Schadenszurechnung Nach Risikospharen: Eine Studie Zur Schadensgeneigten Arbeit Selbstandig Tatiger Am Beispiel Der Privatrechtlichen Haftung Des Seelotsen (German Edition) 3428030737, 9783428030736


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German Pages 174 [176] Year 1974

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Schadenszurechnung Nach Risikospharen: Eine Studie Zur Schadensgeneigten Arbeit Selbstandig Tatiger Am Beispiel Der Privatrechtlichen Haftung Des Seelotsen (German Edition)
 3428030737, 9783428030736

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JüRGEN HüBNER

Schadenszurechnung nach Risikosphären

Berliner Juristische Abhandlungen unter Mitwirkung von

Walter G. Becker, Hermann Blei, Arwed Blomeyer, Erich Genzmer, Ernst Heinitz, Ernst E. Hirsch, Hermann Jahrreiß, EmU Kießling, Wolfgang Kunkel, Richard Lange, Walter Meder, Dietrich Oehler, Werner Ogris, Ludwig Schnorr von Carolsfeld, Erwin Seidl, Karl Sieg, Klaus Stern, Wilhelm Wengler, Franz Wieacker, Hans Julius Wolff (Freiburg i. Br.) herausgegeben von

Ulrich von Lübtow

Band 27

Schadenszurechnung nach Risikosphären Eine Studie zur schadensgeneigten Arbeit selbständig Tätiger am Beispiel der privatrechtlichen Haftung des Seelotsen

Von

Dr. Jürgen Hübner

DUNCKER &

HUMBLOT

/

BERLIN

Alle Rechte vorbehalten

© 1974 Duncker & Humblot, Berlin 41

Gedruckt 1974 bei Buchdruckerei Bruno Luck, BerUn 65 Printed in Germany ISBN 3 428 03073 7

Inhaltsverzeichnis Einleitung ............................................................

13

Erster Teil:

Die privatrechtliche Stellung des Seelotsen ............................

17

1. Kapitel:

Der Seelotse ..........................................................

17

2. Kapitel:

Die Rechtsnatur der Lotsung ..........................................

20

1. Allgemeine Einordnung ................................ . . . . . . ..

20

11. Die Vertragsparteien ..........................................

20

III. Die Rechtsnatur des Lotsenvertrages ..........................

22

1. Einordnung in das System des Schuldrechts ...... . . . . . . . . . . ..

22

2. Der Vertragsschluß und die einzelnen Vertragspflichten ......

26

a) Der Vertragsschluß ......................................

26

b) Die Haupt- und Nebenpflichten des Seelotsen ............

29

aa) Die Hauptpfiicht: Beratung der Schiffsführung . . . . . . . . 29 bb) Die Nebenpflichten .................................. 30 ce) Exkurs: Die Radarberatung .......................... 31 (1) Die Beratung des Bordlotsen ............... . . . . . . . 31 (2) Die direkte Beratung der Schiffsführung ... . . . . . . . 31 c) Die Haupt- und Nebenpfiichten des Reeders..............

32

aa) Die Hauptpflichten .................................. bb) Die Nebenpflichten ..................................

32 34

Inhaltsverzeichnis

6 3. Kapitel:

Die Haftung des Reeders gegenüber Dritten für von einem Seelotsen verursachte Schäden ...................................................... 36 I. Die Haftungsnormen

36

1. §§ 485 HGB, 823 f. BGB ....................................

36

2. §904 BGB ..................................................

38

3. § 607 HGB und § 702 HGB ..................................

39

4. §735 HGB ..................................................

39

5. Exkurs: Radarberatung ....................................

39

11. Der Haftungsumfang ..........................................

40

4. Kapitel:

Die Haftung des Seelotsen für von ihm verursachte Schadensfälle .. . . . . ..

42

I. Die Haftungsnormen ..........................................

42

1. Die Haftung gegenüber dem Reeder ........................

a) Positive Vertragsverletzung .............................. b) § 823 BGB ..............................................

42 42 43

2. Die Haftung gegenüber Dritten .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sachschäden der Ladungsbeteiligten .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Körperschäden der Besatzung und der Passagiere. ... ....

43 44 47

3. Das Mitverschulden von Reeder und Besatzung .. . . . . . . . . . . . .

47

11. Der Umfang der Haftung des Seelotsen (Teil 1) ................

48

1. Vertragliche Haftungsbeschränkung zwischen Reeder und See-

lotse .......................................................

50

2. Haftungsbeschränkung aus schadensgeneigter Arbeit des Seelotsen ..................................................... 53 Zweiter Teil:

Der Risikogedanke im Schadensersatzrecht ............................

55

Vorbemerkung ........................................................

55

5. Kapitel:

Der Satz "casum sentit dominus" I. Die Ausfüllung des Satzes "casum sentit dominus" ..............

56 57

Inhaltsverzeichnis

7

11. Die Funktionen des Satzes "casum sentit dominus" ............

58

1. Subsidiärer Zurechnungsgrund ..............................

58

2. Genereller Zurechnungsgrund ..............................

59

3. Adäquanz und "casum sentit dominus" ......................

60

4. Normzweck und "casum sentit dominus" ....................

65

5. Zusammenfassung ..........................................

70

6. Kapitel:

Der objektive Fahrlässigkeitsbegriff ..................................

71

1. Der Verschuldensgrundsatz ....................................

71

11. Objektive Fahrlässigkeit und Risikoverteilung ... . . . . . . . . . . . . . ..

72

1. Der fehlende Vorwurf... ... ....................•...... .....

73

2. Objektive Fahrlässigkeit als Risikozurechnung ..............

74

3. Zusammenfassung ..........................................

75

7. Kapitel:

Risikozureclmung an den Gescbäftsherrn ..............................

77

Vorbemerkung ........................................................

77

I. Die Einstandspflicht für Mitglieder des Geschäftskreises in BGB und HGB .................................................... 77 1. § 278 BGB ..................................................

78

2. §831 BGB ..................................................

80

3. Zurechnungsbestimmungen außerhalb des BGB .............. a) §§ 485 HGB, 3 BSchG .................................... b) § 2 RHaftpflG ..........................................

82 83 84

4. Der übergang zur Gefährdungshaftung (§ 701 BGB) ..........

85

5. Zusammenfassung ..........................................

85

11. Die Verschärfung der deliktischen Haftung des Geschäftsherrn ..

86

1. Die Ausdehnung des Anwendungsbereiches des § 278 BGB ....

86 86 89

a) Culpa in contrahendo ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte....................

2. Der Ausschluß der Exkulpation auch außerhalb eines Vertragsbereiches .............................................. 91 a) Die Haftung für Organisationsmängel .................... 91 b) Die Verkehrssicherungspflichten ... ....................... 93

Inhaltsverzeichnis

8

c) Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen ............

97

3. Zwischenergebnis ..........................................

99

111. Die Risikohaftung des Geschäftsherrn .bei Auftrag und Geschäftsführung ohne Auftrag .................................. 101 1. Der Anspruch des Geschäftsführers auf Schadensersatz ...... 101

a) Die Lösung über § 670 BGB .............................. 101 b) Risikohaftung des Geschäftsherrn ........................ 103 c) Risikohaftung des Geschäftsherrn und Schadenszurechnung nach Risikosphären ...................................... 105 2. Die Haftung des Geschäftsherrn gem. § 904 BGB ............ 107 IV. Zusammenfassung ............................................. 109 8. Ka.pitel:

Die Grundsätze über die smadensgenelgte Arbeit

111

Vorbemerkung ........................................................ 111 I. Fürsorgetheorie und schadensgeneigte Arbeit .................. 111 1. Die Tragfähigkeit der Fürsorgetheorie für die Grundsätze über

die schadensgeneigte Arbeit ................................ 113

2. Die Herkunft der Fürsorgetheorie .......................... 116 3. Die Kritik der Fürsorgetheorie im gesamten Arbeitsrecht .... 118 11. Schadenszurechnung nach Risikosphären und schadensgeneigte Arbeit ........................................................ 120 1. überblick über die vorhandenen Risikotheorien ............ .. 120

a) Analogie zur Gefährdungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 120 b) Allgemeine Risikotheorien .............................. 122 c) Kritik der Risikotheorien ................................ 125 2. Die Risikosphäre des Geschäftsherrn (Arbeitgebers) als Grundlage einer Schadenszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 129 a) Vergleich der Begründung der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit mit den Begründungen einer objektiven Zurechnung zu Lasten des Geschäftsherrn in der Außenhaftung ................................................. aal Das Gefahrenargument .............................. bb) Der Organisationsbereich ............................ ce) Das Vorteil-Nachteil-Prinzip ........................ dd) Die Kostenabwälzung (Schadensverteilung) .......... ee) Die Monotonie der Arbeit ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

129 129 130 131 131 132

Inhal tsverzeichnis

9

b) Das System des innerbetrieblichen Schadensausgleichs -als Schlußstein der Risikozurechnung zu Lasten des Geschäftsherrn ............................................•...... 133 c) Folgerungen für den dogmatischen Standort der Sätze über schadensgeneigte Arbeit ................................. 137 d) Anhaltspunkte für die Abgrenzung der Risikosphären .... 139 aa) Die Veranlassung einer gefährlichen Tätigkeit ........ 139 bb) Die Organisationsgewalt des Geschäftsherrn .......... 140 ce) Das Vorteil-Nachteil-Prinzip (Interessentheorie) ...... 144 dd) Die Risikoabwälzung ................................ 144 ee) Die Versicherung .................................... 145 (1) Die traditionelle Theorie des Trennungsprinzips .. 145 (2) Versicherung als Element der Risikohaftung ...... 147 e) Zusammenfassung ...................................... 149

Dritter Teil:

Lotsenhaftung und sclladensgeneigte Arbeit ............................ 151 9. Kapitel:

Die Risikoverteilung zwischen Lotse und Reeder .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 151 I. Die vom Reeder betriebene Seeschiffahrt als besonderes Risiko der Tätigkeit des Seelotsen .................................... 151 II. Die Organisationsgewalt des Geschäftsherrn .................... 154 III. Das Vorteil-Nachteil-Prinzip .................................. 155 IV. Die Risikoabwälzung .......................................... 156 1. Lotsenvertrag und Risikoübernahme ........................ 156

2. Seerisiko des Reeders und Verkehrssicherungspfiicht des Staates .................................................... 157 V. Versicherung von Lotse und Reeder ............................ 157 1. Das System der Seeversicherung ............................ 158

2. Die Regelung der Unfallversicherung ........................ 158 3. Konsequenzen der Versicherungsregelung

159

VI. Der Seelotse in der Risikosphäre des Reeders

160

VII. Der Radarlotse ................................................ 161

10

Inhaltsverzeichnis

10. Kapitel:

Zusammenfassung der wesentlicllen Ergebnisse ........................ 163 Literaturverzeicllnis ................................................... 165 Materialien ........................................................... 175

Abkürzungsverzeichnis a.A. Abs. AcP a.E. a.F. AktG. Allg. Anm.

AOG AP

ARS

Aufl. AuR. B BAG BAGE BB Bd. Bem. BGBL BGH BGHZ BOSA BSchG BT BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE bzw. DArbR DB d.h. DR DRdA DVBl.

anderer Ansicht Absatz Archiv für die civilistische Praxis am Ende alter Fassung Aktiengesetz Allgemeiner (Teil) Anmerkung Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit Arbeitsrechtliche Praxis - Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts Arbeitsrechtssammlung Auflage Arbeit und Recht, Zeitschrift für die Arbeitsrechtspraxis Beiblatt (der HGZ) Bundesarbeitsgericht Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesarbeitsgerichts Der Betriebsberater Band Bemerkung Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundesoberseeamt Binnenschiffahrtsgesetz Bundestag(s) Bundesverfassungsgericht Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichts beziehungsweise Deutsches Arbeitsrecht Der Betrieb das heißt Deutsches Recht Das Recht der Arbeit (Österreich) Deutsches Verwaltungsblatt

12

etc. f. GrS Gruch. H

Hansa HGZ Iher. Jahrb. JuS JW JZ Kap. LAG MDR NJW Nr. RAG RAGE RdA Rz RG RGZ RHG, RHaftpftG RVO

S. SAE

SchI HA SSchStrO SeelotsG SeemG Seuff. Arch. Sp. u.a.

UVNG

vgl. VersR

VersRundschau VertO Warn. ZHR Ziff. ZVersWiss. ZStaatsW

Abkürzungsverzeichnis et cetera folgende (Seiten, §§)* Großer Senat Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begründet von J. A. Gruchot Hauptblatt (der HGZ) Zeitschrift für Schiffahrt . Schiffbau . Hafen Hanseatische Gerichtszeitung Iherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts Juristische Schulung J uristische Wochenschrift Juristenzeitung Kapitel Landesarbei tsgerich t Monatsschrift für Deutsches Recht Neue Juristische Wochenschrift Nummer Reichsarbeitsgericht Amtliche Entscheidungssammlung des Reichsarbeitsgerichts Recht der Arbeit Randziffer Reichsgericht Amtliche Entscheidungssammlung des Reichsgerichts in Zivilsachen Reichshaftpftichtgesetz Reichsversicherungsordnung Seite Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen Schleswig-Holsteinische Anzeigen Seeschiffahrtsstraßenordnung Gesetz über das Seelotswesen Seemannsgesetz J. A. Seuffert's Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten Spalte und andere Unfall versicherungs-Neuregelungsgesetz vergleiche Versicherungsrecht ~ Juristische Rundschau für die Individualversicherung Versicherungsrundschau Seerech tliche Verteilungsordnung Warneyer, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts Zeitschrift für das Gesamte Handelsrecht und Konkursrecht Ziffer Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft

* Durch ein Versehen des Verfassers ist sowohl im Literaturverzeichnis als auch in den Fußnoten durchgehendf. statt ff. gesetzt. Der Leser wird hierfür um freundliche Nachsicht gebeten: quandoque bonus dormitat Homerus.

Einleitung Den Anstoß für die vorliegende Untersuchung gab eine Feststellung, die im Zeitalter der privaten Daseinsvorsorge durch Versicherung jeder Art nur Erstaunen hervorrufen kann: Die deutschen Seelotsen1 sind ohne jeden Versicherungsschutz gegen ihre beruflichen Haftungsrisiken!, obwohl Schäden aus einer Schiffskollision immense Höhen erreichen können. So schwebt über jedem Seelotsen das Damoklesschwert eines Rückgriffs der Seeversicherer und einer Schadensersatzklage des Reeders 4 , die seine Existenz vernichten können. Auch das Seerechtsänderungsgesetz vom 21. Juni 1972 erschließt den Seelotsen - wie der Schiffsbesatzung - unter bestimmten Voraussetzungen nur die Haftungsbeschränkung des Reeders nach dem neuen Summenhaftungssystem des Seerechts (§§ 487 III, 487 a HGB n. F.), ohne die grundsätzliche Frage einer weitergehenden Haftungsbeschränkung vor allem gegenüber dem Reeder des gelotsten Schiffes zu klärens. Auf der anderen Seite besteht jedoch zwischen Seeversicherern, Reedern und Seelotsen seit Jahrzehnten ein gentleman's agreement6 , wonach ein Seelotse grundsätzlich auch bei von ihm verschuldeten Schiffsunglücken von Schadensersatzanspruchen verschont bleibF. Dieser Zustand ist allerdings bisher in keiner Weise rechtlich abgesichertS. In dieser Situation stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung unser Rechtssystem eigentlich bereithält, ins1 Wegen ihrer zum Teil andersartigen Rechtsstellung sind die Hafenlotsen in der vorliegenden Arbeit weitgehend ausgeklammert. 2 Segelken, Seelotsenrecht, S. 373-375. 3 Vgl. dazu schon die Entscheidung des Handelsgerichts Hamburg in der Handelsgerichtszeitung 1871, Nr. 248 (S. 359). 4 Vgl. die Zusammenstellung von Schadensersatzklagen bei SkoTczewski, Der deutsche Lotse 1933, S. 16 (17 f.) .. :I Vgl. dazu Segelken, Seelotsenrecht, S. 361 f., 373 f. 6 Vgl. den Bericht von ·Segelken, Seelotsenrecht, S.314, über eine entsprechende Erklärung der deutschen Reeder und Seeversicherer auf der Tagung des Deutschen Nautischen Vereins im Jahre 1928. 7 Hasche, Hansa 1952, 1368; Segelken, Seelotsenrecht, S.313, 314, 373. Dem Verfasser wurde das im März 1972 vom Verein Bremer Seeversicherer ausdrücklich bestätigt. Vgl. dazu unten im 4. Kap. uhter II.2. 8 Vgl. dazu OLG Hamburg bei Hasche, Hansa 1952, 1368: Hier wurde gegen einen Seelotsen ein obsiegendes Urteil erstritten, dieses dann aber nicht vollstreckt.

14

Einleitung

besondere, ob das oben genannte Verhalten der Seeversicherer und Reeder nicht doch unbewußter Ausdruck der gegebenen Rechtslage ist, so daß den Seelotsen nicht Gnade vor Recht, sondern Recht geschieht, wenn sie trotz schuldhafter Schadensverursachung in aller Regel zivilrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden. Diese Frage berührt eine Reihe von Grundprinzipien unseres Schadensersatzrechts. Das deutsche bürgerliche Recht wird im Bereich der Verschuldenshaftung von dem durch § 254 BGB und gewisse Haftungshöchstsummen zunächst nur gemilderten Prinzip der Totalreparation9 beherrscht, das üblicherweise als Alles-oder-Nichts-Prinzip bezeichnet wird10 • Die einzige allgemein in das Bewußtsein gelangte EinbruchsteIle in dieses Prinzip sind die im Arbeitsrecht entwickelten Grundsätze über die schadensgeeignete Arbeit mit der deutlichen Tendenz zur Schadensverteilung, deren Durchsetzung Rother zutreffend als Dammbruch bezeichnet11 • Ganz überwiegend wird aber die Anwendbarkeit dieser Grundsätze mit den verschiedensten Begründungen streng auf das Arbeitsverhältnis beschränkt und eine Anwendung auf andere Dienstverträge strikt abgelehnt12• Die Sätze über die schadensgeneigte Arbeit scheinen nicht in das System des bürgerlichrechtlichen Schadensersatzrechts zu passen. Die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit haben in der wissenschaftlichen Literatur eine Flut von Stellungnahmen hervorgerufen, die nahezu unübersehbar ist 13 • Dennoch ist eine Einordnung in die Dogmatik des allgemeinen Privatrechts nur selten versucht worden und meines Erachtens bisher nicht überzeugend gelungen. Es kann aber kein Zweifel bestehen, daß diese Einordnung wünschenswert und auch notPalandt - Heinrichs, vor § 249, Anm.3; Hermann Lange, Gutachten, S. 16 f. Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, S.l; Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 388 f.; WadZe, VersR 1971, 485 f. 11 Vgl. Rother, Haftungsbeschränkung, S.251; Becker-Schaffner, VersR 1971, 195 (198); ders., NJW 1969, 1237; IseZe, Anmerkung zu BGH NJW 1963, 1100 (1101); Neumann-Duesberg, JZ 1964, 433 (440). 12 BGH NJW 1963, 1100, mit im Grundsatz zustimmender Anmerkung von Mayer-MaZy in VersR 1963, 834; Andresen, BB 1962, 489; Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.12, 65; Richardi, Arbeitsrecht, S.49; a.A. OLG Nürnberg BB 1961, 332; Becker-Schaffner, VersR 1971, 198; ders., NJW 1969, 1237; Canaris, RdA 1966, 41 f. (48); ders., Die Feststellung von Lücken im Gesetz, § 173, Anm. 37; Fikentscher, Schuldrecht, S. 490; N eumannDuesberg, JZ 1964, 433 f. Eine vorsichtige Ausdehnung der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit ist in den Entscheidungen BGH VersR 1961, 846 (847); MDR 1964, 223/224, und Hansa 1968, 1629 (1630) angedeutet. In der Entscheidung NJW 1970, 34, erneuert der BGH jedoch die strikte Beschränkung auf das Arbeitsverhältnis. 13 Vgl. die übersicht bei Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S. 29 f., 63 f. 9

10

Einleitung

15

wendig ist14 • Mit der vorliegenden Arbeit soll dieser Versuch unternommen werden. Das bürgerliche Schadensersatzrecht hat im Laufe der Jahrzehnte allgemein eine Entwicklung genommen, deren Kennzeichen eine verdeckte Entfernung vom Verschuldensgrundsatz hin zu objektiven Zurechnungsgesichtspunkten ist. Diese Entwicklung wird zwar durch den Gebrauch hergebrachter termini zu verschleiern versucht15 , ihre Existenz ist aber mehr oder minder offenkundig16 • Das Resultat dieser Entwicklung ist als "Schadenszurechnung nach Risikosphären" zu bezeichnen. Diese bewirkt gegenüber der Verschuldenshaftung eine Haftungsverschärfung für das Subjekt der Risikozurechnung. Auf der anderen Seite ist eine scheinbar gegenläufige Tendenz der Haftungsmilderung in Dienstverhältnissen zu beobachten. Beide Entwicklungen müssen jedoch in ihrem Funktionszusammenhang gesehen werden. In dem hier zu entwickelnden erweiterten System der Schadenszurechnung werden auch die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit den ihnen im System des bürgerlichen Rechts gebührenden Platz finden. Die Lösung des Problems der privatrechtlichen Haftung des Seelotsen, eines gem. § 25 I SeelotsG in einem freien Beruf tätigen Selbständigen, wird dabei am konkreten Fall Möglichkeiten und Grenzen einer Anwendung der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit aufzeigen. Daneben wird diese Arbeit als Beitrag zu einer wissenschaftlichen Durchdringung des Lotsenvertrages verstanden. In den ersten vier Kapiteln wird daher eine Untersuchung über die privatrechtliche Rechtsstellung des Seelotsen, das Verhältnis zu dem Reeder des gelotsten Schiffes sowie die Reederhaftung für diesen Seelotsen vorgenommen werden, die auch als Ausgangsmaterial für die weiteren Betrachtungen dienen soll. Die folgenden Kapitel des Hauptteils werden sich dann mit Einzelfragen des bürgerlichen Rechts sowie des Arbeitsrechts befassen, an denen die Existenz einer Schadenszurechnung nach Risikosphären beCanaris, RdA 1966, 41; KöMer, RdA 1970, 97 (98). Der Grund dafür dürfte bei Selbstverständnis und Gesetzesverständnis des deutschen Juristen liegen. Vgl. dazu treffend Larenz, Methodenlehre, S. 115/116, 346; Rüssmann, JuS 1972, 169 (172/173, Anm.37). Dieses führt dann zu Scheinbegrundungen der als gerecht erkannten Lösungen. Zu diesen Scheinbegrundungen vgl. Brecher, Festschrift für Nikisch, S. 227 f.; Gernhuber, Festschrift für Nikisch, S. 249 (251); Larenz, Festschrift für Nikisch, S.275 (280); ders., Methodenlehre, S.346; Schwerdtner, Fürsorgetheorie, S. 79. 18 Esser, Gefährdungshaftung, S.I4115; ders., JZ 1952, 257 (259); Herschel, Iher. Jahrb. 90, 145 (156/157); A. Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.32-34; Köpcke, Typen der positiven Vertragsverletzung, S.127; Klein, Schadenshaftung, S. 45, Anm. 21; Larenz, Festschrift für Nikisch, S. 275 (302); Reinhardt, AcP 148, 147 (172); Weyers, Unfallschäden, S.78, 81 f. 14

15

16

Einleitung

wiesen werden soll. Dabei wird versucht, den Funktionszusammenhang dieser Schadenszurechnung nach Risikosphären mit den Sätzen über die schadensgeneigte Arbeit nachzuweisen. Die Ergebnisse dieses zweiten Teils werden dann in einem dritten Schlußteil nach einer rechtstatsächlichen Betrachtung auf die Frage des Umfangs der Haftung des Seelotsen projiziert, die herausgearbeiteten Entscheidungskriterien werden am konkreten Fall erprobt. Dieses Verfahren 11 erscheint erforderlich und nützlich, hat man doch die Rechtswissenschaft als eine praxisbezogene Wissenschaft zu verstehen, die auf konkrete Fälle hic et nunc Antwort zu geben hat18 •

11 18

Es folgt in etwa dem Vorschlag Schefolds in JuS 1972, 1 (9). Vgl. LaTenz, Methodenlehre, S.7.

Erster Teil

Die privatrechtliehe Stellung des Seelotsen 1. Kapitel

Der Seelotse Die Rechtsstellung der deutschen Seelotsen wurde durch das Gesetz über das Seelotswesen vom 30.10.1954 (BGBL II, S.1035 ff.) grundlegend neu geordnetl. Gern. § 1 I SeelotsG2 ist danach Seelotse, "wer nach behördlicher Zulassung auf See oder auf Seeschiffahrtstraßen außerhalb der Häfen berufsmäßig Schiffe als orts- und schiffahrtskundiger Berater geleitet". Der Seelotse berät den Kapitän bei der Führung des Schiffes (§ 27 I) in eigener Verantwortung (§ 25 II 1) und übt diese Tätigkeit als freien, nicht gewerblichen Beruf aus (§ 25 I). Die verantwortliche Führung des Schiffes verbleibt auf jeden Fall beim Kapitän. Die Seelotsen sind ähnlich wie Rechtsanwälte und Ärzte in Zwangskörperschaften des öffentlichen Rechts, den Lotsenbrüderschaften (§ 31), organisiert, die wiederum in der Bundeslotsenkammer (§ 41) zusammengeschlossen sind. Außerhalb der durch Rechtsverordnung des Bundesverkehrsministeriums festgelegten Seelotsreviere3, das sind praktisch die Flußmündungen und Förden der deutschen Nord- und Ostseeküste sowie der Nord-Ostsee-Kanal, ist eine Lotsentätigkeit deutscher Seelotsen ebenfalls möglich. Besteht sie in der Lotsung eines Schiffes über die Grenze des einen Seelotsrevieres über See bis zur Grenze des nächsten Revieres, so wird sie Distanzlotsung genannt. Diese Art der Lotsung ist im Seelotsgesetz nicht ausdrücklich geregelt. Es besteht aber auch kein Anlaß zu der Annahme, daß der Gesetzgeber diese Distanzlotsungen unterbinden wollte'. Ihre Einordnung unter die Bestimmungen des 1 Für die Geschichte des Lotsenwesens sei verwiesen auf Segelken, Die Rechtsstellung des Lotsen, S.I-37; ders., Seelotsenrecht, S. 3 f. 2 Die folgenden ohne Gesetzesangabe zitierten Vorschriften sind sämtlich solche des Gesetzes über das Seelotswesen von 1954. 3 Vgl. die Verordnung über die Seelotsreviere und ihre Grenzen (Allgemeine Lotsordnung) vom 11. 8. 72. , Segelken, Seelotsenrecht, S.107/108.

2 Hübner

1. Kap.: Der Seelotse

18

Seelotsgesetzes erfolgt am sinnvollsten durch eine analoge Anwendung von § 28 III SeelotsG5. Völlig außerhalb der korporativen Regelung des Seelotsenwesens stehen schließlich die überseelotsen. Ihre Tätigkeit wird vom Seelotsgesetz als Gewerbe angesehen (§ 49). Statt einer Bestallung bedürfen sie einer Gewerbeerlaubnis. Die Lotsung von den Grenzen eines Seelotsrevieres zum nächsten ist ihnen durch eine Beschränkung der Erlaubnis untersagt6 • Das Seelotsgesetz findet auf sie nur in beschränktem Umfang Anwendung (§ 51). Die Hafenlotsen üben ihre Lotstätigkeit dagegen als Angestellte oder Beamte des öffentlichen Dienstes aus 7 , soweit die Hafenlotsung nicht auch durch Seelotsen durchgeführt wird. Zum Teil sind sie dabei Angehörige des öffentlichen Dienstes des betreffenden Landes (Hamburg), während z. B. in Flensburg auf Grund einer Verwaltungsvereinbarung Seelotsen des Bundes die Hafenlotsung vornehmen. Die Lotseneinrichtungen in den Seelotsrevieren wie Lotsenversetzboote, Lotsendampfer und feste Lotsenstationen an Land werden finanziell vom Bund getragen, ihr Betrieb ist jedoch der Regie der Lotsenbrüderschaften gem. § 33 I übertragen. Die Dienstzeiten sowie die Reihenfolge, in der die Seelotsen ein Schiff zu lotsen haben, regeln die Lotsenbrüderschaften durch sogenannte Börtordnungen (§ 32 I Ziff 3)8, so daß es nicht im Belieben eines jeden in einem Seelotsenrevier tätigen Seelotsen steht, welches Schiff und zu welcher Zeit er zu lotsen bereit ist. Auf den Seelotsrevieren Ems und Nord-Ostsee-Kanal und ausnahmsweise auch auf anderen Revieren9 besteht für alle größeren Schiffe eine Lotsenannahmepflicht (§ 28 II), das heißt die Schiffe müssen die Beratung eines Lotsen in Anspruch nehmen. Der Lotse ist dann Pflichtberatungslotse, die verantwortliche Führung des Schiffes verbleibt auch hier beim Kapitän (§ 27). Der Pflichtberatungslotse ist daher streng von dem Zwangslotsen des § 737 HBG a. F. zu unterscheiden, der Führungszwangslotse war10 • 5

Segelken, Seelotsenrecht, vertritt eine direkte Anwendung dieser Vor-

6

Segelken, Seelotsenrecht, S.519.

schrift.

Vgl. dazu OLG Hamburg, HRZ 1925, Nr. 170 (Sp. 620); RG HGZ 1926, B, Nr.130 (Sp. 221); BGH Hansa 1968, 1629; Kreutziger, Die Kommandobrücke 1969, 77 f. 8 Vgl. dazu im einzelnen Segelken, Seelotsenrecht, S. 96 f. 9 z. B. wenn die Seezeichen wegen Eisgangs eingezogen sind. 10 Vgl. Segelken, Seelostenrecht, S.39, 48/49, 81/82; ders., Die Rechtsstellung des Lotsen, S. 37 f.; Prüssmann, § 485, D 1 b; Abraham (Seerecht, S.88, 7

1. Kap.: Der Seelotse

19

Der Reeder, der einen Seelotsen in Anspruch nimmt, hat gern. § 6 I Züf. 2 b Lotsgebühren für die Lotseinrichtungen des Bundes sowie Lotsgeld als Entgelt für die Leistungen des Seelotsen zu zahlenll . Die Lotsgebühren müssen unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme eines Seelotsen gezahlt werden. Beide werden durch Rechtsverordnung (Lotstarifordnung) vom Bundesverkehrsministerium festgesetzt (§ 6 11) und von den Wasser- und Schiffahrtsdirektionen eingezogen, die die Vollstreckung nach den Vorschriften des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes betreiben können (§ 8). Diese führen die Lotsengelder an die Lotsenbrüderschaften ab, die nach gewissen Abzügen die Gelder gemäß einer Verteilungsordnung an ihre Mitglieder verteilen (§ 32 I Ziff.9, 111)12. Die Lotsgelder für Lotsenleistungen von einem Lotsenrevier bis zur Grenze des nächsten Lotsenreviers (Distanzlotsungen) werden von den Lotsenbrüderschaften unmittelbar eingenommen. Die gewerblich tätigen überseelotsen liquidieren dagegen in eigener Verantwortung; die Höhe ihres Entgelts kann jedoch vom Bundesverkehrsministerium geregelt werden (§ 53). Bei Schiffsunfällen haben sich Seelotsen wie Hafenlotsen der Untersuchung durch die Seeämter und das Bundesoberseeamt gemäß dem Seeunfalluntersuchungsgesetz vom 28.9.1935 zu stellenl3 • Diese können das zur Ausübung des Seelotsenberufes in der Regel notwendige Kapitänspatent A 614 entziehen, aber auch allein durch Schuldaussprüche gern. § 25 SUG den Verlauf nachfolgender Straf- und Zivilverfahren erheblich beeinflussen. Für die zivilrechtlichen Haftungsfragen ist nun von entscheidender Bedeutung, welche Art Rechtsbeziehung zwischen dem Seelotsen und dem Reeder des von ihm gelotsten Schiffes besteht.

Schaps - Abraham, Bd.III, Anm.1-3 vor § 1 SeelotsG) spricht bei Lotsenannahmepflicht von Zwangslotsen, was zu Verwechslungen Anlaß geben kann. In der Sache besteht jedoch kein Streit. 11 Bei Hafenlotsen sind die Lotsenkosten in den Hafengebühren enthalten. 12 Vgl. dazu Segelken, Seelotsenrecht, S. 83 f. 13 Seeämter und Bundesoberseeamt sind keine Gerichte, sondern besondere Untersuchungskommissionen der Verwaltung (BVerwG MDR 1969, 1034.) u §§ 10 II, 17 II Ziff. 2 SeelotsG sowie Segelken, Seelotsenrecht, S. 124, 132/133, 516. 2·

2. Kapitel

Die Rechtsnatur der Lot8ung I. Allgemeine Einordnung Die Ordnung des Seelotsenwesens durch das Seelotsgesetz von 1954 präjudiziert in gewissem Umfang die rechtliche Einordnung der Lotsung. Da der Seelotse einen freien Beruf ausübt (§ 25) und sein Entgelt von den öffentlichrechtlichen Lotsengebühren, die dem Bund zustehen, ausdrücklich getrennt ist (§ 6 I Ziff. 2), muß seine berufliche Tätigkeit dem Privatrecht zugeordnet werden. Das war auch der Wille des Gesetzgebers!. Rechtssubjekte des Privatrechts schaffen nun rechtliche Bindungen vornehmlich durch Abschluß eines Vertrages2 • So wird denn auch der Seelotse im Rahmen eines privatrechtlichen Vertrages tätig3 • Die Lotsengelder sind privatrechtliches Entgelt4. Als Vertragspartner des Reeders kommen der betreffende Seelotse selbst, aber auch die Lotsenbrüderschaft in Betracht.

11. Die Vertragsparteien In der Vergangenheit vor Schaffung des Seelotsgesetzes ist bisweilen behauptet worden, die Lotsenbrüderschaftenll und nicht der einzelne Lotse seien Vertragspartner des Reeders6 • Das würde bei der derzeitigen Organisation des Seelotsenwesens bedeuten, daß der Seelotse als Erfüllungsgehilfe seiner Lotsenbrüderschaft tätig würde, die dann selbst Vertragspartei wäre. Bedenkt man, daß der Reeder, bzw. der ihn bei ! Kallus, Hansa 1954, 1965 (1967). Larenz, Allgemeiner Teil, S. 80 f. 3 BGHZ 27, 79 (81); BGHZ 35, 111 (118); Schaps - Abraham, Bd.III, Anm.2 zu § 25 SeelotsG; Prüssmann, § 485, D 1 b; Segelken, Seelotsenrecht, S.40. 4 Schaps - Abraham, Bd. III, Anm. zu § 8 SeelotsG. 5 Zu den Rechtsformen der Lotsenzusammenschlüsse vor dem SeelotsG vgl. Kallus, Hansa 1954, 1965 (1966). 6 Vgl. OLG Hamburg HGZ 1916, H, Nr.83 (S.155); Soergel- Ballerstedt, § 631 BGB, Rz 7; Schaefer, Die zivilrechtliche Haftpflicht der Lotsen, 1917, S.67; ablehnend schon Segelken, Die Rechtsstellung des Lotsen, S.119/120; ders., Seelotsenrecht, S. 381; Schaps - Abraham, Bd. II, Anm. 33 zu § 737 HGB. 2

II. Die Vertragsparteien

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der Bestellung vertretende Makler oder Kapitän, keinerlei Einfluß darauf hat, welcher Lotse schließlich das Schiff lotsen wird, und daß die Abrechnung der Lotsgelder institutionelF nicht über den einzelnen Lotsen erfolgt, so hat die obengenannte Auffassung möglicherweise auch heute noch einen berechtigten Kern. Die freie Wahl des Vertragspartners ist bei allen anderen freien Berufen jedenfalls für den potentiellen "Auftraggeber" gegeben. Auf den ersten Blick erscheint es daher als angemessen, die Lotsenbrüderschaft als Vertragspartner anzusehen, der seine Pflichten mit der Lotsung durch eines seiner Mitglieder erfüllt. In den beteiligten Schiffahrtskreisen der deutschen Häfen besteht jedoch Kenntnis davon, daß die Lotsenbrüderschaften einen Lotsenvertrag nicht im eigenen Namen schließen wollen. Allenfalls kommt in Betracht, daß die Lotsenbrüderschaften die Vermittlung eines Lotsen versprechens. Da somit nach der Verkehrsauffassung offenkundig ist, daß die Lotsenbrüderschaften einen Lotsvertrag nicht im eigenen Namen abschließen wollen, scheiden sie schon aus diesem Grunde als mögliche Vertragspartner des Reeders aus. Es war auch die eindeutige Absicht des Gesetzgebers klarzustellen, daß bei der Lotsung ein privatrechtliches Rechtsverhältnis zwischen Lotse und Reeder begründet wird9 • Schließlich wäre es mit der Ordnung des Seelotsenberufes als eines freien Berufes kaum vereinbar, daß die Organisation in einer Zwangskörperschaft des öffentlichen Rechts zu dem Ergebnis führt, daß die Mitglieder zur Ausübung ihres Berufes allein in vertragliche Beziehungen mit der Körperschaft treten. Damit bestände faktisch zwischen ihnen und der Lotsenbrüderschaft eine Art "Angestelltenverhältnis"10. So ist dann auch jedenfalls für die Rechtslage nach Erlaß des Seelotsgesetzes unbestritten der Seelotse der Vertragspartner des Reeders u . Dieselbe Ansicht wurde überwiegend auch vor Erlaß des Seelotsgesetzes vertreten, und zwar sowohl für die damals als "selbständige Gewerbetreibende" tätigen Seelotsen12 - jedenfalls 7 Vgl. oben im 1. Kap. am Ende. Die 8achlage ist hier also anders als bei den privatärztlichen Verrechnungsstellen, die auf freiwilligem Zusammenschluß beruhen. S Vgl. dazu unten im 2. Kap. unter III. 2. a). 9 Kallus, Hansa 1954, 1965 (1967). 10 80 auch folgerichtig seinerzeit OLG Hamburg HGZ 1916, H, Nr. 83 (8. 155); ähnlich auch Schaefer, Die zivilrechtliche Haftpflicht der Lotsen, 8.68. U BGHZ 27, 79 (81); 8chaps - Abraham, Bd.III, Anm.2 zu § 25 8eelotsG; Prüssmann, § 485, D 1 b; Segelken, 8eelotsenrecht, 8.40; unklar 8oergelBallerstedt, § 631 BGB, Rz 7. 12 Hasche, Hansa 1952, 1368; Segelken, Die Rechtsstellung des Lotsen, 8.119; OLG Hamburg HGZ 1907, H, Nr.43 (8.111); Handelsgericht Hamburg, Handelsgerichtszeitung 1871, Nr. 248 (8. 360).

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2. Kap.: Die Rechtsnatur der Lotsung

soweit sie keine Zwangslotsen gem. § 737 HGB a. F. waren für die beim Staat angestellten oder beamteten Hafenlotsen l3 •

als auch

Auch nach der Schaffung des Seelotsgesetzes wird gleichermaßen die Tätigkeit der Hafenlotsen als Erfüllung eines zwischen ihnen und dem Reeder abgeschlossenen privatrechtlichen Vertrages angesehenl4 • Ob diese Ansicht tatsächlich zutreffend ist, könnte nicht ohne eingehende Untersuchungen zur Staatshaftung, insbesondere zur Rechtsnatur der Verkehrssicherungspfticht des Staates, beantwortet werden15 • Das würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen. Sieht man, wie es die herrschende Meinung tut, auch die Tätigkeit der Hafenlotsen als Erfüllung von ihnen geschlossener privatrechtlicher Verträge an, so gelten die folgenden Ausführungen auch für die privatrechtliche Haftung der Hafenlotsen16. Somit kann zunächst einmal die Feststellung getroffen werden, daß die Lotsung durch einen deutschen Seelotsen im Rahmen eines privatrechtlichen Vertrages zwischen ihm und dem Reeder des gelotsten Schiffes erfolgt. Nunmehr stellt sich die Frage, um welche Vertragsart es sich dabei handelt. IH. Die Rechtsnatur des Lotsenvertrages 1. Einordnung in das System des Sclluldrecllts

über die rechtliche Einordnung des Lotsenvertrages in das System des BGB herrscht in Rechtsprechung und Literatur keine Einigkeit. Zum überwiegenden Teil wird der Lotsenvertrag als Dienstvertrag ange13 OLG Hamburg HRZ 1925, Nr. 170 (Sp. 620); bestätigt von RG HGZ 1926, B, Nr.130 (S. 222); OLG Hamburg HGZ 1927, B, Nr.20 (S.29); Diestet, Eisenbahn- und verkehrsrechtliche Entscheidungen, Bd.33 (1916/1917), S.243 (248); Ehters, HRZ 1927, Sp.41 (48); a. A. Mumssen, Die Staatshaftung für den Hamburger Hafenlotsen, S. 18 f., 76 f.; LG Hamburg HGZ 1913, H, Nr.108 (S.222). 14 OLG Hamburg lVIDR 1967, 596; bestätigt von BGH Hansa 1968, 1629 f.; Kreutziger, Die Kommandobrücke 1969, 77; a. A. für den vergleichbaren Fall der Travelotsen, die Bundesbedienstete sind: LG Lübeck SchI HA 1963,117 f. (abgedruckt auch bei Segelken, Seelotsenrecht, S. 347 f.). Das LG Lübeck sieht mit beachtenswerten Gründen die Lotsung durch Bundesbedienstete allein als Ausübung der Verkehrssicherungspflicht, also als "außervertraglich" an. 15 Vgl. dazu die auch heute noch beachtenswerten Ausführungen von Mumssen, Die Staatshaftung für den Hamburger Hafenlotsen, 1932; SchapsAbraham, Bd.III, Anm.4 zu § 5 SeelotsG; LG Lübeck, SchI HA 1963, 117. 16 Sind daher See- und Hafenlotsen gleichermaßen die Vertragspartner des Reeders, so scheidet eine Haftung des Staates oder der Lotsenbrüderschaften allein (!) wegen einer Schlechterfüllung des Lotsenvertrages notwendig aus. Vgl. dazu Segetken, Seelotsenrecht, S.353, 381.

III. Die Rechtsnatur des Lotsenvertrages

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sehen17 , mitunter als Dienstvertrag mit einem beförderungsrechtlichen Elementl8 . Eine Mindermeinung betrachtet ihn als Werkvertrag l9 , wobei er dann zumeist als Geschäftsbesorgungsvertrag gern. § 675 BGB behandelt wirdl!O. Die Frage, ob Dienst- oder Werkvertrag, hat auch nach der Erstrekkung des § 618 BGB durch den BGH auf Werkverträge 21 durchaus nicht nur systematische Bedeutung22. Aus der Zuordnung eines Lebensvorganges zu bestimmten Vertragstypen lassen sich oft wiederum Erkenntnisse erzielen, die über das bloße Ergebnis der Einordnung hinausgehen. Die Abgrenzung zwischen Dienstvertrag und Werkvertrag hat zunächst einmal nach dem Inhalt der Leistungspflichten zu erfolgen23 , nicht nach dem Grad der Selbständigkeit der Vertragsparteien24, da auch im Dienstvertrag eine weitgehende Selbständigkeit möglich ist2.';. Der Dienstvertrag, sowohl der des selbständig Tätigen als auch der des Arbeitnehmers, ist dadurch gekennzeichnet, daß die Dienstleistung als solche Gegenstand der Verpflichtung ist, während beim Werkvertrag der durch die Dienstleistung herbeizuführende Erfolg Inhalt der Vertrags pflicht des Dienstleistenden ist26. Der Werkvertrag verpflichtet zur Herbeiführung eines bestimmten Arbeitsergebnisses, ohne die eine Gegenleistungspflicht jedenfalls nicht fällig wird (§ 641 BGB)21. Auf deutschen Lotsenrevieren gibt es - wie oben schon dargelegt28 - nur noch den Beratungslotsen, der bisweilen Pflichtlotse ist. 17 BGHZ 27, 79 (81); BGH Hansa 1968, 1629 (1630); OLG Hamburg MDR 1967, 596 (597); RG HGZ 1926, B, Nr.130 (S.222); Prüssmann, § 485, D 1 b; Schaps - Abraham, Bd. III, Anm.2 zu § 25 SeelotsG; v. Wurmb, Haftung des Verfrachters, S.99. 18 BGHZ 27, 79 (81); Schaps - Abraham, Bd. III, Anm.2 zu § 25 SeelotsG; vgl. auch Ehlers, Hansa 1931, 153; v. Wurmb, S.99. 19 Kallus, Hansa 1954, 1965 (1967); Graf, Hansa 1962, 2583 (2587); Segelken, Seelotsenrecl1t, S. 42 f.; ders., Die Rechtsstellung des Lotsen, S.119; wohl auch Soergel- Ballerstedt, § 631 BGB, Rz 7. 20 Segelken, Seelotsenrecht, S. 42 f.; ähnlich auch Diestel, Eisenbahn- und verkehrsrechtliche Entscheidungen, Bd. 33, S. 248. 21 BGHZ 5, 62 f.; Palandt - Putzo, § 618 BGB, Anm.1. 22 Vgl. Soergel- Wlotzke - Volze, vor § 611, Rz 46 f. 23 Larenz, Schuldrecht II, § 52 I (S.198); Soergel- Wlotzke - Volze, vor § 611, Rz 47; Palandt - Thomas, vor § 631, Anm. 4 a. 24 So Segelken, Seelotsenrecht, S. 43. 25 Vgl. Larenz, Schuldrecl1t II, § 52 I (S. 198/199), § 53 I (S. 222); SoergelWlotzke - Volze, vor § 611, Rz 4; Soergel- Ballerstedt, vor § 631, Rz 4. 26 Vgl. oben Anm.23. 27 Vgl. auch Palandt - Thomas, vor § 631, Anm. 1. 28 Vgl. oben im 1. Kap.

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2. Kap.: Die Rechtsnatur der Lotsung

Er ist lediglich Berater der Schiffsführung und hat keine Kommandogewalt auf dem Schiff29 • Diese theoretisch klaren Grenzen verschwimmen allerdings in der Praxis weitgehend. Der Seelotse gibt die Kommandos unmittelbar an den Rudergänger ohne Vermittlung durch die Schiffsführung3°. Die rechtliche Abgrenzung bleibt davon jedoch unberührt. Die Schiffsführung, die dieses allgemein übliche Verhalten des Lotsen duldet, bleibt weiterhin verantwortlich für die Führung des Schiffes (§ 27 II SeelotsG). Der Kapitän oder ein wachhabender Offizier hat daher immer auf der Brücke zu sein und so die Möglichkeit eines eigenen Eingreifens zu wahren. Die Tatsache, daß die Seeämter es außerordentlich mißbilligen, wenn es ein Lotse zuläßt, daß kein Vertreter der Schiffsführung auf der Brücke zugegen ist31 , beruht zunächst auf den öffentlichrechtlichen Bindungen des Seelotsen bei seiner BerufsausübungS2 • Privatrechtlich hat diese gesetzliche Beschränkung des Lotsen jedoch die Wirkung, daß die vertragliche übernahme der Schiffsführung durch einen Seelotsen gem. § 134 BGB unwirksam wäre 33 • Somit ist allein die Beratung der Schiffsführung die geschuldete und auch die einzig mögliche Art und Weise, auf die ein Seelotse seine Vertragspflichten zu erfüllen hat. Diese Beratung erfolgt mit Ausnahme der RadariotsungS4 praktisch immer an Bord des gelotsten Schiffes. Behandlungs- und Beratungsverträge von Ärzten35 , Rechtsanwälten38 und Wirtschaftsprüfern37 werden allgemein als Dienstverträge angesehen, wenngleich im Einzelfall auch einmal ein Werkvertrag (z. B. die Anfertigung eines Vertragsentwurfes)38 vorliegen kann. Will man nicht die korrekte Beratung als den geschuldeten Erfolg ansehen, so muß

29 Schaps - Abraham, Bd. H, Anm.3 zu § 511 HGB; Segelken, Seelotsenrecht, S.40, 45/46, 322, 532; ders., Die Rechtsstellung des Lotsen, S.129. 30 Schaps - Abraham, Bd. H, Anm.3 zu § 511 HGB; Segelken, Seelotsenrecht, S. 39, 120. 31 Er hat dann die Beratung einzustellen bis die Schiffsführung wieder vertreten ist. Notfalls muß er solange vor Anker gehen; vgI. auch BOSA Bd.7, 108 (112/113); BOSA Bd.3, 363 (371/372). 32 Zu diesen vgI. Schaps - Abraham, Bd.IH, Anm.l zu § 4 SSchStrO; BGHZ 35, 111 (118). 33 Segelken, Die Rechtsstellung des Lotsen, S. 124. 34 Die Radarlotsung wird in diesem Kapitel unter Hr. 2. b) ce) gesondert behandelt. 36 Soergel- Wlotzke - Volze, vor § 611, Rz 52, mit weiteren Nachweisen; Palandt - Putzo, vor § 611, Anm. 2 a,b b; Larenz, Schuldrecht H, § 52 I (S. 198/ 199). S6 Soergel- Mühl, § 675, Rz 2; RGZ 141, 347 (349). 37 Soergel - Wlotzke - Volze, vor § 611, Rz 52. 38 Soergel- Wlotzke - Volze, vor § 611, Rz 52; Palandt - Putzo, vor§ 611, Anm. 2 a, e e; Palandt - Thomas, § 676, Anm. 3.

IH. Die Rechtsnatur des Lotsenvertrages

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man auch den Lotsenvertrag als Dienstvertrag betrachten, denn das Verbringen des Schiffes über eine bestimmte Strecke schuldet er auf keinen Fall als Erfolg seiner Tätigkeit. Die Beratung ist nicht das geschuldete Produkt der Lotsentätigkeit (= Erfolg), sondern die geschuldete Tätigkeit selbst. Würde man die korrekte Ausführung dieser geschuldeten Tätigkeit als Erfolg und damit als Werk im Sinne des § 631 BGB ausreichen lassen, so gäbe es wohl nur noch Werkverträge. Schon hieraus ergibt sich, daß der Vertrag des Lotsen mit dem Reeder, der den Lotsen nur zu einer Beratung berechtigt und verpflichtet, ein Dienstvertrag im Sinne der §§ 611 ff. BGB ist.

Wlotzke - Volze nennen zur Abgrenzung einen weiteren interessanten Gesichtspunkt. Maßgebend für die Entscheidung von Zweifelsfällen soll die "gewollte Risikoverteilung hinsichtlich des Erfolges" sein31l • Diese Risikoverteilung ist beim Seelotsen weitgehend vom Gesetzgeber vorgezeichnet4°. Die Verantwortung für den Erfolg, nämlich die sichere Führung des Schiffes durch das Lotsrevier, verbleibt beim Kapitän41 , der Lotse hat dieses Risiko nicht zu tragen. Er ist allein zu einer ordnungsgemäßen Beratung der Schiffsführung verpflichtet. Demnach besteht zwischen Seelotse und Reeder ein Dienstvertrag gem. §§ 611 ff. BGB. Dieser Dienstvertrag hat entgegen der Ansicht von Segelken42 keine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand und unterfällt daher nicht den Regeln des § 675 BGB. Zu Recht verlangt die herrschende Meinung für die Anwendung des § 675 BGB eine Tätigkeit wirtschaftlicher Art43. Diese im Gegensatz zu der Auslegung von § 662 BGB übliche enge Auslegung des § 675 BGB ist schon deshalb notwendig, weil sonst jeder Dienst- und Werkvertrag § 675 BGB unterfallen würde. Das ist auch kaum vom Gesetzgeber bezweckt. Das Erfordernis einer Tätigkeit wirtschaftlicher Art folgt auch daraus, daß sich die in § 675 BGB in Bezug genommenen Vorschriften des Auftragsrechts vorwiegend mit Rechenschaftspflichten (§ 666), Herausgabepflicht (§ 667), Zinspflicht (§ 668), Vorschuß (§ 669) und Aufwendungsersatz (§ 670) befassen, sämtlich also spezifischen Merkmalen einer wirtschaftlichen Tätigkeit. Daher reicht für eine Anwendung des § 675 BGB nicht die Beziehung der 39 Soergel- Wlotzke - Volze, vor § 611, Rz 48; ähnlich Soergel- Ballerstedt, vor § 631, Rz 4. 40 Vgl. den vorhergehenden Absatz. 41 Das hindert nicht, daß auch der Vertrag des Kapitäns mit dem Reeder Dienstvertrag ist (vgl. PTÜssmann, § 511, Anm.5). 42 Seelotsenrecht, S. 44 f. 43 Larenz, Schuldrecht H, § 56 V (S.265/266); Palandt - Thomas, § 675, Anm.2; Dickescheid, Die Haftung des Qeschäftsherrn, S.3/4.

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2. Kap.: Die Rechtsnatur der Lotsung

Tätigkeit zum Vermögen des Dienstherrn aus 44, vielmehr ist eine Dispositionsmöglichkeit hinsichtlich dieses Vermögens erforderlich. Nicht zufällig sind die typischen Beispiele für eine Geschäftsbesorgung gern. § 675 BGB die Vermögensverwaltung, Steuerberatung, Bank- und Kommissionsgeschäfte45 • Anders als vielleicht der Makler nimmt daher der Seelotse nicht am "Erwerb durch Seefahrt" (§ 484 HGB)46, sondern allein an der Seefahrt teil. Der Vertrag zwischen Seelotse und Reeder ist nach der üblichen Terminologie als unabhängiger Dienstvertrag zu bezeichnen47 • Der Seelotse übt seinen Beruf in eigener Verantwortung aus, Zeit und Dauer der Tätigkeit werden zwar durch die Börtordnung der Lotsenbrüderschaft, nicht aber durch den Reeder als Dienstherrn bestimmt. Demnach ist der Lotsenvertrag kein Arbeitsvertrag. Auf die Berechtigung der hieraus geschlossenen weitgehenden Folgerungen wird später einzugehen sein. Gewisse beförderungsrechtliche Elemente48 werden bei der nun folgenden Erörterung der einzelnen Vertragspflichten angesprochen werden. 2. Der Vertragssdlluß und die einzelnen Vertragspftichten

Die Frage, wann Reeder und Seelotse in einen rechtlich erheblichen Kontakt treten, der dann - in aller Regel - zum Vertragsschluß führt, ist insbesondere für die Behandlung vorvertraglicher Pflichten der Parteien von Bedeutung. Daher ist zunächst einmal die Art des Zustandekommens des Lotsenvertrages zu erörtern. a) Der Vertragsschluß

Es ist schon oben erwähnt worden, daß die Bestellung eines Lotsen bei der Lotsenbrüderschaft erfolgt. Im älteren Schrifttum hat man zum Teil hierin den Abschluß eines Vorvertrages mit der Lotsengesellschaft 44 So wohl Segelken, Seelotsenrecht, S. 44 f.; Staudinger - Nipperdey, vor § 662, Vorb.1; § 675, Bem.15 f.; a. A. Soergel- Mühl, § 675, Rz 1; BGHZ 45, 223 (228/229); Die Anwendung des § 670 BGB auf Arbeitsverhältnisse (BAG

NJW 1967, 414; BAG NJW 1962, 411) durch das BAG hat daher auch wenig Anklang gefunden (vgl. Richardi, Arbeitsrecht, S. 60 f., 65, mit weiteren Nachweisen), da auch hier die entscheidenden Gesichtspunkte eher verschleiert werden (vgl. dazu unten im 7. Kap., Anm.234; 8. Kap., I.). 45 LaTenz, Schuldrecht 11, § 56 V (S.265/266); Palandt - Thomas, § 675, Anm.2b. 46 So SegeLken, Seelotsenrecht, S.44. 47 Vgl. Soergel- Wlotzke - Volze, vor § 611, Rz 4; Palandt - Putzo, vor § 611, Anm.2a. 48 Siehe oben in diesem Kapitel Anm. 18.

III. Die Rechtsnatur des Lotsenvertrages

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erblickt49 , der darauf gerichtet sei, einen Lotsen zur Verfügung zu stellen. Segelken nimmt - nunmehr uneingeschränkt - dagegen eine' direkte Vertretung des jeweiligen nach der Börtordnung an der Reihe befindlichen Lotsen durch die Lotsenbrüderschaft an, ohne daß völlig klar wird, wann er den Vertrag als abgeschlossen ansieht50 . Nun ist es zivilrechtlich durchaus zulässig, daß ein Vertreter (die Lotsenbrüderschaft) erkennbar in fremdem Namen handelt, nicht aber erkennen läßt, in wessen Namen51 . Bestellt ein Kapitän oder Maklers 2 daher bei einer Lotsenstation telefonisch einen Lotsen, so läge nach einer Zusage der Lotsenstation (d. h. der Lotsenbrüderschaft) möglicherweise ein "Geschäft, für den es angeht"53 vor, nämlich für den an der Reihe befindlichen Lotsen. Für den Reeder ist es ja gleichgültig, welcher Seelotse schließlich die Lotsung durchführt54 , kann er doch ohnehin keinen Einfluß auf die Auswahl nehmen. Diese Lösung wird den verschiedenen Gestaltungen, in denen eine Lotsenbestellung erfolgt, jedoch nicht ausreichend gerecht. Wird zum Beispiel einen Tag vor Abfahrt eines Schiffes ein Lotse bestellt und sein Erscheinen von der Lotsenbruderschaft 2lUgesagt, so ist die Person des betreffenden Lotsen, der dann zur Lotsung verpflichtet sein soll, nicht bestimmbar. Die Börtordnung bestimmt nur die Reihenfolge, in der die Lotsen auf die ankommenden Schiffe versetzt werden, sie ordnet aber nicht ein bestimmtes Schiff einem bestimmten Lotsen zu. Vielmehr beeinfiußt die Reihenfolge der ankommenden Schiffe, welcher Lotse an Bord kommt. Der Reeder hat auch weder ein Interesse daran, noch einen Anspruch darauf, daß gerade der nach der Börtordnung zuständige Lotse auf sein Schiff kommt. Die Börtordnung ist allein ein innerbetriebliches Organisationsstatut. Wenn sich die gerade diensthabenden Lotsen auf eine Abweichung einigen, so wird dadurch kein Dienstleistungsanspruch des Reeders verletzt. Dieser hat nämlich allenfalls einen Anspruch auf einen Lotsen, nicht aber auf die Dienstleistung eines bestimmten Lotsen. Bei dieser Sachlage kann entweder nur eine Variante des Geschäftes, für den es angeht, vorliegen, bei der im Augenblick des Vertragsschlusses der Vertretene noch gar nicht bestimmt ist55, oder 49 Wagner, Beiträge zum Seerecht, S.67; für Ausnahmefälle auch Segetken, Die Rechtsstellung des Lotsen, S. 119/120. 50 Segetken, Seelotsenrecht, S. 40/41. 51 Larenz, Allg. Teil, S.545/546; Palandt - Heinrichs, § 164, Anm. 1 a. 52 Diese handeln dann gern. §§ 526, 527 HGB, 164 BGB in Vertretung des Reeders. 53 Vgl. dazu oben Anm.51. 54 Schaefer, Die zivilrechtliche Haftpflicht der Lotsen, S.67; Segetken, Die Rechtsstellung des Lotsen, S. 121. 55 Vgl. Larenz, Allg. Teil, S.546; Soergel- Schuttze-von-Lasautx, vor § 164, Rz 33 f.

