260 74 28MB
German Pages 611 [612] Year 1991
Reihe Germanistische Linguistik
122
Herausgegeben von Helmut Henne, Horst Sitta und Herbert Ernst Wiegand
Paul R. Portmann
Schreiben und Lernen Grundlagen der fremdsprachlichen Schreibdidaktik
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1991
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Portmann, Paul R.: Schreiben und Lernen: Grundlagen der fremdsprachlichen Schreibdidaktik / Paul R. Portmann. -Tübingen : Niemeyer, 1991 (Reihe Germanistische Linguistik ; 122) NE: GT ISBN 3-484-31122-3
ISSN 0344-6778
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1991 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt. Einband: Heinr. Koch, Tübingen.
Für Elektra
Vorwort
Welchen Stellenwert hat das Schreiben für die unterrichtlich gesteuerte Sprachaneignung? Dass Schreiben hier einen Beitrag leisten kann, ist weit herum unbestritten. Welche Rolle es zu spielen hat, und vor allem: Welche Rolle dem formulierenden Schreiben in diesem Zusammenhang zukommen soll, ist bereits ein heftig diskutiertes Problem. Ziel dieser Arbeit ist es, die Hintergründe auszuleuchten, die in den Antworten auf die gestellten Fragen immer mit angesprochen, selten aber ausgeführt werden. Dass diese Ausleuchtung mit einiger Liebe zum Detail erfolgt, hat seinen Grund nicht nur in meinem eigenen Interesse an den behandelten Themen. Entscheidend ist vielmehr, dass einerseits der Ort des Schreibens im Gesamt des Fremdsprachenunterrichts didaktisch noch wenig geklärt erscheint, dass andererseits im Bereich vor allem der fremdsprachlichen Schreibdidaktik die Erkenntnisse der Bezugsdisziplinen erst in Ansätzen aufgearbeitet sind. Im Resultat lassen sich die Umrisse der Schreibdidaktik begründeter und, wie ich meine, mit grösserer Sicherheit skizzieren, als dies bisher möglich war. Diese Arbeit ist im Frühjahr 1991 von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich als Habilitationsschrift angenommen worden. Sie hätte nicht Zustandekommen können ohne die grosszügige Unterstützung, die mir der Kanton Zürich, vertreten durch die «Kommission zur Förderung des akademischen Nachwuchses», zukommen liess. Dem Kanton, der Kommission und ihrem zuständigen Vertreter, Prof. Dr. H. Holzhey, möchte ich an dieser Stelle für ihr Entgegenkommen und ihr Vertrauen herzlich danken. Ich habe im Verlauf der letzten Jahre mit einer grossen Zahl von Freunden und Fachkollegen nah und fern Grandkonzepte und Einzelfragen der vorliegenden Arbeit besprochen. Ihnen allen, die ich hier nicht namentlich aufzähle, sei gedankt für ihre Freundlichkeit und ihre Bereitschaft, mit mir kürzer oder länger über meine Probleme zu diskutieren und sich auch naiv vorgetragenen oder abseitigen Fragen und Thesen zuzuwenden. Auch viele sehr kurze Gespräche oder nebensächlich scheinende Hinweise haben mir tatsächlich entscheidend geholfen. Besonderen Dank schulde ich Claudio Nodari, der mit mir das Buch Seite für Seite durchgegangen ist und mich auf manche Lücke und Zweideutigkeit aufmerksam gemacht hat. Thomas Lindauer ist tagelang für mich vor dem Computer gesessen; er hat dem Buch seine äussere Form gegeben. Den grössten Dank abzustatten habe ich aber jenen beiden, die mich davon überzeugt haben, dass diese Arbeit geschrieben werden muss: Horst Sitta, der mich unermüdlich mit Rat und Tat unterstützt hat, und Elektra Tselikas, deren Zuversicht mich ständig begleitet hat. Ohne sie, die sich gemeinsam verschworen zu haben scheinen, mich auf den richtigen Weg zu bringen, wäre dieses Buch nicht entstanden und mir eine unerwartet reiche Erfahrung versagt geblieben.
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Inhalt EINLEITUNG
1
TEIL I SPRACHANEIGNUNG UND UNTERRICHT
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1.1 FREMDSPRACHENDIDAKTIK UND DER STELLENWERT DES SCHREIBENS 1 Lado: Moderner Sprachunterricht 1.1 Grundlagen 1.2 Die schriftlichen und die mündlichen Fertigkeiten 1.3 Überlegungen zur didaktischen Konstruktion 2 Finocchiario/Brumfit: Functional/notional approach 2.1 Die Grundlagen 2.2 Die schriftlichen und mündlichen Fertigkeiten 2.3 Überlegungen zur didaktischen Konstruktion 3 Ausblick 3.1 Zusammenfassung 3.2 Zur Struktur didaktischer Theorie
10 11 11 15 17 18 18 20 22 24 24 26
1.2 LERNEN UND KÖNNEN 1 Zur Einführung: Fertigkeiten und die Didaktik 2 Von der Reaktion zur kognitiven Steuerung 2.1 Fertigkeiten und Sprachbeherrschung 2.2 Gewohnheit, Fertigkeit, Kognition 3 Der Aufbau von Fertigkeiten 3.1 Deklaratives und prozedurales Wissen 3.2 Eigenschaften von Produktionen und Produktionssystemen 3.3 Fertigkeiten, Sprache, Handeln 3.4 Die sprachlichen Fertigkeiten 3.4.1 Die vier Fertigkeiten im Überblick 3.4.2 Das Verhältnis der vier Fertigkeiten zueinander 3.4.3 Die vier Fertigkeiten und das Üben von Teilfertigkeiten
28 28 31 31 35 40 41 44 52 57 58 62 65
1.3 ZWISCHENSPRACHFORSCHUNG UND ERWERBSTHEORIEN 1 Überblick 2 Hauptperspektiven der Lernersprachforschung 2.1 Die sechs Grundgrössen 2.1.1 Antrieb zur Sprachaneignung 2.1.2 Sprachvermögen 2.1.3 Sprachzugang 2.1.4 Struktur des Verlaufs
67 67 70 70 70 71 72 73
χ 2.1.5 Tempo des Spracherweibs 2.1.6 Endzustand 2.1.7 Zum Abschluss 2.2 Lemerstrategien 2.2.1 Zum Strategiebegriff 2.2.2 Typen von Strategien 2.2.3 Strategien und Sprachgebrauch 3 Erklärungsansätze zum Spracherwerb 3.1 Zur Fragestellung 3.2 Der nativistische Erklärungsansatz 3.3 Verarbeitungsansätze 3.4 Interaktionistische Ansätze 3.5 Abschliessende Bemerkungen 4 Spracherwerbstheorie 4.1 Krashens Monitortheorie: die fünf Hypothesen 4.2 Bemerkungen zu Krashens Theorie 4.3 Alternative Lösungen 4.3.1 Zum Begriff des Lernens 4.3.2 Lernen und Erwerben: Punkte auf einer Skala? 4.3.3 Variabilität von Lernerperformanz 4.4 Ausblick
75 75 77 77 78 78 81 84 84 85 87 89 91 92 92 95 97 97 99 101 106
1.4 SPRACHLERNEN IM UNTERRICHT 1 Zur Spezifik des Unterrichts als Sprachlernsituation 1.1 Forschungsresultate zum Fremdsprachenunterricht 1.2 Aspekte der Unterrichtskonstitution 1.2.1 Unterricht als professionelle Situation 1.2.2 Unterricht als Gruppensituation 1.2.3 Ausblick 1.3 Sprachzugang im Unterricht - die Rolle des Schriftlichen 1.3.1 Der Ort des Schriftlichen im Unterricht 1.3.2 Die Fixierung sprachlicher Elemente 1.3.3 Exkurs: Darstellung von Sprache im Mündlichen 1.3.4 Zusammenfassung: Aufmerksamkeit auf Sprache 2 Erwerbstheorie und Unterricht 2.1 Fremdsprachendidaktik auf erwerbstheoretischer Basis 2.1.1 Vorbemerkungen 2.1.2 Drei erwerbstheoretische Ansätze für den Unterricht 2.1.3 Zusammenfassung: Lernen, Erwerben, Unterricht 2.2 Schreiben im Fremdsprachenunterricht 2.2.1 Schreiben in der erwerbsorientierten Didaktik 2.2.2 Schreiben und Sprachaneignung
108 108 111 117 117 124 125 128 129 134 139 144 145 146 146 148 158 165 165 170
xi TEIL Π DAS FELD DES SCHRIFTLICHEN UND DES SCHREIBENS
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II. 1 FREMDSPRACHLICHE SCHREIBDIDAKTIK: EIN ÜBERBLICK 1 Zur Terminologie 1.1 Schrift, Schriftäusserung, Schreibung 1.2 Schreiben 1.2.1 Zum Begriff'Schreiben' 1.2.2 Schreibformen 1.2.3 Funktionen des Schreibens 1.3 Schriftäussenxngen 1.4 Didaktische Funktionen von Schreiben und Text 2 Schwerpunktbereiche der Schreibdidaktik 2.1 Einleitung 2.2 Die Erweiterung der Hilfsfunktionen des Schreibens 2.3 Schreiben für Fortgeschrittene 2.4 Schreibdidaktik im allgemeinen Sprachunterricht 2.4.1 Überblick 2.4.2 Der freie Text 2.4.3 Der textlinguistische Ansatz 2.4.4 Prozessansätze 2.5 Ausblick
179 179 179 181 181 182 188 189 190 193 193 196 200 203 203 205 207 213 219
11.2 SCHRIFTLICHKEIT, SCHRIFTSPRACHE, TEXT 223 1 Überblick 223 2 Die schriftliche und die mündliche Sprachmodalität 229 3 Schriftlicher Sprachgebrauch: 236 3.1 Die Situation zeitverschobener Kommunikation 238 3.2 Texthaftigkeit 243 3.3 Schriftsprachlichkeit 251 3.4 Fazit 259 4 Zum Fremdsprachenunterricht 262 4.1 Schrift und Geschriebenes im Fremsprachenunterricht 263 4.2 Kontaktbereiche v. mündlicher und schriftlicher Sprachverwendung.. 267 4.3 Didaktische Überlegungen zum Schreiben 269 11.3 SCHREIBPROZESSE UND SPRACHPRODUKTION 1 Der Schreibprozess 1.1 Überblick 1.2 Der Schreibprozess: Komponenten, Phasen, Kontrolle 1.2.1 Der Schreibprozess als Folge von Teilprozessen 1.2.2 Ebenen der Textproduktion 1.2.3 Prozessmomente und Schreibphasen 1.2.4 Kontrolle
272 274 275 279 280 285 294 297
xii 1.3 Pläne 1.3.1 Planen und Pläne 1.3.2 Arten von Plänen 1.3.3 Pläne und Schreiben 1.4 Überarbeiten 1.4.1 Überprüfen und Überarbeiten 1.4.2 Die Struktur von Revisionen 1.4.3 Überarbeiten und Planen 1.5 Schreiben in der Fremd- und Muttersprache 1.5.1 Schreibenlemen in der Muttersprache 1.5.2 Schreiben in der Fremdsprache 2 Sprachproduktion 2.1 Allgemeine Gesichtspunkte 2.1.1 Hypothesen zur Sprachproduktion 2.1.2 Der Beitrag des Produktionsmechanismus zur Äusserung 2.2 Ein Modell der Satzproduktion 2.2.1 Die Architektur des Modells 2.2.2 Die sechs Komponenten 2.2.3 Spezielle Gesichtspunkte 2.3 Mündliche Sprachproduktion 2.3.1 Die temporalen Variablen 2.3.2 Muttersprache und Fremdsprache 2.4 Sprachproduktion im fremdsprachlichen Schreiben 2.4.1 Die Planungs- und Vertextungsschritte 2.4.2 Fremdsprachliche Realisierungsprobleme 2.4.3 Äquivalentassoziation und Reverbalisierung 2.4.4 Zum Stellenwert der Muttersprache 3 Fremdsprachendidaktische Überlegungen
301 301 302 308 312 312 314 317 318 319 325 329 330 331 333 336 336 337 344 347 347 351 356 359 359 362 364 366
xiii
TEIL ΙΠ GRUNDZÜGE EINER FREMDSPRACHLICHEN SCHREIBDIDAKTIK
371
111.1 SCHREIBDIDAKTIK UND PRODUKTIVER SPRACHGEBRAUCH
373
1 Schreibdidaktische Ausgangspunkte 1.1 Die direktive Position 1.2 Der textlinguistische Ansatz 1.3 Der prozessorientierte Ansatz 2 Die Entdeckung des Schreibens 2.1 Der Gegenstand der Schreibdidaktik 2.1.1 Der Begriff der Schreibdidaktik 2.1.2 Die zentrale Stellung des Schreibens 2.2 Üben und Schreiben 2.2.1 Zum Schreiben hinführen 2.2.2 Üben von Teilfertigkeiten 2.2.3 Rezeption, Produktion und der Schreibunterricht 2.3 Schreiben und Kontrolle 3 Zusammenfassung und Ausblick
373 374 3 80 384 387 387 388 389 391 392 393 396 400 403
111.2 KOORDINATEN SCHREIBDIDAKTISCHEN HANDELNS 1 Zu diesem Kapitel 2 Die kognitive Dimension: Schreiben und Selbstorganisation 2.1 Reflexion 2.1.1 Orientierung 2.1.2 Metakognition 2.2 Schreiben 2.2.1 Schreibend lernen 2.2.2 Schreiben lehren 2.3 Schieiben und Spracharbeit 2.3.1 Drei Aspekte der Spracharbeit beim Schreiben im Unterricht 2.3.2 Einstellung auf Sprache im schriftlichen Formulieren 2.3.3 Schreibenlernen und Spracharbeit 3 Die soziale Dimension 3.1 Autoren und Leser 3.1.1 Kooperative Autorschaft 3.1.2 Die Funktion von Texten und die Frage nach dem Leser 3.2 Ein Plädoyer für reale Funktionen 3.3 Die Lernergruppe als Kommunikationsraum 3.3.1 Lernertexte und Kommunikation 3.3.2 Lernertexte und Unterrichtsorganisation 3.4 Fazit 4 Selbstbestimmtes Lernen
406 406 407 407 407 409 414 415 417 421 421 422 426 428 428 428 431 435 439 440 441 444 445
xiv
4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 5 Zum
Die kritischen Ressourcen der kommunikativen Didaktik Selbstbestimmung als didaktische Forderung Schreibdidaktik Der Autonomie-Ansatz Der Partizipationsansatz Abschluss: Das Praxisfeld des Schreibens
ΙΠ.3 DIE BEREICHE DER SCHREIBDIDAKTIK 1 Die Gegenstände des Schreibunterrichts 1.1 Zieltätigkeit und Schreibdidaktik 1.2 Zielbereiche der Schreibdidaktik 1.2.1 Vier Quellen von Schreibzielen 1.2.2 Notieren und Übersetzen 1.3 Problembereiche des Schreibunterrichts 1.3.1 Der Bereich der allgemeinen Kenntnisse 1.3.2 Der Bereich der textbezogenen Sprachmittel und Kenntnisse 1.3.3 Der Bereich der textsortenspezifischen Kenntnisse 1.3.4 Kenntnisse über das Schreiben 2 Ordnungskriterien für Schreibaufgaben 2.1 Allgemeine Faktoren 2.2 Vorlagengebundenheit 2.2.1 Freies Schreiben 2.2.2 Vorlagengebundenes Schreiben 2.2.3 Analysierendes Schreiben 2.3 Kontextgebundenheit 2.4 Kohärenzanforderungen 2.5 Schreibprogramme 3 Die Struktur des Schreibanlasses 3.1 Die Schreibaufgabe 3.1.1 Die Produktvorgabe 3.1.2 Rahmenbedingungen 3.1.3 Sprachlich-textueller Fokus 3.1.4 Fazit 3.2 Die Gestaltung der Schreibarbeit 3.2.1 Schreiben lassen 3.2.2 Beraten 3.2.3 Anleiten: den Schreibprozess strukturieren 3.2.4 Überarbeiten 3.3 Weiterarbeit 3.4 Explizite textuelle Kenntnisse erarbeiten 4 Übungsformen und produktives Schreiben 4.1 Zum Begriff des Übens 4.2 Übungen und produktives Schreiben 4.2.1 Produktives Schreiben 4.2.2 Typen von Übungen
445 447 447 448 450 451 453 453 453 459 459 462 466 466 467 471 472 473 473 475 476 477 479 481 482 485 487 488 489 489 491 491 492 492 493 494 500 504 508 513 513 515 515 516
XV
4.2.3 Schreibübungen als modifizierte Schreibanlässe 4.2.4 Die Übungstypen im Vergleich
518 522
ffl.4 IM ÜBERGANG ZUR GESTALTUNG VON UNTERRICHT 1 Zur Rolle des Lehrers 1.1 Die Rollen des Lehrers und die Struktur von Unterricht 1.2 Der Lehrer als Schreibender 2 Schreiben und Fremdsprache 3 Zur Bedeutung der Prozessorientierung 4 Korrektur 4.1 Voraussetzungen von Korrekturen 4.2 Formen von Korrekturen 4.3 Strategien des Korrigierens
525 526 526 529 530 533 537 538 540 543
ΙΠ.5 SPRECHEN UND SCHREIBEN 1 Zur Fragestellung 2 Unterrichtliche Gelenkstellen 3 Vortragen 4 Zum Abschluss
548 549 551 557 562
LITERATUR
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EINLEITUNG
Fremdsprachendidaktik ist Theorie des Fremdsprachenunterrichts in praktischer Absicht. Sie bezieht sich auf die Erkenntnisse, die in den mit Sprache, Sprachlernen und Unterricht sich befassenden Disziplinen wie der Linguistik, Psycholinguistik und Unterrichtsforschung gewonnen werden. Von diesen Wissenschaften unterscheidet sie sich jedoch durch ihre explizit praxisbezogene Ausrichtung. Obwohl auch sie eine wissenschaftliche Begründetheit ihrer Positionen und Aussagen beansprucht, unterliegen diese stets der zusätzlichen Bedingung, dass sie ein realisierbares Konzept für die Praxis darstellen, eine den ganzen Unterricht oder Teilbereiche betreffende Beschreibung nicht nur dessen, was diesen Unterricht bestimmt und beeinflusst, sondern auch dessen, wie er zu gestalten sei. Es ist dieses zweite, prospektive, auf praktisches Eingreifen und die Formung von Unterrichtsabläufen gerichtete Moment, das die Fremdsprachendidaktik ganz entschieden von all den anderen Wissenschaftszweigen abhebt, die sich mit Unterricht und Sprachlemen beschäftigen, dies jedoch primär in der Absicht tun, die relevanten Dimensionen von im Spracherwerb oder im Unterricht ablaufenden Vorgängen theoretisch zu fassen. Deren Thema ist, aus der Sicht der Fremdsprachendidaktik, immer ein eingeschränktes, spezielles, und zwar im zweifachen Sinn. Einerseits betreffen die meisten dieser fachwissenschaftlichen Modelle nur Einzelaspekte an Unterricht, wenn auch vielleicht zentrale. Andererseits können sie sich, auch wenn praxisbezogene Erwägungen in ihre Fragestellungen mit eingehen, primär der theoretischen Aufklärung und Darstellung ihres Sachbereichs widmen. Die Frage der Anwendung ihrer Erkenntnisse ist immer eine sekundäre, nachträgliche, die nicht eigentlich im Rahmen ihres theoretischen Diskurses zu lösen ist. Fremdsprachendidaktik hat es dagegen mit der Aufgabe zu tun, eine totalisierende Sicht des Unterrichts herzustellen, und dies immer unter dem Anspruch, didaktisches Handeln begründet anleiten zu können. Dies schliesst die kaum bestrittene Vorstellung mit ein, dass Unterricht als soziale und Lernsituation gestaltbar und optimierbar ist, und zugleich den bestreitbaren und umstrittenen Anspruch zu wissen, wie dies zu geschehen habe. Nun ist keine solche Handlungsanleitung, keine Konstruktion von Unterricht vertretbar ohne möglichst genaue Kenntnis der das Sprachlernen und den Unterricht bestimmenden Faktoren. Fremdsprachendidaktik ist angewiesen auf einen engen Kontakt zu ihren Bezugsdisziplinen, und sie wird sich mit den Veränderungen, die in diesen Bereichen stattfinden, zwangsläufig auch selbst ändern. Dies heisst jedoch nicht, dass sie blosses Anwendungsfeld der in den Bezugsdisziplinen gemachten Erkenntnisse wäre. Es ist völlig unklar, was es überhaupt heissen könnte, z.B. Einsichten in die natürlichen Spracherwerbsprozesse unterrichtlich 'anzuwenden'. Diese Erkenntnisse haben in sich keine oder nur eine schwache didaktische
2
Einleitung
Struktur. Immer vorausgesetzt, wir könnten sie - in einer bestimmten theoretischen Formulierung - als richtig akzeptieren: Sie zeigen, was unter bestimmten Bedingungen, die wir uns angewöhnt haben als natürliche zu bezeichnen, in bezug auf die Sprachaneignung vorgeht. Daraus allein folgt nicht, was unter unterrichtlichen Bedingungen zu geschehen habe. Was sich im besten Falle daraus ergibt sind Kriterien, die - negativ - didaktische Massnahmen und Prinzipien zu kritisieren erlauben und - positiv Hinweise auf Elemente des Sprachkontakts geben, die für die Sprachaneignung mit Wahrscheinlichkeit relevant sind. Wie aber - um beim Beispiel und bei einer der zentralen Fragen dieser Arbeit zu bleiben - dieser Sprachkontakt unterrichtlich optimal ermöglicht werden kann, ist eine weitere, eigenständige Frage1. Ich werde im folgenden davon ausgehen, dass die Geltendmachung von Erkenntnissen der Bezugswissenschaften für den Unterricht in einem doppelten Vermittlungsschritt erfolgt: einem didaktischen und einem methodischen. Unterricht ist ein Feld angeleiteter, aufs Lernen gerichteter Handlungen. Didaktik hat die Aufgabe, die Struktur dieses Handlungsfelds zu bestimmen und Fragestellungen zu entwickeln, die es erlauben, bezugswissenschaftliche Theorien und Erkenntnisse daraufhin zu untersuchen, welchen Beitrag sie für die Beschreibung der unterrichtlichen Lehr- und Lernvorgänge sowie für die Begründung von didaktischen Entscheidungen leisten können. Resultat didaktischer Überlegungen sind noch relativ allgemeine Konzepte, welche die grundsätzlichen Verhältnisse von institutionalisierten Lehrsituationen erhellen und Kriterien benennen, denen Lehrmaterialien und unterrichtliche Arbeit vorzugsweise zu genügen hätten. Ein zweiter, ebenso wichtiger Schritt ist der methodische. Er besteht darin, in bezug auf spezifische Lernergruppen und Lernbedingungen jene als relevant herausgestellten Gesichtspunkte in Lehrplänen, Arbeitsunterlagen und unterrichtlichen Verfahrensweisen zu realisieren2. Die vorliegende Arbeit versteht sich in diesem Sinne als didaktische. Ihr Thema ist das Schreiben, ein Teilbereich des Fremdsprachenunterrichts, der lange Zeit vernachlässigt worden ist, jedoch in den letzten Jahren zusehends wieder Interesse auf sich gezogen hat. Diese Neuorientierung lässt sich als ausgleichende Reaktion auf Entwicklungen innerhalb der Fremdsprachendidaktik der letzten Jahrzehnte verstehen, vor allem auf eine sehr weit gehende Konzentration der didaktischen und methodischen Diskus1 2
Vgl. auch die einschlägigen Bemerkungen Baurmanns zum Verhältnis von Schreibforschung und Unterricht (Bauimann 1987:123f.). Das Verhältnis von Didaktik und Methodik ist kein einsinniges. Ich bezweifle, ob es sinnvoll ist, eine Didaktik des Fremdsprachenunterrichts deduktiv abzuleiten. Die Argumentation in dieser Arbeit, vor allem in 1.1, II. 1 und ΙΠ. 1, läuft eher darauf hinaus, aus der Analyse bestehender didaktischer Entwürfe, vor allem auch aus der Analyse von teilweise stark methodisch ausgerichteten Beiträgen, die didaktisch relevanten Fragestellungen zu gewinnen. Zu einer allgemeinen Darstellung des Verhältnisses von Methodik und Didaktik siehe Pfeiffer 1986; zum Verhältnis der Didaktik zu ihren Bezugswissenschaften vgl. die Beiträge in Doyi/Heuer-mann/Zimmermann (Hg.) 1988.
Einleitung
3
sion auf den mündlichen Sprachgebrauch. Sie erfolgte aber kaum unabhängig von der machtvollen Entfaltung einer neuen Forschungsrichtung in Linguistik, Psychologie und Sozialwissenschaften, die in den letzten Jahren Schriftsprache, Schriftkultur, Textualität und Schreiben zu prominenten Gegenständen der Forschung gemacht haben. In einigen dieser Bereiche ist hochinteressante, auch für die Fremdsprachendidaktik relevante Arbeit geleistet worden. Die entsprechenden Beiträge sind aber noch kaum aufgearbeitet und in einen theoretischen Zusammenhang mit der Grundfrage des Fremdsprachenunterrichts, dem Sprachlernen, gestellt worden. Dies soll hier versucht werden. Ich bin mir bewusst, dass der Bereich, um den es hier geht, immens ist und dass viele der gegenwärtig gängigen Erkenntnisse schon bald zu relativieren sein werden. Trotzdem glaube ich, dass es angesichts der anschwellenden Zahl von Einzelbeiträgen zum Schreibunterricht und einer gewissen theoretischen Orientierungslosigkeit an der Zeit ist, einen Überblick zu versuchen und den Grundriss einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik zu skizzieren. Es geht darum, Beiträge der Spracherwerbsforschung, der Sprachproduktionsforschung und der Schreibforschung aufzuarbeiten und mit dem Schreiben im Unterricht in Zusammenhang zu bringen. In einigen Bereichen haben Erkenntnisse aus einzelnen Bezugswissenschaften bereits begonnen, den Unterricht zu beeinflussen; was meines Wissens bisher jedoch fehlt, ist der Versuch, Querverbindungen und Zusammenhänge aufzuzeigen. Diese sind aber besonders für die Didaktik des Schreibens, für eine integrierende Übersicht der hier relevanten Faktoren von Gewicht. Der Preis, der für einen so breit angelegten Versuch zu zahlen ist, besteht einerseits in einer gewissen Allgemeinheit der Darstellung. So werden methodische Fragen des Fremdsprachenunterrichts höchstens zur Illustration angeschnitten, und die Einarbeitung bezugswissenschaftlicher Theorien und Fragestellungen wird in manchem Fall eher pauschal erfolgen. Andererseits steht die Darstellung unter dem Zwang, paradigmatisch vorzugehen. Das heisst: Durchwegs werden bezugswissenschaftliche und didaktische Gesichtspunkte anhand der Diskussion einzelner Positionen abgehandelt. Diese stehen als Beispiele für die Modellierung von Problemstellungen und Lösungsvorschlägen, ohne dass die Serien von theoretischen Alternativen und Varianten im jeweiligen Bereich gebührend berücksichtigt werden konnten. Es wurde demnach nirgends versucht, Vollständigkeit zu erreichen und die einschlägige Literatur lückenlos zu sammeln und zu referieren. Dies wäre selbst in einer Spezialuntersuchung ein hoher Anspruch; hier erwies es sich als unmöglich. In dieser Arbeit geht es, wie ihr Untertitel anzeigt, um die Darstellung der Grundlagen der fremdsprachlichen Schreibdidaktik, nicht um detaillierte Handlungsanleitungen. Sie werden in drei Angängen aufgearbeitet, gruppiert in die Themenbereiche Sprachaneignung, Schriftlichkeit und Schreiben sowie Schreibdidaktik. Dies führt zu einer Gliederung in drei annähernd gleichgewichtige Teile.
4
Einleitung
In Teil I wird der Zusammenhang von Kommunikation, Lernen und Unterricht diskutiert. Ausgangspunkt ist die Analyse von zwei fremdsprachendidaktischen Ansätzen. Diese werden daraufhin befragt, wie in ihnen die Hauptdimensionen des Fremdsprachenunterrichts bestimmt werden und welchen Stellenwert sie gestützt darauf den grundlegenden Sprachgebrauchsweisen (Lesen, Schreiben, Sprechen, Hören) in der Sprachaneignung zuschreiben. Auf dieser Basis werden die Fragestellungen bestimmt, die in den folgenden Kapiteln zu diskutieren sind. Es sind dies die Fragen nach der Natur sprachlichen Könnens, nach den Regularitäten der Sprachaneignung und nach den Spezifika des Sprachunterrichts. Was sich aus den detaillierten Überlegungen dieses ersten Teils ergibt, sind Argumente, welche die zählebigen, in der Fremdsprachendidaktik weit verbreiteten Vorbehalte gegenüber dem Schreiben zu widerlegen erlauben1. Schreiben, dies das Fazit, mag im Unterricht nicht erfordert sein, es ist aber eine potentiell wichtige Stütze der Sprachaneignung, unabhängig davon, ob das Schreibenlernen aufgrund vorgegebener Lernziele zu den unvermeidlichen Gegenständen des Unterrichts zählt oder nicht. Teil II wendet sich den Grundlagen der Schreibdidaktik im Bereich der Schriftlichkeit und des Schreibens zu. Ausgehend von einer ersten Überblicksdarstellung schreibdidaktischer Entwürfe werden zwei Themen bestimmt, die in den (zumeist methodisch ausgerichteten) Beiträgen zum Schreibuntemcht nur unzureichend behandelt werden und entsprechend die Bestimmung der Position und der Rolle des Schreibens im Gesamt der unterrichtlichen Aktivitäten empfindlich behindern. Dies betrifft zum einen die Frage nach dem Verhältnis von geschriebener und gesprochener Sprache (Schriftsprache und Sprechsprache). Fremdsprachendidaktisch wurde bisher meist die mediale Differenz von schriftlicher und mündlicher Sprachverwendung zum Anlass genommen, die Unvereinbarkeit der beiden Sprachgebrauchsweisen zu betonen. Diesem medialen Unterschied laufen jedoch die pragmatischen Bedingungen des Sprachgebrauchs keineswegs parallel. Vielmehr lassen sich wichtige Bereiche ausmachen, in denen mündliche und schriftliche Sprachverwendung vergleichbaren Anforderungen zu entsprechen haben. Zum anderen sind die Ergebnisse der Schreibforschung und Sprachproduktionsforschung bisher erst in wenige schreibdidaktische Entwürfe eingearbeitet worden. Die Analyse der kognitiven Anforderungen, die das Schreiben stellt, und der Eigenarten fremdsprachlicher Sprachproduktion werden deshalb in diesem zweiten Teil in einiger Breite abgehandelt. Es geht hier um Voraussetzungen, auf die in Teil ΙΠ in vielfältiger Weise wieder Bezug genommen wird. In Teil III schliesslich werden auf der Grundlage dieser Vorarbeiten die Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik skizziert. Die zu Beginn des zweiten Teils begonnene Übersicht über schreibdidaktische Entwürfe wird in einer Analyse von Konzeptionen des Schreiben-Lehrens wieder aufgenommen. Danach werden, ausgehend von einem Ansatz, der 1
Mit 'Schreiben' ist hier immer produktives, formulierendes Schreiben gemeint.
Einleitung
5
den Schreibprozess ins Zentrum stellt, dessen Grundlagen präzisiert, aber auch erweitert. Eine Beschränkung auf prozessuale Gesichtspunkte des Schreibens kann den kommunikativen Funktionen von Geschriebenem nicht Rechnung tragen und verkürzt das Texte-Verfassen auf eine (wenn auch unbestritten wesentliche) Komponente. Vor dem Hintergrund dieser Grundbestimmungen werden die hauptsächlichen Bereiche der Schreibdidaktik im Überblick dargestellt. Zum Abschluss werden in kurzen Kapiteln zwei zusätzliche Themenbereiche angesprochen: einige an der Schnittstelle zur Methodik stehende Gesichtspunkte sowie die Frage nach dem Verhältnis von Sprechen und Schreiben im Unterricht. In dieser Arbeit werden bezugswissenschaftliche Theorien nicht als facta bruta behandelt; ihre Modelle und Resultate werden nicht einfach auf didaktische Konzeptionen zuhanden des Unterrichts überwälzt. Vielmehr werden zu Beginn sowohl von Teil I wie von Teil II explizit didaktische Problemstellungen und Lösungsvorschläge skizziert. Daraus werden jene Fragestellungen hergeleitet, unter deren Auspizien die Bezugswissenschaften auf ihre möglichen Beiträge hin befragt werden. Es scheint mir dies ein Verfahren, das die unterschiedlichen Interessen und wissenschaftlichen Kontexte von Didaktik und Bezugswissenschaften von Anfang an offenzulegen und in der Diskussion zu berücksichtigen erlaubt. Es macht deutlich, dass die Theorien der Psychologie, Psycholinguistik usw. in der didaktischen Diskussion primär als Modelle fungieren, die im Hinblick auf die Konstruktion von Unterricht zu Rate gezogen werden. Dabei können Finessen der bezugswissenschaftlichen Diskussion wichtig werden; es ist aber auch möglich (und wahrscheinlich ein häufiger Fall), dass es die Grundmuster der Argumentation sind, allgemeine Strukturen von bezugswissenschaftlichen Problemlösungen diesseits der den Spezialisten interessierenden fachlichen Differenzierungen, welche sich unter didaktischen Gesichtspunkten als relevant erweisen. Die vorliegende Arbeit erwuchs aus einem alten, wenn auch lange Zeit theoretisch wenig artikulierten Interesse am Schreiben im Fremdsprachenunterricht. Meine Erfahrungen sammelte ich vorab im Unterricht mit Studierenden in Kursen, die schwerpunktmässig den Bereich von der unteren Mittelstufe (ca. ein Jahr Deutschunterricht) bis zur Fortgeschrittenenstufe abdeckten. Dieser Hintergrund mag sich in vielen Details der Formulierung oder in einzelnen Vorannahmen zeigen, die hier und da in die Argumentation eingegangen sind. Dessen ungeachtet möchte ich betonen, dass der Anspruch der Arbeit ein allgemeiner ist. Die hier vorgebrachten Überlegungen gelten im Prinzip für jeden Schreibunterricht. Ein Hinweis noch zur Textgliederung: Um die Titel übersichtlich zu halten, beginnt die Zählung der Unterabschnitte mit jedem Kapitel neu. Kapitelnummer und -Überschrift sind aus der rechten Kopfzeile zu ersehen. Bei Verweisen innerhalb eines Kapitels werden nur die Abschnittnummern angegeben. Bei Verweisen auf andere Kapitel wird die Kapitelangabe mit einem Schrägstrich von der Abschnittnummer abgesetzt (z.B.: II.3/2.2).
TEIL I SPRACHANEIGNUNG UND UNTERRICHT
Schreiben findet im Fremdsprachenunterricht vor einem etwas anderen Hintergrund statt als im Muttersprachunterricht. Es erfolgt nicht nur im Hinblick auf spezifische Lernziele im Bereich 'Schreiben', sondern auch unter der allgemeinen, allen unterrichtlichen Aktivitäten gleicherweise unterliegenden Absicht, 'die Fremdsprache' zu lehren und zu lernen, die noch unvollständig beherrschten sprachlichen Mittel zu erweitern und zu festigen. Daher muss sich jeder Teilbereich des Unterrichts nicht nur in bezug auf die jeweiligen bereichsspezifischen Lernziele, sondern auch in seinem Verhältnis zum allgemeinen Ziel der Fremdsprachaneignung legitimieren. In diesem Teil stehen fremdsprachendidaktische Fragen dieser allgemeinen Art im Vordergrund. Zu untersuchen ist, welches - gemessen an den im Augenblick wohl aussagekräftigsten Annahmen zur Sprachaneignung - die Möglichkeiten und Chancen des Unterrichts sind, relevante Lernprozesse in Gang zu setzen, und welche Rolle das Schreiben in diesem Zusammenhang spielen kann1. Es handelt sich hier um Vorfragen nur, wenn sich das Interesse direkt auf Aspekte der Realisierung von Schreibunterricht wendet. Wird hingegen prinzipiell nach der Rolle des Schreibens im Gesamt des Unterrichts gefragt und nach Begründungen für eine Antwort gesucht, so ist eine Auseinandersetzung mit diesen Grundsatzfragen nicht zu umgehen. Leider sind kaum einigermassen detaillierte Überlegungen oder Theorien greifbar, welche diese Fragen explizit zu beantworten helfen. Die bezugswissenschaftlichen Untersuchungen zur Sprachaneignung und die zum Schreiben sind bislang weitgehend ohne Kontakt zueinander unternommen worden. Ebenso sind im didaktischen Bereich die Versuche, Erkenntnisse der Spracherwerbsforschung und solche der Schreibforschung für den Unterricht fruchtbar zu machen, ohne Bezug aufeinander erfolgt. Die Diskussionen ums Schreiben werden so nur am Rande mit lerntheoretischen Fragen verbunden. Dies ist wahrscheinlich einer der Gründe für die marginale Stellung, die es im fremdsprachendidaktischen Diskurs noch immer einnimmt. Obwohl mit der Überwindung des audiolingualen Paradigmas in den siebziger Jahren die prinzipiellen Vorbehalte gegen das Schreiben im Unterricht zumindest schwächer geworden sind, wird es in der didaktischen Diskussion erst seit wenigen Jahren wieder mit gewissem Interesse wahrgenommen. Aber auch viele dieser neueren Versuche leiden darunter, dass ohne eine explizite lerntheoretische Fundierung zwar interessante 1
Es ist nicht zufällig, dass sich die Frage nach den Spezifika des Unterrichts und die nach der Rolle des Schreibens so eng miteinander verknüpfen. Sprachlernen ist im Unterricht systematisch mit der Schrift und dem Schreiben verbunden. Siehe unten
1.4/1.
8
Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
methodische Hinweise möglich werden, eine wirkliche Integration des Schreibens in die zentralen fremdsprachendidaktischen Auseinandersetzungen um die Fundamente des Unterrichts aber kaum möglich ist. Es wird im folgenden deshalb ein gewisser darstellender und analytischer Aufwand getrieben, damit die Kontaktzonen zwischen Schreiben und Spracherwerb sowie ihr fremdsprachendidaktischer Stellenwert sichtbar gemacht werden können. Im Vordergrund stehen in diesem Teil Begriffe und Probleme, welche die Fremdsprachendidaktik prägen, seit sie wissenschaftliche Statur gewonnen hat. Es sind dies Begriffe wie 'Fertigkeit', 'Flüssigkeit (resp. Automatismus) des Sprachgebrauchs', 'Kommunikation', 'Lernen' usw. Zu den Probleme gehören Fragen wie die, ob und wie es möglich ist, Fertigkeiten zu vermitteln; welcher Art die Sprachlernfähigkeit ist, die Lernende in den Unterricht einbringen; wie Lehren und Lernen zusammenhängen; welches die Rolle der Bewusstmachung im Sprachenlemen ist; wie die spezifische Situation des Unterrichts die Sprachaneignung (im positiven oder negativen Sinne) beeinflusst usw.1 Didaktische Diskurse unterscheiden sich darin, in welche Konfiguration zueinander diese Begriffe und Fragestellungen gebracht werden. In Kapitel 1 werden zwei didaktische Entwürfe darauf hin untersucht, wie sie dies tun und wie sie ineins damit die Rolle des Schreibens im Rahmen der Fremdsprachendidaktik definieren. Zugleich wird damit in aller Kürze die Basis skizziert, auf deren Grundlage sich die Fremdsprachendidaktik mit den neueren Beiträgen ihrer Bezugswissenschaften konfrontiert sieht. Diese Beiträge werden in den folgenden Kapiteln vorgestellt. Kapitel 2 und 3 skizzieren zwei unabhängig voneinander entwickelte, aber in vielem aufeinander beziehbare wissenschaftliche Zugänge zum Sprachlernen: einen allgemeinpsychologischen und einen linguistischen. Beide stellen die im Augenblick massgebenden Positionen in der Diskussion um den Aufbau der Sprachkompetenz dar. Die erste vermittelt einen Überblick über die allgemeinen Probleme der Modellierung von Lern- und Gebrauchsprozessen; sie kann auch Aussagen machen über die prozessualen Differenzen zwischen verschiedenen Sprachgebrauchsweisen. Die zweite bietet einen Einblick in die verwirrende Vielfalt und Komplexität der Phänomene, die beim Spracherwerb empirisch zu beobachten sind, sowie der Faktoren, die ihren Einfluss dabei geltend zu machen scheinen. Kapitel 3 schliesst mit der zusammenfassenden Darstellung und Kritik einer allgemeinen Theorie des Spracherwerbs. Dabei werden Gesichtspunkte aus beiden Ansätzen miteinander verbunden, wenn auch die Möglichkeit ihrer umfassende Harmonisierung gegenwärtig ausgeschlossen bleibt. Die Fremdsprachen1
Mit der Frage nach dem Stellenwert des Schreibens im Unterricht hängen einige dieser Fragen eng zusammen, vor allem die nach dem Beitrag von Bewusstheit, Automatismus, direktem Partnerkontakt usw. für aneignungsrelevanten Sprachgebrauch. Im folgenden wird nicht jedes Mal, wenn solche Themen zur Sprache kommen, darauf hingewiesen, dass sie für das im Zentrum stehende Problem relevant sind.
Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
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didaktik muss auf einer unabgeschlossenen, in vielerlei Hinsicht noch offenen lerntheoretischen Basis aufbauen. Positionen und Theorien, wie sie in Kapitel 2 und 3 vorgestellt werden, bestimmen immer mehr auch die neueren didaktischen Überlegungen zur Fremdsprachenaneignung. Allerdings steht die diesbezügliche Auseinandersetzung noch am Anfang, es zeichnen sich erst Umrisse einer konsensfähigen Position ab. Kapitel 4 hat in diesem Zusammenhang die Aufgabe, einige Gesichtspunkte zur Geltung zu bringen, welche für die didaktische und besonders die schreibdidaktische Rezeption der lemtheoretischen Positionen relevant sind. Es beginnt mit einer Skizze der unterrichtlichen Sprachlernsituation. Darin wird gegenüber den nicht oder nur am Rande an Unterricht interessierten Entwürfen vor allem aus Kapitel 3 auf die unterscheidenden Charakteristika institutionell gebundener Sprachvermittlung eingegangen. Vor diesem Hintergrund werden im zweiten Teil des Kapitels einige Versuche diskutiert, erwerbstheoretische Erkenntnisse für den Unterricht fruchtbar zu machen. Diese eröffnen, so das Fazit, durchaus Raum für eine Einschätzung des Schreibens als einer potentiell lernrelevanten Weise des Sprachkontakts. Die in vielen didaktischen Positionen dem Schreiben zugewiesene Randstellung im Aneignungsprozess beruht auf einer Konstruktion, welche die Umstände 'natürlicher' Erwerbssituationen vorschnell kanonisch setzt und damit den Bedingungen gelenkter Sprachaneignung nicht gerecht wird, im übrigen auch von einer Vorstellung des Spracherwerbs ausgeht, die den neueren Erkenntnissen nicht wirklich gerecht wird.
1.1 FREMDSPRACHENDIDAKTIK UND DER STELLENWERT DES SCHREIBENS
Im folgenden möchte ich paradigmatisch zwei relativ allgemein gefasste fremdsprachendidaktische Entwürfe darauf hin befragen, wie sie das Feld der unterrichtlichen Probleme und Aktivitäten bestimmen und das Schreiben darin ansiedeln. Ziel der Darstellung ist es, Gesichtspunkte sichtbar zu machen, welche die didaktischen Konstruktionen steuern, und darauf hinzuweisen, wie eng die Definition des Platzes, welche das Schreiben in diesen Entwürfen einnimmt, mit der übergreifenden Konzeptualisierung des Gesamtbereichs der Fremdsprachendidaktik zusammenhängt1. Die beiden Beiträge, die hier im Zentrum stehen, sind Lados 'Moderner Sprachunterricht' (1964, zitiert nach der deutschen Übersetzung von 1967) und "The notional-functional approach' von Finocchiario/Brumfit (1983). Beide zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit durchaus allgemeinem und theoretischem Anspruch auftreten, sich jedoch gleichzeitig als einigermassen handfeste Anleitungen für die Gestaltung von Unterricht lesen lassen. Lados Buch ist einer der Klassiker des Audiolingualismus; es ist die zumindest im deutschsprachigen Raum bekannteste Darstellung dieser Richtung. Der Beitrag von Finocchiario/Brumfit gehört zur grossen Gruppe jüngerer kommunikativer Didaktikentwürfe. Beide sind natürlich nicht die einzigen, jedoch typische Vertreter der bei weitem wirkungsvollsten Schulen der Fremd sprachendidaktik in den letzten Jahrzehnten. Mit dieser Wahl ist demnach auch eine minimale historische Perspektive gegeben. Der Audiolingualismus steht mit seinem Anspruch, eine wissenschaftlich fundierte Fremd sprachendidaktik zu schaffen, am Beginn der neueren Entwicklungen in diesem Bereich; er stimmt auch - in Weiterführung der vorangegangenen reformpädagogischen Ansätze - das Grundthema aller neueren Fremdsprachendidaktik an: die Orientierung der fremdsprachendidaktischen Legitimationen und Verfahren am Ziel der Kommunikation. Es gibt seither kaum mehr einen systematisch ausgeführten Ansatz der Sprachvermittlung, der nicht diese Orientierung als zumindest einen seiner Hauptstützpunkte akzeptierte. Die fremdsprachendidaktischen Auseinandersetzungen finden heute zur Hauptsache innerhalb dieses Rahmens statt. Die kommunikativen Positionen in ihren verschiedenen Ausprägungen, die seit dem Beginn der siebziger Jahre das Feld dominieren, haben sich weit1 'Schreiben* benennt unterschiedliche Sachveriialte. Hier wird zunächst differenziert zwischen produktivem und präkommunikativem Schreiben. Ersteres ist gemeint, wenn ohne weitere Kennzeichnung vom Schreiben gesprochen wird. Es bezeichnet das formulierende Schreiben von Sätzen, vorzüglich aber von Texten, in denen Schreibende eigene oder in geeigneter Weise vorgegebene gedankliche Zusammenhänge sprachlich ausdrücken. Als präkommunikativ gilt das Aufschreiben von Wörtern, das Schreiben von Diktaten, Übungen usw. Für genauere begriffliche Bestimmungen siehe II. 1/1.
1.1 Sprachaneignung und Schieiben in zwei didaktischen Ansätzen
11
gehend in Kritik und Abwehr der behavioristisch geprägten audiolingualen Methoden profiliert, indem sie auf die in der Linguistik aufkommenden Theorien der Pragmatik und Kommunikationstheorie zurückgriffen. Kommunikation bestimmt hier nicht nur die Ziele, sondern viel konsequenter als in der audiolingualen Richtung auch die Form des Unterrichts1. In der folgenden Besprechung dieser Ansätze werden einige der Themen angeschnitten, die in dieser oder jener Konfiguration zum Grundbestand jeder Fremdsprachendidaktik gehören. Sie geben zugleich eine Skizze von Elementen des didaktischen Diskurses, auf die die weiteren Ausführungen dieses Teils bezogen werden können. Die lern- und erwerbstheoretischen Konzepte, die in den folgenden Kapiteln dieses Teils besprochen werden, sind in ihrem Stellenwert für die Fremdsprachendidaktik nur abschätzbar vor dem Hintergrund der Fragen und Auseinandersetzungen, die den Bereich geprägt haben und die sich in Entwürfen wie denen von Lado bzw. Finocchiario/Brumfit kristallisiert haben2.
1
Lado: Moderner Sprachunterricht
1.1 Grundlagen Eine der fundamentalen Erkenntnisse des Audiolingualismus betrifft das Verhältnis von Sprachlernen und Sprachgebrauch: Nicht jede Art des Lernens führt zu einer operativen Sprachkenntnis. Diese Einsicht wird nicht nur mit der behavioristischen Lerntheorie verknüpft, sondern auch mit einer pointierten Interpretation der verschiedenen Sprachgebrauchsweisen und ihres Stellenwerts im Sprachlernen. Auch Lado charakterisiert diese Verhältnisse sehr deutlich; im 4. Kapitel seines Buches skizziert er eine «moderne Theorie der Spracherlernung» und beginnt unter dem Zwischentitel «Der Gebrauch der Sprache»: Der Erwerb einer Zweitsprache ist etwas anderes als die blosse Aneignung theoretischer Kenntnisse über eine Fremdsprache. Bei der aktiven Spracherlemung geht es wesentlich um Sprechen und Hören, und an diesem komplexen Vorgang sind neben linguistischen und psychologischen auch andere Komponenten beteiligt. (Lado 1967: 55)
1
Als 'kommunikationsorientiert' werden hier alle Ansätze bezeichnet, die der Sprach didaktik das Ziel der Vermittlung von Kommunikationsfähigkeit als zentrales Postulat zugrunde legen (also auch der audiolinguale); als 'kommunikativ' gelten jene Entwürfe, welche sich in der Realisierung dieses Anspruchs auf Kommunikationstheorie und Pragmatik beziehen und den Unterricht selbst als kommunikativen Austausch gestalten möchten. 2 Einen Überblick über die Hintergründe und die Entwicklung des Audiolingualismus in den USA gibt Moulton 1963; zur audiolingualen Didaktik siehe Chastain 1971. Zu den von Lado formulierten 'Lerngesetzen' siehe Freudenstein 1970b. Denninghaus (1986) skizziert die Entwicklung der Fremdsprachendidaktik seit dem 19. Jh. und stellt die mit den jeweiligen Neuerungen verbundene Neudefinition des Kompetenzbegriffs in den Vordergrund. Einige Hinweise zum fremdsprachendidaktischen Diskurs über Kommunikation gibt Quetz (1979).
12
Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
Nach einem kurzen Hinweis auf den Vorgang des Sprechens und Hörens werden Lesen und Schreiben zunächst ganz analog beschrieben: Lesen und Schreiben können als Parallelvorgänge zum Hören und Sprechen gesehen werden, wobei das Schriftsystem die Ausdruckseinheiten wiedergibt, der Grad der Geläufigkeit jedoch auf andere Art als beim Sprechen gemessen werden muss. (Lado 1967:55)
Die hier konstatierte Parallelität bedeutet keine Gleichwertigkeit. Vor dem Hintergrund von sprachdidaktischen Positionen der Reformbewegung und der direkten Methode nimmt Lado Stellung gegen die (meist schriftgebundenen) Vermittlungsmethoden einer traditionellen, grammatikorientierten Didaktik und für einen Unterricht, der die mündliche Sprachverwendung in den Vordergrund stellt1. Wichtige Argumentationshilfe liefern sprachwissenschaftliche Beiträge, vor allem die Erfolge in der strukturalistischen Beschreibung von schriftlich nicht fixierten Sprachen, in deren Gefolge auch eine neue, um vieles tiefere Erfassung der lautlichen Substanz vor allem des Englischen gelang (vgl. Moulton 1963). Auf dieser Basis stellt Lado das Verhältnis von mündlichem und schriftlichem Sprachgebrauch klar: Es sei «linguistisch belegt, dass die Sprache ihren vollkommensten Ausdruck im Sprechen findet» (Lado 1967: 77)2. Ausgeführt wird diese Position später im Kapitel über Lesen: Nur der gesprochene Ausdruck repräsentiert getreu die Intonation, Betonung, Übergänge und die Konsonanten- und Vokalsysteme einer Sprache. In gesprochenen Äusserungen spiegelt sich der Sprachkodex ausführlich und vollständig wider. (Lado 1967:180)3
Die Begründungen Lados beziehen sich hier ausschliesslich auf den phonemisch/phonetischen Bereich. Auf diesen wird auch - unter dem Titel «die Sprachstruktur» - einzig verwiesen, wenn die Sprache definiert wird als ein System, das es erlaubt, eine Inhaltsstruktur einer Ausdrucksstruktur zuzuordnen. 1 Lado nimmt positiv Bezug auf die reformpädagogischen Ansätze: «Mit der direkten Methode wurden die beiden Hauptfehler der Vergangenheit überwunden: an die Stelle des grammatischen Wissens trat der direkte Kontakt mit der fremden Sprache, und das Übersetzen wurde vom aktiven Sprachgebrauch abgelöst» (Lado 1967: 16). Er kritisieit an ihnen jedoch, dass in den direkten Methoden die Fremdsprachaneignung nach dem Muster der Muttersprachaneignung konzeptualisiert wird (ebda: 17f.). Zwar spielen auch bei Lado Hinweise auf die Verhältnisse im muttersprachlichen Sprechen eine Rolle, diese dienen jedoch der Legitimation einer Didaktik, die - wissenschaftlich fundiert - die Fremdsprache gerade anders als die Muttersprache zum Thema hochorganisierter, institutionalisierter Vermittlungsprozesse zu machen erlaubt 2 Ähnlich direkt ist der Bezug von 'Sprache überhaupt' auf das Mündliche, wenn Lado das Erlernen einer Zweitsprache definiert als «die Aneignung der Fähigkeit, sich ihrer Struktur im Rahmen eines angemessenen Wortschatzes zu bedienen, und zwar im wesentlichen unter den gleichen Bedingungen, die auch in der alltäglichen Kommunikation zwischen Menschen, die sie als Muttersprache in normaler Sprechgeschwindigkeit während einer Unterredung sprechen, vorliegen». (Lado 1967: 62, vgl. 58,79 und öfter.) 3 Das Zitat geht weiten «sie sind jedoch nicht ausschliesslich an ihn [sc.: den Sprachkodex] gebunden, sondern enthalten auch Ausdruckselemente, die - wie die Stimmführung - nicht von ihm erfasst werden.»
1.1 Sprachaneignung und Schreiben in zwei didaktischen Ansätzen
13
Sprachliche Äusserungen entstehen, indem der Mensch mit seinen Stimmwerkzeugen bestimmte Laute bildet, die aufgrund einer kulturellen Tradition als Bedeutungsträger fungieren. Lauteinheiten und Lautgefüge, die mit inhaltlichen Bedeutungen und Aussagen untrennbar verbunden sind, bilden die Grundlage jenes Kommunikationssystems, das wir Sprache nennen. Dieses System ist strukturell so angelegt, dass sich neue Laute und neue Erfahrungen jeweils immer sinnvoll einfügen und ableiten lassen. (Lado 1967: 27)
Natürlich kennt der Strukturalist Lado die zwischen Laut und Bedeutung vermittelnden weiteren linguistischen Strukturebenen. Diese fehlen auch im Schriftlichen nicht; sie konstituieren keine Differenz zwischen den verschiedenen Sprachverwendungsweisen. Dass an vielen Stellen in Lados Argumentation im Verweis auf 'das Kommunikationssystem' Sprache vor allem der Laut hervorgehoben oder überhaupt nur das Lautliche genannt wird, erhebt dieses zum zentralen Garanten und Merkmal der Sprache und lässt es zum eigentlichen Mittel des sprachlichen Ausdrucks avancieren. So bleibt für die Schrift nur eine sekundäre Rolle, die Lado aus den Gegebenheiten des Spracherwerbs wie auch zeichentheoretisch zu begründen versucht. Sprachen werden, dem ersten Argument zufolge, im mündlichen Austausch erworben, eine Sprache lernen heisst: Sprechen und (hörend) Verstehen lernen. Schrifterwerb erfolgt nachträglich; er kann auch ganz ausbleiben, denn tatsächlich sind die meisten Sprachgemeinschaften bis heute ohne Schrift geblieben (Lado 1967: 179). Mit diesem Hinweis auf die doppelte Priorität der gesprochenen Sprache verbindet sich das zweite, zeichentheoretische Argument: Das Erlernen der Schrift erlaubt es, die gesprochenen Formen der Sprache lesen und schreiben zu können. (Lado 1967: 179) Die Schrift gibt Bedeutungen und Ideen nicht direkt wieder, sie stellt Spracheinheiten dar. (Lado 1967:180)
Daraus ergibt sich zwanglos als didaktische Konsequenz das 'erste Prinzip des Sprachunterrichts': «Erst sprechen, dann schreiben»: Zuerst werden Hören und Sprechen gelehrt, danach Lesen und Schreiben. Dieses Prinzip ist die Grundlage jeder audiolingualen Darbietungsweise. (Lado 1967:77)1 1
Diese Position Lados wird durch eine doppelte Inkonsistenz seiner Begründungen geschwächt: 1. Das historische und erwerbstheoretische Argument kann wohl nur Gültigkeit beanspruchen, wenn die Situation des Zweitspracherwerbs mit der des Erstspracherwerbs weitgehend identisch ist. Lado selbst bestreitet dies (17f.); zumindest ist davon auszugehen, dass (für Schriftkundige) die gesprochene und die geschriebene Form der Fremdsprache der Möglichkeit nach gleichursprünglich sind (vgl. 1.4/1). 2. Die zeichentheoretische Begründung Lados krankt daran, dass sie a) entweder von falschen empirischen Grundlagen ausgeht (die Schrift ist nicht einfach dazu da, die gesprochenen Formen der Sprache lesen und schreiben zu können - dies würde bedeuten, dass schriftliche Sprache nur SprecAeinheiten darstellt, dass sie also nur in Form von Protokollen oder sogar Transkriptionen vorkommt) oder b) von richtigen zeichentheoretischen Einsichten, die aber nicht das belegen, was sie hier belegen sollten (jede sprachliche Äusserung, ob schriftlich oder mündlich, gibt Bedeutungen nicht direkt wider, sondern «stellt Sprac/ieinheiten dar» (meine Auszeichnung), das heisst bezieht sich auf oder realisiert vorgegebene sprachliche Zeichen und Strukturen und
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
Parallel zu diesen Argumenten und verwoben mit ihnen gibt Lado eine psychologische Deutung des Verhältnisses von mündlicher und schriftlicher Sprache. Ausgangspunkt bildet hier der Begriff der Redehaltung ('speech set'). Im Normalfall richtet ein Sprecher seine Aufmerksamkeit auf die Sprachinhalte, «während sich die mehr technische Manipulation des Ausdrucks weitgehend unbewusst vollzieht» (ebda.: 57). Die bei der Spracherlernung zu machende Erfahrung bezeichnet Lado als totale oder vollkommene, wenn sie in einer Redehaltung erfolgt, die der für Muttersprachler gängigen entspricht; darunter ist also jedes Sprechen und Hören in normaler Kommunikationshaltung zu verstehen, d.h. bei Konzentration auf inhaltliche Aussagen unter Zugrundelegung einer umgangssprachlichen SprechgeschwindigkeiL (Lado 1967: 65f.)
Als unvollkommene oder Teilerfahrungen werden alle jene Sprachmanipulationen verstanden, bei denen die Aufmerksamkeit auf der sprachlichen Form liegt: Sind totale Spracherfahnuigen nicht ohne weiteres möglich, vollzieht sich der Lernprozess durch die Summierung von Teilerfahrangen. Wer sprachlichen Ausdruck, Inhalt und ihre Assoziation isoliert voneinander lernt, gewinnt Teilerfahrungen. (Lado 1967: 66)
Zu diesen Teilerfahrungen gehören etwa das übende Nachsprechen, phonetisches Training, bewusste Manipulation grammatischer Strukturen und schliesslich Lesen und Schreiben: Wesentlicher als die Frage, ob man beim Lehren der Fertigkeiten die richtige Reihenfolge Hören-Sprechen-Lesen-Schreiben betrachten müsse, ist die Tatsache, dass Lesen und Schreiben nur Teilfertigkeiten sind; wer sie übt, gewinnt darum nur Teilerfahrungen, während Sprechen und Hören totale Spracherfahrungen vermitteln. (Lado 1967:71)
Diese Einschätzung wird von Lado nicht weiter begründet. Vielleicht lässt sie sich verbinden mit seiner nicht weiter ausgeführten Spurentheorie. Danach hinterlässt jede neue Erfahrung «im Gedächtnisspeicher des erfahrenden Individuums eine Spur» (Lado 1967: 64). Aus dem weiteren Kontext lässt sich erschliessen, dass diese Spur nur bei totalen Spracherfahrungen die nötige Prägnanz erhält. Der mit diesen Erfahrungen verbundene Automatismus der Sprachanwendung fehlt im Lesen und Schreiben. Diese letzteren Aktivitäten sind normalerweise nicht in manifeste Reiz-Reaktionsmuster eingebettet, in diesen aber realisiert sich Sprache am reinsten als Gewohnheit, das heisst als komplexes Verhalten, dessen sprachliche Anteile - zwar unter der Kontrolle einer sprachlichen Überwachungsfunktion (Lado 1967: 67f.) - weitgehend unbewusst ablaufen, während sich das Bewusstsein an den mitzuteilenden oder mitgeteilten Inhalten orientiert1.
1
vermag Bedeutungen und Ideen nur kraft dieser Vermittlung wiederzugeben - vgl. Lados eigene Aussage, die bereits oben zitiert wurde und ein strukturalistisches Basisaxiom wiedergibt: die Sprachlaute fungieren «aufgrund einer kulturellen Tradition als Bedeutungsträger» (ebda.: 27». Die behavioristische Position soll an dieser Stelle nicht weiter besprochen werden. Auf einige hier angesprochene Aspekte - vor allem die Fragen der Automatisation und der Bewusstheit - wird im folgenden immer wieder zurückzukommen sein.
1.1 Sprachaneignung und Schieiben in zwei didaktischen Ansätzen
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Ganz parallel zu den linguistischen Argumenten führt dieses psychologische Argument zu einer eindeutigen Höherstellung des Mündlichen gegenüber dem Schriftlichen. Totale und unvollkommene Spracherfahrungen verhalten sich so, dass auch hier eindeutige didaktische Konsequenzen ableitbar sind, die sich mit den oben angezeigten vollkommen treffen: Wer die Fertigkeiten der totalen Spracherfahnmg erworben hat, dem bereitet das Lernen der Teilfertigkeiten weniger Schwierigkeiten, als es bei umgekehrter Reihenfolge möglich wäre. (Lado 1967: 71)
1.2 Die schriftlichen und die mündlichen Fertigkeiten Der Fremdsprachenunterricht wird bei Lado von den linguistischen und psychologischen Gegebenheiten, wie er sie konstatiert, sehr direkt bestimmt. Im zentralen mündlichen Bereich zielt die audiolinguale Methode darauf ab, die Automatismen des Sprachgebrauchs möglichst ohne Umwege und von Anfang an als fremdsprachliche Gewohnheiten in die Lernenden einzupflanzen. Alle isolierenden, erklärenden Schritte sind blosse Vorbereitung, das eigentliche Lernen besteht im Auswendiglernen und Einüben von Satzmustern, welche als sprachliche Minimalkontexte fungieren, die phonologische, lexikalische und strukturelle Gesetzmässigkeiten der Sprache aufzeigen, welche durch Repetition, nicht durch Regeleinsicht und bewusstes Manipulieren gelernt oder besser: angewöhnt werden sollen1. Es wird jedoch klar, dass der Audiolingualismus hier selbst einer 'isolierenden* Tendenz verfällt, indem das Sprachlernen losgelöst wird von den inhaltlichen Dimensionen, denen es nach der obigen Analyse verhaftet ist und im Hinblick auf die es allein sinnvoll als automatisch, unbewusst und selbstgesteuert ablaufend beschrieben werden kann. So beginnt die Diskussion der 'totalen Spracherfahrung' zwar mit der Betonung der Wichtigkeit der Konzentration auf eine inhaltliche Aussage, in den weiteren Ausführungen rückt aber zusehends das Problem der vollständigen und richtigen Imitation und Manipulation von sprachlichen Ketten in verschiedenen Formen des 'pattern drill' in den Vordergrund - von sprachlichen Gebilden also, welche ihrer äusseren Erscheinung nach kommunikative Äusserungen darstellen, solche aber nicht sind. So sind es in der 'pattern practice' nicht Mitteilungsabsichten, die realisiert werden sollen und deshalb Aufmerksamkeit verlangen bzw. Aufmerksamkeit von den sprachlichen Mitteln wegziehen, sondern sprachliche oder andere 'detractors', die Sprachdidaktisch moniert z.B. Arndt (1969: 13) die Verbindung von 'oral approach* und dem Konzept der 'habit formation' als willkürlich und zufällig. Ähnlich argumentiert Chastain (1971: 359). 1 Im Zusammenhang mit der Diskussion um totale und unvollkommene Erfahrung heisst es: «Das heisst also, dass vor Beginn des eigentlichen Lernens jedes noch so kleine Element des Ausdrucks, des Inhalts und ihrer Assoziation beim Sprechen oder Hören von der Aufmerksamkeit erfasst sein muss.» (Lado 1967: 67) - Dieses aufmerksame Erfassen von Einzelheiten ist allerdings nicht zu verwechseln mit (linguistischen, metasprachlichen) Erklärungen. Im Zusammenhang mit dem patterndrill sollen solche, wo überhaupt nötig, gegeben werden, während die entsprechenden Strukturen gelernt werden (13Iff.).
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
die Aufmerksamkeit von den zu lernenden sprachlichen Mustern und Formen ablenken (ebda.: 146f.). Die durchgängige Neigung, inhaltliche Aspekte zurückzustellen, zeigt sich auch in der Empfehlung, am Anfang mit möglichst wenig Wörtern die nötigen phonologischen und syntaktischen Strukturen zu lehren und damit für späteren Gebrauch bereitzustellen (ebda.: 80). So stellt sich dem Ansatz Lados ein generelles sprachdidaktisches Problem zum Schluss auf eine sehr spezifische Weise: Am Ende einer pattern practice ist ein Schüler noch nicht in der Lage, über das Gelernte frei zu verfügen. Er hat die patterns zwar zu Gewohnheiten verfestigt, aber er muss sie noch in Situationen anzuwenden üben, in denen er seine volle Aufmerksamkeit der sinnvollen Kommunikation widmet, d.h. in der freien Rede. (Lado 1967: 155)1
Der Transfer des Gelernten in die freie Verwendung stellt sich hier dar als Problem, eingeprägte Automatismen der Sprachproduktion mit einem Inhalt zu verbinden. Uber diesen Aspekt des Lernprozesses kann Lados Buch nicht mehr als vage Hinweise geben: Der Ausblick auf einen freien Sprachgebrauch sprengt den Rahmen dessen, was mit audiolingualen Begriffen formulierbar ist. Im schriftlichen Bereich sind die Verhältnisse bei weitem weniger klar. Ausser in den einführenden Kapiteln, in denen die Beziehung von Laut und Schrift sehr allgemein abgehandelt wird, ist darüber in den beiden Kapiteln über Lesen und Schreiben die Rede. Diese widmen sich noch einmal den Fragen des Verhältnisses von mündlicher und schriftlicher Sprach form, dann vorwiegend Dingen, die eher dem Mittelstufen- und Fortgeschrittenenunterricht zuzugehören scheinen. Hier erscheint die Schriftform von Sprache allerdings keineswegs als sekundär: Lektüre avanciert zum wesentlichen Motor für die Ausweitung der Wortschatzkenntnisse (Lado 1967: 177). Interessanterweise werden nur an Lesetexte, nicht an die mündliche Arbeit inhaltliche Anforderungen gestellt («Der Inhalt muss sinnvoll und interessant sein» - ebda.: 188). Lesetexte sind es auch, die den Katalysator abgeben für eine Verbindung und Integration der verschiedenen sprachlichen Fertigkeiten im Unterricht, in denen Diskussionen, Lektüreberichte und -kritik und ähnliche Aktivitäten des Informations- und Meinungsaustausche im Vordergrund stehen (vgl. 190,213). Dieses Bild, das die Zweitrangigkeit von Schrift mit ihrer zeitlich verschobenen Relevanz koppelt, ist allerdings unvollständig. Auch in den früheren Stadien des Unterrichts scheint Schrift eine gewisse, obgleich verhüllte und nur in wenigen Hinweisen aufscheinende Rolle zu spielen. So können schriftlich niedergelegte patterns als Stimulus für das Nachsprechen dienen (187), für das Lesen und Schreiben von Wörtern wird ein lernfördernder Effekt in Anspruch genommen (173f.)2, dies abgesehen von den Funktionen, die die Schrift in Tafeldarstellungen und - ausser in den ganz ersten 1 Vgl. dazu - im Zusammenhang mit der Verwendung neu gelernter Wörter - die weiteren Hinweise Lados (ebda.: 173). 2 Dies ist ein Punkt, an dem sich in seltener Übereinstimmung fast alle Didaktiker einig sind.
1.1 Sprachaneignung und Schreiben in zwei didaktischen Ansätzen
17
Phasen des Unterrichts - im Schulbuch und in schriftlichen Übungen erfüllt, wo es der Kodifikation und Speicherung des bereits mündlich Durchgearbeiteten dient. Insgesamt ergibt sich so ein Bild, das die Grundlagenskizze über die Zweitrangigkeit des schriftlichen Bereichs in einigen Punkten verändert und auf Funktionen der Schrift (und damit auch des Lesens und präkommunikativen Schreibens) hinweist, die durch den von Lado vertretenen Sprach- und Lernbegriff eher verdrängt als aufgeklärt werden. 1.3 Überlegungen zur didaktischen Konstruktion Lados relativ spätes Buch formuliert den Zusammenhang von Sprachverwendung, Sprach lernen und Sprachkönnen zuhanden eines modernen Sprachunterrichts immer noch in Abwehr eines traditionellen Unterrichts nach der Grammatik-Übersetzungsmethode, dessen Siegel Missachtung des Sprachgebrauchs - vor allem des mündlichen Sprachgebrauchs isolierende Vermittlung von Sprachelementen und -regeln und Anleitung zu deren bewusster Manipulation sind1. Lados Hochachtung der mündlichen Sprache und die Betonung der Relevanz praktisch orientierten Sprachgebrauchs lassen sich von daher leicht verstehen, sie gehören zu den unverzichtbaren Erkennungszeichen des Paradigmenwechsels, den der Audiolingualismus endgültig zu vollziehen in Anspruch nimmt. In Lados Formulierung der Bedeutung von Mündlichkeit und vorab des Lautlichen zeigt sich aber zugleich noch etwas anderes. Wie schon angedeutet, markieren Verweise auf freien oder realen Sprachgebrauch die Ränder des Unterrichts, aber auch der Begrifflichkeit Lados. Was Kommunikation, inhaltsbezogener Sprachgebrauch jenseits einer irgendwie gearteten 'Anwendung von Sprache', vor allem jenseits ihrer Lautlichkeit an sich hat, scheint unanalysierbar. Zwar fehlen die Begriffe der Kommunikation oder der Situation nicht, aber es fehlt in auffälliger Weise eine Pragmatik oder Kommunikationstheorie, in welche diese Konzepte eingebracht und didaktisch fruchtbar gemacht werden könnten. Hier öffnet sich eine Lücke. Die dicht gestreuten Ausführungen zu phonetisch/phonologischen Eigenschaften des Sprachgebrauchs (und in Verbindung damit zum Automatismus der Sprachproduktion) scheinen in diesem Zusammenhang oft ein Gewicht zu tragen, das nicht eigentlich ihnen zukommt: Die ostentative Herausstellung dieser wesentlichen Ingredienzien der Mündlichkeit lässt sich interpretieren als Versuch, nicht so sehr die lautliche Natur der Sprache als ihre kommunikative Funktion zu belegen. Allerdings lässt sich so die Natur des zielgerichteten Sprachgebrauchs nicht fassen. Vielmehr wird hier eine Kollision zwischen einer der Intention nach auf Kommunikation * Vgl. Denninghaus (1986) zu einigen Axiomen dieser Methode. Ihr Hauptziel ist die Vermittlung von Sprachwissen, das - in einer bestimmten Interpretation Humboldtscher Gedanken - als Einsicht in die innere Form der Sprache, als bildend und denkfördemd aufgefasst werden kann. Anwendungsfeld der Sprachkompetenz ist primär die Lektüre literarischer und philosophischer Texte.
Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
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ausgerichteten Sprachvermittlung und der übermächtigen Position einzelner Begleitumstände mündlicher Kommunikation unvermeidlich. Die 'pattern practice' steigt, dank der Tatsache, dass sie diese Begleitumstände (Lautlichkeit, Geschwindigkeit, Automatismus) perfekt abzubilden scheint, zum Paradestück audio lingualer Sprachvermittlung auf. Dies, obwohl sie nicht viel mehr als einige äusserliche Eigenschaften gemein hat mit dem normalen Sprachgebrauch Muttersprachiger, den zu imitieren und zu dem hinzuleiten ihre Aufgabe ist, und obwohl von ihr mit wohl grösserem Recht als etwa von Lesen oder Schreiben behauptet werden könnte, sie vermittle nur Teilerfahrungen. So kommt diese Didaktik, obwohl ihre Grundlegung beim Phänomen der Kommunikation und den ihr zugrunde liegenden Fertigkeiten beginnt, dazu, diese Kommunikation und aufgrund derselben begrifflichen Zwänge das Schreiben zwar nicht zu negieren, aber doch aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit im Unterricht zu verdrängen und die Sprache sowie das Sprachlernen weithin unter dem technischen Aspekt des Automatischen, der Geläufigkeit und der Gewohnheit darzustellen, wobei die in alledem wirksame und sichtbare Präsenz des phonetisch/phonologischen Bereichs zu einem der Angelpunkte wird, um die sich die Konstruktion des Unterrichts dreht.
2
Finocchiario/Brumfit: 'The functional-notional approach'
2.1
Die Grundlagen
Der 'functional-notional approach' von Finocchiario/Brumfit entstand, wie die gesamte neuere kommunikative Didaktik, im Zusammenhang mit der pragmatischen Wende in der Linguistik1. Ihm liegt eine begrifflich differenziertere, vor allem an den Ergebnissen der Sprechakttheorie inspirierte Analyse des Sprachgebrauchs und der Kommunikation zugrunde. Damit sind die Mittel bereit gestellt, die es erlauben, die vom Audiolingualismus versprochene Orientierung am Ziel des Sprachenlernens, am kommunikativen Sprachgebrauch, einzulösen. Äusserungen lassen sich gemäss Finocchiario/Brumfit auf zwei Ebenen untersuchen: als kommunikative realisieren sie Sprechakte, an denen sich 1
Finocchiario/Brumfit beziehen ihre Arbeit konkret auf Vorschläge und Konzepte für den Sprachunterricht, die unter der Schirmherrschaft des Europarats ausgearbeitet wurden. Eine der Grundideen in den hierzu gehörigen Arbeiten ist eine klare kommunikative Ausrichtung; eine andere die, die volle Übertragbarkeit von Sprachausbildung in verschiedenen Institutionen und Ländern zu gewährleisten dadurch, dass in einem «unit-credit-system» für die Beherrschung definierter sprachlicher Bereiche entsprechende 'credits' vergeben werden (ebda.: 19ff. und die dortigen Literaturangaben). Ebenfalls in diesem Zusammenhang wurden die systematischen Sammlungen von grundlegenden Sprachmitteln für ein definiertes 'Schwellen'-Niveau in verschiedenen europäischen Sprachen erarbeitet ('Kontaktschwelle Deutsch* usw.).
1.1 Sprachaneignung und Schieiben in zwei didaktischen Ansätzen
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Funktionen und 'notions' (Begriffe oder Konzepte) unterscheiden lassen, als sprachliche sind sie Realisierungen solcher Funktionen und Konzepte mit Hilfe sprachlicher Strukturen und Elemente in mündlicher oder schriftlicher Form1. Diese zwei Ebenen sind natürlich aufeinander bezogen, sie stehen aber nicht in einem einfachen Abbildverhältnis zueinander. Einmal lassen die Funktionen und Begriffe strukturell und lexikalisch verschiedene Ausdrücke zu, die dennoch kommunikativ/pragmatisch als synonym gelten können; andererseits erlauben sprachlich gleiche Äusserungen oft den Ausdruck verschiedener Funktionen, und Veränderungen des sprachlichen Ausdrucks beeinflussen den pragmatischen und kommunikativen Gehalt auf höchst unterschiedliche Weise. Sprachgebrauch erscheint in dieser pragmatischen Betrachtung als vermittelt über oder eingebettet in ein zweites, nicht-linguistisches System von kommunikativen Handlungsregeln; Voraussetzung für eine Teilnahme an Kommunikation ist dementsprechend auf der Seite der Handelnden eine nicht nur linguistische, sondern eine umfassendere kommunikative Kompetenz. Ihren paradigmatischen Ausdruck finden diese Regeln und diese Kompetenz in den kommunikativen Funktionen, mit denen die Sprechenden sich auszudrücken und einander verständlich zu machen versuchen Für die Sprachvermittlung ergeben sich vor diesem Hintergrund veränderte Gewichtungen und Gesichtspunkte; es ergibt sich eine im ganzen deutlich 'realistischere' kommunikative Ausrichtung des Unterrichts auf erkennbare und typische Situationen als dem Hintergrund, vor dem und auf den hin gelernt wird. Zugleich damit wird mit einem alten Dogma schulischer Fremdsprachvermittlung gebrochen: Die Notwendigkeit einer strikten Progression im Aufbau der grammatischen Kenntnisse wird nicht verneint, aber erhält bloss zweite Priorität (ebda.: 40ff., 58, und öfter). Primär ist die pragmatische Ausrichtung und die Vermittlung der zum Ausdruck von komnunikativen Intentionen nötigen Sprachmittel für die Bewältigung realistischer Situationen. Es sind diese, die als die sozialen/kommunikativen Organisationskerne des Sprachgebrauchs gelten, wie er von den Sprechenden selbst wahrgenommen wird. Sie sind auch seine motivierende Faktoren (vgl. S. 12ff.)2. Die Autoren nehmen entsprechend für ihren Ansatz eine ganz neue Nähe zum Lernenden und Bedürfnissen in Anspruch:
1
Funktionen entsprechen ungefähr den illokutionären Rollen der Sprechakttheorie, also kommunikativen Handlungen wie 'Fragen', 'Sich Beschweren', 'Einladen', 'Vorstellen' usw. Sprachlich werden sie realisiert in unterschiedlichen syntaktischen Strukturen, häufig eingeleitet durch spezifische Formeln ("Darf ich Sie bitten, ..."). Die 'notions' bezeichnen Inhaltskomplexe, die sich sprachlich durch einzelne Wörter oder spezialisierte Wendungen ausdrücken lassen. 2 Dies bedeutet, dass einzelne sprachliche Strukturen auftauchen und benutzt werden, bevor sie von den Lernenden strukturell durchschaut werden. Schon Lado lässt einzelne solcher Strukturen zu, wenn dies 'nötig ist', bei ihm steht jedoch trotz der prinzipiellen Ausrichtung auf Kommunikation die Sprache selbst, ihre patterns und ihre Aussprache, im Vordergrund. Hier wind dieses Verfahren viel freier und ohne prinzipielle Bedenken angewendet.
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht The tremendous merit of the functional-notional approach to learning is that it emphasizes the fact that the students and their communicative purposes are at the very core of the teaching program. (Finocchiario/Brumfit 1983: 17)
2.2 Die schriftlichen und mündlichen Fertigkeiten Unter dem übergreifenden Begriff der kommunikativen Kompetenz sind die vier Fertigkeiten prinzipiell gleichberechtigte Modi des Umgangs mit Sprache. Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben werden deshalb oft gemeinsam genannt, ohne prinzipielle Bevorzugung der einen vor den anderen. Sie alle sind kommunikative Fertigkeiten, und sie beziehen sich auf ihnen allen gemeinsame Subsysteme von Lauten1, Grammatik, Wortschatz und Pragmatik2: A conscious or unconscious knowledge of these subsystems is necessary in the skills of listening with understanding; speaking appropriately, fluently, and correctly; reading with comprehension and enjoyment; and writing both for practical purposes and to express original thoughts and ideas. (Finocchiario/Brumfit 1983: 30)
Die effektiven Unterschiede zwischen dem mündlichen und dem schriftlichen Bereich werden nicht durch Rekurs auf linguistische oder psychische Gegebenheiten begründet, sondern durch die Konstruktion des Unterrichts vollzogen. Dieser hat seine Basis in der didaktischen Ausrichtung auf alltagsweltliche Situationen und dialogisches Sprechen. Diese bilden den Hauptinhalt des Unterrichts, um den herum alle anderen Unterrichtsaktivitäten gruppiert sind und auf den hin sie sich zu legitimieren haben (vgl. die «General Basic Segments of a Unit», ebda.: 84ff.; «A possible weekly schedule» 105f.; «Α Possible Lesson Outline», 107f.). Innerhalb dieses weitgehend mündlichen Bereichs des Unterrichts hat die Rezeption, das heisst das Hörverstehen, einen gewissen Vorrang vor der Produktion (ebda.: 18, 31). Für das Sprechen rangiert - in genauer Parallele zu dem oben über das Verhältnis von Pragmatik und Syntax Gesagten - die Geläufigkeit des Ausdrucks vor dessen Korrektheit (94ff.)3. 1 Die Schriftzeichen weiden nicht genannt, obwohl im folgenden Zitat das Schreiben erwähnt und auf diese Liste Bezug genommen wird. Zu dem Lautsystem werden gezählt: «Intonations, stress, rhythm, pause, elision, vowels (full and reduced), consonants» (ebda.: 30). 2 Dieses Subsystem wird von Finocchiario/Brumfit als «cultural» bezeichnet. Die Stichworte, die sie dazu geben, machen klar, dass es hier zunächst um einen Bereich geht, der normalerweise unter dem Titel 'Pragmatik' geführt wird. Es geht dabei um Angemessenheitsregeln, para- und nonverbale Zeichen usw. Der Hinweis auf damit verknüpfte Werte, Gebräuche, Gewohnheiten und 'social institutions' führt dann über diesen allgemeinen pragmatischen Bereich hinaus auf kultur- und einzelsprachspezifische Gegebenheiten, die immer wieder als für den Sprachunterricht relevante Gegenstände hervorgehoben werden. 3 Man kann in dieser Betonung der Geläufigkeit (fluency) einen Nachhall von Lados Anliegen der automatischen Produktion finden. Hier sind die Eigenschaften der Produktion (ihr Automatismus etwa) aber von denen des Produkts (Korrektheit) klarer getrennt als bei Lado, für den die Sprechgewohnheit die Gewohnheit des korrekten Sprechens meinte. Im kommunikativen Ansatz wird an einer Äusserung Korrektheit von Angemessenheit unterschieden und - für die 'fluency exercises' - ihr Verhältnis
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In diesem Kontext haben Lesen und Schreiben vorab Hilfsfunktion. Es gibt keine Scheu, dass der Anblick oder die Herstellung geschriebener Zeichen die Aufgabe des Sprachlernens hindern könnte; «reading and writing start from the first day, if desired» (ebda.: 92, vgl. 143). Allerdings steht das Lese-Schreib-Curriculum unter strikter Kontrolle: Der schriftliche Kanal darf nichts Neues transportieren - zumindest nicht auf der Anfängerstufe: In stage ΙΠ reading, they (sc. die Lernenden) will finally see written material in which some of the communicative expressions, notions, structures, or cultural allusions will be unfamiliar to them. (Finocchiario/Brumfit 1983:146)1
Für das Schreiben gelten ähnliche Vorsichtsmassregeln: Except at intermediate, advanced, or professional levels, helping students 'write' means primarily helping them to make carefully guided symbols on paper. We guide our learners through several progressively more complex stages over a period of time - depending as always on their needs, age, capacities, aspirations - to a point where they will be able to write a 'creative' essay on a topic of interest to them in informational, logical sequence. (Finocchiario/Brumfit 1983:148f.)2
Während im mündlichen Bereich trotz des Vorrangs der Repetition und kontrollierten Variation von Anfang an 'Kommunikation' als Wegweiser fungiert und ein kleiner Raum für den Versuch kreativen Sprachgebrauchs offen bleibt, wird dieser selbe produktive Umgang im Zusammenhang mit der verschrifteten Sprache auf später verschoben. Von den «basic procedures in controlled and guided writing» (ebda.: 150ff.) scheinen nur die einfachsten - Diktate, Aufschreiben und Variieren von vorgegebenen Modellsätzen, Einsetzen von Wörtern in offengelassene Lücken in Sätzen und kurzen Texten - auf den unteren Stufen anwendbar zu sein. Hier zeigt sich, wie bei Lado, ein vollwertiges Lesen oder Schreiben als komplexe, nur für den Mittel- und Oberstufenunterricht geeignete Aktivität. Allerdings ist die Situation alles andere als durchsichtig, denn über das Verhältnis von mündlicher und schriftlicher Sprache herrscht keine Klarheit. So wird im letzten Zitat das Schreiben unmittelbar mit dem Essay verknüpft und fast alles andere als Zwischenstufe bezeichnet, womit das kommunikative Niveau im Schriftbereich sehr hoch angesetzt wird. Andererseits fehlt im ganzen Buch der Versuch, schriftlichen und mündlichen Sprachgebrauch begrifflich voneinander zu unterscheiden - unter den schriftspezifischen Dingen figurieren in dieser Beziehung einzig «the differences between speaking and writing (the use of contractions, for example) in some languages» (Finocchiario/Brumfit 1983: 149)3.
1 2 3
folgendennassen festgelegt: «It does not matter what mistakes the students make during these exercises, providing errors do not prevent them from being able to perform the activity naturally and comprehensibly. If errors do have this effect, the exercise is too difficult for the students.»(Finocchiario/Brumfit 1983: 97) «Stage ΙΠ» entspricht dem dritten Jahr eines mit 4 Wochenstunden dotierten Sprachkurses (ebda.: 105). Solche Zwischenstufen, wahrscheinlich gedacht für das Schreiben ab «stage III», werden sehr kurz genannt auf den Seiten 149 und 153f. Interessanterweise führt Lado ebenfalls als einzigen konkreten Hinweis auf den Unterschied zwischen beiden Sprachformen die Kontraktionen an (Lado 1967: 83).
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Wie bei Lado machen aber auch hier verstreute Hinweise klar, dass ausserhalb des eigentlichen Lese-Schreib-Unterrichts die Schrift und die mit ihr verbundenen Aktivitäten im Sprachunterricht vielfältige (meist präkommunikative) Funktionen übernehmen1. Das Schreiben (wohl aufgefasst als Aufschreiben) kann kommunikative Phasen abschliessen (98), Geschriebenes ihnen zugrunde liegen (98,143); Schrift funktioniert als Lernhilfe, denn viele Lernende finden, «that the process of writing helped to imprint items in their memories, or they might want to extend their vocabulary by extensive reading» (104); im Unterricht generell kann und soll «the eye reinforce the ear» (107), wie auch vom Schreiben gefordert wird, dass es die anderen Fertigkeiten unterstütze (149); schliesslich bringt die Schrift, in Tafelanschriften oder auf Plakaten, neue Wörter oder Strukturen den Schülern für kurze Zeit oder permanent zu Bewusstsein(122, 176), auch trägt sie die meisten Hausaufgaben und liegt, in den Notizen des Lehrers, dem Unterricht selbst zugrunde, allerdings unsichtbar für die Lernenden (75ff., 167). Alle diese schriftbezogenen Aktivitäten werden nicht weiter verfolgt. So wird auch nicht weiter gefragt, was die nicht unbeträchtliche Präsenz von Schriftlichem und von Schreiben im Unterricht für den Unterricht und die in ihm ablaufenden mündlichen Aktivitäten besagen könnte. 2.3
Überlegungen zur didaktischen Konstruktion
Finocchiario/Brumfit glauben, dass sie in ihrem Ansatz wesentliche Ideen der modernen Sprachdidaktik aufnehmen und integrieren können. Bezug nehmend auf den ihrer Meinung nach unentschiedenen Streit zwischen Behavioristen und Kognitivisten, bekennen sie sich zu einem lerntheoretischen Agnostizismus: We are by no means certain how people leam languages, though teachers have developed a great fund of experience to draw upon when they assist learners. (Finocchiario/Brumfit 1983: 93, vgl. 107.)
Daher werden sowohl die behavioristische wie die cognitive-code- Theorie als gültig oder zumindest gangbar hingestellt und jeder in ihren Verfahren und Zielen ihr Recht zugestanden: den Drills ebenso wie der Bewusst machung, der automatischen Sprachbeherrschung ebenso wie der bewusst moderierten Sprachpraxis - was nicht ohne gewisse Widersprüche bleiben kann (z.B. ebda.: 96f. vs. 107f.; 133, 140), auch wenn der kognitiven Seite insgesamt eine leichte Vorrangstellung zuzukommen scheint2. Der Lehrer wird aufgefordert, 1
2
Vielleicht kann man sagen, dass der gesamte schriftliche Bereich durch die Autoren nicht mit den Mitteln ihres eigenen Ansatzes, sondern mit eigentlich fremden Kategorien beschrieben wird. So liegen den «basic procedures in controlled and guided writing» höchstens analytisch-linguistische Kategorien der Gradierung von Schwierigkeiten zugrunde; es gibt keinen Hinweis auf eine Analyse mit kommunikativen Begriffen. Als kommunikative Formen des Schreibens erscheinen einzig die traditionellen, schon sehr komplexen Aufsatzformen. Obwohl an einigen Stellen Hinweise auftauchen, die in der Frage des Sprachlemens auf den Einfluss erwerbstheoretischer Positionen hindeuten (vor allem die Erläuterun-
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to use both the operant conditioning and the cognitive-code theories in presentation and practice, as appropriate. (Fmocchiario/Brumfit 1983: 100 und öfter)
Diese Lösung einer schwierigen Frage ist zwar praktisch, aber theoretisch unbefriedigend, wird doch vom Lehrer gefordert zu entscheiden, was theoretisch offenbar nicht entscheidbar ist - nämlich was 'appropriate' ist und wie demgemäss die Lernenden eine Sprache lernen. Nun macht das Buch trotz dieser theoretischen Nullsituation einige recht weitreichende Aussagen darüber, wie Sprache zu unterrichten sei (und damit implizit auch darüber, wie sie gelernt wird). Es wird dies möglich dadurch, dass die Beschreibung von Sprachgebrauch als einer situativ eingebundenen, kommunikativen Aktivität nicht nur als Beschreibung eines Faktums auftritt, die dann für den Fremdsprachunterricht aufgrund unabhängiger Kriterien nutzbar gemacht würde, sondern unmittelbar sowohl die Ziele als auch die lernrelevanten Verfahren des Unterrichts bezeichnet. Die Berufung auf Kommunikation erfüllt in diesem Kontext auch die Funktionen einer Lerntheorie: Die Dimensionen des Kommunikationsbegriffs selbst geben die Kriterien dafür ab, wie unterrichtet werden soll. Damit wird der Kommunikationsbegriff allentscheidend. Die bei Lado vorhandene Spannung zwischen dem in Anspruch genommenen Sprachund Kommunikationsbegriff einerseits und einer Lemtheorie andererseits wird hier eingestellt. Lern- und Kommunikationsakte werden auf dieselbe Stufe gestellt und weitgehend identifiziert. Unabhängige Kriterien, welche den Umgang mit Sprache nicht nur in kommunikativen, sondern auch in psychologischen Begriffen zu benennen erlaubten, fehlen, damit ein Inventar an lerntheoretischen Begriffen, welche die unterrichtliche Vermittlung mit strukturieren und anleiten könnten. Es ist vor diesem Hintergrund vielleicht kein Zufall, dass bei Finocchiario/Brumfit das Beiwort 'kommunikativ' häufig auch im Zusammenhang mit eng auf Sprachmittel bezogenen Aktivitäten wie Drills usw. auftaucht, an Orten also, wo die bezeichneten Sachverhalte nicht mehr sehr viel mit Kommunikation gemeinsam haben, wo aber lernzielbezogen geübt (und präsumptiv gelernt) wird: Starting with I and you makes possible immediate student-student and teacher-student communication and interaction in such activities as chain drills, questions and answers of all types, paired practice, and small group work. (Finocchiario/Brumfit 1983: 35) Study of the grammatical structures and student discovery of underlying rules followed by guided and freer real communicative practice. (Finocchiario/Brumfit 1983: 84)1 gen zur Rolle von Geläufigkeit und Kommunikation ebda.: 94ff.), werden nur die beiden 'klassischen' Lerntheorien als solche kenntlich gemacht und benannt 1 Es ist schwer zu sagen, was «guided real communicative practice» beinhaltet. Wohl aber ist einsichtig, dass diese Weise des Gebrauchs des Kommunikationsbegriffs zur Anstrengung führen muss, die 'wirkliche Kommunikation' abzuheben von allen ihren unterrichtlich in Anspruch genommenen Abwandlungen. Diese Bemühungen kulminieren in folgender Deskription: «We use instead a communicative grammar, one which takes cognizance of authentical real world speech as recorded from live, spontaneous speech acts.» (Ebda.: 124, Hervorhebung PRP.)
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
Der Aufweis des 'kommunikativen Charakters' solcher Übungen kann kaum verstanden werden als Behauptung eines 'authentischen realen' kommunikativen Gehalts, sondern betont eher die Lernrelevanz der entsprechenden (mündlichen) Übungsformen. Deren Formung nach gängigen kommunikativen Mustern mag tatsächlich für den Lernerfolg mit eine Rolle spielen, ist jedoch kein Ersatz für lerntheoretische Überlegungen, sondern setzt solche eigentlich voraus. Einschlägige Aussagen werden jedoch nicht gemacht, vielmehr reduziert sich die diesbezügliche Auseinandersetzung auf die Inanspruchnahme des alltäglichen dialogischen Modells der Kommunikation als Matrix des Unterrichts und seiner Konstruktion. Im gleichen Zuge mit dieser Zentralstellung des dialogischen Modells und dem Verschwinden lerntheoretischer Gesichtspunkte werden auch die Auseinandersetzungen um die Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache und um die Differenzen zwischen mündlichem und schriftlichem Sprachgebrauch uninteressant. Ausweis dafür ist die noch weitgehend dem audiolingualen Muster verpflichtete Behandlung des Schreibens. Gleichzeitig muss die durchgehende Präsenz des Schriftlichen wie die Rolle präkommunikativen Schreibens fürs Lernen in diesem Entwurf weitgehend unreflektiert bleiben: Sie beide sind zwar von respektablem Gewicht, aber lassen sich mit den gegebenen begrifflichen Mitteln in ihrer Funktion für Unterricht und Lernen kaum durchsichtig machen.
3
Ausblick
3.1 Zusammenfassung In beiden skizzierten Ansätzen wird dem Schreiben in präkommunikativer Form, als einer Weise des Übens, eine gewisse Funktion von Anfang an oder fast von Anfang an zugesprochen; das produktive, formulierende Schreiben dagegen fällt weitgehend aus der Betrachtung heraus. Bei Lado geschieht dies auf der Grundlage einer Definition von Sprache und Lernen, welche dem Schriftlichen von vornherein eine sekundäre Position zuweist; daraus wird die Zweitrangigkeit dieses Bereichs im Unterricht abgeleitet. Davon ist letztlich auch das übende, präkommunikative Schreiben betroffen; es wird mit gewisser Skepsis betrachtet und hat strikt die Funktion, in nachträglicher Arbeit mündlich bereits Vorgearbeitetes handhabbarer zu machen. Finocchiario/Brumfit dagegen betonen die Gleichheit aller vier Sprachgebrauchsweisen unter kommunikativem Aspekt. Es fehlt jedoch eine Analyse der unterschiedlichen Gebrauchsbedingungen im mündlichen und schriftlichen Bereich. In der ausschliesslich von den Formen mündlichen Sprachgebrauchs geprägten Konzeptualisierung von Kommunikation wird das Schreiben stillschweigend aus dem Bereich der didaktisch interessanten Aktivitäten herausgedrängt. Wieder machen hier präkommunikative Formen des Schreibens eine Ausnahme; diese werden viel freier verwendet als im audiolingualen Ansatz. Der Bereich produktiven Schreibens wird in beiden Entwürfen nicht einfach vergessen; er wird als interessant für den Fortgeschrittenenunterricht deklariert und auf diese Weise
1.1 Sprachaneignung und Schieiben in zwei didaktischen Ansätzen
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weitgehend der fremdsprachendidaktischen Verantwortung entzogen, denn dieser Bereich hat die Fremdsprachendidaktik bisher trotz seines grossen Gewichts kaum interessiert. Eine Didaktik des Fortgeschrittenenunterrichts müsste erst noch geschrieben werden1. In beiden obigen Darstellungen stand der Kommunikationsbegriff und sein Zusammenhang mit dem Begriff des Lernens im Mittelpunkt: einmal sein Fehlen - präziser: seine mangelnde begriffliche Entfaltung im zweiten Fall seine Einschränkung auf den mündlichen Bereich und seine zusätzliche Inanspruchnahme als Erklärungsbasis für letztlich lerntheoretische Belange. Diese mächtige Rolle des Kommunikationsbegriffs ist nicht beschränkt auf den Ansatz von Finocchiario/Brumfit, sondern findet sich in sehr vielen kommunikativ-didaktischen Ansätzen. Vielleicht lässt sich dies begreifen aus der Gegenposition, welche diese gegen das bis in die siebziger Jahre vorherrschende audiolinguale Modell2 aufgebaut haben. Im kommunikativ-pragmatischen Gegenstoss gegen die audiolinguale Didaktik wurde nicht nur dessen letztlich unkommunikative, auf struktureller Sprachanalyse beruhende Basis kritisiert, gleichzeitig wurde auch - vor allem im Gefolge Chomskys - die behavioristische Lerntheorie attackiert, auf welcher die audiolingualen Lehrverfahren beruhten. Damit wurde auch der durch behavioristische Konnotationen belastete Begriff der Fertigkeit problematisch. Dieser kennzeichnet im Rahmen etwa von Lados Modell am deutlichsten den Punkt, an dem es sich lerntheoretisch definiert. Dieser Begriff wurde in den neueren Ansätzen zwar nicht zum Verschwinden gebracht; die mit ihm verbundenen lerntheoretischen Fragen wurden aber stark in den Hintergrund gedrängt. Dies nicht zuletzt darum, weil der cognitive-code-Ansatz der Sprachvermittlung, eine Art chomskyanisches Gegenstück zur behavioristischen Lerntheorie, sich nicht mit dem kommunikativen Ansatz verbinden konnte und eigentlich folgenlos blieb3. Das oben monierte Fehlen einer fassbaren Lerntheorie im Beitrag von Finocchiario/Brumfit kann als Resultat dieser Entwicklung verstanden werden, in welcher der Kommunikations begriff ins Zentrum der Diskussion gerückt wurde und Lasten aufgebürdet bekam, die er eigentlich nicht tragen kann. Aus den bisherigen Überlegungen ist klar das wichtigste Thema absehbar, das im folgenden zu diskutieren ist. Vordringlich ist die Rückgewinnung jener begrifflichen Differenzierungen, die in vielen kommunikativ-didaktischen Entwürfen verlorengegangen sind und die es erlauben würden, die Sprachaneigung nicht allein in Begriffen der Kommunikation zu fassen. 1 Ansätze zu einer Schieibdidaktik gibt es sowohl in audiolingualen Zusammenhängen wie auch im Rahmen der kommunikativen Didaktik. Allerdings machen sich dabei die jeweiligen theoretischen Beschränkungen sehr deutlich bemerkbar. Vgl. II.l und vor allem III. 1. 2 Und seine verschiedenen Varianten und Entwicklungsstufen wie das audiovisuelle, Struktur-globale usw. 3 Für eine Charakterisierung dieser Position siehe Chastain 1971, Kap. 4.
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
Lerntheoretische und auf die spezifischen Eigenarten der Unterrichtssituation bezogene Erwägungen sind nötig, damit didaktische Perspektiven entworfen werden können, die den Charakteristika der gelenkten Sprachaneignung wirklich angepasst sind. 3.2
Zur Struktur didaktischer Theorie
Die Skizze der Beiträge von Lado und Finocchiario/Brumfit verweist auf eine gewisse Zwangsläufigkeit der didaktischen Argumentation. Eine Sprachdidaktik kann auf eine Lerntheorie (und damit zusammenhängend auf einen ausgeführten Begriff der Fertigkeit) nicht verzichten, ebensowenig auf ein klares Konzept von dem, was Unterricht von anderen Situationen unterscheidet, vor allem von den in den didaktischen Zielbestimmungen als relevant unterstellten 'realen'. In dieser Hinsicht ist der Entwurf Lados vollständiger und stringenter als seine kommunikativ-didaktische Gegenposition in der oben vorgestellten Form. Er zeigt eine deutliche Unterscheidung von drei relevanten Ebenen: 1. Auf einer ersten Ebene steht die Analyse von Sprache und Kommunikation. Diese stellt die Ansatzpunkte bereit für die Bestimmung der Ziele des Unterrichts vor dem Hintergrund von Lernerbedürfnissen, das heisst von Beschreibungen der prospektiven Gebrauchskontexte, der erforderlichen Kenntnisse usw. Daraus lassen sich Hinweise auf die notwendigen Inhalte des Unterrichts (z.B. 'functions', 'notions', Strukturen, Wortschatz usw.) ableiten. Kommunikationstheorie und Sprachwissenschaft sind hier unbestrittene Bezugsdisziplinen der Sprachdidaktik. 2. Auf einer zweiten Ebene bedarf es einer Analyse dessen, was 'eine Sprache können', 'eine Sprache lernen' und 'eine Sprache brauchen' heisst, das heisst der Fertigkeiten und Prozesse, welche dem Lernen und Gebrauchen von Sprache zugrunde liegen. Bezugsdisziplinen hier sind Psychologie, Lerntheorie oder linguistische Theorien wie etwa Chomskys Sprachtheorie. Die Antworten, die hier zu geben sind, sind nur sehr bedingt aus den Analysen der ersten Ebene ableitbar, obwohl gewisse Zusammenhänge existieren mögen. 3. Erst aus dem Zusammenspiel von Gesichtspunkten aus diesen ersten beiden Ebenen können adäquate Unterrichtsverfahren entwickelt werden. Solche zu definieren ist eine konstruktive Leistung, die auch eine Analyse der unterrichtsspezifischen Bedingungen des Lernens voraussetzt. Dies letztere ist ein Punkt, der bei Lado explizit nicht erwähnt wird, aber ganz offensichtlich in der Entwicklung der Methode des Drills und seiner verschiedenen Varianten eine Rolle spielt, auch bei der Erfindung und Nutzungsweise des Sprachlabors als Lerninstrument für Drills und 'pattern practice'. Bezugswissenschaften auf dieser dritten Ebene sind Pädagogik, Sozialpsychologie, Unterrichtswissenschaft usw.1 1 Lados Einwände gegen die sog. 'direkte Methode* richten sich gerade darauf, dass auch eine kommunikationsorientierte Didaktik die Lernenden nicht einfach naiv der Kommunikation aussetzen kann, sondern die Verfahren, die sie unvenneidlicherweise
1.1 Sprachaneignung und Schreiben in zwei didaktischen Ansätzen
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Zwar sind sämtliche inhaltlichen Festlegungen des Audiolingualismus auf allen drei Ebenen in den letzten Jahrzehnten scharf - und weitgehend zu Recht - als unvollständig oder unhaltbar kritisiert worden. Diese Kritik braucht hier nicht wiederholt zu werden. Die Struktur der Theorie scheint mir jedoch durch diese Kritik nicht betroffen. Es ist kaum eine befriedigende Fremdsprachdidaktik denkbar, die nicht mindestestens die skizzierten drei Ebenen unterscheidet und ihre gegenseitige Beziehung aufzuklären versucht1. In dieser Arbeit wird die Darstellung in Teil I vor allem auf der zweiten und - in Kapitel 4 - der dritten Ebene im obigen Schema anzusiedeln sein. Teil II wird sich vor allem mit den Verhältnissen im Zielbereich und mit Fragen des Schreibens und Schreibenlernens beschäftigen (Ebenen 1 und 2), während Teil ΠΙ eine Integration der bis dahin vorgestellten Gesichtspunkte im Hinblick auf den Unterricht versucht. Er wird sich vornehmlich mit Fragen auf der dritten Ebene beschäftigen, im Unterschied zu 1.4 jedoch nicht unter allgemeiner, sondern spezifisch schreibdidaktischer Perspektive.
benützt, im Hinblick auf die verschiedenen unterrichtsrelevanten Instanzen (Ziele, Unterrichtssituation, Einsicht in Lernprozesse) legitimieren muss. 1 Digeser (1983) beispielsweise behandelt in seinem Beitrag genau diese drei Bereiche: Kommunikation und Sprache (Kap. 1, 2), Lerntheorie, Lempsychologie, Spracherwerb (Kap. 3, 4, 5), Fremdsprachendidaktik und Unterricht (Kap. 6, 7). Dass 'Fremdsprachendidaktik* als Einzelüberschrift erscheint und nicht den Gesamtzusammenhang von Digesers Aufriss bezeichnet, hat damit zu tun, dass er in den ersten fünf Kapiteln die Bezugswissenschaften der Fremdsprachendidaktik zusammenfassend darstellt, aber nicht unter explizit didaktische Fragestellungen bringt. - Eine andere Dreiteilung schlagen Breen/Candün vor. Sie schreiben: «Any teaching curriculum is designed in answer to three interrelated questions: What is to be learned? How is the learning to be undertaken and achieved? To what extent ist the former appropriate and the latter effective? A communicative curriculum will place language teaching within the framework of this relationship between some specified purposes, the methodology which will be the means towards the achievement of those purposes, and the evaluation procedures which will assess the appropriateness of the initial purposes and the effectiveness of the methodology» (Breen/Candlin 1980: 89). Man kann hier Parallelen sehen zu dem eben Gesagten; was in dieser Formulierung jedoch fehlt, sind Hinweise auf die Art der Kriterien und ihre Herkunft, welche die Frage nach der Adäquatheit und Effizienz von didaktischen Entscheidungen zu beantworten erlauben.
1.2 LERNEN UND KÖNNEN
Ein Wissen über einen Gegenstand ist nicht schon ein Können - diese Unterscheidung gehört zu den Grundlagen der Fremdsprachendidaktik, seit sie sich am Ziel der Kommunikation orientiert. Sprachen werden gelernt, damit man sie 'kann'. Die im letzten Kapitel erhobene Forderung, Fremdsprachendidaktik habe sich auch lernpsychologisch zu fundieren, lässt sich deshalb verstehen als Forderung nach einer Aufklärung dessen, was der Begriff der Fertigkeit in bezug auf Sprache und Sprachenlemen bedeutet. Es sind in diesem Bereich in der Psychologie, seit die Fremdsprachendidaktik von behavioristischen Fertigkeitskonzepten Abschied genommen hat, neue und interessante Einsichten entwickelt worden, die zur Kenntnis zu nehmen sich lohnt. Ganz zu Beginn, als Einführung, wird noch einmal zurückgegriffen auf die Didaktik, und zwar auf einen Versuch, den ungeliebten behavioristischen Fertigkeitsbegriff durch einen pragmatischen zu ersetzen. Aus dem Scheitern dieses und ähnlicher Versuche ergibt sich die Notwendigkeit, diesen Begriff genauer zu fassen. Dazu wird seine Stellung in der Sprachpsychologie untersucht, dann eine Theorie vorgestellt, die den Aufbau und die Struktur von Fertigkeiten zu modellieren erlaubt. Zum Abschluss werden einige Hinweise auf die spezifischen Eigenarten der vier Gundfertigkeiten gegeben. In diesem Kapitel wird eine kognitiv-psychologische Lern- und Fertigkeitstheorie vorgestellt, welche auf der Basis von Modellen der Informationsverarbeitung aufbaut und besonders geeignet ist, die Frage nach der Natur von Fertigkeiten zu beantworten. Im nächsten Kapitel werden dann Ansätze der Zwischensprachforschung und der Spracherwerbstheorie vorgestellt, wie sie sich in den letzten zwei Jahrzehnten aufgrund unzähliger theoretischer und empirischer Studien herausgebildet haben. In diesem Kapitel stehen demgemäss allgemeine Fragen und vorab der Begriff der Fertigkeit im Vordergrund; im nächsten die sprachspezifischen Untersuchungen und Theorien und der Begriff des Spracherwerbs.
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Zur Einführung: Fertigkeiten und die Didaktik
Die Thematisierung des Sprachgebrauchs führt die an Kommunikation orientierte Didaktik über die Fragestellungen des traditionellen Fremdsprachenunterrichts hinaus: Sie erschliesst einen neuen als relevant erkannten Sachbereich. Der Fremdsprachenunterricht gewinnt dadurch neue Ziele und Inhalte, welche die traditionelle Hinwendung auf das Sprachsystem fundamental transformiert. Im Zusammenhang mit dieser Neuorientierung tritt der Fertigkeitsbegriff seine Laufbahn in der Sprachdidaktik an.
1.2 Leinen und Können
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Der Begriff der Fertigkeit wird in zunächst unauffälliger Weise gebraucht in der Redeweise von den vier Fertigkeiten Lesen, Schreiben, Hören und Sprechen. Damit ist verwiesen auf eine doppelte Unterscheidung, die sich bei der Betrachtung des Sprachgebrauchs sofort aufdrängt. So verweist die Differenzierung von rezeptiven und produktiven Fertigkeiten zunächst auf die unterschiedlichen Rollen von Teilnehmern im sprachlichen Austausch, dann auch auf psychologische Aspekte der Sprachverarbeitung. Andererseits wird in der medialen Unterscheidung von mündlichen und schriftlichen Fertigkeiten der Aspekt der sprachlichen Realisationsform herausgehoben; auch diese mediale Unterscheidung hat natürlich psychologische Konsequenzen in Bezug auf Art, Geschwindigkeit usw. der sprachlichen Verarbeitungsprozesse. Jede der vier Sprachgebrauchsweisen ist danach zweifach bestimmt und nur in dieser doppelten Bestimmtheit individualisierbar - in Bezug auf die einzelnen Komponenten der Bestimmung herrscht jeweils Identität mit und damit ein enger Bezug zu einer der anderen Fertigkeiten (vgl. Dubin/Olshtain 1977: 51ff.). Hüllen (1969: 283) führt das Konzept der vier Fertigkeiten auf die Anfänge des praktisch, das heisst auf Kommunikation ausgerichteten Sprachunterrichts um die Jahrhundertwende zurück. Nach Mayer (1985: 10) setzt sich der Fertigkeitsbegriff mit Lados 'Moderner Sprachunterricht' endgültig durch. Er ist seither aus der Sprachdidaktik kaum mehr wegzudenken allerdings ist er auch umstritten. Denn mit dem Audiolingualismus hört der Begriff auf, mehr oder weniger neutral verschiedene Gebrauchsweisen zu bezeichnen, sondern hebt stark die psychologischen Momente hervor, die im Fertigkeitsbegriff implizit seit je angesprochen sind, die aber jetzt in direkter und den Begriff prägender Weise mit einer bestimmten Lerntheorie, der behavioristischen, verbunden werden. 'Fertigkeit' nimmt in diesem Kontext eine erweiterte Bedeutung an: Der Begriff kann von nun an nicht nur die Globalfertigkeiten Sprechen, Hören, Lesen und Schreiben bezeichnen, sondern auch beliebige Teilfertigkeiten, Sprachkenntnisse auf jeder Stufe der Komplexität, welche sich dadurch auszeichnen, dass sie als Instrumente der Kommunikation einsetzbar sind, das heisst ohne Überlegung, automatisch zur Verfügung stehen, wenn sie gebraucht werden. Im Audiolingualismus ist dieser explizit psychologisch fundierte Begriff der Fertigkeit mit dem behavioristischen Konzept des 'habit', der automatisierten Gewohnheit in Verbindung gebracht worden; solche 'habits' versuchte man im Unterricht weitgehend mit Hilfe von Drillübungen aufzubauen. Die kommunikative und anti-behavioristische Gegenbewegung hat mit dem 'habit'-Begriff zum Teil auch den der Fertigkeit aus der Diskussion verdrängt. So analysiert beispielsweise Wienold (1973: 73ff.) das Fertigkeitenschema auf der Grundlage eines pragmatischen Sprachbegriffs und wirft ihm 'Isolierung' und mangelnde Explizitheit vor. Isolierend sei es, weil es das gemeinsame Vorkommen, die enge Verknüpfung von Sprechen und Hören in normalen Kommunikations Situationen sowie die Mög-
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lichkeiten der Rekodierung1 ausser acht lasse; andererseits würden die Gemeinsamkeiten unterschlagen, die sich daraus ergeben, dass diese Fertigkeiten Sprachfertigkeiten sind und somit alle auf eine nämliche linguistische Sprachbeschreibung rekurrieren. Dieser zweite Gesichtspunkt liegt auch dem Vorwurf zugrunde, der Begriff der Fertigkeit lasse es an Explizitheit fehlen: Es vermag die im jedesmaligen Sprechen, Schreiben, Hören und Lesen involvierten pragmatischen und linguistischen Faktoren nicht zu unterscheiden und in ihrer jeweiligen Relevanz einzuschätzen. Von daher erscheint die Fertigkeiten-Klassifikation als abstrakt. Unterstützt wird diese Einschätzung durch den Hinweis darauf, dass es nicht Fertigkeiten an sich, sondern einzelne Komponenten des Sprachsystems sind, die für Lerner verschiedenen Alters verschieden leicht lernbar sind - so haben Kinder meist keine Mühe mit dem Erwerb korrekter phonetischer Repräsentationen, wohl aber Erwachsene, während Erwachsene schneller ein grosses Vokabular erwerben können (ebda.: 76). In der Konsequenz seiner Kritik zieht Wienold es vor, pragmatisch bestimmte Elemente sprachlichen Handelns - sprechaktähnliche Tätigkeiten wie 'Vorschläge machen', 'kritisieren', 'eine Meinung ausdrücken' usw. - als Fertigkeiten zu bezeichnen (ebda.: 79)2. Diese Hinweise, so richtig sie im einzelnen sind, sind kaum geeignet, das Fertigkeitenschema abzulösen und den Begriff der Fertigkeit im pragmatischen wie auch im oben charakterisierten psychologischen Sinn überflüssig zu machen. Zwei Anmerkungen dazu müssen genügen: 1. Zunächst scheint Wienold den Charakter des Fertigkeitenschemas misszu verstehen, nämlich als (missglückten) Versuch, Kommunikations konstellationen zu beschreiben. Tatsächlich hält es aber nur den höchst banalen Sachverhalt fest, dass und wie die grundsätzlich möglichen sprachlichen Verhaltensweisen sich voneinander unterscheiden. In dieser seiner Allgemeinheit ist das Fertigkeitenschema sicherlich kein in sich allein genügendes Analyseschema, sondern vielmehr die abstrakteste mögliche Formulierung des kommunikativen Grundsatzes, dass nicht 'die Sprache', sondern die Sprache in ihren verschiedenen konkreten Gebrauchsweisen und der Lernende als Sprachbenutzer Gegenstand der Didaktik seien. Deshalb kann es in keiner an Kommunikation orientierten Didaktik fehlen. Es tritt denn auch in Wienolds 'Liste von Kategorien' wieder auf, die es erlauben soll, die Vielzahl der möglichen pragmatischen Fertigkeiten zuhanden des Unterrichts zu beschreiben und zu klassifizieren. In dieser Liste erscheinen pragmatische, systemlinguistische (und andere) Kriterien, jedoch auch ganz prominent die Dichotomien mündlich/schriftlich und rezeptiv/produktiv. 1
Man kann z.B. etwas voiiesen, das heisst lesen und gleichzeitig laut artikulieren. 2 Ähnlich kritisiert auch Widdowson (1978) das Fertigkeitenschema. - Nicht eingegangen werden soll hier auf Wienolds Meinung, die Klassifikation sei unvollständig. Nach seiner Auffassung müsste auch Übersetzen als eine Fertigkeit begriffen werden. Dies ist allerdings eine komplexere Fertigkeit und steht nicht auf derselben Ebene wie die vier Grundfertigkeiten.
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2. Die Ersetzung des psychologisch geprägten Fertigkeitsbegriffs durch den der pragmatisch definierten Fertigkeit im Stile der Sprechakte ist nicht befriedigend. Fertigkeiten werden hier ganz von den sprachlichen Mitteln, welcher sie sich bedienen, und den pragmatischen Bedingungen her definiert, welchen sie in der Anwendung unterliegen. All dies ist zweifellos höchst wichtig und nötig, aber es gibt keine Antwort auf die Frage nach dem, was sprachliche Fertigkeit ist. Fertigkeiten können sich natürlich nicht anders als mit Hilfe sprachlicher Elemente und Strukturen ausdrücken. Deren Auflistung ist ein Beitrag zur Bestimmung von Feinlernzielen; sie gibt keine Antwort auf die Frage, was es heisst, diese Sprachmittel zu beherrschen oder sie zu lernen. Linguistische und funktionalpragmatische Kategorien sind keine Kategorien des Sprachgebrauchs und des Sprachlernens als psychologischer Prozesse. Solche Kategorien sind aber nötig, sollen für die für den Unterricht als sinnvoll erkannte Auswahl von Sprachmitteln auch auf sinnvolle Art vermittelt werden können (vgl. Levelt 1975: 83; McLaughlin/Rossman/McLeod 1983). Wienolds Kritik beruht auf der Einsicht, dass der behavioristische Begriff der Fertigkeit für die Sprachdidaktik uninteressant, sogar hinderlich ist und relevante Aspekte dessen verfehlt, was Sprachbeherrschung ausmacht. Allerdings gelingt es seinem Vorschlag nicht, eine wirklich gangbare Alternative aufzuzeigen. Im folgenden soll deshalb ein anderer Weg gegangen werden, als Wienold ihn geht. Es wird darum gehen, die psychologischen Aspekte am Sprachgebrauch nicht zugunsten der linguistisch-pragmatischen Definition von Sprachmitteln zu verdrängen, sondern gegenüber den behavioristischen Versuchen neu und interessanter zu entwickeln.
2
Von der Reaktion zur kognitiven Steuerung
2.1 Fertigkeiten und Sprachbeherrschung Ein tiefgehendes Interesse an (vor allem nichtsprachlichen) Fertigkeiten hat seit langem die Entwicklungen im wissenschaftlichen, technischen und militärischen Bereich begleitet - überall dort, wo die Leistungsfähigkeit komplexer Geräte und Systeme abhängig ist von ihrer optimalen Bedienung durch die Benutzer (vgl. Welford 1968: 11f.). Dies führte, vor allem seit den vierziger Jahren, zu immer differenzierteren Untersuchungen der Natur von Fertigkeiten und der ihnen zugrunde liegenden Lernprozesse. Die psychologische Forschung beschränkte sich dabei nicht auf manuelle oder in bestimmter Weise abgegrenzte Mengen von Fertigkeiten, sondern richtete sich allgemein auf die Faktoren, which go to make up a competent, expert, rapid and accurate performance. Skill in this sense thus attaches, to a greater or lesser extent, to any performance and is not limited to manual operations but covers a wide range of mental activities as well. (Welford 1968:12f.)
Die Ergebnisse solcher Untersuchungen sind denn auch immer wieder für die Frage nach dem sprachlichen Können als wichtig erkannt worden.
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Einen interessanten Beitrag in diesem Zusammenhang stellt Herriots 'Introduction to the Psychology of Language' (1970) dar. Herriot scheint von einer weitgehend behavioristisch ausgerichteten Sprachpsychologie herzukommen; seine Grundfrage ist, ob und wie weit Sprachgebrauch sich als Ausübung von Fertigkeiten betrachten lasse. Zu Beginn seines Buches stellt er vier Charakteristika von Fertigkeiten vor, die in der oben erwähnten Forschungsrichtung als die zentralen erkannt worden seien (Herriot 1970: 21ff.): 1. Fertigkeiten sind hierarchischer Natur, das heisst sie bestehen immer aus verschiedenen Teilmomenten, die in ihrer Ausführung auf komplexe Art aufeinander bezogen und voneinander abhängig sind. Diese Teilmomente lassen sich in bezug auf Sprache annäherungsweise mit den verschiedenen linguistischen Beschreibungsebenen (Semantik, Syntax, Morphologie, Phonologie) in Parallele bringen, auf denen die zugehörigen sprachlichen Einheiten gemäss spezifischen Regeln formiert und umgewandelt werden. Diese Regelsysteme sind voneinander verschieden (z.B. Artikulations- von Syntaxregeln), but the syntactic level isrelatedto to the articulatory level in the sense that articulatory skill is a necessary condition for syntactic skill to be exercised in language behaviour, and the syntactic and semantic structure determines which articulatory elements are used and in which order they are used. (Herriot 1970: 22)
Je effizienter die Phasierung und Koordination dieser Teilaktivitäten gelingt, desto weniger zufällig ist ihre Reihenfolge (wo sich überhaupt die Frage der Reihenfolge stellt) und desto klarer sind sie auf das Ziel der Handlung bezogen. 2. Fertigkeiten sind kontrollierte, rückgekoppelte Aktivitäten. Die Anpassung des Verhaltens an die Umwelt und seine Wirksamkeit - z.B. die Anpassung von Lautstärke und Artikulationsgenauigkeit in einer lärmigen Umgebung - wird geprüft, indem die eigene Aktivität und ihre Resultate kontrolliert und moderiert werden (intern durch die Kontrolle von Handlungsplänen während ihrer Erarbeitung und vor ihrer Ausführung sowie durch die Rückmeldung des motorischen Systems über seine Bewegungen, extern durch die visuelle, akustische usw. Beobachtung der eigenen Produkte sowie von Partnerreaktionen). Allerdings ist die Fähigkeit jedes Organismus zu solchen Kontrolleistungen beschränkt, einerseits aufgrund seiner motorischen und Wahrnehmungslimiten (Limiten der peripheren Systeme - bei nachlassender Gehörleistung etwa sind gewisse lautliche Differenzierungen nicht mehr wahrzunehmen), andererseits wegen der beschränkten Verarbeitungskapazität des zentralen Systems (bekannt sind vor allem die Leistungsbeschränkungen des Kurzzeitgedächtnisses). 3. Ausgebildete Fertigkeiten sind automatisiert. Der Begriff der Automatisation «refers to the running off of sequences of behaviour without the need for conscious control» (Herriot 1970: 22) - wobei hier weniger der Begriff der Kontrolle als der der Bewusstheit problematisch ist. Herriot führt als Beispiel die Typistin an, die Wörter oder ganze Sätze tippen kann,
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ohne auf die Buchstaben zu achten, «although it is obviously hard to say whether control is 'conscious' or 'unconscious'» (Herriot 1970: 22). 4. Geübte Akteure1 versuchen, soweit dies möglich ist, durch Antizipation ihre Aktionen wirkungsvoller und genauer zu planen und auszuführen. Antizipation wird im Sprachverhalten z.B. deutlich in der Fähigkeit von Hörern, dem Sprecher das Stichwort zu liefern, wenn er in seinen Ausführungen zögert und nach einem Ausdruck sucht. 5. Stillschweigend führt Herriot ein zusätzliches Merkmal ein, das auf Fertigkeiten zutreffen soll - eines, das in gewissem Widerspruch zu den eben aufgeführten steht, das im weiteren Verlauf der Argumentation jedoch eine zentrale Rolle spielt und aus den dort angestellten Überlegungen herausgelesen werden kann. Danach betreffen Fertigkeiten (hier stimmt Herriot noch mit behavioristischen Vorstellungen überein) Wahrnehmungs- und Handlungselemente, die untereinander durch Reiz-Reaktionsmuster, also sequentiell verbunden sind. Vor diesem Hintergrund stellt Herriot die Frage, ob und wie weit der Begriff der Fertigkeit auf sprachliches Verhalten anwendbar ist. Er gibt eine Ubersicht über Studien zu Phonemerkennung und Artikulation auf der phonologischen, über die Rolle von Morphem, Wort und Satzbildung auf der syntaktischen Ebene und kommt zum Schluss, dass in beiden Fällen davon gesprochen werden kann, dass im Sprachgebrauch Fertigkeiten involviert sind: Die jeweiligen relevanten Vorgänge sind hierarchisch aufeinander bezogen, rückgekoppelt, automatisiert und antizipativ. Dabei scheinen sich die psychologisch relevanten Ebenen des Umgehens mit Sprache weitgehend mit denen zu decken, die die Linguistik beschrieben hat. Wenn Herriot trotzdem Vorsicht bekundet, den Begriff der Fertigkeit auf sprachliches Verhalten anzuwenden, so hat dies damit zu tun, dass die feststellbaren Phänomene des Sprachgebrauchs den behavioristisch orientierten Fertigkeitsbegriff sprengen, das heisst dem fünften oben aufgeführten Merkmal widersprechen. So zeigen sich im produktiven Sprachgebrauch etwa in den Phänomenen des Stockens, Sich-Versprechens und der Selbstkorrektur - Regularitäten, die sinnvoll nur dann interpretierbar sind, wenn angenommen wird, dass die Sprechenden ihren Äusserungen übergreifende syntaktische Strukturen zusprechen, wie sie etwa in Phrasenstrukturgrammatiken beschrieben werden. Dies bedeutet aber, dass - modellhaft am klarsten beschrieben in der Transformationsgrammatik - der sprachlichen Produktion hierarchisch organisierte, an den 'vertikalen' Abhängigkeiten im Satz orientierte Verarbeitungsprozesse 'von oben nach unten' zugrunde liegen. Dies ist ein starkes Argument gegen behavioristische Sprachpro1 Das englische Adjektiv 'skilled' lässt sich auf Personen wie Aktivitäten anwenden. Im Deutschen fehlt ein Adjektiv zum Nomen 'Fertigkeit'; die einschlägigen Alternativen lassen sich zudem nicht problemlos sowohl Akteuren wie Handlungen zuschreiben. In bezug auf Personen wird deshalb im folgenden 'geübt' oder 'gewandt' verwendet, in bezug auf die Ausführung von Handlungen 'geläufig'.
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duktionsmodelle, die davon ausgehen, dass es (als Reiz-Reaktionsmuster interpretierbare) Wort-zu-Wort-Übergänge sind, die den Produktionsprozess steuern1. Allerdings sind ebenso klare Phänomene aufweisbar, die auf eine sequentielle, 'von links nach rechts' ablaufende Sprachverarbeitung auch innerhalb von Sätzen hinweisen. Danach braucht vor Beginn einer Äusserung noch keine volle Satzstruktur im Sinne einer ausgebildeten Phrasenstruktur vorzuliegen, was es nach Herriot verunmöglicht, etwa Chomskys Generationsmodell als psycholinguistisches zu verstehen. Diese Untersuchungen - obwohl weit davon entfernt, vollständigen Einblick in alle beteiligten Prozesse zu gewähren - scheinen klarzumachen, «that a central integrative process must occur before the generation of a response sequence (but this need not be a complete plan)» (Herriot 1970: 45; vgl. 5 If., 162). Analoges lässt sich aus den vorliegendes Untersuchungen für den Bereich der Rezeption erschliessen. Beispielsweise tendieren Versuchspersonen dazu, einen in eine Hörsequenz eingefügten Klicklaut an syntaktischen Phrasengrenzen zu hören, auch wenn er in Wirklichkeit innerhalb einer Phrase piaziert wurde. Zu solchen Resultaten bemerkt Herriot: Two inferences can therefore be drawn. Firstly, constituent units are perceptual units, in that they preserve their integrity by resisting interruptions. Secondly, the perception involved is active rather than passive; the perceiver applies the structure himself, it is not given him by direct physical signals. (Herriot 1970: 4Ö)2
Die Annahme eines notwendigen zentralen Prozesses für die Erzeugung sprachlicher Ketten wie auch die Einsicht in die Rolle von Interpretationen für die Strukturierung solcher Ketten in der Rezeption führen nun direkt auf das Problem der Bedeutung. Ist diese, wie es die an die Transformationsgrammatik anschliessenden psycholinguistischen Untersuchungen nach Ansicht Herriots schlüssig gezeigt haben, nicht nur mit elementaren Sprachelementen (Lexemen), sondern auch mit syntaktischen und anderen sprachlichen Strukturen so untrennbar verbunden, dass «all the features of language can be treated as cues to meaning» (S.77), dann verändert sich das ganze Instrumentarium der Begriffe, mit denen über Sprachfertigkeiten zu sprechen ist. Sein behavioristisch geprägter Begriff der Sprachfertigkeit ist dann bedroht, weil die mit ihm verbundene Vorstellung vom Automatismus und von der notwendigen Unbewusstheit des Ablaufs fertigkeitsgesteuerter Prozesse sich schwer mit dem Begriff der Bedeutung, die auch Bewusstsein notwendig miteinschliesst, verbinden lässt. When this factor [sc.: Bedeutung] is brought into the analysis, attempts to define language behaviour in terms of skill become more difficult. This is because the terminology used to describe skillsrefersonly to the integration of sensory stimuli and motor 1 «Since word associations are usually paradigmatic, one can reject the proposition that sentences are produced in a left-to-right manner with one word acting as a stimulus to produce an association.» (Herriot 1970: 35) 2 Herriot spricht vorwiegend über Produktionsphänomene; er weist darauf hin, dass die interne Struktur von Verstehensprozessen schlecht überprüfbar ist, da sie fast nur aus produktiven Antwortreaktionen erschlossen weiden kann (Herriot 1970: 23,54).
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responses, whereas an adequate account of meaning requires the postulation of representational thinking or cognitive categories. (Heiriot 1970:55, vgl. 76)
An diesem Punkt mag klarwerden, warum Heiriot von Anfang an nicht Sprechen oder Hören als sprachliche Fertigkeiten bezeichnet hat. Diese sind nicht nur für die empirische psychologische Untersuchung zu makroskopische Grössen; als integrierte Weisen des Sprachgebrauchs haben sie auch immer mit Bedeutungen und damit mit Intention, Situation und Kommunikation zu tun - lauter Begriffe, die einen behavioristisch geprägten Ansatz von vornherein in Frage stellen. Im Bereich von Syntax oder Phonologie - auf einem Niveau unterhalb des unmittelbar Kommunikativen und Bedeutungshaften - schienen dagegen Anteile am Sprachgebrauch festmachbar zu sein, die als 'skilled' im behavioristischen Sinne bezeichnet werden können, die sich dem Anschein nach ohne Begriffe beschreiben liessen, welche sich auf Semantik oder Kognition beziehen1. Sobald diese Trennung der unteren sprachlichen Ebenen (die psychologisch als Fertigkeiten modelliert werden) von der semantisch-pragmatischen Ebene (die einer Fertigkeitentheorie nicht mehr zugänglich ist) aufgehoben wird, stellt sich die Frage erneut, wie Sprachkönnen überhaupt psychologisch gefasst werden kann. In der behavioristischen Sicht der Dinge, wie sie Heiriot darstellt, sind die sprachlichen Fertigkeiten Gewohnheiten, welche ohne jedes Zutun abzulaufen haben, wenn nur gewisse (nicht mehr eigentlich sprachliche) konzeptuelle Grössen vorliegen. Wenn diese Aufteilung nicht mehr zu halten ist, stellt sich nicht nur die Frage nach dem Zusammenhang von Nichtsprachlichem und Sprachlichem neu, es stellt sich die Frage nach der Sprache selbst auf neue Weise2. 2.2
Gewohnheit, Fertigkeit, Kognition
Die eben angesprochene Schwierigkeit führt ins Zentrum der Problematik um den Begriff der Fertigkeit. Reed (1968) spricht im einführenden Abschnitt seines höchst aufschlussreichen Aufsatzes von zwei Richtungen in der Erforschung von Fertigkeiten: Einer älteren, vor allem behavioristisch orientierten, und einer jüngeren, die, wie eingangs angemerkt, vor allem von komplexen praktischen Problemen im technischen Bereich ausging. Diese Unterschiede prägten den Zugang der Forscher zum Untersuchungsbereich entscheidend: Earlier theorists tended to analyse characteristics of particular activities such as swimming or archery, which were taken to be 'typical skills'. This involved attempts to define what were 'skills' and what were not, or to distinguish between 'high grade' and 'low grade' skills. To most modem skill psychologists such classification would * Einen analogen Versuch, 'Kommunikation' von der Ebene der 'Fertigkeiten' abzugrenzen, macht Widdowson (1978). 2 Vgl.: «the connexion of non-linguistic cues [sc.: semantische und konzeptuelle Grössen] with language behaviour is of vital importance. It allows the inference of a connexion between theregulatorysystems of linguistic and non-linguistic behaviour. [...] The whole 'problem of meaning' so-called is concerned with the connexion between non-linguistic and linguistic schemata.» (Herriot 1970:101)
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht be a red-herring endeavour, which is avoided by studying the nature of the development or acquisition of skilled behaviour rather than the task as such. From this point of view, not only fencing and football, but walking, talking and using a knife and foxk are germane to skill study. (Reed 1968:106)
Thema neuerer Forschungen sind demgemäss nicht so sehr die einzelnen Bereiche, in denen Fertigkeiten eine Rolle spielen, und noch weniger die Resultate geübter Aktivitäten an sich, sondern vielmehr die allgemeinen Charakteristika von Fertigkeiten überhaupt. Reed zitiert Fitts (1964) «who defines skilled response as [...] one in which receptor-effector-feedback processes are highly organized, both spatially and temporally» (Reed 1968: 107)1, und er fügt hinzu: Probably the majority of contemporary investigators of skill would agree with Fitts that the central problem is how such organization or patterning takes place. For the most profitable approaches to the subject have been those which emphasize selection, organization and integration. Such approaches imply a rejection of the view that skill should be studied in terms of habit-formation or simple stimulus-response chains. (Reed 1968:107)2
Reed leugnet nicht Existenz und Wichtigkeit eingeschliffener Verhaltensweisen (habits). Fertigkeiten haben aber nur zum Teil mit dem Aufbau und der Veränderung solcher fixer Verhaltensweisen zu tun; Fertigkeiten sind mit 'habits' nicht gleichzusetzen: It follows that acquiring skills involves not only simple habit formation but a dynamic process of selective response reinforcement and generalization. This implies the progressive and hierarchical integration of a whole repertoire of habits, not all of which are required to be in operation at any given phase of the activity. The selective process demands active inhibition as well as arousal. (Reed 1968,110)3
Vor diesem Hintergrund werden die Schwierigkeiten Herriots vielleicht klarer. Sein Ausgangspunkt liegt in einem Fertigkeitsbegriff, den er weitgehend mit dem 'habit'-Begriff gleichsetzt - als solcher ist er begrenzt auf genau abgesteckte Gebiete, die vorzüglich den perzeptuell-motorischen Bereich betreffen, und er bezieht sich auf Operationen, die automatisch auf genau definierte Eingangsbedingungen ebenso genau definierte Reaktionen liefern. Dieser Begriff ist aufs Sprachverhalten, z.B. auf gewisse Teilfertigkeiten in beschränktem Masse vielleicht anwendbar. Viele sprachliche Teilfertigkeiten und vor allem deren zielgerichtete Integration zu ei1
Eine Definition von 'skill', welche die Ansicht der ersten Richtung wiedergäbe, wäre demgegenüber «learned ability to bring about predetermined results with maximum certainty* (Reed 1968:106). 2 'Organisation' kann mit dem Merkmal 'Hierarchie' in Verbindung gebracht werden; Selektion und Integration haben mit Automatisierung zu tun - darauf wird im nächsten Abschnitt zurückzukommen sein. - Reed und Welford betonen, dass der Geübte dem Ungeübten nicht so sehr voraushat, dass er bessere Resultate erzielt - dies und dass er seine Resultate zuverlässiger erzielt, sind vorab eine Folge davon, dass er sie auf andere Weise erreicht (vgl. Reed 1968: 107). 3 Reed definiert das Grundlagenniveau von 'habits' nicht näher. Was 'elementare' Einzelheiten des Verhaltens sind, scheint in diesem Ansatz nicht weiter zu interessieren was wichtig ist, sind die Strategien der Selektion und Integration von Verhaltenselementen in organisierte, selbstkontrollierte Handlungsabläufe (Reed 1968: 112).
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nem Akt der Sprachverwendung sind jedoch nicht auf diese Weise zu beschreiben. Die Gleichsetzung von fixen Reaktionsmustern (habits) und Fertigkeiten schafft theoretische Probleme und führt vor allem zu irreführenden praktischen Konsequenzen: investigators have tended to regard the skilled performance of different tasks as distinct, unchanging summations of unchanging elements. In other words, in some theorizing, skilled activities have been given the status of separate clusters of habits. As pointed out above, such an assumption misses what seems to be the most important aspect of skilled behaviour - that it is primarily a matter of strategy, response selection, and temporal/spatial organization. (Reed 1968: 124)1 Nun ist der Übergang zum moderneren, kognitiv fundierten Begriff der Fertigkeit schon in den von Herriot explizit aufgeführten vier fundamentalen Merkmalen von Fertigkeiten durchgeführt2. Werden Fertigkeiten als komplexe, auf verschiedenen hierarchisch geordneten Ebenen beschreibbare Grössen dargestellt, so ist kaum auszumachen, wie sie ohne Mitwirkung kognitiver und repräsentationaler Kategorien dargestellt werden könnten. Zumal das Konzept der Kontrolle (der Rückkoppelung) und das der Antizipation sind darauf angelegt, den Begriff einer 'blinden' Fertigkeit zu sprengen. Kontrolle verweist, indirekt, auf Wahlmöglichkeiten (vgl. Welford 1968: 18). Antizipation führt zum Aufbau grösserer Handlungseinheiten, die als ganze überblickt werden können - was es erlaubt, auf die einzelnen für das Verhalten kritischen Informationen nicht einfach wie auf Stimuli zu reagieren, sondern den ganzen Ablauf vorwegzunehmen und die einzelnen Aktionen als Teil einer Handlungsstrategie auszuführen 3 . Dass solche Möglichkeiten nur auf der Grundlage kognitiver Repräsentationen denkbar sind, macht z.B. Welford in seiner Analyse des Fertigkeitsbegriffs klar, und er sieht darin ebensowenig wie Reed einen Anlass, ihn in Frage * Vgl. Munby (1978). Munby liefert - zu Zwecken der Bestimmung von Lemzielen eine (offene) Liste von 260 sprachlichen (Teil-)Fertigkeiten; darunter mögen sich auch einige befinden, die sich unter Umständen als einfache Gewohnheiten ansprechen lassen. - Worauf Munby nicht eingeht, ist die Frage, wie diese Teilfertigkeiten zu einem Gesamtverhalten integriert werden. 2 Diese Merkmale entsprechen weitgehend denen, die auch Welford (1968), Reed (1968), Lunzer (1968) beibringen. Zusätzlich wichtig sind die eben genannten der Selektion und Inhibition. In bezug auf das Fremdsprachenlemen geht Levelt (1975: 84f.) von einem so definierten Fertigkeitsbegriff aus. 3 «One of the most marked characteristics of many highly skilled performances is that details of the task are seen not only as present and immediate problems, but are placed in a wider setting, and actions are not designed as individual units but as parts of an extended activity demanded by the task as a whole» (Welford 1968: 18). - In diesem Zusammenhang ist vielleicht Reeds Bemerkung interessant, dass geübtes Verhalten es dem Handelnden ermöglicht, auf sparsamere Weise zum Ziel zu kommen. Er spricht über motorische Aktivitäten eines Aktanten und fährt dann fort: «Similarly, in mental tasks he leams to ignore inessentials, and no longer needs as many mental checks as he did initially. Thus at this, and other levels, the learner utilizes active inhibition in his selection of the responses available to him. In fact, one aspect of most skill development is that the subject becomes able to cany out the task with less information (be it sensory, perceptual, cognitive or social) because he is better able to comprehend and benefit from such cues as he does select.» (Reed 1968:108)
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zu stellen: Fertigkeiten sind selbst schon kognitiv verankerte und gesteuerte Aktivitäten, nicht solchen bloss vor- oder untergeordnet. Wichtig an diesem Begriff von Fertigkeit ist, dass unter dieser Perspektive auch scheinbar einfache Aktivitäten nicht als von einem Stimulus, sondern von einem inneren Programm gelenkt erscheinen, das sich an Wahrnehmungen der Situation und an angestrebten Zielgrössen orientiert und dessen Produkt, die Aktionen, den Versuch des Handelnden darstellen, seine Umwelt diesem Ziel gemäss zu verändern. This way of looking at performance has two important consequences. First, it places the main emphasis on perception and decision and thus makes the essential matrix of behaviour cognitive. Secondly since actions merely bridge the gap between one perceptual situation and another, they can vary substantially without the functional unit of performance having to be regarded as different: the central mechanisms are capable of producing a range of actions the details of which are matched to the precise requirements of the occasion so that the same end may be achieved in several slightly different ways. (Welfoid 1968: 196 - Sperrung PRP)
Die Automatik des Ablaufs von Aktivitäten ist vor diesem Hintergrund nicht einfach Ausdruck einer unveränderlich ablaufenden, fest einprogrammierten Reaktion, sondern Ausdruck von Sicherheit in der Ausführung von Anpassungs- und Einwirkungsprozessen, die der bewussten Kontrolle nicht oder nur noch am Rande bedarf. Aus der hier vorgestellten Auffassung folgen verschiedene Konsequenzen; auf zwei davon sei hingewiesen. Einerseits ist auf dieser Basis damit zu rechnen, dass Fertigkeiten einander stützen und beeinflussen können, dass also gewisse Aspekte von Fertigkeiten auf andere Verhaltensweisen transferiert werden können. Dies darum, weil Fertigkeiten ganz wesentlich als Organisations- und Kontrolleistungen erscheinen, deren Prinzipien übertragbar sind1. Andererseits ist in diesem Entwurf der Unterschied zwischen motorischen und mentalen oder einfachen und komplexen Aktivitäten bloss ein relativer. Da in jedem, auch einem anscheinend bloss sensomotorischen Tun, mentale Prozesse eine Rolle spielen, lässt sich zwischen beiden keine scharfe Grenze ziehen. Welford postuliert einen fliessenden Übergang von (traditionell so akzeptierten) Fertigkeiten zu kognitiv anspruchsvollen Beschäftigungen gerade auf der Grundlage der Einsicht, dass sich dabei Art und Rolle der Äusserungsformen der Fertigkeiten verändern, nicht jedoch die fundamentalen Grundlagen der entsprechenden Leistungen - vielmehr lassen sich beide mit grundsätzlich gleichartigen Modellen beschreiben: In sensory-motor skills the overt actions clearly form an essential part of the performance, and without them the purpose of the activity as a whole would disappear. In mental skills overt actions play a more incidental part, serving rather to give expression to the skill than forming an essential part of it. There are thus many features 1 Transfer ist im behavioristischen Fertigkeitskonzept eigentlich nur als Übertragung von fixen Kenntnisblöcken möglich, nicht als Transfer von Organisationsleistungen. Die Differenz ist gewichtig; das Konzept vom 'Lernen zu lernen' beruht auf der Möglichkeit solchen Transfers (vgl. Reed 1968:124f., vgl. III.2/2).
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common to both sensory-motor and mental skills, while each serves to emphasize and illustrate some features more than others. (Welford 1968: 21 - im gleichen Sinne äussern sich unter anderen Anderson (1983,1985), Herrmann (1985).)
Es ist klar, dass vor diesem Hintergrund Herriots Grundfrage - ob Sprach verhalten als Fertigkeit betrachtet werden dürfe - positiv beantwortet werden kann, allerdings auf der Basis eines Konzepts von Fertigkeiten, das seine behavioristischen Grundlagen abgestossen hat. Ganz auf dieser Linie verweist Herriot am Schluss seines Buches auf Lunzers (1968) Theorie von Schema und Strategie. Danach ist Verhalten durch das organisierte Zusammenspiel verschiedener Elemente auf verschiedenen Ebenen bestimmt. Der Begriff des Schemas verweist auf jeder dieser Ebenen auf die einem Organismus möglichen Verhaltensweisen, auf die ihm zugänglichen Differenzierungen, kurz gesagt: auf seine Kompetenz. Diese Möglichkeiten werden in kontinuierlicher Interaktion von Organismus und Umwelt ausgebildet. 'Strategien' sind die Mechanismen der Verkettung von Planungs- und Verhaltenselementen untereinander und die Art der Anpassung ihrer Ausführung an äussere Umstände, sie kontrollieren die Organisation des aktuellen Verhaltens (vgl. Herriot 1970: 164f.). Auf jeder Ebene des Verhaltens - auch des sprachlichen - lässt sich eine teilweise Autonomie ihrer Elemente und Strukturen von denen der höhergeordneten Ebenen und gleichzeitig eine Kontrolle durch diese feststellen. So geben Phonem- oder Graphemkombinationen den Einheiten der nächsthöheren Ebene, den Morphemen und Lexemen, sprachlichen Ausdruck, ohne dass die Regularitäten der phonematischen oder graphematischen Ebene in ihrer Gänze auf die Bedingungen zurückgeführt werden könnten, die durch diese höhere Ebene gestellt werden. Der aktuelle Übergang von einer Ebene zur anderen kann durch das, was auf der einen entschieden wird, sehr stark vorbestimmt sein. Die Wahl eines Wortes etwa bedeutet zugleich auch die Wahl einer bestimmten morphematischen und phonematischen Struktur. Die Übergänge können aber auch durch grosse Unbestimmtheit gekennzeichnet sein: Ein 'Gedanke' lässt viele sprachliche Formulierungen zu, die untereinander weder lexikalisch noch syntaktisch grosse Ähnlichkeiten aufweisen müssen. Diese Darstellung ist weitgehend kompatibel mit der eben gegebenen Explikation eines kognitiv fundierten Fertigkeitsbegriffs; die aktuellen Abläufe im Rahmen dieses hierarchischen Systems können nach Massgabe von Automatisierung, Rückkoppelung und Kontrolle, Selektion und Inhibition modelliert werden. Auch hier werden sprachliches und nichtsprachliches Verhalten unter gleichem Gesichtspunkt betrachtet, nämlich auf der Grundlage einer 'kognitiven Matrix' (Welford). Natürlich ist es auch in diesem Kontext nicht einfach, das sprachliche Verhalten mit dem nichtsprachlichen zu verbinden. Die Trennlinien sind aber nicht mehr rigide gezogen. Für Herriot ist es die linguistische Tiefenstruktur, deren psychologische Realität er für erwiesen hält, in der nicht-linguistische und linguistische Schemata miteinander vermittelt werden, wo also der Umschlagpunkt stattfindet, an dem linguistisch noch nicht fixierte Ge-
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danken- und Vorstellungskomplexe in eine semantisch-syntaktische Form gebracht werden, die sich dann letztlich als sprachliche Äusserung manifestieren kann (Herriot 1970: 165).
3
Der Aufbau von Fertigkeiten
Mit der letzten Wendung seiner Argumentation - die er nicht mehr weiter ausführt - siedelt Herriot auch die Diskussion um die Bestimmung sprachlicher Fertigkeiten im Bereich kognitiv ausgerichteter Psychologie an. Die meisten der in diesem Gebiet vorgeschlagenen Modelle sind ihrem Anspruch nach allgemeiner Natur; sie sollen nicht nur sprachliche, sondern im Prinzip auch alle anderen kognitiven Fertigkeiten zu beschreiben imstande sein, und zwar in ihrem normalen Funktionieren wie auch in bezug auf ihre Aneignung (vgl. die einleitenden Passagen etwa in Anderson 1983, Herrmann 1985). Hier geht es zunächst darum, ein Modell vorzustellen, das dem im letzten Abschnitt vorgestellten Fertigkeitsbegriff verpflichtet ist und geeignet scheint, in den Grundzügen deutlich zu machen, wie im Aufbau von Fertigkeiten das jeweils bereichspezifische Wissen verarbeitet und in handlungsrelevante Form gebracht wird. Die folgenden Ausführungen beruhen auf dem prozeduralen Ansatz, wie ihn etwa Anderson und Herrmann vorgeschlagen haben; dieser macht spezifischen Gebrauch von weit verbreiteten, grundsätzlichen Annahmen über das kognitive System1. Danach lässt sich der menschliche Intellekt als informationsverarbeitendes System auffassen. Dessen Aktionen sind, soweit sie das hier interessierende Feld der Fertigkeiten betreffen, generell als Problemlöseverhalten zu charakterisieren. Der Fertigkeitenerwerb wird gesehen als Erwerb einer bereichsspezifischen Kenntnisbasis und, darauf aufbauend, einer gerichteten, spezialisierten Problemlösungskompetenz. Die höchst unterschiedlichen Fertigkeiten, über die Personen verfügen, werden so interpretiert als Resultate der Differenzierung und Spezialisierung von zunächst unspezifischen, allgemeinen Problemlösungsfähigkeiten2. Vorgreifend auf alle weiteren psychologischen und psycholinguistischen Ausführungen und Hinweise in dieser Arbeit ist hier zu bemerken, dass die meisten Begriffe und Theorien, auf die im folgenden verwiesen wird, um Einzelaspekte zu erläutern, von denselben allgemeinen Grundlagen kognitiver Psychologie, aber nicht von denselben spezifischen Modell Vorstellungen ausgehen; sie können deshalb in Einzelheiten voneinander abwei1 Dieser Ansatz ist in den letzten Jahren auch für die Psycholinguistik und die Zwischensprachforschung immer wichtiger geworden. 2 Vgl. Anderson (1983: 255): «The claim is that the configuration of learning mechanisms described is involved in the full range of skill acquisition, from language acquisition to problem solving to schema abstraction. Another strong claim is that the mechanisms of skill acquisition function within the mold provided by the basic problem-solving nature of skills.»
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chen. Dies ist angesichts einer höchst lebhaften und diversifizierten Forschungstätigkeit zu erwarten; ich hoffe, derartige unvermeidliche Diskrepanzen betreffen nicht die Substanz der Argumente. 3.1
Deklaratives und prozedurales Wissen
Die von Herriot herbeigezogenen Begriffe 'Schema' und 'Strategie' sind verwandt mit einem Begriffspaar, das heute unter verschiedenem Namen und in leicht unterschiedlichen Konzeptualisierungen in den meisten Theorien der Kognition eine Rolle spielt. Es geht dabei um die Unterscheidung von 'Wissen, dass' und 'Wissen, wie', von einem Wissen um Fakten und einer Fähigkeit, etwas auf bestimmte Weise zu tun. Gallagher spricht von propositionalem Wissen und algorithmischem Wissen; diesen entspricht der fundamentale Unterschied zwischen Daten und Prozessen. «The data may be viewed as a 'structure', and processes as activities operating on that structure» (Gallagher 1979: 395). Auf ähnliche Weise charakterisiert Dechert die zwei Komponenten der Wissensbasis in Theorien der Informationsverarbeitung als 'Daten' und 'Programm', dieses letztere ist «the knowledge how these data are to be processed» (Dechert 1984: 214f.). Bei ihm heissen die beiden Komponenten deklaratives und prozedurales Wissen. Er benutzt damit eine Terminologie, die sich weitgehend eingebürgert hat. Zur Charakterisierung des Unterschieds greift Anderson (1976: 117) zurück auf Beobachtungen, die Gilbert Ryle 1949 in 'The Concept of Mind' gemacht hat. Danach sind Wissen, dass und Wissen, wie folgendermassen voneinander zu trennen: - Deklaratives Wissen hat man entweder oder man hat es nicht. Prozedurales Wissen kennt verschiedene Stufen - man kann eine Fertigkeit in unterschiedlichem Masse besitzen. - Deklaratives Wissen wird plötzlich erworben. Man wird informiert, und dann weiss man es. (Natürlich gibt es die Möglichkeit des Vergessens dann braucht es eine erneute Information oder einen ganz bestimmten Impuls, der das verschüttete Wissen wieder zum Vorschein bringt.) Prozedurales Wissen wird allmählich erworben. - Deklaratives Wissen lässt sich leicht mitteilen, prozedurales Wissen ist nur schwer in Worte zu fassen und lässt sich jedenfalls nicht durch Information übermitteln, also durch Belehrung nicht direkt herstellen. Zum Status der beiden Arten von Wissen in psychologischen Theorien merkt Anderson zweierlei an. Einerseits betrachtet er beide Arten des Wissens als notwendig; «any complete psychological model obviously needs both types of knowledge» (Anderson 1976: 78)1. Andererseits stellt sich in der theoretischen Modellierung das Problem, dass sich menschliches Wissen nicht problemlos klassifizieren lässt. Im Hinblick darauf spricht Anderson von der Unbestimmbarkeit von internen Strukturen und Prozessen als einem Grundproblem der kognitiven Psychologie und bemerkt: * In die gleiche Richtung argumentieren Oswald/Gadenne 1984.
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Computationally, any knowledge can be presented procedurally or declaratively. (Anderson 1976:118)
Dies heisst jedoch nicht, dass die Entscheidung, ein Wissen als deklaratives oder prozedurales darzustellen, willkürlich getroffen werden müsste. Die oben gegebenen Kriterien sind, genauso wie psychologische Experimente, durchaus hilfreich, wenn auch nicht eindeutig in dem Sinne, dass sie nicht in jedem Fall eine klare Entscheidung garantieren. Demnach bleibt hier ein Spielraum, der nach ökonomischen Gesichtspunkten genutzt wird: It is much more economical to represent declaratively that knowledge which is subject to multiple, different uses and that knowledge whose eventual use is uncertain [...] On the other hand, knowledge used over and over again in the same way, for example, how to generate sentences, would seem better represented in a procedural format in which it can be applied more rapidly. (Anderson 1976:118)1
Im folgenden sollen diese beiden Wissensarten kurz näher charakterisiert werden. a. Deklaratives
Wissen
Deklaratives Wissen wird in Netzwerken dargestellt. In älteren Arbeiten nimmt Anderson nur eine, nämlich propositionale, Repräsentationsform an; in neueren akzeptiert er auch andere Formen der Speicherung kognitiver Einheiten im Gedächtnis: Cognitive units can be such things as propositions ((hate) Bill, Fred), strings (one, two, three), or spatial images (a triangle above a square). In each case a cognitive unit encodes a set of elements in a particular relationship. (Anderson 1983: 23)2
Wie der Begriff des Netzwerks andeutet, sind die deklarativen Wissensbestände des Gedächtnisses in dieser Modellierung miteinander in vielfacher und unterschiedlicher Weise verbunden. Die verschiedenen Knoten dieses Netzes sind um so leichter zugänglich, je mehr Beziehungen sie zu anderen Knoten unterhalten; ebenso sind neue Wissensbestände um so leichter zu behalten, je mehr Beziehungen zu bereits vorhandenem Wissen sie eingehen, je besser sie also ins Netzwerk integriert werden können. Nur 1
Offenbar ist trotz dieser Schwierigkeiten eine einheitliche Repräsentation von deklarativem und prozeduralem Wissen nicht vorteilhafter. Skript- und schematheoretische Ansätze geben solch eine einheitliche oder zumindest nicht explizit differenzierte Darstellung von Wissensbeständen. Herrmann (1985: 56f.) interpretiert sie so, dass Schemata und Skripten deklaratives und prozedurales Wissen enthalten; Anderson (1983: 38) kritisiert solche Ansätze, weil in ihnen diese Differenz keine oder keine erkennbare Rolle spielt. Dies «blurs the procedural-declarativedistinction and leaves unexplained all the contrasts between procedural and declarative knowledge. It also leaves unexplained the automatization phenomenon [... ] associated with the transition from a declarative base for performance of a skill to a procedural base» (Anderson 1983: 38f.). Anderson selbst benützt den Begriff 'Schema* ebenfalls; bei ihm bezeichnet er « higher-order declarative knowledge» (1980: 124ff.). 2 Eine ausführliche Beschreibimg propositionaler Darstellungen und eine psychologische Begründung für ihren Gebrauch vor allem in der Modellierung von Textverstehen und Textproduktion liefern van Dijk/Kintsch (1983).
1.2 Lernen und Können
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mit wenigen anderen Knoten verbundene Wissensbestände tendieren leicht dazu, verlorenzugehen, weil sie nur über spezifische (und vielleicht wenig begangene) Linien im Netz erreichbar sind. Mit dem Begriff des Netzwerks verbunden ist der Begriff der Voraktivierung: Wird ein Knoten des Netzes aufgerufen, das heisst aktiviert und ins Arbeitsgedächtnis gebracht, so werden die mit ihm verbundenen weiteren Knoten 'voraktiviert', das heisst in einen Bereitschaftszustand versetzt. Sie werden im folgenden viel leichter ins Arbeitsgedächtnis gebracht (und damit potentiell leichter bewusst) als andere, nicht-verbundene und nichtvoraktivierte Wissensbestände1. b. Prozedurales
Wissen
Prozedurales Wissen kann im Gegensatz zu deklarativem in Form von Produktionssystemen dargestellt werden, die aus einzelnen Produktionen (Herrmann 1985 nennt sie 'Operatoren') bestehen2. A production system is a set of rules. Each rule is called a production. Productions consist of two parts, condition recognition, and a specified action to be taken if the necessary conditions are present. Productions can be thought of as 'situation-actionpairs' [...], or 'if-then' combinations. (Gallagher 1979: 405f. - vgl. Decheit 1984, Anderson 1983, Herrmann 1985 usw.)
Einfache Beispiele für sprachliche Produktionen sind If Then
the goal is to generate the plural of a noun and the noun ends in a hard consonant generate the noun + s
(Anderson 1980: 239)
oder If Then
person 1 is the father of person 2 and person 2 is the father of person 3 person 1 is the grandfather of person 3
(Anderson 1983: 6) 3
1 Probanden können z.B. schneller entscheiden, ob das zweite Wort eines ihnen vorgelegten Wortpaars ein Wort der deutschen Sprache ist, wenn es durch das erste Wort voraktiviert wird. Die Entscheidungszeit für 'Doktor' ist länger beim Stimulus 'Fahrrad-Doktor' als beim Stimulus 'Krankenschwester-Doktor' (Flores d'Arcais 1986; vgl. Engelkamp/Zimmer1983, Engelkamp 1986). 2 'Produktion' ist die direkte Übersetzung des von Anderson gebrauchten Begriffs 'production'. Er bezeichnet, was zunächst etwas verwirrend anmuten mag, zunächst nicht einen Prozess, auch kein Resultat eines Prozesses, sondern eine verhaltensbestimmende kognitive Einheit. Da sich der Begriff im Zusammenhang mit prozeduralen Modellen durchzusetzen scheint, wird er hier übernommen. 'Produktion' ist ein technischer Begriff, der gegenüber der Unterscheidung produktiv/rezeptiv im Sinne des didaktischen Fertigkeitenschemas neutral ist. Auch rezeptives Veihalten wird durch Produktionen gesteuert. Wo wegen diesen terminologischen Überschneidungen Missverständnisse zu befürchten sind, werden im folgenden die Termini 'Operator* oder 'Operation' verwendet. 3 Anderson stellt eine gewisse oberflächliche Ähnlichkeit solcher Produktionen mit Notationen von S-R-Modellen fest. In Anderson 1976 (79ff.) diskutiert er diesen Zusammenhang und weist auch auf die Unterschiede hin. Während er dort noch geneigt scheint, zumindest in einzelnen Produktionen 'habits' zu sehen, verlieren in den neueren Beiträgen die Produktionen immer mehr diesen atomistischen Charakter. Zumin-
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Die scheinbare Banalität dieser sehr umgangssprachlich formulierten Operationen sollte nicht die Potenz des Instruments verschleiern. Anderson (1983) gibt einige Beispiele, in denen die Modellierungsfähigkeit von Produktionen und Produktionssystemen schön sichtbar wird (vgl. vor allem die Darstellung in Anderson 1983, Kap. 7 zum Spracherwerb). Produktionen haben die Form von Artweisungen. Sie bilden die Schaltstelle zwischen dem, was das System (deklarativ) weiss und seinem aktuellen Verhalten (Anderson 1983: 215; Herrmann 1985: 58ff.). Vor dem Hintergrund dieser Charakterisierung von deklarativem und prozeduralem Wissen kann der Aufbau und die Konsolidierung von Fertigkeiten dargestellt werden als Prozess der Prozeduralisierung, der Integration von deklarativen Wissensbeständen in Produktionen und Produktionssysteme, die darum schneller und sicherer ablaufen können, weil durch diese Integration eine bewusste Hinwendung zu den Details eines Verhaltensablaufs überflüssig gemacht wird. Im folgenden soll etwas detaillierter auf wichtige damit verbundene Gesichtspunkte eingegangen werden. 3.2
Allgemeine Eigenschaften von Produktionen und Produktionssystemen
Prozedurales Wissen, so wurde eben festgehalten, lässt sich verstehen als verhaltensrelevant; es unterliegt den kognitiven (und motorischen) Aktivitäten von Handelnden. Im folgenden interessiert die Frage, wie prozedurales Wissen - konkret die Produktionen und Produktionssysteme, die seine Elemente ausmachen - sich aus den allgemeinen Problemlösefähigkeiten und bereichsspezifischen Informationen entwickeln, wie also spezialisierte Handlungskompetenzen aufgebaut werden. Spezielle Verweise auf Sprache werden wenige gemacht; mögliche Anknüpfungspunkte legen sich fast von selbst nahe. Auf einige wesentliche sprachbezogene Aspekte geht der nächste Abschnitt ein. Ebenso wird nicht noch einmal speziell auf die Differenz der hier vorgestellten Konzepts zu dem audiolingualen eingegangen. Für genauere Informationen siehe Anderson (1982,1983, 1985) und Herrmann (1985). 1. Deklaratives und prozedurales Wissen sind im Gedächtnis niedergelegt. Deklaratives Wissen wird aktiviert und ins Arbeitsgedächtnis gebracht aufgrund von Einwirkungen von aussen (durch Wahrnehmung) oder als Resultat kognitiver Aktivitäten, das heisst in der Folge getätigter Produktionen, deren Resultate - innerlich Vorstellungen, äusserlich Handlungen dem Organismus selbst wieder als aktives deklaratives Wissen gegeben sind. Dieses Arbeitsgedächtnis wird von Herrmann (1985) als UOS (= Umgebungsrepräsentations- und Operatorenauswahlsystem) bezeichnet. Er merkt an, dass es relativ gleichgültig ist, ob dieses
dest als Verhaltenseinheiten im Rahmen komplexer Fertigkeiten erscheinen Produktionen im Gegenteil als höchstraffinierteProdukte langer Lernprozesse.
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als ein von anderen Speichersystemen strikt abgegrenzter Arbeitsspeicher konzipiert wird, in den die Informationen aus anderen Speichern bzw. Registern 'eingelesen' werden, oder ob es sich beim UOS um einen in einem spezifischen Zustand befindlichen Teilbereich eines allgemeinen Informationsspeichersystems handeln soll. (Herrmann 1985: 49)
Man könnte sich für diesen zweiten Fall vorstellen, das UOS sei deijenige Bereich eines Systems, dessen Inhalte in besonderem Masse aktiviert sind. 2. Die Produktionen operieren auf der Grundlage solcherart im UOS aktivierter Wissensbestände. Sie dienen der Systemregulation, das heisst sie liegen der Überführung eines kognitiven Zustandes in einen anderen zugrunde (Herrmann 1985: 58f.). Während die Resultate von Produktionen oder Produktionssystemen dem Handelnden präsent sind, bilden diese selbst meist nicht Inhalte des Bewusstseins. 'Zündet' eine Produktion1, so werden dadurch neue Bedingungen geschaffen, die ihrerseits wieder die Voraussetzungen für die Aktivierung weiterer Produktionen realisieren können. Produktionssysteme, das heisst Serien untereinander verbundener und aufeinander abgestimmter Produktionen, können so komplexe Transformationen kognitiver Zustände und die zügige Ausführung von Handlungen steuern. 3. Oft sind verschiedene Produktionen aufgrund der in ihren Wenn-Klauseln formulierten Bedingungen auf eine bestimmte Wissenstruktur (auf eine Konfiguration von aktivierten Elementen des Gedächtnisses) anwendbar. In diesem Fall bestimmt eine Reihe von Regeln, welche Produktion Priorität hat. Zunächst sind die meisten Produktionen in Produktionssysteme eingebunden, die ihr operatives Umfeld bestimmen. In diesem Umfeld werden konkurrierende Produktionen ausgewählt, und zwar nach verschiedenen Kriterien. In Andersons Modell spielen z.B. eine Rolle: - das Ausmass der Übereinstimmung von Merkmalen der Datenstruktur mit dem Bedingungsgefüge der Produktion. Je vollständiger und klarer die Bedingungen erfüllt sind, desto leichter zündet eine Produktion. Vollständige Ubereinstimmung der Datenstruktur mit dem Bedingungsgefüge einer Produktion ist aber keine Voraussetzung dafür, dass sie zündet. Ein Fall, wo bloss annähernde Erfüllung der Bedingungen für bestimmte Produktionen ausreicht, um Verständigung zu ermöglichen, ist ein Gespräch in lärmiger Umgebung. (Hier sind Muttersprachige noch in der Lage, den undeutlich wahrgenommenen Lauten Wörter und Strukturen zuzuordnen, während Fremdsprachige leicht versagen. Der Unterschied liegt darin, dass die Produktionen in der Fremdsprache oft nicht differenziert und stark genug ausgebildet sind und eine optimale Lauterkennung nötig ist, damit ein Wort überhaupt identifiziert werden kann. Muttersprachigen genügen weniger lautliche Informationen; sie 1 Eine etwas direkte Übersetzung des von Anderson verwendeten 'fire*. Wenn eine Produktion 'losgeht' (das heisst wenn die in der Wenn-Klausel genannten Bedingungen erfüllt sind), wird das System in dem von der Produktion betroffenen Bereich in den durch die Dann-Klausel beschriebenen Zustand überfuhrt.
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können auch ein ausgebildetes Wissen um Wahrscheinlichkeit von Wortfolgen, Kollokationen usw. zu Hilfe nehmen und ihren Bemühungen um Verstehen unterlegen.) - die Stärke der Produktion. Produktionen werden in Andersons Modell durch jeden Gebrauch gestärkt. Häufig verwendete und darum offensichtlich nötige und sinnvolle Produktionen sind stärker, das heisst zünden leichter als Produktionen, welche sich mit den Bedingungen der Datenstruktur ebensogut vertragen, aber seltener benutzt werden. Schwache Produktionen können so ausser Gebrauch fallen. Fehlerhafter Sprachgebrauch - etwa die Verbindung der Präposition 'mit' mit dem Akkusativ bei Deutschlernenden - kann so unter günstigen Bedingungen durch korrekten Gebrauch abgelöst werden1. - Spezifizität der Produktion. Produktionen, die differenziertere Bedingungen stellen, werden, wenn diese Bedingungen erfüllt sind, eher zünden als Produktionen mit weniger differenzierten Bedingungen. Die oben angeführte allgemeine Regel für die Pluralbildung im Englischen würde also nur dann zur Anwendung kommen, wenn keine spezifischere Produktion vorhanden ist - z.B. die Produktion, die bestimmt, dass der Plural von 'foot' als 'feet' zu realisieren ist. Allerdings kann es bei Anfängern vorkommen, dass diese Produktion zwar vorhanden, aber so schwach ist, dass sie nicht in adäquater Frist zu aktivieren ist: Dann würde das Resultat wohl falsch ausfallen, weil die allgemeinere Regel zum Zuge kommt und 'foots' produziert wird2. Insgesamt lässt sich die Operatorenauswahl verstehen als komplexes Spiel von relativ fixen Präferenzen (wie den angezeigten) sowie von variablen Verstärkungen und Abschwächungen des Präferenzwerts von Produktionen, die sich aus der Gebrauchssituation und ihrer Position in Produktionssystemen selbst ergeben. 4. Produktionen sind die fundamentalen Elemente jedes Tuns. Es gibt höchst spezifische, nur genau auf eine Aufgabe zugeschnittene (die Vergangenheitsform von 'wissen' bilden; mein etwas angerostetes, sich höchst 1 Anderson weist daraufhin, dass 'alte' Produktionen bestehen bleiben, wenn neue aufgebaut werden. Die alten Produktionen werden also nicht umgeformt. Unter Umständen werden sie in Situationen weiterverwendet, welche durch die neuen Produktionen nicht gedeckt werden, oder sie sind am Anfang noch stärker und werden deshalb leichter aktiviert usw. Sie können demnach nicht einfach ausser Kraft gesetzt werden, sondern werden durch Nicht-Gebrauch geschwächt und schliesslich vergessen, wie dies auch mit nicht gebrauchten deklarativen Wissensbeständen geschehen kann (Anderson 1983: 237). 2 Dieses Beispiel kann auch dazu dienen, die Verknüpfung verschiedener Produktionen auf verschiedenen Ebenen zu illustrieren. Dass ein Nomen im Plural verlangt wird und dass es dieses Nomen ist, ist nicht auf der Ebene der Morphosyntax zu entscheiden, sondern weiter 'oben', wahrscheinlich auf semantischer Ebene. In Produktionssystemen nehmen die Bedingungen (Wenn-Klauseln) nachgeordneter Produktionen auf die Dann-Konsequenzen vorgeordneter Bezug. Sukzessive Produktionen spezifizieren auf diese Weise immer genauer die Form (und schliesslich die aktuelle Realisierung) einer Äusserung oder eines Verhaltensaktes allgemein.
1.2 Lernen und Können
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idiosynkratisch verhaltendes Wagenschloss öffnen), und höchst allgemeine, auf die verschiedensten Situationen anwendbare (das Verb in Person und Numerus mit dem Subjekt des Satzes in Übereinstimmung bringen). Solche allgemeine Produktionen enthalten Variablen. In geläutiger Ausführung einer Aktivität wirken viele verschiedene Produktionen, organisiert in Produktionssystemen, auf verschiedenen Ebenen zusammen (Herrmann 1985: 116ff.; Anderson 1982). Diese Systeme sind schon für einfache Aufgaben ihrerseits wieder aufgebaut aus Subsystemen, Anderson nennt sie Routinen und Subroutines Die Anwendung solcher Systeme muss natürlich kontrolliert werden darüber wird weiter unten noch einiges zu sagen sein. Im prozeduralen Modell ist ein Teil dieser notwendigen Kontrollen in die Produktionssysteme selbst eingebaut. Hierarchisch höher stehende Produktionen können in ihren Wenn-Klauseln Zielbestimmungen enthalten; das heisst zu den Ausgangsbedingungen für ihre Anwendung gehört das Vorliegen von Zielintentionen. Diese werden in hierarchische Zielstrukturen aufgeschlüsselt; die zur Erreichung des Ziels notwendigen Schritte werden dann (sukzessive, zum Teil auch parallel) abgearbeitet. Das System kann sich flexibel an die Bedingungen anpassen, unter denen es arbeitet - die einzelnen Schritte werden nicht auf ein für allemal festgelegte Weise gemacht, vielmehr erlauben die Routinen und Subroutinen Variationen in der Realisierung der Schritte/Ziele (vgl. Anderson 1982: 372). 5. Die Produktionen für die geläufige Ausführung von Aufgaben sind nicht von Anfang an vorhanden, sie lassen sich auch nicht direkt vermitteln. Vielmehr werden die Produktionssysteme in Andersons Modell durch den Organismus selbst in der Praxis aufgebaut. Dabei werden verschiedene Stadien durchlaufen. In einer ersten, deklarativen Phase sind neue, verhaltensrelevante Wissensbestände in deklarativer Form vorhanden. Diese können für das Tun nutzbar gemacht, das heisst angewendet werden vermittels nicht-spezialisierter, vielfältig verwendbarer Strategien des Problemlösens (Anderson 1983: 216). Anderson nennt dies auch die interpretative Phase, weil das Wissen nicht direkt, sondern nur vermittelt über Hilfskonstruktionen das Verhalten steuert1. Der allgemeine und unspezifische Charakter dieser Problemlöseverfahren macht sie universal einsetzbar; ihre Anwendung braucht jedoch viel Zeit und Aufmerksamkeit, weil jeder einzelne Schritt geplant, die Ausführung überwacht und (Zwischen-)Resultate immer neu mit den Zielvorgaben verglichen werden müssen. In einer zweiten Phase, der der Kompilation, wird - falls ähnliche Problemstellungen wiederholt gelöst werden müssen - aufgrund der sich ak1 In bezug auf eine für sie neue Aufgabe, die Testpersonen lösen mussten, stellt Anderson fest: «The separate problem-solving procedures [...] are joined in a novel combination by the declarative information in the problem statement and instruction. In this sense, the student's general problem-solving procedures are interpreting the problem statement and instruction.» (1983:225)
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kumulierenden Erfahrung eine Schrittfolge in der Aufgabenlösung und eine gewisse Sicherheit in der Identifikation der für das Problem (und seine Lösung) massgeblichen Kriterien erreicht. Dies erlaubt eine relativ sichere und einigermassen flüssige Lösung der Aufgaben. Anderson unterscheidet zwei Prozesse, die zur Kompilation beitragen: One, called composition, takes a sequence of productions that follow each other in solving a particular problem and collapses them into a single production that has the effect of the sequence [...] The second process, proceduralization, builds versions of the productions that no longer require domain-specific declarative information to be retrieved into working memory. Rather, the essential products of these retrieval operations [sc.: die relevanten Mermale des deklarativen Wissens] are built into the new productions. (Anderson 1983:235)
Man könnte diese Vorgänge auch als Spezialisation und Integration bezeichnen: Es werden aufgabenspezifische Produktionen ausgebildet, die sich von den anfänglichen dadurch unterscheiden, dass sie nicht mehr allgemeine, sondern nur noch bereichsspezifische Anwendungen erlauben; und in die Bedingungsklauseln der Operationen werden jene Merkmale der deklarativen Wissensbasis eingebaut, die für die Anwendung der Produktion relevant sind - die Produktion kann daher autonom über dem für sie relevanten Bereich operieren, das heisst es bedarf keiner bewussten Vermittlung zwischen deklarativem Wissen und Handlungschema mehr. In einem dritten Schritt werden die Produktionen (und Produktionssysteme) verfeinert und an die Aufgaben optimal angepasst. With high levels of expertise in a task domain, the problem solver becomes more judicious about choosing a path and may fundamentally alter the method of search [...]. A novice's search of a problem space is largely a matter of trial-and-error exploration. With experience the search becomes more selective and more likely to lead to rapid success. (Anderson 1983: 241)
Dieser Schritt, Anderson nennt ihn Tuning, setzt Erfahrung voraus - er wird wahrscheinlich erst möglich, wenn ein weiter, zusammengehöriger Bereich von Aufgaben und Problemen einigermassen gemeistert ist. Dann wird es möglich, einerseits Produktionen und Produktionssysteme so zu trimmen, dass Produktionen ohne Verlust an Spezifizität generalisiert, das heisst in einem möglichst weiten Bereich anwendbar gemacht werden können; andererseits sind dann auch - durch Spezialisierung der Anwendungsbedingungen - die Produktionen so einzustellen, dass die richtigen Anwendungskriterien (und nur sie) in ihnen gefasst werden. Schliesslich wird erst auf dieser Stufe das Spiel der hemmenden und fördernden Faktoren, die die Anwendung konkurrierender Produktionen regeln, wirklich beherrscht (Andersonl983: 241). Fertigkeiten sind demnach Produkte relativ langer, z.T. bewusst moderierter Aneignungsprozesse. Von einem Experten mag sich ein Anfänger in einzelnen Fällen nicht durch die Qualität des Produkts, das er liefert, unterscheiden (ein Satz ist korrekt formuliert, ein Knopf richtig angenäht); die Unterschiede liegen in erster Linie in der Effizienz der Handlung, durch die das Resultat erreicht wird, und in der Konsistenz, mit der unter variierenden Bedingungen (gute) Resultate erzielt werden.
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6. Die Wenn-Klauseln von Produktionen lassen sich als Hypothesen über zutreffende Bedingungskonfigurationen interpretieren1. Zum Aufbau von Produktionen und Produktionssystemen ist es nicht nötig, dass bereits am Anfang eine optimal analysierte deklarative Wissensbasis vorliegt. Wie die Charakterisierung der dritten Stufe der Ausbildung von Produktionen zeigt, werden noch dort optimale Kategorisierungen gesucht, damit Umund Neudefinitionen der relevanten Bedingungen vorgenommen. Dabei können die Bedingungen für die Anwendung zu spezifisch, aber auch zu allgemein gehalten werden2. Korrektur geschieht hier primär durch Rückkoppelung - durch eine wie immer geartete Information darüber, dass das Produkt nicht den Normen entspricht. Da diese Information meist nur das Produkt betrifft und die relevanten Merkmale nicht benennt, welche den Fehler ausmachen, ist damit allerdings eine Verbesserung nicht garantiert. 7. Kompilation und Prozeduralisierung schaffen neue, andersgeartete Wissensbestände, die eine raschere und zielgerichtetere Anwendung des vorhandenen Wissens erlauben. Da in allen Modellen der Informationsverarbeitung, die sich auf menschliche kognitive Fähigkeiten beziehen, von einer sehr begrenzten Kapazität des Arbeitsgedächtnisses für bewusstseinspflichtige Leistungen ausgegangen wird, sind die Vorteile dieser Veränderung beträchtlich. The composition of multiple steps into one produces the speed-up [sc.: von Aufgabenlösungen] and leads to unitary rather than piecemeal application. Verbal rehearsal drops out because proceduralization eliminates the need to hold longterm memory information in woridng memory. (Anderson 1983: 237)
Das heisst, dass es gelingt, auf sparsamere Weise zum Ziel zu kommen nicht nur dadurch, dass die Produktionen vereinfacht und spezialisiert werden, sondern auch dadurch, dass nutzlose Alternativen nicht weiter verfolgt werden müssen. Nach Anderson geht die Ausbildung einer Fertigkeit von einer deklarativen Basis aus. Damit die entsprechende Prozeduralisierung zustande kommt, muss eine gewisse Festigkeit des bereichsspezifischen Wissens gegeben sein Wie die Erläuterungen zur zweiten und dritten Phase der Prozeduralisierung zeigen, braucht jedoch in keinem Moment der Aneignung das gesamte Wissen, welches in die Ausführung einer Handlung eingeht, deklarativ gegeben zu sein. Es kann sukzessive in Produktionssysteme eingebaut werden und ein kohärentes System regelhaften Verhaltens modellieren, ohne je zusammenhängend als Regel gegeben zu sein. Es sind die Produktionssysteme vorab der dritten Phase, welche für Fertigkeiten typisch sind; auf sie treffen die im letzten Abschnitt genannten Ei1 Anderson 1983: 249f. Anderson nimmt an, dass Lernende jeweils verschiedene Produktionen mit verschiedenen Bedingungskonfigurationen ausbilden, aus denen schliesslich die präsumptiv erfolgreichste ausgewählt werden kann. 2 «A production may become overly general either because the generalization process deleted critical information or because the critical information was not encoded in the first place.» (Anderson 1983: 244)
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genschaften von Fertigkeiten im Höchstmass zu. Die Umarbeitung in eine neue Form des Wissens bringt Resultate hervor, die im Vergleich zu den Ausgangsbedingungen schlagend neue und andere Qualitäten aufweisen es scheint daher gerechtfertigt, diesem prozeduralen Wissen den Status einer Wissensart sui generis zuzugestehen. Sind Prozeduren einmal verankert, so kann das ihnen entsprechende deklarative Wissen ohne Verlust für die Effizienz des nun autonom gesteuerten Tuns verlorengehen. Soweit es bestehen bleibt, steht es weiterhin zur Lösung von Problemen zur Verfügung, die mit den einmal aufgebauten Prozeduren nicht zu bewältigen sind - es findet dann eine Rückkehr zu weniger spezialisierten, im Extremfall zu völlig allgemeinen Problemlösungsverfahren statt, die sich auf dieses deklarative Wissen stützen und es in einem schrittweisen Verfahren zur Anwendung bringen. Dies scheint im Aufbau von Fertigkeiten etwa im Sprachlernen regelmässig dort zu passieren, wo schon bestehende Produktionssysteme ausgeweitet werden, das heisst in bezug auf einen weiteren Anwendungsbereich neudefiniert werden müssen (wenn etwa das Passiv, im Präsens schon einigermassen beherrscht, auch im Perfekt und anderen Tempora gebildet wird)1. 8. Dass deklaratives Wissen bestehen bleiben oder verlorengehen kann, wenn Produktionssysteme einmal aufgebaut sind, weist darauf hin, dass deklaratives Wissen nicht zu prozeduralem Wissen 'wird', sondern die Basis abgibt für eine neue Weise der Kodierung dieses Wissens, auch darauf, dass wir über viele Wissensbestände wahrscheinlich in sowohl deklarativer wie in prozeduraler Form verfügen (Anderson 1982: 383). Selbst wenn deklaratives Wissen nach dem Aufbau von Produktionen vergessen geht, heisst dies nicht, dass es nicht wieder zugänglich gemacht werden könnte. Es ist ja in die Produktionen und Produktionssysteme eingebunden, welche unseren Handlungen unterliegen; diese antworten auf bestimmte Bedingungskonfigurationen, deren wir uns durchaus bewusst sein können. Auch wenn diese eingebundenen Momente faktischen Wissens nicht unmittelbar zugänglich sind, so sind sie doch - mit mehr oder weniger Aufwand - wieder isolierbar2. Ein oft zitiertes Beispiel ist das Schuheschnüren, eine einfache Aktivität, die alle von uns einmal mühsam gelernt haben. Die einschlägigen Anweisungen an andere sind wir meist nur zu geben in der Lage, wenn wir den Vorgang (wirklich oder in der Vorstellung) nachvollziehen und dabei die einzelnen Bedingungen und die Abfolge der Schritte erfolgreichen Schuheschnürens versprachlichen. Mehr Mühe macht diese deklarative Abbildung des sachlichen Gehalts von Produktionen in anderen Fällen; die Linguistik liefert überzeugende Beispiele dafür, wie schwierig es sein kann, Daten, auf die wir im Sprachhandeln problemlosen Zugriff haben, in vollständiger und geordneter Form deklarativ zu bergen.
1 2
Vgl. M. Carroll (1984), Bock (1982: 8) Vgl. Henmann 1985: 61, besonders Aran. 10 (S. 274).
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9. Die Unterscheidung von prozeduralem und deklarativem Wissen erlaubt, zwei Arten des Lernens zu unterscheiden: Das Aufnehmen und Behalten von neuer Information, auf das hier nur hingewiesen, das aber nicht weiter ausgeführt wurde, und die Organisation und Integration von Wissen (nicht jeder Information - manches Wissen bleibt deklarativ) in verhaltensrelevante Produktionen und Produktionssysteme. Im Zusammenhang mit dieser zweiten Art des Lernens ist hervorzuheben, dass in dem hier vorgestellten Ansatz der Aspekt der Automatisierung nur eines der Merkmale der Prozeduralisierung bezeichnet. 'Automatisierung' bezieht sich primär auf das Verhältnis einer Operation zum Bewusstsein eines Handelnden, in zweiter Linie auch auf die Geschwindigkeit der ablaufenden Operationen. Die Diskussion hier hat gezeigt, dass man sich Prozeduralisierung sicher nicht als einen sanften Übergang, einen steten Prozess vorstellen kann, bei dem Schritte, die bisher der Kontrolle bedurft hatten, nun einfach schneller und ohne Notwendigkeit bewusster Aufmerksamkeit ausgeführt werden. Einleuchtender wird Prozeduralisierung im Hinblick auf die konstitutiven Veränderungen, die bei diesem Prozess stattfinden, beschrieben als Restrukturierung. Die Schritte, die in einer ausgebildeten Prozedur durchlaufen werden, sind andere, neue - nicht einfach die ursprünglichen, nur unbewusst. Die Hinweise oben zeigen genug Punkte, wo solche Veränderungen auftreten können. Obwohl Momente der Automatisierung nicht fehlen, werden die zweite und dritte Stufe der Ausbildung von Prozeduren von Anderson explizit auf Restrukturierungsvorgänge hin angelegt. Mit den Begriffen 'Automatisierung' bzw. 'Restrukturierung' sind interessante und schwerwiegende theoretische Implikationen verbunden, auf die hier nicht weiter eingegegangen werden kann; Cheng (1985a) z.B. zweifelt an der Möglichkeit einer «capacity-free performance», wie sie in den Automatisierungsmodellen gefordert wird. Sie nimmt an, dass die Beanspruchung der Ressourcen der Aufmerksamkeit nicht so sehr durch Automatisierung umgangen als durch Restrukturierung vermindert wird. Der Begriff Restrukturierung nimmt auch viel prägnanter als der der Automatisierung die im letzten Abschnitt gegebenen Hinweise wieder auf, dass Fortschritt in einer Fertigkeit in der besseren und sparsameren Definition und Organisation von Verhaltensschritten begründet liegt, nicht einfach in der blossen Beschleunigung der Ausführung von Handlungselementen, welche von vornherein in ihrer Gestalt festgelegt sind. Wenn im folgenden vereinfachend von 'Automatisierung' die Rede ist, so ist damit immer dieses erweiterte Konzept angesprochen, das relevante Momente der Restrukturierung einschliesst1. 1 Chengs Beitrag hebt sehr stark den Aspekt der Restrukturierung hervor. In einer Antwort auf ihren Artikel betonen Schneider/Shiffrin (1985) die Validität von Untersuchungsergebnissen, welche Automatisierungseffekte nachgewiesen haben. Sie betrachten Automatisierung und Restrukturierung als unabhängige, gleichzeitig wirksame Faktoren. Für eine Antwort darauf siehe Cheng 1985b. - In bezug auf die Verhältnisse in der Fremdsprache untersuchen McLeod/McLaughlin (1986) den Lesepro-
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3 3 Fertigkeiten, Sprache, Handeln Vor dem Hintergrund des vorgestellten Modells lässt sich Sprachkompetenz konzeptualisieren als ein Inventar vielfaltiger deklarativer und prozeduraler Wissensbestände. Deklarativ repräsentiert sind z.B. die Bedeutungen der sog. Inhaltswörter, bzw. die mit ihnen jeweils verbundenen inhaltlichen Konzepte1 - zu diesen hat ein Sprachbenutzer im Normalfall unproblematischen Zugang. Prozedural repräsentiert sind die syntaktischen Regularitäten, die grammatischen Morpheme, die Wörter mit weitgehend grammatischer Bedeutung und etwa die morphologischen und syntaktischen Regularitäten der Inhaltswörter. Darum haben Sprachbenutzer meist kein Problem zu sagen, was ein Wort bedeutet, während sie in bezug auf dessen morphologisches Verhalten - etwa die Pluralform eines Nomens, die korrekte Bildung einer Ableitung - meist nur Antwort geben können, wenn sie das Verhalten dieser Wörter in entsprechenden Kontexten prüfen2. Für ihr syntaktisches Verhalten, für die Bedeutung und Funktion grammatischer Morpheme oder für syntaktische Regeln gilt, dass oft erst längere, zum Teil intensive Vergleiche und Untersuchungen mehr als nur bruchstückhaften Aufschluss ad hoc geben3. Für diese prozeduralen Elemente ist anzunehmen, dass sie für Produktion und Rezeption getrennt kodiert sind (siehe unten). Die sprachlichen Produktionen und Produktionssysteme sind von sehr verschiedener Art. Einzelne mögen direkt zur Produktion vollständiger Syntagmen und Sätze führen (ihr Produkt sind Routineformeln wie Begrüssungen usw.), die meisten aber sind auf den verschiedenen Ebenen des zess und vermuten, dass Restrukturierungsprozesse für Diskontinuitäten im Lemvorgang verantwortlich sind - für die Erfahrung, dass 'es plötzlich geht' und dass nach einem solchen Durchbmch in einem bestimmten Bereich ein rascher Fortschritt möglich wird. Zur Frage nach dem Verhältnis von Restmkturierung und Automatismus vgl. auch McLaughlin 1987: 136ff. Er nimmt Bezug auf Cheng (1985a), wenn er hervorhebt, dass in der Fremdsprache wie in jeder anderen Fertigkeit es nicht genügt, isolierte Teilfertigkeiten zu beherrschen, weil deren Koordination und sinnvolles Zusammenspiel ein davon unabhängiges Problem und eine eigenständige Leistung darstellen. Vgl. auch de Beaugrande (1984:99). 1 Die Abgrenzung zwischen semantischen und konzeptuellen Strukturen ist ein heiss diskutiertes linguistisches Problem. Es herrscht noch keine Einigkeit darüber, ob es eine solche Abgrenzung gibt und wo sie zu ziehen wäre, wenn es sie gibt. Die Zuordnung eines Konzepts zu einer sprachlich definierten Grösse (und damit zu einer phonologischen resp. graphischen Form) lässt sich als Produktion verstehen (Frith 1983; vgl. II.3/2). 2 Dass das Nomen 'Bau* die fürs Deutsche etwas ungewöhnliche Pluralform 'Bauten' bildet, dass in Femininableitungen vom Typ 'Zauberer/Zauberin' anders als sonst üblich das '-er'-Suffix ausfällt usw., das ist nicht Teil des normalen deklarativen Wissens, sondern eingebunden in die prozeduralisierten Verwendungsbedingungen dieser Wörter. 3 Anderson fuhrt hier das Beispiel des Artikels 'the' an, dessen Funktionen und Anwendungsbedingungen höchst komplexer Art die Muttersprachigen meist perfekt beherrschen, über die sie aber Auskunft zu geben nicht oder nur bruchstückhaft in der Lage sind (Anderson 1983:268).
1.2 Lernen und Können
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Sprachsystems angesiedelt und reagieren entweder auf Eingaben aus dem konzeptuellen resp. perzeptuellen System oder auf die Effekte vorgeordneter sprachlicher Produktionen1. Es ist demnach nicht nur der Aufbau solcher Produktionen und Produktionssysteme, der eine Lernaufgabe darstellt, sondern auch (oder noch mehr) deren sinnvolle Eingliederung in das bestehende Produktionssystem insgesamt, wie Cheng (1985a) und McLaughlin (1987) betonen (vgl. unten die Aussagen zum Lernen). Sprachgebrauch ist immer Element eines übergeordneten Handlungskontexts, es ist Teil des Gesamtverhaltens2. In diesem Rahmen muss die Ausführung des Sprachhandelns kontrolliert, das heisst angeleitet und gesichert werden. Es wurde schon oben darauf hingewisen, dass Anderson einige Kontrollmechanismen in die Produktionssysteme eingebettet wissen will. Das heisst, dass die Produktionssysteme ihre eigene Anwendung auf der Grundlage integrierter Arbeitspläne bis zu einem gewissen Grade selber steuern. Es handelt sich hier um eine interne, zielgestützte Kontrolle, die keiner weiteren Aufmerksamkeit mehr bedarf, wenn sie einmal aufgebaut ist. Sie wird durch eine resultatgestützte, externe Kontrolle unterstützt oder abgelöst, wenn die zur Verfügung stehenden Prozeduren nicht ausgebildet genug sind oder wenn Schwierigkeiten irgendwelcher Art auftreten, die nicht auf routinierte Art zu lösen sind: Bei interner Rückmeldeschlaufe ist der Kontrollmodus in der Regel 'offen* (openloop), die begleitenden Effekte des eigenen Handelns werden nicht eigens beachtet. Dies gilt für gut automatisierte und gut beherrschte Tätigkeiten, deren Ausführung nicht länger bewusstseinspflichtig ist. Die Handlungssteuerung erfolgt auf dem Wege des 'Vorausentwurfs' (feed forward) statt der Rückmeldung (feedback), das heisst mentale Zielrepräsentationen reichen aus, das Handeln wie repräsentiert auch zu realisieren, ohne eine externe Effektkontrolle einzuschalten. Wo die letztere hinzutreten muss, weil die Tätigkeitspassage schwierig und Erfolg nicht gesichert ist, spricht man von einem 'geschlossenen' Kontrollmodus (closed-loop). (Heckhausen 1987:153)
In diesem Zusammenhang sind Heckhausens Hinweise auf die Konsequenzen der verschiedenen Kontrollverfahren interessant (vgl. Heckhausen 1987: 152): Wo das Verhaltensrepertoire eng oder unvertraut ist und die Ausführung schwierig, muss das Handeln meist unter engen Zielspannen zustande kommen. Das heisst, der Handelnde ist kaum fähig, weit vorauszuschauen und die nächsten Schritte zu planen, da er durch die Planung und Kontrolle der aktuellen Arbeitsschritte so in Anspruch genommen ist, dass nur relativ kleinräumige und das heisst auf tiefer, ausführungsnaher Ebene stehende Zielhorizonte gebildet werden können. Wo hingegen die Ansprüche bescheiden sind oder die Fertigkeiten wohl ausgebildet, sind weite Zielspannen möglich - die Realisierung der Zielvorstellungen auf 1 Vgl. Herrmanns Schema der Rezeptions- bzw. Produktionsschritte im nächsten Abschnitt. 2 Vgl. dazu Herrmann 1985, Kap. 3; vgl. dazu, von linguistischer Seite, Hymes 1971. In vielerlei Hinsicht entspricht das hier vorgestellte Modell tätigkeitstheoretischen Entwürfen; es weist aber auch einige Abweichungen auf, vor allem in bezug auf die Definition der Operationen (Produktionen); auch macht das hier vorgestellte Modell weniger weit ausgreifende Ansprüche an seine Erklärungskraft.
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
niedrigen Ebenen kann weitgehend in offenen Kontrollverfahren bewältigt werden, die Kapazitäten können genutzt werden, um die nächsten Schritte zu planen und aufeinander abzustimmen, bevor sie realisiert werden. Automatisierung und Prozeduralisierung erlauben somit die Planung und Ausführung komplexerer Handlungen1. Geläufige Ausführung einer Fertigkeit stützt sich vornehmlich auf den offenen Kontrollmodus; es ist aber anzunehmen, dass der andere mitlaufend stets eine Rolle spielt (vgl. Bock 1982: vgl. Π.3). Ein etwas anderer Aspekt des Kontrollproblems soll hier nur angesprochen werden. Nicht nur der Handlungsablauf muss kontrolliert werden, sondern auch die Handlung als ganze, die ja als solche gewollt wird und anderen möglichen Handlungen vorgezogen worden ist, muss so weit wie möglich und nötig gegen Impulse zu anderen Handlungen abgesichert werden, damit sie zu einem Ende geführt werden kann. Dies kann zu einem Problem werden vorab bei Aufgaben, die längere Zeit in Anspruch nehmen und potentiell vielfacher Konkurrenz durch andere Handlungsmöglichkeiten ausgesetzt sind - etwa das Schreiben. Eine Absicherung von Handlungen darf nicht perfekt sein - ein Hausbrand sollte die Arbeit an einem coq au vin oder die Erzählung eines Witzes unterbrechen können - sie soll aber stark genug sein, dass unwesentliche Störungen abgewehrt oder überwunden werden können. Diese Frage des Handlungsmanagements verweist auch auf die tiefe Situationsgebundenheit und die daraus sich herleitenden Kriterien der Opportunität von Intentionen und Handlungszügen, auf die Probleme der Herstellung und Interpretation von Situationskonstellationen, auf Selbst- und Fremdwahrnehmung usw. - mit anderen Worten auf eine Reihe übergeordneter Faktoren, die in jeder Sprachverwendung eine Rolle spielen und deren Gehalt mitbestimmen2. 1 Aktivitäten, die Aufmerksamkeit verlangen, weiden oft seriell ausgeführt - die Kapazität bewusster Verarbeitung ist beschränkt, so dass mehrere Handlungen gleichzeitig nur fokussiert weiden können, wenn sieroutinemässigerledigt werden können. Prozeduralisierung und die resultierende weitgehende Unabhängigkeit von Verhaltenszügen erlaubt parallele Handlungsabläufe. Wer gut stricken kann, hat meist keine Probleme, zu stricken und gleichzeitig Femsehen zu schauen oder an einem Gespräch teilzunehmen - bis die Zeit gekommen ist, die Maschen zu zählen. Parallele Verarbeitung ist im Sprachgebrauch die Regel; die Aufmerksamkeit liegt meist bei den mitzuteilenden oder zu verstehenden Konzepten. Dies schliesst nicht aus, dass semantische, syntaktische oder phonologische Aspekte immer wieder, aber kaum je konsequent, bewusster Einflussnahme unterliegen. Während natürlich artikulatorische Prozesse nicht programmiert werden können, bevor gewisse lexikalische Entscheidungen getroffen sind, können diese aufgrund noch unvollständiger Planung in Gang gesetzt werden, das heisst bevor die gesamte syntaktische Struktur oder die lexikalische Füllung der nächsten zu produzierenden Ausserungseinheiten vollständig feststeht. Die Abarbeitung hierarchischer Zielstrukturen, von der im letzten Abschnitt die Rede war, braucht nicht als allein zeitlich geordnete Schrittfolge verstanden zu werden. 2 Dazu ausführlich die Beiträge in Heckhausen/Gollwitzer/Weinert (Hg.) 1987; Neumann 1985, 1987. Neumann versteht die «Enge der Aufmerksamkeit», ihre Beschränktheit, nicht kapazitätstheoretisch als Folge einer eingeschränkten Leistungsfähigkeit des Zentralnervensystems, sondern als spezifische Leistung, insofern als
1.2 Lernen und Können
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Im Rahmen eines Handlungsentwurfs und der Handlungskontrolle sind zentrale, das heisst bewusstseinspflichtige Prozesse (die Ebene der Gedanken, Intentionen usw.) verbunden mit muttersprachlich meist unbewusst ablaufenden, aber der Möglichkeit nach bewussten Vorgängen (Registerund Wortwahl, Aspekte der Satzstrukturierung, die Stellung der Zunge bei der Artikulation von engl. W ) und letztlich schwer oder gar nicht bewusst zu machenden Prozessen (die Muskelkontraktionen im Kehlkopf beim Sprechen, die Koordination von Blickverhalten und Sprachproduktion im Dialog usw.). Es sind die zweitgenannten, die der Möglichkeit nach bewussten Prozesse, die vorzüglich gemeint ist, wenn von Sprachbeherrschung die Rede ist; es sind auch diese Dinge, die im Fremdsprachenunterricht primärer Gegenstand der Vermittlung sind1. In bezug auf die Frage des Lernens nun macht das Modell Andersons einige spezifische Aussagen, die vor allem im Kontrast zu behavioristisch ausgerichteten Lehr- und Lernverfahren interessant sind. Sein Ausgangspunkt ist das Problemlösen. Produktionen und Strategien werden danach im Gesamtkontext von wiederholten Lösungsversuchen definiert und aufgebaut. Dies ist eine Leistung der Problemlösenden selber; Lernen im Sinne des Aufbaus von bereichspezifischen Prozeduren ist ein selbstorganisierender Prozess. Mit dem aus der Tätigkeitstheorie entlehnten Begriff der Orientierung lässt sich die Bedingung bezeichnen, unter der dieser Prozess ablaufen kann: Die Lernenden müssen - im Rahmen der zu lösenden Aufgabe - möglichst umfassend die Situation überblicken, das heisst die Datenvorgabe im Hinblick auf das angestrebte Ziel analysieren, damit manipulieren und die Resultate am erwarteten Zielzustand messen können, sollen die Problemlösungsprozeduren zielgerichtet und unter Berücksichtigung der relevanten Parameter aufgebaut werden können. Ich nehme an, dass Hilfen dabei hochwirksam sind, wenn sie die Orientierungsleistungen der Lernenden ergänzen und unterstützen. Es ist anzunehmen, dass Hilfen auch dann wirksam sein können, wenn sie auf einer entschiedenen Reduktion der Orientierung aufbauen; etwa die im Fremdsprachenunterricht geläufige isolierte Vermittlung und Einprägung von Teilfertigkeiten (Typus: Passivbildung; Verbindung von Wechselpräpositionen mit Dativ bzw. Akkusativ). Mit Blick auf die Prozeduralisierungstheorie muss dazu jedoch angemerkt werden, dass dies als Strategie der Sprachvermittlung nicht genügen kann. Anderson wie Herrmann betonen, dass funktionierende Produktionen und Produktionssysteme das Resultat von Praxis sind. Es ist nicht möglich, Produktionen direkt zu vermitteln oder als solche in einem
«die Nichtveraitoeitung von Information eine aktive Leistung im Dienste der Handlungssteuerung» ist (Neumann 1987:121), geht es doch darum, «die ausserordentliche Flexibilität des Systems so weit zu bändigen, dass geordnetes und über die Zeit hinweg kohärentes Handeln resultiert» (Neumann 1984:218; vgl. Matz 1989). 1 Es ist ihre Position zwischen notwendig bewussten und vollständig unbewusst gesteuerten Prozessen, die diese 'ratiomorphen' Prozesse (Butzkamm 1981) lerntheoretisch interessant, aber auch schwierig macht.
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
Zug aufzubauen, wie dies die ' habit-formation' -Methoden jeder Art beanspruchen. Eine mögliche übergreifende Begründung dafür ist, dass Productions, unlike declarative units, have control over behavior, and the system must be circumspect in creating them. (Anderson 1983:216)
A fortiori müsste sich jedes System dagegen wehren, von aussen vorgegebene Verhaltensrichtlinien einfach zu akzeptieren. Eine mehr technische Begründung ist die, dass neue Produktionen in das Set der bestehenden eingepasst werden müssen: New productions have to be integrated with the general flow of control in the system. Most people do not adequately understand their cognitive flow of control to form such productions directly. One of the reasons why instruction is so inadequate is that the teacher likewise has a poor conception of the student's flow of control. Attempts to directly encode new procedures, as in the Instructive Production System [...], have run into trouble because of this problem of integrating new elements into a complex existing flow of control. (Anderson 1983:230)
Demnach wäre es die mangelnde Verknüpfung neugelernter sprachlicher Teilfertigkeiten mit den bereits bestehenden (und selbst noch wenig gesicherten) Produktionsabläufen und ihrer Kontrolle, welche dafür verantwortlich ist, dass manches fix eingedrillte fremdsprachliche Strukturmuster und manche syntaktische Regularität nicht oder nur unter günstigen Umständen angewendet wird, sobald die Stützen der Übungssituation wegfallen und das fragliche Element nicht mehr nur im Kontext von Strukturtransformationen, sondern von Strukturkreationen verwendet werden soll1. Isolierende Methoden der Vermittlung schneiden ja gerade die für letztere relevanten Steuerungsebenen ab (die Einbettung von Sprachproduktionsprozessen in intentionsbesetzte, situativ bezogene Handlungen). Mit der Beherrschung von isolierten strukturellen Regularitäten ist der Platz noch nicht definiert, welchen sie im Insgesamt der sprachlichen Produktionen haben, das heisst es sind die Bedingungen noch nicht kodiert, unter denen sie an die Resultate der übergeordneten Produktionen anschliessen können. Die entsprechende Definition der Produktionen, ihre Stärkung und ihre Integration in den Ablauf des sprachlichen Formulierens sind Aufgaben, die noch zusätzlich zu leisten sind. Sprachgebrauch ist deshalb nicht einfach nachträgliche, auf das Lernen folgende Phase und blosser Anwendungsfall des vorher Gelernten, sondern betrifft die Ausbildung der Produktionen, ihre Gestaltung im Rahmen der Gesamtfertigkeit selbst. Sie ist letztlich wahrscheinlich sogar Voraussetzung dafür, dass die Teilfertigkeiten in wirklich sinnvoller Manier automatisiert und prozeduralisiert werden können: 1 Das Problem ist hauptsächlich eines der Produktion, weniger der Rezeption. Für adäquate Rezeption ist ja erstes Erfordernis, «etwas als etwas» zu erkennen - was prinzipiell schon damit ermöglicht wird, dass man um dieses Etwas weiss. Vgl. Herrmanns Hinweis, der bei der Diskussion der Möglichkeiten, wie die Differenz von Rezeption und Produktion prozedural ausgedrückt werden könnte, die diskutierte Lösung so kommentiert: «Dann enthielten grammatische Analyseoperatoren diejenige Information als ihre deklarativen Anteile, die bei den Enkodier-Operatoren als prozedurales Wissen gegeben ist.» (Herrmann 1985: 260; vgl. unten.)
1.2 Leinen und Können
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The acquisition of productions is unlike the acquisition of facts or cognitive units in the declarative component. It is not possible to simply add a production in the way it is possible to simply encode a cognitive unit. Rather, procedural learning occurs only in executing a skill: one learns by doing. This is one of the reasons why procedural learning is a much more gradual process than declarative learning. (Anderson 1983: 215)
Dies widerspricht auf der ganzen Linie einem behavioristischen Lernkonzept, wie es etwa Lado vertritt. Es ist anzunehmen, dass es im Lernen, auch im Sprachlernen Dinge gibt, die sich mit mehr Chancen auf Erfolg isoliert vermitteln lassen als andere, also unabhängig von einer Praxis. Viele relevante Lernprozesse und die Integration von Teilkompetenzen zu einer übergreifenden Fertigkeit können aber nur zustande kommen, wenn ausreichend unter der Bedingung umfassender Orientierung gelernt werden kann1. 3.4
Die sprachlichen Fertigkeiten
Die Antwort auf die Frage nach dem, was Fertigkeit ist, führte auf das Konzept eines integrierten Systems der sprachlichen Kompetenz, das eingebettet ist in hierarchisch höherstehende kognitive und Handlungssysteme und dessen Aktivität die übrigen Aktivitäten des menschlichen Organismus komplettiert und bereichert. In der hier vorgestellten Konzeption deutet hierarchische Gliederung auf bestimmte Prioritätsverhältnisse hin, bedeutet aber nicht schlechthinnige Abhängigkeit: Die einzelnen Systeme (Handlungs- und Sprachsystem) mit ihren je verschiedenen Subsystemen sind in ihrer Arbeit zwar angewiesen auf das Operieren und den Input übergeordneter Ebenen, sind aber autonom strukturiert. Vor diesem Hintergrund stellen sich die vier Fertigkeiten als die vier grundsätzlichen Funktionen der Sprachkompetenz dar, als die vier fundamentalen Verfahren der Sprachverarbeitung. An dieser Stelle soll kurz auf die Frage nach ihrem Verhältnis zueinander eingegangen werden. Die hier zu machenden Hinweise sollen auch deutlich machen, dass von Fertigkeiten zu sprechen nicht bezweckt, Dinge voneinander zu trennen, die zusammengehören. Vielmehr stellt gerade die genaue Betrachtung und Analyse von Fertigkeiten nicht nur die Unterschiede, sondern auch die Gemeinsamkeiten verschiedener Sprachgebrauchsweisen heraus und erlaubt eine nähere Bestimmung der Art dieser Verwandtschaften.
1
In diesem Zusammenhang geht es - im Hinblick auf den Aufbau von Sprachgebrauchskompetenz - um sprachgebrauchsspezifische, situative Orientierung. Dass auch andere Orientierungsweisen fürs Sprachlernen wichtig sind, zeigen etwa Fälle kultureller Inkompatibilität - wenn etwa Sprachlemer (aus Angst vor Identitätsverlust, aus Gründen der Diskriminierung usw.) unfähig sind, die Zielsprache aufzunehmen. Hier ist nicht die einzelne Sprachverwendungssituation, sondern die zielsprachliche Situation insgesamt nicht so beschaffen, dass die Fremdsprachigen sich darin als Lernende zurechtfinden können oder wollen.
Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
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3.4.1 Die vier Fertigkeiten im Überblick Die Rede von den vier Grundfertigkeiten bezieht sich primär auf übergeordnete Organisationsweisen der Sprachverarbeitung, auf Ansprüche an die sprachlichen Verarbeitungsprozesse, erst sekundär auf unterschiedliche sprachliche Teilkenntnisse, die typischerweise mit dem Lesen, Schreiben, Sprechen und Hören verbunden sind. Es sind Fertigkeiten höherer Ordnung, sie stehen für das Insgesamt der Leistungen, die den Übergang von den nicht eigentlich sprachlichen Gedanken zu sprachlichen Strukturen (oder umgekehrt) zu vollziehen erlauben. Die einzelnen Teilfertigkeiten spielen ihre Rolle innerhalb dieser globalen Strukturen. a. produktive und rezeptive Fertigkeiten
Das Verhältnis der vier Fertigkeiten zueinander lässt sich vor dem Hintergrund der oben gemachten Unterscheidungen vielleicht folgendermassen bestimmen: Zunächst sind die produktiven und rezeptiven Fertigkeiten darin zu unterscheiden, dass sich die prozeduralen Ansprüche stark voneinander unterscheiden. Die Erkennungs- und Analyseprozeduren sind dabei nach Herrmann nicht einfach das Umkehrbild der Produktions- und Äusserungsprozeduren. Er gibt für die beiden Prozesse folgende Phasen an: Rezeption Laut/Buchstabenidentifikation Worterkennung grammatische Analyse UOS-Modifikation (Generation/Veränderung kognitiver Inhalte) Veränderungen/Ergänzungen im Partnermodell
Produktion Fokussierung der propositionalen OutputBasis Selektion und Linearisierung proposiüonaler (Enkodier)Inputs lexikalische Enkodierung grammatisch/syntaktische Enkodierung prosodische Enkodierung (Herrmann 1985:64, όδί.)1
Auch wenn sich in solchen Darstellungen die Phasen der Produktion wie eine Umkehrung der Rezeptionsphasen ausnehmen, kann der Unterschied der Prozesse nicht einfach auf die unterschiedliche Sequenzierung zurückgeführt werden. Die Asymmetrien reichen tiefer. Herrmann hält es zwar für wahrscheinlich, dass Produktions- und Rezeptionsprozeduren in enger Verbindung zueinander stehen, schliesst aber aus, dass dieselben Prozeduren je nach Verarbeitungsrichtung einmal 'von links nach rechts' und ein andermal 'von rechts nach links' gelesen werden könnten (1985: 260). Anderson teilt weitgehend diese Position; er hält nicht nur die in der Sprachproduktion wirkenden Prozeduren und Prozesse, sondern sogar die dabei notwendigen Wissensbestände für bloss * Diese Phasen stehen in gewissen notwendigen Abfolgebeziehlingen zueinander, sie können sich jedoch weitgehend überlappen; ebenso sind - wegen teilweise paralleler Verarbeitung - Rückwirkungen von 'späteren' auf 'frühere' Phasen möglich. Die temporalen Kennzeichnungen ('Phasen', 'früher', 'später') sind deshalb etwas irreführend. Vgl. Kap. Π.3/2 für eine Diskussion von Sprachproduktion.
1.2 Lernen und Können
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similar to but separate from those involved in comprehension. However, the two phenomena have not been shown to be entirely separate [...] The common wisdom seems to be that the two systems oveilap a great deal. (Anderson 1985: 375)1.
Die Unterschiede zwischen Rezeption und Produktion lassen sich auf die unterschiedlichen Aufgaben zurückführen, mit denen sich der Sprachbenutzer in den beiden Fällen konfrontiert sieht. Der Produzent hat nicht nur die Wissensbestände, die in seine Produktion eingehen werden, zu aktivieren und zu organisieren, sondern muss die solcherart vorbereitete gedankliche Grundlage linearisieren und in eine sprachliche Form bringen. Die Aufgabe des Rezipienten besteht demgegenüber darin, «etwas als etwas» zu erkennen (Herrmann 1985: 152); sie ist in dem Sinne einfacher, als ihm die bei der Produktion wohl zentralen Schwierigkeiten - Organisation, Versprachlichung und Linearisierung der Gedankenbasis - abgenommen sind2. Ein wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang betrifft die Anforderungen an die Durchführung der einschlägigen Prozesse. Während der Produzent im Prinzip sämtliche Prozeduren zu Ende führen, auch zwischen Formulierungsalternativen wählen muss, kann der Rezipient zu übergeordneten Strategien Zuflucht nehmen, welche die Belastung seiner Verarbeitungs1 Vgl. Anderson (1983: 268): «Productions for the two behaviors may have striking similarities, but they are distinct. This is an unavoidable consequence of the production system architecture [,.. ] it is possible that at some past time common rules underlay the generation and comprehension of language. These would be declarative rules that would be applied interpretively as discussed.» (Vgl. dazu auch Herrmann 1985; Deutsch 1986; Bryant/Bradley 1983: 163; van Dijk/Kintsch 1983: 261.) - Straight spricht in bezug auf das Veiiiältnis von Rezeption und Produktion sogar von einer «irreducible distinction», welche eine psychologisch neutrale Beschreibung unmöglich mache. Diese Verschiedenheit präge nicht nur den syntaktischen, sondern auch den lexikalischen Bereich. Straight verweist etwa darauf, dass Kinder durchaus differenzierte Wortbedeutungen verstehen, in ihrem eigenen Gebrauch mit denselben Wörtern aber weiterhin semantisch sehr ausgeweitete Konzepte verbinden; offenbar gebe es zwei verschiedene Zugangsweisen zum Lexikon oder sogar zwei verschiedene Lexika (Straight 1986, vgl. Straight 1976). Perfetti/McCutchen dagegen verweisen zwar auch auf die Unterschiede zwischen Rezeption und Produktion, betonen aber zugleich, dass zumindest Lese- und Schreibfähigkeiten selten weit auseinander klaffen. Wenn man die Ergebnisse der gängigen Testverfahren zugrunde legt, sind gute Leser auch mehr oder weniger gute Schreiber und umgekehrt. Sie interpretieren dies als Hinweis auf eine beiden Gebrauchsweisen gemeinsame Basis (Perfetti/McCutchen 1987: 135f.). - Überlegungen, welche die generelle Umkehrbarkeit der Vorgänge in Rezeption und Produktion betonen, beruhen meist auf allgemeinen kommunikationstheoretischen und pragmatischen Betrachtungen. Sie beziehen sich nicht eigentlich auf die hier in den Vordergrund gestellte prozessuale Ebene (vgl. House 1986; Widdowson 1978; Kucer 1985). Die Hypothese, dass Rezeption und Produktion auf je spezialisierten Prozeduren beruhen, bedeutet nicht die Leugnung grosser Ähnlichkeiten und möglicher gegenseitiger Stützeffekte in Lernen und Gebrauch (Anderson 1983: 269). 2 Es gibt auch Hinweise dafür, dass der Produktionsaufwand für bestimmte Satztypen nicht parallel geht mit dem entsprechenden Rezeptionsaufwand. Von zwei experimentell untersuchten Satztypen erwies sich der für die Rezeption einfachere als der in der Produktion schwierigere (nach Herrmann 1985: 67).
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
kapazitäten in Grenzen halten. Da das Ziel Verstehen ist, kann der Verarbeitungsprozess jederzeit abgebrochen werden, sobald dieses erreicht ist. Herrmann weist darauf hin, dass man über die Wortbedeutung verfügen kann, «ohne die Wortform - zumindest vollständig - wahrgenommen zu haben» (1985: 39, 126; vgl. Bock 1982). Auch scheint es, dass bei der Aufnahme von neuer Information die ersten Wörter von unten nach oben analysiert werden; nach kürzester Zeit wird diese Arbeit begleitet und überlagert von Prozessen, die von oben nach unten arbeiten, das heisst es kommen Hörererwartung bezüglich der Satzstruktur, der Wahrscheinlichkeit von Wortübergängen und Hypothesen über die Intention des Sprechers ins Spiel, aufgrund derer die Mitteilung erschlossen wird. Es genügt dabei, wenn Rezipienten nach Schemata der Normalverarbeitung vorgehen, in denen primär die Wortfolge, vielleicht einige wenige Indizien syntaktischer Art die kognitive Zuordnung der ausgedrückten Konzepte zueinander bestimmen; eine grammatische Analyse wird erst durchgeführt, wenn mit diesem Verfahren Schwierigkeiten auftauchen (Herrmann 1985:168f., vgl. Heniot 1970: 76). Herriot bringt diese Strategie und den Sinn der Analyse von oben nach unten auf den Punkt, wenn er sagt: We do not need to attend to low-level cues when high-level ones, yielding more information, are available. (Herriot 1970: 27; vgl. Graesser/Robertson/Clark 1983.)
Man kann dies so interpretieren, dass die im Verstehen auf jeder Systemebene aufgerufenen Wissensbestände, sobald sie wirksam werden, eine selektive Verarbeitung der Daten in Gang setzen, wobei die neu aufgenommenen Daten auf tieferer Ebene nur als Hinweise dafür genutzt werden, ob die verstehende Rekonstruktion der Äusserung auf gutem Wege ist, das heisst ob sie die vorgenommenen Interpretationen bestätigt. Aus all diesen Gründen übersteigen die rezeptiven sprachlichen Leistungen die produktiven meist beträchtlich. Die Tatsache, dass im rezeptiven Sprachgebrauch eine Vorlage nicht erst geschaffen werden muss, erklärt auch, warum es möglich ist, kursorisch, selektiv oder detailliert zu lesen oder zuzuhören1. Erscheinungen dieser letzten Art sind in der Sprachproduktion nicht ausgeschlossen, wenn auch die Spielräume dafür ziemlich limitiert erscheinen. So wird die Artikulationsgenauigkeit den Umständen angepasst - die phonetische Realisierung ist vor grossem Publikum mit grosser Wahrscheinlichkeit um einiges aufwendiger und deutlicher als im ungezwungenen Dialog. Auch Ellipsen, Auslassungen usw., wie sie in alltäglicher Sprachverwendung vielfach vorkommen, sind zum Teil als Ergebnis von Strategien der Aufwandersparnis zu sehen (vgl. Henmann 1985: 68). Allerdings gehen sie in der Produktion weniger weit und sind von anderer Art als in der Rezeption. Generell gilt demnach: Man kann einen Satz
1
Vgl. Kasper 1986: 200f.; Flynn 1986. Nach Flynns Untersuchungen an spanischsprachigen Englischlernern geben Verständnistests ein wenig zuverlässiges Bild der Strukturkompetenzen von Lernenden, da der pragmatische Kontext die Verständnis leistungen stark beeinflusst, während Produktionsleistungen unabhängiger vom Kontext Struktuiieistungen verlangen.
1.2 Lernen und Können
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oder das mit der Äusserung dieses Satzes Gemeinte durchaus verstehen, ohne jeden Laut, jedes Wort und jede grammatische Teilstruktur identifiziert bzw. verstanden zu haben. Man kann aber denselben Satz nicht 'frei* produzieren, wenn man nicht jedes seiner Wörter und jeden seiner Laute erzeugt und nicht alle anzuwendenden Regeln korrekt verwendet hat Insofern ist hier [...] kein Teilprozess entbehrlich. (Herrmann 1985: 68)1
In diesem Sinne sind Schreiben und Sprechen schwieriger als Hören und Lesen; sie erfordern differenziertere linguistische Kenntnisse. Im Unterschied zu den Gegebenheiten in den rezeptiven Bereichen hat jedoch in der Produktion der Sprachbenutzer viel mehr die Möglichkeit, die Komplexität der sprachlichen Äusserung zu kontrollieren und entsprechend seinen Möglichkeiten anzupassen. Gegenüber rezeptiv zu bewältigenden Äusserungen hat er keinen oder viel geringeren Einfluss (Chastain 1971: 221). Insgesamt geht im Sprachlernen die Rezeption der Produktion voraus. Allerdings heisst das nicht, dass alles, was produziert werden kann, problemlos auch rezipiert werden kann; es heisst in der Fremdsprache auch nicht, dass alles, was produziert wird, notwendig vorher rezipiert worden sein muss. Die Kreativität der Sprache erlaubt Konstruktionen, welche (für den Produzenten) neu sind; je nach Gegebenheiten können auch fremdsprachliche Elemente durchaus korrekt aus den Verhältnissen des Systems abgeleitet und/oder aus der Muttersprache übernommen werden (z.B. wenn ein Deutschsprachiger Englisch lernt und Übertragungen vornimmt wie Nation—nation, Rezession-^ecession, Depression-depression). b. Mündlicher und schriftlicher Modus
Mündliche und schriftliche Verarbeitungsformen sind zuerst darin voneinander unterschieden, dass sie auf unterschiedlichem Wissen aufiruhen: Den sprachlichen Elementen sind schriftliche und mündliche Realisierungsformen zugeordnet; zu jedem lexikalischen Element sind also zwei mögliche Erscheinungsweisen gespeichert. Diese Unterschiede betreffen zunächst nur die unterste Ebene des Systems, die der äusseren Realisation von Sprache. Die weitere Verarbeitung der Sprachdaten könnte jedoch im Prinzip unabhängig von diesen Unterschieden auf der Realisierungsebene gleich ausfallen. Dies ist in den meisten Fällen bekanntlicherweise kaum der Fall, und zwar aus zwei Gründen: Einerseits erlauben die unterschiedlichen Realisationsformen der Sprache verschiedene Formen des Zugriffs; sie erlauben und fordern mithin verschiedene Formen der Sprachverarbeitung. Hauptfaktoren sind die unter-
1 Im privaten Bereich sind natürlich weitergehende Reduktionen möglich (etwa im Niederschreiben von Stichwörtern statt von ausfoimulieiten Texten). Allerdings entsprechen diese Tätigkeiten nicht mehr dem Normalbild von (formulierender) Sprachproduktion, vielmehr besteht hier die Aufgabe der Schriftäusserangen in der Dokumentation von Einfallen; die Stichwörter dienen als Anker, die unausgedriickte Komplexe von Gedanken festmachen (z.B. für eine spätere Neubearbeitung und durchgeführte Formulierung).
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
schiedliche Geschwindigkeit1 der sprachlichen Verarbeitung und die unterschiedliche perzeptuelle Qualität mündlicher und schriftlicher Sprachformen2. Andererseits werden die schriftliche und die mündliche Sprachform in unterschiedlichen Situationen, unter unterschiedlichen Bedingungen und z.T. auch zu unterschiedlichen Zwecken verwendet. Daraus ergeben sich unterschiedliche pragmatische Ansprüche, welche die eben angezeigten verschiedenen Verarbeitungsweisen und ihre Möglichkeiten gezielt in Anspruch nehmen und ausnützen. Schriftliche Äusserungen fallen so meist komplexer aus, sie werden oft auch wichtiger genommen als mündliche. Eine Konsequenz daraus ist, dass sprachliche Elemente auch auf höheren Ebenen spezifiziert werden, nicht nur auf der Ebene der Realisationsformen - es gibt typische Weisen schriftlichen und mündlichen Ausdrucks in Wortschatz und Syntax (vgl. dazu II.2). Zusammenfassend lässt sich vielleicht sagen, dass die stärkste Verwandtschaft besteht zwischen den produktiven Fertigkeiten einerseits, den rezeptiven andererseits. Eine schwächere Verknüpfung besteht zwischen den schriftlichen und mündlichen. Am weitesten auseinander scheinen Hören und Schreiben zu stehen. Es lässt sich spekulieren, dass dies auch die gegenseitige Stützung, den Transfer von Arbeit im einen Bereich auf den anderen beeinflusst; danach würden immer primär die je andere produktive bzw. rezeptive Tätigkeit, sekundär die je andere schriftliche bzw. mündliche von Aktivitäten in einem der vier Bereiche profitieren3. Es ist also nicht davon auszugehen, dass die verschiedenen Fertigkeiten gegeneinander abgeschüttet wären; sie mögen zwar im Detail unterschiedliche, in vielem aber trotzdem verwandte und vor allem: aufeinander beziehbare Produktionen und Produktionssysteme bilden. 3.4.2 Das Verhältnis der vier Fertigkeiten zueinander Eines der wichtigen Themen der fremdsprachendidaktischen Diskussion um die vier Fertigkeiten ist die Frage ihrer Verknüpfung untereinander, vor allem in der Kommunikation. Der Vorwurf, das Fertigkeitenschema isoliere die verschiedenen Realisationsformen von Sprache voneinander, gründet sich auf die Beobachtung solcher Verknüpfungen. Die eben gemachten systematischen Differenzierungen und Zuordnungen sind in die1
2 3
Während Sprech- und Hörgeschwindigkeit gleich sind und inrelativkleinem Rahmen variieren, sind Schreib- und Lesegeschwindigkeit potentiell extrem unterschiedlich. Man kann viel schneller lesen als hören, aber im Normalfall nur sehr viel langsamer schreiben als sprechen, auch dann, wenn man flüssig schreibt. Wo Lesen und Schreiben zu intensiver Arbeit werden - in dem Versuch, einen extrem schwierigen Text zu verstehen oder einen widerständigen Gedanken auszudrücken - haben sie wenig Gemeinsamkeit mehr mit den entsprechenden Aktivitäten im Hören/Sprechen. Zu den Unterschieden in der Verarbeitung auditorischer und visueller Stimuli vgl. Welford 1968: 228ff.; Crowder 1972; Penney 1989. Vgl. Bohn 1986,1987b, 1989.
1.2 Lernen und Können
63
sem Sinne zu erweitern durch den Hinweis auf das Mitein andervorkommen der Fertigkeiten in Situationen des Sprachgebrauchs; sie sind jedoch nicht dadurch zu ersetzen. Wohl aber zeigen die folgenden Bemerkungen, vor allem die erste, dass die vier Fertigkeiten nicht als atomare Grössen verstanden werden können1. Die vier Grundfertigkeiten kommen im Sprachgebrauch auf verschiedene Weise in Kontakt miteinander. a. Verknüpfung im Verarbeitungsprozess Unter Prozessperspektive lässt sich auf ein systematisches Miteinander von produktiven und rezeptiven Fertigkeiten verweisen. Im Sprechen dient das gleichzeitige Mithören, im Schreiben das Mitlesen (und eventuell das Mitartikulieren) der äusseren Rückkoppelung und der Kontrolle der Produktion. Diese Kontrolle macht sich bemerkbar in Selbstkorrekturen, Wiederholungen usw.; sie ist nicht durchgreifend in dem Sinne, dass im Normal fall bei weitem nicht alle Fehler oder Ungereimtheiten bemerkt und korrigiert werden (was sich im Schreiben beim Überarbeiten leicht feststellen lässt). Die äussere Kontrolle ist jedoch nicht nur für diese inhaltlich-strukturelle Dimension von Bedeutung, sondern auch für die adäquate artikulatorische bzw. motorische Realisierung. Es ist umstritten, ob auch mit rezeptiver Sprachverarbeitung produktive Anteile verknüpft sind. Dass beim Lesen unterschwellig artikuliert wird, scheint jedenfalls häufig, wenn nicht sogar systematisch der Fall zu sein. Scheerer (1983) nimmt an, dass diese unterschwellige Artikulation nicht notwendig ist, um den Lexikonzugang zu sichern (dieser geschieht direkt über die visuell wahrgenommene Wortgestalt); es scheint aber, dass die Aktivierung der phonologischen Komponente dabei hilft, das Gelesene prosodisch zu strukturieren und so lange im Gedächtnis zu behalten, bis ein Satz oder Satzteil überblickbar und damit als Gesamtstruktur verarbeitbar ist. Fürs Hören haben Libermann und andere ein Modell entwickelt, wonach der Hörer Lautereignisse durch (stummes) Reproduzieren rekonstruiert (vgl. Herrmann 1985: 153f., 260). Diese Theorie scheint in ihrer ursprünglichen Form heute nicht mehr aktuell. Im systematischen Nachsprechen, das einige Fremdsprachenlerner beim Hören pflegen, mag ein (bewusst ausgestalteter) Reflex solchen Mit-Aktivierens jedoch noch wirksam werden. Alle diese komplexen Mitvollzüge heben die jeweiligen Grundprägung nicht auf - die Unterschiede zwischen produktivem und rezeptivem oder mündlichen und schriftlichem Sprachgebrauch werden nicht beseitigt dadurch, dass in der Produktion auch Rezeptives eine Rolle spielt oder im Schriftlichen Artikulatorisches. 1 Β rumfit (1984: 70) bezeichnet - ausgehend von einem ähnlichen Missverständnis wie Wienold (s. oben, Abschnitt 1) - die Fertigkeiten als «discrete, unmotivated activities» und fordert «(to) relate them to functions and purpose». Vgl. die entsprechenden Vorhaltungen von Widdowson 1978, Knapp-Potthoff/Knapp 1982.
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
b. Verknüpfung in der Kommunikation Unter pragmatischem Gesichtspunkt, in der Kommunikation, sind natürlich Sprechen und Hören im Dialog, Schreiben und Lesen im schriftlichen Austausch aufeinander bezogen. Dieser Bezug gründet sich darauf, dass im (mündlichen oder schriftlichen) Dialog die sequentielle, wechselseitige Übernahme der Sender- bzw. Adressatenrolle zum konstitutiven Prinzip der Interaktion gehört. Allerdings bestimmt dieser Rollentausch die Struktur der Kommunikation nur im Dialog. In monologischer Kommunikation hat der Empfanger die Möglichkeit nicht (und er sucht sie meist auch nicht), sich seinerseits dem Produzenten gegenüber bemerkbar zu machen - etwa als Zuhörer einer Predigt oder als Leser eines Romans. Hier sind Produzieren und Rezipieren nicht wechselnde Aktivitäten derselben Person, sondern rollenspezifisch fixiert1. (Zu psychologischen Aspekten der Verknüpfung von Rezeption und Produktion im Dialog vgl. Herrmann 1985: 192ff.) c. Rekodierung Rekodieren heisst, dasselbe Sprachmaterial gleichzeitig und gezielt auf zwei Weisen zu verarbeiten: Gelesenes kann zugleich laut gesprochen, Gehörtes oder Gelesenes aufgeschrieben werden usw. Dieses Vorlesen, Abschreiben, Mitschreiben, Nachsprechen usw. gehört zu den fundamentalen Lern-, Arbeits- und Kommunikationstechniken, nicht nur im Fremdsprachenunterricht. Es scheint, dass Verknüpfungen dieser Art sich als lernfördernd erweisen, weil sie die Intensität, die Dauer oder die Zahl der Kontakte mit der Sprache vergrössern, die einzelnen Sprachmittel damit prägnanter hervorheben und auf verschiedenen Kanälen dem Lernenden nahebringen2.
1 Neben den Grundformen reiner mündlicher oder schriftlicher Kommunikation gibt es natürlich Zwischenformen - es ist möglich, schriftlich auf Mündliches zu reagieren oder umgekehrt einen schriftlichen Austausch mündlich fortzusetzen usw. Im Sprachgebrauch ist unter Prozessaspekten auch zu unterscheiden zwischen verschiedenen Situationstypen und ihren variierenden Ansprüchen an die Sprachverarbeitung. So Hessen sich z.B. hinsichtlich des Hörens systematisch unterschiedliche Anforderungstypen unterscheiden: Hören vom Tonband oder Radio, also ohne visuelle Information; Hören bei gleichzeitigem Sehen dessen, worüber gesprochen wird (etwa in Fernsehnachrichten, naturkundlichen Fernsehprogrammen usw.), und Hören bei gleichzeitiger Präsenz der sprechenden Person. Diese Situationen können je monologisch oder dialogisch ausgeprägt sein. 2 Vgl. etwa Welfords Diskussion des Kurzzeitgedächtnisses (1968: 197ff.) oder die einschlägigen Aussagen von Didaktikem (etwa Chastain 1971: 160ff.) Welford (1968: 232) weist auch explizit auf die Wichtigkeit der Rezirkulation hin: Das Kurzzeitgedächtnis kann seine Inhalte nur verfügbar halten, wenn sie ständig erneuert werden. Da der Weg zum Langzeitgedächtnis über das Kurzzeitgedächtnis zu gehen scheint, habenrezirkulierteGehalte grössere Chancen, ins Langzeitgedächtnis aufgenommen zu werden. Techniken wie Wiederholen, Schreiben, laut Lesen usw. halten Daten über mehrere Kanäle und über längere Zeit verfügbar.
1.2 Lernen und Können
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3.4.3 Die vier Fertigkeiten und das Üben von Teilfertigkeiten Oben wurden die vier Fertigkeiten als hierarchisch hochstehende, integrative Fertigkeiten bezeichnet, welche den Übergang von konzeptuellen zu sprachlichen Strukturen regeln. In diesem Sinne von den vier Fertigkeiten zu sprechen heisst immer, von komplexen, im Normalfall von kommunikativen Sprachgebrauchsweisen zu sprechen. Diese stehen demnach nicht im Gegensatz zu Kommunikation. Wenn von Kommunikation die Rede ist, wird meist auf ihr soziales Moment abgezielt; von den Fertigkeiten zu reden heisst, die unterschiedlichen Anforderungen an die sprachlichen Verarbeitungsprozesse zu betonen. Es scheint mir wichtig, diese Aussagen zu wiederholen, weil in didaktischen Zusammenhängen ihre Implikationen leicht vergessen werden. Anknüpfen lässt sich hier an Widdowson, der in einer höchst interessanten Diskussion kommunikativen Sprachgebrauch («use») und nicht-kommunikatives Manipulieren von Sprache («usage») gegeneinander absetzt (Widdowson 1978, Kap.3). Diese Unterscheidung kann benutzt werden etwa im Hinblick auf die Beschreibung von Unterricht, wo nicht nur Sprachgebrauch als «use» (in kommunikativer Absicht) zu beobachten ist, sondern auch Sprachgebrauch als «usage» (in vielerlei nicht-kommunikativen Übungen, Drills, Diktaten usw.), oft in verwirrender Abwechslung miteinander und mit nicht immer klaren Grenzen gegeneinander. Solches Manipulieren dient der Einübung von sprachlichen Teilfertigkeiten. Widdowson scheint nun anzunehmen, dass dabei ein um die kommunikative Dimension gekapptes Ausüben der Fertigkeit des Sprechens, Schreibens usw. stattfindet. Ich möchte dem widersprechen. Natürlich finden diese Übungen in mündlichen und schriftlichen, rezeptiven und produktiven Formen statt - anders ist Sprache nicht zu realisieren. Es geht dabei aber nicht ums Sprechen, Lesen, Hören oder Schreiben, vielmehr um das (z.B. im mündlichen Medium, gesprochen) stattfindende Ausüben der Fertigkeit der Passivbildung, des Nachsprechens, der Substitution von Nomina in einem syntaktischen Schema usw. Diese Unterscheidung ist relevant, weil die Tatsache, dass z.B. mündlich artikuliert wird, nicht ein Zeichen dafür ist, dass in einem relevanten Sinn gesprochen wird. Entsprechend würde kein einigermassen aufgeweckter Schüler davon sprechen, dass sie in der Stunde (über etwas) gesprochen hätten, wenn in Wahrheit (das und das) geübt wurde. Zwischen den verschiedenen Formen des Übens und den Aktivitäten des Sprechens, Lesens usw. besteht eine gewichtige Differenz - sie ist zu messen an der Art der Organisation und Integration einzelner Wissensbestände, die bei der Lösung einer Aufgabe zur Erreichung des gesetzten Ziels erforderlich sind. Die Substitution eines Wortes für ein anderes in einem vorgegebenen sprachlichen Kontext oder die Bildung eines Passivsatzes aus einem Aktivsatz verlangen die Analyse von Strukturen und ihre Überführung in andere Strukturen. Dies sind unter Umständen höchst komplexe und schwierige Aufgaben; sie sind aber nicht zu vergleichen mit der (oft ebenfalls komplexen und schwierigen, aber andersartigen) Aufgabe, einer
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
Vorstellung oder einem Gedanken sprachliche Gestalt zu verleihen, das heisst sprachliche Operationen auszuwählen und durchzuführen, und zwar so, dass damit eine Intention realisiert, ein Gedanke geäussert werden kann (oder umgekehrt von anderen geäusserte Gedanken verstanden werden können). Genau dieses Moment ist in den von Widdowson angezielten Fällen manipulierenden Umgehens mit Sprache abwesend: Hier werden Fertigkeiten oder Fertigkeitskombinationen auf niedrigerer Ebene geübt, nicht die übergreifenden des Gedankenausdrucks oder -verstehens. Diese und damit die kommunikativen Sprachverwendungsweisen sind jedoch angezielt, wenn allgemein, ohne einschränkende Qualifikationen, vom Schreiben, Lesen, Sprechen und Hören die Rede ist1.
1 Widdowson möchte auch, der Unterschiedlichkeit der einzelnen Gebrauchsweisen der Sprache gegenüber, die Einheit des Kommunizierens hervorheben und bezeichnet 'interpreting' - man könnte es übersetzen als 'Herstellen von Sinn' - als «the highest level skill: it is the ability to process language as communication and underlies all language use» (Widdowson 1978: 66). Die Frage, die hier zu stellen ist, ist die, ob mit diesem Konstrukt noch spezifisch Sprachliches verbunden werden kann: Die Fähigkeit des Herstellens von Sinn bezieht sich ja auf sämtliche Zeichenprozesse, vielleicht auf strukturiertes Wahrnehmen und Handeln überhaupt. Dieser Abstraktion gegenüber muss festgehalten werden, dass jede konkrete Sprachverwendung in bestimmter Form (als Produktion oder Rezeption, mündlich oder schriftlich) erfolgen muss.
13 ZWISCHENSPRACHFORSCHUNG UND ERWERBSTHEORIEN
Ausgehend von sprachdidaktischen Fragestellungen wurde im letzten Kapitel der Begriff der Fertigkeit diskutiert. Im anstehenden Kapitel wird ein kurzer Überblick über die wichtigsten Themen der Zwischensprachforschung gegeben. Diese beschäftigt sich empirisch mit den Bedingungen, den Gesetzmässigkeiten und den Formen der Aneignung von Fremdsprachen. Sie hat unsere Kenntnisse in diesem Bereich beträchtlich erweitert, in vielem auch die gängigen Vorstellungen zu diesem Thema revidiert oder widerlegt. Im Gegensatz zu den Modellen mit übergreifendem Anspruch im letzten Kapitel beziehen sich Theorien in diesem Bereich eng nur auf sprachliche Phänomene, die mit entsprechender Detailliertheit aufgezeichnet und analysiert werden. Die Didaktik hat sich in den letzten Jahren immer wieder mit Lernersprachforschung und Erwerbstheorie auseinandergesetzt; Vorschläge für den Unterricht, die sich auf deren Ergebnisse beziehen, sind in den letzten zehn Jahren wiederholt vorgebracht worden. Heute werden Diskussionen um die Sprachaneignung im Unterricht weitgehend vor diesem Hintergrund geführt.
