehung auf, also je größer die soziale Integration, desto höher die Sicherheit, mit steigender sozialer Desintegration weniger Sicherheit, also es gibt es eine Art und Weise, es gibt eine praktische Handhabung des Konzepts der Sicherheit und der sozialen Integration der verschiedenen Gruppen, den verschiedenen sozioökonomischen Gruppen, alle Gruppen profitieren“ (Übersetzung durch die Autorin). 76 Der INTERIOR (2003) folgend empfanden die Bewohner in Huechuraba im Jahre 2003 zu 39,7%, das sich die Kriminalität in den letzten 12 Monaten erhöht hat bzw. zu 41,9% in den letzten 12 Monaten unverändert geblieben sei. Noch höhere Werte wurden für die Bewohner der Gemeinde Peñalolén ermittelt. Hier gaben 47,7% der Bewohner an, dass die Kriminalität in ihrem Stadtquartier in den letzten 12 Monaten gestiegen sei; 43,2% der Bewohner glaubten
8.2 Affektiv-moralische Sozialintegration
207
das Gefühl der Unsicherheit und Angst mit der Höhe des Haushaltseinkommens. Während sich 71,4% der oberen Sozialschichten nachts und 94,6% tagsüber in ihrer Nachbarschaft sicher fühlen, können nur 55,3% (nachts) und 77,1% (tagsüber) der unteren Sozialschicht dies bestätigen (Rodríguez 1999). Das immanente Gefühl der Unsicherheit und Angst im städtischen Raum hat laut Dammert (2004) dazu beigetragen, dass private Sicherheitsmaßnahmen (wie z.B. Zäune, Mauern, Wachhunde und Alarmanlagen) an Bedeutung gewonnen haben. Im Zuge dessen hat nicht nur die Privatisierung des öffentlichen Lebens Einzug in den chilenischen Alltag gefunden, sondern auch die Stigmatisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen, das Meiden des öffentlichen Raumes durch die Bewohner sowie die freiwillige Segregation in ‚condominios‘, im Sinne einer gewünschten physischen Isolierung von der Außenwelt (siehe u.a. Márquez 2006, Pérez 2006 bzw. auch Kapitel 6.3). Die Sicherheit als materieller Wunsch wird somit zum zentralen Prinzip und beeinflusst über wohnungs- und städtebauliche Maßnahmen den Grad des interpersonellen Vertrauens gegenüber Bewohnern mit abweichender sozialer Realität (Salcedo und Torres 2004a). Die Ergebnisse aus der durchgeführten Bewohnerbefragung zur affektivmoralischen Form der Sozialintegration auf individueller Ebene kontrastieren teilweise die genannten Diskussionen. Über die Frage, wie es um die Beziehungen in der Nachbarschaft bestellt ist, konnte zunächst erfasst werden, inwieweit über nachbarschaftliche Beziehungen und Kontaktsituationen Vertrauen generiert wird. Vor dem Hintergrund, dass nachbarschaftliche Kontakte fast ein Drittel der Netzwerkbeziehungen der Bewohner ausmachen (siehe Kapitel 7.3.2), werden diese in der Regel als überwiegend vertrauensvoll beschrieben. Denn 47,1% der Befragten gaben an, dass sie bei ihren Nachbarn um Hilfe bitten könnten, und 25,7% der Befragten schätzten ihre nachbarschaftlichen Beziehungen sogar sehr eng ein. Nur 6,8% der Befragten äußerten, dass sie keine Kontakte zu ihren Nachbarn pflegten (siehe Tabelle 36). Damit gehören diese Nachbarschaftsbeziehungen eher zu den engeren, die sich laut Hollstein (2001) insbesondere in homogenen, stark segregierten Nachbarschaften einstellen (siehe dazu auch Kapitel 7.3.2). Auf Stadtquartiersebene verschieben sich die Ergebnisse deutlich und die nachbarschaftlichen Kontakte werden distanzierter. Insgesamt 21,0% der Bewohner hatten keine Kontakte zu Bewohnern aus dem Stadtquartier und fast die Hälfte aller Befragten (49,6%) gaben an, dass ihre Beziehungen nicht über ein ‚Guten-Tag-Sagen‘ hinausgingen. Sehr enge nachbarschaftliche Beziehungen unter den Bewohnern auf Stadtquartiersebene liegen nur noch bei 7,2% (siehe Tabelle 36).
keine Veränderung verspürt zu haben. Für die Gemeinde Lo Barnechea liegen keine Daten vor.
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8 Die soziale Praxis – Sozialintegration auf Mikroebene
Tabelle 36: Nun möchten wir genauer wissen, wie es um die Beziehungen in Ihrer Nachbarschaft bestellt ist. Dazu finden Sie im Folgenden einige Aussagen. Sagen Sie uns zu jeder, ob sie Ihrer Meinung nach zutrifft. Untersuchungsgebiete Gesamt Peñalolén Lo Barnechea Huechuraba … Ihrer Nachbarschaft … Anzahl 36 6 2 44 „Hier lebt jeder für sich, Kontakte gibt es nicht.“ % 15,5 2,9 1,0 6,8 „Über ein Guten-Tag-Sagen Anzahl 57 40 34 131 gehen die Beziehungen in unserer Nachbarschaft nicht % 24,6 19,4 16,4 20,3 hinaus.” „Wenn ich im Haushalt Anzahl 91 112 101 304 Hilfe brauche, könnte ich bei mehreren Nachbarn klin% 39,2 54,4 48,8 47,1 geln.” „Unsere NachbarschaftsAnzahl 48 48 70 166 beziehungen sind sehr eng, wir unternehmen oft etwas zusammen, grillen oder % 20,7 23,3 33,8 25,7 feiern gemeinsam.“ Anzahl 232 206 207 645 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 100,0 … Ihrem Stadtquartier … „Hier lebt jeder für sich, Kontakte gibt es nicht.“ „Über ein Guten-Tag-Sagen gehen die Beziehungen in unserer Nachbarschaft nicht hinaus.” „Wenn ich im Haushalt Hilfe brauche, könnte ich bei mehreren Nachbarn klingeln.” „Unsere Nachbarschaftsbeziehungen sind sehr eng, wir unternehmen oft etwas zusammen, grillen oder feiern gemeinsam.“
Anzahl %
78 33,6
38 18,6
19 9,2
135 21,0
Anzahl
99
124
96
319
42,7
60,8
46,4
49,6
36
30
77
143
15,5
14,7
37,2
22,2
Anzahl
19
12
15
46
%
8,2
5,9
7,2
7,2
232 100,0
204 100,0
207 100,0
643 100,0
% Anzahl %
Anzahl % Quelle: Eigene Erhebung, Frage 10 Gesamt
Zwischen den Untersuchungsgebieten sind leichte Unterschiede bezüglich der Nachbarschaftsbeziehungen zu erkennen. Wie in Tabelle 36 deutlich wird, pflegen die Bewohner Huechurabas mit 33,8% die engsten Beziehungen zu ihren Nachbarn aus der direkten, umliegenden Nachbarschaft.77 Darüber hinaus können
77 Insgesamt haben die Bewohner Huechurabas mit 36,2% den größten Anteil an nachbarschaftlichen Netzwerkbeziehungen. Dagegen weisen die Bewohner Lo Barnecheas mit 25,3% den
8.2 Affektiv-moralische Sozialintegration
209
fast die Hälfte (48,8%) der Befragten in Huechuraba bei ihren Nachbarn auf Hilfeleistungen zurückgreifen. Zu vernachlässigende 1,0% der Befragten unterhalten keinen Kontakt zu ihren Nachbarn. Ähnliche Tendenzen lassen sich für die Befragten in Lo Barnechea festhalten, wenngleich sie mit 23,3% weniger enge nachbarschaftliche Beziehungen aufweisen können. Abweichend von den Ergebnissen in Huechuraba und Lo Barnechea fallen in Peñalolén die überdurchschnittlich hohen Prozentwerte mit entweder fehlenden (15,5%) oder distanzierten (24,6%) nachbarschaftlichen Kontakten auf (siehe Tabelle 36). Das bedeutet, dass hier die Nachbarschaftsbeziehungen in größeren Anteilen durch eher zufällige, nicht gezielte Kontakte und geringe Offenheit gekennzeichnet sind (dazu Hollstein 2001 bzw. Kapitel 7.3.2). Enge vertrauensvolle Beziehungen zur direkten Nachbarschaft sind mit 20,7% und 39,2% vergleichsweise gering einzuschätzen. Auf Stadtquartiersebene fällt dagegen auf, dass in allen drei Untersuchungsgebieten kaum enge nachbarschaftliche Beziehungen erkennbar sind. Hervorstechend ist jedoch, dass überdurchschnittlich viele Befragten aus Huechuraba (37,2%) um Hilfeleistungen bei den Bewohnern bitten könnten, wenngleich mit 46,4% hier eher höflich distanzierte Beziehungen dominieren. Dieser Umgang mit den Bewohnern aus dem Stadtquartier ist auch charakteristisch für die Befragten aus Lo Barnechea, die zu 60,8% angaben, sich auf der Straße mit einem ‚Guten Tag‘ zu begrüßen. Demgegenüber sind mit 33,6% die fehlenden Kontakte zu Bewohnern im Stadtquartier in Peñalolén auffallend hoch, gleichwohl mit 42,7% ein freundlicher und respektvoller Umgang im öffentlichen Raum nicht zu vernachlässigen ist (siehe Tabelle 36). Diese guten nachbarschaftlichen Beziehungen spiegeln sich auch in den Tiefeninterviews mit den Bewohnern wider. Wenngleich sich die verschiedenen Nachbarschaftsbeziehungen in den Untersuchungsgebieten hinsichtlich ihrer Qualität und Intensität unterscheiden, kann dennoch festgehalten werden, dass zu den jeweiligen Nachbarn positive Kontaktbeziehungen bestehen. Die folgende Auswahl an Aussagen aus den Interviews repräsentiert diesen Eindruck. „[¿Con los vecinos que viven acá al lado, hacen algunas cosas? ¿Se juntan de vez en cuando?] Sí, mira yo soy de poco amigos, de poco comunicarme con los vecinos. […] Mi marido juega a la pelota. Y por aquí por allá, tenía un vecino amigo, un conocido. […] Y esos vecinos tenían otros amigos y al final nos juntamos casi todos los fines de semana, nos juntamos aquí o en la casa de otro amigo. […] Nos juntamos, picoteamos, se hace una cuota y hacemos un asado. O simplemente nos juntamos a conversar. Pero es todas las semanas y si cae un cumpleaños en un día de semana nos juntamos el día de semana. Lo pasamos súper bien, disfrutamos. “78 (Bewohnerin, Mittelschicht (C2), Huechuraba)
geringsten Anteil an nachbarschaftlichen Netzwerkbeziehungen auf. Die Bewohner aus Peñalolén entsprechen mit 32,4% dem Gesamtdurchschnitt (siehe Kapitel 7.3.2). 78 „[Treffen Sie sich mit Ihren Nachbarn, die hier in der Nähe leben? Verbringen Sie manchmal Zeit zusammen?] Ja, also, ich habe nicht so viele Freunde, ich rede nicht viel mit den Nachbarn. [...] Aber mein Mann spielt Fußball. Und hier und da findet er einen befreundeten Nachbarn, einen Bekannten. [...] Und diese Nachbarn hatten wiederum weitere Freunde und schließlich treffen wir uns fast jedes Wochenende, wir treffen uns hier oder im Haus eines anderen Freundes. [...] Wir treffen uns, knabbern was, wir sammeln Geld ein und grillen. O-
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8 Die soziale Praxis – Sozialintegration auf Mikroebene „Como te digo, yo tengo buena onda con los vecinos, de repente nos juntamos y hacemos un asadito pal’ 18, pal’ año nuevo estuvieron como 3 vecinos en mi casa, para las fiestas y cosas así. […] Hacemos hartas cosas como vecinos, pero para mi son mis vecinos. Prefiero que sea así, con asado, con buena onda.“79 (Bewohnerin, Oberschicht (ABC1), Huechuraba) „[En relación a este barrio, ¿se relaciona con los vecinos?] Mi relación con los vecinos es prácticamente de saludo, hola, chao, buenos días, buenas tardes. No tenemos un vínculo más cercano.“80 (Bewohner, Oberschicht (ABC1), Lo Barnechea) „Nosotros a veces juntamos plata para gente que está enferma, nos organizamos y somos unidas. Una que otra es media… pero una, casi siempre es la mayoría que está haciendo cosas y eso es lo bueno de acá. Y yo no tengo problema con nadie acá, todos buenos vecinos.“81 (Bewohnerin, prekäre Unterschicht (E), Peñalolén)
Inwieweit die jeweiligen Befragten das Vertrauensverhältnis zu ihren Nachbarn einschätzen, wurde über die Vorgabe von vier verschiedenen Affirmationen abgefragt. Den Ergebnissen folgend sind diese, als bereits überwiegend enge Nachbarschaftskontakte beschriebenen Beziehungen, in der direkten Nachbarschaft als sehr vertrauenswürdig einzuschätzen, denn insgesamt 70,7% der Befragten würden ihren Nachbarn den Hausschlüssel hinterlassen, 61,4% die Kinderbetreuung anvertrauen und 44,3% auch monetäre Hilfeleistungen anbieten. Dies bestätigen die Ergebnisse aus Tabelle 36, wo fast die Hälfte aller Befragten angab, bei ihren Nachbarn auf Hilfleistungen zurückgreifen zu können. Auch auf Stadtquartiersebene räumten nur ein Viertel aller Befragten (24,2%) ein, dass sie den Bewohnern nicht vertrauen würden (siehe Abbildung 17). Insgesamt zeigen diese Ergebnisse eine gegensätzliche Tendenz zu den Erkenntnissen aus dem Bericht des PNUD (2000), in dem die Chilenen insgesamt als eine eher vertrauensarme Bevölkerung beschrieben werden. Andererseits festigen sie die Erkenntnisse aus dem Expertengespräch (S. 205). Zwischen den Untersuchungsgebieten sind leichte Abweichungen beobachtbar. Im Vergleich werden die Bewohner aus Huechuraba am vertrauenswürdigsten eingeschätzt. Die prozentualen Werte zu ‚Hausschlüssel anvertrauen‘ (77,8%), der wir treffen uns einfach, um zu quatschen. Aber jede Woche, und wenn ein Geburtstag auf einen Wochentag fällt, dann treffen wir uns auch unter der Woche. Wir haben wirklich viel Spaß, wir genießen das.“ (Übersetzung durch die Autorin) 79 „Wie ich schon sagte, ich verstehe mich gut mit meinen Nachbarn, wir treffen uns oft und grillen zusammen zum 18. [18. September], zu Silvester waren drei Nachbarn bei mir zuhause, wir treffen uns zu Feiertagen und so. […] Wir als Nachbarn machen wirklich viel, aber für mich sind das meine Nachbarn. Es ist mir lieber so, mit Grillen und guter Stimmung.“ (Übersetzung durch die Autorin) 80 „[In Bezug auf diese Nachbarschaft, was für eine Beziehung haben Sie zu den Nachbarn?] Mein Verhältnis zu den Nachbarn beschränkt sich praktisch auf die Begrüßung, ‘Hallo’, ‘Tschüss’, ‘Guten Morgen’, ‘Guten Tag’. Wir haben keine engere Bindung“ (Übersetzung durch die Autorin). 81 „Wir sammeln manchmal Geld ein, um kranken Menschen zu helfen, dann organisieren wir uns und dann stehen wir uns sehr nahe. Die Eine oder Andere ist halb ... aber nur Eine. Fast immer ist die Mehrheit bereit, Dinge zu organisieren, und das ist das Schöne hier. Und ich habe keine Probleme mit irgendjemandem hier, das sind alles gute Nachbarn“ (Übersetzung durch die Autorin).