2. Kap.: Die Rechtsnatur der Lotsung

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aber der Reeder schließt mit der Lotsenbrüderschaft einen DiEmstverschaffungsvertrag. Die herrschende Meinung läßt solche "Stellvertretungen unter Offenhaltung der Person des Vertretenen"56 jedenfalls bei Veräußerungsverträgen zu. Berücksichtigt man, daß dem Reeder die Individualität des bestellten Lotsen gleichgültig ist57 , so stehen einer Erstreckung dieser Art des Geschäfts, für den es angeht, auf den Lotsenvertrag keine Hinderungsgründe entgegen. Gibt daher die Lotsenstation einer Lotsenbrüderschaft auf telefonische oder telegrafische Anfrage oder auf eine Anfrage per Lotsensignal die Zusage, daß ein Lotse kommen werde. so ist damit bereits der Lotsenvertrag geschlossen, ohne daß der Lotse feststeht, der das Schiff dann lotsen wird. Einer Annahme durch den Lotsen bedarf es nicht mehr, da diese bereits in der Zusage der Lotsenbrüderschaft enthalten ist58 • Letzterer obliegt es dann, den Lotsen zu bestimmen, für den die Annahmeerklärung abgegeben worden ist. Diese Lösung ist gegenüber einem Dienstverschaffungsvertrag vorzuziehen, da dort üblicherweise kein Vertragsschluß mehr zwischen dem dienstleistenden Dritten und dem zweiten Dienstherrn erfolgt56, wie es bei Lotse und Reeder der Fall ist. Daneben ist aber auch die Möglichkeit gegeben, daß ein Lotse direkt ohne Vertretung durch die Lotsenbrüderschaft den Lotsenvertrag abschließt. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn ein Schiff durch Lotsensignal einen Lotsen anfordert und unmittelbar darauf ohne sonstige Antwort durch die Lotsenstation ein Lotse versetzt wird. Der Lotsenvertrag kommt dann durch konkludente Annahme des vom Reeder erklärten Vertragsangebotes zustande60. Eine Pflicht des Lotsen zum Vertragsabschluß61 ergibt sich zunächst einmal aus den Lotsordnungen der betreffenden Reviere62 • Sie ergibt sich weiterhin aus dem Monopolcharakter der Lotsenbrüderschaften und der in ihnen organisierten Lotsen. Ein freier Wettbewerb unter den Lotsen findet nicht statt. Der Kontrahierungszwang von lebenswichtigen Monopolbetrieben gehört zu den gesicherten Erkenntnissen der RechtsAllg. Teil, 5.546, mit weiteren Nachweisen. Zu diesem entscheidenden Gesichtspunkt vgl. LaTenz, Allg. Teil, S. 546. 58 Der Vertrag ist nicht etwa gern. 177 I BGB schwebend unwirksam, da die Lotsenbrüderschaftals von allen Lotsen bevollmächtigt anzusehen ist (vgl. Segelken, Seelotsenrecht, S. 40). 59 Vgl. Palandt - Putzo, vor § 611, Anm. 2 c. 60 Vgl. Mumssen, Die Staatshaftung für den Hamburger Hafenlotsen, S. 76. 61 Befürwortet auch von Segelken, Seelotsenrecht, S. 41. 62 Vgl. § 10 der Verordnung über die Verwaltung und Ordnung der Seelotsreviere Weser I und Weser II/Jade (Lotsordnung Weser/Jade). 56

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LaTenz,

III. Die Rechtsnatur des Lotsenvertrages

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wissenschaftt 3 • Die Möglichkeit, einen Seelotsen zur Beratung auf schwierigen Strecken heranziehen zu können, ist für den modernen Seeverkehr unverzichtbar. Als mögliche Ausnahme vom Kontrahierungszwang kommen daher nur wenige Tatbestände, insbesondere wohl Zahlungsverzug mit fälligen Lotsgeldern und ein gefährlicher Zustand des Schiffes in BetrachtM. Diese Monopolstellung bewirkt, daß der Reeder auch von der Lotsenbrüderschaft alle Anstrengungen zur Beschaffung eines Lotsen verlangen kann65 • Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung könnte zu einer Schadensersatzverpflichtung auf Grund von culpa in contrahendo führen 66 • b) Die Haupt- und Nebenpflichten des Seelotsen

aa) Die Hauptpflicht: Beratung der Schiffsführung Die vertragliche Hauptpflicht des Seelotsen wurde schon oben als Pflicht zur Beratung der Schiffsführung bezeichnet67 • Gegenstand dieser Beratungspflicht sind vorwiegend die Aufklärung über die Eigenarten und Gefahren des betreffenden Lotsenreviers sowie Vorschläge für ein dementsprechendes Verhalten der Schiffsführung68. Die Beratungspflicht des Seelotsen setzt ein, sobald er in der Lage ist, mit der Schiffsführung Kontakt aufzunehmen und die Verkehrssituation des betreffenden Schiffes zu erfassen. Das ist in aller Regel erst der Fall, wenn er die Brücke betreten hat, muß aber nicht notwendig so sein69 • Ist jedoch für das von ihm zu lotsende Schiff Gefahr in Verzug, so hat der Lotse auch zuvor die vertragliche Pflicht, jede Möglichkeit der Beeinflussung der Schiffsführung zur Abwendung der Gefahr zu nutzen70 • 63 Larenz, Allg. Teil, S.93; Schuldrecht I, § 4 I (S.39); Palandt - Heinrichs, vor § 145, Anm.3 a; RGZ 132, 276. 64 Vgl. Segelken, Seelotsenrecht, S.41. 65 Das gilt sicher für Revierlotsungen, meines Erachtens aber auch für Distanzlotsungen, wenn dadurch die Lotsenbereitschaft für das Revier nicht beeinträchtigt wird. 68 Nach herrschender Ansicht kann auch den Vertreter eine Haftung aus culpa in contrahendo treffen. Vgl. dazu Larenz, Allg. Teil, S.553-555, mit weiteren Nachweisen; Aring u. a., JuS 1973, 39 (42/43); BGHZ 56, 81 (83/84). 67 Vgl. oben das 1. Kap. 68 Schaps - Abraham, Bd. III, Anm.3 zu § 25 SeelotsG; Segelken, Seelotsenrecht, S.239. Segelken (S.240) glaubt die Verantwortlichkeit des Lotsen auf einen "revierbedingten" Lotsenrat beschränken zu können. Vgl. dazu unten im 4. Kap., I. 1. a). 69 Segelken, Die Rechtsstellung des Lotsen, S. 129; vgl. aber nunmehr dens., Seelotsenrecht, S.90/91. 70 Besteht bereits ein Lotsenvertrag zwischen Reeder und Seelotse, so hat

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2. Kap.: Die Rechtsnatur der Lotsung

Vor Aufnahme der Beratung hat sich der Seelotse ein Bild von den Eigenarten des Schiffes, insbesondere den Manövriereigenschaften und den nautischen Hilfsmitteln zu machen, um eine sachgemäße Beratung durchführen zu können71. Die übernahme der Beratung durch einen anderen Lotsen an der Reviergrenze hat so zu erfolgen, daß die Schiffsführung sich ohne Unterbrechung des Lotsenrates bedienen kann. Setzt der Seelotse dagegen außerhalb des Reviers die Beratung fort (§ 28 SeelotsG), so bleibt der Lotsenvertrag in Kraft. Zu dieser Fortsetzung der vertraglichen Beratung ist der Seelotse jedoch nicht verpflichtet12 • Es liegt daher in seinem Interesse, die Beendigung seiner vertraglichen Tätigkeit eindeutig erkennen zu lassen, insbesondere dann, wenn er beabsichtigt, noch an Bord zu bleiben. bb) Die Nebenpflichten Die vertraglichen Nebenpflichten des Seelotsen haben einen relativ geringen Umfang. Von praktischer Bedeutung neben den schon oben behandelten Hilfs- und Erkundigungspflichten ist eigentlich nur der Fall, daß der Seelotse eine Handlungsunfähigkeit der Schiffsführung bemerkt, die eine Beratung unmöglich macht. Hier kann der Lotse nicht unter Berufung auf einen Annahmeverzug des Reeders untätig bleiben. Es ist dann vielmehr die vertragliche (Schutz-)Pflicht73 des Lotsen, die Gefahrenlage dadurch zu beseitigen, daß er das Schiff vor Anker legt und gegebenenfalls die Wasserschutzpolizei benachrichtigt. Diese Schutzpflicht ergibt sich daraus, daß der Lotse durch seine Beratung das Seerisiko, das der Reeder eingeht, mindern soll. In gewissem Umfang ist ihm das Schicksal des Schiffes anvertraut. Wenn er auch nicht verpflichtet ist, das Schiff statt der Schiffsführung zu führen, so hat er doch die vertragliche74 Pflicht, soweit wie möglich Schaden von dem Schiff abzuwenden 75. letzterer im Falle der Bergung aus Seenot folglich in der Regel dann keinen Anspruch auf Bergungslohn, wenn das Schiff erst während der Lotsung in Seenot geraten ist. Dann ist nämlich der Seelotse vertraglich wie die Besatzung verpflichtet, für die Rettung des Schiffes zu sorgen (vgl. dazu LG Bremen, Hansa 1956, 503). Die Ratio des Haftungsausschlusses des § 742 II HGB trifft insoweit auch auf den Lotsen zu. Ein Anspruch auf Bergungslohn kann ihm analog § 742 III HGB nur für außergewöhnliche Dienste zugebilligt werden (Prüssmann, § 742, Anm. B 2; Schaps - Abraham, Bd. H, § 740 HGB, Rz 22; Ewald, Strandungsordnung, S.114). Außergewöhnlich dürften dabei alle Dienste des Seelotsen sein, bei denen er unter Gefahr für Leib oder Leben weiter tätig bleibt. 71 Für die Einzelheiten vgl. SegeZken, Seelotsenrecht, S. 109 f. 72 Vgl. aber oben im 2. Kap. unter III. 2. a) am Ende. 73 Vgl. dazu Soergel- Knopp, § 242BGB, Anm.105. 74 Auch aus öffentlichrechtlichen Vorschriften kann der Seelotse zu bestimmten Maßnahmen verpflichtet sein.

UI. Die Rechtsnatur des Lotsenvertrages

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ce) Exkurs: Die Radarberatung Die Entwicklung der Technik hat es mit sich gebracht, daß der Arbeitsbereich der Seelotsen durch die Einrichtung von Landradarstationen erweitert wurde76 • Die großen Seelotsreviere sind heute durch eine lückenlose Radarkette erfaßt. Die Auswertung der Radarbilder geschieht durch Seelotsen, die dann per Funk den an Bord befindlichen Lotsen, aber auch unmittelbar die Schiffsführung beraten. Diese Lotsentätigkeit bedarf einer Einordnung in das System des Lotsenvertrages. (1) Die Beratung des Bordlotsen Die Radarberatung für den Bordlotsen ist im wesentlichen Aufklärung über die Verkehrslage in dem Revier. Anders als bei der Flugsicherung erfolgt hier grundsätzlich keine Beratung über einzuschlagende Kurse77 • Der Seelotse, der die Radarberatung erteilt, ist als Erfüllungsgehilfe des Bordlotsen gern. § 278 BGB anzusehen78 • Der Bordlotse bedient sich des Radarlotsen zur Erfüllung seiner Beratungspflicht. Die Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen Erfüllungsgehilfen (Radarlotse) und Schuldner (Bordlotse) ist dabei gleichgültig79 : der Erfüllungsgehilfe braucht nicht einmal zu wissen, daß er für den Schuldner tätig istB°' 81. Dagegen kann der Radarlotse nicht als Verrichtungsgehilfe des Bordlotsen gern. § 831 BGB angesehen werden, da der Bordlotse gegenüber dem Radarlotsen kein Weisungsrecht hat. Verrichtungs gehilfe ist nur derjenige, der bei der Ausführung der Verrichtung von Willen und Weisung des Geschäftsherrn abhängig isf.8l? (2) Die direkte Beratung der Schiffsführung

Erfolgt die Beratung durch den Radarlotsen unmittelbar gegenüber der Schiffsführung83, ohne daß ein Seelotse überhaupt an Bord ist, so 76 Segetken, Seelotsenrecht, S.101. Ist der Kapitän selbst der Reeder, so dürfte der Umfang der vertraglichen Schutzpflicht des Seelotsen geringer sein, mögliche öffentlichrechtliche Handlungspflichten bleiben davon jedoch unberührt. 76 Vgl. dazu KTause, Hansa 1960, 2607; GTaf, Hansa 1962, 2583; Segetken, Seelotsenrecht, S. 485 f. 77 KTause, S.2607; GTaf, S.2583. 78 Ebenso Segetken, Seelotsenrecht, S. 494, 498. 79 Vgl. BGHZ 50, 32 (35); Palandt - Heinrichs, § 278 BGB, Anm.3. 80 BGH VersR 1969, 1108. 81 Das Verhältnis zwischen Bordlotse und Radarlotse(n) dürfte am ehesten durch eine vorsichtige Anwendung der Regeln über die BGB-Gesellschaft erfaßt werden können. Dabei bleibt aber zu beachten, daß der Bordlotse gegenüber dem Reeder nicht als "Gesellschafter", sondern allein und unabhängig auftritt. 82 BGHZ 45, 311 (313); Palandt - Thomas, § 831, Anm. 3 a. 83 In diesem Fall wird auch das Einschlagen bestimmter Kurse bei der Beratung vorgeschlagen. Die Radarberatung erfolgt unentgeltlich.

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2. Kap.: Die Rechtsnatur der Lotsung

erscheint es in der Regel als ausgeschlossen, hier ein Vertragsverhältnis (Auskunftsvertrag) zwischen Radarlotse und Reeder anzunehmen, da das Schiff nicht unbedingt auf den Rat des Radarlotsen angewiesen ist84 • Für diesen Fall bleibt es dann bei der Regel des § 676 BGB86. Läßt sich dagegen einmal ein - konkludent abgeschlossener - Vertrag nachweisen, so kommt wegen der Unentgeltlichkeit der Radarberatung die Annahme eines Auftragsverhältnisses gern. § 662 BGB in FrageBG• c) Die Haupt- und Nebenpflichten des Reeders aal Die Hauptpflichten Die vertragliche Hauptpflicht des Reeders ist die Pflicht zur Zahlung des Lotsgeldes, der Vergütung für die Lotsenberatung. Neben diese Hauptpflicht tritt nach Ansicht des BGH selbständig die Verpflichtung des Reeders, gern. § 618 BGB dafür zu sorgen, daß das Schiff so beschaffen ist, "daß der Lotse gegen Gefahren für Leben und Gesundheit so weit geschützt (ist), als die Natur der Dienstleistung es gestattet"87. Diese Pflicht des Dienstberechtigten aus § 618 BGB wird als eine Vertragspflicht angesehen, die selbständig neben der Vergütungspflicht besteht88 . Man betrachtet sie allgemein als Konkretisierung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn89 , der Vorschrift wird ein "sozialrechtlicher Charakter" beigemessen90 • Eine Anwendung des § 618 BGB ist jedoch nur dann möglich, wenn das Schiff als "Raum" im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden kann. Bei der Auslegung dieses Begriffes muß man sich auf den Grundgedanken der Bestimmung besinnen. Die Charakterisierung der Vorschrift als "sozialrechtlich" ist dabei wenig hilfreich. Larenz läßt demgegenüber jedenfalls beiläufig den eigentlichen Hintergrund der Vorschrift deutlich werden. Demnach ist die Anwendung des § 618 BGB dann geboten, wenn sich der Dienstverpflichtete - aber auch der Werkunternehmer - während der Vertragserfüllung im Einflußbereich des Dienstberechtigten bzw. des Bestellers befindet. Er ist gezwungen, sich 84 Vgl. zu den hier erheblichen Entscheidungskriterien Palandt - Thomas, § 676, Anm.3; Aring u. a., JuS 1973, 39 (41/42). 85 Vgl. dazu Palandt - Thomas, § 676, Anm. 6. 86 Vgl. dazu Palandt - Thomas, § 676, Anm.3; auch Diestel, Eisenbahn-

und verkehrsrechtliche Entscheidungen, Bd. 33, S. 248. 87 BGHZ 27, 79 (82); zustimmend Schaps - Abraham, Bd.III, Anm.2 zu § 25 SeelotsG; vgl. auch § 80 SeemG für die Besatzung. 88 Soergel - Wlotzke - Volze, § 618, Rz 6. 89 Soergel- Wlotzke - Volze, § 618, Rz 7; Palandt - Putzo, § 618, Anm.1; Larenz, Schuldrecht II, § 52, II c (S.207/208). 90 BGHZ 26, 365 (371); RGZ 138, 37/38.

III. Die Rechtsnatur des Lotsenvertrages

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der "Voraussicht, Sorgfalt und fürgsorglichen Rücksichtnahme" seines Vertragspartners anzuvertrauen91 • Entscheidend ist, daß der Zustand der Arbeitsstätte&! maßgebend durch den Arbeitgeber, Dienstherrn oder Besteller geprägt ist93 • In all diesen Fällen ist eine Anwendung des § 618 BGB angebracht, und der Begriff des Raumes muß in dieser Richtung ausgelegt und praktisch dem der Arbeitsstätte gleichgesetzt werden. Für den Seelotsen ist dann die Arbeitsstätte das gesamte Schiff, das er zu lotsen hat. Ist das Schiff daher in einem Zustand, der Gefahr für Leib oder Leben des Lotsen befürchten läßt, so ist er ohne Verlust seines Vergütungsanspruchs (§ 615 BGB) berechtigt, die Beratung einzustellen oder gar nicht erst aufzunehmen94 • § 618 BGB erfaßt auch die immer einmal vorkommenden Unfälle mit einer Lotsenleiter, die von der Besatzung nicht ordnungsgemäß befestigt wurde95 • Zu dem Zeitpunkt, zu dem der Seelotse die Lotsenleiter betritt, ist der Lotsenvertrag bereits abgeschlossen98 • Verläßt der Lotse das Schiff, so ist die Beratung zwar beendet, nicht aber die Bindung des Reeders aus § 618 BGB. Es muß dem Dienstverpflichteten möglich sein, den Arbeitsplatz ohne Schaden zu verlassen.

Die starke Betonung dieser Pflichten des Reeders aus § 618 BGB ist Ausdruck des beförderungsrechtlichen Elementes des Lotsenvertrages. Bei Beförderungsverträgen, die sich auf eine Schiffsbeförderung beziehen, ist anerkannt, daß das An-Land-Bringen der Fahrgäste zur Erfüllung der Hauptpflicht des Beförderers gehört97• Nun kommt zwar zwischen Seelotse und Reeder kein Passagiervertrag gern. §§ 664 ff HGB zustande98, es ist aber nicht zu verkennen, daß hinsichtlich der VerSchuldrecht II, § 53 III d (S. 241). Der BGH scheint dazu zu neigen, "Raum" und "Arbeitsplatz" nahezu gleichzusetzen (vgI. BGHZ 26, 365 (370/371). Zur Auslegung des Begriffes "Raum" vgI. auch LaTenz, Methodenlehre, S.334/335. 93 Das wirkt sich auch noch in der Beweislast aus (vgI. dazu RGZ 138, 37 f.; BGHZ 27, 79 f.). Auf die Bedeutung des § 618 BGB für das Thema der Arbeit wird unten im 8. Kap. unter II. 2. d) bb) am Ende noch einmal eingegangen werden. 94 VgI. zu den Rechten aus § 618 BGB: Palandt - Putzo, § 618, Anm. 3 b; Soergel- Wlotzke - Volze, § 618, Rz 22. 95 VgI. z. B. zu diesen Unfällen RGZ 131, 300 (302); eines Rückgriffes auf die Verkehrssicherungspflicht bedarf es daher hier nicht. 98 Vgl. oben im 2. Kap. unter III. 2. a). 97 BGH NJW 1959, 1366; Soergel- BalleTstedt, vor § 631, Rz 33; PalandtThomas, vor § 631, Anm.5; dabei trägt der Reeder die Beweislast für die Erfüllung seiner Verpflichtung, wenn ein Fahrgast zu Schaden kommt. 98 PTüssmann, vor § 664, Anm. II B 4 c; a.A. EhleTs, Hansa 1931, 153, für den Fall, daß ein Lotse auf Grund öffentIichrechtlicher Vorschriften von einem Schiff mitgenommen wird, ohne dieses zu beraten. 91

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2. Kap.: Die Rechtsnatur der Lotsung

tragspflichten des Reeders eine gewisse Identität mit beförderungsrechtlichen Pflichten vorliegt, die mit dem Stichwort "beförderungsrechtliches Element" richtig bezeichnet ist. bb) Die Nebenpflichten Die vertraglichen Nebenpflichten des Reeders gegenüber dem Seelotsen sind Aufklärungs- und Fürsorgepflichten99 • Die Schiffsführung ist nicht nur auf Grund der Vorschriften der einzelnen Lotsordnungen100 , sondern auch kraft einer vertraglichen Aufklärungspflicht des Reeders gebunden, dem Lotsen die Eigenart des Schiffes zu erläutern, um eine ordnungsgemäße Beratung zu ermöglichen. Das gilt insbesondere für Eigenarten des Schiffes, die ein Fachmann nicht ohne weiteres aus dem Schiffstyp ersehen kann. Das Bestehen derartiger vertraglicher (- und vorvertraglicher) Aufklärungspflichten über alle für den Vertragspartner wesentlichen Umstände ist allgemein anerkannt, ihre Verletzung begründet Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung bzw. culpa in contrahendo101 • Die Aufklärungspflicht des Reeders wird nicht etwa dadurch gemildert, daß für den Lotsen eine Erkundigungspflicht mit derselben Richtung besteht102• Beide Pflichten korrespondieren in gewisser Weise. Sie bestehen sowohl im Eigeninteresse 103 , als auch gegenüber dem Vertragspartner. Keine der Vertragsparteien kann sich daher mit dem Hinweis entlasten, die jeweils andere habe ihre Pflicht ja auch nicht erfüllt, so daß in der Regel die Anwendung des § 254 BGB geboten ist. Ein weiteres beförderungsrechtliches Element des Lotsenvertrages erscheint in der Pflicht des Reeders, den Lotsen, der das Schiff zum Beispiel wegen schlechten Wetters nicht mehr verlassen kann, sicher bis zum nächsten Hafen zu befördern104 • Hierbei handelt es sich um mehr als eine bloße Schutzpflicht, da sie in enger Beziehung zu dem kon99 Der Begriff "Fürsorgepflicht" wird hier im Sinne der herrschenden Meinung (vgl. z. B. Soergel - Knopp, § 242, Rz 112) verstanden und benutzt. Zur Kritik der Fürsorgepflichten vgl. unten im 8. Kap. unter I. 1. 100 Vgl. die §§ 12 der Lotsordnungen Weser/Jade, EIbe, Nordostseekanal/ Kieler Förde, z. T. abgedruckt bei Segelken, Seelotsenrecht, S. 111. 101 Vgl. Palandt - Heinrichs, § 242, Anm. 4 b, dd; Soergel- Knopp, § 242, Rz 123. 102 Zu dieser siehe oben im 2. Kap. unter III. 2. b) aa). 103 Sie könnten insoweit als "Pflichten gegen sich selbst" vergleichbar den Erscheinungen bei § 254 BGB bezeichnet werden. 104 BGHZ 27, 79 (81); Prüssmann, vor § 664, Anm. II B 4 e; SchapsAbraham, Bd. III, Anm.2 zu § 25 SeelotsG; bleibt der Lotse dagegen freiwillig an Bord und setzt die Beratung nicht fort, so kommt eine vertragliche Haftung des Reeders meines Erachtens nicht in Frage (so wohl auch PTÜSSmann, vor 664, Anm. II B 4 e; a. A. dagegen Ehlers, Hansa 1931, 153).

IH. Die Rechtsnatur des Lotsenvertrages

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kreten Vertragsinhalt stehtl05 . Als Beförderer des Lotsen ist der Reeder verpflichtet, diesen solange an Bord zu behalten, bis er das Schiff ohne erhöhte Gefahr für Leib oder Leben verlassen kann. Daneben handelt es sich bei dieser Verpflichtung um eine Fortwirkung der Pflicht des Reeders, das Schiff als Arbeitsstätte des Lotsen in einem Zustand zu erhalten, der keine über das allgemeine Risiko der Seefahrt hinausgehenden Gefahren mit sich bringt. Mit Recht wendet daher der Bundesgerichtshof § 618 BGB auch auf dieses Stadium nach der eigentlichen Lotsenberatung anlOG. Ist somit der Inhalt des Lotsenvertrages als ein Beratungsvertrag (Dienstvertrag) mit beförderungsrechtlichen Elementen beschrieben, so sind nunmehr die Haftungsvoraussetzungen näher zu erörtern, nach denen die Haftung des Seelotsen und die des Reeders gegenüber dem Seelotsen zu beurteilen sind.

105 "Schutzpflichten" sind solche, die mit dem konkreten Vertragsinhalt nichts zu tun haben: Soergel- Knopp" § 242, Rz 152. lOG BGHZ 27, 79 f.; das gilt aber nur, wenn der Lotse nicht von Bord gehen konnte (vgl. oben Anm. 104).

3. Kapitel

Die Haftung des Reeders gegenüber Dritten für von einem Seelotsen verursachte Schäden Soweit der Seelotse durch fehlerhafte Beratung andere als den Reeder des gelotsten Schiffes schädigt, werden Schadensersatzansprüche praktisch immer zuerst gegen den Reeder, nicht gegen den Lotsen erhoben. Aus dem Umfang dieser Verantwortlichkeit des Reeders gegenüber Dritten für seinen Lotsen ergibt sich dann mittelbar der Bereich dessen, wofür eine Haftung des Lotsen gegenüber dem Reeder des gelotsten Schiffes in Frage kommt, soweit es nicht um Eigenschäden des Reeders geht. Daher erfolgt nunmehr ein kurzer überblick über die Reederhaftung für den Seelotsen.

I. Die Haftungsnormen 1. §§ 485 HGB. 823 ff. BGB

Die grundlegende Haftungsbestimmung der Reederhaftung ist § 485 HGB in Verbindung mit den §§ 823 ff. BGB. Diese Vorschrift ist auch durch die Reform des Seerechts mit der Umstellung auf das Summenhaftungssystem unverändert geblieben1 • Die adjektizische2 Haftung gern. § 485 HGB hat auf dem Gebiet des Seerechts bereits die Entwicklung, die sich bei § 831 BGB anbahnt, - d. h. praktisch die Anwendung des § 278 BGB auch im Deliktsrecht3 - vollendet. Die ausdrückliche Aufnahme der Seelotsen in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift er1 § 485 HGB: Der Reeder ist für den Schaden verantwortlich, den eine Person der Schiffsbesatzung oder ein an Bord tätiger Seelotse einem Dritten in Ausführung von Dienstverrichtungen schuldhaft zufügt. Er haftet den Ladungsbeteiligten jedoch nur soweit, wie der Verfrachter ein Verschulden der Schiffsbesatzung zu vertreten hat. Zum neuen Summenhaftungssystem vgl. Freise, Die summenmäßige Beschränkung der Reederhaftung nach kommendem Recht, 1971; Sotiropoulos, Die Beschränkung der Reederhaftung, 1962. Siehe auch die amtliche Begründung zum Seerechtsänderungsgesetz. 2 "Adjektizische Haftung", weil der Reeder jedenfalls in aller Regel nur haftet, wenn der Geschädigte einen eigenständigen Ersatzanspruch gegen das schuldige (anders § 831 BGB) Besatzungsmitglied oder den Seelotsen hat; vgl. Prüssmann, § 485, Anm. EI; Sotiropoulos, Reederhaftung, S. 44/45. 3 Vgl. dazu Rother, Haftungsbeschränkung, S.134/135; Lemhöfer, VersR 1967, 1126 (1129); Medicus, Bürgerliches Recht, § 30 H3 c (S.304).

I. Die Haftungsnormen

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folgte durch § 59 des Seelotsgesetzes von 1954. Zuvor war die Frage, ob der Seelotse zur Besatzung gehört oder jedenfalls analog § 485 HGB zu behandeln ist, Gegenstand Jahrzehnte dauernder Kontroversen gewesen4 • Die herrschende Meinung hat sich seinerzeit dafür entschieden gehabt, den Seelotsen zur Schiffsbesatzung zu zählenli• Dagegen scheint sich nach Erlaß des Seelotsgesetzes für die gleichliegende und noch ungelöste Problematik bei den Hafenlotsen wegen § 1 S. 2 SeelotsG ("Der Seelotse gehört nicht zur Schiffsbesatzung") eine entsprechende Anwendung des § 485 HGB durchzusetzen6 • Bedenkt man, wie fließend die übergänge zwischen der Auslegung einer Vorschrift (Lotse = Mitglied der Besatzung) und ihrer analogen Anwendung (Lotse wie ein Besatzungsmitglied zu behandeln) sind7, so zeigt sich hier, daß eigentlich Einigkeit darüber besteht, daß die Ratio des § 485 HGB eine Anwendung auf den Lotsen und damit - insoweit - eine Gleichstellung mit der Schiffsbesatzung erfordert. Diese Ratio der Vorschrift wird zum einen als "Haftung für ein gefährdendes Unternehmen"8, zum anderen als Ausdruck einer deutschrechtlichen "Haftung für einen Herrschaftsverband" angesehen9• Beide Gedanken sind nicht so weit voneinander entfernt, wie es zunächst erscheinen mag. Darauf wird noch zurückzukommen sein10 • Neben § 485 HGB in Verbindung mit den §§ 823 ff. BGB bleibt die allgemeine Vorschrift des § 831 BGB anwendbaru , während § 278 BGB von § 485 HGB weitgehend verdrängt wird1!. Es erscheint jedoch als fraglich, ob der Seelotse als Verrichtungsgehilfe des Reeders angesehen werden kann. Zwar ist er der Kommandogewalt des Kapitäns an Bord unterworfen13, aber er übt die Beratung in eigener Verantwortung und frei von Weisungen aus. Ihm fehlt die für einen Verrichtungsgehilfen 4 Vgl. dazu Schaps - Abraham, Bd. II, Anm.12 zu § 481; Bd. III, Anm.5 zu § 1 SeelotsG; Segelken, Die Rechtsstellung des Lotsen, S. 97 f.; BGHZ 3, 34 (38); Sotiropoulos, Die Haftung, S. 5 f. 5 Vgl. Schaps - Abraham, Bd. II, Anm.12 zu § 481; Segelken, Die Rechtsstellung des Lotsen, S. 66 f.; 97 f. 6 Schaps - Abraham, Bd. II, Anm. 12 zu § 481; BGH Hansa 1968, 1629; vgl. auch v. Wurmb, Die Haftung des Verfrachters, S. 25 f., 32, 40 f.; Sotiropoulos, Die Haftung, S.6, 8, 11 f.; a.A. noch BGH VersR 1957, 515. 7 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 23; Larenz, Methodenlehre, S. 304, 342. 8 BGHZ 3, 34 (40); Segelken, Die Rechtsstellung des Lotsen, S. 98 f.; Wagner, Beiträge zum Seerecht, S.81. 9 Pappenheim, Gruch., Bd.43, 342 (370). 10 Siehe dazu unten im 7. Kap. unter 1.3. a). U Prüssmann, § 485, Anm. K 2 c; Sotiropoulos, Reederhaftung, S.47. 12 Zu den wenigen Anwendungsfällen vgl. Prüssmann, § 485, Anm. K 1; Sotiropoulos, Reederhaftung, S. 48. 13 Segelken, Seelotsenrecht, S.532.

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3. Kap.: Die Haftung des Reeders gegenüber Dritten

charakteristische Unterordnung, die Weisungsgebundenheitl4 ; andererseits bedarf der Reeder dieses Weisungsrechtes auch gar nicht, da es ohnehin weitgehend in seinem (bzw. des Kapitäns) Belieben steht, ob und welchen Gebrauch er von der Beratung durch den Lotsen machtl5 . Dennoch kann der Lotse nicht als Verrichtungs gehilfe des Reeders angesehen werden l8 . Dieser hat keinen Einfluß auf die Auswahl des Lotsen und kann ihn bei der Ausführung der Verrichtung nicht leiten. Eine Exkulpation des Reeders bliebe ohne realen Bezugspunkt17 • 2.1904 BGB

Von nicht unerheblicher praktischer Bedeutung ist die Tatsache, daß § 904 BGB bei Notstandshandlungen des Lotsen für eine Haftungsbegründung zu Lasten des Reeders herangezogen wirdl8 . Besteht ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Begünstigtem und Handelndem l9, so billigen Rechtsprechung und Literatur faktisch einen direkten Anspruch gegen den Begünstigten zu20 , so daß ein Rückgriff auf § 485 HGB gar nicht nötig ist. Für den begünstigten Reeder gilt aber auch hier die nunmehr summenmäßig beschränkte persönliche Haftung gern. § 486 HGB21 , während dem Geschädigten in Analogie zu § 754 I Ziff. 3 a. F. ein Schiffsgläubigerrecht zuzubilligen war22. Auf die Problematik des § 904 BGB soll an dieser Stelle noch nicht weiter eingegangen werden. Festzuhalten ist hier jedoch, daß hier unabhängig von § 485 HGB bzw. § 831 BGB ein direkter Anspruch gegen den "Geschäftsherrn" gewährt wird23 .

14 Vgl. dazu BGHZ 45, 311 (313). 15 Vgl. dazu auch BGH LM § 823 (H b) Nr.5: Rechtsanwalt Verrichtungsgehilfe des Mandanten; a. A. und richtig Medicus, Bürgerliches Recht, S.313/314. 16 a.A. ohne Begründung OLG Hamburg, MDR 1967, 596 (597). 17 Zu den fehlenden Einflußmöglichkeiten der Schiffsführung vgl. Segelken, Seelotsenrecht, S. 345. 18 LG Bremen, Hansa 1956, 503. 19 Das LG Bremen erblickt dieses in der Pflicht des Lotsen aus dem Dienstvertrag, nach Möglichkeit Gefahren von dem Schiff abzuwenden (vgl. dazu oben im 2. Kap. unter IH. 2. b) bb). 20 RGZ 113, 301 (303); Obergericht Danzig JW 1938, 1205; BGHZ 6, 102 (106 f.); BGHZ 19, 82 f.; Prüssmann, § 485, Anm. E 2 b; weitergehend CanaTis, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S.75; Horn, JZ 1960, 350 f.; LaTenz, Schuldrecht H, § 78 (S. 562). 21 BGHZ 6, 102 (108); Sotiropoulos, Reederhaftung, S.50; Prüssmann, § 485, Anm.E2b. 22 BGHZ 6, 102 (108); BGHZ 19, 82; Sotiropoulos, Reederhaftung, S.70; Die Neufassung von § 754 HGB ermöglicht jetzt eine direkte Anwendung. 23 Vgl. dazu unten im 7. Kap. unter IH. 2.

I. Die Haftungsnormen

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3. 1607 HGB (Haftung des Verfrachters gegenüber den Ladungsbeteiligten) und I 702 HGB (große Haverei)

In der Haftungsnorm des § 607 HGB ist der Seelotse nicht erwähnt, während § 702 III HGB eine nicht ganz eindeutige Verweisung auf § 485 HGB enthält. Beide Vorschriften sind durch das Seerechtsänderungsgesetz praktisch nicht verändert worden. Daher ist - wie vor Erlaß des Seelotsgesetzes bei § 485 HGB - in beiden Fällen eine analoge Anwendung der Vorschriften auf See- und Hafenlotsen erforderlich24 , da der Reeder für den Seelotsen wie für die Schiffsbesatzung haften soll. Wegen § 485 S. 2 HGB wird eine Haftung des Reeders für den Lotsen aus den §§ 607 und 702 HGB jedoch kaum eintreten25 • 4.1735 HGB

Von besonderer Bedeutung für die Haftung des Reeders bei Schiffskollisionen ist § 735 HGB. Auch hier ist 1954 versäumt worden, den Seelotsen in die Vorschrift einzufügen. Das ist nunmehr durch das Seerechtsänderungsgesetz von 1972 geschehen26 • Damit ist der Seelotse auch hier eindeutig der Besatzung gleichgestellt worden und die Zweifelsfragen, die bei der Anwendung der Kollisionshaftungsnormen bisher bestanden27 , sind insoweit gelöst. 5. Exkurs: Radarberatung

Nach Einführung der Radarberatung stellt sich die Frage, inwieweit der Reeder für ein Verschulden des Radarlotsen haftbar gemacht werden kann. § 485 HGB bezieht sich auf den "an Bord tätigen Seelotsen ", so daß einer direkten Anwendung der Vorschrift kaum das Wort geredet werden kann. Der Radarlotse ist auch nicht in den "arbeitsteiligen Organismus" des Schiffsdienstes und in die Bordgemeinschaft eingegliedert, aber er leistet Schiffsdienste28 • Er berät die Schiffsführung und/oder seinen an Bord tätigen Kollegen über die Gesamtsituation auf dem Revier und ergänzt daher die Beobachtungen des Radarbeobachters an Bord. Wer 24 Prüssmann, § 607, Anm. B 2 a; Abraham, Seerecht, S.190; SchapsAbraham, Bd. H, § 607, Anm.2; § 702, Anm.11; v. Wurmb, Die Haftung des

Verfrachters, S. 100, der die Entscheidung von einer beim Lotsen bejahten Einwirkungsmöglichkeit des "Geschäftsherrn" abhängig macht. 25 Vgl. Schaps - Abraham, § 702, Anm. 11; Abraham, Seerecht, S.85, 150 bis 152, 159/160. 26 § 735 H HGB n. F.; vgl. auch S.28 der amtlichen Begründung. 27 Vgl. zu diesen Schaps - Abraham, Bd. H, § 735, Anm.5. 28 Vgl. zu den Erfordernissen einer analogen Anwendung des § 485 HGB: BGHZ 3, 34 (40); 26, 152 (155); Sotiropoulos, Die Haftung, S.8-10, 19.

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3. Kap.: Die Haftung des Reeders gegenüber Dritten

Schiffs dienste leistet, muß das nicht unbedingt an Bord tun!9. Für die Vorschrift des § 481 HGB ist anerkannt, daß die Worte "auf dem Schiff" keine räumliche Bedeutung haben30 • Der Reeder kann allerdings auf den Radarlotsen noch weniger Einfluß als auf den Bordlotsen nehmen. Er (bzw. der Kapitän) hat es jedoch in der Hand, ob er die Beratung in Anspruch nimmt und welche Maß.:nahmen auf sie gestützt werden. Der Reeder kontrolliert daher die Auswirkungen der Radarberatung, ihm kommen die Vorteile zugute. Das Bestehen eines direkten Weisungsrechtes des Reeders wird für eine analoge Anwendung des § 485 HGB ohnehin nicht verlangt31. Damit verlangt die Ratio des § 485 HGB3!1 eine Erstreckung der Vorschrift auch auf die Folgen einer fehlerhaften Radarberatung. Dasselbe gilt für die übrigen oben angesprochenen seerechtlichen Haftungsnormen. Noch weniger als der an Bord tätige Seelotse kann der Radarlotse als Verrichtungsgehilfe des Reeders gem. § 831 BGB angesehen werden. Dagegen ist er ebenfalls Erfüllungsgehilfe des Reeders. Bedenkt man die Art und Weise der Durchführung der Radarberatung33, so dürften selten Unfälle ohne gleichzeitiges Verschulden des an Bord tätigen Seelotsen und/oder der Schiffsführung eintreten, für die der Reeder ohnehin gem. § 485 HGB einzustehen hat.

ß. Der Haftungsumfang Nachdem die Haftung3' des Reeders bisher - soweit kein eigenes Verschulden vorlag - allein dinglich und auf Schiff und Fracht beschränkt war, ist nunmehr durch das Seerechtsänderungsgesetz für Personen- und Sachschäden und sonstige Vermögensschäden (§ 486 I HGB n. F.) eine summenmäßig beschränkbare persönliche Haftung35 des Reeders eingeführt worden, deren Höhe sich nach dem Raumgehalt des Schiffes richtet (§ 487 a HGB). Die Haftungssumme wird in einem be29 Prüssmann, § 485, Anm. D 1 c, dd; § 481 HGB, Anm. C 1; BGHZ 3, 34 f. (39); Sotiropoulos, Die Haftung, S.7, Anm.25, mit weiteren Nachweisen. 30 Prüssmann, § 481, Anm. C 1. 31 Sotiropoulos, Die Haftung, S. 20. 32 Zu dieser vgl. im 7. Kap. unter I. 3. a).

Vgl. dazu oben im 2. Kap. unter II!. 2. b) cc). Es handelt sich sowohl nach der bisherigen als auch nach der neuen Regelung um eine Beschränkung der Haftung, nicht der Schuld; vgl. dazu insbesondere Freise, Reederhaftung, S. 146 f., 149. 35 Zu den Einzelheiten vgl. Freise, Die summenmäßige Beschrankung der Reederhaftung nach kommendem Recht, 1971; Denkschrift zu dem übereinkommen von 1957 über die Beschränkung der Haftung der Eigentümer von Seeschiffen; Amtliche Begründung des Seerechtsänderungsgesetzes. 33

M

II. Der Haftungsumfang

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sonderen Verfahren auf die Gläubiger verteilt36• Die Haftungsbeschränkung kann auch nicht durch Pfändung von Freistellungsansprüchen schuldhaft handelnder Besatzungsmitglieder umgangen werden. Diese im alten Recht problematische Frage37 ist durch die Erstreckung der Haftungsbeschränkung nach dem Summenhaftungssystem auf die Besatzung und den Seelotsen38 nunmehr definitiv entschieden. Das war auch der Zweck der Einfügung des § 487 HGB n. F.39.

38 VgI. die "Seerechtliche Verteilungsordnung" vom 21. 6. 1972; Das Verfahren wird nur dann zugelassen, wenn die Gesamtsumme, für die der Schuldner in Anspruch genommen werden soll, voraussichtlich den Betrag des § 487 a HGB n. F. übersteigt (§ 1 VertO). 37 BGHZ 41, 203; Helm, AcP 160 (1961), 134 (152/153); Prüssmann, § 485, Anm.F2b. 38 VgI. dazu unten im 4. Kap. unter II. 39 Protokolle der X. Diplomatischen Seerechtskonferenz in Brüssel, S.334; vgI. die Amtliche Begründung zum Seerechtsänderungsgesetz, S.16; Freise, Reederhaftung, S. 124.

4. Kapitel

Die Haftung des Seelotsen für von ihm verursachte Schadensfälle I. Die Haftungsnormen 1. Die Haftung gegenüber dem Reeder

a) Positive Vertragsverletzung Verursacht ein Lotse mit dem von ihm gelotsten Schiff einen Schaden, so ist die wichtigste Grundlage einer Haftung des Lotsen eine Verletzung des Lotsenvertrages. Das gilt sowohl für den Fall, daß der Schaden bei dem gelotsten Schiff selbst entstanden ist, als auch für Schäden, die zunächst bei Dritten (z. B. dem Kollisionsgegner) eintreten. Diese Schäden werden in aller Regel gegenüber dem Reeder des gelotsten Schiffes bzw. dessen Versicherung nach den oben erörterten Haftungsbestimmungen geltend gemacht, die dann Rückgriff nehmen können. Wer auf Grund positiver Vertragsverletzung zum Schadensersatz verpflichtet ist, haftet grundsätzlich für jede Form des Verschuldens. Segelken1 möchte diese Haftung des Seelotsen für die Korrektheit seiner Beratung auf den "revierbedingten Lotsenrat" beschränken. Eine klare Trennung von allgemein nautischen Fragen, für die die Schiffsführung allein verantwortlich wäre, und Revierfragen, auf die sich Beratungspflicht und Haftung beschränken würden, läßt sich aber nicht durchführen2 • Der Lotse soll die Schiffsführung wegen der Schwierigkeiten des Fahrwassers beraten. Schlägt er ein bestimmtes Manöver vor, gibt er wie üblich direkt eine Weisung gegenüber dem Rudergänger, so bedürfte es zumeist einer komplizierten Erforschung der Motive des Lotsen für eben diese Anordnung, um festzustellen, was ihn zu dem Manöver veranlaßt hat. Daher muß der Versuch Segelkens, Unfallschäden auf Grund "allgemein nautischer Beratung" als inadäquat aus dem Verantwortungsbereich des Seelotsen auszuklammern3 , als schon im Ansatz verfehlt bezeichnet werden. Einmal ist hier nach der üblichen 1 2

3

Seelotsenrecht, S. 240, 322 f. OLG Hamburg, Hansa 1952, 1368; zustimmend Hasche, ebenda. Segelken, Seelotsenrecht, S. 240, 322 f.

I. Haftungsnormen

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Adäquanzforme14 keinesfalls an der adäquaten Verursachung zu zweifelns, zum anderen wird hier eine "normative Verantwortungsverteilung" unter Vortäuschung einer objektiven Kausalitätsbetrachtung betrieben. Letztere Beobachtung kann man bei der Anwendung der Adäquanztheorie immer wieder machen6 • Trotz dieser unterschiedlichen Beurteilung des Umfangs der Beratungspflicht des Lotsen sind die praktischen Folgen dieser Divergenz geringer, als das auf den ersten Blick erscheinen mag. Je mehr nämlich das Schwergewicht einer von dem Seelotsen empfohlenen Maßnahme auf allgemein-nautischem Gebiet liegt, desto mehr stellt sich für ein Gericht die Frage eines Mitverschuldens der Schiffsführung. Es ist leichter festzustellen, die Schiffsführung hätte die Situation durch Seekarten, Radar und Leuchtfeuer ebenfalls erkennen müssen und richtig handeln können, als zu belegen, ein Lotsenrat sei nicht revierbedingt gewesen. b) § 823 BGB Als weitere Haftungsnorm kommt § 823 I BGB in Betracht, soweit bei einem von einem Lotsen verschuldeten Schiffsunglück Eigentum des Reeders beschädigt oder dieser persönlich verletzt wird. Schließlich haftet der Seelotse auch gegenüber dem Reeder gem. § 315 a StGB in Verbindung mit § 823 II BGB. § 315 a StGB dient wie alle Vorschriften zum Schutze der Verkehrssicherheit auch dem Schutze des einzelnen und ist daher als Schutzgesetz im Sinne des § 823 II BGB zu behandeln7 • 2. Die Haftung gegenüber Dritten

Gegenüber Reedern, Besatzungsangehörigen und Ladungsinteressenten außerhalb des von dem betreffenden Lotsen gelotsten Schiffes8 haftet dieser nicht nach Vertragsrecht, sondern nur nach allgemeinem Deliktsrecht9 • Diese Haftung könnte auch einmal einen Radarlotsen treffen. Dabei dürfte jedoch in aller Regel ein ganz überwiegendes Mitverschulden der Schiffsführung und/oder des Bordlotsen vorliegen, so daß ein ernsthaftes Haftungsrisiko kaum besteht. 4 Vgl. dazu Rother, Haftungsbeschränkung, S. 8 f.; Palandt - Heinrichs. vor § 249, Anm. 5 b, aa; siehe auch unten im 5. Kap. unter H.3. 5 Segelken versucht vielmehr, den Inhalt der vom Seelotsen geschuldeten

vertraglichen Leistung einzuschränken. Das ist aus den im Text genannten Gründen jedoch nicht möglich. 6 Vgl. dazu unten im 5. Kap. unter 11. 3. 7 Vgl. Palandt - Thomas, § 823, Anm. 9 b; Soergel- Zeuner, § 823, Rz 344; BGHZ 19, 114 (126). 8 Der Sonderfall, daß ein Kollisionsgegner derselben Reederei angehört, sei hier einmal vernachlässigt. 9 Siehe dazu oben in diesem Kap. unter 1. 1. b).

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4. Kap.: Die Haftung des Seelotsen

Im Zusammenhang mit Ladungsschäden auf dem gelotsten Schiff stellt sich die Frage, ob hier der Reeder des gelotsten Schiffes im Wege der Drittschadensliquidation gegen den Lotsen vorgehen kann und ob diesen vertragliche Haftungsausschlüsse des Reeders mit den Ladungsbeteiligten gegebenenfalls schützen.

a) Sachschäden der Ladungsbeteiligten Für die Sachschäden, die ein Ladungsbeteiligter, insbesondere der Befrachter. durch nautisches Verschulden des Seelotsen erleidet, haftet der Reeder nicht (§ 607 11 HGB), es sei denn, ihn träfe ein eigenes Verschulden. Der Lotse bleibt daher frei von vertraglichen Schadensersatzansprüchen, wenn der Reeder gegen ihn nicht im Wege der Drittschadensliquidation vorgehen kannlO • Die Abgrenzung des Instituts der Drittschadensliquidation von dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte ist im einzelnen streitig11 • Neuerdings wird vielfach sogar die Berechtigung einer Unterscheidung dieser Institute in Frage gestellt12 • Die Berechtigung dieser Kritik kann hier nicht geprüft werden. Ausgehend von der noch herrschenden Differenzierung beider Institute trifft Berg 13 den Unterschied wohl richtig, wenn er die Drittschadensliquidation für die Fälle vorsieht, in denen der anspruchsberechtigte Gläubiger vermögensrechtliche Interessen des Dritten wahrnimmtU, während der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte eine für den Schädiger erkennbare persönliche Einbeziehung des Dritten in den Vertragsbereich voraussetztU,. Das dürfte vor allem dann der Fall sein, wenn sich - wie Söllner betont16 - "das Schutzinteresse des Dritten in einem besonders engen persönlichen Verhältnis zum Vertragspartner des Ersatzpflichtigen manifestiert". Demgegenüber liegt eine Wahrnehmung vermögensrechtlicher Interessen anerkanntermaßen dann vor, wenn der Gläubiger als berechtigter Besitzer einer fremden Sache diese kraft Vertrages in die Obhut 10 Es wird hier davon ausgegangen, daß Reeder (bzw. Ausrüster) und Verfrachter identisch sind. Diese Identität braucht nicht zu bestehen (Abraham, Seerecht, S.114). 11 Vgl. Berg, MDR 1969, 613 f.; Palandt - Heinrichs, vor § 249, Anm. 6 b; § 328, Anm. 2 b; SöHner, JuS 1970, 159 (162 f.); v. Wurmb, Haftung des Verfrachters, S. 168 f. 12 Vgl. v. Wurmb, S. 168 f.; kritisch auch SöHner, Jus 1970, 163/164; Gernhuber, JZ 1962, 553 (556). 13 MDR 1969, 616. 14 a.A. nunmehr Medicus, Bürgerliches Recht, S.325; BGHZ 49, 350 (354). 15 Berg, S. 616. 16 SöHner, S. 164.

I. Haftungsnonnen

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des Schuldners bringt11. Lezteres trifft beispielsweise für das Verhältnis Befrachter-Verfrachter im Hinblick auf die anderen Ladungsbeteiligten ZU 18. Der Verfrachter nimmt die Güter in seine Obhut und sorgt für deren Beförderung. Der Lotse ist dagegen in diese Güterbeförderung unmittelbar nicht eingeschaltet. Inhalt des Lotsenvertrages ist nicht die Beförderurig fremder Güter. Außerdem fehlt die nach der neueren Rechtsprechung für die Annahme einer Drittschadensliquidation entscheidende Schadensverlagerung auf eine Person, die selbst keine Schadensersatzansprüche hat19. Der Ladungseigentümer kann auf Grund deliktischer Ansprüche gegen den Lotsen vorgehen. Die als unbillig empfundene Bevorzugung des Schädigers auf Grund einer zufälligen Schadensverlagerung20 besteht daher gar nicht21 • Nur in den Fällen der Gefahrentlastung gern. § 447 BGB22, die auch im Seefrachtrecht möglich sind, erscheint eine Anwendung des Instituts der Drittschadensliquidation als angebracht. Dieses Ergebnis folgt auch aus der Erwägung, daß jedenfalls die Besatzungsangehörigen (für die dieselbe Problematik besteht) dem Ersatzbegehren des klagenden Reeder-Verfrachters ihren arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruch23 entgegenhalten könnten. Damit würde die Schadensliquidation durch den Reeder, der womöglich gern. § 607 II HGB selbst gar nicht haftet, sinnlos. Hat auch der Lotse einen Freistellungsanspruch aus schadensgeneigter Arbeit, so gilt für ihn dasselbe. Somit kann der Reeder nur in dem Fall der Gefahrentlastung Ladungsschäden selbständig gegen den Seelotsen auf der Grundlage einer Verletzung des Lotsenvertrages im Wege der Drittschadensliquidation geltend machen24 . 11 RGZ 93, 39 (41); BGHZ 15, 224 (228); 40, 91 (101); BGH LM § 510 HGB Nr. 3; BGH NJW 1969, 789 (790). 18 Zur Drittschadensliquidation in diesem Bereich vgl. Prüssmann, § 485, Anm. D6c. 19 Zu dieser Eigenart der Drittschadensliquidation vgl. Canaris, JZ 1968, 494 (499); Medicus, Bürgerliches Recht, S. 325; SölZner, JuS 1970, 163; Larenz, Schuldrecht I, § 27 IV 2 (S. 328/329). 20 Vgl. dazu SöHner, S. 164. 21 Heinrichs, Palandt - Heinrichs, vor § 249, Anm. 6 b, bb, will die Drittschadensliquidation offenbar auch beim Bestehen deliktischer Ansprüche zulassen. Das entspricht zwar einer Tendenz einer Ausuferung der vertraglichen Haftung (vgl. dazu unten im 7. Kap. unter H.), nimmt dem Institut aber seine innere Rechtfertigung. 22 Vgl. dazu Palandt - Heinrichs, vor § 249, Anm. 6 b, cc; Berg, MDR 1969, 613; SöHner, JuS 1970, 162/163; unentschieden in BGHZ 49, 356 (361). 23 Vgl. dazu Prüssmann, § 485, Anm. F 2. !4 Die Problematik hinsichtlich des Freistellungsanspruches bleibt allerdings bestehen.

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4. Kap.: Die Haftung des Seelotsen

Da die deliktische Verantwortlichkeit des Seelotsen von § 607 II HGB unberührt bleibt und nach geltendem Recht die Haftungshöchstsummen des § 660 HGB für ihn nicht eingreifen, gewinnt die Frage besondere Bedeutung, ob die in den Konnossementen25 üblichen Freistellungsklauseln für "servants and agents of the carrier" (Himalaya-Klauseln)26 auf den Seelotsen erstreckt werden können. Diese Himalaya-Klauseln werden in der Regel als Verträge zugunsten Dritter angesehen27 • Soll der Seelotse auch durch diese Klauseln geschützt werden, so muß er "servant" oder "agent" sein. Der Begriff "servant" wird im englischen Rechtskreis relativ eindeutig im Sinne eines abhängigen Dienstleistenden verwendet, der unserem Arbeitnehmer entspricht28 • Gemäß der herrschenden Meinung von der besonderen Natur des Arbeitsverhältnisses kann ein Seelotse nicht als "servant" angesehen werden29 • Anders steht es dagegen bei dem Begriff "agent". Er kann auch den unabhängigen Vertragspartner (= independent contractor) einschließen. Das hat auf der X. Diplomatischen Seerechtskonferenz Anlaß für eine gründliche Diskussion gegeben30, so daß der Wortgebrauch hier gut bestimmbar ist. Klauseln, die den Begriff "agent" enthalten, sind daher auch auf Seelotsen anwendbar. In Zweifelsfällen muß bei der Auslegung ebenso verfahren werden wie bei der analogen Anwendung der Haftungsvorschriften31 , wo immer eine Gleichstellung der Lotsen mit der Schiffsbesatzung angestrebt wurde32 • Die Himalaya-Klauseln befreien daher in aller Regel auch den Seelotsen von seiner Haftung gegenüber den Ladungsbeteiligten, so daß bei ihm dann weder ein Drittschaden liquidiert werden kann, noch eine direkte Inanspruchnahme durch einen Ladungsbeteiligten möglich ist. Wegen des wechselnden Wortlautes der Klauseln ist eine Abweichung hiervon wohl möglich, aber entsprechend der empfohlenen Tendenz der Auslegung nicht sehr wahrscheinlich. 25 Die Konnossementsbedingungen werden in aller Regel auch Inhalt des Frachtvertrages. Vgl. Abraham, Seerecht, S.118, 137. 26 z. B. Schaps - Abraham, Bd. II, § 607 HGB, Anm.38: "The servants and agents of the carrier shall not be liable in their personal capacity for any loss of or damage or delay to the cargo whatsoever and wheresoever arising and all rights, defenses, and immunities of whatsoever nature referred to in this Bill of Lading applicable to the carrier shall in all respects enure also for the benefit of any servants or agents of the carrier." 27 BGH MDR 1960, 907; OLG Bremen, Hansa 1960, 1641 (1642). 28 Vgl. die Denkschrift zum Brüsseler übereinkommen über die Reederhaftung von 1957, S.35; auch die Protokolle der X. Diplomatischen Seerechtskonferenz, S. 324 f. 29 a.A. Segelken, Seelotsenrecht, S.369/370. 30 Protokolle, S. 324 f. 31 Vgl. dazu oben im 3. Kap. unter I. 1. 32 Die Klauseln sind daher weit auszulegen; vgl. dazu auch BGH MDR 1962, 207/208.

I. Haftungsnormen

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b) Körperschäden der Besatzung und der Passagiere

Der Lotsenvertrag besteht zwischen dem Seelotsen und dem Reeder des Schiffes. Es ist jedoch zu prüfen, ob die Schiffsbesatzung und die Passagiere in den Schutzbereich dieses Vertrages einzubeziehen sind. Durch die Beratung des Seelotsen soll das gelotste Schiff möglichst sicher vor den besonderen Gefahren des Lotsenreviers auf See oder in den Hafen gelangen. Der Zweck der Lotsenberatung ist dann aber nicht allein die Sicherung der materiellen Interessen des Reeders, sondern auch die Befriedigung des Sicherheitsbedürfnisses von Besatzung und Passagieren. Dem Seelotsen ist auch erkennbar, daß der Reeder diesen Personen, die zur Gefahrengemeinschaft des Schiffes gehören, zu Schutz und Fürsorge verpflichtet ist. Folglich ist es notwendig, unter den Schutzbereich des Lotsenvertrages auch die körperliche Integrität von Besatzung und Passagieren zu fassen, die den Gefahren der Schlechtleistung des Lotsen in Person ausgesetzt sind33, während das der Reeder in der Regel nicht ist. Allerdings sind die Besatzungsmitglieder nach der RVO gegen Seeunfälle versichert, so daß insoweit zumeist nur ein Rückgriff der Sozialversicherung über § 1542 RVO in Betracht kommt. 3. Das Mitverschulden von Reeder und Besatzung

Bei Schiffsunfällen, die ein Lotse durch fehlerhafte Beratung verursacht hat, trifft oft auch die Besatzung des gelotsten Schiffes34 ein Verschulden. Das ergibt sich besonders daraus, daß die Verantwortung der Schiffsführung auch während der Lotsenberatung voll bestehen bleibt, so daß diese verpflichtet ist, die Situation des Schiffes nach eigenen nautischen Erkenntnissen zu überprüfen und nicht dem Lotsenrat "blind" zu vertrauen. So wurde dann auch in 18 von 40 vom Verfasser untersuchten Schuldsprüchen der Seeämter ein Mitverschulden der Schiffsführung festgestellt36 • Da zwischen Reeder und Seelotse ein Vertragsverhältnis besteht, ist die von der Rechtsprechung geforderte Sonderverbindung36 als Voraussetzung für die Anwendung des § 278 BGB im Rahmen des § 254 BGB gegeben. 33 Zu den genannten Voraussetzungen einer Erstreckung des Schutzbereiches vgl.: BGHZ 49, 278 (279); 51, 91 (96); Medicus, Bürgerliches Recht, S. 326 f.; SölZner, JuS 1970, 159 (164). 34 Vgl. v. Wurmb, Die Haftung des Verfrachters, S.100. Die Fälle in denen der Reeder das Schiff selbst fährt, kommen vorwiegend in der Kleinschifffahrt vor, in der Lotsen selten tätig sind. 35 Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind unten im 9. Kap. dargestellt. 36 BGHZ 3, 46 (49/50); 36, 329 (338); Soergel-Schmidt, §254, Rz 58, 59; OLG Hamburg MDR 1952, 681/682.

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4. Kap.: Die Haftung des Seelotsen

Entsprechendes gilt, wenn der Schaden durch ein mitwirkendes Verschulden der Besatzung eines Kollisionsgegners entstanden ist, der demselben Reeder gehört3 1• Die Besatzung dieses Schiffes wird zwar nicht zur Erfüllung einer Leistungspflicht gegenüber dem Lotsen tätig, wohl aber zur Wahrung des "eigenen Interesses" des Reeders, nämlich der sicheren Fahrt beider Schiffe. Die Wahrung des "eigenen Interesses" reicht zur Anwendung des § 254 BGB, bzw. des § 736 HGB, aus38 • Nachdem nunmehr das System der Haftungsbestimmungen soweit erörtert ist, wie es für das Vertragsverhältnis Reeder-Seelotse von Bedeutung ist, stellt sich nun die entscheidende Frage, in welchem Umfang ein Seelotse für die Folgen einer fehlerhaften Beratung aufzukommen hat.

n. Der Umfang der Haftung des Seelotsen (Tell 1) Die Reform des Seerechts im Jahre 19723t eröffnet den Seelotsen wie der Besatzung bei von ihnen verschuldeten Sach- und Personenschäden ebenfalls die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung nach dem nunmehr eingeführten Summenhaftungssystem (§ 487 III n. F.). Diese Haftungsbeschränkung gilt auch für die deliktische Verantwortlichkeit des Lotsen und fällt daher aus dem Rahmen der üblichen gesetzlichen Haftungsbeschränkungen heraus40 • Sie ist an die Voraussetzung geknüpft, daß auch der Reeder, Charterer oder ein Besatzungsmitglied mit dem Seelotsen gesamtschuldnerisch haftet und diese Haftung· gern. § 486 HGB beschränken kann41 • Bei einem Schadensfall wird sich die Haftungsbeschränkung durch den Seelotsen in aller Regel so abspielen, daß der Reeder (seine Versicherung) die Haftungssumme einzahlt (§ 487 a HGB, § 6 Vertü) , der Lotse auf den Fond, der immer nur einmal aufgebracht zu werden braucht (§ 487 aI 2 HGB n. F.), verweist, und der Reeder den Lotsen später auf Ausgleichung in AnspruGh nimmt (§ 487 d HGB n. F.)4!. Die Ausweitung dieser Möglichkeit der Haftungsbeschränkung auch auf die Seelotsen war in dem Brüsseler Abkommen von 1957 über die 37 BGH Hansa 1970, 204; zur Frage, ob § 254 BGB oder § 736 HGB anzuwenden ist, vgl.: BGH MDR 1959, 551 mit ablehnender Anm. von Sieg, S. 731; Prüssmann, § 736 HGB, Anm. C. 38 BGHZ 3, 46 (49/50); 36, 329 (338/339); Palandt - Heinrichs, § 254, Anm.1. 39 Seerechtsänderungsgesetz vom 21. Juni 1972 (BGBl. Teil I, S. 966). Das Gesetz ist gemäß seinem Art. 8 im April 1973 in Kraft getreten. 40 Freise, Reederhaftung, S. 125. 41 Gern. §§ 487 I, III 2, 486 II Ziff. 2 HGB n. F, sollte auch dem Radarlotsen diese Haftungsbeschränkung zugute kommen. 42 Vgl. zu den Einzelheiten insbesondere Freise, Reederhaftung, S. 127 f., 167 f., 178 f.