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Überblick
Forschungen zum Mutterspracherwerb haben seit den sechziger Jahren, nicht zuletzt unter dem Einfluss der Chomsky sehen Linguistik, einen unerhörten Aufschwung genommen. Parallel dazu, wenn auch mit einiger zeitlicher Verschiebung, ist auch die Erforschung des Zweitsprachenerwerbs, zuerst des sogenannt natürlichen (ungesteuerten), zunehmend auch des unterrichtlich gesteuerten, zu einem gewichtigen wissenschaftlichen Fach geworden. Thema dieses weithin neuen Gebiets ist die Erforschung der Lernersprache oder Zwischensprache1. Dieser letztere Begriff (engl, 'interlanguage') wurde geprägt von Selinker (1972); er hat sich gegenüber mehreren anderen Begriffen, die auf das gleiche Phänomen zielen, durchgesetzt2. Sein zentrales Bedeutungsmoment wurde von den einschlägigen Forschungs1 2
Die Ausdrücke 'Lemersprache', 'Zwischensprache' wie auch das ebenfalls geläufige 4 Interimsprache' werden hier gleichbedeutend in freier Variation verwendet. Nemser (1971) benutzt den Begriff «approximative systems», Corder (1971) «transitional competence» bzw. «idosyncratic dialect». Vgl. dazu Ellis 1986: 47ff. Vorläufer der Zwischensprachforschung finden sich in den strukturalistisch inspirierten kontrastiven Analysen von Sprachsystemen und daraus abgeleiteten Klassifikationen von Lernschwierigkeiten, in der Analyse von Lernerfehlem, von sprachlichem Transfer usw. Alle diese Themen bleiben auch im Rahmen der Erforschung von Zwischensprachen und der theoretischen Erklärung ihrer Eigenarten aktuell, werden aber auf gänzlich veränderten Grundlagen angegangen (siehe unten).
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
ansätzen, bei allen sonstigen Differenzen, übernommen und gibt heute kaum mehr zur Diskussion Anlass. Danach sind im Begriff der Zwischensprache zwei zentrale Aspekte zu unterscheiden: Zum einen sind Zwischensprachen in sich strukturierte Gebilde auf jeder Stufe ihrer Entwicklung, bestehen also nicht einfach aus Kopien von Bruchteilen der Zielsprache; zum anderen ist die Entwicklung einer Lernersprache über verschiedene Stufen bis zum - zumindest äusserlichen - Abbruch der Entwicklung (bei Erreichen der Zielsprachnorm oder durch Fossilierung) selbst ein strukturierter Prozess1. Die Zwischensprachforschung richtet sich auf die Untersuchung und Beschreibung von Zwischensprachen: ihre formalen Eigenschaften; die Faktoren, welche ihre Entwicklung beeinflussen; die Regularitäten ihrer Ausbildung und ihres Gebrauchs; ihr Verhältnis zu den jeweiligen Ausgangs- und Zielsprachen usw. In dem grossen so umrissenen Bereich haben sich ganz unterschiedliche thematische Interessen und empirische Vorgehensweisen etabliert; diese sind in ihren Ausformungen mitbestimmt durch verschiedene erwerbstheoretische Positionen. Mit diesem Begriff sei hier verwiesen auf die Dimension der Erklärung der Regularitäten und Eigenschaften von Lernersprachen im Hinblick auf Annahmen über die Beschaffenheit von Lernprozessen und des Lernmechanismus, welcher den Aneignungsaktivitäten von Lernenden zugrunde liegt. Die meisten Untersuchungen zur Zwischensprache betreffen den ungesteuerten Fremdsprachenerwerb; sehr viele beschäftigten sich mit dem Fremdsprachenerwerb von Kindern. Fast immer stehen im Zentrum der Untersuchungen Fragen der Syntax und der Morphosyntax. Phänomene dieser Art repräsentieren - nicht nur in der Linguistik Chomskys - die zentralen Charakteristika von Sprache; sie sind auch dank ihres obligatorischen Charakters im entsprechenden Kontext und ihres häufigen Auftretens für empirische Untersuchungen besonders geeignet2. Pragmatische Phänomene haben in der jüngsten Zeit zusehends Beachtung gefunden vor allem in den Analysen, welche das Interaktionsverhalten der Lernenden betreffen, semantische stehen eher am Rande3. 1
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Knapp-Potthoff/Knapp (1982: 53ff.) geben einen kurzen Überblick über allgemeine Meikmale von Lernersprachen. Diese sind generell durch ihre Instabilität gekennzeichnet sowie durch ihre Variabilität. Zudem stehen sie in spezieller Beziehung zur Zielsprache, die als 'Zielnorm' der Zwischensprachentwicklung gelten kann und gemessen an der die Lemeräusserungen als verständlich, korrekt usw. erscheinen. Zwischensprachen werden so in Abhängigkeit von Zielsprachen wahlgenommen; es gibt höchstens Ansätze von zwischensprachlichen Sprachgemeinschaften. - Ähnlich gibt Ellis (1986: 50) folgende Meikmale von Lemersprache: «permeable» (Lemersprachregeln sind nicht fix, sondern offen für Veränderungen), «dynamic», «systematic». Die dritte Person Sg. Präs. z.B. muss im englischen Verb (ausser bei Modalverben) bezeichnet werden, worüber auch immer gesprochen wird. Der Gebrauch solcher Veibformen lässt sich kaum umgehen. Nach Meara (1984: 230) fehlt für die Untersuchung der Semantik, das heisst primär des Lexikons, noch ein «rule-based framework», das der Forschung ebenso zugrunde
1.3 Zwischensprachforschung und Erwerbstheorie
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In ihren Themen, Methoden und Theorien zeigt die Zwischensprachforschung grosse Nähe zu den Untersuchungen des Erstspracherwerbs. Zwischensprachforschung mag - dies ist einer der Aspekte, die die Erforschung von Fremdsprachenerwerb so interessant machen - in vielem ein anderes, vielleicht klareres Bild der spezifisch linguistischen Aspekte von Sprachaneignung vermitteln als die Untersuchung des Erstspracherwerbs, weil zumindest bei Jugendlichen und Erwachsenen die Frage des Spracherwerbs getrennt von den Fragen der kognitiven Entwicklung angegangen werden können. Ziel der Erwerbsforschung ist aber eine alle Erwerbsformen umspannende «integrated view of language learning» (Wode 1983: 190). Im folgenden soll zunächst ein kurzer Überblick über die wichtigsten Themen der Zwischensprachforschung gegeben werden. Dann werden drei fundamentale Perspektiven vorgestellt, unter denen Spracherwerbsphänomene theoretisch erklärt werden; dabei wird noch einmal auf das im letzten Kapitel vorgestellte Modell einzugehen sein1. Diese Erklärungsansätze lassen sich heute noch kaum harmonisieren, schliessen sich aber auch nicht strikt gegenseitig aus. Eine umfassende Spracherwerbstheorie muss auf Elemente von ihnen allen zurückgreifen. Im letzten Abschnitt schliesslich wird eine Theorie des Spracherwerbs zu besprechen sein, die sich explizit auf die Ergebnisse der Zwischensprachforschung beruft und in Anspruch nimmt, auch die unterrichtliche Sprachaneignung in ihrer Eigenart erfassen zu können. Alle Ausführungen in diesem Abschnitt werden extrem kurz gehalten. Im Vordergrund stehen allgemeine Aussagen zur Lernersprache; wo auf konkrete Umstände der Aneignung eingegangen wird, betreffen diese vor allem ungelenkte Erwerbssituationen. Die im Zusammenhang dieser Arbeit besonders interessierenden Themen werden in 1.4/2 wieder aufgenommen; im weiteren sei auf die zahlreichen Darstellungen des Gebiets verwiesen2.
1
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gelegt werden könnte wie die syntaktischen Normen oder pragmatischen Regularitäten. Allgemein-psychologischen Verfahren der Modellierung kognitiver Prozesse, unter ihnen die vorgestellte Theorie der Prozeduralisierung, sind in jüngster Zeit mehr und mehr auch in der Sprachgebrauchs- und Spracherwerbsforschung eingesetzt worden. Die Zwischensprachforschung hat sich aber weitgehend ohne direkten Bezug auf Theorien der Informationsverarbeitung entwickelt, auch wenn schon immer einzelne von ihren Theorielementen für die Erklärung bestimmter Phänomene herbeigezogen wurden, etwa die These der beschränkten Kapazität des Arbeitsgedächtnisses usw. Gesamt- oder ausführliche Teildarstellungen geben etwa: Knapp-Potthoff/Knapp 1982, Dulay/Burt/Krashen 1982, Digeser 1983, Klein 1984, Ellis 1986, McLaughlin 1987, Wode 1988. Alle gehen auch mehr oder weniger knapp auf fremdsprachendidaktische Implikationen ein, vor allem Digeser und Knapp-Potthoff/Knapp.
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
Hauptperspektiven der Lernersprachforschung
2.1 Die sechs Grundgrössen Das Feld und die hauptsächlichen Themen der Lernersprachforschung lassen sich einigermassen übersichtlich zusammenfassen unter Gesichtspunkten, die Klein hervorgehoben hat. Er benennt sechs «Grundgrössen des Spracherwerbs», nämlich drei Faktoren, welche die Bedingungen des Spracherwerbs umreissen (Antrieb zur Aneignung, Sprachvermögen und Sprachzugang), sowie drei Faktoren, welche den Prozess der Sprachaneignung charakterisieren (Struktur des Verlaufs, Tempo des Verlaufs und Endzustand) (vgl. Klein 1984, Kap. 2). Von diesen sind der dritte und vierte (Sprachzugang und Verlaufsstruktur) am intensivsten untersucht und diskutiert worden. Auf einen Aspekt, der in diesen sechs Grundgrössen zu wenig deutlich angesprochen ist - den der Aktivitäten der Lernenden selbst - , wird im Anschluss an die folgende Darstellung separat eingegangen. 2.1.1 Antrieb zur Sprachaneignung Antrieb zur Sprachaneignung ist ein Thema vorab für den Zweitsprachenerwerb. Die Aneignung der Erstsprache ergibt sich im Normalfall aus den Umständen des Mitlebens und Aufwachsens so vorhersagbar und sogar notwendig, dass sie weitgehend den Zufälligkeiten und der Willkür entzogen ist, welche den Zweitsprachenerwerb durchwegs prägen und seinen Erfolg stark von verschiedenen Bedingungen abhängig erscheinen lassen. Zweitsprachen haben sozial und psychologisch einen anderen Stellenwert als die Erstsprache: Der Lerner ist schon in einer anderen Sprachgemeinschaft Mitglied geworden und, gleichgültig, ob er diese freiwillig verlässt oder nicht, er tritt von aussen in die neue ein1. Zudem ist die neue Sprache primär ein Instrument, das einer schon mehr oder weniger ausgebildeten sozialen und kommunikativen Kompetenz und einem bereits konstituierten Wissen alternative, zusätzliche Ausdrucksmöglichkeiten schafft2. Entsprechend kann das Verhältnis zu ihr durch Zwänge oder strategische Rücksichten stark mitbestimmt werden3. Es sind dies Faktoren, welche der Erstsprache gegenüber nicht oder erst in der späten, schulischen Entwicklung zum Tragen zu kommen scheinen. Entsprechend sind soziale und psychologische Umstände (Integrationswilligkeit, Notwendigkeit und Wünschbarkeit bzw. Vermeidbarkeit fremdsprachlicher Kommunikation, kulturelle 1
2
3
Dieser Eintritt ist ein höchst vermittelter, wenn eine Fremdsprache in der muttersprachlichen Umgebung gelernt wird. Der Kontakt zur Zielsprache wird hier aus Interesse, vorausgesehener Notwendigkeit oder schulischem Zwang hergestellt, nicht durch 'Mitleben'. Vgl. Gleitmann/Wanner 1982: lOff.; Bausch 1986: 12f.; List 1986: 122. Das Voihandensein der Erstsprache liegt auch dem Phänomen des Transfers zugrunde (Kellermann 1984). Wo die fremde Sprache nicht Faktor der persönlichen Identität oder des Prestiges ist, braucht sie eben nur als Instrument, vielleicht nur in eng definierten Bereichen, beherrscht zu werden.
1.3 Zwischensprachforschung und Erwerbstheorie
71
Distanz, Diskriminierung, Motivationen, Einstellungen, Verfügbarkeit von Zeit, ...) für die Fremdsprachenaneignung von grossem, sogar entscheidendem Gewicht. Diese Faktoren sind fast alle auch empirisch untersucht worden1. 2.1.2 Sprachvermögen In den beobachtbaren Lernleistungen und Sprachgebrauchsprozessen manifestiert sich ein - wohl biologisch gegebenes - Sprachvermögen. Erwerbsforschung verspricht, Licht auf die Struktur dieses Vermögens zu werfen. Aussagen über das Sprachvermögen sind Interpretationen, sie gehören in den Bereich der Erklärungen von Sprachaneignung. Auf verschiedene Konzeptualisierungen dessen, was im Sprachlernen involviert ist, wird unten (Abschnitt 3) einzugehen sein. Das Sprachvermögen manifestiert sich differentiell. Untersucht worden sind vor allem zwei Dimensionen: Die interindividuell variierende Sprachlerneignung und die mit dem Alter sich verändernde Lernfähigkeit. Das erste Thema ist vor allem testpsychologisch, aber auch für die Zwischensprachforschung interessant. Carroll (1986: 98f.) verweist auf zwei Faktoren, welche für «Sprachbegabung» eine wichtige Rolle zu spielen scheinen: Einerseits sind dies Artikulationsfähigkeit («phonetic coding ability») sowie die Fähigkeit, Gehörtes für kurze Zeit im Gedächtnis zu behalten und korrekt nachzusprechen. Andererseits ist dies die Fähigkeit, grammatische Strukturen zu erkennen und ihrer Funktionen gewahr zu werden (vgl. auch Ellis 1986: llOff.; Knapp-Potthoff/Knapp 1982: 112). Das für die Lernersprachforschung bei weitem wichtigere Thema betrifft die Altersabhängigkeit von Lemleistungen. Ob und wie Erstspracherwerb und kognitive Entwicklung zusammenhängen, ob es ein kritisches Alter gibt, nach dessen Erreichen Erstspracherwerb nicht mehr möglich ist, ob und wie bereits erreichte kognitive Reife den Zweitspracherwerb mitbestimmt usw. - dies sind Fragen, welche nicht nur von direktem praktischem, sondern auch von höchstem theoretischem Interesse sind. Die vorhandenen Untersuchungen und Vergleiche weisen für den Zweitspracherwerb darauf hin, dass es keine dramatischen Unterschiede gibt in der Weise, wie Kinder und Erwachsene eine fremde Sprache lernen, wenn der Vergleich gemacht wird aufgrund der beobachtbaren (grammatischen) Fehlertypen; dass Lernende in verschiedenen Altersklassen verschiedene Stärken und Schwächen haben2; dass wahrscheinlich Kinder die grösste Chance haben, schliesslich die Zielsprache fast perfekt zu beherrschen; dass Adoleszente die vielleicht insgesamt effizientesten Lerner sind3. Alle 1 2
3
Hinweise geben etwa Knapp-Potthoff/Knapp 1982: 119ff.; Klein 1984: 45ff.; McLaughlin 1987, Kap. 5; vgl. Hatch 1984. Gleitmann/Wanner (1982: 23f.) berichten über die Schwierigkeit erwachsener Lemer, Wörter mit allein grammatischer Bedeutung (die geschlossene Klasse der Artikel, Pronomina, Präpositionen usw.) korrekt verwenden zu lernen. Ellis 1986: 104ff. Vgl. Snow 1983b; Wode 1985, 1988; Mägiste 1986; Nicholas/Meise 1983.
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diese Aussagen müssen allerdings insofern mit Vorsicht interpretiert werden, als für den individuellen Lernerfolg viele nichtsprachliche Faktoren eine Rolle spielen. Ebenso ist es generell schwierig, Erwerbsleistungen von Kindern und Erwachsenen miteinander zu vergleichen1. 2.1.3 Sprachzugang Lerner haben Zugang zur Zielsprache vorab in den Kontakten mit Zielsprachigen (zum Teil auch mit anderen Lernern). Diese liefern in ihren Gesprächsbeiträgen das Datenmaterial, den 'Input', von dem ausgehend die Lerner ihre Sprachkenntnisse aufbauen. In bezug darauf sind eine Vielzahl von Fragestellungen diskutiert worden2. Input allein führt nicht zum Lernen; man hat daher vorgeschlagen, Input von Intake zu unterscheiden, das heisst von Sprachangeboten, die tatsächlich lernend verarbeitet werden. Diese Unterscheidung ist schwer empirisch nachzuvollziehen; sie ist in der Diskussion aber gängig als theoretisches Konstrukt. Das hauptsächliche Augenmerk in empirischen Untersuchungen richtete sich vorab auf die Modifikationen, welche dem sogenannten Tremdenregister' unterliegen und dem Bemühen von Zielsprachigen entspringen, die eigenen Beiträge für die Fremdsprachigen möglichst einfach und verständlich zu halten. Die Annahme ist, dass solche Adaptionen nicht nur das Verstehen erleichtern, sondern auch Hilfen für das Sprachlernen darstellen - zumindest scheint so viel klar, dass unverständlicher Input das Lernen nicht fördert3. Input ist in bezug auf verschiedene Variablen untersucht worden. Zielsprachige neigen dazu, Fremdsprachigen gegenüber (abhängig von deren Sprachstand) langsamer und genauer zu artikulieren. Kontraktionen werden vermieden, es werden hochfrequente Wörter vorgezogen, Slang- und idiomatische Ausdrücke werden unterdrückt. Syntaktisch tendieren solche Beiträge zur Einfachheit. Häufig werden thematische Ausdrücke isoliert und der Äusserung vorangestellt ("Am Samstag, was hast du gemacht?"); Aussagen werden repetiert, paraphrasiert usw. Veränderungen der Gesprächsroutinen erleichtern den Austausch; so erlauben gezielte Fragen es den Lernenden, mit wenig sprachlichem Material komplexe Aussagen zu bestätigen, zu verneinen oder zu modifizieren und damit die Beschränkungen ihrer Kompetenz wenigstens in Einzelfällen zu überwinden. Zentral sind bei alledem natürlich gesprächsleitende Strategien der Konzentration auf 'leichte' Themen, die Vermeidung komplexer Themen und oft Verzicht auf Klärungen, Nachfragen usw. (vgl. Tarone 1980: 423; Klein 1984: 1 2 3
Vorausgesetzt, man beschränkt sich nicht allein auf die Beobachtung morphosyntaktischer Phänomene. Vgl. Sampson 1982; Snow 1983b. Input anderer Art (durch elektronische Massenmedien, Gedrucktes) ist kaum untersucht worden. Es sei denn auf indirektem Weg - wenn der Lemer sich z.B. entscheidet, Kurse zu besuchen, um bei solchen Gesprächen auch mitmachen zu könnea
1.3 Zwischensprachforschung und Erwerbstheorie
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55; Hatch 1983). Wie weit solche Modifikationen für den Spracherwerb wirklich nötig sind, ist umstritten1. In neueren Beiträgen wird immer mehr darauf hingewiesen, dass die Anpassungen im Sprachangebot keine unabhängigen Phänomene seien. Einerseits fanden Wesche/Ready (1985) bei ihren Analysen von Universitätsvorlesungen, die speziell für Fremdsprachige gehalten wurden, zwar durchwegs grössere oder kleinere Anpassungen; diese liessen sich aber nicht anhand einer festen Liste von Adaptionen charakterisieren, sondern ergaben sich aufgrund des in Vorlesungen für Muttersprachige erhobenen 'Normalregisters' jedes einzelnen Vortragenden als individuell gestaltete Vereinfachungen. Unter Hinweise auf Interaktionsanalysen wird andererseits festgehalten, dass das Sprachangebot meist keine Angelegenheit allein des zielsprachigen Gesprächspartners ist. Ellis (1984b, 1985, 1986) zeigt, wie die Interaktion zwischen den Gesprächspartnern das Sprachangebot reguliert. Mit den Sprachfertigkeiten des Lernenden verändert sich die Gesprächsdynamik, damit unterliegen auch die durch das Ziel gegenseitiger Verständigung notwendig gemachten Verfahren des Sich-Verständigens (Aushandelns) einer Veränderung. Zudem stellen die Beiträge der Gesprächspartner die Grundlage dar, auf der Lernende ihre eigenen Beiträge aufbauen können. Indem sie (Teil-)Strukturen gehörter Äusserungen aufnehmen und expandieren oder variieren, werden sie instand gesetzt, komplexere Gesprächsbeiträge zu strukturieren, als sie sonst zu produzieren imstande wären2. 2.1.4 Struktur des Verlaufs Untersuchungen zur Verlaufsstruktur des Spracherwerbs bilden den zweiten zentralen Bereich der Lernersprachforschung. Basis bildet hier der Output der Lerner, ihre Äusserungen. Die Untersuchung betrifft deren syntaktische (selten ihre semantischen oder pragmatischen) Eigenschaften und die Veränderungen, welche diese im Verlaufe der Aneignung durchmachen. Solche Arbeiten stehen am Anfang der neueren Lernersprachforschung; sie gestatten Einsicht in bezug darauf, wie Lerner ihre Äusserungen strukturieren und welche Lernschritte in welcher Reihenfolge stattgefunden haben. Die ersten wichtigen Verlaufsstudien im Rahmen der Lernersprachforschung waren die sogenannten «morpheme order studies». Lernerprodukte wurden in bezug auf eine ganze Reihe (meist morphosyntaktischer) Merkmale hin untersucht; die obligatorischen Kontexte und die vom Ler1
2
Soweit solche Angaben nur beschreiben, bleibt offen, was all diese Anpassungen bewirken und warum sie es tun (Hawkins 1985: 177). Für den Erstspracherwerb ist offenbar «motherese» bis zu einem gewissen Grad erwartbar und vielleicht auch förderlich, jedoch nicht notwendig. Vgl. die Hinweise in Gleitmann/Wanner 1982, Newpoit/Gleitmann/Gleitmann 1977. Grimm (1985) interpretiert Motherese als Lehrtechnik. Für vielseitige Diskussionen siehe die Beiträge in Gass/Madden (Hg.) 1985. Siehe auch unten, 1.4/2.
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
ner produzierten korrekten Formen wurden ausgezählt. Die resultierende Rangordnung korrekten Gebrauchs wurde als Erwerbsordnung interpretiert unter der Annahme, dass die besser beherrschten Regularitäten früher erworben worden sind. Überraschendes und interessantes Resultat war, dass sich eine weitgehend übereinstimmende Erwerbsordnung unter fast allen Erwerbsbedingungen, also unabhängig von Muttersprache, Alter der Lernenden usw. durchsetzt (vgl. Ellis 1986: 55)1. Diese Studien wurden methodologisch hart kritisiert, ihre Resultate mannigfach relativiert und differenziert2. An ihre Stelle traten andere Untersuchungsmethoden, vor allem Longitudinalstudien, und verbesserte Analyseverfahren. So werden nicht mehr bloss normgerechte Bildungen ausgezählt, sondern alle im untersuchten Bereich (etwa Frage, Negation, Relativsatz, Plural) produzierten Strukturen analysiert. Studiert werden Entwicklungssequenzen, ihre Stadien und ihr Verhältnis zueinander und zu den Zielstrukturen. An dem Hauptpunkt, dass sich Spracherwerb zumindest im syntaktischen Bereich durch eine grosse Eigengesetzlichkeit auszeichnet, die auch durch Unterricht wenig veränderbar scheint, wird aber in der Zwischensprachforschung weitgehend festgehalten (vgl. Allwright 1984a); ebenso an der darauf bezogenen Hypothese, dass der Zweitspracherwerb eine «creative construction» des Lerners erfordert. Ergebnisse aus solchen Untersuchungen sind etwa3: - Zielstrukturen werden oft nicht direkt erworben, sondern 'dekomponiert' und unter Umständen über diverse Entwicklungsstufen der Zielnorm angenähert. Dekomposition erfolgt am grundlegendsten im Erstspracherwerb, weniger stark im natürlichen Zweitspracherwerb und noch weniger ausgeprägt im untenichtlichen Erwerb. Zweitsprachlerner produzieren von Anfang an relativ komplexe Ketten. Viele davon sind Routinen, das heisst sie bestehen aus weitgehend vorgegebenen Ketten, die im Gebrauch nicht strukturiert werden, sondern als ganze abgerufen werden und eventuell einzelne frei mit alternativen Wörtern belegbare Lücken enthalten4. - Sowohl im Erst- wie im Zweitspracherwerb werden komplexe Strukturen, etwa Fragen oder Negationen, in geordneten Sequenzen aufgebaut, welche weitgehend durch die zu lernenden Sprachstrukturen determi1 2
3 4
Für eine Übersicht über Studien, welche die Erwerbsreihenfolge bestimmter Morpheme im Unterricht untersuchten, vgl. Ellis 1986:223. «the morpheme order approach misses what makes language acquisition attractive for [...] developmental investigations, namely, to discover how language is processed by the child for the purpose of acquisition. This processing is reflected in the way that children decompose complex structural patterns and then rebuild them step by step until they finally reach target - like mastery.» (Wode 1983: 111. Ähnlich Long/Sato 1984: 259ff.; Lightbown 1984: 245ff.) Nach Wode (1983: 136ff.t 1984,1988), der sich vor allem auf eigene Studien und die von Felix bezieht. Routinen sind unter vielfachen Perspektiven besprochen worden; vgl. Krashen/Scarcella 1978; Krashen 1981; die Beiträge in Eppeneder (Hg.) 1986; Wildner-Bassett 1986.
1.3 Zwischensprachforschung und Erwerbstheorie
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niert scheinen. Die Sequenzen von unterrichteten Lernern zeigen gegenüber denen von 'natürlichen' Lernern gewisse Abweichungen, aber die Typen von Fehlem sind weitgehend dieselben wie im natürlichen Erwerb1. - Die Entwicklungssequenzen im Erst- und Zweitspracherwerb laufen nicht notwendig parallel (vgl. Ellis 1986:202). - Lernende setzten beim Spracherwerb ihr vorhandenes Wissen ein; beim Zweitsprachenerwerb bedeutet dies, dass die Erstsprache in systematischer Weise zur Problemlösung herbeigezogen wird. Dies bedeutet nicht nur, dass Elemente oder Strukturen der Erstsprache direkt auf die Zweitsprache übertragen werden (Interferenz), sondern betrifft auch allgemeinere Einsichten und Verfahrensweisen (dazu vgl. Wodel985). - Es gibt ein grosses Mass an individueller Variation im Erwerb; gemessen an der enormen Varianz verschiedener Faktoren zwischen den jeweiligen Erwerbssituationen zeigen Lernersprachen aber viele und wichtige gemeinsame Züge (Wode 1985,1988). 2.1.5 Tempo des Spracherwerbs Das Tempo des Spracherwerbs scheint - abhängig von den jeweiligen Bedingungen, welche Lernende vorfinden, auch von ihrem Alter - beträchtlich zu variieren. Im Rahmen der Zwischensprachforschung ist das Thema 'Tempo' in bezug vor allem auf die Einschätzung des Fremdsprachen Unterrichts von Belang, das heisst in bezug darauf, ob und wenn ja: warum Unterricht fruchtbarer ist als natürlicher Erwerb (vgl. 1.4/2). 2.1.6 Endzustand Zweitspracherwerb führt nicht automatisch zu perfekter Sprachbeherrschung. Natürlich ist Variabilität auch in der Muttersprache zu beobachten, sogar enorme, was Ausdrucksfähigkeit, Wortschatzkenntnisse und syntaktische Komplexität von (produzierten und als verständlich taxierten) Äusserungen betrifft. Diese Unterschiede lassen sich weitgehend interpretieren als Folgen besserer Ausbildung, grösseren Wissens, besserer Sozialkompetenz usw. Im sprachlichen Kernbereich der syntaktischen und morphosyntaktischen Regularitäten, auch der semantischen, lernt jeder Muttersprachige die Sprache so, das er sie formal korrekt verwendet. Es ist dagegen eher die Regel als die Ausnahme, dass die Kompetenz von Zweit- und vor allem Fremdsprachigen auf einer Stufe 'unterhalb' der Zielnorm fossiliert, also sich nicht weiter in Richtung auf die Zielnorm hin entwickelt, sondern in einem bestimmten Stadium stehenbleibt. Fremdsprachige können dabei unter Umständen zu den komplexesten Verrich1
«It is to be expected that FLT [sc.: foreign language teaching] students will produce fairly long, complex, target-like utterancesrightfrom the very beginning. Such targetlike utterances are likely to be more numerous during immediate practice sessions. What is not known about such data is whether they lead to the acquisition and availa-
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tungen in der fremden Sprache fähig sein, ohne in diesem linguistischen Sinne eine der Muttersprache äquivalente Kompetenz zu entwickeln1. Erwerbssequenzen geben in diesem Zusammenhang Kriterien ab, anhand derer sich der Ansatzpunkt von Fossilierungen, deren 'Tiefe', messen lässt. Die Fossilierung ist demnach um so gravierender, je mehr der erwartbaren Entwicklungsschritte nicht bewältigt wurden (Ellis 1986). Zu diesem äusseren Befund muss ein zweiter hinzugefügt werden. Untersuchungen an Bilingualen haben ergeben, dass die meisten von ihnen in ihrer 'schwächeren' (obgleich quasi perfekt beherrschten) Sprache nach den Standards psycholinguistischer Experimente weniger gute Leistungen zeigen (etwa in Worterkennungstests, Assioziationstests usw.). Diese zweiten Sprachen scheinen weniger zugänglich und weniger integriert im Gedächtnis niedergelegt zu sein als die besser beherrschte der beiden Sprachen. Die Unterschiede werden noch klarer im Vergleich zu Ein sprachigen, das heisst Leuten mit unzweifelhaft bestimmbarer Muttersprache: Skimpy but provocative evidence suggests that despite many years of speaking a language, and even apparent native speaker fluency in it, the healthy eldeiiy non-native but apparently fluent speaker may not have the same skills in it as a native speaker. Thus, Bergman et al. (1976) note that they were obliged to exclude native-like speakers of English from the speech-perception-in-noise study since the failed altogether in this task. Bradley has mentioned (personal communication) similarly that nonnative but native-like speakers of English who were undergraduate students at ΜΓΓ had to be excluded from her test of judging whether a word such as hamity was an English word or not because their performance was so poor. Stressful situations may also result in reversion to earlier linguistic patterns; thus a German neuro-psychologist reported to us his surprise in finding himself speaking with the Bavarian accent of his childhood under delayed auditory feedback (R. Cohen, personal communication). (Obler 1982: 72. Vgl. Domic 1979; zum Lesen Segalowitz 1986.)2
Alle diese Aussagen treffen verstärkt auf Zweit- und vor allem Fremdsprachlerner zu3. Muttersprachähnliche Kompetenz ist in Zweit- und Fremdsprachen schwer zu erreichen; sie ist kein Ziel für den 'normalen' Fremdsprachenunterricht.
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bility of structures/rules necessary for natural and spontaneous communication.» (Wode 1983:140) Auf einige mögliche Gründe fur Fossilierung geht Klein ein (1984: 61f.). Vgl. KnappPotthoff/Knapp 1982: 119ff. Obler kommentiert solche Beobachtungen, bzw. die Überraschung, die sie auslösen, mit der Bemerkung: «Ideally, we might want to have the native-like speaker achieve the same depth of representation and processing which the native speaker has, rather than rely on effective shortcuts.» (Obler 1982:76) In bezug auf einen Wortassoziationstest mit Fremdsprachigen schreibt Meara: «The early work that we did confirmed some previous suggestions that despite the small size of their vocabularies, learners produce responses which are far more varied and unpredictable than the responses made by native speakers. They also produce a surprisingly large number of responses which were not semantically motivated at all, but depended on some sort of phonological link with the stimulus word» (Meara 1984: 232). Meara weist auch hin auf die grosse Verschiedenheit zwischen Muttersprachlern und Fremdsprachlernern in bezug auf die Struktur von Begriffsnetzen (ebda: 233).
1.3 Zwischensprachforschung und Erweibstheorie
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2.1.7 Zum Abschluss Unter der in der Lernersprachforschung eingenommenen Perspektive ist Unterricht gegenüber ungelenkten Erwerbssituationen zwar in verschiedener Hinsicht auffallend - auf einige der wesentlichen Aspekte wird in 1.4/1 einzugehen sein. Trotzdem erscheint er nicht als absolut anderer Bereich. Nicht nur sind dieselben Untersuchungsverfahren wie im ungelenkten Erwerb anwendbar, die Resultate der meisten Untersuchungen zeigen auch relativ wenige systematische Abweichungen von den Verhältnissen, die für den ungelenkten Erwerb gefunden wurden. Folgende Bewertung - sie bezieht sich auf Untersuchungen zur Lehrersprache, also zum Input für die Lernenden - ist in ihrem Gehalt typisch: on various comparisons, teacher talk in L2 classrooms differs from speech in other contexts, but the differences are not systematic, nor are they qualitatively distinct enough to constitute a special sociolinguistic domain, as has been argued for the case of foreigner talk. (Chaudron 1988:55)1
Diese zwischensprachtheoretische Perspektive schliesst jedoch nicht aus, dass unter anderen Gesichtspunkten - etwa gesprächsanalytischen - die Unterrichtssituation durchaus beträchtliche eigenständige Züge aufweist (Wong-Fillmore 1985; Swain 1985; vgl. 1.4/1). Wichtigster darunter ist zweifellos der, dass ungelenkte Situationen in ihren Strukturen und Bedingungen als weitgehend gegeben erscheinen, während Unterricht eine zielbestimmt konstituierte Situation ist und damit als beeinflussbar und veränderbar wahrgenommen wird. 2.2 Lernerstrategien Ein wichtiger Zweig der Lemersprachforschung ist in der obigen Darstellung noch ausgelassen: die Beschäftigung mit Lernerstrategien. Ausgehend von Untersuchungen zum kommunikativen Verhalten von Lernenden rückten zusehends nicht nur ihre sprachlichen Produkte und deren strukturelle Merkmale (bzw. deren Veränderungen) ins Blickfeld, sondern auch die dem Sprachgebrauch von Lernenden zugrunde liegenden Prozesse, die von ihnen unternommenen Anstrengungen, die Sprache als Instrument der Mitteilung zu gebrauchen und zu lernen. Die Strategieforschung sammelt Daten nicht unter dem Gesichtspunkt ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten linguistischen Kategorien, sondern macht die für die Lernenden selbst problematischen Aspekte im Sprachgebrauch zum Thema. Damit werden die sprachlichen Verarbeitungs- und Lernprozesse, welche in den anderen Zugängen höchstens in abstrakter Weise rekonstruiert werden, viel konkreter und unmittelbarer zum Thema. Wichtig ist dies vor allem im Hinblick auf die weiteren Ausführungen in dieser Arbeit, in denen genau dieser Prozessaspekt im Vordergrund steht, das heisst die Frage, wie Lernende mit ihren Kenntnissen aktiv umgehen.
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Vgl. Chaudron 1988: 87; Wode 1983:28.
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
2.2.1 Zum Strategiebegriff Der Strategiebegriff wird auf sehr unterschiedliche Weise verwendet; er ist, wie Wode (1988: 95) zu Recht moniert, ein vages Konzept. Dies zeugt nicht für seine Überflüssigkeit - er scheint sich im Gegenteil in der Diskussion um Lernersprachen fast notwendig aufzudrängen - , sondern für die Schwierigkeit, über konkrete Sprachgebrauchsprozesse und ihre Bedingungen mit einiger Präzision zu sprechen1. Zentral für die Definition von Strategien ist das Merkmal des Problematischen. Faerch/Kasper bestimmen den strategischen Bereich von Sprachverwendung in diesem Sinne im Gegensatz zu einem unproblematischen Sprachgebrauch: First, there is the possibility for learners to use their ILs [sc.: interlanguages] productively and receptively without experiencing any problems in planning and executing their utterances, or in taking in their interlocutors' speech [...] whether the result is 'native-like', 'learner-specific', 'erroneous', is a completely different matter. Secondly, the learner might not find it possible to use his IL in an 'unproblematic' way [...] In this case, he will have recourse to strategies in order to cope with such problems. (Faerch/Kasper (Hg.) 1983: xviii)
Diese Charakterisierung impliziert zwei weitere Merkmale von Strategien: Sie werden zielgerichtet eingesetzt, und sie sind - zumindest potentiell bewusst. Strategien unterliegen demgemäss einer gewissen Kontrolle (Bialystok 1984, Faerch 1984, Ellis 1986). Auf die Problematik dieser Definition wird weiter unten einzugehen sein. Hier soll nur noch darauf hingewiesen werden, dass Strategien nichts für Lernersprachen Spezifisches sind; sie treten in jedem Sprachgebrauch auf, auch wenn sie für Lernende und fürs Lernen vielleicht besondere Bedeutung haben (vgl. Tarone 1980, Bialystok 1984). Lernerstrategien, und vor allem die meistdiskutierten unter ihnen, die Kommunikationsstrategien, haben demnach nicht viel mit der besonders raffinierten Planung und Durchführung der Beziehungs arbeit in Gesprächen zu tun, es geht auch nicht, wie dies der Terminus 'Kommunikationsstrategie' andeuten könnte, um einen rhetorischen Überschuss in Formulierungen, um besonders geschickte Rede. Vielmehr gelangen (Kommunikations-)Strategien dort zum Einsatz, wo die zur Verfügung stehenden Sprachmittel nicht im ersten Anlauf ausreichen. Sie sind ein Notbehelf. 2.2.2 Typen von Strategien Strategien sind auf verschiedene Weisen beschrieben und klassifiziert worden. Allgemein gebräuchlich ist die Unterscheidung von Kommunikations- und Lernstrategien. Diese Unterscheidung drängt sich darum auf, weil die Lernaktivität zwar (im natürlichen Spracherwerb) weitgehend im 1
Es kann hier nicht darum gehen, die Strategiediskussion im Überblick darzustellen. Ich gehe im folgenden weitgehend von den im Zusammenhang mit dieser Arbeit instruktiven Positionen Kaspers, Faerchs und Bialystoks aus. Strategien werden meist in bezug auf die produktive Verwendung von Sprache diskutiert; es sind jedoch auch Rezeptionsstrategien zu postulieren (vgl. Faerch 1984).
1.3 Zwischensprachforschung und Erwerbstheorie
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und durch den Sprachgebrauch stattfindet, aber die Aufgabe des Kommunizierens und die des Lernens logisch durchaus unterschiedlicher Art sind. There is a close link between the two types of process-oriented IL research mentioned above [sc.: Lern- und Kommunikationsforschung]: after all, learning takes place through communication in informal environments and - perhaps increasingly so during recent years - partly also in the classroom, thanks to the shift to more communication-oriented teaching goals and methods. Thus one particular act of verbal behaviour can have both learning and communicative functions for the IL user. However, whether learning and communication occur simultaneously - as is typically the case in first and second language acquisition - or consecutively - as is typically the case in the traditional foreign language classroom - is quite irrelevant for the distinction in function between these two areas: learning L2 [sc.: the second language] refers to the processes whereby the learner discovers the rules (pragmatic, semantic, syntactic, phonological) of L2 and gradually comes to master them, thereby developing a continuum of IL systems. Communicating in IL refers to the ways the learner uses his IL system in interaction. (Faerch/Kasper (Hg.) 1983: xvii)1
Neben den Kommunikations- und Lernstrategien werden häufig auch noch Produktionsstrategien als dritter Strategietypus genannt. Diese haben den Zweck, «to use one's linguistic system efficiently and clearly, with a minimum of effort» (Tarone 1980: 419). Sie zählt dazu «simplification, rehearsal, discourse planning» (ebda.). Auch Ellis (1986: 178ff.) zählt verschiedene Formen der Vereinfachung als mögliche Produktionsstrategien auf, daneben tritt das Monitorieren, das heisst die mehr oder weniger bewusste Überwachung bzw. Korrektur der eigenen Sprachproduktion. Unterscheidendes Kriterium für Produktionsstrategien ist, dass sie nicht direkt partnerorientiert (mitteilungsbezogen) sind. Diese Differenzierung ist aber kaum nachprüfbar. Entsprechend werden Produktionsstrategien teils unter die Kommunikationsstrategien gezählt (etwa bei Wode 1988) oder gar nicht separat aufgelistet (wie bei Bialystok 1983,1984). a. Kommunikationsstrategien
Kommunikationsstrategien sind auf verschiedene Weise kategorisiert worden. Die fundamentale Dichotomie, die überall die Systematik bestimmt, ist die zwischen Reduktionsstrategien und aktiven Problemlösungsstrategien2. Formale Reduktionsstrategien führen dazu, dass der Lemer in seinem Kommunikationsplan angelegte und im Prinzip mögliche syntaktische oder semantische Elaborationen auslässt (etwa weil sie ihm nicht sofort in den Sinn kommen), funktionale Reduktionsstrategien führen dazu, dass Kommunikationsziele ganz oder teilweise fallengelassen werden. 1
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Vgl. Wiese 1984: 12; Allwright 1984a: 205. Der Fall von Lernem, die auf früher Stufe fossilieren, aber ihr Sprachwissen unter Umständen ein Leben lang zu einem mehr oder weniger erfolgreichen Gebrauch bringen, gibt ein klares Indiz dafür, dass Sprachgebrauch vielleicht notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung der Aneignung ist. Neben diesen beiden werden noch «retrieval strategies» genannt, also Versuche, das nicht unmittelbar abrufbereite Wissen doch noch zu aktivieren (Faerch/Kasper 1983a, Ellis 1986).
Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
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Aktive Problemlösungsstrategien beruhen darauf, dass die angetroffenen Schwierigkeiten durch alternative Ausdrucksmittel behoben werden. Dazu gehören Kompensationsstrategien (welche die Lücken der Lernersprache durch Rekurs auf Muttersprache, Gestik usw. ausgleichen) und lernersprachgestützte Strategien, welche Mittel der Lernersprache aufbieten, um die wahrgenommene Lücke zu füllen (Generalisierung von Zielsprachregeln; Paraphrase; Wortbildung ad hoc; Appell an den Partner usw.)1. b. Lernstrategien
Lernprozesse können ganz generell aufgefasst werden als ein Aufstellen und Prüfen von sprachbezogenen Hypothesen: The principle tenet of IL [sc.: interlanguage] theory, that the learner constructs for himself a series of hypotheses about the grammar of the target language and consciously or unconsciously tests these out in formal or informal learning contexts, has withstood the test of both speculation and considerable empirical research. (Ellis 1982: 207)2
Lernstrategien leiten vor diesem Hintergrund die Kontrastierung von Input und eigenen Kenntnissen oder die Kontrastierung von eigenen Äusserungen mit Gegenbeispielen, Korrekturen usw. an; sie liegen der aktiven Suche nach Ausdrucksmöglichkeiten und der Automatisierung bzw. Restrukturierung von Prozessen des Sprachgebrauchs zugrunde. Lernstrategien sind demnach «an attempt to develop linguistic and sociolinguistic competence in the target language» (Tarone 1980: 419). Beispiele sind memorization, repetition with purpose of remembering, mnemonics, initiation of conversation with native speakers, inferencing, spelling. (Tarone 1980:419)
Chaudron (1988: 114f.) listet in seinem Überblick zu Lernstrategien im Unterricht 26 Strategien auf, welche in zwei empirischen Studien untersucht worden sind. Aufgeführt sind etwa 'advance organizers', 'delayed production', 'self-evaluation', 'note-taking', 'cooperation' usw. Schliesslich lassen sich auch die sprachlichen Routinen, das heisst feste Formeln und weitgehend verfestigte Äusserungsmuster unter dem Aspekt der Lernstrategien betrachten (vgl. Ellis 1986; Knapp-Potthoff-Knapp 1982). Lernstrategien sind dort, wo sie losgelöst von kommunikativem Austausch verwendet werden (Aufschreiben, Repetieren von Wörtern, Nachschlagen im Wörterbuch), ohne Probleme als solche erkennbar. Eingebettet in Kommunikation sind die Aktivitäten des Hypothesen-aufstellens und -prüfens nur in Einzelfällen einigermassen sicher als Lernstrategien identifi1
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Kasper (1982) und Faerch/Kasper (1983a), Für teilweise abweichende Auflistungen vgl. Ellis 1986, Kap. 7; Tarone 1981; Tarone/Cohen/Dumas 1983; Bialystok 1983; Knapp-Potthoff/Knapp 1982. Neue Modelle der Universalgrammatik und der Parametrisiemng gehen davon aus, dass durch sprachlichen Input reiche angeborene Strukturen aktiviert werden. Die einzelsprachliche Grammatik bräuchte demgemäss nicht eigentlich aufgebaut zu werden. Entsprechend müsste die Annahme, Lernende testeten Hypothesen aus, zumindest neu formuliert werden (Gleitmann/Wanner 1982: 38). Für Felix ist vor diesem Hintergrund nicht die Frage zentral, ob Hypothesen getestet werden oder nicht, sondern die, woher die Hypothesen kommen (Felix 1987: lOlff.). Siehe auch Wode 1988.
1.3 Zwischensprachforschung und Erwerbstheorie
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zierbar (etwa wenn Lernende ihren Partner explizit fragen). Wenn an der Oberfläche von Lerneräusserungen strategisch motivierte Eingriffe erkennbar sind, sind solche beobachtbaren Phänomene (Einsatz von Elementen der Erstsprache, Übergeneralisierung, Neubildung von Wörtern, ...) nicht eindeutig klassifizierbar in bezug darauf, ob sie vom Lerner unternommen werden, um den kommunikativen Austausch zu sichern oder um sprachbezogene Hypothesen zu testen bzw. entsprechende Daten zu provozieren1. Es scheint daher angebracht, die Bezeichnung von strategischen Eingriffen (also 'Vereinfachung', 'Transfer', 'Notieren', 'Übergeneralisierung', 'Wortbildung' usw.) zu trennen von funktionalen Zuschreibungen wie Kommunikations-, Lernstrategie usw. Es gibt wenig Grund, anzunehmen, strategische Eingriffe könnten nicht kommunikative und Lernfunktionen gleichzeitig erfüllen (vgl. Bialystok/Sharwood Smith 1985)2. 2.2.3 Strategien und Sprachgebrauch Der Begriff der Lernerstrategie ist besonders geeignet, die jeweiligen aktuellen Prozesse des Sprachgebrauchs in den Vordergrund zu rücken; dies legt die Frage nach seinem Verhältnis zum oben vorgestellten prozeduralen Modell der Sprachbeherrschung nahe3. Strategien, so wie sie hier definiert wurden, sind Antworten auf problematische Situationen (problematisch in bezug auf die Verwendung oder das Lernen von Sprache). Im Rahmen des im letzten Kapitels vorgestellten Modells liessen sie sich als eingebettete, mindestens teilweise bewusst unternommene Problemlöseprozeduren bezeichnen. In bezug auf Kommunikation heisst dies: Eine geplante, vielleicht schon begonnene oder auch bereits durchgeführte sprachliche Aktivität wird, aus sprachlichen Gründen, problematisch. Die sprachliche Umsetzung, welche mit den unmittelbar zur Verfügung stehenden Mitteln nicht bewältigt werden kann (oder nicht befriedigend bewältigt worden ist), muss auf anderem als dem angesteuerten Weg zustande kommen, oder die Mitteilungsintention muss revidiert bzw. aufgegeben werden. Lernen auf der anderen Seite beruht auf wahrgenommenen Differenzen zwischen dem, was der Lerner bereits weiss, und dem, was er als Sprachangebot wahrnimmt, selbst produziert oder selbst produzieren möchte, aber nicht kann; Lernen kommt zustande, wenn es gelingt, aus solchen Erfahrungen Konsequenzen zu ziehen.
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Cohen (1984) plädiert in diesem Zusammenhang für den Beizug von introspektiven Daten, das heisst Lemeraussagen über ihre eigenen Erfahrungen. Tarone (1980) schliesst aus, dass Strategien zugleich kommunikative und Lernfunktion haben könnten. Sie kommt zu diesem Schluss aufgrund der Annahme, diesen zwei Strategietypen seien unterschiedliche Strategieformen zugeordnet und aufgrund der Hypothese, dass die beschränkte Kapazität des Arbeitsgedächtnisses es nicht zulasse, dass zwei grundverschiedene Strategien gleichzeitig ausgeführt werden könnten. Nach dem hier gemachten Vorschlag müssten kommunikations- und lernbezogene Eingriffe nicht unbedingt eine unterschiedliche Struktur aufweisen. Die folgende Darstellung orientiert sich weitgehend an Bialystok (1984).
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
Strategien lassen sich vor diesem Hintergrund beschreiben als Kontrollund Steuerungsaktivitäten. Sie beruhen auf dem Vergleich eines an das System gerichteten Anspruchs mit der vorhandenen bzw. aktuell verfügbaren Kapazität; bezogen darauf steuern sie allfallig notwendig werdende Ausgleichsversuche: die Rekonstruktion der verfolgten Aussageabsicht und/oder die Restrukturierung von sprachbezogenen Kenntnissen. Probleme, die Strategieeinsatz provozieren, brauchen sich nicht äusserlich bemerkbar zu machen. Faerch (1984: 54) weist daraufhin, dass ein Lerner unter Umständen schon zum voraus (bei der Planung z.B. des nächsten Beitrages) feststellen kann, dass er gewisse Wörter oder Konstruktionen nicht beherrscht, und entsprechend seinen Beitrag gestaltet. Werden Strategien auf diese Weise als Kontroll- und Steuerungsinstanzen beschrieben, so muss die oben zugrunde gelegte Unterscheidung von unproblematischem und problematischem Sprachgebrauch noch einmal überdacht werden. Problematischer Sprachgebrauch, dies zeigt die letzte Bemerkung, braucht sich als solcher gar nicht zu manifestieren. Ist die Sprachkompetenz flexibel genug, so können entsprechende Gegenmassnahmen schon früh genug getroffen und offenkundige Probleme vermieden werden. Die Frage stellt sich, was der Unterschied ist von diesen Fällen strategischen Sprachgebrauchs zu den permanent ablaufenden Kontroll- und Steuerungsaktivitäten, welche im Verarbeitungsansatz zwangsläufig postuliert werden müssen. Es ist ja wohl so, dass auch dann, wenn Sprachgebrauch als unproblematisch erscheint und auch so erlebt wird, Prozesse der Anpassung von Äusserungsplan (Intention) und Umständen der Realisierung ablaufen. Was als strategischer Sprachgebrauch fassbar wird, wäre demnach eine dem Lernenden bewusst werdende Variante durchgängig wirksamer Prozesse. Dem entspricht auch, dass zwar klar feststellbare Fälle strategischen Sprachgebrauchs benannt werden können, dass sich aber die Frage kaum beantworten lässt, wo und wie genau sich denn strategischer Sprachgebrauch von nicht-strategischem abhebt1. Offener Strategiegebrauch wäre demnach eine Leistung, die sich durch besondere Merkmale auszeichnet (vor allem potentielle Bewusstheit) und die auf gewissen Voraussetzungen beruht - nämlich der Fähigkeit, die eigenen Ressourcen wahrzunehmen, ihre Leistungsfähigkeit einzuschätzen und damit zielgerichtet umzugehen. Vorstufen solchen Sprachgebrauchs sind in jeder Sprachverwendung zu finden (etwa im Fall weitgehend unbewusst ablaufender Selbstkorrekturen), auch bei Kindern, wiewohl diese die me1
Wie die Hinweise in Faerch/Kasper (1983b) und Raupach (1983) auf die Untersuchung von Pausen- und Zögerphänomenen zeigen, lassen sich die Spuren strategischer Sprachverwendung bis in Details der sprachlichen Planung hinein verfolgen, auch in der Muttersprache, wo sie sich nurmehr an minimalen Effekten der Realisierung manifestieren (vgl. die Ausführungen in Π.3). In diesem Sinne ist Sprachgebrauch kaum je unproblematisch, ausser vielleicht in Begriissungen, Entschuldigungen und anderen fixen Formeln, die weitgehend als feste Veibindungen gespeichert sind und als solche geäussert werden.
1.3 Zwischensprachforschung und Erwerbstheorie
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takognitiven Fähigkeiten, welche zu bewusstem Strategieeinsatz nötig sind, systematisch erst in den frühen Schuljahren zu beherrschen beginnen (vgl. Bialystok 1984: 43f.)1. Die Kontroll- und Steuerungsinstanzen jedoch, welche zur Sprachproduktion notwendig sind, sind schon viel früher Teil der Sprachfertigkeit. Strategischer Sprachgebrauch ist demnach ein Spezialfall einer den Sprachgebrauch generell prägenden Eigenschaft. Faerch/Kasper (1983a, vgl. Knapp-Potthoff/Knapp 1982) argumentieren für eine strikte Trennung von Strategien und den 'normalen' Sprachprozessen; sie rücken Strategien in die Nähe von Plänen (etwa Äusserungsplänen). Demgegenüber setzt Ellis (1986) Prozesse und Strategien weitgehend gleich. Nach der eben gegebenen Interpretation lassen sich Strategien als Prozesse auffassen, ohne dass sie sich mit den unproblematisch ablaufenden Prozeduren gleichsetzen Hessen. Sie bilden Schleifen im Ablauf der sprachlichen Prozesse; Stellen, in denen die üblichen prozeduralisierten Steuerungs- und Kontrollinstrumente nicht ganz ausreichen und durch zusätzliche, diesmal aber (potentiell) bewusste Instrumente ähnlicher Art unterstützt bzw. ersetzt werden. Dies ist eine gewichtige Unterscheidung. Sie erlaubt es, mit dem Strategiebegriff auf den Bereich zu zielen, «in which learners can operate within their own interlanguage in order to communicate difficult concepts» (Bialystok 1983: 103). Strategien beschreiben jene Momente des Umgangs mit Sprache, in denen dieser selbst thematisch wird2. - Diese Unterscheidung wird gespiegelt beispielsweise im Bedeutungsunterschied zwischen der Aussage, eine interimsprachliche Regel eines Lerners sei übergeneralisiert, und der Aussage, ein Lerner habe in einer Äusserung die Strategie der Übergeneralisierung angewendet. Im ersten Fall weiss es der Sprechende eben nicht anders. Die Übergeneralisierung (etwa die Bildung von 'fangte' statt von 'fing') ist eine bezogen auf die Zielsprache und mag völlig unproblematisch die Prozeduren der interimsprachlichen Produktion bestimmen3. Im zweiten Fall wird angenommen, dass der Sprechende einen bestimmten sprachlichen Ausdruck sucht und einen aktiven Versuch macht, ihn durch angemessene Äquivalente zu ersetzen, (risikoreich) zu erschliessen oder (durch direkten oder indirekten Appell an den Partner) Informationen darüber zu provozieren. 1 2
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Diesen Zusammenhang heben auch Wenden 1987 und Rubin 1987 hervor. «Strategische Kompetenz», das Wissen um die eigenen Ressourcen und die Fähigkeit zum Umgang damit, wird immer mehr als unveräusserlicher Bestandteil der Sprachkompetenz und auch als Thema des Unterrichts entdeckt. Vgl. Canale/Swain 1980; Tarone 1986. Im Verlaufe dieser Aibeit wird wiederholt auf diesen Aspekt einzugehen sein. Vgl. vor allem ΙΠ.2/2. Natürlich können der Bildung solcher lernersprachlichen Sachverhalte selbst wieder Lemerstrategien zugrunde gelegen haben. In diesem Sinne berufen sich Beschreibungen, welche Merkmale der Lemersprache unter Begriffe wie 'Transfer', 'Generalisierung' oder 'Vereinfachung' fassen, indirekt auf Lernerstrategien. Ellis (1982: 207) bezeichnet in diesem Sinne Transfer, Generalisierung und Vereinfachung als kognitive Prozesse, welche der Formung der Zwischensprache zugrunde liegen.
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
Erklärungsansätze zum Spracherwerb
In der eben gegebenen Skizze der Bereiche der Zwischensprachforschung ist ein Gesichtspunkt ausgeblendet, der dieses Gebiet prägt. Die Anstrengung, die Gegebenheiten der Sprachaneignung aufzuklären, erfolgt immer vor dem Hintergrund von Fragen nach den Grundlagen der Sprachaneignung, nach der Struktur des Mechanismus, der all den festmachbaren Phänomenen zugrunde liegt und sie in ihrem Zusammenhang erklärt. Auf drei solche Erklärungsansätze soll in diesem Abschnitt in aller Kürze hingewiesen werden. Die Diskussion um die Spracherwerbstheorie im nächsten Abschnitt wird auf die hier eröffneten Perspektiven zurückgreifen. 3.1 Zur Fragestellung Klein unterscheidet an der Aufgabe, vor der ein Sprachlerner steht, vier Einzelprobleme: - das Analyseproblem: Der Lerner muss Äusserungen, die an ihn gerichtet sind, auf die in ihnen enthaltenen Elemente und ihre Bedeutungen hin analysieren; - das Syntheseproblem: Er muss die ihm zur Verfügung stehenden sprachlichen Bestände, will er selbst kommunikativ aktiv werden, benutzen und zu Äusserungen zusammenfügen. Die syntaktischen Regeln, die dabei eine Rolle spielen, sind auch für das Verständnis komplexer fremdsprachlicher Äusserungen nötig; - das Einbettungsproblem: Er muss die sprachlichen Elemente und Strukturen, die er empfängt, wie auch die, die er produziert, in den Kontext von Situation und Handlung einfügen und vor diesem Hintergrund verstehen bzw. sich verständlich machen. Mit der Zeit sollte er imstande sein, immer mehr allein sprachlich kodierte Information zu verstehen und mitzuteilen; und schliesslich - das Vergleichsproblem: Er muss seine Erwartungen, die er an die sprachliche Form an ihn gerichteter Äusserungen stellt, vergleichen mit der Form, in denen sie ihm begegnen, und aus der Differenz Schlüsse ziehen im Hinblick auf das, was ihm zu lernen übrigbleibt (Klein 1984, Kap. 4). Die drei ersten Verfahren - Analyse, Synthese und Einbettung - sind klar auch für die Aufgabe des Kommunizierens von Belang. Es ist ihre Verbindung zum vierten Verfahren, dem Vergleich, die es in diesem Begriffsrahmen erlaubt, den unterscheidenden Charakter der Vorgänge zu kennzeichnen, die dem Sprachlernen zugrunde liegen. Was hier in gänzlich abstrakter Form skizziert ist, manifestiert sich im Spracherwerb in hochkomplexen Prozessen, von vielfältigen Einflüssen geprägt, die in einer verwirrenden Zahl von Umständen mit gänzlich unterschiedlichem Erfolg ablaufen, ihrer Struktur nach (gemessen an den Charakteristiken der lernersprachlichen Produkte) jedoch überraschend viele Gemeinsamkeiten aufweisen. Erklärungsansätze für den Spracherwerb versuchen, dessen kausale Variablen zu benennen und zu zeigen, warum
1.3 Zwischensprachforschung und Erwerbstheorie
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und wie die verschiedenen prägenden Faktoren wirksam werden. Das heisst: Ihr Ziel ist, die Mechanismen der Sprachaneignung und die Struktur der zugrunde liegenden (Sprach-)Fähigkeit aufzuklären. Was unter den vielen Phänomenen, die zu beobachten sind, jeweils als primär erklärungsbedürftig erkannt wird, bzw. was als erklärungskräftige Aussage gilt, variiert beträchtlich; im Laufe der Zeit ist eine ganze Anzahl verschiedener Spracherwerbstheorien vorgebracht worden1. Diese bauen auf einigen wenigen grundsätzlichen Erklärungsmodellen auf; Wode unterscheidet fünf: behavioristische, kognitive, interaktionistische, nativistische und Verarbeitungsansätze (Wode 1988, Kap.3). Im folgenden soll auf die letzten drei eingegangen werden. Behavioristische Ansätze in ihrer herkömmlichen Form spielen in der Diskussion um den Spracherwerb heute kaum mehr eine Rolle; sie fehlen in der Zwischensprachforschung gänzlich. Als kognitive Ansätze bezeichnet Wode die vorab an Piaget orientierten Positionen, welche den Spracherwerb im Zusammenhang mit der kognitiven Entwicklung des Kindes erklären. Dieser Ansatz ist in der Erforschung des Erstspracherwerbs von einiger Bedeutung; er spielt in der Zweitsprachenforschung kaum eine Rolle. Es ist evident, dass die Aneignung von Zweitsprachen vor dem Hintergrund einer bereits (zumindest partiell) vollzogenen kognitiven Entwicklung und nicht parallel zu ihr stattfindet2. Deren Gesetzmässigkeiten stehen entsprechend in einem sehr vermittelten Verhältnis zur Ausbildung einer zweiten Sprachkompetenz3. 3.2 Der nativistische Erklärungsansatz Wode nennt zwei Hauptrichtungen nativistischer Erwerbsforschung: die auf Chomskys Theorie der Universalgrammatik aufbauende und die an Bickertons Tlieorie des Bioprogramms orientierte. Hier soll von der ersten die Rede sein4.
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Vgl. die verschiedenen Aufzählungen etwa in Bausch/Kasper 1979, Klein 1984, Lightbown 1984, Wode 1985, Ellis 1986, McLaughlin 1987. Beispielsweise spielen die Schwierigkeiten beim Lexikonerwerb, die Kinder im Erstspracherwerb zum Teil noch darum antreffen, weil sie die zu fassenden Konzepte (z.B. den relationalen Charakter des Begriffs 'Schwester') noch nicht durchschauen, beim Zweitsprachenerwerb nicht mit (vgl. Wode 1988: 49f.). - Zur Diskussion zwischen Chomsky und Piaget um den Spracherwerb vgl. die Beiträge in Piattelli-Palmarini (Hg.) 1980. Eine ähnliche Dreiteilung nehmen Knapp-Potthoff/Knapp (1982) vor, wenn sie als Richtungen der Erweibstheorie solche unterscheiden, die Spracherwerb a) als variablen Prozess, b) als prädeterminierte Entwicklung oder c) als Lerneraktivität beschreiben. Analog nennt Ellis ((Hg.) 1987: 67) soziolinguistische, linguistische und psycholinguistische Theorien des Spracherwerbs. Vgl. auch Lightbown 1984. Das im letzten Abschnitt besprochene Modell, dort als kognitiv-psychologisches bezeichnet, firmiert bei Wode unter dem Stichwort 'Verarbeitungsansatz'. Vgl. Chomsky 1981,1986 (für einen Abriss der wichtigsten einschlägigen Konzepte siehe etwa Bierwisch 1987); Bickerton 1981,1984.
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Nativistische Erwerbstheorien sehen die Tatsache als erklärungsbedürftig an, dass Sprachen überhaupt gelernt werden, und darauf aufbauend die Frage, warum Sprachen so gelernt werden, wie sie gelernt werden1. Unter dieser Perspektive werden in der Zwischensprachforschung die Phänomene der Erwerbsordnung und der Entwicklungssequenzen, die Frage des Transfers oder die Struktur von Lernschwierigkeiten zum wesentlichen Thema. In bezug auf all diese Phänomene ist eine - gemessen an der Vielfalt der äusseren Faktoren - gewisse Gleichförmigkeit der Sprachaneignung zwischen verschiedenen Individuen und zwischen den verschiedenen Erwerbstypen festzustellen. Dies ist um so erstaunlicher, als sich sonst z.B. Kinder und Erwachsene Lernaufgaben gegenüber sehr unterschiedlich verhalten. Eine Erklärung zeichnet sich ab, wenn eine angeborene Sprach fähigkeit, eine spezielle linguo-kognitive Kapazität postuliert wird, welche die (autonomen, nicht funktional erklärbaren) Sprachstrukturen zu erkennen erlaubt, hinsichtlich des Erwerbs syntaktischer Strukturen weitgehend unabhängig von der Ausbildung allgemein-kognitiver Fähigkeiten operiert und auch durch Einwirkung von aussen in ihrem Wirken wenig beeinflussbar scheint (vgl. Wode 1985, 1988; Felix 1987). Empirische Untersuchungen zur Verlaufsstruktur der Sprachaneignung und etwa zum Transferverhalten erlauben es, Rückschlüsse auf die Struktur dieses postulierten Sprachvermögens zu ziehen. In diesem Bereich liegen schwer widerlegbare Argumente vor, welche das Wirken allgemeiner, präzise bestimmbarer Lernregularitäten belegen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, auf folgende Punkte hinzuweisen: - Die Zwischensprachforschung auf nativistischer, erwerbstheoretischer Basis sucht sprachliche Äusserungen von Lernern ab auf Indizien stattgehabter Erwerbsprozesse, wie sie sich in Fehlern oder in der Rekonstruktion zielsprachlicher Strukturen über einen gewissen Zeitraum hinweg darstellen. Im Vordergrund steht die linguistisch-formale Struktur dieser Äusserungen bzw. die Analyse der in ihnen sich über die Zeit manifestierenden strukturellen Veränderungen. Die konkreten Kommunikations- und Verarbeitungsprozesse werden ausgeblendet. Entsprechend sind Aussagen über die pragmatischen und prozessualen Bedingungen des Sprachgebrauchs in Produktion und Rezeption, über Strategien des Umgehens mit den vorhandenen Sprachkenntnissen usw. durch diese Theorien weder beabsichtigt noch möglich. Insbesondere Felix äussert sich sehr explizit zu diesem Verhältnis. Er weist vor allem darauf hin, dass nicht bekannt sei, wie die Kompetenz in der Performanz wirksam werde, dass dies durchaus nicht auf eine direkte Weise geschehen müsse und dass unter Umständen verschiedene Prinzipien für den
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Dieses 'logische Problem des Spracherweibs' stellt sich auf Grund der von Chomsky hervorgehobenen Merkmale vor allem des Erstspracherwerbs als Frage, wie das Kind aus beschränkten, oft defizitären und unzureichenden Daten so schnell und so perfekt eine Sprache lernen kann (vgl. Hornstein/Lightfoot 1981; Felix 1987).
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Erwerb, das Wissen und die Anwendung von Sprache verantwortlich sind (Felix 1987: 24ff., 43fr.)1. Insgesamt interessieren die Gemeinsamkeiten in Erwerbsverläufen mehr als die Differenzen. Entsprechend werden die Situationellen und sozialen Faktoren als Variablen behandelt, welche den 'eigentlichen' Erwerbsprozess zwar prägen, aber nicht bestimmen. Dieser wird als weitgehend durch interne Mechanismen gesteuert begriffen. - Spracherwerb wird weitgehend gleichgesetzt mit dem Erwerb syntaktischer und morphosyntaktischer Phänomene. In diesem Bereich sind, vor allem vor dem Hintergrund von Chomskys Theorie der Universalgrammatik und der Parametrisierung, in den letzten Jahren eine Vielzahl höchst detaillierter, linguistisch und erwerbstheoretisch hochinteressanter Zusammenhänge beschrieben worden2. Wenig untersucht und vor diesem theoretischen Hintergrund schwierig zu behandeln sind etwa Fragen der Wortschatzaneignung. - Eine wichtige Frage, die noch nicht gelöst ist, stellt sich für die Theorie aus der Tatsache der anscheinend leichten, fast spielerischen Aneignung der Erstsprache, verglichen mit der oft mühsamen und meist nicht durchgreifend erfolgreichen der Zweit- und Drittsprachen. Hypothesen über ein biologisch verankertes Schwellenalter für den Zweitsprach erwerb scheinen höchstens in vorsichtiger Form haltbar (vgl. Johnson/Newport 1989). Erklärungen wurden gesucht in einer Konkurrenz zwischen intuitiver, unreflektierter Aneignungsweise (welche die eingeborenen Erwerbsmechanismen zum Zuge kommen lässt) und reflektiertem, eingreifendem Lernverhalten Adoleszenter und Erwachsener, das auf generellen kognitiven Verfahren beruht, in bezug auf Sprache aber nicht sehr erfolgreich sei. Ebenfalls diskutiert wird die Möglichkeit, dass einzelne Aspekte der Universalgrammatik erst im Laufe der Zeit aktiviert werden; Kinder würden demnach immer nur mit einzelnen zu lernenden linguistischen Phänomenen konfrontiert, während ältere die gesamte Komplexität der Sprache zugleich erfahren (vgl. dazu die Beiträge von Felix, vor allem 1977, 1984a, 1987; Borer/Wexler 1987). 3.3 Verarbeitungsansätze Verarbeitungsansätze wie der in 1.2 vorgestellte modellieren Spracherwerbsprozesse auf der Grundlage von allgemeinen Annahmen über das menschliche kognitive System und seine Arbeitsweise. Sie gehen von der Voraussetzung aus, dass die angeborenen menschlichen Fähigkeiten allgemeiner Natur sind. Sie lassen sich dieser Theorie gemäss auf sämtliche höheren kognitiven Aktivitäten beziehen, auch auf den Spracherwerb. Die 1
2
Die nativistischen Modelle «have nothing to say about thereal-timecognitive processes that are involved in the acquisition and use of language. It needs to be emphasized that these proposals were never intended to be models of real-time cognitive processes» (Felix 1987: 24). Vgl. Nicholas/Meise 1983: 65. Etwa in vielen der Beiträge in Eckmann/Moravcsik/Wirth (Hg.) 1986; McWhinney (Hg.) 1987; J. Hawkins (Hg.) 1988.
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
verschiedenen bereichsspezifischen Fertigkeiten werden als - zum Teil extrem weit auseinanderliegende - Spezialisierungen verstanden, welche der Organismus im Rahmen von Lernprozessen aufbaut. Entsprechend werden die nativistisehen Thesen entweder abgelehnt oder - wie von Anderson auch umgedeutet: Language is an important special case that might be the exception to the rule. It is not totally implausible to propose that it has a long evolutionary history in which various language-specific adaptations have occurred. However, it seems more plausible that the language-specific adaptations are few and minor, that the language faculty is really the whole cognitive system. In our evolution we may have developed or enhanced certain features to facilitate language, but once developed, these features were not confined to language and are now used in nonlinguistic activities. Thus the mind is a general pool of basic structures and processes, which has been added to under evolutionary pressure to facilitate language. The additions have been used in skills, for example, computer programming, that were not anticipated in the original evolutionary development. Part of the evidence for this view are the remarkable communalities between language and other skills, which will be discussed later in this book. (Anderson 1983: 3 - Auszeichnung PRP)
Die von den Nativisten als genetisch gegeben vorausgesetzte, bereichsspezifische kognitive Struktur wird vor dem Hintergrund dieses Modells dargestellt als Resultat aus dem bereichsspezifischen Einsatz allgemeiner kognitiver Kapazitäten. Entsprechend können modulare Strukturen, welche für die Nativisten grundlegend sind, wenigstens teilweise als Produkte von Lernprozessen betrachtet werden; sie brauchen ihnen nicht vorauszugehen1. Ebenso wird sprachliche Struktur verbunden mit Gesetzmässigkeiten der Informationsverarbeitung. So beschreibt Anderson die syntaktische Strukturierung von Sätzen nicht in Abhängigkeit von kommunikativfunktionalen Schemata oder von einer eingeborenen Universalgrammatik, sondern von Kontrollprozessen, wie sie jedes Problemlöseverhalten begleiten und strukturieren2. Er begründet sie damit, wie die Nativisten, im Lerner selber, allerdings nicht in einem allein für die Sprache spezifischen Vermögen. Der Verarbeitungsansatz ist in der Diskussion um den Spracherwerb eine relativ neue Theorie3. Eines ihrer Instrumente sind Computersimulationen, in denen versucht wird, empirisch festgestellte Erwerbssequenzen auf der Grundlage von einschlägigen Modellannahmen nachzuvollziehen. Grössere Simulationen von Erwerbsprozessen in bestimmten Bereichen be1 2
3
Zur Diskussion des Begriffs der Modularität etwa Fodor 1983, Marshall 1984. «I will argue here that the syntax of natural language mirrors the structure of procedural control» (Anderson 1983:261). Allerdings scheint es noch nicht gelungen zu sein, die syntaktischen Verfahren auf dieser Basis in der nötigen Genauigkeit zu erklären (ebda.: 274). Wie schon im letzten Kapitel angetönt, haben Rückgriffe auf informationstheoretische Konzepte in der Erwerbsforschung nie gefehlt. Erst in den letzten Jahren hat sich von Seiten der Verarbeitungstheorie selber ein Interesse am Phänomen der Sprachaneignung artikuliert. Wachsendes Interesse an den Möglichkeiten prozessualer Darstellung zeigt sich auch von linguistischer Seite. Vgl. etwa die Beiträge in Schnelle/Rickheit (Hg.) 1988.
1.3 Zwischensprachforschung und Erwerbstheorie
89
schreiben etwa Anderson (1983, Kap. 7) und Rumelhart/McClelland (1987). Bezüglich des Verarbeitungansatzes muss auf folgende Punkte hingewiesen werden: - Im Zentrum der hierhergehörenden Modelle stehen Prozesse der Sprachverarbeitung, die relativ 'oberflächennah' und realistisch modelliert werden. Dies hat den Vorteil, dass verschiedene Weisen des Sprachgebrauchs (produktiver versus rezeptiver), auch die zeitlichen Parameter von Gebrauchs- und Lernprozessen relativ genau differenziert und mit den bekannten Regularitäten von Gedächtnisleistungen in Zusammenhang gebracht werden können. Beispielsweise kommen neue syntaktische Strukturen oder morphosyntaktische Markierungen in den Produktionen von Lernern, nachdem sie rezeptiv schon gut bekannt sind, meist zuerst in einzelnen Kontexten zum Ausdruck und breiten sich von daher allmählich auf alle obligatorischen Kontexte aus (vgl. unten, Abschnitt 4). Solche Phänomene scheinen sich vor dem Hintergrund von Modellen der Informationsverarbeitung relativ leicht erfassen zu lassen (vgl. die Kommentare zu den Simulationen von Rumelhart/McClelland und Anderson). - Die in den nativistischen Ansätzen herausgearbeiteten autonomen Strukturprinzipien von Sprache sind zum grossen Teil (noch) nicht erfolgreich zurückführbar auf allgemeine Verarbeitungsprinzipien, allerdings ist in diesem Bereich auch noch nicht sehr viel Arbeit geleistet worden. Vor allem die im Zusammenhang mit universalgrammatischen Ansätzen herausgearbeiteten Phänomene von Transfer, Lernerschwierigkeiten mit markierten Strukturen usw. sind noch kaum angegangen worden. Im Gegenzug existiert eine Vielzahl von Untersuchungen und Theorien zu Gedächtnis- und Sprachgebrauchsprozessen. 3.4 Interaktionistische Ansätze Akkulturationsansätze (etwa Schumann 1978a,b; vgl. McLaughlin 1987) sehen den Spracherwerb als Ermöglichung der Teilnahme am Leben der zielsprachigen Gesellschaft. Als erklärungsbedürftig gilt der Sachverhalt, dass - im Zweitsprachenerwerb - einzelne diesen Einstieg mit Leichtigkeit schaffen, andere dabei scheitern. Ausgangspunkt der Fragestellung ist der Erwerbserfolg, zur Erklärung herbeigezogen werden soziale, kulturelle und psychische Faktoren. Diese sind im Einzelfall bestimmend dafür, welchen Input die Lernenden erhalten und auf welche Weise sie sich damit auseinandersetzen. Die unter dieser Perspektive mehr oder minder invarianten Gegebenheiten (Sprachvermögen, Erwerbsprozesse als Lösung des 'logischen Problems' usw.) werden nicht weiter analysiert1.
1
Mit Wode (1985: 32) könnte man davon sprechen, dass es hier um Erklärungen des Lernerfolgs geht, nicht um solche der Lernsystematik.
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
Interaktionistische Ansätze im engeren Sinn richten sich auf den Sachverhalt, dass Erstsprachen immer, Zweitsprachen mehrheitlich in der Interaktion gelernt werden. Aneignung hat die Funktion, kommunikative Teilhabe möglich zu machen; sie wird gesehen als Erwerb der Fähigkeit, 'etwas zu meinen', das heisst universale oder kulturell geprägte Regularitäten der Kommunikation zur Mitteilung individueller Intentionen einzusetzen. Entsprechend interessiert ganz besonders, wie die Eigenschaften des Sprachzugangs, insbesondere die Strukturen der Interaktion und die kommunikativen Funktionen der Sprache, den Erwerb prägen im Hinblick auf die angeeigneten Sprachmittel, deren Struktur und ihren kommunikativen, situationsbezogenen Gebrauch. Spracherwerb wird damit weiter gefasst als etwa in den nativistischen Ansätzen. Auch werden grammatische Phänomene nicht so sehr als unabhängige Grössen gesehen, sondern im Zusammenhang mit Phänomenen wie Interaktion und Situationsbezug untersucht. Ebenso interessieren die Stützfunktion von kommunikativen Formeln oder Gesprächsroutinen. Die syntaktischen Verfahren der Strukturierung von Aussagen werden als Fortsetzung und Differenzierung von primären, semantisch und pragmatisch fundierten Schemata der Kommunikation gesehen, nicht als grundsätzlich andere Prinzipien der Strukturierung (für den Fremdsprachenbereich siehe Sampson 1982). Interaktionistische Ansätze verbinden sich meist mit funktionalistischen Sprach- und Grammatiktheorien. Die permanente Rückbindung von sprachlichem Handeln an Aussersprachliches, an konkrete Situationen und Interaktionen und die mit diesen verbundenen Absichten erscheinen nicht nur als Umstände und aktuelle Anlässe des Spracherwerbs, sondern als strukturformend und -erklärend1. Das heisst, den Hinweisen auf pragmatische Sachverhalte und interaktioneile Strukturen wird erklärende Kraft zugeschrieben2. Diese funktionalistischen Erklärungen sind vor allem von Chomskyscher Seite heftig kritisiert worden3. Bates/MacWhinney/Smith weisen aber darauf hin, dass ein erweiterter Funktionsbegriff durchaus Chancen haben könnte, der nativistischen Kritik zu entgehen und das Versprechen einer alternativen Erklärung von Sprachstrukturen und ihres Erwerbs einzulösen. Voraussetzung dazu wäre, dass neben den bisher in den 1 2
3
Vgl. Sampson 1982; Hatch 1984; Lightbown 1984; Ellis 1982, 1984b; vgl. die Überblicksdarstellung in McLaughlin 1987. «From this point of view, the relationship between pragmatics and syntax is one of cause and effect» (Bates/MacWhinney/Smith 1983: 19). Es lassen sich allerdings wenig direkte Zusammenhänge nachweisen zwischen dem, was ein Lerner als Sprachangebot antrifft, und dem, was er lernt. Dies gilt vor allem im syntaktischen Bereich: «The hypothesis that L2 [sc.: Zweitsprach-] learners acquire what they hear the most may seem tautologous. Nonetheless, extensive research on the acquisition of L2 grammar does not tend to support the notion, although its potential in the case of vocabulary acquisition, or other high-level linguistic structures in discourse, such as conversational patterns, is still perhaps viable, albeit untested» (Chaudron 1988: 157). Solche direkten Beziehungen werden von funktionalistischer Seite kaum mehr postuliert; sie werden von vornherein differenzierter angelegt. Vgl. Lightbown 1984. Etwa in Gleitmann/Wanner (1982), Felix (1984b, 1987), Wode (1983,1988).
1.3 Zwischensprachforschung und Erwerbstheorie
91
Vordergrund gestellten pragmatischen und semantischen Faktoren auch Prozess- und Gedächtnisfaktoren mitberücksichtigt würden, also jene Aspekte, welche in Verarbeitungsansätzen in den Vordergrund gerückt werden1. Storch (1983: 57ff.) weist auf einige Gesetzmässigkeiten im Aufbau der Sprachkompetenz hin, die sich prozessual/funktional erklären lassen. Zu diesem Ansatz ist anzumerken: - Er ist, wie der Verarbeitungsansatz, wenig spezialisiert, deckt potentiell ein weites Feld von Einflussgrössen und Phänomenen ab, ist jedoch im Hinblick auf die speziell von den Nativisten hervorgehobenen linguistischen Strukturphänomenen bisher überzeugende Erklärungen schuldig geblieben. - Er macht, wie die nativistischen Ansätze, kaum Aussagen über Sprachprozesse. Die Vermittlung zwischen pragmatischen Faktoren und Lernbzw. Kommunikationsvorgängen bleibt hier so wenig konkret darstellbar wie dort. 3.5 Abschliessende Bemerkungen 'Der Spracherwerb', soviel wird aus den kurzen Hinweisen zu Lernersprachforschung und Erwerbstheorie klar, stellt sich unter verschiedenen Perspektiven ganz unterschiedlich dar. Die Erklärungsversuche widersprechen sich in vielem, in manchem scheinen sie einander auch zu ergänzen, wie etwa Bowerman (1987) feststellt, die nativistische und auf Modellen der Informationsverarbeitung beruhende Konzeptualisierungen miteinander vergleicht und zum Schluss kommt, dass ein gewisser Ausgleich zwischen ihnen gefunden werden müsse. Eine ihrem Anspruch nach umfassende Erwerbstheorie muss, wie wir im folgenden am Beispiel von Krashens Beitrag sehen werden, Apekte aus den verschiedenen für Erklärungen herangezogenen Bereichen miteinander in Beziehung bringen. Es ist allerdings abzusehen, dass eine Vermittlung schwierig ist und auf ganz unterschiedliche Weise geschehen kann, je nachdem, wo der Ausgangspunkt genommen wird. Bevor auf diese Theorie Krashens eingegangen wird, sollen abschliessend noch einige Punkte hervorgehoben werden. In dieser Arbeit steht notwendig der Prozessansatz und die mit diesem verbundene bzw. auf ihn beziehbare Lernersprachforschung im Vordergrund. Diese stellen Modelle zur Verfügung, die einigermassen triftige Aussagen nicht nur über die abstrakten Probleme und Prinzipien des Spracherwerbs machen, sondern auf einigermassen konkreter Ebene über Sprachgebrauchs- und Lernprozesse Auskunft geben. Dies sind Aspekte, die in der Diskussion über das Schreiben im Zentrum stehen müssen. Im folgenden soll jedoch nicht unterstellt werden, dass dieser Ansatz den Spracherwerb genügend zu erklären er1
Vgl. dazu Bates/Mac Winney/Smith 1983. Die Autoren führen einige Vorzüge des nativistischen Ansatzes auf, schliessen jedoch: «The major disadvantage of this approach lies in its biological implausibility.» (1983:13)
Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
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laube. Obwohl bei der Modellierung von Erwerbsabläufen einige Resultate erzielt wurden, sind die bisherigen Darstellungen zu wenig in der Lage, die spezifischen Phänomene des Spracherwerbs zu beschreiben. Es ist im gegenwärtigen Zeitpunkt zu früh, von einer einzelnen Theorie die Aufklärung des gesamten Erwerbsvorgangs zu erwarten1. Die vorgestellten Erklärungsansätze haben sich bisher weitgehend mit grammatischen Erwerbsphänomenen beschäftigt. Es muss jedoch klar gesehen werden, dass Spracherwerb - wahrscheinlich der grösste Teil der Erwerbsarbeit - darin besteht, mit dem Vokabular und dessen Eigenschaften zu Rande zu kommen (etwa mit den Bedeutungen, mit möglichen, obligatorischen oder unmöglichen Kollokationen, mit syntaktisch relevanten Eigenschaften von Wörtern usw.). Dies ist gegenüber Versuchen, Erkenntnisse aus der Zwischensprachforschung allzu direkt für den Unterricht nutzbar zu machen, in Erinnerung zu behalten.
4
Spracherwerbstheorie
Auf der Grundlage der Zwischensprachforschung sind in den letzten Jahren verschiedene Spracherwerbstheorien formuliert worden. Ausgegangen werden soll hier von Krashens 'Monitor-Theorie des Spracherwerbs', benannt nach ihrer wohl am meisten diskutierten Annahme. Es kann hier nicht darum gehen, diesen Ansatz in aller Breite darzustellen und zu kritisieren. Die Ausführungen soll nur so weit gehen, dass klarwerden kann, wie in der Diskussion und Erweiterung der dieser Theorie zugrunde liegenden Vorstellungen sich neben den nativistischen Argumenten, die bei Krashen im Zentrum stehen, immer deutlicher auch prozessuale durchsetzen. Hier zeichnet sich die Konvergenz, von der Bowerman (1987) spricht, auf der Ebene noch allgemeiner Modellbidlung bereits deutlich ab. Die hier diskutierten Gesichtspunkte werden im nächsten Kapitel wieder aufgenommen; dort wird es um die Frage nach den Möglichkeiten der didaktischen Umsetzung von erwerbstheoretischen Positionen gehen. 4.1
Krashens Monitortheorie: die fünf Hypothesen
Krashens Ansatz ist die in den letzten Jahren am meisten diskutierte, auch die ihrem Anspruch nach umfassendste Theorie der Fremdsprachenaneignung. Sie fusst auf einer zum Teil recht eigenwilligen Interpretation von Untersuchungen und Theorien zum Spracherwerb, identifiziert die kausalen Variablen für die Sprachaneignung und bringt sie in ein Modell, das explizit auch auf die unterrichtliche Lernsituation Anwendung finden soll. Während sie bei vielen Lehrern - nicht zuletzt wegen ihrer Übersichtlichkeit und einer gewissen Überzeugungskraft einiger ihrer zentralen Begriffe 1
Wie sehr die Dinge im Fluss sind, zeigt sich etwa daran, dass imitatives Lernen, seit Chomskys Kritik an Skinner in bezug auf Spracherwert) ein fast tabuisiertes Thema, wieder eine gewisse Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen scheint. Vgl. etwa die Aufsätze in Speidel/Nelson 1989.
1.3 Zwischensprachforschung und Erwerbstheorie
93
- ziemlich beliebt ist, von anderen wegen ihrer gegen die herkömmlichen Unterrichtsverfahren gerichteten Spitzen ebenso emphatisch abgelehnt wird, ist sie bei den professionellen Forschern im Bereich der Lernersprachen seit bald zehn Jahren ein beliebtes Objekt der Kritik, das aber seine Attraktivität bis heute nicht eingebüsst hat. «Indeed, ' Krashen-bashin' has become a favourite pastime at conferences and in journals dealing with second-language-research» (McLaughlin 1987:19) 1 . Diese prominente Stellung verdankt die Theorie dem Sachverhalt, dass sie ganz offensichtlich zentrale Fragen einer jeden für die Zweitsprachenaneignung relevanten Lemtheorie aufgreift und in einer Entschiedenheit beantwortet, die in diesem Gebiet verfrüht erscheint, aber stimulierend wirkt2. Der Kern von Krashens Lemtheorie besteht aus fünf Hypothesen (vgl. Krashen 1981, 1982, 1985), die insgesamt die für die Sprachaneignung wesentlichen Faktoren bestimmen. Es sind dies: 1. Die LernenlErwerben-Unterscheidung. Danach stehen vor allem Jugendlichen und Erwachsenen für die L2 (Zweitsprach-)Aneignung zwei Wege offen: There are two independent ways of developing ability in second languages. 'Acquisition' is a subconscious process identical in all important ways to the process children utilize in acquiring their first language, while 'learning' is a conscious process that results in 'knowing about' language. (Krashen 1985: 1) Im nicht-kommunikativen Sprachunterricht wird vor allem das Lernen gefördert - in vielerlei Hinsicht ein Mangel, denn «learning does not become acquisition» (Krashen 1982: 83). Nur in und durch Kommunikation kann sich eine Grundlagenkompetenz aufbauen3. 2. Die Hypothese der natürlichen Erwerbsordnung: It states that we acquire the rules of language in a predictable order, some rules tending to come early and others late. The order does not appear to be determined solely by formal simplicity and there is evidence that it is independent of the order in which rules are taught in language classes. (Krashen 1985:1) 1
2 3
Für eine ausführliche kritische Würdigung von Krashens Ansatz vgl. McLaughlin (1978, 1930, 1987). Eine generelle, sehr pointierte Kritik liefert Gregg 1984. Zur Input-These vgl. White 1987. Im übrigen findet sich in fast jedem Beitrag zur Zwischensprachforschung bzw. zu ihrer Bedeutung für die Sprachdidaktik eine mehr oder weniger differenzierte Besprechung. In diesem Sinne auch etwa Lightbown 1984:245f. Einen ähnlichen Stellenwert hat etwa Felix' (1977) Unterscheidung von 'kreativer' und 'reproduktiver' Sprachkompetenz. - Krashen (1985: 24) parallelisiert seine Unterscheidung von Erweiben und Lernen mit der von Chomsky eingeführten Unterscheidung von «cognize» und «know». Nach dieser sind die angeborenen sprachbezogenen (vor allem grammatikbezogenen) Prinzipien Kenntnisse im Sinn des Wortes, jedoch nicht bewusstseinsfähig und auch nicht willkürlich einsetzbar. Dieser Sachverhalt wird durch das Kunstwort «cognize» bezeichnet. Chomskys Aussagen lauten: «In this usage, what is 'known' will be rattier ill-defined and, perhaps, a scattered and chaotic subpart of the coherent and important systems and structures that are cognized.» (Chomsky 1980: 165). - In älteren Schriften bezeichnet Chomsky diese Kenntnisse als LAD (language acquisition device), heute bevorzugt er den Begriff 'Universalgrammatik', der den Gehalt der Theorie besser wiedergibt.
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
Der Mechanismus, welcher dem Phänomen der Erwerbsordnung zugrunde liegt, ist laut Krashen auch bei Erwachsenen noch operativ (Krashen 1982: 10; vgl. Mc Laughlin 1987: 23). Er vereitelt oder verringert zumindest die Wirksamkeit von Beeinflussungsmassnahmen; insbesondere verhindert er, dass Gelerntes beliebig in Erworbenes verwandelt werden kann. 3. Die Monitor-Hypothese: Sie bestimmt das Verhältnis von gelerntem und erworbenem Wissen in der Sprachproduktion. According to the Monitor model for performance, conscious learning acts as an editor, as a Monitor, 'correcting' the errors, or rather what the performer perceives to be errors, in the output of the acquired system. This can happen before the sentence is spoken or written, or after. Conscious knowledge of the rules is therefore not responsible for our fluency, it does not initiate utterances. (Krashen 1982: 83)
Die Monitor-Hypothese ist Krashens Erklärung für die Variabilität von Produktionen von Zwischensprachsprechern (vgl. 4.3). Für den Gebrauch des Monitors müssen verschiedene Bedingungen erfüllt sein: Aufmerksamkeit auf Form, Kenntnis der Regeln und genügend Zeit, da bewusste Regelanwendung einen gewissen zusätzlichen Aufwand bedeutet. Die Monitor-Hypothese ist der einzige Ort in Krashens Theorie, wo explizit auf eine prozessuale Komponente hingewiesen wird. 4. Die Input-Hypothese how do we move from stage i, where i represents current competence, to i+1, the next level? The input hypothesis makes the following claim: a necessary (but not sufficient) condition to move from stage ι to stage i+1 is that the acquirer understand input that contains i+1, where 'understand' means that the acquirer is focussed on the meaning and not on the form of the message. (Krashen 1982: 20f.)
Diese Hypothese bildet den wichtigsten Teil der Erklärung, wie Sprachen erworben werden. Der Lernende versteht danach eine ihm noch unbekannte Struktur, weil er aus Kontext, Vorwissen und Situation ihre Bedeutung erschliessen kann. Dass die Kompetenz eines Lerners selten genau bestimmbar sein wird, erscheint Krashen nicht als Problem. Wenn das Sprachangebot etwas über der Kompetenz der Lernenden liegt und reich genug ist, wird es von selbst auch die im Erweiterungsbereich ihrer Kompetenz liegenden Strukturen anbieten. Der Input braucht also nicht mit einschlägigen Sprachmitteln künstlich angereichert zu werden. Eine wichtige Konsequenz der Input-Hypothese betrifft die Produktion: «Production ability emerges. It is not taught directly» (Krashen 1982: 22)1. 5. Die Hypothese des affektiven Filters: Sie bestimmt die Rolle von Motivation, Angst, Selbstvertrauen usw. im Spracherwerb, also von sozialen und psychologischen Faktoren. Diese Hypothese wird von McLaughlin folgenderweise zusammengefasst: According to the Affective Filter Hypothesis, comprehensible input may not be utilized by second-language acquirers if there is a 'mental block' that prevents them from fully profiting from it [...]. The affective filter acts as a barrier to acquisition: if the 1
Auf diesen Aspekt wird - wahrscheinlich in einer Weise, welche nicht Krashens Intentionen entspricht - in Teil ΙΠ zurückzukommen sein. Unbestritten an dieser These ist, dass die Rezeption im Noimalfall der Produktion vorangeht und dass meist differenziertere Rezeptions- als Produktionsleistungen erbracht werden können.
1.3 Zwischensprachforschung und Erweibstheorie
95
filter is 'down', the input reaches the LAD and becomes acquired competence; if the filter is 'up', the input is blocked. (McLaughlin 1987: 51)
Die beiden letzten Hypothesen zusammen identifizieren die kausalen Variablen des Spracherwerbs (Krashen 1982: 33)1, während die ersten drei die Architektur der Sprachlernfähigkeit skizzieren. 4.2 Bemerkungen zu Krashens Theorie Krashens Theorie basiert deutlich auf nativistischer Basis. Die zentralen Begriffe des Spracherwerbsmechanismus, des Erwerbens, der Erwerbsordnung und die Rolle, die dem nicht-zugerichteten Input als Quelle von sprachbezogener Information zugeschrieben wird, zeugen dafür. Die Hypothese des affektiven Filters bezieht sich auf jenen Bereich sozialer und psychologischer Faktoren, deren Einfluss in der Zweitsprachenaneignung weitgehend über das Ausmass des Erfolgs entscheidet; 'Monitor' und 'Lernen' schliesslich bilden die Basis für die bewusst unternommenen Überformungen von Äusserungen2. Im folgenden soll zunächst auf zwei Aspekte näher eingegangen werden: Die Lernen/Erwerben-Unterscheidung und Krashens Analyse von sprachlicher Produktion bzw. Rezeption. Sie bilden die Ausgangspunkte für die weiterführenden Überlegungen im nächsten Abschnitt (4.3). a. Die Lernen/Erwerben-Unterscheidung Wesentliches und meist kommentiertes Merkmal der Lerntheorie Krashens ist die Lernen/Erwerben-Unterscheidung und die Feststellung, dass Lernen nicht zum Erwerben führe. Die Entgegensetzung von Lernen und Erwerben trifft zunächst alltägliche Erfahrungen mit Sprache sehr genau - oft wissen wir, ohne zu können; oft können wir, ohne zu wissen; und oft entspricht unser Wissen nicht dem, was wir können oder widerspricht ihm sogar. Zugleich geht Krashens Diktum, dass zwischen beiden kein Zusammenhang bestehe, ebenso klar gegen die alltägliche Intuition wie gegen die Überzeugung vieler Lehrer und Lernender, dass das Lernen (im Sinne der zielvoll unternommenen Aneignung von Wissen) dem Können oft vorausgeht und zu diesem hinführt. Laut Krashen rührt der Eindruck einer solchen Verbindung beim Sprachenlernen aber bloss daher, dass bestimmte Strukturen im Erwerb erst dann in der natürlichen Erwerbsordnung 'an der Reihe sind', nachdem sie schon gelernt werden mussten, «and this gives us the illusion that the learning actually caused the acquisition» (Krashen 1982: 87) 1
2
Mc Laughlin (1987) macht darauf aufmerksam, dass Krashen hier den angeborenen Spracherwerbsmechanismus vergesse, also eigentlich mit drei Variablen rechne. In gewissem Sinne ist dieser in Krashens Modell aber keine Variable, obwohl sicher ein kausaler Faktor. Man kann diesen Bereich nicht gleichsetzen mit den des bewussten Strategiegebrauchs; er ist enger, weil er nach Krashen bloss auf Normerfullung hinzielt, nicht auch auf Kommunikation usw. Es handelt sich um einen sehr eingeschränkten Bereich (siehe unten).
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
Dies ist - bei aller Eleganz - ein zweifelhaftes Argument darum, weil es prinzipiell gewinnt. Es entsorgt die Frage, wie sich denn Lernen und Erwerben zueinander verhalten könnten, bevor sie in ihren Umrissen einigermassen skizziert ist. Die Unterscheidung von Lernen und Erwerben stellt aber, wie wir sehen werden, eines der für die erwerbstheoretisch ausgerichtete Diskussion von Unterricht wichtigsten Themen dar; es drängt sich hartnäckig immer wieder auf. Die Antworten, die hierauf gegeben werden, bestimmen weitgehend das Gesicht der verschiedenen Unterrichtskonzeptionen (vgl. unten, 4.3 und I.4)1. b. Produktion und Rezeption Krashen koppelt den Spracherwerb allein mit rezeptivem Sprachgebrauch. Dies lässt sich so verstehen, dass Kompetenz nur aufgebaut werden kann aufgrund von Daten, welche über die normativen sprachlichen Verhältnisse Aufschluss geben; logischerweise können dies nur Daten sein, die nicht vom Lernenden selbst stammen. In dieser Form und in dieser Abstraktheit ist die Input-These wohl unbestritten. Umstritten ist die Frage, welcher Art lernrelevanter Input zu sein hat, umstritten sind auch die Beziehungen zwischen Rezeption und Produktion. Auf dieses zweite soll kurz eingegangen werden. Nach Krashen wird durch Input nur die der Sprachproduktion zugrunde liegende Kenntnisbasis aufgebaut, nicht die produktiven Prozeduren selber. Diese bilden sich selbständig aus; sie spielen für den Aufbau der Sprachkenntnis keine Rolle. Sprachproduktion trägt höchstens indirekt, über die Erschliessung von Input, zum Spracherwerb bei2. Während es gute Gründe gibt, die Priorität der Rezeption zu betonen und den produktiven Ausdruck zumindest zu Beginn des Lernens nicht übermässig zu forcieren, ist diese dezidierte Randstellung, welcher die Produktion (ganz analog zum Lernen) anheimfällt, auch bedingt durch die Eigenarten der Konstruktion von Krashens Theorie. Krashens Aussagen im Bereich von Rezeption und Produktion fallen auf durch eine fundamentale Asymmetrie. Während für die Produktion ein Apparat von allerdings minimaler Komplexität skizziert wird3, fehlt auf 1
2
3
Krashens Position impliziert nicht, dass das Lernen keine Funktion habe. Diese ist jedoch nur eine indirekte. Nach dem Modell beeinflusst es über den Monitor den Sprachgebrauch und damit die kommunikative Potenz des Lernenden. Sofern dies zu intensiverem Austausch beiträgt, eihöht es die Chancen, adäquaten Input zu generieren und dabei Sprache zu erwerben. Zudem kann Lernen nach Krashen für Strukturen sensibilisieren und diese leichter ericennbar machen, dies mag ihren Erwerb unterstützen. Angesichts des Postulats rigide getrennter Wissensstrukturen ist allerdings schwer auszumachen, auf welchem Mechanismus diese erleichternde Wirkung beruhen könnte. Es würde bedeuten, dass im Verstehen von Input der Monitor eine gewisse Bedeutung hat. Vgl. dazu die folgenden Ausführungen. Vgl. Krashen 1985: 35ff.; 1984, wo dieses Verhältnis - allerdings in bezug aufs Schreiben, aber im Rückverweis auf die Input-Hypothese - ganz klar bezeichnet wird. Das heisst: ein Monitor, der Gelerntes in der Produktion zusätzlich zum Erworbenen zur Geltung zu bringen vermag.
1.3 Zwischensprachforschung und Erwerbstheorie
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der Gegenseite eine entsprechende Differenzierung. Für den gesamten Bereich der Rezeption erfährt der Monitor keine Erwähnung. Hier scheinen ausschliesslich erworbene Kenntnisse zur Anwendung zu gelangen. Zu dieser Konstruktion ist anzumerken, dass es nicht nur denkbar, sondern wenigstens durch anekdotische Evidenz belegt ist, dass Gelerntes dazu benützt werden kann, im Lesen oder Hören zunächst Schwer- oder Unverständliches auf verschiedenen Ebenen verständlich zu machen1. Darüber ist bei Krashen nichts zu lesen. Input und Verstehen (und Erwerben) werden in Kollokationen wie 'verständlicher Input', 'going for meaning' usw. direkt zusammengeschlossen. Rezeptiver Sprachgebrauch wird hier in dieser Beziehung nicht weiter auf seine prozessualen Bedingungen hin analysiert, sondern als quasi unteilbares Ganzes konzeptualisiert. Dies, obwohl das Konstrukt des Niveaus 'i+1' ja geradewegs dazu einlädt, die Rolle nicht nur von kontextuellen Informationen, sondern auch von gelernten Sprachbeständen für die Erschliessung von Bedeutungen und die sprachliche Analyse der Mitteilung zu untersuchen. Liesse sich zeigen was der Lese- und Verstehensforschung nicht schwerfallen dürfte - , dass das Gelernte hier mit eine Rolle spielt, dass eine Mitteilung nicht nur empfangen, sondern teilweise auch analysiert, somit rekonstruiert wird, um genau verstanden zu werden, so müsste das Verhältnis von Gelerntem und Erworbenem auch in der Rezeption thematisch werden2. Verbunden damit müsste auch das Verhältnis von Rezeption und Produktion neu und intensiver untersucht werden. Werden Kenntnis- und Gebrauchsaspekt in ihrem Zusammenspiel entfaltet, so müsste der Bereich der Sprachprozesse, der bei Krashen allein im Zusammenhang mit dem Monitor-Begriff relevant ist, prominenter in den Vordergrund treten und auf seine Rolle im Gesamt der Sprachaneignung befragt werden3. Mit diesen Bemerkungen sind Schwachstellen der Konstruktion - im Hinblick auf die Bestimmung des Verhältnisses von Lernen und Erwerben, im Hinblick auf die Rolle der Produktion im Spracherwerb - aufgezeigt, auf die im weiteren näher eingegangen werden soll. 4.3 Alternative Lösungen 4.3.1 Zum Begriff des Lernens Wenn Krashen von Gelerntem spricht und davon, dass Gelerntes dem Monitor zugrunde liegt, bezieht er sich auf Regelformulierungen, auf linguistisches Wissen über sprachliche Regularitäten, das bewusst angewendet 1 2
3
Die anekdotische Evidenz bezieht sich auf die Erfahrung, die jeder in der fremden Sprache zu machen imstande ist. Vgl. Gregg 1984. Krashens Nicht-Unterscheidung lässt sich als stillschweigende Ausweitung der These vom bewusstseinsfemen Erwerben auf Sprachgebrauchsprozesse, vorab auf die Dekodierakte verstehen, deren Automatismus und Unbewusstheit auf diese Weise definitorisch unterstellt, nicht aber belegt wird. Vgl. die diesbezügliche Kritik von M. Carroll 1984 und Sorace 1985, die auf die Rolle prozessualer Aspekte in der Konstitution von Lernersprache hinweisen.
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
werden muss, damit es in der sprachlichen Produktion zum Ausdruck kommen kann. Es bezeichnet damit gleichzeitig ein Wissen, das im erworbenen Sprachschatz noch nicht niedergelegt ist. Aufgrund verschiedener Überlegungen und empirischer Indizien kommt er zum Schluss, dass im Grunde nur einfach formulierbare, vor allem die grammatische Morphologie betreffende Regeln in diesem Sinne lernbar und via Monitor anwendbar sind (1982: 112). In verschiedenen Untersuchungen wurden die theoretischen Annahmen der Monitorhypothese geprüft, das heisst die von Krashen angegebenen Bedingungen für den Gebrauch des Monitors1. Während in einigen Experimenten Aufmerksamkeit auf Form, verbunden mit der Gewährung von genügend Zeit, zu einer Verbesserung der Leistungen führte, stellte es sich in anderen als sehr schwierig heraus, Konzentration auf Form bzw. die vorausgesagten daraus folgenden Effekte nachzuweisen (vgl. McLaughlin 1987: 25f. für eine Diskussion). Interessant in diesem Zusammenhang ist die Untersuchung von Hulstijn/Hulstijn (1984), die die dritte Bedingung für den Gebrauch des Monitors, die Rolle linguistischen Wissens, prüfte. McLaughlin fasst die Ergebnisse der Untersuchung folgenderweise zusammen: Focus on form and time had the same effect on learners who could correctly verbalize the rules, for learners who could not state any explicit rules at all, and for learners who stated partly correct, or even incorrect, rules. (McLaughlin 1987: 26. In dieselbe Richtung weist die Untersuchung von Seliger 1979.)
Dies ist ein starkes Indiz dafür, dass das, was Sprachlerner über ihre Sprache gelernt haben, mehr umfasst als linguistisch formuliertes Regelwissen. Lernende haben verschiedene Möglichkeiten, Kenntnisse über die Sprache zu gewinnen, ohne dass ausformulierte Regelkenntnis erfordert wäre. Diese Kenntnisse können bestehen im Wissen um Analogien oder um die Möglichkeiten der Abwandlung erinnerter Ketten, in der Erinnerung an Strukturschemata, in approximativen Regeln2. Kontrolle, die Fähigkeit zur Adaptation spontan produzierter Sprache an höhere Standards3 ist nicht an das Vorhandensein explizit formulierter Regeln gebunden4. Auch ist es 1 2
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Diese sind: Aufinerksamkeit auf sprachliche Form (nicht die Mitteilung selbst), genügend Zeit, einschlägiges linguistisches Wissen. «From a linguist's point of view, the rules that speakers use may be incorrect and inadquate, but they are often sufficient to get the right sounds uttered in therightorder.» (McLaughlin 1987: 28. Ähnlich Faerch et al. 1984: 200f. Vgl. Seliger 1979; Long 1983a; Gregg 1984; Nold/Dines 1985; Odlin 1986.) Um präzise zu sein: Es geht um als höher erachtete Standards - es gibt Überformungen, die die betroffene Äusserung gemessen an der Zielsprache fehlerhafter machen. Hulstijn/Hulstijn 1984: 41. Allerdings ist anzumerken, dass das generelle Leistungsniveau in den Untersuchungen von Hulstijn/Hulstijn mit explizitem Regelwissen korrelierte: «the learners with explicit knowledge had significantly higher correct scores across the four conditions. Thus their general performance was better than the general performance of the learners without explicit knowledge. But there were no significant differences in gain scores between the learners with and without explicit knowledge. Thus the learners lacking explicit knowledge did not
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1.3 Zwischensprachfoischung und Erwerbstheorie
nicht stets, wie Krashen unterstellt, ein selbstzweckhaftes Laborieren an formalen Details; in kommunikativen Zusammenhängen wird es als wichtig für die Kommunikation wahrgenommen: «with a few exceptions, [...] focusing on form is focusing on content» (Gregg 1984: 83; vgl. Odlin 1986: 130f.). Dies hat auch die oben geführte Diskussion um die Kommunikationsstrategien gezeigt. Krashens Begriff des Lernens ist demnach zu eng, sowohl was den ihm zugewiesenen Bereich angeht wie auch was die ihm zugeschriebene Funktion betrifft. Lernen ist nicht beschränkt auf das Lernen linguistischer Regeln; es ist nicht gleichzusetzen mit dem, was in einem extrem sprachstrukturell ausgerichteten Unterricht passiert. Vielleicht ist es bis zu einem gewissen Grade ein notwendiges Konkomitans des Umgangs mit Sprache überhaupt; jedenfalls kann es im Unterricht sehr vielfältige Formen annehmen1. Zugleich hat Aufmerksamkeit auf Form nicht allein den Charakter einer leeren Normbefolgung. Sie kann durchaus kommunikativen Zwecken dienen, der Ermöglichung klareren und verständlicheren Ausdrucks. 4.3.2 Lernen und Erwerben: Punkte auf einer Skala? Wenn Sprachwissen vieldeutig ist, verschiedene Abstufungen und Explizitheitsgrade kennt, ist es vielleicht denkbar, den Zusammenhang von Lernen und Erwerben herzustellen, der sich unter Krashens Voraussetzungen als unmöglich erweist. So schlagen Faerch et al. (1984) ein Modell vor, das Krashens zwei Aneignungsweisen als Extrempunkte einer Dimension versteht, auf der auch verschiedene Zwischenstufen möglich sind. Es ist eine Skala der Explizitheit sprachlichen Wissens: There are degrees of explicitness. Metalinguistic knowledge represents the highest degree of explicitness. Less explicit knowledge may be formulated in everyday language (we use smä in Danish if we talk about more than one) or occur in situations where the individual can decide that something is not correct, without being able to give reasons. (Faerch et al. 1984,201f.)
Die vorgeschlagene Skala sieht so aus: implicit learner uses but does not reflect on rule
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explicit learner can decide that speech is/is not in accordance with rule
learner can describe rule in own words
learner can describe rule in metalinguistic terms (Faerch et al. 1984:202)2
profit less than the learners with explicit knowledge from the absence of time pressure and from focus on grammar* (Hulstijn/Hulstijn 1984: 39). Hier wird ja nicht nur mit Regeln, sondern auch mit Beispielen, Schemata, Transformationen, Grafiken usw. gearbeitet. «Metalinguistic» bezieht sich hier auf metasprachliche, das heisst linguistische Formulierungen. Da im Deutschen die Differenzierung zwischen Objektbereich ('sprachlich'; engl, 'linguistic') und Beschreibungsbereich ('linguistisch'; engl, 'linguistic')
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
Zugleich wird diese Skala auch interpretiert als eine der Bewusstheit. Das Kontinuum wird vorgeschlagen «as a more satisfactory way of characterising types of linguistic knowledge in terms of consciousness» (Faerch et al. 1984: 202). Die verschiedenen Positionen werden durch zwei gegenläufige Prozesse miteinander verknüpft: einerseits durch Automatisierung, die in Richtung auf implizites Wissen hin wirkt, andererseits durch Bewusstmachung, die vom impliziten Wissen ausgeht und eine Bewegung in der Gegenrichtung, auf den expliziten Pol hin, bewirkt. Diese Lösung scheint in vielem der alltäglichen Intuition näher als die Krashens; vor allem inkorporiert sie die Einsicht, dass es verschiedene Formen und Verfahren gibt, mit deren Hilfe sich Lerner die Regelhaftigkeit von Sprache vorstellbar und handhabbar machen. Zudem gibt sie dem Sachverhalt ein gebührendes Gewicht, dass Sprache und Sprachverhalten nicht einfach vom Bewusstsein abgeschottet sind, sondern dass intuitiv Beherrschtes auch durch Bewusstmachung als Wissen über die Sprache zugänglich werden kann - eine bei Krashen gänzlich fehlende Dimension. Der Vorschlag von Faerch et al. relativiert die Differenz von Lernen und Erwerben entscheidend; er lässt hier kaum gewichtige Unterschiede zu1. Ob diese Lösung haltbar ist, ist jedoch fraglich. Zuerst ist nicht klar, was man sich unter einer Skala der Bewusstheit vorstellen kann. Während man bezüglich Explizitheit vielleicht von einer gewissen Steigerung von links nach rechts sprechen kann, ist dies für die Bewusstheit kaum der Fall: Schon die Korrektheitsurteile erfolgen bewusst; die weiteren Stufen sind solche wachsender Allgemeinheit und (in gewissem Sinne vielleicht) Sachadäquatheit von Formulierungen, nicht von Bewusstheit. Zugleich sind diese verschieden expliziten Zwischenstufen auch kaum - wie die Skizze den Anschein machen könnte - als notwendige oder auch nur wahrscheinliche Zwischenstufen für die Prozesse der Bewusstmachung bzw. der Automatisierung anzusetzen. Dass sich in dieser einen Skala verschiedene Gesichtspunkte verbergen, zeigt sich auch daran, dass bewusstes Wissen (ob linguistisch formulierbar oder nicht) sich auf ganz unterschiedliche Weise zum impliziten verhalten kann: Eines von beiden kann gänzlich fehlen; wo implizites Wissen vorhanden ist, kann es differenzierter ausgebildet sein als das explizite (der Normalfall in der Muttersprache) oder weniger differenziert (manchmal der Fall in der Fremdsprache). Dies letztere ist oft die Voraussetzung dafür, dass eine bewusste Überformung von Äusserungen unternommen wird bzw. erfolgreich sein kann. Hinzu kommt, dass den verschiedenen Wis-
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klar ist, kann das klärende 'meta-' weggelassen werden. Die Fähigkeit, linguistische Regeln zu formulieren, erfordert Schulung; sie ergibt sich nicht aus der Sprachaneignung selbst (Faerch/Kasper 1986a: 213). Faerch/Kasper ((Hg.) 1983: xxi) stellen explizit fest: «As there is yet little empirical evidence for the existence of different types of underlying process [...], we see no reason for observing a terminological distinction between 'learning' and 'acquisition'.»
1.3 Zwischensprachforschung und Eiwerbstheorie
101
sensbeständen ja durchaus unterschiedliche prozessuale Eigenschaften zugeschrieben werden. Wissen, welches denselben Sachverhalt betrifft, kann demgemäss nicht nur verschieden explizit, sondern auch verschieden strukturiert sein. Die Frage ist, ob solche Sachverhalte mit einer eindimensionalen Skala wirklich zureichend erfasst werden können (vgl. Sorace 1985: 240f.). Die Unzulänglichkeiten von Krashens Position können, dies der Schluss aus diesen Überlegungen, kaum dadurch gemindert werden, dass die relativ undifferenzierte Dichotomie von Erwerben und Lernen negiert und durch eine harmonisierte Sicht ihrer Beziehung zueinander ersetzt wird1, sondern nur dadurch, dass die von ihm ins Spiel gebrachten Begriffe differenziert werden. Hinweise darauf, wie dies geschehen könnte, geben vor allem Bialystok (1982) und Bialystok/Ryan (1985). 4.33 Variabilität von Lernerperformanz Bialystok stellt die Variabilität der Lernerperformanz an den Ausgangspunkt ihrer Überlegungen zur Struktur von Lernerkompetenz; sie geht diese Frage aber auf andere Weise an als Krashen. Dieser findet die Quelle der Variabilität in einem dem 'eigentlichen' Sprachkönnen fremden, ihm nicht zugehörigen Wissen, das zwar für einzelne Produktionen eine gewisse Bedeutung hat, nicht jedoch für den Spracherwerb selbst. Demgegenüber bietet Bialystok eine Interpretation an, welche die Dimension der Variabilität in der Interimskompetenz der Lernenden selbst ansiedelt und sie als potentiell lernrelevant interpretiert. Variabilität gehört danach zu einer in ihrer Konstitution komplexen, in Entwicklung begriffenen Lernerkompetenz2. Einfluss auf die Anwendung der Sprachkenntnisse haben in diesem Modell nicht wie bei Krashen allein äusserliche Bedingungen wie verfügbare Zeit oder das Vorhandensein expliziter Kenntnis. In den Vordergrund gestellt werden vielmehr pragmatische Faktoren, das heisst die Ansprüche, die durch die Sprachgebrauchssituation an die Lernenden gestellt werden. Diese entscheiden darüber, wie das Sprachwissen der Ler1
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Wissen und Können «cannot be one and the same thing» (Sharwood-Smith 1986a: 17; ebenso Hulstijn/Hulstijn 1984). Andresen (1985: 176) zitiert Untersuchungen an Aphasikern, die von der Möglichkeit selektiver Schädigung sprachlicher und metasprachlicher Fähigkeiten berichten, ein Hinweis dafür, dass sie unterschiedlichen Status haben. Der Unterschied muss nicht zwangsläufig unter nativistischer Perspektive konzeptualisiert werden; er legt sich auch vor dem Hintergrund des in 1.2 über Produktionssysteme Gesagten nahe. In der Zwischensprachforschung wurde Variabilität schon immer beobachtet, aber wenig zum Thema gemacht. Lernerperformanz wurde fast ausschliesslich in der Konversation untersucht, im sog. 'vernacular style*. Oft verband sich mit diesem Begriff die Vorstellung, konversationelles Sprechen sei ausschliesslich gesteuert durch die erworbenen Sprachkenntnisse, es werde nicht moderiert. Dies scheint psycholinguistisch nicht haltbar (vgl. Bock 1982; Nold/Dines 1985; Claric 1978), es wird auch von Bialystok so nicht angenommen. Unterschieden wird nicht ein absolut unbewusst gesteuertes, 'normales' Sprechen von einem selbstzweckhaften Aufbau korrekter Formen, sondern eine ganze Skala variabler Sprachgebrauchsweisen.
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
nenden mobilisiert und zur Anwendung gebracht wird. Es geht mit anderen Worten um «the constraints imposed on the learner by various language situations which result in apparently variable control of the system» (Bialystok 1982: 181). Krashen trennt, in bezug auf das Gelernte, das sprachbezogene Wissen von seinem produktiven Gebrauch, der durch den Monitor geleistet wird; eine ähnliche Unterscheidung fehlt für das Erworbene; dieses scheint jederzeit und ohne Probleme einsatzbereit zu sein. Bialystok nun schlägt eine Differenzierung des gesamten sprachbezogenen Wissens nach zwei Kriterien vor: dem der Qualität und dem der Zugänglichkeit. Diese beiden Faktoren können jeder auf einer Skala variieren: die Qualität des Sprachwissens zwischen den Polen 'unanalysiert' und 'analysiert', die Verfügbarkeit des Sprachwissens zwischen den Polen 'nicht-automatisiert' und 'automatisiert'. Dies erlaubt eine differenziertere Analyse der Struktur von Sprachwissen und Sprachgebrauchsbedingungen, als sie mit Krashens Begriffen möglich sind1. Zum ersten Faktor merkt Bialystok an: The analysed factor distinguishes analysed from unanalysed mental representations. Analysed knowledge is assigned a prepositional mental representation which makes clear the structure of the knowledge and its relationship to other aspects of knowledge [...]. Because the structure is apparent, the learner is able to operate on this knowledge by transforming it, comparing it to other events, and using it as a means of problem solving. (Bialystok 1982:183)
Unanalysiertes Wissen dagegen schliesst diese Möglichkeiten aus - es ist an einzelne sprachliche Elemente oder Strukturen gebunden und nur bedingt auf andere übertragbar. Unanalysiert sind in der Fremdsprache oft z.B. sprachliche Routinen (Grüsse), feste Wendungen oder Satzschemata mit einzelnen offenen Stellen, die für die Verständigung benützt werden können, deren Struktur aber nicht klar erkannt wird. Damit sind die in ihnen gefassten Elemente nicht oder nur unvollkommen isolierbar, die Strukturen selbst werden nicht durchschaut und bleiben in diesen Ausdrücken eingefroren; sie können nicht frei eingesetzt werden (vgl. Bialystok/Ryan 1985: 21 Of.)2. Der Faktor 'Automatisierung' bezieht sich dagegen auf eine ganz andere Dimension, nämlich «to the relative access the learner has to the knowledge, irrespective of its degree of analysis» (ebda.)3. Dieser Faktor bezeichnet, in den Begriffen von 1.2, das Ausmass der Prozeduralisierung von Prozessschritten, während sich der Faktor Wissen auf die Qualität der bereichsspezifischen Informationen bezieht, die darin eingebunden sind. 1
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Krashen erlaubt nur zwei Positionen: Gelerntes Wissen, das notwendig nicht-automatisiert ist, und Erworbenes, das ebenso notwendig automatisiert ist. Diese Dimension des Wissens entspricht ungefähr der oben von Faerch et al. vorgeschlagenen Skala, allerdings ist nicht Bewusstheit oder Grad der Formulierbarkeit, sondern Zugang zur Struktur ausschlaggebend. Dieser kann auch im impliziten Wissen erfolgen und ist auf diese Weise weitgehend gegeben in der Muttersprache. Ahnlich Storch (1983). Hinweise auf die Relevanz der von Bialystok hervorgehobenen Dimensionen geben auch Knapp-Potthoff/Knapp 1982: 65ff.
1.3 Zwischensprachforschung und Erwerbstheorie
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Jede Sprachverwendungssituation kann nun darauf hin untersucht werden, welcher Art die Anforderung ist, die sie hinsichtlich des sprachlichen Wissens und hinsichtlich des Zugriffs auf dieses Sprachwissen stellt. In verschiedenen Situationen wiegt schneller Zugriff verschieden schwer (z.B. im Dialog verglichen mit dem Schreiben), während unabhängig davon gewisse Aufgaben einen massiven Einsatz an Routineelementen ermöglichen (z.B. Begrüssungssequenzen, Bestellungen im Restaurant), andere eine klare Einsicht in die strukturellen Eigenschaften der verwendeten Äusserungen verlangen (gewisse Formen der inhaltlichen Präzisierung etwa, prototypisch Paraphrasen oder grammatische Umformungen in Übungen)1. In beiden Bereichen unterscheidet Bialystok einen unmarkierten (den negativ ausgedrückten) von einem markierten Wert. Die unmarkierten Werte sind nach Bialystok im Normalfall gegeben, wenn ein sprachliches Wissen überhaupt vorhanden ist; die markierten Werte - analyiertes Wissen bzw. automatischer Zugang - werden im Verlauf der Entwicklung des Sprach Vermögens erst aufgebaut 2 . Für die Bewertung der Schwierigkeit von Aufgaben ergibt sich daraus, dass doppelt unmarkierte Aufgabenstellungen am leichtesten, doppelt markierte - solche, die sowohl automatischen Zugang wie auch analysiertes Wissen verlangen - am schwierigsten zu lösen sind3. Besserer Sprachgebrauch wird dadurch erreicht, dass Sprachmittel, die zunächst nur in bestimmten sprachlichen Kontexten oder im formellen Register verfügbar sind, allmählich überall benutzt werden können, also auch in neuen sprachlichen Kontexten oder
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In Bialystoks Experimenten hatten Versuchspersonen (Fremdsprachige auf der Mittelund Fortgeschrittenenstufe und Muttersprachige) dieselben Aufgaben zu lösen. Diese hatten Elemente und Strukturen (Modalverben, Fragestrukturen usw.) zum Gegenstand, die auch von den Lernenden auf der Mittelstufe alle bereits gelernt worden waren. Die verschiedenen Aufgabenstellungen waren so ausgewählt, dass die Ansprüche an die Kompetenz der Lernenden nach den beiden Kriterien Analysiertheit bzw. Automatisierung unabhängig voneinander variiert wurden. Daraus resultierten vier verschiedene Typen von Aufgabenstellungen. Vgl. die Untersuchung von Gass über Lemerurteile zur Wohlgeformtheit fremdsprachlicher Äusserungen. «We, therefore, suggest that learners are first able to make a gestalt-type analysis of sentence structures btfore they are able zu make detailed analytic judgments» (Gass 1983: 285). Je besser analysiert (in Bialystoks Sinn) das Sprachwissen ist, desto genauer können die fehlerhaften Äusserungen nicht nur erkannt, sondern die Fehler auch lokalisiert werden. In diesem Bereich waren denn auch die Fortgeschrittenen noch deutlich weniger leistungsfähig als die Muttersprachigen. In Aufgaben, die nur eine markierte Dimension aufweisen, schnitten die Fortgeschrittenen fast so gut ab wie die Muttersprachigen und deutlich besser als die Mittelstufenlemer. Nur in den einfachsten, den doppelt unmarkierten Aufgaben, erreichten die Lernenden auf der Mittelstufe annähernd gleiche Werte wie die Fortgeschrittenen und die Muttersprachigen. - Für den Fremdsprachenunterricht bringt Bialystok die Ausbildung des markierten Werts für Sprachwissen eher mit formalem Sprachunterricht, das Ausbilden des automatischen Zugangs eher mit informalen und kommunikativen Ansätzen in Zusammenhang, möchte aber keine direkten oder gar kausalen Beziehungen herstellen (Bialystok 1982: 199f.).
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
unter Zeitdruck und unter Bedingungen geringer Aufmerksamkeit verfügbar werden (Bialystok/Ryan 1985, Sorace 1985; Nold/Dines 1985). Das Modell wird dadurch der Erfahrung gerecht, dass gewisse Sprachmittel nicht in allen sprachlichen Kontexten auftreten (wenn sie noch nicht genügend analysiert sind) und dass sie nur unter bestimmten günstigen Verarbeitungsbedingungen auftreten (solange sie noch zu wenig automatisiert sind)1. Bialystoks Analyse lässt sich leicht in die Begriffe des Modells der Informationsverarbeitung fassen. In der Tat macht sie diesen Schritt auch terminologisch in Bialystok/Ryan (1985). 'Automaticity' (sie wird umbenannt in 'cognitive control') erscheint hier als ein Faktor übergeordneter Kontroll- und Steuerungsprozesse, welche auch eine metakognitive Komponente einschliessen (Bialystok/Ryan 1985: 209, 246; Hulstijn 1986: 27)2. Bialystoks Modell erlaubt es, Sprachgebrauch, sowohl rezeptiven wie produktiven, gleicherweise unter prozessualem Aspekt zu analysieren, gleichgültig, welcher Art das dabei zum Zuge kommende Wissen ist und wie gut es beherrscht wird. Ebenso lässt es Interpretationen über das Verhältnis von Rezeption und Produktion zu, die in Krashens Vorschlag ausgeschlossen sind. Wenn nämlich im Spracherwerb sowohl Wissen erworben als auch eine Kontrollstruktur aufgebaut werden muss, so lässt sich annehmen, dass Sprachwissen vorwiegend durch Lernen und Input, also in der Rezeption angeeignet wird3. Kontrolle über die Sprachnüttel wird jedoch nicht nur in der Rezeption, sondern auch im Produzieren gewonnen und gefestigt. Es gibt Hinweise nicht nur aus der in 1.2 dargestellten Theorie des Aufbaus von Fertigkeiten, sondern auch speziell aus der Zwischensprachforschung, dass dieser Aufbau der Kontrolle auch für die weitere Aneignung nicht unwichtig ist, sondern Wirkungen zeitigt auf die Formung des Sprachwissens selbst:
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Zur Variabilität und ihrer Rolle für die Entwicklung von Zwischensprachen vgl. Ellis 1986, Kap. 4. Ellis weist auch auf die Rolle «freier Variation», also nicht kontextuell bzw. aufgabenspezifisch variierender Regeln für die Expansion des interimsprachlichen Systems hia Siehe auch McLaughlin/Rossman/McLeod 1983. Bialystok/Ryan vertreten ein leicht anderes Konzept von prozeduralem Wissen als das oben dargestellte. In ihrem Modell operiert prozedurales Wissen über einer deklarativ gegebenen Basis; dieses letztere Wissen ist demnach nicht in Produktionen und Produktionssysteme integriert (1985: 216). Ähnlich scheinen Faerch/Kasper (1984, 1986b) und Kasper (1986: 198f.) die Dinge zu sehen, während Dechen (1984) dem Modell Herrmanns und Andersons folgt. Im folgenden wird diesem zweiten Modell der Vorzug gegeben, weil darin klarer die wichtige Differenz zwischen einem Wissendass und einem Wissen-wie zum Ausdruck kommt, auch klarer gezeigt werden kann, dass ein separates Wissen-dass, die Kenntnis einer Regel nicht immer postuliert zu werden braucht, obwohl diese der Sache nach das Verhalten bestimmt (vgl. Rumelhari/McClelland 1987:195ff.). Soweit es nicht (im Unterricht) gelernt wird oder - sei es über Universalien, Prozessregularitäten oder die Muttersprache - schon zur Verfügung steht.
1.3 Zwischensprachforschung und Erwerbstheorie
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Die Zugriffsmöglichkeiten [...] hängen nicht zuletzt davon ab, wie die Elemente im Reservoir gespeichert sind, z.B. isoliert, in festen oder flexiblen Kombinationen, mit hohem oder geringem Verfügbarkeitsgrad. Dies wiederum wird entscheidend mitbestimmt durch die Art und Häufigkeit sich vollziehender Planungsprozesse. Insofern besteht zwischen der potentiellen [sc.: der Ebene des sprachsystematischen Wissens] und der prozessualen Ebene eine ständige Wechselbeziehung, die auf das Äusserungsvermögen eines Sprechers sicher nicht ohne Einfluss ist. (Möhle/Raupach 1983: 23)
Diese Ansicht über die Mitwirkung der Produktion an der Formung der Gesamtkompetenz wird von verschiedenen Forschern vertreten1. Danach ist der produktive Gebrauch des Sprachwissens nicht etwas Nachträgliches, fast Nebensächliches; es ist selbst ein wichtiges Mittel, Wissensbestände zu klären, zu festigen und zu verankern (vgl. I.4/2)2. Zum Abschluss möchte ich auf einen in diesem Modell nicht geklärten Punkt aufmerksam machen. Die Darstellung Bialystoks kann so verstanden werden, dass Muttersprachler eine sowohl analysierte wie automatisierte Wissensbasis zur Verfügung haben (dass sie über analysiertes Wissen verfügen, bedeutet nicht, dass sie sich dessen problemlos bewusst werden könnten); die Kompetenz Fremdsprachiger deckt hinsichtlich einer zielsprachlichen Regel ein potentiell vielfältiges Feld von Repräsentationen ab, die differentiell genutzt werden. Das heisst: Dieses Modell geht davon aus, dass das Wissen um einen sprachlichen Sachverhalt mehrfach kodiert sein kann - etwa weitgehend unanalysiert in einer rasch zugänglichen Form, gleichzeitig auch besser analysiert, aber weniger leicht anwendbar3; abhängig von der Situation und ihren Anforderungen wird die eine oder andere Kodierung aufgerufen. In bezug auf das in dieser Kompetenz niedergelegte Sprachwissen macht Bialystok nun keine Aussage darüber, woher und wie es in das System eintritt; sie beschäftigt sich nur mit der Struktur des vorhandenen Wissens. Wird die Sprache im Unterricht angeeignet, so ist anzunehmen, dass sie (in Krashens Begriffen) teilweise bewusst gelernt wird; gleichzeitig ist nach dem bisher Gesagten anzunehmen, dass ein guter Teil davon auch intuitiv erworben wird. 1
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M. Carroll 1984: 95ff.; vgl. Storch 1983; Seliger 1980; Swain 1985. - Knapp (1986: 82) bemerkt, dass nicht klar auszumachen sei, wo die Grenze zwischen Strukturerwerb und produktiver bzw. rezeptiver Realisierung des Strukturwissens zu ziehen sei. Offensichtlich spielen beide diese Aspekte im Aufbau der Kompetenz eine Rolle. Erinnert sei an die in 1.2 gemachte Feststellung, dass es primär die Produktion ist, welche eine durchgeführte Analyse und Komposition von Strukturen verlangt, nicht die Rezeption. Unter diesen Prämissen wird auch Krashens These, Lernen könne für das Erkennen von Strukturen sensibilisieren und damit indirekt Erwerb fördern, erst eigentlich plausibel. Vgl. unten, 1.4. Selbstverständlich ist auch der umgekehrte Fall denkbar, dieser scheint jedoch kaum problematisch, da es in diesem Fall für den Lernenden kaum Anlass gibt, das weniger automatisierte und gleichzeitig weniger differenzierte Wissen einzusetzen (wahrscheinlich findet er in seiner Äusserung auch keinen Anhaltspunkt für eine solche Intervention).
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
Diese unterschiedliche Position des Wissens spielt in Bialystoks Modell keine Rolle. In bezug auf die Weiterentwicklung der Sprachkompetenz scheint Bialystok einen durchgehenden Zusammenhang von Gelerntem und Erworbenem zu postulieren. Nun macht die Zwischensprachforschung wie auch die Erfahrung jedes Fremdsprachenlerners deutlich, dass der Erfolg von Lernbemühungen Grenzen hat. Die intuitive Kompetenz scheint nicht in jedem Fall durchlässig zu sein für Gelerntes - wie auch immer die Gründe dafür beschrieben werden mögen. Werden die Begriffe 'Lernen' und 'Erwerben' in diesem pragmatischen Sinne verwendet, so muss noch einmal die Frage Krashens nach dem Verhältnis beider gestellt werden. In diesem Zusammenhang schlägt Sharwood Smith (1986a, b) ein recht spekulatives Modell vor, das Bialystoks zweidimensionale Analyse übernimmt, aber gleichzeitig auch Krashens Unterscheidung von Lernen und Erwerben. Resultat ist eine komplexe Struktur, in der - in bezug auf jeden sprachlichen Teilbereich - potentiell zwei Kompetenzen eine Rolle spielen (eine auf Lernen und eine auf Erwerb basierende). Beide werden nach Massgabe sowohl der Qualität des in ihnen niedergelegten sprachbezogenen Wissens wie auch des Ausmasses der Prozeduralisierung dieses Wissens beschrieben. Ein direkter Übergang vom Gewussten zum Erworbenen wird nicht in Betracht gezogen, wohl aber durch eine Selbstaffektion möglich gemacht, nämlich dadurch, dass der (durch den Einfluss des Monitors überformte) Output des Lerners für ihn selbst auch als Input fungiert (Sharwood Smith 1981)1. Dieser Aufriss scheint in vielem zu schematisch, erlaubt aber, den von Krashen eingebrachten Gesichtspunkt deutlich hervorzuheben. Im folgenden wird weitgehend vom Modell Bialystoks ausgegangen; dies geschieht aber immer unter dem Vorbehalt, dass es Regularitäten zu geben scheint, welche den Übergang von 'Gelerntem' in die intuitive und automatische Sprachkompetenz kontrollieren, die nicht nach Belieben zu beherrschen sind. 4.4 Ausblick Abschliessend lässt sich festhalten, dass die Zwischensprachforschung und die darauf aufbauende Erwerbstheorie die bislang genauesten und fundiertesten Aussagen darüber macht, wie Sprachen gelernt werden. In Modellen wie dem Bialystoks oder Sharwood Smiths wird eine Verbindung hergestellt zu prozeduralen Theorien, wie sie in 1.2 vorgestellt worden sind. Sichtbar wird deren Einfluss vor allem an der zentralen Stellung, die dem Problem der Kontrolle in diesen Entwürfen eingeräumt wird. Damit wird 1
Ähnlich unterscheidet Sorace (1985: 240) zwischen sprachlichen und metasprachlichen Kenntnissen und bemerkt: «Formal learners tend to have analyzed mental representations of the L2 system without being able, particularly in the initial stages of the learning process, to apply them in production. In other words, the interlanguage of formal learners is characterized by a predominance of metalinguistic over linguistic abilities, whereas it is usually the reverse in the competence of native speakers, and also in the interlanguage of informal acquirers.»
1.3 Zwischensprachforschung und Erwerbstheorie
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ein Gesichtspunkt akzentuiert, der etwa im Modell Krashens noch sehr am Rande steht und dort nur in bezug auf das dezentralisierte Moment des 'Gelernten' zur Geltung kommt. Während es dort vorab um die Frage geht, wie neues Wissen ins System eintritt, wird in den neueren, prozeduralen Ansätzen auch die Frage diskutierbar, wie solches Wissen in die übrigen Wissensbestände integriert wird und wie es gebraucht wird - wie sein Einsatz die Formung der Kompetenz mitbeeinflusst. Alle bisherigen Überlegungen wurden noch ohne Rücksicht auf die Situation des Unterrichts vorgebracht. Erwerbstheoretische Einsichten müssen aber fruchtbar gemacht werden vor dem Hintergrund der Bedingungen, die der angeleiteten Sprachaneignung eigentümlich sind. Den meisten Untersuchungen zur Entwicklung der Zwischensprache liegt die 'Normalsituation' dialogischer, ausserunterrichtlicher Kommuniktion zugrunde. Diese ist nicht typisch für Unterricht und kann in ihm nur begrenzt repliziert werden. Für die Didaktik stellt sich die Aufgabe, Erwerbstheorie nicht einfach anzuwenden, sondern zu vermitteln mit den Rahmenbedingungen gelenkter Sprachaneignung. Dies ist das Thema des nächsten Kapitels.
1.4 SPRACHLERNEN IM UNTERRICHT
In diesem Kapitel wird die Diskussion weitergeführt, die zuletzt, anhand der Darstellung und Kritik von Krashens Monitortheorie, begonnen worden ist. Während sich die Ausführungen im letzten Kapitel aber auf allgemeine Fragen beschränkten, wird es im folgenden um die didaktischen Konsequenzen gehen, die aus der Erwerbstheorie gezogen werden, zunächst um die von Krashen selbst in den Vordergrund gestellten, dann auch um solche, die aus revidierten Grundannahmen folgen. Zum Schluss wird die Frage wieder aufgenommen, die am Anfang gestellt wurde: Welchen Stellenwert das Schreiben im Fremdsprachenunterricht einnimmt. Zu Beginn dieses Kapitels, als sein erster Teil, steht eingeschoben eine Skizze von Charakteristiken des Fremdsprachenunterrichts, welche diesen als soziale und als Lernsituation prägen. Ein solcher Exkurs scheint mir nicht überflüssig. Die Zwischensprachforschung auf der einen Seite hat sich vornehmlich mit 'natürlichen' Spracherwerbssituationen befasst. Wo gelenkte Sprachaneigung untersucht wurde, wurde den unterrichtlichen Bedingungen, vor allem den unter didaktischer Perspektive relevanten, recht wenig Interesse zuteil. In der didaktischen Rezeption auf der anderen Seite werden diese Bedingungen oft eher vorausgesetzt als explizit gemacht, zum Teil auch auf eher zwiespältige Art interpretiert. Nicht zuletzt aus diesem Grund sind auf beiden Seiten immer wieder erhebliche Diskrepanzen in der Weise zu beobachten, wie die Relevanz von Erkenntnissen der Zwischensprachforschung und Erwerbstheorie für den Unterricht beurteilt wird. Die Ausführungen in diesem ersten Teil bilden so den Hintergrund für die darauf folgenden Besprechung erwerbstheoretisch inspirierter didaktischer Konzepte.
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Zur Spezifik des Unterrichts als Sprachlernsituation
Die Charakteristika des Fremdsprachenunterrichts1 lassen sich unter verschiedensten Perspektiven und auf verschiedenen Ebenen beschreiben. Drei Zugänge, die je auf ihre Weise die dem Unterricht zugrunde liegende Ordnung aufzeigen, seien hier kurz hervorgehoben: - Fremdsprachenunterricht kann als Faktorenkomplexion analysiert werden; - alternativ kann er als Diskurs thematisiert werden; - schliesslich kann die handlungsleitende Matrix, welche der Konstitution von Unterricht zugrunde liegt, untersucht werden. 1
Im folgenden werden die Eigenschaften von Unterricht allgemein, wie sie etwa durch Unterrichtswissenschaft, Handlungstheorie usw. herausgebracht worden sind, nur so weit diskutiert, als sie von Belang sind für die hier im Vordergrund stehenden lemtheoretischen und spezifisch fremdsprachdidaktischen Fragen.
1.4 Sprachlernen im Unterricht
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Diese verschiedenen Zugänge lassen sich durchaus je eigenständig charakterisieren, sie stellen aber nicht einander abschliessende Konzeptualisierungen dar. Die meisten Beschreibungen von Unterricht nehmen spätestens dann, wenn es um die Interpretation von Daten geht, Bezug auf Begriffe aus verschiedenen von diesen Bereichen. Der Begriff der Faktorenkomplexion ist vor allem in der Sprachlehrforschung zur Charakterisierung des Fremdsprachenunterrichts herbeigezogen worden. Deren Anspruch ist es, den Fremdsprachenunterricht «als eine eigenständige und besondere Form fremdsprachlicher Kommunikation» (Königs 1986a: 93) zu untersuchen; dies vor allem in Abwehr gegen Versuche, allzu einseitig spracherwerbstheoretische Generalfaktoren für jeden Spracherwerb, auch den schulischen, verantwortlich zu machen und damit die eigenständigen Merkmale von Unterricht und ihre mögliche Lernrelevanz von vornherein zu relativieren. Dagegen wird festgehalten, dass Prozesse des Fremdsprachenlemens sich grundsätzlich durch mehrdimensionale, auf wechselseitige Interaktion ausgerichtete Faktoren determinieren, die sowohl aus dem Vermittlungskontext (sog. externe Faktoren) als auch aus dem inneren Lern- und Dispositionsgefiige des Individuums heraus (sog. interne Faktoren) wirksam werden bzw. wirksam werden können; grundlegend wichtig ist dabei die Erkenntnis, dass es offensichtlich Faktoren gibt, die ausschliesslich für den Gegenstandsbereich 'unterrichtlich gesteuertes Fremdsprachenlernen' spezifisch sind und folglich in ausserinstitutionellen Erwerbskontexten eben nicht bzw. zumindest nicht systematisch in Erscheinung treten. (Bausch 1986: 16; vgl. Königs 1983, 1986b; Koordinierungsgremium 1977, Kap. 3.1)
Der Begriff der Faktorenkomplexion ist höchst fruchtbar; er lenkt die Aufmerksamkeit auf die Vielfalt der möglichen Einflussgrössen im Unterricht. Hinweise auf Fragestellungen von zum Teil erheblicher Relevanz, die sich vor dem Hintergrund dieses Konzepts ergeben, geben etwa die Beiträge in Bausch ((Hg.) 1984). Der Begriff bildet allerdings nicht, wie dies von einigen Sprachlehrforschern unterstellt worden ist, ein Gegengewicht zu einer Lern- oder Spracherwerbstheorie, sondern eine Ergänzung, indem er das Bedingungsgefüge genauer expliziert, welches den Kontext von Lehr- und Lernprozessen ausmacht1. An eine empirische Untersuchung von einzelnen Faktoren oder Faktorenkonstellationen ist angesichts der Vielzahl möglicherweise relevanter Faktoren2 ohne zugrunde liegende Theorie (des Unterrichtsgesprächs, des Erwerbsprozesses usw.) nämlich nicht zu denken. Das Konzept der Faktorenkomplexion, welches die Komplexität unterrichtlicher Abläufe hervorhebt, kann in diesem Zusammenhang allfälligen theoretischen Reduktionen gegenüber als heuristisches Instrument der Kritik zur Geltung gebracht werden (Hüllen 1986: 61 f.).
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Dieser Aspekt wird von Knapp (1986: 77) betont, der die Positionen von Sprachlehrund Zweitspracherwerbs-Forschung als durchaus verträglich beurteilt. Ähnlich äussern sich List 1986; Raupach 1986. Die Zahl dieser Faktoren ist laut Königs (1983: vii) sogar «potentiell unendlich».
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
Die Beschreibung von Fremdsprachenunterricht als Diskurs stellt die zwischen Lehrer und Lernenden ablaufende Kommunikation in den Vordergrund; sie arbeitet die Regularitäten und Strukturen heraus, welche diese Interaktion prägen und sie von anderen Formen des Austausches abheben (Lörscher 1983; für Einzelhinweise vgl. Bausch 1986; Königs 1986a, Königs/Hopkins 1986)1. Damit wird streng genommen nur ein Teilaspekt des Unterrichts erfasst, wiewohl ein vor allem in gängigen Formen des Unterrichts zentraler2. Der Unterrichtsdiskurs kann als die vielleicht wichtigste organisierende Kraft aufgefasst werden, welche Unterricht formt und den Kontext abgibt, in dem die verschiedenen in ihm wirksamen Faktoren ihren Ausdruck finden können (vgl. Lörscher 1983: 188). Der unterrichtliche Diskurs ist auch eine der Hauptquellen von Input für die Lernenden; allerdings kann die Interaktionsanalyse selbst nicht herausstellen, welche beobachteten Kategorien wirklich erwerbsrelevant sind (vgl. Allwright 1984a: 205; Ellis 1986:142ff.). Eine dritte Möglichkeit, Fremdsprachenunterricht zu konzeptualisieren, führen Ehlich und Rehbein (Ehlich/Rehbein 1976,1977,1986) vor, allerdings bezogen auf die Schule im allgemeinen. Deren Aufgabe, «akzelerierten Wissenserwerb» zu organisieren, unterstellt die Aktanten Lehrer und Lernende - einer Serie von Zwängen und Ansprüchen. Unterricht ist interpretierbar als Resultat der Anstrengung von Aktanten, die ihnen gestellte Aufgabe zu erfüllen und die dabei auftretenden Probleme und Widersprüche zu lösen. Die unterrichtliche Arbeit geschieht an Mustern (des Problemlösens, des Sprachhandelns, der Situationsinterpretation), die ausserschulische Vorbilder haben, aber durch ihre schulische Thematisierung transformiert und dabei verändert werden. Die institutionelle Situation wirkt hier als Matrix, welche diese Veränderungen steuert. Die Aktanten entwickeln ein spezielles, situationsbezogenes Wissen, das es ihnen erlaubt, miteinander und mit den solcherart zurechtgemachten Unterrichtsthemen als Lernstoff umzugehen. Diese Art der Erfassung von Unterricht beansprucht, die Handlungen und Handlungspräferenzen von Aktanten in der Schule zu erklären aufgrund der speziellen Handlungszwänge und -möglichkeiten, vor die sie sich im Rahmen der Institution gestellt sehen. Die folgenden Ausführungen nehmen in unterschiedlicher Weise auf die genannten Ansätze Bezug. Die von Faktoren- und Gesprächsanalyse produzierten Resultate erweitern unser Wissen über bestimmte Aspekte des Unterrichts; sie stellen Grundlagen dar, auf welche didaktische Modelle 1
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Eine Darstellung und Kritik von verschiedenen, auf die Analyse der unterrichtlichen Interaktion angelegten Beobachtungs- und Kategoriensystemen geben etwa Lörscher 1983; Ehlich/Rehbein 1976. Stille Arbeit, Vorlesen usw. sind diskursanalytisch nicht interessant; ebenso fallen aus der Untersuchung meist die den offiziellen Unterricht begleitenden Interaktionen der Lernenden untereinander wie auch ihre privaten Aktivitäten heraus. Gruppenunterricht wird oft nicht oder nur teilweise erfasst.
1.4 Sprachlemen im Unterricht
111
und didaktische Entscheidungen sich abstützen können (vgl. Lörscher 1983: 295). Auf einige solcher Resultate wird in 1.1 eingegangen. Empirische Untersuchungen jedoch sind in deskriptiven Termini gehalten. Es ist schwierig, Stellenwert und Bedeutung ihrer Ergebnisse im Hinblick auf den Unterricht zu interpretieren und zu bewerten. Die empirischen Verfahren stellen Unterricht dar, 'wie er ist'; die in Termini des Handelns und der Interpretation von Handlungen gehaltenen didaktischen Anweisungen setzten voraus, dass Unterricht nicht einfach 'ist', sondern gemacht werden kann (und, aus der Perspektive der Teilnehmenden, gemacht werden muss)1. Hier ist das Konzept der den Unterricht steuernden Matrix hilfreich. Es erlaubt, über Unterricht und seine ihn kontrollierenden Bedingungen zu sprechen, ohne bestimmte Formen des Unterrichtens als die kanonischen zu reifizieren (womit die Möglichkeiten didaktischer Interventionen minimal wären2), ohne aber auch den Unterricht als weit offenen Raum darzustellen (womit immer die Gefahr verbunden ist, dass die institutionellen Zwänge verdrängt werden)3. Hinweise auf einige solche jeden Fremdsprachenunterricht prägende Bedingungen gibt 1.2. In 1.3 schliesslich wird kurz auf ein Thema eingegangen, das zwar von vielen Fremdsprachendidaktikern angesprochen wird, aber meines Wissens noch nicht ausführlich dargestellt oder empirisch untersucht worden ist: Die Rolle des Schriftlichen in seiner präkommunikativen Funktion im Unterricht. 1.1 Forschungsresultate zum Fremdsprachenunterricht Chaudron (1988) präsentiert eine ausführliche Besprechung (englischsprachiger) Untersuchungen zum Fremdsprachenunterricht. Im Zentrum steht die Frage nach dem Zusammenhang von Lehren, Unterricht sinteraktion und Lernen. Die Darstellung in diesem Abschnitt folgt weitgehend der Chaudrons. Vorauszunehmen ist, dass die Analyse von Unterrichtsgesprächen eine starke Tendenz von Lehrern (nicht allein im Fremdsprachenunterricht) herausgestellt hat, den Austausch in einem Dreischritt-Schema zu organisieren. Diese (fast stets vom Lehrer gesteuerte) Interaktion beruht auf einem Frage-Antwort- bzw. Aufforderung-Ausführung-Schema, das in der Weise überformt wird, dass Lernerreaktionen mit grosser Regelmässigkeit 1
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Bausch und Königs setzen in diesem Sinne der Sprachlehrforschung im Gegensatz zur Didaktik das Ziel, Unterricht empirisch zu untersuchen, nicht ihn zu 'konstruieren' (Bausch/Königs 1983: 311; Königs 1986a). Zur Frage von Beschreibung versus Anleitung von Unterricht vgl. auch Knapp 1986:77; Henrici 1986. Beispiele erfolgreicher Veränderungen zeigen, dass der Spielraum nicht prinzipiell minimal ist. Wohl aber mag er im allgemeinen recht beschränkt sein. Ich nehme an, dass Unterricht aus der Perspektive der Teilnehmer, vor allem der Lehrer, um so weniger veränderbar erscheint, je weniger die unterrichtlichen Handlungen durch klare didaktische Konzepte gesteuert werden, je stärker also der Einfluss von eingelebten Mustern schulischen Umgangs ist, die kaum auf ihre didaktischen Voraussetzungen bzw. Konsequenzen hin durchschaut werden. Diese Interpretation ist meine; Ehlich/Rehbein äussern sich nicht zu didaktischen Fragen.
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
explizit oder implizit evaluiert werden, worauf erst der Raum für eine Neuanwendung des Schemas freigegeben ist. Herrlitz liefert ein prachtvolles Exemplar eines solchen Dreischritts - allerdings nicht aus dem Fremdsprachenunterricht: L: Es umsegelte das Kap der Guten Hoffnung Vasco da - Heniitz? S: Gama, Herr Jensen. L: Guuut, Herrlitz.
(Herrlitz 1987: 69)1
a. Lehrersprache
Eine der meist untersuchten Unterrichtsfaktoren ist die Lehrersprache. Lehrerbeiträge nehmen im Fremdsprachenunterricht, ähnlich wie im Muttersprachenunterricht, im Durchschnitt zwei Drittel der Unterrichtszeit in Anspruch, mit nicht unbeträchtlichen Abweichungen nach oben und unten in verschiedenen Klassen. Noch klarer dominieren die Lehrer, wenn die Gesprächsbeiträge funktional aufgeschlüsselt werden. Die geläufige Unterscheidung von initiierenden, reagierenden und bewertenden/abschliessenden Zügen zeigt, dass Lehrer im Durchschnitt um die 90 Prozent der initiierenden und evaluierenden/abschliessenden Beiträge beisteuern, die Lernenden ebenso deutlich für die reagierenden Züge 'zuständig' sind. Auch hier scheinen Unterschiede grösseren Ausmasses zwischen Klassen feststellbar zu sein (vgl. Chaudron 1988: 50ff.)2. Intensiv untersucht wurden vor dem Hintergrund der Zwischensprachforschung die Modifikationen, welche Lehrer in ihren an die Lernenden gerichteten Äusserungen vornehmen. Die Resultate dieser Studien sind in gleicher Weise wie die zu Ausmass und Funktion von Lehrerbeiträgen in der Tendenz einigermassen klar; im Einzelfall können die Verhältnisse jedoch weit von den statistisch ermittelten Normal werten abweichen. Anpassungen, welche Lehrer in der Interaktion mit Fremdsprachenlernem vor allem der Anfängerstufe vornehmen, sind demnach etwa 1. Rate of speech appears to be slower. 2. Pauses, which may be evidence of speaker planning more, are possibly more frequent and longer. 3. Pronunciation tends to be exaggerated and simplified. 4. Vocabulary use is more basic. 5. Degree of subordination is lower. 6. More declaratives and statements are used than questions. 7. Teachers may self-repeat more frequently. (Chaudron 1988: 85) 1
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Vgl. Chaudron 1988: 31ff. Lörscher (1983: 89ff.) gibt eine Beschreibung dieses Strukturmusters und eine Serie daraus abgeleiteter, komplexer Formen. Streeck (1979) interpretiert es als Indiz für die Machtverhältnisse in der Klasse (das Schema kann von Lernenden nicht ausgeführt werden) und als Ausdruck inhärenter Nicht Festgelegtheit des Wahrheitsgehalts von Lerneräusserungen; dieser werde ihnen erst rückwirkend, durch die Ratifikation des Lehrers, zueikannt. Chaudron macht darauf aufmerksam, dass viele Studien aus technischen Gründen kaum vergleichbar sind und dass die generelle Tendenz zu Lehrerdominanz zwar feststellbar ist, aber das Ausmass an Varianz zwischen den Lehrern, Schultypen usw. relativ gross zu sein scheint (Chaudron 1988:54). - Hinzuzufügen ist, dass aus diesen Angaben nicht das Ausmass von Einzel- und Gruppenarbeit hervorgeht.
1.4 Sprachlemen im Unterricht
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Eine wichtige Variable der Lehrersprache, nämlich sprachbezogene Erklärungen, ist wenig untersucht worden, obwohl einzelne Studien 'Erklären' als wichtigste thematische Funktion von Lehreräusserungen bestimmt haben, zumindest in unteren Stufen des Fremdsprachenunterrichts1. Dieses Sprechen über Sprache ist, wie eine Studie von Faerch zeigt, durchaus vielfältig: Faerch [...] illustrates that teachers' 'rules of thumb' and metatalk do not necessarily involve the use of grammatical terminology; he claims that, in fact, teachers' or students' metalinguistic attention to meaning, translation equivalents, and analogies between and within languages is an integral part of most early L2 learning experiences, at least in the foreign language context. (Chaudron 1988: 86f.)
b. Lernerverhalten Es scheint zumindest plausibel anzunehmen, dass Lernerfolg im Unterricht (wie auch ausserhalb) zusammenhängt mit dem Ausmass, mit dem die Sprache gebraucht wird. Verschiedene Aspekte des Lernersprachgebrauchs sind untersucht worden. 1. Lerner äussern sich grammatisch nicht weniger korrekt in Gruppenarbeit als im Plenum dem Lehrer gegenüber; wohl aber sprechen sie mehr und und übernehmen auch initiative Züge - sie müssen ja Sprecherwechsel und Gesprächsablauf selbst bestimmen (vgl. Pica/Doughty 1985). Wie sich der nicht-zielsprachliche Input auf die Dauer auswirkt, scheint nicht untersucht worden zu sein; bisherige Erkenntnisse deuten auf keine negativen Auswirkungen hin (vgl. Chaudron 1988: 98f.). Generell äussern sich erfolgreiche Lerner mehr und korrekter als ihre Kollegen. Ob dies Konsequenz ihrer besseren Kompetenz ist oder eine Ursache dafür darstellt, ist umstritten. Es scheint gute Argumente dafür zu geben, Output als wesentliche Bedingung für Spracherwerb anzuerkennen (Swain 1985; Ellis 1986. Vgl. dazu unten). 2. Lerner variieren stark in ihrer Kapazität, im Unterrichtsgespräch Input zu generieren. Alter, Situation und kultureller Hintergrund mögen die Formen und das Ausmass von Lernerinitiierungen bestimmen, allerdings sind die Ergebnisse alles andere als klar. Dies verwundert angesichts der oben vermerkten Dominanz des Lehrers im Unterricht kaum. With such limitations, it seems inappropriate to regard initiating behaviors and the presumed input generated from them as the ultimate factors responsible for language acquisition in classrooms. (Chaudron 1988:106)
3. Interaktionen zwischen Lernern sind reich an genau jenen Formen des Initiierens und Bewertens/Abschliessens, welche in der Lernersprache im lehrergeführten Gespräch weitgehend fehlen. Solche Züge sind Anzeichen dafür, dass Bedeutung 'ausgehandelt' wird und gemeinsam eine Verständigung aufgebaut wird; sie gelten als besonders wichtig für den Spracherwerb. Schwartz (1980) z.B. untersucht die Rolle von Reparaturen in Ge1
Zahlenmässig häufiger als thematische Erklärungen scheinen solche zu sein, welche die Organisation der Klassenarbeit betreffen, also den Ablauf des Unterrichts. (Vgl. Chaudron 1988: 54, 86.)
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
sprächen zwischen Lernern und weist auf deren Rolle für die Etablierung einer Verständigungsbasis hin. Reparaturen können vorkommen, auch wo keine Fehler involviert sind, dienen aber oft der Fehlerkorrektur (etwa der Korrektur fehlangewendeter Wörter) und haben damit potentiell wichtige Lernfunktion. In dieser Beziehung stimmen fast alle Untersuchungen in ihren Schlussfolgerungen überein1. Verschiedene Aufgabentypen führen zu recht verschiedenen Ausformungen der Interaktion und zu verschiedenen Profilen des Aushandelns2. Oft wird ein hoher Anteil an Nachfragen, Klärungsversuchen usw. für erwerbsfördernd gehalten. Wie jedoch Aston (1986) anmerkt, ist ein zu hohes Mass solcher Prozeduren eher Anzeichen für Schwierigkeiten, welche die Teilnehmer beim Versuch erfahren, überhaupt im Kontakt zu bleiben, als für besonders intensive Kommunikation3. 4. Der Gebrauch von Lernerstrategien ist in verschiedenen Untersuchungen zum Thema gemacht worden, allerdings bisher ohne schlüssige Ergebnisse; die Studien sind auch hier aus technischen Gründen (unterschiedliche Definitionen usw.) kaum vergleichbar. Strategiegebrauch ist aus theoretischen Gründen ein potentiell lernrelevanter Faktor; weitere Untersuchungen in diesem Gebiet werden nicht ausbleiben. c. Interaktion von Lehrer und Lernenden Chaudron referiert zu diesem Thema hauptsächlich Untersuchungen zu Lehrerfragen und dem Rückmeldeverhalten von Lehrern, also den initiierenden und abschliessenden Zügen des instruktioneilen Tripels4. 1
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Vgl. Chaudron 1988: 107ff.; Ellis 1986; Speidel 1987; die Beiträge in Sixt (Hg.) 1985. Chaudron merkt allerdings an, dass dieser Zusammenhang nicht wirklich belegt ist (1988:109). Vgl. dazu Chaudrons Bemerkung: «The indications from this research arc that communicative games and information gap tasks in which each interactant has information necessary for completion (two-way-tasks) can substantially promote the number of turns taken by each, as well as the number of interactive behaviors, such as confirmation checks and referential questions» (Chaudron 1988: 188). Gegenüber Spielen und diesen Zwei-Weg-Formen von Übungen führen Debatten zu umfangreicheren und komplexeren Beiträgen, ebenso «higher cognitive questions». Allerdings ist in solchen Fällen die gleichmässige Partizipation von Lernenden weniger kontrollierbar. Auch scheint die Intensität des Aushandelns (gemessen an der Zahl Verständnis sichernder Modifikationen) dabei zurückzugehen (vgl. Pica/Doughty 1985, 1988; Pica et al. 1989). Siehe auch die Beiträge in Sixt (Hg.) 1985. Dem wäre aber die Erfahrung vieler Lehrer gegenüberzustellen, dass Lernende eher zu rasch Verständnis signalisieren (womit der Austausch oft eher fade wird), als dass sie durch übertriebene Klarheitsansprüche die Kommunikation gefährden. Eine andersgeartete Frage in diesem Zusammenhang betrifft die Wahl der Sprache im Unterricht. Chaudron gibt einen Überblick über Studien vor allem zu Immersionsklassen. Die jeweilige Erstsprache scheint auch dann, wenn der Fokus auf der Zweitsprache liegt, vielfältige Funktionen zu erfüllen: Sie unterstützt die Lehranstrengungen, dient der Organisation von Klassenarbeit und hat vor allem auch soziale, gmppenbezogene Funktionen. Die funktionale Differenzierung zwischen Erst- und Zweitsprache würde demnach in vielem der entsprechen, welche Sieber/Sitta (1986) für den
1.4 Sprachlemen im Unterricht
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Lehrer vor allem im Fremdsprachenunterricht tendieren dazu, geschlossene Fragen zu stellen, dazu sind die meisten vom Format der Prüfungsfragen, das heisst die richtige Antwort ist dem Fragenden bereits bekannt. Interessant wären Untersuchungen zur Motivation von vielen Lehrern, das Schema so extensiv und in so restriktiver Art zu benützen, wie sie es tun. Königs (1983: 184) vermutet sprachliche Unsicherheit vieler Lehrer als Ursache. Ebenso wahrscheinlich ist der Einfluss von (interaktionellem) Sicherheitsdenken. Das Dreischrittschema erlaubt problemlose Kontrolle des Unterrichtsablaufs. Insgesamt entwickelt sich daraus leicht eine spezifische Abart der sokratischen Methode, welche den Lernenden die Aufgabe zuweist, Lücken im lehrerproduzierten Text zu schliessen (vgl. Chaudron 1988: 129f.)1. Dieser Tendenz entsprechend dominieren unter den verständnissichernden Fragen, soweit sie vorkommen, Bestätigungsfragen, während komplexere, inhaltsbezogene Fragen weitgehend fehlen2. Zusammenfassend stellt Chaudron fest, that the questions [sc.: gemeint sind Lehrerfragen] alone may not promote a great amount of learner TL [sc.: target language] production or other interaction, unless the teacher is aware of the pitfalls of too closed, too fast, or too vague questions, or worse, too many repetitions of the same nonunderstood question. (Chaudron 1988: 131)
Evaluierende Züge, die Rückmeldungen des Lehrers, konstituieren einen der unterscheidenden Züge der Unterrichtskommunikation. Dieses Feedback ist - lerntheoretisch gesehen - von einigem Gewicht, weil es Informationen über den sachlichen wie den sprachlichen Gehalt von Lerneräusserungen vermittelt. Der Zusammenhang dieser Evaluation mit dem Konzept des «hypothesis testing» als wichtigem Instrument des Sprachlernens braucht wohl nicht betont zu werden (dazu äussern sich auch Knapp-Potthoff/Knapp 1982:196ff.). Die Praxis der Evaluation ist allerdings, vor allem im Unterricht, von manchen Schwierigkeiten geprägt. Einmal ist negative Evaluation, also Fehlerkorrektur, oft nur zum Preis der Aussetzung oder des Zusammenbruchs thematischer Kommunikation zu haben. Entsprechend steht Fehlerkorrektur in kommunikativen Aktivitäten eher am Rande.
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Gebrauch von Dialekt und Hochsprache in Deutschschweizer Schulen festgestellt haben; sie dürfte in weitem Masse auch im Fremdsprachenunterricht gelten. Vgl. dazu auch die generelle Charakterisierung des Drei-Schritt-Schemas in Herriitz (1987: 69): «Der Zusammenhang zwischen den einzelnen Handlungsschritten ist nicht nur über die wechselseitige Unterstellung von Mustern organisiert, darüber hinaus unterliegt die fachinhaltliche und selbst die sprachliche Ausstattung akzeptabler Schülerhandlungen weitgehend Restriktionen, so dass lediglich wenige Antworten die in Handlungszügen der Lehrkraft aufgebauten Verpflichtungen einlösen können (oft ist nur eine einzige Antwort akzeptabel).» Solche Fragen, oft als lernrelevant betrachtet, scheinen im übrigen in vielen Gruppenaktivitäten ebenso oder noch mehr zu fehlen als im lehrerorganisierten Gespräch (Pica/Doughty 1985, 1988). Auch hier wären Untersuchungen über Motivationen und Gründe höchst willkommen. Von Lehrern fordert Chaudron in diesem Zusammenhang, sie sollten vermehrt Aufgaben statt Fragen stellen (1988: 127f.).
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
Moreover, a number of L2researchershave pointed out that many teacher's attempts to correct learners' errors are in fact ambiguous, misleading and potentially inconsistent. (Chaudron 1988:135)
Wenn nicht alle Fehler korrigiert werden (können), stellt sich die Frage, welche und wie sie korrigiert werden. Empirische Studien zeigen, dass Lehrer vor allem dann korrigieren, wenn Fehler die Kommunikation erschweren oder wenn sie in einen im Unterricht thematischen Bereich fallen. Obwohl die Korrekturarten stark divergieren, scheinen thematische Fehler am meisten korrigiert zu werden, gefolgt von den lexikalischen und grammatischen (vgl. Chaudron 1988: 137ff.). Häufig vorkommende Fehler werden offenbar am wenigsten korrigiert. (Diese Angaben sind allgemeiner Art, zeigen also nicht an, wie intensiv im Einzelfall die Korrektur betrieben wird.) Eine empirisch zwar ungeprüfte, aber plausible Leitlinie für Fehlerkorrekturen wäre, solche Fehler zu korrigieren, welche die Kommunikation am meisten behindern, solche, welche die Lernenden am ehesten stigmatisieren, und solche, die am häufigsten vorkommen. In bezug auf den letzten Gesichtspunkt scheinen Lehrer andere Wege zu gehen; die beiden ersten sind in der Korrekturpraxis im allgemeinen wohl einigermassen wirksam. Für die Korrektur von Fehlern stehen dem Lehrer eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Verfügung1. Die meisten davon sind funktional mehrdeutig; es ist den Lernenden häufig nicht klar, welche der möglichen Funktionen die Lehreräusserung erfüllt (also: ob sie einen Hinweis auf einen inhaltlichen oder sprachlichen Fehler darstellt, eine Aufforderung zur Repetition ist, eine positive Akzeptierung und Wiederholung des Inhaltes anzeigt usw.). Selbst wo die Lehrerantwort den Fehler bereinigt und eine korrekte Alternative modelliert, mag die Differenz für den Lerner nicht wahrnehmbar sein. Oft werden Fehler eines Typs auch nicht konsistent korrigiert; allerdings fehlt auch hier die Bestätigung dafür, dass dies tatsächlich von Belang ist. Chaudron bemerkt zu diesen Schwierigkeiten, dass Lehrer keine Wirkung ihrer Korrekturen erwarten sollten, wenn sie das Verständnis der Lerner für die Korrektur nicht nachgeprüft haben (Chaudron 1988: 149). In der Konsequenz müsste dies auf eine relativ intensive Behandlung einer kleinen Zahl von Fehlern hinauslaufen. Chaudron macht abschliessend darauf aufmerksam, dass Lerner durchaus gute Korrektoren ihrer eigenen Fehler und der ihrer Kollegen sind. d. Lernerfolg
Bezüglich all der Faktoren, die hier genannt wurden, lässt sich die Frage stellen, ob und wie sie den Spracherwerb fördern. Was den Input betrifft, so lässt sich mit gewisser Sicherheit nur feststellen, dass verlangsamte Artikulation und sprachliche Vereinfachung die Verständlichkeit fördern; was dies für den Spracherwerb ausmacht, ist noch unklar. Unterrichtlich 1
Etwa: Repetition, Modellvorgabe, Erklärung, explizite Fehlerangabe, Frage, Repetition der Lemeräusserung bis zu dem Punkt, wo der Fehler lokalisiert wird, usw.
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gesteuerte Häufigkeit von morphologischen Kennzeichnungen oder grammatischen Strukturen scheint eine gewisse Wirkung auf die Häufigkeit des Auftretens dieser sprachlichen Mittel in der Produktion der Lernenden zu haben; wie weit diese geht und was sie bedeutet, bleibt umstritten. Während zum Lernverhalten kaum schlüssige Resultate vorliegen, zeigen die Studien zu Frage- und Feedbackverhalten von Lehrern einige Anhaltspunkte. So produzieren offene Fragen längere und komplexere Lernerantworten; dies mag durchaus lernrelevant sein, scheinen doch im allgemeinen zum Denken anregende Fragen die angestrebten Lernprozesse zu fördern, und offene Fragen fallen zumindest potentiell in diese Kategorie (Chaudron 1988: 173f.). In bezug auf die Wirksamkeit von Korrekturen und Rückmeldungen deuten Studien darauf hin, that learners will most readily incorporate corrective feedback in meaningful collaborative tasks, where appropriate use of the target language will mean success rather than failure to meet the goals of the activity. This is of course a major foundation stone of communicative language teaching, which deserves more extensive study. (Chaudron 1988:177)
Schliesslich weisen verschiedene Studien darauf hin, dass Unterricht und Fokus auf sprachliche Form einen positiven Effekt auf den Lernerfolg hat. Allerdings sind auch diese Ergebnisse, wie fast alle anderen tentativer Art, da die untersuchten Situationen wie auch die Untersuchungsmethoden klargeschnittene Vergleiche der Resultate erschweren. Insgesamt jedoch scheint es, wie aus Longs Übersicht über einschlägige Studien hervorgeht (Long 1983a, 1987; vgl. Ellis 1986, Kap. 9), dass Sprachlernen im Unterricht insgesamt erfolgreicher verläuft, das heisst schnellere Aneignung ermöglicht und letztlich zu einem höheren Niveau führt als ungelenkter Erwerb. Dies scheint nicht nur für Adoleszente und Erwachsene, sondern auch für Kinder zu gelten (Long 1983a, Ellis 1986: 233) sowie für Anfanger und Fortgeschrittene (Long 1983a, 1987). Allerdings sind die Mechanismen, die dies bewirken, noch bei weitem nicht geklärt (vgl. weiteres dazu unten, 2.1). In all diesen Untersuchungen werden Aspekte von Unterricht im Hinblick auf ihren Stellenwert für dessen generelles Ziel, das Sprachenlernen, untersucht. Der Unterricht selbst, seine ihn prägenden Eigenschaften und Bedingungen, kommen darin nur am Rande zur Geltung. Es ist die Aufgabe des nächsten Abschnitts, auf einige der konstitutiven Aspekte von Unterricht aufmerksam zu machen. 1.2
Aspekte der Unterrichtskonstitution
1.2.1 Unterricht als professionelle Situation Unterricht ist eine zielbezogen konstituierte Situation. Er geht, vereinfacht gesagt, von den präsumptiven Bedürfnissen des Lerners und/oder den Anforderungen aus, die an ihn später gestellt werden und verwandelt das entsprechende Leistungsprofil in eine Struktur von Zielen und Feinzielen, die
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aufgrund von mehr oder weniger raffinierten Verfahren der Planung, des Lehrens und Lernens erreicht werden sollen. Lernziele und Vorgehensplanung mögen auch im ungelenkten Erwerb eine gewisse, schwer zu erfassende Rolle spielen; sie sind aber unabdingbar für die Auseinandersetzung mit der Sprache im Unterricht. Auf ihrer Grundlage entstehen für und im Unterricht Situationen, welche die Situationen des Alltags ersetzen oder imitieren und überformen, jedenfalls aber Handlungsräume, Strukturen der Auseinandersetzung, Formen der Routine und der Wiederholung schaffen. Das heisst, sie gestalten den Unterricht als Ort koordinierter Arbeit und unterwerfen die Verausgabung von Unterrichtszeit einer Ökonomie1. Wenn hier von Planung die Rede ist, so ist damit nicht gemeint, dass im Unterricht alles von vornherein planbar wäre. Kein Unterricht, am allerwenigesten einer, der sich auf kommunikative Basis stellt, kann sich der Unvorhersehbarkeit von Interaktions- und Lernprozessen entziehen; er ist kein «eindimensionaler lehrerseitiger Planungs- und Durchführungsakt» (Königs 1983: 17). Die Vision eines Unterrichts, der alles im Griff hat, wirkt eher zwiespältig, wahrscheinlich deshalb, weil der Aspekt der Vorplanung als übermächtig erscheint gegenüber dem der Durchführung von Unterricht2. Diese darf nicht verstanden werden als ein Ausführen vorgegebener Schritte, sondern ist erfassbar nur unter dem Gesichtspunkt der flexiblen Anpassung: Durchführung von Unterricht ist auf die jeweiligen Umstände reagierendes Abarbeiten von vorgesehenen Schritten, wobei die Entwicklung der Unterrichtsaktivitäten und ihre Resultate Teilpläne und Teilziele auf verschiedenen Ebenen obsolet machen können: Sie können sich als unerreichbar, revisionsbedürftig, unnötig usw. herausstellen. Die Durchführung von Unterricht ist demnach ebenso planvolles, auf die Vorgaben der Lernsituation bezogenes Handeln wie das Vorbereiten von Unterricht und dessen notwendiges Gegenstück3. 1 2
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Vgl. auch Knapp-Potthoff/Knapp 1982, Kap. 5; Allwright 1984b: 163f. Eine solche Vision kommt in Aussagen wie der folgenden deutlich zum Ausdruck: «Wenn die Hypothese stimmt, dass die personellen Variablen komplexer sind als die materiellen, gleichzeitig aber der Einfluss der interpersonellen Beziehungen auf den Lernprozess grösser ist als der der materiellen Faktoren, dann wird noch umfangreichere Grundlagenarbeit zu den personellen Variablen nötig sein, bis wir schliesslich sagen können, dass ein bestimmter Lernender mit bestimmten Voraussetzungen bei einem bestimmten Lehrer mit bestimmten Voraussetzungen in einer bestimmten Lemsituation ein bestimmtes Lernziel mit bestimmtem Lernstoff bei einer bestimmten Lemmethode am besten erreicht. Der nächste Schritt wäre dann, daraus für die Lehrerausbildung Konsequenzen zu ziehen, um den Lehrer mit den bestimmten Voraussetzungen auswählen zu können.» (Funke 1984: 54) Vgl. Allwright (1984b: 164f.). Es wäre naiv, anzunehmen, Unterrichtsabläufe würden bloss lemzielbezogen geplant und durchgefühlt. Wesentliche Anteile des Lehrer- und Lernerverhaltens haben ihre Quelle im (unausweichlichen) Erfordernis, gegenseitig Selbstbilder, Rollenansprüche usw. auszuhandeln, durchzusetzen oder zu retten (vgl. Ehlich/Rehbein 1977). Lörscher (1983: 53) verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass der Lehrer seiner Rolle gemäss die vorgegebenen Ziele des Unterrichts meist akzeptiert, dass er seine persönlichen Intentionen «lediglich im Bereich untergeordneter, abgeleiteter Teillemziele [...] verfolgen kann», während die Lernenden Absichten
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In diesen Beziehungen unterscheidet sich der Unterricht entschieden vom ungelenkten Fremdspracherwerb. Dieser geschieht in Kommunikationssituationen, welche von den Beteiligten im Hinblick auf die Lernenden moderiert und damit verändert werden, sich aber weitgehend aus dem Zusammenleben ergeben. Das Ziel der Aneignung - wenn hier überhaupt von Zielen gesprochen werden kann - besteht in besserer Kommunikations fähigkeit. In diesen Situationen können äussere Bedingungen (etwa Diskriminierung von Einwanderern durch die zielsprachliche Gesellschaft) oder innere Bedingungen (Motivation, kulturelle Distanz, Interesse) ungefiltert wirksam werden, welche ganz offensichtlich die Geschwindigkeit wie auch den schliesslichen Erfolg des Lernens mitbestimmen1. Im Gegensatz dazu operiert der Fremdsprachenunterricht ausserhalb oder neben der zielsprachlichen Gesellschaft. Er gewinnt seine Dynamik aus seinen sprachbezogenen Intentionen. Die Vermittlung wird zwar die (präsumptiven oder im zielsprachlichen Umgang bereits erfahrenen) Gebrauchsbedürfnisse und -Situationen der Lernenden aufnehmen. Indem diese zu Themen des Unterrichts transformiert werden, werden sie aber zu Gegenständen, an denen und über die gearbeitet werden kann, die analysiert, verglichen, eingeübt werden können usw., kurz: anhand derer und über die gelehrt und gelernt wird. Unterricht kann und muss hier an teilweise andere Motivationen und Interessen appellieren, als sie die ausserunterrichüichen Situationen selbst erfordern. Er kann, trotz der Umformung, denen er diese Situationen unterwirft, die sozialpsychologische Dynamik von Diskriminierung, kultureller Distanz usw. nicht aufheben, ihnen jedoch, soweit dies durch Aufklärung und Beispiel möglich ist, entgegenzuwirken versuchen. Jedenfalls aber ist es ein projektiertes Ziel, so unerreichbar sich dieses in Einzelfällen erweisen mag, welches ihn, im Gegensatz zu ungelenkten Erwerbssituationen, antreibt2. Man kann vielleicht sagen, dass Unterricht durch dieses Manöver von der unmittelbaren Notwendigkeit handlungsrelevanter zielsprachlicher Kommunikation befreit ist. Dies ist jedoch eine zweideutige Aussage. Auch im Unterricht wird handlungsrelevant zielsprachlich gehandelt, denn der Unterricht baut - auf der Grundlage des "Wir wollen/müssen Deutsch lernen" - seine ihm eigenen Handlungskontexte und -zwänge auf, die im
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manifestieren könnten, welche mit den offiziellen Lehr- und Lemzielen weniger oder gar nicht vereinbar seien. Man kann viele Ausformungen dieser Gegenwehr verstehen als Reaktionen auf die oft durchgehende Entmündigung der Lernenden in bezug auf die ihnen aufeilegte Lernaufgabe. Die optimistische Einschätzung der Chancen natürlichen Erwerbs durch viele Zwischensprachforscher beruht immer auf der Voraussetzung, dass schwergewichtige äussere oder innere Hemmfaktoren nicht mitspielen. So wird im Unterricht systematisch die Arbeitsbasis expandiert: Wortschatz, Strukturkenntnis, Komplexität von Situationen werden planmässig ausgeweitet; auf dieser Grundlage passiert das Neue im Unterricht. Stichworte zum Unterschied von ungelenktem und gelenktem Erwerb gibt auch Digeser 1982: 400ff., 1988. Königs und Hopkins (Königs/Hopkins 1986:114f.) dagegen sehen vorab in der Kontrolle, die der Lehrer ausübt, das zentrale unterscheidende Moment des Unterrichts.
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Normalfall in der Fremdsprache bewältigt werden sollen. In gewissem Sinne sind diese jedoch komplexer strukturiert als viele ausserunterrichtliche Handlungen. Unterrichtliche Handlungen sind - stille Einzelarbeit sei hier ausgenommen - Kommunikationshandlungen der verschiedensten Art. Die üblichen Regeln des Sprechhandelns, wie sie etwa die Sprechakttheorie oder die Griceschen Konversationsmaximen beschreiben, bleiben, wenn auch mit Modifikationen, in Kraft: Die Logik und die zeitliche Struktur von Unterrichtshandlungen gehorcht den Prinzipien des Austausches, der Kommunikation wie andere Formen von Kommunikation, aber immer unter dem Gesichtspunkt, dass sie gleichzeitig organisierte Lehr- und Lernhandlungen sind. Dem Unterricht inhärent ist eine Doppelperspektive1. Der Austausch wird von den Beteiligten demgemäss in einem zweifachen Koordinatensystem beurteilt. Was einen Beitrag relevant und 'richtig' macht, bemisst sich nicht allein am Thema und an wechselnden, kontextuell gebundenen Interaktionsinteressen und -notwendig keiten, sondern immer auch am mitbestimmenden Ziel des Sprachlernens2. Entsprechend erweisen sich viele interaktive Züge im Unterricht als defizient, misst man sie allein an ihrem Verhältnis zu ausserunterrichtlichen Kommunikation, vor allem zu solcher in privaten Situationen: the actual language performance in classrooms takes on quite unnatural features. Communicative rules, as defined by speech act theory, lose their validity. The same happens to conversational postulates, so that almost everything can be said as long as it is formally correct. There is no natural tum-taking system and no sequence of moves in discourse. (Hüllen 1983a: 147)3
Eine solche Analyse ist jedoch nicht befriedigend. Es ist zunächst nicht klar, ob die hier gemachten Aussagen haltbar sind. Es wäre z.B. genau zu fragen und zu belegen, unter welchen Umständen es im Unterricht tatsächlich möglich ist, Beliebiges zu sagen, wenn es nur korrekt ist. Es ist anzunehmen, dass eine genaue Analyse zeigen würde, wie stark normalerweise 1
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Vgl. Hüllen/Lörscher 1979,1989; Lörscher 1983; Knapp-Potthoff/Knapp 1982: 190ff. Natürlich kommt diese Doppelperspektive zustande, bzw. wird ermöglicht, aufgrund der Eingriffe und Substitutionen, die in der Basis der Situation 'Unterricht' - gemessen an alltäglichen Formen des Austausches - stattfinden. Durch diese wird Unterricht als Unterricht konstituiert, unabhängig von persönlichen Intentionen. Am deutlichsten sichtbar wird dies an der Zielgerichtetheit von Unterricht, den Rollenzuschreibungen sowie dem besonderen Stellenwert der (Unterrichts-)Zeit, deren vorgegebener Takt zum Teil die Sequenzierung, vor allem aber Beginn und Abbruch der unterrichtlichen Arbeit regelt Und natürlich, ein wichtiges Merkmal von Unterricht, am Bestreben vieler Lernender, Leistungszwänge und Arbeitsdruck zu reduzieren. Diese sachfremde, trotzdem oft starke Motivation verändert aber nicht eigentlich die strukturellen Bedingungen, unter denen gelehrt und gelernt wird. Sie kann zu einer Veiiangsamung der Arbeit fuhren, sie kann auch die ohnehin vorhandene Arbeitsteilung zwischen Lehrer und Lernenden einerseits, 'guten' und 'schlechten' Lernenden anderseits akzentuieren. Für verwandte Analysen siehe Streeck 1979, Kasper 1989. Königs (1986a: 102f.) und Königs/Hopkins (1986:106ff.) verknüpfen mit diesem Befund die weitergehende Annahme, im Unterricht sei auch mit spezifischen, andersgearteten Lernprozessen zu rechnen als im ungelenkten Erwerb.
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Situationen, in denen 'Beliebiges' gesagt werden kann, als spezielle, etwa als Übungssituationen, eingebettet und definiert werden, so dass das korrekte Sagen im jeweiligen Moment anstelle inhaltlicher Mitteilung zum interaktioneilen Ziel werden kann. Solche Deskriptionen fallen kurzschlüssig aus darum, weil in ihnen die Konsequenzen zweier verschiedener Bedingungen unbeachtet bleiben die Folgen nämlich der Tatsache, dass Unterricht eine Situation im Rahmen einer Institution ist (mit den entsprechenden institutionsspezifischen Rollenverteilungen, Turn-taking-Regeln1 usw.), und die Folge der Tatsache, dass er eine Sprachlernsituation ist. Die direkte Kontrastierung mit (nicht-institutionellen) Situationen des Alltags macht zwar die in vielem prekäre und 'abweichende' Konstruktion des Unterrichts klar. Solange diese aber bloss als Defizit beschrieben wird, lassen sich weder die unterrichtlichen Zwänge verstehen noch die dadurch gewonnenen Möglichkeiten unterrichtlichen Handelns beschreiben noch ist einsichtig zu machen, warum (wenn denn wirklich die Regeln des kommunikativen Handelns kontinuierlich verletzt werden) Unterricht für die Lernenden nicht einfach unverständlich ist2. Während seine Doppelbödigkeit und sein institutioneller Charakter tatsächlich Probleme schaffen können, die nicht unterschätzt werden dürfen, müsste ihr Beitrag auch wahrgenommen werden in bezug darauf, wie sie den Unterricht als Raum prägen, der Lernhandlungen einer speziellen Art möglich macht. Die doppelte Ausrichtung auf ein jeweiliges Thema und die verwendete Sprache etwa bilden die Grundlage jenes Mechanismus, der den Umschlag vom jeweiligen verhandelten Gegenstand zum Sprechen über die bei dieser Verhandlung verwendete oder zu verwendende Sprache im Fremdsprachenunterricht so leicht macht oder sogar nahelegt. Diese Ausrichtung erklärt und macht für die Beteiligten verständlich (aber legitimiert nicht von vornherein) die vielfältigen 'abweichenden', in privater Kommunikation so kaum statthabenden Interventionen meist des Lehrers, teils auch der Lernenden, die sich unter Unterrichtsperspektive eben nicht zweifelsfrei als sachfremd, sondern potentiell als zur Sache gehörig darstellen3. 1
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Diese gelten z.B. nicht in Gmppenarbeit, die in dieser Beziehung, obwohl sie unzweideutig zum Unterricht gehört, viel näher an ausserunterrichtliche, private Kommunikationssituationen angenäherte Weisen des Sprechens erlaubt. Unverständlich ist Unterricht wahrscheinlich häufig, gewiss jedoch nicht prinzipiell. Wenn er unverständlich ist, dann liegt der Grund dafür zunächst wohl nicht so sehr in seiner nicht-privaten Struktur, sondern in einem schlechten Management (durch den Lehrer, zum Teil auch durch die Lernenden) seiner Möglichkeitea Dazu gehören die oben angesprochenen evaluativen Gesprächsschritte, Exkurse zu Wortbedeutungen, Repetitionen, Korrekturen, sprachbezogene Rückfragen, Verständnisfragen, welche ausserhalb des Unterrichts oft als seltsam aufgefasst würden, Nachfragen beim Sitznachbarn usw. Dass sich diese sprachgerichtete Ebene nicht immer problemlos mit der thematischen Auseinandersetzung verbindet, zeigen die didaktischen Auseinandersetzungen um Sinn und Mass solcher Interventionen; es zeigt sich auch daran, dass sie als ebenso störend wie fördernd empfunden werden können. Hüllen/Lörscher 1989 stellen fest, dass Unterrichtsteilnehmer eine erstaunliche Fähig-
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Am wenigsten auffällig ist dieser Mechanismus im Bereich des Grammatik- und Wortschatzunterrichts und des Übens. Hier ist das Thema ohnehin das Lernen der Sprache, der Austausch ganz auf dieses Ziel hin organisiert. Aber auch hier ist er gängig und liefert manchmal besonders auffällige Beispiele, wenn etwa in der Behandlung der Adjektivendungen einige Lernende Mühe mit der Unterscheidung von Präpositionen bekunden, welche den Dativ bzw. den Akkusativ regieren, und der Lehrer, durch diese Fehler angespornt, die Aufmerksamkeit kurz- oder längerfristig auf diesen anderen Bereich verlagert. In den untenichtlichen Formen des Gesprächs (etwa der Verarbeitung eines gelesenen Texts oder einer Diskussion) wird der angesprochene Mechanismus mühelos sichtbar. Die Aufmerksamkeit darauf, wie Sprache gebraucht wird und zu gebrauchen ist, lässt hier den Übergang zu einer reflektiven Betrachtung von Äusserungen als normal, in bestimmten Fällen sogar als notwendig, öfter auch als störend erscheinen. Wo ausserunterrichtliche Situationen nachgespielt werden - beispielsweise ein Gespräch im Brotladen - treten die (fiktiv gewordenen) Notwendigkeiten der Kommunikationssituation und die Zwänge des Unterrichts als Lernsituation am deutlichsten auseinander. Hier wird die Doppelperspektive leicht als Nebeneinander unverträglicher Einstellungen empfunden. Der Eindruck, Fremdsprachenunterricht sei eine 'künstliche Situation', lässt sich wohl am einfachsten im Hinblick auf solche Unterrichtssequenzen formulieren, in denen eine Situation, die aus ihrer empraktischen Verankerung herausgelöst ist und als Lernobjekt in den Unterricht transferiert wird, mit der unterrichtlichen Lernsituation kontrastiert. 'Künstlich' daran ist, dass das Erfolgskriterium nicht ist, ob man Brot bekommt (das wäre real - meist auch ohne fremdsprachliche Kenntnisse zu kriegen), sondern ob es gelingt, die dafür notwendigen sprachlichen Mittel richtig einzusetzen1. Gerade im Hinblick auf solche Situationen wird oft gesagt, dass dem Fremdsprachenunterricht die Ernsthaftigkeit des ausserunterrichtlichen Handelns abgehe, was sich daran zeige, dass seine Beiträge eben nicht handlungsrelevant seien. Dies stimmt insofern, als im Unterricht (fast) immer ein Auffangnetz vorhanden ist, dass seine doppelbödige Struktur
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keit haben, Signale zu geben und zu verstehen, welche den gemeinten Fokus einer Intervention bestimmen. Vor allem im Anfängerunterricht lassen sich diese zwei Ebenen oft daran erkennen, dass die Spielsituation in der Fremdsprache, die darauf bezogenen weiteren unterrichtlichen Aktivitäten in der Muttersprache stattfinden. Auch diese werden aber meist so rasch wie möglich fremdsprachlich durchgeführt - mit guten Recht, denn auf dieser Ebene spielen die untenichtsrelevanten Handlungszwänge am direktesten, hier wird Sprache zuerst und am eindringlichsten als tinmittelbar folgenreiches Mittel der Kommunikation verwendet, wie wiedelholt betont worden ist (etwa von Ellis 1984b: 102ff.; vgl. Lado 1967). Wong-Fillmore (1985) weist daraufhin, wie klar strukturierte Unterrichtsabläufe, die Routinen und ein gewisses Sicherheitsgefühl schaffen, auch die thematisch ausgerichteten Sequenzen leichter verstehbar machen können, weil so Ziel und Stellenwert der Arbeit signalisiert und in durchschaubare Zusammenhänge eingebettet werden können. Vgl. dazu auch Ehlich/Rehbein 1985.
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kommunikatives Probehandeln ermöglicht, das nicht erfolgreich zu sein braucht, weil es jederzeit korrigierbar ist usw. Dies ist richtig, aber nur hinsichtlich der jeweiligen thematischen Ebene. Unterricht ist als Lernsituation eine ernsthafte Sache, denn Lernende können scheitern - mit nicht weniger wichtigen Konsequenzen, als sie ein kommunikatives Scheitern ausserhalb des Unterrichts nach sich ziehen kann. In dieser Beziehung steht Unterricht mit ausserunterrichtlichen Situationen auf gleichem Fuss 1 . Unterricht macht, dank seiner konstitutiven Ausrichtung an Lernzielen, zwangsläufig die fremde Sprache immer mit zu seinem manchmal offen deklarierten, manchmal untergründigen Thema. Fremdsprachenunterricht ist der Versuch, Sprache lehr- und lernbar zu machen, er ist Fachunterricht. Lörscher spricht in bezug darauf von der Ur-Illokution des Unterrichts (Lörscher 1983: 38ff., 121ff.) 2 . Als eine institutionalisierte Situation, die unter der Forderung nach einer gewissen Effizienz und Vorweisbarkeit von Resultaten steht und die von den Beteiligten Anstrengungen erfordert, ist Fremdsprachenunterricht auch eine Arbeitssituation. Sie erfordert nicht nur vom Lehrer, sondern auch von den Lernenden eine gewisse Professionalität - Lernen im Unterricht erfordert eine anders geartete soziale und kognitive Kompetenz als Sprachaneignung ausserhalb3. 1
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In vielem trifft sich die hier gegebene Darstellung mit der von Nissen (1982). Allerdings unterscheidet Nissen die beiden Ebenen von Schulsituation und 'veranstalteter' Kommunikation nur implizit. Nicht folgen kann ich ihm, wenn er von der «Fiktionalität der Gesamtsituation» des Unterrichts spricht oder davon, dass der Fremdsprachenunterricht «als Kommunikationssituation fiktiv, simulativ und künstlich» sei (1982: 189, vgl. etwa Littlewood 1972). Solche Kennzeichnungen drängen sich bei der Beobachtung von Unterricht vielfach auf; sie werden denn auch öfter zu seiner Charakterisierung benützt. Ich fürchte allerdings, dass das Spezifische an Unterricht damit nicht besser begreifbar zu machen ist. Simulativ und fiktiv mögen einzelne - vielleicht sogar viele - unterrichtliche Situationen sein, nicht aber der Unterricht insgesamt - Kimstiich mag man den Unterricht als ganzen nennen in dem Sinne, als er als diese spezielle und eikennbare Situation mit Vorsatz konstituiert und konstruiert wird. Insofern aber Gleiches von fast allen Situationen im Rahmen von Institutionen zu sagen ist (man denke an Arbeitssitzungen, Anstellungsgespräche, Wochenrapporte, Beichten,...), ist 'Künstüchkeit' wohl kaum ein geeigneter Begriff, das spezifisch Unterrichtliche zu bezeichnen. Wahrscheinlich liegt die Achillesferse des Unterrichts weniger in seiner Künstlichkeit und Komplexität als in einer - damit kaum notwendig und sicher nicht direkt verbundenen - Langeweile, die ihn oft heimsucht (Weinrich 1979). Knapp-Potthoff/Knapp (1982) geben als Ziel des Unterrichts an, «den Input zu optimieren», das heisst Lernen zu befördern. «Learning is the main psychological and social function of a classroom» (Breen 1985: 67). Chaudron listet verschiedene Aufgaben auf, die die Lernenden in dieser Situation zu erfüllen haben: «The learner's task is therefore threefold: first, making sense of instructional tasks posed in the L2, then attaining a sociolinguistic competence to allow greater participation, and finally learning the content itself» (Chaudron 1988: S). Das Verständnis der Lemaufgaben hängt jedoch nicht allein von einer genügenden Beherrschung der Fremdsprache ab, in der die Unterrichtsanweisungen gegeben weiden. Der Unterricht als Lernsituation weist seine eigenen Strukturen auf und erfordert eine entsprechendes Verständnis der intendierten Handlungen. Vgl. Weinsteins (1984)
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1.2.2 Unterricht als Gruppensituation Unterricht ist im Normalfall Gruppenunterricht. Einem Lehrer steht eine Gruppe von Lernenden gegenüber (Königs 1980). Dies hat einige Konsequenzen, welche die unterrichtliche Lernsituation prägen und einige Aspekte der geforderten 'Professionalität' zu charakterisieren erlauben: 1. Input für die Lernenden sind nicht nur das zielsprachliche Sprachangebot des Lehrers, sondern ebenso die interimssprachlichen Äusserungen der anderen Lernenden. Die sprachliche Umwelt der Lernenden ist also nicht eindeutig; das Angebot, das sie zur Verfügung haben, ist einerseits ein mehr oder weniger originales, zielsprachliches auf der einen Seite, ein lernersprachliches, das ziemlich genau ihren eigenen Produktionen entspricht, auf der anderen. Was dies bedeutet, ist allerdings nicht ganz klar. 2. In der Klasse stellt sich das Problem - wie in jedem Gespräch in grösseren Gruppen - , dass die einzelnen Mitteilungen nicht im selben Mass in ihrer Bedeutung ausgehandelt werden können wie in Kleingruppen und in dyadischer Kommunikation, auch nicht in derselben Weise direkt partnerbezogen sind wie im Dialog. Es stellt sich in grösserem Masse die Notwendigkeit, die einzelnen Beiträge mit einem allen gemeinsamen Thema zu vermitteln, das heisst relativ explizite, aus ihrer sprachlichen Struktur heraus verständliche Beiträge zu formulieren. Kommunikation im Klassenplenum ist prinzipiell multilogisch, auch wenn sehr oft die aktuelle Mittlerposition des Lehrers den Austausch als Serie von kurzen dyadischen Wechseln erscheinen lässt. Die Lehrer-Äusserungen sind nicht partnergerichtet im gleichen Sinne, wie dies Äusserungen in dyadischer Kommunikation sind. Auch wenn der Lehrer einen Lernenden fragt, von diesem eine Antwort bekommt und diese wiederum evaluiert, sind diese interaktiven Züge sind eingebettet in einen grösseren Zusammenhang. Die Frage wird gestellt im Rahmen eines Unterrichtsthemas, das dem Anspruch nach alle angeht, die Reaktion ist mit Wahrscheinlichkeit ein Versuch, eine Lerner äusserung zu bewerten nicht nur dem sich Äussernden, sondern ebenso der Gruppe der Zuhörenden gegenüber. Diese Verhältnisse ändern sich auch dann nicht, wenn im Plenum der Lehrer seine Mitüerposition abgibt und die Lernenden direkt miteinander sprechen. Die multilogische Situation und der damit gegebene Anspruch, sich allen verständlich zu äussern, verändern sich dadurch nicht grundlegend. Dies heisst aber, dass der Austausch in der Grossgruppe der Lernenden fast zwangsläufig einen formelleren Charakter annimmt als im Dialog und dass die einzelnen Äusserungen sowohl sprachlich wie inhaltlich weniger an die Diskussion der Lernschwierigkeiten und Lemchancen ungeschulter und wenig geschulter südostasiatischer Flüchtlinge in Englisch-Sprachkursen. Vorgängige Erfahrung mit Schule und vorab vorgängige Erfahrung mit Schreiben scheint hier einer der wichtigsten Faktoren zu sein. Weinstein nimmt an, dass die «essayistische» Struktur des Unterrichts aufgrund einer allein 'natürlichen', auf alltägliche Interaktion gerichteten Einstellung kaum verstehbar ist und dass erst die Schulerfahrung, noch deutlicher das Lesen- und Schreibenlemen die notwendigen Qualifikationen dafür bereitstellen.
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Verständnisschwierigkeiten und Bedürfnisse der einzelnen angepasst werden können1. 3. Die Gruppensituation lässt es als wünschenswert, bis zu einem gewissen Grade als notwendig erscheinen, dass alle Lernenden ein vergleichbares Niveau der fremdsprachlichen Kenntnisse aufweisen. Die eben festgestellte Unsicherheit über die Verständlichkeit von Lehrer- oder Lernerbeiträgen, über die Adäquatheit von Erklärungen usw. steigt dramatisch, wenn die Lernenden über einen zu unterschiedlichen Sprachstand verfügen. Unterricht sieht sich vor die Notwendigkeit gestellt, die Lernfortschritte der Gruppe zu koordinieren, um die möglichst allgemeine Verständlichkeit und Wirksamkeit der Unterrichtsinteraktion nicht zu gefährden (vgl. Königs 1980: 40). Es ist dies ein institutionelles Moment, das im ungelenkten Spracherwerb weitgehend fehlt, dem Unterricht aber seinen 'voluntaristischen' Charakter verleiht. Unterricht setzt voraus, dass Lernen zumindest bis zu einem gewissen Grade gesteuert und organisiert unternommen werden kann2. Diese Bemerkungen bestätigen noch einmal die Differenz von natürlichem und gelenktem Spracherwerb. Die Unterrichtssituation entspricht über weite Strecken nicht der in der Zwischensprachforschung meistuntersuchten und meistdiskutierten dyadischen Situation. Sie ist formeller, erlaubt weniger Eingehen auf die individuellen Äusserungen und Bedürfnisse und erfordert aus ihrer Struktur heraus einen gewissen ausgleichenden Aufwand - etwa sichtbar an der Redundanz, welche vor allem durch Lehrer geschaffen wird, an der Notwendigkeit von Erklärungen, an dem Phänomen der Hausaufgaben, welche zum Ziele haben, durch Arbeit ausserhalb der offiziellen Lernsituation einen Fortschritt und einen Ausgleich des Kenntnisstandes zu erreichen. Während die im Unterricht verbrachte Zeit für alle dieselbe ist, wird diese Äquivalenz des Aufwandes durch das individuell variierende Mass der Aufmerksamkeit und durch die Arbeit ausserhalb des Unterrichts gebrochen. 1.2.3 Ausblick Der Unterricht löst das Sprachlernen von seiner Verhaftung an ausser unterrichtliche Situationen. Er bringt damit eine Reihe von Faktoren ins Spiel, die dort fehlen; er bringt auch Faktoren an die Oberfläche, welche im ungesteuerten Erwerb nicht minder eine Rolle spielen, hier aber - wohl deswegen, weil Unterricht konstruiert wird und aufgrund dessen Eingriffe 1
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Vgl. auch House 1986: 55f. zum Unterschied von Dialog und themenzentriertem Gespräch in der Gruppe. House fordert, dass im Unterricht Platz für beides geschaffen wird. - Knapp-Potthoff/Knapp (1982:195) nennen Unterricht aus ähnlichen Gründen nicht lernerzentriert, sondern klassenzentriert Die Relativierung, dass dies nur nur in gewissem Grade geschehen kann, ist angesichts der im letzten Kapitel vorgebrachten Überlegungen am Platze. Zusätzlich sind auch unterrichtsinteme Schwierigkeiten der Steuerung von Lernprozessen zu beachten. So sind beispielsweise nach gewissen Erhebungen im Unterricht in jedem Moment 50 Prozent der Lernenden geistig abwesend (Allwright 1984a: 217).
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ermöglicht und erfordert - als Probleme der Lehr-Lernsituation und ihrer Organisation fassbar werden. Auf drei dieser Aspekte sei hier noch kurz hingewiesen. a. Inhalte Der Unterricht macht, so wurde oben gesagt, aus den Zielsituationen Gegenstände, er transformiert sie zu Arbeitsthemen. Während im ungelenkten Spracherwerb die jeweiligen Themen (Situationen) sich aus den Umständen ergeben, muss der Unterricht sie wählen. Diese Wahl ist, im Hinblick auf die Ziele des Unterrichts, bis zu einem gewissen Grad beliebig - die meisten zielsprachlichen Gegebenheiten lassen sich anhand der unterschiedlichsten Situationen und Themenstellungen lernen. In dieser Beziehung sind die Inhalte des Unterrichts auswechselbar, allerdings nur in begrenztem Rahmen. So stehen gewisse Zielsituationen für eine Lernergruppe oft fest, auch weisen bestimmte Sprachmittel durchaus gewisse Affinitäten zu bestimmten Situationen auf. Andererseits sind Unterrichtsinhalte lern- und motivationstheoretisch von Belang. Als Lernkontexte sind sie wahrscheinlich um so überzeugender, wenn sie nicht allein in einem Verhältnis zu den Zielen des Unterrichts stehen (in bezug auf die sie adäquat sind oder nicht), sondern auch - zumindest teilweise - zu der jeweiligen aktuellen unterrichtlichen und ausserunterrichtlichen Lebenswelt der Lernenden (in bezug auf die sie treffend, interessant, anspornend sind oder nicht). Auch wenn Inhalte eingebunden sind in ein übergeordnetes, sprachdidaktisches Kalkül - es hebt das potentielle Eigengewicht der unterrichtlichen Themen und der Erfahrungen, die daran zu machen sind, nicht auf. Vor allem informelle kommunikative Ansätze vermeiden es sorgfältig, ihre Themen zum gesichtslosen Substrat des Sprachlernens verkommen zu lassen (siehe dazu auch die Beiträge in Bausch et al. (Hg.) 1983). b. Lernziele Wenn auch die Ziele des Fremdsprachenunterrichts vorwiegend auf die fremde Sprache bezogen sind - sie sind kaum darauf zu reduzieren, sie sind fast zwangsläufig weitergefasst: 1. Unterricht, indem er Situationen und Ziele zu Themen transformiert, schafft sich die Möglichkeit und die Notwendigkeit, landeskundliche, kulturelle, politische, geschichtliche Informationen und Erklärungen über die zielsprachlichen Länder und Kulturen zu geben. Anlässe dazu sind teilweise schon in die Sprache selbst, vor allem in ihren Wortschatz, in das kommunikativen Verhalten, in Sitten und Gebräuche eingeschrieben; auch legen sie sich aus den diversesten anderen Gründen nahe. 2. Unterricht als soziale Situation beruht zwangsläufig darauf, dass gewisse Formen des Umgangs und der schulischen Arbeit in der Lerngruppe beherrscht und eingehalten werden. Im Fremdsprachenunterricht kann dies zu einem gewissen Grade vorausgesetzt werden. Es ist dies jedoch oft dann nicht garantiert, wenn Teilnehmer aus sehr unterschiedlichen Kulturen zu-
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sammen im Unterricht sitzen und die entsprechenden Erwartungen nicht übereinstimmen. Unabhängig davon verlangt jeder Unterricht, der die Lernenden aktivieren will, dass deren Arbeits- und Kommunikationstechniken gefördert und gefestigt werden, das heisst auch: thematisch werden. 3. Unterricht hat wie auch immer verstandene emanzipatorische Ziele1. Im Fremdsprachenunterricht können diese minimal verstanden werden als Aufgabe, den Lernern das Weiterlernen ausserhalb des Unterrichts zu ermöglichen. Unterricht kann ja in den meisten Fällen die prospektiven Gebrauchssituationen nicht so genau bestimmen, dass eine absolut passende und ausreichende Kompetenz dafür bereitgestellt werden könnte2. Man müsste dem hinzufügen, dass auch bei guter Vorhersehbarkeit der späteren Ansprüche die Zeit im Unterricht kaum je ausreicht, einen Stand der Sprachkenntnisse zu vermitteln, der unproblematische Erfüllung der vorausgesehenen Anforderungen erlaubt und dass auch deshalb das Thema des strategischen Einsatzes der vorhandenen Mittel und des Weiterlernens in den Unterricht gehört3. Dies lässt es als wünschbar erscheinen, dass Einsichten in sprachliche und kommunikative Regularitäten so vermittelt werden, dass sie als Instrumente der Selbsthilfe, das heisst der Adaptation an neue Umstände und des Weiterlernens tauglich sind; es bedeutet zugleich, dass das Lernen selbst - das Kennenlernen der eigenen Lern weisen, von Techniken des Lernens - rechtmässige Themen des Unterrichts sind (der Terminus 'Weiterlernen' stammt von Knapp 1980; vgl. Knapp-Potthoff/ Knapp 1982). c. Motivation
Ähnlich wie bezüglich der Inhalte macht der Unterricht auch bezüglich der Motivation zum Lernen einen der Faktoren der Aneignungssituation besonders sichtbar. Dass Motivation, genauer: die oft mangelnde Motivation der Lernenden ein zentrales Thema der Didaktik ist, hat mit Verschiedenem zu tun. Primär wohl damit, dass Unterricht, zumindest schulischer Unterricht, eine Zwangssituation ist; dann aber auch damit, dass die Wahl von Lernstoff und Unterrichtsthemen selten von den Lernenden mitbestimmt wird und auch die Gründe für die vorgenommene Wahl oft wenig einsehbar sind (und oft schwierig einsehbar zu machen sind). Entsprechend spielt die Notwendigkeit der Motivierung in der Didaktik eine beträchtliche Rolle. Motiviert werden, streng genommen, oft nicht die Lernenden, 1 2
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Die allgemeinen pädagogischen Ziele, welche allem Unterricht in obligatorischen Schulen vorgeschrieben wenden, können hierzu gezählt werden. Faerch/Kasper ((Hg.) 1983: xix) machen darauf aufmerksam, dass die mangelnde Vorhersagbarkeit der späteren sprachlichen Bedürfnisse, zumindest was den 'normalen' Lerner angeht, die Relevanz von Bediirfhisanalysen relativiere und die Wünschbaikeit des Lernens von Kommunikations- und Lemstrategien unterstreiche. Das Zeitargument wird häufig angefühlt, wenn es darum geht, explizites Lernen zu verteidigen. Auch wenn in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit vieles nicht erworben werden kann, so kann es doch gelernt werden als Ressource, die einem späteren, vielleicht dann schnelleren Aufbau der intuitiven Kenntnisse zugrundegelegt werden kann (vgl. Sharwood Smith 1981; Möhle/Raupach 1983; Möhle 1984).
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sondern das zu Lernende: Es wird situiert, legitimiert, interessant gemacht dadurch, dass seine Verbindungen zum Lernziel, zu bekannten Situationen, zu interessanten Sachverhalten, zu bereits Bekanntem usw. klargelegt werden. Wo Lernende nicht motiviert sind, ist sehr oft ihre Möglichkeit oder Fähigkeit in Frage gestellt, sich mit dem jeweiligen Stoff ins Verhältnis zu setzten. Das Motivationsproblem im Unterricht ist in hohem Grad ein Orientierungsproblem. Die Institutionalisierung schwächt die in ausserunterrichtlichen Situationen spielenden Orientierungsweisen oder macht sie inoperabel. Sie müssen deshalb durch Motivierung wieder ins Spiel gebracht bzw. durch unterrichtsspezifische (Noten, schulische Erfolgserlebnisse) ersetzt werden1. Mangelnde Motivation im Unterricht wirkt - im Gegensatz zu nichtgelenkten Erwerbssituationen - nicht nur bedrohlich, weil sie die Arbeit vor allem des Lehrers mühsamer macht und tendenziell die Leistungsunterschiede in der Gruppe verstärkt über das Mass hinaus, das durch variierende Begabung und Fleiss ohnehin zustande kommt, sondern vorab darum, weil sie die Fundamente der unterrichtlichen Arbeitssituation selbst untergräbt. Der unterrichtliche Austausch ist als zielgerichteter Prozess organisiert; kommt dieser nicht voran, so ist keine alternative Interpretation und Legitimation der Rollenverteilung, des Zusammenseins überhaupt möglich (ausser als kurzfristige, deutlich markierte Ausnahme, auf Schulausflügen etwa, bei Theaterbesuchen oder in der letzten Stunde vor Weihnachten)2. 1.3 Sprachzugang im Unterricht - die Rolle des Schriftlichen Der Unterricht reduziert - auf seine Weise - «the learning burden to manageable proportions» (Ellis 1986: 48). Die Vielzahl der unterschiedlichen Verfahren, die dabei zur Anwendung gelangen, können hier nicht aufgelistet und kommentiert werden; sie reichen von expliziten Regelformulierungen über Übungen jeglicher Art bis zu Techniken der Motivierung, Spielformen, Lektürestrategien usw. Ausgewählt und eingesetzt werden sie nach Massgabe von methodischen und didaktischen Überlegungen. Ich möchte an dieser Stelle auf ein Moment aufmerksam machen, das in vielen dieser Verfahren eine mehr oder weniger grosse Rolle spielt, ohne dass seine Rolle und sein Gewicht bisher wirklich untersucht und analysiert worden wären. Es ist dies der Gebrauch des Schriftlichen im Rahmen des Unterrichts3. 1
Das EmsthafÜgkeitsproblem - Unterricht ist 'nur* Vorbereitung auf ein Ziel - ist dadurch allerdings nicht zu lösen. 2 In ungelenkten Situationen ist Motivation ein individuelles Problem. Desinteresse am Sprachlemen oder sonstige Hemmnisse können zur Fossilierung führen. So störend die Konsequenzen sein mögen: Das Nicht-Lemen ist hier nur sehr bedingt ein Faktor, der eine äussere Instanz zu Reaktionen aufruft. 3 Über die Rolle von Geschriebenem und Schreiben im ungelenkten Erweib existieren meines Wissens keine Untersuchungen. Evidenz aus anekdotischer Erfahrung belegt, wie viel ärmer der Sprachkontakt in fremdsprachiger Umgebimg gerade für Anfänger
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Kaum ein Fremdsprachenuntenicht, mit Ausnahme vielleicht von Unterricht für Kinder oder von Privatunterricht für Erwachsene, kommt ohne Schriftliches aus. So verschieden die Einstellungen zu schriftlich repräsentierter Sprache sein mögen und so verschieden die Weisen sind, wie diese unterrichtlich eingesetzt wird - dass Fremdsprachenunterricht darauf zurückgreift, ist auch dann hoch erwartbar, wenn die Beherrschung der genuin schriftlichen Sprachregister gar nicht angestrebt wird1. Im folgenden wird zunächst von der Verwendung der Schrift im rezeptiven Bereich ausgegangen. Schriftliche Unterlagen prägen das Lernen im Unterricht und die Vorstellung davon generell. In zweiter Linie ist im folgenden, wenn von der Rolle des Schriftlichen im Unterricht gesprochen wird, auch der Gebrauch der Schrift durch die Lernenden selbst angesprochen, ihre eigene Aktivität der Verschriftlichung von Sprache. Dabei stehen zunächst die präkommunikativen Gebrauchsweisen im Vordergrund, denn diese sind in praktisch jedem Unterricht anzutreffen. Das produktive Schreiben wird in Teil Π und Teil III zum Thema. 13.1 Der Ort des Schriftlichen im Unterricht Schriftliches tritt im Unterricht in vielfacher Gestalt auf. Zunächst, auf kommunikativem Niveau, in Form von Texten, etwa Dialogen, Erzählungen, Sachtexten, Erklärungen, Hinweisen, Aufgabenstellungen, Kommentaren, Arbeitsanweisungen usw.; auf präkommunikativem Niveau sind es Wortlisten, Strukturschemata und -beispiele, Stichwörter, Begriffsnetze, Übungen, Einzelwörter, Beispielsätze usw. Zu finden sind diese Dinge in Büchern, Zeitschriften, auf Kopien, Arbeitsblättern, Plakaten, auf der Wandtafel usw. Lernereigene Notizen können separat von diesen Vorlagen auf Blättern, in Notiz- und Arbeitsheften, auf Zettelchen usw. oder in sie integriert erscheinen als Randnotizen, Gekritzel zwischen den Zeilen, Füllung der in Aufgaben offengelassenen Lücken usw. All diese schriftlichen Unterlagen helfen den Unterricht in mehrfacher Hinsicht strukturieren, indem sie dazu beitragen, den Unterricht vorzubereiten, zu organisieren und zu resümieren. a. Vorbereitung
Hausaufgaben werden weitgehend schriftlich angeleitet (vor der allgemeinen Verbreitung von Radio- und Tonbandgeräten war ein anderer Weg
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ist, wenn z.B. die alltäglichsten Schriftzüge (Strassennamen, Häuser- und Geschäftsanschriften, Plakate, Zeitungsaushänge, Preisanschriften) nicht gelesen werden können - unabhängig davon, ob all die Wörter und Ausdrücke nun verständlich wären oder nicht. Einige allgemeine Aussagen über die Rolle von Schrift und Schreiben in der Institution Schule macht Stubbs 1987. - Ein Grand für das weitgehende Fehlen von Versuchen, die Verwendung und die Rolle des Schriftlichen im Unterricht festzuhalten, mag darin liegen, dass Unterricht bislang vor allem unter dem Gesichtspunkt der Interaktion von Lehrer und Lernern untersucht worden ist; auch sind die meisten der hierbei verwendeten Theorien nicht geeignet, den Einfluss schriftlicher Daten zu erfassen. (Vgl. Edmondson 1980:272.)
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kaum möglich). Übungen, Wortlisten, Texte geben die Basis ab für verschiedenste Aktivitäten. Die schriftliche Repräsentation von Sprache erlaubt es, gewisse Arbeiten aus der unterrichtlichen Interaktion auszugliedern, in die Verantwortung der Lernenden selbst zu übergeben und den Unterricht für die Resultate dieser Tätigkeiten wieder zu öffnen. b. Organisation Die Bedeutung des Schriftlichen für die Organisation der unterrichtlichen Arbeit, ihre Sequenzierung und die Herstellung eines für alle Lernenden nachvollziehbaren Fokus kann kaum überschätzt werden. Ich möchte hier drei verschiedene Formen unterscheiden. Schriftliches begleitet viele Aktivitäten im Unterricht, die an sich unabhängig von Schriftlichem ausgeführt werden können - etwa in der Tafelanschrift neuer Wörter, der wiederholten Konsultation von Arbeitsanweisungen während der Gruppenarbeit, im Gebrauch von Nachschlagewerken. Es stützt unterrichtliche Aktivitäten, wenn etwa ein Schema oder eine Liste von Sprachmitteln an der Tafel oder im Buch die mündliche Arbeit erleichtert, strukturiert oder auch nur klarer und durchsichtiger macht. Es trägt schliesslich die Unterrichtsarbeit, etwa im Falle von schriftlichen Übungen, Diktaten, bei der Lektüre und der darauffolgenden Erarbeitung des Textes aufgrund schriftlich vorliegender Fragen usw. In diesen Aktivitäten kann das Schriftliche auf zweierlei Weise in Erscheinung treten: Der Unterricht kann auf bereits schriftlich Vorliegendes Bezug nehmen - dies ist der wohl häufigere Fall - , oder die Arbeit führt zur schriftlichen Kodifikation. Beispiel für ersteres sind etwa: - Im Gespräch und Rollenspiel, vor allem auf der Anfängerstufe, aber auch noch später, spielen auswendig gelernte Dialoge oder Sätze, auch zuerst geschriebene und dann vorgespielte Szenen eine beträchtliche Rolle. - Ein besonders instruktives Beispiel sind die schon angesprochenen Zwei-Weg-Übungen, die auf unterschiedlicher Informiertheit der Interaktanten beruhen. Diese wird am leichtesten dadurch hergestellt, dass die Lernenden Blätter mit unterschiedlicher, aber einander ergänzender Information als Arbeitsgrundlage erhalten und darauf aufbauend interagierend eine Aufgabe lösen. In solchen Aushandlungen ist besonders deutlich das Schriftliche als unabhängiger Faktor präsent, als zusätzlicher stummer Input, eine zielsprachliche Quelle nicht nur von Information, sondern auch von Sprachmaterial. - Dem Lesen im Unterricht folgt fast stets, nicht nur von Fall zu Fall wie im alltäglichen Umgang mit Texten, ein intensives und vielfältiges Sprechen über den Text, in welchem er auf verschiedenen Ebenen fnichtbar gemacht werden soll: auf Wortschatz- und Strukturebene; auf Text- und Verständnisebene; schliesslich auf thematischer Ebene für ein freies Unterrichtsgespräch. In letzterem ist der Rückbezug auf den Text in vielfacher Weise möglich (wenn auch oft nicht nötig). Der Text bildet ein Angebot: Der Spre-
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chende kann gezielt auf einzelne seiner Elemente (Wörter, Ausdrücke, Gedanken) zurückgreifen, um etwa eigene Erfahrungen, Meinungen usw. auszudrücken. Oder es werden Aussagen des Textes von Lehrer und Lernenden neu und anders formuliert, verändert, neu verknüpft, interpretiert und begründet1. - Auf völlig andere Weise werden grammatische Phänomene, festgehalten meist in Schemata, Beispielsätzen oder Regelformulierungen, zum Thema mündlicher Explikationen. Ebenso wie bei einzeln oder listen förmig festgehaltenen Wörtern dienen hier relativ spärliche schriftlich fixierte Daten als Ausgangspunkt für kleinere oder grössere Unterrichtssequenzen. Beispiele für das zweite, die Kodifikation von Mündlichem, sind etwa: - Ein Wort, ein Satz, eine Phrase, die nicht verstanden wird, wird an die Tafel geschrieben als Antwort auf oder Bekräftigung von Dingen, die fraglich oder auffällig geworden sind. - Beiträge der Lernenden zu einem Thema werden stichwortartig erfasst und - nach Kriterien geordnet - aufgeschrieben und zur Basis der Weiterarbeit gemacht. - Das Resultat einer Analyse von Beispielen wird als Regel formuliert und aufgeschrieben. - Manchmal werden Unterrichtsaktivitäten in einem zweiten Schritt in schriftlicher Form weitergeführt oder verarbeitet, wird also aus dem Unterricht heraus ein Anlass für produktives Schreiben gewonnen: etwa beim Schreiben von Geschichten oder Stellungnahmen (im Anschluss an eine Diskussion), beim Weiterführen von Texten, in Kommentaren, Zusammenfassungen usw2. c. Resumi
Schriftliches schliesslich dient dazu, den Unterricht zu resümieren und zu dokumentieren. Texte, Wortlisten, Übungen, Regelformulierungen usw. bilden zum Teil den Input, zum Teil das Resultat von Unterricht - jedenfalls bilden sie den Niederschlag von Unterricht, das, was in greifbarer Form zurückbleibt und Lemgegenstände, Anspruchsstandards usw. defi-
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Nissen (1982, 194f.) hebt ausdrücklich diese Rolle von Texten als 'psychologische Stützen' für Klassengespräche hervor. In der neuesten Diskussion um Lehrmaterialien ist der Sachverhalt wichtig geworden, dass der Unterricht in traditionellen Lehrbüchern keinen oder nur einen im Sinne des Wortes marginalen Niederschlag findet, während umgekehrt diese Bücher (und andere Materialien) den mündlichen Verhandlungen den Rahmen setzen und in vielem stark bestimmen. Angestrebt werden offene Unterrichsmittel, die Raum lassen für die Darstellung von Ergebnissen von Unterrichtsaktivitäten (Nodari 1987, 1989), oder Drehbücher, welche die Realisierung von Unterricht indirekt, via Spielregeln, Anstösse usw. beeinflussen und welche ihr Materialangebot neutral halten in dem Sinne, dass es auf verschiedene Weise verwendet und in die Aktivitäten des Unterrichts aufgenommen werden können (Debyser 1986).
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niert1. Der Unterricht tendiert dazu, Arbeitsresultate und erreichte Ziele nicht auf sich beruhen zu lassen, sondern sie zu weiterer Verwendung (zu Referenz- und Prüfungszwecken) festzuhalten. Es dient dies auch dem Ziel, eine Basis dessen festzumachen, was von allen Lernenden gleichermassen beherrscht werden sollte. Es ist nicht zu bestreiten, dass Schriftliches gerade wegen seiner durchgreifenden Rolle sehr oft das prägt, was am Unterricht beschwerlich ist: lange Wortlisten, Verbparadigmen, schriftliche Prüfungen usw. Schriftliches kann Vehikel äusserst pedantischer didaktischer Verfahren und Strategien sein, die so in einem rein mündlichen Unterricht nicht möglich wären. Die enge Verbindung von Schriftlichem und Unterricht, auch von Schriftlichem und Mündlichem im Unterricht, ist nicht zufällig. Ausser im Unterricht mit Analphabeten und Kindern, denen der Umgang mit Schrift unmöglich bzw. nicht selbstverständlich ist, lässt sich für Laut und Schrift im Fremdsprachenunterricht keine 'natürliche' Reihenfolge festlegen, sie sind gleichursprünglich2. Dafür lassen sich verschiedene Gründe anführen, auf zwei sei kurz hingewiesen: 1. Lernende, die bereits mit der Schrift vertraut sind - und die bilden im fremdsprachdidaktischen Bereich die grösste und wichtigste Gruppe - , erwarten ganz selbstverständlich, dass die neue Sprache sowohl gesprochen als auch geschrieben werden kann. Schrift ist gerade nicht das Spätere, Sekundäre, sondern ganz selbstverständlich ebenso primär wie der Laut3. Andresen (1985) zeigt überzeugend, wie sich in der Muttersprache durch den (meist in der Schule erfolgenden) Erwerb der Lese- und Schreibfähigkeit das gesamte kindliche Denken über Sprache verändert und sich damit erst ein konsistentes Sprachbewusstsein bildet. Die Schrift leistet mit ihrer Definition der Laute, der Wortarten (Grossschreibung), der Wort-, Phrasen- und Satzgrenzen eine Analyse der Sprache und befördert damit die Einsicht in ihren den benannten Dingen gegenüber eigenständigen Charaktei4. Zumindest in unserer Kultur ist erwachsenes Sprachbewusstsein somit weitgehend gebunden an Schrifterwerb5. Ist das Prinzip der Schrift einmal beherrscht, erübrigt sich die Frage nach der Priorität von mündlicher oder schriftlicher Äusserungsform von Spra1 2 3
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Oft erfüllt ein Lehrbuch diesen Zweck. Seine Lektionen definieren die neuen sprachlichen Gegebenheiten und präsentieren sie damit als Lernstoff. Vgl. Digeser 1983:214,227. Dies wird deutlich vor allem bei Sprachen, die nicht lateinisch geschrieben werden. Fürs Chinesische, aber auch fürs Japanische, Russische oder Griechische entzündet sich bei vielen Anfängern die Vorstellung von der Schwierigkeit des Sprachlemens vor allem an der anderen Schrift. Diese gehört ganz selbstverständlich mit zur zu lernenden Sprache; sie steht geradezu für deren Andersartigkeit. Kinder werden schon sehr früh auf Sprache und Eigenschaften von Sprache aufmerksam (vgl. auch Clark 1978). Diese Ansätze bewusster Sprachwahmehmung werden in der Schule umgeformt zu einem viel kohärenteren und abstrakteren Begriff von Sprache und ihren Eigenschaften. Vgl. auch Humboldt (1824), für den Schrift überhaupt erst einen vollständigen Begriff der Sprache möglich macht
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che: Schriftliche Fixierbarkeit, und damit verbunden die Möglichkeit genauer und normativ gestützter Segmentierbarkeit des sprachlichen Lauts und der sprachlichen Strukturen gehören von da an zum Begriff der Sprache schlechthin1. Von daher ist es verständlich, wenn Fremdsprachlerner im Unterricht in den meisten Fällen auf die Schrift weder verzichten wollen noch können. Dies zeigt sich deutlich in den Situationen, wo aus didaktischen Gründen den Lernenden die Schrift vorerst vorenthalten wird: Dies wird bei vielen unweigerlich zu eigenen Verschriftungsversuchen führen, weil - zumindest in unserem Kulturkreis - dies für viele die dominante Form der Auseinandersetzung mit Sprache, der Segmentation und der Identifikation ihrer Elemente geworden ist2. Solche Versuche zu verhindern bedingte geradezu übermenschliche Vorsicht und extreme Kontrollen durch den Lehrer. Die (vom Audiolingualismus erhobene) Forderung nach einer schriftlosen Zeit im Anfängerunterricht ist wohl nicht zuletzt deshalb reduziert worden zum Prinzip, dass (im Anfängerunterricht) nichts zum ersten Male gelesen werden sollte, ohne dass es gleichzeitig auch gehört wird3 - und auch die Plausibilität dieser Regelung ist nicht über jeden Zweifel erhaben (vgl. Butzkamm 1980)4. Auf höheren Niveaus ist im Unterricht ein Sprachlernen ohne schriftliche Grundlagen ohnehin kaum mehr organisierbar. 2. Es gibt kaum eine nicht-manuelle Arbeit in unserer Gesellschaft, die zielgerichtete und langdauernde Anstrengungen erfordert und die sich nicht in mehr oder weniger hohem Masse auf Schriftliches bezieht oder eine schriftliche Fixierung ihrer Resultate erfordert. Darin ist Unterricht von anderen institutionalisierten Aktivitäten kaum unterschieden. Was den Fremdsprachenunterricht kennzeichnet, sind die spezifischen Funktionen, welche das Schriftliche in ihm erfüllt. Lernen in Gruppen muss organisiert 1
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An diesem Punkt unterscheiden sich die Voraussetzungen für die (gelenkte) Fremd Sprachenaneignung von denen des Erstspracherwerbs. Entsprechend scheinen Argumente schwach fundiert, die für den Umgang mit Schriftlichem im Unterricht auf die zeitlichen Verhältnisse in der muttersprachlichen Entwicklung hinweisen und daraus direkte Konsequenzen zu ziehen versuchen. Darauf weist auch sehr deutlich Hüllen 1969,1971 hin. - Verlässlich identifizierbare Elemente und Ebenen weist die Sprache im Bewusstsein ihrer Benutzer, wenn man Andresen oder Humboldt folgt, ohnehin erst aufgrund von Schrift auf. Vgl. auch K. Günther 1977. Auf die Wichtigkeit etwa des Wortakzents für das Lernen und Erinnern machen etwa Gleitmann/Wanner (1982: 17ff.) für die Muttersprache und Channeil (1989) für die Fremdsprache aufmerksam. Diese didaktischen Massnahmen sind nicht zu verwechseln mit den anders motivierten und begründeten, wonach Anfänger nicht zu mündlicher Produktion in der fremden Sprach gezwungen werden sollten, sondern ihnen Gelegenheit gegeben weiden soll, sich an die fremde Sprache zu gewöhnen und den Zeitpunkt selbst zu bestimmen, wenn sie anfangen wollen zu sprechen. Die Zeit bis dahin wird in einigen Ansätzen nicht zuletzt damit überbrückt, dass die Lernenden ermunten werden, schriftlich zu reagieren. (Für mündliche Äusserungen wird ihnen der Gebrauch der Muttersprache freigestellt - der Lehrer übernimmt die Aufgabe, die fremde Sprache vor den Lernenden zu repräsentierea)
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werden können; Schriftliche Vorlagen - in Form von Texten, Übungen, Arbeitsanweisungen - und Schreiben gehören hier zu den vorzüglichen Mitteln, die verschiedenen unterrichtlichen Aktivitäten zu koordinieren, zu differenzieren, zu variieren und zu evaluieren1. Auf einige der Aspekte, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen, wird im folgenden Abschnitt näher eingegangen2. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Schriftliches eine wichtige Rolle im Unterricht auch dann spielt, wenn dieser vordringlich die mündliche Kommunikationsfahigkeit fördern will. Dies mag paradox erscheinen; es ist dies jedoch nur, wenn die angezielten (mündlichen, meist dialogischen) Situationen des Sprachgebrauchs als einzig ausschlaggebende Referenzpunkte für den Unterricht angesehen werden, wenn also die Bedingungen des Unterrichts als Lernsituation ausgeblendet werden. Aus den Voraussetzungen, welche die meisten Lernenden mitbringen, wie auch aus der ganzen Struktur des Unterrichts heraus wird aber klar, dass die Schrift als Hilfsmittel des Sprachlernens und als Mittel der Organisation von LehrLern-Aktivitäten fast unersetzlich ist. In diese Richtung argumentiert auch Eismann, wenn er sagt, dass Schreiben wohl im Alltag für viele Mutterwie Fremdsprachler kaum wichtig sei, damit aber nicht viel über seine Rolle im «Gesamtbereich des Lernens» gesagt sei: «Die Schule, in der Vielfalt ihrer Erscheinungsformen, ist die Hochburg des Schreibens.» (Eismann 1985: 168) Einige der Funktionen des Schriftlichen und des präkommunikativen Schreibens sollen im folgenden kurz besprochen werden. Im Vordergrund stehen lernbezogene Überlegungen; Ausgangspunkte sind die einfachen, unterrichtsbegleitenden Formen des Bezugs auf Schriftliches. 1.3.2 Die Fixierung sprachlicher Elemente Wie schon der Hinweis auf die Schreibversuche von Lernenden zeigte, denen die Schrift vorenthalten wird, scheint es ein tiefes Bedürfnis zu geben, zumindest einzelne Elemente des sprachlichen Kodes aus dem Strom der mündlichen Verhandlungen herauszuheben und sich verfügbar zu ma1
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Darauf weist auch Byrne hinsichtlich des Anfängerunterrichts hin. Er spricht von «needs which the learners have in the early stages and which can be met through writing: reinforcement of material leamt orally, variety of activity in the classroom and increased contact with the language through work that can be done out of class». (Byrne 1979: 33) Man kann hier ebenfalls auf all das Schriftliche verweisen, das den Unterricht zutiefst prägt, ohne dass es sichtbar in ihn eingeht. Dazu gehören etwa die Planungen des Lehrers, die vorgeschriebenen Lernziele, die Lehrelkommentare zu den Lehrwerken usw. Man kann annehmen, dass solches auch dann, wenn Schriftliches im Unterricht keine Rolle spielen darf, wichtig ist Nicht einzugehen ist hier auf das Phänomen, dass der Unterricht selbst Thema und Ziel eines unablässigen Diskurses ist - diese Arbeit ist selbst Teil davon - der in intensivem Rhythmus Tagungen und Konferenzen, Bücher und Theorien, Praktiken und Moden erzeugt - ein Diskurs, der sich in wesentlichen Teilen schriftlich konstitutiert.
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chen. Jeder Blick in ein Klassenzimmer bestätigt diesen Sachverhalt - gewisse Lerner scheinen kaum lernen zu können, wenn sie nicht gleichzeitig Sätze, Wörter oder Ausdrücke aufschreiben. Auf der anderen Seite tendieren viele Lehrer dazu, Dinge, die neu sind oder von denen sie annehmen, dass sie Verständnisschwierigkeiten produzieren könnten, für alle sichtbar niederzuschreiben. Ähnlich ist anzunehmen - eine Überprüfung ist hier schwieriger, aber anekdotische Evidenz bestätigt es zur Genüge - , dass die Lernenden während der Unterrichtsarbeit immer wieder den Blick auf Tafelanschriften, Arbeitsblätter oder eigene Notizen lenken und dass sie auf diese Weise neben und über die unmittelbar ablaufende Arbeit hinaus tätig und aktiv sind, indem sie sich an den diversen schriftlichen Sprachangeboten orientieren. Diese Verhaltensweisen, so alltäglich und banal sie sind, weisen auf die Wirksamkeit der bereits angetönten doppelten Orientierung im Unterricht hin, auf eine Einstellung auf Sprache, die in der Schrift - in diesem spezifischen Gebrauch, der von ihr gemacht wird - eine perfekte Entsprechung und Äusserungsmöglichkeit findet. Die Fixierung entspricht einer Wiederholung. Sie gewinnt ein anderes Gewicht und andere Qualitäten als eine einfache Repetition aber dadurch, dass sie im anderen Medium erfolgt und dass eine bleibende Spur geschaffen wird, die beliebige erneute Inspektionen erlaubt. Die Schrift übernimmt hier eine wichtige Orientierungsfunktion auch in der Aufgabe des Sprachlernens selbst. Segmentierung und Fixierung mit Hilfe der Schrift bedeuten ja nichts anderes, als dass dem Lernenden in zeitlicher Permanenz und struktureller Transparenz das zu Lernende zur Verfügung steht. Schriftliche Fixierung macht Sprachliches aus dem Fluss der ablaufenden Kommunikation oder Pseudokommunikation herauslösbar und eröffnet einen anderen, zweiten Zugang, unabhängig von den aktuellen diskursiven Zusammenhängen, in denen diese Elemente angetroffen werden. Ähnliches ist von Schriftlichem zu sagen, das etwa in Textform in den Unterricht eingebracht und dort bearbeitet wird. Diese Materialien erfüllen nicht nur die ihnen zugeschriebene kommunikative Aufgabe. Sie sind jederzeit wieder einsehbar, der Text wieder lesbar - und zwar nicht nur als Mitteilung: Das Geschriebene ist immer auch und zugleich zugänglich als Sprachliches. Die Wörter, Ausdrücke und Strukturen sind darin festgehalten als Einheiten und Äusserungsmöglichkeiten des Sprachsystems. An der Tatsache, dass im Unterricht Sprache fixiert werden kann bzw. bereits fixiert vorliegt, sind einige Aspekte hervorzuheben: 1. Die schriftliche Fixierung leistet, wie bereits angesprochen, einen wichtigen Beitrag zur sprachlichen Segmentierung. Sie zeigt einen sprachlichen Ausdruck als Einheit und macht zugleich dessen innere Gliederung (von Sätzen und Phrasen in Wörter, von Wörtern in Morpheme und Grapheme) auf den ersten Blick sichtbar (Ludwig 1983c: 38f.). In den meisten Fällen bedürfen solche Gegebenheiten keiner weiteren Erläuterung mehr. Im ungelenkten Spracherwerb stellt dagegen gerade die Notwendigkeit der Seg-
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mentation eine der grundsätzlichen Schwierigkeiten dar (Krashen/Scarcella 1978: 289ff.; Knapp-Potthoff/Knapp 1982: 178f.). 2. Das Mündliche wird mit dem Schriftlichen korreliert. Die graphematische Struktur gibt Hinweise auch auf die Lautstrukturen; zugleich besteht die Hoffnung, durch die doppelte Exposition die Erinnerungsspuren in zwei Modalitäten festzumachen und damit eine komplexere, effektivere innere Repräsentation zu erzielen, die auch vergessensresistenter ist als eine bloss einfach kodierte. Zumindest ist dies eine Hoffnung, die vom Lerntheoretischen her durchaus berechtigt scheint (vgl. Bohn 1986,1989). 3. Das Aufgeschriebene ist zugänglich unabhängig von der gerade ablaufenden Kommunikation in der Klasse. Es ist aus dem Kommunikationsfluss ausgegrenzt, dient als Referenzmittel, auf das sich die Lernenden beziehen können, und kann so auch jederzeit wieder in die mündliche oder schriftliche Arbeit eingebracht werden. Schrift in dieser Funktion erfüllt eine Aufgabe, die vor der Unterscheidung von mündlicher und schriftlicher Kommunikation, ihrer je spezitischen Formen und Verfahren liegt. Auf dieser vorkommunikativen Funktionsstufe hält sie unabhängig von der schliesslichen Verwendung sprachlicher Einheiten in mündlichen oder schriftlichen Kontexten sprachliche Gegebenheiten fest, sie hält sie zuhanden der Lernenden als sprachliche fest1. 4. Sehr oft wird das Aufschreiben allerdings nicht auf die schriftliche Fixierung einzelner Elemente und Strukturen beschränkt bleiben. Im Verlauf der Stunde werden - meist vorbereitet durch die Materialien in Lehrbüchern, auf Arbeitsblättern usw. - diese Ausdrücke in weitere Kontexte eingefügt. Dies geschieht im kommunikativen oder übenden Sprachgebrauch, aber auch unabhängig davon: Wörter oder ganze Ausdrücke werden, auf der Tafel oder in Notizheften - zusammengestellt mit synonymen, antonymen, bedeutungsähnlichen; - zugeordnet zu muttersprachlichen Äquivalenten, aber auch zu Bildern; - klassifiziert (nach Genus, Flexion, Wortbildung usw.); - in typische syntagmatische Kontexte eingefügt. Solche Formen der Kontrastierung, Erweiterung, Etikettierung usw. von Sprachmitteln zeigen ihre Vernetzungen auf und stellen Assoziationen her zu anderen Elementen oder Strukturen der Fremdsprache oder der Muttersprache, auf verschiedenen, wichtig erscheinenden Ebenen: der semantisch-pragmatischen, morphologischen, syntaktischen usw. Die Leistung dieser simplen und unauffälligen Verwendung von Schrift für den Unterricht lässt sich vielleicht in den folgenden Punkten kurz zusammenfassen, wobei es hier, dies sei nochmals betont, nicht um quantitative Einschätzungen geht, sondern um eine Identifikation prinzipieller Mecha1
Ich möchte diese Funktion von Geschriebenem und von Schreiben klar trennen von der Mitteilungsfunktion von Geschriebenem und dem Schreiben als Formulieren von Gedanken. Ich werde deshalb häufig von 'Aufschreiben' bzw. 'Aufgeschriebenem* sprechen, wenn diese spezielle Funktion der Schrift angesprochen ist. Allerdings ist diese, wie oben schon angemerkt, in jedem Geschriebenen bzw. in jedem Schreiben zwangsläufig als Möglichkeit mitgegeben.