8.2 Affektiv-moralische Sozialintegration
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‚Kinder betreuen‘ (69,5%) und ‚Geld borgen‘ (53,4%) sind überdurchschnittlich hoch. Auch das Misstrauen gegenüber den Bewohnern im Stadtquartier ist mit 18,2% vergleichsweise gering (siehe Abbildung 17). Abbildung 17: Wie vertrauenswürdig würden Sie Ihre Bewohner einschätzen? Dazu finden Sie im Folgenden einige Aussagen. Sagen Sie uns zu jeder, ob sie Ihrer Meinung nach zutrifft!
Quelle: Eigene Erhebung, Frage 21 (Antwortangabe: Ja, das trifft zu.).
Dieses Ergebnis konnte auch über das folgende Tiefeninterview bekräftigt werden. „[Entonces con los vecinos igual tienen relaciones, se conocen entre ellos. ¿Hay harta confianza?] Sí, sí de confianza que tú le dejas la llave de tu casa y le das la clave de la alarma por cualquier cosa, al menos con los de acá. No, en realidad no tengo problemas con los vecinos ni nada.“82 (Bewohnerin, untere Mittelschicht (C3), Huechuraba)
Die Ergebnisse in den Untersuchungsgebieten Lo Barnechea und Peñalolén liegen dagegen leicht unter dem Gesamtdurchschnitt. Die Bewohner in Lo Barnechea, wie auch in Peñalolén, verweisen dennoch auf vertrauenswürdige nachbarschaftliche Beziehungen. Anders ist das interpersonelle Vertrauen in diesen beiden Untersuchungsgebieten auf Stadtquartiersebene einzuschätzen. Mit 28,6% bringen die Bewohner aus Lo Barnechea das vergleichsweise höchste Misstrauen gegenüber ihren Mitmenschen auf (siehe Abbildung 17). Inwieweit die Bewohner eine Veränderung des interpersonellen Vertrauens in direkter räumlicher Nähe (Nachbarschaft) und im Stadtquartier seit ihrem Zuzug wahrgenommen haben, zeigen die Ergebnisse in Abbildung 18. Es wird deutlich, dass mehr als die Hälfte der Befragten (58,5%) auf Nachbarschaftsebene und eine 82 „[Also zu den Nachbarn haben Sie eine Beziehung, alle kennen sich? Haben Sie Vertrauen zu ihnen?] Ja, ja, die Beziehung ist vertrauensvoll, wir hinterlassen den Schlüssel vom Haus, wenn wir es verlassen, und wir geben ihnen den Code für die Alarmanlage, falls etwas sein sollte, also zumindest den Nachbarn hier. Nein, eigentlich habe ich keine Probleme mit den Nachbarn oder so“ (Übersetzung durch die Autorin).
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große Mehrheit (70,8%) auf Stadtquartiersebene keine Veränderungen des interpersonellen Vertrauens seit Zuzug feststellen konnte. Das Vertrauensverhältnis zu den Nachbarn im näheren Umfeld ist diesen Ergebnissen folgend durch zeitliche Veränderungsprozesse geprägt. Mit zunehmender Wohndauer verändert sich das Vertrauen zu den Nachbarn in direkter räumlicher Nähe, und zwar überwiegend in positive Richtung. Denn 33,0% der Befragten haben in ihrer direkten Nachbarschaft eine Zunahme des interpersonellen Vertrauens empfunden (siehe Abbildung 18). Dies trifft vor allem für die Befragten in Peñalolén (39,2%) und in Huechuraba (35,7%) zu. Auf Stadtquartiersebene verliert die zeitliche Dimension des Vertrauensverhältnisses nicht nur an Bedeutung, sondern kann durchaus auch negative Tendenzen annehmen. Denn von den 29,8% der Befragten, die eine Veränderung wahrgenommen haben, verweisen jeweils die Hälfte auf eine Zunahme (15,1%) bzw. eine Abnahme (14,7%) des interpersonellen Vertrauens (siehe Abbildung 18). Abbildung 18: Hat sich das gegenseitige Vertrauen unter den Bewohnern in … seit Zuzug verändert?
Quelle: Eigene Erhebung, Frage 22
Dabei handelt es sich um Bewohner, die schon länger im Wohnquartier leben (Ø Wohndauer von 16,6 und 18,8 Jahren). Für die Befragten aus Huechuraba hat mit 18,7% das Vertrauensverhältnis auf Stadtquartiersebene vergleichsweise am stärksten zugenommen. Dagegen gaben ein Viertel der Befragten (25,2%) aus Lo Barnechea an, dass das interpersonelle Vertrauen auf Stadtquartiersebene sich über die Jahre verringert hat. Dies trifft vor allem für die Bewohner zu, die schon sehr lange in Lo Barnechea leben (Ø Wohndauer 20,2 Jahre). Die Befragten aus Peñalolén repräsentieren nahezu die gesamtdurchschnittlichen Ergebnisse. Gründe für die Zu- und Abnahme des Vertrauensgefühls konnten über eine offene Frage im Fragebogen erfasst werden. Den Aussagen der Befragten folgend hat sich das Vertrauen in der direkten Nachbarschaft über die Jahre hinweg, auf-
8.2 Affektiv-moralische Sozialintegration
213
grund von häufigerem Kontakt und Interaktionen mit den Nachbarn (wie z.B. reden, sich kennenlernen, zusammen etwas machen) verstärkt. Darüber hinaus ist für die Bewohner aber auch die räumliche (man sieht sich täglich, Zusammenleben) und soziale Nähe (man ist unter seinesgleichen) von Bedeutung. Drei Dimensionen sind demnach entscheidend: Kontakt, Zeit und Distanz. Über die Nähe gelangen die Bewohner in Kontakt zueinander und erfahren mehr über ihre Mitmenschen, was wiederum über die Jahre Vertrauen generiert. Ein Vertrauen in die Nachbarschaft befördert die Bereitstellung von nachbarschaftlichen Hilfeleistungen und Entgegenkommen. Auf Stadtquartiersebene ist für die Zunahme des Vertrauens ein weiterer Aspekt entscheidend: Die gemeinsame Organisation von Aktivitäten und Projekten für das Stadtquartier (z.B. ‚Sicherheit verbessern‘). Über die Teilnahme an Gemeinschaftsprojekten kommen die Bewohner in Kontakt zueinander und können soziale Distanzen und Vorurteile abbauen und ein Gefühl des Vertrauens gegenüber ihren Mitmenschen entwickeln. Demgegenüber ist für die Abnahme des Vertrauens ein steigendes Gefühl der Unsicherheit und Kriminalität (wie Raub, Drogen, Alkohol etc.) in der Nachbarschaft und im Stadtquartier von besonderer Bedeutung. Aber auch der fehlende Kontakt (keine Kommunikation) zu den umliegenden Bewohnern und die soziale Isolierung (jeder lebt für sich) – oftmals eingeleitet durch den Zuzug oder Wegzug von Bewohnern – fördert das Entstehen von Vorbehalten, Vorurteilen und Neid untereinander, das Misstrauen gegenüber den Mitmenschen entstehen lässt. Daraus folgend bleibt auch die gegenseitige Solidarität und das Zugehörigkeitsgefühl zurück (siehe auch Kapitel 8.1). Der Zusammenhang zwischen interpersonellem Vertrauen und dem Gefühl der Unsicherheit wurde über einen weiteren Fragenkomplex erfasst. Über die Frage „Haben Sie sich jemals von Ihren Nachbarn in Ihrer Nachbarschaft oder in Ihrem Stadtquartier diskriminiert gefühlt?“ sollte einen Einblick in bestehende Vorbehalte und Vorurteile gegenüber den Bewohnern geben. Die Ergebnisse aus Abbildung 19 zeigen, dass sich nur eine Minderheit der Befragten (7,1%) von den Nachbarn in der direkten Nachbarschaft und im Stadtquartier diskriminiert fühlt. Die Diskriminierung äußert sich bei den Befragten in einem Gefühl der Geringschätzung und Verachtung der jeweiligen Person, häufig wegen ihrer ökonomischen Situation oder auch äußerlichen Erscheinung. Zwischen den Untersuchungsgebieten lassen sich an dieser Stelle keine signifikanten Unterschiede beobachten.
214
8 Die soziale Praxis – Sozialintegration auf Mikroebene Abbildung 19: Haben Sie sich jemals von Ihren Nachbarn in Ihrer Nachbarschaft oder in Ihrem Stadtquartier diskriminiert gefühlt?
Quelle: Eigene Erhebung, Frage 24 (Antwortangabe: Ja)
Zur statistischen Messung der affektiven Kriminalitätsfurcht – dem Gefühl der Unsicherheit und Angst – wurden den Bewohnern im Fragebogen insgesamt drei Fragen präsentiert. In der ersten Frage wurde erhoben, inwieweit die Bewohner sich in ihrem Stadtquartier sicher und geborgen fühlen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich fast zwei Drittel der Bewohner sicher und geborgen in ihrem Stadtquartier fühlen (siehe Tabelle 37). Tabelle 37: Wie schätzen Sie heute die Sicherheit in Ihrem Stadtquartier ein? Untersuchungsgebiete Peñalolén Lo Barnechea Huechuraba Anzahl 30 7 15 … sehr sicher % 12,9 3,4 7,2 Anzahl 131 93 121 … eher sicher % 56,5 44,9 58,5 Anzahl 61 88 66 … eher unsicher % 26,3 42,5 31,9 Anzahl 10 19 5 … sehr unsicher % 4,3 9,2 2,4 Anzahl 232 207 207 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 Quelle: Eigene Erhebung, Frage 38
Gesamt 52 8,0 345 53,4 215 33,3 34 5,3 646 100,0
Dennoch verbleibt mit 33,3% bzw. 5,3% der Befragten eine nicht zu vernachlässigende Gruppe an Bewohnern, die sich in ihrem Stadtquartier eher bzw. sehr unsicher fühlen. Dies trifft vor allem für die Bewohner in Lo Barnechea zu. Hier verspüren mit 42,5% bzw. 9,2% mehr als die Hälfte aller Befragten ein Gefühl der Unsicherheit und Angst im Stadtquartier. Dagegen sind Gefühle der Unsicherheit und Angst für die Befragten in Peñalolén und Huechuraba geringer ausgeprägt. Die Bewohner fühlen sich in Peñalolén mit 69,4% und in Huechuraba mit 65,7% eher bis sehr sicher in ihrem Stadtquartier.
