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German Pages 711 [716] Year 2005
Karl Bertau Schrift – Macht – Heiligkeit
Karl Bertau
Schrift – Macht – Heiligkeit in den Literaturen des jüdisch-christlich-muslimischen Mittelalters Herausgegeben von Sonja Glauch
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Walter de Gruyter · Berlin · New York
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 3-11-017468-5 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ⬍http://dnb.ddb.de⬎ abrufbar.
쑔 Copyright 2005 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz: Christoph Hieber, Erlangen Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin
Vorbemerkung Vierundvierzig Vorlesungen von jeweils drei akademischen Viertelstunden: Diese Form von nur einmal in Satzfall und Gestus der Rede gegenwärtiger Zeit schien von eigenem, ephemerem Sinn. Daß sie sich in diesen Blättern nicht bewahren ließ, macht ein notwendiges Moment jener Geschichte aus, die hier bedacht wird als vergleichende Mentalitätsgeschichte eines Weltausschnitts, den die Grundkarte als Bildzeichen eines Raumes immer wieder zeigen möchte. Im Sprechen auf das Hören des Zuhörenden hören, um sich dieses Hören gesagt sein zu lassen, darauf bleibt jeder angewiesen, der spricht. Mit der Macht einer Flut brechen Licht, Bild und Schrift über eine Welt aus bloßem Hören herein: mit der Geburt, mit der Kultur von Menschen. Höre! ist das Gebot des Heiligen in der ältesten, Lies zum Hören! ist das Gebot in der jüngsten der hier verglichenen Alphabetschrift-Kulturen, dazu in diesen beiden: Mach dir kein Bild! Die Spannweite zwischen Hören und Sehen bestimmt den bedachten Geschichtsprozeß, in dem das Bild-Sehen fast ohne Lesen und Hören bis heute immer mächtiger zu werden scheint. Die kreisende Beziehung zwischen Schrift, Macht und Heiligkeit, Heiligkeit, Macht und Schrift, Macht, Schrift und Heiligkeit ist hier eingeengt durch das näher bestimmende ›Alphabet- ‹. Alphabetschrift grenzt aus der menschlichen Lebenswelt eine besondere Welt heraus. Die 1998 erwachte Neugier, wissen zu wollen, welchen Ausschnitt von Welt ein damals noch neues Standardwerk über das Mittelalter eigentlich beschreibe, führte auf den Kreis der jüdischen, christlichen und muslimischen Zeugnisse der Alphabetschrift in einem Mittelalter, dem die Ereignisse der gegenwärtigen Zeit immer schneller ins Gedankennetz zu laufen schienen. Die nachfolgenden Seiten sind, mit all den unterlaufenen Irrtümern, vor denen zu jedem Satz gewarnt werden muß, nur Vorlesungen darüber gewesen, zum Hören vom Sprechenden aus gemeint, in ein gedrucktes Schriftbild verwandelt unter den allen Mithelfenden oft harten Bedingungen der Wirtschaftlichkeit von Schrift und Sprache. In den Begriffen dieser Darstellung gilt Heiligkeit, Sakralität, als das, was von sich aus Geltung hat, was keiner anderen Macht zu seiner Geltung bedarf, was an ihm selber heilig ist. In der Welt der Geschichte wechselt die Macht, welche die Heiligkeit stützt, in den drei Bereichen der Alphabet-Schrift, ablesbar in dieser Schrift. Wir bedenken das nur vergleichend, den Andern anders sein lassend auch da, wo wir ihn nicht verstehen. Denn nur der achtenden Aufmerksamkeit eines Andern verdankt der Sprechende und Handelnde den Sinn seines Tuns, verdankt das Ganze hier seinen Gang der achtenden Aufmerksamkeit von Zuhörenden, deren Namen erinnerbar sind: Jasmin Allousch, Benedicta Bertau, Christian Bertau, Clément Bertau, Ingeborg Bertau, Marie-Cécile Bertau, Philippe Bertau, Hartmut Bobzin, Friedrich Michael Dimpel, Johannes Frey, Sonja Glauch, Gunter Görz, Birgit Grasser, Andreas Haug,
VI
Vorbemerkung
Wolfgang Heilig, Jürgen Hennig, Stefan Heuser, Christoph Hieber, René Hurtienne, Lenka Jiroušková, Hildegard Keller, Michael Klaper, Claudia Klein, Susanne Köbele, Gisela Kornrumpf, Hartmut Kugler, Michael Lackner, Manfred Lautenschlager, Sabine Lober, Walter Müller-Seidel, Frauke Münster-Egloff, Hans Neumann, Ingeborg Nickel, Dietmar Peschel, Elke Pfitzinger, Josef Rezek, Nicola Schümann, Georges Tamer, Hans Günter Ulrich, Karin Ulrich-Eschemann, Katharina Weikl, Antje Willing, Andreas Winderl, Renate Wittern-Sterzel, Rosemarie Würtlein sowie den Gästen des 1. Novembers 2002 in der Erlanger Orangerie. Für taktvolle und unbestechliche Mitaufmerksamkeit danke ich gerne Ingeborg Bertau, Sonja Glauch, Heiko Hartmann und Christoph Hieber. Erlangen am 27./28. Januar 2004
Karl Bertau
Inhalt 1. VORLESUNG: Alphabetschrift, Macht und Heiligkeit. Einleitung . . . . . . . . . . .
1
1.
1
Zusammenfassender Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Frage nach der Einheit der 38 Literaturen – Kulturkreis der Alphabetschriftlichkeiten westlich des Indus und Prozeß der Ausbreitung – Kultur-Übertragung als Konflikt des Übersetzens – Kult-Sakralität und KulturSakralität – Regelhaftigkeiten des Verhältnisses von Referenz- und DependenzTexten – Geschichte der Schriftverbote als Geschichte der Macht – Angewiesenheit von Macht und Recht auf Heiligkeit, später auf Wirtschaftlichkeit
2.
Alphabetschriftlichkeit und kulturelle Ausstrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
Kulturelle und technische Ausstrahlung – Alphabet des Fortschritts – Ausstrahlung und Gewalt – Schrift-Ausbreitung und Religions-Ausbreitung – Griechische und römische Missionspraxis – Quantitative Ausstrahlung: Fruchtbarkeit oder Aggressivität – Überregionale und regionale Schriftbereiche
3.
Simplifizieren und kritische Lektüre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
Subjektivität und Objektivität: Begriffe Zusammenhang und Tatsache – Beispiel: Arianer-Goten und Konstantin – Wirtschaftlichkeit und LdM – Beispiel: Wirtschaftsmacht und Frühchristentum: Paulus und jüdische Diaspora – Begriffe Mittelalter und Literatur – Zitieren und Übersetzen
4.
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
2. VORLESUNG: Faktenbegriff und Verlaufsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1. 1.1
Faktum Bibel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Hebräischer Tanach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Tanach, Schrift-Verständnis, Übersetzbarkeit
1.2
Übersetzungen aus dem Hebräischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
1.3
Zwei Testamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
Aramäische Targume, Griechische Septuaginta – Aquila, Hexaplá Vetus Syra, Tatian, NT als Buch, Apokryphen – Frühe Lateinische Übersetzungen, Markion, Vetus Latina, Koptische, Gotische, Armenische,
Inhalt
VIII
Georgische, Slavische, Syrische Übersetzungen – Vulgata, Hebräisch im lateinischen Mittelalter – Teil- und Voll-Übersetzungen, Bearbeitungen
1.4 2. 2.1 2.2
Priester-Schriftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturmuster und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Strukturmuster der georgischen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Priester-Schrift oder Fremdes und Eigenes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18 19 19 20
Absolute Anfänge – Kultur-Transfer: Stimulus und Übersetzung – Mündliche Literatur, Gedächtniskultur – Schrift und Legalitäts-Macht
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
3. VORLESUNG: Jüdische und griechische Alphabetschrift-Literatur vor der Römer-Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 2. 2.1 2.2 2.3 2.4 3.
Jüdische Alphabetschrift-Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gottesname und Tabu-Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommunikationsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur-Gattungen, Religion, Ethnie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phönizier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Griechische Alphabetschrift-Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sakralität und Profanität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Recht, Lyrik, Philosophie und Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Öffentliche Kultur-Sakralität und private Lektüre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischen Sokrates und Alexander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26 27 28 29 30 31 31 32 33 34 35
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
4. VORLESUNG: Römische Alphabetschrift-Literatur und hellenistisches Mittelmeer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1. 1.1
Römische Alphabetschrift-Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Rom – Troja – Karthago . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
1.2
Etrusker und Kolonial-Griechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
1.3 1.4
Hellenismus: Alexander und Braudel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Literarische Latinität zur Zeit der Punier-Kriege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
Robert de Clari, Staats-Mythos Etrusker, Zwölftafel-Gesetz, Magna Graecia
Theater – Scipionen, Ennius und Polybios – Meteor-Stein und Sibyllinische Bücher
Inhalt
IX
1.5
Anti-Hellenismus bei Römern und Juden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
2. 2.1 2.2 2.3 3.
Der zweite Schub der griechisch-hellenistischen Akkulturation . . . . . . . . . Lucilius, Caesar, Cicero, Varro, Lukrez . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hellenismus und Anti-Hellenismus in der jüdischen Welt . . . . . . . . . . . . Pharisäer, Schriftgelehrte und die Frommen von Qumran . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Cato, Septuaginta, Hasmonäer-Aufstand
44 44 46 47 48
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
5. VORLESUNG: Fülle der Zeit und Fülle der Vergottungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1.
Vergottungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Das Motiv einer problematischen Kindschaft – Gnosis-Syndrom – Freuds Familien-Roman
2. 2.1 2.2 2.3 3. 3.1 3.2 3.3
Römischer Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Caesar und Augustus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thurinus, Octavianus, Augustus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Augustus-Kohorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jüdischer Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psalm 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jüdischer Krieg und erste Christen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Iosephus Flavius, Paulus-Briefe – Römische Literaten der Nero-Zeit
52 52 53 54 56 56 57 58
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
6. VORLESUNG: Mediterrane Literaturlandschaft mit Gewichtsverlagerung in den Osten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 1.
Literatur für die Römer, auf Latein und auf griechisch . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Sueton, Martial, Juvenal, Tacitus, Plinius d. J. – Marcus-Evangelium – Plutarch, Epiktet, Aulus Gellius, Curtius Rufus, Florus, Vegetius
2.
Jüdische, christliche und häretische Sakral-Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Lukas, Matthäus, Johannes – Johannes-Briefe, Johannes-Apokalypse – Halacha der Tannaim – Messias, Bar Kochba und Rabbi Akiba – Amoraim und Talmud – Apokryphe Evangelien – Tatian, Markion, die guten Geldwechsler – Verfolgungen und Reliquien
3. 3.1
Trachten nach der Welt und Trachten nach hohen Dingen . . . . . . . . . . . . 66 Apuleius aus Karthago . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
X 3.2
Inhalt
Philosophie und Religion aus Ägypten und Syrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Origenes I und II – Ammonios Sakkas, Eusebios von Caesarea, Plotin – Mani Ming-Dynastie
3.3 4.
Götterdämmerung im Imperium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
7. VORLESUNG: Dogmenbildung und Alphabetschriftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 75 1.
Griechische Dogmen: Zerteilung der Christenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Ökumenische Konzilien und ein Gott für Spezialisten, Monophysiten und Dyophysiten – Morgenländische Gemeinde-Liturgie und abendländische Spezialisten-Liturgie – Nestorius und das Wesen als solches, Hegel – Schritte der Ausgliederung von Antiochia, Alexandria, Rom, Konstantinopel: Arius, Nestorius, Chalzedon – Griechische Kirchenväter: Die cohors amicorum der drei Kappadokier: Basilius, Gregor von Nyssa, Gregor von Nazianz, Johannes Chrysostomos, Athanasius, Kyrill, Eusebios von Caesarea
2. 2.1
Mission und Regionalschriftlichkeit im Orient – und in Irland . . . . . . . . . 78 Mission aus der ägyptischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Kopten – Pachomios, Athanasios, Kyrillos, Themistios – Hypatia und Synesios – Nonnos – Äthiopien – Kosmas Indikopleustes
2.2
Mission aus der syrischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Beduinen – West- und ost-syrische Kirchen bis nach Indien, Ephraem, Rabbula, Jakob von Sarugh und Bar Sudhaili – Dionysios Areopagites – Panca tantra – Arianische Gegenmission der Goten, nochmals Eusebios von Caesarea – Runen, Armenische und Georgische Literatur-Schriftlichkeit – Irland
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
8. VORLESUNG: Römischer Westen unter den Schwertern der Barbaren im Schatten von Byzanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1.
Gebildete Christen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Lactantius, Donatisten-Vorwürfe und juristische Replik der römischen Kirche, Ambrosius – Hieronymus, Prudentius, Martianus Capella
2.
Barbaren-Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Hunnen und Westgoten, Fall Roms, Orosius – Paganismus auf dem Lande und Heiligenverehrung, Paulinus von Nola – Augustinus, Vandalen und Sueben – 3. Barbaren-Welle: Burgunder in Gallien, 4. Barbaren-Welle: Ostgoten, Franken, Angelsachsen
Inhalt
3.
XI
Literatur im Schatten von Byzanz 476–610 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Kommunikationszentren der Kohorten-Bildung – Boethius, Cassiodor – Benedict von Nursia, Priscian, Fulgentius – Iustinian – Die Jüngeren: Martin von Braga, Venantius Fortunatus, Gregor von Tours – Gregor d. Gr., Isidor von Sevilla
4.
Irland und die Latein-Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Irische Missionare, Irische Literatur, Irische Bibliotheks-Klöster
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
9. VORLESUNG: Die Macht des dritten Sakraltextes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 1. 1.1 1.2 1.3
3.
Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geomorphologie und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von 900–600: EL und JHWH, der namenlose Wüstengott . . . . . . . . . . . . . Von 600–300: Unschriftliche Kult-Sakralität und schriftliche Kultur-Sakralität bei den Griechen . . . . . . . . . . . . . . . . . Von 300–0: Schriftlich elaborierte Kultur- und Kult-Sakralität bei den Römern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von 0–300: Alphabetschriftlichkeiten und Vergottungen im römischen Imperium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von 300–600: Imperiale Gottes-Schriftlichkeit im zerfallenden Imperium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Letzte Mahnung des einen Gottes in der klarsten Sprache und der schönsten Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Islam und die beiden andern Buchreligionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.
Weltreich und Schisma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
1.4 1.5 1.6 2.
100 101 104 106 108 110 112 114 115
rasûl und nabîy – Sarazenen-Sitten und Weltreich Dogmatischer Dissens um legitime Sakralität – Erste Kalifen – Hadith, Logienquelle Q, Halacha, Mischna und Talmud – Ausblick: Legitime Sakralität und Barbaren-Reiche
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
10. VORLESUNG: Neue Kultur-Regionen, maritim und kontinental . . . . . . . . . . 121 1. 1.1
Griechisch-christliche Schriftlichkeit und der Vordere Orient . . . . . . . . . 121 Wahres Kreuz, widerrufenes Dogma und Bilderverbot . . . . . . . . . . . . . . 121 Kurze militärische Siege, Niederlagen – Armenische und Georgische Literatur unter dem Islam – Griechische Literatur und Monotheletismus
XII 1.2
Inhalt
Literatur unter muslimischer Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Johannes Damaskenos – Sufismus – Das Museion von Alexandria – Muslimische Flotten und Griechisches Feuer – Das Mittelmeer ändert sein Gesicht
2. 2.1
Römisch-christliche Schriftlichkeit im insularen Norden Europas . . . . . . 124 Irisches Christentum und Missionierung Englands . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Irische Aidán-Mission – Der Römer Augustin von Canterbury – Ostertermin – Der Grieche Theodorus von Tarsus
2.2 2.3
Benedict Biscop und Beda Venerabilis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Literatur auf altenglisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
3. 3.1 3.2 4.
Römisch-christliche Schriftlichkeit bei den Festlandsgermanen . . . . . . . . Heidnische Geblütsheiligkeit und Kirchensegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glossen, Barbaren-Rechte, mündliche Kurzepik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorblick: 600–900: Neue Weltreiche der Buchreligionen . . . . . . . . . . . . .
Cædmon – Runengedicht – Gesetzbücher
128 128 129 130
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
11. VORLESUNG: Überregionale Macht-Kulturen des zweiten und des dritten Sakraltextes 732–810 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 1. 1.1
Macht und Kultur in der weströmischen Christenheit . . . . . . . . . . . . . . . 134 Karl Martell und Pippin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Weitausgreifendes Handeln – Fremde als Feinde und als Andere – Hausgötze und Hofkapelle – St. Martin und St. Dionysius
1.2
Christianisierung der peregrinatio-Kohorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Bonifaz – Taufgelöbnis – Fergil, Arbeo, Abrogans
1.3
Die cohortes des Aachener Hofkreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Die Alkuin-Paulus Diaconus-Kohorte – Theodulf und Angilbert
2.
Der fränkische Usurpator und der legitime Kaiser der Römer . . . . . . . . . 142 Imitatio Romanorum Imperii – Ein fränkisches Dogma: Anti-Ikonoklasmus – Credo … in Spiritum Sanctum … qui ex Patrem Filioque procedit – Versagte Anerkennung durch Byzanz
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
12. VORLESUNG: Regionalisierung in den Kulturen des maritimen Rahmens. 732–910 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 1.
Kalifenhöfe in Damaskus, Bagdad, Córdoba . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
Inhalt
1.1
XIII
Schwerpunktverlagerung von Damaskus nach Bagdad . . . . . . . . . . . . . . . 149 Umayyadische Reform von Verwaltung und Währung – PIRENNEs These nochmals
1.2
Literatur im Irak, aus dem iranischen Osten und im Judentum . . . . . . . . 151 Ibn-Is.haq, al-Kindi – Abu Mac ar – Sufische Mystik – Persische Lyrik: Abu Nuwâs – Papier-Herstellung – Die Ziffer Null aus Indien – Ibn Hišâm – at. Tabari – Talmud, Saadja Gaon – al-Fârâbî
1.3
Ägypten, Nordafrika, Andalusien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
2. 2.1 2.2 2.3
Raubüberfall und Kultur-Schriftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Raubüberfall als Wirtschaftsform und Steuerwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . Heidnischer Fernhandel ohne Schriftlichkeit: Waräger und Wikinger . . . Römisch-christliche Kultur-Schriftlichkeit im maritimen Norden . . . . . .
Orientalische Stadt und Venedig – Andalusien: Umayyaden – Adab-Literatur
156 156 157 158
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
13. VORLESUNG: Regionalisierte Macht und Kultur-Schriftlichkeiten im kontinentalen Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 1. 1.1
Fränkisches Römerreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Aachener Hof nach Karl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Einhard, Theodulf, Ermoldus Nigellus, Sankt Willehalm und seine Söhne, Benedict von Aniane, Hrabanus Maurus
1.2
Nitharts Zeugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
1.3
Westfränkischer Hof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
Aufstand der Söhne, Straßburger Eide, Reichsteilungen, West- und Ost-Reich Mehrsprachigkeit, Ludwigslied und Eulalia-Sequenz, Johannes Scotus Eriugena, Sedulius Scotus, lateinisch-griechisch-irisches Geistesgut, Alleluja-Sequenz und Notker Balbulus, Hucbald von St. Armand, Musica Enchiriadis, Remigius von Auxerre – Hinkmar von Reims, Ebo
1.4
Zwischen West- und Ostreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Walahfried Strabo, Gottschalk von Orbais – Ratramnus von Corbie, Paschasius Radbertus, Frechulf
1.5
1.6
2. 3.
Regionalkultur im fränkischen Ostreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Muspilli – Hildebrand-Lied, Tatian, Otfrid, Genesis-Dichtung und Heliand, Wessobrunner Gebet Epilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rather von Verona, Feudalismus als Abwehrstruktur, Wucher-Verbote, Kritischer Geist und Beschwichtigungsstrategien Korruption in Rom und Latein in Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Griechisch-christlich: Makedonische Renaissance . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
166
168
169 170
XIV 3.1
Inhalt
Orthodoxie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Bilderstreit und neue Gewaltordnung, Photios, Paulikianer: Wer hat was in welcher Absicht wie beschrieben? oder Feinde als häretische Glaubensfeinde
3.2
Das Drama der slavischen Kultur-Schriftlichkeit und die kontinental-maritime Kulturgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
14. VORLESUNG: Zusammenfassungen und rückblickendes Bedenken . . . . . . . 176 1. 2. 2.1 2.2 3.
Nachlese zu 600 bis 900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbales Grundschema der Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geraffte Zeitverläufe 900 v. bis 900 n. Chr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psalmist und Einstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue Verkürzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Raumstrukturen und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
176 177 179 180 181 184
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
15. VORLESUNG: Historisch-funktional und inhaltlich-material definierbare Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1.
Dilemma zwischen Wörtern und Begriffen im historischen Wörterbuch 188 Das Dilemma des Deutschen Wörterbuchs – Gegensatz zur französischen Lexikographie – Konkret-Besonderes und Begrifflich-Allgemeines – Geschichte des GRIMM als Geschichte historischer Katastrophen – Wortgebrauch und Sachbegriff, Wortbedeutung und Ordnungsbegriff
2.
Ordnungsbegriffe der Seins-Lehre und der materialen Wert-Ethik . . . . . 192 Materialistische und material-ontologische Schichtungs-Modelle: M AX SCHELER – NICOLAI HARTMANN – MAX WEBER – Schrift, Macht, Heiligkeit beim indischen König Asoka – Interdependenz von Macht und Heiligkeit
3.
Unvorhandenes Sein und ausgesagte Lebendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Die unvorhandene Kopula in den semitischen Sprachen – Seele, Unsterblichkeit, Macht, Heiligkeit als Phänomene konkreter Lebendigkeit – HellenismusGrenze – Funktionale Wert-Konstitution und gelebte Hermeneutik (GEORGES TAMER) – Historisch-funktionale Begriffe als Wörter in der Geschichte
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
Inhalt
XV
16. VORLESUNG: Anknüpfung und Vorblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 1.
Anknüpfung: Blickveränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Vorurteil: Wichtigkeit für Abendländler, Wirtschaftsgeschichte – Entdeckung, nicht Erfindung einer Maschine, die sich nicht abstellen läßt – Nietzsche – Schichten-Ontologie
2.
Vorblick 900 bis 1202 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Macht, Heiligkeit, Schrift, Dollar-Note – Keine Literatur-Geschichte, sondern Geschichte des Schriftfähig-Werdens von Sprachen in Alphabetschrift
2.1 2.2
Kein Datum historischer Epoche: 4660, 900, 286 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Gang der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Das Metahistorische der christlichen Geschichtsphilosophie – Wer nicht von dreitausend Jahren sich weiß Rechenschaft zu geben… – Entwicklung, Der Mensch
3.
Kalifat und religiöse Autorität, Sacerdos und Potens . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Analyse-Formel – Gilden der Theologen-Juristen – Grundlagen der religiösen Rechtslehre – Konkordats- und Drittmittel-Lehrstühle
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
17. VORLESUNG: 900–1000 (I) Maritimer Rahmen für semitische und lateinische Alphabetschriften . . . 213 1. 2. 2.1
Nordmeere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Literaturschriftlichkeit in der muslimischen Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Zublick vom jungen Avicenna aus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Verkehrs-Wege, Karte MIQUEL p. 136f. – Wege der Waren, Karte MIQUEL p. 152f.
2.2 Vielfalt islamischer Frömmigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 2.2.1 Ismaeliten und Fatimiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Karte MIQUEL p. 104f. – Macht-Räume im Abbasiden-Kalifat, Karte MIQUEL p. 110f. – Frömmigkeit und Heiligkeit: Gottesfreundschaft – Sufi-Frömmigkeit
2.2.2 Frömmigkeit und Heiligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 2.3 Avicenna und Firdausi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2.4 Fruchtbare Mißverständnisse Avicennas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Die Kopula sein und der Begriff Sein als solches – Johannes Duns Scotus – Thomas von Aquin, Albertus Magnus, Alexander von Hales, Dante
3.
Maritime Grenzüberschreitungen: Mittelmeer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Spanische Mark, Cordoba-Kalifat, Kloster Ripoll, Gerbert von Aurillac, Seehandel und Wikinger-Fahrten
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
XVI
Inhalt
18. VORLESUNG: 900–1000 (II) Legitimitätsformen von Macht und Heiligkeit in Kontinentaleuropa . . . . 228 1.
Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Nation-Bildungs-Brille – Personenverbandsstaat und inkonstante SolidaritätsGruppen – Schrift im Verhältnis zur Legitimität von Macht und Heiligkeit?
2. 2.1
Jahrhundertanfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Frankreich – Burgund – Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Westfränkisches Reich vor 987: Keine Vulgärsprache – Landnahme-Züge von Ungarn und Wikingern – Reformimpulse Cluny, Gorze – KommunikationsDifferenzen – Ostkarolingisches Reich: Legitimität und Sakralität von Herrschaft – Ungarn-Bekehrung – Reste von schriftlicher Volkssprache
2.2
Byzanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 Griechische Umgangssprache – Geschichteschreibender Kaiser – Makedonischer Enzyklopädismus
2.3
Weströmisches Papsttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
3. 3.1
Jahrhundertende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 Caesaren-Sakralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
»Pornokratie« der Crescentier-Päpste, Heiratspläne mit Byzanz
Otto I. und die Kaiser-Krönung von 962 – Berührungs-Heiligkeit – Geblütsheiligkeit aus Byzanz
3.2
Das Byzanz der Generäle und die Sachsenkaiser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Makedonische Macht-Renaissance: Siegreiche Generalsfamilien und Usurpatoren – Tausch von Prinzessin und Stiefel-Italien – Reorganisation der Hofkapelle und kulturelle Kohortenbildung, Gegenprobe: Richer von Reims
3.3
West-Frankenreich, Gerbert und die Ottonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Ottonen-Freunde im Westfranken-Reich: Adalbero von Laon und Hugo Capet, Gerbert von Aurillac und Abbo von Fleury – Ottonische Karriere Gerberts und Richer von Reims – Gerbert und Otto III. – Gerbert und Notker
3.4
Digenes-Epos, Religionsgrenzen, Basileios II. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Volks-Epos – Sekten? – Der Bulgaren-Schlächter, Russen-Bekehrung – Armenien – Georgien
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
19. VORLESUNG: 1000–1100 (I) Das frühe Jahrhundert: Kontinentaler Kern und maritime Ränder . . . . . 243 1.
Anknüpfung an den imperialen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Kaiser Heinrich II. und Bamberg – Anmerkung zur Wirklichkeit hinter der Schrift – Notker III.
Inhalt
2.
XVII
Maritimer Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 Am Rande der Schriftlichkeit im äußersten maritimen Rahmen: Island, Grönland, Amerika – Skandinavien, England – Normannischer Sog: HofHistoriographie – Philosophie in Bec und Chartres – Maritimes WestFrankreich – Andalusien: Vielfalt – Generations-Kohorten – Kalifat-Literatur der älteren Andalusier – Jüdisch-arabische Philosophie und Astronomie um 1050, besonders Ibn Gabirol – Südnormannen und Byzanz
3.
Nochmals Literatur im kontinentalen Imperium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Jüdisches Lehrhaus in Worms – Konrad II., Wipo, Guido von Arezzo – Brun von Egisheim-Dagsburg
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
20. VORLESUNG: 1000–1100 (II): Jahrhundertmitte und kontinentaler Kern . . 255 1.
Fragliche Heiligkeit und fragliche Schriftlichkeit im Kontinental-Christentum vor 1075 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Bruno von Toul – Ecbasis captivi – Ruodlieb – Hermannus Contractus – Erste Aggressions-Akte: Sutri – Spaltung von West- und Ost-Kirche: »KerullariosSchisma« – Byzantinische Zustände: Michael Psellos – Nicht geschriebener Knotenpunkt des dann folgenden Dramas – Der Schock von Sutri: Temporalia und Spiritualia – Bischöflicher Staatsstreich und neue Papstwahl
2.
Türkenheere, Dichter und Philosophen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 Eroberungszüge und Schriftsprachen – Georgien und Armenien – RumSeldschuken Kleinasiens – Kultur und Hof-Kultur: Omar Chajjâm und AlGhazzali
3.
Ruhe vor dem Sturm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Latein und Deutsch in der Stille Bambergs – Eschatologische Kreuzzugsgedanken und Päpstliche Lehnstaaten – Sizilien
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
21. VORLESUNG: 1000–1100 (III): Das ausgehende Jahrhundert . . . . . . . . . . . . 268 1.
Maritimer Rand: Andalusien und Okzitanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Reyes de Taifas-Literatur – Poésie sur scène I: Andalusische Sänger an spanischen Fürstenhöfen und Wilhelm IX. – Verfugung der andalusischen Kohorten und erste Gallo-romanische Poesie – Aquitanische Latinität
2.
Nördlicher maritimer Kulturbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Normandie und England – Berengar von Tours, Anselm und der Investiturstreit – Irland
Inhalt
XVIII 3.
Eklat im Kontinentalkern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
4.
Maritimes Vorfeld und Hilferuf aus Byzanz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
Bußleistungen und Destitutionen Normannischer Süden: Medizin in Salerno – Handelshotels und maritime Verflechtungen – Kroatische Literaturschriftlichkeit – Hilferuf von Piacenza – Konzil von Clermont – Venedig – Genua – Jerusalem
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
22. VORLESUNG: 1100–1200 (I): Menschenwege in Gottes Heiliges Land . . . . 280 1. 1.1
Berichte von den großen Taten Gottes durch die Ritter . . . . . . . . . . . . . . 280 Normannisch-anglonormannischer Horizont . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Waben für den Bienenstock des Menschengedächtnisses – Süd-Normannen, Normannen und Engländer – Epische Muster
1.2
Gesta Dei per Francos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Gottfried von Bouillon – Wahrheit der Fama – Die Gallier und der fränkische Orient – Francophonie
2.
Gottestaten durch andere Leute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Kosten, Nutzen, Handelsstädte – Die gens Alamannorum – Feinde Christi und Schüler Jesu
3.
Reflexe von Taten der Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Reflexe in Byzanz und Armenien – Reflexe in der Poésie sur scène II: Annolied – Kreuzzugslied – Kulturbruch – Der Weg des Jehuda ha-Levi ins Versprochene Land
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
23. VORLESUNG: 1100–1200 (II) Geschriebene Welt nach dem ersten Kreuzzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 1.
Die Neugier des Petrus Venerabilis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Koran-Übersetzung, Robert von Chester, Adelard von Bath – Petrus Alfonsi, Johannes Hispanus und die Übersetzer von Toledo – Volkssprachiges am anglonormannischen Hof
2.
Orte der Frühscholastik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Adela und die Schule von Blois – Jüngere Schule von Chartres und Schule von Laon, Roscellin – Sophista Johannes, Avenezra Nominalismus: Schöpfung im Prozeß und Wirklichkeitsbedarf, die 3 Fragen des Porphyrios und der Universalienstreit, Hinweis auf Averroës
Inhalt
3. 3.1
XIX
Sankt Bernhard von Clairvaux: Veränderung der geistigen und politischen Landschaften Frankreichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Mönche und Mystiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Erste Sufi-Klöster, Zisterzienser und Kartäuser – Übersetzungsproblem und Gottesnamen-Mystik – Bernhard und die gewalttätige Liebesmystik
3.2
Aufstieg von Paris und Königtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Templer-Orden, Champagne-Messen und Paris – Aufstieg von Paris: Abälard, St. Viktor – Suger von St. Denis: Königs-Gotik und Aquitanische Heirat – Poésie sur scène III: Trobador-Mystik?
3.3 4.
Bernhard, Abälard und Petrus Venerabilis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Imperator ergo teutonicus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Blick auf das West-Kaisertum im Osten
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
24. VORLESUNG: 1100–1200 (III): Literaturschriftlichkeit des römischen Kreuzzugschristentums 1137 bis 1152 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 1.
Imperator ergo teutonicus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 Aufbruch von St. Denis und die letzten Salier – Russische Literatur – Adelheid von Kiev, Heinrich IV. und Heinrich V. – Lothar III. und erste Staufer
2.
Vorort Regensburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Honorius Augustodunensis – Deutsche Literatur der ausgehenden Salier-Zeit, Bibelepik und Vorauer Hs. – Otto von Freising – Alexander-Lied – Kaiserchronik aus Regensburg – Isengrimus
3.
Literatur um Paris, am anglonormannischen und am französischen Hof nach der Heirat von 1137 . . . . . . . . . . . . . . . 310 Goliarden-Dichtung, Hugo Primas – Heinrich von Huntingdon, Geoffrey von Monmouth, Geffrei Gaimar, Jeu d'Adam et Eve
4.
Poésie sur scène IV, Cligès-Theater in Regensburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Mögliche Dichter – Mögliche scène: Regensburg Juli 1147 – Donauländischer Minnesang – Trobador-Repertoire
5.
Desaster des zweiten Kreuzzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Franzosen und Deutsche, Flamen, Friesen, Engländer – Ehescheidung 1152 und 1153, Tod Bernhards 1153
6.
Epilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Johannes II. und Manuel I. Komnenos, Antiochia – Sizilien, Almohaden
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
XX
Inhalt
25. VORLESUNG: 1100–1200 (IV) Angevinische und französische Literaturschriftlichkeit 1152 bis 1164 . . . 318 1. 1.1
Der angevinische Hof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Erzähldichtung, zumeist in Acht-Silblern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318
1.2
Poésie sur scène V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320
Brutus-, Eneas- und Theben-Romane – Tristan-Romane und Lais Paß-Wort Tristan – Trobadors, Trouvères – Periodisierungen – Begegnung in Rouen 1182 und Wirkung nach Deutschland
2.
Chansons de geste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 Wirkung auf den Welfen-Hof: Eilhart und Chunrat – Chanson de Roland, Pseudo-Turpin & Co. – La minute sacrée oder Frühdatierungen von NationalDenkmälern
3.
Oppositionen von Schrift und Macht-Sakralitäten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 Kaiserchronik und Rolandslied – Heiligsprechung Karoli Magni – Erzählliteratur aus der Krondomäne: Chansons de geste von Karl und Markgraf Wilhelm, Apollonius, Floire und Blancheflor, Alexandre de Paris – Epochengrenzen
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
26. VORLESUNG: 1100–1200 (V): Geschriebene Räume 1164–1184 . . . . . . . . . 330 1.
Körperräume und Innenräume: Der Hof der Champagne . . . . . . . . . . . . 332 Chrétien und Marie de France – Poésie sur scène VI: Gautier d'Arras, Roman de Renart – Gace-Brulé-Kreis
2.
Körperräume: Archipoeta, Antichristspiel, Petachja, Benjamin . . . . . . . . 333 Archipoeta, Antichrist-Spiel – Chassidim und Petachja in Regensburg – Benjamin
3.
Alexander-Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Arche Noah und Schota Rustaweli – Itineraire – Nizami, Chakani – Walther von Châtillon, Alanus von Lille, Wilhelm von Conches – Hildegard von Bingen?
4.
Schrift oder Straße: Kalligraphische Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338
5.
Notwendige Orte: Robinson und Maimonides . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341
Idrisi – Gelehrte aus Blois – Joachim von Fiore – Übersetzer – Ibn Joubair Almohadisches Andalusien: Abubacer und Averroes, Maimonides – Ibn al-Arabi und andere
6.
Verwandlung notwendiger Orte: Ortsfeste Chronik-Räume . . . . . . . . . . . 342 Saladin und Mekka – Wilhelm von Tyrus und Jerusalem – Armenier und Jakobiten – Benjamin und Byzanz – Byzantinische Literatur – Ibn al-Qalanisi und Usama, Ibn al-Fârid und die Tür des Zeichens
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
Inhalt
XXI
27. VORLESUNG: 1100–1200 (VI): Zwischen Mainz 1184 und Palermo 1198 . . 349 1.
Schauseite der vulgärsprachlichen Kultur-Sakralität . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Kaiserliche Kultur-Sakralität, Gottfried von Viterbo und Diplomaten-Poesie – Höhepunkt der romanisch-deutschen Kultur-Verflechtung – Veldeke, Fenis, Morungen, Wolfram, Tagelied – Romanische Poeten, Ende des Fests
2.
Rückseite der vulgärsprachlichen Kultur-Sakralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 Silber-Mark-Evangelium – Ketzeredikt von Verona 1184 – Passagini – Waldenser und Walter Map
3.
Dritter Kreuzzug und Sizilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Sizilianische Heirat, Fall Jerusalems, Conon und Hausen – Kreuzlied und Tagelied – Frankreich und England – Deutsches Kreuzheer – Kaiserkrönung – Sizilien-Eroberung und Peire Vidal – Der König im Kerker und Blondel de Nesle (381) – Konstanze, Tankred, Sibylle, Caltabelotta – Sizilische Krönung Heinrichs VI. und Geburt des Konstanze-Sohnes Konstantin, Friedrich-Roger – Weltreichs- und Kreuzzugspläne – Armenien – Tod Heinrichs VI. – Krönung Friedrichs II., Ausweisung der Deutschen – Philipp von Schwaben, Otto von Poitou, Innozenz – Galfrid de Vino Salvo und die Poetria nova – Joachim von Fiore, Franziskus, Zauberer Virgilîus, Schastel Marveile und Botenlouben
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358
28. VORLESUNG: 1100–1200 (VII): Irgend etwas stimmt nicht in der okzidentalen Schriftkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 1.
Unsicherheiten der Kult- und Kultur-Sakralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 Sakraler Ort oder sakrale Objekte: dîn und mulk – Jean Bodel – Neue Gattungen: Drama als Farce und Erbauung, Fabliau, Congé, Großstadt-Dit und Helden-Gesangs-Komik – Unbehagen am Alten: Stil II und Stil I – Wundertätige Gräber und neubelebte Vulgärsprache: England
2.