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nismen, die im Umgang mit Sprache im Unterricht eine Rolle spielen. Es sind dies Mechanismen, die auch im mündlichen Umgang mit Sprache zu beobachten sind - darauf wird unten noch näher einzugehen sein - , deren Wirkungsweise sich im Schriftlichen aber am leichtesten fassen lässt. a. Schrift als Spur und Darstellung Sprachliche Gegebenheiten werden durch schriftliche Fixierung als mögliche Wissensbestände, deklarativ, vorgestellt, indem sie als strukturierte Einheiten identifiziert werden. Zugleich werden sie implizit oder explizit mit anderen Wissensbeständen in Verbindung gebracht. Die schriftliche Erfassung erlaubt ihre maximal prägnante Erfassung - im unterschiedlichen Medium, in einsichtiger Segmentation und in gegenüber dem Fortgang der Unterrichtskommunikation immuner Art. Dadurch, dass diese Fixierungen als Spuren zurückbleiben, eignen sie sich als eine Art Resume: Sie sind geeignet, die sprachbezogenen Ergebnisse oder Zwischenstufen der Arbeit zu repräsentieren. Meist sind sie schon in den Unterrichtsmaterialien festgehalten; sie werden häufig trotzdem noch einmal aufgeschrieben. Der Unterricht - der Lehrer, aber wahrscheinlich auch viele Lernende - bezieht sich auf diese Dinge: Sie werden mehr oder weniger bewusst verwendet, sie werden als neue erkannte oder als die eben eingeführten wiedererkannt. Gleichzeitig werden durch die Heraushebung die sprachlichen Gegebenheiten in gewissem Sinne generalisiert: Sie werden festgehalten in ihrer sprachlichen Eigenart als Mittel von Kommunikation schlechthin, als Instrumente für beliebig viele und beliebig variierte Mitteilungen1. Ich möchte das, was Schrift in dieser Hinsicht leistet, als Darstellung von Sprache bezeichnen. Viel deutlicher als in mündlicher Verwendung scheint in der schriftlichen Fixierung die Eigenständigkeit der Sprachmittel auf, wird ihr Charakter als Instrumente des Ausdrucks und der Kommunikation deutlich, wird Sprache sichtbar. b. Schrift und die Aktivität der Lernenden Im Aufschreiben oder im wiederholten In-den-Blick-Nehmen von schriftlich fixierten Ausdrücken machen sich die Lernenden tendenziell unabhängig von Lehrerdirektiven oder offizieller Unterrichtsaktivität. Das Schriftliche eröffnet einen Rahmen, der die enge Bindung an das jeweilige aktuelle mündliche Sprachangebot lockert. Die Lernenden, die unaufgefordert schreiben, wiederlesen, in Texten nach Ausdrücken für ihre eigenen Mitteilungen suchen oder zu rekonstruieren versuchen, was ein Wort bedeutet, praktizieren minimale Akte von Lernerautonomie, indem sie ihre Aufmerksamkeit auf ihnen problematische Elemente und Struktu1
Py (1982: 547) sieht ein solches 'metalinguistisches' Verhältnis - ein gewisses Eigengewicht der sprachlichen Substanz neben und sogar gegen die reine Mitteilung - in jedem Sprachgebrauch gegeben. Es wäre demnach nicht aufs Lernen (für das eine wie immer beschaffene 'Aufmerksamkeit auf Sprache' Bedingung ist) und noch weniger aufs Schriftliche beschränkt; wohl aber drückt es sich hier am deutlichsten aus.
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ren richten. Das Entdecken und Wiederentdecken von Sprachmitteln und Aussagemöglichkeiten, die Versuche, ihrer habhaft zu werden und sie anzuwenden, weist darauf hin, dass den Lernenden zumindest Teile ihres Lernverhaltens und ihrer Lernbedürfnisse bewusst sind. Sie nehmen diese wahr und versuchen sie zu steuern, indem sie mit den Angeboten des Unterrichts umgehen und sie für die eigenen Zwecke nutzbar machen. In diesen Fällen wird das Schriftliche von den Lernenden als zusätzlicher zielsprachlicher Input genutzt, als ein Fundus von Antworten auf Lernerfragen. Natürlich setzt diese Nutzung des schriftlichen Angebots voraus, dass die Lernenden nicht nur wissen, was sie zu suchen haben, sondern auch, wo sie es finden können. Beides verlangt und erlaubt selbstverantwortete Orientierung, ein aktives und zielgerichtetes Verhalten. Der Unterricht bietet für solche Aktivitäten Raum und variantenreiche Möglichkeiten, sie aufzunehmen und zu entwickeln. Solche Perspektiven sind in der didaktischen Diskussion bisher eher vernachlässigt worden und werden erst in letzter Zeit in einiger Breite diskutiert (vgl. die Hinweise in ΙΠ.2). c. Schrift und Unterrichtsarbeit Die eben angesprochene Rolle des Schriftlichen - dass es Rück- und Zugriffe erlaubt parallel zu ablaufender Arbeit - wird vor allem deutlich als strukturierendes Prinzip in vielen Unterrichtsaktivitäten. Dies wurde oben schon angesprochen, wenn gesagt wurde, dass Schriftliches die Unterrichtsarbeit stützen kann; es soll in diesem Zusammenhang noch einmal kurz darauf eingegangen werden. Herrlitz (1986) analysiert ein kurzes Transkript aus einer Gruppenarbeit von niederländischen Deutschlernern, welche einen Dialog (für das spätere Vorspielen vor der Klasse) vorbereiten. Dabei treffen sie verschiedene Probleme an - z.B. beschäftigt sie ziemlich intensiv die Frage, ob es "ich wille" oder "ich will" heisst, ebenso die, ob es "nach Münster" oder "zu Münster" heisst. Die Frage nach der Verbform von 'wollen' wird schliesslich durch Nachfrage beim Lehrer entschieden. Zu diesem Transkript bemerkt Herrlitz: Es ist wichtig zu registrieren, dass im wi//i-Beispiel die Spezifizierung der Regel [...] nicht spontan eintritt, sondern durch eine Korrektur des Mitschülers Α und durch eine einschlägige Auskunft des Lehrers stimuliert wird: in dieser Unterrichtssituation spielen - auch wenn von direkter Steuerung im typischen lehrerdominierten Unterrichtsgespräch nicht die Rede sein kann - ein hoher Grad von Kontrolle der sprachlichen Richtigkeit und eine deutlich reflexive Haltung gegenüber sprachlichen Problemen eine wichtige Rolle. (Hentitz 1986: 51)
Herrlitz interpretiert die Daten im Zusammenhang mit lerntheoretischen Überlegungen. Interessant für den gegenwärtigen Zusammenhang ist, dass er am Anfang zwar erwähnt, aber sonst nicht darauf eingeht, dass die beiden Lerner ihren Dialog schreiben. Es ist anzunehmen, dass die schriftliche Fixierung diese intensive Auseinandersetzung um die sprachliche Form nicht nur erleichtert, sondern erst provoziert und in der hier stattfindenden komplexen Weise möglich macht. Denn Verschriftlichung zwingt
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zur Festlegung. Was mündlich als freie Variation oder unwichtige Differenz zwischen den Kenntnissen der zwei Lernenden kaum Aufmerksamkeit finden und ohne Konsequenz bleiben würde, muss im Schreiben entschieden werden. Zudem ist das Schriftbild - der bereits geschriebene Satz oder die leere Stelle auf dem Blatt, wo das zu Schreibende hingehört - ein Fixpunkt, auf den sich die Arbeitenden konzentrieren können und auf den sich ihre Beiträge - manchmal sprunghaft verschiedene Aspekte beibringend - beziehen. Bei dieser Arbeit geht es um Normaspekte, jedoch offenbar um solche, die im Bewusstsein der Lernenden in der Lösung ihrer Aufgabe wichtig werden, die ganz eindeutig in die inhaltsbezogene Arbeit integriert sind. Sie kommen ins Spiel aufgrund dessen, zumindest stark gestützt dadurch, dass die Aufgabe schriftlich gelöst wird. Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Schrift eröffnet die Möglichkeit einer neben der unterrichtlichen Interaktion nebenherlaufenden, diese intensivierende Beschäftigung mit der Sprache. Sie ermöglicht aber auch individuelle Arbeit, in der sie den Sprachkontakt ausschliesslich bestimmt. Damit schafft sie neue, autonome Zugangsweisen zur Sprache im Unterricht und ausserhalb - etwa im stillen Lesen, im Schreiben von Übungsaufgaben oder schliesslich im formulierenden Schreiben. Es wird die Hauptaufgabe des zweiten Teil dieser Arbeit sein, die Möglichkeiten, Formen und Chancen des formulierenden Schreibens zu skizzieren und u.a. nach den Bedingungen zu fragen, unter denen die Momente der Autonomie, wie sie oben genannt wurden, ausgeweitet und als ganze Inseln autonomer Arbeit an und mit der Sprache ins Lernen eingebracht werden können. 1.3.3 Exkurs: Darstellung von Sprache im Mündlichen Auch im mündlichen Sprachgebrauch zeigen sich im Unterricht Phänomene, die durch ihren engen funktionellen Zusammenhang mit den eben dargestellten Verfahren auffallen. Mündlicher Sprachgebrauch vor allem der Lehrer, in geringerem Masse der Lernenden (ausser sie arbeiten in Gruppen miteinander), ist voll von Wiederholungen, aber auch von anderen, vor allem erweiternden Verfahren. Diese gehören zur Lehrersprache bzw. zum Fremdenregister, wie sie bereits kurz dargestellt worden sind; die in Untersuchungen zum Input vorherrschende quantitative Betrachtung macht allerdings die hier in den Vordergrund gestellten qualitativen Zusammenhänge nicht sichtbar. Mitchell (1983) führt in einer unvollständigen Liste etwa folgende Verfahren auf: - Substitution (Einsatz von Synonymen und Quasisynonymen) - Erläuterung (Umschreibung zur Bedeutungserklärung) - Kontrastierung (Abhebung von anderen Wörtern im selben Wortfeld oder von Antonymen usw.) - Anführen von Beispielen (Unterbegriffe für einen Oberbegriff usw.) - Hinweise (Verwendung fixer Assoziationen wie 'Pyramide-Ägypten')
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- Übersetzung - mimische/gestische Aktualisierung Die Grenzen zwischen den einzelnen Fällen, die Grenzen auch zu normalen, unvermeidlichen Phänomenen kommunikativer Sprachverwendung sind oft nicht klar zu sehen. So sind Wiederholungen und Paraphrasierungen Bestandteil jeden Sprechens. Unterrichtliche Kommunikation, wahrscheinlich Kommunikation mit Fremdsprachigen generell, zeichnet sich aus durch die Häufigkeit des Gebrauchs solcher Verfahren, aber auch durch die Intention, die damit verbunden ist. Auffällig ist vor allem der nicht-rhetorische Charakter dieser Mittel, auch, dass solche Prozeduren (z.B. Wiederholung, Umschreibung) häufig selbst wieder repetiert werden wie etwa in folgendem Beispiel1: Τ Oui? Ρ Emm ... j 'ai oublii mon livre ... Τ Bon - heureusement tu n'en a pas besoin. Tu n'en a pas besoin. What do you think I'm saying, "tu n'en a pas besoin"? Ρ It doesn't matter. Ρ You don't need iL Τ Oui, c'est ga. You don't need it, tu n'en a pas besoin. (Mitchell 1983: 52)
Diese Verfahren dienen vorab dazu, einem realen oder vom Lehrer antizipierten möglichen Unverständnis zu begegnen. Mitchell bezeichnet es als eine der wesentlichen Fertigkeiten eines kommunikativ unterrichtenden Lehrers, solche Fälle vorauszusehen, richtig wahrzunehmen und erfolgreich zu lösen (Mitchell 1983: 53), und ähnlich argumentiert Wong-Fillmore, wenn sie die Strategien erfolgreicher Lehrer (im fremdsprachigen Fachunterricht in einer Immersionssituation) charakterisiert: [They] frequently adopt pattern or routines for their lessons that have the appearance of pattern-substitution drills, the big difference being that the ones found her are used in the teaching of subject matter rather than for practice. (Wong-Fillmore 1985: 39f.)
Die Schwierigkeiten, die so bewältigt werden, sind meist Kode-Probleme; die Lösungsstrategien müssen, wollen sie erfolgreich sein, zwangsläufig auf Sprache Bezug nehmen und die sprachlichen Mittel herausstellen. Die Wiederholung hebt einen Ausdruck aus einer Äusserung heraus und identifiziert seine Grenzen, die verschiedenen anderen Techniken dienen seiner Verankerung in verschiedenen Wissensnetzen - primär steht meist die Bedeutungsexplikation durch Anbindung an andere Wortbedeutungen oder Sachkontexte; dabei sind die primären Intentionen wohl die, die bereits vorhandenen fremdsprachlichen Kenntnisse beizuziehen und neue oder problematische Ausdrücke in die bereits gebildete Kompetenz einzubinden, was, wie das Beispiel zeigt, nicht immer möglich sein dürfte2. 1 2
Τ = Lehrer, Ρ = Lernende. Der Verweis auf Sachen (oder Bilder usw.) dient indirekt ebenfalls der Anknüpfung an Wortbedeutungen oder wortgebundene Konzepte, meist wohl an muttersprachliche. Der Verweis auf einen Pullover z.B. ist vieldeutig - aus dem Kontext muss erschliessbar sein, ob der Gegenstand benannt wird, ob das Material, die Farbe usw. gemeint ist oder ob er als Beispiel fiir einen Begriff ('Kleidungsstück') herhalten soll.
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Die Verfahren bilden so den Versuch «to expand foreign language competence without sacrificing communicative foreign language use» (Mitchell 1983: 53). Auch hier wird gleichzeitig mit dem Versuch, Mitteilungen klarzumachen, die sprachliche Basis der Kommunikation thematisiert, indem sprachliche Einheiten aufgewiesen, verschiedene Bedeutungsbeziehungen expliziert und damit Verbindungen, die zum grossen Teil auch ausserhalb der aktuellen Kontexte gültig sind, nicht einfach gebraucht, sondern zuhanden der Lernenden erst einmal etabliert werden. Variierende Repetition z.B. beruht auf small changes in them which may in fact serve to call the learners' attention to places within such expressions where forms can be substituted. In this way, learners can figure out some of the substitution rules in the language, and they get some clues as to alternative ways of saying the same thing. (Wong-Fillmore 1985:40)1
Natürlich ist es möglich, trotz dieser Angebote im rein verstehenden Zugang zum Gesagten zu verharren. Dennoch ist, wie die jederzeit möglichen Erweiterungen dieser Strategien zu Erklärungen, Rückfragen, Vergewisserungen, auch zum Aufschreiben zeigen, schon in ihnen ein Appell an die Lernenden enthalten, sie wahrzunehmen und als mögliche Wissensquellen zu benutzen. Von den beobachteten Lehrern, die in ihrer Arbeit den gross ten Erfolg zu verzeichnen hatten, hält Wong-Fillmore fest: «The teachers in successfull classes tended to use language in ways that called attention to language itself.» (ebda.: 42) Dies geschah allerdings, wie sie explizit festhält, durch Verfahren wie die genannten, auch in spielerischem Umgang mit Sprache, nicht so sehr durch Lehren: There was, throughout these lessons, an emphasis to help students to develop a greater control of the forms, functions, and uses of the new language. The teachers did it in more ways than by what they taught, however; they also exemplified it in their own use of the language. (Wong-Fillmore 1985: 43)
Die besprochenen Verfahren beschreiben, wie im unterrichtlichen Tun selbst neue oder schwierige sprachliche Ausdrücke in den Unterricht eingebracht oder neu aktualisiert werden. Sie alle, mit Ausnahme der fundamentalsten von allen, der Wiederholung, lassen sich als Versuche der Bildung minimaler Paradigmen verstehen, das heisst der Bildung von Klassen von Ausdrücken, die in einem bestimmten Bereich gemeinsame linguistische Eigenschaften haben (ähnliche Bedeutung, gegensätzliche Bedeutung, gleiche Flexion usw.). Natürlich sind die Informationen, die durch eine Paraphrase, eine Erläuterung usw. gegeben werden, in den wenigsten Fällen ausreichend, die linguistischen Dimensionen umfassend zu bestimmen. Dies ist jedoch in den wenigsten Fällen wirklich nötig - hingewiesen werden muss zunächst nur auf problematische Dimensionen. Wenn einer von
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Hier wird auf ein vorläufiges Verständnis des Themas der Explikation abgestellt und im übrigen mit Kategorien gearbeitet, deren Verfügbarkeit vorausgesetzt wird. Wong-Fillmore vermutet ähnliche Effekte für die häufig angetroffenen erweiternden Paraphrasen, die Lehrer von Lemeräusserungen geben. Gleichzeitig dienen Selbstund Fremdparaphrasen wahrscheinlich auch dem Zweck, durch mehrmaliges Sagen die Chance für die Lernenden zu erhöhen, die Mitteilungen besser zu verstehen.
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
Mitchells Lehrern zur Bedeutungserklärung von 'jardin' auf 'pare' verweist, so ist die sicher in keiner Weise linguistisch beeindruckend; im Kontext einer Französischstunde in Schottland mag dies jedoch genügen, um zumindest vorläufig ein semandsches oder konzeptuelles Feld abzustecken. Die Ähnlichkeiten mit den schriftlichen Formen der Herausstellung von sprachlichen Einheiten und Strukturen sind nicht zu übersehen, allerdings auch nicht die Differenzen. Während die mündlichen Formen ebenso flüchtig sind wie der Diskurs, in den sie eingebettet sind, diesen auch oft wohl eher stören als seine Verständlichkeit fördern, bleibt das schriftlich Fixierte bestehen. Es ist zudem eindeutiger segmentiert und kann in vielerlei neue Beziehungen eingebacht werden. Ebensowichtig ist wohl, dass es in ein potentiell ganz anderes Verhältnis zu den Aktivitäten der Lernenden tritt: Mündliche Wiederholungen und Erweiterungen bleiben ganz im Verfügungsbereich des Lehrers (Lernende greifen weniger häufig zu solchen Mitteln, haben meist auch weniger Zeit zu sprechen). Sie gehorchen seinen Vorstellungen davon, was schwierig, klärungsbedürftig usw. ist. Schriftliches ist aus diesem Verhältnis entlassen, es kann autonom abgefragt werden. Der Unterricht - dies ist ein Merkmal, das ihn von natürlichen Situationen unterscheidet - besteht nicht nur im Hinweis auf neue Ausdrücke und die Klärung ihrer Bedeutung, er hat auch die Aufgabe, die Aneignung solcher neuer sprachlicher Ausdrücke zu befördern, ihren Gebrauch zu provozieren und so ihre Integration in die vorhandenen Bestände zu unterstützen. Kaum ein Unterricht begnügt sich hier mit der natürlich zu erwartenden Frequenz des Wiederauftretens von Wörtern, Ausdrücken oder Strukturen. Didaktisches Prinzip ist, sei es durch Übungen und Drill, sei es durch geschickte Wahl von Themen und Aufgabenstellungen, diesen Gebrauch zu intensivieren, das heisst die Zirkulation sprachlicher Ausdrücke im Unterricht durch geeignete Mittel zu forcieren1. Das Grundprinzip der Zirkulation ist Wiederholung von Lexik, Strukturen, Aussageweisen durch Lehrer und Lernende, bei der es darum geht, als bekannt Vorausgesetztes im Gebrauch zu erproben und womöglich zur Mitteilung einzusetzen2. Dies ge1
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Als Formen der Zirkulation kennt die audiolinguale Methode vor allem den Drill und das Auswendiglernen und Vortragen. Neue Formen sind durch eine entschiedene Ausweitung und Veränderung dieser Art des Übens in Richtung auf die Verwirklichung grösserer kommunikativer Rückbindung an Situationen, persönliche Gegebenheiten oder zu erstrebende Ziele (etwa beim Spielen) entstanden; diese Veränderungen bewirken oft eine Verminderung der Berechenbarkeit sowohl in bezug darauf, ob gewisse Elemente oder Strukturen auftauchen, wie auch ihrer konkreten Ausgestaltung. - Vgl. Beispiele in Butzkamm (1980: 45ff., 79ff., 11 Iff.); Ellis (1984b: 90,96, 103,114). Zirkulation ist im Extremfall möglich durch den Lehrer allein: Er kann, vor allem im Anfängerunterricht, der einzige sein, der sprachliches Material in die Interaktion einbringt. In der Unterrichtsmethode des 'Total Physical Response' spricht während einer gewissen Zeit nur der Lehrer, die Lernenden reagieren körperlich auf seine Auf-
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schieht überall, wo in Variation, Paraphrase oder freier Äusserung auf Gelesenes zurückgegriffen wird, in wiederholter Art Fragen über Freizeit oder die Verwendung von Taschengeld gestellt werden, bei der Einführung der Komparation die Lernenden in einigen Sätzen Mitglieder der Gruppe miteinander vergleichen usw.1. Eine solche Aktivität führt fast notwendig weiter zu einem dichten Netz von Variationen und damit erneut zur Bildung von Paradigmen. Der Bereich, die Formen und die Möglichkeiten dieser Zirkulation weiten sich beträchtlich aus, wenn im Unterricht auch geschrieben wird: Dann sind nicht nur die verschiedenen Formen lehrergesteuerter Wiederholung, sondern auch Umsetzungen vom Mündlichen ins Schriftliche und zurück möglich, ebenso andere Arbeitsweisen mit weitergespannten, auch kooperativen Planungs- und Produktionsphasen. Auch im mündlichen Bereich selbst kennt die Zirkulation nicht nur die hier angesprochenen kurzen Zyklen innerhalb eines - in sich vielleicht vielfach strukturierten - Arbeitsgangs. Durch Wiederholung in späteren Lektionen, Wiedergebrauch in anderen thematischen Kreisen, Prüfungen und schliesslich einen meist spiralförmigen Aufbau von Kursen wird eine Zirkulation auf lange Frist in Gang gesetzt. Der Aufbau einer Sicherheit im Umgang mit den semantischen und syntaktischen Eigenarten neuer Ausdrücke lässt sich verstehen als Ergebnis der kumulierten Erfahrungen, die durch solchen produktiven und rezeptiven Gebrauch, durch Wiederholung und Veränderung gesammelt werden. Was Sampson zum Erwerb sprachlicher Funktionen sagt, lässt sich auch hier in genereller Form sagen: Once a syntagmatic form is learned, that form itself may serve to initiate exploration in the paradigmatic realm. Such paradigmatic exploration could in tum lead to further syntagmatic development in a specific function. (Sampson 1982:20)
Die Arbeit an der Erstellung solcher Paradigmen braucht sich durchaus nicht auf die Wortebene zu beschränken. In der Lösung von Übungen, in der Beantwortung von Fragen zu Texten, in der Erzählung und Nacherzählung von Gegebenheiten, beim Zusammenfassen fügen sich - teils aufgrund der Aufgabenstellung, teils erzwungen durch die Beschränktheit der zur Verfügung stehenden sprachlichen Mittel, auch ganze Sätze, syntaktische Konstruktionen usw. zu Paaren, Serien und bilden Paradigmen auch im Wortsinne: Sie sind und bilden Beispiele für verschiedene Möglichkeiten des sprachlichen Ausdrucks.
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forderungen. Hier ist, aus ganz bestimmten didaktischen Gründen, der Lehrer der einzige Produzent und 'Verwalter* sprachlichen Materials. Nissen (1982: 192) weist auf die hervorragende Rolle immanenter Wiederholung hin; allerdings scheint er sich allein auf die natürliche Rekurrenz von Wörtern und Strukturen im Gespräch zu beziehen. Lehrer und sehr häufig auch die Lernenden selbst sind aber bestrebt, solche Rekurrenzen nicht einfach geschehen zu lassen, sondern sie suchen Gelegenheiten dazu.
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1.3.4 Zusammenfassung: Aufmerksamkeit auf Sprache Die in 1.2 behauptete Tendenz des Unterrichts, Sprache zum Thema zu machen, wurde in den Ausführungen dieses Abschnitts konkretisiert; danach arbeiten der Lehrer, die Materialien, zum Teil auch die Lernenden im Unterricht auf die Darstellung von Sprache hin: Es werden Angebote geschaffen, welche die Aufmerksamkeit der Lernenden auf die verwendete Sprache lenken und sie zu eigenem Aufmerken, zur Hinwendung auf die sprachlichen Mittel animieren sollen. Diese Aufmerksamkeit auf Sprache setzt eine bestimmte reflexive Leistung voraus; es bleibt aber weitgehend im Belieben der Lernenden, ob und in welchem Ausmass sie diese Aufmerksamkeit aufbringen wollen oder können. Diese Massnahmen lassen sich interpretieren als Vorbedingung und Vorstufe für die ständig mögliche und tatsächlich immer wieder bewerkstelligte explizite Reflexion auf Sprache (vgl. Bausch 1986; Herrlitz 1986; Königs 1986a; Königs/Hopkins 1986). Im weiten Bereich zwischen den Formen expliziter Reflexion auf Sprache und dem aus unterrichtlicher Kontrolle entlassenen freien Sprachgebrauch ist es diese ständige Aufforderung zum 'zweiten Blick', die Anstrengung, hinter und mit dem Gesagten seine kanonische Form vorzuzeigen, welche den Fremdsprachenunterricht auszeichnet - wie das Beispiel Herrlitz' zeigt, gilt dies durchaus auch in der lernergesteuerten Arbeit1. Aus diesen Darlegungen wird klar, dass es im Sprachunterricht kaum eine Möglichkeit gibt, eine mehr oder weniger formbestimmte Aufmerksamkeit auf Sprache zu vermeiden. Es scheint, dass hier eine Grunddimension von Unterricht zum Vorschein kommt, die sich anhand des Gebrauchs der Schrift besonders deutlich zeigt, zu der auch die Schrift dank ihrer Eigentümlichkeit eine gewisse Affinität aufweist, die sich aber auch im Mündlichen durchsetzt. Wenn wir mit 'Schriftlichkeit' die Dimensionen verstehen, durch die sich Schrift vor allem auszeichnt - Permanenz, Offenheit für wiederholten Zugriff, Leichtigkeit der Isolierung von Einheiten dank einer klaren und normativen Segmentierung - so können wir sagen, dass das Prinzip der Schriftlichkeit für den Unterricht konstitutiv ist. Denn ein wesentliches Moment von Unterricht besteht darin - ob dies nun auf schriftlichem oder mündlichen Wege geschieht - , durch jene zweite, auf die verwendeten Mittel gerichtete Intention, die sprachlichen Einheiten und Strukturen zu isolieren, in ihrer Eigenart zu zeigen und als von den einzelnen Kommunikationsakten unabhängige, das heisst ständig verfügbare und vielfältig einsetzbare im Gedächtnis niederzulegen.
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Es ist demgemäss nicht genug, Phasen des Lemens/der Sprachreflexion von solchen der Interaktion abzuheben; vielmehr wird diese Trennung duch die Konzepte der Darstellung von Sprache und der Aufmerksamkeit auf Sprache relativiert. Vgl. auch Allwright (1984b: 165), der drei «forms of guidance» unterscheidet: Erklärung/Deskription, Feedback und «clues or hints designed to draw attention to criterial features of the target language». Es ist unmittelbar einsichtig, wie ähnlich vorab die beiden letzten sind - Feedback bedient sich in vielen Fällen sehr ähnlicher Formen wie die initiierenden Versuche, Sprachliches durchsichtig zu machen.
1.4 Sprachlemen im Unterricht
2
145
Erwerbstheorie und Unterricht
Die Ausführungen im letzten Abschnitt haben einige irreduzible Momente von Unterricht hervorgehoben. Es mag im Unterricht phasenweise möglich sein, quasi 'natürlich' zu kommunizieren; als institutionalisierte und zielgerichtet geplante Situation ist er seiner Konstitution nach aber kaum so beschaffen, dass er dauerhaft die Form von Auseinandersetzung annehmen könnte, welche den meisten Untersuchungen zur Zwischensprache als Urbild natürlicher Kommunikation zugrunde liegt: der ungeplante, situativ eingebettete, private und dialogische Sprachgebrauch. Die Umstände, unter denen im Unterricht Situationen entstehen und die Sprache gebraucht wird, sind andere1. Vor diesem Hintergrund liesse sich die Frage stellen, ob eine erwerbstheoretisch argumentierende Didaktik überhaupt möglich ist, ob Unterricht nicht seiner Struktur nach erwerbsunfreundlich sei. Dem ist zu entgegnen, dass die natürliche Kommunikation zwar das bevorzugte Medium der von der Zwischensprachforschung untersuchten Erwerbsprozesse darstellt. Die Erwerbstheorien haben aber nie undifferenziert so etwas wie 'natürliche Kommunikationssituation' rekurriert, wenn sie Spracherwerb zu erklären versucht haben. Sie haben auf durchaus unterschiedliche Weise nicht einfach die vorhandenen, sondern die wirksamen und kausalen Momente zu benennen versucht, welche die sprachlichen Lernprozesse in Gang setzen. Aus erwerbstheoretischer Sicht können 'natürliche* Kommunikationssituationen deshalb streng genommen nicht als die einzig möglichen Situationen des Spracherwerbs bezeichnet werden; sie sind einfach die normalerweise gegebenen2. Dies schliesst nicht aus, dass auch anders konstituierte Situationen - etwa unterrichtliche - die entsprechenden kausalen Momente inkorporieren und Aneignungsprozesse in Gang setzen können. Die Erwerbstheorien haben Rahmenkriterien herausgearbeitet, denen aneignungsrelevanter Sprachkontakt gerecht werden muss, sie spezifizieren nicht konkrete Situationen in all ihrer variablen Vielfalt. In dieser Differenz liegt die Möglichkeit begründet, Erwerbstheorie auch für den Unterricht fruchtbar zu machen. Das Ziel des Unterrichts ist ja nicht, möglichst 1
2
Es ist darauf hinzuweisen, dass Sprachunterricht sich damit zwar von Alltagssituationen unterscheidet, er tut dies jedoch nicht absolut. Die alltägliche Kommunikation ist offen fur Sprachspielereien, Aufmerksamkeit auf sprachliche Form und sogar Reflexion auf Sprache (vgl. Clark 1978; Heniitz 1986), wie umgekehrt der Unterricht auch die Möglichkeit zum nichtreflektierten, allein auf die unmittelbaren Inhalte und Ziele der Kommunikation gerichteten Sprachverhalten zumindest phasenweise offenlässt Es dürfte sehr schwierig zu belegen sein, dass sie gleichzeitig auch die optimalen sind. Es sind keine akzeptieren Standards vorhanden, welche zu fassen erlaubten, welches 'die Ziele' der Fremdsprachenaneignung sind, auch keine Verfahren, welche Parameter wie Planbarkeit der Aneignung, investierte Zeit, Lernerfolg und Dienlichkeit des Erworbenen in eine quantifizierbare Relation zueinander brächten. Die oben angesprochenen Studien, welche eine leichte Überlegenheit der gelenkten Sprachaneignung konstatierten, beruhen auf dem Vergleich der in verschiedenen Aneignungssituationen erworbenen Fertigkeit, Sprache zur Konversation zu verwenden.
146
Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
'natürliche' Kommunikation, sondern möglichst effiziente Aneignungsprozesse in Gang zu setzen und zu unterhalten. Im folgenden werden drei erwerbstheoretisch argumentierende fremdsprachendidaktische Konzepte kurz vorgestellt und darauf hin kommentiert, wie in ihnen die erwerbstheoretischen Grundlagen mit den Bedingungen der Unterrichtssituation vermittelt sind. Dominant werden die bereits im letzten Abschnitt von 1.3 diskutierte Themen bleiben, nämlich die Frage nach dem Stellenwert des Lernens sowie das Verhältnis von Rezeption und Produktion. Im Zentrum der Diskussion bleiben also die grundlegenden Konzepte; es geht nicht um die konkreten Unterrichtsverfahren, welche befürwortet werden, sondern um deren Begründung. Abschliessend wird auf die Stellung des Schreibens in einem so begründeten Unterricht eingegangen. 2.1
Fremdsprachendidaktik auf erwerbstheoretischer Basis
2.1.1 Vorbemerkungen Didaktisch ausgerichtete erwerbstheoretische Positionen sind, bei allen Verschiedenheiten im Detail, generell durch zwei Eigenschaften geprägt. Einerseits berufen sie sich auf jene Problematik, die bereits in 1.3 diskutiert wurde und die vereinfachend als Lernen/Erwerben-Unterscheidung bezeichnet werden kann. Mit diesem Punkt ist die wesentliche Einsicht verbunden, dass auch im Unterricht ein wichtiger Teil der Aneignungsleistungen durch unbewusste, nur schwer steuerbare Prozesse erbracht wird (vgl. Raabe 1986). Eng verbunden damit sind gewisse Vorbehalte gegen das Lehren und Lernen, welches in traditionellen Verfahren im Vordergrund didaktischer und methodischer Überlegungen gestanden hat und das - zumindest dem Anspruch nach - davon ausgegangen ist, dass alles für die Lernenden Neue durch den Lehrer, bzw. die Lehrmaterialien in didaktisch präzise aufgearbeiteter Weise als Lernstoff dargeboten werden müsse. Im Ausmass der Distanzierung von solchen Verfahren sind allerdings grosse Unterschiede auszumachen1. Andererseits gehen sie von definierten Konzepten dessen aus, was erwerbsrelevanter Sprachkontakt ist. Generell stellen sie für fruchtbare Sprachaneignung auch im Unterricht die Rolle kommunikativen Sprachgebrauchs in den Vordergrund. In dieser Hinsicht schliessen sie an die kommunikative Didaktik an, wie sie in 1.1 an einem Beispiel dargestellt wurde. Allerdings ergeben sich gegenüber Ansätzen, die sich allein auf Kommunikationstheorie und Pragmatik berufen, einige wesentliche Verschiebungen. Vor dem Hintergrund der jeweiligen Erwerbstheorie ist qualifizierbar, was jeweils als Kommunikation, allgemein: als erwerbsrelevanter Sprachgebrauch gelten kann. Demgemäss braucht die unterrichtliche 1
Dass viele Dinge in der fremden Sprache nicht gelehrt zu werden brauchen oder sehr schwer zu lehren sind, ist natürlich eine alte Einsicht, nur sind daraus selten so deutliche Konsequenzen gezogen worden wie in der Erwerbstheorie.
1.4 Sprachlemen im Unterricht
147
Auseinandersetzung mit Sprache nicht kanonischen Mustern 'natürlicher' Kommunikationssituationen zu folgen (obwohl sie dies kann, wenn und soweit sich dies aus den Anforderungsprofilen, etwa Lernzielen, als Erfordernis ergibt). Im Zusammenhang damit ist auffällig, wie sich in erwerbsorientierten Didaktiken die Diskussion um Authentizität von Unterricht viel weniger als in anderen kommunikativen Ansätzen an der Frage der sprachlichen Mittel entzündet, also daran, ob und wie weit die unterrichtlich genutzten Modelle wirklich authentischen Sprachgebrauch wiedergeben, sondern vor allem an der Frage, ob der unterrichtlich angeregte Sprachgebrauch von den Lernenden als sinnvoll wahrgenommen werden kann. Dies ist - in aller Kürze - das entscheidende Merkmal, welches alle erwerbstheoretischen Ansätze in den Vordergrund rücken. Die Fehler, die in einem solchen sinnvollen, das heisst aber zumindest zum Teil unvorhersehbaren und deshalb nicht vollständig kontrollierten Austausch zwangsläufig auftreten, müssen nicht als lernverhindernd interpretiert werden, wie dies der Audiolingualismus und in seinem Gefolge, wenn auch abgeschwächt, auch formalistische kommunikative Didaktiken taten. Den erwerbstheoretischen Didaktiken stellen sich deshalb die unterrichtlichen Steuerungs- und Kontrollaufgaben anders dar, bei weiten nicht so eng und einschränkend wie in traditionelleren Entwürfen. Sie lassen sich demgemäss als informelle kommunikative Didaktiken verstehen1. Solche neue Gesichtspunkte und ihre Begründung prägen die Selbstdarstellung der erwerbstheoretischen Didaktiken entscheidend. Sie sind denn auch oft auf Widerstand gestossen und als extrem, nicht praktizierbar usw. apostrophiert worden2. Dieser Eindruck rührt wohl daher, dass sie oft pointiert die Schwachstellen (oder was dafür gehalten wird) älterer didaktischer Verfahren aufdecken, vor allem aber daher, dass sie Veränderungen in der hergebrachten Weise des Unterrichtens fordern, welche in vielem den etablierten fremdsprachendidaktischen Gepflogenheiten zuwiderlaufen. Ich möchte im folgenden aber nicht diese Aspekte in den Vordergrund rücken, sondern kurz zu skizzieren versuchen, auf welche Weise und wie weit in 1
2
Ellis (1984b: 197) weist auf eine Serie von Begriffspaaren hin, welche sich auf den gleichen Sachverhalt beziehen. Vgl. auch Rivers' (1981: 214f.) Diskussion. Ihre in jüngeren Publikationen immer stärkere Betonung der Notwendigkeit eines raschen Übergangs von Aktivitäten des «skill-getting» zu solchen des «skill-using» zeigt den Einfluss der hier angesprochenen neuen Vorstellungen über Sprachlemen (vgl. Rivers 1983: 59f. und Kap. 12). - Informelle Ansätze sind auch unabhängig von Erwerbstheorien propagiert worden (vgl. etwa Breen/Candlin 1980). Überzeugungskraft erhalten diese jedoch erst vor dem Hintergrund erwerbstheoretischer oder analoger lemtheoretischer Begründungen. Der Begriff der Kommunikation kann fremdsprachendidaktische Entscheidungen nicht allein tragen. Vgl. Apelt 1987; Reinecke 1987; Digeser 1988. - Dass diese Ansätze - vor allem der bekannteste von ihnen, der Krashens - so aufgenommen werden, weist allerdings auch auf einige Vagheiten und Unklarheiten in der didaktischen Umsetzung erwerbstheoretischer Einsichten hin.
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
drei Ansätzen auf erwerbstheoretischer Basis die institutionellen Bedingungen von Unterricht aufgenommen und mit den erwerbstheoretischen Grundlagen vermittelt werden, und damit einige Aspekte herausstellen, welche die starken, wenn auch weniger beachtete Verbindung dieser Positionen mit traditionellen didaktischen Fragestellungen aufzeigen. 2.1.2 Drei erwerbstheoretische Ansätze für den Unterricht a. Krashen: Lernen und Erwerben
Die wichtigsten didaktischen Konsequenzen, die Krashen aus seiner Erwerbstheorie zieht, lassen sich in einigen wenigen Punkten zusammenfassen. Die meisten davon beziehen sich direkt auf die in 1.3/4 dargestellte Grundlage1. 1. Die Hauptfunktion des Unterrichts ist es, verständlichen Input zu verschaffen, und zwar in möglichst angstfreien Situationen: The input hypothesis and the concept of the Affective Filter define the language teacher in a new way. The effective language teacher is someone who can provide input and make it comprehensible in a low anxiety situation. (Krashen 1982: 32)
Optimaler Input ist für die Lernenden verständlich und interessant bzw. relevant. Nach Krashen wirkt er erwerbsfördernd, wenn er unbekannte Strukturen nicht gänzlich vermeidet und in genügender Dichte Strukturen auf der Ebene 'i+1' enthält, also jenes Bereichs, welche die Lernenden auf ihrem Erwerbsweg als nächste werden beherrschen lernen (für eine nähere Bestimmung siehe Krashen 1982: 62ff.; 1985). Die linguistische Vagheit dieses Konzepts braucht praktisch kein Nachteil zu sein - genauso wie Sprachanpassungen, die ganz intuitiv vorgenommen werden, durchaus spürbare Erleichterungen für die Verständigung bringen können, enthält nach Krashens Ansicht grob auf Lerner zugeschnittener Input die notwendigen Strukturen. 2. Lernende brauchen nur dann korrigiert zu werden, wenn im Unterricht explizit gelernt wird, wenn also der Monitor im Spiele ist. Wo mitteilungsbezogen Sprache gebraucht wird, sind Korrekturen nicht nur hemmend (sie können Ängstlichkeit, also den affektiven Filter, ins Spiel bringen), sondern auch unnötig, denn nach der Theorie spielt der Output keine Rolle für den Erwerb, er ergibt sich einfach und kann nicht eigentlich gelehrt werden. Aus denselben Gründen empfiehlt Krashen für den Anfängerunterricht, die Lernenden nicht zu zwingen, die fremde Sprache (mündlich, produktiv) zu gebrauchen, wenn sie nicht von sich aus dazu bereit sind. 3. Da das Lernen und der auf Gelerntem beruhende Monitorgebrauch nur in bezug auf Produktion definiert sind, folgt daraus, dass das Lernen eine nur sekundäre Rolle spielt. In verschiedener Hinsicht kann es aber nützlich oder gar nötig sein, möglichst korrekt zu sprechen; entsprechend ist weder das Lernen noch die Übung zum Monitor-Gebrauch nutzlos. Krashen unterscheidet verschiedene Typen von Lernern; Ziel ist (wenn in einem 1
Zum Folgenden vgl. auch Omaggio 1984.
1.4 Sprachlemen im Unterricht
149
Kurs überhaupt Gewicht auf Lernen gelegt wird) ein massvoller und gezielter Einsatz des Monitors, weder seine Vernachlässigung noch störende Überbenutzung. 4. Der letzte Punkt hat mit der Einschätzung des Unterrichts als Lemsituation zu tun. Unterricht ist nach Krashen ein potentiell höchst geeigneter Ort, eine fremde Sprache zu lernen, vor allem für Jugendliche und Erwachsene, wenn sie die fremde Sprache zu lernen beginnen. Anders als Kinder finden sie nicht leicht eine informelle 'natürliche' Umwelt, in der intensiv, empraktisch eingebunden und mit grosser Wiederholungsdichte gesprochen wird. Der Input, der an solche Lerner gerichtet wird, ist meist bereits zu komplex, zu wenig am Hier und Jetzt und an konkreten Dingen und Handlungen orientiert, so dass es höchst schwierig oder sogar unmöglich sein kann, zumindest die ersten Phasen des Erwerbs zu durchlaufen. Der Unterricht ist aus seiner Struktur heraus imstande, adäquate Angebote zu machen, ohne Zwang «to exceed linguistic competence dramatically» (Krashen/Scarcella 1978:294)1. Verständlicher Input, Krashens Kernkonzept, ist didaktisch recht problemlos zu realisieren. Unterricht nimmt eine etwas andere Form an, wenn er so gestaltet wird, dass er zuhanden der Lernenden die fremde Sprache in ihrem kommunikativen Funktionieren modelliert. Solcher Input ist im Rahmen von Unterricht aber problemlos produzierbar, vielleicht sogar besser als ausserhalb. Denn die schulischen Umstände erlauben es, ihn gezielter und dienlicher zu gestalten, als dies in natürlichen Situationen der Fall ist2. Dadurch, dass Produktion als zweitrangig erscheint, entlastet dieses Konzept den Unterricht von zahlreichen konfliktiven Anforderungen, ist es doch vor allem die Forderung nach aktivem, kommunikativem Sprachgebrauch durch die Lernenden, welche den Unterricht oft vor schier unlös1
2
Wie extrem vorhersehbar undrepetitivund gleichzeitig wie anspruchsvoll die Aufforderung zur Kommunikation in einer fremden Sprache sein kann, zeigt folgendes Beispiel eines japanischen Gelehrten «who - presumably after many such interactions gave all his answers for the interaction before questions were even asked - his name, his home university, field of expertise, arrival date, and a statement of pleasure at being in the US» (Hatch 1984: 194). Die Interpretation, dass diese Form des Auskunft-Gebens aus Überforderung stammt, wird von Hatch nicht explizit gegeben; sie legt sich nahe darum, weil ein solcher Bruch der normalen Kommunikationsregeln nur entweder ironisierend gemeint sein kann oder aber sonst als Signal dafür, dass der Sprechende eigentlich unfähig ist, in ein Gespräch einzutreten und es mitzusteuern. Für viele Beispiele und Begründungen dazu siehe Krashen/Terrell 1983. Die meisten hier vorgeschlagenen Themen sind aus der kommunikativen Didaktik wohlbekannt. Was sie von den dort üblichen Verfahren unterscheidet, ist ihre Ausgestaltung. Sie werden weniger zum Anlass genommen, die Lernenden 'üben' zu lassen. Bilder, Schemata, kurze Texte sind Ausgangspunkte für weitgehend vom Lehrer unternommene Explikationen und Frage-Anwort-Spiele, in denen die Lernenden durch (meist kurze) Antworten bloss Bestätigung geben, dass sie verstanden haben, nicht, dass sie die Sprache produktiv beherrschen. Neben diese Aktivitäten treten auch eine Vielzahl von verschiedenen Formen der Einzel- und Gruppenarbeit. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie sich - bei aller Belastung durch Sprachaspekte - immer um inhaltliche Fragen drehen.
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
bare Probleme stellt (oder zu stellen scheint). Die unzweideutige Vorrangstellung der Rezeption gibt den Lehrmaterialien und dem Lehrer, das heisst ohnehin zentralen Faktoren des Unterrichts und zudem den am besten beeinflussbaren, ein grosses Gewicht. Sie sind es, welche den zielsprachlichen Input und damit die erwerbsrelevanten Stimuli bestimmen. Die für den Erwerb wichtigste Grösse erweist sich damit als weitgehend unterrichtsfreundlich. Bezogen auf den Unterricht sind an diesem Konzept zwei weitere Punkte besonders erwähnenswert. 1. Jeder Sprachgebrauch, der die an Input gestellten Bedingungen erfüllt, wirkt als Input. Krashen statuiert explizit, dass auch Unterrichtsaktivitäten, welche die Sprache selbst zum Thema haben, etwa grammatische Erklärungen, als Input wirken können, sofern sie in der Fremdsprache stattfinden und sofern sie Strukturen auf dem Niveau i+1 enthalten (und von den Lernenden verfolgt werden, also in diesem Sinne als interessant erscheinen)1. Das bedeutet, dass die Begriffe 'Lernen' und 'Erwerben' nicht gleichgesetzt werden können mit bestimmten unterrichtlichen Aktivitäten, obwohl natürlich erwerbsfreundlichere von tendenziell weniger geeigneten Unterrichtssequenzen unterscheidbar sind. Krashen differenziert hier genau zwischen der Ebene der erwerbsrelevanten Bedingungen und der der unterrichtlichen Tätigkeiten. Beide, Erwerben und Lernen, können demnach gleichzeitig ablaufen2. 2. Krashen führt verschriftete Sprache, vor allem Lesetexte, als «additional source of input» auf. Lesen ist eine der wichtigen erwerbsfördernden Aktivitäten (vgl. dazu Krashen/Terrell 1983: 13 Iff.). Damit erschliesst Krashen der Didaktik jenen ganzen Bereich des Schriftlichen als potentiell erwerbsrelevant3, durch den der Unterricht ohnehin geprägt ist. Lesen ist auch der wahrscheinlich wichtigste Weg, Sprachaneignung autonom zu gestalten. Diese Hinwendung zum Lesen ist interessant darum, weil die orale Ausrichtung der Zwischensprachforschung damit wie selbstverständlich (und 1
2
3
Übungen konstituieren nach Krashen keinen Input, da sie kaum als sinnvolle Mitteilungen aufgefasst werden, also nicht via Verstehen aufgenommen werden. Die Frage ist jedoch, ob nicht auch hier zumindest Spuren inhaltlichen Verstehens mitspielen müssen, damit die Aufgaben überhaupt gelöst werden könnea Dies ist eine Frage, die sich vor allem an vielen neueren Übungsformen stellt, die nicht länger blosse willkürliche Reihungen von isolierten Allerweltssätzen darstellen. Es ist auszuschliessen, dass auch Lernen dort stattfinden kann, wo Aktivitäten dominieren, die primär den Erwerb fördern sollten - dies jedoch einzig darum, weil Krashen Lernen mit Regelformulierung weitgehend gleichsetzt. Wird ein weiterer Lernbegriff herbeigezogen und darunter all das gefasst, was Lemer an (bewusstem, deklarativem) Wissen über ihre Sprache gewinnen, dann kann Lernen durchaus auch dort stattfinden, wo Aktivitäten primär auf Erwerb hinzielen. Krashen spricht vorwiegend vom Textlesen. Auch das Lesen von Einzelwörtern, Phrasen, Tabellen usw. hat nach der Inputhypothese erwerbsfördernde Effekte, wenn sie im Gesamtkontext sinnvolle Informationen vermitteln, also als bedeutungsvoll wahrgenommen werden können (vgl. Krashen/rerrell 1983: 80f.). Natürlich würden solche Inputs weniger den Erwerb von sprachstrukturellen Regularitäten fördern, sondern eher den von Wortschatz.
1.4 Sprachlemen im Unterricht
151
kommentarlos) gebrochen wird. Mündlichkeit scheint kein oder zumindest kein durchgängig notwendiges Kriterium für erwerbsfördernden Input zu sein. Damit ist nicht nur die lautliche Dimension angesprochen. Wichtiger ist, dass im Lesen nicht im selben Sinne Aushandlung von Bedeutung stattfindet wie im Sprechen und dass im Lesen die nichtsprachliche Umgebung, die verständnisfördernden Gesten, das unmittelbare Hier und Jetzt der Rede fehlen. Gerade dieses letztere betrifft Dinge, die im Konzept des verständlichen Inputs eine zentrale Rolle spielen, weil sie es sind, welche die (bedeutungsmässige) Dekodierung von Mitteilungen und darauf aufbauend die (linguistische) Analyse des Mitgeteilten erlauben. Offenbar sind auch diese Elemente - durch die explizitere semantische Struktur schriftlich verfasster Texte - weitgehend ausgleichbar, kann sprachlicher Kontext die verständnisfördernde Rolle des aussersprachlichen übernehmen. In bezug auf das Lesen wird ein schon in 1.2 erwähnter Aspekt wichtig. Lesen, so scheint es, lädt geradezu zum Gebrauch des Monitors ein, zum Einsatz gelernter Kenntnisse im Versuch, das Geschriebene zu verstehen. Aber ähnlich wie in bezug auf das Verstehen im allgemeinen fehlen auch hier diesbezügliche Überlegungen weitgehend. Lesen als Input wird stets im Verbund mit Beiwörtern wie 'flüssiges Lesen', 'zum Vergnügen lesen' usw. benutzt, wie wenn diese (notwendige, viel zuwenig geübte) Alternative zu einem detailgerichteten, oft genug eng lehrerkontrollierten Intensiv lesen eines Textes gänzlich ohne solche reflexiven Momente auskäme1. In 1.3/4 wurde schon auf das Argument hingewiesen, welches das Lernen und den aktiven Sprachgebrauch der Lernenden trotz der deutlich die Rezeption favorisierenden Grundlagen aus ihrer nebensächlichen Rolle befreit: Lernen kann für Strukturen sensibilisieren, und Produktion kann Input mobilisieren; beides trägt somit, wenn auch indirekt, zum Erwerb bei. Je nach Interpretation der Wirksamkeit solcher sekundärer Effekte wird die Gewichtung der Arbeit in diesem Bereich stark beeinflusst. Krashen/Terrell schlagen in ihrer Umsetzung der Erwerbstheorie in einen «Natural Approach» als Näherungswert vor, 20 Prozent der Unterrichtszeit für explizite Lernaktivitäten zu verwenden (Krashen/Terrell 1983: 148). Hier besteht sicherlich Raum für Dispute. b. Brumfit: 'accuracy' und 'fluency' In seinem Aufriss einer didaktisch gewendeten Interpretation erwerbstheoretischer Einsichten setzt Brumfit (1984) zwei für Krashens Modell wesentliche Beschränkungen ausser Kraft: einerseits die rigide Trennung von 1
Man könnte natürlich argumentieren, dass diese zwar vorkommen, aber irrelevant sind. Krashen tut dies, meines Wissens, nicht; es wäre auch kaum zu begründen. Wenn Verstehen der Schlüssel zum Erwerb ist, kann solche Erweiterung der Verstehensfähigkeit nicht gut als irrelevant abgetan werden. Es ist dies ein Thema, das ausführliche Beachtung verdiente. Hinweise auf die mögliche Rolle von kontrollierten Verarbeitungsschritten im fremdsprachlichen Lesen geben McLaughlin/Rossman/ McLeod (1983: 151 f.).
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
Lernen und Erwerben, andererseits die Limitation auf den Input als einzig erwerbsrelevantem Faktor1. So plädiert Β rumfit, ähnlich wie Krashen, für eine Polarität von Aneignungsformen, anders als dieser sieht er aber keinen Grund, die beiden Lernweisen für unvereinbar zu halten. Er scheint davon auszugehen, dass - zumindest im Unterricht - Sprachmaterial zunächst bewusst aufgenommen wird. Aneignung vollzieht sich so, dass durch (rezeptiven und produktiven) Sprachgebrauch solche bewussten Bestände ins Unbewusste absinken und schliesslich ohne Rückgriff auf bewusste Kontrollen benutzt werden können. Wie die Sprachmittel dem Bewusstsein präsentiert werden, scheint keine Rolle spielen. «There is no strong support for the rejection of formal teaching» (Brumfit 1984: 61)2. Sprachgebrauch und vor allem auch Sprachproduktion wirkt so als Konversionsstelle zwischen bewussten und unbewussten Kenntnissen; wie das folgende zeigt, betont Brumfit in der Diskussion im Gegensatz zu Krashen eher die produktive Seite3. Seine unterrichtsbezogenen Ausführungen organisiert Brumfit nicht um die Begriffe Lernen bzw. Erwerben, sondern um die Begriffe 'accuracy' und 'fluency'. Diese lassen sich in Beziehung bringen zum ersten Begriffspaar; während Lernen und Erwerben von Brumfit aber als (theoretisch) vermittelbar angesehen werden, nehmen 'accuracy' und 'fluency' den Charakter von einander abschliessenden, prinzipiell unterschiedlichen und unvereinbaren Weisen des Sprachkontakts an. In engem Anschluss an Widdowson wird diese Unterscheidung in Verbindung gebracht mit der kaum aufhebbar scheinenden Differenz zwischen der Produktion sprachlicher Formen und der Produktion von Mitteilungen: Language display for evaluation tended to lead to a concern for accuracy, monitoring, reference rules, possibly explicit knowledge, problem solving and evidence of skillgetting. In contrast, language use requires fluency, expression rules, a reliance on implicit knowledge and automatic performance. It will on occacion also require monitoring and problem-solving strategies, but these will not be the most prominent features. (Brumfit 1984:51)
Diese zwei Zugänge werden von Brumfit nun auf drei verschiedene, wenn auch miteinander zusammenhängende Weisen definiert. 1. Als wichtiges Element treten die Einstellungen ('mental set') der Lernenden auf die Sprache hervor, wie sie im Zitat betont werden. Geltend gemacht werden hier primär psychologische und psycholinguistische Momente (automatische versus nicht-automatische Sprachbeherrschung, im1 2
3
Zu Brumfits Kritik an Krashen vgl. Brumfit 1984:45ff. Brumfit scheint anzunehmen, dass Krashen Lernen ablehne. Dies ist, wie wir gesehen haben, nicht der Fall. Lernen ist in Krashens Modell sicherlich nicht notwendig, jedoch in mancherlei Hinsicht sinnvoll und nützlich, trotz seiner exzentrischen Position in der Theorie. Brumfit betont, dass dieses Modell extrem vereinfacht sei. Er verweist darauf, dass die didaktischrelevantenFolgerungen, welche aus den einigermassen gesicherten Erkenntnissen zur Sprachaneignung zu ziehen sind, damit plausibel gemacht werden könnten (Brumfit 1984: 67).
1.4 Sprachlernen im Unterricht
153
plizites versus explizites Sprachwissen). Es geht hier um Verhältnisse auf der Prozessebene. Unter Berufung auf die Gegebenheiten in der Muttersprache wird der Unterschied der beiden Einstellungen mit der Qualität der Intention verbunden: Liegt der Akzent im Sprachgebrauch auf Korrektheit, «on formal factors or issues of appropriacy», so kann eine sprachliche Aktivität nicht als flüssig im eigentlichen Sinne bezeichnet werden auch dann, wenn sie ohne jedes Zögern, ohne sichtbare Anzeichen bewusster Kontrolle hervorgebracht wird, da es eine Aktivität ist, «which is not being carried on with the learners apparently operating the same way as they do in natural, mother-tongue use» (Brumfit 1984: 52f.). Andererseits kann flüssiger Sprachgebrauch durchaus Momente der Kontrolle enthalten, allerdings nur, wenn damit dieselbe (mitteilungsbezogene) Intention verbunden ist, welche Muttersprachige damit verbinden (ebda.)1. 2. In der Diskussion des Konzepts 'fluency' rückt Brumfit auch einen zweiten, handlungstheoretischen Gesichtspunkt in den Vordergrund, den der Gerichtetheit des Sprachgebrauchs. Hier identifiziert Brumfit 'fluency' mit natürlichem Spachgebrauch und definiert diesen folgendermassen: - «language produced should have been processed by the speaker»; - «the content should be determined by the speaker or writer»; - Sprache wird der Situation angepasst gebraucht; - Sprache ist ein Mittel zu einem Zweck: «The objective of the activity should be quite distinct from the formation of appropriate or correct language - the language will always be a means to an end»; - explizite Korrektur hat im zielgerichteten Sprachgebrauch keinen oder nur einen sehr geringen Stellenwert (Brumfit 1984: 56f.). Das letzte Argument bezieht sich auf die erwerbstheoretische Position, wonach Spracherwerb ein selbstregulierender Prozess ist. Die Bedingungen 1 bis 4 können als explizite Ausformulierung dessen verstanden werden, was gemeint ist, wenn von sinnvollem Sprachgebrauch die Rede ist oder davon, Kommunikation setze ein Bedürfnis oder eine Notwendigkeit zum Austausch voraus. In diesem Kontext wird 'fluency' direkt mit der kommunikativen Qualität der Äusserung verbunden, unabhängig davon, welche prozessualen Momente bei der Hervorbringung eine Rolle gespielt haben. 3. Als 'accuracy work' bzw. 'fluency work' bezeichnen die beiden Begriffe bestimmte Formen von didaktischen Aktivitäten, in denen Sprache entweder geübt ('usage') oder gebraucht ('use') wird (für Beispiele, welche die eine oder andere Art unterrichtlichen Umgangs illustrieren, siehe Brumfit 1984:78f., 80f.)2. 1
2
Diese Analyse ist etwas differenzierter als die in der Zwischensprachforschung normalerweise implizierte Auffassung, 'vernacular use' sei direkter Ausfluss automatisierter/erworbener Sprachkenntnisse. 'Fluency activity* ids didaktisches Verfahren wird folgendermassen beschrieben: «The aim of fluency activity is to develop a pattern of language interaction within the classroom which is as close as possible to that used by competent performers in mother tongue in normal life.» (Brumfit 1984: 69)
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
Das Bild von Unterricht, das sich auf der Grundlage dieser Bestimmungen entwickeln lässt, ist nicht ganz klar, nicht zuletzt wegen der vielfältigen begrifflichen Belastungen, die dem zentralen Paar von Termini aufgebürdet werden. Viele Aussagen Brumfits weisen sich demgemäss über eine gewisse Zweideutigkeit aus, welche es schwermacht, ihren genauen Stellenwert zu bestimmen. Die beiden Termini werden vor allem in bezug auf unterrichtliche Arbeitsformen verwendet. 'Accuracy work' kann hier einigermassen sicher mit Grammatikunterricht und -Übungen, Regelformulierung, Fehlerkorrektur usw. in Zusammenhang gebracht werden. Als ' accuracy' -bezogen gilt aber auch ein Sich-Äussern in Mitteilungsabsicht, wenn dabei die Aufmerksamkeit auf Form gelegt wird und dies 'nicht in ähnlicher Intention wie in der Muttersprache' geschieht. Der genaue Gehalt dieser Einschränkung wird nicht ganz klar, weil die spezifischen Bedingungen und Schwierigkeiten nicht analysiert werden, welche Fremdsprachige antreffen. Diese verfügen ja nur über (im Vergleich zu Muttersprachigen) beschränkte Sprachkenntnisse, die zudem auf der Grundlage von relativ geringer Praxis angewendet werden müssen. Aus Brumfits Bemerkungen wird jedoch so viel klar, dass er jede bewusste, das heisst mit Hilfe des Monitors zustande kommende Überformung von Äusserungen mit grosser Skepsis beurteilt. 'Accuracy work' kann demgemäss sehr Verschiedenes, kaum Vergleichbares bezeichnen. Der moderierte Sprachgebrauch, wie ihn Krashen mit Hilfe des Monitorbegriffs wenigstens ansatzweise zu skizzieren vermag, fällt unter dieselbe Kategorie wie Grammatikunterricht, Grammatikübung und traditioneller Sprachunterricht überhaupt. Damit bleiben wichtige Differenzierungen begrifflich unerfasst, die benötigt werden, sollen typische Eigenschaften fremdsprachlichen Sprachgebrauchs benannt werden können. Ahnlich vieldimensional ist der Bereich der 'fluency' bestimmt, wie die obige Analyse zeigte. Der für diesen Begriff interessanteste Aspekt ist der in der zweiten Definition angesprochene, handlungsbezogene der Gerichtetheit von Äusserungen. Dieses Moment der Gerichtetheit ist in keiner Weise notwendig verbunden mit den Merkmalen, die in der ersten Definition genannt werden: Kommunikativer Sprachgebrauch muss durchaus nicht automatisch, spontan usw. erfolgen, sondern kann sich zwanglos mit vielen verschiedenen Formen von 'Fokus auf Form' verbinden. Dies wird von Brumfit aber nicht oder nur mit dem Hinweis zugelassen, solche formbezogene Aufmerksamkeit habe in der Weise zu erfolgen wie in der Muttersprache. 'Fluency-work' hat demnach immer gerichtet, aber auch spontan zu erfolgen. Auch hier fehlt entsprechend die Möglichkeit, verschiedene Formen des Sprachgebrauchs, diesmal des kommunikativen, zu analysieren; es scheint nur eine, kanonisch als richtig gesetzte Form der Sprachverwendung zu geben: die automatisch-intuitiv gesteuerte. In Brumfits Darstellung werden verschiedene Aspekte, welche für Sprachgebrauch und Lernen relevant sind, aufgezeigt, aber zuwenig analysiert. Psychologisch-erwerbstheoretische, kommunikationstheoretische und unterrichtsbezogene Momente des Lernens und des Umgangs mit Sprache
1.4 Sprachlemen im Unterricht
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lassen sich mit den angebotenen Begriffen kaum trennen. Wichtig ist vor allem, dass die unterrichtsrelevante Analyse der Merkmale, die sinnvollen, gerichteten Sprachgebrauch ausmachen, in einen zu weitgefassten, zu komplexen Begriff der 'fluency' eingebunden bleiben und sich nicht isoliert geltend machen lassen. Dies hat Konsequenzen. Einerseits wird dieser weite Begriff der 'fluency' von Brumfit beinahe zur Deckung gebracht mit dem der natürlichen Kommunikation; beide werden in freier Variation verwendet. Damit bleibt Brumfit in seinen didaktischen Ausführungen einem wenig konturierten Kommunikationsbegriff verhaftet, der nicht eigentlich unterrichtstauglich ist und dennoch immer wieder aufgerufen wird, um unterrichtliche Situationen zu kennzeichnen. Für didaktische Belange wären die von Brumfit formulierten Merkmale gerichteten Sprachgebrauchs aber viel geeignetere und griffigere Instrumente der Planung und Evaluation von Unterrichtsaktivitäten; sie sind es letzlich, welche den von Brumfit selbst vorgeschlagenen Unterrichtsaktivitäten ihre besondere Charakteristik geben, nicht deren Nähe zu 'natürlicher Kommunikation'. Dieser didaktisch eigentlich interessante Gesichtspunkt wird aber nicht als solcher herausgestellt. Andererseits wird die Zusammengehörigkeit von Kommunikation und Automatismus der Verwendung von Sprache begrifflich gesetzt, nicht analysiert, weder didaktisch noch sachlich. Es ist nicht voherzusehen oder zu planen, nicht einmal durch die Sprechenden selbst, ob und wie weit sie in ihrem Sprechen automatisierte oder nicht-automatisierte Kenntnisse aufrufen; das Beharren auf Automatismen ist didaktisch nicht fruchtbar zu machen, die Forderung muss völlig abstrakt bleiben. Sachlich stellt sich die Frage, ob die These wirklich haltbar ist, dass allein automatischer Sprachgebrauch erwerbsrelevant ist. Sie wird nirgends belegt und verträgt sich schlecht mit dem Gewicht, das dem Lernen vorab zu Beginn der Sprachaneignung zugesprochen wird. Letztlich geben damit allein die handlungstheoretischen Merkmale didaktisch sinnvolle Kriterien an, denen Sprachgebrauch, der als sinnvoll gelten soll, im Unterricht zu genügen hat. c. Ellis: Primäre und sekundäre Prozesse In seinen der Zwischensprachforschung verpflichteten Beiträgen untersucht Ellis den Spracherwerb in schulischen Situationen. Anders als Krashen oder Brumfit versteht er sich nicht als Didaktiker; in seinen Studien sind aber für die Didaktik wesentliche Grundlagen angesprochen. Ellis (1984b) geht von einer Serie von Oppositionen aus. Er unterscheidet zunächst zwischen 'communicative data' und 'modelled data'. Erstere entsprechen ungefähr dem Input Krashens; sie erlauben den Aufbau intuitiver Kenntnisse, welche ihrerseits primären, das heisst automatischen, der Kontrolle nicht bedürftigen Gebrauchsprozessen zugrunde liegen. Diese Prozesse sind darauf gerichtet, kommunikativ wirksame Produkte zu erzeugen. 'Modelled data' führen zu einem Wissen, das nur sekundäre Gebrauchsprozesse gestattet, welche die durch primäre Prozesse bereitgestellten sprachlichen Produktionen zu überformen erlauben; Produkte dieser
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
Art können, aber brauchen nicht kommunikative Funktionen zu haben1. Die Rolle des Lernens, das zu Kenntnissen führt, die nur über sekundäre Prozesse zur Wirkung gebracht werden können, beurteilt Ellis skeptisch. Es wird nicht abgelehnt, steht in der in diesem Buch entworfenen Sicht der Aneignungsprozesse aber sehr am Rande. Vor allem scheint kaum eine Möglichkeit zu bestehen, dem (potenten, intuitiven) Erwerben gegenüber den speziellen Beitrag des Lernens in positiven Begriffen zu fassen. Lernen und die Förderung sekundärer Prozesse sieht Ellis vorab bei Fortgeschrittenen und speziellen Lernergruppen als sinnvoll an. Gegenüber dieser Position zeigt Ellis' zweiter grosser Beitrag (1986) einige kleine, aber signifikante Verschiebungen. Ellis greift wie in seinem früheren Buch zurück auf die Position Bialystoks, die bereits in 1.3/4 skizziert worden ist; er interpretiert ihren Stellenwert nun jedoch etwas anders. Zwei Punkte seien in den Vordergrund gestellt. Sie entsprechen weitgehend den von Brumfit herausgestellten, werden hier aber theoretisch ganz anders verarbeitet: 1. Ellis bezieht sich auf das von Bialystok und Tarone entworfene Konzept der variablen Kompetenz. Je nach kognitiver Komplexität der Aufgabe (sprachliche bzw. konzeptuelle Komplexität, Zeitdruck, ...) wird die Aufmerksamkeit des Lernenden so beansprucht, that he cannot focus on those interlanguage forms that are the most recent additions to his competence and are therefore not fully automatized (except, of course, where the task requires attention to specific forms). The resulting speech is likely to be less target-like, less complex and more fragmentary than in easy tasks. Conversely, in a task that is cognitively simple (e.g. reading words from a list) the learner will be able to focus on his most advanced interlanguage forms and as a result to maximize his competence. (Ellis 1986: 89)
Ellis zieht daraus den gleichen Schluss wie Bialystok und Tarone: Das formelle, kontrollbedürftige Register stellt im Normalfall die zielsprachenkonformste Variante der Zwischensprache dar. Ein Weg, wie der Spracherwerb vor sich gehen kann, ist die allmähliche Übernahme von sprachlichen Mitteln, die anfänglich nur in diesem Register zugänglich sind, auf immer weitere Bereiche des Sprachgebrauchs (Ellis 1986: 94f.). Dies verlangt eine Neuinterpretation der Rolle sekundärer Prozesse. Darauf wird unten weiter einzugehen sein2. 1
2
Sekundäre Prozesse entsprechen ungefähr dem Gebrauch des Monitors in Krashens Modell. Sie sind jedoch weiter gefasst und umfassen nicht nur wie bei Krashen die Anwendung formulierter Regeln. Sie werden auch von Ellis vor allem in bezug auf die Produktion besprochen. Ellis identifiziert in seinem ersten Beitrag (1984b) den erwerbstheoretisch fundamentalen 'vernacular style' weitgehend mit primären Prozessen. Diese Sprachgebrauchsweise wird auch in Ellis (1986) als grundlegend gesetzt, als Normalform der Sprachverwendung. Hier wird er jedoch mit 'unplanned discourse', also einer pragmatischen Kategorie, in Beziehung gebracht. Wie seine Ausführungen zeigen (1986: 86ff.) kann dieser alltägliche Sprechstil unter unterschiedlichen Bedingungen durch Rückgriff auf verschiedene der variablen Zwischensprachregeln konstituiert werden; er ist nicht einfach gleichzusetzen mit primären Prozessen (vgl. Nold/Dines 1985: 262). Diese dürften zwar vorherrschen, werden aber je nach Situation überlagert durch mehr oder
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2. Grundsätzlicher als Brumfit diskutiert Ellis die Notwendigkeit der Interaktion und der Produktion für den Spracherwerb (1986: Kap. 6). Er argumentiert im Hinblick auf Resultate der Zwischensprachforschung, auf die im letzten Kapitel schon hingewiesen wurde, dass es die Interaktion ist, welche für den Lernenden die erwerbsrelevante Grundlage ausmache, nicht nur der Input. Argumente dafür sind auf verschiedenen Ebenen gegeben worden. So sollte Interaktion den Input verständlicher machen, weil der Lernende selbst an seiner Konstitution teilhat; seine Beiträge regulieren nämlich das Ausmass der Adaptation, welche der (muttersprachliche oder fremdsprachliche, aber fortgeschrittenere) Gesprächspartner macht. Auch werden die Beiträge des Lernenden zum Teil vom Gesprächspartner wiederaufgenommen bzw. varriiert, was mehr strukturrelevante Information in Bereichen produziert, welche den Lernenden interessieren. Zusammenfassend liessen sich diese Überlegungen so auf den Punkt bringen: Thus, if comprehensible input is a necessary condition for SLA [sc.: second language acquisition], its provision needs to be understood in terms of the negotiation of mutuality of understanding between interactants rather than in terms of simplified input. (Ellis 1985: 82; vgl. Long 1983b)1
Dies sind Argumente, welche auf die Rolle der Interaktion für eine Verbesserung des Inputs zielen. Es gibt allerdings auch relevante Argumente für die unabhängige Rolle des Outputs als Faktor des Spracherwerbs. Darauf wurde schon in 1.3 kurz hingewiesen. Ellis fasst die einschlägigen Argumente von Swain (1985) folgenderweise zusammen: Swain suggests that output is important in several ways: (1) the learner may be 'pushed' to use alternative means where there is communication breakdown, in order to express a message precisely, coherently and appropriately; (2) using (as opposed to simply comprehending) the language may force the learner to move from semantic processing which is characteristic of the early stages of SLA [sc.: second language acquisition] to syntactic processing (i.e. whereas comprehension can take place by simply attending to the meaning of content words, production may trigger the focus on formal features); and (3) the learner has a chance to test out hypotheses about the L2 [sc.: second language]. (Ellis 1986:159)2
Auch diese Bemerkungen laufen darauf hinaus, die Rolle der Beschäftigung mit den formbezogenen Ansprüchen des Sprachgebrauchs für den
weniger dicht eingesetzte sekundäre Prozesse. (Allerdings ist diese Zuordnung nicht klar durchgehalten. Andernorts (Ellis 1986: 95) wird der 'vernacular style' wieder mit den automatisierten, unmittelbar zugänglichen Sprachfonnen, gleichgesetzt, welche durch primäre Prozesse realisiert werden.) * Allwright (1984b) fasst die didaktisch relevanten Argumente für Interaktion in vier Punkten zusammen: Interaktion ist eine Zwischenstufe für den Transfer neu gelernter (oder erworbener) Sprachmittel in echte zweitsprachige Situationen; sie ist eine (in der Muttersprache die) zentrale Form der Sprachaneignung - nicht nur der Einübung von Bekanntem, sondern auch der Ausweitung der Kompetenz; Interaktion kann jenes Engagement mobilisieren, das jede Lemtheorie als wünschenswert hervorkehrt; und schliesslich kann Disskussion und Interaktion auch das Lernen über Sprache unterstützen und fördern. 2 Auf Swains Beitrag wird unten noch ausführlicher einzugehen sein.
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Erwerb nicht länger abzuwerten, sondern als unter Umständen hilfreich oder sogar wesentlich zu interpretieren (vgl. Ellis 1986: 229; vgl. unten). Diese beiden Themen werden in neueren Beiträgen wieder aufgenommen und weitergeführt. In diesen (Ellis 1987a: 183f.; vgl. Ellis/Roberts 1987) betonen Ellis und Roberts zwar, dass neue Sprachformen in jedem Register in die Lernersprache eintreten können, sehen aber das formale Register als wichtigsten Umschlagplatz für Neuerungen im Sprachsystem des Lerners. Impliziert ist damit, dass der Aufmerksamkeit auf Sprache, der Produktion und in Verbindung damit dem Lernen, eine potentiell gewichtige Rolle im Aneignungsprozess zukommen können. Die Erwerbsprozesse können durch Lernprozesse auf diese Weise gefördert, vielleicht sogar initiiert und jedenfalls bereichert werden (Nold/Dines 1985: 262f.). Sofern die lernersprachliche Produktion nicht nur über den durch sie provozierten Input, sondern auch durch die in sie eingehende Formulierungsarbeit erwerbswirksam ist, haben gelernte Regeln eine noch weiterreichende Bedeutung. Ohne die Relevanz von Interaktion und der Arbeit am flüssigen Sprachgebrauch zu relativieren, sehen Ellis und Ellis/Roberts in den Lernaktivitäten und vor allem in sekundären Prozessen einen wichtigen, parallelen Beitrag zur Sprachaneignung. Diese Überlegungen werden gestützt durch die Befunde der Unterrichtsforschung, wonach Unterricht die Geschwindigkeit der Aneignung und das schliessliche Ausmass der fremdsprachlichen Kompetenz positiv zu beeinflussen scheint - wohl nicht zuletzt darum, weil er einige der oben genannten Merkmale des Sprachzugangs intensiver gewähren kann als dies natürliche Erwerbssituationen tun (vgl. unten). Damit wird hier, auf noch vorsichtige Weise, eine mögliche Vereinbarkeit von erwerbstheoretischen Grundsätzen mit den spezifisch unterrichtlichen Bedingungen des Sprachenlernens angezeigt. 2.1.3 Zusammenfassung: Lernen, Erwerben, Unterricht Die erwerbstheoretisch argumentierenden Ansätze sind «an attempt both to understand and to intervene in the process of language learning» (Brumfit 1984: 23); diese Betonung der Aneigung durch die Lernenden (im Gegensatz zu der des Lehrens durch den Lehrer) macht ihre Charakteristik aus. Klarer als in vielen anderen Ansätzen werden die Bedingungen des Spracherwerbs an den Ausgangspunkt didaktischer Überlegungen gestellt. Hier soll auf einige dabei eine Rolle spielende Gesichtspunkte noch einmal zusammenfassend eingegangen werden. a. Spracherwerb und Unterricht Alle drei Ansätze stellen den Spracherwerb als selbstorganisierenden Prozess in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Während Krashen aber den Input in den Vordergrund rückt, wird von Ellis und Brumfit das (interaktive) Aushandeln als zentrale Instanz des Spracherwerbs betont und damit dem Unterricht eine recht schwierige Aufgabe gestellt. Die von Krashen/Terrell diskutierte Basis eines inputreichen Unterrichts müsste vor dem Hintergrund der Forderung nach Interaktion dynamisiert, den Lernen-
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den ein viel intensiveres Zusammenarbeiten mit dem Lehrer einerseits, ihren Mitlernenden andererseits ermöglicht werden. Beide Forderungen sprengen, richtig verstanden, die Grenzen der Bedingungen nicht, die im ersten Teil dieses Kapitels als grundlegend für den Unterricht dargestellt worden sind, wohl aber verlangen sie eine spürbare Umorientierung der Planung und Durchführung der Klassenarbeit und neue Formen der Unterstützung der Lernenden bzw. der Kontrolle der Lernergebnisse1. Unter erwerbstheoretischen Prämissen werden im Gegenzug eine Vielzahl von methodischen Zwängen und didaktischen Kontrollen wenn nicht überflüssig, so doch abbaubar und umdefinierbar (vgl. die Argumente von Harden/Rösler 1982), und es wird Raum frei für andere Formen des Unterrichtens und neue Verfahren (vgl. Baur/Grzybek 1984). Wie weit dies geschehen kann, wie weit auch die unterrichtlichen Verfahren der Vorgabe, der Steuerung der Sprachproduktion und der Kontrolle gehen dürfen und können, bleibt eine umstrittene Frage. In dieser Beziehung vertritt Krashen sicher die rigoroseste und am wenigsten mit traditionellen Vorgehensweisen vermittelbare Position unter den drei vorgestellten Ansätzen. An diesem Ort sei noch einmal ein Thema aufgegriffen, das schon wiederholt angesprochen worden ist. Sowohl Krashen wie Brumfit machen neben strukturellen Merkmalen für Input bzw. Interaktion auch auf prozessuale Momente aufmerksam, welche relevant sein sollen: Sprache soll automatisch gebraucht werden2. Eine gewisse Gegenposition hierzu nimmt Ellis in seinen jüngeren Arbeiten ein. Hier wird eine eindeutige Abgrenzung vorgenommen, welche die psycholinguistischen Prozessmomente von den kommunikativen Momenten des Sprechhandelns, des gerichteten Sprachgebrauchs sauber unterscheidet. Eine Definition erwerbsrelevanten Sprachgebrauchs, welche den Gesichtspunkten gerecht wird, die in den bisherigen Diskussionen beigebracht worden sind, liefert etwa Mitchell (ihr Terminus 'communicative' meint weitgehend das, was hier als erwerbsrelevant bezeichnet wird): Any instance of FL [sc.: foreign language] use, productive or receptive, will be considered 'communicative' if it appears that the people involved in producing/attending 1
2
Enright/McCloskey (1985) diskutieren einige Gnmdsätze didaktischer Planung in einem kommunikativen Unterricht, darunter etwa zielgerichtete Kommunikation, Zusammenarbeit der Lemdenden untereinander, Integration verschiedener Fertigkeiten in einen Arbeitsablauf usw. Die meisten davon würden in jedes didaktische Modell passen; vor dem Hauptziel, lernerbestimmte Interaktion zu ermöglichen und dafür Unterstützung zu sichern, bekommen sie jedoch einen etwas anderen Sinn, als ihnen sonst zugeschrieben wird. Eine Definition, welche diese beiden Momente klar miteinander verknüpft, ist etwa folgende: «A natural language environment exists whenever the focus of the speakers is on the content of the communication rather than on language itself. An ordinary conversation between two people is natural, and so are natural verbal exchanges at a store, a bank or a party. The participants in these exchanges care about giving and receiving information or opinions, and although they use language structures, they do so with virtually no conscious awareness ot the structures used.» (Burt/Dulay 1981: 178).
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to the discourse have another purpose/intention additional to the general purpose of modelling/practising/displaying competence in fonnal aspects of the target FL. (Mitchell 1983:43)
Diese Festlegung rückt die strukturellen Bedingungen des Sprachgebrauchs in den Vordergrund und kappt die enge Bindung, die in älteren Ansätzen zwischen diesen und den prozessualen Momenten aufgebaut worden ist. Damit wird sie auch dem Sachverhalt gerecht, dass sich Aufmerksamkeit auf Form von der auf Mitteilung in gewissem Sinne gar nicht trennen lässt, vor allem nicht in der Fremdsprache, wo automatisch ablaufende, der Kontrolle völlig entwachsene Verfahrensweisen sich erst herausbilden sollen und eine Dichotomie von Kommunizieren versus Sprach bezug noch weniger als gegeben voraugesetzt werden kann als in der Muttersprache. Sie trägt auch dem Sachverhalt Rechnung, dass Sprachgebrauchskontexte bei genauer Betrachtung sich als höchst komplex erweisen und die Grenzen zwischen formellem und informellem Unterricht wie auch zwischen flüssigem und heftig moderierten Sprachgebrauch verfliessen können. Diese Unterschiede scheinen eher skalarer als dichotomischer Art zu sein (vgl. Allwright 1984a: 206)1. Vor allem ist bemerkenswert, dass eine Bestimmung wie die von Mitchell (oder die von Brumfit gegebenen vier Merkmale von sinnvollem Sprachgebrauch) den Rekurs auf den vagen Begriff der 'natürlichen Kommunikation' erübrigen. Sie stellen Kriterien vor, denen erwerbsrelevanter Sprachgebrauch zu genügen hat, völlig unabhängig davon, wie nahe oder fern dieser den alltäglich gewohnten Situationen steht. So stellt die Konstruktion von Interaktionssituationen etwa durch die schon angesprochenen Zwei-Weg-Übungen sicher keine sehr elegante Lösung der Frage dar, wie und über welche Themen im Unterricht kommuniziert werden soll, aber sie ist erwerbstheoretisch betrachtet befriedigend, sofern die Lernenden diese Form des Sprachgebrauchs interessant oder attraktiv finden können2. Dies ist allerdings eine ständig wirksame Voraussetzung, sie trifft auf jedes Sprach- und Kommunikationsangebot zu, unterrichtlich oder nicht, und natürlich auch auf 'echte' Kommunikation. b. Unterricht und Lernen Krashen zieht den Wert des Lernens recht radikal in Zweifel - nicht ohne Hinterausgang allerdings. Brumfit räumt dem Lernen zu Beginn der Sprachaneignung einiges Gewicht ein, kann dies aber kaum mit seiner Sicht der Sprachverwendung in Übereinstimmung bringen. Ellis schliesslich zeigt eine vorsichtige offene Haltung gegenüber dem Lernen und gibt 1
2
Nicht geleugnet werden kann eine grundsätzliche Differenz zwischen übendem und kommunikativem Sprachgebrauch. Diese wird durch eine Bestimmung wie die von Mitchell aber nicht angetastet. Vgl. die Bemerkung Picas/Doughtys (1985: 116f.), dass solche Zwei-Weg-Übungen die Lernenden zwingen (und es ihnen ermöglichen) mitzumachen, womit Ängstlichere und Schwächere gleich wie die anderen jene Chancen bekommen, welche ihnen in den (viel 'natürlicheren') Unterrichtsgesprächen und Diskussionen durch geschicktere Mitlemende (und den Lehrer) so leicht beschnitten werden.
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Hinweise auf den Ort, den Gelerntes in der Sprachverwendung einnehmen könnte. Verstreut wurde auf die diesen Einstellungen zugrunde liegenden Argumente und Theorien schon eingegangen; die Frage nach dem Zusammenhang von Lernen, Unterricht und dessen Nutzen für die Aneignung von Fremdsprachen soll hier noch einmal kurz resümiert werden. Schon in 1.1 wurde auf Longs Studien hingewiesen, in denen er empirische Forschungen zum unterrichtlichen Spracherwerb im Überblick diskutiert und - gegen die zum Teil harsche Kritik am Unterricht aus dem Lager der Zwischensprachforschung - dessen positiven Wirkungen in den Vordergrund stellt: The review of research on the effect of instruction in SL [sc.: second language] development suggests the following conclusions. First, formal SL instruction has positive effects on SLA [sc.: second language acquisition] processes, on the rate at which learners acquire the language, and on their ultimate level of attainment. Findings in the last area even suggest that it may be impossible to reach M l native speaker competence without instruction. Instruction does not, on the other hand, seem able to alter acquisition sequences, except temporarily, and in trivial ways, which may even hinder subsequent development. Second, there has clearly been insufficient research to warrant firm conclusions in any area we have considered, and no research at all in other important ones, such as the kinds of sociolinguistic competence (e.g., collocational abilities) achievable with and without instruction. (Long 1987:135)1
Zur Stützung dieses Resultats liesse sich theoretisch postulieren, Unterricht biete besseren Input als ungelenkte Situationen; es lässt sich auch die spezielle Art des Umgangs mit Sprache im Unterricht dafür verantwortlich machen. Für die erste Position ist nach Long keine Evidenz in Aussicht (vgl. Long 1987: 117f.); wohl aber unterstützen einige Untersuchungsergebnisse die zweite Ansicht. Auf zwei Gesichtspunkte sei näher eingegangen. 1. Wie schon wiederholt angemerkt, ist der Beitrag des Unterrichts nicht allein darin zu suchen, dass explizite Regeln gelernt werden, sondern vorab darin, dass er Lernen und Wissen über Sprache in einem viel weiteren Sinn fördert. Der Effekt des Lernens und des Unterrichts könnte so bedeutender sein, als es ein Überblick allein über den gelehrten/gelernten Stoff vermuten liesse. So bemerkt Long: Perhaps learning involves the experience (obtained through instruction) of treating language as object and the concomitant abilities this brings. (Long 1983a: 378)
In ähnlichem Zusammenhang weist er im neueren Beitrag darauf hin, dass Unterricht die Aufmerksamkeit auf bestimmte Phänomene lenkt und sie so bemerkbar macht (Long 1987: 132; Ellis 1987b: 62ff.). Lernen im Unterricht hat nicht nur Wissen zur Folge, sondern verändert die Einstellung auf Sprache auch ausserhalb der Situation des Lernens. Long warnt aber davor, die Resultate, welche die positiven Effekte des Unterrichts zu belegen 1
Long fügt einen dritten Punkt an: «Third, and following from the first two, the position taken by some theorists and methodologists that formal instruction in a second language is of limited use (e.g. that it is good for beginners only, or for 'simple' grammar only), is obviously premature and almost certainly wrong.» (Ebda.)
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scheinen, als Freibrief für erneuerten extensiven Grammatikunterricht misszuverstehen. Dieser sei in seiner herkömmlichen Ausrichtung zu Recht kritisiert worden und werde durch die bekannten Untersuchungen nicht gerechtfertigt: For reasons beyond the scope of this paper, my own view is that focus on form is probably a key feature of SL instruction, because of the saliency it brings to targeted features in classroom input, and also in the input outside the classroom, where this is available. I do not think, on the other hand, that there is any evidence that an instructional program built around a series (or even a sequence) of isolated forms is any more supportable now, either theoretically, empirically, or logically, than it was when Krashen and others attacked it several years ago. (Long 1987:136) 1
Allerdings bringt Long keine expliziten Alternativen vor. 2. Es stellt sich die Frage, wie dieses Wissen wirkt. Darüber ist sehr viel und bisher ohne festes Ergebnis diskutiert worden. Krashen und mit ihm viele andere nehmen an, dass seine Hauptfunktion darin besteht, Produkte zu überformen und damit normgerechter, auch verständlicher zu machen. Andere, etwa Seliger (1979), bestreiten diese Funktion2 und heben die fokussierende und sensibilisierende Wirkung des Wissens hervor, womit eine gewisse Erwerbsrelevanz des Gelernten unterstellt ist. Auch Krashen spricht, wenn auch vorsichtig, von einer solchen Wirkung; explizit dahin argumentiern etwa Sharwood Smith und Rutherford (1986a: 17; Rutherford/ Sharwood Smith 1985). Sharwood Smith (1981) betrachtet zudem Lerneroutput im Gegensatz zu Krashen zugleich als möglichen Input und sieht so einen Weg, wie Wissen, bzw. die Folgen von dessen Anwendung, den Erwerb beeinflussen kann. Bialystok schliesslich scheint - im Verein mit vielen anderen - von einer weitgehenden Überführbarkeit von Gelerntem in die intuitive Beherrschung von Sprache auszugehen. Es hat keinen Sinn, die Vielzahl der vorgebrachten Positionen und Argumente zu diskutieren. Bei aller Unklarheit im Detail scheint aber so viel deutlich zu sein: 1. Gelerntes ist nicht in allen Fällen problemlos zu internalisieren, das heisst es sind Regularitäten des Kompetenzaufbaus zu beobachten, die nicht einfach umgangen werden können. Es scheint aber, dass SprachVermittlung möglich ist und den Erwerbsweg beträchtlich abkürzen kann sofern die Instruktion im richtigen Moment erfolgt, dann nämlich, wenn 1
2
Hüllen (1983b) merkt an, dass Regelformulierungen oft keine Wirkung haben, weil ihre Umsetzung in den Sprachgebrauch nur in der Praxis erfolgen kann und die Integration der explizit ausgedrückten Kenntnisse zum Teil in Stufen erfolgt. In ähnlichem Sinn meikt Rogers im Anschluss an eine Studie zu Fehlem von Deutschlemenden an: «The main point which I would like to emerge from this discussion is that teachers may need to adjust their expectations of learner performance in order to allow for a much longer period of rule acquisition than their often rather high expectations of the teaching syllabus might predict.» (Rogers 1987:409) Wie Hulstijn/Hulstijn (1984) zeigen (vgl. 1.3/4), ist Überformung auch dann möglich, wenn bewusstes Wissen über die Sprache nicht mobilisiert werden kann. Es mag demgemäss durchaus sein, dass viele solche Leistungen, wie Seliger vermerict, nicht über das Ginguistische) Wissen erbracht werden, sondern eine andere Quelle haben.
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die entsprechende Struktur (auf der Basis der bisher aufgebauten Kompetenz) lernbar geworden ist1. Dies bestätigt die Hypothese der Erwerbsordnungen, die sich - mit gewissen Variationen - auch im gelenkten Spracherwerb durchsetzen. 2. Massive Exposition ohne Instruktion bringt die Kompetenz von Lernenden offenbar nicht von selbst zur Perfektion. Long weist hier auf Swain (1985) hin, die in einer Studie von Lernenden in Immersionsklassen feststellt, dass deren sprachliche Leistungen zwar in vielerlei Hinsicht hervorragend sind, die Lernenden jedoch auch nach sieben Jahren noch entscheidende Mängel in der Beherrschung der Morphologie und Syntax aufweisen (Long 1987: 133; zu Swains Studie sieheunten)2. Zum Abschluss sei noch eine Anmerkung gemacht. Die von Long als Möglichkeit formulierte allgemeine Bedeutsamkeit der Aufmerksamkeit auf Sprache trifft sich mit der in 1.1 behaupteten Tendenz des Unterrichts zur Darstellung von Sprache und zur Etablierung einer doppelten Perspektive auf die Mitteilung wie auch auf die Sprache. Diese Aufmerksamkeit wird durch die Instruktion gerichtet: Es sind einzelne syntaktische Beziehungen, Elemente oder morphologische Eigenschaften, die in den Vordergrund gerückt und der Aufmerksamkeit empfohlen werden. Aber das Prinzip dieser Betrachtungsweise, ist es einmal begriffen, ist beliebig auf alle Elemente der Sprache übertragbar. Dies ist wohl gemeint, wenn Long schreibt, Unterricht führe die Lernenden dazu, Sprache als Objekt zu behandeln. Wahrscheinlich unterscheiden sich Lerner in ihrer Fähigkeit und ihrer Bereitschaft, dies zu tun, enorm; der Unterricht kann hier für die meisten beträchtliche Hilfestellungen geben. Dies bedeutet, dass mit dem Unterricht ein wichtiges allgemeines Moment im Lernprozess verstärkt wird, das der Metakognition. c. Erwerben und Lernen - ihr Zusammenhang im Unterricht Die Forderung, im Unterricht Erwerben und Lernen zu fördern, ist am Ausgang dieser Darstellung unvermeidlich; sie entspricht dem allgemein propagierten common sense3, der die Rigidität traditioneller Ansätze beklagt und zugleich die Folgen allzu unstrukturierter kommunikativer Aneignung fürchtet. Schwierig, dies die ebenso unvermeidliche Feststellung, ist es, diese Forderung sinnvoll zu realisieren. 1 2
3
Pienemann 1984; Ellis 1984a, 1987b; vgl. Longs Diskussion der Beiträge von Pienemann und anderen (1987: 124ff.). Vgl. die Bemerkungen von Knapp-Potthoff/Knapp (1982: 164f.). Long (1987: 134f.) merkt an, dass vorab markierte sprachliche Strukturen über Instruktion zugänglich gemacht werden können. Vgl. Rutherford/Sharwood Smith 1985. Felix* Position, dass Sprachen zwar gelernt, aber nicht in striktem Sinne gelehrt werden könnten (Felix 1985: 121) muss also in dem Sinnerevidiertwerden, als Instruktion sich als durchaus erfolgreich erweisen kann insofern, als sie Lemanstrengungen initiieren, unterstützen und ihre Ergebnisse verbessern helfen kann. In diesen oder anderen Begriffen etwa gefordert in Canale/Swain 1980; Higgs/Cüfford 1982; Valdman 1982; Rattunde 1982; Digeser 1983, 1988; Omaggio 1984; Raabe 1986 u.a.
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Nicht eingegangen werden kann hier auf das Problem, wie zu lehren sei. Dass Aufmerksamkeit auf Sprache positive Wirkungen haben kann - diese Feststellung beantwortet noch nicht die Frage, wie sie möglichst hilfreich aufgebaut und unterhalten werden kann. Eine Schwierigkeit, die traditionelle Formen vor allem der Grammatikvermittlung wohl unterschätzen, besteht darin, dass das Wissen um grammatische Regularitäten, welches eine bessere Orientierung im Bereich der Sprache ermöglichen soll, ja erst zuverlässig verstanden und eingesetzt werden kann, wenn die Struktur und Funktion der linguistischen Metasprache einigermassen durchschaut ist. Die entsprechenden Fertigkeiten der Anwendung expliziten Wissens müssen erworben werden, bevor das Grammatiklernen in den Zusammenhang mit der Sprachaneignung und den Sprachgebrauch treten kann, welchen explizite Grammatikunterweisung anstrebt. Es ist dies eine zweite, von der Sprachfertigkeit in hohem Masse unabhängige Fertigkeit (vgl. Seliger 1979: 364; Sorace 1985). Dass diese Fertigkeit wichtig sein könnte, darauf deuten Hulstijn/Hulstijn (1984) hin, wenn sie feststellen, dass Lerner, die über Regelkenntnisse verfügten, generell über die höhere Kompetenz verfügten1. Wichtig im gegenwärtigen Kontext ist die Frage, wie die geforderten kommunikativen Aktivitäten und das Wissen (und die intuitiven Urteile) über Sprache miteinander verbunden sein sollen. In den vorgestellten Ansätzen der Erwerbstheorie ist diese Frage verschieden beantwortet worden; insgesamt zeichnet sich aber deutlich eine Doppelstrategie ab: Auf der einen Seite wird ein Bereich des Inputs oder der Interaktion skizziert, der weitgehend frei ist von typisch schulischen Interventionen (Korrekturen, Worterklärungen, Prüfungsfragen), auf der anderen Seite wird in mehr oder weniger reichem Umfang ein sprachbezogenes Lernprogramm vorgesehen. Wie das so Gelernte angewendet werden soll, bleibt weithin fraglich. Sowohl bei Krashen wie bei Brumfit sind die Parameter der erwerbsbezogenen Arbeit (des Inputs, der 'fluency work') so definiert, dass schwer abzusehen ist, wie die bewusst aufgebauten Kenntnisse dort gezielt eingesetzt werden könnten2. Ellis entwickelt hier die weitestgehenden Vorstellungen. Er plädiert für parallele Programme, «product-oriented» und sprachbezogen das eine, «process-oriented» und beruhend auf «unfocused activities» das andere (Ellis 1987a: 188f.). In Kontakt geraten beide im Vorschlag, sorgfältigen 1
2
Es besteht die Möglichkeit, dass diese Lemer bessere Regelkenntnisse besitzen, weil sie die Sprache besser beherrschen. Plausibler schiene mir anzunehmen, dass die Regelbeherrschung ein Hinweis darauf ist, dass diese Lemer die Aufgabe der Sprachaneignung aktiver angegangen haben und dabei Kenntnisse der Grammatik gewonnen und anzuwenden gelernt haben bzw. bereits vorhandene solche Fertigkeiten ausgenutzt haben. (Alle von Hulstijn/Hulstijn in ihre Untersuchung Einbezogenen hatten Sprachkurse besucht, einige mehr als andere. Nähere Angaben fehlen.) In der Realisation von Unterricht mag dies weniger ein Problem sein - in der Theorie sind die beiden Foimen des Sprachzugangs so staik in ihrer Unterschiedlichkeit herausgehoben, dass sich die Frage kaum stellen lässt.
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Sprachgebrauch zu ermutigen und damit neue Varianten des Zwischensprachgebrauchs anzuregen, die sich später auch auf den ungezwungenen Stil ausdehnen können (ebda.: 187)1. Damit werden sekundäre Prozesse, über welche die bewussten Kenntnisse und intuitive Urteile über Sprache im Sprachgebrauch wirksam gemacht werden können, unterrichtlich interessant. Darüber, wie dies didaktisch geschehen könnte, lässt Ellis sich nicht näher aus. Grundsätzlich weist er damit aber einen Weg, wie aufbauend auf den Ergebnissen von Untersuchungen und Theorien der Zwischensprachforschung und ohne Rückkehr zu vielfach kritisierten Verfahren eine Verbindung geschaffen werden könnte zwischen den als unverzichtbar herausgestellten, aber nicht leicht vereinbaren unterrichtlichen Kernbereichen. 2.2 Schreiben im Fremdsprachenunterricht Die Zwischensprachforschung hat sich meines Wissens bisher nicht damit beschäftigt, was Lernende im ungelenkten Erwerb für Erfahrungen mit dem Schriftlichen machen und welchen Einfluss es auf ihre Auseinandersetzung mit der Sprache haben könnte. Spracherwerb wird als allein im mündlichen Sprachgebrauch ablaufendes Ereignis vorgestellt. Analog dazu wird Schreiben, Schriftliches überhaupt in den oben besprochenen Ansätzen nur am Rande berührt, obwohl es nicht gänzlich umgangen werden kann: Lesen und Schreiben sind im Unterricht so verankert, dass die Fixierung aufs Mündliche nicht bruchlos aufrechtzuerhalten ist. Im folgenden soll allein auf die Darstellung des produktiven Schreibens in den erwerbstheoretischen Ansätzen eingegangen werden2. 2.2.1 Schreiben in der erwerbsorientierten Didaktik a. Krashen Schreiben wird von Krashen vor dem Hintergrund der Input-Hypothese diskutiert. Danach wird die zum Schreiben nötige Text-Kompetenz - das Wissen darum, was ein Text ist, was ihn interessant oder langweilig macht, das Gefühl für die geschriebene Sprache - rezeptiv durch Lesen entwickelt. Beste Vorbereitung aufs Schreiben ist daher das Lesen. Dieses verhilft überdies zu einem Ausbau der Kompetenz, die nicht nur für das Schreiben nötig ist, sondern auch relativ leicht auf das Hörverstehen übertragen werden kann (Krashen 1985: 98f.). 1
2
Ellis nimmt, mit Swain, an, dass normative Ansprüche wichtige Impulse für die Entwicklung der Sprachfertigkeiten geben. Zu diesen Ansprüchen gehören etwa das Bedürfnis, 'dazu zu gehören' und die einschlägigen Erwartungen zu erfüllen, aber auch die Ansprüche einer äusseren Autorität. Solche Zwänge treten neben Faktoren wie die Suche nach grösserer kommunikativer Effizienz und neben systematische Zwänge, die periodisch Neustrukturierungen erfordern (Ellis 1987a: 183f.). Die entsprechenden Hinweise sind sehr kurz; kürzer noch, soweit überhaupt vorhanden, sind solche auf die Rolle und den Stellenwert des präkommunikativen Schreibens.
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
Analog zu dem, was Krashen hinsichtlich des Sprechens vorbringt, beurteilt er auch den Beitrag des Schreibens in der Sprachaneignung: Es beeinflusst die zugrunde liegende Kompetenz nicht. The students' own output is theoretically secondary with regard to the acquisition process. Oral output, speech, is indirectly useful in that it helps to encourage aural input, i.e., conversation. [...] We cannot make the same sort of argument for writing. Writing does not necessarily encourage comprehensible input, unless acquirers are exchanging letters or notes. (Krashen/Terrell 1983:149) 1
Entsprechend ist für Krashen das Lehren von Schreibregeln usw. für das Sprachlernen weitgehend nutzlos; es untersteht denselben Bedingungen (und derselben Kritik) wie das Lehren expliziter Sprachregeln. Aus dieser Grundlage folgern Krashen und Terrell, dass Schreiben in einem Kurs vor allem dann einen Stellenwert haben kann, wenn es von di·rekter Relevanz für die Zieltätigkeiten der Lernenden ist, also in ihrem 'Pflichtenheft' aufgeführt ist - etwa für Studenten, die an einer fremdsprachigen Universität studieren wollen: The inclusion of a writing component is thus dependent more on the goals and needs of the students rather than on its methodological usefulness for the development of oral communication skills. (Krashen/Terrell 1983:149)
Dieser Schluss ist jedoch nicht apodiktisch formuliert; Krashen/Terrell lassen einen kleinen Spielraum offen. Schreiben (präkommunikatives und kommunikatives erscheinen hier ungetrennt) kann nämlich im Hinblick auf die mündlichen Fertigkeiten eine gewisse Rolle spielen, und zwar - im Zusammenhang mit dem frühesten Unterricht, wenn die Lernenden noch nicht zum Sprechen bereit sind2; - im Rahmen von Vorbereitungen für mündliche Aktivitäten (Lesen und Neuordnen des Gelesenen, Konstruktion von Sätzen aus einzelnen, tabellarisch vorgegebenen Informationen usw.); - dort, wo es darum geht, den Monitorgebrauch zu üben - vor allem in Grammatikübungen. Schliesslich scheint es einen Platz zu geben fürs kreative Schreiben. Hier empfehlen Krashen/Terrell, die Lernenden zunächst zum raschen, unbelasteten Schreiben zu animieren und erst in einem zweiten Durchgang auf Fragen der Korrektheit einzugehen (Krashen/Terrell 1983:149ff.) 3 .
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Schreiben hat einen Effekt höchstens auf das Schreiben selbst: «writing practice helps performance: Practice in writing, especially expository writing, helps writers discover an efficient composing process.» (Krashen 1984: 26f.) «it is possible that copying important vocabulary words that the instructor writes on the chalkboard during comprehension activities will help them remember the meanings of the words, as well as the sound-letter correspondences* (Krashen/Terrell 1983: 149). - Die Autoren weisen daraufhin, dass dies nur für wichtige Wörter geschehen soll, um die Aufmerksamkeit auf den Laut nicht zu gefährden. Krashen (1984) zitiert Untersuchungen, nach denen Feedback im Schreiben vor allem dann sinnvoll ist, wenn er während des Schreibprozesses selbst erfolgt, nicht erst nachträglich. In seinen didaktischen Hinweisen geht er auf die Anlage von Schreibarbeiten im Unterricht jedoch nicht ein.
1.4 Sprachlernen im Unterricht
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Krashens Position dem Schreiben gegenüber hat insgesamt dieselbe etwas zweideutige Struktur wie die gegenüber dem sprachlichen Produzieren überhaupt: Theoretisch ist seine Rolle vernachlässigenswert, praktisch ist es von gewissem Belang. Die Basis, auf der eine Schreibdidaktik aufbauen könnte, ist jedoch denkbar eng. Da Produktion sich ergibt und nicht eigentlich lehrbar ist, genügt es, Schreiben dort, wo es nützlich erscheint, einzusetzen, ohne es zum Thema zu machen - ausser natürlich, wenn Schreiben eine Zieltätigkeit ist und die Fähigkeit, bestimmte textsortenspezifische Texte zu verfassen, zu vermitteln ist. Zu diesem Entwurf seien nur zwei Anmerkungen gemacht: 1. Krashens Argument in bezug aufs Schreiben hängt theoretisch ganz von der Plausibilität seiner Input-Hypothese ab, und zwar in zweierlei Hinsicht: von ihrer Plausibilität in bezug auf das Sprachlernen und von der Plausibilität ihrer Ausdehnung auf den Bereich des Texteschreibens. Dies letztere ist fragwürdig nicht nur darum, weil Schreibkompetenz nicht allein 'natürlich' erlernt wird - auch Muttersprachige lernen normalerweise erst in der Schule schreiben, also im Rahmen von Unterricht. Auch droht diese sachliche Ausweitung des Begriffs des Erwerbens den Rahmen der gesamten erwerbstheoretischen Diskussion zu sprengen, zumindest den Sinn des Begriffs 'Erwerben' radikal zu verändern. Jedenfalls ist es erforderlich, die Regularitäten des Schreiben genauer zu untersuchen, bevor es in derartige Nähe zum Sprachlernen gebracht werden kann (vgl. die Darstellungen in Π.3 und ΙΠ.2/2)ΐ. 1
Die von Krashen unternommene Ausdehnung des Erwerbsbegriffs erfolgt unter Berufung auf die Komplexität von Vertextungsverfahrcn und von fürs Schreiben vorausgesetzten Differenzierungen zwischen gesprochener und geschriebener Sprache. Es sei nicht möglich, all die fürs Schreiben einschlägigen relevanten Dinge zu lehren und zu lernen, vielmehr müsse auch hier auf das Wirken von Erwerbsmechanismen gesetzt werden. (In dieselbe Richtung argumentiert unter expliziter Bezugnahme auf Krashens Theorie des Fremdspracherwerbs ausführlich Hornig 1987.) - Dieses Argument untergräbt in seiner Konsequenz genau die Basis, auf der die ursprüngliche Unterscheidung von Lernen und Erwerben und ihre Attraktivität beruht. Die Notwendigkeit, einen Erwerbsmechanismus für Sprache zu postulieren, wind ja begründet durch die spezifische, irreduzible Komplexität von vorab syntaktischen und syntaxbezogenen sprachlichen Strukturierungsverfahren. Die Gleichförmigkeit des Verlaufs von Erwerbsprozessen dient der Stützung der These von der Autonomie der Sprachfähigkeit. Wird dieses Argument ausgedehnt auf andere Bereiche, die als komplex erscheinen und die offensichtlich nicht in der Weise gelernt werden, wie dies ein naiver Lembegriff zu unterstellen scheint, so vermehren sich die postulierbaren speziellen Fakultäten des Geistes unkontrollierbar. Denn bei genauerer Nachforschung könnte sich leicht herausstellen, dass kaum eine Kompetenz allein aufgrund dessen, was in ihrer Vermittlung explizit gelehrt und formuliert wird, aufgebaut wird, dass es fast stets typische Anfängerfehler gibt und die Lernenden relativ gleichförmige Wege zur Kompetenz einschlagen und dass demnach 'Erweib' immer vorauszusetzen ist. Damit wird aber die ursprüngliche Intention, die mit den Begriffen 'Erwerben' und 'Lernen* verbunden wurde, entschieden transformiert. Andersons Einwurf, dass kaum sinnvoll sei zu postulieren, die evolutionäre Selektion habe quasi auf Vorrat die Menschen mit der speziellen Fähigkeit des Programmierens (des Texteschreibens, der Konstruktion mechanischer Maschinen,...) ausgestattet, gewinnt hier neues Gewicht
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
2. Auf eher praktischer Ebene muss im Fremdsprachenunterricht vorausgesetzt werden, dass die Lernenden schon gewisse, zum Teil sehr reiche Erfahrungen mit Texten, den Unterschieden zwischen gesprochener und geschriebener Sprache usw. mitbringen. Lesen kann hier nicht den Sinn haben, solche Erfahrungen zu vermitteln, höchstens den, die Art der Kodierung schon bekannter Differenzierungen in der Fremdsprache kennenzulernen. Ähnlich geht es im fremdsprachlichen Unterricht meist nicht darum, schreiben zu lernen, sondern die bereits beherrschten Verfahren des Schreibens auch in der fremden Sprache anzuwenden. Über diese spezifischen Gegebenheiten, welchen sich der Fremdsprachenlerner gegenübersieht, sagt Krashen sehr wenig; die andersartigen Beziehungen, welche sich auf dieser Grundlage zwischen sprachlicher und textbezogener Kompetenz auf der einen, dem mündlichen und schriftlichen Sprachgebrauch auf der anderen Seite ergeben, müssten jedoch unbedingt thematisiert werden, soll der Stellenwert des Schreibens im Fremdsprachenunterricht skizziert werden können. b. Brumfit
Brumfit erwähnt das präkommunikative sowie das unterrichtsbegleitende Schreiben kaum; beides gehört wohl in den Bereich der 'accuracy work'. Die Basis für seine (extrem kurze) Behandlung des produktiven Schreibens bilden zwei Beobachtungen: Writing poses a problem for fluency activity which is not posed by any of the other basic abilities. We seem to monitor our writing, as native speakers, rather more consciously than we monitor our speech, and by its stability writing is available for revision, both by the author and by others. Further, writing, because it cannot be adjusted in response to the apparent incomprehension of the interiocutor, requires a more rigidly idealised linguistic patterning. Thus, whether we are dealing with native speakers or non-native speakers, 'errors' are unacceptable. [...] When we write, the text becomes public as an artefact independent of the writer, and is judged therefore by socially decontextualised criteria. (Brumfit 1984: 85f.)
Diese Basis erlaubt es eigentlich nicht, angesichts der weitgehenden Skepsis Brumfits sekundären Prozessen gegenüber, fürs Schreiben irgendeine signifikante Rolle zu reklamieren, ausser natürlich in dem Masse, in dem es als Zieltätigkeit vorhergesehen ist und zum Lerngegenstand gemacht werden muss. Allerdings ist Brumfits Position nicht so strikt. Einerseits werden die verschiedenen (produktiven bzw. übenden) Schreibformen nach ihrem Charakter eher dem einen oder dem anderen der beiden Grundbegriffe zugeordnet: free and some situational writing exercises are aimed at fluency but all controlled and much guided writing is aimed at accuracy. (Brumfit 1984:53)
Andererseits scheint Unterricht ein gewisses Mass an Schreibarbeit wenn nicht zu fordern, so doch gut zu ertragen. Brumfit schlägt hier eine 'manichäische Strategie' vor: Schreibunterricht könnte bestehen auf der einen Seite aus rigide kontrollierten Schreibübungen, auf der anderen aus freien Schreibanlässen, deren Produkte allein auf ihren Inhalt hin betrachtet und diskutiert werden (vgl. ebda.: 50f., 86). Allerdings konzediert er:
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It is significant that teachers who have been exposed to the distinction between accuracy and fluency have been least happy with it in this foim, applied to writing, and there may indeed be arguments for allowing students to write their own ideas and to produce corrected forms with guidance from the teacher. (Brumfit 1984: 86)
Dies würde jedoch bedeuten, sekundäre Prozesse in gewichtigem Ausmass in die Arbeit an einer Mitteilung hineinzunehmen, was in Brumfits Begriffsraster nicht leicht akzeptierbar ist. Ein möglicher Ausweg aus diesem Dilemma wird nur erwähnt. Er besteht darin, die Lernenden in Gruppenarbeit selbst ihre Texte revidieren zu lassen, so dass diese 'accuracy work' eingelassen ist in eine Art 'fluency work', das Gespräch der Lernenden miteinander über den Text (ebda.: 86; vgl. Teil ΙΠ). Brumfits wenige Hinweise ergeben kaum Anhaltspunkte für eine fremdsprachliche Schreibdidaktik. Die Grundbegriffe, wenig differenzierungsfähig schon in bezug auf mündlichen Sprachgebrauch, lassen sich aufs Schreiben kaum anwenden; zudem wird mit dem (wohl nicht ganz emstzunehmenden) Diktum, im Schreiben seien Fehler unzulässig, genau jene Argumentationsfigur in bezug aufs Schreiben wiederholt, welche für den Bereich des Mündlichen durch die Erwerbstheorie so heftig kritisiert worden ist: Dass nämlich der angezielte Endzustand schon auf jeder Stufe des Lernens in seiner vollen normativen Gestalt zu realisieren sei. c. Ellis Ellis' Vorschlag - auch wenn er nichts Präzises über die didaktische Implementation sagt - ist direkt relevant für die Frage nach dem Stellenwert des Schreibens im Sprachlernen. Sobald sekundäre Prozese nicht mehr verboten werden, sondern einen gewichtigem Platz im Denken über die Aneignung von Sprache zugesprochen erhalten, ist das Schreiben der Möglichkeit nach eine relevante Komponente des Unterrichs. Es ist nicht länger allein vor dem Hintergrund von vorausgesehenen Zieltätigkeiten legitimierbar, sondern seine Rolle kann nun auch im Hinblick auf die Aufgabe des Lernens selbst bestimmt werden. Denn Schreiben ist eine Aktivität, die auch im Unterricht ohne jede Künstlichkeit einen relativ formellen Sprachgebrauch nahelegt, das heisst einen zielgerichteten, intentionsgeleiteten Sprachgebrauch verbindet mit der Möglichkeit, sogar Notwendigkeit der moderierten Auswahl von Wörtern und Formulierungen, die bei der Arbeit 'in den Sinn kommen', das heisst ihrer Kontrolle und Überformung durch sekundäre Prozesse. Schreiben erfüllt der Möglichkeit nach sowohl die von Brumfit genannten handlungstheoretischen Kriterien für erwerbsrelevanten Sprachgebrauch (dieser ist weitgehend oder sogar vollständig lernerbestimmt) als auch die von Ellis und anderen herausgestellten erwerbsrelevanten psycholinguistischen Bedingungen des 'formellen Stils' mit seiner umfassenden Beanspruchung der sprachlichen Kenntnisse, nicht nur der bereits automatisierten und unmittelbar zugänglichen. Schreiben könnte so eine Scharnierfunktion übernehmen im Versuch, vorhandene, aber noch kaum gefestigte und wenig integrierte Kenntnisse ins Spiel zu
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bringen und sie in Prozessen der Selbstorganisation und Mitteilung zu kontextualisieren und mit den bereits operationalen Kenntnissen zu verbinden. 2.2.2 Schreiben und Sprachaneignung Schreiben lädt zum Einsatz aller Ressourcen, zum Gebrauch sekundärer Prozesse auf der Grundlage der primären geradezu ein und ist gleichzeitig ein Vorgang, der ganz in der Hand des Schreibenden selbst bleibt, auf seine Intentionen und seine Kenntnisse bezogen. Schreiben, so das hier vorgebrachte Argument, könnte gerade wegen dieser seiner Andersartig keit, nicht, wie bisher meist argumentiert wurde, trotz ihrer, einen Platz in der Aufgabe unterrichtlichen Sprachlernens einnehmen. Es wird die Aufgabe der weiteren Ausführungen in Teil Π und Teil ΠΙ sein, den Gehalt dieser Behauptung klarzulegen und zu zeigen, wie eine fremdsprachliche Schreibdidaktik beschaffen sein könnte. An dieser Stelle bleibt auf einige Gesichtspunkte hinzuweisen, welche im Zusammenhang mit den in diesem ersten Teil diskutierten Themen stehen und den Stellenwert der hier eingenommenen Position klären sollen - einer Position, die angesichts der Tatsache vielleicht überraschend ist, dass sich Lernersprachforschung wie Erwerbstheorie, aber auch die Fremdsprachendidaktik selbst kaum mit dem Schreiben beschäftigt haben, die sich aber aus den bisherigen Diskussionen schlüssig ergibt. a. Die Studien von Swain und Swain/Lapkin Die Position von Ellis ist ein Ergebnis der Forschungen und Diskussionen der letzten zehn Jahre; er steht mit ihr nicht allein. Eine wichtige Stütze für seine Ansicht wie auch für die hier vorgenommene Interpretation des Schreibens kommt aus den schon besprochenen Untersuchungen von Long, vor allem aber auch von einer der wenigen mir bekannten Studien zur Lernersprache, welche das Verhältnis von mündlichem und schriftlichem Sprachgebrauch anspricht. Swain (1985; vgl. Swain 1988; Swain/Lapkin 1989) studierte (im Rahmen eines Projekts zur Evaluation des Sprachstandes von Lernenden in Immersionsprogrammen) die Französischkenntnisse von englischsprachigen Sechstklässlern, welche im Kindergarten und in der ersten Klasse französisch eingeschult worden waren und den grössten Teil ihrer Schumacher auf französisch absolvierten (in der zweiten bis vierten Klasse waren ca. 80 Prozent, in der sechsten immer noch ca. 50 Prozent der Schulstunden französisch). Die Sprachkenntnisse dieser Schüler (insgesamt 69 Kinder) wurden in drei verschiedenen Bereichen (Grammatik-, Diskurs- und soziolinguistische Kompetenz1) und auf drei verschiedene Weisen untersucht (mündliche Produktion, Multiple1
Diskurskompetenz ist die Fähigkeit, Texte (schriftlich oder mündlich, etwa Erzählungen) kohärent, verständlich und adressatengerecht aufzubauen; soziolinguistische Kompetenz ist die Fähigkeit, Sprachmittel den gesellschaftlichen Normen der Höflichkeit, Angemessenheit usw. entsprechend einzusetzen - Schüler etwa sollten fremde Erwachsene nicht duzen, besonders markierte Formen verwenden, wenn sie sie um etwas bitten usw.
1.4 Sprachlemen im Unterricht
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choice-Tests, schriftliche Produktion). Die Resultate wurden verglichen mit denen von französischsprachigen Kindern, ebenfalls Sechstklässlern, die einsprachig französisch eingeschult worden waren. Die Ergebnisse zeigen, dass die Schüler in den Immersionsklassen trotz generell guter Sprachbeherrschung im grammatischen Bereich bei weitem nicht die Sicherheit muttersprachiger Kinder erreichten, vor allem in bezug auf die Morphologie. Bezüglich der Diskurskompetenz war festzustellen, that native speakers generally perform better than the immersion students on the oral story retelling task but do not differ in their performance in the written production task. (Swain 1985: 241)
Allerdings war auch der Unterschied im Mündlichen nicht sehr gross. Im soziolinguistischen Bereich dagegen zeigten die Muttersprachigen wieder einen deutlichen Vorsprung. Am leichtesten scheinen die Ergebnisse im soziolinguistischen Bereich erklärbar zu sein. Die Immersionsschüler zeigten sich den Muttersprachigen gewachsen, wo es um den Gebrauch von Höflichkeitsfloskeln usw. ging. Sie zeigten aber in zwei Bereichen grosse Lücken. Einerseits waren die Immersionsschüler schwach im Gebrauch der Höflichkeitsform 'vous'; der zweite Unterschied ergab sich dort, wo zum Ausdruck der Höflichkeit die Verbmorphologie eine Rolle spielt (etwa beim Gebrauch des Irrealis als Marker für Höflichkeit). Hier schlug die grammatische Schwäche der Schüler in den soziolinguistischen Bereich durch. Die mangelnde Differenzierung der Gebrauchsformen von 'vous' kann mit der Unterrichtssituation und dem darin verfügbaren Input in Zusammenhang gebracht werden. Lehrer wenden sich an ihre Schüler in der Du-Form, die Schüler gebrauchen dieselbe Form untereinander.4 Vous' wird meist gebraucht als Pluralform, in der Zuwendung zu einer Gruppe. There are thus few opportunities in the classroom for the students to observe the use of vous as a politeness maricer used in differential status situations. (Swain 1985: 244)
Hier wird eine Lücke im unterrichtlichen Sprachangebot deutlich sichtbar, die direkte Auswirkungen auf diesen einen der untersuchten sprachlichen Faktoren zu haben scheint. In bezug auf die Diskurskompetenz waren die kleinsten Unterschiede in der schriftlichen Textaufgabe zu verzeichnen; die Kontraste wurden deutlich im mündlichen Erzählen. Swain führt dies darauf zurück, dass diese Schüler im Schreiben eine gewisse Übung hatten - dort wurde von ihnen hie und da eine sprachliche Leistung verlangt, die zusammenhängenden Ausdruck erforderte. Im mündlichen Bereich konnten sich die hier angesammelten Erfahrungen jedoch nicht auswirken: whatever knowledge they have of the language that is literacy-based is only weakly demonstrated in their oral performance because in general, they have had limited opportunity to use and practice their speaking skills in communicative exchanges that require a precise and appropriate reflection of meaning. (Swain 1985: 251)
Schwieriger sind die Ergebnisse im grammatischen Bereich zu erklären. Sie scheinen die These zu widerlegen, dass Input die allein entscheidende
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
Variable im Zweitsprachenerwerb ist. Die Schüler hatten sieben Jahre lang eine grosse Menge von Input aufgenommen, ohne dabei die Syntax, vor allem die morphologischen Regularitäten, vollständig zu erwerben. Das Resultat kann nicht daran liegen, dass der Input unverständlich gewesen wäre - diese Schüler fielen in Hörverstehenstests nicht hinter ihre französischsprachigen Altersgenossen zurück und schnitten in ihren fachlichen Leistungen ebensogut ab wie die Muttersprachigen1. Anders als in bezug auf die soziolinguistischen Belange, welche deutlich eine gewisse funktionale Armut der Unterrichtssprache aufzeigen, scheint dieses Resultat aufgrund der Input-Hypothese allein nicht erklärbar, das heisst es kann kaum ungenügender oder zuwenig differenzierter Input dafür verantwortlich gemacht werden. Swain stellt zwei mögliche Erklärungen in den Vordergrund: Unterricht ist meist stark lehrerdominiert; die Schüler haben selten Gelegenheit, Antworten zu geben, die mehr als einige wenige Wörter lang sind. Zudem ist die Einstellung auf Sprache in diesen Immersionsklassen fast gänzlich inhaltsorientiert. Es fehlt in diesem Kontext an zweierlei: an der Möglichkeit ausreichender sprachlicher Produktion durch die Lernenden, und an der Notwendigkeit genauer Form-Inhalts-Zuordnungen. Beides führt die Lernenden dazu, sich weitgehend mit einem semantisch basierten Verständnis zu begnügen; eine syntaktisch basierte Sprachverarbeitung erübrigt sich in den meisten Fällen (vgl. Swain 1985: 249; 1988: 70ff.). Als Gegenstrategien fordert Swain, dass - Input in funktionaler Vielfalt geboten werden sollte; - Sprachproduktion in verschiedenen Formen und unter unterschiedlichen Ansprüchen gefördert werden muss (wichtig sind dabei vor allem Kooperation zwischen Lernenden, lernergesteuerte Arbeit und Schreiben); - vom Lehrer Rückmeldung über die von Schülern verwendete Sprache gegeben werden sollte, aber auch Input angeboten werden sollte, der die Aufmerksamkeit auf Form-Inhalts-Beziehungen lenkt; - fremdsprachliche Schwächen nicht unbeachtet gelassen werden. Diese Forderungen sollen keine Rückkehr zu traditionellen fremdsprachlichen Lehrverfahren einleiten. Isolierter Grammatikunterricht habe keinen einschlägigen Effekt (Swain/Lapkin 1989: 154). Am erwerbstheoretischen Postulat gerichteten, kommunikativen Sprachgebrauch wird festgehalten. Zugleich wird betont, dass Sprachkontakt allein nicht ausreicht. Eine gewisse Aufmerksamkeit auf Form sei wünschbar, dies stütze und fördere den Erwerb. Mögliche Wege, in diese Richtung zu arbeiten, bestehen etwa darin, die Lerner zu Sprachproduktion für ein Publikum (die anderen Klassenmitglieder) zu ermuntern, zu einem vorgängigen Überdenken und zur Ausarbeitung von Mitteilungsabsichten anzuregen bzw. Präzisierung von Aussagen zu fordern, Kernpunkte des Unterrichts in gemeinsamer Arbeit zu formulieren, schriftliche Arbeiten gezielt zu überarbeiten und zu edieren usw. (vgl. Swain 1988, Swain/Lapkin 1989). 1
Dies im Vergleich zu Schülern im normalen englischsprachigen Zug.
1.4 Sprachlemen im Unterricht
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An dieser Stelle interessieren vor allem Swains Ausführungen zur Sprachproduktion von Lernenden. Sie nimmt an, dass Output nicht allein die Funktion hat, Input zu erzeugen, sondern dass Output auch immer die Möglichkeit gibt, den Gebrauch der linguistischen Kenntnisse zu testen. Rückfragen von Gesprächspartnern etwa signalisieren oft Verständnis Schwierigkeiten, welche auf die Form der Mitteilung zurückzuführen sind und damit auch geeignet sind, sprachliche Unzulänglichkeiten zu exponieren. In diesem Zusammenhang plädiert Swain für 'comprehensible output'1: The argument, then, is that immersion students do not demonstrate native-speaker productive competence, not because their comprehensible input is limited but because their comprehensible output is limited. It is limited in two ways. First, the students are simply not given - especially in later grades - adequate opportunities to use the target language in the classroom context Second, they are not being 'pushed' in their output. That is to say, the immersion students have developed, in the early grades, strategies for getting their meaning across which are adequate for the situation they find themselves in: they are understood by their teachers and peers. There appears to be little social or cognitive pressure to produce language that reflects more appropriately or precisely their intended meaning: there is no push to be more comprehensible than they already are. That is, there is no push for them to analyze further the grammar of the target language because their current output appears to succeed in conveying their intended message. In other words, although the immersion students do receive comprehensible input, they no longer receive much negative input. (Swain 1985:249)
Dieses Plädoyer für kommunikativen Output wie auch für Aufmerksamkeit auf Sprache, auf genauen Ausdruck und überlegten Sprachgebrauch lässt sich relativ leicht verbinden mit dem für Schreiben2. Schreiben ist der Ort, an dem sich am deutlichsten der von Swain angesprochene Druck zu optimalem Sprachgebrauch äussert: Negotiating meaning needs to incorporate the notion of being pushed toward the delivery of a message that is not only conveyed, but that is conveyed precisely, coherently, and appropriately. (Swain 1985:248k)3
Auf diesen Punkt gehen vor allem Swain/Lapkin (1989) ein. Sie vergleichen Schüler, die früh, mit anderen, die spät in Immersionsprogramme eingestiegen sind, und stellen fest, dass die Resultate erstaunlich wenig 1
2
3
Auf zwei zusätzliche Gründe für Output ist schon oben (2.1.3) hingewiesen worden: Sprachproduktion zwingt zu syntaktischer Durchformung, und sie führt dazu, dass Hypothesen über die Zielsprache gerichtet aufgestellt und getestet werden. Aufgrund der Output-Hypothese müssten im Dialog interaktive Züge, welche zur Modifikation bzw. Neufassung von Aussagen zwingen, besonders fruchtbar sein. Vgl. dazu Pica et al. 1989 zur Rolle von Klärungsfragen in Dialogen zwischen Fremd- und Muttersprachigen. Im Schreiben werden genau solche Aktivitäten von den Schreibenden selbst unternommen - vgl. Π.3/1 und III.2/2. Dass die Schüler in Swains (1985) Untersuchung in der schriftlichen Textaufgabe grammatisch nicht besser abschnitten als in mündlicher, könnte als Resultat der von Swain beklagten Absenz einer gewissen Sprachbewusstheit, der wenig geförderten Aufmerksamkeit für den besseren und präziseren Ausdruck interpretiert werden. Gleichstand mit den Muttersprachigen erreichten die Immersionsschüler nur im Hinblick auf die Textbildungskompetenz.
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
differieren. Dabei spielt vielleicht der schon in 1.3 angesprochene Sachverhalt eine Rolle, dass nicht Kinder, sondern Adoleszente die insgesamt effektivsten Sprachlerner sind, wahrscheinlich darum, weil sie grössere kognitive Reife aufweisen und ihre Aufmerksamkeit bewusst auf Sprache lenken können. Swain/Lapkin führen jedoch noch einen zusätzlichen Faktor ins Feld: Diese Lerner konnten schon lesen und schreiben, als sie in die Immersionsprogramme einstiegen. Sie waren weniger lange der fremden Sprache ausgesetzt, hatten jedoch von Anfang an mehr kode-bezogenen Unterricht und mussten, ihrer Altersstufe gemäss, von Anfang an relativ hohen Anforderungen genügen, vor allem auch in ihren schriftlichen Arbeiten. Insgesamt wurden sie intensiver gefordert als die Früheinsteiger und kamen in kürzerer Zeit auf ungefähr gleichen Kompetenzstand. Diese Studien bestätigen die oben gemachten Aussagen über die Rolle sekundärer Prozesse und die Wirkung sprachbezogener Aufmerksamkeit. Sie exponieren einen Mechanismus, der wohl nicht nur in Immersionsklassen von Belang ist, und sie unterstützen die These, dass Schreiben nicht nur aus lernzielbezogenen Gründen, sondern auch aus erwerbstheoretischen Erwägungen heraus eine Rolle im Unterricht zu spielen hat. b. Schreiben und Interaktiom
Ein Argument, das gegen Schreiben im Sprachunterricht ins Feld geführt werden könnte, ist der monologische Charakter des Schreibens, die Tatsache, dass es nicht in Interaktion eingebettet ist. Es ist dies ein gewichtiger Einwand nur unter verschiedenen, relativ komplexen Bedingungen: Dass fremdsprachliche Interaktion fürs Sprachlernen absolut notwendig sei; dass Schreiben im Unterricht bedeutet, Interaktion durch Schreiben zu ersetzen; schliesslich, dass Schreiben und Interaktion konträre, unvereinbare Aktivitäten seien. Nichts von alledem ist ohne Qualifikation haltbar. 1. Allwright hat, wie oben angemerkt, auf vier Gründe hingewiesen, die für fremdsprachliche Interaktion und vor allem für Interaktionen zwischen Lernenden im Unterricht sprechen. Er macht allerdings selbst darauf aufmerksam, dass diese Gründe nicht absolut gelten (vgl. Allwright 1984b: 158). Fremdsprachliche Interaktion im Unterricht ist eine Sache des didaktischen Kalküls: - Wie schon Krashens Hinweis aufs Lesen zeigt, ist mündlicher Input (und Interaktion) - in verschiedener Hinsicht und unter verschiedenen Zielstellungen - ersetzbar durchs Lesen; - in mancher Hinsicht ist wohl ein gekonnter Lehrervortrag auch als Sprachlernsituation einem kurzschrittigen und eng kontrollierten 'sokratischen' Dialog vorzuziehen; - die Interaktion zwischen Lernenden braucht nicht in jedem Falle erwerbsfördernd zu sein, wenn nichts von Interesse zu besprechen ist oder die Lernenden sich kaum um die Aufgabe scheren1. 1
In 1.4/1 wurde festgehalten, dass Interaktion eine conditio sine qua non des Unterrichts ist. Dies güt weiterhin. Fremdsprachenunterricht kommt notfalls jedoch durch-
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Fremdsprachliche Interaktion ist im Unterricht einer der möglichen und wahrscheinlich ein höchst fruchtbarer Sprachzugang; sie gegenüber anderen zu präferieren ist jedoch nicht Sache eines blinden Prinzips, sondern der didaktischen Ziele und der methodischen Begründung. Interaktion ist demzufolge nicht der einzig gültige, wenn auch - sind die adäquaten Bedingungen gegeben - sicher einer der primär interessanten Formen des Sprachkontakts. 2. Das Plädoyer fürs Schreiben ist, wie in Teil ΠΙ noch auszuführen sein wird, keines für eine Ersetzung von anderen unterrichtlichen Aktivitäten, sondern eines für die Bereicherung von Unterricht. Die Kennzeichnung des Schreibens als einer Drehscheibe macht deutlich, dass es in seiner Form als Lernmedium nicht als Selbstzweck zu konzeptualisieren ist, sondern im Hinblick auf anderes, auch auf den mündlichen Bereich. 3. Richtig verstandenes Schreiben, dies wird Teil ΠΙ ausführlich aufzeigen, braucht die Interaktion im Unterricht nicht zu hemmen, sondern kann sie im Gegenteil in vielerlei Hinsicht stimulieren, bereichern und strukturieren. Zwischen unterrichtlichem Schreiben und unterrichtlicher Interaktion besteht nur dann ein Gegensatz, wenn er didaktisch konstruiert wird. c. Schreiben und Unterricht Die erwerbstheoretisch argumentierende Didaktik hat - zu Recht - auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht, den Unterricht (auch) als Raum fremdsprachlicher Interaktion zu strukturieren; sie hat auch einige konkrete Vorstellungen entwickelt, wie dies zu geschehen habe. Ich werde in Teil ΠΙ dahingehend argumentieren, dass mit der Einbeziehung des Schreibens dieser Interaktionsraum reicher und überzeugender gestaltet werden kann, und zwar in dreierlei Hinsicht: 1. Als institutionalisierte Situation hat der Unterricht die Arbeit einer ganzen Gruppe von Teilnehmern zu organisieren und aufeinander abzustimmen. Die Möglichkeiten der Einzel- und Gruppenarbeit werden beträchtlich erweitert, ihre Resultate greifbar und vergleichbar, wenn geschrieben wird. Dieser Aspekt der Unterrichtsorganisation ist vor allem in grossen Lernergruppen ganz vordringlich. 2. Unterricht, soweit er Interaktion ermöglichen will, ist auf Themen und Ideen angewiesen. Als themenbezogener kann der Unterricht an Dichte und Intensität nur gewinnen, wenn die Lernenden in die Lage versetzt werden, nicht nur vorgesetztes Material zu verarbeiten, sondern mit einiger Zuversicht auch Eigenes beizutragen. In bezug darauf, wie dies in ausreichender und vor allem interessierender Form geschehen soll, machen die meisten auf mündliche Kommunikation ausgerichteten Ansätze nur vage Angaben. Schreiben bietet hier eine zusätzliche und potente Möglichkeit, diesen Aspekt lernerorientierten Unterrichts zu realisieren. aus ohne jede fremdsprachliche Interaktion aus, wie etwa die Erfahrung im Lateinund Altgriechischunterricht belegt. Dass dies einer kommunikationsorientierten Sprachvermittlung nicht zuträglich ist, steht auf einem anderen Blatt.
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Teil I: Sprachaneignung und Unterricht
3. Schliesslich macht der Unterricht als Lernsituation bis zu einem gewissen Grade auch dann, wenn inhaltsbezogen gearbeitet wird, eine Übersicht über die sprachlichen Leistungen der Lernenden wünschbar, nicht nur für den Lehrer, sondern auch für die Lernenden selbst. Hier können schriftliche Arbeiten keinen vollständigen, aber einen wesentlichen Einblick geben in den Leistungsstand der Klasse ausserhalb von eng sprachgerichteten Situationen und umfassender, als dies im Mündlichen möglich ist. Es sind dies Argumente, die jenseits der erwerbstheoretischen Überlegungen für den Unterricht als Unterricht ein gewisses Gewicht haben und an das anknüpfen, was im ersten Abschnitt dieses Kapitels gesagt worden ist. Die Rahmenbedingungen des Unterrichts scheinen sich gegen das Schreiben als Aktivität nicht zu sträuben - zweifellos auch darum, weil das Schreiben der darstellenden, sachbezogenen Art des Sprachgebrauchs nahesteht, die im Unterricht als Gruppen- und zielbezogener Situation ohnehin vorherrscht. Wenn haltbar ist, was oben zum Schreiben als Lernmedium gesagt worden ist, wäre damit mit dem Schreiben ein Ort benannt, der potentiell die Ansprüche der Sprachaneignung mit denen der Unterrichtssituation zu vermitteln erlaubte. Es ist dies eine Vermittlung, die zweifellos ebenso prekär wie vielversprechend ist. Garantierte Lösungen sind im Unterricht jedoch nicht gegeben1.
1
Es sei betont, dass die vorgeführten Argumente und Überlegungen zwar einen möglichen Ort für das Schreiben im Unterricht umreissen, dass sie aber nicht belegen und nicht belegen können, dass Schreiben für die Sprachaneignung notwendig ist
TEIL II DAS FELD DES SCHRIFTLICHEN UND DES SCHREIBENS Der erste Teil dieser Arbeit versuchte, jüngste Erkenntnisse zur Theorie der Fertigkeiten und des Spracherwerbs in Zusammenhang zu bringen mit didaktischen Fragestellungen und in diesem Rahmen den möglichen Stellenwert des Schreibens zu bestimmen. Schreiben und die Arbeit an Geschriebenem, dies der Schluss, kann unter Unterrichtsbedingungen jene Merkmale des Sprachkontakts realisieren, welche sich aufgrund der einschlägigen Forschung als lernrelevant herausgestellt haben. Dieses Ergebnis bietet eine Grundlage, aber noch keine genügende Ausgangsbasis für eine Schreibdidaktik. Schreiben ist eine in mancherlei Hinsicht andere Aktivität als etwa das Sprechen; schriftlicher Sprachgebrauch unterscheidet sich von mündlichem in vielem. Welche Rolle Schreiben im Fremdsprachenunterricht wirklich spielen kann, ist auch abhängig von der Antwort auf die spezifischen Verhältnisse in diesen Bereichen. In den letzten zehn Jahren hat in verschiedenen Wissenschaften und unter den vielfältigsten Perspektiven eine intensive Auseinandersetzung mit fast allen Aspekten geschriebener Sprache, der Schrift und des Schreibens stattgefunden. Dabei sind Grundzüge einer selbständigen Schreibtheorie und einer Linguistik der geschriebenen Sprache erarbeitet worden, zu denen sich auch die fremdsprachliche Schreibdidaktik in Beziehung setzen muss. Natürlich ist hier nicht der Platz, die einschlägigen Arbeiten umfänglich darzustellen; nötig ist eine gerichtete Auswahl der relevanten Aspekte. In einem ersten Kapitel wird darum ein Überblick über verschiedene Beiträge zum fremdsprachlichen Schreibunterricht gegeben; anhand dieser Skizze lassen sich die hier hauptsächlich interessierenden Fragestellungen in ihrem didaktischen Kontext lokalisieren. Diese werden in den zwei weiteren Kapiteln dieses Teils besprochen. Im zweiten Kapitel stehen die wichtigsten Differenzierungen zur Diskussion, welche das Feld des Schriftlichen prägen, sowie das Verhältnis der Schreibprodukte, vor allem der Texte, zu der in ihnen verwendeten Sprache und den Normen schriftlicher Kommunikation. Im dritten Kapitel steht der Akt des Schreibens im Vordergrund: die Momente des Schreibprozesses und der Vorgang der Sprachproduktion. Diese zwei Kapitel werden abgeschlossen durch einen kurzen Ausblick auf die Verhältnisse im Fremdsprachenunterricht und die speziellen Bedingungen, welche sich daraus für das Projekt einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik ergeben. Schon im ersten Teil dieser Arbeit wurde auf verschiedene Weisen des Schreibens hingewiesen: auf produktives Schreiben, präkommunikatives
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
Schreiben usw. Um die Vielzahl der unterschiedlichen Begriffe zu ordnen, welche bereits benutzt worden sind und in diesem Teil der Arbeit, noch mehr im dritten immer wieder gebraucht werden, soll ganz zu Beginn ein erster Überblick über die wichtigsten Termini im Bereich Schrift, Schreiben und Schreiben im Unterricht gegeben werden. Die hier schematisch durchgeführten Differenzierungen werden in den weiteren Darlegungen zum Teil aufgenommen und kommentiert, zum Teil weiter ausgeführt und miteinander in Beziehung gesetzt. Die Darstellung in Kapitel 2 und vor allem die in Kapitel 3 werden bewusst nicht zu knapp gehalten. Die zu besprechenden Sachverhalte und Theorien sind für die Schreibdidaktik nicht weniger wichtig, als es die Überlegungen der Sprechakttheorie, der Interaktionsanalyse usw. für die auf mündlichen Sprachgebrauch ausgerichteten Unterrichtsbereiche sind. Manche hier diskutierten Einzelheiten mögen nicht direkt für den Unterricht 'fruchtbar' zu machen sein; sie könnten deshalb überflüssig scheinen. Sie gehören aber zum Hintergrund, vor dem Schreibdidaktik entworfen wird und Schreibunterricht stattfindet. Über sie im Grundriss Bescheid zu wissen ist nicht weniger sinnvoll, als zum Beispiel über literarische Texte und ihr Umfeld Bescheid zu wissen über das hinaus, was explizit davon im Unterricht aufscheint. Solche übergreifende Annahmen über die jeweils thematischen Bereiche spielen im Unterricht eine wichtige und folgenreiche Rolle. Gerade in bezug auf die Verhältnisse im Schriftbereich und im Schreiben bleiben sie aber allzuoft nur plausible Hypothesen, die sich durch die Ergebnisse der Forschung kaum stützen lassen. Hier ist in der Schreibdidaktik noch viel Arbeit zu leisten. Der folgende Überblick versucht, unter didaktischer Perspektive die einschlägigen Untersuchungen aufzuarbeiten und zu einem ersten Überblick zuhanden der Didaktik und des Schreibunterrichts zusammenzufügen.
II.1 FREMDSPRACHLICHE SCHREIBDIDAKTIK: EIN ÜBERBLICK
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Zur Terminologie
Die Verhältnisse im Bereich des Schreibens und des Schriftlichen sind begrifflich erst unzulänglich erfasst. Dies wohl darum, weil das wissenschaftliche Interesse an ihnen noch jung ist und eine Vielzahl alltagssprachlicher oder Ad-hoc Terminologien mit den in Schreib- und Schrifttheorien entwickelten Begriffen konkurriert; andererseits auch darum, weil diese Gebiete einen grossen Facettenreichtum aufweisen. Je nach Perspektive werden die einen oder anderen Aspekte als besonders relevant erscheinen. Die folgenden Ausführungen halten sich so weit wie möglich an die Vorschläge von Ludwig (1983a). Von den auf den Unterricht bezogenen Unterscheidungen sind die meisten einigermassen gängig; die hier vorgenommene Zusammenstellung und Interpretation stammt weitgehend von mir. Ich bin mir bewusst, dass einige der vorgeschlagenen Differenzierungen bloss vorläufigen Charakter tragen können; es scheint mir aber notwendig, sie wenigstens anzudeuten, denn sie sind für die didaktische Behandlung des Themas von Bedeutung. 1.1 Schrift, Schriftäusserung, Schreibung a. Schrift Der umgangssprachliche Begriff Schrift unterscheidet nicht zwischen dem System von graphischen Zeichen und dessen sprachspezifischen Anwendungen (Ludwig 1983a: 12); zudem umfasst er oft auch das, was hier im weiteren unter 'Schreibung' und 'Schriftäusserung' subsumiert wird - am deutlichsten etwa in der mit Text fast synonymen Verwendung des Terminus (die heilige Schrift, die späten Schriften Kants). Im folgenden wird Schrift verwendet, um das System der graphischen Zeichen zu benennen; wo keine Verwechslungsgefahr besteht, auch im alltagssprachlichen Sinn, der die schriftlichen Produkte meint. In bezug auf den engen Begriff von Schrift lassen sich weitere Differenzierungen vornehmen. So schlägt Ludwig vor zu unterscheiden: - (alphabetischen, logographischen) Schrifttyp, - (kyrillische, lateinische usw.) Schrift, - (einzelsprachliche) Schriftsysteme (das spezifische Inventar z.B. der lateinischen Schriftzeichen, die für die Schreibung des Deutschen verwendet werden - mit den Umlauten, dem ß-Zeichen usw.) Jede Schrift erlaubt es, sprachliche Äusserungen als Folge diskreter, wohlunterschiedener Einheiten darzustellen1. 1
Vgl. Ludwig 1983a,c; Klein 1985. (Siehe unter Kap. II.2)
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
b. Schrifläusserungen Schriftsysteme erlauben es, sprachlichen Äusserungen Permanenz zu verleihen. Schriftliche Fixierungen gleich welcher Art und Funktion werden als Schrifläusserungen bezeichnet, gleichbedeutend wird auch der Ausdruck 'Geschriebenes' verwendet (sowie Umschreibungen wie 'schriftlich Niedergelegtes', 'schriftlich Fixiertes', 'Schriftliches'). Texte bilden eine spezielle Klasse von Schriftäusserungen (vgl. unten). c. Schreibung und Orthographie Schriftäusserungen und Schriftsysteme sind auf komplexe Weise miteinander verbunden. Letztere bilden zunächst blosse Inventare. Ihre Anwendung auf die Sprache erfordert eine Ausarbeitung geregelter Beziehungen zwischen diesem Inventar und den sprachlichen Einheiten auf verschiedenen sprachsystematischen Ebenen (vor allem auf phonetischer, phonologischer, morphologischer und semantischer Ebene). Diesen Zusammenhang nennt Nerius (1985, 301) Schreibung oder Graphie. Die Schreibung bestimmt alle systematischen, sprachbezogenen Aspekte der graphischen Form von Schriftäusserungen1. Mit dem Begriff der Orthographie wird der Normaspekt der Schreibung bezeichnet. Die Unterscheidung von Schreibung und ihrer Norm ist relevant. Die meisten Dialekte kennen keine orthographische Norm, was eine Schreibung keineswegs unmöglich macht; sie ergibt sich vor dem Hintergrund hochsprachlicher Schreibweisen und Schriftbilder meist recht natürlich aus der Beobachtung der abweichenden Lautung. Ebenso stellen inkorrekte Schreibungen zweifellos Schreibungen dar, nur eben nicht normgemässe. Schreibung hat die primäre Aufgabe, einem Wort eine stabile graphische Gestalt zu verleihen. Die Tatsache, dass Alphabetschriften auf einer lautlichen Analyse von Sprache beruhen, bedeutet nicht, dass Schreibung die Aufgabe hätte, eine möglichst getreue Abbildung der sprachlichen Lautgestalt zu geben. In vielen Fällen wird dies der Prägnanz und der Eigenständigkeit des Schriftbildes wegen geradezu bewusst vermieden. Sichtbar wird dies in der Homonymenscheidung: Moor versus Mohr, Bote versus Boote usw.; im Beharrungsvermögen von Fremdwörtern, die ihre ursprungssprachliche Schreibung über lange Zeit erhalten; in der Nichtberücksichtigung der Auslautverhärtung etwa in der Schreibung im Deutschen (z.B. Wald/Waldes) usw. Es sind dies wichtige Indizien für die relative Autonomie der Schreibung gegenüber der Lautung2. Die Schreibung ist meist (deutlich etwa im Französischen) leserfreundlich geregelt, das heisst ein unbekanntes Wort lässt sich mit grösserer Wahrscheinlichkeit 1
2
«Zur graphischen Ebene gehören [... ] nicht nur die elementaren Einheiten Buchstabe und Graphem, sondern auch die graphische Morphemfoim, das graphische Wortsegment, das bei der Worttrennung am Zeilenende entsteht (z.B. Kin-der), die graphische Wortform, die als Buchstabenfolge zwischen zwei Spatien zu charakterisieren ist, die graphische Satzform, zu deren Kennzeichen die Satzanfangsgrossschreibung und die Interpunktion zählen, und die graphische Textfoim.» (Nerius 1985: 308) Vgl. Günther 1983, Vachek 1983, Eisenbeig 1983, Nerius 1985.
Π.1 Fremdsprachliche Schreibdidaktik: Ein Überblick
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richtig aussprechen (wenn es geschrieben vorgefunden wird) als ein akustisch gegebenes Wort sich richtig schreiben lässt. 1.2 Schreiben 1.2.1 Zum Begriff 'Schreiben' 'Schreiben' ist ein komplexer Begriff; er wird gebraucht, um verschiedene Aspekte an einem reichen und reich gegliederten Praxisfeld zu bezeichnen. Scinto (1986: 68f.) unterscheidet drei Ebenen des Erwerbs und des Besitzes von Schreibfertigkeiten und damit implizit auch drei Hauptbedeutungen des Verbs 'schreiben'. Es sind dies - die Kontrolle der psychomotorischen und motorischen Abläufe, die zum Herstellen graphischer Marken notwendig sind, und die Kenntnis der notwendigen graphischen Formen (des Schriftsystems). - die Kenntnis der 'Übersetzungsregeln', die Laut- und Schriftbilder verbinden (Kenntnis der Schreibung). Für eine fortgeschrittene Schreibund Lesekompetenz ist die Autonomisierung dieser Schriftbilder hilfreich oder sogar nötig, das heisst ihr Funktionieren unabhängig vom jedesmaligen direkten Bezug auf den Laut. - die Kenntnis der strukturellen und funktionalen Regeln der geschriebenen Sprache und der Textherstellung. Diese Trennung ist nicht nur eine analytische. Die drei verschiedenen Aspekte können weitgehend separat voneinander erworben werden1. Sie können durch Krankheiten und Unfälle auch differentiell geschädigt werden. In allen Akten des Schreibens wirken die beiden ersten Ebenen mit, obwohl sie (ausserhalb des Anfangsunterrichts im Schreiben) nur sporadisch thematisch werden (wenn eine Glückwunschkarte besonders schön geschrieben werden soll, wenn die Schreibweise einzelner Wörter nicht sicher gewusst wird usw.) Die dritte Ebene Scintos ist angesprochen, wenn Ludwig im umgangssprachlichen Begriff des Schreibens drei Aspekte bestimmt, die auch vielen wissenschaftlichen Schreibbegriffen zugrunde liegen und die den eigentlichen Begriff des Schreibens ausmachen: Schreiben ist ein Prozess des (schriftlichen) Niederlegens von Sprache; er dient wesentlich der Herstellung eines Produkts, das einen gewissen Sinn und Zusammenhang ausdrückt, und er wird durch dieses Produkt in seinem Ablauf bestimmt (Ludwig 1983a: 4). Damit wird Schreiben wie bei Scinto in unmittelbare Verbindung gebracht mit der Tätigkeit (schriftlich) formulieren oder einen Text hervorbringen 2. 1
2
So lassen sich die Grundlagen der motorischen Kontrolle auch durch Zeichnen aufbauen, Kenntnisse der Schreibung, aber auch des schriftlichen Kodes durch Lesen. Die entsprechenden Fertigkeiten können in unterschiedlichem Grade ausgebildet sein: Nicht jeder Kalligraph kann gut Texte verfassen; die Kenntnis der orthographischen Regeln ist im Prinzip unabhängig von der Qualität der motorischen oder der textbildenden Fertigkeiten. Ähnlich argumentiert Mayer 1985.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
Diese Differenzierung ist im Hinblick auf die hier interessierenden Fragen ungenügend. In dieser Arbeit wurde der Begriff 'Schreiben' bisher in weitem Sinne verwendet: Er bezeichnet jedes schriftliche Niederlegen von Sprache. Scintos erste Ebene stand dabei nie zur Diskussion: Die Beherrschung der Schriftzeichen und der zu ihrer Produktion erforderlichen Motorik wurde und wird hier immer vorausgesetzt. Scintos zweite Ebene spielt in den Schreibakten, die bisher zur Diskussion gestanden haben, eine gewisse, wenn auch untergeordnete Rolle: Das An- und Aufschreiben von Wörtern im Unterricht, das Kopieren von Sätzen, auch das Schreiben von Übungen oder Diktaten erfüllen natürlich auch die Aufgabe, über die Schreibung zu informieren und diese einzuprägen. Zugleich weist schon der einfache Akt des Aufschreibens häufig über diese Ebene hinaus: Wörter oder Ausdrücke werden auch aufgeschrieben, wenn die Schreibung nicht im geringsten zu Fragen oder Problemen Anlass gibt. Sie interessieren im Unterricht ja nicht nur wegen ihrer Schreibung, sondern auch und vielleicht vordringlich wegen anderer Aspekte, etwa weil sie neu sind oder verschiedenen Versuchen der Memorierung widerstanden haben oder für eine Gruppenarbeit wichtig sind. Dies sind Schreibaktivitäten, die nicht einen Text zum Ziel haben und nur bedingt sprachliches Formulieren voraussetzen und die doch mit einem gewissen Recht unter den Begriff des Schreibens fallen, ohne dass sie in dem vorgeschlagenen Schema untergebracht werden können. Dies gilt im übrigen nicht nur von schulischen Formen des Schreibens. Auch ausserhalb sind Schreibformen gängig (Stichwortnotizen, Einkaufszettel, Inventarlisten usw.), welche eine Form und eine Funktion annehmen, die in Scintos zwei unteren Ebenen noch nicht angesprochen sind und die von dem, was er auf seiner dritten anspricht (oder von Ludwigs Schreibbegriff) an Komplexität weit überragt werden. Hier ist eine Differenzierung dringend vonnöten. Die schon einige Male benützte Unterscheidung von präkommunikativem und produktivem Schreiben im ersten Teil war ein erster, noch ungenügender Schritt in diese Richtung1. 1.2.2 Schreibformen Ich möchte auf einer erweiterten dritten Ebene Scintos vier grundsätzliche Formen des Schreibens, also des Herstellens einer Schriftäusserung, unterscheiden: Kopieren, Reproduzieren, Notieren und Formulieren. Sie sind geprägt durch die je unterschiedliche, typische Aufgabe, welche das Schreiben für den Schreibenden bedeutet; diese beeinflusst ganz direkt die fundamentalen, den Schreibprozess bestimmenden Faktoren2. 1
2
So sind die präkommunikativen Schreibformen durch zwei voneinander zu unterscheidende Aspekte ausgezeichnet: formell durch ihre Einfachheit, ihren nicht-formulierenden Charakter, funktional durch ihren (meist) nicht-kommunikativen Zweck. Diese Aspekte müssen unterschieden werden. 'Schreiben' ist ein problematischer Begriff, «da er sowohl eine individuelle als auch eine gesellschaftliche Tätigkeit bezeichnet und somit seine Bestimmung von den je-
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Π.1 Fremdsprachliche Schieibdidaktik: Ein Überblick
Als allen diesen Formen gemeinsame Grundfunktion wird das F i x i e r e n angesetzt. Im Überblick:
Taxonomie der Schreibformen Schreibform
Ausformung
Produkt (Beispiele)
0. F i x i e r e n 1. K o p i e r e n
verschriften aufschreiben abschreiben niederschreiben
Jede Schriftäusserung Wort, Liste Wort, Satz, Zitat Wort, Diktat
Einsetzen von Wörtern
Lückentexte, Kreuzworträtsel verschiedene Formen von Übungen verschiedene Formen von Übungen
2. R e p r o d u z i e r e n Reproduzieren
Komplettieren
3.Notieren 4. Fo r m u l i e r e n Reformulieren Formulieren
Umformen von Ausdrücken nach Vorgabe Zu-Ende-Führen von teilweise vorgegebenen Strukturen und Texten Formulare ausfüllen
Formulare
Stichworte machen
Listen, Lesenotizen,Textpläne
paraphrasieren, zusammenfassen
Zusammenfassung, Neufoimuliening, Nacherzählung Memo, Entwurf, Teiltext, Text
schreiben (im Sinn von Ludwig)
0. Fixieren
Das Fixieren oder Verschriften ist, wie schon gesagt, die Grundfunktion allen Schreibens, es wird hier deshalb mit der Ziffer Ό' gekennzeichnet. Fixieren wird möglich, sobald die Schreibmotorik und die Schreibung genügend beherrscht werden; damit sind die Instrumente bereitgestellt für die verschiedenen Formen des schriftlichen Sich-Äusserns. Was geschrieben wird, wird fixiert. Wie weit das Fixat haltbar ist, ist eine andere Frage. Schriftzüge im Sand am Meer sind vorhersehbarerweise nicht beständig und deshalb nicht normalerweise gebräuchlich. Das Schreiben etwa mit bengalischen Zündhölzern in der Dunkelheit oder mit dem blossen Finger auf der Schulbank sind - nicht sehr bedeutende Grenzfälle. Sie beanspruchen zwar die übliche Schreibmotorik, hinterlassen jedoch keine Spur, was wir normalerweise von einem Schreibakt er-
weiligen soziokulturellen Verhältnissen abhängig ist» (Ludwig 1983a: 3). Dieser Problematik wird hier wenig Rechnung getragen. Vorausgesetzt ist immer die in unserer Gesellschaft geltende Bestimmung des Schreibens, diese wird nicht kontrastiv analysiert. Im folgenden interessiert, was sich innerhalb dieses Rahmens zum Schreiben als einer individuellen Tätigkeit sagen lässt
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Teil II: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
warten, und erfordern die Präsenz des Adressaten, wenn ein solcher angesprochen ist. Das Fixieren lässt sich nach seiner Art unterscheiden: Es geschieht handschriftlich, mit einer Schreibmaschine oder einem Computer, als ein Setzen (von Lettern in Setzereien), mit Hilfe von Schablonen, Abreibbuchstaben oder Druckstempeln. In allen diesen Fällen ist eine je andere Art der motorischen Beherrschung gefordert. Während das Schreiben von Hand dank der damit verbundenen differenzierten Anforderungen an die feinmotorische Koordination in verschiedener Hinsicht (kinästhetisch, rhythmisch) ausgezeichnet ist und vielleicht Gedächtnisspuren besonders deutlich einprägen hilft, ist es keine Voraussetzung fürs Schreibenlernen. Es kann gänzlich ersetzt werden durch die anderen Mittel, vor allem die Tastatur. - Das Drucken als technischer Vorgang hat nichts mit Schreiben zu tun; es ist ein mechanischer Prozess der Reproduktion, der einen geeigneten Akt der Fixierung voraussetzt1. Das Fixieren als Grundfunktion wird hier betont, weil sämtliche Schreibformen nur dank ihr Schreibformtn sind. Formen des Reproduzierens, Reformulierens usw. kennt auch der mündliche Sprachgebrauch. 1. Kopieren Kopieren heisst, Vorfindliches niederschreiben oder nochmals schreiben. Wesentlich am kopierenden Schreiben ist, dass der Schreibprozess und die ihn begleitenden kognitiven Vorgänge das zu Schreibende nicht beeinflussen oder sich nur in Form von Fehlern bemerkbar machen. Das Resultat ist idealerweise von der Vorlage linguistisch nicht verschieden. Am Kopieren lassen sich unterscheiden das Abschreiben (Quelle: Geschriebenes), das Niederschreiben (Quelle: Gesprochenes) und das Aufschreiben (Quelle: Dinge, die 'im Kopf' sind). Dieses letztere bildet einen Problemfall, denn hier ist die Grenze weit offen in Richtung auf notierendes Schreiben. Wohl nur in den einfachsten Fällen, etwa beim Erstellen einer Einkaufsliste, wird das Schreiben bloss ein Aufschreiben bleiben. Aber schon hier ist möglich, sogar wahrscheinlich, dass das Schreiben (dank seiner Langsamkeit, dank der Sichtbarkeit des Produkts) neue Ideen stimuliert und sich somit als zusätzlicher Faktor bemerkbar macht, der das vorgesehene Resultat verändert. Sobald es Gedanken sind, die aufgeschrieben werden, ist es beinahe sicher, dass der Akt des Schreibens das zu Schreibende mit prägt und beeinflusst2.
1
2
Natürlich beeinflusst das Druckwesen die Schreibkultur tief. Texte für den Druck unteiiiegen meist strengeren Standards als andere, die bloss als Unikate geschrieben werden; die Buch- und Pressekultur schafft auch ganz neue, ihr eigene Textsoiten usw. (vgl. Ludwig 1983a, Ong 1982, Feldbusch 1985). Dass das Abschreiben oder Aufschreiben ein machtvolles Instrument sein kann, Textverstehen zu fördern, sei hier nur am Rande erwähnt. Voraussetzung ist allerdings, dass es nicht mechanisch erfolgt, sondern explizit bezogen auf den Inhalt.
Π.1 Fremdsprachliche Schieibdidaktik: Ein Überblick
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2. Reproduzieren Es sind vor allem schulische Formen des Übens, die reproduktives Schreiben erfordern. Dabei sind aufgrund von Aufgabenstellung und Ausgangsdaten die zu produzierenden Resultate gänzlich oder in der Hauptsache definiert; sie sind - etwa im Lösungsschlüssel des Lehrers - im wahrsten Sinne des Wortes vorgeschrieben. Die eigentliche Leistung der Schreibenden besteht darin, den Lösungsweg zu erkennen und die zur richtigen Antwort nötigen Schritte korrekt auszuführen. Übungsformen, die hier zu nennen sind, sind etwa Grammatikübungen, welche die Umformung von Stukturen nach einem bestimmten Muster erfordern; Cloze-Texte, das heisst Texte, in denen jedes vierte oder fünfte Wort ausgelassen und von den Lernenden aufgrund des Kontextes zu rekonstruieren ist; ferner Übungen zum kontrollierten Schreiben, in denen ein Text nach genau definierten Vorgaben zu verändern oder fertigzustellen ist1. Eine reproduktive Schreibaufgabe ausserhalb des Unterrichts stellen etwa Kreuzworträtsel dar. Das Komplettieren ist eine spezielle Form des reproduzierenden Schreibens. Viele unterrichtliche Übungsformen, vor allem die Praxis des 'gelenkten Schreibens', geben syntaktische und textuelle Strukturen, Sprachmaterial usw. vor, welche die zu erwartenden Resultate in weitem Masse vorherbestimmen, jedoch eine Anzahl kleinerer Abweichungen, Freiheiten der Formulierung usw. ermöglichen. So kann die Aufgabe in einer Grammatikstunde zum Thema Komparation lauten, fünf Sätze zu schreiben und in jedem Satz zwei Mitglieder der Klasse in irgendeiner Weise miteinander zu vergleichen. Hier sind Format (Satz), eine wesentliche Teilstruktur (Komparation) und Thema (Personen vergleichen) zwar vorgegeben, die Resultate können jedoch in gewissem Ausmass variieren, weil diese Rahmenbedingungen Möglichkeiten der syntaktischen und lexikalischen Realisierung offenlassen. Übungsformen, welche solche Aufgabenstellungen realisieren, gibt es Dutzende, vor allem auch solche im Textformat. Diese Schreibform wird oft als reproduktiv-produktives Schreiben bezeichnet; im Unterschied zum reproduktiven Schreiben handelt es sich hier um eine offenere Übungsform, die gegenüber den geschlossenen (reproduktiven) Formen andere Anforderungen (und Kontrollbedingungen) stellt. Allerdings sind die Grenzen auf der einen 1
Eine kontrollierte Schreibübung auf der Anfängerstufe ist etwa die folgende: «Read this dialogue: Α.: Give me that book, please. B.: Which one? Α.: The big one - on the table. B.: Here you are! Α.: Thanks very much. Now use these keywords to write similar dialogues: (a) umbrella/red/behind/armchair (b) box/small/on top of/cupboard (c) hammer/heavy/near/window (etc.)» (Byrne 1979:40)
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
Seite zum eigentlichen Reproduzieren, auf der anderen zum (Re-)Formulieren nicht ganz klar zu ziehen1. Unter den Alltagstextsorten sind es Formulare, die ein komplettierendes Schreiben erfordern. Zum Teil müssen in Formulare nur einzelne Wörter, zum Teil aber auch ganze Formulierungen eingesetzt werden; die Resultate hängen nicht allein von den textimmanenten Vorgaben ab, sondern ebenso von den Schreibenden selbst (ihren Personaldaten, Wünschen, Umständen) 3.
Notieren
Das Notieren bringt Listen, Ideensammlungen, Exzerpte, Textpläne hervor - Produkte, die in der Welt der Schriftäusserungen eine seltsame Position einnehmen. Am besten sichtbar werden die Eigenschaften des Notierens in elaborierten Stichwortnotizen, etwa beim zusammenfassenden Mitschreiben in Vorträgen2 oder beim Planen eines Textes. Notizen bedienen sich häufig typisch schriftsprachlicher Lexik. Ihre einzelnen Elemente sind meist vielfach miteinander verknüpft, allerdings nur teilweise durch sprachliche, ebenso durch graphische Mittel. Daneben stehen auch listenhafte Aufzählungen, isolierte Hinweise usw. Eine gewisse, stellenweise sogar hochentwickelte Organisation des Materials ist somit gegeben, aber syntaktisch und textuell nicht oder nur ansatzweise ausgeführt. Die Auswahl der Stichworte und das Ausmass der Explizitheit solcher Notate ist extrem abhängig von Interessen und Vorwissen der Schreibenden. Sie gehorchen nicht Standards interpersoneller Verständigung und schon gar keinen Kriterien von Stil und Textsorte, sondern dienen meist nur individuellen Zwecken oder als Referenzbasis im Gespräch mit unmittelbar Beteiligten, welche die Kontexte kennen, die in der Nennung von Konzepten angedeutet sind. In Notaten finden auf der formalen Seite deshalb zum Teil hochgradig idiosynkratische Abkürzungen und Darstellungskonventionen Verwendung3. In Stichwortnotizen kreuzen sich Standards der Schriftsprache mit idiosynkratischen Eigenheiten, prätextuelle Strukturen mit ungeordnet hingeschriebenen Erinnerungsstützen usw. Vor allem ist diese Art des NotizenMachens geprägt von einem Umgang mit Sprache, der nicht als formulierend, produktiv im hier verwendeten Sinne zu bezeichnen ist (das Resultat ist nicht sprachlich ausgeführt und textuell verknüpft), der aber trotzdem in vielem an der gedankenstimulierenden und -prägenden Kraft des Schreibens partizipiert, sich im übrigen auch die dokumentarische Funktion von Verschriftungen zunutze macht.
1 2
3
Reproduktiv-produktive Übungen umspannen einen weiten Bereich, der dringend genauerer Analyse bedürfte. Einige allgemeine Hinweise finden sich in Kap. ΙΠ.3. Diese sind von einer rein kopierenden Mitschrift, etwa einem Stenogramm, deutlich zu unterscheiden, denn in sie geht ein grosses Mass verarbeitender, auswählender, gewichtender, reformulierender Arbeit ein. Ludwig (1983a: 9f.) betrachtet es als ein wesentliches Merkmal von Notaten, dass sie noch weitgehend an die Person des Schreibenden gebunden sind.
Π.1 Fremdsprachliche Schreibdidaktik: Ein Überblick
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4. Formulieren Formulieren ist der Kernvorgang, der in Ludwigs Schreibbegriff und in Scintos dritter Bedeutung des Begriffs 'Schreiben' angesprochen ist. Formulierendes Schreiben ist ein Niederlegen von Gedanken, der sprachliche Ausdruck von konzeptuellen Zusammenhängen. Formulieren ist nicht einfach ein Sagen; in diesem Begriff ist vielmehr mitgemeint, dass für Mitzuteilendes ein adäquater Ausdruck gesucht wird, dass die resultierende Aussage einen Sachverhalt adäquat sprachlich fasst1. Formulierendes Schreiben führt, auch wenn es natürlich seine Rahmenbedingungen kennt (ein Antwortbrief ist eben eine Antwort, ein Aufsatz hat sein Thema usw.), zu Produkten, die in ihrer konkreten sprachlichen Gestalt in weitem Masse unvorhersehbar sind. Diese geht aus der Aufgabenstellung nicht auf dem Wege blosser Ableitung hervor, sondern ergibt sich als Resultat aus einer durch vielfache Faktoren beeinflussten Vertextungsarbeit. Reformulierendes Schreiben teilt diese Grundbestimmungen weitgehend, ist jedoch geprägt durch eine enge inhaltliche Bindung an eine Vorlage, deren Aussagen in anderer (gekürzter, klarerer, veränderter) Form wiedergegeben werden sollen2. Reformulierendes Schreiben (und Sprechen) stellt im Unterricht eine der wichtigsten Formen der Verständniskontrolle dar. Freie Textsorten, die aus dem Reformulieren hervorgehen, sind rar; vor allem im wissenschaftlichen und journalistischen Schreiben bilden jedoch reformulierende Teiltexte (Zusammenfassungen, Redewiedergabe, Paraphrasen) eine wichtige Rolle. Einige Anmerkungen zu dieser Auflistung3: 1. Formulieren und Reformulieren, in gewissem Grade auch das Notieren, sind produktive Schreibformen. Die Tatsache, dass sich im produktiven Schreiben kopierende Elemente eingestreut finden können (etwa beim Zitieren), verändert den generellen Charakter der Tätigkeit nicht. 2. Die Abgrenzungen zwischen den verschiedenen Formen sind kaum wasserdicht zu machen. Die ersten (Kopieren, Reproduzieren) entsprechen weitgehend dem, was Kaplan als «writing without composing» bezeichnet; die letzten (die produktiven Formen) dem, was er «writing through composing» nennt (Kaplan 1984: 242f.); dazwischen sind Übergangsbereiche anzusiedeln. Nicht standfest ist insbesondere die Unterscheidung zwischen 1 2 3
Zu diesem Leistungsaspekt des Formulierens vgl. Antos 1982: 85ff. Eine ähnlich weite Definition geben Rickheit/Strohner (1989: 221) für den Begriff 'Textieproduktion'. Die vorliegende Kategorisierung liesse sich zweifellos noch weiter differenzieren; im übrigen ist sie kaum erschöpfend. So grundlegende Formen wie das Anschreiben und das Unterschreiben verdienten nähere Untersuchung. Wahrscheinlich zeichnen sich diese primär durch ihre speziellen Funktionen aus, wodurch sich auch ihr besonderes Verhältnis zur Sprache erklärt. Anschreiben dient der Kenntlichmachung, Unterschreiben der Beglaubigung; beides sind Funktionen, die sich auch nichtsprachlich erfüllen lassen (etwa durch Firmenlogos, Piktogramme usw. auf der einen Seite, durch Markierungen - Siegel, Fingerabdrücke,... - auf der anderen Seite).
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
reformulierendem und formulierendem Schreiben. Das meiste, was wir je sagen können, entsteht anhand eines Geländers von vorgeprägten Argumenten und Redeweisen und steht inhaltlich und formal in paraphrastischer Beziehung zu Geschriebenem, Gehörtem usw. Als reformulierendes Schreiben gilt hier allein eine Arbeit, die Aussagen eines vorliegenden Textes in anderen Worten wiederaufnimmt. 3. Die Ordnung der Schreibformen, das heisst die Reihenfolge, in die sie hier gesetzt werden, hat einen gewissen, aber keinen zwingenden Zusammenhang mit der Schwierigkeit der Schreibaufgabe oder der kommunikativen Funktion des Geschriebenen1. 1.2.3 Funktionen des Schreibens Schreiben hat vielfältige Funktionen. Ich möchte ich hier zwei übergeordnete in den Vordergrund stellen: Die Prozessfunktion und die Produktionsfunktion. Diese schliessen einander nicht aus. a. Prozessfunktion Schreiben besitzt in vielen Fällen einen Eigenwert, der es - ganz unabhängig vom Resultat und seiner Brauchbarkeit - als sinnvoll oder sogar notwendig erscheinen lässt zu schreiben. Viele Tagebucheinträge werden nie mehr gelesen; gewisse emotionale Zustände können durch Schreiben gelindert werden; Vorlesungsmitschriften entstehen oft nicht in der Absicht, sie weiterzuverwenden, sondern sind Mittel, die Verstehenstätigkeit zu fokussieren und das Gehörte zu strukturieren usw. In all diesen Fällen scheint das Schreiben wichtiger zu sein als das, was dabei herauskommt; der potentielle dokumentarische Wert des Fixats wird oft gar nicht in Anspruch genommen, das Geschriebene vielleicht sogar zerstört. Die Prozessfunktion kann natürlich auch dann, wenn das Produkt nicht gleichgültig ist, ganz wesentlichen Wert zugesprochen erhalten; dies ist vor allem der Fall bei schwierigen, intensiv erarbeiteten Texten. Alltagstexte (Briefe ans Steueramt, Memos, Postkarten aus den Ferien) werden eher weniger unter diesem Aspekt erfahren. Wie die Beispiele zeigen, ist die Prozessfunktion eine Funktion, die unter verschiedenen Perspektiven relevant werden kann; es ist ein ganzes Bündel unterschiedlicher Effekte, welche sich im Einzelfall durch den Prozess des Schreibens realisieren lassen.
1
In einer verwandten Kategorisierung unterscheidet Passov (1983) Schreiben und Aufschreiben sowie Produktion und Reproduktion. 'Reproduktives Aufschreiben* sowie 'reproduktives Schreiben' umfassen einen Teil dessen, was hier unter Reproduzieren verstanden wird (nämlich alle einschlägigen Aktivitäten, soweit sie in Texten resultieren). 'Produktives Aufschreiben' entspricht ungefähr dem Reformulieren, 'produktives Schreiben* dem Formulieren. Beach/Bridwell (1984: 187ff.) führen auf: «restating», «recasting» und «inventing». Diese entsprechen ungefähr dem Reproduzieren, Reformulieren und Formulieren.
Π.1 Fremdsprachliche Schieibdidaktik: Ein Überblick
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b. Produktionsfunktion Die Produktionsfunktion ist im Normalfall die erste und vordergründigste: Man schreibt, um nachher etwas in der Hand zu haben. Das Ziel ist eine Schriftäusserung, die gebraucht werden kann, das heisst einen Zweck erfüllt. Wo routinemässig geschrieben wird (Geschäftsbriefe, Memos, Einkaufszettel, ...), kommt dem Prozess des Schreibens kaum eine andere Funktion zu als die, ein Resultat zu erzeugen: Die Funktion des Schreibens geht weitgehend in der des Produkts auf. Dessen Verlust (oder sonstige Umstände, die sein ordnungsgemässes Funktionieren verhindern) würde die gesamte eingesetzte Arbeit sinnlos machen. Die Produktionsfunktion ist aber auch in einem anderen Sinne oft die erste: In vielen Fällen führt erst der Zwang, eine Schriftäusserung (einen Text) herzustellen, die Schreibenden dazu, sich die Mühe des Produzierens zu machen auch dort, wo vom Schreiben selbst wertvolle Impulse zu erwarten sind. Schreiben ist eine Arbeit, die man sich in den meisten Fällen nicht umsonst macht. Die von Ludwig (1980a) vorgeschlagene Klassifikation von Funktionen des Schreibens lässt sich vor dem Hintergrund der hier vorgeschlagenen Grundunterscheidung zwischen Prozess- und Produktionsfunktion etwa folgendermassen interpretieren: Konservierendes, transferierendes1 und kommunikatives Schreiben ist produktgerichtetes Schreiben; die angezielten Funktionen sind solche des herzustellenden Dokuments2. Aus-sichheraus-Schreiben als Versuch, sich von einem inneren Zustand freizuschreiben, bezeichnet eine Funktion des Schreibprozesses selbst, ohne Bezug auf das Produkt. Die übrigen Funktionen schliesslich3 bezeichnen stark prozessorientierte Weisen des Schreibens, deren Produkte in variierendem Grade entweder in den Prozess selbst wieder eingehen oder auch einen eigenständigen Wert bzw. bestimmte Funktionen zugesprochen erhalten können. 1.3 Schriftäusserungen Jedes Schreiben führt zu einem Produkt, gleichgültig, welches dessen Stellenwert sein mag. In bezug darauf sind verschiedene Unterscheidungen vorzunehmen: 1. Der Form nach lassen sich Schriftäusserungen nach verschiedensten Kriterien unterscheiden. Eines der wichtigsten ist das der Textualität.
1 2
3
Als transferierendes Schreiben bezeichnet Ludwig ein «Schreiben zum Zweck der Tradierung von Wissen» (Ludwig 1980a: 89). Dies schliesst natürlich nicht aus, dass die Produktion dieser Texte auf Funktionen erfüllt, wie sie gleich aufzuführen sein werden. Aber diese sind im Begriff des kommunikativen Schreibens nicht mitgemeint. Ludwig nennt hier bewusstmachendes Schreiben (Schreiben als Mittel der Erkenntnis), operatives Schreiben (zur Problemlösung), selbstvermittelndes Schreiben (zur Selbsterkenntnis), Schreiben als Formulierungshilfe und konzipierendes Schreiben.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
Textuelle Schriftäusserungen sind das Hauptthema nicht nur der Schreibtheorie und der Textlinguistik, sondern auch der Schreibdidaktik. 2. Über die Funktionen von Schriftäusserungen wurde eben einiges gesagt. In dieser Arbeit werden vorab kommunikative und dokumentarische unterschieden. Als kommunikativ gelten hier nicht nur pragmatische Texte, sondern alle, die dazu geschrieben werden, um von anderen als dem Schreibenden selbst gelesen zu werden und die dementsprechend den Anforderungen unterworfen sind, die an öffentliche Texte gestellt werden. Dies sind im Unterricht sozusagen alle in schreibdidaktischen Zusammenhängen produzierten. 3. Schriftäusserungen, vor allem Texte, sind noch unter weiteren Gesichtspunkten zu unterscheiden, etwa nach ihrem Stellenwert im Gesamtprozess der Produktion. Sie können den Status von Entwürfen haben (was bedeutet, dass sie für den Schreibenden als noch nicht beendet gelten1) oder den von abgeschlossenen Texten. Unter diesen muss unterschieden werden danach, ob sie als Vorlagen Verwendung finden sollen (also von vornherein im Hinblick auf mündlichen Vortrag konzipiert werden) oder als Lesetexte. Auf einige Fragen im Zusammenhang mit diesen Unterscheidungen wird in Teil ΠΙ eingegangen. Mit der Frage nach Form und Funktion von Schriftäusserungen ist der Bereich der Textlinguistik angesprochen. Einige der vielfachen Differenzierungen, die in diesem Gebiet erarbeitet worden sind, werden im folgenden zwar immer wieder angesprochen, sie können im Rahmen dieser Arbeit aber nicht explizit entfaltet werden. 1.4 Didaktische Funktionen von Schreiben und Text Das Schreiben und seine Produkte übernehmen in unterrichtlichen Kontexten didaktische Funktionen; sie treten zudem in verschiedene Relationen zu den unterrichtlichen Aktivitäten ein. Auf einige der wichtigsten Gesichtspunkte sei kurz hingewiesen. a. Didaktische Funktionen des Schreibens Prozessfunktionen des Schreibens werden in didaktischen Kontexten zu Lern- und Übungszwecken gezielt angestrebt bzw. ausgenützt; dies wird hier als Lern- bzw. Übungsfunktion des Schreibens bezeichnet. Während die oben genannten Prozessfunktionen vor allem thematische, inhaltsbezogene sind, sind die fremdsprachdidaktisch interessanten Prozessfunktionen vorab, allerdings nicht nur, die kodebezogenen. Ich möchte hier auf verschiedene Kontexte hinweisen, in denen die Prozessfunktionen des Schreibens didaktisch fruchtbar gemacht wird. 1. In den im ersten Teil herausgestellten präkommunikativen Gebrauchsweisen der Schrift wird Sprache als Kode verfügbar und handhabbar gemacht und begleitend zu den übrigen Aktivitäten des Unterrichts einge1
Sie sind deshalb vom Prozess des Schreibens noch nicht eigentlich abgetrennt (Ludwig 1983a: 9).
Π.1 Fremdsprachliche Schieibdidaktik: Ein Übelblick
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setzt1. Schreiben hat hier — nebst anderem - die Funktion einer Intensivierung des Sprachkontakts, eines alternativen Zugangs, der von vielen Lernenden spontan gesucht und genützt wird. Es wird angenommen, dass die motorische Aktivität und die dadurch notwendig werdende bewusste Analyse und Reproduktion des Schriftbilds zu besserem Behalten von Wörtern, Strukturen usw. führt. 2. Schreiben kann auch als vollgültige, offizielle Lernform eingesetzt werden, etwa im Schreiben von Übungen2. Deren Zweck ist meist nicht im Produkt beschlossen, das hervorgebracht wird. Dieses dient fast stets nur als Ausweis dafür, dass die verlangte Arbeit stattgefunden hat; es erlaubt auch die Kontrolle ihrer Qualität. Übungen erfordern, zusätzlich zu den analytischen und motorischen Aktivitäten, die Lösung einer Aufgabe: Sprachliche Elemente oder Strukturen müssen manipuliert werden; sie sind im Rahmen syntaktisch-semantisch-pragmatischer Zusammenhänge korrekt zu verändern. Die Prozesse des Lesens der Vorlage, der Aktivierung der einschlägigen Kenntnisse und die Entscheidung über die richtige Antwort sowie das schriftliche Festhalten derselben geschehen in der schriftlichen Aufgabenlösung relativ langsam, kontrolliert und sollen entsprechende Ablaufstrukturen bilden oder festigen helfen, auf die in der späteren Anwendung der Sprachmittel zurückgegriffen werden kann3. Das Schreiben dient in diesem und im ersten Fall als Lernhilfe; es ist ein Schreiben in Hilfsfunktion (Hüllen 1969, Eismann 1985). 3. Lern- und Übungsfunktion hat im Unterricht prinzipiell jedes, auch das produktive Schreiben. In diesem letzteren Fall wird sie aber überlagert durch die Absicht, einen Text herzustellen, der als Produkt einen gewissen Eigenwert aufweist. Dies ist in den Übungen meist nicht der Fall4. Über die Prozesseffekte produktiven Schreibens wird ausführlich in II.3 und im Teil ΠΙ die Rede sein. Abschliessend noch zwei Bemerkungen: Die Lernfunktionen können nach Bedürfnis weiter differenziert werden. So kann geschrieben werden als Mittel der Einprägung von Neuem, der Repetition, der Verknüpfung verschiedener bislang getrennt behandelter Bereiche, zur Korrektur eingefahrener Fehler usw. In schriftlichen Arbeiten spielt im Fremdsprachenunterricht oft auch die Absicht eine Rolle, die Normen der Schreibung zu vermitteln, also Kenntnisse auf Scintos zweiter Ebene zu sichern. Dies ist jedoch nur in seltenen Fällen der Hauptzweck, etwa im ersten Anfängerunterricht oder natürlich 1 2 3
4
Es betrifft dies meist kopierendes, eventuell notierendes Schreiben. Es betrifft dies meist kopierende undreproduzierendeFormen des Schreibens. In ΠΙ.3/4 wird unterschieden zwischen schriftlichen Übungen, die in Verlängerung des Wortschatz- und Grammatiklemens helfen sollen, allgemeine Sprachkenntnisse zu festigen; Textübungen, in denen textspezifische Sprachmittel und Darstellungsweisen thematisiert werden, und Schreibübungen, in denen einzelne Aspekte der Schreibfertigkeit geübt werden. Mögliche Ausnahmen sind im Bereich derreproduktiv-produktivenÜbungen zu finden.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
im Unterricht mit Lernenden, die nicht oder nur sehr schlecht schreiben können (vgl. die Hinweise in Abschnitt 2). b. Didaktische Funktionen von Schriftäusserungen Die Lern- und Übungsfunktion des Schreibens ist im Unterricht vielfach die zentrale Funktion; dies ist der Fall etwa bei den meisten Übungen. Als Schriftäusserungen sind diese vorab interessant unter dem Aspekt der Kontrolle, der Leistungmessung und -beurteilung. Man kann dies als die didaktische Funktion dieser Schriftäusserungen bezeichnen. Sie schliesst, vor allem dann, wenn Texte geschrieben werden, weitere Funktionen nicht aus (kommunikative oder dokumentarische). Über die didaktischen Funktionen von Texten und ihr Verhältnis zu den anderen wird in Teil ΠΙ die Rede sein. c. Der unterrichtliche Stellenwert des Schreibens Zur Bezeichnung des didaktischen Stellenwerts des Schreibens im Hinblick auf den Unterricht haben sich einige Begriffe eingebürgert, welche zum Teil bereits benutzt worden sind: 1. Ein erster Begriff bezieht sich auf den Stellenwert des Schreibens im Hinblick auf die Lernziele des Unterrichts. Schreiben figuriert in Lehrplänen und Bedürfnisanalysen als Zieltätigkeit. Dieser Begriff bezieht sich auf die künftigen Aktivitäten, auf die hin eine Schreibdidaktik zu arbeiten hat, wenn solche Ziele für eine Lernergruppe überhaupt festgelegt sind. Soweit im Unterricht Texte der Form und des Inhalts geschrieben werden, wie sie in Zielbestimmungen aufgeführt sind, wird in Zielfunktion geschrieben. 2. Eine wichtige Unterscheidung bezieht sich auf die im Schreiben involvierten Wissensbestände und ihren Status im jeweils aktuell ablaufenden Unterricht. Schreiben - präziser: die fürs Schreiben relevanten Sachbereiche können zum Thema des Unterrichts werden, sie sind dann Lerngegenstände. Sie werden dies mit Sicherheit immer dort, wo Schreiben als Zieltätigkeit eine Rolle spielt, ebenso (wenn auch in beschränktem Umfang) in jedem Unterricht, der nicht völlig auf Geschriebenes verzichtet, sondern Schreiben in Hilfsfunktion zulässt (dort werden zumindest Schrift und Schreibung wichtig); sie spielen auch eine wichtige Rolle für den Leseunterricht (zusätzlich zu Schrift und Schreibung werden hier spezifische Wortschatzbereiche, Textformen und Textstrukturen thematisch). Wie in Kap. III zu zeigen sein wird, können sogar Aspekte des Schreibprozesses höchst fruchtbar zum Gegenstand von Unterricht gemacht werden, ohne dass Schreiben als Zieltätigkeit prominent im Lehrplan zu figurieren braucht. Wo dagegen geschrieben bzw. gelesen wird und die dabei mitwirkenden Sachbereiche der Schrift, der Schreibung, der Textstruktur usw. nicht thematisierte Mittel sind, welche die unterrichtlichen Aktivitäten durchzuführen erlauben, figuriert das Schreiben bzw. das Geschriebene als Lernmedium.
Π.1 Fremdsprachliche Schreibdidaktik: Ein Übeiblick
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3. Die oben gemachten Hinweise auf die Lernfunktionen des Schreibens sind unabhängig von diesen Unterscheidungen. Gleichgültig, welcher Status einem aktuellen Schreibanlass hinsichtlich der Lernziele eingeräumt wird, auch unabhängig davon, ob schreibrelevante Sachverhalte aktuell Lerngegenstand sind oder nicht, wird dem Schreiben dank seiner Prozesseigenschaften eine gewisse Lernfunktion zugeschrieben.
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Schwerpunktbereiche der Schreibdidaktik
2.1 Einleitung Schreiben hat im Fremdsprachenunterricht eine solide Position in zwei Bereichen: als Lernhilfe auf jeder Stufe des Unterrichts einerseits, als Texteschreiben im Fortgeschrittenenunterricht und in Spezialausbildungen andererseits. Das erste ist, wie in 1.4/1 angemerkt, ein meist präkommunikatives Schreiben, das in seiner Relevanz kaum je bestritten, aber ebensowenig analysiert worden ist; das zweite findet sich zum Teil in den oberen Klassen der Mittelschule, in Sprachkursen auf Universitätsniveau oder in anderen Ausbildungsgängen (etwa bei Übersetzern, im kaufmännischen Bereich usw.) Hier ist Schreibunterricht unmittelbar auf Ausbildungsziele ausgerichtet. Dies lässt eine grosse Lücke offen zwischen den Formen und Ansprüchen des Schreibens in unterrichtlichen Hilfsfunktionen und den meist auf komplexe Gesamttexte zielenden Bemühungen des Aufsatz- und Schreibunterrichts der Fortgeschrittenenstufe. Da dieser letztere sich oft stark an den Formen muttersprachlichen Schreibunterrichts orientiert und wenig spezifisch Fremdsprachendidaktisches an sich hat, ist dieser mittlere Bereich auch der der eigentlich fremdsprachlichen Schreibdidaktik. Es hat nicht an Versuchen gefehlt, diesen Bereich zu füllen und einen Schreibunterricht für die Lernenden auf der Anfänger- und vor allem der Mittelstufe zu konzipieren. Der Diskurs, der sich zu diesem Thema entwickelt hat, nimmt sich allerdings vor allem im deutschen Sprachraum bescheiden aus im Vergleich zu dem, der zu den anderen Fertigkeiten geführt worden ist. Dies bezieht sich sowohl auf die Zahl der Beiträge als auch auf ihre Stellung im Gesamtgebäude der Didaktik: Es handelt sich in den meisten Fällen um methodische, auf die Unterrichtspraxis zielende Beiträge, nur selten um Versuche, das Schreiben auch didaktisch zu verorten und lerntheoretisch nach seinen Möglichkeiten zu befragen. Auf einige Gründe für diese Randstellung ist schon hingewiesen worden. Eine wichtige Rolle spielt dafür die Vorstellung, Schreiben heisse, Gesamt- und Grosstexte herzustellen. So stehen, um auf die Überlegungen von 1.1 zurückzugreifen, noch bei Finocchiario/Brumfit die wenigen Hinweise, die ein einigermassen textbezogenes Schreiben betreffen, ganz im Banne dieses Schemas. Als Ziel des Schreibens wird der Essay genannt (1983:149); da dies in allgemeinen Kursen nicht erreichbar ist, beschränkt sich Schreiben darauf, die Lernenden dazu anzuhalten, «carefully guided symbols on paper» zu machen (ebda.: 148). Schreiben führt deshalb im
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
Unterricht vom Kopieren übers kontrollierte zum gelenkten Schreiben als sozusagen höchster in normalen Sprachkursen erreichbarer Stufe; es verlässt den Bereich der Übungen kaum. Die (kommunikativen) Prinzipien, die den Umgang mit Sprache im mündlichen Bereich regeln, werden damit vom schriftlichen Bereich sorgfältig ferngehalten. Das heisst, dass auch in diesem kommunikativen Ansatz in bezug aufs Schreiben die audiolinguale Position wenig verändert weitergeführt wird. Seit einigen Jahren werden nun zunehmend Klagen über diesen Zustand laut. Es wird die mangelnde theoretische Analyse des Themas wie die Randständigkeit des Schreibens im Unterricht hervorgehoben. Die Rede ist von einer Degradierung, der das Schreiben in didaktischer Theorie und Praxis unterworfen sei1. Die Gründe, die etwa Bohn dafür angibt, bilden eine Zusammenfassung und Pointierung der bereits vorgetragenen Hinweise; er nennt: - die ungeprüfte Übertragung klassischer linguistischer (Vor-)Urteile auf den didaktisch-methodischen Bereich. Es sind dies Vorurteile, von denen sich die Linguistik selbst erst seit wenigen Jahren zu befreien begonnen hat2. - eine unzulängliche, einseitig dem Modell mündlich-dialogischen Austausches verpflichtete Interpretation des Prinzips des kommunikativen Unterrichts. - eine ungenügende Analyse der Unterschiede von Erst- und Zweitspracherwerb. In der Fremdsprache baut das Schreiben nicht auf einer vorgängig erworbenen mündlichen Kompetenz auf. - unzureichende Kenntnisse über die Gesetzmässigkeiten des schriftlichen Sprachgebrauchs3. Diese Analysen und Klagen sind selbst schon Anzeichen eines neuen Interesses, das in den letzten Jahren dafür gesorgt hat, dass Schreiben aufgehört hat, im Fremdsprachunterricht ein Tabu- oder Randbereich zu sein. Auf zwei mögliche Anstösse für dieses neue Interesse sei hier hingewiesen: Neuere Formen des Unterrichts, vor allem die im Gefolge der kommunikativen Didaktik notwendig werdende Differenzierung von Aufgabenstellungen und Arbeitsformen (Gruppen-, Partnerarbeit usw.), lassen im Unterricht auch andere Kommunikationskonstellationen und damit verbunden andere Formen und Funktionen von Geschriebenem entstehen. Hier wird das traditionelle Schreiben als Lernhilfe transformiert und ausgedehnt; es okkupiert neue Positionen. Auf der anderen Seite beeinflussen die Entwicklungen der Textlinguistik, besonders die vor allem in den angelsächsischen Ländern forcierten Untersuchungen zum Schreibprozess 1 2
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Bohn 1986:13ff.; 1987a: 233; vgl. Hermanns 1984; Buschendorf 1986. Eine Zusammenstellung und Kritik solcher Vorurteile, die meist auf die Behauptung von Vorrangigkeit und Natürlichkeit des Mündlichen gegenüber dem Schriftlichen hinauslaufen, geben z.B. Feldbusch 1985 und Scinto 1986. Buschendorf (1986: 43f.) führt auch didaktische Gründe an: Schreiben verlange intensivere sachliche Auseinandersetzung als Sprechen; dem Schreiben im Unterricht würden auch Zeit- und Motivationsprobleme entgegenstehen.
II. 1 Fremdsprachliche Schreibdidaktik: Ein Überblick
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und zur Entwicklung von Schreibfähigkeiten, ebenfalls die Schreibdidaktik, zunächst die muttersprachliche, in deren Gefolge auch die fremdsprachliche. In diesem Abschnitt werden die hauptsächlichen Positionen skizziert, die in der Diskussion ums fremdsprachliche Schreiben bezogen worden sind. Diese Diskussion wird in Teil ΠΙ wieder aufgenommen. In diesem Teil steht die Frage im Vordergrund, wie der Grundriss der Schreibdidaktik in verschiedenen Ansätzen bestimmt wird, das heisst, wie ihre Gegenstände und ihre Aufgabe bestimmt werden. In ΙΠ.1 wird dann spezifisch den vorgeschlagenen didaktischen Verfahren nachgegangen. Die diesbezüglichen Hinweise werden hier deshalb sehr kurz gehalten; eine kontrastive Darstellung und Kritik wird erst im nächsten Teil gegeben. Hier wie dort geht es um die Grundlinien der Schreibdidaktik; die Vielfalt der methodischen Verfahren, Übungsanlagen und Schreibanlässe kann nur anhand von Beispielen illustriert, nicht systematisch aufgerollt werden1. Im folgenden stehen Ansätze im Vordergrund, die eine weitgehend unterrichtspraktisch ausgerichtete Darstellung des Themas mit allgemeinen, theoretischen Erwägungen verknüpfen. Bevor auf diese Dinge eingegangen wird, sei noch auf die Arbeiten von Mayer (1985) und Bohn (1986) hingewiesen. Diese sind die einzigen mir bekannten Versuche, die Rolle des Schreibens im Fremdsprachenunterricht in gewisser Ausführlichkeit auf ähnlicher theoretisch-didaktischer Ebene zu untersuchen, wie dies in der vorliegenden Arbeit angestrebt wird. Beide Arbeiten sind unveröffentlicht (Vgl. aber einige zusammenfassende Bemerkungen in Bohn 1987b). Die hier in Teil I diskutierten Fragen stehen in beiden Ansätzen sehr am Rande; einzig zum Thema des Verhältnisses der vier Fertigkeiten zueinander bringt Bohn eine Anzahl interessanter Aspekte bei. In beiden Beiträgen werden jedoch viele der Fragen, die hier in Teil Π diskutiert werden, ebenfalls angesprochen. Die folgenden Ausführungen sind aber detaillierter als die von Bohn und Mayer, vor allem werden die bezugswissenschaftlichen Grundlagen weniger summarisch dargestellt. Entsprechend fallen die Schlüsse, die hier gezogen werden, in vielem anders aus. Dies betrifft die Darstellungen im zweiten, vor allem aber die im dritten Kapitel. Fragen des Verhältnisses von gesprochener und geschriebener Sprache werden bei Mayer und Bohn in einiger Breite diskutiert; auf das Schreiben als Prozess und auf die Spezifik der Sprachproduktion in der fremden Sprache gehen sowohl Bohn wie Mayer wenig ein. Ich werde im folgenden auf die hauptsächlichen Übereinstimmungen und Differenzen an den entsprechenden Stellen hinweisen. Während Mayer darauf verzichtet, didaktische Vorschläge zu machen, fomuliert Bohn auch einige Grundsätze des Schreibunterrichts. In diesem Bereich zeigen sich einige wesentliche Unterschiede zwischen seiner Konzeption und der hier vertretenen; dies nicht zuletzt 1
Konkret bedeutet dies auch, dass auf Unterrichtsmaterialien, Lehrbücher, vereinzelt publizierte Unterrichtsvorschläge usw. nur fallweise hingewiesen wird, dass solche Beiträge aber nicht systematisch gesammelt und angezeigt weiden.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schieibens
aufgrund der unterschiedlichen Aufarbeitung der in diesem Teil angesprochenen Gebiete. Auf die wichtigsten einschlägigen Gesichtspunkte wird in Teil ΠΙ hingewiesen. Es ist nicht die Aufgabe einer Didaktik der Textherstellung, wie sie hier konzipiert wird, die Techniken der Verschriftung zu lehren; diese werden vielmehr vorausgesetzt1. Natürlich müssen diese Dinge angesprochen werden, wenn die fremde Sprache auf einen anderen Schrifttyp zurückgreift (z.B. Neugriechisch). Ebenso ist die Schreibung vor allem im Anfangerunterricht ein wichtiges Thema des Unterrichts; sie wird auch späterhin sporadisch eine gewisse Aufmerksamkeit erheischen. Diese Kenntnisse werden aber nicht allein im Hinblick aufs produktive Schreiben vermittelt, sondern auch im Hinblick aufs Lesen, auf die Hilfsfunktionen des Schreibens, sogar auf die Artikulation, und sie haben wenig mit den Anforderungen zu tun, welche produktives Schreiben als Texte-Verfassen stellt2. Im Normalfall haben Lernende, die in ihrer Muttersprache die Regularitäten der Verschriftung kennengelernt und die entsprechenden Fertigkeiten gut ausgebildet haben, mit diesen Bereichen in der Fremdsprache erstaunlich wenig Mühe3. Ein ernsthaftes Problem stellen diese technischen Bereiche dar, wenn die Lernenden noch nicht schreiben können oder in ihrer Muttersprache nicht wirklich gut zu lesen und zu schreiben gelernt haben. Es erweist sich dann oft als unumgänglich, das Lesen und die Prinzipien der Verschriftung in der Fremdsprache mit zu vermitteln (etwa darum, weil professionelle Chancen ohne Schreibkenntnisse minim sind). Einige grundsätzliche Überlegungen dazu machen Fritsche/Stölting (1979), Belke (1984); einen Lehrgang für alphabet-ungewohnte Fremdsprachige auf der Anfängerstufe stellen Volkmar (1984) und Anschütz/Wrobel (1985) vor4, für fortgeschrittene Fremd- und Muttersprachige Häusler/Bzdziach (1984, 1985). Auf solche Aspekte kann hier nicht eingegangen werden. 2.2 Die Erweiterung der Hilfsfunktionen des Schreibens Ansätze zu einem Schreiben, das die fundamentalen Hilfs- und Übungsfunktionen des Schreibens sprengt, gibt es im kommunikationsorientierten Unterricht wahrscheinlich seit je. Dazu gehört die Arbeit an den wenigen Textarten, die in fast jedem Unterricht auf der Mittelstufe irgendwann 1 2
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Vgl. Mayer 1985: 83; Bohn 1986: 34. Wird Perfektion im Schreiben angestrebt, werden auf der Fortgeschrittenenstufe (weniger auf der Mittelstufe) die Finessen der Schreibung durchaus einen gewissen Stellenwert haben. Jung untersucht Schreibungen von Englischlernern und schliesst: «The data thus reveal that orthographic shapes 'develop*. Writing in a foreign language is not an all-ornothing event* (Jung 1980:262). In einigen Lehrwerken, die vor allem auf solche Zielgruppen ausgerichtet sind, nehmen entsprechende technische Aspekte einen recht grossen Raum ein, vgl. etwa Niemeyer 1982, Timm 1982, Puente et al. 1980, Westeihoff 1980. Dies in grossem Kontrast zu Lehrbüchern für den Fremdsprachenunterricht an gut Vorbereitete, in denen diese Themen wenig auffällig sind (etwa 'Themen', 'Deutsch aktiv' usw.).
Π.1 Fremdsprachliche Schreibdidaktik: Ein Überblick
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einmal eine Rolle spielen (Brief, eventuell Bewerbungsschreiben, Glückwunschkarte), wichtiger scheinen mir aber die Schreibanlässe zu sein, die sich in der Nachbarschaft dieser Hilfsfunktionen entwickeln oder die sich wie selbstverständlich aus der Arbeit im Unterricht ergeben. Es geht hier um Verschiebungen wie - die Transformation von Grammatikübungen in Formulierungsübungen; - die Ersetzung von mündlich zu beantwortenden Fragen zu einem Text durch schriftliche, die auch schriftlich beantwortet werden; - das Sammeln (durch einzelne, in Gruppen oder im Plenum) von Stich Wörtern zu einem Thema, die aufgeschrieben und dann weiterverwendet werden; - die schriftliche (statt der mündlichen) Charakterisierung einer Person. Solche Überschreitung der traditionell dem unterrichtlichen Schreiben zugeordneten Rolle ist besonders sichtbar in neueren Beiträgen zum Unterricht; sie wird dort zum Teil systematisch betrieben. Auf ein einziges Beispiel sei kurz eingegangen. Greenwood schlägt in ihrem Buch 'Class Readers' (1988) eine Fülle von Aktivitäten vor, die das Lesen im Unterricht vorbereiten, begleiten oder abschliessen helfen. In vielen davon spielt Schreiben eine Rolle, in vielen werden Schreibaufgaben nicht genannt, scheinen aber vorausgesetzt zu sein oder liessen sich problemlos in den Ablauf der Tätigkeiten einbauen; manchmal spielt Schreiben die Hauptrolle. Vorgeschlagen werden etwa: - das Sammeln von Stich Wörtern und ihre Organisation in verschiedensten Ordnungsformen, um Erwartungen, Assoziationen, Arbeitsresultate usw. darzustellen und mitteilbar zu machen, oder als Vorarbeit für weitere Tätigkeiten, etwa das Zusammenfassen; - das schriftliche Beantworten von Lehrerfragen (84f.); - verschiedene Spiele, Kartenspiele mit Versatzstücken aus einem gelesenen Text, die die Lernenden auch selbst herstellen können (91, 96); - das Notizenmachen; - verschieden Formen des gelenkten Schreibens anhand von vorgegebenen Textskeletten, Beurteilungsformularen usw. (31, 33,67); - das Sammeln von Meinungen und Ansichten in Gruppenarbeit als Vorbereitung für eine Diskussion (30); - Übungen zur Charakterisierung von Personen, Örtlichkeiten usw. in verschiedenen Formen, unter anderem auch in Form von 'Gesuchtwird'Plakaten, Zeitungsmeldungen usw. (68f., 77ff.); - Verfassen des Tagebuchs eines Titelhelden, das von den Lesenden während der Lektüre angefertigt wird (82); - in einem Fall wird explizit auf eine (in anderen Tips stillschweigend vorausgesetzte) Möglichkeit hingewiesen, solche Aktivitäten planmässig zu einem ganzen Netzwerk von aufeinander bezogenen Aktivitäten des Sprechens, Hörens, Lesens und Schreibens auszubauen (51 f.)1. 1
Vgl. auch etwa die vorgeschlagenen Aktivitäten in Frank/Rinvolucri (1983); Friedrich/Jan (1985), Debyser 1986.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
Alle diese Schreibformen erfüllen Funktionen in Zusammenhängen, die der didaktischen Intention nach nichts oder wenig mit Schreibunterricht zu tun haben. Dass geschrieben wird, scheint hier wie anderswo so selbstverständlich, dass den Autoren kaum aufzufallen scheint, welches Gewicht dem Schreiben in ihren Vorschlägen zukommt Es werden auch kaum weitergehende Überlegungen vorgebracht, welche auf die didaktischen und lerntheoretischen Hintergründe dieser Aktivitäten hinweisen, geschweige denn sie aufarbeiten. Typisch ist die in der obigen Aufzählung ersichtliche Mischung aus unscheinbaren und reichlich komplexen Schreibanlässen, ohne dass den unterschiedlichen Ansprüchen und Schwierigkeiten nachgegangen würde. Eismann (1985) ist einer der wenigen Autoren, die das Schreiben in Hilfsfunktion und die Stufen seiner Expansion explizit thematisieren. Er hebt diese Funktionen des Schreibens im Unterricht ab von der expliziten, zielgerichteten Vermittlung von Schreibfertigkeiten für bestimmte Lernergruppen. Gegenüber dem meist direkt im Hinblick auf die Zieltätigkeit des Schreibens vorgenommenen expliziten Schreib-(Aufsatz-)unterricht sieht er die Funktion der von ihm hervorgehobenen Formen des Schreibens in der Unterstützung des Spracherwerbs; er ordnet ihnen also allgemeine, nicht spezifisch schreibbezogene Funktionen zu. Schreiben fungiert danach zunächst als «Erinnerungshilfe und Gedächtnisstütze», dann als «ideales Terrain für die bewusste Wahrnehmung von Sprache als System» und drittens «als Mittel der Unterrichtsgestaltung selbst, indem es den Aufbau von komplexen, differenzierten und authentischen Kommunikationssituationen erlaubt» (Eismann 1985: 170). Den ersten Aspekt fasst Eismann unter dem Titel «Notizen machen». Er interpretiert das Mitschreiben im Unterricht, wie wir es oben in 1.4 getan haben, als Versuch, Spuren zu schaffen bzw. die sprachlichen Mittel handhabbar zu machen, die im Unterricht neu gebraucht werden oder sonstwie problematisch scheinen. Dieses Mit- und Abschreiben verknüpfe sich mit der Vorstellung des Lernens; die Gefahr dabei bestehe darin, dass mit dem Aufschreiben die Sache für erledigt gehalten oder die Lernarbeit in ferne Zukunft ausgelagert werde. Im Unterricht seien diese Notizen zudem kaum benutzbar, da sie keine Systematik aufwiesen. Eismann möchte solches Notieren deshalb koordinieren und sie zum Teil eines fortschreitend konstituierten «gruppeneigenen Lernwerks» machen, in dem sich der spezifische Weg dieser Gruppe, die kontext-, themen- und inhaltsgebundenen Erfahrungen in der Sprache als Spur niedergeschlagen haben. (Eismann 1985:171)
Zu diesem Zweck soll nach jeder Arbeitsphase eine Phase des Notizenmachens eingeschaltet werden. Dadurch kann das Sprachlernen zum «Gegenstand expliziter und überlegter Entscheidungen und Erklärungen gemacht werden». Ziel ist ein Kompendium, das im Unterschied zu Lehrbüchern u. dgl. die «mit Gruppenerfahrungen durchsetzten Lernstoffe» umfasst (ebda.: 172) und gleichzeitig - so lassen es zumindest die gegebe-
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nen Beispiele vermuten - eine Art Übungs- und Arbeitsbuch ist, in dem Umformulierungsübungen, Textkommentare usw. versammelt sind. Den zweiten Aspekt - Schreiben als Terrain bewusster Wahrnehmung von Sprache - handelt Eismann unter dem Titel «Formulierungsübungen» ab. Es geht hier um Übungen. Ihr Kennzeichen ist, dass es in ihnen nicht um Mitteilung, sondern um die Erfüllung einer Aufgabe geht, in der die Aufmerksamkeit weitgehend auf die korrekte Sprachform fokussiert wird. Es wird hier «Wahrnehmung und Analyse, Reflexion und Einsicht» angestrebt (ebda.: 175), in Vorarbeit oder im Nachschlag zu schriftlicher Produktion in kommunikativer Absicht1. In seiner dritten Verwendungsweise schliesslich gewinnt das Schreiben im Unterricht seine kommunikative Gestalt; es wird «Ausgangspunkt, Mittel oder Träger» kommunikativer Handlungsabläufe in der Klasse. Unterschieden werden drei Funktionen des kommunikationsvorbereitenden und kommunikativen Schreibens: - Es dient als Technik der Material- und Ideensammlung; - es erlaubt die Vorbereitung und Vorstrukturierung von kommunikativen Tätigkeiten; - schliesslich ermöglicht es die Individualisierung von Kommunikationsprozessen (Eismann 1985:182). Damit bezeichnet Eismann wesentliche Differenzierungen, die etwa bei Greenwood ganz unbeachtet bleiben. Es geht hier um Unterschiede, welche die Position und die Rolle des Geschriebenen im Kommunikationsprozess betreffen und damit auch ganz direkt seine Gestalt (und die sprachlichen Anforderungen an die Schreibenden) bestimmen. Unter den hier vorgestellten Schriftäusserungen ragen die Texte als besondere Gruppe hervor. Sie bereiten den kommunikativen Austausch nicht nur vor, sondern tragen ihn, und sie erfordern einen ganz anderen Einsatz verfügbarer Sprachmittel als etwa das vorbereitende Sammeln von Ideen. In ihnen soll, verständlich für Leser, «etwas Richtiges, Persönliches, Authentisches, Interessantes» ausgesagt werden (ebda.: 198). Während Eismann die unterschiedlichen Funktionen von Schriftäusserungen benennt, bleiben die sprachlichen und textuellen Aspekte auch in seinem Beitrag unanalysiert. Die Ausdehnung der Hilfsfunktionen ins TexteSchreiben hinein erfolgt ohne Problematisierung der Eigenart textueller Sprachverwendung. In diesem Bereich der Texte trifft sich das expandierte hilfsfunktionale Schreiben mit dem Gebiet der eigentlichen Schreibdidaktik. Es fragt sich, ob der «Einsatz des Schriftlichen bei inhaltsbezogenen Mitteilungs- und Verstehensprozessen» (ebda.: 182) hier so weitgehend unabhängig von textlinguistischen und schreibdidaktischen Überlegungen wirklich fruchtbar erfolgen kann, ob nicht an dieser Stelle weitere, andere Gesichtspunkte als nur die Berufung auf Kommunikation eine Rolle spielen müssten. 1
Auf die in Eismanns erstem und zweitem Bereich angesprochenen Funktionen des Schreibens wurde schon oben in 1.4.1 kurz eingegangen.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die bewusste Verfolgung und Ausarbeitung der Möglichkeiten, die das Schreiben in Hilfsfunktion im Unterricht bietet, zu Formen textuellen Schreibens führt, die der Möglichkeit nach so komplex und anspruchsvoll sind wie die, die ein expliziter Schreibunterricht aufbietet. Allerdings bleibt die Tendenz eine andere: Das Texte-Schreiben interessiert vorab aufgrund der Beiträge, die es im aktuellen Unterricht erbringen kann. In Teil III wird auf die Relevanz dieses Aspekts zurückzukommen sein. Was im Vorschlag Eismanns und in den verschiedenen Erweiterungsformen des Schreibens in Hilfsfunktion jedoch ausgelassen ist, sind Antworten auf Fragen wie die nach der Eigenart des Schreibens als einer sprachlichen Tätigkeit, nach seinen Bezügen zu anderen Fertigkeiten, vor allem dem Sprechen, und vor allem nach den Möglichkeiten und Chancen, das Schreiben als Lerngegenstand in den Unterricht einzubringen. 2.3 Schreiben für Fortgeschrittene Das Schreiben im Fortgeschrittenenunterricht - es findet oft in separaten Schreibkursen statt - orientiert sich traditionell wie sein Gegenstück, das Aufsatzschreiben im Muttersprachunterricht, weniger an textlinguistischen Analysen und Kategorien als an literarischen Mustern und Aussageweisen auf der einen, weitgehend schulisch geformten und definierten Textformen auf der anderen Seite (Schilderung, Beschreibung, Erzählung usw.) Der Bezug auf Alltagstextsorten erfolgte in weitem Umfang erst mit dem Einfluss modemer Linguistik auf den Schreibunterricht, wo dieser nicht aus seinen Zielsetzungen heraus Kenntnisse über pragmatische Textsorten zu vermitteln hatte. In Fachsprachkursen, die im fremdsprachdidaktischen Bereich ebenfalls eher jüngeren Datums sind, stehen natürlich die jeweiligen Fachtextsorten im Vordergrund; hier gehören textlinguistische Überlegungen von Anfang an zu den Fundamentalien von Lese- und Schreibanleitungen. Die Begründungen und Formen des Schreibunterrichts für Fortgeschrittene unterscheiden sich demnach stark, je nachdem, ob eher allgemeine Bildungsziele oder spezifische, berufsbezogene Lernziele angestrebt werden. In die erste Richtung geht Hermanns (1984). Er legitimiert die Anstrengung des Schreibens zweifach: Schreiben helfe, Gedanken zu entwickeln, zu klären und auch auszudrücken; damit stehe es in Zusammenhang mit einem allgemeinen Bildungsziel. In einem anderen Aufsatz führt er diesen Gedanken weiter aus und bezeichnet das Schreiben als «eine der wichtigsten Denkmethoden, über die wir verfügen» (1985: 127)1. Andererseits sei Schreiben im Zusammenhang mit dem konkreten Ziel der Förderung der Kommunikationsfähigkeit und Sprachbeherrschung zu sehen: 1
Das Schreiben als Mittel, sich über etwas klar zu werden, thematisiert zuhanden der muttersprachlichen Schreibdidaktik sehr pointiert Ingendahl 1972. Vgl. auch Hermanns 1988.
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Schreibend entwickle und finde ich mit meinen Gedanken auch die sprachlichen Formen zu ihrem Ausdruck. Die zeitlupenartige Verlangsamung des Formulierens beim Schreiben - im Vergleich zum Sprechen - bedeutet Intensivierung, auch lempsychologisch. (Hennanns 1984:222f.)
Instrument zur Erreichung dieser Ziele ist das freie Schreiben - hier dem pragmatischen Schreiben «in vorgegebenen Formen (Brief, Protokoll, Referat, Lebenslauf, Bewerbung)» entgegengesetzt1. Dieses freie Schreiben ohne Zweckbindung ist das authentische, das echte, in dem der Schreibende sich aus seiner wirklichen Situation heraus zu wirklichen Adressaten (Lehrer, Mitstudenten) äussert, und zwar über Themen und Gegenstände, die ihn wirklich bewegen. (Hermanns 1984:223)
Ziel des Schreibunterrichts sind für Hermanns Texte, in denen der Schreibende «als er selber und als einer spricht, der etwas zu sagen hat und der es wirklich sagen möchte» (ebda.: 225). Den Lernenden wird zugemutet, dass sie etwas (und etwas Interessantes) zu sagen haben, und damit sind sie aufgefordert, sich selbst und ihre Gedanken ernst zu nehmen. Was Hermanns konkret über Schreibkurse für Universitätsstudenten berichtet, verdient allgemeines Interesse vorab wegen der Behutsamkeit, die er Lernertexten angedeihen lässt: Sie werden nicht einfach als Übungsstücke behandelt, sondern in ihrem Eigengewicht betont2. Allerdings sind die Rahmenbedingungen speziell: «Unsere Studenten können ja schreiben und sich ausdrücken. Der Sinn meines Kurses ist es unter anderem, sie die Erfahrung machen zu lassen, dass sie es auch in der fremden Sprache können.» (Hermanns 1984:230) In verwandter Weise argumentiert Newson, auch wenn bei ihm das literarische Moment weniger, die persönlichen Inhalte mehr im Vordergrund stehen als bei Hermanns. Vor allem teilt er mit diesem die Überzeugung, dass das Geheimnis des Schreibens darin liegt, dass man überhaupt etwas zu sagen hat und dass die Frage nach dem gelungenen Text oder der treffenden Formulierung erst vor diesem Hintergrund einen Sinn bekommt. Schreibtechnik sei nichts Absolutes, das als solches gelehrt werden könne, sondern «teaching has more to do with enabling students to speak (and write) their own minds than transmitting a body of scientific knowledge» (Newson 1985: 237). In die gleiche Richtung geht Kühne (ο.J.), wobei sein 1
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Der Terminus 'freies Schreiben' hat ganz verschiedene Bedeutungen. Hermanns benutzt ihn als Gegenbegriff zum pragmatischen oder kommunikativen Schreiben von alltagsnahen Textsorten und -mustern. In anderen Zusammenhängen bezeichnet freies Schreiben die Stufe nach dem Durchlaufen von vorbereitenden Übungen, also die sog. Anwendungsphase. Verwandt mit dieser Verwendung ist die Gleichsetzung von freiem mit produktivem Schreiben (als Gegensatz zu übendem Schreiben und Schreiben in Hilfsfunktion). Als freies Schreiben wird manchmal auch ein Schreiben bezeichnet, das ohne jede Vorgabe auskommt (Hermanns dagegen stellt seinen Studenten jeweils ein - wenn auch allgemeines - Rahmenthema). Einzelne Texte werden - vom Lehrer - möglichst effektvoll vorgelesen und so 'zum Leuchten gebracht', als Beispiele dafür, dass die Lernenden fähig sind, sich bemerkbar zu machen, in der Fremdsprache nicht nur Richtiges, sondern auch Wichtiges zu sagen und sogar Schönes zu schaffen.
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Ansatz noch resoluter vom ganz Persönlichen ausgeht, das im Schreiben zu entdecken ist, «geht es doch bei diesem Schreibspiel um die Frage: "WER BIN ICH?"» (Kühne O.J.: i). Das Ziel - besser würde ich hier vielleicht sagen: Der Weg - ist ein kreatives Schreiben, das sich nicht so sehr nach literarischen Vorbildern richtet; vielmehr wird seine bewusstmachende Funktion betont, eine Art Selbsthermeneutik: «Der Schreiber ist das Geschriebene, das Geschriebene ist der Schreiber» (ebda.: iv). In dieser wie in den meisten analogen Beschreibungen von Schreibunterricht für Fortgeschrittene fehlen spezifisch fremdsprachdidaktische Problemstellungen und Überlegungen weitgehend. Die Erwartungen an Texte wie auch die Kriterien der Beurteilung sind allgemeiner, literarisch-essayistischer oder psychologischer Art. Die Beherrschung des Instruments des Ausdrucks ist weitgehend vorausgesetzt, was beurteilt wird, ist die Authentizität und Geglücktheit des gestalteten Textes. In dieser Beziehung unterscheiden sich diese Ansätze nicht von denen im Muttersprachbereich, wenn auch im einzelnen eine Anpassung der Standards oder spezielle Formen der Fehlerkorrektur das Umfeld der Schreibarbeit bestimmen mögen1. Im Gegensatz zu solchen Positionen stehen pragmatisch ausgerichtete Ansätze. Diese haben eine gewisse Tradition in fach- und wissenschaftssprachlichen Zusammenhängen. So beschäftigen sich Esselborn/Wintermann (1980) mit Textsorten und Vertextungsmustern, die in fast jedem Studium eine gewisse Rolle spielen: dem Auswerten von Diagrammen, Tabellen und Schaubildern, dem Protokoll, dem Kommentar und dem Kurzreferat2. Es sind dies Textformen, die aktiv beherrscht werden müssen, soll ein Studium (vor allem ein Studium von Natur- und empirischen Wissenschaften) erfolgreich angegangen werden können. Diese Schreibformen, schon für Muttersprachler oft schwierig, stellen die Fremdsprachigen vorab wegen der hier anzutreffenden Wortschatzprobleme und typischen Aussageweisen und Darstellungsformen vor Probleme3. Es ergeben sich hier völlig andere didaktische Verfahren und Lösungsversuche als in den eben dargestellten Ansätzen. Relativ strikt durchkomponierte Kurse überwiegen, Wortschatz- und Strukturfragen stehen mit im 1
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Zu neueren Ansätzen der muttersprachlichen Schreibdidaktik und der Entwicklung der Schreibfertigkeit auch ausserhalb schulischer Kontexte vgl. Boueke/Schülein 1985; Pielow 1985; Fritzsche/Pielow 1985; Murray 1985. Die Auswertung von Tabellen usw. sowie der Kommentar sind in den meisten Fällen wohl kaum als selbständige Textsorten ausgebildet. Sie sind aber relativ eigenständige und leicht isolierbare Teiltexte mit spezifischen Eigenheiten in Struktur und Idiomatik, die in einer Vielzahl von Kontexten eine gewichtige Rolle spielen. Vgl. Esselbom/Wintermann 1980: 56ff. und Literaturhinweise dort. In thematisch ähnliche Richtung geht der Vorschlag von Tütken (1985), während Werlich (1988) für deutschsprachige Englischlerner Textsortenbeschreibungen, Schreibhinweise und umfängliche Listen idiomatischer Redewendungen zu einzelnen Textmustern auflistet, aber auf Übungen und Schreibaufgaben verzichtet Eine sowohl für Mutter- wie für Fremdsprachige gedachte Einführung in das Schreiben akademischer Textsorten geben Cummings/Genzel 1989. Vgl. auch Stitz/Weber 1985 für berufsvoibercitendes Schreiben mit ausländischen Jugendlichea
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Zentrum, der didaktische Dreischritt von Lernen, Üben und Anwenden bestimmt das Vorgehen. Solche auf pragmatische Textsorten ausgerichtete Vorschläge und Materialsammlungen unterscheiden sich von den oben vorgestellten Ansätzen nicht nur durch ihren Zielbezug; sie sind zum Teil auch auf Lerner zugeschnitten (etwa fremdsprachige Studenten), die unter Praxisdruck stehen und nicht immer problemlos als Fortgeschrittene gelten können, auch wenn sie Anforderungen ausgesetzt sind, die fortgeschrittene Sprachkenntnisse verlangen. In vielem erscheinen sie deshalb als Fortsetzung und Spezialisierung der textlinguistischen Ansätze, die im nächsten Abschnitt zur Diskussion stehen. 2.4 Schreibdidaktik im allgemeinen Sprachunterricht In diesem Abschnitt geht es um jene schreibdidaktischen Ansätze, welche die eingangs erwähnte Lücke zwischen dem Schreiben in Hilfsfunktion und dem Aufsatzschreiben bzw. dem Schreiben textsortenspezifischer Texte zu füllen versuchen und dem produktiven Schreiben einen Platz in allgemeinen Sprachkursen zuweisen. Es ist der Bereich, der hier am meisten interessiert, entsprechend werden die Darstellungen etwas ausführlicher ausfallen als bisher. Ich verzichte auch hier darauf, Differenzen im Detail hervorzuheben zugunsten eines Bildes, das die grossen Linien der jeweiligen Positionen zeigt; diese werden anhand von besonders instruktiven Einzelbeiträgen charakterisiert. Auf eigentliche Schreibkurse oder Unterrichtsmaterialien wird nicht eingegangen; herangezogen werden Beiträge, die - wenn sie auch alle stark unterrichtspraktisch ausgerichtet sind und zur Hauptsache auf der Präsentation von Beispielen beruhen - zumindest ansatzweise übergeordnete Gesichtspunkte und allgemeine Überlegungen zur Schreibdidaktik formulieren1. 2.4.1 Überblick Raimes unterscheidet im einleitenden Kapitel ihres Buches sechs verschiedene Ansätze der Schreibdidaktik, die in den Jahren seit der Begründung einer modernen Sprachdidaktik durch den Audiolingualismus entwickelt worden seien (Raimes 1983: 6ff.): - Ein ursprünglich audiolingualer Ansatz geht von strikt kontrollierten Schreibaufgaben aus und öffnet erst in den Mittelstufen- und vor allem Fortgeschrittenenkursen den Weg zum freien (das heisst produktiven) Schreiben. Er ist weitgehend auf Fehlervermeidung ausgerichtet und tendiert zu extrem kontrollierten Aufgaben und Unterrichtssequenzen. - Im Gegensatz dazu steht ein Ansatz, der im freien (produktiven, nicht speziell vorbereiteten oder durch Vorgaben geprägten) Schreiben die Möglichkeit sieht, Lernenden die Angst vor der fremden Sprache zu nehmen und sie zu möglichst ausgreifendem Sprachgebrauch zu moti1
Mayer 1985: 4Iff. bespricht, allerdings nur sehr kurz, einige Zusatzmaterialien fürs das Schreiben im Unterricht für Deutsch als Fremdsprache.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
vieren. Fehlervermeidung spielt kaum eine Rolle; Gewicht wird darauf gelegt, dass geschrieben wird, manchmal auch darauf, dass möglichst viel geschrieben wird. - Modelltexte dienen in einer wieder völlig anders gelagerten Methode als Vorlage für die Lernenden, die aufgefordert werden, solche Texte zu analysieren, eventuell zu kopieren und dann als Vorbild für das eigene Schreiben zu benutzen. Die Organisation von Texten, eventuell kulturspezifische Formen der Vertextung, stehen hier im Vordergrund. - Was Raimes «Grammatik-Syntax-Organisations»-Ansatz nennt, stellt ebenfalls typische Vertextungsweisen in den Vordergrund. Vorab werden hier die Beziehungen zwischen Einzelaussagen besprochen und die Mittel, die ihrer expliziten Bezeichnung dienen (logische Konnektoren usw.). - Der kommunikative Zugang betont die für pragmatisches Schreiben in alltagsnahen Kontexten grundlegende Orientierung an einem Publikum und einer Sache und macht dies zum Ausgangspunkt des Schreibunterrichts bzw. der Schreibanlässe. - Der Prozess-Ansatz schliesslich geht von Einsichten in den Schreibprozess aus und versucht, diese für den Unterricht fruchtbar zu machen. Raimes nennt als Kennzeichen eines solchen Zugangs, dass der Vorbereitung des Schreibens (Aufbereitung der Inhalte, Klarheit über das Ziel usw.) grosse Aufmerksamkeit geschenkt wird und dass die Schreibarbeit in Etappen verläuft - dass Gelegenheiten für Rückmeldungen, Neuüberlegungen usw. geschaffen werden, die es den Schreibenden erlauben, neue Ideen und bessere Weisen des Ausdrucks zu entdecken, bevor die Schreibarbeit zu Ende ist. Diese Ansätze stehen nicht alle auf derselben Ebene, auch sind sie von höchst unterschiedlicher Relevanz. Der dritte und der vierte beziehen sich auf bestimmte einzelne Übungsverfahren. Diese mögen in Einzelfallen den ganzen Schreibunterricht prägen; sie finden aber in verschiedenen schreibdidaktischen Ansätzen Verwendung. Auf diesem Niveau der Unterscheidung könnten noch andere mehr oder weniger eigenständige Ansätze aufgezählt werden. Im folgenden soll deshalb einzig auf das freie Schreiben, den kommunikativ-pragmatischen und den prozessorientierten Ansatz näher eingegangen werden. Der kommunikativ-pragmatische wird auch als textlinguistischer Ansatz bezeichnet; dies darum, weil die einschlägigen Positionen sich alle durch eine explizite Bezugnahme auf die Textlinguistik auszeichnen. Der audiolinguale Ansatz wird hier, zusammen mit seinen Nachfolgern und verwandten Positionen, als direktiver Ansatz bezeichnet. An dieser Stelle soll nicht weiter auf ihn eingegangen werden, obwohl er eindeutig in die Gruppe der hier zu diskutierenden Ansätze gehört. Er ist in seiner ursprünglichen Form heute überholt; interessant ist er vor allem aufgrund seiner lerntheoretischen Position und der didaktischen Verfahren, die daraus abgeleitet werden. Er wird deshalb erst in ΠΙ.1 im Zusammenhang mit der Diskussion dieser Fragen näher vorgestellt.
II. 1 Fremdsprachliche Schreibdidaktik: Ein Überblick
205
Die Ausführungen vor allem zur textlinguistischen und zur prozessorientierten Position werden durch einen etwas additiven, referierenden Grund ton auffallen. Diese Darstellungsweise liess sich nicht vermeiden. Die hier zugrundegelegten Beiträge sind, wie schon angesprochen, weitgehend als Sammlungen von Unterrichtsbeispielen konzipiert. Diese Beispiele werden nach gewissen Gesichtspunkten angeordnet; die Kriterien der Auswahl und Darstellung werden in einführenden und überleitenden Passagen kurz kommentiert. Es handelt sich damit um Beiträge, in denen die didaktisch relevanten Gesichtspunkte nicht alle begrifflich ausformuliert werden, sondern auch aus der Anlage der Schreibanlässe, der Gewichtung von Fragestellungen usw. zu erschliessen sind. Es erschien mir unangebracht, diese Sprache der Beispiele durch begriffliche Benennung aufzuheben und in einer Weise zu vereindeutigen, die dem Charakter der Beiträge nicht entsprechen würde. Eine Darstellung ausformulierter theoretischer Begründungen der textlinguistischen und prozessorientierten Schreibdidaktik wären vorzuziehen gewesen; es sind mir aber im fremdsprachendidaktischen Bereich keine ausgeführten Versuche dieser Art bekannt geworden. 2.4.2 Der freie Text Schlemminger (1985) stellt einen lehrbuchunabhängigen Anfängerunterricht vor, dessen Hauptmotor und Hauptmoment von den Lernenden geschriebene 'freie Texte'» sind. Er beruft sich auf reformpädagogische Ansätze, vor allem auf Freinet, und auf die Tradition des freien Aufsatzes, der seit seinen Anfängen in der Reformpädagogik der Jahrhundertwende verknüpft ist mit einer Kritik des gewohnten schulischen Umgangs mit Texten, sowohl den offiziellen Lesetexten wie auch denen der Lernenden. Es geht all diesen Neuerungsbemühungen um die Möglichkeit der Selbsterfahrung im Lernen, um eigenständige Arbeit an der Wahrnehmung und Organisation dieser Erfahrung und schliesslich ums Schreiben als eine Möglichkeit, Erfahrungen auszudrücken und eine Öffentlichkeit dafür herzustellen (Schlemminger 1985: 206) - alles Dinge, die beim Schreiben im Unterricht kaum oder nur am Rande eine Rolle spielen: Man kann also m.E. zu Recht behaupten, dass die ureigensten Funktionen des Schreibens durch die schulische Schreibsozialisation zumindest tendenziell verlernt und positive Interessen an Schreibinstitutionen wie Massenmedien und Literaturmarkt abgegeben werden. (Schlemminger 1980: 207)
Der freie Text bildet das hauptsächliche didaktische Instrument, diesem «Verlust ästhetischer Kompetenzen» und der «permanenten Bevormundung durch die sprachliche Autorität des fremdsprachlichen Textes» (ebda.: 207, 208) zu entgehen. Freie Texte können sich verschiedenster, auch literarischer Formen, bedienen; Ziel ist jedoch nicht, Literatur zu produzieren, sondern einen Ausdruck zu finden für eine Fragestellung oder eine Aussage, die anderen mitgeteilt werden soll. Frei heissen diese Texte, weil der Anlass der Mitteilung, deren textuelle Form wie auch die Weise ihrer Veröffentlichung (in geschriebener Form oder im mündlichen Vortrag; als Wandzeitung oder Radioansage usw.) allein von den Lernenden
206
Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
bestimmt wird. Das Ziel der Mitteilung hebt diese Texte deutlich ab von allen Formen des Aufsatzes, auch des sogenannt freien, die Prüfungscharakter haben und denen keine inneren Motive der Mitteilung zugrunde liegen und die an kein Publikum gerichtet sind. Schlemminger weist darauf hin, dass solche freien Texte keineswegs besonderes originell oder phantasievoll zu sein brauchen (was häufig von kreativen Arbeiten erwartet wird); in sie gehe auch Phantasie, zuerst aber «Beobachtung», «Anschauung» und «Sachkenntnis» ein (ebda.: 213). Der Freie Text ist eine tägliche Schieibpraxis, die zuerst einen Gebrauchs- und Informationswert hat. (Schlemminger 1980: 214)
Freie Texte werden angeregt durch den Lehrer, durch Arbeit an sprachlichen Problemen, durch Texte anderer Lerner. Solche Texte können auf jedem Niveau der Sprachkenntnis geschrieben werden. Schlemminger gibt einige Beispiele von freien Texten von Anfängern, die - nach dem Vorbild konkreter Poesie - den Lernenden erlauben, mit denkbar einfachen Mitteln «erste Schritte in Richtung auf eine Selbstsicherheit im Gebrauch der fremden Sprache zu machen» (ebda.: 220)1. Daneben beschreibt er weitere Schreibformen und Schreibspiele, die in dieser oder jener Hinsicht von der Definition des freien Textes abweichen, etwa dadurch, dass bestimmte Techniken, Themen usw. vorgegeben werden. In diesem Modell offenen Unterrichts stellen sich eine Vielzahl von Problemen, zunächst solche der Koordination der Lernprozesse der Beteiligten. Schlemminger beschreibt hier einige Verfahren, wie der wenig planbare Zuwachs an Wortschatz und Strukturen bewältigt werden kann2. Hierzu gehören auch schriftliche Übungsarbeiten, die korrigiert und bewertet werden. Freie Texte dagegen werden möglichst unbelastet von Eingriffen gehalten. Die Hinweise, die Schlemminger gibt, lassen erkennen, dass sich der Unterricht im Richtung auf einen Projektunterricht entwickelt. Einzelne oder Gruppen erarbeiten Dossiers; diese bilden - mit einem freien oder von den Erarbeitern ausgewählten Text als Zentrum, mit Vokabellisten usw. - die Grundlage für den Unterricht im Plenum und für die Weiterarbeit an Sprachproblemen in Einzel- oder Gruppenunterricht, aber auch an weiteren freien Texten. In diesem Zusammenhang kommt Schlemminger auf zwei wichtige Themen zu sprechen. Er verteidigt den Gebrauch der Muttersprache (in herkunftssprachlich homogenen Lernergruppen) vor allem im Anfängerunterricht, aber auch später nicht nur in den Gruppen1
2
Die sprachlichen Limitationen, unter denen die Lernenden anfangs schreiben, führt nach Schlemminger keineswegs notwendig zur Banalität, «auch wenn uns die meisten Lehrbücher das täglich aufs neue zu beweisen und die Unterrichtspraxis dies noch zu bestätigen scheinen. In den Lehibüchem als auch im Unterricht drückt sich mit dieser erschreckenden Banalität vielmehr die rigide Trennung von Spracherwerb und den Erfahrungen, die alle am Lernprozess Beteiligten täglich in ihrer (sozialen) Umwelt sammeln, aus.» (Schlemminger 1985:232) Schlemminger arbeitet mit Arbeitskarteien, in denen selbstkorrigieibares Grammatik-, Wortschatzmaterial usw. zur Verfügung steht und das die Lernenden nach ihren Bedürfhissen einsetzen können, sowie mit Kontrollbögen, in denen die Lernenden ihre Arbeiten eintragen und so einen Überblick über ihre Lerntätigkeit gewinnen.
Π.1 Fremdsprachliche Schieibdidaktik: Ein Überblick
207
arbeiten, wenn z.B. gemeinsam ein Text geschrieben wird, sondern auch im Plenum bei der Diskussion oder Vorbereitung bestimmter Themen. Ein inhaltsorientierter Sprachunterricht führt seiner Meinung nach immer wieder zu Auseinandersetzungen, die den Ausschluss der Muttersprache unmöglich machen; den Nachteil, den dies bedeuten könnte, sieht er bei weitem überwogen durch die Vorteile, die sich aus der so erreichbaren Klarheit der Meinungen und Fragestellungen, aber auch aus der gewonnen Einsicht in sprachliche Verhältnisse ergeben (vgl. ebda.: 226ff.). Ein im gegenwärtigen Zusammenhang wichtigerer Punkt betrifft den öffentlichen Vortrag der entstandenen freien Texte. Die meisten Lernenden - auch in Schlemmingers Kursen für Studenten - haben Mühe, Arbeitsergebnisse wirkungsvoll mitzuteilen. Die Situation schriftlicher oder mündlicher Veröffentlichung und ihre Organisation ist ein fruchtbarer und wichtiger Ort für das Lernen von Techniken des Sich-Verständlich-Machens, die unmittelbare Folgen für jede fremdsprachliche Aktivität hat. An diesem Punkt und der anschliessenden Diskussion (in der auch der Lehrer ein Teilnehmer ist, weil er zunächst zu verstehen und zu fragen hat) ergebe sich vielleicht zudem die Möglichkeit, die oft tief eingesessenen Stereotypen «wegzuschreiben» (ebda.: 214), die jedes Schreiben und vorab das schulische prägen und die durch klarere Einsicht, nicht durch Versuche der Ausrottung zu überwinden sind1. Die diesem Beitrag zugrunde liegenden Intentionen zeigen eine gewisse Verwandtschaft zu denen, die einige der Formen des Schreibens im Fortgeschrittenenunterricht bestimmen, auch zu einigen Aspekten der von Eismann vorgebrachten Konzeption. Was ihn von den ersten abhebt, ist der enge Bezug auf die anderen Bereiche des Unterrichts, gegenüber der zweiten zeichnet er sich aus durch die Betonung des Eigenwerts des Schreibens über die blosse Mitteilung hinaus. Allerdings lassen sich auch hier ähnliche Fragen stellen wie zu Eismanns Beitrag oder vielen der Vorschläge für den Fortgeschrittenenunterricht. Während die Möglichkeiten des Texteschreibens intensiv und durchaus einleuchtend beschrieben werden, bleiben die psycholinguistischen Grundlagen, auf welchen dieses Konzept aufbaut, wenig durchsichtig. Fragen wie die nach dem Verhältnis von Sprechen und Schreiben oder nach den spezifischen Bedingungen des Schreibens bleiben offen. Ebenso wird zwar das Schreiben propagiert, spezifisch schreibdidaktische Überlegungen fehlen jedoch weitgehend. 2.4.3 Der textlinguistische Ansatz Schreiben ist gegenüber dem Sprechen dadurch ausgezeichnet, dass eine Mitteilung rein sprachlich, ohne weitere Ausdrucksmittel, und monologisch verfasst werden muss. Es stellt gegenüber anderen Sprachverwen1
Unterrichtsbeschreibungen und Vorschläge, die sich in die von Schlemminger bezeichnete Richtung bewegen, machen auch Scheller 1979, Baillet 1983, Dietrich 1979.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
dungsweisen eine eigenständige Form mit ihren eigenen Schwierigkeiten dar. Da man im Hinblick auf die Lernenden nicht davon ausgehen könne, that they are proficient at writing in their mother tongue, or that they already possess the necessary organisational skills for writing effectively (Byrne 1979: 6)
müsse man davon ausgehen, dass Schreiben auch gelehrt werden müsse (vgl. Mayer 1985: 58). Dies ist in aller Kürze die Grundposition textlinguistischer Ansätze1. Diese propagieren eine explizite Schreibschulung schon im Anfängerunterricht; Ziel ist, Schreibfähigkeit von unten her aufzubauen. Sie bezeichnen sich alle als kommunikativ, was in diesem Zusammenhang zuerst die Ausrichtung auf pragmatische Texte bezeichnet2. Schreiben heisst hier immer Schreiben von Texten, seien sie noch so kurz, und zumindest der Intention nach bedeutet dies, dass es die Schwierigkeiten textueller Art sind, die durch Schreibunterricht thematisiert und in der Schreibpraxis gemeistert werden sollen. The text provides a setting within which they [sc.: die Lernenden] can practice, for example, sentence completion, sentence combination, paragraph construction (...) in relation to longer stretches of discourse. In this way they can see not only why they are writing but also write in a manner appropriate to the communicative goal of the text. (Byrne 1979,27f.; vgl. auch vi.)
Die Problematik des Schriftlernens, der Schreibung wie auch des schriftlichen Übens allgemeiner Sprachmittel werden in den textlinguistischen Ansätzen nur am Rande erwähnt. Schreibdidaktik hat ihren eigenen Gegenstandsbereich: Although written English should certainly support and be integrated with grammar and vocabulary learning, the teaching of writing should be recognized as a special part of language teaching, with its own aims and techniques. (Pineas 1982: 2)
Pineas legt ihrem Beitrag eine doppelte Gliederung zugrunde: eine textlinguistische und, quer dazu, eine didaktische. Textlinguistisch hebt sie an der Aufgabe des Texteschreibens drei Dimensionen hervor. Dieses involviert danach Arbeit an Kommunikation, an Vertextung und an Stil; diese Grunddimensionen werden wieder je dreifach aufgegliedert. Die resultierenden neun Kategorien bezeichnen Aspekte von Texten und zugleich Grundfertigkeiten, über die die Schreibenden verfügen müssen und die Gegenstände der Schreibdidaktik werden können: Communication
1
2
Communication between people Suiting a specific subject Presenting ideas
Neben dem hier in den Vordergrund gestellten von Pineas 1982 gehören hierher beispielsweise Byrne 1979, White 1980, Raimes 1983. Vgl. Stalb 1979, Desselmann 1984. Auch Bohns unterrichtsbezogene Vorschläge sind weitgehend textlinguistisch ausgerichtet (vgl. Bohn 1986,1987b). Der Begriff 'pragmatische Texte* wird hier vor allem negativ bestimmt Gemeint sind damit Texte, die nicht zu den personalen oder literarischen Formen oder zu den traditionellen Aufsatztypen gezählt werden. Solche Texte werden im Schreibunterricht zwar nicht ausgeschlossen, bilden jedoch nicht den Kern der hier relevanten Textarten.