8.2 Affektiv-moralische Sozialintegration
215
Die unterschiedliche Wahrnehmung der Kriminalität im Stadtquartier hat auch eine Bestätigung in den Tiefeninterviews mit den Bewohnern gefunden. Über die folgenden Aussagen soll dieser Eindruck verdeutlicht werden. „La villa es muy tranquila. Los niños pueden jugar tranquilos, ponte tú de no hay riesgo de que salgan los niños y les roben la bicicleta. [¿Es un poco como pueblo?] Sí, es como pueblo de regiones. Todos se conocen, no todos somos amigos, pero por lo general la gente sale en la tarde al bandejón y se saluda.“83 (Bewohnerin, Mittelschicht (C2), Huechuraba) „[¿Hay muchos robos acá o delincuencia?] Digamos que acá los robos existen, porque hay muchos barrios acaudalados, por lo tanto hay mucho donde, tierra fértil para los ladrones. […] Ahora lo que más hay hoy día, no sé si es tanto robo, no lo podría distinguir como eso, pero sí hay mucho lumpen, mucho joven desocupado, mucha drogadicción, mucho alcoholismo, mucho carrete nocturno y eso, a la larga, genera también vandalismo y genera una suerte de complicación social.“84 (Bewohner, Oberschicht (ABC1), Lo Barnechea) „[Desde que Ud. vive acá, ¿ha tenido problemas con robos o delincuencia?] No, yo sé que mis vecinos sí; a mí nunca me ha pasado nada. […] El año pasado a él le han entrado a robar unas 7 veces, y este año ya como 3. En esta casa no, pero en el barrio sí. Yo creo que ésta es la única casa que no han entrado. Lo que pasa es que tengo perro, yo creo que por eso no han entrado. Pero sí, roban harto. […] Tomo harta precaución, todas las noches pongo alarmas, en ese sentido soy como bien rigurosa. [¿Siente miedo?] No, sólo precaución.“85 (Bewohnerin, Oberschicht (ABC1), Lo Barnechea) „Entonces acá, este sector de nosotros es tranquilo, pero hay partes que no se puede andar. ¡Está muy malo! Pero no sé, pero es la droga lo que los tienen mal acá. Porque hay niños que no son malos, si lo que les hace hacer el alcohol con la droga, es lo que les lleva a otras cosas.“86 (Bewohnerin, prekäre Unterschicht (E), Peñalolén)
83 „Das Viertel ist sehr ruhig. Die Kinder können ruhig spielen, z.B. gibt es nicht das Risiko, dass die Kinder rausgehen und ihnen das Fahrrad gestohlen wird. [Hier lebt es sich ein bisschen wie auf dem Dorf?] Ja, es ist wie ein Dorf auf dem Lande. Alle kennen sich, nicht alle sind Freunde, aber in der Regel gehen die Bewohner hier nachmittags raus und grüßen sich“ (Übersetzung durch die Autorin). 84 „[Gibt es viel Diebstahl oder Kriminalität hier?] Sagen wir mal, ja, die Diebstähle gibt es hier, weil es viele wohlhabende Nachbarschaften gibt, also viel fruchtbares Land für Diebe. […] Also, was es heute am meisten gibt, ich weiß nicht, ob es so viele Diebstähle sind, ich könnte das nicht unterscheiden, aber es gibt sehr viel Pöbel, viele junge Arbeitslose, viel Drogensucht, Alkoholismus, viele nächtliche Besäufnisse, und längerfristig erzeugt dies auch Vandalismus und soziale Schwierigkeiten.“ (Übersetzung durch die Autorin). 85 „[Hatten Sie jemals Probleme mit Diebstahl oder Kriminalität seitdem Sie hier wohnen?] Nein, ich weiß aber bei meinen Nachbarn sehr wohl; mir ist noch nie etwas passiert. [...] Letztes Jahr sind sie bei ihm etwa 7-mal eingebrochen, und in diesem Jahr schon 3-mal. In diesem Haus noch nie, aber in der Nachbarschaft schon. Ich glaube, das hier ist das einzige Haus, wo noch nicht eingebrochen wurde. Es ist so: Ich habe einen Hund und ich glaube, deshalb sind sie noch nie eingebrochen. Aber ja, es wird viel gestohlen. [...] Ich treffe immer Vorkehrungen, jeden Abend mache ich die Alarmanlage an, in diesem Punkt bin ich rigoros. [Haben Sie Angst?] Nein, das sind nur Vorsichtsmaßnahmen“ (Übersetzung durch die Autorin). 86 „Also, dieser Stadtteil hier ist ruhig, aber es gibt Gebiete, wo man nicht hingehen kann. Da ist es sehr schlimm! Ich weiß nicht, aber es sind wohl die Drogen, die alles so schlecht machen. Es gibt Jugendliche, die sind nicht böse, aber das, was sie dazu bringt, ist der Alkohol zusammen mit Drogen. Das führt dann zu anderen Dingen“ (Übersetzung durch die Autorin).
216
8 Die soziale Praxis – Sozialintegration auf Mikroebene
Ob sich die affektive Kriminalitätsfurcht über die Jahre hinweg verstärkt hat, stand im Mittelpunkt der zweiten Frage. Insgesamt ergaben die Ergebnisse aus der Haushaltsbefragung, dass eine Mehrheit von 45,0% keine Veränderungen bezüglich der Sicherheit im Stadtquartier beobachten konnte (siehe Tabelle 38). Doch diejenigen, die eine Veränderung wahrgenommen hatten, fühlten sich zu 36,4% inzwischen viel unsicherer. Nur 18,6% der Befragten konnten Gefühle der Unsicherheit und Angst im Stadtquartier über die Jahre abbauen. Insbesondere die Bewohner aus Huechuraba (20,8%) und Peñalolén (19,8%) zählen zu dieser Gruppe. Dieser Rückgang zeigt sich auch in dem folgenden Tiefeninterview: „[¿Y se ha notado por ejemplo algún tipo de robo, de delincuencia?] ¿Así como algo exagerado? No. Ha habido eventos, no más. […] Lo que pasa es que, claro, ha habido sectores, por ejemplo, que se producen asaltos, como en Américo Vespucio, como El Salto y también en el sector de Pedro Fontova hubieron varias mamas afectadas que yo conozco del colegio, que les rompieron el vidrio y les robaron del auto, en esa esquina. Pero dejó de suceder.“87 (Bewohnerin, Oberschicht (ABC1), Huechuraba) Tabelle 38: Wie hat sich gemäß Ihren Beobachtungen die Sicherheit in Ihrem Stadtquartier in … seit Zuzug entwickelt? Untersuchungsgebiete Gesamt Peñalolén Lo Barnechea Huechuraba Anzahl 45 32 43 120 Ich fühle mich % 19,4 15,5 20,8 18,6 sicherer. Ø Wohndauer 19,4 14,7 8,1 14,1 Anzahl 83 89 63 235 Ich fühle mich % 35,8 43,0 30,4 36,4 unsicherer. Ø Wohndauer 18,8 21,4 8,7 17,1 Anzahl 104 86 101 291 Es hat sich nichts % 44,8 41,5 48,8 45,0 geändert. Ø Wohndauer 11,2 11,2 7,3 9,9 Anzahl 232 207 207 646 % 100,0 100,0 100,0 100,0 Gesamt Ø Wohndauer 15,5 16,1 7,9 13,3 Quelle: Eigene Erhebung, Frage 39
Dagegen ist die affektive Kriminalitätsfurcht für die Bewohner in Lo Barnechea mit 43,0% am stärksten angestiegen (siehe Tabelle 38). Diesen Wandel bestätigt auch das folgende Tiefeninterview mit einer Bewohnerin aus der unteren Sozialschicht.
87 „[Und, haben Sie so etwas wie Diebstahl oder Kriminalität erfahren?] Also, etwas ganz Extremes? Nein. Es gab nur kleine Vorkommnisse. [...] Also, es hat mal Orte gegeben, wo es zu Übergriffen gekommen ist, wie z.B. in Americo Vespucio, El Salto und auch im Bereich von Pedro Fontova. Dort waren einige Mütter betroffen, die ich aus der Schule kenne. Sie haben ihnen die Autoscheiben eingeschlagen und etwas gestohlen, an dieser Ecke. Aber das hat nachgelassen“ (Übersetzung durch die Autorin).
8.2 Affektiv-moralische Sozialintegration
217
„[Antes] no se veía tanta delincuencia, tantas personas que no tienen trabajo, tantos niños que andan en la calle. Antes Lo Barnechea era súper bueno, pero ahora está un poco malo.“88 (Bewohnerin, Unterschicht (D), Lo Barnechea)
Es handelt sich hierbei um Bewohner, die schon sehr lange im Untersuchungsgebiet leben (Ø Wohndauer von 21 Jahren). Daraus schlussfolgernd könnte vermutet werden, dass die zeitliche Dimension einen wichtigen Einfluss auf Gefühle der Unsicherheit hat, denn dieses verstärkt sich mit zunehmender Wohndauer. Um mögliche Ursachen für die veränderte affektive Kriminalitätsfurcht zu ergründen, wurde eine dritte, offene Frage im Fragebogen integriert. Die Antworten ergaben, dass die Bewohner, die sich heute sicherer in ihrem Stadtquartier fühlen, einerseits auf die Verbesserung des öffentlichen Sicherheitssystems (wie Polizeistreifen, Sicherheitsservice und Überwachungsdienst der Gemeinde sowie neue Straßenbeleuchtung) und andererseits auf den Ausbau privater Sicherheitsvorkehrungen (wie Alarmanlagen, Einzäunung, Wachhunde, Pförtner etc.) verweisen. Beispielhaft hierfür steht der folgende Ausschnitt aus einem Tiefeninterview: „[El desarrollo de la comuna, especialmente de este sector donde han llegado condominios y nuevos edificios […] ¿le ha dado más oportunidades o le ha traído más conflictos?] No, para mi ha sido positivo. [¿En qué sentido?] […] Por el hecho de estar ellos ahí, me da la impresión que existe más vigilancia. Nos sentimos más seguros.“89 (Bewohnerin, Unterschicht (D), Huechuraba)
Neben den erwähnten Maßnahmen betonen einige Befragte aber auch die verbesserten Nachbarschaftsbeziehungen, die zu mehr Vertrauen und Solidarität untereinander geführt haben. Eine Zunahme des Unsicherheitsgefühls im Stadtquartier begründen dagegen die Befragten mit steigender Kriminalität. Sie gaben an, dass trotz der öffentlichen und privaten Sicherheitsmaßnahmen zahlreiche Einbrüche und Überfälle im Quartier zu verzeichnen seien. Insbesondere Jugendkriminalität und Bandenkriege seien durch Drogen- und Alkoholkonsum sowie aufgrund allgemeiner Perspektivlosigkeit gestiegen, wie auch die folgenden Tiefeninterviews schildern: „[¿Por qué cree que ahora haya tanta delincuencia? ¿Cuál ha sido el cambio?] Por ejemplo, no hay actividades para los jóvenes, no hay cosas en que ocupen su tiempo, no hay cosas para incentivarlos a hacer deportes, talleres para las mujeres y ayudarlos en ese sentido. Por eso que hay mucha delincuencia, hay muchos cesantes porque no hay nadie que los motive a hacer algo.“90 (Bewohnerin, Unterschicht (D), Lo Barnechea)
88 „[Früher] hat man nicht so viel Kriminalität, so viele Arbeitslose, so viele Straßenkinder gesehen. Früher war Lo Barnechea eine richtig gute Gemeinde, aber jetzt ist sie ein bisschen heruntergekommen“ (Übersetzung durch die Autorin). 89 „[Die Entwicklung des Viertels, vor allem in diesem Sektor, wo neue Wohnanlagen und Gebäude entstanden sind, [...] hat das mehr Vorteile oder Konflikte mit sich gebracht?] Nein, für mich war das positiv. [In welchem Sinne?] [...] Dadurch, dass sie da sind, habe ich den Eindruck, dass es mehr Sicherheitsüberwachung gibt. Wir fühlen uns jetzt sicherer“ (Übersetzung durch die Autorin). 90 „[Warum glauben Sie, dass es jetzt mehr Kriminalität gibt? Warum der Wandel?] Zum Beispiel gibt es keine Aktivitäten für die Jugendlichen, keine Möglichkeiten, sich in ihrer Freizeit zu beschäftigen, es gibt keine Initiativen, um sie zu motivieren, Sport zu machen, Workshops
218
8 Die soziale Praxis – Sozialintegration auf Mikroebene „[¿Y Ud. cree que ha aumentado la delincuencia acá?] Sí, sí, siempre ha habido, pero ahora se ve más. [¿Y por qué cree Ud. que pasa eso?] Por falta de oportunidades de los jóvenes, a pesar de que ésta es una municipalidad que tiene muchos recursos y hacen hartas actividades.“91 (Bewohnerin, Oberschicht (ABC1), Lo Barnechea)
Dabei stammen die Täter nicht zwangsläufig aus dem eigenen Stadtquartier. Laut den Befragten kommen sie oftmals aus anderen Stadtteilen oder leben noch nicht sehr lange im Stadtquartier. Inwieweit die Indikatoren des interpersonellen Vertrauens und der affektiven Kriminalitätsfurcht einen Beitrag zur affektiv-moralischen Form der Sozialintegration leisten, wurde in der Zusammenschau aller Indikatoren ermittelt. Einen starken Beitrag zur affektiv-moralischen Form der Sozialintegration leisten diejenigen Bewohner, die über enge nachbarschaftliche Beziehungen verfügen; ihren Nachbarn interpersonelles Vertrauen entgegenbringen, welches sich über die Jahre verstärkt hat; sich nicht durch die Bewohner in der Nachbarschaft und dem Stadtquartier diskriminiert fühlen und im Allgemeinen eine geringe affektive Kriminalitätsfurcht besitzen, die sie über die Jahre noch abbauen konnten. Demgegenüber ist ein schwaches Integrationspotenzial stets verbunden mit fehlenden nachbarschaftlichen Beziehungen, geringem interpersonellem Vertrauen sowie starken Gefühlen der Diskriminierung und Unsicherheit, welche sich über die Jahre verstärkt haben. Die affektiv-moralische Form der Sozialintegration wurde über drei verschiedene Grade gemessen: starkes, mittleres und schwaches Integrationspotenzial. Für die affektiv-moralische Form der Sozialintegration konnte ermittelt werden, dass mit 87,3% eine breite Mehrheit über diese Form hinreichend in das Stadtquartier integriert ist. Weitere 10,2% bringen sich über diese Form der Sozialintegration sogar sehr stark in das Stadtquartier ein. Lediglich 2,5% der Befragten sind nur sehr schwach integriert (siehe Tabelle 39). Vor allem die Bewohner in Huechuraba bringen sich mit 13,0% besonders stark über die Form der Sozialintegration ein. Dagegen sind die Prozentwerte für ein schwaches Integrationspotenzial in Penalolén mit 6,0% am höchsten.
für Frauen, um ihnen diesbezüglich zu helfen. Deshalb gibt es so viel Kriminalität, es gibt viele Arbeitslose, weil es niemanden gibt, der sie motiviert, etwas zu tun“ (Übersetzung durch die Autorin). 91 „[Und, glauben Sie, dass die Kriminalität hier zugenommen hat?] Ja, ja, es hat sie schon immer gegeben, aber jetzt ist es mehr. [Warum glauben Sie, hat sich das verändert?] Aus Mangel an Möglichkeiten für junge Menschen, obwohl dies eine Gemeinde ist, die viele Ressourcen hat und zahlreiche Aktivitäten angeboten werden“ (Übersetzung durch die Autoren).