II. Der Umfang der Haftung des Seelotsen (Teil 1)

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Beschränkung der Haftung der Eigentümer von Seeschiffen nicht vorgesehen43 • Sie ist das erste konkrete Ergebnis der nun schon Jahrzehnte währenden Bemühungen der deutschen Seelotsen um eine Erleichterung ihres beruflichen Haftungsrisikos 44 • Betrachtet man die Höhe der Haftungssummen, so ist dieser Erfolg freilich nicht besonders hoch anzusetzen45 • Bei einem Schiff von 10 000 NRT46 wird die Haftungssumme nach der augenblicklichen Goldparität41 bei 2,4 Mill. DM für Sachschäden, bzw. 7,5 Mill. DM für Personenschäden liegen. Demgegenüber liegen die Haftungshöchstsummen nach dem StVG erheblich niedriger, während nach dem LVG, das auch das Summenhaftungssystem enthält, für Sachschäden ebenfalls Millionenbeträge fällig werden können. Ausländische Rechte beschränken dagegen die Haftung der Lotsen für fahrlässiges Verhalten auf Beträge, die die Bezeichnung Schadensersatz kaum noch verdienen. So ist im englischen Recht die Lotsenhaftung nach dem Pilotage Act von 1913 auf 100 t beschränkt48 • Diese Summen sind für das deutsche Schadensersatzrecht indiskutabel. Der Gesetzgeber hat sich bisher nur bei der Haftung des Bilanzprüfers (§ 168 AktG) auf eine Begrenzung der Verschuldenshaftung verstanden, die immerhin bei 500 000 DM liegt49, sowie auch bei der Haftung des Verfrachters gegenüber dem Befrachter (§ 660 HGB), die relativ niedrig ist50 • Der Einbruch in die Verschuldenshaftung durch die arbeitsrechtlichen Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit wurde schon oben erwähnt. Die Frage, ob eine weitere Haftungsbeschränkung über die neuen Höchstsummen hinaus berechtigt wäre, läßt sich hier noch nicht beantworten. Der Gesetzgeber hat die Berechtigung des Wunsches der Seelotsen nach einer Haftungsmilderung anerkannt51 • Eine Berufshaft43 Amtliche Begründung zu § 487 HGB, S. 16. 44 VgI. schon EMers, HRZ 1927, Sp.41 (46/47); Skorczewski, Der Deutsche Lotse, 1933, 16 f.; Segelken, Die Rechtsstellung des Lotsen, 1923, S.153 f., 160/161; ders., Seelotsenrecht, S. 314. 45 Zu der Berechnung der Haftungshöchstsummen vgI. § 487 a HGB. 46 Für die Berechnung des maßgeblichen Raumgehalts vgI. § 487 a II HGB. 41 Die Goldparität wurde zuletzt am 24. Okt. 1969 festgesetzt (Bundesanzeiger Nr.201 vom 28. Okt. 1969). Die tatsächlichen Wertrelationen der verschiedenen Währungen haben sich inzwischen erheblich verändert. Es erscheint auch durchaus fraglich, ob eine neue Goldparität der DM überhaupt noch einmal festgesetzt werden wird. 48 VgI. zu den Einzelheiten Marsden, Law of Collisions, S.51/52; Segelken, Seelotsenrecht, S.373; Skorczewski, Der Deutsche Lotse, 1933, 16 (20). 49 VgI. dazu Brönner, Großkommentar AktG, § 168, Anm.18; Schmölder, JW 1930, 3687; kritisch: Ritter, AktG von 1937, § 42, Anm.9; Fischer, Großkommentar AktG (1937), § 42, Anm. 19. 50 1250 DM pro Packung; vgI. dazu Prüssmann, § 660, Anm. BI, 3; Abraham, Seerecht, S.165. 51 Amtliche Begründung zum Seerechtsänderungsgesetz, S. 16.

4 Hübner

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4. Kap.: Die Haftung des Seelotsen

pflichtversicherung für die Seelotsen ist bisher unerschwinglich und würde auch nur zu einer doppelten Versicherung derselben Risiken führen 52 • Die Seeversicherung enthält nämlich in aller Regel eine Kaskoversicherung für das Schiff und eine Haftpflichtversicherung für alle Haftungsfälle, die den Reeder treffen können53 • Dennoch streben die Seelotsen seit langer Zeit eine Haftungsbeschränkung in Höhe eines tragbaren Versicherungsrisikos an54 • Es erscheint jedoch fraglich, ob damit einem der Beteiligten - mit Ausnahme der Seeversicherer gedient wäre. Die Bedeutung dieser Frage ist ohnehin davon abhängig, ob de lege lata genügende Möglichkeiten einer Haftungsbeschränkung für den Seelotsen gegeben sind oder nicht. Dafür stehen möglicherweise zwei Wege zur Verfügung. Der eine ist der einer vertraglichen Haftungsmilderung, der andere die Anwendung der arbeitsrechtlichen Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit. 1. Vertragliche Haftungsbeschränkung zwischen Reeder und Seelotse

Die Idee einer vertraglichen Haftungsbeschränkung der Lotsen gegenüber dem Reeder, die eine Haftungsbeschränkung in den Frachtverträgen abstützen könnte55 , ist vor einiger Zeit von Willner 56 wieder aufgegriffen worden. Er schlägt vor, die Lotsen sollten als "selbständige Unternehmer" ihre Haftung durch Einführung von allgemeinen Geschäftsbedingungen beschränken. Einen ähnlichen Versuch hatte das Deutsche Reich am Anfang des Jahrhunderts für seine Haftung bei Verschulden der Lotsen auf dem Nordostseekanal ohne Erfolg unternommen. Nachdem zunächst eine Haftungsbeschränkung durch die Betriebsordnung selbst gescheitert war5 7, hatte das Kanalamt dann versucht, den Haftungsausschluß durch ein vom Kapitän zu unterschreibendes Revers zu erreichen. Auch das wurde vom Reichsgericht nicht gestattet58 • Von der Prämisse ausgehend, 52 Bei einer meines Erachtens viel zu niedrigen - Haftungssumme von DM 50000,- läge die jährliche Versicherungsprämie etwa bei DM 600,bis DM 700,-, bei DM 100 000,- bereits bei DM 850,- bis DM 950,-. Naturgemäß würden die Seelotsen versuchen, die Prämien über die Lotsgelder auf die Reeder abzuwälzen. Auf diese Zusammenhänge wird unten noch ausführlich eingegangen (vgl. im 9. Kap. unter V.3.). 53 Möller, Versicherungsvertragsrecht, S.27, 141, 149. 54 Hasche, Hansa 1952, 1368 (1371); Segelken, Seelotsenrecht, S.373; die Lotsen denken dabei an eine Höchstsumme von DM 5000,- (!). 55 Vgl. dazu oben im 4. Kap. unter 1.2. a). 56 Vortrag vor dem Bremer Nautischen Verein, Bremer Nachrichten vom 15. 2. 1964, S. 17. 57 RGZ 45, 162 f. (166/167). 58 RGZ 62, 264 (266); 68, 358 (366/367).

II. Der Umfang der Haftung des Seelotsen (Teil 1)

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der Nordostseekanal solle dem allgemeinen Verkehr als öffentliche Wasserstraße dienen, sah das Reichsgericht in einem Haftungsausschluß den Mißbrauch eines tatsächlichen Monopols und damit einen Verstoß gegen die guten Sitten. Es betrachtete den Haftungsausschluß als unbillig und unverhältnismäßig gegenüber einem Publikum, dem eine anderweitige Wahrung seiner Interessen nicht möglich sei59• Diese Bedenken bei Haftungsausschlüssen von Monopolbetrieben sind bis heute erhalten geblieben60 • Da auch die Seelotsen faktisch eine monopolähnliche Stellung in ihrem Revier haben, muß eine Freizeichnungsklausel ähnlich scharf geprüft werden. Hierbei werden die folgenden drei Erwägungen angestellt, die Beachtung verdienen: Die Gültigkeit einer Freizeichnungsklausel wird großzügiger bejaht, wenn der Vertragspartner die Möglichkeit hatte, das betreffende Schadensrisiko zu versichern61 • Das ist bei einem Reeder immer der Fall. Mit Ausnahme der Staatsschiffe sind praktisch alle Seeschiffe seeversichert6 2 • Derartige Haftungsausschlüsse seiner Vertragspartner werden dem Versicherungsnehmer auch nicht über § 67 I 3 VVG zum "Verhängnis, solange sie sich in einem verkehrsüblichen Umfang bewegen63 • Weiterhin hält man eine formularmäßige Freizeichnung für zulässig, soweit sie eine sachlich vertretbare Beschränkung übermäßiger Schadensrisiken zum Gegenstand hat 64 • Danach müßte wegen der beträchtlichen Schadensrisiken in der Seeschiffahrt eine Haftungsbeschränkung in gewissem Umfang möglich sein. Einer vertraglichen Haftungsbeschränkung im Wege eines formularmäßigen Ausschlusses kann jedoch entgegenstehen, daß sich diese Haftungsbeschränkung auf die Erfüllung einer vertraglichen Hauptpflicht (Kardinalpflicht) bezieht. Formularmäßige Freizeichnungen bezüglich "grundlegender Vertragspflichten" werden überwiegend als unzulässig angesehen65 • Das OLG Hamburg hat einen formularmäßigen Haftungsausschluß eines Steuerberaters für leichte Fahrlässigkeit für unzulässig RGZ 62, 264 (266). Soergel- Hefermehl, § 138, Rz 60; Palandt - Heinrichs, § 138, Anm. 5 a,bb. 61 BGHZ 33, 216 (220); BGHZ 43, 295 (298/299); OLG Bremen VersR 1964, 782 f.; Soergel- Hefermehl, § 138, Rz 60. 62 Zum Deckungsbereich der Seeversicherung vgl. Möller, Versicherungsvertragsrecht, S.27, 141, 149. 63 BGHZ 22, 109 (119); Möller, S.190. Was vorliegend "verkehrsüblich" wäre, kann wohl nur daran gemessen werden, daß die Seelotsen von den Seeversicherern bisher überhaupt nicht in Anspruch genommen werden. Der Haftungsausschluß für leichte Fahrlässigkeit dürfte daher sicher kein Verstoß gegen 67 I 3 VVG sein (bzw. § 45 II ADS). 64 Palandt - Heinrichs, § 276, Anm. 5 B, b, ce mit weiteren Nachweisen. 65 Palandt - Heinrichs, § 276, Anm. 5 B, b, bb; Schmidt-Salzer, NJW 1968, 1622; BGHZ 49, 356 (363); OLG Hamburg MDR 1971,763 (764). 59 60



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4. Kap.: Die Haftung des Seelotsen

erklärt, weil das Verhältnis zwischen diesem und seinen Mandanten keine Besonderheiten aufweise, die eine Abweichung von der allgemeinen Interessenbewertung des Gesetzgebers rechtfertige66 • Eine summerunäßige Beschränkung (50 000 DM) blieb dagegen ohne Beanstandung66 • Demnach ist die Zulässigkeit einer formularmäßigen Haftungsbeschränkung auf einen Höchstbetrag, der unter dem der beschränkten Reederhaftung liegt, generell zu bejahen61 • Die Haftungsbeschränkung hinsichtlich des Verschuldensgrades68 hängt dagegen von einer Interessenbewertung ab, die hier noch nicht vorgenommen werden kann. Die Frage der Interessenbewertung deckt sich mit der der Risikoverteilung, die hier erst noch zu klären ist69 • Faßt man die bisher erörterten Möglichkeiten einer Haftungsbeschränkung für die Seelotsen de lege lata zusammen, so ergibt sich zunächst folgendes Bild: Die Reform der Reederhaftung gewährt einem Seelotsen in aller Regel die Haftungsbeschränkung nach dem Summenhaftungssystem mit sehr hohen Haftungssummen. Das gilt jedoch nicht für die Haftung gegenüber dem Reeder des gelotsten Schiffes, da dieser nicht Dritter im Sinne des § 487 HGB ist1°. Diesem gegenüber bleibt nach dem bisherigen Ergebnis der Untersuchung die volle Verantwortung bestehen. Diese Verantwortlichkeit könnte durch Einführung einer formularmäßigen Haftungsmilderungsklausel mit einem Höchstbetrag gemildert werden, die durch Erstreckung der Himalaya-Klauseln auf den Lotsen weiter abgesichert wäre. Es bleibt dann jedoch immer noch das beträchtliche Risiko, von einem Kollisionsgegner direkt in Anspruch genommen zu werden. Hier griffe nur der Schutz der Haftungshöchstsummen gem. § 487 a HGB ein. Es ist jedoch zweifelhaft, ob die vertragliche Durchsetzung einer niedrigeren Haftungshöchstsumme als in § 487 a HGB vorgesehen, die ohnehin nur einen lückenhaften Schutz bieten könnte, tatsächlich im Interesse der beteiligten Lotsen liegt. Mit Sicherheit wären sie nach Durchsetzung dieser Höchstsumme gezwungen, das ihnen verbliebene 66 OLG Hamburg NJW 1968, 302 (303). Die in der Entscheidung vorgenommene Berufung auf die Standesrichtlinien dürfte dagegen zu weit gehen. Die Entscheidung kann nicht von der Tendenz abhängig gemacht werden, die gerade in einer Standeskörperschaft herrscht. Letztere ist immer auch Interessenvertretung. 67 Dieser Höchstbetrag müßte meines Erachtens bei den Lotsen mindestens bei 100000 DM liegen. 68 Dagegen schon Hartmann, Hansa 1925, 1924 (1926). 69 Vgl. dazu unten den 3. Teil. 70 Das ergibt sich aus der Fassung der Vorschrift: Außer dem Reeder können auch die folgenden Personen ihre Haftung für ... Ansprüche '" Dritter beschränken.

II. Der Umfang der Haftung des Seelotsen (Teil 1)

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Risiko zu versichern. Das aber würde bedeuten, daß sie auf einmal - mit einer hinter ihnen stehenden Versicherung - als Haftungsobjekt interessant würden, was bisher nicht der Fall war71 • Die Frage, ob ein derartiges Verhalten dennoch zur Risikoverminderung tunlich wäre, hängt entscheidend davon ab, ob das bürgerliche Schadensrecht keine andere Möglichkeit bietet, das verbleibende, immer noch immense Schadensrisiko zu mildern. Besteht die privatrechtliche Haftung des Seelotsen nämlich in einem geringeren Umfang als bisher angenommen, so wäre die Durchsetzung einer formularmäßigen Haftungsbeschränkung mit all ihren Risiken nicht notwendig. Der Weg, über den eine einschneidende Haftungsmilderung herbeigeführt werden könnte, ist die übernahme des Systems des "innerbetrieblichen Schadensausgleichs" im Arbeitsrecht, der Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit in das bürgerlichrechtliche Schadensersatzrecht. 2. Haftungsbeschränkung aus schadensgeneigter Arbeit des Seelotsen

Der Bundesgerichtshof hat kürzlich in einem obiter dictum angedeutet, dem (Hafen-)Lotsen könne ein Freistellungsanspruch aus schadensgeneigter Arbeit gegen den Reeder, in dessen Diensten er stehe, zustehen72 • Dem Kapitän eines Binnenschiffes hat der BGH diese Haftungserleichterung bereits zugebilligt13 • Aus Kreisen der Lotsen wurde schon lange ein - gesetzlicher - Ausschluß der Haftung für Fahrlässigkeit verlangt74. Die Möglichkeit der Anwendung dieser Grundsätze scheint auch deshalb gegeben, weil es jedenfalls so aussieht, als ob sie faktisch bereits Geltung besäßen75 . Die Lotsen werden in Deutschland wie im Ausland78 nun schon beinahe traditionell nicht in Anspruch genommen77 . Nach einer vom Verfasser eingeholten Auskunft der Bremer Seeversicherer geschieht das, weil man wisse, daß die Seeschiffahrt mit besonderen Gefahren verbunden sei und daß menschliche Fehlleistungen dement71 Vgl. schon Hartmann, Hansa 1925, 1924 (1926); Ehlers, HRZ 1927, Sp.41 (47); vgl. zu derselben Problematik bei einer allgemeinen Arbeitnehmerhaftpflichtversicherung auch Hanau, BB 1972, 8. 72 BGH Hansa 1968, 1629 (1630). Vgl. aber AG St.Goar VersR 1968, 961. 73 BGH Hansa 1964, 1502 f. 74 Skorczewski, Der Deutsche Lotse, 1933, 16 (20/21); Kuhl, Hansa 1926, 1675 f.; kritisch Ehlers, HRZ 1927, Sp.41 (46). 75 Darunter ist keine Rechtsgeltung zu verstehen. Ob diese besteht, soll ja gerade geklärt werden. 76 Vgl. Marsden, Law of Collisions, S.311; Ripert, Droit Maritime, Bd. I,

Nr.873.

77 Vgl. dazu oben die Einleitung.

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4. Kap.: Die Haftung des Seelotsen

sprechend auch bei objektiver Geringfügigkeit zu hohen Schäden führen können. Die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit seien dafür allerdings nicht ursächlich gewesen. Auch Segelken78 meint, die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit seien auf das Verhältnis Reeder-Seelotse anwendbar. Diese These steht allerdings im Widerspnlch zu der bisherigen Rechtsprechung von BAG, BGH und auch im Gegensatz zur herrschenden Meinung in der Rechtslehre. Von diesen wird die Anwendung dieser Grundsätze von der Existenz eines Arbeitsverhältnisses abhängig gemacht79 • Der Lotsenvertrag ist jedoch der Dienstvertrag eines selbständig Tätigen. Damit stellt sich nun die entscheidende Frage, ob die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit auch auf Selbständige anwendbar sind. Das ist vereinzelt bereits bejaht worden80 • Diese Frage läßt sich aber nicht ohne Besinnung auf die Grundlagen der Schadenszurechnung entscheiden81 • In der bisherigen Diskussion sah man diese Grundsätze zu oft einseitig von der Person her, der die Haftungsmilderung zugute kommt. Dabei wurde dann weitgehend verkannt, daß hier eine Haftungsverschärfung für den Belasteten vorliegt, und zwar eine Haftung ohne Verschulden82 • Diese "objektive Zurechnung" gilt es dogmatisch zu erfassen und zu durchleuchten. Das wird nicht möglich sein, ohne gleichzeitig Erscheinungen unseres Schadensrechtes zu berücksichtigen, die ebenfalls eine solche objektivierende Tendenz zeigen, nämlich eine "Schadenszurechnung nach Risikosphären". Der Nachweis solcher Tendenzen unseres Schadensrechts soll die Aufgabe des zweiten Teils der Arbeit sein. Dabei wird auch zu entwickeln sein, nach welchen Prinzipien die Abgrenzung der Risikosphären erfolgt. Auf der Grundlage dieser Untersuchung wird es dann auch möglich sein, den Umfang der Haftung des Seelotsen für von ihm verschuldete Unfälle genauer zu bestimmen, als das bisher geschehen konnte.

78 Seelotsenrecht, S. 376 f.; a. A. für den Rheinlotsen: AG st. Goar, VersR 1968,961; BGH NJW 1973, 10l. 79 Vgl. dazu oben die Einleitung. 80 Canaris, RdA 1966, 41 f. (48); ders., Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S.181/182, Anm.37; LaTenz, JuS 1965, 373 (376); Fikentscher, Schuldrecht, S. 490; BeckeT-Schafjner, VersR 1971, 195 f. (198); Mohr, Kanalisierung, S.52/53. 81 Richtig CanaTis, Feststellung, S.181/182, Anm.37; Larenz, JuS 1965,376; auch Huber, Anton, Die Haftung des Geschäftsherrn, S. 70 f. 82 Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.69, mit weiteren Nachweisen, S. 70 f.; Meinert, DB 1958, 1328; unklar LaTenz, JuS 1965, 373 (375/376), der einseitig die HaftungsmiIderung betont.

Zweiter Teil

Der Risikogedanke im Schadensersatzrecht Vorbemerkung Gegenstand dieses zweiten Teils ist die Aufdeckung eines Prinzips der Schadenszurechnung als wirkendes Prinzip unseres Schadensersatzrechts. Es handelt sich um die im Titel der Arbeit bereits genannte "Schadenszurechnung nach Risikosphären" . Ihre Einbeziehung in das System des Schadensersatzrechts wird ein besseres Verständnis für verschiedene Erscheinungen dieses Rechtsgebietes ermöglichen, dessen innere übereinstimmung insbesondere durch die Entwicklung im Arbeitsrecht in Frage gestellt ist. Die folgende Untersuchung wird sich daher mit Erscheinungen unseres Schadensersatzrechts befassen, die - möglicherweise - Ausfluß der Schadenszurechnung nach Risikosphären sind. Die Formulierung eines "Risikogedankens" und der "Risikosphäre" wird an dieser Stelle bewußt unterlassen. Es kann hier ohnehin nicht darum gehen, dieses Prinzip der Schadenszurechnung nach Risikosphären zu einer subsumtionsfähigen Regel, zu einem "rechtssatzförmigen Prinzip"l auszubauen. Es soll auch keinesfalls damit jede Schadenszurechnung erklärt werden. Letztere ist unzweifelhaft eine Kombination vielfältiger Momente, deren Zusammenwirken Wilburg 2 eindrucksvoll dargestellt hat. Vielmehr geht es zunächst einmal um die Erhellung des Gehaltes dieses Prinzips durch Veranschaulichung seiner Erscheinungsformen in der Rechtswirklichkeit neben anderen Prinzipien. Erst damit kann eine Konkretisierung einhergehen, bei der es hier vor allem um die nähere Bestimmung der Funktion dieses Prinzips gehen wird3 • Wenn damit eine größere Klarheit über Zusammenhänge unseres Schadensersatzrechts erreicht werden kann, so ist das hier vorgenommene Ziel bereits erreicht. Nach dieser Klärung erscheint dann die interessen- und systemgerechte Lösung des Problems der schadensgeneigten Arbeit bei dem Dienstvertrag eines selbständig Tätigen als möglich. 1 Richtig: v. Schenck, Der Begriff der Sphäre in der Rechtswissenschaft insbesondere als Grundlage der Schadenszurechnung, S.403/404. Zu den "rechtssatzförmigen Prinzipien" vgl. Larenz, Methodenlehre S. 460 f.; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, §§ 84 f. 2 WiZburg, Die Elemente des Schadensrechts, 1941. 3 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S.461.

5. Kapitel

Der Satz "casum sentit dominus" Eine erste Erscheinungsform der Schadenszurechnung nach Risikosphären kann möglicherweise in dem Satz "casum sentit dominus" und in seiner Konkretisierung in der Rechtsdogmatik erblickt werden. Dieser gemeinhin auf das Römische Recht zurückgeführte Satz1 taucht immer wieder in der wissenschaftlichen Diskussion auf, eine Verfestigung zu bestimmten Konturen kann aber kaum festgestellt werden.

Max Rümelin2 formulierte ihn wie folgt: Der Satz bringe zum Ausdruck, "daß der Schaden auf demjenigen Vermögen haften bleibt, das er zunächst auf Grund der einmal vorhandenen Vermögensvertheilung und des Naturlaufs betroffen hat, ... solange keine präcisirbaren Grunde für die Zuweisung ... an andere Vermögen sich aufzeigen lassen". Rümelin sprach dem Satz jeden legislatorischen Wert ab3 • In der Formulierung Rümelins entspricht dieser Satz ganz evident der "Natur der Sache"4. Besteht keine Möglichkeit, den Schaden jemand anders zuzuweisen, so muß er zwangsläufig "eben" dort bleiben, wo er eingetreten ist. V. Schenck spricht daher von einem "naturgegebenen Axiom"5. Diese Entsprechung des Satzes mit der Natur der Sache sagt jedoch nichts aus über seine hier vermutete Geltung und Bedeutung als rechtliches Prinzip. Das Verhältnis von Rechtsordnung und Natur der Sache ist so zu sehen, daß die Natur der Sache dem Recht als Orientierung dient. Die Rechtsordnung kann an der den Dingen innewohnenden Ordnung nicht auf die Dauer vorbeigehen, will sie nicht das Ziel einer sinnvollen Ordnung verfehlen6 • Im Falle einer verfehlten gesetzlichen Regelung Vgl. Max Rümelin, Die Gründe der Schadenszurechnung, S. 13. M. Rümelin, S. 13, 14. 3 S.13. 4 Zur fortwährenden Bedeutung der Natur der Sache vgl. Canaris, Feststellung, §§ 107 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 388 f.; ders., Festschrift für Nikisch, S.275 (281 f.); Diesselhorst, Die Natur der Sache, S.3-28, 242-244. 5 v. Schenck, Der Begriff der Sphäre, S.90. G Larenz, Methodenlehre, S.389; ders., Festschrift für Nikisch, S.281, 287 bis 289; Canaris, Feststellung, §§ 107 f. 1

2

I. Die Ausfüllung des Satzes "casum sentit dominus"

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kann die Natur der Sache nach Diesselhorst7 der Rechtsprechung als Rechtsquelle dienen. Zum Rechtsprinzip kann der Satz "casum sentit dominus" jedoch erst dadurch erhoben werden, daß in ihm ein Prinzip erblickt werden kann, das in der Lage ist, im System der Prinzipien der Rechtsordnung einen eigenständigen Platz einzunehmen. Das ist jedenfalls bei der Formulierung des Satzes durch Rümelin zweifelhaft. In dieser Fassung besagt der Satz sehr formal und in hoher Abstraktion (= Inhaltsleere) nur, daß ein beliebiger Geschädigter allen Schaden zu tragen habe, für den andere ihm nicht ersatzpflichtig sind8 • In neuerer Zeit wird der Satz "casum sentit dominus" jedoch inhaltsreicher gesehen, als das bei Rümelin der Fall war.

I. Die Ausfüllung des Satzes "casum sentit dominus" Die inhaltliche Ausfüllung des Satzes "casum sentit dominus" über die oben erörterte formale Fassung hinaus wird mit nahezu identischen Formulierungen vorgenommen. Neben das Prinzip der "Sachzuständigkeit"9, das er enthalten soll, tritt das "allgemeine soziale Risiko"IO, das jedermann selbst zutragen habe. Schließlich wird in ihm ein Ausdruck für die "allgemeine Verantwortlichkeit für das eigene Verhalten und Handeln, für die eigene Lebensführung und für das eigene Dasein"11 erblickt, was auch schlagwortartig als "Verantwortlichkeit für die eigene Rechtssphäre"12 bezeichnet wird. Dieser dem Satz zugemessene Gehalt entspricht weitgehend13 den Vorstellungen unserer Gesellschaft und unserer Verfassungl4 • Mit S.244. Ebenso Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, S.5. 9 Gernhuber, AcP 152 (1952153), S. 69 f. (76/77); Rother, Haftungsbeschränkung, S. 160; Weidner, Mitverursachung, S.l1, 25. 10 Lüer, Begrenzung der Haftung, S. 124/125. 11 Heuer, Adäquanzurteil, S.159, 165; Rother, Haftungsbeschränkung, S. 87, 142, 160; Raiser, Haftungsbegrenzung, S.23; kritisch zum Begriff der Verantwortung in der Rechtswissenschaft: Weyers, Unfallschäden, S. 547 f. 12 Grundlegend v. Schenk, Der Begriff der Sphäre, S. 90 f., 403; vgl. auch Soergel- Schmidt, vor §§ 249-253, Rz 12, § 254, Rz 8; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, S.104; Brandt, Die Grenzen der persönlichen ärztlichen Haftung, S.56; Wilburg, Elemente, S.40; Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S. 35. 13 Die staatliche Daseinsvorsorge und die Möglichkeit privater Versicherung, die dieses Prinzip mit seinen Härten erst erträglich machen, fehlen bei den oben genannten Stellungnahmen meist in diesem Zusammenhang. Vgl. aber Rother, Haftungsbeschränkung, S.87, Esser, Gefährdungshaftung, S.90. 14 Vgl. dazu ausführlich Larenz, Allg. Teil, S. 68 f., ders., Schuldrecht I, § 20 I (S. 203 f.); Rümelin, Gründe der Schadenszurechnung, S.14, sieht da7 8

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5. Kap.: Der Satz "casum sentit dominus"

Schuldzurechnung und ethischer Verantwortung ist das entgegen Esser 15 nicht unbedingt gleichzusetzen. Damit soll nur ausgedrückt werden, daß unsere Rechtsordnung gewisse Risiken bewußt jedem Menschen zuordnet l6 • Dabei handelt es sich auch nicht um einen Zirkelschluß, wie Weyers 17 meint. Gewiß bestimmt erst die Rechtsordnung das Ergebnis der Schadenszuteilung und damit die rechtliche Verantwortlichkeit. Es ist aber nicht zu verkennen, daß diese Rechtsordnung dabei an der Natur der Sache nicht vorbeigehen kann, die eine willkürliche Schadensverteilung verbietet. Vage Vorstellungen von Verantwortlichkeit für Schäden existieren auch außerhalb der Rechtsordnung. Beides ergänzt sich gegenseitig, die Rechtsordnung konkretisiert die Verantwortung des einzelnen. Meint man diesen Gehalt, wenn man den Satz "casum sentit dominus" verwendet, so ist er nunmehr erheblich inhaltsvoller, als das die Formulierung RümeZins erwarten ließ. Gleichwohl besteht jedoch wenig Klarheit über seine Funktion 18 in unserer Rechtsordnung.

11. Die Funktionen des Satzes "casum sentit dominus" 1. Subsidiärer ZurecDnungsgrund

Die Ansicht, der Satz "casum sentit dominus" enthalte einen subsidiären Zurechnungsgrund, der immer, aber auch nur dann eingreife, wenn ein Dritter für den Schaden nicht haftbar gemacht werden kann, ist als die wohl herrschende zu bezeichnenl9 • Ihr entspricht auch Art 1311 AGBGB: "Der bloße Zufall trifft denjenigen, in dessen Vermögen oder Person er sich ereignet. Hat aber jemand den Zufall durch ein Verschulden veranlaßt; hat er ein Gesetz, das den zufälligen Beschädigungen vorzubeugen sucht, übertreten oder sich ohne Not in fremde Gegegen in dem Satz einen "notwendigen Verzicht auf eine im höchsten Sinn gerechte Vertheilung der Lebensgüter". 15 Esser, Schuldrecht I, § 44 II 1 b (S.300/301). 16 Insofern ist der Satz hier etwas enger verstanden, als in Larenz' Prinzip der persönlichen Verantwortung; der Unterschied wird hier noch herausgearbeitet werden; vgl. dazu auch Soergel- Schmidt, § 254, Rz 10; Baur, Karlsruher Forum 1962, 14 (16). 17 Weyers, Unfallschäden, S.549, meint, da Verantwortlichkeit das Ergebnis der Schadenszuteilung bezeichne, könne letztere nicht mit dem Begriff der Verantwortlichkeit erklärt werden; zur "Verantwortung" vgl. auch Reinecke, Objektive Verantwortung, S. 67 f. 18 Die Wichtigkeit der Aufdeckung von Funktionszusammenhängen betont Larenz, Methodenlehre, S. 450 f. 19 Soergel- Schmidt, vor §§ 249-253, Rz 12; Hesemann, Interesse und Gefährdung, S.2; Esser, Schuldrecht I, § 8 (S.51); Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, S.104; so zunächst auch v. Schenck, Der Begriff der Sphäre, vgl. zu ihm aber weiter im Text.

H. Die Funktionen des Satzes "casum sentit dominus"

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schäfte gemengt; so haftet er für allen Nachteil, welcher außer dem nicht erfolgt wäre." Diese Ansicht läßt sich allerdings weitgehend auf den formalen Satz Max Rümelins reduzieren. Vom Prinzip der Verantwortlichkeit für die eigene Rechtssphäre bleibt kaum etwas übrig. Festgehalten zu werden verdient jedoch die Erkenntnis, daß es sich um einen Zurechnungsgrund handeln so1l20, also um ein Rechtsprinzip und damit um mehr, als eine aus der Natur der Sache sich ergebende Folge ohne besonderen rechtlichen Gehalt, wie es Rümelin ausgedrückt hatte. 2. Genereller Zuremnungsgrund

Insbesondere v. Schenck 21 und Rother22 sehen die Funktion des Satzes "casum sentit dominus" weitaus umfassender. Von Schenk erblickt in der "VerantwortlichkEit für die eigene Rechtssphäre" das Gestaltungsprinzip schlechthin, das allen Zurechnungsprinzipien zugrundeliege23 • Bestimmend seien dabei die Elemente der "rechtlichen Macht" (Gefahrenbeherrschung) und des "rechtlichen Interesses" für die Zuordnung einer Gefahr zu der Sphäre einer Person24 • An der grundsätzlichen Richtigkeit dieser Feststellungen, die auf einer umfangreichen Untersuchung v. Schencks beruhen, dürfte kaum zu zweifeln sein. Im Gegenteil, es wäre erstaunlich und höchst fragwürdig, wenn es anders wäre. Die Rechtsordnung kann die Verteilung der Schäden einfach nicht ohne Berücksichtigung der Gefahrenbeherrschung (als Schadensabwendungsmöglichkeit) und des Interesses25 (an der Gefahrenlage) durchführen26 . In diesen Elementen bricht ebenfalls die Natur der Sache durch27 • Bei dieser Erkenntnis darf man jedoch nicht stehenbleiben. Sie hat bereits wieder einen derart hohen Abstraktionsgrad erreicht, daß ihre praktische Nutzanwendung fraglich wird28 . Erforderlich ist vielmehr der 20 Deutlich Gernhuber, AcP 152, 69 (76 f.). Nach Gernhuber ist dann der Geschädigte "sich selbst zum Schadensersatz verpflichtet" (S. 77). 21 v. Schenck, Der Begriff der Sphäre, S. 20 f., 377 f., 403/404; ähnlich auch Lüer, Begrenzung der Haftung, S. 45, 125. 22 Rother, Haftungsbeschränkung, S. 87 f. 23 v. Schenck, S. 20 f., 377 f. 403/404; vgl. auch Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.35/36; kritisch Esser, Schuldrecht I, § 44 H 1 b (S. 300 bis 301). 24 v. Schenck, S.380, 404; vgl. auch Reinecke, Objektive Verantwortung, S. 124 f.; 129 f. (144). 25 Zur Verwendbarkeit des Begriffs des Interesses kritisch Hesemann, Das Verhältnis von Interesse und Gefährdung zur Haftung, S.10 f. 26 Vgl. Würdinger in einem unveröffentlichten Gutachten, zitiert bei v. Schenck, S.395, Anm. 1; vgl. auch unten im 7. Kap. unter I.5. 27 Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S. 36. 28 Diese Schwäche erkennt v. Schenck, S.404 selbst.

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5. Kap.: Der Satz "casum sentit dominus"

Schritt zurück ins positive Recht, indem man überkommene und verfestigte Auslegungen und Lehrmeinungen mit dieser Einsicht erneut auf ihre tragenden Gedanken überprüft29 • Rother30 erkennt in dem Satz "casum sentit dominus" ebenfalls ein tragendes Gestaltungsprinzip unserer Rechtsordnung, auf dessen Geltung er vor allem im Rahmen des § 254 BGB hinweist31 • Die Möglichkeiten, die diese Einsicht für die Durchleuchtung weiterer Erscheinungen unseres Schadensersatz rechtes bietet, bleiben jedoch meist ungenutzt. Die gestaltende Kraft des Satzes "casum sentit dominus" wird unterschätzt. So ist er das Zurechnungsprinzip, um dessen Formulierung sich Adäquanztheorie, Normzwecktheorie und die Fortentwicklungen beider bemühen. Die Schwierigkeiten, die sich vor allem mit der Adäquanztheorie im Laufe der Zeit ergeben haben, beruhen insbesondere darauf, daß die Funktionszusammenhänge, die sich aus der Konkurrenz des Satzes "casum sentit dominus" mit anderen Zurechnungsprinzipien ergeben, weithin nicht erkannt wurden. Die mit Hilfe dieser Theorien erreichte Haftungseinschränkung ist nichts anderes als ein Ausfluß des Satzes "casum sentit dominus" als Schadenszurechnung zulasten des Geschädigten. 3. Adäquanz und "casum sentit dominus"

Trotz aller Angriffe, die gegen die Adäquanztheorie gerichtet wurden, hat diese ihre Position im Schadensersatzrecht - wenn auch eingeschränkt - behaupten können32 • Ein innerer Widerspruch der Adäquanztheorie muß in ihrer Erscheinung als Kausaltheorie erblickt werden, was Thalheim schlichtweg als "alten Zopf" bezeichnet33 • Die Folge ist, daß man hinter einer scheinbar objektiven Kausalitätsbetrachtung die eigene rechtspolitische Wertung verschleiert34 • Der Fehler liegt darin, daß auch nach dieser Theorie die Kausalität notwendige Voraussetzung einer Zurechnung ist. Das aber läßt sich nicht halten. 29 Die Bedeutung dieses dialektischen Verfahrens für die Rechtswissenschaft betont Larenz, Methodenlehre, S. 344, nachdrücklich. 30 Rother, Haftungsbeschränkung, S.87, 142, 160. 31 Rother, S. 87 f.; ebenso Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, S.104; Raiser, Haftungsbegrenzung, S. 23. 32 Vgl. Palandt - Heinrichs, vor § 249, Anm. 5 a, b. 33 Thalheim, Haftungsbegrenzung, S. 19, Anm.26; vgl. auch Münzberg, Verhalten und Erfolg, S.147/148, 190. 34 Das zeigt deutlich das obige Beispiel vom "revierbedingten Lotsenrat" (oben 4. Kap. I. 1 a); vgl. auch die Rechtsprechung des RG zur Rentenneurose, die dieser zeitweilig die Adäquanz abzusprechen versuchte: RGZ 103, 144 f.; RG DR 1942, 799; richtig BGHZ 20, 137 (141 f.); zu dieser Frage auch Friese, Haftungsbegrenzung, S. 181 f. (193 f.); vgl. zu dieser Verschleierung auch Schmidhäuser, Strafrecht Allg. Teil, 8/67; Friese, Haftungsbegrenzung, S.25 bis 26.

11. Die Funktionen des Satzes "casum sentit dominus"

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"Kausalität ist der Zusammenhang zwischen einer ersten Veränderung und einer zweiten, die durch die erste bewirkt wird"35. Demgemäß ist die "Kausalität des Unterlassens" eine Kategorie außerhalb des naturwissenschaftlichen Kausalgesetzes 36 . Larenz bezeichnet in seiner Lehre vom Aufbau der Tatbestände die Vorstellung einer vom Gesetz willkürlich geschaffenen Kausalität auch des Nichtgeschehenden oder Nichtvorhandenen zutreffend als "juristischen Mystizismus"31. Das gilt auch für die Kausalität des Unterlassens. Bienenfeld 38 weist auf die große Menge von Haftungstatbeständen ohne Verursachung durch den Haftenden hin. In Wahrheit geht es um wertende Zurechnung eines Verhaltens 39. Das wird durch den Versuch, mit Hilfe der Schöpfung einer "juristischen Kausalität" das Kausalitätsdogma zu retten, nur verdeckt40 • Die Tatsache, daß es sich letztlich um Zurechnungsprobleme handelt, wird besonders deutlich bei den im Strafrecht diskutierten Fällen der "tätigen Verhinderung der Erfolgsabwehr": X ist in Seenot, Y verhindert durch Sabotage das Auslaufen eines Rettungsschiffes, das X gerettet hätte. In der Ursachenkette, die zum Tod des X führt (z. B. altes Schiff, überladen, Sturm), taucht das Handeln41 des Y nicht auf, obwohl an seiner Verantwortlichkeit kein Zweifel bestehen kann42 • Die Adäquanz zwischen seinem Verhalten und dem Erfolg würde niemand verneinen. Darin zeigt sich die mit der Adäquanzbetrachtung vorgenommene wer35 So die Formulierung des allgemein anerkannten Gedankens bei Schmidhäuser, Strafrecht, Allg. Teil, 8/61 mit weiteren Nachweisen; vgl. auch Schischkoff, Philosophisches Wörterbuch, S.316. 36 Vgl. dazu treffend Reinecke, Objektive Verantwortung, S.27, 28, 42; Münzberg, Verhalten und Erfolg, S.43, 45, 148; Thalheim, Haftungsbegren-

zung, S.19, Anm.26; zum naturwissenschaftlichen Kausalbegriff vgl. auch Heisenberg, Das Naturbild der heutigen Physik, S.24/25; Schischkoff, S.316. 37 Larenz, Methodenlehre, S.214, Anm.2; vgl. auch Brecher, Festschrift für Nikisch, S.227 (237); LaTenz, NJW 1953, 686. 38 Bienenfeld, Haftung ohne Verschulden, S. 117 f.; vgl. auch Larenz, JuS 1965, 373 (374). 39 Esser, Schuldrecht I, § 44 Ir 1, 2 (S.300/301); LaTenz, Festschrift für Nikisch, S.275 (283); Brecher, S.227 (237); Mertens - Reeb, JuS 1971, 470/471; SchmidhäuseT, Strafrecht, Allg. Teil, 16/71 f.; Honsell, JuS 1973, 72. 40 Richtig Larenz, NJW 1955, 1009 (1011); ders., Schuldrecht I, § 27 Ir1 a (S. 314 f.); Blomeyer, Schuldrecht, S.172; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, S. 6, sowie die in der vorigen Anmerkung Zitierten. 41 Es liegt hier unstreitig eine Handlung, kein Unterlassen vor, so daß es auf die Garantenstellung des Y gerade nicht ankommt. 42 Vgl. zu diesen Fällen Schmidhäuser, Strafrecht, Allg. Teil, 8/69. Der Ursachenzusammenhang kann daher auch die negative, abgrenzende Funktion bei Haftungsbegründung und Folgenzurechnung, die ihm Esser, Schuldrecht I, § 44 I (S.299), jedenfalls für den Bereich des positiven Tuns beimißt, nicht. befriedigend erfüllen. Das verkennt auch Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, S. 34/35; vgl. dazu auch Fikentscher, Schuldrecht, § 49 Ir1 3 c (S.272); Reinecke, Objektive Verantwortung, S.27, 28, 42; zur verfehlten Begriffsbildung im Bereich der Kausalität vgl. auch Schmidhäuser, Einführung in das Strafrecht, S. 198.

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5. Kap.: Der Satz "casum sentit dominus"

tende Zurechnung, die inzwischen als der eigentliche Gehalt dieser Theorie allgemein anerkannt ist 43 . Die Gesichtspunkte dieser wertenden Zurechnung, die bei der Anwendung der Adäquanztheorie in Wahrheit vorgenommen wird, gilt es näher zu erfassen. . Als wichtigste Funktion der Adäquanztheorie erscheint zunächst die Einschränkung jeder Schadenszurechnung zu Lasten eines Schädigers auf "einigermaßen wahrscheinliche Schadensverläufe und Schadensfolgen"44, wobei eine objektiv nachträgliche Prognose angestellt wird. Da sich nämlich Rechtsprechung und Lehre fast einhellig sowohl bei "haftungsbegründender" als auch bei "haftungsausfüllender Kausalität" nach wie vor an die - als unzureichend erkannte - Äquivalenztheorie gebunden fühlen45 , bedarf man jedenfalls im Rahmen der "haftungsausfüllenden Kausalität"46 zwingend einer Einschränkung der Schadenszurechnung47. In ihrer weithin üblichen negativen Formulierung48 erscheint die Adäquanztheorie als Mittel der Haftungsbegrenzung49, als immanente Schranke des "Alles-oder-Nichts-Prinzips"50. Die Adäquanztheorie dient daher als Mittel der Grenzziehung für den Wirkungsbereich von Zurechnungsprinzipien51 und damit als Instrument 43 BGHZ 3, 261 f.; BGH VersR 1963, 262/263; Palandt - Heinrichs, vor § 249, Anm. 5 b, bb; Soergel- Schmidt, vor §§ 249-253, Rz 21; Larenz, NJW 1955, 1011/12; ders., Festschrift für Nikisch, S.275 (283); Sieg, Anm. zu BGH JZ 1956, 177 (178); Lindenmaier, ZHR 113, 203 f. (242); Rother, Haftungsbeschränkung, S.8; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, S.26, 40; a. A. bezüglich der Wertung: Esser, Schuldrecht I, § 44 III 2 (S.304); Raiser, Haftungsbeschränkung, S. 99. Sie verkennen, daß hier wertende Zuordnung erfolgt, da sich das Ermessen des Richters nicht auf empirische Faktoren beschränkt. Eine solche Trennung ist praktisch undurchführbar. 44 Rother, Haftungsbeschränkung, S. 9; Lüer, Begrenzung der Haftung, S. 85 f.; Friese, Haftungsbegrenzung, S. 20 f. 45 Vgl. dazu BGHZ 2, 138 (140), BGH NJW 1971, 1980; Palandt - Heinrichs, vor § 249, Anm. 5 b, aa; Soergel- Schmidt, vor §§ 249-253, Rz 19; Esser, Schuldrecht, § 44 III 2 (S. 304); Larenz, NJW 1955, 1009; Scheffler, Haftpflichtgefahr, S. 22. 46 Bei der "haftungsbegründenden Kausalität" (vgl. zu dieser Larenz, Schuldrecht II, S. 355; Friese, Haftungsbegrenzung, S. 5 f.) reicht dagegen der "Filter" der Fahrlässigkeit aus, um zu entfernt liegende Schäden abzuschneiden: Huber, JZ 1969, 678 f. (680); Esser, Schuldrecht I, § 44 II 1 (S.300); noch offen gelassen in BGH NJW 1971, 1980; vgl. auch schon Traeger, Der Kausalbegriff, S.219/220. 47 Vgl. Esser, Schuldrecht I, § 44 II 1 (S.300); Huber, JZ 1969, 677 (681); Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, S.5, 6; Friese, Haftungsbegrenzung, S. 8 f.; BGH NJW 1971, 1980; Münzberg, Verhalten u. Erfolg, S.147. 48 Vgl. Palandt - Heinrichs, vor § 249, Anm. 5 b, aa; Esser Schuldrecht, § 44 III 1 (S. 302); Rother, Haftungsbeschränkung, S. 9. 49 Traeger, Der Kausalbegriff, S.221, 223; Rother, S.12 f., 29; Thalheim, S.69. 50 Raiser, Haftungsbegrenzung, S.5, 6. 51 Vgl. BGHZ 3, 261 (267); BGHZ 20, 137 (143).

II. Die Funktionen des Satzes "casum sentit dominus"

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der Schadensverteilung52. Durch Abgrenzung der Schadenszurechnung zu Lasten des Schädigers bestimmt sie zugleich den Umfang des dem Geschädigten zuzurechnenden Schadens, den Bereich des Satzes "casum sentit dominus". Die Adäquanztheorie ist daher eine Zurechnungstheorie53 im falschen Gewand einer Kausaltheorie54 , die eine objektive Zurechnung55 von Schäden begründet. Larenz56 begründet sie damit, daß Schadensverläufe außerhalb jeder Lebenserfahrung nicht mehr "als vom Handelnden beherrscht gedacht und damit nicht auf seine freie Selbstbestimmung zurückgeführt werden können". Wo diese Adäquanz endet, beginnt demnach der Bereich des Satzes "casum sentit dominus". Auch hier ist zunächst jedoch nur der subsidiäre Charakter dieses Satzes festzustellen. Es muß jedoch bezweifelt werden, ob der Maßstab der Vorhersehbarkeit eines Schadensverlaufes ein geeignetes Mittel für diese Abgrenzung ists 7 • Bei einer objektiv-nachträglichen Prognose macht der eingetretene Schaden das Unwahrscheinlichste wahrscheinlich58 • Der wahre Grund für die fortdauernde Anerkennung und Verwendung der Adäquanztheorie dürfte der Beurteilungsspielraum bei der Ausfüllung des Begriffes der Vorhersehbarkeit sein59 , der bei der Rechtsanwendung die Möglichkeit gibt, die gröbsten Härten einer grenzenlosen Schadenszurechnung abzumildern60 • Die Qualität der Theorie für die Rechtsprechung liegt daher eigentlich in ihrer Manipulierbarkeit zum Zwecke gerechter Schadensverteilung61. Es hat sich gleichwohl gezeigt, 52 Vgl. schon zur Schadens verteilung Rümelin, Die Gründe der Schadenszurechnung, S. 23 f. 53 Larenz, NJW 1955, 1009 (1011/1012); ders., Festschrift für Honig, S. 79 f.; Raiser, Haftungsbegrenzung, S.97; Rother, Haftungsbeschränkung, S.232. 64 Larenz, Schuldrecht I, § 27 III b (S.315/316, Anm.4). 55 Larenz, Schuldrecht I, S. 315/316; Deutsch, Festschrift für Honig, S.35. 56 Schuldrecht I, S. 315/316, 318; ders., NJW 1955, 1009 (1011). 57 Vgl. dazu kritisch Lüer, Begrenzung der Haftung, S.108-112, 130; Bienenfeld, Haftung ohne Verschulden, S.141; Huber, JZ 1969, 679 (682/683); Friese, Haftungsbegrenzung, S. 27 f.; Honsell, JuS 1973, 72; a.A. Larenz, NJW 1955, 1009 (1011); vgl. jetzt aber Festschrift für Honig, S. 82/83. 58 Daher möchte Larenz, Festschrift für Honig, S. 82, den "optimalen Beurteiler" durch einen "erfahrenen Beurteiler" ersetzen. VgI. auch Schuldrecht I, § 27 III b (S.317/318). 59 Was "außerhalb aller Wahrscheinlichkeit" liegt, ist mangels statistischer Grundlagen und wegen der Individualität jedes Falles nur bedingt objektivierbar. Vgl. dazu Friese, Haftungsbegrenzung, S. 22 f.; Weitnauer, Festgabe für Oftinger, S. 334 f. 60 Raiser, Haftungsbegrenzung, S.5/6; Huber, JZ 1969, 677 (683); Friese, Haftungsbegrenzung, S. 24 f.; Larenz, Festschrift für Honig, S. 82. 61 vgI. dazu Weitnauer, S.337; Thalheim, S.10; zum Gedanken der Schadensverteilung allgemein: Rümelin, Gründe der Schadenszurechnung, S. 21 f.; Esser, Gefährdungshaftung, S. 41 f., 69 f.

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5. Kap.: Der Satz "casum sentit dominus"

daß der von der Adäquanztheorie eröffnete Beurteilungs- und Wertungsspielraum zu eng, der Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit und Wahrscheinlichkeit zu grob ist, um den differenzierten Lebenstatbeständen gerecht zu werden62 • Allerdings ist nicht zu verkennen, daß die Adäquanztheorie zum Beispiel in der Formulierung durch Traeger 63 viel weniger auf den Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit des Schadensverlaufs als auf die Risikoerhöhung . abstellte. Darauf haben jüngstens Weitnauer 64 und Schickedanz6S nachdrücklich hingewiesen. Hier ist im Laufe der Zeit einiges an Elastizität und Gehalt der Adäquanztheorie verlorengegangen66 , das in "Risikotheorien" wieder auftaucht6 7 • Es bleibt aber die Anknüpfung der Adäquanzthorie an eine Kausalitätsbetrachtung, die die Lösung wesentlicher Fragen verbaut. So ist das Problem der Vorteilsausgleichung mit der Adäquanztheorie schlechthin nicht zu bewältigen68 • In bewußter Abwendung von jeder Kausalitätsbetrachtung69 wurde daher die Normzwecktheorie entwickelt, die die einen neben die Adäquanztheorie setzen70 , während andere sie statt der Adäquanztheorie allein anwenden wollen71 • Hier kommt schon klarer zum Ausdruck, worum es eigentlich geht und was auch das Anliegen der Adäquanztheorie ist: Die Abgrenzung von Risikobereichen.

62 So zum Beispiel bei den berühmten Rentenneurosen. Vgl. dazu oben in diesem Kap. die Anm.34; vgl. auch Honsell, JuS 1973, 72. 63 Traeger, Der Kausalbegriff, S. 159 f.: "Eine sich als conditio sine qua non eines bestimmten Erfolges erweisende Handlung oder sonstige Begebenheit ist dann adäquate Bedingung des Erfolges, wenn sie generell begünstigender Umstand eines Erfolgs von der Art des eingetretenen ist, d. h. wenn sie die objektive Möglichkeit eines Erfolges von der Art des eingetretenen generell in nicht unerheblicher Weise erhöht." Ähnlich definierte Enneccerus. seine "indifferente Tatsache". Vgl. dazu auch Reinecke, Objektive Verantwortung, S.43; Thalheim, Haftungsbegrenzung, S.21/22; Münzberg, Verhalten und Erfolg, S.189. 64 Weitnauer, Festgabe für Oftinger, S. 327 f., 340 f. 65 Schickedanz, NJW 1971, 916 f.; vgl. auch Thalheim, S.21/22. 66 Schickedanz, S.920; Vgl. auch Emmerich, Anm. zu BGH JuS 1972 101 = BGH NJW 1971, 1980; Münzberg, S.190/191. 67 Schickedanz, S.919. 68 Vgl. dazu Rother, Haftungsbeschränkung, S. 222 f., 231 f.; Raiser, Haftungsbegrenzung, S.8/9; ders., JZ 1963, 463; Larenz, Schuldrecht I, § 30 II, (S. 363); ders., Festschrift für Honig, S. 89/90. 69 Deutlich: Fikentscher, Schuldrecht, § 49 III 3 d (S.272/273); MertensReeb, JuS 1971, 470/471. Letztere fragen nur noch nach der Vermeidbarkeit des Erfolges für den Täter. Vgl. auch die Parallele im Strafrecht bei Schmidhäusers "objektiver Zurechnung", Allg. Teil, 8/54 f. 70 Esser, Schuldrecht I, § 45 I (S.310); Boehmer, JZ 1958, 743; Raiser, JZ 1963, 462 (465). 71 Huber, JZ 1969, 677 (678); weitere Nachweise bei Friese, Haftungsbegrenzung, S.34; unentschieden in BGH NJW 1971, 1980; BGH NJW 1972, 904, enthält wiederum ausführliche Betrachtungen über die Adäquanz.

II. Die Funktionen des Satzes "casum sentit dominus"

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4. Normzweck und "casum sentit dominus"

Nach der Normzwecktheorie soll der Schädiger nur für solche Schäden haften, die die Rechtsordnung durch ihre Gebote zu pflichtgemäßem Verhalten verhindern will, nicht aber für Schäden, zu deren Verhütung die Normen eines verkehrsgemäßen Verhaltens nicht geschaffen wurden72 • Wie auch die Adäquanztheorie wird die Normzwecktheorie zum Teil als Theorie der Haftungsbegrenzung 73 , zum Teil als Theorie der Schadenszurechnung angesehen74 • Bei der Abgrenzung der Normzwecke hat sich nun eine bereits gefestigte Rechtsprechung und Lehrmeinung gebildet, nach der jedermann sein "allgemeines Lebensrisiko" selbst zu tragen habe, so daß jede Ersatzpflicht dort ihre Grenzen finde, wo sich dieses Risiko in einem nur zufälligen Zusammenhang mit der Verletzungshandlung verwirklicht hat75 • Die Existenz dieses "Lebensrisikos" , das jeder selbst zu tragen hat, gehört zu den gesicherten Erkenntnissen des Rechts der sozialen Unfallversicherung76 und zu den wichtigsten "Entscheidungstopoi" der· Aufopferungsrechtsprechung77 • An die Stelle des Begriffes der Vorhersehbarkeit ist der "nur zufällige Zusammenhang" getreten. Im Gegensatz zur Adäquanztheorie wird hier klar, daß es letztlich um die Abgrenzung zweier Risikobereiche geht. Existiert ein Prinzip, daß jeder für seinen Lebensbereich selbst verantwortlich ist, sein Lebensrisiko selbst zu tragen hat, so wäre es von der· Gesamtrechtsordnung her widersprüchlich und unsinnig, wenn eine Schadensersatznorm dem Schädiger auch dieses Risiko aufbürden würde. Dieses· "allgemeine Lebensrisiko" ist es aber, das mit dem Satz "casum sentit dominus" im obigen Sinn zu bezeichnen ist. Es geht darum, hier die Konkurrenz des Prinzips "casum sentitdominus" mit dem jeweiligen Zurechnungsprinzip zu erkennen, das auf Seiten des ersatzpflichtigen Schädigers wirkt. Diese "Risikozurechnung" zu Lasten des Geschädigten begrenzt die Ersatzpflicht desSchädigers. Mit dieser Feststellung sind jedoch noch nicht Inhalt und Grenzen des allgemeinen Lebensrisikos beschrieben. Diese Abgrenzung vermag 72 Huber, JZ 1969, 677 (678); Rother, Haftungsbeschränkung, S.l1; Fikentscher, Schuldrecht, S.272; Mertens - Reeb, JuS 1971, 588; zur Herleitung der Normzwecktheorie vgl. insbesondere Friese, S. 34 f. 73 Huber, JZ 1969, 681; Liier, Begrenzung der Haftung, S.53; Honsen,

JuS 1973, 69 (72). 14

Fikentscher, Schuldrecht, S. 272/273.

BGH NJW 1968, 2287; BGH NJW 1971, 1980 (1981); BGH NJW 1971, 1982 (1983); Huber, JZ 1969, 677f. (681); Heuer, Adäquanzurteil, S.163; Liier, S.124/125, 134 f.; vgl. auch Thalheim, S. 21/22; Huber, JuS 1972, 439 (440/441). 76 Gitter, Schadensausgleich im Arbeitsunfallrecht, S. 115. 77 Vgl. dazu Forkel, JZ 1969,. S. 7 f. (11); Ossenbiihl, JuS 1970, 276 f. (278 f.); Comes, NJW 1972, 2022 f. 75

5 Hübner

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5. Kap.: Der Satz "casum sentit dominus"

die "reine Normzwecktheorie" auch nicht zu erreichen78 • Wie soll sich aus dem Schutzbereich des § 823 I BGB ergeben, ob der bei einem Verkehrsunfall Verletzte, der nach seiner Genesung auf dem Heimweg vom Krankenhaus einen zweiten Verkehrsunfall erleidet, auch für diesen Unfall noch Ersatz vom ersten Schädiger verlangen kann79 • Die Behauptung, der Normzweck erfasse nicht dieses "allgemeine Lebensrisiko" , bleibt solange eine petitio principii, wie man nicht anerkennt, daß es hier um die Konkurrenz zweier Zurechnungsprinzipien geht, deren eines (casum sentit dominus) den Umfang der Schadenstragung beim Geschädigten beeinflußt. Nicht zufällig sind daher in jüngster Zeit Versuche unternommen worden, unter mehr oder minder starker Lösung von der Normzwecktheorie zu einer gerechten Abgrenzung der Gefahrenbereiche zu gelangen8o • Das geschieht zum Teil unter Rückbesinnung auf die Klassiker der Adäquanztheorie 81 , zum Teil durch Ausbildung reiner Risikotheorien. Beide Wege sind im Ergebnis nicht weit voneinander entfernt. Huber sucht die "Gefahrenbereiche" in der Form abzugrenzen, daß die Folge des spezifisch durch die unerlaubte Handlung gesetzten Risikos dem Schädiger zugewiesen wird82 • Auf der anderen Seite steht als Komplementärbegriff83 auch bei ihm das allgemeine Lebensrisiko, das jeder selbst zu tragen hat. Für die Ausfüllung dieses Begriffes weist Huber auf den Gesichtspunkt der Entscheidungsfreiheit hin: Wer in seinem Handeln wieder frei von den Folgen einer zum Schadensersatz verpflichtenden Handlung tätig werden kann, ist wieder "Herr" seines Lebensrisikos84 • Ähnliche Erwägungen liegen offensichtlich dem Gesichtspunkt der "Herausforderung"85 zugrunde. So machte der 78 Huber, JZ 1969, 677 (678, 682); Rother, Haftungsbeschränkung, S. 20 f.; Lüer, Begrenzung der Haftung, S.48, 133/134; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, S. 22 f.; Friese, Haftungsbegrenzung, S.63/64; Mertens - Reeb, JuS 1971, 589 (Anm.20); Larenz, Festschrift für Honig, S.84; Honsell, JuS 1973,

69 (72).