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Π.1 Fremdsprachliche Schieibdidaktik: Ein Überblick Composition Style
Constructing sentences Using paragraphs Using linking devices Writing in four major styles: narrative, descriptive, expository, argumentative Achieving the desired degree of formality Creating the desired emotive tone (Nach Pineas 1982: 26)
In einer zweiten systematischen Reihe werden die vier didaktischen Schritte zum Thema gemacht, die dem Schreibunterricht zugrunde lägen. In der Einführungsphase (Famiiiarisierung) werden Phänomene vorgestellt und analysiert. Diese Phase erfordert meist Lektürearbeit, kann aber selbst schon gewisse Schreibarbeiten beinhalten. In kontrollierten und dann gelenkten Übungen werden die neugelernten Sprachelemente oder Techniken erprobt und schliesslich in freiem Gebrauch aufgrund entsprechender Aufgabenstellungen verwendet. Die eben aufgeführten neun Aspekte an Texten können in jedem Schreiben auf jeder Ebene eine Rolle spielen und demgemäss auf jeder Stufe des Cuniculums thematisiert werden, «if subject matter is chosen so as to keep an appropriate vocabulary level and to avoid complexities that students might not have the structures to deal with» (Pineas 1982, 27). Sie sind also nicht von einer Art, die es erlauben würde, sie einzeln ein für allemal abzuarbeiten, sondern bezeichnen Gesichtspunkte, die immer wieder und unter immer neuen Aspekten in den Vordergrund treten können. Auf diese beiden Hauptpunkte soll kurz näher eingegangen werden. a. Die textlinguistischen Aspekte 1. Zum Thema communicating betont Pineas zunächst die Notwendigkeit eines realistischen Kontexts, der es dem Schreibenden erlaubt, die zu lösende Aufgabe wirklich zu begreifen und sich an wirkliche Leser mit einem definierbaren Vorsatz zu wenden. Pineas schlägt hier Projektarbeiten, Rollenspiele usw. vor - solche Kontexte erlauben es den Lernertexten «to fulfill the communicative aims normally associated with the subject area in question» (Pineas 1982: 33)1. Die wichtigste Vorbereitung für die Bewältigung der sprachlichen Probleme besteht in der Analyse von Beispieltexten, die in analogen Situationen geschrieben wurden. In bezug auf «communication between people» ist einer von Pineas' Vorschlägen, die Lernenden in kleinen Gruppen Briefe an die Lebenshilfe-Kolumnen in Illustrierten schreiben und dann die Anfrage durch eine andere Gruppe beantworten zu lassen. Der zweite Aspekt, themengerechte Auswahl und Darstellung von Information, lässt sich etwa durch die Erarbeitung eines Informationsblatts anhand eines Mustertextes bewusst machen. Zur dritten Kategorie, «presenting ideas», bemerkt Pineas: 1
Es ist dies eine Maximalforderung, die nicht näher verfolgt wild. Meist werden Situationen als kommunikative bezeichnet, wenn für den zu schreibenden Text eine Gebrauchssituation skizziert wird. Näher wird auf diesen Gesichtspunkt eingegangen in
III.2/3.
210
Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
There is a certain logic involved - probably universal - in the way we present our ideas. We refer to different kinds of presentation with expressions like classification, description of processes, hypothesis, giving reasons, describing similarities, etc. [...] We shall refer to them as 'logical functions'. (Pineas 1982: 36)
Pineas gibt als Beispiele solcher logischer Funktionen: Beschreibung von Eigenschaften (mit den Unterkategorien Definition, Klassifikation, Beschreibung); Beschreibung/Erklärung von Prozessen; Ereignisfolge; Ursache-Wirkung; Gründe für ein Tun oder einen Zustand; Ähnlichkeiten; Kontraste; Verallgemeinerungen; Hypothesen und stützende Argumente; Dafür und Dagegen1. Übungsformen sind hier Identifikation oder Zuordnung solcher Funktionen oder ihrer Elemente in Beispielen und Texten. 2. Zu composition vermerkt Pineas: Most commonly, composition is discussed inrelationto paragraph building and essay planning. In fact, however, it starts at sentence level. The very simplest way of expressing an idea is in one bare sentence. (Pineas 1982:45)
Sätze im Text müssen ihre Funktion im Kontext durch ihre Struktur, Wortstellung usw. ausdrücken. Übungen, in denen ausgehend von isolierten Hauptsätzen ein Text zu schreiben ist (durch Aufbau von komplexen Sätzen und eventuell Markierung logischer Beziehungen innerhalb dieser Sätze) oder die Versprachlichung von tabellarisch aufgeführter Information z.B. zur Einübung vergleichender Aussagen werden hier vorgeschlagen. Textabschnitte, das heisst textorganisierende Elemente auf der nächsthöheren Ebene, haben ihre eigene inhaltliche und logische Struktur. Solche Abschnitte weisen zum Teil typische Konstruktionsmuster auf. So wird die notwendig sukzessive Beschreibung von Objekten nach Gesichtspunkten organisiert wie: Funktion vor Form, von unten nach oben, von aussen nach innen usw. Die Analyse von Mustertexten und nachfolgende Imitation ist hier ein mögliches Vorgehen. Der dritte Gesichtspunkt betrifft die Verknüpfungsmittel. Dazu rechnet Pineas die (satzübergreifenden) kausalen, temporalen usw. Verknüpfungsmittel ('nachher'; 'auf diese Weise'; 'zudem'); Pronominalisierung, Substitution (durch Repetition, Synonym, Oberbegriff, Umschreibung) und rhetorische Figuren (Ellipse, parallele Konstruktionen usw.). Sie gibt hier Übungsformen als Beispiele, die aus dem Grammatikunterricht bekannt sind, aber auf Kurztexte angewendet werden: Vorgegeben sind etwa isolierte Sätze und eine Verknüpfungsvorschrift oder eine Partikel; eine Vorlage ist mit veränderten Strukturen neu zu formulieren usw. 3. Im Kapitel über style kommt Pineas zunächst auf die vier grundsätzlichen Vertextungsverfahren zu sprechen. Die schon angeführten logischen Funktionen bilden die Bausteine; sie werden in den verschiedenen Vertextungsverfahren selektiv verwendet - ein argumentativer Text wird tenden1
So, wie sie hier steht, ist diese Liste schweilich überzeugend. Der Hinweis auf solche grundlegenden Aussageweisen trifft sich aber mit Vorschlägen, die verschiedentlich in der Textlinguistik gemacht worden sind und für den gegenwärtigen Kontext interessant sein könnten.
Π.1 Fremdsprachliche Schieibdidaktik: Ein Überblick
211
ziell weniger chronologisch geordnete Ereignisse wiedergeben als ein narrativer. Auch hier verweist Pineas auf Analyse und Imitation als Übungsverfahren. Ähnlich argumentiert sie zu den Themen «formality» und «emotive tone»: Für diese Dinge lasse sich erst nach längerer Gewöhnung an die Sprache eine gewisse Sensibilität entwickeln einerseits durch Lektüre, andererseits durch die Präsentation klar kontrastierender Beispiele. Übungsformen im Anschluss an Analyse und Identifikation relevanter Elemente und Strukturen sind etwa Umformungen (z.B. unhöflicher Briefe in höfliche usw.). b. Die didaktischen Stufen
Im Teil über das didaktische Vorgehen diskutiert Pineas die unterrichtlichen Übungsformen und versucht, Ordnung zu bringen in deren «bewildering variety of types» (S.74). Ganz am Anfang des Buches steht unkommentiert ein Diagramm, in dessen Mitte die Schreiblektion steht. Diese wird beeinflusst - durch Lernervariablen: Alter, Sprachbeherrschung, Bedürfnisse und Schreiberfahrungen, - durch die Wahl der zu übenden Schreibfertigkeit (Pineas' einschlägige Taxonomie wurde oben vorgestellt) und - durch die Wahl der adäquaten Übungsform (es geht um die Stufen der Bekanntmachung mit Phänomenen des Übens und des freien Gebrauchs (Pineas 1982, viii). Die Aufzählung ist rein additiv, eine Liste von Grundfaktoren. Dieses Bild wird ergänzt durch ein weiteres Diagramm, das Schreibübungen auf drei Ebenen analysiert: TYPE: What is being done Familiarisation Identifying, Evaluating Controlled writing Combining, Substitution Guided writing Completion, Reproduction, Compression, Paraphrase Free writing Expansion, Completion, Translation, Transposition, Pictures, Games TECHNIQUE: How it is being done underlining, matching, comparing, multiple choice, copying, reordering, correcting/improving, using plans and outlines CUE: How it is stimulated Audio-visual activity (incl. game), events, class discussion, listening comprehension, objects, people, pictures, maps, noises, music Writing (English or full reading on topic, selected reading, outlines of essays, charts mother tongue) and tabulations, essay titles (nach Pineas 1982: 77)
Dieses Schema identifiziert vorab durch seine Haupttitel wesentliche Aspekte an Schreibaufgaben. Zunächst wird das Ziel der Aufgabe unterschieden von der Aktivität, die zu diesem Ziel hinführt, während unter dem letzten Titel die Materialbasis genannt wird, auf der die Arbeit aufbaut. Die aufgeführten Alternativen allerdings sind kaum vollständig und in ihrer Systematik nicht ganz durchschaubar - so ist das Verhältnis der
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
«techniques» untereinander nicht klar, und die Zuordnung etwa von «expansion» zum freien Schreiben ist kaum durchsichtiger als die von «translation»1. Für die Famiiiarisierung der Lernenden mit einem Textphänomen schlägt Pineas die Analyse von (kontrastierenden) Beispieltexten vor. Die Phänomene, seien es Verknüpfungssignale, Metaphern oder Strukturen von Passagen, werden identifiziert oder bewertet (durch Unterstreichen, Vergleichen und Zuordnen, Ordnen durcheinander gebrachter Elemente usw.). Im kontrollierten Schreiben werden die neuen Phänomene eingeübt. Pineas unterscheidet Kombinationsübungen (Zuordnen, Neuordnen vorgegebenen Materials) und Substitutionsübungen. Diese letzteren führen zu einer Art kontrollierter Imitation (ebda.: 93). Gelenktes Schreiben sollte nach Pineas auf Bekanntmachung und kontrolliertes Schreiben aufbauen, «it is the final step in preparing students for an attempt to write freely» (S.102). An Übungen zählt Pineas hier auf: - Komplettieren von Lücken in Texten; - exakte Reproduktion (Diktat oder Rekonstruktion aus der Erinnerung) oder freie Reproduktion, freie Übersetzung; - Zusammenfassen (durch Unterstreichen, Herausschreiben der wichtigsten Punkte usw.); - Paraphrasieren (Vergleichen von Paraphrasen; Schreiben von Texten in Analogie zu Mustern)2. Für das freie Schreiben als unterrichtliche Aktivität betont Pineas die Notwendigkeit, den Lernenden Hilfestellungen zu geben, die es ihnen ermöglichen, Ideen zu generieren und zu organisieren. Sie weist hin auf Grundfragen, die Schreibaufgabe durchsichtiger machen können: Fragen nach Adressat, Absicht,... Formen freien Schreibens, die Pineas aufzählt, sind3: - Expandieren: Ein kurzer Text wird ausgeweitet, indem z.B. einzelne Sätze zu ganzen Textabschnitten ausgeweitet werden. Oder es werden Stichwörter, graphisch dargestellte Zusammenhänge usw. verschriftlicht; - Vervollständigen: Textanfänge oder Textteile werden zu Ganztexten erweitert; - Übersetzen; 1 2 3
Wenn Übersetzen zum freien Schreiben gehört, warum nicht auch das Paraphrasieren? Und welche Aktivität unter «technique» könnte dem Übersetzen zugrundeliegen? Eine Vielzahl von Übungen zum kontrollierten und gelenkten Schreiben findet sich in Byrne (1979). Zum Widerspruch zwischen der von Pineas beschworenen Zurückhaltung gegenüber dem freien Schreiben und dem weithin offenen Charakter dieser Schreibaufgaben vgl. ΠΙ.1. Klarer drückt Byrne das hier anstehende Problem aus: «While it is tme that at this level control of what the learners write (except for remedial purposes) would be inappropriate, we still have the responsibility for providing them with an adequate context for writing activities.» (Byrne 1979: 98) Als adäquate Kontexte versteht Byrne vorab solche, die ein pragmatisches, adressatengerichtetes Schreiben erfordern und damit «some realistic form of expression» erlauben. Ob dies schreibdidaktisch ausreicht, wird in ΙΠ.2 diskutiert
Π.1 Fremdsprachliche Schieibdidaktik: Ein Überblick
213
- Transponieren: Ein Text, z.B. eine Erzählung, wird aus dem Milieu der Fremdkultur ins Milieu der eigenen Kultur verlegt und entsprechend umgeschrieben; - Schreiben nach Bildern; - Schreibspiele. Das freie Schreiben betrifft Texte der Art, die im Unterricht geübt worden sind, es bezieht sich nur bei Fortgeschrittenen auf Essays oder Aufsätze. Solche Texte zu verfassen würde nach Meinung von Pineas die meisten Lernenden überfordern; sie würden dabei so viele Fehler produzieren, dass das Resultat voraussehbar enttäuschen müsste. Raimes (1983) geht von ähnlichen Grundsätzen aus wie Pineas; sie betont jedoch zwei Dinge, die bei Pineas eine eher untergeordnete Rolle spielen. Ähnlich wie Hermanns betont sie den Zusammenhang von Denken, Schreiben und treffendem Ausdruck: As writers struggle with what to put down next [...] on paper, they often discover something new to write or a new way of expressing their idea. They discover a real need forfindingtherightword and therightsentence. (Raimes 1983: 3)
Zudem legt Raimes einiges Gewicht auf die Integration von Schreibaktivitäten in die üblichen schulischen Sozialformen:. Finding and communicating ideas is not encouraged by the typical textbook task of writing about a subject in class or at home an then handing in the finished composition to a teacher who points out the errors. [...] Instead, we can take the same textbook topic but build in-class activities that will help prepare students for the assignment and give them the opportunity to speak, listen to, read, and write the new language in the process of making and communicating their meaning. (Raimes 1983:13)
In einem solchen Vorgehen sieht Raimes verschiedene Vorteile: Die thematische Basis des Unterrichts wird reicher; die Lernenden haben einander wirklich etwas mitzuteilen (dieser Aspekt kann durch geeignete Differenzierung von Aufgabenstellungen ausgebaut werden); die produzierten Texte bekommen in einem Zwischenstadium oder nach ihrer Fertigstellung ein weiteres Publikum als nur den Lehrer, damit verbunden ist eine grössere, weil in der Struktur der Arbeit motivierte Leichtigkeit, auf Lernertexte zurückzukommen, das heisst sie zu analysieren und zu revidieren. 2.4.4 Prozessansätze Prozessansätze greifen zurück auf Forschungen zum Schreibprozess und stellen den Aspekt der Textherstellung, des Schreibens in den Vordergrund, nicht nur den von Textstruktur und Sprachmitteln. Ansätze zu einer Berücksichtigung prozessualer Komponenten sind in beinahe jeder Schreibdidaktik zu finden, so auch bei Byrne und Pineas1. Dort werden sie jedoch kaum in eigenständiger Weise entfaltet, sondern bleiben ohne wirk1
Vgl. Byrnes (1979: 112) Bemerkungen zu Hilfestellungen beim freien Schreiben und Pineas' oben angemerkte gleichgerichtete Betonung der Wünschbaikeit, den Lernenden im freien Schreiben zu helfen, Gedanken zu finden und zu organisieren.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
liehen Einfluss auf des schreibdidaktische Gesamtkonzept. Diese tragende Rolle übernimmt der Schreibprozess etwa im Beitrag von Hedge (1988)1. Die Ausgangsbasis des Beitrags von Hedge stimmt weitgehend mit der textlinguistischer Ansätze überein: I am interested in tasks which help students to write whole pieces of communication, to link and develop information, ideas or arguments for a particularreaderor group ofreaders.(Hedge 1988: 8)
Wie bei diesen steht die Arbeit im Hinblick auf den unabhängigen Text im Vordergrund. Hedge betont drei Punkte, die im unterrichtlichen Schreiben zu beachten seien. Zunächst ist dies die von der kommunikativen Didaktik immer wieder in Zentrum gestellte Relevanz der Identifikation von Adressat und Zweck des Schreibens. Zweitens weist sie hin auf die Rolle des Verbesserns und Polierens von Texten, deren Wichtigkeit oft verdrängt werde. Mit zu diesem Punkt gehört der Hinweis auf das Gewicht nicht nur der Textanalyse, sondern auch des Vergleichs von Geschriebenem und Rückmeldung an den Schreibenden über die Wirkung seines Textes. Zuletzt betont Hedge die Notwendigkeit, viel zu schreiben und diese Arbeit in den Unterricht und seine Arbeitsformen zu integrieren2. Der Gesichtspunkt, der bei Hedge im Vordergrund steht und vor allem im Hinweis auf das Überarbeiten schon angesprochen ist, ist aber der Schreibprozess. Die Entwicklung der Schreibfertigkeiten müsse die Regularitäten der Textherstellung berücksichtigen: Classroom writing tasks need to be set up in ways that reflect the writing process in good writers. We need to encourage our students to go through a process of planning, organizing, composing, and revising. (Hedge 1988: 9)
Der Hauptteil des Buches besteht, wie in den anderen Beiträgen, weitgehend aus kommentierten Unterrichtsbeispielen. Eine wichtige Neuerung gegenüber den bereits besprochenen Ansätzen besteht hier darin, dass diese relativ ausführlich dargestellt werden. Jede Schreibaufgabe wird durchgängig nach denselben Kriterien beschrieben3; die geforderte Verknüpfung mit anderen Unterrichtsaktivitäten kommt dadurch zur Geltung, dass ganze didaktische Abläufe beschrieben werden, in die die Schreibaufgaben eingebettet sind. Die dargestellten Schreibanlässe werden dadurch konkreter fassbar und in ihrer Zielstellung um einiges durchsichtiger.
1
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Prozessorientiert ist auch der Beitrag von Withrow (1987); Raimes (1983) steht in vielen Aspekten diesem Ansatz nahe. In ähnliche Richtung gehen Hartfiel et al. 1985; Cramer 1985. Es ist dies ein Interesse, das sie mit Raimes (1983) teilt. Vgl. etwa das Beispiel für den Ablauf einer Unterrichtssequenz, welche die verschiedensten sprachlichen und sozialen Aktivitäten sinnvoll im Hinblick auf das Unterrichtsziel hin organisiert (Hedge 1988:12ff.). Diese Kriterien sind: Minimale für die Schreibaufgabe vorausgesetzte Sprachbeherrschung; Thema; Diskurstyp (erzählend, beschreibend), Textform (Brief, Bericht), Fokus (Schreibfertigkeit, die gefördert werden soll: Kohärenzbildung, Gedanken organisieren), Adressat und notwendige Vorbereitungsarbeiten für den Lehrer.
Π.1 Fremdsprachliche Schreibdidaktik: Ein Übeiblick
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Diese Beispiele und didaktischen Hinweise sind kapitelweise geordnet nach den Stufen des Schreibprozesses: «composing» (Ideen sammeln und Textentwurf); ein besonders wichtiger Aspekt dabei wird separat unter dem Titel «communicating» behandelt, nämlich die adressatenspezifische Darstellung. Es folgen «crafting», das eigentliche Schreiben des Textes; besonderes Gewicht wird auf Kohärenzbildung und flüssigen Textablauf gelegt, und «improving» (Überarbeitung). Etwas ausserhalb dieser Ordnung steht das Kapitel «evaluating». Dieses bezieht sich nicht auf die Evaluation von Lernertexten, sondern auf die Wahl von Schreibaufgaben für eine bestimmte Lernergruppe. a. Textplanung
Das Kapitel zu Textplanung und Textentwurf beginnt mit einigen Hinweisen zum Schreibprozess. Dieser werde in den meisten Schreibdidaktiken zugunsten der Beschäftigung mit den Schreibprodukten vernachlässigt. Da in Π.3 zu diesem Thema einiges zu sagen sein wird, soll hier nur auf die didaktischen Schlussfolgerungen Hedges hingewiesen werden. Schreibunterricht hat danach darauf hinzuarbeiten, den Lernenden ihren eigenen Schreibprozess bewusst zu machen; der Lehrer hat nicht nur Vorbilder für den zu schreibenden Text zu liefern, sondern vor, während und nach dem Schreiben auch die nötigen Hilfestellungen zu geben (durch Unterrichtsorganisation und Beratung), so dass sich die Lerner im Hinblick auf ihre Schreibaufgabe so wenig wie möglich desorientiert und verloren vorkommen1. Hedge betont in diesem Zusammenhang stark die Notwendigkeit von gemeinsamer Arbeit in Partner- und Kleingruppen in jeder Phase des Schreibprozesses (auf diesen Aspekt wird in Teil III zurückzukommen sein). Zum Thema «composition» schlägt Hedge z.B. vor - Arbeit mit (auch von der Klasse erstellten) Fragelisten oder Schemata, welche die Sammlung von Material und Ideen anleiten; - Erarbeitung von organisierten Stichwortplänen (z.B. in Form von Netzwerken) zu einem Thema; - Sammeln und eventuell Ordnen und Bewerten von Pro-und Kontraargumenten zu einem Thema; - Im Anschluss an eine Lektüre z.B. über eine Kindheit: Sammeln eigener Erinnerungen; Vergleich und Diskussion solcher Erinnerungen mit einem Partner; Sammeln von Assoziationen dazu; schliesslich Auswahl einer prägnanten Szene und ihre sprachliche Darstellung; 1
Zum spezifisch Fremdsprachdidaktischen äussert sich Hedge nicht viel ausführlicher als Byrne oder Pineas; sie merkt nur an, dass es unklug wäre, anzunehmen, die Fremdsprachlerner seien in ihrer Muttersprache einigermassen geübte Schreiber und dass sie natürlich Hilfe nötig hätten «with linguistic form, i.e. with grammar, sentence structure, and so on. They often need help with the organization of texts as well, since conventions for this can differ from one language to another» Hedge 1988,24). Später (S.94) kommt sie auf den Wortschatz zu sprechen und betont die Wünschbaikeit von Versuchen zur Wortschatzerweiterung in allen Schreibphasen.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
- Sammeln von Punkten, die bei der Beschreibung der eigenen Stadt, eines Landes usw. wichtig wären; versuchen, diese versprengten Informationen zu ordnen. Diese Arbeiten können durch irgendeinen Impuls in Gang gesetzt werden; wichtig ist, dass die Lernenden diese Sammlung selbst durchführen und im Hinblick aufs Ziel selbst bewerten - unter Umständen aufgrund einiger weniger richtungweisender Fragen, die von der Gruppe oder vom Lehrer gestellt werden. Zum Thema «communicating» bekräftigt Hedge die bekannten kommunikativ-didaktischen Forderungen nach klaren Aufgabenstellungen in bezug auf Adressat und Zweck von Texten und nach einer anderen als bloss evaluierenden Lektüre durch den Lehrer. Vorgeschlagen werden Schreibanlässe, die die Anpassung an einen Adressaten oder eine Adressatengruppe nötig machen wie: - Briefaustausch Lehrer - Lerner (etwa am Anfang von Kursen: Der Lehrer stellt sich in einem Brief an die Lerner vor und ermuntert sie, ihm zurückzuschreiben), Führen eines Journals. Der Lehrer sieht die Einträge hie und da ein und quittiert sie mit einem Kommentar; - Interviews von Klassenmitgliedern; Schreiben von Klassenzeitungen; - Mimprojekte, mit Präsentation vor der Klasse; - Dialogschreiben; Bitte um Ratschlag an die Lebenshilfespalte einer Illustrierten; Schreiben eines Zeitungsartikels; Beschreibungen von Personen oder Sachen usw. b. Formulieren
Das Kapitel übers Schreiben im engeren Sinn («crafting») wird eingeleitet durch Hinweise auf die textuellen Ebenen: - Organisation des Gesamttextes (sichtbar gemacht etwa durch die graphische Präsentation); - Textabschnitte und ihre Struktur; - Verknüpfungsmittel und Wortschatz. In diesem Bereich kann der Unterricht verschiedene Hilfestellungen erbringen: Lektüre und Ermunterung dazu; Übungen, die bestimmte Aspekte von Texten herausheben und zeigen, wie sie beherrscht werden können (analog zu der von Pineas vorgeschlagenen Arbeitsweise) und schliesslich das Schreiben von Texten als effektivste und wichtigste Arbeit. Texte sind bis in die Details ihrer Form geprägt durch die Kontexte, für die sie geschrieben werden, und dies bestimmt auch die Schwierigkeiten, welche die Schreibenden in ihrer Arbeit antreffen. Hedge unterscheidet sechs Formen des Schreibens, eigentlich sind es Typen von Schreibzwecken, denen die verschiedenen Schreibanlässe und Textsorten zugeordnet werden können. Es sind dies: - persönliches Schreiben: Schreiben für sich (Notizen, Tagebücher); - Schreiben fürs Studium: Auch dieses Schreiben ist nur für den Schreibenden selbst bestimmt. Es sind Notizen zur Lektüre, zu Vorträgen, Zusammenfassungen als Vorbereitung für Prüfungen usw.;
Π.1 Fremdsprachliche Schieibdidaktik: Ein Überblick
217
- öffentliches Schreiben: Dazu gehören Schreiben an Behörden, Formulare, Leserbriefe usw.; - kreatives Schreiben (gemeint sind vorab alle Formen literarischen Schreibens); - soziales Schreiben: Dieses umfasst alle Formen schriftlichen Verkehrs, die der Aufnahme und Pflege von sozialen Beziehungen eher persönlicher Art dienen; - institutionelles Schreiben: Dazu gehören alle Texte, die jemand in seiner Rolle als Student, Schüler, Lehrer usw., kurz: als Vertreter seiner Profession schreibt. Je nach Bedürfnissen und zukünftigen Tätigkeiten der Lernenden kann ein Schreibprogramm auf bestimmte Schreibformen ausgerichtet sein. Dabei werden bestimmte Vertextungsverfahren besonders dominieren: Hedge unterscheidet hier acht Grundverfahren: «Static description», «process description», «narrative», «cause and effect», «discussion», «comparison», «classification», «definition» (Hedge 1988: 99)1. Thema der vorgestellten Unterrichtssequenzen sind hier unter anderem: - Die Organisation von nicht-chronologischen Beschreibungen, von Argumenten und ihren Stützbehauptungen; - der Gebrauch von Verknüpfungsmitteln; - Analyse textinterner Referenzsysteme (Pronomina, Substitutionen); - Anfertigen eines Gedankenschemas zu einem Text, um seine gedankliche Struktur aufzuzeigen; - Rekonstruktion eines Zeitungsartikels aufgrund von Lesenotizen; - eine Geschichte zu Ende schreiben aufgrund von Fragen, die der fertiggestellte Text beantworten soll; - Erstellen eines Schemas für Kurzbiographien oder Buchbesprechungen und seine Erprobung; - Schreiben von Instruktionen nach Vorbildern; - Gründe und Folgen für Ereignisse und Ereignisketten skizzieren und sprachlich ausdrücken. Bei einigen dieser Themen werden Übungsformen, wie sie bei Byrne und Pineas besprochen worden sind, miteingesetzt; sie werden in den meisten Fällen jedoch in weiter ausgreifende Arbeitskontexte eingebaut. c. Überarbeiten
Überarbeitungen2 können durch die Lernenden selbst initiiert werden oder durch Evaluationen durch den Lehrer oder andere Lernende. Hedge beurteilt diese als effektiv nur dann, wenn sie einen konstruktiven Beitrag zum 1
2
Es ist leicht zu sehen, dass in dieser Liste Dinge miteinander auftreten, die bei Pineas auf zwei Ebenen auftauchen: der der logischen Funktionen und der der Vertextungsverfahren. Hedge unterscheidet 'Überarbeiten' und 'Edieren'. Überarbeiten beinhaltet grössere Revisionen, Neuformulierungen von Passagen usw., während Edieren das Übeipriifen und Saubermachen des Textes auf der sprachlichen Oberfläche bezeichnet (sprachliches Polieren des Textes, Bereinigung der Orthographie, äussere Darstellung).
218
Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
Prozess des Überarbeitens und Edierens leisten, sie müssen gerichtet sein, das heisst die Schreibenden zu besseren Problemlösungen anleiten. Hedge unterscheidet zehn Fertigkeiten, die gute Schreiber besitzen und die die grundlegenden Gesichtspunkte fürs Korrigieren und Bewerten abgeben. Diese Fertigkeiten erscheinen unter zwei Titeln, «authoring» und «crafting».1 Hedge merkt an, dass dieser Katalog Hinweise für die Entwicklung und Begründung von Kriterien gibt und nicht als Formulierung mit dem Anspruch auf allgemeine Gültigkeit aufzufassen sei: What skills do good writers demonstrate? Authoring 1 Having something to say (a sense of purpose) 2 Being aware of the reader (a sense of audience) 3 Developing the ideas (a sense of direction) Crafting 4 Organizing the content clearly and in a logical manner 5 Manipulating the script 6 Using the conventions, e.g. spelling, layout 7 Getting the grammar right 8 Developing sentence structure 9 Linking ideas in a variety of ways 10 Having a range of vocabulary
Criteria for Marking Content, Length Style Organization Organization Handwriting Accuracy Accuracy, Complexity Complexity Complexity, Range Range
Diese Evaluationskriterien können schliesslich als Grundlage für die Textbewertung herbeigezogen werden2, indem ihnen - je nach Ziel und Aufgabenstellung, bestimmte Punktwerte (Gewichte für die Gesamtnote) zugeordnet werden3. In bezug auf den Unterricht plädiert Hedge den Schülern gegenüber für eine Offenlegung der Überlegungen und Standards zu Evaluation und Bewertung. Sie schlägt verschiedene Aktivitäten in der Klasse vor, die ein Bewusstsein für die der Evaluation und dem Überarbeiten zugrunde liegenden Kriterien schärfen sollten. Solche Aktivitäten sind etwa: - Entwickeln einer Benotungsskala auf der Grundlage einer der in der Klasse geschriebenen (und durch den Lehrer korrigierten) Arbeiten; Diskussion vorgegebener (oder selbst vorgeschlagener) Kriterien; 1 2
3
Der erste scheint weitgehend die Dinge zu betreffen, die das Buch sonst unter den Stichwörtem «composing» und «communicating» abhandelt. Die Unterscheidung von Korrektur und Bewertung ist fundamental; das eine impliziert nicht unbedingt das andere, auch wenn in traditionellen unterrichtlichen Kontexten der Zusammenhang so eng ist, dass die beiden Begriffe fast als Synonyme erscheinen. Hedge gibt (1988: 147) eine von der Royal Society of Arts herausgegebene Liste wieder, die unter vier Stichwörtem (accuracy, appropriacy, range, complexity) in Kurzhinweisen die Standaids festhält, welche die Texte von Fremdsprachigen auf Anfänger-, Mittelstufen- und Fortgeschrittenenniveau ungefähr erfüllen sollten.
II. 1 Fremdsprachliche Schreibdidaktik: Ein Übeiblick
219
- Schreibkonferenz: Während des Schreibens steht der Lehrer einzelnen Schreibern für Hilfestellungen zur Verfügung; - Fragebogen zum Schreibverhalten, eventuell Erarbeitung einer Liste von Punkten und Problemen, die im kommenden Schreibunterricht thematisiert werden sollen; - Selbstkorrekturen, eventuell angeleitet durch spezifische Fragestellungen des Lehrers; - Schreiben in der Gruppe, Überarbeiten von Texten in Paararbeit; - Reformulieren eines Textes und Vergleich des Resultats mit dem ursprünglichen Text. Dies kann an einem Beispiel erprobt werden, bevor die Lernenden ihre eigenen Texte noch einmal durchgehen. Ebenso können erste Entwürfe vom Lehrer oder von anderen Lernenden gelesen und eingesehen und mit dem Schreibenden besprochen werden. 2.5 Ausblick Die hier skizzierten Positionen der Schreibdidaktik geben einen Überblick über die wesentlichen Regionen dieses Gebiets, auch einen Einblick in die Vielfalt der Fragestellungen und Gesichtspunkte, welche die Anlage von Schreibunterricht bestimmen. An dieser Stelle sollen nur einige wenige Punkte hervorgehoben werden. Was zunächst auffällt, sind nicht so sehr die Divergenzen in den thematischen Schwerpunkten der verschiedenen Ansätze. Diese ergeben sich einsichtigerweise aus den Umständen der Arbeit mit verschiedenen Zielgruppen und unterrichtlichen Aufgabenstellungen. So ist die Ausrichtung auf elaboriertes essayistisches, literarisches und personales Schreiben in Analogie zum Muttersprachenunterricht in (meist freiwilligen) Kursen mit Fortgeschrittenen, etwa Studenten der Philologie, ebenso nahe liegend wie die zentrale Stellung von akademischen Textsorten in der Sprachausbildung von Studenten in technischen und naturwissenschaftlichen Fächern, vor allem dort, wo Lerner die Sprache primär im Hinblick auf ein Studium in der Fremdsprache lernen oder perfektionieren wollen. In allgemeinen Kursen andererseits ist eine (unspezifische, breit gefächerte) Ausrichtung auf einfache Alltagstextsorten und Grundformen schriftlichen Ausdrucks einsichtige Konsequenz daraus, dass relevante schriftliche Zielfertigkeiten kaum systematisch zu bestimmen sind. Auffällig ist dagegen das breite Spektrum an Zugangsweisen in der Vermittlung dieser Fertigkeiten, wie es deutlich in den in 2.4 besprochenen Ansätzen zum Ausdruck kommt. Zu beobachten sind hier didaktische Positionen, bei denen Schreibfertigkeit mehr oder weniger vorausgesetzt wird (Schlemminger, ähnlich auch Eismann), und solche, die explizit eine gezielte Vermittlung der entsprechenden Kenntnisse fordern (textlinguistische und prozessorientierte Ansätze). Der weitgehende Verzicht auf eine didaktische Thematisierung des Schreibens und der textuellen Anforderungen lässt bei den ersteren sofort die kommunikativen Funktionen der Produkte in den Vordergrund treten, die denn auch fast ausschliesslich Gegenstand der Überlegungen sind. Umgekehrt wird in den anderen Ansätzen zwar auf die kommunikativen Funk-
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
tionen von Texten hingewiesen; diese kommen im didaktischen Kalkül aber wenig zur Geltung. Sie sind wenig eingebunden in die didaktische Argumentation1. Vielmehr wendet sich die Aufmerksamkeit vorwiegend auf die Analyse und Vermittlung textueller Strukturen und Sprachmittel bzw. auf die didaktische Gestaltung des Schreibprozesses. Diese Ansätze zeigen dabei, trotz gewisser Gemeinsamkeiten, prononcierte Unterschiede in der Thematisierung des Problemfelds der Vermittlung von Schreibfertigkeiten auf, die eine leichte Harmonisierbarkeit kaum erwarten lassen. Im Hinblick auf das folgende stellen sich damit verschiedene Fragen. a. Didaktische Grundfrage Vor dem hier skizzierten Hintergrund ergibt sich für Teil III dieser Arbeit die Hauptaufgabe, eine Konzeption zu entwickeln, die es erlaubt, die drei offensichtlich fokalen Punkte der Schreibdidaktik - den Prozess des Schreibens, die Strukturen des Produkts und die kommunikative Funktion des Geschriebenen - in ihrem Verhältnis zueinander zu bestimmen und eine theoretische Grundlage zu schaffen, auf der sich der Grundriss einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik aufbauen lässt und auf die die hier vorgestellten Ansätze zurückbezogen werden können. Allerdings müssen dafür zunächst einige Grundlagen bereitgestellt werden, welche es erlauben, nicht nur die angesprochenen Fragen besser anzugehen, sondern die Schreibdidaktik zugleich in einem weiter gefassten Umfeld zu definieren. b. Zur Legitimation von Schreibunterricht Schreibunterricht lässt sich im gängigen fremdsprachendidaktischen Diskurs dann problemlos als legitimiert betrachten, wenn er auf explizite Lernziele hinarbeitet. Nun macht Hedge darauf aufmerksam, dass die meisten Lernenden wenig oder kaum je zum Schreiben in der Fremdsprache kommen werden, dass jedenfalls diesbezügliche Anforderungen wenig absehbar seien. Dieser Mangel an definierten Zielprofilen ist deutlich in den meisten allgemeinen Sprachkursen2. Die meisten der vorgestellten Ansätze verstehen sich als solche für den Schreibunterricht in nicht-spezialisierten Kursen. Wenn hier geschrieben werden soll, so muss dies legitimiert werden; Schreiben muss als potentiell relevant begriffen werden können. Zwei hauptsächliche Argumente drängen sich auf: 1. Es lässt sich argumentieren, dass das Schreiben fürs Sprachlernen und für den Unterricht selbst wesentliche Beiträge liefern könnte. Es ist dies ein Argument, das - falls es haltbar ist - auch dort gilt, wo zielbezogen ge-
1 2
Dieser Aspekt hat im direktiven Ansatz eine noch prekärere Position. Vgl. III. 1. Als allgemeine Kurse sollen hier solche gelten, in denen mit einigermassen umfassendem Anspruch 'Deutsch* ('Französisch',...) gelernt wird und die auf relativ lange Zeit angelegt sind. Also nicht Kurse, die (meist innert kurzer Zeit) eine definierte Basisfähigkeit zum 'Überleben' im fremdsprachlichen Gebiet vermitteln oder bereits vorhandene Kompetenzen ganz gezielt in eine Richtung ausbauen wollen.
Π.1 Fremdsprachliche Schreibdidaktik: Ein Übelblick
221
schrieben werden muss und auch die diesbezüglichen Anstrengungen in etwas anderem Licht erscheinen lassen könnte. Die hier involvierten Fragen sind im ersten Teil dieser Arbeit ausführlich diskutiert worden; es ist auch dort schon darauf hingewiesen worden, dass in der Schreibdidaktik zwar einzelne Hinweise, aber kaum Analysen zu diesem Problembereich zu finden sind. Dies gilt auch für die oben angesprochenen Beiträge. 2. Es lässt sich argumentieren, dass der Unterricht auf allfällige Anforderungen an schriftlichen Ausdruck wenn nicht direkt vorbereiten, so doch die Basis für deren Bewältigung legen müsse. Das heisst, dass er das möglichst ungehinderte Weiterlernen in jeder Richtung ermöglichen sollte, sobald sich Lernende (zu einem späteren Zeitpunkt) in Situationen finden, die definierte Anforderungen stellen. Zu einer solchen Vorbereitung gehört auch eine gewisse Kenntnis des geschriebenen Kodes. Dieses Argument setzt voraus, dass es möglich ist, eine Kenntnis im Schreiben zu erlangen, die sich später differenzieren lässt, das heisst, dass es so etwas wie allgemeine Schreibkenntnisse gibt. Auch dieser Gesichtspunkt wird in den angesprochenen Ansätzen und in der Schreibdidaktik insgesamt kaum je oder nur in Andeutungen ausgeführt (darauf wird unten, in ΠΙ.3/1, explizit noch einmal einzugehen sein). Diese zwei Argumente nun machen eine Voraussetzung, die für das Konzept einer Schreibdidaktik, die sich nicht allein zielbezogen definiert, fundamental ist. In bezug auf das erste Argument ist festzuhalten: Schreiben kann für den Unterricht insgesamt nur interessant sein, wenn einerseits die Ansprüche an die konzeptuelle und sprachliche Verarbeitung im Schreiben nicht gänzlich anders sind als im Sprechen und wenn andererseits im Schreiben Sprachmittel nicht gänzlich anders gebraucht werden als etwa im Mündlichen. Ähnliches lässt sich zum zweiten Argument sagen. Das Konzept einer allgemeinen Schreibfähigkeit setzt voraus, dass es grundlegende Fertigkeiten gibt, die im (textuellen) Schreiben generell eine Rolle spielen. Wenn solche Fertigkeiten aber nicht textsorten- oder textmusterspezifisch sind, stellt sich auch hier die Frage nach ihrem Verhältnis zu den anderen Fertigkeiten, vor allem denen, die in der mündlichen Sprachbeherrschung eine Rolle spielen. Eine allgemeine Schreibdidaktik lässt sich demnach nur begründen, wenn es gelingt, die Verhältnisse innerhalb und zwischen den Bereichen des Schriftlichen und des Mündlichen zu klären. Ebenso ist es nötig, zumindest so weit Erkenntnisse über das Schreiben zu gewinnen, dass differenzierte Aussagen über seine Eigenarten wie auch seine Gemeinsamkeiten mit den anderen Sprachgebrauchsprozessen möglich werden. Für Aufschlüsse dieser Art sind zunächst die entsprechenden Bezugswissenschaften zu befragen. c. Fragen an Schrift- und
Schreibtheorie
Aus den vorstehenden Überlegungen ergeben sich zwei Schwerpunkte, die in diesem Teil Π behandelt werden müssen:
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
1. Das Verhältnis des schriftlichen Sprachgebrauchs zum mündlichen. Die Schreibdidaktik tendiert dazu, die beiden voneinander getrennt zu sehen und den medialen Unterschied als einen des Gegenstands zu interpretieren. Während dies sicherlich nicht völlig abwegig ist, fallen damit aber möglicherweise hochinteressante Kontaktbereiche von Sprechen und Schreiben völlig aus dem Gebiet dessen hinaus, was unterrichtlich thematisiert wird. Ebenso wird möglicherweise übersehen, wie nahe sich Sprechen und Schreiben in manchen Situationen kommen können. Stein ist einer der wenigen, die diesen Sachverhalt überhaupt ansprechen, wenn er darauf hinweist, dass «im Bereich des differenzierten Ausdrucks [...] sich gesprochene und geschriebene Sprache sehr nahe» kommen (Stein 1975: 177). Lässt sich dieser Befund halten, so stehen sich ihren Gegenständen nach Schreiben und Sprechen zumindest in gewissen Bereichen nicht derart fremd gegenüber, wie dies didaktisch meist postuliert wird1. Kapitel 2 wird zeigen, dass sich hinter dem abstrakten Gegensatz von Mündlichkeit und Schriftlichkeit bei näherer Betrachtung ein durchaus komplexes Feld von Übergängen präsentiert, welche gerade im Hinblick auf den Unterricht und seine Ziele, aber auch auf die didaktischen Verfahren von Belang ist. 2. Ausser im prozessorientierten Ansatz wird das Schreiben selbst, die Tätigkeit des Texte-Verfassens, kaum je thematisiert. Selbst in diesem wird es jedoch nicht oder nur höchst ansatzweise analysiert. Entsprechend ist fremdsprachendidaktisch die spezifische Art der kognitiven Aktivität und des Sprachkontakts im Schreiben noch kaum aufgearbeitet. Ein wichtiges Anliegen muss es deshalb sein, die Prozesse des Schreibens und der Sprachproduktion zu analysieren und damit Grundlagen bereitzustellen, welche für die in Teil III anstehende Diskussion um die Basis der Schreibdidaktik notwendig sind. Gleichzeitig ist zu hoffen, dass sich auch von dieser Perspektive her Einsichten ergeben, welche nicht nur für die Schreibdidaktik selbst von Interesse sind, sondern auch Aufschlüsse darüber geben, wie sich die Spracharbeit beim Schreiben zu der beim Sprechen verhält und was sich von daher konkret über den Beitrag des Texte-Schreibens für die allgemeinen Ziele des Sprachunterrichts - die Ausbildung der fremdsprachlichen Kompetenz - sagen lässt2. Dies ist Aufgabe von Kap. 3.
1 2
Dieses Postulat wird nicht explizit erhoben. Es wird aber durch die systematische Vermeidung der Frage nach möglichen Zusammenhängen implizit in Kraft gesetzt. Gemeint ist hier nicht der Sachverhalt, dass Schreiben das Lernen und Behalten von orthographischen Regularitäten, die Ausbildung einer gewissen motorischen Geläufigkeit usw. erleichtert. Dieser Aspekt wird etwa von Stalb (1979: 6f.) in seiner Begründung der Wiinschbarkeit des Schreibens hervorgehoben. Dies alles ist aber nicht spezifisch für das Texte-Schreiben, sondern gilt für jedes Schreiben, auch übendes, kopierendes usw. Ähnlich argumentiert Mayer (1985: 70ff.); sie hebt aber deutlich auch die textuellen Aspekte hervor, die spezifisch im produktiven Schreiben eine Rolle spielen.
II.2 SCHRIFTLICHKEIT, SCHRIFTSPRACHE, TEXT
1
Überblick
Der Bereich des schriftlichen ist von dem des mündlichen Sprachgebrauchs zunächst unterschieden durch das Faktum der Fixierung. Zugleich ist es unmittelbar evident, dass sich der Sprachgebrauch in den beiden Bereichen durch mehr und anderes unterscheidet als durch die blosse Verschriftung. Eine deutliche Formulierung - und zugleich eine begriffliche Nicht-Unterscheidung - dessen, worauf mit dieser Differenzierung abgezielt ist, findet sich bei Nerius. Er schreibt: Als geschriebene Sprache kann jede Art der Sprache bezeichnet werden, die graphisch fixiert und visuell aufgenommen wird, während als gesprochene Sprache diejenige anzusehen ist, die lautlich realisiert und akustisch aufgenommen wird. Gesprochene und geschriebene Sprache stellen die beiden möglichen Existenzweisen der Sprache dar. (Nerius 1985: 301)
Einige Zeilen weiter heisst es: Es handelt sich bei der geschriebenen Sprache um eine funktional und strukturell besondere Ausprägung der Sprache, die in den schriftlichen Äusserungen einer Sprachgemeinschaft überwiegend Verwendung findet und massgeblich durch die spezifischen Anforderungen der schriftlichen Kommunikation bestimmt wird. (Nerius 1985: 301)
Der Begriff 'geschriebene Sprache' (und im weiteren das Begriffspaar 'geschriebene Sprache/gesprochene Sprache') im zweiten Zitat bezieht sich darauf, wie in schriftlich konstituierten Texten im Gegensatz zur mündlichen Kommunikation Sprache gebraucht wird. Man kann in diesem Zusammenhang den Begriff der Varietät verwenden - es handelt sich bei gesprochener und geschriebener Sprache um Ausprägungen einer Sprache, etwa des Deutschen, die sich durch ein gewichtiges Mass an präferierten Sprachmitteln und Aussageweisen, weniger durch absolute Unterschiede voneinander abheben (das heisst, es gibt wenige Strukturen oder Elemente geschriebener Sprache, die in gesprochener überhaupt nicht vorkommen und umgekehrt). Auf diese Dinge nicht ohne Einfluss, aber davon zu trennen ist der im ersten Zitat angesprochene Unterschied zwischen schriftlich und mündlich realisierter Sprache. Diese lassen sich, anders als gesprochene und geschriebene Sprache, stets genau und problemlos unterscheiden: Es gibt keine Zweifelsfälle und keine Zwischenstufen, auch keine Interpretationsoder Begründungsprobleme. Unabhängig vom Geäusserten, unabhängig von der sprachlichen Ausgestaltung des Geäusserten, unabhängig davon, ob es der Kommunikation dient oder nicht, ist realisierte Sprache stets eindeutig geprägt als mündliche oder schriftliche. Voraussetzung ist nur, dass etwas überhaupt geäussert wird und sich in seiner Realisierung auf erkennbare Weise zu den Usanzen verhält, also nicht etwa bloss als unstrukturiertes Gemurmel bzw. Gekritzel aufgefasst wird. Kurz gesagt: Lässt sich der
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schieibens
grundlegende Gegensatz von mündlich und schriftlich auffassen als gegeben, sobald es eine Schreibung überhaupt gibt, so hängt die andere Differenzierung ab von den Bedingungen gesellschaftlicher Schreibpraxis, ihren Traditionen und Normen1. Konstitutiv für das Gegensatzpaar schriftlich/mündlich ist die Schreibung, im weiteren ihre gesellschaftliche Normierung, die Orthographie. In bezug auf einzelne Äusserungen gibt es hier wenig Gelegenheit zum Disput; höchstens lässt sich fragen, ob es klüger sei, in einem bestimmten Fall zu schreiben oder das direkte Gespräch zu suchen, zieht man nicht wie Schillers Wallenstein vor, nichts Schriftliches aus der Hand zu geben. Fragen der Rechtschreibreform entfachen dagegen meist ausgedehnte Diskussionen, denn in ihnen steht das prinzipielle Verhältnis von mündlichem und schriftlichem Bereich zur Diskussion, ein Verhältnis, das die Fundamente der Sprachpraxis berührt und die am tiefsten eingeprägten Gegebenheiten des Schriftverkehrs betrifft. Auf einige Aspekte dieses grundlegenden Verhältnisses wird im nächsten Abschnitt eingegangen. Um einiges komplexer sind die Verhältnisse, auf die das Gegensatzpaar gesprochen!geschrieben hindeutet. Dieses ist nur in Abhängigkeit von zwei anderen Grössen bestimmbar, mit denen es in engem Zusammenhang steht und auf die Nerius im zweiten Zitat eher implizit mitverweist: Es sind dies die Aspekte der Produktionssituation, in der Sprache gebraucht wird, und die der kommunikativen Anforderungen an das Produkt des Äusserungsaktes. Im schriftlichen Bereich zeigen sich diese darin, dass Kommunikation zeitversetzt vermittelt wird über ein Dokument und dass dessen Grundform der Text ist. In mehreren Beiträgen haben Olson und Olson/Hildyard versucht, die Eigenart des schriftlich konstituierten Textes und damit die Ansprüche zu bestimmen, die das Texteschreiben an die Sprachbenutzer stellt. In einem ersten Beitrag siedelt Olson den geschriebenen Text im weiteren Umfeld der Schreibkultur und ihrer Entwicklung an (Olson 1977). Ausgangspunkt ist die Entgegensetzung von «informal oral-language statements» (utterance) und «explicit, written prose statements» (text). Olson versucht, mit Hinweisen auf die Schriftgeschichte und die europäische Kulturgeschichte seit den Griechen die These zu belegen that there is a transition from utterance to text both culturally and developmental^ and that this transition can be described as one of increasing explicitness, with language increasingly able to stand as an unambiguous or autonomous representation of meaning. (Olson 1977:258)
Die Verhältnisse, die dem autonomen Text, der seine Bedeutung 'in' sich trägt, zugrunde liegen, werden von Olson/Hildyard (1983a,b) expliziert. 1
Diese Aussage ist undifferenziert insofern, als eine Schreibung nur zustande kommt und sich entwickelt vor dem Hintergrund einer Schieibpraxis; sie ist von dem, was sie ermöglicht, selbst beeinflusst. Schreibungen sind jedoch - gemessen an den Veränderungen im Bereich des Stils, der Textsorten und der Register (vgl. Feldbusch 1985, Kittler 1985, Äugst 1988b) - erstaunlich zählebig; für jeden praktischen Zweck bilden sie das stabile Substrat der Schreibpraxis.
Π.2 Schriftlichkeit, Schriftsprache. Text
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Sie unterscheiden in Anlehnung an Bierwisch1 drei Aspekte, die für die Erklärung des Konzepts 'Äusserungsbedeutung' eine Rolle spielen: die semantische Struktur des Gesagten (die Satz- oder Textbedeutung), das damit vom Autor Gemeinte und eine mögliche Welt (Kontext2). Das Gemeinte ist das, was mitgeteilt werden soll. Dieses wird aber nicht immer sprachlich explizit gefasst. Vielmehr wird das aktuell Gesagte vom Produzenten geplant, vom Verstehenden interpretiert vor dem Hintergrund des Kontextes, das heisst der aktuellen Situation und des in dieser Situation als bekannt Vorausgesetzten. Das Gesagte ist, zusammen mit dem Kontext, in dem es ausgesagt wird, eine Anweisung an den Rezipienten, das Gemeinte zu erschliessen. The semantic structure (or linguistic form) is what is preserved in 'the very words'; the speaker's meaning (or intention or utterance meaning), is what the speaker attempts to express or communicate by means of that expression; and the route from the sentence to the speaker's meaning is the context or possible world. (Olson/Hildyard 1983a: 51)
Je nachdem, wie sich diese drei Grundgrössen zueinander verhalten, ergeben sich drei fundamental verschiedene Weisen der Konstitution und des Verstehens von Gemeintem: Wörtlicher Sinn, indirekte Sprechakte und «casual meaning». Die folgenden Skizzen gehen vom Hörenden oder Lesenden aus und beschreiben dessen Verstehensleistungen. 1. Wird eine Äusserung wörtlich verstanden, so wird die Äusserungsbedeutung kanonisch gesetzt, das heisst sie wird als direkter Ausdruck des Gemeinten aufgefasst. Ist die Äusserung inkompatibel mit dem, was der Verstehende in der Rezeptionssituation als selbstverständlich voraussetzt (sei dies sein allgemeines Vorwissen oder das, was er als bisher Mitgeteiltes verstanden hat), so versucht er, diese seine Vorstellungen (seinen Entwurf der möglichen Welt; dessen, wovon die Rede ist) abzuändern, um sie mit dem Gesagten in Übereinstimmung zu bringen. Das heisst: Das Gesagte wird so aufgefasst, dass damit eine mögliche Welt stipuliert ist, die es nachzuvollziehen gilt; in diesem Prozess wird dem Gesagten autoritative Kraft zugeschrieben. 2. Wird eine Äusserung beiläufig ('casually') verstanden, so wird das Verständnis der Situation invariant gesetzt. Das Gesagte wird, falls es diesem Situationsverständnis nicht entspricht, interpretiert als annäherungsweiser Ausdruck eines Gemeinten. Das heisst, die Aussage wird nicht wörtlich genommen, vielmehr wird sie so interpretiert, wie sie (aufgrund des Verständnisses der Gesamtsituation) wahrscheinlich gemeint ist3. Was 1 2
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Olson/Hildyard beziehen sich auf ein unpubliziertes Manuskript; viele der Aspekte, die sie beibringen, entsprechen in etwa den Darstellungen in Bierwisch 1983. Der Begriff 'Kontext' wird von Olson/Hildyard synonym zu dem der möglichen Welt gebraucht; er bezeichnet das Insgesamt der Vorstellungen, die sich mit der Sprachgebrauchssituation verbinden, nicht nur den physischen oder textuellen Kontext. So kann die Aussage "Ich bin total kaputt" - unter geeigneten Umständen - korrekt interpretiert werden als "Ich bin heute abend müder als üblich". Die Auskunft, die Äpfel befänden sich im Korb in der Küche, wird - findet sich das Gesuchte nicht in
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
mitgeteilt wird (oder als Mitteilung verstanden wird), kann sich so in mancherlei Hinsicht vom Gesagten unterscheiden, thereby making allowance for some degree of vagueness and impression in S [sc.: semantic structure]; any wording will do, a wink is as good as a nod, if PW [sc. possible world] is well established. (Olson/Hildyard 1983a: 52)
Hauptanwendungsgebiet dieser Art des Sprechens und Verstehens ist nach Olson/Hildyard die alltägliche Konversation. Diese beruht danach weitgehend auf der Annahme, dass man ja schon versteht, was der andere meint, auch wenn es nicht klar oder nicht ausführlich gesagt wird. Verstehen von «casual meaning» beruht demnach auf einer interpretatorischen Anreicherung und Präzisierung des Gesagten auf der Basis vorausgesetzter Übereinstimmung in den relevanten Parametern der Situations- und Kontextinterpretation. 3. Das Verstehen von indirekten Sprechakten oder Metaphern schliesslich beruht darauf, dass eine Nicht-Übereinstimmung von Satzbedeutung und Kontext zum Anlass genommen wird, ein Gemeintes zu konstruieren, welches diese Diskrepanz auflöst. Das als Gemeintes Identifizierte hat dann mit dem Gesagten unter Umständen nurmehr wenig Zusammenhang. Es handelt sich hier im wesentlichen um Fälle der von Grice beschriebenen konversationeilen Implikatur, die durch eine Verletzung der Grundmaximen des Sprechhandelns ausgelöst wird1. Hildyard und Olson argumentieren nun dahin, dass mündlicher Sprachgebrauch eine Mischung der drei Arten von Bedeutungen ist, während prototypische schriftliche Texte weitgehend auf wörtlicher Bedeutung basieren. Als Grund für diesen Sachverhalt wird unter anderem angegeben, dass in mündlicher Kommunikation das Gesagte nicht aufbewahrt werden kann es entwickeln sich hier Techniken des Umgangs mit Sprache und Kontext, die das Gewicht des sprachlich Kodierten und damit die Anforderungen an Produktion und Rezeption von Äusserungen verkleinern. Einer der Gründe dafür ist, dass im Sprechen Gemeintes von Gesagtem nicht immer leicht unterschieden werden kann und - wenn ein Problem auftaucht - der Zeit-
1
einem Korb, sondern auf einem Früchteteller - wohl üblicherweise so interpretiert, dass die Äpfel auf dem Früchteteller die gemeinten sind usw. Zum Beispiel: In einer adäquaten Situation (zwei sitzen zusammen, ihre Beziehung zueinander ist von einer bestimmten Alt, ...) ist die Äusserung "Deine Hand ist auf meinem Knie", sofern die Aussage zutrifft, konversationeil irrelevant im Griceschen Sinne, da die Beteiligten beide wissen, dass es so ist. Nun lautet eine der Maximen der Konversation, dass man nicht Irrelevantes sagen soll. Da die Maximen Voraussetzungen fruchtbaren Umgangs überhaupt formulieren und ihre Verletzung eigentlich zum Abbruch der Kommunikation führen müsste, wird ein Reparaturverfahren (konversationeile Implikatur) in Gang gesetzt, in der Annahme, die Maxime sei nicht wirklich verletzt, das Gesagte diene in Wahrheit durchaus der Mitteilung von Relevantem. Die Konstruktion des Gemeinten wird dann - unter Einbezug von Normen, Erwartungen, auch nonverbalen Signalen - vielleicht zum Ergebnis führen, dass die Äusserung der Mitteilung dient, die Hand solle eigentlich nicht an dieser Stelle sein. Sie könnte dann z.B. einen nicht-expliziten, nicht-aggressiven Vorwurf und die Abweisung eines Annäherungsversuchs signalisieren.
II.2 Schriftlichkeit, Schriftsprache, Text
227
punkt für eine erfolgreiche Überprüfung dessen, was wirklich gesagt wurde, meist schon vorbei ist: Der Wortlaut ist nach wenigen Augenblicken vergessen. Schreiben dagegen bewahrt den Wortlaut, zudem verlangt es den weitgehenden Aufbau eines Kontextes durch den Text selbst1. Such text is therefore an ideal device for the acquisition and expression of new knowledge and new points of view, and that, in fact, is the primary role that it plays in schooling. But as such text depends less upon a previously established and shared PW [sc.: possible world], the weight of the meaning Μ falls upon the semantic structure S. Hence, such texts assume a greater knowledge of linguistic structure even while they assume less prior knowledge of PW. (Olson/Hildyard 1983a: 59)
Das Lesen von Texten und noch mehr das Schreiben fordert, unter dieser Perspektive, zunächst die Fähigkeit, sprachlich Ausgedrücktes in seinem eignen Recht wahrzunehmen und es von Vorwissen und Erwartungen (im Lesen) oder den eigenen Intentionen und Vorstellungen (im Schreiben) zu unterscheiden. Es ist dies eine Leistung, die sich erst im Laufe der kognitiven Entwicklung ausbildet und meist erst mit und im Gefolge der schulischen Bildung mit einiger Konsistenz erbracht wird2. Im aktuellen Schreiben von Texten wird der Schreibende vor die Aufgabe gestellt, durch das, was er sagt, zuhanden eines Lesers einen «common ground of discourse» zu legen - es gibt ja keinen Rückhalt in einer geteilten Situation und keine Möglichkeit direkter Rückfrage. Diese Aufgabe ist eine weitgehend sprachliche: Die verwendeten Ausdrücke müssen allein durch das, was sie sprachlich bedeuten, Gemeintes transportieren. Dies erfordert Eindeutigkeit, Explizitheit und Organisation in der Darstellung, weil es ausser dem aufs Papier Gebrachten wenig Anhaltspunkte für den Leser gibt, die Lücken oder Unklarheiten aufzulösen erlaubten. Die ausschlaggebende Rolle der Sprache im Text verlangt schliesslich ein von Sender und Empfänger weitgehend geteiltes sprachliches Repertoire. Verständnisschwierigkeiten können nicht ausgehandelt werden. In such cases, therefore, it is necessary to establish some standard, or court of appeal, such as teachers and dictionaries, to adjudicate the meanings of expressions. Hence, in learning to write, a child is being inducted into the norms and standards of the larger society and its institutions. (Olson/Hildyaid 1983a: 62)
In diesen Überlegungen liegt ein interessanter Versuch vor, wesentliche Charakteristika schriftlicher Texte und des Umgangs mit ihnen, wie sie 1
2
Vgl. Hildyard/Olson 1982 für eine Untersuchung an Kindern, die belegt, dass die Oberflächenstrukturen von Gelesenem besser behalten werden können als die von Gesprochenem: «children appear to listen more to what was meant, but to read more for what was said. Alternatively, listening results in particular memory for the thematic or central aspects of the story, whereas reading distributes memory across all aspects of the story represented in the written text» (Hildyard/Olson 1982: 30). Bessere Leser scheinen nicht unbedingt bessere Interpreten zu sein oder beim Lesen mehr Inferenzen zu machen, es ist eher so, dass sie den Beitrag des Textes von ihren eigenen Interpretationen besser abheben können: «they have begun to develop a greater awareness of what was said and what they added in the course of interpretation» (ebda.: 31). Sie scheinen, aus welchen Gründen immer, auch bessere Hörer zu sein. Vgl. dazu die Hinweise auf Untersuchungen in Olson/Hildyard 1983a,b; Olson/ Torrance 1981; vgl. unten.
228
Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
vielfach in ähnlicher Form formuliert worden sind, aus einem zentralen Prinzip - dem der Mitteilung von Gemeintem - zu begründen. Zwei Aspekte sind daran in unserem Kontext relevant: 1. Olson/Hildyards Konzept der wörtlichen Bedeutung ist intuitiv einsichtig, es dürfte auch die Tendenz schriftlich konstituierter Texte zu semantischer und struktureller Explizitheit und Geschlossenheit bis zu einem gewissen Grad korrekt bezeichnen. In writing, the surface features convey the meaning, so text has to be legible, grammatical, explicit and unambiguous in a more rigorous way than is required in speech. (Maitlew 1983a: 300)
Kaum haltbar ist aber die Interpretation, zu der Olson/Hildyard aufgrund ihrer Analyse zu neigen scheinen: dass der schriftlich konstituierte Text autonom, selbstversorgt seine kommunikative Potenz 'in sich' trage. Dagegen ist wohl zu Recht eingewendet worden, dass auch der schriftliche Text an den Leser und seine Beiträge zur Komplettierung des linguistisch Ausgedrückten appellieren könne und wohl auch müsse: nothing intrinsic to the medium of writing dictates that no contribution should come from thereader.(Rader 1984: 187)1
Auch hochelaborierte Texte verweisen zurück auf pragmatische Grundlagen und auf als geteilt präsupponiertes Vorwissen (zu denken ist hier z.B. an Textsorten und Vertextungsschemata und die mit ihnen verbundenen Normalansprüche, an universalpragmatische Faktoren als formale Stützen, an vorausgesetzte Sachkenntnisse verschiedenster Art als inhaltliche Stützen, welche die Aussagen im Text in eine Perspektive zu setzen, zu verknüpfen und zu gewichten erlauben). Jeder Text enthält Brüche in seiner Konstruktion, welche der Leser aktiv verarbeiten muss. Zudem bilden die Einzelaussagen auch schriftlich konstituierter Texte ein Gemisch aus den drei fundamentalen Sprechweisen. Das Ausmass, in dem Nicht-Explizitheit zulässig, indirektes Reden erlaubt und Rekurs auf geteiltes Wissen geboten ist, bestimmt sich allerdings vielfach anders als in der Konversation und ist nicht für alle Texte in der gleichen Weise geregelt. 2. In ihrer Diskussion beziehen sich Olson und Olson/Hildyard auf verschiedene Faktoren, welche in der Konstitution schriftlicher Texte zusammenwirken. Zuvorderst steht hier die Ungleichzeitigkeit von Produktion und Rezeption. Dieses Grundverhältnis hat verschiedene Konsequenzen. Es bestimmt die Umstände, unter denen jemand sich schriftlich äussert (Abwesenheit des Partners bzw. zukünftige Gebrauchssituation) und die prozessualen Bedingungen, die er dabei antrifft (Schreiben geschieht langsamer als Sprechen, der unmittelbare Produktionsdruck des Gesprächs ist 1
Siehe auch die von Nix (1983) beschriebenen Verstehensschwierigkeiten leseschwacher Schüler, denen Brüche im Text zu Verhängnis werden können, die gänzlich unauffällig sind. Zur Kritik an Olsons und Hildyards Konzept der wörtlichen Bedeutung und des autonomen Textes vgl. etwaNystrand 1986: 81ff., 1987; Rommetveit 1988. Vgl. auch die Diskussion um Definition und Interpretation der Rolle von wörtlicher Bedeutung zwischen Gibbs 1984,1989 und Dascal 1987,1989.
Π.2 Schriftlichkeit, Schriftsprache, Text
229
in schriftlicher Kommunikation nicht gegeben). Dadurch wird die Form der Mitteilung weitgehend determiniert. Schriftliche Kommunikation ist prototypisch Kommunikation in Form von Texten. 'Geschriebene Sprache' bezeichnet in diesem Kontext die durch die Verhältnisse schriftlicher Kommunikation konditionierten und auf sie zugeschnittenen Sprachmittel. Auf diese drei ineinander wirkenden Faktoren, kommunikations- bzw. Produktionssituation, Textualität und Schriftsprachlichkeit sowie ihr Verhältnis zum mündlichen Sprachgebrauch, wird im dritten Abschnitt eingegangen1.
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Die schriftliche und die mündliche Sprachmodalität
Der gesamte Bereich der sprachlichen Äusserungen lässt sich restlos und ausschliesslich in die Grossbereiche des Schriftlichen und des Mündlichen aufgliedern. Transkriptionen gesprochener Sprache, Buchungsbelege oder Graffiti auf irgendwelchen Wänden sind ebenso schriftlich wie ein philosophisches Werk; umgekehrt ist die Aufführung eines ShakespeareStückes ebenso mündlich wie ein kurzer Gruss, eine Konversation im Bus oder die Verlesung einer offiziellen Bekanntmachung am Radio. In diesem Sinne sind Schriftäusserungen von mündlichen Äusserungen (Sprechäusserungen) zu unterscheiden; die in solchen Äusserungen verwendete Sprache wird als verschriftete bzw. lautlich realisierte Sprache bezeichnet2. Die Unterscheidung von schriftlicher und mündlicher Sprachmodalität ist gegenüber den vielfältigen und beziehungsreichen sprachlichen Gestaltungen in diesen Bereichen abstrakt, aber gleichzeitig fundamental. Sie ist gegeben durch die medialen und zeitlichen Verhältnisse, die dem Laut bzw. der Schrift zugrunde liegen: den Gegensätzen von akustisch versus visuell und von flüchtig versus bleibend (vgl. Klein 1985; Stubbs 1987). Die Begriffe 'Mündlichkeit' und 'Schriftlichkeit' beziehen sich auf die beiden Bereiche als ganze; sie geben auch die Eigenschaften an, durch die sie sich auszeichnen. So wurde 'Schriftlichkeit' in Teil I gebraucht, um die Merkmale Permanenz, Wiederholbarkeit und Festgelegtheit zu bezeichnen, die unterschiedslos alles Schriftliche prägen3. Die Inskription von visuellen, beständigen Marken und Zeichen auf Gegenstände verschiedenster Art geht mit Sicherheit jedem Versuch der Ver1
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Ludwig (1983a) benutzt den Terminus 'Schriftsprache' als Bezeichnung des Normbereichs der geschriebenen Sprache. Er steht diesem Begriff gegenüber demnach in der gleichen Beziehung wie 'Orthographie' zu 'Schreibung*. Er wird hier in diesem Sinne gebraucht Gelegentlich auch als schriftliche oder mündliche Sprache. Wichtig ist, dass diese Attribute allein auf den Modus der Realisierung bezogen werden; sie kennzeichnen nicht die verwendeten Sprachmittel. Auf die Grenzfälle von Schreiben in Sand, Schreiben mit bengalischen Hölzern in der Dunkelheit usw. wurde schon aufmerksam gemacht.
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Teil II: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
schriftung von Sprache voraus; das Schreiben in diesem allgemeinen Sinn begleitet den Menschen wahrscheinlich, wie die Sprache, seit seinen Anfängen1. Die ältesten bekannten Zeichen, die sich als Vorläufer der heutigen Schrift in einen Entwicklungsgang einreihen lassen, sind wahrscheinlich mnemotechnischer Art; sie dienten in der Verwaltung der sesshaft und und relativ komplex gewordenen Gesellschaften des Zweistromlandes nicht der Kommunikation über räumliche Distanzen, sondern als Hilfsmittel der Erinnerung über die Zeit hinweg. Diese Zeichen standen noch in direkter Beziehung zu den bezeichneten Objekten; nur allmählich entwickelten sie sich zu Zeichen für Wörter, welche jene Dinge meinen2. Damit begannen sie, die Bedingung zu erfüllen, die etwa Humboldt für eine 'wahre Schrift' stellt: Wahre Schrift kann man nur diejenige nennen, welche bestimmte Wörter in bestimmter Folge andeutet, was, auch ohne Buchstaben, durch Begriffszeichen, und selbst durch Bilder möglich ist. (Humboldt 1824:110)3
Die heutigen Schriften - seien es alphabetische oder andere - sind umfassende Instrumente der Aufzeichnung von Sprache. Sie beruhen auf einer Analyse und Erfassung primär der Lautseite der Sprache und erlauben die schriftliche Darstellung sämtlicher Sprachzeichen, welche mündlich auftreten. Dies bildet die Grundlage für den Allzweckcharakter und die umfassende Brauchbarkeit von Schrift, auch für die relative Einfachheit ihrer Erlernung. Diese Verhältnisse haben Spuren auch in unserem Sprachgebrauch hinterlassen: Sprache ist prinzipiell in zwei Modalitäten realisierbar; Schrift bezieht sich primär auf das Instrument der Verschriftung von Sprache, sekundär erst auf andere Notationssysteme. Auch ontogenetisch scheint sich die Schrift aus Vorläuferformen zu entwickeln, die zunächst nichts mit Sprache zu tun haben; Kinder beginnen 1
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Ong (1982) kritisiert die Verwendung von 'Schreiben' in diesem allgemeinen Sinn; er plädiert dafür, nur das Verschriftlichen von Sprache unter diesen Begriff zu fassen. Wie der alltagssprachliche Gebrauch zeigt, wird 'Schreiben' aber durchaus auch in diesem Sinne des Marken-Setzens verstanden - man kann Musik schreiben oder sich etwas hinter die Ohren schreiben; deutlich wird dieses Verhältnis auch beim rezeptiven Akt des Lesens: Spuren lesen, in den Sternen lesen,... Zu diesem Übergang zunächst nicht sprachbezogener visueller Zeichen zu Sprachzeichen vgl. Ehlich 1983b; H. Günther 1983. Die fundamentalen Beziehungen der heutigen Schreibsysteme auf die Sprache diskutierten z.B. Haas 1983; de Francis 1989. Für die weiteren Entwicklungen, vor allem die Herausbildung von typischen Formen geschriebener Sprache und schriftlicher Textualität, auch für die fundamentalen Umwälzungen, die sich im Verhältnis von gesprochener und geschriebener Sprache im Laufe der Geschichte auf der Grundlage der bereits etablierten Basis einer sprachlichen Dichotomie von Mündlichkeit und Schriftlichkeit ergaben und immer noch ergeben, vgl. Olson 1977, Assmann/Assmann 1983, Feldbusch 1985; Kittler 1985; Glück 1987. Eine Schrift, die in verschiedene, dem Sinne nach weitgehend äquivalente lautsprachliche Varianten übersetzt werden könnte, wäre demgemäss keine wahre Schrift in Humboldts Sinn. Humboldt vertritt auch die Auffassung, dass die Alphabetschrift die sprachliche Gliederung auf den verschiedenen Ebenen am deutlichsten herauszustellen erlaube. Da Gegliedertheit das wesentlichste Charakteristikum der Sprache ist, betrachtet er diese Schriftart entsprechend als die sprachgemässeste und optimale.
Π.2 Schriftlichkeit, Schriftsprache, Text
231
zum Teil spontan auf völlig idiosynkratische Weise zu 'schreiben'; erst allmählich bildet sich - meist unter einer gewissen Anleitung - die Sachbezüglichkeit heraus1. Das gleiche scheint fürs besser erforschte Lesen zu gelten. Snow etwa schliesst aus ihren Untersuchungen, dass die ersten Wörter gebunden an ganz bestimmte Kontexte erkannt und 'gelesen' werden. Von einem 31 Monate alten Jungen berichtet sie: He often played with a toy cargo truck on which was printed KLM. This toy was commonly referred to as the 'aiipoit truck*. He recognized the print at the side of the truck as a word and could at this age read the letters K, L and M; but he concluded nonetheless that the word on the truck could only be 'airport truck'. (Snow 1983a: 176)
Offensichtlich ist es keine Selbstverständlichkeit, Geschriebenes dekontextualisieren zu können, also Geschriebenes als kodierte Sprache und als bedeutsam aufgrund dessen, was 'da steht', zu erkennen. Trotz intensiver Beschäftigung mit Büchern, Vorlesen usw. entdeckte dieser Junge erst ungefähr im Alter von 4 Jahren die Existenz von Konventionen darüber, wie Wörter zu schreiben sind - zu diesem Zeitpunkt begann er es zu vermeiden, Schreibungen für Wörter nach Gutdünken zu erfinden; er zog es vor, Wörter zu kopieren oder nach der Schreibweise zu fragen, wenn er unsicher war (Snow 1983a: 184). Obwohl Lesen und Schreiben in den meisten Fällen dem Erwerb der mündlichen Sprache nachgeordnet ist2, werden sie sehr früh als Sprachtechniken erkannt und von manchen Kindern aktiv genutzt. Snow hält - neben den zweifellos wichtigen Unterschieden - explizit eine Reihe von übereinstimmenden Punkten fest, die sowohl im Erwerb der mündlichen wie der schriftlichen Sprache eine Rolle spielen3, und Oksaar plädiert für frühes Eingehen auf die Neugier, die Kinder dem Lesen und Schreiben meist spontan entgegenbringen. Sie merkt auch an, dass Kinder in bilingualen Situationen meist in der Sprache der Mutter (der Familiensprache) zu lesen beginnen, dass es bei der zweiten Sprache kaum Schwierigkeiten gibt und dass die Beobachtungen zeigen, dass Kinder «eigentlich nur einmal lesen zu lernen haben und dass diese Fähigkeit von einer Sprache zu einer anderen transferiert werden kann» (Oksaar 1983: 91). Ähnlich scheinen Kinder rasch auf die in verschiedenen Sprachen unterschiedlich geregelte Laut-Schrift-Zuordnung aufmerksam zu werden
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Vgl. Ferreira 1983; Martlew 1983a,b; Göes/Martlew 1983; Oksaar 1983. Martlew weist auf die Pionierarbeiten von Lurija und Vygotskij hin, die in dem von ihr herausgegebenen Sammelband (1983) teilweise wiederabgedruckt sind. Die Schrift scheint - etwa bei tauben Kindern - auch den Spracherweib allein tragen und dabei als erstes, unabgeleitetes System fungieren zu können; allerdings erfordert dies etwelche Anstrengung mehr als der Erwerb der mündlichen Sprache (vgl. Steinberg/Harper 1983 und die Hinweise in Oksaar 1983). Es sind dies: «the complexity of the learning involved, the centrality of communicative needs to the early stages of acquisition, the nature of the social interactive factors that contribute to acquisition and the child's increasing ability to perform the tasks required without the support of social, physical, or historical context.» (Snow 1983a: 182)
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
(ebda.)· Für das Schreibenlernen scheint im übrigen die Komplexität der Schreibung eine gewisse Rolle zu spielen1. Auf diese historischen und ontogenetischen Prozesse kann hier ebenso wenig näher eingegangen werden wie auf systematische Fragen, die das Schriftsystem und seine Beziehungen zum Lautsystem und den anderen Ebenen der Sprache betreffen und die grundlegend sind für die Frage nach der Konstitution der je einzelsprachlichen Normen der Schreibung. Die wenigen Hinweise müssen genügen, um klar zu machen, dass der Bereich der Schrift sprachunabhängige Wurzeln hat, in seiner heutigen und wirksamen Gestalt aber weitgehend sprachgebunden ist und, insoweit das Schriftsystem alphabetisch ist, auch in einer gewissen Abhängigkeit von den phonologischen Strukturen der Sprache steht. Über die richtige Bestimmung des Verhältnisses von mündlicher und schriftlicher Sprache ist in letzter Zeit viel diskutiert worden; es scheint sich hier die Ansicht durchzusetzen, dass der traditionelle Erklärungsansatz, der diese Abhängigkeit der Schreibung von phonologischen Strukturen ins Zentrum stellt, unzureichend ist und höchstens eines der Kennzeichen des Verhältnisses von mündlicher und schriftlicher Sprache erfasst. De Francis (1989) betont, dass jedes heutige Schriftsystem auf die Lautseite der Sprache bezogen ist und dabei entweder primär auf phonemischer, syllabischer oder morphematischer Basis funktioniert, dass aber jede Schreibung sich auch auf andere Ebenen des Sprachsystems bezieht, wobei das relative Gewicht dieser 'fremden' Anteile stark schwanken könne2. Entscheidender als diese Fragen ist in diesem Kontext die Tatsache der weitgehenden Äquipotenz von schriftlichem und mündlichem Sprachmodus. Das heisst: Alles, was sprachlich gesagt werden kann, kann auch geschrieben werden, alles was geschrieben werden kann, kann auch mündlich ausgedrückt werden: «The relation between speech and writing, we shall say then, is essentially translatability» (Haas 1983: 19)3. Diese Übersetzbarkeit ist - ähnlich wie die Übersetzbarkeit, die zwischen Sprachen besteht - in alphabetischen Schriften gewährleistet durch Regeln, die keineswegs eine eineindeutige Entsprechung zwischen Einzelelementen auf beiden Seiten voraussetzen, also auch keine direkten Abhängigkeiten. Wie ein Wort zu schreiben bzw. zu lesen ist, entscheidet sich nicht allein aufgrund der vorhandenen Laute bzw. Buchstaben, sondern in einem weiteren 1
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Steinberg/Harper (1983: 333) nehmen hingegen an, dass die Komplexität der Schreibung eine relativ geringe Rolle spielt; Ong (1982) schreibt diesem Faktor eine grössere Bedeutung zu; vor allem im Hinblick auf nichtalphabetische Schriften wie das Chinesische. Vgl. dazu Coulmas 1983. Vgl. die kurzen Hinweise in II. 1/1; Bohn 1986: 33. Dies bedeutet nun nicht, dass alles, so wie es gesagt wird, geschrieben wird o.ä., sondern nur, dass kein sprachliches Element und keine sprachliche Konstruktion nur in einem Bereich, nicht aber im anderen ausdrückbar ist. Auch so etwas wie das französische pass£ simple, das in gesprochener Sprache 'nicht vorkommt', ist natürlich mündlich ausdrückbar. Ein interessantes Randphänomen bilden entlegene wissen·
Π.2 Schriftlichkeit, Schriftsprache, Text
233
Kontext, der die Nachbarlaute bzw. -buchstaben, das Morphem, das ganze Wort und eventuell sogar einen weiteren Kontext umfassen kann1. Vachek bezeichnet genau in diesem Sinne Orthographie und Orthoepie als zwei Brücken, welche die zwei Bereiche miteinander verbinden (1964: 115f.). Die grosse Leistung der Schrift ist, dass sie die Sprache in visueller und beständiger Form zu realisieren erlaubt. Daran sind einige wesentliche Aspekte herauszuheben, auf die zum Teil schon eingegangen wurde; sie sollen hier kurz zusammengefasst werden: a. Prozess und Produkt
Mündliche Äusserungen sind wesentlich flüchtig; sie «zeichnen sich dadurch aus, dass die Äusserung selbst noch zum Vorgang des Sprechens zu rechnen ist» (Ludwig 1983a: 9; Ong 1982). Eine gewisse Loslösung der mündlichen Äusserung von der Situation ihrer Produktion - und damit Dauerhaftigkeit - ergibt sich nur, wenn eine Äusserung (eine Geschichte, eine Formel, eine Redensart, eine Beschwörung) memoriert wird und dann je nach Bedarf und Notwendigkeit verlautbart werden kann2. Schriftliche Äusserungen sind dadurch ausgezeichnet, dass sie vom Moment und von der Situation ihrer Produktion ablösbar sind, aufbewahrt und transportiert werden können. Sie erlauben es prinzipiell3, den Akt der Inskription zeitlich und örtlich vom rezipierenden Gebrauch des so Geäusserten zu trennen. Die Aufgabe, Mitteilung zustande zu bringen (oder allgemeiner: eine Funktion zu erfüllen, die über Lern- und Prozessfunktionen des Schreibaktes hinausgeht), wird durch das Produkt übernommen. Dieses ist kein Spiegel des Inskriptionsprozesses; aus ihm wird die ins Produzieren eingegangene Arbeit nur sehr unvollkommen sichtbar. Erst in neuerer Zeit ist es möglich geworden, Sprechäusserungen auf ähnliche Weise auf Dauer zu stellen in Ton- oder Videoaufzeichnungen. Auch diese sind fixiert, das heisst festgelegt, auf Permanenz gestellt und wiederholbar. Allerdings ist das Verhältnis dieser Aufzeichnung zum ursprünglichen Akt ein anderes: Das Abspielen erlaubt die Repetition der akustisch (eventuell auch visuell) wahrnehmbaren Aspekte der originalen Hervor-
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schaftliche Ausdrücke, die meist nur schriftlich verwendet werden und bei denen Unklarheit über die 'richtige Aussprache* bestehen kann. «It is, of course, important to realize that [... ] phonographic irregularity serves a purpose: it ensures regular representation on a higher level. By writing courage and courage-ous, we provide recurrent representation for a recurrent morpheme, and this precisely by disregarding the phonological difference.» (Haas 1983: 28 (Aran. 8)) Vgl. Ehlich 1983a, Assmann/Assmann 1983. In oralen Kulturen können solche Texte nicht an einem unveränderlichen, schriftlich gefassten Urbild gemessen werden; das Verhältnis solchen oral tradierten, textuellen Wissens zur Wörtlichkeit diskutiert ausfuhrlich Ong 1982. Vgl. 3.2. Nimmt man die Formen des Schreibens mit dem Finger aufs Pult, mit bengalischen Hölzern in die Dunkelheit usw. aus.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
bringung, nicht einen Überblick über ein dadurch entstandenes und davon abgelöstes Produkt1. b. Objektivierung In Schriftäusserungen wird Sprache nicht nur externalisiert wie in jeder Äusserung, sondern auch objektiviert. Das schriftliche Produkt sprengt den Rahmen der Produktionssituation, es bleibt als Objekt aber auch übrig, wenn es seine Funktion erfüllt hat: Es wird durch die Rezeption, für die es bestimmt ist, nicht aufgezehrt, sondern bleibt widerständig darüber hinaus bestehen. Dies hat zwei Konsequenzen: 1. Schrift legt die Basis für eine Überlieferung, die reicher, zeitüberdauernder und 'genauer'2 ist, als dies die orale Tradition erlaubt, indem sie Zeugnisse aus den verschiedenen Zeiten in mehr oder weniger ursprünglicher Form zu erhalten und verfügbar zu halten erlaubt. Die schriftliche Tradition lässt damit zwei Aspekte gleichzeitig entstehen, welche sich an mündlicher Tradition wohl kaum in dieser Form entfalten können: Sie stellt gleichzeitig einen offenen Fundus und eine historische Linie dar. Die Texte der Tradition lassen sich unabhängig von den in sie eingeschriebenen Intentionen und Funktionen als Zeitzeugen befragen: Briefe werden zu historischen Dokumenten, Zaubersprüche zu Objekten ethnologischer Forschung, literarische Werke zur Fundgrube für Linguisten. Gleichzeitig bilden die Texte eine historische Linie - sie sind mehr oder weniger genau datierbar und erlauben dadurch, dass sie gleichzeitig fassbar sind, der Überlieferung als Überlieferung habhaft zu werden, das heisst sie auf ihre innere Struktur wie auch auf ihr Verhältnis zur eigenen Gegenwart der Betrachter hin zu untersuchen. 2. Das Vorhandensein von Schrift und schriftlicher Tradition beeinflusst die Sprache selbst (Giesecke 1979, Feldbusch 1985). c. DiskretheitlSegmentation Die Schrift macht die Sprache wahrnehmbar als Objekt, unabhängig von situativen Verflechtungen und unabhängig vom Äusserungsakt. In der Schrift begegnet die Sprache ausserhalb der eingelebten Formen ihrer täglichen Verwendung als eigenständige Struktur. Schrift macht die Gegliedertheit der Sprache deutlich, und damit, will man Humboldt folgen, das Wesen der Sprache selbst. Darauf und auf den Zusammenhang von Schreibenlernen und Sprachbewusstheit wurde schon aufmerksam gemacht (vgl. auch Klein 1985: 12; Ludwig 1983c: 38). Man könnte vielleicht sagen, dass die Schrift aus dem vielschichtigen Insgesamt des Sprechereignisses das 'eigentlich Sprachliche' herausanalysiert - zumindest jenes, was Schriftkundigen zuerst und am deutlichsten als natürliche Bestandteile und 1
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Um akustische oder Videoaufzeichnungen analysieren zu können, werden sie deshalb in empirischen Untersuchungen meist verschilftet bzw. in speziellen Notationen kodiert. Gemeint ist hier die Wörtlichkeit der Überlieferung. Erst die Schrift macht den Urtext möglich, die authentische Version, die Textkritik usw.
II.2 Schriftlichkeit, Schriftsprache, Text
235
Eigenschaften von Sprache erscheint. Dass es keineswegs selbstverständlich ist, solche Eigenschaften wahrnehmen und unterscheiden zu können, zeigt die Erfahrung mit Kindern (Read 1983: 144ff.), aber auch mit Erwachsenen, welche mit anderen Schriftsystemen aufgewachsen sind. To one, who is used to an alphabetic system of writing, it seems to be the simplest thing to talk about the sound 'e', the sound Τ (el), the sound 'b' (bi), or even the sound 'w' (dublju:). But to one used to a logographic system like the Chinese or a syllabic system of writing like the Japanese, the nature of sound segments in the forms of consonants and vowels is not at all obvious and even seems highly abstract. (Y.R. Chao, zitiert nach Ludwig 1983c: 41.)
d. Abstraktheit Im Zusammenhang mit dem eben Besprochenen wird häufig von der Abstraktheit verschrifteter Sprache gesprochen, im Gegensatz zur Konkretheit der gesprochenen1. Hier ist zu differenzieren. Man kann etwa argumentieren, dass Buchstaben abstrakter sind als Laute, denn sie fungieren als Zeichen für Laute (vgl. Ludwig 1983c: 27; Holenstein 1983: 48). Dies setzt allerdings voraus, dass es die primäre Funktion der Schrift sei, Laute abzubilden, was, wie bereits erwähnt, zumindest umstritten ist. Holenstein selbst weist darauf hin, dass etwa in der orthographischen Unterscheidung gleichlautender Wörter (Mohr/Moor, Waise/ Weise) die Buchstaben bedeutungsdiskriminierende Funktion haben, genau jene Funktion also, die normalerweise den Lauten zugesprochen wird. In diesen - und in vielen anderen Fällen - determinieren sie nicht einfach einen Laut. In dieselbe Richtung weisen Untersuchungen an Aphasikern: Das Schriftbild bietet, zumindest geübten Lesern, einen direkten Zugang zur Bedeutung, der auch dann noch offen steht, wenn die Bedeutungserkennung über den akustischen Kanal gestört ist (Allport/Funnel 1981). In einem zweiten Sinn lässt sich von der Abstraktheit schriftlich erfasster Sprache etwa in bezug auf den Wegfall prosodischer Merkmale sprechen. Diese werden in der Schreibung in vielen Sprachen durch Wortakzente, auf Satzebene durch Zeichensetzung meist nur notdürftig wettgemacht. Hier ist tatsächlich von einer gewissen Abstraktheit verschrifteter Sprache zu sprechen. Dem müsste jedoch auch der Gewinn gegenübergestellt werden, der sich in der Verschriftung ergibt: klare Segmentation, stabiles Schriftbild (gegenüber den vielfachen Variationen im Sprechen) usw. Das allermeiste, was in der Verschriftung verlorengeht, sind jedoch nicht Merkmale der Sprache, sondern des Sprechens: Die in der Stimme mitvermittelten Informationen über die Einstellung des Sprechers zum Gesagten, seine Stimmung und seine Haltung dem Angesprochenen gegenüber sind keine sprachlichen. Schriftliches erscheint hier abstrakter, nicht weil es Sprache weniger effizient übermittelte, sondern weil es viel weniger ge-
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So sprechen Coulmas/Ehlich von Sprache «that has been reduced to writing.» (Coulmas/Ehlich (Hg.)1983: 1)
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
eignet erscheint für den Transport paraverbaler Signale und tendenziell nur Sprache übermittelt1. In einem dritten Sinn kann Schriftliches als abstrakt bezeichnet werden, weil die schriftliche Mitteilung in mancher Beziehung abstraktere kognitive Operationen erfordert als die mündliche: As a much more analytic and abstract system than spoken language it [sc.: written language] is conducive to the development of a different order of cognitive operations. (Martlew 1983b: 259)
'Abstrakter' sind in schriftlicher Kommunikation oft die mitgeteilten Konzepte - es wird z.B. weniger übers Hier und Jetzt geschrieben als gesprochen. Ob die dabei benutzte Sprache insgesamt als abstrakter bezeichnet werden kann, ist fraglich. Der Zwang, etwa Einstellungen, Gefühle usw. zu verbalisieren, Gemeintes zu detaillieren und Zusammenhänge zu benennen, führt eher zu einer ausgefüllteren sprachlichen Erfassung des Mitzuteilenden. Es wird auch von einem Zwang zur sprachlichen Explizierung gesprochen (Olson/Hildyard). Unzweifelhaft ist, dass diese Arbeit, die eigentlich als eine der sprachlichen Konkretisierung zu bezeichnen ist, komplexere Sprachkenntnisse und Produktionsprozesse und abstraktere, das heisst analytischere Fähigkeiten im Umgang mit den mitzuteilenden Gegenständen wie mit der Mitteilung selber erfordert. In diesem Sinne sprechen Havranek (1969:30) und Scinto (1986: 96ff.) von der Intellektualisierung, welche schriftliche Kommunikation erfordere bzw. fördere2. Zusammenfassend kann vielleicht gesagt werden, dass im Hinblick auf verschriftete Sprache durchaus von Abstraktheit gesprochen werden kann, dass damit aber ganz unterschiedliche Phänomene bezeichnet werden.
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Schriftlicher Sprachgebrauch: Die pragmatischen Dimensionen
Thema dieses Abschnitts sind die wesentlichen Einflussgrössen, welche den kommunikativen schriftlichen Sprachgebrauch bestimmen: die spezifischen Bedingungen der Situation, Textualität und Schriftsprachlichkeit. Diese sind zwar unabhängig voneinander, im schriftlich konstituierten Text aber eng aufeinander bezogen. Die Verhältnisse im mündlichen Bereich werden im folgenden nicht systematisch ausgeführt, sondern kontrastierend erwähnt, wo dies interessant erscheint. Die drei hier so genannten pragmatischen Faktoren kommen in schriftlicher Kommunikation zur Geltung auf der Grundlage der Schriftlichkeit, wie sie im letzten Abschnitt diskutiert wurde. Jeder von ihnen ist allerdings weitgehend unabhängig von der Dichotomie mündlich/schriftlich. Texte 1 2
«Whatever criterion is applied, there is no question that written language [...] is complete language.» (Steinberg/Harper 1983: 352) In ähnlicher Absicht betont etwa Wilkinson (1983: 59) die Notwendigkeit, im Schreiben Emotion durch stilistische Mittel auszudrücken statt durch die Stimme - eine sprachliche Leistung, die viele Kinder im Schreiben erst zu erbringen lernen müssen.
Π.2 Schriftlichkeit. Schriftsprache, Text
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spielen auch im Mündlichen eine Rolle, genauso wie Nicht-Texte im Schriftlichen gängig sind1. Geschriebene Sprache ist (in weitem Masse) Produkt des Schriftverkehrs in einer Gesellschaft, gesprochene des mündlichen Verkehrs. Die Begriffe bezeichnen jedoch nicht die Modalitäten der Darbietung, sondern typische Gebrauchsweisen von Elementen und Strukturen des Sprachsystems. Obwohl diese Gebrauchsweisen im mündlichem oder schriftlichem Gebrauch prototypisch ausgebildet sind und mit einer gewissen Regelmässigkeit dort verwendet werden, bilden sie einen Fundus an Sprachmitteln, der unabhängig eingesetzt werden kann. Geschriebene Sprache ist nicht eingeschränkt auf den schriftlichen Bereich: In Predigten, Radionachrichten, im gewählten Ausdruck usw. wird weithin geschriebene Sprache verwendet, wie andererseits schriftlich konstituierte Texte sich der Elemente und Strukturen gesprochener Sprache bedienen können und dies häufig auch tun. Die Termini 'gesprochene* bzw. 'geschriebene Sprache', die eine enge Bindung an Sprachmodalitäten suggerieren, können deshalb Anlass zu gewisser Verwirrung geben; da sie jedoch eingeführt sind, werden sie hier weiterverwendet. Weitgehend parallel zur Dichotomie mündlich/schriftlich verläuft nur die zwischen zeitgleicher und zeitverschobener Kommunikationssituation allerdings sind auch hier vielleicht nicht unwichtige Abweichungen zu verzeichnen. Die Möglichkeit zeitgleichen oder nahezu zeitgleichen Produzierens und Rezipierens ist auch in schriftlicher Kommunikation gegeben, wenngleich es sich hier mehrheitlich um Randphänomene handelt etwa die Herstellung von Spickzetteln oder privaten Mitteilungen in der Schule. In Hilfsfunktion - in Tafelanschriften usw. ist eingelegt in eine mündlich ablaufende Kommunikation - solch zeitgleiches (wenngleich nicht textuelles) Schreiben und Lesen üblich. Die zunehmende Vernetzung von Computern lässt es als denkbar erscheinen, dass schriftliche Dialoge von Bildschirm zu Bildschirm zumindest für einige Leute ebenso alltäglich werden wie die telefonische Kommunikation. Andererseits macht die Verbreitung von Tonband- und Videogeräten das problemlose Festhalten und den Vertrieb mündlicher Äusserungen möglich und damit die Ungleichzeitigkeit von Produktion und Rezeption auch in diesem Bereich. Solche Mitteilungen werden sich in vielem den gängigen Briefformen anpassen, auch eigene Formen entwickeln; jedenfalls machen sie im mündlichen Bereich jenen Bruch möglich und gangbar, der bis vor kurzen Privileg der schriftlichen Aufzeichnung war, wollte man sich nicht eines Boten bedienen, der eine Mitteilung auswendig lernte. Welche Konsequenzen solche (noch kaum als Modelle wirksame) Möglichkeiten für die Formen sprachlicher Kommunikation haben, ist im Moment nicht abzusehen. Vorauszuschicken bleibt, dass im folgenden immer von der Standardsprache die Rede ist. Dies ist zweifellos, gerade im Hinblick aufs Deutsche, eine gewaltige Vereinfachung - mündlich realisierte Sprache ist in den meisten Gebieten des deutschen Sprachraums eher eine regionale, meist 1
Etwa Telefon-, Wörterbücher, grosse Teile der Werbung, die Sprache in Comics usw.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
dialektal gefärbte Umgangssprache, nicht Standardsprache. Auf die sich hier ergebenden Komplikationen kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden1. Diese Auslassung scheint jedoch nicht allzu gravierend, da es hier vorab um die Verhältnisse im schriftlichen Bereich geht. In dieser Diskussion ist zudem, wie schon gesagt, fast ausschliesslich von kommunikativem Sprachgebrauch die Rede - andere Formen sind wenig untersucht worden; vielfach finden sie sich auch in normativ wenig strukturierten Räumen2.
3.1
Die Situation zeitverschobener Kommunikation
Werden die eben angesprochenen Randphänomene sowohl im mündlichen wie im schriftlichen Bereich ausser acht gelassen, so sind Schreibsituationen gegenüber Sprechsituationen durch ein zentrales Merkmal geprägt: In schriftlicher Kommunikation 'zerbricht' der direkte Kontakt, womit der Unterschied zwischen mündlich und schriftlich auf der Ebene der Kommunikationsfaktoren grundsätzlich und kategorial bestimmt ist durch die Nicht-Simultaneität von Produktion und Rezeption; die Kommunikation ist 'zeitversetzt'. (Augst/Faigel 1986: δ)3
Dieser Sachverhalt bringt eine Reihe von Faktoren zur Wirksamkeit, welche sowohl den Äusserungsvorgang als auch die sprachliche Gestalt des Produkts betreffen. Klein bringt sie auf vier Punkte: Den beiden Modalitäten der Sprachverwendung entsprechen verschiedene Medien, verschiedene Grade der Situationsgebundenheit der Äusserung, das Auseinanderfallen von Produktion und Produkt sowie verschiedene Grade der Normierung der Sprachmittel und Aussageweisen. Der Rückgriff auf solche allgemeine Verhältnisse erlaubt es, die Vielzahl der beobachtbaren Unterschiede in der Ausgestaltung von mündlichen und schriftlichen Äusserungen zumindest teilweise auf grundlegende Mechanismen und Bedingungen der Produktionssituation zurückzuführen. Mündliche und schriftliche Kommunikation sind keine in sich einheitlichen Phänomene. Es ist daher wenig sinnvoll, sie anhand einzelner struktureller Eigenschaften zu charakterisieren. Die Eigenschaften, die sie in der Tat unterscheiden, sind allgemeiner Natur. So folgen die speziellen syntaktischen Meikmale vieler Fälle mündli1 2
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Vgl. Havranek 1969, Nerius 1985, Ludwig 1983a. Es wäre interessant zu wissen, ob und wie weit in Tagebüchern, in (ausformulierten) Notizen für den Eigengebrauch usw. die Normen des (öffentlichen) kommunikativen Schriftverkehrs mit seinen hohen Anforderungen an textuelle, stilistische und orthographische Korrektheit eingehalten werden. Es ist wahrscheinlich, dass orthographische Korrektheit, soweit sie mühelos erbracht werden kann, vorherrscht, dass die anderen Ebenen in vielerlei Hinsicht von offiziellen Normen und Vorbildern geprägt, aber nicht ihnen gemäss durchgestaltet werden. Wahrscheinlich ist 'zerbrechen' das falsche Wort Es suggeriert eine Gewaltsamkeit, die so nicht gegeben ist. Vielmehr erlaubt die Schrift, Kommunikation auch dort aufrechzuerhalten, wo der direkte Kontakt bereits zerbrochen ist. Sie erweitert den Kommunikationsraum; sie erlaubt auch Formen des Ausdrucks, die nicht direkt die Formen mündlicher Kommunikation weiterführen, sondern diese transformieren und in völlig neue Gestalt bringen (etwa den Essay, Prosaliteratur usw.).
Π.2 Schriftlichkeit, Schriftsprache, Text
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eher Kommunikation - etwa Anakoluthe, Ellipsen, Satzverschränkungen, Wiederholungen - aus der geringen Planungszeit, der Möglichkeit des 'feedback' in der Situation, dem Vorhandensein paraveibaler Mittel. Je nach Ausprägung dieser Faktoren ergeben sich strukturelle Unterschiede in der tatsächlichen Form der Kommunikation. (Klein 1985: 26)
Auf die von Klein genannten Grössen und ihren Einfluss auf geschriebene Sprache bzw. Textualität soll kurz der Reihe nach eingegangen werden. a. Medium
Klein stellt sich die Frage, ob der Sachverhalt der Verschriftung als solcher Einfluss auf die geschriebene Sprache hat, unabhängig von den übrigen Situationellen und prozessualen Differenzen. Er stellt hier den Wegfall der Prosodie, also des Paraverbalen, in den Vordergrund, welches im mündlichen Verkehr als gewichtige Verstehenshilfe fungiert. Ihr Fehlen mag es nötig machen, verbale Mittel einzusetzen, um die verlorene Strukturierung wettzumachen. Folgen kann dies haben für die Wortstellung (die syntaktischen Verhältnisse müssen aus den verbalen Hinweisen allein klar werden), den Gebrauch klärender Partikel, Differenzierung im Wortschatz (oft sind im Schriftlichen genauere Bezeichnungen vonnöten als im Mündlichen). Die Wirksamkeit dieses Faktors ist schwer abzuschätzen, weil, wie Klein anmerkt, durchaus nicht alles kompensiert zu werden braucht, was wegfällt. Sprachgebrauch, vor allem mündlicher, ist durch Redundanzen geprägt - bestimmte Wortstellungen und prosodische Figuren z.B. gehören so eng zusammen, dass das zweite aus dem ersten allein schon ableitbar ist. Zudem haben Schriftäusserungen teilweise andere kommunikative Funktionen zu erfüllen als Sprechäusserungen und sind gar nicht an Verhältnissen gesprochener Sprache zu messen: Man kann hier kaum vom Wegfall von Prosodie sprechen. Insgesamt kann dieser Faktor nach Klein zu statistischen Verschiebungen, unter Umständen zu «zu einer erheblichen Reorganisation des zugrunde liegenden sprachlichen Systems führen» (Klein 1985:18)1. b. Situationsgebundenheit
Das Zusammenspiel von Äusserung und Kontext ist in schriftlicher Kommunikation völlig anders als in mündlicher: Es fehlt die gemeinsame Situation von Sprecher und Hörer, und es fehlt die Möglichkeit der Rückfrage, des Einwurfs und der darauf antwortenden Ausführung usw. Damit ist geteilte Verantwortung fürs Thema und gegenseitige Verständigung 1
Wichtig ist der Aspekt des Mediums in ganz anderem Sinne für unerfahrene Schreiber: «For children as young asfirst-graders,one assumes that the solitude of writing, the physical scribal activity, and the lack of automaticity in spelling and other low-level decisions combine to intensify the difficulty of creating a written text. By comparison, in dictating to a scribe a youngster faces only the creative requirements of composing discourse.» (Matsuhashi/Quinn 1984: 310) - Beieiter/Scardamalia (1987: 97ff.) machen zusätzlich darauf aufmerksam, dass allzu langsames Ablaufen der Verschriftung zum Verlust von Gedanken aus dem Kurzzeitgedächtnis und zu Kohärenzproblemen fuhren kann.
240
Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schieibens
nicht möglich. Der Schreibende ist auf sich gestellt. Klein illustriert den Unterschied an einem Vergleich zwischen einem Leitartikel und einem Gespräch beim Mittagessen, beeilt sich jedoch hinzuzufügen, dass diese Darstellung cum grano salis zu nehmen sei: Der Grad der Beziehung auf ein geteiltes Vorwissen und als bekannt unterstellte Kontexte (und damit zusammenhängend der notwendige Grad an Explizitheit) kann sowohl in mündlicher wie in schriftlicher Kommunikation in weiten Grenzen variieren, abhängig von den Funktionen der Mitteilung; er wird jedoch in schriftlicher Kommunikation kaum je derart lose gehandhabt werden können wie in vielen Formen der mündlichen. Im übrigen sind auch die Strategien der Verständnissicherung und die Techniken der Gesprächsführung im mündlichen Verkehr alles andere als einfach; sie werden jedoch als natürlich empfunden, während die Verfahren der Textbildung meist als anspruchsvoll und schwer beherrschbar gelten. c.
Verarbeitungszeit
Mündliche Äusserungen sind global meist nur wenig vorgeplant und zeigen auch auf lokaler Ebene die Spuren des Zeitdrucks, der das Mündliche prägt: Wiederholungen, Satzabbrüche, Suchen nach Wörtern, Fehler usw. Einiges davon lässt sich allerdings auch als Folge des im Mündlichen möglichen Sprechens in Andeutungen, als Aufwandersparnis also, deuten. Schreiben geschieht zwangsläufig langsamer als Sprechen; dies eröffnet die Möglichkeit, ein besser geplantes und gestaltetes Produkt zu schaffen. Meist hat der Schreibende, da er auf sich selbst gestellt ist, mehr Zeit. Dies ermöglicht ausgreifendere Planung, intensivere sprachliche Verarbeitung des Mitzuteilenden und nachträgliche Überarbeitung, um das Produkt auf ein angemessen scheinendes Niveau zu bringen. In all diesen Aktivitäten ist der Möglichkeit nach ein sorgfältigerer und bewussterer Umgang mit Sprache und ein gezielterer Einsatz sprachlicher Mittel möglich. Das schriftliche Produkt zeichnet sich entsprechend durch meist grössere strukturelle Geschlossenheit und Informationsdichte aus. Zusätzlich lässt sich das schriftliche Produkt von den Zufällen der Produktion reinigen. Dem geglätteten Text fehlen (weitgehend) Attribute, die der mündlichen Sprachproduktion fast notwendig zukommen (Wiederholungen, Fehlstarts, Abbrüche usw.). Dass sie mit relativ grosser Konsequenz zum Verschwinden gebracht werden (wo nicht stilistische Intentionen im Spiel sind), ist Ausweis für das deutliche Bewusstsein, dass diese Dinge nicht zum zu Sagenden gehören, sondern zum Sagen, und dass die Bedingungen schriftlicher Kommunikation ihre Tilgung zugunsten klarer Mitteilung erfordern. d. Normierung
Schriftverkehr und schriftliche Dokumente sind der Tendenz nach öffentlich, wichtig und dauerhaft. Zudem spielen räumliche Distanzen eine geringe Rolle: Schriftverkehr überschreitet, anders als mündlicher (in den Zeiten vor der Erfindung des Telefons und der Massenmedien), die Grenzen der engeren geographischen Region. Dies alles führt zu einem Normierungsdruck. Dieser betrifft zum einen die Ansprüche an orthographische
Π.2 Schriftlichkeit, Schriftsprache, Text
241
und syntaktische Korrektheit schriftlicher Äusserungen, zum anderen die im Schriftverkehr zugelassenen und erwarteten Sprachmittel, Textsorten, Darstellungsmuster usw. Diese Normierungen - welches auch immer die Faktoren sein mögen, die ihre jeweilige Gestaltung mitbestimmen konstituieren und stabilisieren ein Kommunikationsinstrument, das raumübergreifend eine maximale kommunikative Reichweite erreicht und zumindest in neuerer Zeit eine sehr grosse Zahl von Sprachteilnehmern miteinander verbindet. Ihre Produkte sind die Schriftsprache und eine Norm der Textherstellung, die beide als die massgeblichen eingeschätzt und gefördert werden, die gesprochene Sprache und die mündlichen Sprachgebrauchsweisen beeinflussen und aufgrund ihrer Festgelegtheit Sprachwandel (nicht so sehr im lexikalischen, aber im strukturellen Bereich) stark verlangsamen oder verunmöglichen1. Kleins Analyse stellt Aspekte heraus, die immer wieder thematisiert werden. Augst/Faigel ziehen aus ihrer ähnlich gerichteten Analyse der Schreibsituation verschiedene Schlüsse, welche in diesem Zusammenhang Erwähnung verdienen. Danach bewirkt schriftliche Kommunikation nicht nur die Überwindung von Raum und Zeit, wobei gerade das letztere ihren eigentlichen Ursprung am ehesten bezeichnet, sondern auch eine verlagerte emotionale Beziehung zwischen Schreiberund Leser. (Augst/Faigel 1986: 7)
Dieser - der Leser - ist ja nicht präsent, nicht direkt ansprechbar; das Hauptgewicht der Mitteilung verlagert sich auf die mitzuteilende Sache. Zugleich muss diese eigenständig zur Darstellung gebracht werden, «der Produktionsvorgang wird bewusst, Sprache wird erst hier eigentlich zum voll erlebten Werkzeug» (ebda.: 9). Schreiben von Texten setzt daher voraus und fördert vielleicht auch die Entwicklung analytischer Fähigkeiten (ebda.: 167ff.), das heisst der Möglichkeit, die eigenen Äusserungen wahrzunehmen und mit ihnen zu arbeiten. Chafe (1982, 1985) weist auf Aspekte desselben Sachverhalts hin, wenn er die Einstellung von Schreibenden als distanziert bezeichnet (im Gegensatz zur Involviertheit im Sprechen)2 und den typischen Schreibstil integriert nennt (im Gegensatz zum fragmentierten Sprechstil)3. Schreiben erfordert zudem, wie Rubin feststellt, eine entschiedenere Zielgerichtetheit als Sprechen; es beruht auf der Fähigkeit, Vorsätze über längere Zeit hinweg zu verfolgen und für ihre Realisation zu arbeiten (Rubin 1980: 426).
1 2
3
Zum Verhältnis von Sprechsprache und Schriftsprache Ehlich 1989; Gutenberg 1989. Vgl. auch die Ausführungen in Ludwig 1983a,c; Augst/Faigel Kap. 1; Rubin 1980. Die distanziertere Einstellung des Schreibenden zeigt sich laut Chafe etwa in folgendem: Er verwendet weniger ich-bezogene Ausdrücke (zeigt weniger direkte Involviertheit), dafür eine abwägende, prüfende Einstellung, die sich im dichten Gebrauch von evaluativen, auf den Wahrheitswert des Gesagten bezogenen Ausdrücken kundtut (etwa 'maybe', 'undoubtedly', 'normally', 'primarily' usw.) «Integration refers to the packing of more information into an idea unit than the rapid pace of spoken language would normally allow.» (Chafe 1982: 39)
242
Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
Während sich vor diesem Hintergrund für die schriftliche Kommunikation die durchgängige Wirksamkeit einer Konstellation von Faktoren feststellen lässt (die natürlich überlagert wird durch eine Vielzahl weiterer, die im jeweiligen Einzelfall zur Geltung kommen), gilt dies auf der anderen Seite nicht für den mündlichen Sprachgebrauch. Dieser ist bei weitem nicht in jedem Fall das pure Gegenbild des schriftlichen; vielmehr erscheint er vielfach gegliedert. Die Abweichungen von der typischen Schreibsituation sind gradierbar. Ein Vorschlag, der dies auf einfache Weise sichtbar macht, stammt von Äugst. Er unterscheidet zwischen empraktischem und nicht-empraktischem Sprachhandeln, monologischem und dialogischem Sprachgebrauch sowie Gleichzeitigkeit bzw. Ungleichzeitigkeit von Produktion und Rezeption. Nicht-empraktischer Sprachgebrauch muss seine Gehalte semantisieren, monologischer die Mitteilung kohärent gestalten und zeitversetzter schliesslich das Produkt schriftlich fixieren. In ein Schema gebracht: Kommunikations- Verhältnis zur form Situation empraktische K. z.B. Unterhaltung z.B. Vortrag schriftliche K.
situationsgebunden situationsdifferent situationsdifferent situationsdifferent
Anteil an der Kommunikation dialogisch dialogisch monologisch monologisch
Kommunikationszeit
simultan simultan simultan zeitversetzt (nach Äugst 1984:441,449)
Im Hinblick auf die weiteren Ausführungen sind hier zwei Bemerkungen angebracht. 1. Eine Differenzierung ist hier vor allem in bezug auf Angaben in der letzten Spalte nötig. 'Simultan' bezieht sich auf zwei verschiedene Dinge. In den ersten zwei Zeilen bezeichnet es das Zusammenfallen von Produktion und Rezeption, in der dritten nur das von Vortragen (Verlautbarung) und Rezeption. Vorzutragendes wird meist (mehr oder weniger intensiv, oft wörtlich) vorbereitet; als bereits in hohem Masse vorgängig Festgelegtes wird es zeitversetzt zur Geltung gebracht. Der Extremfall eines bis ins letzte vorbereiteten Vortrags ist von schriftlicher Kommunikation nurmehr dadurch unterschieden, dass die Veröffentlichung mündlich erfolgt1. (Im Gegenzug kann Schreiben in einem einzigen, relativ schnellen und nicht vorgeplanten Akt erfolgen, ohne nachfolgende Überarbeitung. Vgl. Hausenblas 1962: 43.) 2. Die Unterscheidung zwischen situationsgebundenen und situationsdifferenten Formen des Miteinander-Sprechens ist nach Äugst eine kategoriale (Äugst 1984: 442); er begründet sie damit, dass im ersten Fall unmittelbar von der Ich-hier-jetzt-Origo der Sprechenden ausgegangen werden kann, während im zweiten eine «Deixis am Phantasma» notwendig wird, also der sprachliche Bezug auf allein sprachlich konstituierte Gesprächsgegen1
Es kommt sogar vor, dass Referenten sich vertreten lassen - Produktion und Vortrag werden dann nicht mehr durch dieselben Personen getragen.
Π.2 Schriftlichkeit, Schriftsprache, Text
243
stände1. Allerdings dürfte es schwierig sein, diese Trennung in der Analyse von Gesprächen wirklich durchzuführen, gehen doch oft in einfache Handlungsanweisungen Beschreibungen ein, die das Ich-hier-jetzt-Koordinatennetz des unmittelbar Gegebenen sprengen, wie auch andererseits in Gesprächen über allein sprachlich Repräsentiertes die Sprechsituation selbst ihre deutlichen Spuren hinterlässt. Vom empraktisch gebundenen Sprechen, in dem etwa auf die Nennung von Redegegenständen zugunsten von Deiktika verzichtet werden kann und allein Prädikationen nötig sind2 oder die Nennung von Gegenständen zugleich eine Aufforderung beinhalten kann3, scheint eine eher kontinuierliche Linie zu laufen zu den verschieden elaborierten Formen des Gesprächs, in denen zunehmend Gegenstände, Beziehungen, Voraussetzungen, Einstellungen usw. semantisiert und damit sprachlich verfügbar und besprechbar gemacht werden. 3.2
Texthaftigkeit
a. Zur Definition von Text
Die bisherige Darstellung hat immer vorausgesetzt, dass textuelle von nicht-textuellen Schriftäusserungen unterscheidbar sind; oben wurde auch gesagt, dass Texte nicht nur im schriftlichen Bereich vorkommen. Während diese Aussagen wohl problemlos nachzuvollziehen sind, erweist es sich als recht schwierig, eine haltbare Charakterisierung von 'Text' zu geben. Ehlich (1983a) kommentiert drei Textdefinitionen: Eine eingeschränkte, welche den Begriff auf literarische Texte bezieht, eine strukturell-linguistische, welche sprachliche Grössen von Übersatzlänge als Text bezeichnet, und eine pragmalinguistische, welche alles Vorkommen von Sprache-in-Funktion, damit auch jeden noch so kurzen einzelnen Redebeitrag, als Text bezeichnet. Die erste und die dritte Definition können hier als unzureichend ausgeschlossen werden: Die eine ist zu speziell, die andere so allgemein, dass der in diesem Zusammenhang wichtige und intuitiv nachvollziehbare Unterschied zwischen texthaftem und nicht-texthaftem Sprachgebrauch aufgehoben ist. Die zweite Definition ist unzureichend darin, dass allein der Sachverhalt der Verknüpftheit thematisiert wird. Eine solche ist aber in fast beliebigen Textbruchstücken nachweisbar, auch in Unsinnstexten konstruierbar, welche normalerweise nicht als Texte gelten würden. Ein Versuch, die strukturellen wie die pragmatischen Gesichtspunkte geltend zu machen, liegt vor etwa in der von Brinker gegebenen Definition: 1 2
3
Die Begriffe stammen von Bühler (1934). Halliday gibt ein schönes Beispiel dafür (ohne genaue Quellenangabe): «Jean Ure quotes an amusing example from some Russian research on register: "The recording was of people frying potatoes, and frying potatoes was what they were talking about; but since, it seems, neither frying nor potatoes were represented lexically in the text, the recording was a mystification to all who had not been in the kitchen at the time."» (Halliday 1978: 33) Wie in Wittgensteins Sprachspiel, wo «Platte» etwa bedeutet: Bring mir eine Platte.
244
Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
'Text* bezeichnet eine Folge von sprachlichen Zeichen (hauptsächlich Sätzen), die in sich kohärent ist und die als Ganzes eine erkennbare kommunikative Funktion signalisiert. (Brinker 1988:6)1
Einen anderen Weg geht Ehlich, indem er einen völlig neuen Aspekt thematisiert. Er stellt Text in Zusammenhang mit der Flüchtigkeit des Schalls und dem dadurch gegebenen Problem der Überlieferung. Das Sprechen hat seinen Anlass und sein Ziel nicht immer allein in der jeweils vorliegenden Situation. Nicht alle sprachlichen Handlungen haben aber diese einfache empraktische Struktur. Vielmehr wird Sprache ja vielfältig auch anderweitig eingesetzt Ein zweiter, wesentlicher Schwerpunkt liegt bei der Wissensverarbeitung, -speicheiung, -weitergäbe, also im eher kognitiv-psychischen Bereich und den darauf bezogenen Prozessen. (Ehlich 1983a: 29)
Diese Wissensbestände sind nicht einfach der Interaktion enthoben: Sie sind bezogen auf Kooperation und gemeinschaftliche Praxis, sie spielen darin aber eine andere Rolle als empraktisches Sprechhandeln. Diese Wissensbestände sind darauf angelegt, wiederholt, in verschiedenen Situationen gebraucht und manchmal auch dazu, durch andere Personen weitergegeben zu werden. Die auf das Wissen bezogenen sprachlichen Handlungen und diejenigen Aspekte an sprachlichen Handlungen, die zu dieser Dimension gehören, lösen sich tendenziell aus der Bindung an die unmittelbare Empraxie und damit aus der unmittelbaren Bindung an die Sprechsituation als Teil grösserer Handlungseinheiten. (Ehlich 1983a: 29)
Neben dem Problem, wie Wissen aufgehoben und vermittelt werden kann, schafft die Vergänglichkeit des Schalls auch die höchst praktische Schwierigkeit, dass Mitteilungen nicht an Abwesende gerichtet werden können. Beides, die Überlieferung von Wissen und der Transport von Nachrichten über Distanzen, steht vor denselben zwei Hindernissen: Die Botschaft muss aufbewahrt werden können, und das gemeinsame Zeigfeld entfällt. Die notwendige Speicherung erfolgt im Gedächtnis, durch einen Boten oder, sofern diese Möglichkeit vorhanden ist, schriftlich. Die Form nun, in der dies geschieht, ist der Text. The evanescence of spoken language runs counter to any need for promulgation. However, while speech acts are bound to speech situations, language contains a potential that transcends the immediate speech situation [...]. The need for promulgation creates its own linguistic form, and the form in which the speech situation is transcended is the text. Thus, the release of language from the immediate speech si1
Unter 'Kohärenz* wird im folgenden der tiefenstrukturelle, thematische Zusammenhang zwischen den Aussagen eines Textes verstanden; 'Kohäsion' bezeichnet die oberflächenstrukturelle Signalisation dieses Zusammenhangs. So werden die Sätze, gesprochen etwa zu Beginn einer Party "Er kommt nicht. Er ist krank." als kohärent aufgefasst, obwohl der logische Nexus (Kausalität) nicht explizit gemacht wird. Wahrscheinlich sind es Schemata der Normalinterpretation von Sachverhalten, die eine Explikation hier als unnötig erscheinen lassen. Werden solche Schemata gebrochen, wird eine Klärung der Relationen dringlicher. Die Äusserung "Sie kommt. Sie ist krank." kann ohne klärendes 'obwohl' geradezu abweichend wirken. Zu Kohäsion und Kohärenz siehe Halliday/Hasan 1976.
Π.2 Schriftlichkeit, Schriftsprache, Text
245
tuation is an analytical stipulation for the process known as the production of texts [...]. Texts, then, are not tied to writing. Oral tradition makes texts out of speech acts, as do any acts of writing. (Ehlich 1983b: 100)
Texte sind - dies ist damit als ihr wesentliches Merkmal herausgestellt sprechsituationsüberdauernd. Das Resultat dieser Ablösung aus einer einzelnen Situation ist «die Vorfindlichkeit von Texten» (Ehlich 1983a: 32) Sie sind Sprachwerk, nicht Sprechhandlung; sie erscheinen als die sprachliche Form, in der relevante Erfahrung erfasst, aufbewahrt und mitgeteilt wird. Texte sind zwar nicht an die Schrift gebunden; diese erlaubt aber die Expansion der Textwelt über jedes in oralen Kulturen mögliche Mass hinaus. Dort ist der Bestand der Überlieferung nur durch die ununterbrochene Praxis des Überlieferns gesichert, damit aber auch vergleichsweise eng limitiert (Ehlich 1983a: 35)2. Einige Bemerkungen sind hier anzubringen: 1. Ehlichs Analyse hebt mit dem Merkmal der Vorfindbarkeit ein Moment heraus, das die Alltagsverwendung des Wortes 'Text' mitzubestimmen scheint. Primär werden nämlich schriftliche Texte als Texte anerkannt, weiterhin mündliche, welche der von Ehlich aufgewiesenen Struktur entsprechen: Radionachrichten, Ansprachen usw., prototypisch sind hier Witze, für die es keine Rolle spielt, ob sie gedruckt vorliegen oder allein mündlich überliefert werden. Nicht als Texte betrachtet werden dagegen Dialoge. Nur bedingt als Texte gelten spontan gehaltene Monologe, obwohl diese Äusserungsformen nach strukturellen und funktionalen Gesichtspunkten durchaus als solche anzusehen wären, vielleicht ebenfalls nach der kombinierten Definition Brinkers. 2. In Ehlichs Definition ist Wörtlichkeit der Überlieferung kein Kriterium für Text. Wörtlichkeit ist in oraler Tradition nur beschränkt, wenn überhaupt möglich; in der Verschriftung ist sie gewährleistet, solange das Original erhalten und lesbar bleibt. Wichtig ist dieser Punkt deshalb, weil wir auch Vorträge, längere Toasts, Tischreden usw. durchaus als Texte akzeptieren, obwohl diese in vielen Fällen wohl nicht zur Gänze vorbereitet sind. 1
2
Ehlich nennt zwei Formen der Ablösung aus der Situation. Einerseits ermöglichen Texte die Repetition von Sprachhandlungen, das heisst sie dienen der «sprechhandlungaufbewahrenden Überbrückimg zwischen zwei nichtidentischen unmittelbaren Sprechsituationen» (1983a: 32). Andererseits entstehen Texte dadurch, dass sie vorbereitet werden für einen späteren Einsatz; sie müssen dann memoriert werden. Unter den Bedingungen der Schriftlichkeit wird dies zweite zum vorherrschenden Modell, wobei die Schrift das Memorisieren erübrigt. Hier braucht weder die Produktionssituation noch die zweite, die Rezeptionssituation als vollausgebildete Sprechsituation zu fungieren; die Möglichkeit der externen Aufbewahrung der Botschaft macht es möglich, dass allein ein Dokument als Vermittler eintritt und die zwei Situationen veibindet (ebda.: 38). Vor allem Ehlich 1989 gibt einige Hinweise auf diese oralen Formen der Texttradition. Vgl. Assmann/Assmann 1983. Ausführlichere Darstellungen gibt etwa Ong 1982. Dieser weist auch darauf hin, wie gross in oralen Kulturen das Gewicht von Redeweisen, Sprichwörtern, formelhaften Kommentaren ist. Dies sind Minimaltexte, welche die Interpretation alltäglicher Ereignisse anleiten und sozial absichern.
246
Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
Vor dem Hintergrund von Ehlichs Beitrag liesse sich dies so interpretieren, dass das Gewicht der (inhaltlichen, strukturellen und teilweise auch sprachlichen) Vorbereitung entscheidend erscheint gegenüber der eher ephemeren, vor allem die Oberfläche der sprachlichen Realisierung betreffenden Anteile der während des Vortragens geleisteten Arbeit. Diese wird weitgehend als vermittelnd, nicht als produzierend eingeschätzt1. 3. Ehlichs Definition gibt keine vollständige Antwort auf die Frage nach der Abgrenzung von Text versus Nicht-Text. Man würde Telefon- und Wörterbücher kaum als Texte bezeichnen wollen, obwohl sie geschrieben und damit situationsabgelöst sind. Einen Anhaltspunkt für die hier zu treffende Unterscheidung liegt vielleicht im Begriff der Funktion: Der Prozess der Herauslösung und Überlieferung wird gesteuert durch kommunikative Zwecke. Solche sind letztlich aber auch den Telefonbuchmachern unterstellbar. Hier ist ein Rückgriff auf den oben angesprochenen Textbegriff Brinkers vielleicht fruchtbar. Er stellt neben dem funktionalen auch den strukturellen Aspekt von Texten (satzübergreifende Kohärenz) deutlich heraus, der in Ehlichs Untersuchung höchstens implizit angesprochen ist. Damit ist wohl der wesentliche Unterschied textuellen Sich-Äusserns gegenüber reinen Auflistungen greifbar gemacht. Insgesamt ergeben die drei Kriterien Situationsabgelöstheit, Funktionalität und (satzübergreifende) Kohärenz eine Arbeitsdefinition von Texthaftigkeit, welche Elemente sowohl des alltäglichen Textbegriffs wie auch textlinguistische Bestimmungen in sich aufnimmt. Im folgenden soll von dieser Bestimmung ausgegangen werden. Allerdings ist auch sie nicht ohne Schwierigkeiten. Einerseits teilt sie mit der von Brinker gegebenen Definition den Mangel, dass sie die Frage offenlässt, ob es eine untere Grenze für Texte gebe. Schriftliche Kommunikation kann die hier in den Vordergrund gestellten Kriterien erfüllen, ohne im traditionellen Sinne texthaft zu sein2. Solche Texthaftigkeit - erkennbar an einem gewissen Reichtum des sprachlichen Materials, einem gewissen Mass auch oberflächenstrukturell ausgedrückter textueller Struktur usw. - dürfte allerdings eine Bedingung sein dafür, dass einigermassen komplexe situationsenthobene Mitteilungen zustande kommen können. Andererseits ist die Abgrenzung von Texten gegenüber anderen Phänomenen wie dem oben angesprochenen spontanen Monolog nicht sicherzustel1
2
Siehe auch Ehlich 1989: 95ff. - Das eben Vorgebrachte trifft sich mit dem oben gegen Äugst gemachten Einwand, dass etwa Vorträge wesentliche Aspekte zeitversetzter Kommunikation aufweisen. Telegramme etwa können aus einzelnen unverbundenen Wörtern bestehen, im Extremfall aus einem einzigen; die so modisch gewordenen gelben selbsthaftenden Zettelchen erlauben es, Hinweise und Mitteilungen auf alles und jedes zu kleben und (zum Teil dank der dadurch erreichten Kontextualisierung) den sprachlichen Aufwand auf ein Minimum zu reduzieren; eine Redensart wie "Wie gewonnen, so zerronnen" kann in gewisser Hinsicht als selbstversorgter Text aufgefasst werden, der - auf einschlägige Situationen angewendet - eine sozial abgesicherte Identifikation und Interpretation eines Geschehens erlaubt.
Π.2 Schriftlichkeit, Schriftsprache, Text
247
len, also von einem nach diesen Kriterien bloss textartigen, aber nicht textuellen Gebilde. Darauf soll im folgenden kurz eingegangen werden. b. Zum Stellenwert monologischen Sprechens Viele, vielleicht sogar die Mehrzahl der oben angesprochenen mündlich vorkommenden Texte werden schriftlich vorbereitet, man denke an die Wortsendungen der elektronischen Medien, Predigten, Parlamentsdebatten, schulische Textformen wie Vorlesungen usw. Hier von «atypischen Sonderformen» zu sprechen (Augst/Faigel 1986: 168) scheint mir übertrieben angesichts der überwältigenden Bedeutung, welche solche Texte in unserer Gesellschaft gewonnen haben; eher sind es sehr beredte Zeugen dafür, dass die Grenze zwischen Sprechsprachlichem und Schriftsprachlichem keineswegs parallel zu der zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit verläuft. Nun erwachsen textartige Gebilde auch aus den Gepflogenheiten und Notwendigkeiten der dialogischen Kommunikation selbst. Sie entstehen im Dialog, sei dieser in Augsts Sinne als empraktisch oder als situationsdifferent einzustufen, und zwar überall dort, wo das gewohnte, den Gesprächsoder Handlungsablauf um einen Schritt weiterführende Reagieren auf eine Partneräusserung oder -handlung nicht mehr ausreicht. Dann müssen Gedanken, Erfahrungen, Kenntnisse mitgeteilt werden, welche die ausführlichere sprachliche Darstellung von Geschehnissen, von sachlichen Zusammenhängen usw. erfordern, welche den Zuhörern nicht bekannt sind oder als ihnen nicht bekannt vorausgesetzt werden. Solche Beiträge sprengen den Horizont der gemeinsamen Situation und des unmittelbar geteilten Vorwissens; sie nehmen den Charakter einer kürzeren oder längeren Ausführung, Beschreibung, Erläuterung, Erzählung an, mit der entsprechenden Anforderung an ein gewisses Mass sprachlicher Explizitheit und textueller Organisation. Kallmeyer/Schütze beschreiben solche Beiträge als Sachverhaltsdarstellungen. Sie bilden Expansionen der im Gespräch routinemässig vollzogenen Versprachlichung von Sachverhalten, sind also wie die anderen Beiträge eingelassen in die Dynamik des Gesprächsablaufs und in die Interaktion mit dem Partner, aber sie lenken die Aufmerksamkeit der Interaktionspartner von aktuellen, handlungsschematischen Bezügen ab und konzentrieren diese statt dessen auf die Explikation von Sachveihalten der 'Welt' (Kallmeyer/Schütze 1977:250)
Diese Explikation muss - immer im Rahmen einer prinzipiell aufs Dialogische hin offenen Einstellung - vom Sprechenden verantwortet und organisiert werden. Bei der Arbeit der sprachlichen Erfassung dessen, was er sagen will, sieht er sich vor verschiedene Zugzwänge gestellt: Um eine überschaubare Darstellung zustande zu bringen, muss angesichts der theoretisch unendlichen Menge der kontingenten Phänomene vieles weggelassen und anderes global zusammengefasst werden (Kondensierungszwang); 1
Vgl. Gutenbeig 1989:114ff.; Ehlich 1989:95ff.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
um die intendierte Sachverhaltsstruktur erkennbar zu machen, müssen die konstitutiven Elemente und ihre Beziehungen zueinander manifestiert werden - mit anderen Worten, die Darstellung muss soweit ins einzelne gehen wie notwendig (Detaillierungszwang); und der intendierte Sachverhalt muss gegen andere Sachverhalte abgegrenzt und in sich geschlossen werden (Gestaltschliessungszwang). (Kallmeyer/Schütze 1977:162)
Prototypisch für Sachverhaltsdarstellungen ist für Kallmeyer/Schiitze die Stegreiferzählung. An dieser lässt sich besonders deutlich machen, dass solchen Gesprächsbeiträgen Schemata der Auswahl und Darstellung von Information zugrunde liegen, welche die spontane Hervorbringung zu organisieren und in erkennbare Form zu bringen erlauben1. Jede Durchführung eines Erzählkems bedeutet, dass (a) soziale Einheiten, insbesondere Handlungsträger, eingeführt werden müssen, dass (b) eine Zustandsänderung dieser sozialen Einheiten beziehungsweise Handlungsträger auf der Grundlage einer Abfolge von Ereignissen dargestellt wird, dass (c) - zumindest in voll durchgeführten Erzählungen - situative Höhepunkte herausgearbeitet werden und die 'Zwischenräume' zwischen diesen situativen Höhepunkten gerafft werden und dass (d) Erzählperspektive, Thema und Moral der Geschichte nicht nur angekündigt, sondern auch ausgearbeitet werden, was in der Feststellung des Schicksals des/der Handlungsträger(s) kulminiert. (Kallmeyer/Schütze 1977: 183)
Im Zusammenhang mit unserer Diskussion sind hier einige Bemerkungen anzubringen: 1. Sachverhaltsdarstellungen haben eine textuelle Struktur insofern, als in ihnen Zusammenhänge versprachlicht werden müssen, welche den Hörem nicht bekannt sind und demgemäss eine adäquate Semantisierung der relevanten Konzepte wie auch eine ausreichende Explizierung ihrer Beziehungen untereinander erfordern. Die so dargestellten Sachverhalte werden somit nicht wie im Dialog kumulativ evoziert und kooperativ miteinander verknüpft; vielmehr ergibt sich ihre Strukturierung und das notwendige Ausmass sprachlicher Explizierung aus einem einheitlichen Entwurf heraus. Diese Leistungen müssen erbracht werden, auch wenn - wie etwa die von Kallmeyer/Schütze gegebenen Beispiele zeigen - solche Sachverhaltsdarstellungen in unterschiedlichem Masse von dialogischen Elementen (Einschüben, Einwürfen, Zwischenbemerkungen der Zuhörer) geprägt sind. Sachverhaltsdarstellungen werden im wesentlichen nicht ausgehandelt, sondern erbracht. Führen Einbrüche ins Rederecht des Darstellenden zum Dialog zurück, kann der Versuch der Sachverhaltsdarstellung kurzfristig scheitern, vielleicht muss er endgültig aufgegeben werden. 2. Die von Kallmeyer/Schütze genannten Zugzwänge lassen sich mit Brinkers Begriff der Kohärenz in Verbindung bringen. Sachverhaltsdarstellungen sind kohärent, sofern sie den in den Darstellungsschemata vorgepräg1
Polanyi (1982) macht auf komplexe Verfahren der Manipulation von Erzählperspektiven aufmerksam, die in Alltagserzählungen anzutreffen seien und bisher allein als Eigenschaften (schriftlicher) literarischer Texte betrachtet worden seien. Zu einer genaueren Analyse konversationeller Erzählungen und der Herausbildung von Erzähl mustern bei Kindern s. Quasthoff 1987, eine Fülle von weiteren Analysen ist zu finden etwa in Ehlich (Hg.) 1980, Erzgräber/Goetsch (Hg.) (1987).
Π.2 Schriftlichkeit, Schriftsprache, Text
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ten Kriterien der Kondensierung, Detaillierung und Gestaltschliessung in genügendem Masse entsprechen. Ähnliches gilt wohl für Texte. 3. Sachverhaltsdarstellungen haben als ganze ihre Funktion im Gesprächs kontext, sie sind oft sprechaktwertig (sie können als Argument, als Entschuldigung, als Ratschlag ... fungieren). Sie kommen aber zustande durch eine entschiedene Ausweitung des propositionalen Gehalts von Sprechakten, wodurch das angezielte Ergebnis der Sprechhandlung, das heisst der angezielte perlokutionäre Effekt, für einen Moment zurücktritt und der Vorgang der Strukturierung des Beitrags von Seiten des Produzenten, die Aufmerksamkeit auf neue Informationen über die Welt auf Seiten der Rezipienten in den Vordergrund tritt (vgl. Kallmeyer/Schütze 1977: 163, 170). In ähnliche Richtung geht Brittons Beschreibung dessen, was im Erzählen-Lernen von Kindern involviert ist: Even early story telling seems to take on more of the air of a performance than of a communicative exchange, demands an audience but discourages an interlocutor. (Britton 1983: 21)
4. Der Übergang von normalen Redebeiträgen zu Sachverhaltsdarstellungen ist wohl fliessend, es gibt hier keine Sprünge: Die Komplexität und Ausführlichkeit des Gesagten, das Ausmass seiner vorausgesetzten Neuheit und der Notwendigkeit seiner Explizierung kann beliebig variieren. Ähnlich wie es kaum möglich ist, eine minimale Länge von Texten anzugeben, ist es nicht möglich, eine solche für Sachverhaltsdarstellungen festzulegen. Wohl aber gibt es prototypische und illustrative Beispiele für beides1. 5. Dieser letzte Hinweis führt auf einen weiteren Punkt: Sachverhaltsdarstellungen weisen eine thematisch-strukturelle Prägung auf. Sie erscheinen als Erzählungen, Beschreibungen, Berichte, Erläuterungen usw. Diese werden aufgrund von Schemata gestaltet, welche die grundsätzlichen Kriterien spezifizieren, nach welchen erzählt oder berichtet usw. werden sollte. Ganz analog erscheinen Texte als Realisationen von Textmustern und Textsorten. Während hier einzelne universale Grundmuster bestehen (Erzählungen scheint es in jeder Sprache und in jeder Kultur zu geben), ist die typische Durchführung der Muster und deren Differenzierung in verschiedene spezialisierte Typen stark beeinflusst durch soziokulturelle Gegebenheiten2. Sachverhaltsdarstellungen werden im folgenden auch als Monologe bezeichnet. Von Texten unterscheiden sie sich, trotz aller sonstigen Ähnlichkeiten, insofern, als sie im Moment des Vortrags produziert werden; sie sind nicht, wie Texte, vorfindlich. Auch hier ist jedoch keine fixe Grenze zu ziehen. 1
2
Äugst 1984 betont ebenfalls die fliessenden Grenzen zwischen den üblichen Gesprächsbeiträgen und den daraus erwachsenden erzählenden, argumentativen usw. Passagen. Vgl. etwa die Analyse der Erzählhaltung amerikanischer und griechischer Frauen in der Nacherzählung eines Films in Tannen (1982:4ff.),
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
1. Monologische Beiträge haben das Potential dazu, zu Texten zu werden. Sie rekurrieren auf Wissensbestände, die nicht ohne Aufwand in die aktuelle Situation eingebracht werden können, jedoch als wichtig erachtet werden. Viele Erlebnisse, Kenntnisse, Gedanken legen sich nun der Möglichkeit nach in verschiedenen Situationen als Referenzgrössen nahe. Sachverhaltsdarstellungen können so, auch wenn sie nie als Texte geplant oder vorbereitet worden sind, durch mehrfachen Gebrauch zu Texten werden, das heisst eine einigermassen stabilisierte Struktur, vielleicht auch typische sprachliche Gestalt gewinnen. Sie entwickeln sich damit zu vorfindbaren Elementen im sprachlichen Repertoire, die durch Wiederholung verfeinert und je nach Situation angepasst werden können, aber ähnlich wie etwa Witze bei aller Verschiedenheit der jeweiligen Darbietung einen gleichbleibenden Kern (eine Texttiefenstruktur) realisieren1. 2. Sachverhaltsdarstellungen ebnen auch auf andere Weise den Weg zu Texten, z.B. im akademischen Umfeld: Anhand von Diskussionsbeiträgen oder Erklärungsversuchen mag sich ein Problem zeigen, das mit den normalen Verfahren spontaner Darstellung nicht mehr bewältigbar ist. Eine Sachverhaltsdarstellung kann damit zum Ausgangspunkt werden für die Ausarbeitung der in ihr sichtbar gewordenen Komplexität. Dabei werden Formen der Durcharbeitung und Planung notwendig, die unabhängig davon, ob sie schriftlich oder im Kopf oder dialogisch unternommen werden, zum Aufbau einer expliziter strukturierten Kenntnisbasis führen, welche sich weiteren Sachverhaltsdarstellungen oder einem Text zugrunde legen lassen2. Zusammenfassend lässt sich sagen: Texte sind ausgezeichnet durch die Merkmale Situationsabgelöstheit, Funktion und Kohärenz. Prototypisch werden sie schriftlich realisiert, wobei die Vermittlung durchaus mündlich erfolgen kann; es existieren daneben, und zwar nicht nur in oralen Kulturen, jedoch authentische, aus der mündlichen Kommunikation hervorgehende Texte. Monologische Sachverhaltsdarstellungen lassen sich als Prototexte verstehen: Sie entstehen unter dem Zwang zur autonomen, also nicht durch Dialog zustande gebrachten sprachlichen Erfassung eines Themas und bedienen sich, bei aller Spontaneität ihrer Hervorbringung, derselben grundsätzlichen kohärenzbildenden Verfahren, welche auch in Texten zur Anwendung gelangen, dort aber, dank der prononcierteren Herauslösung aus der Situation, wahrscheinlich zu insgesamt dichterer und besser organisierter sprachlicher Formulierung und vor allem zu einem Produkt führen, das über die unmittelbare Situation hinaus Bestand hat. 1 2
Natürlich ist im Einzelfall nicht mit Sicherheit abzuschätzen, ob jemand einen Monolog hält oder einen Text vorträgt, ausser man ertappe ihn bei einer Wiederholung. Ludwig (1980a: 78ff.) weist auf die enge Verwandtschaft von Sachverhaltsdarstellungen und Texten hin; er unterscheidet in Gespräche eingelagerte unselbständige Diskurseinheiten, selbständige Diskurseinheiten und schriftliche Sachverhaltsdarstellungen (Texte). Ihre Zusammengehörigkeit ergibt sich zunächst aus ihren gleichartigen Funktionen, nämlich Sachverhalte der Welt darzustellen, sekundär aus ihren Eigenschaften.
Π.2 Schriftlichkeit, Schriftsprache, Text
251
Zum Abschluss sei noch hinzugefügt, dass mit der Anforderung der Kohärenz Ansprüche an die Sachkenntnis des sich Äussernden und an die inhaltlichen Verarbeitungen des zu Sagenden gesetzt sind. Kohärenz lässt sich nicht allein aufgrund sprachlicher Merkmale erkennen bzw. herstellen (vgl. Mayer 1985: 77L) 1 . 3.3
Schriftsprachlichkeit
Gesprochene und geschriebene Sprache lassen sich, wie schon bemerkt, als Resultate der Tradition und der Schriftgeschichte betrachten; sie sind ein Niederschlag der situativen und funktionalen Differenzierung des Sprachgebrauchs. Ludwig definiert geschriebene Sprache ähnlich wie Nerius als die Sprache, «die in einer bestimmten Sprachgemeinschaft regelmässig in Schriftäusserungen verwendet wird, das heisst bestimmte lexikalische, syntaktische und stilistische Formen» (Ludwig 1983a: 14) 2 .Er begründet geschriebene Sprache in der Andersartigkeit schriftlicher Kommunikation; dem Begriff liegt die Annahme zugrunde, dass sich unter den Bedingungen der Schriftlichkeit (vor allem von Schriftäusserungen, schriftlicher Kommunikation und wohl auch des Schriftsystems) sprachliche Ausdrücke bilden, die anders (und sei es auch nur in ihrer Häufigkeit anders) als sonst üblich verwendet weiden und sich durch ihre Eigenschaften mehr oder minder - in jeder Sprache und in jedem Stadium der Geschichte einer Sprache wieder anders - deutlich von der mündlichen Sprache, der Sprache des Gesprächs und der Rede, unterscheiden. (Ludwig 1983a: 14)3 Merkmale geschriebener Sprache sind etwa: Sie bildet eine Varietät (im weiten Sinne des Wortes) einer Sprache, nur in speziellen Fällen ist die Schriftsprache eine andere Sprache (wie es im Mittelalter in Europa das Latein war); diese Varietät ist weitgehend bestimmt durch das Medium; sie 1
2
3
Helmig (1972) untersucht mündliche und schriftliche Erzählungen von Schülern und kommt zum Ergebnis, dass neben sprachlichen auch inhaltliche Unterschiede festzustellen sind, besonders in überarbeiteten schriftlichen Fassungen: «Der mündliche Erzähler orientiert sich ausschliesslich am konkreten Geschehen, das mit Intensität beschrieben wird [...]. Der Schreiber hat eine doppelte Intention: Einmal will er das Geschehene berichten, zum anderen versucht er es zu deuten.» (Helmig 1972: 14) - Es wäre interessant zu wissen, ob solche Unterschiede auch bei Erwachsenen festzustellen sind oder ob sie für die Schulsituation bzw. die Entwicklungsstufe dieser Schüler typisch sind. Vgl. Vachek 1964. Ludwig möchte geschriebene (als handgeschriebene, eventuell auch maschinengeschriebene) von gedruckter Sprache unterscheiden und fasst beides unter dem Tenninus 'schriftliche Sprache' zusammen. Die eben gegebene Definition gilt dieser schriftlichen Sprache in Ludwigs Sinn. Im folgenden wird der Unterschied von geschriebener und gedruckter Sprache nicht systematisch gemacht; der Tenninus 'schriftlich' bleibt für die Bezeichnung des Sprachmodus reserviert, was auch der alltäglichen Begrifflichkeit eher zu entsprechen scheint. Es fällt also nicht schlechterdings alles Geschriebene unter den Begriff 'geschriebene Sprache': Diese ist zwar «nur aus schriftlichen Äusserungen zu erschliessen. Aber nicht alle schriftlichen Äusserungen kommen in Betracht, sondern nur solche, die das Ergebnis vollständiger Schreibhandlungen sind und, gelesen, einen Sinn ergeben.» (Ludwig 1980b: 324).
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
ist relativ unabhängig von der gesprochenen Sprache, wobei das Mass dieser Unabhängigkeit von Fall zu Fall zu bestimmen bleibt; und schliesslich besitzt die geschriebene Sprache keine homogene Struktur, da sie in sich selbst, genauso wie die gesprochene Sprache, eine grosse Vielfalt von Varietäten im engeren Sinne aufweist (Ludwig 1983c: 35; Havranek 1969; Hausenblas 1962). Auf der Grundlagen von Kriterien wie den eben angesprochenen ist es schwierig, gesprochene und geschriebene Sprache eindeutig voneinander abzugrenzen. Ludwig führt folgende generelle unterscheidende Züge an: - Auf der pragmatischen Ebene zeichnet sich geschriebene Sprache aus durch kontextunabhängige Techniken des Referierens, durch weitgehende Explikation des Kontextes und durch immanente Textkohärenz. Kontaktsignale spielen nur in bestimmten Textsorten eine Rolle. - Auf der syntaktischen Ebene sind die Sätze deutlich voneinander abgesetzt, in der Regel wohlgeformt und vollständig; die Variationsmöglichkeiten der Sprache werden häufiger ausgenutzt. Meist sind die geschriebenen Sätze länger als die gesprochenen; in der geschriebenen Sprache werden gewisse Strategien bevorzugt, die in gesprochener Sprache seltener vorkommen: Hypotaxe, Erweiterung nominaler Satzteile; festere Wortstellung. - Auf der lexikalischen Ebene finden sich in geschriebener Sprache viele Wörter und Wendungen, die kaum in gesprochener Sprache benutzt werden oder dann eine spezielle Färbung aufweisen. Morphologische Unterschiede sind z.B. im Tempussystem festzustellen: Zumindest im süddeutschen Raum wird das Präteritum in gesprochener Sprache wenig benützt, Erzähltempus ist das Perfekt, während in geschriebener Sprache das Präteritum unangefochten ist (Ludwig 1980b: 325f.). In seiner schon oben angesprochenen Analyse hält Chafe (1982, 1985) ähnliche Unterschiede fest, zunächst syntaktischer, dann auch lexikalischer Art1. Der Effekt dieses andersartigen Sprachgebrauchs besteht in einer Verdichtung der Aussage: Geschriebene Sprache ist komponierter, durchgestalteter; die einzelnen Sätze werden länger2. 1
2
Differenzen syntaktischer Art zeigten sich danach in der Tendenz geschriebener Sprache (Chafe bezieht sich aufs Englische) etwa zu Nominalisierungen, attributiven Adjektiven, ausgedehnten Gebrauch von Partizipformen des Verbs, Präpositionalphrasen, Adverbialphrasen, restriktiven Relativsätzen, indirekter Rede usw. Es ist möglich, dass die einzelnen Sätze in geschriebener Sprache zwar länger, das heisst in sich komplexer werden, dass aber gesprochene Sprache mehr Subordinationen verwendet; dies ist allerdings umstritten. Chafe schreibt: «In spoken language idea units are typically strung together in a chain, with a relatively small amount of subordination. The complex arrangements of clauses characteristic of written language are rarely exploited. Speakers do not have the time or mentalresourcesto compose them.» (Chafe 1985: 111) Poole/Field dagegen interpretieren ihre Resultate so: «The findings relative to syntax suggest that oral language is structurally more complex than writtenf...]. At first this seems something of a paradox. In writing, however, there is a temporal advantage which provides a greater opportunity for structural planning, a factor which may account for both increased sentence length and structural
Π.2 Schriftlichkeit, Schriftsprache, Text
253
Ich möchte an Ludwigs Bestimmungen einige Aspekte herausheben. 1. Was Ludwig zur pragmatischen Ebene sagt, ist schon im letzten Abschnitt diskutiert worden. Es geht hier um die Erfordernisse, die sich durch die monologische Sprechweise und den Anspruch ergeben, zusammenhängende Information zu versprachlichen; sie machen sich im schriftlichen wie im mündlichen Sprachgebrauch bemerkbar. Insofern ist, wie schon im letzten Abschnitt angemerkt, wahrscheinlich kein Bruch, aber ein merkbarer Übergang zwischen Dialog und Sachverhaltsdarstellung einerseits zu erwarten, ein weiterer zwischen Sachverhaltsdarstellung und Text. Entsprechend ist zu erwarten, dass bestimmte Sprachmittel auch in rein oraler Sprachverwendung aufgabenspezifisch differenziert und schwerpunktmässig eingesetzt werden1. 2. Die Ausführungen Ludwigs zum syntaktischen und lexikalischen Bereich beziehen sich auf die Sprachmittel, welche in unserer Tradition wohl hauptsächlich im Schriftverkehr ausgebildet worden sind, um den erwähnten Ansprüchen in elaborierten Texten gerecht zu werden. Sie werden dort auch schwerpunktmässig verwendet; in diesem Sinne sind die Begriffe der geschriebenen Sprache und der Schriftsprache adäquat. Diese Sprachmittel sind jedoch frei verfügbar. Sie prägen in hohem Masse den Sprachgebrauch im Bereich der schriftlichen Texte, dann auch der mündlich vorgetragenen Texte, der aus Sachverhaltsdarstellungen entwickelten Texte und schliesslich der Sachverhaltsdarstellungen selbst. Bei diesen Übergängen wird die Dichte und Konsistenz des Gebrauchs schriftsprachlicher Mittel tendenziell abnehmen und überlagert werden durch spezifische sprechsprachliche Mittel und Techniken (Ellipsen, Vergewisserungsfragen, Verständnis-Checks, Redekommentare ...) und natürlich durch die unvermeidlichen Phänomene mündlichen Sprachgebrauchs (wie Verschleifungen, Fehlstarts, Zögerphänomene, Repetitionen, Fehlartikulation, ...). Hier sind allerdings grosse Unterschiede zu erwarten, je nach Situation sowie dem Bildungsstand und der Kulturzugehörigkeit der Sprachbenutzer. 3. Während sich in den westlichen Kulturen Texte, aber auch Sachverhaltsdarstellungen generell durch relativ grosse Explizitheit der Verknüp-
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simplicity.» (Poole/Field 1976: 309; vgl. A. Rubin 1980: 422; Beaman 1984). Mit Chafe treffen sie sich aber in der Feststellung, gesprochene Sprache sei redundanter und repetitiver als geschriebene. Aussagen - wie die eben zitierten - sind staik abhängig von der jeweils zugrundegelegten Definition von 'Satz'; Äugst (1984: 446) macht diesbezüglich darauf aufmerksam, dass in gesprochener Sprache die Einheit 'Satz' eine untergeordnete Rolle spielt; Augst/Faigel (1986: 9) meiken wie Chafe an, dass in gesprochener Sprache die einzelnen Teilhandlungen - der Ausdruck von Gedankeneinheiten ('idea units' bei Chafe) - auseinandertreten. Beaman (1984: 90) weist zum Abschluss ihrer Diskussion zusätzlich die traditionelle Auffassung zurück, wonach das Ausmass an Subordination allein schon ein Anzeichen für Komplexität ist. Dies sei zu kurz gegriffen. In ähnliche Richtung argumentiert Halliday 1987. Vgl. auch die Bemerkungen in II.3/1.5. Vgl. Martin 1983: 36. Entsprechend wäre die Frage zu stellen, in welchem Ausmass das Schreiben wiiklich die conditio sine qua non für die Herausbildung von geschriebener Sprache darstellt, wie Ludwig (1983c: 36) annimmt
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Teil II: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
fungen und Differenziertheit der Verknüpfungsmittel auszeichnen, scheint dies kein universales Phänomen zu sein. Die klassische chinesische Literatur einerseits scheint sich durch eine geradezu ins Extreme getriebene Sparsamkeit an Kohäsionssignalen und grösste Zurückhaltung gegenüber der Explizierung von Zusammenhängen auszuzeichnen, der gegenüber so kann vermutet werden - die gesprochene Sprache eine beinahe musterhafte Explizitheit und Durchsichtigkeit an den Tag gelegt haben muss. In weit geringerem Masse gilt diese Sparsamkeit noch für die heute übliche Schriftsprache (Li/Thompson 1982)1. Andererseits gibt es - etwa in der amerikanischen Gesellschaft - noch lebendige Traditionen der Sachverhaltsdarstellung, welche weitgehend unberührt scheinen von der gängigen Prägung durch schrifttextuelle Muster und Sprachgebrauchsweisen. Gumperz/Kaltman/O'Connor geben als Beispiel eine Erzählung eines schwarzen Studenten. Der Monolog entstammt einem Gespräch über einen Aufsatz des Sprechers in einem Schreibkurs, in dem er beschreibt, wie ein früherer Freund ihn um 400 Dollars brachte. Im Gespräch fordert der Kursleiter ihn auf zu beschreiben, was es mit diesem Mann auf sich hat. Hier das Transkript der Antwort (Das Komma zeigt die nicht-abschliessende Begrenzung einer Sprecheinheit an; ' bedeutet steigenden, v bedeutet fallenden, Λ bedeutet emphatischen fallenden Akzent): 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
cool düde, you know, catch wömen, this and that. but he, must get his nö:se wide open, behind some 6ther girl, and this and that, and get (unintelligible) not making möney and shit, lose his he:art, and lay in the crib and rip m£ off, instead of going up there, take it from somebody else he don't know or something, (unintelligible) he häd, intentions on doing that, until he löst it all, falling in lo:ve, with his damn nöse wide open, scared he would get knocked down. (Gumperz/Kaltman/O'Connor 1984: 15)
Dieser Monolog entspricht ersichtlich nicht den gängigen Masstäben der sprachlichen Gestaltung, die normalerweise erwartet wird. Entsprechend wäre eine schriftliche Fassung nur sehr schwierig herzustellen. Dies nicht nur wegen einzelner leicht falsch verstandener Ausdrücke2, sondern viel-
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Da die Grundmorpheme des Chinesischen einsilbig sind und die einfache Lautstruktur der Sprache nur eine sehr begrenzte Zahl solcher Moipheme zulässt, sind sie meist mehrfach homonym. Die gesprochene Sprache tendiert daher dazu, die meisten Konzepte zweisilbig auszudrücken, während in der weit weniger homonymiegeladenen Schrift ein einziges Zeichen zum Ausdruck des Gemeinten genügt. - Mit dieser Begründung ist aber höchstens ein Aspekt des Sachverhalts erklärbar. Die in der klassischen Literatur auf die Spitze getriebene Zurückhaltung im Ausdruck textueller Beziehungen ist damit noch nicht erklärt. Diese ist vielleicht auch in Zusammenhang zu bringen mit der besonderen Rolle der Schreib- und Literaturkenntnisse für den Zugang zu staatlichen Positionen und fiir die Selbsteinschätzung der Mandarine. Etwa das Idiom «lose his heart» in Zeile 4/5. Es wird am Ende sinngemäss wieder aufgenommen in «scared he would get knocked down» und bezieht sich auf den Ver-
Π.2 Schriftlichkeit, Schriftsprache, Text
255
mehr darum, weil die Struktur der Äusserung nicht leicht einem der gängigen Textschemata der Mehrheitskultur assimiliert werden kann. 4. Elemente der Schriftsprache stehen schliesslich auch zur Verfügung im dialogischen Sprachgebrauch. Gumperz/Kaltman/O'Connor (1984: 1 Iff.) geben ein kurzes Exzerpt aus einer Diskussion zweier graduierter Studenten, das diesen Sachverhalt gerade im Kontrast zum letzten Beispiel gut verdeutlicht. Nina:
and then you could, concentrate on the specific äreas. Then you could see more in depth where how things reläted. But I think you absolutely have to see, how- where the relationships are. Kevin: Yeah, but, sometimes I get wondered whether it's all reläted. Cause Nina: But ultimately it is. Right. I mean everybody started out (overlapping talk) people who where in nineteen hundred, they did everything, right? Kevin: But that's thfen, that's not nöw, now Nina: But ultimately it - they - it so it's all spread out nöw. But it all cäme from somewhere, right? Kevin: Yeah, it's like saying we're all reläted, if you go back far enough, probably. But you have to go pretty far bäck. I mean. (Gumperz/Kaltman/O ^'Connor 1984: 11)
Die Beiträge der Studenten zeigen, wie dies in Dialogen üblich ist, ein reiches Inventar an Positionssignalen der Sprechenden: Sie markieren Verstehen, Zustimmung, Ablehnung usw. Trotzdem ist der Dialog bei weiten schriftsprachnäher als die eben kommentierte Sachverhaltsdarstellung des schwarzen Studenten (obwohl dieser spezifische Ausschnitt uns weitgehend im Dunkeln darüber lässt, worüber die Studenten sprechen). Dies hat zum einen damit zu tun, dass sich die Gesprächspartner in ihrem jeweiligen Beitrag darum bemühen, das, was sie sagen, in einen Zusammenhang mit dem bereits Gesagten zu bringen und diesen Zusammenhang auch sprachlich zu signalisieren, auch wenn diese Signale zum Teil höchst vieldeutig bleiben und nur im Kontext genau interpretiert werden können1. Wichtiger ist, dass sich die Beiträge vieler sprachlicher Mittel bedienen, die unbesehen in eine schriftliche, textuelle Version übernommen werden könnten: «concentrate on the specific areas», «see more in depth», «where the relationships are» usw., und dass sie schliesslich jene Haltung zum Ausgesagten zeigen, welche Chafe als typisch für schriftliche Texte bezeichnet: eine distanzierte, abwägende Evaluation des Wahrheitsgehalts des Geäusserten (vgl. 3.1). Wird der Kontext dieser Ausdrücke von den rein konversationell bedingten Ausdrücken und Verweisen gereinigt, ist zwar noch kein schriftlicher Text gegeben, aber relativ leicht zu konstruieren. Man kann diese Eigenschaften des Dialogs darauf zurückführen, dass die entsprechenden Wissensbestände weitgehend über Bücher aufgenommen
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lust von Courage, sich das Nötige auf der Strasse zu beschaffen, nicht auf die Verliebtheit des Mannes. Gumperz/Kaltman/O'Connor zählen in ihrem Transkript von 13 Zeilen sieben Verwendungen von 'but', dem sie vier verschiedene Bedeutungen zuordnen, darunter auch die rein konversationelle der Forderung nach Sprecherlaubnis.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
wurden; ich möchte jedoch einen etwas anderen, wenn auch damit zusammenhängenden Gesichtspunkt betonen. Sehr viele Menschen sind heute in Berufen tätig, in denen die sprachliche Darstellung, Erläuterung und Vermittlung spezifischer Kenntnisse oder Einsichten zur täglichen Arbeit gehört. Zu denken ist an Lehrer, Journalisten, Politiker, Sozialarbeiter, Psychologen, Studenten und andere. Man kann diesen Leuten eine habituelle Vorbereitetheit zuschreiben, die Fähigkeit und Bereitschaft, über viele Aspekte ihrer Spezialität jederzeit kompetent Auskunft zu geben - etwa in der Form von (nicht speziell vorbereiteter) Diskussion und Konversation. Es ist wahrscheinlich, dass die in Lektüre und im Ausarbeiten eigener Texte erarbeitete Kompetenz (in der spezifischen Sache und generell in der Art, an ein Thema heranzugehen) sich tendenziell in schriftsprachlichen Formen äussert, die durch andere Sprachmittel ohne Einbusse an angestrebter Klarheit kaum ersetzt werden können. Diese Form des schriftsprachnahen Sprechens ist in unserer Gesellschaft in vielen Kontexten üblich und zu einer selbständigen Form der mündlichen Kommunikation und der Thematisierung von Welt geworden1. Diese Anmerkungen machen deutlich, dass Schriftsprachlichkeit gradierbar ist, dass der Unterschied zwischen gesprochener und geschriebener Sprache ein skalarer ist. Von dieser Annahme geht etwa Chafe (1982, 1985) aus, wenn er vier Sprachgebrauchsweisen nach den Dimensionen schriftlich/mündlich einerseits, formell/informell andererseits unterscheidet (akademischer Aufsatz, Brief, Vorlesung, Konversation bei Tisch). Obwohl er nur die extremen Ausprägungen kommentiert, betrachtet er die in der Mitte stehenden als potentielle Zwischenformen2. Ähnliche Unterscheidungen sind verschiedenenorts gemacht worden3. 1
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Es ist wahrscheinlich, dass dieser Sprechstil Einfluss hat auf den Schriftspracherwerb. «The way language is used habitually in day-to-day interactions may well influence the ease with which individuals can acquire written language. Spoken language may indeed interfere with written language production, but certain ways of speaking may also facilitate its acquisition.» (Martlew 1983a: 311) - Snow diskutiert in ähnlichem Zusammenhang den unterschiedlichen Schulerfolg von Unterschicht- und Mittelschichtkindern und merkt an, dass die Unterschiede nicht allein dadurch erklärt werden können, dass Mittelschichtkinder einen besseren Zugang zu Büchern usw. hätten: «It has been argued, though, that in addition to to experience with books, middle-class homes prepare children for written forms of literacy by providing literate features in oral discourse: that is, by telling orreadingstories in which the author is impersonal, the setting is distanced, deictic contrasts have to be understood from the writer's or speaker's point of view, and relatively complex language forms are used.» (Snow 1983a: 185). Der von Snow vorausgesetzte Zusammenhang von Schichtzugehörigkeit und Leistungen im schriftlichen Bereich wird allerdings von Poole (1983: 370) nach einer Analyse einschlägiger Studien als nur schwach nachweisbarer indirekter Zusammenhang bezeichnet. So bemerkt Chafe: «I should repeat that these seemingly categorical statements about spoken and written language apply in fact to extremes on a continuum. The figures I have given are from maximally differentiated samples: spontaneous conversational language on the one hand and fonnal academic prose on the other. There are other
II.2 Schriftlichkeit, Schriftsprache, Text
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Eine ausführliche Studie zu Unterschieden im englischen Sprachgebrauch in unterschiedlichsten Situationen stellt Biber (1988) vor. Er vergleicht die Texte seines Korpus' im Hinblick auf 67 syntaktische Merkmale; diese sind in 6 Faktoren gebündelt: 1. informational versus involved; 2. narrative versus non-narrative; 3. explicit versus situation-independent reference; 4. overt expression of persuasion; 5. abstract versus non-abstract information; 6. on-line informational elaboration. Die Ergebnisse zeigen keine eindeutige Differenzierung entlang der Dichotomie schriftlich/mündlich. Für die Faktoren 2,4 und 6 scheint diese Unterscheidung keine Rolle zu spielen; die Faktoren 1, 3 und 5 zeigen eine gewisse Parallelität dazu, sie haben demzufolge diagnostischen Charakter. Biber (1988: 162 ff.) präzisiert aber, dass diese drei Faktoren nur im Vergleich von Konversation versus «academic exposition» übereinstimmen; in allen anderen untersuchten Fällen zeigen sie keine gemeinsame Variation. Es existiert nach dieser Analyse demnach kein einheitlich fassbarer sprachlicher Reflex auf die Unterscheidung schriftlich/mündlich; gesprochene bzw. geschriebene Sprache ist abhängig von einer Vielzahl pragmatischer Faktoren, und sie ist ein «multidimensional construct». Ich möchte unter dem Begriff der geschriebenen/gesprochenen Sprache bzw. der Schriftsprache hier nur die Sprachmittel verstehen, die in bestimmten Sprachgebrauchssituationen typischerweise gebraucht werden. Die pragmatisch-kognitiven Ansprüche, unter welchen diese Mittel herausgebildet werden und die im Einzelfall ihren Einsatz regeln, wurden in den Abschnitten zur Textualität und zur Situation abgehandelt. Obwohl diese Dimensionen, vor allem die der Textualität, mit Schriftsprachlichkeit eng verbunden sind, möchte ich sie doch trennen und anders, als dies in der Diskussion um geschriebene Sprache oft geschieht, explizit gegeneinander absetzen. Auf zwei Gründe dafür sei näher eingegangen. Der erste Grund ist unter Punkt 4 eben angesprochen worden: Die Sprachmittel sind, einmal vorhanden, auch ausserhalb des ursprünglichen Zusammenhangs mit Texten einsetzbar, und sie werden eingesetzt. Dieser Gebrauch betrifft durchaus nicht nur Fachtermini, von denen man annehmen könnte, dass sie unersetzlich sind, sondern ebenso die Ausdrücke differenzierenden und abwägenden Denkens und Darstellens, die in schrift-
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styles of speaking which are more in the direction of writing, and other styles of writing which are more like speech.» (Chafe 1982:49) Danielewicz (1984) vergleicht Sprachgebrauchsweisen auf den Dimensionen schriftlich/mündlich und geplant/ungeplant Augst/Faigel (1986: llf., 167f.) weisen auf eine Anzahl ähnlich gerichteter Unterscheidungen hin, welche die Pole mündlichen und schriftlichen Sprachgebrauchs bezeichnen sollen, etwa Dialekt/Schriftsprache, Dialekt/Hochsprache, Umgangssprache/Literatursprache, restringiert/elaboriert, orat/literat, empraktisch/synsemantisch, Sprechhandlung/Sprachwerk, dialogisch/monologisch. Von diesen bezieht sich das letzte auf die im Abschnitt zur Textualität ausgeführten Dinge; die anderen können als mehr oder weniger synonym zu den hier benutzten Begriffen gelten, auch wenn sie jeweils andere Aspekte dieses Verhältnisses in den Vordergrund rücken.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
lieh konstituierten Texten wohl ihren explizitesten und reichhaltigsten Ausdruck gefunden haben, die sich aber auch als potente Stützen themengerichteten Dialogisierens erweisen, wie das Beispiel der diskutierenden Studenten deutlich zeigt. Offenbar gibt es, wie ebenfalls die Studie Bibers zeigt, auch ausserhalb des textuellen Bereichs pragmatische und kognitive Bedingungen, welche den Gebrauch schriftsprachlicher oder schriftsprachnaher Formen nahelegen oder sogar nötig machen. Der zweite Grund liegt darin, dass der Begriff der geschriebenen Sprache bzw. der Schriftsprache sich zwar implizit immer auf Texte bezieht, in ihm selbst aber kein Hinweis enthalten ist auf die Struktur und Vielfalt der verschiedenen textuellen Aussageweisen. Entsprechend muss der alleinige Verlass auf diesen Begriff bezahlt werden mit einer zu grossen Abstraktheit1. Auch wenn der Gegensatz zwischen gesprochener und geschriebener Sprache relativiert wird, bleibt die Situation unbefriedigend. Der Hinweis darauf etwa, dass Schriftsprache einen in sich kaum kohärenten Bereich bezeichnet, wie Ludwig (1983c: 35) und Klein (1985: 28) vermerken, lässt nur die Notwendigkeit zusätzlicher Bestimmungen hervortreten. Eine einfache Skalierung aber, wie sie mit zusätzlichen Begriffen wie formell/informell, restringiert/elaboriert oder dergleichen versucht wird, kann, wie Bibers Studie deutlich macht, nicht wirklich ausreichen2. Im Begriff der Textualität dagegen ist der Bezug allen textartigen und textuellen Ausdrucks auf Darstellungsmuster und Textsorten angezeigt, damit auf eine interne, mehrdimensionale Differenzierung dieses Bereichs, aber auch auf spezifische, je eigenständige Anforderungen an die Äusserungsprodukte und ihren differentiellen Bezug zum Reservoir der schriftsprachlichen Mittel3. Zusammen mit den Bedingungen, welche die verschiedenen situativen Umstände für die Realisierung von Äusserungen stellen, wird so ein guter Teil (wenn auch kaum die Gesamtheit) der pragmatischen Faktoren erfassbar, welche die Wahl sprachlicher Mittel mitbestimmen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn die etwa von Ludwig angesprochenen pragma1 2
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Vgl. viele Aussagen in Beiträgen zu gesprochener und geschriebener Sprache, etwa Vachek 1964, Havranek 1969, Nerius 1985, Ludwig 1983c. Besonders klar wird das Ungeniigen dieser Lösung, wenn die Implikationen einer solchen einfachen Skalenannahme deutlich gemacht werden. So optiert Danielewicz (1984: 243f.) gegen die strikte Entgegensetzung von gesprochener und geschriebener Sprache und für ein Kontinuum zwischen «spontaneous spoken language» und «expository written language». «Each point along the continuum represents a linguistic form designed to serve a particular communicative function». Die ungelöste Schwierigkeit ist nur die, wo, relativ zueinander, solche Dinge wie Erzählung, Protokoll, Unfallmeldung, Gebrauchsanweisung, Bericht usw. anzusiedeln wären. Sie müssten ja in definierter Nähe bzw. Entfernung voneinander und von den zwei Polen, und zwar auf einer Linie, untergebracht werden. Dies scheint von vornherein ein aussichtsloses Unterfangen. Zydatiss (1985: 319) etwa unterscheidet sieben fundamentale Funktionen von Sprache und entsprechend sieben Typen von Texten. Andere Klassiiikationen gehen von drei, vier oder fünf grundlegenden Typen aus. In jedem Fall werden zusätzliche Typen durch Subklassifikation gewonnen.
Π.2 Schriftlichkeit, Schriftsprache, Text
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tisch-kognitiven Ansprüche isoliert und unabhängig von der Bestimmung der Sprachmittel expliziert werden. 3.4 Fazit Das Feld der Sprachgebrauchsweisen, vor allem der über das Dialogische hinausgehenden, wurde hier nach drei Kriterien aufgeschlüsselt: Situationsbedingungen, Textualität und Schriftsprachlichkeit. In jeder dieser Dimensionen sind Bruchzonen auszumachen, potentiell folgenschwere Übergänge, etwa von zeitgleicher zu zeitverschobener Kommunikation oder vom Dialog zum Monolog oder von ungezwungener Konversation zum professionellen Gespräch usw. Diese Linien verlaufen aber nur teilweise parallel zueinander, ebenso decken sie sich nur partiell mit der grundsätzlichen Dichotomie von schriftlicher und mündlicher Modalität. Was zu beobachten ist, ist ein hochkomplexes Feld, das in der Struktur, wie wir sie heute kennen, durchgängig durch die Tradition der Schriftkultur geprägt ist. In dieser Vielfältigkeit sind auch Konvergenzen hervorzuheben. So wurde schon angemerkt, dass sich schriftliche Kommunikation grundsätzlich unter der Bedingung des Auseinanderfallens von Produktion und Rezeption vollzieht. Damit verknüpft ist der Zwang zum Text und (in variierendem Masse) zur Schriftsprachlichkeit. In diesem Sinne ist der schriftliche Sprachgebrauch gegenüber dem mündlichen die markierte, die definierte Form, auch diejenige, in der schwierige Verhältnisse kumuliert auftreten. Eine ähnliche Einheitlichkeit ist im mündlichen Bereich nicht gegeben. Hier sind die Anforderungsprofile vielfältiger, die Ansprüche aber nicht notwendig geringer, wie etwa die Beispiele des Vortrags, der öffentlichen Rede, des Öffentlichen Disputs usw. zeigen. Vor diesem Hintergrund ist die Sonderrolle des schriftlichen, textgerichteten Sprachgebrauchs sowohl hervorzuheben wie zu relativieren. Dazu einige kurze Hinweise: 1. In der (späten) sprachlichen Entwicklung von Kindern nimmt in den industrialisierten Gesellschaften das Schreiben- und Vertextenlernen einen zentralen Platz ein; es ist unzweifelhaft in hohem Masse mitbeteiligt am Zustandekommen des Sprachbewusstseins von Erwachsenen und vor allem von Gebildeten. Es werden hier Entwicklungen fortgesetzt, die schon lange vor dem Eintritt in die Schule in Gang kommen, aber durch die Auseinandersetzung mit der Schrift aufgenommen und akzentuiert werden, vielleicht auch zu einem Punkt geführt werden, der ohne die Stütze der Schrift kaum so zu erreichen wäre1. Dieser Zusammenfall von natürlichen Ent1
Die Entwicklung etwa vom Dialogischen zum Monologischen bei Kindern ist relativ gut untersucht. Kinder bauen im Spiel, das heisst zunächst im praktischen Tun mit Objekten und etwas später in Abstimmung mit anderen Kindern, immer grössere und komplexere Handlungszüge auf und zeigen damit, dass sie die dabei auftretenden Anforderungen an die Einsicht in sachliche Zusammenhänge und die Techniken der Kooperation zu bewältigen lernen (Galda 1984, Sachs/Goldman/Chaille 1984). Zeitverschoben entwickeln sich analoge Strukturen in der Sprache. Jüngere Kinder, etwa
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
Wicklungstendenzen und gezielten schulischen Eingriffen verunmöglicht eine saubere Isolierung der Faktoren; so ist es kaum möglich eine Schriftsprachenentwicklung sui generis aus den Textprodukten der Kinder zu beschreiben. Denn es stellt sich die Frage, ob die hier beobachtete Reihe der Fakten und ihre mögliche Veränderung über das Alter geprägt ist durch die Aneignung der Schriitlichkeit an sich, durch den systematischen Unterricht oder durch einen oder alle Faktoren der sprachlichen, kognitiven und emotional-sozialen Entwicklungen, die sich gleichzeitig vollziehen. Das ganze Knäuel wind erst recht verwirrt, wenn man noch in Rechnung stellt, dass die Aneignung der Schriftsprache selbst wiederum Einfluss nehmen kann einerseits auf die gesamtsprachliche Entwicklung, speziell hier die mündliche Kommunikationsfähigkeit, andererseits auf die kognitive und emotional soziale Entwicklung. (Augst/Faigel 1986:14)
Trotzdem dürfte die Annahme korrekt sein, dass das Lesen- und Schreibenlernen in diesem Prozess eine Schlüsselstellung einnimmt, welches auch immer dabei sein exakter Anteil und Stellenwert ist. In diesem Sinne steht die Fähigkeit, schriftliche Texte zu verstehen und zu verfassen, im Zentrum der Diskussionen um den späten Spracherwerb und um die Aufgaben und Möglichkeiten einer (muttersprachlichen) Sprachdidaktik. 2. Eines der wesentlichen Resultate des Lesen- und Schreibenlernens ist allgemeiner Art: Es erfordert und fördert die «Entwicklung analytischer sprachlicher Fähigkeiten» (Augst/Faigel 1986: 167)1. Während diese offenbar besonders effizient anhand des Lesen- und besonders des Schreibenlernens erworben werden können2, ist ihr Anwendungsbereich allge-
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Kindergärtner, sind oft noch wenig effizient im Erzählen oder Beschreiben, «many children have difficulties in shedding the familiar tum-taking roles appropriate for conversation» (Olson/Torrance 1981:252). Massgeblich wird hier die Fähigkeit, reale Zusammenhänge situationsangemessen zu veibalisieren, das heisst den Informationsstand des Partners einzuschätzen und entsprechend Information zu explizieren bzw. zu präsupponieren. Für die Fähigkeit, Sachverhaltsdarstellungen zu gestalten, ist offenbar nicht so sehr der Erwerb neuer sprachlicher Mittel massgebend, sondern die Entwicklung einer anderen «coding orientation», einer anderen Sprechhaltung. Dabei werden die vorhandene sprachliche Mittel den neuen Anforderungen an die sprachliche Darstellung angepasst; das heisst es wird eine neues Präferenzsystem für die Wahl von Aussageweisen ausgebildet (Martin 1983: 34ff.). Augst/Faigel benennen drei Punkte, die das Kind lernen muss, um Texte schreiben zu können, und die zugleich der Entwicklung der angesprochenen analytischen Fähigkeiten zugrunde liegen: einen teilweise bewussten Umgang mit dem Kommunikationsmittel Sprache (Graphomotorik, schriftsprachliches Register); eine andere Gewichtung von Kontext und Referenz, ebenso von textueller Kohärenz; die Fähigkeit, sich vorwegnehmend einen Leser vorzustellen und auf ihn hin zu schreiben, m.a.W.: den eigenen Text mit den Augen eines Lesers zu lesen (Augst/Faigel 1986: 14f.). Es ist leicht zu sehen, dass diese Anforderungen auch, wenn auch in etwas geringerem Grade, diejenigen sind, die dem monologischen Sprechen zugrunde liegen. Man kann sie kurz auf das Stichwort 'Dekontextualisierung' bringen (vgl. Snow 1983a). Was Augst/Faigel als analytische Fähigkeiten bezeichnen, liegt auch dem zugrunde, was oft die ideationale Funktion der Sprache genannt worden ist (Olson/Torrance 1981; Halliday 1978), die Fähigkeit, sie ads Instrument des Denkens zu benützen. Vgl. Clark 1978; Maitlew 1983 a,b; Andresen 1985. Schon in 1.4 wurde darauf hingewiesen, dass Sprache erst durch das Schreibenlernen als eigenständige Struktur (auf der Laut/Graphemebene, der Ebene des Wortes, der Ebene des Satzes) erkannt wird.
Π.2 Schriftlichkeit, Schriftsprache, Text
261
mein - sie drücken sich in anderer Einstellung der Sprache und der Aufgabe des Kommunizierens gegenüber aus, auch im Mündlichen. So schreibt Martlew in bezug auf diesen Aspekt: In summary, then, dissociating written language from spoken expression requires a different way of thinking about, and being aware of, language. It is, however, perhaps misleading to discuss the differences in terms of 'spoken' and 'written', terms which can be misleading in their apparent focus on the mode of production. (Martlew 1983a: 303)
Und Augst/Faigel präzisieren: Wir werden im folgenden, gemäss unseren Untersuchungsanliegen, von schriftlicher Kommunikation, Schriftsprache, dem schriftlichen Sprachwerk reden, möchten aber vorab deutlich betonen, dass alle unsere Ergebnisse verstanden werden können als Aussagen über den analytischen Sprachgebrauch allgemein - mündlich wie schriftlich - , der durch Bewusstheit und Metakommunikation geprägt ist. (Augst/Faigel 1986:168; vgl. Weinstein 1984).
Dass die Modalität der Produktion tatsächlich bis zu einem gewissen Grade irrelevant ist, zeigt die Tatsache, dass man lernen kann, schriftliche Texte zu diktieren. Gould (1980, 1983) berichtet über Experimente mit dem Schreiben und Diktieren von Geschäftsbriefen; nach kurzer Übungszeit sind die Ergebnisse praktisch nicht mehr zu unterscheiden. Auch andere, bei weitem komplexere Texte werden in Einzelfällen diktiert, nicht geschrieben. Das oben schon angesprochene professionelle Gespräch ist ein anderer Bereich, der stark durch analytische Einstellung zur Sprache und zur Mitteilung geprägt ist. 3. Die Ausbildung der Fähigkeit zum Umgang mit Schrift und Schreiben eröffnet die Möglichkeit einer Schreibpraxis, die nicht als schwierig oder belastend eingestuft werden muss. Während es wohl für jeden anspruchsvoll bleibt, neue Aufgaben (neue Textsorten, neue Themen) schreibend zu bewältigen, erlaubt es die angesammelte Erfahrung, auf jeder Stufe der Kompetenz sich in einem grösseren oder kleineren Bereich problemlos oder mit wenig Problemen schriftlich auszudrücken. Für den Schüler, der den Aufsatz fürchtet, mag die Formulierung von Antworten auf Prüfungsfragen kaum als auch sprachliche Leistung bewusst werden; der Journalist wird einfachere Texte direkt in die Maschine tippen; wenige Leute schreiben für ihre Briefe zuerst Entwürfe. In diesen Bereichen ist Schreiben nicht von vornherein schwierig, oft ein notwendiges Instrument, um Mitteilungen überhaupt zustande bringen zu können, und in den Anforderungen, die es stellt, in vielem verwandt mit denen, die an monologisches Sprechen geknüpft sind1. 1
Mayer 1985: 62ff. geht fast ausschliesslich auf den Unterschied zwischen gesprochener und geschriebener Sprache ein; sie bringt ihn mit der soziolinguistischen Dichotomie von restringiertem und elaboriertem Kode in Zusammenhang. Dieser Zusammenhang bleibt aber abstrakt und wenig durchsichtig. Vor allem treten die Aspekte der Situation und der kommunikativen Aufgabe hinter die dominant gesetzte mediale Unterscheidung von mündlicher versus schriftlicher Realisierung zurück - Faktoren also, die hier als entscheidend für die Beschreibung der sprachlichen Anforderungen an die Sprachbenutzer herausgehoben wurden. Entsprechend den hier vorgebrachten
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
Zum Fremdsprachenunterricht
Schriftliche Texte teilen - bei aller sonstigen Verschiedenheit - einige grundlegende Charakteristika, die sich aus der «Zerdehnung» der Kommunikationssituation (Ehlich 1983a) und dem daraus ableitbaren Zwang zu angemessener sprachlicher Explizitheit und textueller Kohärenz ergeben; sie sind aber in mancher Beziehung verwandt mit verschiedenen Formen der Mündlichkeit, die in einem durch vielfältige Übergänge geprägten Feld benachbarte Positionen einnehmen. Die grosse Bruchlinie zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit erweist sich unter dieser Perspektive als weit weniger gravierend, als dies in vielen didaktischen Diskussionen unterstellt wird. Wohl aber steht sie für einen anderen Sprachzugang, der auf beiden Seiten - spezifische prozessuale Bedingungen und unterschiedliche Lernchancen schafft. Die in diesem Kapitel vorgebrachten Überlegungen werden im folgenden unter drei fremdsprachendidaktischen Gesichtspunkten kurz kommentiert. Zuerst geht es um die Frage, wie sich die Verhältnisse von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, von gesprochener und geschriebener Sprache im Unterricht darstellen; danach wird auf die didaktisch interessanten Kontaktbereiche zwischen schriftlicher und mündlicher Sprachverwendung eingegangen; schliesslich soll im Rückgriff auf die Fragestellungen in 1.4 und II.l noch einmal über die mögliche Rolle des Schreibens im Unterricht die Rede sein. In dieser Arbeit ist von Anfang an davon ausgegangen worden, dass die Lernenden im Fremdsprachenunterricht schriftkundig sind; es kann demnach angenommen werden, dass sie mit dem in diesem Kapitel skizzierten Bereich vertraut sind. Diese Vertrautheit ist meist muttersprachlich geprägt, und sie ist - je nach Alter, Vorbildung und Erfahrung der Lernenden - mehr oder weniger beschränkt. Vorausgesetzt werden kann jedoch eine Vertrautheit mit dem Prinzip der Schrift und der Schreibung sowie eine teils aus dem mündlichen, teils aus dem schriftlichen Bereich stammende Grundkompetenz in dialogischen, monologischen und textuellen Äusserungsformen. Diese Dinge müssen nicht neu gelernt werden1; was fehlt, sind die fremdsprachlichen Mittel, mit deren Hilfe die entsprechenden Äusserungsformen im neuen Sprachmedium realisiert werden können. Der Fremdsprachenunterricht wird an diese Kompetenzen anschliessen und sie zumindest bis zur Mittelstufe voraussetzen und benutzen, kaum aber auto-
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Argumenten ist Mayers These, Schreiben könne zu «umfassender Sprachbeherrschung» beitragen, durchaus zuzustimmen; allerdings weichen die Begründungen dafür beträchtlich voneinander ab. - Bohn befasst sich nur kurz mit dem Thema gesprochene versus geschriebene Sprache; er geht vorwiegend auf die textuelle Dimension ein. Texte seine die «Struktureinheiten geschriebener Sprache» (Bohn 1986: 51). Deren strukturelle Aspekte werden hervorgehoben; sie werden primär als Realisierungsfoimen von zugrunde liegenden Mustern begriffen. Diese Muster machen entsprechend die Hauptinhalte des Unterrichts aus. Vgl. II.3/1.5.
Π.2 Schriftlichkeit, Schriftsprache, Text
263
nom weiter ausbauen - ausser in dem wichtigen Sinne, dass in der gezielten Arbeit am fremdsprachlichen Einsatz dieser Kenntnisse diese selbst besser verarbeitet und besser beherrschbar gemacht werden können, mit Rückwirkungen vielleicht auch in der Muttersprache1. 4.1 Schrift und Geschriebenes im Fremsprachenunterricht a. Schriftlichkeit und Mündlichkeit Im Unterricht wird meist sehr rasch die Voraussetzung für den doppelten Zugang zur Sprache geschaffen. Die Vorgängigkeit mündlicher Sprachbeherrschung, wie sie für den Mutterspracherwerb typisch ist, ist im Fremdsprachenunterricht nicht oder nur sehr kurzzeitig gegeben; die Schrift ist von Anfang an mit am Erwerb beteiligt. Wird das Schriftsystem beherrscht und sind die Korrespondenzen zwischen Laut und Schriftbild bekannt, so kann im Prinzip alles, was geschrieben vorliegt, gelesen, präziser: verlautet werden - ob es verstanden werden kann, ist eine andere Frage2. Die Dimension der Aufgabe und damit die Arbeit dieses Zugänglich-Machens wächst in Sprachen mit anderen Schrifttypen; sie ist enorm, wenn etwa das Chinesische in Wort und Schrift beherrscht werden soll3. b. Verschriftung gesprochener Sprache Verschriftete Sprache ist im Unterricht nicht immer geschriebene Sprache. Auf die präkommunikative Verwendung von Schrift wurde schon mehrmals aufmerksam gemacht; in dieser meist Unterrichts- und arbeitsbegleitenden Verwendung geht es darum, einzelne Wörter und Wendungen festzuhalten, um sie zu lernen oder/und zu dokumentieren unabhängig davon, welchem Register sie zugehören. Dieser Gebrauch von Schrift hat nichts Ungewöhnliches an sich. Auffällig und spezifisch für den Fremdsprachenunterricht sind die Fälle schriftlich festgehaltener gesprochener Sprache, etwa in Lehrbuchdialogen, aber auch in vielen textförmigen 1
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3
Auf die Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn vor allem Erwachsene in der Fremdsprache schriftkundig gemacht oder eingeschult werden müssen, ist schon hingewiesen worden. Probleme können sich auch ergeben, wenn in einer noch wenig beherrschten Fremdsprache Neues gelernt weiden muss unter Bedingungen, die für Muttersprachige gelten. In einer solchen Lage finden sich oft fremdsprachige Studierende, die gleichzeitig die fremde Sprache, ein Fach und die mit diesem Fach verbundenen Sprachgebrauchsfoimen (akademische Prosa, akademische Textsorten) lernen sollten - letztere machen auch den Muttersprachigen oft grosse Mühe. Auch hier überlagern (schon in der späteren Anfangs- und der Mittelstufe) zusätzliche Ansprüche das Sprachlernen. 'Im Prinzip* heisst: mit Ausnahme der Ausnahmen. Da diese nicht immer erkennbar sind, ist der Weg vom Schriftbild zum Laut (und umgekehrt) auch in Alphabetschriften meist nicht unproblematisch; entsprechend ist der schriftliche Bereich durch die Kenntnis des Schriftsystems und der wichtigsten Regeln der Schreibung (in bezug auf die Lautung) in vielen Details noch nicht ausreichend bestimmt. Aber er ist in den Grundzügen zugänglich. Wo hier auf Schriftkenntnisse verzichtet wird, tritt meist eine Umschrift als Ersatz ein, welche die schriftlichen Lernfunktionen trägt; in diesem Falle ist ebenfalls nach kurzer Zeit alles (in Umschrift) Geschriebene lesbar.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
Übungsformen, die ebenfalls auf dem Dialogschema aufbauen1. Hier wirkt sich die Notwendigkeit aus, Material verfügbar zu halten; zugleich erleichtert die Schrift die sonst nur mühsam vor sich gehende Arbeit der Segmentation. Diese Grenzüberschreitung kann in einem registerbewussten Sprachunterricht als problematisch empfunden werden; entsprechend stellt sich die Frage, ob auf solche Verschriftungen nicht verzichtet werden sollte. Arndt (1969) stellt sich in dieser Sache auf eine vermittelnde Position, die auch heute noch gängig sein dürfte, indem sie die radikalen Optionen umgeht: Da dies [sc.: Verzicht auf schriftlich festgehaltene Dialogtexte] aus verschiedenen Gründen nicht voll durchfühlbar ist, sollten wenigstens die dem Einüben bestimmter mündlicher Äusserungen dienenden Buchpassagen [...] von den written speech repräsentierenden Passagen für Lehrer und Schüler deutlich eikennbar voneinander abgesetzt werden. (Arndt 1969:11)
Der gänzliche Verzicht auf verschriftete Dialoge wäre tatsächlich schwer zu begründen. Allenfalls liesse sich damit argumentieren, dass verschriftete Dialoge nicht mehr authentisch sind. Dies sind allerdings auch auf Hör- oder Videoband aufgenommene nur höchst bedingt. Sie verbleiben zwar in ihrem Medium; dadurch, dass sie wiederholt werden können, zudem im Unterricht aufgeschlüsselt und zusammenfassend repetiert werden, werden jedoch auch sie zu Lern- und Arbeitstexten transformiert. Damit verwandeln sie sich zu autoritativen Quellen für Wortschatz und Äusserungsweisen nicht weniger als verschriftete (vgl. Butzkamm 1980: 36), nur sind sie für mancherlei Zwecke weniger praktisch im Einsatz und weniger informativ. Die solchen Vorschlägen zugrunde liegende und auch von Arndt geäusserte Befürchtung, dass die Verschriftung die Lernenden in falsche Richtung lenken könnte, weil sie die Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache verwische, halte ich für wenig begründet. Zum einen sind verschriftete Dialoge wohl typisch für den Anfangsunterricht; sie werden mit der Zeit konkurrenziert durch die üblichen Prosatexte, denen gegenüber sie zunehmend an Gewicht verlieren. Dieses Nebeneinander könnte eher die Aufmerksamkeit für die Differenzen von gesprochenem und geschriebenem Stil schärfen als verwirren. Zum anderen sind die Lernenden ja nicht unerfahren bezüglich der Unterscheidung von Dialog, Monolog und Text und wahrscheinlich auch nicht bezüglich deren genereller Regularitäten, auch wenn sie die spezifischen Verhältnisse in der Fremdsprache noch nicht kennen. Es ist nicht anzunehmen, dass sie spezifisch dialogische Mittel als Vertextungsmittel oder als schriftsprachliche nur darum missverstehen, weil sie sie aufgeschrieben sehen. Wenn die Lernenden in bezug auf einzelne dieser Mittel nicht wissen, ob sie geschrieben verwendet werden können oder nicht, so hat dies mit Wahrscheinlichkeit damit zu tun, dass sie über die Gebrauchsbedingungen die1
Dass die Schrift zum Festhalten gesprochener Sprache verwendet wird, ist - ausserhalb wissenschaftlicher Zwecke - eher ungewöhnlich, wie etwa auch Vachek (1983) und Günther (1983) anmerken.
Π.2 Schriftlichkeit, Schriftsprache, Text
265
ser Elemente nicht genügend informiert sind und dass sie keine Alternativen kennen. An dieser Kenntnislage würde auch der Verzicht auf Verschriftung wenig ändern1. Kaum auffallig sind dagegen die vielfältigen Formen, in denen geschriebene Sprache mündlich realisiert wird: im Vorlesen, Paraphrasieren, Nacherzählen. Diese Formen kennen ihre genauen Gegenstücke im ausserschulischen Gebrauch und mögen manchmal als unschön empfunden werden; sie sind aber auch bei Muttersprachlern weit verbreitet. c. Sprachmittel Die Sprachmittel, welche innerhalb des schriftlichen und mündlichen Bereichs adäquaten sprechsprachlichen bzw. schriftsprachlichen Ausdruck erlauben, werden nur sehr allmählich erworben. Die ersten Lerngegenstände sind meist Dialoge; damit ist die Ausgangsbasis die gesprochene Sprache. Es wird jedoch dafür gesorgt, dass darin erkennbare, das heisst geschlossene strukturelle Muster vorkommen: Basisdialoge bieten natürliche, sprechübliche Äusserungsfolgen, ohne mit authentischen Gesprächsausschnitten identisch zu sein (keine Versprecher, Satzabbrüche und Neuanfänge, nichts Idiolektales usw.). (Butzkamm 1980:36)
Solche Muster sind gebrauchsfertige Redefloskeln und feste Kollokationen einerseits, Syntagmen «mit hoher kombinatorischer Produktivität» andererseits (Butzkamm 1980: 37). Diese und der Wortschatz bilden den hauptsächlichen Ausgangspunkt für die weiterführende Arbeit: Für grammatische Erläuterungen (soweit diese vorkommen), für die verschiedenen Übungen, dann auch für die imitativen und verändernden Spieldialoge zwischen Lehrer und Lernenden. Die vermittelte Sprachschicht ist meist eine neutrale, standardnahe Umgangssprache. Deren Aussprache mag leicht regional gefärbt sein; die ausgewählten Sprachmittel sind jedoch solche von höchster Reichweite innerhalb der Sprachgemeinschaft. Stark konnotierte Sprachmittel (Slang, Dialekt, (unter-)schichtspezifische, hochliterarische) werden vermieden oder sorgsam definiert. Insgesamt wird so von Anfang an eine Sprache vermittelt, welche 'in der Mitte' steht: geeignet für ein standardnahes Sprechen, aber auch nicht sehr schriftsprachfern2. Auf dieser Basis entwickelt sich 1
2
Dass die Verschriftung vor allem am Anfang dazu führen kann, dass zu wenig auf die Lautgestalt geachtet wird oder Wörter falsch ausgesprochen werden, ist ein anderes Problem. Dies scheint aber weniger eine Frage der Schrift als der verwendeten Verfahren des Schrifteinsatzes zu sein; zudem mag es sich hier um einzelne negative Folgen einer insgesamt sehr hilfreichen Stützung des Sprachlernens durch die gleichzeitige Präsentation von Schriftbildern handeln. Vgl. die Hinweise Butzkamms auf einzelne einschlägige Untersuchungen und das Mitleseverfahren. Wichtig scheint mir sein Hinweis, dass auch das Hören durch muttersprachliche Strukturen geprägt ist und somit der akustische Kanal keinesfalls immer einen unproblematischen Weg zur fremden Sprachgestalt eröffnet (Butzkamm 1980: 52ff.). Nesi (1987: 86) fand in einer Analyse von lexikalischen Lemerfehlem wenige Registerfehler (aber bedeutend mehr Kollokationsfehler und vor allem falsche Bedeutungszuordnungen). Sie führt dies darauf zurück, dass die gestellten Aufgaben etwa in
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
mit der Zeit eine gewisse Differenzierung von gesprochenem und geschriebenem Stil, wobei die Spannbreite der (aktiv verwendbaren, aber auch der rezeptiv beherrschten) Register für lange Zeit recht bescheiden bleibt. Im Anfangsunterricht wird die Arbeit in Richtung auf sprechsprachlich geprägte Verwendung der zu lernenden Sprachmittel getragen vor allem durch die Arbeit an Dialogen, Simulationen, Rollenspielen und zum Teil in der Gruppenarbeit. Eine schriftsprachlich geprägte Verwendung dieser Mittel lernen die Fremdsprachigen vor allem in (meist noch sehr einfachen) Texten kennen. In der Mittelstufe treten Differenzierungen auf, so dass eindeutig Sprech- bzw. schriftsprachliche Mittel sich abzuheben beginnen, aber auch hier liegt das Schwergewicht der Arbeit in der Ausweitung des neutralen Registers. Der Fortgeschrittenenunterricht führt diese Dinge weiter, eine entscheidende Ausweitung erfahrt das gesprochensprachliche Register meist aber erst durch Aufenthalte im fremdsprachigen Land, das geschriebensprachliche durch professionelle Arbeit (etwa ein Studium) in der Fremdsprache oder ausgedehnten, spezialisierten Unterricht. Die extremen Ausprägungen werden von den meisten Lernern nie erreicht, auch nicht im rezeptiven Bereich1. Auch in der typisch unterrichtlichen Weise des Sprachgebrauchs zeichnet sich eine Tendenz 'in die Mitte' ab. Diese wird durch verschiedene Aspekte der unterrichtlichen Arbeit begünstigt. Deren Tendenz, Situationen, Texte und die Sprache zum Thema zu machen, bringt es mit sich, dass auch das dialogisierende Sprechen in manchen Phasen wenig empraktisch eingebettet ist und sich in seiner Art (nicht in seinem Gehalt oder seiner sprachlichen Differenzierung) dem professionellen, gebildeten Sprechen angleicht, vor allem in plenaren Sequenzen. Diese unzweifelhaft gesprochene Sprache ist durchsetzt mit schriftsprachnahen Ansprüchen (Aussagen müssen eine gewisse Explizitheit aufweisen, die Gesprächsbeiträge sollen sich aufeinander beziehen und eine fortgesetzte, thematisch kohärente Auseinandersetzung ermöglichen, Zustimmung und Ablehnung müssen signalisiert und ihr Ausmass muss geklärt werden usw.). In dieselbe Richtung geht der Input, den der Lehrer liefert: Er ist verantwortlich für sprachbezogene Erklärungen, landeskundliche Exkurse, Erläuterung von Aufgaben oder zusammenfassendes Abschliessen von Arbeitssequenzen. In alledem drängt sich ein Sprechstil auf, der vieles gemeinsam hat mit Sachverhaltsdarstellungen und sich in manchen Momenten ins Monologische auswächst, diesem generell nahesteht2.
1 2
der Mitte der zwischen infonneller Konversation und formellem technischem Sprachgebrauch lagen; «this is the register which students with a grounding of Genend English know best». Dies gilt in bezug auf die Schriftsprache auch für viele Muttersprachige. Vgl. Olson/Torrance 1981; Weinstein 1984. Auf diesen Sachverhalt wurde schon in 1.4/1 hingewiesen.
Π.2 Schriftlichkeit, Schriftsprache, Text
267
4.2
Kontaktbereiche von mündlicher und schriftlicher Sprachverwendung Zwischen den Extremen des komplexen schriftlichen Textes und des empraktischen Sprechhandelns lässt sich ein breiter, potentiell fruchtbarer Kontaktbereich von mündlichem und schriftlichem Sprachgebrauch, von gesprochener und geschriebener Sprache ausmachen. Memos, kurze schriftliche Notizen und Nachrichten, auch Briefe mögen sich in vielem den Standards des Schriftverkehrs annähern, was Orthographie, Interpunktion, grammatische Geschlossenheit usw. anbelangt; grundsätzlich unterscheidet sie nicht allzu viel von den vielfältigen Formen der Sachverhalts darstellung. Umgekehrt sind kurze öffentliche Sprechanlässe (Statements, Kurzvorträge, Lageberichte, Beiträge aus Arbeitsgruppen) und Diskussionsbeiträge gewissen Standards unterstellt, die stark den schriftsprachlichen Usanzen verpflichtet sind. Es besteht hier ein Territorium von eng zusammengehörigen Formen. In gewisse Nähe dazu muss wohl auch das gerückt werden, was oben als professionelles Gespräch bezeichnet worden ist; merkbare Übergänge bestehen sowohl zur Konversation wie zum ausgeführten Sprachwerk. Entsprechende Formen des Sprachgebrauch sind auch im Unterricht in vielerlei Ausprägungen gängig. Sie werden dort, entsprechend den jeweiligen Sprachkenntnissen, kaum in ihren Standardformen auftreten, sondern in vereinfachten Versionen, die aber sowohl in bezug auf ihre Funktionen wie die grundsätzlichen Anforderungen an Verständlichkeit und Explizitheit viel Gemeinsamkeit mit den Zielformen aufweisen. Diese Äusserungsformen sind unterrichtlich höchst relevant. Auf einige Gesichtspunkte sei hingewiesen. 1. In den Zielkatalogen fast jeden Unterrichts, der eine übers Minimum sich erhebende Sprachkenntnis zu vermitteln beansprucht, figurieren schon für den Beginn der Mittelstufe Ansprüche wie: Die Lernenden sollen in der Fremdsprache dazu fähig sein, Meinungen kundzutun und zu begründen; eigene Erfahrungen zu erzählen; Vergleiche zwischen dem eignenen und dem fremden Land anzustellen; kurze persönliche Briefe zu schreiben usw. Alle diese Anforderungen zielen auf eine Kompetenz, welche die unmittelbare Dialogsituation zu überschreiten imstande ist und Redegegenstände nicht nur im Wechselspiel von Sprechen und Hören, sondern auch selbständig sprachlich zu konstituieren erlaubt. Monologischer Sprachgebrauch, auch wenn er noch weitgehend als in dialogische Situationen eingebettet erscheint, bildet so eines der wichtigen Ziele im Unterricht, gleichgewichtig neben dem Ziel der Ausbildung dialogischer Fähigkeit. 2. In den Unterrichtszielen ist für diese Äusserungsweisen die mündliche Modalität vorgesehen, schriftliche Darstellung erscheint bis auf wenige Ausnahmen (Privatbrief, kurze Notizen) kaum als gewichtig, wird aber selten wirklich ausgeschlossen. Diese aus Bedürfnisanalysen gewonnenen Gewichtungen im Zielfeld brauchen jedoch nicht den Lernweg zu bestim-
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
men1. Im komplexen mündlichen Ausdruck sind zwei Ansprüche gleichzeitig zu erfüllen: der an eine gewisse Qualität der konzeptuellen und sprachlichen Verarbeitung und der an die Geschwindigkeit der Produktion. Es ist zu fragen, ob es nicht sinnvoll sein kann, diese Anforderungen zumindest phasenweise zu separieren, ob also der Aufbau der Kompetenz zu komplexer mündlicher Äusserung nicht auch zum Teil im schriftlichen Bereich erfolgen kann. Während man im Schreiben nicht direkt Sprechen lernt (und umgekehrt), so scheinen doch die sprachlich-strukturellen Erfordernisse im Monolog und im schriftlichen Text in mancher Hinsicht weitgehend gleichgerichtet zu sein. Es gibt hier allen Grund, weitgehenden Transfer vom Schriftlichen ins Mündliche (und eventuell auch umgekehrt) zu erwarten. Die Möglichkeiten und Chancen des mündlichen bzw. schriftlichen Zugangs lassen sich demzufolge für Lernzwecke einsetzen relativ unabhängig davon, ob die vorgesehenen Zieltätigkeiten mündliche oder schriftliche sind. 3. Man könnte nun einwenden, das Ziel des Unterrichts müsse primär darin liegen, die Fähigkeit zur Konversation zu schulen; die monologischen Sprechanlässe seien relativ irrelevant. Nun ist Schule ein denkbar schlecht geeigneter Ort, um Konversation zu treiben; fraglich ist auch, ob und wieweit Konversation in der Fremdsprache wirklich gelernt werden muss. Hier sind zwei Aspekte zu unterscheiden. Zweifellos gibt es wichtige sprachspezifische und kulturelle Unterschiede der Gesprächsorganisation und -durchführung, die von den Lernenden mindestens zur Kenntnis zu nehmen sind2. Eine ausreichende Kenntnis ist jedoch erst durch den Aufenthalt im fremdsprachigen Land oder durch häufige Kontakte mit Fremdsprachigen erwartbar. Was andererseits die sprachlichen Aspekte angeht, so verlangt auch die Konversation am Mittagstisch - in sehr variierendem Grad - die sprachliche Konstituierung von Gegenständen, die klare Forrrulierung von Sachverhalten in argumentativen, erzählenden, beschreibenden Passagen usw. Diese Beiträge erfolgen meist beiläufig, sind eng gebunden an den Kontext und in ihrer Struktur entsprechend variabel. Sie wachsen aus dem Dialog heraus, durch fortschreitende Semantisierung nicht an die Situation zurückbindbarer Aspekte; sie können jedoch auch in ihrem Verhältnis zu Sachverhaltsdarstellungen gesehen werden als deren unmarkierte, kontextgebundene Formen, deren Beherrschung durch die Ausbil1
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Die Diskussionen etwa um die Anteile des Mündlichen und Schriftlichen, des Rezeptiven und Produktiven im Alltag und die daraus gezogenen Schlüsse für die jeweiligen Anteile von Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben im Unterricht sind ein Beispiel für verfehlte Argumentation. Sie begreifen die Lernsituation als Spiegelbild der Gebrauchssituation, ohne Rücksicht auf die Eigengesetzlichkeiten des Lernens und der Lernsituation. Es ist nicht wahrscheinlich, dass alle Lernenden auch nur bereit sind, ihren Gesprächsstil in der Fremdsprache den jeweiligen Gepflogenheiten anzupassen, selbst wenn dies leicht möglich wäre (was es wohl meist nicht ist). Es kann dies aber nicht eigentlich Unterrichtsziel sein. Viel eher geht es darum, für Unterschiede zu sensibilisieren und damit umgehen zu lernen.
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dung der differenzierteren und komplexeren Muster vorbereitet und unterstützt wird. 4. Der hier angesprochene Kontaktbereich bildet nicht nur eine Ausgangsbasis für die Weiterentwicklung der Kompetenz im mündlichen Bereich, er stellt gleicherweise die Grundlage für eine Förderung der Schreibfähigkeit dar, sofern und soweit eine solche angezielt wird. Natürlich erfordern normgemässe, textsortenspezifische Texte in vielem eine höher spezialisierte Kenntnis des schriftsprachlichen Kodes, als sie in den hier in den Vordergrund gestellten Sprachgebrauchsweisen benötigt wird. Die Auseinandersetzung mit texthaften Äusserungen im Unterricht braucht sich jedoch nicht von Anfang an am Ideal des entwickelten, komplexen schriftlichen Textes zu orientieren, sondern kann diese Arbeit fruchtbar wohl dann angehen, wenn die Zwischenstufe beherrscht ist. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der hier so genannte Kontaktbereich von mündlichen und schriftlichen Ausdrucksformen ein potentiell höchst lerarelevantes Feld von Sprachgebrauchsweisen darstellt. Es handelt sich hier um Äusserungsformen, die im Sinne von Ellis einen formellen Gebrauch von Sprachmitteln erfordern und damit auch die zielgerichtete, intentionskontrollierte Überformung des Outputs durch sekundäre Prozesse. Gleichzeitig sind diese Äusserungsformen nicht überspezialisiert; sie erlauben die maximale Entfaltung und Anreicherung eines grundsätzlich neutralen Registers, dessen einzelne Momente der Möglichkeit nach sowohl im schriftlich-textuellen wie im mündlich-dialogischen Bereich eine weite Verbreitung haben, im Gegensatz etwa zu den spezialisierten, zum Teil hoch idiomatischen Sprachmitteln, welche in gewissen Textsorten (Bewerbungsschreiben, Geschäftsbriefe, akademische Texte) benötigt werden, aber nur für gewisse Lernergruppen von Belang sind1. 4.3 Didaktische Überlegungen zum Schreiben In 4.1 wurde darauf hingewiesen, dass Sprachgebrauch in vielen Phasen des Unterrichts zur Mitte tendiert: zu einem professionellen, in gewissem Sinne formellen Sprechen. Es Hesse sich nun argumentieren, dass das, was im letzten Abschnitt besprochen wurde, schon längst verwirklicht und somit nicht weiter von Interesse sei. Dieser Einwand scheint mir nicht stichhaltig zu sein. Die Unterrichtssituation ist, wie in 1.4/1 betont wurde, geprägt durch ein starkes Übergewicht des Lehrers, der nicht nur die meiste Redezeit selbst beansprucht, sondern durch seine Rolle als Organisator, Initiant und Leiter von Unterricht auch die Redebeiträge der Lernenden stark, oft bis in die Einzelheiten thematisch vorherbestimmt und sogar sprachlich vorstrukturiert. Die Lernenden bekommen so nur bedingt Gelegenheit, aktiv und selbstgesteuert ihre Kompetenz zum Ausdruck von Gedanken zu verwenden, die nicht schon vorgedacht sind. Die zentrale kom1
Solche idiomatischen sprachlichen Register lassen sich bis zu einem gewissen Grade natürlich auch in relativ einfachen Texten benutzen, wenn dies den Kurszielen entspricht; diese kuizen Textformen selbst zwingen aber nicht dazu.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
munikativ-didaktische Strategie muss darin bestehen, diesen Zusammenhang von unangefochtener Lehrerdominanz und Reaktivität des Lernerverhaltens aufzubrechen. Einen - ins Dialogische zielenden - Ausstieg aus diesem Grundmuster bietet die Vorbereitung und Durchführung von dialogischen Übungen (etwa Zwei-Weg-Übungen), Rollenspielen, Simulationen usw. in Regie der Lernenden, meist mit variierenden Anteilen an Gruppenarbeit. Einen anderen, eher auf die Befähigung zu Sachverhalts darstellendem Sprechen bezogenen, bildet der Versuch, die Lernenden vermehrt ihre Erfahrungen und ihr Wissen (sei dies im Unterricht selbst erworben oder von aussen in ihn eingebracht) in den Unterricht einfliessen zu lassen und sie auf diese Weise dem Lehrer gegenüber zu einem nicht bloss reaktiven Sich-Äussern zu ermächtigen. Ein Problem mit diesem Ansatz ist, dass die Möglichkeit zur Äusserung von Meinungen, Einsichten oder Argumenten häufig nur von besonders gewieften Lernenden ausgenützt werden kann, wenn die Aufforderung im Gesprächsstil erfolgt, und dass die Lehrerdominanz auch hier sich üblicherweise rasch bemerkbar macht. Als Strategie, welche die zu rasche Vereinnahmung von Lerneräusserungen verhindern kann, legt sich natürlich auch hier die Gruppenarbeit nahe; in einem erweiterten Konzept kann auch das Schreiben eine gewichtige Rolle spielen. Auf Einzelheiten wird in Teil III eingegangen; hier müssen einige wenige Bemerkungen genügen. 1. Schreiben erlaubt es jedem einzelnen, ein - sei es auch kleinräumiges Konzept (eine Stellungnahme, eine Beschreibung, eine Erzählung) einzubringen, nicht nur einzelne Bruchstücke. Textuelle Erfassung von zu Sagendem erlaubt es, etwas zu formulieren, das sprachlich und vor allem auch inhaltlich eine gewisse Chance hat, ernst genommen zu werden. 2. Schreiben erfordert in hohem Masse jenen von Ellis herausgehobenen formellen Sprachgebrauch, der lernrelevant scheint und der im lehrerdominierten Unterricht zu kurz kommt, aber auch in themenbesprechender Gruppenarbeit zumindest dann kaum zum Zuge kommt, wenn die Unterstellung, dass man sich ja schon versteht, zu stark wird und der Anspruch auf differenzierte, genaue Ausdrucksweise schwindet. Dies betrifft genau jenes Merkmal, das auch für Swain zentral steht in der Ausbildung einer durchgeformten Sprachkompetenz. 3. Schreiben verunmöglicht nicht Dialog und Gruppenarbeit, sondern kann ihn sogar ermutigen. Lernertexte sind, wie Texte überhaupt, geformter Ausdruck, eine hervorragende Grundlage für alle möglichen Arten von themen- und sprachbezogener Aktivität, in der auf ganz unterschiedliche Weise formelle und informelle Momente verknüpft werden können (wie dies etwa Brumfit betont, der in diesem Aspekt einen der wenigen für ihn relevanten Punkte sieht, die fürs Schreiben sprechen)1. 4. Schreiben ist nicht notwendig schwieriger als Sprechen, es erfordert auch nicht bedeutend mehr Sprachmittel. Wo Lernende sich mündlich anders als repetitiv, nämlich mit Intention und Ziel ausdrücken können, kön1
Vgl. Mayer 1985: 84.
II.2 Schriftlichkeit, Schriftsprache, Text
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nen sie es mit Wahrscheinlichkeit auch schriftlich. Genau wie im Sprechen wird der Ausdruck im Schreiben zunächst weit hinter dem zurückbleiben, was für Muttersprachige Standard ist; dass dies im Schriftlichen sichtbarer in Erscheinung tritt als im Mündlichen, ist kein Grund, das Medium des Schreibens allein den Fortgeschrittenen vorzubehalten.
II.3 SCHREIBPROZESSE UND SPRACHPRODUKTION
Das letzte Kapitel steckte das Feld der Schriftlichkeit und des Geschriebenen ab und stellte einige der Aspekte heraus, die es prägen. Während dabei Verhältnisse beschrieben wurden, die gegenüber der Unterscheidung von Produktion und Rezeption als weitgehend neutral betrachtet werden können, geht es in diesem Kapitel um die Prozesse, durch welche neue Schriftäusserungen hervorgebracht und in jenes Feld der Schriftlichkeit eingeschrieben werden: um das Schreiben, und zwar um das Schreiben von Texten. Dieses findet nun immer vor dem Hintergrund der im letzten Kapitel beschriebenen Verhältnisse statt, stets abhängig davon natürlich, wie und wieweit diese vom Schreibenden aufgefasst und beherrscht werden. Die Regularitäten und die Form von Schreibprozessen sind aber weder aus diesen Verhältnissen ableitbar, noch sind sie ablesbar am vollendeten Produkt und seinen Strukturen. Der Produktionsprozess hat, obwohl bezogen auf beides, seine unabhängige Gestalt1. Die folgende Darstellung zerfällt in zwei grosse Blöcke. Zunächst werden die Resultate von Untersuchungen zum Schreibprozess vorgestellt - Modelle, welche die Komponenten, die interne Struktur und die Mittel der Kontrolle von Schreibprozessen bestimmen. In einem zweiten Schritt wird das dabei immer mit angesprochene, aber nicht analysierte Moment der Sprachproduktion in einem kognitiv-psychologischen Modell der Satzerzeugung und anhand der Resultate von empirischen Untersuchungen vorgestellt2. Diese Aufteilung hat gute Gründe. Textherstellungs-Kompetenz und Sprachkompetenz lassen sich als in gewissem Grade unabhängige Fähigkeiten verstehen. Im Texte-Herstellen wird auf die Sprachkompetenz zurückgegriffen, wie auf Kenntnisse der Sache, der Adressaten usw. zurückgegriffen wird: Sie wird instrumenteil eingesetzt. Im Zusammenhang mit Schreibtheorien wird dieser Aspekt (genauso wie das Funktionieren des Gedächtnisses usw.) nur so weit analysiert, wie es nötig ist, um das Zusammenspiel der verschiedenen Momente in der Tätigkeit der Textherstellung nachvollziehen zu können. Die Trennung reflektiert aber durchaus auch die verschiedene Herkunft und Tradition der Schreib- und der Sprachproduktionsforschung, ebenso die unterschiedlichen Untersuchungsmethoden, mit deren Hilfe Zugang zu den fraglichen Prozessen gesucht wird. Dass hier beide Aspekte behandelt werden, hat damit zu tun, 1 2
In diesem Sinne auch etwa Klings 1986, Kennedy 1985, Möhle/Raupach 1983. Bracewell et al. (1982) unterscheiden zwei grosse Bereiche der Produktion: «framing processes», die konzeptuelle Grundlagen zur Verfügung stellen, und «regulating processes», welche diese konzeptuellen Strukturen in Sprache übersetzen. Ähnlich äussern sich Cooper/Matsuhashi 1983. Implizit oder explizit wird diese Unterscheidung auch in allen unten zu besprechenden Modellen gemacht.
Π.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
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dass gerade im Fremdsprachenunterricht Schreiben ja nicht nur als Herstellen von Texten, sondern auch und vielleicht primär auch als Form der Auseinandersetzung mit Sprache interessiert und somit beides, vor allem aber das Zusammenspiel zwischen Textherstellungs- und Sprachkompetenz von Interesse ist. Es wird in dieser Darstellung nicht möglich sein, die Forderungen vollständig zu erfüllen, die etwa Bereiter an ein umfassendes Modell des Schreibprozesses stellt: A complete processing model would have to deal with all three of these aspects with the cognitive moves that make up writing and their organization; with levels of processing, from the highly conscious and intentional to the unconscious and automatic; and with how processing capacity is deployed to these various functions in such a way as to enable writing to go on. (Bereiter 1980:78)
Was im folgenden gegeben werden kann, sind Hinweise, Überlegungen und Modellelemente, die in einem solches Modell nicht fehlen dürften; Hauptziel ist, jene davon herauszustellen, die für den hier diskutierten Zusammenhang und in bezug auf die noch sehr junge Diskussion über Schreibprozesse in der Sprachdidaktik wesentlich sind. Im Hinblick auf das folgende sind noch einige Vorbemerkungen angebracht: 1. Die Prozessdimension des Schreibens wird hier in gewisser Ausführlichkeit behandelt, das Schwergewicht liegt dabei auf der Analyse der Momente, die den Schreibprozess ausmachen, und auf ihrem Zusammenhang untereinander. Vermittelt wird in dieser Darstellung ein Bild vom Schreiben als einem hochkomplexen Vorgang. Dies könnte zum Schluss verleiten, Schreiben sei deswegen etwas besonders Schwieriges. Dies wäre meines Erachtens ein Fehlschluss. Eine ähnlich ausführliche Darstellung der Vorgänge beim Sprechen, Hören oder Lesen würde kaum wesentlich weniger komplexe (oder noch komplexere) Modellbildungen erfordern. Wahrscheinlich ist es nicht seine Komplexität, welche das Schreiben gegenüber den anderen Sprachgebrauchsweisen abhebt, sondern einerseits der wichtige und obligatorische Stellenwert bewusster Kontrolle und Steuerung, die es erfordert, andererseits die hohen Normansprüche, denen die Schreibprodukte meist unterliegen. Es ist mit anderen Worten sein Arbeitscharakter, der die Spezifik des Schreibens ausmacht oder der zumindest mit dem Schreiben direkter verbunden wird als mit den anderen Sprachgebrauchsweisen1. 2. Viele der im folgenden allein im Hinblick auf das Schreiben explizierten Gesichtspunkte betreffen streng genommen nicht allein das Schreiben. 1
Bohn weist auf die intensiven psychologischen Effekte hin, welche das Schreiben auf die Einprägimg und die Durcharbeitung von Inhalten jeder Art hat. Diese sind zum Teil zurückzuführen auf die höhere Kapazität des visuellen Kanals, zum Teil lassen sie sich als direkte Konsequenzen der im Schreiben erforderten Überwachung und Kontrolle der Handlungsabläufe deuten, welche sich in der Verlangsamung der Arbeit, in der Intensivierung von Rückkoppelungsprozessen usw. ausdrückt (vgl. Bohn
1986: 83ff.).
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
Kognitive Ansprüche, wie sie im folgenden etwa unter Stichworten wie 'Planen' und 'Überarbeiten' ausgeführt werden, prägen in abgewandelter Form auch andere Aktivitäten. Wohl aber treten sie im Schreiben auf spezifische Weise hervor und werden auf greifbare Art problematisch. Schreiben ist - sicher nicht zufällig - ein Bereich, der (in der Schule und in den meisten höheren Bildungsgängen) gezielt auch als Instrument der Ausbildung und Messung von (allgemeinen, nicht sprach- oder schreibspezifischen) kognitiven und fachlichen Qualifikationen konzipiert wird.
1
Der Schreibprozess
Die Schreibprozessforschung versteht sich weitgehend als empirische Wissenschaft. Im folgenden werden ihre Ergebnisse und Modellbildungen diskutiert; auf die empirische Grundlagenarbeit kann nicht näher eingegangen werden. Vorauszuschicken sind zwei Bemerkungen. In der Schreibforschung werden relativ einfache Verhältnisse in den Vordergrund gestellt, das heisst überblickbare, zeitlich wenig ausgedehnte Schreibanlässe. Es wird nicht auf Komplizierungen eingegangen, die sich daraus ergeben, dass einer nicht allein schreibt, dass jemand sich schon längst mit gewissen Gedanken und Formulierungen getragen haben mag, bevor ein aktueller Anlass zum Schreiben und zum Formulieren gerade dieser Gedanken sich einstellte; oder daraus, dass ein Schreibprozess vielfach unterbrochen werden kann und sich u. U. diskontinuierlich über längere Zeit hinzieht; oder daraus, dass ein schon als abgeschlossen deklarierter Text noch einmal überarbeitet wird. So prekär also die hier gegebene Rahmenbestimmung des Schreibprozesses und seiner Grenzen ist, so wenig sinnvoll scheint es, all diesen möglichen Komplikationen zu viel Gewicht beizumessen, bevor die Strukturen eines relativ einfachen Schreibens mit einigermassen klaren Grenzen aufgeklärt sind. Diese Bestimmung der globalen Struktur 'normaler' Schreibprozesse erinnert stark an schulische Schreibanlässe mit ihrem von aussen gesetzten Schreibauftrag und der Aufgabe, innerhalb bestimmter Zeit einen Text zu verfertigen. In dieser Anordnung spiegelt sich durchaus eines der vordergründigen Ziele der meisten Untersuchungen zum Schreiben: einen Beitrag zu liefern für die Erforschung der Schwierigkeiten und Chancen des Schreibenlehrens und Schreibenlernens in unterrichtlichen Kontexten. Bisher hat sich das Interesse der Empiriker zudem weitgehend auf Prozesse beim Schreiben expositorischer Texte beschränkt. Es steht zu erwarten, dass personales Schreiben oder das Schreiben literarischer Texte in Details anders verläuft - kaum anders in dem Sinne, dass die fundamentalen Momente des Schreibprozesses andere wären als vielmehr anders in dem Sinne, dass zusätzliche oder andere Faktoren die Planung und Beurteilung von Geschriebenem beeinflussen (es ist wahrscheinlicher, dass Gedichte laut vorgesagt und auf ihren Ton hin geprüft werden als Memoran-
II. 3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
275
den; es ist wahrscheinlich, dass im personalen Schreiben oft nicht der Text als Produkt, sondern das Schreiben als Prozess im Vordergrund steht - mit wichtigen Folgen für die Gestaltung dieses Prozesses). 1.1
Überblick
Das Schreiben eines Textes ist ein in der Zeit ablaufender Prozess. Am Anfang steht ein Schreibimpuls, auf der anderen Seite, am Ende, die Entscheidung, den entstandenen Text als genügendes Resultat anzuerkennen. Kern des Schreibanlasses ist die Aufgabe, die der Schreibende sich selbst stellt oder die ihm von aussen vorgegeben wird. Das Endprodukt, der fertiggestellte Text, ist das Ergebnis eines mehr oder weniger aufwendigen Vorgangs der Aufgabenlösung; er ist zugleich das Substrat, das dem Verstehensvorgang eines eventuellen Adressaten zugrunde liegt. Wenn man den Text als den fundamentalen Faktor im Akt der schriftlichen Kommunikation begreift, als das eigentliche Vehikel des Austausche, so erscheint der Schreibprozess gegenüber dem öffentlichen Vorgang des Mitteilens, wie er mittels des Textes zustande kommt, als ein privater Vorgang. Dieser hat zwar vorab die Konstitution eines Textes (und damit die Ermöglichung von Mitteilung) zum Ziel, bleibt jedoch in seiner Eigenart und seinem Verlauf dem Adressaten weitgehend verborgen, weil er sich im Produkt, dem Text, nur in einzelnen Spuren abbildet. Den öffentlichen Normerwartungen und Bewertungskriterien für Texte entsprechen die eher privaten Kriterien, nach denen das Schreiben als leicht oder schwierig, anspruchsvoll, langweilig oder lustbetont erlebt und beurteilt wird. Nun ist über das Schreiben mehr zu sagen als dies. Die Untersuchungen zum Schreibprozess, die in den siebziger und vor allem in den achtziger Jahren durchgeführt wurden, geben eine Fülle von Einsichten in die Vorgänge des Schreibens und des Schreibenlernens. Auf ihrer Grundlage lässt sich nicht nur beschreiben, welche Teilprozesse ins Schreiben eingehen, sondern auch bis zu einem gewissen Grade, wie sich effektives von ineffektivem Schreiben unterscheidet, das heisst welche Merkmale das Schreiben als ausgebildete Fertigkeit auszeichnen. Schreiben findet in einem äusseren und inneren Umfeld statt und ist abhängig von den dem Schreibenden zur Verfügung stehenden Ressourcen. Zu den wichtigsten Einflussgrössen gehören hier - die kognitiven Ressourcen, zunächst die Erinnerungen, das Wissen und die Erfahrungen des Schreibenden; dann seine sprachlichen und kommunikativen Fähigkeiten, vor allem seine Kenntnis und das Ausmass der Beherrschung der schreibspezifischen Dinge: Wissen um Texte und Texteigenschaften, Beherrschung der Teilprozesse des Schreibens, Kenntnis der Kriterien der Beurteilung von Schreibprodukten; - die auf den zu schreibenden Text bezogenen Kenntnisse bzw. Entscheidungen: Zweck des geplanten Textes; Einschätzung der von den Adressaten vorauszusetzenden Kenntnisse, Einstellungen, Präferenzen usw.; die projektierte Gestalt des Textes und die Vorstellungen bezüglich sei-
276
Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
nes Gehalts und seiner beabsichtigen Wirkungen (im Verlauf des Schreibprozesses zusätzlich die jeweils bereits geschriebenen Textpassagen); - die eventuell geleisteten Vorarbeiten, die in Form von Notizen, Skizzen, Auszügen usw. vorliegen und konsultiert werden können; - die motivationale Basis, auf der der Schreibprozess aufruht und die entscheidend ist für das Mass an Sorgfalt und Arbeit, die der Schreibende in die Aufgabe zu investieren bereit ist; - die graphomotorischen Prozesse und ihre Geläufigkeit1 bzw. die Verfügbarkeit von Schreibmaschine oder Computer und die Geläufigkeit des Umgangs mit diesen; - die situativen Bedingungen des Schreibens, sein konkretes Umfeld: zeitliche Begrenzungen, Örtlichkeit, Beeinträchtigungen durch Lärm oder schlechtes Licht usw., die Möglichkeit, Hilfestellungen zu bekommen durch Nachschlagewerke oder Ansprechpartner usw. Die letzten drei Punkte werden in der folgenden Diskussion weitgehend ausgeklammert: Sie bestimmen wohl in weitem Masse den konkreten Ablauf des Schreibprozesses und seine Wahrnehmung durch die Schreibenden; im Kontext dieses Kapitels, in dem es um die generelle Frage nach den für den Schreibprozess als Vorgang der Vertextung spezifischen Faktoren geht, müssen sie in den Hintergrund treten. Das angezielte Produkt des Schreibens, der Text, ist auf dem Blatt ein zweidimensionales, flächiges Gebilde. Hinter dieser Normalform verbirgt sich eine fundamentale, zugleich hierarchische und lineare Struktur. Texte kennen einen Anfang und ein Ende, einen Ablauf, der sich im Lesen als eindeutige Leserichtung manifestiert. Alles, was gesagt wird, muss seinen Platz in diesem Nacheinander finden und zwischen dem Vorhergehenden und dem Nachfolgenden vermitteln. Zugleich ist es eingebettet in eine hierarchische Struktur. Je komplexer ein Text ist, desto zwingender wird die Notwendigkeit, seine verschiedenen Aussagen nicht nur im linearen Ablauf unterzubringen, sondern zugleich auch logisch-hierarchisch verknüpfte Textteile kenntlich zu machen. Auf Satzebene dient hierzu die Interpunktion, auf höheren Ebenen sind es Abschnitte, Zwischentitel, Kapiteleinteilungen usw. Die flächige Darstellung spielt eine entscheidende Rolle für den Ausdruck dieser Beziehungen, sie gibt dem Text ein Gesicht, das heisst siedelt die einzelnen Aussagen in definierten Zusammenhängen an und liefert damit Anhaltspunkte für die Ausbildung von Leseerwartungen und den Aufbau einer Texterinnerung2. Die Relevanz dieser zweidimensionalen Darstellung, die zugleich hierarchische wie lineare Texteigenschaften aufzeigt, kann kaum überschätzt werden. Man kann sich vorzustellen versuchen, was passierte, wäre Linearität das einzige sichtbar 1 2
Über die Schreibhandlung, vor allem den motorischen Aspekt, aus neurologischer Sicht vgl. Wallesch 1983. Diese ist ja häufig gebunden an bestimmte ästhetische Konfigurationen: Man weiss z.B., dass diese oder jene Information links oben, auf einer titellosen Seite, vermerkt war usw.
Π.3 Schieibprozesse und Sprachproduktion
277
gemachte Prinzip der Vertextung - etwa wenn Texte auf langen, schmalen Papierbändern fixiert würden (etwa so, wie Geschriebenes auf Einmal bändern von Schreibmaschinen sichtbar wird). Der totale Verlust an Übersicht würde das Lesen, noch mehr eine genaue Analyse massiv erschweren1. Natürlich muss diesen äusseren Kennzeichen der Textorganisation eine adäquate Verarbeitung des Mitgeteilten entsprechen; die hierarchische Gliederung muss im linearen Lesen mitvollzogen werden können. Die Organisation dieser Abfolge unterliegt Normen der Textgestaltung und der Kommunikation. Sie braucht in dem Wissen, worauf sich der Schreibende bezieht, nicht in der Weise angelegt zu sein, wie sie sich im Text manifestiert, und ist es wohl in den meisten Fällen nicht. Ebensowenig brauchen die notwendig sprachlich zu formulierenden Aussagen im Gedächtnis sprachnah repräsentiert zu sein. Schreiben als Strukturieren und Linearisieren erfordert demgemäss das zielbezogene Aufrufen, Umarbeiten, Explizieren und Neuverknüpfen von Wissensbeständen2. - Mit der Aufgabe des Schreibens ist zudem häufig der Zwang zur Neuerarbeitung von Wissen aus anderen Quellen (Büchern, Befragungen, ...) verknüpft. Auf diese zusätzliche Bedingung wird hier nicht eingegangen; sie scheint die Probleme, die beim Schreiben angetroffen werden, zu komplizieren, aber nicht wirklich zu verändern. Schreiben muss vor diesem Hintergrund als Problemlösen aufgefasst werden, als Vorgang, in dem die vorhandenen Kompetenzen eingesetzt werden, um eine Aufgabe zunächst im Hinblick auf das, was sie verlangt, zu definieren und dann zu lösen, das heisst den Text zu verfassen3. Die spezi 1
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Schon die Tatsache, dass etwa am Bildschinn nur immer ein kleiner Auschnitt eines längeren Textes sichtbar wird, macht manchem Schwierigkeiten bei der Lektüre, geschweige denn bei der Überarbeitung seiner eigenen Texte, weil die Gesamtstruktur, die Abstände der einzelnen Passagen voneinander, ihre relative Länge usw. kaum überblickbar sind, der Text damit wenig Gestalt zeigt Dieses selbe Problem kann sich auch beim Lesen langer Texte, etwa Romanen wie Musils "Mann ohne Eigenschaften", sehr deutlich einstellen: Die pure Vielzahl der Seiten macht andere Orientierungshilfen als die äussere Textgestalt unerlässlich, beabsichtigt der Leser mehr, als sich einfach durch die fortlaufende Darstellung führen zu lassen. Solche Hilfestellungen bietet etwa das Inhaltsverzeichnis oder Techniken wie überfliegendes Lesen, wiederholte Lektüre, das Anfertigen von Exzerpten usw., die es erlauben, das Gelesene besser zu organisieren und hinter die vor sich gehende Lektüre ein Bild des Ganzen zu projizieren. So stellen Hayes/Flower in bezug auf einen von ihnen analysierten Text und die in ihm auftretenden Konzepte fest: «Clearly, the retrieval order is very different from the outline order» (1980: 27) Vgl. de Beaugrande 1984:149, Flower/Hayes 1984. Zum Problem der Kodierbarkeit, der Umsetzung von konzeptuellen Repräsentationen in Sprache vgl. unten, 2.1. Diese Bestimmung ist keine der Funktion von Schreiben, der andere Funktionen (Kommunikation, Dokumentation, mit sich selbst ins reine kommen usw.) gegenübergestellt werden könnten, sondern bezeichnet (unter psychologischer Perspektive) seine Natur. In ähnlichem Sinne sind auch Sprechen, Verstehen, Rechnen und Radfahren Problemlöseprozesse; sie unterscheiden sich jedoch vom Schreiben in ent-
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
fische Komplexität und die Schwierigkeit des Schreibens ergibt sich daraus, dass die eben angesprochene Arbeit des Aufrufens, Bearbeitens und sprachlichen Darstellens von Wissensbeständen vielfachen Rahmenbedingungen gleichzeitig unterliegt; das heisst die zu wählenden sprachlichen Formulierungen haben verschiedenen Kriterien zu genügen. Flower/Hayes (1980: 34ff.) nennen drei Bündel solcher Anforderungen: sachbezogene, adressaten- und funktionsbezogene sowie sprachlich-textuelle. Ein Text bezieht sich demnach zunächst auf einen Sachverhalt und hat diesen adäquat und verständlich darzustellen; diese Darstellung hat in bezug auf einen Zweck und einen Adressaten zu erfolgen und dabei die Intentionen des Autors bezüglich dieses Zwecks/dieser Adressaten zu realisieren; schliesslich hat die sprachliche Fassung die einschlägigen Erwartungen (Kohärenz, Textsortennormen, Schriftsprachlichkeit) zu erfüllen1. Im Insgesamt des Textes muss jede einzelne Aussage den Bedingungen aller drei Dimensionen genügen, damit der Text als in sich kohärentes, stimmiges Gebilde wahrgenommen wird. Ähnlich argumentieren Collins/Gentner (1980: 52); ihre «sources of constraints» sind, analog zu Flower/Hayes, Inhalt, Zweck und Struktur. Feilke (1988: 66) dagegen listet vier Textordnungs-Probleme auf: Ausdruck, Überzeugung, Inhalt und Gestaltung; in den ersten drei lassen sich unschwer die drei grundsätzlichen Aspekte des Bühlerschen Zeichenmodells erkennen2. Zum Zusammenhang dieser verschiedenen Problembereiche merkt Feilke ganz in der Linie von Flower/Hayes an: 1. Jedes Problem stellt eigene Anforderungen, die sich bei der Lösung auch gegenüber den Anforderungen der anderen in den Vordergrund drängen können. 2. Fast jeder Lösungsversuch in einem Problembereich erzeugt neue Probleme für einen der anderen Problembereiche. 3. Wenn der Gesamttext homogen bleiben soll, müssen die
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scheidenden Dimensionen. - Ist die Schreibfähigkeit weit genug entwickelt, lässt sich das Schreiben gezielt zur Lösung von Denk- und Ausdrucksproblemen einsetzen. In dieser epistemischen (heuristischen) Funktion werden Charakteristika des Schreibens als eines Problemlösehandelns strategisch, das heisst gezielt und in hoher Dichte zur Gewinnung von Ideen, Erkenntnissen usw. eingesetzt. Zum Verhältnis von Schreiben als einem Problemlöseprozess zu diesen speziellen Problemlösestrategien vgl. Molitor 1989. Diese Kriterien entsprechen genau den von Halliday (1978) herausgestellten grundlegenden pragmatischen Dimensionen, nach welchen nicht nur Texte, sondern jede sprachliche Äusserung analysiert werden kann. Sie treten im Texteschreiben jedoch besonders prominent ins Bewusstsein - als Ansprüche, die oft nicht selbstverständlicherweise erfüllt werden können. Bühler (1934) nennt sie Ausdruck, Appell und Darstellung. Das Fehlen der Ausdrucks-Dimension in den anderen genannten Beiträgen könnte damit zu tun haben, dass in der Schreibforschung in den Anfängen (und bis heute) expositorische Texte im Mittelpunkt des Interesses stehen - Texte also, in denen der Autor als Person herkömmlicherweise wenig zur Geltung kommt. Man könnte diese Auslassung aber auch mit dem Hinweis darauf zu legitimieren versuchen, dass jede Selbstinszenierung des Autors in einem Text als Ausdruck einer adressatenbezogenen Strategie gelesen und damit auch in dem Dreierschema berücksichtigt werden kann. Damit würde zwar der Bühlersche Begriff des Ausdrucks wohl zu eng gefasst, zugleich aber dieses höchst schwierige Konzept etwas fassbarer gemacht
Π. 3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
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Schreiber nach Wegen suchen, die Texte im Blick auf die angesprochenen Problem dimensionen funktional zu integrieren. (Feilke 1988:68; vgl. Feilke/Augst 1989)1.
Insgesamt sind mit der Erfüllung dieser Anforderungen Vorleistungen für die Kommunikation verbunden, die der Schreibende zu erbringen hat, damit sein Text als normal funktionierender akzeptiert werden kann. Im Schreibprozess nun müssen diese Ansprüche erfüllt werden. Das Ideal des Schreibens, dem viele nachhängen und das sie selten realisieren, ist ein flüssiges Schreiben, in dem alle Problemlöse-Aktivitäten in der Zeit, die der relativ langsame Rhythmus des Fixierens vorgibt, zur Zufriedenheit des Schreibenden ausgeführt werden können. Ein solches Schreiben dürfte aber wohl eher die Ausnahme sein. Übersteigt die Komplexität der Aufgabe (gemessen an den Möglichkeiten des Schreibenden) eine gewisse Schwelle, wird dieser Fluss gebrochen; einzelne Probleme - der Planung, der Wortwahl, der Orthographie - verlangen dann ein Mass an Aufmerksamkeit, das nicht mehr schreibbegleitend aufgebracht werden kann. Die Momente des Schreibprozesses tendieren dann dazu, auch äusserlich sichtbar zu werden. Dies schlägt sich nieder in Pausen, eventuell in verschiedenen Schreibversuchen und Streichungen, nochmaligem Durchlesen, Korrekturen usw.2 Die Form, die der Schreibprozess annimmt, beschreibt dann den auch äusserlich nachvollziehbaren Weg, den der Autor mehr oder weniger geschickt einschlägt, um seine Ideen anforderungsgerecht zu vertexten. Darüber Auskunft zu geben, was im Schreiben passiert und wie Schreibende ihren Prozess gestalten, ist die Aufgabe von Schreibtheorien. 1.2 Der Schreibprozess: Komponenten, Phasen, Kontrolle Traditionell wurden Modelle des Schreibprozesses vor allem in didaktischen Zusammenhängen vorgebracht, vom einfachen "Schreibe, wie du sprichst" über das etwas raffiniertere "think-it-say-it" bis zu komplexeren, die eine Phasenfolge von Entwerfen, Schreiben und Überarbeiten vorsehen3. Alle diese Versuche, das Schreiben zu konzeptualisieren, sind didaktisch in unterschiedlichem Ausmass fruchtbar; als Vorstellungen von der Art, wie Schreiben als Prozess vonstatten geht, sind sie zu eingeschränkt; zu allen liesse sich sagen, was Flower/Hayes zum zweiten bemerken: 1
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Im Hinblick auf die dichte Verwendung der Ausdrücke 'Problem' und 'problematisch' in der anstehenden Diskussion sei nochmals daraufhingewiesen, dass damit zunächst analytisch eine Aufgabe bezeichnet ist, fttr die eine Lösung nicht einfach aus dem Gedächtnis abgerufen werden kann, sondern konstruiert werden muss. In diesem Sinne ist jede Schreibarbeit problematisch. Wie sehr sie als solche auch erlebt wird, ist eine ganz andere Frage. Geübte können auf einer Schreibmaschine oder einem Computer sehr viel schneller schreiben als von Hand. Ein kontinuierlicher Schreibvorgang ist hier noch weniger zu erwarten - zumindest sind auch bei sehr leichtgängigem Schreiben prononcierte Pausen- und Zögerphänomene zu erwarten. Im englischsprachigen Bereich ist das Schema unter den Stichworten «prewrite-writerewrite» gängig. Zu einer Besprechung pädagogischer Vorstellungen vom Schreibprozess siehe Ludwig (1983d; 1989).
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
«when it is not plain wrong, it is rather useless because it tells us so little about what actually happens when people write.» (1980: 32). Ähnliches gilt für Modelle, die auf komplexere Weise das Schreiben als einen Stationenweg darstellen, in dem einzelne Positionen nacheinander abgearbeitet werden. So geben z.B. Collins/Gentner (1980: 66f.) vielfältige Hinweise auf Teilprozesse beim Schreiben; sie schlagen dann für didaktische Zwecke ein schrittweises Vorgehen vor, das in sechs Schritten vom Plan zum fertiggestellten Text führt. Und Cooper/Matsuhashi (1983) beschreiben verschiedene Parameter auf der textuellen Ebene wie auf der Satzebene, welche im Schreiben eine Rolle spielen und welche sich als Schritte der Konkretisierung und schliesslich sprachlichen Realisierung von textbezogenen Plänen verstehen lassen1. Hier wie bei Collins/Gentner ist es jedoch schwierig, solche aufs Produkt bezogenen und am Produkt festmachbaren strukturellen Gesichtspunkte als solche des Schreib/vozeyses zu verstehen. Wenn damit natürlich relevante Gesichtspunkte genannt sind, die in jedem Schreiben eine Rolle spielen, so erlauben solche Schemata doch nicht, die Prozesse nachzuzeichnen, durch die Texte produziert werden. Wer je verpflichtet war, zu seinem Aufsatz einen Plan mit abzuliefern, weiss um diesen Sachverhalt. Es ist ja meist so, dass der Entwurf erst geschrieben oder vollendet werden konnte, wenn der Text fertiggestellt war (oder der Text entsprach am Ende nicht dem Aufriss). Ebenso deutlich ist jedem die Erfahrung, dass Formulierungen in aller Präzision einfach in den Sinn kommen können, während andererseits oft kein Schritt-fürSchritt-Prozedere hilft und vielfache Anläufe nötig sind, bis ein Gedanke seinen adäquaten Ausdruck findet. Schreiben ist vielleicht nie ein konsequentes Abarbeiten einer Grundidee durch verschiedene Stadien der Konkretisierung hindurch, wenn auch, analytisch betrachtet, die in den angesprochenen Auflistungen vermerkten Aspekte alle am Produkt feststellbar sind. Sie sind es jedoch völlig unabhängig davon, wie die Prozesse abgelaufen sind, die zu diesem Produkt geführt haben. Der Schreibprozess muss demgemäss zwar bezogen auf, in seiner Eigenart aber unabhängig von solchen strukturellen Gittern beschrieben werden. 1.2.1 Der Schreibprozess als Folge von Teilprozessen Flo wer und Hayes gehören zu den ersten Forschern, welche den Schreibprozess systematisch und mit Hilfe empirischer Methoden untersuchten. Ihre Analysen stützen sich vor allem auf Protokolle 'lauten Denkens'; das heisst: Probanden hatten während des Schreibens alles, was ihnen durch den Kopf ging, zu verbalisieren. Dieses Verfahren ist in der Schreibforschung höchst fruchtbar geworden; es wird, als einziges Mittel der Analyse 1
Allein bezogen auf die Formulierung von Sätzen unterscheiden Cooper/Matsuhashi folgende Schritte der Realisierung: Formulating a proposition, framing the proposition, placing the proposition, directing the proposition, connecting the proposition, wording the proposition, presenting the proposition, storing the proposition, transcribing the proposition.
Π.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
281
oder verbunden mit anderen (Videoaufnahmen, Textanalyse, Interviews), in den einschlägigen Untersuchungen immer wieder eingesetzt1. Aufgrund ihrer Analysen und Beobachtungen beschreiben Hayes/Flower in einem einflussreichen Aufsatz den Schreibprozess als eine Struktur aufeinanderfolgender Teilprozesse. Grundlegend für ihr Modell ist die Dreiteilung Planen, Versprachlichen 2 und Überprüfen (fürs folgende siehe vor allem Hayes/Flower 1980). Beim Planen werden weiter unterschieden: Ziele setzen, Ideen produzieren, Ideen organisieren. Das Überprüfen richtet sich einzig auf bereits Geschriebenes; es geschieht entweder (eingestreut in die übrigen Prozesse) als Edieren oder als Revidieren, das heisst als systematisches und bewusstes Beurteilen des Geschriebenen, vorwiegend gegen Ende des Schreibprozesses3. Hayes/Flower geben für die von ihnen unterschiedenen Teilprozesse detaillierte Ablaufdiagramme der konstitutiven Schritte, die ihnen zugrunde liegen4. Damit werden sie als klar abgegrenzte und identifizierbare kognitive Prozesseinheiten dargestellt. In dieser Beziehung ist das Modell «rather specific about the nature of the individual processes» (1980: 29). Einstieg in den Teilprozess Organisieren' gibt beispielsweise die Zielsetzung, vorhandenes Material (etwa eine Liste von Inhaltsideen) zu organisieren, das heisst zu einem Plan zu verarbeiten. Ein solcher Listeneintrag wird gelesen; erscheint er als sinnvoll, wird entschieden, an welcher Position im prospektiven Text er am besten zur Geltung käme, wie er sich zu bereits eingereihten anderen Einträgen verhält usw. Gelingt eine befriedigende Zuordnung, kann der nächste Eintrag vorgenommen bzw. die Planung abgebrochen werden. Gelingt die Einordung nicht, muss entschieden werden, was mit dem Eintrag passieren soll. Die übrigen Optionen sind die gleichen: Weiterplanen oder Abbrechen. Abbrechen muss nicht bedeuten, dass der Schreibprozess überhaupt abgebrochen wird (oder beendigt ist), sondern besagt in den meisten Fällen, dass ein anderer Teilprozess (z.B. Schreiben statt Planen) ausgeführt wird. Dieses Ablaufschema ist, wie alle anderen, in einem Zirkel organisiert: Jede Entscheidung bzw. jede Serie von Entscheidungen, die einen Durchgang ausmachen, führt an den Anfang zurück. Diese Aktivitäten sind um Einheiten herum organisiert, die man je nachdem als 'Gedanke' oder 1 2 3
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Vgl. Hayes et al. 1987 für eine Verteidigung dieser Methode, siehe auch Klings 1986a, 1989; Königs 1988. «Translate» in der Terminologie von Hayes/Flower. Im folgenden auch als Vertexten. Formulieren oder vereinfachend auch als Schreiben bezeichnet. «We distinguish between reviewing and editing as two distinct modes of behavior. On the one hand, editing is triggered automatically and may occur in brief episodes interrupting other processes. Reviewing, on the other hand, is not a spur-of-themoment activity but rather one in which the writer decides to devote a period of time to systematic examination and improvement of the text.» (Hayes/Flower 1980:18) Hayes/Rower geben solche Diagramme für vier Teilprozesse: Ideen-Generation, Organisieren, Versprachlichen, Revidieren/Edieren. Das Ziele-Setzen wird nicht weiter ausgeführt.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
'Idee* oder 'Formulierung' bezeichnen könnte, als relativ kleinräumige Grössen also. Ideen-Generieren heisst danach, das Gedächtnis nach Einfallen, einschlägigem Wissen usw. absuchen; jeder Einfall (der natürlich später im Text zu relativer Auführlichkeit expandiert werden kann) wird als solcher Thema eines Teilprozesses: Er wird beurteilt, eventuell aufgeschrieben, wonach die Suche weitergehen kann. Ähnliches gilt für die anderen Teilprozesse. Teilprozesse könnte man demnach als minimale Prozessschritte bezeichnen, als kleinste identifizierbare relevante Einheiten des Schreibprozesses. Diese Teilprozesse nun können einander fast beliebig ablösen. So wurden in den protokollierten Schreibprozessen etwa Vertextungshandlungen immer wieder durch Editions- bzw. Generierungsprozesse unterbrochen strategische Massnahmen der Schreibenden, um auftretende Probleme zu lösen. Die Schwierigkeit weiterzuschreiben wurde z.B. als ein Mangel an Ideen interpretiert, demgemäss versuchten die Schreibenden, solche aus dem Gedächtnis abzurufen und im Hinblick auf den Text zu organisieren. Es ist anzunehmen, dass auch die anderen Teilprozesse jederzeit aktiviert werden können: Eine Schwierigkeit, die sich nicht lösen lässt oder die zu lösen keine Zeit zur Verfügung steht, kann etwa dadurch umgangen werden, dass Ziele neu definiert werden usw. Die Teilprozesse sind demgemäss immer auf den intendierten Text gerichtete Aktivitäten; sie lassen sich jedoch nicht direkt mit einzelnen von dessen Ebenen direkt koppeln. Zielanalyse und Inhaltsplanung können es mit relativ abstrakten oder sehr oberflächennahen Fragen der Texterarbeitung zu tun haben, ebenso das Überarbeiten. Allein das Formulieren als sprachliche Realisierung geschieht notwendig immer lokal. Übergänge sind nun nicht nur von einem Teilprozess zu einem anderen möglich, ebenso können aufeinanderfolgende Teilprozesse beliebig auf verschiedene Ebenen des intendierten Textes ausgerichtet werden: Von der Globalplanung ist es nur ein Schritt zur Planung eines Details, die Beschäftigung mit einem Orthographieproblem kann sich mitten in der Beschäftigung mit Fragen der Satzbildung oder der Revision einer Formulierung ergeben usw. Insgesamt ergibt sich das Bild eines Prozesses, in dem die Aufmerksamkeit sich oszillierend auf verschiedene Aspekte des intendierten Produkts wendet und dabei, je nach Notwendigkeit, verschiedene Arbeitsweisen aufgerufen werden: Planungs-, Versprachlichungs- oder Revisionsaktivitäten. Es ist anzunehmen, dass zwischen den verschiedenen Aktivitäten gewisse Voraussetzungsrelationen bestehen. Es kann nicht ohne minimale vorhergegangene inhaltliche Planung formuliert werden, ebenso setzt jede solche Planung eine gewisse Zielanalyse voraus; Edieren und Revidieren sind explizit definiert als Tätigkeiten, welche auf Resultaten von Realisierungsprozessen aufruhen. Dies kann jedoch nicht bedeuten, dass Zielanalyse und Inhaltsplanung jeweils voll durchgeführt sein müssten, bevor das Versprachlichen möglich würde. Schreibprozesse sind im Gegenteil dadurch ausgezeichnet, dass Zieldefinitionen und Inhaltsplanung oft erst endgültig zustande kommen im Verlaufe der Schreibarbeit selbst.
Π.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
283
Das Modell von Hayes/Flower hat sich in der Schreibforschung ausserordentlich befruchtend ausgewirkt, es hat sich auch in der praktischen Anwendung als flexibles und aussagekräftiges Analyseinstrument erwiesen. Es erlaubt Schreibprozesse in einigem Detail nachzuzeichnen und interessante Differenzen festzuhalten etwa in der Art, wie geübte und weniger geübte Schreiber ihren Schreibprozess organisieren und durchführen. Im folgenden soll auf einige Fragen eingegangen werden, die sich vor dem Hintergrund dieses kurzen Abrisses stellen; die weiteren Ausführungen in diesem Abschnitt sollen Ansatzpunkte für mögliche Antworten geben; dabei wird nicht nur auf die Beiträge von Flower und Hayes, sondern auch auf andere zurückgegriffen. Die wichtigsten Fragen, auf die zurückzukommen sein wird, sind: 1. Das Hinschreiben selbst, das aktuelle Fixieren, wird von Hayes/Flower nicht als eigener Teilprozess aufgeführt. Dies ist überraschend, ist es doch ein auch äusserlich unübersehbares Merkmal des Schreibens. Ein möglicher Grund für diese Vernachlässigung könnte darin bestehen, dass das Fixieren nicht eigentlich ein konzeptueller Prozess ist, wie dies Planen, Versprachlichen und Überarbeiten sind. Ein anderer könnte sein, dass Hinschreiben in allen Teilprozessen eine Rolle spielen kann. Es ist mit dem Versprachlichen verbunden, denn es kodifiziert die Ergebnisse dieses Teilprozesses; es tritt - optional - auch innerhalb der anderen Teilprozesse auf, etwa im Notieren von Einfallen oder im Organisieren des Textplans, natürlich ebenfalls im Edieren und Revidieren. Die Frage ist, ob die Auslassung berechtigt ist. In den von Hayes/Flowers untersuchten Protokollen scheinen Aufschreibprobleme eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben. Dies ist bei einigermassen schreibkundigen Personen zu erwarten. Die Prozeduren der Fixierung, auch die Kenntnisse der Orthographie usw. sind bei solchen Schreibenden gut verankert. Trotzdem muss man davon ausgehen, dass das Fixieren Kapazitäten binden und damit den Prozess beeinflussen kann. Obwohl es in den meisten Fällen relativ automatisiert abläuft, wird es doch selbst problematisch, wenn z.B. über Fragen der Orthographie und Interpunktion oder auch solche der Textdarstellung (Absätze, Kapitel) entschieden werden muss, sofern diese in den vorbereitenden Handlungen bis hin zum inneren Formulieren des zu Schreibenden noch nicht berücksichtigt worden sind. Ebenso kann allzugrosse Ungeschicklichkeit (schreibmotorische oder im Umgang mit der Tastatur) den Produktionsprozess nicht nur verlangsamen, sondern effektiv stören1. Solche Aspekte sind im Modell von Hayes/Flower nicht zu fassen. 2. Das eben vorgetragene Argument lässt sich mühelos verallgemeinern. Was als Teilprozess gelten kann, scheint sich weitgehend aus dem zu bestimmen, was Schreibende (in den Protokollen) kundtun. Diese Teilprozesse sind makrostrukturelle Grössen, sie basieren darauf, wie die Schreibenden ihre Arbeit selbst erfahren. In diesem Sinne ist es wahrscheinlich zu verstehen, dass Hayes/Flower etwa das Notieren von Einfallen nicht als 1
Siehe auch Molitor 1989:29ff.; Bauimann/Ludwig 1985.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
eigenen Prozess verbuchen, obwohl, mikrostrukturell, auch dies als Aktivität eigenen Ranges, mit eigenen Schwierigkeiten, eigenem Planungs- und Evaluationsbedarf ausgewiesen werden kann. Es stellt sich nun die Frage nach dem Verhältnis der von Hayes/Flower beschriebenen Teilprozesse - die als klar gegeneinander abgesetzt erscheinen - zu den vielfachen Operationen, die dabei mitlaufen, die aber nicht stets gänzlich unbeaufsichtigt durchgeführt werden können, das heisst immer wieder der Aufmerksamkeit bedürfen (vgl. Molitor 1984: 15ff.). Hier ergeben sich heikle Abgrenzungsprobleme. Tippfehler z.B. werden häufig sofort, sogar kinästhetisch, wahrgenommen und korrigiert. In diesem Fall wird ein dem aktuellen Zweck (z.B. eine Passage formulieren) völlig äusserlicher Vorgang thematisch. Hier wären nach Hayes und Flower wohl zwei Teilprozesse anzusetzen: das Formulieren, das unterbrochen wird durch einen kurzen, eingestreuten Moment des Edierens. Die Frage ist, warum dann nicht auch das Notieren eines Einfalls beim Planen eine kurze, eingeschobene Phase des Versprachlichens/Formulierens (und schliesslich des Fixierens) ist. Sie wird aber als Teil des Planens verstanden, obwohl Planen auch ablaufen könnte, ohne dass irgendwelche Notizen gemacht werden. 3. Eingebaut in das von Hayes/Floewer gegebene Ablaufschema des Organisierens sind Evaluationen: Innerhalb jedes Durchgangs werden die relevanten Entscheidungen bewertet. Solche Bewertungen werden von Hayes und Flower fürs Vertexten und Revidieren nicht explizit ausgewiesen, sind jedoch auch dort anzusetzen. Die Entscheidung beispielsweise, einen Satz zu akzeptieren, ihn hinzuschreiben und vorwärtszugehen, also weitere Planstücke zu versprachlichen, setzt voraus, dass das eben Formulierte als akzeptabel erscheint. Solche zur Definition der Teilprozesse gehörigen Evaluationsschritte müssen sorgfältig von der Arbeit am bereits Geschriebenen (dem Edieren und Revidieren) unterschieden werden. Diese sind nachträgliche Formen der Evaluation, die sich als separate Arbeitsschritte erfassen lassen und die vor allem unabhängig von den aktuellen Prozessen der Planung und Realisierung, z.B. mit gewissem zeitlichem Abstand, erfolgen können. Evaluationen beruhen auf Standards. Diese sind nicht einfach mit den Standards gleichzusetzen, anhand derer das Endprodukt gemessen wird, vielmehr bestehen hier Spielmöglichkeiten. Die Weise, wie Schreibende mit Ansprüchen umgehen und sie in die Arbeit einbringen, kann entscheidend sein für die Effizienz ihrer Anstrengungen. Hayes/Flower erwähnen zwar das Ziele-Setzen als Teilprozess (unter dem Titel 'Planen'); die Rolle von Zielen und Beurteilungskriterien sowie deren Position im Modell verdient aber eine explizitere Behandlung1. 4. Zuletzt, und teilweise verbunden mit dem Problem der Evaluation, stellt sich auch die Frage, wie Schreibende den Schreibprozess insgesamt gestal1
Hayes et al. (1987) widmen in ihrem Aufsatz über Revisionen einen grossen Teil der Aufineiksamkeit genau diesem Gesichtspunkt. Siehe unten.
Π.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
285
ten. Für sie hat er durchaus nicht nur die Qualität eines oszillierenden Vorgangs, sondern weist starke zielgerichtete Strukturen auf. Hayes/Flower beantworten die Frage nach den Phasen des Schreibprozesses eher zurückhaltend; andere Modelle stellen diesen Aspekt mehr in den Vordergrund. 1.2.2 Ebenen der Textproduktion Die zwei ersten der eben angesprochenen Fragen lassen sich in einer Reformulierung des Modells ein Stück weit klären. Die damit verbundene Neuorientierung hat mit einer Uminterpretation des Zusammenhangs dieser Teilprozesse untereinander zu tun: Sie werden nicht mehr so sehr als voneinander weitgehend unabhängige Einzelkomponenten interpretiert, sondern als prominente Momente eines in sich stets komplexen Vorgangs aufgefasst. a. Die Modelle von Ludwig, de Beaugrande und Gould In den Modellen von Ludwig und de Beaugrande treten die von Hayes/Flower herausgearbeiteten begrifflichen Unterscheidungen weitgehend, wenn auch zum Teil modifiziert wieder auf. So spricht de Beaugrande (1984: 105ff.) von Zielplanung, Ideation, konzeptueller Entwicklung, Versprachlichung und schliesslich Satz- und Buchstaben- (bzw. Laut-)Linearisiening1. Diese Unterscheidungen werden durch Hinweise auf Resultate empirischer Untersuchungen begründet. Zielplanung beinhaltet die Festsetzung eines kommunikativen Ziels und eine Analyse der Bedingungen, die der geplante Text zu erfüllen hat. Ideation meint den Prozess der Ausarbeitung eines Konzepts, das die Ansprüche der Zielplanung in bezug auf den geplanten Text konkretisiert. De Beaugrande nennt das Produkt dieser Phase ein Text-Welt-Modell («text-world-model»). Konzeptuelle Entwicklung bezeichnet die detaillierte Ausarbeitung dieses TextWelt-Modells. Diese zwei letzten Stufen entsprechen etwa dem, was bei Hayes/Flower als Ideenproduktion und -organisation unterschieden wird. Die konzeptuellen Konfigurationen werden versprachlicht. Die Linearisierung der Satzstruktur und die Planung und Ausführung graphomotorischer Prozesse bilden die Elemente der Vorbereitung und Durchführung der Exteriorisierung. Ludwigs Modell (1983b) unterscheidet konzeptionelle Prozesse, innersprachliche Prozesse und redigierende Aktivitäten, die weitgehend dem Planen, Schreiben und Edieren/Redigieren bei Hayes/Flower entsprechen. Planen wird analysiert in Zielsetzung, gedankliche Konzeption, Bildung eines Schreibplans. Die beiden anderen Komponenten werden weiter entfaltet, als dies Hayes/Flower tun. So werden die innersprachlichen Prozesse hier aufgegliedert, und zwar in Textbildung, Satzbildung und Berücksichtigung von Konventionen der geschriebenen Sprache; als redigierende Aktivitäten erscheinen Lesen, Korrigieren, Emendieren, Redigieren, Neu1
De Beaugrande interessiert sich für Textproduktion weitgehend unabhängig von der Frage, ob derresultierendeText schriftlich oder mündlichrealisiertwird.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
Fassen. Ähnlich wie de Beaugrande führt auch Ludwig die graphomotorischen Prozesse an (Bildung eines Bewegungsprogramms, Ausführung, Kontrolle). Gould (1980) schliesslich kommt mit drei nicht weiter differenzierten Grundkomponenten aus: Planen, Schreiben, Überprüfen1; als vierte führt er lediglich das Benützen von Hilfsmitteln an. Dies ist etwas überraschend; in allen anderen Modellen fehlen Hinweise auf solche schreibbegleitende Handlungen. In diesen Modellen bezeichnen die verschiedenen Komponenten des Schreibprozesses im Unterschied zum dem von Hayes und Flower nicht fest abgegrenzte Teilprozese. Allerdings tragen die Entwürfe von Ludwig und de Beaugrande einen Doppelcharakter; sie zeigen zwei nicht leicht miteinander vereinbare Seiten. Auf der einen Seite werden die oben aufgeführten Komponenten, wie eingangs gesagt, als Momente kognitiver Prozesse beschrieben: als Aspekte, die sich an den kognitiven Aktivitäten des Schreibens unterscheiden lassen und die in jedem Augenblick des Schreibprozesses in bezug auf das gerade aktuelle Thema (sei dies nun der Text als ganzer, eine einzelne Formulierung oder ein Problem mit der Wortschreibung) potentiell alle eine Rolle spielen2. In dieser Lesart nähern sich die Modelle der von Hayes/Flower gegebenen Darstellung an, allerdings mit interessanten Differenzen. Auf der anderen Seite sind die Komponenten definiert im Hinblick auf den (projektierten) Text: auf seine (intendierte) Struktur und den angezielten Zweck. Deutlich ist dies etwa in den Charakterisierungen von Zielplanung und Inhaltsplanung. Diese werden in der Definition eindeutig mit den entsprechenden strukturellen Ebenen des angezielten Produkts verbunden. Auf der Grundlage dieser Konstellation lässt sich das Schreiben als Abarbeiten verschiedener Ebenen des intendierten Textes auffassen, was idealerweise zu einem Schreibprozess führt, der in Phasen ein zunächst nur abstrakt gegebenes Ziel realisiert. Nicht ganz leicht zu vereinbaren sind diese zwei Lesarten darum, weil sie das Schreiben unter verschiedenen Perspektiven thematisieren: einer kognitiv-pychologischen und einer eher text- bzw. resultatbezogenen. Deutlich wird dies am unterschiedlichen Stellenwert des Fixierens. Resultatbezogen wird das Verschilften nie zu den Phasen der Textproduktion gezählt. Es ist in allen solchen Schemata des Planens-Formulierens/Schreibens-Überarbeitens immer direkt mit dem Formulieren verkoppelt, erscheint sozusagen als dessen Extension und fügt den konzeptuellen Aktivitäten nichts Neues hinzu3. Allein bei der Erarbeitung von (wohl 1 2
3
'Überprüfen' hat hier ebenso sehr die Bedeutung von Evaluieren wie die von Revidieren/Edieren Nicht nur in bezug auf den Text als ganzen, sondern hinsichtlich jedes Teilproblems lässt sich postulieren, dass es situiert (das heisst als Problem analysiert und das Ziel der darauf bezogenen Handlung bestimmt) werden muss. Ähnlich weist sich jede Handlung über einen gewissen Planungsbedarf aus. Diese Aussage ist, genau betrachtet, nicht haltbar. Vgl. unten die Überlegungen zu Schreibplänen und Abschnitt 2.1.
Π.3 Schreibprozesse und Sprachpioduktion
287
zwangsläufig kurzen) Texten im Gedächtnis, die dann später als ganze hingeschrieben werden, liesse sich eine echte Phase des Hinschreibens von den anderen separieren, aber auch sie wäre ohne Einfluss auf das Produkt. Wird hingegegen übers Schreiben aus der Sicht der Psycholinguistik und Informationsverarbeitung gesprochen, das heisst über die kognitiven Leistungen, so sollte, wie oben schon angemerkt, das Fixieren als unabhängiger Faktor erscheinen, als Prozessschritt mit potentiell eigenen Ansprüchen an Kapazität und Ressourcen1. Hier soll zunächst nur dieser zweite Gesichtspunkt besprochen werden; auf den ersten wird unten eingegangen. b. Komplexität und Aufmerksamkeit Wichtig ist unter der kognitiv-psychologischer Perspektive nicht die in den verschiedenen Modellen jeweils unterschiedliche Zahl der identifizierten Komponenten des Schreibprozesses, sondern der ihnen zugeschriebene Status: Sie werden nicht als (seriell ablaufende, gegeneinander abgesetzte) Teilprozesse konzeptualisiert, sondern als Momente komplexer Realisierungsprozesse, als Aspekte textgerichteter kognitiver Aktivität2. Bei Gould kommt dies dadurch zum Ausdruck, dass die von ihm aufgezählten Komponenten des Planens, Schreibens und Überprüfens als Momente in der Analyse jeder einzelnen dieser Komponenten wieder auftauchen: In der Analyse des Planens lässt sich demnach selbst wieder ein Planen, Verprachlichen, Überprüfen unterscheiden (Gould 1980: 111). Das Formulieren ist von vorgeplanten Konzepten abhängig, zugleich aber selbst wieder auf (syntaktische, semantische) Planungsaktivitäten angewiesen, und unter möglichen Ausdrücken muss evaluiert und gewählt werden. Ebenso involviert das Überarbeiten ein Planen, ein sprachliches Erfassen und auch wieder ein Evaluieren des neuen Vorschlags. Potentiell spielen demnach immer mehrere, sogar alle unterschiedlichen Komponenten gleichzeitig eine Rolle. Dies wird etwa der Beobachtung gerecht, das alle textgerichtete Arbeit, auch die ziel- und inhaltsplanerische, vielfältige sprachliche Aktivitäten beinhalten kann3. Im Planen werden 1
2 3
Dass es bei Gould, der sonst deutlich informationstheoretisch argumentiert, nicht besonders erwähnt wird, hängt damit zusammen, dass er sein Modell nur als heuristisches versteht (Gould 1980: 111), aber auch mit den von ihm untersuchten sehr schreibkundigen Personen. In deren Schreibprozessen stellte Gould einen konstant hohen Anteil an Planungsprozessen fest, keine Probleme mit der Verschriftung. «The dominance of planning time suggests that conceptual or higher level characteristics are the main limiting factors in composition by people such as we have studied» (ebda.: 114). Die Verhältnisse sind etwa bei Kindern ganz andere. Gould betont in diesem Zusammenhang explizit die Wichtigkeit der Entwicklung der grundlegenden Fertigkeiten (der Schreibmotorik, der Rechtschreibung usw.), wenn es möglich werden soll, Aufineiksamkeit auf höhere Ebenen der Textproduktion zu lenken (ebda.: 115). Zum Folgenden vgl. auch Molitors (1984) intensive Auseinandersetzung mit den Modellen von Flower und Hayes, de Beaugrande, Ludwig und anderen. Es ist dies vielleicht nicht immer notwendig. Flower und Hayes gehen davon aus, dass auch bildliche Vorstellungen usw. im Planen eine Rolle spielen; es ist jedoch nicht
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
sich die benötigten Wörter und Ausdrücke werden sich meist von selbst ergeben; eine ausgeführte syntaktisch-semantische Durchformung ist in den meisten Fällen nicht nötig (aber auch nicht ausgeschlossen). Trotzdem bilden diese sprachlichen Begleiter des konzeptuellen Prozesses ein wichtiges Substrat etwa des Planens, sie werden denn auch häufig als Notizen (in der charakteristischen unverbundenen Form) fixiert, das heisst sichtbar gemacht als Gedächtnisstützen und Grundlagen für die weitere Arbeit. Genau dieses beiläufig sich ergebende sprachliche Substrat, das beinahe immer präsent ist, bildet übrigens auch die Grundlage des empirischen Verfahrens, das der Schreibforschung weitgehend zugrunde liegt. Das mitlaufende Verlautenlassen dessen, was jeweils gedanklich vorgeht, soll die ohnehin vor sich gehenden Prozesse ja bloss ausdrücken, nicht überformen oder zu einem Text formulieren. Allerdings ergibt sich eine akzeptable Versprachlichung durchaus nicht immer von selbst. Schon im Planen kann das Finden eines Wortes, die exakte Fassung einer zu machenden Unterscheidung problematisch werden, das heisst den Fortgang des Planens unterbrechen und kurzfristig das Finden eines adäquaten Ausdrucks in den Vordergrund bringen. Diese Verschiebung der Aufmerksamkeit geschieht regelmässig im Formulieren, in der Arbeit am sprachlichen Produkt (an der Herstellung von Kohärenz, Explizitheit und Korrektheit des sprachlichen Ausdrucks). In der kontinuierlichen Aktivität des Situierens-Planens-FormulierensFixierens, als welche der Schreibprozess unter dieser Perspektive erscheint, steht nun immer mindestens eine dieser Ebenen im Bewusstsein des Schreibenden. Diese bezeichnet die aktuelle Problemzone, auf die die Aufmerksamkeit hingelenkt wird, um die Arbeit weiterzubringen. Dies schliesst nicht aus, setzt sogar meist voraus, dass Aktivitäten auf den anderen Ebenen weiterspielen; allerdings bilden diese im jeweiligen Moment keine Problemzone, sie laufen als Operationen weitgehend automatisch ab. Dies gilt für die Akte des Versprachlichens und Fixierens (soweit ein solches vorgenommen wird) im Planen, für die meisten semantischsyntaktischen Entscheidungen beim (flüssigen) Formulieren, für das Fixieren der so bereitgestellten sprachlichen Ausdrücke. Wo die Ausführung solcher Operationen auf Hindemisse stösst (weil sich ein Konzept nicht leicht in diskursive Sprache setzen, die Schreibung eines Wortes sich nicht erinnern lässt usw.), muss die Aufmerksamkeit auf die jeweiligen 'tieferen' Ebenen verlegt werden. Zeigt sich bei der Realisierung, dass die Situierung und Planung von falschen Voraussetzungen ausging, so müssen die entsprechenden höherstufigen Schritte neu durchlaufen werden. So verraten Formulierungsprobleme oft tieferliegende Mängel in der konzeptuellen Basis, die versprachlicht werden soll; ebenso kann ein so ephemeres Phänomen wie die Wiederholung eines Wortes darauf hindeuten, dass eine Aussage eher wiederholt als weitergeführt wird usw. anzunehmen, dass Planung insgesamt ohne dichte sprachliche Aktivität stattfinden kann (vgl. unten, 1.3).
Π.3 Schreibprozesse und Sprachpioduktion
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Die Dissoziation zielbestimmender und planender Vorgänge von dem der Versprachlichung ist nach dieser Darstellung eine eher scheinbare; Versprachlichung spielt potentiell stets eine gewichtige Rolle. Allerdings ist sie von durchaus unterschiedlicher Qualität. Das Formulieren auf der einen Seite, das eigentliche Herstellen von Text, ist eine streng lokale Angelegenheit: Man kann nicht 'den Text' formulieren, sondern nur immer einzelne Aussagen im Zusammenhang mit anderen; diese Spracharbeit ist gekennzeichnet durch Anforderungen an Kohärenz, Explizitheit, syntaktische und semantische Geschlossenheit usw. Auf der anderen Seite lassen sich Textziele abstrakt definieren. Hierarchisch hochstehende Ebenen des Textes, denen ganze, unter Umständen lange Textteile zugeordnet sind, lassen sich planen, indem sie benannt, die präsumptiven Inhalte umschrieben, in Stichworten skizziert werden, also in ganz und gar nicht texthafte Sprache (und eventuell begleitende nicht-sprachliche Vorstellungen) gefasst werden1. Solange der Text auf diese Weise vorbereitet wird (sei dies am Anfang des ganzen Schreibprozesses oder in eingestreuten Phasen der eher lokal und regional ausgerichteten Planung), lassen sich nicht nur die Zwänge des Formulierens verschieben, sondern auch die grösseren Bezüge, sogar 'der Text als ganzer' ins Auge fassen. Auf diese Weise ist es möglich, trotz der Begrenztheit des Arbeitsgedächtnisses - allerdings um den Preis grösserer Abstraktheit - Überblick zu gewinnen und die Eckdaten auch hochkomplexer Aufgaben in Relation zueinander zu bringen. In diesem Zusammenhang können die einzelnen Momente der kognitiven Aktivität durchaus unterschiedlich ausgerichtet werden. Das heisst: Die Potenzen etwa des Planens, Zieledefinierens usw. können maximal ausgenützt werden dadurch, dass die begleitenden Versprachlichungshandlungen nicht weiter thematisiert, sogar gezielt bruchstückhaft gehalten werden. Auf diese Weise entwickeln sie sich zu Teilprozessen, zu bewusst wahrgenommenen Prozessschritten, welche auch zu spezifischen, oft separat festgehaltenen Produkten führen2. Gleichzeitig ist aber festzuhalten, 1
2
Dieses innere Sprechen ist in der Schieibforschung (vor allem im Anschluss an die russische Sprachpsychologie) an verschiedenen Orten thematisiert worden. Ludwig veibindet es mit den konzeptionellen Aktivitäten beim Planen (1983b: 60f.), sieht aber auch in bestimmten Formen des Schreibens noch relativ direkte Bezüge des Geschriebenen zu den Formen des inneren Sprechens (Ludwig 1980). Ebenso interpretiert Flower (1979) die Schreibweise von unerfahrenen Schreibenden («writer-based prose», vgl. 1.5) vor dem Hintergrund dieses Konzepts als relativ direkten, wenig überformten Ausdruck der inneren Sprache. Diesen Zusammenhang thematisiert auch Gössmann 1979. Zum Konzept der inneren Sprache äussert sich ausführlich Wahmhoff 1980. Diese Darstellung lässt sich sehr gut vereinbaren mit der von Burtis et al. in völlig anderem Zusammenhang gegebenen Interpretation der Entwicklung der Fähigkeit zu planen: «In the course of writing development, planning becomes gradually differentiated from text production. This differentiation involves at least the following two steps that we can identify. In the beginning years of composition, children's mental activity is so closely tied to producing the written composition that it is difficult to identify much in the way of separate thinking that can be called planning. Gradually, as writing ability develops, there is a separation of the problem of finding content for
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
dass Momente des Situierens, Planens usw. jede textgerichtete Handlung begleiten, also auch beim Formulieren oder Fixieren nicht abwesend sind, allerdings dort meist als Operationen ablaufen und weiter keiner Zuwendung bedürfen1. Viele Modelle der menschlichen Informationsverarbeitung lassen es als möglich erscheinen, dass verschiedene Teilaufgaben gleichzeitig fokussiert werden können, wenn nicht eine einzelne die volle Kapazität des Schreibenden beansprucht. Dies geschieht wohl routinemässig in jenen Phasen des Schreibens, die flüssig ablaufen, also nicht oder kaum durch grössere Pausen, Zögern usw. unterbrochen werden. In diesen laufen die Überblicksplanung, die inhaltliche Detailplanung neuer Aussagen und die Formulierung und Ausführung dieser Aussagen gleichzeitig ab. Gould verlangt von einem Modell des Schreibprozesses, dass es solche parallele Prozesse zulässt2. An diesem Aufriss eines gegenüber dem Entwurf von Hayes/Flower neu akzentuierten Modells sollen einige Gesichtspunkte etwas näher hervorgehoben werden. 1. Das Verhältnis der Operationen zu den Teilprozessen wie auch das Verhältnis der Teilprozesse als untereinander zusammengehörige lässt sich mit der eben gegebenen Formulierung besser ausdrücken als in der Darstellung von Hayes/Flower3. Insgesamt scheint in dieser flexibleren Darstellung
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a composition from the problem of actually writing the composition. At this point, clearly identifiable planning can be seen, but the planning remains at the same time tied to the content need of text production, so that the plan that is generated consists of a listing of content possibilities. In adolescence, planning starts to become sufficiently differentiated from production that we begin to see the plan as having properties and containing elements that have only an indirect bearing on the content of the text. This emergence of the plan as an object of contemplation in its own right marks, we believe, a major advance in the student's development For able writers, the plan comes to include the consideration of organizational possibilities for the content and becomes a medium in which goals and strategies may be formulated that shape the emerging composition but are not themselves part of it.» (Burtis et al. 1983: 154; vgl. Molitor 1984: 23). - Allerdings ist separates Planen keineswegs eine durchgängige Notwendigkeit: «It would be foolish to maintain that all writing must be planned. But it does not seem unreasonable to assert that good writers must be able to plan.» (Ebda.) Ähnlich bezeichnen Burtis et al. Planen ganz generell als «the predetermination of a course of action aimed at achieving a goal» (Burtis et al. 1983: 1S4). Inhaltsplanung ist nur eine, allerdings die fürs produktive Schreiben prototypische Art des Planens. Auch de Beaugrande plädiert unter Verweis auf jüngere Forschungsergebnisse für Modelle, welche parallele, interaktive Prozesse zulassen (de Beaugrande 1984: 104); Ludwig (1983b) fordert unter Berufung auf Gould (1980) dasselbe. Siehe Molitor 1984. Hayes/Flower bezeichnen die Teilprozesse auch als Produktionen, als prozedurale Momente der Textkompetenz. Nach der hier gegebenen Interpretation wären sie eher ubiquitäre Aspekte an textgerichteten Prozessen, vielleicht an kognitiven Prozessen überhaupt, die auf den verschiedenen Ebenen je nach den Bedingungen von Prozessabläufen bewusst gemacht und zu eigenständigen Vorgehensweisen expandiert werden können.
II.3 Schieibprozesse und Sprachproduktion
291
auch das Oszillieren der Aufmerksamkeit leichter erklärbar zu sein - es ist nicht ein Wechsel zwischen gänzlich verschieden gearteten Teilprozessen, sondern zwischen Ebenen der Ausarbeitung und Realisierung von Konzepten. Minimal müssten wohl unterschieden werden die Momente Situieren, Planen, Versprachlichen, Fixieren und Überarbeiten. Situieren, Planen und Überarbeiten werden nicht allein auf bestimmte Textebenen bezogen, sondern allgemein definiert. Situieren (Zielanalyse, Problemanalyse): In jedem Augenblick des Tuns muss das aktuelle Objekt der Tätigkeit, das bearbeitete Thema situiert werden können. Das heisst, es muss klar sein, was es ist und welchen Stellenwert es hat. Wenn man es mit einem Orthographieproblem zu tun hat, ist dies meist kein Problem und wird auch nicht thematisch; bei der Revision einer missglückten Formulierung kann es eine vordringliche Aufgabe sein, herauszufinden, was da schief ist. Die Situierung lokaler Probleme muss häufig vor dem Hintergrund globaler Zielbestimmungen erfolgen. Planen: In Hinblick auf jede zu treffende Entscheidung müssen Realisierungsmöglichkeiten gesucht und eine Wahl daraus getroffen werden. Prototypisch ist Planen inhaltliches Planen, das heisst Aufrufen und Organisieren von Konzepten zuhanden des intendierten Textes. Jedoch wird auch in Modellen der Sprachproduktion vom Planungsbedarf bezüglich syntaktisch-semantischer Strukturierung von Sätzen gesprochen, ähnlich besteht für die motorische Realisierung ein gewisser Planungsbedarf. Versprachlichen läuft im bewussten Situieren und Planen wohl zwangsläufig ab, bildet jedoch keinen konsistenten Fokus. Dieser stellt sich beim Formulieren ein, beim sorgfältigen und kontrollierten In-Worte-Fassen des Mitzuteilenden. Das Formulieren konzeptueller Vorgaben kann nicht anders als Schritt für Schritt stattfinden1. Damit ist nicht gemeint, dass Formulieren Wort für Wort in dem Sinne vor sich geht, dass nach jedem einzelnen eine neue Entscheidung fällig wäre. Dies lässt sich nur hie und da bei Fremdsprachigen beobachten, und dort ist es ein Effekt der mangelnden Verfügbarkeit von Sprachmitteln, nicht ein Ausdruck grundlegender Regularitäten der Versprachlichung. Diese beruht nicht auf einer fixen psycholinguistischen Einheit; meist wird jedoch der Satz als annähernde Planungsgrösse angenommen (zu diesem Punkt siehe unter, Abschnitt 2). Fixieren: Das Fixieren, das heisst die äussere Realisierung des Textes, erfolgt ebenfalls lokal und strikt linear. Es kann nicht anders als in einem Nacheinander (der einzelnen Schriftzüge oder der Anschläge) erfolgen2.
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Ludwig (1983b: 46) führt unter den innersprachlichen Prozessen, also dem, was hier Versprachlichung heisst, «Textbildung» auf. Es ist nicht ganz klar, was damit gemeint ist. Aufgrund des hier Gesagten kann damit nicht ein Formulieren auf höherer, globalerer Ebene gemeint sein. Textbildung lässt sich höchstens begreifen als kumulativer Effekt von Formulierungsakten, die alle notwendig lokaler Art sind. Das Fixieren tritt immer als äussere Umsetzimg einer Versprachlichungshandlung auf. Eine mögliche Ausnahme bildet allein das Abschreiben, das heisst das Kopieren
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
Überarbeiten: Grundlage des Überarbeitens ist die Wahrnehmung des Geschriebenen, vor allem über das Lesen. Werden Unstimmigkeiten entdeckt, erfolgen Korrekturen oder Revisionen1. Revisionen, das heisst inhaltliche Änderungen, implizieren neue Schreibprozesse, sie lassen sich mit den gleichen Kriterien analysieren wie andere Schreibprozesse. 2. Die bewusst werdenden Teilprozesse sind immer durch zwei Merkmale definiert: das fokussierte Prozessmoment (Planen, Versprachlichen, ...) und das 'Thema' der Aktivität (die Orthographie eines Wortes, der Zweck des Gesamttextes, die Planung eines Abschnitts, die Formulierung einer Idee). Beide können fast beliebig variieren: Die fokussierten Aspekte lösen sich in grosser Dichte ab und verketten sich zu grösseren Sequenzen; ebenso können aufeinanderfolgende Teilprozesse beliebig auf verschiedene Ebenen und Eigenschaften des intendierten Textes gerichtet werden. Zusammenfassend bringt dies Gould auf den Punkt: Our model assumes that composition ist multilevel, e.g. planning occurs when contemplating the topic to be described, when developing a mental outline, when generating paragraphs or sentences guided by this goal-oriented outline, when deciding what information is required, when selecting words for a sentence. At a micro-level, unconscious planning occurs when pronunciation of one phoneme is influenced by a plan to say a subsequent phoneme. At any a time authors may vary the 'level' at which they arc consciously 'woiking', i.e. allocating limited mental resources. For example, they may show concern for choice of a particular word, concern for flow of a paragraph, concern for grammar, usw. Composition is iterative, e.g. authors may plan, then generate, and, on the basis of feedback, replan and regenerate. Composition can be recursive, e.g., a planning function at a high level can 'call' itself at a lower level. (Gould 1980:11 If.; vgl. Ludwig 1983b: 47ff.)
Aufgrund dieser vielfältigen Verknüpfung der Prozessmomente (die zum Teil unterstützt und verdichtet wird durch die Verschriftung, welche die Produkte des Tuns der nachträglichen Inspektion zugänglich macht), besteht auch die Möglichkeit der Beeinflussung hoher Niveaus des intendierten Textes durch Entscheidungen auf relativ oberflächlicher Ebene, die Möglichkeit der Revision früher getroffener Entscheidungen oder der Vertagung von Entscheidungen auf später: Es ist durchaus möglich, dass bereits ein erster Entwurf eines Textes entsteht, während sich das gedankliche Konzept erst allmählich entwickelt, so dass auch der entstehende Text auf die Ausbildung des gedanklichen Konzeptes Einfluss nehmen kann. (Ludwig 1983b: 48)
Im Unterschied zum Sprechen ist das Nacheinander der Prozesse im Schreiben im Hinblick auf das endgültige Produkt deshalb (im Prinzip) belanglos: Bis zum Abschluss der Arbeit ist der Text (im Prinzip) stets intendierter Text, auch wenn beträchtliche Mengen aufgeschriebenen
1
bereits vorliegender Sätze und Passagen in den zu schreibenden Text hinein oder das Ins-reine-Schreiben abgeschlossener Textteile. Die Unterscheidung wird hier nicht wie von Flower und Hayes nach dem Schema lokal/improvisiert versus global/beabsichtigt vorgenommen, sondern nach Nonnbereichen: formalen/kodebezogenen versus inhalts-/textspezifischen, die sich auch durch die Art der Problemlösung, die sie fordern, beträchtlich unterscheiden.
Π.3 Schieibprozesse und Sprachproduktion
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Materials vorliegen1. Nachträgliche Eingriffe sind stets möglich, auch fundamentale Änderungen der Gesamtstruktur. Es sind gerade diese Möglichkeiten, die in der häufigen Bewertung des Schreibens als denkfördernd eine zentrale Rolle spielen. 3. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass dem Schreibenden durchaus nicht alle Momente der Verarbeitung bewusst zu sein brauchen. Es ist möglich, dass er von einem Planungproblem unmittelbar zu einer sprachlichen Formulierung gelangt, die das aktuelle Problem löst. Die eingangs erwähnten systematischen Ebenen (etwa die von Cooper/Matsuhashi genannten Gesichtspunkte der Versprachlichung und Verschriftung von Propositionen) spielen deshalb im Schreibprozess nur fallweise eine Rolle. Sie kommen zum Vorschein, das heisst werden thematisch im Kontext eines Problems; die meisten der einschlägigen Entscheidungen werden nicht bewusst getroffen, sondern delegiert an die unproblematisch ablaufenden Operationen. Entsprechend ist es mit grösster Wahrscheinlichkeit falsch zu meinen, im Schreiben sei «alles bewusst» (Cooper/Matsuhashi 1983: 5). Im Schreiben kann wohl sehr vieles bewusst werden; darin besteht eine seiner gewichtigsten Chancen. Aber gerade reife Schreibende dürften sich dadurch auszeichnen, dass sie viele - nicht nur die graphomotorischen - Aspekte des Schreibens so gut beherrschen, dass sie den grössten Teil ihrer Aufmerksamkeit auf die interessanten Ebenen der Textherstellung richten können. 4. In diesem Modell bilden die je problematischen Aspekte des intendierten Textes, auf welche die Schreibenden ihre Aufmerksamkeit richten, die Kerne der verschiedenen Teilprozesse des Schreibens. Dies ist der Ausgangpunkt, von dem her Flower und Hayes argumentieren. In den Protokollen lauten Denkens, die sie aufnahmen, werden kaum alle, wahrscheinlich jedoch die wichtigsten der beim Schreiben angetroffenen Probleme benannt, vielleicht die am schwersten wiegenden. Sie sind es primär, die in der Erfahrung der Schreibenden den Schreibprozess ausmachen, sie bilden auch die Eingriffspunkte, an denen der Schreibprozess als Tun beeinflusst werden kann2. In der hier eingenommenen Perspektive bilden sie jedoch nur bedingt in sich abgeschlossene Prozesseinheiten, sondern sind die jeweils fokussierte Seite eines fast stets komplexen Prozesses. Deshalb 1
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Die Betonung, dass es sich hier um prinzipielle Möglichkeiten handelt, ist darum wichtig, weil in sehr vielen alltäglichen Schreibprozessen diese Möglichkeiten kaum ausgenutzt werden (wohl darum, weil die Aufgabe sich ohne tiefere Probleme bewältigen lässt). Im didaktischen Zusammenhang ist die mangelnde Bereitschaft und vor allem die wenig ausgebildete Fähigkeit von Schülern, sich die Möglichkeiten der Revision nutzbar zu machen, in den letzten Jahren zunehmend thematisiert worden (vgl. unten). Viele der momentweise zum Bewusstsein kommenden Gegebenheiten - minimale Probleme der Wortfindung, schnell gelöste Zweifel über die Schreibung, kurze Vergewisseningen, dass eine geplante Aussage mit dem Textziel übereinstimmt usw. erfolgen wahrscheinlich unwillkürlich aus dem Zuge der Arbeit heraus und bilden nicht eigentlich Thema der Moderation, noch weniger Bestandteil der bewusst erlebten Schreibarbeit als einer absichtsvoll unteihaltenen Aktivität.
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Teil II: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
erübrigt sich auch die Frage nach den genauen Abgrenzungen der einzelnen Schritte: Sowohl gegen die mitablaufenden Operationen wie gegenüber parallel ablaufende, auf andere Problemaspekte gerichtete Prozesse sind wohl selten klare Grenzen zu ziehen. Wenn im folgenden von Teilprozessen die Rede ist, so sind damit solche für die Erfahrung des Schreibenden vordergründigen Prozessschritte beim Schreiben gemeint; sie werden nicht als kognitiv sauber abgegrenzte Prozesseinheiten verstanden. 1.2.3 Prozessmomente und Schreibphasen Die eben gegebene Darstellung versucht, eine Interpretation der von Hayes und Flower in den Vordergrund gerückten Teilprozesse und ihres Zusammenhangs untereinander zu geben. Eine wichtige Frage, die dabei nicht beantwortet wird, ist die nach der Organisation des Schreibprozesses als eines Vorgangs, der nicht nur in beliebiger Aneinanderreihung solcher Teilprozesse besteht, sondern den Schreibenden als geordnete Sequenz erscheint. Damit sind zwei Problemkreise angesprochen: Zum einen wird diese Frage angesprochen im Begriff der Schreibphasen, zum anderen in der nach den Kontrollinstanzen, die es den Schreibenden erlauben, den Vorgang des Schreibens zu moderieren, d.h. in jedem Moment die Resultate von Teilprozessen zu evaluieren und die Weiterführung der Arbeit möglichst optimal zu ge-stalten. Die erste dieser Fragen wird in diesem, die zweite im nächsten Abschnitt behandelt. Die Modelle Ludwigs und de Beaugrandes lassen sich nicht nur als Modelle kognitiver Prozessaspekte, sondern auch als Phasenmodelle interpretieren, und sie werden zum Teil auch als solche dargestellt, etwa in einigen der Definitionen der einzelnen Ebenen. Diese Phasen-Perspektive hebt de Beaugrande prägnant hervor: Von der generellsten, der Zielplanungsebene, zur konkretesten, der äusseren Realisierung, lässt sich Textproduktion demnach nachvollziehen als «a gradual migration of dominance from deep to shallow» (de Beaugrande 1984: 105), als eine (idealerweise) allmähliche Abarbeitung der verschiedenen Ebenen, welche unter dieser Perspektive als Strukturebenen des intendierten Textes interpretiert werden müssen1. Diese Phasenvorstellung hat nun vieles für sich; es lassen sich einige wesentliche Aspekte des Schreibprozesses damit fassen: 1. Jedes Schreiben geht aus von einer gewissen Zielvorstellung; es setzt auch eine gewisse Inhaltsplanung voraus. Es ist zwar nicht notwendig, dass solche Ziel- und Inhaltspläne ausführlich vorbereitet werden, bevor ge1
Bohn (1986: 69ff.) scheint im Sinne eines solchen Phasenmodells den Schreibprozess primär als eine Sequenz von fest aufeinanderfolgenden Schritten zu sehen, die vom Plan zum Text führen. Die Dynamik, die sich aus dem Zusammenspiel von Planung und Realisierung von textbezogenen Konzepten ergibt, wird nicht entfaltet. Damit bleiben wesentliche Dimensionen des Schreibprozesses unerfasst. - De Beaugrande gesteht allerdings die Möglichkeit beträchtlicher Ausschläge nach oben und unten auf diesem Wege zu, weil die Realisierung eines Textes ja nie in harmonischer Entfaltung vonstatten geht. Vgl. auch die Diskussion der Teilprozesse in Ludwig 1983b: 53ff.
Π.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
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schrieben wird. Aber zumindest abstrakte Rahmenpläne scheinen dem Vertexten vorauszugehen und während der folgenden Realisierungsphase die textbezogenen Entscheidungen auf konkreterer Ebene mitzubestimmen1. Insofern liesse sich eine gewisse Vorgängigkeit auf den ganzen Text bezogener Planungshandlungen etablieren, welche die Kriterien abgeben für eine Vielzahl weiterer, lokalerer Entscheidungen. Insofern sind dem Schreiben wenn nicht notwendig Phasen, so doch grundsätzliche Entscheidungen vorgegeben, auch wenn diese natürlich revidierbar bleiben. 2. Aus der Dynamik von Problemlösungsprozessen ist zu erwarten, dass Schreibprozesse vergleichbarer Art häufig einen vergleichbaren äusseren Verlauf nehmen. Hayes/Flower (1980) entdeckten z.B eine übereinstimmende Phasenordnung in zwei der von ihnen untersuchten Schreibprozesse; diese sind weitgehend geprägt zunächst von wiederholten Akten der Ideenproduktion, danach von Elementen des Organisierens, schliesslich von solchen des Schreibens und Überarbeitens. Solche Phasen bieten Raum für die verschiedenen Aktivitäten (so lassen sich auch in den Formilierungsphasen viele Planungsschritte ausmachen usw.), aber es scheinen sich hier doch prozessuale Schwerpunkte in der Abarbeitung der Aufgabe ergeben zu haben, welche sich als Phasen interpretieren lassen. 3. Schliesslich zeigt das Beispiel von kompetenten Schreibern, dass das vorausnehmende Planen eine machtvolle Strategie darstellt, welche die Aufgabe überblickbar zu machen und den Vertextungsvorgang zu beschleunigen erlaubt. Die Phasierung von Schreibprozessen liesse sich so verstehen als natürliche Form der Isolierung und Abarbeitung von Teilaspekten des intendierten Texts. Wenn so in gewissem Sinne von Phasen des Schreibprozesses gesprochen werden kann, so lässt sich gegen eine allzu freigebige Verwendung dieses Konzepts doch einiges einwenden: 1. Aus der Herausstellung solcher Phasen allein lässt sich noch kaum eine tiefere Einsicht gewinnen in die Entscheidungen des Schreibenden - wann und warum er nämlich welchen Aspekt des intendierten Textes plant, das Planen abbricht und zu schreiben beginnt usw. 2. Es gibt Schreibprozesse, die chaotisch verlaufen und in denen es schwer sein dürfte, kohärente Phasen auszumachen. Hier werden kaum einiger massen konsistent Ziele geplant, Pläne gemacht, diese formuliert usw. Es ist fraglich, ob solche Prozesse einfach als Abirrungen klassifiziert werden 1
Die vorsichtige Formulierung ist hier am Platz, weil zumindest Kinder wenig zu planen scheinen. «Elementary school children tend to start writing almost immediately when given a writing assignment. The delay in starting, although usually less than a minute, nevertheless varies with the task, which suggests that some kind of task-relevant thinking is going on during this brief period. [...] These delays are far too short, however, to allow much in the way of goal-setting or explicit planning with respect to the text as a whole. More likely, the time spent is that required to find an appropriate first thing to say. Still, the criterion of appropriateness implies that the first item must be judged against some more global intention, and this is certainly a kind of implicit planning.» (Burtis et al. 1983:155)
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
können. Sie realisieren eine - als eher lokales Ereignis von den meisten Schreibern immer wieder erfahrene - Möglichkeit des suchenden Schreibens. 3. Phasenfolgen brauchen nicht als Hinweise auf feste Ordnungen des Schreibprozesses verstanden zu werden, sie lassen sich begreifen als Resultate der jeweiligen Versuche von Schreibenden, die kognitive Last ihrer Aufgabe bewältigbar zu machen. Soweit sie von ähnlichen Voraussetzungen ausgehen, werden sie auch zu ähnlichen grossräumigen Lösungsprozeduren kommen. Phasen des Schreibprozesses würden unter dieser Perspektive nicht unwandelbar vorliegen. In der von Ludwig (1983b: 48) vermerkten Möglichkeit, dass im Schreibprozess untergeordnete Problemlösungen Auswirkungen haben können auf hohe Strukturebenen des intendierten Textes, sogar auf die grundlegenden Ziel- und Inhaltspläne selbst, wird ja gerade die potentielle Hinfälligkeit eines Phasenmodells demonstriert: Die 'späteren' Aktivitäten des Schreibens können den 'früheren' des Planens einen wesentlichen Impuls geben. Wenn der Schreiber in diesem letztgenannten Fall nicht einfach einen Fehler gemacht hat, weil er zu wenig gedacht hat, sondern eine legitime Möglichkeit des Schreibens genutzt hat, um zu einer adäquaten Lösung zu kommen, lässt sich an der Phasenfolge des Zielfindens, Planens, Schreibens usw. nur als einem im groben gültigen Modell des Schreibprozesses festhalten - etwa unter Bedingungen wie: Die Schreibenden sind sich in der Sache relativ sicher (so dass sie die Form und den Zusammenhang des zu Sagenden einigermassen voraussehen können); sie haben keine Angst, durch sorgfältiges Planen Zeit zu verlieren, die ihnen später fehlen wird; sie stossen durch die Arbeit der Vertextung nicht auf ganz neue Gesichtspunkte, welche den ganzen Plan umwerfen usw. Das heisst aber, dass Phasen selbst zumindest teilweise Produkte der Schreibtätigkeit sind, sie sind selber mögliche Objekte der Planung. An diesem Punkt lässt sich die Berechtigung von Phasenmodellen des Schreibens am deutlichsten machen: Nicht als Deskriptionen dessen, was ist, sondern als didaktische Entwürfe. Solche Modelle heben die verschiedenen Ansprüche heraus, welchen Texte zu entsprechen haben, und machen auf die Möglichkeit aufmerksam, diese einzeln zu analysieren und (bis zu einem gewissen Grade) einzeln abzuarbeiten1. Sie animieren dazu, Schreibprozesse bewusst zu gestalten und jene oben angesprochenen Momente des Situierens, Planens, Versprachlichens und Überarbeitens als unabhängige Teilprozesse zu entwickeln und gezielt einzusetzen. Diese Sensibilisierung mag wesentlich dazu beitragen, dass die Schreibenden lernen, den Schreibprozess besser zu verstehen und schliesslich ihre eigene Schreibtätigkeit auch in den Details effizienter zu moderieren.
1
Vgl. Sitta 1982, Portmann 1982, Baurmann/Ludwig 1985.
Π.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
297
1.2.4 Kontrolle In der bisherigen Diskussion ist ein zentraler Aspekt noch kaum angesprochen worden: Die Frage nämlich nach den Kriterien, nach denen Teilprozesse initiiert, fortgesetzt oder abgebrochen werden. Die Übergänge von einem Arbeitsschritt zum anderen mögen in der Tat «quite flexible» sein (Gould 1980: 111), sie sind jedoch (zumindest bei geübten Schreibern) durchaus nicht zufällig, sondern unterliegen (wenigstens zum Teil) der Planung und der Wahl aus verschiedenen Möglichkeiten. Eine effiziente Kontrolle des Schreibprozesses setzt die Fähigkeit voraus, einerseits den projektierten und entstehenden Text, andererseits auch den zu seiner Erstellung erforderlichen Prozess zu konzeptualisieren, das heisst wahrzunehmen und zu beeinflussen. Unter diesem Aspekt ist für eine Theorie des Schreibprozesses die Beschäftigung mit den Möglichkeiten und Formen seiner Kontrolle und damit seiner Gestaltung grundlegend. An dieser Stelle wird die Frage nur sehr global angeschnitten, das heisst es werden einige Voraussetzungen der Kontrolle diskutiert; eine Reihe weiterer Bemerkungen zur Sache ist in den folgenden Ausführungen und in ΠΙ.2/2 zu finden. Die Aktivitäten, die den Schreibprozess ausmachen, ruhen auf kognitiven Ressourcen der Schreibenden auf. Über diese Dinge ist in 1.2 schon einiges gesagt worden; in Erweiterung der dortigen Darstellung sei hier auf drei Punkte näher eingegangen (vgl.de Beaugrande 1984: 94,125ff.). a. Mittel der Kontrolle Vehikel der Kontrolle sind die im Schreiben sehr dicht erfolgenden Rückkoppelungsprozesse. Im Zentrum dieser Feedbackaktivitäten steht wohl das Verschilften. Dieses schafft eine Spur, damit einen äusseren Feedback, der nicht nur im Moment des Schreibens wahrgenommen wird, sondern im Weiterschreiben noch einen Moment sichtbar bleibt und im übrigen jederzeit (etwa beim Durchlesen des zuletzt Geschriebenen, natürlich beim Überprüfen) wieder zugänglich gemacht werden kann. Je nachdem, in welchem zeitlichen Abstand von der Fixierung dies geschieht, ist der sprachliche und konzeptuelle Kontext, aus welchem heraus die Formulierung entstand, bereits teilweise oder ganz verschwunden. Die Objektivierung und der dadurch mögliche Neu-Zugang zum Geschriebenen sind dem Schreibakt inhärent; es sind besonders günstige Vorbedingungen für eine auf die Produkte gerichtete Aufmerksamkeit. Die Langsamkeit der Verschriftung und ihr meist eindeutig empfundener Arbeitscharakter sorgen auch dafür, dass Rückkoppelungsprozesse schon intensiv ausgenützt werden, bevor die Verschriftung einsetzt. Einerseits müssen Formulierungen für einen Augenblick im Gedächtnis aufbewahrt werden, bevor sie aufgeschrieben werden; sie sind damit der Kritik zugänglicher als beim Sprechen und können gegen Alternativen besser abgewogen werden. Andererseits sorgt die Tatsache, dass allzu unpassende Formulierungen später rückgängig gemacht werden müssen, zusätzlich dafür, dass schon in diesem Stadium mit Sorgfalt vorgegangen wird.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
Eine Erweiterung dieses Arguments betrifft das Planen: Gesetzt, dass der intendierte Text gewissen Normen zu genügen hat, ist unüberlegtes Hinschreiben eine recht kostspielige Strategie; sie provoziert geradezu die Notwendigkeit des Neuschreibens. Demgegenüber ist mit dem Planen eine Chance gegeben, Teilansprüche kontrolliert abzuarbeiten, das Produkt damit von Anfang an auf normnahen Stand zu bringen und die relativ aufwendige Arbeit des Verschriftens nicht unnötig zu vergrössern. Wie auch immer vorgegangen wird: Intensiver Feedback, entweder äusserer oder innerer, ist die Grundlage der Kontrolle. b. Objekte der Kontrolle Objekte der Kontrolle sind vorab die Produkte der Zielfindungs-, Planungs- und Versprachlichungsprozesse. In bezug auf diese sind gewisse Schwellen der Aktivierung anzunehmen, die, wenn sie erreicht sind, automatisch zur Produktion von Assoziationen, Wörtern, Sätzen usw. führen1. Andererseits kann sich der Schreibende gewisse Standards setzen (oder sie werden ihm gesetzt), welche vorschreiben, welche Qualität eine akzeptable Lösung eines Planungs- oder Formulierungsproblems im Kontext der Aufgabe aufzuweisen hat2. Die für schriftliches Arbeiten typische lange Verarbeitungszeit ist teilweise darauf zurückzuführen, dass die produzierten Ideen, Pläne oder Äusserungen als den - in Textmustern, in Zielintentionen oder in Stilvorstellungen festgehaltenen - Standards nicht genügend eingeschätzt werden und wiederholte Gänge der Gedankensuche, des Planens oder des Formulierens notwendig sind, um weniger banale, besser verarbeitete, treffendere Vorschläge zu entwickeln (vgl. Feilke/Augst 1989: 302ff.). Bezüglich dieser Konzepte der Aktivationsschwelle bzw. der Standards ist nun interessant, dass bei geübten Schreibern in stark automatisierten Bereichen - vor allem Syntax und Rechtschreibung - in jedem Schreiben in hohem Masse normgerechte Produkte hervorgebracht werden. Die Produktionen der automatisierten Prozeduren entsprechen hier weitgehend den normativ festgeschriebenen Standards. Für die höheren Ebenen der Textproduktion dagegen - Flüssigkeit der Darstellung, Durchsichtigkeit der Textgestaltung, Vollständigkeit der Explikation oder Eleganz des Stils liegen weniger fest etablierte Verfahren fest, die einfach abgerufen werden können. Die Gestaltung muss hier einzeltextspezifisch erfolgen; die spontanen Produktionen und die offiziellen textuellen Standards liegen oft relativ weit auseinander, und auch wenn nicht die ersten besten Einfalle aufgeschrieben werden, braucht das Resultat noch nicht ein den Ansprüchen genügender Text zu sein. Die Standards, denen akzeptierte Produkte zu genügen haben, sind zum 1
2
In 1.2 wurde dieses Konzept nur auf die Sprachproduktion angewandt. Es ist jedoch anzunehmen, dass ähnliches für die Aktivierung und Erinnerung von Konzepten, Wissensbeständen usw. gilt. Für die Sprachproduktion vgl. unten. De Beaugrandes Begriffe sind «level of activation» resp. «goodness of fit».
Π.3 Schreibprozesse und Sprachpioduktion
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Teil generell (Orthographie usw.), zum Teil fach- und textsortenspezifisch normiert, bis zu einem gewissen Grad aber auch dem Befinden bzw. der Situationsinterpretation des Schreibenden anheimgestellt. Geübte Schreiber scheinen ein umfangreicheres und präziseres Wissen darüber zu haben, welche Standards unter welchen Umständen angebracht sind, vor allem aber eine grössere Fähigkeit zu entscheiden, wo und wie ein Plan, eine Formulierung oder ein Text ihnen gerecht wird oder auch nicht1. Im vorgestellten Modell des Schreibprozesses können die auf der jeweils höheren Ebene getroffenen Entscheidungen als Kontrollinstanzen für die auf den unteren angesehen werden. Die Zielanalyse setzt Ansprüche, welche durch die Planung und schliesslich die Formulierung zu verwirklichen sind. Demnach wird die Formulierung zunächst gemessen am Geplanten; entspricht sie dem nicht, muss sie verändert werden. Unter Umständen (wenn die Formulierung zwar dem Plan entspricht, aber trotzdem nicht zu befriedigen vermag) muss auf die Zielanalyse zurückgegriffen und neu geplant werden, im Extremfall ist eine neue Zielanalyse fällig2. Das Fixierte wird an der Formulierung gemessen. Die Standards, auf die im Einzelfall zurückgegriffen wird, sind potentiell komplex. Man muss einerseits davon ausgehen, dass es Zielvorgaben auf verschiedenen Ebenen gibt: übergreifende, die den gesamten Schreibprozess dominieren, potentiell also für jede Einzelentscheidung relevant sind, aber auch lokale, die Teilprozesse dominieren. Ebenso können globale und lokale Pläne unterschieden werden. Andererseits spielen in bezug auf fast jede textbezogene Entscheidung sowohl spezifische, auf diesen Text gerichtete wie allgemeine Standards eine Rolle. So orientiert sich die Kontrolle des Fixierten nicht nur daran, ob es die Formulierung wirklich ausdrückt, sondern auch an den allgemeinen Normen der Orthographie, Interpunktion usw. Die Formulierung wird gemessen am Plan, aber auch an den generellen Ansprüchen an syntaktische Richtigkeit, stilistische Eleganz usw. Inhaltsbezogene Pläne haben den speziellen Zielansprüchen, aber auch der dargestellten Sache sowie den allgemeinen Regeln der Logik und der Textsorte zu genügen. Zielansprüche werden im Hinblick auf die vorliegende Situation definiert, aber vor dem Hintergrund allgemeiner Usanzen der Kommunikation3. c. Evaluation des Schreibprozesses
Ähnlich wie die Produkte werden auch die Schreibaktivitäten selbst evaluiert4. Ist ein (Teil-)Ziel erreicht oder verspricht eine fortgesetzte Arbeit an 1
2 3
4
Interessant ist de Beaugrandes Bemeikung, dass Revision - wahrscheinlich vor dem Hintergrund einer modifizierten Wahrnehmung des Geschriebenen - oft eine Neujustierang des verwendeten Standards signalisiert (de Beaugrande 1984:99). Zu diesem Schema vgl. Baurmann/Ludwig 1985, Hayes et al. 1987 und unten 1.4. Zur unterschiedlichen Anlage von Schreibprozessen durch Autoren vgl. Molitors Fallstudien (Molitor 1985,1987). Auf diesen Aspekt geht de Beaugrande nicht ein: er scheint mir aber im Kontext der Diskussion zentral.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
einem Problem keine Lösung, wird der Schreibende entweder einen Fokuswechsel vornehmen (etwa von der Makro- zur Mikroplanung schreiten, den nächsten Abschnitt planen o.ä.) oder die Arbeitsweise verändern (vom Planen zum Schreiben übergehen, eine Schreibschwierigkeit durch eine Analyse von Kontext und Ziel - durch eine Planungsaktivität also - zu beheben versuchen usw.). Hypothetisch lassen sich auch hier Schwellen der Aktivierung solcher Arbeitsweisen und Standards ihrer Implementierung annehmen (vgl. Hayes/Flower 1980). Erfahrene Schreiber scheinen einschätzen zu können, welches die erfolgversprechenden Verfahren der Problemlösung und der Steuerung des Schreibprozesses sind; sie besitzen Standards der Evaluation des Schreibprozesses als eines kreativen Prozesses. Anfänger dagegen sind oft auf rastloser Suche nach Ideen, Formulierungen oder einem gelungenen Textanfang (manchmal nach allem zusammen), ohne diese Impulse in einen Kontext der Planung und Realisierung eines Textes einordnen zu können. Die Komplexität vieler Schreibaufgaben führt dazu, dass Schreiben oft an der Schwelle zur Überlastung der kognitiven Kapazitäten stattfindet. Überlastung führt zu Leistungsabfall - Vollständigkeit, Zusammenhang und Genauigkeit der Darstellung sind gefährdet; manchmal führt Überlastung auch zum Zusammenbruch des Prozesses, zur Blockade1. Zusammenfassend lässt sich sagen: Über den einzelnen, den Schreibprozess ausmachenden Teilprozessen steht eine Kontrollstruktur, welche deren Abfolge, den Beginn und den Abschluss der einzelnen Prozessschritte, aber auch die inhaltliche, textbezogenen Entscheidungen überwacht. Insgesamt fungieren die Kontrollmechanismen (Rückkoppelungen und Standards) als Monitor (Hilgers 1984: 367). Evaluation ist ständiges und notwendiges Ingrediens des Schreibprozesses; sie findet auch statt, wenn der Schreibende flüssig vorwärtsarbeitet und kein Iota des Geschriebenen ändert. «In fact, one might argue that evaluation acts are the heartbeat of the writing process» (ebda.: 366). Je höher die Standards angesetzt sind, desto weniger wird Schreiben mit einem Modell des EtwasSagens adäquat fassbar und desto mehr wird das Resultat von den Gedanken, Ideen und Absichten entfernt sein, die dem Schreibenden am Anfang zur Verfügung standen. 1
Vor allem im angelsächsischen Raum hat der «writer's block» eine gewisse Aufmerksamkeit gefunden, auch empirische Arbeiten provoziert. Boice 1985 z.B. untersucht mit introspektiven Methoden die Einstellungen von Schreibern, die keinen Blockaden unterliegen, und von solchen, die gewohnheitsmässig unter solchen leiden. Er stellt fest, dass die zweite Gruppe öfter Schreibaufgaben verschiebt, beim Schreiben ungeduldiger und perfektionistischer ist als die erste und auch öfter über Niedergeschlagenheit klagt. Die genannten Strategien - Verschieben und Perfektionismus bei gleichzeitiger Ungeduld (das heisst Widerstreben, Zeit zu investieren) - sind vor allem in ihrer Kombination höchst geeignet, Situationen zu provozieren, in denen höchste Ansprüche in kurzer Zeit, womöglich unter migünstigen äusseren Bedingungen, erfüllt werden müssen. In solchen Fällen ist Überlastung programmiert. Vgl. Rose 1984.
Π.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
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13 Pläne 13.1 Planen und Pläne Mit dem Begriff 'Planen' haben wir uns im letzten Abschnitt auf Aspekte kognitiver Aktivitäten, auf spezialisierte Teilprozesse und schliesslich auf Phasen des Schreibprozesses bezogen. Pläne sind Resultate von Planungshandlungen. Pläne brauchen jedoch nicht stets neu aufgebaut zu werden: Zum Fundus einer ausgebildeten Kommunikationskompetenz gehört die Kenntnis von verschiedenartigen Plänen (Schemata der Vertextung, Textstrukturierungsmuster), welche bei Bedarf aufgerufen werden können. Das Planen als textbezogene, aber vom Formulieren losgelöste Aktivität setzt, wie bereits angemerkt worden ist, eine gewisse Reife voraus. In einer Untersuchung versuchten Burtis et al. (1983) durch explizite Instruktion und direkte Hilfestellungen Schüler verschiedener Altersstufen (10-, 12und 14jährige) zum Planen von Aufsätzen anzuhalten. Schüler dieser Altersgruppen zeigen meist ein sehr beschränktes Planungsverhalten; die Fragestellung war die, ob dies so ist, weil sie das Planen als eigenständige Aktivität in bezug auf einen Text nicht beherrschen oder ob sie bloss gewohnt sind, ohne Planung zu schreiben. Die Ergebnisse können nicht schlüssig generalisiert werden1; es zeigte sich jedoch eine eindeutige Tendenz der jüngsten Schüler, die Planungsangebote zu unterlaufen: In younger children the product of planning is text. [...] In effect, the younger students subverted our effort experimentally to separate planning from production. Asked to plan before writing, they simply use note-taking as a way of producing text and so were able to go about composing in their accustomed way. (Burtis et al. 1983: 163)
12- und 14jährige dagegen zeigten ein zunehmendes Verständnis für die Erfordernisse des Planens; ihre Notizen zeigten stellenweise typische Eigenschaften von Plänen: Statt ausgeführter Sätze stehen da Stichwörter, die als Hinweise auf möglichen Inhalt stehen, nicht diesen selbst schon darstellen; Vermerke werden benützt, die nicht den Text selbst betreffen, sondern sich auf die Handlungen des Schreibenden selbst beziehen usw. In solchen Merkmalen zeigt sich die Ablösung konzeptueller Planung vom Aufrufen von Information, die direkt als Textinhalt benutzt wird2: the plan for a text is conceptually different from a mental representation of the text itself. The plan exists on a different conceptual plane and has different content. It contains intentions, strategies, priorities, alternatives, evaluations, justifications. Much or all of this may be reflected in the text, but there it is implicit and deeply enmeshed, whereas in the plan it is more explicit and susceptible to direct operation. [...] The plan, in short,representsa different sort of thing to work with, in which the writer can accomplish things that are not readily accomplished in working directly with the text. (Burtis et al. 1983:171) 1
2
Burtis et al. berufen sich auf anekdotische Evidenz, die zeige, dass durch Diskussionen, kooperatives Schreiben usw. im Unterricht schon jüngere Kinder als die an ihrem Experiment teilnehmenden zum expliziten Planen fähig seien (1983:172). In der Terminologie von Burtis et al.: «conceptual planning» versus «content generation» (1983:163f.).
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
Pläne gehören zu den wichtigsten Instrumenten, welche dem Schreibprozess Struktur verleihen1. Pläne haben ja nicht nur eine inhaltsbezogene, sondern auch eine operationale Seite: Sie müssen abgearbeitet werden und legen damit bestimmte Schritte und in gewissem Masse auch deren Abfolge nahe. Die für den Schreibenden einsichtige Struktur des Schreibprozesses - falls er sich nicht verliert, das heisst sich ohne zureichende Steuerungsinstrumente findet - ergibt sich in den grossen Zügen aus den in den Schreibplänen vorgezeichneten Vorhaben. Zwar machen die geplanten Schritte sicherlich nicht den gesamten Schreibprozess aus: Ungeplant, durch den unmittelbaren Kontext determiniert, sind viele der mitlaufenden Korrekturen, Neuformulierungen usw. Auf lokaler und regionaler Ebene können eingeschobene Problemlösungsprozeduren nötig werden, wenn die Abarbeitung des Plans auf unvorhergesehene Schwierigkeiten stösst. Der Prozess wird aber solange als einigermassen kohärent erscheinen, als diese Abstecher eingebunden werden können in die grösseren Arbeitszusammenhänge, die über Pläne organisiert werden. Pläne der verschiedensten Art und auf den verschiedenen Ebenen dienen somit als Entlastungs-, Strukturierungs- und Verarbeitungshilfen. Sie spielen im Bewusstsein der Schreibenden wohl eine um so grösserer Rolle, je komplexer und unübersehbarer die Anforderungen sind und je grösser deshalb der Zwang wird, durch ein kontrolliertes Spiel mit ihnen der Aufgabe Herr zu werden2. Allerdings wäre es unsinnig, von Plänen nur zu sprechen, wenn es sich um voll ausgeführte, nur noch einer sprachlichen Umsetzung bedürftige Gebilde handelte. Burtis et al. (1983: 156) machen darauf aufmerksam, dass auch geübte Schreiber viel von ihrer Planungsarbeit, wohl vor allem solche lokaler Natur, während des Formulierens leisten, und Augst/Faigel betonen, Pläne müssten «den Schreiber zunächst nur momentan vom Komplexitätsdruck entlasten können, indem sie Selektionsvorgaben für die Konstruktion von Texteinheiten darstellen» (1986: 112). Pläne brauchen demnach keine Vorgaben zu sein - und sind es meist nicht - welche die Schreibenden an ein fixes Raster binden; eher sind es Absichtserklärungen, die jederzeit angepasst, verändert oder supplementiert werden können, sofern im Schreiben andere, bessere Möglichkeiten als die vorgesehenen sich anbieten. Auf diesen Aspekt wird am Schluss dieses Abschnitts noch einmal unter dem Begriff der opportunistischen Planung einzugehen sein. 1.3.2 Arten von Plänen Flower/Hayes unterscheiden drei Arten von Plänen, auf die Schreibende bei ihrer Arbeit zurückgreifen oder die sie, stehen sie nicht auf der Grundlage ihrer kommunikativen Erfahrung und Kompetenz zur Verfügung, 1
2
Siehe auch Molitor 1984: 20ff. - Pläne brauchen durchaus nicht schriftlich fixiert vorzuliegen; sie können auch gänzlich ohne äussere Hilfsmittel operativ werden. Flower/Hayes (1980) sprechen vom Jonglieren mit Einschränkungen («juggling constraints»).
Π.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
303
entwickeln müssen: Rhetorische oder Zielpläne, Vertextungspläne und Vorgehenspläne1. a. Zielpläne Zielpläne lassen sich am einfachsten formulieren für pragmatische Texte; sie entsprechen dem Resultat der Situationsanalyse. Es sind essentially plans for perfonning a speech act - for responding in some way to a rhetorical problem, which includes the writer, the reader, and a purpose. (Flower/Hayes 1980:44)
Für andere als pragmatische Texte sind generelle Zielpläne oft schwieriger zu formulieren; sie spielen für den Schreibprozess jedoch nicht weniger eine Rolle. Ludwig fasst diesen Sachverhalt in allgemeiner Form: Vorstellungen über Absicht, Zweck und Ziel des Schreibens bestimmen, steuern und beeinflussen durchgehend den Schreibprozess als ganzen (Ludwig 1983b: 53)
Solche Vorstellungen - formeller gefasst: die Zielpläne - bilden demgemäss einen wesentlichen Bestandteil der Kontrollstruktur, die dem Schreibprozess, den Evaluationen und den Entscheidungen des Schreibenden zugrunde liegt2. Aufgrund des oben Ausgeführten möchte ich jede aufgrund einer Problemanalyse zustande kommende Definition einer Aufgabe als Zielplan ansehen. Solche Pläne sind demnach nicht nur auf globaler, sondern auch auf Teiltext- und lokaler Ebene zu finden. Sie formulieren dort die Ansprüche, die an die entsprechenden Textstellen geknüpft werden3. b.Vertextungspläne Vertextungspläne sind im wesentlichen Struktur- und Inhaltspläne. Die oben vorgenommene Unterscheidung von vorliegenden generellen und textspezifischen Plänen soll in bezug auf diese Gruppe etwas näher ausgeführt werden. Generelle Pläne liegen als Schemata von variierender Konkretheit und Komplexität etwa den verschiedenen Textsorten zugrunde. Geübten Schreibern erleichtern sie ihre Aufgabe ungemein, weil in ihnen eine Vielzahl von Normalverfahren der Vertextung definiert sind; Ungeübten erscheinen sie eher unter dem Normaspekt als schwer einschätzbare und schwer einzulösende Ansprüche. Der Gehalt solcher Schemata lässt sich folgendermassen zusammenfassen: Sie bestehen aus 1. Α limited set of fairly specific intentions [...]. 2.
1
2 3
A set of strategies or game plans appropriate to carrying out these intentions. A game plan will in turn include the following:
Flower/Hayes (1980: 44) nennen das erste «plan to do», das zweite «plan to say» und das dritte «plan to compose». Situationsanalyse und die Bildung von Zielplänen gehören denn auch zum Grundrepertoire der kommunikativen Schreibdidaktik (vgl. Sitta 1982, vgl. unten, Teil ΠΙ). Es geht hier um Ansprüche wie: "Hier braucht es eine Begründung"; "Dieser Abschnitt liest sich zu mühsam" usw. Damit sind noch keine präzisen inhaltlichen Angaben gemacht oder textuelle Kriterien benannt, wohl aber wird die Aufgabe der anstehenden (Planungs- und Formulierungs-)Aktivität benannt.
304 3. 4. 5.
Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens Categories of content needed to support the plan. These may be in the nature of slots to be filled [...]. Search procedures for discovering the needed content These may be overt procedures such as consulting certain records or calling on informants, or they may be internal memory-search strategies. Tuning instructions for language output. (Bereiter 1980:78f.)
Vertextungsschemata liefern auch etwa die im letzten Kapitel angesprochenen Verfahren der SachVerhaltsdarstellung: Erzählung, Beschreibung (Weg- oder Situationsbeschreibung), Statement, Argumentation. Schemata haben, wie Kallmeyer/Schütze bemerken, ihre eigene Dynamik: Sie sind nicht leere Behälter, sondern üben einen gewissen Zwang auf Auswahl, Gewichtung und Perspektivierung des Mitzuteilenden aus1. Das Schreiben eines Textes findet vor dem Hintergrund solcher Schemata statt, vorausgesetzt, sie sind bekannt und erscheinen als anwendbar. Es ist anzunehmen, dass im allgemeinen Pläne als Vertextungsleitfaden genügen, solange das zu Sagende sich leicht und widerstandslos in die vorgegebenen Schemata fügt und einzelne sich ergebende Probleme der Einpassung des Mitzuteilenden ins Schema sich umgehend, eventuell sogar parallel zum graphomotorischen Prozess des Hinschreibens lösen lassen. Dabei braucht nicht bewusst zu werden, dass solche Pläne ins Spiel kommen und benützt werden: Häufig scheint es einfach klar, wie das zu Sagende auszudrücken ist. Oft fügt sich Mitzuteilendes jedoch nicht leicht und schnell genug in ein Schema. In solchen Fällen muss die Planung (global, regional oder lokal) bewusst angegangen werden; oft ist die Aufgabe, zielangemessene Ideen und Textstrukturierungen zu finden, beträchtlich. Man kann hier zwei Fälle unterscheiden: 1. Das einschlägige generelle Schema ist nicht vorhanden. Wer zum ersten Mal eine Bewerbung, eine Kündigung, eine Einladung usw. schreibt, mag sich vor gewisse Probleme gestellt sehen. Eine mögliche Strategie ist, nach Modelltexten zu verfahren. Wo solche nicht vorliegen, lässt sich aufgrund einer Situationsanalyse und der Kenntnis verwandter Schemata (notfalls solcher des mündlichen Umgangs) ein Textplan und schliesslich ein Text erarbeiten, der die textsortenspezifischen Anforderungen näherungsweise erfüllt2. Gewisse formale und sprachliche Eigenheiten sind so allerdings 1
2
Empfehlungsschreiben, Beileidsbezeugungen usw. sind hochgradig normierte Gebilde, das heisst, es existieren Normaltexte, die in Struktur und Sprache weitgehend festgelegt sind, relativ wenig variiert zu werden brauchen und entsprechend gelesen werden. Davon abzuheben sind Texte wie Privatbriefe, Leserbriefe oder Reportagen, die nur noch in einzelnen formalen Elementen oder relativ abstrakten Anforderungen an die Sprachgestalt festgelegt sind, kaum im Hinblick auf sprachliche Idiomatik, textuelle Strukturen, Themen o.ä. Es ist deshalb im Hinblick auf solche Texte von sehr allgemeinen und variantenreichen Schemata auszugehen. «The beginner, who has never before written a letter of recommendation and who may not even have read one, will lack a specific scheme for this genre and will have to use some other available scheme - such as a general business letter scheme or a scholarly writing scheme.» (Bereiter 1980: 79)
II. 3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
305
nicht ohne weiteres eruierbar (etwa idiomatische Formeln). Nach mehrmaligem, wahrscheinlich recht mühsamem Schreiben solcher Texte wird sich ein Schema herausgebildet haben, das sich ohne weitere Schwierigkeiten an die jeweiligen Situationen adaptieren lässt, also ein Vorgehen nach der oben beschriebenen Art erlaubt. 2. Das Auszudrückende hat noch keine Gestalt, die es erlaubt, eventuell vorhandene Schemata sinnvoll anzuwenden. Dies geschieht wohl häufig im Schreiben von Texten (oder von Passagen von Texten), in denen etwa neu Gelerntes oder neu Gedachtes verarbeitet werden muss, ebenfalls dort, wo hohe Zielanforderungen gestellt werden und Normalverfahren des Sich-Äusserns als ungenügend eingeschätzt werden oder nicht anwendbar sind. In solchen Fällen wird die dem Schreiben immer inhärente Aufgabe, Gedachtes/Gewusstes zu verarbeiten, prägnant hervorgehoben und ins Zentrum der Arbeit gerückt. Es ist wahrscheinlich, dass hier das Planen als isolierte Aktivität besonders deutlich hervortritt, dass es Spuren hinterlässt in Form von Notizen, Strukturplänen, stichwortartigen Inhaltsskizzen usw. Auch in solchen Planungen spielen natürlich Schemata (des Argumentierens, des Beschreibens) eine Rolle; sie können häufig aber nicht einfach angewendet werden, vielmehr müssen die entsprechenden Strukturen aus dem Mitzuteilenden zuerst herausgearbeitet werden1. c.Vorgehenspläne
Vorgehenspläne richten sich nicht direkt auf den Text, sondern auf den Umgang mit textbezogenen Plänen, das heisst auf die Anlage des Schreibprozesses. Prototypische Vorgehenspläne sind etwa Zeitpläne, in denen festgehalten wird, bis zu welchem Zeitpunkt welche Arbeiten abgeschlossen sein sollten. Flower/Hayes verweisen in diesem Zusammenhang auch auf die Tradition der Rhetorik und ihre Modelle der Invention und der Topik; sie erwähnen auch die ad-hoc-Pläne von Schreibenden, wenn sie sich zu einem bestimmten Zeitpunkt vornehmen etwa «to write a bunch of ideas down and connect them later» (1980: 46), oder das Verfahren, eine Stelle (in einem Plan oder im Text) zu markieren und so ein Problem, das im Augenblick nicht lösbar scheint, für eine spätere Begutachtung aufzuheben. In allen diesen Fällen wird das Vorgehen organisiert und den generellen Erfordernissen bzw. den augenblicklichen Möglichkeiten entsprechend angepasst. Explizite Vorgehenspläne sind fürs Schreiben oft nicht nötig. Solange das einfache Modell des Vertextens nach gespeicherten Schemata funktioniert, wird der Schreibprozess nicht oder nur in einzelnen Momenten thematisch; er ergibt sich weitgehend aus der Abarbeitung der eingesetzten Muster. Erst wo dieses Vorgehen nicht mehr hinreicht, wo also Ziel- oder Inhaltspläne zu erstellen sind und der angezielte Text nicht mehr einfach ge1
Hinweise auf einige Prinzipien der Organisation von Material und von Plänen geben Gould 1980; Flower/ Hayes 1980; Collins/Gentner 1980. Zur Entwicklung von Vertextungsmustern in argumentativen/persuasiven Briefen vgl. Augst/Faigel 1986; Feilke 1988; Feilke/Augst 1989.
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Teil II: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
schrieben werden kann, sondern konstruiert werden muss, wird auch der zum Produkt führende Arbeitsgang problematisch und muss mit in Betracht gezogen werden. Bilden Ziel- und Vertextungspläne Vorkehren erster Ordnung, um mit den Ansprüchen des geplanten Textes zurechtzukommen, so sind Vorgehenspläne solche zweiter Ordnung. Da im Begriff 'Plan' das Bedeutungsmoment der Festgelegtheit stark im Vordergrund steht, werde ich im folgenden die Bezeichnung Strategie vorziehen, denn Vorgehenspläne sind sehr abhängig von der jeweiligen Einschätzung der Umstände der Schreibsituation (etwa von Zeitberechnungen, Müdigkeit, Langeweile usw.). Sie sind aufgrund von Neueinschätzungen sehr leicht veränderbar, viel leichter jedenfalls als die textbezogenen Pläne. Etwas abstrakt lassen sich drei Grundstrategien des Vorgehens unterscheiden; diese werden nicht immer einen Schreibprozess als ganzen prägen, sondern oft nur einzelne Sequenzen der Arbeit bestimmen: 1. Die erste Vorgehensstrategie ist die oben schon angesprochene grundlegende. Der Schreibende setzt vorhandene Vertextungsmuster ein, die als Rahmen für die Erstellung des geforderten Textes dienen. Diese Muster geben Kriterien der Auswahl und Darstellung vor und entheben den Autor entscheidender Planungsaufgaben. Im als leicht empfundenen Schreiben etwa bei einem routinierten Verfassen von Geschäftsbriefen, beim Schreiben unverfänglicher Privatbriefe usw. - resultiert aus einer solchen Sicherheit der Verfügung über die relevanten Faktoren ein flüssiger, kaum durch grössere Pausen oder wahrgenommene Schwierigkeiten geprägter Schreibvorgang, der keine oder nur sehr kurze Phasen der Planung und Überprüfung ausserhalb des Vorgangs des Hinschreibens aufweist (vgl. Klings 1989: 406). 2. Der Schreibende kann nicht oder nur begrenzt auf solche Pläne zurückgreifen. Dadurch entsteht die Schwierigkeit oder sogar Unmöglichkeit fortzuschreiben; er versucht diese zu beheben, indem er den zu schreibenden Textes zunächst plant, um nachher möglichst vorbereitet und flüssig einen akzeptablen Text schreiben zu können. Das heisst, es werden die fehlenden oder unvollständigen Vertextungspläne auf die vorliegende Aufgabe hin entworfen oder angepasst. Die Absicht besteht darin, durch den Planungseinsatz einen Vorgang des Hinschreibens möglich zu machen, der (idealerweise) der linearen Struktur des ersten Modells analog ist. Das hier angewendete Verfahren ist die Isolierung von einzelnen Textanforderungen und ihre schrittweise Abarbeitung - idealtypisch ausgehend von der Festsetzung der globalen Ziele bis hin zur Ausarbeitung der konzeptuellen Detailstrukturen1. In seiner unvermeidlichen Form führt diese 1
Solche Pläne bilden eigenständige konzeptuelle, unter Umständen auch in Form von Notaten realisierte Gebilde. Sie können natürlich überarbeitet werden; das heisst Planung selbst kann in verschiedenen Expansionsphasen stattfinden. Dies scheint eine Tätigkeit zu sein, die vorab bei geübten Schreibern zu finden ist. (Vgl. Hayes et al. 1987: 206f.)
Π.3 Schieibprozesse und Sprachproduktion
307
Strategie zu den für fast jeden Schreibprozess typischen längeren Pausen, wenn an einzelnen Stellen das Formulieren nicht wie vorgesehen verläuft. 3. Eine dritte Vorgehensstrategie liegt darin, die Potenzen des Texteüberprüfens zu maximieren; sie lässt sich als spezielle Form des heuristischen Schreibens interpretieren. Der Verfasser schreibt trotz Schwierigkeiten oder Unsicherheiten fort, nimmt aber in Kauf, dass das Geschriebene unter Umständen nur entfernt die Strukturen und Formulierungen eines abgeschlossenen Textes aufweist und eine intensive Überarbeitung ins Haus steht. Das heisst, die fehlenden oder unzureichenden Vertextungspläne werden im Textschreiben selbst entwickelt. Der Text wird mehrmals geschrieben, der Schreibprozess weist tendenziell eine zyklische Struktur auf. Planung erfolgt eingebunden in den Vorgang des Schreibens und in Reaktion auf das Geschriebene. Wohl eher unbeabsichtigt spielt dieses Vorgehen dort eine Rolle, wo Pläne sich während des Schreibens als nicht durchführbar herausstellen, die Vertextungsarbeit aber weitergeführt wird, oder wo sich im Schreiben neue Ideen ergeben, die über das Vorgesehene hinausführen und die Vorgaben sprengen, vielleicht sogar widerlegen. Genau besehen findet potentiell jedes Schreiben in diesem Modus statt. Vertextung ist immer Überschreitung des Vorgesehenen; Planung lässt sich nicht zuverlässig so weit treiben, dass das Schreiben bloss noch Vollzug ist1. Was dieser Strategie zugrunde liegt, ist eine Herabsetzung von Standards, denen der angestrebte Text zu jgenügen hat. Dies erlaubt die Beibehaltung einer flüssigen Arbeitsweise. Überarbeiten erfolgt hier durch zunehmende Heraufsetzung von Standards, das heisst Ausmerzung von zunächst in Kauf genommenen, auch groben Mängeln2. Als Strategien des Vorgehens lassen sich diese drei grundsätzlichen Vorgehensweisen eigentlich nur bezeichnen, wenn sie gezielt eingesetzt werden, das heisst wenn sie als Möglichkeiten bekannt sind und ihre jeweiligen Potenzen abschätzbar sind. Es scheint, dass auch in dieser Beziehung geübte Schreiber vor ungeübten einen beträchtlichen Vorsprung haben. 1
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Dieses dritte Modell widerspricht den meisten didaktischen, aber auch von wissenschaftlicher Seite vorgetragenen Hilfestellungen für Schreibende. So stellen Collins/Gentner trocken fest: «It is important to separate idea production foim text production» (1980: S3), und wenig weiter schreiben sie: «one of the most damaging habits for a novice writer to have is that of confusing idea manipulation with text manipulation so that text structure constraints enter into the process of writing at an early stage, before the ideas arcready*(Collins/Gentner 1980: 53). Die dem dritten Modell entsprechende Schreibstrategie zielt allerding nicht darauf ab, im ersten Anlauf einen Resultattext zu schaffen. Es ist dies in den meisten Fällen wohl trotzdem nicht die Strategie der Wahl, obwohl sie - wenn auch nicht als Globalkonzept des Schreibens, sondern als Vorgehensweise eher lokaler Natur - oft unvermeidbar ist. Murray (1980) macht in seiner Darstellung des (höchst elaborierten) Schreibprozesses den Durchgang durch mehrere Entwürfe zur Norm; die ersten dienen in dieser Darstellung noch vorab der «exploration», die gegenüber der «elaboration» im Verlaufe der Arbeit zusehends zurücktritt. Ebenso heben Wason 1980 und Odell 1980 das entdeckende, heuristische Schreiben hervor. Antos (1988) weist ebenfalls darauf hin, dass Planen auch im und durch das Schreiben selbst erfolgt.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
1.33 Pläne und Schreiben a. Pläne und Versprachlichung Pläne sind ihrem Wesen nach unvollständig1. Sie werden vorangetrieben, bis sich der in ihnen nicht ausgedrückte Rest von selbst versteht, das heisst so weit, bis gute Hoffnungen erlaubt scheinen, dass auf der Grundlage der Planung ein sinnvolles Vorgehen möglich ist. So werden Zielpläne in der Ausführlichkeit detailliert, wie sie - in dem entsprechenden Moment fruchtbar und dienlich scheint. Inhaltspläne werden verfolgt, bis erwartbar ist, dass sie eine Vertextung tragen können. Vorgehenspläne enthalten die notwendigen Schritte im Hinblick auf das Erreichen von (Zwischen-)Zielen, wie sie in jedem Moment als erreichbar und sinnvoll gestuft erscheinen. Pläne funktionieren somit nach dem Approximationsprinzip. Was sie offen lassen, sind die Dinge, die sich voraussehbarerweise vor dem Hintergrund des Plans und dessen, was man ohnehin weiss oder kann, von selbst einstellen werden2. Das notwendige Mass ihrer Detailliertheit ergibt sich demnach vor dem Hintergrund des Gegenstands und der Kompetenz des Schreibenden. Mit diesem Prinzip der Approximation im Zusammenhang steht der oben schon vermerkte Sachverhalt, dass Pläne auf einer anderen Ebene anzusiedeln sind als Texte. Pläne sind in gewissem Sinne abstrakt. Sie können zwar schon Phrasen und Formulierungen enthalten, die dann unverändert in den Text übernommen werden, jedoch auch ganz andersartige Festlegungen. So können sich Planstichworte z.B. auf Eigenschaften beziehen, welche intendierte Texte aufweisen sollen. Diese werden durch den Planvermerk (als einer Art von Regieanweisungen) nur benannt; realisiert werden müssen sie durch spezifische Konfigurationen von Sprachmitteln im Formulieren. Auch brauchen Pläne nicht allein Gebrauch von sprachlichen Mitteln zu machen. Schemata, Pfeile, Netzwerke von Stichwörtern, welche Verhältnisse noch unsprachlich bezeichnen, können ebenso Teil von Plänen sein wie bildliche Vorstellungen usw. Zu dieser durchaus vielfältigen Qualität von Plänen sagen Flower/Hayes hinsichtlich eines ihrer Probanden: Invention for this writer is not a logical, fully explicit or even necessarily verbal journey. It appears to work by imagery, analogy, and schema as well as by the more familiar modes of concept, verbal convention, and word association. (Rower/Hayes 1984: 129)
Aus dem Approximationsprinzip ergibt sich, dass im Moment der Vertextung das zu Vertextende immer um einiges komplexer ist als das, was der Plan festhält. Zum einen müssen die im Plan bloss mitgemeinten Sachverhalte notwendig in ihrer Detailliertheit präsent gemacht, in eine Verbindung untereinander und zum Geplanten und schliesslich in eine Abfolge 1 2
Vgl. Flower/Hayes (1984: 124). Stichwörter etwa sind in dieser Hinsicht mnemotechnische Hilfen, welche die im Gedächtnis verankerten Wissensbestände zu orten und zu aktivieren erlauben.
Π.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
309
gebracht werden, zum anderen ergeben sich aus der Aktivität des Formulierens sprachliche Zwänge wie die Vermeidung von Wiederholungen, die Notwendigkeit kompletter syntaktischer Strukturen (bekannt etwa die Schwierigkeit, nicht vorbedachte Satzgliedstellen füllen zu müssen) oder terminologischer Differenzierung (vgl. Herrmann/Hoppe-Graff 1989: 161f.; de Beaugrande 1984: 114). Das Schreiben, das Formulieren des Textes ist der eigentliche Test für jeden Ziel- und Inhaltsplan. Seine ihm wesentliche Unvollständigkeit wird hier aufgehoben. Der Plan, der auch in seiner detailliertesten Form den Text bloss vorbereitet, aber keiner ist, wird in gebundener Form versprachlicht und damit in eine andere Qualität umgesetzt. Texte sind mehr ids einfach etwas detailliertere Pläne, sondern - bei all ihrer fundamentalen Lückenhaftigkeit, wie sie sich in den in ihnen gemachten Präsuppositionen ausdrückt - Versuche der Integration von Momenten, die im Plan noch auseinanderfallen dürfen oder gar nicht formuliert sind. Vor allem aber sind sie, was Pläne nicht sind, Instanzen des gesellschaftlichen Diskurses1. Dass Texte nicht einfach Inszenierungen von Plänen sind, sondern qualitativ verschiedene Gebilde, ist auch daran abzulesen, dass der detaillierteste Plan an der Vertextung scheitern kann. Das in ihm nicht Ausgedrückte, das im Schreiben aber zwangsläufig mit ins Spiel kommt, kann den Plan als undurchführbar erweisen, wenn es sich nicht in die vorgesehenen Zusammenhänge fügt und die vorgesehene Ordnung sprengt2. Hier können sich Details als derart wichtig und gleichzeitig so sperrig erweisen, dass sie nicht nur lokale Revisionen verlangen, sondern Rückwirkungen bis in die höchsten Textebenen hinein auslösen können. In diesem Sinne können Pläne nicht als definitiv oder abgeschlossen betrachtet werden, bis die Arbeit am Text selbst beendet ist (vgl. Antos 1988: 42f.). Auch die realistische Einschätzung von Schemata und Plänen und ihren Kapazitäten muss gelernt werden. Sie setzt eine gewisse Einsicht in die quantitativen und qualitativen Relationen voraus, welche Pläne und Texte verbinden, wohl auch eine gewisse Erfahrung im bewussten Umgang mit Texten. Planen als Ausweg aus den Problemen des Schreibens ist demnach keineswegs risikolos. Je weniger der Schreibende sachliche und textuelle Anforderungen einschätzen kann, desto weniger dürfte er auch fähig sein, durch (selbständiges) Planen die Schwierigkeiten des Schreibens gezielt zu lösen. Die Tendenz vieler ungeübter Schreiber, ohne eingehende Planung 1
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Flower/Hayes (1984: 150) vertreten die Meinung, der Schreibakt sei in einem gewissen Sinne «an extension of planning - the process of invention and testing continues». Sie scheinen in dem «whole new body of constraints», die im Schreiben bewältigt werden müssen, das Hauptmerkmal zu sehen, das Schreiben vom Planen unterscheidet. Ich möchte hier eher einen qualitativen Unterschied ansetzen. Der Text ist die Grösse, innerhalb deren verwirklicht werden muss, was ausgedrückt werden soll; jenes Verschieben auf später, das den Plan auszeichnet, ist im Text nicht mehr möglich. «We simply do not recognize the weakness of the plan until we try to execute it.» (Hayes et al. 1987:209)
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
zu schreiben, ist von daher verständlich, auch wenn diese Strategie die Probleme sicherlich auch nicht löst. b. Opportunistisches Vorgehen Schon zum Eingang dieses Abschnitts wurde darauf hingewiesen, dass Pläne nicht fix sind. Als approximative Grössen, die darauf angelegt sind, überstiegen zu werden, haben sie Leitfunktion genau so lange, bis sich im Verlaufe der Arbeit bessere, plausiblere Lösungen zeigen. Dies gilt für Planungsphasen selber, während derer schon ausgearbeitete Pläne korrigiert und verändert werden; es gilt auch für das Formulieren und Überarbeiten, wo sich in der Arbeit am Text unvorhergesehene Ideen, Erinnerungen oder Formulierungen einstellen, die Veränderungen im geplanten Textablauf, vielleicht im Plan oder sogar in der Zielsetzung ermöglichen, manchmal erfordern. Je detaillierter ein Plan ausgearbeitet ist, desto leichter wird er durch die Realisierung, wenn auch vielleicht nur lokal, überholt; je allgemeiner er ist, desto weniger kann er vorherbestimmen, wie die Realisierung des Textes aussehen wird, desto mehr wird rollende Planung den Formulierungsprozess begleiten1. Schreiben ist ein Spiel mit Plänen und Möglichkeiten und sich offerierenden Lösungen, es umfasst das Befolgen vorgeplanter Routen wie die opportunistische Abweichung von ihnen. Dieses Verhältnis von Festgelegtheit und Offenheit, von Abarbeiten des Vorgedachten und Aufblitzen unerwarteter neuer Ideen, die zur Kenntnis genommen und in die Arbeit eingebaut werden, kann als Kennzeichen eines gelungenen Schreibprozesses betrachtet werden2. Je besser Schreibende im Sinne von Burtis et al. konzeptuell auf den Text hin arbeiten können, das heisst auf einer unabhängigen Ebene eine vieldimensionale Idee von ihm entwickeln können3, desto weniger suchen sie bloss passende oder unpassende Inhaltsblöcke, sondern nähern sich dem intendierten Text unter verschiedenen Perspektiven, planen und prüfen nicht nur seine möglichen Inhalte, sondern entwerfen auch Charakterisierungen des Textes, untersuchen Gegenbeispiele für beabsichtigte Generalisierungen, stellen alternative Zielbestimmungen auf, nehmen auch Assoziationen wahr, die nichts mit dem Text zu tun haben, die aber zu relevanten anderen hinführen könnten, und prüfen die ständig sich einstellenden Assoziationen und Gedanken genauer auf die möglichen Beiträge hin, die sie in bezug auf den Text zu machen imstande sind. Je grösser das Inventar an schreibspezifischen Handlungsmöglichkeiten ist, desto intensiver kann dieses Spiel von Plan und Zufall ablaufen. In bezug auf diesen Aspekt bemerkt Rose (1984: 92ff.), dass ungeübte Schreiber häufig bestimmte Struktur- oder Vorgehensmuster im Kopf haben (zum 1
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Burtis et al. (1983: 156) bemerken dazu: «It is by now well known that expert writers often do much of their planning while they write rather than before writing.» Molitor (1984: 11) spricht in diesem Zusammenhang von strukturschaffenden und struktursprengenden Momenten. Sitta (1982) definiert den Textplan als «Idee von einem Text».
Π.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
311
Teil auch explizit beigebracht bekommen haben). Sie versuchen häufig diesen zu folgen, ohne zu bemerken, dass sie behindert und eingeengt werden, wenn sie alle ihre Gedanken durch eine solche fixe Struktur hindurch zu kanalisieren versuchen. Hilfreich wäre demgegenüber die Fähigkeit, etwa Perspektiven zu wechseln (ein Problem auf lokaler Ebene mit der Frage des Gesamtplans in Zusammenhang zu bringen), die Aufmerksamkeit zu verlagern (etwa sich zu fragen, ob eine Wortwiederholung wirklich nur ein stilistisches, nicht auch ein Problem des Gedankengangs anzeigt) usw. Idealerweise sind Schreibende imstande, auf einer Klaviatur von Vorgehensweisen zu spielen und die verschiedenen Modi des textbezogenen Handelns dann aufzurufen, wenn sie den interessantesten möglichen Beitrag versprechen: Fundamental to opportunism is a repertoire of strategies, rules, plans, frames, and, possibly, evaluative criteria, and the richer the repertoire the richer the opportunistic activity. Writers cannot opportunistically shift strategies if they have little to which they can shift. It also seems likely that, given this repertoire, the primary cognitive prerequisite of opportunistic behavior is that strategies, rules, plans, and frames be flexible and multioptional, be conceived conditionally, embody alternatives. (Rose 1984: 83)1
c. Schreiben als Fragen und Antworten Eine in Ansätzen andere als die hier gegebene Erklärung dessen, wie Texte zustande kommen, geht aus von der Beobachtung, dass die Sätze eines Textes verstanden werden können als Antworten auf Fragen, die sich im Anschluss an den je vorhergehenden Satz stellen; der Text erscheint so als Resultat eines kommunikativen Prozesses zwischen dem Autor und seinem imaginierten Leser2. Dieser Ansicht kann eine gewisse Plausibilität nicht abgesprochen werden. Sie geht jedoch aus von dem, was am vollendeten Text an Entscheidungen des Verfassers ablesbar ist. Wenn diese zweifellos im Hinblick darauf verstanden werden können, was er in jedem Moment seinem Publikum gegenüber für wichtig und mitteilenswert hält, so ist 1
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Hayes-Roth/Hayes-Roth (1979) entwerfen ein allgemeines Modell des Planens, welches opportunistisches Verhalten auf das gleichzeitige und weitgehend je autonome Wirken von 'Spezialisten', von Produktionen zurückführt, welche bei Erreichen ihrer Aktivationsschwelle zünden. Der Plan besteht in jedem Moment aus den relevanten Produktionen, die auf fünf Ebenen angesiedelt werden. Die Realisierung einer Produktion kann die Aktivationshöhe von Produktionen auf anderen Ebenen beeinflussen oder sie durch Erfüllung ihrer Wenn-Klauseln auslösen. Die fünf Ebenen sind: a) der Plan selbst, die in Aussicht genommenen Aktionen; b) Plan-Abstraktionen, welche Eigenschaften des Plans (und weiterhin der darauf basierenden Aktionen) bestimmen; c)Wissen, das für die Planung relevant ist (etwa Wissen um das Verhältnis von Elementen von b) zu denen von a)); d) die Plankontrolle, die bestimmt, wie der Planungsprozess abzulaufen hat und wo kognitive Kapazitäten am meisten benötigt werden; e) der Metaplan, welcher die Problemdefinitionen des Planenden beinhaltet, sein Verständnis der Aufgabe. - a) und b) entsprechen wohl weitgehend dem Inhaltsplan, e) dem Zielplan, c) und d) den Vorgehensplänen und Kontrollstrukturen fürs Planea Vgl. Widdowson 1980a, 1983; Scinto 1986: 114ff.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
doch mit dieser Feststellung noch nicht viel gesagt darüber, wie der Autor zu seiner Ordnung der Darstellung kommt, wie er die lineare Struktur von Fragen und Antworten konstituiert, als die sich sein Produkt lesen lässt. Es ist ja für einen Schreibenden nicht von vornherein absehbar, was die relevanten Fragen, was die einschlägigen (und weiterführenden) Antworten sind und was die optimale Reihenfolge ihrer Abwicklung ist. Mit anderen Worten: Die Frage ist, ob nicht die Serialisierung von Fragen, sofern die Antworten darauf Text produzieren sollen, von einer Logik gelenkt ist, die zu entdecken gerade die Schwierigkeit des Schreibens ausmacht. Dieser Einwand lässt sich innerhalb des Modells von Frage und Antwort entschärfen, wenn man Fragen und Antworten zulässt, die nicht als Textaussagen zu erscheinen haben, sondern die Textherstellung selbst regeln, also einen Planungsdiskurs modellieren. In diesem Fall sind es noch vorwiegend terminologische Differenzen, welche das Modell von Frage und Antwort von dem hier vertretenen der Planung und Formulierung unterscheiden. Allerdings scheinen mir die Hauptschwierigkeiten beim Schreiben in den Begriffen der Sachverhaltsdarstellung, des Plans, der Kohärenz und der Kontrolle plausibler explizierbar als in denen von Frage und Antwort. Damit sei nicht bestritten, dass in die Vertextungsentscheidungen durchaus adressatenbezogene Rücksichten eingehen können, dass ein stillschweigendes (manchmal auch thematisiertes) Einverständis darüber besteht oder zumindest durch den Text suggeriert wird, was als bekannte, geteilte Information zu betrachten ist und was jeweils vorausgesetzt werden kann (vgl. Matsuhashi/Quinn 1984: 312). Auch sei nicht in Abrede gestellt, dass das Miteinander-Sprechen eine wichtige Quelle von Erfahrungen für das Geschäft des Schreibens darstellt. 1.4 Überarbeiten 1.4.1 Überprüfen und Überarbeiten Am Überarbeiten lassen sich zwei Aspekte unterscheiden: das Überprüfen, das kritische Zur-Kenntnis-Nehmen des Geschriebenen, und das darauf aufbauende Überarbeiten, das eine Veränderung des Textes zum Zweck hat. Dem Überprüfen liegt ein Lesen des Geschriebenen zugrunde, das nicht einfach der Informationsentnahme dient, sondern der Evaluation. Das Gelesene und Verstandene wird im Hinblick darauf bewertet, wie gut es die 'Idee des Texts' realisiert (Baurmann/Ludwig 1985: 257). Überprüfen ist demnach «best viewed as an extension of the familiar process of reading for comprehension», in dem zusätzliche Ziele anvisiert werden (Hayes et al. 1987: 187). Voraussetzung fürs Überprüfen ist, dass ein Plan (als Idee vom Text) dem Text gegenüber als Kontrollinstrument namhaft gemacht werden kann (siehe Molitor 1984: 39f.). Es lassen sich verschiedene Modi des Überprüfens unterscheiden: das im Akt des Hinschreibens integrierte Zur-Kenntnis-Nehmen des Schreibens
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und der sich aktuell auf dem Blatt abzeichnenden Spuren1 und das optionale, bewusst unternommene Durchlesen einzelner Textteile oder des ganzen Textes. Möglich ist auch ein Überprüfen, ohne dass die entsprechende Textstelle eingesehen wird. Solange am Text gearbeitet wird, bleiben viele seiner Details präsent; einzelne Formulierungen, Inhaltsblöcke usw. können während der Beschäftigung an anderen Textstellen in Erinnerung gerufen und evaluiert werden. Thema der Evaluation können sprachliche Normverstösse sein, aber auch stilistische (etwa Wortwahl, Satzstellung, Flüssigkeit) und inhaltliche Fragen. Im Überprüfen können gezielt einzelne dieser Ebenen angegangen und die anderen vernachlässigt werden. Überprüfen kann durch den Autor selbst oder durch einen anderen Leser erfolgen2. Im folgenden wird zunächst vor allem vom Standpunkt des Autors aus argumentiert, der seinen eigenen Text wieder liest. Überprüfen geschieht am Geschriebenen, an einem Objekt, das neu ins Auge gefasst wird. Die Tatsache, dass der Text als Produkt zugänglich ist, hebt den etwa im Sprechen herrschenden linearen Zwang auf: Man kann nochmals auf jede Entscheidung, die in die Produktion des Texts eingegangen ist, zurückkommen (vgl. Äugst 1988a: S3). Dieser offene Zugang zum Produkt erlaubt es den Überprüfenden, ihre Fähigkeiten als kritische Leser in den Schreibprozess einzubringen (Baurmann/Ludwig 1985: 257). Autoren kennen ihre eigenen Intentionen und besitzen daher - der Möglichkeit nach - einen genaueren Massstab der Evaluation als Fremdleser. Dass in eigenen Texten viele Fehler weniger leicht entdeckt werden als in fremden, spricht allerdings dafür, dass dieser neue Zugang (zumindest bei frisch Geschriebenem) durch allzugrosse Bekanntheit auch behindert wird (Hayes 1987:178). Während eine minimale Form des Überprüfens, nämlich das schreibbegleitende Lesen, fast notwendig mit dem Schreiben verknüpft ist, ist gezieltes Überprüfen als zusammenhängende Aktivität optional3. Dasselbe gilt fürs Überarbeiten, das heisst die aktuelle Veränderung des Geschriebenen. Wo nicht systematisch überprüft wird, wird auch nicht gezielt überarbeitet. Es scheint jedoch kaum ein Schreiben zu geben, in dem nicht minimale, oft unwillkürlich ablaufende Korrekturen an Schriftbild, Schreibung oder Wortwahl vorgenommen werden. Dies wird nötig darum, weil einerseits die Ausführungsoperationen selten völlig fehlerfrei ablaufen, andererseits die innere Vorbereitung und Formulierung des zu Schreibenden meist
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Das schreibbegleitende Überprüfen wird häufig unwillkürliche Züge tragen dort, wo es darum geht, motorische Lapsus, Orthographiefehler, syntaktische oder morphologische Missgriffe, falsch gewählte Wörter usw. zu korrigieren. Wird mit der Maschine geschrieben, ist ein optisches Zur-Kenntnis-Nehmen üblich, kann aber dahinfallen. Die Kontrolle des Fixierens erfolgt dann allein aufgrund der kinästhetischen Wahrnehmungen. Vgl. Baurmann/Ludwig 1985; Äugst 1988a. Viele Schreibende überprüfen ihre Texte nach Abschluss des Veitextungsprozesses nicht, wie immer wieder berichtet wird (vgl. etwa Gould 1980).
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
nicht so perfekt gelingt, dass nicht einzelne Missgriffe bei Wortwahl, Linearisierung usw. vorkämen1. Wo ein Text oder Teiltext gezielt überprüft wird, sind Überarbeitungen häufig; allerdings zeigen alle Studien übereinstimmend, dass Überarbeitungen, welche die Satzgrenzen sprengen und den Text nicht nur streng lokal verändern, ein hohes Mass an Textkompetenz voraussetzen. Sie kommen in einiger Dichte fast nur bei geübten Schreibern vor (siehe unten). Wird die Möglichkeit der Textüberarbeitung vom Schreibenden gezielt ins Kalkül des Texteschreibens einbezogen, kann ein einmal geschriebener Text durch Prozesse vielfacher Überarbeitung derart umgeformt werden, dass kaum mehr ein Satz durch einen entscheidenden Akt inhaltlicher Planung und sprachlicher Realisierung zustandegekommen ist. Schriftliche Formulierungen werden auch durch die kumulierten Effekte wiederholter Gänge der Veränderung, Erweiterung, Streichung usw. gewonnen. 1.4.2 Die Struktur von Revisionen a. Das Überarbeiten als eingebetteter Schreibprozess Über die Strukturen und Formen des Überarbeitens scheint eine gewisse Einigkeit zu bestehen. Nach Baurmann/Ludwig ist das Überprüfen eine Entdeckungs-, das Überarbeiten eine Revisionsprozedur. Es geht darum, in einem Text oder Teiltext Unerwünschtes ausfindig zu machen, es zu identifizieren und - sofern der Fall gravierend genug erscheint - den Text entsprechend zu verändern. Das Überarbeiten kann als eingebetteter Schreibprozess analysiert werden, mit seinen eigenen Komponenten der Zielfindung (diese ergibt sich aus einer Analyse des aufgefundenen Problems), Planung, Vertextung und Überprüfung. Diese Arbeit erfolgt unter Berücksichtigung der Ziel- und Inhaltspläne, die am Ende der Vertextung wohl maximal entwickelt und differenziert sind. Ist sie allein darauf ausgerichtet, die Einhaltung der Orthographie- und Syntaxnormen zu überprüfen, spielen textspezifische Pläne keine Rolle; das Überarbeiten erscheint hier nur in der Form der Korrektur (vgl. Ludwig 1983b; Baurmann/Ludwig 1985). In einem Ablaufschema geben Hayes et al. (1987: 185) eine analoge, wenn auch etwas weiter ausgefaltete Darstellung der Struktur von Überarbeitungsprozessen. Hauptkomponente ist die Evaluation des Textes: Dieser wird gelesen und im Hinblick auf die zu evaluierenden Aspekte geprüft. Werden Abweichungen erkannt, so müssen diese bewertet werden. Das Resultat dieser Aktivität lässt sich als Problemdefinition verstehen, als Identifizierung einer so-und-so gearteten Schwierigkeit. Die Schreibenden haben verschiedene Optionen, mit dem Problem umzugehen: Sie können es ignorieren, eine Lösung zwar in Aussicht nehmen, aber aus welchen Gründen immer verschieben oder es auf der Stelle zu beheben versuchen. In diesem Falle stehen zwei Möglichkeiten offen: Streichen und 1
Baunnann/Ludwig fanden in einer Studie mit Grundschülern keinen Schülertext ohne Revisionen irgendwelcher Art (1985: 261).
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Neuschreiben oder Revidieren, das heisst Aufbesserung des bereits Geschriebenen. b. Tiefe der Überarbeitung Es lassen sich mehrere Formen der Revision unterschieden. Baurmann/Ludwig klassifizieren sie nach der «Tiefe der Revisionen», indem sie auf das Modell von Ludwig (1983b) Bezug nehmen: Revisionen, die sich auf die im Schieibmodell unmittelbar vorausgehenden Ausführungshandlungen beziehen, bewegen sich noch - um im Bilde zu bleiben - auf der Oberfläche, weisen also wenig Tiefe auf. Revisionen, die etwa an der Planbildung vorgenommen werden, sind tief zu lokalisieren, da die Planbildung im Verlauf des Schreibens relativ früh vorgenommen wird. Man kann annehmen, dass mit der Tiefe auch die Bedeutung einer Revision wächst. Die tiefsten Revisionen weiden den Textentwurf auch am stärksten verändern. (Baurmann/Ludwig 1985: 259)
Baurmann/Ludwig unterscheiden folgende Formen des Überarbeitens: - Nachträge, das heisst Eingriffe am Schriftbild, die allein Aspekte betreffen, welche durch unvollkommene motorische Ausführungshandlungen zustandegekommen sind (Verdeutlichung der Schriftzüge, Hinzufügung ausgelassener Buchstaben oder Wörter); - Korrekturen, das heisst Eingriffe, welche die Ergebnisse der Übersetzungshandlungen (der Sprachproduktion) betreffen und Verletzungen der sprachlichen Norm aufheben (Interpunktionen, Orthographie-, Syntax-, Wortsemantikfehler); - Verbesserungen, das heisst leser-, Schreiber- oder produktorientierte stilistische Veränderungen am Textentwurf, etwa Korrektur von Wortwahl, syntaktischer Konstruktion, Art der Satzverbindung, Aufhebung von Wiederholungen; - Redigierungen, das heisst Revisionen, die sich auf die Planbildung beziehen. Sie verändern die Organisation des Textentwurfs und greifen damit in die Textsubstanz ein (dazu gehören Streichungen und Ergänzungen); - Reformulierungen, das heisst die Veränderung von Textpassagen (mehreren Sätzen, Abschnitten, Teiltexten). Auch diese verändern die Pläne, welche dem Text zugrunde liegen; im Extremfall können sie dazu führen, dass ein neuer Text geschrieben wird. Hayes et al. gehen in ihrer Kategorisierung von Evaluationen von ähnlichen Überlegungen aus wie Baurmann/Ludwig. Evaluationen und die auf sie folgenden Überarbeitungen können danach in bezug auf ihre Tiefe auf drei Ebenen angesiedelt werden: 1. The reviser may evaluate the text against general criteria for texts such as stand aids of spelling, grammar, and clarity. Such evaluations can be carried out even if the reviser is not aware of the writer's plans for the text. [... ] 2. The reviser may evaluate the text against the writer's intention. When writers revise their own text, they frequently find that the text does not fully express their intended meaning. They may find that the words and examples they have chosen [...]. are not fully accurate and have to be revised. [... ] 3. The reviser may evaluate the plan against criteria he or she believes plans should meet. [...] An interesting case is one in which the writer plans an argument and then
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
executes it in writing. On reading the text, he or she finds that it accurately represents the plan but that the plan is built on contradictory assumptions. Thus, the text matches the plan (a positive type 2 evaluation) but the plan itself is rejected. (Hayes et al. 1987: 179f.)1
Es ist der dritte, am tiefsten in den Text eingreifende Typ, von dem Hayes et al. annehmen, dass er die qualitativ höchststehenden Revisionen erbringt. Revisionen, dies bestätigen sowohl die Untersuchungen von Baurmann/Ludwig wie die von Hayes et al., sind den Schreibenden um so leichter zugänglich und einsichtig, je tiefer die Ebene ist, auf der sie stattfinden. Nachträge und Korrekturen sind denn auch in praktisch jedem Schreiben zu finden; sie erfolgen - schreibbegleitend - oft spontan und unwillkürlich. Revisionen auf höherer Ebene verlangen eine klare Wahrnehmung des Textes als eines eigenständigen Gebildes, das auf seine Leistung hin befragt werden kann und den verschiedensten Eingriffen gegenüber offen ist; solche Revisionen sind vor allem bei unerfahrenen Schreibern selten (Sommers 1980). Es scheint, dass diese einen Text primär auffassen als eine Oberfläche, welche den syntaktischen, morphologischen und orthographischen Normen zu entsprechen hat; die unternommenen Revisionen sind demgemäss meist sehr lokal und überschreiten selten die Satzgrenzen. Einen Uberblick über diesbezügliche Forschungsresultate sowie eine ausführliche Interpretation einer eigenen Untersuchung geben etwa Hayes et al. Sie fassen die wichtigsten Ergebnisse von Untersuchungen zum Revidieren folgendermassen zusammen: 1. There are large differences in the amount of revising writers do. Experts make more revisions than do novices. 2. Expert revisers attend to more global revising problems than do novices. 3. Writers have more difficulty detecting faultyreferringexpressions when revising their own text than whenrevisingthe texts of other writers. 4. The ability to detect text problems appears to be separate from the ability to fix these problems. (Hayes et al. 1987:176)*.
Diesen Untersuchungen zufolge ist die Fähigkeit des Revidierens, ganz analog wie die Fähigkeit des Schreibens, die Folge einer komplexen Entwicklung, in deren Verlauf der Text als Instrument des Ausdrucks erkannt und in immer perfekterer Weise in dieser seiner Funktion manipulierbar gemacht wird. Das Schreiben wie das Revidieren wird, je besser jemand damit umgehen kann, desto mehr ein Vorgang, in dem nicht nur nach aussen gebracht wird, was man weiss, sondern ein Prozess durchlaufen wird, in dem das zu Sagende selbst erst geformt wird.
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Evaluationen des zweiten, vorab aber des dritten Typs führen fast zwangsläufig zu Aktivitäten des Neuschreibens, sie lassen sich nur beschränkt durch behutsames Revidieren realisieren. Der letzte Punkt weist darauf hin, dass vor allem unerfahrene Schreiber häufig Probleme entdecken, jedoch nicht imstande sind, sie zu beheben (Baunnann/Ludwig 1985: 262; Hayes et al. 1987:223).
Π.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
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1.43 Überarbeiten und Planen Überarbeiten erfordert ein distanzierendes Wahrnehmen des Geschriebenen, die Erfassung seiner Bedeutung aus der Leserperspektive und zugleich seine Beurteilung als Ausdruck einer Intention. Wer überarbeitet, sieht den Text als Entwurf an, der einer Intention Ausdruck gibt, und er geht von der Annahme aus, dass es möglich ist, dem Intendierten besser Ausdruck zu geben. Das Überarbeiten ist damit, nicht weniger als das Planen, geeignet, die eigenen Gedanken und Ansichten in eine Perspektive zu rücken (vgl. Hilgers 1984). Gegenüber dem Planen und seinen Eigenschaften ist das Überarbeiten jedoch durch ganz andersartige Bedingungen geprägt, die es in der Schreibdidaktik zu einer gewissen Prominenz haben aufsteigen lassen. Vielfach erscheint es als der Ort, wo entscheidend nicht nur in den Text eingegriffen, sondern auch Verständnis für die Besonderheiten von Texten gewonnen und vermittelt werden kann1. Für diese Einschätzung lassen sich verschiedene Gründe anführen; auf einige Gesichtspunkte sei kurz hingewiesen. Die wichtigste Differenz liegt darin, dass im Überarbeiten ein Text schon vorliegt, ein Gesamtzusammenhang bereits entworfen und realisiert ist. Die Schreibenden sind nicht mehr durch die komplexe Aufgabe des Vertextens belastet (Baurmann/Ludwig 1985: 265). Die im Schreiben sukzessive erfolgten Entscheidungen sind jetzt überblickbar, Aussagen und die Beziehungen zwischen ihnen, die im Planen und Schreiben oft wenig überschaubar sind, können in ihrem Zusammenhang miteinander und mit dem Text eingesehen werden. Zudem haben die Ziel- und Inhaltspläne in der Arbeit des Vertextens eine Präzisierung erfahren, welche es erlaubt, Textsegmente jeder Grössenordnung klarer in ihrer Funktion zu erfassen, als dies zuvor der Fall war2. Dies bedeutet, dass dem Überarbeitenden seine Erfahrung als Leser beisteht. Er hat im kritischen Begutachten des Produkts die Möglichkeit zur Verfügung, zusätzlich seine Kompetenz als Rezipient in den Schreibprozess einzubringen. Dass der Text vorliegt, hat zudem zwei weitere Vorteile: 1. Das Überarbeiten bringt neue Vorschläge als direkte Alternativen auf Textebene zur Geltung. Die Reaktion auf ein Textproblem ist selbst eine mögliche Textsequenz. Diese tritt in Konkurrenz mit einer bestehenden Vorlage; im Vergleich lassen sich die Vorzüge der Varianten vor dem Hintergrund der Gesamtaussage beurteilen. Zumindest gilt dies für lokale Probleme. Umfassendere Überarbeitungen sind meist nur über eigenständige Planungsphasen zu leisten. Auch für deren Realisierung bietet der be1 2
Symptomatisch ist hier der Titel von Äugst 1988a: «Schreiben als Überarbeiten 'Writing is rewriting'». Hierin unterscheidet sich das Texteschreiben wohl nicht von anderen Problemlöseprozessen: «Das angestrebte Zielkriterium [sc.: hier die Vorstellung des anvisierten Textes] ist nicht von vornherein voitianden, sondern entwickelt und verändert sich im Gefolge des Problemlöseprozesses und ist damit nicht nur Ursache, sondern auch Folge von Problemlöseoperationen.» (M. Bock 1978:87)
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
reits bestehende Text ein Umfeld, das die Entscheidungen in vielem konkreter zu begründen erlaubt, als dies im Planen der Fall ist. 2. Das Vorliegen des Textes erlaubt einen Austausch (mit den anderen Lernenden oder mit dem Lehrer), der viel direkter auf konkrete Fragen gerichtet werden kann als etwa im Planen. Pläne haben keinen Ton, zeigen keine konkrete sprachliche Gestalt. Auch Aussenstehende können dagegen einen Text verstehen und darauf reagieren, wie dies bei einem Plan nicht möglich ist. Die Leserreaktion kann so zum Element werden, das in den Schreibprozess selbst integriert werden kann und das vorwegnimmt, wozu die Lernenden selbst fähig werden sollen: Sich ihrem Text 'von aussen' zu nähern und jene distanzierende Haltung einzunehmen, welche es erlaubt, am Geschriebenen das wahrzunehmen, was 'da steht', und nicht das, was sich damit an Intentionen und Vorstellungen verknüpfte. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Überarbeiten - wird es überhaupt als sinnvoll eingesehen und unternommen - in wichtigen Aspekten erfahrungsnäher als das Planen erfolgen kann1. - An dieser Aktivität sind hier nur Prozessaspekte angesprochen worden. Die Verständlichkeitsforschung etwa hat Kriterien herausgearbeitet, die - aus der Leserperspektive - Texte als verständlich, lesbar usw. erscheinen lassen. Viele von diesen werden bewusst oder unbewusst das Schreiben und Überarbeiten mitbestimmen. Sie gehören zum Bereich der Standards, auf die sich die (Selbst-) Evaluationen von Schreibenden berufen. (Vgl. dazu Groeben/ Christmann 1989 für einen Überblick; Bock 1988). 1.5 Schreiben in der Fremd- und Muttersprache In den Ausführungen im letzten Kapitel, teilweise auch in denen dieses Abschnitts, ist schon einige Male auf Aspekte der Entwicklung von Schreibfähigkeit in der Muttersprache hingewiesen worden. Es ist hier nicht der Ort, diese Hinweise zu sammeln und in ein zusammenhängendes Bild des Schreiben-Lernens zu integrieren oder gar einen Überblick über die massive Forschungstätigkeit in diesem Gebiet zu geben. Einige sehr globale Anmerkungen müssen genügen; sie dienen vor allem als Kontrastbild zu den Darstellungen im zweiten Teil dieses Abschnitts. Dort geht es um eine Zusammenstellung der Ergebnissen von Studien, welche den Schreibprozess von Fremdsprachigen und die speziellen Bedingungen, die sie antreffen, zum Thema haben.
1
Das Überarbeiten hat wenig Parallelen im Sprechen. Die auch dort möglichen Präzisierungen und Verbesserungen ergeben sich sukzessive, als mehrfache Anläufe, während sie sich im Text in einer in sich gefügten Struktur niederschlagen, welche Resultatcharakter hat und von den verschiedenen prozessualen Anläufen abgehoben ist, die zu ihr gefühlt haben. (Vgl. Sommers 1980: 384; Freedman/Calfee 1984:473).
Π.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
319
1.5.1 Schreibenlernen in der Muttersprache a. Schreiberstandpunkt und Leserstandpunkt Die Entwicklung der Schreibfähigkeit nimmt ihren Ausgang von den mündlichen Fähigkeiten; sie setzt meist in der Schulzeit ein. Flower (1979) bringt die Pole, zwischen denen sich dieser Lernprozess bewegt, auf die Formel 'writer-based prose' und 'reader-based prose'. Das erstere ist ein nicht-transformierter Modus des Ausdrucks: In function, Writer-Based prose is a verbal expression written by a writer to himself and for himself. It is the record and the working of his own verbal thought. In its structure, Writer-Based prose reflects the associative, narrative path of the writer's own confrontation with her subject. In its language, it reveals her use of privately loaded terms and shifting but unexpressed contexts for her statements. (Flower 1979: 19f.)
Diese Form des Ausdrucks ist bezogen auf die innere Sprache des Schreibenden, den Gedankenprozess, den sie relativ ungefiltert nach aussen bringt1; sie beruht auch auf mündlichen kommunikativen Strategien, die da sie der Situation des Schreibens nicht angepasst sind - als unzureichend gelten dürften. 'Writer-based prose' kann, wie Flower anmerkt, nicht umgangen werden. Jedes Schreiben beruht auf den Ressourcen innerer Sprache als einem «medium of thinking» (ebda.: 27); was ein Schreiber jedoch erreichen muss, ist ein Text, der als Text Mitteilungen übermitteln kann und sich von den egozentrischen Beschränkungen frei macht, welche die selbst-bezogenen Aussageweisen prägen. Diesem Gegenbild entspricht eine entwickeltere Art des Ausdrucks: In contrast, Reader-Based prose is a deliberate attempt to communicate something to a reader. To do that it creates a shared language and shared context between writer andreader.It also offers thereaderan issue-centered rhetorical structure rather than a replay of the writer's discovery process. In its language and structure, Reader-Based prose reflects the purpose oft the writer's thought; Writer-Based prose tends to reflect its process. Good writing, therefore, is often the cognitively demanding transformation of the natural but private expressions of Writer-Based thought into a structure und style adapted to a reader. (Flower 1979:20)
Während wahrscheinlich jedes Sich-Äussern eine gewisse Transformationsleistung verlangt, 'Writer-based prose' also ein theoretisches Konstrukt ist, scheint das Konzept, wie Flowers Diskussion von Beispielen zeigt, einen Ausgangspunkt zu bezeichnen, von dem Schreiben oftmals ausgeht und den ungeübte Schreiber zunächst nur in geringem Umfang und oft kaum zu überschreiten vermögen. Olsons autonomer Text dagegen bezeichnet das absolute (und nicht erreichbare) Gegenbild eines sprachlichen Gebildes, in dem die kontingenten Bedingungen, unter denen es entstanden ist, vollständig überwunden sind. Eine der Voraussetzungen, diesem Ziel näher zu kommen, ist die Entwicklung analytischer Fähigkeiten, ein an1
Wesentlich sind ihr deshalb fragmentarische Ausdrücke, nicht explizierte Voraussetzungen, Vermischung von Erfahrungsperspektive und Geltungsanspruch usw. «Writer-Based prose is writing whose meaning is still to an important degree in the writer's head.» (Flower 1979: 30)
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
deres die Erweiterung der Planungs- und Überarbeitungstätigkeit. In diesen Prozessen macht sich der Schreibende immer wieder zum (prospektiven oder wirklichen) Leser, dessen Ansprüche so in den Vertextungsprozess eingebracht werden. In eine ähnliche Richtung wie Flower gehen Bereiter und Scardamalia1 mit ihrem Konzept des Schreibens als «knowledge telling» bzw. als «knowledge transforming». Ihr Ausgangspunkt ist jedoch nicht das Konzept innerer Sprache; vielmehr nehmen sie an, dass Kinder von ihren Erfahrungen in der Interaktion ausgehen und die Struktur des Dialogs und des monologischen Erzählens auf das Schreiben anwenden. Die andere Situation des Schreibens lässt diesen Rückgriff jedoch nur zum Teil zu. Eine natürliche Reaktion auf diese Schwierigkeit ist die Strategie des Wissen Erzählens2. Grundlegend dafür ist, dass zu einem Thema das Gedächtnis abgesucht wird und das, was sich dabei als relevantes Datum präsentiert, geäussert wird. Aufgrund der Gesetze des Gedächtnisses und der Gedächtnissuche (vernetzte Speicherung, Voraktivierung und Aktivierung von Daten, Aktivierungsschwellen) können dabei einigermassen kohärente Texte entstehen: Note that in the knowledge-telling model coherence and well-formedness do not depend on deliberate or conscious application of woiid knowledge or knowledge of literary genres. The writer's attention may be wholly occupied by the activity of finding a next thing to say, and yet coherence, well-formedness, and a valid expression of the writer's belief and knowledge may all result from automatic processes set in motion by that activity. (Scardamalia/Bereiter 1987: 145)3
Aus dieser Analyse folgt, wie Scardamalia/Bereiter vermerken (1986: 65), von selbst, warum solche Schreiber kaum bewusst planen und überarbeiten (und dies auch nur sehr unvollkommen beherrschen): Dies wäre, gemessen an den Voraussetzungen, unter denen sie schreiben, eher systemwidrig. Wissen-transformierendes Schreiben dagegen ruht auf einem anderen Konzept des Schreibens auf. Es besteht darin, dass Wissen, wenn es im Schreiben aufgerufen und gebraucht wird, überarbeitet wird. Dies geschieht dadurch, dass der einheitliche Prozess des Denkens-Schreibens 1 2
3
Vgl. Scardamalia/Bereiter 1986,1987; Bereiter/Scardamalia 1982,1985. Im Schreiben fehlen die äusseren Stimuli des Adressaten, ebenso verlangsamt das Schreiben die Sprachproduktion. Wissen-Erzählen «preserves as much as possible of the discourse procedures (although not necessarily the language forms) already acquired through conversation. That is, knowledge-telling makes maximum use of external cues and cues generated from language production itself. It preserves the straight-ahead form of oral language production andrequiresno significantly greater amount of planning, revision, or goal-setting than does ordinary conversation. It is serviceable, even though it does not answer to the culture's highest needs. Hence there is little wonder if such an approach to writing isretainedon into university and career, even if its shortcomings become increasingly significant.» (Scardamalia/Bereiter 1986: 63) Ähnlich charakterisieren Bereiter/Scardamalia (1982: 8) das expressive Schreiben. Dieses bezieht sich auf «highly salient memory content that the child has some urge to express. It bypasses virtually all the composition difficulties we have noted.»
II.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
321
aufgesprengt wird. Dabei wird sowohl der wiederzugebende Inhalt problematisch wie die textuelle Form, in die er gegossen werden soll: the knowledge-telling process [...] is still there, but it is now embedded in a more complex problem-solving process involving two different kinds of problem spaces. In the content space, problems of belief and knowledge are worked out. In the rhetorical space, problems of achieving goals of the composition are dealt with. Connections between the two problem spaces indicate output from one space serving as input to the other - for instance, a rhetorical problem of achieving clarity being translated into the need to reconsider the meaning of some conceptrepresentedin the content space. It is this interaction between problem spaces that, we argue [...], is the basis for reflective thought in writing. (Scardamalia/Bereiter 1986: 67; vgl. Molitor 1984:44ff.)
Es scheint klar, dass in einem solchen Konzept des Schreibens sowohl das Planen wie das Überarbeiten als bewusst unternommene Aktivitäten einen notwendigen Platz haben. Die Transformation von Wissen in Text wird hier nicht als Problem des Nach-aussen-Bringens, sondern als Aufgabe der Herstellung einer in sich stimmigen Darstellung begriffen. Entsprechend ist es auch nicht einfach das gegebene Thema, welches die Prozesse des Schreibens anstösst und fast wie von selbst ablaufen lässt, vielmehr wird der Standard, dem der intendierte Text zu entsprechen hat, und damit die Komplexität des Schreibprozesses weitgehend vom Schreibenden selbst definiert (ebda.: 68)1. b. Die Entwicklung der
Schreibfertigkeiten
Die Entwicklung der Schreibfertigkeiten erfolgt meist in der Schule, parallel zu und eingelegt in die noch unabgeschlossene sprachliche, emotionale und kognitive Entwicklung der Schüler (Augst/Faigel 1986: 14). Die Ausführungen zum Schreibprozess lassen ahnen, welch ein Weg zurückzulegen ist vom Lernen, mit dem Alphabet und den Schwierigkeiten der Graphomotorik umzugehen, bis zu dem Punkt, an dem komplexe Schreibprozesse bewältigt werden können. In diesem Prozess treffen die Effekte gezielter didaktischer Eingriffe und die Effekte kaum direkt steuerbarer, durch die schulische Erfahrung insgesamt jedoch wohl stark geprägter Reifungsprozesse zusammen2. Untersuchungen zu diesem Bereich der Sprach- und Denkentwicklung und zu didaktischen Möglichkeiten, sie zu beeinflussen und zu fördern, sind schier unüberschaubar; sie zeichnen im Detail nach, wie die in den obigen Ausführungen allgemein skizzierten Entwicklungen verlaufen3. 1
2
3
Zu einer etwas spekulativen Sicht der Entwicklung der Schreibfähigkeit in fünf Phasen, in denen sukzessive produkt-, prozess- und adressatenbezogene Teilfertigkeiten in den Schreibprozess integriert werden, vgl. Bereiter 1980. Dieses Modell wird besprochen in Eigler 1985. Präziser ausgearbeitet ist das Modell der Textordnungsmuster von Äugst, Feilke und Faigel (siehe unten). Hornig (1987) vertritt die These, Schreibenlemen erfolge in Analogie zum natürlichen Spracherwerb, vorab zum Fremdsprachenlemen. Sie kann auf viele mehr oder weniger überzeugende Parallelen hinweisen, die in diesen Gebieten bestehen. Vgl. etwa die Beiträge in Martlew (Hg.) 1983; Tannen (Hg.) 1984; Pellegiini/Yawkey (Hg.) 1984; Rosenberg (Hg.) 1987, um nur einige wenige zu nennen.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
Hier sollen vorab die Resultate der Untersuchung von Augst/Faigel (1986) skizziert werden. Probanden waren Gymnasiasten und Studenten im Alter von 13 bis 23 Jahren (die vier Gruppen bestanden aus Schülern im 7., 10. und 12. Schuljahr sowie aus Studenten). Untersucht wurden argumentative Stellungnahmen; als kontroverses Thema wurde das Thema 'Hausaufgaben' vorgegeben. Erhoben wurden Sprachdaten aus Briefen (diese waren an Prof. Äugst gerichtet), Textherstellungstexten1, Statements (monologisch, vorbereitet) und Podiumsdiskussionen vor der zuhörenden Klasse (dialogisch). Die Anforderungen an den Sprachgebrauch waren demnach in allen untersuchten Varianten relativ formeller Art. Daten zu den beiden letzten Sprachgebrauchsweisen wurden nur von den jüngsten Schülern und den Studenten erhoben. Die Resultate wurden untersucht hinsichtlich der Lexik, der Syntax und der Textstruktur. Die Lexikuntersuchung basiert auf einer - trotz aller Vorbehalte2 - gangbar scheinenden Unterscheidung von typisch sprechsprachlichen, neutralen und typisch schriftsprachlichen lexikalischen Mitteln. Zusammenfassend halten Augst/Faigel hierzu fest: Besonders mündliche und besonders schriftliche Ausdrücke sind so verteilt, dass in der Diskussion die ersteren besonders häufig auftreten, in den Briefen besonders die letzteren. Über das Alter ergibt sich ein Schereneffekt: die mündlichen gehen in allen Textsorten zurück, die schriftlichen nehmen zu; dies ist für die mündlichen Ausdrücke stärker ausgeprägt, so das bei den Studenten die drei Textsorten im Bezug auf diesen Indikator näher zusammengerückt sind. Der Effekt tritt ebenso bei den ausgezählten Wörtern auf-ung auf. (Augst/Faigel 1986:70)
Mit dem Alter wächst der Reichtum an lexikalischen Mitteln. Deutlich zeigt sich dies etwa bei den verwendeten Wörtern zum Handlungsfeld 'Hausaufgaben machen' oder bei den Adjektiven. Die Älteren sind auch besser imstande, den schriftsprachlichen Normen gerecht zu werden: Während Jüngere noch zum Teil sprechsprachliche Ausdrücke in Briefen verwenden (und damit Fehler machen), wirkt der Stil der Studenten in Einzelfällen eher zu schriftsprachlich und damit aufgeblasen. Hinter diesem Phänomen lässt sich das Wirken eines bewussten Stilwillens vermuten. Trotz dieser Unterschiede ist eine wichtige Gemeinsamkeit festzustellen: Alle Textsorten sind schon bei den Jüngsten klar unterschieden; die Differenzierung aber wird im Verlaufe der Zeit ausgeprägter (Äugst 1986). Augst/Faigel verzichten für die Interpretation der Ergebnisse im Syntaxbereich auf den vieldeutigen Begriff der Komplexität und sprechen statt dessen von Sequenz bzw. Integration. Mündliche Darstellung neigt zur Sequenz, das heisst zur seriellen Abarbeitung von Information. Schriftlicher Sprachgebrauch tendiert zur Integration, das heisst zur strukturellen Einbindung von Information in die grundlegenden Mitteilungseinheiten. Hierbei ist zwischen zwei Strategien zu unterscheiden. Es ist zwar so, 1
2
Textherstellungstexte entstehen in Gruppen, denen die Aufgabe gestellt wird, einen vorliegenden (altersgemässen) Text zu optimieren. Damit werden Formulierungsprozesse, aber auch metakommunikatives Vokabular erfassbar. Augst/Faigel (1986: 25ff.)
Π.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
323
dass Nebensätze zweiten oder dritten Grades eine stärkere Integration ermöglichen, dass aber Infinitiv-, Partizipial- oder vor allem Nominalkonstiuktionen zu einer wesentlich knapperen und kompakteren Integration führen. Wenn wir uns vorstellen, dass eine gedankliche Einheit zunächst aus kleinsten elementaren Propositionen (ausgehend vom Verb) zuzüglich logischen Verkettungen besteht, dann verlangen Infinitivkonstruktionen, aber vor allem Nominalkonstmktionen eine wesentlich stärkere Bearbeitung, ehe sie sich syntaktisch-seraantisch zu einem Trägersatz/B asisveib fügen, als dies bei Nebensätzen der Fall ist (Augst/Faigel 1986: 78)
Mit dem Alter lassen sich nun folgende Veränderungen in der syntaktischen Gestaltung erkennen: Ältere verwenden mehr Nebensätze zweiten und höheren Grades, mehr Infinitivsätze, Nominalphrasen, Linkserweiterungen1 und Partizipialsätze, aber weniger Gleichordnungen und weniger Nebensätze ersten Grades. Sie machen weniger grammatische Fehler, gebrauchen weniger Nebensätze als Hauptsätze (unter Auslassung des 'dass'). Ebenso verwenden sie weniger Konjunktionen (aber in reicherer Variation), dafür mehr intrasententielle Mittel der Integration (etwa Nominalkonstruktionen) (ebda.: 103f.). Diese Ergebnisse lassen sich alle interpretieren als Entwicklung von der Sequenz zur Integration2. Nach Augst/Faigel lässt der Gebrauch von Nebensätzen ersten Grades den Bestand der beteiligten Propositionen noch weitgehend unangetastet. Er kann demnach als noch dem mündlichen Sprachgebrauch zugehörige Strategie der Integration von Aussageeinheiten gefasst werden. Mit der Einführung von Nebensätzen zweiten Grades und den noch 'stärkeren' Verfahren der Nominalisierung usw. wird diese Integration verknüpft mit einer Umarbeitung der zugrunde liegenden Basisinformationen3. Mit dem Alter nehmen auch die Fähigkeiten der Planung und der Realisierung von Textordnungen zu. Sowohl Einleitungen wie Schlüsse werden häufiger explizit gestaltet, ebenso metakommunikative und den Adressatenbezug sichernde Elemente. Dies lässt sich am deutlichsten in den Briefen beobachten, parallel dazu, aber weniger ausgeprägt, auch in den Statements. Dieser wachsenden Fähigkeit der Wahrnehmung des Textes entspricht eine grössere Gewandtheit im Umgang mit den objektiven Gege1 2
3
Etwa zwischen Artikel und Nomen eingeschobene Attribute. Vgl. ähnliche Resultate in Hunt (1983: llOff.). Augst/Faigel halten fest, dass das Alter aber kaum die einzige relevante Variable ist. Ahnlich argumentiert Watson: «the subject's age is only one among many variables which may affect the shape of a written product. A whole range of writer-topic-audience relationships, which have little to do with age, may be responsible for measurable and informative linguistic variations in writing» (Watson 1983: 128; ebenso Collins/Williamson 1984). Dies entspricht dem in II.2 festgestellten Sachverhalt, dass die verschiedenen pragmatischen Faktoren entscheidenden Einfluss auf die im Einzelfall zu erbringende Sprachleistung haben. Diese scheinen schon sehr früh zu messbar variablem Sprachverhalten zu führen. «Durchläuft der spontan Redende die Hierarchie der Gedanken also nacheinander einzeln und bringt er die Hierarchie vorwiegend durch lexikalische Verkettung und Proformen zum Ausdruck, so zerlegt der Schreibende die Hierarchie der Gedanken in Teil-Hierarchien, z.B. vergleichbar tieferliegende Knoten, die er dann in einem Satz syntaktisch integrativ abbildet.» (Augst/Faigel 1986:105; vgl. Martlew 1983a: 298ff.)
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
benheiten der Sache und mit den persönlichen Perspektiven darauf. Während die Jüngeren noch weitgehend direkt mit ihren persönlichen Erfahrungen argumentieren, als ob der Professor «anwesend sei und sofort helfen könne», führt ein Weg über verschlungene und kaum zu entwirrende Zwischenstufen zu einer objektiven und von dort zu einer expliziten, virtuos und souverän vorgetragenen Darstellung, die vielfach spielerische Züge einer ironischen Distanzierung aufweist. (Augst/Faigel 1986: 163)
Diese Entwicklung nimmt ihren Ausgang von der dialogischen Einstellung auf den (als anwesend und eingreifend vorgestellten) Partner. In den geglückteren Beiträgen der Älteren ist dieser Partner wieder voll einbezogen; er wird jedoch angesprochen vor dem Hintergrund einer gedanklichen Verarbeitung der Sache, in der die Strukturen des Problems und die jeweiligen Perspektiven bzw. Handlungsmöglichkeiten von Schreibendem und Adressaten weitgehend auseinandergehalten und so Spielräume der Argumentation und der Auseinandersetzung eröffnet werden. Diese Stufen vom erlebnishaften zum sachlich-objektiven und schliesslich reflexiven (das heisst bewusst den Adressaten und die Sache in Perspektive setzenden) Darstellen kann man nicht auf Altersstufen beziehen. Zwar ist es im [...] Durchschnitt richtig, dass diese drei Stufen die Altersgruppen 2.-7., 7.-12., 12.-St. [sc.: Studenten] umfassen, aber die Zahlenangaben sollen schon durch ihre teilweise Doppelung ausdrücken, dass es hier zu Überlappungen kommt. Ja, man muss bei einer genauen Analyse, dies noch verstärkend, feststellen, dass es schon im 7. Sj. reflexive Schreibformen gibt (Augst/Faigel 1986: 164)1
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in der Schreibentwicklung gelernt werden muss, ohne Anstösse durch einen Partner einen zielgerichteten kognitiven Prozess zu unterhalten; einen Text, nicht einfach einen Beitrag zu planen und in eine potentielle Verständigungssituation zu piazieren; schliesslich diesen Text als bedeutungsvoll wahrzunehmen unabhängig von all den Gedanken, welche in der Produktion wirksam waren. Diese Entwicklung wird, pointiert ausgedrückt, möglich dadurch, dass die problematische Seite des Schreibens entdeckt wird2. Entwickelte Schreibfertigkeiten erlauben nicht nur, kommunikative Funktionen in einem anderen Medium und unter anderen Bedingungen zu erfüllen, sondern machen auch epistemische (ideationale) Funktionen der Sprache zugänglich, ihren kontrollierten Gebrauch als Instrument der Erkenntnis. Der Gewinn dieses Lernens liegt nicht nur darin, dass nachher geschrieben werden kann; 1
2
Für eine genauere Darstellung der von Augst/Faigel untersuchten Textordnungstypen und eine Diskussion dieser Entwicklung vgl. Feilke 1988; Feilke/Augst 1989. Watson (1983: 135ff.) macht auf die späte Entwicklung von Fähigkeiten zum persuasiven Schreiben aufinerksam. Offenbar verlangt diese Form der Adressatenorientierung eine hohe Fähigkeit zu dezentrierter Einschätzung der Sache und der (unterschiedlichen) Einstellungen dazu. «Paradoxically, some poor writers may have the problem of not finding certain aspects of writing difficult.» (Martlew 1983a: 297; in gleiche Richtung argumentiem etwa Scardamalia/Bereiter 1986.)
Π.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
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vielmehr scheint damit eine permanente Umstrukturierung der Sprach- und kognitiven Fertigkeiten verbunden zu sein, die in den verschiedensten Bereichen ihre Wirkungen zeitigen1. 1.5.2 Schreiben in der Fremdsprache Schreiben in der Fremdsprache erfolgt weitgehend vor dem Hintergrund muttersprachlich erworbener Kompetenzen. Eine eigenständige Entwicklung der Schreibfähigkeit in der Fremdsprache dürfte sich nur dann ergeben, wenn dort entweder schreiben gelernt wird, oder wenn die Ansprüche an die zu schreibenden Texte das in der Muttersprache erreichte Niveau übersteigen. Dass Schreiben in der Fremdsprache nicht neu gelernt werden muss, ist ein Ergebnis ausnahmslos aller Untersuchungen zur Sache; fraglich ist einzig, wie leicht es fällt, die bereits bestehenden Kompetenzen in der Fremdsprache zur Geltung zu bringen. Diese allgemeine Konsens steht in Einklang mit der schon im letzten Kapitel angesprochenen Erklärung Oksaars (1983), dass Kinder nur einmal Lesen und Schreiben lernen müssen: Dies scheint nicht nur für die allgemeinen Prinzipien zu gelten, also für die Technik des Verschriftens und die Einsicht in deren Funktionen, sondern auch für die Verfahren der Textherstellung2. Auf einige in den einschlägigen Untersuchungen herausgestellten Details dieses Grundverhältnisses soll im folgenden hingewiesen werden. V. Arndt (1987a,b) untersuchte das Schreibverhalten von sechs chinesischen Studenten in ihrer Muttersprache und in der (sehr gut beherrschten) Fremdsprache Englisch. Basis der Untersuchung waren Protokolle lauten Denkens. Es zeigten sich beträchtliche individuelle Unterschiede in der Art, die Aufgaben anzugehen; bei jedem einzelnen der Studenten waren aber die unternommenen Schreibaktivitäten in der Mutter- und der Fremdsprache weitgehend vergleichbar. Die wichtigste Limitation bestand für diese Schreibenden darin, dass sie sich der Natur ihrer Aufgabe zuwenig bewusst waren; weder wurden die Anforderungen an den schriftlichen Ausdruck klar wahrgenommen noch die Möglichkeiten des Schreibens ausgenützt - etwa die Chance, Schwierigkeiten auszulagern und isoliert abzuarbeiten. Es fehlte bei einigen aber auch die Flexibilität, beim Schreiben auftauchende neue Ideen aufzunehmen und gegen den ins Auge gefassten Plan durchzusetzen. Die beschränkte Verfügung über differenzierte 1
2
Vgl. Bereiter 1980; Frcedman/Calfee 1984; Langer/Applebee 1987. Molitor nennt sie die epistemisch-heuristische Funktion (1984: 10); vgl. Molitor 1989. Siehe auch Feilke/Augst 1989: 315; Martlew 1983a: 301ff.; vgl. Ong 1982; Andresen 1985. So etwa Edelsky (1982: 227): «Data have been presented to support the perspective that what a young writer knows about writing in the first language forms the basis of new hypotheses rather than interferes with writing in another language.» Dies bedeutet nicht, dass die resultierenden Texte gleich ausschauen müssten wie in der Muttersprache: «Application of such knowledge can appear as either surface similarities or differences when one compares texts in two languages written by the same child.»
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Register in der Fremdsprache schien bei diesen Studenten nicht eigentlich hinderlich zu wirken. In bezug auf diesen letzten Punkt gibt Zamels (1983) Studie zum Schreibverhalten einer Gruppe von ebenfalls fortgeschrittenen Fremdsprachigen einige nähere Hinweise. Ihre Studenten - mit Ausnahme der schwächsten Schreiber, die sich primär um syntaktisch-semantische Korrektheit kümmerten - schienen durch die sprachlichen Schwierigkeiten kaum beeindruckt. Sie schrieben ihren Text zunächst mit wenig Rücksicht auf schwierige sprachliche Probleme, sondern etikettierten die fraglichen Stellen oder Wörter (sie Hessen Raum offen oder setzten Merkwörter in ihrer Muttersprache ein); diese Dinge wurden dann in einem späteren Durchgang wieder aufgenommen. Eine ausführliche und genaue Studie zum Schreibprozess in der Fremdsprache, welche Ergebnisse wie die obigen bestätigt und vertieft, stammt von Cumming (Cumming 1988)1. Er untersuchte das Verhältnis von Schreibkompetenz und fremdsprachlicher Kompetenz in bezug auf die Schreibleistung in der Fremdsprache, und zwar in einer kombinierten Analyse von Schreibprozessen und Schreibprodukten. Gearbeitet wurde mit Protokollen lauten Denkens und textanalytischen Methoden. Probanden waren 23 französischsprachige Universitätsstudenten, Zielsprache war Englisch. Differenziert wurde nach Schreibkompetenz in der Muttersprache (professionell, normal, ungeübt2), Fremdsprachkompetenz (Mittelstufe und Fortgeschrittene) und Textsorte (Brief, Argument, Zusammenfassung)3. Cummings Untersuchung geht aus von drei Fragen: 1. Variiert die textuelle Qualität des fremdsprachlichen Schreibprodukts mit der Sprachkompetenz oder mit der Schreibkompetenz? 2. Lenken die Schreibenden ihre Aufmerksamkeit auf verschiedene Aspekte ihres Schreibens, und welcher Zusammenhang besteht im Hinblick darauf zwischen Schreib- und Sprachkompetenz? 3. Greifen die Schreibenden auf unterschiedliche Problemlösungsstrategien zurück? Als Antwort auf die erste Frage stellt Cumming folgendes fest: Die Beiträge der beiden Kompetenzen zur Schreibleistung sind voneinander unterscheidbar. Schreibkompetenz hat Einfluss auf Textorganisation und Inhalt, nicht aber Sprachkompetenz; die sprachliche Qualität des Produktes dagegen wird von beiden Kompetenzen beeinflusst. Der argumentative Text zeigte sich als schwierigste (und trennschärfste) Aufgabe; in der Briefaufgabe dagegen erreichten die guten Schreiber kaum ein besseres Resultat als die anderen (Cumming 1988: 108). Cumming macht keine näheren Angaben über die linguistischen Qualitäten der Texte, auch nicht über die spezifischen fremdsprachlichen Probleme, welche die Untersuchten in ihrem 1 2 3
Eine ausführliche Zusammenfassung der Studie ist zu finden in Cumming 1989. Der englische Ausdruck ist 'basic'. Auf die komplexen Fragen der Messung der verschiedenen Kompetenzen bzw. der Qualität von Texten kann hier nicht näher eingegangen werden.
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Schreiben angetroffen haben. (Auf diesbezügliche Fragen wird in 2.4 einzugehen sein.) Zur zweiten Frage bemerkt Cumming, dass alle Schreibenden der Entwicklung der Textbasis («gist») und dem Sprachgebrauch am meisten Aufmerksamkeit schenkten. Gute Schreiber taten dies öfter als die anderen; häufig wandten sie sich auch Fragen der Textorganisation und des Vorgehens zu. Vor allem aber zeigten sie eine gleichzeitige Aufmerksamkeit auf zwei, manchmal sogar auf drei oder mehr Aspekte der entstehenden Arbeit und auf den Zusammenhang zwischen diesen. Ungeübte Schreiber dagegen zeigten deutlich weniger Momente der Aufmerksamkeit auf Sprachgebrauch und Textorganisation, vor allem aber beachteten sie fast durchgehend nur je einen Aspekt, verbanden also nicht verschiedene Problembereiche miteinander. Studenten mit durchschnittlicher Schreibkompetenz zeigten sich abhängig von ihrer Sprachkompetenz: Auf der Mittelstufe zeigten sie eine grosse Nähe zu den ungeübten Schreibern, auf der Fortgeschrittenenstufe unterschieden sie sich deutlich von ihnen. Unter Bedingungen eingeschränkter Sprachkompetenz scheinen sich demgemäss Schwächen der Schreibkompetenz zu akzentuieren; sie fallen stärker ins Gewicht als in der Muttersprache oder bei guter Sprachbeherrschung (Cumming 1988: 109ff.). Zur dritten Frage ergab die Untersuchung, dass alle Schreibenden ausnahmslos ihre Probleme rasch lösten. Gute Schreiber zeigten dabei häufige Verwendung heuristischer Routinen1, durchschnittliche weniger, ungeübte kaum. Letztere schienen ihre Probleme wenig zur Kenntnis zu nehmen, das heisst sie zeigten, anders als die guten Schreiber, wenig Neigung, sie aufzunehmen und (bewusst) zu evaluieren und umsichtig zu lösen (ebda.: 132ff.). In einer Reihe von Kapiteln behandelt Cumming zusätzliche Gesichtspunkte; die wesentlichsten Beobachtungen seien kurz wiedergegeben. 1. Im Schreiben wurde relativ häufig die Muttersprache eingesetzt. Das Mass dieses Einsatzes scheint weder mit der Sprach- noch mit der Schreibkompetenz zu korrelieren, sondern mit der Schwierigkeit der Aufgabe. Darauf weist der Umstand hin, dass die argumentative Aufgabe am meisten Französisch provozierte; hier wurden kognitive Ressourcen offenbar stärker beansprucht als in den anderen Aufgaben (durch intensivere Suche nach differenziertem Ausdruck, relevantem Inhalt und adäquater Textstruktur). Dabei diente die Muttersprache wohl dazu, kurzfristig Gedanken festzuhalten oder Differenzierungen vorzunehmen, welche in der Fremdsprache nicht so rasch fassbar waren (Cumming 1988: 136). Nur ein einziger (schwacher) Schreiber bereitete seinen Text in der Muttersprache vor und übersetzte dann; andere wählten ein solches Verfahren nur an strategischen Stellen, oft als Technik, um bestimmte Probleme zu klären (ebda.: 149f.). 1
Cumming (1988: 132) zählt unter anderem auf: «Search routines, directed codeswitching, generating alternatives, assessing,relating,adhering to goal.»
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
2. Die Unterschiede qualitativer Art zwischen ungeübten und guten Schreibern, die Cumming festhält, entsprechen weitgehend den oben dargestellten Unterschieden zwischen Wissen-Erzählen und Wissen-Transformieren. Gute Schreiber, ob sie nun im voraus planten oder ihren Plan während des Schreibens entwickelten, wechselten ihre Aufmerksamkeit ständig von der globalen auf die lokale Ebene und siedelten so ihre Entscheidungen in einem Kontext an; schwache Schreiber gingen nach der «what next strategy» vor und konnten ihre Produktion demgemäss weniger in den Griff bekommen. So bemühten sich die guten Schreiber bei der Zusammenfassung, ihr Verständnis des Textes vor Beginn der Schreibarbeit zu sichern; viele der anderen begannen ohne solche Vorbereitung zu schreiben und beschieden sich damit, im Durchgang durch die Textvorlage Informationen Stück für Stück zu sammeln und hinzuschreiben (Cumming 1988: 6Iff.). Ähnliche Unterschiede zeigen sich bei der Wahl von Wörtern: Gute Schreiber bezogen ihre Entscheidungen konsistent auf das Ziel der Arbeit; schwache schienen die Wortwahl nur dann zum Problem zu machen, wenn sie nicht mehr weiter wussten (ebda.: 139ff.). 3. Hinsichtlich der drei verschiedenen Aufgabentypen ist bemerkenswert, dass alle Schreiber die Briefaufgabe ungefähr in derselben Weise lösten. Offenbar wurde hier eine Form der Verarbeitung und Darstellung von Erfahrung gefordert, die von allen Schreibenden aufgrund ihrer muttersprachlich angesammelten Erfahrungen problemlos beherrscht wurde. Man könnte vielleicht sagen, dass hier Schreibleistungen gefordert wurden, die routinemässig lösbar waren auch für einen Studenten, der im Vergleich zu seinen Kollegen ein unterdurchschnittlich guter Schreiber ist. In den anderen Aufgaben machten sich mangelnde Verfügung über Arbeitstechniken und Vorgehensstrategien sowie daraus resultierende Inflexibilität relativ deutlich bemerkbar (Cumming 1988:153ff.). Zusammenfassend lässt sich sagen: Was den Schreibprozess betrifft, machen gute Schreiber auch in der Fremdsprache ausführlichen Gebrauch von heuristischen Strategien. Sie lenken ihre Aufmerksamkeit auf verschiedene Aspekte des entstehenden Textes gleichzeitig. Die fremdsprachliche Kompetenz wirkt bloss als zusätzlicher Faktor: Hohe Sprachkompetenz trägt zur Verbesserung der Qualität des Produktes bei, vor allem was die sprachliche Oberfläche angeht. Sie ist aber ohne Einfluss auf das Vorgehen und die Denkprozesse während der Arbeit. Nur bei durchschnittlichen Schreibern wird eine Interferenz von Schreib- und Sprachkompetenz sichtbar: Schwache Sprachkompetenz drückt die erwartbare Qualität des Produkts, während hohe Sprachkompetenz den Einsatz der bestehenden Schreibfertigkeiten zu begünstigen scheint. Diese Einflüsse sind alle um so ausgeprägter, je anspruchsvoller eine Schreibaufgabe ist; es scheint ein Grundniveau zu geben - bei den untersuchten Studenten sichtbar im Briefeschreiben - auf dem die erworbene Routine im Umgang mit Schreiben und Texten die (schreibspezifischen) Kompetenzunterschiede weitgehend neutralisiert. In bezug auf Schreibfertigkeit lässt sich, wie Cumming (1989) anmerkt, nicht eigentlich von einem Transfer in den fremdsprachli-
II.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
329
chen Bereich sprechen; die Frage der verwendeten Sprache scheint für den Einsatz der Schreibkompetenz weitgehend nebensächlich zu sein. Sie ist eine unabhängige Fertigkeit1. Die sehr viel kürzere Studie von Jones/Tetroe (1987) bestätigt weitgehend die Resultate von Cumming. Schreibfertigkeiten werden danach in der Fremdsprache gleich eingesetzt wie in der Muttersprache. Schwache Sprachkompetenz führt nicht zu einer qualitativen, wohl aber zu einer quantitativen Einbusse an textbezogener Planung, es werden mehr Kapazitäten für sprachbezogene Aspekte benötigt. Natürlich beeinflusst die Sprachkompetenz die Qualität der Produkte insofern, als das Ausmass klar benennbarer Differenzierungen oder die Wahl von stilistischen Alternativen (im Vergleich zu Texten von Schreibenden mit besseren Sprachkenntnissen) eingeschränkt ist2. Diese Darstellung des Schreibens in der Fremdsprache ist noch sehr allgemein. Weitere und detailliertere Untersuchungen, welche vor allem auch die für fremdsprachliches Schreiben typischen Sprachprobleme in den Vordergrund rücken, werden unten besprochen (Abschnitt 2.4).
2
Sprachproduktion
Im letzten Abschnitt standen der Schreibvorgang und seine Komponenten im Vordergrund. Der sprachliche Aspekt am Schreiben, das heisst die Umsetzung innerer konzeptueller Gegebenheiten in äusseren syntaktisch und textuell gebundenen sprachlichen Ausdruck wurde dabei im Begriff des Formulierens, Vertextens usw. immer mitgedacht, aber nicht in seiner Eigenständigkeit expliziert. Auf diesen bisher nicht weiter aufgehellten Prozess der Sprachproduktion soll hier eingegangen werden. Dabei geht es zuerst um eine Darstellung theoretischer Grundlagen; im Zentrum steht ein Modell der Satzproduktion. Im Anschluss daran folgt eine Übersicht über die Resultate von empirischen Untersuchungen zur Sprachproduktion3. 1
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3
In ähnlicher Weise ist die Unabhängigkeit von Schreibleistung und Grammatikkenntnissen schon wiederholt herausgestellt worden (vgl. Hatch 1984: 198; Hillocks 1986b). Fürs Lesen kommt Kern (1989) zu ähnlichen Ergebnissen. Danach sind bessere Leser sowohl in der Mutter- wie in der Fremdsprache leistungsfähiger, wenn auch die Unterschiede zu den schwächeren Lesern in der Fremdsprache geringer zu sein scheinen. Unterricht in Lesestrategien (auf Wort-, Satz- und Textebene) zeigte starke positive Ergebnisse, auch und gerade bei Lesern mit wenig entwickelten Verstehensfähigkeiten. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass sprachliche Aspekte im Schreiben wohl überall, auch bei Zielanalyse und Planung, eine Rolle spielen. In diesen Fällen der Konzeption und Vergegenwärtigung von Gedanken für den Schreibenden selbst spielen aber jene Forderungen nur eine untergeordnete Rolle, welche im textuell gebundenen sprachlichen Ausdruck zentral werden und die Schreibtheorie dazu zwingen, das Versprachlichen als einen eigenständigen Faktor im Schreiben neben den anderen aufzuführen, auch wenn sie selbst darüber nicht viel zu sagen hat. Zu diesen Anforde-
Teil II: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
330
Die folgenden Ausführungen lassen sich leicht zurückbeziehen auf das in 1.2 vorgestellte kognitiv-psychologische Modell der Informationsverarbeitung und der Ausbildung von Fertigkeiten. Dieser prozessuale Zugang gibt den Blick frei auf deutliche Differenzen zwischen mutter- und fremdprachlicher Sprachproduktion, und zwar im mündlichen wie im schriftlichen Bereich. Auf zwei fremdsprachendidaktisch wichtige Aspekte sei schon vorgreifend hingewiesen: Automatisierung des Gebrauchs der Fremdsprache ist ein Desiderat und eine Aufgabe; sie ist das Produkt einer Entwicklung, nicht etwas, das von Anfang an als Standard gefordert werden könnte. Dieser Punkt wurde schon in Teil I wiederholt angesprochen und gegen anderslautende Annahmen von Zwischensprachforschern und Didaktikern ins Feld geführt; die Untersuchungen zur Sprachproduktion bestätigen den Sachverhalt auch empirisch. Ebenso weisen die Untersuchungen zur Sprachproduktion zum fremdsprachlichen Schreiben darauf hin, dass die Fremdsprache im Äusserungsprozess nicht als völlig autonomes System funktioniert; vielmehr wird sie auf dem Hintergrund einer weitgehend muttersprachlich operierenden Konzeptualisierungs- und Äusserungskompetenz benutzt. Diese 'Zusammenarbeit' zwischen Mutter- und Fremdsprache ergibt sich aus den Gesetzmässigkeiten der kognitiven Mechanismen; sie ist kein vermeidbares Artefakt. Beide Befunde entkräften Argumente, die manchmal gegen das Schreiben in der Fremdsprache erhoben werden. Diese lauten etwa: Schreiben erfordere keine oder störe sogar die automatische Sprachverarbeitung, und Schreiben erlaube es den Lernenden zu leicht, auf die Muttersprache zu rekurrieren; es lade zum Übersetzen ein. Auf dem Hintergrund der im folgenden skizzierten Forschungslage müsste demgegenüber eingewendet werden, dass im Schreiben bloss Momente deutlicher hervortreten, welche den Gebrauch der Fremdsprache insgesamt prägen. Diese stellen keine Abirrungen dar, sondern sind notwendige Begleiterscheinungen des Aneignungsprozesses. 2.1
Allgemeine Gesichtspunkte
Sprachliche Realisierungsprozesse stehen unter dem doppelten Anspruch, einerseits konzeptuelle Gebilde (Gedanken, Aussageintentionen) ausdrücken, andererseits relativ starken sprachlichen Systemzwängen gerecht werden zu müssen. So identifiziert J.K. Bock das zentrale Problem der Sprachproduktion als the need to transform a multidimensional conceptual structure into a structure that is fundamentally constrained by the single dimension of time (Bock 1987: 339)
und analysiert es
rangen gehören etwa diejenigen nach syntaktischer Geschlossenheit, Definitheit von Aktanten und ihren Rollen, Linearität, Signalisierung logischer Beziehungen, Festsetzung des Verhältnisses von Aussagen und Präsuppositionen, Entwurf eines nachvollziehbaren Selbst- und Paitnerbildes usw.
Π. 3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
331
in terms of three basic issues: (1) the retrieval or preparation of lexical elements; (2) the formulation of a syntactic plan; and (3) the co-ordination of the lexical elements with the syntactic plan. (Bock 1987: 339)
In diesem Prozess spielt die Syntax die Hautprolle - sie ist das zentrale linguistische Element, welches die Linearisierung konzeptueller Gehalte erlaubt1. Kapazitätsprobleme stehen auch hier, wie im Schreibprozess insgesamt, im Vordergrund. Die Frage ist, wie das System der Versprachlichung beschaffen sein muss, damit es mit der Komplexität der konzeptuellen Eingaben zu Rande kommen kann. 2.1.1 Hypothesen zur Sprachproduktion In einer ersten Näherung kann versucht werden, die grundsätzlichen Leistungen dieses Systems zu skizzieren. Dechert (1984; vgl. Dechert/Raupach 1985) stellt sechs Grundhypothesen vor, die im Rahmen des Informationsverarbeitungs-Ansatzes aufgebracht worden sind. Diese stellen nicht eigentlich alternative Erklärungsansätze dar, sondern beleuchten verschiedene Aspekte eines noch kaum zureichend aufgeklärten Vorgangs; verschiedene dieser Hypothesen können in einem einzelnen Modell durchaus koexistieren, abhängig davon, wie sie definiert werden und auf welche Weise die Wirksamkeit der entsprechenden Mechanismen interpretiert wird. Die erste Hypothese betrifft die generelle Natur des zugrunde liegenden sprachlichen Wissens. Es wird angenommen, dass dieses als prozedurales Wissen kodiert ist in der Art, wie es zu Beginn der Arbeit skizziert und in seinem Verhältnis zum deklarativen Wissen beschrieben worden ist. Eine zweite Hypothese besagt, dass das Sprachproduktionssystem im Normalfall nicht einen einzigen syntaktischen Plan für die zu realisierende Äusserung produziert, sondern dass mehrere konkurrierende Pläne auf den Weg gebracht werden, die im Verlauf der Ausarbeitung gegeneinander abgeglichen und selektiv abgewählt werden2. Nachweisbar bleiben solche mehrfachen, voneinander unabhängigen Planungsansätze etwa in Sprechfehlem. Diese lassen sich künstlich induzieren; sie kommen zustande, wenn unvereinbare Pläne nicht rechtzeitig entdeckt werden und in der Realisierung der Äusserung miteinander interferieren. Mit dieser Hypothese verbunden ist die Vorstellung, dass das Produktionssystem nicht streng zentralisiert und hierarchisch funktioniert3. 1
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«The syntax of a language can beregardedas the system that enables the recoding of a multidimensional conceptual structure into a linear array by providing relational principles that define permissible links among morphemes or lexical elements.» (Bock 1987: 340) Pläne bezeichnen in diesem Zusammenhang syntaktische Teilstrukturen. Sie sind nicht zu verwechseln mit den Inhaltsplänen, über die im letzten Abschnitt die Rede war. «According to the Competing Plans Hypothesis the human information processing system is organized such that there is a decrease of control from top to bottom. Lower peripheral processes thus may adapt independently to ad hoc task situations. This
332
Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
Die dritte Hypothese betrifft die Kapazität des Systems, Hypothesen zu testen. Diese Hypothese ist bisher v.a. expliziert worden im Hinblick auf Verstehens- und Lernprozesse. In der Rezeption werden schon aufgrund spärlicher Angaben syntaktische oder inhaltliche Pläne aktiviert, die das Verstehen aufgrund von Daten (von unten nach oben) durch ein Verstehen aufgrund von Konzepten und Erwartungen (von oben nach unten) unterstützen und sichern. Uber die Rolle der Hypothese für die Sprachlerntheorie wurde schon in 1.4 einiges gesagt. Im Produktionsbereich lässt sich z.B. der Aufbau von spezialisierten Prozeduren als Ausdruck von Hypothesen über erfolgversprechende Verarbeitungswege verstehen. Die vierte Hypothese betrifft die Verarbeitungsinseln. Sprachproduktion stützt sich auf feste Schemata, Wendungen, Aussageweisen usw., die kaum jeweils neu aufgearbeitet werden müssen, sondern als Blöcke zur Verfügung stehen. Man spricht hier von Routinen und Mustern. Diese Inseln können nicht auf die äusserlich so leicht fassbaren Redewendungen, Idiome, Formeln usw. reduziert werden, sondern prägen die Sprachproduktion durchgehend. A speaker who plans an utterance must anticipate, develop and build up points of fixation, easily available islands of reliability, in order to gain ground for his search routines. The more fluent, the more competent a speaker is, the larger his island repertoire. (Dechert 1984:223)
Konsequenz dieser Hypothese - die in der Annahme spezialisierter Prozeduren, vielleicht auch in der Hypothese konkurrierender Pläne in gewissem Sinne vorgebildet ist - ist, dass Sprachproduktion nicht als kontinuierlicher Prozess stattfinden muss, in dem Ebene um Ebene abgearbeitet wird, sondern als einer, der Diskontinuitäten zulässt - es werden (vor dem Hintergrund von Vorstellungen, Erzählplänen usw.) etwa Wörter, aber auch ganze Phrasen und syntaktische (teilweise bereits gefüllte) Strukturen in den Prozess eingegeben, nach denen sich die weitere Verarbeitung richtet1. Die fünfte Hypothese betrifft die Verarbeitungslast. Auf die beschränkte Kapazität des kognitiven Apparats und daraus sich ergebende Folgen ist wiederholt hingewiesen worden. Die Monitor-Hypothese schliesslich postuliert interne Kontrollmechanismen; diese sind ebenfalls schon mehrmals angesprochen worden2. Im Zusammenhang mit einer nicht-hierarchischen Theorie der Sprachproduktion besteht die Funktion des Monitors darin
1 2
gives the system an optimum of adaptability and flexibility. The price for this obvious advantage is potential ambiguity in the control system. While lower level processes are initiated in independent knowledge sources in order to solve urgent peripheral problems, they may potentially compete and interfere with concept driven processes» (Dechert 1984:216f.). Vgl. Baars 1980; Neumann 1985,1987. Siehe Dechert/Raupach 1985:251f.; Wildner-Bassett 1986. Krashens Monitortiypothese, auf die in 1.3 eingegangen wurde, interpretiert die Wirksamkeit dieser Produktionskontrolle in bezug auf das Sprach lernen; sie stellt keine oder nur eine sehr skizzenhafte Beschreibung des Wirkens dieses Monitors in der Sprachproduktion dar.
II. 3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
333
to coordinate (and re-coordinate) the activation and integration of autonomous schemata. The monitor hypothesis is the missing theoretical link in a theory of language processing which functions through the operation of a variety of independent schemata and packages of schemata. (Dechen 1984:227)
Zusammenfassend lässt sich sagen: Einige dieser Hypothesen erlauben kein lineares, sequentielles Modell der Sprachproduktion, wie es etwa Cooper/Matsuhashi in ihrer bereits angesprochenen Theorie des Schreib prozesses annehmen, wo Sätze in neun Stufen geplant und realisiert werden. Wie sie selbst zugestehen, kann eine solche Darstellung eigentlich nur Aspekte erfassen, die in Formulierungsprozessen eine Rolle spielen könnten, nicht aber Hinweise darauf geben, wie diese Prozesse selbst organisiert sind - denn dass eine solche hierarchisch durchstrukturierte Abarbeitung stattfindet, ist aufgrund aller bisher gemachten Erkenntnisse unwahrscheinlich, vielleicht sogar unmöglich. Kempen/Hoenkamp (1987) argumentieren etwa, dass solche seriellen Modelle der Überführung konzeptueller Inhalte in phonetische Realisationen letztlich zur Annahme zwingen, dass Pausen, Zögern usw. innerhalb eines Satzes keine konzeptuellen Gründe haben können, weil das zu Sagende in solchen Modellen in aller Bestimmtheit vorausgesetzt werden muss, bevor die sprachliche Realisierung beginnen kann. Dies scheint empirisch eindeutig widerlegt zu sein. Trotzdem ist natürlich eine gewisse notwendige zeitliche Ordnung der Produktionsprozesse zu erwarten. Das Modell, das unten vorgestellt werden soll, begnügt sich allerdings nicht damit, einen Mechanismus fix hintereinander geordneter Ebenen dadurch zu dynamisieren, dass die Verarbeitungsprozesse als sich überlappend konzeptualisiert werden. Ein solches Modell könnte zwar die Beobachtung erklären, dass Äusserungen schon realisiert, also gesprochen oder geschrieben werden, bevor sie konzeptuell oder syntaktisch zu Ende geplant sind. Auch unter diesen Bedingungen ist das Modell aber kaum in der Lage, die vor allem bei der Analyse von Fehlern beobachteten Phänomene ausreichend zu erklären1. 2.1.2 Der Beitrag des Produktionsmechanisinus zum sprachlichen Ausdruck Der Mechanismus der Sprachproduktion bringt, dank seiner Komplexität und Eigendynamik, nicht nur Fehler hervor, welche ihrerseits Rückschlüsse auf die Arbeitsweise dieses Mechanismus erlauben; er ist aller Wahrscheinlichkeit nach auch ein Einflussfaktor, welcher die präzise sprachliche Form des Auszusagenden mitprägt. In einem noch sehr allgemeinen, aber einflussreich gewordenen Entwurf hat Chafe (1977) auf diesen Aspekt hingewiesen: I want to focus on the respects in which verbalization is creative, in the sense that it requires a speaker to make choices between a multiplicity of available options. The 1
Solche Fehleruntersuchungen sind prominent heibeigezogen worden in der Ausarbeitung der Hypothese konkurrierender Pläne und interaktiver Prozesse in der Sprachproduktion. Vgl. Baars 1980, Stemberger 1985, Bock 1987. Eine Taxonomie von Fehlertypen gibt Wiese 1989.
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Teil II: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
assumption here is that the final verbal output is far from being uniquely determined by the initial nonverbal input from memory. That this is true seems clear enough from the easily observable fact that people rarely use the same words on different occasions to talk about what they nevertheless regard as 'the same thing'. There is a discontinuity between what one 'has in mind' to talk about and what one actually says. (Chafe 1977:41)
Chafe unterscheidet drei Stufen, die in der Sprachproduktion eine Rolle spielen: Schemata, auf die im letzten Abschnitt schon hingewiesen wurde. Sie sind Pläne auf noch relativ allgemeiner Ebene. Die einzelnen Elemente dieser Pläne - sie entsprechen ungefähr den zukünftigen Sätzen - werden in «frames», inpropositionale Rahmen gefasst. In choosing an appropriate frame, the speaker chooses an appropriate selection of individuals whose involvement in the event he decides to express, and at the same time he assigns appropriate roles to these individuals within the event. (Chafe 1977: 47)
Diese propositonalen Rahmen sind nicht stabil - bei verschiedenen Gelegenheiten werden sie anders gewählt, die mitzuteilenden Verhältnisse zwischen den Aktanten eines Geschehens werden anders gefasst. Diese einzelnen Positionen schliesslich - die Aktanten und das Prädikat innerhalb eines propositionalen Rahmens - müssen benannt werden; diese dritte notwendige Entscheidung im Verbalisierungsprozess nennt Chafe Kategorisierung. Seine Ideen von der Kreativität der Verbalisierung erläutert Chafe anhand von Beobachtungen zur dritten Stufe seines Modell, der Kategorisierung: Some ideas of particular events and individuals are easier to categorize than others. If we have in mind some object, for example, it may be easy or it may be hard to find a linguistic expression for what we are thinking of. The term that has been used for this variable property of ideas is codability: some ideas are highly codable and some are not. Those which are fit smoothly and neatly into the categorial grid on which our language is based. Those which are not cause us a certain amount of difficulty when it comes to verbalizing them. (Chafe 1977:48)
Schlecht kodierbare Elemente erzwingen oft Umschreibungen (mit Hilfe von Adjektiven, Relativsätzen usw., die es erlauben, den Bedeutungsgehalt eines zentral gesetzten nominalen Ausdrucks zu differenzieren oder zu verschieben). Wie kodierbar ein Element ist, hängt zusammen mit den Rastern, welche die Sprache vorgibt, wie auch mit der individuellen Kompetenz und Erfahrung der Sprechenden. Chafe gibt als Beispiel die Resultate einer Studie, in der die Versuchspersonen Szenen beschreiben mussten. In einem Falle übergab ein Junge einem anderen ein Objekt, von 80 Personen identifizierten es 72 als 'Banane', 5 als Objekt', zusätzlich gab es drei vereinzelte Antworten. Chafe vermutet, dass diese abweichenden Kategorisierungen eher auf Wahrnehmungsschwierigkeiten der Betrachter als auf Kodierungsprobleme zurückzuführen waren. Ein Spielgerät auf einem Spielplatz, mit oder auf dem Kinder spielten, wurde von 73 Personen folgendermassen kodiert: «Jungle gym» (14), «object» (10), «structure» (8), «thing» (6), «form» (5), «sculpture» (4), «toy» (4) usw.
Π.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
335
On the basis of agreement among subjects we can say that the idea of the first object was a good deal more codable than the idea of the second. (Chafe 1977: 49; vgl. Figge 1989)
Flower/Hayes (1984) verfolgen die hier angesprochenen Probleme weiter; sie vertreten die These, wonach Gedächtnisinhalte auf verschiedene Weisen gespeichert werden können; je sprachferner solche Repräsentationen sind, desto schwieriger ist demnach ihre Umsetzung und desto unvorhersehbarer die Resultate von Formulierungsversuchen1. Im letzten Abschnitt wurde bereits auf die Rolle des Formulierens für die Gestalt und den präzisen Gehalt dessen, was ausgedrückt wird, hingewiesen. Das Konzept der Kodierbarkeit macht in diesem Zusammenhang auf den Einfluss des Zusammenspiels von konzeptuellen Gegebenheiten und solchen des Sprachsystems (und, wie unten zu zeigen sein wird, des Produktionsmechanismus) aufmerksam (vgl. Wiese 1984: 13). Sprachlicher Ausdruck ist nicht allein durch das bestimmt, was im Gedächtnis als Wissen, Erfahrungsschatz, Intentionen usw. vorliegt, sondern er wird durch die Arbeit der Versprachlichung selbst mitbeeinflusst und geprägt, sichtbar vor allem dort, wo klare vorgegebene Kategorien oder vorgearbeitete Darstellungsformen fehlen. Die Versprachlichung bringt hier neue Aspekte mit ins Spiel. Die auszudrückenden Konzepte werden ja zwangsläufig syntaktisch und lexikalisch definiert. Dadurch werden sie auch mit den Assoziationen und Erinnerungsstücken verbunden, die an diese sprachlichen Ausdrücke anknüpfen; diese brauchen durchaus nicht mit denen übereinzustimmen, die das ursprünglich fokussierte Konzept mit sich führte. In den zusätzlichen Beziehungen, in die das Auszudrückende so eingebettet wird, können neue Aspekte, neue Denkmöglichkeiten auftauchen, die sich vor1
Als sprachfeme Repräsentationen führen Flower/Hayes etwa unter dem Titel «nonverbal imagery» Bilder und strukturelle Relationen auf. Nun sind viele der bestkodierbaren sprachlichen Konzepte gerade dadurch ausgezeichnet, dass sie wesentlich mit Hilfe sinnlicher Merkmale definiert sind. Dies ist zumindest der Gehalt prototypensemantischer Theorien, z.B. von J. Hoffmanns Theorie der Primärbegriffe (Hoffmann 1982,1986). Danach sind es die allgemeinsten mit Hilfe sinnlicher Merkmale definierten Begriffe, die am leichtesten kodierbar sind. Eine Meise z.B. wird mit grosser Wahrscheinlichkeit spontan mit dem Gattungsbegriff als 'Vogel' kodiert und nicht mit der Artbezeichnung als 'Meise' (ein wie 'Vogel' aufgrund sinnlicher Merkmale definierter Begriff, der aber viel komplexer ist als 'Vogel* und schon einiges Unterscheidungsvermögen verlangt), aber auch nicht als 'Tier', welches ein nurmehr kategorial bestimmter Begriff ist. Ein Revolver dagegen wird mit dem Artbegriff als 'Revolver', kaum als Schusswaffe o. dgl. angesprochen: Der Gattungsbegriff ist hier rein kategorial definiert und scheint schwieriger kodierbar zu sein als die präzise, vorab auf sinnlichen Merkmalen beruhende Artbezeichnung. Desgleichen taucht in Chafes Liste die Antwort Obst' oder 'Frucht' nicht auf (wohl aber das allgemeinstmögliche Konzept Objekt', eine Art Statthaltersymbol), aber in massiver Übereinstimmung 'Banane'. Dies sind Hinweise darauf, dass das Verhältnis von Sprache und sinnlicher Wahrnehmung höchst komplexer Natur ist und die Einschätzung der Kodierbarkeit von Erfahrungselementen oder konzeptuellen Konfigurationen nicht auf der Dimension bildlich/sinnlich versus kategorial allein angeordnet werden kann. Siehe auch Engelkamp 1986.
336
Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
her nicht nahelegten. Die heuristische Potenz des Sich-Ausdriickens, insbesondere des Schreibens, lässt sich zumindest zum Teil auf dieses Spiel zurückführen, das sich zwischen Konzepten und ihrer sprachlichen Realisierung abspielt: In den Prozessen der Präzisierung von Bedeutung und in der Überlagerung von teilweise anders organisierten Assoziationsnetzen. 2.2 Ein Modell der Satzproduktion In der folgenden Darstellung geht es nicht darum, ein mehr oder weniger allgemein anerkanntes Modell der Satzproduktion vorzustellen. Ein solches ist heute nicht in Sichtweite. Es genügt, wenn die in 1.2 gemachten Ausagen zum Sprachkönnen weitergeführt werden können und wenn es gelingt, die Spezifik der Vorgänge der Versprachlichung im Kontrast zu den Ausführungen zum Schreiben im letzten Abschnitt herauszuheben. Das Modell von J.K. Bock (1982, 1987) scheint diese Bedingungen hervorragend zu erfüllen. Es ist weitgehend verträglich mit der von Anderson vorgetragenen Theorie prozeduralen Wissens, auch wird es den in Dechens Hypothesen gefassten Beobachtungen zur Sprachproduktion gerecht1. Es dient hier als theoretischer Hintergrund für die darauf folgenden Hinweise auf empirische Resultate der Produktionsforschung. 2.2.1 Die Architektur des Modells Bock (1982) unterscheidet sechs «Arenen» oder Komponenten, die in der Sprachproduktion eine Rolle spielen: die referentielle, die semantische, die syntaktische, die phonologische, die phonetische und motorische Arena2. Die referentielle Arena bildet die Schnittstelle zwischen dem konzeptuellen und dem sprachlichen System. Ihre Eingaben werden von der syntaktischen und der semantischen Komponente aufgenommen und verarbeitet. Die semantische Arena ist ihrerseits verbunden mit der phonologischen. Diese drei Komponenten sind produktiv insofern, als sie in Antwort auf die konzeptuelle Eingabe syntaktische Strukturen sowie lexikalische Elemente und die ihnen zugeordneten phonologischen Muster aktivieren. Die Produkte dieser Komponenten werden in der phonetischen Arena zusammengeführt und, in Vorbereitung für die Realisierung durch die motorische Komponente, linearisiert. Verbunden mit dem Arbeitsgedächtnis, das heisst bewusster Kontrolle zugänglich, sind die referentielle und die phone1
2
Das Modell wird im Überblick vorgestellt in Bock 1982. Im späteren Beitrag (Bock 1987) werden einige Präzisierungen vorgenommen, welche die Details der Zusammenhänge zwischen den syntaktischen, semantischen und phonologischen Komponenten betreffen. Diese werden in der folgende Darstellung zum Teil kurz angesprochen. Ein Modell der Satzproduktion, welches in vielen Aspekten mit dem Bocks übereinstimmt, aber noch mehr Gewicht auf interaktive Prozesse legt, ist beschrieben in Stemberger 1985. Das Modell ist unspezifisch in bezug auf die Unterscheidung von Sprechen und Schreiben - Bock begreift beide Modi des Sprachgebrauchs mit ein (Bock 1982: 1). In ihrer Begrifflichkeit bezieht sie sich aber stets nur auf mündliche Realisierung.
II.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
337
tische Arena; das Wirken der syntaktischen, semantischen und phonologischen Komponenten erfolgt abgeschirmt von solcher Aufsicht. In diesem Modell ist eine gewisse (notwendige) Hierarchie der Ebenen und Prozesse vorgegeben - Sprachäusserungen werden interpretiert als (im Normalfall) ausgelöst durch eine übergeordnete, hier in der referentiellen Arena angesiedelte Instanz. Diese Hierarchie ist aber keine durchgängige: die syntaktische und semantische (und phonologische) Arena, die das Zentrum des Produktionsprozesses bilden, stehen nicht in hierarchischer Beziehung zueinander. In ihrer Darstellung geht Bock nur am Rande darauf ein, wie genau die Prozesse innerhalb dieser einzelnen Arenen aussehen. Es sind dies meist noch ausserordentlich kontrovers diskutierte Fragen, während sich in dem grossen Bild des gesamten Ablaufs doch einige konvergente Tendenzen abzuzeichnen scheinen. 2.2.2 Die sechs Komponenten a. Die referentielle Arena The primary responsibility of the referential arena is the translation or coding of the nonlinguistic representation of thought into a format that can be used by the linguistic system. (Bock 1982: 3)
Bock verweist hier auf die oben erwähnten Ausführungen Chafes, vor allem auf seinen Schema- und 'frame'-Begriff. Das Resultat der Verarbeitung von Gedächtnisinhalten durch Schemata und ihre Erfassung in strukturierte Rahmen sind Repräsentationen an der Schnittstelle zum linguistischen System («interfacing representations»); diese können begriffen werden als Propositionen oder geordnete Mengen von Propositionen1, die auf noch rein konzeptueller Ebene die relevanten Dimensionen der zu produzierenden Äusserung kodieren (etwa Sprechakttyp, hierarchische Beziehungen zwischen den auszudrückenden Elementen oder Propositionen; Transitivität und Modalität, tiefensemantische Beziehungen der Argumente zu den Prädikaten usw.) (Bock 1982: 4,27). Als Eingabepläne für das linguistische System - konkreter: für die syntaktische und semantische Arena - vereinigen diese Repräsentationen strukturelle und inhaltliche Bedingungen. Sie haben noch sprachunabhängigen Charakter und fungieren als Wenn-Klauseln, die sprachlichen Produktionen und Produktionssysteme aktivieren2. Verfehlen diese Rahmenpläne es, 1
2
Zu einer detaillierten Diskussion der Rolle von Propositionen als konzeptuellen Einheiten im Verstehen und in der Produktion sprachlicher Äusserungen siehe van Dijk/Kintsch (1983). Allerdings gehen diese Autoren wohl von einem zu uniformen Begriff konzeptueller Strukturen aus. Flower/Hayes, Chafe, Anderson und andere machen, wie schon angemerkt, darauf aufmerksam, dass gedankliche Konzepte oder Elemente propositionaler Strukturen auf verschiedene Weise im Gedächtnis verankert sein können und mit verschiedener Leichtigkeit sprachlich kodierbar sind. Vgl. Wiese 1984: 17. Ein wesentlicher Grund für diese Annahme ist der, dass Informationen im Langzeitgedächtnis, auf die im Sprechen oder Schreiben zurückge-
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Teil II: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
die relevanten Bedingungen für die linguistischen Prozeduren zu bestimmen (oder stehen, etwa in der Fremdsprache, keine entsprechenden Prozeduren zur Verfügung), so kann der Formulierungsprozess nicht oder nur mit Mühe bzw. unter Preisgabe von Genauigkeit zustande kommen. In Bocks Modell werden durch die Rahmenpläne gleichzeitig sowohl die syntaktischen wie auch die semantischen Produktionen aktiviert. Damit wird eine parallele Verarbeitung der Daten der Rahmenpläne ermöglicht. Die Entscheidung für eine solche Architektur wird gestützt durch Resultate der Aphasieforschung: Danach können bei bestimmten aphatischen Störungen die syntaktische und die semantische Sprachplanung auseinandertreten, das heisst selektiv beeinträchtigt werden. Wären sie hierarchisch angeordnet, müsste der Ausfall der höheren Ebene die davon abhängige ebenfalls blockieren, also zu einem Totalausfall des Systems führen. - In diesem Modell wird nur immer ein Rahmenplan (ungefähr das Äquivalent eines Satzes1) durch das linguistische System aufgenommen und verarbeitet. Spätestens wenn der Inhalt der phonetischen Arena an das motorische Programm übergeben (aber noch nicht notwendig artikuliert) ist, kann ein nächster Rahmenplan verarbeitet werden. b. Die syntaktische Arena
Aufgabe der syntaktischen Komponente ist es, den im Rahmenplan kodierten relationellen Informationen sprachliche Strukturen zuzuordnen. So können Abhängigkeitsrelationen spezielle Produktionen für den Ausdruck entsprechender Konstituenten (Attribute, Nebensätze) aktivieren; andere Produktionen sind besonders empfindlich auf Informationen bezüglich Modalität, Transitivität, Tempus usw.; die Absicht, eine Frage zu stellen, aktiviert Produktionen für Fragesatzkonstruktionen; Argumente mit der Auszeichnung für bestimmte tiefensemantische Rollen bzw. spezifische Thema-Rhema-Funktionen aktivieren entsprechende Pläne usw. Es existiert auf dieser Stufe also kein einzelner, zentraler Plan, sondern eine Vielzahl aktivierter Teilstrukturen. Ebensowenig ist anzunehmen, dass für jede der zu realisierenden Teilstrukturen strikt nur eine Produktion aktiviert wird. Im Prinzip werden durch den Rahmenplan alle Produktionen angesprochen, deren Bedingungen erfüllt sind. Das Hauptproblem für die Sprachproduktion besteht darin, dass solche syntaktischen Pläne nicht neutral sind gegenüber den lexikalischen Elementen, die in sie eintreten sollen, sondern dass hoch idiosynkratische Präferenzordnungen bestehen, welche eine Abstimmung zwischen den aktivierten Mitteln nötig machen2.
1
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griffen wind, im Normalfall nicht sprachlich gespeichert zu werden scheinen. Vgl. Schönpflug 1983, van Dijk/Kintsch 1983. «The sets of productions required to realize each interfacing representation will be assumed to constitute the rough equivalent of a clause, with the caveat that certain complement clauses and other types of so-called functionally incomplete clauses [,..] may not be independent planning units, but may instead be specified by the syntax as subcomponents of other clauses.» (Bock 1982:27) Vgl. hierzu die Diskussion in Bock 1987: 342ff., 361ff. Vgl. Stemberger 1985.
II.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
339
c. Die semantische Arena Productions in the semantic processing component respond primarily to the individuation information in the interfacing representation, with the effect of categorizing nonlinguistic identifications in terms of lexical concepts. (Bock 1982: 28)
In der semantischen Arena wird der Übergang von vorsprachlich-konzeptueller Information in lexikalisch definierte Grössen bewerkstelligt. Es ist dies die dritte Stufe in Chafes oben besprochenem Modell, seine «categorization». Bock bezeichnet Kodierbarkeit als einen der wichtigsten Faktoren für die lexikalische Komponente - geht es hier doch darum, die linguistischen Elemente zu finden, die die Intentionen des Sprechenden ausdrücken sollten. Bock nimmt an, dass jedes lexikalische Konzept durch eine eigene Produktion repräsentiert ist. Es ist demnach auch hier wahrscheinlich, dass durch den Rahmenplan mehrere semantische Produktionen aktiviert werden, die sich auf dieselben konzeptuellen Strukturen beziehen. Der Rahmenplan ist in diesem Sinne unterbestimmt im Hinblick auf die im linguistischen System zu treffende Wahl des sprachlichen Ausdrucks. Einen interessanten Hinweis in diesem Zusammenhang gibt Möhle (1984: 46f.). Sie berichtet, dass in der Sprachproduktion von Fremdsprachigen relativ wenige Hinweise auftauchen auf wiederholte Versuche, ein bestimmtes Wort in Erinnerung zu rufen. Die Strategie der Wahl (im mündlichen Sprachgebrauch) ist es, zu kompensieren, sei es durch die Wahl von verwandten Ausdrücken, sei durch Umschreibungen. Dies kann als Indiz dafür verstanden werden, dass die Aktivierung tatsächlich eine gewisse Zahl von lexikalischen und strukturellen Angeboten ins Spiel bringt; kann das beste Element nicht gewählt werden, so ist es leichter, solche Alternativen zu benutzen als das vermisste Element zeitraubend zu suchen. Bock möchte allerdings ausschliessen, und sie versucht dies durch Hinweise auf empirische Untersuchungen zu stützen, dass Konzepte aktiviert werden, die zwar gleichermassen die semantischen Bedingungen des Rahmenplans erfüllen, aber höchst verschiedene syntaktische Konsequenzen nach sich ziehen würden - etwa 'kaufen' und 'verkaufen', die in gewissem Sinne dieselbe Handlung bezeichnen, aber den Aktanten verschiedene syntaktische Rollen zuweisen. Solche Rollen müssten denn auch in der lexikalischen Komponente berücksichtigt werden, entweder direkt oder in Abstimmung mit der syntaktischen Komponente (Bock 1982: 29). Wird eine semantische Produktion vollzogen, geschehen zwei Dinge: Einerseits wird die entsprechende phonologische Repräsentation aktiviert, andererseits werden diejenigen Produktionen der syntaktischen Arena aufgerufen, die die adäquaten Spezifikationen aufweisen, die sich also als syntaktische Konstituenten für die Einbettung der lexikalischen Konzepte anbieten1.
1
Eine Modellvorstellung für die Aktivation von lexikalischen Einheiten entwickelt Figge 1989.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
d. Die phonologische Arena In der phonologischen Komponente wird den aktivierten semantischen Strukturen eine Matrix phonologischer Merkmale zugeschrieben. Eine Legitimation für die Trennung der phonologischen von der lexikalischen Komponente gibt etwa das 'tip-of-the-tongue-Phänomen': Es mag einem das, was man sagen will, völlig klar sein, aber das Wort liegt bloss auf der Zunge und kann nicht realisiert werden1. Dieses Versagen braucht nicht ein vollständiges zu sein: Oft sind einzelne Laute (vor allem am Wortanfang) durchaus in Erinnerung zu rufen, nicht aber das Ganze. Bock interpretiert das Verhältnis von lexikalischem Konzept zur phonologischen Gestalt deshalb als assoziatives2. Die phonologischen Repräsentationen sind noch ziemlich abstrakt; komplettiert werden die zur Artikulation notwendigen Informationen erst in der phonetischen Arena, wo die lexikalischen Einheiten und die syntaktischen Strukturen zusammengeführt werden. Hinweis auf diese noch abstrakte Charakteristik bieten Sprechfehler, etwa wenn «an ounce of flour» als «a flounce of hour» realisiert wird. Hier ist der unbestimmte Artikel offenbar an einer bestimmten Stelle im Satz vorgeplant, seine konkrete Form aber reagiert noch auf die (wohl nicht bei der Wortwahl, sondern bei der Einsetzung der Wörter in syntaktische Pläne stattfindende) fehlerhafte Vertauschung im Anlaut und die dadurch veränderte lautliche Umgebung. Wäre er schon auf der phonologischen Ebene in seiner Form festgelegt, dürfte diese Anpassung nicht vorkommen (Bock 1982: 5; vgl. die ausführlichen Kommentare zu solchen Fehlern in Stemberger 1985 und Bock 1987). Bock hält es für wahrscheinlich, dass auch von der phonologischen Komponente her Wirkungen auf die syntaktische Arena ausgehen. Dies könnte z.B. dann geschehen, wenn einem lexikalischen Konzept zwei verschiedene phonologische Realisationen (mit verschiedenen oberflächstrukturellen Ausprägungen) entsprechen - wenn es also (psycholinguistisch gesehen) Synonyme gibt wie die von ihr genannten «trust» und «rely on», die zwar semantisch beide transitiv seien, jedoch unterschiedliche syntaktische Konsequenzen haben, die erst auf der phonologischen Ebene ins Spiel kommen (Bock 1982: 29f.; dies ist ein wichtiges Thema in Bock 1987).
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Vgl. Fathman 1980: 79, die in der Sprachproduktion von Kindern sehr viele Pausen innerhalb von syntaktischen Konstituenten vor Inhaltswörtem beobachtet und sie nicht als Ausdruck konzeptueller Unsicherheit, sondern lexikalischer Zugangsprobleme deutet. Dies gilt zumindest für die Grundwörter. Der Zusammenhang von Zeichenform und Zeicheninhalt ist bei diesen, in Saussures Terminologie, arbiträr und konventionell. Auch von daher legt sich die Interpretation der assoziativen Zuordnung nahe. Komplexer ist die Lage bei Zusammensetzungen und Ableitungen, bei denen die Zuordnung von Form und Inhalt in variierendem Grade als motiviert betrachtet werden kann.
II.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
341
e. Zum Zusammenspiel von syntaktischer, semantischer und phonologischer Arena Die im Rahmenplan vorgegebenen Bedingungen - Bock nennt sie hierarchische Bedingungen - bilden die Eingabe für die Vorgänge im linguistischen System; alle aktivierten Produktionen müssen die hier formulierten Vorgaben erfüllen. Der Hinweis auf die Gegebenheiten des Rahmenplans reicht jedoch nicht aus, um die im Produktionssystem ablaufenden Prozesse zu erklären; neben den hierarchischen sind eigenständige Bedingungen des verarbeitenden Systems zu berücksichtigen, die für Bock wichtigsten wurden schon genannt: Es sind die Wirkungen, die von den lexikalischen und phonologischen Produktionen auf die syntaktischen ausgehen. Diese stellen systemimmanente Faktoren dar, welche für die Wahl der schliesslichen Oberflächenformen relevant sind: The specification of the hierarchical conditions will not always be sufficient to select among various alternative syntactic structures. Thus, the hierarchical conditions on certain syntactic productions may be very similar or identical, or the representation itself may, as in the selection of lexical concepts, be compatible with alternative realizations. (Bock 1982: 30)
Bock zieht Wirkungen der syntaktischen Produktionen auf die semantische Arena, das heisst auf die dort aktivierten lexikalischen Konzepte, wenig in ihre Überlegungen ein, obwohl solche Situationen vorstellbar sind. Ein Rhetoriker, der einen Chiasmus oder einen vollendeten strukturellen Parallelismus herstellen will, steht prototypisch in dieser vielleicht etwas künstlich anmutenden Situation. Fraglich ist, ob solche Einflüsse - durchaus ohne Künstlichkeit - nicht auch in der alltäglichen Sprachverwendung eine Rolle spielen. Dies wird beispielsweise in Stembergers (1985) Modell angenommen. Hier sind dichte interaktive Prozesse zwischen den syntaktischen, semantischen und phonologischen Komponenten vorgesehen. Solche interaktive Prozesse werden auch in Bock (1987: 368ff.) vermehrt diskutiert. Für die Wahl zwischen alternativen Möglichkeiten der Versprachlichung entscheiden Faktoren, die sich grob in drei Gruppen einteilen lassen; interessant sind vor allem die ersten zwei: - Faktoren, die mit der Stärke der aktivierten Produktionen zusammenhängen. Der wichtigste Faktor ist hier der Zugang zu den lexikalischen Konzepten, also Kodierbarkeit. Konzepte, die stärker aktiviert sind oder schneller aktiviert werden können, führen zu einer entsprechenden, systemintern motivierten Verstärkung des Aktivationsniveaus zugeordneter syntaktischer Strukturen und damit zu einer höheren Wahrscheinlichkeit ihrer Aktualisierung. Der lexikalische Zugang wird erleichtert durch Voraktivierung, Konkretheit des auszudrückenden Konzepts. Als weitere Faktoren zählt Bock auf: vorgezogene Eingabe von Teilen des Rahmenplans in die linguistischen Komponenten (also vor Fertigstellung des gesamten Rahmenplans); starke assoziative Bindungen zwischen bestimmten lexikalischen Konzepten und gewissen syntaktischen Konstruktionen (etwa Filimores (1968) Präferenzordnung der Tiefenka-
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
sus für die Subjektrolle); verschiedene Stärke der Basisaktivierung von syntaktischen Strukturen (Aktivkonstruktionen werden im Deutschen, noch mehr im Englischen, vor Passivkonstruktionen bevorzugt). - Ein zweites Bündel von Faktoren bilden die Reihenfolgebedingungen für die Übergabe von syntaktischen Konstituenten und phonologisch definierten Wörtern in die phonetische Arena, wo die lineare Struktur der Äusserung aufgebaut wird. So kennt das Deutsche relativ strikte Bedingungen für die Position der Verben, nur zum Teil jedoch für die nominalen Satzglieder; im Englischen muss das Verb dem direkten Objekt vorangehen. (Fast alle Sprachen haben jedoch Techniken entwickelt, die es erlauben, solche Bedingungen - zum Teil mit Konsequenzen für die Satzkonstruktion - zumindest im mündlichen Sprachgebrauch zu lockern.) Erste Konstituente eines Satzes is the production with the highest activation level whose hierarchical conditions are compatible with the interfacing representation in working memory and which has no serial order condition, or whose only serial order condition is that the phonetic coding of any prior utterance has been completed. (Bock 1982: 31)
- Kommunikativ-funktionale Faktoren, die sich auf die Gegebenheiten des Rahmenplans zurückführen lassen, also nicht auf die Gesetzmässigkeiten der Sprachverarbeitung zurückführbar sind (vgl. dazu den nächsten Abschnitt). /. Die phonetische Arena Erfüllt eine syntaktische Produktion die hierarchischen und die Reihenfolgebedingungen, so wird sie vollzogen; konkurrieren mehrere solcher Produktionen miteinander, so wird die stärker aktivierte realisiert. The effect of the execution is to insert a syntactic frame into the phonetic coding arena. This frame contains slots [...] specifying syntactic, semantic and role conditions on the lexical content, as well as certain lexical items required by the syntax [...]. These lexical specifications serve as the conditions on phonological productions. (Bock 1982: 31)1
Die diesen Bedingungen entsprechenden aktivierten phonologischen Repräsentationen werden in den syntaktischen Rahmen eingesetzt. Auch hier spielen gewisse Eigenheiten des informationsverarbeitenden Systems eine Rolle. Da die phonetische Arena in direktem Kontakt mit dem Arbeitsgedächtnis steht, werden kürzere, also informationsärmere phonologische Repräsentationen schneller und leichter verarbeitet. Bock glaubt hier eine mögliche Erklärung für das Phänomen anbieten zu können, dass in Binomen wie 'Ross und Reiter', 'Kraut und Rüben', 'Tag und Nacht' meist entweder das kürzere oder das allgemeinere (und potentiell häufiger gebrauchte) Wort an erster Stelle steht - es würde sich hier umeine Art festgefrorene Wirkung einer systemimmanenten Tendenz handeln2. 1
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Routineformeln brauchen natürlich nicht auf diese Weise aufgebaut zu werden. Sie werden als ganze (oder als Halbfabrikate, die noch eine zu füllende Lücke offenlassen) direkt aufgrund von Eingaben der referentiellen Komponente erzeugt Bock 1982: 18. Zu den Binomen vgl. auch Dechert/Raupach 1985.
Π.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
343
In der phonetischen Arena wind somit einerseits die Formulierung der Äusserungskonstituenten vollendet, welche dann den motorischen Programmen übergeben werden. Während natürlich artikulatorische Prozesse nicht einsetzen können, bevor gewisse lexikalische und syntaktische Entscheidungen getroffen sind, können sie durchaus aufgrund unabgeschlossener Planung in Gang gesetzt werden, das heisst bevor die gesamte syntaktische Struktur und deren lexikalische Ausformung bestimmt ist. Die phonetische Arena ist andererseits in Bocks Modell auch ein möglicher Ort der Kontrolle, denn sie ist direkt verbunden mit dem Arbeitsgedächtnis. Zu den hier stattfindenden Prozessen merkt sie an: These finishing processes include phonetic adjusting and elaboration and, optionally, verification that the formulated utterance is adequate to convey the communicative intention. There are two verification procedures compatible with the proposed framework. The first is 'comprehension* of the formulated utterance: A referential representation of the formulated utterance is derived via comprehension processes [...] and compared with the inputrepresentation.The second isreformulationof the utterance and comparison of the alternative phonetic realizations. If they differ both may be submitted to the comprehension check. (Bock 1982: 31)
Beide Formen der Kontrolle dürften recht aufwendig sein und entsprechend günstiger Umstände bedürfen, sollen sie wirklich die gesamte Äusserung betreffen. Neben diesen internen Kontrollmechanismen ist ein externer zu nennen: Die (ebenfalls oft nur intermittierend wirksame) auditorische oder visuelle Kontrolle der produzierten Äusserung, die dann allerdings prozessual gesehen nicht mehr veränderbar, sondern nur noch widerrufbar ist. Die Hauptschwierigkeit, auf welche die Realisierung der geplanten Äusserung trifft, erklärt sich daraus, dass die inhaltliche und syntaktische Planung sich ungefähr auf Satzeinheiten bezieht, die endgültige Ausarbeitung der linearen Wortfolge in der phonetischen Arena und die artikulatorische Realisierung sich aber ungefähr in Phrasen vollzieht1. Je grösser der Unterschied zwischen Planungs- und Äusserungseinheit ist - vereinfacht gesagt: je länger der geplante Satz ist - desto grösser sind die Schwierigkeiten der lexikalischen und syntaktischen Planung und Realisierung, das heisst des Managements des gesamten Produktionsablaufs. Je komplexer der geplante Satz ist, desto schwieriger wird tendenziell die Ausarbeitung und Wahl der zuerst zu realisierenden Phrasen und desto leichter wird der Gedächtnispuffer zwischen Produktions- und Realisationskomponenten überfordert. Zudem ist die Satzproduktion nicht ein Vorgang, der strikt von oben nach unten stattfindet - es finden auch umgekehrte Einflüsse statt (z.B. via die Kontrolle der eigenen Produktion oder die Kontrolle der Hörerreaktionen während des Sprechens), die sich auf die laufenden Verarbeitungsprozesse auswirken, bei überkomplexen Produktionen aber kaum mehr zum Tragen kommen können (vgl. Bock 1982: 3). 1
Ein Hinweis darauf ist, dass lexikalische Selbstkorrekturen vielfach nicht allein das falsche Wort betreffen, sondern auch die damit zusammenhängenden Funktions Wörter (Beattie 1980:131). Vgl. auch Bock 1987.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
2.2.3 Spezielle Gesichtspunkte
a. Grammatik und Kommunikation Die Gestalt einer Äusserung - der innere Aufbau der einzelnen Konstituenten und deren Zusammenhang untereinander - wird nach Bock durch kommunikative wie linguistische Regularitäten bestimmt. Kommunikative Regularitäten are those that in some way reflect the substance that a speaker intends to convey and his attitudes or communicative intentions with respect to that substance. These, then, are regularities whose origin may be traced directly to processing in the referential arena. Communicative regularities are most clearly evident in choices among lexical items, certain inflectional morphemes, and various basic sentence types. (Bock 1982:
6) Linguistische oder Kode-Regularitäten dagegen haben keine direkte Beziehung zu den Rahmenplänen der referentiellen Arena; sie gehören nicht zur übermittelten Information, sondern haben ihren Grund in den bei dieser Übermittlung in Anspruch genommenen Sprachstrukturen selbst, sie repräsentieren constraints on the way in which surface structures may be assembled from the information recruited in other arenas. (Bock 1982: 6)
Nun ist die Bestimmung von Regularitäten als funktional (das heisst direkt gesteuert durch die auszudrückenden Intentionen) bzw. als autonom (das heisst als allein sprachlich begründet) sehr heikel; sowohl in der Linguistik wie in der Psycholinguistik stehen sich hier ziemlich verfestigte Positionen gegenüber. Bock leugnet die Wirksamkeit funktionaler Faktoren nicht1; ihr Ansatz, der endogene, das heisst der prozessbedingte Effekte auf die Resultate von Formulationsprozessen in den Vordergrund stellt, verträgt sich allerdings besser mit autonomen Grammatikmodellen. Der Haupteinwand gegen die funktionalistische Interpretation ist, dass sie weitgehend hierarchische, kontrollierte Prozesse der syntaktischen Verarbeitung verlangt, was eine zu aufwendige Art der Verarbeitung als Norm setzt. Ihr Modell rückt andere Gesichtspunkte ins Zentrum: With respect to functional syntax, the primary contrast lies in the placement of certain effects on syntactic structure outside of the referential arena and, hence, outside ot the purview of 'attention', which many functional accounts have relied on implicitly. (Bock 1982: 35)
In einer längeren Diskussion (1982: 14-23) versucht Bock zu zeigen, dass viele der Effekte, die in der Literatur als Beleg für die funktionale Position interpretiert worden waren, im vorliegenden Modell durchaus auch anders gedeutet werden können. So wurden Versuchspersonen Bilder von Ereignissen gezeigt (etwa: Ein Zug rammt ein Auto); durch einen vorgängigen Text über Autos bzw. Züge wurde ein Fokus geschaffen. Die nachträgliche 1
Vgl. oben das dritte der Faktorenbündel, die die Auswahl von konkurrierenden Produktionen regeln. Zu funktionalen und prozessualen Momenten in der Sprachverarbeitung siehe auch Engelkamp/Zimmer 1983; Engelkamp 1986.
Π.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
345
Sprachproduktion zeigte, dass Passivsätze mit dem Patiens (dem Auto) als Subjekt schneller gebildet werden konnten, wenn vorher vom Auto die Rede gewesen war; Aktivsätze wurden schneller gebildet, wenn vorher vom Agens (vom Zug) die Rede gewesen war. The referential focus-of-attention interpretation of these results is that the preamble caused subjects to attend more to the pictured elements that had been the theme of the preamble than to other depicted elements. An equally plausible interpretation, however, is that production was facilitated because the preamble provided necessary lexical information. (Bock 1982: 15)
Bock macht zudem darauf aufmerksam (1982: 20ff.), dass die psycholinguistische Forschung zum Lexikonzugang genau jene Momente herausgestellt hat, die auch in der funktionalen Diskussion eine Rolle spielen: Voraktivierte Konzepte sowie solche für belebte oder konkrete Objekte sind leichter und schneller zugänglich. Bei diesen Experimenten auf Wortebene sind kommunikative Intentionen ausgeschlossen; es stellt sich auch von diesem Hintergrund her die Frage, ob nicht viele der 'funktionalen' Effekte auf Satzebene mindestens ebenso plausibel auf endogene Faktoren zurückzuführen sind wie auf kommunikative Absichten1. Insgesamt argumentiert Bock dahin, that certain syntactic features of utterances are influenced by characteristics of lexical retrieval, rather than being direct reflections of the communicative intention to be conveyed or of an underlying syntactic structure. (Bock 1982:23)
Der letzte Punkt signalisiert auch den Ort, an dem Bock sich von Ansätzen der autonomen Syntax distanziert. Soweit solche Ansätze eine wohldefinierte syntaktische Gesamtstruktur an irgendeiner Stelle des Formulierungsprozesses als Bedingung für die weitere sprachliche Verarbeitung ansetzen (und damit ebenfalls eine strikte Hierarchie der Prozessschritte annehmen), sind sie kaum verträglich mit dem hier der semantischen Arena zugesprochenen Einfluss auf die syntaktische Verarbeitung und dem damit verbundenen Konzept interaktiver Prozesse zwischen den Komponenten2. b. Automatische und kontrollierte Verarbeitung In diesem Modell sind nur die referentielle und die phonetische Arena verbunden mit dem Arbeitsgedächtnis; sie sind damit direkt der bewussten Kontrolle zugänglich, aber auch Kapazitätsbeschränkungen unterworfen. Die anderen Komponenten können weitgehend automatisch operieren. Ob ein direkter bewusster Zugang zu ihnen möglich ist, wird von Bock offengelassen; sie macht aber darauf aufmerksam, dass normalerweise über die Evaluation der Resultate von Produktionprozessen, wie sie in der phoneti1
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Bock (1987: 373ff.) macht auf verschiedene Untersuchungen aufmerksam, welche das Gewicht prozessualer Mechanismen für die Wahl sprachlicher Mittel zu belegen scheinen. Ein Grammatikkonzept, das nach Bock mit dem von ihr entworfenen Modell weitgehend verträglich ist, ist dasjenige von Gazdar, der eine kontextfreie, nichttransformationelle Syntaxkomponente vorschlägt, ein anderes Baars Modell der konkurrierenden Pläne.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schieibens
sehen Komponente routinemässig zugänglich werden, Einfluss auf die sprachliche Verarbeitung genommen wird1. Ein grosser Teil der Kapazitäten des Arbeitsgedächtnisses wird gebunden durch die Inhaltsplanung. Darüber hinaus steht es dem Sprachbenutzer aber frei, eine Anzahl von Entscheidungen in bezug auf die sprachliche Gestalt der Äusserung zu treffen und damit ihre Effizienz und situative Angemessenheit zu erhöhen (ebda.: 12). Da diese Eingriffe aber die Ressourcen des Arbeitsgedächtnisses beanspruchen, können für jede einzelne Äusserung nur beschränkt solche kontrollpflichtige Prozeduren durchgeführt werden. Bock legt daher grossen Wert auf den Begriff der Flexibilität: Flexible Sprachverarbeitung balanciert automatische und kontrollierte Anteile an der linguistischen Produktion so, dass sie optimalen Gebrauch von den Möglichkeiten beider Formen der Verarbeitung macht und den Ansprüchen an kommunikative Angemessenheit wie an prozessuelle Ökonomie gleichzeitig gerecht wird. Die Performanz leidet laut Bock nicht nur, wenn zu wenige automatisierte Prozesse eingesetzt werden können, sondern auch dann, wenn relevante Aspekte des Prozesses nicht überwacht werden: Obviously, optimal performancerequirescareful allocation of the limited resources of the processing system: Routine activities must be automatized if resources are to be available for higher level processing, but at the same time they must not be so impervious to controlled processing that anyresultingrigidityproves equally disruptive to performance. In general, it must be possible to maintain control of an activity while allowing certain components of it to be executed automatically. (Bock 1982: 10)
Dieses Konzept der Flexibilität kann als Gegenentwurf zu einer Auffassung gesehen werden, gemäss der bei Belastung des Systems gewisse syntaktische Strukturen als 'defaults' aktiviert werden - als eine Art Minimalverfahren, die bei geringstem Aufwand (also bei automatischer Verarbeitung) noch einigermassen erfolgreiche Kommunizierbarkeit von Intentionen gewährleisten. Gegen diesen Vorschlag wendet Bock ein, dass bisher sämtliche Versuche fehlgeschlagen seien, die psychologische Komplexität syntaktischer Strukturen relativ zueinander zu bestimmen. Ihr Konzept setzt keine Abgrenzung automatisch handhabbarer von anderen Verfahren voraus. Die jeweils durchs System realisierte Wahl einer syntaktischen Option ist durch das Zusammenspiel der Komponenten bestimmt, nicht durch eine vorgegebene Präferenzordnung. Gleichzeitig bleiben alle syntaktischen Strukturen mögliche Objekte kontrollierender Verfahren: Such constructions would still, however, be available for use under the guidance of controlled processes, allowing both for flexible balancing of processingresourcesand flexible deployment of linguistic resources. (Bock 1982: 13)
1
Dies ist eine plausible Annahme in einem Modell, das alternative Pläne und interaktive Prozesse zwischen den Komponenten zulässt und damit (zumindest im Zusammenspiel von syntaktischer, semantischer und phonologischer Komponente) keine zentrale Kontrolle kennt (vgl. Baars 1980:46ff.; Kempen/Hoenkamp 1987).
II.3 Schieibprozesse und Sprachproduktion
347
Dieser flexible Einsatz von Systemmöglichkeiten, mit variierender Zuwendung von Aufmerksamkeit auf verschiedene Aspekte der produzierten Äusserung, wird als strategischer bezeichnet (ebda.: 9). Potentiell ist jeder Sprachgebrauch in diesem Sinne strategisch. Zum Abschluss sei noch ein Punkt genannt, der das Zusammenspiel von automatischen und kontrollierten Prozessen betrifft. Kontrollierende Eingriffe sind zusätzlich nötig, wenn die automatischen Abläufe aus irgendwelchen Gründen versagen; etwa wenn automatisierte Routinen zwar angewendet, zugleich aber abgewandelt werden sollen oder wenn effizientere Formen der Ablaufplanung als die bisher gebrauchten gesucht werden, und vor allem in der Fremdsprache (vgl. Bock 1982: 10). Im folgenden wird es darum gehen, Ergebnisse aus empirischen Studien zusammenzutragen. Vor dem eben skizzierten theoretischen Hintergrund geben sie Hinweise auf Faktoren, welche die Sprachproduktion prägen. Hervorgehoben werden hauptsächlich Studien zur fremdsprachlichen Produktion, zunächst im mündlichen, dann im schriftlichen Bereich. 2.3 Mündliche Sprachproduktion 2.3.1 Die temporalen Variablen Sprachproduktionsprozesse sind nicht direkt zugänglich; sie lassen sich erschliessen bzw. nachzeichnen durch verschiedene Methoden der Untersuchung der Produkte des Sprechens wie auch der die Produktion begleitenden Phänomene. Nur punktweisen Einblick geben Fehleranalysen, vor allem Analysen von slip-of-the-tongue-Phänomenen1. Die Methode des lauten Denkens ist bei der Untersuchung auch von Sprachprozessen im Schreiben eingesetzt worden (vgl. unten, 2.4); für die Untersuchung der mündlichen Sprachproduktion ist sie nicht anwendbar. Hingegen ermöglicht die Untersuchung der Pausen- und Zögerphänomene beim Sprechen einen Zugang zu den kontinuierlich ablaufenden Planungs- und Realisierungsvorgängen. Solche temporale Variablen begleiten jede Hervorbringung und jeden Sprachgebrauch unabhängig davon, ob Fehler vorkommen oder nicht; sie erlauben es, sprachliche Performanz in ihrer Gesamtheit zum Thema zu machen. Diese Daten werden in letzter Zeit zunehmend durch weitere Analysen, etwa der linguistischen Strukturen, aber auch durch Interviews mit den untersuchten Personen ergänzt; zu den gemessenen und quantifizierbaren Vorgängen treten dann strukturelle und introspektive, die Interpretation zum Teil erheblich bereichernde Daten hinzu. Im Gegensatz zu lerntheoretischen Untersuchungen geht es hier weniger um die Frage, wie viel jemand kann oder ob er bestimmte sprachliche Dinge beherrscht, sondern darum, wie das vorhandene sprachliche Wissen 1
Fehleranalysen haben sich als sehr wichtig erwiesen in der Diskussion um die Unterscheidung von Veraibeitungsebenen und ihren Zusammenhängen; ihr Nachteil ist, dass sie nur Formen abweichenden Verhaltens erfassen können, aber nicht vor allem für den Fremdsprachenbereich interessante Phänomene wie Vermeidungsstrategien, positiven Transfer usw. (vgl. Klings 1986b).
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eingesetzt wird. Dieses Forschungsparadigma hat in den letzten Jahren rapide an Beliebtheit und Bedeutung gewonnen, erlaubt es doch, sprachpsychologische Beobachtungen an Material zu machen, das entweder aus natürlicher Kommunikation stammt oder in alltagsnahen Sprachverwendungssituationen gewonnen werden kann. Der Vorwurf an viele psycholinguistische Experimente, sie lösten Einzelwörter, Silben oder Sätze aus ihren Anwendungskontexten oder sie versuchten, ganz bestimmte psychische Operationen zu isolieren, ohne danach über deren Rolle im Gesamt der Sprachverwendung Auskunft geben zu können, lässt sich hier sicher nicht anwenden. Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch, dass bereits eine beträchtliche Zahl von Untersuchungen zur fremdsprachlichen Produktion unternommen worden sind und sich darauf einige relevante Hinweise auf die hier vorab interessierenden Fragen ergeben. Allerdings sind die meisten Untersuchungen am mündlichen Sprachgebrauch gemacht worden, erst einige wenige haben die schriftliche Sprachverwendung zum Thema. Es lässt sich deshalb nicht umgehen, dass im folgenden zunächst Ergebnisse aus dem ersten Bereich zur Sprache kommen. Auf Ergebnisse zum Muttersprachgebrauch wird nur sehr global und des Vergleiches wegen eingegangen. Die temporalen Variablen werden unterschieden in primäre und sekundäre, die primären in einfache und komplexe1: Primäre Variablen : Zu den einfachen Variablen gehören - Artikulationsgeschwindigkeit (Anzahl Silben/sec (Artikulationszeit)); - Anzahl der Pausen; - Sprecheinheiten (Anzahl der zwischen zwei Pausen gesprochenen Silben). Die komplexen Variablen sind: - Sprechgeschwindigkeit (Anzahl Silben/min); - Anteil von Artikulations- und Pausenzeit. Die primären Variablen, werden sie rein statistisch über einem Korpus berechnet, geben natürlich bloss allgemeine Hinweise. Für den Nachvollzug der Dynamik von Produktionsprozessen ist die Binnendistribution der Phänomene, also z.B. die relative Länge, die Häufung, die exakte Position von Pausen, ihre Interaktion mit den anderen Variablen usw. von entscheidender Bedeutung. Sekundäre Variablen sind: gefüllte Pausen; Silbendehnungen; Wiederholungen; Fehlstarts. Die sekundären Variablen werden zu den Zögerphänomenen gerechnet; sie sind, anders als die primären, nicht notwendige Begleiterscheinungen des Sprachgebrauchs. Bei ungefüllten Pausen - die unter den primären Variablen aufgelistet sind - hat man versucht, flüssige Pausen von nicht-flüssi1
Nach Möhle/Raupach 1983: 65f.; Grosjean 1980. Decheil/Raupach (1985: 244) weisen darauf hin, dass unter den Forschern noch keine vollständige Einigkeit über die Anzahl, die Klassifizierung und auch die Benennung dieser Phänomene besteht, auch nicht über Messgrenzwerte.
Π.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
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gen zu unterscheiden, also Zögerpausen von gleichsam notwendigen, nicht-unterdrückbaren Gliederungspausen; allerdings ist diese Einteilung umstritten (Grosjean 1980: 42). Raupach plädiert dafür, Pausen im Zusammenhang mit den anderen Zögerphänomenen zu betrachten, da sie im Zusammenhang miteinander operierten (Raupach 1980: 269). Fehlstarts und Wiederholungen lassen sich als Signale für das Wirken von Kontrollmechanismen lesen; diese sind nicht nur formaler Art, sondern dienen auch der Überprüfung der versprachlichten Inhalte (Möhle/Raupach 1983: 88). Untersuchungen im muttersprachlichen wie im fremdsprachlichen Bereich bestätigen, was in gewissem Sinne zu vermuten ist: dass die temporalen Variablen stark abhängig sind einerseits von der Schwierigkeit der Aufgabe, also dem Typus der verlangten Sprachproduktion, andererseits von individuellen Faktoren und schliesslich von der Sprache: Sprachen zeigen verschiedene sprachentypische Profile. Dazu nur sehr kurz einige Hinweise. a. Aufgabentyp und temporale Variablen
Grosjean (1980) untersuchte Muttersprachgebrauch in einer Interview situation und in einer Bildbeschreibungsaufgabe. Die Probanden wiesen in der zweiten Aufgabe eine bedeutend niedrigere Sprechgeschwindigkeit auf (153 Silben/min versus 264 Silben/min in der ersten Aufgabe), die höchste gemessene Sprechgeschwindigkeit bei der Beschreibung entsprach genau der niedrigsten, die in der alternativen Aufgabe gemessen wurde. Die Artikulationszeit betrug 59% der gesamten Sprechzeit in der Beschreibungsaufgabe, 85% in der Interviewsituation. This need to pause in the description of cartoons (speakers spent almost half of their speaking time being silent) is a good reflection of the cognitive and linguistic effort required; this involves, among other things, the visual decoding and comprehension of the pictures and the linguistic encoding of the oral description. (Grosjean 1980: 43)
Die niedrigere Sprechgeschwindigkeit in der Beschreibungsaufgabe war aber nicht allein auf die längere Pausenzeit zurückzuführen; auch die Artikulationsrate war geringer (4.3 Silben/sec versus 5.2 Silben/sec). Die Pausen waren im Mittel nicht nur länger, sie folgten sich auch häufiger, die mittlere Sprecheinheit zwischen Pausen betrug 6.5 Silben bei der Beschreibungsaufgabe, aber 12 Silben im Interview. Die meisten Pausen (61% bzw. 62%) erfolgen an ähnlicher Stelle, nämlich nach dem Ende eines Satzes oder Nebensatzes. In der Beschreibung werden insgesamt deutlich einfachere Satzkonstruktionen verwendet. Die relative Verteilung der sekundären Variablen in beiden Aufgabentypen war ungefähr gleich, allerdings traten sie in der Beschreibungsaufgabe doppelt so häufig auf. Diese Resultate werden im wesentlichen bestätigt durch andere Untersuchungen (vgl. Möhle/Raupachl983; Möhlel9841). 1
Möhle 1984: 32 gibt Hinweise auf Untersuchungen in folgenden Aufgabentypen, die auf einer Skala steigender Anforderungen anzusiedeln sind: Beantworten von Fragen
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b. Individuelle Unterschiede Dieser Aspekt ist noch relativ wenig erforscht. Auf zum Teil extreme individuelle Unterschiede in der Gestaltung der Produktionsprozesse weist Raupach (1980: 268) hin, auf ebenso gewichtige im Selbstkorrekturverhalten Dietrich (1982). c. Sprachentypische Profile Grosjean (1980) referiert eine Studie zum Pausenverhalten französischer und englischer Sprecher in vergleichbaren Situationen (es ging wieder um Interviews und Beschreibungen). Die Resultate waren über weite Strecken vergleichbar; allerdings zeigte sich, dass die insgesamt gleiche Pausenzeit verschieden organisiert war. Französischsprachige machen weniger, aber längere Pausen; die Sprecheinheiten sind dafür länger. Das Englische scheint vor allem in der Verbalphrase eine relativ übliche und häufig benutzte Pausenstelle zu haben, die dem Französischen fehlt. Bei den sekundären Variablen zeigten sich insgesamt ebenfalls grosse Ähnlichkeiten. Während aber das Englische gefüllte Pausen vorzieht, lassen sich im Französischen viel mehr Vokallängungen beobachten, vielleicht ein Reflex auf die offene Silbenstruktur des Französischen, die dieser Technik der Verzögerung entgegenkommt1. Raupach (1980: 265f.) und Möhle (1984) geben einige noch recht vorläufige Hinweise auf das Verhältnis von Französisch und Deutsch. Beide finden bei deutschen Sprechern eine höhere Sprechgeschwindigkeit, längere Sprecheinheiten und kürzere Pausen. Raupach macht ebenfalls auf das Phänomen der Vokallängung im Französischen aufmerksam, die im Deutschen - wie das Englische eine Sprache mit geschlossener Silbenstruktur - etwa drei Mal weniger oft produziert wird als im Französischen2.
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zu persönlichen Erfahrungen; Meinungskundgabe; Nacherzählung einer Geschichte; Versprachlichen einer Bildgeschichte. Danach hätten gefüllte Pausen und Vokallängungen wohl dieselben (Planungs-)Funktionen in der Produktion von Äusserungen, während Repetitionen und Fehlstarts eher auf (Kontroll-)Apekte bei der Versprachlichung hinweisen (Grosjean 1980:47). Selbstwiedeiholungen etwa von Inhaltswörtem können ebenfalls Kontrollfunktion haben. Sie werden auch pragmatisch zur Bekräftigung und Rezeptionssteuerung eingesetzt (Fathman 1980). Pausen- und Zögerphänomene sind indikativ für psycholinguistische Vorgänge; es ist möglich, dass sie auch funktional sind fur die Rezeption von Mitteilungen. Sie wären demnach nicht einfach mehr oder weniger unglückliche Begleitumstände des Sprechens, sondern hätten auch verständnislenkende und -erleichternde Effekte (Chafe 1980:170). Pausen und Zögern können auch ohne prozessuale Not als rhetorische Mittel eingesetzt werden: «Whilst speakers may well need to hesitate more when faced with a heavy task demand, they may also increase the relative amount of hesitation in their speech to achieve some interactional goal.» (Good/Butterworth 1980: 145)
Π.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
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2.3.2 Muttersprache und Fremdsprache Sehr generell lässt sich das Verhältnis von Mutter- und Fremdsprache so charakterisieren, dass die Verarbeitungslast in der Fremdsprache immer grösser ist als in der Muttersprache (Wiese 1984:16f.) und dass die temporalen Variablen sich bei gleicher Aufgabe im Übergang zur Fremdsprache ungefähr so verändern wie beim Übergang zu einer entschieden anspruchsvolleren Aufgaben innerhalb der Muttersprache. Die Sprecher, confronted with a task which is much more demanding for them, tend to modify a certain number of variables, such as articulation rate, length of runs, but do not use the length of silent pauses as a means of slowing down their speech. Instead of lengthening the pauses, they will generally increase the number of pauses, so as to avoid the long pauses that speakers naturally try to eliminate. (Deschamps 1980: 262)
Dabei behalten sie die typisch muttersprachliche Organisation und Verteilung der Pausen- und Zögerphänomene bei, wobei meist die Zahl der sekundären Variablen stark ansteigt. Diese Resultate werden von anderen Forschem weitgehend bestätigt. Raupach liess Versuchspersonen Bildgeschichten in der Muttersprache erzählen und kommentieren, sofort danach in der Fremdsprache. Er fand in der Fremdsprache kaum sehr lange Pausen (die meist als Anzeichen für konzeptuelle Planungsvorgänge interpretiert werden), wohl aber eine massive Steigerung der kurzen (die eher als Ausdruck sprachlicher Planungsvorgänge angesehen werden) und vor allem eine Zunahme von Pausen innerhalb von Sätzen, was als Hinweis auf die speziellen Schwierigkeiten der Versprachlichung gelesen werden kann. Auch Raupach findet die muttersprachlichen Pausenprofile in der Fremdsprache reproduziert. Was die sekundären Variablen anbelangt, tendierten Französischsprachige auch im Deutschen zur gewohnten Technik der Vokallängung, Deutschsprachige wendeten dieses Mittel im Französischen ebenso selten an wie in der Muttersprache (Raupach 1980: 266ff.; vgl. Möhle/Raupach 1983: 36f.). Diese noch sehr allgemeinen Angaben lassen erkennen, dass die nähere Beschäftigung mit Pausen- und Zögerphänomenen durchaus relevante Aufschlüsse darüber zu geben verspricht, welches die spezifischen Schwierigkeiten des Umgehens mit einer fremden Sprache sind. Dazu sind allerdings Analysen erforderlich, die Sprachproduktionsprozesse in grösserem Detail nachzuzeichnen erlauben. Wichtige Angaben in dieser Richtung gibt etwa Möhle (1984). Sie untersuchte französischsprachige Deutschstudenten und deutschsprachige Französischstudenten je zu Beginn und am Ende eines einsemestrigen Aufenthalts im fremdsprachigen Land. Die jedesmaligen Aufgaben bestanden in der Beschreibung einer Bildgeschichte zuerst in der Muttersprache, unmittelbar darauf in der Fremdsprache sowie aus der Beantwortung von Fragen. Zwei Fragen erfolgten in der Mutter-, zwei andere in der Fremdsprache1.
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Die Fragen betrafen im ersten Gespräch die Erwartungen an den Aufenthalt im fremdsprachigen Land, im zweiten die dort gemachten Erfahrungen.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
Während die globalen Daten in etwa den schon erwähnten Ergebnissen anderer Studien entsprachen, zeigten sich im Detail interessante Unterschiede. 1. Die beiden Gruppen zeigten ein sehr unterschiedliches Segmentations verhalten: Deutschsprachige zeigten im Französischen ein Pausenverhalten, das der Tendenz nach die Sprecheinheiten als funktionale Einheiten gestaltete und damit flüssig und kohärent wirkte, während das Deutsch der Französischsprachigen durch eine Tendenz zu nicht-funktionalen Abgrenzungen und Isolierung von Einzelwörtern ausgezeichnet war. Trotz ausreichender Planung auf konzeptueller Ebene wirkt die Produktion stockend; die Realisation im Detail erfolgt oft Wort für Wort, mit relativ langen Pausen. Möhle erklärt die Unterschiede einerseits daraus, dass das Deutsche kontinuierlich, nicht nur an bestimmten Punkten wie das Französische, morphologische Entscheidungen verlangt; andererseits scheinen ihre Probanden mit Schulerfahrungen ausgestattet, die es ihnen nahelegen, einer möglichst korrekten sprachlichen Form auch gewisse inhaltliche Aspekte, zumindest die Flüssigkeit der Darbietung, zu opfern. Die Deutschsprachigen scheinen diesen Faktor der Flüssigkeit zu betonen und sind eher bereit, normative Gesichspunkte hintanzustellen. Ihre Hautpschwierigkeit besteht darin, die angemessenen lexikalischen Mittel zu finden1. Insgesamt ist das Sprachverhalten der untersuchten Deutschsprachigen im Französischen quantitativ verschieden von der muttersprachlichen Sprechweise, das der Französischsprachigen im Deutschen eher qualitativ: Ihre stockende, suchende Sprechweise hat in ihrer Muttersprache kein Pendant. 2. Bei den zwei verschiedenen Aufgabentypen zeigten sich die erwartbaren Unterschiede - die Beschreibung ist schwieriger, vor allem wegen der vorgegebenen Themenwahl und der Notwendigkeit, die (vorhandenen, oft aber nicht spontan produzierbaren) lexikalischen Mittel zu finden. 3. Die Veränderungen nach dem einsemestrigen Aufenthalt in fremdsprachiger Umgebung lassen sich folgendermassen zusammenfassen: Die Sprechgeschwindigkeit im Französischen der deutschsprachigen Studenten wuchs beträchtlich2, was vor allem auf eine Reduktion der Zahl der Pausen (nicht ihrer Länge) und die entsprechend längeren Sprecheinheiten zurückzuführen war. In other words, during the same pause time as before the speakers are now able to plan more extensive units and to produce these units even faster than before, i.e. the rate of articulation has increased. (Möhle 1984:40)
Mit Bezug auf die Sprache wuchs die Fähigkeit beträchtlich, sich idiomatisch auszudrücken, das heisst die übliche französische Sprech- und Darstellungsweise zu gebrauchen (anstelle unüblicher oder sogar falscher Analogiebildungen zum Deutschen). Auch das lexikalische Wissen und der Zugang zu diesem Wissen verbesserten sich. Wenig Fortschritte ver1 2
Diesen Schwierigkeiten sind die Deutsch sprechenden Franzosen nicht weniger ausgesetzt. Sie übertraf sogar die durchschnittliche Sprechrate der Französischsprachigen, blieb aber unter der Sprechrate im Deutschen.
Π.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
353
zeichneten die Deutschsprachigen auf der grammatischen Ebene, und auch die Länge und Komplexität der produzierten Sätze veränderte sich kaum1. Diese waren allerdings schon vor dem Aufenthalt ziemlich gut entwickelt. Im Kontrast dazu blieb die Sprechgeschwindigkeit im Deutsch der Französischsprachigen nahezu konstant. Es zeigte sich aber eine ähnliche Entwicklung wie bei den Deutschsprachigen im Hinblick auf Vokabular, Idiomatik und Zugänglichkeit des sprachlichen Wissens; auch hier wuchs die Länge der Sprecheinheiten, das heisst die Zahl der Pausen nahm ab, allerdings wuchs ihre Länge. Anders als ihre deutschen Kollegen hatten diese Lernenden es vor diesem Aufenthalt zu vermeiden versucht, sprachlich schwierige Themen anzuschneiden und sich dadurch in Verlegenheit führen zu lassen. Dies änderte sich. This explains why they sometimes made far more mistakes in idiom, despite their great improvement in expressing themselves. In some cases their tendency to plan complex and versatile syntax increased; in other cases it emerged for the first time. As opposed to Germans, they made enormous improvements, in some cases especially, in their grammar. This is especially true of inflections. (Möhle 1984:42)
Möhle schliesst aus ihren Daten, dass trotz dieser Verbesserungen die Verarbeitung der Flexionsendungen noch kaum automatisch erfolgt, sondern eher bewusst. Die Belastung durch die Aufgabe der Sprachproduktion wäre demnach im Laufe dieses Aufenthalts kaum verringert, vielleicht sogar noch erhöht worden (1984:43)2. Insgesamt kann man schliessen, dass sich die Französischsprachigen einer etwas anderen Strategie des Aufbaus ihrer fremdsprachlichen Kompetenz bedienen als ihre deutschsprachigen Kollegen. Es müsste durch längerfristige Untersuchungen geprüft werden, ob der normzentrierte Zugang auf die Dauer eine bessere Annäherung an die Zielnorm verspricht oder nicht. Welchen Anteil am unterschiedlichen Vorgehen die spezifischen Sprachstrukturen, welchen die verschiedenen Schulerfahrungen haben, muss vorläufig offenbleiben. 4. Am Schluss ihres Beitrags geht Möhle auch auf Strategien ein, die in der Fremdsprache benützt werden, um Probleme zu lösen, die sich aus der mangelhaften Sprachbeherrschung ergeben. Hier stellt sie fest, dass formale Reduktionen - also etwa die Auslassung von Wörtern usw. - eine vernachlässigbare Rolle spielt, aber funktionale Reduktionen (inhaltliche 1
2
Einen ähnlichen Befund zeigt Raupachs Fallstudie eines Englischstudenten nach einem USA-Aufenthalt (1980: 272f.). Er sieht den Fortschritt vor allem in der Fähigkeit des Sprechers begründet, Probleme auf oberflächennaher Ebene besser zu lösen und damit Kapazitäten für die Planung grösserer Einheiten freizumachen. Die Deutschsprachigen zeigten in der Verwendung von Vokallängungen eine Tendenz zur Übernahme des fremdsprachlichen Musters; gefüllte Pausen wunden seltener. Bei den Französischsprachigen fand nicht derselbe Prozess statt; die Interpretation der beiden Phänomene als gleichbedeutend und vorab durch die Struktur der Sprachen bedingt wird von Möhle in Zweifel gezogen; sie glaubt, dass gefüllte Pausen eher Zeichen von Unsicherheit sind und anderes anzeigen als Vokallängungen, die bei steigender Sprachbeherrschung auch im Deutsch der Französischsprachigen zunehmen.
354
Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
Vereinfachungen usw.) in hohem Masse benützt werden. Sehr häufig sind Kompensationsstrategien. Es sind wenige Versuche feststellbar, bestimmte Wörter, die bekannt sind, aber nicht sofort erinnert werden können, aufzufinden. Es überwiegen Versuche, durch alternative Ausdrücke zum Ziel zu kommen. So scheint es leichter zu sein umzuplanen, das heisst zur Verfügung stehende Wörter und Wendungen einzusetzen und eventuelle konzeptuelle Neuarrangements und strukturelle Korrekturen vorzunehmen, als das Gedächtnis nach Erinnerungen abzusuchen, die sich nur schwer reaktivieren lassen1. Vor diesem immer noch recht allgemein gehaltenen Hintergrund sollen im folgenden einige wenige Fragen kurz aufgegriffen werden. a. Mikro- und Makroplanung Pausen beziehen sich nicht zwangsläufig nur auf die folgende Sprecheinheit, sie können auch übergreifende Funktion haben. Darauf wurde oben schon hingewiesen, als gesagt wurde, dass längere Pausen konzeptuelle, meist mehr als eine Sprecheinheit übergreifende, kürzere lokale, sprachliche Planung anzuzeigen scheinen. Konzeptuelle Planungspausen (Gliederungspausen) treten vornehmlich an relevanten syntaktischen Schnittstellen und vor allem an textuellen Übergängen auf2. Was die fremdsprachliche Produktion auszeichnet, sind nicht so sehr Unterschiede in diesem Bereich, sondern das zum Teil massive Auftreten kürzerer Pausen (Verzögerungspausen) innerhalb von Sätzen und syntaktischen Einheiten. Während bei Muttersprachigen oder sehr kompetenten Fremdsprachigen die Gliederungspausen auch für die sprachliche Planung auszureichen scheinen (soweit diese noch Aufmerksamkeit erfordert), kämpfen die meisten Fremdsprachigen bei dem Versuch, ihren Gedanken konkrete Gestalt zu verleihen, mit einer Fülle nicht zu Ende gebrachter oder unvorhergesehener (Sprachplanungs-)Probleme, die sich während des Sprechens nicht ausreichend lösen lassen. Während Muttersprachler Schwierigkeiten vor allem bei der inhaltlichen Planung bekunden, liegt der Fall bei Fremdsprachigen anders. Nach den Befunden von Möhle/Raupach sind es dabei vorab Wortfindungsprobleme, die den Sprechenden am meisten bewusst 1
2
Dass die inhaltliche Planung aufgrund beschränkter Sprachkenntnisse variiert und zum Teil angepasst werden muss und damit die Ausdrucksebene ein Eigengewicht bekommt, das sie in der Muttersprache weniger hat, betonen auch Möhle/Raupach 1983; 81f; Wiese 1984. Dechert (1986b) stellt in bezug auf das Subjekt seiner Fallstudie, einen fortgeschrittenen Englischlemer, fest, dass er durchaus fähig und willens sei, eine Bildgeschichte gutgeplant, mit gewisser rhetorischer Rafinesse zu erzählen, dass er aber daran durch seine mangelnde Fähigkeit zur sprachlichen Realisation gehindert wird. Vor allem spielt die mangelnde Flexibilität im Paraphrasieren von Ausdrücken, die sich nicht erinnern lassen, eine zentrale Rolle, ein Mangel auf sehr niedriger Ebene also. Zum Folgenden ausführlicher Möhle/Raupach 1983: 69ff.; vgl. auch Beattie 1980; Fathman 1980; Chafe 1980; Dechen/Raupach 1985, Dechert 1986a. Beattie und Dechert/Raupach machen auf den Zusammenhang temporaler Variablen mit anderen Phänomenen wie Intonation, Blickkontakt usw. aufmerksam.
II.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
355
werden, vielleicht weil «die Behinderung des inhaltlichen Ausdrucksbedürfnisses hier am stärksten und am offensichtlichsten ist» (1983: 79); aber auch die anderen linguistischen Ebenen, vor allem die morphosyntaktische, geben Anlass zu Schwierigkeiten. Umdispositionen (Wahl von Paraphrasen, Aufbau veränderter syntaktischer Strukturen) können dazu führen, dass bereits geplante Elemente unbemerkt bestehen bleiben und in unpassende Kontexte piaziert werden. Häufen sich Realisierungsprobleme, können sie unter Umständen dazu führen, dass die inhaltliche Planung vergessen wird oder nicht geordnet genug durchgeführt werden kann; die Hindernisse auf niedriger Ebene können so dazu beitragen, dass die Organisation des Gesamtbeitrags aus den Fugen gerät. b. Prozedurales
und deklaratives
Wissen
Dechert/Raupach (1985) stellen die Pausenphänomene in Verbindung mit der Unterscheidung von deklarativem und prozeduralem Wissen. Flüssige Passagen werden tendenziell prozedural verarbeitet; gehäufte Pausen und Zögerphänomene weisen darauf hin, dass deklaratives Wissen (bewusst) eingearbeitet wird. Da der Ablauf von Prozeduren nicht bewusst überwacht wird, sind es die Objekte bewusster Verarbeitung, die z.B. in nachträglichen Interviews mit Probanden in den Blick genommen werden. Sie geben Einblick in den Verlauf und die Eingriffspunkte der bewussten Evaluationen (vgl. Möhle/Raupach 1983: 57ff. und öfter). Es finden immer Planungsprozesse statt, nicht nur in den Pausen. Diejenigen, die in Pausenoder Zögerphänomenen zum Ausdruck kommen, sind solche, die nicht automatisch ablaufen und die sprechbegleitend nicht ausreichend abgearbeitet werden können. Es sind die für die Sprechenden subjektiv wohl entscheidenden. Wiese (1984: 17, 22) stellt dazu fest, dass die konzeptuelle Planung sprachunabhängig sei, das heisst sowohl im Mutter- wie im Fremdsprachgebrauch auf dieselbe Weise vor sich gehe. Es wären danach allein die sprachlichen Aspekte und die darauf sich ergebenden Konsequenzen, welche die Unterschiede zwischen mutter- und fremdsprachlichem Sprechen ausmachen1. Die zusätzlich benötigte Planungszeit wäre damit ein Indiz für die intensive Wirksamkeit von sprachlichen Such- und Kontrollmechanismen. c.
Planungstypen
Möhle/Raupach (1983: 93ff.) unterscheiden fünf typische Vorgehensweisen bei der Sprachproduktion; sie kennzeichnen weniger individuelles Vorgehen als vielmehr Strategien der Planung unter verschiedenen Umständen: - Das vollständige Durchplanen längerer, ganze Sinneinheiten umfassender Äusserungen; 1
Diese Aussage stimmt - in bezug auf das Sprechen - in den Grundzügen mit der oben von Cumming gemachten überein, dass Schreib- und Sprachkompetenz unabhängige Grössen seien. Vgl. Möhle/Raupach 1983:150f., Möhle 1984.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
- Sukzessives Planen in Schritten, von Syntagma zu Syntagma; - Planen bis zu einer Schwierigkeit; -
Wort-für-Wort-Planung;
- Entwickelndes Planen. Der erste und zweite Typ sind übliche Verfahren in der muttersprachlichen, aber auch fortgeschrittenen fremdsprachlichen Produktion. Der dritte Typus differenziert Mutter- und Fremdsprachler: Erstere planen und versprachlichen bis zur nächsten konzeptuellen Schwierigkeit, letztere werden auf dem Wege dorthin oft durch sprachliche Schwierigkeiten gezwungen, abzubrechen und neu zu planen. Der vierte Typ findet sich fast ausschliesslich in der fremdsprachlichen Produktion, der fünfte ist recht selten, er besteht darin, dass ein Aussagekern in wiederholten Anläufen zu einer kompletten Äusserung erweitert wird1. Insgesamt lässt sich sagen, dass Pausen und Zögerphänomene unabdingbar zum Sprechen gehören. Es gibt keinen völlig automatischen, unproblematischen Sprachgebrauch. Flüssiges Sprechen zeichnet sich nicht durch das Fehlen von solchen Phänomenen aus, sondern durch die Fähigkeit des Sprechenden, seine konzeptuellen und sprachlichen Entscheidungen zu treffen, ohne zu viele zu lange Pausen in Anspruch zu nehmen (Raupach 1980:268). 2.4 Sprachproduktion im fremdsprachlichen Schreiben In den Studien, die in den Ausführungen zum Schreibprozess referiert wurden, steht die Frage im Vordergrund, wie Fremdsprachige die textbezogenen Strategien des Situierens, Planens und Überarbeitens einsetzen, nicht die, welche sprachlichen Probleme sich ihnen bei dieser Arbeit stellen in dem Moment, wo sie versuchen, ihre Gedanken in der fremden Sprache auszudrücken. Dieser Aspekt ist noch wenig untersucht worden. Ihm gehen einige jüngere Studien nach; vornehmlich solche, die sich mit dem Übersetzen beschäftigen. Einige wenige haben allerdings auch das freie Schreiben zum Thema, so Krings (1986b, 1989) und Königs (1988). In Krings' erster Studie schreiben vier fortgeschrittene Französischlerner (Romanistikstudentinnen und -Studenten mit Frankreicherfahrung) einen 1
Die Frage nach der psycholinguistischen Planungseinheit scheint unbeantwortbar. Planung scheint auf jeder Ebene stattfinden resp. jede Ebene betreffen zu können (Dechen 1980: 271). Anderson (1981) stellt im Hinblick auf Einzelkonzepte, Propositionen und Schemata eine gewisse psychologische Strukturidentität fest, damit auch eine gewisse psychologische Irrelevanz der Frage nach 'der* Einheit des Planens (vgl. ebenso Graesser/Robertson/Claik 1983). Dem entsprechen die empirischen Untersuchungen. Diese haben neben den Pausen und Zögerphänomenen inneifialb von Sätzen und Syntagmen solche an Übergangsstellen zwischen Sätzen aufgewiesen wie auch relativ ausgedehnte, mehrere Sätze umfassende zyklische Muster von abwechselnd zögernden und flüssigen Phasen der Sprachproduktion (Beattie 1980). Diese letzteren scheinen auch stark mit dem Blickveihalten von Sprechenden gekoppelt zu sein. Das Vorliegen solcher grosser Zyklen deutet darauf hin, dass in Pausen nicht nur die jeweils unmittelbar anstehende Sprecheinheit geplant wird, sondern auch übergreifende Vorbereitungen getätigt weiden (vgl. Möhle/Raupach 1983:93).
Π.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
357
Bewerbungsbrief1. Im zweiten Aufsatz wird auf eine weitere Studie hingewiesen, in der den Teilnehmern die Aufgabe gestellt wurde, Bildgeschichten zu versprachlichen, und zwar sowohl schriftlich wie mündlich, in der Muttersprache wie in der ersten und zweiten Fremdsprache. Die Produktionsprozesse beim Schreiben wurden mit Hilfe der Methode des lauten Denkens zugänglich gemacht, die in einzelnen Aspekten eine detailliertere Einsicht in die Dynamik des Umgangs mit der fremden Sprache ermöglicht als die Beobachtung der temporalen Variablen im Sprechen2. Die Verbalisierungen der Versuchspersonen bei der Aufgabe waren, erwartbarerweise, fast ausschliesslich problembezogen. Zur Struktur dessen, wie sich den Schreibenden bei ihrer Arbeit ihre Schwierigkeiten präsentieren, bemerkt Krings, dass diese nicht durchgängig einzelnen, gegeneinander abgegrenzten und an konkreten sprachlichen Einheiten festzumachenden Problemen zugeordnet werden können. Charakteristisch für die LD-Daten [sc.: Lautes Denken] zu den Textproduktionsprozessen ist vielmehr eine Doppelstruktur. Auf der einen Seite stehen inhaltliche Planungsprobleme, die hierarchisch organisiert und auf die sukzessive Herausbildung des Textes ausgerichtet sind. Auf der anderen Seite stehen rein sprachliche Realisierungsprobleme, die im Gegensatz zu den erstgenannten an ganz konkreten muttersprachlichen oderfremdsprachlichenEinheiten festgemacht werden können. (Krings 1986b: 262)
Die hierarchische, inhaltliche Planung geschieht oft so, dass in einer zusammenfassenden Charakterisierung die Aufgabe der anstehenden Formulierung festgehalten wird. Sie bezieht sich in vielen Fällen auf konzeptuelle Einheiten, die sich in der Realisierung als satzwertige Gebilde erweisen. So sagt ein Schreiber schon in der Planungsphase über den Anfang des Briefes folgendes: also ich würd normalerweise anfangen indem ich jetzt schreibe, wo ich die Anzeige gelesen habe mit was weiss ich in der Zeit vom soundsovielten habe ich Ihre Anzeige und so weiter weil das einfach als Anknüpfungspunkt ne (Krings 1986b: 262)
Hier ist sichtbar, wie von der Zielnennung (schreiben, wo ich die Anzeige gelesen habe) bereits zur sprachlichen Ausgestaltung des Satzes übergegangen wird. Dieser Vorgang wird zugunsten weiterer Planung abgebrochen, aber mit dem Einsetzen der Vertextung wieder aufgenommen. Im weiteren Verlauf wird diese Vorgabe nun sukzessiv abgearbeitet, und zwar weitgehend 'von links nach rechts'. Das heisst, dass das Konzept 'schreiben, wo ich die Anzeige gelesen habe* in ein propositionales Format überführt wird und die notwendig werdenden Satzgliedstellen aufgefüllt 1
2
Vorgegeben wurde eine Anzeige aus der "Zeit", in der von einer französischen Familie ein Student gesucht wurde, der für ein halbes Jahr den Kindern des Hauses bei der Vorbereitung auf eine Deutschprüfung helfen sollte und dafür bei der Familie wohnen konnte. Die Studenten erfuhren erst nach Abschluss der Arbeit, dass die Anzeige fingiert war. Krings (1986b: 258) begründet die Notwendigkeit introspektiver Daten mit der «Produkt-Prozess-Ambiguität», der Schwierigkeit oder letztlich der Unmöglichkeit, aufgrund von Eigenschaften des Produkts auf Eigenschaften des Prozesses zurückzuschliessen. Eine Beobachtung der Pausen allein wäre im Schreiben nicht sehr aussagekräftig. Vgl. Möhle/Raupach 1983.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
werden (natürlich mit der Möglichkeit von Rückgriffen und Neuansätzen, in denen neues Material vor bereits geplante und realisierte Stellen eingefügt wird). So beginnt der Vertextungsvorgang folgendermassen (es werden nur die Elemente des Protokolls wiedergegeben, die in den intendierten Satz gehören): wo ich die Anzeige gelesen habe in der Zeit vom soundsovielten zufällig habe ich Ihre Anzeige ich habe Ihre Anzeige per accident par accident par hasard (nach Nachschlagen im Wörterbuch) j'ai lu
(NachKrings 1986b: 263f.)1
In diesen Prozess werden auch konkurrierende Versionen aufgerufen. So ist offenbar eine Entscheidung nötig zwischen einer Version mit und ohne 'zufällig'. Sehr rasch wird dann auch die Fremdsprache zum Problem. Hier muss der Schreibende das erste Wort seines Textes, 'par hasard', im Wörterbuch suchen, weil ihm das erste Äquivalent, das ihm in den Sinn kommt, nicht genügt. Das Beispiel zeigt einige der Merkmale auf, welche die Planungs- und Realisierungsarbeit im fremdsprachlichen Schreiben durchgängig prägen. Krings unterscheidet aufgrund der Protokolldaten 14 unterschiedliche Prozessschritte (Teilprozesse): 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.
Planungsprobleme identifizieren Globalpläne generieren Feinpläne generieren Feinplänerealisierenin LI Feinplänerealisierenin L2 Pläne organisieren Pläne evaluieren über Pläne entscheiden die Planausführung überwachen Pläne revidieren L2-Probleme identifizieren L2-Problemlösungsstrategien aktivieren Problemlösungen evaluieren über L2-Problemlösungen entscheiden (Krings 1989: 397)
Schritte 1-10 betreffen den Schreibprozess, wie er auch (mit Ausnahme von Schritt 5) in der Muttersprache beobachtbar ist; die Schritte 10-14 beziehen sich auf die spezifischen Probleme, denen die Schreibenden bei der Umsetzung ihrer textgerichteten Pläne in die Fremdsprache begegnen2. 1 2
Zum ersten Satz des Textes sind 25 solcher minimaler Planungs- und Umsetzungsschritte aufgeführt. Krings macht darauf aufmerksam, dass Teilprozesse, wie sie in den Protokollen aufscheinen, «weder quantitativ noch qualitativ als direkte Widerspiegelungen psycholinguistischer Planungseinheiten gelten können». Sie könnten aber, wenn nicht als
Π.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
359
2.4.1 Die Planungs- und Vertextungsschritte Krings erläutert die Teilprozesse 1-10 vor dem Hintergrund der Modells von Hayes und Flower. Teilprozess 1 entspricht in deren Terminologie der Zielplanung; diese wird hier aber weiter gefasst: nicht nur der Text als ganzer, sondern auch Teilprobleme werden von den Schreibenden in den Protokollen häufig explizit als problematische identifiziert und damit situiert. 2 und 3 entsprechen dem Ideen-Sammeln, 4 und 5 dem Versprachlichen. Der Unterschied zwischen dem inhaltlichen, konzeptuellen Planen (Schritte 2,3) und dem formulierenden Versprachlichen (4,5) lässt sich auch in den Protokolldaten deutlich festmachen: Denn während die letztgenannten so veibalisieit werden, wie sie in den Text ohne weitere Anpassung einsetzbar wären, haben die erstgenannten den Charakter von brain-storming-Resultatcn, die als erstes sprachliches Zwischenergebnis des Planungsprozesses fixiert weiden, um dem eigentlichen textuellen Formulierungsprozess als Input zu dienen. [...] An dieser Stelle, die relativ früh im Textproduktionsprozess liegt, generiert die Versuchsperson einen ganzen Schub von inhaltlichen Planungen, von denen im weiteren Verlauf nur Teile tatsächlich realisiert werden. Dass-SatzStrukturen, Abtönungspartikel und Gliederungssignale, Passepartout-Wörter usw. signalisieren eindeutig, dass es sich hier noch nicht um konkrete textuelle Realisierungsversuche handelt, wie es hingegen in den folgenden Textpassagen der Fall ist: (9) jetz fang ich also ers mal wirklich an mit eh je m 'intfresse beaucoup. (Krings 1989:400f.)
Pläne müssen organisiert (6) und und schliesslich evaluiert werden (7). Evaluationen scheinen meist in negativer Form aufzutreten, das heisst die Versuchspersonen signalisieren ihre Unzufriedenheit mit einer Planrealisierung, meist in einer nicht näher spezifizierten Form: (13) also das hier gefällt mir überhaupt nich ne reste [... ] le reste de la semaine je reste das is irgendwie unheimlich mies. (Krings 1989:402)
Negative Evaluationen haben nicht zwangsläufig eine Revision zur Folge. Die als unbefriedigend eingestuften Planungs- oder Textelemente können (vorläufig oder endgültig) stehen gelassen werden. Solche Entscheidungen werden zum Teil explizit kommentiert. Subprozess 9 betrifft das eigentliche Überwachen von Planausführungen, vor allem den Vergleich von Istmit vorgegebenen Soll-Werten. Teilprozess 10 entspricht dem Edieren bei Flower/ Hayes. Insgesamt entfalten Kategorien 7-10 verschiedene Aspekte der im Schreiben wirksamen Kontrollprozesse. 2.4.2 Fremdsprachliche Realisierungsprobleme Zu den fremdsprachlichen Realisierungsproblemen merkt Krings an, dass sie «unmittelbar aus der unvollständigen Beherrschung der Fremdsprache resultieren» (1986b: 264). Sie sind von den normalen sprachlichen Realisierungsproblemen, wie sie in jedem Schreibprozess auftreten, qualitativ verschieden, da sie im Gegensatz zu diesen nicht direkter, so doch als systematischer Ausdruck der Planungsprozesse der Lerner gelten (Krings 1986b: 264).
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
aus der generellen Schwierigkeit, Gedanken in Sprache zu bringen, sondern unmittelbar aus fremdsprachlichen Wissensdefiziten resultieren. (Krings 1989: 397f.)1
Solche Probleme sind in den Schreibprozess eingelassen, sie provozieren kürzere oder längere Sequenzen von spezifisch sprachgerichteten Problemlösungsversuchen. Die weitaus grösste Gruppe besteht aus solchen Problemen, in denen eine fest konzeptualisierte Einheit in der Muttersprache, nicht aber in der Fremdsprache aktiviert werden kann. (Krings 1989: 415)
Sie umfasst in Krings' Daten knapp die Hälfte aller Problemfälle (44%). Wenn ein fremdsprachliches Äquivalent für eine definiertes Konzept fehlt, so heisst dies nicht notwendigerweise, dass es nicht bekannt ist (wie sich z.B. beim Nachschlagen im Wörterbuch zeigen kann), es wird jedoch aufgrund der vorgenommenen Konzeptualisierung nicht aufgefunden. Im Rahmen einer fremdsprachlichen Textproduktionsaufgabe, in der idealiter 'in der Fremdsprache gedacht' werden sollte, können all diese Fälle als Nachweis muttersprachlicher Ausdrucksbedürfnisse gelten, deren Umsetzung in die Fremdsprache nicht spontan möglich ist, das heisst der hohe Grad an Spontaneität muttersprachlicher Konzeptualisierungen wirkt auch bei fortgeschrittenen Lemem stark in die schriftliche Textproduktion hinein. (Krings 1986b: 270)
Eine zweite Gruppe lexikalischer Probleme besteht aus fremdsprachlichen Wörtern, die spontan oder übers Wörterbuch gewonnen werden können, in bezug auf die die Schreibenden jedoch unsicher sind, ob sie die ihnen zugedachte Rolle übernehmen können. Auch hier scheint der Ausgangspunkt der Suche meist ein muttersprachiger Ausdruck zu sein. Schliesslich gibt es Unsicherheiten darüber, ob ein (meist erschlossenes) Wort ein Wort der französischen Sprache ist. Auf einige Aspekte der hier angesprochenen Äquivalenzproblematik wird im nächsten Punkt näher einzugehen sein. Etwa 40% aller fremdsprachlichen Probleme betreffen in Krings' Korpus verschiedenste andere Probleme: orthographische, morphosyntaktische und pragmatische. Wichtig sind auch Kollokationsprobleme, das heisst Unsicherheiten über Form und semantischen Wert von Wendungen oder das (zulässige bzw. erforderte) Miteinander-Vorkommen von Wörtern. Insgesamt geht es hier um Schwierigkeiten, die ein ausgesprochen breites Spektrum unterschiedlicher Problemtypen umfassen, wie folgende Auswahl aus den in den Daten belegten Fällen zeigt: - Schreibt man soupe mit einem oder mit zwei P? - Wie heisst der Plural von wagon-restauranfl - Welches Genus hat sourisl - Kann man mettre des bornes auch ohne Dativergänzung gebrauchen? - Ist der Infinitivanschluss mit que de in n'avait pas d'autre solution que de richtig? - Muss in Aufzählungen im Plural der unbestimmte Artikel stehen, z.B. in fleurs, cendriers et nappes disparurent des tables'? 1
In der Muttersprache treten vorwiegend Probleme auf der Ebene der Orthographie, Interpunktion usw. auf, selten die für Fremdsprachler typischen Unsicherheiten auf höherer Ebene (Wortfindungsprobleme, Unsicherheit über Kollokationen und das syntaktische Vertialten von Wörtern usw.) (Krings 1989: 398).
Π.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion -
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Was bedeutet 6rafter! Gibt es im Französischen ein Wort hallucination7 Kann carime auch übertragen im Sinne von 'Durststrecke' gebraucht werden? Kann se mettre en route mit train als Subjekt verbunden werden? ist encore un fois plus de gaz trotz der Ellipse ein akzeptabler Satz? Sind im technischen Register der Funksprache im Französischen Verbellipsen von der Art centrale au conducteur möglich? (Klings 1987: 88)
Im fremdsprachlichen Schreiben ist, im Unterschied zum Sprechen, eine Auseinandersetzung mit diesen Problemen besser möglich, das heisst ein Eingehen auf das Mikro-Niveau der sprachlichen Fassung von Gedanken und die dabei auftretenden Turbulenzen. Es werden hier, wie die Beispiele zeigen, im Vordergrund sprachsystematische und normative Regelungen stehen, denen noch nicht (wie weitgehend in der Muttersprache) fraglos entsprochen werden kann1. Wichtig an all diesen Problemen ist, dass sie die subjektiv als solche erfahrenen Schreibschwierigkeiten erfassen und jedes einzelne ein «als solches von den Lernern wahrgenommenes fremdsprachliches Wissensdefizit darstellt»2, das im Schreiben oft nicht gelöst wird, aber eine Auseinandersetzung verlangt, die vielleicht nicht ohne Folgen bleibt. Es kommen hier «singulare Koordinaten» (Krings 1989: 416) im jeweiligen lernersprachlichen System zum Vorschein, die sich dem Lernenden selbst als problematisch aufdrängen. Diese Probleme haben nur schwachen Zusammenhang mit auftretenden Fehlern, es «sind sowohl Fehler ohne Probleme wie Probleme ohne Fehler zu beobachten» (ebda.).
1
2
Die Kodierung von Protokollen nach Teilprozessen und deren Korrelierung mit Elementen des Textes erlaubt eine detaillierte Aufbereitung der Daten und eine eingängige Darstellung der Dynamik von Schreibprozessen auf verschiedene Weise: a) Auf Satzebene können Art und Zahl der auf einen Satz gerichteten Teilprozesse und ihre Abfolge in Satzproduktions-Diagrammen aufgezeigt werden. In diesen sind fremdsprachliche Problemlösungen als in den Gesamtprozess eingebettete Subprozesse leicht sichtbar zu machen, b) Ebenfalls auf Satzebene erlauben Planungsdiagramme die einzelnen im Protokoll aufscheinenden Textelemente in ihrer Abfolge zu erfassen. Diese werden meist entlang der intendierten Satzstrukur produziert, häufig in der Umsetzung zuerst muttersprachlich gefasster Ausdrücke in die Fremdsprache, c) In bezug auf den Gesamttext schliesslich zeigt die graphische Aufbereitung der Daten in Satz-Text-Diagrammen die Zuordnung von Teilprozessen und Textelemenlen (Sätzen) auf. In diesen Diagrammen kann kenntlich gemacht werden, wie viele Teilprozesse für jeden Satz verwendet werden mussten (präsumptiv: Wie schwierig die entsprechende Stelle zu vertexten war), an welchen Orten über den aktuellen Satz hinaus 'vorwärts* geplant wurde; wo auf den bereits geschriebenen Text noch einmal eingegangen wurde; wo globale, auf den Gesamttext bezogene Planungen stattfinden; wo Pläne oder Elemente in Betracht gezogen werden, die im fertigen Text gar nicht auftauchen. (Krings 1989:403ff.) Krings 1986b: 273; vgl. 1987: 88f.
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Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
2.4.3 Äquivalentassoziation und Reverbalisierung Krings bezieht seine Beobachtungen über die Rolle lexikalischer Probleme und die von den Schreibenden verwendeten Strategien zu ihrer Lösung selber auf Phänomene, die sich beim Übersetzen, nur dort noch profilierter, nachweisen lassen (vgl. Krings 1986a, 1987, 1988). So identifiziert Krings als grundlegende Vorgehensweise bei der Suche nach dem richtigen fremdsprachlichen Ausdruck die Aktivierung von «primären Äquivalentassoziationen». Führt dies nicht zum Ziel, so legt sich (vor allem in der Übersetzung) der Griff zum Wörterbuch nahe; alternativ wird die Strategie der Reverbalisierung eingesetzt. Unter Äquivalentassoziation versteht Krings die durchgängig zu beobachtende Erscheinung, dass die Suche nach einer adäquaten Übersetzung fast regelmässig mit der Aktivierung spontaner, fest assoziierter Wortpaare beginnt (Krings 1987: 78)
Krings bemerkt, dass solche Assoziationen «aufgrund ihrer Unmittelbarkeit wahrscheinlich an jedem fremdsprachlichen Produktionsprozess beteiligt» sind (ebda.: 79). Sie stellten Ausgangshypothesen dar, die oftmals nachträglich problematisiert würden, deren Fehlen jedoch fast stets ein fremdsprachliches Ausdrucksproblem nach sich ziehe. Er vermutet, dass es sich hier um einen «Grundzug der mentalen Organisation des fremdsprachlichen Lexikons» handelt. Dieses sei eng an das muttersprachliche gekoppelt (Krings 1988: 20; vgl. Channeil 1989). Ebenso nimmt er an, dass nicht das (unvermeidliche) Vorhandensein solcher Äquivalentassoziationen, sondern ihre ungenügende Zahl und Differenziertheit Schwierigkeiten verursacht, verbunden damit auch die häufige Unfähigkeit, die Adäquatheit fremdsprachlicher Ausdrücke zu beurteilen1. Was das Wörterbuch betrifft, so wurde es von Krings' Lemern bevorzugt zur Problemlösung herbeigezogen2. Wie in den Übersetzungen setzten die Studenten auch im Schreiben das zweisprachige Wörterbuch als eine Art von Universalnachschlagewerk auch zur Suche solcher Informationen ein, die schneller oder überhaupt nur in anderen, spezielleren Nachschlagewerken gefunden werden können. [...] Die Benutzung des zweisprachigen Wörterbuchs, insbesondere im Rahmen des häufigsten Problemtyps ('nicht wissen, was X in der jeweiligen Fremdsprache heisst') führt dabei nur ausnahmsweise zu einer unmittelbaren Lösung der Probleme. Da in den Wörterbüchern meistens mehrere potentielle Äquivalente angegeben sind, tritt häufig ein Auswahl1
2
So stehen Krings* Versuchspersonen offenbar zu wenige solcher Assoziationen zur Verfügung, zu wenig höherrangige (das heisst nicht nur Einzelwörter, sondern mehrgliedrige Ausdrücke betreffende) und zu wenig mehrgliedrige (das heisst solche, die ein Wort der Ausgangssprache mit mehreren möglichen Äquivalenten der Zielsprache verbinden) (Krings 1987: 80). Krings gibt an, das beim Bewerbungsschreiben bei ca. 40% und in der Nacherzählung von Bildgeschichten sogar bei 75% der Lösungsversuche das (zweisprachige) Wörterbuch beteiligt war (Krings 1989: 419). In Königs' Untersuchung wurde das Wörterbuch in den Übersetzungsaufgaben signifikant intensiver benutzt als im freien Schreiben, was daraufhindeutet, dass diese Aufgaben unter unterschiedlichen Einstellungen in Angriff genommen werden (Königs 1988).
II.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
363
problem auf. Die Art, wie die Lemer solche Auswahlprobleme lösen, hat selbst wiederum Strategiecharakter. (Klings 1989:419)
Ausgangspunkt einer solchen Strategie sind die erläuternden (wiederum ausgangssprachlichen) Glossen im Wörterbuch, welche die aufgeführten fremdsprachlichen Äquivalente differenzieren. Diese werden daraufhin geprüft, wie weit sie im gegebenen Kontext als Ersatz für den der Suche zugrundegelegten Begriff verwendbar wären. Damit treten bereits Reverbalisierungen, also Umformulierungen des Ausdrucks, von dem her die Suche begonnen hat, ins Spiel. Reverbalisierungsstrategien werden angewendet, wenn Äquivalentassoziationen nicht gefunden werden können oder (direkt produzierte oder im Wörterbuch aufgefundene) als unpassend erkannt werden (vgl. Klings 1968a: 268). Es werden dann in der Muttersprache alternative Ausdrücke generiert, zu denen akzeptable fremdsprachliche Assoziationen aktiviert werden können1. Es scheint nun, dass Reverbalisierungen «fast ausnahmslos über die Ausgangssprache, also die Muttersprache der Versuchpersonen, und nicht über die Zielsprache [...] ablaufen» (Krings 1987: 81). Es ist demnach die auf der vollen Native-speaker-Kompetenz der Versuchspersonen basierende muttersprachliche Reverbalisierungsfähigkeit, auf die die Äquivalentfindung aufbaut. (Krings 1987: 82) 2
Selbst bei weit fortgeschrittenen Lernern scheint eine solche Reverbalisierungskompetenz in der Fremdsprache nicht oder nur beschränkt vorhanden zu sein; die Muttersprache fungiert «als Steuerungsinstanz für den Problemlöseprozess» (Krings 1989: 419)3. Dieses Ergebnis wird weitgehend bestätigt von Königs (1988), wiewohl mit einigen relevanten Relativierungen. Königs liess seine Versuchspersonen - vier fortgeschrittene Spanischstudenten - im Abstand von zwei Wochen zu Bildern von München einen kurzen Text schreiben, wie er in einem Reiseprospekt stehen könnte, sowie eine Übersetzung eines kurzen 1
2
3
Diese Ausdrücke müssen kontextuell gangbar sein; eine semantische Synonymie ist nicht erforderlich. Dies gilt fürs Schreiben, und beim Übersetzen nicht nur fürs Herübersetzen, sondern auch fürs Hinübersetzen. Die beiden Übersetzungsarten stehen demnach, psycholinguistisch gesehen, nicht in symmetrischer Beziehung zueinander. Man kann die von den Schreibenden eingesetzten Problemlösungen als Bewältigungsbzw. Vermeidungsstrategien klassifizieren, je nachdem, ob sie dazu führen, dass das Ausdrucksproblem gelöst wird oder nicht. Krings scheint (1989: 420) den Verzicht auf eine erwogene fremdsprachliche Lösung, die als unsicher erscheint oder deren Akzeptanz nicht eingeschätzt werden kann, als eine Vermeidungsstrategie zu betrachten auch dann, wenn die Aussageintention nicht aufgegeben wird, sondern durch Reverbalisierung neue Ausdrucksmöglichkeiten gesucht werden. Diese Einschätzung scheint mir fragwürdig. Als Vermeidungsstragie lässt sich dieses Vorgehen nur bezeichnen im Hinblick auf die zunächst involvierten fremdsprachlichen Mittel (es wird darauf verzichtet, bestimmte Äquivalente zu finden bzw. zu gebrauchen), nicht jedoch auf die grundlegendere Absicht des Ausdrucks einer bestimmten Intention: diese kann durchaus erfüllt werden.
364
Teil II: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
Textes aus einem Reiseprospekt anfertigen. Auch hier wurde die Methode lauten Denkens verwendet. Untersucht wurden die Protokolle nur im Hinblick auf das lexikalische Suchverhalten. Königs bezeichnet alles, was sofort in die Fremdsprache gesetzt werden kann, als 'Adhoc-Block'. Es ist der Rest, der Probleme aufgibt und Gegenstand der mehr oder weniger entwickelten Ausführungen wird, die in den Protokollen lauten Denkens aufscheinen. In gewissem Gegensatz zu Krings stellt er fest, dass auch die Suche nach Wörtern auf fremdsprachlicher Basis verlaufen kann. In einem Fall sucht ein Schreiber offenbar ein spanisches Wort für 'die Münchner'. Dieser deutsche Ausdruck scheint jedoch nirgends im Protokoll auf, vielmehr geht der Suchvorgang aus von einem zielsprachlichen Analogon des gesuchten Wortes, nämlich 'madrileflo', und endet mit der Umschreibung 'gente de Munich'. An einem anderen Punkt wird für das Wort 'Mass (Bier)' das ganze dem Schreibenden bekannte Wortfeld spanischer Ausdrücke für Trinkgefässe und Masseinheiten (für Wein) abgesucht (Königs 1988: 106f.). In anderen Fällen werden hochkomplexe Such- und Kontrolloperationen unternommen, in die beide Sprachen einbezogen werden und die es schwierig machen, einen eindeutigen Ausgangspunkt für die Suche nach dem angezielten Ausdruck zu benennen. Es gibt demnach Passagen, in denen zur Problemlösung die Muttersprache gar nicht oder zumindest nicht sichtbar herangezogen wird, ferner solche, in denen man das durchaus sehen kann, und schliesslich solche, in denen beide Sprachen systematisch miteinander konfrontiert werden. (Königs 1988:109)1
2.4.4 Zum Stellenwert der Muttersprache Die referierten Studien stellen die Rolle heraus, welche der Muttersprache im fremdsprachlichen Sich-Äussern zukommt - eine Rolle, die im Schreiben besonders deutlich sichtbar gemacht werden kann, die aber auch im Sprechen kaum weniger vorhanden sein dürfte. Allerdings können sich dort jene Strategien intensiver innersprachlicher und sprachübergreifender Suche nach Ausdruckmöglichkeiten nicht entfalten, welche die Auseinandersetzung mit fremdsprachlichen Problemen im Schreiben prägen. In Krings' Protokollen sind sämtliche Plan generierungen in der Muttersprache gehalten2. Dies kann zum Teil als Artefakt der Methode interpretiert werden: Kognitive Aktivitäten, die sich sonst nicht äusserlich verbal manifestieren, müssen versprachlicht werden. Dass dabei die Muttersprache einspringt, die zumindest unterschwellig an Denkvorgängen wohl fast 1
2
Analoge Schlüsse wie die hier aus Studien zum Schreiben gewonnenen scheinen auch neuere Untersuchungen zur mündlichen Textproduktion zu erlauben. Vgl. Möhle/Raupach 1989. «Eine quantitative Auswertung ergab hier, dass bei allen vier Versuchspersonen durchschnittlich 40,6% aller rekonstruierten Planungselemente muttersprachlich waren, eine Zahl, die im Rahmen einer rein fremdsprachlichen Textproduktionsaufgabe sicherlich als unmittelbarer Ausdruck der grossen Rolle der Muttersprache im Planungsprozess gewertet werden kann.» (Krings 1986b: 267; vgl. 1989:422.)
Π.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
365
immer beteiligt ist, ist nicht erstaunlich. Interessant ist, dass auch sehr viele Plan realisierungen zunächst in der Muttersprache erfolgen. Das heisst dass die Formulierung von Elementen, die als Textelemente intendiert sind, in fast der Hälfte der Fälle zunächst muttersprachlich geschieht. Aus solchen Beobachtungen zum lexikalischen Suchverhalten lässt sich schliessen, dass im fremdsprachlichen Schreiben so lange direkt die Fremdsprache eingesetzt wird, als dies möglich ist. Wie weit dabei die fremdsprachlichen Bestände unmittelbar durch die konzeptuellen Strukturen angesprochen werden und wie weit sie durch eine untergründige, aber nicht verbalisierte Aktivierung muttersprachlicher Elemente und damit verbundene Äquivalentassoziationen aufgerufen werden, ist aufgrund der vorliegenden Daten kaum auszumachen; man kann annehmen, dass beides eine Rolle spielt1. In diesem Prozess tendieren die schneller aktivierbaren Realisierungen dazu, sich ausdrücklich merkbar zu machen, und dies sind die muttersprachlichen Ausdrücke für Plankonzepte, die nicht sofort fremdsprachlich gefasst werden können. In den Protokollen wird deutlich, «wie sich Ll-Versprachlichungen aufgrund ihres hohen Automatisierungsgrades immer wieder in den L2-Textproduktionsprozess einschieben» (Klings 1989: 423). Es ist dies ein durch die kognitiven Mechanismen, das heisst «durch die Planungsstruktur selbst induziertes Einbrechen der Muttersprache in die Steuerung des Textproduktionsprozesses» (ebda.: 422). Das heisst die Muttersprache liefert dort, wo die fremdsprachlichen Bestände nicht spontan angesprochen werden können, die lexikalischen Anhaltspunkte, von denen die nun bewusst unternommene Suche nach fremdsprachlichen Äquivalenten ausgehen kann2. Dies ist die Regel, jedoch nicht notwendig der Fall, wie Königs' Beobachtungen zeigen. Es scheint Gelegenheiten zu geben, in denen fremdsprachliche Stützpunkte für eine solche Suche rascher aktiviert werden oder als aussichtsreicher erscheinen. Es steht zu vermuten, dass die Bereiche, in denen direkte fremdsprachliche Produktion möglich ist, sich durch Lernzuwachs rapide vergrössern, dass aber ausserhalb routinemässig ablaufender Kommunikation sich Probleme lange Zeit in hoher Dichte einstellen - so lange, bis die fremdsprachlichen Ausdrucksbedürfnisse in ungefährer Analogie zum muttersprachlich Üblichen abgedeckt werden können. Diese Problemdichte scheint individuell (Klings 1989: 417) und nach Aufgabe stark zu variieren: So schien das 1
2
Aus anekdotischer Evidenz scheint die Möglichkeit direkter Aktivierung durchaus gegeben; sie kann sich schon nach kürzerem Aufenthalt in einer fremdsprachigen Umgebung (oder nach der Lektüre eines fremdsprachigen Werkes) einstellen. Gewisse Wörter und Wendungen in der Fremdsprache werden dann unter geeigneten Umständen schneller aktiviert als die muttersprachlichen. Vor allem fortgeschrittene Lerner sind unter Umständen auch schon im Besitz spezifisch fremdsprachlicher Vokabeln und Aussageweisen, welche in der Muttersprache keine direkte Entsprechung haben (vgl. Klings 1989:423ff.). Vgl. dazu auch Königs 1987: 53f., der die Muttersprache als «Medium, um die Fremdsprache zu aktivieren», bezeichnet. Vgl. Möhle 1984: 47; Dechert/Raupach 1985: 252ff.
366
Teil Π: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
Bewerbungsschreiben die Fremdsprachigen vor mehr fremdsprachliche Realisierungsprobleme zu stellen als die Bildgeschichte (ebda.: 417f.). Abschliessend lässt sich sagen: Schreiben zeichnet sich dadurch aus, dass es dichte Rückkoppelungsprozesse in Gang setzt. Diese führen nicht nur zu einer intensiven Aktivierung und Kontrolle von lexikalischen Äquivalenzen, sondern machen auch vielfältige syntaktische, semantische, morphologische usw. Aspekte thematisch, das heisst sie werfen sprachbezogene Fragen auf, die sich aus der Bemühung ergeben, Gedanken in einer adäquaten sprachlichen Form auszudrücken. Da Entscheidungen im Schreiben nicht sofort gefällt werden müssen, auf sie auch wieder ein Zurückkommen möglich ist, ist Probehandeln möglich, das heisst Aufbau von 'Hypothesen' jeglicher Art. Diese werden nicht getestet an den Reaktionen eines direkt antwortenden Gegenübers (dies ist möglich, wenn sich in dieser Arbeit Spuren bilden, die sich beim späteren Antreffen entsprechender Informationen aktivieren lassen), sondern zunächst am Insgesamt dessen, was man schon weiss (zumindest soweit es in der Situation in den Sinn kommt). Das heisst: Was als Resultat erwartbar ist, sind sprachliche Lösungen, die vor dem Hintergrund der angesammelten Kenntnisse als optimal erscheinen. Man kann, vielleicht etwas spekulativ, annehmen, dass damit ein Beitrag geleistet wird zur Integration und Festigung der vorhandenen Kenntnisse, zu einer aufgabenbezogenen Organisation ihrer internen Vernetzungen.
3
Fremdsprachendidaktische Überlegungen
Die in diesem Kapitel vorgebrachten Forschungsergebnisse und Überlegungen sind für die Schreibdidaktik in vielfacher Hinsicht relevant. Da im nächsten Teil verschiedentlich darauf zurückgegriffen werden wird, können die Bemerkungen hier auf einige wenige Hinweise beschränkt werden. 1. Wie zu Beginn von Abschnitt 2 dieses Kapitels schon bemerkt wurde, bestätigen die hier vorgestellten Untersuchungen den Stellenwert der Muttersprache, ebenso die Nowendigkeit der allmählichen Prozeduralisierung und der Integration der fremdsprachlichen Wissensbestände in die fremdsprachliche Kompetenz. Zumindest gilt dies für den Bereich der Produktion. Der Unterricht kann und soll den Lernenden Hilfen geben, mit diesen Rahmenbedingungen der Sprachaneignung fruchtbar umzugehen. Eine Möglichkeit dazu ist, das Schreiben in der richtigen Weise zu fördern. 2. Sprachproduktion ist eingebettet in übergeordnete Handlungen und Handlungsabläufe. Wie im zweiten Abschnitt dieses Kapitels deutlich wurde, unterscheiden sich diese in den Anforderungen, die sie an konzeptuelle Planung und Genauigkeit des sprachlichen Ausdrucks stellen. Mit den Ansprüchen verändern sich die messbaren Parameter der Sprachproduktion deutlich, sowohl in der Mutter- wie in der Fremdsprache. Was in II.2 allgemein für den Bereich der Schriftlichkeit postuliert wurde, scheint sich damit auch unter prozessualer Perspektive zu bestätigen: Zwischen
II.3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
367
dem einfachen dialogischen Sprechen und dem Schreiben relativ schwieriger Texte lässt sich ein Feld von mehr oder weniger auffälligen Übergängen feststellen. Ein klarer Bruch zwischen den Anforderungen an mündliche und an schriftliche Produktion ist nicht festzustellen. Dies gilt besonders in den Fällen, in denen eine gewisse sprachliche Explizitheit und textuelle Kohärenz Voraussetzung dafür ist, dass eine Mitteilung erfolgreich zustande kommen kann. Während im Schreiben und im Sprechen somit die Produktionsanforderungen in manchen Formen des Ausdrucks konvergieren, differieren die Produktionsbedingungen in klar fassbarer Weise. Der im Schreiben eröffnete Sprachzugang ist potentiell reicher an sekundären Prozessen, auch vielfältiger verknüpft mit den Aussageintentionen als etwa im Sprechen; der weitere Zeithorizont erlaubt eine ins Detail gehende Planung und Wahl von Ausdrucksalternativen. Zusammenfassend lässt sich demnach hier wiederholen, was bereits im letzten Kapitel gesagt worden ist: Nicht dem Sprechen und dem Schreiben schlechthin sind Anforderungsprofile zuzuordnen, sondern den verschiedenen Aufgabenstellungen, die sowohl im mündlichen wie im schriftlichen Bereich beträchtlich variieren können. Die Strategien, welche Sprechende und Schreibende anwenden, um mit ihrer Aufgabe zurechtzukommen, weisen grosse Ähnlichkeiten auf. Schriftliche Sprachproduktion lässt diesen allerdings bei weitem mehr Raum, mündliche kann bei komplexeren Aufgaben leicht überfordernd wirken. Das heisst auch: Schreiben ist nicht prinzipiell schwieriger als Sprechen. Es kann, dank der spezifischen Produktionsbedingungen, sogar erleichternd wirken, wenn geschrieben werden kann und nicht gesprochen werden muss. 3. Der Schreibprozess, wie er im ersten Abschnitt dieses Kapitels skizziert worden ist, kann an Komplexität in weiten Grenzen variieren. Wie Cumming deutlich gemacht hat, gibt es (auf den verschiedenen Stufen der Schreibkompetenz unterschiedlich weite) Bereiche schriftlicher Mitteilung, innerhalb derer einigermassen problemlos geschrieben werden kann1. Wo es darum geht, solche Texte zu verfassen, mag von alledem, was oben zum Schreibprozess und seinen Anforderungen gesagt worden ist, kaum etwas als auffällig ins Bewusstsein treten. Es ist jedoch anzunehmen, dass die grundlegenden Bedingungen in jedem formulierenden Schreiben ähnlich sind. Was sich verändert, ist das Ausmass, in dem sich die Fragen der Zielanalyse, der Planung, der Überarbeitung usw. explizit stellen. In analytischer Sicht ist auch das Schreiben einfacher und lairzer Texte ein hochkomplexer Prozess, in dem in nuce vieles von dem angelegt ist, was als schwierig empfundene und ausgedehnte Schreibanlässe auszeichnet - nur werden dort neben den sprachlichen auch zunehmend die konzeptuellen Anforderungen und ihre Bewältigung zum Problem. 1
In Cummings Studie betraf die Aufgabe, einen persönlichen Brief zu schreiben, eine solche von allen am Experiment teilnehmenden Studenten beherrschte Form des Schreibens.
368
Teil II: Das Feld des Schriftlichen und des Schreibens
Für den Unterricht heisst dies, dass auch kleine Schreibanlässe und kurze Texte durchaus valable Ausgangspunkte für die schreibdidaktische Arbeit sein können. Thema der Schreibdidaktik brauchen nicht allein die grossen, beschwerten Textformen zu sein. Die meisten Aspekte am Schreiben lassen sich auch an kurzen, überblickbaren Texten und den Fragen, die sie aufwerfen, fassen. Dies ist wichtig vor allem für eine fremdsprachliche Schreibdidaktik, die nicht allein das Schreiben als Zieltätigkeit vorbereiten will, sondern das Schreiben als Medium des Sprachenlernens und der Unterrichtsorganisation betrachtet. 4. Für die Fremdsprachendidaktik ist zusätzlich der Zusammenhang von Schreibarbeit und Sprachproduktion von Interesse. Die Schreibkompetenz fungiert hier, wie in ΙΠ.2 näher auszuführen sein wird, als eine übergeordnete Matrix, die es erlaubt, eine intensive, durch Kontextualisierung und Feedback gekennzeichnete Spracharbeit zu organisieren und zu unterhalten. In dieser Bindung an die steuernde Instanz von Aussageintentionen ist produktives Schreiben grundverschieden von übendem, reproduzierendem usw. In diesen letzteren Schreibformen fällt der übergeordnete konzeptuelle Rahmen weitgehend dahin. Die Anforderung, Gedanken in Sprache zu fassen, wird ersetzt durch die völlig andersgerichtete, Strukturen zu transformieren (etwa in Grammatikübungen) oder Vorlagen semantisch und syntaktisch zu analysieren, um über die Details einer sprachlichen Struktur entscheiden zu können (etwa im Ausfüllen von Leerstellen in einem Lückentext). Beide Verfahren isolieren die Arbeit an den sprachlichen Formen von der Aufgabe, etwas auszudrücken; sie ersetzen das Formulieren, auch die Chance, durch den sprachlichen Ausdruck neue Gedanken zu fassen, durch semantisch-syntaktische Manipulation. Solche Massnahmen mögen in einzelnen Phasen der Vermittlung von Sprachfertigkeiten nötig sein; sie sind aber weit davon entfernt, Bedingungen zu schaffen, die den Lernenden auch nur annäherungsweise einen Umgang mit der Sprache ermöglichen, wie er im intentionsgeleiteten Sprachgebrauch erfordert ist. Das Schreiben von Übungen und das Schreiben von Texten hat nur ausserlieh Gemeinsamkeiten; eine Schreibdidaktik hat auf die entsprechende Differenzierung ihrer Begriffe Wert zu legen. 5. In der Darstellung des Schreibprozesses wurde grosses Gewicht auf die Feststellung gelegt, dass sich die Gestalt des Schreibprozesses aus den jeweiligen Bedingungen der Problemlösung ergibt. Schreiben ist ein stets komplexer Vorgang, dessen einzelne Momente expandiert und zu selbständigen Teilschritten oder sogar Phasen ausgebaut werden können. Allerdings braucht dies nicht immer in nennenswertem Ausmass der Fall zu sein; vorab als einfach eingeschätzte Aufgaben werden ohne Umschweife, durch einigermassen flüssiges Hinschreiben des Textes, gelöst. Für die Schreibdidaktik ist damit ein wesentlicher Hinweis gegeben. Es genügt nicht, unter Bezugnahme auf die Schreibforschung, das Planen, Schreiben und Überarbeiten als unabänderliche Schritte des Schreibprozesses festzulegen und den Schreibunterricht entsprechend zu gestalten. Es ist nicht so, dass Schreibprozesse aus solchen vorgebbaren Phasen
II. 3 Schreibprozesse und Sprachproduktion
369
'bestehen'. Die Herausstellung der Momente des Planens, Schreibens und Überarbeitens, die im Schreiben jedes Textes eine Rolle spielen, ist eine notwendige didaktische Massnahme; ihr Ziel ist, durch Setzung von Schwerpunkten die unterschiedlichen Ansprüche, Muster, Beurteilungskriterien usw. herauszuheben und zugänglich zu machen, die im Schreiben eine Rolle spielen. Letztlich muss es darum gehen, die Lernenden zu befähigen einzuschätzen, unter welchen Umständen sie welche Schwierigkeiten zu erwarten haben und wie darauf klug zu reagieren wäre. Eine prozessorientierte Didaktik muss mit anderen Worten den Lernenden primär dazu Gelegenheit geben, die wesentlichen Aspekte von Aufgaben zu erkennen und die entsprechenden Konsequenzen den jeweiligen Umständen gemäss selbst zu ziehen. 6. Ebenso muss, der Betonung und Zentralstellung von Textmustern gegenüber, darauf hingewiesen werden, dass Muster in mancher Beziehung aus den Anforderungen von Kommunikations- und Darstellungssituationen abgeleitet werden können1. Schreibdidaktik darf sich nicht in der Vermittlung von Mustern erschöpfen, sondern muss ihre Verknüpfung mit Dimensionen der Mitteilungssituation thematisieren und die Möglichkeiten und Bedingungen ihres Einsatzes durch die Schreibenden selbst thematisieren. Alles, was in diesem Kapitel über Fremdsprachige gesagt worden ist, bezieht sich auf Lerner der Mittel- oder Fortgeschrittenenstufe. Es ist anzunehmen, dass die hier gemachten Aussagen mit den nötigen Anpassungen auch auf die Anfängerstufe anwendbar sind. Auch wenn es in bezug auf diese kaum Untersuchungen gibt, welche direkte Aufschlüsse erlauben, scheint nichts gegen eine derartige Annahme zu sprechen - mit dem Vorbehalt freilich, dass die Möglichkeiten des Ausdrucks zwangsläufig um so enger werden, je restringierter die zur Verfügung stehende Sprachkompetenz ist. Davon, dass in diesem Bereich im Verlauf des Aufbaus fremdsprachlicher Kompetenz keine entscheidenden Brüche auftreten, wird im folgenden ausgegangen.
1
Vgl. den entsprechenden Hinweis in 1.3 und unten, ΠΙ.3/3.4
TEIL III GRUNDZÜGE EINER FREMDSPRACHLICHEN SCHREIBDIDAKTIK
In den folgenden Kapiteln werden Grundzüge der fremdsprachlichen Schreibdidaktik skizziert. Vorab wird es dabei um drei Problemkreise gehen: um den Ausgangspunkt der Schreibdidaktik, um die hauptsächlichen Kriterien, nach denen schreibdidaktische Entscheidungen zu treffen bzw. zu beurteilen sind, und um die Bereiche der Schreibdidaktik sowie die Möglichkeiten und Formen didaktischer Eingriffe in die Schreibarbeit. In den bisherigen Ausführungen wurde bereits eine Vielzahl von Fragen abgehandelt, die direkt oder indirekt für die folgenden Erörterungen von Belang sind. Auf sie wird im folgenden wenig und meist nur summarisch verwiesen. Es erscheint deshalb angebracht, hier stichwortartig die wichtigsten der Gesichtspunkte zu wiederholen, die sich aus den Diskussionen von Teil I und Teil II ergeben haben und die Ansprüche vorgeben, denen eine Schreibdidaktik zu genügen hat: 1. Die Schreibdidaktik hat einen Sprachgebrauch zu fördern, der sekundäre Prozesse, die Überformung von fremdsprachlichen Äusserungen aufgrund aller zur Verfügung stehender Ressourcen und damit intensive Beschäftigung mit der Sprache verlangt. Zugleich darf diese Zuwendung zu Fragen der sprachlichen Form nicht isoliert erfolgen, sondern muss sich ergeben aus der Aufgabe, sich zu äussern, das heisst aus den Anforderungen kommunikativen, gerichteten Ausdrucks. Diese Grundforderung ergibt sich aus der Auseinandersetzung mit den erwerbstheoretischen Positionen in Teil I. Sie widerspricht in vielem den hergebrachten Gepflogenheiten fremdsprachlicher Schreibdidaktik, die sowohl das Sich-Äussern wie die Gerich tetheit von schriftlichen Äusserungen nur unvollständig zum Thema gemacht hat. (Siehe dazu vor allem Kapitel ΠΙ.1.) 2. Schreiben ist in der Fremdsprache nicht nur ein (oft nicht sehr zentrales) Lernziel, sondern auch ein Lernmedium, das eine Rolle für den Lernprozess selbst spielt. Wird das Schreiben in dieser Funktion ernst genommen, so muss eine Schreibdidaktik ihre Beziehung zu den anderen Bereichen des Unterrichts zu formulieren versuchen. Im Vordergrund steht hier, wie es mit dem Sprachlernen im allgemeinen und vor allem mit dem (monologischen) Sprechen zusammenhängt und was es zur Entwicklung der entsprechenden Fertigkeiten beitragen könnte. Diese Zusammenhänge sind in der Schreibdidaktik nur vereinzelt angesprochen1, aber nie expliziert worden. (Die wesentlichen Grundlagen hierzu wurden bereits in 1.4 und II.2 besprochen; auf didaktische Fragen wird vor allem in III.2/2 und ΙΠ.5 eingegangen.) 1
Etwa von Stein 1975; Mayer 1985: 66; Bohn 1986: 55.
372
Teil ΙΠ: Gründzüge einer fremdsprachlichen Schieibdidaktik
3. Schreiben ist nicht einfach ein Niederschreiben von Vorgegebenem. Texte sind Produkte von hochkomplexen (wenn auch nicht unbedingt als sonderlich schwierig empfundenen) Prozessen, in denen Intentionen, situative Bedingungen, Schreibziele sowie verschiedene Ressourcen (Sprachkompetenz, Textkompetenz, Kenntnisse) aufeinander abgestimmt und zur Lösung der Aufgabe eingesetzt werden. Schreiben ist ein Problemlösungsprozess. Eine Schreibdidaktik muss didaktische Eingriffe entsprechend ansetzen. Vor allem hat sie sich immer wieder kritisch zu fragen, welche ihrer Verfahren dem spezifischen Problemlösungscharakter des Sich-Äusserns gerecht werden und welche der Vermittlung isolierter Einzelkenntnisse dienen. Eine Schreibdidaktik wird auf beide Formen von Verfahren zurückgreifen müssen; ihre Eigenart als Schreibdidaktik kann sie aber nur zum Ausdruck bringen dadurch, dass sie sich klar als Didaktik des produktiven Sprachgebrauchs definiert. Damit ist die didaktische Kernfrage formuliert. (Siehe dazu ΠΙ.1, ΠΙ.2/2.) 4. Schreiben ist, anders als dies die hergebrachte Schreibdidaktik meist verstanden hat, kein notwendig einsames Tun, das nur vorgängig (durch Übungen) und nachträglich (durch Korrekturen) thematisch zu machen und im übrigen ein kaum aufzuschlüsselndes Ereignis ist. Schreiben als Prozess ist offen für die verschiedensten Formen der Kooperation und der didaktischen Einflussnahme. Ebenso ist das Produkt des Schreibens, der Text, seiner Konstitution nach mehr und etwas anderes als das Substrat für eine Korrektur, nämlich eine Mitteilung. An diese beiden in den meisten schreibdidaktischen Ansätzen viel zuwenig beachteten grundsätzlichen Sachverhalte kann eine Didaktik anknüpfen, welche die eben angesprochene didaktische Kernfrage zum Ausgangspunkt nimmt. Sie kann dies allerdings nur, wenn sie ganz entschieden die Frage nach der Unterrichts organisation stellt, das heisst wenn sie bewusst versucht, die unterrichtlichen Verfahren ihrem Gegenstand anzupassen und nicht umgekehrt den Schreibunterricht in die gängigen Formen der Vermittlung zu pressen. (Dazu s. ΙΠ.2/3 und ΠΙ.3. Dass und warum das Schreiben als Form des Sprachzugangs in Unterrichtssituationen eine potentiell privilegierte und fruchtbare Position einnehmen kann, wurde schon in 1.4 diskutiert.) Der Anspruch der folgenden Darstellung bleibt ein allgemeiner. Es geht nicht um eine Schreibdidaktik für spezifische Lernergruppen oder Altersstufen, sondern, wie es der Begriff 'Grundzüge' ausdrückt, um die unverzichtbaren Komponenten der Schreibdidaktik. Skizziert wird ein Hintergrund von Kriterien und Differenzierungen, der als Matrix Unterrichtsbezogenen Entscheidungen zugrunde zu legen ist, aus dem allein solche Entscheidungen aber nicht abzuleiten sind - dazu gehört immer auch die Kenntnis des konkreten Kontexts, in bezug auf den zu entscheiden ist. Dementsprechend lassen sich die folgenden Ausführungen dort, wo sie nicht im Begrifflichen verbleiben, nicht als direkte Anweisungen lesen. Wo konkrete Situationen skizziert oder Fragen an die Lernenden formuliert werden, dienen sie der Erläuterung und Exemplifizierung allgemeiner Aussagen, nicht als kanonische Richtschnur.
III.1 SCHREIBDIDAKTIK UND PRODUKTIVER SPRACHGEBRAUCH
In diesem ersten Kapitel geht es darum, den Ausgangspunkt namhaft zu machen, von dem her eine fremdsprachliche Schreibdidaktik entworfen werden kann. Es soll deshalb die Darstellung schreibdidaktischer Ansätze von IL1/2 wiederaufgenommen werden. Zu diskutieren sind hier ihre didaktischen Grundsatzentscheidungen und, soweit dies durch Festlegungen dieser Art bedingt ist, die von ihnen vorgenommenen Bestimmungen der hauptsächlichen Gegenstände der Schreibdidaktik. - Vorausnehmend sei hier festgehalten, dass im folgenden ausschliesslich didaktische, nicht methodische Gesichtspunkte im Vordergrund stehen. Die Frage ist die nach einer haltbaren Grundlage für eine allgemeine Charakterisierung der fremdsprachlichen Schreibdidaktik, nicht die nach der Gangbarkeit dieser oder jener Verfahren und Vorgehensweisen im Einzelfall.
1
Schreibdidaktische Ausgangspunkte
Im folgenden sollen drei Positionen dargestellt werden: die textlinguistische, die prozessorientierte und die direktive1. Diese letzte wurde in II. 1 zwar erwähnt, aber nicht ausgeführt. Sie hat ihre Wurzeln im Audiolingualismus2. Hierhergehörige Ansätze zeichnen sich dadurch aus, dass sie das Schreibenlernen im Unterricht in Analogie zu den übrigen Bereichen des Lernens durch eine strikte didaktische Kontrolle der einzelnen Lernschritte sicherstellen wollen3. Die Berücksichtigung dieser Tradition ist hier deshalb unumgänglich, weil die von ihr entworfenen schreibdidaktischen Argumente bis heute in einem grossen Masse die Diskussionen ums Schreiben im Unterricht mitbestimmen. Die Darstellung dieser Positionen erfolgt auch hier typisierend. Was interessiert, sind die jeweiligen didaktischen Kernargumente, wie sie in einzelnen Ansätzen besonders deutlich zum Ausdruck kommen. Eine kritischdifferenzierende Darstellung, welche den einzelnen Entwürfen in ihren 1
2
3
Eine vierte Position, die hier zu nennen wäre, ist die in II. 1 am Beispiel des Beitrags von Schlemminger (1985) vorgestellte. Da hier aber allgemein-pädagogische Prinzipien direkt auf den Schreibunterricht übertragen werden und spezifisch schreibdidaktische Überlegungen weitgehend fehlen, soll auf diesen Ansatz erst im nächsten Abschnitt zurückgegriffen weiden. Einige Ansätze, die ich hierher zähle, führen sich kaum auf den Audiolingualismus zurück, zeigen aber in ihren didaktischen Konzeptionen grosse Ähnlichkeiten mit den dort entwickelten Ansichten. Zu nennen sind hier Rivers 1968, Rivers/Mitchell Dell'Orto/DellOrto 1975; Allen/Valette 1972; Grittner 1969 (allesamt allgemeine didaktische Entwürfe, keine speziellen Schreibdidaktiken), aber auch einige neuere Beiträge wie Pohl 1984; Buschendorf 1986.
374
Teil ΠΙ: Gmndzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
spezifischen Eigenarten gerecht würde oder auch die vielen hier nicht berücksichtigten differenzierend darstellte, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht gegeben werden. Es geht um die grundsätzlichen Konfigurationen von Konzepten und Argumenten. Deshalb wird hier auf die durchaus vorhandenen Übereinstimmungen in einzelnen Verfahren und Übungsformen vergleichsweise wenig Gewicht gelegt. Hinter diesen Verwandtschaften verbergen sich einschneidende Differenzen hinsichtlich der Aufgaben, welche den verschiedenen Übungs- und Vermittlungsformen zukommen, und hinsichtlich der Begründungen, mit denen ihr Einsatz legitimiert wird. 1.1
Die direktive Position
Die zu dieser Gruppe gehörigen Ansätze gehen meist von einem sehr weitgefassten Begriff von Schreibunterricht aus; zugleich interpretieren sie die in II. 1/1 vorgestellten Schreibformen als Entwicklungsformen des (fremdsprachlichen) Schreibens. Rivers (1968: 242f.) beispielsweise unterscheidet «four major areas of learning involved in the writing process»: notation, das heisst sprachspezifische Laut-Buchstaben-Korrespondenzen, spelling, also Orthographie, writing practice und schliesslich composition. «Writing practice» ist weitgehend der Bereich des reproduktiven und reproduktiv-produktiven Schreibens. Er wird untergliedert in vier Stufen: «copying», «reproduction», «recombination» und «guided writing»1. Der letzte Bereich, «composition», es ist der Bereich des freien Schreibens, der (kaum erreichbaren) «polished literary form». Über diesen Bereich erfährt man wenig Konkretes. Grittner (1969: 272ff.) fasst den Begriff der Schreibdidaktik enger; die ersten zwei Bereiche Rivers' werden nicht genannt. Er unterscheidet fünf Schritte der Schreibprogression; die ersten vier entsprechen weitgehend den vier Stufen Rivers' im Bereich der «writing practice». Die Ausführungen zum Schreibunterricht konzentrieren sich vor allem auf diese Formen reproduktiven und reproduktiv-produktiven Schreibens; zum letzten Punkt, «free composition», sagt er, wie Rivers, relativ wenig. Wo überhaupt vom produktiven Schreiben die Rede ist, werden eher dessen Schwierigkeiten als die hier bestehenden Möglichkeiten hervorgehoben: Many students will arrive at the end of a four-year high-school language course without being able to produce spontaneously written compositions in the foreign language. That is, many will still be somewhere in the intermediate stages of composition where they are able to transform narrative material, but are not able to create a coherent series ofrelatedparagraphs upon a chosen topic. (Grittner 1969: 276f.)2
1
2
'Copying' entspricht in der Terminologie von II. 1 dem kopierenden Schreiben. Auf der Stufe der 'recombination' wird der Lernende aufgefordert «toreproducelearned work with minor adaptations» (Rivers 1968: 247); dies gehört, zusammen mit der 'reproduction', zum reproduktiven Schreiben. Das gelenkte Schreiben schliesslich führt über zumreproduktiv-produktivenSchreiben. Vgl. Rivers 1968: 252f.; Rivers/Mitchell DeU'Orto/DeU'Orto 1975: 233ff. - Eine ähnliche Progression von Schreibformen schlägt Chastain (1971: 225ff.) vor.
III. 1 Schreibdidaktik und produktiver Sprachgebrauch
375
Interessant ist diese Diagnose vor allem wegen der Termini, in die sie gefasst wird. Man beachte den Schluss, dass die Transformation narrativen Materials Thema des Schreibens sei, solange keine ausgeführten Aufsätze geschrieben werden können - eine Konsequenz, die nur unter Bedingungen zu halten ist wie die, dass es Aufsätze sind, welche für schriftliche Texte schlechthin stehen, und der, dass das Transformieren narrativen Materials eine notwendige oder zumindest sich nahelegende Vorstufe für die Entwicklung der benötigten Qualifikationen darstellt. Auffällig ist auch das Attribut spontaneously im Ausdruck «to produce spontaneously written composition» - eine Forderung an das Schreiben, die nirgends begründet wird und wohl als Reflex der audiolingualen Sorge um die Spontaneität des Sprachgebrauchs verstanden werden muss1. Die Aktivitäten in den verschiedenen Bereichen und vor allem auf den unterschiedlichen Stufen werden nun interpretiert als abhängig von der Ausbildung der Fertigkeiten auf den je unteren Niveaus; sie bilden demnach eine Skala, auf der eine Art kontinuierlicher Bewegung stattfindet: Skill in writing begins with simple copying and ranges to free self-expression. (Allen/Valette 1972:217)
Sehr ähnlich schreibt Rivers: To be able to write in the foreign language the student must be trained systematically through five stages of development: copying, reproduction, recombination, guided writing, and composition. (Rivers 1968:245Y
Zwar können diese Phasen überlappen, «practice of the activities of the previous stages continuing as more complicated work is introduced» (ebda.), aber es ist klar, dass sie als progredierend angesehen werden in einer Weise, welche nicht einzelne Unterrichtseinheiten, sondern den Unterricht als ganzen prägt. Das produktive Schreiben ist in einer späten Phase des Unterrichts anzusetzen - was einleuchtend ist angesichts der Forderung nach zielsprachlich perfekter Idiomatik und Kontrolle über die Regularitäten der Schriftsprache und des Vertextens3. Demnach gilt: free composition in written expression is only for those students who have gained excellent control over all the basic language structures and whose vocabulary has reached the stage where they are able to engage in liberated reading. (Grittner 1969: 277) 1
2
3
Ähnlich formulieren Rivers/Mitchell DellOrto/Dell'Orto(1975: 283): «If we wish students to write German spontaneously, we must give them opportunities to acquire confidence in their abilities to write.» Und Allen/Valette schreiben: «Obviously it takes many years of intensive study to write a second langage fluently» (Allen/Valette 1972: 216). Rivers ist nicht ganz konsistent in ihrer Terminologie. Einmal bezeichnet sie «composition» als vierten und letzten Bereich des Schreibens; hier zählt sie «composition», ganz in Analogie zu Grittner, als fünfte und letzte Stufe im Bereich der «writing practice». Vgl. dazu die Ausführungen von Rivers und Grittner zur «composition». Zwar werden solche hohen Ansprüche - zwangsläufig - etwas zurückgenommen, sonst könnte produktives Schreiben im Unterricht gar nie stattfinden; sie prägen dennoch durchwegs die Auseinandersetzung mit dem Thema.
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Teil ΠΙ: Giundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
Ahnlich lässt sich Rivers verstehen, wenn sie feststellt, das graphische System, die Orthographie und die grammatischen Strukturen der Sprache müssten beherrscht werden, und zwar so thoroughly that they no longer require the concentrated attention of the writer, who may then give his mind to the processes of selection among possible combinations. (Rivers 1968: 244)1
Diese angesprochenen Kombinationen sind solche, welche die Nuancen der Gedanken des Schreibenden auszudrücken imstande sind. Dieses Merkmal des Schreibens - dass es darin um die Äusserung von Gedanken geht - tritt erst auf der Stufe des Aufsatzes ins Gesichtsfeld; auf allen vorhergehenden Stufen bedeutet Schreiben primär Transformation bzw. Komplettierung vorgegebener Strukturen. In diesem Konzept der Schreibdidaktik erscheint das Schreiben über weite Strecken als gleichbedeutend mit dem schriftlichen Üben von beliebigen sprachlichen Elementen und Strukturen. Es wird nur in Ansätzen (im Zusammenhang mit der ohnehin spät einsetzenden «composition») die Forderung deutlich, dass Schreiben in bezug auf spezifische Anforderungen der Schriftsprache und im Hinblick auf Texte erfolge. Zumindest in den ersten Bereichen und auf den unteren Stufen bis zum «guided writing» steht Schreiben in Abhängigkeit von und zu Diensten der anderen drei Fertigkeiten; es ist weithin eine «service activitiy» (Rivers 1968: 244). Eindeutig spricht sich in dieser Hinsicht auch Grittner aus, der das Schreiben in reproduktiver Absicht davon abhängig macht, dass die zu schreibenden Elemente und Strukturen «have been sufficiently drilled through the other three skills» (Grittner 1969: 271, vgl. 274)2. Und auch dort, wo textförmige Übungen angeboten werden, dienen sie häufig eher 1
2
Rivers/Mitchell DellOrto/DellOrto (1975) weichen diese Anforderungen etwas auf wahrscheinlich nicht zuletzt unter dem Einfluss der Argumente der Anfang der siebziger Jahre auftretenden kommunikativen Didaktik. Hier versuchen sie, den grundsätzlichen Rahmen einer kontrollierenden, direktiven Didaktik mit den Ansprüchen der Kommunikation zu veibinden, wenn sie sagen: «Although writing within a framework and expressive writing will now be discussed in sequence, it must be emphasized that opportunities for expressive writing should be provided as soon as possible. Even the elementary-level student should have opportunities to experiment with the potential for expression of his rudimentary knowledge of the language. Students should not, however, be left to sink or swim in such a difficult area.» (Rivers/Mitchell DeirOito/DelTOrto 1975:265f.) - Leider wird diese Wendung in ihren Implikationen für die Schieibdidaktik nicht ausgearbeitet. Auch Rivers verbindet mit ihrem Begriff der service activity die Vorstellung, Schreiben habe weitgehend diese eine Aufgabe: «consolidating work in the other areas» (1968:244f.) - wobei natürlich, weil diese Arbeit schriftlich erfolgt, zumindest die ersten zwei ihrer vier Bereiche (nämlich Phonem-Graphem-Korrespondenzen und Orthographie) immer zwangsläufig mitgeübt werden. In ihrem praxisbezogenen Buch von 1975 widmen Rivers/Mitchell DellOrto/DellOrto diesem Schreibunterricht ebensoviel Platz wie den reproduktiven Übungen und dem freien Schreiben. Anders gesteht etwa Byrne (1979: 46) dem Schreiben neben diesen Stützfunktionen schon von Anfang an eigenständige Aufgaben zu. Noch deutlicher gilt dies in den anderen textlinguistischen Ansätzen (siehe unten).
ΙΠ.1 Schreibdidaktik und produktiver Sprachgebrauch
377
anderen als textspezifischen Belangen - wie etwa die folgende Übung zeigt, welche Grittner als letztes Beispiel anführt, unmittelbar vor seinen Ausführungen zur «composition». Hier wird der Text als Rahmen eingesetzt für eine Übung von Verben und Verbformen: Original dialog production. Using the vocabulary and grammar at his command, the student is instructed to adapt a dialog to his own personal experience. For the less imaginative students, some direction in the form of suggested topics may be needed. Mother (or father) may I ? Well, maybe, but first . But mother, (father), I . I have heard that story before. If you expect to , then you will have to . All right, I'll . Then may I ? (Grittner 1969:276)
Es ist nicht ganz klar auszumachen, wie in einem solchen Kontext der Übergang zum freien Schreiben konzeptualisiert werden kann. Einerseits scheinen die schriftlichen Übungen auf den verschiedenen Stufen instrumental zu sein, ohne sie, so der Eindruck beim Lesen von Grittners oder Rivers' Ausführungen, kann nicht schreiben gelernt werden. Andererseits ist es schwer sich vorzustellen, dass dieser Übergang durch solche und andere vorgeschlagene Übungen tatsächlich bewerkstelligt werden könnte. Es gibt denn auch einzelne Hinweise, dass die Fähigkeit zum Schreiben sich nicht so sehr durch die Arbeit an solchen Schreibübungen ergibt, sondern eine Konsequenz ist aus der Entwicklung des Sprechens, wenn dieses einmal einen gewissen Stand erreicht hat. Ganz in diesem Sinn erscheint freies Schreiben in einigen Äusserungen denn auch als nicht viel anderes als das Ausüben der Sprechfähigkeit im schriftlichen Bereich, mit den nötigen Berichtigungen, was Vollständigkeit der Strukturen, Abbau der Redundanz usw. angeht: If a student knows what the sentence he wishes to write sounds like, he is well advanced on his way toward fluent expression (Allen/Valette 1977: 217)
und Rivers argumentiert in dieselbe Richtung: What he [sc.: the learner] is unable to say over to himself he will be unlikely to write with ease, and until he has read a great deal he will not be familiar with the way native speakers express themselves, for all kinds of purposes, in writing. (Rivers 1968: 244)
Ganz im Sinne Lados wird hier also das Schreiben dem Mündlichen untergeordnet und letztlich - trotz aller schriftlicher Übungen - von dessen Entwicklung abhängig gemacht. Eine der wichtigen Konsequenzen dieser Sichtweise, welche das Schreiben vom Strukturlernen und vom Mündlichen her angeht, ist das schwache Gewicht, das explizite Überlegungen zur Textkompetenz in diesen Ansätzen einnehmen: Zur Fähigkeit, Texte zu gestalten, zu den textspezifischen Sprachmitteln, zur Rolle von Texten im mündlichen wie im schriftlichen Sprachgebrauch usw., aber auch zur Spezifik des schriftlichen Arbeitens selbst. Es sind dies alles nachgeordnete Fragen. Auf der Grundlage der zugrunde gelegten Lerntheorie fehlt auch weitgehend die Möglichkeit, nach eventuellen lernrelevanten Beiträgen des Schreibens zu fragen.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
Zusammenfassend lässt sich sagen: Der audiolinguale Ansatz verkörpert ein sehr zentralistisches, protektives Konzept von Sprachunterricht; auch die schreibdidaktischen Vorstellungen sind stark beeinflusst von der Idee des Sprachlernens als eines Vorgangs der 'habit formation*. In diesem Kontext ist die relative Offenheit des Schreibens - seine mangelnde Kontrollierbarkeit durch einzelne Stimuli, seine Loslösung aus den überblickbaren Impulsen und Formulierungszwängen des Dialogs - eine Bedrohung: Until the students [sc.: auf der Stufe des «guided writing»] are thoroughly trained to rely on what they have learned, and to restrict themselves to the limits imposed by the outline or the text on which the writing is based, they will not be allowed to do the initial writing for homework. In an unsupervised situation they may only be permitted to rewrite or improve work which has been thoroughly prepared in class. These restrictions are essential if students are to be trained in good writing habits. Left to their own devices too soon, they will rush to the dictionary, attempt a standard of expression beyond their state of knowledge, and ruin the careful netwoik of habits the teacher has been developing. (Rivers 1968:252)1
Mit der Revision der Sprachlerntheorie, welche sich weitgehend von behavioristischen Vorstellungen gelöst hat, sind auch die in diesem Ansatz gezogenen Konsequenzen für die Stellung des Schreibens im Unterricht bestreitbar geworden. Sollten sie aufrechterhalten werden, müssten sie aufgrund eines angemesseneren Konzepts des Sprachlernens neu begründet werden - ein Versuch, der, soweit ich die Literatur überblicke, nicht gemacht wurde. Aus der eben gegebenen Darstellung ergibt sich die im gegenwärtigen Kontext zentrale Frage nach dem Zusammenhang von Üben und Schreiben. Ist die Lesart richtig, dass Schreibkompetenz weniger ausgebildet als vorausgesetzt und von einem gewissen Ausbildungsstand der Sprachkompetenz an aufgerufen wird, so kann das kontrollierte und geleitete Schreiben kaum als Schreibunterricht in dem hier gemeinten Sinne bezeichnet werden - es handelt sich dann einfach um schriftliche Übungen, durch welche allgemein die Sprachkenntnis gefestigt und vielleicht auch die orthographische Komponente des Sprachwissens aufgebaut wird, durch die aber nur bedingt Arbeit im Hinblick auf das Schreiben von Texten geleistet wird (nämlich genau so weit, wie verbesserte Sprachkenntnisse die Chance erhöhen, nicht nur besser lesen, hören und sprechen, sondern eben auch besser schreiben zu können). Die audiolinguale Schreibdidaktik wäre dann gar nicht an dieser Stelle zu behandeln, sie wäre keine Schreibdidaktik im eigentlichen Sinn. 1
Es sind Formulierungen wie die im letzten Satz dieses Zitats, wonach es der Lehrer ist, der sorgfältig die «habit formation» (wohlverstanden: in den Köpfen der Lernenden) entwickelt, welche die oben benutzten Prädikate 'protektiv' und 'zentralistisch' als durchaus deskriptive ausweisen. - In der überarbeiteten Ausgabe ihres Buches sind die hier zitierten Vorschriften etwas abgemildert, auch spricht Rivers nicht mehr von der Zerstörung der sorgfältig aufgebauten Muster. Etwas einfacher, aber immer noch drohend genug, heisst es dort: «As aresult,their developing skill in this area will soon deteriorate» (Rivers 1981:304).
ΠΙ.1 Schieibdidaktik und produktiver Sprachgebrauch
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Diese Fragestellung wird von Buschendorf in einem neueren Aufsatz aufgenommen (Buschendorf 1986). Auch für ihn ist das Schreiben die letzte der vier Fertigkeiten, die im Unterricht zu thematisieren und zu fördern ist. Er bezeichnet es als die anspruchsvollste Sprachtätigkeit; es rücke nicht zufällig an das Ende der systemhaften Darstellungen der Sprachhandlungen als Ausdruck seiner [sc.: des Schreibens] umfassenden Komplexität. Ohne vorher realisierte Hör-, Sprech- und Leseleistungen wäre es nicht vollziehbar. Darüber hinaus ist der methodische Ort des produktiven freien Schieibens in jedem praktischen Sprachkurs in den mittleren und letzten Etappen der Sprachaneignung vor Erreichung der Endziele zu finden. (Buschendorf 1986:51)
Interessant hier ist, dass Buschendorf die oben angesprochene (in den anderen Ansätzen eher verschleierte) Distanz zwischen den gängigen schriftlichen Übungen und dem produktiven Schreiben deutlich hervorhebt: Schriftliches Arbeiten, wie es im Zusammenhang mit HÖrverstehensübungen, Struktur- und Wortschatzübungen usw. in jeder Klasse praktiziert wird («lernbezogenes Schreiben»), liefere zwar präkommunikatives Sprachmaterial, es ist aber nicht voraussetzungslos in schriftliche kommunikative Formen überfühlbar. (Buschendorf 1986:52)
Dies widerspricht, berechtigterweise, jenen audiolingualen Darstellungen, welche die verschiedenen Bereiche und Stufen des Schreibens als mehr oder weniger bruchlose Skala vom Buchstabieren zum Texteschreiben zu interpretieren versuchen. Buschendorf ruft nun neue Verfahren auf, welche die Kluft zwischen den reproduktiven und reproduktiv-produktiven Übungen und dem eigentlichen Schreiben systematisch, kontrollierbar überbrücken sollen: Es bedarf spezifischer methodischer Verfahren, die zur Texterzeugung führen. (Buschendorf 1986:52)
Damit ist eine Frage gestellt, welche die oben besprochenen Ansätze für beantwortet hielten: Wie lässt sich das Terrain zwischen reproduktiven und produktiven Formen des Schreibens sinnvoll ausstecken, wie könnte ein wirklich schreibdidaktischer, das heisst auf die Befähigung zur Textherstellung zielender Übergang bewerkstelligt werden? Welches Format muss schriftliche Arbeit im Unterricht annehmen, die zum produktiven Schreiben hinführt und dieses nicht einfach auf den Fortgeschrittenenunterricht verschiebt, wo die entsprechenden Fähigkeiten (vor dem Hintergrund muttersprachlicher Kompetenzen und entwickelter fremdsprachlicher Kenntnis) mehr oder weniger vorausgesetzt werden? Buschendorf weist nur auf ein Verfahren hin, das er vor allem in der Anfangsphase für geeignet hält, die Lernenden zur Texterzeugung hinzuführen. Er schlägt vor, von einem Modelltext auszugehen, diesen zuerst zu analysieren und dann zu rekonstruieren. Bei dem von Buschendorf näher beschriebenen Beispiel handelt es sich um den Brief einer Schülerin; sie liegt wegen einer Blinddarmoperation im Krankenhaus und schreibt an ihre Freundin.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
Dabei wird der als Modell genutzte Text zunächst erschlossen, unbekanntes lexikalisches Material wird semantisiert und die Makrostruktur so erarbeitet, dass Inhalt und kommunikatives Ziel erfasst werden. Das Textverständnis wird durch Einzelfragen und am Ende durch Komplexfragen kontrolliert. Aus der Beantwortung der Komplexfragen ergeben sich die textkonstituierenden Sachverhalte, die als Teiltexte zu einer Segmentierung des Sprachmaterials führen. Das lässt den Textaufbau und die einzelnen Kommunikationsziele erkennen. Der Lehrer steuert das Analyseverfahren über das Unterrichtsgespräch. Für das anzustrebende Reproduktionsverfahren entsteht ein Wortgerüst, das den propositionalen Komplex zusammenfasst. Die darauf folgende schriftliche reproduktive Synthese wird ohne das Textmuster vorgenommen, der Lehrer steuert die Textverflechtung so, dass das Einbringen der kohärenten Mittel unter Mithilfe der Schüler aussage- und kommunikationsadäquat erfolgt. Das Rekonstrukt ist dem Induktionstext [sc.: dem Modelltext] angeglichen, ist aber mit ihm nicht sprachlich identisch. (Buschendorf 1986:52f.)
Dieses Vorgehen kennt viele, zum Teil etwas weniger strikte Varianten. So wird manchmal vorgeschlagen, Hörtexte anhand einer zugehörigen Bildergeschichte zu rekonstruieren, oder eine Bildergeschichte Schritt für Schritt zu versprachlichen, schliesslich als ganze nachzuerzählen und abschliessend schriftlich festzuhalten usw. Verwandt ist auch das Verfahren von Kirchhoffs Schreibschule (Kirchhoff 1976,1977): Zu einem Lesetext oder einer in Graphiken festgehaltenden Datenbasis werden Fragen gestellt; diese sind so gehalten, dass die Antworten, zusammengereiht und stilistisch aufeinander abgestimmt, einen Text ergeben. Hier erübrigt sich die koordinierende Rolle des Lehrers; die Leistung, die dieser in Buschendorfs Vorschlag erbringt, übernimmt die spezielle Form der Materialzubereitung. Allen diesen Vorgehensweisen ist gemeinsam, dass die Lernenden inhaltlich wie meist auch sprachlich eng gefühlt werden; ein wesentliches Moment, das den Übungsaufbau bestimmt, ist das Postulat der Fehlervermeidung bzw. des sauberen Resultats im ersten Angang. Für Buschendorf bezeichnet dieses analytisch-synthetische Verfahren als «Vorstufe» zum vom Lerner selbst verantworteten Text; die Änderung der Mikrostruktur eines Vorlagetextes sei «ein wichtiger Schritt auf dem Wege zur Konstituierung eines selbständigen Elaborats» (Buschendorf 1986: 57).1 1.2
Der textlinguistische Ansatz
Eine andere, neue Problemstellung liegt dem textlinguistischen Ansatz zugrunde, sehr klar repräsentiert etwa durch Pineas (1982). Ausgangspunkt sind hier allein Fragen der Textualität und Textkonstitution, handhabbar gemacht in der Herausstellung einzelner Aspekte von Texten oder sprachlicher Vertextungsmittel von unterschiedlicher Spezifik und Tiefe (etwa idiomatische Wendungen, Argumentationsmuster, pronominale Verkettung, logische Verknüpfung, Textmuster, Verfahren der Perspektivierung usw.). Die Regeln der Phonem-Graphem-Korrespondenz und der Orthographie werden kaum erwähnt. Entsprechend gilt nicht mehr jede Übung nur darum, weil sie schriftlich unternommen wird, als Gegenstand der 1
Für einen ähnlichen Vorschlag vgl. Pohl 1984.
ΙΠ. 1 Schreibdidaktik und produktiver Sprachgebrauch
381
Schreibdidaktik; vielmehr sind es eindeutig textbezogene Fragen, welche deren Gesicht charakterisieren. Die Schreibdidaktik hat es demnach mit einem ihr eigenen Gegenstand zu tun. Was hier thematisch wird, ist nicht einfach die schriftliche Version schon längst anderswo vorgelernter Dinge, sondern es sind Gegebenheiten, die fürs Herstellen von Texten relevant sind1. Diese werden als den Lernenden unbekannte aufgefasst. Es ist daher nötig, im Schreibunterricht bezüglich dieser Gegenstände jene didaktischen Phasen der Famiiiarisierung, des Übens und des Gebrauchens zu durchlaufen, wie sie im übrigen Unterricht etwa für den Wortschatz, für grammatische Strukturen usw. gängig sind. In bezug auf die erste dieser Phasen etwa, Famiiiarisierung, äussert sich Pineas folgendermassen: familiarisation [...] means preparing students for actual writing by demonstrating one or other of the skills that are to be practiced. Since reading alone is not sufficient preparation - i.e. students often fail to notice the important aspect of what they read familiarisation requires specific exercises. (Pineas 1982: 78Υ
Die didaktischen Phasen, auf die Pineas sich hier beruft, haben einen anderen Stellenwert als im direktiven Ansatz nicht nur darum, weil sie sich ausschliesslich auf textuell relevante Dinge beziehen, sondern mehr noch darum, weil ihr Stellenwert vis-ä-vis dem produktiven Schreiben ein völlig anderer ist. Diese Phasen werden nicht interpretiert als Vorstufen, die in einem langen Prozess zum Schreiben erst 'hinführen', sondern als Zyklen des Kennenlernens, der Erarbeitung und Anwendung spezifischer Mittel und Verfahren: The sequence familiarisation - controlled - guided - free must not be equated with a grading scheme. As was pointed out [...], it is a progression that can be usefully followed through a lesson unit at any level of language ability. (Pineas 1982: 74)
Dies heisst aber: Dass geschrieben werden kann, ist in gewissem Sinne immer vorausgesetzt. Was jeweils gelernt wird, konstituiert nicht die Schreibfähigkeit, sondern erweitert die (fremdsprachlichen, textspezifischen) Mittel und bereichert die Kenntnis dessen, was Texte als Texte auszeichnet. Ziel dieses Unterrichts ist also letztlich nicht, das Schreiben zu lehren, sondern besser schreiben zu lehren. Es wird erwartet, dass die Lernenden ihre vorhandenen Sprachkenntnisse einsetzen können; die Unterrichtsschritte führen gezielt auf ein produktives Schreiben hin, in dem zwar einzelne Momente durch die vorhergegangenen Übungen eingeführt und vermittelt worden sind, andere Aspekte der Sprachbeherrschung aber ohne vorhergehende Thematisierung als verfügbar betrachtet werden: Learners need to start by becoming familiar with the type of writing they are going to practise. Once they have achieved some familiarity with it, they can practise the skills 1
2
Ich habe schon in Teil II dahin argumentiert, dass dieser Bereich in vielem nicht spezifisch ist für das Schieiben allein, sondern auch Dinge betrifft, die das monologische und sogar bestimmte Formen des dialogischen Sprechens angehen. Dieser Gesichtspunkt wird weiter unten wieder aufzunehmen sein. Als wichtigstes Verfahren gibt Pineas hier das tatsächlich fundamentale Prinzip der Analyse kontrastierender Beispiele an.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
involved. After such exercises they can try to produce their own piece of writing. (Pineas 1982: 14, vgl. 54.)
Die oberflächliche Ähnlichkeit vieler von Pineas vorgestellter Übungsformen mit denen audiolingualer Provenienz darf also nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihr Inhalt und ihr Stellenwert im Unterricht andere sind1. In zumindest drei weiteren Punkten unterscheidet sich dieser textlinguistische Ansatz durchaus folgerichtig vom oben vorgestellten: 1. Das Problem der sprachlichen Fehler steht nicht im Vordergrund. Schreiben ist nicht ein Bereich, in dem das Fehlermachen um jeden Preis vermieden werden muss, sondern ein Bereich, in dem produktiver Ausdruck in der fremden Sprache ermöglicht und gefördert werden soll. Pineas (1982: 110) steht zwar auf dem Standpunkt, dass auch freies Schreiben vorbereitet sein muss und dass Fehler vermieden werden sollen, so weit dies möglich ist; aber es ist von vornherein unmöglich, sie auszuschliessen. Vermindert werden kann die Fehlerhäufigkeit (vielleicht) im jeweils fokussierten und vorbereiteten Bereich. Dies grundsätzlich zu versuchen bedeutet, das Schreiben als Reproduktion, in gewissem Sinne also als NichtSchreiben anzulegen2. 2. Von Texten zu sprechen bedeutet, von ihrem Zweck zu sprechen. Das Herstellen von Texten ist nicht einfach eine Übung; eine Schreibdidaktik hat sich auch mit dem Faktum der Kommunikation zu befassen: A communicative approach to the subject-matter, therefore, emphasises the need to prepare students not only with appropriate grammar and vocabulary, but also to fulfill the communicative aims normally associated with the subject area in question. [...] All writing should be seen to have a genuine purpose, and this can often be achieved if the writing is part of a larger project. (Pineas 1982: 33)
Der textlinguistische Ansatz ist, mindestens dem Anspruch nach, ein kommunikativ-didaktischer Ansatz. Pineas zieht die Konsequenz daraus in einer etwas gedämpften Formulierung, ohne das Thema weiter zu verfolgen: So there should be frequent attempts to find real readers other than the teacher. (Pineas 1982: 30)
3. Im Anschluss an diese letzte Bemerkung kommt bei Pineas, ebenfalls eher am Rande, die Gruppe der Lernenden ins Blickfeld und damit die Tatsache, dass Schreiben im Kontext des Unterrichts keine durchwegs solitäre Angelegenheit zu sein braucht. Danach kann die Analyse von Beispielen 1
2
Für diese Interpretation der Rolle freien Sprachgebrauchs spricht auch folgende Bemeikung Pineas': «Moreover, to avoid boredom the order of the stages can be varied occasionally. For instance, free writing might sometimes be done first in order to help establish what skills the students lacked. In this case, the free writing would suggest controlled and guided exercises that would lead up to a second attempt at free writing of the same kind.» (Pineas 1982:23) - Leider geht sie nicht darauf ein, welch anderen Ausblick dieses Zugeständnis auf die schreibdidaktische Fragestellung insgesamt werfen könnte. In bezug darauf kritisiert Byrne den audiolingualen Ansatz sehr pointiert: «the learners were expected to learn how to write correctly by being obliged to write correctly» (Byrne 1979: 25).
III. 1 Schreibdidaktik und produktiver Sprachgebrauch
383
oder die Vorbereitung für das Texteherstellen in Klassendiskussionen oder Gruppenarbeit erfolgen, die übrigen Gruppenmitglieder können auch «in group-work and writing games» (ebda.: 30) als Leser der Texte ihrer Klassenkollegen auftreten. Im Kontext der textlinguistischen, primär auf die Analyse textueller Strukturen ausgerichteten Schreibdidaktik stehen aber kaum Kategorien zur Verfügung, welche diese Idee der Arbeit in der Lernergruppe für das Schreibenlernen wirklich auszuführen erlaubten; auch diese Bemerkungen stehen bei Pineas deshalb sehr am Rande. Es wird in diesem und im letzten Punkt jedoch sichtbar, wie mit der Thematisierung von Texten (statt von Sprachmitteln und Strukturen) völlig neue Gesichtspunkte in die Schreibdidaktik Eingang finden könnten und müssten. Der textlinguistische Ansatz bringt gegenüber den direktiven Versuchen eine klare, eigenständige Formulierung der Thematik der Schreibdidaktik. Diese ist jedoch unvollständig in zweierlei Hinsicht: Auf der einen Seite fehlt noch jeder Hinweis auf die subjektive Seite der Problematik, auf die Arbeit des Schreibens, wie sie vorab in der prozessorientierten Didaktik in den Vordergrund tritt. Auf didaktischer Ebene andererseits ist der vorgestellte Ansatz nicht eindeutig zu verorten. Er ist, als textlinguistischer, ex professo ein kommunikativer; in dem weiten Gebiet, das dieser Anspruch eröffnet, lassen sich die vorgestellten Überlegungen und Verfahren aber in sehr unterschiedliche didaktische Konzepte integrieren - auf der einen Seite etwa in einen aufgeklärten direktiven Ansatz, der produktives Schreiben auf der Unter- und Mittelstufe nicht mehr ausschliesst, aber am Postulat strikter Kontrolle, schrittweiser Vorbereitung und weitgehender Fehlervermeidung festhält, auf der anderen Seite in einen weniger formellen, der auch wenig überwachtes produktives Schreiben ermuntert und auch die Lernergruppe als sozialen Raum miteinbezieht. Byrne (1979) geht tendenziell in die erste Richtung1; Pineas' Überlegungen sind teilweise eher in die erste, teilweise in die zweite Richtung interpretierbar; Raimes (1983) zeigt eine eindeutig informellere Tendenz; so betont sie die oben unter Punkt 2. und 3. angesprochenen Aspekte sehr deutlich. Je nachdem, welche Entscheidungen in bezug auf diese Fragen getroffen werden, entscheidet sich, wie dieser Schreibunterricht sich zum übrigen Unterricht verhält, in welche Beziehung er inhaltlich wie seinen Zielsetzungen nach zu ihm tritt. Es war für die audiolinguale Position nie ein Problem, diese Frage zu beantworten. Schreibunterricht, der von Anfang an textbezogen operiert, muss sich in seinem Verhältnis definieren. Dies tun die formelleren Ansätze nur sehr beschränkt; so wird in Pineas' Ausführungen der Zusammenhang der textbezogenen Lernziele mit denen des übrigen Unterrichts, der inhaltliche Bezug der zu schreibenden Texte auf die unterrichtlichen Themen kaum je zur Sprache gebracht. 1
Staik dahin tendieren auch White 1980 oder Beispielvorschlag und -analyse in Johnson 1982: 176ff. Dass dies in gewissem Widerspruch zum Begriff des produktiven Schreibens steht und darauf hinausläuft, das produktive Schreiben insgeheim dem reproduktiven anzugleichen, wird unten weiter ausgeführt.
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Teil III: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
Die Doppelgesichtigkeit des textlinguistischen Ansatzes hat nicht nur damit zu tun, dass über das Ausmass der notwendigen Lenkung nicht a priori entschieden werden kann - diese praxisbezogene Unsicherheit kennzeichnet jede generelle Aussage zum Unterricht. Sie lässt sich auch nicht nur reduzieren auf die Frage der didaktischen Präferenzen. Vielmehr hat sie auch einen wichtigen Grund, der in der Anlage des Ansatzes selbst begründet ist. Aus der Textanalyse, welche der ganzen Richtung zugrunde liegt, lässt sich zwar ein Raster von textuellen Strukturen und Sprachmitteln gewinnen; jedoch legt sich von daher kein Kriterium nahe, welches einsichtig zu beurteilen erlaubte, welche der so bezeichneten textlinguistischen Gegebenheiten fremdsprachendidaktisch eigentlich interessant, das heisst möglicher oder notwendiger Gegenstand der Vermittlung ist. Formelle und informelle Ansätze unterscheiden sich auch darin, auf welche Weise textlinguistische Fragestellungen zum Thema des Lernens gemacht werden. Den formellen dienen sie als Vorlage, die in den traditionellen Mustern des Familiarisierens, kontrollierten und gelenkten Übens und schliesslich Anwendens zum Thema gemacht werden. Je mehr dieses Vorgehen als Problem und nicht nur als Lösung gesehen wird - etwa bei Raimes - , desto klarer wird die Notwendigkeit, schreibdidaktische Entscheidungen auf eine andere als nur textlinguistische Basis abzustellen. 1.3 Der prozessorientierte Ansatz In den letzten Jahren hat die Beschäftigung mit dem Schreibprozess die Schreibdidaktik mehr und mehr bestimmt, zunächst in der Muttersprache, zunehmend auch in der Fremdsprache. Die fundamentale Einsicht, die dem prozessorientierten Schreibunterricht zugrundeliegt, kann so charakterisiert werden: Die Fähigkeit, (gute) Texte herzustellen, ist nicht einfach eine Folge davon, dass genügend linguistische Teilfertigkeiten beherrscht werden. Vielmehr sind es a) die Einsicht in das Ziel des Schreibens und b) das erfolgreiche Management der Arbeitsprozesse, durch welche dieses Ziel realisiert wird, welche letztlich den Ausschlag dafür geben, wie gut c) die (linguistischen und anderen kognitiven) Ressourcen ausgeschöpft werden können. Dies bedeutet eine entscheidende Wendung der Perspektive vom Produkt auf den Prozess, vom Text auf den Schreibenden und von der Fixierung aufs Lernen von Neuem auf die Frage nach der Anwendung des bereits Gewussten. Die Arbeit von Hedge (1988) ist ein gutes Beispiel für die Anwendung des prozessorientierten Ansatzes der Schreibdidaktik auf den Fremdsprachenunterricht: the traditional focus has been much more on the end result of the composition process, that is, the product of writing. Research now seems to suggest that we could be as much concerned with responding to the student writer as to the student's writing. (Hedge 1988:19)
Für die Arbeit, welche unter diesem Gesichtspunkt schreibdidaktisch zentral gestellt wird, gilt folgerichtig:
III.l Schieibdidaktik und produktiver Sprachgebrauch
385
The emphasis throughout is on the process involved in producing complete, contextualized pieces of writing. (A. Maley, im Vorwort zu Hedge 1988: 3)
Etwas konkreter ausgedrückt heisst dies: Das Schreiben eines Textes (freies Schreiben, produktives Schreiben) steht nicht mehr notwendig am Ende einer sorgfältig geplanten Folge von Übungen, in welchen einzelne Teilfertigkeiten oder Teilstrukturen isoliert und geübt werden. Vielmehr wird das Schreiben eines Textes zum Anlass und Zentrum des ganzen Bestrebens überhaupt. Hinweis dafür ist etwa, dass Hedge die Kapitel ihres Buches und damit die schreibdidaktisch relevanten Gesichtspunkte nach den Phasen des Schreibprozesses ordnet und benennt. Im Hinblick auf das Schreiben eines Textes und aus der Tätigkeit des Schreibens selbst ergeben sich die Fragen und Probleme, auf welche der Schreibunterricht zu antworten hat. Dies entspricht dem Grundprinzip dieser Didaktik: Classroom tasks should reflect the ultimate goal of enabling students to write whole texts which form connected, contextualized, and appropriate pieces of communicatioa (Hedge 1988: 8)
Übungen reproduktiver und reproduktiv-produktiver Art, wie sie auch noch den textlinguistischen Ansatz weitgehend prägen, fehlen natürlich auch hier nicht; sie werden von Hedge im Kapitel über «crafting» (über das eigentliche Vertexten) beschrieben. In dieser Beziehung besteht demnach kein Gegensatz zu den textlinguistischen Positionen; vielmehr werden diese - unter erweiterter Fragestellung - aufgenommen und weitergeführt. Allerdings wird ihre etwas statische Perspektive auf Textstrukturen und Sprachmittel durch die explizite Hinwendung auf die Frage nach der Strukturierung, der aktuellen Hervorbringung von Äusserungen dynamisiert. Schwergewichtig treten in diesem Ansatz zwei Gesichtspunkte in den Vordergrund, welche diese Wendung des Blicks auf den Prozess und die Schreibenden dokumentieren: die Vorbereitung und Planung von Textinhalt und -struktur sowie die Evaluation und Verbesserung von Geschriebenem. Dadurch wird die im Schreiben involvierte Arbeit selbst thematisiert, das heisst die in bezug auf jeden intendierten Text neu sich stellenden Probleme der Planung und Realisierung von Mitteilungen. Diese werden durch didaktische Eingriffe und Hilfestellungen (Phasierung der Arbeit durch Teilaufträge, Gruppenarbeit, Vergleiche zwischen verschiedenen Lösungen,...) aus dem Gesamtablauf der Arbeit herausgehoben und damit zugänglich und besprechbar gemacht. Im prozessorientierten Ansatz sind es vorwiegend Phasen solcher Reflexion, welche die Lernenden befähigen sollen, besser zu schreiben, das heisst aus dem durch Nachdenken und Gespräch gewonnenen Überblick über Aufgabe und/oder Text heraus ihr Weltwissen und ihr sprachliches Wissen im Hinblick auf das vorliegende Ziel zu aktivieren und zugleich den Prozess der Textherstellung und -revision sinnvoll zu gestalten. Schreibenlernen besteht danach in der Optimierung des Zusammenspiels von Zielen, Text und den Prozessen, die zwischen diesen beiden vermitteln. Die textuellen und sprachlichen Mittel werden nicht isoliert, sondern im Kontext dieses Wechselspiels themati-
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Teil ΠΙ: Gmndzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
siert und dadurch tendenziell besser erkennbar im Hinblick auf ihre Leistungen für die intendierte Mitteilung. Die Strategie besteht also nicht in der Reduktion von Komplexität durch Übungen, sondern in Hilfestellungen, welche sie erfassbar und bewältigbar machen sollen1. Etwas pointiert ausgedrückt könnte man sagen, dass der prozessorientierte Ansatz die Arbeit am Text (wieder-)entdeckt hat und die didaktischen Konsequenzen aus dieser Entdeckung zieht. Endgültig verabschiedet ist in diesem Zusammenhang die Vorstellung, das Schreiben eines Textes solle spontan oder zumindest in einem Wurf erfolgen können. Spontanes Schreiben, relativ schnelles Hinschreiben wird durchaus nicht abgelehnt, es wird sogar in verschiedenen Zusammenhängen dazu ermuntert. Das Hauptgewicht dieser Schreibdidaktik liegt jedoch auf den reflexiven Prozessen, die in der zielgerichteten Arbeit des Vorbereitens, des Schreibens und des Revidierens von Texten zum Tragen kommen. Dabei brauchen durchaus nicht nur sogenannte freie Texte zu entstehen. Mit der Aufgabenstellung können vielfältige Festlegungen verbunden sein, welche die zu schreibenden Texte auch inhaltlich vorherbestimmen. Im Rahmen der hier gültigen Kriterien sind solche Vorgaben aber nur gültig, wenn sie sich aus der Aufgabe selbst begründen lassen und die schreibspezifische Orientierung nicht stören, das heisst die Lernenden den Weg von Konzepten zu ihrem sprachlichen Ausdruck tatsächlich gehen lassen. Mit dieser Konstellation von schreibdidaktischen Grundkonzepten kommt eine Tendenz zum Durchbruch, die bei Pineas gerade erst angedeutet ist. Die Reflexion auf die Aufgabe des Schreibens wird natürlich durch die Entscheidungen des Lehrers (etwa in bezug aufs Thema, auf die Sequenzierung der Arbeit usw.) angeleitet2; sie kann sich jedoch nicht, wie die Lösung von Übungen, fast ausschliesslich unter seiner Regie und Kontrolle entfalten. Sie ist am fruchtbarsten in der Abarbeitung von Fragen und Zweifeln, die sich bei der Arbeit für die Schreibenden ergeben. Gezieltes Hervorstellen und Vergleichen von Kommunikationserfahrungen und -einschätzungen gehört zu den fundamentalen Verfahrensweisen dieser Didaktik. Kaum ein Vorschlag, den Hedge zuhanden des Unterrichts macht, kommt aus ohne Hinweis auf die Möglichkeit oder sogar die Notwendigkeit des Lesens, Evaluierens, Vergleichens oder sogar des Schreibens in 1
2
Zu diesen Hilfestellungen gehören auch Vortjereitungsaibeiten ganz anderer Art, als sie die anderen Ansätze in Betracht ziehen - etwa thematische Vorbereitung durch Lektüre, Diskussion, Bilder, Filme usw., welche nicht den Text voibestimmen, aber einschlägige Ideen und Sprachmittel zur Verfügung stellen. Dies bedingt natürlich, dass die Lehrenden selbstrealistischeEinschätzungen darüber treffen können, in welchen Schreibanlässen welche Aspekte der Planung, Vertextung und Überarbeitung interessante Gegenstände der Arbeit abgeben könnten, «the amount of time spent on any part of the process will depend on the type of writing. For example, in writing a letter to a friend with the purpose of bringing her up to date with family news, [...] the planning is not likely to be as elaborate as when writing a report» (Hedge 1988:21). Klareres Bewusstsein für die Natur und den Stellenwert des Schreibens zu entwickeln ist deshalb nicht nur eine Aufgabe für die Lernenden, sondern auchfiirdie Lehrenden selbst (vgl. Hedge 1988:150).
ΙΠ.1 Schreibdidaktik und produktiver Sprachgebrauch
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Partner- oder Gruppenarbeit. Den Begriff des Schreibens weit fassend, stellt sie fest Collaborative writing in the classroom generates discussions and activities which encourage an effective process of writing. (Hedge 1988:12)
Entsprechend lässt sich die Tendenz des gesamten Ansatzes charakterisieren als Arbeit in Richtung auf ein «raising awareness about writing» (Hedge 1988: 155). Dieses Prinzip der Bewusstmachung erscheint im textlinguistischen Ansatz (etwa bei Pineas) prominent nur in der Phase der Familiarisierung. Hier sollen die thematischen Sprachmittel oder Textstrukturen kennengelernt, das heisst erkannt, isoliert und auf ihre Stellung im Text hin analysiert werdend Die restlichen Schritte sind solche der Anwendung, die nicht als weiter problematisch taxiert wird. Dieses Prinzip der Reflexion wird hier auf die ganze Arbeit ausgedehnt. Hedges Buch ist «primarily intended for teachers of general-purpose classes» (Hedge 1988: 6), und sie legt ihre Schreibanlässe nicht so sehr an als Arbeit im Hinblick auf ganz bestimmte Textsorten, die dann beherrscht werden sollten, sondern als Arbeit an den Grundlagen schriftlichen Ausdrucks, die in den verschiedensten Textsorten eine Rolle spielen. Ein Lehrbuch für die Mittel- und Fortgeschrittenenstufe, welches auf ähnlichen Prinzipien beruht wie die Position Hedges, legt Withrow (1987) vor. Ziel ist hier die Erarbeitung spezifischer Textsorten; entsprechend sind die Einheiten aufgebaut. Diese Arbeit involviert einiges an reglementierten Übungen; diese werden jedoch immer vom Ziel her begründet und haben weniger das Einüben von streng definierten Sprachmitteln zum Thema als die Fokussierung von Vertextungsproblemen. Eines der Hauptmomente der Unterrichtsarbeit ist auch hier die Mobilisierung des Vorwissens und der Urteilsfähigkeit der Lernenden (vgl. Withrow 1987: 3, 7).
2
Die Entdeckung des Schreibens
Man kann die im letzten Abschnitt beschriebenen Positionen begreifen als Schritte in der Entwicklung eines klareren Verständnisses des Gegenstandes und der Verfahrensweisen der fremdsprachlichen Schreibdidaktik, als Versuche, Probleme oder zumindest Unzulänglichkeiten zu beseitigen, die sich aus den je vorhergehenden Versuchen ergaben. Es ist schon aus der Art der eben gegebenen Darstellung abzulesen, wo ich die entscheidenden Punkte dieser Entwicklung sehe; trotzdem scheint es angebracht, auf einige ihrer Aspekte vertieft einzugehen und ihren Stellenwert genauer herauszuarbeiten. 2.1
Der Gegenstand der Schreibdidaktik
Die Entwicklung, welche in der Aufeinanderfolge der drei Positionen stattgefunden hat, lässt sich am klarsten herauslesen in der Veränderung der Definition des Gegenstands der Schreibdidaktik. Diese lässt sich zunächst beschreiben als entschiedene Einschränkung im Übergang zu ei-
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Teil ΙΠ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schieibdidaktik
ner textlinguistisch fundierten Didaktik, als erneute entschiedene Ausweitung im Übergang zur prozessorientierten Didaktik. Diese Ausweitung besteht jedoch nicht in einem Schritt zurück, sondern in der Thematisierung einer völlig neuen Dimension. Die schreibdidaktisch relevanten Argumente, Mittel und Ziele ändern sich entsprechend dieser sukzessiven Neudefinition. 2.1.1 Der Begriff der Schreibdidaktik Pineas und Hedge nehmen die Bereiche der Orthographie, Motorik usw. nicht explizit aus dem Bereich der Schreibdidaktik heraus; sie schliessen sie einfach nicht oder nur sehr am Rande in ihre Betrachtung mit ein. Die Einschränkung, welche sich daraus ergibt, scheint mir notwendig zu sein; sie ist entscheidend dafür, dass überhaupt ein Bereich abgesteckt werden kann, der einigermassen kohärent charakterisierbar ist. Die Bestimmungen, wie sie im direktiven Ansatz gegeben werden, tendieren dazu, alles, was in irgendeiner Weise mit der Schrift und dem Hinschreiben zu tun hat, unter dem Titel 'Schreiben' abzubuchen und sämtliche entsprechenden unterrichtlichen Aktivitäten dem Bereich der Schreibdidaktik zuzuschlagen. Dies entspricht zwar einer der alltagssprachlichen Bedeutungen von 'Schreiben', lässt jedoch die vielen entscheidenden Brüche, welche dieses Feld durchziehen, ausser acht. Schreibgeläufigkeit, Lesbarkeit des Geschriebenen und Beherrschung der Orthographie sind Voraussetzungen des Schreibens als eines Texte-Herstellens insofern, als ihre Beherrschung diese Aufgabe sicher enorm erleichtert. Es ist aber möglich, Texte herzustellen auch dann, wenn diesbezügliche Fertigkeiten nur unvollkommen beherrscht werden. Im Rückgriff auf die Diskussion in II. 1/1 kann hier nochmals darauf hingewiesen werden, dass alle diese Fertigkeiten unabhängig von jedem Vertexten ausgebildet und angewendet werden können (etwa im Lesen und Abschreiben, im Verfertigen von Listen, im Aufschreiben von Diktaten, in kalligraphischer Betätigung usw.) und dass jedenfall gezielte Übung in diesem Bereich kalligraphische und orthographische Qualitäten fördern mag, nicht jedoch die Fähigkeit zum Schreiben als einem Vertexten. Sie sind demnach kein Gegenstand einer Didaktik des Texte-Herstellens. Insofern solche Grundfertigkeiten jedoch hilfreiche Voraussetzungen für das Texteschreiben darstellen und Texte dazu verfasst werden, weitergegeben und von anderen gelesen zu werden, müssen die entsprechenden Fertigkeiten des richtig Schreibens und des leserlich Schreibens auf einen angemessenen Stand gebracht werden. Sie bilden damit einen abgegrenzten Teilbereich einer umfassenderen Schreibdidaktik. Das Heisst: Wenn in diesen Bereichen anhand dessen, was und wie Lernende schreiben, grosse Probleme sichtbar werden, können und müssen sie zum Thema des Unterrichts werden, und zwar in spezialisierten Lernformen, welche diese eigenständigen Fähigkeiten möglichst effizient zu beeinflussen vermögen. Sie haben jedoch mit dem produktiven Schreiben und der Schreibdidaktik im
ΠΙ.1 Schreibdidaktik und produktiver Sprachgebrauch
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engeren Sinne nichts zu tun, und sie lassen sich auch nur sehr beschränkt im Rahmen des produktiven Schreibens angehen. In ähnlicher Hinsicht sind Stimmbildung und Artikulation Voraussetzungen des Sprechens. Sie müssen, wo sie nicht genügend ausgebildet sind, zum Thema des Unterrichts werden, es wäre jedoch verfehlt, gezielte Anstrengungen in diesem Bereich nicht abzugrenzen von der ganz anderen Aufgabe der Entwicklung der Dialogfähigkeit, das heisst des aktiven Gebrauchs der Sprachmittel in Situationen. Damit wird der Text als strukturiertes Gebilde, werden die im Kapitel Π.2 aufgeführten pragmatischen Dimensionen, vor allem jene der Textualität und der Schriftsprachlichkeit, zum Gegenstand der Schreibdidaktik, ein in sich einigermassen kohärenter Bereich, der zusammenhängender didaktischer Konzeptualisierung zugänglich ist. Bereits die direktiven Ansätze zeigten ein gewisses, jedoch eher schlecht organisiertes Interesse für solche Phänomene1. Diese werden, vor dem Hintergrund der seit den sechziger Jahren sich entwickelnden Textlinguistik, im textlinguistischen Ansatz und darüber hinaus im prozessorientierten zum eigentlichen Kernpunkt des Schreibunterrichts. 2.1.2 Die zentrale Stellung des Schreibens Im Gegenzug zu der Einschränkung, welche der textlinguistische Ansatz gegenüber den früheren bringt, weitet der prozessorientierte den schreib didaktischen Gegenstand auf entscheidende Weise wieder aus. Der Schreibprozess stellt nicht nur ein neues Thema dar; die Aufmerksamkeit, die hier der Vorgang der Textherstellung erhält, und das Gewicht, das den Kompetenzen und Einsichten der Lernenden dabei zugemessen wird, lassen auch die angezielten Texte selbst in einem anderen Licht erscheinen. Zugleich wird die Problematik der Vermittlung von produktiven Fertigkeiten auf neue Weise formulierbar. Der prozessorientierte Ansatz nimmt die textlinguistische Erkenntnis auf, dass Texte auf verschiedenen Ebenen strukturiert sind. Diese Strukturiertheit als Eigenschaft des Textes wird aber nicht einfach als gegeben unterstellt; sie wird gesehen als Resultat eines Akts der Strukturierung, als Produkt des Schreibens. Private Schreibanlässe, aber vor allem schulische Schreibaufgaben erscheinen als schwierig zu bewältigen nicht nur, wenn sie nicht mit positiven Motivationen belegt werden können, sondern oft auch aus ganz anderen Gründen: Das Mitteilungsproblem, welches sie aufwerfen, begegnet den Schreibenden leicht als kaum strukturierbare Komplexität, der kein Handwerk, sondern allein Talent und Kunst und - in der Schule - Übungen gewachsen sind, in denen Texte unter Anleitung geschrieben werden, welche jene Sprachmittel, Strukturen usw. aufweisen, 1
Vgl. etwa die höchst verschiedenartigen, auf gänzlich unterschiedlichen Ebenen liegenden und kaum miteinander in Verbindung gebrachten Übungshinweise in Rivers/Mitchell DelTOito/DelTOito 1975:265ff.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
die in den zielgemäss von den Lernenden zu beherrschenden Textformen mit mehr oder weniger grosser Wahrscheinlichkeit auftreten. Der Prozessansatz setzt hier an. Die Schwierigkeiten, welche Schreibaufgaben stellen, lassen sich abarbeiten, die Komplexität der Aufgabe ist reduzierbar, wenn der Prozess der Erarbeitung von Texten durchsichtig gemacht werden kann. Die verschiedenen Aspekte an Texten sind beziehbar auf prozessuale Momente (der Situationsanalyse, des Ideensammelns, des Planens und des Vertextens); diese sind herausstellbar als spezialisierte Aktivitäten, die jeweils eine der Textebenen in den Vordergrund rücken und deren isolierte Bearbeitung ermöglichen. Was, im Produkt, als komplexe Gleichzeitigkeit erscheint, wird im (strukturierten) Prozess der Erarbeitung gezielt aufgebaut. Die Überarbeitung dann dient der Revision des realisierten Textes im Hinblick auf die Frage, ob und wie weit er die im Verlaufe der Arbeit definierten Ansprüche erfüllt. Didaktisch relevant ist dies darum, weil die Vermittlungsinstanz zwischen der Schreibaufgabe und dem zu schreibenden Text in diesem Zugang weniger in vorgegebenen Mustern und Sprachmitteln gesehen wird als in Akten der Strukturierung durch die Schreibenden selbst. In diesen spielen natürlich Textmuster (Pläne, übliche Aussageweisen usw.) und idiomatische Sprachmittel eine Rolle. Diese werden aber dem Schreiben weniger vorgegeben als durch die Schreibenden im Zuge ihrer Arbeit aufgerufen und eingesetzt. Wird die Problematik des Schreibens von dieser Arbeit des Ausdrucks her gesehen, so ist auch zuzugestehen, dass nur in gewissen Fällen textuelle Lösungen in hohem Masse erwartbar sind - überall dort etwa, wo Mitteilungen durch normativ recht eindeutig determinierte Textsorten konditioniert werden. In allen anderen Fällen lassen sich Aufgabenlösungen - die Strukturen und Aussageweisen von Texten - nur höchst unvollkommen voraussagen, das Schreiben und seine Resultate demnach nur mit Schwierigkeiten direktiv kontrollieren. Als Produkte von Problemslösungsprozessen sind solche Texte sehr stark abhängig vom Ablauf dieser Prozesse, von den Entscheidungen, die auf dem Wege der Realisierung getroffen werden, nicht nur von den inhaltlichen Vorgaben. In noch viel höherem Masse als für den Bereich textueller Strukturen gilt dies für den der sprachlichen Mittel. Diese lassen sich praktisch - von einigen hoch idiomatisierten textsorten- oder fachspezifischen Formeln abgesehen - kaum voraussagen. Wenn so der Text in Abhängigkeit vom Schreiben, somit das Texteschreiben selbst zum Thema der Schreibdidaktik wird, so ist damit eine noch prägnantere Formulierung dessen gefunden, was ihr zentraler Gegenstand ist, als dies dem textlinguistischen Ansatz gelungen war. Bei aller Fragwürdigkeit dieser Charakterisierung - auf eine kritische Explikation und teilweise Erweiterung des Prozessansatzes geht das nächste Kapitel ein wird damit aber klar das Hauptproblem sichtbar, vor das sich eine Schreibdidaktik gestellt sieht. Sie hat sich als eine Didaktik zu konstituieren, welche den produktiven Sprachgebrauch und die Möglichkeiten seiner Entfaltung zum Gegenstand hat. In dieser Beziehung teilt die Schreibdidaktik
ΠΙ.1 Schreibdidaktik und produktiver Sprachgebrauch
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einen wichtigen Zug mit einer Didaktik der mündlichen Kommunikation. Was ihre Stellung einzigartig macht, ist die Tatsache, dass das Schreiben die Dimensionen des Prozesses und des Produktes separat zu entfalten erlaubt; des weiteren die Tatsache, dass das Schreiben offener ist in dem Sinne, als es weniger direkt durch die Stimuli des Gesprächspartners beeinflusst und gelenkt werden kann. Es stellt sich hier das Problem einer eigenständigen Didaktik des produktiven Sprachgebrauchs in direkterer Weise. An dieser Stelle soll zunächst einem Gesichtspunkt nachgegangen werden, welcher sich aus der Konstellation der drei oben dargestellten Ansätze von selbst ergibt. Es ist die Frage, wie sich das Üben, welches im ersten Ansatz einen derart zentralen Stellenwert besitzt und im zweiten noch stark in Erscheinung tritt, zum produktiven Gebrauch der Sprache verhält, welcher im dritten Ansatz derart vehement ins Zentrum gestellt wird. 2.2 Üben und Schreiben Die Frage nach dem Verhältnis von Üben und Gebrauchen lässt sich stellen als Frage nach dem Verhältnis der Teilfertigkeiten zur Gesamtfertigkeit 'Schreiben'. R. Bohn charakterisiert dieses Verhältnis so: Geht man vom Schreiben als einer komplexen Fähigkeit aus, dann stellen seine Komponenten [...] notwendige und relativ abgrenzbare Zielgrössen des Übungsprozesses dar. Das heisst, die Entwicklung der Fähigkeit zum zusammenhängenden schriftsprachlichen Gestalten hat ihre Voraussetzung in der Entwicklung dieser Teilfähigkeiten. (Bohn 1987b: 210)1
Dieser Darstellung ist zuzustimmen. Ein Schreiben ist ohne ausreichende Beherrschung der involvierten Teilfertigkeiten kaum möglich. Die Frage ist jedoch: Wie ist dieses Verhältnis genau zu bestimmen? Wie ist der Voraussetzungscharakter dieser Teilfertigkeiten beschaffen? Oder kurz: In welchem Verhältnis stehen Üben - die Bereitstellung von Teilkenntnissen und Teilfertigkeiten - zum Gebrauchen von Sprache, in diesem Zusammenhang zum (produktiven) Schreiben? Die bisherige Diskussion hat zwei Antworten auf diese Frage bereitgestellt, die hier nochmals aufgenommen werden sollen. Die erste ist die, dass der Unterricht in einer längeren Zeit der Vorbereitung durch reproduktive und reproduktiv-produktive Übungen zum Schreiben hinführen müsse. Die zweite ist die von Pineas gegebene; danach dient das Üben der Bereitstellung spezieller Mittel und Teilfertigkeiten. Die prozessorientierte Didaktik würde diesem zweiten zustimmen, jedoch den Stellenwert dieser Art der Vorbereitung für das Schreiben genauer qualifizieren. 1
Für Bohn sind Komponenten der Schreibfertigkeit «die richtige Auswahl und der korrekte Gebrauch lexikalischer, grammatischer und textkompositorischer Mittel, die Beherrschung der Orthographie, die Lesbarkeit und die Schreibgeläufigkeit» (ebda.; vgl. Bohn 1987a: 235f.). Im folgenden werden, gemäss dem oben Gesagten, nur die von Bohn als erstes genannten Fertigkeiten zu den Schreibfertigkeiten i.e.S. gezählt. Zusätzlich müss-ten die von der Schreibforschung hervorgehobenen Fertigkeiten der Prozesskontrolle genannt werden.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
2.2.1 Zum Schreiben hinführen Beruht das Schreibenkönnen auf reproduktiven und reproduktiv-produktiven Übungen? Die Antwort auf diese Frage ist, zumindest dann, wenn sie Fremdsprachen Unterricht betrifft, banalerweise ja. Es ist höchst wahrscheinlich, dass die im Schreiben aufgerufene Sprachkompetenz unter anderem auch durch solche Verfahren entwickelt worden ist. Wenn dies der Gehalt der direktiven Position ist, dann müsste sie wohl weithin akzeptiert werden1. Die Annahmen der direktiven Position entsprechen jedoch kaum dieser sehr allgemeinen Interpretation, sie sind um einiges spezieller. Danach muss das produktive Schreiben aus den Vorstufen des reproduktiven und reproduktiv-produktiven Schreibens heraus entwickelt werden; diese bilden notwendige, schreibspezifische Evolutionsschritte. Schreiben ist demzufolge - etwas pointiert gesagt - eine Fertigkeit analog der der Passivbildung, der korrekten Pronominalisierung usw., welche über die Stufen der Famiiiarisierung, des kontrollierten und gelenkten Übens und der Entfaltung des freien Gebrauchs für den freien Gebrauch vorbereitet werden muss2. Die oben zitierten Aussagen von Rivers und Grittner legen eine solche Interpretation nahe, wenn auch, wie schon angemerkt, die Querverbindungen zur Entwicklung der Sprechkompetenz zu beachten sind. Explizit in diese Richtung geht Buschendorfs Konzept, das einen notwendigen Zwischenschritt postuliert, welcher nötig sei, um die Lernenden zum Schreiben hinzuführen. In gleichem Sinne argumentiert auch Stein, der im Hinblick auf den gängigen Schreibunterricht feststellt, es fehlten nur allzu oft die sorgfältig geplanten Zwischenschritte zwischen den ganz unselbständigen Übungen des Abschreibens und Umformens und dem freien schriftlichen Ausdruck (Stein 1975: 181. Vgl. Taylor 1976)
und der Hinweise gibt für «die systematische Hinführung zu den [...] schriftlichen Arbeitsformen» (ebda.)3. Die Antwort auf die Frage, ob Schreiben auf diese Weise aus den reproduktiven und reproduktiv-produktiven Übungen herauswachsen müsse, ist wohl nein4. Auf eher theoretischer Ebene liesse sich gegen die Annahme, Lernende müssten zum Schreiben hingeführt werden, zunächst darauf verweisen, dass die Fremdsprachenlerner, um die es hier geht, bereits kompetente Sprecher ihrer Sprache sind und bereits einige Erfahrungen 1
2 3 4
Weithin, nicht vollständig. Die neueren Lemtheorien machen wahrscheinlich, dass nicht alles, was Lernende wissen, auf diese Weise gelernt und geübt werden muss (vgl. 1.2,1.4); zudem wurde bereits deutlich (vgl. II.3), dass im Schreiben auch der Rückgriff auf muttersprachlich erworbene Kenntnisse möglich und gängig ist. Zu diesen vier Stufen des Übens vgl. auch Neuner et al. 1981. Diese Zwischenschritte umfassen die schon vorgestellten Stufen des Kopierens, Reproduzierens und desreproduktiv-produktivenSchreibens (ebda.: 1800· In ΠΙ.3/2 werden wir auf eine verwandte These eingehen, die oft im selben Zusammenhang gemacht wird, jedoch von der hier diskutierten Frage unabhängig ist. Sie besagt, dass freies (produktives) Schreiben sich aus voriagengebundenem, refoimulierendem Schreiben entwickle (bzw. im Unterricht so entwickelt werden müsse).
m.l Schieibdidaktik und produktiver Sprachgebrauch
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mit schriftlichen Texten und dem Schreiben haben. Was Schreiben heisst, muss ihnen nicht beigebracht werden, ebensowenig wie sie zum Sprechen hinzuführen sind. Sofern solches überhaupt gelernt werden muss, geschieht dies im Mutterspracherwerb und - in bezug aufs Schreiben - in der muttersprachlichen Einschulung. Vermittelt werden müssen sprachliche Fertigkeiten, die Mittel des Ausdrucks. Auf eher praktischer Ebene liesse sich diese Antwort auch aus einer näheren Analyse von Übungsformen plausibel machen, welche für sich in Anspruch nehmen, diesen Übergang vom Üben zum produktiven Schreiben zu ermöglichen. Als Beispiel kann hier Buschendorfs analytisch-synthetisches Verfahren dienen. Die Lernenden wohnen hier einer höchst komplexen Prozedur bei. Es ist der Lehrer, der die Spracharbeit anleitet, portioniert und die von den Lernenden beigebrachten Vorschläge bewertet und koordiniert «unter Mithilfe der Schüler», wie es heisst. Vorausgesetzt, dass die Arbeit sich wirklich auch um textuelle und nicht nur um morphologische und syntaktische Aspekte dreht, so ist anzunehmen, dass die Lernenden vor allem dann verstehen können, warum bestimmte Kriterien der Beurteilung von Vorschlägen gelten sollen, wenn sie bereits wissen, was es heisst, einen Brief zu schreiben. Schreibfertigkeit wird hier demnach eher vorausgesetzt als vermittelt. Was in dieser Übung gelernt wird, das sind wohl vorab sprachliche Mittel Wörter, Strukturen, Kollokationen, welche hier intensiv und mehrfach verwendet und repetiert werden. In diesem Sinne trägt dieses Verfahren sicherlich bei zur Fähigkeit, nachher Texte zu schreiben1. Dies liegt jedoch nur bedingt an der spezifischen Form dieser Übung; es ist anzunehmen, dass intensive Beschäftigung mit diesem Wortschatz, diesen Strukturen und diesen Kollokationen auch in Leseübungen, grammatikbezogener Arbeit, Dialogübungen usw. zum entsprechenden Resultat führen würden. Was der textbezogene und schriftliche Charakter der Arbeit dem hinzufügt, mag einzelnen Lernenden gewisse Einsichten vermitteln, anderen eher unliebsamen Respekt vor der Kompliziertheit des Schreibens einjagen, es fällt jedoch schwer, sich vorzustellen, wie dies die Lernenden zum Schreiben hinführen könnte2. 2.2.2 Üben von Teilfertigkeiten Der textlinguististische Ansatz stellt Teilfertigkeiten in den Vordergrund, bestimmte neue Mittel der Vertextung, Textstrukturen usw. Es sind diese, welche in den Schritten des Kennenlernens, reproduktiven und reproduktiv-produktiven Übens vermittelt, gelernt und schliesslich - in der Anwendungsphase - gebraucht werden sollen. Im Hintergrund steht hier mit dem 1 2
Vorab natürlich zur Fertigkeit, diesen (oder einen ihm zum Verwechseln ähnlichen) Text zu schreiben. Natürlich ist anzunehmen, dass Lernende, wenn sie lange Zeit mit solchen Verfahren gearbeitet haben, nachher Texte schreiben können. Dies steht nicht in Frage. Die Frage ist, ob sie es aufgrund des speziellen Textbezugs in solchen Arbeiten können, und dies ist zu bezweifeln.
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anderen Begriff von Schreibdidaktik auch ein entschieden anderer Sprachbegriff, als ihn Grittner, Rivers und andere vertreten. Sprachgebrauch ist nicht - oder nicht nur - Inszenierung wohl eintrainierter 'habits', sondern kreativer Sprachgebrauch im Chomskyschen Sinn: die Bildung neuer, so noch nie rezipierter Strukturen auf der Grundlage der Sprachkompetenz. Üben in diesem Sinne der Aufarbeitung textspezifischer Mittel gehört wesentlich zur Schreibdidaktik. Wird es jedoch, wie dies Pineas tut, in ihr Zentrum gerückt, wird gar die Folge 'Familiarisieren - reproduzierendes Üben - veränderndes Üben - Gebrauchen' als fast universelles Mittel des Schreibenlehrens und -lernens angesetzt, so stellen sich auch hier einige grundsätzliche Fragen zum Verhältnis dieses Übens zu dem oben herausgestellten Thema des Schreibunterrichts. Was hier gemeint ist, mag aus dem folgenden hervorgehen. Pineas schlägt dem Lehrer, der nicht einfach einen im Handel erhältlichen Schreibkurs benutzen will, für die Zusammenstellung seines eigenen Programms etwa vor: 1 Either
a. Choose some varieties of written English that would be meaningful and motivating for the class, and then b. Observe what skills are needed for these varieties, or a. Decide what writing skills have to be taught, and then b. Find meaningful and motivating varieties of written English that can be used to demonstrate and practice those skills. 2 Check on the language needed for those varieties (or, conversely, simplify the samples to fit the level of the learners). 3 Prepare suitable exercises to make a series of writing lessons based on each variety in turn. (Pineas 1982:7f.)
Hier wird die Voraussetzung gemacht, jedes schreibdidaktische Thema lasse sich in der Form der didaktischen Übungsstufen einführen und behandeln. Dies gilt sicher für viele wichtige Gegenstände der Schreibdidaktik - primär für gewisse Sprachmittel, aber auch für Textsortenkenntnisse, Darstellungsmuster usw. Es stellt sich aber die Frage, ob dies die schreibdidaktischen Gegenstände erschöpft und ob damit immer eine fruchtbare Auseinandersetzung mit ihnen gewährleistet werden kann. Ich möchte hier auf vier Punkte hinweisen: 1. Thema der Schreibdidaktik sind nicht nur neue Sprachmittel und einzelne leicht identifizierbare Textmuster. Die Herausforderung durch das Schreiben lässt sich ja nicht reduzieren darauf, dass solche neuen Dinge zu lernen sind. Vielmehr zeigt gerade die Erfahrung von Muttersprachigen, dass das Schreiben in wesentlichem Masse auch eine Frage der Konfiguration bereits bekannter Mittel zu neuen Zwecken ist. In bezug darauf stellt sich weniger die Frage, ob ganz genau definierbare Mittel beherrscht werden, sondern die, wie gut die beherrschten im Hinblick auf das jeweilige Ziel eingesetzt werden können, wenn Intentionen ausgedrückt bzw. bekannte Darstellungsweisen im Hinblick auf das Thema und den je aktuellen Kontext verwendet werden sollen.
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2. Es ist anzunehmen, dass die Lernenden in ihrer Muttersprache relativ weit fortgeschritten sind in ihrer Beherrschung zumindest der Grundverfahren und der einfacheren Strategien des Vertextens. Auf diese könnte aufgebaut werden, sie brauchen demnach nicht eigentlich gelehrt zu werden. Allerdings kann diese Beherrschung in der Fremdsprache nicht in jedem Fall einfach vorausgesetzt werden - die Situation ist für die Schreibenden hier komplexer und unübersichtlicher, so dass sie durchaus Hilfestellungen brauchen können. Die Verwendung dieser Kenntnisse muss demgemäss thematisiert werden können. Dies kann durch Übungen geschehen; es ist dies jedoch sicherlich nicht immer der einzige und wahrscheinlich oft nicht der fruchtbarste Weg. 3. Es ist unklar, wie gut die Lernenden sich mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln kohärent ausdrücken können - wie sehr sie also die (textspezifische) Verwendung der soweit gelernten fremdsprachlichen Mittel beherrschen. Diese Unklarheit kann vorgreifend nicht zuverlässig beseitigt werden. Dies gilt auch für die nach Pineas' Verfahren neu eingeübten textbezogenen Mittel und Verfahren selbst. Damit, dass diese gelernt worden sind, ist ihr adäquater Gebrauch im Kontext noch nicht gesichert. Solche Mittel können durchaus anhand von Textbeispielen in ihrem 'natürlichen Umfeld' gezeigt und reproduktiv bzw. reproduktiv-produktiv geübt werden. Es ist jedoch nicht selbstverständlich, dass sich aus der Kenntnis der Mittel und der Fähigkeit, in einem vorgegebenen Kontext ihren Gebrauch nachzuvollziehen, die Fähigkeit ergibt, diese Mittel auch unabhängig von solchen Vorgaben adäquat zu gebrauchen in selbst verantworteten Kontexten. Hier erscheint die Stufenfolge des Übens als zwar möglicherweise hilfreiches Verfahren, durch das aber die Kernfrage nicht beantwortet wird: die nach der Rolle und der Beschaffenheit des Schreibens selbst, auf welches diese Übungen hinzielen. Es ist nicht von vornherein klar, wie weit dieses Üben und sein meist deutlich reproduktiver Charakter das Zusammenspiel von vorauszusetzender muttersprachlich gebildeter Schreibkompetenz und Fremdsprache wirklich in Gang bringt. 4. Ein verwandtes Problem besteht dann, wenn die Lernenden eine andere Vorstellung darüber haben, was einen guten Text ausmacht, wenn also die Kriterien, nach denen sie ihre eigenen Produktionen beurteilen, kulturell anders geprägt sind. Auch hier stellt sich die Frage nach dem Status von Übungen: Diese können den Sachverhalt bis zu einem gewissen Grade durchsichtig machen. Aber sie führen nicht ohne weiteres dazu, dass die relevanten Kriterien in der Vertextung beherrscht werden, also dort, wo nicht mehr vorgebene Strukturen zu komplettieren oder präzise gewählte Lücken zu füllen sind, sondern wo selbständig ein Text als Mitteilung konzipiert werden muss. Diese Bemerkungen verweisen auf eine Ebene, welche hinter der steht, welche durch das Üben angesprochen und thematisiert wird. Die Problematik des Schreibens lässt sich nicht reduzieren auf die Frage nach dem richtigen Gebrauch neugelernter Mittel, sondern betrifft den adäquaten Gebrauch der zur Verfügung stehenden Mittel generell, seien die nun
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frisch eingelernt oder bereits länger bekannt. Das Resultat geglückter Schreibarbeit besteht in einem (klaren, verständlichen, gut gegliederten, interessanten, ...) Text, nicht in der Verwendung bestimmter Mittel in bestimmten Positionen. Auf dieser Basis lässt sich das Verhältnis von Üben und Schreiben so fassen: Ziel des Übens ist die Bereitstellung zusätzlicher Mittel oder Kenntnisse, welche in bezug auf eine in Aussicht genommene Schreibaufgabe als unabdingbar oder zumindest hilfreich erscheinen; Ziel des Schreibens überhaupt und damit zentrales Thema der Schreibdidaktik ist die Integration und Anwendung potentiell aller vorhandenen Kenntnisse im Hinblick auf eine Äusserung, also das Schreiben im Hinblick auf eine Mitteilung. 2.2.3 Rezeption, Produktion und der Schreibunterricht Die zuletzt angesprochene Frage betrifft das Zentrum der Schreibdidaktik als einer Didaktik des produktiven Sprachgebrauchs. Der Bereich des Fremdsprachenunterrichts, der sprachlich durch Lehrmaterial und Programm in weitem Grade planbar und kontrollierbar ist, ist zunächst der Bereich der Rezeption. Was lesend oder hörend verstanden werden soll, ist weitgehend manipulierbar in bezug auf Schwierigkeit, Länge, thematische Ausrichtung wie auch das Ausmass der neuzulernenden Strukturen und Elemente der fremden Sprache. Mit zu diesen Grundlagen gehören die Äusserungen des Lehrers, auch seine Erklärungen, die für die Unterrichtsorganisation nötigen Anweisungen usw. Die Eigenschaften dieses Inputs regulieren grossenteils auch die Unterrichtsarbeit, die ja zu keinem geringen Grade in der Aufarbeitung des vorgelegten Materials besteht, indem entweder vor oder nach, zum Teil auch während dessen Präsentation die neuen sprachlichen Elemente semantisiert, syntaktische Strukturen eingeführt, erklärt und geübt werden usw. Diese Erarbeitung geschieht mündlich oder schriftlich, meist unter sehr genauen Vorgaben. Diese fokussieren die neuen Sprachmittel und garantieren deren Einübung im Kontext bereits bekannten Materials. Während das reproduktive Üben in der Wiederholung oder im Ausfüllen vorgegebener Strukturen besteht, so das reproduktiv-produktive in einer Wiederholung und eventuell Variation des Neuen in zusehends komplexeren, unter Umständen auch offeneren Kontexten - im Extremfall wird eine Aufgabe gestellt, welche produktiven Umgang mit der Sprache erfordert bis auf die jeweils fokussierte Operation, welche konstant gehalten wird. In diesem einen Punkt behält die Produktion dann reproduktive, übende Züge, welche eine struktur-, nicht eine ausdrucksbezogene Einstellung erfordern, während sie im übrigen frei erfolgt (vgl. Neuner et al. 1981; Jaeschke 1984: 15). Es sind diese Bereiche der Rezeption und des (mündlichen und schriftlichen) Übens, welche durch die lehrergesteuerten unterrichtlichen Anleitungen ganz direkt beeinflusst werden und in welchen der (rezeptive und reproduktive) Sprachgebrauch weitgehend - das heisst bis in die Details der sprachlichen Oberflächenstruktur hinein - durch die didaktischen Vor-
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gaben vorgeplant und kontrolliert werden kann. In diesem Bereich ist es auch möglich, Übungen zu erarbeiten, die die Zahl der Fehlermöglichkeiten reduzieren, weil sie «genau das und nur das aufgreifen, worauf es ankommt» (Freudenstein 1970a: 22). Dabei kann es allerdings nie, oder nur unter grössten Vorsichtsmassnahmen, zum produktiven Sprachgebrauch kommen; das Gewicht liegt eindeutig auf dem rezeptiven, reproduktiven Sprachgebrauch. Der produktive Bereich im doppelten Sinne des Wortes dagegen - der Bereich des aktiven Sprachgebrauchs (im Vergleich zum rezeptiven) und der Bereich des Formulierens (im Gegensatz zum Kopieren und Reproduzieren) - ist gegenüber solchen planenden Eingriffen von aussen viel unabhängiger. Dem Formulierenden sind zunächst Themen, Ziele, Funktionen vorschreibbar. In vielen Fällen ist damit ein Zwang zur Benützung bestimmter, vorhersagbarer textueller Darstellungsweisen, Textstrukturen, Textsortenmuster usw. gesetzt; in vielen Fällen dürfte es dagegen schwer halten, mehr als allgemeine diesbezügliche Erwartungen zu formulieren. In bezug auf die Textoberfläche, die verwendeten Sprachmittel ist aus solchen Aufgabenstellungen die Verpflichtung zum Gebrauch spezifischer Wörter, Formulierungen oder Strukturen noch weniger ableitbar und beschränkt sich auf wenige, hoch idiomatische Wendungen. Auf diesen letzten Gesichtspunkt ist kurz gesondert einzugehen. Im Formulieren ist das sprachliche Material Mittel zum Zweck und wird über Entscheidungen aufgerufen, die der Sprechende oder Schreibende auf höherer Ebene fällt: auf der Ebene der Pläne, Intentionen und Aussagestrategien des projektierten und/oder bereits produzierten Textes. Dies bedeutet, dass es im Formulieren weitgehend dem Produzierenden überlassen bleibt, darüber zu entscheiden, ob und wie weit er bestimmtes, also auch neugelerntes Sprachmaterial verwenden kann oder will. Er kann indirekt, durch die Aufgabenstellung oder inhaltliche Vorgaben, dazu eingeladen werden, bestimmte Aussageweisen, Wörter usw. zu benützen; die vielfältigen Möglichkeiten der Paraphrase und Anspielung machen es aber schon sehr früh im Fremdsprachenunterricht schwierig, auf diesem Weg genau definierte sprachliche Reaktionen zu entlocken1. Produktiver Sprachgebrauch ist dadurch ausgezeichnet, dass seine Resultate höchstens in verschiedenem Masse erwartbar, kaum je fix vorherbestimmbar sind: Schreiben ist nicht an vorgegebene Sprachzeichen gebunden [sc.: wie die rezeptiven Tätigkeiten], sondern erlaubt freie Wahl aus dem zur Verfügung stehenden Sprachinventar. Nichtverfiigbarkeit bestimmter Mittel kann unter Umständen mit Hilfe von Paraphrasen ausgeglichen werden. (Marianne Löschmann 1983: 357)
Dieses Verhältnis zu betonen ist in diesem Kontext besonders relevant. Die Fremdsprachendidaktik hat es immer sehr direkt und vordringlich mit den sprachlichen Mitteln, der linguistischen Oberfläche, mit Details der Mor1
Es fällt leicht, etwa Entschuldigungen oder Einladungen zu schreiben oder Versprechen zu machen, ohne auch nur die Wörter 'entschuldigen/Entschuldigung' usw. zu benützen.
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phologie, der Semantik usw. zu tun in einer Dichte, wie dies im Muttersprachenunterricht nicht der Fall ist. Um so wichtiger ist die Erinnerung daran, dass produktiver Sprachgebrauch - und vor allem Schreiben, das viel weniger durch unmittelbare sprachliche Kontexte gesteuert wird als Sprechen - durch eine Aufgabe, ein Mitteilungsproblem in Gang gesetzt wird1. Diese können im Einzelfall dem Sprechenden oder Schreibenden sehr viele Dinge vorgeben, nicht jedoch im Normalfall die sprachliche Form, welche die Formulierungen annehmen sollen, ausser diese seien im Gebrauchskontext stark idiomatisiert und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erfordert, damit die Äusserung als einigermassen korrekt akzeptiert werden kann2. Willkürliche Vorgaben, die den Gebrauch genau definierter Sprachmittel sichern sollen, sind wenig sinnvoll3; sie tendieren dazu, von der Aufgabe des Formulierens abzulenken, und führen leicht dazu, dass die Aktivität der Lernenden auf ungeschickte Weise umgelenkt oder die als produktiv ausgegebene Aufgabe zu reproduktiver Repetition umgemünzt wird. Während dies in gewissen Fällen eine vertretbare Einschränkung, vielleicht sogar eine Erleichterung der Schreibaufgabe bewirken kann, wirkt eine solche Steuerung in vielen Fällen kontraproduktiv in dem Sinne, dass der freie Gebrauch der Sprache durch die Festsetzung eingeschränkt wird, in dem Sinne auch, dass einem minimalen Übungseffekt zuliebe der didaktische Zweck der Aufgabenstellung geopfert wird. Vgl. das folgende, aus der Arbeit von Pineas stammende Beispiel: Each student writes a letter to an uncle, a grandmother, a teacher, the Prime Minister, usw., asking for something. For example, the letter to an uncle can ask for money, the letter to the grandmother can ask to borrow her best necklace, etc. The letter must ask for something special. The letter should use because and explain the reason why the writer is asking for something, e.g. "I need ten pounds because I want to buy [·•·]· It costs [...] pounds, and I have only [...] pounds." (Pineas 1982: 31)
Hier führt, in einem durchaus produktiven Anlass, die Aufgabe eine dem inhaltlichen und kommunikativen Ziel fremde Vorgabe mit ein: die Auflage, because zu gebrauchen. Offenbar ist diese Partikel eben eingeführt und geübt worden; die Schreibaufgabe wird gegeben mit dem Ziel, sie im freien Gebrauch verwenden zu lassen.
1
Krings (1987,1988) konstatiert in bezug auf das Übersetzen explizit den subjektiven Charakter von Übersetzungsproblemen, ihre nur beschränkte Vorhersehbarkeit. Schreiben, das auch bei grosser Belastung durch inhaltliche Vorgaben in jeder Beziehung viel freieren Sprachgebrauch ermöglicht, lässt ausser in Randbereichen kaum eine griffige Vorwegnahme von Formulierungsproblemen zu. Vgl. auch die allgemeinen, nicht aufs Schreiben bezogenen Bemerkungen von Henrici (1982: 158f.). 2 Die sprachliche Oberfläche wird in solchen Fällen demnach nicht vorgegeben, sondern eben durch die Aufgabe erfordert. Beispiel sind etwa Anrede und Abschlussformeln in Briefen an Höhergestellte oder nicht näher bekannte Personen. 3 Eine Ausnahme machen eher spielerische Herausforderungen, etwa wenn einige bestimmte Wörter oder zwei oder drei festgelegte Sätze in einer von den Lernenden zu erfindenden Geschichte benutzt werden sollen.
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Dies macht leider kaum guten Sinn. Denn die Vorgabe verunmöglicht nicht gerade, aber erschwert massiv das, was nominell auch in Pineas' Schreibdidaktik angestrebt ist: Das partnerbezogene, situationsangemessene Formulieren. Der Zwang, because zu gebrauchen, drängt, zusammen mit dem Beispieltext, die Schreibenden dazu, das Gewünschte zuerst zu nennen und dann ihre Gründe für den Wunsch anzugeben - ein durchaus unkommunikatives Verfahren, denn jeder einigermassen sensible Schreiber würde zuerst sagen, worum es geht und was er plant, was ihm dazu fehlt, und würde erst dann mit der Bitte herausrücken. Dies würde nichts an der sprachlichen Komplexität des resultierenden Textes verändern - ein solcherart vorgetragener Wunsch erforderte keine wesentlich anderen Ausdrucksmittel als der vorliegende Text. In diesem Falle wären Äquivalente zu deshalb, darum usw. viel angemessenere Hilfsmittel1. Aber auch diese vorzuschreiben hätte kaum einen Sinn, weil sich obligatorische Kontexte nur dann zuverlässig voraussagen lassen, wenn die Aufgabe wie in diesem Fall implizit zu einer Reproduktionsübung gemacht wird. Der Übergang zum freien Gebrauch ist damit aber kaum geschafft. Besteht in dieser Hinsicht ein Problem, etwa dies, dass die Lernenden in ihrem Schreiben die Orte übersehen, wo explizite Begründungen am Platz wären, dann hilft wohl auch diese Art der Einführung in den freien Gebrauch nicht weiter. Die Hauptaufgabe produktiven Sprachgebrauchs und vor allem des Schreibens kann es demgemäss nicht sein, den Gebrauch definierter einzelner Sprachmittel sicherzustellen und die produktive Schreibaufgabe als Trainingsgrund dafür zu nutzen. Ziel des Schreibens in bezug auf das Sprachlernen ist vielmehr primär, den Lernenden Gelegenheit zu geben, den ihnen bereits zur Verfügung stehenden Sprachschatz zu aktivieren und im Hinblick auf die anstehenden Aufgabe der Mitteilung einzusetzen. In diesem Sinne kann ein Schreibanlass auch dann didaktisch relevant und sinnvoll sein, wenn in ihm keine neuen Sprachmittel gelehrt werden und keine noch unbekannten textuellen Strukturen eine Rolle spielen. Sicherlich bringt er die angedeuteten schreibdidaktischen Grundfragen klarer zum Vorschein als ein Anlass, der sich schwergewichtig der Vermittlung neuer solcher Kenntnisse widmet. Eine Schreibdidaktik, auch eine fremdsprachliche, hat sich primär mit diesem fundamentalen Kernbereich auseinanderzusetzen. Die noch so gekonnte Anordnung von Übungen konstituiert keine Schreibdidaktik, wenn sie dort, wo das eigentliche Schreiben, das Verfassen eines Textes, statthat, einen weissen Fleck offen lässt, eine terra incognita. 1
Dies alles ist im Zusammenhang von Pineas* Vorschlag auch deshalb recht störend, weil diese Briefe an die Mitlernenden gehen, die dann darüber zu befinden haben, «if he [sc.: der Schreibende] can get what he asked for». Das einzige sinnvolle Kriterium für eine Antwort wäre in diesem Fall wohl das, ob die Bitte im Urteil der Lesenden originell und hübsch formuliert ist - ein Gesichtspunkt, der angesichts der Anlage dieser Schreibaufgabe wohl kaum zum Tragen kommt.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
2.3 Schreiben und Kontrolle Seine Stellung verdankt das Üben in den beiden ersten didaktischen Positionen zwei Gegebenheiten. Einerseits schliessen schriftliche Übungen oft unmittelbar an das Lesen oder Hören von Texten an. Die Aufgabe, eben erst eingeführtes Material zu lernen, wird verbunden mit Vorbereitungen für anschliessende Schreibaufgaben, seien diese nun reproduktiv-produktiver oder produktiver Art. In diesem Übergang wird das, was noch eindeutig Sache der Sprachvermittlung ist, oft derart direkt mit der angezielten Textaufgabe verbunden, dass kaum mehr sichtbar wird, wie wenig diese Vermittlungsarbeit das eigentliche Problem der Schreibdidaktik betrifft1. Würde der Text zehn Tage später geschrieben, fiele unter Umständen ein guter Teil der als notwendig erachteten Übungen dahin, weil dann die entsprechenden Sprachmittel bereits einige Male verwendet worden sind und als verfügbar angesehen werden könnten. Auf der anderen Seite hat dieser Status von Übungen zu tun mit dem Problem der (sprachlichen) Kontrolle. Bedenken angesichts der Offenheit von freien Schreibanlässen, die an diejenigen Rivers' erinnern, hat in diesem Zusammenhang auch Pineas. Auch sie erwartet «a welter of unexpected errors», wenn die Lernenden freigelassen werden zu schreiben, was sie wollen. Ihr Stellung ist denn auch geprägt von Vorsicht gegenüber zu hohen Ansprüchen. Zu Beginn des Kapitels über freies Schreiben bemerkt sie: the ability to write freely and independently is the undoubted goal of writing lessons. What this book has tried to show is how that goal can bereachedby careful attention to the skills needed to achieve it and by careful selection of appropriate preparatory exercises. Free writing is seen as the aim of a specific set of writing exercises; 'the ability to write freely what has been taught', not 'the ability to write anything at all'. It means that the writing which has been practised under control can, at last, be accomplished without control. [...] At all levels, students must be taught what they have to write. (Pineas 1982: 110)
In gewissem Sinne ist das, was hier vertreten wird, selbstverständlich, fast tautologisch: Die Lernenden können wirklich nur schreiben, was und wie viel sie (irgendwann einmal) gelernt haben2. Pineas scheint die Sache aber anders zu sehen, ähnlich wie Rivers in dem Sinne, als Gegenstand des Schreibens die Dinge sein müssten, die spezifisch geübt und vorbereitet worden sind. So wird die Möglichkeit von Fehlern «considerably lessened after good preparation», und sie mahnt: 1
2
Diese enge Verbindung von Lese-, aber auch Wortschatz- und Grammatikunterricht wird deutlich etwa in McArthur 1984, einem Kurs in kontrolliertem Schreiben, der aber weit mehr beinhaltet als nur Schreibaufgaben. Methodisch ist dagegen nichts einzuwenden, sind solche Verbindungen sogar erwünscht. Didaktisch ist es jedoch unbedingt notwendig, die einzelnen Bereiche des Unterrichts und die in ihnen wirksamen Prinzipien des Lehrens und Lernens klar voneinander zu trennen und ihre jeweiligen Eigenarten herauszuarbeiten. Auch der Griff zum Wörterbuch, den Rivers so fürchtete, vermag den Bereich des Zugänglichen bloss lokal etwas zu erweitern, aber ändert nichts an der Tatsache, dass die Lernenden mit einer beschränkten Sprachkompetenz haushalten müssen.
III. 1 Schreibdidaktik und produktiver Sprachgebrauch
401
At the final stage of a writing lesson, free writing is still a classroom exercise. It is not the normal free writing of everyday life. (Pineas 1982: 111)
Die in diesen Bemerkungen angekündigten Einschränkungen lassen kontrollierende Eingriffe erwarten, wie sie im direktiven Ansatz gängig sind. Diese lassen sich aber auf den Grundlagen des textlinguistischen Ansatzes, der ja explizit das Schreiben von Texten als Mitteilungen thematisiert, gar nicht einführen. Dies zeigt sich deutlich in den praktischen Hinweisen, die Pineas gibt. Die Vorbereitung, von der in diesen Hinweisen die Rede ist, ist gerade keine, welche die Beherrschung spezifischer sprachlicher Elemente und Strukturen garantieren könnte. Sie ist ganz anders beschaffen schulisch vielleicht, aber auf eine Weise, die sich mancher wünschen würde, der ausserschulisch etwas zu schreiben hat: students still need to be assisted in getting started and in organising their ideas. [...] Students should learn to ask themselves certain useful questions before they start. (Pineas 1982: 111)
Fast alle Fragen, die Pineas im Anschluss an dieses letzte Zitat auflistet, betreffen Aspekte, welche mit der Situationsdefinition und der Planung des Schreibens zu tun haben, mit Prozessaspekten also. Es sind dies Vorbereitungen, welche Fehlermöglichkeiten durchaus reduzieren können, aber nicht über den Weg einer Vorarbeit, welche die schliessliche Produktion zu einer Wiederholung verkümmern lassen, sondern dadurch, dass den Schreibenden Ideen, Starthilfen, Planungvorschläge usw. angeboten werden. Ähnliches ist zu einzelnen vorgeschlagenen Schreibanlässen zu sagen wie den folgenden; sie stehen unter dem Titel 'Schreiben durch Expansion': One method of arranging it is to give students a short passage with, say, four clearly stated main points. Students then take each point in turn and write a paragraph about each one, thus expanding the original. Another method is to exploit some of the very common forms of information display that are widely used, for example timetables, charts, diagrams, maps, programmes, menus, tables of contents, usw. Any of these can provide the basic information that students can expand into extended writing. (Pineas 1982:113)
Dies sind weitgehend schulisch gebundene Aufgaben, und vielleicht ist es so, dass einige dieser Aufgaben auch sprachlich vorbereitet werden müssen1. Aber auch eine solche Vorbereitung kann weder den Gebrauch der betreffenden Sprachmittel an bestimmten Stellen garantieren, noch macht sie es den Lernenden unmöglich, in die Irre zu gehen, das heisst Fehler zu machen oder Dinge zu versuchen, die jenseits ihrer Kapazitäten liegen. Beides ist im produktiven Schreiben nicht zu verhindern. Vorbereitung in diesem Sinne kann Schwierigkeiten des Formulierens und sprachliche Fehler vielleicht vermindern; sie stellt keine Prävention dar. In dieser Hinsicht sind die Warnungen Pineas' in den Wind gesprochen: Ihre eigenen Vor1
Es ist nicht sicher, ob die Lernenden den Wortschatz für so technische Texte wie die Explikation von Schemata oder Diagrammen usw. beherrschen. Wo dies mit Sicherheit nicht der Fall ist, stellt sich die Frage, ob die Aufgabe wirklich angemessen und
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Teil ΙΠ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schieibdidaktik
Schläge widersprechen zumindest einer restriktiven Interpretation ihrer Aussagen. Produktives Schreiben im Unterricht mag in vielem schulische Züge tragen, es unterscheidet sich im Hinblick darauf, dass dabei formuliert werden muss, in keiner Weise von dem Schreiben ausserhalb. Dies bedeutet nicht, dass den möglichen Fehlern und Fehlgriffen keine Beachtung zu schenken sei, sondern zunächst nur dies, dass sie bloss um den Preis der produktiven Aspekte am Schreiben mit Sicherheit verhindert werden können. Vermindern lassen sich solche Fehlleistungen aber nicht nur durch Übungen, auf die vielfach fast allein vertraut wird, sondern auch durch die eben festgehaltenen, von Pineas nur angetönten, vielfältigen Möglichkeiten der Vorbereitung und Planung1 (die prozessorientierte Didaktik würde hier schwergewichtig noch die Überarbeitung von Texten hinzunehmen), sowie durch zwei weitere Massnahmen, die eine Einschränkung der uferlosen Fehlermöglichkeiten bewirken und zugleich verträglich sind mit dem Konzept des produktiven Schreibens. Die eine besteht in der Wahl adäquater Themen und Aufgabenstellungen, die andere darin, das Bewusstsein der Lernenden für ihre Möglichkeiten und Grenzen zu fördern. Interessanterweise hat schon Rivers auf diesen letzteren Aspekt aufmerksam gemacht, ohne ihn jedoch weiter auszuführen: If he [sc.: der Lernende] has been carefully trained for a sufficiently long period through the preceding four stages, he will have developed an attitude of mind which will prevent him from committing the worst excesses of clothing native-language expressions and structures in foreign words. If asked to write on subjects which are too general, too philosophical, or too literary, however, he will be frustrated by his desire to write at the standard which is expected of him in native-language composition classes, at a stage when his resources of expression in the foreign language are still extremely limited. The key word for him to keep in the forefront of his thinking in this dilemma is 'simplify'. He must clothe his thoughts in simple, lucid language which is well within his command. (Rivers 1968: 253; vgl. Chastain 1971: 225.)
Das Stichwort ist wertvoll nicht nur im Hinblick auf Themen, die «zu philosophisch» sind, sondern besitzt allgemeine Gültigkeit. Die Tatsache, dass sich die Lernenden für lange Zeit, die meisten für immer, in der Fremdsprache nur in einer Weise äussern können, welche der muttersprachlich gewohnten Leichtigkeit und Komplexität des Ausdrucks nachsteht, ist für ihre ganze Erfahrung als Fremdsprachige ausschlaggebend und ist ein fremdsprachendidaktisches Thema eigenen Rechts, das gerade auch im Schreibunterricht von Belang ist. Wenn nun die «schlimmsten Exzesse» beim freien Schreiben, vor denen Rivers warnt, durch jahrelange, minutiöse Vorbereitung ohnehin nicht verhindert werden können, wenn es ohne die bewusste Kalkulation der Lernenden selbst nicht geht - warum soll die Wirksamkeit dieses Mechanismus der Selbstkontrolle erst in irgendwelchen Stadien des Fortgeschrittenenunterrichts zum Spielen kommen und
1
nötig ist - dann haben die Lernenden wahrscheinlich noch nicht einmal die Möglichkeit gehabt, solche Texte zu hören oder zu lesen. Ähnlich Byrne 1979: 112. Eine Entfaltung der Möglichkeiten, welche diese Dinge für die Schreibdidaktik eröffnen, findet sich erst im prozessorientierten Ansatz.
ΠΙ.1 Schreibdidaktik und produktiver Sprachgebrauch
403
nicht schon von Anfang an? Schliesslich gebrauchen die Lernenden auf jeder Stufe ihrer Kompetenz das, was sie können, und bauen darauf auf; auf jeder Stufe ihrer Kompetenz sind sie auch gefordert, deren Bedingungen und Grenzen zu erkennen und sich auf gerade diese Grenzen einzulassen. Wird jeder Fortschritt allein durch den Lehrer und über die Zwänge des Lehrplans begründet, wird jede Äusserung als Reproduktion angelegt, bis die Lernenden irgendwann einmal freigelassen werden, das Gelernte zu gebrauchen, so wird nur verschoben, was auch auch dann noch und vielleicht erst recht ein Problem ist: die notwendige Offenheit des Sprachgebrauchs in allen Situationen, die nicht vollständig vorgeübt oder idiomatisiert sind. Wird dies akzeptiert, so kann gelten: With context, preparation, feedback, and opportunities for revising, students at any level of proficiency can be engaged in discovery of meaning. (Raimes 1985:250)1
3
Zusammenfassung und Ausblick
Die oben dargestellten Ansätze lassen sich als immer präziser treffende Versuche interpretieren, den eigentlichen Kern der Schreibdidaktik herauszustellen. Der hauptsächliche Beitrag des Prozessansatzes besteht dabei in der Wendung, durch die er den Blick vom Produkt und von seinen Strukturen auf die Vertextungsprozesse lenkt, welche zu diesem Produkt hinführen. Er eröffnet damit eine neue, entschieden andere Dimension, welche in den übrigen Ansätzen weitgehend implizit und unbeachtet bleibt. Die Aufgabe, einen Text zu schreiben, ist, wie in II.3 dargestellt, ein schlechtdefiniertes Problem. Wenn die Hauptfrage der Schreibdidaktik ein Problem der textbezogenen Anleitung sein sollte, die zentrale (und sicherlich schwierige) Frage, wie denn der Lerner vom Gedanken oder von der Meinung über die Formulierung zum Text vorstossen soll, wie er Sätze zu Paragraphen und Paragraphen zu Texten veiketten soll, mit welchen sprachlichen Mitteln er Prägnanz, Anschaulichkeit und Kohärenz stiften kann, (Börner 1987: 1338),
so ist darauf wahrscheinlich zu antworten, dass es eine befriedigende Antwort auf diese Frage gegenwärtig nicht gibt und vielleicht aus prinzipiellen Gründen nicht geben kann. Es gibt ja - dies ist der Sinn des Prinzips der Schlechtdefiniertheit - im Schreiben kaum je einen direkt ableitbaren Zusammenhang zwischen der Aufgabe und der Lösung. Die Tendenz vieler traditioneller Ansätze zu fixen Mustern, sicheren Regeln und - im Fremd1
Zu diesem Thema vgl. auch Wilske (1984: 276), der in der Fähigkeit zu «elementarer gedanklicher Ausdrucksweise» eine «entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche Entwicklung des Denkens in der FS [sc.: Fremdsprache]» sieht (vgl. dazu unten, III.2/2.3). In diese Richtung lässt sich auch Rivers' Bemeikung verstehen (auch wenn sie kaum so intendiert ist): «It is in listening comprehension andreadingthat students need to reach the highest degree of skill, because in these two areas they will have no control over the complexity of the material they will encounter. In speaking and writing, the foreigner [...] needs to be able to use what he knows accurately and flexibly, making the most of theresourcesat his command.» (Rivers 1968: 241)
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
Sprachenunterricht - rigider sprachlich-textueller Vorbereitung kann im Lichte dieser Schwierigkeit interpretiert werden: Es sind dies kaum vermeidbare Vorkehrungen, wenn das didaktische Bedürfnis nach Sicherung definierter Produktemerkmale kollidiert mit der Unvorhersehbarkeit offener Lösungen. Dieses Dilemma wird entscheidend verkleinert, wenn auch nicht aus der Welt geschafft, sobald nicht nur der Text und seine Oberfläche, sondern auch das Texteschreiben Thema der Schreibdidaktik wird. Auf der Textebene und mehr noch auf der Sprachebene bleibt das Schreiben eine schlechtdefiniertes Problem. Die Ebene der Prozesse, Strategien und ihrer Organisation jedoch, die Ebene der Aktivitäten also, welche einen Text hervorbringen, ist nicht im selben Sinne unzugänglich (bzw. bloss mit manipulativen Mitteln zugänglich), wie die Struktur und vorab die Oberfläche eines Textes es ist, bevor er geschrieben ist. Eingriffe hier haben eine andere Qualität. Sie inaugurieren reflexive Prozesse, welche die in der Herstellung ohnehin ablaufenden Tätigkeiten der Schreibenden klären, isolieren, zu durchschauen erlauben und die Kenntnisbestände erweitern, auf die sie zurückgreifen können. Sie machen den Schreibenden ihre Arbeit als einen Definitionsprozess klar, in dem sie über ihre Intentionen, die Textstrukturen wie auch die sprachlichen Details ihrer Texte zu entscheiden haben. Insofern Ziel der Schreibdidaktik ist, diese Vorgänge moderieren zu helfen, und insofern diese Vorgänge instrumental sind für das Zustandekommen von Texten, brauchen schreibdidaktische Eingriffe, auch wenn sie keinen Einzelaspekt des Produkts explizit vorherbestimmen und die Textarbeit ganz in der Kompetenz der Schreibenden verbleibt, keineswegs schlecht definiert zu sein. Ihre Aufgabe ist es nicht, vorweg die Gestalt der Lösung zu bestimmen, sondern die Arbeit des Lösens zu unterstützen. Wenn in dieser Bestimmung die Unvorhersehbarkeit von Lösungen in den Vordergrund gerückt wird, so soll damit die massive Rolle von Mustern nicht geleugnet werden. Letztlich sind diese im Sprachgebrauch auf jeder strukturellen Ebene omnipräsent. Die didaktische Frage ist nicht die, ob solche Muster wichtig sind, sondern die, wie Lernende dazu kommen, sie zu beherrschen und zum Ausdruck ihrer jeweiligen Intentionen situationsgerecht anzuwenden. Im Hinblick auf diese Frage wurde in den Überlegungen dieses Kapitels herausgestellt, dass die traditionellen, weitgehend auch den Schreibunterricht beherrschenden Verfahren des Vorstellens und Einübens isolierter sprachlicher und textueller Muster nicht genügen, manchmal auch geradezu überflüssig sein mögen. Sie gehören unbestritten zu den legitimen Techniken der Schreibdidaktik, machen aber nicht ihren eigentlichen Kembereich aus. Ich halte den prozessorientierten für den heute fruchtbarsten Ansatz der Schreibdidaktik; er wird im folgenden die Basis für die weitere Diskussion abgeben. Dies heisst allerdings nicht, dass er in der Form, wie er bisher präsentiert wurde, ausreichend entfaltet wäre, um eine Schreibdidaktik wirklich tragen zu können. Er wird im folgenden deshalb nicht nur in einigen Aspekten präziser darzustellen, sondern auch zu erweitern sein. Im
ΓΠ.1 Schreibdidaktik und produktiver Sprachgebrauch
405
nächsten Kapitel (ΙΠ.2) werden drei allgemeine Strukturzusammenhänge skizziert, in bezug auf die das Schreiben im Unterricht anzulegen ist: ein kognitiver, ein sozialer (kommunikativer) und ein emanzipatorischer. Sie definieren einen komplexen didaktischen Raum, in den das Schreiben und der Umgang mit Geschriebenem eingebettet ist. Der prozessorientierte Ansatz zeigt sich in bezug auf alle diese drei Dimensionen als ergänzungsbedürftig. Diese Darstellung stellt den ersten, noch auf sehr allgemeiner Ebene situierten Schritt dar im Versuch, die Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik zu entwickeln. Was hier prinzipiell, zum Teil erst in Stichworten und in etwas prononcierter Form gesagt wird, wird in weiteren Angängen wieder aufgenommen, konkretisiert und differenziert. Im zweiten Schritt (Kap. ΙΠ.3) werden die für die Planung und Durchführung von Schreibunterricht relevanten organisatorischen Parameter diskutiert: Lernziele, die Bereiche des Schreibens, die Struktur von Schreibanlässen, die Formen und die Funktionen des Übens. Es ist dies ein weitgehend technisches Kapitel; in ihm werden die spezifischen Belange der Schreibdidaktik unter der Perspektive der im zweiten Kapitel besprochenen Grundsätze dargestellt. Diese beiden Kapitel stellen das eigentliche Zentrum der Schreibdidaktik dar. In einem dritten Angang (Kap. ΙΠ.4) wird auf einige Fragen eingegangen, die in den vorangehenden, sehr systematisch angelegten Kapiteln nicht ausreichend besprochen werden können. Diese Bemerkungen mögen auch einen Ausblick geben auf den Schreibunterricht selbst. Diese Ausführungen müssen an dieser Stelle aber sehr kurz ausfallen; sie stehen an der Schnittstelle zu methodischen Fragen der Unterrichtsgestaltung, auf die nicht näher eingegangen werden kann. Im letzten Kapitel schliesslich (III.5) geht es um das Verhältnis von Schreiben und Sprechen, das im ganzen Aufriss, wie er hier gegeben wird, eine wichtige Rolle spielt. Im Rahmen der in dieser Arbeit gewählten Ausgangspunkte und Begründungen für das Schreiben stehen die beiden produktiven Fertigkeiten in gewisser Hinsicht in Konkurrenz zueinander. Eine Abklärung ihres Verhältnisses scheint deshalb notwendig; notwendiger jedenfall als die der weitaus weniger problematischen Beziehungen zwischen dem Schreiben und dem Hören oder Lesen, die hier nicht weiter zur Sprache kommen.
III.2 KOORDINATEN SCHREIBDIDAKTISCHEN HANDELNS
1
Zu diesem Kapitel
Das Schreiben ist eine kognitive Aktivität; es ist auch, nicht nur aufgrund der Funktion seiner Produkte, eine soziale Tätigkeit. Jede Aufgabenstellung und jede schreibdidaktische Entscheidung lässt sich danach beurteilen, wie durch sie die Arbeit im Hinblick auf diese beiden Dimensionen definiert wird, das heisst welcher Art die kognitiven Ansprüche und die sozialen Verhältnisse sind, die den Rahmen der Schreibarbeit ausmachen und diese prägen. Nun definieren Entscheidungen im Hinblick auf diese kognitive und soziale Situierung von Schreibanlässen nicht nur neutral das Mass der Anforderungen etwa im sprachlich-textuellen Bereich, die den Lernenden zugemutet werden. Schreiben ist eine selbstgesteuerte, Gedanken sowohl produzierende wie verändernde Tätigkeit; es ist auch, wird es nicht gänzlich aufs Üben reduziert, ein Sich-Äussern und ein Anderen-etwas-Mitteilen. Beides setzt eine Dynamik in Gang. Schreibunterricht ist auch daran zu messen, wie er diese Bewegung aufnimmt: einerseits wie er der Tendenz nach Selbstorganisation im Schreiben gerecht wird und welches Mass an Selbstbestimmung er den Schreibenden zugesteht; andererseits wie er die schriftlichen Äusserungen von Lernenden aufnimmt und sie als Beiträge behandelt, die Gewicht und Konsequenzen haben können. Es ist dies ein dritter, von den anderen nicht ablösbarer Zusammenhang, den separat hervorzuheben sich jedoch aufdrängt1. In bezug auf diese Zusammenhänge sind die Positionen, die bisher besprochen wurden, wenig explizit ausgeführt. Es ist dies eine Folge der methodischen, praxisbezogenen Ausrichtung dieser Beiträge. Die genannten Dimensionen werden zwar in fast jedem Ansatz zumindest erwähnt, es wird aber nicht oder nur in aller Kürze expliziert, wie sich die Schreibdidaktik in diese Zusammenhänge einfügt und sich in bezug darauf begründet. In einer theoretisch ausgerichteten, didaktischen Betrachtung können solche Fragen jedoch nicht ausgespart bleiben. Es wird nötig sein, die oben dargestellten Grundlagen zu präzisieren; dabei wird auch auf Konzepte zurückzugreifen sein, die im Zusammenhang mit der Darstellung verschiedener schreibdidaktischer Positionen in Π.1 angesprochen worden sind. Was dort in verschiedenen Beiträgen oder in einzelnen Bemerkungen isoliert an schreibdidaktischen Möglichkeiten angesprochen wurde, soll hier so weit wie möglich in einen überschaubaren Zusammenhang gebracht werden. 1
Diese Zusammenhänge beschreiben nicht exklusiv den Raum schreibdidaktischer Entscheidungen, sondern liegen jedem Unterricht zugrunde (vgl. 4). Sie lassen sich für den Bereich des Schreibens aber exemplarisch deutlich hervortieben.
ΠΙ .2 Die Koordinaten schreibdidaktischen Handelns
407
Zu den folgenden Ausführungen noch ein kleiner Hinweis: In formellen wie informellen Unterrichtskonzepten dienen Texte und andere sprachliche Grundlagenmaterialien heute längst nicht mehr nur der Einkleidung grammatischer und lexikalischer Lernstoffe, sondern bilden, zusammen mit Bildern, Hörtexten usw., recht grossräumige Arbeitseinheiten, in denen die sprachlichen Phänomene gezielt im Rahmen der Er- und Verarbeitung eines Themenkomplexes fokussiert, aufgearbeitet und gelernt werden. Diese heute allgemein übliche thematische Ausrichtung von Fremdsprachenuntemcht bildet im folgenden einen der Bezugspunkte der Argumentation.
2
Die kognitive Dimension: Schreiben und Selbstorganisation
2.1 Reflexion Im Prozessansatz wird die Textherstellung gesehen als Vorgang, in dem Sprach-, Text- und Kommunikationsnormen auf der einen, Weltwissen auf der anderen und die konkreten Absichten und Situationsbedingungen auf der dritten Seite in der Strukturierung und Formulierung einer Äusserung miteinander vermittelt werden. Dieser Vorgang ist unabhängig von der jeweiligen Äusserung nur schwer thematisierbar. Die Fokussierung von Prozessen und ihren Momenten geschieht daher stets im Zuge der Arbeit an Texten und in bezug auf diese Texte. Didaktisches Ziel der Unterrichtsgestaltung ist es, durch die Thematisierung und Strukturierung der angesprochenen Vermittlungarbeit das sprachlich-textuelle, kommunikative und sachliche Wissen der Schreibenden zu aktivieren, es (etwa durch Diskussion oder Vergleich von Reaktionen, Einschätzungen, Erwartungen) bewusstzumachen und dadurch die Lernenden zu befähigen, dieses Wissen zu differenzieren, zu erweitern und flexibler anzuwenden. In diesem Zusammenhang wurde schon wiederholt hervorgehoben, dass der prozessorientierte Ansatz die Reflexion, die bewusste Gestaltung dieses Vermittlungsprozesses, zum Thema macht und fördert. Nun ist 'Reflexion' ein gewichtiger Begriff, der leicht zu Fehldeutungen Anlass gibt. Was im Zusammenhang mit der Schreibdidaktik darunter verstanden werden kann, ist vielleicht präziser umschreibbar, wenn zu seiner Explikation zurückgegriffen wird auf einpn schon in 1.2 eingeführten Begriff, den der Orientierung und den damit eng zusammenhängenden der Metakognition. 2.1.1 Orientierung Jedes Handeln bedarf der Orientierung. Dies bedeutet, dass der Handelnde sich über die Bedingungen und Ziele seines Handelns wie auch über die möglichen Wege der Handlungsausführung unter den jeweiligen Bedingungen klar sein muss. Je weniger zweifelhaft oder komplex diese Bedingungen sind, desto einleuchtender legen sich bestimmte Handlungszüge als
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
die Mittel der Wahl nahe. Orientierung meint demnach: Ansiedlung einer Aufgabe im Gesamtkontext der jeweils relevanten Rahmenbedingungen. Jede Didaktik betont die Wichtigkeit klarer Aufgabenstellungen und damit eine wichtige Voraussetzung der Orientierung. Im Bereich der Schreibdidaktik etwa stellen vor allem die textlinguistischen und kommunikativen Ansätze völlig zu Recht die Relevanz klarer Bestimmung von Schreibaufgaben heraus, das heisst die Notwendigkeit, die situativen Parameter zu definieren, in welche ein Text eingelassen ist1. Diese Forderung lässt sich vielleicht am einfachsten und sichtbarsten erfüllen bei pragmatischen, an bestimmte Personen oder Instutionen gerichteten Texten. Situierung kann hier erfolgen durch die Beschreibung einer Kommunikations situation, in der alle Positionen (Sender, Empfänger, Beziehung beider zueinander, Voraussetzung und angestrebtes Ziel des Schreibens usw.) einigermassen klar definiert werden können. In diesem Rahmen lassen sich Fragen der Themenbehandlung, der Beziehungsdefinition, der sprachlichen Gestaltung relativ einsichtig besprechen, was heisst, dass Kriterien für die Textherstellung wie die Beurteilung leicht zugänglich gemacht bzw. legitimiert werden können. Briefe gehören darum zu den Lieblingstexten der Schreibdidaktik. Die Anhaltspunkte, welche eine Aufgabenstellung gibt, bilden jedoch nur einen der Ausgangspunkte für die Orientierungsarbeit, welche die Schreibenden zu leisten haben. Der intendierte Text muss ja nicht nur in einem Kommunikationsfeld verortet werden; die ganze Aufgabenstellung muss auch in einem Kenntnisfeld angesiedelt werden, das heisst in bezug gebracht werden zu den Ressourcen des Schreibenden selbst: seinem Wissen und seinen Erfahrungen, seinen linguistischen und textuellen Kompetenzen, seinen Präferenzen und Motiven. Erst aufgrund dieser doppelten Verortung kommt Orientierung im Vollsinne zustande, eine umfassende Einbettung der Aufgabe in relevante Kontexte. Im Prozessansatz wird nicht nur jenes erste, sondern auch dieses zweite Orientierungsproblem und vorab das Zusammenspiel beider zum Thema gemacht. Wichtigstes Vehikel dabei sind Analyse und Evaluation eigener und fremder Texte und das Gespräch. Orientierung in diesem komplexen Sinne ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass offene Aufgaben angegangen und gelöst werden können. Solange es beispielsweise nur darum geht, die linguistischen Grundlagen der Passivbildung zu vermitteln, kann angenommen werden (und wird meist angenommen), dass es genügt, einige Beispiele zu geben, die Regeln der Passivbildung zu erklären und danach Übungssätze vorzugeben. Der hier benötigte Orientierungsrahmen ist ziemlich bescheiden und zudem genau definierbar, seine zureichende Beherrschung durch die Lernenden kann recht gut kontrolliert werden. In offenen Aufgaben wie dem produk1
Auf die Frage, wie weit eine genügsame Situierung zu gehen hat, wird unten in 2.3 kurz einzugehen sein. Zum Thema der Orientierung als Voraussetzung für fruchtbares Schreiben vgl. auch Bohn 1987b: 220.
III .2 Die Koordinaten schreibdidaktischen Handelns
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tiven Schreiben stellen sich die Bedingungen anders dar. Die zur Lösung der Aufgabe notwendigen Grundlagen lassen sich immer nur teilweise durch Vorarbeit, Klärungsgespräche usw. sichern: Da die Lösungen offen sind, kann im Verlaufe der Arbeit im Prinzip völlig Unvorhergesehenes lösungsrelevant werden. Die zureichende Orientierung lässt sich hier nicht garantieren - ausser um den Preis der Umdefinition in eine Reproduktionsaufgabe. Das Kenntnisfeld muss deshalb weitgehend durch die Lernenden selbst organisiert und im Hinblick auf die Aufgabe konfiguriert werden. Der Einsatz einzelner sprachlicher Wissensbestände erfolgt hier abhängig vom Lösungsweg. Diese Kenntnisse müssen dann aufgerufen werden können, wenn sie am Platze sind; das heisst, dass erkannt werden muss, ob in einem bestimmten Moment die Anwendungsbedingungen für den Einsatz bestimmter sprachlicher Elemente bzw. Strukturen erfüllt sind. Die Fragen, welche mit dem Aufbau solcher Leistungen im Einsatz der eigenen Fähigkeiten verbunden sind, werden in der kognitiven Psychologie unter dem Titel 'Metakognition' diskutiert. Es ist dies ein Bereich, der nicht nur fürs Schreiben von Interesse ist, sondern der im Verlaufe dieser Arbeit schon im Zusammenhang mit anderem verschiedentlich angesprochen worden ist. Bevor auf das Schreiben eingegangen wird, soll deshalb dieser Aspekt hier kurz zusammenfassend besprochen werden. 2.1.2 Metakognition Metakognition ist jener Aspekt der Kognition, der die Kenntnis des eigenen Wissens und die Kontrolle der eigenen mentalen Aktivitäten betrifft. Was damit gemeint ist, veranschaulicht folgendes Beispiel: Preschool and elementary school children were asked to study a set of items until they were sure they could recall them perfectly [...]. The older subjects studied for a while, said they were ready, and usually were, that is, they showed perfect recall. The younger children studied for a while, said they were ready, and usually were not. In another study, elementary school children were asked to help the experimenter evaluate the communicative adequacy of verbal instructions [...]. Although the instructions were riddled with blatant omissions and obscurities, the younger subjects were surprisingly poor at detecting them. They incorrectly thought they had understood and could follow the instructions (Flavell 1979: 906; vgl. Brown 1978: 82ff.)
Die Versuchspersonen waren in diesen Situationen also zum Teil nicht in der Lage, die eigenen kognitiven Aktivitäten realistisch einzuschätzen und dementsprechend zu handeln. Auf die Notwendigkeit, die eigenen kognitiven Aktivitäten sowie ihre Resultate einschätzen und den Einsatz der verfügbaren Ressourcen steuern zu können, wurde in dieser Arbeit schon mehrfach hingewiesen; etwa in 1.2 im Zusammenhang mit der Ausbildung von Prozeduren, in 1.3 bei der Besprechung von Lemerstrategien, in 1.4 bei der Diskussion der Aufmerksamkeit auf Sprache, in II.3 im Begriff opportunistischen Planens und in der Skizze der Entwicklung der Schreibfertigkeiten, in Weiterführung dieses Themas in III.l in der Darstellung des prozessorientierten Ansatzes. Der Begriff der Metakognition bringt diese unterschiedlichen Themen auf
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
einen prägnanten gemeinsamen Nenner und weist auf die Verwandtschaft der fundamentalen Problematik hin, die in diesen verschiedenen Zusammenhängen angesprochen worden ist. Gegenüber den bereichsspezifischen Kenntnissystemen steht das Konzept der Metakognition für übergreifende Mechanismen der Organisation und Kontrolle mentaler Prozesse1: It is individuals' metacognitive knowledge that enables them to behave proactively or to influence the input that in turn influences their activity. (Gavelek/Raphael 1985: 129)2
Metakognitive Kenntnisse werden vorab in offenen Situationen bedeutsam, wo eingeübte und nicht länger problematische Verfahren der Aufgabenlösung nicht vorhanden sind oder nicht zureichen, wo aber trotzdem kognitive Ressourcen zielgerichtet und effizient eingesetzt werden sollen. Es sind dies Situationen, die im weitesten Sinne zur kreativen Nutzung und Erweiterung der gegebenen Möglichkeiten herausfordern; prototypisch gehören dazu Lernsituationen. Lösungen werden um so optimaler ausfallen (und wahrscheinlich um so effizienter erreicht werden), je angemessener und besser organisiert die eingesetzten Lösungsverfahren sind; dies wird vorwiegend dann der Fall sein, wenn - wie oben angesprochen - die Aufgabe durchschaut wird auch im Hinblick auf die verfügbaren Mittel und Strategien der Problemlösung, wenn also metakognitives Wissen zur Verfügung steht und dieses Wissen in die Aufgabenlösung einfliesst. Der Begriff der Metakognition deckt demgemäss zwei Aspekte ab: den des Wissens um die eigenen Ressourcen und den der Anwendung dieses Wissens in der Ausführung und Kontrolle von kognitiven Aktivitäten (Flavell 1979; Gordon/Braun 1985; Miller 1985). 1. Metakognitives Wissen consists primarily of knowledge or beliefs about what factors or variables act and interact in what ways to affect the course and outcome of cognitive enterprises. There are three major categories of these factors or variables - person, task, and strategy. (Flavell 1979: 907)
Die erste Kategorie (Person) betrifft Wissen um die Vorlieben, Stärken oder Schwächen, die man als kognitiver Aktor hat oder zu haben glaubt3. 1
2
3
Gavelek/Raphael 1985:105; Dillon 1986; Brown 1978: 79. Vgl. auch: «Investigators haverecentlyconcluded that metacognition plays an important role in oral communication of infoimation, oral persuasion, oral comprehension, reading comprehension, writing, language acquisition, attention, memory, problem solving, social cognition and various types of self-control and self-instruction;» (Flavell 1979:906). Vgl. Chi et al. 1989 über die differentiellen Fähigkeiten von Studierenden, Erklärungen zu ihrem Lernstoff zu konstruieren (in diesem Beitrag wurden Physik-Probleme untersucht). Die Suche nach Eiklärungen dient der Differenzierung und Generalisierung von Bedingungsklauseln von Produktionen, zugleich der Kontrolle des eigenen Verständnisses, denn solche expliziten Erklärungsversuche erlauben die Durchführung von Überprüfungs- und weiteren Konstruktionsprozessen. Schwächere Studenten produzierten weniger Eiklärungen und hielten sich viel mehr an einzelne Beispiele. In der Diskussion der letzten Jahre sind solche Fragen zusehends aktuell geworden; sie werden meist im Anschluss an schon ältere psychologische Ansätze diskutiert. Dort werden sie unter Titeln wie 'Lernertypen', 'Lernstile' usw. behandelt
ÜI.2 Die Koordinaten schreibdidaktischen Handelns
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Die zweite (Aufgabe) betrifft Wissen um die sachbezogenen Kompetenzen, über die man verfügt, über ihre Qualität, ihre Relevanz für die aktuellen Ziele und die Ansprüche, welche bestimmte Ziele setzen. Die dritte Kategorie (Strategie) bezieht sich auf Wissen, welches erlaubt, erfolgversprechende Vorgehensweisen für die Erreichung von Zielen aus den möglichen auszuwählen, und die Resultate an den erhofften Ergebnissen zu messen1. In seiner Analyse der Ursprünge von Metakognition weist Wellmann (1985) auf Voraussetzungen hin, die gegeben sein müssen, damit Metakognition sich entwickeln kann; es muss also etwa erkannt werden: a) dass mentale Gegebenheiten (Gefühle, Gedanken) ein Wirklichkeitsbereich eigener Art sind und von äusseren Gegebenheiten unterschieden werden können; b) dass die geistigen Aktivitäten/Zustände von verschiedener Art sind (vermuten, wissen, träumen,...); c) dass die kognitiven Abläufe durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden (Schwierigkeit der Aufgabe, Verfügbarkeit von Hilfsmitteln,...); d) dass es möglich ist, über diese Gegebenheiten Bescheid zu wissen, das heisst ihren Stellenwert in der je aktuellen Situation einzuschätzen und auf dieser Basis die kognitiven Prozesse zu steuern2. 2. Zur Anwendung metakognitiven Wissesns: Dieses Wissen ist der Art oder Qualität nach nicht verschieden von beliebigem anderem Wissen; es unterscheidet sich nur durch seinen Inhalt und seine Funktion. Auch metakognitives Wissen kann demzufolge bewusst oder automatisch angewendet werden3. Primär sind wahrscheinlich automatisch ablaufende Handlungszüge. Aufgrund von (unter Umständen stark emotional geprägten) Erlebnissen (etwa die Erkenntnis, dass man in einer Aufgabenlösung steckengeblieben ist) 4 oder durch den Eintritt metakognitiven Wissens ins Bewusstsein (etwa die Erinnerung daran, dass man einen ähnlichen Fall schon einmal gelöst hat) können aber die anstehenden Aufgaben als Probleme mit bestimmten und bestimmbaren Parametern wahrgenommen 1 2
3
4
Diese Strategien liessen sich demnach vergleichen mit den Vorgehensplänen von Flower/Hayes, welche den Einsatz aufgabenbezogener Aktivitäten steuern. Nach Wellmann zeigen Kinder im Alter von ca. 2 Jahren erste Einblicke in das Vorhandensein einer 'inneren Welt'. Vgl. Miller (1985) über die Entwicklung der MetaAufmerksamkeit, also der Fähigkeit von Kindern, Aufmerksamkeit als eine kognitive Ressource zu erkennen. Ebenfalls die Beiträge in Bond et al. (Hg.) 1985 (Das Buch hat den schönen Titel: 'Reflection: Turning experience into learning'.) Darauf wurde etwa schon in 1.2 hingewiesen: In Produktionssysteme integriert sind Kontrollverfahren, welche den unbeaufsichtigten Ablauf von Prozeduren ermöglichen, solange keine problematischen Umstände diesen eingeübten Vorgang stören und den Einsatz stärkerer, aber nurmehr bewusst anwendbarer Strategien der Problemlösung erfordern. Ebenso wird in 1.3 in der Diskussion um Lernerstrategien auf diesen Unterschied von bewusster und automatischer Anwendung hingewiesen. Gavelek/Raphael (1985: 120) heben die Wichtigkeit von Zuständen von «disequilibrium, tension, or uneasiness» hervor. Diese kündigen oft an, dass in einer versuchten Aufgabenlösung etwas nicht stimmt, bevor klargestellt werden kann, was nicht stimmt. Sie sind tendenziell fhichtbare Voraussetzungen für die Entwicklung metakognitiver Einstellung und metakognitiven Wissens.
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Teil ΕΠ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
werden. Dadurch werden die ablaufenden Prozesse als Lösungsversuche erkennbar und können monitoriert werden. Solche (bewussten) metakognitiven Erfahrungen haben nach Flavell wichtige Konsequenzen: First, they can lead you to establish new goals and to revise or abandon old ones. [...] Second, metacognitive experiences can affect your metacognitive knowledge base by adding to it, deleting from it, or revising it. [...] Although metacognitive knowledge can undoubtedly undergo at least some modification without metacognitive experiences, I suspect that these experiences play a major role in its development during childhood and adolescence. Finally, metacognitive experiences can activate strategies aimed at either of two types of goals - cognitive or metacognitive. (Flavell 1979: 908)1
Metakognitives Wissen ist, nicht weniger als anderes Wissen, oft in Prozeduren gebunden; es kann auch in einem Kenntnisbereich besser entwickelt sein als in anderen. Es ist deshalb nicht anzunehmen, dass über wichtige Aspekte dieses Wissens unabhängig von Zusammenhängen des Problem lösens leichter gesprochen werden kann als über andere Formen des Wissens. We maintain that if the concept of metacognition is to be useful to the psychology of instruction it is not because of what students know about their own cognition out of context, but rather it is because such knowledge is manifest in their performance on academic tasks. (Gavelek/Raphael 1985: 129)
Entsprechend dürfte es didaktisch schwierig und wenig fruchtbar sein, Metakognition zu thematisieren unabhängig von konkreter Arbeit an Aufgaben, die komplexe Lösungshandlungen erfordern und über deren Erfolg Rückmeldung möglich ist (vgl. Cullen 1985: 287ff.). Das Konzept der Metakognition erlaubt es, die Bedingungen und die Struktur der intellektuellen Selbststeuerung zu erfassen. Im pädagogischen Bereich hat es vor allem darum breite Aufnahme gefunden, weil es zwei zentrale didaktische Problembereiche etwas aufzuhellen verspricht, in denen Selbststeuerung eine entscheidende Rolle spielt: den des lernen Lernens und den des Wissenstransfers. Gavelek/Raphael unterscheiden drei Stufen der Steuerung, die sie in bezug auf das Lesen explizieren: Die erste ist gekennzeichnet durch die Abwesenheit bewusster metakognitiver Aktivität. Hier wird der Leseprozess von der Aufgabe (dem Text) allein gesteuert; es gibt keine davon unabhängige Instanz, welche diesen Prozess als einen Lernprozess vom puren Lesen und Wiederlesen abhöbe und ihm Profil verliehe. Auf der zweiten Stufe wird metakognitive Kontrolle ausgeübt, jedoch durch eine äussere Instanz, etwa den Lehrer. Er stellt Fragen, strukturiert damit den Text und den Le1
Ein Beispiel für eine kognitive Strategie ist etwa (aufgrund der Einsicht, dass man über ein Gebiet zu wenig weiss, um darüber verlässlich zu sprechen), Bücher zu konsultieren und das entsprechende Wissen aufzubessern. Ein Beispiel für eine metakognitive Strategie ist etwa (im oben genannten Falle), dass man sich angesichts der Vielzahl von Büchern fragt, welches genau die benötigten Informationen sind, und dass die Arbeit des Lesens ständig daraufhin überprüft wird, ob sie einen weiterbringt. «Cognitive strategies are invoked to make cognitive progress, metacognitive strategies to monitor it.» (Flavell 1979: 909)
III.2 Die Koordinaten schreibdidaktischen Handelns
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seprozess nach Zielkriterien und liefert damit auch Ansätze zu einer Evaluation der Ergebnisse. Hier treten der Text (und der von ihm nahegelegte Leseablauf) und ein unabhängig formuliertes, textgerichtetes Interesse auseinander. Die dritte Ebene metakognitiver Aktivität involves generating and answering one's own questions to promote comprehension in response to reading text. (Gavelek/Raphael 198S: 112)
Es ist einfach, die in II.3 skizzierte Diskussion ums Schreibenlernen in den Aufriss dieser Darstellung einzufügen. Das Modell des Wissen-Erzählens oder der 'writer-based prose' entspricht der ersten Stufe; sie ist gekennzeichnet durch eine Steuerung, die weitgehend vom Erzähl- oder Darstellungsschema selbst ausgeht. Die dritte Stufe entspricht den jeweils entgegengesetzten Modi der Wissen-Umformung bzw. der 'reader-based prose'1. Das Erreichen dieser dritten Stufe scheint abhängig von zumindest zwei Bedingungen. Zunächst ist ein gewisses minimales bereichsspezifisches Hintergrundwissen erforderlich: in order for learners to ask questions that promote their own comprehension, they must know enough to know what is not known. (Gavelek/Raphael 1985: 113; vgl. Brown 1978: 82ff.; Cullen 1985:293.)
Weiter ist es nötig, dass die Voraussetzungen des Fragen-Stellens so beherrscht werden, dass sie bewusst eingesetzt werden können. Es geht hier, allgemein gesprochen und nicht mehr allein aufs Lesen bezogen, darum, dass Techniken wie Voraussagen machen, Planen, Überprüfen und Kontrollieren als Vorgehensstrategien handhabbar gemacht werden. Diese Techniken sind in jeder geistigen Tätigkeit präsent, meist allerdings gebunden in die alltäglichen Handlungsroutinen. Bewusste Steuerung von Tätigkeiten erfordert, dass sie als frei verwendbare Methoden des Arbeitens verfügbar gemacht werden2. Lernstörungen etwa können nicht nur auf Schwächen im bereichsspezifischen Wissen zurückgeführt werden, sondern mindestens teilweise auch auf die Schwäche metakognitiver Organisationsschemata (vgl. Cullen 1985: 267 und die dortigen Literaturhinweise). Transfer auf der anderen Seite setzt die Fähigkeit voraus, Wissen unter veränderten Rahmenbedingungen einzusetzen, etwa in variierenden Aufgabenstellungen die Problemstruktur als gleichartige zu erkennen und das einschlägige Wissen an die Details der jeweiligen Umstände angepasst zum Tragen zu bringen. Es scheint, dass diese Aufgabe in vielem der des Selber-Lernens analog ist und dass Metakognition auch hier eine gewichtige Rolle spielt. Allerdings ist metakognitives Wissen nicht kontextloses Wissen, sondern in vielfältiger Weise gebunden an bereichsspezifische 1 2
Einen ähnlichen Entwicklungsprozess zeichnet Hilgers (1984) für den Bereich der Textbeurteilung nach. Vgl. Brown 1978: 157. Fürs Lesen: Gavelek/Raphael 1985: 118ff. Im Hinblick aufs Schreiben wurden schon in II.3/1 diesbezügliche Hinweise gemacht. Vgl. auch die Ergebnisse der Studie von Eigler/Nenninger (1985) zum Zusammenfassen von Lehrtexten.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
Kenntnisse und die typischen Kontexte ihres Gebrauchs; die Frage, wie weiträumig Transfer möglich ist, ist noch nicht beantwortet1. Abschliessend sei noch hingewiesen auf die Bedingungen, die Flavell als besonders günstig betrachtet für die Förderung metakognitiver Aktivitäten: My present guess is that metacognitive experiences are especially likely to occur in situations that stimulate a lot of careful, highly conscious thinking: in a job or school task that expressely demands that kind of thinking, in novel roles or situations, where every major step you take requires planning beforehand and evaluation afterwards; where decisions and actions are at once weighty and risky; where high affective arousal or other inhibitors of reflective thinking are absent [...]. Such situations provide many opportunities for thoughts and feelings about your own thinking to arise and, in many cases, call for the kind of quality control that metacognitive experiences can help to supply. (Flavell 1979:908)
2.2 Schreiben Die prozessorientierte Didaktik greift in ihrem Rückgriff auf schreibtheoretische Erkenntnisse weitgehend jene Aspekte auf, die hier unter den Titel 'Metakognition' gebracht worden sind. Die Reflexion, welche durch die prozessorientierte Arbeit in Gang gesetzt werden soll, ist zuerst eine, die sich auf das Zusammenspiel von Aussageintentionen, Text und Sache bezieht; ebenso und für die Fremdsprachendidaktik fast gleich gewichtig auf das Zusammenspiel der Aussageintentionen mit den einzelnen Formulierungen. Diese beiden Aspekte werden in diesem und dem nächsten Abschnitt im Vordergrund stehen. Die Ausführungen zum Schreiben können recht kurz gehalten werden; hier geht es vorab um eine Klärung dessen, was bereits im letzten Kapitel angesprochen worden ist. Ich werde im folgenden davon ausgehen, dass zwar das Vorbereiten und Planen sowie das Überarbeiten intensiv kooperativ geschehen können, dass aber die Formulierungsarbeit im Normalfall individuell erfolgt. Dies braucht nicht zwingend der Fall zu sein. Angesichts der Vielzahl von Rahmenbedingungen, welche die Wahl aus Formulierungsalternativen beeinflussen, und angesichts der Schwierigkeit von Schreibenden, sich alle diese Bedingungen im Vorgang des Formulierens selbst deutlich zu machen, nehme ich jedoch an, dass eher als das Formulieren selbst vorliegende Formulierungen fruchtbares Thema der Zusammenarbeit sind, dass also gemeinsames Formulieren eher unter den Bedingungen enger Kon tex tualisierung im Überarbeiten fruchtbar ist2. 1
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«It is reasoned that to the extent individuals know what and how they know, such higher-order knowledge should not have to be relearned in every context. Yet just as there is no such thing as pure process [...] we would argue similarly that there is no such thing as pure metaprocess. The questions of how broad- or narrow-banded metacognition is and the factors that influence this band width are among the more important concerns for a theory of both cognition and instruction.» (Gavelek/Raphael 1985: 129). Singley/Anderson (1989) beschäftigen sich ausführlich mit der Frage, unter welchen Bedingungen deklarative bzw. prozedurale Kenntnisse von einem Bereich in einen anderen übertragen werden können. Vgl. schon Reed 1968:124f. Vgl. Taylor 1981; Spack/Sadow 1983; J. Carroll 1984.
III.2 Die Koordinaten schreibdidaktischen Handelns
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2.2.1 Schreibend lernen Die Prozessdidaktik lässt sich zusammenfassend auf den Nenner bringen, dass das Schreiben vorab durch Schreiben gelernt wird - nicht durch blindes Produzieren, sondern dadurch, dass die Aufmerksamkeit der Lernenden auf die Aufgabe gelenkt wird und sie dabei unterstützt werden, deren relevante Dimensionen wahrzunehmen. Dieses Grundverfahren ist von sehr allgemeiner Art; sie liegen notwendig jeder Didaktik zugrunde, welche das Lernen zu lernen zu ihrem Thema macht. Sie erlauben es, den Lernenden selbst einen wichtigen Anteil am Lernprozess zuzubilligen und von dem auszugehen, was sie an Kompetenz im jeweiligen Moment aufzubieten haben. Die Prozessdidaktik ist der Versuch, die Konsequenzen daraus für den Bereich des Schreibens zu ziehen. Die Beobachtung von Lernprozessen scheint die Gangbarkeit dieses Vorgehens auch für den Bereich des Schreibens und der Schriftsprache zu bestätigen. So beobachteten Kamler/Kilarr (1983) eine Gruppe von Kindern im (muttersprachlichen) Projektunterricht. Deren Ziel war, einen Artikel für ein Schülermagazin zu schreiben. Die Aufgabe war völlig neu für sie; direkte Hinweise, wie sie den Auftrag erledigen sollten, bekamen sie keine, wohl aber Hilfe in verschiedenen 'Konferenzen', in denen sie ihre ersten Versuche mit dem Lehrer besprachen. Aufgrund ihrer Beobachtungen kommen Kamler/Kilarr zum Schluss, «that these learners are acquiring knowledge of written language by inventing it for themselves» (Kamler/Kilarr 1983: 207). Diese Erfindung findet statt as they solve the problem of how to represent their meaning in conventional form, (ebda.)
Offenbar verstanden die Kinder es, vor dem Hintergrund von Leseerfahrungen, aus den Fragen und Reaktionen des Lehrers und vielleicht aus der Logik des Darstellungsproblems heraus Lösungen zu finden, die weitgehend akzeptabel schienen, obwohl ihnen keine direkten Vorbilder und Anweisungen geliefert wurden. In ähnlicher Weise notiert Maas die Anfänge schriftsprachlicher Verwendung der deutschen Sprache durch fremdsprachige Schüler. Zu einer Aufgabe, in der die Kinder eine von ihnen selbst vorgebrachte freie Erzählung vom Tonband abzuschreiben hatten, bemerkt Maas: Es zeigte sich nun, dass kein einziges der Kinder so etwas wie eine Transkription der Aufnahmen unternahm. Die Verschriftung folgte insbesondere auch nicht strikt linear dem Abgehörten. Vielmehr mobilisierte die Aufgabe, einen schriftlichen Text zu produzieren, Zensur- und Editionskriterien, die einen litteraten Text anstrebten. Das angesprochene synoptische Veihältnis zum Ganztext [sc.: begründet in der Möglichkeit, diesen zu überblicken] erzwingt dabei Konsistenzen, die im Gesprochenen ohne Vorbild sind. (Maas 1986: 24f.)
Dieser Konsistenzzwang sei z.B. sichtbar in der Orthographie (wo Wörter zum Teil nachträglich auf gleiche Schreibweise gebracht werden), der Auslassung von Wiederholungen im mündlichen Vortrag usw., aber auch in der Organisation der schriftlichen Darstellung auf der Grundlage der Einheit 'Satz' und in anderen Veränderungen stilistischer und erzähltechnischer Art, in denen «editorische Bemühungen zur Integration des
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Teil ΙΠ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
schriftlichen Textes» deutlich werden (ebda.: 26) 1 . Auch in der Fremdsprache scheint sich also sehr früh eine eigenständige Konstruktion des schriftsprachlichen Modus zu zeigen, auch bei Kindern, die sonst eher als schwach gerade auf dem Gebiet der Schriftlichkeit bezeichnet werden. Auch sie haben sich jedoch «zumindest rudimentär die Grundprinzipien einer litteraten Praxis schon angeeignet» (ebda.: 30). Was hier - und zweifellos noch dringender in Fällen, wo eine muttersprachliche Bekanntschaft mit diesen Bereichen relativ gut ausgebildet ist - not tut, sind vorab Gelegenheiten, solches Wissen gezielt und kontrolliert in der Praxis des Sprachgebrauchs zu erproben und zu erweitern, das heisst die bereits vorhandenen Kompetenzen unter den Bedingungen des fremdsprachlichen Ausdrucks zum Tragen zu bringen (vgl. Börner 1989: 35 lf.). Kontrastierend zu solchen Beiträgen stehen Berichte, welche die Schwierigkeit des gezielten, auf Teilfertigkeiten eingeschränkten Lehrens aufzeigen. Bialystok/Ryan verweisen auf eine Studie von Scardamalia und Paris, in welcher der Effekt von Instruktion im Gebrauch von Textgliederungssignalen gemessen wurde. Es ist dies eine Klasse von Ausdrücken, die in den Texten von Kindern und schwachen Schreibern eher unterrepräsentiert ist, was sich auf die Kohärenz der Darstellung und die Lesbarkeit der Texte oft negativ auswirkt, oder präziser ausgedrückt: was als Ausdruck einer gewissen Inkompetenz in diesen Bereichen verstanden werden kann. Die Studie brachte folgendes Resultat: training students in analyzed knowledge of discourse markers allowed those students to write texts containing more such markers than used by a control group, but the texts of the trained group were no more coherent. That is, they had increased knowledge but not increased control. (Bialystok/Ryan 1985:230)
Für den fremdsprachlichen Bereich bemerkt Cumming, unter Berufung auf verschiedene empirische Studien, dass die Effektivität der traditionellen Verfahren des fremdsprachlichen Schreibunterrichts höchst fraglich sei. Dieser, ausgehend von der Vorstellung der vier Stufen des Übens und lehrerzentriert, bedient sich meist der Methode direkter Vermittlung von Wissen über einschlägige Teilkenntnisse, ohne dass das Problem der Kontrolle in freier Anwendung ausreichend gesehen wird. Die von Cumming angesprochenen Untersuchungen have suggested that the roles conventionally adopted by second language teachers in composition instruction may exert negligible [...], unduly varied [...] or even detrimental [...] effects on the overall development of students' capacities to compose in their second language. (Cumming 1988: 6)
Als besonders schwerwiegend kann der Vorwurf gelten, dass durch die Anlage der Arbeit Lehrer und Lernende dazu tendierten, Schreibaufgaben auf Routinen zu reduzieren. Es lässt sich vermuten, dass damit einer Art Fossilierung Vorschub geleistet wird, weil genau jene (metakognitiven) Aspekte aus der Tätigkeit ausgeklammert werden, denen am ehesten lern1
«Kein einziges Mal haben die Schüler rein orate Elemente der Textorganisation notiert, die sich praktisch in jeder Äusserung finden: Verzögerungsmomente, stotternde Neuanfänge, Konstruktionsbrüche.» (Maas 1986: 25)
m.2 Die Koordinaten schreibdidaktischen Handelns
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fördernde Wirkung zugesprochen werden könnte1. Dieser Einschätzung entsprechen die Resultate von Untersuchungen, die - allerdings fürs Lesen - zeigen, dass Leseverständnis, der Gebrauch von Lesestrategien und der wahrgenommene Gebrauch von Lesestrategien hoch korrelieren. Offenbar ist bewusste metakognitive Tätigkeit (bewusster Strategiegebrauch) eine wichtige Komponente fortgeschrittener Fertigkeiten und selbst ein wichtiges Ziel der Ausbildung2. 2.2.2 Schreiben lehren Wenn die Selbsttätigkeit der Lernenden nicht auf später verschoben wird, sondern zur Basis der Entwicklung und Erarbeitung von neuen Kenntnissen gemacht wird, so heisst das, den Umgang mit Problemen, die Strategien des Sich-Ausdriickens in den Vordergrund zu stellen und einzelne Strukturen, einzelne Lösungen vor diesem Hintergrund zu betrachten und so im Zweifelsfall der Metakognition den Vorrang vor dem Strukturmuster einzuräumen. Dieser Weg erfordert nicht weniger didaktische Anstrengungen als anderer Unterricht; der Prozessansatz (genau wie analoge Ansätze in anderen Bereichen) ist keine Position des Laisser-faire. Er kennt klare Ziele, und er hat die klare Aufgabe, fruchtbare Arbeitskontexte zu schaffen3. Er verlangt durchaus keinen Verzicht auf das Lehren, das Vermitteln von neuen, textspezifischen Kenntnissen, formuliert aber Hintergrundbedingungen dafür. Diese sind besonders ernst zu nehmen im Fremd Sprachenunterricht, in dem es vielfach weniger um für die Lernenden völlig neue Formen des schriftlichen Ausdrucks geht als darum, im Prinzip bereits bekannte in der fremden Sprache fruchtbar zu machen (vgl. Börner 1989: 351). Auf wenige Gesichtspunkte in diesem Zusammenhang soll kurz eingegangen werden. a. Schreibspezifische
Orientierung
Schreibspezifische Orientierung ist gegeben in Aufgabenstellungen, welche den textuell gebundenen sprachlichen Ausdruck von Gedanken und 1
2
3
Solche Routinen sind feste Schemata, die erfolgreich nur in speziellen Situationen angewendet werden können. Routinen sind hilfreich dann, wenn es gelingt, die in ihnen 'eingefrorenen' Momente aus ihrem verfestigten Zusammenhang zu lösen und in neuer Weise einsetzbar zu machen. Vgl. Carrell 1989 für nähere Angaben. Offenbar sind lokale Lesestrategien, die sich primär auf die grammatischen Details richten, höchst ineffektiv, aber gerade bei nicht sehr guten Lesern von grossem Gewicht. Die unterrichtliche Thematisierung von anderen, effektiveren Strategien und der Versuch, diese in den Leseprozess einzuführen, scheint einen sehr positiven Effekt auf Leseleistungen zu haben. (Ebda.) Vgl. dazu auch etwa Faerch/Kasper (1983: 31). Sie stellen im Rahmen der Diskussion um Lernerstrategien etwas pointiert fest, dass es schwer sei, alles zu lehren, was einer brauchen könnte; wichtiger sei, das Lösen von Kommunikationssproblemen zum Thema zu machen. Auch dafür braucht es spezifische Kenntnisse; z.B. gewisse Vorstellungen davon, welche Typen von Kommunikationsproblemen es gibt und welche Strategien erfolgversprechend eingesetzt werden könnten (ebda.: 32ff.). Im gleichen Kontext kommen sie auf die Wünschbariceit bewusster Problemlösungen zu sprechen.
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Intentionen erfordern. Dies ist der Ausgangspunkt der Schreibdidaktik; in bezug auf solche Aufgaben sind Hilfestellungen zu geben, welche einzelne Aspekte daran in den Vordergrund rücken und leichter beherrschbar machen. Solche Aspekte sind etwa - die Situation, für die ein Text geschrieben wird, und die Anforderungen an den Text, die sich daraus ergeben; - textbezogen die Planung von Inhalt, Struktur und Darstellungsform des Textes; - die Kontrastierung von Elementen mündlicher und schriftlicher Erledigung einer kommunikativen Intention (z.B. Einladungen, Entschuldigungen, Glückwünsche); - die Herausarbeitung und Begründung von Herstellungsregeln für spezifische Textformen (etwa Zusammenfassungen, Kurzvorträge, schriftliche Entschuldigungen); - die Konfrontation von Zielen und Plänen mit dem geschriebenen Text und dem, was er an Mitteilungen kodiert. Inhaltlich unterscheiden sich solche Vorschläge weitgehend von dem, was im direktiven Ansatz im Vordergrund des Interesses stand, weniger von den Vorschlägen der textlinguistisch ausgerichteten Ansätze. Im Unterschied zu den meisten dortigen Vorschlägen geht der prozessorientierte Ansatz jedoch von zumindest zwei anderen Voraussetzung aus: 1. Solche Analysen können nicht nur, sondern sollen so weit wie möglich von den Schreibenden selbst geleistet werden. Sie sind ein wesentliches Mittel dazu, jene Wissensbestände zu aktivieren, welche vorhanden sind und in jedem fruchtbaren Schreiben ohnehin mitspielen müssen, aber oft nicht aufgerufen werden. Es spielt keine Rolle, wenn die Vorstellungen der Schreibenden über die Erledigung einer Aufgabe nicht den im jeweiligen Kulturraum üblichen entsprechen. Gerade dann ist eine von den Lernenden selbst mitgetragene Kontrastierung nötig (etwa mit autochthonen Beispielen), damit überhaupt Differenzen wahrgenommen und vielleicht überbrückt werden können. Instruktion über Regularitäten von Texten und Schreibprozessen findet am besten im Kontext von solchen lemergetragenen Analysen statt. 2. Analysen, Regelformulierungen, die Erarbeitung von Strukturschemata usw., bilden nicht unumgängliche Voraussetzungen dafür, dass geschrieben werden kann. Es gehört mit zu den Strategien der Reduktion von komplexen Aufgaben auf Routinen, wenn Schreibaufgaben stets 'auf sicher' angelegt werden in dem Sinne, dass sie nur noch dem Vollzug vorgängig aufgebauter Kenntnisse und Muster dienen. Das Textherstellen wird so zum Testfall dafür, ob der zuvor unternommene, meist auf bestimmte Aspekte eingeengte Vermittlungs- und Übungsprozess Früchte getragen hat. Das Schreiben selbst als Instrument der Aktivierung und Organisation vielfältiger Kenntnisse, das Schreiben als Erkenntnisprozess wird so als didaktisch relevante Grösse gar nicht wahrgenommen. Wird aber zugestanden, dass Schreiben selbst ein Mittel der Klärung und sogar Erarbeitung von Kenntnissen sein kann, so ist es denkbar, dass explizite Ar-
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beit an den 'Grundlagen' auch nach ersten Schreibversuchen erfolgen kann. Klarere Kenntnis muss das Resultat der gesamten Arbeit im Schreibunterricht sein, sie kann demgemäss auch Ergebnis des Schreibens selbst sein. Auf diese Weise können die Möglichkeiten des Überarbeitens, der Distanzierung und neuen Annäherung an den Text voll für den Schreibunterricht fruchtbar gemacht werden. Dies ist ein Aspekt, der in nicht-prozessorientierten Ansätzen fast durchgehend ausfällt1. b. Didaktische Verfahrensweisen Reflexion, Orientierung und metakognitive Erfahrungen können sich zwar in überaus anspruchsvollem Sprachverhalten äussern, dieses ist jedoch keine Voraussetzung für ihr Zustandekommen. Die hier gemeinten kognitiven Prozesse können auf jedem Niveau der Fremdsprachenbeherrschung stattfinden. Es mag - in homogenen Lernergruppen - hilfreich sein, gewisse Dinge in der Muttersprache der Lernenden zu besprechen2, dies ist jedoch nicht unbedingt nötig. Reflexion der hier gemeinten Art kann angeregt werden und kann sich kundtun in Aktivitäten, die in keiner Weise sprachlich anspruchsvoller sind als ungezählte andere, die im Unterricht stattfinden. Ihr Unterschied besteht darin, dass es dabei um Aktivitäten geht, welche die Herstellung, das Verstehen und die Bewertung von Lernertexten betreffen und die Kontexte des Schreibens und den Umgang mit Texten als Thema ins Bewusstsein heben. Einige Hinweise3: - Lerner sammeln Ideen für Dinge, die in einem zu schreibenden Text gesagt werden könnten; in der Gruppe werden diese Ideen bewertet, passende ausgesucht und in eine Reihenfolge gebracht. - Lerner lesen Texte, auf die sie in ihrem eigenen Schreiben frei zurückgreifen können. - Die Lernenden lesen allein oder in Gruppen (Lerner-)Texte und unterstreichen die Aussagen, die sie - nicht verstehen; - für neu oder interessant halten; - anders schreiben würden; 1
2 3
Dies muss durch eine übergrosse Abhängigkeit von der vorgängigen Analyse von Beispieltexten erkauft werden. Diese leidet vielfach darunter, dass sie stattfindet, bevor Schreibaufgaben überhaupt zur Kenntnis genommen werden konnten, bevor frische Erfahrungen mit den Schwierigkeiten der Aufgabenlösung vorhanden sind. Entsprechend erfolgt sie eher lehrerdominiert und abstrakt. - Die Herauslösung des Schreibens aus der Position am Ende von Unterrichtssequenzen erlaubt der prozessorientierten Didaktik auch einen viel flexibleren Einsatz von Beispieltexten. Es steht nichts dagegen, solche nachträglich einzuführen und direkt mit Lernertexten zu vergleichen oder sie zunächst nur als Beispiele vorzugeben, ohne jede gerichtete Analyse usw. Dies gilt fur viele Bereiche des Unterrichts, nicht nur fürs Schreiben. Die meisten der hier gegebenen Beispiele stammen aus den schon besprochenen Arbeiten. Vor allem Pineas gibt im Kapitel Tamilian sieren' eine Anzahl von sinnvollen und sehr früh einsetzbaren Hinweisen, die sich auch auf die Texte der Lernenden selber anwenden lassen, nicht nur auf die dem Schreiben vorgängige Analyse von Fremdtexten.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
- fehlerhaft finden; - ergänzen möchten; - unterstützen oder bestreiten; und - je nachdem - befragen den Autor, schreiben den Text neu oder schreiben einen Gegentext usw. - Die Lernenden lesen zwei oder mehrere (Lerner-)Texte und - unterstreichen die Sequenzen, in denen diese übereinstimmen; - beurteilen sie in bezug auf verschiedene Fragen (ist der Text adressatengerecht, interessant, leicht verständlich, klar geschrieben?) und markieren eventuell entscheidende Stellen; - erarbeiten den Texten angemessene Weisen des Vorlesens; - zeichnen eine Graphik, die die unterschiedlichen Strukturen aufweist. - Die Lernenden lesen ihren eigenen Text - vielleicht erst einige Tage, nachdem sie diesen geschrieben haben - und stellen fest, ob er ihnen (immer noch) gefällt; wo sie ihn heute anders schreiben (erweitern, kürzen, umformulieren) würden; wo sie beim Schreiben sprachliche Schwierigkeiten gehabt haben, wo sie Fehler vermuten. Dann tauschen sie den Text mit dem eines anderen und stellen sich die analogen Fragen. Schliesslich vergleichen sie ihre Antworten. Diese lassen sich weitgehend durch Unterstreichungen usw. geben - Voraussetzung findieses Verfahren wäre dann allerdings, dass eine Kopie für den Partner vorliegt1. Auf solche Weise lassen sich Vergleiche anstellen, Präferenzen ausdrücken, Alternativen abschätzen oder Problemstellen im Text bezeichnen, ohne dass von vornherein in komplexer Sprache über Texte gesprochen werden müsste. Das aufmerksame Lesen und durch Fragen, Hinweise, Beispiele usw. gesteuerte Umgehen mit Texten und Textelementen trägt schon relativ weit. Mit der Sprachkompetenz wächst die Fähigkeit der Verbalisierung, welche den Problemen komplexerer Texte angemessen ist. Die hier erwachsenden Ausdrucksbedürfnisse sind ansatzweise zu befriedigen mit dem auf der jeweiligen Stufe der Sprachentwicklung gängigen 'classroom discourse', mit den Sprachmitteln also, die nötig sind, um die für die Organisation des Unterrichts notwendigen Evaluationen, Beschreibungen, Aufforderungen usw. ausdrücken zu können; dieser ist den hier anfallenden Bedürfnissen gemäss auszubauen und zu differenzieren. Instrument dafür können die Arbeitsanweisungen und Fragen sein, welche den Schreibunterricht und die Arbeit an Texten steuern - sie bilden eine 1
Solche Fragen, Hinweise und die didaktischen Verfahren der Kooperation, des Vergleichs usw. können im Rahmen der Situation des Fremdsprachenunterrichts verstanden werden als Versuch, die Verfahren erfolgreichen Schreibens transferieibar bzw. auf die fremdsprachliche Situation anwendbar zu machen. Zu Versuche, im Muttersprachunterricht durch didaktische Hilfen Einsicht in das Schreiben zu vermitteln und die Schreibfertigkeiten zu fördern, vgl. die Ausführungen zu verschiedenen Versuchen der «procedural facilitation», der Zugänglichmachung reifer Schreibformen in Bereiter/Scardamalia 1982; Burtis et al. 1983; Scardamalia/Bereiter 1983,1986,1987; Cullen 1985.
III.2 Die Koordinaten schreibdidaktischen Handelns
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wichtige Quelle für Begriffe, Kriterien und Betrachtungsweisen, welche auch in das Sprechen über Texte eingehen sollen. In jedem Unterricht, der überhaupt über das unmittelbar Dialogische hinauszielt, gehört das Bearbeiten, Kommentieren und Evaluieren von sprachlichen, inhaltlichen und strukturellen Aspekten von Texten zum Grundbestand der Arbeit, nicht nur im Schreib-, sondern auch im Lese- und Hörverstehensunterricht und in der Gesprächserziehung. Der Diskurs über Texte bildet so ein kaum verzichtbares Element des Fremdsprachenunterrichts. Hier wird er allerdings resolut in die Hände der Lernenden gelegt. c.
Lernerverantwortung
Was in solchen Vorschlägen angezielt ist, ist eine möglichst weitgehende Beteiligung der Lernenden, ohne dass ihnen jede Hilfestellung entzogen wird. Applebee fordert als Voraussetzung für adäquaten prozessorientierten Unterricht ein «effective instructional scaffolding», die Bereitstellung eines didaktischen Gerüsts, das - die Lernenden ihr Tun selbst 'besitzen' lässt, zumindest Raum eröffnet für eigene Beiträge und reale Sprachfunktionen («student ownership of the learning event»); - adäquate, das heisst interessante, sogar anspruchsvolle, aber lösbare Aufgaben ermöglicht; - den Prozess im Hinblick auf die Ziele zu strukturieren und damit die Arbeit der Lernenden zu unterstützen erlaubt; - Verantwortung delegiert; - Kontrolle delegiert. (Nach Applebee 1986: 109; vgl. Langer/Applebee 1987: 140ff., siehe unter Abschnitt 4.) Ähnliche Forderungen stellt Cumming (1986). Er sieht wie Applebee in der Selbsttätigkeit und in der durch die Lernerteilnahme erforderte Offenlegung von Zielen, Mitteln und Beurteilungskriterien eine Chance, Formen des Lernens und Lehrens zu initiieren, die den Lernerinteressen und -fähigkeiten tatsächlich Raum zur Entwicklung lassen (vgl. auch die Hinweise in Abschnitt 4). 2.3 Schreiben und Spracharbeit 2.3.1 Drei Aspekte der Spracharbeit beim Schreiben im Unterricht Das Verfassen von Texten im prozessorientierten Ansatz involviert die Schreibenden in eine intensive und dichte Spracharbeit in mehrfacher Hinsicht: 1. Das kooperative Planen, Überarbeiten und eventuell auch Formulieren umgibt die Arbeit am Text mit einem dichten Teppich mündlicher Aktivitäten (teilweise auch solcher des Lesens) - einem Diskurs über Themen, Texte und das Texteschreiben. Dabei wird, in dialogischer Form, nicht nur Inhaltliches und Strukturelles thematisch, sondern ineins damit das Schreiben auch sprachlich vorbereitet. Einschlägiger Wortschatz, Kollokationen, syntaktische Strukturen werden voraktiviert und mit bestimmten Inhaltskonzepten, Aussagemöglichkeiten in Verbindung gebracht. Im Überarbei-
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
ten wird das Geschriebene gelesen und wiederholt, eventuell in neuen Konstellationen wiederverwendet; zusätzlich können neue Sprachmittel und sprachbezogene Gesichtspunkte eingebracht werden. Das Schreiben von Texten wird auf diese Weise nicht ausgegrenzt und isoliert, sondern in einen unterrichtlichen Vorgang der Auseinandersetzung hereingenommen, in dem die verschiedenen Modi des Sprachgebrauchs ihre Rolle spielen. Wo, wie im nächsten Abschnitt vorzuschlagen sein wird, Lernertexte wieder in den Unterricht zurückgeführt werden, entstehen zusätzliche Möglichkeiten der Verbindung von Schreibanlässen mit weiterführenden mündlichen oder schriftlichen Aktivitäten. 2. In diesem Kontext ist die Gelegenheit zu einer dichten und völlig natürlichen Beschäftigung mit dem mündlichen und schriftlichen Kode und ihrem gegenseitigen Verhältnis angelegt. Im kooperativen vorbereitenden Planen, noch mehr im Überarbeiten, findet ein ständiger Wechsel statt zwischen dem Lesen von Geschriebenem und dem Sprechen darüber sowie zwischen dem planenden und evaluierenden Sprechen und der Umsetzung der Ergebnisse in schriftliche Form. Dieser Wechsel wird meist kaum bewusst vor dem Hintergrund der schrift- und sprechsprachlichen Kompetenzen der Lernenden erfolgen; er kann auch in bezug auf einzelne Fragen des schriftlichen Kodes explizit gemacht werden1. Aber auch wo dies nicht der Fall ist, spielt sich hier anhand der Arbeit am Text eine Praxis der Umsetzung ein, die in vielem wohl durchaus die relevanten Kriterien der beiden Bereiche spiegelt. 3. Die intensivste und kohärenteste Spracharbeit wird wohl im Vertexten, im Formulieren selbst geleistet. Sie kann, wie eben gezeigt, eingebettet sein in einen ausgeführten Kontext vorbereitender mündlicher Handlungen, sie kann auch ohne einen solchen erfolgen. Es ist anzunehmen, dass das Schreiben eine andere Form der Auseinandersetzung mit Sprache begünstigt als das Sprechen, eine detailliertere Beschäftigung mit den verfügbaren Sprachmitteln. Der Frage, wie die Qualität dieses Sprachkontakts charakterisiert werden kann, gehen die folgenden Abschnitte nach. 2.3.2 Einstellung auf Sprache im schriftlichen Formulieren Schreibfähigkeit kann begriffen werden als Vermögen, sprachliche Mitteilungen aufgrund relativ spärlicher Angaben zu erarbeiten, das heisst aufgrund karger Ausgangsimpulse komplette Äusserungskontexte aufzubauen und Aussageprozesse in Gang zu setzen und zu unterhalten, die nicht von der Anwesenheit und den Impulsen von Gesprächspartnern abhängig sind. Schreibfähigkeit ist demnach die Fähigkeit, ohne einen unmittelbar präsenten Partner (jedoch in bezug auf ihn) sprachlich zu handeln. Damit ist im1
So liessen sich ausgehend von Stichwörtern etwa mündliche und schriftliche Fassungen vergleichen, einzelne gängige mündliche bzw. schriftliche Formulierungen danach befragen, wie sie typischerweise in der anderen Modalitat ausgedrückt werden könnten, oder auf Tonband festgehaltene monologische Äusserungen schriftlich umsetzen (vgl. den oben zitierten Beitrag von Maas).
ΠΙ.2 Die Koordinaten schreibdidaktischen Handelns
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pliziert, dass der Schreibende fähig ist, seine Tätigkeit selbst zu kontextualisieren, das heisst in einem Zusammenhang anzusiedeln, der nicht durch das individuelle, aktuelle Verständnis des Partners, sondern durch allgemeine Kriterien der Verständlichkeit und Richtigkeit der Aussage geprägt ist, in einem Zusammenhang somit, in dem der sprachliche Ausdruck die einschlägigen Aussageintentionen relativ systematisch und ausgeführt zur Geltung bringt. Im Gegensatz zur dialogischen Situation muss der gesamte Aussagerahmen selbständig organisiert werden; der Schreibende muss sich in einem grösseren Diskurskontext autonom orientieren, Form und Inhalt seiner Mitteilung mit sich selbst aushandeln. Dafür fällt die unmittelbare Antwortpflicht weg: Schreibende können sich, solange sie schreiben, im Bereich ihrer Aufgabe frei und ohne äusseren Einfluss bewegen; sie können die notwendigen Aktivitäten nach ihrem Tempo und aufgrund ihrer Kenntnisse und Präferenzen gestalten. In diesem Rahmen wird die Einstellung auf Sprache durch zwei (gegenüber der Spracheinstellung im Sprechen gegenläufige) Aspekte bestimmt: Einerseits verbindet sich das Schreiben mit einer gewissen Langsamkeit, andererseits unterstützt und fördert es einen gewissen Fokus auf die Form, auch auf die Genauigkeit und Korrektheit der Äusserung. Das erste kommt in vielem der natürlichen Tendenz der Lernenden entgegen. Sprechen erfordert für sie oft eine zu rasche, zu wenig kontrollierbare Produktion. Der Imperativ der Geschwindigkeit drängt die Fremdsprachigen nicht selten zum Gebrauch der gerade zugänglichsten Sprachmittel, auch wenn sie nicht wirklich adäquat erscheinen, zwingt darüber hinaus oft zu andeutungsweisem, abgebrochenem Sprechen. Auf der anderen Seite erfordert das Schreiben eine Festlegung auf inhaltliche und formale Einzelheiten (die Schliessung von Strukturen, die explizite Benennung von Gegenständen und Relationen usw.), was für die Lernenden oft schwer zu erbringen ist. Die mangelnde Verfügbarkeit der entsprechenden Sprachmittel fällt im Sprechen viel weniger ins Gewicht, weil jede Aussage als nachträglich korrigierbar erscheint, demgemäss immer provisorisch gemacht werden kann. Im Schreiben dagegen stehen die Lernenden vor der Notwendigkeit, ihren Sprachschatz entschiedener und systematischer auszuschöpfen, um der Anforderung des schriftlichen Ausdrucks gerecht zu werden1. Langsamkeit des Schreibens und seine Tendenz zur Genauigkeit erleichtern, ja erfordern eine bewusste Auseinandersetzung nicht nur mit den mitzuteilenden Inhalten, sondern auch mit der Sprache (vgl. Brockhaus 1987). Dadurch, dass diese sichtbar wird, wird neben und über dem Mitzuteilenden immer auch die Aussage selbst, die sprachliche Seite der Mitteilung, zum möglichen Objekt der Aufmerksamkeit. Zweifellos trägt dazu auch die Tatsache bei, dass im Schreiben gesellschaftliche Normen mit eine 1
Raimes (1985: 248) spricht in diesem Zusammenhang etwa davon, «how essential the acquisition of vocabulary is for ESL writing and how much the task of writing can contribute to that acquisition even when pre-writing activities arc not provided».
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Teil III: Grandzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
Rolle spielen, die im Mündlichen leichter übergangen werden können, im Schreiben aber dank des objektiven Charakters der Produkte intensiver verfolgt werden können. Diese Aufmerksamkeit auf die Form nun hat im Schreiben nichts Künstliches an sich. Sie ist nicht abgespalten von der Aufgabe des Sich-Äussems, sondern ergibt sich in deren Gefolge aus der Natur des Schreibens selbst, aus seiner Langsamkeit und aus den Zwecken, denen es dient1. Ich möchte im folgenden auf vier Gesichtspunkte eingehen, welche in bezug auf diese Einstellung auf Sprache im Schreiben relevant scheinen. 1. Das Schreiben erlaubt jenen formellen Stil, den Ellis (1986, 1987) oder Bialystok/Ryan (1985) als erwerbsrelevant herausstellen. Es fordert und fördert den Gebrauch jener Sprachverwendungsweisen und systematischen Möglichkeiten der sprachlichen, auch syntaktischen Strukturierung, welche den Lernenden zwar bekannt, aber nicht beliebig zugänglich sind und die vielleicht erst über die Zuhilfenahme sekundärer Prozesse in die Sprachproduktion eingebracht werden können. Diese Formalität wird durch die Situation des Schreibens und seine Tendenz zu Explizitheit und struktureller Geschlossenheit2, aber auch durch Normen gefordert. Die entsprechenden Ansprüche sind in der Kontrollstruktur verankert, die der schriftlichen Produktion zugrundeliegt und die dank der zeitlichen Verhältnisse beim Schreiben in viel weiterem Umfang definiert und aktiviert werden kann, als dies beim Sprechen der Fall ist. 2. Das Schreiben führt zur Entdeckung von Unsicherheiten, Lücken und problematischen Bereichen in der eigenen Sprachkenntnis. Diese werden wohl nur zum Teil auf der Stelle gelöst; es ist aber anzunehmen, dass sich Spuren bilden - Erinnerungen an ungelöste Fragen, die dann wieder aktiviert werden können, wenn im Hören, Lesen oder in einer anderen Produktionssituation die entsprechenden Antworten zugänglich werden. Dies ist auch im Sprechen der Fall; mutmasslich werden im Schreiben, dank der langsameren Arbeit und des intensiveren Sprachkontakts, tiefere diesbezügliche Spuren angelegt. Jedenfalls zeigen sich hier den Schreibenden selbst problematische Aspekte, Ansätze für Neues, Wachstumszonen der Sprachkompetenz. Anders als im Sprechen besteht im Schreiben nur dann eine Chance für sofortige Rückmeldung, wenn Beratung gesucht wird (unter Umständen auch 1
2
Weinrich plädiert für das Lesen von Literatur im Fremdsprachunterricht und begründet dies damit, dass es in der Lernsituation weder wünschbar sei, «die natürliche Transitivität der Sprache [sc.: ihren instrumentellen Charakter in der Kommunikation] zu ignorieren, noch ist es statthaft, ihr hemmungslos nachzugeben» (Weinrich 198S: 233). Die Lektüre von Literatur ermögliche es, einen «Schwebezustand» zu induzieren, in dem sowohl das Gesagte wie die Weise des Sagens im Wechselspiel fokussiert werden könnten. Dadurch entstehe eine «sinnliche Reflexivität, durch die Interesse für die Sprache erzeugt, Interesse für die Sache jedoch nicht ausgeschlossen wird» (ebda.: 237). Diesem Argumente möchte ich mich, jedoch bezogen aufs Schreiben, anschliessen. Schreiben ist in der Regel «situativ ungebunden und setzt somit die sprachlichen Potentiale beim Schreiber maximal frei» (Maas 1986:24).
ΙΠ .2 Die Koordinaten schreibdidaktischen Handelns
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dann, wenn kooperativ geschrieben wird). Sinnvoll könnte deshalb sein, Punkte, an denen Unsicherheit besteht, zu 'etikettieren', um aus Korrekturen (oder anderen Quellen sprachlichen Inputs) möglichst viel Information ziehen zu können. (Wichtig sind dabei wohl nicht so sehr äussere Marken, die gesetzt werden, als die Sensibilisierung auf die einschlägigen Punkte.) 3. Das Schreiben gibt die Möglichkeit, Formulierungen überlegt aufzubauen. Auch hier ist anzunehmen, dass das schriftliche Arbeiten intensiver als das Sprechen die mit Formulierungen verbundenen Strukturen zu durchschauen und zu assimilieren erlaubt, das heisst Chancen eröffnet dafür, dass die so konfigurierten Sprachmittel in passenden Situationen als Muster wiederverwendet bzw. variiert angewendet werden können1. Ebenso eröffnet sich den Lernenden die Möglichkeit, ihre eigenen, muttersprachlich präferierten Aussage- und Darstellungsweisen in der Fremdsprache (auf dem jeweiligen Niveau der Sprachkompetenz) nachzubilden. Beides sind wohl Voraussetzungen dafür, dass sich ein auf prozeduralisierten Verfahren aufbauender automatischer Sprachgebrauch herausbilden kann 2 . Gegenläufig dazu bietet die schriftliche, langsame Arbeit die Chance (dank der Möglichkeiten, auf Formulierungen zurückzukommen), gewohnte Redeweisen zu entautomatisieren, das heisst anders, variantenreicher oder komplexer sich zu äussern, als dies die ersten sich anbietenden Versuche tun. 4. Schreiben lädt zum Überdenken und zur Revision von Ansichten, zur Detaillierung von vermuteten Zusammenhängen, zur Explikation von Meinungen usw. ein, die man im Begriffe ist zu äussern oder die man eben geäussert hat. Die fremde Sprache wird hier zum Vehikel wichtiger Erfahrungen. Sie verbindet sich auf andere Weise mit den Gehalten des Bewusstseins als beim blossen Benennen und effektiviert der Möglichkeit nach jene oben angemerkten Prozesse der Kontextualisierung, in denen Sprache und Inhalt, Ausdruck und Gedanken in dichte Verbindung miteinander gebracht werden3. Zusammenfassend lässt sich sagen: Das Schreiben lässt (neben anderen) auch authentische sprachliche Probleme und Fragen des Umgangs damit entstehen (vgl. Krings 1986b: 273). Dies fordert sprachbezogene Formen der Aufmerksamkeit, der Kenntnis der eigenen Möglichkeiten und der 1
2
3
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Annahme von Möhle/Raupach (1983: 100, Anm.l), wonach Fremdsprachenlemer, die relativ kurzräumig Syntagma für Syntagma planen, zwar sehr gehemmt erscheinen, weil sie nicht flüssig sprechen, dass sich dies aber langfristig positiv auf ihre Sprachkompetenz und die Differenziertheit ihres Ausdrucks auswirken könne. Wenn dies haltbar ist, so ist Steins Aussage: «Geläufigkeit beim Sprechen erwirbt man sich nur durch Sprechen, Genauigkeit des Ausdrucks dagegen auch beim Schreiben, ja vor allem beim Schreiben.» (Stein 1975: 177) in der Hinsicht zu modifizieren, dass Geläufigkeit des Ausdrucks im Schreiben wohl kaum direkt erworben werden kann, jedoch durchaus Vorarbeit dafür geleistet werden kann. Vgl. Mayer 1985: 15. Ich trenne hier bewusst die heuristischen, kommunikativen und die aufs Sprachlemen bezogenen Funktionen des Schreibens nicht voneinander. Sie scheinen im TexteSchreiben weitgehend miteinander verbunden zu sein.
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Teil ΙΠ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schieibdidaktik
Steuerung von Lernaktivitäten, wie sie oben unter dem Stichwort 'Metakognition' beschrieben worden sind. Für viele der in 1.3 diskutierten Lernerstrategien bietet das Schreiben den Rahmen für eine höchst fruchtbare Entfaltung1. 2.3.3 Schreibenlernen und Spracharbeit Sprachbezogene Bewusstheit und Genauigkeit im Schreiben haben nichts zu tun mit einer Rückkehr zu traditioneller Sprachbetrachtung, zu Drill usw.; sie sind Elemente des produktiven Schreibens, keine didaktischen Konstrukte. Sie ergeben sich in der spezifischen hier beschriebenen Form aus der Konfrontation von Aussageintentionen mit einer begrenzten sprachlichen Kompetenz. Das Schreibenkönnen, die von der Sprachkompetenz unterscheidbare und hier immer vorausgesetzte Fähigkeit, mit Schrift und Texten umzugehen, spielt in diesem Zusammenhang in verschiedener Hinsicht eine Rolle. Wie oben schon angetönt, lässt sich Schreibkompetenz im Hinblick auf die Spracharbeit als die Fähigkeit der Lernenden verstehen, einen Aussagekontext eigenständig aufzubauen und einen sprachlichen Äusserungsvorgang autonom zu unterhalten. Diese Kompetenz wird in der Fremdsprachendidaktik zunächst eingesetzt und nicht vermittelt. Sie erlaubt es, produktive Spracharbeit aus dem Bereich des unmittelbar Dialogischen herauszulösen und in der Verantwortung der Lernenden stattfinden zu lassen. In diesem Zusammenhang möchte ich auf einen interessanten, für die fremdsprachliche Schreibdidaktik wesentlichen Aspekt hinweisen. Cummings Untersuchungen (1988) machen darauf aufmerksam, dass schreibkompetente Fremdsprachige besser fähig sind, ihre Sprachkompetenz zum Ausdruck komplexer und klarer Gedanken einzusetzen, als andere, weniger schreibkompetente mit vergleichbaren Sprachkenntnissen. Offenbar haben gute Schreiber mehr Möglichkeiten, Äusserungsintentionen zu klären und zu ordnen sowie angepasste Planungsschemata zu benutzen oder zu entwerfen; sie sind nicht an starre Muster gebunden und scheinen sich besser auszukennen in der Aufgabe, Anforderungen an den sprachlichen Ausdruck einzuschätzen und entsprechend zu handeln. Dies deutet darauf hin, dass der gekonnte Umgang mit Problemen auf konzeptueller Ebene 1
Langner/Applebee (1987) betrachten das Schreiben als ein «learning tool» und belegen in einem Überblick über Forschungsresultate, dass in allen untersuchten Fächern (Fremdsprachenlemen gehört nicht dazu) Lernaktivitäten, die Schreiben beinhalteten, zu einem besseren Resultat führten als solche, die kein Schreiben erforderten. Die lernrelevanten Beiträge des Schreibens variieren, abhängig von der Art der geforderten Lern- und Schreibleistungen, scheinen sich jedoch durchgängig geltend zu machen. Hervorgehoben wird insbesondere das analytische, auf Denkprozesse gerichtete Schreiben, das nicht nur für die Überprüfung von Lernergebnissen, für die es meist eingesetzt wird, sondern auch für die Gewinnung von neuem Wissen wesentlich sei. Den zentralen Stellenwert analytischen Schreibens für die Schule unterstreichen auch Freedman/Calfee (1984), den Einsatz der Möglichkeiten des Schreibens in den verschiedensten Schulfächem Beach/Bridwell (1984).
ΠΙ.2 Die Koordinaten schreibdidaktischen Handelns
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(also mit Mitteilungsabsichten, Mustern, Relationen, Normen kohärenten Ausdrucks usw.) auch für die Qualität des sprachlichen Ausdrucks eine Rolle spielt1. Dies ist nun nicht nur in bezug aufs Schreiben, sondern mutmasslich auch in bezug aufs Sprechen relevant. In der Fremdsprache stehen häufig, fast immer, zu wenige sprachliche Ressourcen zur Verfügung. Diese auszuweiten ist eine ständige Aufgabe. Bis weit in die Fortgeschrittenenstufe hinein wird aber nicht nur dies, sondern auch die Fähigkeit, die vorhandenen Mittel optimal zu nutzen, mit zu den wichtigen Anforderungen an die Fremdsprachigen gehören. Die Möglichkeit dazu hängt nun einerseits ab von Parametern der linguistischen Kompetenz', der Zugänglichkeit der Sprachmittel und dem Grad der Automatisiertheit. Wie der Verweis auf die unterschiedlichen Erfolge von mehr oder weniger Schreibkompetenten zeigt, lässt sich vermuten, dass noch ein anderer, konzeptueller Aspekt hier eine Rolle spielt: die Fähigkeit, die intendierte Mitteilung so zu klären, dass es möglich wird, auch mit einfachen Sprachmitteln oder dort, wo die verfügbaren Sprachmittel geplante Aussagen nicht zulassen, alternative Mittel der Darstellung zu finden und dabei die inhaltliche Komplexität weitgehend zu wahren. Es ist dieser Aufbau von (und das Spiel mit) Form-Inhalts-Relationen, welche Swain (1985) in ihrem Konzept des «comprehensible output» in den Vordergrund rückt und auf das Cumming (1988:179) zurückgreift, wenn er das Schreiben als eine der Möglichkeit nach relevante Form des Lernens bezeichnet. Denn in dieser Formung von konzeptuellen Strukturen im Vorausgriff auf die verfügbaren Ressourcen des Ausdrucks spielen beide Aspekte, der konzeptuelle und der sprachliche, eng zusammen. Auf dieser Grundlage ist ein zusätzliches, unabhängiges Argument dafür zu gewinnen, auf die bereits vorhandene Schreibkompetenz im Fremdsprachenunterricht nicht nur einfach zurückzugreifen, sondern sie gezielt zu thematisieren und zu fördern. Die im Vergleich zu Muttersprachigen beschränkte Flexibilität und Wendigkeit im Sprachgebrauch kann von den Fremdsprachigen zum Teil dadurch ausgeglichen werden, dass sie gezielt mit diesen Beschränkungen rechnen und sie in ihre konzeptuelle Planung einbeziehen. Dies ist eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe, geht es hier doch um eine charakteristische Art des 'knowledge transforming' im Dienste möglichst komplexen, intentionsgerechten Ausdrucks angesichts reduzierter Mittel. In III. 1/2 wurde dieses Thema schon kurz angesprochen im Zusammenhang mit der von Rivers vorgebrachten Forderung nach Vereinfachung. Diese scheint dort jedoch zu undifferenziert gestellt. Die mitzuteilenden Konzepte sollen ja, so weit wie möglich, mitteilbar gemacht, nicht beschnitten werden. Voraussetzung dafür ist wohl jene von Cumming den guten Schreibern zugesprochene Fähigkeit, mehr als einen Problembereich gleichzeitig zu fokussieren, im konkreten Fall: die sprachlichen Fragen des Ausdrucks im Zusammenhang mit der intendierten Mitteilung 1
Vgl. auch Fine/Freedle 1983: 157ff.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
zu sehen und die jeweiligen Bedingungen bzw. Beschränkungen auf der einen Ebene mit denen auf der anderen zu vermitteln (vgl. Cumming 1988: 179, 186f.). Explizite Thematisierung dieses Zusammenhangs und der Versuch, die fremde Sprache zum möglichst unverfälschten Ausdruck von Mitteilungsabsichten fähig zu machen, ist sicherlich nicht nur, wohl aber prototypisch im Schreiben möglich1.
3
Die soziale Dimension
3.1 Autoren und Leser In den bisherigen Darstellungen ist ein wichtiger Faktor stets mitgenannt, aber nicht genügend expliziert worden, welcher das Schreiben in jedem Moment mitbestimmt: die soziale Dimension, in die das Ereignis des schriftlichen Sich-Äusserns eingebettet ist und die ihm seine Dynamik und seine Kontexte verschafft. Diese soziale Dimension hat zwei Seiten: Autorschaft als kooperatives Unterfangen und Kommunikation. Es mag Beispiele geben, in denen sich die Grenzen zwischen diesen beiden Bereichen verwischen; die Unterscheidung ist jedoch ein für die Schreibdidaktik höchst hilfreiches Instrument. 3.1.1 Kooperative Autorschaft Schreiben erfolgt im Normalfall in Abwesenheit des Adressaten; es ist damit jedoch noch lange nicht eine solitäre Angelegenheit. Autoren sind zwar gegenüber ihren Adressaten meist isoliert; in sehr vielen Fällen schreiben sie aber nicht allein. Minimalbeispiel ist der Geschäftsbrief, der vom Diktierenden inhaltlich und zum Teil stilistisch, vom Sekretär oder der Sekretärin in der äusseren Darstellung, orthographisch usw. verantwortet wird. In viel weiter gehender Weise ist in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft kooperative Autorschaft an der Tagesordnung. Hier stammen Texte oft nicht von einzelnen, sondern sind Produkt der Zusammenarbeit mehrerer - so, wenn wichtige Verlautbarungen, Grundsatzpapiere, Forschungsresultate usw. in Abstimmung unter verschiedenen Autoren oder Institutionen geschrieben und in endgültige Form gebracht werden. Hier 1
Wolff (1986, 1987) beschreibt für das fremdsprachliche Verstehen die Relevanz absteigender Veraibeitungsprozesse, das heisst die Verarbeitung von Input aufgrund von Vorannahmen, Schlüssen usw. auf relativ hoher, konzeptueller Ebene. Dies erlaubt, Schwächen der sprachlichen Kompetenz abzugleichen bzw. zu überspielen. In bezug auf den produktiven Sprachgebrauch ist wohl in ähnlicher Weise die Relevanz konzeptueller, die sprachlichen Schwächen in Rechnung stellender Prozesse anzunehmen. Allerdings kann es in der Produktion nicht darum gehen, sprachliche Veraifceitungsprozesse abzukürzen, sondern nur darum, aufgrond geeigneter konzeptueller Planung beschränkte Sprachmittel optimal einzusetzen. Im Rückblick erscheint hier die Forderung etwa Byrnes, Pineas' und Hedges, Schreiben müsse gelehrt werden, als sehr berechtigt, wenn sich auch in dieser Diskussion die Antwort auf die Frage, warum und wie es zu lehren sei, in vielerlei Hinsicht verschoben hat. Vgl. hierzu auch Hillocks 1986a: 88; Mayer 1985:91ff.
ΠΙ.2 Die Koordinaten schieibdidaktischen Handelns
429
kann, in beliebiger Variation und Dichte, die Bereitstellung der Grundlagen, die textuelle Planung, das Schreiben, die Revision und die Endredaktion von Texten in Kooperation erfolgen. Diese kann sich darin ausdrücken, dass die Beteiligten an einem Tisch zusammensitzen und gemeinsam an der Sache arbeiten, sie kann auch in einem Werdegang bestehen, in dem der Text, von der Vorstufe bis zum gültigen Resultat, von Schreibtisch zu Schreibtisch wandert, wobei an jeder Station entweder direkt Eingriffe vorgenommen werden oder der Entwurf, mit einem Kommentar versehen, an einen Redakteur oder ein Gremium zurückgeht. Für solcherart geschriebene Texte ist es nicht nötig, dass die Autorschaft als kooperative deklariert wird: Die Veröffentlichung kann durchaus im Namen und in der letztlichen Verantwortung einzelner Personen erfolgen (etwa bei einer ministeriellen Erklärung, dem Vortrag eines Mitglieds des Vorstandes über die ökonomische Situation des Unternehmens,.. .) l . Kooperative Autorschaft ist interpretierbar als offener Ausdruck von jedem Schreiben zugrundeliegenden sozialen Aspekten. Zu diesen gehört zunächst, dass die meisten Texte eine kommunikative Funktion haben. In gewissem Sinne wird ein Text mit dem prospektiven Adressaten ausgehandelt, das Schreiben ist eine adressatengerichtete Arbeit. Allerdings zeigt sich gerade beim Schreiben deutlich auch ein anderer Aspekt, welcher das Sich-Äussern mitbestimmt. Schreiben wird auch unternommen im Bewusstsein allgemeiner sozialer Verflechtungen: Zu schreiben heisst, sich zu berufen auf normative Muster der Selbstdarstellung, auf allgemein akzeptierte Darstellungsformen usw. Schreiben ist in diesem Zusammenhang nicht nur das (prospektiv, einseitig vorgenommene) Aushandeln spezifischer Intentionen mit einem Adressaten, sondern gleichzeitig ein Versuch, diese spezifischen Anliegen im Rahmen als gültig unterstellter Normen, Vorstellungen und Aussageweisen zu verorten. Unter diesem Aspekt wird immer auch im Hinblick auf eine allgemeine Instanz geschrieben: Mitentscheidend ist, was andere Schreiber tun, was 'man' als Schreiber in die1
Kooperativ erstellte Texte mögen manchmal nicht eigentlich zur Mitteilung bestimmt sein, sondern ihre Rolle für den Kreis der Autoren selber spielen. Man denke etwa an die Regeln des Zusammenlebens, die sich die Siedler einer als Einheit geplanten Neuüberbauung selbst geben; an die Geschäftsgrundsätze einer Kooperative von Handwerkern; an die mit den verschiedenen Parteien vereinbarten Qualitätsstandards, Termine der Fertigstellung und Konditionen der Zahlung beim Bau eines Hauses usw. In diesen Fällen ist Ziel des Texteschreibens nicht Kommunikation im herkömmlichen Sinn, sondern das Festhalten einer die Autoren selbst betreffenden Sache. In vielen Fällen nehmen solche Texte die Form einer Satzung oder eines Vertrags an; dessen Funktion ist die Regelung bestimmter Handlungen der Beteiligtea Bei solchen Texten ist nicht relevant, wer sie geschrieben hat, sondern nur dies, dass sie als gültig bekräftigt werden. Auch im Unterricht sind solch gemeinsam verantwortete und für die Gruppe selbst bestimmte Texte oder Konvolute denkbar, durchaus auch solche ohne vertraglichen Charakter. Zum Beispiel Zusammenfassungen oder Datensammlungen, die als Grundlage für eine spätere Priifungsvorbereitung dienen können; Klassenalben, die ein Schuljahr, einen Ausflug oder dergleichen dokumentieren usw.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
ser Situation tut1. Texte werden nicht nur mit dem prospektiven Adressaten, sondern auch mit den (imaginierten oder realen) Mitautoren ausgehandelt. In diesem Spiel zwischen verschiedenen Polen schreibt sich der Autor seine Stimme, seinen Ausdruck zu2. Dieser Aspekt am Schreiben kommt in Schreibkommentaren zum Ausdruck wie etwa "Ich weiss nicht, wie ich das sagen soll", "Wie schreibt man das?" (die Frage braucht nicht allein auf die Orthographie bezogen zu sein), "Ich weiss, was ich meine, aber ich kann es nicht sagen" usw. In all diesen Fällen wird appelliert nicht an einen Adressaten, wird nicht verwiesen auf die Schwierigkeit, publikumsbezogen etwas klar zu machen, sondern an eine viel weiter gefasste Schwierigkeit, einem Gemeinten Ausdruck zu geben. Der Appell geht an einen (imaginierten oder realen) Mitautor, der dem Schreibenden dabei helfen soll, Autor zu werden und sich mit dem, was zu sagen ist, in ein Verhältnis zu setzen zu den Ansprüchen und Normen, welchen sein Ausdruck sich stellen muss - auch, aber nicht nur bezogen auf den Adressaten. So betont Cumming, dass in der Aufgabe, einen argumentativen Essay zu schreiben, alle Versuchspersonen mehr und intensiver nachgedacht haben als in den anderen Aufgaben; dass sie aber weniger bewusst und ausführlich darum bemüht waren, einen Leser zu überzeugen, als darum, einen sie selbst befriedigenden Standpunkt auszuarbeiten3. 1
2
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Natürlich kann gerade diese implizite Verpflichtung ein Thema des Schreibens sein, vom Schreibenden zurückgewiesen werden zugunsten persönlicherer oder originellerer Lösungen usw. Rubin 1988 bezeichnet «four dimensions of social construction in written communication»: die Repräsentation sozialer Kontexte im Schreiben, die Schaffung sozialer Kontexte durch das Schreiben, das kooperative Erarbeiten von Texten und die Zuordnung gesellschaftlicher Werte zum Schreiben/Geschriebenen. Weiterhin betont er die Zugehörigkeit des Geschriebenen zu einem «universe of discourse» und die intertextuellen Beziehungen, die es (durch Stil, Inhalt usw.) zu den anderen Elementen dieser Textwelt aufrechterhält. In ähnliche Richtung argumentiert Cooper 1986. Vgl. auch die Bemeikungen von Antos (1989: 31ff.) und Feilke/Augst (1989: 31 Iff.). Cumming 1988: 160. Vgl. dazu etwa Raimes' Vermerk, dass sie in drei ausfiihriichen Protokollen lauten Denkens nur einen einzigen Hinweis darauf fand, dass - in einer explizit kommunikativen Aufgabe (es ging darum, einer Forscherin für ihre Untersuchung gewisse Daten zu liefern) - eine der Schreibenden auf die Adressatin Bezug nahm, um ein Schreibproblem zu lösen. «At no other point did the presence of a specific purpose or reader appear to influence the planning, content, or approach to the essay». Raimes eridäit dies folgendennassen: «The assignment was, despite its wording, justifiably seen by the students as merely another 'school-sponsored topic'.» (Raimes 1985: 239). In einer ähnlich gelagerten Schreibaufgabe fanden Burtis et al. (1983) sowohl bei muttersprachigen Kindern wie Erwachsenen nur Spuren bewusster Beschäftigung mit dem Leser. Man könnte diese Ergebnisse auch so interpretieren, dass Adressatenbezug sich nicht in einer durchgängig bewussten Beschäftigung mit dem Leser manifestieren muss. In den berichteten Fällen war dieser ohnehin nicht persönlich bekannt, und es ging nicht darum, ihm gegenüber etwas zu erreichen. Hypothetisch liesse sich annehmen, dass es genügte, Rahmendaten des zu schreibenden Textes zu setzen und dann so zu schreiben, wie 'man* eben schreibt. Dies bedeutet nicht, dass der Leser oder die Funktion des Textes nebensächlich wäre, nur, dass es
ΠΙ .2 Die Koordinaten schreibdidaktischen Handelns
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Man kann die Vorgehensweise der prozessorientierten Schreibdidaktik verstehen als Versuch, dieses Prinzip kooperativer Autorschaft - didaktisch gewendet - fruchtbar zu machen (vgl. Cooper 1986). Hedge z.B. betont durchweg die Relevanz der Zusammenarbeit und des Austausches, um das Wissen um Darstellungsweisen, Normen usw., welches die Lernenden mitbringen, auf möglichst effektive Weise zum Zuge kommen zu lassen. Die gemeinsame Arbeit - in einzelnen Phasen des Schreibens oder durchweg - erlaubt es, am Einzelfall die Aufmerksamkeit für diese Normen und Regularitäten des Schreibens zu schärfen und ihre Konsequenzen für Struktur und Formulierung des Textes besser zu durchschauen. In dieser Kooperation fungieren die Lernenden als Mitautoren. Natürlich können sie dies nur sein, wenn sie - zumindest dort, wo schon ein Entwurf oder Text vorliegt - auch Leser sind. Sie sind aber Leser im selben Sinne, in dem auch der Autor selbst Leser ist (oder sein sollte): Nicht Empfanger einer Mitteilung, sondern Leser-Autor, dessen Thema der Text als Mitteilung ist. In diesem Sinne ist kooperative Autorschaft in allen oder beinahe allen im Unterricht verfassten Texten vorstellbar1. Diese Interpretation der Rolle und der Funktion gemeinsamer Arbeit an Texten läuft in vielem den traditionellen Schreibweisen im Unterricht entgegen. Herkömmlicherweise ist Schreiben in der Schule ein einsamer Akt, welcher dem Ausdruck der höchst individuellen Kreativität (etwa im personalen und literarischen Schreiben) oder dem Aufbau und der Messung von Kenntnissen (in Übungen und Prüfungen) oder zugleich der Übung und der Evaluation der Schreibkompetenz dient (im Aufsatzunterricht). Hier wird dieser eingeschränkten Praxis das Schreiben als (soziale) Lernform gegenübergestellt, als Gefäss, in welcher die im letzten Abschnitt genannten kognitiven Prozesse der Selbstorganisation gerade in der Auseinandersetzung und in Zusammenarbeit ermuntert und gefördert werden. 3.1.2 Die Funktion von Texten und die Frage nach dem Leser Texte, die als Mitteilungen konzipiert werden, haben eine kommunikative Funktion. Die Problematik, die sich damit im Unterricht verbindet, zeigt sich deutlich etwa in der folgenden Aussage:
1
möglich sein könnte, eine solche anders als über die bewusste Auseinandersetzung mit einem Bild des Lesers zu konstituieren. Vgl. Ludwig (1982: 14), der feststellt, die situativen Bedingungen des Schreibens - gemeint ist die aktuelle Kommunikationskonstellation, in der geschrieben wird - dürften in ihrem Gewicht für das Schreiben nicht überschätzt weiden. Es scheint mir dies ein wichtiger Gesichtspunkt zu sein, auch wenn die aufsatzdidaktischen Konsequenzen, die Ludwig daraus zieht, bestreitbar sind (vgl. Good/Sitta 1983). - Zur Frage, wie weit Leserbilder für das Schreiben von Texten relevant sind vgl. auch die Diskussion zwischen Rubin (1984, 1985) und Burleson/Rowan (1985) um das Problem, ob und wie weit Sensibilität für soziale Beziehungen und Textherstellungskompetenz parallel gehen oder als unabhängige Grössen zu interpretieren sind. Es dürfte aber klar sein, dass es etwa für sehr persönlich gehaltene Texte heikel sein kann, Phasen der gemeinsamen Textentwicklung anzusetzen.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
Although in the exercises described above the focus has been on institutional writing, incorporating comparisons and recommendations in personal writing is by no means ruled out. Selecting a suitable place for a vacation, the theme of my example above, can be readily adapted to the context of personal writing, in which the student replies to a request from a 'friend' to advise him or her on the choice of a holiday venue in the writer's own country. (White 1980: 88)
Die Crux dieser Art von Aufgabenstellung kommt in den Anführungszeichen zum Vorschein, die das Wort 'friend' zieren. Sie verraten, dass es hier allein darum geht, die Positionen eines Kommunikationsmodells zu füllen, ungeachtet der Tatsache, dass dieses der Unterrichtssituation aufgesetzt, in keiner Weise in sie integriert ist1. Diese Nicht-Integration hat zwei Aspekte: den der Fiktionalität - es gibt diesen Freund nicht. Zugleich ist die Aufgabenstellung vollständig unterdeterminiert. Die hier beschriebene Situation ist nicht nur keine reale, sondern auch keine realistische. Auf diese beiden Fragen soll kurz eingegangen werden. a. Zur Detailliertheit von Schreibaufgaben Auf den zweiten Gesichtspunkt geht ein Beitrag Armaleo-Poppers ein. Sie kritisiert Schreibaufgaben wie die eben besprochene, weil sie «ihre Funktion als reale Kommunikationsinstanz» verfehlen (Armaleo-Popper 1983: 33). Der Schreibauftrag müsse sich beziehen auf reale gesellschaftliche Kontexte und eine sinnvolle Tätigkeit des Lernenden ermöglichen. Solche realen Kontexte könnten im Fremdsprachenuntenicht nur durch Originaltexte (gedacht ist wohl vor allem an literarische) vermittelt werden, die gelesen, gehört und diskutiert werden und dadurch einen einigermassen ausgeführten Hintergrund für Schreibaufgaben bilden (ebda.: 34f). Zu einem persönlichen Brief etwa gehört im Hintergrund die Beziehungsgeschichte der Briefpartner, die im Brief etwa in Anspielungen zum Ausdruck kommt. Wir sind der Meinung, dass ein solcher Brief nur dann seine Aufgabe erfüllen kann, wenn das Faktenmaterial fur seinen Inhalt dem Schüler so ausführlich zur Verfügung gestellt wird, dass er Vorauszusetzendes von Mitzuteilendem unterscheiden kann. In der Praxis bedeutet dies, dass Briefe als Übung zur Schreibfertigkeit nur sinnvoll sind, wenn sie sich auf gelesene Texte beziehen und/oder auf eine ausführlich diskutierte und in den Einzelheiten bekannte Situation. (Armaleo-Popper 1983: 35f.)
Eine Aufgabenstellung wie die oben diskutierte sei deshalb abzulehnen2. Daraus könne gar kein persönlicher Brief entstehen, weil Anspielungen, Seitenbemerkungen usw., die gerade das Persönliche des persönlichen Briefes mit ausmachten, auf der Grundlage der spärlichen Angaben nicht 1 Man kann die hier mitbestimmende Absicht, durch das Schreiben dieses Briefs die Lernenden zum Vergleichen, Beraten usw. zu ermuntern, nicht kritisieren, wenn der Ausdruck solcher Funktionen durch die Art der Themenstellung angezielt wird, nicht durch willkürliche Vorgaben. 2 Die von Armaleo-Popper als unzureichend kritisierte Aufgabenstellung entspricht weitgehend der oben genannten: «Adressat: ein Freund in Hamburg. Inhalt: Bitte um Hilfe in der Organisation von Ferien. Auskunft erbeten über: Unterkunft, Preise, Sehenswürdigkeiten, Transportmittel, Kontaktpersonen, Spaziergänge usw.» (ArmaleoPopper 1983: 36)
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möglich seien. Ein Schreiben mit demselben Thema jedoch, geschrieben an eine Institution oder eine unbekannte Person statt an einen Freund, sei als Aufgabenstellung im Unterricht vertretbar, vorausgesetzt, die im Brief zu beachtenden Konventionen entsprechen Realsituationen, das heisst einer für den Lernenden sinnvollen Tätigkeit. (Armaleo-Popper 1983: 36)
Armaleo-Popper verweist mit ihrer Kritik auf eine wichtige Voraussetzung fürs Schreiben: Informiertheit. Sie möchte damit der Auffassung entgegentreten, mit der Nennung einiger Stichwörter sei ein genügender Orientierungsrahmen für das Schreiben geschaffen1. Ihrem Vorschlag könnte jedoch entgegengehalten werden, dass es nicht allein die Aufgabe des (wohl vom Lehrer) vorgegebenen Materials sein muss, die Aufgabe realistisch zu machen. Das Ungenügen - vielleicht besser: die Lückenhaftigkeit - der Aufgabenstellung könnte durchaus auch didaktisch umgemünzt werden dadurch, dass in der Situationsanalyse (oder in der Überarbeitungsphase) die Entscheidungen zum Thema gemacht werden, die im Hinblick auf die genaue Definition der Situation zu treffen sind (oder von den Schreibenden in ihren Texten getroffen worden sind). Unter Umständen ergäben sich aus diesem Definitionsversuch (oder der vergleichenden Lektüre der Lernertexte) mehr Einsichten in den Zusammenhang von Situation, Text und Schreiben als aus einer noch so detaillierten Datenbasis. Ein solches Verfahren würde den Lerncharakter der Schreibarbeit hervorheben und sich weniger dem möglichen Einwand aussetzen, dass es nicht unbedingt ein vordringliches Problem der Schreibdidaktik ist, die Quasi-Authentizität völlig fiktiver Situationen zu verbürgen. b. Zur Fiktivität von Schreibaufgaben Armaleo-Poppers Vorschlag hebt, indem er sich um realistische Situationsdefinitionen bemüht, den fiktiven Charakter dieser Schreibsituationen geradezu hervor2. Der Leser wird zwar sorgfältig konstruiert, aber es gibt ihn nicht. Die Basis für diesen Umstand liegt darin, dass Armaleo-Popper den Schreibunterricht direkt mit der Frage der Realsituationen verknüpft. Dieser Bezug ist dort, wo bestimmte ausserschulisch relevante Textsorten erarbeitet werden müssen, oft wohl unvermeidlich, er ist aber als Ausgangsbasis für eine Schreibdidaktik zu eng. Er steckt den Schreibunterricht und die Lernenden in eine Zwangsjacke, indem er sie zwingt, sich voll auf 1
2
Eine solche Maximierung der einschlägigen Kontextinformationen ist eine gute Möglichkeit, nicht nur die Informationsbasis für das Schreiben zu vergrössern, sondern dieses Schreiben auch mit den anderen Bereichen des Unterrichts zu verknüpfen. Dies ist ohnehin ein Desiderat ersten Ranges; es ist vor allem zu fordern für das durch Lernziele geforderte Schreibenlemen von textsortenspezifischen Texten. Diese werden häufig völlig unabhängig vom übrigen Unterricht eingeübt. Fiktive Kommunikationssituationen sind bloss präsupponiert. Davon zu unterscheiden sind fiktive Situationen in einem etwas anderen Sinne: Solche, in denen die Lernenden spielerisch in fremde Rollen schlüpfen, aber als solche Rollenträger interagieren. Im folgenden werden solche Anlässe als dramatisierte oder Spielsituationen bezeichnet.
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Teil III: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
die Paradoxie der Authentizität einzulassen. Im Unterricht muss der Versuch, mimetisch ausser schulische Situationen abzubilden und in diesem Sinne authentisch zu werden, fast stets mit dem Verzicht darauf bezahlt werden, diese Situation wirklich zu 'haben' - immer dann nämlich, wenn es nicht gelingt, ausseruntemchtliche Adressaten zu finden, an welche die Produkte der Arbeit tatsächlich gerichtet sind. Ist dies nicht möglich, bleibt die Authentizität auch realistisch ausgemalter Situationen rein formal. Was hier angesprochen ist, ist eine Frage nicht nur der Lernziele, sondern zunächst des Prinzips der Schreibdidaktik. Wird die Imitation von Realsituationen zum schreibdidaktischen Grundsatz gemacht, so wird ein Verzicht auf das Funktionieren der im Unterricht hergestellten Texte von vornherein als unvermeidlich unterstellt. Nominell kommt ihnen natürlich durchaus Funktion zu: Sie werden ja so geschrieben, dass sie in ihren Strukturen und Formulierungen nach den Regeln der schriftlichen Kommunikation valide Texte sind. Real kann diese Funktion durch die Texte jedoch nie erfüllt werden; es existiert kein Adressat für ihre Botschaft. Sie werden bloss pro forma zum Zweck der Kommunikation geschrieben, während der Sinn des ganzen Aufwands in den Übungs - und Lernzwecken liegt1. Ähnlich, wenn auch weniger deutlich sichtbar, sind die Umstände bei nicht-pragmatischen Texten. Auch diese werden geschrieben, um wahrgenommen, das heisst gelesen zu werden. Ihre weniger eindeutige Gerichtetheit macht es allenfalls leichter, diesen Sachverhalt zu verdrängen und die Texte didaktisch als in sich genügsame Gebilde zu behandeln2. Die Problematik fiktiver Schreibaufträge besteht nun darin, dass die Aufgabe in verschiedener Hinsicht in der Luft hängt, wenn dem Text weiter kein Stellenwert zugedacht ist, das heisst wenn die Frage nach den Lesern und den realen Funktionen von Lernertexten ausgeklammert werden. Die Funktion gehört zum vollen Akt des Schreibens, wie sie zu dem des Sprechens gehört. Es heisst den Sinn des Schreibens, die Gerichtetheit dieser Arbeit und ihren Handlungscharakter verkürzen, wenn Schreiben zwar gefordert, dem Geschriebenen aber nur didaktische Funktion zugesprochen wird. Dies ist eine ärmliche Schwundstufe dessen, was normalerweise unter Textfunktionen verstanden wird; sie widerspricht gänzlich dem Grundsatz, dass die Funktion des Schreibakts dem Schreiben nicht äusserlich ist (Ludwig 1983a: 5; Molitor 1984: 5ff.). Es ist nicht zufällig gerade dieser 1
2
Solche Übungszwecke werden hier auch als didaktische Funktionen bezeichnet. Von diesen wird, soweit nötig, im nächsten Kapitel die Rede sein. Es genügt hier anzumerken, dass didaktische Funktionen dort, wo Texte ihre reale Funktion nicht erfüllen können, prominent und praktisch ausschliesslich im Vordergrund stehen. Didaktische Funktionen sind auch präsent, wo Texte reale Funktionen erfüllen; sie können dort aber stark in den Hintergrund treten. Auszunehmen sind natürlich solche Texte, die man 'für sich schreibt'. Aber diese dürften, mit seltenen Ausnahmen, kaum Thema der Schreibdidaktik sein. Was im Untericht geschrieben wird, wird geschrieben, um wahrgenommen zu werden - meist jedoch allein durch den Lehrer als Korrektor.
III.2 Die Koordinaten schreibdidaktischen Handelns
435
Aspekt am Schreiben, von dem die Beiträge Schlemmingers (1985) und zum Teil auch Eismanns (1985) ihren Ausgang nehmen und der ihnen ihre klare Direktheit verleiht (vgl. II. 1/2). Es ist demnach zu fragen, ob die Frage nach der realen Funktion - eine der wesentlichen Antriebe zum Schreiben, der eigentliche Kernpunkt, der die Maschinerie der Planung, Vertextung und Revision in Bewegung setzt tatsächlich so schnell aus dem Bereich der Schreibdidaktik weggewischt werden darf; ob es reicht, wenn bloss auf zufällige Weise, weil es sich gerade so ergibt, Lernertexte auch einmal reale Funktionen erhalten. Eine Didaktik, welche keinen Versuch macht, die Möglichkeiten auszuloten, systematisch Lernertexten Funktionen zukommen zu lassen, betritt den Plan schon mit einer entscheidend zuriickgestutzten Konzeption ihres Gegenstandes; sie übernimmt - auch wenn sie prozessorientiert vorgeht - die gesamten theoretischen und didaktischen Unzulänglichkeiten mit, welchen sich eine formalistische kommunikative Didaktik gegenübersieht1. Wenn also das schreibdidaktische Engagement nicht dort aufhören soll, wo der Schreibprozess abgeschlossen ist, gehört mit zum Gebiet auch die Frage nach den Möglichkeiten der Weiterarbeit an und mit Lernertexten. Mit der Frage, wie diese im Unterricht aufgenommen werden können, befasst sich der übernächste Abschnitt; im zunächst folgenden soll - etwas ausführlicher, als dies eben geschehen konnte - die schreibdidaktische Relevanz realer Funktionen hervorgehoben werden. 3.2
Ein Plädoyer für reale Funktionen
Ich möchte an dieser Stelle drei Argumente für reale Funktionen vorbringen. Das erste und das dritte sind - auf den gegenwärtigen Kontext adaptierte - Versionen von Argumenten der nicht-formalistischen kommunikativen Didaktik; das zweite ist ein schreibdidaktisches. Alle drei nehmen Elemente wieder auf, die im Zusammenhang mit den bisherigen Darstellungen bereits angesprochen worden sind. a. Autoren als
Mitspieler
Der Anspruch der prozessorientierten Didaktik an die Schreibenden ist recht hoch. Sie sollen sich - nach den manchmal etwas überhöhten Darstellungen in der Literatur zur Sache - in beträchtlichem Masse engagieren; zumindest verlangt diese Didaktik ein Interesse am Thema und am Schreiben, das gross genug ist, um verschiedene Arbeitsgänge und ein wiederholtes Zurückkommen auf den Text zu tragen. Es ist durchaus möglich, ein solches Interesse zu mobilisieren auch dann, wenn der Text bloss didaktische Funktionen erfüllt - dazu trägt sicherlich die diskursive, offene Form der Arbeit bei, welche dieser Ansatz propagiert. Es ist jedoch zu fragen, ob das Interesse an Textarbeit nicht massgeblich untermauert werden könnte dadurch, dass Texte nicht nur als Übungsstücke wahrgenommen werden. Eine Sache gut zu sagen, ohne Konsequenzen 1
Vgl. die allgemeine Darstellung in Portmann 1981, Kap. 1.
436
Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
(ausser vielleicht den Noten), ist im Normalfall kein sehr vordringliches Ziel, vor allem wenn es Arbeit kostet. Natürlich kann dies nicht bedeuten, dass jeder Text in reale Funktionszusammenhänge eingelassen werden müsste. Dies würde die Kapazität fast jeden Unterrichts überfordern, es würde auch der Sache nicht gerecht. Schreibunterricht hat das Herstellen funktionierender Texte nicht nur zum Ziel, sondern auch zum Thema, und als Thema kann es durchaus in diskursiver, theoretischer und übender Form in den Unterricht eingebracht werden1. Systematische Arbeit mit Texten, welche kommunikative Funktionen erfüllen und damit als Instrumente der Mitteilung auch konkret fassbar werden, lässt aber wahrscheinlich die gesamte Arbeit des Schreibens in anderem Licht erscheinen auch in den Fällen, wo Texte explizit zum Lernen geschrieben werden. Dies ist ein motivationstheoretisches, noch mehr ein kommunikationstheoretisches Argument. Es geht davon aus, dass die Erfahrung der Verwendbarkeit von Gelerntem anspornend wirkt. Es geht auch davon aus, dass die Aufgabe oder der Wunsch, etwas mitzuteilen, den Schreibenden in eine Position der Verantwortung versetzt, die ihn nicht nur als Lernenden, sondern als kommunikativ Handelnden betrifft. Kommunikative Verantwortung bedeutet zweierlei: Sie stellt einen gewissen Anspruch an die Schreibenden (oder Sprechenden), aber sie beinhaltet gleichzeitig eine gewisse Macht, indem sie sie als Teilhaber auftreten lässt. Wo solche Verantwortung als Chance begriffen werden kann und nicht als Bedrohung wirkt, besteht die Möglichkeit, dass die Struktur der Aufgabe selbst zu motivierterem, weniger stimmungsabhängigem Engagement einlädt, dass die Lernenden ihr Tun stärker als ihr eigenes begreifen. Dem Argument liegt letztlich der Sachverhalt zugrunde, dass Sich-Ausdriicken und Kommunizieren Aktivitäten von Mitspielern sind. Den Ausdruck von Intentionen oder Meinungen zu verlangen von jemandem, der Mitspieler zu sein bloss fingieren kann, schneidet ihn von den wesentlichen Antrieben seines Tuns ab, sie entfernt ihn auch von der direkten Erfahrung der Zwänge und Möglichkeiten ernstgemeinten Ausdrucks wie auch von der direkten Wirksamkeit von Reaktionen2. 1 2
Unterrichtliche Thematisierung schliesst reale Funktion ausdrücklich nicht aus, kommt aber ohne sie aus. Watson (1982: 9) benutzt in einem ähnlichen Zusammenhang den von Britton eingeführten Gegensatz von «involved writing» und «perfunctory writing». Dieses begnügt sich damit, von aussen gesetzten Anforderungen irgendwie gerecht zu werden, jenes setzt sich die Massstäbe, das heisst die Ansprüche an das Gelingen der Arbeit selber. Diese Ansprüche brauchen inhaltlich nicht voneinander zu differieren; es ist die Weise, wie sie vom Schreibenden in die Arbeit eingebracht werden, die eine völlig andere ist - Dass ein solcher Unterschied besteht und Teilhabe sich in zum Teil überraschendem Qualitätszuwachs der Produkte ausweist, ist eine Erfahrung fast aller Kollegen, die mit Projekten und Projektunterricht experimentieren. Ähnlich äussert sich auch Raimes: «While some unskilled students might find it frustrating to produce such a piece of writing on demand, they consider it justified if their writing then becomes the raw material [...] for other class activities.» (Raimes 1985:247)
ΙΠ.2 Die Koordinaten schreibdidaktischen Handelns
437
b. Schreiben als alltägliche Praxis Prozessorientierte Ansätze betonen wie fast jede Didaktik stark das Lernen von Neuem, das Erreichen neuer Standards und Kompetenzen, wenn dies auch auf teilweise anderen Wegen erstrebt wird als in traditionellen Unterrichtsmodellen. Ich möchte nun für eine Schreibdidaktik argumentieren, die dem Schreiben auch alltäglichen Charakter zugesteht (vgl. Schlemminger 1985). Es gehört mit zu ihren Aufgaben, das simple Funktionieren, die - etwas pointiert ausgedrückt - banale Seite des Schreibens zum Zuge kommen zu lassen. Gerade im Fremdsprachenunterricht ist eine stets unterschätzte Aufgabe nicht nur die Sicherung des Zuwachses an Neuem, sondern auch die Festigung und Integration - Anderson würde sagen: die Prozeduralisierung - des bereits Bekannten, schliesslich ebenso die Bereitstellung von Aktionsräumen, in denen das schon Gelernte für die Lernenden selbst als Ausgangspunkt für Neues erfahrbar wird. Dies sind Dinge, die im Vorgang der Vermittlung immer neuen Materials wenig zur Geltung kommen. Hier «eine Lanze für die Funktionslust neu gelernter Schemata zu brechen» (Aeschbacher 1983) - und warum nicht auch anderer, schon länger bekannter - ist sicher nicht überflüssig1. In solchen Formen alltäglichen Schreibens ist das Schreiben nicht Lerngegenstand, sondern Medium des Ausdrucks und Lernmedium2. Diese Unterscheidung ist heikel, tendiert doch nach unserer Darstellung in II.3 und im letzten Abschnitt jedes Schreiben aufgrund seiner inneren Dynamik dazu, sich dem Schreibenden zum Thema zu machen. Trotzdem verweist die Unterscheidung wenn nicht auf einen Unterschied in der Sache, so doch auf einen bedenkenswerten didaktischen Gesichtspunkt. 1
2
Aeschbacher macht diese Bemerkung im Zusammenhang mit der Diskussion verschiedener Motivationskonzepte; der grössere Kontext lautet folgendennassen: «Die unterrichtstechnische Perspektive und die damit zusammenhängende Dominanz des motivationalen Modells des kognitiven Konfliktes auch in diesem Bereich [sc.: der Didaktik] bringen es mit sich, dass die Motiviertheit des Schülers praktisch ausschliesslich im Blick auf hinführende und aufbauende Phasen des Unterrichts thematisiert wird. In diesem Zusammenhang eine Lanze für die Funktionslust neu gelernter Schemata zu brechen braucht noch nicht einmal im Zeichen des Hedonismus zu geschehen, denn Freude der Schüler am 'Funktionieren' von und mit Lernergebnissen (was sich nur zum Teil mit dem 'Erfolgserlebnis' deckt) wirkt sich natürlich auch wieder auf Lerneinstellung bzw. Lernmotiv aus. Es müssten also Übungsbedingungen hergestellt - und gegen Notendruck verteidigt - werden, unter welchen die Assimilation vom neu gelernten Schema selber ausgeht; idealerweise würde der Schüler sich selber Aufgaben stellen, deren Lösung ihm neu möglich ist.» (Aeschbacher 1983: 150f.) Zu einer ähnlichen Unterscheidung vgl. Fritzsche (1984: 299ff.). Fritzsche differenziert (zuhanden des Muttersprachenunterrichts auf der Sekundarstufe I) zwischen dem Schreiben von Textsorten, die gelernt weiden müssen und den Lernenden zu neuen Handlungsqualifikationen verhelfen (Schreiben als Lemgegenstand), und dem Schreiben von Textsorten, in denen die Lernenden vorwiegend Formen der Weltinteipretation, der Selbstreflexion usw. ausprobieren können, ohne dass die entsprechenden Textformen (Beschreiben von Personen, Erzählen, Erörtern usw.) im selben Sinne gelernt werden müssten.
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Teil III: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
Das Schreiben von Texten im Schreibunterricht ist (sowohl im textlinguistischen wie im prozessorientierten Ansatz) ein Verfahren, welches der Tendenz nach die ganze Klasse einbezieht und in dem die Aufmerksamkeit aller auf einem allen gemeinsamen Lernziel liegt. Dies schliesst nicht aus, dass dabei interessante und kommunikativ funktionierende Texte entstehen; es ist aber ebenso möglich, dass dieser Aspekt des Schreibens dabei zurückgestellt werden muss. Die schreibdidaktische Anstrengung führt in diesem Fall zum paradoxen Resultat, dass sie das, was sie anstrebt, verhindern hilft. Alltägliche Texte dagegen sind solche, welche die Lernenden allein oder in Gruppen mit ihren Kenntnissen und sprachlichen Mitteln voraussichtlicherweise bewältigen können. Im Schreiben solcher Texte sind die Lernenden freier in der Gestaltung ihrer Arbeit. Diese braucht nicht im selben Mass, wenn überhaupt, als komplexer Schreibanlass vom Lehrer organisiert und ins Zentrum des Unterrichts gestellt zu werden. Dies gibt den Lernern die Möglichkeit, die Aufgabe des Schreibens in anderer Perspektive zu sehen, sie werden nicht ständig an der Hand geführt. Alltägliches Schreiben in diesem Sinne eröffnet auch viele unterrichtsorganisatorische Möglichkeiten. Es ist ja weder nötig, dass alle Lernenden zur gleichen Zeit zum gleichen Thema schreiben, noch nötig, dass sie dieselbe Art von Texten schreiben. Solche Differenzierung ist sinnvoll dann, wenn die so entstehenden Texte nicht um ihrer selbst willen oder allein für den Lehrer geschrieben werden, sondern dann, wenn sie eine Funktion erfüllen können, wenn die in sie investierte Arbeit sich als legitimierbar und folgenreich erweist. Dies bedeutet, dass im Unterricht Raum für diese Texte geschaffen werden muss, dass den anderen Lernenden Gelegenheit gegeben wird, nicht nur als LeserAutoren, sondern als Leser, als Adressaten, zu fungieren1. Ich werde unten kurz skizzieren, wie dieses Konzept der Lernergruppe als Kommunikationsraum im Fremdsprachenunterricht verwirklicht werden könnte. Auf alltäglicher Basis sind im Unterricht Gelegenheiten zum mitteilenden Schreiben nur zu schaffen, wenn diese nicht ausserhalb gesucht werden, sondern der Unterricht selbst als Forum des Austausches organisiert wird. Es ist dies das eigentlich schreibdidaktische Argument für reale Funktionen von Lernertexten. c. Schreiben als eigenverantwortliches Tun Das dritte Argument ist ein allgemein fremdsprachendidaktisches, mit starken pädagogischen Untertönen. Der Fremdsprachenunterricht, wie wir 1
Es ist sicherlich kein Zufall, dass in den Beiträgen von Pineas, Hedge und anderen die seltenen Hinweise auf reale Funktionen von Lernertexten vor allem dort auftreten, wo mehr oder weniger spielerisch geschrieben wird. Diese Situationen ähneln den hier so genannten Formen alltäglichen Schreibens zumindest insofern, als sie ausserhalb des Kemprogramms des Schreibunterrichts stehen und meist in der Spielanlage Sorge getragen wird, dass das Schreiben einigermassen leicht von der Hand geht, sowie dass die Texte gewisse (meist differenzierte) Funktionen erfüllen. In der Arbeit am Kernprogramm ist von anderen als nominellen Funktionen kaum je die Rede.
ΠΙ.2 Die Koordinaten schreibdidaktischen Handelns
439
ihn heute meist kennen, ist sehr - in den direktiven Ansätzen fast prinzipiell - lehrer- und materialzentriert. Die Führung und Kontrolle im rezeptiven Bereich verführt im Unterricht leicht dazu, dass Lehrer auch den Bereich der nominell freien Sprachproduktion extrem kleinschrittig zu beherrschen und zu überwachen versuchen1 - oft durchaus zu ihrem eigenen Unbehagen. Damit wird den Lernenden schier verunmöglicht, das zu erreichen, was von ihnen anderseits gefordert wird: mit der Sprache auch selbständig umzugehen. Schreiben von Texten kann hier ein Mittel sein, den Lernenden zumindest einen minimalen Aktionsraum zu öffnen, innerhalb dessen sie einigermassen selbstbewusst sprachlich agieren können, statt kleinschrittig und reaktiv nur auf die vom Lehrer vorgelegten Fragen zu antworten. Auch hieraus ist ein starkes Argument für funktionale Texte abzuleiten. Lernertexte könnten als Grundlage für weiterführende Arbeit dienen und damit eine der Bedingungen erfüllen, welche für aktivere Lernerteilnahme zentral ist: dass sie tatsächlich etwas beizutragen haben. Hier liesse sich denn auch eine Verbindung schaffen zwischen dem Schreiben und dem übrigen Unterricht, und zwar zu seinen Inhalten wie auch zu den anderen Fertigkeitsbereichen. 3.3 Die Lernergruppe als Kommunikationsraum Dass dem übenden Schreiben von Texten auch ein anderes, wirkliches zur Seite gestellt werden müsste, ist schon seit einiger Zeit ein Nebenthema schreibdidaktischer Überlegungen. Ein neuerdings recht eingehend diskutiertes Modell betrifft das Journal. In Journalen werden tagebuchähnliche Eintragungen gemacht. Die Lernenden übergeben sie in regelmässigen Abständen ihrem Lehrer; dieser antwortet auf die Eintragungen in strikt inhaltsbezogener Form - ohne Korrekturen, Noten usw. Im Journal wird der Lehrer ein glaubwürdiger Adressat darum, weil er nicht in seiner Rolle als Lehrer angesprochen wird und reagiert, sondern in eine Art Gespräch mit jedem einzelnen Lernenden eintritt, das parallel zum Unterricht abläuft2. Aus dieser informellen Grundform sind Journale in verschiedenen Varianten entwickelt worden; Projektjournale etwa begleiten längere Einzelarbeiten (z.B. einen Schreibkurs, in dem von Anfang an auf das am Ende fällige grössere Essay hingearbeitet wird). In diesem Fall ist das Journal ein Forum, in dem die Lernenden über ihre Ideen, Versuche oder Schwierigkeiten mit ihrer Arbeit berichten und vielleicht schon durch ihre eigene Darstellung oder dann durch die Antwort des Lehrers gewisse Hilfen erhalten. Das Journal bietet eine Möglichkeit, das Schreiben in direkter kommunikativer Absicht auf eine kontinuierliche Basis zu stellen. Es ist jedoch auch 1
2
Ich argumentiere hier als Beobachter von Unterricht und aufgrund von Berichten anderer Beobachter. Im Gegensatz zu anderen halte ich diese Art der (zu) engen Führung nicht für einen unveränderlichen Zug von Unterricht Vgl. etwa Staton 1981; Spack/Sadow 1983; Mayer 1985: 88ff.; die Beiträge in Fulwiler (Hg.) 1987.
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Teil ΙΠ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schieibdidaktik
eine Form mit klaren Limiten: Der Lehrer kann von allzuvielen Journalen leicht überfordert werden. Dazu ist das Journal nicht der Ort für didaktische Eingriffe und Arbeit an der sprachlichen Form, auch nur bedingt eine Form schriftlicher Kommunikation, in der differenzierte Schreibweisen zum Tragen kommen. Schliesslich, und dies ist im aktuellen Zusammenhang das Wichtigste, ergänzt das Journal den Unterricht; es berührt jedoch nicht die Frage, wie im Unterricht entstehende Texte verwendet werden können oder wie Schreibunterricht überhaupt gestaltet werden kann. 3.3.1 Lernertexte und Kommunikation a. Die Lernergruppe
als
Adressat
Wenn nun Lernende sich an den Lehrer richten können, wenn es ihnen möglich ist, diesem gegenüber als Mitteilende aufzutreten, so können sie sich auch an die übrigen Lernenden wenden: einzelne oder Gruppen von Lernenden an andere einzelne, Gruppen oder an alle anderen. Eine Vorstufe dazu findet sich bereits im Journal-Ansatz. Wo der Lehrer (etwa im Zusammenhang mit einer Projektarbeit) seine Antworten auf die Journale der Lernenden an die ganze Klasse richtet und dazu Ausschnitte aus den Journalen der Lernenden abdruckt und kommentiert, findet ein wichtiger Übergang statt: Die Lernergruppe wird selbst zum Kommunikationsraum, zum Publikum für Texte, die aus der Arbeit im Unterricht herausgewachsen sind. Der Umweg über den Lehrer ist nicht in jedem Falle nötig: Die Lernenden können auch direkt füreinander schreiben. Gelegenheiten dazu gibt es im Unterricht genug. Die Gegenstände solchen Schreibens brauchen nicht im eher persönlich-subjektiv gefärbten Bereich zu verbleiben, zu dessen Ausdruck das Journal primär ermuntert. Im Unterricht stehen ja Themen der verschiedensten Art zur Diskussion: Es wird Sprache gelernt, es werden Texte gelesen oder Bilder besprochen, Szenen gehört und gespielt usw. Mit anderen Worten: Es steht ein reiches Angebot an Materialien zur Verfügung, die im Unterricht ohnehin, wenn auch meist mündlich, besprochen, nacherzählt, kritisiert, kommentiert und zusammengefasst werden und die auch oft als Impulse benutzt werden, um die Lernenden selbst von ihren Erfahrungen, Meinungen und Erlebnissen berichten zu lassen. Alle diese Dinge gehören nun nicht allein in den Bereich des MündlichDialogischen, sie eignen sich ebensogut als Kristallisationspunkte für den monologischen und schriftlichen Ausdruck. Es gibt hier vielfältige Anknüpfungspunkte für Formen des schriftlichen Arbeitens, welche thematisch an die übrige Arbeit im Unterricht gebunden sind und gleichzeitig ermöglichen, den unterrichtlichen Austausch, der oft ausschliesslich vom Lehrer initiiert und vorangebracht wird, interessanter und informativer zu gestalten. Im Vordergrund stehen dabei verschiedene unterrichtsbezogene Textarten; pragmatische Texte der herkömmlichen Art sind in diesem Kontext zwar möglich, jedoch nicht dominant1. Es sind dies Formen, die in 1
Vgl. unten, III.3/1.
ΠΙ .2 Die Koordinaten schreibdidaktischen Handelns
441
manchem Unterricht - zumindest bis zur Stufe des Fortgeschrittenenunterrichts - kaum je vorkommen, manchmal aber einzeln oder sogar systematisch im Unterricht benützt werden, ohne dass sie jedoch bisher auf theoretischer Ebene ausreichend mit der Frage nach der Rolle des Schreibes im Sprachlernen verbunden worden wären. b. Adressaten ausserhalb des Unterrichts Es gibt vielfältige Möglichkeiten, unterrichtliches Schreiben an Adressaten ausserhalb zu richten. Zu denken ist etwa an - Briefe (die Organisation von Klassenausflügen; Leserbriefe; Anfragen an Institutionen oder Einzelpersonen); - Mitteilungen innerhalb der Schule (etwa Entschuldigungen an den Lehrer für verpasste Stunden usw.); - den schriftlichen Austausch mit Partnerklassen; - die Herstellung von Schul- oder Klassenzeitungen, die Aufführung von Theaterstücken usw. Im folgenden wird auf diesen Aspekt unterrichtlichen Schreibens wenig eingegangen. Solches Schreiben unterscheidet sich im Prinzip nicht von den Anlässen des Schreibens innerhalb der Klasse; meist wird es allerdings die Standards genauer zu erfüllen haben als interne Texte. Es ist höchst wünschenswert, dass solche Möglichkeiten zu schriftlicher Kommunikation geschaffen werden. Sie erwachsen wahrscheinlich aus einer kontinuierlichen Beschäftigung mit dem Schreiben innerhalb der Klasse leichter und zwangloser, als wenn sie nur zum Zwecke gesucht werden, dem fremdsprachliche Schreiben hie und da reale Funktionen zu verschaffen. 3.3.2 Lernertexte und Unterrichtsorganisation Lernertexte, die beachtet werden sollen, haben primär lesenswert zu sein; dies sind sie, je verständlicher, interessanter und informativer sie sind als sachliche Aussagen zu einem Thema, als Ausdruck von Erfahrungen oder als Sprachgebilde, als 'Werk'1. Zweck einer Aufgabenstellung muss es sein, solche Texte zu ermöglichen, das heisst den Schreibenden die Möglichkeit zu geben, Neues zu sagen oder Bekanntes auf neue Art zu sagen. Je klarer demnach die Eigenständigkeit eines Beitrags erkennbar ist, desto leichter wird es in der Regel fallen, ihn in den Unterricht aufzunehmen, desto vielfältiger werden die möglichen Reaktionen sein, die er auslöst: Lektüre, Diskussion, Analyse usw. Je voraussehbarer ein Beitrag ist und je repetitiver seine Botschaft, desto weniger Aufmerksamkeit wird er finden können. Sprachliche Aspekte können und sollen im Zusammenhang mit der Beschäftigung mit diesen Texten zum Thema werden; im folgenden werde ich jedoch davon ausgehen, dass sie zum Thema werden im Zusammenhang mit Fragen, welche diese Texte als Mitteilungen aufwerfen.
1
Diese Kategorien schliessen sich gegenseitig nicht aus.
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Teil ΙΠ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
Sollen Lernertexte als Mitteilungen funktionieren können, sind die Lernenden in die Lage zu versetzen, als Autoren und Leser aufzutreten. Dies setzt voraus: - Aufgabenstellungen, welche ein Informationsgefälle ausnützen oder schaffen und dadurch Mitteilung möglich, wünschenswert oder für den Fortgang der gemeinsamen Arbeit sogar notwendig machen und den Schreibenden eine gewisse Kompetenz auszuspielen erlauben; - Fähigkeit der Schreibenden, sich in der Fremdsprache zu ihrem Thema ausreichend zu äussern; - eine Unterrichtsorganisation, welche es erlaubt, die entstehenden Texte so optimal wie möglich in den Unterricht einzubringen. Auf diesen Aspekt wird im folgenden mit dem Stichwort Weiterarbeit verwiesen. Auf die angesprochenen Gesichtspunkte wird im weiteren Verlauf dieses Teils wiederholt eingegangen, die Bemerkungen können deshalb kurz gehalten werden. a. Differenzierung/Individualisierung der Aufgabenstellung Produktives Schreiben, überhaupt sinnvolle Sprachproduktion zu fordern bedeutet, Vielfalt und Unterschiedlichkeit nicht nur zuzulassen, sondern zu fördern und in den Vordergrund zu bringen. Die Grundlage dazu ist in jedem Unterricht vorhanden. Die Lernenden sind keine Masse, keine vervielfältigte Ausgabe 'des Lerners'; sie unterscheiden sich nicht nur in ihren sprachlichen Begabungen, sondern auch ihren Interessen und Erfahrungen. Gewisse Aufgabenstellungen bringen diese Verschiedenheiten ohne Aufwand zum Ausdruck, etwa dann, wenn die Aufgabe lautet, zu einem Thema eine Geschichte zu erfinden, ein Gedicht zu schreiben oder eine Szene aus der Erinnerung wiederzubeleben. Die Resultate solcher Aufgabenstellungen sind vorhersehbarerweise recht verschieden; diese ist nur dem Wortlaut nach für alle die gleiche und exponiert bloss die in der Gruppe ohnehin bestehenden, wenn auch oft nicht wahrgenommenen Unterschiede. Informationsgefälle wird auch durch explizit variierte Aufgabenstellung geschaffen. Fast jedes Thema zeigt eine Vielzahl von Facetten und bietet verschiedene Möglichkeiten des Umgangs an. Diese Vielfältigkeit wird oft nur am Rande oder überhaupt nicht als Möglichkeit genutzt, den Unterricht reicher und interessanter zu gestalten. Am Beispiel der Arbeit an Lesetexten: Verständnis- und Interpretationsfragen können, statt dass alle von allen beantwortet werden, einzelnen oder Gruppen je einzeln zur Beantwortung übergeben werden. Vielleicht müssten sie dazu umformuliert werden - sie würden dann nicht, wie etwa die meisten herkömmlichen Verständnisfragen, absichern, ob diese oder jene Textaussagen verstanden worden sind (und das Repetieren oder Paraphrasieren einzelner Textstellen verlangen), sondern das Verständnis einzelner Zusammenhänge und die Fähigkeit ansprechen, diese Zusammenhänge zu formulieren. - Textarbeit braucht überdies nicht stets vom Sprechen über Texte auszugehen: Es lassen sich auch Kommentare in Form von kurzen Erzählungen verfassen
III .2 Die Koordinaten schreibdidaktischen Handelns
443
oder in Form von Paralleltexten, in denen einzelne Szenen des Modells anders verlaufen, oder in Form von Parodien etc1. b. Kompetenz Es geht in alledem darum, Lernende eine Kompetenz ausspielen zu lassen, sei dies eine, die ihnen zukommt kraft der Tatsache, dass sie diese-unddiese Personen sind, oder sei dies eine, die ihnen kraft einer kürzeren oder längeren Beschäftigung mit einem Thema zugewachsen ist, die sie geleistet haben, die anderen aber nicht. Diese Kompetenz ist eine inhaltliche. Sie beruht auf einer Sachkenntnis im weitesten Sinne, die einzelne den anderen voraushaben, nur sehr beschränkt auf besserer Sprachkenntnis. Im Verlaufe ihrer Arbeit mögen ihnen einige Wörter zugewachsen oder eine Struktur klargeworden sein, welche die anderen noch nicht kennen, aber dies sind in diesem Zusammenhang keine entscheidenden Differenzen. c. Weiterarbeit Als Weiterarbeit werden hier alle Massnahmen bezeichnet, welche Lernertexten - nachdem sie geschrieben sind - einen Platz im Unterricht eröffnen, der es ihnen erlaubt, als Texte zur Wirkung zu kommen2. Dies kann verschiedenes bedeuten. Im Minimalfall bedeutet es, dass ein Text veröffentlicht und zur Kenntnis genommen wird - sei dies durch das Lesen der Manuskripte der anderen, durch Vorlesen, in ausgedruckter Form, als Plakat usw. Diese Art der Kenntnisnahme entspricht der Art, wie in ausserschulischen Kontexten die allermeisten Texte zur Kenntnis genommen werden. Dieses Minimalniveau kann in verschiedener Weise überschritten werden, etwa dadurch, dass dem Schreibenden Fragen gestellt werden, dass verschiedene Texte verglichen und analysiert werden, dass sie Konsequenzen haben für den weiteren Unterricht, wenn sie etwa ein Thema neu ansprechen, das dann weiter verfolgt wird, oder wenn sie zur Grundlage werden für die Reflexion über Wirkung von Texten oder die Arbeit an veränderten Versionen. Lernertexte können genauso wie alle anderen Texte für kürzere oder längere Zeit den Unterricht prägen. Es mag sein, dass die Forderung, Lernertexte öffentlich werden zu lassen, nicht immer für alle Texte erfüllt werden kann, vorab dann, wenn alle Mitglieder der Gruppe Texte schreiben. Im Prinzip ist aber davon auszugehen, dass wenigstens jene Lernertexte, die im Zusammenhang mit den themengerichteten Aktivitäten in der Klasse entstehen, in diesen Zusammenhang hineingehören. Nur dann sind sie wirklich in der Lage, Reflexion auf Erfahrungen zu repräsentieren, zur Verarbeitung von Wirklichkeit beizutra1
2
Die gezielte Herstellung von Informationsgefällen hat nichts Künstliches oder Manipulatives an sich. Sie ist jedenfalls nicht kunstvoller als die gewohnte Herstellung eines Plenums von vorgeblich gleich Informierten und gleich Interessierten. Nicht als Weiterarbeit in diesem Sinne zählen also Aktivitäten, welche bloss die morphologisch-syntaktische Ebene betreffen (Fehlerkorrektur und -Verbesserung, gleichgültig, ob die Verbesserungsarbeit gemeinsam oder von den Einzelnen vorgenommen wird). Hier werden nicht die Texte in dem, was sie sagen, zum Thema.
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Teil Ol: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schieibdidaktik
gen: Indem sie diese in einen Austausch einbringen und auf andere Texte, andere Positionen und Reaktionen stossen lassen (vgl. Scheller 1979:139). Im Rahmen der Lernergruppe können alle Texte als Mitteilungen, Informationen, Stellungnahmen eine Rolle spielen, die sogenannten pragmatischen und Sachtexte genauso wie literarische Texte, personale Texte, Tagebucheinträge oder was immer. Sie alle können hier - falls die Autoren dem zustimmen - ein Publikum finden, das liest und reagiert. Die Gruppe kann als gezielt angesprochener Adressat ebenso auftreten wie als anonymes Publikum (so tritt sie ja auch den im Unterricht gelesenen Texten von ausserhalb gegenüber). 3.4 Fazit Abschliessend sei noch einmal zugestanden, dass dieses skizzierte Schreiben-in-Funktion wahrscheinlich nicht voll durchführbar ist. Schreiben ist auch ein berechtigtes Thema des Unterrichts, nicht nur berechtigte (und notwendige) Praxis. Insbesondere dort, wo Schreiben als Zieltätigkeit zum Thema wird, sind oft Lernzielvorgaben abzuarbeiten, die nicht immer auf die vorgeschlagene Weise in einen Kreislauf der Kommunikation integriert werden können. Wo dies jedoch gelingt, bietet der Kreislauf von Texten und Informationen, wie er hier skizziert wurde, die Möglichkeit, im Unterricht Lern- und Kommunikationsprozesse in einer Dichte in Gang zu setzen, die um einiges über das hinausgeht, was schriftliche Kommunikation normalerweise leistet. Darin werden die Möglichkeiten schriftlichen SichÄusserns und schriftlicher Kommunikation unterrichtlich sinnvoll genutzt, gleichzeitig aber in permanenten und intensiven Kontakt gebracht mit dem mündlich ablaufenden Diskurs des Unterrichts und den ihn bestimmenden Themen. In diesem Kontext verbinden sich die Interessen der Schreibdidaktik eng mit denen der anderen Aspekte der Sprachförderung. Schreiben eröffnet dabei die Möglichkeit, Lernerbeiträge überlegter, auch gewichtiger einzubringen, denn als schriftliche sind sie handhabbarer, in ihrem Anspruch auf inhaltliche Relevanz abschätzbarer und für die Schreibenden wie auch die Lesenden verpflichtender1.
1
Hinweise auf die Wichtigkeit des Aufbaus solcher Kreisläufe von Textproduktion und -rezeption geben etwa Taylor 1981, Raimes 1985, Zamel 1982. Schraftiagel (1988) betont die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit einem Thema, in die das Schreiben eingebettet werden kann. Auf diesen Aspekt und die Relevanz von Vorbereitetheit und thematischem Kontext weisen auch P. Morey (1988) und Whitton (1988) in ihrem «dossier approach» hin, innerhalb dessen Schreiben eingebunden wird in die Arbeit an einem relativ umfangreichen Thema. «It would therefore be appropriate to stipulate that writing as a skill should not be isolated as a macroskill, but be taught in harness with oral discourse and reading and examined on an interskill basis as well.» (Taylor 1988:118)
ΠΙ .2 Die Koordinaten schreibdidaktischen Handelns
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Selbstbestimmtes Lernen
4.1 Die kritischen Ressourcen der kommunikativen Didaktik In den vorhergehenden Abschnitten habe ich versucht, die Zusammenhänge zu skizzieren, in welche sich eine Schreibdidaktik einzubetten hat, die sich explizit als Didaktik des produktiven Sprachgebrauchs versteht. Sie wird praktisch nicht abseits und unabhängig von expliziter Vermittlung und Übung operieren können, aber diese wurden herausgestellt als Hilfsmittel der Schreibdidaktik, nicht als ihre tragenden Verfahren. Schreiben ist als Ausführen eines Musters, als Nachvollzug nur ungenügend erfasst; es muss, auch und gerade im Unterricht, als kreativer Akt verstanden werden. Eine solche Auffassung ist inkompatibel mit einem traditionellen, direktiven Unterricht, der nur als unterrichtsgängig erachtet, was jederzeit vom Lehrer kontrolliert werden kann oder was so gut vorbereitet ist, dass es als reproduktive Arbeit - mit hoher Wahrscheinlichkeit bewältigt werden kann. Diese Art der Produktezentriertheit erlaubt keine Didaktik des produktiven Ausdrucks oder nur im minimalen Ausmass. Soll Unterricht aber nicht nur Neues vermitteln, sondern der Anwendung des Gelernten ebenfalls Raum geben, muss er zumindest in diesem Bereich die aufs Resultat fixierte Einstellung und damit seinen lehrerzentrierten Habitus aufgeben. In dieser Hinsicht kommen die vorgebrachten Überlegungen in vielem denen nahe, die von der (informellen) kommunikativen fremdsprachlichen Didaktik entwickelt wurden1. Aber sie gehen in zwei Punkten über diese hinaus. 1. Schriftliches erscheint nicht einfach als Erweiterungsbereich des Mündlichen. Vielmehr werden die eigenständigen Merkmale des Schriftlichen und des Schreibens analysiert, zugleich auch die Kontaktzonen von mündlichem und schriftlichem Sprachgebrauch. Letzteres wird in ΙΠ.5 über das bereits Gesagte hinaus weiter zu entfalten sein; zum ersteren gehört ganz zuvorderst das Auseinanderfallen von Prozess und Produkt. Dieses Merkmal prägt die gesamte Schreibdidaktik und verunmöglicht es, die üblichen Verfahren des Umgangs mit Mündlichen einfach in diesen Bereich zu übertragen. Der Prozessansatz lässt sich begreifen als deutlichster didaktischer Ausdruck dieser Differenz. 2. In dieser Arbeit werden 'Lernen' und 'Kommunikation' als Grundbegriffe betrachtet, die nicht aufeinander reduzierbar sind, obwohl sie im unterrichtlichen Schreiben notwendig in enger Beziehung miteinander stehen. Sie bilden zwei unabhängige Dimensionen. Zwei Texte können in ihrer Aussage und ihrem kommunikativen Wert weitgehend übereinstimmen, aber auf sehr unterschiedlichen Wegen zustande gekommen sein: über die Repetition eines Musters oder über die Analyse einer Situation und den Aufbau eines Textplans. Das erstere mag kurzfristig als effektivere Strate1
Vgl. etwa Breen/Candlin 1980, die in 1.4:2 besprochenen erwerbsorientierten didaktischen Ansätze oder die Didaktik des freien Textes (dazu siehe unten).
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Teil III: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
gie gelten; längerfristig - also nicht bezogen auf dieses einzelne Produkt verspricht der zweite Weg eine dichtere und wahrscheinlich lernrelevantere Auseinandersetzung mit der Welt der Texte und der Sprache1. Die Thematisierung dieser Unterschiede ist nur in einem Aufriss möglich, der neben den kommunikativen Zusammenhängen und unabhängig davon auch die psycho-linguistischen Prozesse in Rechnung stellt. Als zentral erscheinen hier die Begriffe der Selbststeuerung und der Metakognition. Die Selbststeuerung, Orientierung im weitesten Sinne, sollte auch dort garantiert sein, wo nicht der Sprachgebrauch und die Kommunikation, sondern die Aneignung von Teilfertigkeiten im Hinblick auf diese im Vordergrund steht. Diese um das Potential des Prozessansatzes erweiterte kommunikative Didaktik kann sich, nimmt sie ihre eigenen Grundlagen wahr, nicht allein darauf beschränken, «the value of writing as a language learning tool» (Raimes 1985: 252) zu exponieren, vielmehr setzt sie zumindest in drei Bereichen eine Bewegung in Gang, die die Grenzen bloss instrumenteller Sprachvermittlung und -Verwendung sprengt. Auf sie ist in den letzten Abschnitten implizit und explizit mehrfach verwiesen worden; die relevanten Aspekte sollen hier zusammenfassend nochmals charakterisiert werden2: 1. Schreiben und Schreibenlernen erfordert Selbstorganisation und Selbstlernen. Diese fordern und fördern Reflexion auf die Eigenart von Sprache und Text und führen damit vielleicht zu verbesserten Lernresultaten; sie ermöglichen aber auch eine Reflexion und Erfahrung der eigenen emotionalen und kognitiven Beiträge zum Lernen oder der Schwierigkeiten dieses Lernens. 2. Schreibdidaktik, die ihrem Gegenstand Folge leistet, kann sich nicht einfach von den Implikationen des Schreibens verabschieden, kann den Zweck dessen, wozu geschrieben wird, nicht einfach als nebensächlich abtun. Die Äusserungen der Lernenden müssen im und für den Unterricht selbst relevant werden. In der Erfahrung dieser Kommunikation ist der Möglichkeit nach angelegt eine Betroffenheit durch und eine Reflexion auf Teilhabe, Verantwortung und Selbstbehauptung in sozialen Beziehungen, auf das, was Konfigurationen von Personen, Rollen und Werten bedeuten und bewirken. 3. Im Schreiben werden die aufzuschreibenden Gedanken thematisch, sie stellen sich zur Disposition. Die naive Überzeugungskraft dessen, was spontan 'in den Sinn kommt', wird tendenziell gebrochen. In Texten wird Erfahrung jeder Art in eine Perspektive gerückt, geordnet, mitteilbar und besprechbar gemacht. Texte-Schreiben und das Gespräch darüber und übers Geschriebene sind aber nicht nur ein wichtiger Anlass für Reflexion und Erfahrung, sondern selbst auch die prototypischen Formen, in der Re1
2
Dass der Kommunikationsbegriff zu eng ist, um eine Aufsatzdidaktik zu tragen, betont auch Ludwig 1982. In Teil I wurden Argumente dafür vorgebracht, dass er für die Sprachdidaktik insgesamt kein genügendes Fundament abgibt. Vgl. Krumm 1983: lOf.
III.2 Die Koordinaten schreibdidaktischen Handelns
447
flexion und Erfahrung sich aussprechen. Das Schreiben und das Gespräch darüber rücken der Möglichkeit nach mit den Formen des Ausdrucks die eigenen Erlebnisse, Meinungen und Annahmen in Perspektive. Diese kritischen Potentiale sind dem hier verhandelten Gegenstand inhärent. Sie kommen jedoch nicht in jedem Unterricht von selbst in genügendem Mass zum Ausdruck, vielmehr lassen sich auch kommunikative und prozessorientierte Vorgehensweisen so anlegen, dass allfällige Tendenzen zur Selbstbestimmung eher beschnitten als gefördert werden. Sie zu entwickeln und im Unterricht sichtbar zur Geltung kommen zu lassen, ist die Aufgabe von Lehrern und Lernenden, wobei vor allem erstere die Voraussetzungen dazu schaffen müssen, dass die in der Sprach- und vorab in der Schreibdidaktik angelegten Möglichkeiten der Autonomisierung tatsächlich wirksam werden können. 4.2
Selbstbestimmung als didaktische Forderung
Die drei eben angedeuteten Perspektiven haben sich im Kontext dieser Arbeit ergeben aufgrund einer strikt an der Analyse des Schreibprozesses und den Bedingungen des Unterrichts orientierten Fragestellung. In ihrer Tendenz lassen sie sich zwanglos verbinden mit didaktischen Entwürfen, die teilweise von ganz anderen Grundlagen ausgehen, jedoch zu verwandten oder sogar gleichen Schlüssen hinsichtlich der wünschbaren Gestaltung des Unterrichts kommen. Zunächst soll kurz zurückgegriffen werden auf die in II. 1 skizzierten Ansätze der Schreibdidaktik, dann folgen einige Hinweise auf die Diskussion zum autonomen Lernen und zur Forderung nach Partizipation. In diesen allgemein ausgerichteten Ansätzen werden programmatisch Momente ins Zentrum gestellt, die hier eng bezogen aufs Schreiben entwickelt und hervorgehoben wurden. 4.2.1 Schreibdidaktik In den Hinweisen auf schreibdidaktische Ansätze in II. 1 wurde verschiedentlich auf Forderungen hingewiesen, welche sich auf die eben angesprochene Perspektiven beziehen. Es ist wahrscheinlich, dass es keine Schreibdidaktik gibt, die gänzlich ohne kritische Ansprüche auftritt. Entsprechende Aussagen wurden für die textlinguistischen Ansätze von Pineas und Byrne wie für den prozessorientierten von Hedge vermerkt, wenn auch die kritischen Potentiale des Schreibens dort wenig herausgestellt werden und sich eher in Einzelhinweisen angesprochen finden, kaum einen unabhängigen Zug der Argumentation ausmachen. Direkter sprechen Eismann, vor allem aber die meisten Beiträge zum Schreiben für Fortgeschrittene und Schlemminger diese Aspekte an, ohne dass sie dort allerdings mit den Grundlagen der Schreibdidaktik verbunden werden. Diese Ansätze gewinnen alle ihre Dynamik daher, dass das Schreiben nicht unmittelbar an ausserschulische Lernziele gebunden, sondern Unterrichtsbezogen als Lernform, Arbeitsform, Mitteilungsform begriffen und dem-
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
gemäss eingesetzt wird. Der Text wird stets als gebundene Form des Ausdrucks von Eigenem, als (persönlich verantwortete) Objektivierung einer Intention begriffen. Selbstbestimmung, der Einbezug der Erfahrungsdimension wird hier schwergewichtig, fast einzig mit dieser Inhaltsdimension in Verbindung gebraucht. Streng zielgebundene Schreibkurse, etwa solche, in denen definierte Formen des Schreibens (Geschäftsbriefe, Protokolle von Experimenten usw.) gelernt werden müssen, könnten in einem solchen Aufriss kaum einen Platz finden. Es ist das Verdienst der prozessorientierten Didaktik, dass sie im Vorgang des Schreibens selbst und in den kooperativen Lern- und Arbeitsformen einen zweiten, unabhängigen Aspekt - hier gefasst unter Begriffen wie Metakognition und Selbstorganisation - kenntlich gemacht hat, der in der Art des Umgangs mit sprachlichen und Lernproblemen ein ebenso wichtiges Moment selbstbestimmten Tuns bezeichnet, wie es die Anstrengung des personalen, inhaltsbezogenen Sich-Ausdrückens ist. 4.2.2 Der Autonomie-Ansatz Der Autonomie-Ansatz entwickelte sich vor dem Hintergrund neuer Didaktikkonzeptionen einerseits, andererseits in Reaktion auf die stets wachsenden Lernerbedürfnisse etwa im akademischen Bereich, denen traditionelle Lehrformen aus verschiedenen Gründen nicht mehr in jedem Fall gerecht werden können. So gibt es immer mehr Lernende, die eine fremde Sprache vorab zu einem bestimmten Zweck - etwa zum Lesen von Fachliteratur - lernen wollen. Abgesehen davon, dass in vielen Fällen nicht genügend Lehrkräfte vorhanden sind, lassen sich oft kaum traditionelle Lernergruppen zusammenstellen; die individuellen Ansprüche und Umstände des Lernens sind zu disparat. In bezug auf solche Lernende besteht die primäre Aufgabe für eine Institution nicht mehr unbedingt darin, ein Lehrangebot, sondern ein Lernangebot für einzelne und kleine Gruppen in Form geeigneter Materialien und Hilfestellungen zur Verfügung zu stellen. Vorausgesetzt werden muss, dass die Lernenden selbst lernen können oder dass sie lernen können zu lernen. Von hier aus schliesst sich der Bogen zurück zu dem schon Gesagten: Kann die Fähigkeit zu eigenständigem Lernen, in welchem Grade auch immer sie ausgebildet sein mag, vorausgesetzt werden, so ist nicht einzusehen, warum autonomes Lernen auf Spezialfälle und auf Lerner mit ausserordentlichen Bedürfnissen eingeschränkt werden sollte, vor allem wenn klar scheint, dass auf eigene Initiative unternommenes Lernen im Normalfall als lustvoller erlebt wird und wahrscheinlich mindestens so effizient ist wie Lernen unter Fremdbestimmung. Der Autonomie-Ansatz ist unter diesem Aspekt von Bedeutung für den gesamten Bereich des Unterrichts. Holec (1988) unterscheidet drei Formen selbständigen Lernens: - unabhängiges Lernen (allein Lernen) mit Hilfe geeigneter Materialien; - Lernen aufgrund von Entscheidungen des Lerners, die er selbständig trifft oder mit seinen Mitlernem und Lehrern aushandelt; - Lernen mit dem expliziten Ziel, dabei lernen zu lernen.
ΠΙ.2 Die Koordinaten schreibdidaktischen Handelns
449
Während im ersten Fall der Lerner nicht weniger blind als je in einem Unterricht den Vorentscheidungen und Verfahren ausgeliefert ist, die ins Lernmaterial und seine Präsentation eingegangen sind, bezeichnen die beiden anderen Punkte für Holec zwei eng miteinander zusammenhängende Prinzipien des Autonomiekonzepts. Autonomie bezieht sich dabei auf alle Phasen des Lernprozesses: Planung, Durchführung (unter Kontrolle der Zielvorgabe) und Evaluation (vgl. Huttunen 1988). Dieses Autonomiekonzept kann innerhalb des Unterricht nur bis zu einem gewissen Grade umgesetzt werden; ausserhalb des Unterrichts lässt es sich in radikalerer Weise realisieren. In vielen Fällen werden Mischformen von unterrichtlichem und ausserunterrichtlichem Lernen versucht, vor allem mit Lernern, die durch die Zumutung von allzu viel Autonomie überfordert sind (vgl. Moulden 1985). Im gegenwärtigen Zusammenhang, in dem es um das Lernen im Unterricht geht, soll nur auf den ersten Aspekt kurz eingegangen werden. Müller zählt etwa folgende Verfahren auf, die in einem autonomiefördernden Unterricht verwendet werden könnten: - im Unterricht an Beispielen zeigen, wie das gleiche auch zu Hause gelernt/ erarbeitet werden kann (z.B. in der Medienarbeit); - mit Hilfe von Fragebogen/Quiz-Kartenspiel usw. Lemerfahmngen hinterfragen und neue Lerntechniken ausprobieren; - mit Hilfe von Spielen - durch eine Mischfonn von Reflexion und praktischem Lernen - das Arbeiten in Kleingruppen trainieren, z.B. das Korrigierverhalten bei Gruppenaibeit; - beim Lernprozess immer wieder die Möglichkeit geben, Lemfortschritte durch Selbstevaluation zu überprüfen; - Arbeitsblätter so anlegen, dass sie von den Schülern nicht nur als Lernform im Unterricht, sondern auch als Evaluationsinstrument zu Hause benutzt werden können; (Müller 1988: 2) 1
Es geht hier um die unterrichtlichen Abläufe selbst - sie sollen für die Lernenden durchsichtig und gleichzeitig beherrschbar gemacht werden auf die Zwecke hin, die sie verfolgen (Lernziele); auf die Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit sie erfolgreich sein können (z.B. Formen der Gruppenarbeit, adäquate Übungsformen), und schliesslich auf den Ertrag hin, den sie erbringen und sein Verhältnis zum Aufwand (Evaluation)2. Eine gewisse Einsicht in das Verhältnis dieser Dinge zueinander ist in jedem selbständigen Lernen vorausgesetzt; wahrscheinlich in jedem Lernen überhaupt intuitiv gegeben. Je klarer diese Einsicht ist, desto grösser ist der Möglichkeit nach die Selbststeuerungsfähigkeit. 1
2
Shawkins (1987: 63f.) nennt vier Leitlinien, die solchen Vorschlägen zugrunde liegen: Die Unterstützung von Risiko-Strategien und einer experimentierfreudigen Einstellung; Offenlegung von didaktischen Entscheidungen und ihren Begründungen; Aufmerksamkeit auf Lernertypen und Lernerpräferenzen; Eröffnen von Ansatzpunkten, welche den Transfer von Gelerntem auf andere Gebiete erleichtern. In der Umsetzung solcher Leitlinien muss auf die Fähigkeit, Lemschritte selbst zu planen und Lernerfolge selbst einzuschätzen, besonders Wert gelegt werden. Zu einer Vielzahl praxisnaher Hinweise zu autonomem und partnerschaftlichem Lernen vgl. die Beiträge in Müller/Weitenschlag/Wolff (Hg.) 1989.
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Teil ΠΙ: Gnindzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik:
4.2.3 Der Partizipationsansatz Der Partizipationsansatz überschneidet sich in seinen Konsequenzen weitgehend mit dem Autonomieansatz, bezieht sich jedoch nur auf das unterrichtliche Lernen. Er lässt sich verstehen als konsequente Durchführung kommunikativ-didaktischer Prinzipien. Besonders in den Vordergrund gestellt wird daher die Ausgestaltung der klasseninternen Kommunikationsund Informationsprozesse. Im deutschsprachigen Raum hat sich dieser Ansatz (in der Muttersprachdidaktik, aber auch in der allgemeinen Didaktik) vor allem mit dem Diskurskonzept von Habermas und Apel verbunden; in der Fremdsprachendidaktik lässt er sich, zunächst bescheidener, eher mit der Diskussion um Authentizität in Zusammenhang bringen. Die Frage nach der Authentizität richtete sich zuerst auf das dem Unterricht zugrunde gelegte Sprachmaterial, mehr noch auf die Dialoge und Texte, anhand derer die Lernenden erfahren sollen, wie die fremde Sprache gebraucht wird. Die Diskussion um das, was Kommunikation im Unterricht sinnvollerweise heissen könnte, führte dann zu einer grundsätzlichen Wendung der Frage. Diskutiert wird nicht mehr nur, welche Texte authentisch 'sind', sondern wie authentischer Sprachgebrauch im Rahmen des Unterrichts möglich gemacht werden könnte. Damit werden die Eigenschaften des Unterrichts als einer Sprachlernsituation, als eines Erfahrungsraums eigener Prägung thematisch (vgl. Krumm 1983: 6). Diese Wendung hat Folgen: Henrici diskutiert sie unter den Begriffen Identifikation, Kooperation und Partizipation: Ein wesentliches Merkmal dieser Auffassung von 'authentisch' ist die Partizipation des Lemers an dem und die Identifikation mit dem, was im Spracherwert>sprozess geschehen soll. Partizipation heisst vor allem, dass der Lemer dazu geführt werden muss - und das von Anfang an - , in Kooperation mit den anderen Mitgliedern der Gruppe seine Wünsche, Bedürfnisse und Interessen zu äussern und seine Voraussetzungen mitzuteilen. Identifikation heisst die enge Verbindung von Wünschen und Interessen mit sprachlichen Realisierungen und nicht der phonologisch, syntaktisch und semantisch korrekte Vollzug von Unverbindlichkeiten. (Henrici 1980: 127; vgl. Henrici 1982)
Auf ähnliche Weise äussern sich etwa Breen/Candlin (1980), Harden/Rösler (1982), Breen (1985), vorsichtiger Canale/Swain (1980)1. Hinweise für den Unterricht, die Henrici gibt, sind etwa - die Lehreräusserungen werden reduziert; - Aufgabenstellungen werden alternativ, als Wahlangebot, formuliert; - Informationen werden von den Lernenden selbst gesucht; - Arbeitschritte, -mittel und -formen werden von den Lernenden bestimmt. 1
Krashen, Ellis, Brumfit und andere, die sich vorab auf die Erwerbstheorie beziehen, lassen sich ebenfalls hier anführen. Sie diskutieren ihre Position allerdings nicht unter der Perspektive kritischer Postulate, sondern vorwiegend unter dem Gesichtspunkt, dass Kommunikation, um lemrelevant zu sein, echte Informationen vermitteln müsse. Dies bezeichnet sicher eine der Grundlagen auch des Partizipationsansatzes, der jedoch etwa in der Forderung nach Wahl von Arbeitsformen durch die Lernenden selbst einen wichtigen Schritt weiter geht.
III .2 Die Koordinaten schreibdidaktischen Handelns
451
Diese Änderungen entsprechen einer Auffassung von Lernen als einem möglichst selbst zu bestimmenden und selbst zu regulierenden Gruppen- und Individualprozess der Informationsbeschaffung, Informationserarbeitung und -Verarbeitung, in dem Lehrer und Lerner als Partner interagieren [...] Unterrichtsvorschläge bzw. -materialien sollten [...] den Charakter von ausgewählten und gegliederten Orientierungshilfen und Anregungen für offene Handlungen haben. (Henrici 1980: 129)
In diesem Zusammenhang verliert auch die in anderen Unterrichtskonzepten vordringliche Forderung an Gewicht, die Lernenden müssten eine muttersprachähnliche Geläufigkeit im Gebrauch der fremden Sprache entwickeln. Zur Authenzität in diesem neu verstandenen Sinn gehört der Versuch, die Fremdheit der Fremdsprache nicht einfach zu verdrängen, sondern damit von Anfang an als einem wesentlichen Moment des Lernens umzugehen (vgl. Henrici 1980; Harden/Rösler 1982; Ehlich 1986). Von einem etwas anderen Hintergrund her, nämlich der Kritik an Lehrbuchtexten, die den Rücksichten der Sprach Vermittlung, nicht den Interessen der Lernenden entsprechen, formulieren Edwards/Schlemper (1977) ihren Vorschlag zur Arbeit mit gruppeneigenen Texten. Sie beharren darauf, dass auch in der Schule so weit wie möglich die gewohnten Perspektiven auf sprachliche Gegebenheiten gewahrt werden müssen - und dazu gehört, dass man das liest und sich mit dem beschäftigt, was einem naheliegt und nahegeht. Edwards und Schlemper schlagen ein Verfahren vor, das von Bildern und den schriftlich festgehaltenden Reaktionen der Lerner darauf ausgeht und in mehreren Schritten zur Festlegung eines lernerbestimmten und interessebezogenen Unterrichtsthemas führt, das in Form eines Projekts erarbeitet wird1.
5
Zum Abschluss: Das Praxisfeld des Schreibens
Die Überlegungen im vorliegenden Kapitel haben einen doppelten Stellenwert. Auf der einen Seite heben sie Aspekte hervor, die in jedem unterrichtlichen Schreiben eine Rolle spielen. Jeder Schreibanlass kann darauf hin befragt werden, wie in ihm Lernprozesse angeregt werden, wie die dem Schreiben inhärenten sozialen Funktionen darin realisiert werden und wie weit durch die Anlage der Tätigkeit Freiräume geschaffen werden, die den Lernenden die Realisierung von mehr Teilhabe und Autonomie ermöglichen. Die beschriebenen Dimensionen stecken in dieser Hinsicht das Praxisfeld der Schreibdidaktik ab, in das sich jede einzelne Schreibarbeit differentiell einträgt. Auf der anderen Seite stellt die Diskussion dieses Kapitels auch Argumente zur Verfügung, welche eine bestimmte Art des Schreibunterrichts favorisieren - einen, der in vielfacher Hinsicht die Schreibenden dazu auffordert, sich zu engagieren und möglichst weitgehend als Autoren und Mitspieler zu agieren. Es geht hier darum zu vermeiden, dass die Inkompe1
In die Richtung des Partizipationsansatzes argumentieren auch etwa Steinig 1985; Grenzlinger 1982; Göbel 1986.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einerfremdsprachlichenSchreibdidaktik
tenz der Lernenden didaktisch zuerst kunstvoll konstruiert wird, um sie dann ebenso kunstvoll wieder abzubauen. In dieser Hinsicht werden hier Kriterien aufgerufen, welche die Realisierung von Unterricht zu steuern, das heisst didaktische Entscheidungen anzuleiten und zu begründen erlauben. Diese Kriterien, wie sie hier aufgeführt wurden, definieren keinen einheitlichen Anspruch, der didaktisch auf eindeutige und immer gleiche Art einzulösen wäre. Darauf wurde schon wiederholt hingewiesen. Die Forderung, Schreiben zum Thema zu machen, und die Forderung, dem Schreiben seine Funktionen zu belassen, lassen sich nicht immer miteinander verbinden. Sie geben Anlass zur Entwicklung von verschiedenen, teils widersprüchlichen Ansprüchen, die nicht in jedem einzelnen Schreibanlass erfüllt werden können. Es wird deshalb hier methodisch kein Königsweg der Schreibdidaktik propagiert; es gibt keine Normalform des Schreibanlasses. Dies soll der eben benutzte Begriff des Praxisfelds ebenfalls andeuten. Schreiben im Unterricht kann und soll in einer Vielfalt von Formen und Vorgehensweisen realisiert werden. Es ist das Insgesamt dieser Aktivitäten, welches darüber entscheidet, wie optimal es gelingt, den verschiedenen und in vielem konfliktiven Ansprüchen an einen Schreibunterricht gerecht zu werden.
III.3 DIE BEREICHE DER SCHREIBDIDAKTIK
In diesem Kapitel werden vier Bereiche vorgestellt, die in jedem Schreibanlass eine Rolle spielen; die hier diskutierten Gegebenheiten bilden das 'Material' der Schreibdidaktik. Es geht dabei um die Frage nach den Gegenständen des Schreibunterrichts, die nach Ordnungskriterien für Schreibaufgaben, die nach der Struktur des Schreibanlasses und die nach den Übungsformen und ihrem Zusammenhang mit dem produktiven Schreiben. Schreibdidaktische Entscheidungen beziehen sich auf die hier diskutierten Gegebenheiten; didaktische Leitintentionen, über die im letzten Kapitel gesprochen wurde, realisieren sich im Umgang mit den hier beschriebenen Ausdrucksformen, Optionen und Verfahrensweisen. Besonders folgenreich sind Entscheidungen, die die Anlage von Schreibanlassen betreffen. Der dritte Abschnitt (über die Struktur von Schreibanlässen) wird im folgenden deshalb am ausführlichsten gehalten. Die hier zu machenden Differenzierungen erweisen sich als äusserst relevant. In den Darstellungen in diesem Kapitel geht es allerdings nicht um eine detaillierte Ausführung und Interpretation aller Facetten, die hier auszumachen sind. Einmal lassen sich viele der Hinweise zur Gestaltung von Schreibaufgaben, die hier gegeben werden, zurückbeziehen auf die Diskussionen im letzten Kapitel; sie sind in den Erläuterungen zu den Konzepten der Selbstorganisation und des Unterrichts als Kommunikationsraum implizit oder explizit bereits angesprochen und begrifflich gefasst worden. Es werden hier deshalb öfter als sonst an exemplarischen Fragen oder Hinweisen allgemeine Zusammenhänge aufzuzeigen versucht. Zum anderen würde eine ausgreifendere Darstellung sehr rasch zu Differenzierungen im Hinblick auf spezielle Lernergruppen und Situationen zwingen. Dieser Schritt ins Methodische muss an dieser Stelle unterbleiben; die dazu erforderlichen zusätzlichen Detaillierungen müssten den Rahmen der auf einen Überblick angelegten Darstellung sprengen. Sie sind Thema für weitere, anders ausgerichtete Arbeiten.
1
Die Gegenstände des Schreibunterrichts
1.1 Zieltätigkeit und Schreibdidaktik Wir haben versucht, das Schreiben im Fremdsprachenunterricht nicht nur im Hinblick auf das Ziel des Schreibenlernens zu begründen, sondern auch seine Rolle für das allgemeine Ziel der Sprachbeherrschung und Kommunikationskompetenz darzulegen. Danach können die Themen und Ziele der Schreibdidaktik nicht allein aus den Zieltätigkeiten abgeleitet werden, die im Unterricht anvisiert werden. Dies hiesse, den Bereich der Schreibdidaktik zu begrenzen auf einige wenige Textsorten, falls sie überhaupt eine Rolle zugesprochen erhält (siehe auch Bohn 1987b: 175). Vielmehr ist
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Teil III: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik:
die Schreibdidaktik auch auf der Grundlage dessen zu begründen, was das produktive Schreiben als Lernmedium zum Sprachlernen beitragen kann eine Funktion, die ihm in den verschiedenen Ausweitungen des Schreibens in Hilfsfunktion schon längst, wenn auch wenig bemerkt, zugefallen ist. Vor diesem Hintergrund ist für eine Bestimmung der schreibdidaktischen Gegenstände der Rückgriff auf die üblichen, das Schreiben betreffenden curricularen Stoffziele nicht genügend. Natürlich müssen die Lernenden mit den in den verschiedenen Lehrplänen für sie vorgesehenen Situationen auseinandersetzen können, deren soziales Verhaltensmuster schriftlichen Ausdruck erfordert. (Armaleo-Popper 1983: 33)
Diese Situationen sind jedoch kaum zahlreich und für die meisten Lernenden zumindest bis zur vollendeten Mittelstufe wenig relevant. Zudem ist fraglich, ob es sinnvoll ist, Schreiben allein bezogen auf vorgesehene Zieltätigkeiten zu thematisieren - diese erheben oft recht hohe Ansprüche an die Sprachbeherrschung wie an die textuelle Kompetenz der Schreibenden, und es scheint sinnvoll, diese in irgendeiner Form aufzubauen. Zielvorgaben wie die von Armaleo-Popper anvisierten müssen deshalb ergänzt werden durch weitere Angaben, welche das Feld der schreibdidaktischen Gegenstände detaillierter und auf relevantere Weise zu skizzieren erlauben. Argumente, welche in diese Richtung gehen, bringt z.B. Fritzsche vor (Fritzsche 1984) 1 . Er untersucht die Möglichkeit, Gegenstände der Schreibdidaktik aus zugrundegelegten «Qualifikationen zur Bewältigung von Lebenssituationen» abzuleiten. Diese Qualifikationen sind spezifische; es geht dabei nun um die Beherrschung von einzelnen als notwendig definierten Textsorten. In diesem Zusammenhang spricht Fritzsche das Problem des Verhältnisses von textsortenspezifischen und textsortenübergreifenden Fertigkeiten an. Die Frage ist nun, ob nicht die textsortenübergreifenden Fähigkeiten allemal im Vordergrund des Unterrichts stehen müssten, weil es hier gewissermassen um die fundamentale Schreibfähigkeit geht, worauf die besondere Fähigkeit, den Erwartungen an eine bestimmte Textsorte zu genügen, erst aufbaut. Eine derartige Gewichtung des Unterrichts legt sich auch nahe, wenn man an die Möglichkeit des Übertragens des Gelernten auf andere Bereiche (Transfer-Effekt) denkt. (Fritzsche 1984: 286p 1
2
Fritzsche macht seine Analyse in bezug auf den Muttersprachunterricht auf der Sekundarstufe I. Seine Argumente scheinen mir jedoch weitgehend auf die hier diskutierte Situation übertragbar. Auch er macht übrigens auf die Relevanz der jeweiligen aktuellen schulischen Situationen für die Bestimmung der Gegenstände der Schreibdidaktik aufmerksam (1982: 286). Als textsortenübergreifend betrachtet Fritzsche «vornehmlich Grammatik und Logik», als textsortenspezifisch «Aufbau, Gliederung und Stil» (ebda.). Dem ist insofern zu widersprechen, als es durchaus nicht-textsortenspezifische und trotzdem Aufbau und Gliederung von Texten betreffende Dinge gibt, die Gegenstand einer Schreibdidaktik sind, etwa die Darstellungsarten (Erzählen, Berichten, Beschreiben, Argumentieren, Instruieren), die Frage der Kohärenz und Lesbarkeit, die Probleme des Leserbezugs oder der sachlich korrekten Darstellung usw. Dass alle diese Dinge fruchtbar nur an Einzeltexten und besonders fruchtbar vielleicht an bestimmten textsortenspezifischen Texten erörtert werden können, bedeutet nicht, dass hier nicht übergreifende Gesichtspunkte zur Rede stünden.
III.3 Die Bereiche der Schreibdidaktik
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Dies widerspricht nun dem Qualifikationsansatz, der meist (und vor allem auch in der Fremdsprachendidaktik) zur Legitimierung von Schreibzielen herbeigezogen wird, insofern, als dieser ja nicht das Schreiben, sondern die Bewältigung definierter Situationen zum Ziel hat: Nicht weil das Schreiben gelernt werden soll, wird die Inhaltsangabe, der Beschwerdebrief, die Spielanleitung, die Detektivgeschichte usw. durchgenommen, sondern weil die Inhaltsangabe gelernt weiden soll, weil die Spielanleitung und das Schreiben einer Detektivgeschichte gelernt werden soll, werden all diese Textsorten durchgenommen, (Fritzsche 1984: 286)
Gegen diese strenge Interpretation des Qualifikationsansatzes plädiert Fritzsche für einen «unscharfen Qualifikationsansatz» (ebda.: 287). Der strenge Qualifikationsansatz setzt voraus, dass eindeutige und klar bestimmbare Zweck-Mittel-Relationen aufweisbar sind, dass zuverlässig gesagt werden kann, dass diese oder jene Dinge gelernt und geübt werden müssen, damit ein bestimmter Effekt - eine definierte Kompetenz - aufgebaut werden kann. Dies ist aber nicht nur in bezug auf die von Fritzsche herausgearbeitete einzige vertretbare Norm des Unterrichts 1 unmöglich, sondern auch in bezug auf die in Aussicht genommenen spezifischen Schreibqualifikationen. Es ist nicht absehbar, wie hinsichtlich des Schreibens notwendige und hinreichende Teilqualifikationen zur Bewältigung einzelner Lebenssituationen eruiert werden könnten, welche spezifisch auf die angestrebte Zielkompetenz und nur auf sie zugeschnitten sind. Viel eher scheint es so, dass in diesem Prozess der Befähigung zum Schreiben bestimmter Textsorten zwangsläufig auch jener Bereich der textsortenübergreifenden Fähigkeiten thematisiert werden muss, von dem Fritzsche spricht und aus der die speziellen Qualifikationen herauswachsen. Natürlich bedeutet dies nicht, dass immer gleicherweise alles gelehrt und gelernt würde - es kann «auf eine gewisse Affinität bestimmter Schreibhandlungen zu bestimmten Entwicklungszielen hingewiesen werden» (Fritzsche 1984: 298, vgl. 284). Aber die Grundqualifikationen des Schreibens lassen sich nicht allein unter instrumentellen Zweck-Mittel-Relationen betrachten; vielmehr bilden sie einen gegenüber den definierten Zieltätigkeiten bis zu einem gewissen Grade unabhängigen Bereich2. Wenn so die Berufung auf eine allgemeine Schreibkompetenz unumgänglich ist, so kann damit auch die Fessel des strengen Qualifikationsansatzes abgeworfen werden. Dieser bleibt fixiert auf Zieltätigkeiten und normgerechte Produkte; er lässt Fragen nach der Relevanz der gewählten Ziele für die Schreibenden und das Schreibenlernen selbst, die nach dem Schreiben als Lernmedium und die nach dem Schreiben als Prozess gar nicht aufkommen. Es sind dies alles Dinge, die hier als wesentliche Gesichts-
1
2
«Der einzige haltbare normative Gesichtspunkt, nämlich der der Ich-Entwicklung [sc.: der Lernenden], erlaubt keine schlüssige Deduktion von Schreibhandlungen.» (Fritzsche 1984: 298) Ahnlich wie Fritzsche argumentiert Krefft (1979: 34). Vgl. auch die Überlegungen in II.3 und zur Metakognition.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
punkte der Schreibdidaktik eingeführt wurden 1 . Was mit allgemeinen Schreibkompetenzen und dem Bereich textsortenübergreifender Fertigkeiten angezielt ist, wird unten etwas detaillierter ausgeführt. Wie sehr solche Überlegungen auch für den fremdsprachlichen Unterricht relevant sind, zeigt sich etwa darin, dass sehr viele, sogar die meisten der Schreibvorschläge von Hedge, Pineas und anderen auf diesen mittleren Bereich zielen - angesiedelt über den Hilfsfunktionen des Schreibens, aber deutlich unterhalb des Niveaus definierter Textsorten. Angestrebtes Ziel ist erklärtermassen das Schreiben-Lernen, und damit letztlich das Schreiben von angepassten, textsortengerechten Texten. Aber der Aufbau der Kompetenz, die dafür erforderlich ist, geschieht hier weitgehend über die Erschliessung jenes von Fritzsche hervorgehobenen Feldes allgemeiner Schreibkompetenz. Natürlich besitzen viele der in diesen Ansätzen vorgeschlagenen Schreibaufgaben eine mehr oder weniger grosse Ähnlichkeit mit (meist einfachen) kanonischen Textsorten. Von diesen, welche oft auch als Modelle vorgegeben werden, weichen die Lernertexte zum Teil beträchtlich ab, ohne dass dies von diesen Autoren auch nur kommentiert wird. Die Modelle dienen ganz offensichtlich nicht so sehr als Zielvorgaben, deren normativer Standard (Idiomatik, syntaktische Struktur usw.) zu erreichen ist, sondern als Hilfen bei dem Versuch, Schreibaufgaben zu situieren und die Formulierungsaufgabe durchsichtiger zu machen. Sie präzisieren spezifische Darstellungsweisen und Vertextungsschemata, welche nach Massgabe der verfügbaren Kompetenz rekonstruiert werden. Ich möchte hier keine absoluten Unterschiede postulieren zwischen textsortenspezifischen Texten, welche standardisierten Normen der schriftlichen Kommunikation entsprechen, und anderen, welche aus Formen der mündlichen Sachverhaltsdarstellung herauswachsen oder solchen textsortenspezifischen Formen des Ausdrucks (strukturell und sprachlich) angenähert sind, ohne ihnen jedoch voll zu entsprechen. Auch diese weniger klar definierten Vertextungsarten folgen Regeln und Mustern; als fundamentale Weisen des Sagens (des Erzählens, Stellungnehmens, Beschreibens, Interpretierens), die an die verschiedenartigsten Kontexte adaptierbar sind, unterstehen sie in ihren einzelnen Realisierungen jedoch enorm unterschiedlichen Anforderungen. Sie bilden deshalb nicht eine definierte Sorte, sondern erlauben ein Kontinuum von Ausprägungen, von einfachsten, naiv-kindlichen bis zu hochkomplexen. Im jeweiligen Fall sind es kontextuelle und pragmatische Überlegungen, nicht fixe Standards, die 1
Siehe auch Fritzsche 1984: 287ff.; Mayer 1985: 14f. Im Hinblick auf die Lernenden betont Börner, mit Verweis auf andere Autoren, «den Widerspruch zwischen der engen funktional-didaktischen Begründung kommunikativer Textsorten einerseits und der viel umfassenderen Vorstellung, die die Lemer selber vom Schreiben und von der geschriebenen Sprache haben: als Lemhilfe, als Gedächtnisstütze, als Produktionskanal beim autonomen Lernen, aber auch als Garant der Norm, als kulturelles Erbe usw.» (Börner 1987: 1338). Hinzuzufügen wäre dem, dass Lernende - sofern sie nicht gänzlich von gewissen Schulformen vereinnahmt sind - Schreiben auch als Mittel des persönlichen Ausdrucks betrachten (vgl. Delius 1986).
ΠΙ.3 Die Bereiche der Schreibdidaktik
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bestimmen, ob eine Beschreibung, ein Argument, eine Erzählung usw. ein genügendes Mass an Informativität und Kohärenz aufweisen oder nicht. Solche Vertextungsarten sind als Gegenstände der Schreibdidaktik besonders geeignet - auf sie bezieht sich Pineas mit der Bemerkung, Schreiben und zwar auf Texte gerichtetes, produktives Schreiben - sei auf jeder Stufe der Sprachkompetenz möglich (Pineas 1982: 27). Der Anspruch, dass im Schreibunterricht kohärente, kontextualisierte Texte von Anfang an geschrieben werden sollen, kann deshalb nicht bedeuten, dass es textsortengerechte, den standardisierten Kriterien öffentlicher Kommunikation gehorchende Texte sein müssten, die der Unterricht von Anfang an anzustreben hätte. Abgesehen davon, dass dies nicht möglich ist, wäre es wohl auch unproduktiv. Nicht nur deswegen, weil das Schreiben von solchen Texten für die meisten Lernenden kein primäres Ziel ist, sondern auch darum, weil viele dieser Textsorten derart durch idiomatischen Sprachgebrauch belastet sind, dass die Erarbeitung dieser spezifischen Sprachmittel kaum gerechtfertigt werden kann, wenn diese nicht legitimerweise im Zielinventar fungieren. Es ist vor diesem Hintergrund nicht verwunderlich, dass es auch in Lernzielkatalogen durchaus nicht immer Textsorten sind, welche als Zielformen des Schreibunterrichts genannt werden. Nach Steins schon etwas zurückliegender Formulierung sollte der Fremdsprachenunterricht zu folgenden schriftlichen Formen hinfuhren, wobei nicht alle Formen in allen Lehrgängen eingeübt werden können: 1. Brief 2. Zusammenfassung 3. Bericht 4. Textkommentar 5. Textinterpretation 6. Argumentation 7. Stellungnahme 8. Essay (Stein 1975: 178)
Diese Formen bezeichnen Textformen, die zwar zum Teil beträchtlich über einfache Sachverhaltsdarstellungen hinauswachsen. Dies gilt vorab für die analytischen Darstellungsformen Zusammenfassung, Textinterpretation, Textkommentar, die nicht eigentlich gängige Standardformen schriftlicher Kommunikation bezeichnen. Als textsortennahe Hessen sich vielleicht Brief, Bericht und Essay bezeichnen. Aber auch hier melden sich Zweifel an. 'Brief' ist eine Sammelbezeichnung für eine Vielzahl höchst verschiedener Phänomene. Verschiedene Briefformen verdienen vielleicht Textsortenstatus; ob dies für die schreibdidaktisch so populäre Form des Privatbriefs zutrifft, ist eine andere Frage. Hier sind kaum konsistente Regelungen auszumachen, welche den Brieftext in irgendeiner Weise betreffen - ausser so randhaften Dingen wie dem obligatorischen Briefkopf (Ort, Datum, Anrede) und einigen Abschlussfloskeln sowie der Regelung der Grossschreibung der Personalpronomina, soweit diese den Adressaten betreffen. Berichte auf der anderen Seite gibt es in verschiedenen textsortenhaften Ausprägungen (Protokoll, Unfallbericht, Nachricht usw.), ohne dass
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schieibdidaktik
diese das Feld des Berichtens völlig in Beschlag nähmen. 'Essay' schliesslich, bezogen auf schulisches Schreiben, ist kaum mehr als eine Sammelbezeichnung für sehr unterschiedliche Formen des Analysierens, Argumentierens und Stellungnehmens. Diese Sammlung von Zielbezeichnungen weist demnach nur im Ansatz auf textsortenspezifische Formen des Schreibens hin; sie führt zunächst Typen der Sachverhaltsdarstellung (Vertextungsarten) auf, welche einen - je nach Anspruch - einigermassen elaborierten Sprachgebrauch und ausgefeilte Formen der Vertextungsarbeit erfordern, aber noch weitgehend mit Hilfe der neutralen, relativ wenig idiomatischen Sprache bewältigt werden können, die traditionell den Kern der fremdsprachendidaktischen Vermittlung bildet. Von diesen Formen ist jeweils nur ein Schritt zu gehen zu verschiedenen textsortenspezifischen Schreibformen - ein Schritt allerdings, der beträchtliche Ansprüche stellen kann bezüglich der jeweils nun obligatorisch erforderten normierten sprachlichen Darstellungsweise (ähnlich Bohn 1986: 56ff.). In ähnliche Richtung wie Steins Aufzählung weist folgende erheblich jüngere Liste von Zielen des Schreibunterrichts für Lernende, die eine Fremdsprache formell studieren - für höchst Fortgeschrittene somit. If we attempt a specification of the writing activities appropriate to the graduating student who is not to proceed for training as a translator, it would include the following, I suggest: 1 Communicating information at a distance (letter, report, dossier, memo). 2 Processing and inflecting information for special purposes (suasion, argument, clarification) 3 Preparing memoranda and working papers to serve as basis for verbal discussion and decision-making. 4 Clarification and recording of points that have already appeared in verbal discussion (minutes, personal summary, rectifications). 5 Personal memoirs, diaries, records, notes, reports. 6 Notes for oral presentation. 7 Scripts for speech, lecture usw. 8 Personal correspondence (formal and informal). 9 Business and official correspondence in appropriate house-style or convention. (S. Taylor 1988: 117)
Hier sind nun deutlich allgemeine Anforderungsbereiche oder Schreibweisen als Ziele genannt, Textsorten oder textsortenähnliche Formen treten nur als Beispiele auf. Man kann dies als Indiz dafür lesen, dass im fremdsprachlichen Bereich sogar auf höheren Stufen als denen, die hier im Vordergrund stehen, die grundlegenden Formen des Vertextens Vorrang vor den einzelnen Textsorten haben1. Die Fähigkeit, komplexe Texte zu verfassen, wächst aus der Arbeit an den Grundlagen des kohärenten Darstellens heraus. Zwischen den ersten Versuchen, einen Feriengruss als Postkartenmeldung zu verfassen, und dem, was eben unter Ziffer 8 als «personal correspondence» aufgeführt wurde, bestehen wenig prinzipielle 1
Vgl. in dieser Hinsicht auch die von S. Taylor (1988) im Anhang gegebenen «proficiency guidelines» des ACTFL und die «Australian Second Language Proficiency Ratings» für Fortgeschrittene und Fast-Zweisprachige.
III.3 Die Bereiche der Schreibdidaktik
459
Unterschiede. Wird das Verfassen solcher Texte beherrscht, so kann die Erarbeitung einzelner spezifischer Textsorten mit ihren je eigenen, zum Teil unvorhersehbaren Eigenarten (vgl. Taylors Hinweis auf den jeweils angebrachten «house-style») als Erweiterung und Spezialisierung verstanden werden, die aus der Schreibarbeit im Unterricht herauswachsen oder auch nachträglich zustandegebracht werden kann1. 1.2
Zielbereiche der Schreibdidaktik
1.2.1 Vier Quellen von Schreibzielen Ich möchte im folgenden vier Unterrichtsbereiche namhaft machen, aus welchen relevante Fragestellungen und Gegenstände hervorgehen, die schreibdidaktisch entfaltet werden können. Die drei ersten davon betreffen das eben angesprochene allgemeine Gebiet des Schreibens. Es sind dies - die Zieltätigkeit des (monologischen, zum Teil auch gewisser Formen des dialogischen) Sprechens und ihre jeweiligen, dem aktuellen Stand der Sprachkompetenz angemessenen Vorstufen; - die Lerntätigkeit im Unterricht und die durch sie notwendig werdenden bzw. ermöglichten Darstellungs- und Kommunikationsweisen; - personales, literarisches und spielerisches Schreiben; - die Zieltätigkeit des Schreibens und ihre jeweiligen, dem Stand der Sprachkompetenz angegemessenen Vorstufen2. Die im folgenden aufgeführten Hinweise sind zu verstehen als Beispiele; es versteht sich von selbst, dass Thema und Komplexität der Aufgabenstellung abhängig sind von dem Sprachstand der Lernenden und dem Gesamtziel des jeweiligen Unterrichts. a. Die Zieltätigkeit (monologischen, auch dialogischen) Sprechens Im mündlichen Bereich werden solche zum Teil beträchtlichen Leistungen erwartet wie - eine Wegbeschreibung geben; - beschreiben, warum das Mofa nicht funktioniert und was zu tun ist; - eine Stellungnahme abgeben; 1
2
Vgl. dazu auch Acker (1983), der Lehipläne für den Muttersprachunterricht auf Primär- und Sekundarstufe untersucht und feststellt, dass die Ziele im Bereich der schriftlichen Kommunikation auf den unteren Stufen eng verwoben sind mit denen im mündlichen Bereich, dass die Ziele in beiden diesen Bereichen geprägt sind durch die Formen der Unterrichtsarbeit (Umgang mit Texten und Reflexion über Sprache) und dass eine bereichsspezifische Spezialisierung erst relativ spät zum Durchbruch kommt. Pineas (1982: 3) präsentiert eine umfangreiche Liste von «varieties of written English». Hauptsächliche Kriterien der Einteilung sind 'personal' und 'public', letzteres wird weiter unterteilt in 'general* und 'occupational'. Die Aufzählung umfasst verschiedenste Dinge: Textformen (summary, reviews, contracts), Schreibaktivitäten (note-taking, form-filling), Bereiche der Textwelt (fiction, debates, speeches) und Situationen. Hedge (1988: 96) gibt Listen von Textformen und Schreibaktivitäten unter sechs Titeln: Personal, public, creative, social, study, institutional writing.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
- eine Geschichte (etwa eine Filmstory) kurz skizzieren oder eine analoge, selbst erlebte Szene erzählen; - die Beweggründe einer Person (etwa einer Filmfigur) analysieren; - erklären, worum es in einer Auseinandersetzung, einem Film, einer Fernsehsendung gegangen ist; - sagen, warum man Popmusik schätzt, klassische langweilig findet; - auf eine fremde Meinung eingehen, Differenzen besprechen. Es geht hier um Sachverhaltsdarstellungen. In ihrer einfachsten Form sind sie auf einen Satz reduzierbar; sie können jedoch bis zu fast beliebiger Komplexität ausgearbeitet werden. In diesem Bereich ist die Differenz zu schriftlichen Darstellungsformen zum Teil minim. b. Lerntätigkeit im Unterricht
Die Lerntätigkeit im Unterricht führt zur Wünschbarkeit, sogar Notwendigkeit von sprachlichen Leistungen, die viele Gemeinsamkeiten mit den schon genannten haben, aber in ihrer Form und ihrem Inhalt auf die Situation des Unterrichts selbst bezogen sind. Sie legitimieren sich also weniger aus den Zielen des Unterrichts als aus seiner Struktur; sie sind natürlich zugleich Lernziele etwa an Mittelschule oder Universität. Es geht hier um die 'study skills', soweit sie das Schreiben betreffen: - Repetitionen, Zusammenfassungen, Nacherzählungen von Gelesenem, Gehörtem usw.; nicht nur zur Übung oder als Verständniskontrolle, sondern auch zur Information von anderen, welche nicht mit denselben Texten, Materialien oder Fragestellungen gearbeitet haben; - Besprechung, Interpretation und Erörterung von formalen oder inhaltlichen Eigenschaften von Texten, Bildern usw.; - Vergleich, Strukturierung und Evaluation von verschiedenen Argumenten, Vorschlägen; - Reflexion von Lemerfahrungen, Lernschwierigkeiten, Lemverfahren; - Besprechung von sprachlichen und kulturellen Differenzen1. Aufgrund ihrer kontrollierten Rückbindung an Unterrichtsthemen sind einige dieser Formen anspruchsvoller als die unter a) genannten. Beispielsweise unterscheidet sich die Zusammenfassung eines Lehrtextes von der Nacherzählung der Story eines Films in einem nicht-schulischen (oder in der Schule stattfindenden, aber keine Lehrmaterialien betreffenden) Kontext wohl dadurch, dass das Ausmass der erlaubten Kürzungen und die Willkür der Schwerpunktsetzung recht unterschiedlich sind. Dies weitgehend deswegen, weil das Verstehen der Lernenden im Unterricht normalerweise kontrolliert wird, was diese zwingt, 'objektive' Inhaltsangaben zu machen, während im nicht-schulischen Kontext Verstehen von vornherein 1
Eine weitere schulisch relevante Schreibsituation ist die schriftliche Prüfung, auf die im Unterricht hinzuarbeiten ist (vgl. Stalb 1980: 5f.). Es ist jedoch sinnlos, Prüfungsformen zu pflegen, die andere als die im schulischen Alltag erforderten oder im Katalog der Zieltätigkeiten aufgeführte Forderungen stellen. - Einige Formen des Schreibens in Ausbildungssituationen (Lektürenotizen, Mitschriften, Erörterungen) bespricht Bohn 1986: 107ff.
ΙΠ.3 Die Bereiche der Schreibdidaktik
461
unterstellt wird und die Nacherzählung weiten Raum offenlässt für die Betonung subjektiven Erlebens - ein Verfahren, das auch dem Unterricht oft wohl anstehen würde. Die Formen der Verarbeitung und Darstellung in a) und b), erfolgen sie schriftlich, können weitgehend parallel zu der Art erfolgen, wie sie im mündlichen Bereich gängig sind - mit den nötigen sprachlichen Veränderungen natürlich, mit dem Unterschied auch, dass die schriftliche Erarbeitung wohl eher erlaubt, eine in Gang kommende Gedankentätigkeit zu unterhalten und auf Form und Inhalt des Gesagten selbst einwirken zu lassen. Es ist deshalb anzunehmen, dass die schriftliche Fassung eine Stufe komplexer ist als die im jeweiligem Moment mögliche mündliche. Das Schriftliche kann so als Wegbereiter des Mündlichen fungieren. c. Personales, literarisches, spielerisches Schreiben Das Schriftliche eröffnet eine Vielzahl von Möglichkeiten des Ausdrucks, die normalerweise weniger mit dem mündlichen Sprachgebrauch verbunden werden. Zu denken ist hier zuerst an literarisierende und personale Formen des Schreibens (Erzählungen, Gedichte, Erlebnisberichte, Stimmungsbilder); an Kommentare und Stellungnahmen, die sich in der Manipulation von Texten kundtun (Parodie, ironische Verfremdung, Collage); an Veränderung oder Umsetzung vorliegender Texte in andere Formen; so etwa die Umsetzung einer Personenbeschreibung in eine polizeiliche Ausschreibung oder Vermisstenanzeige, des Inhalts eines Dramas in eine Sensationsmeldung oder Unfallanzeige usw. Hinzuweisen ist hier auch auf die zahllosen Formen spielerischer kooperativer Textherstellung, in denen einzelne oder Gruppen je einen Satz, ein Kapitel eines Textes o.ä. beisteuern1. d. Zieltätigkeit des Schreibens Hierher gehören die verschiedensten Textsorten, die abhängig vom jeweiligen Lehrplan für einen Kurs als Lernziele angesetzt werden. Viele davon Hessen sich wohl relativ leicht den oben unter a) bis c) genannten Bereichen zuordnen, als standardisierte Formen der dort auftretenden Vertex tungsarten und Kommunikationsweisen. Wollte man Vorstufen solcher Texte benennen oder Teilfertigkeiten herausheben, welche in die Herstellung solcher Texte eingehen, würde man demnach häufig auf ähnliche Dinge verfallen wie in a) bis c). Einzelne solche Textsorten können auch 1
«Writing in the 'poetic mode' is often equated with 'creative' writing, as opposed to 'expository' writing, and is limited to autobiography, fiction or poetry writing. Such distinctions assume that expository writing denies personal reflection, a rather circumscribed conception of writing. A more useful perspective for defining the degree of personal reflection is to consider the extent to which students conceive of information or experience in their own terms versus those of another.» (Beach/Bridwell 1984: 194f.) Dem ist zuzustimmen. Die Relegation des Kreativen aufs Literarische und Personale darf nicht zum Vorwand dafür werden, andere Formen des Schreibens von jedem persönlichem oder schöpferischem Gehalt zu entkleidea Ästhetisches und literarisches Schreiben scheint jedoch in einem speziellen Verhältnis zu subjektiver Erfahrung zu stehen (Krefft 1979:42).
462
Teil ΙΠ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik:
im Rahmen des Unterrichts geübt und einigermassen motiviert geschrieben werden, so etwa Entschuldigungen für versäumte Stunden usw.1 Je nachdem, welche Zieltätigkeiten im Schreibunterricht angestrebt werden, müssen auch kultur- und sprachspezifische Differenzen der Vertex tungsweise oder fremdsprachspezifische Textsorten zum Thema werden2 . Abschliessend sei noch einmal darauf aufmerksam gemacht, dass Schreibenlernen nicht nur bedeutet, Kenntnisse darüber zu sammeln, was schriftliche Produkte auszeichnet, sondern auch darüber, was das Schreiben als Tätigkeit auszeichnet. Dies sollte vor lauter produktorientierten Lernzielen nicht vernachlässigt werden. In den Schreibunterricht geht dieses Ziel jedoch nicht so sehr ein in Form eines separaten Themas als in der Art, wie der Schreibunterricht gestaltet wird. 1.2.2 Notieren und Übersetzen In der bisherigen Darstellung blieben zwei Gesichtspunkte ausgeklammert, die Gegenstände betreffen, welche manchmal der Schreibdidaktik zugeschlagen werden - Stichwortnotizen auf der einen, Übersetzungen auf der anderen Seite. Auf beide sei kurz eingegangen. a.
Stichwortnotizen
Auf die spezielle Form von Stichwortnotizen wurde kurz in II. 1/1 hingewiesen. Notizen haben verschiedene Funktionen; unterrichtlich interessant sind wohl vor allem solche, welche ein Lese- oder Hörverständnis doku1
2
Praxisberichte bzw. Vorschläge für die Gestaltung von Schreibanlässen zu den genannten Gegenstandsbereichen geben etwa (zum Teil mit didaktischen Empfehlungen, die von den hier gegebenen abweichen): Dialoge: Augustin/Haase 1978 (Blasentexte in Comics); Biederstädt 1988 (Rollenspiel, Schülertheater); Häusler/Scherling/Häublein 1982a (Telefonieren, kurze schriftliche Mitteilungen). Zusammenfassungen: L. Hoffmann 1986; Bliesener 1987; Wild 1980. Zu 'Konspekten' (organisierten Lesenotizen) Löschmann 1981; Bohn 1986: 108ff. Prfcis: Evans 1988; Mason/Wakeley 1988. Protokoll: Altenberg 1986. Nacherzählung (f. Fortgeschrittene): Hombitzer 1973; Christ 1973. Interpretation: Neft 1973. Essay (f. Fortgeschrittene): P. Morey 1988; Whitton 1988. Bildbeschreibung: Schwerin v. Krosigk 1987. Erzählen: Grenzlinger 1987. Märchen: Brandl et al. 1987. Literarisches und lyrisches Schreiben : Preston 1982; Cordruwisch/Weckmann 1985; Spack 1985; Bogdahn 1987; Mummert 1989. Briefe: Phillips 1983; Hares 1983; Häusler/Scherling/Gemot 1982b; verschiedene Textarten bespricht Scheller 1979. Hatch (1984: 195ff.) stellt fest, dass in bezug auf argumentative Texte Lerner aus anderen Kulturkreisen in ihrem Verstehen gehemmt sind, weil sie oft nicht verstehen, warum ein Autor Gegenargumente gegen seine eigene Position aufführt; einige würden z.B. annehmen, dass einfach das erste Argument die Position des Autors widerspiegelt usw. «If these differences across languages are substantial, we would expect that different learners would show real differences in achieving coherence in L2 composition. That is, no interlanguage continuum would be found.» (Ebda.: 198) Allerdings ist auf diesem Gebiet noch wenig Sicheres bekannt. Vgl. Mohan/AuYeung Lo 1985; Thompson-Panos/Thomas-Ruzic 1983; L. Hoffmann 1986; zur 'deutschen Textsorte' Seminarreferat Hermanns 1980. Die Problematik interkultureller Kommunikation ist in letzter Zeit zunehmend diskutiert worden, vgl. etwa Osterloh 1983; House-Edmondson 1986.
III.3 Die Bereiche der Schreibdidaktik
463
mentieren, sowie solche, welche der Sprachproduktion zugrunde liegen (etwa als Plannotizen im Hinblick auf den Text oder als Stützen für einen mündlichen Vortrag). Obwohl die Grenzen hier nicht ganz klar zu ziehen sind, gehört das erste weitgehend in den Bereich der Lese- und Hörverstehensdidaktik1, nur das zweite in den der Schreib- und Sprechdidaktik. Planungs-Notizen im Hinblick auf einen Text sind der Niederschlag eines nicht ausgeführten oder nicht voll dokumentierten Versprachlichungsprozesses; sie spiegeln, je besser jemand fähig ist, konzeptuell zu planen, desto weniger direkt den intendierten Text (vgl. Burtis et al.1983), sondern stellen ein Objekt eigenen Ranges dar. Was einem Schreibenden in bezug auf den geplanten Text wichtig ist, ist wohl abhängig von einer Vielzahl von Kriterien. Ebenso ist das sprachliche Format von Notizen (einzelne unverbundene Sätze, Nominalphrasen, eventuell zusätzlich notierte verbale Komponenten usw.) wohl weitgehend von individuellen Präferenzen abhängig. Ob es möglich und sinnvoll ist, das Notizen-Machen in dieser textplanenden Funktion sinnvoll zu thematisieren, muss hier offen bleiben 2 . Einzelne Momente solchen Planens lassen sich jedoch durchaus fruchtbar im Unterricht behandeln: 1. Wo ein Text geplant wird vor dem Hintergrund von anderen Texten, lässt sich mit Wahrscheinlichkeit eine Fülle von Kollokationsproblemen beim Formulieren des Zieltextes voraussehen - etwa die Schwierigkeit, das passende Verb zu finden, welches - unter bestimmter Redeintention - einem Nomen fast notwendig folgt (es heisst z.B. 'Informationen übermitteln' usw. - das Verb mag im Plan unnötig sein, muss aber für die Vertex tung reproduziert werden oder durch ein gangbares alternatives ersetzt werden können). Hier müssen fruchtbare Strategien im Unterricht entwickelt und ausprobiert werden, welche erlauben, solcherart relevante sprachliche Informationen im Ausgangstext zu erkennen und sie entweder in der Mitschrift, einem Exzerpt oder im Textplan zu berücksichtigen, so dass nicht eine nochmalige Konsultation des Ausgangstextes nötig wird falls diese dann überhaupt noch möglich ist. 2. Es gibt Verfahren des Brainstorming und der Ideensuche, welche sich verschiedener Techniken schriftlicher/visueller Darstellung bedienen (Listen, Schemata, Assoziationsnetze, Argumentationsschemata usw.). Solche Verfahren können textbezogene Planungsarbeit vorbereiten und unterstützen; sie sind als Organisationsformen für die Vorbereitung und Planung, zum Teil auch für die Analyse von Texten durchaus geeignet. Die meisten dieser Verfahren sind sehr simpel; sie beruhen darauf, dass die Sichtbarmachung (und eventuell Ordnung) von Ideen neue erzeugt und die vorhandenen klärt. 1 2
Dazu etwa Löschmann 1983,1985; Bohn 1987b: 202ff.; Dunkel 1988. Ich bin gegenüber den sich hier bietenden Möglichkeiten eher skeptisch. Vor allem darf das Planen nicht allzusehr im Hinblick auf die Oberfläche des zu schreibenden Texts thematisiert werden; Pläne sind fruchtbare Vorbereitungen auch und gerade dann, wenn das Schreiben vom Plan abweicht.
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Teil ΙΠ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik;
Etwas anders liegt die Sache bei Notizen, die als Vorlagen dem Sprechen zugrunde liegen sollen. Nach Notizen vorzutragen ist schon für die meisten Muttersprachigen schwierig, denn das Verhältnis von Notiz zu Text ist ohne Erfahrung schwer zu durchschauen, sowohl in bezug auf die quantitative wie auf die qualitative Relation. Es ist schwer, genau abzuschätzen, wie viel Vortragszeit die Versprachlichung von Stichwörtern in Anspruch nimmt, und noch öfter ist es unsicher, wie gut und klar Formulierungen aufgrund von einzelnen Stichwörtern gelingen. Dies ist besonders dann der Fall, wenn über ein Thema vorzutragen ist, das einer nicht sehr gut kennt, über das er sich z.B. erst neu überhaupt eine gewisse Kenntnis angeeignet hat. Ein Ausweg aus der Schwierigkeit ist wiederholtes probeweises Versprachlichen, oder Auswendiglernen eines Textes; beides ist recht zeitaufwendig. Die Schwierigkeiten sind noch um einiges grösser für Fremdsprachige, denen die Flexibilität der Muttersprachigen fehlt und die oft darauf angewiesen sind, dass ihnen ganz bestimmte Wörter und Formulierungen in den Sinn kommen, damit eine Aussage einigermassen flüssig gemacht werden kann. Hier liegt ein auch für die Schreibdidaktik interessantes Gebiet vor. Viel deutlicher als bei der Textplanung unterliegt die Herstellung von Vorlagen in Notizenform spezifischen Anforderungen, welche dieser Versprachlichungsproblematik in der Fremdsprache Rechnung tragen. Ganz prominent geht es hier darum, dass die relevanten (meist nominalen) Stichwörter viel dichter als bei Muttersprachigen und die einschlägigen Kollokationen sehr ausführlich mit ins Notat gehören; wahrscheinlich werden auch textstrukturierende Mittel mit Vorteil notiert. Der Nachteil solch dichter Notate liegt allerdings darin, dass sie stark binden und ein Wiedereinstieg schwierig fallen mag, wenn einmal der vorgeplante Weg verlassen wird. Adäquate Formen des Notierens und Vorbereitens müssten auch hier vor allem aus der Analyse und Diskussion von konkreten Erfahrungen im Unterricht gewonnen werden. Auf einige Aspekte des Vortragens wird unten, in Kap. ΙΠ.5, weiter einzugehen sein. b. Übersetzen Das Übersetzen war lange Zeit eines der umkämpften, auch der eher verfemten Gebiete der Fremdsprachendidaktik; seit einiger Zeit geniesst es neuerdings Respektabilität und ist Gegenstand von vielerlei Untersuchungen und didaktischen Vorschlägen geworden1. Das Übersetzen zeigt eine gewisse Verwandtschaft mit dem Schreiben. Es erfolgt, zumindest in der Schule, meist schriftlich, und es erfordert ein zielsprachliches Formulieren. Die Übersetzungsaufgabe ist jedoch verglichen mit der Aufgabe des produktiven Schreibens zugleich komplexer und eingeschränkter. Sie verlangt eine Dekodierung (des ausgangssprachlichen Ausdrucks) und eine neue Entkodierung (des zielsprachlichen Äquivalents). In dieser Übertragung muss das ausgangssprachliche Material nicht 1
Vgl. dazu die Hinweise in II.3/2.
ΙΠ.3 Die Bereiche der Schreibdidaktik
465
nur seinem sprachlich-strukturellen Gehalt nach erfasst, sondern zugleich daraufhin bestimmt werden, welchen Ort es im Gefüge der Register, Sprechweisen und Stilebenen einnimmt und welche spezifischen Intentionen es damit ausdrückt. Das Übersetzen stellt demnach eine Aufgabe dar, welche maximal einschränkende Bedingungen für die zielsprachliche Formulierung festhält. Im Übersetzen liegt das Hauptaugenmerk auf sprachlich-stilistischen Aspekten, auf feinen Differenzierungen, auf den detaillierten Mitteln der Kohärenzbildung und Sinngestaltung. Es scheint daher eher für Fortgeschrittene geeignet zu sein, welche über genügend Kompetenz verfügen, um relevante Unterschiede wahrzunehmen und ihren Stellenwert zumindest ansatzweise einzuschätzen. Dabei ist anzunehmen, dass im Normalfall die Herübersetzung, das heisst die Übersetzung in die Muttersprache, den besseren Ausgangspunkt bietet für fruchtbare Sprachbetrachtung auch bei Fortgeschrittenen. In der Muttersprache stehen Register und Stilvarianten viel eher zu Verfügung, so dass eine adäquate zielsprachliche Modulation des Ausgangstextes möglich erscheint und die Varianten und Schattierungen, welche eine Übersetzung adäquat, gut oder sogar kongenial machen, tatsächlich greifbar werden. Hier ist ein Ort für fruchtbare Kontakte zwischen Fremdsprach- und Muttersprachunterricht bezeichnet; es ist anzunehmen, dass die Übersetzenden bei dieser Arbeit mehr für ihre Muttersprache lernen als für die Fremdsprache. Solche Arbeiten wären demnach eher im Muttersprachunterricht anzusiedeln oder in Kooperation von Mutter- und Fremdsprachlehrern vorzunehmen1. Die Hinübersetzung in die Fremdsprache scheint nur bei Fortgeschrittenen sinnvoll, die in der Lage sind, die subtileren stilistischen Werte von Formulierungsalternativen abzuschätzen, welche die Fremdsprache zur Verfügung stellt2. Es ist fraglich, ob es Sinn macht, die Schwierigkeiten des Übersetzens dadurch zu umgehen, dass es gehandhabt wird als eine Aktivität, die einigermassen inhaltserhaltend, aber ohne Raffinesse Material in die Zielspra1
2
Vgl. in diesem Sinne Weller (1973). R. Hawkins (1988: 55) sieht Effekte dieser Weise des Übersetzens vor allem für die Muttersprache; als Input für die Fremdsprache sei das Verfahren schwach und wenig effektiv. Klings (1988: 23f.) glaubt, dass Herübersetzungen «die Lemer zu einem intensiven, selbstorganisierenden Texterschliessungsversuch anregen», beobachtet aber gleichzeitig, dass (deutschsprachige) Lernende beim Herübersetzen «ein absolut indiskutables Deutsch» produzierten, «weil sie sich vom 'hypnotischen Zwang* des Ausgangstextes nicht freimachen konnten». - Übersetzungen müssen im übrigen nicht von den Lernenden selbst gemacht werden, um Thema des Unterrichts zu sein. Es können auch bestehende Übersetzungen mit der Vorlage (oder miteinander) verglichen und kritisch analysiert werden (M. Morey 1988). Bohn (1986: 155) fordert den Einbezug von Übersetzungsübungen in den Schreibunterricht für Fortgeschrittene; allerdings wird diese Forderung kaum zureichend begründet. Zu den Schwierigkeiten und Chancen der Hin-Übersetzung s. Klings 1987: 9 Iff.
466
Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
che überträgt. Ist die Zielsprache die Muttersprache, so kann dieses Verfahren dem besseren Verständnis von Texten oder Textpassagen nutzen, ist also eine leseunterstützende Strategie, ein Mittel der Semantisierung. Erfolgt eine solche Übersetzung in die Fremdsprache, so sind wahrscheinlich all die Argumente, die schon seit langem gegen das Übersetzen vorgebracht wurden, gültig. Es ist fraglich, was aus dieser Art des Übersetzens zu gewinnen ist, was nicht durch innersprachliche Übungen ebenfalls zu erreichen ist - und ohne die begleitende Insinuation, die so gefundenen Ausdrücke seien gültige fremdsprachliche Versionen muttersprachlicher Aussageweisen1. 1.3 Problembereiche des Schreibunterrichts An den oben herausgestellten Gegenständen der Schreibdidaktik können im Unterricht die verschiedensten Aspekte problematisch werden. In Zusammenfassung und Ergänzung dessen, was bisher schon über die spezifisch schreibdidaktischen Fragestellungen gesagt worden, soll hier noch einmal kurz auf einige einschlägige Fragen eingegangen werden. Im Schreiben, Überarbeiten und Bewerten von Texten spielen vier Bereiche eine Rolle: - der Bereich der allgemeinen Sprachkenntnisse. Es ist dies ein Gegenstand, der nicht eigentlich Thema der Schreibdidaktik ist; trotzdem gehört wohl die Mehrzahl der Probleme, welche beim Schreiben in der Fremdsprache auftreten, in diesen Bereich; - der Bereich der textspezifischen Kenntnisse und Sprachmittel. Es ist dies ein Gegenstand, der zur Schreibdidaktik gehört, jedoch mit gleichem Recht auch in anderen Bereichen des Sprachunterrichts thematisch wird (im Lesen und Hörverstehen, auch im (monologischen) Sprechen); - der Bereich der textsortenspezifischen Kenntnisse und Sprachmittel. Diese sind von gewissem Nutzen auch im Lesen. Die einschlägigen Standards (vorab des Sprachgebrauchs) machen jedoch im Schreiben besonders Schwierigkeiten; - der Bereich des Schreibens selbst, die Kenntnisse über die Regularitäten und Möglichkeiten des Schreibens, die eigenen Gepflogenheiten, ihre Vorteile und Schwächen. 1.3.1 Der Bereich der allgemeinen Kenntnisse Schon in vielen reproduktiv-produktiven Übungen und ganz eindeutig im Schreiben wird vorausgesetzt, dass nicht nur die Schreibmotorik und Orthographie, sondern auch ein gewisser Bereich allgemeiner Sprachmittel so weit beherrscht wird, dass darauf zurückgegriffen werden kann: Wortschatz, Grammatikkenntnisse, die gebräuchlichsten Kollokationen. 1
Dass, wie in II.3/2 bemerkt, eine Art inneren Übersetzens bei der Sprachproduktion als Hilfsstrategie benutzt wird, hat mit dem Übersetzen im hier thematisierten Sinn wenig zu tun. Es ist nicht der Versuch, etwas zu übersetzen, sondern etwas überhaupt auszudrücken.
ΙΠ.3 Die Bereiche der Schreibdidaktik
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Vorausgesetzt wird dies in dem Sinne, dass solche Dinge beherrscht werden müssen, wenn überhaupt geschrieben werden soll, und dass sie nicht Thema der Schreibdidaktik sind. Nur ein verschwindend kleiner Teil der tatsächlich benötigten Sprachmittel kann im Hinblick auf eine bestimmte Schreibaufgabe gezielt vermittelt und geübt werden, und diese Arbeit hat nichts spezifisch Schreibdidaktisches an sich. Sie ist von genau demselben Zuschnitt wie die Vorkehren, die im Lesen, Hören oder Sprechen im Hinblick auf eine spezifische Aufgabe getroffen werden, für welche die Kenntnis bislang noch nicht beherrschter Sprachmittel als notwendig erachtet wird. Dies bedeutet zweierlei nicht: 1. Es bedeutet nicht, dass die angesprochenen Kenntnisse durch die Schreibaufgabe und die Schreibarbeit nicht angesprochen und gefestigt würden. Dies ist im Gegenteil eine der Hauptintentionen, welche mit dem Schreiben verfolgt werden. Allerdings können diese Kenntnisse über die Aufgabenstellung nicht direkt aktiviert werden. 2. Es bedeutet nicht, dass diese Dinge nicht durchs Schreiben explizit problematisch gemacht würden. Im Gegenteil: Gerade im Schreiben zeigen sich hier Unzulänglichkeiten und Lücken. Diese werden somit zu Gegenständen der Aufmerksamkeit, zumindest so weit, als sie durch die Schreibenden im und durch das Schreiben entdeckt und gelöst werden. Wo die auftretenden Probleme so einschneidend zu sein scheinen, dass gezielte Interventionen nötig werden, müssen diese allerdings ausserhalb des Schreibunterrichts stattfinden: In Anspruch genommen werden dann die bekannten Verfahren der Wortschatzerweiterung, der Festigung der Grammatikkenntnisse, des Aufbaus orthographischer Kenntnisse usw., welche jene mangelnden Voraussetzungen des Schreibens zu thematisieren erlauben1. Zusammenfassend könnte man sagen, dass die Schreibdidaktik in diesem Gebiet wesentliche Lernchancen eröffnet, aber nur sehr beschränkt einen Lehrbereich. Wichtige Eingriffsmöglichkeiten bestehen da, wo die Schreibenden dazu tendieren, sich zu überfordern und Unmögliches zu versuchen: Hier stehen dann nicht die einzelnen Sprachmittel, sondern der effiziente und der eigenen Ressourcen bewusste Umgang mit den verfügbaren Kenntnissen im Vordergrund. 1.3.2 Der Bereich der textbezogenen Sprachmittel und Kenntnisse Dieser Bereich liefert wahrscheinlich die hauptsächlichen Gegenstände einer allgemeinen, nicht auf das Schreiben von Textsorten ausgerichteten 1
Alle Mängel in der allgemeinen Sprachkenntnis, die beim Schreiben an den Tag kommen, zeigen sich auch in anderen Bereichen: Orthographische Schwierigkeiten etwa im Schreiben von Übungen, Diktaten usw.; Wortschatz- und Syntaxprobleme in Sprechen, aber auch im Hören und Lesen. - Die Frage, wie mit einzelnen Fehlleistungen umzugehen ist, ist fürs Schreiben ebenso schwierig zu beantworten wie für jeden anderen Bereich des Sprachgebrauchs (vgl. auch ΠΙ.4).
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik:
Schreibdidaktik. Ich möchte, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, eingehen auf Voraussetzungen für Formulierungen, auf textbezogene Kenntnisse und Sprachmittel sowie auf die Unterscheidung von gesprochener und geschriebener Sprache. a. Formulierungen und ihre Voraussetzungen
Eine Formulierung ist der Ausdruck eines Gedankens, meist, aber nicht notwendig, in der Form eines Satzes. Formulierungen sind Bausteine von Texten; im Extremfall (etwa bei Aphorismen oder Sprichwörtern) kann ein Text aus einer einzigen Formulierung bestehen. Syntaktische und semantische Relationen bilden die Grundlage von Formulierungen; deren Bezug auf Intentionen lässt es jedoch nicht zu, sie auf diese strukturellen Aspekte zu reduzieren. Dass mit dem Begriff der Formulierung auf anderes als auf diese linguistischen Momente abgezielt ist, zeigt sich daran, dass Formulierungen fehlgehen können, auch wenn sie grammatisch gesehen perfekt gebildet sind, oder daran, dass Formulierungen nichts von ihrer Wirksamkeit zu verlieren brauchen deswegen, weil einzelne orthographische, semantische oder syntaktische Fehler darin festzustellen sind. Die Bewertung von Formulierungen ist in weitem Masse unabhängig von der Bewertung ihrer linguistischen Normgemässheit1. Gleichzeitig sind Formulierungen in vielerlei Hinsicht vorgeprägt durch sprachsystematische Gegebenheiten: Es gibt Dinge, die man so nicht sagen kann, und andere, die man so sagen muss (oder die man zumindest fast immer so sagt). Die allgemeinen Kenntnisse von Syntax, Wortschatz usw. genügen also nicht immer, zusätzliche Kenntnisse der Kollokationen und typischen Aussageweisen sind erforderlich2. Kollokationen und Normalverfahren des Ausdrucks sind keine Formulierungen, liegen solchen jedoch zugrunde. Rezeptiv stellen sie meist kaum Probleme; im produktiven Gebrauch jedoch ist nicht nur die Kenntnis der einzelnen Bestandteile, sondern auch ihrer Zusammengehörigkeit und ihrer Anwendungsbedingungen erforderlich. Sie spielen deshalb in der Sprechund Schreibdidaktik eine erhebliche Rolle. Oft werden besonders typische Routinen vorausnehmend durch Analyse aus Beispieltexten gewonnen und geübt oder in Redemittellisten zusammengefasst und den Schreibenden als Hilfsmittel verfügbar gemacht usw. Intensive Lektüre in einem Fachbereich ist wahrscheinlich jedoch die wichtigste Quelle für die Kenntnis einschlägiger Redeweisen. Allerdings lassen sich bei weitem nicht alle Formulierungsprobleme vorwegnehmend lösen. Die Vermittlung von Routinen kann immer nur besonders sichtbare, für bestimmte Aufgaben voraussichtlich wichtige Redeweisen herausheben, deren Anwendung zudem in vielen Fällen nicht obligatorisch ist (es gibt fast stets Paraphrasemöglichkeiten). Viele, vielleicht die 1 2
Zum Status und zur Beschreibung von Foxmulierungen vgl. Antos 1982. Zu diesen typischen Aussageweisen sind auch idiomatische, textsortenspezifische Floskeln und Wendungen zu rechnen.
m.3 Die Bereiche der Schreibdidaktik
469
meisten Formulierungsprobleme kommen zum Vorschein erst im Sprechen, vorzüglich aber im Schreiben. Allein in bezug auf vorliegende Äusserungen lässt sich gültig entscheiden, ob und wie darin die zum Teil sehr besonderen Selektionsbeschränkungen von Wörtern, gängigen Redeweisen, unauffälligen Kollokationen usw. eine Rolle spielen, ob die Formulierung also die verschiedenartigen linguistischen Restriktionen beachtet. Über ihren Gehalt (sachliche Richtigkeit, kontextuelle Adäquatheit usw.) ist unabhängig davon zu entscheiden1. b. Textbezogene Kenntnisse und Sprachmittel Textbezogene Kenntnisse und die ihnen entsprechenden Sprachmittel gehören zu den zentralen Gegenständen der Schreibdidaktik. Hier soll nur auf einige wenige Gesichtspunkte hingewiesen werden, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. 1. Die Kenntnis von Textaufbaumustern und Textregularitäten bezieht sich auf den globalen Aufbau und die Strukturierung von Texten verschiedener Art (Zusammenfassungen, Briefe, Entschuldigungen usw.). Dazu gehört die Kompetenz zu entscheiden, wann und wo etwa die explizite Bezeichnung des Ziels eines Textes hilfreich ist, wo vorausblickende Themenangaben oder zusammenfassende Abschlüsse angebracht sind. Wichtige textstrukturierende Techniken sind des weiteren die Abschnittbildung, das Setzen von Titeln und Zwischentiteln, die Kenntlichmachung von Aufzählungen, Übergängen usw. Die entsprechenden Sprachmittel umfassen vor allem die metatextuellen Aussagen, also textkommentierende, verweisende und textgliedernde Ausdrücke2. 2. Die Kenntnis kohärenzbildender Techniken erlaubt es, die Binnenstruktur von Texten und Textabschnitten herauszuarbeiten und ihre innere Logik herauszustellen. Hierzu gehört etwa, - dass relevante und ausreichende Information gegeben wird; - dass Beispiele von Argumenten, absichtliche Handlungen von unbeabsichtigten Vorfällen, Feststellungen von Meinungsäusserungen, Voraussetzungen von Folgen, Mutmassungen von Tatsachen usw. unterschieden und sprachlich bezeichnet werden, wo dies nötig ist; - dass die Zusammenhänge signalisiert werden, welche die einzelnen Meinungsäusserungen, Beispiele, Argumente mit dem weiteren Kontext verbinden. Sprachliche Mittel, welche hier eine wesentliche Rolle spielen, sind die einschlägigen Benennungen, modale Partikeln (wahrscheinlich, sicher, vermutlich), kausale, temporale usw. Konnektoren, koordinierende und disjungierende Konjunktionen (sowohl-als auch; entweder-oder) usw. 1
2
Vgl. Dechert/Lennon 1989. Diese Autoren betonen auch, dass die Rolle des sorgfältigen Ausdrucks, in Zusammenhang damit die Rolle des Schreibens in der Fremdsprachaneignung unterschätzt werde (ebda.: 165f.). Beispielsweise: "Zuerst möchte ich"; "Abschliessend ist zu sagen"; "Im ersten Teil wurde betont"; "Im Rückgriff darauf'; "Nebenbei" usw.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
3. Abschliessend sei hingewiesen auf perspektivierende Techniken. Prototypisch stehen hier die indirekte Rede und das Zitat, welche es erlauben, fremde Meinungen im Text zu repräsentieren und sie gleichzeitig - unabhängig davon, ob auf sie negativ oder positiv eingegangen wird - als unabhängige Aussagen zu markieren. Perspektivierend können auch gewisse metatextuelle Kommentare oder modale Partikel wirken, welche dazu dienen, Aussagen in der Schwebe zu halten, ihre bloss konditionale Gültigkeit zu betonen usw.1 Kurze Texte lassen sich mit einem kleinen Aufwand an solchen Mitteln schreiben; in komplexeren Texten ist ein gewisser Reichtum an entsprechenden Ausdrücken hilfreich; in professionellen, etwa akademischen, absolut erforderlich. Ihr Gebrauch in Lernertexten ist ein Indiz dafür, dass Mitteilungen als ganze in den Blick genommen und im Hinblick auf einen Leser angelegt werden. Die angesprochenen Mittel sind alle auch Gegenstand der Lese- und Hörverstehensdidaktik. Die textstrukturierenden, kohärenzbildenden und perspektivierenden Ausdrücke geben Hinweise, ohne deren Berücksichtigung ein adäquates Verstehen erheblich erschwert, wenn nicht verunmöglicht wird. Sie sind auch notwendig für jedes differenzierte (dialogische und monologische) Sprechen, wenn auch im mündlichen Bereich kaum jener Reichtum an Mitteln erreicht wird, wie ihn der schriftliche (und der professionelle monologische) Sprachgebrauch zeigt. Im Fremdsprachenunterricht werden aber wohl bis in die Fortgeschrittenenstufe hinein jene Ausdrücke im Vordergrund stehen, die sich mehrheitlich im mündlichen wie im schriftlichen Gebrauch einsetzen lassen. In bezug gerade auf die hier angesprochenen sprachlichen Mittel ist zu bemerken, dass ihre Kenntnis noch keinen adäquaten Gebrauch garantiert. Es ist anzunehmen, dass die meisten davon rasch und problemlos gelernt werden; ihre adäquate Verwendung setzt hingegen voraus, dass die entsprechenden textuellen Kenntnisse und Techniken, zu deren Ausdruck sie dienen, beherrscht und angewendet werden. c. Gesprochene und geschriebene Sprache Der Sprachgebrauch in schriftlichen Texten ist auf der einen Seite dadurch ausgezeichnet, dass die Einzelaussagen zu struktureller Geschlossenheit und Explizitheit tendieren, auf der anderen Seite dadurch, dass neutrale und gehobene Register bevorzugt werden. Beides entspricht einer wohl nicht einzelsprachlich gebundenen schriftsprachlichen Tendenz. Im Fremdsprachenunterricht stellt sich das Erfordernis geschlossener Strukturen kaum als Schwierigkeit dar; es kann vorausgesetzt werden, dass die Lernenden dieses Erfordernis kennen. Probleme mit speziell im schrift1
Scarcella (1984) weist im Anschluss an eine vergleichende Studie von Texten, die von Muttersprachlern bzw. Fremdsprachlern geschrieben wurden, auf evidente Schwächen der letzteren in der Leserführung (vor allem im ersten und dritten der hier genannten Bereiche) hin.
ΠΙ.3 Die Bereiche der Schreibdidaktik
471
sprachlichen Bereich auftretenden Strukturen werden sich zunächst als Leseprobleme zeigen, vor allem in Kursen, die zur Lektüre von Zeitungen, wissenschaftlichen Artikeln usw. hinführen sollen. In diesen Texten werden gehäuft Konstruktionen verwendet, die im mündlichen Bereich, mit Ausnahme vielleicht von professionellem Sprechen, weniger auftreten: Nominalisierungen, komplexe Attribute der verschiedensten Art, nominalisierte Nebensätze, Funktionsverbgefüge - alles Mittel, die Informationsdichte zu erhöhen, das heisst einzelne Aktanten im Satz komplex zu bestimmen, ohne diese Bestimmungen als Einzelpropositionen auszudrücken. Die aktive Verwendung solcher Mittel im Schreiben kann vor allem im Fortgeschrittenenunterricht ein wichtiges Thema des Unterrichts werden. Die Unterscheidung der unterschiedlichen Register ist von Anfang an ein mögliches Thema, zunächst im Bereich der Kolloquialismen, die im Rahmen von Dialogen eingeführt werden und die sich (ausser in speziellen Kontexten) für den schriftsprachlichen Gebrauch nicht eignen; im weiteren Verlauf der Ausbildung werden auch Sprachmittel erworben, die eindeutig schriftsprachlich konnotiert sind. Die einschlägigen Kenntnisse werden im Normalfall wohl nicht durch explizite Instruktion gelent, sondern dadurch, dass die in ihrem Verwendungsbereich eingeschränkten Wörter und Redeweisen nur in den jeweiligen Kontexten angetroffen werden. Eine Beschäftigung mit dem Unterschied von Sprechsprache und Schriftsprache ergibt sich im Unterricht etwa im Zusammenhang mit der gemeinsamen Arbeit an Texten; sie kann gezielt gesteuert werden z.B. durch das vergleichende Lesen verschieden formeller Texte, durch den Vergleich verschiedener Fassungen desselben Ereignisses in einem Bericht (etwa an eine Versicherungsgesellschaft) und in einem Privatbrief, den Vergleich mündlicher und schriftlicher Fassungen von Erzählungen, durch die eigene Umsetzung von dialogischen oder monologischen Äusserungen in schriftlichen Text und umgekehrt usw. 1.33 Der Bereich der textsortenspezifischen Kenntnisse Das Schreiben bestimmter textsortenspezifischer Texte setzt neben einer allgemeinen Schreibfähigkeit oft auch die Kenntnis spezifischer Regularitäten, Muster und Wendungen voraus. Einschlägige Beispiele sind etwa Sitzungsprotokolle, Bewerbungsschreiben, Geschäftskorrespondenz, Marktanalysen usw. Solche Textsorten und ihre sprachlichen Merkmale sind nicht einfach abgehobene Spezialfälle; sie sitzen auf bereichsspezifischen Wissens- und Verständigungsformen auf, wie dies besonders sichtbar wird etwa im akademischen Bereich oder einigen Bereichen der Journalistik (Sport, Wirtschaft, Feuilleton), wo nicht so sehr die Definition der einzelnen Textformen problematisch scheint als der Einstieg in den jeweiligen fachspezifischen Diskurs. Die meisten der hier einschlägigen Dinge sind Gegenstand von Kursen für spezifische Lernergruppen; sie sind dann besonders schwierig zu vermitteln, wenn die Lernenden (noch) nicht Fachleute sind oder wenn sie wenig
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik;
fremdsprachliche Erfahrung (Sprech- und Leseerfahrung) in ihrem Fach haben. Eine Isolierung und separate Abarbeitung von Schreibzielen ist hier ebensowenig angezeigt wie in den allgemeineren Bereichen des Schreibens; die entsprechenden Kenntnisse sollten in möglichst intensivem Zusammenhang mit Lese- und Sprechanlässen erarbeitet werden1. 1.3.4 Kenntnisse über das Schreiben Jeder Schreibende hat Vorstellungen davon, wie der Prozess des Schreibens beschaffen ist und wie er beschaffen sein sollte; ebenso ist wahrscheinlich, dass er eine Anzahl von festen Gewohnheiten ausgebildet hat. Diese Dinge sind in vielem eine Hilfe; sie sind nachteilig fürs Schreiben, wenn sie der Arbeit eine Gestalt aufzwingen, die ihr nicht angemessen ist. Dies gilt besonders auch fürs Schreiben in der Fremdsprache, in dem die Schreibenden vorhersehbarerweise mit zum Teil anderen Problemen konfrontiert sind als in der Muttersprache. Die muttersprachliche Praxis des Schreibens in einem Wurf, dort schon oft kaum durchführbar, ist in der Fremdsprache noch weniger gangbar; sie wird von der Prozessdidaktik bewusst unterlaufen. Im Zusammenhang damit ist Reflexion auf den Schreibprozess selbst, seine Eigenheiten, die Ziele und Chancen des sequenzierten Schreibens ebenso nötig wie auf die verschiedenen Bedingungen, denen unterschiedliche Texte zu genügen haben. Nimmt man diesen letzten Punkt aus, so lässt sich sagen, dass die Schreibdidaktik wenige nur ihr eigene Gegenstände kennt. Die meisten ihrer wichtigsten Themen sind auch solche für andere Bereiche des Unterrichts; sie werden dort, vor allem im Lesen und Hören, wohl auch früher wahrgenommen und besprochen. Das besondere Problem der Schreibdidaktik (und der Sprechdidaktik) ist, dass die Kenntnis einschlägiger Sprachmittel oder Vertextungsverfahren, auch ihr adäquater Einsatz etwa im Lesen, noch keineswegs ihre Verfügbarkeit im produktiven Bereich garantiert; augenfällig wird dieses Verhältnis etwa bei den Kollokationen und den textorganisierenden Redemitteln. Redemittellisten, Vergleich und Analyse von Texten, aber auch Übungen sind wichtige Mittel, die Aufmerksamkeit der Lernenden auf diese Ausdrücke zu lenken und ihren Gebrauch zu klären. Allerdings ist auch in bezug auf diese anzunehmen, dass reflektierte Arbeit am Ausdruck für effektives Lernen zentral ist und dass ein grosser Teil der sich stellenden Fragen sich während des Schreibens und danach fruchtbarer stellen lässt als zuvor.
1
Ausnahmen bilden natürlich isolierte Zielstellungen, etwa die Forderung, Lernende sollten nach Abschluss eines (allgemeinen, nicht fachspezifisch ausgerichteten Kurses) Lebensläufe und Bewerbungen schreiben können. Solche isolierte Vorhaben sind nicht leicht mit den übrigen Aktivitäten im Unterricht zu verknüpfen.
ΓΠ.3 Die Bereiche der Schreibdidaktik.
2
473
Ordnungskriterien für Schreibaufgaben
Im letzten Abschnitt wurden die Gegenstände der Schreibdidaktik bestimmt. Daraus lässt sich eine Vielzahl verschiedener, nach Länge, Thematik, kontextuellen Bezügen und kommunikativer Funktion differenzierter Textformen ableiten. Die Diskussion hat auch einige, wenn auch höchst allgemeine, Kriterien der Differenzierung von Textformen nach ihrer Schwierigkeit ergeben. Danach sind textsortenspezifische Texte im Normalfall sprachlich wohl anspruchsvoller und weniger leicht an verschiedene Kompetenzniveaus adaptierbar als weniger reglementierte Vertextungsarten. Die Frage ist, ob sich genauere Angaben machen lassen, ob es Anhaltspunkte gibt, die es erlauben, Schreibaufgaben nach ihren Ansprüchen zu klassifizieren und Sequenzen von Schreibaufgaben, eine Art Progression von Schreibanlässen zu entwickeln. Es ist dies mit anderen Worten die Frage, ob es leichtere und schwierigere Textformen gibt und was sich daraus für die Schreibdidaktik ableiten lässt. Damit ist auch und gerade nach der Binnenstruktur jenes Feldes gefragt, welches in 1.1 unter dem Stichwort 'allgemeine Schreibfähigkeit' angesprochen worden ist. Im folgenden möchte ich auf drei textuelle Faktoren näher eingehen, welche die Schwierigkeit von Schreibaufgaben mitbestimmen können und auf die in der schreibdidaktischen Diskussion hie und da hingewiesen wird. Es sind dies: Vorlagengebundenheit, Kontextgebundenheit und Kohärenzanforderung. Zu Beginn sei jedoch auf einige weitere, weniger leicht fassbare Gesichtspunkte eingegangen. Denn schon im voraus muss darauf hingewiesen werden, dass die angesprochenen Faktoren - falls ihnen überhaupt eine gewisse Aussagekraft zugestanden werden kann - wirksam werden nur immer im Zusammenhang mit einer Vielzahl anderer, nicht von der jeweiligen Textform abhängiger Faktoren, welche insgesamt wahrscheinlich schwerer ins Gewicht fallen als die hier besprochenen. 2.1 Allgemeine Faktoren Zu den Bedingungen, welche für die adäquate Lösbarkeit einer Aufgabenstellung mitentscheidend sind, gehören etwa - ihr Thema; - die Möglichkeiten kooperativer Arbeit, die offeriert werden (Diskussion über die Aufgabe, vorheriges Lesen/Analysieren eines Modelltextes, Hinweise auf mögliche Strukturen); - die Hilfsmittel, die zur Verfügung gestellt werden (Redemittellisten, Listen von Inhaltselementen, Charakterisierungen von Adressaten); - die Erfahrung der Lernenden mit der durch die Aufgabe fokussierten Schreibweise; - der Stellenwert des zu schreibenden Textes; - der Umfang des Textes; - die zur Verfügung stehende Zeit; - die Kompetenz des Schreibenden hinsichtlich der Sache und sein Interesse daran.
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Teil ΠΙ: Giundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
Diese Dinge verweisen auf den je aktuellen Kontext von Schreibaufgaben. Auf einige wird weiter unten noch einzugehen sein, sie brauchen hier nicht weiter ausgeführt zu werden. Nur auf das erstgenannte soll hier kurz eingetreten werden. Das Thema des Schreibens wird oft präzise in einem Titel gefasst; es wirkt als Impuls für die weitere Arbeit. Abhängig davon, wie dieser Impuls gefasst wird und wie er sich auf die Kompetenz der Schreibenden bzw. auf die vorhergegangenen Unterrichtsaktivitäten bezieht, wird sich die Anforderung an die Schreibenden unter Umständen entscheidend verändern. 1. Schreiben kann themeninitiierende Funktion haben, also den Einstieg in ein neues Unterrichtsthema vorbereiten; es kann auch eine Themeneinheit weiterführen oder abschliessen. Je länger und je intensiver die vorhergegangene Auseinandersetzung ausgefallen ist, desto grösser ist die Chance, dass die Schreibenden mit einschlägigen Ideen, Gedanken und Sprachmitteln vertraut und entsprechend auf die Aufgabe vorbereitet sind, auch wenn die Schreibarbeit nicht speziell thematisiert wird. Im Gegenzug kann das Schreiben als blosse (inhaltliche) Repetition und als wenig gewinnbringend wahrgenommen werden1. Themeninitiierendes Schreiben kann sprachlich anforderungsreich sein, es kann auch inhaltlich als schwierig erlebt werden; dies hängt jedoch vollkommen davon ab, wie weit die Schreibaufgabe geeignet ist, die Schreibenden anzusprechen und an ihre Kompetenzen und Kenntnisse zu appellieren. 2. Schreibaufgaben können die Art der vorangegangenen Themenbehandlung gleichgerichtet weiterführen oder eine veränderte Weise der Darstellung verlangen. Beispiel für das erste ist, wenn im Anschluss an eine Diskussion eine Stellungnahme gefordert wird, welche die geäusserten Gegenargumente mit berücksichtigt; Beispiel für das zweite ist die Aufgabe, im Anschluss an einen Hörtext, etwa ein kurzes Hörspiel, eine Meinungsäusserung zu der darin angesprochenen Problematik abzugeben. Im ersten Fall gibt die vorangegangene Arbeit wohl direktere Hilfen bezüglich Sprachmittel und Aussagestrategien als im zweiten Fall. Ähnliche Unterschiede sind auszumachen im Hinblick auf initiierende Texte. Unabhängig von geleisteter Vorarbeit ist es tendenziell wohl einfacher, ein Erlebnis zu erzählen als etwa eine befreundete Person zu charakterisieren - im ersten Fall kann auf der Grundlage eines Schemas, das gewisse feste Züge aufweist, versprachlicht werden2, im zweiten besteht wahrscheinlich nur ein äusserst unorganisierter und vielfältiger Eindruck, für dessen textuelle Beherrschung kaum ausgebildete Schemata vorliegen dürften, abgesehen von der Schwierigkeit, den Wortschatz-Anforderungen solcher Beschreibungsaufgaben gerecht zu werden3. 1
2 3
Diese Art der Vorbereitetheit hat nichts zu tun mit der unten zu diskutierenden Vorlagengebundenheit von Schreibaufgaben. Sie ist unspezifisch, ungerichtet und präjudiziert die Textarbeit nur marginal, Das Ausmass der Überarbeitung und Zuspitzung in der schriftlichen Fassung kann in weitem Rahmen variieren. Vgl. die Ausführungen unten zur Beschreibung.
m.3 Die Bereiche der Schieibdidaktik
475
3. Schliesslich sind die Funktion von Texten und das Mass persönlicher Ausdrucksmöglichkeiten (vgl. Delius 1986) mitentscheidend für das Engagement, das Schreibende für ihre Arbeit aufzubringen bereit sind, und damit zumindest für die subjektiv empfundene Belastung. Personale Prägung von Texten bedeutet meist auch, dass die Auswahl des zu Schreibenden und die Darstellungsperspektive relativ frei gewählt werden können. Während dies in gewisser Hinsicht die Gefahr mit sich bringt, dass schwierig erscheinende Sachverhalte nicht versprachlicht und gegen andere ausgetauscht werden1, eröffnet es gleichzeitig die Chance, dass das Schreiben Ausdruckbedürfnisse hervorbringt und damit Sprachlernprozesse in Gang setzt, die sonst unterbleiben. 2.2 Vorlagengebundenheit Eine Aufgabe ist vorlagengebunden, wenn sie die Verarbeitung von vorliegendem Material in Nacherzählungen und Zusammenfassungen, im weiteren auch in Textkommentaren usw. erfordert2. Dieser Faktor scheint für Aufgabenstellungen vor allem im fremdsprachlichen Schreibunterricht generell von Belang (vgl. Börner 1989), er nimmt auch in der fremdsprachendidaktischen Diskussion um die Beurteilung der Schwierigkeit von Aufgabenstellungen einen gewissen Stellenwert ein. Um diesen Aspekt soll es hier gehen. Bohn vertritt - im Einklang mit vielen anderen - die Position, dass vorlagengebundenes Schreiben generell einfacher sei als freies und diesem demnach auch vorherzugehen habe: Auszugehen ist davon, dass sich Schreibfähigkeit in verschiedenen 'Entfaltungsformen* vollziehen kann, die sich aus dem unterschiedlichen Grad seiner [sie] inhaltlich-sprachlichen Gebundenheit an unmittelbar vorausgegangene rezeptive sprachliche Tätigkeiten ergeben. Danach unterscheiden wir gebundene, teilweise gebundene und nicht gebundene Formen des Schreibens, wobei diese Reihenfolge zugleich eine allgemeingültige Schwierigkeitsprogression darstellt - von der Fixierung von Lese- und Hörtexten bis zum freien Schreiben. Das freie (produktive) Schreiben ist i.a. die höchste Stufe und die eigenständigste Form, seine Ausübung erfordert die Beherrschung des komplexen schreibsprachlichen Generierungsprozesses. (Bohn 1987b: 200; vgl. 1987a: 235.)
Ist es wirklich - sogar notwendig - so, dass vorlagengebundene Texte einfacher zu produzieren sind, somit Vorformen nicht-vorlagengebundener Texte in einer Progression der Schreibaufgaben darstellen? Im folgenden 1
2
Sinnvoll ist, auf solche Vermeidungsstrategien (nicht nur im personalen Schreiben!) aufmerksam zu machen, etwa dadurch, dass die Schreibenden animiert werden, Vermeidungen festzuhalten (durch Unterstreichungen, Stichworte (eventuell in der Muttersprache) usw.). Unter Umständen ist es fruchtbar, gemeinsam nach Möglichkeiten des Ausdrucks zu suchen. Vermeidungen sind dort, wo sie Spuren für die nachträgliche Suche nach Ausdrucksmitteln schaffen, keineswegs lernverhindernd. In der Terminologie von Π. 1 handelt es sich hier um Aufgaben des Reformulierens. Wie schon einmal betont, meint' Vorlagengebundenheit' hier einen direkten Bezug auf einen (gehörten, gelesenen) anderen Text. Zur Theorie der Textreproduktion in diesem Sinne und ihrer Formen vgl. Rickheit/Strohner 1989.
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Teil ΠΙ: Grundziige einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
sollen kurz die beiden hier involvierten Thesen besprochen werden: Freies Schreiben sei schwierig(-er), und vorlagengebundenes Schreiben sei einfach(-er)1. 2.2.1 Freies Schreiben Das Schreiben freier Texte2 ist die höchste Stufe und die eigenständigste Form und damit (implizit) die schwierigste Weise des Schreibens. Dieser Aussage ist zuzustimmen, wenn damit auf das normgerechte Schreiben von Essays, literarischen Erzählungen, wissenschaftlichen Aufsätzen usw. abgezielt ist. Diese sind nicht-vorlagengebunden im Sinne Bohns und insofern schwierig, als und soweit sie unter professionellem Anspruch geschrieben werden. Nicht jeder bringt solche Texte zustande, und nicht jeder, der solche Texte schreibt, erfüllt die (in mancher Hinsicht nur schlecht explizierbaren, trotzdem geltenden) Standards. Freies Schreiben in jedem anderen Sinne - das Schreiben von persönlichen Briefen, von Tagebüchern, von Meinungsäusserungen, Memos, Erinnerungen, Erlebnissen, in Aussicht genommenen Diskussionsbeiträgen, Gedankenkombinationen, Einfällen usw. - ist ebenfalls nicht vorlagengebunden im Sinne Bohns3. Es ist jedoch bei weitem nicht immer belastetes, als schwierig empfundenes Schreiben. Es kann seiner Form nach mehr oder weniger an die Standards der hohen Textformen angeglichen sein und auch an deren Duktus und deren formalen Errungenschaften partizipieren. Das heisst: Der Schreibende kann hohe Ansprüche stellen und auch erfüllen; dies ist aber weder eine Bedingung für ein solches Schreiben noch ist die konsistente Einlösung dieser Ansprüche eine Voraussetzung dafür, dass es seine Zwecke erfüllen kann. Freies Schreiben ist in einem durchaus relevanten Sinne die primäre Art des Schreibens: diejenige, mit der Kinder ihre Karriere als Textschreiber anfangen; die Form, in der vielfach (in Notizen, ersten Versuchen usw.) schwierige Schreibarbeiten in Angriff genommen werden4; diejenige Form mitteilenden Schreibens, welche die meisten Leute benützen, wenn sie überhaupt schreiben (Privatbriefe, Memos, kleine Mitteilungen). Eine Variante dieses Schreibens, personales Schreiben5, ist von verschiedenen Schreibdidaktikern wiederholt als wichtig hervorgehoben worden6. 1
2
3 4
5
Auf eine verwandte Position wurde schon in ΠΙ.1 eingegangen; dort stand die Frage im Vordergrund, ob und wie sich aus dem Üben ein Gebrauchen, aus dem Reproduzieren ein Produzieren ergibt. Der Ausdruck 'freier Text' oder 'freies Schreiben* wird hier gleichbedeutend verwendet mit dem Begriff 'nicht-vorlagengebundenerText' oder 'nicht-vorlagengebundenes Schreiben'. Natürlich können solche Dinge vorlagengebunden sein; dies ist jedoch ein situaüoneller Faktor und gehört nicht zur Definition dieser Äusserungsweisen. In dieser Funktion kann freies Schreiben jene Aufgabe erfüllen, die Kleist dem Sprechen überträgt, wenn er rät, widerständige gedankliche Probleme einem Freund zu erläutern und dabei auf die Macht des Formulierens zu setzen. Der Begriff ist nicht eigentlich vage. Er bezeichnet keine definierten Textformen, sondern eine Einstellung, unter der Verschiedenstes geschrieben wird: Reflexionen,
ΠΙ.3 Die Bereiche der Schieibdidaktik
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Diese Einschätzung der hervorragenden Stellung freien und personalen Schreibens wird gestützt durch Ergebnisse der Sprachproduktionsforschung (dort bezogen zunächst auf die mündliche Produktion), wie sie in Π.3 vorgestellt wurden: The speech rate and length of speech units increased noticeably over the four text types in the following order cartoon description - story retelling - statement of opinion - question-answer texts about foreign study. This order obviously corresponds to the degree of freedom involved in producing the respective texts. (Möhle 1984: 32)1
Wenn diese Aussagen auch nur einigermassen haltbar sind, lässt sich daraus kein Argument für eine spezielle Schwierigkeit des nicht-vorlagengebundenen Schreibens ableiten; sie würden eher darauf hinweisen, dass gesprächsnahe und wenig reglementierte Formen des freien Schreibens relativ leichte Aufgaben darstellen können. Ein wichtiger Grund dafür ist wohl, dass in ihnen die Aus- und Überarbeitung von Aussagen in ihrem Ausmass von den Schreibenden weitgehend selbst bestimmt werden kann bzw. dass dies in einem Zusammenhang geschehen kann, in dem die Schreibenden fraglos kompetent sind. 2.2.2 Vorlagengebundenes Schreiben Nacherzählungen und ähnliche Formen der Textwiedergabe gehören häufig zu den ersten Formen zusammenhängender Darstellung, die im FremdSprachenunterricht gepflegt werden, nicht nur im schriftlichen, sondern vorab auch im mündlichen Bereich. Die Tatsache, dass einzelne solcher Formen der Textwiedergabe gegenüber freier Produktion als einfach erscheinen, darf jedoch nicht so verstanden werden, als sei vorlagengebundenes Schreiben generell einfacher als freies, als sei es dessen wesentliche oder gar notwendige Vorform. In bezug auf die Frage, welche Anforderungen eine Rekapitulation stellt, sind verschiedene Gesichtspunkte zu unterscheiden: einerseits die Art der Vorbereitung, das heisst die Intensität, mit der der Vorlagentext durchgearbeitet und verstanden worden ist, andererseits die Art der Rekapitulation (schriftlich oder mündlich, mit oder ohne Möglichkeit des Rückgriffs auf den Text). Zu diesen äusseren Bedingungen der Arbeit tritt eine Differenzierung in der Art der Bezugnahme auf den Vorlagentext: Rekonstruktion Satz für Satz versus ungefähre, wenig kontrollierte Nacherzählung entlang dem Faden der Ereignisse versus auf Präzision drängende, die wichtigen Punkte heraushebende Zusammenfassung - diese Bezugnahmen erfordern ein unterschiedliches Textverständnis und und kaum vergleichbare Formen der Spracharbeit. Die Schwierigkeiten, die beispielsweise noch Universitäts-
6 1
Erlebnisberichte, Phantasien - kurz Texte, die weniger äusseren Formansprüchen unterstehen als der Verarbeitung und dem Ausdruck von Erfahrung dienen. Vgl. B. Taylor 1981; Zamel 1982; Delius 1986; Fritzsche 1984; Krefft 1979. Möhle/Raupach (1983: 80) beziehen Formulierungsfreiheit auch auf Wortschatzprobleme: Wo eine Aufgabe einen bestimmten Wortschatz, definierte Aussageformen erzwingt, wird sie schwieriger.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik;
Studenten (auf der Mittelstufe ihrer Fremdsprachenkenntnisse) mit Zusammenfassungen zeigen, weisen darauf hin, dass das vorlagengebundene Formulieren seine ganz entscheidenden Tücken hat, sobald es einfache Rekapitulation oder das Paraphrasieren Satz für Satz nicht mehr zulässt. Hierfür lassen sich folgende Gründe in den Vordergrund rücken: - Eine Rekapitulation erfordert wenig Verständnis über die sprachliche Oberfläche hinaus. Sie erfolgt linear und erfordert vorwiegend lokale, meist vereinfachende Paraphrasen von Einzelsätzen oder Satzpaaren. Eine Zusammenfassung dagegen verlangt ein Verständnis auch der inhaltlichen Zusammenhänge. Verkürzungen können in Zusammenfassungen nur bedingt linear vorgenommen werden, weil für den Gesamtzusammenhang relevante Informationen von Zusatzinformationen zu unterscheiden sind. - Das Netz von Konzepten und Relationen, welches der Ausgangstext vorgibt, beschert dem Zusammenfassenden Formulierungszwänge, denen gegenüber er sich anders als im ungebundenen Ausdruck viel weniger frei verhalten kann - sie sind z.B. oft nur beschränkt durch freie Paraphrasen zu bewältigen. In diesem Fall schlägt der übliche Vorteil der Vorlagenbindung, dass der Ausgangstext nämlich Wörter, Formulierungen usw. vorgibt, sehr leicht um in das entscheidende Erschwernis, dass er einschränkende Formulierungszwänge schafft, ohne dafür Hilfen sprachlicher Art bereitzustellen. - Rekapitulationen erfordern, je nach den Umständen, unter denen sie verlangt werden, oft neue Formen der Perspektivierung, der Emphase usw. - Dinge, die in der Fremdsprache (auch in der Muttersprache) nicht immer leichtfallen (vgl. Löschmann/Löschmann 1982; Scarcella 1984). - Es darf schliesslich nicht vergessen werden, dass die Vorlagentexte, anhand derer im Unterricht gearbeitet wird, meist um einiges komplexer sind als die Texte, welche die Lernenden von sich aus schreiben (geschweige denn mündlich produzieren) könnten. Sie sind häufig sogar am Plafond der Sprachkompetenz der Lernenden angesiedelt. Hier kann auch die blosse sinngemässe Repetition als sehr schwierig empfunden werden. Vorlagengebundens Schreiben ist demnach nicht generell als leicht zu taxieren.Wahrscheinlich wird es um so leichter, je mehr es, nach Vorbereitung, sich blosser Reproduktion annähert. Dort, wo es reformulierenden Sprachgebrauch fordert, kann es zur höchst anspruchsvollen Aufgabe geraten, vor allem dann, wenn Wortschatz und Satzstrukturen der Vorlage nicht zu Hilfe genommen werden können, sei dies nun darum, weil der Vorlagen text nicht mehr zur Hand ist, oder darum, weil die Aufgabe es erforderlich macht, seine Informationen zwar zu benutzen, sie aber auf neue Weise zu strukturieren1. 1
Es ist anzunehmen, dass die Möglichkeit, sprachlich oder inhaltlich auf eine Vorlage zurückzugreifen, erleichternd wirkt, wenn dieser Rückgriff frei erfolgen kann, das
m.3 Die Bereiche der Schreibdidaktik:
479
2.23 Analysierendes Schreiben Die verschiedenen Arten der Wiedergabe von Textinhalten sind durchaus nicht die einzigen vorlagengebundene Textformen. Ich möchte im folgenden auf einige weitere hinweisen, die im Unterricht recht häufig gebraucht werden: Bildgeschichte, Bildbeschreibung und Textanalyse. Bei diesen vorlagengebundenen Texten kann ein Aspekt, der bisher ausgeklammert wurde, auf je verschiedene Weise problematisch werden: die Art der Darstellung der Vorlage. Die von Möhle (1984) in ihren Versuchen benützten Cartoons1 waren schon - in der Muttersprache der Versuchspersonen - einmal sprachlich gefasst worden; ihre Wiedergabe in der Fremdsprache erwies sich trotzdem als ausserordentlich schwierig. Offensichtlich schafft diese nichtsprachliche Vorlage grosse Probleme. Für die dabei erfahrene Schwierigkeit mag mitspielen, dass Cartoon-Darstellungen (im fraglichen Fall ging es um eine Bildgeschichte, nicht ein einzelnes Bild) zwar höchst prägnant, aber nicht-verbal und unvollständig sind: Sie erfordern die Rekonstruktion von Handlungsabläufen, zusätzlich aber auch die Umsetzung nicht-sprachlich vorgegebener Beziehungen und Handlungen in Sprache. In dieser Aufgabe wird nicht nur ein vorgegebener Inhalt, sondern auch die Art der Darstellung dieses Inhalts - ihr visueller Charakter - für die Wiedergabe zu einem Faktor der Schwierigkeit. Dieses Verhältnis ist relevant auch für den Unterricht mit Video oder Film. Hier werden die Lernenden oft nach ein- bis mehrmaligem Hören von Nachrichten oder anderen Sendungen aufgefordert, zu versprachlichen, was sie gesehen haben. Obwohl hier die Sachlage meist einfacher ist als in Bildgeschichten (die Vorlage arbeitet mit Sprache, und viele der thematischen Abläufe werden gezeigt, müssen also nicht erschlossen werden), ist auch diese Form der Umsetzung tendenziell schwieriger als die Nacherzählung eines fremdsprachlichen Textes: Viele der gezeigten und auch problemlos verstandenen Zusammenhänge müssen versprachlicht werden, ohne dass sie (fremd)sprachlich vermittelt worden wären (etwa zeitliche oder räumliche Beziehungen); zudem verlangt die Aufgabe oft, dass auch dort, wo sprachliche Äusserungen aus der Vorlage in den Text aufgenommen werden, die sprachliche Darstellungsweise der Vorlage (direkte Rede, Kommentare usw.) in eine andere (z.B. Erzählung) umgeformt wird. In ähnlicher Weise wie Bildgeschichten werden im Unterricht oft Bilder, Gegenstände, Häuser usw. als Vorlagen für Beschreibungsübungen genommen. Es ist anzunehmen, dass diese Aufgabe eine Steigerung der Schwierigkeit bedeutet gegenüber den üblichen Formen der Nacherzählung oder des Zusammenfassens von Texten, aber auch gegenüber der Bildgeschichte. Zunächst müssen auch hier visuelle Gegebenheiten ver-
1
heisst nach Gutdünken des Schreibenden. Dies gilt jedoch nicht als vorlagengebundenes Schreiben. Vgl. II.3/2 und das Zitat oben in 2.2.1.
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Teil ΙΠ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
sprachlicht werden. Die Aufgabe, einen Handlungsablauf zu rekonstruieren, fällt weg, dafür wird jedoch verlangt, dass die räumliche Struktur der Vorlage sprachlich abgebildet wird. Dies erfordert einen ganzen Katalog von Ausdrücken, welche die Weise der bildlichen Darstellung sprachlich wiederzugeben erlauben. Zudem hat der Beschreibende seiner Beschreibung eine Struktur zu geben, welche sich nur indirekt aus der Vorlage selbst ergibt. Dem folgenden ist deshalb weitgehend zuzustimmen: Das Ordnen von Einzelheiten in einer planvollen Darstellung [sc.: bei der Beschreibung eines Bildes] verlangt jedoch nach kompositorischen Fertigkeiten, soll eine reihende Aufzählung vermieden werden, und bietet sich daher geradezu zur schriftlichen Gestaltung an. Ein Bild zu beschreiben schafft schon früh die Möglichkeit, kohärente strukturierte Texte zu verfassen und elementare Wendungen der Textverknüpfung zu systematisieren und zu üben. (Schwerin von Krosigk 1987:9)
Eine Einschränkung ist allerdings angebracht. Der Hinweis auf die Möglichkeit, durch Bildbeschreibung «schon früh» kohärente Texte zu verfassen, darf wohl nicht ganz zum Nennwert genommen werden. Bildbeschreibungen sind kaum leichte Übungen und schon gar nicht schreibdidaktisch grundlegende oder notwendige Vorformen für andere Arten des Vertextens1. Ähnliche Schwierigkeiten wie bei der Bildbeschreibung treten auf, wenn bezogen auf Texte die noch relativ einfachen Formen der Nacherzählung und integralen Zusammenfassung überstiegen werden in Richtung auf die analysierende und kommentierende Besprechung von Texten. Zu diesen gehört etwa die gewichtende Zusammenfassung, wie sie in wissenschaftlichen Kontexten oft nötig ist. In dieser werden nicht einfach die Hauptaussagen eines Texts wiedergegeben, vielmehr wird der Stellenwert von Aussagen und ihre Beziehung zueinander explizit benannt. Analoge Formen sind Textbeschreibung, Textkommentare, Textinterpretation usw. In solchen Textformen wird die Anbindung an eine Vorlage, wird der Vorlagentext selbst mit zum Thema, nicht nur der in ihm angesprochene Inhalt. Dies beeinflusst sehr direkt die Form des zu schreibenden Textes, der die Aufgabe übernimmt, eine Sache in ihrer textuellen Darstellung darzustellen2. Als Fazit aus dieser Diskussion lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass Vorlagengebundenheit im produktiven Schreiben ein Faktor ist, der ausser vielleicht in den einfachsten Fällen linearer Rekapitulation zur Schwierigkeit von Schreibaufgaben eher beiträgt als sie reduziert, wenn sich auch der Beitrag dieses Faktors nicht beziffern lässt und er in Einzelfällen gegenüber anderen Einflussgrössen zurücktreten mag. 1 2
Dagegen spricht auch das Ausmass an notwendig scheinenden, für die Lernenden wohl neuen Sprachmitteln, die im Vorschlag Schwerin v. Krosigks aufgeführt werden. Eine recht befrachtete Unterrichtseinheit, die sich eine «Bewusstmachung von Textstruktur zwecks Textproduktion» zum Ziele setzt, stellt Rück (1983a) vor. Darin wird vorgeschlagen, einen Text quasi in indirekter Rede wiederzugeben. Damit wird nicht nur eine intensive Textanalyse nötig (für jede Sinneinheit des Textes muss seine Funktion im Ganzen benannt werden), sondern auch ein massives Arsenal an aussagenidentifizierenden und redekommentierenden Wendungen.
ΠΙ.3 Die Bereiche der Schreibdidaktik
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Von den hier angesprochenen Arten der Vorlagengebundenheit ist ein anderer, wichtiger Gesichtspunkt zu unterscheiden. Börner (1989: 359ff.) macht zu Recht auf den Sachverhalt aufmerksam, dass fremdsprachliches Schreiben in viel weiterem Ausmass als muttersprachliches sich auf vorliegende Texte bezieht, auch dann, wenn die Aufgabe keine oder nur eine beschränkte Rekapitulation erfordert, wenn der Bezugstext nicht im obigen Sinne als Vorlagentext fungiert. Der Grund dafür liegt darin, dass durch solche Nähe zu Texten nicht nur Schreibaufgaben besser kontextualisiert werden können (siehe unten), sondern auch die sprachlichen Probleme der Schreibenden etwas vermindert werden können: Bezugstexte können als Hilfsmittel fungieren, die Wörter, Aussageweisen usw. auch für den nicht rekapitulierenden Ausdruck eigener Gedanken zur Verfügung stellen. 2.3 Kontextgebundenheit Texte zeigen in ihrer Struktur und in ihrem Sprachgebrauch in variierendem Masse ihre Gebundenheit an bestimmte Kontexte. Beispiele für weitgehend dekontextualisierte Texte bilden etwa Definitionen, Aphorismen und fast alle längeren Texte. Beispiele für hochkontextualisiertes Schreiben sind etwa die Antworten in Formularen der verschiedensten Art, in denen über bestimmte Dinge Auskunft zu erteilen ist. Solche Antworten können meist kurz gehalten werden; durch die vorgegebenen Kontexte (einleitende Bemerkungen, Fragestellungen, die Anlage des gesamten Bogens, seine Zweckbestimmung) sind Darstellungskriterien weitgehend vorgegeben, damit auch ein hohes Mass an Vorinformiertheit des Adressaten. Die entsprechenden textuellen Grundlagen müssen weder erarbeitet noch sprachlich gefasst werden; als Aufgabe bleibt, den so bestimmten Rahmen inhaltlich zu füllen. Sprachlich geben die Aufforderungen oft Stichworte und Formulierungen vor, die als Einstieg in die Antwort wiederaufgenommen werden können. In anderen Fällen (Monologe, kleine Memos1 usw.) sind auch direkte Bezüge auf den physischen Kontext möglich. Kontextualisierte Texte erlauben vorab einen leichten Einstieg. Die Arbeit der Situierung und Begründung des Textes entfällt, ein Teil des Schreibens, der oft schwer zu bewältigen ist. In dieser Hinsicht sind Aufgaben, welche es erlauben, kontextgebunden zu schreiben, in der Regel leichter als andere. Je länger solche Texte werden, desto mehr nimmt allerdings die Notwendigkeit interner Strukturierung zu und desto relativer wird der anfängliche Vorteil2. 1
2
Etwa die Mitteilungen auf Laufblättem oder den selbstklebenden gelben Zetteln, welche direkt auf die Gegenstände geklebt werden können, worauf in der schriftlichen Mitteilung Bezug genommen wird. Augst/Faigel postulieren, dass Texte, je länger sie sind, desto stärker ihre verschiedenen Komponenten integrieren, das heisst sich als in sich kohärente und homogene Gebilde konstituieren müssen. «Kybemetisch-informationstheoretisch ausgedrückt bedeutet dies: Je mehr Information die Texte vermitteln können sollen, desto mehr Information müssen sie über sich selbst enthalten. [...] Die Information, die der Text
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
Für kontextualisiertes Schreiben bildet der Unterricht einen fast idealen Rahmen. Mit seinen bekannten Parametern (Mitlernende, Lehrer, Sprachstand, Anforderungsniveau, thematischer Kontext) stellt er einen dicht mit Einschätzungen und Erwartungen belegten Hintergrund dar, in den auch Teil- und Kurztexte fruchtbar eingebracht werden können1. Im Hinblick auf den thematischen Kontext stellen sie, schon mit geringem Aufwand (z.B. einem Titel oder dem Anfangssatz) positionierbar, Elemente der unterrrichtlichen Auseinandersetzung mit dem Thema dar, die als übergeordneter 'Komplextext' funktioniert2. Die Schreibenden können auf diesen Wissenshintergrund der Rezipienten zählen und sich von daher auf weniges beschränken. Diese Beschränkung hat nichts Künstliches an sich, sie ergibt sich aus der Natur der Sache. Die Produkte solchen Schreibens sind in Umfang und Aufbau vergleichbar den Abschnitten und Teiltexten umfassenderer Texte; sie stehen jedoch allein3.
2.4
Kohärenzanforderungen
'Kohärenz' bezieht sich auf die textinterne Verknüpfung. Hier lässt sich eine Form namhaft machen, die als relativ leicht herauszuheben ist, aber nur bedingt als Textform gelten kann, der Dialog4. Er erlaubt es, alltäglichen Mustern der Kommunikation zu folgen und beliebig, soweit die sprachlichen Mittel reichen, zu expandieren. Im Wechsel der Gesprächs beitrage lassen sich Zusammenhänge, Implikationen usw. andeuten, ohne dass sie in dem Masse expliziert werden müssten, wie dies in einem fortlaufenden Text der Fall ist. über sich selbst enthält, die textstrukturierende Information also, wird durch metakommunikative Elemente, eine hohe Textkohäsion (Satzverknüpfung), moiphologische und thematische Strukturierung erreicht.» (Augst/Faigel 1986: 113; vgl. Feilke 1988: 70f.; Arnos 1989:7.) 1 Zu denken ist hier etwa an Meinungsäusserungen, die Interpretation der Beweggründe einer Person in einer Kurzgeschichte, die kurze Darstellung von ersten Eindrücken in einer fremden Stadt. Dies alles sind Erweiterungen von Dingen, die mündlich im Unterricht dauernd gefordert werden; die schriftlichen Fassungen partizipieren teilweise, wenn auch nicht voll, an den im Dialog wirksamen kontextuellen Leitplanken. 2 Börner (1987: 1345) spricht auch in bezug auf Lemertexte von Intertextualität, von ihrer Stellung in einem System anderer Texte, auf die sie sich implizit und explizit beziehen. Ähnliche Hinweise macht Zimmermann (1979: 127f.). Mindestens ebensosehr wie mit anderen schriftlichen Texten ist die Verknüpfitheit von Lerneltexten mit einem vor sich gehenden und allen Beteiligten gleicherweise zugänglichen Unterrichtsdiskurs gegeben. Diese unmittelbar kontextbezogene und kontextprägende Kraft von Lemertexten, die sich in eine Kette vielfältiger unterrichtlicher Handlungen einschreiben, scheint mir im Zusammenhang mit dem Fremdsprachenunterricht ein ebenso wichtiger Aspekt. 3 Das 'paragraph writing' hat im englischsprachigen Bereich Tradition. «A paragraph is a group of related sentences that develops one dominating idea. A paragraph is complete alone, but it can also be part of an essay or a chapter in a book.» (Auerbach/Snyder 1983:1) 4 Die Frage, ob es leicht ist, 'gute* Dialoge zu schreiben, steht hier nicht zur Diskussion.
ΙΠ.3 Die Bereiche der Schreibdidaktik
483
Texte verlangen viel direkter eine kohärente Entwicklung von Aussagen und eine oberflächenstrukturell markierte Entfaltung ihrer Textbasis. Das heisst sie erfordern die sprachliche Markierung der Textstruktur, des Status von Einzelaussagen und deren Beziehung untereinander, auch wenn kurze, kontextualisierte Texte ein hohes Mass an Verständlichkeit mit einem Minimum solcher Mittel erreichen können. Die Frage ist, ob sich - über das schon angesprochene Prinzip hinaus, dass Länge von Texten und Kohärenzanforderung parallel gehen - Unterschiede zwischen verschiedenen Textformen ausmachen lassen. Ohne ausführliche Untersuchungen lässt sich diese Frage nicht beantworten; einige provisorische Überlegungen müssen hier genügen. a. Sachverhaltsdarstellungen Die Entfaltung von Sachverhaltsdarstellungen wird weitgehend durch ihre Funktionen und kontextuellen Bedingungen geprägt. Die entsprechenden Texte reichen von höchst einfachen, satzwertigen Äusserungen zu relativ komplexen Gebilden; das Übergangsfeld zu den Textarten und Textsorten ist einigermassen offen. In der kindlichen Entwicklung sind erzählende und beschreibende Darstellungen primär; fraglich ist, ob dies für die reife Kompetenz noch von Belang ist. Die vor allem in II.3 zitierten Arbeiten von Cumming, Möhle, Raupach, Klings und andere scheinen darauf hinzuweisen, dass expositorische Texte für Fremdsprachige schwieriger sind als narrative und personale Formen des Ausdrucks1. Allerdings müssen solche Aussagen vage bleiben; allzuviel hängt im Einzelfall von den Bedingungen der Sprachvermittlung (man denke an fachspezifische Kurse) und der Neigung der Lernenden ab. Will man den Dialog als Ausgangspunkt der gesamten Sprachentwicklung sehen, so sind alle Formen der Sachverhaltsdarstellung im dialogischen Sprechen gleichermassen angelegt und in ähnlicher Weise aus ihm zu entwickeln (vgl. Langer 1985). Eine zusätzliche Bemerkung ist hier allerdings nötig. Die allgemeine Textformprägung einer Sachverhaltsdarstellung beispielsweise als erzählende schliesst keineswegs aus, dass argumentative, deskriptive, evaluative usw. Aussagen mit in sie eingehen - dies ist im Gegenteil zu erwarten. Von solchen Alltagsformen des Sprachgebrauchs sind abzuheben die gereinigten Sachverhaltsdarstellungen, wie sie etwa in argumentativen Essays gepflegt werden oder wie sie (meist als deskriptive Teiltexte) in komplexeren Texten Eingang finden (die Deskription eines Krankheitsbilds, eines Prozessablaufs usw.). Deskriptionen liegen auch einzelnen Textsorten zugrunde (Rezept, Gebrauchsanweisung, Spielregeln, Montageanleitung), ebenso bestimmten schulischen Schreibformen (Bildbeschreibung). Solche Formen können schwierig zu bewältigen sein aus verschiedenen Gründen. Hingewiesen sei nur auf die Ansprüche an die vollständige Er1
Dies scheint sich auch für den Bereich der Textwiedergabe zu bestätigen (vgl. Rickheit/Strohner 1989:237f.).
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
fassung der Datenbasis, an die sprachliche Präzision (genaue Benennung von Dingen und Relationen) und an die textuelle Strukturierung (adäquate Ordnung der Informationen). Dies sind Forderungen, die prinzipiell an jeden Text gerichtet sind; sie sind in den erwähnten Fällen besonders auffällig, weil die Kriterien der Darstellung eindimensional durch die zu beschreibende Sache vorgegeben sind. Zudem ist im Unterricht häufig gerade bei solchen Texten nicht einsichtig zu machen, warum sie geschrieben werden sollen1. b. Textsorten
In bezug auf Textsorten ist es einfach, zumindest intuitiv schwierigere und leichtere zu unterscheiden. Ein Bewerbungsschreiben ist 'leichter' als ein Essay, weil es recht genau fassbaren inhaltlichen und sprachlichen Regularitäten gehorcht. Sind diese bekannt, so setzt die Aufgabe, ein solches Schreiben zu verfassen, weniger Kenntnisse über die Welt und weniger Denktätigkeit voraus; diese Textart ist zudem, dank ihrer hohen idiomatischen Spezifität, auch sprachlich einfacher (vorausgesetzt, diese Mittel werden beherrscht). Im Grunde reichen zwei oder drei Modelltexte und/oder einige Formulierungshilfen aus, um ein akzeptables, sogar gutes (wenn auch nicht unbedingt höchst individuelles) solches Schreiben zu verfassen. Bei einem Essay ist dies nicht der Fall. Anders als beim Bewerbungsschreiben gehört es zur Definition des Essays, dass der Schreibende darin gedanklich und sprachlich kreativ ist, was auch immer im einzelnen unter diesen Begriffen verstanden wird. Diese Möglichkeit der Bestimmung von Schwierigkeitsgraden ist jedoch nur bedingt relevant: - Das Feld der Textarten und Textsorten ist nicht nach sprachlichen, sondern nach professionellen Kriterien und nach Kommunikationsbereichen geordnet. Selbst wenn eindeutig bestimmbar wäre, dass eine Textsorte einfacher ist als eine andere, beide aber verschiedenen Kommunikationsbereichen angehören, ist das sprachliche Verhältnis der beiden didaktisch kaum von Belang. - Nur selten kann die Fähigkeit, Texte einer bestimmten Textsorte zu verfassen, als Voraussetzung genommen werden dafür, dass Texte einer anderen Textsorte geschrieben werden können. Eine Kleinanzeige zu schreiben ist einfacher als ein Bewerbungsschreiben, aber es sind hier keine Voraussetzungen und keine Prioritäten ableitbar2.
1 2
Dies ist besonders deutlich bei Aufgaben wie Βildbeschreibungen oder Beschreibungen von Gegenständen, die kaum ein Pendant im alltäglichen Sprachgebrauch haben. Es ist nicht zu bestreiten, dass das Verfassen von Kleinanzeigen gewisse Dinge leichter machen könnte beim Schreiben von Bewerbungsbriefea Dasselbe gilt allerdings für das Verfassen von Personenbeschreibungen, Privatbriefen, Textanalysen, Lebensläufen usw., ohne dass sich daraus ableiten liesse, dies alles müsste geschrieben und geübt werden, bevor Bewerbungsschreiben verfasst werden können. Ähnliche positive Wirkungen liessen sich mit ebensolchem Recht in der Gegenrichtung postulieren.
ΠΙ.3 Die Bereiche der Schieibdidaktik
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Voraussetzungen lassen sich einzig im Hinblick auf die in a) genannten Dinge benennen: In bezug auf diese Ebene der Sachverhaltsdarstellungen lässt sich durchaus sagen, ob und wie weit die Entwicklung von Fertigkeiten in diesen Bereichen für das Verfassen von textsortenspezifischen Texten vorausgesetzt werden müssen. Das Resultat dieser Überlegungen bestätigt die im letzten Abschnitt gemachte Feststellung, dass die allgemeinen, nicht textsortenspezifischen Formen die wesentlichen Gegenstände der Schreibdidaktik ausmachen; sie lassen es aber als schwierig erscheinen, zu mehr als den allgemeinsten Aussagen hinsichtlich einer Ordnung der Schreibformen zu kommen. Dies entspricht weitgehend der auch von Pineas eingenommenen Position: It is important that there is no accepted grading of writing skills even in broad outline as there is of vocabulary and structure. The sample course was prepared for intermediate students, but it is the language column that determines this, not the varieties of English or the writing skills involved. (Pineas 1982: 8)1
2.5 Schreibprogramme Die vorgebrachten Überlegungen benennen eine Anzahl von Gesichtspunkten, unter denen Schreibaufgaben beurteilt werden können und die Hinweise darauf geben, wie sie in eine Ordnung gebracht werden könnten. Um die wichtigsten noch einmal zu nennen: Es gibt Gründe, anzunehmen, dass Schwierigkeit gesteigert wird beim Übergang - von kontextgebundenem Schreiben zu kontextentbundenem; - von freiem Schreiben zu vorlagengebundenem, vor allem zum analysierenden; - von alltäglichen Formen der Sachverhaltsdarstellung zu speziellen Formen wie Deskriptionen und Instruktionen; - von Sachverhaltsdarstellungen zu Textsorten. Zusätzlich gelten natürlich solche allgemeinen und bereits eingangs angesprochenen Dinge wie die, dass die Aufgabe erschwert wird beim Übergang - vom Schreiben über bereits in der Fremdsprache verhandelte Themen zum Schreiben über neue Themen; - vom Sagen, was man schon weiss, zum Erarbeiten von neuem Wissen. Aus alledem ist ein Schreibprogramm, die Grundlage für einen Schreibkurs, nicht ableitbar. Die Anhaltspunkte, die sich aus solchen Relationen ergeben, sind nicht stark genug, als dass kontextunabhängig eine sinnvolle Progression entworfen werden könnte; sie stellen nur einen Teil der dafür notwendigen Kriterien zur Verfügung. Entscheidungen, welche die Gestalt eines Programms für den Schreibunterricht betreffen, müssen deshalb getroffen werden im Hinblick auf die jeweiligen Gegebenheiten, konkret im Hinblick auf: 1
Der angesprochene Schreibkurs ist skizziert in Pineas (1982: 10f.); die «language column» bezieht sich auf die Spezifikation der jeweils fokussiexten und durch Übungen vorbereiteten neuen Sprachmittel.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
- die Unterrichtsthemen; - die Formen der Unterrichtsarbeit, die möglich sind und neu ermöglicht werden sollen, und die Funktionen, welche schriftliche Texte darin erfüllen; - die Art und Qualität der im Unterricht verwendeten Materialien (Texte, Bilder usw.); - die längerfristigen Unterrichtsziele nicht nur in bezug auf das Schreiben, sondern auch auf das Sprechen und die Unterrichtsarbeit selbst; - die kurzfristig anvisierten Zwischenziele; - die Interessen und Präferenzen von Lernenden und Lehrenden. Dies heisst, dass die Schreibdidaktik nicht einen Bereich ganz eigener Art, isoliert von allem anderen, für sich beanspruchen und die schreibdidaktischen Entscheidungen allein aus internen Erwägungen ableiten kann. Dies ist weder wünschbar noch möglich. Spezifisch schreibdidaktische Gesichtspunkte sind Hilfsmittel bei der Konstruktion und Evaluation von Unterrichtsprogrammen, ohne dass sie diese allein zu tragen vermöchten. Dies zeigen etwa die von Pineas (1982: 10f.), Bohn (1986: 97) oder Hedge (1988: 100) vorgestellten kurzen Schreibprogramme deutlich. Diese haben Beispielcharakter. Sie sind nicht Resultate der Anwendung unabhängig formulierter Regeln oder Prinzipien, sondern nehmen Bezug auf implizite Kontexte. Veränderungen verschiedener Art würden diese Vorschläge weder schlechter noch besser machen, höchstens verschiedene Unterrichtsbedingungen spiegeln. Ähnlich lässt sich das von Tütken (1985) gegebene Raster für die Konstruktion von Schreibkursen für Universitätsstudenten lesen. Es gibt Entscheidungshilfen vor (Prioritäten, Zusammenhänge zwischen verschiedenen Schreibzielen), die gewisse Optionen nahelegen, ohne dass daraus ein Programm ohne Rücksicht auf die jeweiligen Umstände des Unterrichts abgeleitet werden könnte. In einem auf Selbstlernen ausgerichteten Entwurf schlägt Schrafnagel denn auch - wohl nicht zuletzt aus den hier besprochenen Gründen - eine offene Lösung vor: What we are in fact proposing [...] is a modular system with a considerable range of choice and freedom to choose according to needs and interests. (Schrafnagel 1988: 129)
Dies bestätigt noch einmal die im letzten Kapitel betonte Relevanz der Einbettung des Schreibens in den Gesamtunterricht und die Relevanz der den Lernertexten zuschreibbaren Funktionen1.
1
Vgl. Fritzsche 1984: 298f.
ΙΠ.3 Die Bereiche der Schreibdidaktik
3
487
Die Struktur des Schreibanlasses
Als Schreibanlass wird hier die gesamte unterrichtliche Sequenz bezeichnet, in welcher Lernende schriftliche Texte herstellen, nicht nur der Impuls, welcher diese Arbeit in Bewegung setzt. Mit zum Schreibanlass gehören auch jene Aktivitäten, welche ausserhalb der Unterrichtszeit stattfinden, aber eine im Unterricht begonnene Schreibarbeit weiterführen oder einen für den Unterricht bestimmten Text zum Ziel haben. Am Schreibanlass lassen sich unterscheiden die Schreibaufgabe, das ist der Auftrag, den die Lernenden erhalten; die Schreibarbeit (im folgenden oft auch als 'Schreibprozess' bezeichnet) und schliesslich das Produkt und die mit ihm verbundene Weiterarbeit. Eng mit dem Schreibanlass verbunden, oft in ihn integriert, sind Textanalysen, Regelformulierungen, Übungen usw.; diese dienen der Sicherung einer Kenntnisbasis, die für den Schreib anlass relevant erscheint. Auf diese vier Punkte wird im folgenden der Reihe nach eingegangen. Schreibanlässe sind eingebettet in einen mehrdimensionalen Kontext von - allgemeindidaktischen und schreibdidaktischen Konzepten (wie sie etwa in ΠΙ.2 diskutiert wurden), - Rahmenbedingungen des Unterrichts (wie etwa Alter der Lernenden, Gruppengrösse, Niveau und Ziel des Sprachkurses usw.) und - aktuellen unterrichtlichen Kontexten. Diese alle haben entscheidenden Einfluss darauf, wie Schreibunterricht realisiert wird. Sowohl die Formulierung von Schreibaufgabe wie die Gestaltung von Schreibarbeit, Weiterarbeit und begleitenden Aktivitäten werden mit kontrolliert durch solche kontextuelle Faktoren; sie lassen sich aber nicht davon ableiten. Im folgenden werden solche für die Unterrichtsmethodik relevanten Aspekte weitgehend ausgeklammert; auf sie wird nur in Einzelhinweisen eingegangen1. 1
Pineas (1982: viii) sieht die Schreiblektion beeinflusst durch Lernervariablen (Alter, Sprachbeherrschung etc.), die Wahl der zu übenden Schreibfertigkeit und die Wahl der adäquaten Übungsform (damit ist angespielt auf die bekannten Stufen von Familiarisierung, Üben, Gebrauchen). Raimes (1983: 6) zeichnet ein Diagramm, das zeigt, «what writers have to deal with as they produce a piece of writing». Effektive Mitteilung von Gedanken wird demnach bestimmt durch neun Faktoren: Syntax, Grammatik, Motorik und Schreibung, Textorganisation, Wortwahl, Zweck, Adressat, Schreibprozess und Inhalt. Diese Faktoren werden nicht weiter kommentiert oder in ihren Beziehungen zueinander beleuchtet. Ähnlich bestimmt Hedge (1988: 16ff.) Schreibaufgaben nach folgenden Kriterien: Minimale vorausgesetzte Sprachbeherrschung, Thema, Diskurstyp (erzählend, beschreibend ...), Textform (Brief, Bericht, ...), sprachlicher Fokus (Schreibfertigkeit, die gefördert werden soll), Adressat, notwendige Vorbereitungsarbeiten usw. - Im folgenden soll versucht werden, alle diese Momente in eine gewisse Struktur zu bringen und auf einige Abhängigkeiten hinzuweisen, die zwischen ihnen spielen. Nicht eingegangen wird dabei auf den Faktor 'Motorik und Schreibung'; dieser verweist auf eine Voraussetzung, die gegeben sein muss, damit überhaupt textbezogene Schreibdidaktik möglich wird. Ebenso wird kein Hinweis auf das Alter der Schreibenden oder die vorausgesetzte Sprachbeherrschung gegeben; diese gehören zu den kontextuellen Faktoren, welche die Formulierung und
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik:
3.1 Die Schreibaufgabe Die Schreibaufgabe ist eine Aufforderung, einen Text zu schreiben. Die näheren Bedingungen, welchen dieser Text zu genügen hat, sind im Schreibauftrag festgehalten. Dieser kann in der Spezifik der Details, die er expliziert, enorm variieren. In der einigermassen experimentellen Aufgabenstellung: "Sie haben jetzt zehn Minuten Zeit. Schreiben Sie - etwas"1 ist es gerade noch eine Zeitlimite, welche den Schreibauftrag notdürftig strukturiert; im übrigen sind die Schreibenden gezwungen, sich auf der Stelle selbst nach etwas umzusehen, was sich da sagen lässt und nach einer Weise, es zu sagen. Schreibaufträge können auf der anderen Seite recht detaillierte Angaben darüber machen, welchen Anforderungen der zu schreibende Text zu genügen hat. Die wichtigsten dieser Angaben sollen im folgenden unter den Stichworten Produktvorgabe, Rahmenbedingungen und sprachlich-textueller Fokus kurz skizziert werden. Wenige Schreibaufträge werden, dies sei schon jetzt festgehalten, alle oder auch nur die meisten der hier diskutierten Punkte explizieren. Einige davon mögen im konkreten Fall schlicht irrelevant erscheinen; andere sind aus den expliziten Angaben oder den Usanzen des Unterrichts ableitbar oder erschliessbar. Generell lässt sich sagen: Je genauer ein Schreibauftrag die Bedingungen festhält, denen der anvisierte Text zu genügen hat, desto klarer bestimmbar sind auch die Kriterien, nach denen dieser geplant und beurteilt werden kann. Je offener der Schreibauftrag formuliert ist, desto mehr hängen die Standards, nach denen der Text geplant und beurteilt werden kann, von den Entscheidungen der Schreibenden ab: Die Weise, wie sie ihren Text konstruieren und wie sie ihn sagen lassen, was sie ausdrücken, konkretisiert dann selbst erst die genauen Kontexte oder intertextuellen Beziehungen, vor deren Hintergrund er zu beurteilen ist. Ganz deutlich wird dies bei literarischen oder literarisierenden Texten. Ob einer im klassischen Stil, collagenhaft oder ä la Peter Bichsei erzählt - es ist diese Wahl der Aussageweise, die einen entsprechenden Kanon an textbezogenen Regeln, Normen und Erwartungen aufruft. Ähnliches gilt jedoch auch für vage situierte pragmatische Texte: Die Freiheit, die sie dem Schreibenden geben, eine Stimme zu erfinden und einen kommunikativen Kontext auszugestalten, reduziert die Möglichkeit, genaue Kriterien von Anfang an vorzugeben. Während solche Offenheit die Aufgabe für die Schreibenden in einem gewissen Sinne schwieriger macht, wird sie im selben Masse - zumindest der Möglichkeit nach - spannender und durchlässiger für den Ausdruck persönlicher Momente und die schöpferische Konstruktion inner- und intertextueller Beziehungen.
1
Plazierung der Schreibaufgabe ganz entscheidend mitbestimmen; sie sind aber nicht Momente der Schreibaufgabe. Newson 1985:238
ΙΠ.3 Die Bereiche der Schieibdidaktik
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3.1.1 Die Produktvorgabe Die Produktvorgabe betrifft Thema, Form und die nominelle Funktion1 des zu schreibenden Textes. Im Aufsatzunterricht besteht die Produktvorgabe meist in der Nennung eines Titels, vielleicht mit einigen klärenden Bemerkungen (dass das Thema diskutiert werden soll, dass Vor- und Nachteile genannt werden sollten, dass eine persönliche Stellungnahme erwartet wird); wo es um pragmatische Texte geht, wird eine Situation skizziert usw. Oft bezieht sich der Schreibauftrag auch auf den vorhergegangenen Unterricht oder stützt sich auf Materialien (Texte, Bilder, Statistiken usw.); damit wird die Datenbasis erweitert, von welcher die Schreibenden ausgehen können. Diese Dinge erlauben es, die im Schreibauftrag formulierte Aufgabenstellung zu präzisieren und eindeutiger zu kontextualisieren2. Vorgaben diverser Art dienen auch dazu, die mitzuteilenden Konzepte wenigstens teilweise vorherzubestimmen und damit den Ausdruck ganz bestimmter Verhältnisse und Relationen zu fordern3. Die Begriffe der Triade Thema, Form, Funktion bezeichnen Aspekte an Texten, die notorisch schwer auseinanderzuhalten sind und auf komplexe Weise aufeinander Bezug nehmen; sie können gegenseitig durchaus nicht frei variieren. Andererseits geht diese Abhängigkeit nicht so weit, dass aus der Nennung von einem oder zweien dieser Aspekte der dritte zwangsläufig hervorginge4. 3.1.2 Rahmenbedingungen Der Schreibauftrag muss zusätzlich zu den Produktvorgaben Rahmenbedingungen formulieren, soweit diese sich nicht von selbst verstehen. Dazu gehören Angaben zum Status des zu schreibenden Textes, zur Arbeitsform und Hinweise zur Schreibarbeit. Diese Angaben werden häufig nicht (wie meist die Produktvorgaben) schriftlich vorgelegt, sondern in begleitenden mündlichen Bemerkungen mitgeteilt; trotzdem gehören sie wesentlich mit zum Schreibauftrag. Solche Rahmenbedingungen sind auch im nichtschulischen Schreiben sehr wichtig (Glückwunschkarten müssen auf einem bestimmten Termin hin geschrieben werden; die journalistische Arbeit an einem Text hat die Bedingungen der redaktionellen und technischen Organisation mit zu berücksichtigen usw.). In der Schule können Schreibanlässe 1
2
3
4
Ich verzichte hier darauf, den Adressaten oder spezifische textgerichtete Intentionen separat zu nennen, und schreibe der Explikation von 'Funktion' die Aufgabe zu, den Zweck des projektierten Textes im Hinblick auf... zu klären. Der Begriff der Datenbasis darf hier nicht zu eng gefasst werden. Oft liefern solche Bilder oder Texte nicht mehr als einen Anstoss für die Schreibenden, die sich im weiteren auf diese Vorlagen beziehen können oder auch nicht. Wenn beispielsweise ein Briefwechsel weitergeführt, eine Anfrage beantwortet werden soll etc. Auf diese Dreiheit wurde schon in Π.3/1 hingewiesen; dort wurde im Anschluss an Hayes und Flower das Texteschreiben beschrieben als Prozess, in dem jede einzelne Aussage sowohl sach-, adressaten- wie textbezogenen Kriterien zu genügen habe.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
in höchst verschiedene Kontexte eingebettet werden; entsprechend ändern sich die Rahmenbedingungen. a. Status des zu schreibenden Textes Gemeint ist hier zuerst die Angabe des Stellenwerts eines zu schreibenden Textes im Unterricht. Texte können als Prüfungstexte geschrieben werden, als Übungen oder in kommunikativer Absicht; entsprechend werden ihnen vorab didaktische oder auch weitergehende Funktionen zugeschrieben. Vom Status der zu schreibenden Texte kann auch die Gestaltung des Schreibarbeit abhängen: Sind die entstehenden Lernertexte thematisch differenziert, lässt sich der Schreibvorgang nicht im selben Masse didaktisch gestalten wie dann, wenn alle Lerner denselben Schreibauftrag zugesprochen erhalten. Im weiteren können Lernertexte als Entwürfe im Hinblicke auf eine Weiterführung der Schreibarbeit etwa in Gruppen geschrieben werden oder als 'fertige Texte'. Abhängig davon werden die Ansprüche an das äussere Erscheinungsbild und die sprachliche Durcharbeitung des Produkts variieren. Der Status eines Textes wird die Arbeit der Lernenden und ihre Einstellung dazu kaum weniger, eher mehr beeinflussen als seine nominelle Funktion. Klarheit über den Status des zu schreibenden Textes zu schaffen und diesen so einsichtig wie möglich zu machen - ist deshalb eine wesentliche Anforderung an den Lehrer. b. Äussere Umstände Gemeint sind hier Hinweise, welche die äusseren Bedingungen bestimmen, unter denen geschrieben wird. Dazu gehören etwa Aussagen über: - die Sozialform der Arbeit (ist es eine Einzel-, Paar- oder Gruppenarbeit? Wenn es sich nicht um eine Einzelarbeit handelt: Auf welche Weise, in welchen Phasen der Arbeit, mit welchen Zielen sollen die Partner oder Gruppen zusammenarbeiten?) - die zur Verfügung stehende Zeit (wenn im Unterricht geschrieben wird) oder den Abgabetermin (wenn der Text vollständig oder teilweise zu Hause geschrieben wird) - die Länge des zu schreibenden Textes, soweit diese nicht durch die Produktvorgaben oder eingelebten Usus hinlänglich bestimmt ist. c. Hinweise zur Schreibarbeit Hinweise zur Schreibarbeit betreffen den Schreibprozess oder bestimmte Aspekte des zu schreibenden Textes. Sie dienen dazu, die Schreibenden speziell aufmerksam zu machen - auf Implikationen, die sich aus den Produktvorgaben hinsichtlich Inhalt, Struktur, Textanforderungen oder dergleichen ergeben; - auf den sprachlich-textuellen Fokus der Aufgabe (siehe Punkt 3.); - auf die Organisation des Schreibprozesses; - auf allgemeine Massregeln. So ist es manchmal angebracht, die Lernenden daran zu erinnern, dass sie einfach schreiben sollen usw.
ΠΙ.3 Die Bereiche der Schreibdidaktik
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In Hinweisen zur Schreibarbeit kann auf einzelne der Anforderungen, welche ein Schreibauftrag stellt, explizit aufmerksam gemacht werden; sie exponieren wichtig scheinende Aspekte des Schreibanlasses. Wird das Schreiben eines Textes als Klassenarbeit angelegt und vom Lehrer moderiert, können solche Hinweise operationalisiert, das heisst gezielt einzelnen Arbeitsschritten als Thema zugrunde gelegt werden (vgl. den nächsten Abschnitt: 'Gestaltung der Schreibarbeit', und ΙΠ.4). 3.13 Sprachlich-textueller Fokus Je präziser die Produktvorgaben sind, desto voraussagbarer bestimmen sie einen sprachlich-textuellen Fokus bezüglich - Textform, das heisst Prägung des Gesamttextes als zugehörig zu einer Textart oder einer Textsorte; - Darstellungsweise; - kommunikative Funktionen bzw. Perspektiven der Darstellung; - Wortschatz- und Strukturbereiche. Wie wiederholt betont worden ist, lassen sich über einen Schreibauftrag nur sehr beschränkt strikt definierte Sprachmittel abrufen und üben. Durch Thema, Form und Funktion von Texten werden zunächst Konzepte und Relationen und nur vermittelt über diese gewisse Bereiche von Sprachmitteln angesprochen. Schreibaufträge können jedoch so formuliert werden, dass argumentiert, erzählt, beschrieben usw. werden muss bzw. dass eine Zusammenfassung, ein Brief, ein Essay geschrieben werden muss. Ebenso lässt sich der Gebrauch kommunikativer Funktionen (einladen, sich entschuldigen, bitten usw.) in pragmatischen Texten in hohem Grade steuern1. Der sprachlich-textueüe Fokus kann besonders deutlich hervorgehoben werden, wenn den Schreibenden Redemittel, Mustertexte, Strukturschemata o.ä. zur Verfügung gestellt werden. Solche Mittel erleichtern das Schreiben, sofern sie als Hilfestellungen fungieren, die nach Bedarf benützt werden können. Werden sie als Vorgaben definiert, welche in bestimmter Weise benützt werden müssen, so tendieren sie dazu, die Schreibarbeit zu verändern; sie kann auf diese Weise umgemünzt werden zu einer Übung. 3.1.4 Fazit Der Schreibauftrag hat eine Scharnierfunktion; durch ihn werden schreibdidaktische Konzepte und Ziele thematisch gebunden und in unterrichtswirksame Form gebracht. Er bestimmt die Anteile von thematischer Repetition und Neuheit, das Mass der Bindung an Vorlagen, das Vorwiegen der thematischen oder sprachlich-textuellen Aspekte.
1
Über Festsetzungen auf diesen hohen Ebenen werden vereinzelt auch Phänomene auf sehr niedriger Ebene gesteuert - so die Gross- und Kleinschreibung bestimmter Personalpronomina durch die Textart 'Brief. Erzählungen erfordern üblicherweise den Gebrauch des Präteritums usw.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
Zusammen mit den Techniken der Beeinflussung des Schreibprozesses (siehe unten) gehört der Schreibauftrag zu den wichtigsten Mitteln, welche es erlauben, die Schreibarbeit zu bestimmen - das heisst ihre Ansprüche und Dimensionen schreibdidaktisch sinnvoll anzulegen. 3.2 Die Gestaltung der Schreibarbeit Der prozessorientierte Ansatz macht darauf aufmerksam, wie zentral die Schreibarbeit, die Gestaltung des Schreibprozesses, ist. Darin entscheidet sich, - wie und wie effizient bestehendes Wissen eingesetzt wird; - ob neugewonnene Einsichten und Fertigkeiten in die Tätigkeit integriert werden können; - wie folgenreich die Impulse sind, welche der Akt des Schreibens vermitteln kann, sowohl in bezug auf die mitgeteilten Gedanken wie die textuellen und sprachlichen Mittel des Ausdrucks. Ich möchte die Mittel der Strukturierung und Gestaltung von Schreibprozessen unter einigen Hauptpunkten zusammenfassen. Diese Darstellung hat nicht den Zweck aufzuzeigen, wie Schreibprozesse im einzelnen strukturiert werden sollten, sondern nur den, das Feld begrifflich zu fassen und damit mögliche Eingriffspunkte zu benennen. 3.2.1 Schreiben lassen Es mag auf den ersten Blick etwas verwunderlich erscheinen, dass hier 'Schreiben lassen' als didaktisches Grundverfahren erscheint. Es scheint dies jedoch aus verschiedenen Gründen vertretbar. Zunächst wirken der Schreibauftrag und die mit ihm unter Umständen verbundenen Hinweise zur Schreibarbeit durchaus anleitend: Sie geben einen Rahmen vor, innerhalb dessen die Schreibenden den Prozess der Vertex tung anzulegen haben. Dies lässt sich natürlich von jedem Schreibanlass sagen, auch ausserhalb der Schule, ohne dass diesem didaktischer Stellenwert zugeschrieben würde. Wichtiger scheint mir darum das schon in ΙΠ.2 vorgetragene Konzept des alltäglichen Schreibens. Im Kontext einer Praxis des Sprechens über Texte und über das Schreiben, wie er hier vorausgesetzt wird, steht auch ein didaktisch nicht weiter ausgearbeiteter Schreibprozess im Lichte dieses Diskurses. Bedingungen dafür, dass diese Verbindung mit den expliziten schreibdidaktischen Aktivitäten durch die Lernenden tatsächlich hergestellt werden, mögen unter anderem sein - Interesse von ihrer Seite; - Bedeutsamkeit der Texte, z.B. reale Funktionen; - Möglichkeit, schreibdidaktische Kriterien nachträglich zur Geltung zu bringen, etwa in einer Beurteilung des Geschriebenen durch die Adressaten. Schreiben ohne Anleitung heisst nicht schreiben ohne Hilfe: Beratung durch den Lehrer oder andere Lernende sollte als Angebot selbstverständlich sein.
m.3 Die Bereiche der Schreibdidaktik
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Schreiben ohne Anleitung ist nicht beschränkt auf wohlbekannte Textformen. Es ist durchaus möglich, den Lernenden Texte aufzutragen von einer Art, die sie in der Fremdsprache noch nie geschrieben haben. Allerdings sollte dann der experimentelle Charakter der Aufgabe klar gemacht werden. Voraussetzung ist aber jedenfalls, dass die Aufgabe mit den vorhandenen Sprachmitteln - soweit vorhersehbar - bewältigt werden kann. 'Schreiben lassen' ist auch die natürliche Strategie im eher experimentellen Schreiben wie der '6criture automatique' und anderen Formen. 3.2.2 Beraten Beraten ist ein Eingehen auf ein Problem, das sich einem einzelnen oder einer Gruppe bei der Arbeit stellt und welches von diesen selbst vorgebracht wird. Die Bereitschaft zur Beratung sollte von Seiten des Lehrers für jede Schreibaufgabe signalisiert werden und regelmässig auch dann wiederholt werden, wenn sich dies von selbst versteht; Beratung kann aber auch durch andere Lernende erfolgen, auch diese Form sollte unterstützt werden1. Beraten ist keine Belehrung, kein Eingreifen, sondern eine Antwort auf eine Frage. Solche Fragen betreffen manchmal Dinge, die eindeutig geklärt werden können - z.B. viele Fragen im Bereich der Grammatik und Morphologie - , oft sind eindeutige Lösungen aber nicht zu haben, so z.B. bei vielen Fragen nach der Adäquatheit von Formulierungen oder nach der Relevanz einzelner Informationen eines Lesetextes für eine Zusammenfassung. Solche Fragen können vielfach nur beantwortet werden vor dem Hintergrund der Absichten und Vorstellungen der Schreibenden und - soweit vorhanden - des bereits geschriebenen Textes. Beraten kann hier heissen: - Fragen stellen, welche die Schreibenden dazu herausfordern, sich zu erklären; unter Umständen machen sie dadurch ihr Problem sich selbst klarer fassbar; - die Schreibenden ihre eigenen Vorschläge formulieren und bewerten lassen; - aus der Perspektive eines Mitautors oder eines präsumptiven Lesers auf Vorschläge reagieren; - selbst Vorschläge vorbringen und gegeneinander abwägen. Eine institutionalisierte Form der Beratung ist die in neueren didaktischen Konzepten propagierte Schreibkonferenz («writing conference»), in der jeder Schreibende ein kurzes Gespräch mit dem Lehrer über seinen (erst geplanten oder bereits im Entstehen begriffenen) Text führt. 1
Gelegenheiten, bei denen es sinnvoll wäre, um Rat suchen, werden oft nicht erkannt. Auch die Frage, zu welchen Problemen das Einholen von Expertenmeinungen ratsam ist, kann Thema des Unterrichts werden. Im Anschluss etwa an das Schreiben eines Textes kann jeder einzelne oder können kleine Gruppen versuchen, ein Inventar der wichtigsten Probleme zu erstellen, die sie bei der Arbeit angetroffen haben; in bezug darauf liesse sich überlegen, ob darunter solche sind, deren Lösung die Schreibarbeit entlastet oder positiv verändert hätte.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
Je mehr es gelingt, durch Beratung eine Aufgabe überblickbar zu machen und die Antwort durch die Schreibenden selbst finden zu lassen, desto grösser ist die Chance, dass sie weiterführt. Natürlich ist hier kluges Mass angebracht1. Im Rahmen von Schreibanlässen ist es kaum angezeigt, durch langwierige maieutische Verfahren den Arbeitskontext, aus dem heraus die Frage entstanden ist, zum Verblassen zu bringen. Je weniger gewichtig die Frage in bezug auf die Schreibaufgabe, das heisst den zu schreibenden Text ist, desto schneller sollte die Basis für eine Entscheidung gefunden werden. Besonders dort, wo Vokabular-, Morphologie- oder Syntaxprobleme angesprochen sind, ist knappe Information angezeigt. Beraten heisst, den Stellenwert einer Frage zu bestimmen und diese Einschätzung (nicht unbedingt durch explizite Aussagen dazu, sondern durch die Art des Eingehens auf eine Frage) mitzuteilen. Hier (nicht nur hier, natürlich) zeigt das Verhalten des Lehrers ziemlich klar auf, welche Akzente er setzt, und dies konstituiert in sich selbst eine gewichtige Mitteilung. Beratung ist keine Anweisung: Letztlich müssen die Fragenden selbst entscheiden, ob und wie weit sie etwaigen Vorschlägen Folge leisten wollen. 3.23 Anleiten: den Schreibprozess strukturieren Strukturierung des Schreibprozesses ist gezielte Beeinflussung des Arbeitsablaufs in der Absicht, einzelne Teilprozesse hervorzuheben, Vorgehensweisen bewusst zu machen, (Zwischen-)Produkte der Arbeit zu evaluieren oder zu korrigieren usw. Es kommt hier also all das zum Zuge, was oben in II.3 und III.2/2 im Hinblick auf die konstitutiven Momente des Schreibprozesses, ihr Zusammenwirken, die Rolle des Bewusstseins und der Metakognition angesprochen wurde. Die Mittel, welche für die Strukturierung der Schreibarbeit zur Verfügung stehen, sind im Prinzip einfach. Es ist nur am Rande ihre Aufgabe, zusätzliches Material in den Arbeitsprozess einzubringen; das erste Ziel ist, die beim Schreiben oft wenig bewusst und wenig effizient ineinander wirkenden Kenntnisse und Fertigkeiten hervorzuheben. Dies muss in engem Zusammenhang mit der Aufgabenstellung erfolgen - die Massnahmen in diesem Bereich sind eng gebunden an die thematischen und sprachlich-textuellen Anforderungen, welche der Schreibauftrag formuliert, und an die Schwierigkeiten, die sich daraus (wahrscheinlich) ergeben. Aufs Überarbeiten wird unten in einem separaten Abschnitt eingegangen. Es versteht sich, dass die Erteilung eines Schreibauftrags mit der Absicht, das Geschriebene nachher zum Thema einer Überarbeitungsphase zu machen, selbst auch einen Eingriff in den Schreibprozess darstellt, indem es die Lernenden auf einen weiteren Arbeitsschritt hin schreiben lässt. 1
Vgl. Sowers 1988, für kurze Hinweise Hedge 1988:154. Sowers betont über das eben Gesagte hinaus die Funktion von Lehrerfragen, die durch den vorliegenden Plan oder Text gesteuert sind und auf die der Lehrer selbst keine Antwort weiss, die er aber durch den Text beantwortet haben möchte. Natürlich können auch andere Lernende als Berater tätig werden.
m.3 Die Bereiche der Schreibdidaktik
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α. Sequenzierung durch Teilaufträge Ein entscheidender Eingriff in die Schreibarbeit besteht in der Isolierung einzelner Momente der Schreibarbeit. Situationsanalyse, Ideen-Sammeln, Planen, Vertexten oder Überarbeiten können als Aktivitäten isoliert werden und bilden dann eigenständige Aspekte der Aufgabenlösung und identifizierbare Arbeitsgänge. Natürlich können auch speziellere Aspekte durch Isolierung in den Vordergrund gebracht werden. In einer Überarbeitung z.B. braucht nicht der ganze Text zum offiziellen Thema zu werden. In einer bestimmten Situation mag es sinnvoll erscheinen, allein die sprachliche Seite des Textes in den Vordergrund zu stellen oder allein die Formulierung des Textanfangs oder die Versprachlichung bestimmter Funktionen zum Thema zu machen usw.; ebenso kann sich die angeleitete Planung auf einen oder wenige Aspekte des thematischen Rahmens konzentrieren. Wesentlich ist allein, dass durch die Moderation des Vorgehens Momente und Aspekte des Schreibens herausgelöst und als Einzelfragen verhandelt werden. Die Wirkung solcher Isolierung lässt sich durch verschiedene Hilfestellungen verstärken. Der Effekt der Heraushebung wird damit tendenziell vergrössert, der Schreibprozess damit aber auch entschieden beeinflusst. Didaktische Verfahren dieser Art bestehen etwa darin, - dass Teilaufträge in Partner- oder Gruppenarbeit erledigt werden oder alternativ die individuellen Ergebnisse solcher Teilaufträge in Partneroder Gruppenarbeit verglichen und besprochen werden. Dabei werden die Produkte der Analyse, des Planens usw. als solche in ihrer Eigenart fassbar. - dass gezielte Fragen gestellt werden, welche die Arbeit unterstützen. Im Hinblick auf einen eben geschriebenen Briefanfang z.B. lässt sich etwa fragen: - Lesen Sie den eben geschriebenen Briefanfang noch einmal durch. Vergleichen Sie ihn mit dem, was Ihre Nachbarn geschrieben haben. - Wie gefallen sie Ihnen? Warum? - Wie ist das Verhältnis zwischen Schreiber und Adressat? Woran lässt sich das ablesen? - Geben diese Anfänge einen Hinweis darauf, was noch gesagt werden wird? Was lassen sie erwarten? Solche Fragen lenken die Aufmerksamkeit auf Punkte, die wichtig scheinen; sie machen es leichter, die Arbeit an den Texten zu strukturieren und den Austausch zwischen den einzelnen und Gruppen zu fokussieren. - dass in der Weiterung solcher Gruppenarbeit vielleicht explizite Hinweise, Regeln, Merksätze formuliert werden, die auf allgemeine Normen, Muster, ... aufmerksam machen, die im anstehenden Einzelfall eine Rolle spielen (vgl. Punkt 4: Explizite Kenntnisse gewinnen). - dass in die Arbeit durch den Lehrer oder die Lernenden gewisse leicht identifizierbare Arbeitstechniken eingebracht (und wiederholt angewendet) werden, die es erlauben, bestimmte Problembereiche und Lösungs-
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Teil ΠΙ: Grandziige einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik:
verfahren zu betonen (Verfahren des Brainstorming, Arbeit mit Begriffsnetzen, Schemata der Situationsanalyse, Techniken der strukturierten Darstellung von Inhaltsstichwörtern usw.) Die verschiedenen Momente des Schreibprozesses sind für didaktische Eingriffe auf gänzlich unterschiedliche Weise offen. 1. Das Formulieren ist zweifellos das am schwierigsten erfassbare Moment am Schreiben, ist didaktisch nur bedingt zu thematisieren. Gleichzeitig sind die im Formulieren gefällten Entscheidungen textueller, inhaltlicher und sprachlicher Art tendenziell höchst bedeutsam und lernrelevant. Am ehesten mag ein Zugriff gelingen im nachhinein: Durch den Rückblick auf die noch in der Erinnerung gebliebenen Momente. Es könnte beispielsweise gefragt werden, - an welchen Stellen inhaltliche Pläne aufgegeben wurden, weil die notwendigen Sprachmittel nicht greifbar waren oder nicht greifbar schienen; - wo Aussagen aufgegeben oder verändert wurden, weil Unsicherheiten bestanden, ob sie sprachlich korrekt waren; - wo inhaltliche Elaborationen unterblieben, weil sie zu mühsam waren; - ob in Aussicht genommene Aussagen aufgegeben und durch andere ersetzt wurden, weil sie nicht mehr adäquat schienen. Antworten auf solche Fragen sind in sich interessant und erhellend. Sie können aber auch in der weiteren Arbeit aufgenommen, z.B. notiert und verglichen werden mit den Reaktionen von Lesern der entsprechenden Texte; sie können Anhaltspunkte geben für die Überarbeitung und dort direkt weiterführen zur Arbeit am Wortschatz und an Formulierungen usw. Eine andere Möglichkeit, das Formulieren zu unterstützen und zugleich für die Schreibenden zu thematisieren, besteht in der Verfügbarmachung von Redemitteln, Beispieltexten usw.1 Diese sind, solange sie als Hilfsmittel eingesetzt werden können, nicht nur wichtig hinsichtlich des angezielten Produkts, sondern können die Aufmerksamkeit auch auf den Vorgang des Vertextens selbst lenken, auf die einschlägigen Gebrauchsbedingungen etwa für redeorganisierende, textstrukturierende usw. Mittel und damit auf Aspekte der Vertextungsarbeit selbst. Eine Möglichkeit schliesslich, das Vertexten direkt thematisch zu machen, besteht darin, Texte gemeinsam von zwei oder drei Teilnehmern schreiben zu lassen. Eine solche Aufgabe zwingt die Schreibenden dazu, sich über einzelne Aspekte ihres Textes zu verständigen, durch Diskussion oder durchs tatsächliche Schreiben, und damit auf viel dichtere und explizitere Weise nach den Motiven und Zielen von textbezogenen Entscheidungen zu fragen. Dies ist allerdings eine kognitiv und gruppendynamisch schwierige Situation; wie weit sie schreibdidaktisch wirklich fruchtbar ist, lässt sich 1
«Nun ist der Nutzen von produktbezogenen Sprachhilfen in der Schreibunterweisung unbestreitbar, seien es nun Listen von Textgliederungssignalen, Tabellen von grammatischen Strukturen der Hypotaxe oder syntagmatisch geordnete Wortfelder zu textsortenspezifischen Sprechakten.» (Börner 1987: 1339)
m.3 Die Beieiche der Schreibdidaktik
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schwer einschätzen. Es gibt Indizien dafür, dass die gemeinsame Arbeit an einem Computer viele Probleme löst: Es ist hier nicht nötig, dass einer die Feder führt; das Produkt löst sich sofort von der Person des Schreibenden und seinen Schriftzügen, es wird gänzlich neutral auf dem Bildschirm angezeigt und ist für Eingriffe durch alle gleicherweise offen - Eingriffe, die immer sofort ein Resultat erzeugen, welches sich zugleich als übersichtlich und perfekt darstellt und für weitere Veränderungen verfügbar bleibt. Der neutrale Bildschirm und die personenungebundene Tastatur schaffen hier ein Umfeld, das die Aufgabe des Schreibens zu zweit oder dritt - falls sie überhaupt gestellt wird - sicherlich erleichtert im Vergleich zur Arbeit mit Stift und Papier. 2.Vorbereitende Arbeiten eignen sich glänzend für eine Thematisierung und für die verschiedensten Formen der Einzel-, Gruppen- und Plenumsarbeit. Sie heben einzelne pragmatische, inhaltliche oder strukturelle Aspekte am geplanten Text heraus; sie beziehen sich demgemäss kaum oder nur am Rande auf seine sprachliche Oberfläche. In diesem Sinne helfen sie, die Bedingungen klarer zu fassen, denen er genügen muss, ohne die Formulierungsarbeit vorwegzunehmen. Dass bei einer solchen Vorbereitung meist wesentliche Wörter und Wendungen ins Spiel kommen und einschlägige sprachliche Bestände aktiviert werden, mithin die Formulierungsarbeit in gewissem Grade erleichtert wird, ist ein kalkulierter Effekt. Vorbereitende Arbeiten, wie sie in den Punkten 3 bis 5 beschrieben werden, hinterlassen meist schriftlichen Spuren; aber dies ist nicht erforderlich. Sie können auch allein mündlich oder auf andere Weise erfolgen (etwa dadurch, dass ein Text gelesen oder ein Bild betrachtet wird, durch Rollenspiele, Filme usw.). 3. Die Situationsanalyse gibt vor allem dann, wenn pragmatische Texte geschrieben werden, die Möglichkeit, ein plastisches Bild der Aufgabe zu gewinnen und die Schreibarbeit in einen reich entwickelten Kontext von Assoziationen, Erwartungen, Kriterien usw. einzubetten. Sie geht aus von den Funktionen des zu schreibenden Textes und den Bedingungen, unter denen er zustande kommt und wirken muss. Die Beschäftigung mit diesen relativ sprachfernen Beziehungen hat nichts Abstraktes an sich; sie führt über die Skizze der Kommunikationssituation zu spezifischen inhaltlichen, auch sprachlichen Gesichtspunkten (vgl. Portmann 1982). In einer Situationsanalyse werden nicht nur spezifische, auf den Einzelfall bezogene Sachverhalte thematisch; dabei können und sollen durchaus auch allgemeine Verhältnisse zur Sprache kommen - die Situationsanalyse kann dann Anlass sein, Kenntnisse allgemeiner Art über bestimmte Textformen zu gewinnen oder solche Kenntnisse ans Licht zu heben und effektiver zu machen. Eine Analyse der Funktionen und Bedingungen, unter denen z.B. Referate verstanden werden müssen, führt sofort zu einsichtigen Forderungen, die sich in Form von Regeln fassen und sich bei der Vorbereitung wie bei der Evaluation von Referaten benutzen lassen. Referate müssen verstanden werden, deshalb ist klare thematische Strukturierung, welche die
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
Hauptpunkte deutlich heraushebt, erste Voraussetzung. Was 'klare Strukturierung' in diesem Zusammenhang bedeutet, lässt sich durchaus näher aufschlüsseln. Ebenso ist feststellbar, dass es zu nichts dient, wenn Vokabular und Strukturen aus Lesetexten oder Wörterbüchern übernommen werden, wenn sie vom Publikum nicht verstanden werden können. Ein wichtiges Thema ist auch die Präsentation des Vorbereiteten selbst1. 4. Das Ideen-Sammeln ist eine recht unspezifische Form der Vorbereitung auf das Schreiben. Es hat zunächst die Funktion, Anstösse und Ideen zu vermitteln, gleichzeitig auch Sprachmittel in noch unstrukturierter Form in Erinnerung zu rufen. Darüber hinaus kann das Ideen-Sammeln weitere Funktionen entfalten: Es kann sich einer Bestandaufnahme der Sachverhalte annähern, welche für wichtig erachtet werden, kann wesentliche neue Informationen zu Tage fördern und auch die Formulierung von Beziehungen und Abhängigkeiten vorbereiten. 5. Textplanung geschieht, wie in Π.3 dargelegt wurde, oft als rollende Planung, meist unter Zuhilfenahme von generellen Schemata; das Mass an isolierter und detaillierter Planung, das als notwendig erachtet wird, bestimmt sich auf der Grundlage der jeweiligen Rahmenbedingungen des Schreibens. Im Unterricht dürfte Planen vorgängig, das heisst als Vorbereitung aufs Formulieren, am besten thematisierbar sein dort, wo sich relativ objektive Kriterien der Informationsorganisation aus dem Inhalt oder dem Zweck des intendierten Textes ableiten lassen, etwa bei Zusammenfassungen, Prozessbeschreibungen, Instruktionen usw., oder im Verfassen von textsortenspezifischen Texten (im Schreiben an Institutionen, im Schreiben von Einladungen, Entschuldigungen, ...). Bei anderen Texten - etwa Essays jeder Art und Länge, freien Texten, Meinungsäusserungen, Interpretationen usw. - sind Fragen der Planung oft, und in entscheidenden Details fast immer, nur in der Einzelberatung oder erst aufgrund des Produkts besprechbar zu machen, also in der Phase der Überarbeitung2. Dies gilt besonders auch in der Fremdsprache; denn über die Details erst im Planungsstadium befindlicher Texte zu sprechen kann schwieriger sein als das Schreiben selbst. Als Hilfsmittel, auch solche Planung durchsichtiger zu machen, werden zum Teil Mittel empfohlen wie - die Lernenden sollen das, was sie zu schreiben gedenken, einem Kollegen erzählen (oder einen Teil davon); diese vorwegnehmende Darstellung mag Hinweise geben auf schwache Punkte, ebenso die Fragen des anderen, wenn er etwas nicht versteht (vgl. Bleyhl 1987:4); 1
2
Es hat keinen Sinn, Fremdsprachigen die Form des freien Vortragens als selbstverständlich zuzumuten - eine Form, die auch Muttersprachige in den allermeisten Fällen scheuen. Dies heisst nicht, dass sie nicht dazu ermutigt werden sollen. Dabei dürfte freier Vortrag aber nicht einfach gefordert, sondern müsste als Thema und Technik plausibel gemacht und bewusst erarbeitet werden. Vgl. III.5. Ausser natüiiich man ziele daraufhin, einen Musteressay, eine Beispielinterpretation usw. zu erarbeiten und verpflichte damit die Schreibenden auf eine einheitliche Texttiefenstruktur.
m.3 Die Bereiche der Schieibdidaktik
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- die Planung kann sich an (thematisch durchaus anders gelagerten) Vorbildern orientieren, z.B. an Lesetexten, die im Unterricht vorgelegen haben, oder an speziell zu diesem Zweck eingebrachten (diese brauchen nicht gezielt analysiert oder interpretiert zu werden; oft mag es genügen, wenn sie zur Kenntnis genommen werden); - vorliegende Pläne können daraufhin beurteilt werden, wie schwierig die einzelnen Planteile zu versprachlichen sein werden; daraufhin eingeschätzt, wie gross der quantitative Kontrast zwischen den Stichwörtern und dem resultierenden Text sein wird; für einige Tage liegengelassen und dann von neuem betrachtet werden, bevor sie versprachlicht werden1. b. Unterbrechung
der
Schreibarbeit
Die Unterbrechung der Schreibarbeit durch Fragen oder Zwischenaufträge kann die Konzentration der Schreibenden empfindlich stören; sie kann unter Umständen auch ein (schwierig einzusetzendes) Mittel sein, wichtig scheinende Hinweise in Erinnerung zu rufen oder Fragen zur vor sich gehenden Schreibarbeit zu stellen. Solche Zwischenfragen können wohl vor allem Fortgeschrittenere dazu animieren, ihre Arbeitsweise klarer zu erkennen und den Prozess im Blick auf ihr Ziel hin zu strukturieren. Andere und didaktisch leichter fruchtbar zu machende Unterbrechungen des Schreibprozesses sind solche, die sich aus organisatorischen Gründen ergeben: durch Pausen, den Übergang von einer Lektion auf die des nächsten Tages, durch den Wechsel von Arbeit im Unterricht zur Arbeit ausserhalb und umgekehrt. Solche Brüche lassen sich schreibdidaktisch ausnutzen. Sie betonen die Trennung von Prozess und Produkt, indem sie den jeweils gegenwärtigen Kontext von Gedanken, Stimmungen usw. verblassen lassen. Hier können die Schreibenden dazu animiert werden, das jeweilige Produkt nicht nur kursorisch, sondern bewusst von neuem zur Kenntnis zu nehmen. - Ein Text, der zu Hause geschrieben oder fertiggestellt wurde, wird im Unterricht noch einmal gelesen, bevor er an den Lehrer oder andere Lernende weitergegeben wird. Es ist nicht nötig, dass irgend etwas daran verändert wird; der Autor mag sich aber Fragen stellen wie: - Was gefällt mir an meinem Text besonders? Was ist nicht so gelungen? - Habe ich meine Gedanken so formuliert, wie ich es wollte, oder sieht der Text anders aus, als ich es mir vorgestellt habe? - Würde ich jetzt noch etwas mehr sagen wollen oder meine Aussagen ändern? - Wo habe ich Schwierigkeiten gehabt zu formulieren? Ist das merkbar beim Lesen?
1
Verschiedene Formen des Ideen-Sammelns, Planens etc. finden sich kurz beschrieben in Hedge 1988; Collins/Gentner 1980; Flower/Hayes 1977.
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Teil ΙΠ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schieibdidaktik
- Wo habe ich vielleicht Fehler gemacht? Welche Wörter, die ich gebraucht habe, kenne ich nicht so genau? usw. - Ein Text, der noch nicht zu Ende geschrieben ist, wird nicht einfach weitergeschrieben, sondern einem anderen in der Klasse vorgelesen, eventuell werden Eindrücke, Erwartungen usw. formuliert. Oder ein erst begonnener Text wird nicht einfach weitergeführt, sondern gelesen und vor dem Weiterschreiben noch einmal geschrieben. Dabei kann der schon bestehende Text übernommen, verändert oder gänzlich neu formuliert werden. 3.2.4 Überarbeiten 'Überarbeiten' bezieht sich hier auf die Arbeit an einem bereits vorliegenden Text: Writing taught as a process of discovery implies that revision becomes the main focus of the course and that the teacher, who traditionally provides feedback after the fact, intervenes to guide students through the process. (Zamel 1982: 206)1
Die Überarbeitung kann sich nach Leitfragen richten wie: - Was wollte ich sagen? Was war mein Ziel? Was wollte ich dem Leser gegenüber erreichen? - Stimmt, was ich geschrieben habe, überein mit dem, was ich schreiben wollte? - Ist das Geschriebene geeignet, dieses Ziel zu erreichen? Wie würde ich als Leser auf diesen Text reagieren? Andere Fragen sind geeignet, die Aufmerksamkeit besonders auf einzelne Textstellen zu richten, etwa: - Welche Stellen sind besonders gelungen? - Wo gab es Schwierigkeiten beim Schreiben? Sind diese Stellen in Ordnung? - Gibt es Stellen, die inhaltlich oder von der Argumentation her problematisch sind? - Sind die Hauptpunkte klar ersichtlich? Problematische Stellen können darauf hin analysiert werden, was in ihnen nicht ganz gelungen erscheint. Sie können als zu komplex, lückenhaft, falsch, unverständlich erscheinen, schliesslich auch ganz einfach sprachlich nicht korrekt sein. Erst auf dieser Grundlage stellt sich die Frage nach den Optionen, nach ratsamen oder notwendigen Veränderungen: Streichungen, Erweiterungen, Umstellungen oder Ersatzformulierungen, und zwar auf der Wort-, Satz- oder höheren Ebenen. Überarbeiten ist, im traditionellen Unterricht, kaum je ein Thema der Schreibdidaktik gewesen (ausser in der reduzierten Form der Korrektur); es entspricht auch nicht der alltäglichen Art, mit privaten oder relativ unwichtigen Texten umzugehen. Uberarbeiten als Modus des Schreibens muss plausibel und in seiner Wirksamkeit für die Qualität von Texten 1
Überarbeitung als in die übrige Arbeit eingestreute Aktivität des Veränderns und Korrigierens wird hier nicht separat betrachtet.
m.3 Die Bereiche der Schieibdidaktik
501
sichtbar gemacht werden. Es muss im Unterricht deshalb eingebettet sein in einen Kontext, der unterstützend, anregend und aktivierend wirkt. Nach dem Schreiben ihres Textes sind viele Lernende zunächst einmal 'leer' 1 . Ihr Interesse für das Produkt und die Dinge, die darin realisiert sind (oder auch nicht) kann am besten wohl aufgenommen werden, wenn die Uberarbeitung einen Austausch miteinschliesst, das heisst wenn der Text Reaktionen provoziert und damit das Geschriebene zu einem Thema wird. Ich möchte im folgenden darum diese Reaktionen in den Vordergrund heben. a. Reagieren Reagieren heisst: auf einen Entwurf oder Text eingehen und auf ihn antworten2. Es kann zwei verschiedenen Funktionen erfüllen. Der Lehrer oder die anderen Lernenden können als Mitautoren reagieren, das heisst zu einem Entwurf oder einem Text, der noch in Arbeit ist, Stellung nehmen. Reaktionen gehören in dieser Rolle mit zu den wichtigsten Mitteln, welche den Schreibprozess, in diesem Falle die Textüberarbeitung, mitzugestalten vermögen. Reaktionen erfolgen aber auch in bezug auf abgeschlossene Texte; die Lehrer und Lernende reagieren als Leser. Reaktionen haben dann nicht (oder nur in zweiter Linie) die Funktion, eine Weiterführung der Arbeit am Text zu unterstützen, sondern sind resultatbezogene Rückmeldungen. In dieser Rolle gehören sie zum Kapitel 'Weiterarbeit'; sie haben dort den Vorschlagcharakter nicht, den sie aufweisen, solange der Text sich noch in Arbeit befindet. Reaktion ist wie Beratung individuell. Sie setzt voraus, dass der Text zur Kenntnis genommen werden kann. Vielfach wird dazu nötig sein, dass eine oder zwei Kopien neben dem Original vorliegen. Reaktion nimmt verschiedene Formen an: Antwort auf einen Text, Evaluation, Korrektur, Benotung. Die ersten drei bezeichnen Punkte auf einer Skala zusehends tiefer eingreifender Verfahren der Kenntnisnahme und Beurteilung von Texten; sie lassen sich mündlich oder schriftlich machen. Die Benotung ist eine unabhängige Grösse; sie wird durch die Institution Schule notwendig gemacht und hat nichts zu tun mit der Aufgabe, Texte zu schreiben, oder mit den Problemen, die dabei angetroffen werden. 1 .Antworten auf einen Text. Eine Antwort nimmt den Text als inhaltliche Aussage und geht darauf ein. Adäquate Reaktionen auf dieser Ebene sind etwa: das eigene Verständnis formulieren und Implikationen benennen; Fragen stellen; Wichtiges herausstreichen und Eigenes hinzufügen; Ver1
2
Vgl.: «The act of producing L2 writing in this study seemed to be so involving and exhausting that production of a new draft was rare.» (Raimes 1985:245) - In Raimes' Untersuchung unternahm nur einer von acht Schreibenden den Versuch, den Text neu schreiben; er veränderte ihn dabei allerdings kaum. Reaktionen der verschiedenen Alt werden natürlich auch schon dort provoziert, wo Situationsanalysen, Pläne usw. diskutiert und verglichen werden. Hier soll unter diesem Titel jedoch nur über die Arbeit an Textentwürfen und Texten gesprochen werden.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik:
gleich mit anderen Texten (bzw. Meinungen, Positionen,...); Widerspruch anmelden und begründen usw. Wo diese Reaktionen im Lichte dessen erfolgen, dass der Text noch nicht endgültig seine Form gefunden hat, haben sie gewissen Bestätigungs- oder Aufforderungscharakter an die Adresse des Schreibenden. 2. Evaluieren. Eine Evaluation lässt sich als Weiterführung der noch ganz inhaltsbezogenen Auseinandersetzung verstehen, wobei Zustimmung oder Kritik nun auf den Text bezogen werden: Der Text wird an den vorgegebenen oder von ihm selbst aufgerufenen Kriterien gemessen, indem seine Qualität als Darstellung eines Sachverhalts, als Mitteilung beurteilt wird. Dies geschieht dadurch, dass Textstellen identifiziert werden, die als besonders wichtig, gelungen o.ä. gelten können oder in denen Lücken, Unklarheiten, Längen, sachliche Fehler festgestellt werden können. Objekt der Evaluation sind auch eher oberflächenstrukturelle Eigenschaften des Textes wie Verständlichkeit der Formulierungen, Angemessenheit von Stil und Register usw. Die adäquate Form der Reaktion auf dieser Ebene ist das Festmachen von einzelnen Textstellen und - falls eine Kritik angebracht wird - deren Begründung und eventuell der Hinweis auf mögliche Alternativen. 3. Korrigieren. Korrekturen betreffen Fehler auf den autonomen Normebenen der Orthographie, Syntax, Wortstellung usw. Solche Fehler sind von dem, was den Text als Mitteilung ausmacht, weitgehend unabhängig, können aber sein Funktionieren als Mitteilung unter Umständen massiv beeinträchtigen1. Korrigieren ist nicht ein Prärogativ des Lehrers. Obwohl Lernende meist nicht imstande sind, alle Fehler und sprachlichen Problemfälle in ihrem eignen oder einem fremden Lernertext zu identifizieren, ist es durchaus sinnvoll (auch im Hinblick auf ein eventuelles Schreiben ausserhalb des Unterrichts), diese Seite des Schreibens zu thematisieren, vor allem natürlich dort, wo an einen Text berechtigterweise gewisse Ansprüche an Korrektheit gestellt werden können, etwa wenn er als Lesetext an die anderen Lernenden gehen soll. Allerdings ist die Beschäftigung mit solchen Fragen oft etwas heikel, da die Lernenden in vielem überfordert sind; abgesehen davon lenkt sie die Aufmerksamkeit vom Text und dem, was er mitteilt, weg. Darum ist Korrektur viel mehr als die Evaluation von Texten eine Domäne des Lehrers, wenn es auch nicht seine hauptsächliche und schon gar nicht seine einzige Aufgabe ist (vgl. ΠΙ.4/4). 4. Benoten. Das Benoten ist ein Akt, der den Erfolg der Arbeit zu institutionellen Zwecken bilanziert. Das Benoten ist keine Folge von Antwort, Evaluation oder Korrektur, sondern gänzlich unabhängig davon (obwohl natürlich der verliehene Notenwert sich auf diese Dinge bezieht und Eva1
Zamel 1985 gibt Hinweise auf Studien, die Lehrerreaktionen untersuchen, und exponiert einige problematische Aspekte daran. Besonders interessant ist der Befund, dass Lehrerkorrekturen (besonders in der Fremdsprache) meist auf die prominentesten Verstösse auf Syntax- und Wortebene ausgerichtet sind und in der Korrektur dieser Fehler textuelle Zusammenhänge kaum berücksichtigt werdea
m.3 Die Bereiche der Schreibdidaktik
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luation und/oder Korrektur voraussetzt)1. Es existiert keine Notwendigkeit, jeden Text zu benoten, wohl aber, Antworten und/oder Evaluationen zu ermöglichen. Korrigieren und Benoten sind Aktivitäten, die im Rahmen jedes didaktischen Ansatzes problematisch sind; sie sind es herausragend in der Schreibdidaktik. Die Tatsache, dass hier einsehbare Produkte vorliegen, lädt zu intensiver Inspektion und durchgängigem Korrigieren geradezu ein; vorab die Mängel auf den autonomen linguistischen Normebenen sind in Geschriebenem exemplarisch gut zugänglich. Andererseits ist die Wirkung von Korrekturen im schriftlichen Bereich nicht weniger schwer nachweisbar als im mündlichen; der Lehrer als Vertreter der Norm gibt sich hier leicht illusionären Vorstellungen darüber hin, was seine Fehlerkorrekturen bedeuten. Die Tatsache, dass ein Fehler bezeichnet wird, bietet nicht die geringste Gewähr dafür, dass er als Fehler wirklich wahrgenommen wird, geschweige denn die entsprechende Veränderung in den produktiven Mechanismen vorgenommen werden. Noten auf der anderen Seite sind systematisch zweideutige Instrumente: Sie können ebensogut zu Leistungen anspornen wie als völlig deplaziert wahrgenommen werden und Arbeit abwerten, indem sie sie auf ihren rein schulischen Aspekt reduzieren. b. Formen des Überarbeitens
Die didaktische Anlage der Revisionsarbeit muss zum Ziel haben, die fruchtbaren und interessanten Aspekte dieser Tätigkeit herauszustellen. Wichtig ist es, erfahrbar zu machen, dass Überarbeiten nicht bedeutet, sich noch einmal auf dieselbe Weise mit dem herumzuschlagen, was man bereits abgeschlossen hat; wichtig ist auch, dass dafür Unterrichtszeit zur Verfügung gestellt wird. Wenn ein zu schreibender Text nachher in der Klasse überarbeitet wird, sollte dies von Anfang an klar sein. Die Revision von Texten ist, ähnlich wie die vorbereitenden Aktivitäten, auf bestimmte Aspekte des Textes eingrenzbar. Thematisch gemacht werden können etwa die Fülle der Information (dann ist eine Auseinandersetzung mit dem Text vorab auf der Ebene des Antwortens angebracht), die Qualität der Vertextung (dies verlangt ein Eingehen auf die Textstruktur und die Formulierungen des Textes) und schliesslich die Korrektheit der Textoberfläche. In jedem dieser Bereiche lassen sich spezielle Themen herausheben, etwa die Frage, wie plausibel Argumentationen sind, wie die Sätze des Textes miteinander verknüpft werden, wie es um die Konsistenz des Tempusgebrauchs steht. In jedem Fall können arbeitsleitende Fragen dazu dienen, den Fokus klarzumachen und die relevanten Kriterien zu verdeutlichen.
1
Dieses Verhältnis ist etwa daran ersichtlich, dass Antwort, Evaluation und Korrektur in direkter Beziehung stehen zu den Themen und Zielen des Schreibunterrichts bzw. des Sprachunterrichts. Noten treten in indirekte Beziehung zu diesen Zielen, nämlich über ihren institutionellen Charakter als Gratifikation bzw. Sanktionierung.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schieibdidaktik
Für die Anlage dieser Aktivität sind verschiedene Gesichtspunkte massgeblich: 1. Überarbeiten verlangt, dass ein Text genau gelesen und zur Kenntnis genommen wird. Reaktionen der verschiedenen Art sind mögliche Impulse, die es erlauben, einen Text aus verschiedenen Perspektiven zu sehen und daraus Vorschläge abzuleiten, auf die sich Schreibende bei der Überarbeitung beziehen können. Auch das Ruhenlassen eines Textes mag ein Mittel sein, eine gewisse Distanz zu gewinnen, oder das laute Vorlesen in Paar- oder Kleingruppenarbeit. Wichtig ist jedenfalls, dass die Schreibenden dabei unterstützt werden, ihre eigenen Texte aus der Leserperspektive zu sehen. 2. Überarbeiten muss nicht in Einzelarbeit erfolgen. Viele (nicht-personale) Texte eignen sich ausgezeichnet für eine Überarbeitung in Kleingruppen. Falls zu viele Texte vorhanden sind, müssen die Gruppen unter Umständen einzelne Texte auswählen, die sie überarbeiten wollen; andere können dann als Materialgrundlage für Formulierungen, Wörter, Ideen usw. benützt werden. 3. Überarbeiten muss nicht am eigenen Text erfolgen. Es ist interessanter, einen fremden Text vorzunehmen und zu versuchen, ihn weiterzubringen. 4. Überarbeiten muss zu spürbar besseren Texten führen. Es mag aufschlussreich sein, einmal Entwürfe zu kopieren und sie zu vergleichen mit den Texten, die in der Überarbeitung daraus erwachsen. Als Experiment könnte man sogar versuchen, einen schon vor längerer Zeit geschriebenen Text neu zu schreiben; aus dem Vergleich liesse sich auch der Fortschritt der Sprachbeherrschung ablesen. 3.3 Weiterarbeit Unter 'Weiterarbeit' werden hier alle jene Aktivitäten gefasst, durch die im Unterricht Lernertexte wiederaufgenommen und als Lese- bzw. Hörtexte verfügbar gemacht werden. Weiterarbeit steht in gewissem Sinne am Rande des Schreibanlasses. Im Unterricht zeigt sich dies daran, dass das Lesen, das Vortragen und Hören und die entsprechenden didaktischen Verfahren es sind, die in diesem Zusammenhang in den Vordergrund treten. Ein Rückbezug auf das Schreiben wird jedoch dadurch hergestellt, dass jede Reaktion auf den zur Kenntnis genommenen Text als Hinweis auf Gegebenheiten verstanden werden kann, die für das Schreiben relevant sind. In dieser Beziehung ist wohl auch das Verhältnis zu einem Text, dessen Autor direkt angesprochen werden kann, ein anderes als das zu den gängigen Vorlagentexten, die als Lehrtexte sehr leicht kanonischen Charakter annehmen - an ihnen ist nicht zu rütteln. Auf drei mit der Weiterarbeit zusammenhängende Aspekte soll im folgenden eingegangen werden: Die Formen der Weiterarbeit, die Frage der Auswahl von Texten, die in den Unterricht zurückgegeben werden, und das technische Problem der Veröffentlichung. Diese Dinge hängen eng miteinander zusammen.
m.3 Die Bereiche der Schreibdidaktik
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α. Formen der Weiterarbeit Kern der Weiterarbeit ist die Kenntnisnahme von Lernertexten, also das Lesen oder hörende Verstehen. Dies ist in vielen Fällen genügend; es entspricht der Art, wie im Alltag die meisten Texte zur Kenntnis genommen werden. Der grosse Vorteil von Lernertexten ist, dass sie eine entspannte, unverkrampfte Art des Verstehens in der Fremdsprache möglich machen. Sie stellen kaum Ansprüche auf Erweiterung der Kompetenz, wie dies die Lehrtexte tun, und erlauben innerhalb des Bereichs des mehr oder weniger Beherrschten die 'Funktionslust' bestehender Schemata zu erleben. Zudem sind diese Texte oft interessanter als die offiziellen Texte, denn sie stellen persönlichere und unmittelbarer wirksame Äusserungen dar. Weiterarbeit kann nun in verschiedenem Grade über diese Grundlage hinausgehen und den Reaktionen der Lesenden/Hörenden Raum lassen, bzw. solche ermuntern. Mögliche Reaktionen sind etwa - direkte Kommentare, Stellungnahmen, Fragen,...; - Vergleiche zwischen verschiedenen Lernertexten, die Bezeichnung der Unterschiede, der Hauptpunkte, der Strukturen der Darstellung,...; - Evaluation von Texten in bezug auf Vollständigkeit, Verständlichkeit, Klarheit; - Vergleich von Lemertexten mit Grundlagentexten, die im Unterricht verwendet werden, mit einschlägigen Zeitungsmeldungen. In vielen Fällen dürfte es fruchtbar sein, einzelne Themenkomplexe zu isolieren und einschlägige Fragen für die Weiterarbeit zu stellen bzw. durch die Lernenden stellen zu lassen. Wichtigstes Ziel dabei muss es sein, Lernertexte als Aussagen und als Texte ernst zu nehmen; es ist gänzlich unfruchtbar, sie durch ein massives Aufgebot an Bearbeitung so breit- und totzuschlagen, wie dies häufig mit Lehrtexten geschieht. Weiterarbeit ist, trotz des gewichtigen Namens, am fruchtbarsten wohl dort, wo sie kurz und gezielt erfolgt. Weiterarbeit, dies sei noch hinzugefügt, kann natürlich nicht nur zu verschiedenen Formen des Lesens und Besprechens, sondern auch zur Ausweitung von Unterrichtsthemen, zu neuen Themen, auch zu weiteren Schreibanlässen führen, wenn die Lernerbeiträge hierzu die Ideen und den Ansporn liefern. b. Zur Auswahl von Texten Es ist oft nicht möglich, auch nicht immer wünschbar, dass alle im Unterricht geschriebenen Texte zum Thema der Weiterarbeit werden. Zum einen sprechen dagegen Zeitgründe; andererseits sind Lernertexte nicht immer genügend unterschiedlich und reich, als dass sich ein allgemeines Interesse aufrechterhalten liesse, wenn ganze Serien davon vorgetragen werden. Lernertexte müssen demnach für die Weiterarbeit ausgewählt werden, vor allem dann, wenn die ganze Klasse gleichzeitig geschrieben hat. Einzelaufträge dagegen haben einen vorhersehbaren Platz im Unterricht.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
1. Je differenzierter die Schreibaufträge sind, oder je differenziertere Texte ein formell für alle gleicher Schreibauftrag provoziert1, desto fruchtbarer und interessanter kann die Weiterarbeit ausfallen, desto mehr Texte kommen als Grundlage für weitere Aktivitäten in Betracht. Je weniger differenzierend ein Schreibauftrag wirkt und je mehr schon im Schreibprozess selbst zusammengearbeitet worden ist, desto eher kann sich die Weiterarbeit, falls sie überhaupt stattfindet, auf einzelne besonders interessante Exemplare konzentrieren. 2. Die Auswahl von Texten kann durch den Lehrer erfolgen; die nicht berücksichtigten werden dann von ihm als ihrem einzigen Leser beantwortet und evaluiert. Vorzuziehen ist eine Textauswahl durch die Lernenden selbst. Diese kann etwa in Gruppen oder nach dem Kaskadenprinzip2 erfolgen. Auf diese Weise wird jeder Text zumindest von einem oder mehreren Lesern gelesen3. Die Texte, welche der Gesamtgnippe vorgestellt werden, sind Ergebnis einer mehr oder weniger formellen Auswahl. Dieses Verfahren kennt viele Abwandlungen; es kann natürlich mit dem Überarbeiten von Texten gekoppelt werden4, es kann auch dazu benutzt werden, Kriterien, Fragen usw., auf die es ankommen soll, vorzudiskutieren und damit eine Besprechung in grösseren Gruppen oder im Plenum vorzubereiten. c. Veröffentlichung Lernertexte sind meist handgeschrieben, oft von Korrekturen durchsetzt und häufig unübersichtlich. Die Zirkulation von Originalen als Leseunterlagen ist deshalb nicht immer befriedigend; schon in der Auswahl in den Gruppen kann dieser Aspekt Schwierigkeiten machen. Zudem sind solche Texte noch mit verschiedenen Fehlern behaftet. Es ist deshalb manchmal vorzuziehen oder sogar nötig, zwischen die Auswahl von Texten und ihre Veröffentlichung einen weiteren Arbeitsschritt einzusetzen, damit eine standardnahe Form erreicht und eine Veröffentlichungsform gefunden werden kann, welche eine möglichst optimale Aufnahme des Textes ermöglicht. Beides kann durch die Schreibenden selbst, durch Gruppenarbeit oder durch den Lehrer erreicht werden. Korrektur, das heisst die Bereinigung eines Textes in bezug auf die verschiedenen Normbereiche, ist wohl in dieser Situation besonders legitimiert und in seiner Zweckbestimmung einsichtig. Für die Veröffentlichung sind prinzipiell zwei Wege denkbar: das Vorlesen oder die Publikation (wobei letzteres ersteres nicht ausschliesst). Vorlesen ist eine, wie ich 1 2
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Etwa im personalen Schreiben, im literarisierenden Schreiben usw. Je zwei lesen gegenseitig ihre Texte und entscheiden darüber, welcher - nach ihrem Gutdünken oder einem vorgegebenen Kriterium - der bessere oder interessantere Text ist. In einer Vierergruppe wird dann aus den zwei eingebrachten Texten wieder einer ausgewählt usw. Lektüre durch den Lehrer ist auch hier natürlich nicht ausgeschlossen, sondern wünschbar. Dann werden von den vorliegenden Entwürfen einzelne ausgewählt und gemeinsam weitergeführt.
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glaube, unterschätzte Form der Mitteilung, es ist auch lesebegleitend ein starkes Mittel der Strukturierung des Verstehens. Es braucht nicht allein durch den Lehrer zu erfolgen. Vorlesen können auch die Lernenden (es braucht nicht der Autor zu sein), allerdings ist meist eine gewisse Vorbereitung nötig, soll der Text nicht unter seinem Wert verkauft und Verstehen leicht gemacht werden. Publiziert werden können Lemertexte auf Plakaten, über den Hellraumprojektor, maschinengeschrieben auf Kopien usw.1 Letztere Form ist dort vorzuziehen, wo eine Weiterarbeit über die unmittelbare Kenntnisnahme hinaus angestrebt wird. d. Lehrerreaktion
In den Umkreis der Weiterarbeit ist auch die Lehrerreaktion zu rechnen. Im Rahmen des Unterrichts sind die meisten Lernertexte traditionell Objekt einer Kenntnisnahme durch den Lehrer. Sofern sich diese auf Korrektur und Benotung beschränkt, wird die vorangegangene Arbeit ganz entscheidend als Übung qualifiziert; die Lehrertätigkeit zielt dann einzig darauf, den nicht beachteten Normaspekten Nachachtung zu verschaffen. Korrektur in diesem Sinne ist in bezug auf eine produktive Arbeit ein ungenügendes Minimum an Reaktion. Notwendig und schreibdidaktisch durchaus erforderlich ist, dass dann, wenn bloss der Lehrer als Leser auftritt, zumindest eine Evaluation, womöglich auch eine Antwort auf den Lernertext zustande kommt als Ausweis dafür, dass der Text als Mitteilung zur Kenntnis genommen worden ist und auch auf dieser Ebene Beachtung gefunden hat. Eine solche Antwort kann mündlich, aber auch schriftlich erfolgen - als inhaltsbezogener Kommentar, in dem zusätzliche Aspekte, eigene Einschätzungen oder sich aus der Lektüre ergebende Fragen notiert werden. Nur wo in dieser Art eine Rückmeldung stattfindet, kann die Lektüre durch den Lehrer als ein Analogon oder Ersatz für die Weiterarbeit im Unterricht gelten. Dies hat nichts mit Freundlichkeit oder Zuvorkommenheit zu tun, sondern ist die Bestätigung des Charakters und der Funktion dessen, was die Lernenden zu tun eingeladen worden sind2. Abschliessend soll noch einmal betont werden, dass das Ziel der Weiterarbeit ist, Texten den ihnen zukommenden Raum zu gewähren. Nicht die letzte Intention dabei ist, sie in den ihnen eigenen Qualitäten glänzen zu lassen. Nicht wenige Lernertexte sind durchaus überzeugende Belege dafür, wie viel und wie raffiniert auf jeder Stufe der Kompetenz sprachlich dargestellt werden kann, wenn die vorhandenen Mittel auf optimale Art eingesetzt werden.
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Formelle Arten der Publikation sind natürlich dort angebracht, wo Zeitungen, Klassenalben usw. geschrieben werden. Es sollte selbstverständlich sein, dass Lernende Wert darauf legen können, dass ein Text nur vom Lehrer eingesehen wird. Über die Frage, ob bestimmte Texte namentlich oder ohne Namen veröffentlicht werden sollen, muss im Unterricht entschieden werden.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
3.4 Explizite textuelle Kenntnisse erarbeiten Der prozessorientierte Ansatz zeigt ein grosses Vertrauen in das Vorwissen der Lernenden und ihre Fähigkeit, aus den ihnen geläufigen Situationen, kommunikativen Erfahrungen und textuellen Erwartungen zu Lösungen zu kommen auch für Mitteilungszwecke, die neu und ungewohnt sind. Diese Fähigkeit wird unterstützt und erweitert durch Analyse und Vergleich fremder oder eigener Texte sowie durch Kooperation der Lernenden untereinander, in der die Grundlagen kommunikativen Austausche klarer herausgearbeitet werden können. Hinsichtlich dieser Kenntnisse ist nun zweierlei zu postulieren: 1. In vielen Fällen dürfte es fruchtbar sein, dieses Wissen nicht nur in bezug auf den jeweiligen Einzelfall zu aktivieren und einzusetzen, sondern die wesentlichen Momente in allgemeiner Form zu fassen, und damit eine handhabbare, explizite Basis zu schaffen, auf die in weiteren Anlässen zurückgegriffen und auf der weiter aufgebaut werden kann. 2. In einigen Fällen dürfte es nötig sein, solche Kenntnisse zu vermitteln, die sich aus dem Vorwissen nicht ableiten lassen, die aber fürs Schreiben dennoch als relevant betrachtet werden. Die Rolle solcher expliziter Kenntnisse fürs Schreiben und den produktiven Ausdruck generell, aber auch fürs Lesen kann etwa darin gesehen werden, dass es erlaubt, einerseits Beziehungen zwischen verschiedenen Situationen klarer herauszustellen, andererseits Kriterien explizit, damit auch mitteilbar und besser kontrollierbar zu machen, sowohl im Hinblick aufs Schreiben wie aufs Lesen. Dies ist in einem Unterricht von Gewicht, der auf Kooperation zwischen Schreibenden wie auch auf ihre Fähigkeit zur selbständigen Arbeit abzielt. a. Zur Problematik
expliziter
Kenntnisse
Hinsichtlich des Nutzens expliziter Kenntnisse sind freilich auch Vorbehalte am Platz. Es geht hier primär um Zweifel an der Effektivität lehrerinitiierter Vermittlung in Vorbereitung zu einer Schreibaufgabe. Es soll hier auf zwei Gesichtspunkte hingewiesen werden. 1. Einerseits sind manche textuelle Phänomene nicht leicht zu formulieren. Was einen Text 'gut', 'klar* usw. macht, ist vielleicht am vorliegenden Produkt einigermassen nachvollziehbar zu beschreiben, aber kaum in aussagekräftige Regeln zuhanden von Schreibenden zu fassen. Entsprechend dürfte es schwierig sein, hier explizite Hilfestellungen zu geben, gar gangbare Anweisungen zuhanden von Schreibenden zu formulieren. Hinweise wie "Schreibe klar!", "Schreibe geordnet!", "Schreibe lebendig!" machen höchstens darauf aufmerksam, dass es solche Kriterien gibt; über die Anwendungsbedingungen lassen sie nichts verlauten. Dies aber macht die Anweisung inoperabel für gerade die, an welche die Mahnungen gerichtet sind, denn diese Schreibenden haben ja offensichtlich Probleme damit, den Bedingungen klaren Ausdrucks, geordneter Darstellung oder lebendigen Stils zu genügen. Zamel (1985) zeigt an einigen Beispielen sehr schön, wie schwierig für Lehrer schon die viel einfachere Aufgabe sein kann,
m.3 Die Beieiche der Schreibdidaktik
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(schriftlich) hilfreich auf Schwächen in Lernertexten zu reagieren, das heisst Fragen zu stellen oder treffende Kommentare zu geben, welche den Schreibenden signalisieren, in welche Richtung eine Überarbeitung gehen könnte. Die Signalisation einer Stelle als 'unklar' oder 'weitschweifig' gibt einen Eindruck wieder, keine sinnvolle Aufforderung. Im direkten Gespräch wird die Aufgabe etwas einfacher, weil viel direkter mit Beispielen und deiktischen Hinweisen gearbeitet werden kann. 2. Andererseits hängt Schreibenkönnen nicht direkt von explizitem Wissen ab. Die wesentlichen Verfahrensweisen sind wahrscheinlich in Prozeduren gefasst (vgl. Hillocks 1986a, b). Der Vorteil von schreibbegleitenden Gesprächen, von Kooperation und gemeinsamer Überarbeitung ist, dass sie nicht eigentlich zur Formulierung von textbezogenem Wissen zwingen, sondern es erlauben, die darauf beruhenden Erwartungen und Einschätzungen spielen zu lassen und anhand der Manipulation von Plänen, Formulierungen usw. zu Einsichten zu kommen, die wiederum ohne explizite sprachliche Erfassung wirksam werden können. Das Verhältnis zwischen explizitem und prozedural gefasstem Wissen mag hier ähnlich sein wie etwa in bezug auf die Grammatik. In diese Richtung argumentiert etwa Taylor: We have no more right to assume that analyzing written models with an eye toward teaching the explicit structure of discourse will necessarily improve writing abilities any more than to assume that grammar drills will necessarily improve speaking ability. (Taylor 1981: 8; vgl. Haueis 1983:49.)1 1
Pohl schreibt im Hinblick auf vorlagenbezogenes Schreiben: «Der Grad der Wirksamkeit [sc.: der in der Vorlage realisierten Aussagemuster] hängt davon ab, inwieweit der Lehrer die einzelnen Elemente bzw. Komponenten dem Schüler bewusstmacht; Seistellung, Kommunikationsabsicht und Gliederung, zu verwendende (und damit zu übende) sprachliche Mittel um Rahmen der Realisierung kommunikativer Verfahren.» (Pohl 1984: 283) - Auf der Basis der hier diskutierten Vorstellungen übers Schreiben müsste davon ausgegangen weiden, dass die Aufgabe nicht primär im Hinweis (durch den Lehrer) auf Elemente der Sachebene besteht, sondern darin, dass - unter Hilfestellung durch den Lehrer - Schreibende sich gewisser Dinge bewusst werden in der Auseinandersetzung mit einer Aufgabe. Bereiter/Scardamalia (1984) berichten über einige Studien, die zeigen, dass Schreibende schon nach einmaliger Bekanntschaft mit einem neuen Texttyp fähig waren, gewisse Elemente daraus im eigenen Schreiben fruchtbar zu machen. Die Tendenz ging bei allen Versuchspersonen (von Drittklässlem bis Studenten) dahin, dass einzelne herausragende Textstruktur- oder Inhaltselemente übernommen wurden. Komplexe Phänomene (etwa 'Spannung erzeugen'), die auf dem Zusammenwirken einer Zahl von Einzelkomponenten beruhen, wurden dagegen kaum aufgenommen (obwohl die meisten mit solchen Texten vorgängige Erfahrung gehabt haben dürften, weniger mit der Form der journalistischen Gastronomiekritik, die relativ problemlos repliziert werden konnte). Insgesamt erscheint die Möglichkeit, aus einzelnen Texten und Textanalysen wichtige Erkenntnisse zu gewinnen, als beschränkt. Dagegen zeigte sich, dass einfache Schemata (etwa die Restaurant-Kritik) auch ohne Kenntnis einschlägiger Texte aus verwandten bzw. übergeordneten Textschemata mit einigem Erfolg rekonstruierbar sind (ebda.: 178). Freedle/Fine (1983:151) berichten, dass Kinder in der mündlichen Produktion nach wiederholter Kenntnisnahme von Texten eines bestimmten Typs von selbst begannen, eigene Produktionen mustergerecht kohärent zu gestal-
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Teil ΙΠ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
Nun kann Grammatikwissen allein ein Können nicht garantieren, wohl aber dem, der damit umgehen kann, unübersehbar Vorteile bringen. Ähnliches ist wohl im Hinblick auf explizite Textkenntnisse zu sagen, die im Zweifelsfalle Rückgriffe erlauben, wahrscheinlich auch in manchen Fällen Transfer erleichtern1. b. Kenntnisse gewinnen und vermitteln Es steht zu erwarten, dass explizite Kenntnisse um so leichter operational, also tatsächlich wirksam werden können, je besser sie drei Bedingungen erfüllen: 1. Sie sind um so leichter zu formulieren und anzuwenden, je höhere Textebenen sie betreffen, je globaler sie also den Text bestimmen und je direkter sie mit den mit hoher Wahrscheinlichkeit bewusst ablaufenden Planungsaktivitäten in Verbindung gebracht werden können. Dies betrifft vor allem verallgemeinerbare Resultate aus der Situationsanalyse und die generellen Strukturmuster von Texten. Sie werden um so schwieriger abstrakt zu formulieren und zu vermitteln sein, je verstreutere Phänomene sie betreffen, die erst in ihrem Zusammenwirken so etwas produzieren wie den Eindruck von Klarheit, Präzision, Kohärenz usw.2 2. Explizite Kenntnisse sind um so eher geeignet, wirkliche Hilfen zu bieten, je mehr sie auf der Grundlage prozedural gefasster Kenntnisse von den Schreibenden selbst erarbeitet werden, das heisst die in Urteilen (über Adäquatheit, Richtigkeit, Schönheit usw. von Texten) intuitiv wirksamen Kriterien fassen und im Überblick zu organisieren erlauben (vgl. Hillocks 1986a: 87).
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ten und Kohärenz auch sprachlich zu signalisieren. Diese Verbesserung wurde entschieden gefördert, wenn die Kinder das Ziel der Vertextung (Mitteilung an andere) explizit formulierten. Solche Untersuchungen zeigen, dass Schreiben, wie in Π.3 beschrieben, einen durchaus aktiven, opportunistischen Umgang mit Mustern beinhaltet und sich nicht einfach im Reproduzieren eingelernter Muster erschöpft. Es ist deshalb fraglich, ob Muster unangefochten im Zentrum der schreibdidaktischen Bemühungen stehen dürfen, wie dies die textlinguistisch ausgerichtete Didaktik vorschlägt oder auch Bohn (1986: 53ff.) anzunehmen scheint. In ähnliche Richtung argumentiert Äugst im Hinblick auf muttersprachlichen Schreibunterricht. Er schreibt: «Zum Schreibenlemen in der Sekundarstufe II möchte ich festhalten, dass man Schreiben vor allem durch kontinuierliches und kontrolliertes Schreiben lernt, in zweiter Linie durch ein gezieltes Üben und erst drittens durch die Reflexion über das Schreiben» (Äugst 1988: 55). Aus dem Kontext lässt sich entnehmen, dass mit 'kontrolliertem Schreiben' jene Form des kooperativen, reflektierten Schreibens gemeint ist, das im Prozessansatz propagiert wird, und dass mit 'Reflexion über Schreiben' auf die Definition expliziter Regeln usw. abgezielt ist. Was Chaudron (1983) allgemein zu Lehrereiklärungen, also zum Versuch sagt, über die explizite, theoretische Fassung von Sachverhalten eine Basis der Verständigung herzustellen, gilt vielleicht besonders für Eiklärungen in diesem Bereich des Schreibunterrichts: «The pressure to ensure communication appears to lead at times to ambiguous over-simplification on the one hand, and confusingly redundant over-elaboration on the other.»
m.3 Die Bereiche der Schreibdidaktik
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3. Explizite Kenntnisse haben dann um so mehr Chancen, in ihrer Rolle für das Schreiben verstanden zu werden, je besser sie verbunden werden können mit aktuellen Fragen, die sich im Schreiben ergeben, und je mehr sie dabei als hilfreich erfahren werden, indem sie die Arbeit erleichtern, die Übersicht fördern, Ideen in eine Struktur zu bringen erlauben usw. In dieser Beziehung verhalten sie sich gleich wie aandere Hilfestellungen (vgl. auch den nächsten Abschnitt). In diesem Sinne wurde schon in ΠΙ.2/2 betont, dass Gewinnung und Vermittlung expliziter Kenntnisse, auch die Verfügbarmachung von Beispieltexten und Redemittellisten, nicht in jedem Falle vor dem Schreiben eines Textes stattfinden muss, sondern auch während des Schreibens - etwa in der Überarbeitungsphase - oder erst nachträglich geschehen kann. Ein späterer Einsatz trifft auf besser vorbereitete Lernende, damit besteht eine grössere Chance, dass die entscheidenden Regularitäten gezielt erarbeitet werden können bzw. dass Hilfestellungen als operational wahrgenommen werden, als anschliessbar an die in der schon getätigten Arbeit aktivierten Wissensbestände und Ausdrucksprobleme. Die vorgängige Sammlung und Formulierung von Regularitäten bleibt oft vage und unverbindlich. Der Nachteil hier besteht darin, dass der Nachvollzug der Strukturierung in Fremdtexten zwar die dabei benutzten sprachlichen und kompositorischen Mittel offenlegt, aber die Bedingungen, unter denen sie gewählt wurden, nur bedingt nachvollziehbar macht. c. Explizite Textkenntnisse und Sprachwissen Einer der Vorteile, welche die Formulierung von Textregularitäten hat, besteht darin, dass sie es in einigen Fällen ermöglicht, nicht nur Gesichtspunkte für die Strukturierung von Texten zu geben, sondern auch bestimmte Klassen von sprachlichen Mitteln einsichtig mit ihren Funktionen und ihren präferierten Stellen in Texten zusammenzubringen. Ein Beispiel soll dies kurz erläutern: Diskussions- und Gesprächsbeiträge von Lernenden sind oft wenig einsichtig mit dem übrigen Gesprächskontext verknüpft. Vielfach hat dies jedoch nicht damit zu tun, dass der Beitrag nicht passend wäre; dieser Eindruck kann sich auch aus einer unglücklichen Weise der Präsentation ergeben. Aufgrund von Transkripten oder Tonaufnahmen eigener oder fremder Diskussionen lässt sich der Frage nach der Struktur von Gesprächsbeiträgen und ihrer sprachlichen Signalisierung nachgehen. Die Arbeit könnte ungefähr zu folgendem Resultat kommen: Voll ausgeführte Beiträge bestehen aus einem situierenden Eingang, der vor allem dann nötig ist, wenn nicht auf den vorhergehenden Gesprächsbeitrag, sondern auf weiter Zurückliegendes Bezug genommen wird, oder wenn nur einzelne Aspekte eines Themas kommentiert werden sollen. Dieser Eingang kann einen Punkt einfach benennen oder aus einer Zusammenfassung, Interpretation usw. anderer Redebeiträge bestehen. Es folgen Stellungnahme bzw. Zielangabe (z.B. "Damit bin ich nicht einverstanden", "Ich möchte auf diese Frage noch einmal eingehen") und Darlegung der eigenen Position, abschliessend kann eine zusammenfassende Bekräftigung, eine rhetorische Frage usw. folgen. Allen diesen Komponenten sind
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik:
bestimmte Floskeln und Redewendungen zugeordnet, die zugleich den Beitrag strukturieren und den genauen Stellenwert jedes Elements kennzeichnen. - Im Gespräch können verschiedenste Reduktionsformen des Schemas vorkommen; es wächst, voll expandiert, zum Statement aus, wie es auch etwa der schriftlichen Meinungskundgabe zugrunde liegt ("Was ist Ihre Meinung zu ... ?")• Dieses Schema und der Umgang damit ist den Lernenden sicher nicht unbekannt; es steht trotzdem (oder gerade deshalb) zu erwarten, dass die explizite Hervorhebung seiner Struktur und der Hinweis auf spezialisierte Redeweisen vor allem in der Fremdsprache hilfreich sein können, weil hier Forderungen, die sowohl im schriftlichen wie im mündlichen Bereich eine enorme Rolle spielen, auf eine einfache und zugleich operable Regularität gebracht werden können. Ahnliche Muster und Sprachmittel lassen sich für verschiedene Textarten und Teiltexte geltend machen, wobei die Spezifik der Sprachmittel und die Flexibilität der Textschemata sehr variiert1. d. Kenntnisse übers Schreiben
Schreiberfahrungen und Einstellungen zum Schreiben und zum Geschriebenen sind selbst ein mögliches Thema expliziter Reflexion, besonders im Zusammenhang mit den verschiedenen schreibdidaktischen Entscheidungen wie kooperative Zielanalyse, gemeinsames Überarbeiten, Lektüre gruppeneigener Texte und den Erfahrungen, welche die Schreibenden damit machen. Vorstellungen darüber, was Schreiben ist und wie dieser Vorgang bzw. seine Resultate auszusehen haben, üben einen nicht unwesentlichen Einfluss darauf aus, wie geschrieben wird - manchmal in durchaus hinderlichem Sinn. Der Vergleich solcher Vorstellungen mit dem, was im Schreiben aktuell vonstatten geht und vonstatten gehen könnte, kann durchaus hilfreich sein, für Lehrer und Lerner. Ebenso werden viele Techniken, die erfahrenen Schreibern als selbstverständlich erscheinen, keineswegs dadurch schon anwendbar, dass über sie informiert wird, etwa über heuristische Verfahren der Ideensuche und -organisation: A [...] basic fact about teaching heuristics is that people must experience a new thinking technique to learn it. Brainstorming, for example, is an acquired skill and may go against the grain for writers geared to producing usable prose on a first sitting. Students will not blithely relinquish their habitual composing techniques, no matter how inefficient, at the sight of a new idea. To make a new heuristic an available option it must be presented as a classroom experience which ensures that the writer actually learns how to use and apply a new technique. (Flower/Hayes 1977: 461)2
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Für den Dialog zeichnet Hartl (1984) ein einfaches Schema auf, welches die Phasen im Normalablauf eines Gesprächs zeigt, und berichtet über maikante Verbesserung des Dialog-Verhaltens von Lernem. Vgl. die folgende hübsche Beobachtung: «When, in exploratory interviews, we told children that adults sometimes think for 15 minutes or more before starting to write, many children were incredulous. They could not imagine what there was to think about for that length of time. They were inclined, in fact, to think that such a slow
m.3 Die Bereiche der Schreibdidaktik
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Übungsformen und produktives Schreiben
Übendes Schreiben wird in dem hier gegebenen Aufriss der Schreibdidaktik dem produktiven Schreiben zu- und untergeordnet. Es wird nicht als Voraussetzung dafür betrachtet, dass überhaupt geschrieben werden kann, sondern dient verschiedenen speziellen Zielen: der Vermittlung von Teilfertigkeiten, welche im Hinblick auf eine Schreibaufgabe noch nicht oder zu wenig beherrscht werden, der Fokussierung der Aufmerksamkeit, dem probeweisen Lösen von Teilproblemen usw. Diese Dinge können das produktive Schreiben vorbereiten, im Verlaufe der Schreibarbeit eingebracht werden oder nachträglich thematisiert werden. Schriftliche Übungen der verschiedenen Art können ihren Platz aber auch im Leseunterricht oder in der Vorbereitung aufs Sprechen haben; sie sind in diesem Sinne nicht an den Schreibunterricht gebunden. Im folgenden sollen Schreibformen, welche vom Modell produktiven Schreibens abweichen, daraufhin befragt werden, in welcher Art sie die Anforderungen an die Schreibenden verändern. Wie schon in den vorhergehenden Ausführungen geht es auch hier nicht um eine vollständige Erfassung und Auflistung von Schreibformen, sondern darum, einige wesentlich scheinende Kriterien aufzuweisen. 4.1 Zum Begriff des Übens 'Übung' ist ein notorisch unscharfer Begriff. Neben eindeutigen Fällen, die unbestritten als Übungen gelten, gibt es weite Bereiche vorab unterrichtlicher Aktivitäten, in bezug auf die der Gebrauch dieses Begriffs schwankend ist. An klassischen Übungen des Typs 'Komparativformen üben' lassen sich zwei Hauptmomente festmachen: Die sprachliche Tätigkeit wird fokussiert auf ein Teilmoment, dem gegenüber die anderen Momente (die nicht fokussierten Sprachmittel, Inhalt, Mitteilung) stark zurücktreten; und die Tätigkeit wird wiederholt ausgeübt, das heisst das fokussierte Teilmoment wird repetiert, die übrigen Momente werden variiert. Häufig werden diese letzteren teilweise oder ganz unbestimmt gehalten, sie sind dann von den Lernenden selbst zu liefern. Das Prozedere hat die Herausbildung von Teilfertigkeiten zum Ziel und ist nur unter dieser Perspektive sinnvoller Sprachgebrauch. In Erweiterung dieser Definition werden oft auch verschiedene andere unterrichtliche Handlungsformen als Übungen angesprochen. 1. Von Üben wird gesprochen, wenn definierte Teilleistungen verlangt werden, das Moment der Repetition aber fehlt. In diesem Sinne ist die Arbeit an Cloze-Texten1 als Übung zu bezeichnen, auch wenn jede einzelne der Textlücken andere Teilleistungen verlangt.
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start was a sign of incompetence and that expert writers, being smarter, should be quicker off the mark.» (Burtis et al. 1983:158; s. dazu auch III.4.) Texte, in denen jedes vierte oder fünfte Wort gestrichen wird und von den Lernenden aufgrund der Kontexthinweise wieder eingesetzt werden muss.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
2. Alternativ werden sprachliche Tätigkeiten oft als Übungen bezeichnet aufgrund dessen, dass in ihnen wiederholt Teilleistungen erfordert werden, auch wenn diese nicht fokussiert werden und sich aus der Aufgabenstellung zwangsläufig ergeben. In diesem Sinne gelten manchmal offene Diskussionen als Argumentations- oder Sprach Übungen, weil darin voraussehbarerweise die sprachliche Bezeichnung von Kausalzusammenhängen einen gewissen Stellenwert einnehmen wird. 3. In einer noch weitergehenden Verallgemeinerung des Begriffs kann schliesslich alles, was im Sprachunterricht geschieht, sogar jeder (fremdsprachliche) Sprachgebrauch überhaupt als Übung bezeichnet werden, weil dabei - obzwar völlig unspezifisch - Bekanntes wiederholt, das heisst angewendet und gefestigt wird1. In den zwei letzten Fällen wird das Moment der angeleiteten und willkürlichen Fokussierung auf bestimmte Sprachmittel aufgegeben. Der solcherart ausgeweitete Begriff kann nicht mehr, wie in den anderen Fällen, gegenüber dem der Kommunikation abgesetzt werden, sondern bezeichnet nun eine Eigenschaft, die dem Sprachgebrauch überhaupt zukommt. In einer Art gegenläufiger Extension wird der Begriff 'Kommunikation', speziell auch der Begriff 'Schreiben' - gewonnen an relativ eindeutigen Kernphänomenen mitteilenden Sprachgebrauchs - in didaktischen Kontexten häufig übertragen auf die verschiedenen Formen des Übens, bis auch das repetierende Üben noch als kommunikativ bzw. jedes Fixieren von Sprache als Schreiben erscheint2. Eine gewisse Plausibilität ist diesen jeweiligen Vereinnahmungen nicht ganz abzusprechen, lässt sich sprachlichen Ausdrücken doch ihr möglicher Bezug auf Kommunikation nicht austreiben, auch nicht in der entlegensten Übung, und wiederholt doch jeder, auch der authentischste Sprachgebrauch vorgegebene linguistische Formen und Muster. Ich möchte jedoch einen Einschnitt am bezeichneten Ort, zwischen den erster und den zwei letzten Verwendungsweisen des Begriffs machen und als Üben nur bezeichnen, wenn willkürlich und angeleitet definierte Sprachmittel fokussiert werden. In diesem Sinne ist produktives Schreiben kein Üben; verschiedene Übungen stehen aber in durchaus unterschiedlichen Verhältnissen zu ihm (vgl. 4.2).
1
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Sprecher richten individuell und aufgabenbezogen ihre Aufmerksamkeit auf die verschiedensten Sprachmittel, wenn sie lesen, schreiben, sprechen, hören. Dem können durchaus bewusste Lernabsichten zugrunde liegen. Ich möchte diesen ganzen Komplex jedoch nicht mit dem Begriff des Übens verbinden, auch wenn sich hier ähnliche Verfahren entdecken lassen sollten, wie sie im organisierten unterrichtlichen Üben benutzt werden. In diesem Sinne vereinigt Pineas unter dem Titel "Writing exercises" alle Aktivitäten, die schreibdidaktisch für sie von Interesse sind, in einer einzigen Struktur unter drei Klassifikationsgesichtspunkten: Impuls, Vorgehen und Arbeitsweise (II. 1/2.4.3).
m.3 Die Bereiche der Schreibdidaktik
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4.2 Übungen und produktives Schreiben 4.2.1 Produktives Schreiben Der voll entwickelte Schreibanlass, wie er bisher im Zentrum gestanden hat, zeichnet sich dadurch aus, dass er vom Schreibenden verlangt, aufgrund einer Aufgabenstellung einen Text zu formulieren. Dieser Prozess ist in mancherlei Hinsicht steuerbar durch den Schreibauftrag, ohne dass deswegen die grundsätzliche schreibspezifische Orientierung beeinträchtigt würde, welche Voraussetzung für produktives Schreiben ist. Von produktivem Schreiben ist also auch dann zu sprechen, wenn etwa - Zwänge, welche sich aus der Aufgabenstellung ergeben, den Schreibenden in seiner Freiheit des Konzipierens und Formulierens empfindlich einschränken. Dies ist meist bei vorlagengebundenem Schreiben der Fall, ebenfalls dann, wenn streng definierte Textformen geschrieben werden (Lebensläufe, Haikus usw.); - Materialien zur Verfügung gestellt werden (Redemittel, Strukturschemata, Vorbildtexte), welche als Hilfen dienen und frei benutzt werden können. Hilfen in diesem Sinne entsprechen den Texten, Wörterbüchern, eventuell Schreibanleitungen, die auch ausserhalb des Unterrichts manchmal zu Rate gezogen werden, wenn wenig bekannte Schreibsituationen zu bewältigen sind1; - der zu schreibende Text kontextualisiert ist - wenn etwa eine Geschichte zu Ende geschrieben wird, zu einem Bild eine Aussage gemacht wird (eine Interpretation, eine Beurteilung), oder wenn eine Anfrage, ein Brief beantwortet werden muss; - spielerisch gewisse willkürlich ausgewählte Wörter oder einzelne Sätze vorgegeben werden, welche in einem (meist fiktionalen) Text erscheinen müssen, oder sonstwie spielerisch (z.B. mit verteilten Rollen; oder Satz für Satz, ohne dass der ganze Text überblickbar wäre) geschrieben wird und dabei z.B. die mangelnde Planbarkeit des Textes den Reiz des Spiels ausmacht. Die schreibspezifische Orientierung wird auch nicht beeinträchtigt, wenn - Schreibprozesse moderiert werden und einzelne Schritte (Ideen sammeln, einen Text planen, einen Text überarbeiten) gemeinsam durchgeführt werden, auch wenn sich aus dieser Arbeit für den einzelnen inhaltliche oder sprachliche Festlegungen ergeben, die er auf sich allein gestellt nicht auf diese Weise getroffen hätte. Dies hat nichts Einschränkendes an sich, wenn diese Festlegungen als sinnvolle Lösungen der Aufgabe akzeptiert werden. 1
Es wurde schon darauf hingewiesen, dass nur in speziellen Fällen die Verwendung bestimmter Sprachmittel obligatorisch gemacht werden kann - etwa beim Schreiben textsortenspezifischer Texte die Verwendung dort üblicher oder sogar geforderter idiomatischer Wendungen. Listen solcher Redemittel sind mehr als nur Hilfen. Die Forderung, diese zu gebrauchen, ergibt sich aber aus der Aufgabenstellung (der Aufforderung, einen textsortentypischen Text zu schreiben) und bedeutet nicht eigentlich eine Einschränkung der schreibspezifischen Orientierung.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
Die schreibspezifische Orientierung wird schliesslich unterstützt, oft für die Lernenden erst vollziehbar, wenn - das Schreiben eine Funktion erfüllt, die über die reine Lernfunktion hinausgeht und die Tätigkeit des Sich-Äusserns sinnvoll zu situieren und motivationell abzustützen erlaubt. Erst dadurch wird die Äusserung zu einem Akt, durch den die Schreibenden sich anderen gegenüber exponieren können und mit dem sie eine gewisse kommunikative Verantwortung auf sich nehmen. Viele vor allem unterrichtliche Schreibanlässe weichen in verschiedener Hinsicht vom Grundmodell produktiven Schreibens ab dadurch, dass sie die Aufgabe des Schreibens in verschiedener Weise näher und anders bestimmen als nur durch einen Schreibauftrag. Das folgende ist ein Versuch, einige dieser Abweichungen zu benennen. Zu unterscheiden sind typische Anforderungen, wie sie durch Übungen gestellt werden, und die Vielzahl konkreter Übungsformen. Hier werden die Anforderungen in den Vordergrund gestellt. 4.2.2 Typen von Übungen Übungen werden hier danach betrachtet, wie nahe die von ihnen gestellten Anforderungen denen sind, welche produktive Schreibanlässe auszeichnen. Ich möchte drei grosse Gruppen unterscheiden: schriftliche Übungen, textuelle Übungen und Schreibübungen. a. Schriftliche Übungen Als schriftliche Übungen werden solche bezeichnet, welche die Vermittlung und Erarbeitung von Sprachmitteln zum Zweck haben, die dem Aufbau der Grundlagenkompetenz dienen und in keiner Weise für den schriftlichen Sprachgebrauch spezifisch sind. Zu dieser Grundlage gehören ein Grossteil des Wortschatzes, die meisten syntaktischen Strukturen, die morphologischen Paradigmen usw. Die Wahl des schriftlichen Mediums fürs Üben hat mit der Zweckbestimmung dieser Mittel nichts zu tun. Meist werden schriftliche Übungen parallel zu mündlichen durchgeführt; möglicherweise verbinden sich mit der Wahl der Modalität gewisse zusätzliche Absichten, etwa die Schreibung neuer Wörter zu festigen oder individuelle, besser kontrollierbare Resultate zu sichern. Auch diese Intentionen gehören nicht oder nur am Rande zu einer Schreibdidaktik, wie sie hier skizziert wurde. Schriftliche Übungen haben meist die oben beschriebene repetitive Struktur; sie fokussieren immer bestimmte Teilmomente, die häufig mit grammatischen Begriffen im Titel der Übung bezeichnet werden, vielleicht auch durch ein Beispiel kenntlich gemacht werden. Übungsgrösse ist üblicherweise der Satz; die vorgegebenen Beispiele müssen verändert werden etwa durch strukturelle Transformationen, die Ersetzung bestimmter Wörter, die Einsetzung von fehlenden Satzteilen usw. Für das Training bestimmter Sprachmittel (Pronomina, Tempora, Artikel) sind auch Übungen in Textform gängig. Hier sind semantische und syntaktische Informationen, die
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nicht in einem einzelnen Satz repräsentiert sind, zu berücksichtigen, damit die richtigen Antworten getroffen werden können. b. Textübungen Ausgangspunkt solcher Übungen sind Texte, die in ihrer Bedeutung und Struktur genau verstanden werden müssen, damit offengelassene Lücken gefüllt oder geforderte Veränderungen ausgeführt werden können. Die schon angesprochenen Cloze-Texte sind Beispiele für solche Textübungen. Die Lernenden sind hier - zumindest bei einigen Lücken - gezwungen, vom Gesamtzusammenhang des Textes auszugehen, um über ihre (syntaktisch, semantisch und pragmatisch) adäquate Füllung entscheiden zu können1; es gibt ebenfalls keine definierte grammatische oder morphologische Klasse, die durchgängig im Zentrum steht. Zu unterscheiden sind hier reproduktive und reproduktiv-produktive Übungen. Reproduktive verlangen primär, dass ein vorgegebener Text genau verstanden wird. Insofern sind es Leseaufgaben. Was sie über solche hinaushebt, ist die zusätzliche Forderung, aufgrund dieses Verstehens kontextuell eindeutig als richtig bestimmbare Wörter oder Ausdrücke auszuwählen und entweder in Lücken im Text einzusetzen oder in eine (aufgrund von spezifischen Anweisungen) veränderte Version des Textes einzubringen. Die Antwort verlangt somit kein Formulieren, sondern bloss ein Identifizieren oder Erinnern der Antwort; diese ist Ausweis dafür, dass bestimmte Zusammenhänge richtig erkannt wurden. Solche Übungsformen können auch so angelegt werden, dass entsprechende Leistungen erbracht werden können, ohne dass die Antworten schriftlich gegeben werden müssen2. Die reproduktiv-produktiven Übungen funktionieren nach demselben Prinzip; hier sind jedoch die Vorgaben zu wenig spezifisch (oder die Lücken zu umfangreich), so dass für die Rekonstruktion des Textes eine Anzahl von Freiräumen offenbleibt, also gewisse Alternativen der Wahl bestehen. Der resultierende Text ist hier durch die Vorgabe nicht bis ins Detail vorherbestimmt. Wo die Lücken so gross werden, dass nicht nur einzelne Wörter aus einer Reihe von möglichen gewählt, sondern ganze Sätze und Abschnitte selbständig formuliert werden müssen, sprengen solche Übungen den reproduktiven Bereich; es gibt hier einen lückenlosen Übergang zu den Schreibübungen bzw. zum freien Schreiben. Eine Übungsform an diesem Übergang ist etwa die Aufgabe, einen Dialog zu komplettieren, in dem die Beiträge des einen Partners ausgelassen sind. In extrem einfachen Fällen kann dies eine rein reproduktive Aufgabe sein, meist wird jedoch ein mehr oder weniger grosses Mass an Formulierungsarbeit notwendig, 1
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Da die Lücken nach dem Zufallsprinzip bestimmt werden, sind nicht alle Probleme textueller Natur, viele der Entscheidungen sind auf Satz- und Phrasenebene zu fällen (etwa wenn bestimmte Präpositionen oder Artikel getilgt worden sind). Dazu gehören bestimmte multiple-choice-Aufgaben oder die Aufgabe, die Abfolge von ungeordnet vorgelegten Einzelsätzen bzw. -abschnitten eines Textes zu rekonstruieren.
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wobei die mitzuteilenden Informationen aus dem Kontext, das heisst den jeweils vorhergehenden und nachfolgenden Äusserungen des zweiten Partners erschlossen werden müssen1. Man kann diese Übung auffassen als Aufgabe, eine Serie extrem stark kontextualisierter Kürzesttexte zu verfassen. In diesen und den meisten anderen Formen reproduktiv-produktiven Schreibens wird durch die Vorgabe die Aufmerksamkeit ganz auf das Verstehen einerseits, die sprachliche Fassung einer vorgegebenen Information andererseits eingeschränkt; die übergreifenden textuellen Gesichtspunkte sind vorgegeben und damit aus dem Bereich dessen, was die Schreibenden selbst zu gestalten haben, ausgeschlossen. Textübungen können ganz bestimmte textkonstitutive Verfahren in den Vordergrund stellen (argumentative Verknüpfungen, textkommentierende Redemittel) oder unsystematisch unterschiedliche textuelle (und andere) Faktoren aufrufen, wie dies etwa im Cloze-Verfahren der Fall ist. Wo tatsächlich Formulierungsleistungen erfordert werden, kommen natürlich weitere, im einzelnen nicht mehr von vornherein bestimmbare Gesichtspunkte ins Spiel. (Eine Fülle reproduktiver und reproduktiv-produktiver Übungsformen finden sich beispielsweise bei Byrne 1979; White 1980; Mc Arthur 1984.) c. Schreibübungen Zu den Schreibübungen zu zählen sind Aufgaben, welche eine schreibspezifische Orientierung erfordern, deren Vorgaben jedoch das Schreiben in verschiedener Hinsicht erleichtern und beschleunigen, indem der Schreibprozess auf bestimmte Teilprozesse eingeschränkt wird. Alternativ können etwa Modelltexte vorgegeben werden, die einen Texttyp besonders deutlich repräsentieren und die im Schreiben eines eigenen Textes mehr oder weniger eng nachvollzogen werden können. Diese Formen sind nicht völlig eindeutig abgrenzbar gegen die oben genannten; als Schreibübungen möchte ich hier nur solche bezeichnen, bei denen die Vorgaben zwar die Rahmenbedingungen der Arbeit schwergewichtig bestimmen, die inhaltliche wie formale Ausgestaltung des Produkts im einzelnen jedoch weitgehend von Entscheidungen der Schreibenden abhängt (siehe unten). 4.23 Schreibübungen als modifizierte Schreibanlässe Schreibübungen stellen Übungsformen dar, die in vielem noch eindeutig schulischen Charakter tragen, in anderer Hinsicht sich deutlich Schreibformen nähern, die im Alltag gängig sind, solchen etwa, welche in Mitautorschaft produziert werden, oder Formen von geschäftlichem Schreiben, in denen mögliche Textelemente weitgehend definiert sind und in bezug auf eine konkrete Aufgabe ausgewählt und angepasst werden müssen. Im Vergleich mit voll ausgebildeten Schreibanlässen lassen sich diese als 1
Andere Übungsformen gehen von einem Text, nicht einem Dialog aus, eröffnen aber auf ähnliche Weise die Notwendigkeit, kontextuell definierte oder etwa in Stichworten skizzierte Information explizit in den Text einzubringen.
ΓΠ.3 Die Bereiche der Schreibdidaktik
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modifizierte Schreibanlässe interpretieren, während die Textübungen eher als reduzierte zu bezeichnen wären. Im folgenden sollen einige Formen kurz näher beschrieben werden. a. Nicht voll entfaltete Schreibanlässe
Nicht voll durchgeführte Schreibanlässe werden so angelegt, dass einzelne Aspekte des Schreibens in den Brennpunkt rücken, andere durch die Vorgaben ausgeblendet werden. In diesem Sinne kann - eine Situationsanalyse verändert und in bezug darauf ein vorgegebener Text umgeschrieben werden; - ein Text geplant werden, etwa so weit, dass Ziel und relevante Inhaltselemente bestimmt werden, worauf aus einer Liste von vorgegebenen Sätzen die einschlägigen ausgewählt und zu einem geschlossenen Text umgearbeitet werden; - ein Text aufgrund von ausgeführten Planvorgaben geschrieben werden; - schliesslich kann ein vorliegender Text evaluiert und neugeschrieben werden. Schreibanlässe solcher Art sind durchaus realistisch; einige davon sind im kooperativen Schreiben an der Tagesordnung. Im Unterricht lassen sich solche Teilprozesse isoliert als Übungen abarbeiten; alternativ kann auch, analog zu üblichen Verfahren, ein Text sukzessive durch verschiedene einzelne oder Gruppen erarbeitet werden, wobei eventuell das Plenum die Anfangsbedingungen setzt und das Endprodukt (die Endprodukte) auswertet. In diesem Falle ist nur noch bedingt von einer Übung zu sprechen, vor allem dann, wenn die so zustande kommenden Texte eine Funktion erfüllen. Withrow (1987) macht in ihrem Buch, in dem das Schreiben bestimmter Textsorten Thema ist, ausführlich Gebrauch vom Schreiben aufgrund vorliegender Planunterlagen. Diese bestehen aus einer Liste von Sätzen, die mögliche Inhaltselemente bezeichnen; da sie in Satzform gehalten sind, sind relevante Kollokationen, textsortenspezifische Aussageweisen usw. in den Unterlagen wenigstens teilweise schon vorgegeben1. Aus diesen Vorgaben sind die für die aktuelle Aufgabe relevant scheinenden Informationen auszuwählen und in eine Ordnung zu bringen. Dabei werden unter Umständen neue Inhaltselemente nötig. In der sprachlichen Ausarbeitung müssen die logischen und textuellen Relationen bezeichnet werden, die vorgegebenen Sätze sind (entsprechend der Thema-Rhema-Struktur des Textes usw.) dem Kontext anzupassen, mit textkommentierenden Redewendungen zu versehen usw.2 1
2
Der Vorteil dieser Massnahme ist, dass solche Sprachmittel nicht isoliert behandelt und geübt werden müssen, sondern zunächst kopierend undreproduktivin Gebrauch gesetzt werden, ohne dass die Arbeit deswegen auf diesen Aspekt reduziert werden müsste. Bedeutend einfacher sind Vorgaben, in denen etwa Stichwörter die Situationen eines Tageslaufs bezeichnen, wobei die Expansion jedes dieser Stichwörter zu einem Satz erwartet wird. Ahnlich können Graphiken zur Versprachlichung vorgegeben weiden. Im Unterschied zu dem von Withrow verwendeten Verfahren fehlen in solchen Aufgabenstellungen meist Lücken, Alternativen usw., so dass das Schreiben zum Aus-
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
Ebenso können vorliegende Texte (Lehrbuchtexte, Lernertexte) überarbeitet werden, indem sie mit Hilfe vorgegebener Textelemente, nach Massgabe von Fragen oder aufgrund von Klassendiskussion und -kritik erweitert, lesbarer gemacht, flüssiger geschrieben werden. Durch die Vorarbeiten werden Planungs- oder Zielelemente eingeführt, welche der Text nicht erfüllt und auf die hin er verändert werden soll1. Wie in allen anderen Typen von Schreibübungen ist das aktuelle Ergebnis der Arbeit nicht vorherbestimmt; die Vorgaben ersetzen oder ergänzen jene Planung, welche im Normalfall die Schreibenden selbst zu leisten haben. Solche Aufgaben werden in den meisten Fällen dazu dienen, bestimmte Probleme aufzuzeigen, explizite Kenntnisse zu gewinnen bzw. anzuwenden, haben also vorwiegend exemplarischen Charakter. Unter dieser Voraussetzung wird es sich deshalb auch nahelegen, sie so weit wie möglich in Partner- und Gruppenarbeit ausführen zu lassen. Wo Pläne so präzis vorgegeben sind, dass genau definierte Formulierungen angezielt (und verlangt) werden, oder wo eine Revision nur eng umschriebene Korrekturen umfasst, wird die Grenze überschritten zu einer ganz anderen Art von Aufgabe: zu einer textorientierten oder schriftlichen Übung, die vorab der Kontrolle dient, ob der Schreibende ausgesuchte Strukturen und Regeln beherrscht. b. Schreiben nach Modellen
Modelle sind Texte, die in ihrer Struktur, ihrem Ton, in ihrer Darstellungsweise und dergleichen das vorbilden, was Lernende in ihren Texten (anhand eines anderen Themas) anstreben sollten. Modelltexte haben einen anderen Status als die Beispieltexte, die (etwa in der Phase der Famiiiarisierung) analysiert werden und an denen definierte Einzelaspekte identifiziert und herausgehoben werden. Sie geben vielmehr ein Beispiel für ein auf bestimmte Weise organisiertes, komplexes Zusammenspiel von inhaltlichen, strukturellen und sprachlichen Momenten vor, das eher nachvollzogen als analysiert werden soll. Modelltexte können in jedem Bereich eine Rolle spielen, nicht nur im literarischen; in vielen Fällen könnten im Fremdsprachenunterricht gerade pragmatische Modelltexte mit einem hohen Anteil idiomatischer Redewendungen hilfreich sein2.
1
2
Schreiben wird und nur die Textoberfläche, nicht die (Mit-)Gestaltung der Textbasis Thema der Arbeit ist. Zur Trostlosigkeit vieler solcher allzu einfacher Aufgaben äussern sich etwa Melenk/Strauch (1980:274ff.). Vgl. die Vorschläge Augsts (1983, 1988) für den Muttersprachunterricht. Im Fremdsprachenunterricht sieht Rück (1983b) in der kreativen Ausgestaltung von Lehrbuchtexten eine Möglichkeit, produktiven Sprachgebrauch vom angestammten Platz am Ende einer Lektion zu lösen und die Lernenden selbst (durch ihre Textversionen) den Unterricht bereichem und seine sprachlichen und thematischen Schweipunkte mitbestimmen zu lassen (vgl. Melenk/Strauch 1980). Das Schreiben nach Modellen hat vor allem in der angelsächsischen (muttersprachlichen) Schreibdidaktik eine gewisse Tradition. Ein Schreiben nach Modellen kann auch explizit die syntaktischen und morphologischen Strukturen zum Ausgangspunkt nehmen, die in der Vorlage erscheinen (etwa in Abzählversen usw.).
m.3 Die Bereiche der Schreibdidaktik:
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Modelltexte sind didaktisch sinnvoll vor allem dann, wenn die Vorgabe als Leitlinie dient, von der die Schreibenden nach Massgabe ihrer Einschätzung abweichen können, nicht, wenn eine genaue Reproduktion mit anderen Worten verordnet wird1. Watson (1982) beurteilt einen so gearteten Einsatz von Modellen sogar als schädlich, weil dann die Vorlagentexte ihren Impulscharakter verlieren und zur fixen Form werden. Die spezifischen Qualitäten des Schreibens würden dabei verlorengehen; es erscheine als Prozess, in dem eine vorgeformte Struktur mit neuem Inhalt vollgegossen wird2. Sinnvoll sind Modelle dagegen, wenn sie zeigen, wie authentische Texte im thematisierten Bereich beschaffen sind. In dieser Rolle als Impulse können sie das Schreiben stimulieren und unterstützen. Sie dienen dabei als «problem-specific resources» (Watson 1982: 11), als Basis für die Konsolidierung von Kenntnissen über Texte (auch etwa dann, wenn sie nachträglich eingesetzt werden oder dann, wenn die Lernenden bereits am Schreiben sind. Im Vergleich mit den eigenen Texten und denen der anderen Lernenden können die Leistungen des Modells für den Problemlösungsprozess besser, vor allem zielgerichteter wahrgenommen werden. Watson erachtet Modelle vor allem im Fremdsprachenunterricht als «an indispensable resource». Dem ist nicht zuletzt auch darum zuzustimmen, weil Modelle auf völlig unaufdringliche Weise neben textuellen auch sprachliche Mittel liefern, die - wo dies nötig oder hilfreich scheint - aufgenommen und umgearbeitet werden können im Zuge der Arbeit an einem eigenen Text, also eingebettet in eine selbstgesteuerte Aktivität. Modelle, dies sei zuletzt noch hinzugefügt, brauchen nicht Einzeltexte zu sein. Gerade wo es um kurze Texte geht, mögen die Kontraste zwischen zwei oder drei Modelltexten die typischen Charakteristika stärker hervortreten lassen, zugleich werden die potentiell einsetzbaren Sprachmittel vermehrt. c. Transformierendes Schreiben
Im transformierenden Schreiben wird die in einer Textvorlage angebotene Information benutzt, um einen andersartigen Text zu schreiben: aus einem Dialog eine Erzählung, aus einer Erzählung einen Bericht usw. In jedem Fall ist dabei erfordert, dass aus dem Vorlagentext eine Textbasis gewonnen wird, die in einer anderen Vertextungsform wieder expandiert werden muss. Als transformierend kann ein solches Schreiben nur bezeichnet wer-
1 2
Die Aufgabe vereinigt dann Eigenschaften schriftlicher Übungen mit einzelnen produktiven Aspekten (vgl. die kurzen Bemerkungen in Zydatiss 1985: 322f.). In diesem Sinne wirken die Vorlagentexte im reproduktiven und reproduktiv-produktiven Bereich. Hillocks (1986b: 227) kommt in seiner Übersicht zu Untersuchungen übers Schreiben (in der Muttersprache) zum gleichgerichteten Schluss, dass das Schreiben nach Modellen wenig positive Lerneffekte hervoibringt. Die Analyse von Modellen (die im traditionellen Modellansatz dem Schreiben voraufgeht) bedeute nicht, dass dabei etwas fürs Schreiben gelernt werde, zudem sei sie meist zu komplex. Überdies gehe diese Art der Behandlung von Modellen von einem Punkt aus, der nicht dem Anfangsproblem des Schreibenden entspreche - vom Produkt, nicht von der Aufgabe des Sich-Äusserns.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schieibdidaktik:
den, wenn die Transformation Änderungen, das heisst Streichungen bzw. Expansion der vorliegenden Information erlaubt. Beispielsweise beinhalten Erzählungen auch beschreibende Momente, welche in Dialogen fehlen. Die blosse Wiedergabe eines Dialogs in indirekter Rede ist eine schriftliche Übung, kein transformierendes Schreiben. Transformierendes Schreiben kann primär die Phantasie ansprechen, es kann auch sehr gezielt einzelne Bereiche thematisieren helfen. Etwa die Differenz von gesprochener und geschriebener Sprache (Diskussion und Protokoll), Kohärenz (beim Umschreiben eines Gesprächs in einen zusammenfassenden Text), subjektive und objektive Darstellungsperspektiven (Erzählung versus Bericht); Register und Stil (Unfallbericht versus Sensationsmeldung) usw. 4.2.4 Die Übungstypen im Vergleich a. Übungstypen und Schreibunterricht Die schriftlichen Übungen sind nicht eigentlich Gegenstand der Schreibdidaktik. Sie spielen in ihrem Rahmen eine gewisse Rolle dort, wo im Hinblick auf eine Schreibaufgabe spezifische Sprachmittel notwendig scheinen, die noch überhaupt nicht oder absolut ungenügend beherrscht sind, etwa typisch schriftsprachliche Nominalkonstruktionen. Diese Vermittlungsarbeit hat jedoch nichts speziell Schreibdidaktisches an sich1. Die Textübungen werden traditionell zum Bereich der Schreibdidaktik gezählt. Wie der allgemein gehaltene Terminus 'Textübung' jedoch besagt, sind solche Übungen weniger aufs Schreiben als auf Texte gerichtet, sie haben deshalb einen Stellenwert auch im Lese- und Hörverstehensunterricht. In ihnen werden Teilaspekte an Texten hervorgehoben, die natürlich auch im Schreiben (und hier vielleicht besonders) wichtig sind, weil sie dafür aktiv beherrscht werden müssen. Während etwa Bleyhl (1987: 3f.) aus diesem Grund solchen Übungen eine herausragende Rolle im SchreibUnterricht zubilligt, äussert sich Watson (1982: 9) kritischer. Sie diskutiert Cloze-Texte und andere kontrollierte (reproduktive) Textübungen und kommt zum Schluss, diese seien bloss geeignet, die Aufmerksamkeit auf bestimmte Merkmale zu lenken, «reinforcing more general discussion of the model and how it achieves effect». Ihre Rolle wäre danach eine, die auch andere Formen der Analyse von Vorbild- und Grundlagentexten erfüllen können, keine schreibspezifische. Der Fokus liege auf Verstehen und Reproduzieren vorgegebener Strukturen, es sei unklar, ob damit sinnvoll und effektiv auf die Probleme vorbereitet werden könne, die sich beim eigenen Schreiben aufdrängen. Diese Aussagen müssen hinsichtlich der freien Formen von reproduktivproduktiven Übungen vielleicht etwas relativiert werden. Soweit in diesen 1
Zu diesem Typ von Übungen gehören viele der in Kast (1989) vorgeschlagenen schreibvorbereitenden bzw. kompetenzaufbauenden Übungen. Diese sind, in gleicher Form und Absicht, in beliebigen anderen Lernzusammenhängen im Fremdsprachenunterricht einsetzbar.
m.3 Die Bereiche der Schreibdidaktik
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nicht mehr einfach ein Nachvollzug gefordert wird, sondern gewisse Freiräume der textbezogenen Entscheidung offenstehen, ermuntern sie Formen des Sprachgebrauchs, welche eine produktive Orientierung erfordern, allerdings auch weitgehend deren Unwägbarkeiten teilen. Ein Vorteil dieser Übungen ist, dass sie das zu Sagende mehr oder weniger strikt vorgeben, somit Ausweichstrategien erschweren und die Formulierung festgelegter Konzepte und Relationen erfordern. Gleichzeitig wird den Schreibenden aber die Entscheidung über die Textgestalt weitgehend aus der Hand genommen. Zudem wird die Schreibarbeit stark, in unglücklichen Fällen völlig von der Arbeit überschattet, sich in einem fremden, unter Umständen mit Lücken durchsetzten und häufig nicht sehr motivierenden Text vollständig zurechtzufinden. (Vollständig darum, weil die Lösung der Aufgabe ein Verständnis und eine Berücksichtigung auch syntaktisch-semantischer Details erfordert, die für ein Verstehen allein kaum explizite Beachtung finden müssten.) Schreibübungen erlauben es, übendes Schreiben zu verbinden mit einer gezielten Ausrichtung an der Erstellung oder Verbesserung von Texten. Sie weichen vom Modell des produktiven Schreibens insofern weniger ab als Textübungen, erlauben allerdings auch keine so genaue Fokussierung einzelner textueller Aspekte oder Sprachmittel. b. Übungstypen und Übungsformen Konkrete Übungsformen, dies ist schon wiederholt angesprochen worden, lassen sich häufig nicht eindeutig einem der oben unterschiedenen Typen zuordnen. Die Übergänge sind fliessend. Einerseits sind die Vorgaben, welche die Arbeit steuern sollen, fast beliebig modifizierbar. Andererseits sind auch Mischtypen gängig. So kann etwa ein Modelltext vorgegeben, zugleich auch eine Serie von Inhaltsstichworten für den zu schreibenden Text geliefert werden (z.B. in einem Vorschlag von Pineas 1982: 55). Diese Kombination zweier einigermassen offener Vorgaben von der Art reproduktiv-produktiver Übungen oder einfacher Schreibübungen hat eine Aufgabe im Stile reproduktiven Schreibens zum Resultat1. c. Üben und Schreiben Übungen sind keine Vorbedingung fürs Schreiben, und es ist ein SchreibUnterricht denkbar, der auf Übungen gänzlich verzichtet. Übungen sind auch nicht, wie oft angenommen wird, bedingungslos leichter als produktives Schreiben. In einem gewissen Sinne mag dies zutreffen; es gibt jedoch keinen einleuchtenden Massstab, der diese Relation zu fassen erlaubte. Übungen sind Aufgaben von unterschiedlicher, zum Teil sehr unterschiedlicher Art als das produktive Schreiben, und ihr Beitrag dazu bemisst sich nicht am Grad ihrer Einfachheit oder Schwierigkeit, sondern 1
Übungen lassen sich natüiiich nicht nur nach ihrer hier besprochenen Grundprägung einteilen, sondern nach einer Vielzahl weiterer Kriterien (nach der Stellung, die sie im Schreibanlass einnehmen (vorbereitend, begleitend,...), nach ihrem Thema, nach dem Übungsanlass, dem Übungsziel usw.).
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
allein daran, ob sie den Lernenden jene Teilfertigkeiten und Erkenntnisse vermitteln, die sie zu transportieren beanspruchen. Wie weit sie dies tun und wie weit sie als sinnvoll empfunden werden, darüber müssen die Lernenden selbst und das, was sie schreiben, Auskunft geben. Die Arbeit an Übungen lässt sich im Prinzip in ähnlicher Weise gestalten wie die an üblichen Schreibaufgaben, sofern in ihnen von den Schreibenden produktiver Umgang mit der Sprache gefordert wird. Dies ist in reproduktiven und schriftlichen Übungen kaum der Fall. Was auch dort noch möglich ist, ist gemeinsames Aufgabenlösen und gemeinsame Korrektur. Reproduktiv-produktive und vor allem Schreibübungen erlauben (je nach Anlage der Übung) kooperative Ziel- und Inhaltplanung, Überarbeitung, auch gemeinsame Formulierung, Kriteriensuche und Reflexion auf Regularitäten und Zusammenhänge. Je offener die Aufgaben sind, desto eher sind auch die Resultate von Übungen mögliche Gegenstände der Weiterarbeit, die unter Umständen gerade darum auf Interesse stossen, weil die unterschiedlichen Ausformungen einer noch erkennbaren gemeinsamen Grundlage höchst interessante Effekte hervorbringen kann. Dies dürfte vor allem dort der Fall sein, wo die Schreibarbeit Phantasie erfordert und unvorhersehbare Lösungen möglich werden.
III.4
IM ÜBERGANG ZUR GESTALTUNG VON UNTERRICHT
In den letzten Kapiteln wurden die Ausgangspunkte der Schreibdidaktik, die Dimensionen schreibdidaktischen Handelns und die Bereiche der Schreibdidaktik exponiert. Damit sind die elementaren Grundzüge der Schreibdidaktik beschrieben: ihr Grundthema (der produktive, monologische und textuelle Sprachgebrauch), ihre handlungsleitenden Prinzipien sowie die bereichsspezifischen Parameter und Optionen. Insgesamt bestimmen diese ein Feld von Spielzügen, eine Matrix von relevanten Entscheidungskriterien und didaktischen Möglichkeiten. Die Realisierung von Unterricht erfolgt auf diesem Hintergrund. Aktueller Schreibunterricht kann, wie bereits betont wurde, verschiedene Formen annehmen. Die jeweiligen Umstände erfordern einen differentiellen Rückgriff auf die in III.3 ausgeführten schreibdidaktischen Optionen. Je nachdem, welches die Adressaten, ihre Kenntnisse, die Kursziele usw. sind, wird sich das Gewicht von schreibdidaktischen Eingriffen, von Hilfsmitteln und Übungen sowie ihr gegenseitiges Verhältnis verändern. Dies sind jedoch Verschiebungen, welche die skizzierte grundsätzliche Ausrichtung des Unterrichts nicht beeinträchtigen dürfen. Diese muss darauf abzielen, den metakognitiven Zugang zu den im Schreiben auftretenden Problemen und die Kooperation zwischen den Lernenden zu fördern sowie reale Funktionen von Lernertexten zu ermöglichen. Das übergreifende Ziel der Autonomie ist durch solche Massnahmen anzustreben; es kann nicht unabhängig davon verfolgt werden. Im folgenden soll kurz auf einige Fragen eingegangen werden, die in der systematischen und gedrängten Darstellung der letzten Kapitel nicht explizit genug kommentiert werden konnten und hier zur Abrundung der Darstellung in aller Kürze aufgegriffen werden sollen. Unter den Themen, die hier besprochen werden könnten, scheinen mir die folgenden vier besonders wichtig zu sein. Sie betreffen Gesichtspunkte, welche die bisherigen Ausführungen schwerpunkthaft zusammenzufassen und zu interpretieren erlauben: - Wie wird die Rolle des Lehrers im skizzierten didaktischen Aufriss bestimmt? - Welches sind die spezifisch fremdsprachdidaktischen Aspekte in der Konzeption von Schreibunterricht, wie sie hier vertreten wird? - Was bedeutet 'Prozessorientierung'? - Was lässt sich über das - im fremdsprachlichen Schreibunterricht traditionell als vordringlich aufgefasste - Problem der Korrektur sagen? In den nachstehenden Überlegungen werden die angesprochenen Themen eher skizziert als ausgeführt. Einzig zum letzten Punkt werden einige neue Gesichtpunkte angeführt, die bisher nicht zur Sprache gekommen sind. Trotzdem sind diese Ausführungen wegen ihrer anderen, quer zur bisheri-
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Teil ΓΠ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
gen Systematik stehenden Fragestellung vielleicht geeignet, einige der bisher besprochenen Gesichtspunkte noch einmal in ihrer Relevanz für die Gestaltung von Unterricht hervorzuheben. Sie stehen so an der Schwelle zu einer praxisorientierten Didaktik und Methodik des Schreibunterrichts.
1
Zur Rolle des Lehrers
Jede Didaktik, die weniger den Stoff des Unterrichts und seine Vermittlung als die Lernenden und ihre Aktivitäten ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken versucht, hat mit spezifischen Schwierigkeiten zu rechnen. Auch ein solches Konzept muss, explizit oder implizit, dem Lehrer eine Schlüsselstellung im Unterricht zuweisen. So wurde in den bisherigen Ausführungen oft neutral von Unterricht gesprochen; mehr oder weniger deutlich sind aber in den letzten Kapiteln viele Gegebenheiten aus der Perspektive des Lehrers dargestellt worden. Es sind weitgehend seine Intentionen, die bestimmen, welche Richtung der Unterricht nimmt, welches seine Abläufe und Schwerpunkte sind. Entsprechende Entscheidungen fallen zwar selten ohne - wenn auch eher untergründige - Mitwirkung der Lernenden, es wäre wohl falsch, den Lehrer als alleinigen Gestalter von Unterricht zu sehen. Es sind aber eindeutig seine Aktionen, welche das Gesicht des Unterrichts am direktesten prägen. Ich möchte zu diesem Thema hier nur zwei Bemerkungen anbringen, die recht unabhängig voneinander sind. Die erste betrifft die verschiedenen Aspekte der Rolle des Lehrers und die Schwierigkeit, Lehrerdominanz und Lernerbezug im Unterricht in ein Verhältnis zueinander zu bringen; in der zweiten werden - nachdem bisher stets nur von den Schreibaktivitäten der Lernenden die Rede gewesen ist - einige Hinweise auf die mögliche Rolle des Lehrers als Schreibers gemacht. 1.1
Die Rollen des Lehrers und die Struktur von Unterricht
An der Rolle des Lehrers sind verschiedene Facetten auseinanderzuhalten. Auf drei davon ist in den Darstellungen der letzten Kapitel mehr oder weniger explizit hingewiesen worden. Sie spielen wohl in jedem Unterricht eine gewisse Rolle, werden hier aber nur in bezug auf den Schreibunterricht expliziert. 1. Der Lehrer ist als Leser, der textbezogene Fragen, Eindrücke, Einwände usw. hat und sie den Schreibenden gegenüber ausdrückt, Teilnehmer des Unterrichts wie die anderen Mitglieder der Gruppe. Seine Meinung hat dank seiner Stellung in vielem wohl mehr Gewicht als die der anderen; als Leser und Antwortender hat er aber prinzipiell die gleiche Position wie diese. 2. Der Lehrer organisiert als Berater und Impulsgeber weitgehend den Informationsfluss, die Form der Arbeit, die Phasen von Kooperation und Einzelarbeit. Er legt mit seinen Schreibaufträgen und Leitfragen die relevanten Bereiche der Auseinandersetzung fest und damit die spezifischen
III .4 Im Übergang zur Gestaltung von Unterricht
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Lernziele. Er sollte solche Entscheidungen jedoch unter Einbezug der Lernenden selbst fällen und diesen zunehmend autonome Handlungsräume zugestehen. In dieser Funktion agiert er als Stellvertreter der Lernenden; er handelt als einer, der die einschlägigen Kriterien, Normen und Vorgehensweisen besser kennt als sie und die in der Situation notwendigen Entscheidungen fällt in der erklärten Absicht, die Lernenden dazu fähig zu machen, solche Entscheidungen selbst zu treffen1. 3. Der Lehrer ist Hauptverantwortlicher für den Unterricht und die Erreichung seiner Ziele; er hat die letzte Autorität, die Klassenarbeit anzuleiten und Lernerleistungen zu beurteilen. Er ist damit Leiter des Unterrichts, der mit institutionell sanktionierten Mitteln nicht (oder nur in Ausnahmefällen) anfechtbar ist2. Diese Leiterfunktion ist die institutionelle Voraussetzung dafür, dass Lehrer (im Rahmen des als akzeptierbar Geltenden) programmatisch verschiedene Formen des Unterrichs und damit verschiedene Rollenbilder entwerfen und zu realisieren versuchen können. Es gibt nun wenig in der Struktur 'normalen Unterrichts', wie er sich bei uns als Standard etabliert hat, was von sich aus in Richtung auf eine Ausweitung der Kooperation zwischen Lehrer und Lernenden, auf Förderung von Autonomie und Selbstverantwortung der Lernenden drängen würde. Mit anderen Worten: Es gibt wenig, was den Lehrer dazu zwingt, seine Rolle als Leiter zu differenzieren und sich den Lernenden gegenüber explizit als Stellvertreter und als Teilnehmer zu definieren. Natürlich ist kein Unterricht gänzlich ohne solche Momente. Die Normalverteilung der Gewichte im Unterricht - gekennzeichnet durch eine prononcierte Vorrangstellung des Lehrers und die entsprechende Konsumhaltung von Lernenden - erweist sich aber in vielen Fällen als so bequem und stabil, dass Unterricht nur zu oft auf der Stufe der Verwaltung und Übergabe von Einzelwissen bzw. der Kontrolle von Lernerprodukten verbleibt3. Damit ist ein Paradigma von Unterricht, eine Art von didaktischem Null-Niveau bezeichnet, das den Lehrer alle Fäden führen und die Abhaltung des Unterrichts so wenig wie möglich von der Tagesform und dem Interesse der Lernenden abhängen lässt, das aber zugleich durch eine wenig bekömmliche Beschränkung der jeweiligen Zuständigkeiten zustande kommt.
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3
Das Konzept des Stellvertreters haben Boettcher et al. 1976 in die (muttersprachliche) Sprachdidaktik eingebracht Solche Ausnahmen sind etwa Vergehen oder krasses Versagen des Lehrers. In einer Ausbildung ausserhalb der Schulpflicht können sich Lernende dem Unterricht entziehen - dies allerdings nur, wenn alternative Angebote greifbar sind oder Ausbildungsziele aufgegeben werden. Am deutlichsten wird dieser Aspekt in der kleinschrittigen Inszenierung des Dreischritts 'Lehrerfrage - Lemerantwort - Lehrerevaluation*. Auf institutionelle Voraussetzungen bzw. Stützen dieses Zustandes kann hier nicht eingegangen werden. Hingewiesen sei allein auf den in den üblichen Stundenplänen eingefrorenen Zwang, Unterricht in isolierten Blöcken von etwa 45 Minuten oder höchstens 90 Minuten Dauer zu organisieren.
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schieibdidaktik
Solcher Unterricht zeigt den Lehrer als allein Verantwortlichen, der den Unterricht weitgehend als Schauplatz des Lehrens, nur am Rande als solchen des Lernens definiert. Es ist dies jedoch eine Strategie, die im Sprachunterricht spätestens dort nicht mehr unbesehen angewendet werden kann, wo der audiolinguale Optimismus verflogen ist, die Gehirne der Lernenden - konzipiert als ein passives, formbares Substrat - Hessen sich direkt mit den nötigen Gewohnheiten imprägnieren. Nun fordert Unterricht von den Lernenden mehr als passive Aufnahme; kein moderner Sprachunterricht kann in der blossen Vermittlung verharren. Solche Aspekte notwendiger Lernerbeteiligung müssen im Unterricht bewusst und beharrlich aufgenommen und ausgebaut werden. Dies ist zunächst eine Forderung an den Lehrer. Lernerorientierung - der Begriff selbst drückt dies aus - ist zunächst eine Leistung der Instanzen, die den Unterricht konzipieren und verantworten, primär des Lehrers. Er muss, in seinem Gesprächsverhalten und in seiner Unterrichtsorganisation, die Räume dafür schaffen, dass Selbsttätigkeit der Lernenden sich entfalten kann und die jederzeit bestehenden Ansätze dazu nicht vorschnell wieder unterbunden werden. Solche Veränderungen gegenüber dem Standardablauf von Unterricht sind unter Umständen nicht leicht zu erreichen. Die Einführung von lernerzentrierten Verfahren des Unterrichts (nicht nur in bezug auf das Schreiben) und der Aufbau einer offeneren Struktur der Interaktion im Unterricht trifft auf Gewohnheiten und oft auch auf Widerstände sowohl von Lehrenden wie Lernenden. Der Schreibunterricht bietet in diesem Kontext fast optimale Bedingungen für eine Veränderung der Beziehungsstrukturen zwischen Lehrenden und Lernenden. Seiner Struktur nach fordert das Schreiben von den Lernenden nicht nur Eigenaktivität, es bringt auch Resultate hervor, denen als Mitteilungen ein gewisses Gewicht zukommen kann und die den Autoren eine gewisse Kompetenz und Verantwortung zuweisen. Unter dieser Perspektive kann Schreiben ein wirksames Mittel sein, den engen Bezug von Lehrerimpuls und Lernerreaktion zu durchbrechen, der häufig und häufig auch unbemerkt die Dynamik des Unterrichts fast durchwegs bestimmt. Im produktiven Schreiben muss der Lehrer zurücktreten; er selbst gibt die unmittelbare Kontrolle aus der Hand, ohne dass er gleichzeitig seine Verpflichtung aufgeben müsste, Lernprozesse mitzugestalten. Damit wird potentiell das Zusammenspiel zwischen Lehrer und Lernenden verändert - falls zugelassen wird, dass tatsächlich geschrieben wird, und falls dem Geschriebenen eine gewisse Rolle im Unterricht zugestanden wird1. Denn den Lernertexten gegenüber, die inhaltlich ernst genommen werden, verwandelt sich der Lehrer zwangsläufig zuerst in einen Leser. Er hat nicht nur Einzeläusserungen, sondern einen zusam1
Natürlich gibt es auch andere Verfahren, Lernende selbst tätig werden zu lassen. Ich habe in den bisherigen Ausführungen unter verschiedenen Gesichtspunkten dargelegt, warum ich das Schreiben im Fremdsprachenunterricht für einen sinnvollen Weg halte. Vgl. auch ΙΠ.5.
ΙΠ.4 Im Übergang zur Gestaltung von Unterricht
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menhängenden Text vor sich, der ohne sein direktes Zutun entstanden ist und den nicht er, sondern der Schreibende den Lesenden gegenüber zu verantworten hat. Zudem emanzipieren sich die Lernenden im Schreiben auch deutlicher von den gängigen Verfahren unterrichtlicher Themen- und Sprachbetrachtung: Sie sind es, die durch ihre Interessen und Erfahrungen unterrichtliche Verhandlungen zumindest teilweise prägen; sie sind es auch, die durch ihre Ausdrucksbedürfnisse auf Wortschatz- und Strukturprobleme stossen, die sie selbst lösen oder dem Lehrer unterbreiten. Dies zwingt den Lehrer zu intensiverer Auseinandersetzung mit den Ausdrucksund Sprachproblemen seiner Schüler, als dies die immer improvisierten und wenig überblickbaren Antworten auf Schwierigkeiten im mündlichen Bereich tun. Damit erwachsen aus den Gegebenheiten des Schreibens heraus eine Fülle von Ansätzen, die didaktisch aufgegriffen und im Hinblick auf eine Öffnung des Unterrichts und eine Erweiterung der Lehrer- und Lernerrollen benutzt werden können. Schreibunterricht könnte so in mancherlei Hinsicht ein fruchtbares Modell abgeben für einen Unterricht, der sowohl Impulse von Lernende aufzunehmen als auch Einsichten in die Struktur von Lernprozessen wirksam zu machen versucht. 1.2 Der Lehrer als Schreibender Sprachlehrer, vor allem Fremdsprachenlehrer, lehren oft Fertigkeiten, die sie selber kaum aktiv ausüben. Dies gilt in hohem Masse im Bereich des Schreibens, und ganz besonders im Hinblick auf den Unterricht: Lernende nehmen ihre Lehrer selten als Verfasser von Texten wahr. Texte, die von Lehrern ausgegeben werden, sind meist nicht ihre eigenen. Am ehesten formulieren Lehrer Regeln und Merkblätter sowie Aufgabenstellungen. Fast nie aber sind ihre Produkte von der Art, wie sie von den Lernenden gefordert werden, ebenso richten sie sich schriftlich selten direkt an die Kursteilnehmer. Schreibend könnten sie den Fremdsprachenunterricht aber in verschiedener Hinsicht beleben. Ich möchte auf drei Möglichkeiten verweisen: 1. Einerseits fehlt häufig Input, Texte von der Art, wie sie die Lernenden schreiben sollten. Entsprechende authentische Texte sind nicht immer leicht aufzutreiben. Lehrertexte könnten hier eine Lücke füllen. Als Modelltexte könnten vom Lehrer geschriebene Zusammenfassungen, Nacherzählungen, Gruppenarbeitsberichte, Reflexionen, Briefe usw. viel enger an die Themen des Unterrichts und das Niveau der Lernenden angepasst werden als dies fremde Modelltexte tun (sofern solche überhaupt greifbar sind). 2. Andererseits können vom Lehrer geschriebene themengerichtete Überlegungen, Erläuterungen, Erklärungen usw. Informations- und Lehrfunktionen übernehmen, ganz analog zu Grundlagentexten für den Unterricht. Zugleich könnten solche Texte Merkmale modellieren, die der Lehrer als wichtig erachtet und die er seinen eigenen Einschätzungen von Lernertexten zugrundelegt. In gewissen Fächern gehören solche Unterlagen selbstverständlich zum Unterricht; es gibt keinen Grund, sie im Fremdsprachen-
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schieibdidaktik
Unterricht abzulehnen. Es ist auch nicht auszuschliessen, dass viele Lehrer informativer und interessanter über gewisse Themen zu schreiben wüssten, als dies in den oft eher mühsamen Lehrbüchern und ihren Grundlagentexten geschieht. 3. Schliesslich lassen Antworten auf Journale oder auf die einzelnen Lernertexte, seien sie an einzelne oder an die ganze Klasse gerichtet, den Lehrer als Leser und als Teilnehmer hervortreten. Sie signalisieren seine Wertschätzung der Lemerprodukte als Mitteilungen. Über die Relevanz gerade solcher schriftlicher Äusserungen des Lehrers besteht unter den Schreibdidaktikern Einigkeit. Lehrertexte wirken oft - nicht überraschend - stimulierend auf die Lernenden. Sie wecken mehr Neugierde und finden ein kritischeres Publikum, als dies beliebig ausgewählte fremde Texte tun. Sie lassen Lehrer in anderem Licht erscheinen, denn diese stellen sich damit selbst dem Test, den sie den Lernenden ständig abverlangen, vor allem dann, wenn diese Texte besprochen werden1. Die wichtigsten Argumente für Lehrertexte scheinen mir aber folgende zu sein: Einmal lassen sie die Lehrer ähnliche Erfahrungen in ihrem Schreiben machen wie die Lernenden; dies mag dazu beitragen, dass sie die Arbeit an Texten genauer und besser anzuleiten vermögen2. Zum anderen unterstützen sie den Schreibunterricht und bestätigen die Arbeit der Lernenden, denn sie beglaubigen das schriftliche Medium als selbstverständlichen, in die unterrichtliche Arbeit integrierten Weg der Mitteilung.
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Schreiben und Fremdsprache
Die fremdsprachliche Schreibdidaktik, mit Ausnahme des Unterrichts mit Fortgeschrittenen, hat sich traditionell primär mit einzelnen Sprachmitteln und Sprachstrukturen beschäftigt. Die hier vertretene Konzeption, die das produktive Umgehen mit dem bereits Gewussten zum Ausgangspunkt nimmt, könnte sich der Kritik ausgesetzt sehen, sie nehme die spezifische Lage der Fremdsprachigen nicht wahr, sie nehme gerade jene fremdsprachliche Kompetenz als gegeben an, die es aufzubauen gelte, kurz: sie sei zu muttersprachlich orientiert. Dieser Einwand könnte gestützt werden mit dem Verweis darauf, dass in den vorgetragenen Grundzügen Aspekte des Schreibprozesses, der Kooperation und der Funktion von Geschriebenem in den Vordergrund gerückt würden und dass die Auseinandersetzung mit den einzelnen Sprachmitteln zurückgeschnitten werde, an denen es den Lernenden doch primär mangle. Nun wurde nirgends geleugnet, sondern wiederholt und explizit hervorgehoben, dass die beschränkte Sprachkenntnis der Lernenden das 1
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Allerdings glaube ich, dass Vorsicht dort am Platze ist, wo Lehrertexte in direkte Konkurrenz zu Lemertexten geraten könnten, wo sie parallel zueinander und in gleicher Absicht geschrieben weiden. Vgl. dazu J. Cairoll 1984.
ΙΠ .4 Im Übergang zur Gestaltung von Unterricht
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Haupthindernis darstellt, das einem verständlichen, adäquaten Ausdruck in der Fremdsprache entgegensteht; ebenso wurde betont, dass das Ziel des Sprachlernens auch im Schreibunterricht mit an zentraler Stelle zu stehen hat. Wenn dennoch nicht die Auseinandersetzung mit definierten Sprachmitteln im Zentrum der Diskussionen stand, dann wurde die Rechtfertigung dafür in ΙΠ.1 gegeben. Schreiben als produktiver Sprachgebrauch lässt es nicht zu, dass einzelne Sprachmittel fraglos in den Mittelpunkt gestellt werden. Das Modell der Vermittlung von Einzelkenntnissen ist dort nicht anwendbar, wo primär die Verwendung des bereits angesammelten Wissens zum Thema wird. In den grossen Zügen muss deshalb auch eine fremdsprachliche Schreibdidaktik sich vom Modell der Vermittlung von Einzelwissen emanzipieren und insofern eine gewisse Ähnlichkeiten mit der muttersprachlichen annehmen. Trotzdem ist die vorgestellte Konzeption weit davon entfernt, das Gewicht der rein sprachlichen Probleme zu unterschätzen oder gar zu leugnen. Sie steht in dieser Beziehung auf einer ganz anderen Grundlage als die in Π.1 skizzierten Ansätze des freien Schreibens mit Fortgeschrittenen. Die meisten von diesen zeichnen sich durch ihre Nähe zu muttersprachdidaktischen Konzepten aus, ohne dass die typischen Gegebenheiten des Umgangs mit der Fremdsprache reflektiert und didaktisch aufgearbeitet würden. Ich möchte hier auf sechs relevante Bereiche verweisen, in denen im Vorhergehenden Züge hervorgehoben wurden, welche die Situation des Fremdsprachenlerners reflektieren: 1. Es wurde unterschieden zwischen den spezifisch schreibdidaktischen Verfahrensweisen, das heisst denen, die den produktiven monologischen und textuellen Ausdruck thematisieren, und den auf Vermittlung einzelner Kenntnisse und Sprachmittel ausgerichteten Lern- und Übungsformen. Übungen, vor allem auf Sprachmittel bezogene, bilden einen Zusatz, einen (dem muttersprachlichen Schreibunterricht weithin fremden) ergänzenden Bereich zum eigentlichen Schreiben. Sie wurden klar als Hilfsmittel deklariert; sie können den Schreibunterricht nicht tragen. Ihr praktischer (je nach Umständen und Zielen stark variierender) Stellenwert ist jedoch unbestreitbar. In ihrem Einsatz im Rahmen von Schreibvorhaben kommt die eigentümliche Situation des Schreibens in der Fremdsprache deutlich zum Vorschein. 2. In der Fremdsprache stehen Textformen und Textfunktionen im Vordergrund, die im muttersprachlichen Unterricht meist nicht als erheblich eingeschätzt werden und der muttersprachlichen Schreibdidaktik selten in den Blick kommen. Auch diese anders gelagerten textlinguistischen Schwerpunkte und Fragestellungen reflektieren eine Ausrichtung auf die speziellen Bedingungen fremdsprachlichen Schreibens. 3. Im fremdsprachlichen Schreiben spielt der Bezug auf Lesetexte, vorgängige Themenbehandlung, Mustertexte, Vorlagen usw. eine viel grössere Rolle als im muttersprachlichen Schreiben, wie Bohn (1986) und Börner (1989) zu Recht feststellen. Dies vor allem aus sprachlichen Gründen: Bezugstexte und Vorbesprechungen liefern nicht nur Motive und Inhalte,
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Teil ΠΙ: Grundziige einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
sondern auch Sprachnüttel, auf die die Lernenden im Schreiben zurückgreifen können. Eine ähnliche Rolle spielen Redemittellisten, Wörterbücher usw., die im fremdsprachlichen Schreiben die vorhandenen Ressourcen erweitern und klären helfen. Während solche Hilfen im muttersprachlichen Schreiben nur gelegentlich eine Rolle spielen, haben sie im fremdsprachlichen Schreiben einen systematischen Stellenwert1. Allen diesen Hilfen ist jedoch gemeinsam, dass sie anders als Übungen nicht durch Lehrmittelautoren oder Lehrer definierte einzelne sprachliche Problemfälle in den Vordergrund rücken, sondern einen Fundus darstellen, der freien Zugriff erlaubt dort, wo es den Schreibenden selbst nötig oder dienlich erscheint. 4. In der Moderation des Schreibprozesses und in den arbeitsleitenden Fragestellungen des Lehrers können und sollen die spezifischen sprachlichen Probleme, denen sich Fremdsprachige gegenübersehen, hervorgehoben und thematisch gemacht werden. Vor allem in den abschliessenden Phasen der Überarbeitung und Redaktion von Texten treten solche Aspekte zwangsläufig mit in den Vordergrund. Dort kann die Aufmerksamkeit auch auf bestimmte sprachliche Phänomene fokussiert werden, die besonders wichtig erscheinen. 5. Schliesslich stossen die Schreibenden in ihrer Arbeit selbst unaufhörlich auf sprachliche Probleme in einer Weise, wie dies Muttersprachige kaum erfahren. Fremdsprachliches Schreiben ist in dieser Beziehung vom muttersprachlichen auch und vor allem in der Erlebnisperspektive deutlich abgehoben. Es ist die Aktivität des Schreibens selbst, die ständig neue und für die Lernenden relevante Fragen sprachlicher Art aufwirft. Diese Fragen sind nicht systematisch geordnet; sie stellen sich nicht auf dem Hintergrund eines Programms der Sprachvermittlung, sondern aus der Konfrontation der Kompetenz der Schreibenden mit einer Aufgabe, an deren exakter Definition sie in jedem Moment selbst mitbeteiligt sind. Die Tatsache, dass hier nicht die Unterrichtsbücher oder der Lehrer, sondern die Lernenden selbst das thematische Material vorgeben, bedeutet nicht, dass die Arbeit ins Leere läuft. Der Automatismus, der im fremdsprachlichen Schreiben fremdsprachliche Probleme hervorruft und bewusst macht, kann aber auch didaktisch durchaus fruchtbar gemacht werden. Durch Kooperation und Beratung, durch Reflexion, angeleitet etwa durch Leitfragen oder die Aufforderung zur Markierung von problematischen Wörtern und Textstellen kann auch diese Auseinandersetzung zumindest in einzelnen Aspekten 1
Typischerweise ist der Bezug auf solche Hilfsmittel problemlos verbindbar mit der Arbeit an einem Text (während Übungen gesonderte, tinabhängige Arbeitsprozesse in Gang setzen). Insbesondere der Stellenwert des Wörterbuchs als Schreibhilfe wird oft diskutiert, nicht zuletzt wegen der fraglichen Eignung vieler Wörterbücher für Fremdsprachenlerner (vgl. Nesi 1987; Knowles 1988), aber auch wegen der Möglichkeit, dass intensive Benutzung des Wörterbuchs die Schreibenden dazu verführt, ihre Kompetenz im Umgang mit den noch unbekannten Ausdrücken zu überschätzen. Rivers (1968) spricht sich für einen sehr restriktiven Gebrauch des Wörterbuchs aus; Pineas (1982) scheint in diesem Bereich weniger Schwierigkeiten zu erwarten.
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fokussiert und gesteuert, können Arbeitsergebnisse mitteilbar und vergleichbar gemacht, können schliesslich Strategien des Umgangs mit diesen Problemen und des fruchtbareren Lernens erworben werden. Darauf ist an verschiedenen Stellen bereits hingewiesen worden. 6. Zuletzt werden gewisse Probleme mit der fremden Sprache - nämlich solche, die sich in festmachbaren Fehlern äussern - sichtbar gemacht und exponiert in der Korrektur schriftlicher Arbeiten. Auch diese hat im fremdsprachendidaktischen Zusammenhang einen anderen Stellenwert als im muttersprachlichen. Neben dem Üben gehört das Korrigieren zu den Eckpfeilern der herkömmlichen Schreibdidaktik. In den vorangegangenen Ausführungen wurde es dagegen eher am Rande behandelt. Auf einige einschlägige Fragen wird der letzte Abschnitt dieses Kapitels eingehen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Ausformung des fremdsprachlichen Schreibunterrichts durchgehend geprägt ist durch den Sachverhalt, dass der Umgang mit der fremden Sprache ein eigenständiges Problem für die Schreibenden darstellt. Zugleich lässt sich Schreibunterricht nicht auf dieses Problem reduzieren. Raimes hält in diesem Sinne im Anschluss an ihre Beobachtung von Schreibaktivitäten Fremdsprachiger fest: Such findings indicate that we should neither use the same pedagogical strategies for ESL [sc.: English as a second language] students in writing classes as for native speakers nor should we treat our students simply as learners who need large doses of language instruction to improve their writing. (Raimes 1985:250)
Gegen diese unbefriedigenden Alternativen und die in sie eingehenden Reduktionen muss festgehalten werden, dass eine Schreibdidaktik für Fremdsprachenlerner primär von den spezifischen Problemen auszugehen hat, auf die sie im Umgang mit der fremden Sprache als Instrument des Ausdrucks und der Mitteilung treffen.
3
Zur Bedeutung der Prozessorientierung im kommunikativen Schreibunterricht
Die in den letzten Kapiteln skizzierte Schreibdidaktik lässt sich als kommunikative und prozessorientierte bezeichnen. Als kommunikative ist es ihr Ziel, die Auseinandersetzung mit dem Schreiben und dem Geschriebenen möglichst authentisch zu gestalten. Das heisst: Es geht darum, die Aufgabe, Texte zu verfassen und zu verarbeiten, in eine Form zu bringen, die gerichteten Sprachgebrauch ermöglicht. Dabei erscheint als authentisch, wie in III.2/4 bemerkt, nicht die exakte Mimesis von ausserschulischen Situationen, sondern die Schaffung einer Form unterrichtlicher Arbeit und unterrichtlichen Austausche, die der schriftlichen Kommunikation eine relevante Rolle zuzuweisen erlaubt. Auf der anderen Seite wird der didaktischen Steuerung von Prozessen der Vertextung, also von Planungs-, Formulierungs- und Überarbeitungsaktivitäten grosser Wert zugemessen. In den Vordergrund gestellt wurden Formen der Kooperation und der Re-
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flexion, die es den Lernenden ermöglichen sollen, ihre vorhandenen Kenntnisse optimal auszunutzen und in der Beschäftigung mit einzelnen Aufgaben und Problemen auch weiterführende Einsichten zu gewinnen in ihr eigenes Lernen, die Regularitäten der Sprache, die Formen der Kommunikation und die Gesetzmässigkeiten von Texten. Die Aspekte der Kommunikations- und der Prozessorientierung sind in verschiedener Hinsicht aufeinander bezogen. In ΠΙ.2 habe ich zu zeigen versucht, dass eine prozessorientierte Didaktik ihr volles Potential nur in einem Umfeld erreichen kann, das auch der kommunikativen Funktion von Texten gebührenden Raum lässt. Umgekehrt muss eine auf Kommunikation ausgerichtete Schreibdidaktik zumindest Elemente prozessorientierten Arbeitens entwickeln; tut sie dies nicht, so muss sie die Lernenden ohne Hilfe sich selbst überlassen oder dann auf reproduktive (und damit nichtkommunikative) Aufgabenstellungen zurückgreifen. Prozessorientierung lässt sich von daher verstehen als Antwort auf die Frage, wie es möglich sein soll, produktiven Sprachgebrauch didaktisch anzuleiten und zu begleiten1. Sinn prozessorientierter didaktischer Eingriffe ist es, Schreibaufgaben übersehbar und sogar leicht zu machen ohne Reduktion der Komplexität. Es geht nicht darum, 'zum Schreiben hinzuführen', sondern die Arbeit am Text zu gestalten und sie dadurch durchsichtiger und besser beherrschbar zu machen. Zu diesem Thema seien einige miteinander nicht direkt zusammenhängende Bemerkungen gemacht. 1. Dem Schreiben im Unterricht eine feste Folge von Phasen zugrundezulegen bedeutet noch keine Prozessorientierung. Einer aufgeklärten Schreibdidaktik geht es nicht um fixe Vorgehensweisen, sondern um die Frage, wie Kenntnisse aktiviert werden können und selbständiges Lernen gefördert werden kann. Die Phasierung von Schreibaktivitäten ist hier ein wirksames Mittel. Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass weitere Dinge (Kooperation, Leitfragen, Reflexion, Weiterarbeit) im Unterricht eine ebenso wesentliche Rolle spielen. Ziel ist immer Lenkung der Aufmerksamkeit im Rahmen offener Aufgaben; dies ist ein Moment, welches für die prozessorientierte Didaktik typisch ist. In welchem Ausmass dafür welche didaktischen Eingriffe angebracht sind, ist in jedem Fall neu zu entscheiden; es kann nicht durch ein ein für alle Male gültiges Verfahren erreicht werden. J. Carroll (1984) hat solche Überlegungen etwas überspitzt auf den Punkt gebracht in der Bemerkung, prozessorientierte Didaktik sei keine Technik, sondern eine Weise zu denken und zu lehren2. 1
2
Siehe die Hinweise in II. 1/2 und ΠΙ.1 auf voihandene, aber nicht ausgeführte Ansätze zur Prozess-Steuerung etwa im textlinguistisch ausgerichteten Beitrag von Pineas. Deutlich in diese Richtung gehen auch schon frühe kommunikative Schreibkonzepte für den Muttersprachunterricht, in denen Prozesskomponenten v.a. im Hinblick auf die Situationsanalyse besprochen werden. Vgl. etwa Boetteher et al. 1973. Vgl. dazu auch Spack/Sadow 1983: 576f.; Raimes 1985: 249f.; Zamel 1983.
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2. Prozessorientierung ist für die meisten Lernenden etwas Neues. Sie entspricht nicht den schulischen Normalverfahren des Texteschreibens und beurteilens. Sie setzt ein intensives Eingehen auf den Text als Normalfall und läuft damit dem Impuls zuwider, die Aufgabe möglichst rasch 'wegzuschreiben' - einem Impuls übrigens, der durch manche Formen schulischer Schreibpraxis geradezu gepflegt wird1. Sie passt auch schlecht zur gängigen Praxis, nach der Texte allein für die Korrektur durch den Lehrer geschrieben werden. Der Sinn der Arbeit an Texten und die Notwendigkeit des Zurückkommens auf Texte wird wohl vor allem dann einsichtig, wenn die Texte der Lernenden reale Funktionen zugesprochen erhalten und sie diese auch erfüllen müssen. Wichtig ist wohl auch, dass diese Arbeit als lernfördernd und etwa in den verschiedenen Formen der Zusammenarbeit und der Selbstbestimmung - auch als interessant erfahren werden kann. In prozessorientierten Vorschlägen zum Schreibunterricht wird dieser Aspekt nicht immer zur Kenntnis genommen. So wird konsistent auf die Notwendigkeit verwiesen, dass an Texten gearbeitet wird. Äugst etwa bemerkt in bezug auf das muttersprachliche Schreiben, dieses lasse sich vergleichen mit dem Klavierspielen, das man nur durch unausgesetztes Üben trainieren und verbessern könne: So ist es auch beim Schreibenlemen, und das selbst bei den Fortgeschrittensten. Grundelement bleibt das Üben, aber begleitet von Reflexionen. Darüber nachzudenken, was eine Einleitung leisten soll und wie dieses Ziel erreicht werden kann, ist notwendig und nützlich, aber es ersetzt auf keinen Fall die Übung, immer wieder neue Einleitungen zu schreiben, auch verschiedene Varianten zu ein und demselben Thema. Das, was für den Schüler das Üben ist, ist für den Schriftsteller die harte Arbeit am Text. (Äugst 1983:15)
Oder es werden Lernende (immer zu ihrem Nachteil) mit Experten verglichen; ihre andere, 'nachlässigere' Einstellung zum Schreiben wird als problematisch und veränderungsbedürftig verstanden.
1
Delius (1986) hat Gymnasiasten in (muttersprachlichen) Grund- und Leistungskursen nach ihren Einstellungen zum Schreiben befragt und stellt fest, dass (vorab im Bereich privater Texte) «Schüler nur wenige Texte (nach Angabe der Schüler vor allem Gedichte) als Gebilde auffassen, die in Arbeit genommen werden müssen» (Delius 1986: 14). Offenbar gehen diese Schüler von der Auffassung aus, dass Texte im Normalfall einfach geschrieben werden - ein Konzept, auf das die Schreibforscher immer wieder gestossen sind. Dies bedeutet jedoch nicht, dass diese Schüler keine Ahnung hätten von der transformierenden Kraft des Schreibens. «Zwar haben viele von ihnen hinsichtlich ihres privaten Schreibens [...] die Einsicht gewonnen und formuliert, dass der Schreibprozess eine objektivierende Funktion hat [...], auf die schulische Schreibpraxis scheint sich diese Einsicht aber nur in sehr begrenztem Masse zu beziehen» (Ebda.: 15). Diese Einstellungen scheinen, wie Delius betont, mit der schulischen Schreibpraxis in Zusammenhang zu stehen; es sind keine fixen Haltungen. Schüler favorisieren im übrigen deutlich Interpretationsaufsätze, Referate und andere Aufgaben, die persönliches Engagement ermöglichen. - Es ist wahrscheinlich, dass im fremdsprachlichen Bereich ähnliche Einstellungen bestehen, wenn auch die Notwendigkeit von Überarbeitungen wohl eher akzeptiert wird.
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So richtig solche Beobachtungen und Forderungen sein mögen - die Frage kann nicht nur sein, ob intensive Arbeit an Texten sinnvoll ist oder wie die Lernenden (im Vergleich zu guten Schreibern) an ihre Aufgabe herangehen. Vielmehr muss auch gleichberechtigt die selbstkritische Frage gestellt werden, wie die unterrichtlichen Schreibanlässe eigentlich beschaffen sind, in denen die Lernenden zu schreiben aufgefordert werden. Diese sind dann am leichtesten bereit, sich in die Arbeit wirklich einzulassen, wenn der Unterricht Schreibanlässe anzubieten hat, welche aus der Struktur der Aufgabenstellung und der Relevanz der Resultate heraus dazu auffordern und animieren, ihrem Text einen gewissen Status zuzuschreiben und ihn entsprechend mit einem gewissen Einsatz, mit gedanklicher und sprachlicher Raffinesse abzufassen. Zu fordern ist demnach, dass die Frage nach der Qualität von Texten sich auch für die Lernenden selbst auf einigermassen überzeugende Weise stellen lässt. 3. Prozessorientierung bedeutet keine Vernachlässigung des Produkts. Prozesse lassen sich nicht unabhängig vom Text denken, auf den hin sie angelegt sind; Schreiben ist in jeder Phase Arbeit an einem Text1. Auf Prozesse aufmerksam zu machen bedeutet, jene komplexen Vermittlungen zwischen Intentionen, Situationsbedingungen und verfügbaren Ressourcen in den Blick zu nehmen, die zum Resultat hinführen, ohne dass sie sich darin zuverlässig spiegelten. Damit wird ein Moment hervorgehoben, das in jeder produktefixierten Betrachtung ausser Acht gelassen ist; es ist aber sehr direkt nicht nur für die Qualität von Texten wesentlich, sondern auch für das Lernen, das in der Arbeit am Text ja stattfinden soll. Letztlich gibt dies letztere den Ausschlag dafür, wie fruchtbar Schreibunterricht ist, nicht die einzelnen Strukturen, die in einzelnen Texten sichtbar werden2. Diese letzte Bemerkung verweist auf einen Gesichtspunkt, der in nichtprozessorientierten Didaktiken weitgehend ausgeklammert werden muss. Wo didaktisch allein auf einzelne Sprachkenntnisse bzw. auf Schreibprodukte Bezug genommen werden kann, lässt sich die Frage kaum stellen, was das produktive Schreiben selbst zum Lernen beiträgt. Es ist von daher kein Zufall, dass sich die hergebrachte fremdsprachliche Schreibdidaktik vornehmlich mit zwei Themen beschäftigte, die in dieser Arbeit eher am Rande stehen: Mit Übungen und mit Korrekturen. In Übungen werden Einzelkenntnisse vermittelt; Korrekturen erlauben es, mangelhaft Beherrschtes aufzudecken. Der Bereich 'dazwischen*, die Aktivität des Schreibens selbst, hat allein diagnostischen Wert: Sie macht offenbar, was einer (nicht) kann. Die Thematisierung von Prozessen erlaubt, dieses allzu einfache Bild zu differenzieren. Zunächst: Im Schreiben werden Sprachkenntnisse nicht nur angewendet, sondern auch umgearbeitet. Schreiben dient so zugleich dem 1
2
Auch wenn die jeweiligen Zwischenprodukte nicht fertige Teilstücke des anvisierten Ganzen darstellen, wie dies Schreibdidaktiken zu fordern scheinen, die etwa das flüssige Schreiben (das Hinschreiben fertiger Texte) als Idealbild verfolgen. Vgl. Zamel 1982; Squire 1983; Raimes 1985; Cooper 1986.
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Ausdruck von sprachlichen Kenntnissen wie deren Neuordnung. Weiter: Schreiben ist weit mehr als nur ein sprachlicher Vorgang. Die Suche nach dem adäquaten Ausdruck ist immer auch Arbeit am Auszudrückenden; es schafft und festigt Verbindungen zwischen den sprachlichen und den konzeptuellen Bereichen. Dieser Aspekt muss jeder kommunikationsorientierten Didaktik ganz besonders wichtig sein, geht es ihr doch darum, die fremde Sprache als Mittel des Ausdrucks und der Differenzierung zu lehren und zu lernen. Dies ist in den rein sprachbezogenen Übungs- und Korrekturpraktiken kaum realisierbar. Hier stehen fast ausschliesslich sprachsystematische Gesichtspunkte im Vordergrund. Schliesslich eröffnet die Prozessorientierung eine neue Perspektive auf die Hauptaufgabe des Fremdsprachenunterrichts, auf die des Lehrens und Lernens. Sie stellt die herkömmliche Rollenverteilung von Lehrer und Lernenden insofern in Frage, als sie neben das bekannte Modell der Vermittlung ein neues stellt, das die Selbstorganisation von Lernprozessen durch die Lernenden und deren Eigenverantwortung betont und damit auch dem Unterricht ganz neue Möglichkeiten erschliesst.
4
Korrektur
Viele Lehrer betrachten die Korrektur (neben dem Üben) als wichtigstes Ingrediens fremdsprachlichen Schreibunterrichts; für sie liegt in der Korrektur ihr ausschlaggebender Beitrag zum Schreiben der Lernenden bzw. zu ihren Texten. Traditionelle Korrektur beinhaltet in der Praxis oft auch gewisse Elemente dessen, was oben als Evaluation bezeichnet worden ist, das heisst die Beurteilung von Textpassagen nach Kriterien der Lesbarkeit, Angemessenheit und Interessantheit. Zur Hauptsache geht es dabei aber fast stets um die Anzeige von Fehlern auf den autonomen Normebenen der Orthographie, Morphologie, Syntax und Semantik. Dieser zweite Aspekt ist gemeint, wenn hier von Korrektur die Rede ist. In den vorangegangenen Kapiteln wurde dieses Thema bewusst aus dem Zentrum der Auseinandersetzung um den Schreibunterricht herausgehalten. Die hergebrachte Korrekturpraxis beruht auf einer schreibdidaktischen Grundlage, welche dem Produkt des Schreibens (und vor allem seiner sprachlichen Korrektheit) hohes Gewicht einräumt, fast unabhängig davon, auf welchem Wege es zustandegekommen ist. Es wird als direkter Ausdruck der Sprachkompetenz des Schreibenden angesehen; durch die Korrektur soll dann das, was in der Kenntnisbasis der Lernenden ungenau oder falsch verankert ist, berichtigt werden. Der Korrektur wird damit ein wichtiger Stellenwert im Lernprozess zugesprochen. Dies erklärt vielleicht zum Teil, warum viele Lehrer in diesem Bereich «almost obsessive preoccupation with error» zeigen (Zamel 1985: 84). Diese Position muss in wesentlichen Punkten revidiert werden. Einerseits kann der Stellenwert der Korrektur vor dem Hintergrund der hier vorgetragenen Grundzüge nicht so hoch eingeschätzt werden. Der Schreibdidaktik
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geht es um produktiven Sprachgebrauch, um den Ausdruck von Intentionen und um Mitteilung. Korrektur hat in dieser Arbeit ihren berechtigten Platz; sie steht aber immer hinter der Evaluation, der Frage nach den textuellen und kommunikativen Aspekten von Schriftäusserungen zurück und sollte so weit wie möglich darauf bezogen werden. Es ist dies eine Leitlinie, die sich auf dem Gebiet der mündlichen Kommunikation weitgehend durchgesetzt hat; es gibt keinen Grund, sie nicht auch für den schriftlichen als wegweisend zu akzeptieren. Wirklichen Eigenwert kann das Beharren auf Vollkommenheit der Textoberfläche allenfalls dort haben, wo direkt im Hinblick auf bestimmte Zieltätigkeiten schreiben gelernt wird (z.B. in Kursen für fremdsprachliche Geschäftskorrespondenz). Andererseits ist es aus verschiedenen Gründen fraglich, ob Korrektur wirklich die in sie gesetzten grossen Erwartungen erfüllen kann. Ihre Wirksamkeit hängt, wie noch auszuführen sein wird, von einer ganzen Anzahl von Faktoren ab. Sie scheint insgesamt nur unter besondern günstigen Bedingungen ein einigermassen wirkungsvolles Mittel der Verbesserung von Sprachfähigkeit zu sein1. Zudem hat die Erwerbsforschung gezeigt, dass im Sprachlernen Mechanismen wirksam sind, die nicht auf expliziter Fehlerkorrektur beruhen und auf diese auch kaum ansprechen. Auch von daher ist der Stellenwert von Korrekturen zwar nicht zu bestreiten, aber zu relativieren. Im folgenden soll auf einige der mit diesen Bemerkungen angesprochenen Probleme eingegangen werden. Im Vordergrund steht immer die vom Lehrer vorgenommene Korrektur. Auf die Möglichkeit und Wünschbarkeit von Korrekturen, die durch die Lernenden selbst (allein oder in Kooperation, an eigenen oder fremden Texten) unternommen werden, ist schon hingewiesen worden (vgl. auch Chaudron 1988:150f.). 4.1 Voraussetzungen von Korrekturen Unter dem Stichwort 'Voraussetzungen' soll hier auf zwei Punkte eingegangen werden, die für das Korrigieren von Belang sind: seine Funktionen und seine grundsätzliche Problematik. a. Funktionen von Korrekturen
Korrekturen können gänzlich unterschiedliche Funktionen erfüllen. Sie können etwa unternommen werden - zur Information des Lehrers über den Stand der Lernenden in bestimmten Bereichen; - zur Qualifikation von Arbeiten (etwa von Prüfungsaufsätzen); - zur Herstellung einer akzeptablen Textoberfläche im Hinblick auf eine Veröffentlichung (innerhalb oder ausserhalb der Lernergruppe); - zur Rückmeldung an die Lernenden2. 1
2
Auf einige problematische Aspekte mündlichen Feedbacks, vor allem auf die Inkonsistenz und die fast durchgängige Nlchtexplizitheit von Rückmeldungen, wurde schon in 1.4/1 hingewiesen. V.a. in der mündlichen Korrektur hat die Rückmeldung nicht nur die Funktion, den Sprechenden (also den Fehlelproduzenten) auf einen Fehler aufmerksam zu machen,
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Diese Funktionen schliessen sich gegenseitig nicht aus. Korrekturen können aber je nach Funktion ganz verschieden aussehen. So kann eine Korrektur im Hinblick auf eine Veröffentlichung zuhanden der Klasse dadurch stattfinden, dass der Lehrer die entsprechenden Texte sauber abtippt, das heisst so behutsam wie möglich in Normnähe bringt. Dies ist ein Verfahren, das in bezug auf die Lernenden auf legitimierbare Weise das Gewicht vom Fehlerverbessem auf den lernwirksamen Input verlegt. Korrekturen in Abschlussprüfungen dagegen können nicht anders als durch systematische Markierung von Fehlern erfolgen. Eine solche Gründlichkeit ist nicht angezeigt (und eine Markierung nicht unbedingt nötig), wenn sich ein Lehrer allein dafür interessiert, welche und wie viele Fehler in einem bestimmten Bereich festzustellen sind. Ebenso ist Gründlichkeit nicht immer die Strategie der Wahl, wenn zuhanden der Lernenden korrigiert wird. An dieser Stelle soll nur auf die wohl wichtigste Funktion der Korrektur eingegangen werden: Auf ihre Rolle als Feedback zuhanden der Lernenden in der Absicht, sie aus ihren eigenen Fehlern lernen zu lassen. Hier übernimmt die Korrektur Lehrfunktion, indem sie die Aufmerksamkeit der Lernenden auf Kenntnislücken richten soll und ihnen Informationen (über den Sprachstand, vielleicht auch über die Zielnorm) vermittelt. b. Zur Problematik von Korrekturen an schriftlichen Texten Die Frage der Korrektur von schriftlichen Arbeiten ist von einer gewissen Dringlichkeit aus zumindest zwei Gründen. Einerseits liegen in Schriftäusserungen Fehler klar und sichtbar, oft in geradezu aufdringlicher Weise vor; zudem macht die Gegenständlichkeit von Schriftäusserungen nachträgliche Korrekturen möglich. Mit diesem Sachverhalt verbindet sich auch die Vorstellung, Fehler Hessen sich im schriftlichen Medium eindeutiger und störungsfreier berichtigen als etwa im mündlichen Bereich. Andererseits lädt das Schreiben zu einer auch formbezogenen Aufmerksamkeit auf Sprache ein. Dies darf ernstgenommen werden; Korrekturen sind dem Schriftlichen in diesem Sinne adäquater als dem Mündlichen. Demgegenüber ist festzuhalten, dass Fehler in schriftlichen Texten in verschiedener Hinsicht nur scheinbar besser und wirksamer zu korrigieren sind. Natürlich ist es (für den Lehrer) meist keine schwierige Aufgabe, sprachliche Fehler zu eruieren. Dieser Aspekt des Korrigierens fällt bei Vorliegen schriftlicher Aufzeichnungen tatsächlich um vieles leichter als im Mündlichen; auch lassen sich Fehler recht eindeutig indizieren, und die Korrektur stört anders als oft im Mündlichen zumindest nicht den Produktionsprozess selber. Damit allein ist aber noch wenig erreicht. Ziel der Korrektur ist ja eine Rückmeldung an die Lernenden; die Marken auf dem Papier sind bloss das Instrument dazu. Deren Wirksamkeit ist aber beschränkt. sondern gleichzeitig auch die anderen Gruppenteilnehmer zur Aufmerksamkeit zu veranlassen bzw. ihnen korrekten Input zu sichern. Diese Differenzierung ist im schriftlichen Bereich ebenfalls in manchen Fällen relevant; auf sie wird im folgenden aber nicht weiter eingegangen.
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Der entscheidende Gesichtspunkt ist hier folgender: Wenn die Korrektur einer schriftlichen Arbeit eintrifft, ist der Zusammenhang meist bereits verblasst, aus dem heraus der Text geschrieben und die einzelnen sprachlichen Entscheidungen getroffen worden sind. Damit ist eine wesentliche Bedingung für die Kontextualisierbarkeit der Rückmeldung durch die Lernenden nicht oder nur mangelhaft erfüllt. Korrekturen im mündlichen Bereich dagegen treffen in dem Augenblick ein, in dem eine Formulierung im Gange oder eben zu Ende gebracht ist. In diesem Augenblick sind die Wissensbestände, welche den fehlerhaften Entscheidungen zugrundeliegen, mit gewisser Wahrscheinlichkeit noch aktiviert. Entsprechend grösser ist die Möglichkeit, dass der Feedback nicht nur das Produkt verschönern hilft, sondern Spuren in den der Produktion zugrundeliegenden Wissensbeständen hinterlässt1. Demgemäss ist die wichtigste Frage beim Korrigieren die, ob und wie Rückmeldung so gegeben werden kann, dass sie kontextualisiert, das heisst aufgenommen und verarbeitet werden kann. Dass dies tatsächlich ein Problem ist, dass Korrekturen leicht als fremd empfunden werden, zeigt das häufige Desinteresse der Lernenden an ihnen. Ein weiterer, für die Effizienz von Korrekturen wahrscheinlich relevanter Faktor ist der emotionale. Korrekturen sollten so wenig wie möglich als Sanktionen aufgefasst werden müssen. Je eher sie wahrnehmbar sind als Hinweise, die Lern- und Handlungschancen eröffnen, desto eher wird auch die Arbeit der Re-Kontextualisierung unternommen. Dies heisst, dass es ein wichtiges Anliegen sein muss, den meist allein negativen Charakter von Korrekturen zu brechen2. 4.2 Formen von Korrekturen Korrekturen sind in gänzlich verschiedener Weise möglich. Ein grobes Raster für die Bestimmung von Korrekturformen ergibt sich aus der Analyse der Schritte, die zu durchlaufen sind, wenn ein Fehler verbessert wird. a. Der Korrekturzyklus In der Erkennung und Behandlung von Fehlern lassen sich fünf Schritte unterscheiden, recht ähnlich denen, die für die Revision von Texten ge1
2
Anderson (1987: 203) legt grossen Wert auf diesen Sachverhalt und auf die zeitlichen Verhältnisse (genauen auf die Notwendigkeit der Aktivierung einschlägiger Wissensbestände) beim Feedback. Ähnlich argumentieren Knapp-Potthofl/Knapp 1982:197. Vgl. dazu auch Cardelle/Cordo 1981; Knapp-Potthoff/Knapp 1982: 198. Lalande (1989: 106) bestreitet wohl zu Recht einen festen Zusammenhang zwischen Korrektur und negativer emotionaler Reaktion, die sich etwa in Hemmungen oder Angst vor neuen Schreibaufgaben äussert. Wohl aber sind Korrekturen, werden sie nicht sorgfältig in die unterrichtlichen Schreib- und Lemaktivitäten eingebettet, höchst geeignete Ansatzpunkte, an denen sich negative Reaktionen entzünden können. Oft mögen Korrekturen schlicht überflüssig erscheinen. Sie können auch überfordernd und damit bedrohlich, oder deplaziert und damit entmutigend wirken. Letzteres kann der Fall sein, wenn Korrekturen, die eigentlich nur die sprachliche Form treffen, (nicht immer fälschlicherweise) verstanden werden als Kritik an den ausgedrückten Intentionen bzw. als Ausdruck des Desinteresses an ihnen.
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nannt worden sind (vgl. Π.3/1.4). Es geht - etwa in einer von Schreibenden selbst unternommenen Korrektur - darum, - einen Ausdruck als fehlerhaft zu erkennen, - den Fehler zu lokalisieren, das heisst zu bestimmen, um welchen Typ von Fehler es sich handelt (Orthographie-, Genus-, Wortstellungsfehler; - den Fehler zu identifizieren, das heisst zu eruieren, warum es sich um einen Fehler handelt und welches demgemäss die möglichen oder notwendigen Schritte zur Verbesserung sind; - den Fehler zu emendieren, das heisst den Ausdruck zu berichtigen bzw. mögliche Alternativen zu generieren und eine davon auszuwählen; - die Kenntnisbasis entsprechend zu verändern, so dass der Fehler nicht weiterhin gemacht oder zumindest leichter bemerkt wird. Diese Prozedur kann, aber muss nicht den Rückgriff auf explizite linguistische Begriffe und Regeln einschliessen. Sie läuft wahrscheinlich nicht in den hier analytisch unterschiedenen Schritten ab. Diese haben trotzdem einen diagnostischen Wert. Eine Fehlerkorrektur kann fehlgehen in dem Sinne, dass es möglich ist, auf jeder Stufe falsche Entscheidungen zu treffen. Fehler können nicht erkannt (oder Nicht-Fehler als Fehler erkannt) werden; sie können falsch lokalisiert, falsch identifiziert und schliesslich durch andere Fehler statt durch eine richtige Version des Ausdrucks ersetzt werden. Der letzte Schritt hat im strengen Sinne nicht mehr mit der Fehlerkorrektur selbst zu tun. Ob und wie weit durch die Kenntnisnahme und Verbesserung eines Fehlers die zugrundeliegende Kenntnisbasis wirksam verändert wird, hängt wohl von vielen, sehr komplexen Bedingungen ab. Letztlich kann dies aber als das wichtigste Ziel der Korrektur, sicher der lehrerinitiierten unterrichtlichen Korrektur, angesehen werden. b. Arten von Korrekturen Lehrerkorrekturen können gesehen werden als Hilfestellungen, welche es den Lernenden erlauben sollen, Zyklen der Fehlerbereinigung in Gang zu setzen, obwohl sie den Fehler nicht selbst als solchen bemerkt haben oder damit nicht zurecht gekommen sind. Minimale Forderung an eine Lehrerkorrektur ist demnach, dass der Lernende instand gesetzt wird, einen Ausdruck als fehlerhaft zu erkennen, etwa durch die Markierung eines Ausdrucks. Alternativ kann der Lehrer durch zusätzliche Informationen Fehler lokalisieren, identifizieren oder emendieren. In keinem Fall kann er aber durch die Korrektur direkt bewirken, dass die entsprechende Kenntnisbasis des Lernenden dauerhaft verändert wird. Dies letztere ist davon abhängig, ob die Korrekturhinweise durch die Lernenden auf dem Hintergrund ihrer Kompetenz optimal aufgenommen werden. Demgemäss können folgende Korrekturarten unterschieden werden: 1. Die blosse Kennzeichnung von fehlerhaften Ausdrücken, ohne jede weitere Information. Dies überlässt den Lernenden die Aufgabe, den ganzen weiteren Zyklus auszuschreiten. Aussichtsreich ist ein solches Verfahren wohl vor allem dann, wenn die angezeigten Fehler von den Lernenden
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prinzipiell auch selbst entdeckt und korrigiert werden könnten, wenn sie also einen Verstoss gegen bereits bekannte Regularitäten der fremden Sprache darstellen. 2. Die Lokalisierung von Fehlern, ihre Kategorisierung nach bestimmten Typen oder Klassen (z.B. mit Vermerken wie 'Kasus', 'Wortstellung' usw.) Damit wird ein wichtiger Schritt im Zyklus vorgreifend durch den Lehrer getan. Diese Art der Korrektur setzt voraus, dass die Lernenden mit den verwendeten Begriffen vertraut sind; auch funktionieren sie wohl nur da, wo die entsprechenden sprachlichen Regularitäten einigermassen beherrscht sind. Bestimmte Hinweise sind aber so beschaffen, dass sie die Lernenden auch auf Hilfsmittel verweisen, in denen sie bisher vielleicht unbekannte Informationen finden können1. 3. Die Identifikation von Fehlern. Hierzu gehören Vermerke wie 'helfen + Dativ!', wenn das Verb mit dem Akkusativ konstruiert wurde; 'Präteritum', wenn ein Tempusfehler vorliegt, aber auch der Hinweis darauf, dass das Wort 'Elaborat', bezogen auf einen Text, abwertende Konnotationen mit sich führt; dass eine bestimmte Konstruktion auf störende Weise zweideutig ist usw. Solche Korrekturen können für die Lernenden gänzlich neue Informationen über die Sprache transportieren; sie setzen nicht voraus, dass sie über die entsprechenden Kenntnisse bereits verfügen. Zugleich überlassen sie es ihnen, die richtige Form (oder eine gangbare Alternative zum monierten Ausdruck) selbst zu finden. 4. Die Emendation von Fehlern. Dazu gehören alle Fälle, in denen der Lehrer die (oder eine mögliche) korrekte Form direkt hinschreibt unabhängig davon, ob er noch zusätzliche Hinweise gibt oder nicht. Emendationen zwingen die Lernenden zu keiner eigenen Tätigkeit; sie können aber, falls sie zur Kenntnis genommen werden, vor allem im Kontrast zur Originalversion eminent wichtige Informationen über die Sprache transportieren. Emendationen sind fast unverzichtbar etwa dort, wo etwa stilistische und Registervarianten, Kollokationen, leicht zu verwechselnde Konstruktionen und Ausdrücke zum Thema werden. Zum Abschluss möchte ich noch auf zwei Punkte aufmerksam machen. Erstens: Es muss hier wiederholt werden, dass das Vorliegen einer Lehrerkorrektur noch keineswegs bedeutet, dass die Lernenden sie zur Kenntnis nehmen. Einer der Faktoren, die dies erleichtern, ist sicher, dass Fehler adäquat korrigiert werden. Dies dürfte am ehesten dann der Fall sein, wenn eine Korrektur die Lernenden zur Eigenaktivität ermuntert, das heisst ihnen die Ausführung von Korrekturschritten überlässt, oder, wo dies nicht möglich ist, wenn sie so informativ ist, dass sie relevante Informationen für die Erweiterung der Sprachkenntnisse beiträgt. Wenn diese Annahmen stimmen, könnte es kontraproduktiv sein, etwa Genus- oder Kasusfehler direkt zu emendieren (statt sie bloss anzuzeigen), ebenso aber kann es 1
So verweisen beispielsweise Maricierungen, welche die Orthographie, die Flexion oder die Semantik von Wörtern betreffen, auf sprachliche Gegebenheiten, über die die Lernenden in einem Wörterbuch leicht nähere Informationen finden können.
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verwirren, wenn komplexe semantische oder syntaktische Probleme bloss lokalisiert werden und die notwendigen Informationen zu ihrem Verständnis nicht gegeben werden. Zweitens: Es ist darauf aufmerksam zu machen, dass Korrekturen im Prinzip sowohl mündlich wie schriftlich gegeben werden können. Es gilt weitgehend als normal, dass schriftliche Arbeiten schriftlich korrigiert werden, aber es besteht hier kein notwendiger Zusammenhang. Zudem gibt es die verschiedensten Formen von schriftlichen Korrekturen: solche, die in den Text hineingeschrieben werden, Markierungen am Rande, Fussnoten usw. Korrekturen können mithilfe einzelner Abkürzungen vorgenommen werden oder sich ganzer Wörter bedienen oder schliesslich als Kommentare in diskursiver Form erfolgen; sie können allein auf die Ausdrücke im Text Bezug nehmen oder auch Beispiele, Alternativen etc. anführen. Es ist anzunehmen, dass die Form der Korrektur für die Art, wie sie wahrgenommen wird, von Wichtigkeit ist. 4.3 Strategien des Korrigierens Aus dem Gesagten ergeben sich eine Reihe von Forderungen an Korrekturen: Sie sollen als relevant und lernfördernd wahrgenommen werden können, sie sollen nicht demotivierend wirken und sie sollen so angelegt sein, dass sie eine Rekontextualisierung durch die Lernenden fördern. Im folgenden sollen drei Strategien besprochen werden, die allein und in Kombination miteinander (soweit eine solche möglich ist) dazu beitragen können, die Chancen zu verbessern, dass Korrekturen wahrgenommen werden und einen gewissen Effekt haben. a. Textbezug
Wenn im Schreiben die Produktion eines Textes angezielt wird (und nicht bloss die einer Unterlage für die Korrektur), so muss die erste Strategie darin bestehen, diesen textuellen Charakter auch in der Korrektur ernstzunehmen. Dies ist mit 'Textbezug' gemeint. Daran sind verschiedene Facetten auszumachen: 1. Korrektur sollte womöglich im Zusammenhang mit einer Antwort auf den Text und mit seiner Evaluation als Text erfolgen. Je einseitiger nur die Mängel auf den autonomen Ebenen des Sprachsystems herausgestellt werden, desto weniger wird diese Reaktion der ursprünglichen Aufgabe gerecht, als desto deplazierter und unwichtiger kann sie wahrgenommen werden. Natürlich gibt es Umstände, in denen auch Texte allein im Hinblick auf ihre sprachliche Richtigkeit durchgesehen werden; dies muss jedoch im Hinblick auf die Textarbeit oder die Lernziele des Unterrichts motiviert werden können1. 1
Diese Beschränkung auf die Korrektur macht Sinn etwa dann, wenn Texte bereits evaluiert worden sind und nun im Hinblick auf den weiteren Gebrauch abschliessend sauber gemacht werden. Die Korrektur von Texten und deren anschliessende Veibesserung um ihrer selbst willen, das heisst allein zu Lemzwecken, ist problematisch, wenn sie a) nicht im Zusammenhang mit einer Evaluation und damit auch unter textu-
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2. Evaluation hat nicht nur negativen Charakter. Ihre Aufgabe ist es auch, den Schreibenden zur Kenntnis zu bringen, welche Aspekte ihrer Arbeit dem Leser positiv auffallen, welche Qualitäten der Text aufweist. Ähnlich können auch in der Korrektur auf der Ebene der Formulierungen, der Syntax, der Wortwahl gelungene, am Sprachstand der Schreibenden gemessen beachtliche oder neuartige korrekte Ausdrücke positiv ausgezeichnet werden. Positiver Feedback scheint nicht nur - wie immer wieder hervorgehoben worden ist - emotionalen Wert zu haben, sondern auch lernfördernde Informationen zu transportieren1. 3. Korrekturen sollten so weit wie möglich unter dem Gesichtspunkt erfolgen, wie weit sie die Lesbarkeit und die Verständlichkeit des Textes beeinflussen. Textbezug heisst in diesem Falle, dass Fehler nicht nur als Verstösse gegen die Regeln des Sprachsystems gekennzeichnet werden, sondern dass ihr Einfluss auf die kommunikativen Leistungen des Textes beachtet wird. Dies scheint selbstverständlich, wird jedoch in der Korrekturpraxis oft nicht berücksichtigt2. Die textuelle Relevanz von Fehlern ist ein wichtiges Kriterium bei der Beurteilung der Schwere von Verstössen, wenn selektiv, das heisst nicht-systematisch korrigiert wird. Zugleich erhöhen Hinweise auf die textuellen Konsequenzen von Fehlern wahrscheinlich die Chance, dass die beanstandeten Ausdrücke durch die Lernenden ausreichend rekontextualisiert werden3. b. Einbindung
Korrekturen werden am ehesten wirksam, wenn sie in weiter ausgreifende Aktivitäten eingebunden werden können, wenn sie unter Handlungsperspektive erfolgen. Dies ist vor allem dort der Fall, wo Korrekturen im
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eilen Gesichtspunkten erfolgt und b) nicht im Rahmen einer konsequenten Strategie stattfindet, welche diese Arbeit mit den Lemzielen des Unterrichts und den Lernfortschritten der Studierenden veibindet (siehe unten). Cardelle/Cordo (1981) untersuchten verschiedenen Korrekturstrategien bei schriftlichen Hausaufgaben (offenbar handelte es sich dabei um Übungen, nicht um Texte). Sie stellen fest, dass Lemergruppen, die positiven und negativen Feedback bekamen, bei weitem positiver auf Korrekturenreagiertenund grössere Lemfortschritte machten als Lemergruppen, die entweder nur positive, nur negative oder keine gezielte Rückmeldung bekamen. Die positiven und negativen Evaluationen bestanden aus Einzelhinweisen in Form von Kommentaren. Es scheint, dass solche in diskursiver Sprache gehaltene Korrekturen von den Lernenden sehr geschätzt und genau zur Kenntnis genommen werden. Kommentare dieser Art zu machen erfordert allerdings etwas mehr Zeit. Zum Teil hat dies die Konsequenz, dass vom Lehrer vorgeschlagene Korrekturen den Text inkohärenter machen. Vgl. Zamel 1985: 86ff. Vgl. Allen/Waugh 1986; Woods 1989. Dietrich (1982: 139) weist am Beispiel von Selbskorrekturen im mündlichen Sprachgebrauch von Fremdsprachigen darauf hin, dass die Bedeutungshaltigkeit eines der wichtigsten Kriterien ist, die der Wahrnehmung und Korrektur von Fehlem im Bereich der Flexionsmorpheme zugrunde liegen. Wahrscheinlich lässt sich dieser Befund in dem Sinn verallgemeinem, dass Einsicht in die semantischen und pragmatischen Konsequenzen sprachlicher Regularitäten ihre Wahmehmbarkeit erhöht und damit auch das Lernen fördert.
III.4 Im Übergang zur Gestaltung von Unterricht
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Rahmen des Schreibens und Lesens von Texten durch die Lernenden selbst vorgenommen werden oder wo Korrekturen durch den Lehrer so rasch erfolgen, dass sie in die Arbeit am Text, etwa in die Abschlussphase der Überarbeitung, einbezogen werden können (vgl. Börner 1989: 371). Am problematischsten sind Korrekturen, die nach Abschluss der Schreibarbeit und unabhängig von unterrichtlicher Weiterarbeit mit den Texten stattfinden. Im herkömmlichen Schreibunterricht ist dies die weitaus wichtigste, oft die alleinige Korrekturform. Hier stellt sich am deutlichsten die Frage nach dem Sinn und der möglichen Einbettung der Verbesserungsarbeit. Im Prinzip kann der Lehrer in dieser Situation es dabei bewenden lassen, seine Korrekturen als Angebote zu verstehen, auf die die Lernenden eintreten können oder auch nicht. Dies ist wahrscheinlich keineswegs die schlechteste Lösung. Sie wird aber unweigerlich dazu führen, dass ein Teil der Lernenden den Korrekturen auch dann, wenn textbezogen und informativ korrigiert wurde, keine Beachtung schenkt. Scheint dies ungenügend, so müssen Formen gefunden werden, welche eine offiziell als notwendig deklarierte Verbesserungsarbeit sinnvoll zu gestalten erlauben. Ein zwar äusserliches, aber wichtiges Mittel, diese Arbeit einzubinden, besteht darin, sie als ebenso relevant zu behandeln wie andere Lernaktivitäten und Unterrichtszeit für die Verbesserung zur Verfügung zu stellen. Dies ist sinnvoll auch darum, weil Verbesserungen oft neue Fragen aufwerfen, die in dieser Situation sofort beantwortet werden können. Die Formulierung von Fragen eröffnet in diesem Zusammenhang zusätzliche Möglichkeiten, die Verbesserungsarbeit interessanter zu gestalten und ihren Zusammenhang mit dem Ziel des Sprachlernens herauszustellen. Zu denken ist hier vor allem an Aufträge, die ein gezieltes Zur-KenntnisNehmen und eine Beurteilung von Fehlern durch die Lernenden selbst erfordern. Dazu können etwa Aufforderungen gehören wie die, - die zwei für einen Texte wichtigsten und die zwei unwichtigsten Fehler zu identifizieren; - Fehler, die auf effektivem Nicht-Wissen basieren, von Patzern zu unterscheiden, die eigentlich hätten vermieden werden können; - verschiedene Texte, die im Verlauf von einigen Wochen geschrieben worden sind, daraufhin anzuschauen, welche Fehlertypen am häufigsten vorkommen; - die angezeigten Fehler auf einer Skala der Gewichtigkeit zu ordnen (etwa nach dem Kriterium der Folgen für die Textverständlichkeit). Solche Fragen können dazu beitragen, dass die Verbesserung nicht einfach ein Hinschreiben von richtigen Lösungen ist, sondern dass eine gewisse Auseinandersetzung mit Fehlern stattfindet, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Arbeit tatsächlich lernrelevant wird. Einen etwas anders ausgerichteten Vorschlag, die Aufgabe der Verbesserung in einen weiteren Kontext einzubinden, macht Lalande (1989). Der Vorschlag beruht auf der herkömmliche Praxis der systematischen Korrektur von sprachlichen Normverstössen; Lalande bereichert das Verfahren
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Teil III: Gmndzüge einerfremdsprachlichenSchreibdidaktik
aber um ein wichtiges Moment. Sein Korrektursystem besteht zunächst aus einer Liste von Kürzeln, die zur Kennzeichnung von Fehlern verwendet werden. Diese werden damit lokalisiert, zum Teil auch identifiziert; die Aufgabe der Lernenden ist es, die weiteren Schritte selbst auszuführen, das heisst die Fehler zu emendieren. Während solche Hilfsmittel für die Fehlerkennzeichnung gut bekannt sind, führt das zweite Element von Lalandes Vorschlag eine gänzlich andere Perspektive ein. Die Lernenden führen zusätzlich ein Kontrollblatt, auf dem für jede schriftliche Arbeit des Semesters oder des Jahres die Anzahl und vor allem die Typen der angezeigten Fehler eingetragen werden. Damit wird die Korrekturarbeit sichtbar im Rahmen der Aufgabe angesiedelt, die fremde Sprache zu lernen. Aus der jederzeit einsehbaren Statistik kann nämlich hervorgehen, wo jeder einzelne spezifische Schwächen aufweist, welche Bereiche des fremden Sprachsystems sich immer wieder als mangelhaft beherrscht erweisen, welche Fehlertypen andererseits an Gewicht verlieren. Das heisst, dass mit recht einfachen Mitteln Grundlagen geschaffen werden, die es den Lernenden erlauben, anhand der Korrekturen ihrer Texte ihren Lernfortschritt wenigstens in Einzelaspekten zu überblicken und selber Schwerpunkte für individuelles Lernen zu bestimmen. Voraussetzung dafür ist, dass sie mit einer auf grammatische Begriffe gebrachten Analyse umzugehen wissen und dass sie eine weitgehend auf sprachliche Normaspekte zielende Reaktion als sinnvoll einschätzen können. c. Beschränkung Lalande verteidigt die systematische Fehlerkorrektur. Angesichts der oben kurz skizzierten Problematik der korrektiven Rückmeldung ist aber die Frage zu stellen, ob dies tatsächlich immer die erfolgversprechendste Vorgehensweise ist. Es gibt, wie schon gesagt, einzelne Situationen, in denen Korrektur ohne Textbezug, auch systematische Korrektur, angemessen erscheint. Als alleiniges Prinzip des Korrigierens scheint dieses Verfahren aber unbefriedigend; es ist wahrscheinlich, dass es auf einer Überschätzung der Möglichkeiten der Rückmeldung beruht. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass systematisch Fehler zu korrigieren in der Praxis häufig bedeutet, dass auf Antwort und Evaluation verzichtet wird, dass Lernertexte allein unter Normaspekten und damit letztlich inadäquat behandelt werden. Eine Gegenstrategie, die den Lehrer und die Lernenden entlastet und die Fokus sierung von Fehlem im Rahmen einer text- und inhaltsgerichteten Arbeit erleichtert, besteht in der nicht-systematischen Korrektur. Nicht-systematisch zu korrigieren kann verschiedenes bedeuten: 1. Der Lehrer kann darauf verzichten, jeden Text zu korrigieren. Er kann es bei der Korrektur durch die Schreibenden und/oder andere Lernende bewenden lassen oder bei bestimmten Texten überhaupt darauf verzichten, den Aspekt der Korrektur in den Vordergrund zu stellen1, und die Ausein1
Selbstkorrekturen beim Schreiben (und auch beim inhaltlichen Überarbeiten) sind auf jeden Fall zu erwarten. Gemeint ist hier nicht ein (unmöglicher und unnötiger) Verzicht auf diese Formen des Korrigierens, sondern auf angeleitete Korrekturaktivitäten.
ΓΠ.4 Im Übergang zur Gestaltung von Unterricht
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andersetzung ganz auf die Inhalts- und Mitteilungsaspekte konzentrieren. Dies bedeutet nicht, dass Kenntnisnahme von Fehlern ausgeschlossen wäre. Deren Thematisierung kann aber aus der Arbeit am Text ausgegliedert werden und in speziellen Übungen erfolgen1. 2. Der Lehrer kann darauf verzichten, jeden Fehler in einem Text anzuzeigen. Unter vielen Schreibdidaktikern ist ein gewisser Konsens darüber festzustellen, dass nicht alle Fehler korrigiert zu werden brauchen. Wohl aber gehen die Meinungen darüber auseinander, welches die relevanten Gesichtspunkte sind, nach denen korrigiert werden soll. Einige vernünftig erscheinende Kriterien für die Korrektur wurden schon in 1.4/1 in bezug auf die mündliche Rückmeldung kurz angesprochen. Danach sind häufige, die Kommunikation beeinträchtigende und stigmatisierende Fehler am ehesten korrekturbedürftig. Auch systematische Gesichtspunkte können die Korrektur anleiten; dann etwa, wenn bestimmte sprachlich-textuelle Phänomene im Rahmen einer Schreibarbeit besonders wichtig sind2. Wahrscheinlich ist, dass für eine befriedigende Korrekturpraxis im Regelfall beides eine Rolle spielt. Wird nicht-systematisch korrigiert, hängt es von den Umständen ab, ob bestimmte Fehler als relevant erscheinen oder nicht. Es können nur relative und damit auch stets bestreitbare Masstäbe des Gewichts von Verstössen angelegt werden. Entsprechende Kriterien werden sich meist auf den Text (Verständlichkeit), den unterrichtlichen Kontext (fokussierte sprachliche und textuelle Phänomene) und die individuelle Kompetenz der Schreibenden beziehen. 3. Die Lernenden verbessern in einem (systematisch oder nicht-systematisch) korrigierten Text nicht alle Fehler. Stattdessen wählen sie (nach vorgegebenen oder selbstgewählten Kriterien) bestimmte aus, nachdem sie alle Korrekturen zur Kennntnis genommen haben. Nicht-systematische Korrektur geht von der Voraussetzung aus, dass es besser, das heisst letztlich lernrelevanter ist, einen Teil der Fehler zur Kenntnis zu nehmen und sich mit ihren Gründen und Folgen zu beschäftigen, als möglichst alle Fehler richtigzustellen, ohne dass dabei eine Auseinandersetzung stattfindet. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass nicht prinzipiell beides - systematische Korrektur und Auseinandersetzung gleichzeitig möglich sein sollte, aber auch keinen Grund anzunehmen, dies sei in der Praxis leicht zu erreichen oder gar die Regel.
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Dies ist ohnehin zumindest dort ein angezeigtes Verfahren, wo eine grossere Zahl von Lernenden mit denselben fremdsprachlichen Nonnen grosse Probleme zeigen. Rivers (1968) fordert, dierelevantenFehler zu korrigieren; Pineas (1982) schlägt vor, Fehler in den fokussierten sprachlichen und textuellen Bereichen zu markieren.
III.5
SPRECHEN UND SCHREIBEN
Auf Zusammenhänge zwischen dem Sprechen und Schreiben wurde im Verlauf der bisherigen Darstellung immer wieder hingewiesen, dies im Gegensatz zu den meisten anderen schreibdidaktischen Entwürfen, in denen solche Fragen weitgehend umgangen werden. Besonders drei Aspekte dieses Verhältnisses wurden immer wieder hervorgehoben: 1. die Kontaktbereiche mündlicher und schriftlicher Sprachverwendung; 2. die Notwendigkeit der Integration im Unterricht, das heisst der NichtIsolierung der einzelnen Fertigkeiten voneinander und ineins damit der Bezugnahme auf die Arbeit im jeweils anderen Fertigkeitsbereich; 3. die Verwandtschaften und Unterschiede prozessualer Art in der mündlichen und schriftlichen Sprachverwendung1. Diese psycholinguistischen Beziehungen können mit als Grundlage dienen für Entscheidungen darüber, in welcher Weise die in 2. genannte Integration stattfinden kann, das heisst wie die unterrichtliche Abfolge von Sprachgebrauchsweisen gestaltet werden kann. Solche Gesichtspunkte sind natürlich auch für die Darstellung der Beziehungen in Anschlag zu bringen, die das Schreiben zu den rezeptiven Fertigkeiten unterhält. Allerdings ist darüber wenig bekannt, auch sind diese Verhältnisse didaktisch weniger problematisch als das zwischen Sprechen und Schreiben darum, weil Rezeption und Produktion insgesamt sowohl im Unterricht wie in der Sprachpraxis völlig unterschiedliche Positionen einnehmen2. Sprechen und Schreiben dagegen (und Hören und Lesen im rezeptiven Bereich) stehen in einem zusätzlichen, durch die Art der in dieser Arbeit gewählten Darstellung besonders akzentuierten Verhältnis zueinander: 4. Sprechen und Schreiben können alternativ eingesetzt werden; sie stehen in verschiedenen Situationen in Konkurrenz zueinander. Es ist im Alltag hie und da der Fall, dass gewählt werden kann, ob eine Angelegenheit mündlich oder schriftlich erledigt werden soll. Im Unterricht sind diese Gelegenheiten viel zahlreicher. Die Ausgestaltung der Sprachverwendungsweisen, das heisst die Definition pragmatischer Bedingungen des Sprachgebrauchs und damit die kommunikative Dynamik wird hier durch didaktische Überlegungen entscheidend mitbestimmt und ist dementsprechend in hohem Masse beeinflussbar. 1 2
Darauf wurde in 1.2, Π.2 und Π.3 eingegangen. Für eine zusammenfassende Charakterisierung vgl. Bohn 1986:40ff.; Bohn 1987a, b; Brockhaus 1987. Auf die Verbindung zwischen Schreiben und Lesen wird hie und da in Verbindung mit Literatur im Unterricht hingewiesen. So merkt Preston an: «poetry writing can be a direct and active means for foreign students to experience - rather than merely to analyze or critique - one important literary genre.» (Preston 1982: 489). Vgl. Spack 1985; Bogdahn 1987. Auch das Abschreiben von kurzen Texten oder Gedichten kann ein Mittel intensiven Lesens sein.
ΠΙ.5 Sprechen und Schreiben
549
Dieser letzte Punkt bezeichnet das Thema dieses Kapitels. Ihm soll im folgenden nachgegangen werden.
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Zur Fragestellung
Die hier gestellte Frage lässt sich auf zweierlei Weise angehen: Global, als Frage nach der allgemeinen Priorität, oder lokal, als Frage nach Kriterien und Gesichtspunkten, die im Einzelfall Entscheidungen darüber erleichtern können, ob und warum in einem bestimmten Moment mündliche oder schriftliche produktive Sprachverwendung vorzuziehen sei. Die globale Frage wird etwa von Fullerton (1981) beantwortet. Er geht aus von erwerbstheoretischen Überlegungen, vor allem von der Input-Hypothese, wonach Kompetenz sich ausschliesslich aufgrund verständlichen Inputs entwickelt. In diesem Kontext spielt der produktive Einsatz der Fremdsprache durch die Lernenden eine sekundäre Rolle. Er wird nicht völlig ausgeschlossen, aber extrem lange verzögert: A learning program is outlined which applies these principles with rigorous consistency. It includes no work with isolated words or sentences; no drills, exercises, contrived dialogues etc.; nor does it include any speaking by learners. Instead, learners read and listen for about 450 hours before being invited to express themselves by writing letters. (Fullerton 1981:99)1
Grand für die Vorreiterrolle des Schreibens im produktiven Ausdruck ist das «processing-time principle». In einem fünfwöchigen Schreibkurs verfassen die Studenten Briefe an ihren Lehrer, one each day, at first one-half page long, toward the end, two pages at least. In these they tell the teacher anything they would like the teacher to know, that is, they seek to communicate about whatever interests them. (Fullerton 1981:114)
Auch diese Briefe werden allein inhaltlich beantwortet; Hinweise auf sprachliche Probleme werden nur gegeben, wenn die Schreibenden dies explizit wünschen. In der Klasse werden Sprachprobleme - die am weitesten verbreiteten zuerst - behandelt. Im gegenwärtigen Zusammenhang interessieren die weniger eindeutig beantwortbaren und komplexeren lokalen Fragen mehr als die mit diesem oder ähnlichen Vorschlägen zusammenhängenden globalen. Dies einmal darum, weil Unterricht in den meisten Fällen keine so rigorose Trennung von rezeptiven und produktiven Fertigkeiten und ihrer Ausbildung macht, zum anderen darum, weil jeder Unterricht, sobald er Arbeit an allen vier Fertigkeiten einschliesst, sich vor solche lokale Probleme gestellt sieht auch der an den fünfwöchigen Schreibkurs anschliessende weiterführende Kurs müsste sich wohl zwangsläufig früher oder später dem Problem stel1
Die 450 Stunden bezeichnen die totale Praxiszeit (also nicht die Unterrichtszeit allein) in einem Kurs von 30 Wochen (ein akademisches Jahr). Wo in diesem Kurs Lernende direkten Kontakt mit dem Lehrer suchen, erfolgt er in der Muttersprache. Die Lernenden werden nicht ermuntert, aber auch nicht abgehalten, die Fremdsprache zu beniit-
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Teil HE: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
len, ausser man schliesse sich Fullertons radikaler Position an, wonach fremdsprachliches Sprechen kein Thema für den Unterricht ist1. Die lokalen Fragen stellen sich in jedem Unterricht, in dem Sprechen und Schreiben gleichzeitig nebeneinander als Möglichkeiten bestehen. In diesem Bereich lassen sich drei grundsätzliche Verhältnisse skizzieren: 1. Unproblematisch ist das Verhältnis bei den typischen mündlichen und schriftlichen Sprachverwendungsweisen (informeller Dialog versus Erzählung, Gedicht, Essay, ...)· Es bestehen hier wenige Überschneidungen. Üblich ist allerdings die Vorbereitung und Erleichterung von Aufgabenlösungen, etwa von Schreibaufgaben durch vorherige Diskussion usw.2 Solche Aktivitäten sollen die nachfolgende Produktion entlasten, sie treten nicht in Konkurrenz zu dieser Arbeit und stellen in keiner Weise einen Ersatz dafür dar. Es handelt sich hier um die üblichen Verfahren der Sprechbzw. Schreibdidaktik, welche (für das Schreiben) weitgehend durch das in diesem Teil der Arbeit bereits Gesagte abgedeckt sind. 2. Schreiben bzw. Sprechen können einander ersetzen. Lehrer oder Lernende können etwa entscheiden, dass es sinnvoller ist, einen kleinen Text zu schreiben (eine Meinungskundgabe, einen Erfahrungsbericht, eine Stellungnahme) statt analoge mündliche Leistungen zu fordern. Hier wird eine von zwei alternativen Realisierungsformen gewählt, gleichzeitig wird natürlich das Anforderungsniveau tendenziell verschoben (die schriftliche Realisierung lässt eine bessere Verarbeitung erwarten als die mündliche, kostet aber auch mehr Zeit). In diesem Fall werden Aufgaben aus dem Kontaktbereich von mündlicher und schriftlicher Sprachverwendung schreib- bzw. sprechdidaktisch aufgearbeitet. In bezug auf die Formen des Umgangs mit solchen Schreibanlässen ist ebenfalls schon das Wesentliche gesagt worden; offengeblieben ist die Frage nach den Kriterien, welche in der Wahl zwischen dem mündlichen und dem schriftlichen Modus der Abwicklung solcher Unterrichtsvorhaben entscheidend sein könnten. Sicher spielt die Frage der Verarbeitungszeit hierbei eine gewichtige Rolle. 3. Komplex wird die Frage des Verhältnisses von Sprechen und Schreiben beim Gebrauch von Vorlagen. Das Ziel des mündlichen Vortrags wird hier beibehalten, das Vorzutragende wird jedoch schriftlich vorbereitet. Auch hier geht es, wie bei Punkt 2, um Aufgaben aus dem Kontaktbereich von
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zen. Tun sie dies, so reagiert der Lehrer allein inhaltlich, ohne Korrektur (oder durch indirekte, etwa in der Aufnahme der Frage in eigenen Formulierungen). «Assuming, nonetheless, that there is some reason why learners should speak, one must ask how that is to be accomplished in an educational setting. I contend that this is in principle impossible.» Die Gründe dafür sind die kurze Unterrichtszeit; die Praxismöglichkeiten seien lächerlich gering (die theoretisch mögliche Sprechzeit beträgt ein bis zwei Minuten pro Unterrichtsstunde). Gruppen- oder Partnerarbeit wird kaum in Betracht gezogen, dies sei unnatürlich (es gebe für die Lernenden keinen Grund, miteinander in der Fremdsprache zu sprechen). «The only natural and practical environment for exercising the speaking skill is in the target-language culture. That is also the only environment in which the learner needs to speak.» (Fullerton 1981:116f.) Vor allem im Anfangsunterricht werden oft auch Dialoge und Rollenspiele auf schriftlichen Vorlagen aufgebaut bzw. schriftlich vorbereitet.
ΕΠ.5 Sprechen und Schreiben
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schriftlichem und mündlichem Sprachgebrauch, wobei durch die schriftliche Vorbereitung nicht der gesamte Anlass ins Schriftliche und Schreibdidaktische verschoben wird. Die didaktische Wahlmöglichkeit, die sich hier stellt, ist nicht eine zwischen mündlicher und schriftlicher Modalität, sondern zwischen mündlicher Ausführung der Aufgabe und unterschiedlichen Graden ihrer schriftlichen Vorbereitung und Unterstützung. Zu unterscheiden sind hier verschiedene Gruppen von Anlässen: - Vortrage jeder Art und Länge, die in den allermeisten Fällen, in der Fremdsprache fast notwendig, schriftlich vorbereitet werden. Gemeint sind hier alle angekündigten Sprechanlässe. - Berichte, Kurzreferate usw., deren Notwendigkeit sich oft aus der Situation ergibt und die (in Mutter- und Fremdsprache) manchmal, aber durchaus nicht immer schriftlich vorbereitet werden. Hierzu gehören Berichte aus Arbeitsgruppen, Stellungnahmen, im Unterricht auch Nacherzählungen usw. - monologische Darstellungen also, die oft sehr kurz, aber in ganz eindeutiger Art nicht-dialogischer Art sind und im Unterricht auch oft nicht eingebettet in Gespräche und Diskussionen erscheinen, sondern davon abgesetzt. - Gesprächsbeiträge in Diskussionen, Kurzanalysen, Meinungskundgaben, Bewertungen, Impressionen usw., also mündliche Äusserungen, in welchen eine meist nur wenige Sätze lange, aber pointierte Äusserung gefordert wird. Diese werden selten mit schriftlichen Vorbereitungen in Zusammenhang gebracht, beruhen praktisch aber oft auf zumindest minimalen Vorlagen. Vorbereitungen können höchst unterschiedliche Form annehmen: sie können während des Zuhörens erfolgen (etwa im Rahmen einer Diskussion), die Form einer kurzen Denkpause von einer oder wenigen Minuten Dauer annehmen oder als ausgeführte Schreibprozesse realisiert werden, etwa im Falle gewisser Referate. Anders als dann, wenn Texte geschrieben werden, lässt sich hier auch überlegen, ob stichwortartige Vorbereitungen oder ausgeführte Formulierungen die Vorlage dominieren sollen. Im dritten Bereich treten schriftliche und mündliche Sprachform in unmittelbaren Kontakt, aber auch in ein heftig umstrittenes Verhältnis zueinander ein. Die Frage nach den Kriterien, welche die Entscheidungen für das eine oder andere lenken, stellt sich hier noch direkter als in Punkt 2. Im folgenden soll deshalb auf diesen letzten Punkt und das Problem der Vorlagen allein eingegangen werden; die sich hier ergebenden Gesichtspunkte können auch in weiteren Kontexten fruchtbar gemacht werden.
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Unterrichtliche Gelenkstellen
Ich möchte hier ausgehen von Anlässen, die zur Gruppe 'Berichte aus Arbeitsgruppen', 'Verständniskontrolle: Nacherzählung', 'Meinungsäusserung mit expliziter Begründung' gehören, also von Formen, die eine durchaus gewichtige Rolle in der mündlichen Kommunikation spielen und die
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
durchaus nicht nur - wie zum Teil längere Vorträge es oft tun - der mündlichen Verlautbarung eindeutig schriftsprachlich geprägter Texte dienen1. Im Unterricht übernehmen solche Formen der Sachverhaltsdarstellung oft wichtige Funktionen. Sie stehen am Übergang zwischen verschiedenen Aktivitäten und erlauben es, etwa den Schritt von der Gruppen- zur Plenumsarbeit oder von der Lektüre zum Gespräch über den Text zu machen, indem sie als notwendig erachtete Informationen zugänglich machen, Arbeitsresultate zu vergleichen erlauben, alle Teilnehmer auf ein gleiches minimales Niveau des Textverständnisses bringen usw. Sie dienen so als Bindeglieder, als Gelenkstellen, in denen Grundlagen für die Weiterarbeit gesammelt bzw. ausgetauscht werden. Anforderungen dieser Art sind in einem Unterricht, der nicht vollständig lehrerzentriert verläuft, an der Tagesordnung2; vor allem im Anschluss an das Lesen von Texten (oder das Anschauen von Filmen usw.) stehen auch im eng lehrergefühlten Unterricht mündliche Nacherzählungen oder Zusammenfassungen routinemässig auf der Agenda. Diese Art von Aufgabenstellung ist in vielen Fällen nicht nur unvermeidlich, sondern auch wünschbar. Viele von ihnen stellen Momente dar, in denen die Lernenden Eigenes in den Unterricht einbringen könnten; ich schätze solche Anlässe überdies als tendenziell höchst lernrelevant ein. In der Durchführung zeigen sich in der Praxis allerdings sehr oft, und nicht nur bei Lernenden in der Anfänger- und Mittelstufe, entscheidende Mängel. Die Aufgaben liegen meist durchaus im Bereich dessen, was die Lernenden im Prinzip bewältigen könnten, sie übersteigen jedoch in manchen Fällen definitiv die Kapazität der Lernenden im ungeplanten mündlichen Ausdruck3. Diese Überforderung hat mehrere Ursachen: 1. Auf kognitiver Ebene wären viele dieser Aufgaben auch in der Muttersprache anspruchsvoll. Setzt man voraus, dass Lernende lieber nicht einfach irgend etwas von sich geben, was sich gerade nahelegt, sondern etwas Treffendes sagen möchten, wirkt auch in sogenannt einfachen Fällen (in Fällen, die oft zu Unrecht als einfach angesehen werden) ungeplantes monologisches Sprechen leicht überfordernd. So gehört es bei vielen Lehrern zur Gewohnheit, dass zu Hause gelesene Texte im Unterricht rekapituliert werden. Lautete die Aufgabe nur zu lesen, nicht, eine Rekapitulation mit vorzubereiten, so fordert diese Aufgabe auch kognitiv nicht schlechthin Selbstverständliches. Die Ansprüche an die Verarbeitung und Neuordnung von Konzepten steigt bei anderen Aufgaben noch beträchtlich an. Im Zusammenhang mit den sprachlichen Ausdrucksschwierigkeiten fallen solche
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Die folgenden Ausführungen sind vorgezeichnet in Portmann 1989. Etwa in Anweisungen wie: «After the pairs [sc.: of students] have discussed all the topics surrounding the picture, ask each pair to share their response with the whole class.» (Greenwood 1988: 36f. - Hervoiiiebung PRP.) Im folgenden wird auch der Terminus 'spontanes Sprechen' benutzt. Er bezieht sich allein auf die Anforderungen an die Sprachverarbeitung. 'Spontaneität' im Sinne von Authentizität, Offenheit und dergleichen hat damit nichts zu tun.
ΙΠ .5 Sprechen und Schreiben
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kognitiven Belastungen in der Fremdsprache viel stärker ins Gewicht als in der Muttersprache. 2. Zentraler sind die Schwierigkeiten der Realisierung fremdsprachlicher Äusserungen. Es scheint, dass viele Lehrer (und Lernende) die Bedingungen, denen monologisches Sprechen unterliegt, nicht richtig einschätzen. So gilt das repetierende Nacherzählen als einfach, wohl darum, weil die Sprachangebote der Vorlage weitgehend übernommen werden können. Diese Rechnung geht jedoch oft nicht auf. Das Verstanden-Haben ist nur bedingt eine genügende Vorbereitung für die Wiedergabe; das Gedächtnis speichert nur zum kleinen Teil die sprachliche Gestalt aufgenommener Information. Auch ist Nacherzählung - vor allem dann, wenn sie nicht unmittelbar an die Lektüre anschliesst - nicht einfach eine Repetition (auch wenn das Produkt unter Umständen strukturell dem Ausgangstext ähnlich ist), sondern weitgehend die Aufgabe, Gedanken auszudrücken. Die Erinnerungsspuren an die sprachliche Gestalt des Textes mögen mithelfen, trotzdem müssen die meisten Sprachmittel erst mobilisiert werden, auch dann, wenn der Inhalt bekannt ist und dessen Konfiguration keine Schwierigkeiten aufwerfen sollte. Schwieriger wird die Aufgabe, wenn die Vorlage weitgehend visueller Art ist (etwa ein Film) und einschlägige Relationen und Verhältnisse gänzlich neu verbalisiert werden müssen. Bei anderen Aufgaben, die mehr oder weniger freien Ausdruck verlangen, können die Ausdrucksprobleme enorm variieren, je nach Kontextbedingungen. Es ist jedoch zu erwarten, dass genau dann, wenn die Lernenden neue und eigene Ideen einbringen sollen, sich auch sprachliche Engpässe geltend machen. Diese lassen sich nicht allein dadurch erklären, dass die Lernenden die notwendigen Mittel nicht zur Verfügung haben, sondern sind - wenn die Aufgabenstellung wirklich angepasst ist - primär dadurch bedingt, dass die vorhandenen Mittel nicht schnell genug aufgerufen und strukturiert werden können. Die Folgen machen sich im Unterricht durchaus negativ bemerkbar. Die fehlende Klarheit und die sprachliche Mangelhaftigkeit der Beiträge sowie ein oft hölzerner, monotoner Vortrag führen dazu, dass die anderen schlecht oder kaum verstehen1. Es ist nun eine Reihe von Reduktionsstrategien gängig, welche diese Situationen überbrücken helfen, aber das eigentliche Problem - die Überforderung der Lernenden durch den Anspruch spontanen monologischen Sprechens - nicht lösen, sondern verschleiern.
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Hinzu kommen oft unterrichtsorganisatorische Probleme, die dazu beitragen, dass die Lernenden gleichzeitg intellektuell unterfordert sind. So werden oft zu viele und zu viel repetitive Lernerbeiträge aufgerufen - etwa dann, wenn alle dieselben Aufgaben lösen müssen. Wo es um Rekapitulation, Nacherzählung etc. geht, ist zudem oft der Status und der Sinn dieser Aktivität nicht einsichtig zu machen; ist die Aufgabe allein die, oberflächennah einen Text nachzuvollziehen, so sinkt der Informationswert der produzierten sprachlichen Äusserungen für die Lernenden gegen null.
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a. Uminterpretation Die Versuche der Lernenden, sich verständlich zu machen, werden als Übungen interpretiert. Das heisst, dass der Vorgang individualisiert und als Lernsituation für die jeweils Sprechenden ausgegeben wird. Die Funktion der Äusserung als Mitteilung wird geopfert. Diese Funktion der Lerneräusserung wird manchmal durch die Paraphrasearbeit des Lehrers wahrgenommen, der - Schritt für Schritt oder zusammenfassend am Ende - die Aussagen des Lernenden aufnimmt und in (für die anderen Lernenden verständlichere) sprachliche Form bringt; manchmal wird sie auch aufgegeben. In diesem Falle wird im weiteren Verlauf des Unterrichts auf den oder die Lernerbeiträge nicht weiter eingegangen; vielmehr übernimmt ausschliesslich vorbereitetes Material oder der Lehrer die Aufgabe, Grundlagen für die Weiterarbeit zu liefern. Hier verliert der Lernerbeitrag seine Gelenkstellen-Funktion gänzlich. b. Reduktion der Anforderungen Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Komplexität der Aufgabe zu reduzieren. Dies ist dort gangbar, wo alle oder grössere Gruppen dieselben vorbereitenden Aktivitäten hinter sich haben. Paradebeispiel ist hier die Nacherzählung der Klassenlektüre oder gemeinsam gesehener Filme. Finocchiario/Brumfit schlagen zu solchen «reading related acitivities» etwa folgendes überaus gängige Verfahren vor: Have them summarize the passage. (To ensure attentive listening, ask each student to supply one statement only.) (Finocchiario/Brumfit 1983:148)
Es gelingt wahrscheinlich, auf diese Weise die Nacherzählung, wenn auch mit gelegentlicher Unterstützung des Lehrers, zuwege zu bringen1. Allerdings ist der Sprachumsatz für die Lernenden recht gering, vor allem aber wird die Nacherzählung fast zwangsläufig auf eine oberflächengebundene Rekapitulation beschränkt, die höchstens krasse Fälle von Un- oder Missverständnissen aufdecken kann2. In diesem Verfahren können kaum interessante Gesichtspunkte zum Vorschein kommen, die für die Weiterarbeit Anhaltspunkte brächten. Aber es erfüllt Gelenkstellen-Funktion insofern, als es eine gewisse minimale Basis schafft, vor allem einige Textdaten und sprachliche Mittel aktiviert. c. Maieutischer Dialog Der maieudsche Dialog kann dazu eingesetzt werden, um unterrichtliche Gelenkstellen zu bewältigen. In diesem Fall werden Beiträge der Lernen1
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Neben der Reduktion von Komplexität hat der Sprecherwechsel wahrscheinlich auch einen disziplinierenden Effekt vor allem dort, wo nicht klar ist, wer als nächster zu sprechen hat. In diesem Sinne ist die Rekapitulation kein effizientes Instrument der Verständnisüberpriifung. Sie gibt dem Lehrer Informationen nur dann, wenn zufälligerweise der Lernende, der an der Reihe ist, etwas falsch macht, und auch dann ist selten klar, ob der Fehler auf mangelndem Verständnis des Textes, auf mangelnder Koordination des aktuellen Beitrags mit den vorhergegangenen Beiträgen, auf Sprachschwierigkeiten im Ausdruck oder auf Desinteresse beruht
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den in einem Verfahren gesammelt, das ihre Perspektivierung, Organisation und Auswertung weitgehend dem Lehrer überlässt. Auch hier ist eine Reduktion der Anforderungen im Spiel, indem von den Lernenden ebenfalls keine monologischen Darstellungen erwartet werden, sondern ihre Leistung auf das Beantworten von Fragen beschränkt wird, während der Grossteil der konzeptuellen und sprachlichen Arbeit vom Lehrer erbracht wird. In gewissem Sinne wird hier die Gelenkstellen-Funktion erfüllt, allerdings um den Preis einer zurückgeschnittenen, nur noch in Einzelstücken aufscheinenden Mitarbeit der Lernenden. Das Problem mit Reduktionsstrategien ist, dass sie in den meisten Fällen dazu beitragen, den Unterricht farbloser, informationsärmer und langweiliger zu machen. Fast sämtliche themenbezogenen Aktivitäten, vor allem auch die Beschäftigung mit Literatur wird auf diese Weise unnötig auf Sparflamme gehalten. Entweder können nur die allerzugänglichsten Aspekte überhaupt zur Sprache kommen, oder sie werden über den Lehrer als Sachwalter, nach seinem Dafürhalten, eingebracht. Bewältigungsstrategien müssten darauf ausgehen, durch andere Formen der Komplexitätsreduktion die Lernenden dazu zu befähigen, mit den Anforderungen solcher Situationen fertig zu werden. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie einen Zwischenschritt, einen unter Umständen sehr kurzen oder auch längeren Zeitraum offenlassen, der es den Lernenden erlaubt, Ideen zu sammeln und zu organisieren und ihre Antwort vorzubereiten. Diese Antwort kann erleichtert werden - durch präzise, offene Fragen, welche nur kurze Antworten erfordern, aber dem Antwortenden erlauben, ein Text- bzw. Sachverständnis, seine Meinung zu formulieren. Werden solche Fragen differenzierend gestellt, können die verschiedenen Antworten der verschiedenen Bearbeiter durchaus wesentliche inhaltliche Impulse für den Unterricht geben. - durch Vorgabe eines Antwortschemas (etwa der Struktur von Statements) und von Redemittellisten. - durch Vorbereitung der Antwort in Partner- und Gruppenarbeit. - durch den Auftrag zu schriftlicher Vorbereitung. Diese Möglichkeiten schliessen sich gegenseitig nicht aus. Ich möchte hier nur auf einige Vorteile hinweisen, die ich in der schriftlichen Vorbereitung sehe. 1. Die Lernenden werden instand gesetzt, mit grösserer Zuversicht und mit mehr Chancen darauf, verstanden zu werden, ihren Beitrag zum Unterricht zu machen (vgl. Desselmann 1983: 27). 2. Unterrichtsorganisatorisch fallt ins Gewicht, dass schriftliche Vorbereitungen eine flexiblere Verwendung erlauben als rein mündliche. Sie können in einer folgenden Stunde leichter wiederaufgenommen werden, sie erlauben besser, Vergleiche zwischen verschiedenen Beiträgen anzustellen oder auf frühere zurückzugreifen, und sie erlauben es schliesslich, gewisse Tätigkeiten aus dem Unterricht auszulagern und gleichzeitig die Unterrichtszeit intensiver zu nutzen.
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3. Stille Vorbereitung im Kopf und Vorbereitung in Gruppen bleibt meist vage und unbestimmt. Dies wird besonders auffallig in Gruppenarbeiten, die leicht zur Erzeugung einer Vielzahl von themenbezogenen Ideen und Optionen führen, aber häufig zu keinem greifbaren Abschluss kommen, der es erlaubte, die Resultate der Arbeit zu identifizieren und zu präsentieren. Berichte erschöpfen sich dann leicht in einer Aufzählung von Dingen, die besprochen worden sind. Mit anderen Worten: Themenbezogenes Diskutieren und Erwägen stellt selten eine genügende Vorbereitung für einen Beitrag dar. Es ermöglicht es den Vortragenden nur in Ausnahmefällen, klar und verständlich zu sprechen. In keineswegs seltenen Fällen muss der Vortragende während seines Beitrags darüber entscheiden, was eigentlich Thema und Resultat der Arbeit gewesen ist - ohne Absprache mit den anderen Teilnehmern. Dieses Vortragen ist demnach eine zweite, eigenständige Anforderung; im gegenwärtigen Kontext geht es hauptsächlich um diese. Im Prinzip müsste jede Gruppenaufgabe, aus welcher eine Rückmeldung verlangt wird, zumindest zwei Aufgabenstellungen enthalten: Eine, welche das Thema definiert, und eine zweite, welche die Form und die Anforderungen an die Bekanntmachung der Arbeitsresultate festhält1. In diesem Zusammenhang lassen sich wieder leicht Argumente für eine schriftliche Vorbereitung gewinnen: Schriftliche Vorbereitung zwingt in weit höherem Mass als mündliche zur Festlegung dessen, was mitzuteilen ist und folglich als Ergebnis gelten soll. Sie fördert damit ein sachbezogenes, auf ein gemeinsam erarbeitetes Resultat ausgerichtetes Sprechen. Zusätzlich fokussiert die schriftliche Arbeit die Aufmerksamkeit auf die sprachliche Fassung der mitzuteilenden Gedanken. Es macht ebenfalls die Fremdsprache zum völlig selbstverständlichen Mittel der Arbeit, was in Gruppen mit einheitlicher Muttersprache hilfreich sein kann2. 4. Ahnlich, wie dies in ΙΠ.2/2 beschrieben wurde, ist die Hoffnung erlaubt, dass die schriftliche Vorbereitung Inhalts-Ausdrucks-Relationen in den Vordergrund rückt und damit intensive, begründete Arbeit an sprachlicher Form provoziert, ebenso, dass Ausdrucksprobleme wahrgenommen und bewusst Sprachmittel gesucht werden, die dem Ausdruck dessen dienen, was man sagen will. Damit kommen Wachstumszonen der Sprachkompetenz, deren Erweiterungsgebiete in den Blick. Dadurch, dass das Vorberei1
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Es ist oft noch bei Fortgeschrittenen zu beobachten, wie wenig viele von ihnen imstande sind, Vorbereitungs- und Planungsangebote zu nutzen. Dass eine vage Konzeption dessen, was man meint, nicht unbedingt ausreicht, um in der Fremdsprache einen valablen Beitrag zu formulieren, fällt vielen erst auf, wenn sie mit ihren eigenen Äusserungen konfrontiert werden (auf Tonband oder Video). Zumindest übungshalber Vorlagen schriftlich zu formulieren kann den Effekt haben, dass das Mass an konzeptueller und sprachlicher Formung sichtbar wird, welches auch in einfachen Füllen in die Präsentation eines Beitrags eingeht. Beiträge fürs Plenum lassen sich in Partner- oder Gruppenarbeit vorbereiten auch dann, wenn die inhaltlichen Grundlagen von einem einzigen Gruppenmitglied stammen. Es handelt sich hier um ein Analogon zum Überarbeiten eines Textes in einer Gruppe.
ΠΙ.5 Sprechen und Schreiben
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tete vorgetragen werden soll, ist in der Struktur der Aufgabe auch eine Wiederholung angelegt und eine Chance gegeben, dass durch den doppelten Durchgang Wörter, Redeweisen, Aussagemuster usw. besser haften bleiben. Diese Gründe gelten konditional. Es ist durchaus nicht die Meinung, dass jeder monologische Beitrag in dieser Weise vorbereitet werden müsste; die Umstände, unter denen sie erfolgen, sind zu unterschiedlich, als dass eine einfache, klargeschnittene Lösung möglich wäre (siehe unten).
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Vortragen
Das Vortragen an Gelenkstellen verfolgt zwei gleichgewichtige, einander verstärkende Ziele: Es soll, ob es nun spontan erfolgt oder nach Vorbereitung, für den Vortragenden eine sinnvolle Praxis des Sprachgebrauchs, eine Gelegenheit zu produktiver Sprachverwendung sein, und gleichzeitig soll es für die Hörenden informativ sein, indem es bekannte Dinge in Erinnerung ruft oder Neues in den Unterricht einbringt, das für die weitere Arbeit von Interesse ist. Diese doppelte Zielsetzung bildet die Basis auch für Entscheidungen dafür, ob und auf welche Weise Beiträge vorbereitet werden sollen. Die oft gehörte Meinung, dass die Fähigkeit zu spontanem Sprechen das erste Ziel des Unterrichts im Bereich der Sprachproduktion sei, spontanes Sprechen daher stets an erster Stelle zu stehen habe, scheint mir fragwürdig. Sie geht nicht nur von einer eher einfachen Interpretation des Grundsatzes aus, dass zu lehren sei, was gelernt werden solle, sondern führt tendenziell auch dazu, dass das zweite angegebene Ziel, Information, zugunsten des ersten zurückgenommen wird. Oft wird mit diesem Argument auch vorausgesetzt, dass es sich bei den fraglichen Sprechanlässen um Anforderungen handle, die von den Lernenden selbstverständlich erfüllt werden könnten. Auch diese Position scheint mir kaum haltbar. Es ist festzuhalten, dass es hier um relativ formelle Anlässe geht. Im monologischen Sprechen ist die Möglichkeit des Aushandelns eingeschränkt oder nicht gegeben; wer Rederecht beansprucht oder bekommt, geht eine gewisse Verpflichtung ein. Was dies bedeutet, illustriert sehr klar die Tatsache, dass auch viele Muttersprachige sich intensiv (schriftlich oder nicht) auf derartige Anlässe vorbereiten. Diese werden nicht in Analogie zum dialogischen Sprechen, sondern sehr klar in Analogie zum schriftlichen Ausdruck wahrgenommen. Der Umgang mit ihnen zeigt, dass die geforderten konzeptuellen und sprachlichen Mittel nicht in jedem Falle problemlos zum Abruf bereit stehen und dass dies auch nicht erwartet wird. Dies gilt zumindest dann, wenn - wie dies im Unterricht der Fall ist — das monologische Sprechen nicht in einen Dialog eingebettet ist, sondern als öffentlicher Vortrag erfolgt. Wenn auch die Formen monologischen Sprechens im Fremdsprachenunterricht in vielem einfacher und weniger belastend sein werden als öffentliche Sprechanlässe in der Muttersprache, so zeigt der Vergleich doch, dass sie nicht einfach als Fortsetzung dialogischen
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Teil ΠΙ: Grundzüge einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik
Sprachgebrauchs angesehen werden können. Diese Formen des Sprechens verdienen durchaus eine spezielle Aufmerksamkeit und eine explizite Thematisierung im Unterricht. a. Monologische Beiträge als Thema des Unterrichts Monologisches Sprechen kann und sollte in verschiedener Hinsicht Thema des Unterrichts werden. 1. Monologische Beiträge jeder Art - nicht nur ausgewachsene Vorträge zeigen eindeutige textuelle Züge. Ihre globale Strukturierung lässt sich in weitem Masse durchsichtig machen, den zugehörigen sprachlichen Gliederungssignalen lassen sich klare Funktionen zuweisen1. Während solche Dinge in der Muttersprache meist intuitiv eingesetzt werden, kann es für Fremdsprachige eine grosse Hilfe bedeuten, wenn einschlägige Aufbau schemata als Planungs- und Darstellungshilfen bewusst eingesetzt und moderiert werden können. Die Thematisierung dieser Aspekte im Unterricht scheint mir deshalb absolut notwendig. Dies gilt auch dann, wenn am Diktat spontanen Sprechens festgehalten wird. 2. Lernende geben sich oft wenig Rechenschaft darüber, wie ihre Mitteilungen auf die anderen wirken. Die Praxis, entsprechende Versuche bloss als (vorab den Lehrer interessierende) Übungen zu behandeln, die mit einem 'gut gemacht* oder 'schlecht gemacht' quittiert werden, klammert diesen Aspekt fast vollständig aus. Interessanter wäre es, gezielt die kommunikative Potenz von Beiträgen auszumessen, indem sie (etwa mit Tonoder Videoaufnahmen) wiederholbar, vergleichbar und einschätzbar gemacht würden. Die verschiedenen Dimensionen, in denen solches Sprechen glücken oder verunglücken kann, liessen sich auf diese Weise viel klarer in den Vordergrund heben und als mögliche Bereiche gezielter Arbeit plausibel machen. Dazu gehören vorab das Vortragen selbst, die artikulatorische und stimmliche Präsentation; dann die Strukturierung des Beitrags, die klare und knappe Mitteilung von Gemeintem; schliesslich die sprachliche Formulierung, die einzelnen Aussagen und ihre linguistische Qualität. Insgesamt ergeben diese Faktoren das, was man als Verständlichkeit, kommunikative Effizienz oder wie immer bezeichnen kann. Eine solche Analyse erzwingt aber in jedem Falle die Beschäftigung mit dem Thema und die bewusst unternommene Arbeit an solchen Beiträgen, erfolge diese nun schriftlich oder nicht. b. Vorlagen: Notizen oder Texte? Ich habe schon oben einige Gründe aufgeführt, die für schriftliche Vorbereitung sprechen. Eine solche legt sich vor allem dort nahe, wo das Vortragen als Form des Sprachgebrauchs thematisch ist, aber nicht nur dort. Wird schriftlich vorbereitet, so sind prinzipiell drei Wege denkbar, Vorlagen herzustellen: Sparsame Notizen, wie sie Muttersprachige etwa vorbereiten würden, das heisst solche, die schwergewichtig Nominalkomplexe festhalten; dichte Notizen, welche eine Vielzahl von Kollokationen, Ver1
Auf die Struktur von Stellungnahmen wurde in ΙΠ.3/3.4 hingewiesen.
m.5 Sprechen und Schreiben
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ben, subsidiären Satzgliedstellen usw. mit aufführen und damit den speziellen Sprachproblemen der Fremdsprachigen Rechnung tragen; schliesslich ausformulierte Texte. Die erste Art der Vorbereitung ist die einfachste, zugleich meist die am wenigsten befriedigende. Meist sind nur Fortgeschrittene in der Lage, aufgrund einzelner Stichwörter flüssig zu sprechen, und auch das nur, wenn das Thema intensiv fremdsprachlich vorbearbeitet wurde. Alternativ können Stichwörter natürlich auch dazu benützt werden, den Text mündlich in wiederholten Durchgängen vorzubereiten und auf diese Weise jene Gedächtnisspuren zu schaffen, die eine problemlose Versprachlichung des Notats begünstigen. Die zweite Art der Vorbereitung verlangt, dass die entsprechende Technik des Notierens als sinnvoll erkannt und beherrscht wird. Sie besteht darin, jene lexikalischen und strukturellen Elemente festzulegen, die zur Versprachlichung notwendig sind, aber dem Fremdsprachigen nicht sicher spontan zur Verfügung stehen. Der Nachteil eines solchen Notats ist, dass ganz bestimmte Realisierungsstrukturen von vornherein bestimmt werden müssen. Entsprechend ist die Formulierungsfreiheit, die sparsame Stichwörter eröffnen, hier von Anfang an ausgeschlossen. Eher gleicht ein solches Notat einem Lückentext; eine mögliche Konsequenz davon ist, dass der Vortragende nicht weniger an seine Vorlage gebunden ist als im Falle einer ausgeführten textuellen Vorbereitung1. Die dritte Art der Vorbereitung schliesslich, der ausformulierte Text, nimmt weitgehend den vorzutragenden Wortlaut voraus. Was ihn von einem fürs Lesen konzipierten Text unterscheidet, ist wohl zunächst dies, dass er die Bedingungen des mündlichen Vortrags berücksichtigen und entsprechend noch definitiver als ein Lesetext sprachlich einfach gehalten werden muss2. Je ausgeführter die Vorbereitung, desto mehr werden die sprachlichen Probleme aus dem Vortrag selbst ausgelagert; dieser wird entlastet und damit frei für anderes. Fragen der artikulatorischen und stimmlichen Realisierung lassen sich unter solchen Bedingungen am besten und fruchtbarsten thematisieren (Stimmvolumen, Betonung, flüssige Sprechweise usw.). Aber auch ausserhalb solcher Anlässe scheint es mir voreilig, das Vorlesen als Form der Mitteilung derart abzuwerten, wie dies die meisten Lehrer tun. Wird das Ziel, dass im Unterricht sinnvolle Mitteilungen ermöglicht werden sollen, ernst genommen, so müssen die Beiträge einem gewissen minimalen 1
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Solche Notizen können, ausgehend von ausgeführten Texten, erstellt werden nach Massgabe dessen, was die Lernenden an sprachlicher Information glauben entbehren zu können. Sie könnten dazu dienen, mit dem Wachstum der sprachlichen Flexibilität auch die Sprachaibeit in den Vortrag selbst zurückzubringen (vgl. Löschmann 1985). Die Forderung nach Einfachheit im Texteschreiben ist zunächst eine an den Schreibenden selbst: Er soll seine Kompetenzen und Ausdrucksmöglichkeiten richtig einschätzen und entsprechend handeln. Im Hinblick auf Vorlagen kommt ein anderer Gesichtspunkt zur Geltung: Einfachheit ist hier angesagt auch und vor allem im Hinblick auf die Adressaten, die Mitlemenden, die eine Äusserung im einmaligen Hören aufnehmen sollen.
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Standard der Klarheit und Verständlichkeit entsprechen. Auf dieser Basis ist es wohl konsequenter (und der Form des monologischen Sprechens angemessener), die Forderung nach freiem Sprechen als Zielforderung zu betrachten, sie nicht zum Ausgangspunkt der didaktischen Planung zu machen. Die Fähigkeit zu freiem Vortrag ist, vor allem in der Fremdsprache, aufzubauen, nicht vorauszusetzen1. Dabei spielt einerseits eine Rolle, dass die Anforderungen überblickt werden können. Während beim Sprechen, wie beim Schreiben, viele Kriterien muttersprachlich bis zu einem gewissen Grade vorgebildet sind, sind sie aller Erfahrung nach nicht leicht anwendbar, nicht auf Fremdvorträge und noch weniger auf eigene Produktionen. Die Möglichkeit des AbstandNehmens und des überblickenden Zugangs, der beim Schreiben so sehr ins Gewicht fällt, fehlt hier; vor allem der eigene Vortrag erscheint nie als solcher und wird oft völlig falsch eingeschätzt2. Ton- und Videoaufnahmen können diese Lücke ex post schliessen, Vorlagen die Aufgabe schon vorgreifend fassbar machen. Andererseits geht es darum, dass die verschiedenen Möglichkeiten der Vorbereitung und Techniken der Strukturierung von Beiträgen deutlich werden und dass die Vortragenden selbst sich darüber klar werden, welches Mass an Vorbereitung für sie angemessen und notwendig ist. Mit anderen Worten: Sind die Kriterien bekannt und einsichtig, nach denen Beiträge evaluiert und bewertet werden, wird sich hier, analog zu den Usanzen von Muttersprachlern, ein vielleicht unterschiedlicher, aber zielgerichteter und den Ressourcen angepasster Umgang mit den Ansprüchen und den Möglichkeiten ihrer Erfüllung einstellen3. - Dieselben Überlegungen gelten auch für Referate, also relativ langfristig vorbereitete und geplante, meist auch etwas längere Vorträge. Die Thematisierung dieser Dinge im Unterricht sollte nicht dazu dienen, einen (oft illusorischen) Massstab dessen, was allein richtig sei, durchzusetzen, sondern Hilfestellungen und Techniken zu erarbeiten, die es erlauben, dem Ziel näherzukommen. Für die Gestaltung der Arbeit an mündlichen Beiträgen lassen sich viele der schreibdidaktischen Verfahren verwenden, wie sie oben skizziert worden sind. Diese müssen natürlich den Spezifika von Vorlagen gemäss adaptiert werden, so in bezug auf die Form der Notiz und das Ziel der münd-
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Gründe für die Ablehnung des Vorlesens scheinen vielfältiger Art zu sein, sie sind vielleicht sprachdidaktischer, vor allem aber ästhetischer Natur. Gegen das Voiiesen wird etwa eingewendet, es repetiere bloss und habe nichts Kreatives an sich oder es sei künstlich. Dies mag bis zu einem gewissen Grade zutreffen (es trifft auch auf vieles andere zu, im Unterricht und ausserhalb), gibt aber keine Antwort auf die entscheidenden didaktischen Fragen. Falsch heisst hier Völlig anders als von den Hörenden. Dabei wird sich herausstellen, dass in der Vorbereitung zu einem Beitrag alle Möglichkeiten der Notation ihren Platz haben können, dass also einzelne Formulierungen zu heikel sind, als dass sie dem Zufall überlassen werden könnten, dass anderseits gewisse Dinge mit einfachen oder auch dichten Stichwörtem durchaus zu bewältigen sind.
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liehen Präsentation. Neben die schreibdidaktischen treten hier zusätzlich sprechdidaktische Verfahren. c. Vorbereitung und Gesprächsbeiträge Die hier in den Vordergrund gestellten monologischen Äusserungen an unterrichtlichen Gelenkstellen sind dadurch ausgezeichnet, dass sie nicht im Gespräch eingebettet sind, sondern für sich allein oder am Eingang eines Gesprächs stehen. Oben wurde angemerkt, dass sie dem Aushandeln nicht offenstehen. Sie haben in diesem Sinne ihre Gegenstücke in den Gesprächsbeiträgen in einem unterrichtlichen Plenum, etwa einer Diskussion. Solche Gespräche in einer grösseren Gruppe nehmen einen formellen und öffentlichen Charakter an; in ihnen ist die Verwendung jener Strategien entscheidend eingeschränkt, die in einer Zweier- oder Dreierkonstellation Gleichgestellter und gut miteinander Bekannter problemlos spielen: die Abarbeitung von Aussageintentionen durch sukzessive Präzisierungen und Modifikationen und die implizite oder explizite Inanspruchnahme der Gesprächspartner als Helfer, die durch Wort- und Formulierungsvorschläge, Fragen oder eigene Beiträge die Mitteilung unterstützen. Im formellen Gespräch dagegen sind die einzelnen Beiträge präferentiell pointiert, klar und sprachlich in sich abgeschlossen formuliert. Ausgehandelt wird die Berechtigung von Argumenten und Positionen; dass intendierter Sinn mitgeteilt werden kann, wird vorausgesetzt - es ist erlaubt und sogar nötig, die anderen beim Wort zu nehmen. Gespräche-Führen in diesem Sinn weist durchaus Verwandtschaft auf zu monologischem Sprechen; diese Form des sprachlichen Austausches kann durch Klärung der Ansprüche, Erarbeitung von Aussagestrukturen (etwa der Grundstrukturen von Statements und Argumenten) und gezielten Einsatz gesprächsorganisierender Redemittel in ähnlicher Weise wie das Vortragen gefördert werden. Es mag sein, dass die schriftliche Vorbereitung einzelner solcher Redebeiträge nur als Übung sinnvoll ist; die sorgfältige Vorbereitung von Fakten und Argumenten und die Erarbeitung sprachlicher Mittel zu ihrem Ausdruck scheint auch hier ein Weg zu sein, die Anforderungen an den Sprachgebrauch durchsichtig und zugleich beheiTschbarer zu machen1. d. Sprechen aufgrund von Vorlagen Vorlagen können überspielt werden: Auch das Vorliegen eines ausformulierten Textes bedeutet nicht, dass der Vortragende bloss ablesen wird. Es mag sein, dass er trotz der Vorlage einzelne Aussagen oder auch ganze Passagen frei formulierend vorträgt. Vorlagen, vor allem gut erarbeitete, sind klarer organisiert, sprachlich expliziter und präziser gefasst, als dies nicht schriftlich vorbereitete Beiträge sind. Sie erlauben ein Sprechen aus dem Überschuss, eine Lockerung und Paraphrasierung vorliegender Strukturen, ohne dass dabei dieselben Schwierigkeiten zu erwarten sind wie 1
Vgl. Conway 1976 für einen Vorschlag, der Vortrag und Diskussion in einer strukturierten Debatte verbindet. Vgl. Lüger 1985 für einige Hinweise auf Argumentationsstrukturen; Mason/Wakeley 1988: 68ff.
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beim Aufbau von Äusserungen aus blossen Stichwörtern. In diesem letzteren Fall ist meist eine wirkliche Neuformulierung verlangt, weil im Notieren der sprachlichen Seite von konzeptuellen Entwürfen wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Vor dem Hintergrund einer Texterarbeitung dagegen steht nicht nur das Geschriebene zu Verfügung; es ist anzunehmen, dass die Formulierungsarbeit auch andere Spuren hinterlassen hat - alternative Formulierungen, andere Muster gedanklicher Verknüpfung, eine Vielzahl aktivierter Bestände, auf die wenigstens zum Teil zurückgegriffen werden kann. Dieses selbe Prinzip des Sprechens aus dem Überschuss trifft auch auf das Sprechen (und das Hören) zu, wenn in der weiteren Arbeit das Vorgetragene aufgenommen und besprochen wird. Die Vorbereitung hat dann nicht nur den Sinn, einen besseren Beitrag zu ermöglichen, sondern liefert Stoff und sprachliche Mittel für ein nachträgliches Sprechen, dessen erste Phase wohlvorbereitet ist und das sich dann langsam zu einem mehr oder weniger spontanen Austausch entwickeln kann - auf einer Basis, welche die Lernenden wenigstens teilweise selbst vorgeben und auf einem Niveau, das ihr Verständnis der Sache und ihre sprachlichen Möglichkeiten spiegelt.
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Zum Abschluss
Ich bin mir bewusst, dass von Vorlagen für Mündliches zu sprechen gegen den Kern der Lehrmeinung angeht, dass spontaner, direkter Ausdruck sowohl Ziel wie Weg des Sprachunterrichts bezeichne. In bezug auf die hier diskutierten Gegenstände zwingt ein Vorgehen, das der gängigen Position entspricht, jedoch geradewegs dazu, den Unterricht inhaltlich zu entleeren, indem monologische Lernerbeiträge - nur in engem Anschluss an bereits intensiv Erarbeitetes zugelassen und damit weitgehend repetitiv gehalten werden, - umgangen werden, oder - zwar gefordert, jedoch durch verschiedene Reduktionsstrategien entschärft werden. Alle diese Optionen halte ich für unbefriedigend. Monologisches Sprechen bildet einerseits ein wichtiges Ziel jedes weiterführenden Sprachkurses; die Fähigkeit dazu bezeichnet wohl die Schwelle, die zu überschreiten ist, wenn Gesprächsfähigkeit (und nicht nur die Fähigkeit zum Führen von Alltagsdialogen) erreicht werden soll1. Die Aufzählung einiger «frequenter Situationen aus dem Erwachsenenbereich» 1
Diese Terminologie ad hoc soll den Unterschied kennzeichnen zwischen pragmatischen, noch eng an Handlungsziele geknüpften sprachlichen Transaktionen, in denen der Fremdsprachige als Kunde, als Reisender, als Klient mit recht handfesten Bedürfnissen in stereotyp ausgelegten Situationen auftritt, und jenen Situationen sprachlichen Austausche, die häufig weniger direkt auf Handlungsziele gerichtet sind und jedenfalls ein grosses Mass an sprachlich gefasster Darstellung und Explikation fordern.
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z.B. im Reisebüro als Kunde Ausflugsmöglichkeiten besprechen, als Partygast die eigene Auffassung über bestimmte Vorgänge im Zielsprachenland in ein Gespräch einbringen oder als Geschäftsmann entsprechende Verhandlungen führen (Strauss 1979: 31)
zeigt sofort die Spannbreite und Unterschiedlichkeit der dabei auftretenden Anforderungen und lässt zugleich auch die Frage aufkommen, wie sich die Lernenden in einer relativ kurzen Zeit in einer Gruppe möglichst weit auf diese anspruchsvollen Ziele vorbereiten können. Während Gespräche jedem Dialog herauswachsen können und gesprächsanalytisch wohl ein bruchloser Übergang vom einen zum anderen zu verzeichnen ist, bedeutet dies nicht, dass dieser Übergang in der Fremdsprache und vor allem im Unterricht ohne weiteres zu schaffen ist und dass Hilfestellungen unnötig wären. Im Gegenteil: Wie fürs Texteschreiben ist auch in bezug auf das Führen von Gesprächen anzunehmen, dass muttersprachlich ausgebildete Kompetenzen intensiver und fruchtbarer in der Fremdsprache zum Tragen kommen können, wenn ihre Mobilisierung und Anwendung nicht dem Zufall überlassen bleibt, sondern thematisiert und erarbeitet wird. Dazu kommt, dass gerade die Struktur unterrichtlicher Kommunikationssituationen mit ihren formellen Komponenten (zumindest in den plenaren Phasen) die Fähigkeit zu einer Sprachbeherrschung fordert, die sich nicht allein am dialogisch konzipierten Faktum des Aushandelns orientiert. Ausgehandelt wird natürlich auch hier, aber auf andere Art. Texte und monologische Darstellungen gehören zu den fundamentalen Weisen, wie Erfahrungen und Meinungen öffentlich gemacht, das heisst gegenüber mehreren Partnern dargestellt und vertreten werden können. Soll das Konzept der Mitteilung und der Teilhabe auch in diesem grösseren Kreis den Unterricht mitformen, so müssen die entsprechenden Weisen des Sich-Äusserns unter adäquaten Bedingungen stattfinden können. In der Vorstellung von Unterricht, die den vorgebrachten Argumenten zugrunde liegt, wird die unmittelbar dialogische, kaum überwachte Sprachpraxis in Partner- und Gruppenarbeit1 kontrastiert mit der formelleren Situation des Plenums, und es werden die den unterschiedlichen Umständen angemessenen Sprechweisen hervorgehoben. Plenumsarbeit im FremdSprachenunterricht hat eo ipso formelle Züge; dem muss Rechnung getragen werden dadurch, dass das komplexere, anforderungsreichere Sprechen im Plenum angemessen, nach dem Prinzip des erhöhten Kapazitätsbedarfs, sich auf einer wohlvorbereiteten Basis entfalten und von dort in Richtung auf ein Sprechen bewegen kann, in das neben die vorbereiteten Momente auch zunehmend neue, nicht vorbedachte Elemente einbezogen werden können. Diese Wünschbarkeit der Vorbereitung von Beiträgen fürs Plenum ist verschiedentlich, und unter verschiedenen Voraussetzungen, betont
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Kaum überwacht in den hier angezielten Fällen text- und vorlagenbezogener Arbeit. Natürlich gibt es im sprechdidaktischen Bereich die verschiedensten Formen angeleiteter und durch Arbeitsunterlagen kontrollierter Partner- und Gruppenarbeit.
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worden1. Daraus ist jedoch kein Dogma zu machen. Die hier gegebenen Hinweise richten sich auf Gelenkstellen des Unterrichts und darauf aufbauende Gespräche, welche einen relativ hohen Anspruch setzen, nicht auf jeden plenaren Gesprächsanlass schlechthin. Wird auf didaktische Reduktionsstrategien verzichtet, so wird meist rasch klar, wo die Überforderung beginnt und die Bewältigung der Ansprüche eine andere Weise der Aufgabenstellung verlangt, welche es erlaubt, im mündlichen Bereich einen Teil jener Eigenkontrolle und Selbstorganisation möglich zu machen, die den schriftlichen Umgang mit Sprache auszeichnet, im spontanen mündlichen Gebrauch jedoch nur sehr reduziert erreichbar ist und diesen darum oft als überanstrengt ausweist. In der hier skizzierten Konzeption ist das Schreiben nicht schlechthin die vierte und letzte der Fertigkeiten. Sprachproduktion ist nicht nur zu unterscheiden danach, ob sie mündlich oder schriftlich erfolgt, sondern auch danach, welchen Ansprüchen sie zu genügen hat. Entsprechend kann es keine fixe Abfolge geben, keine ein für alle Mal gültige Zuordnung von Schwierigkeit. Je nach Umständen kann Schreiben eine einfachere und leichter beherrschbare Weise des Sprachgebrauchs darstellen als das Sprechen. Die klare Sukzession, die man traditionell fürs Sprechen und Schreiben vorsieht, ist nach allem, was in dieser Arbeit gesagt wurde, nicht zu halten; eher liesse sich in vielem gerade im Gegenteil von vorgängigem Schreiben jene Finesse im (mündlichen) Ausdruck erwarten, die Rivers anstrebt: At the more advanced level, we will encourage them [sc.: the students] to express themselves with some finesse in oral discussion of more significant subjects, and then to write their ideas with careful attention to lexical and structural choice. (Rivers 1981:295) 2
Was Taylor für den Unterricht mit fortgeschrittenen Studierenden sagt, gilt im Unterricht für Anfänger in bezug auf einzelne, im Lauf der Entwicklung der fremdsprachlichen Kompetenz immer gewichtigere Aspekte: Dass das Verhältnis von Sprechen und Schreiben keine Einbahnstrasse darstellt. 1
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Vgl. etwa Neuner et al. 1981: 25; KrasherVTerrell 1983: 150f.; Eismann 1985: 191ff.; Chastain 1988: 248f. Im Bereich der Übungen sind seit langem schriftliche Formen vor den mündlichen üblich zumindest dort, wo die Komplexität der Operationen so gross ist, dass eine direkte mündliche Reproduktion nicht gangbar scheint. Strauss bemeikt im Zusammenhang mit der Sprechfertigkeit: «Nicht-spontane und das heisst schriftlich vorbereitete oder länger bedachte Rede ist der Schriftsprache angenähert. Bei den starken Unterschieden zwischen Spontangesprochenem und Geschriebenem ist daher zur Vorbereitung auf die Teilnahme an spontandialogischen Kommunikationssituationen spontangesprochene Sprache zu verwenden.» (Strauss 1979: 33). Ich halte die hier implizierte Besorgnis für überflüssig, Fremdsprachige könnten wegen Vorbereitungen zu elaboriert sprechen. Praktisch ist eher das Gegenteil ein Problem. Wo sich trotzdem störende Wiikungen zeigen, ist dies ein Thema für den Unterricht, kein Grund, Vorbereitung nicht zuzulassen. Die hier angezielten Situationen sind überdies so beschaffen, dass in ihnen gerade die klare Unterscheidung von spontangesprochener Sprache und geschriebener Sprache fragwürdig wird - es sind Situationen, in denen nach allen empirischen Studien eine Sprache gängig ist, die sich nicht eindeutig dem einen oder anderen Bereich zurechnen lässt (vgl. II.2).
ΠΙ.5 Sprechen und Schreiben
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Most of the activities are not limited to writing, but also involve proceeding to speech, or setting down in writing what has been under verbal discussion. (Taylor 1988:117)
Wie im rezeptiven Bereich Hören und Lesen, so sind im produktiven Bereich Sprechen und Schreiben in keine simple Konfiguration zu bringen. Beide Möglichkeiten sind von Anfang an da; beide gilt es, ihren Möglichkeiten und den kognitiven und kommunikativen Erfordernissen gemäss einzusetzen.
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