219
8.2 Affektiv-moralische Sozialintegration
Tabelle 39: Affektiv-moralisches Integrationspotenzial differenziert nach Untersuchungsgebieten Untersuchungsgebiet Integrationsniveau gesamt Gesamt Peñalolén Lo Barnechea Huechuraba Anzahl 14 1 1 16 schwach % 6,0 0,5 0,5 2,5 Anzahl 201 184 179 564 mittel % 86,6 88,9 86,5 87,3 Anzahl 17 22 27 66 stark % 7,3 10,6 13,0 10,2 Anzahl 232 207 207 646 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 100,0 Quelle: Eigene Erhebung
Der Einfluss sozialer, zeitlicher und räumlicher Aspekte auf die affektivmoralische Form der Sozialintegration ist in Tabelle 40 dargelegt, die über die statistischen Zusammenhangsmaße Stärke und Richtung des Zusammenhangs darstellt. Die Ergebnisse zeigen, dass auch bei dieser Form der Sozialintegration auf individueller Ebene weder soziale, zeitliche noch räumliche Indikatoren einen Einfluss in allen drei Untersuchungsgebieten haben. Die Zusammenhangsmaße sind vernachlässigbar niedrig und nicht signifikant. Dies bedeutet, dass die Stärke interpersonellen Vertrauens und die Gefühle der Unsicherheit und Angst nicht über das Einkommen, die Wohndauer und die Größe sowie Heterogenität des Stadtquartiers erklärt werden können. Beide Variablen (Vertrauen und affektive Kriminalitätsfurcht) sind, wie zu Beginn dieses Kapitels erläutert, weitaus komplexere Phänomene, die insbesondere durch persönliche Erfahrungen geprägt sind. Diese persönlichen Erfahrungen, sowohl positiver als auch negativer Art, können in diesem Kapitel nur über die Tiefeninterviews mit den Bewohnern angedeutet werden. Wie die Aussagen zeigen, lassen sich keine Unterschiede bezüglich der sozioökonomischen Herkunft der Bewohner und ihrer Wohndauer feststellen. Tabelle 40: Affektiv-moralisches Integrationspotenzial in Abhängigkeit von sozialen, zeitlichen und räumlichen Dimensionen Größe des Heterogenität des Einkommen Wohndauer Aktionsraumes Aktionsraumes Somers‘d Sig. Somers‘d Sig. Pearson Sig. Somers’d Sig. Gesamt -,005 ,824 -,017 ,348 -,036 Peñalolén -,025 ,510 ,000 ,991 -,009 Lo Barnechea ,002 ,963 ,016 ,581 -,057 Huechuraba ,000 1,000 -,044 ,209 -,015 * Die Korrelation ist auf dem 0,05 Niveau signifikant ** Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant Quelle: Eigene Berechnung auf Basis der Haushaltsbefragung
,370 ,894 ,427 ,828
-,011 -,021 -,033 ,005
,561 ,507 ,304 ,894
Auch die Ergebnisse der ordinalen Regression (siehe Tabelle 41) lassen keinen eindeutigen Einfluss der unabhängigen Variablen (Haushaltseinkommen, Wohn-
220
8 Die soziale Praxis – Sozialintegration auf Mikroebene
dauer und Heterogenität des Aktionsraumes) auf die affektiv-moralische Form der Sozialintegration erkennen. Insgesamt werden nur 3,9% der abhängigen Variable durch die unabhängigen Variablen erklärt (Nagelkerke = ,039). Die Signifikanz von 0,606 der Modellanpassung sagt aus, dass das Modell durch die Aufnahme der unabhängigen Variablen nicht verbessert werden kann. Allein die Variablen ‚Einkommen‘ und ‚Heterogenität des Aktionsraumes‘ zeigen leichte Zusammenhänge, wenngleich die Signifikanzwerte sehr hoch sind. Da die Parameterschätzer des Einkommens mit zunehmenden sozioökonomischen Status abnehmen, kann vermutet werden, dass die Chance auf eine hohe affektiv-moralische Sozialintegration mit zunehmendem Einkommen sinkt. Bezogen auf die Heterogenität des Aktionsraumes kann angenommen werden, dass das Integrationsniveau mit zunehmender Durchmischung sinkt. Infolgedessen scheint eine räumliche Nähe unterschiedlicher sozialer Gruppen wenig förderlich für diese Form der Sozialintegration zu sein. Tabelle 41: Ordinale Regression: affektiv-moralisches Integrationspotenzial und soziale, zeitliche und räumliche Dimensionen
Heterogenität
Wohndauer
Lage
Einkommen
Schwelle
Integration
Gesamt Schätzer Sig. Schwach Mittel E D C3 C2 ABC1 < 3 Jahre 3 - 7 Jahre 8 - 13 Jahre 14 - 21 Jahre > 21 Jahre 0,0% 20,0% 40,0% 60,0% 80,0% 100,0%
Peñalolén Schätzer Sig.
Lo Barnechea Schätzer Sig.
Huechuraba Schätzer Sig.
-2,804
,001
1,070
,456
3,604
,000
7,322
,000
20,127
,996
17,520
,000
,389 ,362 ,204 ,204 0a ,777 1,459 ,487 ,793 0a -1,059 ,865 ,618 ,287 ,179 0a
,549 ,520 ,722 ,727 . ,131 ,003 ,326 ,087 . ,781 ,220 ,341 ,654 ,781 .
2,178 2,776 2,567 2,543 0a ,777 1,601 1,421 1,616 0a
,077 ,015 ,019 ,017 . ,417 ,050 ,061 ,054 .
,000 ,000 ,000 . . ,828 ,623 ,270 ,399 .
,080 ,483 ,357 ,495
,326 ,973 ,949 ,880 . ,996 ,013 ,992 ,777 . . ,997 ,997 ,997 ,997 .
16,848 16,793 16,421 16,546 0a -,231 -,549 -1,519 -,929 0a
2,128 ,845 1,049 ,761 0a
1,054 -,029 ,070 -,148 0a -16,521 2,152 ,010 ,223 0a -1,351 17,489 17,743 17,043 17,429 0a
,167 -,444 -,487 -,935 0a
,900 ,598 ,549 ,353 .
Modellanpassung
Signifikanz
,606
,189
,129
,975
Anpassungsgüte
Signifikanz
1,000
,999
,888
,510
Pseudo R²
Nagelkerke
,039
,130
,224
,057
Quelle: Eigene Berechnung Verknüpfungsfunktion: Logit. a. Dieser Parameter wird auf Null gesetzt, weil er redundant ist.
8.2 Affektiv-moralische Sozialintegration
221
Auch bezogen auf die Untersuchungsgebiete zeichnen sich keine eindeutigen Zusammenhänge zwischen den sozialen, zeitlichen und räumlichen Variablen und der affektiv-moralischen Sozialintegration ab. Die Signifikanzwerte sind überwiegend nicht statistisch repräsentativ. Nur die Parameterschätzer ‚Einkommen‘ und ‚Heterogenität‘ in Huechuraba deuten auf eine relative Plausibilität und Konsistenz. Demnach bewirkt ein niedrigerer sozioökonomischer Status und ein sozial homogenes Wohnumfeld eine stärkere affektiv-moralische Sozialintegration für die Bewohner. Dennoch muss beachtet werden, dass die unabhängigen Variablen die affektiv-moralische Form der Sozialintegration in Huechuraba nur zu 5,7% (Nagelkerke = 0,057) erklären und die Signifikanz der Modellanpassung von 0,975 sehr hoch ist. Zusammenfassend kann für die affektiv-moralische Form der Sozialintegration festgehalten werden, dass über die Analyse aller Indikatoren der Beitrag zur Sozialintegration durchschnittlich ausfällt und kaum durch soziale, räumliche und zeitliche Aspekte erklärt werden kann. Diese Schlussfolgerung trifft überwiegend auf alle Untersuchungsgebiete gleichermaßen zu. 8.3 RESÜMEE – SOZIALINTEGRATION AUF INDIVIDUELLER EBENE Über die Analyse von zwei Formen der Sozialintegration ist in Kapital 8 diskutiert worden, welche Bedeutung individuelle Wahrnehmungen, Befindlichkeiten, Einstellungen, Bewertungen und Verhaltensweisen der Bewohner für ihre Sozialintegration haben und inwieweit diese durch soziale, räumliche und zeitliche Dimensionen geprägt sind. In Anlehnung an Kapitel 3 wurde das Gelingen einer sozialen Integration ‚vor Ort‘ um die individuelle Ebene ergänzt, indem das Individuum im Mittelpunkt der Analyse stand. Es galt zu verstehen, wie raumbezogene Identifikation, Zugehörigkeitsgefühl, Engagement, interpersonelles Vertrauen und affektive Kriminalitätsfurcht sozialintegrativ wirken. Im Mittelpunkt der Analyse standen dabei die folgenden Forschungsfragen:
Inwieweit begünstigen bzw. hemmen die identifikativ-funktionelle und affektiv-moralische Form der Sozialintegration die sozial-raum-zeitliche Produktion von sozioökonomisch heterogen strukturierten Stadträumen? Welche Bedeutung hat ein sozioökonomisch heterogen strukturierter Stadtraum für die Herausbildung der identifikativ-funktionellen und affektiv-moralischen Form der Sozialintegration? Welchen Einfluss haben soziale, räumliche und zeitliche Faktoren der Bewohner auf diese Formen der Sozialintegration?
Es konnte gezeigt werden, dass die Bewohner über die identifikativ-funktionelle Form der Sozialintegration – erfasst durch Identifikation, Zugehörigkeitsgefühl und Engagement der Bewohner – stark mit ihrem Wohnumfeld verbunden sind. Die positive Wohnzufriedenheit, die aktive Raumnutzung und Raumaneignung
222
8 Die soziale Praxis – Sozialintegration auf Mikroebene
durch die Bewohner sind hierfür ausschlaggebend. Die identifikativ-funktionelle Form der Sozialintegration wirkt jedoch weitgehend unabhängig von sozialen, zeitlichen und räumlichen Einflüssen und bezieht sich fast ausschließlich auf den Nahraum, das heißt, das unmittelbare Wohnumfeld. Die Chance einer sozialen Durchmischung bzw. eines Abbaus sozialer Distanzen durch intergruppale Kontaktsituationen ist kaum gegeben. Darüber hinaus greifen individuelle Sozialisationsprozesse, die soziale Identitätsstrukturen prägen. Hierzu zählen die Abgrenzung der Eigengruppe (‚in-group‘) von der Fremdgruppe (‚out-group‘). Zu vermuten ist, dass die Zugehörigkeit zu bzw. die Abgrenzung von einer bestimmten Gruppe über die soziale Identität (siehe Kapitel 2.3) und die Art der Beziehungen zu anderen Gruppen auf historisch entstandenen Statushierarchien basieren, die nur langfristig durchbrochen werden können und folglich mögliche Intergruppenbeziehungen noch hemmen. Vergleichbar mit der identifikativ-funktionellen Form ist auch der Beitrag der affektiv-moralischen Form der Sozialintegration für einen Abbau sozialer Distanz als gering einzuschätzen. Zwar erleben die Bewohner in direkter Nachbarschaft überwiegend vertrauensvolle Beziehungen, diese werden jedoch auf Stadtquartiersebene deutlich distanzierter. Bedingt durch häufigeren Kontakt und Interaktionen sowie räumliche und soziale Nähe zu den Nachbarn können Vorurteile und soziale Distanz abgebaut und Vertrauen entwickelt werden. Jedoch beziehen sich diese Vertrauensbeziehungen überwiegend auf den Nahraum, das heißt, ähnlich wie bei der identifikativ-funktionellen Form der Sozialintegration ist zu vermuten, dass eine räumliche Heterogenität des Stadtquartiers weitgehend unbedeutend für die Generierung interpersonellen Vertrauens ist. Entscheidend für das Entstehen interpersonellen Vertrauens ist ein immer wiederkehrender, positiver vertrauenswürdiger Kontakt. Demgegenüber wird eine Vertrauensbeziehung gehemmt durch eine Zunahme des Unsicherheitsgefühls in der Nachbarschaft und im Stadtquartier sowie durch soziale Isolierung. Diese tragen dazu bei, dass Vorbehalte, Vorurteile, Neid und Misstrauen entstehen, das heißt, dass die Identifizierung mit der Nachbarschaft und der Teilhabe am sozialen Leben und lokalen Ereignissen verhindert werden (siehe auch Kapitel 2.2). Insgesamt verdeutlichen und bestätigen diese Ergebnisse, dass auf individueller Ebene weder soziale, zeitliche noch räumliche Indikatoren die affektiv-moralische Form der Sozialintegration beeinflussen. Es sind sowohl erfahrungsbasierte als auch momentspezifische Einflussfaktoren, die auf diese Form der Sozialintegration wirken. Im Zusammenhang mit der Diskussion um den Abbau sozialer Distanz in sozioökonomisch heterogen strukturierten Stadtquartieren gewinnt auch auf der Mikro-Raum-Ebene die ‚Resilienz der Segregation‘ (Dixon und Durrheim 2003) an Bedeutung. Wenngleich die einzelnen Indikatoren auf positive Tendenzen verweisen, zeigt das Zusammenspiel aller Indikatoren, dass sozialintegrative Prozesse auf individueller Ebene komplexen Einflussfaktoren unterliegen. Diese beeinflussen darüber hinaus auch den Abbau sozialer Distanz bzw. Prozesse der Desegregation auf Stadtquartiersebene wesentlich.
9 PRODUKTION UND REPRODUKTION VON SEGREGATION IN SANTIAGO DE CHILE – SCHLUSSBETRACHTUNG In dem vorliegenden Buch wurde ausgehend von den theoretisch konzeptionellen Überlegungen zu ‚Raum‘ (Kapitel 1), ‚Segregation‘ (Kapitel 2) und ‚Integration‘ (Kapitel 3) sowie den daraus resultierenden Wechselwirkungen in Kapitel 4 ein Modellentwurf entwickelt, der Antworten auf die folgenden zentralen Forschungsfragen gibt:
Welche Möglichkeiten bieten sozioökonomisch heterogen strukturierte Stadträume in Santiago de Chile für die Sozialintegration der Bewohner? Inwieweit beeinflusst die Sozialintegration der Bewohner Prozesse der (Re-)Produktion von Segregation im Stadtraum?