Ritterliche Erlösungssakralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 Robert de Boron, Joachim von Fiore, Chrétien: Roman, Roman-Parodie, Roman-Fragmente: Lancelot- und Perceval-Fragmente, Lancelot- und PercevalFortsetzungen – Wolfram, Botenlouben und die Courtenays
3.
Einheitsmittelhochdeutsch und regionale Sonderwege . . . . . . . . . . . . . . . 365 Welfisch-süd-ost-deutscher Sonderweg: Spielmannsepik – Vorauer Hs. – Trudperter Hoheslied – Nibelungenlied – Thüringen und Schwaben: Veldeke, Graf Rudolf, Botenloubens Beziehungen – Herbort – Hermann von Thüringen – Veldeke-Schule – Hartmann – Thomas Mann – Von der Bühnen-Lyrik zur Bühnen-Epik bei Hartmann und Wolfram – Renaut de Beaujeu
XXII 4.
Inhalt
Epiphänomene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 Irritationen und Unstimmigkeiten in Dichtungen und Verhaltensweisen – Neuartige Beurkundungsweisen – Veränderte Schriftformen
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
29. VORLESUNG: 10. bis 12. Jahrhundert und Aufbruch ins 13. Jahrhundert . . . 374 1.
Zusammenfassender Rückblick 900–1200 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 Grenzen der Macht und Karten als Quantifikation von Qualität – Rückblick 900-1000 – 1000-1100 – 1100-1200
2.
Akzente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 Das Wunder der französischen Literatur – Kategorien Jean Bodels – Anders konzentrierte Zusammenfassung 900-1200 – Proto-nationale Schriftlichkeit – Renaissance und Kultur-Heiligkeit – Cappenberger Barbarossa-Kopf – Arabisch-jüdischer Gesichtspunkt 900-1200 – Sein-Kopula
3.
Aufbruch zum vierten Kreuzzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 Französische Teilnehmer – Neue Gattungen ihrer Lyrik – Gesandtschaft und Vertrag –Markgraf Bonifaz, Provenzalen und Deutsche – Trobador-Lyrik dazu, Minnesänger und Sangspruch-Dichter – August 1202
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384
30. VORLESUNG: 1200–1300 (I): Schuldentilgung statt Sündenvergebung . . . . 386 1.
Erster Kapitalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 Sombarts Definition, Analyse-Schemata, Umdrehung der Passiv-Konstruktion
2.
Lockruf: Zadar, Byzanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 Erste Dissidenten – Franziskus von Assisi – Der Schwager des Staufer-Königs – 1. Kettenreaktion des Zwischen-Mittels Geld (Karte nach DUBY 59) – Verlockungs-Motiv: Kirchen-Union – 1. Eroberung, Zahlungsverweigerung, religiöse Skrupeln, Zweite Eroberung von Byzanz – Reichsteilung und Reichsgründung
3. 3.1
Reflexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 Deutsche in Byzanz und in Akkon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 Walthers Spießbraten und Diamant – Wolframs turkopel und anderes – Heimkehrer: Gunther von Pairis, Halberstädter Chronik
3.2
Griechisch-byzantinische Literatur 1184 bis 1208 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394
Inhalt
3.3
XXIII
Frankophone Literaten und ein spanischer Chorherr . . . . . . . . . . . . . . . . 395 Stil I und Stil II – Hugues de Berzé-le-Châtel, Guiot de Provins, Gautier de Coinci – Rechtssprache und Lingua franca – Martino da Canal – Domingo von Osma aus Caleruega und die Kumanen
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
31. VORLESUNG: 1200–1300 (II): Ketzerkriegs-Mission und neue Volgare-Schriftlichkeiten 1198–1209/1216 . . . . . . . . . . . . . . . . 400 1. 1.1
Pontifikat voller Unruhen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 Auspizien des neuen Pontifikats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 Heinrich VI., Konstanze, Friedrich Roger von Sizilien, Philipp von Schwaben, Otto von Poitou und der Edelkaufmann bei Rudolf von Ems
1.2
Situation voller Szenenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Eroberung der Normandie – Katharer-Kreuzzug und Königsmord – Otto IV., päpstlicher Lehensstaat – Friedrich II. – Bouvines und Aachen – Kaiserkrönung ohne Kreuzzug
1.3
Literaturschriftlichkeit nördlich der Alpen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402
2. 2.1
Innere Kriege und innere Reformen im westlichen Mittelmeer . . . . . . . 403 Ketzermission durch Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403
Rollen-Lyrik bei Walther, Neidhart, Rollen-Epik bei Wolfram – Strickers Karl
Katharer-Lehre – Katharer-Fürsten – Genozid – Fürstliche Waisenknaben bei den Tempel-Rittern von Monzón – Montserrat – Parteinahmen und Flucht von Trobadors – Ghibellinisches Italien und Peire Cardenals Franzosen-Haß – Okzitanische Literatur und mediterrane Volgare-Schriftlichkeiten – Sizilianische Dichtersprache
2.2
Laterankonzil und Bettelorden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Osterbeichte, Katharer-Credo, Judenfleck, Kirchliche Ehe, MendicantenOrden – Dominikus und Franziskus – Kinderkreuzzug – Franziskus und Wolfram und der Emir von Marokko
3.
Literarische Reflexe der mediterranen Ereignisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 Wolframs Willehalm – Achtung für Heiden und Juden – Gral und Templeisen im Parzival – trabuquet und gata bei Raimon Escrivan, drîboc und katze bei Wolfram und Otto IV. – Welthaltigkeit – das cor gentil bei Peire Cardenal, Guido Guinizelli und diu hage edeler herzen bei Gottfried
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411
XXIV
Inhalt
32. VORLESUNG: 1200–1300 (III) Konjunktur-Rhythmen in der Romchristenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 1.
Rückblickendes Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 30. Vorlesung: Byzanz-Kreuzzug, Kapitalismus Venedigs – 31. Vorlesung: Ketzerkriegs-Mission und neue Volgare-Schriftlichkeiten – IV. Lateran-Konzil – Ordenszulassungen
2.
Zahlenschrift, Bettelorden, Geldprobleme und Heiligkeit . . . . . . . . . . . . 417 Drittmittel und Phasen-Rhythmus – Geldannahme 1230 – Geldverwalter 1245 – praktischer Armutsstreit – Primat von Macht und Heiligkeit – Leonardo Fibonacci
3.
Ordensprovinzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 Bettelorden als Kommunikationsnetz und Urkunden – Konsequenzen: Rücksicht auf neue Schichten – Abwendung von Kirchensprache – Amts- und Poesie-Würdigkeit – Deutung der Ordensprovinzen: Nördlich der Alpen – England und Frankreich – Sollbruchstelle Geld und Heiligkeit: Weltpriesterund Professorenproteste
4.
Sammeln und Summen des Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 Enzyklopädiker: Jakob von Vitry, Vinzenz von Beauvais, Thomas von Cantimpré – Scholastische Summen: Wilhelm von Auxerre, Alexander von Hales, Albertus Magnus und andere – Robert Grosseteste – Lingua Franca
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426
33. VORLESUNG: 1200–1300 (IV) Literatur mit dem Rücken zur Stadt: 1209/1216–1230 . . . . . . . . . . . . . . . 429 1.
Nordmeere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 Irland und England – Dacia: Saxo und Snorri – Saxonia: Hanse, Mnd. Sachsenspiegel, Mnl. Legenden
2.
Vergebliche Krönungen und Kreuzzüge 1209/1216–1230 . . . . . . . . . . . 433 Teutonia: Julian von Speyer – Kreuznahme Friedrichs II., Neidhart-Kreuzzug, Tannhäuser, Jerusalem-König – Rudolf von Ems, Heinrich von dem Türlin – Stricker, Liechtenstein – Reichs-Italien und Südnormannen-Regnum: Albertanus von Brescia, Universität Neapel
3.
Frankreich und das Mittelmeer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 Ost-Mittelmeer: Terra Sancta: Wilhelm von Tyrus als Estoire d'Eracles französisch, Philipp von Novara – Graecia, Exil-Nikaia, Dalmatia, Venezia – West-Mittelmeer: Hispania und Provincia – Sephardische Kabbala, aschkenasische Hassidim und Buddha-Roman – Francia: Bibelübersetzung – Rosenroman, Pastetenlyrik, Histoire
Inhalt
XXV
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441
34. VORLESUNG: 1200–1300 (IV): Erste Konjunkturerträge 1230–1245 . . . . . . 444 1.
Der Schatten Dschingis-Chans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 Andalusien, Orient und Tartaria – Rumi und die Rum-Seldschuken – ExilNikaia, Lateinisches Kaiserreich – Dalmatia
2.
Gotischer Aristokratismus rund um das Westmittelmeer . . . . . . . . . . . . . 447 Überregionales Französisch, politische Machtprätention und HeiligkeitsAnspruch – Sainte Chapelle, Aristokratismus und enzyklopädische BildungsLiteratur für den Ritteradel – Aigues Mortes und das Königreich Navarra – Italienische Trobadors in Genua und Venedig – Friderizianische Renaissance, Hofdichterkreis und Charakter des Kaisers
3.
Ordensschulen und Universität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 Thomas von Aquino, Franziskanergelehrte in Paris, Albertus Magnus und sein Schüler – Gelehrten- und Weltpriester-Neid, Talmud-Verbrennungen in Paris
4.
Fürsten-Heiligkeit und Vielschreiberei im Regnum . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 St. Elisabeth-Kirche in Marburg – Deutscher Orden – Gericht über Fürsten und Sohn – Freidank, Neidhart, Tannhäuser – Conductus in Heilsbronn – der Analphabete Ulrich von Liechtenstein – kommerzielle Schreibwerkstätten – Märe, Schwank-Roman, Heinrich von dem Türlin und der Pleyer – Konrad von Würzburg in Basel – Berthold von Regensburg, Zulauf der Frommen, Geldzuwendungen, Scheelsucht und unheimliches Vermögen – Carmina Burana – Freidank und Reinmar von Zweter
5.
In den Mendikantenprovinzen des Nordens und Ostens und eine Botschaft aus Ungarn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 Anglia: Matthäus Paris, Robert Grosseteste und Roger Bacon – NorwegenDänemark: Königs-Bibliothek und Jüten-Recht – Niederlande: Hadewijch, Juliana von Lüttich, Fronleichnam – Magdeburg: Weltchronik und FranziskanerEnzyklopädie – Niederlande – Agnes von Prag und Margareta von Ungarn – Botschaft vom Großchan – Schlachten von Liegnitz und Mohi – Nachfolgekämpfe in Qara Qorum
6.
Stiftungsvermögen christlich und muslimisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 Die Bulle von 1230 – waqf-Stiftungen – Bulle von 1245 – Elias von Cortona
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457
35. VORLESUNG: 1200–1300 (VI) Temporale und sakrale Machtfelder zwischen zwei Konzilen (1245–1274) Botschaften vom Kaiser von China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461
XXVI 1. 1.1
Inhalt
Vorstellungsmodell: Ein Kern in der Kugel in der Kugel . . . . . . . . . . . . . 461 Der Kern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 Warum Konzil in Lyon? – Absetzung und Ende Friedrichs II., Gegenkönige, Rheinischer Städtebund, Konrad IV., Manfred
1.2
Die mediterrane Schale des Kerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 Damiette-Kreuzzug Ludwigs des Heiligen – Mamluken – Zypern: Wilhelm von Rubruk und andere – Mongolen-Bündnis und Tunis-Kreuzzug – Gesetzgebung des Königs
1.3
Die äußerste Schale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 Lyon und China 1245: Gesandtschafter-Kundschafter – Die Klugheit der älteren Polos – Weg über Byzanz vor dem Ende des Latein-Kaisers – Beim Chan der Goldenen Horde – Von Buchara zum Groß-Chan – Rückkehr bei Sedisvakanz und Warten – Konklave – Veränderungen während der Wartezeit in China und Persien, Osmanisch – Vorblick auf was noch alles
2. 2.1
Der Geldwurm im Innern der Romchristenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 Akademischer Armutsstreit, unakademische Schikanen und große Theologen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 Professoren-Streit – Weltklerus-Schikanen und Dichter-Kritik – Bonaventura und Thomas – Dantes poetische Konzentration und Richtung der Kritik – Roger Bacon
2.2
Teutoniaprovinz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 Albertus, Berthold, Lamprecht von Regensburg – Mechthild von Magdeburg – Geißlerzüge – Jenaer Liederhandschrift
2.3
Anzeichen für Geld im Lande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 Gönner-Geld in den Niederlanden – Handschriften im BöhmischÖsterreichischen: Liechtenstein und Helmbrecht – Handschriftenproduktion – Konrad von Würzburg – Reichtum Lübecks und Brügges – Norwegen
2.4
Karl von Anjou, der Reiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 Belehnung – Manfred – Konradin – Reste der Sizilianischen Dichterschule und Dolce stil novo – Eigenes Gesicht Spanischer Literatur: Alfons der Weise – Korrektur der Kreuzzugs-Karte
3.
Lernerfolge? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474
36. VORLESUNG: 1200–1300 (VII): Jahrhundertende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 1. 2.
Anjou und Aragón . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 Interferenzen von Ritterkultur und Ostexpansion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481
3. 3.1
Neue Literaturen in Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 Frankoitalienisch und Novellino . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486
Flandernweg – Niederlande und Ostwege – Habsburg und Böhmen
Inhalt
XXVII
3.2 4.
Dolce stil novo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 Machtergreifung des heiligen Geblüts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489
5. 5.1 5.2 5.3
China, Islam und Abendland-Ideologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heimkehr und Bericht von der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christentum, Islam und China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aggressivität des Christentums als Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Stil I – Stil II – Anagni
491 491 492 493
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493
37. VORLESUNG: 1300–1400 (I): Romchristliche Herrschaftslegitimitäten . . . . 498 Vorspruch: Spätmittelalter-Forschung – Die drei Daten: 1305/08 Lyon/Avignon, 1337 100jähriger Krieg, 1348 Große Pest, 1378 Großes Schisma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498
1.
Frankreich hält die Hand auf der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 Frankreich-Weg der Päpste – Urteile der Commedia – Heiligkeit und Männlichkeits-Wahn – Häretomanes Frankreich: Templer und Ketzerinnen – Prachthandschriften und Festessens-Schwüre – Im ketzerischen Süden: Scheiterhaufen und Fröhliche Wissenschaft
2.
Das Geld hält Fürsten, Kirche und Hochfinanz in der Hand . . . . . . . . . . 504 Pleite Riccardi 1300, Frescobaldi 1311, Bardi 1345, Peruzzi 1343, Cerchi 1309, Mozzi, Spini
3.
Das Reich, Böhmen, Italien (1308–1347) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 Voraussetzungen im Kaisertum – Ludwig der Bayer und die Asylanten – Marsilius von Padua und Eidgenossen – Häresie-Urteile – Deutsche FrauenMystik – Wahl der Luxemburger – Literatur in Böhmen und Un-Häretisches in Süddeutschland
4.
Spanien: Cifar, Amadis, Juan Ruiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510
38. Vorlesung: 1300–1400 (II) Vom Schwarzen Meer kommt der Schwarze Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 1.
Avignon und Italien zwischen Rom-Idee und Pest . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 Die Nachtseite der beginnenden Renaissance: Avignon und Opicius da Canistris – Gelehrt-poetischer Aristoktatismus bei Petrarca – Antiaristokratischer Aristokratismus bei Rienzo
2.
Die Pest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517
XXVIII 2.1
Inhalt
Befremdliche Schriftlichkeiten im Umfeld des Schwarzen Meeres . . . . . 517 Drache am Bosporus – Armenien, Jerusalem und Zypern – Bulgarien, Serbien – Rußland – Caffa auf der Krim – Unentzifferte Schrift der Bazillen – Griechische Literatur
2.2
Die Pest in der Westchristenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 Lebens-Wert und Handels-Wert: Metaphorik Petrarcas – Krankheitsbefunde und Wege der Pest – Andrea Dandolo – Pest in Florenz : Boccaccio, Vilani und Cantari-Strophen – Flagellanten, Pest und Pogrome in Deutschland – Judenmord und Reichsheiligkeit in Nürnberg
3.
Frankreich, zwei heilige Frauen und das Große Schisma . . . . . . . . . . . . . 522 Ein Beinahe-Dante: Guillaume de Deguilevilles – Höfische PoetenGesellschaften – Froissart – Birgitta von Schweden und Katharina von Siena – Rückkehr-Versuche der Päpste, guastamondo und der Henker von Cesena – Doppel-Papsttum – Fioretti
4.
Kaufmannsschriftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525
39. VORLESUNG: 1300–1400 (III): Schismatische Alphabetschriftlichkeiten . . . 528 1.
Umfeld Avignon-Frankreichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 Katalanisch: Turmeda, Vincente Ferrer – Bretonisch – Walisisch
2.
Von England über Böhmen und Süddeutschland nach Holland . . . . . . . 531 Sir Gawain – Piers Plowman – Aufstände und Kondratieff – Margery Kempe – Wyclif – Richard II. – Wenzels-Stil – Judendeutsche Epik – Ackermann – Der Ring – Jakob Twinger und Ulman Stromer – Hugo von Montfort – Suchenwirt – rederijkerskamers – Ruusbrook
3.
Hansischer Norden und östliche Heidengrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 Friesisch – Deutscher Orden – Litauen – Teichner und Suchenwirt – Polnisch – Slovenisch – Grenze der Rom-Christenheit: Humanisten-Italien und Griechenland: Boccaccio – Chaucer – Salutati – Chrysoloras – Serbien – Rußland – Armenien – Georgien
4.
Arabische Alphabetschriftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537
5.
Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539
Timur – Hafis – Ibn Haldun – Nesimi – Ibn Battuta
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542
Inhalt
XXIX
40. VORLESUNG: 1400–1500 (I): Allgemeine Unübersichtlichkeit und Sakralitäten-Inflation des 15. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 1.
Einführung in die allgemeine Unübersichtlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 Konkurrierende Autoritätsansprüche und die Heiligkeit des einen Gottes – Heiliges Römisches Reich deutscher Nation – Drei Haupt-Heiligkeiten und viele Duodez-Heiligkeiten – Reichskreise 1500 – Unfeste Grenzen: Frankreich, England – Der lange Schatten: regio und religio – Kartierte Kultur-Heiligkeit – Überregional-Sprachen und Regional-Sprachen – überregionale Inhalte?
2. 3. 3.1
Orientierungsdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548 Der Wurm des Humanismus in der Paradiesfrucht der Kirche . . . . . . . . 549 Überregionalsprachliches Latein mehrfacher Observanz . . . . . . . . . . . . . 549 Verschiedenartiges Latein – Gerson, VavÍinec und Hus – Wyclif – Humanistische Konzil-Sekretäre: Leonardo Bruni, Poggio Bracciolini, Piccolomini, Lorenzo Valla – Florentiner Bürger-Humanismus: GriechischLehrer
3.2
Überregionalsprachliches Griechisch mehrfacher Observanz . . . . . . . . . 552 Chrysoloras und Plethon – Nil Sorskij – Ausblick: Griechischer Psalter 1481 und Erasmus 1516
3.3
Cusanus, Dionysius der Kartäuser und Thomas a Kempis . . . . . . . . . . . . 553 Cusanus – Negative Theologie – Dionysius und Thomas a Kempis – Ausblick: Johannes von Capestrano – Die Ehe zwischen Kult-Sakralität und Technik: Gutenberg- und Wenzels-Bibel
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555
41. VORLESUNG: 1400–1500 (II): Geistliches, volkssprachlich handschriftlich . 557 1. 2.
Orientierungsdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 Handschriftliches geistlichen Inhalts in Vulgärsprachen der Romchristenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559 Der Frankfurter – Niederlande: Schutken-NT, Devotio moderna – Thomas a Kempis und der idiota des Cusanus – Böhmen: Hus, Hussiten, Z4iz4 ka, Chelc4 icky' , Böhmische Brüder – Italien und Böhmen: Kapestran, Bernardinus von Siena – Böhmen-Polen: Tkadlec4 ek – Meister Polykarp, Sofien-Bibel – Ungarn
3.
Geistliche Inhalte, hand- und frühdruck-schriftlich, jenseits der lateinischen Schriftgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563 Novgorod-Bibel – Russisch von Türkenflüchtlingen aus dem Balkan und aus Serbien: Pachomij Logofet – Wirkung des Konzils von Ferrara-Florenz: Kirchenspaltung 1458 – Häresie-Probleme – Vladislav Gramatik: RilaLegende – Dimitrije Kantakuzin – Cetinje – Spanien: Aljamiado –
XXX
Inhalt Lateinschriftlichkeits-Grenze im Innern: Talmud-Aramäisch bei Abravanel – hebräischer Psalter mit dem Kommentar – Torá und Biblia Hebraica der Soncinaten – Serbo-Kroatisch und akavisch – Amerbach-Bibel – Griechischer Psalter – NT – Gutenberg-Bibel und Wenzels-Bibel – Frankreich und England
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568 42. VORLESUNG: 1400–1500 (III) Kultur-Sakralität I: Weltliches, volkssprachlich handschriftlich . . . . . . . . 571 1. 1.1 1.2
Adelshandschriftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 Am Rande des Konstanzer Konzils: Wolkenstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 Die Länder des Hundertjährigen Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 Charles d'Orléans – König Jakob von Schottland und schottische Poesie von Andrew of Wyntown bis zu William Dunbar – John Lydgate und Malory – Christine de Pisan und Jeanne d'Arc – Höflinge als Dichter – Antoine de La Sale: Madame du Chastel bei ERICH AUERBACH – Olivier de La Marche, Cent nouvelles nouvelles – Jean Molinet – Rhétoriqueurs – Philippe de Commynes und Karl der Kühne
1.3
Die Länder des Habsburger-Horizonts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576 Süddeutsche Höfe: Elisabeth von Nassau-Saarbrücken – Püterich – Fuetrer – Maximilian I. – Thüring von Ringoltingen – Spanische und Galizische Literatur
1.4
Höfisch-Handschriftliches im Horizont der Glaubensfeinde . . . . . . . . . . 578 Der osmanische Dichter Avni – Ersehnte und erbeutete Hofdichter – Tausendundeine Nacht – Bulgarische, georgische und armenische Literatur – Prinz em Sultan – Translatio auf die Turkokratia
2. 2.1 2.2
Berufsständische Handschriftlichkeit, weltlich in der Vulgärsprache . . . . 580 Mirakel- und Mysterienspiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 Hansischer Horizont und süddeutsche Geselligkeitskultur . . . . . . . . . . . . 582 Dänisches und Niederdeutsches – Fastnachtsspiel und Totentanz im Lübeck Thomas Manns – Meistersinger-Gesellschaft in Augsburg – Kolmarer Hs. – Ursprungslegende – Liederbücher außerhalb pedantischer Feierlichkeit – Laufenberg – Muskatblüt – Zink – Beheim – Kaufringer
2.3 3.
Volkspädagogische Humanisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 Der Outcast: François Villon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 Nachschrift: Bordunstimme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586
Inhalt
XXXI
43. VORLESUNG: 1400–1500 (IV) Kultur-Sakralität II: Buchdruckzonen, Bild und Buchstabe . . . . . . . . . . . 589 1. 1.1
Buchdruckzonen in Randlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 Iberischer Kreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 Ein Drucker aus Köln – Ein Consortium aus Ravensburg in Valencia – Barcelona, Sevilla, Granada, Alcalá de Henares – Zensur und Inquisition – Ritterromane, Polyglotten-Dramen
1.2
Südosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 Böhmen druckt nichts Weltliches – Polen – Nichts Volkssprachliches vor 1500 in Ungarn
2. 2.1
Nordalpine Buchdruckzonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 Schwäbisch-fränkische Zone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 Bamberg, Pfister und Eyb – Nürnberg, Folz, Schedels Weltchronik – Dürers Apokalypse und Reisewege – Ulm und Augsburg
2.2
Buchdruckzone Niederrhein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595 Mainz und der niederdeutsche Raum, Hermen Bote, Ulenspiegel – Niederländische und Lübecker Bibeldrucke – Weltliches: Reinhard Fuchs – Caxtons Drucke für England – Nichts Geistliches dort – Dürers TagebuchNotiz – Skandinavien
2.3
Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596 Paris als zweitgrößter Druckort – Maître Pierre Pathelin – Geistliches – Johannes de Lapide bis nach Basel
2.4
Buchdruckzone Oberrhein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 Basel und Brants Narrenschiff – Straßburg: Erste deutsche Bibel – Geiler von Kaisersberg – Malleus maleficarum, der Hexenhammer – Basler Drucke – Sachsenspiegel u.a.
3. 3.1 3.2
Südalpine Buchdruckzonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 Simon von Trient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 Oberitalien und Venedig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 Hebräisch und Jiddisch – Verona, Vicenza, Militaria und Mathematica – Regiomontan – Dürer und Schedel über Venedig – Padova, Bologne – Aldo Manutius in Venedig
3.3
Rätselhafte Alphabetschriften und Analphabetismus . . . . . . . . . . . . . . . . 603 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606
44. VORLESUNG: Kultur-Sakralität III: Schlußopposition von Druck und Handschriftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 608 1.
Zwischen Druck und Privatschriftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608
XXXII 1.1
Inhalt
Mittelitalien: Frühdrucke, Volgare-Poesie und Autodafé . . . . . . . . . . . . . 608 Frühdrucke in Foligno – Göttlichwerden der Commedia – ironisches Ritterepos bei Pulci und Boiardo – Der Mediceer-Kreis – Autodafé in Florenz
1.2
Radikale Privatschriftlichkeit bei Leonardo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611 Dürer in Florenz und Rom – Sive natura – Fabeln 5 und 6 – Bild oder Text: Leonardo, Dürer, Colonna – Hören und Sehen
2.
Heiligkeit und unlitterale Gewaltschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615
2.1
Macht und Heiligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615 Begriffsbestimmungen – Heiligkeit ohne Macht-Aspekt – Ost-Kirche und WestKirche im LdM – Sakralität mit Macht-Aspekt – Heiligkeit im RGG: Das Religiöse schlechthin im Gegensatz zum Judentum – Abgrenzungen zwischen Judentum und Islam bei Rosenzweig mit Anrufung des Kusaners
2.2
Religionsschriftlichkeiten als Machtschriftlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 Säkularisierung und Sonder-Religiosität – Religion als Begriff von außen – Glaubwürdigkeit
3.
Unsichere Schriftlichkeit und unlitterale Gewaltschrift der Fakten . . . . . 618 Vasco da Gama – Kolumbus: Gescheiterte Heiligsprechung – wahre christliche Gesinnung – Goldhunger – Ehrgeiz – Der eigene Name – Probleme mit Forschungsprojekt und Experten-Kommissionen – Land, Land – Caesarischer Bericht und verweigerte Audienz – Der Doppel-Kontinent: Ausbeutende und ausrottende Kolonisation – arm und reich – Vorrecht der Massenvernichtung – Regenbogen-Versprechen des Schöpfers – Kult-, Wirtschafts- und KulturHeiligkeit
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621
Epilog: Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623 1.
Ähnlich wie Luftbild-Archäologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623 Hören oder Sehen – Differenz von Fern-Aufnahme und Nah-Aufnahme – Beispiel: Bibel-Übersetzungen vor Luther, Begriff der Aneignung – Beispiel: Wissenschaftssprache, eigentliche Bibelverbote – Verwendung von Übersetzungen im Gottesdienst – Beispiel: Das erste vollwertige Gemeindegesangbuch
2.
Akzente der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624 Statistisch und kritisch lesbare Spur der 44 Vorlesungen – Rom-christliche und jüdische Druckschriftlichkeit gegenüber griechisch-christlicher und muslimischer Handschriftlichkeit – Heiligkeitskrisen – Notwendige Lücken – rom-christliche Zentrierung – Fremdes und Eigenes – Unfertige Erdgestalt und Menschen-Spezies
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627
Inhalt
XXXIII
Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629 Vorlesungsdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635 Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653
1. V ORLESUNG Alphabetschrift, Macht und Heiligkeit Einleitung Guten Tag! – sagt man in einigen Ländern, Meine Damen und Herren – sagte man früher hier, oder man sagt nichts. Jedenfalles danke ich Ihnen dafür, daß Sie mir gestatten, mein jüngstes Steckenpferd vor Ihnen zu reiten. Es ist scheckig, kulturgeschichtlich. Il ne faut pas se couper l’herbe sous les pieds – Man sollte sich nicht selbst das Gras unter den Füßen wegschneiden, meint ein französisches Sprichwort. Dennoch möchte ich zuerst alles vorweg zusammenfassen, in wenigen Minuten.
1. Zusammenfassender Bericht Die Arbeit während des vergangenen Jahres hat mich die vertraute europäische Kultur, Literatur und Geschichte anders sehen gelehrt. Ein wissenschaftliches Lexikon des Mittelalters enthielt Artikel zu 38 verschiedenen Literaturen, und die Frage ging zunächst darauf, ob es einen Gesichtspunkt gäbe, der diese Literaturen als Einheit sehen ließe. Denn jene 38 standen spezialistisch vereinsamt im Lexikon. Ihre Autoren und ihre Gegenstände kannten einander kaum, meist gar nicht. Das erste, was sich ergab, war, daß Alphabetschrift in verschiedenen Formen alle diese Literaturen verband. Weder Griechen noch Römer hatten sie erfunden, sondern West-Semiten: Phönizier, sagt man, und die hebräische wie die arabische, die griechische wie die römische Alphabetschrift waren aus der phönizischen Schrift abgeleitet worden, zufrühest die hebräische und die griechische. Alle zusammen bildeten also einen Kulturkreis, den der Alphabetschriftlichkeiten westlich des Indus. Denn die Alphabetschriften Süd- und Innerasiens blieben im Lexikon ebenso draußen wie die Silben- und Bilderschriften. Die Ausbreitung dieser Schrift war zugleich eine Übertragung von einer besonderen Schriftkultur in eine andere. Sie war inhaltlich wenig faßbar vom Phönikischen ins Griechische, etwas besser schon vom Phönikischen ins Hebräische, sehr deutlich dann vom Griechischen ins Römische, mit dem Christentum sodann vom Hebräischen ins Griechische und Römische, vom Griechischen wiederum ins Koptische, Gotische, Armenische, Georgische und in die Glagolitisch und Kyrillisch schreibenden Sprachen. Diese Kultur-Übertragungen waren immer zugleich Konflikte des Übersetzens, besonders des Übersetzens heiliger Texte. Solche heiligen Texte standen als Grundlage von Kultus und Rechtsprechung meist am Anfang. Die große Ausnahme schien
2
1. VORLESUNG: Alphabetschrift, Macht und Heiligkeit
hier das Griechische. Dort waren Dichtungen neben Gesetzestexten am Anfang. Zwar waren die Dichtungen von Frömmigkeit erfüllt, aber ein religiöser Kultus war nicht schriftlich. Die römische Alphabetschriftlichkeit war fasziniert von der griechischen Dichtungskultur. Deren Texte wurden übernommen und nachgeahmt als kulturelle Sakralität. Eine Kult-Sakralität wurde als ritus graecus angeblich auch von den Griechen übernommen: als die Fälschung der Sibyllinischen Bücher. So waren im Römischen nunmehr zwei Sakralitäten da: eine Kult-Sakralität und eine Kultur-Sakralität. Als die heiligen Texte des Christentums aus dem Hebräischen ins Griechische und dann auch ins Römische übersetzt wurden, traten diese Übersetzungen an die Stelle der heidnischen Kult-Sakralität. Die heidnische Kultur-Sakralität bestand daneben weiter. In einem Angsttraum sagte der höchste Richter zum heiligen Hieronymus: Ciceronianus, non Christianus es – Du bist kein Christ, du bist ein Kultur-Literat nach dem Beispiel Ciceros. Das von Rom aus verbreitete Christentum trug beide Formen unter die Heiden, nicht eine, sondern zwei Sakralitäten. Die Kultur-Sakralität war Nährboden immer neuer Renaissancen, die sich auch gegen die christliche Kult-Sakralität durchsetzten. Die antiken Kaiser- und Götterbilder, um deretwillen eben noch Märtyrerblut geflossen war, wurden über Nacht zu Kultur-Gütern bis hin zum heutigen KulturErbe. Das Charakteristikum der heiligen Texte der Anfänge schien regelhaft dies, daß sich andere Texte kommentierend, glossierend, variierend auf sie bezogen. Die heiligen Zentral-Texte waren Referenztexte, alle übrigen Dependenztexte. Daß beide Arten von Texten im Rahmen der Alphabetschriftlichkeit nicht verboten wurden, war immer erstaunlich; daß sie verbreitet werden durften, später gar druckschriftlich, war ebenso erstaunlich. Eine Geschichte der Schriftverbote wäre eine Geschichte der Macht, die das Schreiben nicht nur verbieten, sondern auch gestatten muß, und die notwendig ein Interesse an beidem hat: am Fördern und am Verbieten. Die heiligen Texte verleihen der Macht und dem Recht Heiligkeit, ohne die Macht und Recht keine Gültigkeit haben. Auch die Kultur-Feierlichkeit kann das tun. Deswegen ist Kultur-Förderung für Staat und Wirtschaft wichtig. Heute, und nicht erst heute, sondern seit dem 10. Jahrhundert, ersetzt Wirtschaftlichkeit die Heiligkeit, die Gesetz und Recht möglich macht. Ohne Wirtschaftlichkeit läßt sich kein Gesetz durchbringen.1 Soweit die Untersuchung, sehr abgekürzt. Die Frage an den jeweiligen Text wäre: Warum durfte er geschrieben und verbreitet werden und inwiefern zeigt sich dies im Text selbst? Diese Frage wird im Verlauf der Vorlesungen an Texte immer wieder zu stellen sein. In dieser Stunde möchte ich nur einiges von dem eben Gesagten etwas deutlicher machen.
2. Alphabetschriftlichkeit und kulturelle Ausstrahlung
3
2. Alphabetschriftlichkeit und kulturelle Ausstrahlung Alphabetschriftlichkeit ist für uns selbstverständlich und sie ist mit Schriftlichkeit fast gleichbedeutend. Wir Abendländer meinen dabei immer Lateinschriftlichkeit. Kyrillisch, Griechisch, Arabisch, Hebräisch können viele von uns nicht lesen – also kann es nicht wichtig sein. Was ich nicht lesen kann, geht mich nichts an. Die abendländische Selbstverständlichkeit des Kulturphänomens Lateinschrift enthält wie ein Keim A) einen Anspruch und B) zugleich ein Geschichtsbild. Der Kulturanspruch heißt: Lateinschrift ist gleich Fortschritt. Sie ist die fortschrittlichste aller Schriften. Chinesisch oder Japanisch sind unpraktisch und rückschrittlich. Wenn die mit uns verhandeln oder Geschäfte machen wollen, sollen die sich gefälligst nach uns richten, nach unseren lateinischen Buchstaben. Daß wir etwas von denen wollen könnten und chinesisch oder japanisch schrieben, kommt nicht in Frage. Das gilt auch von Griechisch, Kyrillisch, Arabisch und Hebräisch – von den beiden letzten zumal. Die beiden letzten schreiben ja nicht einmal die Vokale eindeutig, sondern nur die Konsonanten. Daß konsonantische Alphabetschriften mit variablen Vokalen Vorzüge haben, daß sie den Geist von Texten so anders machen können, daß vokalkonsonantische Alphabetschrift das gar nicht ausdrücken kann, das spielt natürlich für Übersetzung und Verständigung eine Rolle. Davon wird in der nächsten Stunde gesprochen. Hier geht es nur um den Anspruch unserer Lateinschrift. Es sind darin nicht einmal alle Konsonanten ausgedrückt. In deutscher Lateinschrift fehlt z.B. der Konsonant, der den Satz isaucheinei von iß auch ein Ei unterscheidet. Die internationale phonetische Umschrift ist natürlich auf der Basis der Lateinschrift erstellt worden. Wenn eine Erklärung zum Zeichen a lauten würde: wie deutsch a auszusprechen, fragt ein Ausländer: wie fränkisches a, wie bairisches, wie niedersächsisches oder hamburgisches? Oder wenn dabeisteht wie französisch o in bon – woher weiß ich, wie das im Französischen, im Nord- oder im Südfranzösischen ausgesprochen wird? Ich muß mir den Klang vormachen lassen, sonst kann ich das Zeichen nicht lesen. In diesem phonetischen Alphabet erfährt die Lateinschrift durch Zusatzzeichen so viele Modifikationen, daß man nur zu dem Schluß kommen könnte: Die lateinischen Buchstaben allein sind nicht der vollkommenste Ausdruck von Schrift überhaupt. Das Vorurteil von der eigenen Vollkommenheit hält sich aber hartnäckig. Daß Lateinschrift die Schrift des Fortschritts sei, hat seit der Aufklärung Völker mit anderen Schriften so beeindruckt, daß sie diese Schrift angenommen haben: Seit der josephinischen Aufklärung etwa die Rumänen, die vorher kyrillisch schrieben. Als Rumänien Nationalstaat wurde, wurde Lateinschrift auch für die kirchenslavische Liturgie von Staats wegen vorgeschrieben. Ohne Druck von oben ging das nicht. Auch bei den Osmanen mußte mit Gewalt durch Atatürk Lateinschrift eingeführt werden. Danach sieht es so aus: Schrift-Ausbreitung geht nicht ohne Gewalt von oben. Und das Oben dabei kann Verschiedenes sein.
