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German Pages 168 [169]
NICOLE KREUTER
Römisches Privatrecht im 5. Jh.
ß.
ehr.
Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Herausgegeben vom Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.
Neue Folge . Band 17
Römisches Privatrecht im 5. Jh. ß. ehr. Die Interpretatio zum westgotischen Gregorianus und Hermogenianus
Von
Nicole Kreuter
Duncker & Humblot . Berlin
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Freiburg i. Br.
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kreuter, Nicole: Römisches Privatrecht im 5. Ib. n. Chr. : die interpretatio zum westgotischen Gregorianismus und Hermogenianus / von Nicole Kreuter. Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Freiburger rechtsgeschichtliche Abhandlungen; N. F., Bd. 17) Zug!.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1990/91 ISBN 3-428-07551-X NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin 21 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0720-6704 ISBN 3-428-07551-X
Meinen Eltern
Vorwort Diese Untersuchung wurde im Mai 1990 abgeschlossen und hat im Wintersemester 1990/91 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg als Dissertation vorgelegen. Meine ganze Dankbarkeit gilt meinem verehrten Lehrer und Betreuer dieser Arbeit, Herrn Prof. Detlef Liebs, der mich schon in den ersten Semestern an die römische Rechtsgeschichte herangeführt hat und bei dem ich während meiner Promotion als Wissenschaftliche Hilfskraft angestellt war. Danken möchte ich auch seinen Mitarbeitern, Herrn Hannes Lehmann und Frau Ingrid Kellermeier , ersterem für wertvolle Diskussionen und letzterer für technische Hilfe beim Erstellen der Arbeit. Daneben verdanke ich den übrigen Mitgliedern des Instituts für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung anregende Fachgespräche. Für die Aufnahme dieses Buches in die Reihe der Freiburger Rechtsgeschichtlichen Abhandlungen bedanke ich mich bei den Herren Herausgebern und dem Verlag, für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Freiburg i. Br. Freiburg i. Br. im Juni 1992
Nicole Kreuter
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
Erstes Kapitel
Der Gregorianusinterpret § 1 Stilistische Einheit der I G . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2 Die Geleittexte der LRV und ihr Aussagewert für die Entstehung der Interpretatio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Commonitorium und praescriptio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Die Rolle der prudentes Alarichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 3 Ist die IG ein Werk der prudentes Alarichs?
19 19 20 20
22
....................
24
I. Der Begriff novella lex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Der Verweis auf eine extravagante novella lex . . . . . . . . . . . . . . . .
24
§ 4 Herkunft der IG aus dem Unterricht
25
.........................
26
I. IG 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. IG 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. IG 8,1
26
IV. IG 10 V. IG8,2 VI. IG 6,2
41
43
45
47 63
Zweites Kapitel
Der Entstehungsort der CG.lnterpretatio § 5 Provinziale Heimat des Interpreten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6 Indizien für das westgotische Gallien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70 70 71
Drittes Kapitel
Die Entstehungszeit der CG.lnterpretatio § 7 Der terminus ante quem § 8 Der terminus post quem
72
................................. .................................
72 72
I. Theodosius 11. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Valentinian III. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111. Maiorian . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72 73 74
Inhaltsverzeichnis
10
Viertes Kapitel
Die Interpretatio und ihr Grundtext
75
§ 9 Umstellungen im CG-Auszug? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
I. Die Titel CG 7 und Cl 4,50 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Die Titel CG 9/10, CG 12 und Cl 4,21, Cl 4,26 - 28 ............ III. Der Titel CG 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77 79 79
§ 10 Die Beziehung einzelner Interpretationen zu nichtkommentierten CG-Re-
skripten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
I. IG 8,2 Satz 1 und CG 14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. IG 7 und CG 6,4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. CG 9 und IG 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80 86 94
Fünftes Kapitel
Die Aktualität des Unterrichts und die Frage der Juristenausbildung § 11 Die Unterrichtsschwerpunkte des CG-Auszuges .. . . . . . . . . . . . . . . .. § 12 Vermittlung geltenden Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
96 97
I. CG 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 97 11. CG 11 und CG 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 111. CG 6,3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 § 13 Berücksichtigung der geschäftsüblichen Beurkundung . . . . . . . . . . . . . . 113 § 14 Zeitgenössischer Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 § 15 Rechtsunterricht in Gallien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
Sechstes Kapitel
Die beiden Interpretationen zum
eH
§ 16 IH 1 §17IH2
118 118
119 Siebentes Kapitel
Umwälzung oder Kontinuität im Privatrecht? § 18 Brautschenkung und in integrum restitutio
121 122
I. Brautschenkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 11. In integrum restitutio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 § 19 Querella inofficiosi testamenti
I. 11. III. IV.
Das Inzidentverfahren als nachklassische Neuerung? . . . . . . . . . . .. Fortgeltung der bonorum possessio contra tabulas . . . . . . . . . . . . . Höhe der Pflichtteilsquote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Pflichtteilsergänzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
126 126 128 132 137
Inhaltsverzeichnis
11
§ 20 Die heredis institutio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 § 21 Die adjektizischen Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
I. Beschränkte Vermögensfähigkeit von Sklaven und Hauskindern? 144 11. Die Haftung des dominus für die Geschäftsschulden seiner Gewaltunterworfenen und Untergebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Literaturverzeichnis QueUenregister
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
Abkürzungen a.a.O.
am angegebenen Ort
AHDE
Anuario de Historia dei Derecho Espanol
a.E.
am Ende
bes. BGB
besonders Bürgerliches Gesetzbuch
BIDR
Bullettino dell'Istituto di Diritto Romano
bzw.
beziehungsweise
CE
Codex Euricianus; z.B. hrsgg. v. K. Zeumer, MGH, Legum Sectio I, Tom. I, Hannover 1902
CG
Codex Gregorianus; z. B. hrsgg. v. Krüger, in: Coll. 111 und Baviera, in: FIRAII
CH
Codex Hermogenianus; vgl. CG
CJ
Codex Iustinianus; z. B. hrsgg. v. P. Krüger, Berlin 1877, sog. große Ausgabe; ders., Corpus Iuris Civilis 11, Codex Iustinianus, 11. Aufl. hrsgg. v. W. Kunkel, Berlin 1954, sog. kleine Ausgabe Vocabularium Codicis Iustiniani, hrsgg. v. R. Mayr, Prag 1923
CJ -Wortindex
Coll. III
Collectio Librorum Iuris Anteiustiniani in usum scholarum, Tom. 111, hrsgg. v. P. Krüger u. a., Berlin 1890
Cons.
Consultatio; vgl. CG
er
Codex Theodosianus; hrsgg. v. T. Mommsen u. P. M. Meyer, Theodosiani libri cum constitutionibus Sinnondianis et leges novellae ad Theodosianum pertinentes I 2,3. Aufl. Berlin 1962
er-Wortindex
Heidelberger Index zum Theodosianus, hrsgg. v. O. Gradenwitz, Berlin 1925
D
Digesten; z. B. hrsgg. v. T. Mommsen, Digesta Iustiniani Augusti I u. 11, Berlin 1870, sog. große Ausgabe; ders. u. P. Krüger, Corpus Iuris Civilis I, 16. Aufl. Berlin 1954, kleine Ausgabe
d.h.
das heißt
ebd.
ebenda Edictum Rothari; hrsgg. v. F. Beyerle, Leges Langobardorum, 2. Ausg., Witzenhausen 1962
ER ET
Edictum Theoderici; hrsgg. v. Baviera, FIRA 11 u. F. Bluhme, MGH, Legum Tom. V, Hannover 1875 - 1889
FG
Fragmenta Gaudenziana; vgl. CE
Abkürzungen
13
FIRA 11
Fontes luris Romani Anteiustiniani, Pars Altera, hrsgg. v. J. Baviera, Florenz 1940
.Pn.
Fußnote
FV
Fragmenta Vaticana; vgl. CG
GA
Gaius Augustodunensis; z. B. hrsgg. v. Baviera, FIRA 11.
Gaius, Inst.
Institutionen des Gaius; z. B. hrsgg. v. M. David, 2. Auf!. Leiden 1964
GE
Gaiusepitome; hrsgg. v. Baviera, FIRA 11, G. Haenel, LRV, Leipzig 1849 und E. Seckel u. B. Kuebler, lurisprudentiae Anteiustinianae Reliquas 11, Leipzig 1911
GS Heum. I Seck.
Gesammelte Schriften H. Heumann I E. Seckel, Handlexikon zu den Quellen des Römischen Rechts, 9. Auf!. Jena 1907
h.M.
herrschende Meinung
HRG
Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, hrsgg. v. A. Erler und E. Kaufmann, Berlin 1971ff.
IG
Interpretatio zum CG; vgl. CG
IH
Interpretatio zum CH; vgl. CG
INMaior.
Interpretatio zu den NMaior.; hrsgg. v. T. Mommsen u. P. M. Meyer, Theodosiani libri cum constitutionibus Sirmondianis et leges novellae ad Theodosianum pertinentes 11, Berlin 1905
INMarc.
Interpretatio zu den NMarc.; vgl. INMaior.
INS
Interpretatio zur NS 1; vgl. INMaior.
INT
Interpretatio zu den NT; vgl. INMaior.
INV
Interpretatio zu den NV; vgl. INMaior.
IP
Interpretatio zu den PS; hrsgg. v. G. Haenel, LRV, Leipzig 1849 und M. Kaser u. F. Schwarz, Die Interpretatio zu den Paulussentenzen, Köln/Graz 1956
IRMAE i.S.v.
lus Romanum Medii Aevi im Sinne von
IT
Interpretatio zum CT; vgl. CT
IURA
Rivista Intemazionale di Diritto Romano e Antico
lust. Inst. lus-Wortindex
Institutionen Justinians; vgl. D
Jh.
Jahrhundert
Kap. LB
Kapitel Lex Burgundionum; z. B. hrsgg. v. L. R. De Salis, MGH, Legum Sectio I, Tom. 11,1, Hannover 1892
LRB
Lex Romana Burgundionum; vgl. LB u. FIRA 11
LRib.
Lex Ribuaria; z.B. hrsgg. v. F. Beyerle u. R. Buchner, MGH Legum Sectio I, Tom. III 2, Hannover 1954 Lex Romana Visigothorum; hrsgg. v. G. Haenel, Leipzig 1849
LRV
Ergänzungsindex zu lus und Leges, hrsgg. v. E. Levy, Weimar 1930
Abkürzungen
14 LRV-App.
LRV-Appendix I u. 11; hrsgg. v. Krüger, Coll. III und Haenel, LRV, Leipzig 1849
LSal.
Lex Salica; z.B. hrsgg. v. K. A. Eckhart, MGH Legum Sectio I, Tom. IV 1, Hannover 1962
m.a.W.
mit anderen Worten
LV
Lex Visigothorum; vgl. CE
MGH
Monumenta Germaniae Historica
NA
Novellen des Anthemius; vgl. INMaior.
NMaior.
Novellen Maiorians; vgl. INMaior.
NMarc.
Novellen Marcians; vgl. INMaior.
Nov.-Wortindex Ergänzungsband zum Heidelberger Index zum Theodosianus, Theodosianische und Nachtheodosianische Novellen usw., hrsgg. v. O. Gradenwitz, Berlin 1929 NS
Novellen des Severus; vgl. INMaior.
NT
Novellen Theodosius' II.; vgl. INMaior.
NV
Novellen Valentinians III.; vgl. INMaior.
PLRE
The Prosopography of the later Roman Empire I u. 11, hrsgg. v. A. H. M. Jones, J. R. Martindale u.a., Cambridge 1971 u. 1980
PS
Paulussentenzen; z. B. hrsgg. v. Baviera, FlRA 11
RE
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, Stuttgart 1893 ff.
RGA
Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Berlin 1973ff.
RIDA
Revue Internationale des Droits de L'Antiquite
S.
Seite, Satz
SC
Senatus Consultum
Schol.-CT
Antiqua Summaria (Scholien zum Cod. Vat. reg. 886); hrsgg. v. C. Manenti, Antiqua Summaria codicis Theodosianus ex Codice Vaticano, Turin 1889
Schol.-Bas.
Basiliken; hrsgg. v. H. J. Scheltema, Basilicorum Libri LX, Series BI, Groningen 1953ff. u. C. G. E. Heimbach, Basilicorum Libri LX, Leipzig 1833ff.
SD
Studia et Documenta Historiae et luris
Syr.-Röm.
Syrisch-römisches Rechtsbuch; hrsgg. v. E. Sachau, Syrische Rechtsbücher!, Berlin 1905 und J. Furlani, FIRA 11
SZ
Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung
Theoph. (Ferrini)
Institutionenparaphrase des Theophilos; hrsgg. v. E. C. Ferrini, Institutionum graeca paraphasis Theophilo antecessori vulgo tributa, pars posterior, Berlin 1897
Üb.