Hintergrund dieser zentralen Forschungsfragen ist die Annahme, dass der städtische Raum sich aus der Wechselwirkung zwischen Struktur und Handeln konstituiert. Nach diesem Verständnis produziert Gesellschaft Raum und Raum beeinflusst gesellschaftliches Handeln (siehe Kapitel 1). Demnach sind die Prozesse ‚Segregation‘ und ‚Integration‘’ raumstrukturierend bzw. durch Raumstrukturen beeinflusst. Denn, die tragenden Säulen von ‚Segregation‘ und ‚Integration‘ sind jeweils die individuellen Handlungsmuster, die räumlich differenzierten Interaktionsstrukturen sowie persönliche Erfahrungen und Wahrnehmungen mit anderen sozialen Gruppen. Mit ‚Integration‘ wurde ein graduelles Konzept gewählt, das einen sozialen Mechanismus beschreibt, der die Eingliederung von Individuen oder Gruppen durch bestimmte Vermittlungsfaktoren in einen sozialen Gesamtverband (z.B. Standquartier) aufgreift. Demgegenüber wurde mit ‚Segregation‘ ein territoriales Konzept gewählt, das bis dato die Stadt oder das Quartier als abgrenzbares Territorium analysiert, indem die räumliche Separierung bzw. Konzentration von Bevölkerungsgruppen im Fokus der Betrachtung steht. Die Zusammenführung der verschiedenen Erklärungsansätze zu ‚Segregation‘ und ‚Integration‘ haben jedoch gezeigt, dass beide Phänomene auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen produziert und reproduziert werden können, indem über räumliche Nähe und / oder Distanz verschiedener sozialer Gruppen individuelle Handlungsabläufe, Einstellungen und Verhaltensmuster entstehen. Sowohl direkte als auch indirekte Kontaktsituationen im Raum, also sozial-räumliche Interaktionen unterschiedlicher Gruppen, sind in diesem Kontext bestimmend für die Produktion und Reproduktion von Segregation. Da diese maßgeblich ‚vor Ort‘ entschieden wird, kommt dem Stadtquartier mit seinem spezifischen ‚Habitus‘ eine besondere Bedeutung zu, denn über die Wechselwirkung von Raum, Segregation und Integration wird das Stadtquartier einerseits zum sozial-raum-zeitlichen Produkt sozialen Handels und andererseits zum Träger verschiedener sozialer Prakti-
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9 Produktion und Reproduktion von Segregation in Santiago de Chile
ken, die sowohl nach innen als auch nach außen wirken. Die verschiedenen Facetten dieser Wechselbeziehung wurden sowohl mit Hilfe eines theoriegeleiteten Erklärungsmodells (siehe Kapitel 4) als auch mit quantitativen sowie qualitativen Daten für die drei Untersuchungsgebiete Peñalolén, Lo Barnechea und Huechuraba empirisch überprüft und analysiert. Über drei Raumebenen hinweg, wurden die vielschichtigen Wechselwirkungen zwischen den Erklärungsansätzen ‚Segregation‘ und ‚Integration‘ diskutiert. Dabei wurden sehr differenzierte Ergebnisse herausgearbeitet, die auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen eine Aussage zur Produktion und Reproduktion von Segregation in Santiago de Chile treffen. Das vorgeschlagene Erklärungsmodell hat dazu einen entscheidenden Beitrag geleistet, indem bisher isoliert voneinander betrachtete Theoriekonstrukte aufeinander bezogen, überlagert und in Zusammenhang gebracht wurden. Über dieses Erklärungsmodell wurde für den städtischen Kontext der Zusammenhang zwischen Segregation und Integration als sozial-raum-zeitliches Produkt hergeleitet und definiert. Eine, für den chilenischen Kontext, wichtige Notwendigkeit. Denn bisher gibt es für diesen Kontext kein Erklärungsmodell, welches die Wechselwirkung der Prozesse Segregation und Integration im Raum zusammenführt. Dennoch soll an dieser Stelle festgehalten werden, dass das vorgeschlagene Erklärungsmodell zum Teil nur schwer kompatible Theoriesysteme miteinander in Beziehung setzt und nicht als in sich vollkommen abgeschlossen zu betrachten ist. Vielmehr bietet es noch weitere Möglichkeiten für Ergänzungen und Diskussionen. 9.1 HETEROGENER STADTRAUM ALS SOZIAL-RAUM-ZEITLICHES PRODUKT (DAS PRODUZIERTE) Durch die Übertragung des theoriegeleiteten Erklärungsmodells auf den santiaginischen Stadtraum konnte der folgenden Frage nachgegangen werden (siehe auch Kapitel 4): Auf welche Weise und unter welchen ökonomischen, handlungs- und verhaltensorientierten sowie politisch-regulativen Bedingungen wurden sozioökonomisch heterogen strukturierte Stadträume in Santiago de Chile produziert? Die Zusammenschau der sich einander bedingenden Einflussfaktoren im Makro-Raum – der Stadt Santiago de Chile – haben gezeigt, dass institutionelle, polit-ökonomische, sowie handlungs- und verhaltenstheoretische Kräfte wirken, welche die Dynamik von Stadt-Raum-Produktion abbilden. Basierend auf der Diskussion der vorhandenen Sekundärliteratur konnte herausgearbeitet werden, dass das traditionell räumlich verankerte Segregationsmuster in Santiago de Chile nicht statisch ist, sondern durch neue Muster der Segregation überlagert wird und einem sozialräumlichen Umstrukturierungsprozess unterliegt. Vor dem Hintergrund eines neoliberalen Wirtschaftssystems hat das Zusammenspiel verschiedener Einflussfaktoren (wie z.B. auf dem Boden- und Wohnungsmarkt, innerstädtische Wanderungen, Stadtplanungspolitiken etc.) die Herausbildung neuer Raumstrukturen in funktionaler und sozialräumlicher Hinsicht befördert und damit das tradi-
9.1 Heterogener Stadtraum als sozial-raum-zeitliches Produkt
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tionelle Muster der Segregation aufgebrochen. Dadurch sind neue Formen der Entmischung von Funktionen und sozialräumlichen Elementen entstanden. Das traditionelle Segregationsmuster der 1980er Jahre, das noch bis in die Gegenwart zu beobachten ist, wird seit Anfang der 1990er Jahre durch ein komplexeres Muster mit sehr viel kleinräumigeren und inselartigen Strukturen überlagert. Es sind verschiedene Segregationsebenen entstanden. Wohngebiete oberer Sozialschichten verteilen sich heute auch in einzelnen Gemeinden des Stadtgebiets und grenzen dann häufig unmittelbar an traditionelle Wohngebiete unterer Sozialschichten an, wie anhand einzelner Untersuchungsgebiete gezeigt werden konnte. Diese Dynamik auf gesamtstädtischer Ebene (Makro-Raum) zeigt, dass residenzielle Segregation immer das Ergebnis einer spezifischen gesellschaftlichen Raumproduktion ist. Die Prozesse der Desegregation haben eine Reorganisation des sozialen Raums und einen Transformationsprozess hinsichtlich der intergruppalen Grenzziehungen auf Stadtquartiersebene eingeleitet. Im Stadtraum haben sich neue Formen der Begegnung von zuvor sozial isoliert und distanziert voneinader lebenden Gruppen konstituiert (intergruppaler Kontakt). Diese neuen Interaktionsmuster auf Stadtquartiersebene (Meso-Raum) überlagern und gestalten folglich den Stadtraum. Über die Analyse der verschiedenen Formen der Sozialintegration auf Stadtquartiersebene, welche die Handlungs- und Verhaltensstrukturen des jeweiligen Individuums sowie dessen Erfahrungen und Wahrnehmungen mit anderen sozialen Gruppen in alltäglichen Lebensräumen in den Mittelpunkt rücken, konnte auf dieser Raumebene eine Aussage zur sozial-raum-zeitlichen Produktion bzw. Reproduktion von Segregation getroffen werden. Für das Erkenntnisinteresse war in diesem Zusammenhang interessant, welche Formen der Sozialintegration die sozial-raum-zeitliche Produktion von sozioökonomisch heterogen strukturierten Stadträumen begünstigen bzw. hemmen (siehe Kapitel 4). Basierend auf bestehenden Diskussionen um Mechanismen der Sozialintegration fanden fünf Formen ihre Anwendung: kommunikativ-interaktive, partizipativ-assoziative, expressiv-kulturelle, identifikativ-funktionelle und affektiv-moralische. Diesen Integrationsformen wird eine stabilisierende Wirkung sowohl für das Individuum als auch der sozialen Gemeinschaft innerhalb eines Stadtquartiers zugeschrieben. Sie leisten einen entscheidenden Beitrag zur Integration und Aufrechterhaltung der zeitlichen Konstanz von Sozialsystemen und geben Auskunft zur sozial-raum-zeitlichen (Re-)Produktion von Segregation. Die Auseinandersetzung mit diesen fünf Formen der Sozialintegration in den Untersuchungsgebieten hat gezeigt, dass sowohl die kommunikativ-interaktive Form als auch die partizipativ-assoziative Form der Sozialintegration insgesamt nur einen geringen Beitrag zum Abbau residenzieller Segregation leisten. Zwar eröffnet die räumliche Nähe unterschiedlicher sozioökonomischer Gruppen zunächst die Chance sozialer Nähe, jedoch wird diese durch individuelle Handlungsund Verhaltensmuster der sozialen Distanzierung nicht weiter vertieft. Auch die Zusammensetzung der sozialen Netzwerke der Bewohner deuten auf einen sehr geringen Beitrag zur Sozialintegration auf Stadtquartiersebene. Demgegenüber ist
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der Beitrag der expressiv-kulturellen Form der Sozialintegration zum Abbau der sozialen Distanz auf Stadtquartiersebene hoch, denn generell sind die Bewohner offen für das Zusammenleben in räumlicher Nähe. Auch die identifikativ-funktionelle und affektiv-moralische Form der Sozialintegration begünstigen teilweise Prozesse der Desegregation. Ausschlaggebend dafür sind die positive Wohnzufriedenheit, die aktive Raumnutzung und Raumaneignung durch die Bewohner, die überwiegend vertrauensvollen Beziehungen unter den Bewohnern sowie die relativ geringe affektive Kriminalitätsfurcht. Trotz des relativ starken Integrationsniveaus auf individueller Ebene konnten über Interviews mit den Bewohnern unterschwellige Distiktionsmechanismen aufgedeckt werden. Dazu zählen u.a. die Abgrenzung der Eigengruppe von der Fremdgruppe über allseits anerkannte und angewandte Symbole, wie Sprachgebrauch und äußeres Erscheinungsbild, sowie die Identifikation und Vertrauensbeziehungen mit dem unmittelbaren Wohnumfeld. Diese leisten einen entscheidenden Beitrag zur Persistenz sozialer Distanzierungen. Basierend auf diesen Erkenntnissen lässt sich folgendes schlussfolgern: Obwohl die räumliche Nähe unterschiedlicher sozialer Gruppen auf positive Resonanz bei den Bewohnern trifft, wird anhand der Ergebnisse deutlich, dass eine neue sozial-räumliche Heterogenität in einer durch traditionelle residenzielle Segregation gekennzeichneten Stadt nur kaum zum Abbau von sozialen Distanzen beitragen kann. Prozesse der Desegregation auf gesamtstädtischer Ebene werden innerhalb des Stadtquartiers durch Prozesse der Segregation überlagert. Diese wirken zum Teil selbstverstärkend und reproduzieren größräumliche Segregationsmuster auf Stadtquartiersebene. Damit konnte dargelegt werden, dass soziales Handeln über die Formen der Sozialintegration nicht einfach nur im Raum stattfindet, sondern diesen auch konstituiert und gestaltet. Stadträume werden dadurch selbst zu Produzenten von Segregationsprozessen. 9.2 HETEROGENER STADTRAUM ALS SOZIALINTEGRATIVER STIMULUS (DAS PRODUZIERENDE) Im vorangegangenen Kapitel wurde diskutiert, inwieweit über individuelle und gesellschaftliche Handlungsmuster Prozesse der Segregation im Stadtraum produziert und reproduziert werden. Andererseits gehen von bestimmten Stadträumen auch sozialintegrativ-wirkende Stimuli aus, indem über sie individuelle Wahrnehmungen, Befindlichkeiten, Einstellungen, Bewertungen und Verhaltensweisen der Bewohner vorstrukturiert werden. So haben endogene Nachbarschaftseffekte gezeigt, dass ein Individuum Verhaltensmuster annimmt oder einer Aktivität nachgeht, wenn andere in seiner Nähe es auch tun (siehe Kapitel 2.2). Auch der indirekte Kontakt zu anderen sozioökonomischen Bevölkerungsgruppen, sei es über die bloße Anwesenheit einer Fremdgruppe oder sporadische Begegnungen im Wohnquartier, hat eine Auswirkung auf den Abbau sozialer Distanzierung, indem relevante Informationen über Lebensumstände und Verhaltensweisen vermittelt und die Auseinandersetzung mit der Fremdgruppe gefördert werden (siehe
9.2 Heterogener Stadtraum als sozialintegrativer Stimulus