4
1. VORLESUNG: Alphabetschrift, Macht und Heiligkeit
Warum hat Lateinschrift bei uns eine solche Machtrolle? Jeder weiß die Antwort: Weil wir von der lateinischen Kultur aus zivilisiert worden sind. Das erste Stadium dieser Zivilisierung war zweifellos die Christianisierung von Rom aus. Und die andern? Warum schreiben die noch anders? Wie konnten sie überhaupt dazu kommen, anders zu schreiben – also weniger vernünftig? Die Frage nach der Verschiedenartigkeit bloß der Alphabetschriften macht einen ganzen kulturgeschichtlichen Prozeß sichtbar. Von diesem Prozeß meinen wir – nach den vorausgegangenen Überlegungen – zu wissen, daß Schriftausbreitung Entscheidendes mit Machtausbreitung zu tun hat. Von dieser Gegebenheit spricht man anscheinend nicht gerne, sondern man spricht lieber von kultureller Ausstrahlung – so in den gängigen und renommierten Werken über die Geschichte der Schrift. Mancher Autor konstatiert naiv und stolz einen Siegeszug der Lateinschriftlichkeit als erwiesen (z.B. JOHANNES FRIEDRICH 1966). Andere sehen durchaus, daß Schriftausbreitung nicht ohne Gewalt geht. Sie sehen etwa, daß in Mexiko die Lateinschrift mit Feuer und Schwert die indianische Bilderschrift überstrahlte, indem diese Bilderschrift ausgerottet wurde. Nicht das böse Christentum mit seiner Mission muß der Sünder sein. Die Mission ist bloß der zivilisierende Arm der spanischen Krone gewesen. Die hat die neue, abendländische Kultur des Fortschritts gebracht, der dann irgendwann stockte. Zu Recht hält HA RALD HAARMANN (1990) in seiner Universalgeschichte der Schrift gewaltsame Ausstrahlung für die überwiegende Form der Schriftausbreitung. Aber er spricht dennoch, mit Rücksicht auf Verleger und Publikum (?), lieber sanft davon. Daran, daß das, was er schrieb, aus irgendwelchen Gründen nicht gedruckt würde, daran konnte ihm nicht liegen. Der englische Orientalist und Wirtschaftshistoriker JOHN WANSBROUGH (1996) kritisierte an HAARMANNs Buch just die Kategorie der Ausstrahlung und die einer technischen Neuerung. Denn Schrift sollte eine technische Revolution für die Menschengeschichte bedeuten, wie ähnlich nur die Erfindung des Pfluges. Aber bloß technisch gibt es nicht. Zur Ausbreitung jeder Technik gehört ein kompliziertes Gefüge von Institutionen: Ackerbau setzt eine Sozialordnung voraus, PCProgramme und Waffen, immer modernere, ob atomare, chemische oder bakterielle, beruhen zwar auch auf Techniken, aber Herstellung und Verbreitung gehen nicht von alleine. Sie müssen in teuren Laboratorien nicht bloß erfunden, sondern sie müssen auch bezahlt und gemanagt werden – und das will durch entsprechende Machtstrukturen gestützt sein. Aber nochmals: Und die andern? Warum schreiben die andern anders? Wie konnten sie überhaupt dazu kommen, anders zu schreiben – also weniger vernünftig? Die Frage nach der Verschiedenartigkeit bloß der Alphabetschriften macht eben den kulturgeschichtlichen Prozeß sichtbar, um den es hier geht. Warum schreiben die Russen noch Kyrillisch? Weil sie nicht von Rom aus zivilisiert und missioniert wurden, sondern von Byzanz aus, von Griechenland aus. Und wenn man von Byzanz aus missioniert wurde, dann ging das anders als von Rom aus. Da mußte nicht jedes Heidenvolk erst einmal lateinische Sprache und Buchstaben lernen, auch nicht griechische. Sondern die Missionare erfanden für die Heidensprache eine Schrift, die
3. Simplifizieren und kritische Lektüre
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dieser Sprache möglichst angemessen war. So ging das auch beim Armenischen, beim Georgischen, beim Balkan-Slavischen, wo zunächst die sogenannte glagolitische Schrift entwickelt wurde. Auch die gotische, genauer: westgotische Schrift gehört dem Typus nach zu dieser Art von Mission. Sieht man die erwähnten 38 Lexikonartikel über Sprachen und Literaturen daraufhin an, wird man feststellen: 27 schreiben Lateinschrift, weil sie römisch missioniert wurden, sieben schreiben eigene Schriften, weil sie vom griechischen Christentum aus missioniert wurden, drei schreiben arabische Schriften, weil die Völker vom Islam erobert wurden. Nur die Juden schreiben Hebräisch – und daraus abgeleitete Schriftarten, die aber nur unter einem Stichwort stehen. Die Liste der Sprachen ist mit den 38 ›Sprache-und-Literatur‹-Artikeln ohnehin nicht vollständig. Manches, was erwähnt und erörtert wird, steht in anderen Artikeln. Über das Koptische, Äthiopische, das Syrische und das Persische z.B. wird im Verlauf der Vorlesung einiges nachzutragen sein. Aber nach der vorläufigen Liste der 38 sind die römischen Missionare die fruchtbarsten – oder aber die aggressivsten gewesen. In Böhmen und in Kroatien haben sie die griechische Mission – man würde heute sagen: mit Waffenhilfe – verdrängt. Die Missionsgrenze zwischen Griechen und Lateinern hat viel mit den heutigen Konfliktgrenzen auf dem Balkan zu tun. Es sind auch Grenzen von Religionsunterschieden. Weil sie bloß dogmatisch sind, sind sie deswegen nicht harmlos. Auch die Unterschiede zum koptischen, syrischen, arabischen Christentum – um nur Beispiele zu nennen – sind nicht harmlos. Aber die im Lexikon genannten Literaturen bilden einen Kulturzusammenhang, in dem sehr Verschiedenartiges zusammenspielt: im selben Geschichtsprozeß, der bis heute noch dauert. Den Gang des Prozesses habe ich oben kurz charakterisiert: Er geht in der Zeit vom Phönikischen zum Griechischen, Hebräischen und Arabischen, er geht vom Griechischen zum Römischen. Das sind die überregionalen Schriftsprachen. Das Aufschreiben von Volkssprachen in diesen Schriften bringt Regionalschriftlichkeiten hervor. Dieser Ausbreitungsprozeß ist differenziert und gewaltsam. Soviel vorerst zu Alphabetschriftlichkeit und zu kultureller Ausstrahlung. Von der damit verbundenen Wirtschaftlichkeit war im Zusammenhang mit dem Fortschrittsmotiv eher beiläufig die Rede. Darauf wird von anderen Seiten her zurückzukommen sein – auch im Zusammenhang mit dem Problem des Simplifizierens.
3. Simplifizieren und kritische Lektüre Simplifizieren ist keine vermeidbare Gefahr, sondern geradezu Aufgabe dieser Vorlesung – wie es die aller wissenschaftlichen Darstellung ist. Es gibt kein Gutachten, das nicht eine simplifizierende Zusammenfassung zu bieten hätte, kein Autor-Abstract, keine Pressenachricht, keinen Enzyklopädie-Artikel, die nicht schrecklich vereinfachen müßten. Der Fall liegt hier doch so: Kein Mensch kann jene 38 verschiedenen Sprachen und Literaturen kennen. Er kann sich nur auf die Auskünfte der Kenner verlassen, die diese Artikel verfaßt haben. Er ist diesen Auskünften ausgeliefert, wie
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1. VORLESUNG: Alphabetschrift, Macht und Heiligkeit
denen anderer Medien – aber er kann sie kritisch benutzen. Dazu gehört zunächst, daß man sich klarmachen muß: Die Frage nach einem Zusammenhang des Vereinzelten zielte bereits auf ein Ganzes. Ein solches Ganzes kann in seiner Objektivität keiner kennen. Nur von der Subjektivität eines Einzelnen aus läßt sich eine Frage nach Zusammenhang überhaupt stellen. Die Frage zielt nicht nur auf ein Ganzes, sondern geht bereits von der Vorstellung von einem Ganzen aus. Sie geht von einer solchen Vorstellung von einem Ganzen auch dann aus, wenn sie sich bloß auf Einzelnes richtet. Nur bleibt die Vorstellung vom Ganzen dabei meist im Hinterkopf. Sie wird nicht, oft vorsichtshalber nicht, artikuliert, aber sie steuert bereits das Erkennen und Darstellen von Tatsachen. Sie ist ein Ergebnis des geistigen Inhalts, den man in sich gesammelt und zu einer geistigen Welt geformt hat (DROYSEN 1857: 107). Das redet keiner unbedachten Subjektivität das Wort: Es geht dabei gerade nicht um das Bloß-Subjektive oder um das Leider-bloß-Relative. Denn das wirklich Objektive ist nur das, was von keinem Menschen gedacht, bestimmt oder errechnet worden ist (Ebd.: 218). Auch Maße und Zahlen sind nicht objektiv. Der Begriff Eins ist ein ungelöstes Problem. Eins läßt sich nicht logisch ableiten. Wissenschaft hat als Resultat nur kritisch bedachte Subjektivität zu bieten, und zwar die kritisch bedachte Subjektivität eines Einzelnen.2 Die geläufige Rede, etwas sei wissenschaftlich, womöglich gar endgültig erhärtet worden, ist zutiefst unwissenschaftlich. Nicht nur Politiker und Medienleute, sondern als medizinische Verbraucher nahezu wir alle, heften da Glauben an eine Chimäre. Diejenigen, die die höchste Aufgabe des Historikers darin sehen, daß er die Tatsachen sprechen lasse, übersehen, daß die Tatsachen überhaupt nicht sprechen, außer durch den Mund dessen, der sie aufgefaßt und nach seinen Möglichkeiten verstanden und sprechen gemacht hat (Ebd.: 218). Es fehlte nur, daß gesagt würde, die fertigen Bausteine der eigentlichen Tatsachen müßten nur zusammengebaut werden, und dann sei das schöne historische Werk fertig (Ebd.: 113). Wohl wissend, daß das in den einzelnen Artikeln Mitgeteilte bereits vorgeformt sein muß von einem unausgesprochenen, heimlichen Bild vom Ganzen, wird man kritisch stutzen müssen, wo auf der Faktizität des Faktischen beharrt wird. Man wird sich fragen: Könnte das nicht auch anders zu denken sein? Nicht aus lauter Übermut wird hier eine Ansammlung von Bausteinen, wie sie in 9 dicken Bänden als Lexikon des Mittelalters (1980–98; LdM ) vor uns im Regal steht, benutzt, sondern weil sich von einem Einzelnen das alles nicht selber wissen läßt! Verwendet man sie als Steinbruch und hauptsächliche Quelle kritisch, dann zeigt sich dabei natürlich wieder, daß das, was wir so Tatsache nennen, eine begriffliche Abstraktion ist; denn in jeder dieser Tatsachen ist notwendig eine Fülle von untergeordneten Tatsachen zusammengefaßt. Deutlich soll das in der nächsten Stunde am Begriff Bibel zu ersehen sein. Warum es keine altenglische oder althochdeutsche Bibel zu Anfang der Verschriftlichungsgeschichte dieser Volkssprachen gibt, wohl aber eine westgotische Bibel, diese Frage war oben vorläufig damit beantwortet worden: Die Goten seien eben nach dem griechischen Missionierungs-Usus zivilisiert worden: Weil es nur im griechischen Missionsbereich eine Bibel in der Volkssprache geben durfte, nicht aber im lateini-
3. Simplifizieren und kritische Lektüre
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schen. Im römischen Missionsbereich wurde die Heilige Schrift dem Inhalt nach in erzählerischer Aufbereitung, in der Art einer Kinder-Bibel für Heiden erzählt, in Epenversen, als Bibel-Epik. Im griechischen Missionsbereich gab es keine Bibel-Epik. Dort durften die Neubekehrten in ihrer eigenen Volkssprache, z.B. auch auf gotisch, die Bibel selber lesen. Rein schriftgeschichtlich ist solch ein Zusammenhang nicht zu sehen, sondern nur vergleichend, indem man das Moment der Mission ins Spiel bringt. In einer der großen Schriftgeschichten ist zu lesen, die Schrift der Goten sei als ein toter Ast der Schriftentwicklung anzusehen. Wir vermuten einen Macht-Prozeß dahinter. Die so verschriftlichten Goten-Christen waren Arianer. Aus römisch-christlichem Blickwinkel – und auch aus orthodox-griechischem – waren sie Ketzer. Als sie in den Bereich der römischen Missionierung kamen, mußte sie ihr Ketzertum und ihre un-lateinische Schrift aufgeben, ihre Goten-Bibel auch. Es war aber, nach dem LdM, derselbe Arianer-Bischof 6Eusebios von Nikomedien, der den Goten Ulfila zum Bischof weihte und der den ersten Christen-Kaiser Konstantin auf dem Sterbebett taufte. Man wird also auch bei der Lektüre des Artikels 6Konstantin darauf zu achten haben, ob der erste Christen-Kaiser nicht ebenso als Ketzer gilt, und wird überhaupt darauf sehen müssen, wie denn die je Unterlegenen dargestellt und beurteilt werden. Dies als eine der kritischen Anfragen an die Quelle und ihr implizites Bild vom Ganzen hinter dem Detail. Zugleich ist klar: Es geht hier nicht um Schriftgeschichte als solche, als autonomen Prozeß, sondern um Alphabetschrift im Zusammenhang dieser Schreibart und um deren Ausbreitung im jüdisch-christlich-muslimischen Kulturgefüge des Mittelalters. Glücklicherweise sitzen nicht nur Germanisten in dieser Vorlesung, sondern auch Menschen, die in ganz anderen Fächern gelehrt sind. Sie werden mir sagen können, wo eine kritische Verkürzung nach ihrer Meinung das Falsche trifft, aber mir auch sagen können, wo sich durch die Sätze hier Fragestellungen ihres Faches verschieben könnten. Außerdem veranstalten Theologen und Orientalisten zufällig in diesem Semester eine Ringvorlesung mit dem Thema Oriens christianus, in der Fachgelehrte über Themen sprechen, die in dieser Vorlesung simplifizierend auch behandelt werden. So können Sie sich selber ein Bild über Grenzen und Möglichkeit meines Unternehmens machen. Es war in der kurzen Einleitung davon die Rede, daß Legitimierung durch Sakralität von Legitimierung durch Wirtschaftlichkeit abgelöst zu werden scheint – im Gang des hier bedachten Geschichtsprozesses. Sofern das seriöse Forschungsergebnisse tangiert, ist auch bei der Hauptquelle, den Lexikonartikeln, daraus eine Lektürehilfe zu gewinnen. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit verlangte der Geldgeber, daß ab dem Buchstaben K die Artikel radikal zu kürzen oder zu reduzieren wären. Das liegt bereits im Bereich von Schrift-Ermöglichung und Schrift-Verbot. Was als Wichtiges stehenbleiben durfte, wird kritisch zu bedenken sein. Das läßt sich ebenso zur Quellenkritik nutzen wie der Umstand, daß Hörfunk-Nachrichten just 7 Minuten dauern, und es ist aufschlußreich, was denn nun wie als Wichtigstes in diese Wirtschaftlichkeits-Zeit hineingebracht worden ist. Das ist bei älteren Quellen nicht
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1. VORLESUNG: Alphabetschrift, Macht und Heiligkeit
anders. Ohne jene Kürzungsaktion hätten wir das Lexikon nicht, und eine Quelle, die kritisch-historischer Benutzung so zuhanden gewesen wäre, ließ sich kaum schöner wünschen. Im Hinblick auf Wirtschaftlichkeit kann man sich bereits fragen: Trotz staatlicher Verbote konnten frühe christliche Schriften offenbar verbreitet werden. Die Niederschrift mußte durch Mächtige ermöglicht werden, die außerhalb der staatlichen Macht dazu in der Lage waren. Sklaven und arme Leute haben in der Regel kein Schreibbüro. Gönner des Paulus wie die Eheleute Aquila und Prisca konnten, aus Rom flüchtend, in die große Hafenstadt Korinth übersiedeln und dort ihren Betrieb weiterführen, in dem Paulus zeitweise arbeitete (RECLAM 1992). Ihnen könnte ein Skriptorium dienstbar gewesen sein. Es war vermutlich die mediterrane Handelswelt, die über eine Art von Macht verfügte, in welche die Macht des Kaisers nur oberflächlich eindringen konnte. Die spätere griechische Missionspraxis ist aber wohl bereits die Praxis des Paulus gewesen. Er scheint gleich auf griechisch verbreitet zu haben, was die ersten Christengemeinden auf aramäisch glaubten. Denn die Anlaufstellen seiner Mission waren zunächst die Synagogen der Judengemeinden in der Diaspora, d. h. in der Zerstreuung, und in vielen von ihnen wurde Hebräisch oder Aramäisch wohl nicht mehr verstanden (cf. LXX, Seite XLV). Ohne die Zerstreuung der Juden, besonders seit der ersten Zerstörung des Tempels von Jerusalem, hätte sich das Christentum kaum ausbreiten lassen. Deswegen verdient das Kommunikationsnetz der DiasporaGemeinden besondere Aufmerksamkeit. Deswegen wäre es auch sinnvoll, das Mittelalter in den räumlichen Umrissen, die unser Lexikon entworfen hat, mit der Entstehung der jüdischen Diaspora beginnen zu lassen. Die Bibel wie das mittelalterliche Synagogen- und Talmud-Judentum haben dadurch ihre besondere Gestalt bekommen, und der Islam wäre ohne die jüdischen und judenchristlichen, Arabisch sprechenden Diaspora-Gemeinden Arabiens nur oberflächlich bedacht. Die beiden andern Buchreligionen spielen im Koran mindestens bedeutende Nebenrollen. Genau so wie Mittelalter für diese Vorlesung das ist, was durch den unwillkürlichen Horizont dieses wissenschaftlichen Standardwerks als Mittelalter erscheint, ist hier Literatur das, was im Lexikon von Fall zu Fall darunter als berichtswürdig verstanden wird. Über Inschriftliches berichtet das Lexikon bestenfalls zufällig, über Rechts- und Wissensliteratur viel. Auch deswegen kann es sich in dieser Vorlesung nicht um spezialistische Schriftgeschichte handeln, sondern um das Verhältnis von Alphabetschrift, Macht und Heiligkeit in den Literaturen des jüdisch-christlich-muslimischen Mittelalters. Ehe ich zusammenfasse, noch eine Bemerkung zum Zitieren: Bei Wolfram von Eschenbach läßt sich sehen, daß auch Hartmann von Aue als Übersetzer für Inhalt und Stil des Übersetzten haftbar gemacht wird. Das hat mir eingeleuchtet und hat seine Konsequenzen: Wer zitiert, ob Original oder Übersetzung, ist für Inhalt und Sprache verantwortlich. Gerade Original-Zitate, die als Beweisstücke dienen, sollten übersetzt werden, damit der Beweisende einbekennt, was er denn nun im eigenen Kopf verstanden hat. Natürlich auch Zitate aus der eigenen Sprache!3 Denn es geht
4. Zusammenfassung
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beim Zitieren seit je her auch darum, sich hinter fremder Rede zu verstecken. Als Signale für Ironie oder Distanz sind Anführungszeichen ein schlechter Brauch. Auch Faxen wie fingertrillernde Teufelsöhrchen drücken sich darum, Gedanken in Worten mitzuteilen. Es geht ferner beim Zitieren, außer bei den geschmacklosen Selbstzitaten, um Eigentumsrechte anderer. Denen läßt sich durch Hinweise Rechnung tragen. In dieser Vorlesung sind Passagen vor allem aus DROYSENs Historik und aus Werken von anderen nachformuliert worden: aus JOHN WANSBROUGHs Lingua Franca, aus JOHANNES FRIEDRICHs und HARALD HAARMANNs Schrift-Geschichten. Im Hintergrund von Textanmerkungen in meinem Manuskript blieben Werke von FERNAND BRAUDEL und des Verfassungsjuristen PETER HÄBERLE. Es ist kaum abträglich, wenn jemand den Zusammenhang bei den genannten Autoren sucht. Nur so findet man auch, was man nicht gesucht hatte.
4. Zusammenfassung In dieser ersten Vorlesung wurde, nach einer Übersicht über mein vorjähriges Experiment, zu handeln versucht: über Alphabetschriftlichkeit und kulturelle Ausstrahlung, über wissenschaftliches Simplifizieren und Möglichkeiten der Kritik, über den Zusammenhang von Wirtschaftlichkeit und Schriftverbot, auch als quellenkritische Lektürehilfe.4 Geschrieben wurde die einleitende Zusammenfassung längst vor dem 11. September 2001. Darin war wie in dieser Vorlesung davon die Rede, daß im westlichen, römischen Christentum die Kult-Sakralität, von einer aus dem Ciceronianismus erwachsenen Kultur-Sakralität in immer neuen Renaissancen überwältigt, sich zur Religion des Wirtschafts-Fortschritts schon lange gewandelt habe. Einer ihrer Tempel war nicht mehr der Petersdom, sondern waren die Twin-Towers des Welt-WirtschaftsZentrums in New York. Studiert man die 89. und 26. Sure des Koran, findet man – ein Freund sagt mir: in der 40. Sure auch –, daß dort gesprochen wird: Von frevelhaften Kunst-Bauten, die in Gottes Himmel ragen – dahinter steht wohl der Turmbau zu Babel (Gn 11), ohnegleichen sonst im Land, die den eigenen Namen verewigen wollten, den Namen von denen, die nur ihr Vergnügen suchten, den Elternlosen nicht achteten, den Armen nicht speisten und den Reichtum liebten mit unmäßiger Liebe. Aus dem westlichen Fernsehen wird allen Völkern weltweit das Bild eines solchen Zustands anschaubar. Als der Prophet ihnen vorhielt: Wenn ihr zupackt, tut ihrs nicht gewalttätig, wie Tyrannen? Da sprachen sie: Es ist uns gleich, ob du uns ermahnst oder nicht. Wir werden nie bestraft werden. So verwarfen sie ihn, und Wir vernichteten sie. Darin liegt ein Zeichen. Doch die meisten sind ungläubig.5 So liest das auch ein Moslem in Nigeria. Ich habe einen auf französisch mit großer Erregung davon sprechen hören. So können das Muslime allenthalben lesen. Ein neuer Kreuzzug mit Pogromen gegen die jeweilige Diaspora flackert mit brennenden Moscheen und Kirchen einstweilen noch bloß in Nigeria. Weltweit bleibt er immer noch zu befürch-
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1. VORLESUNG: Alphabetschrift, Macht und Heiligkeit
ten. Hier geht es um die historischen Grundlagen dieser Situation. Und es ging von vornherein noch um etwas anderes: Seit es Christen gibt, gibt es Christen in vorarabischer und bald arabischer Muttersprache, die ihr schönes Arabisch lieben, das für sie nicht schlichtweg die Sprache des Islam ist. Es gibt sie sogar hier unter uns. Aber von der Selbstverständlichkeit unseres Abendländer-Geschichtsbilds her ist das kaum vorzustellen. Es gab sie auch im Mittelalter im Land der Kreuzzüge und war für die Abendländer von damals auch nicht vorzustellen. Nicht zuletzt, weil an der Selbstverständlichkeit des Abendländer-Geschichtsbildes etwas wesentlich ungerecht erscheint – für den, der einmal das Eigene vom fremden Anderen her erfahren durfte, wird diese Vorlesung unternommen. In der nächste Stunde soll von Regelhaftigkeiten bei Verschriftlichungs-Prozessen und als Beispielfall für die funktionale Vielgestaltigkeit eines sakralen Referenztextes in einer ersten Überschau die Rede sein, von der Bibel, dem für uns zentralen Sakraltext. Die dritte Stunde soll danach mit der Darstellung des literarisch-historischen Prozesses beginnen, mit erster jüdischer und griechischer Literatur – simplifizierend.
Anmerkungen 1
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Von der Macht dieser Wirtschaftlichkeit wird von angesehenen Staatsrechtlern als von einem neuen Kapitalismus gesprochen (HÄBERLE 2000: 72ff.). Mit FERNAND BRAUDEL bleibt dagegen festzuhalten, daß der Kapitalismus zwar die rücksichtsloseste, aber auch die effizienteste und konsequenteste der Wirtschaftsformen ist, die das westchristliche Abendland hervorgebracht hat. Im Mittelalter vor 1500 bilden sich interessante Formen heraus. Im Jahr der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen wird in Brügge die erste Börse eröffnet. Bessere Alternativen sind nicht in Sicht. Durch Schönreden und Werte-Besinnung ist da vermutlich nichts auszurichten. Das erinnert eher an den Beschluß der Mäuse, der Katze eine Schelle umzuhängen, damit sie rechtzeitig gewarnt würden. Nur fand sich niemand, der das tun konnte. Eine Gruppe, die sich auf eine bestimmte Sicht eingeschworen hat, wird ihren Konsens als bindende Voraussetzung nehmen müssen, als überindividuelle Basiswahrheit, die nicht ständig kritisiert werden darf. Sie wird in der Regel die individuelle Spannung von erlebtem Wissen und Kritik hinter sich lassen müssen. Dazu lese man RUNCIMANs Geschichte der Kreuzzüge (1950: ix). KARL LACHMANN bespricht in seinen Kleineren Schriften zur classischen Philologie, 1f. beifällig nicht-wörtliches Zitieren von Sekundärliteratur, welches nur bei eigener Armut als lächerlich oder bettelhaft zu tadeln wäre. Es war der Versuch, etwas ausführlicher zu entfalten, was in einer kurzen, kommentierenden Ankündigung für das hiesige Graduiertenkolleg gesagt worden war: Sieht man Schriftverbreitung und Schriftverbot als zwei Seiten derselben Medaille an, scheint im Bereich der jüdisch-christlich-muslimischen Alphabetschriftlichkeiten das Verhältnis von Schrift und Macht sich allmählich zu verändern: Schriftgestützte Sakral-Legalität scheint durch werbeschriftlich gestützte Wirtschaftlichkeits-Legalität ersetzt zu werden. Dieser Vorgang betrifft namentlich die westchristliche Alphabetschrift-Zivilisation, die »abendländische«, die lateinische Buchstaben schreibt. Es geht um Grundlagen der erfolgreichsten
Anmerkungen
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wirtschaftlich-technischen Zivilisation, welche – im Zuge beförderter und verhinderter Verbreitung von Alphabetschrift – ohne die Umwandlung des jüdischen Gottesbegriffs und ohne die arabischen Ziffern 0 und 1 kaum hätte expandieren können. Der Koran-Text schwebt reimend in bildhaften Anspielungen, oft vieldeutig. Deswegen hier der Vergleich von mehreren Übersetzungen, wobei bloße Synonyme oft ignoriert wurden. 1. Verszählung: Ahmadiyya, Ullmann (U), 2. Verszählung: Paret (P), Rückert (R). Sure 89, 7./6. Hast du nicht gesehen, wie dein Gott (w.: Herr) verfuhr mit den Ad, 8. mit dem Volk von Babylon (w.: Iram, U = Gn 10,23), Besitzer von hohen Burgen, U: ... wo Säulen (der Turm) waren. /7. mit Iram, (der Stadt) mit der Säule. Irama dâti l-`imâdi. 9. dergleichen nicht erbaut (U: aufgeführt, w.: erschaffen) ward in anderen Städten ( U: im ganzen Land)? /8. nicht … geschaffen … sonst im Land? 11. Und Pharao, dem Herrn von gewaltigen Zelten? /10. … dem mit den Pfählen (= U)? wa-Fir`auna dî l-autâdi. 12. Die frevelten in den Städten (U: alle diese waren ausschweifend), /11. die aufsässig waren im Land. 13. Und viel Verderbnis stifteten darin. /12. … Unheil anrichteten …. 14. Darum (fehlt: P) ließ dein Gott (w.: Herr) die Peitsche der Strafe auf sie fallen. /13. goß … die Geißel einer Strafe über sie aus. 18. … Ihr achtet nicht des Elternlosen. /17. … seid nicht freigebig gegen die Waise, 19. Ihr treibt einander nicht an, den Armen zu speisen. /18. … haltet … nicht an … 21. Ihr liebt den Reichtum mit unmäßiger Liebe. /20. … Hab und Gut über alles. Sure 26, 129. Baut ihr nicht Frevelmale (Ahmadiyya: Malsteine, U: Malzeichen) auf jeder Anhöhe, um euch zu vergnügen? /128. Errichtet ihr nicht ein Zeichen auf jeder Anhöhe zu eurem Zeitvertreib? R: Erbauet ihr auf jedem Bühl Ein Wunderwerk zum Spiele? 130. Errichtet ihr nicht Burgen (U: kunstvolle Gebäude), als solltet ihr lange leben (daß ihr verewigt seid)? /129. Und legt euch Bauwerke (?) zu, daß ihr vielleicht unsterblich würdet? R: Und unternehmt Kunstbauten, Alsob ihr ewig wäret? 131. Wenn ihr auf jemand die Hände legt, tut ihrs nicht als Tyrannen (U: mit hartherziger Grausamkeit)? /130. Wenn ihr zupackt, benehmt ihr euch nicht gewalttätig? R: Und wenn ihr stürmet, stürmet ihr wie Riesen. 137. Sie sprachen: Es ist uns gleich, ob du uns ermahnst oder nicht. /136. = P; R: Sie sprachen: Gleich gilt uns, ob du gepredigt, Ob nicht gepredigt habest. 139. Wir werden nicht (U: nie) bestraft werden. /138. Wir haben mit keiner Bestrafung zu rechnen. R: Und uns wird Niemand strafen. 140. So verwarfen sie ihn, und Wir vernichteten sie. Hierin ist wahrlich ein Zeichen, doch die meisten von ihnen glauben nicht. /139. Sie ziehen ihn nun der Lüge. Darauf ließen wir sie zugrunde gehen. Darin liegt ein Zeichen. Doch die meisten von ihnen sind nicht gläubig. R: So straften sie ihn Lügen, Doch wir verdarben sie. In diesem ist ein Zeichen, Allein die meisten sind ungläubig. Sure 40, 37. Pharao sagte: O Haman, baue mir einen hohen Turm, (Ahmadiyya = U), so daß ich die Wege der Annäherung erreiche. /36. P: Pharao sagte: Hâmân! Baue mir ein (hochragendes) Schloß! Vielleicht kann ich (damit) die Zugänge erreichen, 38. Die Wege der Annäherung zu den Himmeln (U: damit ich die Himmelsbahnen (-pforten) ersteige), damit ich über den Gott Moses’ die Kunde hole, denn ich halte ihn wahrlich für einen Lügner. (U: und den Gott des Mose schaue, den ich für einen Lügner halte.) Also
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1. VORLESUNG: Alphabetschrift, Macht und Heiligkeit wurde dem Pharao das Böse seines Tuns schön gemacht, und er wurde abgewendet von dem Pfade; (U: So hatten wir dem Pharao das Böse seiner Handlungen ihm wohlgefällig bereitet, daß er vom richtigen Wege sich abwandte) und der Anschlag Pharaos endete bloß in Verderben (U: und daß so die Anschläge des Pharao nur seinen eigenen Untergang herbeiführten). /37. P: die Zugänge zu den (sieben) Himmeln, und zum Gott Moses emporsteigen. Ich bin aber der Meinung, daß er (d. h. Moses) ein Lügner ist. So zeigte sich dem Pharao das Böse, das er tat, im schönsten Licht, und er war vom (rechten) Weg abgehalten. Doch die List Pharaos war völlig aussichtslos (w. nichts als in Verderben). Die Stücke aus Sure 89 und Sure 40 fehlen in Rückerts Übersetzung.
2. V ORLESUNG Faktenbegriff und Verlaufsstruktur In der letzten Stunde war davon die Rede, welche Möglichkeiten kritischer Notwehr ein Laie gegenüber Auskünften von Fachleuten, Pressemeldungen, Statements und dergleichen hat. Jede Tatsache, jedes Faktum ist schon eine begriffliche Abstraktion. Denn der Begriff Tatsache faßt in sich simplifizierend bereits eine Fülle von Tatsachen zusammen. Als Beispiel dafür hatte ich Ihnen für diese Stunde den Begriff Bibel angesagt.
1. Faktum Bibel Ohne jede Frage ist die Bibel der folgenreichste sakrale Referenztext der jüdischchristlich-muslimischen Literaturgeschichte im Mittelalter. Für Christen besteht die Bibel aus zwei Teilen, dem Alten und dem Neuen Testament (AT und NT ). Bereits der Inhalt beider Testamente ist historisch nach Ort und Zeit völlig verschieden. Schlichtes Reden von Bibel und biblisch ist historisch untunlich.1 Die Geschichte der mittelalterlichen Literaturen ist im wesentlichen die Geschichte der Veränderungen und der davon abhängenden Variationen des Bibel-Textes. Auch die scheinbar profanen Texte sind bis heute ein Stück Religionsgeschichte. Aber: Religionen sind nicht harmlos, sondern hochgefährlich. Das gilt von Juden- und Christentum wie von Islam, von Marxismus wie Hitlerismus, von Wirtschafts- und Fortschritts-Religion, die gedankenlos von »Steinzeit-Islamismus« sprechen kann. Dabei wird ja doch vorausgesetzt, alle andern Religionen hätten in ähnlicher Weise kultureller Zierat zu sein wie das Christentum es im Zeitalter der Wirtschafts-Heiligkeit geworden ist. Eine Literaturgeschichte des Mittelalters hat mit der Geschichte der Bibel als Text zu beginnen. Schon in der letzten Stunde war erwähnt worden: ein entscheidendes Moment für die Ausbreitung des Christentums und der Bibel ist die Entstehung der jüdischen Diaspora mit dem Exil um 600 v. Chr.2 Die Auskunft, die jüdische Antike ginge den Mediävisten nichts an, halten wir für problematisch. Auch wenn man das Mittelalter mit einem seiner traditionellen Anfänge beginnen läßt, erstreckt sich die Entstehung des BibelTextes über die ganze Epoche.3 Das will in historischer Ordnung dargestellt sein. Es scheint aber nützlich, von der Ausbreitung der Bibel vorab einen orientierenden Überblick zu skizzieren. Viele von Ihnen haben auch vieles vergessen, was eigentlich selbstverständliches Wissen ist.
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2. VORLESUNG: Faktenbegriff und Verlaufsstruktur
1.1 Hebräischer Tanach Begonnen sei die Übersicht mit dem zunächst allein hebräischen Alten Testament. Für die Juden besteht es noch heute aus drei Teilen: dem Gesetz, den Propheten und den Schriften. Hebräisch heißen sie To) ra) , Nebe§m, Ketub§m. Nach den Anfangsbuchstaben dieser drei Teile ,1; heißt die ganze jüdische Bibel, also das AT, mit dem Wort TNCH +1;, Tanach oder Tenach, je nachdem, wie man die Konsonanten vokalisiert. Daß das K von Ketubîm als CH gesprochen wird, liegt daran, daß K , im Auslaut CH + ist. Die Teile sind nicht gleichzeitig und nicht einheitlich entstanden und sie haben nicht den gleichen Rang. Für Leben und Kultus der Juden ist das wichtigste Stück die Tora, das, was die Christen die fünf Bücher Mose nennen. Die Tora heißt auch das Fünfbuch oder der Pentateuch. Allein die Tora wird im Kultus abschnittsweise über ein ganzes Jahr vorgetragen und erklärt. Dem Range nach niedriger stehen als zweite Einheit die Bücher der Propheten. Dazu gehören, anders als bei den Christen, Josua, Richter, 2 Bücher Samuel, 2 Bücher Könige, sodann die späteren Propheten von Jesaia bis Maleachi. An dritter Stelle stehen Schriften, hebräisch Ketub§m. Dazu gehören Psalmen, Sprüche, Hiob, Hoheslied und anderes, aber nicht alles, was im Christen-AT steht. Einige Bücher davon sind gar nicht mehr auf hebräisch, sondern in dem jüngeren Aramäisch abgefaßt, manches gar erst auf griechisch. Denn Hebräisch war schon zur Zeit Jesu nicht mehr lebendige, sondern nur noch priesterliche Sakralsprache. Auch Jesus sprach Aramäisch. Bei dem Abkürzungswort TaNaCH oder TeNaCH haben Sie bereits eine Besonderheit eines bloß konsonantenschriftlichen Textes bemerken können. Gerade als sakraler Referenztext hat die Bibel in den bloß konsonanten-schriftlichen Literaturen des aramäischen Schriftlichkeits-Stamms eine gänzlich andere Art des Text-Seins als später in den Literaturen des griechischen Schriftlichkeits-Stamms, in dem auch die Vokale geschrieben werden. Je nachdem, ob man den Konsonanten diese oder jene Vokale hinzusetzt, kann der Text etwas anderes heißen. Vom Abendländer-Standpunkt her ist das als nachteilig und rückständig empfunden worden. Es läßt sich aber gerade dieser Umstand auch als Bereicherung verstehen, als die Chance unendlich offener Texte. Der Umgang mit ihnen bringt zugleich eine ganz andere Art von Wissen hervor: den Typus des fragenden, forschenden Wissens (cf. Ps. 1). So steht im jüdischen Lehrhaus das Fragen-Stellen und Fragen-Finden in besonders hoher Achtung, und das Antworten ist immer nur vorläufig und bedient sich für abendländische Vorstellungen von Textauslegung auch recht seltsamer Kombinationsmethoden.4 Eine bloß eindeutige Textgestalt, wie sie abendländische Lektüre jüdischer oder auch muslimischer Sakraltexte praktiziert, gilt als oberflächlich eindimensional, als dumm. Lebenslanges Lernen ist geboten, nicht ein für allemal erworbenes Wissen, dessen Resultat so und nicht anders ist. Studieren ist besser als Beten, kann es da heißen. Denn den Heiligen Text studieren ist reden mit dem Gott, der keinen Namen und
1. Faktum Bibel
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Begriff haben will, aber immer zu hören ist. Abendländisches Studieren und Textauslegen ist nicht notwendig Reden mit Gott. Und wenn in der abendländischen Literaturwissenschaft solche Auslegungstechniken bei uns Mode geworden sind – unter dem Einfluß von JACQUES DERRIDA, der sie aus persönlicher Motivation und nicht ohne religiöse Ironie praktiziert –, dann ist das im Grunde genommen absurd. Denn unsere Literatur-Texte sind ganz anderer Art – es sei denn, man hält den im PoetischFiktionalen gesuchten Original-Geist für den Heiligen. Übersetzungen von Tora wie Koran in andere Alphabetschriftlichkeiten sind unmöglich, weil Buchstäblichkeit einen völlig anderen Sinn hat. Die Buchstaben sind in den andern Alphabetschriften nicht Spuren Gottes, sondern eher technische Verfahrensweisen.