Übersetzung
UE
Ulpiani liber singularis regularum; z. B. hrsgg. v. Baviera, FIRA 11
Abkürzungen VIR
z.
z.B.
Vocabularium Iurisprudentiae Romanae, Berlin 1903ff. Zeile
zum Beispiel
15
Einleitung Der Westgoten könig Alarich 11. erließ im Jahre 506 ein Gesetzbuch für die provinzialrömische Bevölkerung seines Herrschaftsgebiets, in dem er das römische Recht seiner Zeit zusammenfassen ließ.! Das Werk, das wir heute Lex Romana Visigothorum (LRV) nennen, wertet hauptsächlich den Codex Theodosianus (CT) vom Jahre 438 und die anschließende Novellengesetzgebung aus. Es enthält aber auch, wiewohl bescheideneren Umfangs, eine Epitome der Institutionen des Gaius (GE)2 und die meisten der auf uns gekommenen Paulussentenzen (PS). Die Bezeichnung Paulussentenzen hat sich nicht nur für die einzelnen Sätze, sondern auch für die ganze Schrift eingebürgert, die fälschlich dem Spätklassiker Paulus zugeschrieben wurde. In Wirklichkeit entstand sie im sehr späten 3. Jh. in Afrika. 3 Die LRV schließt mit zwei Auszügen aus den Codices Gregorianus (CG) und Hermogenianus (CH) und einem Papinianresponsum. Beide Konstitutionensammlungen, die später auch kurz Gregorianus und Hermogenianus genannt wurden,4 sind ebenfalls ins späte 3. Jh. zu datieren, und zwar wurde der CG im Jahre 291, der CH im Jahre 295 abgeschlossen und wohl alsbald veröffentlicht. 5 Aus dem CG überführte man in die LRV nur dreiundzwanzig Reskripte und aus dem CH ganze zwei. Die beiden CH-Reskripte und zehn CG- Reskripte sind mit einer Interpretatio versehen. Solche Erläuterungen finden sich auch bei den zuvor genannten Quellenauszügen mit Ausnahme der GE. Die CG- und CH-Interpretationen sind, übrigens die zugrundeliegenden Codexexzerpte genausowenig, noch nie zusammenhängend untersucht worden. Wir wollen uns dieser Aufgabe unterziehen. Freilich beschränken wir uns dabei nicht auf die Frage nach ihrem Verfasser und dessen örtlicher und zeitlicher Eingrenzung. Der Umstand, daß die Interpretatio klassische 6 Rechtstexte erläutert, verspricht auch Aufschluß über den Inhalt des spätantiken römischen Rechts. Wie gehen Vgl. zuletzt Lambertini 1990: Hf. Der Liber Gaii. 3 Hierzu zuletzt Liebs 1989: 230ff. 4 Vgl. CH 1 und IT 1,4,3; weitere Nachweise bei Liebs 1987, Italien: 136 u. 138. 5 Liebs 1987, Italien: 134 ff. 6 CG 11,1 vom 12. Juni 205 ist das älteste Reskript, CH 1 vom 7. April 294 das jüngste. Die erste Hälfte des 3. Jhs. bezeichnet man als "spätklassisch", statt aller Kunkel 1985: 113. Die zweite charakterisiert man als "epiklassisch", so Wieacker 1988: 23f., oder "frühnachklassisch", wie Kaser 1975: 19. Auf jeden Fall sieht die h. M. die klassische Tradition bis zur Abdankung Diokletians gewahrt, vgl. Wieacker 1988: 24, Kaser 1975: 3, bes. 18f. und Kunkel 1985: 115. 1
2
2 Kreuter
18
Einleitung
die Paraphrasen auf ihre Vorlagen ein? Deuten sie sie inhaltlich um? Mißverstehen sie sie gar? Oder stehen sie auf dem Standpunkt des klassischen Rechts? Wieviel Verständnis und Fachwissen verrät die Interpretatio?
Erstes Kapitel
Der Gregorianusinterpret § 1 Stilistische Einheit der IG Drei Stilmerkmale ziehen sich wie ein roter Faden durch die zehn Einzelerläuterungen zum CG-Auszug. Es sind dieselben, die schon Conratbei seiner Begutachtung der Sentenzeninterpretatio auffielen.! Jede Interpretatio enthält mit Ausnahme von IG 6,2, die eine Verweisung ausspricht, mindestens einen Bedingungssatz. 2 Sofern der Grundtext diesen Satzbau nicht befolgt, sondern sich in Haupt- und Relativsatz gliedert, formt der Interpret den Relativsatz in einen si-Satz um. Das erhellt bereits der Vergleich von CG 1 mit seiner Interpretatio: "Transactionis placitum ab eo interpositum, cui causae actionem, non decisionem litis mandasti, nihil petitioni tuae derogavit. " IG 1 ersetzt das Relativpronomen cui durch die Konjunktion si: "Si quando pü mandatum procurator litis fuerit institutus et de compositione causae in ipso mandato nihil continetur adscriptum, litigare potest, componere penitus non praes~~at." Genauso verfährt IG 2 S. 2 mit CG 2 S. 2, inde~ sie das relativische quae sponsae adfinitatis contrahendae causa a minore donantur durch si quid minores pro coniunctione matrimonii sponsalicia largitate donaverint aufgreift. Die bewährte Umformulierung begegnet erneut in der Einleitung von IG 4: Vorbild von Si pater pro filia dotem tradiderit aut certe genero pro ipsa dote fecerit cautionem vel se promissionis vinculo obligaverit ist CG 4,1 Dos, quae a patre nubenti filiae data est aut in obligatione constituta. Außerdem verallgemeinert der Interpret den konkreten Sachverhalt.3 Wo der Kaiser den Bittsteller persönlich angeredet hatte,4 bezeichnet der Interpret die Personen in ihrer rechtlichen Rolle oder gebraucht schlicht ein unbestimmtes Personalpronomen. 5 Conrat 1907, Paulus: 54ff. IG 1 S. 1 u. 2; IG 2 S. 2; IG 3; IG 4 S.l; IG 6,1 S. 1 u. 2; IG 7 S. 1 u. 2; IG 8,1; IG 8,2 S. 2; IG 10 S. 3 u. 4. Für die IP vgl. neben Conrat 1907, Paulus: 54f., auch Schellenberg 1965: 37. 3 Hierzu Conrat 1907, Paulus: 56. 4 Vgl. CG 1, CG 2, CG 4,1 u. 2, CG 7,1 u. 2, CG 8,1 u. 2. 5 IG 2 minores, IG 4 pater pro filia, IG 7 maritus aut alia quaecumque persona, IG 1
2
8,1 quis.
2*
20
1. Kapitel: Der Gregorianusinterpret
Drittens möchte der Interpret verdeutlichen. 6 Zum Beispiel macht CG 2 eine Ausnahme von der Wiedereinsetzung Minderjähriger, die unvorteilhafte Geschäfte abgeschlossen haben. Dieser Ausnahmecharakter wird jedoch durch das einleitende neque enim dubio est ea, quae sponsae adfinitatis contrahendae causa a minore donantur, repeti non posse überspielt und nur beiläufig durch tametsi inter minores verti festgehalten. CG 6,1 stellt in knappen Worten die Regel superficies solo cedit voran und CG 10 setzt die Kenntnis des SC Macedonianum als selbstverständlich voraus, um es auf den konkreten Fall doch nicht anzuwenden. In allen drei Fällen gibt der Interpret den rechtlichen Ausgangspunkt im ersten Satz wieder, 7 bevor er auf die spezielle Modifikation eingeht, die das Reskript vorsieht. Der Stil der IG ist also homogen. Nach Maßgabe der von Wieacker entwikkelten Stilkategorien wäre die IG der Traktatklasse zuzuordnen,s Wir dürfen annehmen, daß sie von einern einzigen Interpreten stammt. Freilich müssen wir einzelne Sätze auf die einheitliche Verfasserschaft hin noch besonders befragen. 9
§ 2 Die Geleittexte der LRV und ihr Aussagewert
für die Entstehung der Interpretatio I. Commonitorium und praescriptio
Die Geleittexte der LRV lassen offen, ob die in ihr enthaltenen Interpretationen erst auf Veranlassung des Gesetzgebers Alarich geschrieben worden sind. Das commonitorium lautet an der entscheidenden Stelle: "Quibus omnibus enucleatis atque in unum librum prudentium electione collectis haec quae excerpta sunt vel clariori interpretatione conposita venerabilium episcoporum vel electorum provincialium nostrorum roboravit adsensus. "10
"Nachdem das römische Recht auf den Kern zurückgeführt und durch Auswahl der Gelehrten zu einern Buch zusammengefaßt worden war, verlieh die Zustimmung der ehrwürdigen Bischöfe oder unserer ausgewählten Provinzialen dem Geltung, was exzerpiert und mit einer klareren Interpretation zusammengestellt worden war." Conrat 1907, Paulus: 57ff. IG 2: lure et legibus continetur, ut minoribus contra ea, quae intra XXV annos male gesserint, per integri restitutionem debeat subveniri. IG 6,1: Si quis vineas in aliena terra posuerit, ad illum sine dubio pertinebunt, cuius terra esse probatur. IG 10: Senatus consultum Macedonianum praecepit ut filio familias pecU/;ia non credatur. 8 Wieacker 1931: 3OOff.; Klasse 2 der Übersichtstabelle S. 294ft. 9 Vgl. §4 V und VI. 10 Vgl. Mommsen 1.905:XXXIIIf. und Haenel 1849: 2. 6 7
§ 2 Die Geleittexte der LRV
21
Wie schon Schellenberg darlegte, wird durch die Wendung clariori interpretatione conposita die Erläuterungsarbeit der prudentes Alarichs keineswegs eindeutig umschrieben: Componere kann durchaus auch bedeuten, daß die prudentes das vorgefundene und für gut geheißene Recht mit ebenfalls bereits vorgefundenen Erläuterungen ausgestattet haben. l1 Die praescriptio dagegen soll nach Schellen berg klar besagen, daß Alarich die Erläuterung der alten Quellen vorgeschrieben habe; er sieht sich daraufhin genötigt, ihren Aussagewert unter Berufung auf Wieacker beiseitezuschieben. 12 Praescriptio: "In hoc corpore continentur leges sive species iuris de Theodosiano vel de diversis libris electae vel, sicut praeceptum est, explanatae anno XXII regnante damno Alarico rege ordinante viro inlustre Goiarico comite. "
"In diesem Corpus sind Gesetze und Fragmente der Rechtsliteratur enthalten, die aus dem Theodosianus und aus verschiedenen Büchern ausgewählt und, wie es angeordnet worden ist, erläutert worden sind im 22. Jahr der Herrschaft König Alarichs auf Anordnung des erlauchten Grafen Goiarich." Auswahl und Erläuterung sollen im 22. Regierungsjahr stattgefunden haben. Alarich 11. trat die Nachfolge König Eurichs am 28. Dezember 484 an. 13 Sein 22. Regierungsjahr begann also am 28. Dezember 505. Sollte nicht nach effektiven Regierungsjahren, sondern nach festen Epochenjahren gezählt worden sein,14 hätte das 2. Regierungsjahr bereits am 1. Januar 485 angefangen; das 22. dann am 1. Januar 505. Da die LRV laut commonitorium am 2. Februar veröffentlicht wurde,15 müßte sie von den Kompilatoren in 33 oder 36 Tagen zusammengestellt und paraphrasiert worden sein. Das wird schwerlich so gewesen sein. Vermutlich beschreibt die Formulierung leges sive species iuris ... electae vel ... explanatae also nicht die innerhalb des betreffenden Regierungsjahres geleistete Arbeit des Auswählens und Erläuterns, sondern das fertige Arbeitsergebnis; sie definiert die LRV im Erlaßzeitpunkt, der in das 22. Regierungsjahr Alarichs fällt, als eine Kompilation mit Erklärungen. Die Aussage der praescriptio über die Erläuterungen ist keineswegs so klar, wie es auf den ersten Blick scheint. Unzweifelhaft teilt sie nur mit, daß die LRV Interpretationen enthält.