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Kapitel 2.3). Das bedeutet, dass ein Bewohner verschiedene Anpassungsstrategien bzw. Mechanismen der Sozialintegration entwickelt, die sich im ‚Habitus des Stadtquartiers‘ widerspiegeln. Daraus ergibt sich die Frage, welche Bedeutung ein sozioökonomisch heterogen strukturierter Stadtraum für die Herausbildung von Formen der Sozialintegration in Santiago de Chile hat. Auf Basis der Ergebnisse soll diese Frage im Folgenden resümierend diskutiert werden. Über die Analyse der fünf Formen der Sozialintegration lässt sich zunächst erkennen, dass diese nicht zwangsläufig durch die räumliche Nähe unterschiedlicher sozioökonomischer Gruppen bestimmt wird. Das bedeutet, dass das Leben in einem sozioökonomisch heterogen strukturierten Stadtquartier nicht ausschlaggebend ist für die stärkere oder schwächere Eingliederung in das Stadtquartier. Entgegen der bisherigen Erkenntnisse zum Zusammenhang von Segregation und Integration in Santiago de Chile (siehe Kapitel 6.1 und 7.1) – dass die räumliche Nähe unterschiedlicher sozioökonomischer Gruppen auf Stadtquartiersebene Formen der Sozialintegration fördere – konnten die vorgefundenen Ergebnisse diesen Zusammenhang nicht bestätigen. Die Bourdieusche These, die davon ausgeht, dass eine soziale Nähe sich nicht durch räumliche Nähe herstellen lässt, sondern dass vielmehr die Nähe im sozialen Raum Bedingung für eine Annäherung im physischen Raum ist, gewinnt somit auch für den santiaginischen Stadtraum an Bedeutung. Auch die Frage nach dem Einfluss sozialer und zeitlicher Dimensionen auf die Formen der Sozialintegration – ein weiterer Schwerpunkt der Forschungsarbeit (siehe Kapitel 4) – hat gezeigt, dass sowohl die sozioökonomische Herkunft als auch die Wohndauer nur vereinzelte Formen der Sozialintegration beeinflussen. Lediglich die kommunikativ-interaktive und partizipativ-assoziative Form der Sozialintegration werden durch Faktoren, wie Einkommen und Wohndauer, bestimmt. Dagegen werden die expressiv-kulturelle, identifikativ-funktionelle und affektiv-moralische Form der Sozialintegration weder von sozialen noch von zeitlichen Einflussfaktoren bedingt. Das bedeutet, dass der jeweilige Grad der Sozialintegration eines Bewohners in einem sozioökonomisch heterogen strukturierten Stadtquartier unabhängig von der sozioökonomischen Herkunft und der Wohndauer ist. Der statistisch nicht nachweisbare Zusammenhang zwischen räumlichen, sozialen und zeitlichen Einflussfaktoren auf die Formen der Sozialintegration ist die zentrale Erkenntnis dieses Buches. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach den relevanten Einflussfaktoren, welche die Integration von Bewohnern in Stadtquartiere fördern. Scheinbar greifen Mechanismen der Sozialintegration auch in einem heterogen strukturierten Stadtquartier in Santiago de Chile nur unter dem Einfluss individueller Sozialisationsprozesse sowie erfahrungsbasierter und momentspezifischer Faktoren. Darüber hinaus wäre zu prüfen, inwieweit der jeweilige Grad der Sozialintegration der Bewohner durch existierende und persistent historisch tradierte Statushierarchien geprägt ist, die nur schwer bzw. über Generationen hinweg überwunden werden können. In zukünftigen Forschungsarbeiten sollte demnach die räumliche Nähe verschiedener sozialer Gruppen vor dem Hintergrund von historischen Kontexten und Bildungspfaden, Erhalt und Aufbau von
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Lebensstilen, sozialen Identitäten aber auch hinsichtlich der sozialen Vielfalt und den Chancen eines Stadtquartiers diskutiert werden. Auch die Bedeutung von sozialem und kulturellem Kapital der Bewohner für den Grad der Sozialintegration erscheint in dieser Hinsicht beachtenswert. 9.3 SEGREGATION UND INTEGRATION IN SANTIAGO DE CHILE ZWISCHEN TRADITION UND UMBRUCH – EIN AUSBLICK Die forschungspraktische Anwendung der Erkenntnisse zum Zusammenhang von Segregation und Integration ergibt sich hauptsächlich aus der Problematik von homogen strukturierten Stadtquartieren und ihren negativen Auswirkungen auf die Integration seiner Bewohner. Es werden folglich Orientierungsmöglichkeiten vorgeschlagen, welche auf die positiven Wirkungen der Desegregation und der Sozialintegration der Bewohner aufmerksam machen, um zukünftige Städtebau-, Wohnungs- und Integrationspolitiken nachhaltig zu gestalten und städtische Wohnquartiere zu stabilisieren. In diesem Zusammenhang sind vor allem zwei Formen der Sozialintegration relevant: die expressiv-kulturelle und identifikativ-funktionelle. Diese Formen tragen am stärksten zur Integration der Bewohner der drei Untersuchungsgebiete bei. Insgesamt konnte gezeigt werden, dass die Bewohner die räumliche Nähe zu anderen sozialen Gruppen im Stadtquartier sowohl befürworten als auch wahrnehmen, sich am Wohnstandort wohlfühlen, ein Zugehörigkeitsgefühl entwickeln und sich für das Stadtquartier engagieren, indem sie sich dieses aktiv aneignen und mitgestalten. Über expressiv-kulturelle und identifikativ-funktionelle Form der Sozialintegration gelangen die unterschiedlichen sozioökonomischen Gruppen in Kontakt zueinander, lernen von- und übereinander, können Vertrauen und ein Gefühl der Solidarität aufbauen, welche die gruppenübergreifenden Beziehungen stimulieren. Vor diesem Hintergrund erscheint das Modell der Dekategorisierung oder Personalisierung von Brewer und Miller (1984) (siehe Kapitel 2.3) für die Prozesse der Desegregation im santiaginischen Stadtraum am relevantesten. Über das Kennenlernen einzelner Mitglieder der Fremdgruppe, das heißt, der anderen sozioökonomischen Schicht, können über die Zeit hinweg bestehende Vorbehalte, Stereotype und Vorurteile über Mitglieder der anderen sozioökonomischen Gruppe widerlegt bzw. gemildert werden. Dies führt schließlich zur Aufweichung oder gar Auflösung bisher bestehender Gruppengrenzen und erhöht den Grad der Sozialintegration. Denn die Ergebnisse deuten darauf, dass Bewohner mit persönlichen Kontakten bzw. Erfahrungen zu / mit einzelnen Mitgliedern der anderen sozioökonomischen Schicht deutlich weniger ausgeprägte Vorurteile gegenüber der Fremdgruppe äußern. Dessen ungeachtet wird für die Bewohner der Untersuchungsgebiete keine vollständige Auflösung der Gruppengrenzen über Mechanismen der Sozialintegration erwartet. Denn, auch das zeigen die Ergebnisse, dass bewusst das Bedürfnis nach einer positiven sozialen Identität in der Kontaktsituation gelebt wird. Im Sinne der Subkategorisierung (siehe Kapitel 2.3) könnte die
9.3 Mögliche Strategien für Desegregation und Integration – ein Ausblick
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Entwicklung einer positiven Intergruppenbeziehung aber auch ohne die Auflösung der Gruppen möglich sein, sobald die verschiedenen sozioökonomischen Gruppen ihre Schwächen und Stärken tolerieren. Für besonders relevant erscheint in diesem Zusammenhang das Streben nach einem gemeinsamen Ziel. Es hat sich herausgestellt, dass alleinig das gemeinsame Ziel wichtig ist und weniger die Zusammensetzung der Gruppen. Denn die gruppenübergreifende kooperative Zusammenarbeit fördert die Entwicklung der verschiedenen Formen der Sozialintegration. Voraussetzung dafür wäre jedoch, dass die Bewohner der jeweiligen sozioökonomischen Schicht verschiedene aber sich ergänzende Rollen einnehmen, um gemeinsame Ziele zu erreichen. So könnten vorhandene Gruppengrenzen, die für die Bewohner von Bedeutung sind, innerhalb eines kooperativen Rahmens erhalten bleiben. Im Sinne einer Handlungsempfehlung sollten zukünftige Integrationspolitiken nicht nur auf die strukturelle Zusammensetzung (Heterogenität) der Stadtquartiere fokussieren, sondern vielmehr kleine Gemeinschaftsprojekte anstossen, die im Zusammenhang mit der Entwicklung des Stadtquartiers stehen und über die Gruppengrenzen hinweg von Interesse sind. Neben der kooperativen Zusammenarbeit unter den verschiedenen Gruppen, sollte auch die Teilhabe aller lokalen Akteure gefördert werden. Ungeachtet dessen sollten keine vorzeitigen Schlüsse zum Zusammenhang von Segregation und Integration getroffen werden. Generell ist das Potenzial der Sozialintegration begrenzter als allgemein angenommen und damit auch der Beitrag zu Prozessen der Desegregation. Dementsprechend sollten zukünftige Forschungsarbeiten versuchen die Persistenz von Segregation zu analysieren und zu erklären, indem sie den Schwerpunkt auf die Prozesse der Grenzziehung, aushandlung, -erhaltung und -auflösung innerhalb eines Stadtquartiers legen. Voraussetzung dafür ist allerdings die Entwicklung innovativer Konzepte und methodischer Herangehensweisen.
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ANHANG A.1 FRAGEBOGEN
Nº:
Barrio:
Santiago de Chile en Marzo 2009
(Encuesta a hogares)
– Peñalolén 2009 –
„Relaciones vecinales en transición“
Cuestionario
Dirección:
RISK HABITAT MEGACITY
1
La forma de llenar el cuestionario es muy fácil. Para ello debe considerar que no existen respuestas ‘correctas’ o ‘incorrectas’. Lo mejor es que Usted responda en forma espontánea.
La entrevista durará 30 minutos y debe ser contestada por un adulto de su hogar.
Instrucciones generales
¡Desde ya le agradecemos su comprensión y apoyo!
Juliane Welz (Geógrafa / Magíster en Desarrollo Urbano) Instituto de Estudios Urbanos y Territoriales El Comendador 1916 Providencia, Santiago de Chile Tel.: 07 - 614 65 29 E-mail: [email protected]
Le solicitamos que ante cualquier consulta adicional no dude en contactar a:
Cabe mencionar que toda la información será recopilada y analizada confidencialmente solo para fines científicos. Los hallazgos serán entregados a instituciones públicas, incluido el municipio de Peñalolén.
El estudio es parte del proyecto de cooperación chileno-alemán “Risk Habitat Megacity” (www.riskhabitat-megacity.org) financiado por el Helmholtz Centro de Investigación Medioambiental (UFZ) en Leipzig/Alemania, y patrocinado por el Instituto de Estudios Urbanos y Territoriales de la Pontificia Universidad Católica de Chile. Adicionalmente, el Departamento de Análisis y Estudios del Gobierno Regional Metropolitano de Santiago así como la Municipalidad de Peñalolén supervisan y apoyan esta encuesta.
Hace algunos años, también se realizaron encuestas a algunos hogares de esta comuna con el mismo objetivo. La información recogida en esa oportunidad fue muy valiosa para las instituciones públicas que planifican el desarrollo de la ciudad.
Junto con saludarle muy cordialmente, le quisiéramos invitar a participar en esta encuesta. Con ella buscamos conocer más sobre las transformaciones de su barrio, especialmente desde la llegada de nuevos vecinos a Peñalolén. Para ello recogeremos las opiniones tanto de los vecinos que viven hace muchos años en la comuna, como de aquellos que han llegado a la comuna recientemente. Porque ustedes son quienes más saben de este tema. Ustedes son los expertos.
Estimados residentes de Peñalolén:
Desde que nací por favor continúa con pregunta 3
… en otra comuna de la Región Metropolitana. Especifique cuál
… en otra región. Especifique cuál
… en otro país. Especifique cuál
3
4
2
3
4
5
2
3
1
2
3
4
2
5. Comparado con otras comunas de la Región Metropolitana, ¿usted cree que Peñalolén es…? Marque con una X la alternativa que corresponde. … una de las mejores … una comuna … una comuna como … una de las peores comunas emergente cualquiera comunas
¿Por qué? Indique la razón más importante.
1
4. Desde que usted vive en esta comuna, usted considera que ha progresado, que se ha estancado o que ha empeorado. Marque con una X la alternativa que corresponde. La comuna … … ha progresado … se ha estancado … ha empeorado
Cualquiera que sea su respuesta, indique la razón más importante.
1
3. ¿A Usted le gusta vivir en Peñalolén? Marque con una X la alternativa que corresponde. Sí, me gusta mucho. Sí, me gusta. Más o menos. No me gusta. No me gusta para nada.
… en esta misma comuna, pero en otra casa.
1
2
2. ¿Dónde vivía Usted antes de vivir en esta casa? Marque con una X la alternativa que corresponde.
Desde el año ________ (indique el año)
1
2
2
3
¿Dónde están otros lugares de interés deportivo, cultural o religiosos que usted más frecuenta?
3
NOTA PARA ENCUESTADOR: Después de haber realizado las preguntas, por favor genera un rectángulo (independientemente del trazado de calles) que comprenda todos los puntos que le indicó el encuestado. Luego, usted le explica que esta zona a partir de ahora la llamaremos barrio (vea introducción de la página 5).
¿Dónde están el o los paraderos en el que usted, o algún otro miembro de su familia, toman la locomoción?
4
… raras veces
3
¿Dónde están las casas de los amigos o familiares con los que usted más frecuentemente se relaciona?
¿Generalmente, por qué va a estos espacios públicos?
1
¿Con qué frecuencia va a estos espacios públicos? … una o dos … mínimo una … diariamente veces por semana vez al mes
1
¿Quién de su hogar (adultos y/o niños) va a estos espacios públicos? Marque con una X todas las alternativas posibles. Usted otro(s) adultos Niño(s)
¿Dónde están los parques/plazas u otros espacios públicos que usted más frecuenta?
¿Dónde están los establecimientos comerciales que usted visita más frecuentemente? Ejemplos: almacén, supermercado, feria, botillería, videoclub, peluquería, restaurante, bar, etc.
6. Marque con el número correspondiente los lugares específicos que se le consultan en las siguientes preguntas. Usted puede marcar más de un lugar para cada pregunta.
1. ¿Desde cuando Usted vive en la casa que habita actualmente? Marque con una X la alternativa que corresponde.
2
A continuación le mostraremos un mapa del sector de la comuna en el cual usted vive. En él quisiéramos reflejar los lugares que usted más frecuenta en su vida diaria.
Primero, quisiéramos comenzar con preguntas generales, como por ejemplo desde cuándo Usted vive en Peñalolén, si le gusta vivir aquí y cuales son sus impresiones sobre la comuna.