1.2 Übersetzungen aus dem Hebräischen Seit ca. 400 v. Chr. waren im Gottesdienst der nicht mehr hebräisch, sondern aramäisch sprechenden Judengemeinden zunächst wohl mündliche und kommentierende Ad-hoc-Übersetzungen ins 6Aramäische üblich geworden. Sie wurden dann als 6Targume verschriftlicht. Älteste Targume sind aus Qumran (170 v. Chr. – 68 n. Chr.) erhalten. Das sind die ersten Übersetzungen des AT. Im Aufschrei am Kreuz läßt Matthäus (27,46) den Gekreuzigten seinen Psalm (22,2) in einer Mischung von Hebräisch und Targum-Aramäisch beten. Für die Christen am wichtigsten war die erste Übersetzung ins Griechische, die Übersetzung der 70 jüdischen Gelehrten, die deswegen Septuaginta heißt, abgekürzt als LXX bezeichnet. Sie war in Alexandria für nur noch Griechisch sprechende Juden der ägyptischen Diaspora bestimmt. Griechisch war die Staatssprache der ErobererNachfolger Alexanders des Großen. Die LXX war im Grunde der erste Zugriff der griechischen Kultur auf die jüdische Religion – lange vor der Entstehung des Christentums. Angefangen wurde natürlich mit der Tora. Nach und nach kamen Propheten und Schriften hinzu, aber auch weitere Bücher, die von griechischen Juden auf griechisch verfaßt worden waren, z.B. das Weisheitsbuch des Jesus Sirach. Bis in nachchristliche Zeit kamen z.B. auch die griechischen Makkabäer-Bücher hinzu. Alle diese nachträglichen Schriften haben in den jüdischen Kanon nie Aufnahme gefunden – wohl aber in die Bibeln verschiedener Christentümer, mit dogmatischen Konsequenzen.5 Für die Christen war eben Bibel an allen Stellen dasselbe Gotteswort, eine ständig wechselnde Einheit. Das Übersetzungs-Unternehmen der LXX entsprach dem vergleichsweise eindimensionalen griechischen Wort-, Stil- und Literatur-Verständnis, nicht jüdischem. Deswegen erarbeitete der gelehrte Aquila um 130 n. Chr. eine andere griechische Übersetzung. Er war ein Schüler des von den Römern bei lebendigem Leibe enthäuteten Rabbi Akiba. Durch etymologisierende Wortwörtlichkeit versuchte Aquila soviel wie möglich von jüdischem Schrift-Verständnis zu bewahren, auf Kosten griechischer Eleganz. Außer LXX und Aquila gab es noch weitere Übersetzungen. Der christliche
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2. VORLESUNG: Faktenbegriff und Verlaufsstruktur
Gelehrte Origenes stufte sie ihrer philologischen Qualität nach streng ab, als er gegen 250 in 6 Spalten nebeneinanderstellte: 1. hebräischen Text, 2. dessen Umsetzung in griechische Lettern, 3. die Aquila, und erst weiter hinten die LXX. Dieses Werk, die YHexaplá (= die sechsfache) ist die erste kritische Ausgabe des AT. Übersetzungen des AT aus dem Hebräischen ins Arabische sollen erst nachislamisch sein (6LdM 2, 95).6 Welche Texte die bedeutenden Juden- und Christengemeinden Arabiens, u.a. in Mekka, benutzten, weiß ich nicht.
1.3 Zwei Testamente Schon frühzeitig war aber die Übersetzung des Tanach mit christlichen Schriften des NT verbunden worden: im Syrischen. Dieses Syrische war aus dem aramäischen Dialekt von Edessa hervorgegangen (6Syrien). Zwischen 100 und 200 entstand die Vetus Syra. Im Umfeld der frühen Juden-Christen-Gemeinden schuf gegen 170 Tatian seine Zusammenfassung der Evangelienberichte zu einem epischen Verlauf, seine Evangelien-Harmonie. Tatians Text ist zwar in lateinischer und in althochdeutscher Übersetzung, zitatweise auch im syrischen Kommentar 6Ephrems erhalten, es ist aber nicht sicher, ob er zuerst auf syrisch oder auf griechisch abgefaßt wurde.7 Bei Tatian ist das NT bereits als Buch gedacht. Das war anfänglich nicht der Fall. Paulus, der vielleicht im Jahre 68 starb, kennt und zitiert die Evangelien noch nicht. Seine Briefe sind, soweit sie echt sind, die ältesten Stücke des späteren NT. Die Apostelgeschichte des griechischen Arztes Lukas verbindet dann eine fiktive PaulusBiographie mit Evangelien-Texten. Neben den heute geläufigen vier kanonischen Evangelien sind im lateinischen Mittelalter besonders die Kindheit-Jesu-Evangelien von großer Wirkung.8 Die frühen Christengemeinden erwarteten die baldige Wiederkehr des Auferstandenen und damit verbunden das Ende aller Menschen-Geschichte. Das scheint die frühzeitige Ausbildung eines festen NT-Textes, wie ihn die Textphilologen erwünschen, verhindert zu haben.9 Das NT umfaßt in seiner rechtgläubigen Gestalt später 4 Evangelien + Apostelgeschichte + 21 Briefe, davon 13 unter dem Namen des Paulus, + Apokalypse, aber eben nach langem Weg (6Apokryphen, 6Kindheitsgeschichte Jesu). 6Hieronymus übersetzte (393) auch das im 1. Jahrhundert entstandene Hebräer-Evangelium ins Griechische und Lateinische (De viris illustribus 2, cf. HENNECKE/SCHNEEMELCHER 1, 108), wohl aus dem Aramäischen. Es soll bis ins 9. Jahrhundert bei den Iren und bis ins 14. Jahrhundert in Spuren auch auf dem Festland bekannt gewesen sein. Darin ist der Geist Gottes, wie im Hebräischen, Femininum und ist die Mutter Jesu. Die ersten Gemeinden im Westen sprachen meist Griechisch. Von griechischen Fassungen der Heiligen Schrift gingen die frühesten Übersetzungen ins Lateinische aus, die des Schiffbau-Unternehmers und Häretikers YMarkion (um 150) und die etwa gleichzeitige Vetus Latina von Nordafrika her, gegen 250 die ins Spätägyptische, d. h. Koptische, gegen 350 die ins Westgotische, gegen 400 die ins Armenische und danach
1. Faktum Bibel
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die ins Georgische, erst gegen 870 die ins Altslavische (6Konstantin und Method, ca. 870). Das waren in einigen Fällen nur Teilübersetzungen, vor allem von Evangelien und Psalmen, d. h. Texten, die in der Liturgie vorkommen. Andere AT-Stücke waren in den Teilübersetzungen selten.10 Der griechische Missionsweg ins Volkssprachige barg von Anfang an die Gefahr von Häresie-Bildung in sich. Denn die frühen Teilübersetzungen stehen eben auch im Zusammenhang der Kanon-Bildung in den einzelnen Kirchen und deren Durchsetzungskraft, wobei der dann als rechtgläubig geltende Schriftenbestand gelegentlich (je nach Kirchen- und Geschichtsbegriff ) als Ergebnis göttlicher Fügung oder eines »natürlichen Ausleseprozesses« (RECLAM 356b) verstanden wird. Die syrische Peschitta (vor 400) enthielt außer den Evangelien nicht alle ›katholischen‹ Briefe (= Jakobus, Petrus, Johannes, Judas), aber vielleicht noch einen 3. Korinther-Brief und keine Apokalypse. Die weströmische Kirche vermied so lange wie möglich das Häresie-Risiko durch Bibeln in den Volkssprachen als »Gefahr für das Glaubensbewußtsein« der Laien (6Bibel 46). Sakraler Referenztext war die lateinische Vulgata – im Mittelalter kein unverändert fester Text. Nur den Grundstock hatte Hieronymus vor 420 in Palästina geschaffen. Aber sein Psalter bietet einen Vetus-Latina-Text. Hieronymus korrigierte ihn nach der Hexaplá. Was seit dem 7. Jahrhundert als Sacra Scriptura in der römischen Kirche gebräuchlich wurde (cf. Vorwort zur Vulgata 1975), war nicht durchweg von Hieronymus. Manche Bücher hatte er gar nicht übersetzt. Über die Aquila-Übersetzung aus dem Hebräischen ins Griechische soll er nur gelacht haben (LXX, Seite XLV) – so wenig war er bereit, sich auf jüdisches Schriftverständnis einzulassen. Das bezeichnet bereits den Kulturbruch, der bis heute fortbesteht. Nach Hieronymus wird das Hebräische für christliche Theologen des Mittelalters eine praktisch unbeträchtliche Sprache, bestenfalls innerkirchliche Geheimsache (6Aramäisch). Immerhin entstand noch im 13. Jahrhundert und dann nochmals um 1400 eine Vollübersetzung aus dem Hebräischen ins Spanische. Das waren Gemeinschaftsarbeiten von jüdischen und christlichen Gelehrten für spanische Juden und für die Diskussion mit ihnen. Sonst wurde mit Juden anscheinend ohne genaue Textgrundlage gestritten. Teilübersetzungen des NT gab es relativ früh ins Althochdeutsche und Altenglische, seit dem 12. Jahrhundert ketzerische ins Provenzalische (Petrus Waldes?), irroder rechtgläubige ins Kroatische (?), Portugiesische (Apg, 13.–15. Jahrhundert) und ins Mittelhochdeutsche. Daß die Grenze fließend war, versteht sich. Die erste Vollübersetzung des NT war 946 die ins Arabische durch Isaak Velasquez, einen spanischen Christen unter muslimischer Herrschaft. Erst um 1350 gab es die auf mittelhochdeutsch (Augsburger Bibel) und 1382 die auf englisch (Wycliff ), danach: böhmisch (vor 1385), italienisch (1471) und polnisch (1561). Alle folgten der Vulgata. Das ganze NT aus dem Griechischen (nach der problematischen Druckausgabe des Erasmus) wurde nach 1500 durch Luthers Übersetzung auf deutsch öffentlich. Die erste Übersetzung der ganzen Bibel soll aus der Vulgata ins Altfranzösische um 1230 gemacht worden sein. Von dieser sei (nach 1285 ?) eine Übersetzung ins Katalanische ausgegangen. Der große Schub von Vollübersetzungen erfolgt von ca. 1350 an
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bis kurz vor 1500: ins Böhmische, Englische, Spätmittelhochdeutsche, Italienische, nochmals ins Französische und nach 1560 ins Polnische. Vor Luther gehen also im lateinischen Westen alle Vollübersetzungen auf die Vulgata, im griechischen Osten auf die LXX zurück. AT wie NT waren sonst Gegenstand von Nacherzählungen, von 6Bibeldichtung. Nur als Geschichtenbuch wird auch die Tora wahrgenommen, die Weisung der Moses-Bücher. Sie enthielt ja auch die Zehn Gebote. Dieser sogenannte ›Dekalog‹ ist im lateinischen Mittelalter dem gewöhnlichen Christen bestenfalls undeutlich bekannt – nicht zuletzt wegen seiner »ikonoklastischen Bibelstellen« (6Bild ), dem Gebot, sich von Gott kein wahnhaftes Bild zu machen.11
1.4 Priester-Schriftlichkeit Eine Vorstellung von Allgemeinzugänglichkeit der Bibel im lateinischen und griechischen Mittelalter wäre unzutreffend. Bibel-Zitate in Dichtungen waren für Laien nicht aus Bibel-Lektüre zu gewinnen. Oft war wohl die Liturgie Kenntnisquelle – doch die ist den Mediävisten meist unbekannt – mit Ausnahme der Musikhistoriker. Die Bibel bleibt im Bereich einer »ausschließenden Schriftlichkeit«, bleibt Arkanwissen. Für das weströmische Christentum war der sakrale Referenztext über Jahrhunderte hin Priester-Text in einer fremden Sakralsprache. Für den Laien wurde die Bibel zu einem Buch mit Wundergeschichten und zum Geschichtsbuch. Denn der Kern des neuen Glaubens war geschichtshaft: Die Ankunft des Reichs (Mt 12,28, Mc 1,14f., Lc 17,21) und »Der Herr ist wahrhaftig auferstanden« (Lc 24,34; cf. 1 Kor 15,14). Im Hinblick auf die Wandlungen des Textverständnisses vom Jüdischen ins Christliche wird man den Eindruck haben: Im griechischen Bereich entsteht eine dogmen-polemische Wörtlichkeits-Kultur, im römischen darüber hinaus im Volkssprachlichen eine eher inhaltsorientierte Ungefähr-Wörtlichkeit. Das verwandelt sich dann in die laikale Reformations-Wörtlichkeit, die sich auf mehr oder weniger problematische Übersetzungen bezieht. Soweit heute ein erster Vorblick auf das Faktum Bibel. Mit der Frage nach der Übersetzbarkeit des sakralen Referenztextes Bibel ist jener Typ von Konflikt gegeben qui fait feux de tout bois – der mit jederlei Holz Flammen schlägt. Die Entstehungsgeschichte des Tanach ist die erste Textgeschichte der jüdischen Literatur. Sie soll in der nächsten Stunde etwas einläßlicher besprochen werden, gleichzeitig mit der frühen griechischen Literatur. Dies werden dann sozusagen die ersten beiden Hauptthemen des vielstimmigen Gewebes, das in dieser Vorlesung möglichst klar dazustellen ist, so daß man immer alle Stimmen hören kann. Dazu mag hilfreich sein der Blick auf ein Strukturmuster von Literaturgeschichte.
2. Strukturmuster und Geschichte
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2. Strukturmuster und Geschichte Der Strukturalist, ob nun Ethnologe, Linguist, Literaturwissenschaftler, interessiert sich für gleichbleibende Muster und Elemente, die sich Strukturen nennen lassen, der Historiker interessiert sich für Differenzen, für das nach Zeit und Ort je Besondere. Einer Literar-Historie des jüdisch-christlich-muslimischen Mittelalters wird es um Differenzen innerhalb des Gemeinsamen dieses Kulturzusammenhangs gehen, immer wieder vergleichend, aber nicht i r g e n d w i e vergleichend. Um Mythen sogenannter primitiver Völker zu verstehen, bediente sich CLAUDE LÉVI-STRAUSS der Methode, verschiedene Erzählungen oder Fassungen von Mythen-Texten gleichsam übereinander zu schichten und dann zu sehen, an welchen Stellen des Erzählverlaufs sich gemeinsame Momente ergaben (vgl. Abb. 1972: 241). Ehe diese Vorlesung in die Darstellung des historischen Ablaufs eintritt, wird hier Ähnliches versucht, indem bei einer Literaturgeschichte angesetzt wird, die den meisten von Ihnen fremd ist. Das dort gegebene Muster soll danach Kontrastfolie für die Differenzbildung scheinbar vertrauter Geschichtsverläufe sein.
2.1 Das Strukturmuster der georgischen Literatur Aus dem Artikel 6Georgische Literatur läßt sich folgendes Muster abstrahieren:12 Ein weltlicher Herrscher läßt von Missionaren eine neue Religion einführen. Der zentrale Text ist eine Scriptura Sacra. Die Priester schreiben ihn in der Volkssprache mit einer dafür geeigneten Schrift auf. Diese Schrift wird ›Priester-Schrift‹ (Chutsuri ) genannt. Wie Sie aus der letzten Stunde wissen, entspricht das Muster bis dahin dem griechischen Missionierungs-Typus. Die Scriptura Sacra der neuen Religion ist der sakrale Referenztext. Auf diesen Text beziehen sich andere Sakraltexte als davon abhängende, als Dependenztexte, nämlich: Liturgie, Hymnen, Kommentare, Abhandlungen, Kirchenrecht und Kirchengeschichte – alle in der Priester-Schrift. Eine Epochenabfolge wird literarhistorisch vorgestellt als Frühzeit, Goldenes Zeitalter, Silbernes Zeitalter, also nach dem Muster Jugend, Reife, Alter. Zunächst gibt es nur Sakralliteratur. Weltliche, profane Literatur gibt es erst ab dem Goldenen Zeitalter, das wohl deswegen so heißt. Deutlich ist also eine Abfolge Sakralliteratur, Profanliteratur. Die Grenze zwischen beiden Literaturen wird durch die Ausarbeitung einer neuen Art von Alphabetschrift markiert. Sie heißt nicht mehr Priester-Schrift, sondern ›KriegerSchrift‹ (Mchedruli ). In der profanen Krieger-Schrift gibt es zuerst Urkunden der weltlichen Macht, Rechtstexte als profane Referenztexte. Alle andern Profan-Texte in dieser Schrift sind profane Dependenztexte. Dazu gehört dann auch Schöne Literatur mit weltlicher Ependichtung. Ihre Formen und Inhalte folgen Vorbildern aus fremden Literaturen (Persien, Arabien). Sie empfangen aus dem Fremden einen Anstoß, einen
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2. VORLESUNG: Faktenbegriff und Verlaufsstruktur
stimulus. Im Silbernen Zeitalter wird eines dieser Epen zum Nationalepos. Ein Fürst veranlaßt die erste vollständige Handschrift, ein König veranlaßt 1712 den Druck. In dieser Zeit wird die Krieger-Schrift zur Nationalschrift normiert. Sie ist bis heute die amtliche Schrift. Von 1801 bis 1991 war Georgien von Rußland besetzt. Seither ist es wieder autonomer Staat. Nach einer nationalen Tradition soll die Krieger-Schrift vor der Priester-Schrift von einem heimischen Fürsten erfunden worden sein. Die Priester-Schrift soll in geistlichem Gebrauch bis ins 20. Jahrhundert gelebt haben. Soweit das Muster. Übrigens: In dieser georgischen Schrift soll jeder Buchstabe ein Phonem vertreten und die Orthographie dieser rätselhaften Kaukasussprache soll der deutschen, englischen und französischen an Klarheit weit überlegen sein (WENDT 1961: 94).
2.2 Priester-Schrift oder Fremdes und Eigenes Von diesem Muster her läßt sich später fragen: Beginnen alle 38 Literaturen des jüdisch-christlich-muslimischen Mittelalters zunächst mit Priester-Schrift und in welcher Weise ist der Ablauf dort anders? Aber bereits das aus dem kompetenten Artikel abstrahierte Muster will kritisch gelesen sein. Vermutlich gibt der Artikel im wesentlichen ein Selbstbild (Auto-Stereotyp) von Georgiern wieder. Im georgischen Muster wird ersichtlich die Vorstellung von einer Eigen-Kultur akzentuiert, wenn die weltliche Schrift als zeitlich erste und ihre Erfindung als Tat eines weltlichen Herrschers gilt, auch indem ein Epos in Krieger-Schrift zum Nationalepos wird. Der Begriff einer Eigen-Kultur hat nach Zeiten vielfacher Fremdherrschaft symbolische Orientierungsfunktion für eine Gruppe gemeinsamer Sprache, die sich als ursprünglich weltliche ethnische Identität deuten will. Sogar die Isolierung der Kirche von fremden Mutterkirchen wird als Werden einer National-Kirche verstanden. Innerhalb der georgischen Kultur mögen einige offenbar lieber von Anfang an eine profane Macht-Sakralität als eine priesterliche gehabt haben. Denn alle Anfänge sind sakral. Absolute Anfänge können immer nur mit Gemeinschaft bildender Wirkung vorgestellt, sie können nicht vorgefunden werden (cf. DROYSEN 1857: 160). Das Setzen von Anfängen ist ein Weihe-Akt des Stiftens. Viele Herrscher begannen ihre Herrschaft mit einer neuen Zeitrechnung, die einen geheiligt-rechtlichen Anfang setzte. Auch die heute hier übliche Zeitzählung ist nach diesem Muster gesetzt und falsch, aber rechtsgültig errechnet worden. Die Hochschätzung von Geburtsdatum oder Virginität oder des Entschlusses zu einem neuen Lebenswandel beanspruchen als Anfänge sakrale Rechts-Gültigkeit – dabei gibt es Völker, die nicht den Tag der Geburt, sondern den der Zeugung als rechtsgültigen Anfang setzen. Selbst der Historiker kann sich seinem Amt, sakrale Anfänge zu setzen, kaum entziehen.13 Alles Eigene wird gern als selbstursprünglicher Anfang und Autonomie gedacht. Doch Anfänge sind immer mitten in vielem. LÉVI-STRAUSS unterschied die beiden Vorstellungs-Muster: Eins aus Einem und Eins aus Zweien als virginal und genital.
2. Strukturmuster und Geschichte
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Das erste Muster muß die Sakralität des Wunders in Anspruch nehmen. Bei der Vorstellung eines eigenen, völkischen oder kulturellen Ursprungs ist stets die Alternative einer Entstehung von Eins aus Einem versus Eins aus Zweien gegeben, Autochthonie oder Heterochthonie14, Autonomie oder Fremdbestimmung. Sie wissen: Jeder will selbstverständlich autonom sein. Sonst steht Ärger ins Haus. Das georgische Beispiel zeigt auch, daß solche Motivation eine Rolle spielt, selbst wenn die literarische Kultur der Tradition nach von außen her, von persischen oder arabischen Vorbildern her, gekommen ist. Es sieht überhaupt so aus, als ob Kultur immer aus der Fremde kommt. Wo Eigenwüchsigkeit behauptet wird, ist Skepsis geboten. Man kann dort aber auch durch solche Mytheme je genauer definierbare Einverständnisgruppen bezeugt finden. Nationen sind nicht anders artikuliert. Herkunft aus der Fremde oder Übertragung in die Fremde läßt sich mit dem Terminus ›Kulturtransfer‹ bezeichnen. Am Beispiel der georgischen Literatur lassen sich zwei Modi dafür beobachten: Im Hinblick auf die eigentümliche, angeblich von einem Armenier – oder von einem heimischen König – entworfene Schrift der Modus vager Vorbildlichkeit – denn daß es überhaupt Zeichen gibt, die eine Sprache aufschreibbar machen, das muß man wissen, ehe man eine neue Schrift erfindet: Schreiben, wie andere auch schreiben, aber etwas anders. Man kann dies die Form des stimulus, der Anstachelung oder des Anstoßes nennen. Jedes Mode-Imitat funktioniert so. Damit in der modernen Welt keine Urheberrechte verletzt werden, ist bei Kleidung, Autos wie Arzneimitteln das Prinzip geboten: Nachahmung ohne Wörtlichkeit. Die Entlehnung darf sich nicht umstandslos beweisen lassen, damit sie eigentümlich ist. Das soll hier auch von der Schönen Literatur gelten. Daneben steht mit der Übersetzung ein anderer Modus, bei dem Kenntlichkeit der Herkunft sogar erwünscht sein kann. Übersetzung kann als gleichrangiges Äquivalent des Referenztextes gelten, bei einem heiligen Text muß sie es sogar, andernfalls ist dessen Gültigkeit als sakraler Referenztext gefährdet. Engere oder freiere Übersetzung lassen sich auf Wörtlichkeit beziehen. Es ist dieser und oft ausschließlich dieser Modus, mit dem Kultureinflüsse von Philologen festgestellt werden. Ob es außer diesen beiden Modi noch andere Modi des Transfers gibt, läßt sich nur durch weiteres Beobachten feststellen. Nach der These des englischen Orientalisten und Wirtschaftshistorikers WANSBROUGH: Handelswege sind auf Vorteil bedachte orbits, Wege hin und zurück, sollte dabei wohl immer die Frage sein: Was kommt wie wohin? Und: Was kommt wie mit Gewinn oder Verlust zurück? Autonomie darf möglichst nicht verlorengehen. Ist das wahr? Ein geläufiges Mittel, Kultur-Autonomie zu retten, ist die Annahme einer in ferne Zeiten hinaufreichenden mündlichen Literatur. Der Ausdruck ist paradox und ungenau, denn Literatur ist das, was mit Lettern geschrieben wird. In dieser Vorlesung geht es der Definition nach um Alphabetschriftlichkeit. Der Bereich der Mündlichkeit sollte daher als ein Nebelort autochthoner Mythologeme gelten. Kenntnis von unschriftlichen Traditionen ist immer nur schriftlich vermittelt. Auch moderne Tonband-Aufzeichnungen sind eine Form von Schrift. Man könnte aber wohl besser unterscheiden: a) vorhandene oder als einst vorhanden bezeugte literari-
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2. VORLESUNG: Faktenbegriff und Verlaufsstruktur
sche Aufzeichnungen und b) vermutete unschriftliche Existenz von Werken, die später verschriftlicht wurden. Die zweite Art gehört einer Gedächtniskultur an, die mit dem Beiwort ›mündlich‹ unzureichend charakterisiert ist. »Schrift verdirbt das Gedächtnis«, erklärten gallische Druiden dem Caesar (Bell. Gall. VI,14). Die dafür zuständigen Menschen, die ja damit Gruppenidentität stifteten, legten ihre Ehre in ihr eisernes Gedächtnis. Das war dem Urteil ihrer Hörer ausgesetzt. Das so Bewahrte betraf gesungenen oder als Singsang rezitierten Vers wie historische und juridische Prosa, z.B. bei Arabern und Isländern. Wortwörtlichkeit gibt es nicht nur schriftlich. Die Verschriftlichung kann erfolgen, wenn das Gedächtnis unsicher zu werden beginnt, und die entstehenden Varianten können erst dann zustandegekommen sein. Eine kritische Textherstellung kann eine sachfremde Textgestalt schaffen. Die Eigenart einer Kulturerscheinung, wie z.B. höfische Dichtung, kann vom hergestellten Text als besondere historische Existenzform (der fast analphabeten Kultur) dem Bedenken entzogen werden. Die Ausgangsfrage war: Gibt es überall erst Priester-Schrift und dann ProfanSchrift? Nein. Aber ältere Schrift- und mit ihnen Sprachformen halten sich am längsten in sakralen Referenztexten. Beispiele: Die Tora wird in hebräischer QuadratSchrift geschrieben, während für profane oder sakrale Dependenztexte längst andere Schrift- und Sprach-Formen im Umlauf sind. Noch im heutigen Judentum darf im Kultus allein eine handgeschriebene Tora-Rolle verwendet werden. Selbst die gedruckte Form gilt hier als profan und kultisch ungültig. Oder: Die Luther-Bibel bleibt lange im altertümlichen Luther-Deutsch in gottesdienstlichem Gebrauch und in der sogenannten gotischen Frakturschrift, bis dann schließlich die Sprache nach und nach modernisiert wird und die Schriftform moderner Profanschrift weichen muß. Entweder läuft die Sakral-Schriftlichkeit der profanen Kultur nach oder sie wird Signal für eine Grenze zwischen Religion und Profanmacht. Es sieht so aus, als ob jede Schriftreform Macht-Demonstration sei, die bisher Gültiges absetzt und einen neuen Anfang stiften will. An der deutschen Wende-Schriftreform ist für jedermann deutlich, wie weit die staatliche Autorität sich durchsetzen kann. Schrift und Legalitäts-Macht gehören zusammen. In Schriftgeschichten wird meist von der Entwicklung einer jüngeren aus einer älteren Schriftform gesprochen, und das wird für eine interne Angelegenheit der Skriptorien gehalten. Aber welches Skriptorium wie weit wirken darf, müßte sich zugleich als Akzeptanz von Macht lesen lassen, nach der in jedem einzelnen Fall gefragt werden sollte, selbst wenn keine Antwort leichthin zu geben ist. Denn Macht ist ein so allgemeiner Begriff wie Bibel. Der Titel der Vorlesung: Schrift, Macht und Heiligkeit, ist so vielleicht deutlicher.
Anmerkungen
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Im Artikel 6Bibelübersetzungen merkt man, wie sehr der Begriff Bibel die Wahrnehmung der historischen Verhältnisse verundeutlicht. Das Wort 6Bibel, biblia f., kommt erst spät (12. Jahrhundert?) aus unsicherer Herkunft in Gebrauch. Im römisch-christlichen Mittelalter war sacra scriptura das Wort für AT und NT zusammen. Die Übersetzungsgeschichte von AT und NT wird in unübersichtlicher Vermengung dargestellt. Aber das ist anders schwer möglich, denn es liegt sehr in der Sache. Bereits zur Zeit Davids und Salomos, also um 1000 v. Chr., waren jüdische Kolonisten in verschiedenen Teilen Asiens und Afrikas seßhaft, an der Südgrenze Ägyptens gab es eine jüdische Militärkolonie, für die Papyri für die Zeit zwischen 600 und 500 v. Chr. den Gottesnamen JaHWe als JaHW ( Jahu) bezeugen. Entscheidend für die größere Zerstreuung war die Eroberung (597 v. Chr.) und Zerstörung Jerusalems um 600 v. Chr. (587/6), verbunden mit der 1. und 2. Deportation (babylonisches Exil). In Babylon entstand eine der geistig einflußreichsten Diaspora-Gruppen – bis über das ganze spätere Mittelalter hin. 538 v. Chr. konnte mit Erlaubnis des Perserkönigs das Exil beendet und (bis 515) der 2. Tempel erbaut werden. Im Exil entstanden wesentliche Schriften der Bibel und erhielten Sabbat und Beschneidung neue Bedeutung. Ähnlich wichtig wie die Diaspora in Babylon war die in Ägypten. Aber rund um des Mittelmeer bildeten sich kleinere Gemeinden. Alle entrichteten ihre Tempelsteuer nach Jerusalem. Die 2. Tempelzerstörung 70 n. Chr. vertrieb dann bereits auch Christengemeinden; cf. RECLAM Exil, Diaspora. Als traditionelle Anfänge werden im Artikel 6Mittelalter genannt: ›Konstantinische Wende‹ 313, Hunneneinfall als Beginn der germanischen Völkerwanderung 375, Ende des weströmischen Kaisertums 476, arabische Eroberung des Mittelmeerraumes 635–650. Da wird nicht nur eine Konsonantenfolge mit den einen Vokalen so, mit anderen aber auch anders aufgefaßt, werden die einzelnen Lettern in ihrem Zahlenwert genommen, werden durch ähnliche Zeichen probeweise ersetzt, auch vertauscht, als Anagramme oder von rückwärts gelesen. Besonders die Kabbala hat da Deutungsweisen erfunden. Die Reformierten haben nur den jüdischen Kanon, in der Luther-Bibel stehen die späteren Schriften anhangsweise als Apokryphen, in der katholischen Bibel sind alle AT-Apokryphen im kanonischen Text. Davon waren z. B. Sirach, Tobias und Makkabäer schon im Mittelalter beliebt und waren wichtige Zeugen, etwa für die präexistente Maria als Sapientia. Die Vulgata zählt auch den Hebräer-Brief zu den Paulus-Briefen. In der Hexapla standen in den Spalten 4. die Symmachos-Übersetzung, 5. die LXX, 6. die Übersetzung des Theodotion. Die berühmteste Übersetzung ins Arabische schuf vor 942 der jüdische Gelehrte 6Saadja ben Josef al Fajjûmî Gaon in Ägypten, auch die des NT umfassend. Aus dem Spätägyptischen, d. h. Koptischen ging gegen 800 eine erste, aus dem Griechischen und Syrischen etwa gleichzeitig eine weitere, bald nach 1000 eine dritte Vollübersetzung ins Arabische hervor. Die Vetus Syra entstand nach dem Übertritt des syrischen Königshauses zum Judentum, nämlich der Dynastie von Adiabene, welches dann 116 die römische Provinz Assyria wird (RECLAM 489). Als Revision der Vetus Syra entstand vor 400 die syrische Peschitta (= Einfache) als Vollbibel. Sie gilt bis heute in der Syrischen Kirche. Tatians Werk wird griechisch
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2. VORLESUNG: Faktenbegriff und Verlaufsstruktur
als »Diatessaron«, Querschnitt durch die vier [später kanonischen Evangelien] benannt. Es gibt davon auch armenische Bruchstücke. 8 Die Kindheit-Jesu-Evangelien sind schon früh in griechischer, aramäischer oder syrischer Sprache überliefert und gegen 400 ins Lateinische übersetzt worden. So das Evangelium des Pseudo-Jakobus (griechisch, Ende 2. Jahrhundert), wonach sich das Pseudo-Matthäus- und das Thomas-Evangelium teilweise richteten. 9 Mit dem Ende der sog. Naherwartung (um 100) formierten sich aus Gemeinden Kirchen (d. h. »Aufgebotene des Herrn«), schließlich die Kirche, die sich als die rechte verstand und gelegentlich als Leib des auferstandenen Herrn definierte. Damit wäre dann an die Stelle einer göttlichen Person eine göttliche Institution getreten? Hat das seine Auswirkung auf die Einschätzung des Zeugniswertes der frühesten Überlieferungen gehabt? Was nicht dem späteren rechten Begriff von Christentum entsprach, bot auch nicht die rechte Lesart? Scheinen so die frühen Übersetzungen aus nicht-griechisch-römischen Gemeinden und Kirchen als weniger schätzenswert (cf. z. B. die Einleitungen zu den kritischen NestleAusgaben des NT )? Datierungen der Quellen schwanken hier besonders. Die frühe Textgeschichte des NT ist undurchsichtig, für die einzelnen Teile uneinheitlich und nur über Hypothesen von verschiedenen als griechisch vorgestellten Redaktionen oder Texttypen überschaubar, z. B. in einer Unterscheidung von ägyptischer, caesareischer, (pidgin-griechischer) Koine und einer westlichen Redaktion. Aber solche Unterscheidungen werden von anderen abgelehnt oder anders getroffen. Bei den Stellen, an denen im NT aus dem AT zitiert wird, läßt sich oft genau bestimmen, ob eine und welche griechische Übersetzung die Niederschreibenden benutzten, was den Sinn der Darstellung lenkte. 10 Was von der gotischen AT-Übersetzung erhalten ist, gehört nicht völlig zu diesem Typ. Es findet sich dort aus dem AT ein Nehemia-Fragment (cap. 5-7), winzige bis unsichere Spuren einer Genesis-, einer Psalter-Übersetzung (cf. STREITBERG 477f., STUTZ 43ff.) aus einer griechischen LXX oder Hexapla des Arianers 6Lucian von Samosata in Antiochia († 312) oder aus einem dem Hebräischen näher stehenden Text (STREITBERG XXXIXXXV, STUTZ 31). In der syrischen Weltstadt Antiochia war Ulfila vielleicht 341 zum Missionsbischof ordiniert worden. Aus dem NT liegen vier Evangelien und Paulus-Briefe vor. Nicht enthalten waren oder sind: Apostelgeschichte, ›katholische Briefe‹ (= Jakobus, Petrus, Johannes, Judas), Hebräer-Brief und Apokalypse. – Auch der ahd. Tatian um 830, Notkers ahd. Psalter um 1000 und Willirams Hoheslied um 1050 stehen wieder anders unter besonderen Bedingungen. 11 BUBER-ROSENZWEIG übersetzen Ex 20,7: »Trage auf das Wahnhafte nicht SEINEN deines Gottes Namen«. – 6Petrus Comestor gab eine lateinische Zusammenfassung der biblischen Geschichte bis zur Himmelfahrt Christi in seiner Historia Scholastica (bis 1169/73). Die »Wiederentdeckung« des Dekalogs durch den Ebf. 6Edmund von Canterbury († 1240) in seinem Speculum ecclesiae blieb folgenlos und auch im LdM-Artikel unerwähnt. Erst durch Luther kam er in den Katechismus, der für das lat. Mittelalter nur Credo (Athanasianum) und Paternoster (dazu dann später das Ave Maria) umfaßte. Noch bis vor kurzem gehörten zum »christlichen Marschgepäck im Westentaschenformat« NT und Psalmen, nicht das »Gesetz«, das pauschal als überwunden galt (cf. 2 Kor 3,14) durch die Lex Christi, die mit der Bergpredigt (cf. Mt 5,17-48) nicht nur Übersteigerung, sondern auch eine Auswahl bot. 12 Etwas ausführlicher nacherzählt, wäre die Geschichte der georgischen Literatur diese: Um das Jahr 330, also zur Zeit Konstantins, soll eine kriegsgefangene Christin einen georgischen König so beeindruckt haben, daß er sich taufen ließ und seinen Untertanen die Religion des wundermächtigen Christus befahl. Er rief Missionare aus Konstantinopel,
Anmerkungen
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Armenien und Syrien ins Land. Die Frau wurde später als die Heilige °Nino (PENGUIN 255) jeden 15. Dezember verehrt und ihre Beziehungen zum König waren dann unverfänglicher Natur: Sie war im Volk durch ihre Güte, Frömmigkeit und Heilkraft berühmt und hatte die Königin von einer Krankheit erlöst, indem sie den Namen Christi anrief, usw. Von da aus beginnt die 6Georgische Literatur mit der Erfindung einer Schrift für die völlig eigenartige Kaukasus-Sprache. Als ihr Urheber gilt der armenische Hofsekretär und spätere Heilige Mesrop. Als Ursprungsjahr wird 410 genannt. Mesrop gilt auch als Schöpfer der armenischen Schrift im Jahre 406 (HAARMANN 1990: 344). Die älteste Form der georgischen Schrift mit 38 Zeichen heißt Priester-Schrift: Chutsuri (Chutsi = Priester; ältestes Zeugnis auf 493 datiert, HAARMANN 1990: 352). Die Buchstabenformen ähneln der älteren armenischen, aber auch anderen ost-aramäischen Alphabetschriften wie dem sasanidischen Pehlevi und der Awesta-Schrift. Reihenfolge und Zahlenwert der Lettern und Rechtsläufigkeit sollen dem griechischen Alphabet entsprechen. Zwischen 400 und 500 entsteht dann eine schriftliche 6Bibelübersetzung nach armenischen und griechischen Vorlagen. Daneben wurden andere Texte im Dienste der neuen Religion aufgezeichnet: Übersetzungen, Liturgie nach syrischen, armenischen und griechischen Vorbildern, alles im 5. Jahrhundert. Die Zeit des armenisch-syrischen Einflusses reicht bis ca. 600. Danach gibt es eine national-georgische Periode (von ca. 600–980) mit byzantinischem wie mit arabischem Einfluß. Damals entstehen Geschichtswerke, Kirchengeschichte. Diese Zeit mündet in ein »Goldenes Zeitalter« (980–1250). Es ist zweigeteilt. In der ersten Periode herrscht allein die »Priester-Schrift«. Es werden georgische Hymnen gedichtet, es wird aber auch Kirchenrecht aufgezeichnet. Seit der Mitte des 11. Jahrhunderts gibt es weltliche Literatur, geschrieben in der Mchedruli, der »Krieger-Schrift« (Mchedari = Krieger, Ritter). Bezeugt ist die Krieger-Schrift zuerst in weltlichen Urkunden des 13. Jahrhunderts. Nach jüngerer georgischer Tradition soll die Krieger-Schrift bereits um 300 von einem georgischen Fürsten zusammengestellt worden sein (HAARMANN 1990: 352). Dann werden Epen verfaßt, wie Schota Rustawelis Der Mann im Pantherfell. Es erblüht auch andere Schöne Literatur, nach persischem und arabischem Vorbild. Nach von außen gekommenen Katastrophen erlebt die Literatur als »Silbernes Zeitalter« eine Nachblüte von ca. 1600–1800. In dieser Zeit wird die Krieger-Schrift zur Nationalschrift normiert. Nun ist auch die älteste vollständige Handschrift des georgischen Nationalepos vom Pantherfell-Krieger erhalten, 1646 am Hofe eines Fürsten geschrieben, 1712 auf Befehl eines georgischen Königs gedruckt, 1974 durch RUTH NEUKOMM ins Deutsche übersetzt. Seit 1991 ist Georgien wieder ein eigener Staat mit der Krieger-Schrift als amtlicher Schrift. 13 Nachdem eine sehr frühe Schriftkultur, um 5000 v. Chr., um Belgrad entdeckt wurde, rechnete ein Historiker den Balkan zum Westen und meinte die alte Vorstellung: Ex oriente lux – Tageslicht wie Kultur kommen von Osten – widerlegt zu finden. Dabei kennen wir z. B. die Kultur, die im heutigen Schwarzmeer zuvor durch den Einbruch des Mittelmeers durch die Dardanellen überflutet wurde, nicht – und manch andere Dinge auch nicht. 14 Autochthonie und Heterochthonie aus griechisch autos (selbst, eigen), heteros (fremd, anders) und chthonos (Erdreich) gebildet, und die Autochthonie-Vorstellung ist deutlich im Mythos von der Entstehung der Thebaner aus den in die Erde gesäten Drachenzähnen.
3. V ORLESUNG Jüdische und griechische Alphabetschrift-Literatur vor der Römer-Zeit Nahezu im gleichen Jahr, da Sokrates zu Athen den tödlichen Giftbecher trinken muß – und will – wird in Jerusalem das Gottesgesetz des Alten Bundes aufs neue in Kraft gesetzt, nachdem der zerstörte Tempel wieder aufgebaut ist. Beides geschieht auf allerhöchsten Befehl. Im griechischen Stadtstaat Athen ist es das höchste weltliche Gericht, das den Philosophen zum Tode verurteilt, als Sittenverbrecher, aus moralischen Gründen, die anderswo religiöse Gründe heißen. Das war 399 v. Chr. Im jüdischen Land ist es der Perserkönig Artachschasta ( !;2(;9!), der als höchste weltliche Macht den zentralen Kultort einer fremden Religion neubegründet. Ob das im Jahr 398 oder nicht schon 459 war, das hängt davon ab, ob man den Perserkönig mit Artaxerxes II. oder I. identifiziert. Für eine erste, einprägsame Orientierung wäre Artaxerxes II. gelegener.
1. Jüdische Alphabetschrift-Literatur Sokrates schrieb nicht. Er schrieb aus Prinzip nicht. Seine Philosophie war im lebendigen Gespräch. Aber die Schriften seines Schülers Platon und von dessen Schüler Aristoteles werden der eine Pfeiler, auf dem die Gedankenwelt des abendländischen Christentums ruht. Doch erhalten sind diese Schriften erst in Kopien aus christlichen Jahrhunderten. Sokrates schrieb nicht, aber Esra schrieb. Esra war Schreiber, Sekretär, was – wie später bei den ersten Kalifen – Minister hieß. Er war Staatssekretär des Perserkönigs für Religions-Angelegenheiten im eroberten Gebiet, obschon er Jude war. Die Perserkönige waren gegenüber fremden Religionen tolerant wie in der Antike sonst keine Gewaltherrscher. Was Esra schrieb, wurde ein weiterer Pfeiler des abendländischen Christentums: die Tora mit den 10 Geboten und den 603 weiteren Weisungen – Rechtsbuch und Scriptura Sacra zugleich. Und wenn es richtig ist, wie bis heute ohne letzten Beweis vermutet wird, daß der Glaube an ein künftig hereinbrechendes Reich Gottes als Wiederkehr des Paradieses am Ende aller Zeit, der Glaube an eine Auferstehung der Toten, an ein Schicksal der Einzelseele nach dem Tod mit Sturz in einen feurigen Strom oder Eingehen ins Paradies aus der persischen, d. h. iranischen Religion stammen, dann ist auch für den dritten Pfeiler des abendländischen Christentums damals der Grund gelegt worden, nach dem Ende des babylonischen Exils. Die Synagoge von Dura Europos am Euphrat beweist nur Ikonographisches, der Titel Gott des Himmels, der erst seit der persischen Periode in der Heiligen Schrift steht, beweist
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nicht genug. Ein bedeutender Teil der Prophetenbücher ist dort in der Fremde entstanden, mitsamt den Messias-Weissagungen. Die Prophetenbücher von Esra und von dem persischen Wiederaufbau-Kommissar Nehemia zitieren die Urkunden der Königserlasse und bringen Namenslisten der Deportierten, die Ulfila später ins Gotische übersetzt. Ein apokryphes Esra-Buch, das nur in der Vulgata steht, verheißt der Mutter (Kirche?) künftiges Heil. In den Jahren nach der 1. Deportation 733 und in den Jahren des Exils von 597 bis 520 wurde das Gedächtnis an die Offenbarung vom Sinai und an den Auszug der Kinder Israel aus Ägypten der Schrift zur Bewahrung anvertraut. Die Wanderung von Ägypten her und die Heimkehr der Deportierten ins Gelobte Land waren der Situation nach ähnlich. Erhalten ist das, wie die griechische Literatur, vor allem in Handschriften aus christlicher Zeit.
1.1 Gottesname und Tabu-Begriff Zum neuen Jahr 398 oder eher 459 verkündete Esra, der Schreiber, nun in der Funktion des Hohenpriesters, das Gesetz des Mose als persisches Staatsgesetz für die halbautonome Provinz vom Tempel herab dem Volk – und alles Volk sagte Amen. Der Perserkönig hielt sich an das Sprichwort: Was der Mächtige an Priestern hat, das spart er an Soldaten. Israelische Soldaten als Verbündete siedelte er an der Südgrenze des eroberten Pharaonenreiches in Elefantine am Nil an (454?). Das ist papyruskundig, und diese Soldaten sollen von Jerusalem abhängig gewesen sein und als höchsten Gott den namenlosen Einen des Mose unter dem nicht auszusprechenden Namen JHWH als Jahu verehrt haben – allerdings dazu noch einige weibliche Gottheiten. Die stammten aus dem Arsenal der gemeinsemitischen Götter und fanden sich auch in den phönikischen Stadt-Königreichen wie Tyros, Byblos und Ugarit. Die Namen solcher Göttinnen lauten im Ugarit ähnlich oder gleich wie im Hebräischen, wo sie im 1. Buch der Könige (= III Rg) erwähnt werden: Astarte (Ugarit: Ischtar), Anat (= Ugarit), Aschera (= Ugarit). Dazu andere, männliche, wie Baal, was semit. ›Herr‹ heißt. Das gemeinsemitische Wort für den höchsten Gott, auch bei den Phönizier-Kanaanäern, war EL. In dieser Form und im singularisch gebrauchten Plural ELOHIM ist es auch im jüdischen Tanach Gottesbezeichnung. BUBER-ROSENZWEIG übersetzen EL und ELOHIM mit Gottmacht, Gottheit, Schutzgott oder sagen auch einfach Gott, denn dies ist nicht der Tabu-Name, den toratreue Juden nicht aussprechen. Tabu-Name ist vielmehr JHWH. Wo er im Text erscheint, sagt man statt dessen Ha-Schem, der Name, oder Ha-kadosch-baruch-hu, der Heilige, gepriesen sei er, oder Adonai, mein Herr. Denn mit den Vokalzeichen dieses Ersatz-Namens wurde JHWH später widersprüchlich geschrieben, damit niemand das ausspreche: %&%* als %D| % *F (Ex 3,17). Sachfremd war eine christliche Aussprache als Jehowa, wissenschaftlich gilt Jahwe. Als Er sich im Dornbusch (Ex 3,14) offenbarte und Mose fragte: »Was soll ich denn dem Volk sagen, wer mich gesandt hat?«, bekam er zur Antwort: »Sage ihm: Der Ich-(bin-)da (%*(! ‘Echjeh) hat mich gesandt«. Der Immer-Anwesende, In-allem-zu-Hörende, für den
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3. VORLESUNG: Jüdische und griechische Alphabetschrift-Literatur
jedes Bild, jeder Begriff und Name nach dem dritten Gebot bereits wahnhaft ist – ein fast atheistischer Gedanke. Der Tabu-Name ist ein Tabu-Begriff.1 Übrigens sollte, wer unter Ihnen etwas auf sich hält und etwas genauer wissen möchte, was im hebräischen AT-Text steht, sich die Übersetzung von MARTIN BUBER und FRANZ ROSENZWEIG, Die Schrift, als Taschenbuch anschaffen und wenigstens die hebräischen Lettern lernen. Von dieser deutschen ›Aquila‹ aus läßt sich mehr sehen.
Den JHWH hatten die Juden nach dem Auszug aus Ägypten wohl bei den Midianitern kennen gelernt. Dem Plural-Namen Elohim klebten sozusagen noch die Eierschalen der Vielgötterei an. Während für fromme Juden die Mosebücher eine lebendige Einheit sind, hat die christliche Bibelwissenschaft unterscheidbare Entstehungsschichten darin erkennen wollen. In Anknüpfung an die beiden Gottesnamen wurden als Redaktoren Jahwist (900–850), Elohist (um 700) und eine im babylonischen Exil entstandene Priesterschrift unterschieden. Was Esra der Schreiber, Priester und Prophet nach der Rückkehr aus dem Exil im jüdischen Land als persisches Staatsgesetz in nunmehr aramäischer, von uns heute hebräisch genannter Quadratschrift aufschreiben ließ, hatte also bereits eine lange Geschichte hinter sich. Vor der Tempelzerstörung und Deportation war die Tora bereits einmal verloren, durch den Priester Hilkija im Jerusalemer Tempelarchiv wieder aufgefunden und vom König Joschija (639–609 v. Chr.) im Süd-Reich Juda zum Herbst-Jahresbeginn 621 als Gesetz verkündet worden.
1.2 Kommunikationsmuster Sie erkennen das an der georgischen Literatur entwickelte Strukturmuster der letzten Stunde wieder. Es wiederholt sich: Zuerst der Mächtige, der Schrift befiehlt oder gestattet; dann der Schreiber-Priester, der die Schrift schreibt, findet, er-findet; dann die Veröffentlichung des Geschriebenen, die der Mächtige befiehlt; zuletzt die Gemeinschaft der Informierten, die das verkündete Geschriebene anhört und akzeptiert. Damit akzeptiert sie die Macht des Mächtigen. Der enge Zusammenhang von Macht, Schrift und Heiligkeit zeigt sich in der Tora selbst. Da wird das Muster zum drittenmal greifbar: Bei Elohim wie beim einzigen JHWH liegen exekutive Macht und legislative Schrift in einer Hand. Gott schreibt selbst. Macht, Heiligkeit und Gesetz-Schrift liegen ebenso bei Mose zunächst in einer Hand. Auf den Rat seines Midianiter-Schwiegervaters trennt Mose dann die Priester-Funktion ab und delegiert sie an seinen Bruder Aaron und die Leviten. Beider Schwester Mirjam führt den chorlyrischen Reigen des nichtpriesterlichen Volks und befestigt so das gesagte Amen durch Liturgie. Übrigens hatte die Verfassung der römischen Republik die Vereinigung von Macht und Sakralität bei den frühen Königen getrennt und die Priester-Schreiberschaft vom Senat kontrollieren lassen. Augustus – das ist ein Sakral-Titel – ist zuerst Oberpriester und dann Imperator-Potens. Das christliche wie das muslimische Mittelalter werden vom Konflikt zwischen Profan-Macht und Sakral-Macht beherrscht. Nahezu jeder LdM-
1. Jüdische Alphabetschrift-Literatur
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Artikel ist in »A. geistlich« und »B. weltlich« untergliedert. Außer der Alphabetschrift bindet diese Kommunikationsstruktur das jüdisch-christlich-muslimische Mittelalter zusammen.
1.3 Literatur-Gattungen, Religion, Ethnie Mit einer Benennung als Chorlyrik aber wird das liturgisch durch Mirjam und ihre Frauen Aufgeführte als dramatisch-kultisches Medium, als Literaturgattung aus der scriptura sacra herausgelöst. Vielleicht liegt die Grenze zwischen sakral und profan nicht in einer Textgattung als solcher, sondern in ihrer Verwendungs- und Betrachtungsweise. Das Mirjam-Lied und das Moses-Lied davor (Ex 15) sollen zu den ältesten Stücken der Tora gehören (F OHRER 1,26). Das wäre Stammespoesie, zunächst ungeschrieben. Ähnlich auch andere Stücke in Doppelversen oder Doppelvers-Gruppen. Das wäre wie bei der arabischen, vorislamischen Poesie, deren Verse in riesigen Lettern in der Kaaba hängen. Bei den Juden erscheint das als prophetischer Lobgesang auf den Stammesgott und sein Volk, bei beiden Semitenvölkern auch als Preisung des eigenen Stammes und Schmähung der Feinde. GOETHE hat in den Noten zum Westöstlichen Diwan Beispiele fürs Arabische gegeben. Die Liebesklage der arabischen Qasîde fehlt bei den Juden – oder sie ist ins Hohelied eingegangen; anstelle von Wüstenritt und Kamel-Beschreibung stehen Wanderzüge, auch durch Wüstensteppen, Beschreibung von Kultorten und Herden-Fruchtbarkeit von Rind, Schaf, Ziege, Esel, Widder und Ziegenböcken. Stiere, göttliche Tiere fremden Fruchtbarkeits-Kults, werden herabsetzend auch als Ochsen oder Kälber bezeichnet – so das Goldene Kalb. Das erst gegen 1000 v. Chr. gezähmte Kamel (Dromedar) gilt als anachronistisch in den Berichten über die Erzväter. Wie unter denen, die unter Mose vor 1200 aus Ägypten zogen oder sich ihnen anschlossen, viele Fremde waren, so war auch Abraham, Erzvater der Juden wie der Araber, ein Fremder gewesen, »ein wandernder Aramäer« (Dt 26) vom mittleren Euphrat, ein Kleinvieh-Nomade. Weidewanderungen, Transhumanz, wie sie ums ganze Mittelmeer Tradition sind, führten zwischen den Ebenen der großen Ströme Euphrat und Nil und den kargen Sommerweiden hin und her. Jenes fünfte Mose-Buch, wohl das, das 621 unter Joschija-Josias als Staatsgesetz verkündet wurde, stellt das als großartige kultische Rede vom Heil Israels dar. Die aus Ägypten Ausziehenden waren nicht ein Volk, sondern sie wurden es erst auf der Wüstenwanderung durch die Religion, die Mose sie lehrte, durch den Bund, den sie mit Ihm schlossen, der sie erwählte, wie sie Ihn erwählten – wechselseitig. Das wird oft als einseitige Erwähltheit mißverstanden und wurde so auch blutig nachgeahmt. Für die Juden ist die Tora von Mosche-Rabbe-nu, von »Mose, unserem Lehrer«, eine heilige Einheit. Die Bibelwissenschaft sieht vieles aus der Gedächtniskultur zu einem ungefähr bestimmbaren Zeitpunkt in den Tanach-Kanon aufgenommen. So sollen hymnisch-berichtende Stücke nach dem Muster älterer Sprüche zusammengewachsen sein: Moses-Psalm und Moses-Segen (Dt 32 und Dt 33), epigrammartiger Jakobs-
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3. VORLESUNG: Jüdische und griechische Alphabetschrift-Literatur
Segen (Gn 49,1.27) und Josephs-Spruch (Dt 33.13-17). Babylonisches finde sich auch im Schöpfungsbericht. Einiges, was in christlichen Bibeln als ›Geschichtsbücher‹ erscheint ( Josua, Richter, Samuel, Könige), könnte zwischen 400 und 200 als zweiter Teil dem Kanon hinzugefügt worden sein, als Propheten-Bücher (Nebeim). Die Psalmen gehören im Tanach zu den Ketubim (›Schriften‹), dem dritten und letzten Teil. Manche davon sind viel älter und können den König-Propheten David (um 1000 v. Chr.) zum Verfasser haben. Älter sind wohl auch, aus der Salomon-Zeit bald nach 1000, die monologisch-dialogischen Liebesdichtungen im Hohelied (mit polygamem Hintergrund), jünger wohl Weisheitslehren (Kohelet, d. h. Prediger Salomo, auch die Sprüche Salomos). Sie sollen erst in den beiden letzten vorchristlichen Jahrhunderten zusammen mit weiteren Psalmen, Klageliedern, Ijob-Hiob, prophetischen Zukunftsentwürfen (Esra, Nehemia, Daniel ) und Chroniken dem Kanon des Tanach angegliedert worden sein. Aber viele Teilstücke waren auch als Bücher-Rollen wohl schon älter selbständig im Umlauf.
1.4 Phönizier Aus der Literatur der Phönizier-Kultur sind in Ugarit auf dem Kap Ras Schamra frühe alphabetschriftliche Texte aus den mehrsprachigen Skriptorien der Tempel-Handelsakademien erhalten: Diplomatische Urkunden und Kaufverträge, in denen WANSBROUGH die Muster sieht, die sich bis zu den italienischen Kaufherren um 1500 n. Chr. fortschreiben, aber auch Gebete, Hymnen, Klagelieder – also sakrale und zugleich ›alttestamentliche‹ Genera – und bruchstückhaft ein Königs-Götter-GöttinnenEpos, ein sakraler Erzähltext. In variantenreichen Linear-Alphabeten verbreiteten die kanaanäischen Seefahrer und Händler die ihnen vorteilhafte Schrift auf dem Weg zum Zinn der britischen Inseln bis ins frühiberische Spanien und in Münzen bis auf die Azoren im Atlantik, aber eben auch auf der arabischen Halbinsel, sozusagen im Hinterland. Als die phönikischen Handels-Stadtkönigreiche an der syrischen Küste mal von Ägyptern, mal von Persern unterworfen wurden, wandten sich die Phönizier nach Nordafrika und gründeten 826 oder 814 v. Chr. von Tyrus aus in der Mitte des Mittelmeers YKarthago – vor Rom (753), das Herodot nicht kennt, gleichzeitig mit Rom, sagen wohl römerfreundliche Quellen. Von Karthago aus beherrschten sie als Punier dann auf Jahrhunderte das ganze Westmeer – wirtschaftlich und militärisch.
2. Griechische Alphabetschrift-Literatur
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2. Griechische Alphabetschrift-Literatur 2.1 Sakralität und Profanität Die schöne Europa, die Zeus als Stier entführte, war nach Herodot (1,2) eine phönikische Prinzessin und der Philosoph Thales von Milet soll ein Phönizier-Kind gewesen sein. So sehr lagen und gingen die Dinge in der frühen Zeit durcheinander. Die Griechen lernten wohl zunächst als Händler von den Phöniziern die vorteilhafte Schrift, mit der sich zugleich rechnen ließ; denn die Zahlbedeutungen der Lettern sind im Prinzip die gleichen wie in den semitischen Schriftsprachen. Schriftkundige sind Machtgruppen, der Funktion, aber nicht notwendig dem Beruf nach Priester: Es können auch Kaufleute sein oder Computer- oder Börsenkurs-Weise. Ein Hauch von Höherem haftet ihnen jedenfalls an. Die Griechen waren so wenig ein Volk wie die Juden, und die von Norden her nach und nach eindringenden Wanderungsverbände mit Herren-Familien und Mägden und Knechten von überallher entwickelten eine ganze Reihe höchst verschiedener Alphabetschriften. Und die Ein- und Auswanderungen gehen weiter in der Zeit der griechischen Kolonisation. Dort zeigt sich im Licht der Schriftlichkeit, was einst in vorschriftlichem Dunkel sich abspielte. Die Gründungen von griechischen Kolonistengruppen erfolgten rivalisierend dort, wo gute Häfen und gute Ackerböden waren: Schon früh in Thrakien, auf Ischia, dann in Ostsizilien, Süditalien, Libyen, am Schwarzen Meer, zu unbekannt früher Zeit auch schon am Atlantik in Cádiz (YGades), wo sie wieder mit den Phöniziern zusammentrafen. Homer und Hesiod »haben den Hellenen ihr Göttergeschlecht gebildet« sagt später Herodot (* ca. 480; Hist. 2,53). Das ist bereits formuliert, als ob es sich um epische Sakraltexte handle. Aber anders als die hebräische und die georgische Literatur, stellt die griechische nicht einen Sakraltext mit seiner Liturgie und seinen religionsgesetzlichen Ausdeutungen voran, sondern sie beginnt in der Form von anscheinend ›weltlichen‹ Versepen. Mit dem Namen Homer verbunden werden epische Hexameter-Gesänge (Ilias, Odyssee), zwischen 750 und 700 v. Chr. – also in der Elohist-Zeit – entstanden und literaturschriftlich komponiert, aber erst viel, viel später erhalten. Zu ihnen kommt als nur wenig jüngerer Text, gleichfalls in epischen Hexametern, die Theogonie des Hesiod (ca. 700). Ihr Dichter, dessen Vater ohne Glück Überseekaufmann war, ordnet das von Göttern und Menschen allgemein ›Gesagte‹, den Mythos, in das Gefüge eines Ablaufs von Weltzeitaltern ein und bedenkt dabei Recht und Unrecht von Bauern gegenüber ihren Herren, die Pferde statt Brot wollen. Wohl gab es bei den Griechen auf Sachgebiete, auch auf Lieblingsvölker spezialisierte Göttermacht. An den Weisen ihrer Verehrung nahmen viele teil, an Gebet, Opfer, Weihegaben, Wallfahrten, an Reigentanz mit gesungener Chorlyrik. Das ist wie bei der Moses-Schwester Mirjam und ihren »paukenden Weibern« (THOMAS MANN ) –
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3. VORLESUNG: Jüdische und griechische Alphabetschrift-Literatur
ein orient-mediterraner Zug? Aber das Innerste religiöser Kulte blieb esoterisches Wissen einer Priesterschaft, blieb in Worten und Gesten Geheimnis, oft durch Masken geschützt, nicht durch Schrift profaniert. Das ist wie bei den gallischen Druiden, die dem Caesar nicht nur sagten »Schrift verdirbt das Gedächtnis«, sondern auch: »Was göttliches Gesetz (fas) ist, darf man nicht aufschreiben« (Bell. Gall. VI,14). Es gibt von Mysterienkulten Spuren in Objekten, Textnachrichten, aber keine erhaltene Liturgie. Was erhalten ist, ist literarische, nicht kultische Religiosität (YHymnos). Dennoch ersetzen die geheimen Priesterkulte, ersetzt schon bei Homer und Hesiod insbesondere das Apollon-Orakel von Delphi die fehlende staatliche Autorität. Dieses Orakel der Pythia wird von allen Griechen geachtet und gefürchtet. Eine solche Autorität über alle andern hat bis hin zu Alexander keine der einwandernden griechischen Völkerschaften mitgebracht und ausüben können, und so bleibt sie rätselhaft, allen Erklärungen der mit Delphi verbundenen Namen aus etymologischen Wurzeln einer indogermanischen Grundsprache zum Trotz.2 Bei Homer durchwaltet persönliche Pietät alles Handeln, ist Sakralität, die öffentlich sein konnte in einer literarischen Schriftkultur. Das nichtgeheime Kultische, das Göttliche wird die Kunst der Dichter, die noch später – wie zwei der großen Tragödiendichter – auch Priester sind. Daneben bestehen die zentralen Geheimkulte unschriftlich weiter. Nicht nur ist weltliche Poesie zugleich von sakraler Weltlichkeit. Auch weltliche Akte wie Koloniegründungen sind zugleich heilige Akte. Für sie wird das Votum des Orakels von Delphi eingeholt; Jungmannschaften von Kolonisten weihen sich dem Apollon und Koloniegründer können zu göttlicher Verehrung als Heroen aufsteigen. Aber die Kolonisationen sind oft Flüchtlingsbewegungen, von Bedrohungen durch fremde Mächte von Kleinasien her ausgelöst, oft reagieren sie auf sozialen Unfrieden, Hunger und Übervölkerung zu Hause. Herrschaft von Adelsfamilien, die Kriegerwettstreit ehren und ihre Bauern verachten, wird in der Heimat wie in den Kolonien, durch Herrschaft von einzelnen, abgelöst: durch Tyrannen, die sich Macht öfter mit sozialethischer Begründung erkämpfen.
2.2 Recht, Lyrik, Philosophie und Mathematik Die Zeit zwischen 650 und 520 v. Chr. gilt als Zeit der Tyrannis und ist zugleich Zeit der ersten Rechtstexte, der Gesetzgebung des Drakon (um 624) und des Solon (594/3) – wie es in Juda die Zeit des gesetzgebenden Königs Joschija-Josias (621) ist. Der Weise Solon wie der spartanische Heerführer (?) Tyrtaios (649/37) schaffen die predigende Elegie, dieser zum Anfeuern und Durchhalten im Krieg. Aus Insel-Adel von Lesbos und auf der Flucht vor Mächtigeren sind die ersten Namen einer monodischen Lyrik: Alkaios (um 600) und die Dichterin Sappho (630–?).3 Seit um 500 übernimmt die Philosophie die Rolle, die dann später der Theologie zuwächst. Die Rolle der Götter übernehmen mehr und mehr menschliche Begriffe vom Sein und vom Werden. Der Phönizier-Seefahrer-Sproß Thales aus Milet (624/3–547/6 ?) hat
2. Griechische Alphabetschrift-Literatur
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»Anfang schlechthin« vom Wasser her gedacht. In prosaischer Form greifbar wird Philosphie bei dem seefahrenden und am Schwarzen Meer Kolonie gründenden Thales-Schüler Anaximander von Milet (ca. 610/09–547/6). Mit Thales entsteht auch eine erste Mathematik, ohne erhaltene Schriften, aber mit Gedichten unter dem Namen dieses Denkers. Pythagoras, aus Insel-Adel von Samos, flieht den Tyrannen dort und gründet eine esoterische Philosophen-Mathematiker-Kolonie in Süditalien (gest. 497/6). Wissenschaft gewinnt neben Literatur eine eigene, profane Sakralität, die adelt. Philosophie und Mathematik werden noch für Platon zusammengehören.
2.3 Öffentliche Kultur-Sakralität und private Lektüre Die Zeit von erneuertem Tempel und erneuerter Tora ist die Blütezeit der griechischen Polis, in der die besondere Form der griechischen Demokratie entsteht (510–404), Zeit des ersten Perserkriegs (499–479) und der innergriechischen, peleponnesischen Kriegszüge um die Vorherrschaft zwischen Athen und Sparta (477–404). Jetzt entstehen die gewaltigen Tragödien, deren Dichter Priester und Aristokraten sind. Sie sind für Aufführungen in festlichen Wettkämpfen vor einer größeren Öffentlichkeit gedichtet. Erster der großen Dichter von Tragödien ist YAischylos (525/4–?), aus altem Adel. Dem antiken Gerücht nach war er Priester, eingeweihter Myste. Das Gericht habe ihn der Profanierung von Mysteriengeheimnissen angeklagt, aber im Prozeß nicht überführen können. Dieser BlasphemieVerdacht beleuchtet: Liturgie war nie etwas anderes als Drama in initialer Form. Auch später noch, bis vorgestern, ruft Liturgie im säkularisierten Drama den Vorwurf der Blasphemie hervor, weil das Publikum keine kultische Gemeinschaft, sondern nur eine kulturelle Gesellschaft ist. Es geht um die Differenz von Kult und Kultur – und die ist nirgends so deutlich wie bei den Griechen. Die Dramen des Aischylos haben, vielleicht als erste, zwei Schauspieler. Sie werden dem Schicksal sprechenden Chor und ihrem Chorführer gegenübergestellt. Chorlyrik war Teil der Liturgie und wurde sakrale Urform auch kultur-literarischer Lyrik. Auch der ein Menschenalter jüngere YSophokles (497–406/5) ist Priester. Aristoteles behauptet, er habe den dritten Schauspieler eingeführt. Nicht Priester ist der zehn Jahre jüngere YEuripides, aus vornehmer athenischer Familie (485/4–406). Bei ihm wird der Chor menschlich. Die Aufführung von je drei thematisch verbundenen Tragödien und einem Satyrspiel geschieht als Tetralogie in feierlichen Wettkämpfen durch bestellte Leute, durch Mimen. Der Mimus ist die Verkörperung der Schrift, insofern sie als Medium dient. Das fünfte Jahrhundert gilt als Zeit höchster Blüte und Ausstrahlung der Chorlyrik über Griechenland hinaus. Wenn aber in den Dramen von nun an die Bedeutung des Chors ständig abnimmt, schwinden damit die Reste der Kult-Sakralität und erblüht eine literarische Kultur-Sakralität immer reicher. Namhafte Dichter von Chorlyrik erscheinen als Lyriker im Dienste Mächtiger: Simonides von
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3. VORLESUNG: Jüdische und griechische Alphabetschrift-Literatur
der Insel Keos (gest. 468) im Hofdienst des Hipparchos von Athen (gest. 515), dann bei thessalischen und sizilischen Fürsten; Pindar (522/518 – nach 446) lebt als wandernder Lobdichter, der Rücksicht nehmen muß auf die zu Preisenden, aber seinen Dichterberuf für göttlich hält. Der Charakter einer ›Dienstleistungs-Dichtung‹ für Höherstehende wird verwischt. Hochgestellte und Vornehme prägen die Philosophie dieser Zeit – für exklusive Schülerschaften, ebenso wie die hohe Medizin: Heraklit, Parmenides, Empedokles, Hippokrates.4 Zumal vom Rande des Griechentums Herkommende schreiben Geschichte, Geo- und Ethnographie: Herodot aus Kleinasien, karischer, ungriechischer Abkunft und politisch gegen Tyrannen wirkend (ca. 480–?). Die Geschichte des peleponnesischen Kriegs, der das Jahrhundert prägte, schuf Thukydides, aus Thraker-Adel (460–396). Die nördlich-balkanischen Thraker galten Homer als edles, fremdes Hilfsvolk der Troer. YThukydides schrieb als Stratege mit militärischer Erfahrung. Und diese Gelehrten schreiben schon früh in Prosa. Sie wenden sich wohl an unbestimmte einzelne Lesende. Einem solchen Leser – er sei denn der murmelnde Gerechte des ersten Psalms – wird aber jederlei Literatur zur Erzählung: philosophische oder medizinische Abhandlung so gut wie Epos oder Drama. Aufgeführte Epik-Rezitation, sogar philosophische, stand hingegen ebenso wie gesungene Chor- oder Einzellyrik unter dem feierlich-übergreifenden Dach des dramatischen Formmodus.
2.4 Zwischen Sokrates und Alexander Im Jahrhundert, das 399 mit der Hinrichtung des Sokrates beginnt, setzen sich die innergriechischen Kriegszüge um die Vorherrschaft fort bis zur Hegemonie der Makedonen. Die philosophische Lehre des Sokrates verschmähte das geschriebene Wort. Sokrates selbst stammte von Handwerkern, aber er wählte sich im Stil der adeligen Philosophen vor ihm einen exklusiven Kreis vornehmer Schüler. Von diesen hat vor allem YPlaton (428/7–349/8) seinen bis heute dauernden Ruhm begründet als Philosophie in der Form des YDialogs. Platon war Kind der höchsten Aristokratie von Athen. Nach dem Tod des verehrten Lehrers gründete er seine Akademie als heilige Stiftung für Forschung und Erziehung, nach eleatisch-pythagoreischem Vorbild. Schüler des Sokrates war auch der Adelige Xenophon (430–354), wie Platon DialogPhilosoph, aber, wie Thukydides, auch Stratege und Historiker. Er schrieb Geschichte als Bericht von Erlebtem. Der Arztsohn und Platon-Schüler Aristoteles verwandelt danach das sokratisch-platonische Gedankengebäude in systematische Wissenschaft, in die letztlich exklusive Form der Untersuchung und Abhandlung, die nahezu alle Erscheinungen der Welt bedenkt: Wissen für alle, die nur wenige sein können, für Schriftkundige, aber nicht zugleich Schriftgelehrte. Durch Aristoteles (385/4–322) bekommt Philosophie prosaische Gestalt als Vorlesung in seiner eigenen kulturreligiösen Stiftung, dem Lykeion, das dann nach dem peripatos, der Wandelhalle dabei, die Schule der Peripatetiker hieß.
3. Zusammenfassung
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Am Ende des Jahrhunderts besiegt dann Alexander von Makedonien im berühmtesten aller Kriegszüge die Perser und bringt den ganzen östlichen Mittelmeerraum unter griechische Hoheit. Der Prinzenerzieher und Lehrer dieses mächtigen Alexander aber war Aristoteles. Mit dem jungen Alexander las er auch Homer. Aus dieser Homer-Lektüre soll die Poetik des Aristoteles erwachsen sein. Der Arztsohn hatte darin die Anatomie von Epos und Drama als Formen der Darstellung von Geschichte untersucht. Was nicht menschliches Handeln nachgestaltete, sondern wie Lyrik vorgängig Handeln ist, war nicht Poesie im Sinne des Philosophen. Hatte die Offenbarung vom Sinai durch den kultischen Sakraltext der Tora, aus der wandernden Vielheit eine religiöse Ethnie werden lassen, so mag die kultur-sakrale Dichtung des Homer im Kopf des künftigen Welteroberers Alexander eine Idee von den Griechen als gemeinsam wirkendem Volk beflügelt haben. Daß Alexander sich kultische Sakralität dann bei den Ammonspriestern Ägyptens nahm, die ihn zum Göttersohn erklärten, begründete feierlich Anfang für die abendländischen Kaiser-Vergottungen späterer Jahrhunderte. In diesem Jahrhundert zwischen Sokrates und Alexander blüht und verblüht die Komödie vor einer größeren Öffentlichkeit. Der größte griechische Dichter dieser Gattung YAristophanes (Werke 427–388) stammte anscheinend nicht aus einer großen, vielleicht gar aus einer fremden Familie in Athen. Der jüngste Komödiendichter ist YMenander (342/1–293/2). Zusammen mit Epikur wurde er in einer Kadettenschule als Ephebe militärisch erzogen. Seine Beobachtungen sind scharf, in Alltagsgriechisch, der Witz ein bißchen fürs Offizierskasino, was Römer beeindruckte.
3. Zusammenfassung In Kürze jeweils die jüdische und die griechische Literatur unter der Frage nach dem Verhältnis von Alphabetschrift, Macht und Heiligkeit darzustellen, war die Aufgabe. Die Frage erzeugte Beobachtungen und neue Fragen, die zu unendlichen weiteren Lektüren und Nachforschungen Anstoß geben können. Aber nur wenige Namen durften genannt werden. Das war fürs Hebräische leichter. Dort handelt es sich um ein Werk. Bei den Griechen handelt es sich um viele. Die Frage nach den hervorgebrachten Gattungen stellt sich bei den Griechen. An das eine hebräische Werk ist Gattungspoetik erst von der Bibelkritik herangetragen worden. Die hat ihrerseits das philologische Instrumentarium benutzt, das bereits von der griechischen Homerkritik erarbeitet und schon von Origenes auf die Bibel angewendet worden war. Aber Bibel bzw. Tanach und Homer sind nicht gleicher Art, trotz ihres epischen Rahmens und einer rezitativen Vortragsform. Beim Tanach ist die Vielheit der enthaltenen Gattungen in einen religiösen Zusammenhang eingebunden, und epische Erzählung ist zugleich Gesetz. Anders bei Homer, obschon sein epischer Bericht außer dramatischen Monologen und Dialogen auch Kommentare enthält, die moralisch werten – etwa wenn Agamemnon die Schuld am Zorn des Achill auf einen Göttertrug abwälzt. Die
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3. VORLESUNG: Jüdische und griechische Alphabetschrift-Literatur
griechische Literatur hat keine kultische Sakralität verschriftlicht, sondern eine kulturelle Sakralität in vielen Gattungen. Dramatische, liturgienahe Chorlyrik gibt es auf beiden Seiten, Drama nur bei den Griechen, vor allem Tragödie. Philosophie, Mathematik und profane Wissenschaft, in wie poetischer Form auch immer, gibt es nur bei den Griechen. Vergleichbare Gedanken sind jüdisch ans Gottesgedenken gebunden. Studieren ist dort von Beten nicht getrennt, so ernsthaft forschendes Fragen bei den Griechen sein kann. Der Schematismus des Verhältnisses von Schrift und Macht ist anders differenziert als im Georgischen: Zwar schreiben die Priester, entwickeln vielleicht auch eine zur Sprache passende Schrift, aber sie schreiben keine Scriptura Sacra. Vielmehr schreiben sie Literatur von profaner Sakralität. Der Mimus, der das verbreitet, ist teils der Dichter selbst, teils ist er ein dienstleistender Dritter, abhängig von der Gunst Mächtiger, denen er einen profan-sakralen Glanz von ruhmvoller, legitimer Herrschaft verleiht. Priester-Schrift ist hier von Anfang an zugleich KriegerSchrift, Mchedruli. Diese Kultur-Sakralität bezauberte nicht nur die heidnischen, sondern auch noch die christlichen Römer. Soweit die griechische Literatur vor dem Einsetzen der römischen Literaturschriftlichkeit.
Anmerkungen 1
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Interessant dazu HEGEL in seiner Enzyklopädie § 72 mit Anmerkung und § 73, der die minimale Aussage eines Monotheismus » d a ß Gott ist, nicht w a s Gott ist« für ärmlich, banal und für »das Dürftigste des religiösen Wissens« hält. Nachdem er § 81 die Dialektik als die »wahrhafte Natur der Verstandesbestimmungen, der Dinge und des Endlichen überhaupt« als sein Credo bekannt hat, fällt dann § 567-577 auch der unerschaffene Gott in seinem trinitarischen Erkanntsein unter dieses Gesetz des Endlichen überhaupt, wie es von der Philosophie gedacht werden kann. Deswegen sagte mir die jüdische Philosophin JEANNE HERSCH einmal: Ach, wissen Sie, Hegel setzt sich ja doch bloß an die Stelle Gottes. Schon seit dem zweiten Jahrtausend soll in YDelphoi, welches am Ort auch Pytho hieß, das Heiligtum bestanden haben. Es war ein Heiligtum der Erdgöttin Ge (YGaia), der Terra Mater. Apollon soll dort den weiblichen Drachen Python erschlagen haben. Dieser Drachentöter-Mythos deutet wohl auf Ersetzung eines älteren Kults am Ort des heiligen Schreckens, und in der Gottheit YApollon, dem Sohn der Fruchtbarkeitsgöttin YLeto mit lykischem Namen lad/ta ›Frau‹, finden sich fast jederlei Gotteskräfte zusammen. Die Wurzeln des hyperboreischen Apollokults, die bis ins Neolithikum zurückreichen, sollen »skythisch-schamanisches Gepräge« tragen (YHyperboreioi ). In die Tyrannen- und Kolonistenzeit, aber nicht in die gleiche Generation gehört der wandernde Lyriker Anakreon aus Teos in Kleinasien (570–488), wohl nicht-adeliger Abkunft. Chorlyrik dagegen bleibt in der sakralen Gedächtniskultur zunächst noch unschriftlich. Sie ist indirekt bezeugt, auch für den Chorführer YThespis aus Ikaria, einen Zeitgenossen Solons, der zuerst als Einzelsprecher in Prolog und Rhesis dem Chor gegenübertrat (Aristoteles) und damit zum Schöpfer der Tragödie wurde. Nur in Testimonien faßbar ist auch Terpander aus Lesbos (ca. 675), reisender Musiker (Kitharode), der Instrument, Melodietheorie und Rhythmik neuordnete. Wo dann die Chorlyrik in literarischer
Anmerkungen
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Form mit Dichternamen überliefert wird, erscheinen die Dichter als ethnisch Fremde aus oder in der Nähe der Sklaverei, die in öffentlichem Auftrag und zu öffentlichen Festen dichten: YArchilochos, ca. 680–640, aus Paros, Sohn einer Sklavin und in Armut, Soldat von Beruf; YAlkman, ca. 650–600, aus dem kleinasiatischen Sardes, aus dem Sklavenstand befreit ( ? ), in öffentlichem Auftrag in Sparta dichtend; der nur in Legenden, nicht in Werken bezeugte YArion aus Lesbos, angeblich Freund des Tyrannen von Korinth 625–585. Aphoristische Prosafragmente werden überliefert für YHeraklit von Ephesos, aus Königsund Opferpriester-Geschlecht (504/01 –?). In altertümlich feierlicher hexametrischepischer Form fragmentarisch tradiert wird das Denken des unteritalischen Kolonialgriechen YParmenides aus Elea (um 500), aus vornehmem Geschlecht und aus der Schule des Pythagoras. Etwas jünger sind die Lehrgedichte des sizilischen Kolonialgriechen YEmpedokles aus Agrigent (483/2 – um 423), »Redner, Arzt, Sühnepriester, Magier«, aus herrschendem, der Königswürde fähigen Geschlecht. YHippokrates (460 – ca. 370 v. Chr.), aus einer alten Arztfamilie auf der Insel Kos, die auch thrakisch besiedelt war (YThrake). Er galt schon für Sophokles, Euripides und Platon als der hochberühmte Arzt. Seine authentischen Schriften sind kaum zu sichern, da im umfangreichen »Corpus Hippokraticum« Medizinisches aus rund 500 Jahren vereinigt ist. Individuell ausgeprägte Allgemeinerkrankung des Körpers, nicht Einzelerkrankung von Körperstellen, soll seine Lehrmeinung gewesen sein.
4. V ORLESUNG Römische Alphabetschrift-Literatur und hellenistisches Mittelmeer 1. Römische Alphabetschrift-Literatur 1.1 Rom – Troja – Karthago Der altfranzösische Chronist Robert de Clari erzählt aus den Jahren gleich nach 1200, als ein westchristliches Kreuzfahrerheer das ostchristliche Griechenreich erobert: Ein hünen- und gickelhafter französischer Ritter wird von Leuten in Griechenland gefragt, was die Franzosen eigentlich hier wollten. Wir?, sagt er. Ihr habt ja doch schon mal von den Trojanern gehört. Die Griechen haben sie damals vertrieben. Wir Franken sind die Nachkommen der Trojaner. Und jetzt kommen wir halt zurück. Die Opposition Trojaner – Griechen besagt: Beide haben als Feinde eine alte Rechnung miteinander, sodann: Eigentlich gehören die Trojaner seit Urzeiten in den Bannkreis der Griechen-Kultur. Sie sind irgendwie auch Homer-Griechen. Eine solche Vorstellung hatten auch die Römer. Bereits vor, dann aber besonders durch Vergil war sie Staatsmythos und Identifikationsmuster. Der Gründungs-Heros Aeneas, göttergeliebter Held mit offener Zukunft bei Homer, war, als getreuer Sohn mit seinem alten Vater auf dem Rücken aus dem brennenden Troja fliehend, zunächst zu den Puniern nach Nordafrika, nach Karthago gekommen, hatte – als Sohn der Venus – mit der Königin Dido sehr ernsthaft geschäkert, sie aber dann sitzen lassen. Die verzweifelt Liebende stürzte sich nach seiner Abreise vom Turm. Anschließend kam der Flüchtling als Gast nach Latium, nistete sich dort ein, begründete kämpfend und heiratend eine Herrschaft, und seine Ur-Ur-Enkel gründeten Rom. Der sagenhafte Weg über Karthago hieß in historischem Klartext wohl: Ehe nicht Karthago und die Punier-Herrschaft über das Westmittelmeer zerstört war, konnte Rom nicht Rom werden.
1.2 Etrusker und Kolonial-Griechen Die historischen Anfänge des Verhältnisses von Römern zu Griechen haben keine so scharfen Konturen, wie sie für mittelalterliches oder römisch-antikes Bewußtsein davon vor Augen stehen. Lateinische Alphabetschrift wird (nach 700 v. Chr.) von den frühgriechisch alphabetisierten Etruskern und von den Griechen her ausgebildet. Die Etrusker waren ein wohl nicht-indogermanischer Kulturverband, der vielleicht aus Kleinasien nach Mittelitalien gekommen war, von anderen Einwanderervölkern
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vertrieben, ein Volk mit einer Hochkultur. Weil im Etruskischen C und G nicht unterschieden waren (HAARMANN, 1990: 295), schrieben die Römer das eine für das andre. Sie erinnern sich: C. heißt Gaius. Die römische Literatur beginnt dem Sagen nach mit Praktischem, mit Rechtstexten wie dem Zwölftafelgesetz (451/50 v. Chr.). Noch Cicero kannte den Text auswendig. Er scheint bereits durch Solon beeinflußt. Dem heuristischen Strukturmuster nach würde also keine Scriptura Sacra wie bei Hebräern oder Georgiern am Anfang stehen, die episch-liturgischer Erzähltext und Rechtstext zugleich war, sondern nur die eine Seite davon. Ein sakraler Rechtstext: Er könnte sich einem stimulus vom Fremden, vom Griechischen her verdanken. Oder spielte hier eher von Mittelitalien aus Etruskisches herein? Die glänzenden Städte dieser YEtrusker wurden nach und nach von den Römern unterworfen. 295, das ist bereits nach der Zeit Alexanders, lehnten sie sich noch einmal gegen die neuen Herren der Halbinsel auf – vergeblich. Die Griechen-Kolonien im Süden der Römer, in denen Pythagoras und Platon gewirkt hatten, brachten den Lateinern eine zweite, strahlende Zivilisation in nächster Nähe zur Anschauung. Aber diese griechischen Siedlungs- und Herrschaftsräume der Magna Graecia hatten nicht zum Alexanderreich gehört – so wenig wie Kreta, Sparta und Epirus. Und diese Kolonial-Griechen hatten anscheinend seit jeher eine Tendenz, sich gegenseitig zu zerfleischen. Außerdem lockten sie auch andere italische Barbarenvölker an. Sie führten nicht nur auf eigene Faust Krieg mit den Puniern, sondern hatten auch die Keckheit, sich mit den Puniern von Fall zu Fall zu verbünden: Gelegenheit für die Lateiner, die Griechen-Kolonien als Vorspiel und dann während der eigenen Punier-Kriege in Strafexpeditionen zu überfallen, vertragsbrüchig zu erobern, zu zerstören, zu deportieren, sprich: umzusiedeln, auch: ihnen als Belohnung die Ehre ihrer Rechtsherrschaft anzutun: 282 YTarent und YSybaris, 273 PaestumYPoseidonia, 212 YSyrakus, 207 Metapontion mit dem Grab des Pythagoras, 194 Kroton.1
1.3 Hellenismus Das von den Römern noch nicht eroberte griechische Ostmittelmeer hatte inzwischen, noch vor den Punier-Kriegen, ein ganz neues Gesicht angenommen. Dort hatte das Weltreich Alexanders im Grunde nur einen Augenblick gedauert. Im Juni 323, nur 10 Jahre nach der Schlacht von Issos, war sein Herrscher 33jährig in Babylon gestorben. Statt des einen Reiches gab es nunmehr die Herrschaften seiner Statthalter, der Diadochen. Da war dann das Ägypten der Ptolemäer, das Perserreich der Seleukiden. Griechenland und Kleinasien waren in kleinere Herrschaften zersplittert. Aber nicht altgriechisches Wesen lebte darin, sondern der Geist des Hellenismus. Träger dieses Geistes ist die griechische Schrift und Sprache. Sie wird zunächst als Herrschafts- und Verwaltungssprache im ganzen ehemaligen Alexanderreich allgemein, und sie wird, in verschiedenartig entstellter Gestalt, auf Jahrhunderte hin Verkehrssprache, koiné. Es
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ist dieses Griechisch, nicht das der klassischen Zeit, das dann auch das Christentum trägt, das die Seeleute auch im Westmittelmeer sprechen und gegen das dann das Latein Mühe haben wird, sich als neue Lingua franca durchzusetzen. Diesem Sachverhalt verdankt sich auch der berühmte Stein von YRosette, auf dem ein Edikt des YPtolemaios Epiphanes (210–180 v. Chr.) ägyptisch-hieroglyphisch, ägyptisch-demotisch und griechisch, also dreisprachig steht. Er ermöglichte die Entzifferung des Hieroglyphen durch CHAMPOLLION. Im Hellenismus – der Begriff stammt von DROYSEN – spiegelten sich auch die unterworfenen Kulturen, ägyptische wie persische. Hier zeigt sich eine von mir gern zitierte und von FERNAND BRAUDEL (Alltag 92) formulierte Regel zum erstenmal: Wenn Kulturen mit hohem Zivilisationsniveau unterliegen oder zu unterliegen scheinen, ist der Sieger laut Definition immer ein ›Barbar‹. Aber dieser ›Barbar‹, der in der Regel bereits ein Halbzivilisierter ist, triumphiert nicht lange, sondern wird bald schon von der unterworfenen Kultur absorbiert. Hinter dem ›Barbaren‹ schlägt die Tür des eroberten Hauses wieder zu. Alexander, Sohn des ägyptischen Gottes Ammon, war danach auch persischer Großkönig geworden und hatte Persersitten angenommen. Noch die Griechen-Kaiser von Byzanz werden das persische Zeremoniell pflegen und dann an den Papsthof zu Rom weiterreichen. Am Verhältnis von Römern und Griechen läßt sich BRAUDELs Regel erneut bedenken.
1.4 Literarische Latinität zur Zeit der Punier-Kriege Die Römische Geschichte steht, dank der römischen Literatur, nach sagenhafter Vorgeschichte bald als fertige Sache vor den Augen der Nachwelt da. Als das ›Geburtsdatum‹ der literarischen Literatur gilt, wohl nicht nur bei KARL BÜCHNER, 240 v. Chr.: eine Theater-Aufführung. Das ist bereits lange nach allen großen Hervorbringungen der Griechen-Kultur, nach dem Beginn der LXX-Übersetzung. Im Jahr 240 gab YLivius Andronicus das erste einer Reihe von griechischen Dramen in lateinischer Sprache. Livius Andronicus war Schauspieler, vielleicht ein kriegsgefangener Grieche aus Tarent. Bei der erwähnten Komödie waren die Spieler in griechischer Philosophentracht aufgetreten, angetan mit dem pallium, dem Überwurf, oder überhaupt als Griechen verkleidet. Eine solche comoedia palliata wurde auf dem Flachschuh (soccus) gespielt. Seine Tragödien dagegen wurden von Stelzenschuhen, vom Kothurn herab deklamiert, der den Schauspielern übermenschliche Größe gab. Deswegen hießen die Tragödien cothurnatae. »Hochtrabend reden« heißt auf Latein: vom Kothurn herabdonnern (de cothurno strepere tragico). Livius Andronicus dichtete auch eine Übersetzung der Odyssee in Saturnier-Versen. Sie war als Schulbuch gedacht. Die Aufführung eines Chor-Liedes von ihm soll 207 v. Chr. im Minervatempel zu Rom stattgefunden haben, noch vor dem Ende des zweiten Punier-Krieges. Griechische Kultur wird hier als Theater aufgenommen, und Kultur-Theater sind wohl auch die nicht-theatralischen Gattungen, die statt auf griechisch nun auf Latein zu Sprache werden, für die aristokratischen Sieger über die Punier, wie die Scipionen.
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Denn es sind politisch die Punischen Kriege, die Rom zu Rom machen: der erste von 264–241, der zweite gegen Hannibal mit der römischen Niederlage am Ticino und bei Cannae in Apulien und der punischen Niederlage von Zama in Tunesien zwischen 218–201, schließlich der dritte dann 149–146.
Erster weltliterarischer Höhepunkt der römischen Literatur sind die Komödien des Plautus (gest. 184). Er tritt darin als Ich-Rolle auf, die mal aus dem etruskischen Umbrien stammt, mal Bühnenarbeiter war, auch Schauspieler, Theaterunternehmer und bankrotter Kaufmann. Er hatte aber wohl keine ständige aristokratische Protektion, obschon man ihn bei Staatsschauspielen auftreten ließ. Sein Poenulus ist eine der Hauptquellen für punischen Wortschatz. Aus dem Punierland selber, aus Karthago, soll der nordafrikanische Sklave YTerenz gestammt haben. Er ertrank vielleicht 160 bei einem Schiffbruch. Nach Zeitgenossen war er eine ›Kreatur‹ des ScipionenKreises. Es war der ältere P. Cornelius Scipio Africanus (235?–183), der Hannibal bei Zama besiegte. Sein Vater hatte die Niederlage gegen Hannibal am Ticino zu verantworten gehabt. Bei Cannae kämpften mehrere aus dieser Familie. Die Scipionen waren über viele Generationen hin die berühmteste Familie der gens Cornelia. Ihr Beiname Scipio bedeutete »der Stab, der ehrende Gehstock, wie ihn der Konsul trug«. Es waren harte, tapfere, grausame Leute, gefürchtet, auch verhaßt und bewundert, die Disziplin herzustellen wußten. Manchem von ihnen wurde auch wegen Bestechung und Unterschlagung der Prozeß gemacht, mancher wurde seines Amtes entsetzt. Der ältere Scipio Africanus förderte den Dichter YEnnius (gest. 169), von dessen Werk leider nur wenig erhalten ist. Auf die nachfolgenden Generationen hat er tiefer gewirkt als Livius Andronicus. Ennius war ein Messapier aus dem griechisch kolonisierten Apulien. Er war zunächst Soldat gewesen, lehrte dann Griechisch, beherrschte aber auch Oskisch und Latein. Als er sein historisches Riesenepos der Annalen zu dichten begann, so behauptete Ennius, sei die Seele Homers auf ihn übergegangen – nach einem halben Jahrtausend! Hier ist die Translatio der griechischen Kultur-Sakralität symbolisch prägnant. Noch Cicero wird die Erinnerung daran dem träumenden jüngeren Scipio in den Mund legen.2 Dieser Adoptiv-Enkel des Zama-Siegers trug den gleichen, hochberühmten Namen: P. Cornelius Scipio Africanus (Minor), der Jüngere (185?–129). Auch der Jüngere Scipio Africanus schrieb nicht. Er ließ schreiben. Er ließ sich von dem griechischen Forscher und Historiker YPolybios (ca. 199 – ca. 120) auf Kriegszügen und Bildungsreisen begleiten. 146 machte er Karthago ein unbarmherziges Ende und 133 dem kelt-iberischen Numantia. Beide Städte hungerte er durch lange Belagerungen aus. Karthago lieferte schließlich als Friedensbedingung alle Waffen ab. Dann aber stürmten die römischen Hilfstruppen und Legionen in die geöffneten Tore und töteten alle, die sich noch waffenlos verzweifelt wehrten. Ähnlich in Numantia, wo alle Freiheitskämpfer mit Weib und Kind ermordet wurden. Cicero hat den jüngeren Africanus später verherrlicht. Er war auch ein gebildeter Mann und der griechischen Kultur zugetan.
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4. VORLESUNG: Römische Literatur und hellenistisches Mittelmeer
Angeblich schon kurz vor dem Sieg von Zama über die Punier 202, nämlich 205/204 soll ein schwarzer Meteorstein von Pergamon her nach Rom gebracht worden sein. Pergamon, das war den Römern oft ein anderer Name für Troja. Zunächst (191) kam das Objekt in den Tempel der Siegesgöttin (Victoria), dann in einen anderen auf dem Berge Palatium. Der heißt erst seit der Renaissance mons Palatinus, Monte Palatino. Mit dem Objekt war ein orgiastischer Kult verbunden, an dem aber römische Bürger nicht teilnehmen durften. Das Stück Materie war die Übertragung einer Idee, eines Urbildes in anfaßbare Gestalt. Es war die YMater deum (auch: deorum) Magna Idaea. Die Übertragung soll auf einen Spruch aus Weissagebüchern hin vorgenommen worden sein, die ersichtlich eine römische Fälschung sind. In diesen Büchern fand sich auch der ritus graecus, die geheime griechische Kult-Liturgie, die von den Griechen selbst nie schriftlich gemacht worden war. Aber die klugen Römer, die das Sicht- und Anfaßbare liebten und brauchten, waren eben trotzdem an die Geheimsache herangekommen. Natürlich schon seit urlanger Zeit. Schon der sagenhafte König Tarquinius um 500 v. Chr. soll die Bände von einer Sibylle, einer edlen Vorzeit-Hexe, gekauft haben, für 300 makedonische Goldmünzen (Philippeioi). Aber solche Münzen sind viel jüngerer Prägung und sind in Rom erst seit 194 v. Chr. bekannt. Wegen der Sibylle hießen diese Bücher die YSibyllinischen Bücher – Griechisches, das eben zugleich schon altrömisch war. Sie wurden zu Rom im kapitolinischen Tempel gehütet, nicht gut genug. Denn ständige Unruhen im Innern der römischen Republik, Kämpfe mit Bundesgenossen auf dem Boden der ApenninHalbinsel, Kämpfe zwischen Latifundien-Adel und Bauern und mit dem Stadtproletariat bedeuteten ständige Bürgerkriege. Bei solchen Gelegenheiten verbrannten die heiligen Bücher immer wieder (z.B. 83 v. Chr.) und waren im Handumdrehen immer wieder neu zur Stelle (z.B. schon 76 v. Chr.). Man brauchte nur ein paar Leute ins griechische Hexenland Böotien zu schicken. Für das römische Identitätsbewußtsein waren diese kulturell-kultischen Erbstücke aus Hellas von höchster Wichtigkeit. Auch Augustus wird sich dann beider Fetisch-Objekte annehmen, des Meteorsteins wie der Bücher. Die Mater deum Magna Idaea und die Sibyllinischen Bücher sind zwar kulturelle Lehngüter, aber nicht literarische Literatur. Die zuvor erwähnten Dichter aus der Zeit der Punier-Kriege – Livius Andronicus, Ennius, Plautus und Terenz – sind also meist Dienstleistende ohne Herkunft: Kriegsgefangene und Freigelassene, Griechen, Karthager, auch Soldaten und Schauspieler. Als Gönner, die ihnen die Muße zum Dichten bezahlten, fanden sie Mächtige in höchsten geistlichen und weltlichen Ämtern. Die große Ausnahme macht der Ceterum-censeo-Cato.
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1.5 Anti-Hellenismus bei Römern und Juden In ihm regte sich Widerstand gegen die neue Kultur-Religion. M. Porcius YCato Censorius (234–149) war kein stadtrömischer Aristokrat, sondern ein Mann vom Lande und Gegner der feinen, hellenisierenden Machtcliquen. Ihn empörte der sittenlose Einfluß der griechisch-hellenistischen Kultur. Er ließ nicht nur ergebene Leute Kultur-Literatur schreiben, sondern er schrieb selbst, etwa über die autochthonen Ursprünge römischen Wesens. Bis hin zu ihm hatte es auch römische Historiographie nur auf griechisch gegeben. Leider sind seine lateinischen Origines verloren. Die 6Dicta Catonis (3. Jahrhundert n. Chr.), die das Mittelalter als Disticha Catonis kannte, sind ihm zugeschriebene Knaben- und Lebenslehren.
Cato war der erste große Römer mit römischer Prosa. Mit der Schrift De agricultura gab er der Nachwelt die älteste römische Fruchtbarkeits-Prosa. Cato, der Ceterum-censeoCato, gab der politischen Rollenspiel-Rhetorik ein römisch-moralisches Gewicht, das über Cicero bis heute im akademischen Redegestus der Feierlichkeit weiterlebt. Sittenlosigkeit sah Cato wohl auch bei den Puniern und wollte nicht zuletzt deswegen die Zerstörung Karthagos. Sein Enkel, Cato von Utica, wird zwei Generationen später seinen republikanischen Widerstand gegen den Aufstieg des Tyrannen Caesar im Jahre 46 mit seinem Selbstmord besiegeln, der die Nachwelt über Dante bis hin ins barocke Drama erschütterte.
Dem Älteren Cato lag Bewahrung der altrömischen Sitte am Herzen – wie den gleichzeitigen Juden das Glaubensgesetz der Tora. Aber ohne Förderer (wie L. Valerius Flaccus) ist auch dieser homo novus nicht aufgestiegen zum Feldherrn, Proconsul, Auguren und Censor. Während Rom in den Punischen Kriegen sich mit Not, Kraft und Vertragsbrüchigkeit zu behaupten wußte, wurde in Alexandria, gefördert von den hellenistischen Ptolemäern, seit 250 der Tanach, soweit sein Kanon schon konsolidiert ist, als LXX ins Griechische übersetzt – ein Danaer-Geschenk, dessen Qualität schon in der Vorrede zum Sirach-Buch kritisiert wird. Die große Diaspora in Ägypten wurde ptolemäisch-hellenistisch. In Palästina sahen viele Juden die griechisch-hellenistische Kultur nicht als etwas Gutes an. Das jüdische Land war Teil der neuen, hellenistisch geprägten Seleukiden-Herrschaft geworden, in den Grenzen des alten Perserreichs. Der damit hereingebrochene, nunmehr modische Lebensstil und Heiden-Götter-Kult war den Juden verhaßt. Es wollte ihnen auch nicht in den Sinn, daß sie etwa die hellenistisch weitergeführten Kulte der Körperlichkeit wie Sportveranstaltungen auf ihrem Boden zu dulden hätten. Nicht gegen Körperliches überhaupt, sondern gegen die kulturreligiöse Vergötzung des Körpers waren die Juden. Um ihre Religion vor drohender Abschaffung zu bewahren, lehnte sich das Priestergeschlecht der Hasmonäer unter Judas Makkabäus seit 167 v. Chr. gegen die hellenistischen Seleukiden
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blutig auf. Ihre Revolte wurde von den ägyptischen Ptolemäern unterstützt und hatte Erfolg. Was literarisch daraus entstand, zeigte sich erst in der Zeit, als ein zweiter Schub der griechisch-hellenistischen Akkulturation die Lateiner erfaßte.
2. Der zweite Schub der griechisch-hellenistischen Akkulturation 2.1 Lucilius, Caesar, Cicero, Varro, Lukrez Der zweite Schub der griechisch-hellenistischen Akkulturation Roms läßt sich um das Jahr 145 v. Chr. zentriert denken. Das ist die Zeit der Eroberung Griechenlands und des nach-alexandrischen Orient-Mittelmeers (zwischen 220 und 60). 146 sind Makedonien und Griechenland in römischer Hand, ist Korinth zerstört. Die Autoren der Literaturschriftlichkeit des zweiten Schubs sind, bis auf Lukrez, nicht mehr Fremde. Sie sind Römer, gar aus Senatoren-Adel, so Lucilius und Caesar,3 sonst kommen sie aus der kleineren Provinzial-Ritterschaft, wie Cicero, vielleicht auch Varro4, den Cicero den doctissimus Romanorum nannte. Die Autoren des zweiten Schubs gehen selbst nach Griechenland und erfahren dort die alten und neuen Moden der hellenistischen Kultur-Frömmigkeit in Gestalt von Rhetoriker- und Philosophenschulen. Scipio Africanus Minor, der Zerstörer von Karthago und Numantia, ließ sich in seiner cohors amicorum nicht nur von dem Polyhistor Polybios begleiten, sondern auch von dem Stoiker Panaitios (gest. 110 v. Chr.). Der wirkte zeitweilig als Poseidon-Priester auf einer griechischen Insel, lehrte aber auch in Rom, wie dann sein Schüler Poseidonius von Apamea (gest. 51/50 v. Chr.).5 Dieser lehrte vor allem aber auf Rhodos, wo ihn Cicero im Jahre 78 v. Chr. besuchte. Das klingt nun ein bißchen individualistisch, war aber doch vor allem ein kulturpolitisches Phänomen, das nicht nur ein paar große Namen betraf. Man kann sich die beiden attraktivsten Schulen, Stoiker und Epikureer, vielleicht als eingetragene Schulvereine vorstellen mit wirtschaftlich selbständigen Filialen, ähnlich wie Waldorf-Schulen. Lehrziel war glückliches, gelungenes Leben, mit theistischem Grundprogramm bei den Stoikern, mit atheistisch-atomistischem Grundprogramm bei den Epikureern. Jede Filiale hat »die Sorge um Kundschaft und Entlohnung« (TIMPE 49). So ist sie auf Kundenwerbung bei Vermögenden angewiesen, die ihrem Nachwuchs ein gelingendes Leben ermöglichen wollen – Werbung in öffentlichen Veranstaltungen wie von Mund zu Mund. Das Stiftungsvermögen der zentralen Gründungen (Stoa-Wandelhalle oder Kepos-Garten) reichte nicht aus. Die ältere Schule der Akademie (Platon) hatte wohl als Stiftung eine bessere finanzielle Grundlage. (Ein Kloster-Internat – wie die Oxforder Colleges, wo bis ins 19. Jahrhundert noch die Professoren nicht heiraten durften, die Fellows schon gar nicht.) Auch dank ihres alten Renommés hatte die Akademie Zulauf – und sie hatte keine Filialschulen. Von Peripatos und Lykeion (Aristoteles) als Institutionen habe ich kein Bild gewinnen können. Cicero bespricht in seinen Tusculum-Kursen das geistige Menu-Angebot von einer philosophisch tiefdringenden, überlegenen Akademie-
2. Der zweite Schub der griechisch-hellenistischen Akkulturation
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Position aus. Bei sich und seinen römischen Hörern setzt er freie Verfügbarkeit über geistige Muße voraus. Ein Soziologe nannte das »Wirtschafts-Enthobenheit« (MAX WEBER ). Der große M. Tullius YCicero (106–43 v. Chr.) hatte hohe Gönner und war selbst Staatsmann. Er ist für die Abendland-Tradition der wichtigste römische Autor. Als Titel sind mir eben die Tusculanae disputationes aus dem Jahr 45 hineingeraten. Ich kann hier nicht alle Titel aller rundum bedeutenden politisch-philosophisch-erzieherischen Schriften bloß so nennen.6 Sie sollten darin wiederlesen, nicht bloß grammatisch zusammenstümpernd. Der Traum des Scipio aus dem sechsten Buch der Republik liest sich für mich heute anders: Die Erscheinung der Ahnen, die eigentlich Adoptivahnen sind, mit Rom-Stolz in der unsterblichen Heroenseele, mit Blick von der Milchstraße herab aufs geozentrische, romzentrische Universum – großartig, Dante nicht unähnlich, aber gräßlich zugleich, in arroganter Frömmigkeit, die Dante gerade nicht übt, die aber Schule machen wird. Im Jahre 88 hörte Cicero in Rom und später in Athen auch den Epikureer YPhaidros. Er nannte ihn philosophus nobilis, obwohl er diese ganze Richtung atomistischer und atheistischer Natur- und Lebensphilosophie wohl wenig schätzte. Cicero hat sicherlich nicht den Nachlaß des Epikureers und Dichters Lukrez (Titus YLucretius Carus 97–55) ediert, wie man eine Zeitlang erwog. Lukrez war vielleicht Nachkomme von Freigelassenen. Mit seinem philosophischen Lehrgedicht De rerum natura gehört er zu den Großen der Weltliteratur. Er ruft im Prolog Venus an, die Mutter des Aeneas und der Römer, und erklärt ihr dann die götterlose, atheistische Lehre des Epikur, in der Venus als Erzeugerin alles Lebendigen ein metaphorisch-begriffliches Dasein zu fristen hat. Denn der Dichter wendet sich sogleich gegen den Aberglauben der Religion, die Agamemnon und seine Priester dazu trieb, die eigene Tochter Iphigenie opfernd hinzuschlachten7: »Nur daß ein günstiger Wind der Griechen Flotte befördre. Solche Verbrechen rät dem Menschen die Religion an«. In ironischer Verehrung zitiert er Ennius, der an ein Schattenreich glaubte: »Dorther sei, wie er sagt, des ewigblühnden Homerus Schattengestalt ihm erschienen, die heiße Tränen vergossen Und habe der Dinge Natur in Worten eröffnet«. Genau das, aber anders, wolle auch er, Lukrez. »Zwar ich weiß es zu wohl, wie schwer es werde, der Griechen Dunkle Erforschungen klar in lateinischen Versen zu machen: Sonderlich da wir hiezu noch neuer Worte bedürfen, Weil die Sprache zu arm und die Gegenstände noch neu sind«. Und dann exponiert er die Lehre des Epikur, welche den Atomismus des Vorsokratikers Demokrit erneuernd aufnahm, als Denken zum glücklichen Leben.8 Er entfaltet den Satz: Nichts von dem, was ist, wird vernichtet. Sie hören Goethes Gedicht Vermächtniß (1829: 22. Band, 261f.) nachklingen. Lesen Sie die Lukrez-Übersetzung von KARL LUDWIG V. KNEBEL (1821), von jenem Mann, dem Goethe die Bekanntschaft mit Karl August von Weimar verdankte – oder die ganz neue von CHANTAL LABRE (1992) auf französisch. In Frankreich wurde Lukrez u.a. von Mallarmé und Saint-John Perse geschätzt.
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4. VORLESUNG: Römische Literatur und hellenistisches Mittelmeer
2.2 Hellenismus und Anti-Hellenismus in der jüdischen Welt Lukrez soll jung gestorben sein, ein Jahr nach der Ermordung Caesars. Von der Zeit danach soll in der nächsten Vorlesung gesprochen werden. Dann, mit der Augustuszeit, tritt auch ein viertes Thema in das Gewebe dieser Darstellung ein, neben die lateinische und die griechische Literatur und den Grundbaß der jüdischen. In diesem klingt schon jetzt, nachdem die Römer den Orient bis an die Grenze des Euphrat erobert haben, die Unruhe Israels. Vom Hasmonäer-Aufstand war schon hinweisend die Rede gewesen. Die LXX-Übersetzung in Alexandria hatte inzwischen immer weitere Bücher angelagert. Die Hasmonäer- oder Makkabäer-Revolte von 167 hatte das heldenhafte Priestergeschlecht, das gegen die hellenistischen Seleukiden aufgestanden war, durch ihren Erfolg selber in hellenistische Könige verwandelt. Als die Römer das Land erobert hatten, wurde ihre Herrschaft zum ersten einer Reihe von Schattenregimen. Im Jahre 37 v. Chr. wurden sie durch Herodes und seine Dynastie abgelöst. Die Bücher, die ihren Kampf glorifizierten und in die LXX Aufnahme fanden, sind griechische Erzählungen von um 110 v. Chr., keine jüdische Literatur. Ein viertes Makkabäerbuch (LXX ) entstand später, gleichzeitig mit erster frühchristlicher Literatur bis gegen 100 n. Chr. Durch seine Schilderungen von den Martyrien der Frommen gab es das Vorbild für christliche Martyrologien ab. In den dritten Teil des Tanach, in die Schriften (Ketubim), fanden die Makkabäer so wenig Aufnahme wie die bis in die neueste Zeit gleichfalls nur griechisch in der LXX überlieferte Weisheit des Jesus Sirach und das Buch Tobias (Tobit ). Lesen Sie die Vorrede zu Jesus Sirach. Da haben Sie einen Hauch von ägyptischer Diaspora. Die dort redende Weisheit, mit der sich Gott vor der Schöpfung bespricht, wird in der mittelalterlichen Liturgie und Literatur eindrücklich als Bild einer präexistenten Maria. Goethe empfahl auch das Tobias-Buch zu wiederholter Lektüre. Es ist ein kurzer, hübscher Roman. Er spielt zur Zeit des Exils von Ninive und gibt ein Bild der mesopotamischen Diasporawelt. Unter dem Namen Daniel, aber nur in der LXX, stehen auch die Jünglinge im Feuerofen und das Gebet des Asarja. Das etwas ältere aramäische Daniel-Buch selbst, das auch in einem vorgestellten Babylonien des Exils spielt, wurde hingegen noch in den Tanach aufgenommen. Es ist für das Geschichtsbild seit dem Mittelalter eminent wichtig. Für die Juden kanonisch wurden auch die kurz vor oder nach der Hasmonäer-Revolte von 167 entstandenen Bücher Prediger (Kohelet ) und Weisheit Salomo. Das tritt, wie Sirach, in Konkurrenz zu den griechischen Weisheitslehren, die die Wanderphilosophen verbreiten. In der lateinischen Vulgata stehen alle diese apokryphen Schriften mit kanonischer Geltung. So wenig wie die im Westchristentum besonders beliebten kriegerischen Makkabäer-Bücher (LXX ) sind auch andere pseudepigraphische Schriften hebräische Literatur. In jenen anderen hellenistischen Schriften imitieren jüdische Autoren auf griechisch Aischylos wie Menander, auch Euripides unter dem Namen
2. Der zweite Schub der griechisch-hellenistischen Akkulturation
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Ezechiel. Das sind Dramen: eine dem Jüdischen wie dem Arabischen fremde Gattung. Mehr dazu im Artikel YJüdisch-hellenistische Literatur.
2.3 Pharisäer, Schriftgelehrte und die Frommen von Qumran Wenn in Israel Könige sind, stehen Propheten gegen sie auf. Weltliches, selbst weltlich-religiöses Königtum ist nichts gegen das wahre Königtum des Einen, Namenlosen, das sein Messias aufrichten wird, sobald das Gesetz von allen befolgt ist. Die Opposition gegen die Hasmonäer-, sprich: Makkabäer-Könige und ihre Priester, nahm immer neue Formen an. Unter den Widerstandsgruppen von damals sind vor allem die Pharisäer (»Abgesonderte«) und Zeloten (»Eiferer«), mit der besonders militanten Gruppe der Sikarier (»Dolch-Männer«, cf. Judas Iskariot). Durch christliche Verunglimpfungen sind die Pharisäer als böse Heuchler (so Matthäus) in unserer Kultur schimpf- und sprichwörtlich geworden.
Sie waren zunächst eine Laienbewegung. Schriftgelehrte hatten sich ihnen angeschlossen. Sie hatten die Form der Synagoge aus Ägypten als Versammlungs- und Lehrhaus nach Palästina gebracht. Ihre Sorge um Bewahrung und Erfüllung des Gottesgesetzes zielte auf die Erwartung eines Jüngsten Gerichts und das Kommen eines Messias für das Volk des Gottes-Bundes. Die geschriebenen Weisungen der Tora wollten auf den sich ständig ändernden Lebensalltag hin religiös richtig angewendet sein. Dafür zogen Gelehrte über die geschriebene Tora hinaus die mündliche Tora (tora sche-beal pe) heran. Sie war in ununterbrochener Traditionskette von Lehrer zu Schüler weitergetragen worden, vom Sinai her. Die gelehrten Interpretationen wurden später aufgeschrieben und wurden über die Sammlung der Mischna zum Kern des späteren Talmud. In konkurrierenden Schulen rabbinischer Gelehrter wurde über solche Auslegungen gestritten und entschieden. Da waren der Rabbi Schammai, von äußerster Strenge, und sein ironischer, menschenfreundlicher Gegenspieler Rabbi Hillel (»Wenn nicht jetzt, wann dann?«). Dessen Schüler 6Gamaliel soll nach dem nicht verläßlichen Zeugnis der erst gegen 120 n. Chr. entstandenen Apostelgeschichte (5,34ff; 22,3) der Lehrer des Paulus gewesen sein.
Aus dem Protest gegen die Hasmonäer-Könige und ihre Hohenpriester ist schließlich auch die Gemeinde der Frommen (chassidim) von Qumran entstanden. Sie erwarteten als strenge, toratreue Büßer, als das abgesonderte wahre Israel, die endzeitliche Vernichtung des Finsternis-Bösen und die Aufrichtung des Licht-Heils durch einen priesterlichen Messias aus dem Hause Aarons und durch einen kriegerischen Messias aus dem Hause Davids. Durch die Rollenfunde vom Toten Meer ist eine Bibliothek der Qumran-Gemeinschaft (ca. 150 v. bis 68 n. Chr.) bekannt geworden. Außer religiöspoetischen und gemeindlichen finden sich darin auch Tanach-Texte, die viel älter sind (bis ca. 250 v. Chr.) als alle bisher bekannten. Auch Sirach- und Tobit-Stücke gibt es
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4. VORLESUNG: Römische Literatur und hellenistisches Mittelmeer
darin auf hebräisch-aramäisch und Targume, Tanach-Übersetzungen ins Aramäische, wie sie schon vor der LXX existierten.
3. Zusammenfassung Hier breche ich ab. Begriffe wie ›jüdisch‹, ›griechisch‹, ›römisch‹ sind natürlich wiederum ganze Bündel von Tatsachen, die sich nur verkürzt darstellen lassen. Versuche ich mir zusammenfassend die drei thematischen Stimmen noch einmal deutlich zu machen, denke ich mir das römische Sakral-Gesetz des Anfangs um 450 nur für römische Verhältnisse früh. Israel hat das Babylonische Exil längst hinter sich. Dort ist Esra-Zeit und in Griechenland hat Literaturschriftlichkeit seit 300 Jahren bereits Weltliteratur hervorgebracht mit den Tragödien. Als dann die römische Literatur der Punier-Kriege zum Jahr 240 richtig beginnt, als Theater-Kultur und mit der zugewanderten Seele Homers in der Epik, wird sie durch niedere Leute für die hohen Sieger zur Prestige-Literatur. In Griechenland ist die Zeit der großen Philosophie von Sokrates, Plato, Aristoteles längst vorbei, und es blüht noch die Komödie des Menander – und die Lebensphilosophie von Stoa und epikureischem Garten. Israel hat bereits die großen Propheten-Bücher des zweiten Tanach-Teils. Für Israel entsteht in Ägypten die LXX, in Israel die Aufstandsbewegung gegen den Hellenismus, der die Religion des Mose abschaffen wollte. – Die römische Literatur des zweiten Schubs ist im Grunde bereits Teil des Hellenismus, der sie von den neuen Eroberungsgebieten her durchdringt. Römische Autoren wie Cicero, auch Caesar, haben selber in Griechenland studiert. Sie haben mit ihren Schriften für den Staat die SanktifikationsMacht, wie wir sagen würden, die Definitionsmacht, wie eine Schweizer Historikerin (SUSANNE BURGHARTZ 2001: 126) es nannte. In Israel flammen aus dem Widerstand gegen das eigene hellenistische Königtum Gesetzesstrenge und Messias-Erwartungen auf, in Erinnerungen ans Exil am Euphrat, in Weisheits- und Bußliteratur von Sekten, die ganz anders sind als die griechischen Philosophenschulen. In ihnen ist griechische Philosophie Exportartikel im Mittelmeerraum, der Koiné-Griechisch als Lingua franca spricht. Ob die Stifter solcher Schulen als heilige oder als profane Genies gelten, diese Frage führt bereits in den Themenbereich der nächsten Vorlesung. Dann soll von Augustus, von der Fülle der Zeit und der Fülle der Vergottungen die Rede sein.
Anmerkungen 1
YTarent, auf älterer Siedlung aufbauend, 706 gegründet, 282 durch römische Vertragsverletzung überfallen und erobert. YSybaris (720–443 = YThurioi ), auch mit Etrurien handelnd, ruft 282 Rom gegen andere Griechen-Kolonien zu Hilfe, 204 von Hannibal geplündert, 194 röm. Kolonie, 90 Bürgerrecht. Paestum-YPoseidonia wird 273 römisches Municipium, weil es Rom gegen die Punier unterstützte. YSyrakus, teils gegen, teils mit den Puniern kämpfend, zeitweise von Epirus unterstützt, fällt 212 unter römische Herrschaft.
3. Anmerkungen
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Im Gefolge des 2. Punischen Krieges wird die Einwohnerschaft von YMetapontion 207 nach YBruttium umgesiedelt. YKroton, wo YPythagoras (vor 500) seine religiös fundierte LehrGemeinschaft begründet hatte, wird erst 194 römische Bürgerkolonie und war seither ohne Bedeutung. Da sich die Pythagoräer bei den griechischen Kolonie-Bürgern unbeliebt gemacht hatten, ging der Mathematiker-Philosoph nach Metapontion (YMetapontum), wo sein Grab Jahrhunderte später von Cicero besucht wurde. Ennius dichtete auch Dramen im hohen Stil und Satiren, und wirkte weiter als Wegbereiter einer philosophischen Literatur. Er starb 169 an der Gicht auf dem Aventin, dem damals noch plebejischen Wohnviertel Roms. Homer-Imitation der Odyssee zeigt sich schon bei dem etwas älteren Dichter Naevius (gest. 201?) aus dem griechisch kolonisierten Campanien. Wie Ennius war er zuvor Soldat gewesen. Bei ihm tritt die Komödie als Drama mit gewöhnlichen Menschen neben die Tragödie als Heroendrama. Ennius begleitete 189 einen Feldherrn (M. Fulvius Nobilior) als Unsterblichkeitsmacher in den Krieg. YLucilius (180–103), aus Senatorenadel, gilt, nächst Ennius, als Erfinder der genuin römischen Satire. Unter dem Oberbefehl seines Freundes Scipio Aemilianus hatte er am spanischen Krieg gegen die Kelt-Iberer teilgenommen, dann in Griechenland an der epigonalen Athener Akademie studiert. – C. Iulius YCaesar (100–44) genoß in Rom, wie Cicero, den Unterricht des Rhetoriklehrers und Ennius-Kommentators M. YAntonius Gnipho und studierte kurze Zeit auf Rhodos. YVarro (116–27) aus unbekannter Familie, war Staatsbeamter, General, Diplomat, Privatgelehrter, mit gewaltigem Werk: Über die römisch-menschlichen Ursprünge, Leben, Trojaner-Genealogie, Annalen, Staats- und Stadtangelegenheiten, lateinische Sprache und Rhetorik, über Ursprung und Verhältnis zur Griechen-Kultur. Er gab eine national-römische Poetik in griechischer Systematik, pflegte Drama, Dichter-Biographien, Bibliotheken; Landbau, Gewässerkunde, Maße, Zivilrecht, Philosophie, Enzyklopädie, Gedichte. Gönner waren zunächst Pompeius, später Octavian. Die ältere Stoa hatte Zenon aus Kition (Freitod 262 v. Chr.) begründet. Sie hieß nach einer öffentlichen Wandelhalle (stoa), wo diese predigenden Philosophen auf und ab gingen. Was die Römer anzog, das war die sog. Mittlere Stoa. Ihre Hauptgestalt war der weniger radikale YPanaitios (gest. 110 v. Chr.). Panaitios soll die Pflichtenlehre Ciceros beeinflußt haben. YPoseidonius v. Apamea (gest. 51/50 v. Chr.) forschte zu Geographie, Geologie und Ethnographie, behandelte als Philosoph das Verhältnis von Mensch und Kosmos und entwarf eine Weltjahr- und Kulturtheorie. M. Tullius YCicero (106–43 v. Chr.), Staatsmann, politischer, theoriebewußter Rhetor und Philosoph; Gönner: Augur Mucius Scaevola, Scipionen-Kreis; Rhetorik: »De inventione« (Rh. vetus), »Ad Herennium« (unecht, Rh. nova), De oratore (55 v. Chr.), Topica (44 v. Chr.), Politische Reden, Philosophische Dialoge: De finibus bonorum et malorum, De natura deorum, Tusculanae disputationes, De officiis, De virtutibus, De legibus, Res publica, darin Somnium Scipionis (6Cicero im Mittelalter). Lukrez folgt hier der Version des Aischylos, nicht der milderen des Euripides. Epikur aus Samos (341–270) hatte, wie erwähnt, eine Kadettenausbildung als Ephebe zusammen mit dem Komödiendichter Menander absolviert, ehe er in seinem Haus zu Athen mit dem berühmten Garten (6 0# BoH) seine Philosophenschule gründete.
5. V ORLESUNG Fülle der Zeit und Fülle der Vergottungen 1. Vergottungen Mit dem allerfrühesten Christentum sollte in der Zeit um die Zeitwende sozusagen die vierte Stimme eintreten in das historische Prozeßgewebe, welches diese Darstellung zu konstruieren versucht – und zwar unter dem Thema der Vergottungen. Aber, wenn sich eben noch Jüdisches, Griechisches, Römisches einigermaßen auseinanderhalten ließ – vor einem Hintergrund von Hellenismus und Anti-Hellenismus –, so zeigt sich jetzt für einen Augenblick eine eigenartige Stimmenverschmelzung. Als neue, quasi obligate Stimme, welche die distinkten Literaturschriftlichkeits-Themen übertönt, erscheint das Motiv einer problematischen Kindschaft. Es geht um Kinder, die ihre leiblichen Eltern irgendwie nicht wollen. Augustus will weder seinen Kindernamen noch den seines Vaters, noch auch den seines Adoptivvaters führen - auch nicht etwa den Namen Romulus, der ihm vom Senat (27 v. Chr. ) angetragen wurde. Er will der Heilige, Unverletzliche genannt werden, mit einem Wort, das bei Cicero noch Altar, Tempel und Eleusis, auch die Weisheit Platos bezeichnete: Augustus, gr. E,&"FJ`H (GEORGES ). Diese Problematik bestimmt auch den erzählerischen Rahmen, in den dann durch die Evangelien das Phänomen Jesus gefaßt wird: Ablehnung leiblicher Eltern, auch der Mutter (»Weib, was habe ich mit dir zu schaffen?«). Man läßt ihn sich selbst mit Termini aus Propheten und Psalmen ›Gottesknecht‹ und ›Dieser-Jemand‹ 1 nennen, nicht ›Messias‹ .
Die Problematik konzentriert sich in einem religiösen Syndrom, dessen historische Ableitung immer Schwierigkeiten gemacht hat: in der Gnosis. Man kann versucht sein, Gnosis, d.h. Erkenntnis, als eine anthropologisch konstante Struktur zu verstehen. Aber anthropologische Konstanten sind in striktem Sinn wohl nie biologisch konstant, sondern kulturgeprägt. Für entscheidende Mutationen ist die Existenzzeit der Gattung Mensch viel zu kurz, bemerkte MANFRED EIGEN einmal. Gnosis wäre also eher als Variable zu denken. Die solchermaßen variable Gnosis-Struktur ließe sich als Heilsbotschaft etwa so beschreiben: Du warst Gott und bist es immer noch. Finde Dein eigentliches, unsterbliches Selbst, das tief in Dir verschüttet ist, und verwirkliche es. Dein Fallen in dieses seltsame Leben war, wie das Fallen Adams, nur ein Unfall, von bösen Dämonen verursacht. Denn diese Welt ist nicht bloß Schöpfung eines guten Licht-Gottes, sondern als Herr der Urmaterie war ein böser Finsternis-Teufel mit seinen Dämonen mit am Werk. Dämonen bannten die Licht-Formen der Gottheit ins Gefängnis der Materie. Auch in Dir ist der göttliche Licht-Funke eingeschlossen. Du kannst das Materiehafte an Dir abstreifen und aufsteigen zum Gott-Sein, wenn Du das Wissen
1. Vergottungen
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des Eingeweihten annimmst, des Gottgesandten, der Dir dieses verkündet. Die guten Kräfte der Gottheit werden Dir als Engel dienen, die bösen Kräfte der Dämonen werden vor dem Wort des Wissens zurückweichen. In dieser Erkenntnis liegt die gegenwärtige Auferstehung. Und die Zustimmung des Einzelnen lautet dann: Eigentlich habe ich das ja auch schon immer gemeint. Ich bin von woanders her, ich kann nicht sterblich sein. Vielleicht meint schon Satz 5 des Vorsokratikers Parmenides diese Grundstruktur: »Ein Gemeinsam-Zusammenhängendes aber ist es mir, von wo ich auch den Anfang nehme; denn dorthin werde ich wieder zurückkommen«. Beim Seelen-Weg des Philon von Alexandria wird Ähnliches anzutreffen sein. In den verschiedensten Ausprägungen sind solche Gedanken in den Schriften von Qumran, im frühen Christentum, im Talmud, in der hermetischen Literatur, später bei Bogomilen und Katharern, Theo- und Anthroposophen vorhanden, zuvor schon im Manichäismus, dem der junge, bezeichnenderweise der junge Augustinus (354–430) zunächst anhing. – Gerade so, als ob diese Grundstruktur etwas für Jugend-Religionen wäre, für jede elternlose bzw. elternfreie Gesellschaft? Auch für altjüdische und arabische Polygamie-Kulturen mit Schwangerschaft statt Monatsregel oder nur für den Typus griechisch-römisch-christlicher, kurz: hellenistischer Monogamie-Kultur mit Seitensprung, Fehltritt, Mätressen, Bordell, eben mit der Abtrennung der Sexualität als eigener Bereich vom Ganzen der nervös-seelischen Vorgänge durch derartige isolierende Einflüsse (GOLDSTEIN 1934: 313). Die Enzyklopädie-Artikel Monogamie zeigen allenthalben Tabusignale als Sorge um die eigene, höhere Kultur-Erwerbung, die den Seitensprung des Tigers selten behandeln. SIGMUND FREUD (1909: 227) hatte eine solche Kultur in seiner Studie Der Familienroman der Neurotiker im Auge. Seine Überlegungen fasse ich so zusammen: Der eigene kranke Körper gilt dem erwachsenen Ich leicht als böses Nicht-IchObjekt, wie der Tisch, an dem sich das Kind gestoßen hat. Die Erfahrung des plötzlich reif werdenden eigenen Körpers, der ungewollte Vorgänge zeigt, denen sich nicht befehlen läßt, stört die bisherige Ordnung – wie die Erwachsenen, die befehlen und ihr rücksichtslos eigenes Leben führen. Daß das Ich im Grunde gut sei und die Andern böse, läßt sich auch gnostisch formulieren: Ich = gut, Körper-Materie und übrige Welt = böse. Ich bin mit dieser Situation alleine. Meine Eltern haben davon und von mir sowieso keine Ahnung. Von da aus kann die Vorstellung gebildet werden: »Ich bin nicht das Kind meiner Eltern, sondern das eines fremden Königs, Zauberers, Gottes«. Daß damit das Problem des Gezeugt-worden-Seins (»Meine Eltern tun das nicht, nicht mehr«) nicht aus der Welt, sondern nur aus der allernächsten Welt hinausgeschoben ist, das macht nichts. Noch die Alexander-Legende hat zu seiner Vergottung durch die ägyptischen Ammonspriester die Neurotikerphantasie »Ich bin nicht das Kind meiner Eltern« nachgeliefert: Es war der Sohn des Zauberers Nectanebus. Dieser Zauberer hatte seiner Mutter Olympia in Gestalt eines Drachen beigewohnt. Ein Echo davon finden Sie noch im Drachentraum der Herzeloyde vor ihrer Niederkunft mit Parzival.
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5. VORLESUNG: Fülle der Zeit und Fülle der Vergottungen
Historische Umbruchsituationen können mit, aber wohl auch ohne zusätzlichen Kulturtransfer die ›Familienroman‹-Struktur auslösen. Auch die Fülle der Vergottungen um die Zeitwende läßt sich vom hellenistischen Gnosis-Familienroman aus denken. Von den zu skizzierenden römischen Biographien her kann man den Eindruck haben: Je länger die Söhne (denn von Töchtern handelt die Geschichte nicht) als Stipendiaten ihrer ehrgeizigen Väter leben, die durch Erziehung den Sozialaufstieg ihrer Sprößlinge zu fördern meinen, desto mehr wird der biologische Reifungsprozeß für die Heranwachsenden zum Problem. Der Ganzheits-Mediziner KURT GOLDSTEIN, der dem KZ entkam, unterschied dabei zwischen Übung und Dressur (1934: 311, 349). Dressur geht stets gegen die Natur, verschärft die Diskrepanz zwischen Organismus und Welt. Die Zeit zwischen Kindergarten und Berufsselbständigkeit, sozusagen, ist viel zu lang und kann durch schulische Beschäftigungstherapie unproblematisch kaum gestaltet werden. Für Jesus füllt die spätere Legende die Lücke der lange unberichteten Jugendzeit dann sogar mit einer 30jährigen Vorbereitung nebst sporadischem Besuch des Zwölfjährigen im Synagogen-Lehrhaus und Versuchungen durch den Satan an. Ehelosigkeit, die noch im nachexilischen Judentum als Schande gilt, zeigt mit dem Aufkommen monastischer Gemeinschaften wie Qumran eine laterale Reaktion. Klöster sind an und für sich eine ganz unjüdische Angelegenheit.
2. Römischer Bereich 2.1 Caesar und Augustus Bei Römern ist es wichtig, auf die Struktur der Namen zu achten. Fehlt ein oder fehlen gar zwei Glieder der angeblich von den Etruskern übernommenen tria-nominaForm, dann stimmt etwas nicht. C. Iulius Caesar – das ist ein regulär dreiteiliger römischer Name aus Vorname, Sippen-Name, Zu-Name2 – Gaius Iulius Caesar also empfing, als er im Oktober 45 von seinem Sieg über die Pompeius-Söhne nach Rom zurückkehrte, als nunmehriger Alleinherrscher im Imperium die Diktatur auf Lebenszeit und göttliche Verehrung (YCaesar). Am 15. Februar 44 war er in altrömischer Königstracht am Lupercalien-Fest erschienen. Einen Monat später, am 15. März 44, fiel er unter den Dolchen von etwa 60 Republikanern, die an ihm den Tyrannenmord vollzogen. Schon zu seinen Lebzeiten, stärker noch nach seinem Tode (bis hinein in wissenschaftliche Darstellungen) wurden Stimmen laut, die in den wie auch immer grausamen, aber entschlossen-kräftigen Taten des Caesar etwas völlig Außerordentliches, Geniales, Göttliches erkannten. Er sei nicht nur de facto ein König, sondern mehr: eben Caesar gewesen, ein Gott sei in ihm erschienen. Für römische Verhältnisse ist das nur eine Steigerung des Üblichen. Denn dort hat jeder freie Mann einen persönlichen YGenius, der ihn leitet. Frauen haben so etwas nicht. Für sie ist Iuno nur kollektiv zuständig.
2. Römischer Bereich
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Spezifisch römisch sind wohl zwei Vorstellungen: Übertragung der Genie-Seele und Adoption. Von Ennius ließ sich berichten, auf ihn sei im Traum die Schattenseele des Homer übergegangen. Im Traum des jüngeren Scipio, wie ihn Cicero darstellt, erscheint die Seele des Ahnen, der Ahnen, dem Adoptivenkel. Denn römische YAdoption ist die sakral-rechtliche Aufnahme in einen anderen Hausverband, in eine andere gens, d.h. zugleich in einen anderen Ahnenverband, etwa den der Scipionen oder der Iulier. Genius eines Einzelnen und Genialität einer gens verbinden sich in der Vergottung des Caesar und des Augustus. Und wenn alle Kaiser dann den Namen Caesar tragen, durch fortgesetzte Adoption zunächst, dann ist das das Zeichen ihrer heiligen Hoheit und begnadeten Göttlichkeit. Daß einigen das überhaupt nicht einleuchtete – Cato von Utica, stoischen, auch epikureischen Philosophen, Juden, frühen Christen – scheint uns verständlich. Bei Lukrez ist Venus Illusion wie ein Traum, und kein großer Mann ist als Finder, Erfinder ein Gott – auch nicht der verehrte Epikur.3 Bei Lukrez und den Epikureern wird überhaupt nichts erfunden: Alles geht, unendlich langsam und zufällig so oder anders, wie von selbst. »Ganz von alleine«, sagt das Kind. Es gibt keinen Anfang, weder für Sprache, noch für Schrift. Jeder Gedanke von Anfang ist Mythos. Daß einigen hingegen die Caesaren-Vergottung in hohem Maße einleuchtete, sogar Dichtern und Intellektuellen wie Vergil, Horaz, dem jüngeren Plinius, läßt sich von heute aus auch verstehen – mehr oder weniger. Heutigen Menschen sind allenfalls vergleichbare Erfahrungen von der verbreiteten KulturSakralität aus zugänglich. Im Werk eines Dichters, Musikers, Malers, Wissenschaftlers ist dem einen oder andern von Ihnen wohl schon überwältigende Größe erfahrbar geworden. Homer, Dante, Goethe, Bach, Beethoven, Goya, in einem einzigen Strich von Rembrandt oder Picasso, in der Entdeckung der Logarithmen oder der Integralrechnung. Die Philosophie um 1800 sprach von der Erfahrung des Erhabenen und fand sie vor allem im Gegenüber zur Natur, deren Bedingung für uns allerdings Kultur ist: ein Blick über eine weite Landschaft, über die, im richtig errechneten Augenblick, der Schattenstreifen einer Sonnenfinsternis sich hinbewegt, eine alpine Gipfelflur und anderes. Auch in der erfahrenen Liebe, im Staunen über die Unendlichkeit des Anderen neben einem, ja, in einem Gesicht, das gerade auf Nimmerwiedersehn vorbeigeht, kann man, wie Baudelaire, solches finden. Die Römer sagten, wenn ich das richtig verstanden habe: Hierin erscheint die Gottheit selbst, also Venus. Es ist ein kleiner Schritt von der Wahrnehmung genialer Größe oder von Erhabenheit zur Wahrnehmung eines Göttlichen, das dort erscheint, eben auch: in einem genialen Menschen.
2.2 Thurinus, Octavianus, Augustus Der juristische Weg, auf dem Augustus der Adoptivsohn und Erbe des ermordeten Caesar wurde, ist in der Forschung oft mit juristischer Skepsis angesehen worden. Die Familie des YAugustus (63 v. Chr. – 14 n. Chr.) war reich, ihre Herkunft unbedeutend, wenn nicht niedrig, eher namenlos. Die Urgroßväter waren Seiler und nordafrikanische Parfümhändler, die Großväter Bankiers, Bäcker und Wechsler; der Vater
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5. VORLESUNG: Fülle der Zeit und Fülle der Vergottungen
Octavius wurde wohl als Wahlhelfer Caesars Senator. Seine Frau Atia war eine Nichte Caesars. Als Kind hieß Augustus noch Thurinus (Suet. 2-6), seit seiner Adoption Octavian – nach seinem Vater Octavius –, wie er sich selbst nie genannt haben soll. Mit Thurinus konnte man ihn beleidigen. Er wird Privatunterricht genossen haben, sprach in Familie und engerem Kreise griechisch. Die Worte des Sterbenden: »Wenn mein Lebensschauspiel Euch gefallen hat, klatscht Beifall!« (Suet. 99), waren griechisch gesagt. Latein war die Theatersprache der Macht. Thurinus-Octavian mag auch mit Caesar Griechisch gesprochen haben. Der große Mann hatte den überragend intelligenten, mutigen, praktischen, diplomatischen und entschlossenen jungen ThurinusOctavianus, der 37 Jahre jünger war, früh entdeckt. Im Jahre 49 hatte der Vierzehnjährige die Toga virilis genommen, ein Jahr später wurde er zum Pontifex gewählt, was zugleich öffentliche Amtsfähigkeit bedeutete. Im Herbst 46 ließ Caesar den Jüngling an seinem afrikanischen Triumph teilnehmen. 45 reiste der kränkelnde ThurinusOctavianus dem Caesar in den spanischen Krieg nach. Als Caesar ermordet wurde, war der spätere Augustus nicht in Rom, sondern studierte in Apollonia (gegenüber von Brindisi) und bereitete den Partherfeldzug Caesars vor. Das Testament Caesars, in dem er zum Adoptivsohn und Erben des Allgewaltigen bestellt sein sollte, ist nicht erhalten. Adoption durch Testament war ein juristisch ungewöhnlicher Vorgang – und der Haupterbe war kein Patrizier. Der Senat beschloß, wohl auf Anregung, ihn ins Patriziat zu erheben. Alles andre arrangierte sich, arrangierte er, nach und nach. Im Jahr 29 v. Chr. hatte sich der Macht-Erbe als Octavian in die Liste der römischen Staatsgötter aufnehmen lassen. 27 v. Chr. nimmt er den Namen Augustus an. Durch ihn wird das Großreich zum Imperium, deren Herrscher dann alle Caesar heißen. Im Jahre 17 v. Chr. wird der Anbruch eines neuen Zeitalters in den Säkularspielen gefeiert: fides, pax, honor, virtus, Treue, Frieden, Ehre, Tüchtigkeit also, werden von nun an herrschen. Horaz dichtet dazu sein carmen saeculare. Heilands-Prädikate werden auf ihn, der den Frieden gebracht hatte, übertragen. 13 v. Chr. wird die Yara pacis Augustea in Rom geweiht. 12 v. Chr. läßt Augustus als höchster Priester die 6Sibyllinischen Bücher in den palatinischen Apollontempel überführen und dort als Staatsgeheimnis hüten. Mit besonderer Erlaubnis des Senats können sie eingesehen werden. Sie werden das Römerreich nicht überdauern.4
2.3 Augustus-Kohorte Die großen Dichter sind Diener des neuen Gottes und, wie weltlich auch immer ihre Schriften sein mögen, sie werden Referenztexte nicht einer Kult-, sondern einer Kultur-Sakralität. Diese Dichter sind in der Regel Söhne ehrgeiziger Väter niederen Standes (Vergil), auch Nachkommen von Sklaven (Horaz) oder aus dem Provinzadel (Sallust, Ovid, Livius), die aufopfernd zum Studium geschickt werden, nur noch selten nach Griechenland, nach Athen (Horaz, Ovid), sondern oft schon nach Rom (Sallust, Vergil, Ovid) oder in die Provinz: nach Cremona, Mailand, Neapel (Vergil); Padova
2. Römischer Bereich
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(Livius). Eher beim Studium an zentralen Orten lernen sie die Aristokratensöhne kennen, die ihnen zur Förderung durch Maecenas, durch Messalla, durch den Gott Augustus verhelfen.5 Denn außer Augustus hielten sich u.a. Messalla oder Maecenas ihren Kreis. Der eine: fähiger General und Gouverneur, der andre: unermeßlich reicher Lebemann im Seidenschlafrock, der sich beliebig Frauen, Knaben und Dichter zu nehmen wußte, Freund und vollmächtiger Machthaber für Augustus, wenn dieser von Rom abwesend war. Als ihm der Caesar Augustus seine flotte Frau YTerentilla verführte, kühlte die Freundschaft ab. Er starb 8 v. Chr. YAntonius, Marcus Antonius, Beherrscher des Orient-Reichs auf Abruf, der den Moral-Römer Cicero (43) schnell umbringen ließ, machte die Sache als Druckmittel publik. Er starb in den Armen der Kleopatra (30), ein Mann höchster Fähigkeiten, aber ein Opfer der, wie ein Latinist sich ausdrückte, »Lockungen des … Hellenismus«. Der gefeiertste Erfolgsdichter Ovid sah sich Knall auf Fall (8 n. Chr.) ohne Prozeß bis ans Ende seiner Tage ans Schwarze Meer verbannt und begriff, daß er ein toter Mann war, sobald er von den kaiserlichen Interna ein Wörtchen verlauten ließ. Er schwieg – und die Wissenschaft rätselt. Die Literaturformen des Griechischen werden durch Dienstleistende deutlich zu Formen für das Theater der Mächtigen, sind, wie das circensische Theater, Machtinstrument: Prosa-Geschichtsschreibung, erhaben-römisches Staatsepos, das mit Homer wetteifert, dialogische Hirtengedichte und dramatisch in privatem Kreis aufführbare Idyllen, symbolisch bedeutungsschwer, erotische und lehrhafte Elegien, Kunstbriefe in Versen, Oden, Carmina, auch als Fürstenpreis für staatliche Anlässe; spezifisch römisch sind Satiren, ironisch, politisch, witzig, philosophisch, kurz: in beliebiger Tonlage, auch Erlebnispoesie. Überall stellte man sich in der Forschung die Frage: »ehrliche oder unehrliche« Erlebnisdichtung? Die Gattungen der lateinischen Werke erfüllen die BRAUDELsche Regel (Alltag 92). Als Norm für falsch und richtig gilt die höhere Kultur der bewunderten Besiegten, doch will die rezipierende Kultur die Vorbilder übertreffen. Nur mittelbar sind die Werke Ausdruck einer sozialen Konstellation. Vielmehr ist das die 6Schule selbst: Sie ist auf lange hin Schule für eine Oberschicht, im Unterschied zu Byzanz-Griechenland, wo nahezu die Gesamtbevölkerung alphabetisiert gewesen sein soll. Die römische Literatur im einzelnen zu charakterisieren, kann hier nicht Aufgabe sein. Sie ist großartig, wie die griechische. Von außen und von etwas weiter her hat das Bild von der Literatur der Augustus-Jahre seine Größe in seiner Zwielichtigkeit. Jeder, der es sich leisten konnte, hielt sich eben eine cohors poetarum für die Aura in Weltstadt und Nachwelt: Altrömisch-sittlich-erhaben oder neurömisch-hellenistisch-anrüchig, spezialistisch verteilt oder genial beides zugleich. Bis heute brillieren unsere Latinisten moralisch zweigleisig. Die römische Literatur ist großartig wie die griechische. Dennoch: Ein Gräzist blickt ebenso herablassend auf die römische Literatur wie ein Latinist auf die mittellateinische. Alles Großartige ist immer eine vollständige Welt für sich, ob das nun das literarische, philosophische, musikalische Werk eines Menschen ist oder ein Mensch,
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5. VORLESUNG: Fülle der Zeit und Fülle der Vergottungen
den man in seiner Einzigartigkeit wahrgenommen hat. Man tritt sozusagen immer in ein anderes Zimmer, in ein anderes Haus, eine andere Landschaft, und die Großartigkeit des Je-Besonderen läßt sich nur durch Treulosigkeit gegenüber einem anderen Großartigen erkennen.
3. Jüdischer Bereich Vom Abendländisch-Römischen aus ist die jüdische Literatur dieser Zeit auf den ersten Blick nur eine Spielart des imperiumsweiten Hellenismus – und Anti-Hellenismus.
3.1 Philon Besonders für die frühen Christen (Hebräerbrief, Origenes) scheint die jüdischhellenistische Philosophie des Philon bedeutend zu sein und wurde wohl auch umdeutend rezipiert. Philon ist ein etwas älterer Zeitgenosse des Paulus, vielleicht um 15/10 v. Chr. in Alexandria geboren. Andere setzen sein Geburtsjahr um 25 v. Chr. an. Mit seiner strukturalen Ausdeutung von analog gesetzten Ereignissen des AT hat er vielleicht auf das Deutungsmuster Typos – Antitypos (typon – anti-typon) des Paulus eingewirkt, der auf diese Weise AT und NT in Beziehung setzt, z.B. Adam – Christus (als neuer Adam; cf. Röm 5,14; 1. Kor 10, 6 u. 11). Das weitere mittelalterliche Deutungsmuster der mehrfachen 6Schriftsinne (historisch-literal, moralisch-tropologisch, anagogisch-eschatologisch), das dann von Origenes ausgeht, könnte den Anstoß auch Philon verdanken. Philon selbst wendete die allegorische Interpretation, mit der die Stoa die Götter Griechenlands philosophisch akzeptabel machte, auf die Tora an. Er soll Platon für einen Schüler des Mose gehalten haben. Aber der Text seiner oft nur fragmentarisch erhaltenen Schriften ist nicht sehr gut gesichert. Noch 1972 galt YPhilon als schlecht erforscht. So läßt sich ein Umriß seines Denkens nur unter Vorbehalt referieren: Gott ist der ganz Andere. Er hat die Welt aus der ewigen Materie geschaffen, die das Prinzip des Bösen in sich enthält. Gottes Helfer sind die Kräfte (d'ynameis), die man als seine Boten (d.h. Engel) oder Ideen denken kann, deren oberste Kraft aber die Weisheit Gottes selber ist. In seinem gesprochenen Wort (lógos prophorikós) ist die ganze Schöpfung enthalten und den Menschen offenbart. Der Logos im Menschen als göttlicher Atem ( pneuma ) soll vom materiehaften Fleisch frei werden. Das sei der Weg der unvermischten himmlischen Weisheit. So in katholischer Philon-Deutung von 1949 (HIRSCHBERGER 1,264-267), nach der auch Gottes-Sohnschaft und Paraklet-Funktion des Logos bei Philon gefunden werden. Philon sieht fast wie ein Jude auf dem Weg zum späteren hochkirchlichen Dogma aus – und sehr gnostisch.
Die Untersuchung von ESTHER STAROBINSKI-SAFRAN von 1970 bedenkt Philon vom Judentum aus. Sie sieht in der griechisch abgefaßten, aber traditionell lateinisch betitelten Schrift De fuga et inventione (AgDÂ NL(H 6"Â gßDXFgTH, Über die Flucht und
3. Jüdischer Bereich
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das Finden) eine mystische Ausdeutung des Jom-Kippur-Festes und erwägt Kenntnisse der mündlichen Tora (Tora sche-beal pe), wie überhaupt des zeitgenössischen frührabbinischen Diskurses. Die rühmenden Nachrichten, die Philon über die jüdischen Therapeuten der Essener-Sekte gibt, können in diese Richtung deuten. Gemeint sind wohl die Frommen (chassidim) von Qumran mit ihren Messiaserwartungen und dem Weltenkampf zwischen Finsternis und Licht, einem gnostischen Motiv. De fuga ist die einzige Schrift Philons, die ich im Augenblick etwas kenne. Hebräisch soll Philon nicht gekonnt haben. Er hat, wie viele hellenistische Juden, eine Wallfahrt nach Jerusalem unternommen. Diese nur noch Griechisch sprechenden Juden hatten in Jerusalem ihre eigene Synagoge, von den hebräisch-aramäischen Glaubensbrüdern eher verachtet. Der später von Paulus, als er noch Saulus war, bis zur Steinigung verfolgte Stephanus soll ein Christ aus der hellenistischen Synagoge gewesen sein. Philon hat sich vor dem Kaiser Caligula im Jahre 40 n. Chr. für die in Alexandria verfolgten Juden eingesetzt – das letzte bekannte Lebensdatum. Vielleicht habe er sich im Laufe seines Schaffens dem Judentum immer mehr angenähert, wurde 1972 vermutet.
3.2 Psalm 2 Das Judentum, heißt es gelegentlich, sei von Vergottungsgedanken orientalischer oder römisch-hellenistischer Prägung frei, aber: Wozu tosen die Weltstämme, murren Nationen – ins Leere! Erdenkönige treten vor, mitsammen munkeln Erlauchte wider Ihn, wider seinen Gesalbten: »Sprengen wir ihre Fesseln, werfen wir ihre Seile von uns!« Der im Himmel Thronende lacht, mein Herr spottet ihrer. Dann redet in seinem Zorn Er zu ihnen, verstört sie in seinem Entflammen: »Ich aber, belehnt habe ich meinen König auf Zion, meinem Heiligtumsberg.« – Berichten will ichs zum Gesetz, Er hat zu mir gesprochen: »Mein Sohn bist du, selber habe ich heut dich gezeugt. Heische von mir und ich gebe die Weltstämme als Eigentum dir, als Hufe dir die Ränder der Erde, – du magst mit eisernem Stab sie zerschellen, sie zerschellen wie Töpfergerät.« Das ist die Übersetzung von BUBER-ROSENZWEIG.
Mit Verblüffung sieht man diesen zweiten Psalm zur Jordan-Taufe Jesu von Markus zitiert werden: Du bist mein lieber Sohn, an dir fand ich Wohlgefallen (1,11). Das ist die alttestamentliche Adoptionsformel für Könige Israels (2. Sam 7,14; Ps 89,27f.). Das ist aber auch ein römisch-hellenistisches Muster. So wird die Erscheinung Jesu in seine Zeit hineingedacht. Was wir von ihm erfahren, trägt in vielem auch hellenistische Züge, trotz eines Anti-Hellenismus in Israel. Griechisch war die Lingua franca, war allgemeine Verkehrssprache, etwa für den Umgang mit dem römischen Hauptmann, mit Pilatus. Außer Aramäisch könnte Jesus auch Koine-Griechisch gesprochen haben. Der Name Jesus, der in der Verkündigung des Engels (Luc 1,31) als etwas Singuläres erscheint, war im hellenistischen Israel für hebr. Jehoschua< ( 3 : & % * ) gar nicht selten.
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5. VORLESUNG: Fülle der Zeit und Fülle der Vergottungen
3.3 Jüdischer Krieg und erste Christen Ein neuer Aufstand der kriegsgewandten und todesmutigen Juden führt 66 n. Chr. zum Jüdischen Krieg gegen die Römer. Nach der Zerstörung des zweiten Tempels (70 n. Chr.) durch Titus fand er sein Ende mit der Einnahme der Felsenfestung Masada (73). Deren 1000 Verteidiger gaben sich selbst den Tod. Dadurch, daß ein gefangener Befehlshaber der aufständischen Juden dem römischen General Vespasian prophezeite, er werde zur Würde des Gott-Kaisers aufsteigen, behielt er, als das Heer diesen General tatsächlich zum Kaiser ausrief, das Leben und konnte als Pensionär in Rom zum Historiker des Jüdischen Krieges werden: Iosephus Flavius, d.i. Familiar der Flavier (37– ca. 100). Von Jesus aus Nazareth und seinen Anhängern fällt bei Iosephus kein Wort, von den Essenern schon. Die ersten Texte, die von Jesus sprechen, sind die Briefe des Paulus. Besonders aus einem Brief an nicht recht identifizierbare Galater ist zu erfahren, daß er selbst das rechte, andere aber in Konkurrenz zu ihm das falsche Evangelium verkünden. Evangelium ist noch keine Textgattung, sondern wörtlich eine ›Erfreuende Botschaft‹ von einem Jesus aus Nazareth, der am Kreuz als Verbrecher hingerichtet wurde. Er war der Sohn Gottes, und durch Gott war er vom Tod auferweckt worden. Der Auferweckte wurde auf dieser Erde von Zeugen gesehen, ehe er entrückt wurde. Das Endreich Gottes stehe nahe bevor. Mit dem erneuten Wiederkommen des Jesus als OC3EI?G (christós) werde es anbrechen. Christós übersetzt aramäisch meschiach, hebräisch (* :/ maschiach, gräzisiert Messias, d.h. ›der Gesalbte‹. Es meint jenen, den die Juden immer erwarten.
Den sprachlichen Quellhorizont bezeichnen in den Briefen des Paulus auch aramäische Einfügsel in den griechischen Text. Zum Beispiel Maranata (entweder: marana ›unser Herr‹ ta ›komm!‹ oder, weniger wahrscheinlich: maran ›der Herr‹ ata ›ist gekommen‹). Dieser Ruf war das Gebet der frühen Gemeinden, auch der griechisch sprechenden ( : " D V Sc/M > SI. Die Formel kann für ein diszipliniertes Fragen nach den Bedingungen von erlaubter wie verbotener Schriftlichkeit hilfreich sein. Im Islam ist der Kalif fraglos der Mächtige, der Potens P. Wo er regionale oder lokale Machtvertreter als Sultane, Schahs, Wezire, Emire hat, spielt sich der formelhaft angedeutete Schematismus eben auf regionaler oder lokaler Ebene ab. Doch die Position S ist im Islam problematisch besetzt, denn der Islam hat theoretisch keine geweihte Priesterschaft. Nur um so dringlicher ist deswegen die Frage: Wer übt die Funktion S aus? Es ist die Gilde der Rechtstheologen, der gildenmäßig organisierten Koran-Gelehrten. An die Stelle der Priesterweihe tritt die approbierte Rechtskunde. Die Approbation wird durch Studium an einer 6Madrasa erworben. Das ist eine private fromme Stiftung neben einer Moschee für studentische Internatsstipendiaten. Nach einem langen Studium von Recht, Theologie, Predigtlehre, Philosophie, Literatur, Grammatik und Lexikographie konnten diese den Grad eines Doktors (mudarris), eines Rechtsexperten (muftî ) und schließlich eines Meisters des Rechts ( faqih) erwerben. Die so Graduierten durften ihrerseits Studenten ausbilden. Gültigkeit hatten diese Grade im Bereich der jeweiligen Rechtsschulen. Die
3. Kalifat und religiöse Autorität, Sacerdos und Potens
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erste überregional bedeutende Madrasa-Hochschule – 859 war bereits die schiitische 6Idrisiden-Madrasa in Fes (Fâs) in Marokko voraufgegangen – ist die von den schiitischen Fatimiden 997 zusammen mit Stadt und Moschee in Kairo als ismaelitisches Propagandazentrum gegründete âmic al-azhar-Hochschule, Vorgängerin der heutigen sunnitischen Theologenuniversität. Als sunnitische Gegenreaktion entstand (459/1067) in Bagdad die Nizâmiyya als Gründung des Wezirs Nizâmî al-Mulk . (cf. auch MIQUEL 185). Zweifellos ist hier ein Vorbild für die späteren abendländischen Universitäten und College-Universitäten, wobei der Name Universitas sich ja nicht auf die Breite des Lehrangebots, sondern auf die genossenschaftliche Organisation von Lehrern und Schülern bezieht. Dieser Sachverhalt wird im römisch-christlichen Westen anscheinend nicht (6Universität) oder nur beiläufig (BROCKHAUS) zur Kenntnis genommen. Es kam auch im Islam zu Konflikten zwischen den Funktionen des Potens-Kalifen und des Sacerdos-Theologie-Juristen. Genauso wie sich die okzidentale Geschichte ohne den bald ausbrechenden Konflikt des Investiturstreits zwischen Papst und Kaiser kaum verstehen läßt, läßt sich die islamische Geschichte ohne Kenntnis der dortigen Funktionskonflikte kaum verstehen. Die Gültigkeitsbezirke der Rechtslehre – mâlikitischer, hanafitischer, šafiîtischer, hanbalîtischer – sind dort theokratische . . Macht-Bezirke.9 Die Grundlagen der religiösen Rechtslehre, der šarîca (6Recht D) und der Rechtswissenschaft ( fiqh = ›Verständnis des Glaubens‹) sind jene vier berühmten Quellen: 1. Der Koran (sofern mehrere Suren scheinbar Widersprüchliches aussagen, gilt die zeitlich letzte Sure); 2. Vorbildliche Handlungsweisen (die sunna) des Propheten, wie sie in den Hadithen (mit der isnâd-Kette der Zeugen) aufgezeichnet sind; 3. Der Konsens (ig7mâ c ) der Rechtsmeister ( faqih ) als Repräsentanten der Versammlung der Gläubigen (umma); 4. Der Analogie-Schluß ( qiyâs ) zwischen einer akzeptierten und einer neuen Lösung. Die Auslegung mündete in ein Fatwa-Gutachten ( fatwâ ) durch einen muftî.
Die schiîtische Rechtsprechung folgt im Prinzip der sunnitischen zweiten, der hanafitischen Rechtsschule, nur wird dort der Analogie-Schluß durch die eigene . Vernunftmeinung (caql ) abgeschlossen. Qualifizierten Rechtsgelehrten (mug7tahid ) steht dort die selbständige Auslegung kraft eigenen Bemühens (ig7tihâd ) zu. Die Leitung der Glaubensgemeinschaft hat dort nicht der sunnitische Kalif, sondern ein Imam. Selbstverständlich waren die so geschilderten Zustände nicht von Anfang an vorhanden. Sie stellten sich im Verlauf des 8. bis 11. Jahrhunderts allmählich her, ebenso wie sich in der Romkirche die Machtverhältnisse zwischen Papst und 6Konsistorium/6Kardinals-Kollegium im Verlauf des 10. bis 12. Jahrhunderts juristisch fester artikulierten – also nahezu gleichzeitig. Die Vorform der Philosophisch-Theologischen Internatshochschulen waren die Moschee-Herbergen (masg7îd-.h an). Den Unterricht machten sich anfänglich theologische Rationalisten (Muctaziliten, Kalâm-Theologen) und Traditionalisten (Hanbaliten) streitig. Die Rationalisten lehrten eine philosophische . natürliche Theologie, die sozusagen allen Offenbarungsreligionen zugrunde lag: die Kalâm-Theologie (kalâm ›Rede‹ , Gespräch). Für ihre Gegner, die Traditionalisten,
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16. VORLESUNG: Anknüpfung und Vorblick
hanbalîtische orthodoxe Sunniten, entschied den Streit der Eingriff der Kalifenmacht . (P), die unter dem Bagdader Kalifen al-Ma’mûn (813–833) mit einem Inquisitionsverfahren (mihna = ›Heimsuchung, Prüfung, Leiden‹) die unbequemen TheologenJuristen ausrottete. Ich stelle mir das Werden einer solchen Institution ähnlich vor wie bei Bamberg, wo ich das nach dem Kriege, als aus Gefangenschaft entlassener Knabensoldat, selbst erlebt habe. Zu Anfang war, wohl seit den Zeiten Kaiser Heinrichs II., der das Bistum gegründet hatte und selber studierter Kleriker war, ein Priesterseminar. Es diente der Heranbildung von Priestern für die Diözese des Bischofs. Die Unterrichtenden waren Priester. Dann wurde das Programm über Theologie und Philosophie hinaus erweitert und es wurden auch solche Studenten angenommen, die nicht Priester werden wollten. Die Professoren waren immer noch Priester, jedenfalls in den Kernfächern, sonst aber bewährte katholische Gelehrte. Als Studenten wurden dann sogar junge Frauen und Ketzer zugelassen, denn die mütterliche Kirche gibt so schnell niemand gänzlich verloren. Schließlich konnte der Staat als zusätzlicher Geldgeber gewonnen werden, vor allem aber als derjenige, der die nötige wissenschaftliche Sakralität verleihen konnte: Promotionen und Habilitationen, die auch an laikalen Universitäten umstandslos anerkannt wurden. Sie sehen hier übrigens, wie die Funktion S doppelt besetzt sein kann: Es gibt die Kult-Sakralität mit Priester-Funktion und die Kultur-Sakralität mit dem Recht zur Promotion und Habilitation, die der Staat verleiht. Dabei kann die eine Sakralität der andern gegenüber die Funktion des Potens innehaben. Die Potentia wird heute im öffentlichen Raum nur von der Staatsmacht ausgeübt. Der Staat kann sie aber an andere Instanzen delegieren. Je nachdem, ob der Staat seine Potentia der Kult-Sakralität (Kirche, islamische Rechtskultur) zur Verfügung stellt oder nur die eigene, laikale Kultur-Sakralität als Hoheitsrecht ausübt, nimmt er theokratischen oder laikalen Machtcharakter an. Wie das funktioniert, habe ich in Göttingen erfahren. Dort gab es einen katholischen Priester, der mehrere Doktortitel hatte und als Ordinarius Philosophie lehrte. Als er die Lehre von der leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel nicht als heilsnotwendige Glaubenspflicht anerkennen wollte und aus der Römischen Kirche austrat, verlangte der Bischof von Hildesheim, die Göttinger Universität möge ihm seinen Lehrstuhl aberkennen. Ein Sturm der Entrüstung seitens der Göttinger, die sich ganz als Aufklärungsgründung fühlten, war die Antwort: Dies sei kein Konkordatslehrstuhl, bei dessen Besetzung und Besoldung die Römische Kirche beteiligt sei. Der Mann blieb Professor und war dann sogar Akademiepräsident. Da der Staat heutzutage oft schwach bei Kasse ist oder Kultur als Privatsache ansieht, sieht er die Finanzierung kultureller Belange gerne aus Drittmitteln bestritten. Je mehr Drittmittel ein Professor oder Rektor beitreiben kann, desto höher ist leicht sein Ansehen. Im Grunde handelt es sich bei Drittmittel-Professuren um das, was früher, solange die Kirche mit Finanzierung und Mitspracherecht bei der Besetzung beteiligt war, Konkordats-Professuren darstellten. Da hatte der Bischof als Drittmittelspender und billigende Instanz mitzureden. Aus Drittmitteln, oft mit bestimmten
Anmerkungen
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Auflagen, errichtete Lehrstühle gibt es inzwischen viele, namentlich in den USA. So wurde etwa der Princeton-Lehrstuhl Thomas Manns privat gestiftet mit der Auflage, daß niemand anders als er darauf berufen werden dürfe. Inwiefern die Lehrfreiheit dadurch tangiert wird, beurteilen die betroffenen Parteien verschieden. Der Islam nun hat keine Priester, wohl aber Gelehrte des geistlichen Rechts, die oft von entscheidendem Einfluß auf den jeweiligen Herrscher sind. Dichter und Gelehrte des weströmischen Mittelalters pflegten Kalif und Papst gleichzusetzen und machten damit zugleich ein eigenes Theokratie-Problem zur Metapher. Neuere Forschung soll für wahrscheinlich halten, daß sich die ersten Kalifen durchaus als Stellvertreter Gottes betrachteten (LdM 5,868). Der 6Kalif ( .h alîfa Stellvertreter), dem die Gemeinschaft der Gläubigen (umma) den Huldigungseid leistete, nannte sich seit cUmar amir al-mu’minîn, ›Fürst der Gläubigen‹. Er war ursprünglich wie der Prophet: Leiter des Gebets, des Heeres, des Staates, Verteiler des (Beute-)Geldes. Ihr gelegentlich erhobener Anspruch, Stellvertreter Gottes zu sein, wurde von den Schrift-, d.h. den Koran-Gelehrten (culamâ’ ), besonders von den Rechtsgelehrten ( fuqahâ’ ) bestritten. Seit Hârunar-Raschîd (786–809) unterstand der Kalif dem religiösen Recht der šarî ca – im Prinzip. Denn die erwähnte Theologen-Inquisition unter dem Nachfolger zeigt, daß der Konflikt zwischen Potens und Sacerdos nicht ausgestanden war. Die Stimme des Kalifen stand bei Religionsentscheiden hinter dem Konsens der Gelehrten zurück. Seine Machtausübung im politischen Bereich durfte der Kalif an andere Herrscher delegieren. Deswegen legten Usurpatoren und Lokaldynasten oft Wert darauf, vom Kalifen bestätigt zu werden. Das wird besonders für iranische Verhältnisse von Bedeutung, unter denen der große Philosoph Avicenna zu leben hatte, von dem Albertus Magnus und Thomas von Aquin zehren. Die Namen Avicenna und Beowulf sind die Merkpunkte, die den Rahmen der nächsten Vorlesung andeuten können.
Anmerkungen 1
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Das lateinische Wort gehört zu lino, welches »schmieren, besudeln«, ergo: »schreiben« heißt. Früheste lateinische Formen gibt es mit -t-. Mit ihnen rechtfertigt sich die deutsche Schreibung. Daß der Zusammenhang zu deutsch Letter damit zerreißt, kümmert kaum einen. Religion (dîn) und Staat (mulk) als »voneinander abhängige Zwillinge« ( V. GRUNEBAUM 503 28 ). Zarathustra II, letztes Stück (Die stillste Stunde ) im Zusammenhang der Sätze: »Da sprach es wieder wie ein Flüstern zu mir: ›Die stillsten Worte sind es, welche den Sturm bringen. Gedanken, die mit Taubenfüßen kommen, lenken die Welt. O Zarathustra, du sollst gehen als ein Schatten dessen, was kommen muß: so wirst du befehlen und befehlend vorangehen.‹« (NIETZSCHE 2,401). Im Gegensatz zur heraldischen Gepflogenheit werden in dieser Beschreibung links und rechts vom Betrachter aus gemeint. Üblicherweise ist die Hoheit des Wappens das Subjekt, welches den Betrachter anschaut. Er ist sozusagen der Betrachtete. Die Zitate bei WITTRAM 1958, 141 und 142.
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16. VORLESUNG: Anknüpfung und Vorblick
Im Zitat bei WITTRAM 138 ist »Geht« Lesefehler für »Seht«. In der sonst hier stets zitierten Ausgabe letzter Hand fehlen beide Gedichte. Sie finden sich z. B. in der Hamburger Ausgabe 1, 334. Bei VON DER OSTEN-SACKEN 1994: 69 = LUTHER, Weimarer Ausgabe 11, 314f. GOETHE 5 (1828 ) 110, West-östlicher Divan, Rendsch Nameh. Buch des Unmuts. Vgl. auch 6Mâlik ibn Anas. Ibn obair (1184, 121) nennt für die Imame, die in Mekka nacheinander das Gebet halten dürfen, als Rangordnung: 1. den šafiîtischen (Abbâsiden), 2. den mâlikitischen, 3. den hanifîtischen ( gleichzeitig mit 2. ), 4. den hanbalîtischen Imam. . .
17. V ORLESUNG 900 – 1000 (I ) Maritimer Rahmen für semitische und lateinische Alphabetschriften Maritimer Rahmen also vom Beowulf an der Nordsee bis zu Avicenna am Kaspischen Meer.
1. Nordmeere Daß heidnische Wikinger zwischen 870 und 930 6Island entdeckten und mit Einzelhöfen besiedelten, daß sie sich ab 970/985 in Grönland niederließen und von da dann weiter nach Westen ruderten, das blieb noch ohne Schrift. Seit König Alfred, der Boethius übersetzte, schreibt man 6altenglische Literatur auf für den Hof von König und Bischof, im Skriptorium von Klöstern. Man schreibt mit lateinischen Buchstaben, von denen einige zu Sonderzeichen in Anlehnung an Runenschrift umgeformt wurden. Und man schreibt, nach der Überzeugung der Philologie, in einem Maße fehlerhaft, daß es schier unendlicher philologischer Korrekturen bedurfte, um das Geschriebene verstehen zu können. Wie die Leute sich damals behalfen, fragt man sich und fragt sich auch, ob in vielen Fällen die Sache mit der Niederschrift nicht erledigt war und nicht weiter zu lesender Stimme erweckt werden mußte. Auf den britischen Inseln sind zwischen 900 und 1000 die Königreiche nur selten auf länger vereint. Einfallende Seefahrer aus Norden und Osten, zu denen man einst selber gehörte, kamen immer wieder heran, gingen fort oder blieben, brachten wohl auch Gesungenes mit. Selber Seefahrer, soll König Edgar (959–975) einmal im Jahr England umsegelt haben.1 Vier gewaltige Sammelhandschriften überstanden Feuer und Schwerter der Dänen oder anderer Zeitgeist-Unholde, die über das Meer an Land gestürzt waren. Bis nach Vercelli verbracht wurde der eine dieser Codices von einem Bischof, der sich sein Pallium in Rom holen wollte – als Gunst erwirkendes Geschenk? 2 Unter dem Buntgemischten von Monstern und Riesen, dem Redenden Kreuzesast und 6Cynewulfs ChristEpos, dem 6Beowulf, dem See- und dem Weitfahrer sind alte Versformeln, Geschichten, die gar nicht notwendig in England geschehen waren, sondern z.B. auch in Schweden oder sonstwo. Was diese Stabreim-Verse ergreifend macht, ist die Haltung, der rhythmische Schritt, der sie trägt, und der sanft wird, gar Prosa, wenn es um Christliches geht: Aufs Meer hinausfahren, in den Rachen des Todes! Denn wenn das Schiff bricht, hilft kein Schwimmen. Ebenso: Sich in den Schwerterkampf stürzen, als
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17. VORLESUNG: 900–1000 ( I ): Rahmen für Alphabetschriften
Räuber oder als Schützer von Gut und Blut. Nach dem sicheren Tod bleibt der Ruhm im Gedächtnis des Sängers, der Name vielleicht, doch er vertauscht sich, wechselt, verschwindet in namenloser Tat. Ebenso: Sich in den Glauben an Christ, Himmel und Hölle zu stürzen, wo das Gedächtnis des Sängers ausgelöscht wird von der Schrift, die dann nur zufällig bleibt. In der Exeter-Handschrift steht die symbolistische Zauberwelt einer Reihungslyrik, in der sich ein Sänger (scop) mit Namen nennt: Widsith = ›Wege ins Weite Gewanderter‹. Er will – sofern man den Text versteht – vor Menschen und Herrschern in fernsten Ländern und Zeiten gesungen haben. Aber deren wirkliche Namen, ohne Handlung gereiht, müssen nicht bloße Beschwörungen sein. Sie mögen auch Echo sein vom Waräger-Weg durch die später erst russisch genannten Ströme ins Schwarze und Kaspische Meer. Dorthin, in die Weltgegend Avicennas, soll sich der Blick jetzt wenden.
2. Literaturschriftlichkeit in der muslimischen Welt 2.1 Zublick vom jungen Avicenna aus Durch jüdische Vermittlung des Namens Ibn Sînâ als hebr. Aven Sînâ wurde der große Philosoph zum lat. Avicenna,3 der Aristoteles neu gedacht hatte und damit die okzidentale Philosophie von der Hochscholastik bis hin zu ERNST BLOCH gründlich beeindruckte. Obgleich kein gebürtiger Araber, schrieb und dachte Ibn Sînâ natürlich in der Rechts- und Wissenschaftssprache der muslimischen Welt: Arabisch. Nur ganz ausnahmsweise schrieb er auch Persisch, natürlich in arabischer Schrift. Das brachte besondere, weithin wirkende philosophische Probleme mit sich. Auf persisch schrieb er, nach ähnlichen Werken auf arabisch, das Dânesch-nâme, das Buch der Wissenschaft, mit Logik, Metaphysik, Physik und Mathematik. Nur arabisch und anscheinend sehr indirekt überliefert4 ist seine fragmentarische Autobiographie. Sie soll hier als Aussichtsturm für den Blick auf die Literaturschriftlichkeit in der muslimischen Welt zwischen 900 und 1000 dienen. Ibn Sînâ erzählt darin, wie sein Vater aus dessen Geburtsstadt Balkh am Hindukusch an den Hof des Sâmâniden-Emirs nach Buchara gekommen sei und dann als Bezirksstatthalter in die Nähe von Samarkand, wo Ibn Sînâ (977/80) und sein Bruder geboren wurden. Er spricht auch von seiner Mutter. Alle drei Städte lagen im Netz der Verkehrswege (Karte MIQUEL 136f.), die nach Indien und Tibet, zum persischen Golf und nach Bagdad, Kalifen-Residenz, über Kaspisches und Aral-Meer ins Innere des späteren Rußland auf den Waräger-Routen bis an die Ostsee, ins Innere Turkestans und über die Seidenstraße bis nach China und Japan führten. Ein Blick in historische Handelskarten zeigt, daß Gold, Edelsteine, Kupfer, Papier, Silber, Leder und vor allem Sklaven diese Städte reich machten. Die Sklavenmärkte von Verdun und Arles, Prag und Regensburg waren immer noch aktiv. 6Samarqand hatte unter den Sâmâniden über eine halbe Million Einwohner, darunter Christen,
2. Literaturschriftlichkeit in der muslimischen Welt
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Buddhisten, Zarathustrier, Juden (1170: 50.000), hatte große Buchhandlungen und Bibliotheken. So auch die Sâmâniden-Residenz Buchara, wohin der Vater bald versetzt wurde. Die 6Bücher waren meist in 4° hochformatig, lagenweise geheftet, paginiert und gebunden. Im kontinentalen Europa könnte jetzt zwar Kaiser Otto III. eine imposante Bibliothek gehabt haben, aber es gab dort nirgends solche Buchhandlungen.
2.2 Vielfalt islamischer Frömmigkeit Ibn Sînâ erzählt, wie ihn sein Vater einmal zu einem Gemüsehändler schickte, damit er das Rechnen mit den neuen indischen Zahlen lerne und dies dem Vater dann beibringe und: daß sein Vater unter dem Einfluß ägyptischer Sektenprediger Ismaelit geworden war und sein Bruder auch, wie beide philosophisch darüber diskutierten und auch ihn bekehren wollten. Er aber hörte nur zu. Man mag sich darüber wundern, daß Leute aus Ägypten bis ans – für uns – Ende der Welt kommen, und überhaupt, was für ein lebendiges Hin-und-Her in diesem Wegenetz des von uns maritim genannten Rahmens herrscht. Es ist ein Durcheinander von Herrschafts- und Frömmigkeitsformen, von Mächten und Heiligkeiten. Die Ismaeliten sind nur eine von vielen tatkräftigen, also extremistischen Weisen der Frömmigkeit.
2.2.1 Ismaeliten und Fatimiden Bei den innerislamischen Auseinandersetzungen handelte es sich darum, ob der Prophet das letzte Wort Gottes an die Menschen gewesen war oder das vorletzte, dem ein letztes folgen würde. Muhammad selbst hatte sich in der Reihe der Propheten gesehen: Abraham, Moses, Jesus. Die 6Ismaeliten erwarteten noch einen, letzten Mah.dî (Von-Gott-Geleiteten), einen letzten Messias-Christus wie in den beiden andern Religionen – wie in vielen Nuancen andere einen Nachkommen, oft geheimen, geistigen Nachkommen von Muhammad, Fatima, Ali, einen verborgenen, schlafenden Imam erwarteten.5 Die Frömmigkeit der Schiiten war die eine Konsequenz, die der Ismaeliten eine andere – unter 100 weiteren. Muslime waren alle, aber der Islam war unendlich vielfältig, und fast alle Richtungen waren radikal und verfolgten einander, oft in Geheimbünden organisiert. Das ist heute nicht anders, und Gute und Böse zu scheiden … Gott allein weiß es alles ganz genau, sagt eine arabische Redewendung. Nach der Ismaeliten-Lehre ist in allen Offenbarungen Tora, Evangelium, Koran derselbe innere Sinn verhüllt mit Hinweis auf die Wiederkehr des noch verborgenen Retters. Ich denke, daß auch das Theologoumenon von dem in allen Religionen schlummernden Christus hier ein Analogon hat. Die Geheimlehre wird von Werbern in konspirativen Zellen verbreitet, von Dichtern, die aus Andalusien oder aus Syrien ausge-
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17. VORLESUNG: 900–1000 ( I ): Rahmen für Alphabetschriften
wiesen werden.6 Das ist im äußersten Westen dieselbe Sektenpropaganda wie im Elternhaus des Ibn Sînâ im äußersten Osten. Die Ismaeliten haben dem vorgearbeitet, daß die 6Fatimîden, als Messias-Abkömmlinge der Fatima, zuerst in Tunesien die Emirats-Herrschaft der 6Aghlabiden stürzten, Nordafrika eroberten und ein Gegenkalifat mit einer Messias-Stadt errichteten. Die 6Aghlabiden hatten 800–909 de facto unabhängig vom Kalifen in Ifriqiya, in Sizilien (seit 827) wie in Malta (869) geherrscht, hatten Rom verwüstet und in Bari ein Sultanat gehabt. Unter ihnen war Kairuan (al-6Qairawan), die Hauptstadt Ifriqiyas, Vorort sunnitischer Rechtslehre gewesen. 6Asad ibn al-Furat (* 759, 827 gefallen vor Syrakus) hatte als Hadith-Autorität gegolten. 909 war ihre sunnitische Dynastie durch 6Abdallah von Kairuan, der sich zum Abkömmling der Propheten-Tochter Fatima erklärte, entthront worden. Allenthalben traten die Fatimiden die Herrschaftsnachfolge an, auch in 6Sizilien, wo ein erbliches Emirat eine gewisse Selbständigkeit genoß. Die erste tunesische FatimidenHauptstadt Kairuan war eine wunderbare, künstliche Oasen-Stadt. Ihre Existenz, wie die Fruchtbarkeit von ganz Tunesien, verdankte sich den Wasserbaukünsten der Römer und der Aghlabiden des 9. Jahrhunderts. Von den Fatimiden wurde 916 (oder 912?) dann die Palaststadt Ma.hdiya (= Ort des Messias) an der tunesischen Küste südlich von Monastir gegründet.
Als kriegerische Glaubensboten hatten ihnen die ethnisch rätselhaften, vorarabischen, mutterrechtlich organisierten Berber geholfen, die Sunniten-Reiche des Maghreb zu zerstören. Wohl gleichfalls 6Berber waren die Guanschen der Kanarischen (6Atlantischen) Inseln. Zur Empörung eines ALEXANDER VON HUMBOLDT (25. Juni 1799 in seinen ÄquinoktialReisen) waren sie als Nicht-Christen-Menschen ausgerottet worden. 6Berber galten allgemein als unwiderstehliche Krieger und wurden von den muslimischen Arabern bereits bei ihren ersten Eroberungszügen nach Spanien und Frankreich in Dienst genommen. Aus ihnen werden sich wieder die Heere rekrutieren, die dann das spanische Kalifat von Córdoba zerstören. Sie hatten den Islam in recht eigentümlichen Formen akzeptiert und wohl nach Schwarzafrika weitergetragen. Dabei spielten z.B. heilige Haine, Bäume, Grotten, Steine eine besondere Rolle. Die 4000 bis 5000 Mundarten der Berber sind ohne Einheitlichkeit und kaum erforscht. Für gewöhnlich sollen die Berber, die noch heute im Atlas-Gebirge und in der Sahara leben, nach Talschaften und nach Familien von der Herrin des Zelts her organisiert sein. Stammesorganisation gab es bei ihnen nur selten. Eine Ausnahme bilden die mutterrechtlichen Twaregs (Targi ), die bis heute phönizisch-punische Alphabetschrift (tifinagh) schreiben. Die altlibysche Vorform der Twareg-Schrift ist in über 1000 punisch-numidischen und 15 lateinisch-numidischen Felsinschriften erhalten (Libysche Schrift, BROCKHAUS ). Seit 740 gab es Berberaufstände gegen arabische Besatzer. Ihr TahartReich im großalgerischen Raum reichte von Tunis bis Tlemsen und bestand unter der aus Persien geflüchteten Dynastie der 6Rustamiden 780–870. Die Targi (6Twaregs) waren z. T. Anhänger der 6Harigiten. Diese militärisch-religiöse islamische Sekte, ihr Name soll auf einen Auszug aus der Gemeinde ( cumma ) weisen ( .h ârig = ›außerhalb‹ ), hatte sich schon mit der Ermordung des ›rechtgeleiteten‹ Kalifen cUtman (656) konstituiert. Nach MIQUEL 61f. . waren es puritanische Radikalisten, denen die Kalifen nicht rein genug waren. Auch andere Kalifenmorde werden ihnen angelastet. Sie wurden allenthalben verfolgte Verfolger und konnten sich nur an wenigen Orten, wie z.B. der Insel Gs erba halten. Ich weiß nicht, ob es berberische oder arabische Muslime waren, die 947/8 von der Provence-Küste und aus dem Wallis bis nach St. Gallen vordrangen und noch 972 auf dem Sankt-Bernhard-Paß den
2. Literaturschriftlichkeit in der muslimischen Welt
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Abt Majolus von Cluny als Lösegeld-Geisel fingen. – Zu den Berbern sieh auch 6Ibaditen, 6Sufriten, 6Almoraviden, 6Almohaden.
Schließlich hatten die Fatimiden Ägypten erobert, Kairo gegründet und mit der Seemetropole Alexandria den internationalen Mittelmeerhandel an sich gezogen. In Ägypten sollten sie bis zur Absetzung durch den sunnitischen Kurden-Sultan Saladin 1171 herrschen. Dichter, Ärzte, Gelehrte hatten sie an sich zu ziehen gewußt. 6Kairo, al-qâhira, d.h. ›die Siegreiche‹, war 973 zum Zeichen des Fatimiden-Sieges als Palaststadt nördlich von Alt-Kairo (al-Fustad ), wo der antike Necho-Kanal vom Roten Meer zum Nil mündete, erbaut worden. Die Madrasa, Vorläufer der heutigen Universität, war ein ismaelitisches Propagandazentrum. Zu den Dichtern gehörte 6Ibn Hani (s. Anm. 6), zu den Ärzten, schon in Kairuan, ihr jüdischer Leibarzt Isaak Judaeus. 6Isaak Judaeus (* ca. 875/904 Alt-Kairo/Fustad, gest. ca. 955 6Qairawan ). Seine Schriften, u. a. eine ärztliche Pflichtenlehre, wurden im folgenden Jahrhundert von dem ehemaligen Gewürzhändler 6Constantinus Africanus (* ca. 1015?, gest. 1087 Montecassino) in ein kaum verständliches Latein übersetzt, ebenso wie das ärztliche Reisehandbuch des 6Ibn al-Gazzar. Von den Mathematikern und Astronomen können 6Ibn al-Haitam und 6Ibn Yunus schon hier ein erstes Mal genannt werden (s. auch unten).
Aber es gab neben den Ismaeliten andere Extremisten, wie die 6H . arig7iten. Eine Abspaltung waren die Drusen des Alten vom Berge (Alamut im Elburs-Gebirge). Durch Attentate auf Herrscher, Wesire und Richter destabilisierten sie ungerechte Herrschaft. Von den Kreuzfahrern wurden sie Assassinen genannt, woher das französische Wort für Mörder stammt.
Abb. 16: Machtgrenzen im Abbasidenreich
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17. VORLESUNG: 900–1000 ( I ): Rahmen für Alphabetschriften
Daß das Abbasiden-Reich bald in Teilreiche zerfallen war, ist bloß eine Ausdrucksweise. Angemessener gibt diese Karte (MIQUEL 110f.) das wieder, nicht mit LinienGrenzen, die den Arabern fremd sind, und, wie mir DAN DINER einmal erklärte, den Israel-Palästinenser-Konflikt unlösbar machen. Die Karte zeigt Kreise des Machtanspruchs. Innerhalb ihrer Interferenzen erst lassen sich die Mobilität und die Unruhe in den Biographien nicht nur des Ibn Sînâ, sondern auch aller anderen großen Namen begreifen. Das sunnitische abbasidische Kalifat in Bagdad bestand natürlich weiter, mochten auch die verschiedensten Mächtigen (Sultane) herrschen, bis dann die Mongolen den letzten Kalifen köpften.
2.2.2 Frömmigkeit und Heiligkeit Heiliges schreibt man nicht, hatten die Druiden den Caesar gelehrt (Bell. Gall. VI,14, s. Vorlesung 3). Aber wenn es schriftlich wird, wird es wohl stets für Zwecke schriftlich, die selber außerhalb des Phänomens Frömmigkeit liegen. Als zweckhaft läßt sich bereits die Aufzeichnung des Korans und der Hadithe denken. Um Früheres zu wiederholen: Die vom Tode ihres Propheten mitten in ihrem gewaltigen Anwachsen überraschte Gemeinschaft der Gläubigen hatte nicht nur einen Stellvertreter, Kalifen als Lenker, sondern auch einen sakralen Referenztext für den rechten, offenbarten Glauben in einer rechtgeleiteten Gemeinschaft gebraucht, die schnell ein Weltreich geworden war. Ein bezaubernd poetischer, dunkler Offenbarungstext wie der Koran enthielt zwar auch Vorschriften, war aber an vielen Stellen nur durch Ausdeutung für eine Regierung von Staat und Gemeinde der Gläubigen zu nutzen. Erinnerungen an vorbildgebendes Verhalten und an Aussprüche des Propheten füllten Gesetzeslücken – und waren immer zahlreicher geworden: die Hadithe.
Aber es ist der musikalisch rezitierte Text solcher Verschriftlichung, der die Hörer schon eines einzigen Koran-Verses in Tränen und Verzückungen ausbrechen läßt, von denen keine Übersetzung uns einen Begriff geben kann. Der Prophet hatte kein Heiliger sein wollen und hatte das Heiligenwesen abgelehnt. Aber sein Grab wurde zum Heiligengrab, was er berührt hatte, war dadurch geheiligt. Seine nahen Vertrauten, seine ganze Familie, seine ganze Verwandtschaft wurden einer sogenannten Volksfrömmigkeit zu Heiligen. In der Tradition von Abraham und Moses war der Prophet ein Vertrauter, ein Freund Gottes gewesen. Der Gedanke war ja wohl doch: Männerfreundschaft mit Gott ist biblisch. Aber es gibt keine Möglichkeit, die arabischen AT- und NT-Übersetzungen zu kennen, die der Prophet gekannt hat. Der heutige hebräische AT-Text ist erst jetzt, nachislamisch bezeugt, ebenso wie die alten arabischen Übersetzungen von AT (6Saadja Gaon vor 942) und NT (Evangelien 946 in Andalusien). Der Herr aber redete mit Mose, wie ein Mann mit seinem Freunde redet (Ex 33,11: &% 3 9