Schellenberg 1965: 14. Schellenberg 1965: 14f. Nach Wieacker 1931: 259ff. haben die Kompilatoren die IT aus umlaufenden Scholien geschöpft, dazu sofort bei Fn. 18. 13 Vgl. PLRE 11 Art. Alaricus 3 (1980) 49; Düwe11973: 129. 14 Zum Datierungsproblem Schellenberg 1965: 11 Fn. 2. 15 Vgl. Mommsen 1905: XXXIV. Die subscriptio, Forma B bei Mommsen XXXV, nennt den 3. Februar. 11
12
22
1. Kapitel: Der Gregorianusinterpret
11. Die Rolle der prudentes Alarichs
Noch Conrat war zu Beginn des Jahrhunderts der Überzeugung, sowohl die IP als auch die GE seien von den prudentes selbst verlaßt worden. 16 Dem haben insbesondere Wieacker, Schellenberg und Archi widersprochen. I? Wieacker 18 und Schellenberg 19 kamen für die Interpretationen zum CT und den PS, Archi20 für die GE zum Ergebnis, daß die LRV-Redaktoren vorhandene Scholienapparate ausgewertet hätten. Schon weil es unabhängig vom westgotischen Quellenapparat überlieferte Interpretationen wie die Antiqua Summaria zum ef21 und die Scholien zu den Fragmenta Vaticana (FV)22 gibt, hat diese Annahme vieles für sich. Andererseits verbietet es sich, den prudentes Alarichs alle Bemerkungen bis auf das nichtssagende interpretatione non eget Conrat 1905: 131ff. und ders. 1907, Paulus: 241ff. Einen Abriß über den Verlauf der Forschung gibt Nehlsen 1982: 144ff. 18 Wieacker 1931: 259ff. 19 Schellenberg 1965: 68. 20 Archi 1937: 65ff., 75 a.E. 21 Hierzu Liebs 1987, Italien: 177ff., nach dem die Summe in einer urbs Siziliens um 450 angefertigt worden ist. 22 Hierzu Liebs 1987, Italien: 160 mit Fn. 85; besonders Cosentini 1956: 25ff., der S.75 die Scholien nach dem Jahr 400 ansetzt. Sie werden wohl in Südostgallien entstanden sein, vgl. Liebs 1987, Italien: 162. Ausweislieh des Scholions von FV 113 (dazu Cosentini 1956: 54ff.), das auf die Sonderproblematik von FV 113 nicht eingeht, sondern allgemein von einer dos promissa spricht, wird man als terminus post quem das Jahr 428 = CT 3,13,4 ansetzen dürfen. Nach FV 113 hatte der Schwiegervater mit dem Ehemann brieflich vereinbart, die dos solle an einen Dritten herausgegeben werden, vgl. Coll. 111 52 Z. 10 dote obligatio gigneretur; Z.ll am restituendae dotis voluntatem; Z.13 libelli scriptione promat; Z. 17/18 voluntas soceri prima per libellum, dehinc ; Z. 25 - 27 nec enim dubium est effectum restitutiostinatum, cui dotemfiliae nomine per libellum und Mommsen 1890 (ColI. 111): 52 Fn.6. Die Rückgabeverbindlichkeit nennt schon lav.D 24,3,66 § 5 a. E. dotis obligatio. Für einen Dritten konnte man bekanntlich nicht stipulieren, die Ausnahme machte nur das Rückgabeversprechen bei der Mitgift, Paul.D 24,3,45 (vgl. die Mommsensche Emendation ex auctoritate Pauli?) und CI 5,14,7 (294). tior parentium affectus persuasit in Z.9 wird sich sonach auf Diokletian und Maximian CJ 5,14,7 beziehen, vielleicht auch noch auf Julian, CT 3,13,2 (363) (ln dote reddenda . .. et pacta, quae legibus consentanea esse monstrantur, placet etiam ex huius sanctionis autoritate intemerata inviolataque servari). FV 113 könnte zusammen mit FV 37 Ende des 4. Jh. in die Sammlung nachgetragen worden sein, vgl. Liebs 1987, Italien: 159; vermutlich stammt es gleichfalls aus der Westkanzlei Valentinians: Die Titulierung nostra mansuetudo, vgl. Z. 19, ist bei diesem Kaiser und Valens besonders beliebt. In den Jahren 364/5/6 kommt sie gleich achtmal vor (vgl. die Datierung nach Seeck 1919): CT 9,30,2 (5.10. 364 West); CT 10,7,2 (23.7.364 West); CT 12,12,5 (28.12. 364 Ost); CT 11,30,32 (4. 2.365 West); CT 11,16,11 (19.3. 365 Ost); CT 12,6,5 (2.11. 365 Ost); CT 8,5,22 (18.2. 366 West); CT 12,6,12 (10.11. 366 West). Nur 8 Gesetze mit nostra mansuetudo stammen von früheren Kaisern, CT 15,3,1 (319); CT 16,10,2 (341); CT 8,10,2 (344); CT 16,2,12 (355); CT 1,28,1 (361); CT 8,5,12 (362); CT 13,3,4 (362); CT 14,4,3 (363). Dieser Titel scheint also erst seit CT 1,28,1 (361) so richtig aufzukommen. Aditus, Z. 20, und in praeteritum, Z. 6, werden auch in FV 37 (ColI. III 28 Z. 4 und 29 Z. 13) benutzt. 16
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§ 2 Die Geleittexte der LR V
23
- "einer Interpretation bedarf es nicht" _23 abzusprechen. Aus dem Eingangssatz des commonitorium ist zu schließen, daß die Mitarbeiter Alarichs zumindest einen Teil der exzerpierten Rechtstexte selbst kommentiert haben: "Utilitates populi nostri propitia divinitate tractantes hoc quoque, quod in legibus videbatur iniquum, meliore deliberatione corrigimus, ut omnis legum Romanarum et antiqui iuris obscuritas adhibitis sacerdotibus ac nobilibus viris in lucem intellegentiae melioris deducta resplendeat et nihil habeatur ambiguum, unde se diuturna aut diversa iurgantium inpugnet obiectio. " "Wir, die wir uns um das Wohl unseres Volkes durch die Gnade Gottes kümmern, bringen durch bessere Überlegung auch das in Ordnung, was in den Gesetzen ungerecht schien, so daß, nachdem Bischöfe und edle Männer hinzugezogen worden sind, jegliche Dunkelheit der römischen Gesetze und des alten Rechts in das Licht einer besseren Einsicht überführt wurde, dadurch wiedererstrahlt und nichts für zweifelhaft gehalten wird, woraus sich für Streitende ein immer wieder neuer Einwand ergeben würde." Nach dieser Aussage hat Alarich das geltende Recht einer kritischen Revision unterzogen. Dabei wurden zwar die ausgewählten Rechtstexte nicht interpoliert, aber erhebliche Teile ausgelassen. 24 Schon diese Auslassungen werden es nötig gemacht haben, vorgefundene Scholien anzupassen, zum Beispiel wo sie auf nicht ausgewählte Gesetze verwiesen. Durch die Streichungen setzte Alarich womöglich "neues" Recht, soweit er nämlich Reformgesetze ignoriert und den vormaligen Rechtszustand vorgezogen haben sollte. Bislang unbeachtliche, obsolete Gesetze bedurften dann einer Erläuterung. Denkbar ist auch, daß Alarich sein rechtspolitisches Programm in der Interpretatio zum Ausdruck gebracht hat. Im Gegensatz zu ihm war ein praktisch tätiger Jurist, ein Rechtslehrer oder ein sonstiger Privatmann den geltenden Gesetzen unterworfen, so daß seine Erläuterung den Gesetzesinhalt korrekt wiedergeben müßte. Sollte sich herausstellen, daß manche Interpretationen erheblich vom zugrundeliegenden Gesetzestext abweichen, dürften sie also am ehesten von Alarich bzw. seinen prudentes geschrieben worden sein. Insofern ermöglicht der Vergleich des Gesetzestexts mit seiner Interpretatio Rückschlüsse auf den Interpreten. Der Frage, wer der CG-Interpret war, soll deshalb durch eine dogmatische Untersuchung der Texte nachgegangen werden.
23 24
Zu dieser Formel Kap.4 bei Fo.t. Vgl. Schellenberg 1965: 25ff., 35. Vgl. Sierns 1978: 1942f.; Mommsen 1905: XXXVf.
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I. Kapitel: Der Gregorianusinterpret
§ 3 Ist die IG ein Werk der prudentes Alarichs? IG 2 S. 3 beruft sich auf eine novella lex: " ... si quid minores pro coniunctione matrimonii sponsalicia largitate donaverint, per obtentum integri restitutionis nullatenus debeant revocare. Quodsimiliter iuxta novellam legem et de dote servabitur. " In Analogie zum minderjährigen Verlobten, der, wenn er die Verlobung auflöst, seine vorweg erbrachte Morgengabe (sponsalicia largitas) ohne Rücksicht auf sein jugendliches Alter einbüßt,25 soll nach der novella lex auch umgekehrt der Rücktritt der minderjährigen Braut den Verlust der schon übergebenen Mitgift (dos) nach sich ziehen. Das klassische Recht hatte ihren Rücktritt nicht mißbilligt. Hatte die Braut die Verlobung aufgelöst, durfte sie die dos vollständig mit den bis dahin gezogenen Früchten zurückverlangen. 26 Erst recht genoß sie Minderjährigenschutz.27 I. Der Begriff novella lex Nach dem Sprachgebrauch der Interpretatio handelt es sich bei der novella lex um eine nach Erlaß des CT, also nach dem Jahre 438 ergangene Kaiserkonstitution. Das ergibt die Durchsicht der Verweisungen: 1. Mit der novella lex von IT 4,4,7 Z. 29 28 ist NT 16 (439) gemeint. 29 NT 16
§ 4 überholt CT 4,4,7 § 2 (424) In omni autem genere testamenti . .. id volumus
observari, ut eodem die, quo coeptum quid eorum fuerit, ad perfectum sui plenitudinem sortiatur, nihilque eius in diem alterum differatur; und NT 16 § 5 S. 3 schränkt den von CT 4,4,7 § 2 eingangs genannten Personenkreis ein. 3o 2. IT 4,14,1 Z. 29 verweist auf NV 35 § 13 (452).31 3. IT 5,18,1 endet mit einem allgemeinen Hinweis auf die novellae leges. NV 27 § 4 (449) erstreckt die praescriptio XXX anno rum auf die RückfordeHierzu genauer § 18 I. Paul.D 22,1,38 § 1; Ulp.D 23,3,7 § 3; Call.D 23,3,8. 27 CJ 2,33,1 (233); Ulp.D 4,4,9 § 1; Paul.D 4,4,48 § 2. Die letzte Stelle ist eine Paulussentenz, die die Kompilatoren Alarichs übergangen haben, vgl. PS-LRV 1,9 De minoribus viginti et quinque annorum. 28 Die Zeilenzählung folgt der CT-Ausgabe von Mommsen und Meyer. 29 Anders Pharr 1952: 85 Fn. 49, der NT 21,2 (446) für die einschlägige Novelle hält. Auch Conrat 1903: 428 Fn. 2 erwähnt NV 21,2 § 3 neben NT 16 § 4. Zum Verhältnis von NT 21,2 § 3 und bes. ihrem § 4 zu NT 16 §§ 2 und 4 vgl. unten § 4 V 5. 30 Genauer § 4 V 4 a. 31 Unrichtig Wieacker 1931: 266, wonach die jüngste zitierte Quelle der Theodosianusinterpretatio die NV 17 (445) sei; den Beleg bleibt Wieacker schuldig. Unrichtig auch seine Behauptung, die jüngste von der Sentenzeninterpretatio genannte Quelle sei die NY 35 (452). Die IP enthält gar keine Novellenverweisung, vgl. Ius-Wortindex zu novellaI novellus. 25
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§ 3 Ist die IG ein Werk Alarichs?