Las diferencias socioeconómicas entre vecinos no han cambiado.
3
3 4
3 4
“Si yo necesitara ayuda en mi hogar, podría pedirla a varios vecinos.”
“Nuestras relaciones vecinales son bastante íntimas, salimos juntos, nos invitamos para los cumpleaños o para hacer un asado.”
4
12. En términos socioeconómicos, ¿usted diría que sus vecinos de la cuadra son… (leer alternativas)? ¿Y los vecinos de su barrio? Muy Muy diferentes Diferentes Parecidos parecidos No sabe / no entre si entre si entre si entre si responde. Cuadra 2 3 4 5 1 Barrio 1 2 3 4 5
11. A continuación le voy a leer algunas afirmaciones. Indíqueme si usted está de acuerdo o en desacuerdo con cada una. De acuerdo En desacuerdo “Me gusta que en mi cuadra habiten familias de distinto 2 1 nivel socioeconómico” “Me gusta que en mi barrio habiten familias de distinto nivel 2 1 socioeconómico”
2
2
“La relación entre los vecinos no sobrepasa los simples ‘buenos días’.”
10. A continuación se presentan algunas afirmaciones. Por favor, indíqueme cuál es la alternativa que corresponde para los vecinos de la cuadra (A) y cuál para los vecinos del barrio con los cuales usted se relaciona pero que no son de la cuadra (B). (Marcar solo una alternativa en la columna A, y una sola en la columna B; Mostrar tarjeta) A B “Aquí cada uno vive por su lado, relaciones no hay.” 1 1
Ahora nos interesaría saber lo que piensa sobre las relaciones entre los vecinos y la cercanía de diferentes grupos socioeconómicos en su cuadra y barrio.
Las diferencias socioeconómicas entre vecinos son ahora menores.
2
9. Desde que usted visita todos estos lugares que hemos marcado en el mapa, usted diría que: Las diferencias socioeconómicas entre vecinos son ahora más grandes. 1
8. Si usted tuviera que definir en una palabra su barrio, ¿qué palabra utilizaría?
7. Ahora bien, Si usted tuviera que definir en una palabra la cuadra, ¿qué palabra utilizaría?
De acuerdo a lo que usted me ha dicho, toda esta zona corresponde a su barrio (mostrar a la persona y asegurarse que identifique el sector marcado, que lo conozca). Necesito ahora que me muestre cuál es la cuadra en la que usted vive, y que la marquemos también en el mapa.
2
2
1
1 2
2 3
3
La solidaridad existe. 2 2
La solidaridad es muy intensa. 1 1
Cuadra Barrio
(Mostrar tarjeta)
3
3
4
4
5
La solidaridad es La solidaridad es débil. muy débil.
18. De acuerdo a las siguientes alternativas, ¿qué tan intenso es el nivel de solidaridad entre los vecinos de su cuadra? ¿Y qué tan intenso es el nivel de solidaridad entre los vecinos de su barrio?
Ahora le haremos algunas preguntas relacionadas con la solidaridad entre los vecinos de su cuadra y barrio.
1 Sí, ha ayudado a encontrar trabajo. 2 No, no ha ayudado a encontrar trabajo. Si la respuesta es afirmativa, ¿qué trabajo encontró? ¿Cómo se enteró de la existencia de este puesto de trabajo?
17. Y para Usted personalmente: ¿esta cercanía le ha ayudado a encontrar un trabajo?
1 Sí, ha generado más oportunidades. 2 No, no ha generado más oportunidades. Si la respuesta es afirmativa, ¿qué oportunidades por ejemplo?:
16. En general, la cercanía con vecinos de diferentes niveles socioeconómicos ¿ha generado más oportunidades de trabajo en su barrio?
1 Sí, ha traído consecuencias. 2 No, no ha traído consecuencias. Si la respuesta es afirmativa, ¿qué consecuencias ha traído?:
15. La cercanía con vecinos de diferentes niveles socioeconómicos ¿ha traído consecuencias para usted?
Barrio
Cuadra
14. ¿Cree usted que ese cambio en las diferencias socioeconómicas en su cuadra / barrio (nombrar según el tipo de cambio que haya reconocido en la pregunta anterior) ha sido positivo o negativo? Positivo Negativo Ambas ¿Por qué? Indique la razón principal.
3 3 Si en ambos niveles (cuadra y barrio) considera que NO ha cambiado nada, pase a la pregunta 16.
Las diferencias socioeconómicas no han cambiado.
Las diferencias socioeconómicas son ahora menores.
13. Desde que usted habita esta vivienda, ¿usted diría que las diferencias socioeconómicas entre los vecinos de su cuadra son ahora más grandes, más pequeñas, o que no han cambiado las diferencias? ¿Y las diferencias socioeconómicas entre los vecinos de su barrio ahora son más grandes, más pequeñas, o no han cambiado las diferencias? Cuadra Barrio Las diferencias socioeconómicas son ahora más grandes. 1 1
1 2
2
2
Sí, ahora hay menos confianza
6
23. Según su opinión, ¿cuál es la razón más importante de este cambio en la confianza en su cuadra/ barrio (nombrar según el tipo de cambio que haya reconocido en la pregunta anterior)? Cuadra: Barrio:
No, la confianza es la misma
3 3 Si en ambos niveles (cuadra y barrio) considera que NO ha cambiado nada, pase a la pregunta 24.
1
1
Sí, ahora hay más confianza
22. Desde que usted habita esta vivienda, ¿usted diría que entre los vecinos de su cuadra hay más confianza, menos confianza, o que la confianza es la misma? ¿Y entre los vecinos de su barrio? Cuadra Barrio
“Hay que tener cuidado con los vecinos del barrio. Tengo la impresión de que ellos no son muy confiables.”
21. A continuación se presentan algunas afirmaciones. Por favor, indique si para usted son verdaderas (V) o falsas (F). V F “Si yo tuviera que viajar por algunos días, podría encargar las llaves de mi casa 2 1 a alguno de los vecinos que viven en mi cuadra.” “En caso de emergencia mis vecinos de mi cuadra cuidarían a mis niños o los 2 1 irían a buscar al colegio.” “Si yo anduviese justo de dinero, mis vecinos de la cuadra me prestarían algo.” 1 2
Ahora cambiaremos de tema. En esta parte del cuestionario le quisiéramos preguntar acerca de la confianza entre los vecinos de su cuadra y barrio.
20. Según su opinión, ¿cuál es la razón más importante de este cambio en la solidaridad en su cuadra/ barrio (nombrar según el tipo de cambio que haya reconocido en la pregunta anterior)? Cuadra: Barrio:
No, la solidaridad es la misma.
3 3 Si en ambos niveles (cuadra y barrio) considera que NO ha cambiado nada, pase a la pregunta 21.
19. Desde que usted habita esta vivienda, ¿usted diría que en su cuadra ahora hay más solidaridad, menos solidaridad, o la misma solidaridad que cuando llego? ¿Y en su barrio? Cuadra Barrio Sí, ahora hay más solidaridad. 1 1 Sí, ahora hay menos solidaridad. 2 2
1
2
3
4
1
2
Barrio
1
2 7
29. En el último año, ¿ha contribuido usted de alguna manera al mejoramiento de su entorno comunitario en su cuadra? ¿Y en su barrio? Sí No Cuadra 1 2
Invertiría dinero
28. En el caso de que un proyecto para el mejoramiento del entorno comunitario (Ej.: mejoramiento de áreas verdes) no lo beneficiara a Usted directamente, pero sí al resto de los vecinos de su barrio, ¿Invertiría tiempo libre en el proyecto? ¿Invertiría dinero en el proyecto? Sí No Invertiría tiempo. 1 2
27. Según su opinión, ¿cuál diría usted qué es la razón más importante de este cambio en el compromiso de los vecinos de su cuadra/ barrio (nombrar según corresponda a la respuesta de la pregunta anterior) con el desarrollo de su entorno? Cuadra: Barrio:
No, el grado de compromiso no ha cambiado nada.
3 3 Si en ambos niveles (cuadra y barrio) considera que NO ha cambiado nada, pase a la pregunta 28.
26. Desde que usted habita esta vivienda, ¿usted diría que el compromiso de los vecinos de su cuadra con el entorno es ahora más intenso, menos intenso, o no ha cambiado? ¿Y el compromiso de los vecinos de su barrio con el entorno? Cuadra Barrio Sí, el compromiso es ahora más intenso. 1 1 Sí, el compromiso es ahora menos intenso. 2 2
Barrio
25. En cada nivel ¿qué tan comprometidos son los vecinos de su cuadra con el desarrollo de su entorno? ¿Y los vecinos del barrio? (Mostrar tarjeta) Los vecinos son Los vecinos no son Los vecinos son Los vecinos son muy tan poco muy pocos comprometidos. comprometidos. comprometidos. comprometidos. Cuadra 2 3 4 1
Ahora nos interesaría conocer el compromiso de los vecinos con el desarrollo de su entorno.
24. ¿Se ha sentido alguna vez discriminado por los vecinos de su cuadra? ¿Y por los vecinos de su barrio? Sí No Si la respuesta es SÍ, ¿por qué se ha sentido discriminado? Cuadra 1 1 Barrio 2 2
5 6
5
6
… un comerciante
Otros:
3
3
3
… en otro barrio de la comuna
3
2
1
Persona 4
6
5
4
3
2
4
4
4
… raras veces
4
3
2 3 4 5
2
3
4
5
… menos de 1 año
… entre 1 y 3 años
… entre 3 y 5 años
… más de 5 años
5
4
3
2
5
4
3
2
8
33. ¿Desde hace cuánto tiempo conoce a la persona 1… y a la persona 2… y a la persona 3… y a la persona 4…? Persona 1 Persona 2 Persona 3 Persona 4 … algunas semanas 1 1 1 1
3
3
3
… mínimo una vez al mes
32. ¿Con qué frecuencia se junta Usted con la persona 1… y con la persona 2… y con la persona 3… y con la persona 4…? Persona 1 Persona 2 Persona 3 Persona 4 … diariamente 1 1 1 1 … una o dos veces por semana 2 2 2 2
2
1
2
1
2
Persona 3
Persona 2
6
… aquí en el barrio
31. ¿Dónde vive la persona 1… y la 2… y la 3… y la 4…? Persona 1 … aquí en esta cuadra 1
4
4
4
… un pariente 5
3
3
3
… un vecino
2
2
2
… un colega
¿La persona 1 es… y la persona 2… y la 3… y la 4…? (Por favor elija la alternativa más importante) Persona 1 Persona 2 Persona 3 Persona 4 … un amigo/a 1 1 1 1
30. Para ayudarle contestar las siguientes preguntas, le pediríamos que indique las iniciales de los nombres de 4 personas de la comuna con las cuales usted se ve frecuentemente (independientemente del motivo), pero que no viven en su hogar. Ej: Juan = J; Eduardo = E; Andrea = A… Persona 1 Persona 2 Persona 3 Persona 4
En las próximas preguntas quisiéramos saber más sobre sus redes personales. Por lo tanto, le haremos preguntas más detalladas.
Persona 2
Persona 3
Persona 4
3 No, ninguno de ellos conoce al otro.
2 Sí, algunos se conocen entre ellos.
37. ¿Estas personas se conocen entre ellos? 1 Sí, todos se conocen entre ellos.
(No leer) No he necesitado ayuda de nadie.
¿A cuáles de estas 4 personas usted ha entregado ayuda práctica? ¿Y cuáles de estas 4 personas le ha ayudado en términos prácticos? (No leer) No he ayudado a nadie.
36. Si piensa en el último mes:
¿A cuáles de estas 4 personas se ha dirigido para hablar de asuntos personales importantes? ¿Cuáles de estas 4 personas se ha dirigido a Usted para hablar de asuntos personales importantes? (No leer) No he hablado cuestiones personales con ninguna de ellas. (No leer) Nadie ha hablado cuestiones personales conmigo.
35. Si piensa en el último mes:
… un estrato socioeconómico más bajo
3
2 1
¿Quién conoce a quien?
6
5
3
Persona 3
3
3
Persona 3
3
2
Persona 2
2
2
Persona 2
3
1
Persona 1
6
5
1
1
Persona 1
3
4
4
Persona 4
4
4
Persona 4
3
9
34. Comparado con usted, ¿la persona 1 es de un estrato socioeconómico más alto, más bajo o similar? ¿Y la 2? ¿Y la 3? ¿Y la 4? Persona 1 Persona 2 Persona 3 Persona 4 … un estrato socioeconómico similar 1 1 1 1 … un estrato socioeconómico más alto 2 2 2 2
Persona 1
Ahora le formularemos algunas preguntas sobre su percepción de la seguridad en el barrio.
2 seguro
3 no tan seguro
4 muy inseguro
Hoy me siento menos seguro/a.
2
3
4
2
2
2
Sí
2
No Si usted considera que NO, pase a la pregunta 45.
1 Sí 2 No Si su respuesta es SÍ, ¿qué tipo de relación ha construido?
10
44. ¿Ha tenido la oportunidad de profundizar su relación con estas personas de estrato socioeconómico distinto al suyo?
1
43. Solo quienes declaran que alguien en el hogar ha participado (p. 41 o 42). en su participación en estos grupos/eventos culturales, ¿ha tenido la oportunidad de encontrarse con habitantes de otros niveles socioeconómicos?
No
42. ¿Ha participado usted o alguien de su hogar (adultos y/o niños) en algún evento cultural de Peñalolén (fiestas patrias, celebración de navidad o año nuevo, u otros eventos masivos)? Marque todas las alternativas que correspondan. Usted otro(s) adultos Niño(s) Sí 1 1 1
Si la respuesta es afirmativa, ¿en qué organización participa?:
1
41. ¿Participa usted en alguna agrupación u organización de cualquier tipo (deportiva, religiosa, sindical, adulto mayor, etc.) de la comuna de Peñalolén? (Mostrar tarjeta) Sí, participo Pertenezco al grupo No, no pertenezco a frecuentemente. Sí, participo a veces. pero nunca participo. un grupo específico.