79 Huber, JZ 1969, 681; vgI. auch die vorige Anmerkung sowie neuerdings Huber, JuS 1972, 439 (441). 80 Huber, JZ 1969, 677 f.; ders., JuS 1972, 439 (440/441); Lüer, Begrenzung der Haftung, S. 126 f.; Mertens - Reeb, JuS 1971, 588. 81 So etwa bei Weitnauer, Festgabe für Oftinger, S. 327 f.; Schickedanz, NJW 1971, 916 f.; Thalheim, Haftungsbegrenzung, S. 21/22. 82 Huber, JZ 1969, 677 (682); Weyers, Unfallschäden, S.78. Ähnlich jetzt auch BGH NJW 1971, 1980/1981; kritisch Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, S. 24 f., der Huber im Ergebnis jedoch sehr nahe kommt (S.53). 83 VgI. dazu Comes, NJW 1972, 2022. 84 Huber, JZ 1969, 682; vgl. dazu auch Deutsch, Festschrift für Honig,

S.34/35. 85 VgI. dazu Larenz, Festschrift für Honig, S.87; BGH NJW 1971, 1980/ 1981.

H. Die Funktionen des Satzes "casum sentit dominus"

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BGH einen Schwarzfahrer für den Sturz des ihn verfolgenden Bahnbeamten verantwortlich, weil er die Verfolgung "herausgefordert" hatte86 , der Geschädigte also nicht "frei" war. Die Begrenzung des Schadensersatzes auf Schäden aus dem spezifisch durch die unerlaubte Handlung gesetzten Risiko erleichtert eine gerechte Schadensverteilung. Diese Risikobetrachtung vermag beispielsweise - wie Friese zeigt - die Fälle des Verkehrsunfalls im Krankenwagen einer befriedigenden Lösung zuzuführen. Ausgehend von der Erkenntnis, daß Verkehrsgefahren zum allgemeinen Lebensrisiko gehören, kommt Friese 87 zu dem zutreffenden Schluß, daß der erste Schädiger nur dann für Unfallfolgen aus dem Verkehrsunfall mit dem Krankenwagen haftet, wenn der Krankentransport unter besonders gefährlichen Umständen (schnelle Fahrt mit Blaulicht) erfolgt. Auch die Neurosefälle sind so dogmatisch zureichend zu lösen88 • Es liegt auf der Hand, daß die Abgrenzung der Risikobereiche nicht mit einem eindeutigen, ohne weitere Wertung subsumtionsfähigen Satz erfolgen kann. Ein gewisser Zuordnungsspielraum wird immer notwendig sein89 • Davon ausgehend plädiert Lüer90 für eine völlige Aufgabe von Adäquanz und Normzwecktheorie unter Hinweis darauf, daß diese nur verschleierten, worum es eigentlich gehe, nämlich um eine Abgrenzung der Risikobereiche nach dem Prinzip des durch die unerlaubte Handlung erhöhten Risikos91 • Diese Risikobereiche seien nicht eindeutig zu definieren, sondern nach Fallgruppen zu typisieren92 • Er nennt dazu folgende Gesichtspunkte: Die Anfälligkeit des Verletzten, die diesem erkennbare Gefährdung, das Eingreifen eines Dritten, der die Gefahr ausnützt, die Wirkung unbeherrschbarer Faktoren wie Naturgewalten und Krieg93 • Bei allem gehe es um eine Zuordnung von Gefahren entweder zur allgemeinen Schadensgefahr, der jeder Mensch unterliege und die er zu tragen habe, oder zu dem besonderen vom Schädiger geschaffenen erhöhten Risik094 • 86 BGH NJW 1971, 1980. Kritisch zum Begriff des allgemeinen Lebensrisikos Comes, NJW 1972, 2022. 87 Friese, Haftungsbegrenzung, S. 166 f.; a.A. Huber, JZ 1969, 677 (682); vgl. jetzt aber Huber, JuS 72, 441. 88 Vgl. dazu oben in diesem Kap. Anm.34; Heuer, Adäquanzurteil, S.163. 89 Das verkennt Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, S.24/25. 90 Lüer, Begrenzung der Haftung, S. 134 f. 91 Lüer, S.134f. (158); vgl. auch BGH NJW 1971, 1980; BGH NJW 1972, 904f. 9! Lüer, S. 158; im Verfahren ähnlich Friese, Haftungsbegrenzung, S. 133 f.: Huber, JuS 1972, 441; auch Comes, NJW 1972, 2025. 93 Lüer, S. 135. 94 Lüer, S.124/125, 136, 158/159; vgl. auch Weidner, Mitverursachung, S.25/ 26.

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5. Kap.: Der Satz "casum sentit dominus"

Dieser Entwicklung ist auch der BGH inzwischen weitgehend :.:~­ folgt. In dem kürzlich entschiedenen "Schwarzfahrerfall"95 war die Verletzung des verfolgenden Beamten dem Schwarzfahrer nach An~ sicht des BGH "objektiv zuzurechnen", da der eigentliche Zurechnungsgrund die Schaffung des gekennzeichneten gesteigerten Gefahrenzustandes sei (Verfolgungsrisiko), auf Grund dessen der Verfolgende eine Verletzung der in der Rechtsordnung deliktisch geschützteri Rechtsgüter oder Rechte erleide. Das "normale Risiko" habe dagegen der Verletzte selbst zu tragen96 . In der Entscheidung BGH NJW 1972, 904, hat der BGH diese Rechtsprechung konsequent fortgeführt. Bemerkenswert ist dort die bei der Abgrenzung der Risikobereiche mehrfach verwendete Formel "bei wertender Betrachtung". Eine stärkere Betonung des Risikogesichtspunktes enthalten auch die im Seeversicherungsrecht gebräuchliche "causa proxima Lehre"97 sowie die "Theorie der wesentlichen Ursache" im Recht der sozialen Unfallversicherung98 • Das hängt auch damit zusammen, daß die Abgrenzung von Risikobereichen für die Versicherungswirtschaft eine eminent wichtige Aufgabe in den Fällen bildet, in denen mehrere Versicherungen verschiedene Risiken einer Sache versichern. Nach Wilburg kommt es für die "ursächliche Zurechenbarkeit" eines Schadens darauf an, "wieweit die Gefahrenquellen, die zum Schaden geführt haben, auf Seite des Haftenden, auf Seite des Verletzten oder in einer äußeren, gewissermaßen neutralen Sphäre liegen" 99. Es fällt daher auf, daß im Begriff des allgemeinen Lebensrisikos mehr oder minder stark dieselben Gesichtspunkte auftauchen, die zuvor als Gehalt des Satzes "casum sentit dominus" bezeichnet wurden: Sachzuständigkeit, allgemeines soziales Risiko 10o , Verantwortlichkeit 95 BGH NJW 1971, 1980. 96 BGH NJW 1971, 1983. Diese Entscheidung vom selben Tage in einem ähnlichen Fall ist meines Erachtens nur im Ergebnis verfehlt. Wenn der verfolgende Polizist auf frisch geschnittenem Rasen stürzt, so ist das auch noch "Verfolgungsrisiko", wäre er doch sonst nicht in diesem Tempo über diesen Rasen gelaufen. Die Kritik von Comes in NJW 1972, 2022 f., setzt daher an einem falschen Punkt an. 97 Causa proxima non remota spectatur; cause proximate in efficiency; vgl. dazu Lindenmaier, ZHR 113, 203 f. (262 f.); Esser, Schuldrecht, § 44 II 1 a (S.300); Schlegelberger, Seeversicherungsrecht, § 28 ADS, Rz 3 f. 98 Gitter, Schadens ausgleich im Arbeitsunfallrecht, S. 104, 108 i., mit Vergleichen mit der causa proxima Lehre; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, S. 41 f.; Palandt - Heinrichs, vor § 249, Anm. 5 b, cc. 99 Wilburg, Referat, C 15; § 848 BGB enthält eine diesem Gedanken entsprechende "Haftung wegen rechtswidrigen Verbringens in die eigene Risikosphäre". Vgl. Huber, JuS 1972, 441. 100 Dieses spielt in der Aufopferungsrechtsprechung eine wichtige Rolle. Vgl. dazu Forkel, JZ 1969, S. 7 f. (11); Ossenbühl, JuS 1970, 276 i. (278 i.).

II. Die Funktionen des Satzes "casum sentit dominus"

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für die eigene Rechtssphäre. Darin kommt das Ineinandergreifen dieses Zurechnungsgrundes, seine Konkurrenz mit anderen Zurechnungsprinzipien zum Ausdruck. Die hier erfolgende wertende Abwägung ist die Grundsituation des § 254 BGB, nach dem "immer dann eine Schadensverteilung stattzufinden hat, wenn auf Seiten des Geschädigten ein Umstand mitgewirkt hat, der ihn nach den Regeln unseres Schadensersatzrechts für den Schaden verantwortlich macht"101. Der Satz, der hier die Verantwortlichkeit auf Seiten des Geschädigten normiert und zu einer Abwägung analog § 254 BGB führt, ist das objektive Zurechnungsprinzip des "casum sentit dominus" in seiner Konkretisierung als "allgemeines Lebensrisiko" . Es ist auch erlaubt, hier von Zurechnung zu sprechen. Bezeichnet "Zurechnung" die Erklärung, "daß eine Person für ein Verhalten oder einen Erfolg im Hinblick auf eine Rechtsfolge verantwortlich" istlO2 , so gilt das auch für die Sachzuständigkeit des Geschädigten. Ob dabei die Beherrschbarkeit des Verhaltens die Grenze jeder Zurechnung istl03 , erscheint im Hinblick· auf die Tatbestände der Gefährdungshaftung und der weitgehenden Folgenzurechnung bei § 823 I BGB mehr als zweifelhaft. Jedoch sei hier noch einmal darauf hingewiesen, daß Huber l04 bei der Ausfüllung des Begriffes des allgemeinen Lebensrisikos gerade diesen Gesichtspunkt der Entscheidungsfreiheit und damit der Beherrschbarkeit des Verhaltens betont.· Mag die Reichweite dieses Prinzips des allgemeinen Lebensrisikos auch gering sein, seine Wirkung ist unverkennbar. Ist sie erkannt, so scheint auch hier der Weg für eine gerechte Schadensverteilung leichter gangbar als Zuvor . . Dem entspricht auch eine in der Literatur zu § 254 BGB zu beobachtende Tendenz, die Gesamtregelung dieser Vorschrift mit objektiven Kriterien einer Risikozurechnung zu Lasten des Geschädigten zu erklären105. Das objektive Zurechnungsprinzip des "casum 101 Zu diesem Sinngehalt des § 254 BGB vgl. Larenz, Methodenlehre, S.367; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, S.104; Soergel- Schmidt, § 254, Rz 1; Raiser, Haftungsbegrenzung, S.23; Weidner, Mitverursachung, S.l1, 25; Wilburg, Elemente, S. 117; Heck, Schuldrecht, S.46; Hesemann, Interesse und Gefährdung, S. 25 f.; Esser, Schuldrecht I, § 47 I (S. 326 f.). 102 Deutsch, Festschrift für Honig, S. 33. 103 Deutsch, S. 33/34. 104 Huber, JZ 1969, 677 (682). 105 Esser, Schuldrecht I, § 47 I (S. 326 f.), erblickt in der Gesamtregelung des § 254 BGB eine objektive Zurechnung von Risiken zu Lasten des Geschädigten. Ebenso Weyers, Unfallschäden, S.389/390. Ge1'nhuber, AcP 152, 69 f. (82/83), tritt für eine generelle Gefährdungshaftung des Geschädigten ein. Weidner, Mitverursachung, S.26, 27/28, 34, 47 f., spricht von einer dem Geschädigten zurechenbaren Risikoerhöhung, die er an objektiven Gesichtspunkten orientiert.

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5. Kap.: Der Satz "casum sentit dominus"

sentit dominus" paßt sich in diesen Rahmen lückenlos ein. So bezeichnet GamiUscheg § 254 BGB als "einen Fall der Zurechnung des Schadens aus dem Gesichtspunkt der Sphäre"106. Nach Reimer Schmidt spielt bei § 254 BGB der Gedanke der Schadensverteilung nach persönlichen Rechtssphären eine Rolle 101. Der Satz "casum sentit dominus" tritt dabei in Konkurrenz zu dem jeweiligen Zurechnungsgrund für das Verhalten des Schädigers und führt zu einer Begrenzung von dessen Ersatzpflicht108. 5. Zusammenfassung

Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, daß es sowohl bei der Adäquanztheorie als auch bei der Normzwecktheorie letztlich um die Begründung einer Schadenszurechnung und Schadensverteilung geht. Da diese Theorien das nicht klar genug erkennen lassen und einer gerechten Regelung bisweilen sogar im Wege stehen, setzen sich mehr und mehr sogenannte Risikotheorien durch. Das folgt aus der Erkenntnis, daß die Abgrenzung der Risikobereiche, nicht Kausalität oder Erfassung des Normzwecks das eigentliche Problem ist. Hier verdient besonders der Begriff des "allgemeinen Lebensrisikos" Beachtung, der in Fallgruppen weiter zu konkretisieren ist109 . Diese bilden dann die konkrete Gestalt des Satzes "casum sentit dominus". Dabei liegt auf der einen Seite das durch die zum Ersatz verpflichtende Handlung geschaffene erhöhte Schadensrisikollo , auf der anderen Seite die Risikosphäre des Geschädigten. Die Schadensverteilung hat unter Abwägung dieser Risikobereiche zu erfolgen. Erkennt man, daß auch hier ein Anwendungsfall des dem § 254 BGB zugrunde liegenden Prinzips vorliegt, so ist der Raum gegeben für eine elastischere und damit dem Einzelfall gerechtere Abwägung der Ersatzpflicht für entfernte Folgeschäden. Der Weg zu dieser Erkenntnis führt über die Anerkennung des "allgemeinen Lebensrisikos" als Grund einer Schadenszurechnung. Diese Konkretisierung des Satzes "casum sentit dominus" bringt den ersten Nachweis einer Schadenszurechnung nach Risikosphären.

Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S. 36. 101 R. Schmidt, Obliegenheiten, S. 114. 108 Im Ergebnis ähnlich Wilburg, Elemente, S.40. 109 Vgl. Huber, JuS 1972, 439 (441); auch Comes, NJW 1972, 2022 (2025). 110 Schmidhäuser, Strafrecht Allg. Teil, 8/54 f., verzichtet für das Strafrecht auf die Kausalitätsprüfung und verwendet als Element seiner "objektiven Zurechnung" den "inneren Sachzusammenhang zwischen Handlung und Erfolg". Entscheidend ist danach, ob sich im Erfolg die Gefahr realisiert hat, die der Täter handelnd geschaffen hat. 106

6. Kapitel

Der objektive Fahrlässigkeitsbegriff Ein weiterer Nachweis einer Risikozurechnung läßt sich möglicherweise bei dem objektiven Fahrlässigkeitsbegriff führen, der mit wenigen Ausnahmen1 das bürgerliche Recht beherrscht. Um die Besonderheit dieser Erscheinung zu verdeutlichen, sei zunächst eine einführende Betrachtung des Verschuldensgrundsatzes vorangestellt.

I. Der Verschuldensgrundsatz über die geistesgeschichtlichen Hintergründe der Einführung des Verschuldensgrundsatzes in das BGB besteht erstaunlicherweise wenig Einigkeit. Während die einen darin den Ausdruck einer Sorge der liberalen Wirtschaftsordnung um die Beeinträchtigung von "Bewegungsfreiheit und Unternehmungsfreudigkeit" durch eine objektive Erfolgshaftung sehen2 , betrachten andere den Verschuldensgrundsatz als Ergebnis einer "moralisierenden und poenalisierenden" Betrachtungsweise des Schadensersatzrechts3 • Schließlich wird der Grundsatz auch auf die Philosophie der Aufklärung und Kants zurückgeführt 4, wonach die "Rechtsfolge als Konsequenz der freien sittlichen Entscheidung des Individuums" anzusehen sei, so daß in letzterer die Anknüpfung der Haftung zu suchen sei 4 • Auch der Einfluß der gemeinrechtlichen Doktrin sowie des preußischen ALR darf hier nicht unterschätzt werdenS. Es ist wahrscheinlich, daß alle diese Momente zu1 Vgl. zu diesen Ausnahmen Esser, Schuldrecht I, § 38 IV (S. 249); Deutsch, Festschrift für Honig, S. 36. ! Deutsch, Festschrift für Honig, S. 39; Hanau, VersR 1969,291 (298); Gitter, Schadensausgleich, S.37; Mertens - Reeb, Jus 1972, 35, mit weiteren Nachweisen; Mohr, Kanalisierung, S.116; v. Schenck, Der Begriff der Sphäre, S.95; v. Caemmerer, Gefährdungshaftung, S.l1. 3 Lüer, Begrenzung der Haftung, S.2, 101/102; wohl auch Wilburg, Referat, S. C 9/C 10. Auf die anhaltende Wirkung des Sanktionsprinzips im Schadensersatzrecht weist Rother, Haftungsbeschränkung, S. 204 f., 243 f. hin. 4 Weyers, Unfallschäden, S.388; Esser, Gefährdungshaftung, S.2; Kötz, AcP 170, 1 (3/4). 5 Vgl. Deutsch, Fahrlässigkeit, S.9 bis 17; Larenz, Schuldrecht I, § 20 I (S.204/205); v. Schenck, S.95; zurückhaltend Leonhard, Fahrlässigkeit und Unfähigkeit, S. 4, 20 f.

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6. Kap.: Der objektive Fahrlässigkeitsbegriff

sammengeflossen sind6, selbst wenn das den Autoren des BGB nicht immer bewußt gewesen sein mag. Gewisse objektive Tendenzen waren auch schon im Schadensersatzrecht des 19. Jahrhunderts festzustellen7 • Eine Ausprägung dieser Tendenzen ist der sogenannte objektive Fahrlässigkeitsbegriff, der sich von der Verschuldenshaftung mit ihrem ethischen - individuell-persönlichen - Vorwurfs klar abhebt.

11. Objektive Fahrlässigkeit und Risikoverteilung Die Haftung für Verschulden ist Haftung für Vorsatz und Fahrlässigkeit. Während Fragen der Vorsätzlichkeit im Zivilrecht gemäß ihrer geringeren Bedeutung9 wenig diskutiert werden10 , ist der Inhalt des Fahrlässigkeitsbegriffs seit jeher Gegenstand heftiger und andauernder Auseinandersetzungenl l . Der vorherrschende objektive Fahrlässigkeitsbegriff verlangt von jedermann die Sorgfalt, die "der gesunde, normale Verkehr von einem ordentlichen Menschen in der konkreten Situation erwartet"I!!. Das Urteil über die Fahrlässigkeit ist danach nicht von den individuellen Fähigkeiten und Kenntnissen der jeweiligen Person abhängig, wenn diese hinter einem "standard" zurück:bleiben13 • Der "standard" wird durch Einteilung in "konkrete Vergleichsgruppen" ermittelt (z. B.: ordentlicher Kaufmann, Schiffer, Spediteur etc.)14. Streitig ist, ob hierdurch wieder eine gewisse Milderung des objektiven Maßstabes erreicht wirdl6 • Das mag hier jedoch e Vgl. Huber, Haftung des Geschäftsherrn, S.31, 32, Anm.2. 7 RGZ 12, 188 (191); WiethöZter, Rechtfertigungsgrund, S.45; Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 13; Mertens - Reeb, JuS 1972, 35; 8 Zum Moment des Vorwurfs im Verschuldensprinzip vg1.:· PalandtHeinrichs,§ 276, Anm.2; Deutsch, Fahrlässigkeit, S.78; ders., Festschrift für Honig, S.34; Esser, Schuldrecht I, § 38 III (S. 247 f.); Larenz, Schuldrecht I, § 20 I (S.204); ders., Vertrag und Unrecht II, S.100; WiethöZter, S.33; Weyers, Unfallschäden, S. 77 f., 573; WiZburg, Elemente, S.18, 20, 53; Leonhard, S.44. 9 Vgl. WtethöZter, Rechtfertigungsgrund, S.48 . . 10 Eine Ausnahme bildet die Frage des Verbotsirrtums. Vgl. dazu PalandtHeinrichs, § 276, Anm. 3 b . .11 Vgl.dazu Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, ·1963. 12 Soergel- Schmidt, § 276, Rz 14; vgl. auch Rz 18 zum subjektiven Fahr.., lässigkeitsbegriff mit weiteren Nachweisen. 13 Palandt - Heinrichs, § 276, Anm. 4 b; Soergel- Schmidt, § 276, . Rz 15; Blomeyer; Schuldrecht,S.124; Larenz, Schuldrecht I, § 20 III (S.211); Soergel - Zeuner, § 823,Rz 171; Zeuner, JZ 1966, 1 f. (8/9). 14 Kritisch zu der Gruppeneinteilung Leonhard, Fahrlässigkeit und Unfähigkeit, S.6---17. 16 Bejahend Leonhard, S. 6 f., 26; Deutsch, Fahrlässigkeit, S.30; SoergelSchmidt, § 276, Rz 15; R. Schmidt, MDR 1958, 193/194. a.A. WiethöZter, Rechtfertigungsgrund, S.50; StolZ, Anm.zu RG JW 1928, 2318.

H. Objektive Fahrlässigkeit und Risikoverteilung

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dahingestellt bleiben, da auf jeden Fall ein· rein individueller Maßstab nicht angelegt wird16 • 1. Der fehlende Vorwurf

Wenn nun Verschuldenshaftung die Haftung für objektiv rechtswidriges und subjektiv vorwerfbares Verhalten ist17 , so fehlt dem objektiven Fahrlässigkeitsbegriff das subjektive Moment, die Vorwerfbarkeit18,da gar nicht mehr danach gefragt wird, ob. der Betreffende nach seinen eigenen Fähigkeiten in der Lage war, sich jedenfalls gemäß dem "standard" semer Gruppe zu verhalten19 • Nach Wilburg2° geht diese Haftung über die "natürliche Vorstellung eines Verschuldens" hinaus. Dieses Moment des subjektiven Vorwurfs läßt sich auch durch ein "Übernahmeverschulden"21 nicht in den objektiven Fahrlässigkeitsbegriff "hineinkonstruieren"22. Damit wird das Problem nur verlagert23 . Es gibt eben genügend Fälle, wo eine Haftung bejaht wird (und auch bejaht werden muß), obgleich der Betreffende (subjektiv) bei Aufnahme der Tätigkeit sich für fähig hielt und nicht in der Lage war, seine mangelnde Eignung zu erkennen24 • Diese Erkenntnis führt weiter zu de~ Frage, welchen Wert. subjektive Momente im Fahrlässigkeitsbegriff überhaupt haben. Wiethölter25 verneint deren Wert und spricht sich für eine rein objektive 16 17

Weyers, Unfallschäden, S.81/82.

Vgl. dazu oben in diesem Kap. Anm.8.

Deutsch, Fahrlässigkeit, S.366; ders., Festschrift für Honig, S.34, 35; GamiUscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.35; Hermann Lange, Gutachten zum 43. Deutschen Juristentag, Bd. 1, S. 17, 24; v. Schenck, Der Begriff der Sphäre, S.123, 131, 134; Soergel- Schmidt, § 276, Rz16; Wiethötter, S.33. 18

19 Das gilt jedenfalls, solange er zurechnungsfähig ist. Vgl. dazu insbesondere M. RümeIin, Gründe der Schadenszurechnung,S. 68/69. :10 Elemente, S. 18, 53. 21 Vgl. dazu Deutsch,Fahrlässigkeit,S. 1U., 307 f. Nur soweit damit die Rettung des Prinzips derVorwerfbarkeit versucht wird, ist dieses übernahmeverschulden abzulehnen. Vgl. auch H. StaU, Anmerkung zu RG JW 1928,2318; Adomeit,JuS-1972,628 (634). :!J! So etwa Gaut, DB 1962, 166 (168). 23 H. staU, Anm. zu RG JW 1928, 2318 .. . %4 Soergel- Schmidt, § 276, Rz 16;. Deutsch, Fahrlässigkeit, S.l11 f.; Larenz, Schuldrecht I, § 20 HI (S.210); RG JW 1928, 1049/1050; vgl.auch Heck, Schuldrecht, S.78: "Wer zu dumm ist, eine Aufgabe zu erfüllen, wird erst recht zu dumm sein, seine eigene Unzulänglichkeit schon bei der übernahme zu erkennen." 25 Der Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens, S.48/49; Hannak, Die Verteilung, S. 20 f., plädiert für eine völlige Aufgabe der Fahrlässigkeitshaftung im Zusammenhang mit "gefährlicher Kraft".

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6. Kap.: Der objektive Fahrlässigkeitsbegriff

Betrachtung des Fahrlässigkeitsmaßstabes aus. Danach soll fahrlässig ein Verhalten sein, "das den Anforderungen im Verkehr nicht genügt"26. Diese Fahrlässigkeit bezeichnet WiethöLter ausdrücklich als Risikomaßstab27. Es ist aber fraglich, ob der Fahrlässigkeitsbegriff sich so vollständig objektivieren läßt, ohne daß dabei wertvolle Gesichtspunkte verloren gehen28 . Es ist eben nicht zu verkennen, daß in sehr vielen Fällen der Fahrlässigkeit auch ein "subjektiv-fahrlässiges Verhalten" vorliegt29 . Der objektive Fahrlässigkeitsbegriff besagt nur, daß bestimmte, im subjektiven liegende Mängel nicht entschuldigen. Nur derjenige, bei dem diese Mängel vorliegen, unterliegt einer objektiven Zurechnung, während allen anderen auch subjektiv zugerechnet werden kann. Das zeigt sich besonders deutlich bei der Behandlung der überdurchschnittlich Fähigen, die für ihre vollen Fähigkeiten, also über dem "standard" zu haften haben30 . Eine objektive "Risikohaftung" liegt daher nur in dem Bereich der Unterschreitung des Gruppenstandards vor. Der objektive Fahrlässigkeitsbegriff enthält in diesem Bereich ein Stück "objektiver Zurechnung"31. 2. Objektive Fahrlässigkeit als Risikozuremnung

Die Begründungen für den objektiven Fahrlässigkeitsbegriff zeigen eine gewisse Ähnlichkeit mit dem, was oben32 als Gehalt des Satzes "casum sentit dominus" bezeichnet worden ist33 • So wird die Ansicht vertreten, der subjektive Fahrlässigkeit::;maßstab sei für eine gerechte Risikoverteilung, um die es letztlich gehe, nicht geeignet 34 • Reimer 26 Wiethölter, S.48/49. 27 S.50. 28 Zu weitgehend daher Adomeit, JuS 1972, 634: "Das Fahrlässigkeitsdelikt ist ein Unterlassungsdelikt, für dessen Verübung Erfolgshaftung statuiert ist." 29 Das gibt auch Wiethölter, S.46, zu; vgl. auch Deutsch, Fahrlässigkeit, S.320. 30 Vgl. dazu Larenz, Schuldrecht I, § 20 III (S.211); Soergel- Zeuner, § 823, Rz 171; Zeuner, JZ 1966, 1 f. (8/9); Deutsch, Fahrlässigkeit, S.34, mit weiteren Nachweisen und S.128; vgl. auch Leonhard, Fahrlässigkeit und Unfähigkeit, S. 59 f.; m. E. falsch Palandt - Heinrichs, § 276, Anm. 4 b. 31 Deutsch, Festschrift für Honig, S.35; Esser, Schuldrecht I, § 38 IV (S.248); Larenz, Vertrag und Unrecht I, S.170; ders., Schuldrecht I, § 20 III (S.211-213); Mertens - Reeb, JuS 1971, 410; Soergel- Schmidt, § 276, Rz 16, 17; R. Schmidt, MDR 1958, 193/194; Weyers, Unfallschäden, S.82/83, 388; v. Schenck, Der Begriff der Sphäre, S. 123; Steindorff, JZ 1959, 1 (4, Anm.53, 6); H. Lange, AcP 156, 114 (116, Anm.15). 32 Vgl. dazu oben im 5. Kap. unter 1., 11. 33 Vgl. auch v. Schenck, S.133. 34 Soergel- Schmidt, § 276, Rz 17; Esser, Schuldrecht I, § 38 IV (S.248); Larenz, Schuldrecht I, § 20 111 (S.212).

H. Objektive Fahrlässigkeit und Risikoverteilung

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Schmidt spricht von einer Einstandspflicht, eine frei übernommene Tätigkeit gemäß objektiven Sorgfaltserfordernissen auszuführen35 • überwiegend wird der objektive Maßstab mit Bedürfnissen des Verkehrs begründet36 • Esser37 und Deutsch38 führen dieses Verkehrsbedürfnis auf den Vertrauensgrundsatz zurück, der jedoch auch wiederum als ein Mittel zur richtigen Verteilung des Verkehrsrisikos39 verstanden wird40 • Nach Gamillscheg handelt es sich auch hier um einen Ausfluß des Sphärengedankens41 • Bezeichnend ist auch die bisweilen benutzte Wendung, wer dem "standard", den der Verkehr erfordere, nicht entspreche, handele "auf eigene Gefahr"42. Im Ergebnis handelt es sich hier um eine - objektive - Verantwortlichkeit für die eigene Durchschnittsfähigkeit43 . Bis zur Grenze der Unzurechnungsfähigkeit wird jedermann das Risiko der eigenen "Unterdurchschnitts-Fähigkeit" zugerechnet44 . In den Fällen, in denen sich dieses Risiko - in Verbindung mit einer rechtswidrigen Handlung - in einem Schaden realisiert, ist wiederum eine "Schadenszurechnung nach Risikosphären" festzustellen 45 . Im objektiven Fahrlässigkeitsbegriff wird damit das "allgemeine Lebensrisiko" in Form eines normativen Anspruchs an den Bürger konkretisiert, sich gemäß abstrakten Sorgfaltsanforderungen im Verkehr zu verhalten. 3. Zusammenfassung Aus dem bisher Ausgeführten ergibt sich ein erster Nachweis einer objektiven Schadenszurechnung im bürgerlichen Recht außerhalb der bekannten Sondertatbestände der Gefährdungshaftung. Diese Zu35 Soergel- Schmidt, § 276, Rz 16; vgl. auch Esser, Gefährdungshaftung, S.100/10l. 36 Esser, Schuldrecht I, § 38 IV (S. 248); Blomeyer, Schuldrecht, S. 124; Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.35. 37 Esser, Schuldrecht I, § 38 IV (S.248). 38 Deutsch, Fahrlässigkeit, S.29, 393, mit weiteren Nachweisen; MertensReeb, JuS 1972, 37. 39 Auf diesem Gedanken beruht auch die von Weyers, S.389, erkannte Bildung objektiver Einstandskreise. 40 Mertens - Reeb, JuS 72, 37; R. Schmidt, MDR 1958, 193/194; Larenz, Schuldrecht I, § 20 HI (S.212). 41 Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S. 35. 42 Linckelmann, Die Schadensersatzpflicht aus unerlaubten Handlungen, zitiert nach Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 29. 43 Vgl. dazu auch Dickescheidt, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.63; H. Lange, AcP 156, 114 (116, Anm. 15). 44 Im Rahmen des § 829 BGB geht sie sogar darüber hinaus. 45 v. Schenck, Der Begriff der Sphäre, S. 133.

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6. Kap.: Der objektive Fahrlässigkeitsbegriff

rechnung bedeutet die Zuweisung eines Kreises von Risiken ohne Rücksicht auf echte Verschtildenserwägungen. Bei der Verteilung des Schadens aus einer unerlaubten Handlung erscheint dabei das "allgemeine Lebensrisiko" als Schadenszurechnungsgrund zu Lasten des Geschädigten und Korrektiv einer allzu scharfen Zurechnung zu Lasten eines Schädigers46 • Zur Abgrenzung dient auf der Schädigerseite das Prinzip der Zurechnung all der Folgen,. die aus dem durch die unerlaubte Handlung geschaffenen erhöhten Risiko resultieren. Eine weitere Risikozurechnung enthält der objektive Fahrlässigkeitsbegriff. Die Risikosphäre ist hier durch den Bereich der Normunterschreitung, der Unterdurchschnittsfähigkeit beschrieben. In diesem Bereich liegt eigentlich ein Unglücksschaden vor, da ein vorwerfbares Verhalten des Schädigers fehlt. Neben dieser "allgemeinen Risikozurechnung" hat sich im Schadensersatzrecht eine spezifisch wirtschaftliche Risikoverteilung entwickelt. Diese Risikoverteilung hat ihren Ansatzpunkt (und damit wohl auch ihre innere Berechtigung) in einigen privatrechtlichen Haftungsnormen, hat diese aber längst fortentwickelt. Damit wird sich das folgende Kapitel befassen.

46 Im Bereich der sogenannten haftungsausfüllenden Kausalität liegt ebenfalls eine rein objektive Zurechnung vor. Vgl. dazu Deutsch, Fahrlässigkeit, S.78, 79, 177, 387; LaTenz, Schuldrecht 11, § 71 I d (S.453).

7. Kapitel

Risikozurechnung an den Geschäftsherrn Vorbemerkung Der Bogen einer "Risikozurechnung an den Geschäftsherrn" spannt sich von den Vorschriften der §§ 278, 831 BGB bis zur schadensgeneigten Arbeit. In diesem Kapitel soll gezeigt werden, wie unter allmählicher Entfernung von den Ausgangspositionen des BGB eine Verstärkung der Risikozurechnung in der Geschäftsherrnhaftung erfolgt ist. Diese Entwicklung nahm ihren Ausgangspunkt bei einer schon bald nach Inkrafttreten des BGB als nicht mehr zeitgemäß empfundenen Regelung der Geschäftsherrnhaftung im Deliktsrecht. Aus einer wohl nicht immer richtig verstandenen Gesetzestreue1 wurde der Ausweg zu einer stärker objektivierenden Haftung unter dem Schleier des Verschuldensprinzips gewähltz. Dieser Weg ist in den vorhandenen Rechtsnormen angelegt und daher im Ausgangspunkt und auch im Ergebnis grundsätzlich zu begrüßen. Es erscheint aber der Zeitpunkt erreicht, Scheinbegründungen fallen zu lassen und das handfeste rechtspolitische Zieloffenzulegen, um das es eigentlich geht: eine Risikohaftung des Geschäftsherrn für seine geschäftliche Sphäre3 •

I. Die Einstandspflicht für Mitglieder des Geschäftskreises in BGB und HGB Die wesentlichen Vorschriften der Geschäftsherrnhaftung im BGB sind die §§ 278 und 831 BGB, die zunächst als gegensätzliche Pole erscheinen. Im Handelsrecht sind über diese beiden Vorschriften hinaus noch die §§ 3 BSchG und 485 HGB von besonderem Interesse. In allen diesen Vorschriften ist von Verschulden die Rede und dennoch schimmert eine objektive Haftung des Geschäftsherrn durch, die es zu erkennen gilt. Vgl. dazu Larenz, Methodenlehre, S. 115/116. Esser, JZ 1952, 257 (259); Weyers, Unfallschäden, S.354/355, 641; vgl. auch die Einleitung. S Vgl. in diesem Zusammenhang Fritz Baur, Karlsruher Forum 1962, 14 (16), zur "Haftung für den eigenen Lebensbereich" als eigenständigem Zurechnungsgrund. 1

l!

7. Kap.: Risikozurechnung an den Geschäftsherrn

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1.1278 BGB

Die Geltung des § 278 BGB ist auf Schuldverhältnisse beschränkt. Nach der Systematik des Gesetzes ist die Vorschrift im allgemeinen Deliktsrecht nicht anwendbar4 • Zunächst knüpft § 278 BGB an das Verschuldensprinzip an, indem er die jeweiligen Rechtsfolgen des Verschuldens des Schuldners (Geschäftsherrn) auch dann anordnet, wenn dieses Verschulden allein bei dem Erfüllungsgehilfen vorliegt5 • Der "Herr" wird in der Haftung auf den Platz des Gehilfen gestellt6 , da er den Gehilfen in das Schuldverhältnis "einschaltet"7. Das Handeln des Erfüllungsgehilfen wird dem Geschäftsherrn zugerechnet, wenn ersterer "in Erfüllung einer Verbindlichkeit" des Geschäftsherrn mit dessen Willen tätig war. Dem Geschäftsherrn kann das Verhalten des Gehilfen jedoch subjektiv nicht zugerechnet werdens. So ist denn auch anerkannt, daß hier eine objektive Zurechnung zu Lasten des Geschäftsherrn erfolgt9. Allerdings wird diese durch eine rechtswidrige und schuldhafte Handlung des Gehilfen vermittelt. Das Band zur Verschuldenshaftung ist daher noch nicht durchschnitten. Aufschlußreich sind nun die in der Literatur zur Begründung dieser halbobjektiven Zurechnung genannten Argumente. Heinrichs10 betont, die Tätigkeit der Hilfspersonen liege im Einflußbereich11 und demgemäß auch im Gefahrenkreis des Schuldners, der den Vorteil der Arbeitsteilung habe und daher auch den Nachteil 12tragen müsse. Das Risiko im Fall des Fehlens einer Einflußmöglichkeit hat der Geschäftsherr zu tragen13 • Soergel- Schmidt, § 278, Rz 4, 6; Westermann, JuS 1961, 333 (338). Die Haftung für den gesetzlichen Vertreter bleibt hier ausgeklammert. 6 Deutsch, Fahrlässigkeit, S.313; ähnlich E. Schmidt, Nachwort, S.152; Larenz, Vertrag und Unrecht I, S.172. 7 Westermann, S. 338 f. S Von falschen Weisungen, mangelnder Aufsicht usw. sei hier einmal abgesehen. 9 Dickescheidt, Die Haftung des Geschäftsherrn, S. 63; Deutsch, Fahrlässigkeit, S.67; Esser, Schuldrecht I, § 8 I 4 (S.54); Hesemann, Interesse und Gefährdung, S.19; Larenz, Schuldrecht I, § 20 I (S.205/206); ders., Vertrag und Unrecht I, S.172; ders., Methodenlehre, S.462; Lemhöfer, VersR 1967, 1126 (1130); Palandt - Heinrichs, § 278, Anm.1; § 276, Anm. 10 a. 10 Palandt - Heinrichs, § 278, Anm.1; § 276, Anm.l0 a; Soergel- Schmidt, § 278, Rz 1. 11 Ebenso Heck, Schuldrecht, S.81/82; Soergel- Schmidt, § 278, Rz 1; Dickescheidt, S.72; Mohr, Kanalisierung, S.27; a.A. allerdings Larenz, Schuldrecht, § 20 VIII (S. 218 f.); Esser, Schuldrecht I, § 39 I 3 (S.254); Westermann, S. 338. 12 Mohr, Kanalisierung, S.27; Esser, Schuldrecht I, § 8 I 4 (S. 54); Larenz, MDR 1954, 515 (518); ders., Methodenlehre, S.462; Köpcke, Typen der positiven Vertragsverletzung, S.120; Denecke, RdA 1952, 209 (212); Oertmann, Das Recht 1922, Sp.6; v. Wurmb, Haftung des Verfrachters, S.7. 13 v. Wurmb, S. 8. 4

5

1. Die Einstandspflicht für Mitglieder des Geschäftskreises

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Köpcke weist auf die stärkere Gefährdung des Vertragspartners hin, die dadurch entsteht, daß nicht der Geschäftsherr selbst, sondern ein oft vermögensloser Gehilfe tätig wird, auf dessen Auswahl der Partner des Geschäftsherrn keinerlei Einfluß hat14 • Heck 15 nennt ebenfalls das wirtschaftliche Sicherungsinteresse des Gläubigers (Ersatzprinzip), das die Regelung gewährleiste. Wilburg16 fügt die Zumutbarkeit einer Versicherung als mögliche Rechtfertigung einer Geschäftsherrnhaftung hinzu. ReimeT Schmidt 17 weist schließlich darauf hin, daß der Gläubiger sein "vertragliches Vertrauen" dem SchuldneT gewähre. Bei der Überprüfung dieser Argumente fällt auf, daß sie fast alle bei der Begründung der verschiedenen einzelgesetzlichen Gefährdungshaftungen ebenfalls vertreten sind. So lassen sich das Vorteil-NachteilPrinzip 18 (Wer den guten Tropfen hat, muß auch den bösen nehmen), das Moment der Gefahrenbeherrschung im Einflußbereich des Geschäftsherrn19 , die wirtschaftliche Stärke des Geschäftsherrn20 (richesse oblige) von WeyeTs 21 als "deep-pocket-Argument" ausführlich erörtert - und schließlich die Zumutbarkeit der Versicherung2! vielfach als Begründung der Gefährdungshaftung nachweisen.

In der weitgehenden Gleichheit der Begründung kommt unverkennbar eine gewisse Nähe zu einer objektiven Einstandspflicht für bestimmte Risiken in Form einer Gefährdungshaftung zum Ausdruck23 • Dem entspricht die Erkenntnis, daß Verschuldenshaftung und Gefährdungshaftung keine Gegensätze sind, sondern daß zwischen ihnen Köpcke, S. 120; vgl. auch Eike Schmidt, AcP 170, 502 (531). Heck, Schuldrecht, S.81; ebenso LaTenz, Vertrag und Unrecht 1, S.172; WesteTmann, S.338; Soergel- Schmidt, § 278, Rz 1; MohT, S.28. 16 WilbuTg, Elemente, S.225; MohT, S.29. 17 Soergel- Schmidt, § 278, Rz 1; ähnlich E. Schmidt, Nachwort, S.153; EsseT, Schuldrecht I, § 39 13 (S.254). 18 CanaTis, RdA 1966, 41 (43); EsseT, Schuldrecht 1, § 8 I 3 (S. 54); Hesemann, Interesse und Gefährdung, S. 29; LaTenz, Schuldrecht H, § 77 I (S. 534); ders., JuS 1965, 373 (374); deTs., Vertrag und Unrecht H, S.64; MeineTt, DB 1958, 1328; Soergel- ZeuneT, vor § 823, Rz 12; ZacheTt, Gefährdungshaftung, S.19/ 20, 23; Rümelin, Grunde der Schadenszurechnung, S.45; KöbIeT, RdA 1970, 14

15

97 (99).

19 CanaTis, RdA 1966, 43; LaTenz, Schuldrecht H, S.534; JuS 1965, 374; Heck, Schuldrecht, S.460; Rümelin, S.56; ZacheTt, S.19/20, 23; WeyeTs, Unfallschäden, S.473; Bienenfeld, Haftung ohne Verschulden, S. 114 f., mit weiteren Nachweisen; v. CaemmeTeT, Gefährdungshaftung, S.15/16. 20 WeyeTs, Unfallschäden, S.399; BienenfeId, S. 109 f., mit weiteren Nach-

weisen.

WeyeTs, S. 526 f. EsseT, Gefährdungshaftung, S.120 f.; Heck, Schuldrecht, S.460; Rinck, Gefährdungshaftung, S.24; SoeTgel- ZeuneT, vor § 823, Rz 12; Zachert, Gefährdungshaftung, S.23; v. CaemmereT, Gefährdungshaftung, S.15/16. 2S Vgl. Gamillscheg, Haftung des Arbeitnehmers, S.36. 21

22

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7. Kap.: Risikozurechnung an· den Geschäftsherrn

nur graduelle Unterschiede bestehen24 • Die eine Zurechnungsform geht allmählich in die andere über, Mischformen sind möglich25 • Eine solche Mischform stellt § 278 BGB mit der aufrechterhaltenen Koppelung an den Verschuldensgrundsatz dar26 • Zum Teil ist diese Koppelung jedoch nur eine Fiktion, bedenkt man, daß das Maß der Sorgfalt, das der Gehilfe zu prästieren hat, dem "standard" des Geschäftsherrn entnommen wird27 • Das bedeutet eine gegenüber dem oben Erörterten erweiterte Objektivierung des Fahrlässigkeitsbegriffs.. Das BGB enthält daher in § 278 BGB eine erste vorsichtige Abweichung von einem reinen Verschuldensprinzip mit dem Ziel der Konzentrierung der Haftung auf den Geschäftsherrn28 , wobei objektive Kriterien einer Risikozurechnung als Begründung dienen. Unter diesem Aspekt wird verständlich, warum die Vorschrift des § 831 BGB der Rechtsanwendung derartige Schwierigkeiten bereitete. Sie stand (und steht zum Teil noch) der Bewältigung des hier bezeichneten rechtspolitischen Ziels im Wege. Man kann die Geschichte des § 831 BGB getrost die Geschichte seiner Umgehung nennen29 • Mohr bezeichnet § 831 BGB als "Papierrecht" im Sinne der rechtssoziologischen Terminologie30 • Allerdings wird weitgehend verkannt, daß auch diese Vorschrift keine reine Verschuldungshaftung enthält, so daß die Reduktion ihres Anwendungsbereiches nur das reduziert, was in ihr selbst schon eingeschränkt ist: den Verschuldensgrundsatz. 2. §831 BGB

Die Vorschrift des § 831 BGB geht einen zunächst eigenartig erscheinenden Weg zur Begründung der Haftung des Geschäftsherrn. Sie setzt eine tatbestandsmäßige . und rechtswidrige Handlung des - abhängigen - Verrichtungsgehilfen voraus und koppelt diese an ein Auswahl- und überwachungsverschulden des Unternehmers. Diesem wird dann die Beweislast für seine ordentliche Auswahl und 24 Deutsch, Festschrift für Honig, S.36, mit weiteren Nachweisen; Hans StoU, Handeln auf eigene Gefahr, S.279; Weyers, Unfallschäden, S.354/355; v. Caemmerer, Gefährdungshaftung, S. 13. 25 Deutsch, Festschrift für Honig, S. 36. 26. Vgl. Hesemann,. Interesse und Gefährdung, S. 19. 27 Westermann, JuS 1961, 385; Deutsch, Fahrlässigkeit, S.312, mit weiteren Nachweisen. 28 Mohr, Kanalisierung, S. 26 f. 2'9 Vgl. E. Böhmer, Künstliche Konstruktionen zur Umgehung des § 831 BGB, MDR 1964, 968; v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, Bd. .II, S.56, 58; Nitschke, NJW 1969, 1737 (1741); Gernhuber, Festschrift für Nikisch, S. 249 (253); EikeSchmidt, AcP 170, 502 (508). 30 Mohr, S.39.

I. Die Einstandspflicht für Mitglieder des Geschäftskreises

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überwachung auferlegt. Auffällig ist zunächst die für das BGB unsystematische Abweichung vom Verschuldensgrundsatz bei dem handelnden Verrichtungsgehilfen. Die stattdessen erfolgende Anknüpfung an ein Verschulden des Geschäftsherrn ist in zweifacher Hinsicht vom Verschuldensgrundsatz bereits entfernt. Zunächst einmal bezieht sich das Verschulden nicht auf den vom Gehilfen rechtswidrig herbeigeführten Erfolg, sondern auf einen vorhergehenden Umstand (mangelnde Auswahl, Aufsicht etc.)31. Westermann spricht daher richtig von "mittelbarer Verschuldenshaftung" . Hier besteht eine gewisse Ähnlichkeit zur "haftungsausfüllenden Kausalität", die auch nicht vom Verschulden umfaßt wird und demgemäß verschiedentlich als "objektive Zurechnung" bezeichnet wird32 • Man könnte bei § 831 BGB von einer haftungsbegründenden Kausalitätsfiktion sprechen. Die Umkehrung der Beweislast gegenüber der Regel des § 823 BGB enthält ein weiteres Element einer objektiven Zurechnung durch § 831 BGB33. Die Aufstellung einer Verschuldensvermutung war nur zu oft der Beginn einer Gefährdungshaftung 34 • Verschuldensvermutungen enthalten immer ein Element einer Risikohaftung35 • Nicht zufällig wurde 1861 vom Ober-Appellationsgericht München der Betrieb einer Eisenbahn als notwendig kulpose Handlungsweise bezeichnet36 • Von Schenck nennt alle diese Fälle einer Exkulpationshaftung Tatbestände einer bedingten Zufallshaftung, die aus dem Gedanken der von rechtlichem Einfluß und rechtlichem Interesse gekennzeichneten persönlichen Rechtssphäre zu erklären seien31 • Aus der Stellung des § 831 BGB als Zwischenstufe auf dem Weg zu einer objektiven Unternehmerhaftung ergibt sich nahezu zwingend, daß die Exkulpationsmöglichkeit eines Tages verschwinden wird 38 • § 831 BGB enthielt von Anfang an Elemente einer objektiven Zurechnung zu Lasten des Geschäftsherrn mit der Zielrichtung, dem Geschäftsherrn die Risiken seines Geschäftsbereichs zuzuordnen39 • Der 31 WesteTmann,JuS 1961,333 (342).

32 Deutsch, Fahrlässigkeit, S.78/79, 177, 387; LaTenz, Schuldrecht H, § 71 I. d (S.453). 33 Vgl. Mohr, Kanalisierung, S.32; 'V. Schenck, Der Begriff der Sphäre, S. 135 f.; Deutsch, Festschrift für Honig, S. 35. 3' Weyers, Unfallschäden, S.355. 35 Soergel- ZeuneT, § 831, Rz 1; WeyeTs, Unfallschäden, S.355; ZacheTt, Gefährdungshaftung, S. 194/195.. 38 Seuff. Arch. 14, Nr. 208 (S. 358). 37 'V. Schenck, S.145/146; vgl. auch BGHZ 24, 21 (30). 38 Vgl. die interessanten Erwägungen, mit denen OeTtmann bereits 1922 (Das Recht 1922, Sp.7) dieses Ergebnis in Aussicht stellte; ebenso auch Rümelin, Gründe der Schadenszurechnung, S. 89. 39 BGH JZ 1958, 614; Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.36; MohT, Kanalisierung, S.32; Soergel- ZeuneT, § 831, Rz 1; Weyers, Unfall-

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7. Kap.: Risikozurechnung an den Geschäftsherrn

Reformvorschlag des Referentenentwurfs von 1967 mit dem Wegfall der Exkulpationsmöglichkeit40 sowie die Bemühungen von Rechtsprechung und Lehre, diese Exkulpationsmöglichkeit schon jetzt einzuschränken41 , sind daher nur folgerichtig42. Lemhöfer43 bezeichnet das Ergebnis dieser Erwägungen richtig als ein "Einstehen des Geschäftsherrn für bestimmte Fehler in seiner Sphäre, mit der er im Verkehr als Einheit auftritt"44. Esser hält dagegen die Neufassung nur in den Fällen für berechtigt, in denen "entweder eine generelle Gefährdung besteht ... oder eine besondere Gefährlichkeit der aufgetragenen Verrichtung"45. Er verlangt eine typische Gefahrenerhöhung. In einigen anderen Schadensersatznormen ist diese Entwicklung bereits weiter fortgeschritten. 3. Zurechnungsbestimmungen außerhalb des BGB

Ähnlich wie der noch zu behandelnde § 31 BGB46 erstrecken die §§ 485 HGB, 3 BSchG und 2 RHaftpflG47 die Verantwortlichkeit des Geschäftsherrn auch auf das Deliktsrecht, aber ohne Möglichkeit einer Exkulpation. Weitgehend ist hier die Bestimmung des § 278 BGB im Gehalt übernommen, so daß das oben Ausgeführte auch für diese Vorschriften gilt. Die Bestimmungen gehen über § 831 BGB hinaus, indem sie dem Geschäftsherrn die Exkulpation verwehren, führen aber als Korrektiv ein Verschuldenserfordernis beim Gehilfen ein. Die für die einzelnen Vorschriften aufgeführten Begründungen lassen wiederum deutlich die Entfernung vom Verschuldensgrundsatz zugunsten einer Zurechnung wirtschaftlicher Risiken erkennen. schäden, S.355/356, 473; vgI. auch den überblick über die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bei v. Schenck, S.144. 40 Der Entwurf lautet: "Wer einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, ist, wenn der andere in Ausführung der Verrichtung durch eine vorsätzlich oder fahrlässig begangene unerlaubte Handlung einem Dritten einen Schaden zufügt, neben dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet." Kritisch dazu Helm, AcP 166, 389 (401 f.); Larenz, Schuldrecht II, § 73 VI (S.496). 41 VgI. dazu Böhmer, MDR 1964, 968; v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S.56, 58; Esser, JZ 1952, 257 (259); H. Lange, Gutachten zum 43. Deutschen Juristentag, Bd.1, S.6; Nitschke, NJW 1969, 1737 (1738 f., 174lf.). 42 VgI. Hanau, Anm. zu BAG AP Nr.53 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; Larenz, SAE 1962, 198; v. Schenck, S.145. 43 Lemhöfer, VersR 1967, 1126 (1129/1130). 44 Ähnlich auch Wilburg, Elemente, S. 225, Anm. 28. Baur, Karlsruher Forum 1962, 14 (16), spricht von einer "Bereichshaftung". 45 Esser, Schuldrecht II, § 110 I c (S. 431); ebenso Eike Schmidt, AcP 170, 502 (533). 46 VgI. dazu unten in diesem Kapitel unter II.2. 47 VgI. zu diesen Vorschriften auch Baur, S.16.

I. Die Einstandspflicht für Mitglieder des Geschäftskreises

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a) § 485 HGB, § 3 BSchG

Gern. §§ 485 HGB, 3 BSchG haftet der Reeder für ein schuldhaftes Verhalten der Schiffsbesatzung und der dieser gleichgestellten Personen48 in Ausführung von Dienstverrichtungen wie für eigenes Verschulden. Westermann49 zählt diese Zurechnungsnormen zur "Repräsentationshaftung" , die ausdrücken soll, "daß der Handelnde nach der Vorstellung des Soziallebens das Zurechnungssubjekt in dem von der Zurechnungsnorm erfaßten Teilbereich darstellt"50. In diesem Fall übernimmt der Handelnde die für den Unternehmer typische Aufgabe (im Gegensatz zum bloßen Handeln für ihn) und sein Verhalten wirkt wie das des Unternehmers51 . Als Grund für diese Art der Haftung des Reeders (bzw. des Ausrüsters, § 510 HGB) wird allgemein die besondere Gefährlichkeit der Schiffahrt genannt52 . Dem entspricht die - auch auf diese "Leute" des Reeders erweiterte - Möglichkeit der Haftungsbeschränkung, die ansonsten ein klassisches Kriterium der Gefährdungshaftung ist53 . Außerdem ist der Reeder der einzige, der von einem Geschädigten mit Aussicht auf wirtschaftlichen Erfolg in Anspruch genommen werden kann54 • Richtig ist aber auch die Ansicht Pappenheims 55 , der in der Vorschrift des § 485 HGB eine "Haftung für einen Herrschaftsverband" sieht56 . Das wird unterstrichen durch die erweiterte Anwendung der beiden Vorschriften auf alle Personen, die "in den arbeitsteiligen Organismus der Schiffsdienste und der Bordgemeinschaft eingegliedert sind"57. Der Gefährdungsgedanke dominiert wieder bei der analogen Anwendung auf solche Personen, bei denen nicht einmal die obige Voraussetzung zutrifft, die doch aber Dienste leisten, die mit den 48 Vgl. zu diesen Prüssmann, § 485, D 1 c; Schaps - Abraham, Bd.lI, § 481, Anm. 9 f., § 485, Anm.9; Schlegelberger, § 481, Rz 15. 49 Westermann, JuS 1961, 333 (334, 337 f.). 50 S.334. 51 S.334. 52 RGZ 119, 270 (272); 126, 35 (38); BGHZ 3, 34 (40); 25, 244 (248); 26, 152 (156); Segelken, Die Rechtsstellung des Lotsen, S. 98 f.; Wagner, Beiträge zum Seerecht, S. 81; Westermann, JuS 1961,333 (337/338); David, Die Haftung des Rheders, S. 67 f.; Mohr, Kanalisierung, S.30; a.A. Pappenheim, Gruch. Bd. 43, 342 (370). 53 Esser, Gefährdungshaftung, S.107; Rinck, Gefährdungshaftung, S.22; Sotiropoulos, Reederhaftung, S. 384. 64 Mohr, Kanalisierung, S.30. 55 Pappenheim, Gruch. Bd. 43, 342 (370); David, S. 69/70. 56 Demgegenüber betont Westermann, S.338, die Repräsentation zu einseitig, was sich an seinem Widerstand gegen die allseits als berechtigt erkannte Erweiterung der §§ 485 HGB, 3 BSchG bemerkbar macht. 57 Vgl. BGHZ 3, 34 (39); Westermann, S.338.

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7. Kap.: Risikozurechnung an den Geschäftsherrn

besonderen Gefahren der Schiffahrt zusammenhängen58 • Als einheitliches Grundprinzip kann hier festgestellt werden, daß unter Koppelung an Verschuldensvoraussetzungen wie bei § 278 BGB das besondere Risiko der Schiffahrt seinem Nutznießer und " Organisator", dem Reeder (bzw. Ausrüster), zugerechnet wird. Mit einem compositum mixtum von objektiver und subjektiver Zurechnung59 wird die Ver""' antwortung des Geschäftsherrn für diese Art von Risiken begründet. Hesemann60 bezeichnet § 485 HGB als einen Fall der Gefährdungshaftung. Dabei ist bemerkenswert, daß die hinderlichen Schranken des § 831 BGB bei dieser sicherlich besonders gefährlichen Tätigkeit gefallen sind61 • b) § 2 RHaftpflG

Eine weitere Verschärfung der Unternehmerhaftung ist die Haftung des Inhabers einer der in § 2 RHaftpflG aufgezählten Betriebe für ein Verschulden seiner leitenden Angestellten. Nach Westermann handelt es sich wiederum um einen Fall der "Repräsentationshaftung"62. Wenn Westerman auch hier von einer normalen Verschuldenshaftung spricht62 , so vernachlässigt er die Tatsache, daß im bürgerlichen Recht der Einzelunternehmer gerade nicht einer solchen Haftung unterliegt63 • Auf die hierin liegende Ungleichheit hat Nitschke 64 nachdrücklich hingewiesen. § 2 RHaftpflG bedeutet gegenüber dem Zustand der BGB-Regelung eine weitere Haftungsverschärfung, indem weitgehend Elemente des § 278 BGB in das Deliktsrecht übertragen werden. Diese Haftungsverschärfung wird zutreffend mit der besonderen Gefährlichkeit der in § 2 RHaftpflG aufgezählten Betriebe begründet65 • Wie kurz der Weg von hier zur reinen Gefährdungshaftung ist, zeigen die Vorschriften des § 456 HGB in Verbindung mit § 1 RHaftpflG und § 1 SachhaftpflG für die Haftung der Eisen58 BGHZ 3, 34 (39); Prüssmann, § 485, Anm. DIe; Schaps - Abraham, Bd.H § 481, Anm. 9 f.; Schlegelberger, § 481 Rz 15. 59 Wie sich bereits aus der Behandlung des § 278 BGB (in diesem Kap. unter 1. 1) ergibt, kann hier Westermanns Ansicht (S.338), es handele sich

um eine normale Verschuldenshaftung, nicht zugestimmt werden; vgl. auch Dickescheidt, Die Haftung des Geschäftsherrn, S. 63. 60 Hesemann, Interesse und Gefährdung, S.4; einschränkend S.19. 61 Das ist oft auch der "tragende" Grund der analogen Anwendung der §§ 485 HGB, 3 BSchG. Richtig Westermann,S. 338, Anm.23. 62 S. 338; vgl. auch Baur, Karlsruher Forum 1962, 16. 63 § 31 BGB gilt nur für juristische Personen, oHG und KG. Vgl. dazu auch unten in diesem Kap. unter H.2. 64 Nitschke, NJW 1969, 1737: "Die Anwendbarkeit des im § 31 BGB enthaltenen Rechtsgedankens auf alle Unternehmensträger. " 65 Westermann, S.338; Mohr, Kanalisierung, S.31.

I. Die Einstandspfticht für Mitglieder des Geschättskreises

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bahn. Die Gefährlichkett eines Betriebes bewirkt somit eine Verschärfung der Haftung gegenüber dem Normalzustand des BGB. Diese Betriebsrisiken66 werden dem Unternehmer zugerechnet, wobei die Verschuldenshaftung seiner "Leute" bisweilen nur eine Durchgangsstation zur rein objektiven Risikozurechnung darstellt. 4. Der 'Übergang zur Gefährdungsbaftung (§ 701 BGB)

Die objektive Tendenz in der Gehilfenhaftung mit eier Richtung, den Betriebsinhaber für die typischen Betriebsrisiken einstehen zu lassen, führt, wie bereits erwähnt, bisweilen zu einer reinen Gefährdungshaftung.In der Haftung des Gastwirtes gem. §§ 701 ff. BGB ist diese Entwicklung zum Abschluß gekommen. Das "besondere Risiko" eines Beherbergungsbetriebes bewirkte die Schaffung einer reinen Gefährdungshaftung67. Die betriebliche Sphäre des Beherbergungswirtes ist. für den Gast derart schlecht zu kontrollieren, daß eine absolute Einstandspflicht des Wirtes nicht nur für seine Leute, sondernauch für Betriebsfremde . als angebracht erscheint68 • Nur der Gastwirt ist in der Lage, eine effektive überwachung des Betriebes und der eingebrachten Sachen sicherzustellen. Hoteldiebstahl gehört für ihn zum Betriebsrisiko. 5. Zusammenfassung

In der Gehilfenhaftung läßt sich somit eine Schadenszurechnung zu Lasten des Geschäftsherrn feststellen, die Kennzeichen einer Objektivierung der Haftung trägt. Diese Objektivierung wird von wirtschaftlichen Erwägungen getragen, die dem VerschuldensgrundsatZ in seinem ursprünglichen - nämlich ethischen - Sinn eigentlich fremd sind. Sie zielen auf eine Zuordnung der typischen Risiken des Unternehmens auf seinen wirtschaftlichen Trägers". Das Erfordernis eines individuellen Fehlverhaltens des Unternehmers tritt mehr und mehr zurück. Viele Schäden sind für ihn reine Unglücksschäden. Es bestätigt sich hier ein Satz von Würdinger aus einem unveröffentlichten Gutachten, den v. Schenk70 zitiert: "Es ist ein die gesamte Rechtsordnung beherrschender Grundsatz, daß sich Herrschaft und Haftung, die Befugnis zur wirtschaftlichen und geschäftlichen Disposition mit dem Einstehenmüssen für 66 So ausdrücklich LaTenz, SAE 1962, 198, unter Hinweis auf die arbeitsrechtliche Betriebsrisikolehre; gegen die Verwendung des Begriffes "Betriebsrisiko" aber BaUT, S. 15. 67 Vgl. Palandt - Thomas, vor § 701, Anm.2; BGHZ 32, 149 (150). 68 Dickescheidt, Die Haftung des Geschäftsherrn, S. 72. 69 LaTenz, SAE 1962, 198. 70 v. Schenck, Der Begriff der Sphäre, S. 395, Anm. 1.

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7. Kap.: Risikozurechnung an den Geschäftsherm

die getroffene Entscheidung, die Möglichkeit der Risikobeherrschung mit der rechtlichen Gefahrtragung verbindet." Läßt sich somit diese Tendenz schon in einigen Bereichen des Privatrechts an Hand der Gesetzesbestimmungen nachweisen, so wird verständlich, daß sich Rechtsprechung und Rechtslehre mit der Vorschrift des § 831 BGB nicht abgefunden haben, da diese Vorschrift dem Unternehmer eines wirtschaftlichen Betriebes mit der Exkulpation noch eine Flucht aus der Verantwortung ermöglicht. Betrachtet man die Personen, für die der Unternehmer haftet, nach dem Grad ihrer Selbständigkeit, so läßt sich folgendes feststellen: Die weitestgehende Abhängigkeit setzt § 831 BGB voraus 71 • § 2 RHaftpflG spricht von Bevollmächtigten, Repräsentanten und Aufsichtspersonen, denen mithin eine weitgehende Selbständigkeit zugemessen werden kann, auch wenn sie immer Angestellte des Unternehmers sein dürften. Die §§ 278 BGB, 485 HGB und 3 BSchG erfassen demgegenüber sowohl abhängige Gehilfen des Unternehmers als auch Selbständige wie etwa den Lotsen. Die Zurechnung der Unternehmensrisiken an den Unternehmer erscheint daher als relativ unabhängig von der Selbständigkeit der für das Unternehmen tätigen Leute. Scheint dieses Ergebnis zunächst für das Deliktsrecht nur bedingt zuzutreffen, so erweist sich seine Geltung auch auf diesem Gebiet durch die Ausdehnung der Anwendung des § 278 BGB, die nun zu behandeln sein wird.

11. Die Verschärfung der deliktischen Haftung des Geschäftsherrn 1. Die Ausdehnung des Anwendungsbereiclls von § 278 BGB Eine bedeutende Erweiterung der deliktischen Haftung des Geschäftsherrn für Handlungen seiner Gehilfen erfolgte durch die Einbeziehung typischer Deliktstatbestände in den Bereich der Vertragshaftung72 mit der Folge der Anwendbarkeit des § 278 BGB. In diesem Zusammenhang sind vor allem die Figuren der "culpa in contrahendo" und des "Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte" zu nennen. a) Culpa in contrahendo

Aus Gründen der zeitlichen Reihenfolge verbietet sich die Annahme, die "Schöpfung" der culpa in contrahendo sei nur zur Umgehung des 71 Soergel- Zeuner, § 831, Rz 15; Westermann, JuS 1961, 333 (342); BGHZ 26, 152 (159). Der Begriff des Verrichtungsgehilfen ist weitgehend kongruent mit dem des Arbeitnehmers. 72 v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S.56; E. Böhmer, MDR 1964, 968 (969); Gernhuber, Festschrift für Nikisch, S.249 (253); Rother. Haftungsbeschränkung, S. 134/135.

H. Die Verschärfung der deliktischen Haftung des Geschäftsherrn

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§ 831 BGB erfolgt, konnte doch 1861 Ihering an diese Entwicklung seiner Theorie gewiß noch nicht denken73 . Es fällt doch aber auf, daß gerade der "Linoleumteppichfall"74 der Paradefall für das Institut der "culpa in contrahendo" wurde, ein Fall, bei dem es um die Haftung für das Delikt eines unvorsichtigen Gehilfen ging. Unverkennbar zeigt sich hier die wertvolle Hilfe der Figur der "culpa in contrahendo" bei der Umgehung des § 831 BGB75 durch Erweiterung des Anwendungsbereiches des § 278 BGB. Dieses Motiv kommt auch in einem Satz der Entscheidung selbst zum Ausdruck. So heißt es am Ende der Entscheidung76 : "Es würde dem allgemeinen Rechtsempfinden widerstreiten, wenn in Fällen, wo der Geschäftsangestellte beim Vorzeigen oder beim Vorlegen von Waren zur Besichtigung, zum Verkosten, um einen Versuch zu machen und dergleichen den Kauflustigen durch Unvorsichtigkeit schädigt, der Geschäftsinhaber - mit dem der Kauflustige den Kauf hat abschließen wollen- nur nach Maßgabe des § 831 BGB und nicht unbedingt haftete, der Verletzte also beim Gelingen des Entlastungsbeweises an den zumeist mittellosen Angestellten verwiesen würde." In diesem Bereich fällt auch die Kongruenz mit dem Problemkreis der Verkehrssicherungspflicht auf 77 • Wie wenig Konsequenzen jedoch aus dieser Funktion der "culpa in contrahendo" gezogen werden, zeigt sich in den Begründungen dieses Rechtsinstituts, die diesen nun gewiß nicht zweitrangigen Gesichtspunkt vernachlässigen. Die herrschende Meinung78 bezeichnet als Begründung der "culpa in contrahendo" den Eintritt in Vertragsverhandlungen, der ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis erzeuge, das zur Sorgfalt von Schuldnern verpflichte. Larenz7t begründet dieses Institut mit der Aufnahme geschäftlicher Kontakte, letztlich mit Treu und Glauben. Zu diesen Begründungen paßt es aber nicht, daß die weitgehende Anwendung des Instituts der "culpa in contrahendo" zum Teil aus der 73 Vgl. dazu v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S.57.

RGZ 78, 239 f. (1911). Vgl. v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S.56/57, 58; SoergelZeuner, § 831, Rz 8; Soergel- Siebert - Knopp, § 242, Rz 157; Palandt - Heinrichs, § 276, Anm. 6 a; Nitschke, NJW 1969, 1737 (1741); Larenz, MDR 1954, 515 (516/17); Helm, AcP 166, 389 (391); Westermann, JuS 1961, 333 (340); Söllner, JuS 1970, 159 (163); Eike Schmidt, Nachwort, S.151, 136/137; Mohr, Kanalisierung, S. 28, Anm. 33. 76 RGZ 78, 239 (241). 77 Vgl. dazu in diesem Kap. unten unter H. 2. b); zurückhaltend Larenz, MDR 1954, 515 (516 f.); vgl. aber Soergel- Siebert - Knopp, § 242, Rz 158; vgl. auch RGZ 127, 218 (220). 78 Zusammenstellung bei Palandt - Heinrichs, § 276, Anm. 6 a; Larenz, Schuldrecht I, § 9 I (S. 89 f.). 79 Larenz, Schuldrecht I, S.93; ders., MDR 1954, 515 (518). 74

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7. Kap.: RisikozUrechnung an den Geschäftsherrn

Unzulänglichkeit des § 831 BGB zu erklären ist8o• Mit Hilfe dieses Instituts wurde ein Schritt zUr erstrebten Anwendung des § 278 BGB im Deliktsrecht getan. Es ist eben kein Zufall, wenn der Referentenentwurf von 1967 gerade diese übernahme des § 278 BGB81 enthält. Das zeigt,daß entgegen Larenz82 der "geschäftliche Kontakt" nicht als Indikator der Grenze des § 278 BGB empfunden wird. Nur bisweilen erfassen die Begründungen für die Haftung aus "culpa in contrahendo" auCh den entscheidenden rechtspolitischen Aspekt. So begründet Dölle die Haftung mit dem Eintritt in die von einem anderen beherrschte Rechtssphäre, der man Vertrauen entgegenbringe. Entscheidend ist nach Dölles Ansicht der "soziale Kontakt", "vermöge dessen eine Person zur Erreichung eines bestimmten Zwecks ihre Lebensgiiter dem Einfluß und damit der Obhut und Sorgfalt einer anderen Person anvertraut" 83. Der Schaden muß "als spezifisch aus der Berührung mit einem fremden Rechtskreis erwachsend" angesehen werden können84 . Hier erscheint das Moment der Gefahrenbeherrschung im eigenen Geschäftskreis, das schon bei ·der Begründung der Regelung· des § 278 BGB wie bei der Gefährdungshaftung nachgewiesen wurde8l'. Diese Erstreckung des § 278 BGB in Bereiche, die ursprünglich einmal dem Deliktsrecht vorbehalten waren, bedeutet eine Verschärfung der Geschäftsherrnhaftung. § 831 BGB wird dadurch eingeschränkt und damit die Möglichkeit des Geschäftsherrn, durch Nachweis persönlicher Unschuld der Haftung zu entgehen. Das bedeutet einen weiteren Schritt zur objektiven Risikohaftung des Geschäftsherrn88 . Der Verschuldensfeststellung fehlt nunmehr der in § 831 BGB noch enthaltene persönliche Vorwurf gegenüber dem Geschäftsherrn. Das wird auch nicht durch die Subjektivierung auf Seiten des Gehilfen mit dem Verschuldenserfordernis bei diesem gern. § 278 BGB ausgeglichen. Neben dem objektiven Fahrlässigkeitsbegriff sorgt hier eine Verschärfung der Verschuldensmaßstäbe für das "richtige", nämlich das gewünschte Ergebnis87• Darüber hinaus führt die Anwendung des § 282 BGB hier zu der 80 Richtig Palandt - Heinrichs, § 276, Anm. 6 a; Weyers, Unfallschäden, S.86; Esser, Schuldrecht H, § 110 I (S.431); Eike Schmidt, AcP 170, 502 (507/508). 81 vgl.· dazu oben in diesem Kap. unter r.2. 82 Larenz, MDR 1954, 515 (518). 83 Dölle, ZStaatsw. 103, 67 (74 f., 84); ähnlich E. Schmidt, Nachwort, S.145 . bis 147. 84 Dölle, S. 78. 85 Vgl. dazu oben in diesem Kap. unter 1.1.; Dölle, S.77, 84. 86 Vgl. Larenz, Festschrift für Nikisch, S.275 (302); Esser, Schuldrecht H, § 110 (S.431). . 87 Vgl. dazu Esser, JZ 1953, 129 (131, 133); Rother, Haftungsbeschrärikung, S.134/135.

H. Die Verscllärfung der deliktischen Haftung des Geschäftsherrn

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gewünschten Risikoverlagerung88.Das Ziel ist die Zuordnung· des Schadens zu dem Risikobereich des Geschäftsherrn89 • Der Weg dazu geht über eine verstärkte Objektivierung des Schadensersatzrechts. b) Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte

Ein weiteres Institut, das bei der· Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 278 BGB und damit bei der Einschränkung des § 831 BGB erhebliche Wirkung gezeigt hat, ist der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte9°. "Leading case" wurde auch hier ein Fall, bei dem es um die Verantwortlichkeit eines Handwerksbetriebes für Nachlässigkeit eines Monteurs ging91 • Dabei wurde noch der später aufgegebene 92 Weg über eine direkte Anwendung des § 328 BGB beschritten. Es kann als sicher angenommen werden, daß die Lehre des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte vor allem hinsichtlich des geschützten Personenkreises eine andere Entwicklung genommen hätte, wenn nicht die allseits als unbefriedigend empfundene Regelung der Geschiiftsherrnhaftung in § 831 BGB wäre93 • Dieses "Motiv" ist auch in der Entscheidung RGZ 127, 218 f. in einem Satz des - bestätigten - Berufungsurteils des OLG Kassel zu erkennen94 • Dort hieß es nach dem Bericht des RG: "Denn ohne eine solche Ausdehnung der Vertragspflichten des Unternehmers würden die Angehörigen in Schädigungsfällen auf außervertragliche Ansprüche beschränkt sein. Eine solche .verschiedene Gestaltung der Rechtslage des Bestellers und seiner Angehörigen widerstrebe dem gesunden Rechtsgefühl und entspreche deshalb nicht den Vertragsabsichten des Bestellers, der, wie sich der Unternehmer nicht verhehlen könne, seine Angehörigen in bezug auf Ersatzansprüche nicht schlechter stellen wolle als sich selbst911." Das "gesunde Rechtsgefühl " findet sich hier offenbar nicht mit § 831 BGB ab. 88 Vgl. zur Bedeutung der Beweislastregeln unten in diesem Kap. unter H. 2. c). 89 Weyers, Unfallschäden, S.86. go Soergel- Zeuner, § 831, .Rz 8; v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S.59; Esser, Gefährdungshaftung, S.25, 39; Helm, AcP 166, 389 (391); Nitschke, NJW 1969, 1737 (1741); Westermann,JuS 1961, 333 (340); Weyers, Unfallschäden, S.86; Esser, Schuldrecht H, § 110 I (S.431); Gernhuber, Festschrift für Nikisch, S.249 (253); Mohr, Kanalisierung, S.28, Anm. 33; sönner, JuS 1970, 159 (163); v. Wurmb, Die Haftung des Verfrachters, S.174. 91 RGZ 127, 218 f. (1930); vgl. auch v. Caemmerer, Wandlungen des DeIiktsrechts, S.59/60; Esser, Gefährdungshaftung, S.25; ähnlich auch schon RGZ 87, 289 (Arzt stürzt mit Pferdedroschke auf dem Weg zum Patienten). 92 BGH NJW 1959, 1676; vgl. zur Entwicklung Gernhuber, Festschrift für Nikisch, S. 260 f. 93 v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 61; Esser, Gefährdungshaftung, S.25; Gernhuber, Festschrift für Nikisch, S. 260 f. 94 Vgl. auch E. Böhmer, MDR 1964, 968 (969). 95 RGZ 127, 218 (220).

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7. Kap.: Risikozurechnung an den Geschäftsherrn

Wenn nun Rechtsprechung und Rechtslehre schwanken, ob das Institut des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte auf einer ergänzenden Vertragsauslegung oder wie die Haftung aus "culpa in contrahendo" auf einem durch jeden rechtsgeschäftIichen Kontakt begründeten gesetzlichen Schuldverhältnis beruhtOO , so zeigt sich, wie sehr man immer noch bemüht ist, die Umgehung des § 831 BGB als ein wesentliches Motiv dieser Theorie zu verdecken97• Wohin die Entwicklung zielt, zeigt die beabsichtigte Reform des § 831 BGB. Gernhuber98 nähert sich dabei diesem Ziel, indem er die Drittwirkung unabhängig vom ParteiwiIIen schon dann bejaht, wo Dritte den Gefahren der Leistungshandlung in gleicher Weise ausgesetzt sind wie der Gläubiger der Leistung. Mit Hilfe des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte wurde somit ein weiterer Schritt zur Ausweitung des Anwendungsbereiches des § 278 BGB gegangen. Zugleich wurde dadurch § 831 BGB den "Gegebenheiten der Betriebshaftpflicht" angepaßt99• Auch hier wurde daher das in § 831 BGB noch enthaltene persönliche Verschuldenselement weiter zurückgedrängt zugunsten einer mehr und mehr zur objektiven Zurechnung sich bewegenden Geschäftsherrnhaftung10o • Ähnlichen Zielen dienen eine ganze Reihe weiterer Rechtsinstitute und Lehrmeinungen. So wendet sich Reimer Schmidt gegen die Beschränkung des § 278 BGB auf Handlungen bei Erfüllung einer Verbindlichkeit 101 • Einer weiteren Ausdehnung des § 278 BGB dienen auch die Haftung für den Repräsentanten im Versicherungsrecht 102 sowie das "nachbarschaftIiche Gemeinschaftsverhältnis"l03. Dieses Bestreben, zu einer den wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten des 20. Jahrhunderts gemäßen Geschäftsherrenhaftung zu gelangen, kennzeichnet auch die Haftung für Organisationsmängel und die Entwicklung der Verkehrssicherungspflichten. 96 Vgl. dazu BGH JuS 1972, 50, mit weiteren Nachweisen; Berg MDR 1969, 613 (614); kritisch zu den Begründungen Medicus, Bürgerliches Recht, S.327. 97 Richtig Böhmer, MDR 1964, 969; vgl. auch Gernhuber, Festschrift für Nikisch, S.249 (253); Westermann, JuS 1961, 333 (340); Berg, MDR 1969, 614. 98 Gernhuber, Festschrift für Nikisch, S. 269 f.; ders., JZ 1962, 553 (555). 99 Helm, AcP 166, 389 (390). 100 Vgl. dazu Esser, Gefährdungshaftung, S.41. 101 Soergel - Schmidt, § 278, Rz 5; ebenso Köpcke, Typen der positiven Vertragsverletzung, S.120 f. (126); E. Schmidt, Nachwort, S.151/152; M. Rümelin, Schadenszurechnung, S. 89. 101l Vgl. dazu Westermann, JuS 1961, 333 (341). Zur vollen Anwendung von § 278 BGB kommt es jedoch nicht. 103 Vgl. dazu Soergel- Schmidt, § 278, Rz 6; Westermann, S.341. Diese Rechtsfigur hat sich allerdings bisher nicht durchsetzen können; vgl. E. Böhmer, MDR 1964, 968 (970).

II. Die Verschärfung der deliktischen Haftung des Geschäftsherrn

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2. Der Ausschluß der Exkulpation auch außerhalb eines Vertragsbereiches

Rechtsprechung und Lehre sind nicht dabei stehen geblieben, durch Erweiterung der "vertraglichen Sphäre" eine Anwendung des § 278 BGB und damit die Ausschaltung des § 831 BGB zu betreiben. Auch außerhalb dieses Bereiches sind Institute zur Begründung einer Geschäftsherrnhaftung entstanden, mit deren Hilfe die Exkulpationsmöglichkeit des § 831 BGB, die gerade der Kern dieser Gesetzesbestimmung ist104, zu einem weiteren Teil ausgeschaltet wird und die deliktische Geschäftsherrnhaftung weiter verschärft wird. Hier ist zunächst die Lehre vom Organisationsverschulden zu nennen, die ihren Ausgangspunkt bei § 31 BGB nimmt. a) Die Haftung für Drganisationsmänget

Gemäß § 31 BGB ist ein Verein1()5 für den Schaden verantwortlich, den ein verfassungsmäßiger Vertreter "durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt". Diese Vorschrift wird für die oHG und die KG entsprechend angewendetl° 6 , während die Behandlung des nichtrechtsfähigen Vereins streitig ist107• Sie gilt im Bereich der Vertragshaftung108 ebenso wie im Bereich der Deliktshaftung10D • Die herrschende Meinung betrachtet die Haftung der juristischen Person gern. § 31 BGB als Haftung für eigenes Verschulden (resp. eigene Gefährdung)l1O, während richtig wohl die Ansicht ist, es handle sich um eine Zurechnung der Handlung des verfassungsmäßigen Vertreters zu einem anderen Rechtssubjekt, der juristischen Person111 • Diese Haftung wird zutreffend als Repräsentationshaftung bezeichnet11Z• Während also eine juristische Person sowie oHG und KG jedenfalls für ihre "leitenden Angestellten" auch im Deliktsbereich voll einzustehen haben, kann sich nach der Fassung des § 831 BGB der Einzel104 105

David, Die Haftung des Reeders, S.65, 46/47. Dasselbe gilt gem. §§ 86, 89 BGB für die Stiftung und alle juristischen

Personen des öffentlichen Rechts. 106 Palandt - Danekelmann, § 31, Anm. 1; Nitschke, NJW 1969, 1737/38. 107 Vgl. dazu Westermann, JuS 1961, 333 (336); Nitschke, S.1738. 108 Str., zum Teil wird hier § 278 BGB angewendet. Vgl. Staudinger Coing, § 31, Rz 6, 7; Enneccerus - Nipperdey, Allg. Teil, S.664, Anm.17. 109 Palandt - Danekelmann, § 31, Anm. 1. 110 Palandt - Danekelmann, § 31, Anm.l; Enneccerus - Nipperdey, Allg. Teil, S.661, 664, Anm.17; Staudinger - Coing, § 31, Rz 17. 111 Nitschke, NJW 1969, 1737. 112 Westermann, JuS 1961, 333 (334/336); Nitschke, S.I737.

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7. Kap.: Risikozurechnung an den Geschäftsherrn

unternehmer exkulpieren113 • Die Ungleichbehandlung der Unternehmung je nach der Rechtsform liegt auf der Hand114 . Die Lehre vom Organisationsverschulden führt nun zu einer Erweiterung der Unternehmerhaftung. Bei Unternehmen in der Rechtsform einer juristischen Person (oHG oder KG) wird dem Unternehmensträger angelastet, daß für den Geschäftskreis, bei dem der Schaden eingetreten ist, kein verfassungsmäßiger Vertreter bestellt worden ist115. Einzelunternehmern, die durch den - umstrittenen "dezentralisierten Entlastungsbeweis"116 günstiger dastehen, wird· der Mangel gehöriger Aufsichtsanordnungen persönlich angelastet117, wodurch eine gewisse Annäherung an § 31 BGB zu verzeichnen ist118 . Der Bereich dieses Organisationsverschuldens wird besonders durch die Verkehrssicherungspflichten bestimmt119 , auf die noch zurückzukommen sein wird, erstreckt sich aber auch über diese hinaus. Die Gerichte neigen dazu, immer gerade die organisatorischen Maßnahmen zu vermissen, durch die der Schadensfall hätte verhütet werden könnenl20 • So gelingt es, den Entlastungsbeweis des § 831 BGB weiter auszuschaltenl21 • Nach Ansicht Nitschkes hat in § 31 BGB der allgemeine Rechtssatz "Wer die Vorteile einer Tätigkeit durch Hilfspersonen zieht, hat auch die Nachteile zu tragen", einen - wenn auch unvollkommenen - Ausdruck gefunden l22 • Wegen der noch bestehenden Ungleichheit in der Deliktshaftung einer Unternehmung in der Rechtsform einer juristischen Person, oHG oder KG mit einem Einzelunternehmer verlangt er eine Angleichung der gesamten Unternehmenshaftung an § 31 BGBI23. Damit wird das Ziel in der Rechtsentwicklung, die gesamte Unternehmenshaftung vom persönlichen Verschulden des Unternehmensträgers zu 113

114

Vgl. dazu Nitschke, NJW 1969, 1737 (1740, Anm.30). Nitschke, S. 1740/41.

115 RGZ 89, 136 f.; RG JW 1932, 2076; RGZ 162, 129 (166); BGHZ 24, 200 (212); BGHZ 39,124 (130); Palandt - Danekelmann, § 31 BGB, Antn. 1; SoergelZeuner, § 831, Rz 4; Esser, Gefährdungshaftung, S.35. 116 Vgl. dazu Palandt - Thomas, § 831, Anm. 6 b; Westermann, S.343; Soergel- Zeuner, § 831, Rz 40; Helm, AcP 166, 389 (395 f.); BGHZ 4, 1 f. 117 Palandt - Thomas, § 823, Anm. 8 d, 11; § 831, Anm. 2 B; BGHZ 4, 1 (2/3); 11, 151, (155 f.); Westermann, S.343. 118 Westermann, S.343. 119 Soergel- Zeuner, § 831, Rz 4, 10; Palandt - Thomas, § 823, Anm. 8 d; Weyers, Unfallschäden, S.85; Canaris, JZ 1968, 494 (497); Medicus, Bürgerliches Recht, S. 269. 120 Esser, Gefährdungshaftung, S.36; Weyers, S.85; Canaris, JZ 1968, 498. 121 Vgl. Enneccerus - Nipperdey, Allg. Teil, S.663; Medicus, S.269; Reinhardt, AcP 148, 147 (172); Söllner, JuS 1970, 159 (163); vgl. auch Canaris, JZ 1968, 494 (497/498). 122 Nitschke, NJW 1969, 1740/4l. 123 Nitschke, NJW 1969, 1737 (1740 f.).

H. Die Verschärfung der deliktischen Haftung des Geschäftsherrn

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lösen, deutlich. Der Prozeß der Objektivierung der Haftung schreitet fort, durch "Organisationsverschulden" wird er unter dem Deckmantel des Verschuldensprinzips betrieben. Durch planmäßiges Abschneiden der Exkulpationsmöglichkeit gem. § 831 BGB ist eine "Risikohaftung des Unternehmers" für rechtswidriges Verhalten seiner Gehilfen im Entstehen begriffen124 • Rechtsprechung und Lehre haben diese Entwicklung weiter. vorangetrieben durch die Schöpfung sogenannter Verkehrssicherungspflichten unter überhöhung der gestellten Sorgfaltsanforderungen. Hier ist der Weg zur Gefährdungshaftung fast zu Ende gegangen. b) Die Verkehrssicherungspfiichten

Die Ausformung von Verkehrssicherungspflichten hat ebenfalls zu einer Verschärfung auch der deliktischen Haftung des Geschäftsherrn geführt12\'). Oft wird nur noch äußerlich an der Voraussetzung eines schuldhaften Verhaltens festgehalten126• Reimer Schmidt nennt die Verkehrssicherungspflichten "gedankliche Hilfskonstruktionen" zum Zweck einer gerechten Schadensverteilung127• Das Ausmaß dieser verdeclden Gefährdungshaftung hat Esser umfassend in seiner Untersuchung "Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung" dargelegt. Er hat nachgewiesen, daß ein Katalog von Sorgfaltspflichten aufgestellt wird, deren Nichterfüllung durch den Schadenseintritt nahezu unwiderlegbar vermutet wird. In Wahrheit geht es auch nach Esser um eine gerechte Schadensverteilung, um eine übernahme und Zuteilung von Wagnissen128• Die Rechtsprechung ist diesem Weg auch nach dem zweiten Weltkrieg weiter gefolgt. Bei Durchsicht einschlägiger Fälle129 bestätigt sich der oft geäußerte Verdacht, es werde vom eingetretenen Schaden darauf geschlossen, es sei nicht die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet worden13(). Durch Erhöhung der Sorgfaltsanforderungen wird eine Zuteilung der Schäden nach Risikobereichen bewirkt131 • Einen typischen Fall teilt dazu Esser mit1 32 : 124 Weyers, Unfallschäden, S.85; Köpcke, Typen der positiven Vertragsverletzung, S.127, spricht von einer Gefährdungshaftung des Geschäftsherrn für seine Verrichtungsgehilfen. 125 Esser, JZ 1952, 257 (259); SöUner, JuS 1970, 163. 128 Palandt - Heinrichs, § 276, Anm. 10 b; Esser, Gefährdungshaftung, S. 32, 36; Deutsch, Fahrlässigkeit, S.161; Reinhardt, AcP 148, 147 (172); Weyers, Unfallschäden, S. 397; a.A. offenbar StoU, Handeln auf eigene Gefahr, S. 278. 127 R. Schmidt, Obliegenheiten, S.79. 128 Esser, Gefährdungshaftung, S.41/42; R. Schmidt, Obliegenheiten, S. 79. 129 Vgl. insbesondere Esser, Gefährdungshaftung, S. 24 f.; ders., JZ 1953, 129 f. (131). 130 Esser, Gefährdungshaftung, S.42; ders., JZ 1953, 129 (133); Weyers, Unfallschäden, S.82/83, mit weiteren Nachweisen. 131 Weyers, Unfallschäden, S.81, 389, 392/393; Esser, JZ 1952, 257 (259);

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7. Kap.: Risikozurechnung an den Geschäftsherrn

In Bottrop brach eines Nachts unter einer Straße eine Wasserleitung. 10 Minuten (!) nach der Meldung des Rohrbruchs sperrte die Rohrschutzwache den Straßenabschnitt. Wenige Minuten zuvor war jedoch ein 16 t LkW in die Straßendecke eingebrochen. Ein Materialfehler lag nicht vor, die Kontrollorganisation des Wasserwerkes war einwandfrei. Dennoch gab das OLG Hamm der Schadensersatzklage des LkW-Halters statt, da kostbare Zeit dadurch verlorengegangen sei, daß der Rohrmeister sich hatte ankleiden müssen. Sonst wäre er 3-4 Minuten eher zur Stelle gewesen. Die Begründung: Besondere Gefahren (häufige Rohrbrüche im Bergbaugebiet) verpflichten zu besonderen Maßnahmen. Mag das Ergebnis auch gerechtfertigt sein, die Einkleidung in ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten kann doch kaum überzeugen133• Ähnliche Beispiele sind in der Rechtsprechung des Reichsgerichts zu finden. Dieses lehnte in der Entscheidung im Band 147, S. 353 f., zunächst mit beachtenswerten Gründen eine Ausdehnung der Gefährdungshaftung über die vorhandenen Spezialgesetze134 hinaus ab, so daß ein unbefangener Leser annimmt, damit sei der Fall zugunsten des beklagten E-Werkes entschieden. Umso mehr überrascht dann, daß das RG dann doch einer Gefährdungshaftung sehr nahe kommt l35 • Es schloß aus der Tatsache, daß ein wegen starker Rauhreifbildung gebrochenes Stromkabel bei diesem nicht ganz außergewöhnlichen Wetter noch hätte halten müssen, die Folgerung, daß "der Verlauf der Angelegenheit nicht ohne Verschulden (!) des Unternehmens eingetreten" seil 36 • Dann aber sei es seine Sache, sich zu entlasten, da die Klägerin keinen Einblick in seinen Betrieb habe. Ein ähnlicher Schluß vom Schaden auf das Verschulden ist auch in der oben in anderem Zusammenhang besprochenen "Linoleumteppichentscheidung" 131 des Reichsgerichts enthalten. Dort heißt es: "Ohne Rechtsirrtum nimmt das Berufungsgericht ein Verschulden W's an dem Unfall der Klägerin an, weil er die Rollen ... ohne Sicherung beiseite gestellt habe ... Die Auffassung des Berufungsgerichts wird durch den einfachen Rückschluß bestätigt, daß die Rollen, wenn W sie mit Bedacht und ordnungsmäßig beiseite gestellt hätte, nicht umgefallen sein würden." Herschel, Iher. Jahrb. 90, 145 (159); Klein, Schadenshaftung im Arbeitsverhältnis, S.45, Anm.21; H. Lange, AcP 156, 114 (116). 132 Esser, JZ 1953, 129 (131). 133 Kritisch auch v. Caemmerer, Gefährdungshaftung, S.17; Kötz, AcP 170, 1 (10).

Vgl. auch schon RGZ 78, 171. Vgl. dazu Dickescheidt, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.74/75. 136 RGZ 147, 353 (359); ähnlich eine bei Esser, Gefährdungshaftung, S. 13/14, referierte Reichsgerichtsentscheidung. 137 RGZ 78, 239. 134 135

II. Die Verschärfung der deliktischen Haftung des Geschäftsherrn

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Läßt das Reichsgericht noch die vage Möglichkeit einer Exkulpation zu, so verbaut die neuere Rechtsprechung diesen Ausweg meist durch dementsprechend verschärfte Sorgfaltsanforderungen bei den vom Geschäftsherrn zu erfüllenden Aufsichtspflichten138 • Aus dem Vorliegen einer Verletzung der in § 823 BGB geschützten Rechte und Lebensgüter wird nur zu oft geschlossen, die erforderliche Sorgfalt sei außer acht gelassen, während die II. Kommission zur Schaffung des BGB damit nur die Berufung auf einen eingerissenen Schlendrian verhindern wollte139 • Die "erforderliche Sorgfalt" ist bei dieser Rechtsprechung in Wahrheit die zur Vermeidung der Tatbestandsverwirklichung aufzuwendende Sorgfalt140 • Weyers zieht hier eine treffende Parallele zur Haftung nach § 7 StVG. Wie dort vom Halter wird hier vom Verkehrssicherungspflichtigen die Erreichung des Sorgfaltsstandards eigentlich nicht mehr erwartet, sondern ihm nur zugute gehalten, wenn er es doch einmal geschafft hat141 • Die Grenze der Verantwortlichkeit des Verkehrssicherungspflichtigen scheint nach alledem - wie in vielen Fällen der Gefährdungshaftung - erst bei höherer Gewalt zu liegen142 • Das Institut der Verkehrssicherungspflicht hat seinen Ausgangspunkt, die Ergänzung landesrechtlicher Haftungsgrundlagen der öffentlichen Verkehrsträger143 , längst verlassen und wird heute ganz allgemein zurückgeführt auf den Grundsatz, "daß derjenige, der eine Gefahrenlage schafft oder in seinem Bereich andauern läßt, die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen hat, um eine Schädigung anderer tunlichst abzuwenden". Soweit er den sich daraus ergebenden Gefahren zu begegnen imstande ist, hat er im Rahmen des Zumutbaren für die Sicherheit des Verkehrs einzustehen144 • Sobald daher jemand eine Gefahrenquelle für die Allgemeinheit schafft, wird ihm auferlegt, dafür einzustehen, daß niemand durch diese Gefahrenquelle zu Schaden kommt. Dabei wird planmäßig möglichst jede Exkulpation abgeschnit138 Palandt - Thomas, § 823, Anm. 8 e; EsseT, JZ 1952, 257 (259); vgl. auch v. CaemmeTeT, Wandlungen des Deliktsrechts, S.63/64; vgl. auch E. BöhmeT,

MDR 1964, 968 (971). 139 Deutsch, Fahrlässigkeit, S.117; Leonhard, Fahrlässigkeit und Unfähigkeit, S.37. 140 Vgl. dazu Deutsch, Fahrlässigkeit, S.117; WeyeTs, Unfallschäden, S.82 bis 83; LeonhaTd, S. 36, wies bereits 1913 auf die Möglichkeit einer solchen Fehlinterpretation (gegenüber den Intentionen des Gesetzgebers) hin. 141 WeyeTs, Unfallschäden, S.392. 142 EsseT, JZ 1953, 129 (131). 143 Vgl. dazu EsseT, JZ 1953, 132, mit weiteren Nachweisen. 144 Soergel - ZeuneT, § 823, Rz 103, 104; Palandt - Thomas, § 823, Anm. 8 a, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung; Schmidt-SaZzeT, Anmerkung zu BGH NJW 1972, 2219; BGH NJW 1973, 460, 463.

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7. Kap.: Risikozurechnung an den Geschäftsherrn

ten145 • Esser 146 geht dabei von einer allgemeinen Rechtsüberzeugung aus, der Unternehmer einer Anlage habe jedes Versagen zu vertreten, weil er als Unternehmer dafür gradezustehen habe, daß er alle Gefahren, namentlich aber die in der Natur der Anlage liegenden, meistert. Das ist in dieser Form noch eine petitio prineipii. Der Grund für diese "Einstandspflicht" ist ein wenig anders gelagert. Er findet sich auch hier nicht zufällig bei den· nun schon öfter angetroffenen Begründungen für die Gefährdungshaftung. Es ist nämlich nicht zu leugnen, daß auch hier wieder das VorteilNachteil-Prinzip zum Durchbruch gelangt ist. Der Urheber und Nutznießer eines Risikos soll auch die Schäden, die aus diesem erwachsen, tragenl41. Dieses Prinzip ist kombiniert mit dem Gedanken, daß Schäden aus einer besonderen Gefahr deren Inhaber, Halter ete. noch am ehesten zuzurechnen sind, da dieser die Gefahr am besten beherrschen kann14s • Auch die Momente der Versicherbarkeit des Risikos und der Kostenabwälzung spielen hier eine Rolle149 • Fraglich ist dagegen der Unrechtscharakter von Verstößen gegen die Verkehrssicherungspflichten geworden150• Die Grenze zum "erlaubten Risiko" einzelgesetzlicher Gefährdungshaftungen wird augenscheinlich zum Teil überschritten. Ein Prinzip der Schadenszurechnung ist demgegenüber in Wirklichkeit weitgehend in den Hintergrund getreten: Das Verschuldensprinzip i51. Es hat auch keinen rechten Platz in einem System der Verkehrssicherungspflichten, das die planmäßige Verteilung der Risikenl52 nach "objektiven Einstandskreisen"l53 gemäß den Prinzipien der Gefährdungshaftung vornimmt. Die Haftung aus Vernachlässigung der Verkehrssicherungspflicht muß daher als eine nahezu völlig objektivierte Haftung für besondere Risiken bezeichnet werden, die man auch als eine "Gefährdungshaftung extra 145

146

Esser, Gefährdungshaftung, S. 28, 35.

Gefährdungshaftung, S. 42.

Esser, Gefährdungshaftung, S.28; Weyers,Unfallschäden, S.397. 148 Esser, Schuldrecht H, § 108 H (S. 413 f.); Larenz, Schuldrecht H, § 72 I d (S.466); Brambring - Scharrelmann, JuS 1971, 640; Reinecke, Objektive Verantwortung, S.133/134; Weyers, S.397; H. Lange, AcP 156, 114 (116); vgl. auch v. Schenck, Der Begriff der Sphäre, S. 114/115; Schmidt-Salzer, Anm. 147

zu BGHNJW 1972, 2219. 149 StoH, Handeln auf eigene Gefahr, S.278; v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 64. 160 Vgl. dazu R. Schmidt, Obliegenheiten, S.79/80. 151 Ebenso Dickescheidt, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.75; vgl. auch Kötz, AcP 170, 1 (10). 152 ygl. auch Esser, Gefährdungshaftung, S.38. 153 Weyers, Unfallschäden, S.78; vgl. auch Weitnauer, Festgabe für Oftinger, S. 343; Esser, JZ 1952, 257 (259).

H. Die Verschärfung der deliktischen Haftung des Geschäftsherrn

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legern" bezeichnen kannI54 • Die Zuordnung der Risiken erfolgt insbesondere nach den Merkmalen der - möglichen - Gefahrenbeherrschung und des Nutzens aus der Unterhaltung der Gefahrenquelle. Diese beiden Begriffe konkretisieren die Risikosphäre, der der Schaden planmäßig zugeteilt wird. Soweit ein Zusammenhang mit wirtschaftlicher Betätigung besteht, ist der betreffende Unternehmer Zuordnungsendsubjekt dieser Schadenszurechnung nach Risikosphären. An die Stelle des Verschuldensprinzips tritt insoweit eine objektive Schadenszurechnung, deren Gehalt weitgehend durch Prinzipien der Gefährdungshaftung bestimmt wird. Diese Entwicklung läßt sich bis in das Beweisrecht verfolgen, für das Prölss eine "Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen" nachgewiesen hat1 65 • c) Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen

Bei der Erörterung des § 831 BGB156 wurde schon auf die Bedeutung der Beweislastregeln bei der Schadenszurechnung hingewiesen. Nicht selten sind Beweislastregeln Vorläufer einer rein objektiven Schadenszurechnung151• Das liegt daran, daß es dieselben Gründe sind, die dafür sprechen, einer Person das Risiko der Unaufklärbarkeit eines Schadensverlaufs zuzuordnen, wie ihr das Schadensrisiko selbst zuzurechnen l61l . Prölss hat eine in diesem Zusammenhang interessante Theorie der "Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen" entwickelt i59 , die er auf ein rechtsethisches Prinzip zurückführt l60 . Danach muß der Geschädigte lediglich beweisen, daß die Schadensursache "gerade aus dem Gefahrenbereich des in Anspruch Genommenen stammt und nicht etwa aus seinem eigenen, dem eines Dritten oder aus einem Bereich, der keiner bestimmten Person zugeordnet werden kann"161. Gelingt ihm dies, so trifft den in Anspruch Genommenen nunmehr die Beweislast für das 154 Esser, Gefährdungshaftung, S.14/15; Rinck, Gefährdungshaftung, S.15; vgl. auch Lange, AcP 156, 114 (116). 155 J. Prölss, Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozeß, S. 65 f. 156 Vgl. dazu oben in diesem Kap. unter I. 2. 157 Vgl. oben in diesem Kap. unter I. 2. sowie Weyers, Unfallschäden, S. 88; Wilburg, Elemente, S.71; Deutsch, Festschrift für Honig, S.35; Brecher, Festschrift für Nikisch, S.227 (241); H. Lange, AcP 156, 114 (116, Anm.17). 158 Weyers, S.88/89; vgl. auch die Regelung in § 618 BGB, bei der der Geschäftsherr den Entlastungsbeweis zu führen hat (Palandt - Putzo, § 618, Anm. 3 d). 159 Prölss, Beweiserleichterungen, S. 65 f.; vgl. auch v. Schenck, Der Begriff der Sphäre, S. 135 f.; kritisch dazu Rosenberg - Schwab, Zivilprozeßrecht, § 118 IH 3 (S. 586); vgl. auch Dubischar, JuS 1971, 385 (393/394). 180 Prölss, Beweiserleichterungen, S. 74 f. 161 Prölss, Beweiserleichterungen, S.82, ähnlich Wilburg, Referat, S. C 15; vgl. auch Larenz, Schuldrecht I, § 29 IV (S.355/356).

7 HUbner

7. Kap.: Risikozurechnung an den Geschäftsherrn

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Fehlen der weiteren Haftungsvoraussetzungen. Als "Gefahrenbereich" (= Sphäre)l62 bezeichnet Prölss den tatsächlichen Lebensbereich des Beklagten, "den er im Hinblick auf eine mögliche Schädigung des Verletzten diesem gegenüber kraft der ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen und tatsächlichen Mittel im allgemeinen zu beherrschen vermag"l63. Dazu gehöre der seiner Herrschaft unterliegende räumlichgegenständliche Bereich, die Vorgänge, die er gegenüber dem Geschädigten zu beherrschen vermag (z. B. eigene Handlungen), sowie das Verhalten der Personen, die seiner Aufsicht oder überwachung unterliegen und für die eine Haftung in Frage kommtl64 . Hier kehrt vi~es wieder, was bisher als Begründung einer verschärften Geschäftsherrnhaftung durch objektive Risikozurechnung genannt wurde. Dubischar l65 weist zutreffend auf die Betrachtung mancher Berufsgruppen und Unternehmen als "Auffangplätze" bestimmter Risiken hin. Angefangen vom objektiven Fahrlässigkeitsbegriff, der für den Vertragsbereich und zum Teil auch im Deliktsrecht in der Beweislastverteilung gern. § 282 BGB hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes seine Entsprechung findet 166 , bis zu dem Moment der Gefahrenbeherrschung in der Gehilfenhaftung mit der weitgehend abgeschnittenen Exkulpation bei besonderen Gefahrenquellen167 und dem Hinweis auf Versicherungsmöglichkeiten168 decken sich weitgehend die Begründungen für die Beweislastverteilung und die Schadenszurechnung. Der BGH geht auch das Problem der Produzentenhaftung mit dem Mittel der Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen an169 • Besonders im Bereich der positiven Vertragsverletzung hat sich dieses Prinzip weitgehend durchgesetzt170 • Liegen daher dieselben Gesichtspunkte, die eine verstärkte Objektivierung unseres Schadensersatzrechts bewirken, einer Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen zugrunde, so ist mit Prölss als Grundlage dieser Beweislastverteilung ein Zurechnungsdenken zu bezeich162 163 164 165

Prölss, Beweiserleichterungen, S. 82, 83. Prölss, Beweiserleichterungen, S. 82, 83. Prölss, Beweiserleichterungen, S.83-85. Dubischar, Jus 1971, 385 (393).

Derjenige, der für die Schwächen seiner Person (objektive Fahrlässigkeit) einzustehen hat, trägt im Prozeß auch das Risiko der Unaufklärbarkeit des subjektiven Tatbestandes. 167 Vgl. Weyers, Unfallschäden, S.355, 473. 168 Dubischar, JuS 1971, 385 (393). 169 BGHZ 51, 91 (Hühnerpestfall) ; vgl. dazu Rehbinder, JuS 1969, 208 f. 170 BGH NJW 1962, 31; Prölss, Beweiserleichterungen, S.66; PalandtHeinrichs, § 282, Anm.2, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung; vgl. aber BAG AP Nr.5 zu § 282 BGB mit Anm. von Sieg. 166

H. Die Verschärfung der deliktischen Haftung des Geschäftsherrn

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nen171 • Schadenszurech.nung und Beweislastverteilung liegen eben nahe zusammen172 • Die Wirkung dieser Art der Beweislastverteilung ist eine Verstärkung der Schadenszurechnung nach objektiven Einstandskreisen, während das Verschuldensprinzip im Gehalt weiter zurückgedrängt wird173 • Dieser Zusammenhang von Schadenszurech.nung und Beweislastverteilung zeigt eine erhebliche Tragweite. So schlägt Sieg174 im Fall der schadensgeneigten Arbeit eine mehrstufige Beweislast vor. Zunächst hat sich danach der Arbeitnehmer zu exkulpieren (§ 282 BGB)175. Gelingt ihm das nicht, so muß der Arbeitgeber, um vollen Ersatz zu erreichen, grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz beweisen. Andernfalls findet eine Schadensteilung statt. In dieser mehrstufigen Beweislast kommt die objektive Zurechnung der Gefahren schadensgeneigter Arbeit an den Unternehmer, die unten weiter ausgeführt werden wird, schon deutlich zum Ausdruck. Wie es dort um eine Konkurrenz von Zurechnungsgründen geht, so liegt hier eine Konkurrenz von Prinzipien der Beweislastverteilung vor. Somit läßt sich die Tendenz unseres Schadensersatzrechts, neben anderen Prinzipien der Schadenszurechnung178 eine Schadenszurechnung nach Risikosphären vorzunehmen, bis in das Recht der Beweislast verfolgen. 3. Zwischenergebnis

Die bisher vorgenommene Untersuchung unseres Schadensersatzrechts hat eine deutliche Entfernung vom Prinzip des Schadensersatzes für persönliches Verschulden aufgedeckt. Die Haftung des "Halters" einer gefährlichen "Anlage", des Nutznießers gefährlicher Tätigkeiten und des Geschäftsherrn für seine Gehilfen wurde gegenüber der ursprünglichen Fassung des BGB deutlich verschärft. Die Argumente, mit denen das begründet wird, entsprechen den Begründungen einzelgesetzlicher Gefährdungshaftungen. Formal ist diese Haftungsverschärfung immer noch Verschuldenshaftung, im Gehalt dagegen entwickelt sie sich zur Gefährdungshaftung. Man muß mit Herschel feststellen, daß der Risikogedanke zum Teil "im Kleide und auf den Krücken des Verschuldensgrundsatzes" marschiert177 • Das Prinzip, das hier die Ver171 Prölss, Beweiserleichterungen, S.72; v. Caemmerer, Gefährdungshaftung, S.14/25. 172 Weyers, Unfallschäden, S.88; Rehbinder, JuS 1969, 208 (211); H. Lange, AcP 156, (116, Anm. 17). 173 Weyers, S.87/88; vgl. auch Dubisehar, S.387; Mertens - Reeb, JuS 1971, 410. 174 Sieg, Anm. zu BAG AP Nr.5 zu § 282 BGB. 175 So auch Below, Festschrift für H. Lehmann (1956), Bd. H, S. 646 (657); a.A. BAG AP Nr.5 zu § 282 BGB; BAG NJW 1971, 958. 176 Vgl. zu diesen vor allem Larenz, JuS 1965, 373 f. 177 Hersehel, Iher. Jahrb. 90, 145 (159); vgl. auch Klein, Schadenshaftung im Arbeitsverhältnis, S. 45, Anm. 21.

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7. Kap.: Risikozurechnung an den Geschäftsherrn

schuldenshaftung zurückdrängt, ist als Schadenszureehnung nach Risikosphären zu bezeichnen. In dem hier vor allem interessierenden Bereich wirtschaftlicher Betätigung wirkt sich dieses Prinzip dahingehend aus, dem Unternehmer eines Betriebes alle typischen Risiken seiner Tätigkeit zuzuordnen, soweit nicht betriebsfremde Eingriffe einen Schaden zurechenbar verursachen. Man kann diese Tendenz unseres Schadensersatzrechts mit einem Begriff aus dem Recht der Atomhaftung als Haftungskanalisierung178 bezeichnen. Dort werden drei Formen der Kanalisierung unterschieden: die tatsächliche Kanalisierung, die wirtschaftliche Kanalisierung und die rechtliche Kanalisierung. Tatsächliche Kanalisierung bedeutet, daß ein Gläubiger unter mehreren ihm zur Auswahl stehenden Haftpflichtigen aus bestimmten Gründen stets ein und denselben in Anspruch nimmt179 • Wirtschaftlich kanalisieren heißt demgegenüber, unter Aufrechterhaltung der traditionellen Normen des Haftpflichtrechts dafür zu sorgen, daß der Anlageninhaber (Geschäftsherr) im Innenverhältnis die wirtschaftlichen Risiken seiner Anlage zu tragen hat. Das geschieht durch das Abschneiden von Regreßmöglichkeiten des Anlageninhabers und durch Gewährung von Ersatzansprüchen an Dritte, falls diese zuerst in Anspruch genommen werden180• Rechtliche Kanalisierung ist schließlich die Normierung der alleinigen Haftpflicht des Anlageninhabersl81 • Die festgestellte erhebliche Verschärfung der Außenhaftung des Geschäftsherrn gegenüber dem Ausgangspunkt bei Einführung des BGB hat die (tatsächliche) Kanalisierung der wirtschaftlichen Risiken eines Betriebes auf den Unternehmer (Geschäftsherrn) nachdrücklich gefördert. Faktisch ist in der Außenhaftung weitgehend die alleinige Verantwortung des Geschäftsherrn erreicht. Gehilfen werden nur noch selten in Anspruch genommen. Die "Idee der Konzentration von Vorteil und Gefahr in einem Unternehmen"l82 hat sich in der Außenhaftung durchgesetzt. Ihrer ganzen Anlage nach wäre eine Beschränkung dieser Entwicklung auf die Außenhaftung jedoch widersinnig. Die Gründe, die für die tatsächliche Kanalisierung sprachen, sprechen auch für eine wirtschaftliche Kanalisierung, wenn nicht sogar für eine rechtliche Kanalisierung. Ein erster Anklang der wirtschaftlichen Kanalisierung läßt sich bei der Haftung des Geschäftsherrn bei Auftrag und Geschäftsführung ohne Auftrag beobachten.

178

Vgl. dazu Mohr, Kanalisierung, S.23; Mosthaf, VersR 1967, 197 f.

Mohr, S.24; Mosthaf, S.197/198. Mohr, S.23; Mosthaf, S.197. 181 Mohr, S.23; Mosthaf, S.197. 182 WHburg, Elemente, S.32; ders., AcP 163, 346; vgl. auch Mohr, Kanalisierung, S. 38. 179

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111. Die Risikohaftung des Geschäftsherrn bei Auftrag und Go A

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III. Die Risikohaftung des Geschäftsherrn bei Auftrag und Geschäftsführung ohne Auftrag Die Haftung des Geschäftsherrn bei Auftrag und Geschäftsführung ohne Auftrag für Schäden, die der Beauftragte bei Ausführung des Auftrages erleidet1 83 , wird neuerdings in der Literatur als "Risikohaftung des Geschäftsherrn"184, bzw. als "Risikohaftung bei Tätigkeit in fremdem Interesse"185 bezeichnet. Die Rechtsprechung und die wohl noch herrschende Meinung gehen demgegenüber den "traditionellen" Weg über eine analoge Anwendung des § 670 BGB zur Begründung eines Ersatzanspruches 186. Nach der neueren Lehre kommt es hier offenbar zu einer rein objektiven Schadenszurechnung zu Lasten des Geschäftsherrn. Es fragt sich, ob diese Entwicklung in den hier vorgetragenen Rahmen einzufügen ist. 1. Der Anspruch des Geschäftsführers auf Schadensersatz

a) Die Lösung über § 670 BGB Der Bundesgerichtshof und mit ihm die herrschende Meinung wenden § 670 BGB analog an, wenn der Beauftragte (bzw. der auftraglose Geschäftsführer) einen Schaden erleidet und sich darin "das typische Risiko der übernommenen Tätigkeit verwirklicht hat"187. Diese Analogie ist wenig verständlich, wenn man sich die gängige Definition der "Aufwendung" anschaut: "Aufwendung ist freiwillige Aufopferung von Vermögenswerten zur Erreichung bestimmter Zwecke"lB8. Schäden sind dagegen - in aller Regel - "unfreiwillige Einbußen" 189. Nur in 183 Beispiele bei Canaris, RdA 1966, 41 (42).

A. Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S. 40 f., 64 f., 91/92. Canaris, RdA 1966, 41 f., ders., Die Feststellung von Lücken im Gesetz, § 173, Anm.37; Larenz, JuS 1965, 373 (375); ders., Schuldrecht II, § 56 III (S. 262 f.); vgl. auch Esser, Schuldrecht I, § 8 I 4 (S. 54); Wilburg, Elemente, 184

185

S.133 f. 186 BGHZ 38, 270 (277); Palandt - Thomas, § 670, Anm.3 a, b; § 683, Anm.4; MCdicus, Bürgerliches Recht, S. 170/171; Isele, Jus 1962, 184 (188); weitere Nachweise bei Canaris, RdA 1966, 42 (Anm. 13); zunächst auch LaTenz, SAE 1962, 197. Dieser Lösungsweg entspricht am ehesten der Entstehungsgeschichte des § 670 BGB. Seinerzeit wurde eine Schadensersatzregelung erörtert und zum Teil unter Hinweis auf § 670 BGB, zum Teil grundsätzlich abgelehnt. Vgl. dazu Dickescheidt, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.10-12, sowie seinen überblick über die Entwicklung der Rechtsprechung, S.37-42. 187 Medicus, S.170/171; Larenz, SAE 1962, 197/198; vgl. auch die in der vorigen Anmerkung Zitierten. 188 Palandt - Heinrichs, § 256, Anm.1; Palandt - Thomas, § 670, Anm.2; Larenz, Schuldrecht II, § 52 III (S.261); Dickescheidt, S.13-16. 189 Canaris, RdA 1966, 41 (42); vgl. auch Palandt - Heinrichs, § 256, Anm.1; Isele, S.188; Dickescheidt, S.13-16.

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7. Kap.: Risikozurechnung an den Geschäftsherrn

seltenen Ausnahmefällen dürften Schäden "billigend" in Kauf genommen werden. Meist wird dagegen ein Geschäftsführer oder Beauftragter, soweit er überhaupt an das Schadensrisiko denkt, an dessen Beherrschung glauben oder dieses sogar in seinem Bewußtsein verdrängen19o• Mit dem Verzicht auf die subjektive Erkennbarkeit von Schadensrisiken für den Beauftragten vor Aufnahme der Geschäftsführung191 ist jede Anknüpfung an das Merkmal der Freiwilligkeit aus dem Aufwendungsbegriff vollends zur Fiktion geworden. Wer ein Risiko nicht einmal erkennt, kann dieses nicht freiwillig auf sich nehmen, geschweige denn gar Schäden aus diesem Risiko l92 • Weiterhin wird durch die Rechtsprechung die Beschränkung des Aufwendungsbegriffes auf Vermögensopfer aufgehoben und Ersatz für Körperschäden zugesprochenl93 • Von der Aufwendungsdefinition bleibt als Analogieprinzip die Aufopferung von Werten bei Verfolgung bestimmter Zwecke. Das hat aber mit § 670 BGB nichts mehr zu tun. Canaris 194 weist weiter darauf hin, daß über § 670 BGB weder die Anwendung der §§ 844 f. BGBI95, noch die Heranziehung des § 254 BGB bei Mitverschulden des Beauftragten zu erklären sind. Der Verdacht liegt nahe, daß hier mit der Ausdehnung des Aufwendungsbegriffes ähnlich wie an anderer Stelle mit dem Verschuldensgrundsatz die entscheidenden Gesichtspunkte aus falsch verstandener Gesetzestreue verdeckt werden. Canaris spricht hier deutlich von einer "Scheinlösung"196. Gleichzeitig mit Anton Huber 197 hat er die Theorie einer Risikohaftung des Geschäftsherrn entwickelt, die die aufgezeigten Ungereimtheiten der Analogie zu § 670 BGB vermeidet.

190 Der Beauftragte handelt oft im Hinblick auf das Risiko, selbst zu Schaden zu kommen, bewußt oder unbewußt fahrlässig. 191 Vgl. Canaris, RdA 1966, 42 (Anm. 15), mit weiteren Nachweisen; Wilburg, Elemente, S. 135. 192 Canaris, RdA 1966, 42 (Anm. 15); nunmehr auch Larenz, Schuldrecht H, § 56 HI (S.263); vgl. auch Dickescheidt, S.13-16. 193 Palandt - Thomas, § 670, Anm. 3 b; Canaris, RdA 1966, 42. 194 RdA 1966, 42; Dickescheidt, S.51/52; ebenso jetzt Larenz, JuS 1965, 373 (375). 195 Vgl. RGZ 167, 85 f. (89); OLG Tübingen, MDR 1950, 160; PalandtThomas, § 670, Anm. 3 b. 196 RdA 1966, 41 (42). Zu den bisherigen Lösungsversuchen der Literatur vgl. die ausführliche Darstellung bei Dickescheidt, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.19-37. 197 Die Haftung des Geschäftsherm, S. 40 f., 64 f., 91/92.

III. Die Risikohaftung des Geschäftsherrn bei Auftrag und G 0 A

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b) Risikohaftung des Geschäftsherrn Canaris 198 und Anton Huber llJ9 betrachten den Anspruch des Geschäftsführers als einen echten Schadensersatzanspruch200 • Das Zurechnungsprinzip, auf dem dieser Anspruch beruht, ist nach ihrer Ansicht eine "Risikohaftung bei Tätigkeit in fremden Interesse"201. Während Huber dabei die vertragliche Natur dieses Schadensersatzanspruches nachdrücklich betont202 , nähert sich Canaris stärker einer Art "Gefährdungshaftung des Geschäftsherrn''203. Letzterer erblickt in der Haftung des Geschäftsherrn eine Kombination des Vorteilsgedankens204 mit dem Gefahrsetzungsgedanken205 , die zu einer Schadenszurechnung zu Lasten des Geschäftsherrn führen soll. Beide Gesichtspunkte sind auch hier bereits mehrfach als Kriterien einer verschuldensunabhängigen Schadenszurechnung im bürgerlichen Schadensersatzrecht festgestellt worden206 . Die Tätigkeit des Beauftragten (bzw. des Geschäftsführers) liegt nach Canaris im Interesse des Auftraggebers und wird durch ihn in irgendeiner Form veranlaßt201 . Die Gefahr wird durch ihn gesetzt oder, was Canaris vernachlässigt, entstammt doch seiner Sphäre. Wie bei der Gefährdungshaftung handelt es sich aus der Sicht des Geschäftsherrn um die Verteilung von Unglücksschäden, nicht um den Ausgleich von Unrechtsschäden. Zurechenbar ist dabei nach übereinstimmender Ansicht nur das "besondere Tätigkeitsrisiko" des Geschäftsführers, nicht das "allgemeine Lebensrisiko"208. Canaris, RdA 1966, 41 f. Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S. 40 f., 64 f., 91/92. 200 Ebenso Esser, Schuldrecht I, § 8 I 4 (S. 54). 201 Canaris, RdA 1966, 43; Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S. 40 f., 64 f., 91/92; zustimmend Larenz, JuS 1965, 373 (375). 202 Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.57, 58, Anm.4, vgl. aber S. 72, Anm. 1. 203 Canaris, Feststellung von Lücken im Gesetz, § 173, Anm.37; ders., RdA 1966, 41 (43). In dieser Abhandlung bemüht sich Canaris jedoch um eine Abgrenzung von der Haftung für gefährliche Anlagen; vgl. auch Köbler, NJW 1969, 1413 f. 204 Canaris, RdA 1966, 41 (43); Larenz, JuS 1965, 375; Wilburg, Elemente, S.121, 136; Dickescheidt, S.43/44; insoweit ebenso Köbler, S.1415/1416. 205 Canaris, RdA 1966, 43. 206 Vgl. dazu oben in diesem Kap. unter I. 1. und II. 2. b). 201 Canaris, RdA 1966, 43; Medicus, Bürgerliches Recht, S.I71, bezweifelt bei GoA die Veranlassung durch den Geschäftsherrn (z. B. ein Brand im Hause des Geschäftsherrn), ebenso Larenz, JuS 1965, 373 (375). Diese Kritik ist berechtigt. In diesen Fällen liegt aber der "Anlaß" eindeutig in der Sphäre des Geschäftsherrn, so daß die Grundlage für eine Risikozurechnung gegeben ist. Vgl. dazu auch Wilburg, Elemente, S. 136. 208 Canaris, RdA 1966, 43; Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.56; vgl. auch Medicus, S.I71; Wilburg, Elemente, S.134. 198 199

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7. Kap.: Risikozurechnung an den Geschäftsherrn

Anton Huber209 sieht dagegen den tragenden Grund der Haftung des Geschäftsherrn darin, daß dieser die Schäden selbst erlitten hätte, wäre er persönlich tätig geworden. Dann sei nicht einzusehen, daß der Beauftragte die geschäftsspezifischen Schäden tragen solle, wenn dem Geschäftsherrn gleichwohl alle Vorteile aus dem Geschäft zufließen!10. Huber spricht deshalb von einer "Haftung für Risikoübertragung"211. Haftungsbegründend seien die beiden Elemente "Einsatz eines anderen zur eigenen Zweckverwirklichung"212 und die "Zusammengehörigkeit von Nutzen und Gefahr"213. Eine gewisse Nähe zu einer Haftung für Aufopferung (des Beauftragten) dürfte hier nicht zu leugnen sein214 . Auch nach Hubers Ansicht bildet das "allgemeine Lebensrisiko" die Grenze dieser Risikozurechnung an den Geschäftsherrn215 • Den Unterschied zur reinen Gefährdungshaftung sieht Huber darin, daß es dort um die Gefährdung unbeteiligter Dritter als Nebenfolge einer staatlich gebilligten Zweckverwirklichung gehe, während es sich hier um Gefahren handele, die der Zweckerreichung (der Geschäftsbesorgung) selbst im Wege ständen216 • Gleichwohl ist auch hier die übereinstimmung mit den bisher erörterten Tendenzen einer Risikozurechnung an den Geschäftsherrn unverkennbar. Während Huber dabei stärker auf der Argumentationsebene des § 278 BGB liegt217 und daher zu einer stärkeren Betonung der Vertragsnatur dieser "Risikohaftung des Geschäftsherrn" gelangt, liegen die Argumente von Canaris mehr auf der Ebene der §§ 485 HGB, 2 RHaftpflG218, so daß dieser die Verwandtschaft mit der einzelgesetzlich geregelten Gefährdungshaftung betont. Wie insbesondere die Verkehrssicherungspflichten zeigen, sind hier die übergänge jedoch fließend219 . Dickescheidt schließlich befürwortet zur Regelung der Haftung des Geschäftsherrn die Analogie zu den einzelgesetzlichen Gefährdungs209 Die Haftung des Geschäftsherrn, S. 55. 210 Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.55; ebenso Dickescheidt, S. 44, unter Hinweis auf RG Warneyer 1929, Nr. 160. 211 Die Haftung des Geschäftsherrn, S.57. 212 Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.56; ähnlich Wilburg, Elemente, S. 136. 213 Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S. 56. 214 Auch das weist die Haftung des Geschäftsherrn in das Schadensersatzrecht. Vgl. dazu Dickescheidt, S. 79 f.; Konzen, BB 1970, 1309 (1310/1311). 215 Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.56. 216 Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.55. 217 Erweiterung des Tätigkeitsbereiches zum eigenen Nutzen. Vgl. dazu oben in diesem Kap. unter I. 1. 218 Haftung für Betriebsgefahren. Vgl. dazu oben in diesem Kapitel unter

1.3.

219 Vgl. oben in diesem Kapitel unter II. 2. b).

III. Die Risikohaftung des Geschäftsherrn bei Auftrag und Go A

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haftungen 22o • Er entnimmt den Gefährdungshaftungen das Prinzip, "daß derjenige, der aus einer gefährlichen Einrichtung, bzw. aus einem Wagnis profitiere, weil dieses Wagnis vorwiegend in seinem Interesse veranstaltet wird, auch die aus den Gefahren folgenden Schäden zu tragen habe", zumal der Geschäftsführer zumeist ethisch oder gar rechtlich (§ 330 c StGB) zu handeln verpflichtet sei221 . Dabei bemüht sich Dickescheidt auch um eine gewisse tatbestandliche Eingrenzung der ersatzfähigen Schäden, was ihm jedoch auf Grund einer überbewertung von Kausalitätsfragen nicht überzeugend gelingt222. c) Risikohaftung des GeschäftsherTn und Schadenszurechnung nach Risikosphären

Allein die "Risikohaftung des Geschäftsherrn" in ihrer von Canaris und Huber aufgedeckten Form eines Schadenszurechnungsprinzips!23 ist in der Lage, die Rechtsanwendung bei Schäden eines Geschäftsführers auf ein tragfähiges dogmatisches Gerüst zu stellenlll!4. Die Begrenzung eines Ersatzanspruchs durch das "allgemeine Lebensrisiko"22.'l sowie die Anwendung der §§ 844 ff. BGB und des § 254 BGB (bei Mitverschulden des Beauftragten)226 sind typische Fragen aus dem Bereich des Schadensersatzrechts. Dieser Besonderheit vermag die Analogie zu § 670 BGB nicht gerecht zu werden. Dafür scheint auf der anderen Seite auch der "Risikohaftung des Geschäftsherrn" der Makel der Systemwidrigkeit anzuhaften227 • Nach den bisher an dieser Stelle getroffenen Feststellungen zu Erscheinungen einer objektiven Zurechnung im bürgerlichen Recht ist dieser Einwand228 aber nicht schlüssig. Vielmehr bestätigen die hier gefundenen 220 221 222

Dickescheidt, Die Haftung des Geschäftsherrn, S. 56 f. Dickescheidt, S. 79 f., 101. Dickescheidt, S. 96 f.

223 Das Vorliegen einer Schadenszurechnung zu Lasten des Geschäftsherrn unterstreicht auch Dickescheidt, S.44, 47. 224 Dickescheidts Analogie zur einzelgesetzlichen Gefährdungshaftung leidet wie andere Analogieversuche in diesem Bereich darunter, daß die Grenzen des entwickelten allgemeinen Rechtsprinzips zu unbestimmt sind. Die Parallelen liegen eben weniger bei der einzelgesetzlichen Gefährdungshaftung als bei der Entwicklung der Geschäftsherrnhaftung im bürgerlichen Schadensersatzrecht. Vgl. zu dieser Problematik auch unten im 8. Kap. unter 11. 2. b). 225 Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.56; Canaris, RdA 1966, 43. 226 Canaris, RdA 1966, 43; Larenz, Schuldrecht 11, § 56 111 (S. 263). 227 Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S. 64 f., und Canaris, RdA

1966, 43 f., versäumen es m. E., ihre Risikohaftung im bürgerlichen Schadensersatzrecht "abzusichern". Vgl. aber andeutungsweise Huber, S.32/33. 228 Vgl. die Kritik von Medicus, Bürgerliches Recht, S.171.

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7. Kap.: Risikozurechnung an den Geschäftsherrn

Ergebnisse die Arbeiten Hubers und Canaris'. Das gilt zunächst einmal für den Begriff des "allgemeinen Lebensrisikos" , das hier als Prinzip einer objektiven Schadenszurechnung (zu Lasten des Geschädigten) nach dem Satz "casum sentit dominus" erkannt wurde229. In der Abgrenzung des "besonderen Tätigkeitsrisikos" des Beauftragten von seinem "allgemeinen Lebensrisiko" sind letztlich nahezu dieselben Fragen zu klären wie bei der Abgrenzung der Verantwortlichkeit eines Schädigers von der Risikosphäre des Geschädigten. Diese Parallelität erfordert eben eine dogmatisch gleichlaufende Erklärung. In beiden Bereichen geht es darum, das "allgemeine Lebensrisiko" als konkurrierendes Schadenszurechnungsprinzip zu Lasten des Geschädigten und damit als "Topos" einer Haftungsbegrenzung zu erkennen. Auf der anderen Seite steht auch hier der Anspruch auf Schadensersatz für alle Schäden, die dem spezifischen Risiko der ausgeführten Tätigkeit zuzurechnen sind. Im Verhältnis Geschäftsherr-Beauftragter (bzw. auftragloser Geschäftsführer) kommt es daher vielfach230 zu einer reinen "Schadenszurechnung nach Risikosphären"231. Die Anwendung des § 254 BGB bei Mitverschulden des Geschäftsführers oder Beauftragten erklärt sich ebenfalls problemlos aus der Erkenntnis, daß es auch hier um die Konkurrenz zweier Prinzipien der Schadenszurechnung geht232 • Dabei steht auf der einen Seite die Risikohaftung des Geschäftsherrn, auf der anderen das Verschulden des Geschäftsführers. Letzteres ist dann nur im Extremfall (Vorsatz, grobe Fahrlässigkeit) geeignet, die objektive Zurechnung zu Lasten des Geschäftsherrn auszuschalten, in der Regel findet dann eine Schadensverteilung statt238 • Die "Risikohaftung des Geschäftsherrn" paßt auch sonst lückenlos in die Entwicklung einer "Schadenszurechnung nach Risikosphären", die - wie bereits ausgeführt - das Ziel verfolgt, auf den Geschäftsherrn die besonderen Risiken seines Betriebes ohne Rücksicht auf ein ihn persönlich treffendes Verschulden zu kanalisieren. Für den Unternehmer sind solche nicht selbst verschuldete Schäden Unglücksschäden, sei daran Vgl. dazu oben im 5. Kap. unter H. 4. und 5. Von Fällen positiver Vertragsverletzung ete. wird abgesehen. 231 Vgl. dazu auch die interessante Entscheidung BGH MDR 1964, 223, in der der BGH aus der Risikoverteilung innerhalb eines Auftragsverhältnisses sowie aus dem Gefälligkeitsmoment eine Pflicht des Auftraggebers begründet, den Beauftragten unter den Schutz einer Kfz-Haftpflichtversicherung zu bringen. Vgl. auch BGH VersR 1961, 846 (847). 282 Vgl. dazu auch oben im 5. Kap. unter H. 4. am Ende. 233 Vgl. Canaris, RdA 1966, 43. Das ist die Situation, in der auch im Arbeitsrecht eine Schadensverteilung stattfindet. Vgl. dazu unten im 8. Kap. unter H. 2. c) am Ende. 229 230

111. Die Risikohaftung des Geschäftsherrn bei Auftrag und Go A

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ein schuldhaftes Verhalten seiner "Leute" beteiligt oder nicht. Diese Unglücksschäden gilt es gerecht zu verteilen. Vorliegend erlaßt nun die Kanalisierung zum. ersten Mal deutlich erkennbar das Innenverhältnis Geschäftsherr-"Gehilfe" (Beauftragter, Geschäftsführer), während es bisher immer darum gegangen war, einern außenstehenden Dritten den direkten Zugriff auf den Geschäftsherrn zu ermöglichen. Das liegt hier daran, daß Schäden des Beauftragten meist Eigenschäden sind234, so daß "Dritte" hier weniger wichtig sind. Bedeutsam ist, daß ähnliche Argumente, mit denen die Kanalisierung der Haftung auf den Geschäftsherrn im Außenverhältnis begründet wurde, nun auch bei der Kanalisierung im Innenverhältnis auftauchen: Das Vorteil-Nachteil-Prinzip, die Gefahrensetzung durch den Geschäftsherrn, das erhöhte Risiko aus der Heranziehung von Hilfspersonen, das den Geschäftsherrn treffen soll. In beiden Fällen werden dem Geschäftsherrn die betriebsspezifischen Risiken objektiv zugerechnet. Es deutet sich damit die Kanalisierung der Haftung im Innenverhältnis, also die wirtschaftliche Kanalisierung235 , als Abrundung einer vielfach zu beobachtenden Kanalisierung im Außenverhältnis an, wobei § 254 BGB eine elastische Handhabung dieser Prinzipien erlaubt. 2. Die Haftung des Geschäftsherrn gem. § 904 BGB

Der Gedanke einer "doppelten Kanalisierung" der Haftung auf den Geschäftsherrn über Außen- und Innenverhältnis, der sich im bürgerlichen Schadensersatzrecht durch verstärkte Betonung objektiver Kriterien durchzusetzen scheint, vermag auch die immer noch streitige Ausfüllung der Normlücke23 6 in § 904 BGB einer systemgerechten Lösung zuzuführen. Das Innenverhältnis zwischen Handelndem und Begünstigtem im Bereich des § 904 BGB fällt meist unter die Vorschriften der GoA, sofern nicht ein Vertragsverhältnis zwischen beiden besteht237. Der Handelnde wendet dabei eine besondere Gefahr zum Nutzen des Begünstigten und zum. - einstweiligen - Schaden des Eigentümers ab. Soweit er 234 Daher gewährt das BAG bei Sachschäden des Arbeitnehmers Ersatz nur über § 670 BGB analog, wenn diese im Vollzug gefährlicher Arbeiten entstanden und so ungewöhnlich sind, daß der Arbeitnehmer damit nicht rechnen konnte (BAG NJW 1962, 412 [414] = SAE 1962, 193). Zustimmend Isele, JuS 1962, 184 f. (188); kritisch Richardi, Arbeitsrecht, S.65; Canaris, RdA 1966, 41 (47); Larenz, Schuldrecht 11, § 52 111 d (S. 214); ders., SAE 1962, 197 f.; Grossmann - Schneider, Arbeitsrecht, Rz 244, sprechen für diesen Fall von einer Gefährdungshaftung des Arbeitgebers. 235 Vgl. dazu oben in diesem Kap. unter 11.3. 236 Vgl. dazu Canaris, Feststellung, §§ 130, 66. 237 Vgl. Soergel- Baur, § 904, Rz 23; Konzen, BB 1970, 1309 (1310).

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7. Kap.: Risikozurechnung an den Geschäftsherrn

dadurch mit einem Schadensersatzanspruch des Eigentümers belastet wird, muß er diesen Schaden auf den Begünstigten abwälzen können. Besteht über dieses Ergebnis der Belastung des Begünstigten mit dem Schaden noch Einigkeit, so herrscht doch Streit darüber, ob der Begünstigte238 oder - grundsätzlich - der Handelnde239 gern. § 904 BGB haften soll, so daß letzterer auf den Rückgriff zu verweisen ist. Beide Wege haben ihre Vor- und Nachteile. Der Geschädigte kennt den Handelnden eher als den Begünstigten, bei Irrtümern über das Eingriffsrecht wird der Begünstigte oft nicht verantwortlich gemacht werden können!40. Letzterer kann aber auch als zahlungskräftiger Schuldner für den Eigentümer interessanter als der Handelnde sein. Erkennt man, daß auch hier eine Risikohaftung des Geschäftsherrn vorliegt, die ihn gegenüber dem Handelnden zur Schadenstragung verpflichtet, so drängt sich hier eine für die Geschäftsherrnhaftung fast typische Lösung auf: eine adjektizische Haftung des Begünstigtenl!41. Begünstigter und Handelnder haften nebeneinander242 jedenfalls dann, wenn der Tatbestand des § 904 BGB vollständig gegeben ist24s. Der Handelnde kann, soweit sein Ersatzanspruch aus der Risikohaftung des Begünstigten reicht, von diesem im Fall der Inanspruchnahme durch den Eigentümer Freistellung verlangen!44. Durch diese Lösung werden die zahlreichen Ausnahmen, die die herrschende Meinung von der Haftung des Handelnden machen mußte2 45 , ebenso vermieden wie Schwierigkeiten, die bei einer alleinigen Haftung des Begünstigten entstehen können246 . § 904 BGB erlaubt, auch diesen Weg zu gehen. Die Erkenntnis, daß hier neben der Aufopferungshaftung auch noch die Risikohaftung des Geschäftsherrn hineinspielt, gibt Anlaß dazu, die 238 So eine verbreitete neuere Lehre. Vgl. Larenz, Schuldrecht 11, § 78, 1. (S.562/63); Canaris, JZ 1971, 399; Horn, JZ 1960,350; Konzen, BB 1970, 1309

(1310). 239 So die h. M. Vgl. Soergel- Baur, a.a.O.; Palandt - Degenhardt, § 904, Anm. 3 b; Rümelin, Gründe der Schadenszurechnung, S.41. .240 Palandt - Degenhardt, § 904, Anm. 3 b; vgl. auch Wilburg, Elemente, S. 31; Konzen, S. 1311; Rümelin, S.41. 241 Wie z. B. in § 485 HGB und der Neufassung des § 831 BGB. Vgl. oben in diesem Kap. unter 1. 2. und 3. 1142 So andeutungsweise Palandt - Degenhardt, § 904, Anm. 3 b; Rümelin, S.41. 243 Zu den Abweichungen bei Irrtumsfragen etc. kann hier nicht Stellung genommen werden. Vgl. dazu Rümelin, S. 41 f.; Palandt - Degenhardt, § 904, Anm.3b. 244 Zur Begründung von Freistellungsansprüchen vgl. Canaris, RdA 1966, 41 (47), und unten im 8. Kap. unter 11.2. c). 245 Vgl. z.B. RGZ 88, 211 (215); 113,301 (303); BGHZ 19, 82 (84); LG Bremen, Hansa 1956, 503; Palandt - Degenhardt, § 904, Anm. 3 b. 246 Vgl. Palandt - Degenhardt, § 904, Anm. 3 b; Canaris, JZ 1971, 399.

IV. Zusammenfassung

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Regelungslücke in § 904 BGB entsprechend den hier dargestellten Prinzipien der Geschäftsherrnhaftung auszufüllen. IV. Zusammenfassung Im Schadensersatzrecht des BGB und HGB findet neben der Schadenszurechnung nach den traditionellen Prinzipien eine Schadenszurechnung nach objektiven Kriterien statt, die teils rein, teils in Verbindung mit anderen Zurechnungsprinzipien vorkommt. Kennzeichen dieser Art von Schadenszurechnung ist eine Ausbildung von Risikosphären247 zum Zweck einer gerechten Schadensverteilung. Diese objektiven Grundsätze einer Risikohaftung, die sich bis in das Beweisrecht verfolgen lassen, führen insbesondere zu einer Einschränkung des Wirkungsbereiches des Verschuldensprinzips. Weitgehend wird diese Entwicklung jedoch durch den Gebrauch von termini der Verschuldenshaftung verschleiert. Erst die Begründungen in Lehrbüchern, Kommentaren und Gerichtsentscheidungen decken oft durch ihre Identität mit denen der vorhandenen einzelgesetzlichen Gefährdungshaftung die wahren Zusammenhänge auf. Das läßt sich sowohl im Bereich vertraglicher als auch in dem deliktischer Haftung verfolgen. Brennpunkt der objektivierenden Tendenzen ist die unzureichende Regelung der Geschäftsherrnhaftung in § 831 BGB. Die Bemühungen zur Umgehung dieser Vorschrift haben zu einer "Kanalisierung" der typischen Betriebsrisiken auf den Geschäftsherrn geführt. Da in einem Zeitalter der Arbeitsteilung und Spezialisierung die Beschränkung auf eine reine Verschuldenshaftung des Geschäftsherrn ein Anachronismus wäre, ist hier die Risikohaftung besonders weit vorgedrungen. Sie wird ebenfalls zum Großteil auf die bekannten Argumente der einzelgesetzlichen Gefährdungshaftung gestützt. Dabei geht es zunächst vor allem darum, den Geschäftsherrn gegenüber Dritten möglichst weitgehend für das Verhalten seiner Gehilfen verantwortlich zu machen. Eine andere Tendenz kündigt sich bei der "Risikohaftung des Geschäftsherrn" im Auftragsrecht und bei der GoA an. Hier geht es um die Risikoverteilung zwischen Geschäftsherrn und "Gehilfen", also um das Innenverhältnis. Die Schadenszurechnung erfolgt nach denselben Gesichtspunkten. Der Kreis der Kanalisierung der Haftung auf den Geschäftsherrn scheint sich zu schließen. Mit einer Haftungsverschärfung für den Geschäftsherrn im Außenverhältnis geht offenbar eine Haftungsmilderung im Innenverhältnis Geschäftsherr-Gehilfe einher. Die durch die Verschärfung der Außenhaftung des Geschäftsherrn nun247

Vgl. auch WilbuTg, Referat, S. C 14; BaUT, Karlsruher Forum 1962,

14 (16).

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7. Kap.: Risikozurechnung an den Geschäftsherrn

mehr weitgehend eröffnete und auch durchgeführte tatsächliche Kanalisierung zieht die wirtschaftliche Kanalisierung im Innenverhältnis nach sich248 • Beide gründen sich auf dieselben allgemeinen Prinzipien. Hier liegt der Ansatz für das Problem der schadensgeneigten Arbeit249 , dem das nächste Kapitel gewidmet ist.

Zu den Begriffen vgl. oben in diesem Kap. unter H. 3. Vgl. dazu auch die Erörterung von Konzen in BB 1970, 1309 (1312), im Zusammenhang mit § 904 BGB; vgl. auch BauT, S. 16. Z48

249

8. Kapitel

Die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit Vorbemerkung In der arbeitsrechtlichen Literatur ist die Entwicklung des Instituts der schadensgeneigten Arbeit bereits vielfach in erschöpfender Vollständigkeit dargestellt worden1 • Um unnötige Wiederholungen zu vermeiden, sei insoweit auf diese Abhandlungen verwiesen. Dieses Kapitel ist demgegenüber zunächst einmal einer Kritik der nach wie vor herrschenden Fürsorgetheorie gewidmet, die die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit auf besondere arbeitsrechtliche Treue- und Fürsorgepfiichten gründet2 und damit die Anwendung dieser Prinzipien außerhalb des Arbeitsvertragsrechts verhindert. Dieser abzulehnenden Fürsorgetheorie wird dann eine eigene, aus dem obigen Ansatz ableitbare Lösung gegenübergestellt, die die Sätze über die schadensgeneigte Arbeit in einen bürgerlichrechtlichen Funktionszusammenhang einordnet und damit die Grenzen der Anwendbarkeit dieser Grundsätze neu bestimmt.

I. Fürsorgetheorie und schadensgeneigte Arbeit Der Gesamtkomplex des Systems des innerbetrieblichen Schadensausgleichs, in das die schadensgeneigte Arbeit gehört, besteht aus den folgenden vier Fallgruppen3 : (1) Der Arbeitnehmer schädigt schuldhaft den Arbeitgeber; Vgl. u. a. Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S. 5 f., 63 f.; d. Gablentz, Grundlagen der Haftung des Arbeitnehmers, S. 25 f.; Rother, Haftungsbeschränkung, S. 251 f. 2 BAG E 5, 1 (5) = NJW 1958, 235 f.; BGHZ 16, 111 (116); BGHZ 27, 62 (67); BGH AP Nr. 28 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers = NJW 1963, 1100; BGHZ 41, 203 (207); Achterberg, AcP 164, 14 (33); Becker-Schaffner, NJW 1969, 1235/36; ders., VersR 1971, 195 f.; A. Hueck, Anmerkung zu BGH AP Nr. 28 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; Gumpert, BB 1955,480 (482); Neumann-Duesberg, JZ 1964, 433 (437); Soergel- Schmidt, § 276, Rz 64; weitere Nachweise bei Hueck - Nipperdey, Arbeitsrecht Bd. I, S.233, und Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S. 65. 3 Vgl. die hier weitgehend übernommene Aufgliederung bei Rother, S.252, sowie Fikentscher, Schuldrecht, S.490/491. 1

'V.

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8. Kap.: Die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit

(2) Der Arbeitnehmer schädigt schuldhaft einen außerhalb des Betriebes stehenden Dritten; (3) Der Arbeitnehmer schädigt schuldhaft einen in demselben Betrieb beschäftigten Arbeitskollegen; (4) Der Arbeitnehmer schädigt bei einer betriebsbedingten Tätigkeit sich selbst und/oder seine Sachen 4 •

Die vierte Fallgruppe ist, soweit sie Körperschäden bei Arbeitsunfällen betrifft, durch die gesetzliche Unfallversicherung geregelt. Durch Änderung der RVO (§ 637 RVO) vom 30. 4. 1963 wurde auch die dritte Fallgruppe in die versicherungstechnische Lösung einbezogen. Den Kernbereich der schadensgeneigten Arbeit bilden dagegen die ersten beiden Fallgruppen. Hier sind die Gerichte und mit ihnen nahezu ohne Ausnahme die Literatur zu einer Haftungsabstufung nach dem Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers5 , der Schadensneigung der Arbeit und einigen zusätzlichen Kriterien wie Lohnhöhe etc. gelangt6. Typisch für die dogmatische Begründung dieser Lösung durch die herrschende Meinung ist ein - auch von Richardi zitierter 7 - Satz in der Entscheidung des großen Senats des Bundesarbeitsgerichts, mit der dieser die Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichtes und des Bundesgerichtshofes zur schadensgeneigten Arbeit übernahm: "Diese Beschränkung der Haftpflicht des Arbeitnehmers ergibt sich aus den das Arbeitsverhältnis beherrschenden Treue- und Fürsorgepflichtgedanken, mit denen es sich nicht vertrüge, daß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer mit Schäden und Ersatzansprüchen belasten würde, die sich aus der besonderen Gefahr und Eigenart der ihm übertragenen Arbeit ergeben und als solche zum typischen vom Arbeitgeber zu tragenden Betriebsrisiko gehören, auch wenn sie im Einzelfall vom Arbeitnehmer fahrlässig herbeigeführt worden sind8 ." Das Bestehen dieser besonderen Treueund Fürsorgepflichten innerhalb eines Arbeitsverhältnisses9 wird meist 4 Rother, S. 252, faßt hierunter allein schuldlose Eigenschädigungen. Wie die Parallelproblematik beim Auftrag zeigt (vgl. dazu oben im 7. Kap. unter III.), ist diese Beschränkung nicht angebracht. 5 Das Verschulden wird dabei in drei dem BGB unbekannte Fahrlässigkeitsgruppen eingeteilt. Vgl. dazu Hueck - Nipperdey, S.234, Anm.43; Richardi, Arbeitsrecht, S.51; Larenz, Schuldrecht II, § 52 II d (S.211); ders., SAE 1959, 189; Mayer-Maly, AcP 163, 114 f.; Soergel- Wlotzke - Volze, § 611, Rz 69. Gegen die Haftungsabstufung hat sich neuestens Gamillscheg ausgesprochen (Haftung des Arbeitnehmers, S.72-75). 6 Zu den Einzelheiten vgl. Rother, S.253/254; Hueck - Nipperdey, S. 233 f.; Richardi, Arbeitsrecht, S. 47 f.; Grossmann - Schneider, Arbeitsrecht, Rz 132 f.; Fikentscher, Schuldrecht, S. 490/491. 7 Richardi, S. 49. 8 BAG E 5, 1 (8) = BAG NJW 1958, 235 (237). 9 Zu den Einzelfällen vgl. Köpcke, Typen der positiven Vertragsverletzung, S.102/103.

I. Fürsorgetheorie und schadensgeneigte Arbeit

113

mit der Natur des Arbeitsverhältnisses als eines personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses begründetlO • Auf derselben Grundlage soll auch der Freistellungsanspruch des Arbeitnehmers für den Fall seiner direkten Inanspruchnahme durch den Geschädigten (2. Fallgruppe) beruhen11 • Die vierte Fallgruppe (Sachschäden des Arbeitnehmers im Verlauf der Arbeit) löst die Rechtsprechung demgegenüber durch eine analoge Anwendung des § 670 BGB. Das BAG hat sich dabei gegen eine Lösung aus dem Gedanken der Fürsorgepflicht gewandt, weil es eine überstrapazierung dieses Begründungsweges fürchtete 12 • Das Gericht hat dabei allerdings verkannt, daß der Fragenkreis der Sachschäden des Arbeitnehmers im Verlauf der Arbeit zum Gesamtkomplex der schadensgeneigten Arbeit gehört. Dieser muß nach einheitlichen Prinzipien geregelt werden13 , so daß die Vorbehalte des BAG gegenüber dem gesamten Standpunkt der herrschenden Meinung zur schadensgeneigten Arbeit geltend gemacht werden müssenl4 • Die Fürsorgetheorie als Grundlage der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit ist in neuerer Zeit einer teilweise heftigen Kritik unterzogen worden. Einige Autoren bemängeln dabei nur die Lösung der Fragen der schadensgeneigten Arbeit mit dieser Theorie l5 , andere lehnen die Fürsorgetheorie für das gesamte Arbeitsrecht entschieden abl6 • 1. Die Tragfähigkeit der Fürsorgetheorie für die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit

Gamillscheg verallgemeinert treffend die vom BAG erhobenen Bedenken gegen eine überstrapazierung der Fürsorgepflicht: "Die Begründung mit der Fürsorgepflicht ist unbefriedigend. Dieser Begriff ist so ausgeufert, daß man sich heute angewöhnt hat, alles als fürsorgewidrig zu bezeichnen, was einem sozial empfindenden Menschen als 10 Larenz, Schuldrecht Ir, § 52 Ir (S. 207 f.); Grossmann - Schneider, Arbeitsrecht, Rz 58; vgl. auch die Literaturübersicht bei Schwerdtner, Fürsorgetheorie, S. 16/17. 11 BAG GrS AP Nr.4/2 zu §§ 898, 899 RVO; Neumann-Duesberg, JZ 1964, 433 (437, Anm.29); Achterberg, AcP 164, 14 (47/49); Klein, Schadenshaftung im Arbeitsverhältnis, S. 48/49. 12 BAG E 12, 15 (19). 13 Vgl. Canaris, RdA 1966, 41 (45); Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.85/86; Gaul, DB 1962, 166 (205); Köbler, RdA 1970, 97 (99/100); Konzen, BB 1970, 1309 (1312, Anm.33); Larenz, JuS 1965, 373 (376). 14 Richtig Below, Festschrift für Lehmann (1956), S. 646 (655); Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S. 85/86. 15 SO Z. B. Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S. 64 f.; Köbler, RdA 1970, 99/100. 16 Schwerdtner, Fürsorgetheorie; E. Wolf, Das Arbeitsverhältnis.

8 HUbner

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8. Kap.: Die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit

anstößig erscheint. Warum etwas anstößig ist, ist damit noch nicht dargetan, und das ist von übel ... Es ist hier nicht anders als bei der Formel von Treu und Glauben, die allein ebenfalls als Begründung nicht ausreicht, so man nicht sagen kann, warum etwas treuwidrig ist17." Es stellen sich gegenüber der dogmatischen Position der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur dieselben Bedenken ein, die vielfach gegen die freizügige Anwendung des § 242 BGB im bürgerlichen Recht erhoben werden18. Auch hier liegt eine Flucht in eine - obendrein noch selbstgeschaffene19 - Generalklausel voz..!°, die die Fallentscheidung zu einem Willensakt zu machen droht. Die Frage nach dem Warum der Entscheidung bleibt für die Fälle der schadensgeneigten Arbeit solange offen, wie nicht die dahinterstehenden Vorstellungen über eine gerechte Risikoverteilung aufgedeckt werden!1. Wie bereits erwähnt!!, bewirken die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit nicht nur eine Haftungsmilderung auf Seiten des Arbeitnehmers, sondern zugleich auch eine Haftungsverschärfung auf Seiten des Arbeitgebers, die über die Verschuldenshaftung hinausgehtD. Daher bedürfen diese Sätze für ihre sachgerechte dogmatische Erfassung einer Einordnung in das System der Schadenszurechnung, bzw. bedarf dieses System gegebenenfalls der Ergänzung. Canaris weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Fürsorgepflicht "weder im System der bisher bekannten Zurechnungsgründe einen Platz findet, noch einen Ansatzpunkt zur Entwicklung eines neuen Zurechnungsgrundes bietet"!4. Auch die konkrete Gestalt, die die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit nunmehr gefunden haben, ist nicht aus der Fürsorgetheorie ableitbar4 • Mag das Gebot einer zurückhaltenden Geltend17 GamiZZscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.65/66; vgl. auch Wolf, S. 28 f.; ScheuerZe, RdA 1958, 247/248; Isele, NJW 1964, 1441 (1446); Canaris, RdA 1966, 41 (45); BeZow, S.655; Brecher, Festschrüt für Nikisch, S.227 (232, Anm.10). 18 Vgl. dazu Brecher, S.232, Anm. 10, 240. 11 Selbstgeschaffen ist diese Generalklausel allerdings nur, soweit man nicht die Fürsorgepflicht auch wieder auf § 242 BGB zurückführt. So Larenz, Methodenlehre, S.395/396; Palandt - Putzo, § 611, Anm.8; Becker-Schaffner, VersR 1971, 195 (197); vgl. auch Wolf, S.28/29. 20 Vgl. Canaris, RdA 1966, 45; zur Problematik von Generalklauseln vgl. die Zusammenfassung bei Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, S.82-84. 21 Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S. 66. n Vgl. oben im 4. Kap. unter H.2. 23 Vgl. Meinert, DB 1958, 1328; ungenau LaTenz, JuS 1965, 373 (375), und Isele, NJW 1964, 1441 (1442), die einseitig nur die Haftungsmilderung für den Arbeitnehmer betonen. Richtig demgegenüber BaUT, Karlsruher Forum 1962, 16. %4 Canaris, RdA 1966, 41 (45); v. d. Gablentz, Haftung des Arbeitnehmers, S.40/41.

1. Fürsorgetheorie und schadensgeneigte Arbeit

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machung von Schadensersatzansprüchen durch den Arbeitgeber noch mit einer Fürsorgepfl.icht begründet werden können, so gilt das nicht für die Schöpfung einer Freistellungspfl.icht des Arbeitgebersl!5 und die "Wiederkehr der culpa levissima"26 in das deutsche Schadensersatzrecht. Das BGB kennt nur die Fahrlässigkeitsgrade "grobe Fahrlässigkeit" und "diligentia quam in suis". Die culpa levissima, einst im ALR enthalten27 , ist dagegen dem BGB fremd28 • Eine derart differenzierte Abstufung der Fahrlässigkeitsgrade ist auch praktisch undurchführbar2 9 • Tatsächlich wird denn auch wohl oft - wie die Erfahrungen in anderen Bereichen zeigen30 - vom gewünschten Ergebnis her (volle, teilweise oder keine Haftung) das Maß der Fahrlässigkeit bestimmt31 • Der damit erzielte Gleichklang von Schuld und Haftung, den IheTing einst gefordert hat32 , ist im BGB bewußt nicht verwirklicht worden33, und es ist schlechthin nicht nachvollziehbar, wie eine imaginäre, dazu noch mit ideologischem Ballast beladene3' Treue- und Fürsorgepfl.icht diese weitgehende Korrektur des Gesetzes soll bewirken können. Dasselbe gilt für den Freistellungsanspruch des Arbeitnehmerg36, der eine im BGB nicht vorgesehene Schadensverlagerung zu Lasten des Arbeitgebers herbeiführt. Die Begründung dieser Schadensverlagerung mit einer Fürsorgepfl.icht des Arbeitgebers verdeckt ebenfalls den übergreifenden Zusammenhang, der in der Haftungsverschärfung zu Lasten des Arbeit26 GamiUscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.84/85; zum Tell wird § 670 BGB zusätzlich als Begründung herangezogen, obwohl es sich um unfreiwillig erlittene Schäden handelt. Vgl. z. B. Soergel- Wlotzke - Volze, § 611, Rz 70. 26 So der Titel der Abhandlung von MayeT-Maly, AcP 163, 114 f.; vgl. auch Deutsch, Fahrlässigkeit, S.156/157.

27 Vgl. 22 I 3 ALR: Ein geringes Versehen ist dasjenige, welches bey vorzüglichen Fähigkeiten, oder bey einer besonderen Kenntniß der Sache. oder des Geschäfts oder durch eine ungewöhnliche Anstrengung der Aufmerksamkeit vermieden werden konnte. 28 Deutsch, Fahrlässigkeit, S.156/157; MayeT-Maly, Anmerkung zu BGH VersR 1963, 834 (= NJW 1963, 1100); ders., VersRundschau 1963, 341 (346); deTs., DRdA 1962, 221 (226); LaTenz, SAE 1959, 189. 29 Rother, Haftungsbeschränkung, S. 262/263; kritisch auch Larenz, SAE 1959, 189/190; Hanau, BB 1972, 4. 30 Vgl. z. B. zu Verkehrssicherungspflicht und Organisationsverschulden oben im 7. Kap. unter 11.2. 81 Vgl. GamiUscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.73-75. 3l! Rudolf von Ihering, Das Schuldmoment im römischen Privatrecht, 1867, S.8: "Das Gleichgewicht herzustellen zwischen dem Maß des übels und der Schuld ist die höchste Aufgabe der Gerechtigkeit." Zitiert nach Liler, Begrenzung der Haftung, S. 1. 33 Liler, S.l; Rother, Haftungsbeschränkung, S.265/266; vgl. auch WilbuTg, Elemente, S. 249/250. 34 Vgl. dazu im Text unter 2. 36 GamiUscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.84/85; a.A. Steindorjf, JZ 1959, 1 (3).

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8. Kap.: Die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit

gebers über das im BGB vorgesehene Ausmaß zum Ausdruck kommt. Die Fürsorgetheorie mußte schließlich vollends bei der Regelung des sogenannten Kameradenunfalls36 versagen, da unter Arbeitskollegen von Fürsorge- und Treuepflichten nun wahrlich keine Rede sein konnte37 • Die Unbrauchbarkeit der Fürsorgetheorie für eine exakte dogmatische Analyse der schadensgeneigten Arbeit beruht zu einem erheblichen Teil auf der ungeheuren Ausuferung ihres Grundgehaltes in der nationalsozialistischen Rechtswissenschaft. 2. Die Herkunft der Fürsorgetheorie

Die Lehre vom Arbeitsverhältnis als einem personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis, das durch Treue und Fürsorge gekennzeichnet ist, hat sich in nationalsozialistischer Zeit als herrschende Lehre mit der Folge einer Politisierung und Ideologisierung des Arbeitsverhältnisses durchgesetzt38 • Seitdem wird der Arbeitsvertrag nur noch von wenigen Vertretern der Wissenschaft als rein schuldrechtlicher Austauschvertrag angesehen39 • Die Ursprünge der Fürsorgetheorie lassen sich jedoch auf Otto von Gierke zurückführen, der das personenrechtliche Element der Dienstverträge im Unterschied zu reinen Austauschverträgen wie zum Beispiel dem Kaufvertrag betont hat40 • Gierke ging dabei von einer germanisch-deutschen Idee des Rechts aus, die sein ganzes Werk geprägt hat. Zu dieser Idee stand die vom Individualismus geprägte Rechtsauffassung des Liberalismus, die im BGB weitgehende Berücksichtigung fand, in deutlichem Widerspruch41 • Scharfe Kritik am individualistischen Standpunkt des BGB enthielt dann die Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Reichsarbeitsgerichts zum Betriebsrisiko bei unverschuldeten Betriebsstörungen42 • Die nationalsozialistische Rechtswissen... schaft setzte diese Kritik gegenüber dem liberalen Individualismus unter Berufung auf Gierke und die neue Weltanschauung des Nationalsozialismus fort 43 • Vgl. dazu BAG E 5, 1 f. = NJW 1958, 235; Rother, S.255/256. Vgl. Frey, AuR 1959, 193 (195); Mayer-Maly, Anmerkung zu BGH VersR 1963, 834/35; Steindorff, JZ 1959, 3. 38 Wolf, Das Arbeitsverhältnis, S.41, 56; vgl. auch Below, Festschrift für Lehmann, 1956, Bd. II, S. 646 (656); Leinemann, AuR 1970, 134 (137); Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 379 f. (382); ders., AuR 1970, 97 (101, 105). 39 Vgl. dazu unten in diesem Kap. unter 3. Zur Entwicklung vgl. Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 380, 382, 393. 40 Vgl. dazu Schwerdtner, Fürsorgetheorie, S. 27 f., mit weiteren Nachweisen. 41 Vgl. Schwerdtner, S.22/23; Wolf, S. 57 f. 42 Vgl. Biedenkopf, Die Betriebsrisikolehre, S. 2 f. 43 So etwa Nikisch, Festschrift für Lehmann, 1937, S.285/286, 289; vgl. auch Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 385. 36

37

1. Fürsorgetheorie und schadensgeneigte Arbeit

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Welche erheblichen Auswirkungen auf die Dogmatik der Zeit dann das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934 (AOG) hatte", macht ein Zitat von Dietz41l deutlich, das Schwerdtner46 mitteilt: "Die Treuepflicht ist die eigentliche, die primäre Pflicht. Alle anderen Pflichten entspringen aus ihr, sind eigentlich schon in ihr enthalten, sind Erscheinungsformen der Treuepflicht .,. Auch die Pflicht zur Lohnzahlung und zur Arbeitsleistung erscheinen als Konkretisierung, allerdings als charakteristische Konkretisierung der gegenseitigen Treuepflicht im Rahmen des Arbeitsverhältnisses." In der arbeitsrechtlichen Eingliederungstheorie wurde seinerzeit die vertragliche Grundlage des Arbeitsverhältnisses weitgehend negiert47 , während sich die Vertragstheorie mit der Bezeichnung des Arbeitsverhältnisses als eines personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses zwar dem Zeitgeist anpaßte, aber jedenfalls den Vertrag als Grundlage des Arbeitsverhältnisses verteidigen konnte48 • Wolf mag übertreiben, wenn er behauptet, daß das Arbeitsverhältnis durch nationalsozialistische Ideologisierung und Politisierung schließlich "als Rechtsverhältnis verneint" wurde49 , was durch den Begriff "personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis" nur verdeckt worden seiM. Feste Konturen hatte dieses Rechtsverhältnis aber gewiß nicht mehrSt, als Hersehel schrieb: "Das Hauptgebot der Betriebsgemeinschaft ist die soziale Ehre und deren Mark die Treue52." Um so bemerkenswerter ist in diesem Zusammenhang, daß sich Hersehel 1942 energisch gegen die "einseitige Nachdringlichkeit" wandte, mit der der Blick in der nationalsozialistischen Rechtsanwendung auf die Treuepflicht gerichtet wurde und vor dem Risikogrundsatz die Augen verschlossen wurden53 • Dieselbe Kritik muß auch heute noch gegenüber der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur erhoben werden, die nicht in der Lage waren, sich deutlich von der tradierten Fehlentwicklung der arbeitsrechtlichen Dogmatik zu lösen54 • Rüthers warnt mit Recht vor der GeVgl. dazu auch Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 393 f. Dietz, Festschrift für Hedemann, S. 330, 331, Anm. 6. 46 S.30/31. 47 Vgl. Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 384 f., 389 f. 48 Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 388/389. 49 Vgl. z. B. Nikiseh, Festschrift für Lehmann, 1937, S.285 (299): "Auch als Gemeinschaftsverhältnis ist das Arbeitsverhältnis ein Rechtsverhältnis." 50 Wolf, Das Arbeitsverhältnis, S.56; vgl. dazu auch Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 380, 391. 51 Vgl. Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S.391. 52 Hersehel, Soziale Praxis 1941, Sp.619. Der Wahlspruch der SS lautete: "Meine Ehre heißt Treue." 53 Hersehel, Iher. Jahrb. 90, 145 (160). 54 Vgl. Sehwerdtner, Fürsorgetheorie, S.32/33; Below, Festschrift für Lehmann, 1956, Bd. H, S. 656. 44

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8. Kap.: Die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit

fahr, "daß aus dem mit rechtspolitischen Wertungen vorher gefüllten Gemeinschaftsbegrüf die gewünschten materiellen Rechtsfolgen als geltendes Recht abgeleitet werden können"lI6. Kürzlich haben Wolf66 und Schwerdtner"7 der Fürsorgetheorie für das gesamte Arbeitsrecht die grundlegende Bedeutung abgesprochen, die ihr immer noch beigemessen wird. 3. Die Kritik der Fürsorgetheorie im gesamten Arbeitsrecht Ernst Wolf hält die Begrilfe Treue und Fürsorge überhaupt für dogmatisch völlig unbrauchbar. Der "das gesamte Rechtsleben beherrschende Grundsatz" von Treu und Glaubenll8 (§ 242 BGB) besäße dieselbe Funktion wie Treue- und Fürsorgepflichten im Arbeitsverhältnis, ein Unterschied sei nicht erkennbarfi9. Dann aber können nach Wolfs Meinung Treue und Fürsorge keine Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses sein60• Auch seien die Inhalte der Treue- und Fürsorgepflichten ex ante nicht zu konkretisieren. Der Richter könne den Inhalt erst ex post und damit notwendig nur willkürlich bestimmen61 • Treue- und Fürsorgepflicht, soziales Schutzprinzip und personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis seien sämtlich Leerwörter. Sie hätten ebenso wie der Grundsatz von Treu und Glauben keinerlei InhaltG2, eine darauf gestützte Fallentscheidung sei willkürlich und damit unrechtmäßig. Wolf fordert demgegenüber dazu auf, das Arbeitsverhältnis als Dauerschuldverhältnis zu erkennen63 und dann die einzelnen Rechte und Pflichten der Vertragsparteien allein aus dem vereinbarten Inhalt dieses Schuldverhältnisses abzuleiten64 • Schwerdtners Kritik gegenüber der herrschenden Meinung beruht dagegen vorwiegend auf einer soziologischen Analyse des Arbeitsverhältnisses. Er spricht sich auf Grund dieser Analyse66 für eine klare llIl 56 57

Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 399. Wolf, Das Arbeitsverhältnis, 1970. Schwerdtner, Fürsorgetheorie und Entgelttheorie im Recht der Arbeits-

bedingungen, 1970. 58 Palandt - Heinrichs, § 242, Anm. 1 a, aa. 59 Wolf, S.28; vgl. dazu auch Becker-Schaffner, VersR 1971, 195 (197), der mit eben dieser Begründung die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit auch außerhalb des Arbeitsverhältnisses anwendet. 60 Wolf, S.29. 61 Wolf, S.29. 82 S.32. 83 S. 91 f.; vgl. auch Söllner, Arbeitsrecht, S.207, und Leinemann, AuR 1970, 137, die das Arbeitsverhältnis betont als Schuldverhältnis ansehen. 64 Wolf, S.97. 66 Schwerdtner, Fürsorgetheorie, S. 40 f., 66 f.

I. Fürsorgetheorie und schadensgeneigte Arbeit

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Herausstellung des Austauschcharakters des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Denken in Gemeinschaftskategorien aus6ß • Begriffe wie Fürsorge und Treue erscheinen ihm als "ein Stück häufig mißbrauchter Sozialromantik" , was der Einstellung vor allem jüngerer Arbeitnehmer nicht mehr entspräche67• Mit Recht weist Schwerdtner darauf hin, daß die zivilrechtliche Dogmatik längst nicht mehr das Wesen eines schuldrechtlichen Vertrages allein im bloßen Leistungsaustausch erblickt und mittlerweile vielfältige Nebenpflichten entwickelt hat, so daß viele Vorbehalte gegen eine Einordnung des Arbeitsvertrages in das bürgerlichrechtliche Vertragsrecht ihre Berechtigung verloren haben88• Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers muß nach alledem als tragfähige dogmatische Grundlage für die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit ausscheiden. Ihre Herkunft ist mit ideologischen Hypotheken belastet, ihr Inhalt unklar, der Ableitung konkreter Rechtsfolgen aus dieser Fürsorgepflicht haftet etwas Willkürliches an. Sie verdeckt die entscheidenden Wertungen69, statt sie transparent zu machen. Die ihr beigemessene grundsätzliche Bedeutung für das gesamte Arbeitsverhältnis ist offenbar im Wanken. Das konkrete Ergebnis, die Gestalt, die das System des innerbetrieblichen Schadensausgleichs gefunden hat, läßt sich in dieser Form nicht zureichend begründen. So hat sich dann auch eine beträchtliche Anzahl von Autoren gegen die Fürsorgepflicht jedenfalls als Begründung für das System des innerbetrieblichen Schadensausgleichs ausgesprochen70 • Der Zeitpunkt scheint gekommen, dieses System auf eine bessere dogmatische Grund66 Sehwerdtner, S.78; Biedenkopf, Die Betriebsrisikolehre, S.15/16. Vorsichtige Kritik am personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis nunmehr auch bei Larenz, Schuldrecht II, § 52 II c (S.207/208). 67 Schwerdtner, S. 91; vgl. auch Gamittseheg, Haftung des Arbeitnehmers, S.66; Neumann-Du'esberg, JZ 1964, 433 (436). 88 Schwerdtner, S. 79 f. 89 Vgl. schon Hersehel, !her. Jahrb. 90, 145 (160). 70 Die abweichenden Lösungswege lassen sich wie folgt aufgliedern: a) Modifizierung von § 276 BGB: Rother, Haftungsbeschränkung, S. 266 f.; Seheuerle, RdA 1958, 247 f.; Steindorjf, JZ 1959, 1 f.; im Ergebnis ebenso Below, S.656/657; b) § 254 BGB: Kaskel- Derseh, Arbeitsrecht, S.144/145; Derseh, BB 1956, 501 f. (503); c) Gefährdungshaftung: Köbler, RdA 1970, 97 (99/100); Meinert, DB 1958, 1328; v. d. Gablentz, Haftung des Arbeitnehmers, S. 42 f., 79/80; . d) Risikotheorien: Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S. 34 f.; Frey, AuR 1959, 193 (202 f.); Canaris, RdA 1966, 41 (44 f.); ders., Die Feststellung von Lücken im Gesetz, § 173, Anm.37; Hersehel, !her. Jahrb. 90, 145 (166 f.); A. Huber, Haftung des Geschäftsherrn, S. 70 f.; Larenz, Schuldrecht II, § 52 II d (S. 211 f.); ders., JuS 1965, 373 (375); Mayer-Maly, AcP 163, 114 (135); Konzen, BB 1970, 1309 (1312); Peters, Kritische Betrachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur schadensgeneigten Arbeit, S.40; Söllner, Arbeitsrecht, S.213; Soergel- Wlotzke - Volze, § 611, Rz 68.

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8. Kap.: Die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit

lage zu stellen, die auf einem einheitlichen Grundgedanken beruht. Hier kann ein weiterer Schritt auf dem Wege der Rückkehr des Arbeitsvertrages in das bürgerliche Schuldrecht gegangen werden, den Schwerdtner und Wolf in ihrer grundsätzlichen Kritik der Fürsorgetheorie gewiesen haben. 11. Schadenszurechnung nach Risikosphären und schadensgeneigte Arbeit 1. Vberblick über die vorhandenen RIsikotheorien

In der arbeitsrechtlichen Literatur wird bereits vielfach der Gedanke einer Risikozurechnung zu Lasten des Arbeitgebers als Grundlage des Systems des innerbetrieblichen Schadensausgleichs vertreten71 • Dieser Ansatz ist auf jeden Fall zu begrüßen. Schon bei der Außenhaftung des Geschäftsherrn (Unternehmers) hat sich erwiesen, daß der Verschuldensgrundsatz einfach nicht mehr zur Durchführung einer gerechten Risikoverteilung ausreicht. Hannak geht bereits so weit, den Verschuldensgrundsatz im Zusammenhang mit den Wirkungen gefährlicher Kraft für obsolet zu erklären72 : "Mit einem subjektiven Haftungsgrund läßt sich das Problem der Haftung für die mit dem technischen Fortschritt verbundenen, in der Regel unvermeidbaren Schäden nicht lösen, weil es Schäden gibt, für die sich eine subjektive Beziehung zum Haftpflichtigen nicht herstellen läßt73 ." Deutlich tritt hier die Krise des Verschuldensgrundsatzes zutage. Die Haftung des Unternehmers, um die es bei der schadensgeneigten Arbeit - sieht man den Zusammenhang mit der Außenhaftung - letztlich doch geht, bedarf einer Erklärung mit objektiven Zurechnungsgesichtspunkten, da ein subjektives Haftungselement diese Haftungsverschärfung nicht zu begründen vermag74 • Häufig wird daher unter Bezugnahme auf die bisher einzelgesetzlich geregelte Gefährdungshaftung einer entsprechenden Anwendung dieser Bestimmungen das Wort geredet75 . a) Analogie zur Gefährdungshaftung Meinert 76 bezeichnet als Gefährdungshaftung "eine durch die Interessenlage gerechtfertigte Haftung, deren Rechtsgrund die Gefährdung 71 72 73

Vgl. oben Anm.70.

Hannak, Die Verteilung, S. 20 f. Hannak, S.51.

74 Aus diesem Grunde vermögen die Lösungen des Problems der schadensgeneigten Arbeit durch Modifikation des § 276 BGB nicht zu überzeugen. 75 Vgl. v. d. Gablentz, Haftung des Arbeitnehmers, S. 42 f. (46/47); Köbler, RdA 1970, 97 f.; Meinert, DB 1958, 1328. 78 DB 1958, 1329.

11. Risikozurechnung und schadensgeneigte Arbeit

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bildet". Schadensgeneigte Arbeit werde aber im wirtschaftlichen Interesse des Unternehmers durchgeführt. Da aber die Verfolgung eigener Interessen nicht zur Verletzung fremder Rechtsgüter führen dürfe, sei eine Haftung des Unternehmers für die typischen Betriebsgefahren angebracht77 •

v. d. Gablentz betrachtet als maßgebliche Gründe, die zur Einführung der bisher bekannten Tatbestände der Gefährdungshaftung geführt haben, "die Gefährlichkeit der betreffenden Anlage" sowie den "sozialen Zwang, dem alle Außenstehenden unterliegen, sich gefährden zu lassen"78. Der Inhaber einer gefährlichen Anlage müsse sich deren Betriebsgefahr auch dann im Sinne des § 254 BGB anrechnen lassen, wenn er von einem Dritten zurechenbar geschädigt werde. Ebenso sei diese Anrechnung der Betriebsgefahr im Verhältnis ArbeitgeberArbeitnehmer anwendbar, wenn der Arbeitnehmer an einer Anlage arbeite, für die eine einzelgesetzliche Gefährdungshaftung bestehe79 . Aber auch darüber hinaus sind die Tatbestände der Gefährdungshaftung nach von der Gablentz' Ansicht analogiefähig. Die Gefährdung durch Maschinen in einem Betrieb sei nur deshalb nicht einer gesetzlichen Gefährdungshaftung unterworfen, weil Außenstehende nicht gefährdet würden. Die Gefahr für die Betriebsangehörigen sei im Vergleich zu den geregelten Tatbeständen aber ebenso grOß80. Für die Arbeitnehmer sei auch der soziale Zwang, sich gefährden zu lassen, ja sogar der Zwang, durch ihre Arbeit "die potentielle Gefährlichkeit der Maschine zu aktualisieren", gegeben81 . Als Inhalt dieser "innerbetrieblichen Gefährdungshaftung" bezeichnet v. d. Gablentz die Erwägung, "daß das besondere Risiko potentiell gefährlicher Anlagen und Einrichtungen von dem zu tragen ist, der sie für sich ausnützt" 82. Diese Gefährdungshaftung sei beim Arbeitgeber über § 254 BGB zu berücksichtigen83• V. d. Gablentz glaubt jedoch, die Haftungsmilderung dennoch nicht ohne Rückgriff auf subjektive Momente begründen zu können, die er in der menschlichen Unzulänglichkeit eines jeden Arbeitnehmers erblickt. Erst dieser Umstand führt dann nach seiner Ansicht zu einer Begrenzung der Haftung des Arbeitnehmers für positive VertragsverletzungB4. Köbler weist schließlich - wie andeutungsweise auch schon v. d. Gablentz8 5 - darauf hin, daß die Gefährdungshaftung des Arbeitgebers in 77 S. 1328/1329. 78

von der Gablentz, Haftung des Arbeitnehmers, S. 44.

79 S.45. 80 S.46. 81 S.46.

S.47. R 47. 84 S. 62/63, 79/80. 85 S.46. 82 83

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8. Kap.: Die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit

der Unfallversicherungsgesetzgebung bereits vorgezeichnet sei86 • Diese enthalte alle Kriterien der Gefährdungshaftung: "Der Arbeitgeber hat den Vorteil der Tätigkeit des Arbeitnehmers; er hat ihn mit der Arbeit betraut und dadurch, wie auch ganz allgemein durch den Betrieb des Unternehmens, das Risiko geschaffen; er kann es am besten beherrschen, während der Arbeitnehmer den nach statistischen Regeln unvermeidbaren Gefahren nicht ausweichen kann. Auch die der Gefährdungshaftung eigene Funktion, die Verteilung von Unglück, ist gegeben87 ." Die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit seien nur ein besonderer Anwendungsfall des § 254 BGB für die Fälle einer Konkurrenz von Gefährdungs- und VerschuldenshaftungB8. Mit der Haftung des Arbeitgebers für die Gefahren seines Betriebes sei das ganze System des innerbetrieblichen Schadensausgleichs zu erklären89 . Die §§ 840 H, 831 BGB ständen dieser Lösung nicht entgegen, da diese Vorschriften unter der falschen Voraussetzung konzipiert worden seien, daß der Arbeitgeber nur für eigenes Verschulden hafte". Der Freistellungsanspruch ist nach Köblers Meinung von der Rechtsprechung geschaffen worden, um in der Außenhaftung des Arbeitgebers gegenüber Dritten die Verschuldenshaftung nicht über § 2 RHG hinaus einzuschränken, gleichwohl aber diesem die Betriebsgefahren jedenfalls im Innenverhältnis zuzurechnen. Dabei sei zwar der direkte Weg der Außenhaftung des Unternehmers für Betriebsgefahren vermieden, im Ergebnis erreiche der Freistellungsanspruch jedoch dieselbe Wirkung91 • b) Allgemeine Risikotheorien

Die Mehrheit der Vertreter einer Risikotheorie bemüht sich im Gegensatz zu den unter a) aufgeführten Autoren um eine stärkere Abgrenzung von den einzelgesetzlichen Gefährdungshaftungen, wohl auch, um dem Problem der vom Reichsgericht92 und dem BundesarbeitsgerichtlS abgelehnten Analogiefähigkeit der Gefährdungshaftungen auszuweichen". In Anlehnung an die Entscheidung des Reichsgerichts über die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers bei einem Teilstreik von 88 Köbler, RdA 1970, 97 (98). 87 RdA 1970, 99.

RdA 1970, 99. RdA 1970, 99/100. 80 RdA 1970, 100. 91 RdA 1970, 100. 82 RGZ 147, 353 f. (356). 93 BAG NJW 1962,411/413. 84 So deutlich etwa GamiUscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.36; vgI. dazu auch Köbler, NJW 1969, 1414. 88

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H. Risikozurechnung und schadensgeneigte Arbeit

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Arbeitnehmern seines Betriebes aus dem Jahre 192295 und die nachfolgenden Entscheidungen des ReichsarbeitsgerichtsDtl fällt in diesem Zusammenhang meist das Stichwort "Betriebsrisiko"97. Auch die Rechtsprechung kommt trotz ihrer Begründung der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit mit der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers nicht ohne Rückgriff auf dieses Betriebsrisiko aus98 . Dabei spielen, wie GamiUseheg richtig bemerkt99 , das Vorteil-Nachteil-Prinzip sowie die Möglichkeit, daß sich der Arbeitgeber versichern und diese Kosten über die Preise abwälzen kann, eine wichtige Rolle. Diese Parallele zur Betriebsrisikolehre in den Lohnfortzahlungsfällen bietet sich für die schadensgeneigte Arbeit an, hat doch die Rechtsprechung im ersteren Fall bereits eine "Risikoverteilung nach Gefahrensphären"IOo geschaffen. Einer der ersten entschiedenen Vertreter einer Risikotheorie war Hersehel mit seiner Lehre vom Unternehmerwagnis101 . In diesem Unternehmerwagnis geht nach seiner Ansicht auch das Betriebsrisiko im Sinne der Lohnfortzahlungsentscheidungen auf. Der Schaden, den ein Arbeitnehmer verursacht, lastet nun nach Hersehel, "sei es in Gestalt eigenen Schadens, sei es in Gestalt einer Freistellungspflicht, unmittelbar und von vornherein auf dem Unternehmer selbst, nicht kraft einer besonderen übernahme, sondern kraft der konkreten Ordnung des Unternehmens, die diese Risikoverteilung in sich begreift"11m. Diese Haftung des Unternehmers sieht Hersehel als eine "innerbetriebliche Gefährdungshaftung eigener Art" an108. Ihre Rechtfertigung im System der Schadenszurechnungsgründe scheint er jedoch weniger in einer Analogie zu Einzeltatbeständen der Gefährdungshaftung, als in der oben untersuchten verdeckten Entfernung von der Verschuldenshaftung 95 RGZ 106, 272 (275 f.); dazu ausführlich: Biedenkopf, Die Betriebsrisikolehre, S. 2 f. 96 RAG ARS Bd. 3, S. 116 f.; 3, 129 f.; 5, 32 f. 97 Vgl. Gamillseheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.34135, mit weiteren Nachweisen; Hanau, Anmerkung zu BAG AP Nr.53 zu § 611 Haftung des Arbeitnehmers; Hersehel, Iher. Jahrb. 90, 145 (166 f.); Mayer-Maly, AeP 163, 114 (135); Larenz, SAE 1962, 198; Peters, Kritische Betrachtung, S.39140, 63; Soergel- Wlotzke - Volze, § 611, Hz 68; weitere Nachweise bei Canaris, RdA 1966, 41 (45146, Anm. 61). 98 Vgl. BAGE 5, 1 (8); BGHZ 16, 111; BGHZ 27, 62 (67); BGH NJW 1963, 1100 (1102); LAG Hamm, BB 1955, 477; weitere Nachweise aus der Rechtsprechung bei Below, Festschrift für Lehmann, 1956, Bd.2, S.657, Anm.69. 99 Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.35-37; vgl. auch Larenz, SAE 1962, 198; Frey, AuR 1959, 193 (202). 100 Vgl. zu dieser Biedenkopf, S.7, 13, 18. 101 Hersehel, Iher. Jahrb. 90, 145 f.; ders., Soziale Praxis 1941, Sp.617 (6191620); ähnlich Bulla, DArbR 1942, 19 (21). 10% Hersehel, Iher. Jahrb. 90, 167. 103 Iher. Jahrb. 90,166; ders., Anmerkung zu BAG JZ 1958, 254 (258); ebenso im Anschluß an Hersehel LAG Bremen, RdA 1951, 75 (77).

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8. Kap.: Die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit

zu erblicken104 , die insoweit die "konkrete Ordnung des Unternehmens" prägt.

Canaris 10Jl , Huber 106 und ihnen folgend Larenz107 gehen das Problem demgegenüber von den Prinzipien der Schadenszurechnung her an. In Anlehnung an die von ihnen entwickelte "Risikohaftung bei Tätigkeit in fremdem Interesse" für den Fall von Schäden des Beauftragten oder des auftraglosen Geschäftsführers108 wenden sie dieses Prinzip der Schadenszurechnung auch auf das Verhältnis Arbeitgeber-Arbeitnehmer an. Nach ihrer Ansicht treffen die Gesichtspunkte, die die Belastung des Auftraggebers (Geschäftsherrn) mit einem Schadensersatzanspruch des Beauftragten (Geschäftsführers) gerechtfertigt haben, auch auf die Schadensverlagerung zu Lasten des Arbeitgebers bei der gefahrengeneigten Arbeit zu. Der Arbeitgeber habe den Vorteil aus der Arbeit109 , er habe das Risiko geschaffen, könne es am besten beherrschenllO und auch versichern111 und den Schaden weiter verteilen112 • In diesem Zusammenhang betont - wie bereits erwähnt113 - Canaris mehr die Nähe der "Risikohaftung des Geschäftsherrn" zur Gefährdungshaftung. Huber nimmt dagegen eine vertragliche Risikohaftung an, wenngleich auch er gewisse Elemente der Gefährdungshaftung anerkennt, die bei der schadensgeneigten Arbeit auftreten sollen114 • Diese verhältnismäßig junge Theorie der "Risikohaftung des Geschäftsherrn" hat im Schrifttum bereits Zustimmung gefunden115 • Gamillscheg 116 und WZotzke-VoZze ll7 führen schließlich die Sätze über die schadensgeneigte Arbeit auf den Sphärengedanken zurück, den sie als eigenständigen Zurechnungsgrund ansehen118 • Die Zurechnung zur Vgl. Herschel, Iher. Jahrb. 90, 145 (156-159). Canaris, RdA 1966, 41 f.; ders., Die Feststellung von Lücken im Gesetz, § 173, Anm.37. 106 A. Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S. 70 f. 107 Larenz, Schuldrecht II, § 52 II d (S. 212); ders., JuS 1965, 373 (375/376). 108 Vgl. dazu oben im 7. Kap. unter III. 1. b). 109 Canaris, RdA 1966, 41 (45); Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S. 71; Larenz, JuS 1965,373 (376). 110 Canaris, RdA 1966, 45; Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.72, Anm.1. 111 Canaris, RdA 1966, 45. 112 Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.72, Anm.1. 113 Vgl. dazu oben im 7. Kap. unter III. 1. b) am Ende. 114 Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.72, Anm.1. 115 Vgl. Konzen, BB 1970, 1309 (1312, Anm. 33); Richardi, Arbeitsrecht, S.65; Mohr, Kanalisierung, S. 46 f. 116 Gamillscheg, Haftung des Arbeitnehmers, S. 34 f. 117 Soergel - Wlotzke - Volze, § 611, Rz 68. 118 Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.36. 104

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Risikosphäre des Arbeitgebers und damit zu dessen Betriebs- und Eigentumsrisiko119 ergibt sich nach ihrer Ansicht daraus, daß dieser Gefahrenquellen setzt120 , während sich der Arbeitnehmer in einer Drucksituation befindet, ständig für fremden Nutzen fehlerlose Arbeit leisten zu müssen1;?1, auf deren konkrete Gestaltung er keinen Einfluß hat122. Die Schadensverteilung über § 254 BGB biete sich von selbst an, da diese Vorschrift ebenfalls Ausfluß einer Zurechnung nach dem Sphärengedanken sei 123 • c) Kritik der Risikotheorien

Grundsätzlich sind alle Risikotheorien gegenüber der noch herrschenden Fürsorgetheorie vorzuziehen, da sie das System des innerbetrieblichen Schadensausgleichs korrekter darzustellen vermögen. Sie legen die objektive Schadenszurechnung zu Lasten des Arbeitgebers offen, die die Fürsorgetheorie nach wie vor verschleiert. Befriedigend kann aber nur die Lösung genannt werden, der eine Einordnung der schadensgeneigten Arbeit in das Gesamtsystem des Schadensersatzrechts gelingt. Um diese Einordnung bemühen sich die Vertreter einer Analogie zur einzelgesetzlichen Gefährdungshaftung, ohne daß dieser Weg voll zu überzeugen vermag. Der Analogielösung steht zunächst einmal die Tatsache entgegen, daß es ein einheitliches Prinzip der Haftung ohne Verschulden nicht gibt124 . Aus der Gruppe der Haftungen ohne Verschulden muß daher die der "Gefährdungshaftung im engeren Sinne" ausgesondert werden126 . Da es sich dann bei einer Analogie zu diesen Haftungen um eine Gesamtanalogie (Rechtsanalogie)126 handeln wird, muß aus den Einzeltatbeständen ein allgemeiner Rechtsgrundsatz entwickelt werden, der dann auf den ungeregelten Fall des innerbetrieblichen Schadens ausgleichs anzu119 Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.37, 45; SoergelWlotzke - Volze, § 611, Rz 68; so auch Wilburg, Referat, S. C 15/C 16. 120 Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.37; Soergel- WlotzkeVolze, § 611, Rz 68; Below, Festschrift für Lehmann, 1956, Bd. H, S.646 (657). 121 Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S. 41; Soergel - Wlotzke Volze, § 611, Rz 68. 122 Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.37; Soergel- WlotzkeVolze, § 611, Rz 68; vgl. auch Frey, AuR 1959, 193 (202). 123 Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.36; Soergel-WlotzkeVolze, § 611, Rz 68; vgl. auch oben im 5. Kap. unter H.5. 124 Esser, Gefährdungshaftung, S.65/66; Hesemann, Interesse und Gefährdung, S. 22 f.; Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.41; Wilburg,

Elemente, S.27. 125 Vgl. Esser, Schuldrecht I, § 8 I (S.54/55). 126 Vgl. dazu Larenz, Methodenlehre, S.364, mit weiteren Nachweisen in Anm.1.

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wenden ist127 • Die Zurechnungsgesichtspunkte dieser einzelgesetzlichen Gefährdungshaftungen im engeren Sinn werden gemeinhin etwa wie folgt zusammengefaßt: Der Inhaber und wirtschaftliche Nutznießer einer besonderen Gefahrenquelle, die er auf Grund staatlicher Erlaubnis unterhalten darf, obwohl dadurch das Publikum gefährdet wird, hat für die Schäden einzustehen, die sich aus seiner Betätigung ergeben. Er vermag dieses Risiko am ehesten zu beherrschen, ist sein erster Nutznießer, kann die Kosten abwälzen, sich versichern, während das Publikum gezwungen ist, die Gefahr hinzunehmen1l!8. Gegen eine Analogie auf dieser Basis sind vielfach Bedenken erhoben worden. Am häufigsten wird die These vertreten, der Gesetzgeber habe durch die einzel gesetzliche Regelung der Tatbestände der Gefährdungshaftung erkennen lassen, daß er sich die Entscheidung über das Ob und Wie einer Gefährdungshaftung vorbehalten wolle129 • Angesichts der verdeckten Einführung rein objektiver Haftungstatbestände durch die Rechtsprechung130 vermag dieser Einwand nicht mehr zu überzeugen. Der Verschuldensgrundsatz hat die ihm immer noch zugemessene entscheidende Bedeutung längst verloren. Gewichtiger ist demgegenüber das Argument, das Grundprinzip der Gefährdungshaftung sei so allgemein, daß mit der Zulassung einer Erweiterung der Gefährdungshaftung durch Analogie die Einheit der Rechtsanwendung in Gefahr geriete131 • Diese Gefahr besteht tatsächlich, da das einzig jeder Gefährdungshaftung Gemeinsame das fehlende Schuldmoment ist, während die Ausgestaltung der einzelnen Tatbestände durchaus Unterschiede zeigt. Die bisher eingeführten Tatbestände der Gefährdungshaftung im engeren Sinne sind auch zumeist Fälle einer Haftung für gefährliche Anlagen oder Sachenlft, allein die Gastwirtshaftung fällt hier aus dem Rahmen. Die Analogie würde den Geschäftsherrn auf eine Stufe stellen mit dem Halter eines Hundes und dem Inhaber einer Atomenergieanlage. Es fehlt auch die staatliche Erlaubnis, an die üblicherweise die Gefährdungshaftung als Ausgleich Zur Methode vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 364. Vgl. dazu Esser, Schuldrecht I, § 8 I 3 (S. 54); ders., Gefährdungshaftung, S.90, 97, 103, 128 f.; v. d. Gablentz, Haftung des Arbeitnehmers, S. 44; Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.41/42, 54/55; Canaris, RdA 1966, 41 (43); Hannak, Die Verteilung, S.50; Larenz, Schuldrecht II, § 77 I (S.534); ders., JuS 1965, 373 (374); Köbler, RdA 1970, 97 (99); Meinert, DB 1958, 1328/1329; Wilburg, Elemente, S. 24 f. 129 RGZ 147, 353 (356); BAG NJW 1962, 411 (413); LaTenz, Schuldrecht II, § 77 I (S.536); Scheuerle, RdA 1958, 247 (248). 130 Vgl. dazu Esser, Gefährdungshaftung, S.14/15, sowie oben im Text die Kapitel 5-7. 131 Vgl. Hesemann, Interesse und Gefährdung, S.18, 24. 132 Esser, Schuldrecht I, § 8 I 3 (S. 54); Canaris, RdA 1966, 41 (43). 127

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für das erlaubte Risiko geknüpft wird133 • Problematisch ist auch, ob der Arbeitnehmer einer "zwangsweise hinzunehmenden Gefährdung" 13. ausgesetzt wird, es kann durchaus eine freiwillige Gefahrenexponierung vorliegen, mit der eine Gefährdungshaftung des Arbeitgebers entfiele135 • Ausschlaggebend für die Ablehnung einer Analogie trotz unverkennbarer Parallelen der schadensgeneigten Arbeit zu den Fällen einzelgesetzlicher Gefährdungshaftungen ist aber der Umstand, daß der entscheidende Zusammenhang mit der verschärften Außenhaftung des Geschäftsherrn überhaupt nicht in Erscheinung träte. Dabei geht es weniger um das Ergebnis, als um den Weg zu diesem Ergebnis. Der Weg zur schadensgeneigten Arbeit führt über die objektivierte Außenhaftung des Geschäftsherrn. Die Analogielösung enthielte die Gefahr, die schadensgeneigte Arbeit wie bisher als einen Sonderfall anzusehen, der mit dem klassischen bürgerlichrechtlichen Schadensersatzrecht nichts zu tun hat. Genau das aber trifft nicht zu. Die Parallelen zu Erscheinungen des bürgerlichrechtlichen Schadensersatzrechtes sind so augenfällig, daß nur die Lösung zureichend genannt werden kann, die diesen entscheidenden Aspekt berücksichtigt. Dazu ist die Analogielösung nicht geeignet. Die Risikotheorien, die die Haftung des Unternehmers mit dessen Betriebsrisiko erklären, sind in.."'Oweit unzureichend, als sie keine Einordnung des Betriebsrisikos in das nun einmal bestehende System der Schadenszurechnung vornehmen1H, obgleich eindeutig eine Schadenszurechnung zu Lasten des Unternehmers131 vorliegt. Um diese Einordnung bemühen sich Canaris, Huber und Larenz138 • Ihrer Lösung muß jedoch entgegengehalten werden, daß der Rückschluß von der Risikozurechnung bei Auftrag und Geschäftsführung ohne Auftrag auf die Fragen der schadensgeneigten Arbeit vorschnell erfolgt. Die Tatsache, daß der Arbeitnehmer für seine Dienstleistung entlohnt wird, so daß die Interessenlage und das Bedürfnis nach ausgleichender Gerechtigkeit möglicherweise gegenüber unentgeltlich erbrachten Leistungen verändert werden138 , wird besonders von Canaris vernachlässigt140. 133 Vgl. zu diesem Moment der Gefährdungshaftung Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.42; Esser, Gefährdungshaftung, S.97. 184 Vgl. zu diesem Merkmal Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.43. 135 Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.44/45. 136 Vgl. dazu Scheu erZe, RdA 1958, 247 (248). 137 Richtig Larenz, Schuldrecht H, § 52 II (S. 212/213). 138 Vgl. zu diesen oben in diesem Kap. unter II. 1. b). 1at Vgl. dazu schon RümeZin, Gründe der Schadenszurechnung, S.31, 32; WUburg, Elemente, S. 122, 123. 140 Canaris, RdA 1966, S.45: "Der Arbeitgeber hat den Vorteil aus der Tätigkeit des Arbeitnehmers." Ebenso ließe sich behaupten: Der Patient hat

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8. Kap.: Die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit

Das Vorteil-Nachteil-Prinzip ist, wie Bienenfeld l4l und Hesemann 142 nachgewiesen haben, als Begründung einer Schadenszurechnung ein stark schwankender Boden. Es sollte auch bedacht werden, daß man in Zeiten der überbeschäftigung allzu leicht dazu neigt, den Vorteil aus dem Bestand eines Unternehmens allein dem Unternehmer zuzurechnen, während die Interessenlage in Zeiten der Arbeitslosigkeit, wie Hesemann zeigt, doch realistischer gesehen wirdl43 • Im übrigen leidet dieser Lösungsvorschlag noch stärker als die Analogielösung darunter, daß ein Sonderfall aus dem bürgerlichen Recht verallgemeinert wird, ohne daß dabei der umfassende Zusammenhang, in den die Sätze über die schadensgeneigte Arbeit gehören14 4, Berücksichtigung findet. Die überzeugungskraft dieser Lösung leidet darunter, daß ein vergleichsweise unbedeutender Einzelfall als dogmatische Basis für eine der wichtigsten Erscheinungen unseres Schadensersatzrechts aufbereitet wird. Zwar lassen sich auch hier Parallelen zur schadensgeneigten Arbeit nicht leugnen, aber der Ansatz ist einfach zu schmal, die Elemente dieser Risikohaftung des Geschäftsherrn zu unbestimmt (Interesse und Risiko), als daß man derart weitreichende Folgerungen daraus ziehen sollte. Auch GamiHscheg und Wlotzke-Volze lassen die hier geforderte Einordnung der schadensgeneigten Arbeit in eine Gesamttendenz unseres Schadensersatzrechts vermissen, wenngleich sie mit der hier zu entwickelnden Lösung im dogmatischen Ansatz übereinstimmen. Die von ihnen vertretene Sphärentheorie ist die einzige zureichend dogmatisch begründete Erklärung für das System des innerbetrieblichen Schadensausgleichs. GamiHscheg ist zuzustimmen, wenn er ausführt, daß der Sphärengedanke nicht nur Beschreibung, Bild sei, sondern eigenständiger Zurechnungsgrund l45 • Das hat sich auch bei der hier durchgeführten Untersuchung ergeben. Damit ist jedoch noch nicht geklärt. durch welche Gesichtspunkte eine Schadenszurechnung nach Risikosphären im Sinne der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit hervorgerufen wird. Gamillscheg und Wlotzke-Volze geben auch keine ausreichende Erklärung für den Entstehungsgrund dieser Haftung des Arbeitgebers. Warum es nämlich zu dieser Entscheidung kommen den Vorteil aus der Tätigkeit des Arztes, der Eigentümer eines Kfz aus der Tätigkeit der Reparaturwerkstatt; vorsichtiger abwägend: LaTenz, JuS 1965. 373 (376). 141 BienenjeId, Die Haftungen ohne Verschulden, S. 109--113. 142 Hesemann, Das Verhältnis von Interesse und Gefährdung zur Haftung, S. 5 f.; vgl. auch Rümelin, S.31, 32. 143 Hesemann, S.17; vgl. auch WeyeTs, Unfallschäden, S. 517 f. 144 Vgl. dazu MayeT-MaIy, AcP 163, 114 (135); Helm, AcP 160, 134 (139 f., 146 f.). 145 .Gamillschea. Die Haftung des Arbeitnehmers, S. 36.

II. Risikozurechnung und schadensgeneigte Arbeit

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mußte, welche dogmatischen Strömungen die Richtung gewiesen haben, bleibt ebenso unklar wie der Gesamtzusammenhang der Unternehmerhaftung, zu dem die Sätze über die schadensgeneigte Arbeit gehören. 2. Die Risikosphäre des Gesclläftsherm (Arbeitgebers) als Grundlage einer Schadenszurecllnung

a) Vergleich der Begründung der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit mit den Begründungen einer objektiven Zurechnung zu Lasten des GeschäftsherTn in der Außenhaftung

Die Begründungen, die in der Literatur zur schadensgeneigten Arbeit für die Besonderheit dieses Instituts gegeben werden, sind nicht zufällig weitgehend identisch mit den Argumenten für die objektive Zurechnung zu Lasten eines Geschäftsherrn in der Außenhaftung, die hier bereits erörtert wurden. Hier liegt das erste, von den Risikotheorien vernachlässigte Element eines Gesamtzusammenhangs, in den die Sätze über die schadensgeneigte Arbeit gehören. aa) Das Gefahrenargument Das erste Argument der Arbeitsrechtslehre für die Sätze über die schadensgeneigte Arbeit ist die besondere Gefahr, die in einer dem Arbeitnehmer übertragenen Arbeit liegen kann. Es begann mit der besonderen Gefährlichkeit einer übertragenen Arbeitl46 , bei der ein geringes Versehen hohen Schaden hervorrufen kannl47 • Das war gewissermaßen der Urgrund der schadensgeneigten Arbeit. Inzwischen verstärken sich die Stimmen, die den Kreis der gefahrengeneigten Tätigkeit weiter fass~n. So wird als gefahrengeneigt jede Tätigkeit angesehen, die ein spezifisch erhöhtes Risiko, sei es auch nur im Einzelfall in einer außergewöhnlichen Situation, mit sich bringt. Auf die typische Gefährlichkeit wird verzichtet l48 • Gamillscheg will sogar vom eingetretenen Schaden auf diese konkrete Gefährlichkeit der Situation schließenl49 • Canaris will dem Arbeitgeber das "spezifische Tätigkeitsrisiko" zurechnen, während der Arbeitnehmer allein sein all146 Buna, DArbR 1942, 21; Dersch, BB 1956, 501 (502/503); v. d. Gablentz, S.19 f.; Herschel, Iher. Jahrb. 90, 167; Meinert, DB 1958, 1328; so immer noch im Grundsatz die Rechtsprechung: BGHZ 16, 111 (1l6); 27, 62 (65). 147 GamiUscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S. 45/47; Peters, Kritische Betrachtung, S.40; Soergel- Wlotzke - Volze, § 611, Rz 68. 148 Vgl. GamiUscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.40/41; SoergelWlotzke - Volze, § 611, Rz 67/68. 149 Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S. 40/41.

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8. Kap.: Die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit

gemeines Lebensrisiko tragen SOlll60. Hier scheint sich eine Parallele zur neuen Lehre im Deliktsrecht anzubahnen, die die objektive Zurechnung an alle Folgen knüpft, die aus dem spezifisch durch die unerlaubte Handlung erhöhten Risiko herrühreni51 . Daneben wird noch darauf hingewiesen, daß der Arbeitgeber, machte er alles selbst, auch mit Fehlern zu rechnen hätte, die ihn selbst träfen. Dieses Risiko könne er nicht durch übertragung der Arbeit auf seine Gehilfen abwälzen l5!. bb) Der Organisationsbereich Die Möglichkeit des Arbeitgebers, durch organisatorische Maßnahmen die betriebsspezifischen Gefahren zu überwachen, zu ordnen und zu verringern i53 , während demgegenüber der Arbeitnehmer kraft des Weisungsrechtes des Arbeitgebers der Gefahrenlage an seinem Arbeitsplatz ausgeliefert sePM, wird ebenfalls häufig als Argument für eine mildere Haftung des Arbeitnehmers vorgetragen. Man spricht hier von der Gefahrenbeherrschung durch den Arbeitgeber1S5, ohne dabei - wie oft behauptet wird156 - zu glauben, daß dieser etwa durch Ausübung seines Weisungsrechts in der Lage sei, jeden Schaden zu vermeiden i57 . Vielmehr ist, wie Canaris in anderem Zusammenhang bemerkt, die Möglichkeit einer vollständigen Gefahrenbeherrschung verzichtbar, wenn der Gefahrenkreis durch Versicherung abgedeckt ist158 . 160 Canaris, RdA 1966, 41 (46); Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.56/72. 151 Vgl. dazu oben im 5. Kap. unter II.4. 152 Bulla, DArbR 1942, 21; Hersehel, Iher. Jahrb. 90, 167; Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn S. 72. 153 BGH NJW 1963, 1100 (1103); Brandt, Grenzen der persönlichen ärztlichen Haftung, S. 117; Canaris, RdA 1966, 45. 154 Brandt, S. 117; Canaris, RdA 1966, 45; Gamillseheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.43, 48; Isele, Anmerkung zu BGH NJW 1963, 1100; Köbler, RdA 1970, 99; Soergel- Wlotzke - Volze, § 611, Rz 68; Wolf, Das Arbeitsverhältnis, S.15, hebt richtig hervor, daß das Weisungsrecht nur soweit gilt, wie der Arbeitnehmer sich vertraglich verpflichtet hat. Letzterer muß der Weisung folgen, weil er diese Arbeit schuldet, aber auch nur, soweit er diese Arbeit schuldet. Das verkennt Isele, Anm. zu BGH NJW 1963, 1100. 155 Canaris, RdA 1966, 45; Frey, AuR 1959, 193 (202); Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S. 72, Anm. 1; Köbler, RdA 1970, 99. 156 So Becker - Schaffner, VersR 1971, 195 (196/197); Neumann - Duesberg, JZ 1964, 433 (436). 157 Vgl. Dickescheidt, Die Haftung des Geschäftsherm, S. 71: "Die Frage der Verhinderungsmöglichkeit der Gefährdung kann und darf für die Rechtfertigung der Haftpflicht überhaupt nicht in Betracht kommen, wenn und soweit die Erhaltung und Weiterentwicklung der Zivilisation nicht in Frage gestellt werden soll." 158 Canaris, NJW 1964, 1987 (1992).

11. Risikozurechnung und schadensgeneigte Arbeit

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cc) Das Vorteil-Nachteil-Prinzip Die These, der Arbeitnehmer sei zum Vorteil, im Interesse des Arbeitgebers tätig, so daß letzterer auch die sich daraus ergebenden Nachteile zu tragen habe, wird immer wieder als Begründung für das System des innerbetrieblichen Schadensausgleichs genannt159 • Die Fragwürdigkeit der oft bedenkenlosen Verwendung dieses Arguments wurde oben bereits angedeutet160 • Sie zeigt sich auch in der höchst unsicheren Behandlung der Risikoprämie in der Literatur161 • Die Tatsache, daß dieses Argument dennoch so oft verwendet wird, dürfte darin begründet sein, daß hier sozialpolitische Erwägungen berücksichtigt werden sollen, die bei der schadensgeneigten Arbeit ohne Zweifel eine Rolle gespielt haben und wohl auch noch spielen. Bienenfeld mißt im geltenden Recht weniger dem Satz "richesse oblige" als den Sätzen "Armut enthaftet" und "Armut berechtigt" Bedeutung ZUl62 • Auf dieser juristisch nur schwer faßbaren Ebene liegt auch das Vorteil-Nachteil-Prinzip. dd) Die Kostenabwälzung (Schadensverteilung) Die Palette der Argumente im rein objektiven Bereich wird schließlich abgerundet durch zwei ökonomische Argumente. Die Belastung durch die Sätze· über die schadensgeneigte Arbeit wird als für den Unternehmer tragbar angesehen, weil er in der Lage sei, die Kosten, die aus schlecht durchgeführter Arbeit entstehen, über die Preise auf das breite Publikum abzuwälzen und dadurch zu verteilen. Das kann durch Einkalkulierung dieses Betriebsrisikos in Form des durchschnittlichen Aufwandes für die Schadensfälle in die Preise geschehen163 oder aber durch Abschluß einer Versicherung und Abwälzung der Versicherungsprämien über die Preisel64 • Damit führt auch bei der schadensi59 Buna, DArbR 1942, 19 (21); Canaris, RdA 1966, 41 (45); GamiUscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.41; Gumpert, BB 1955, 480 (482); Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.71; Hueck - Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. I, S.233; Konzen, BB 1970, 1309 (1312, Anm.33); Köbler, RdA 1970, 97 (99); Meinert, DB 1958, 1328; Larenz, JuS 1965, 373 (376); ders., Schuldrecht II, § 52 11 (S.212); Mohr, Kanalisierung, S.1l7. 160 Vgl. oben in diesem Kap. unter Ir. 1. c) am Ende. 161 Vgl. z. B. Herschel, Iher. Jahrb. 90, 145 (168/169); Peters, Kritische Betrachtung, S. 59; Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S. 73, 74, Anm.1; BAG NJW 1958, 235 (237); richtig Canaris, RdA 1966, 47: "Die Lohnhöhe und die Zahlung einer Risikoprämie sind grundsätzlich ohne Bedeutung." Vgl. auch Steindorff, JZ 1959, 1 (5, Anm.64); Wilburg, Elemente, S.122/123. 162 Bienenfeld, Haftungen ohne Verschulden, S.1l0. 183 Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S. 44; Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.72, Anm.1; Hueck - Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. I, S.233; Helm, AcP 160, 134 (152); Soergel- Wlotzke - Volze, § 61l, Rz 68; Steindorff, JZ 1959, 1 (5); Wilburg, Elemente, S. 126. 184 OVG Münster, VersR 1965, 965 (967); Deutsch, Fahrlässigkeit, S.318; Gaul, DB 1962, 166 (204); Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.44;



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8. Kap.: Die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit

geneigten Arbeit das Prinzip der Schadensverteilung, der von Esser so betonte Gedanke der Gefährdungshaftung165 , zu einer weitgehenden Haftung dessen, der den Schaden am besten verteilen, das heißt versichern kann 166 • Dabei kann durchaus fraglich sein, ob der Schädiger oder der Geschädigte besser zur Schadensverteilung in der Lage ist167 • Zum Teil wird im Nichtabschluß einer Versicherung durch den Arbeitgeber unter Einschluß des Arbeitnehmers sogar eine positive Vertragsverletzung gegenüber letzterem erblickt168 • Mit der Auferlegung einer Versicherungspflicht erreicht man dann im Ergebnis eine Zufallshaftung des Arbeitgebers, ohne letztere wirklich begründen zu müssen 169 • ee) Die Monotonie der Arbeit Im subjektiven Bereich wird vielfach darauf hingewiesen, es sei auf Grund der menschlichen Unzulänglichkeit einfach nicht zu vermeiden, daß ein Arbeitnehmer im Laufe der Zeit einmal einen Fehler mache, möge er sonst auch noch so zuverlässig arbeiten170 • Dieses Argument ist die Kehrseite des oben genannten Arguments, daß ja auch der Arbeitgeber Fehler machen würde, wollte er all das, was seine Arbeitnehmer ausführen, selber machen. Daher ist hier entscheidend wohl die Tatsache, daß der Arbeitgeber das. auf jedermann lastende Risiko, einmal Hueck - Nipperdey, S.233; A. Hueck, Anmerkung zu BAG AP Nr.28 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; Canaris, RdA 1966, 41 (45); SoergelWlotzke - Volze, § 611, Rz 68; Wilburg, Elemente, S.126; Woltereck, BB 1964,

478 f. Die Wahl zwischen Versicherung oder Aufnahme der Schäden in die Kalkulation hängt meist von der Größe des Betriebes ab. Vgl. dazu Hannak, Die Verteilung, S. 52 f. 165 Esser, Die Gefährdungshaftung, S. 69 f. 166 Zum Zusammenhang von Versicherung und Schadensverteilung vgl. Sieg, ZHR 113, 95 (117). 167 Vgl. Weyers, Unfallschäden, S. 522 f. 168 Gaul, DB 1962, 166 (204); Peters, Kritische Betrachtung, S.93; eingeschränkt auch Gumpert, BB 1955, 480 (483); vgl. auch Frey, AuR 1959, 193 (200); Woltereck, BB 1964, 478 (479), will das Unterlassen des Abschlusses einer verkehrsüblichen Haftpflichtversicherung zugunsten des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber zu dessen Lasten gern. § 254 BGB berücksichtigen. Grundsätzlich anderer Ansicht zu diesen Fragen: BGHZ 16, 111 (119); Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.45; Sieg, VersWiss 1963, 265 (270); ders., VersR 1955, 329 f. (331); vgl. aber andererseits Hanau, BB 1972, 4/9, zu derartigen Tendenzen beim Bundesarbeitsgericht. 169 Vgl. Sieg, VersR 1955, 329 f. (330). 170 RAG ARS 41, 55 (58); BAG NJW 1958, 235 (237); BGH NJW 1963, 1100 (1102); Deutsch, Fahrlässigkeit, S.317/319; Gamillscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.37, 41; v. d. Gablentz, Haftung des Arbeitnehmers, S.62/63, 22; Gumpert, BB 1955, 480 (482); Hanau, Anmerkung zu BAG AP Nr.53 zu § 611 Haftung des Arbeitnehmers; A. Hueck, Anmerkung zu BAG AP Nr.28 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; Mayer-Maly, AcP 163, 114 (134/ 135); Scheffler, Haftpflichtgefahr, S.2; Soergel- Wlotzke - Volze, § 611, Rz 68.

H. Risikozurechnung und schadensgeneigte Arbeit

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etwas falsch zu machen, nicht durch übertragung der Arbeit soll abwälzen könnenl7l • Alle hier vorgetragenen Argumente werden zur Begründung einer Haftungsmilderung für den Arbeitnehmer genannt. In ihnen soll die besondere Situation der schadensgeneigten Arbeit zum Ausdruck kommen. Ebenso taucht aber jeder der hier angesprochenen Gesichtspunkte bei den Begründungen für die objektivierte Außenhaftung des Geschäftsherrn172 wie auch bei den einzel gesetzlichen Gefährdungshaftungen173 auf. Hier schält sich ein Gesamtzusammenhang heraus, den es nunmehr zu beschreiben gilt. b) Das System des innerbetrieblichen Schadensausgleichs als Schlußstein der Risikozurechnung zu Lasten des Geschäftsherrn

In den Kapiteln fünf bis sieben hat sich gezeigt, daß die Schadenszurechnung im bürgerlichen Recht durchaus nicht allein auf Verschulden, Aufopferung und einzelgesetzlicher Gefährdungshaftung beruht. Vielmehr lassen sich vielfach Erscheinungen einer andersartigen, objektiven Schadenszurechnung nachweisen, die teils rein, teils in Verbindung mit anderen Zurechnungsgründen vorkommt. Tragender Gedanke dieser Art der Schadenszurechnung ist die Zurechnung nach Risikosphären. Sie ist im Laufe der Zeit zu einem festen Bestandteil des Schadensersatzrechts geworden. Die Ausbildung der Risikosphären hat erheblichen Einfluß auf die Entscheidung über eine Schadensersatzpflicht gewonnen. Besonders deutlich wurde diese Entwicklung in der bürgerlichrechtlichen und der handelsrechtlichen Haftung des GeschäftSherrn für seine Gehilfen. Die Regelung des BGB, die bereits gewisse Elemente einer objektiven Haftung des Geschäftsherrn enthält, erwies sich vor allem im Deliktsrecht wegen der auf dem Verschuldensprinzip aufbauenden Exkulpationsmöglichkeit in § 831 BGB ars höchst unbefriedigend. Die Rechtsprechung versuchte daher, in vorsichtiger richterlicher Rechtsfortbildung unter dem Deckmantel des Verschuldensprinzips den § 831 BGB so weit als möglich auszuschalten. Die Mittel, mit denen das geschah, sind oben ausführlich dargestellt worden 174 • Dadurch wurde die Haftung des Geschäftsherrn nach bürgerlichem Recht weitgehend der Haftung des Geschäftsherrn im Handelsrecht angeglichen, bei der bereits nach der gesetzlichen Regelung eine Exkulpationsmöglichkeit nicht besteht. Durch Verkehrssicherungs- und 171 Vgl. Denecke, RdA 1952, 209 (212); vgl. auch oben im 7. Kap. unter HI. 1. b) sowie im 8. Kap. unter H. 2. a). 172 Vgl. dazu im 7. Kap. unter I. 1.-3., H.2. 173 Vgl. dazu oben im 7. Kap. unter I. 1. sowie im 8. Kap. unter II. 1. a). 174 Vgl. oben im 7. Kap. unter II. 1.

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8. Kap.: Die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit

Organisationspflichten wurde die Geschäftsherrnhaftung noch weiter objektiviert175 • Im Gesamtergebnis ist in der Außenhaftung eines Unternehmens weitgehend eine Einstandspflicht für dessen betriebliche Risikosphäre erreicht worden. Die typischen Betriebsrisiken werden bewußt auf den Geschäftsherrn (Unternehmensträger) kanalisiert. Das geschieht mit denselben Argumenten, die bei der Begründung der Sätze über die schadens geneigte Arbeit verwendet werden: Die besondere Gefahr, die ein Betrieb hervorruft, der dem Inhaber aus der Gehilfentätigkeit zufließende Vorteil, die Möglichkeit, die Risiken zu beherrschen, sie zu versichern, die Kosten abzuwälzen, der Sphärengedanke, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Geschäftsherrn176 • Es wäre daher höchst erstaunlich gewesen, wenn diese Argumente fiir eine verschärfte, gegenüber der Gesetzesfassung objektivierte Außenhaftung des Geschäftsherrn und Betriebsinhabers ohne Wirkung auf das Innenverhältnis des Geschäftsherrn zu seinen Gehilfen geblieben wären. "Ebenso wie sich die Gefährdungshaftung gegenüber Dritten im Unternehmer konzentriert, so liegt es nahe, daß dieser auch im Innenverhältnis gegenüber Beteiligten die Gefahr bestimmter Schäden trägt177." So läßt sich auch kein einziges der für die Außenhaftung des Unternehmers genannten Argumente auf das Außenverhältnis Geschäftsherr-Dritter isolieren. Sie alle zielen darauf, dem Betriebsinhaber endgültig die typischen Risiken seines Betriebes zuzurechnen. Die gesamte hier dargestellte Entwicklung der Außenhaftung des Geschäftsherrn zeigt, daß der Haftungsverschärfung zu Lasten des Geschäftsherrn im Außenverhältnis die Haftungsverschärfung im Innenverhältnis, die in den Sätzen über die schadensgeneigte Arbeit ihren Ausdruck gefunden hat, entspricht178 • Die Funktion der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit ist nämlich die Absicherung der Haftungskonzentration im Innenverhältnisl79 , mithin die wirtschaftliche Kanalisierung der typischen Betriebsrisiken auf den Geschäftsherrnl80 • Damit erweist sich die objektive Schadenszurechnung zu Lasten des Geschäftsherrn (Unternehmers) als Grundgedanke der Risikoverteilung im Außen- und im Innenverhältnis. Die Sätze über die schadensgeneigte Arbeit und die objektivierte Außenhaftung des Geschäftsherrn sind die beiden Komponenten dieser Risikozurechnung. In der wissen175 176 177 178 179 180

Vgl. dazu oben im 7. Kap. unter 11.2. Vgl. oben im 7. Kap. unter 1. sowie unter 11.3. Wilburg, Elemente, S. 125. Vgl. auch Baur, Karlsruher Forum 1962, 16. Vgl. Denecke, RdA 1952, 212,; Köbler, RdA 1970, 97 (100). Vgl. Mohr, Kanalisierung, S. 43 f.

11. Risikozurechnung und schadensgeneigte Arbeit

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schaftlichen Diskussion über die schadensgeneigte Arbeit wird meist nur die Haftungsmilderung für den Arbeitnehmer gesehen181 . Auf der anderen Seite besteht eben die dieser Haftungsmilderung kongruente Haftungsverschärfung für den Arbeitgeber, die einer Einordnung in das System der Schadenszurechnung bedarf. Diese Regelung im Innenverhältnis wirkt nun wiederum auf die Außenhaftung zurück und führt dort zu einer weiteren Haftungsverschärfung für den Geschäftsherrn. Der arbeitsrechtliche Freistellungsanspruch, der weitgehend abtretbar und pfändbar ist182, erlaubt dem geschädigten Dritten nunmehr einen Zugriff auf den Geschäftsherrn auch in den Fällen, in denen die Exkulpation noch eine letzte Barriere bildete. Wie Helm richtig betont, wird dadurch in das Deliktsrecht "ein neuer Tatbestand der Gehilfenhaftung eingeführt, der nur in wenigen bisher bestehenden Spezialbestimmungen eine gewisse Parallele hat"l83. 184. Die Sätze über die schadensgeneigte Arbeit haben demnach eine doppelte Funktion: sie sichern die Kanalisierung der Außenhaftung auf den Geschäftsherrn im Innenverhältnis ab185 und führen zugleich mittelbar zu einer weiteren Verschärfung dieser Außenhaftung gegenüber der ursprünglichen Gesetzesfassung. Unter dem einheitlichen Leitgedanken einer Kanalisierung der Risiken der betrieblichen Sphäre auf den Geschäftsherrnl86 hat sich ein System von Regeln gebildet, das, meist mit Verschuldens- und Fürsorgegesichtspunkten getarnt, eine Schadenszurechnung nach Risikosphären zu Lasten des Geschäftsherrn enthält. Die Richtigkeit dieses Funktionsmodells der Haftungskanalisierung zeigt sich auch dar an, daß vereinzelt bereits der Übergang von der wirtschaftlichen Kanalisierung zu einer rechtlichen Kanalisierung187 verfochten wird. Hanau188 und Dersch 189 möchten nämlich die Außenhaftung 181 Das gilt vor allem für die Vertreter eines modifizierten Fahrlässigkeitsbegriffes. 182 Vgl. dazu BGHZ 41, 203 (206); LaTenz, Schuldrecht 11, § 52 d (S.213). 183 Helm, AcP 160, 134 (139, 142/143, 146); vgl. auch MohT, S.50. 184 Gemeint sind die §§ 2 RHaftpftG, 485 HGB, 3 BSchG, auf die BaUT, Karlsruher Forum 1962, 16, im Rahmen seiner "Bereichshaftung" hinweist. 185 Vgl. WeyeTS, Unfallschäden, S.85/86, 432. 188 WilbuTg, Elemente, S.201; AcP 163, 346, spricht von einer "Konzentration der Haftung auf den Unt.p.rnflhmer", womit im wesentlichen dasselbe gemeint ist. 187' Vgl. zu diesen Begriffen oben im 7. Kap. unter H.3. 188 Hanau, Anmerkung zu BAG AP Nr.53 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers. 189 DeTsch, Anmerkung zu LAG Bremen, RdA 1951, 80; ebenso WilbuTg, Referat, S. C 15/C 16.

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8. Kap.: Die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit

des Arbeitnehmers entsprechend den Sätzen über die schadensgeneigte Arbeit beschränken. Mag das auch nur de lege ferenda vertretbar sein, so zeigt dieser Vorschlag doch deutlich den Zusammenhang in der Entwicklung der Geschäftsherrnhaftung und der schadensgeneigten Arbeit. Diese Abrundung im Innenverhältnis hatte sich bereits in der von

Mayer-Maly als Haftpflichtversicherung der Arbeitgeber190 bezeichneten

Arbeiterunfallversicherung angekündigt. Köhler weist zu Recht darauf hin, daß in der Unfallversicherung bereits der Ansatzpunkt für die Risikoverteilung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu finden ist191 . Hier erscheinen all jene Gesichtspunkte, die die Risikoverteilung für das gesamte Innenverhältnis bestimmenl92 • Durch eine Regelung der Arbeitsunfallschäden nach dem Prinzip der "Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz"193 verbunden mit der Auferlegung der Prämienlast auf die Arbeitgeber war der erste Schritt zur Kanalisierung der typischen Betriebsrisiken getan194 . Die weiteren Schritte mußten früher oder später folgen. Dieser Mechanismus zeigte sich noch einmal bei dem sogenannten Kameradenunfall (3. Fallgruppe)195, der - zunächst in die Sätze über die schadensgeneigte Arbeit eingepaßt - seine versicherungstechnische Lösung in einer Änderung der RVO fand. So heißt es auch in der amtlichen Begründung des UVNG vom 30.4.1963 196 : "Der Arbeitnehmer verliert seinen Entschädigungsanspruch aus bürgerlichrechtlichen Haftungstatbeständen ... Er erhält dafür einen auf dem Grundsatz der Gefährdungshaftung aufgebauten Entschädigungsanspruch gegen die Berufsgenossenschaften, die von den Unternehmern allein finanziert werden." Die Begründungen dieser Risikozurechnung zu Lasten des Geschäftsherrn decken sich aber auch weitgehend mit denen der einzelgesetzlichen Gefährdungshaftungen197 . Das rührt daher, daß bei der 190 Mayer-Maly, VersRundschau 1963, 341 (347); vgl. auch Hanau, Die Haftung nach § 637 RVO, S. 88. 191 Köbler, RdA 1970, 97 (98/99); vgl. auch Gitter, Schadensausgleich im Arbeitsunfallrecht, S.68; Frey, AuR 1959, 193 (202); Möller, Versicherungsvertragsrecht, S.49; Rinck Gefährdungshaftung, S.32. 192 Vgl. Gitter, S. 21 f. (39/40, 41), 61 f. (68-70), 239, unter Betonung des sozialen Schutzprinzips. 193 Zu diesem Prinzip vgl. Sieg, ZHR 113, 95 (104); Gunkel, Die Haftung von Unternehmern und Betriebsangehörigen, S.7/8; Manes, Haftpflichtversicherung, S.101. 194 Vgl. Weyers, Unfallschäden, S.431/432; dabei handelt es sich um eine rechtliche Kanalisierung der Schäden auf die von den Unternehmern gespeisten Versicherungen. Vgl. Mohr, Kanalisierung, S.58. 195 Vgl. dazu oben in diesem Kapitel unter I. 196 BT Drucksache IV, S.48. 197 Vgl. dazu oben im 7. Kap. unter I. 1. sowie im 8. Kap. unter II. 1. a); Dickescheid, Die Haftung des Geschäftsherrn, S. 58 f. (73).

II. Risikozurechnung und schadensgeneigte Arbeit

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Schadenszurechnung nach Risikosphären ebenso wie bei den Gefährdungshaftungen eine objektive Haftung für bestimmte Risiken vorliegt. Die oben erhobenen Bedenken gegen eine Lösung des Problems der schadensgeneigten Arbeit mittels Analogie zu den gesetzlichen Tatbeständen der Gefährdungshaftung ergaben sich aus der Tatsache, daß bei einer bloßen Analogie die Funktion der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit bei der Haftungskanalisierung auf den Geschäftsherrn unklar bleiben muß. Allein das Prinzip der Schadenszurechnung nach Risikosphären kann diesen Zusammenhang ausreichend verdeutlichen. c) Folgerungen für den dogmatischen Standort

der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit

Die Sätze über die schadensgeneigte Arbeit erweisen sich damit als Ausdruck und Abrundung einer Schadenszurechnung zu Lasten der betrieblichen Risikosphäre des Unternehmers (Geschäftsherrn). Alle Fallgruppen der schadensgeneigten Arbeit werden von dieser Risikohaftung erfaßt und lassen sich mit diesem Prinzip erklären. In allen Fällen werden dem Arbeitgeber Risiken ohne Rücksicht auf sein persönliches Verschulden zugeordnet, die in einer Beziehung zu den in seinem Betrieb vorgenommenen Tätigkeiten stehen. Soweit das Problem versicherungstechnisch bewältigt wird, läßt sich zwar eine stärkere Begünstigung der Arbeitnehmer als bei der Einzelhaftung feststellen. Das beruht jedoch darauf, daß die kollektive Schadenstragung diese weitgehende Risikoübernahme für den Unternehmer wirtschaftlich leichter tragbar machtl98 • Als wichtigstes Ergebnis der Einordnung der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit in das System einer Haftungskanalisierung auf den Geschäftsherrn nach dem bürgerlichrechtlichen Prinzip der Schadenszurechnung nach Risikosphären ergibt sich aber die Folgerung, daß die Beschränkung dieser Sätze auf das Arbeitsverhältnis nicht zwingend istl99 • Die frappierende Gleichheit der Argumente, mit denen die Haftungskanalisierung in der Außenhaftung des Unternehmers mittels objektiver Kriterien200 , die. einzelgesetzlichen Gefährdungshaftungen und die Sätze über die schadensgeneigte Arbeit begründet werden, zeigt deutlich, daß die arbeitsrechtliche Dogmatik in der Vergangenheit zu einseitig von der Haftungsmilderung für die Arbeitnehmer aus Vgl. dazu Gitter, S.69/70. Vgl. auch Mohr, Kanalisierung, S. 52/53. 200 Diese objektivierte Außenhaftung des Geschäftsherrn ist die von Gamillscheg (AcP 165, 383 [384]) gesuchte Parallele zur Entwicklung der Arbeitnehmer haftung. 198

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8. Kap.: bie Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit

gesehen ihr System aufgebaut hat, statt die Haftungsverschärfung für den Arbeitgeber als Geschäftsherrn mitzuerfassen. Der Funktionszusammenhang, der sich hier offenbart hat, zeigt, daß Haftungsverschärfung im Außenverhältnis und deren Absicherung im Innenverhältnis als einheitlicher Prozeß gesehen werden müssen, der einer einheitlichen dogmatischen Erklärung bedarf. Diese Erklärung vermag das Prinzip der Schadenszurechnung nach Risikosphären zu geben, das im bürgerlichen Recht in erheblichem Umfang nachgewiesen werden konnte. Dieser Lösung mag entgegengehalten werden, sie vernachlässige die soziale Komponente der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit völlig, die zu diesem Sonderrecht für Arbeitnehmer geführt habe. Ein solcher Vorwurf ginge jedoch fehl. Es soll nicht geleugnet werden, daß das Streben nach einer sozial gerechten Schadensverteilung starken Einfluß auf die Sätze über die schadens geneigte Arbeit gehabt hat. Von demselben Streben ist aber auch der vorliegende Lösungsvorschlag geleitet. Die sozial gerechte Schadensverteilung muß jedoch juristisch faßbar werden. Das aber geschieht besser durch eine exakte Beschreibung der Risikoverteilung innerhalb des Wirtschaftslebens als durch sozialromantische Ordnungsmodelle wie die Fürsorgetheorie. Im übrigen läßt sich das Streben nach sozial gerechter Schadensverteilung nicht auf das Arbeitsrecht beschränken. Ist einmal erkannt, daß die Sätze über die schadensgeneigte Arbeit Ausfluß des bürgerlichrechtlichen Prinzips einer Schadenszurechnung nach Risikosphären sind, so ist die entscheidende Frage nicht mehr, wie der BGH im sogenannten Autoüberführungsfall!01 annahm, ob ein Arbeitsverhältnis besteht oder nicht, sondern die Bestimmung der beiderseitigen Risikobereiche. Erst aus dieser Bestimmung ergibt sich dann im konkreten Fall die Antwort auf die Frage nach der Anwendbarkeit der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit. Im übrigen wird durch das hier gefundene Ergebnis die bisherige Praxis in der Handhabung der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit bestätigt. Verursacht ein Arbeitnehmer schuldhaft einen Schaden, so liegt eine Konkurrenz der Risikohaftung des Arbeitgebers mit der Verschuldenshaftung des Arbeitnehmers vor. Die Abwägung dieser Zurechnungsprinzipien kann zwanglos unter Heranziehung von § 254 BGB erfolgen, dessen Grundgedanke auch auf diese Konkurrenzsituation zutrifft!O%. Soweit es um die Haftung des Geschäftsherrn für Eigenschäden des Gehilfen geht, kann hier § 254 BGB ebenfalls unmittelbar angewendet werden. Der Freistellungsanspruch erweist sich, wie vereinzelt 201 BGH NJW 1963, 1100; vgI. auch BGH NJW 1970, 34. 202 VgI. dazu oben im 5. Kap. unter II.4. am Ende.

11. Risikozurechnung und schadensgeneigte Arbeit

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bereits in der Literatur vertreten wurde, deutlich als Schadensersatzanspruch aus der Risikohaftung des Geschäftsherrn203 • Es kommt nunmehr darauf an, unter Heranziehung der oben genannten Kriterien den Bereich neu zu bestimmen, in dem eine Anwendung der Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit als möglich erscheint. Dabei sei schon an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß erst die Gesamtheit der Argumente eine Entscheidung erlaubt. Diese können in ihrem Gewicht jeweils sehr verschieden sein. Die einzelnen nunmehr zu beschreibenden Anhaltspunkte sind notwendig noch sehr allgemein. Durch ihre Anwendung auf das Verhältnis Reeder-Seelotse soll ihre Verwendbarkeit dann im dritten Teil der Arbeit erprobt werden. d) Anhaltspunkte für die Abgrenzung der Risikosphären

aal Die Veranlassung einer gefährlichen Tätigkeit Es ist bereits oben festgestellt worden, daß der Geschäftsherr (Unternehmer) für die Risiken seines Geschäfts verantwortlich gemacht wird2il4 • Demgegenüber hat sein allgemeines Lebensrisiko jeder selbst zu tragen. Anhaltspunkt für eine Haftungskanalisierung auf den Unternehmer durch eine Schadenszurechnung nach Risikosphären ist daher die Tatsache, daß jemand durch eine von ihm veranlaßte Tätigkeit eine besondere Gefahrenquelle schafft 205 • Bienenfeld weist richtig darauf hin, daß der Gefahrenbegriff schillernd ist und sich einer festen Bestimmung entzieht206 • Es ist jedoch ganz natürlich, daß manche Betätigungen als erheblich gefährlicher empfunden werden als andere. Die jeweilige Höhe der Gefahr kann Gewicht für die Bedeutung des Gefahrenelementes neben den anderen Anhaltspunkten sowie für die Schadensverteilung gewinnen. Je gefährlicher die Tätigkeit, die der Geschäftsherr (Unternehmer) veranstaltet, je größer der Schaden werden kann, desto geringer wiegt der Verschuldensanteil des Gehilfen. In diesem Zusammenhang sind die von Hannak gegen das Verschuldensprinzip erhobenen Bedenken bei der Wirkung "gefährlicher Kraft" gebührend zu berücksichtigen!07. 203 Canaris, RdA 1966, 41 (50); vgl. auch E. PröZss, Karlsruher Forum 1959, 41 (43); a.A. GamiZZscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.84 (Anwendung von § 670 BGB). 204 Vgl. dazu oben im 7. Kap. unter IV. 205 Vgl. auch Canaris, RdA 1966, 41 (46/48); LaTenz, JuS 1965, 373 (376); BeckeT-SchaffneT, VersR 1971, 195 (198). 208 BienenfeZd, Haftungen ohne Verschulden, S. 133 f. (135/136); ebenso Hesemann, Interesse und Gefährdung, S.18/19. 207 Hannak, Die Verteilung, S. 19 f.

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8. Kap.: Die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit

Die Veranlassung einer besonderen Gefahr als Topos einer Risikozurechnung ist aber bereits gegeben, wenn der Schaden Ausfluß des tätigkeitsspezifischen Risikos ist. Der Schaden muß in einen Zusammenhang mit dem unternehmerischen Risiko gebracht werden können-. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn der Hütejunge, der das Vieh zu dessen Schutz im Gewitter zusammentreiben muß, durch Blitzschlag verletzt wird; nicht aber, wenn die Sekretärin in dem Büro aus Unachtsamkeit über ihre Handtasche stolpert und im Fallen eine Schreibmaschine beschädigt. Es kommt also darauf an, daß der konkrete Schaden Ausfluß eines tätigkeitsspezifischen Risikos ist. bb) Die Organisationsgewalt des Geschäftsherrn Bei der obigen Untersuchung hat sich ergeben, daß der Geschäftsherr im Sinne der §§ 278, 831 BGB einer weitgehenden Risikozurechnung unterliegt. Die Exkulpationsmöglichkeit in § 831 BGB sowie die Beschränkung des § 278 BGB auf Schuldverhältnisse werden mehr und mehr zurückgedrängt. Durch Organisations- und Verkehrssicherungspflichten wird das Schuldmoment in der Deliktshaftung des Geschäftsherrn praktisch zur Fiktion. Der Geschäftsherr, zu dessen Lasten diese Risikozurechnung in der Außenhaftung erfolgt, scheint daher auch als Objekt einer Haftungskanalisierung im Innenverhältnis geeignet, seine Gehilfen erscheinen als potentielle Nutznießer der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit. Geschäftsherr ist gern. § 831 BGB derjenige, der "einen anderen zu einer Verrichtung bestellt". In Rechtsprechung und Literatur hat sich in Anlehnung an die gesetzliche Regelung das Weisungsrecht gegenüber dem Verrichtungsgehilfen als typisches Merkmal des Geschäftsherrn im Sinne von § 831 BGB herausgebildet209 • Geschäftsherr ist demnach, wer "die Tätigkeit des Handelnden jederzeit beschränken, untersagen oder nach Zeit und Umfang bestimmen kann"210. Der Gehilfe muß bei der Ausführung der Verrichtung vom Willen des Geschäftsherrn abhängig sein211 . Die Verrichtungsgehilfen sind nun ganz überwiegend Arbeitnehmer im Sinne der üblichen Terminologie, vereinzelt haben Gerichte jedoch auch Selbständige dazu erklärt212 • Mögen auch einige 208 Becker-Schaffner, VersR 1971, 198; Canaris, RdA 1966, 46/48; Larenz, JuS 1965, 3'76. 209 Vgl. BGHZ 45, 311 (313). 210 Palandt - Thomas, § 831, Anm. 3 a. 211 Palandt - Thomas, § 831, Anm. 3 a; RGZ 92, 345 f.; Esser, Schuldrecht 11, § 110 11 a (S.427/428). 212 RGZ 91, 363 f.: Der Ehemann, der von seiner Frau zur Vermögensverwaltung bestellt ist; BGH LM §823 (Hb) Nr.5: Der Rechtsanwalt im

H. Risikozurechnung und schadens geneigte Arbeit

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dieser Entscheidungen nicht zu billigen sein213 , so bleibt doch festzuhalten, daß sich der Begriff des Verrichtungsgehilfen nicht völlig mit dem des Arbeitnehmers deckt. Die Beziehungen zwischen Geschäftsherrn und Gehilfen im Rahmen des § 278 BGB können dagegen erheblich lockerer sein. Hier genügt es schon, daß der Erfüllungsgehilfe mit Willen des Scl,1.uldners bei der Erfüllung tätig wird214 • Es ist umstritten, ob eine Einflußmöglichkeit des Geschäftsherrn auf die Tätigkeit des Gehilfen gegeben sein muß oder nicht215 , eines Weisungsrechtes des Geschäftsherrn bedarf es unstreitig nicht. Erfüllungsgehilfen können auch Selbständige sein. Bei einer Risikozurechnung zu Lasten des Schuldners in Form einer Anwendung der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit ist aber zumindest erforderlich, daß der Schuldner eine Einflußmöglichkeit auf die Auswirkungen der Tätigkeit des Gehilfen hat, es sei denn, es handelt sich um eine besonders gefährliche Tätigkeit, die für den Schuldner ausgeführt wird. Die Betonung der "Gefahrenbeherrschung", die sich bei der Gefährdungshaftung 216 und den Sätzen über die schadensgeneigte Arbeit217 , aber auch bei der Verkehrssicherungspflicht218 feststellen ließ, beruht auf ähnlichen Gedanken: Das Risiko soll derjenige tragen, der es am besten beherrschen, das heißt, seine überwachung am besten organisieren kann. In den Genuß einer Haftungserleichterung durch Anwendung der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit zu Lasten seines Partners kann daher nur derjenige kommen, der in der konkreten Ausübung seiner Tätigkeit fremdbestimmter Arbeitsorganisation unterworfen ist. Wer über Ausmaß, Art und Weise seiner Tätigkeit weitestgehend frei entscheidet, hat seine beruflichen Risiken selbst zu tragen219 , da er diese Risiken zu steuern in der Lage ist. Das ist bei den meisten freiberuflichen Tätigkeiten der Fall. Der Arzt, Rechtsanwalt, Apotheker entscheidet selbst, wie er seinen Betrieb organisiert, in welchem Ausmaß, mit welchen Geräten er ihn betreibt. Patienten, Mandanten oder Kunden Verhältnis zu seinem Mandanten; RG Warn 1928, Nr.76: Jagdaufseher im Verhältnis zum Jagdberechtigten; BGH NJW 1956, 1834/35: ärztlicher Urlaubsvertreter im Verhältnis zu dem vertretenen Arzt. 213 SO Z. B. BGH LM § 823 (H b) Nr.5; kritisch dazu Medicus, Bürgerliches Recht (S.313/314). 214 Palandt - Heinrichs, § 278, Anm.3. 215 Vgl. dazu oben im 7. Kap. Anm.ll. 216 Vgl. oben im 7. Kap. unter 1. 1 und im 8. Kap. unter H. 1. a). 217 Vgl. oben im 8. Kap. unter H. 2. a) bb). 218 Vgl. oben im 7. Kap. unter H. 2. b) am Ende. 219 Vgl. GamiHscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.43, Canaris, RdA 1966, 41 (48).

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8. Kap.: Die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit

haben auf die Betriebsinterna keinerlei Einfluß. Sind die Vertreter derselben Berufe dagegen in eine Organisation eingegliedert, in der sie einer Fremdbestimmung unterliegen, also als angestellte Ärzte, Rechtsanwälte oder Apotheker, so ändert sich das Bild. Hier sind sie nicht mehr in der Lage, ihre Tätigkeit vollständig nach eigenem Belieben einzurichten, so daß die Anwendung der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit als möglich erscheint2.20. Diese Differenzierung deckt sich weitgehend mit der üblichen Unterscheidung zwischen selbständigem Dienstvertrag und Arbeitsvertrag221. Letzterer wird gekennzeichnet durch persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers2 2l!. Im Arbeitsverhältnis ist der Dienstverpflichtete in einen fremden betrieblichen Organisationsbereich eingegliedert, den er nicht gestalten kannl!23. Jedoch ist die verbreitete These, allein die Weisungsbejugnis des Arbeitgebers sei der notwendige Ausgleich zur Tragung des BetriebsrisikosH4 , abzulehnen225 • Entscheidend ist nicht irgendeine Weisungsbefugnis, sondern allein der Umfang, in dem der Dienstverpflichtete auf die konkrete Ausgestaltung seiner Arbeit Einfluß hat. Der BGH weist gerade darauf hin, daß eine "Einreihung in den organisierten Arbeitsprozeß" zur Anwendung der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit erforderlich sei2l!i6. Das ist im Grunde völlig richtig, wenngleich dem BGH in seinen Anforderungen an den Umfang dieser Eingliederung nicht zugestimmt werden kann. So kann zum Beispiel auch einer arbeitnehmerähnlichen Person durch Liefertermine, zur Verfügung gestellte Hilfsmittel etc. die Organisationsgewalt über die eigene Tätigkeit weitgehend genommen werden. Der jeweilige Umfang der Organisationsgewalt hängt von der Gestaltung jedes Vertragsverhältnisses ab. Er kann nicht apriori nach Arbeitsvertrag oder selbständigem Dienstvertrag klassifiziert werden227 • Eine klare Trennung zwischen beiden Vertragstypen läßt sich ohnehin nicht durchführen2l!8. Mischformen finden sich bei arbeitnehmerähnlichen, fast-arbeitnehmerähnlichen Dienstver220 Vgl. Brandt, Grenzen der persönlichen ärztlichen Haftung, S.116/117; vgl. auch BGH NJW 1970, 35. 221 Vgl. dazu Becker-Schaffner, VersR 1971, 195. 222 Becker-Schaffner, VersR 1971, 195; Palandt - Putzo, vor § 611, Anm. 1 e; § 611, Anm. 5. 223 Vgl. Canaris, RdA 1966, 41 (48). 224 So etwa BGH NJW 1963, 1100 (1103), mit zustimmender Anmerkung von Isele; Brandt, S.116; GamiHscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S.43/44, 65. 225 Ebenso Neumann-Duesberg, JZ 1964, 433 (436); Becker-Schaffner, VersR 1971, 196. 226 BGH NJW 1963, 1103; BGH NJW 1970, 35. 227 So aber GamiHscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers; BGH NJW 1963, 1100; wie hier Canaris, RdA 1966, 48. 228 Becker-Schaffner, VersR 1971, 195 (196, 198).

H. Risikozurechnung und schadensgeneigte Arbeit

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hältnissen229 und bei Gelegenheitsdiensten. Es ist auch durchaus nicht ausgeschlossen, daß ein im übrigen selbständig Tätiger, der seine eigene betriebliche Risikosphäre bildet, vorübergehend seine Organisationsgewalt dadurch verliert, daß er vertraglich in eine fremde Betriebsorganisation eingegliedert wird, zum Beispiel als Urlaubsvertreter in einer Anwaltssozietät oder in einem Krankenhaus. Auch ein Selbständiger kann in gewissem Umfang durchaus fremder Weisungsgewalt unterliegen230 • Hier muß die Gesamtheit der Umstände entscheiden, ob eine Risikozurechnung nach den Sätzen über die schadensgeneigte Arbeit als angebracht erscheint oder nicht. Einen hilfreichen Anhaltspunkt für die Eingliederung in einen fremden Organisationsbereich kann die Anwendbarkeit des § 618 BGB ergeben, wenngleich hier vor der Gefahr eines Zirkelschlusses gewarnt werden muß. Der Dienstleistende, der seinen Arbeitsplatz nicht selbst ausgestalten, sondern in der Sphäre des Dienstberechtigten tätig sein muß, wird durch diese Vorschrift vor den Risiken geschützt, die darin liegen, daß der Dienstberechtigte für die Sicherheit des Arbeitsplatzes sorgt231. Die Vorschrift enthält damit einen gewissen Anklang an die gesetzliche Unfallversicherung für die Arbeitnehmer, die auch die Arbeitgeber als die für die Betriebssicherheit Verantwortlichen tragen. Durch eine entsprechende Beweislastverteilung in § 618 BGB232 wird dem Dienstherrn dieses Risiko zum Teil objektiv zugerechnet. Soweit daher einen Dienstherrn gegenüber dem Dienstberechtigten eine Verantwortung gem. § 618 BGB trifft, ist das ein Indiz für die Bestimmung der Organisationsgewalt unter den beiden Beteiligten, so daß eine Risikozurechnung an den Dienstherrn in Betracht kommt. Das gilt verstärkt, wenn ein bereits eingetretener Schaden in einem Zusammenhang mit der Beschaffenheit des Arbeitsplatzes steht. Da nämlich die Schadensneigung auch in der Gefährlichkeit des Arbeitsplatzes liegen kann233 , erscheint diese Tatsache als brauchbares Indiz für die Möglichkeit einer Anwendung der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit234 • Die Frage, ob ein Arbeitsvertrag im Sinne der üblichen Terminolgie vorliegt, hat demgegenüber keine entscheidende Bedeutung.

VgL Neumann-Duesberg, S.438/439. Becker-Schaffner, VersR 1971, 195. 231 VgI. zu dieser Bestimmung auch oben im 2. Kap. unter IU. 2. c). 232 VgI. dazu oben im 7. Kap. Anm.158. 233 v. d. Gablentz, Haftung des Arbeitnehmers, S.19 f.; GamiHscheg, Die Haftung des Arbeitnehmers, S. 38 f. 234 VgI. auch Neumann-Duesberg, JZ 1964, 433 (437/438), der von der Fürsorgetheorie her zu ähnlichen überlegungen gelangt. 229 230

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8. Kap.: Die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit ce) Das Vorteil-Nachteil-Prinzip (Interessentheorie)

So gern das Vorteil-Nachteil-Prinzip zur Begründung einer Risikozurechnung verwendet wird2SlI , so unscharf und wenig hilfreich ist es für eine Abgrenzung des Anwendungsbereiches der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit. Eine Feststellung kann hier in Anlehnung an Peters!36 jedoch gemacht werden: "Bei einer Beteiligung am unternehmerischen Betrieb ist eine Haftungsbeschränkung in der Regel nicht angebracht." Wer selbst am Gesamtertrag des Unternehmens teil hat, der bedarf keiner Haftungsbeschränkung. Ihn treffen die Risiken ja ohnehin, er ist Mitunternehmer. Aber auch bei unentgeltlichen Tätigkeiten für Dritte sowie bei krasser Unterbezahlung im Rahmen eines Dienstvertrages läßt sich die Interessenlage relativ eindeutig feststellen2S7 , während Risikoprämien - wie bereits erwähnt2S8 - ein höchst unsicherer Maßstab sind. Ansonsten ist hier dem Ratschlag Wilburgs zu folgen, das Zusammenwirken von Haftung und Entgelt zu beachten239 • dd) Die Risikoabwälzung Nahe verbunden mit der Interessentheorie ist die These, die Sätze über die schadensgeneigte Arbeit müßten verhindern, daß das unternehmerische Risiko auf jemanden abgewälzt wird, der nicht entsprechend an dem unternehmerischen Gewinn aus diesem Risiko beteiligt ist240 • Dieser Gesichtspunkt ist auch außerhalb von Arbeitsverträgen dann von Bedeutung, wenn die von einem Nicht-Arbeitnehmer ausgeübte Tätigkeit sonst typischerweise von Arbeitnehmern des betreffenden Dienstherrn ausgeübt wird241 , so daß das Risiko des Geschäftsherrn gemindert werden könnte, weil mehr oder minder zufällig keiner seiner Arbeitnehmer tätig war. Schwierig ist hier jedoch die gebotene Abgrenzung gegenüber Subunternehmern, bei denen die übernahme dieses Risikos gerade typisch ist. Hier hilft nur eine Gesamtschau der erörterten Anhaltspunkte, um zu einer gerechten Risikoverteilung zu gelangen. 235 236 237

Vgl. oben in diesem Kap. unter 11. 1. c) am Ende sowie unter 11. 2. a) ce). Peters, Kritische Betrachtung, S. 63. Vgl. dazu auch Canaris, RdA 1966, 41 (48/49); Gamillscheg, Die Haftung

des Arbeitnehmers, S.46/47. . 238 Vgl. oben in diesem Kap. unter II. 2. a) ce). 239 Wilburg, Elemente, S. 123; ähnlich Herschel, Soziale Praxis, 1941, Sp. 617 (620); ders., Iher. Jahrb. 90, 145 (166). 240 Bulla, DArbR 1942, 19 (21); Herschel, Iher. Jahrb. 90, 145 (167); Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S.72; Neumann-Duesberg, JZ 1964, 433 (439/440). 241 Neumann-Duesberg, S.439/440.

H. Risikozurechnung und schadensgeneigte Arbeit

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ee) Die Versicherung Als wichtiges Indiz für die Bildung von Risikosphären, die zu einer Anwendung der Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit für die innerhalb dieses Bereiches Tätigen führen kann, wird die üblichkeit, beziehungsweise die Zumutbarkeit einer Versicherung genannt. Wer sich üblicherweise gegen die Haftpflichtrisiken seines Berufes versichert, soll damit erkennen lassen, daß er sein Tätigkeitsrisiko selbst in der Hand hat und absichert, so daß eine Risikozurechnung zu Lasten eines Dritten unangebracht wäre24.2. Dieses Versicherungs argument, meist kombiniert mit der These, die Prämien könnten über die Kosten abgewälzt werden, war auf allen Gebieten der hier behandelten Geschäftsherrnhaftung anzutreffen243 . Die Frage, ob der üblichkeit einer Versicherung in einem bestimmten Geschäftskreis Indizwirkung für die Bildung einer Risikosphäre zugesprochen werden kann, rührt jedoch an einer Grundlage des Versicherungsrechts: dem Zusammenhang zwischen Versicherung und Haftung.

(1) Die traditionelle Theorie des Trennungsprinzips Die nach wie vor herrschende Ansicht in der Versicherungsrechtswissenschaft verneint jede Rückwirkung der (Haftpflicht-)Versicherung auf die Begründung eines Haftpflichttatbestandes. Für sie ist der Deckungsanspruch der "Schatten des Haftpflichtanspruchs"244, die "Haftpflichtversicherung als Haftpflichttatbestand"245 wird entschieden abgelehnt246 . Gleichwohl hat sich allgemein die Erkenntnis durchgesetzt, daß die Haftpflichtversicherung auf die konkrete Gestalt eines im Grunde bereits bestehenden Haftpjlichtanspruchs Auswirkungen haben kann. Sieg bezeichnet diese als "Ausstrahlungen" beziehungsweise "Reflexwirkungen" der Haftpflichtversicherung247 . In Einzelfällen hat sich jedoch eine Berücksichtigung der Versicherung herausgebildet, die schwerlich mit dem Trennungsprinzip in Einklang 242 Vgl. Canaris, RdA 1966, 41 (48). 243 Vgl. oben im 7. Kap. unter 1.1. und 11. 2. b) am Ende sowie im 8. Kap. unter H. 1. a) am Ende und unter H. 2. a) ce). 244 E. Prölss, Karlsruher Forum 1959, 41 (42). 245 So der Titel der Abhandlung von Prölss im Karlsruher Forum. 246 BGH NJW 1962, 2201; BGHZ 41, 79 (84); Hanau, VersR 1969, 291 (293 f.), jedenfalls für die freiwillige Haftpflichtversicherung; S.292, Anm.2, mit Nachweisen zur Rechtsprechung des Reichsgerichts, das das Trennungsprinzip strikt vertrat; Prölss, Karlsruher Forum 1959, 42; Sieg, Ausstrahlungen, S. 103 f. (105); ders., ZHR 113, 95 (97); Böhmer, MDR 1959, 628, mit Einschränkungen; a, A. Herschel, JW 1939, 454 (456); Canaris, NJW 1964, 1987 (1991, 1992); ders., RdA 1966, 41 (48). 247 Vgl. Sieg, Ausstrahlungen, S. 105. 10 HUbner

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8. Kap.: Die Grundsätze über die schadens geneigte Arbeit

gebracht werden kann248 • Die Tatbestände, bei denen diese Erscheinung beobachtet werden kann, reichen von den §§ 829249 , 847 BGB260, der Gefälligkeitsfahrt251 , der Insassen-Unfallversicherung252 bis zur Berücksichtigung der Versicherung bei der Entscheidung über die Durchführung des Rückgriffs gern. § 640 RV02S3, bei der Beurteilung der Gültigkeit von Freizeichnungsklauseln264 sowie schließlich auch bei der Schadensverteilung im Rahmen der Sätze über die schadensgeneigte ArbeW~55. Die Grenze zwischen Ausstrahlungen und handfester Berücksichtigung der Versicherung ist in den meisten der angeführten Fälle überschritten, wenngleich das nur selten offen ausgesprochen wird-. Dieser Feststellung entspricht eine in der privatrechtlichen Literatur durchgehend vertretene These, daß nämlich "die Tatsache des Versicherungsschutzes offen oder verdeckt stets gegen den Schädiger zur Ausdehnung seiner Haftung verwendet wird"267. Das wird auf Befragen auch von Praktikern bestätigt. W eyers meint, die Entwicklung der Haftpflichtversicherung zu einem verstärkten Schutz des potentiell Geschädigten treffe sich mit der allgemein beobachteten Verschärfung des Haftpflichtrechts268 • Der allgemeine theoretische und praktische Rückzug des Verschuldensprinzips lasse sich kaum ohne die Haftpflichtversicherung erklären269 • Da insbesondere die Pflichtversicherungen wie zum Beispiel die Kfz-Ver248 Vgl. dazu auch Mohr, Kanalisierung, S. 114/115. Nahe an einem Verstoß gegen das Trennungsprinzip liegen z. B. die Erwägungen in BGH NJW 1971, 321 (323). Vgl. weiter Hanau, BB 1972, 9, mit Anm. 15. 249 BGHZ 23, 90 (100); BGH NJW 1958, 1630 (1631); Sieg, Ausstrahlungen, S. 116 f.; Hanau, VersR 1969, 291/292; Weyers, Unfallschäden, S.126. 250 BGHZ 18, 149 (165/166); Böhmer, MDR 1959, 628. Weyers, S.126; Sieg, Ausstrahlungen, S. 112 f. (mit ausführlichen Nachweisen über die Entwicklung der Rechtsprechung, Anm.145-148), verneint hier eine Reflexwirkung (S.115). 251 BGHZ 39, 156 (161); BGH VersR 1961, 846 (847); OLG Stuttgart NJW 1964, 727 f.; Hanau, VersR 1969, 293; Rother, Haftungsbeschränkung, S.176 bis 177; Stoll, Handeln auf eigene Gefahr, S.44; Weyers, S.123. 252 Geigel, Haftpflichtprozeß, S.36/37; Weyers, S.128. 253 Vgl. dazu neuestens BGH NJW 1972, 107 (110). 254 OLG Bremen VersR 1964, 782 (784); vgl. auch oben im 4. Kap. unter II. 1. 255 BGHZ 27, 62 (68); BVerwG DVBI 1968, 432 (433); Böhmer, MDR 1959, 628; Hanau, VersR 1969, 292; ders., Die Haftung nach § 637 RVO, S.92; Spielberger, BB 1961, 978. 256 Vgl. Weyers, Unfallschäden, S.423/424, 430/431; Hanau, VersR 1969, S. 294, weist auf die Risiken hin, die für den Haftpflichtigen entstehen, falls die im Haftpflichtprozeß angenommene Deckung nicht erreicht werden kann; vgl. aber schon Herschel, JW 1939, 454 (456). 257 Heinrich Lange, AcP 156, 114 (134, Anm. 103); ebenso Canaris, NJW 1964, 1987 (1991/1992); Rother, Haftungsbeschränkung, S.176 f.; Weyers, S. 122, 429, mit weiteren Nachweisen; Hanau, BB 1972, 9, mit Anm. 15. 258 Weyers, Unfallschäden, S.425. 259 Weyers, S. 428.

II. Risikozurechnung und schadensgeneigte Arbeit

147

sicherung gerade auch dem Schutz der potentiell Geschädigten dienen260 , entspricht die hier zu beobachtende gewisse Großzügigkeit durchaus dem Zweck dieser Versicherung261 • Für Teilbereiche des Haftpflichtrechts wird unter Hinweis auf den außerordentlich geringen Ertrag der Rückgriffsansprüche der Versicherungenl!62 sogar für eine Aufgabe von Einzelhaftpflicht und Versicherung zugunsten einer kollektiven Schadensversicherung plädiert, um zu einer effektiveren Bewältigung der Schadensfälle zu gelangen263 . Die Versicherung wird das Mittel zu einer gerechteren Schadensverteilung264 in einer Wirtschaftsordnung, in der für den einzelnen das Risiko ruinöser Schadensverursachung erheblich gewachsen ist. (2) Versicherung als Element der Risikohaftung Die Feststellung, der Deckungsanspruch sei allein der Schatten des Haftpflichtanspruchs, gibt somit den derzeitigen Rechtszustand nur noch bedingt richtig und unvollständig wieder. Die Beziehungen zwischen Versicherung und Haftpflicht sind offenbar im Umbruch befindlich. Man beginnt, Gefahrengemeinschaften zu gruppieren, die die Verteilung der ihrer Betätigung entspringenden Risiken nicht mehr über das Haftpflichtrecht, sondern im Wege der Versicherung suchen sollen2U• Im Luftverkehrsrecht geschah dies auf gesetzlichem Wege26 6, im Speditionswesen konnte dasselbe Ziel durch private Vereinbarungen der Beteiligten erreicht werden267 . Auch an dieser Stelle muß jedoch besonders auf die ArbeitnehmerunfallversicherungOO8 hingewiesen werden, in der der Weg vorgezeichnet ist, wie eine versicherungstechnische Lösung des gesamten innerbetrieblichen Schadensausgleichs aussehen könnte: Der Arbeitgeber trägt die Prämien, der Arbeitnehmer muß sich gewisse Verkürzungen seines Ersatzanspruchs gefallen lassen (pauschalierte Leistungen) und ist wie bei § 640 RVO in gewissen Fällen Ersatz260 Canaris, NJW 1964, 1987 (1992); Hanau, VersR 1969, 291 (295); Hannak, Die Verteilung, S.41/42. 261 Weyers, S.119. 262 Weyers, S.293, 652 f.; Gärtner, JuS 1972, 69 (72); zur Regreßpraxis: Weyers, S.116, 418/419 .. 263 VgI. Weyers, Unfallschäden, S. 642 f.; Gärtner, S.71/72; Rinck, Gefährdungshaftung, S.31/32; vgI. dazu auch Esser, Gefährdungshaftung, S. 124 f., Möller, Versicherungsvertragsrecht, S.49; Manes, Haftpflichtversicherung, S.101, 266. 264 VgI. Hannak, Die Verteilung, S.36f.; Sieg, ZHR 113, 95 (117/118); ders., Ausstrahlungen, S. 265 f. (268). 265 So insbesondere der Vorschlag von Weyers, Unfallschäden, S. 648 f. 266 VgI. dazu Hannak, Die Verteilung, S.41/42, 46/47; Rinck, Gefährdungshaftung, S. 15; Sieg, ZHR 113, 95 (101). 267 VgI. Sieg, ZHR 113, 95 f.; Möller, S.49. 268 VgI. Möller, S.49; Rinck, S.32.

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8. Kap.: Die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit

ansprüchen ausgesetzt. Im Prinzip funktionieren die Sätze über die schadensgeneigte Arbeit ganz ähnlich, so daß der Arbeitgeber bisweilen sogar als Versicherer des Arbeitnehmers bezeichnet wird269 • Hat man aber einmal erkannt, daß hier durch die Versicherung Risikogruppen zusammengeführt werden, dann erscheint es nicht mehr als völlig systemwidrig, aus dem üblichen, typischen Bestehen einer Versicherung auf die Existenz einer Risikogruppe zu schließen, auf die bestimmte Risiken (die in ihrer Versicherung zum Ausdruck kommen) kanalisiert werden können. Damit wird die Versicherung durchaus noch nicht zum Haftpflichttatbestand, sondern sie wird nur als ein Indiz neben anderen für die Beschreibung einer Risikosphäre genommen270 . Diese Lösung kollidiert auch nicht mit der These Hanaus, daß "der freiwillig geschlossene Haftpflichtversicherungsvertrag Ansprüche, die ihre Entstehung oder Höhe ihm selbst verdankten, gar nicht einschließt"271. Hier soll nicht etwa die Anwendung der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit an das Bestehen einer Versicherung des in Frage kommenden Geschäftsherrn geknüpft werden. Vielmehr soll allein die Tatsache, daß typischerweise die Risiken eines bestimmten Tätigkeitsbereiches durch eine bestimmte Person versichert werden, als Indiz für eine mögliche Risikozurechnung Verwendung finden und dadurch bei der Umschreibung der Wagnisträge:r2 72 helfen. Ob im konkreten Fall eine Versicherung besteht oder nicht, bleibt weitgehend irrelevant. Die Grenze ist hier ähnlich zu ziehen, wie sie die Begründung des Entwurfs zu § 255 a BGB zieht273 : "Der Ersatzpflichtige wird sich unter Gesichtspunkten der Billigkeit regelmäßig nicht auf seine mangelnde Leistungsfähigkeit berufen können, wenn er es unterlassen hat, sich gegen das Haftungsrisiko durch eine nach den Verhältnissen übliche und hinsichtlich der Kosten zumutbare Haftpflichtversicherung zu decken274,275." Im Rahmen einer nach den Verhältnissen üblichen und 269 Hanau, VersR 1969, 291 (295). 270 Vgl. dazu auch das interessante Urteil BGH NJW 1971, 321 (323). 271 Hanau, VersR 1969, 293; kritisch zu der formallogischen These des Trennungsprinzips: Weyers, Unfallschäden, S. 435 f.: Sie stimmt nur bei einem ganz bestimmten Vorverständnis des Wesens der Haftpflichtversicherung. 272 v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S.64: "Die Haftpflichtversicherung greift vor allem in den Fällen ein, in denen zwar die Wagnisträger, nicht aber der Kreis der Gefährdeten umschrieben werden kann." Vgl. auch Esser, Gefährdungshaftung, S.120, 128. 273 Vgl. S.51 der amtlichen Begründung des Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften. 274 Hervorhebungen vom Verfasser. 275 Kritisch dazu Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, S.127/128, Anm.31; vgl. auch Weyers, S.127.

·II. Risikozurechnung und schadensgeneigte Arbeit

149

hinsichtlich der Kosten zumutbaren Versicherungsmöglichkeit erscheint eine Berücksichtigung dieses Aspekts als Anhaltspunkt für die Anwendbarkeit der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit als durchaus angebracht. Unterstützend kann hier noch eine kürzlich von Hanau aufgestellte These berücksichtigt werden, wonach eine Haftung dort fragwürdig wird, wo keine Haftpflichtversicherung möglich ist276• Bei den verschiedenen Arten der Versicherung, die die Bildung einer solchen Risikosphäre indizieren können, steht die Haftpflichtversicherung des Geschäftsherrn (Unternehmers) eindeutig im Vordergrund geht es doch um die Kanalisierung der Haftung auf den Geschäftsherrn. Hat dieser für die typischen Risiken seiner Tätigkeit eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen oder ist diese jedenfalls in seinen Geschäftskreisen üblich, dann deutet das darauf hin, daß die Übernahme dieses Tätigkeitsrisikos von ihm bereits in Rechnung gestellt und wirtschaftlich abgesichert worden ist. Auch die Schadensversicherung erscheint in diesem Zusammenhang nicht als so bedeutungslos wie gemeinhin angenommen wird277 • In der Arbeitnehmerunfallversicherung hat sich gezeigt, daß Haftpflicht- und Schadensversicherung nicht völlig gegensätzliche Systeme sind278 • Die gesamte Unfallversicherung dient ja in der Hauptsache dem Ziel, den Unternehmer durch ein kollektives Schadenstragungssystem zu entlasten279 • Eine Schadensversicherung ist jedenfalls dann beachtenswert, wenn sie von derselben Person gegen ähnliche Risiken genommen wird, für die sie bereits eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen hat.

Als letzter Anhaltspunkt für die Bildung einer Risikosphäre, in der eine Anwendung der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit in Betracht kommt, kann daher auch die üblichkeit einer zumutbaren Versicherung herangezogen werden. e) Zusammenfassung

Die Untersuchung des Systems des innerbetrieblichen Schadensausgleichs hat gezeigt, daß die herrschende Fürsorgetheorie nicht geeignet ist, eine dogmatisch befriedigende Grundlage für die getroffene Regelung zu liefern. Aus den zuvor erörterten Tendenzen des Schadensersatzrechts hatte sich ergeben, daß dort neben anderen Zurechnungsprinzipien ein 276

Hanau, BB 1972, 4/9.

Vgl. dazu Weyers, S. 523 f.; Sieg, Ausstrahlungen, S.268. 278 Vgl. schon Manes, Haftpflichtversicherung, S.10I. 279 Vgl. oben in diesem Kap. unter II. 1. a) am Ende sowie unter II. 2. b) am Ende. 277

150

8. Kap.: Die Grundsätze über die schadensgeneigte Arbeit

- wenn auch oft verschleiertes - Prinzip der Schadenszurechnung nach Risikosphären zu beobachten ist. Dieses Prinzip tritt besonders klar in der gegenüber § 831 BGB erheblich verschärften Deliktshaftung des Geschäftsherrn für seine Gehilfen hervor. Dabei ist eine weitgehende Kanalisierung der typischen Risiken des Betriebes auf den Geschäftsherrn zu verzeichnen. In den Begründungen für diese verschärfte Außenhaftung zeigte sich eine auffällige Ähnlichkeit mit den Begründungen der einzelgesetzlichen Gefährdungshaftungen. Eine Funktionsanalyse der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit ergab dann, worauf besonders die wiederum festgestellte Identität der Begründungen hindeutete: auch sie dienen letztlich der Kanalisierung der Haftung auf den Geschäftsherrn für Schäden, die dem typischen Risiko seiner betrieblichen Sphäre entstammen. Dabei ergibt sich sogar noch eine faktische Verschärfung der Außenhaftung. Die Sätze über die schadensgeneigte Arbeit erweisen sich daher als Ausprägung einer bürgerlichrechtlichen Schadenszurechnung nach Risikosphären. Sie dienen der wirtschaftlichen Kanalisierung der typischen Betriebsrisiken auf den Unternehmer-Geschäftsherrn. Damit entfällt die Berechtigung, diese Sätze apriori auf Arbeitsverträge zu beschränken. Sie können vielmehr in das System der bürgerlichrechtlichen Schadenszurechnung eingeordnet werden. Die Anwendung der Sätze hängt nunmehr allein davon ab, ob eine Gesamtschau der Umstände eine Risikozurechnung ergibt, die im Sinne einer gerechten Risikoverteilung eine Belastung des betreffenden Geschäftsherrn mit den Sätzen über die schadensgeneigte Arbeit als angezeigt erscheinen läßt. Dabei wird entscheiden.;. der Einfluß der Vertragsgestaltung beizumessen sein, da zumeist der Vertrag die näheren Umstände der zu leistenden Tätigkeit bestimmt. Es liegt auf der Hand, daß nach wie vor die Arbeitsverträge das wichtigste Anwendungsgebiet der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit sein werden. Auf die Mehrzahl der nach der üblichen Terminologie Selbständigen sind die Sätze zumeist nicht anwendbar, da diese Personen eine eigene betriebliche Risikosphäre bilden. Die dogmatische Barriere gegen eine Anwendung der Sätze außerhalb des Arbeitsrechts ist jedoch gefallen. Soweit die notwendigen Elemente gegeben sind, ist ihre Anwendung auch außerhalb des Arbeitsvertrages möglich. Im folgenden dritten Abschnitt soll nunmehr am Beispiel des Seelotsen exemplarisch die Möglichkeit der Anwendung der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit bei selbständig Tätigen an Hand der erörterten Anhaltspunkte untersucht werden.

Dritter Teil

Lotsenhaftung und schadensgeneigte Arbeit 9. Kapitel

Die Risikoverteilung zwischen Lotse und Reeder Nachdem sich gezeigt hat, daß der Anwendungsbereich der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit nicht apriori auf Arbeitsverträge beschränkt ist, muß nunmehr das Verhältnis Reeder-8eelotse auf die beschriebenen Anhaltspunkte einer Risikozurechnung zu Lasten des Reeders untersucht werden, aus denen auf die Anwendbarkeit der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit geschlossen werden kann. An erster Stelle soll dabei das Risiko der Seeschiffahrt betrachtet werden, auf dessen Bewältigung der Vertrag zwischen Reeder und Seelotse letztlich gerichtet istt •

I. Die vom Reeder betriebene Seeschiffahrt als besonderes Risiko der Tätigkeit des Seelotsen Als Anhaltspunkt einer Schadenszurechnung nach Risikosphären war oben die Erhöhung des allgemeinen Lebensrisikos durch ein spezifisches Risiko anderer Art genannt worden. Es bedarf eigentlich keiner besonderen Begründung, daß das mit der Lotsenberatung verbundene Geleiten! eines Schiffes durch schwierige Gewässer3 bei oft ungünstiger Wetterlage das allgemeine Risiko, Schäden zu verursachen und zu erleiden, beträchtlich erhöht. Dieses Seerisiko wird primär durch den Reeder gesetzt, der mit dem gelotsten Schiff Erwerb durch Seefahrt betreibt (§ 484 HGB). Für das Gewicht dieses Topos der Risikozurechnung ist jedoch eine genauere Beschreibung dieses Risikos von Bedeutung. Je gefährlicher nämlich die Tätigkeit ist, desto stärker wirkt dieses Argument bei der Begründung der Risikozurechnung zu Lasten des Reeders. t 2 3

Vgl. oben das 1. Kap. sowie im 2. Kap. unter 111. 1. sowie 111.2. bb). Vgl. dazu oben im 2. Kap. unter 111. 1. Gerade in diesen Bereichen bestehen die Seelotsenreviere.

152

9. Kap.: Die Risikoverteilung zwischen Lotse und Reeder

Eine vom Verfasser durchgeführte Untersuchung von Sprüchen der deutschen Seeämter und des Bundesoberseeamtes4 zu SchiIfsunfällen unter Lotsenbeteiligung läßt dabei interessante Aspekte der Schadensneigung der Lotsentätigkeit erkennen. Gegenstand der Untersuchung waren zunächst einmal 40 Schuldsprüche deutscher Seeämter und des Bundesoberseeamtes gegen Lotsen5 aus den Jahren 1959-1968. In 22 Fällen wurde dabei auf ein alleiniges Verschulden des (der) beteiligten Lotsen erkannt, in 18 Fällen zugleich auf ein Mitverschulden der beteiligten Schiffsführung(en). Die Verteilung der untersuchten Schiffsunfälle auf die Jahreszeiten läßt klar Unfallspitzen in den Herbst- und Wintermonaten Oktober bis März sowie im August erkennen$. Die Verteilung aller in Deutschland in den Jahren 1957 bis 1967 untersuchten Seeunfälle7 auf die Jahreszeiten8 ist damit nahezu identisch, so daß der Befund bei den Lotsenunfällen als gesichert angesehen werden kann. Berücksichtigt man dann noch, daß sich im Zeitraum von 1957-1967 ca. 70,5 Ofo aller in Deutschland untersuchten Seeunfälle bei schwieriger Wetterlage ereignet haben (36,8 Ofo bei Dunkelheit, 21,4 Ofo bei Nebel, 12,3 Ofo bei schlechter Sicht)9, so zeigt sich hier der nachhaltige Einfluß naturbedingter Faktoren auf Seeunfälle. Der Verein Bremer Seeversicherer hat in den Jahren 1968 bis 1971 insgesamt 476 Kollisionen von Schiffen sowie 862 Kollisionen von Schiffen mit Anlagen reguliert. Nach Ansicht der Seeversicherer ist häufigste Unfallursache viel zu schnelles Fahren, besonders bei Nebel und sonstigen gefährlich werdenden Verkehrssituationen10 • Bei 98 Ofo aller regulierten Kollisionen lag ein beiderseitiges Verschulden der beteiligten Schiffsführungen vor. Die Seeschiffahrt enthält mithin ein beträchtliches Gefahrenpotentiall l . Solange ein sicheres Versetzen auf das zu lotsende Schiff möglich ist, hat der Lotse seinen Dienst zu leisten und ist damit den Gefahren der Vgl. zu diesen Institutionen oben das 1. Kap. am Ende. /; Unter den Lotsen sind auch Hafenlotsen. Der Aussagegehalt leidet darunter jedoch nicht, da die Risiken vergleichbar sind. 6 Schaubild, gepunktete Linie. 7 Quelle: Die jährlichen Statistiken des Bundesverkehrsministerium in der amtlichen Entscheidungssammlung der Seeämter und des Bundesoberseeamtes. 8 Schaubild, gestrichelte Linie. 9 Quelle wie Anm. 7. 10 Die Angaben beruhen auf einer vom Verfasser eingeholten Auskunft des Vereins Bremer Seeversicherer. 11 Vgl. auch BGHZ 3, 34 (40); Abraham, Seerecht, S.194. 4

I. Die Seeschiffahrt als besonderes Risiko des Seelotsen

153

Seeschiffahrt gerade in den kritischen Bereichen der viel befahrenen Seewasserstraßen ausgesetzt. . Diese besondere Gefahr der Seeschiffahrt erkannte auch bereits der Gesetzgeber bei der Einführung der beschränkten Reederhaftung, die allgemein mit dem besonderen Risiko der Seeschiffahrt begründet wirdl~.

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Der erste Anhaltspunkt für die Bildung einer Risikosphäre ist damit gegeben: Der Reeder betreibt mit der Seeschiffahrt ein Unternehmen, 12 Vgl. Sotiropoulos, Reederhaftung, S,303, 381 f" abweichenden Begründungen.

mit einer Kritik der

154

9. Kap.: Die Risikoverteilung zwischen Lotse und Reeder

das in besonderer Weise gefahrbehaftet ist und damit das "allgemeine Lebensrisiko" der in dieser Sphäre Tätigen dadurch beträchtlich erhöht, daß diese häufig in Situationen mit einem ungewöhnlich hohen Haftungsrisiko geraten können. Die Gefahr besteht aus einer Kumulation unbeherrschbarer Naturkräfte sowie den Gefahren der Teclmik, die das Verkehrsmittel Schiff birgt.

11. Die Organisationsgewalt des Geschäftsherm "Reeder ist der Eigentümer eines ihm zum Erwerbe durch Seefahrt dienenden Schiffes" (§ 484 HGB). Ihm ist der Ausrüster gleichgestellt. Diese Personen sind die Träger des Unternehmens, für das auch der Lotse tätig wird. Auf ihr Verhältnis zum Seelotsen sind die §§ 485 HGB, 278 BGB, nicht jedoch § 831 BGB anwendbar13 • Der Lotse ist bei der Ausübung seiner Tätigkeit frei von jeder Weisung. Die Kommandogewalt an Bord, der er auch unterworfen istl 4, ist ohne Bezug auf seine konkrete Tätigkeit. Mit seiner Anwesenheit an Bord ist der Lotse aber in die innerbetriebliche Organisation des Schiffes eingefügt, auch wenn er selbst gar keiner Organisationsgewalt in Form eines Weisungsrechtes unterliegt. Der Erfolg seiner Lotstätigkeit hängt jedoch in erheblichem Umfang auch davon ab, wie die innerbetriebliche Organisation auf dem Schiff funktioniert. Der technische Zustand des Schiffes, die nautischen Hilfsmittel, die reibungslose und schnelle Ausführung der Kommandos, ja selbst die für die Beweisführung in späteren Prozessen so wichtige korrekte Führung des Schiffstagebuches sind Punkte, die für den Lotsen höchst wichtig sind, die aber nicht von ihm geregelt werden können. Gerade in schwierigen Situationen ist er auf einen betrieblichen Mechanismus angewiesen, auf dessen reibungsloses Zusammenspiel er praktisch keinerlei Einfluß hat. Dort können Fehlerquellen liegen, die sich oft später nicht nachweisen lassen oder gar immer verborgen bleiben, ohne daß man dem Lotsen sagen könnte, er habe eben dafür zu sorgen, daß alles klappt. Zwecks Einhaltung der immer schärfer kalkulierten Fahrpläne der Schiffahrtskonferenzen wird von den Schiffsführungen auf Schlechtwetterlagen, gefährliche Fahrwasser etc. nur noch bedingt Rücksicht genommen. Diesen Gegebenheiten ist auch der Lotse weitgehend unterworfen. Zwar ist er berechtigt, die Vorsichtsmaßnahmen zu verlangen, die er für erforderlich hält, und bei Nichtbefolgung seines Rates von der Verantwortung frei. Dem allgemeinen Trend zum Tempo kann auch er sich jedoch nicht einfach 13 14

Vgl. dazu oben im 3. Kap. unter I. 1. am Ende. VgI. oben im 2. Kap. unter II!. 1.

III. Das Vorteil-Nachteil-Prinzip

155

entziehen. Anders als der in seinem eigenen Büro tätige Anwalt oder Architekt oder der praktische Arzt hat der Lotse nicht die Möglichkeit, den Betrieb, in dem er tätig ist, möglichst effizient und zuverlässig zu organisieren. Er ist insoweit den Gegebenheiten einer fremden Organisationsgewalt ausgeliefert. Diese Sicht wird durch die Anwendbarkeit des § 618 BGB auf das Verhältnis Reeder-Seelotse noch bestätigtl5. Die Anwendung dieser Vorschrift ist Ausdruck einer Risikozurechnung im Innenverhältnis. Sie ergibt sich aus der Tatsache, daß der Lotse gezwungen ist, seine Tätigkeit in einer fremden betrieblichen Organisation auszuüben, auf deren konkrete Ausgestaltung er. keinen Einfluß nehmen kann11l• Angesichts der festgestellten Einordnung des Seelotsen in eine fremde Betriebsorganisation kann auf das Weisungsrecht des Geschäftsherrn, also des Reeders, verzichtet werden. Auch in der Außenhaftung muß der Reeder ja gem. § 485 HGB unter Verzicht auf das Erfordernis eines Weisungs- und Auswahlrechts und unter Ausschluß der Exkulpation für ein Versagen des Lotsen einstehen. Schließlich hat die Schiffsführung ja die Entscheidung noch in der Hand, ob dem Lotsenrat zu folgen ist oder nicht.

111. Das Vorteil-Nachteil-Prinzip Wie schon mehrfach betont, ist das Vorteil-Nachteil-Prinzip ein sehr unsicheres Kriterium zur Abgrenzung von Risikosphären l7 . Als Entscheidungstopos ist es zwar beachtlich, sein Rang unter den anderen Topoi ist jedoch meist gering anzusetzen. Die Lotstätigkeit dient insoweit einseitig dem Vorteil des Reeders (und der Ladungsbeteiligten), als es ihr Sinn ist, das Schiff gerade durch besonders gefährliche Gewässer zu geleiten. Der Lotse vermindert daher das Risiko für den Erwerb des Reeders, ohne an diesem Erwerb direkt beteiligt zu sein. Die Höhe des Lotsengeldes richtet sich allerdings nach der Größe des Schiffes, so daß eine gewisse Risikorelation gegeben zu sein scheint. Beim Einkommen des einzelnen Lotsen wirkt sich diese Relation jedoch kaum aus, da die Lotsengelder durch die Lotsenbrüderschaften über einen Schlüssel verteilt werden, der die Größe der jeweils gelotsten Schiffe beim einzelnen Lotsen unberücksichtigt läßt. Das Bundesverkehrsministerium bemüht sich bei der Gestaltung der Lotstarifordnungen, das Lotseneinkommen an das durchschnittliche Vgl. dazu oben im 2. Kap. unter III. 2. c). Vgl. dazu oben im 8. Kap. unter II. 2. d) bb) am Ende. 17 Vgl. dazu schon oben im 8. Kap. unter H.l. c) am Ende sowie unter II. 2. a) ce) und unter H. 2. d.) ce). 15 16

156

9. Kap.: Die Risikoverteilung zwischen Lotse und Reeder

Einkommen eines Kapitäns auf großer Fahrt zu kOppeln18 . Nach der derzeit geltenden Lotstarifordnung vom 22. Dezember 197119 liegt das Monatseinkommen eines Seelotsen bei durchschnittlicher Inanspruchnahme bei ca. DM 4330,_20. Darin sind Zuschläge für Altersversorgung, Unfall- und Krankenversicherung enthalten. Wenn nun der Seelotse ein vergleichbares Entgelt für eine mit der des Kapitäns vergleichbare Tätigkeit erhalten soll und auch erhält, so dürfte das "Zusammenwirken von Haftung und Entgelt", auf das Wilburg21 und Herschel!!! hingewiesen haben, auf eine ähnliche Haftungslage wie beim Kapitän hindeuten. Auf den Kapitän sind die Sätze über die schadensgeneigte Arbeit entgegen Abraham!3 ohne weiteres anwendbar24 • Die Bemessung des Lotsenentgelts deutet daher jedenfalls nicht darauf hin, daß der Lotse ein höheres Haftungsrisiko zu tragen hätte als der Kapitän des gelotsten Schiffes.

IV. Die Risikoabwälzung Die Frage, ob es dem Reeder erlaubt sein kann, einen Teil des Risikos bei dem von ihm betriebenen Erwerb durch Seefahrt auf den Lotsen abzuwälzen, hängt von einer Analyse des Lotsenvertrages ab, die gewisse Schlüsse auf die vertragliche Risikoverteilung zuläßt. 1. Lotsenvertrag und Risikoübemahme

Im ersten Teil war die Rechtsnatur des Lotsenvertrages unter anderem auch an der gewollten Risikoverteilung hinsichtlich des Erfolges gemessen wordenll5 • Dabei hatte sich gezeigt, daß der Lotse nicht das Verbringen des Schiffes von einem Ort zu einem anderen schuldet, sondern allein die ordnungsmäßige Beratung der Schiffsführung. Wenn trotz einer korrekten Beratung das Schiff den Hafen nur beschädigt erreicht oder gar nicht erreicht, so ist dies das Risiko des Reeders, der Lotse behält seinen Zahlungsanspruch. Führt eine fehlerhafte Lotsenberatung zu einem Unfall, so wäre bei voller Haftung des Lotsen das unternehmerische Risiko der Seefahrt gerade für besonders gefährliche Gewässer auf einen Außenstehenden abgewälzt, dessen Aufgabe es eigentlich nur sein sollte, bei der Bewältigung dieses Risikos beratend 18 Segelken, Seelotsenrecht, S. 389 f. 19 Bundesanzeiger, Nr.243 vom 30. 12. 1971. 20 Der effektive Verdienst kann durchaus höher sein. U Wilburg, Elemente, S. 123. 22 Herschel, Iher. Jahrb. 90, 145 (166). 23 Schaps - Abraham, § 607 HGB, Anm.48. 24 Prilssmann, § 511, Anm. B 5. 25 Vgl. dazu oben im 2. Kap. unter 111. 1. am Ende.

V. Versicherung von Lotse und Reeder

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tätig zu sein. Der Lotse wäre dann insoweit an den möglichen Passiva des Unternehmens wie ein Unternehmer (der Reeder) beteiligt, während er hinsichtlich der Aktiva nur wie ein Arbeitnehmer (Kapitän) stände. Eine volle Belastung des Lotsen mit dem Haftungsrisiko würde daher einer - endgültigen - Haftungskanalisierung auf den Unternehmer (Reeder) zuwiderlaufen. Für diese Feststellung spricht auch die Risikoverteilung, die in der Begrenzung der staatlichen VerkehrssicherungspfiichtZ6 auf den Seewasserstraßen zum Ausdruck kommt. 2. Seerisiko des Reeders und Verkehrssidlerungspftidlt des Staates

Für die Seewasserstraßen besteht eine Verkehrssicherungspfiicht des Staates, die nach überwiegend vertretener Ansicht privatrechtlicher Natur ist27 • Die Bereitstellung von Lotsen gehört zu den Einrichtungen dieser Verkehrssicherung. Der Staat hat aber zu erkennen gegeben, daß er seine Verkehrssicherungspfiicht nur durch Organisation und Gewährleistung eines funktionierenden Lotsendienstes zu erfüllen gedenkt28. Das sichere Geleiten des Schiffes selbst betrachtet er nicht als staatliche Aufgabe29 • Letzteres gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der diese These übernommen hat, für alle Lotsen, auch für die im Staatsdienst befindlichen Hafenlotsen30 • Wenn es aber der Staat selbst ablehnt, das Risiko des sicheren Geleitens eines Schiffes zu tragen31 , dann wäre es doch höchst sonderbar, wenn stattdessen der freiberuflich tätige Lotse dieses Risiko übernehmen sollte. Es entspricht viel eher einer gerechten Risikoverteilung, dieses Risiko dem Reeder zuzuweisen, der ja auch Erwerb durch Seefahrt betreibt. V. Versicherung von Lotse und Reeder Als letzter Anhaltspunkt für eine Risikozurechnung bleibt die bereits eingangs angedeutete Frage der versicherungstechnischen Regelung, 26 Oben wurde festgestellt, daß die Verkehrssicherungspfiichten Mittel einer Schadenszurechnung nach Risikosphären sind. Vgl. dazu oben im 7. Kap. unter H. 2. b). 27 Vgl. Palandt - Thomas, § 823, Anm. 8 c, 14 b, ff, am Ende. 28 In diesem Rahmen kommt also auch eine Staatshaftung in Betracht. Richtig Segelken, Seelotsenrecht, S. 345 f.; vgl. auch OLG Hamburg, MDR 1967, 596 (597). 29 Kallus, Hansa 1954, 1965 (1966, 1969). 30 BGHZ 35, 111 (117); BGH Hansa 1968, 1629 (1630); OLG Hamburg, MDR 1967, 596 (597); a. A. LG Lübeck, Schleswig-Holsteinische Anzeigen, 1963, 117 f. (mitgeteilt bei Segelken, Seelotsenrecht, S.347). 31 Ob das für die Lotsen im Staatsdienst wirksam ist, kann hier nicht erörtert werden.

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9. Kap.: Die Risikoverteilung zwischen Lotse und Reeder

die das Verhältnis Lotse-Reeder gefunden hat, zu prüfen. Zum besseren Verständnis sei zunächst ein kurzer überblick über das System der Seeversicherung gegeben. 1. Das System der Seeversidlerung

"Jedes in Geld schätzbare Interesse, welches jemand daran hat, daß Schiff oder Ladung die Gefahren der Seeschiffahrt besteht, kann Gegenstand der Seeversicherung sein" (§ 778 HGB)32. Die Seeversicherung enthält also niemals eine Personenversicherung33. Sie ist heute üblicherweise eine Kombination einer Aktivversicherung mit einer Passivversicherung"4. Erstere deckt das Seerisiko für das Schüf des Reeders und - je nach Vereinbarung - die darin beförderten Güter, letztere deckt das Haftpfiichtrisiko des Reeders für den Fall von Schüfskollisionen und ähnlichem. Besondere Bedeutung hat in der Seeversicherung das Prinzip der Universalität36 (Totalität)36 der Gefahren, das in § 28 ADS37 formuliert ist: "Der Versicherer trägt, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, alle Gefahren, denen das Schüf oder die Güter während der Dauer der Versicherung ausgesetzt sind." Gemeint sind hier jedoch nur die Gefahren der Seeschüfahrt3B . So umfassend, wie die Gefahren der Seeschiffahrt sind, ist somit auch die Vorsorge des Reeders. 2. Die Regelung der Unfallversidlerung

Die Unfallversicherung für die Schiffsbesatzung wird ebenfalls vom Reeder getragen. Er muß die Beiträge für die Seeberufsgenossenschaft aufbringen. Ähnliches gilt auch für die Unfallversicherung des Seelotsen. Bei der Gestaltung der Lotstarifordnungen werden die Prämien als Zuschläge zu dem Grundgehalt (Kapitänsgehalt als Vergleich) gesondert aufgeführt3 9 • Die Lotstarifordnung geht daher davon aus, daß der Seelotse ein Kapitänsgehalt und zusätzlich die Prämien für die Unfallversicherung (und anderes mehr) durch das vom Reeder zu zahlende Lotsgeld erhalten soll. Faktisch besteht daher hinsichtlich 32 33 34

35

Zur Geschichte der Seeversicherung vgl. Sieg, Ausstrahlungen, S. 30 f. MöHeT, Versicherungsvertragsrecht, S.26. MöHeT, S.149. So Sieg, Ausstrahlungen, S.32, mit Nachweisen zur Geschichte dieses

Prinzips. 36 So MöHeT, S. 141-143. In der Sache besteht kein Unterschied. 37 Die Seeversicherung richtet sich nunmehr allein nach den ADS. Die §§ 778 f. HGB sind, soweit sie davon abweichen, praktisch obsolet geworden. 38 MölleT, S. 142. 39 Vgl. Segelken, Seelotsenrecht, S. 402 f. (410).

V. Versicherung von Lotse und Reeder

159

der Unfallversicherung kaum noch ein Unterschied zum Kapitän und der übrigen Besatzung. Für Unfälle auf den Lotsendampfern haftet· dagegen der Bund als Quasiversicherer40. Das entspricht der Risikoverteilung, die bei der Verkehrssicherungspflicht des Staates erörtert wurde. Das Unfallrisiko an Bord trägt der Reeder, das Risiko bei den vom Bund vorgehaltenen Lotseneinrichtungen wie dem Lotsendampfer trägt der Staat. 3. Konsequenzen der Versicherungsregelung

Der überblick über das System der Seeversicherung und der Unfallversicherung hat gezeigt, daß die versicherungstechnische Bewältigung des Seerisikos weitgehend über den Reeder als Versicherungsnehmer erfolgt. Auch bei der Unfallversicherung trägt der Reeder die Kosten in Form eines Aufschlages auf das Lotsengeld, durch den dem Lotsen die Unfallversicherung ohne Nachteil für die erwünschte Gleichstellung mit dem Kapitän ermöglicht werden soll. Eine Versicherung durch den Reeder- wie bei der Besatzung - wäre hier aus technischen Gründen auch kaum durchführbar. Der Risikobereich des Reeders ist daher üblicherweise durch von ihm genommene oder doch finanzierte Versicherungen weitgehend abgedeckt. Demgegenüber nehmen die Lotsen für ihr erhebliches Tätigkeitsrisiko keinerlei Berufshaftpflichtversicherung. Die Gründe dafür sind oben bereits erwähnt worden41 : Durch die Berufshaftpflichtversicherung wäre dasselbe Risiko doppelt versichert, da für das Schiff bereits Haftpflicht- und Kaskoversicherung bestehen. Es besteht kein Zweifel daran, daß die Seelotsen in dem Fall, daß doch einmal ein Reeder oder eine Versicherung einen Lotsen in Anspruch nimmt, eine Erhöhung der Lotsengelder erzwingen würden, um in Zukunft die Prämien für eine dann notwendige Berufshaftpflichtversicherung zahlen zu könnenu . Diese erhöhten Lotsgelder hätten wiederum die Reeder zu· zahlen, die damit das Seerisiko ihrer Schiffe praktisch doppelt versichern würden. Wirtschaftlich bleiben sie daher Endpunkt einer Haftungs- und Risikokanalisierung, gleichgültig, wie man das Haftungssystem aufbaut. Der Gewinner wäre die Versicherungswirtschaft, der Verlierer der Reeder, während für die Lotsen alles bliebe wie zuvor. Daran zeigt sich, daß die Abwicklungspraxis der Seeversicherungen der Risikozurechnung .zu Lasten des Reeders wirtschaftlich längst Rechnung trägt. Das deutet 40 Segelken, Seelotsenrecht, S.467. So lautet jedenfalls die entsprechende Verwaltungsvereinbarung. In der Praxis werden die Unfallschäden von der Unfallversicherung reguliert. 41 Vgl. oben im 4. Kap. unter II. 41 Vgl. dazu schon Ehlen, HRZ 1927, Sp.41 (47).

160

9. Kap.: Die Risikoverteilung zwischen Lotse und Reeder

auf die Berechtigung auch einer haftungsrechtlichen Risikokanalisierung hin. Diese wird ebenfalls schon in Form eines stillschweigenden Konsenses aller Beteiligten praktiziert, Rückgriffsansprüche gegen Seelotsen werden traditionell nicht durchgesetzt. Wie der Verein Bremer Seeversicherer betont'!, liegt das nicht an einer Anerkennun2 der Geltung der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit, sondern an der Erkenntnis, wie gefährlich und verantwortungsvoll der Seelotsenberuf in der Großschiffahrt ist. In der Sache ist dieses Verhalten jedoch Ausdruck eines gesunden Rechtsgefühls, das lange vor der Rechtswissenschaft die gerechte Risikoverteilung im Verhältnis Reeder-Seelotse in groben Zügen erkannt hat. Auch die Regelung der Versicherung weist daher den Weg zu einer Risikokanalisierung beim Reeder, die eine Anwendung der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit zu dessen Lasten erlaubt.

VI. Der Seelotse in der Risikosphäre des Reeders Bei einer Gesamtschau der erörterten Anhaltspunkte für die Anwendung der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit ergibt sich, daß nahezu alle Topoi eindeutig für eine Risikozurechnung zu Lasten des Reeders sprechen. Eine gerechte Risikoverteilung ist nach alle dem ohne Anwendung der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit nicht gewährleistet. Das Fehlen eines Weisungsrechtes des Reeders hinsichtlich der Ausübung der Lotsentätigkeit ist nicht entscheidungserheblich, da der Lotse - trotz der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit bei der Beratung - hinsichtlich des Erfolges seiner Tätigkeit von einer betrieblichen Organisation abhängig ist, auf deren Effizienz er kaum Einfluß hat. Auch zeigt die Praxis der Seeversicherung, daß eine Risikoverteilung gemäß den Sätzen über die schadensgeneigte Arbeit nur ein Ergebnis rechtlich fixiert, das wirtschaftlich bereits gegeben ist. Selbst eine Änderung der bisherigen Regreßpraxis der Seeversicherungen würde an dem wirtschaftlichen Ergebnis nichts ändern können. Daher ergeben sich keine Bedenken gegen eine Anwendung der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit auf den Lotsenvertrag. Sind somit die Sätze über die schadensgeneigte Arbeit auf das Verhältnis Reeder-Seelotse anwendbar, so ist gegen die oben erörterte formularmäßige Freizeichnung der Lotsen von der Haftung für leichtes Verschulden nichts einzuwenden44 • Ob ein solches Vorgehen allerdings psychologisch glücklich wäre, kann hier nicht entschieden werden. Es erscheint auch nicht als notwendig, da die Sätze über die schadensgeneigte Arbeit ein ähnliches Ergebnis bewirken. 43 44

Vgl. oben die Einleitung sowie im 4. Kap. unter 1I.2. Vgl. dazu im 4. Kap. unter 1I.1.

VII. Der Radarlotse

161

Die Anwendung der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit bedeutet, daß das Verschulden des Lotsen und das vom Reeder zu verantwortende Risiko der Seefahrt als gleichberechtigte Schadenszurechnungsgründe gegeneinander gern. § 254 BGB abzuwägen sind. Im Prinzip kann hier genau wie bisher bei der Anwendung der Sätze über die schadensgeneigteArbeit vorgegangen werden. Zu Lasten des Reeders sind insbesondere die typischen Momente des Seerisikos, wie schlechtes Wetter, schlechte Manövrierfähigkeit des Schiffes, schlechte nautische Hilfsmittel und Schiffsorganisation, zu berücksichtigen. Für den Seelotsen ist das Maß seines Verschuldens von Gewicht. Soweit die Risikozurechnung zu Lasten des Reeders für den Lotsen nur eine verminderte Schadensersatzpflicht oder gar Haftungsfreiheit bewirkt, besteht kein Schadensersatzanspruch des Reeders, der gern. § 45 ADS auf die Seeversicherung übergehen könnte. Soweit ein Lotse vom Reeder in Anspruch genommen wird für einen Schaden, den ein Besatzungsmitglied schuldhaft mitverursacht hat, ist bei der Schadensverteilung gern. § 254 II 2 BGB das Verschulden des Besatzungsmitgliedes zu Lasten des Reeders zusammen mit der Risikozurechnung zu berücksichtigen. Für Körperschäden, die ein Lotse schuldhaft einem Besatzungsmitglied zufügt, stellt sich nicht wie seinerzeit beim Kameradenunfall4S die Frage, ob das Haftungsprivileg des Arbeitgebers gern. § 636 RVO durchbrochen werden soll oder nicht, da im Verhältnis Reeder-Seelotse diese Vorschrift nicht angewendet werden kann. Daher ist eine Gewährung des Freistellungsanspruches auch in diesem Fall zu bejahen. VII. Der Radarlotse

Die unter VI beschriebene Regelung gilt auch, soweit ein an Bord tätiger Seelotse Radarberatung durch einen Seelotsen auf der Radarstation in Anspruch nimmt und für ein Versagen des Radarlotsen über § 278 BGB haftbar gemacht wird46 • Für den an Bord tätigen Seelotsen bleibt die oben beschriebene Situation der Einordnung in einen fremden Organisationsbereieh dieselbe. Hat dagegen ein Radarlotse einmal die Schiffsführung direkt beraten und dabei einen Schaden schuldhaft verursacht, so stellt sieh die Sachlage etwas anders dar. Der Radarlotse ist nicht an Bord des gelotsten Schiffes tätig, so daß alle Elemente einer Risikozurechnung zu Lasten des Reeders, die auf diesem Umstand beVgl. dazu im 4. Kap. unter I. 2. b). Vgl. dazu im 2. Kap. unter UI. 2. b) ce). Es ist aber praktisch ausgeschlossen, daß in diesem Fall nicht gleichzeitig ein Versagen des Bordlotsen vorliegt. 45

46

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162

9. Kap.: Die Risikoverteilung zwischen Lotse und Reeder

ruhen, entfallen. Dafür ist aber die Tatsache von Bedeutung, daß der Radarlotse in diesem Fall unentgeltlich tätig wird, so daß seine Haftungslage in die Nähe der von Canaris und Huber entwickelten Grundsätze über die Risikohaftung des Geschäftsherrn im Auftragsrecht rückt. Der Radarlotse wird im Interesse des Reeders tätig und leistet mit der Radarberatung ähnlich wie die Fluglotsen eine schadensgeneigte Tätigkeit. Auch hier scheint eine behutsame Anwendung der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit möglich zu sein.

10. Kapitel

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse Neben einer weiteren Klärung von Rechtsstellung und Haftungslage des Seelotsen ergeben sich aus der Untersuchung folgende Ergebnisse: I. Das Privatrecht kennt neben anderen Prinzipien der Schadenszurechnung eine Schadenszurechnung nach Risikosphären. Diese äußert sich unter anderem in folgenden Punkten: 1. Bei der Risikoverteilung im Recht der unerlaubten Handlung mit

den Topoi "allgemeines Lebensrisiko - erhöhtes Risiko der unerlaubten Handlung". Das "allgemeine Lebensrisiko" erweist sich dabei als Konkretisierung des Satzes "casum sentit dominus".

2. Im objektiven Fahrlässigkeitsbegriff. 3. In den Zurechnungsbestimmungen der Außenhaftung des Geschäftsherrn und ihren Veränderungen mit dem Ziel der Umgehung des § 831 BGB. 4. In der Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen. 5. In der Haftung des Geschäftsherrn bei Auftrag und GoA für Schäden des Beauftragten (Geschäftsführers). II. Im Bereiche der Geschäftsherrnhaftung dient diese Schadenszurechnung nach Risikosphären vor allem der Kanalisierung der Außenhaftung für die typischen Betriebsrisiken auf den Inhaber dieses Betriebes. Die Argumente, mit denen diese Kanalisierung begründet wird, sind im wesentlichen dieselben, die bei der Begründung einzelgesetzlicher Gefährdungshaftungen aufgeführt werden. III. Die Sätze über die schadensgeneigte Arbeit können mit der Fürsorgetheorie nicht befriedigend erklärt werden. Sie sind nur dann in ihrer vollen Bedeutung zu erfassen, wenn man ihre haftungsverschärfende Wirkung für den Geschäftsherrn erkennt. Das System des innerbetrieblichen Schadensausgleichs muß in die allgemeine Entwicklung einer Ausbildung von Risikosphären mit dem Ziel einer endgültigen Haftungskanalisierung auf den Geschäftsherrn eingeordnet werden. Die Sätze über die schadensgeneigte Arbeit dienen dabei zur Absicherung der Haftungskanalisierung, die anderenfalls durch eine Haftungsabwälzung im Innenverhältnis durchbrochen wäre.

164

10. Kap.: Zusammenfassung

IV. Die Begründungen für die Sätze über die schadensgeneigte Arbeit decken sich daher nicht zufällig weitgehend mit denen für die Außenhaftung des Geschäftsherrn sowie für die einzelgesetzliche Gefährdungshaftung. V. Die Beschränkung der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit auf das Arbeitsrecht ist dogmatisch unhaltbar geworden. Sie gehören in einen privatrechtlichen Funktionszusammenhang der Haftungskanalisierung. über ihre Anwendung ist nach einer Analyse der Risikolage in den einzelnen Rechtsverhältnissen zu entscheiden. VI. Die Risikolage ist mit Hilfe der oben ausführlich erörterten Anhaltspunkte zu untersuchen. Die Entscheidung über eine Anwendung der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit hängt von einer Gesamtbewertung der einzelnen Punkte ab. Diese Anhaltspunkte sind im einzelnen: 1. Die Veranlassung einer gefährlichen Tätigkeit

2. Die Organisationsgewalt des Geschäftsherrn 3. Das Vorteil-Nachteil-Prinzip 4. Die Risikoabwälzung 5. Die Versicherung VII. Die Schadens zurechnung nach Risikosphären, als deren Bestandteil die Sätze über die schadensgeneigte Arbeit anzusehen sind, ist im konkreten Fall mit dem Verschulden des Schädigers analog § 254 BGB abzuwägen, da es hier um eine Konkurrenz von Zurechnungsprinzipien geht. Insoweit wird die bisherige Praxis bei der Anwendung der Sätze über die schadensgeneigte Arbeit bestätigt. VIII. Die Sätze über die schadensgeneigte Arbeit sind auf den zwischen Reeder und Lotsen bestehenden Dienstvertrag anwendbar.

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übereinkommen vom 10. Oktober 1957,

Denkschrift

UnfallversicherungsNeuregelungsgesetz,

Conference Diplomatique de Droit Maritime, Dixieme Session, Bruxelles 1957 (Protokolle der Verhandlungen). Gesetz zu dem übereinkommen vom 10. Oktober 1957 über die Beschränkung der Haftung der Eigentümer von Seeschiffen und zu den auf der IX. Diplomatischen Seerechtskonferenz in Brüssel am 10. Mai 1952 geschlossenen übereinkommen vom 21. Juni 1972, BGBL Teil 11, S.653. zu dem übereinkommen von 1957 über die Beschränkung der Haftung der Eigentümer von Seeschiffen. Amtliche Begründung des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtes der gesetzlichen Unfallversicherung vom 30. April 1963 (BGBL Teil I. S.241).