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rungsklage, der die Kolonen iuris perpetui patrimonialis enfyteuticarii et rei publicae unterliegen. Hinsichtlich geflohener Kolonen privati iuris und ihrer Nachkommenschaft soll es dagegen bei den Fristen von CT 5,18,1 (419) bleiben, NV 27 § 6. NV 31 § 1 (451) bestimmt, daß der Flüchtling nach 30 Jahren vom neuen Grundherrn ersessen wird. 32 NV 31 § 2 korrigiert CT 5,18,1 § 3 insofern, als die innerhalb von 20 Jahren von der geflüchteten Kolonin geborenen Kinder nun auch nach Ablauf dieser Zeit zurückverlangt werden können. CT 5,18,1 § 3 schloß nach diesem Zeitablauf nicht nur die Rückforderung der Mutter aus, sondern auch die der Kinder (universa repetitio cesset). NV 35 § 19 (452) bestätigt NV 31 §2 und stellt klar, daß man sich bei der Frage, in welchem Umfang der Nachwuchs herausgegeben werden muß, nach CT 5,18,1 §§ 3,4 richte; wurden die Kinder also von einem fremden Kolonen gezeugt, beschränkt sich die Vindikation auf ein Drittel des mütterlichen Nachwuchses. 33
4. IT 8,18,1 Z. 12 beruft sich auf NV 35 § 10 (452) als einschlägige Novelle,34 die den Zeitpunkt bestimmt habe, zu dem die Kinder ihre Anteile ohne irgendeine Verminderung empfangen: an ihrem zwanzigsten Geburtstag und beim Tod des Vaters. Novella lex von IT 8,18,2 Z. 2 und IT 8,18,9 Z. 24/ 25 ist selbige NV 35 § 10. 5. Bei der aufgehobenen novella lex von INV 35 Z. 162 handelt es sich um NT 12 (439). 11. Der Verweis auf eine extravagante novella lex Sollten erst die prudentes die novella lex zitiert haben, müßten sie sie gekannt haben. Dann aber hätten sie die Novelle in die LRV aufgenommen; denn wenn sich ein Gesetzgeber schon die Mühe macht, auf eine Konstitution zu verweisen, hält er sie nicht für überflüssig. In der LRV findet sich die Novelle aber nicht. 35 Da sie auch extravagant nicht überliefert ist, hielt sie schon Haenel für verloren. 36 Anscheinend hatten die LRV-Redaktoren die 32 Hierzu Voß 1985: 147f. Nach CT 5,18,1 pr. wurde der Kolone nach Ablauf von dreißig Jahren schollenfrei : ... omnis ab ipso vel a quo forte possidetur calumnia penitus excludatur . .. 33 Zu den zitierten Gesetzen unten § 12 III 1 c. 34 Conrat 1903: 335 Fn.3. Unrichtig Haenel 1849: 162 Fn. c) und Pharr 1952: 219 Fn.18, nach denen IT 8,18,1 auf NT 14 (439) verweisen soll. NT 14 §§4 u. 5 sagen nichts über den Zeitpunkt aus, zu dem die Kinder ihre Anteile erhalten; in § 4 wird nur entschieden, daß das Eigentum an den betreffenden Sachen nach dem Tod des ersten Ehegatten sogleich den Kindern zustehe, für die der Überlebende die Sachen verwalten soll. 35 Das gilt übrigens auch für NT 12 (439). INV 35 Z.162 könnte sich freilich am Wortlaut der Vorlage NV 35 § 11 orientieren. 36 Haene11849: 444 letzte Fn.
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1. Kapitel: Der Gregorianusinterpret
Novelle nicht zur Hand. Wenn sie trotzdem IG 2 selbst verfaßt hätten, hätten sie die Gleichstellung der Braut wohl ohne - ins Leere gehende - Verweisung festgehalten, etwa so wie IG 4 S. 3: "Similis erit et de sponsalicia donatione condicio. " Am plausibelsten erscheint es deshalb, daß die Redaktoren IG 2 schon vorfanden, also einem älteren Interpretationenapparat entnommen haben, dessen Autor die novella lex noch kannte. Er war nach 438 tätig.
§ 4 Herkunft der IG aus dem Unterricht Scheiden die prudentes als Verfasser der Interpretatio zum CG aus, fragt sich, ob sie aus der Gerichts- bzw. Rechtspraxis oder aus der Schule stammt.
I. IG 4 IG 4: "Si pater pro filia dotem tradiderit aut certe genero pro ipsa dote fecerit cautionem vel se promissionis vinculo obligaverit et mortis tempore Falcidiam filiae pater de his rebus quas mortis tempore dereliquit non dimiserit, de inofficioso patris testamento agere filia non prohibetur, quia illud, quod pro ea a patre in dotem datum est aut promissum, in Falcidia non poterit imputari. Nam ea, quae pater vivus in dotis condicione aut promiserit aut tradiderit, de bonis eius antequam moreretur discessisse et alienata esse noscuntur. Similis erit de sponsalicia donatione condicio. " 1. IG 4 greift zwei Reskripte auf. Von CG 4,1 übernimmt die Paraphrase die Einleitung dos, quae a patre nubenti filiae data est aut in obligatione constituta und den abschließenden Bedingungssatz si ex iudicio patris supremo quarta filiae non suppletur, quam intestato patre pro portione sua habere potuit. Statt des umständlichen quam intestato patre pro portione sua habere potuit heißt es knapp Falcidia. So entsteht der Satzteil Si pater pro filia dotem tradiderit aut certe genero pro ipsa dote fecerit cautionem vel se promissionis vinculo obligaverit et mortis tempore Falcidiam filiae pater de his rebus quas mortis tempore dereliquit non dimiserit. Danach schreibt der Interpret den Text unter Berücksichtigung von CG 4,2 fort. Seine Formulierung de inofficiosi patris testamento agere filia non prohibetur greift CG 4,2 S.l a. E. inofficiosi testamenti accusationem instituere non prohiberis auf. Das folgende quia illud, quod pro ea a patre in dotem datum est aut promissum, in Falcidia non poterit imputari. Nam ea, quae pater vivus in dotis condicione aut promiserit aut tradiderit, de bonis eius antequam moreretur discessisse et alienata esse noscuntur hat vornehmlich CG 4,2 S. 2 zum Vorbild: In qua tamen parte ea quae ante a patre filiae in dotem data sunt non placet computari, quae etiam in bonis mariti sunt et a patrimonio patris vivente eo separata fuerunt.
Indem IG 4 auf diese Weise die Reskripte inhaltlich zusammenfügt, eliminiert sie deren Bezugnahmen auf den konkreten Sachverhalt. Sie schließt mit
§ 4 Herkunft der IG aus dem Unterricht
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der Aussage, die Rechtslage (condicio)37 werde bei der sponsalicia donatio gleich sein. Auch die sponsalicia donatio darf nicht in den Pflichtteil eingerechnet werden. Abgesehen von dieser Analogie lehnt sich die Interpretatio inhaltlich an beide Reskripte an. Der Problemzusammenhang und die Rechtsfrage, ob sich der Pflichtteilsberechtigte die erhaltene dos anrechnen lassen muß, werden bereits vollständig in der Eingangssentenz von CO 4,1 behandelt und entschieden. Für die praktische Rechtsanwendung hätte deshalb die Kommentierung von CO 4,1 ausgereicht. CO 4,2 brauchte daneben nicht herangezogen zu werden. Die gemeinsame Erläuterung von CO 4,1 und 2 bietet sich aber an, wenn man lehren bzw. lernen will, Rechtstexte unter Berücksichtigung der vorgefundenen Sach- und Rechtsgesichtspunkte zu erläutern: Hier ist die Schwierigkeit zu meistern, alle relevanten Angaben der bei den Vorlagen innerhalb des Wenn/Dann-Schemas von Tatbestand und Rechtsfolge sinnvoll aufzulisten. Die gemeinsame Kommentierung paßt also besser in die Schule. 2. CO 4,2 S. 2 geht auf die Rechtslage nach der Dosbestellung ein. Nach dem nam-Satz zu schließen, hat sich der Interpret die Rechtsfolgen beider Bestellungsarten vergegenwärtigt. Die dos data ist alienata, also durch Übereignung Eigentum des maritus geworden. Aber auch die dos promissa ist bereits vom väterlichen Vermögen abgetrennt (discessisse), da sie in Wirklichkeit als Schuld auf dem Erbe lastet, die die Erben durch Übereignung tilgen müssen. Mit dem ähnlichen abscedere charakterisierte schon Tryphonin die dos promissa, vgl. D 37,7,9: " ... ergo non tantum data apud maritum remanebit, sed et promissa exigetur a fratribus et est aeris alieni Loco,' abscessit enim a bonis patris. " Erneut vermerken wir, daß diese gründliche, über die eigentliche Rechtsfrage hinausgehende Erörterung besser in die Schule paßt. 3. Anders als in CO 4,1 S. 1, in der die Alternativen der dos data und der dos in obligatione constituta genannt werden, zählt 10 4 drei Varianten auf: pro filia dotem tradiderit aut certe genero pro ipsa dote fecerit cautionem veL se promissionis vincuLo obligaverit. Worin liegt der Unterschied zwischen cautionem facere und se promissionis vincuLo obligare? Bezeichnet cautionem facere die einseitige dotis dictio 38 und se promissionis vincuLo obligare das stipulierte Dotalversprechen? Der Interpret könnte die drei rechtlich zulässigen Dosbestellungsarten aufgelistet haben. Einer solchen dogmatischen Einteilung ist beispielsweise CT 3,12,3 S. 2 (396 Ost) verpflichtet: "Dos, si qua forte soLemniter aut data aut dicta aut promissa fuerit, iuxta ius 37 Unrichtig Levy 1956: 88, nach dem condido in IG 4 gleichbedeutend sein soll mit "Vertrag": " ... dotis condido der Dotalvertrag (IG 4) ... " IG 4 behandelt übrigens keine dotis condido. 38 Hierzu Kaser 1971: 335f.
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1. Kapitel: Der Gregorianusinterpret
antiquum . .. "39 Freilich war seit CT 3,13,4 (428 Ost) das Dotalversprechen auch dann gültig, wenn die Form weder der dotis dictio noch der stipulatio eingehalten worden war: "Ad exactionem dotis, quam semel praestari placuit, qualiacumque sufficere verba censemus, etiamsi dictio vel stipulatio in pollicitatione rerum dotalium minime fuerit subsecuta. " Folglich erübrigte sich der Hinweis auf die beiden Versprechensarten spätestens nach Erlaß des CT im Jahre 438. Für GE 2,9,3 bleibt die dotis dictio trotzdem aktuell: "Sunt et aliae obligationes, quae nulla praecedenti interrogatione contrahi possunt, id est, ut si mulier sive sponso uxor futura, sive iam marito, dotem dicat. Quod tam de mobilibus rebus, quam de fundis fieri potest. Et non solum in hac obligatione ipsa mulier obligatur, sed et pater eius, et debitor ipsius mulieris, si pecuniam, quam illi debebat, sponso creditricis ipse debitor in dotem dixerit. Hae tantum tres personae nulla interrogatione praecedente possunt dictione dotis legitime obligari. Aliae vero personae, si pro muliere dotem viro promiserint, communi iure obligari debent, id est, ut et interrogata respondeant, et stipulata promittant. " Zu Recht hat Archi hieraus den Schluß gezogen, offenbar habe sich die Urkundspraxis von CT 3,13,4 nicht beeinflussen lassen und weiterhin dotis dictiones aufgesetzt. 40 Somit könnten auch die Alternativen in IG 4 cautionem facere und se promissionis vinculo obligare zwei typische Formulare der Rechtspraxis angeben. Die dotis dictio kann freilich in IG 4 nicht gemeint sein, verstand man doch sowohl unter cautio als auch unter promissio zumeist die Stipulation. 41 Cautio bedeutet allerdings auch "Schuldschein". 42 Diese Bedeutung könnte es in der Alternative cautionem facere haben. a) Prüfen wir zunächst, wenn dazu auch weit auszuholen ist (bis S. 37), ob der Interpret mit cautionem facere eine konstitutive Schuldurkunde bezeichnet, wie sie die Litteralobligation darstellt. Ihr Anwendungsbereich könnte sich in nachklassischer Zeit erweitert haben. Cautionem facere im Sinne der Abfassung einer Urkunde zu verstehen, legt CT 2,4,6 (406 Ost) nahe:
"Si quis debiti, quod ex fenore vel mutuo data pecunia sumpsit exordium vel ex alio quolibet titulo, in litterarum obligationem facta cautione translatum est seu fideicommissi dirigat actionem . .. " Die Verbindlichkeit aus einem beliebigen Schuldverhältnis, vornehmlich aus einem Kreditgeschäft, wird durch Ausstellung eines Schuldscheines (facta cautione) anscheinend in eine Litteralobligation überführt. Dabei dürfte transNach Honore von einem Juristen, vgl. ders. 1986: 154ff., 173. Archi 1937: 406. 41 V gl. Heum. / Seck. zu cautio 1) und ebd. zu promissio b) und c). 42 Vgl. Heum. / Seck. zu cautio 2) a). Insbesondere bezeichnet cautio den Schuldschein über ein empfangenes Darlehen. Drittens kann cautio "Quittung" heißen, ebd. 2) b). 39
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§ 4 Herkunft der IG aus dem Unterricht
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ferre zum Ausdruck bringen, daß die alte Schuld erlischt und nicht neben der neuen bestehen bleibt. Das Geschäft hat die Wirkung einer Novation. Bezeichnet aber cautio in CT 2,4,6 wirklich einen die Litteralobligation verkörpernden Schuldschein? Könnte nicht einfach eine beurkundete Novationsstipulation gemeint sein? aa) Theophilos leitet seinen Kommentar"3 zu Just. Inst. 3,21 mit der Bemerkung ein: "litteris eo'tL 'to JtaAaLOV XQEOC; dC; XaLVOV OUVELOV !-LE'taoX1]!-La'tL~6!-LEVOV Q~!-La'tL xaL YQU!-L!-La'tL 'tumxep. "44 Danach liegt eine litterarum obligatio vor, wenn eine bestehende Schuld gemäß einer beurkundeten Wortformel in ein simuliertes Darlehen umgewandelt wird. Der Litteralvertrag fingiert also die Valutierung des Darlehens (mutuum), die für das Entstehen der Darlehensverbindlichkeit notwendig ist. 45 Inhaltlich gibt Theophilos das klassische Recht der litterarum obligatio wieder, denn Cicero berichtet, sie werde mit der actio certae creditae pecuniae verfolgt. 46 (1) Daß Theophilos zufolge das Geschäft durch Abfassung einer Urkunde begründet wird und der codex accepti et expensi keine Rolle spielt, könnte die nachklassische Litteralobligation charakterisieren. Die Täfelchen aus Herculaneum haben belegt, daß der Gläubiger schon früher sich neben dem eigenen Eintragungsvermerk die Zustimmung des Schuldners schriftlich geben ließ, indem dieser sein iussum in einem besonderen chirographum erteilte. 47 Die Einführung fester Beweisregeln im Verlauf des 3. Jh. könnte die Verlagerung des Obligierungstatbestandes vom codex auf die cautio verursacht haben: Der einseitigen Eintragung durch den Gläubiger zollte man kein Vertrauen mehr und die mündlich erklärte Zustimmung war ohne Zeugen nicht zu beweisen:
CJ 4,19,6 pr. (245): "Rationes 48 defuncti, quae in bonis eius inveniuntur, ad probationem sibi debitae quantitatis solas sufficere non posse saepe rescriptum est. "49 CT 10,16,3 (377 Ost): "Inter chartulas deportati brevis quidam adseveratur inventus, qui nomina continebat debitorum seu contractorum. Cum tamen neque testibus credita pecunia probaretur neque cautionibus quae inserta sunt Theoph. (Ferrini) 348ff. Üb.: Litterarum obligatio est vetus debitum in novum mutuum adsimilatum verbis et scriptura formulatis. 45 Das mutuum ist eine sog. obligatio re; vgl. Kaser 1971: 525, 530f. 46 Cic. p. Q. Rose. Comoedo 5,14, in: M. Tulli Ciceronis sCripta quae manserunt omnia, hrsgg. v. C. F. W. Mueller, 11, 1, Leipzig 1908, 85. Vgl. Kaser 1971: 544 und die Auslegung von Gaius, Inst. 3,128ff. durch Thilo 1980: 305ff.-; 47 Vgl. Tabulae Herculanenses III sowie X bei Arangio-Ruiz 1948: 394, 398 und XXXVI bei ders. 1958: 298. Dazu Liebs 1970: 141ff. Den Zusammenhang der Täfelchen mit dem Litteralkontrakt bezweifelt Thilo 1980: 295ff. 48 Zu rationes vgl. Thilo 1980: 197ff. und 315ft, Vgl. auch sein Zitat des PseudoAsconius S. 200; dazu sofort. 49 Vgl. daneben CJ 4,19,5 (245); CJ 4,19,7 (262). 43
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1. Kapitel: Der Gregorianusinterpret
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doceantur, facile esse perspeximus, ut sub propriae adnotationis manu unusquisque faciat debitorem . .. " Angesichts der Einführung fester Beweisregeln überrascht der Bericht des Pseudo-Asconius vom 4. oder 5. Jh. nicht, der Litteralvertrag klassischen Stils habe zu existieren aufgehört: 50 "Moris autem fuit unumquemque domesticam rationem sibi totius vitae suae per dies singulos scribere, (in) quo appareret quid quisque de reditibus suis, quid de arte fenore lucrove seposuisset quo die, et quid item sumptus damnive fecisset. Sed postquam obsignandis litteris reorum ex suis quisque tabulis damnari coepit, ad nostram memoriam tota haec vetus consuetudo cessavit. "51 Möglicherweise hielt man jetzt das ganze Geschäft in der Urkunde fest, die ehedem nur das iussum vermerkte, so daß der spätere Litteralvertrag dem von Gaius, Inst. 3,134 beschriebenen peregrinen Litteralvertrag entspräche: "Praeterea litterarum obligatio fieri videtur chirographis et syngraphis, id est si quis debere se aut daturum se scribat, ita scilicet, si eo nomine stipulatio non fiat. 52 Quod genus obligationis proprium peregrinorum est. " Dem Fremdenrecht bei Gaius war aber durch die Constitutio Antoniniana vom Jahre 212 der Boden entzogen worden, da das damals geltende römische Recht diese Art von Litteralvertrag nicht anerkannte. 53 (2) Andererseits könnte die Definition des Theophilos auch lediglich besagen, eine Novation sei als Litteralobligation zu erachten. Die maßgebliche Rechtswirkung sieht er in der Novation, derzufolge die alte Schuld erlischt und eine neue entsteht: "xul ~ !lEv ltQO'tEQU 1l'tLI; ~v Evoxi] OltWßEVVlJ'tO, XaLVO'tEQU ÖE E'tLX'tE'tO, 'tOlJ'tE(TtLV ~ litteris. "54
In der Tat überliefern die griechischen Ausgaben von Viglius (1534) und Reitz (1751) eine Novationsstipulation. 55 Freilich gibt Ferrinis Ausgabe56 den Hierzu Thilo 1980: 20H. u. 208. Pseudo-Asconius in Verr. II, Lib. 1 § 60, Ciceronis Orationum Scholiastae Vol. II: Commentarios Continens; hrsgg. v. T. Stangl, Wien 1912, 238. 52 Bestätigt von Pseudo-Asconius, wohl 4. oder 5. Jh., der aber zwischen syngraphae, den konstitutiv wirkenden Schuldscheinen, und den chirographa scharf differenziert, die für ihn deklaratorische Urkunden sind, vgl. Pseudo-Asconius Verr. II, Lib.l § 91, Stangl244 (vorige Fn.): Inter syngraphas et cetera chirographa hoc interest, quod in ceteris tantum quae gesta sunt scribi solent, in syngraphis etiam contra lidem veritatis pactio convenit. Et non numerata quoque pecunia aut non integre numerata pro temporaria voluntate hominum scribi solent more institutoque Graecorum. 53 Mitteis 1891: 485. 54 Theoph. (Ferrini) 349. Üb.: ... et prior quidem obligatio extinguebatur, nova autem gignebatur, idest litterarum. 55 Theoph. (Ferrini) 349 Fn. 2 u. 4: "tOUS; Q XQ'UOOVS; OÜS; ell0l, e~ aL"tLas; IlLO{}WOEOOS; XQEOOO"tELS; ou ex (J'Uv-lhlXljS; xal, ÖlloAoYLas; ÖWOELS; "tWV oLxELoov YQallllinseruimus< würde man auf die Auswahl der Westgoten deuten, spräche wirklich die im Breviar vorausgehende c. 6 vom Adoptierten. >Et istam< paßt also nicht auf sie. Ebensowenig befaßt sich eine andere Konstitution des Titels, den hier ausschließlich das Breviar überliefert, mit dem Erbrecht des Adoptierten. Die I. wurde nicht zum Breviar geschrieben; es kommt hinzu, daß die ICTh. 5,1,9, die zur gleichen Interpretationengruppe gehört, offenbar vollständigeren Konstitutionentext sah." Gegen Wieacker schon Lambertini 1990: 57 Fn. 6.
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aus dem SC Tertullianum. Danach stand sie zwar hinter den Nachkommen ihres verstorbenen Kindes, dessen Vater und Brüdern zurück, teilte sich aber mit den Schwestern des Erblassers die Erbschaft zu gleichen Teilen und schloß die anderen Agnaten aus. 129 Nach CT 5,1,1 soll die Mutter ohne ius liberorum gegenüber den väterlichen Onkeln des verstorbenen Kindes, den sogenannten patrui, und gegenüber sonstigen Agnaten zu einem Drittel an der Erbschaft beteiligt werden. Als proximi agnati stachen die patrui und entferntere Agnaten die Mutter bislang aus, da sie gleich hinter den sui heredes des Erblassers erbberechtigt waren. 130 Im selben Umfang begünstigt Konstantin umgekehrt die patrui, ihre Söhne und Enkel, wenn ihre mit dem ius liberorum ausgestattete Schwägerin, die Mutter des Erblassers, sie eigentlich nach dem SC Tertullianum vollständig verdrängt hätte. Die väterlichen Onkel und ihre männliche Nachkommenschaft erben sogar dann ein Drittel, wenn sie emanzipiert worden, d. h. aus dem agnatischen Familienverband ausgeschieden waren. Sie, immerhin noch Blutsverwandte, beerbten früher den Erblasser nur in der Klasse unde cognati.
bb) Die erbrechtliche Konkurrenz zwischen der Mutter und den Brüdern des Erblassers gestaltete sich folgendermaßen: Solange sich die Brüder im Hausverband befanden, schlossen sie als proximi agnati die Mutter aus, da sie sogar nach dem SC Tertullianum der Mutter vorgehen sollten. War die agnatische Verwandtschaft zum Erblasser hingegen durch Emanzipation der Brüder gelöst worden, kam nach ius civile, vom SC Tertullianum abgesehen, als nächster (proximus) agnatus der patruus zum Zuge. Dessen Erbteil bestimmte sich gegenüber der Mutter des Erblassers nach CT 5,1,1. Da sich in CT 5,1,1 der Gedanke der Blutsverwandschaft Bahn gebrochen hatte, weil sogar der emanzipierte patruus im Verhältnis zur Mutter, die das ius libero rum besitzt, ein Drittel der Erbschaft erhielt, mußte sich nach CT 5,1,1 die Frage stellen, ob dieser Gesichtspunkt nicht erst recht für den emanzipierten Bruder des Erblassers zu gelten hatte. CT 5,1,2: "Quia non solum filius consanguineus, sed etiam per adoptionem quaesitus, nulla capitis deminutione intercedente eius, matrem excludit, si quidem patiatur mater defunctorum excludi fratribus consanguineis exsistentibus, quibus ipsa praeferatur intercedente capitis deminutione, proximior gradus ineatur. Nam constitutio divi Constantini ad Bassum praefectum urbis emissa patrui tantumltlOdo ius antiquum temperavit, ut si unus patruus seu duo pluresve sint sive filius filiive eorum usque ad nepotem extiterint, beneficio constitutionis in partem tertiam conponantur; de consanguineis vero fratribus nullam 128 IT 5,1,1: ius liberorum ... , hoc est, si ingenua tres partus vivos et libertina quattuor ... ediderit. 129 Vgl. nur Kaser 1971: 70lf. 130 Vgl. Kaser 1971: 696. Nach prätorischem Recht kommen sie in der Klasse unde legitimi zum Zuge, Kaser 1971: 699.
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1. Kapitel: Der Gregorianusinterpret
fuisse mentionem cognovimus. Evidenter, licet antiquo iure servato ac divalis memoriae Constantini constitutione conprobata, prospectum esse videatur a nostra clementia, ut in huiusmodi litibus, quibus frater consanguineus debet excludi secundum ius antiquum, praeferatur iuxta memoratam destinationem, vel certe, si patrui persona intercesserit, usque ad nepotem ius constitutionis temperatum suum teneat robur atque firmitatem. " CT 5,1,2 S. 1 und 2 referieren den Rechtsstand. Sofern sich die Brüder des Erblassers im Familienverband befinden, verdrängen sie die Mutter. Sind die Brüder emanzipiert worden (intercedente capitis deminutione), soll ihnen dagegen die Mutter vorgehen und der nächste Grad drankommen. Die constitutio divi Constantini (CT 5,1,1) habe nur das alte Recht des patruus reformiert, indem er heutzutage in den dritten Teil der Erbschaft gesetzt werde. Kaiser Valens denkt an die Bestimmung Konstantins, daß die ex SC Tertulliano erbende Mutter ein Drittel ihrer Alleinerbschaft an jeden patruus, auch den bloß blutsverwandten, abgeben SOll.131 CT 5,1,1 erwähne aber nicht die fratres consanguinei. Daß den emanzipierten unter den fratres consanguinei das Drittel vorenthalten werde, erscheint Valens problematisch. Er versichert in Satz 3, zwar bleibe das alte Recht und das Gesetz des Konstantin gewahrt, es sei aber vom Kaiser, nostra clementia, vorgesorgt worden, daß der Bruder in derartigen Streitigkeiten, bei denen er nach altem Recht ausgeschlossen werden müsse, nach Maßgabe der memorata destinatio (CT 5,1,1) vorgezogen werde. Künftig soll also auch der frater emancipatus von der Mutter, der die Erbschaft kraft des SC Tertullianum anfällt, gemäß CT 5,1,1 ein Drittel erhalten. Klar ist aber, daß seine Beteiligung das Gesetz des Konstantin (ius constitutionis temperatum) nicht beeinträchtigen dürfe: " ... vel certe, si patrui persona intercesserit, usque ad nepotem ius constitutionis temperatum suum teneat robur atque firmitatem. " Soweit also eigentlich der patruus, dessen Söhne und Enkel das Drittel von der Mutter beanspruchen können, geht der frater emancipatus weiterhin leer aus. Er erhält nur dann das Drittel von der mater cum iure liberorum, wenn diese Agnaten nicht vorhanden sind. 132 \31 Vgl. CT 5,1,1: ... etiam patruo eiusque filio et dumtaxat nepoti agnatione minime durante, si forte per emancipationem cuiusquam fuerit diminuta, beneficio pari deferri tertiam portionem, /icet habeat mater ius /iberorum. 132 Andere Interpretation bei Voci 1978: 84f. Nach ihm soll der frater emancipatus dem patruus emancipatus vorgehen und dessen Drittel erhalten. Den letzten Halbsatz vel certe . .. firmitatem versteht Voci in dem Sinne, daß in Abwesenheit des frater emancipatus das Recht des Onkels gewahrt bleibe. Er umschreibt: "Nel rispetto insieme dei diritto antico edella !egge di Costantino, noi stabiliamo che nei casi, in cui il fratello dovrebbe essere esc1uso secondo il diritto antico - cioe quando egli, per essere emancipato, non e piu agnato -, sia ammesso secondo i criteri della cost. di Costantino; pur rimando salvo, in sua assenza, il diritto dello zio (e suo discendente)." Von seiner Abwesenheit ist aber keine Rede; vielmehr soll CT 5,1,1 bei Konkurrenz von frater emancipatus und einer persona patrui (womit nach CT 5,1,1 der bis einschließlich des Enkels berechtigte Personenkreis gemeint ist) anwendbar bleiben, der frater emancipatus in diesem Fall also zurücktreten. Wie Voci auch Lambertini 1977: 8f.
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ce) Valentinian IH. erweitert das Erbrecht der fratres emancipati, CT 5,1,7 (426):
"Sicut mater, quae liberorum iure subnixa est, patruo capite deminuto dare iussa est tertiam portionem, ita etiam, quae nullo huiusmodi fulcitur auxilio, patruo quattuor cedat unciis facultatum. § 1 In illa quoque parte matris non est privilegium transeundum, in qua Constantinianae legis potissimum constitutum tenendum esse censemus, ut, sicuti nulli umquam vel ex prioris generis parte venientum vel ex consequenti sanguine probatorum agnationis conpositionisve nomine de successione filii iusta cum matre potuit esse contentio praeterquam patruo, filio patrui et eius nepoti, ita omnibus reliquis, sicut custoditum hactenus arbitramur, persona potior matris habeatur. § 2 Emancipati quoque fratris merita tractamus, qui, ut agnationis iure integro matrem in totum a successione filii decedentis excludit, ita capite deminutus nihil penitus consequitur. Exemplo igitur patrui etiam huic cum matre hanc volumus esse rationem, ut quattuor uncias hereditatis accipiat. § 3 Lata vero decernimus sanctione, ut statuta nostra non solum futurarum ambigua quaestionum, verum etiam pendentium negotiorum hoc ordine fata discingant. " CT 5,1,7 geht zunächst auf das Verhältnis Mutter-patruus ein. Genau wie die Mutter, die das ius liberorum hat, dem patruus ein Drittel geben solle, möge auch die mater sine iure libero rum dem patruus 4/12 der facultates zukommen lassen. Ist mit patruus jeder patruus gemeint oder greift die zweite Alternative nur den in der ersten Alternative genannten emancipatus (patruus capite deminuto) auf? Letzterer rangierte hinter den agnati proximi in der Klasse unde cognati; vorhandene Agnaten schlossen ihn aus. Diese hatten bekanntlich lediglich ein Drittel an die mater sine iure liberorum abzuführen. Hingegen konnte der patruus emancipatus nach CT 5,1,1 nur von der von mater cum iure liberorum profitieren, die ex SC Tertulliano erbte. (1) Unter Beachtung dieser Rechtslage würde sonach die zweite Alternative ita etiam ... facultatum den patruus emancipatus, der wegen bevorrechtigter Agnaten leer ausging, wiederum zu einem Drittel an dem Drittel der Mutter beteiligen wollen. Oder sie setzt voraus, daß mangels agnati proximi die Mutter in der Klasse unde cognati zum Zuge käme. Dann würde Satz 1 das beneficium tertiae des Konstantin auch auf den patruus emancipatus ausweiten, der an sich vollständig von der gradnäheren blutsverwandten Mutter ausgeschlossen würde. Harmoniert diese Deutung mit dem folgenden, schwer verständlichen Satz?
Danach soll auch in jenem Teil nicht das Privileg der Mutter übergehen, in dem die Bestimmung des konstantinischen Rechts aufrechterhalten bleiben möge, dergestalt, daß so wie niemandem, der entweder aus dem Teil eines früheren Geschlechts komme oder seine blutsmäßige Abstammung darlege, kraft Agnation oder Blutsverwandtschaft (conpositio)133 über die Erbfolge ein
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1. Kapitel: Der Gregorianusinterpret
Rechtsstreit gegen die Mutter gewährt werden könne außer dem patruus, dessen Sohn und Enkel, so soll gegenüber allen übrigen die Mutter für stärker gehalten werden. CT 5,1,1 bezeichnet mit privilegium die Erbberechtigung ex SC Tertulliano. 134 Damit muß unser Vorschlag, daß neuerdings der patruus emancipatus mit einem Drittel an der Erbschaft partizipiert, die der Mutter unde cognati anfällt, verworfen werden: Das Erbrecht unde cognati ist kein Privileg. (2) CT 5,1,7 § 2 läßt sich entnehmen, daß der patruus emancipatus in jeder Erbkonstellation ein Drittel der Erbschaft erhalten soll. Er realisiert das Erbschafts drittel auch dort, wo herkömmlich die nicht privilegierte Mutter, also die mater sine iure liberorum, mit den agnati proximi konkurriert, die ihr nach CT 5,1,1 ein Drittel abgeben sollen. § 2 differenziert nämlich bei dem frater emancipatus nicht zwischen der Mutter mit und ohne ius libero rum. Auf die Konkurrenz des frater emancipatus mit der privilegierten Mutter kann sich § 2 nicht beschränken, da die Analogie auf den in CT 5,1,7 pr. genannten Onkel verweist, der sowohl von der privilegierten als auch der nicht privilegierten Mutter ein Drittel erhalten soll. Gilt sonach für den frater emancipatus, daß er in beiden Fällen exemplo patrui 4/12 der Erbschaft erhält (quattuor uncias hereditatis accipiat), kann unsere bisherige Auslegung nicht richtig sein. Die Regelung von CT 5,1,7 pr. beruht nicht auf den Vorgaben von CT 5,1,l.
Die Tatsache, daß der patruus emancipatus auch dann von der Mutter ein Drittel der Erbschaft bekommt,135 wenn sie das ius liberorum gar nicht hat, impliziert, daß Valentinian III. die mater sine iure libero rum mit der privilegierten Mutter gleichgestellt hat. 136 Jede Mutter erbt jetzt ex SC Tertulliano. Daraus können wir weiterhin folgern, daß mit patruus in CT 5,1,7 pr. 2. Alt. jeder patruus, auch der agnatus, erfaßt wird. Dessen Rechtslage hat CT 5,1,7 also verschlechtert;137 nach CT 5,1,1 war der agnatus derjenige, der der mater sine iure liberorum ein Drittel abgeben sollte, nicht etwa umgekehrt. Dagegen profitiert der patruus emancipatus nun auch in diesem Sachverhalt. Die Erbberechtigung ex SC Tertulliano wird nicht überschritten (transeundum), d. h. geschmälert vom beneficium tertiae, es sei denn zugunsten des patruus, dessen Vgl. Voci 1982: 4 Fn. 3. CT 5,1,1: ... etiam patruo eiusque filio et dumtaxat nepoti agnatione minime durante, si forte per emancipationem cuiusquam fuerit consanguinitas diminuta, beneficio pari deferri tertiam portionem, licet habeat mater ius liberorum. Nec inmerito, si quando supra dicto subnixa mater fuerit privilegio, agnatione dirempta ultra nepotis gradum nostrum beneficium minime placuit extendi . .. 135 CT 5,1,7 § 2: Exemplo ... patrui ... , ut quattuor uncias hereditatis accipiat. 136 Vgl. Gaudemet 1960: 410 (auch: 1979: 326). 137 Das verkennt Voci 1982: 4: "Ma le quote rimangono quelle di prima: la madre toglie 1/3 agli agnati e cede 1/3 ai cognati." Vorher stellt er zutreffend fest, daß nach CT 5,1,7 künftig auch die mater sine iure liberorum all denjenigen Agnaten vorgehe, die nicht zu den von CT 5,1,1 berechtigten Seitenverwandten rechnen (patruus, dessen Sohn und Enkel). 133
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Söhnen und Enkeln. Andere Agnaten oder Kognaten, wie z.B. der Urenkel des patruus, beeinträchtigen die alleinige Erbberechtigung der Mutter nicht. Im Klartext erweitert Valentinian 111., genauer gesagt: dessen Mutter Galla Placidia,138 das SC Tertullianum um diejenige mater sine iure liberorum, die bisher hinter den patrui agnati und noch entfernteren Agnaten zurückstehen mußte. Allerdings bleibt das beneficium tertiae zugunsten des patruus und seinen berechtigten Nachkommen bestehen. (3) Analog zu den patrui erhalten die fratres emancipati ebenfalls ein Drittel. Sind patruus und frater emancipatus kumulativ mit je einem Drittel an der Erbschaft zu beteiligen? Nach der Formulierung von CT 5,1,7 § 2 exemplo igitur patrui etiam huic cum matre hanc volumus esse rationem ist die Frage zu verneinen. Der frater soll mit der Mutter berücksichtigt werden; daß auch der Onkel zu beteiligen wäre, kommt demnach nicht in Betracht. Gemäß CT 5,1,7 erhält der frater das beneficium tertiae des Onkels. b) CT 5,1,2 und 7 sind inhaltlich keineswegs identisch, wie uns IT 5,1,7 weismachen Will: 139 "Similis est haec lex superiori, sed quia evidentior est, et istam inseruimus. " CT 5,1,2 hatte dem frater emancipatus an dem Erbrecht der Mutter, die das ius libero rum besaß, ein Drittel zugestanden, sofern mit ihm nicht noch die von CT 5,1,1 begünstigten Onkel konkurrierten. Nach CT 5,1,7 schließt jetzt der frater emancipatus die betreffenden Onkel aus, deren beneficium tertiae ihm zustatten kommt. Schaut man sich die Interpretatio zu CT 5,1,2 an, kommt man noch mehr ins Staunen: .. aa) IT 5,1,2 gewährt dem frater emancipatus je nach dem, ob seine Mutter das ius liberorum hat oder nicht, ein Drittel oder zwei Drittel der Erbschaft. Offenbar hatte der Interpret den Satzteil ut in huiusmodi litibus, quibus frater consanguineus debet excludi secundum ius antiquum, praeferatur iuxta memoratam destinationem so aufgefaßt, als ob jeder Fall, in dem der Sohn nach ius antiquum ausgeschlossen werden konnte, nach Maßgabe von CT 5,1,1 gelöst werden soll. Dann würde der emanzipierte Sohn nicht nur mit einem Drittel am Erbe der privilegierten Mutter teilhaben. Vielmehr träte er generell an die Stelle der patrui, so daß er im Verhältnis zur mater sine iure liberorum zwei Drittel der Erbschaft erhielte.1 4o Den letzten Halbsatz vel certe . .. Jirmitatem mußte der Interpret nun unter den Tisch fallen lassen. 141 Daß seine Auslegung von CT 5,1,2 nicht korrekt ist, weil das Gesetz den filius emancipatus lediglich Vgl. auch Voci 1982: 4 Fn. 5. Unzutreffend Lambertini 1977: 9. 140 Wie IT 5,1,2 faßt auch Kaser 1975: 504 mit Fn. 47 die Regelung von CT 5,1,2 auf. 141 Zutreffend ist freilich die Annahme des Interpreten, auch der filius adoptivus komme nach seiner Emanzipation in den Genuß der Regelung (IT 5,1,2, IT 5,1,7). Denn die Adoptivverwandtschaft ist der Blutsverwandtschaft gleichgestellt, vgl. Kaser 1971: 700. 138 139
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1. Kapitel: Der Gregorianusinterpret
an der Erbschaft der privilegierten Mutter - und das auch nur, wenn keine Onkel vorhanden sind - partizipieren lassen will, scheint dem Interpreten bewußt zu sein, da er sich zusätzlich CT 5,1,7 als Rechtsgrundlage dafür auswählt, daß der filius emancipatus an die Stelle der eigentlich erbberechtigten Agnaten tritt. Dort schloß der filius emancipatus in der Tat die patrui aus, realisierte aber von der Mutter nur das beneficium tertiae. bb) Auf gleiche Weise soll nach IT 5,1,1 trotz CT 5,1,7 pr. weiterhin im Verhältnis Mutter-Onkel verfahren werden: "Si mater ius liberorum non habeat, hoc est, si ingenua tres partus vivos et libertina quattuor non ediderit et unicum filium intestatum fortasse perdiderit et filius moriens patruum unum vel plures aut certe patrui vel patruorum filios vel nepotes plures cum matre reliquerit, qui tamen emancipati non fuerint, mater in tertia portione in filii intestati hereditate succedat et duas partes patruus vel si plures fuerint, aut filii vel nepotes sibimet vindicabunt. Quod si mater ius libero rum habeat et patruus vel patrui cum matre superfuerint, etiamsi emancipati sunt, duas partes de bonis filii intestati morientis mater consequatur, quae ius liberorum habet, et tertiam patruus vel patrui . .. " c) Wie ist die inhaltliche Kluft zwischen Gesetzestext und Interpretatio zu erklären? aa) Einschlägige Gesetze, die CT 5,1,7 abschaffen und sowohl den patruus als auch den filius emancipatus im Sinne von IT 5,1,1 und IT 5,1,2 behandelt wissen wollen, fehlen im Westen. Aber auch mittelbar konnte die Jurisprudenz derartiges mitnichten aus CT 5,1,8 (426) ableiten. Danach hängt im Verhältnis zur soror agnata die Erbberechtigung der Mutter vom ius liberorum ab. Offenbar sah sich Valentinian III. nicht veranlaßt, die mater sine iure liberorum nun auch noch gegenüber der soror agnata zu privilegieren. Speziell handelt CT 5,1,8 davon, wie eine spätere Wiederverheiratung der Mutter sich auf ihren erworbenen Erbteil auswirkt.
bb) Nach Gaudemet liefert die Interpretatio ein neues Beispiel für vulgare Gewohnheiten, die neben dem offiziellen Reichsrecht existierten. 142 Aber CT 5,1,7 scheint nach 426 keineswegs von der römischen Rechtspraxis und Rechtswissenschaft hintertrieben worden zu sein. Die östliche Schulliteratur hat CT 5,1,7 pr. u. § 1 rezipiert. So gilt nach Syr.-Röm. R III § 104 = L 103 aus der Zeit um 475: 143 "Wenn ein Mann ohne Testament stirbt und ein einziges Kind, einen Sohn oder eine Tochter hinterläßt, und wenn dann das Kind stirbt, während die Mutter des Kindes noch lebt, in dem Fall erbt der Onkel oder Onkelsohn (des Erblassers) ein Drittel seiner Erbschaft, und zwei Drittel gehören seiner Mutter. "144 Hiernach erbt auch die Mutter, die des ius libe142
143 144
Gaudemet 1960: 411 (auch: 1979: 327). Zu Verfasser und Datierung Kaser 1975: 49f. und Selb 1964: 261ff. Vgl. auch Syr.-Röm. R I § 42 und Syr.-Röm. R 11 § 153.
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rorum nicht teilhaftig ist, zwei Drittel der Erbschaft. Im Einklang mit CT 5,1,7 § 1 erhält sie alles, wenn ein Vaterbruder nicht vorhanden ist, Syr.-Röm. R 11 § 153111 = Arm. 142.143.145 Der westgotische PS-Titel Ad Senatusconsultum Tertullianum, PS-LRV 4,9 und die vorhergehenden Sentenzen PS-LRV 4,8,8 - 14, die Bestimmungen darüber enthalten, wann die Frau im Sinne des Senatuskonsults drei Kinder geboren hat, weisen keine Interpretatio auf, sondern nur das lakonische Interpretatione non eget. Offenbar hatte man im Anschluß an CT 5,1,7 die Würdigung dieser Sentenzen für entbehrlich erachtet, da sie nur noch in dem (weniger streitträchtigen?) Verhältnis Mutter/ Schwestern zum Tragen kamen. Anhaltspunkte dafür, daß die in IT 5,1,1, IT 5,1,2 und IT 5,1,7 zum Ausdruck ge komme ne Rechtsauffassung schon vor Erlaß der LRV vertreten wurde, gibt es also nicht. Daß sie vertreten worden wäre, ist auch deshalb unwahrscheinlich, weil sie von CT 5,1,7, der verbindlichen lex posterior, 146 erheblich abweicht. ce) Die eigenwillige Paraphrase von IT 5,1,1, IT 5,1,2 und 7, die neues Recht setzt, wird demnach auf Alarich 11. zurückgehen, der sich zumal als Reformator alten Rechts betrachtet hatte, wie auch das commonitorium erkennen läßt: " ... hoc quoque, quod in legibus videbatur iniquum, meliore deliberatione corrigimus . .. "Er zieht die emanzipierten Brüder und den Vateronkel erbrechtlich denjenigen Müttern vor, die nicht mindestens drei Kinder geboren hatten. Nur die gebärfreudigen Ehefrauen erachtet er für wert, mehr zu erben als die männlichen Verwandten der Vaterseite. Die neuerliche Bevorzugung der agnatischen Verwandtschaft könnte auf den Einfluß des germanischen Rechts zurückzuführen sein, das die Männer vorrangig zu Erben berief. 147 Diese Neubewertung aufgreifend, kehrt sich die frühestens um 516 entstandene LRB148 noch deutlicher von der spätrömischen Kaisergesetzgebung ab, indem sie den patrui nun sogar gegenüber der mater cum iure liberorum den Vorrang einräumt. Nach LRB 10,5 erbt jede Mutter unabhängig von ihrer Kinderzahl nur ein Drittel, wohingegen die konkurrierenden patrui zwei Drittel erhalten: "De successione vero matrum vel patruorum, qualiter filio defuncto succedant, evidenter exprimitur, ut de hereditate defuncti filii mater tertiam, bisse patruus vel, si plures fuerint, patrui consequantur; quam et in portionem filius patrui et nepos per virilem, sexum agnationis iure veniens 145 Selb 1964: 58ff. übersieht CT 5,1,7 bei seiner Untersuchung des mütterlichen Intestaterbrechts. Daß jede (!) Mutter die entfernteren Agnaten ausschließt, ist nicht die "genaue, aber banale Folgerung aus CT 5,1,1", sondern aus CT 5,1,7 § 1. Zutreffend Voci 1982: 4, vgl. schon oben Fn.137. 146 CT 1,1,5 (429): " ... sed ipsius etiam compositione operis validiora esse, quae sunt posteriora, monstrante ... " 147 Vgl. von Amira 1967: 69; Brunner 1900: 1ff. Vorsichtiger Köbler 1989: 430ff. und Kroesche1l1982: 87ff. Kroeschell sieht das eingeschränkte Erbrecht der Frau nach westgotischem und burgundischem Recht im Kontext des römischen Vulgarrechts, 90ff., 106f. 148 Vgl. Nehlsen 1978, LRB: 1931.
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debet succedere, secundum legem Theudosiani, titulo supra scripto ad Bassum praefectum Urbis datam. "
Die vorliegende Untersuchung gelangt also zu dem Ergebnis, daß die Wendung nam illa hoc amplius habet in IT 5,1,7 von den prudentes Alarichs stammt. Sie haben aber nicht nur IT 5,1,7,149 sondern auch IT 5,1,1 und IT 5,1,2 geschrieben. 3. IT 5,1,5 bedient sich derselben Worte wie IT 5,1,7: "Haec lex similis est superiori, sed hoc amplius habet, quod dotem . .. " Die Ähnlichkeit in der Formulierung zwischen IT 5,1,5 und IT 5,1,7 erlaubt zwar keinen Rückschluß, weil die Scholien zum Codex Vaticanus reginae 886,150 mit denen ein sizilianischer Rechtslehrer, jedenfalls ein Privatmann, um das Jahr 450 sein CT-Exemplar versah,151 eine verwandte Anknüpfung, nämlich similis superiori sed hic addit . .. , überliefern. 152 Dieser Kommentarstil war demnach im 5. und 6. Jh. Allgemeingut. Trotzdem wird IT 5,1,5 gleichfalls von den LRV-Redaktoren sein, da diese schon IT 5,1,1, IT 5,1,2 und IT 5,1,7 verfaßt haben. Sie dürften dann auch die restlichen Konstitutionen des Titels CT 5,1 De legitimis hereditatibus erläutert haben. 4. INT 16: "Haec lex multa confirmat, quae de testamentis in Theodosiani corporis auctoritate conscripta sunt, sed hoc amplius continet, ut, si aliquis iure praetorio condiderit testamentum, id est quod septem testium subscriptionibus confirmatur, auctor testamenti, si litteras seit, octavus ipse subscribat, sin autem aut subscribere non potest aut litteras nescit, tune octavum pro se adhibeat subscriptorem . .. " a) Der Interpret beginnt mit der Feststellung, daß dieses Gesetz vieles bekräftige, was in der Autorität des Corpus Theodosianum über Testamente geschrieben worden sei, darüber hinaus aber beinhalte das Gesetz, daß, wenn jemand ein Testament nach prätorischem Recht verfasse, es also durch die Unterschrift von sieben Zeugen bekräftigt sei, der schreibkundige Testator selbst als achter unterschreiben solle. Ist der Testator dagegen zur Unterschrift außerstande oder des Schreibens unkundig, soll er statt seiner einen achten als Unterzeichner hinzuziehen.
Auf welche CT-Konstitutionen bezieht sich NT 16? NT 16 § 2 nec ideo infirmari, quod testes nesciant quae in eo scripta sunt testamento gibt sinngemäß CT 4,4,3 § 2 a. E. (402, Seeck) wieder. NT 16 § 6 betrifft die nuncupatio, deren Gültigkeitserfordernisse auch in CT 4,4,7 § 2 (424) In omni autem genere testamenti, sive ... sive non scripta voluntas ... behandelt werden. Nicht ganz im 149 150
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Vgl. schon Voci 1978: 86 und Lambertini 1990: 56. Mommsen 1905: XLVIIff. So Liebs 1987, Italien: 177 ff., 188, der diese Scholien ausführlich erörtert. Vgl. Schol.-CT 9,16,2; Schol.-CT 9,16,4; Schol.-CT 9,16,5 und öfter.
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Einklang mit CT 4,4,7 §§ 1,2 ist NT 16 § 5, wonach das unvollendete Testament unheilbar nichtig ist, es sei denn, daß darin Kinder zu Erben eingesetzt werden sollten. Demgegenüber hatte CT 4,4,7 §2 Z. 2ff. die Umdeutung des Testamentsentwurfs in eine fideikommissarische Anordnung noch für einen größeren Verwandtenkreis erlaubt. NT 16 §4 überholt CT 4,4,7 §2 Z. 11ff. insofern, als § 4 dem Testator gestattet, das Testament über mehrere Tage und ohne Anwesenheit der Zeugen aufzusetzen. Unabdingbar bleibt allein, daß alle Zeugen zur selben Zeit unterzeichnen. 153 Die Bezugnahmen von NT 16 auf die genannten Gesetze sind keineswegs so zahlreich und bekräftigen auch nicht lediglich so, wie man nach INT 16 meinen möchte. INT 16 sollte wohl nur pauschal zum Ausdruck bringen, daß NT 16 im wesentlichen auf den Gesetzen der Vorgänger fußt und das bis dahin geltende Recht ergänzt. Konkrete Anhaltspunkte, wer ihr Verfasser ist, erhalten wir keine. b) Vermag uns der Formulierungsstil darüber Auskunft zu geben? Haec lex . .. confirmat ist eine typische Formulierung, mit der die Paraphrasen zu Novellen beginnen. 154 Sie besteht aus haec bzw. ista lex und einem feststellenden oder befehlenden Verb wie dicere, 155 confirmare, 156 continere, 157 constituere, 158 saneire, 159 praecipere, 160 iubere,161 prohibere, 162 permittere. 163 Daneben findet sich diese Einleitung l64 besonders häufig in den Interpretationen der Bücher 11 und 12 des CT,165 während sie davor seltener zu verzeichnen ist. l66 Ob sie von den prudentes herrührt, läßt sich jedoch nicht generell sagen. 153 Vgl. NT 16 § 4 ... Sed Zicet aZio tempore dictatum scriptumve proferatur testamentum, sufficiet uno eodemque die nullo actu interveniente testes omnes, videZicet simul nec diversis temporibus, subscribere signareve testamentum. Dasselbe bestimmte zuvor schon § 2: quo facto et testibus uno eodemque die ac tempore subscribentibus et signantibus valere testamentum nec ideo infirmari, quod testes nesciant quae in eo scripta sunt testamento. NV 21,2 §4 (446) verzichtet auch auf dieses Erfordernis, dazu sofort unter 5. 154 Vgl. auch INT 14. 155 INT 1. 156 INT 14. 157 INMarc. 2. 158 INT 22,1; INV 25; INV 31; INV 35; INMaior. 7; INMarc. 3. 159 INT 20. 160 INT 2, INT 15; INV 19, INV 21,2; INV 32. 161 INT 3. 162 INT 22. 163 INMarc. 4; INMarc. 5. 164 Hierzu schon Wieacker 1931: 302ff. 165 IT 11,1,15; IT 11,6,1; IT 11,16,11 (praecipere); IT 11,26,2 (iubere); IT 11,30,2 (praecipere); IT 11,30,15 (iubere); IT 11,30,20; IT 11,31,6; IT 11,36,26; IT 11,39,12; IT 12,1,20; IT 12,1,55 (praecipere); IT 12,6,22 (iubere). Vgl. darüber hinaus IT 16,2,2 (praecipere) . 166 IT 1,4,3 (ostendere); IT 3,13,2 (praecipere); IT 4,22,3 (praecipere im pluralis maiestatis); IT 5,1,9; IT 8,18,9 (constituere). Häufiger findet sich die Feststellung in den
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1. Kapitel: Der Gregorianusinterpret
Die Formulierung ist uns bereits in IG 10 S. 2 begegnet. 167 Vor allem kennen wir sie auch von den vatikanischen Scholien zum CT her. Diese beginnen häufig mit iubet (Schol.-CT 9,2,2), praecipit (Schol.-CT 9,2,3/4), dicit (Schol.-CT 9,3,5), prohibet (Schol. -CT 9,7,5), hic ordinat (Schol. -CT 9,14,2).168 Aufgrund dieser Parallele hält Wieacker die betreffenden CT-Scholien für Überreste eines Lehrkommentars. 169 Von INT 16 muß das aber nicht auch gelten. Vielmehr müssen wir offen lassen, wer INT 16 geschrieben hat. 5. Die Einleitung von INV 21,2 verweist genauso pauschal auf die geltenden Gesetze wie INT 16: "Haec lex alia replicet, quae in aliis legibus habentur exposita, tamen hoc amplius observandum esse praecipit, ut, si cui fuerit testandi voluntas . .. " Dabei hatte NV 21,2 §3 (446) die Regelung von CT 4,4,7 §2 (424), daß Testamente binnen eines Tages vollendet werden müssen, aufgehoben. 170 Und NT 16 §§ 2 u. 4 (439) hatte verordnet, daß alle Zeugen gleichzeitig unterzeichnen müssen, während NV 21,2 §4 (446) das Erfordernis gemeinsamer Unterschrift notfalls für verzichtbar erklärte: "Testes autem subscriptiones suas uno die vel omnes pariter vel, si legitimus numerus exiguam moram fecerit, horis praebere diversis sub obtutibus testatoris iubemus. " Setzt sich also INV 21,2 bewußt über Valentinians Lockerung hinweg? Hätte die Interpretatio nicht vielmehr darauf hinweisen müssen, NV 21,2 habe in diesem Punkt das bisherige Recht abgemildert? Die Frage ist zu verneinen. NT 16 (439) wurde erst im Jahre 448 durch NV 26 im Westen in Kraft gesetzt, so daß ihr als lex posterior gegenüber NV 21,2 (446) der Vorrang gebührte. Seit dieser Zeit erforderte nur noch NT 16 besonderes Augenmerk, während man NV 21,2 vernachlässigen durfte. Deshalb muß die Frage der Verfasserschaft erneut offen bleiben. 6. Es verbleibt INV 21,1: "Haec lex de aliis titulis testamentorum id amplius habet, ut, in coniugio positi si filios non habeant, seu maritus uxorem seu uxor maritum voluerit, relinquat heredem, quod ius dicitur liberorum. Qui etiamsi in Büchern 1 - 8 am Schluß oder mitten in der jeweiligen IT: IT 3,16,2 Z. 10 (ea praecipit observari); IT 4,8,6 Z. 3 (praecipere); IT 4,14,1 Z. 3 (exponere); IT 5,1,1 Z. 17; IT 5,1,8 Z.l1 (constituere). 167 Vgl. § 4 IV vor 1. 168 Vgl. auch die extravagante IT 4,12,3: excepto iure rei publicae, quod lex praesens voluit conservatum. 169 Wieacker 1931: 304. Vgl. auch Liebs 1987, Italien: 182, nach dem es sich bei den Scholien um private Notizen eines Rechtslehrers handelt. 170 CT 4,4,7 § 2: In omni autem genere testamenti . .. id volumus observari, ut eodem die, quo coeptum quid eorum fuerit, ad perfectum sui plenitudinem sortiatur, nihilque eius in diem alterum differatur; ... ; NV 21,2 § 3: Necessitatem quoque praecipitem submovemus, quae testatores hactenus conpulit sub unius diei spatio supremum festinatio nimis ordiri et inplere iudicium. Quibus nos licentiam tempusque largimur, ut voluntatem, quam de rebus propriis mente conceperint, frequenter scribant, frequenter retractent, frequenter emendent et quot voluerint diebus in tantae praesertim causae meditatione versentur. Haec enim deliberatio nihil inmaturum relinquit cui licebit saepe dictata corrigere.
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una charta suam condere maluerint voluntatem, ut invicem se heredes scribant, qui alteri superstes extiterit, dimissam rem iuxta legis huius ordinem vindicabit, ita tamen, ut his personis, quibus lex concedit, si fuerit de inofficiosi querella, actio reservetur. "
NV 21,1 §§ 1 und 4 a. E. (446) ermöglichte es, ein gegenseitiges Testament vom Kaiser als Privileg billigen zu lassen; bittberechtigt waren nicht nur Ehegatten, sondern jedermann. l7l INV 21,1 unterschlägt, daß das Testament dem Kaiser vorgelegt werden muß (sog. testamentum principi oblatum) und daß das neue genus testamenti 172 allen Personen offenstehen soll. Der Interpret geht zudem erst im zweiten Satz auf die gegenseitige Erbeinsetzung in ein und derselben Urkunde ein, was NV 21,1 § 3 erstmals zuläßt: " ... Praeterea, sicut supplicationi conexa monstrarunt, quamvis in unius chartae volumine supremum votis paribus condidere iudicium septem testium subscriptionibus roboratum. Cui nos aeternam tribui firmitatem legis huius definitione censemus, ... " Nach INV 21,1 S. 2 soll die Novelle über die übrigen Konstitutionen zum Testamentsrecht hinaus regeln, daß kinderlose Ehegatten sich ohne weiteres zu Erben einsetzen dürfen, was der Interpret als ius liberorum bezeichnet. Tatsächlich war im Westen das ius liberorum, oder genauer gesagt: das ius communium libero rum, den kinderlosen Ehegatten jedoch schon durch CT 8,17,4 (413) erteilt worden: "Quod impetratum ius conmunium libero rum superstite Catullino clarissimo viro minus allegatum esse cognoscitur, nec succedenti obesse permittimus nec ulli umquam in simili causa statuimus nociturum. " Honorius übernahm damit die Regelung von CT 8,17,2 und CT 8,17,3 für das Westreich. 173 Diese beiden Konstitutionen wurden am 4. Sept. 410 gemeinsam in Konstantinopel erlassen 174 und lauten: "In perpetuum hac lege decernimus inter virum et uxorem rationem cessare ex lege Papia decimarum et, quamvis non interveniant liberi, ex suis quoque eos solidum capere testamentis, nisi forte lex alia minuerit derelicta. Tantum igitur post haec maritus vel uxor sibi invicem derelinquant, quantum superstes amor exegerit." Und: "Nemo post haec a nobis ius liberorum petat, quod simul hac lege detulimus. " Nach den leges Iulia et Papia (18 v. und 9 n. Chr.) durften kinderlos Verheiratete voneinander nur ein Zehntel des hinterlassenen Erbes erhalten. Ein 171 Vgl. NV 21,1 § 1 occasionem novandae legis amplectimur salubri definitione censentes, ut, sive inter se coniugum seu quorumcumque consensus oblatis serenitati nostrae precibus optaverit morte praeventi heredem superstitem fieri oportere personam; § 3 procul dubio manebit firmior haec voluntas, quae testimonio principis et subscriptione condetur, si tamen nullum defuncti posterius extabit arbitrium und § 4 a. E. quisquis maluerit delata nobis supplicatione testari habeat liberamfacultatem. Ausführlich Voci 1982: 18f.,
vgl. auch S. 11. 172 NV 21,1 § 6: hoc testamenti genus. 173 Vgl. Astolfi 1986: 82ff.; Voci 1982: 27. Zum Datum von 1919: 326. 174 Seeck 1919: 321.
er 8,17,4 vgl.
Seeck
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gemeinsames eheliches Kind beseitigte dagegen diese Beschränkung. 175 Das Sammelgesetz vom 4. Sept. 410 schafft nun die Erwerbsbeschränkungen kinderloser Ehegatten ab. In Zukunft sollen sie fähig sein, die ihnen testamentarisch hinterlassene Erbschaft des verstorbenen Ehegatten ganz zu erwerben, weil alle Ehegatten das ius Ziberorum kraft Gesetzes besitzen sollen (quod simul hac lege detuZimus). Eben das bringt der Interpret in Satz 1 zum Ausdruck. 176 NV 21,1 war auf diese neue Rechtslage nur deshalb eingegangen, weil der Bittsteller Leonius annahm, das ius (communium) Ziberorum nach wie vor besonders vom Kaiser erbeten zu müssen, NV 21 § 3: 177 "Leonius vero et Iucunda uxor eius tauta vicissim caritate certarunt, ut fusis simul precibus ius poscerent Ziberorum (et propter incertum sortis humanae superstitem coniugem precarentur heredem): Zicet superfluo illud addentes, ut intestatae successionis iUS 178 ac licentiam sortirentur, (cum hoc ipsum, quod serenitati nostrae preces pariter obtulerunt, sit testamenti ordo praecipuus). " Freilich fehlt der ganze Titel CT 8,17 De iure liberorum in der LRV. Unter den in die LRV übernommenen Gesetzen zum Testamentsrecht ist NV 21,1 die einzige Konstitution, die die aktuelle Rechtslage zum ius liberorum dokumentiert. Demnach scheint der Interpret die fertige LRV vor Augen gehabt zu haben. Zudem gibt INV 21,1 S. 2 die konkrete Neuerung der Novelle abweichend wieder, wozu ein privater Interpret wohl keinen Grund hatte. 179 Deshalb kommen als Verfasser der INV 21,1 am ehesten die prudentes Alarichs in Betracht. Die Untersuchung der Parallelstellen von sed hoc amplius habet ergab also, daß für IT 5,1,5, IT 5,1,7 und INMaior. 11 nur der westgotische Gesetzgeber in Betracht kommt. Ebenso wird INV 21,1 von ihm sein. Nicht einmal INT 16 und INV 21,2 konnten mit Sicherheit einem voralarizianischen Interpreten zugeschrieben werden. Andererseits ersahen wir aus den um das Jahr 450 entstandenen vatikanischen Scholien zum CT, daß der Erläuterungsstil über 50 Jahre lang, mindestens bis zur Abfassung der LRV, einheitlich gewesen ist. Selbst wenn also alle unter 1) bis 6) untersuchten Stellen von den Kompilatoren der LRV stammen würden, muß das nicht auch für IG 8,2 S. 2 gelten. IG 8,2 S. 2 verwendet Falcidia für den Pflichtteil. Diese Bezeichnung ist selten: hier, in den IP (wo IP 4,5,6 S. 3 sogar in diesem Sinn definiert) und in der Kaser 1971: 724; Astolfi 1986: 24, 79; Voci 1967: 441. Keineswegs liegt eine Verwechslung des Interpreten über die Bedeutung des ius liberorum vor; für eine Mißdeutung aber Kaser 1975: 223 Fn. 8, 508 Fn. 81. 177 Hierzu AstolJi 1986: 84f. Auch die 438 in den CT übernommene Konstitution CT 15,14,9 Z. 8 (395 West) könnte in der Praxis zu Irritationen geführt haben. 178 Hiermit ist wohl die capacitas gemeint. 179 Da an die Stelle des Kaisers im letzten Drittel des 5. Ih. zumindest im Westgotenreich, das der mutmaßliche Entstehungsort der INV 21,1 wäre (zur IG und IH vgl. unten Kap. 2 und 6), der germanische König getreten war, hat man ihn wahrscheinlich um das spezi