A continuación le haremos preguntas en relación a la participación social de los vecinos.
40. ¿Cuál es la razón principal que hizo que su percepción de seguridad en el barrio cambiara?
3 No ha cambiado nada. Si considera que NO ha cambiado nada, pase a la pregunta 41.
2
39. Comparando con cuando usted llegó a vivir a esta vivienda, ¿hoy se siente más seguro, menos seguro, o igual? 1 Hoy me siento más seguro/a.
1 muy seguro
38. En términos de seguridad, ¿su barrio es muy seguro, seguro, no tan seguro, o muy inseguro?
2
hombre
2 mujer
estudios universitarios incompletos
7
Vivo con mi pareja y nuestro/s hijo/s.
4
estudios universitarios completos
enseñanza técnicos completa
enseñanza media completa
8
7
Otros:
Vivo con parientes.
Vivo en casa de mis hijos.
Vivo en casa de mis padres.
estrato socio-económico medio
3
9
5
No contesta.
estrato socio-económico alto
entre $120.000 y $300.000 (D) entre $300.000 y $1.000.000 (C3)
2 3
más de $6.000.000 (AB) No responde. / No sabe.
7
entre $3.000.000 y $6.000.000 (C1) 6
5
11
51. De los siguientes rangos de ingresos mensuales que se presentan aquí, ¿podría Usted indicarme en cuál de ellos se encuentra este hogar considerando todos los ingresos líquidos por sueldos y salarios de todas las personas que trabajan remuneradamente, jubilaciones, pensiones, aportes de parientes o amigos, arriendos u otros? (Mostrar tarjeta) 1 menos $ 120.000 (E) 4 entre $1.000.000 y $3.000.000 (C2)
estrato socio-económico medio bajo
2
50. ¿A cuál de los siguientes estratos socio-económicos diría que pertenece Usted? (Mostrar tarjeta) 1 estrato socio-económico bajo 4 estrato socio-económico medio alto
Vivo con mi pareja, pero sin hijo/s.
3
3
enseñanza básica completa
10 nunca asistió
8
6
4
2
49. ¿Cómo se compone su hogar? (Mostrar tarjeta) 1 Vivo solo/a. 5 2 Vivo solo/a con hijo/s. 6
Postítulo / Posgrado
enseñanza técnicos incompleta
5 9
enseñanza media incompleta
3
48. ¿Cuál es el su nivel de educación? 1 enseñanza básica incompleta
47. ¿En qué año nació?
1
46. Usted es ...
Ahora para terminar, le solicitaremos algunos datos personales y del hogar.
¿Por qué? Indique la razón más importante.
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45. Pensando en 10 años más, ¿usted cree que la calidad de la convivencia de los vecinos de diferentes estratos socioeconómicos en la comuna de Peñalolén va a seguir igual, va a mejorar o va a empeorar? Va a seguir igual. Se va a mejorar. Se va a empeorar.
Cerrillos Cerro Navia Conchalí El Bosque Estación Central Huechuraba Independencia La Cisterna La Florida La Granja La Pintana La Reina Las Condes Lo Barnechea Lo Espejo Lo Prado Macul Maipú Ñuñoa Pedro Aguirre Cerda Peñalolén Providencia Pudahuel Puente Alto Quilicura
Gemeindename
E 11,78 18,56 13,02 13,57 10,46 14,90 7,89 8,22 7,60 14,62 19,53 3,11 1,12 5,80 18,49 12,35 8,15 5,15 2,83 14,33 13,20 0,62 11,80 8,25 7,83
D 41,77 51,71 43,62 45,96 38,34 43,35 35,48 32,39 31,27 46,36 53,80 14,23 7,04 23,55 50,32 45,73 29,90 29,34 15,01 44,12 41,48 8,12 43,05 37,38 37,93
2002 C3 26,41 22,87 27,05 25,91 28,18 21,10 30,27 28,51 26,50 26,95 21,17 17,14 12,79 13,50 23,60 27,15 25,95 32,25 20,76 26,54 21,03 17,78 28,49 31,41 31,54 C2 ABC1 E 16,26 3,79 10,92 6,38 0,48 19,06 13,98 2,32 11,08 12,37 2,19 13,18 18,25 4,77 8,98 11,71 8,94 18,33 21,07 5,29 5,36 23,54 7,34 6,97 25,13 9,50 7,60 10,72 1,35 14,02 5,13 0,38 20,83 28,51 37,01 3,72 33,08 45,97 1,39 16,74 40,41 11,46 7,03 0,57 16,73 12,73 2,03 11,58 25,88 10,13 7,08 26,50 6,76 5,32 37,06 24,34 1,79 12,90 2,12 11,63 14,65 9,65 16,98 40,86 32,61 0,54 14,17 2,49 15,76 19,25 3,70 9,72 18,64 4,06 12,31
D 36,89 50,87 42,01 43,41 36,96 51,22 30,26 30,42 30,48 44,43 51,52 14,68 6,92 30,59 49,75 41,55 28,39 27,20 13,58 42,52 45,24 5,36 46,07 33,49 38,94
1992 C3 28,34 21,92 30,17 25,93 29,83 21,25 34,30 30,70 27,07 26,72 20,31 14,76 12,05 14,92 24,06 28,51 26,70 31,82 23,66 28,72 21,64 18,76 25,99 30,55 28,88 C2 ABC1 19,42 4,42 7,64 0,51 14,69 2,05 14,98 2,51 20,30 3,94 8,23 0,97 24,14 5,95 24,35 7,56 25,53 9,32 13,51 1,32 6,90 0,43 27,13 39,71 28,10 51,54 12,93 30,10 8,82 0,64 15,74 2,62 26,46 11,38 28,97 6,69 35,16 25,82 14,68 2,45 12,53 3,62 37,27 38,08 11,39 0,79 22,84 3,40 17,71 2,17
E 0,86 -0,51 1,94 0,39 1,48 -3,43 2,53 1,25 0,00 0,60 -1,30 -0,61 -0,28 -5,67 1,76 0,77 1,07 -0,17 1,04 2,69 -3,78 0,08 -3,96 -1,47 -4,48
D 4,88 0,84 1,61 2,55 1,39 -7,88 5,22 1,98 0,79 1,93 2,28 -0,45 0,13 -7,04 0,56 4,18 1,51 2,14 1,43 1,60 -3,76 2,76 -3,02 3,89 -1,02
Differenz C3 C2 -1,94 -3,16 0,95 -1,25 -3,11 -0,71 -0,01 -2,60 -1,65 -2,06 -0,15 3,49 -4,03 -3,07 -2,19 -0,82 -0,57 -0,41 0,22 -2,79 0,85 -1,77 2,38 1,38 0,74 4,98 -1,41 3,80 -0,45 -1,79 -1,36 -3,00 -0,75 -0,58 0,43 -2,47 -2,90 1,91 -2,17 -1,79 -0,62 2,12 -0,97 3,59 2,50 2,78 0,86 -3,58 2,67 0,93
ABC1 -0,64 -0,03 0,28 -0,32 0,84 7,97 -0,65 -0,21 0,19 0,04 -0,06 -2,71 -5,57 10,31 -0,08 -0,59 -1,25 0,07 -1,48 -0,33 6,03 -5,46 1,70 0,31 1,90
A.2 Veränderung der sozioökonomischen Zusammensetzung der Bevölkerung in den 34 Gemeinden der Stadt Santiago de Chile
Anhang
257
E 11,61 12,89 16,06 13,16 13,44 6,63 17,51 5,16 0,31 10,29
D 41,44 43,07 49,46 43,33 40,91 26,97 49,32 25,81 3,18 35,73
2002 C3 28,46 26,74 24,83 25,52 27,68 25,77 24,08 28,85 9,64 24,60 C2 ABC1 E 15,76 2,74 10,36 14,70 2,60 11,23 8,68 0,98 15,78 14,42 3,57 16,03 15,19 2,78 9,96 26,72 13,91 5,87 8,18 0,92 16,89 31,12 9,07 4,44 32,35 54,53 0,56 18,81 10,57 10,40
Quelle: Eigene Berechnungen basierend auf INE (1992, 2002)
Quinta Normal Recoleta Renca San Bernardo San Joaquín San Miguel San Ramón Santiago Vitacura Durchschnittl. Wert
Gemeindename D 39,54 40,85 46,70 40,63 39,47 28,44 47,94 24,19 2,18 34,78
1992 C3 29,99 28,81 25,37 24,53 29,33 29,10 23,65 31,26 7,60 25,21 C2 ABC1 17,43 2,68 16,01 3,10 10,90 1,25 15,29 3,52 17,87 3,37 26,19 10,39 10,49 1,03 29,84 10,27 24,08 65,58 19,04 10,56
E 1,26 1,66 0,28 -2,88 3,48 0,76 0,62 0,72 -0,25 -0,10
D 1,89 2,23 2,76 2,70 1,44 -1,47 1,37 1,62 1,00 0,94
Differenz C3 C2 -1,54 -1,67 -2,07 -1,31 -0,55 -2,23 0,99 -0,87 -1,65 -2,68 -3,33 0,52 0,43 -2,31 -2,41 1,28 2,04 8,26 -0,61 -0,23
ABC1 0,06 -0,51 -0,27 0,05 -0,60 3,52 -0,11 -1,21 -11,05 0,00
258 Anhang
m e g ac i t i e s a n d g l o b a l c h a ng e
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m e g a s tä d t e u n d g l o b a l e r wa n d e l
herausgegeben von Frauke Kraas, Martin Coy, Peter Herrle und Volker Kreibich
Franz Steiner Verlag
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6.
ISSN 2191-7728
Susanne Meyer Informal Modes of Governance in Customer Producer Relations The Electronic Industry in the Greater Pearl River Delta (China) 2011. 222 S. mit 15 Abb., 45 Tab., kt. ISBN 978-3-515-09849-6 Carsten Butsch Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen Barrieren und Anreize in Pune, Indien 2011. 324 S. mit 24 Abb., 11 Tab, 3 Ktn., 49 Diagr., kt. ISBN 978-3-515-09942-4 Annemarie Müller Areas at Risk – Concept and Methods for Urban Flood Risk Assessment A Case Study of Santiago de Chile 2012. 265 S. mit 75 z.T. farb. Abb., kt. ISBN 978-3-515-10092-2 Tabea Bork-Hüffer Migrants’ Health Seeking Actions in Guangzhou, China Individual Action, Structure and Agency: Linkages and Change 2012. 292 S. mit 29 Abb., 37 Tab., kt. ISBN 978-3-515-10177-6 Carolin Höhnke Verkehrsgovernance in Megastädten – Die ÖPNV-Reformen in Santiago de Chile und Bogotá 2012. 252 S. mit 17 Abb., 10 Tab., kt. ISBN 978-3-515-10251-3 Mareike Kroll Gesundheitliche Disparitäten im urbanen Indien Auswirkungen des sozioökonomischen Status auf die Gesundheit in Pune 2013. 295 S. mit 53 Abb., 13 Tab. und 45 Fotos, kt. ISBN 978-3-515-10282-7
7.
Kirsten Hackenbroch The Spatiality of Livelihoods – Negotiations of Access to Public Space in Dhaka, Bangladesh 2013. 396 S. mit 31 z.T. farb. Abb., 10 Tab. und 57 z.T. farb. Fotos, kt. ISBN 978-3-515-10321-3 8. Anna Lena Bercht Stresserleben, Emotionen und Coping in Guangzhou, China Mensch-Umwelt-Transaktionen aus geographischer und psychologischer Perspektive 2013. 445 S. mit 92 Abb., 6 Tab. und 9 Textboxen, kt. ISBN 978-3-515-10403-6 9. Shahadat Hossain Contested Water Supply: Claim Making and the Politics of Regulation in Dhaka, Bangladesh 2013. 336 S. mit 25 Abb., 1 Tab., 4 Textboxen und 51 z.T. farb. Fotos, kt. ISBN 978-3-515-10404-3 10. Pamela Hartmann Flexible Arbeitskräfte Eine Situationsanalyse am Beispiel der Elektroindustrie im Perlflussdelta, China 2013. 201 S. mit 18 Abb., 29 Tab., 15 farbigen Fotos und 6 farbigen Karten, kt. ISBN 978-3-515-10400-5 11. Daniel Schiller An Institutional Perspective on Production and Upgrading The Electronics Industry in Hong Kong and the Pearl River Delta 2013. 253 S. mit 7 Abb. und 49 Tabellen, kt. ISBN 978-3-515-10479-1 12. Benjamin Etzold The Politics of Street Food Contested Governance and Vulnerabilities in Dhaka’s Field of Street Vending 2013. XVIII, 386 S. 103 z.T. farb. Abb. und 7 Karten, kt. ISBN 978-3-515-10619-1
Seit dem 19. Jahrhundert prägen Prozesse der Segregation und Integration die soziale, bauliche und funktionale Struktur der Stadt Santiago de Chile. Begleitet von ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Transforma tionsprozessen hat sich in jüngster Vergangenheit die großräumige Bipola rität der Stadt zunehmend hin zu einem verstärkten kleinräumigen Neben einander von zuvor isoliert und distanziert lebenden Bevölkerungsgruppen verändert. Diese Entwicklung führt zu einer verstärkten akademischen Debatte um die Chancen und Grenzen räumlicher Nähe und sozialer Distanz unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen im städtischen Raum unter Beach tung des lateinamerikanischen Kontexts. Der vorliegende Band knüpft an diese praxisrelevante Debatte an und bettet sie in die Diskussionen um das Thema „Stadt als gesellschaftlich produzier ter Raum“ ein. Er zeigt auf, dass unterschiedliche Sozialschichten der räum lichen Nähe zwar eine gewisse Akzeptanz entgegenbringen, diese jedoch kein wirkungsvoller Katalysator für größere soziale Nähe ist. Stadt als ge sellschaftlich produzierter Raum findet somit in der Produktion von neuen Segregationsmustern seine Entsprechung.
ISBN 978-3-515-10467-8
www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag