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German Pages 251 [253] Year 2008
Studien und Texte zu Antike und Christentum Studies and Texts in Antiquity and Christianity Herausgeber/Editor: Christoph Markschies (Berlin) Beirat/Advisory Board Hubert Cancik (Berlin) · Giovanni Casadio (Salerno) Susanna Elm (Berkeley) · Johannes Hahn (Münster) Jörg Rüpke (Erfurt)
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Christopher Steimle
Religion im römischen Thessaloniki Sakraltopographie, Kult und Gesellschaft 168 v. Chr. – 324 n. Chr.
Mohr Siebeck
Christopher Steimle: geboren 1967; Studium der Klassischen Archäologie in Tübingen und Heidelberg; 2005 Promotion.
Die vorliegende Arbeit wurde von der Universität Erfurt als Promotionsschrift angenommen. e-ISBN PDF 978-3-16-151346-6 ISBN 978-3-16-149410-9 ISSN 1436-3003 (Studien und Texte zu Antike und Christentum)
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2008 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Held in Rottenburg gebunden.
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Meiner Familie gewidmet
Vorwort
Vorwort Vorwort
Die vorliegende Arbeit ist die geringfügig überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich im September 2005 der Philosophischen Fakultät der Universität Erfurt unter dem selben Titel eingereicht habe. Die Anregung zur Beschäftigung mit dem Thema geht auf den Kontakt zum Erfurter Forschungsprojekt Religion in der römischen Provinz Makedonien zurück, welches seit Frühjahr 2001 als Teilprojekt des Schwerpunktprogramms der DFG Römische Reichsreligion und Provinzialreligion – Globalisierungsund Regionalisierungsprozesse in der antiken Religionsgeschichte bearbeitet wurde. Hier bot sich für mich der Glücksfall, daß ich nicht nur eine antike Großstadt untersuchen konnte, deren umfassende Betrachtung aus religionshistorischer Sicht bisher ein Desiderat war, sondern gleichzeitig auch eine Stadt, die mir durch vielfache Aufenthalte und persönliche Kontakte bestens vertraut ist. Aus der engen fachlichen Angliederung an das Erfurter DFG-Programm ergab sich, daß der Fortgang des Dissertationsprojektes, obgleich nicht durch die DFG gefördert, von Beginn an in den entsprechenden Forschungsberichten mitgeteilt werden konnte.1 Das Projekt und Teilergebnisse daraus wurden daneben in verschiedenen Publikationen vorgestellt.2 Mein aufrichtiger Dank gilt allen, die durch Unterstützung vielfältigster Art das Zustandekommen dieser Arbeit ermöglicht haben. Genannt sei hier an erster Stelle mein Erfurter Doktorvater Professor Dr. Jörg Rüpke. Ihm möchte ich überaus herzlich für die vertrauensvolle Übertragung des Forschungsthemas danken, vor allem aber für die unermüdliche Gesprächsbereitschaft, mit der er am Fortgang der Arbeit Anteil nahm. Ein ebenso herzlicher Dank gilt dem gesamten Promotionsausschuß, besonders dem Zweitgutachter, Privatdozent Dr. Günther Schörner. Für seine wohlwollende Abfassung eines Gutachtens zur Beantragung eines Stipendiums danke ich Professor Dr. Konrad Hitzl sehr herzlich. Mit ihrer geduldigen Lektüre von Manuskripten, den damit verbundenen wertvollen Hinweisen sowie auch ihrem Zuspruch waren mir Professor Dr. Ulrike Egelhaaf1
PETZOLD – RÜPKE – STEIMLE 2001. – EGELHAAF-GAISER – STEIMLE – TSOCHOS 2003. – STEIMLE 2007. 2 STEIMLE 2004. – STEIMLE 2006.
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Vorwort
Gaiser und Dr. habil. Charalampos Tsochos eine große Hilfe. Dank möchte ich Dr. Polyxeni Adam-Veleni (Archäologisches Museum Thessaloniki) und Dr. des. Uta Dirschedl (Deutsches Archäologisches Institut Berlin) für die Erlaubnis zur Veröffentlichung unpublizierter Archivalien aussprechen. Danken möchte ich Professor Dr. Pantelis Nigdelis dafür, daß er mir die Einsichtnahme in unpublizierte Inschriften aus Thessaloniki ermöglichte. Mein Dank gilt auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Archäologischen Museums Thessaloniki für ihre Auskunftsbereitschaft und Mithilfe bei der Bereitstellung von Inventaren und Planunterlagen anläßlich zweier Forschungsaufenthalte. Besonders nennen möchte ich hierbei Dr. Despina Ignatiadou, Dr. Dimitra Aktseli, Maria Voulala sowie Anastasia Dimoula. Schließlich gilt mein tiefer und aufrichtiger Dank dem Komitee der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf, welche durch die großzügige Gewährung eines Stipendiums das Entstehen dieser Arbeit überhaupt erst ermöglicht hat. Die Literatur zum römischen Thessaloniki hat in jüngster Zeit erfreuliche Zuwächse erfahren. Seit der Abfassung dieser Arbeit sind somit auch für die Religionsgeschichte der Stadt wichtige Publikationen hinzugekommen: Zum einen ist das ein jüngst erschienener Sammelband über das frühchristliche Thessaloniki,3 der sich vor allem einer bisher nur ungenügend publizierten Denkmälergruppe, nämlich der Wandmalereien der zahlreichen frühchristlichen Kammergräber Thessalonikis, annimmt. Im Bereich der Epigraphik gab es 2006 eine wichtige Neuerscheinung mit der Arbeit von P.M. Nigdelis, der zahlreiche Inschriftenneufunde aus Thessaloniki erstmals und mit umfangreichem Kommentar versehen publiziert.4 Die dort präsentierten Quellen und Ergebnisse konnten hier leider nur noch zu einem sehr geringen Teil berücksichtigt werden, insbesondere im Bereich des Vereinswesens gehen die dort vorgestellten Neufunde wesentlich über das hier präsentierte Material hinaus. Schließlich ist die von L. Bricault zusammengestellte Sammlung der Inschriftentexte zu den ägyptischen Kulten zu nennen,5 die zu Thessaloniki zwar keine neuen Texte bietet, deren Kommentare hier aber ebenfalls nicht mehr eingearbeitet werden konnten. In der Behandlung einer Stadt, die von ihren Anfängen an ununterbrochen besiedelt war, erwies sich eine unterscheidende Schreibweise für das antike Thessalonike und das heutige Thessaloniki als kaum durchführbar. Aus diesem Grunde ist hier durchgehend die einheitliche Schreibung Thessaloniki verwendet. Sirchingen, im Frühjahr 2008
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Christopher Steimle
BREYTENBACH – BEHRMANN 2007. EpThess (siehe Abkürzungsverzeichnis am Beginn des Literaturverzeichnisses). 5 L. Bricault, Recueil des inscriptions concernant des cultes isiaques (RICIS), 3 Bände (Paris 2005). 4
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis
Vorwort ...................................................................................................... VII Kapitel 1: Forschungsstand und Fragestellung ....................................1 1.1. Kurzbeschreibung ............................................................................... 1 1.2. Forschungsstand und Quellenproblematik ......................................... 1 1.3. Fragestellung und Methoden .............................................................. 7 1.4. Gliederung der Arbeit ....................................................................... 10
Kapitel 2: Topographie und Kult .......................................................... 13 2.1. Die hellenistische Stadtmauer .......................................................... 13 2.2. ‚Statthalterpalast‘ / ‚praetorium‘, Kaisertempel und ihr Verhältnis zur Stadtmauer .................................................... 18 2.3. Der Bereich der sogenannten sacred area ........................................ 23 2.4. Der ‚archaische Tempel‘ und kaiserzeitliche Skulpturenfunde ........ 28 2.4.1. Der augusteische Kaisertempel ....................................................... 31 2.4.2. Die Tempeltranslozierung und ihr ideologischer Hintergrund ................ 36 2.4.3. Das Verhältnis von Aphrodite- und Kaiserkult ................................... 41 2.4.4. Städtebauliche Einordnung des Kaisertempels ................................... 47 2.5. Die Bauinschrift des Kai1sarow nao1w (IGThess 31) ......................... 49 2.6. Weitere Denkmäler mit Bezug auf Actium ...................................... 54 2.7. Kulte im Bereich der Agora der mittleren Kaiserzeit ....................... 56 2.7.1. Mutmaßliche Kaiserkultstätten an der Nordseite der Agora .................. 57 2.7.2. Der Kultort des ueo2w Foy9lbow ....................................................... 61 2.8. Der Mithraskult – ein Kult extra muros? ......................................... 63 2.9. Veränderungen der Stadtstruktur unter der Tetrarchie ..................... 69 2.9.1. Der galerianische Palastkomplex ..................................................... 70 2.9.2. Rotunde ..................................................................................... 71 2.9.3. Oktogon ..................................................................................... 72 2.9.4. Stadtentwicklung in der Tetrarchenzeit ............................................. 76
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis ......................................79 3.1. Das Heiligtum der ägyptischen Götter ..............................................79 3.1.1. Lage des Heiligtums, Befunde und Bauten .........................................81 3.1.2. Antentempel ................................................................................88 3.1.3. Apsistempel und unterirdischer Raum ...............................................92 3.1.4. Zur Deutung des unterirdischen Raumes ............................................98 3.1.5. Statue und Basis der 5Isiw 3Orgi1a ........................................... 103 3.1.6. Ein Bauboom unter Antonius? ........................................................106 3.1.7. Im Heiligtum verehrte Götter .........................................................109 3.1.8. Beteiligung von Römern am Kult ...................................................114 3.1.9. Isis Lochia .................................................................................119 3.1.10. Ohren- und Fußspurenreliefs ........................................................120 3.1.11. Träume ....................................................................................121 3.1.12. Kultbeteiligung von Seeleuten ..................................................... 123 3.1.13. Nah- und Fernbeziehungen des Heiligtums .....................................128 3.1.14. Anhang: Auszug aus dem Tagebuch Hans von Schoenebecks ............131 3.2. Ehrungen für Römer und Kulte im Umfeld der Kaiserverehrung ......................................................132 3.2.1. Ehrungen der ‚Römischen Wohltäter‘ durch Stadt und Gymnasium ......133 3.2.2. Ehrungen ja, Kult nein? ................................................................138 3.2.3. Kult für Augustus – Kult für Iulius Caesar? .......................................140 3.2.4. Der Ephebenkult des ueo2w Foy9lbow .................................................142 3.2.4.1. Die Fulvuspriester ....................................................................148 3.2.4.2. Die Person des Fulvus ...............................................................151 3.2.4.3. Fulvus und Antinoos .................................................................152 3.2.5. Neokorien ..................................................................................156 3.2.6. Einladungen zu Spielen ................................................................158 3.2.7. Die städtische Festkultur des 3. Jahrhunderts nach Christus .................164 3.3. Religiöse Aktivitäten von Gruppen und Vereinigungen ..................168 3.3.1. Zusammenschluß der ne1oi ............................................................168 3.3.2. Die synpragmateyo1menoi R 4 vmai9oi ...............................................170 3.3.3. Dionysische Thiasoi ....................................................................172 3.3.4. Mysten des Zeus Dionysos Gongylos ..............................................183 3.3.5. Vereine der Kultteilnehmer ägyptischen Götter .................................184 3.3.6. Doy9mow der Aphrodite Epiteuxidia und synh1ueia der Purpurfärber .........190 3.3.7. Das Wirken von Vereinigungen im städtischen Umfeld ......................195
Kapitel 4: Die Religion Thessalonikis – die Religion einer provinzialen Großstadt .................... 201 4.1. Rahmenbedingungen der Religion in Thessaloniki ........................ 202 4.1.1. Die gesichtslose Großstadt: Profillosigkeit und Gegenmaßnahmen konstruierter Identität
.................................. 205
Inhaltsverzeichnis
XI
4.1.2. Was ist römisch am römischen Thessaloniki? .................................. 4.1.3. Gestaltungsmöglichkeiten von Religion .......................................... 4.1.4. Was ist das Besondere an der Religion Thessalonikis? ......................
211 215 216 4.2. Welche Religion gibt sich Thessaloniki? ........................................ 217
Literaturverzeichnis ................................................................................ 221 Stellenregister .......................................................................................... 231 Register der Namen, Orte und Sachen ............................................. 236
Kapitel 1 Kapitel 1: Forschungsstand und Fragestellung
Forschungsstand und Fragestellung 1.1. Kurzbeschreibung Die Arbeit befaßt sich mit der Untersuchung der Religionen und Kulte in Thessaloniki während der Zeit der römischen Republik und der Kaiserzeit. Ihr besonderes Augenmerk gilt den Veränderungen, welche für Thessaloniki als Folge der Einbindung Makedoniens in das römische Provinzsystem sichtbar werden und welche Ergebnis des wechselseitigen Austauschs zwischen dem Zentrum des Reiches (Rom beziehungsweise Italien) und seiner Peripherie, zwischen Thessaloniki und anderen städtischen oder religiösen Zentren innerhalb Makedoniens sowie auch zwischen Makedonien und seinen benachbarten Regionen sind. Quellen für diese Untersuchung sind vorrangig archäologische und epigraphische Zeugnisse, deren Auswertung systematischen Fragestellungen unterliegt. Angestrebt wird eine Darstellung der Transportwege und -mechanismen religiöser Diffusion, der Motive religiösen Handelns sowie der hieran beteiligten Personen und Medien. Indem sie die Vielfalt der Beziehungen zwischen Reichszentrum und Provinz sowie zwischen Angebot und Auswahl von Religion durch die Rezipienten besonders berücksichtigt, zielt die Untersuchung u.a. auf die Schaffung eines neuartigen Erklärungsmodells für die lokale Religionsgeschichte.
1.2. Forschungsstand und Quellenproblematik 1.2. Forschungsstand und Quellenproblematik
Für Thessaloniki besteht die für Griechenland einigermaßen ungewöhnliche Situation, daß die Stadt, obwohl schon in der Antike eine Großstadt, von der archäologischen Forschung erst in der jüngeren Vergangenheit ein zunehmendes Interesse erfährt. Gleichzeitig steht hier – wie für ganz Makedonien – die Erforschung der römischen Zeit erst in ihren Anfängen. Die Aufmerksamkeit der historischen und archäologischen Forschung galt – und gilt noch heute – vorrangig dem Makedonenreich der hellenistischen Zeit und somit einer Epoche, für die aus Thessaloniki nach wie vor kaum archäologische Funde vorliegen. Arbeiten über Monumente der römischen
Kapitel 1: Forschungsstand und Fragestellung
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Zeit wiederum beschränken sich auf Einzeluntersuchungen. Obwohl in der Literatur mehrfach als Desiderat bezeichnet, sind umfangreichere Arbeiten auch religionswissenschaftlicher Art bisher weitgehend unterblieben oder beschränken sich auf eine Katalogisierung von Kulten und zugehörigen Monumenten für den ehemals jugoslawischen und bulgarischen Teil Makedoniens.1 Die verhältnismäßig geringe Publikationsdichte, durch die sich Makedonien bis heute deutlich vom Süden des heutigen Griechenland unterscheidet, hat vielfältige Ursachen: Bereits im Jahre 1430 – also mehr als 20 Jahre vor Konstantinopel – von den Osmanen eingenommen, verblieb Thessaloniki bis 1912 in türkischer Hand. Aus dem Desinteresse der türkischen Verwaltung an der Erforschung der griechischen Vergangenheit – geborgene Antiken gingen in jenen Jahren immerhin in großer Zahl an das Archäologische Museum in Konstantinopel – ist leicht erklärlich, daß erste altertumskundliche Erkundungen auf vereinzelte Personen beschränkt blieben. Dies waren etwa ab dem 18. Jahrhundert eine Anzahl Reisender, die aufgrund der osmanenfreundlichen Politik jener Jahre vor allem aus Frankreich kamen. Beschreibungen von Antiken blieben hierbei natürlich auf oberirdisch Sichtbares beschränkt und bildeten zumeist nur einen Teil allgemeiner landeskundlicher Beobachtungen. Auch war der Anlaß der Aufenthalte selten allein in historischem Interesse begründet; zumeist waren es Handelsreisende, oft war ihnen Thessaloniki nur Zwischenstation auf dem Weg nach Konstantinopel. Doch auch die antike Überlieferung selbst trug ihren Teil zum Dasein Makedoniens im Schatten der übrigen griechischen Welt bei. Für die frühen Phasen archäologischer Wissenschaft war eine Orientierung vor allem an philologischen Quellen charakteristisch, doch gerade diese bieten kaum anschauliche Schilderungen der makedonischen Landschaft und ihrer Stätten: Nicht zuletzt in den Werken des Pausanias vermißt man schmerzlich eine Beschreibung Makedoniens. Daneben fehlten schlicht die Ruinenstätten klassischer Zeit, wie sie der Süden Griechenlands in reicher Zahl bot. Diesem Südgriechenland, in dem sich großartige materielle Reste antiker Vergangenheit mit einer reichen geschichtlichen Überlieferung verbinden ließen und welches seit den Befreiungskriegen zunehmend ausländischem Forscherinteresse zugänglich wurde, stand auch lange nach 1912 ein größtenteils balkanisch-orientalisch geprägter Norden gegenüber, dessen einzige Metropole Thessaloniki wenig archäologisch Interessantes aufbieten konnte. Wodurch sich die Stadt allein – wenngleich hierbei in reichem Maße – auszeichnete, waren Denkmäler der byzantinischen Zeit, vor allem Kirchenbauten, deren Mosaiken jenen in Konstantinopel oder Ravenna an Qualität und Bedeutung durchaus nahekommen. 1
DÜLL 1977.
1.2. Forschungsstand und Quellenproblematik
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Die römische Vergangenheit war in Thessaloniki hingegen lange Zeit kaum präsent. Zudem hatte die Stadt auch nach 1912 kaum Muße, sich ihrer Antiken zu widmen: War noch im Jahr ihrer Befreiung ein Antikendienst eingerichtet worden, der sich zunächst vor allem mit den Monumenten byzantinischer Zeit befaßte, so war ein Anlaß zu vereinzelten, kleinflächigen Grabungen erstmals durch den verheerenden Stadtbrand des Jahres 1917 und die darauf folgende Neubebauung geboten. Die Jahre 1922/23 markierte wiederum die ‚kleinasiatische Katastrophe‘ mit ihrer Folge des Bevölkerungsaustausches, dessen Flüchtlingsstrom zwangsläufig zu einer unkontrollierten und nur selten von archäologischer Untersuchung begleiteten Bautätigkeit im Stadtgebiet führte. Größere Grabungsflächen wurden erst mit der 1938/39 begonnenen Freilegung des Galeriuspalastes sowie ab den 1960er Jahren im Bereich der kaiserzeitlichen Agora aufgedeckt. Die meisten übrigen der innerhalb des Stadtgebietes gelegenen Grabungen boten sich hingegen nur kurze Zeit dem Auge des Betrachters dar, denn ihre Untersuchung fand – und findet noch heute – in aller Regel im Rahmen der Neubebauung von Grundstücken statt. Dies bringt zweierlei Probleme mit sich: Zum einen sind antike bauliche Zusammenhänge selbst über geringe Entfernungen im Stadtbild kaum je nachzuvollziehen, zum anderen berücksichtigen die Grabungsflächen allein die Zufälligkeiten heutiger Grundstücksgrenzen und erfassen somit nur in den allerwenigsten Fällen zusammenhängende Befunde vollständig. Nicht selten liegen Jahre oder gar Jahrzehnte zwischen der Freilegung und Publikation direkt benachbarter Grabungsstellen. Die Publikationen selbst sind meistens nur knappe Fundanzeigen, die über die eigentliche Grabungsstelle hinaus kaum je weiterreichende Erkenntnisse vermitteln können. Eine gewisse Abhilfe schaffen hier in jüngster Zeit zwei Publikationen: Zum einen die seit 1988 erscheinende Zeitschrift To Arxaiologiko1 e1rgo sth Makedoni1a kai Ura1kh (AErgoMak), welches seit Bestehen ein Zentralorgan für die Bekanntmachung jährlicher Grabungsergebnisse darstellt, dabei aber in der Regel nur über mehrjährig angelegte Kampagnen berichtet und somit die kleineren Notgrabungen im Stadtgebiet in der Regel weiterhin unberücksichtigt läßt. Zum anderen handelt es sich um die 1996 in griechischer Sprache publizierte Dissertation von Massimo Vitti,2 die nicht nur eine archäologische Gesamtaufnahme der Stadtentwicklung von der Gründung bis in die Galeriuszeit anstrebt, sondern hierbei auch erstmals einen zuverlässigen Gesamtplan der verstreut publizierten archäologischen Überreste im Stadtgebiet liefert. Bestimmend für die archäologisch-historische Forschung war bis in die jüngste Zeit hinein allerdings eine höchst unzureichende Publikationslage, die im Verbund mit einem für die breitere Forschung offenbar unattrakti2
VITTI 1996.
Kapitel 1: Forschungsstand und Fragestellung
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ven Fundmaterial dazu geführt hat, daß Thessaloniki bei internationalen Bearbeitern nur sehr vereinzelt Beachtung fand. Aufgrund der geschilderten Forschungslage war eine genauere Kenntnis der lokalen Gegebenheiten fast nur im Kreise einer einheimischen, zumeist griechisch publizierenden Forschergemeinde vorhanden, die zum Teil über unmittelbaren Einblick in die Grabungen und ihre Funde verfügte. Charakteristisch für die Publikationslage zur Archäologie und Kulturgeschichte Thessalonikis ist daneben ein bis in die heutige Zeit hinein spürbares, eigentümliches Mißverhältnis: So liegt einerseits inzwischen eine große Zahl tiefgreifender, wissenschaftlich fundierter Detailuntersuchungen vor, die sich dabei aber stets auf eine enggefaßte Materialbasis und Fragestellung beschränken. Die bisher einzige aktuellere – und entsprechend oft als Standardliteratur zitierte – Gesamtdarstellung, die sich umfassender der Kulturgeschichte der Stadt widmet, bildet das Vorwort einer numismatischen Studie von I. Touratsoglou.3 Andere Gesamtdarstellungen sind hingegen in den letzten Jahren wiederholt aus Anlaß bestimmter Jubiläen oder Ausstellungen erschienen (etwa 1985 zum 2300jährigen Stadtjubiläum; 1997 im Jahr der Europäischen Kulturhauptstadt) und somit für ein breiteres Publikum gedacht; sie alle sind folglich in knapper und eher populärwissenschaftlicher Form abgefaßt. Ähnliches gilt für eine 2001 aus einer Rundfunkserie zur Archäologie der Stadt hervorgegangene Publikation.4 Die römische Zeit rückte erstmals 2003 aus Anlaß einer Ausstellung über das ‚Römische Thessaloniki‘ in den Mittelpunkt; auch hierzu erschien eine Begleitpublikation.5 Arbeiten wie die genannten würde man kaum als Quellenliteratur zitieren, da sie naturgemäß vorrangig in der Absicht verfaßt sind, einen breiten, synoptischen Überblick über die bisherige Forschung zu geben; quellenkritische Diskussionen oder der Verweis auf Einzelbefunde als Beleg für die angeführten Ansichten sind in ihnen somit nicht zu erwarten. Dennoch sind sie unverzichtbar, da gerade die jüngeren Arbeiten in einigen Fällen die bisher einzige Publikation wichtiger, neuerer Grabungsergebnisse darstellen. Die geschilderte Publikationslage zwang in der vorliegenden Untersuchung deshalb gleich mehrfach zu ursprünglich nicht geplanten, dennoch notwendigen Vertiefungen in komplexe Befundsituationen, als auch zu forschungsgeschichtlichen Analysen älterer Forschungsmeinungen, deren oft ungeprüfte Tradierung über Jahrzehnte hinweg sich ebenfalls als ein Charakteristikum der Forschungsliteratur zur Stadt erwiesen hat. Was die historische Forschung anbelangt, fanden ähnliche Prozesse wie in der Archäologie statt. Makedonien zum einen war vor allem in seiner hellenistischen Blütezeit, in seiner Auseinandersetzung mit den griechi3
TOURATSOGLOU 1988, 5–19. ADAM-BELENH 2001. 5 RomThess. 4
1.2. Forschungsstand und Quellenproblematik
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schen Stadtstaaten sowie nochmals im Zusammenhang mit der Entstehung römischer Dominanz über Griechenland interessant; danach jedoch schien seine Geschichte geendet, das Land Makedonien zu existieren aufgehört zu haben. Thessaloniki zum anderen besaß in seiner erst hellenistischen Gründung keine für die Blüte des Makedonenreichs bedeutende Vergangenheit, auch mißt ihr die literarische Überlieferung keine Rolle zu, die wesentlich über einige schlaglichtartige Episoden am Rande der Weltgeschichte hinausgehen würde. Über die literarische Überlieferung hinaus verwertbare Zeugnisse waren für die historische Forschung nur Inschriften, und diese wiederum lagen nur zu einem geringen Teil in leicht zugänglichen Sammlungen vor. Immerhin gab es gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Makedonien – damals, dies sei nochmals hervorgehoben, ein von verhältnismäßig wenigen Ausländern bereister Teil des osmanischen Reiches – eine durch griechischstämmige Philologen, aber auch gebildete Laien getragene Tradition epigraphischer Forschung. Diese fand unter anderem in einer Anzahl von Sammelwerken Niederschlag, die für unzählige heute verlorene Steine nicht nur editio princeps, sondern oft genug auch das einzige Zeugnis darstellen. Zweifellos steht die Forschung engagierter Einzelner in dieser Zeit in einem besonderen Bezug zur Suche nach der eigenen, griechischen Vergangenheit in einem damals noch fremdbeherrschten Land. Für Thessaloniki bildeten hierbei etwa die Arbeiten von Margaritis Dimitsas (1896) und Petros Papageorgiou (1907/12) wichtige Editionen, die erst 1972 durch den IG-Band der Inschriften Thessalonikis ersetzt und um zahllose Neufunde ergänzt wurden. Welche Hemmnis dessen spätes Erscheinen für die Forschung darstellen mußte, läßt sich leicht ausmalen; somit verwundert es nicht, daß es neben lokal tätigen Ausgräbern fast nur der allgegenwärtige Louis Robert sowie der spätere Herausgeber des IG-Bandes, Charles Edson, waren, die sich seit Mitte der 1930er Jahre in einer Anzahl von zum Teil noch heute maßgeblichen Aufsätzen zur Kultur- und Religionsgeschichte Thessalonikis äußerten. Dennoch ist auch nach dem Erscheinen des IG-Bandes keine unfassende Studie zur Religion in Thessaloniki in Angriff genommen worden. Eine gewisse Ausnahme bildet hier lediglich die 1984 erschienene Dissertation von Holland Lee Hendrix, welche unter dem Titel ‚Thessalonicans Honor Romans‘ auch Kaiserehrungen behandelt, sich aber auf Zeugnisse bis zum ersten nachchristlichen Jahrhundert beschränkt. 6 Ähnliches gilt für eine weitere Arbeit, die 2001 erschienene Dissertation Christoph vom Brockes.7 Sie ist überhaupt die erste Arbeit, die eine umfassende Darstellung u.a. des kultischen Umfeldes des römischen Thessaloniki anstrebt und sich dabei 6 7
HENDRIX 1984. VOM BROCKE.
Kapitel 1: Forschungsstand und Fragestellung
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durch eine überaus sorgfältige Zusammenstellung sowie Diskussion von Quellen und Forschungsliteratur auszeichnet. Durch ihre fundierte und kenntnisreiche Präsentation archäologischer Befunde tritt sie hierbei aus der übrigen neutestamentlichen Literatur zu Thessaloniki angenehm hervor. Aufgrund ihres vorwiegend neutestamentlichen Interesses erfaßt diese Arbeit aber ebenfalls nur wenige Zeugnisse, die über das erste Jahrhundert nach Christus hinausreichen. Die für Thessaloniki besonders reichhaltigen epigraphischen Quellen gerade der mittleren und späten Kaiserzeit bleiben somit weiterhin unberücksichtigt. Gleichzeitig haben sich in den vergangenen Jahren beträchtliche Quellenzuwächse ergeben. Sie betreffen zum einen natürlich Inschriften, denn selbst die Sammlung des bisherigen IG-Bandes X.2.1 enthält fast nur die bis etwa 1960 bekanntgewordenen Texte. Zum andern sind es vor allem archäologische Zeugnisse, die durch verbesserte Publikationsbedingungen, aber auch eine in den vergangenen Jahren offenbar wachsende Akzeptanz römischen Fundmaterials – und um solches handelt es sich bei den antiken Funden des Stadtgebietes fast ausschließlich – vermehrt zugänglich werden. Bis vor kurzem gab es beispielsweise – von der galeriuszeitlichen Rotunde abgesehen – in Thessaloniki keinen einzigen antiken Kultbau, der in seinen archäologischen Überresten als bekannt oder publiziert gelten konnte: Von dem um 1920 und nochmals 1938/39 ergrabenen Heiligtum der ägyptischen Götter etwa war jahrzehntelang nur wenig mehr als der Umstand seiner anschließenden modernen Überbauung bekannt – aufgrund der unterbliebenen Publikation blieb selbst seine genaue Lage unklar. Ein alter Plan dieser Grabung – der ohne begleitende Dokumentation allerdings von eingeschränktem Nutzen bleiben muß – konnte erstmals 2004 publiziert werden.8 Unter die wichtigen Materialzuwächse der jüngsten Zeit fallen daneben Funde wie der mutmaßliche Sitz des Provinzstatthalters, aber auch nachträgliche Identifizierungen alt gegrabener Bauten wie etwa im Falle einer wohl severischen Kaiserverehrungsstätte am Nordrand der Agora.9 Der bedeutendste zu nennende Neufund ist zweifellos ein jüngst wiederaufgefundener, erstmals um 1936 freigelegt gewesener Tempel, von dem bisher nur seine spätarchaische ionische Marmorarchitektur bekannt gewesen war. Seine nun freigelegten Fundamente erweisen ihn nun als frühkaiserzeitlich verpflanzten Bau, der nach seiner Umsetzung der Kaiserverehrung gedient hat. Durch die steigende Zugänglichkeit archäologischer Befunde sind seit wenigen Jahren die Voraussetzungen gegeben, die inschriftlichen Zeugnisse gemeinsam mit topographisch-archäologischen Erkenntnissen zu untersuchen und auszuwerten. Daß die hierbei gewonnenen Ergebnisse in vielen 8 9
STEIMLE 2004. STEFANIDOY-TIBERIOY 2001a.
1.3. Fragestellung und Methoden
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Fällen nur vorläufigen Charakter besitzen und jederzeit von neuen Funden in ein völlig anderes Licht gestellt werden können, bleibt notwendige Begleiterscheinung einer allzu häufig noch dünnen Materialdecke.
1.3. Fragestellung und Methoden 1.3. Fragestellung und Methoden
Ihre wichtige verkehrsgeographische Lage und der Umstand, daß Thessaloniki von hellenistischer Zeit an ein wichtiges religiöses, als Provinzhauptstadt dann auch ein bedeutendes politisches Zentrum war, machen die Stadt zu einem besonders interessanten Objekt religionshistorischer Fragestellungen. Das Interesse gilt hierbei insbesondere den Entwicklungen, die sich aus der römischen Eroberung und aus der Provinzwerdung Makedoniens ergeben. Bei der Untersuchung dieser Wandlungs- und Formierungsprozesse wird nach der von verschiedenen Orten ausgehenden Diffusion von Religion gefragt, und hierbei vor allem nach den personalen Trägern dieser Diffusion, aber auch nach den Medien, die Elemente dieser neuen Religion vermitteln und – etwa im Fall von Inschriften – über den engen zeitlichen und örtlichen Rahmen des eigentlichen Ereignisses hinaus überliefern. Hier ergibt sich auch die Frage nach den Veränderungen, denen stadtrömischen Elemente in der Peripherie durch Verschmelzung mit lokalen Kulttraditionen unterworfen sind. Die Wirkungsbereiche verschiedener Personengruppen und Medien haben unmittelbare Konsequenzen für die sakrale Geographie: Für bestimmte Kulte oder Religionsformen bilden z.B. Hafenstädte, Fernstraßen (in Makedonien v.a. die Via Egnatia) und daran entstehende Verkehrs- und Handelsknotenpunkte sowie Militärlager, Verwaltungssitze oder Pilger- und Orakelheiligtümer Zentren aus. Rom stellt deshalb für die Provinz keinesfalls den einzigen, zumeist auch nicht den wichtigsten Bezugspunkt dar. Mindestens ebenso bedeutend sind (neben traditionellen oder neuen Zentralorten in der Provinz wie Dion und Beroia) die politisch, kulturell oder wirtschaftlich bedeutenden Zentren in den benachbarten Gebieten, welche, räumlich näher als Rom, ihren geographischen Umkreis beispielsweise durch Handelskontakte oder Kolonialisierungs- und Migrationsprozesse oft wesentlich beeinflußten oder selbst durch ihn beeinflußt wurden. Die Arbeit versucht deshalb, diese geographischen Bezugspunkte, die von wichtigen Bevölkerungsgruppen in Thessaloniki wahrgenommen wurden, ebenso zu erfassen wie in Einzelfällen erkennbare konkrete personelle Kontakte, um auf diese Weise die wechselseitige Beeinflussung und die Ausstrahlungsweite politischer und religiöser Zentren inner- und außerhalb der Provinz nachzuzeichnen. Die partielle und themenbezogene Einbeziehung anderer ausgewählter Orte vor allem Makedoniens in die Untersuchung hat zum einen Kontroll-
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Kapitel 1: Forschungsstand und Fragestellung
funktion für die für Thessaloniki ermittelten Ergebnisse, zum anderen bietet sie die Möglichkeit aufschlußreicher Vergleiche hinsichtlich der Ausgestaltung von bestimmten Kulten an verschiedenen Orten. Vergleiche sind hier insbesondere zu den Gegebenheiten in den Städten Dion, Beroia und Philippi möglich, die beispielsweise Kulte derselben Gottheiten beherbergen, sich aber gleichzeitig in ihrem jeweiligen kulturellen Hintergrund von der Stadt Thessaloniki zum Teil stark unterscheiden (etwa Philippi als Ansiedlungsort römischer Veteranen) oder während der Kaiserzeit politische Zentralortfunktion ausüben (Beroia als Sitz des makedonischen Koinon). Bei der Bearbeitung wurde das traditionelle Bild der ‚Romanisierung‘ der Provinzen im Sinne einer Überformung der vorrömischen lokalen Verwaltungsstrukturen, Kultur und Kulte ersetzt durch ein flexibleres Modell eines ‚offenen Systems‘ zwischen Spannung und Integration verschiedener Interessengruppen, bei dem eine Dominanz des Römischen über die unterlegenen ‚Ureinwohner‘ nicht länger im Vordergrund steht. Vielmehr wird Makedonien als regionale Kultur betrachtet, in der Erscheinungsformen und Funktion von Religion – unter den Bedingungen eines veränderten politischen Bezugssystems, der Neuformierung einer überregional orientierten Elite, eines erhöhten Angebots an Traditionen sowie durchlässiger Außengrenzen – lokal und sozial differenzierten, stetigen Veränderungen unterlagen. Dieser Zugriff berücksichtigt Eigenständigkeiten und lokale Besonderheiten der Peripherie ebenso wie deren Umprägung unter äußeren Einflüssen. Die Entwicklung der Fragestellung kann nicht unbeeinflußt bleiben von den Realitäten, denen die für Thessaloniki verfügbaren Quellen unterliegen. Die Probleme der archäologischen Zeugnisse, die erst in der jüngsten Zeit um Belege für Sakralbauten vermehrt wurden, aber über punktuelle Befunde hinaus kaum je weiter reichende topographische Zusammenhänge erkennen lassen, sind bereits angesprochen worden. Doch auch das verfügbare epigraphische Material, das vor allem die rund tausend im IGBand X 2.1 publizierte Steininschriften umfaßt, ist natürlich nur zu einem Bruchteil für die Beantwortung religionsgeschichtlicher Fragestellungen nutzbar zu machen. Daneben sind die Belege für einzelne Kulte schon zahlenmäßig von auffälliger Inhomogenität: Etwa 70 Inschriften zu den Kulten der ägyptischen Götter bilden den größten Komplex zu einem bestimmten Kult. Ihnen folgen 19 Texte zum Kult des theos Fulvos, alle anderen Götterkulte hingegen erreichen kaum eine Belegzahl von fünf Texten, zumeist jedoch sind es einzelne Zeugnisse. Allein dieser Zahlenvergleich macht deutlich, daß eine einfache ‚Gegenüberstellung‘ von Kulten kaum möglich ist. Vielmehr müssen die Kulte, den verfügbaren Zeugnissen entsprechend, in oft sehr unterschiedlicher Weise betrachtet werden, um dann auch Aussagen sehr unterschiedlicher Dichte zu ermöglichen. Ebenso läßt es die teilweise allzu dünne Quellenlage nicht sinnvoll erscheinen, jeden
1.3. Fragestellung und Methoden
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einzelnen der in der Stadt belegten Kulte zu behandeln, da dies über eine bloße Katalogisierung meist nicht hinausreichen würde. Weiter kommt hinzu, daß aus der hellenistisch gegründeten Stadt Thessaloniki Inschriftenfunde hellenistischer Zeit erstaunlich selten sind: Selbst disparate Fragmente mitgerechnet liegt ihre Zahl unter zehn Stücken. Da diesem Befund die Situation bei den archäologischen Funden entspricht, wird eine Rekonstruktion eines vorrömischen Zustandes, an dem man Art und Ausmaß der dann ab Provinzwerdung in der Stadt erfolgten Veränderungen ermessen könnte, mit größten Unsicherheiten behaftet bleiben müssen. Ähnliche Verhältnisse gelten aber auch über Thessaloniki hinaus: Gut publiziertes Inschriftenmaterial liegt nur für einen sehr geringen Teil Makedoniens vor, eine schmerzhafte Lücke gibt es insbesondere bei den Inschriften aus Dion. Ein ‚Kultspektrum‘ dieser Stadt, welches mit jenem von Thessaloniki ohne weiteres verglichen werden könnte, läßt sich vor diesem Hintergrund nicht rekonstruieren. Eine direkte Vergleichsmöglichkeit zu Thessaloniki ist bei Dion somit nur im Isiskult gegeben. Aber auch im neuerdings gut publizierten Inschriftenmaterial aus Philippi bildet aus der dortigen Gesamtheit der Kulte wiederum nur der Isiskult die fast einzige Überschneidung zu den in Thessaloniki belegten Kulten. Immerhin werden im Falle von Philippi mit seinen thrakischen, aber auch stark latinisierten Bevölkerungsteilen Ursachen für die großen Unterschiede zum Kultspektrum Thessalonikis benennbar. Die genannten Schwierigkeiten direkter Vergleiche mit anderen Zentren Makedoniens, aber auch die inhomogene und nur zum Teil durch archäologische Zeugnisse ergänzte Quellenlage in Thessaloniki lassen sich methodisch nur dann überwinden, wenn man Einzelzeugnisse als Ausgangspunkt systematischer Überlegungen akzeptiert. Sie sind zwar einerseits mit dem Problem behaftet, daß sich in ihnen Zufälligkeiten der Quellenentstehung, aber auch der Überlieferung ungleich stärker abzeichnen können und sie somit ein unter Umständen wenig repräsentatives Bild vermitteln. Ihre Untersuchung wird also kaum eine Aussage darüber erbringen können, welches Kultverhalten für einen Angehörigen eines bestimmten sozialen Standes mit einer bestimmten ethnischen Herkunft in einer bestimmten Zeit ‚typisch‘ gewesen wäre. Es kann jedoch in bestimmten Fällen – und dies zum Teil sehr detailliert – ausgesagt werden, welches die ausschlaggebenden Faktoren für die Auswahl aus einem Repertoire von Religionsformen war, die von einer bestimmten Personengruppe vor dem Hintergrund einer bestimmten Situation getroffen wurde. Das sich so ergebende Bild wird zwangsläufig nur lückenhaft und stets auch wesentlich durch die Zufälle und Probleme der Quellenüberlieferung bestimmt sein. Deshalb wird ein besonderes Augenmerk auf die vorsichtige Behandlung andernorts gewonnener Erkenntnisse gelegt, um die Gefahr zu minimieren, diese auf die Deutungen des eigenen Materials zu übertragen und damit zu mögli-
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Kapitel 1: Forschungsstand und Fragestellung
chen Fehlinterpretationen von Zeugnissen zu gelangen. Die für Thessaloniki gewonnenen Ergebnisse erheben bewußt keinen Anspruch der Allgemeingültigkeit, bieten dafür aber den Vorteil der direkten Bezugnahme auf konkrete Quellen. Durch dieses Verfahren sind am ehesten Ergebnisse zu erwarten, welche charakteristische Eigenheiten der Religion Thessalonikis sichtbar werden lassen.
1.4. Gliederung der Arbeit 1.4. Gliederung der Arbeit
Den Beginn der Untersuchung bildet eine Studie zur topographischen Situation sakraler Stätten im Stadtgebiet von Thessaloniki. In ihr wird zum einen der Versuch unternommen, das Bild der hellenistischen Stadt nachzuzeichnen, welche ja den Ausgangspunkt der hier untersuchten Entwicklungen ab der Zeit der Provinzwerdung bildet. Im weiteren werden mit dem Umfeld des augusteischen Kaisertempels, der antoninisch-severischen Agora und dem galerianischen Palastkomplex drei Bereiche dargestellt, die jeweils in ihrer Zeit maßgebliche politische und sakrale Funktionen erfüllten. Hieran jeweils angeschlossen werden die topographischen Aspekte einiger weniger Kulte, deren Ausübungsorte sich in Thessaloniki räumlich bestimmen lassen, diskutiert. Der zweite Hauptteil der Arbeit widmet sich ausgewählten Kulten. Bestimmend für ihre Auswahl ist durchweg das Kriterium der Nutzbarkeit für die Fragestellung. Somit werden hier fast ausschließlich Kulte behandelt, für die umfangreichere Zeugnisse vorliegen, welche eine Einordnung in einen kulturell-gesellschaftlichen Rahmen ermöglichen, oder die aus anderen Gründen in einem engeren Zusammenhang mit dem hier behandelten Material stehen. Einzelbelege für Kulte sind in aller Regel nur dann erfaßt, wenn ihre Einordnung in sozialgeschichtliche Zusammenhänge möglich und sinnvoll erschien. Die in diesem Abschnitt behandelten Kulte gliedern sich in drei große Komplexe, nämlich in jenen der Kulte der ägyptischen Götter, in durch Körperschaften ausgeübte Religion sowie in den Komplex der Kaiserverehrung und in deren Umfeld angesiedelter Kulte. Bei ihrer Untersuchung stehen gesellschaftliche und religionshistorische Aspekte im Vordergrund, auch wenn diese, sofern eine Trennung weder machbar noch sinnvoll erschien, zum Teil bereits im topographischen Teil angesprochen werden. Umgekehrt werden jedoch auch hier noch gelegentlich topographische Fragen behandelt. Insbesondere im Abschnitt zum Heiligtum der ägyptischen Götter ließ sich eine Trennung der Darstellung nicht durchgehend aufrechterhalten, da hier Deutungsfragen des Kultes in verstärktem Maße von denen des architektonischen Befundes abhängen. Den Abschluß bildet schließlich die Untersuchung der gewonnenen Befunde nach systematischen Fragestellungen. Hier wird nach den Bedingun-
1.4. Gliederung der Arbeit
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gen gefragt, unter denen sich Religion verändert oder neu formiert hat. Die Hauptaugenmerke liegen auf den hierbei aktiven Personen oder Personengruppen, die Religion gestalteten, für die Religion aber auch eine Möglichkeit der eigenen Positionierung darstellte. Betrachtet werden hier auch die vielfältigen, über die Stadtgrenzen hinausreichenden räumlichen Beziehungen, die der Entstehung religiöser Erscheinungsformen in Thessaloniki zugrunde lagen.
Abb. 1: Der Stadtplan Thessalonikis mit der Lage antiker Denkmäler und Grabungsstätten. Die Stadtmauern sind mit den Erweiterungsphasen aus spät- und nachantiker Zeit dargestellt.
Kapitel 2 Kapitel 2: Topographie und Kult
Topographie und Kult Die bauliche Gestalt Thessalonikis in den ersten drei Jahrhunderten nach seiner Gründung um 316/15 v. Chr. ist nur äußerst lückenhaft bekannt. Durch die starke moderne Überbauung, aber auch schon durch antike Bautätigkeit sind hellenistische Bautenreste so beeinträchtigt, daß im Inneren des heutigen Stadtmauerringes entsprechende Befunde nur durch kleinflächige Grabungen überliefert sind.1 Erst seit den 1980er Jahren wurden vereinzelt Baubefunde freigelegt, die weitergehende Aussagen zur hellenistischen Gestalt der Stadt erlauben. Auch sie verdienen im Rahmen der Untersuchung der Gegebenheiten römischer Zeit Beachtung, da sie zum einen eine Vorstellung von der Stadt zur Zeit der Provinzwerdung und in den ersten Jahrzehnten danach vermittlen können, zum anderen deshalb, weil sie zum Teil räumliche Verhältnisse betreffen, die für die Bewertung der sakralen Topographie der römischen Zeit von Bedeutung sind. Im Zusammenhang mit der Sakraltopographie der hellenistischen wie der frühen Provinzialzeit ist der Verlauf der Stadtmauer in diesen Zeitabschnitten von Interesse, auch wenn ihr Verhältnis zu den heute im Westen des ummauerten Stadtgebietes gelegenen Heiligtümern noch der Klärung bedarf.
2.1. Die hellenistische Stadtmauer 2.1. Die hellenistische Stadtmauer
Bis vor wenigen Jahren ging die Forschung davon aus, daß der heute noch in weiten Teilen erhaltene Stadtmauerring, welcher das Stadtzentrum mit 1 An hellenistischen Befunden außerhalb des Mauerringes kennen wir vor allem Nekropolen: UESSALONIKH 1986, 38–39 [E. Trakosopoy1loy-Salaki1doy]. VITTI 1996, 134–138. – Funde hellenistischer Keramik innerhalb der südöstlichen Mauererweiterung, innerhalb welcher der galerianische Palastkomplex errichtet wurde, werden v.a. mit einem etwa 100 Bestattungen umfassenden Gräberfeld hellenistischer Zeit in Verbindung gebracht: VITTI 1996, 105 mit Anm. 142–143. I. Bokotopoy1loy, ADelt 39, 1984, B 216 mit Taf. 100 b–d. Eine Zusammenstellung der knappen Fundberichte, welche über sonstige hellenistische Keramikfunde innerhalb des Mauerrings Auskunft geben, gibt ADAM-BELENH 1989, 227 Anm. 1. Der derzeit älteste freiliegende Bau innerhalb des Stadtgebietes ist das Schwitzbad einer hellenistischen Badeanlage im Bereich der kaiserzeitlichen Agora: ADAM-BELENH 1997. ADAM-BELENH 2001, 131-138.
Kapitel 2: Topographie und Kult
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einer Fläche von über 300 ha umschließt, 2 von kleineren Korrekturen abgesehen seit hellenistischer Zeit unverändert Bestand gehabt hätte. 3 Neuere Arbeiten kommen hingegen zu dem Schluß, die in hellenistischer Zeit von der Stadtmauer umschlossene Fläche sei wesentlich kleiner als das heute ummauerte Stadtgebiet gewesen. Für diese Annahme sprechen gute Gründe, auch wenn für den Verlauf der hellenistischen Ummauerung bisher nur wenige Indizien vorliegen. Zu welchen Zeiten Erweiterungen des Stadtmauerrings erfolgt sind und in wie vielen Etappen dies geschah, ist bisher ebenfalls unbekannt. Wenn im folgenden von der ‚hellenistischen Stadtmauer‘ gesprochen wird, müssen deshalb Teile des in der frühen Kaiserzeit bestehenden Verlaufs ebenso offen bleiben wie Lage und Datierung eventueller Erweiterungen aus jener Zeit. Daß eine erste Befestigung der Stadt bereits zur Zeit ihrer Gründung oder kurz danach erfolgt sein muß, läßt sich aus der Überlieferung folgern, Antigonos Gonatas habe etwa 273 v. Chr. Thessaloniki zum Ausgangspunkt seiner Kämpfe gegen den epirotischen König Pyrrhos gewählt: Ein solches Vorgehen scheint nur bei einer wirksam befestigten Stadt sinnvoll.4 Erstmals ausdrücklich erwähnt werden die Mauern durch Livius in seiner Schilderung des dritten makedonisch-römischen Krieges (171–168 v. Chr.) als moenia beziehungsweise muri.5 Ihre archäologische Bestäti-
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Eine Fläche von 300–320 Hektar nennt BELENHS 1996a, 491. – Die durch VOM BROCKE 25 genannte Fläche von „ca. 350 ha“ bezieht vermutlich die byzantinische Akropolis außerhalb des eigentlichen Mauerrings mit ein. 3 Vgl. etwa M. Tiverios, Die antike Kunst in Thessaloniki, in: N. und H. Eideneier, Thessaloniki. Bilder einer Stadt (Köln 1992) 95–99, hier: 95: „ ... wenn man die Bodengestalt der Stadt in Betracht zieht sowie die Tatsache, daß Thessaloniki schon zu hellenistischer Zeit ein Hafen mit Werften war, folglich bis zum Meer reichte, daß im westlichen Teil der Stadt bereits im 3. Jh. v. Chr. das Serapeion existierte, und noch bestimmte andere Ausgrabungszeugnisse erwägt, kann man sagen, daß die hellenistische Stadt sich an Größe nicht sehr von der Stadt in römischer und byzantinischer Zeit unterschied. Folglich gründete Kassander eine Stadt, die in Bezug auf ihre Ausdehnung (ungefähr 300 Hektar) zu den größten auf dem eigentlichen griechischen Boden gehörte.“ Von einer dem heutigen Stadtmauerumfang nahezu entsprechenden hellenistischen Stadt ging auch M. Vickers aus: VICKERS 1972 bes. 161. 166– 168 Abb. 4 sowie passim. – Von einer kleineren, auf den Westteil des heutigen Stadtgebietes beschränkten hellenistischen Anlage spricht, jedoch ohne nähere Begründung, X. Makaro1naw, 3Apo2 ta2w o3rganv1seiw ne1vn th9w a3rxai1aw Uessaloni1khw, 3Episthmonikh2 3Epethri22w Filosofikh9w Sxolh9w Panepisthmi1oy Uessaloni1khw 6, 1950, 307 Anm. 6; vgl. hierzu auch BELENHS 1996a, 491. 4 Auf eine noch etwas frühere Bewährungsprobe der Stadtmauer führen die Überlegungen Ch. vom Brockes zur Belagerung der Stadt durch Kelten im Jahre 279 v. Chr.: VOM BROCKE 26. 5 Liv. 54, 10, 5–7: Inter haec C. Marcius cum classe ab Heracleo Thessalonicam profectus est et agrum pluribus locis expositis per litora armatis late vastavit et procurrentes ab urbe secundis aliquot proeliis trepidos intra moenia compulit. Iamque ipsi urbi terribilis erat, cum dispositis omnis generis tormentis non vagi modo circa muros temere
2.1. Die hellenistische Stadtmauer
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gung findet die aus historischen Überlegungen gewonnene Annahme einer bereits hellenistischen Ummauerung durch die bisher an drei Stellen – zwei an der Nordostecke des Mauerringes, eine dritte am östlichen Ende der Südmauer – erfolgte Lokalisierung hellenistischer Mauerwerksphasen. Zwei der genannten Bereiche befinden sich in unmittelbarer Nähe des großen, Py1rgow Trigvni1oy genannten Rundturmes, der, auf seiner Anhöhe weithin sichtbar, den nordöstlichen Eckpunkt der Stadtbefestigung bildet. Hier gelang der Nachweis hellenistischen Mauerwerks im obersten, turmnahen Bereich des östlichen Mauerzugs, der, vom Rundturm ausgehend, in annähernd gerader Linie zum Meer hinunter verläuft. Eine weitere Stelle befindet sich am nördlichen Mauerzug, etwa 20 m westlich des Rundturmes.6 Die beiden Fundstellen im Bereich des Rundturms bilden einen willkommenen Fixpunkt des hellenistischen Stadtmauerverlaufs, denn sie belegen nicht nur die östliche Grenze des ummauerten Stadtgebietes der hellenistischen Zeit, sondern zeigen auch, daß dessen Ausdehnung nach Norden hin zumindest in diesem Bereich dem heutigen Mauerverlauf entsprochen haben muß.7 Für den südlichen, sich parallel zum Meeresufer erstreckenden Mauerzug scheint hingegen gesichert, daß dieser in seinem ursprünglichen Verlauf gegenüber der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts abgetragenen byzantinischen Ufermauer um etliche hundert Meter abwich. Zu einer entsprechenden Annahme hatten bereits in den vergangenen Jahren mehrere Argumente geführt: Grundsätzliche Überlegungen zur Größe hellenistischer Stadtanlagen lassen den heutigen Mauerring mit seiner umschlossenen Fläche von reichlich 300 ha für das hellenistische Thessaloniki als ungewöhnlich groß bemessen erscheinen. Dies gilt selbst beim rechnerischen Abzug von Flächen der byzantinischen Akropolis, der römischen Mauererweiterung im Bereich des Galeriuspalastes sowie des in seiner adpropinquantes, sed etiam qui in navibus erant, saxis tormento emicantibus percutiebantur. – Die Textstelle wird ausführlich diskutiert durch VOM BROCKE 31–33. 6 ADAM-BELENH 1989, 228–229 mit Skizze 1 und Abb. 1. BELENHS 1998, 20–25 mit Skizzen 2–4 und Abb. 8–11. VITTI 1996, 121–123. 166 Nr. 23. VITTI 1996 (Kartenband) Karten 1–4. 6 Nr. 23. Die Lokalisierung hellenistischer Mauerwerksphasen wird nicht zuletzt durch wiederholte Erneuerungen der Stadtmauer mit zum Teil meterdicken Vormauerungen späterer Zeiten erschwert. Das zu beiden Seiten von diesen Erneuerungsphasen umschlossene Mauerwerk besteht aus durchschnittlich 1,20 bis 1,60 m langen, grob behauenen und mit Lehmmörtel zusammengefügten Blöcken des örtlich anstehenden grünen Schiefers: BELENHS 1998, 25– 30. Als Vergleiche für seine Datierung in hellenistische Zeit nennt G. Velenis die ins 4. Jh. v. Chr. datierte Akropolismauer von Philippi (BELENHS 1998, 25 mit Verweis auf P. Collart – P. Ducrey, Philippes I. Les reliefs rupestres [Athen 1975] 13–14) sowie insbesondere eine ebenfalls aus lokalem Schiefer errichtete Stützmauer des Gymnasiums von Minoa auf Amorgos: BELENHS 1998, 25 mit Verweis auf Ergon 1987, 115–118 Abb. 138–139. Die engsten Parallelen lokalisiert Velenis hingegen in den karischen Städten Kaunos und Iasos: BELENHS 1998, 25 Anm. 27. 7 Vgl. VITTI 1996, 122. – VOM BROCKE 27–31.
Kapitel 2: Topographie und Kult
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Ummauerung spätantik und byzantinisch zweifach erweiterten,8 heute zwei Häuserblocks tiefen Streifens entlang der Uferzone: Auch um diese Flächen reduziert hätte das Stadtgebiet noch etwa 220 ha erreicht und somit eine Ausdehnung besessen, die im nordgriechischen Raum zu dieser Zeit einzig für die makedonische Hauptstadt Pella nachgewiesen ist. 9 Das Fehlen literarischer Hinweise auf eine solch ungewöhnliche Größe Thessalonikis bereits in hellenistischer Zeit, aber auch die große Nähe zu dem nur eine Tagesreise entfernten Pella lassen es realistischer erscheinen, für die hellenistische Stadt von einer wesentlich geringeren Grundfläche auszugehen, die anderen nordgriechischen Stadtanlagen eher entspricht.10 G. Velenis schlägt hierfür, abhängig von verschiedenen Modellen zum möglichen hellenistischen Mauerverlauf, eine Fläche von 45 bis maximal 90 Hektar vor.11 Das Geländeprofil, welches vom Meer her bis etwa in Höhe der parallel zum Ufer verlaufenden Straßen Odo1w Oly1mpoy beziehungsweise Odo1w Agi1oy Dhmhtri1oy noch verhältnismäßig sanft ansteigt, von dort an in Richtung Oberstadt jedoch zunehmend steiler wird, veranlaßte gleichzeitig die Vermutung, daß die südliche Stadtmauer der hellenistischen Zeit eben in diesem fortifikatorisch günstigeren Übergangsbereich zu suchen sei.12 8
Zu den verschiedenen Phasen der Ufermauer: M. Vickers, The Byzantine Sea Walls of Thessaloniki, Balkan Studies 11, 1970, 261–280. MPAKIRTZHS 1975. UEOXARIDHS 1975. J.M. Spieser, Note sur le rempart maritime de Thessalonique, Travaux et Mémoires 8, 1981, 477– 485. 9 BELENHS 1998, 20 mit Anm. 15. 10 Als etwa gleichzeitige Siedlungen nennt G. Velenis das thessalische Goritsa (30 ha), das makedonische Dion (Innenfläche der unter Kassandros datierten ersten Ummauerung: 40 ha) sowie das epirotische Kassope (38,7 ha). Etwas später datieren die Mauern von Edessa (23,5 ha) sowie der Siedlung Petres (bei Florina; 15 ha): BELENHS 1998, 20 Anm. 16 mit Belegen. 11 BELENHS 1998, 31 mit Anm. 36. 12 BELENHS 1996a, 495. BELENHS 1998, 31. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Südmauer der hellenistischen Stadtbefestigung mehrere hundert Meter vom Meeresufer entfernt gelegen hat, ergibt sich auch aus der literarischen Überlieferung. So berichten Diodor und Livius, der letzte makedonische König Perseus habe nach seiner Niederlage in der Schlacht von Pydna (148/7 v. Chr.) ein Niederbrennen der Werftanlagen (nev1ria bzw. navalia) angeordnet, um sie nicht dem Feind in die Hände fallen zu lassen: Diod. 30, 11, 1: 7Oti tele1vw o4 Persey2w nomi1saw e3ptaike1nai toi9w o7loiw, kata2 pa9n syntribei2w tü9 cyxü9 Ni1kvna me2n to2n uhsayrofy1laka e3je1pemce, synta1jaw th2n e3n tö9 Fa1kö ga1zan kai2 ta2 xrh1mata kataponti1sai, 3Andro1nikon de2 to2n svmatofy1laka ei3w Uessaloni1khn, synta1jaw e3mprh9sai ta2 nev1ria th2n taxi1sthn. – Liv. 44, 6: [Perseus Rex] ... duos ex amicis, Pellam alterum, ut, quae ad Phacum pecunia deposita erat, in mare proiceret, Thessalonicam alterum, ut navalia incenderet, misit; vgl. 44, 10: ... Thessalonicae navalia iusserat incendi. Die Notwendigkeit des Niederbrennens weist darauf hin, daß dieser Bereich zum Zeitpunkt der Ereignisse nicht durch eine Mauer geschützt war; vgl. auch die Liv. 44, 32 geschilderte Bewachung dieser Werften: Eo et Androklem praefectum mittit iussum sub ipsis navalibus castra habere. – Die Lage dieser Werften wird im Bereich des hellenistischen Hafens angenommen, der sich unmittelbar südlich des späteren Galeriuspalastes befunden haben muß. Zu den Häfen der hellenistischen sowie der konstantinischen Zeit vgl. MPAKIRTZHS 1975, 320–321. UEOXARIDHS 1975, 387. VITTI 1996, bes. 131–133. VOM BROCKE 34–37. – Mit dem hellenistischen Hafen oder einer
2.1. Die hellenistische Stadtmauer
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Von archäologischer Seite wurde die Annahme einer ursprünglich weiter bergwärts liegenden Südmauer bereits seit einigen Jahren durch die Auffindung hellenistischer Gräber gestützt, die in der Nähe der Acheiropoietos-Kirche13 sowie südlich der Rotunde im Bereich des Galeriuspalastes14 zutage kamen und zur Zeit ihrer Anlage außerhalb des ummauerten Bereiches gelegen haben müssen. Hinzu kommt der Fund eines hellenistisch datierten Metallschmelzofens in der Nähe der Rotunde, am östlichen Ende der Odo1w Fili1ppoy,15 von dem ebenfalls angenommen werden kann, daß er nicht inmitten des besiedelten Stadtgebietes lag, sondern allenfalls in der Nähe der Stadtmauer, möglicherweise aber auch außerhalb des Mauerringes.16 Ein bisher nur summarisch berichteter Fund aus jüngster Zeit, der in den Jahren 2000–2002 bei Kanalarbeiten im Verlauf der Odo1w Agi1oy Dhmhtri1oy gemacht wurde,17 scheint den angenommenen Verlauf der hellenistischen Südmauer erstmals zu sichern. Es handelt sich um ein etwa 30 m langes, in Ost-West-Richtung verlaufendes Mauerstück, welches in der gleichen Technik wie die obererwähnten hellenistisch datierten Abschnitte südlich und östlich des Rundturmes errichtet ist. Seine Entdeckung unmittelbar an der Durchtrittsstelle der Odo1w Agi1oy Dhmhtri1oy durch die östliche Stadtbefestigung legt nahe, in diesem Bereich die südöstliche
an ihm gelegenen Agora werden die Reste einer hellenistischen Säulenhalle verbunden, die an der Einmündung der Odo1w Grhgori1oy Palama1 in die Platei1a Nayari1noy, also etwas nordwestlich des sogenannten Oktogons des Galeriuspalastes, aufgefunden wurde: M. Mpe1siow, ADelt42, 1987, B2 349–350 Abb. 1. ADAM-BELENH 1989, 233–234. VITTI 1996, 133. 210 Nr. 96 sowie (Kartenband) Karten 1–4 und 6 Nr. 96. 13 A. Pariente, Chronique des fouilles, BCH 115, 1991, 906. 14 I. Bokotopoy1loy, ADelt 39, 1984, B 216 mit Taf. 100 b–d. UESSALONIKH 1986, 38–39 [E. Trakosopoy1loy-Salaki1doy]. VITTI 1996, 134–138. 15 Zum Fundort des in der Literatur ansonsten nicht näher beschriebenen Ofens s. VITTI 1996, 76 sowie 232 Nr. 115 (mit Angabe der Fundberichte). – VITTI 1996 (Kartenband) Karten 1–4 sowie 6 (Nr. 115). 16 Während ADAM-BELENH 1989, 235 den Ofen als Hinweis auf die südseitige Begrenzung der Ummauerung ansieht, sprechen E. Markh1 (Arxaiologi1a 7, 1983, 12; hier: Deutung als Keramikbrennofen) sowie VITTI 1996, 76 davon, er bilde einen Hinweis auf die Lage der hellenistischen Ostmauer. Dies scheint nach heutigem Kenntnisstand aber unwahrscheinlich: Auch wenn noch unbekannt ist, wie weit genau die östliche Stadtmauer in hellenistischer Zeit meerwärts, also nach Süden hin, reichte, so scheint doch ihre Fluchtlinie durch die oben erwähnten hellenistischen Mauerwerksbefunde wie auch durch die topographischen Gegebenheiten gesichert: BELENHS 1998, 20f. Der Fundort des Ofens liegt jedoch etwa 200 m westlich dieser Fluchtlinie, für die nicht einsichtig ist, wieso sie in flacherem Gelände nach Westen hin von der vorgegebenen Linie hätte abweichen sollen. 17 Zu den bei den Arbeiten gemachten archäologischen Funden (jedoch ohne Erwähnung der hellenistischen Mauerabschnitte) vgl. vorläufig auch: 9h Eforei1a Byzantinv1n Arxaioth1tvn (Hrsg.), Svstike1w Anaskafe1w 2002. Broschüre zur Ausstellung im Bey Hamam, Thessaloniki (Thessaloniki 2003) 3–4.
Kapitel 2: Topographie und Kult
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Mauerecke der hellenistischen Zeit anzunehmen.18 Unklar bleibt jedoch der Verlauf, den diese hellenistische Südmauer dann weiter nach Westen hin genommen hat: Bereits vor einigen Jahren war als möglicher Hinweis auf ihre Lage ein in den Fundamenten des südlichen Querschiffes der Kirche des Hl. Demetrios sichtbarer Mauerrest genannt worden. 19 Verbindet man diesen Mauerrest und den vorgenannten Befund in gerader Linie, so ergibt sich für die hellenistische Südmauer ein Verlauf, welcher der heutigen Odo1w Agi1oy Dhmhtri1oy ungefähr entspricht.20 Dies wirft wiederum die bisher unbeantwortete Frage nach dem Verhältnis der hellenistischen Südmauer zum – besonders bis zum Stadtbrand von 1917 erkennbaren – antiken Straßenraster auf, welches in der älteren Literatur auf die Zeit der Stadtgründung zurückgeführt wurde, in neuerer Zeit hingegen tendenziell eher mit einer späteren Neuordnung verbunden wird.21
2.2. ‚Statthalterpalast‘/ ‚praetorium‘, Kaisertempel und ihr Verhältnis zur Stadtmauer 2.2. ‚Statthalterpalast‘, ,praetorium‘, Kaisertempel
Der städtebauliche Zusammenhang zweier in jüngster Zeit im mutmaßlichen Bereich der südwestlichen Mauerecke aufgefundener Bauten, eines monumentalen ‚Verwaltungsgebäudes‘ an der Platei1a Dioikhthri1oy sowie eines Kaisertempels, stellt einen besonderen Problempunkt dar: Eine gesicherte Aussage, ob sich diese Bauten zu ihrer Erbauungszeit inneroder außerhalb des Mauerrings befunden haben, ist nach derzeitigem Wissensstand nicht möglich.22 Überdies muß in diesen Überlegungen das zeit18
RomThess 127–128 [P. Adam-Veleni]. BELENHS 1996a, 495 hatte den Befund noch mit gewissem Vorbehalt der ursprünglichen Südmauer zugeordnet und auch eine Zugehörigkeit zu einem größeren öffentlichen Gebäude nicht ausgeschlossen. Unter Verweis auf die auch hier mit den übrigen hellenistischen Stadtmauerteilen identische Mauerwerkstechnik vertritt P. Adam-Veleni für einen Mauerrest im Bereich der Kirche des Hl. Demetrios jüngst mit größerer Zuversicht eine Zugehörigkeit zur Stadtmauer: RomThess 128. 20 Der Befund der südöstlichen Mauerecke befindet sich allerdings südlich dieses Straßenzuges, jener an der Kirche des Hl. Demetrios nördlich davon. 21 VITTI 1996, 39–41. 67–86. – ADAM-BELENH 1989 bes. 234 (vgl. ADAM-BELENH 1997, 359 Anm. 34) nennt Belege für zwei voneinander abweichende Systeme der Gebäudeausrichtung, eines der kassandrischen Gründungszeit (?) sowie ein späthellenistisches, welches mit dem römischen Rasternetz nahezu übereinstimmt. Unklar ist allerdings, ob diesen unterschiedlichen Systemen eine zeitliche Entwicklung zugrunde liegt oder ob sie darauf beruht, daß die entsprechenden Befunde aus der Übergangszone zwischen der steigungsreichen Oberstadt und dem flacheren, ufernahen Gelände stammen, wo vielleicht mit der Möglichkeit einer freieren, nicht an ein Raster gebundenen Bebauung gerechnet werden darf. 22 VITTI 1996, 76 mit Anm. 177 sieht es als sicher an, daß die hellenistische Stadtmauer nordwestlich des ‚Serapeions‘ verlaufen sei und vermutet, daß sie dieses dabei knapp umschlossen habe. Seine Auffassung zum hellenistischen Stadtmauerverlauf in diesem Bereich 19
2.2. ‚Statthalterpalast‘, ,praetorium‘, Kaisertempel
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liche Verhältnis eventueller Erweiterungsphasen des Stadtmauerrings zu den genannten Bauten mangels entsprechender Zeugnisse völlig außer Betracht bleiben. Das angesprochene ‚Verwaltungsgebäude‘ wurde in den 1990er Jahren anläßlich der geplanten Neuanlage eines unterirdischen Parkhauses auf der Platei1a Dioikhthri1oy entdeckt. Zu Tage kamen hier Reste eines monumentalen, um einen Peristylhof errichteten öffentlichen Gebäudes, dessen Größe und gehobene Ausstattung vermuten ließ, daß es sich hier um das praetorium handle, also den Sitz des römischen Provinzstatthalters beziehungsweise der Provinzialverwaltung. Die noch nicht vollständig publizierten Baubefunde stammen größtenteils aus dem 2.–3. Jahrhundert nach Christus, doch besitzt der Bau frührömische sowie späthellenistische Vorgängerbauten ähnlicher Gestalt und ebenfalls reicher Ausstattung.23 Die hellenistischen Phase des Bauwerks hingegen wurde als die literarisch bekannte24 ay3lh1 gedeutet, also als der Palast der makedonischen Königszeit, der wohl v.a. als Sitz des vom König eingesetzten e3pista1thw diente.25 hängt allerdings gerade vom ‚Serapeion‘ ab und gründet dabei auf den Analogien anderer Serapeia in Stadtmauernähe (Philippi, Demetrias, Stobi). Es läßt sich jedoch als hellenistisches Beispiel, das auch sonst Entsprechungen zu Thessaloniki zeigt, das außerhalb der Stadtmauern gelegene Heiligtum in Dion anführen. – Daß sich die Heiligtümer im westlichen Stadtgebiet einst außerhalb der Stadtmauer befunden hätten, bleibt in einer Bemerkung von RomThess 127 [P. Adam-Veleni] leider auf einen Nebensatz beschränkt: „... the site of the sanctuaries, outside the walls in the west part of the city ...“. Offen bleibt hierbei auch, ab welcher Zeit die heute im ummauerten Innenstadtbereich gelegenen Bauten dann umschlossen wurden. 23 Zusammenfassend: ADAM-BELENH 2001, 103–110 sowie RomThess 138–139 [P. AdamVeleni]. Zu fünf qualitätvollen hellenistischen Bronzeappliken (Wagenbeschläge?) von diesem Fundort s. P. Ada1m-Bele1nh, Meta1llio Auhna1w kai te1ssereiw kefale1w zv1vn apo1 th Uessaloni1kh, in: D. Pantermalh1w (Hrsg.), MYRTOS. Denkschrift I. Vokotopoulou (Thessaloniki 2000) 141–157 sowie ADAM-BELENH 2001, Abb. 76–80. – Berichte über die Grabungskampagnen: AErgoMak 7, 1993, 329–341. AErgoMak 8, 1994, 179–187. AErgoMak 9, 1995, 203–218. AErgoMak 10B, 1996, 545–557. AErgoMak 11, 1997, 417–418. 24 Die ay3lh1 wird in Diodors Schilderung des Usurpators Andriskos überliefert, der mit der Angabe von Versteckplätzen von Schätzen seine Abstammung vom letzten Makedonenkönig Perseus zu beweisen versucht: Diod. 32, 15: [ 3Andri1skow] e5fh […] ay2tö9 pinaki1dion katesfragisme1non a3nadedo1suai, di' oyß to2n Perse1a diasafei9n ay3tö9 uhsayroy2w ei0nai keime1noyw dy1o, to2n me2n e7na e3n Amfipo1lei kei1menon […], to2n de2 e7teron e3n Uessaloni1kü, […] kata2 me1shn th2n e3je1dran th2n e2n tö9 peristy1lö kata2 th2n ay3lh1n. 25 Ein wichtiges Indiz für die mit der königlichen Verwaltung in Zusammenhang stehende Funktion des Gebäudes während der hellenistischen Zeit ist ein Deckziegel des sogenannten lakonischen Typs mit dem Ziegelstempel BASILIKOS: TASIA et al. 1996, 546 und 555 Abb. 3 sowie TASIA 1999, 1105 und 1109 Abb. 6. Die ohne Unterbrechung aufeinander folgenden Bauphasen (TASIA et al. 1996, 548) lassen vermuten, daß die hellenistische Nutzung als ‚Verwaltungsgebäude‘ in römischer Zeit im wesentlichen beibehalten wurde. Der Stadtbezirk weist interessanterweise eine bis heute bestehende Tradition als Verwaltungssitz auf: Der unmittelbar nördlich der Grabungsstelle gelegene Bau des heutigen Ministeriums für Nordgriechenland (vgl. das Luftbild ADAM-BELENH 2001, 103 Abb. 72) wurde 1905 als Sitz der
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Kapitel 2: Topographie und Kult
Anhaltspunkte für das Verhältnis der Stadtmauer zur Bebauung in diesem Bereich kann vor dem Hintergrund einer solchen Deutung ein Vergleich entsprechender Paläste in anderen zeitgenössischen makedonischen – beziehungsweise als Gründungen makedonischer Herrscher entstandenen – Stadtanlagen bieten. Im mesopotamischen Doura Europos, einer Gründung des Seleukos I. Nikanor vom Beginn des 3. Jahrhunderts vor Christus, befindet sich der Sitz des Statthalters der hellenistischen Zeit, der sogenannte Strategenpalast, in betont repräsentativer Lage, 26 mit gewaltigen Stützmauern versehen,27 auf einem Geländevorsprung des Euphrat-Hochufers.28 Derart topographisch hervorgehoben liegt er zwar am Rande des bebauten Stadtgebietes, aber innerhalb der Stadtmauern, und orientiert sich am Verlauf des rechtwinklig angelegten Straßenrasters. Ähnlich ist die Situation im thessalischen Demetrias,29 einer von Demetrios I. Poliorketes gegründeten, doch vermutlich erst unter seinem Nachfolger Antigonos II. Gonatas – der hier ab 276 v. Chr. seinen Aufenthalt nahm – umfangreicher ausgebauten30 Stadt. Hier liegt der Palast ebenfalls auf einer Anhöhe31 inmitten des Stadtmauerringes, seine Orientierung entspricht jener des Straßenrasters.32 Neben strategischen Erwägungen dürfte auch hier das Repräsentationsbedürfnis eine besondere Rolle gespielt haben.33 Und auch in osmanischen Provinzialverwaltung errichtet. Er geht zurück auf einen älteren, um 1890 abgebrannten Vorgängerbau an selber Stelle, den sogenannten Konak. Das Stadtviertel ist daneben in osmanischer Zeit unter dem türkischen Namen balaat (zu ngr. pala1ti, Palast) bekannt gewesen, was bei großzügigster Deutung die Annahme eines byzantinischen Nachfolgebaus des römischen Prätoriums erlaubt: ADAM-BELENH 2001, 109. – RomThess 139 [P. AdamVeleni]. – M. Vickers, A note on the Byzantine palace at Thessaloniki, BSA 66, 1971, 369– 371. 26 Eine eher durch Repräsentationswillen als durch strategische Überlegungen begründete Platzauswahl scheint auch von HOEPFNER – SCHWANDNER 1994, 263 angenommen zu werden: „Die vom König verliehene Macht wird äußerlich sichtbar gemacht, indem das quadratische Gebäude, das die Fläche von vier Hausgrundstücken einnimmt [...], sich auf hohen Terrassenmauern majestätisch erhebt.“ 27 HOEPFNER – SCHWANDNER 1994, 271 Abb. 258. 28 HOEPFNER – SCHWANDNER 1994, 260. 262 Abb. 244. 29 Zum Palast von Demetrias MARZOLFF 1996, 148–163 bes. 149 Abb. 1 (Lageplan). 30 MARZOLFF 1996, 151 mit Anm. 9. 31 Trotz dieser hervorgehobenen Lage betont MARZOLFF 1996, 152 die bestehende enge Verbindung zur ‚Bürgerstadt‘, die er auf ein anfänglich „relativ enges Verhältnis zum spezifisch griechischen Städtewesen“ zurückführt, welches den Antigoniden zu eigen gewesen sei. 32 Vgl. daneben die von MARZOLFF 1996, 156 bemerkte Orientierung auf ein mögliches Heroon des Stadtgründers, welche sowohl das gesamte Straßenraster wie auch die Ausrichtung des ‚rhodischen‘ Peristylhofes beeinflußt haben könnte. 33 Für MARZOLFF 1996, 158 scheint der repräsentative Aspekt der Lage im Vordergrund zu stehen, wenn er die vier Ecktürme als „zweifellos mit der Konnotation von hoheitlicher Repräsentation versehen“ bezeichnet und dem Tetrapyrgion von Demetrias a.a.O. Anm. 22 andere, ‚rein militärische‘ Anlagen im griechischen Raum gegenüberstellt. Von einer „einzigartige[n] Kombination von Wohn- und Wehrbau“ ist hingegen a.a.O. 161f. die Rede.
2.2. ‚Statthalterpalast‘, ,praetorium‘, Kaisertempel
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Makedonien selbst findet sich dieses Muster: In der Hauptstadt Pella folgt der – vom übrigen Stadtgebiet abgesetzt auf einer Anhöhe gelegene – Palast exakt der Ausrichtung des Straßenrasters; Palast und Stadt werden von einer gemeinsamen Mauer umschlossen.34 Gemeinsam ist den vorgenannten Beispielen also eine Lage, die zwar von den Wohnvierteln in der Regel deutlich abgegrenzt ist, aber stets im Inneren des ummauerten Stadtgebietes liegt und zudem der Ausrichtung eventueller Insulae folgt. Ist bei dem Bau in Thessaloniki die von den Ausgräbern vorgebrachte Deutung als Palast des königlichen Statthalters richtig, dann ist also sehr wahrscheinlich, daß auch er innerhalb der Stadtmauer lag und hierbei von deren südwestlicher Mauerecke umschlossen wurde. Allerdings muß festgestellt werden, daß alle hier als Vergleich herangezogenen Paläste eine gegenüber dem übrigen Stadtgebiet erhöhte Lage, zum Teil im Bereich einer Akropolis, aufweisen. Der Peristylbau an der Platei1a Dioikhthri1oy hingegen liegt an einer der niedrigsten Stellen des zu erschließenden hellenistischen Stadtgebietes.35 Ob dies eine Deutung als Statthalterpalast ausschließt, kann vor einer detaillierten Publikation des Baus kaum beantwortet werden. Auch stellen Zweifel an der Deutung der hellenistischen Bauphase als Statthalterpalast nicht zwangsläufig auch die Deutung des kaiserzeitlichen Nachfolgerbaus als praetorium in Frage. Ein Zusammenhang des hellenistischen Baus mit dem königlichen Hof ist immerhin durch den genannten Ziegelstempel36 belegt, und auch ohne gesicherte funktionale Deutung ist der Bau mit seiner reichen Ausstattung wohl nur innerhalb des hellenistischen Stadtmauerringes denkbar. Ein weiteres Bauwerk, an das sich Überlegungen zum Verlauf der Stadtmauer knüpfen lassen, ist der in den 1930er Jahren erstmals freigelegt gewesene, anschließend aber überbaute Tempel an der Einmündung der Odo1w Krysta1llh in die Odo1w Dioikhthri1oy (auch: Karaolh1 kai Dhmhtri1oy). Die bisher publizierten Befunde deuten auf eine frühkaiserzeitliche Fundamentierung des ursprünglich spätarchaischen Gebäudes hin und können damit die bereits vor einigen Jahren vorgebrachte These stützen, der Tempel sei ein transloziertes Gebäude, das nach seiner Wiederrichtung als Stätte des Kaiserkultes gedient hat, wie nun durch Statuenfunde gesichert ist. Trifft dies zu, dann wurde die Wahl seines Standortes nicht in archaischer Zeit getroffen, sondern war erst in den Gegebenheiten der frühen 34 Vgl. M. Sigani1doy, Ta tei1xh thw Pe1llaw, in: AMHTOS. Festschrift M. Andronikos (Thessaloniki 1987) 765–779. – VITTI 1996 (Kartenband) Karte 9. 35 In den Überlegungen zur Deutung des Baus ist dieser erklärungsbedürftige Umstand, soweit ich sehe, bisher nicht berücksichtigt worden. VITTI 1996, 123 bezog Vergleiche hellenistischer Städte in ähnlicher Weise in seine Überlegung zur Lage der hellenistischen Akropolis ein und vermutete diese richtigerweise im Nordosten des Stadtgebietes, wo sie in jüngerer Zeit durch bislang unpublizierte Nachweise einer Abschnittsmauer tatsächlich lokalisiert werden konnte. 36 Vgl. hier Anm. 25.
Kapitel 2: Topographie und Kult
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Kaiserzeit begründet. Es liegt nahe, hier eine ideelle Verbindung zwischen dem Kaisertempel und dem mutmaßlichen Praetorium anzunehmen, auf die weiter unten ausführlicher eingegangen werden soll. In ihrer Konsequenz für den Stadtmauerverlauf bedeutet diese Annahme, daß die Befestigung zur Zeit der Errichtung des Kaisertempels, also in augusteischer Zeit, kaum zwischen diesen beiden Gebäuden verlaufen sein und somit eine räumliche Trennung gebildet haben kann, sondern beide Gebäude eingeschlossen haben muß: Die Südwestecke muß also nicht nur westlich des angenommenen Praetoriums, sondern auch westlich des Kaisertempels gelegen haben. Wie bereits angedeutet, weist von allen Abschnitten der hellenistischen Stadtmauer die Lage der südwestlichen Ecke die größten Unsicherheiten auf. Zum Verlauf der hellenistischen Westmauer können mangels materieller Befunde lediglich hypothetische Überlegungen aufgestellt werden, die zwei alternative Verläufe gleichermaßen möglich erscheinen lassen.37 Zieht man die östlichere der beiden Varianten in Betracht, dann wäre die Stadtbefestigung knapp östlich der Platei1a Dioikhthri1oy verlaufen; ‚praetorium‘ und Kaisertempel hätten in dieser Variante kaum innerhalb der Stadtmauer liegen können. Die westliche Variante des Mauerverlaufes wäre hingegen auch deutlich westlich dieser beiden Bauten verlaufen. Doch selbst bei dieser Annahme bleibt unklar, ob die Bauten innerhalb des Mauerrings gelegen hätten, da die südwärtige Ausdehnung der Westmauer beziehungsweise der westliche Abschnitt des uferseitigen, südlichen Mauerzuges – und damit die Lage der südwestlichen Mauerecke – ebenfalls nicht gesichert sind. Solange keine archäologischen Hinweise auf die Lage der südwestlichen Mauerecke vorliegen, beruht somit die Hypothese eines Mauerverlaufs, der beide Bauwerke, ‚praetorium‘ und Kaisertempel, mit einschloß, allein auf den funktionalen Überlegungen, die an diese Bauten geknüpft werden können: 38 Legt der vorgeschlagene ‚Statthalterpalast‘ 37
Die beiden von G. Velenis vorgeschlagenen Modelle zum Verlauf der hellenistischen Westmauer entsprechen meerwärts laufenden Linien, die in etwa durch die heutige Odo1w Dhmhtri1oy Poliorkhtoy1 bzw. – westlich davon – durch das südliche Ende der Odo1w Saxtoy1rh vorgegeben werden. Beide Alternativen beruhen auf rein theoretischen Überlegungen zu den fortifikatorischen Vorteilen dieser Verlaufslinien. Die weiter westlich gelegene Variante an der Odo1w Saxtoy1rh könnte immerhin im dortigen Befund älterer Spolien in Türmen der römischen Mauer, die vielleicht auf eine ältere Befestigung an dieser Stelle hinweisen, Unterstützung finden. Diese Annahme führt dann allerdings zu einem wesentlich vergrößerten Umfang des hellenistischen Stadtgebietes, der mit einem fortifikatorisch eher ungünstigen Verlauf im Bereich der uferseitigen Befestigung einhergehen würde: BELENHS 1998, 30; vgl. auch 18 Abb. 1. 38 Nicht verschwiegen werden soll, daß eine solche Hypothese selbst im Hinblick auf die nur wenigen bisher erschlossenen Hinweise zum Verlauf der hellenistischen Südmauer in Konflikt mit der Tatsache steht, daß die hier vermutete Südwestecke gegenüber der scheinbaren Ideallinie im Verlauf der Odo1w Agi1oy Dhmhtri1oy deutlich nach Süden abweicht. Diese Ideallinie wird – zumindest in der östlichen Hälfte des Stadtgebietes – durch die Verbindung
2.3. Der Bereich der sogenannten sacred area
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hierbei den angenommenen Mauerverlauf mit hoher Wahrscheinlichkeit schon für seine hellenistische Erbauungszeit fest, bedingt eine angenommene räumlich-funktionale Verbindung zwischen frühkaiserzeitlichem Praetorium und frühkaiserzeitlichem Kaisertempel wiederum einen entsprechenden Mauerverlauf spätestens für den letztgenannten Zeitraum.
2.3. Der Bereich der sogenannten sacred area 2.3. Der Bereich der sogenannten sacred area
Die beiden Neufunde des ‚Praetoriums‘ sowie des Kaisertempels können, wie gezeigt, wichtige Anhaltspunkte für Überlegungen zum Stadtmauerverlauf bieten. Sie sind aber nicht nur in diesem Zusammenhang von Belang, sondern sie bereichern beziehungsweise verändern unser Bild dieses Stadtbezirks auch hinsichtlich seiner sakralen Bedeutung wesentlich. Der Bereich im Nordwesten des heutigen39 Stadtzentrums, in dem sich die beiden vorgenannten Bauten des Kaisertempels und des mutmaßlichen Praetoriums befinden, ist in der Stadtarchäologie Thessalonikis seit über drei Jahrzehnten als sacred area zum festen Begriff geworden. Er wird in der Forschung damit regelmäßig als ein Bezirk angesprochen, welcher der Bebauung durch Heiligtümer vorbehalten gewesen sei. Diese Vorstellung geht zurück auf eine These, die Michael Vickers im Jahre 1972 in einem Aufsatz zur Gestalt des hellenistischen Thessaloniki ausgesprochen hatte.40 Vickers meinte im Nordwesten des ummauerten Stadtzentrums eine Fläche erkannt zu haben, die von dem antiken Straßenraster ausgenommen zu sein schien, welches vor allem bis zum großen Stadtbrand von 1917 im neuzeitder oben erwähnten Mauerfunde am östlichen innerstädtischen Ende der Odo1w Agi1oy Dhmhtri1oy mit dem – allerdings unsicheren (vgl. hier Anm. 19) – Mauerrest in den Fundamenten der Kirche des Hl. Demetrios gebildet. Ihre Annahme fällt um so leichter, als sie mit dem antiken Straßenraster harmoniert, wenngleich dessen genaue Entstehungszeit (schon hellenistisch?) unklar ist. Mögliche Lösungen für dieses topographische Problem könnte beispielsweise eine Eliminierung des unsicheren Mauerrestes in der Kirche des Hl. Demetrius aus der Diskussion – mit der Konsequenz der dann möglichen Annahme eines freieren, nicht an den Straßenzug der Odo1w Agi1oy Dhmhtri1oy bzw. das Straßenraster gebundenen Verlaufes der Südmauer – oder die Annahme einer Mauererweiterung der augusteischen Zeit sein. Eine solche – archäologisch allerdings nicht belegte – Erweiterung könnte z.B. mit einer Erneuerung des Stadtmauerringes zusammenhängen, die etwa durch den von Cicero geschilderten ruinösen Zustand der Stadtbefestigung veranlaßt gewesen sein könnte (hierzu V ITTI 1996, 123–124. 146 mit älterer Literatur): Cic. prov. 2, 4: Macedonia ... a barbaris ... vexatur, ut Thessalonicienses positi in gremio imperii nostri relinquere oppidum et arcem munire cogantur. Cic. Pis. 34, 84: Thessaloniciensis, cum oppido desperassent, munire arcem colgerunt. Zur Diskussion auch SPIESER 1984, 62. 39 Eine relative Verschiebung innerhalb des Stadtzentrums ergibt sich dadurch, daß der Stadtmauerring in seiner späteren Erweiterung nach Süden die sogenannte sacred area nun als im Nordwesten des Stadtzentrums gelegen erscheinen läßt. 40 VICKERS 1972, bes. 164 sowie den Plan ebd. 161 Abb. 4.
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lichen Straßenbild nachzuvollziehen war.41 Dies war für ihn Indiz für eine ehemals unbebaut gewesene Fläche, welche dann, anders als die über die Zeiten hinweg fortlaufend bebauten insulae, in nachantiker Zeit ungeregelt überbaut worden sei. Vickers wendete damit ein Verfahren an, mit welchem in den 1930er und 1940er Jahren Jean Sauvaget anhand des jeweiligen modernen Straßenbildes die antiken Stadtpläne von Laodikea, Aleppo und Damaskus erschlossen hatte.42 Aus dem Stadtbezirk, in dem Vickers den ehemals freien Bereich vermutete, waren seit den 1930er Jahren zum einen die oben erwähnten Bauglieder eines ionischen Tempels bekannt geworden. Zum anderen stammten von hier eine in ihrer Haltung dem Primaporta-Typus verwandte Hüftmantelstatue des Augustus43 sowie ein weiterer Torso eines wahrscheinlich umgearbeiteten Kaiserbildnisses (ursprünglich des Caligula, später des Claudius?),44 was Vickers als möglichen Hinweis auf die Lage der städtischen Kaiserkultstätte ansah.45 Wegen dieser beiden so zu erschließenden Heiligtümer bezeichnete Vickers den Bereich als sacred area, also als einen Stadtbezirk, der religiösen Zwecken vorbehalten gewesen sei.46 Belegt war diese Funktion nach damaligem Wissensstand zwar nur für die spätarchaische Zeit47 (durch die Architekturglieder des ionischen Tempels) sowie für die frühere Kaiserzeit (durch die Statuenfunde), doch hielt Vickers eine sakrale Funktion auch in hellenistischer Zeit für möglich, wenn nicht sogar für wahrscheinlich.48 Vickers’ Aufsatz bildete seit seinem Erscheinen eine unverzichtbare Grundlage für die Beschäftigung mit dem hellenistischen Thessaloniki: Dies um so mehr, als die Archäologie an Überresten aus hellenistischer 41
Vgl. die Stadtpläne VICKERS 1972, 156 Abb. 1 und 160 Abb. 3. VICKERS 1972, 157 Abb. 2; 158 Anm. 9 mit Literatur. Für Vickers stellte eine bereits vor 1917 im Stadtplan erkennbare Freifläche an der Stelle der seit den 1960er Jahren freigelegten Agora die Gegenprobe für die Anwendbarkeit des Verfahrens in Thessaloniki dar (ebd. 160 Abb. 3; 163f.). 43 SculpThess II Nr. 244 [G. Despi1nhw] = Thessaloniki AM Inv. 1065. 44 SculpThess II Nr. 245 [G. Despi1nhw] = Thessaloniki AM Inv. 2467 + 2468. 45 VICKERS 1972, 164. 46 VICKERS 1972, 164: „ … it appears that it was set aside for religious purposes … “. 47 Als Datierung der Bauglieder wird in der Regel das späte 6. Jh. oder ein Datum um 500 v. Chr. angegeben. In neuerer Zeit sind ausgehend von der Dacharchitektur Daten nach 480 v. Chr. vorgeschlagen worden: vgl. M. Mertens-Horn, Die Löwenkopf-Wasserspeier des griechischen Westens im 6. und 5. Jh. v. Chr. (New Haven 1988) 58 sowie Ae. Ohnesorg, Inselionische Marmordächer (Berlin 1993) 97ff. G. Despinis bezeichnet die Datierung nach 480 v. Chr. hingegen als ‚very low‘ (SculpThess I 17 zu Nr. 2 = Thessaloniki AM Inv. 11449). 48 VICKERS 1972, 164: „Admittedly there is nothing known about this area of the city between the fifth century B.C. and the beginning of the Christian era, but since it appears that it was set aside for religious purposes in both of these periods, it is at least possible, if not indeed likely, that it was a sacred area in hellenistic times as well. Sanctuaries in Hellenistic towns did tend to have blocks to themselves.“ 42
2.3. Der Bereich der sogenannten sacred area
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Zeit bis etwa Mitte der 1980er Jahre keine Neufunde vorweisen konnte, die dieses Bild wesentlich verändert hätten. Das von Vickers skizzierte Bild der hellenistischen Stadt bildet somit regelmäßig den Ausgangspunkt für ähnliche Rekonstruktionen des Stadtplans. Die sacred area ist hierbei eine feste Größe, die bis heute nicht in Frage gestellt wurde. 49 Die Ausdehnung dieses Bereichs konnte hierbei mangels weiterer Zeugnisse natürlich stets nur sehr vage angegeben werden.50 Insgesamt hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten die zumeist nur referierte Auffassung durchgesetzt, der Nordwesten des Stadtgebietes sei einer mehr oder weniger organisierten Ansiedlung von Heiligtümern vorbehalten gewesen, welche sich entweder um den als spätarchaisch angesehenen – der Stadtgründung damit natürlich zeitlich vorausgehenden – Tempelbau oder um das seit hellenistischer Zeit belegte Heiligtum der ägyptischen Götter formiert habe. Die jüngst erfolgte Wiederauffindung des Stylobats des ionischen Tempels – das Kernstück der 1972 postulierten sacred area – gibt Anlaß, die Bestandsfähigkeit dieser These zu überprüfen. Für die Sakraltopographie Thessalonikis ist dieser Fund somit von größter Wichtigkeit, auch wenn er bisher leider nur in einem Vorbericht publiziert ist.51 Wie bereits oben angesprochen, liegt beim ionischen Tempel die besondere Situation vor, daß seine Architektur seit Jahrzehnten bekannt ist, sein genauer Standort aber erst durch eine im Jahre 2000 durchgeführte Grabung festgestellt werden konnte. Zudem stellte er die Forschung lange vor das Problem, daß seine äußerst qualitätvoll ausgeführten Bauglieder aus spätarchaischer Zeit stammen und somit der Stadtgründung um mindestens 200 Jahre vorausgehen. Der Bau hat aus diesem Grunde die Diskussion um die Lage der Vorgängersiedlung Thessalonikis, Therme, jahrzehntelang wesentlich mitbestimmt und wird deshalb auch heute noch gelegentlich als ‚Tempel von Therme‘ bezeichnet.52 49
Vgl. jüngst TASIA 2000, passim. Besonders suggestiv sind hierbei Stadtpläne, die im Westteil der Stadt die sacred area großflächig eingezeichnet haben, vgl. etwa UESSALONIKH 1986, 25 Abb. 9 (‚perioxh1 ierv1n‘). – VITTI 1996 (Kartenband) Karte 6 (funktionale Raumordnung des Stadtgebietes) gibt seinen TOMEAS A, also den das ‚Urhskeytiko1 Ke1ntro und die angrenzenden Stadtgebiete‘ umfassenden Katalogteil, sogar mit einer Größe von 15 insulae an, auf die eigentliche sacred area scheinen hierbei immerhin 8 dunkler markierte insulae zu entfallen. 51 TASIA 2000. 52 Vgl. jüngst RomThess 103 [V. Allamani-Souri]. Zum Begriff s. BOKOTOPOYLOY 1996, 27. Die Rolle des Bauwerks in der Therme-Diskussion ist seit dem nun bewiesenen Wiederaufbau nur noch von forschungsgeschichtlichem Interesse. Eine kritische Gegenüberstellung der verschiedenen Ansichten zuletzt von TIBERIOS 1990, 77–80. Einen weiteren Überblick über die Literatur gibt, wenn auch stellenweise zu unkritisch, XRISTIANOPOYLOS 1991. Die ältere Vermutung, es habe sich um einen Tempel des Dionysos gehandelt – auch dies lange ein wesentliches Argument für eine Lokalisierung Thermes im Stadtgebiet von Thessaloniki –, ist bereits vor einigen Jahren widerlegt worden (hierzu ausführlich BOYTYRAS 1996, 1336–1338), sie wird durch den erwiesenen Kaiserkult nun vollends ausgeschlossen. 50
Kapitel 2: Topographie und Kult
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Der nun festgestellte, frühestens augusteische Unterbau des Tempels bestätigt die bereits früher vorgebrachte und durch sekundäre Versatzmarken an den Architekturgliedern veranlaßte Vermutung, der Tempel sei erst in der frühen Kaiserzeit aus alten Bauteilen wiedererrichtet worden.53 Es ist archäologisch bisher ungeklärt, ob der Standort seiner Wiedererrichtung sein ursprünglicher Standort ist, ob er in der unmittelbaren Nachbarschaft seines ursprünglichen Standortes wiedererrichtet wurde oder ob der Tempel von einem weiter entfernten Ort herbeitransportiert wurde. Die Funktion des Bauwerks als Kaiserkultstätte ist seit den jüngsten Grabungen durch Neufunde von Kaiserstatuen zweifelsfrei gesichert.54 Für die These der sacred area bedeutet dieser Befund, daß es sich bei den beiden unabhängigen Kultbauten, von welchen Michael Vickers 1972 noch berechtigt ausgehen konnte und welche den Ausgangspunkt seiner These von der Gruppierung dieser Bauten zu einer sacred area gebildet hatten, nun belegtermaßen um ein und dasselbe Gebäude handelt.55 Diese Erkenntnis entzieht der bislang unangefochtenen – in der Forschung vielmehr zur Annahme einer städtebaulich geplanten Konzentration verschiedener Heiligtümer in diesem Bereich weiterentwickelten – These die Grundlage: Eine sacred area im Vickers’schen Sinne hat also nach heutiger Kenntnis nie existiert. Daneben läuft die gelegentlich stillschweigend geübte Praxis, das Heiligtum der ägyptischen Götter als Teil der gemeinsamen sacred area zu betrachten,56 nicht nur deren ursprünglicher Konzeption durch
53
MPAKALAKHS 1983, 34. Vgl. BOYTYRAS 1996, 1338 mit Anm. 51. TASIA 2000, 236–238. 55 RomThess 103 [V. Allamani-Souri] sieht hingegen gerade die jüngste Lokalisierung des Tempels als archäologische Bestätigung der sacred area an: „… the large number of statues of emperors and the discovery of an early Roman temple in which use was made of disiecta membra from the Archaic temple of Therme, now provides certain support for the view that the area sacra of the city was located at its west end.“ 56 VITTI 1996, 88–89 geht von einer Orientierung der hellenistischen Stadtplanung an einem seit spätarchaischer Zeit dort existierenden ionischen Tempel aus, wobei der heilige Charakter seines Umfeldes nach Stadtgründung ‚offiziell gemacht‘ worden sei (e3pishmopoih1uhke). Er sieht das ‚Serapeion‘ entsprechend als Beleg für eine städtebaulich geplante Ansiedlung von Heiligtümern zu einem ‚Religiösen Zentrum‘ (Urhskeytiko1 Ke1ntro) an. Dies hängt wohl nicht zuletzt auch damit zusammen, daß in seiner Zusammenschau archäologischer Befunde sein gesamter Katalogteil A (VITTI 1996, 173–179: ‚To2 Urhskeytiko2 Ke1ntro kai2 oi4 o7morew synoki1ew‘) zum Erscheinungszeitpunkt (1996) als Kultanlage mit gesicherter Grabungsstelle allein das ‚Serapeion‘ (dort Nr. 47) vorweisen konnte (nicht hingegen die zu dieser Zeit noch nicht wiederaufgefundene alte Grabung des archaischen Tempels). Ähnlich TASIA 2000, 227: „Shmai1non ey1rhma poy pistopoiei1 th xrh1sh thw perioxh1w vw ieroy1 xv1roy apo1 ta ellhnistika1 toyla1xiston xro1nia, to Sarapei1o, …“. – Oft wird die Zugehörigkeit des ‚Serapeion‘ jedoch stillschweigend vorausgesetzt, vgl. etwa DONFRIED 1985, 337: „... a Serapeion was found in the sacred cult area of the city …“. – PACHIS 1994, 246: „… the other cults of eastern origin (e.g. that of Isis/ Sarapis) had sanctuaries which … were located right in the centre of the sacred area of Thessalonica.“ 54
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Vickers zuwider,57 sondern läßt auch unsere völlige Unkenntnis von der antiken Gestalt des zwischen den beiden Heiligtümern gelegenen Geländes außer Acht. Überdies ist kaum plausibel zu machen, wie das Heiligtum der ägyptischen Götter mit dem eher privaten Charakter seiner Kultausübung, seinem völlig anderem Nutzerkreis, aber auch in seiner eher unrepräsentativen, kleinteiligen architektonischen Gestalt als Anziehungspunkt einer aufwendig gestalteten städtischen Kaiserkultstätte gewirkt haben sollte. Ein letztes Argument gegen die These einer zentralisierten sacred area ist schließlich der Umstand, daß in den vergangenen Jahren auch an anderen Stellen des Stadtgebietes voraugusteische Heiligtümer nachgewiesen oder zumindest wahrscheinlich gemacht werden konnten: Ein bisher noch unpubliziertes, hellenistisches Heiligtum (der Demeter und Kore? der Nymphen?) wurde vor kurzem in der Oberstadt freigelegt.58 Aus einem wiederaufgefundenen Scherbenkomplex einer alten Grabung erschloß M. Tiverios ein in die frühe Eisenzeit zurückreichendes Heiligtum unbekannter Weihung, das mindestens bis in spätklassische Zeit im Bereich der Kirche des Hl. Demetrios oder der Acheiropoietos-Kirche Bestand gehabt zu haben scheint.59 Schließlich ist noch das Dionysos-Heiligtum zu nennen: Der Kult wird gemeinhin als ‚uralt‘ angesehen,60 obwohl es Anhaltspunkte für sein Bestehen erst ab hellenistischer Zeit gibt. 61 Die Lage des Heiligtums muß, auch wenn hierbei Deutungsspielraum vorhanden ist, aufgrund 57 Vickers hatte das Heiligtum der ägyptischen Götter und die sacred area als zwei getrennte Bereiche aufgefaßt. Dies geht zum einen zwingend aus seiner Formulierung hervor, das Heiligtum sei „situated to the south-west of the sacred area“ (VICKERS 1972, 164f.), zum anderen macht dies der Umstand deutlich, daß er das hellenistische Heiligtum der ägyptischen Götter folgerichtig nicht zur Schließung der von ihm konstatierten chronologischen Lücke der sacred area zwischen archaischer und römischer Zeit (vgl. hier Anm. 48) in Anspruch nahm. 58 Kurze Erwähnung des in der Odo1w Moysv1n gelegenen Heiligtums: RomThess 130–131 [P. Adam-Veleni] mit Abb. 4–5. Eine unpublizierte Arbeit von G. Ma1lliow ( E 1 na ellhnistiko1 iero1 sthn A 1 nv Po1lh Uessaloni1khw. H martyri1a tvn eidoli1vn) untersucht die Kleinplastik des 3. vorchristlichen bis 1. nachchristlichen Jahrhunderts, die auf die Verehrung einer Gottheit vom Typus einer kourotrophos schließen läßt; vgl. Egnatia 7, 2003, 379–380. 59 TIBERIOS 1990. 60 Dies geschah bisher allerdings vor allem vor dem Hintergrund der inzwischen nicht mehr haltbaren Zuordnung der spätarchaischen Architektur des ‚ionischen Tempels‘ zu Dionysos, welche auf G. Bakalakis zurückgeht: BAKALAKIS 1963; MPAKALAKHS 1983; vgl. VITTI 1996, 46 und VOM BROCKE 122 mit weiterer Literatur. Das behauptete hohe Alter der Dionysosverehrung in Thessaloniki ist – neben der Verbindung mit einem aus dem Namen der Vorgängersiedlung Ue1rmh erschlossenen ‚dai1mvn Uermai9ow‘ – im übrigen eher stillschweigend aufgrund der Nähe der Stadt zur ‚thrakischen Urheimat‘ des Gottes angenommen worden. 61 Ein Kult muß bei Stadtgründung oder kurz danach bestanden haben, da in einer heute verlorenen Ehreninschrift römischer Zeit (IGThess 185) der wahrscheinlich schon hellenistische Phylenname Dionysia1w überliefert ist; die gleichzeitige, ansonsten textidentische und ebenfalls verschollene Inschrift IGThess 184 nennt als Auftraggeber die – vermutlich auf Antigonos II. Gonatas zurückreichende – fy1lh A 3 ntigoni1w.
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Kapitel 2: Topographie und Kult
von Hinweisen in Quellen byzantinischer und osmanischer Zeit in einem Bereich westlich des Dioikhth1rion – also in deutlichem Abstand zum Standort des ionischen Tempels – gesucht werden.62 Angesichts dieser an verschiedenen Stellen des Stadtgebiets gelegenen Heiligtümer der vorrömischen, möglicherweise auch der augusteischen63 Zeit erweist sich die Singularität, aber auch die vermutete Anziehungskraft64 der sogenannten sacred area als ein forschungsgeschichtliches Trugbild.
2.4. Der ‚archaische Tempel‘ und kaiserzeitliche Skulpturenfunde 2.4. Der ‚archaische Tempel‘
Bereits 1938/1939 und 1957 sind in der Umgebung des Fundortes der Architekturglieder des ionischen Tempels Skulpturen aufgefunden worden, die schon seit Jahrzehnten mit einer Kaiserkultstätte in Verbindung gebracht wurden, zu deren Fundorten es zum Teil aber nur ungenaue Angaben gab.65 In der Literatur spielte diese Ungenauigkeit bisher keine Rolle, 62 Das Dionysosheiligtum findet Erwähnung in einem vermutlich auf das 5. nachchristliche Jh. zurückgehenden Wunderbericht über die Heilung einer taubstummen ‚Judentochter‘, der in einer Homelie des Erzbischofs von Thessaloniki Le1vn o4 Mauhmatiko1w aus dem Jahre 842 überliefert ist (Textwiedergabe bei LAURENT 1964, 297–302). Das Mädchen läßt sich aufgrund eines Traumgesichtes taufen und wird daraufhin geheilt, der Text beschreibt u.a. ihren Weg zur Kirche, wohl der sogenannten 3Axeiropoi1htow, ausgehend von ihrem Wohnort: Ay7th oy0n h4 ko1rh mh1te a3koy1ein, mh1te lalei9n dyname1nh, th2n oi5khsin e5xoysa pro2w tö9 Fallö9= toy9to de2 h0n i4ero2n Diony1soy, e5nua th2n tv9n Fallv9n oi4 7Ellhnew h0gon a3sxh1mona teleth1n, th2n fy1sin e3kpompey1ontew, h5, a3lhue1steron ei3pei9n, oißw e3myoy9nto tay1thn kai2 to2n tay1thw poihth2n kauybri1zontew (Kodex des Athosklosters Megisti Lavra 357 [G 117]; Text nach MPAKALAKHS 1983, 37). MPAKALAKHS 1983 war ausgehend von diesem Bericht sowie einer weiteren Urkunde von 1420, die den Namen des Stadtviertels Fallo1w bereits in die dann bis in die Neuzeit hinein belegte Namensform 3Omfalo1w umgewandelt hat, zu einer Lokalisierung des an der Stelle des alten Dionysos-Heiligtums gelegenen Judenviertels des 5. Jhs. just in der vormaligen sacred area mit ihrem ionischen Tempel gelangt. Eine Auswertung der osmanischen Belege zur Lage des Stadtviertels 3Omfalo1w brachte DHMHTRIADHS 1983, 30–31 mit Anm. 51 allerdings zu dessen Lokalisierung westlich des Dioikhth1rion, was einen größeren Abstand des Dionysosheiligtums vom Kaisertempel mit sich führt; vgl. hierzu auch BOYTYRAS 1996, 1338 mit Anm. 48–49. 63 Zur Möglichkeit einer weiteren Stätte der Augustusverehrung im Westen der Stadt vgl. STEFANIDOU-TIVERIOU 2001b, 187–188. 64 TOURATSOGLOU 1988, 8–10 und Anm. 28. 65 Für die 1939 aufgefundene Statue des Augustus (Thessaloniki AM Inv. 1065) wird die Odo1w Strathgoy1 Doympiv1th angegeben (etwa VITTI 1996, 58f.), für den 1957 aufgefundenen, dem Claudius zugeschriebenen Torso (AM Inv. 2467 + 2468) ein in der Literatur nicht näher bezeichneter Fundort in der Nähe des ersten. Zu den Fundorten in der Odo1w Strathgoy1 Doympiv1th jüngst SculpThess II Nr. 244 und 245 [G. Despi1nhw]. – Die 1938 gefundenen Skulpturen eines Togatus, der Torso einer Panzerstatue des Hadrian sowie der Torso einer in Amazonentracht dargestellten mutmaßlichen Dea Roma scheinen hingegen von der Fundstelle des
2.4. Der ‚archaische Tempel‘
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da vor dem Hintergrund der Theorie von der sacred area – wie auch der bis vor kurzem noch unbekannten genauen Lage des ionischen Tempels – ein recht weit gefaßter Umkreis als einheitlicher, zusammengehöriger Fundort aufgefaßt wurde.66 Der jüngst wieder aufgefundene Tempelstylobat gibt nun allerdings Anlaß zur Frage nach dem genaueren räumlichen Zusammenhang zwischen Baubefund und den bekannten Skulpturenfunden. Ausreichend dokumentiert ist der Fundort an der Grabungsstelle des ionischen Tempels nur für die beiden jüngsten Skulpturenfunde des Jahres 2000: Es handelt sich zum einen um den Torso einer überlebensgroßen, bis auf eine mit einem Gorgoneion besetzte Aigis nackten männlichen Figur, eine Darstellung des Zeus Aigiochos beziehungsweise – falls der verlorenen Einsatzkopf ein Kaiserportrait war – eines unbekannten Kaisers in dessen Gestalt. Der Torso wird nach dem ersten Fundbericht in die Zeit des Hadrian datiert.67 Der zweite Fund von dieser Stelle, für den noch keine Datierung vorliegt, ist der künstlerisch hochbedeutende Torso einer Kaiserstatue mit reich reliefverziertem Panzer.68 Bei ihrer Auffindung war erkennbar, daß diese beiden Skulpturen 1936 an der Grabungsstelle zurückgelassen und dabei absichtsvoll unter dem an das Baugrundstück angrenzenden Trottoir versteckt worden waren. Somit entspricht ihre Auffindungssituation nicht ionischen Tempels (TASIA 2000, 237) oder einem dieser gegenüberliegenden Grundstück (TASIA 2000, 237) Odo1w Dioikhthri1oy (= Karaolh1 kai Dhmhtri1oy) Nr. 35 zu kommen – die hierbei herrschende Unklarheit ergibt sich aus der alten Inventarisierungspraxis der Fundortbezeichnung nach den Namen des Grundstücksbesitzers, der in beiden Fällen derselbe war. Daneben besteht die Diskrepanz, daß für diese Funde das Fundjahr 1938 berichtet wird (DESPINIS 1983, 161), der Fundort des Tempels aber offenbar schon 1936 (TASIA 2000, 230; 233; 234), das gegenüberliegende Grundstück vermutlich sogar noch früher wieder überbaut wurde (TASIA 2000, 237). Zusätzliche Verwirrung schaffte die Angabe AA 1939, 255 [F. Brommer], die Panzerstatue des Hadrian sei bei Bauarbeiten „zusammen“ mit dem Augustusbildnis zum Vorschein gekommen (ohne Nennung des Fundortes); vgl. hierzu jüngst SculpThess II 118 (zu Nr. 246) mit Anm. 19 [G. Despi1nhw]. Die Unstimmigkeiten hinsichtlich Fundort und -datum ergaben sich möglicherweise aus dem Umstand, daß die Fundumstände im Interesse einer ungestörten Neubebauung verschleiert wurden. Hierauf weist neben der heute in keiner Weise mehr nachzuvollziehenden Erlaubnis zur undokumentierten Überbauung der gewaltigen Tempelfundamente durch den Ephoros N. Kotzias (vgl. dazu B AKALAKIS 1963, 33. – MPAKALAKHS 1983, 34) und der hierbei erfolgten starken Zerstörung des Befundes auch die absichtsvolle Verbergung der in den 1930er Jahren schon einmal aufgefunden gewesenen Skulpturen des Zeus Aigiochos sowie der Panzerstatue (TASIA 2000, 230; 234f.) hin. 66 Vgl. etwa PANDERMALIS 1983, 161f.: „Ein zweiter wichtiger Fundort [der Funde von 1939 und 1957] liegt im Nordwestteil der antiken Stadt.“ Daneben spricht Pandermalis a.a.O. von den Funden von 1938 „aus der selben Gegend“, die er als „zusammen“ mit den Architekturfragmenten des ionischen Tempels aufgefunden bezeichnet. Deutlich wird die Auffassung eines einheitlichen heiligen Bezirks und einer Zusammengehörigkeit der Funde auch bei VITTI 1996, 59f. sowie 89f. 67 TASIA 2000, 230 mit Anm. 12 sowie Abb. 4–5. – RomThess 114 [V. Allamani-Souri]. 68 TASIA 2000, 234f. mit Abb. 19.
Kapitel 2: Topographie und Kult
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mehr der ursprünglichen Fundlage.69 Ebenfalls nicht völlig eindeutig ist auch der genaue Fundort der 193870 gefundenen drei Skulpturentorsi von Togati,71 einer Panzerstatue vermutlich des Hadrian72 sowie einer als Darstellung der Dea Roma bezeichneten weiblichen Figur in Amazonentracht.73 Hier kommt die in den 1930er Jahren freigelegt gewesene Grabungsstelle des Tempelfundamentes ebenso wie auch ein ihr gegenüberliegendes Grundstück in Frage. 74 Die Angaben einer Augenzeugin der alten Grabungen scheinen für die erstgenannte Möglichkeit zu sprechen und erlauben daneben den Schluß, daß die Funde ‚von 1938‘ sowie vielleicht auch jene, die im Jahr 2000 wiederaufgefunden wurden, im Innern – der bei der ersten Freilegung möglicherweise teilweise erhalten gewesenen – Cella des ionischen Tempels gemacht wurden.75 Trotz aller Unsicherheiten wird deutlich, daß die genannten fünf Statuen in engem räumlichen Zusammenhang mit dem ionischen Tempel standen. Dies ermöglicht dessen sichere Identifizierung als bedeutende Stätte der Kaiserverehrung. Unklar ist der Zusammenhang mit dem Tempel hingegen bei dem bekannten, dem Primaporta-Typus verwandten, aber nicht als Panzerbildnis, sondern als Hüftmantelstatue gearbeiteten Standbild des Augustus.76 Als sein Fundort wird ein nicht näher bezeichnetes Grundstück in der Odo1w Strathgoy1 Doympiv1th angegeben, einer Straße, die nördlich der Odo1w Agi1oy Dhmhtri1oy in den oberen Teil der Platei1a Dioikhthri1oy mündet. Auch wenn der Fundort somit nicht genau bekannt ist, liegt er in jedem Falle mehrere hundert Meter vom Tempel entfernt. Trifft die Auffindung der Hüftmantelstatue des Claudius ‚in der Nähe‘ der Augustussta69
Zur Fundlage der Statuen TASIA 2000, 230. 234f. mit Abb. 4. Zur Problematik auch dieses Funddatums s. hier Anm. 65. 71 Togatus: Thessaloniki AM Inv. 1528. PANDERMALIS 1983, 161–162. BOKOTOPOYLOY 1996, 88. 72 Hadrian: Thessaloniki AM Inv. 1527/1529. PANDERMALIS 1983, 161–162. BOKOTOPOYLOY 1996, 88. RomThess 116f. [V. Allamani-Souri] sowie 115 Abb. 41. – An einen abweichenden Fundort läßt die Fundanzeige AA 1939, 255 [F. Brommer] denken, welche davon spricht, das Stück sei zusammen mit der Kolossalstatue des Augustus gefunden worden: vgl. hier Anm. 65. 73 Dea Roma: Thessaloniki AM Inv. 1526. SculpThess II Nr. 212 mit Abb. 588–591 (zweites Viertel des 2. Jhs. n. Chr [E. Goy1narhw]). PANDERMALIS 1983, 161–162. BOKOTOPOYLOY 1996, 88. RomThess 260 [K. Tzanavari] mit Abb. 51. VITTI 1996, 59 und 90 spricht irrtümlich von einem ‚Kopf der Dea Roma‘. 74 Vgl. hier Anm. 65. 75 TASIA 2000, 238. 76 Thessaloniki AM Inv. 1065. BCH 63, 1939, 315. AA 1940, 265–266. A. Rüsch, Das Kaiserzeitliche Portrait in Makedonien, JdI 84, 1969, 59–196, hier: 131; 133 (P38). G. Bakalakis, Vorlage und Interpretation von römischen Kunstdenkmälern in Thessaloniki, AA 88, 1973, 671–684, hier: 675–676 mit Abb. 5. HENDRIX 1984, 45–51. VITTI 1996, 69–71 mit Abb. 11. RomThess 115 [V. Allamani-Souri] und 113 Abb. 37. SculpThess II Nr. 244 mit Abb. 696–706. 70
2.4. Der ‚archaische Tempel‘
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tue zu, dann gilt Entsprechendes auch für sie.77 Zudem sind für beide Statuen keinerlei Fundzusammenhänge überliefert. Es kann somit nicht entschieden werden, ob ihr(e) Fundort(e) ein Teil des zum Kaisertempel gehörigen Bezirkes war(en) – was angesichts der Entfernung eher unwahrscheinlich ist –, ob es sich um verschleppte Funde handelt oder ob sie gar auf einen weiteren der Kaiserverehrung gewidmeten Bau im Umkreis der heutigen Platei1a Dioikhthri1oy hinweisen. Nach derzeitigem Kenntnisstand scheint es eher berechtigt, für diese Skulpturen einen eigenständigen, von der Grabungsstelle des Tempels zumindest räumlich unabhängigen Aufstellungsort anzunehmen, auch wenn über dessen Funktion keine Aussage getroffen werden kann. Da die Statue des Augustus in spättiberischclaudische Zeit datiert wurde, wies H.L. Hendrix zu Recht darauf hin, daß es sich bei ihr nicht um das ursprüngliche Kultbild des inschriftlich belegten (IGThess 31) Kai1sarow nao1w der augusteischen Zeit gehandelt haben kann.78 Daneben gilt gerade auch nach der festgestellten räumlichen Entfernung ihres Fundortes zum Kaisertempel die Feststellung Hendrix’, daß ihr Darstellungstypus keineswegs zwingend eine Funktion als Kultbild belegt.79 2.4.1. Der augusteische Kaisertempel Die bereits seit langem bekannten spätarchaischen Architekturfragmente80 des Tempels tragen zum Teil eingemeißelte Buchstaben, die offenkundig 77
BCH 81, 1958, 759 (Chronique des fouilles): „... rue du général Doumbiotis, dans la région où l’on avait trouvé en 1939 une statue d’ Auguste ...“ – G. Bakalakis, Vorlage und Interpretation von römischen Kunstdenkmälern in Thessaloniki, AA 88, 1973, 671–684, hier: 676–677 mit Abb. 6. 78 HENDRIX 50–52 mit Literatur. – Zum Problem der Datierung und zur hierfür entscheidenden Vermutung, daß es sich bei der Augustusstatue – wie bei der mutmaßlichen Claudiusstatue – um ein umgearbeitetes Bildnis (ursprünglich des Caligula?) handeln könnte vgl. SculpThess II Nr. 244 [G. Despi1nhw]. 79 HENDRIX 54: „But since the statue may have been produced in a different locale [d.h. außerhalb Thessalonikis], was not associated necessarily with the city’s ‚temple of Caesar‘, and does not seem to have been related by iconographic references to other deities honored by the city, there are few warrants for interpreting the work as an expression of Thessalonican ‚cultic‘ honors.“ Hendrix’ Annahme einer andernorts erfolgten Anfertigung geht zurück auf den Umstand, daß die Statue aus mehreren Teilen besteht und somit seines Erachtens transportabel geplant war, dies kann aber Ergebnis u.a. von Reparaturen sein: SculpThess II Nr. 244 [G. Despi1nhw]. 80 BAKALAKIS 1963 mit Taf. 17, 1–4; 18, 1–5. KAMThess Nr. 1–29 mit Taf. I sowie 1–4. SculpThess I Nr. 2 mit Abb. 2–5 (Löwenkopfwasserspeier). VITTI 1996, 47 Abb. 6 (Kapitell). 51 Abb. 7 (Löwenkopfwasserspeier). SculpThess I Nr. 1 mit Abb. 1 und 7 (Relief eines Jünglingskopfes AM Inv. 1530, möglicherweise vom Fries des Tempels). Unsicher ist das Fragment eines marmornen Palmettenakroters AM Inv. 6676 (SculpThess I Nr. 3 mit Abb. 6). Als nicht aus Thessaloniki stammend auszuscheiden hingegen ist der bei MPAKALAKHS 1983, 33 (sowie ihm folgend: Ae. Ohnesorg a.a.O. 51 [wie hier Anm. 47]. 98 mit Nr. 945. Taf. 64, 6)
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Kapitel 2: Topographie und Kult
sekundäre Versatzmarken darstellen und damit auf einen Ab- und anschließenden Wiederaufbau des Gebäudes hinweisen. Da ihre Anbringung einen Zeitpunkt ad quem für den Abbau markiert,81 hat sich ihre Datierung in die frühe Kaiserzeit82 auch für die zeitnah anzunehmende Wiedererrichtung des Tempels durchgesetzt.83 Die Datierung der Versatzmarken ist ohne nähere Begründung vorgenommen worden.84 Allerdings wird man eine verhältnismäßig geringe Zahl einzelner Buchstaben – die zudem, von Bauhandwerkern angebracht, eher als Sgraffiti denn als Inschrift zu bezeichnen sind – wohl nur mit Vorsicht für eine auch nur auf Jahrzehnte genaue Datierung heranziehen dürfen.85 Somit wird man gut daran tun, die von Bakalakis als Datierung der Versatzmarken vorgebrachte ‚frühe Kaiserzeit‘ als eine eher weite Zeitspanne aufzufassen.86 als dem Tempeldach zugehörig bezeichnete Marmorziegel AM Inv. 1123 (SculpThess I Nr. 4 mit Abb. 8–9), dessen Rückseite in zweiter Verwendung als Bildträger eines Votivreliefs mit Darstellung des Poseidon diente: s. hierzu den Katalogtext zu SculpThess I Nr. 4 [G. Despinis]. 81 Diese Marken werden sinnvollerweise während des Abbaus angebracht. Erkennbar ist diese Praxis etwa an den Baugliedern des Ares-Tempels von der Athener Agora, welche – sorgfältig auf den im verbauten Zustand unsichtbaren Auflageflächen der Einzelteile plaziert – erst dann angebracht wurden, wenn die jeweils darüberliegende Mauerwerkslage entfernt worden war: DINSMOOR 1940, 15ff. sowie v.a. THOMPSON – WYCHERLEY 1972, 163. 82 Erstmals vorgebracht hat sie MPAKALAKHS 1983, 34: „... polla2 a3po2 ta2 a3rxitektonika2 ay3ta2 me1lh e5xoyn gra1mmata-sh1mata a3po2 metaki1nhsh1 toyw (Versetzungsmarken) sta2 prv1ima ay3tokratorika2 xro1nia ...“; ihm folgen z.B. VITTI 1996, 88; BOYTYRAS 1996, 1338; TASIA 2000, 238. 83 Vgl. etwa VITTI 1996, 88. 84 Aus der Literatur geht auch nicht hervor, welche der ‚vielen‘ (so MPAKALAKHS 1983, 34) bisher bekannt gewesenen Bauglieder die ‚frühkaiserzeitlichen‘ Versatzmarken tragen; im 1994 erschienenen Katalog der Architekturglieder des Archäologischen Museums Thessaloniki (KAMThess Nr. 1–29) bleiben sie leider unerwähnt. Weitere Versatzmarken erwähnt TASIA 2000, 232 an einer jüngst in situ gefundenen Säulenbasis sowie an den wiederverwendeten Stufen des Stylobats; ob daneben auch die von ihr erwähnten Buchstaben an ‚etlichen verstreuten Marmorfragmenten des Oberbaus‘ (a.a.O. 238, vgl. hier Anm. 91) Neufunde der jüngsten Grabung betreffen, bleibt vorläufig unklar. In Abbildungen sind nur die an sichtbaren Stellen zweier Kapitelle angebrachten, weniger sorgfältig ausgeführten und nach MPAKALAKHS a.a.O. später als die ‚frühkaiserzeitlichen‘ Versatzmarken entstandenen Buchstaben D und IU publiziert: BAKALAKIS 1963 Taf. 18,1 und BOYTYRAS 1996 Abb. 4. 85 Vgl. auch die Bedenken von DINSMOOR 1982, 434 Anm. 42 (vgl. ebd. 415 Abb. 5 und 417 Abb. 7) zu den Versatzmarken der dem Südwest- sowie dem Südosttempel zugeordneten Bauglieder von der Athener Agora und dem daraus resultierenden weiten Datierungspielraum: „The two series of mason’s marks from Thorikos and Sounion are markedly different from one another, yet in neither case would it prudent to attempt precise dating on the basis of such small numbers of isolated letters. Both series, however, fall within the first two centuries after Christ.“ 86 Bei den Versatzmarken des Athener Arestempels sprechen sich THOMPSON – WYCHERLEY 1972, 163 mit größerer Zuversicht für eine Datierung ans Ende des 1. Jhs. v. Chr., „possibly in the time of Augustus“, aus. Sie bezeichnen die Markierungen allerdings als „the most elaborate example known“ und „more deeply and carefully cut than was usual or
2.4. Der ‚archaische Tempel‘
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Die Untersuchung der im Jahre 2000 wiederaufgefundenen Tempelfundamente hat gezeigt, daß sich der Oberbau des Tempels aus archaischen Bauteilen auf einem jüngeren Unterbau erhoben hat.87 Dies bedeutet, daß der Tempel komplett abgebaut und auf einem vollständig erneuerten Unterbau wiedererrichtet worden sein muß. Zu den am Unterbau beobachteten Merkmalen gehören u.a. Qualitätsunterschiede des Baumaterials88 sowie eine – leider nur am Rande erwähnte – Änderung des Wiederaufbaus gegenüber dem ursprünglichen Bauplan, der zu einem „rein römischen Tempel mit darin einbezogenen ionischen Baugliedern“ geführt habe.89 Diese Merkmale legen ein Wiederaufbaudatum des Tempels in römischer Zeit nahe, für eine genauere Datierung sind sie jedoch nicht ausreichend. Dasselbe gilt für die an der Fundamentierung beobachtete Verwendung von Mörtel,90 welche zwar nicht archaisch sein kann, jedoch ebenfalls keine genauere Datierung in die frühe Kaiserzeit erlaubt. Dies bedeutet, daß die Datierung der Baubefunde in die frühe Kaiserzeit nach wie vor allein von den Versatzmarken abhängt.91 In der Frage nach einer möglichen Translozierung des Bauwerks hatte G. Bakalakis dazu tendiert, einen Wiederaufbau des Tempels an seinem ursprünglichen Standort anzunehmen, der etwa aufgrund von Bauschäden notwendig geworden sein könnte.92 Der wesentliche Grund für Bakalakis’ Annahme, der Tempel habe seit spätarchaischer Zeit hier gestanden, war jedoch seine mittlerweile widerlegte Überzeugung, der Bau müsse dem bereits in der Vorgängersiedlung Thessalonikis, Therme, altansässigen necessary“, ihre Datierung wird zudem durch archäologische und epigraphische Zeugnisse gestützt. 87 TASIA 2000, 230–234. 88 TASIA 2000, 230. 89 TASIA 2000, 238: „… e1naw kauara1 rvmaQko1w nao1w me ensvmatvme1na ionika1 me1lh“. Die Veränderungen des Wiederaufbaus gegenüber dem ursprünglichen Bauplan (ebd. 239: „... alloi1vsan thn arxitektonikh1 toy fo1rma“) führt sie aber nicht genauer aus; die Verneinung einer solchen Planänderung in der englischen Zusammenfassung a.a.O. 243 („It seems highly unlikely that the temple was transferred here, because its architectural form has not [sic] been changed ...“) sorgt für zusätzliche Verwirrung. Als Zeichen für die erwähnte Änderung ist immerhin die berichtete spätere Hinzufügung quadratischer Säulenplinthen erkennbar: TASIA 2000, 232. „... ionikh1 ba1sh ... kata1 xv1ran epi1 toy styloba1th epa1nv se metagene1sterh tetra1gvnh pli1nuo“ (vgl. ebd. 238), welche eine Vergrößerung der Säulenhöhe des Tempels mit den daraus resultierenden Veränderungen am übrigen Baukörper zur Folge gehabt haben muß. 90 TASIA 2000, 234 sowie der Fundamentschnitt Abb. 4. 91 Vgl. jüngst TASIA 2000, 238: „Meta1 thn anaskafh1 olo1klhroy toy oikope1doy diapistv1noyme o1ti h xronologikh1 prose1ggysh toy naoy1 den ei1nai dynath1. To mo1no poy mporoy1me na poy1me ei1nai pvw episkeya1sthke h1 oikodomh1uhke sta prv1ima aytokratorika1 xro1nia, sy1mfvna me ta gra1mmata-sh1mata poy bre1uhkan ston styloba1th, sth ba1sh toy ki1ona kai se arketa1 apo1 ta sko1rpia arxaQka1 marma1rina uray1smata thw anvdomh1w.“ 92 MPAKALAKHS 1983, 34–35.
Kapitel 2: Topographie und Kult
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Dionysos geweiht gewesen sein, dessen Verehrungsstätte er aus anderen Gründen in diesem Stadtbezirk ausgemacht zu haben glaubte. Auch der knappe Vorbericht der jüngsten Grabung äußert sich – in wohlgemerkt vorläufiger Weise – zur Frage der Translozierung. Er tendiert ebenfalls zu einem kaiserzeitlichen Wiederaufbau des Tempels an seinem ursprünglichen Standort beziehungsweise in dessen unmittelbarer Nähe. Am zusammenhängendsten werden die den Wiederaufbau betreffenden Gedanken in der englischen Zusammenfassung ausgeführt: „The excavational data so far indicate with considerable certainty that we are digging on the original site of the temple (though the investigations have to continue, of course, so that we can collect further data). It seems highly unlikely that the temple was transferred here, because its architectural form has not [sic] 93 been changed; and it is considered doubtful that spolia were selectively brought here from a ruined temple in the wider area, because organising such a costly procedure just for the architectural features of the superstructure would have been uneconomical for the city, and, above all, because it seems more logical to look for these features in the close environment of the excavation, since we are in an area of temples.“94
Keines der vorgebrachten Argumente ist schlüssig. Daß die zuletzt angeführte area of temples – gerade in der Zeit vor der Wiedererrichtung des Bauwerks – nach heutiger Kenntnis nicht existiert hat, konnte oben erwiesen werden. Sie als Indiz dafür anzuführen, daß man den ursprünglichen Standort des Tempels in unmittelbarer Nähe zu den jetzt aufgefundenen Fundamenten erwarten dürfe, stellt somit einen klassischen Zirkelschluß dar.95 Genauso unzutreffend ist die angestellte Folgerung, die Veränderungen des Wiederaufbaus gegenüber dem ursprünglichen Bauwerk sowie die Verwendung neuen Materials für die Fundamentierung und den Unterbau sprächen gegen einen Herbeitransport der Architekturglieder von außerhalb:96 Aus Attika sind gut belegte Beispiele bekannt, an denen genau solch ein Vorgehen zu beobachten ist.97 Daneben gibt es keinen Grund, 93
Vgl. hier Anm. 89. TASIA 2000, 243 (vergleichbare Argumente im Haupttext). 95 Ablehnend auch RomThess 105 [V. Allamani-Souri]: „There are serious obstacles to this view, and the problem may be regarded as an open one, …“ 96 TASIA 2000, 239f. 97 So ist der sogenannte Südwesttempel der Athener Agora, ein Bau vermutlich augusteischen Datums mit unbekannter Weihung (DINSMOOR 1982, 434) zum Teil unter Verwendung von Baugliedern einer in klassischer Zeit unvollendet gebliebenen ‚Stoa‘ unbekannter Funktion aus Thorikos errichtet worden. Die Architekturglieder, welche dem ‚Südosttempel‘ – einem wohl in der 1. Hälfte des 2. Jhs. n. Chr., ebenfalls in unbekannter Funktion, errichteten Gebäude – zugeordnet werden können, stammen hingegen ursprünglich von dem zu dieser Zeit vermutlich bereits aufgegebenen ionischen Athenatempel in Sounion (ebd. 429–431). Beide Tempel auf der Athener Agora werden als Prostyloi rekonstruiert und unterscheiden sich somit wesentlich von ihren Spenderbauten. Bei den beiden von TASIA 2000, 239 neben dem Arestempel als originalgetreu wieder aufgebaut angeführten Bauwerken von der Athener Agora handelt es sich hingegen um Altäre (des Arestempels sowie der ursprünglich wohl von 94
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eine Kombination von Spolien eines Bauwerks mit anderem oder neuen Material auszuschließen, wie das Beispiel Thorikos zeigt. 98 Die Annahme vorrangig wirtschaftlicher Überlegungen schließlich verkennt sicherlich den Sinn der Wiederverwendung älterer Bauglieder, für die wohl kaum Sparsamkeit ausschlaggebend war: Viel eher scheint es, als habe man sich beim Wiederaufbau bewußt den ‚Luxus‘ geleistet, im Dienste der Kaiserverehrung eine alte Architektur und damit verbundene Assoziationen als ideelle Werte einzusetzen. Will man aber in diesem Zusammenhang wirtschaftlich argumentieren, so möchte man gerade bei einer Translozierung aus einiger Entfernung annehmen, daß nur die am fertigen Bau später sichtbaren – und erkennbar alten – Bauglieder aufwendig geborgen und herbeitransportiert wurden, das unsichtbare Fundament und der schmucklose, unskulptierte Stufenunterbau jedoch aus örtlich vorhandenem beziehungsweise neuem Material sowie fallweise in der zeitgenössischen Mauerwerkstechnik errichtet wurden. Dies wäre nicht nur wirtschaftlich sinnvoll, sondern scheint tatsächlich antiker Praxis zu entsprechen.99 Abschließend soll darauf hingewiesen werden, daß allein schon der Befund eines ‚archaischen Kaisertempels‘ ein wichtiges Argument für eine Translozierung in sich trägt: Daß die alten Bauglieder vor ihrer Wiedernutzung einen Götterkult – welchen auch immer – beherbergt haben, steht außerhalb jeden Zweifels. Gleichzeitig ist durch die Auffindung des Stylobats die Umnutzung als Kaiserkultstätte gesichert, aber ein alter, zum Tempel gehöriger Kult weder epigraphisch noch archäologisch greifbar. Tendiert man mit der Ausgräberin zu der Annahme, daß der ionische Tempel in Thessaloniki nahe seines ursprünglichen Standortes wiedererrichtet sein der Pnyx stammende, dem Zeus Agoraios zugeschriebene: vgl. THOMPSON – WYCHERLEY 1972, 160f. 164.); beide dürften als Vergleichsobjekte für diese Frage kaum geeignet sein. 98 Aus der ‚Stoa‘ von Thorikos scheinen einerseits nur vier der dort unfertig belassenen Säulen nach Athen gebracht worden zu sein (DINSMOOR 1982, 423), andererseits wurden diese am Südwesttempel der Agora dann mit Mauerblöcken eines weiteren, unidentifizierten Baus ebenfalls aus Thorikos (ebd. 418) sowie mit Teilen weiterer, durch Sulla zerstörter Athener Bauten (ebd. 415–420. 428. 433–438) kombiniert. 99 Die Vorgehensweise, bei Translozierungen nur aufgehende Bauteile, nicht aber die Fundamente mitzunehmen, ist beispielsweise für die ‚Stoa‘ von Thorikos (nur Säulen entnommen, Fundament belassen) sowie für den Ares-Tempel auf der Athener Agora (dort neue Fundamente aus Spolien eines anderen, Athener Gebäudes [Skeuothek?]: KORRES 1998, 100– 104) belegt. Manolis Korres scheint es im Zusammenhang mit den aus Attika bekannten Beispielen sogar als den Regelfall anzunehmen, daß Translozierungen die Fundamente nicht einbezogen, er läßt die ‚bestimmten Gründe‘ für diese Praxis aber leider ungenannt (KORRES 1998, 86): „ ... gia orisme1noyw lo1goyw, poy den ua anaptyxuoy1n edv1, h metafora1 etoi1mvn kthri1vn den periela1mbane ta ueme1lia ...“. – Im Zusammenhang mit dem Stufenunterbau des Tempels in Thessaloniki muß bedacht werden, daß dieser unter Umständen Geländeunregelmäßigkeiten auszugleichen hatte und dann an einem gewechselten Standort des Baus nicht ohne weiteres wiederzuverwenden war. Zudem dürfte er als der am stärksten beanspruchte Bereich des bei seiner Verlagerung bereits mehrere hundert Jahre alten Baus deutliche Abnutzungsspuren aufgewiesen haben.
Kapitel 2: Topographie und Kult
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könnte, dann darf man dabei nicht außer Acht lassen, daß hier nicht allein eine bauliche Restaurierung vorliegt, sondern daß diese nachweisbar mit einem Wechsel der Tempelweihung einherging. Wie die unten besprochenen Vergleichsfälle aus anderen Orten Griechenlands zeigen, ist ein derart radikaler Bruch mit einer jahrhundertealten Tempelinhaberschaft nur dann erklärbar, wenn der betreffende Tempel einen so schwerwiegenden baulichen Eingriff erfahren hat, daß seine Weiternutzung für den alten Kult unmöglich geworden war. Eine komplette Bauverpflanzung ist hierbei eine naheliegende Möglichkeit. Deshalb soll hier nochmals betont werden, daß die Annahme, der ionische Tempel sei in der Kaiserzeit von einem Ort außerhalb Thessalonikis herangeschafft worden, durch den derzeitigen Kenntnisstand keinesfalls widerlegt wird: Das sich derzeit bietende Bild und der Vergleich des Befundes aus Thessaloniki mit den aus Attika bekannten Beispielen verleiht vielmehr der Hypothese einer Translozierung von außerhalb eine sehr hohe Plausibilität. 2.4.2. Die Tempeltranslozierung und ihr ideologischer Hintergrund Zum ionischen Tempel von Thessaloniki stellte E. Voutyras bereits vor Freilegung der Tempelfundamente die überaus verlockende Hypothese auf, es handle sich um einen der Aphrodite geweihten Bau, der ursprünglich in der Stadt Aineia gestanden habe und in augusteischer Zeit von dort nach Thessaloniki verbracht worden sei.100 Aineia wird auf der heute als Mega1lo Karampoyrnoy1 bezeichneten Landspitze lokalisiert,101 welche den westlichsten Punkt der Halbinsel Chalkidike bildet und den thermäischen Golf von Osten her einfaßt. Ein Tempel der Aphrodite ist auf dieser Landspitze literarisch belegt,102 konnte archäologisch jedoch bisher nicht nachgewiesen werden. Eine gesichert in archaische Zeit zurückreichende Tradition führt die Gründung der Stadt auf den aus Troia geflohenen Aeneas zurück.103 Eine auf Polybios zurückgehende Liviusstelle berichtet zudem von jährlich in Aineia stattfindenden Feiern zu Ehren des Gründerheroen Aeneas, bei denen auch Pilger aus Thessaloniki teilgenommen hätten.104 100
BOYTYRAS 1996. Zur Lage und Geschichte des Ortes PAPAZOGLOU 1988 bes. 418 sowie Karte S. 416. 102 Dion. Hal. ant. 1, 49, 4. 103 Der älteste Textbeleg geht auf Hellanikos (6. oder Anfang 5. Jh v. Chr.?) zurück: FGrHist 4 F 31 = Dion. Hal. ant. 1, 45; vgl. Hegesippos, FGrHist 3 B 391. Daneben sind Münzen des 6. Jhs. v. Chr. (BMC Macedonia 41 Nrn. 1–4) zu nennen, die den fliehenden Aeneas zeigen, bemerkenswerterweise mit der im Nominativ abgefaßten Beischrift Ai3nei1aw und nicht etwa mit dem Ethnikon Ai3neiatv9n o.ä.. Die Aeneas-Prägungen Aineias scheinen in dieser Zeit unter den griechischen Städten einzigartig zu sein, vgl. LIMC I (1981) 382 s.v. Aineias (Monete). 104 Liv. 40, 4, 9: Proficiscuntur ab Thessalonica Aeneam ad statum sacrificium, quod Aeneae conditori cum magna caerimonia quotannis faciunt. In Thessaloniki ist der Kult des 101
2.4. Der ‚archaische Tempel‘
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Stadt- und Kultgründung sind in den Quellen erst ab dem 1. Jahrhundert vor Christus miteinander in Bezug gebracht,105 wobei unklar bleibt, ob man daraus auch einen gemeinsamen Kult des aineiatischen Gründerheroen mit Aphrodite ableiten darf, wie ihn Voutyras annehmen möchte.106 Die mythische Verbindung von Aphrodite und Aeneas hingegen steht außer Frage: Sie erfuhr besondere Aktualität und eine erweiterte Bedeutung, als nach dem Herrschaftsantritt des Iulius Caesar, aber auch noch in der Zeit nach seinem Tode, die Tradition der Abkunft des iulischen Hauses von Iulus, Sohn des Aeneas und Enkel der Aphrodite, auch in Griechenland politische Dimension erlangte.107 Somit ist die Verehrung der 3Afrodi1th Ai3neia1w, die Dionysios von Halikarnassos gleich für drei Orte (Ambrakia, Leukas, Actium) überliefert – der Aphroditebeiname Ai3neia1w ist allein von Dionysios bezeugt –,108 vielleicht ein Hinweis auf eine Erfindung der iulischaugusteischen Zeit. Den an ihrem Kult beteiligten Orten könnte die Verbindung von Aphrodite und Aeneas die Möglichkeit zur propagandistisch wirksamen Ehrerweisung gegenüber den neuen Machthabern geboten haben,109 zumal die Verbindung zu Aeneas und seinen Irrfahrten nach seiner Flucht aus Troia besonders in der Zeit nach dem zweiten makedonischen Krieg ein häufig gebrauchtes Motiv der mythologisch begründeten Kon-
Aeneas in der Kaiserzeit durch eine Grabinschrift mit der Nennung einer synh1ueia toy9 h7rvow Ai3nei1a belegt (datiert 125/126 n. Chr.). Es handelt sich um eine Reliefstele mit der Darstellung eines ambulanten Fischhändlers vom westlichen Friedhof von Thessaloniki (Thessaloniki AM Inv. 11472): PANDERMALIS 1983, 162–164 mit Abb. 1 (der Text dort nur unvollständig und zudem fehlerhaft, vgl. M. B. Hatzopoulos, REG 100, 1987, 429 [Bulletin Épigraphique] Nr. 680). Der Inschriftentext ist erst seit kurzem vollständig publiziert (EpThess Kap. II Nr. 15 mit Abb. 40): 5Etoyw znp toy9 kai2 = gos / h4 synh1ueia = h7rvow Ai3nei1a tv9n / peri2 = P(o1plion) = Kvsi1dion Ke1lson / a3rxisyna1gvgon = grammatey1ontow / Ti(beri1oy) = Klaydi1oy Zvsi1moy= y4pog[r]/ammate1vw 4Erenni1oy 3Oly1[mpoy] / Ba1kxylon Ueode1oyw [-- ca. 5 Zeichen --] / [-- ca. 6–7 Zeichen --]on mnh1mhw x[a1rin]. 105 Dion. Hal. ant. 1, 49, 4: [Ai3neiaw kai2 Trv9ew] mei1nantew de2 th2n xeimerinh2n v7ran ay3to1ui nev2n A 3 frodi1thw i4dry1santo e3pi2 tv9n a3krothri1vn e4no2w kai2 po1lin Ai5neian e5ktisan. – Vgl. Konon FGrHist 26 F 1 XLVI: e3ntay9ua mykhsame1nhw th9w synepome1nhw ay3tö9 boo2w e3j 5Idhw (toy9to ga2r 3Afrodi1th e3pe1skhce) lamba1nei to2 kra1tow th9w gh9w dido1ntvn tv9n 3 frodi1tü kai2 kti1zei po1lin ... . e3pixvri1vn kai2 th2n boy9n uy1ei tü9 A 106 BOYTYRAS 1996, 1333–1334. 107 BOYTYRAS 1996, 1335 bes. Anm. 30f. mit Literatur. 108 Dion. Hal. ant. 1, 50, 4. 109 Das Motiv des aus dem brennenden Troia fliehenden Aeneas erscheint in der römischen Münzprägung erstmals unter Iulius Caesar: RRC 1013. Ob man die einzigen älteren Prägungen mit diesem Motiv, die aus dem 6. Jh. v. Chr. stammenden aus Aineia (BMC Macedonia 41 Nr. 1–4) sowie die des 3. Jhs. aus dem sizilianischen Segesta (Head HN 167), angesichts des zeitlichen Abstandes noch als Vorbilder hierfür in Betracht ziehen darf, muß höchst unsicher bleiben. Umgekehrt kann aber vielleicht, wie WEBER 1972, 223 Anm. 37 annimmt, im Zeugnis aus Segesta vielleicht „eine deutliche Dokumentation der Hinwendung zu Rom“ gesehen werden.
Kapitel 2: Topographie und Kult
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struktion genealogischer Beziehungen zwischen Griechen und Römern gewesen war.110 Für die angenommene Verlegung des Aphroditetempels von Aineia nach Thessaloniki hätten also in augusteischer Zeit gute Gründe bestanden. In die Vermutung einer Translozierung des Tempels einerseits und einer Verpflanzung des Aphroditekultes andererseits fügt sich, daß zum einen die bisher bekannten Belege für den Kult der Aphrodite in Thessaloniki auffälligerweise nicht vor der Zeitenwende datieren 111 und daß zum anderen von der Fundstelle des ionischen Tempels auch nach der jüngsten Grabung keinerlei Kleinfunde, etwa Keramik, berichtet wurden, die zeitlich auch nur annähernd an die archaische Entstehung der Architektur heranreichen würden.112 Trifft die Vermutung einer Translozierung zu, dann ordnet sich der ionische Tempel von Thessaloniki in das bisher vor allem an kaiserzeitlichen Beispielen aus Attika untersuchte Phänomen der ‚Wandertempel‘ ein. 113 Auch beim sogenannten ‚Arestempel‘ auf der Athener Agora ist ein Zusammenhang mit kultischen Ehrungen des Augustus und seiner Familie vermutet worden: Er wurde möglicherweise als Tempel für den ‚Neuen Ares‘ Gaius Caesar, den Adoptivsohn des Kaisers Augustus, wiedererrichtet.114 Nimmt man ähnliche Motive für Thessaloniki an, dann erscheint denkbar, daß im translozierten Tempel in Thessaloniki zusammen mit Venus, der göttlichen Ahnherrin der gens Iulia, der vergöttlichte Iulius Caesar verehrt wurde. Der prominenteste Beleg für eine solche gemeinsame Verehrung stammt aus Rom selbst: Die Errichtung des Tempels der Venus Genetrix auf dem Forum Iulium geht auf Iulius Caesar zurück,115 nach dessen Ermordung ordnete Octavianus die Aufstellung seiner Statue im Tempel an.116 Für Thessaloniki hatte Voutyras angenommen, Iulius Caesar sei entweder nach der Translozierung des Aphroditetempels dort als synnaos seiner Ahnherrin verehrt worden, oder aber der Aphroditetempel sei aus den 110
WEBER 1972, 223–225. BOYTYRAS 1996, 1341 Anm. 63 mit weiterer Literatur. Zusammenstellung bei BOYTYRAS 1996, 1329–1330, vgl. ebd. 1335. Einzige Ausnahme bietet die vom Herausgeber ins 3. Jh. v. Chr. datierte, allerdings stark verstümmelte und in ihrem Sinn unsichere Inschrift IGThess 965/966. 112 TASIA 2000 bes. 234. Zum Fehlen älterer Funde auch schon BOYTYRAS 1996, 1336. 113 Zu den kaiserzeitlichen Beispielen aus Attika vgl. H.A. Thompson, Itinerant temples of Attica, AJA 66, 1962, 200. DINSMOOR 1940. DINSMOOR 1974. DINSMOOR 1982. THOMPSON – WYCHERLEY 1972, 160–168. J.M. Camp, The Archaeology of Athens (New Haven 2001) 191f. – Beispiele von Tempelversetzungen verschiedener Datierungen, auch außerhalb Attikas, sind zusammengestellt bei A. Petronotis, ‚Wandernde‘ Tempel I., in: STHLH. Denkschrift N. Kontoleon (Athen 1980) 328–330. 114 H.A. Thompson – R.W. Wycherley, Agora XIV bes. 160ff. J.M. Camp, The Archaeology of Athens (2001) 191f. 115 Hierzu R. Schilling, La religion romaine de Venus (Paris 21982) 307–324. 116 Cass. Dio 45, 7, 1. 111
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genannten programmatischen Gründen in die unmittelbare Nachbarschaft des inschriftlich belegten Caesartempels verpflanzt worden – die zweite Möglichkeit bezeichnete er als die wahrscheinlichere.117 Da zwischenzeitlich die direkte räumliche Verbindung des Tempelstylobats zu den Kaiserstatuen nachgewiesen wurde, muß nun der erstgenannten Möglichkeit der Vorzug eingeräumt werden.118 Dies erhebt die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Aphrodite- und dem Kaiserkult, auf die unten eingegangen werden soll.119 Ein besonders starker Beweggrund für die von ihm vermutete Translozierung des Tempels nach Thessaloniki ist mit E. Voutyras darin zu sehen, daß sich die Stadt – welche, wie die meisten griechischen Städte, nach der Schlacht von Philippi (Herbst 42 v. Chr.) zum Herrschaftsbereich des Antonius gehört hatte120 – nach dessen Niederlage vor Actium naturgemäß in einer schwierigen Position befand. Die Errichtung eines Kultes für den vergöttlichten Adoptivvater des Octavianus könnte in dieser Lage ein Mittel gewesen sein, die Gunst des neuen Herrschers zu gewinnen.121 Dies wäre nicht ohne Vorbilder, ist doch die Verbindung von Bautenweihungen mit vergleichbaren Vorgängen im Gefolge der Schlacht von Actium gleich zweifach aus Rom belegt: Der erste Fall betrifft den Neubau des SaturnTempels durch L. Munatius Plancus.122 Auch dieser hatte vormals auf Seiten des Antonius gestanden; der Baubeginn datiert nach seinem Wechsel auf die Seite Octavians 32 v. Chr., möglicherweise auch erst nach der Schlacht von Actium, auf die der durch Macrobius überlieferte Bauschmuck des Tempels deutlichen Bezug nimmt.123 Der zweite, noch prominentere Fall ist jener des als Apollo-Sosianus-Tempel bekannten Heiligtums. Hier lag nicht nur ein Überwechseln des C. Sosius auf die Seite des Octavianus nach Actium vor, sondern dazu noch die besondere Situation, daß Sosius die gegenüber der persönlichen Schutzgottheit des Octavianus bestehende Verpflichtung zur Wiedererrichtung des Tempels – der repu117
BOYTYRAS 1996, 1339–1340. Vgl. auch TIBERIOS 1998, 226, der – noch vor Bekanntwerden der Tempelfundamente – den Kaiserkult im Tempel selbst als Möglichkeit nicht ausschließen mochte. Erstmals geäußert hatte, soweit ich sehe, den Gedanken der Umnutzung zum Kaiserkulttempel H.L. Hendrix, Anchor Bible Dictionary Bd. 6 (1992) 523–527 s.v. Thessalonica, bes. 524. 119 Siehe hier Abschnitt 2.4.3. 120 Die beiden Sieger der Schlacht von Philippi, Antonius und Octavianus, hatten die Stadt großzügig mit den Rechten einer civitas libera ausgestattet, was auf eine vorangegangene besondere Loyalität schließen läßt: HENDRIX 1984, 251 mit Anm. 1; vgl. auch VOM BROCKE 17f. – Zur kurzzeitig in Thessaloniki verwendeten Datierung nach Antoniusjahren (vermutlich mit dem Epochenjahr 41/40) s. HABICHT 1974, 484–492, hier: 488–489. 121 BOYTYRAS 1996, 1339–1340. 122 Zur Person vgl. NP 8 (2000) 469–470 s.v. Munatius (I4) [W. Eck]. – Zum Tempelbau: K. Fittschen, Zur Panzerstatue in Cherchel, JdI 91, 1976, 175–210 bes. 208–210. 123 Macr. Sat. 1, 8, 4. – HÖLSCHER 1983, 88. 118
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blikanische Vorgängerbau war aufgrund der Erbauung des MarcellusTheaters (und damit auf Initiative Caesars oder Octavians) abgebrochen worden – offenbar direkt aus Octavians Händen übernommen hatte.124 Neben dem auf Rom gerichteten gedanklichen Hintergrund war in Thessaloniki sicher die direkte, optisch-ästhetische Wirkung der monumentalen Marmorarchitektur, die aus den erhaltenen Resten selbst heute noch eindrucksvoll hervorgeht, von großer Bedeutung. So wie man annehmen darf, daß ein Betrachter der frühen Kaiserzeit mit ihrem Anblick eine Vorstellung von altehrwürdigen – eben: griechischen – Architekturformen verbinden konnte, so ist der Schluß erlaubt, daß dieser Aspekt seinen nicht unbedeutenden Anteil an der Motivierung der Tempelverpflanzung besaß: Im fiktiven Alter des Bauwerks wurde nicht nur die alte Verbindung zwischen Griechen und Römern beschworen, sondern auch die Unterordnung der Stadt unter die neue Herrschaft gewissermaßen zurückdatiert. Darüber hinaus stellte der translozierte Tempel sicher eine beträchtliche architektonische Aufwertung seiner neuen Umgebung dar: Schließlich ist für die Zeit vor seiner Errichtung – aber selbst bis in die mittlere Kaiserzeit hinein – bisher nicht bekannt, daß Marmorarchitektur im Stadtbild von Thessaloniki in stärkerem Maße präsent gewesen wäre.125 Angesichts unserer völlig ungenügenden Kenntnisse über Architektur, aber auch Bedeutung und Größe der hellenistischen Stadt sind gesicherte Aussagen über Vorhandensein oder Fehlen prächtiger, das Stadtbild repräsentativ mitbestimmender Bauten so gut wie nicht möglich. Mindestens die von Kriegen und Unruhen stark mitbestimmten beiden letzten Jahrhunderte bis zur Zeitenwende werden jedoch kaum die günstigsten Voraussetzungen für eine ungestörte architektonische Entwicklung der Stadt geboten haben.126 Somit ist anzunehmen, daß Thessaloniki im letzten Drittel des 1. Jhs v. Chr. kaum mit den architektonischen und städtebaulichen Glanzpunkten aufwarten konnte, die sich andere griechische Städte oder Heiligtümer im Laufe vieler Jahrhunderte geschaffen hatten. Vielmehr dürfte das Stadtbild eher von schlichterer Bebauung, vom weitgehenden Fehlen erkennbar ‚historischer‘ Bausubstanz und vielleicht sogar von einer gewissen Gesichtslosigkeit geprägt gewesen sein. 124 Das umstrittene Datum der Wiedererrichtung kann deshalb erst nach Actium gelegen haben, als C. Sosius nicht mehr auf gegnerischer Seite stand: HÖLSCHER 1983, 88f. 125 Ausnahmen bilden vielleicht zwei durch Epistylfragmente belegte Bauten: Das erste (vgl. KAMThess Nr. 169 [431] mit Taf. 20) mit der fragmentierten Weihung Philipps V. (IGThess 25, 221–179 v. Chr.: Basiley2w Fi1lippow / basile1vw Dhmhtri1oy / --- / ---) könnte von einer Säulenhalle stammen; dies legt ein Vergleichsstück aus Beroia nahe (IBeroia 17: Basiley2w Fi1lippow / basile1vw Dhmhtri1oy / ta2w stoa2w / A 3 uhna9i). Ein zweites ist das heute verschollene Epistylfragment, welches durch die Inschrift IGThess 135 etwa in das Jahr 105 v. Chr. datiert werden kann und auf einen größeren Bau hinweist. 126 Vgl. auch das vielzitierte Zeugnis Ciceros über den schlechten baulichen Zustand der Stadtmauern: Cic. prov. 2, 4. – Cic. Pis. 34, 84.
2.4. Der ‚archaische Tempel‘
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Die genannten Fälle des stadtrömischen Saturn- sowie des ApollonSosianus-Tempels zeigen, daß sich Thessaloniki durch seine angenommene Tempelverpflanzung in zwei überregionale Referenzsysteme einordnete. Zum einen ist dies ein Bezug auf die Vorbilder ehemals Abtrünniger, die durch aufwendige und Octavianus/Augustus ehrende Bauprogramme Abbitte leisten konnten. Auch der Bau in Thessaloniki stellt somit nicht nur einen Unterwerfungsgestus dar, sondern ist auch als weithin sichtbares Zeichen dafür zu verstehen, daß man in der neuen Weltordnung ‚in Gnaden aufgenommen‘ war. Zum anderen finden sich die anderen bisher aus Griechenland bekannten Beispiele kaiserzeitlich translozierter Bauten, nämlich die drei verpflanzten Tempel in Athen sowie der vergleichbare Fall der unten noch näher zu besprechende Umnutzung des alten Metroons von Olympia als Verehrungsstätte des Augustus, durchweg an herausragenden Orten. Dies ist sicher kein Zufall, verfügten doch gerade diese neben den für einen solchen Aufwand erforderlichen finanziellen Möglichkeiten, die hier vielleicht am ehesten gegeben waren, über große, auch in Rom wahrzunehmende Öffentlichkeitswirkung. Der Leitgedanke einer Tempelverpflanzung erschöpfte sich somit für Thessaloniki nicht in lokalen Bezügen: Im Sog des historisch bedeutsamen Umbruchs fügte sich die initiierende Stadt vielmehr in ein Bezugssystem überregional bedeutender Stätten Griechenlands ein. In dem enormen Engagement der Stadt Thessaloniki und ihrer Bürger für den Sieger von Actium, in ihrer aktiven Einordnung in eine ‚kulturelle Landkarte‘, werden somit auch Anspruch und Wille deutlich, sich in eine Liga prominenter griechischer Orte einzureihen. 2.4.3. Das Verhältnis von Aphrodite- und Kaiserkult Im Falle des verpflanzten und nach seiner Verpflanzung mit einem neuen Kult besetzten Tempels stellt sich die Frage nach dem Verbleib der alten Inhaberin Aphrodite. Nimmt man mit Voutyras eine prominente Rolle der Göttin in der Motivierung der Tempelversetzung an, so würde man zunächst erwarten, daß ihr Kult in Thessaloniki – hier zudem mit politischen Bezügen angereichert und mit dem Status eines städtisch-offiziellen Kultes versehen – seinen deutlichen Niederschlag im kaiserzeitlichen Inschriftenmaterial der Stadt finden würde. Das Gegenteil ist der Fall: Aphrodite erscheint weder in den ohnehin seltenen Inschriften mit Bezug zum Kaiserkult, noch in der frühkaiserzeitlichen Münzprägung. Ein im weitesten Sinne ‚öffentliches‘ Interesse am Aphroditekult läßt bestenfalls eine kaiserzeitliche Inschriftenweihung an Aphrodite Homonoia erkennen, einer insbesondere für den Schutz der Agora zuständigen Erscheinungsform der Göttin: Die ins Jahr 182/83 n. Chr. datierte Weihung befindet sich auf der Basis einer im Heiligtum der ägyptischen Götter gefundenen Aphrodite-
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Statuette.127 Ob mit dieser Funktion wiederum eine fragmentarische Weihung der Stadtgemeinde mit der Nennung von agoranomoi verbunden werden kann, bleibt unsicher.128 Eher dem privaten Bereich der kultischen Verehrung zuzurechnen ist eine Grabinschrift vom Ende des 1. Jahrhunderts vor Christus, die einen Berufsverein seefahrender Händler nennt, der eine ansonsten unbekannte 3Afrodi1th 3Epiteyjidi1a verehrte.129 Der in ihr verkörperte Aspekt des ‚guten Gelingens‘ ermöglicht die Verbindung zur Aphrodite von Aineia als einer Beschützerin der Seefahrt, die Voutyras anhand der hervorgehobenen Lage ihres Heiligtums auf einem Kap an der Einfahrt in den thermäischen Golf vermutet hatte.130 Daneben stellt diese Rolle eine Überschneidung mit einem in Thessaloniki anzunehmenden Aufgabenfeld der Isis Pelagia dar. Eine Nähe zwischen den beiden Göttinnen könnte neben der erwähnten Statuette der Aphrodite Homonoia auch die Auffindung einer weiteren, annähernd lebensgroßen Statue der Göttin vom sogenannten Typus Fréjus im selben Heiligtum andeuten,131 deren Bildnistypus zudem von einiger Ausstrahlungskraft in die örtliche Grabreliefplastik gewesen ist.132 Eine herausgehobene Stellung der Göttin im Kultspektrum der Stadt, die aus einem propagandistisch wichtigen Kult oder einer engen Verbindung zum Kaiserkult resultieren würde, ist in all diesen Zeugnissen allerdings nicht zu erkennen. Wie die unten zu betrachtenden Vergleichsbeispiele anderer translozierter oder für den Kaiserkult umgenutzter Tempel jedoch zeigen werden, ist die in Thessaloniki fehlende Greifbarkeit der Aphrodite im Kaiserkult keineswegs verwunderlich, sondern vielmehr sogar zu erwarten. Somit steht der Befund einer offen127 Thessaloniki AM Inv. MU 996 mit IGThess 61: 3Afrodi1tü 4Omonoi1ä / o4 i4erey2w Pontiano2w / e5toyw dis Sebastoy9 [= 182/83 n. Chr.]. Anders als der Inschriftenkommentar und, ihm folgend, BOYTYRAS 1996, 1329, vermuteten, ist die Statuette selbst wohl kaum viel früher als die Inschrift entstanden, vgl. jüngst SculpThess I 118f. Nr. 88 mit Abb. 230–233. 128 IGThess *26 (einst verschollen geglaubt, jetzt Thessaloniki AM Inv. MU 257: PAPAKONSTANTINOU-DIAMANTOUROU 1995, 140f. mit Taf. 4). Selbst wenn man den verlorenen Götternamen nach einem Vorschlag des Inschriftenkommentars zu [3Afrodi1t]hi ergänzt (ebenso HATZOPOULOS II Nr. 71, vgl. BOYTYRAS 1996, 1329 mit Anm. 2), bleibt wegen der unbekannten Herkunft des Steins unsicher, ob die als Weihende genannte po1liw Thessaloniki ist. Zudem wurde diese Inschrift in das 3. oder 2. Jh. v. Chr. datiert und befindet sich somit in großem zeitlichen Abstand zur Weihung an Aphrodite Homonoia. – Unbekannt ist leider auch der Fundort der Statuenbasis Thessaloniki AM Inv. MU 2299 mit IGThess *965/966 (3. Jh. v. Chr.), die eine Weihung einer Königin (vielleicht Phila II., Gattin des Antigonos Gonatas, oder Phthia, Gattin des Demetrios II., vgl. den Inschriftenkommentar) an Aphrodite trägt. 129 VOUTIRAS 1992, 87–96. – BOYTYRAS 1996, 1330. 130 BOYTYRAS 1996, 1333. 131 Thessaloniki AM Inv. 831 = SculpThess I Nr. 75 mit Abb. 175–184 (1. Hälfte d. 2. Jhs. n. Chr.?). 132 Vgl. das Grabrelief des 2. oder 3. Jhs. n. Chr. mit der Darstellung der Verstorbenen im Typus der Aphrodite Fréjus: H. Wrede, Consecratio in formam deorum (Mainz 1981) 320 Nr. 325.
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kundigen Bedeutungslosigkeit der Aphrodite in der neuen Heimat ihres Tempels weder der These einer Translozierung aus Aineia noch der damit verbundenen Annahme der im Rahmen der Tempelversetzung betriebenen Venus-Genetrix-Propaganda entgegen. Ein Anhaltspunkt dafür, daß der Aphroditekult im Tempel nach seiner Translozierung eine bestenfalls noch geringe Rolle gespielt hat, ergibt sich bereits aus der oben angestellten Überlegung, daß man sicher nicht einen noch florierenden Tempel abtransportiert hat, sondern eher ein in Verfall geratenes Gebäude mit zurückgegangener, vielleicht sogar erloschener kultischer Funktion. Fraglich ist hingegen, ob der Abbau eines funktionierenden Tempels gegen den Widerstand der Gemeinde hätte durchgesetzt werden können, in der sich dieser befand.133 Ob eine Abhängigkeit Aineias von Thessaloniki bestand, die ein solches Vorgehen möglich gemacht hätte, ist unbekannt,134 eine etwaige gewaltsame Auseinandersetzung aus den 133
Ein grundsätzlich anderer Fall liegt dann vor, wenn ein Tempel aus Anlaß eines Synoikismos verpflanzt wurde: Hier wurde er nicht seinem alten Nutzerkreis entzogen, sondern er gelangte gemeinsam mit diesem an seinen neuen Ort. Inwieweit die Tempelverpflanzung dann auf einer erzwungenen Abtretung an die Neugründung, einem Zugeständnis an die Umsiedler oder auf deren eigener Initiative beruhte, wird im Einzelfall kaum zu ermitteln sein. Am Beispiel der ins Jahr 30 v. Chr. datierbaren Auflassung des epirotischen Kassope zugunsten von Nikopolis machte W. Hoepfner das rigorose Vorgehen und den auf die umgesiedelten Bewohner ausgeübten Zwang anschaulich, der nicht nur am Befund der absichtsvollen Zerstörung etwa der Stadtmauern ablesbar ist, sondern auch den Abbau eines mutmaßlich der Aphrodite geweihten Ringhallentempels umfaßte. Dieser wurde – wie wohl noch weitere Heiligtümer der Stadt – wahrscheinlich nach Nikopolis transportiert und dort wieder aufgebaut: HOEPFNER 1987 bes. 131f. und Abb. 3–4. 6; vgl. HOEPFNER – SCHWANDNER 21994, 144 Anm. 324. Es sollte also nicht nur die Rückkehr der Umgesiedelten an ihre alten Orte verhindert werden, auch sollten „die alten Götter in der neuen Stadt Schutz und Geborgenheit vermitteln“ (HOEPFNER 1987, 132), daneben aber möglicherweise auch als Anknüpfungspunkte der nach Nikopolis übernommenen alten Demenordnungen fungieren. – Auch STRAUCH 1996, 170f. (mit weiteren Beispielen) scheint bei den Kultverpflanzungen von einer von höherer Ebene angeordneten Aktion auszugehen, wenn er davon spricht (ebd. 171), daß man bei der Gründung von Nikopolis auf regionale Kulte zurückgegriffen habe, „um den neuen Bewohnern die Übersiedlung zu erleichtern und um andererseits den beteiligten Städten des synoikismos ihren Mittelpunkt und damit ihre Anziehungskraft zu rauben.“ 134 Aineia erscheint in der ersten Hälfte des 4. Jh. in einer Liste von Thearodokoi aus Epidauros (IG IV2 1, 94 Ib 10) als autonome Polis. 349/48 v. Chr. wurde die Stadt Teil des makedonischen Königreiches; sie gehörte 316/15 v. Chr. zu den 26 Städten, die beim Synoikismos zur Gründung Thessalonikis Einwohner abzugeben hatte. Aineia erscheint danach erneut als autonome Polis in einer delphischen Theoradokenliste (A. Plassart, Liste delphique des théorodoques, BCH 45, 1921, 1–87, hier: S. 18 Sp. III Z. 75) und wird in der Zeit der Makedonenkriege von Livius (45, 30, 4) als einer der wichtigsten Häfen der Chalkidike erwähnt: vgl. ZAHRNT 1971, 142–144. PAPAZOGLOU 1988, 418. – Die Zugehörigkeit Aineias zur Chora von Thessaloniki ist ungeklärt: PAPAKVNSTANTINOY-DIAMANTOYROY 1990 bes. 104 nennt Aineia unter einer Anzahl möglicher oreiake1w po1leiw, muß dabei jedoch offen lassen, ob der Ort dabei noch inner- oder schon außerhalb der Choragrenzen Thessalonikis lag. Unter anderem unter Berufung auf die Tempeltranslozierung, die nur dann einigermaßen mühelos vonstatten gegangen sein könne, wenn Aineia eine kv1mh Thessalonikis war, argumentiert P. Nig-
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Quellen nicht zu erschließen.135 Somit hat man vielleicht von einer – auf welche Weise auch immer gewonnenen – Zustimmung Aineias auszugehen. Als Voraussetzung für eine solche Zustimmung wäre wiederum der Fall denkbar, daß sich der Tempel in einem desolaten Zustand befunden und kostspielige, von der Gemeinde selbst nicht zu leistende Reparaturarbeiten erfordert hätte oder daß seine kultische Nutzung – möglicherweise in Folge eines solchen Bauschadens – stark zurückgegangen oder ganz erloschen war.136 Interessanterweise sind vergleichbare Konstellationen bei einigen der aus Südgriechenland bekannten Beispiele von Bautranslozierungen und Tempelumnutzungen gesichert oder zumindest zu erschließen: Die Umsetzung von aus Sounion stammenden Baugliedern fällt in eine Zeit, in der die kultischen Aktivitäten im Athena- und Poseidonheiligtum wahrscheinlich bereits geendet hatten.137 Vergleichbares, d.h. Funktionslosigkeit, ist auch für die nie vollendete ‚Stoa‘ von Thorikos (sowie auch für die beim Bau des Südwestempels zusätzlich verwendeten Spolien) anzunehmen.138 Beim sogenannten ‚Arestempel‘ der Athener Agora, für den man bis vor kurzem eine Herkunft aus dem attischen Demos Acharnai vermutet hatte,139 wurde vor diesem Hintergrund ebenfalls von einem der Translozierung vorangehenden baulichen Verfall des Tempels ausgegangen.140 In ihrer Konsequenz hatte diese Vermutung zudem die Beibehaltung der alten Weihung an Ares beinhaltet. Inzwischen ist der Zusammenhang mit dem Ares-Tempel von Acharnai nicht mehr aufrechtzuerhalten: Die 1994 aufgedelis jüngst für eine Zugehörigkeit Aineias zum Territorium Thessalonikis spätestens ab der Kaiserzeit: EpThess 209 Anm. 336. 135 Livius 42, 3, 2 überliefert aus Rom das Beispiel des Censors Quintus Fulvius Flaccus, welcher einen Teil des Marmordaches vom Tempel der Juno Lacinia in Bruttum dem Tempel der Fortuna Equestris zugedacht hatte und nach Rom bringen ließ. Die Tat wurde vom Senat als widerrechtlich bezeichnet und die Rückgabe der Dachplatten angeordnet: Vgl. DINSMOOR 1974, 233 Anm. 44. 136 BOYTYRAS 1996, 1335 schloß selbst die Möglichkeit einer Verpflanzung des Aphroditekultes aus Anlaß des für Aineia belegten Synoikismos (vgl. hier Anm. 134) bei Gründung Thessalonikis nicht aus. Dieser Zeitpunkt kann aufgrund des seit kurzem bekannten archäologischen Befundes zumindest für die Translozierung des Tepels nicht in Frage kommen. 137 DINSMOOR 1974, 233 mit Anm. 45. DINSMOOR 1982, 483. – Zur Möglichkeit eines Wiederauflebens (mit Neuschaffung des abtransportierten Athenakultbildes!) vgl. jüngst Despinis 1999 bes. 178–179. 138 DINSMOOR 1982, 415 mit Anm. 9. 436. 139 THOMPSON – WYCHERLEY 1972, 165. 140 THOMPSON – WYCHERLEY 1972, 165: „Temples in some of the demes of Attica were falling into decay. Athenian piety would resist removal from a venerable site within the city; but the same piety might well approve of the transfer of a neglected shrine to a distinguished place in the Agora itself, where at the same time as honor was paid to the imperial family the old cult could be given a new life.“ Die Dankesweihung der Gemeinde Acharnai an Ares und Augustus, IG II2 2953, wurde entsprechend mit einer möglichen „completion of a timely rescue operation“ in Verbindung gebracht.
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fundenen Fundamente eines Athena-Tempels im attischen Demos Pallene lassen durch ihre Übereinstimmung mit den Maßen der Bauglieder des Athener ‚Arestempels‘ an deren Herkunft von dort kaum mehr einen Zweifel.141 Die Situation von baulichem Zustand und Funktionsfähigkeit des Tempels in Pallene unmittelbar vor seiner Versetzung in augusteischer Zeit ist allerdings unklar. Etwas besser sind wir hingegen über die Stellung der alten Tempelherrin nach der Umsetzung unterrichtet: Sie hat nach dem Zeugnis des Pausanias auch auf der Athener Agora noch ihren Platz im – Pausanias als 5Arevw i4ero1n bekannten – Tempel gehabt, teilte diesen aber mit einer Statue des Ares sowie zwei Statuen der Aphrodite.142 Die Bestimmtheit H.R. Goettes, im Fall Pallene sei „nun nachgewiesen, daß ... beim Versatz der Architektur auch die darin verehrte Gottheit wechselte“,143 muß also etwas modifiziert werden: Athena ist auf der Athener Agora nicht völlig aus dem benannten Tempel verdrängt worden – die alleinige Inhaberschaft besaß sie nach dessen Versetzung aber nicht mehr. Den aussagekräftigsten Befund in unserem Zusammenhang bietet das Beispiel des Metroons von Olympia, welches zwar nicht seinen Standort wechselte, aber in seiner Umwidmung einen dennoch vergleichbaren Fall darstellt. Der ursprünglich der Rhea geweihte Bau aus klassischer Zeit144 muß vor seiner Umnutzung einige Zeit außer Funktion gewesen sein: Das alte Kultbild ist möglicherweise einem Erdbeben kurz nach der Mitte des 1. Jahrhunderts vor Christus zum Opfer gefallen, welches auch den Tempel zum Einsturz gebracht hat. Diese Zerstörung des Kultbildes bot vermutlich den Grund, daß der Wiederaufbau zunächst unterblieb und dann nicht für den Rheakult erfolgte, sondern erst in augusteischer Zeit zur kultischen Verehrung des Augustus. Bereits zu dieser Zeit – Erweiterungen des Statuenprogramms erfolgten unter Claudius und Vespasian – nahm das kolossale, über vier Meter hoch zu rekonstruierende Sitzbild des Augustus den Platz vor der Cellarückwand raumfüllend ein.145 Somit scheint nach dem Wiederaufbau im Innern der Cella nichts mehr an die alte Inhaberin erinnert zu haben. Dies kann nur bedeuten, daß Rhea nicht mehr im Tempel 141
KORRES 1998 bes. 95f. Paus. 1, 8, 4: Th9w de3 toy9 Dhmosue1noyw ei3ko1now plhsi1on 5Arev1w e3stin i4ero1n, e45nua a3ga1lmata dy1o me2n A 3 frodi1thw kei9tai, to2 de2 toy9 5Arevw e3poi1hsen 3Alkame1nhw, th2n de2 3Auhna9n a3nh2r Pa1riow, o5noma de2 ay3tö9 Lo1krow. e3ntay9ua kai2 3Enyoy9w a5galma1 e3stin, e3poi1hsan de2 oi4 pai9dew oi4 Prajite1loyw= peri2 de2 to2n nao2n e4sta9sin 4Hraklh9w kai2 Uhsey2w kai2 3Apo1llvn a3nadoy1menow taini1ä th2n ko1mhn ... . – KORRES 1998, 96 erwägt für die Umwidmung in einen Ares-Tempel einen Zusammenhang mit der kultischen Verehrung des Augustus, ohne diesen Gedanken weiter auszuführen. 143 H. R. Goette, 4O a3jio1logow dh9mow Soy9nion. Landeskundliche Studien in Südost-Attika (Rahden/Westf. 2000) 27 Anm. 135. 144 HITZL 1991, 8f. 145 HITZL 1991, 94. 102. Das Kolossalbild des Augustus ersetzte somit vollständig das alte Rheakultbild, welches entsprechende Ausmaße besessen zu haben scheint: HITZL 1991, 13f. 142
Kapitel 2: Topographie und Kult
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verehrt wurde, sondern daß dieser allein dem Kaiserkult diente: Pausanias, der lediglich die Kaiserstatuen sah, bemerkt ausdrücklich das Fehlen des Kultbildes der Mh1thr uev9n. Da Opfer für Rhea offenbar auch zu Pausanias’ Zeiten noch am alten Altar vor dem Tempel stattgefunden haben,146 scheint mit der Umwidmung in augusteischer Zeit zudem eine recht radikale Trennung der eigentlich unauflöslichen Verbindung zwischen Altar und Tempel erfolgt zu sein. Andererseits zeigt der Umstand, daß der Perieget den Bau auch über anderthalb Jahrhunderte nach dieser Umwidmung noch als Mhtrö9on bezeichnen konnte,147 daß der Bezug zur alten Weihung des Tempels nicht völlig aufgegeben worden war. Die Beweggründe für die Beibehaltung des alten Namens für einen Kaisertempel scheinen über die reine Pietät für die ehemalige Inhaberin hinauszugehen: Es dürfte kaum zufällig sein, daß das kolossale Standbild Augustus ‚in der Pose des Zeus‘ charakterisierte,148 was ihn nicht allein in Beziehung zum Hauptgott des Heiligtums setzte,149 sondern in einem dem Namen nach als Metroon gedachten Bau natürlich auch einen deutlichen genealogischen Bezug zur ‚Mutter‘ Rhea darstellen mußte.150 Zumindest in augusteischer Zeit scheint sich die Herrscherverehrung in Olympia also auch an die sorgfältig konstruierte lokale Tradition der ‚uralten‘151 Kulte von Kronos und Rhea geheftet zu haben, ohne daß dies zu einem Aufleben dieser Kulte im eigentlichen Sinne geführt hätte. Mindestens den beiden gut belegten Fällen des Athener ‚Arestempels‘ und des Metroons von Olympia scheint gemeinsam zu sein, daß Überreste des alten Kultes im verpflanzten oder umgenutzten Tempel zwar weiterbestehen konnten, aber dann in jeweils sehr reduzierter Form. Ohne die näheren Umstände der Tempelverpflanzung beziehungsweise -umnutzung zu kennen kann man nur mutmaßen, ob der Bezug zur alten Inhaberschaft hierbei auch eine Rücksichtnahme auf die alte, ‚obdachlos gewordene‘ Gottheit demonstrieren sollte oder er allein im Dienst der Legitimation des neuen Tempelherren stand. Dennoch wird deutlich, daß sich die genannten Beispiele vorrangig aus dem Interesse des neuen Kultes motivieren und keinesfalls eine Restauration der alten Kulte zum 146
HITZL 1991, 7 mit Anm. 52. 13 mit Anm. 136. Paus. 5, 20, 9. 148 HITZL 1991, 63f. 94f. 149 Zum proportionalen Verhältnis der Augustusstatue zum Phidias’schen Kolossalbild des Zeus vgl. HITZL 1991, 13f. mit Anm. 144f. 150 Der genannte Bezug zwischen Zeus-Augustus und Rhea wird von HITZL 1991, soweit ich sehe, nicht hergestellt. Der Vermutung eines solchen Bezuges tut es keinen Abbruch, daß bei der Umnutzung des alten Metroons zunächst der ganz pragmatische Umstand, daß im Zentrum der Altis ein ungenutzter Bau verfügbar war, im Vordergrund gestanden haben mag: Das ideologische Programm sowie der statuarische Typus richtete sich nach dem Vorhandenen, wird dennoch aber bewußt ausgewählt worden sein. 151 Zur bewußten ‚Archaisierung‘ der Kulte für Rhea und Kronos s. HITZL 1991, 12 mit Anm. 134. 147
2.4. Der ‚archaische Tempel‘
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Ziel hatten. Für den nach Thessaloniki verpflanzten Tempel und das dort herrschende Verhältnis zwischen Aphrodite- und Kaiserkult lassen die eben angeführten Fälle es deshalb geboten erscheinen, die Stellung des ursprünglichen zum neu hinzugekommenen Kult nicht überzubewerten. Selbst wenn der Aphroditekult dem Bauwerk in irgendeiner Form erhalten blieb, ist zu vermuten, daß sich, wie man es für Olympia wahrscheinlich machen kann, die Rolle des alten Kultes auch hier in propagandistischlegitimatorischen Zwecken begründete, ansonsten aber hinter der Kaiserverehrung zurückwich.152 Dies kann selbst dann gelten, wenn man die Venus-Aeneas-Propaganda als das ausschlaggebende Motiv für die Tempelverpflanzung annimmt.153 Von Seiten des römischen Herrscherhauses scheint die Verbindung zu Venus nur im unmittelbaren Gefolge der Caesarzeit noch propagiert worden zu sein, die Bedeutung der Göttin trat unter Augustus schnell hinter Apollo zurück.154 Auch in Thessaloniki lassen die mutmaßliche Bedeutung der Aphrodite von Aineia für die Motivation der Tempelversetzung einerseits, andererseits aber die völlige Absenz der Aphrodite in öffentlichen Weihungen sowie der Münzprägung kaum einen anderen Schluß zu, als daß die Propaganda der aineiatischen Venus im politischen Rahmen eines ganz bestimmten, eng umgrenzten Zeitabschnittes eine wichtige Funktion erfüllte, aber diese Bedeutung in der Folgezeit alsbald wieder einbüßte. Die Aphrodite von Aineia und ihre Verbindung zum Kaisertempel in Thessaloniki war also lediglich ein für den Moment gültiges Motiv, das, nachdem der Tempel einmal errichtet war, sicherlich auch hier nach kurzer Zeit obsolet wurde. 2.4.4. Städtebauliche Einordnung des Kaisertempels Der heute als Kaisertempel erwiesene Bau war mit der Theorie der sacred area seit Jahren fest verwoben: Er stellte einst, als man ihn noch für rein archaisch halten und somit von zwei unabhängigen Bauten – dem sogenannten ionischen und dem Kaisertempel – ausgehen konnte, quasi die eine Hälfte des aus diesen Bauten erschlossenen ‚heiligen Bezirks‘ dar. 155 Anhand neuer Grabungsergebnisse konnte die Bestandslosigkeit dieser These erwiesen werden. Berechtigter erscheint somit die Annahme, daß ein 152
Zu einer solchen nur losen Anknüpfung ließe sich neben Olympia eine Parallele etwa auch in der augusteischen Wiederbelebung der Aktia in Nikopolis finden, die zwar formal das alte Apollon-Fest zum Ausgangspunkt nehmen, aber nun die Ehrung des Augustus völlig in den Mittelpunkt stellen: Vgl. STRAUCH 1996, 70–71. 153 Es ist im übrigen – vgl. die Vermutung von G. Despinis zum Weiterleben des AthenaKultes in Sounion auch nach dem Transport ihres Tempels nach Athen: DESPINIS 1999 – nicht einmal ausgeschlossen, daß Aineia der Aphrodite als Kultort erhalten blieb. 154 Siehe hierzu die Zusammenstellung der Zeugnisse bei RIVES 1994. Vgl. WEINSTOCK 1971, 90. 155 VICKERS 1972.
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Kapitel 2: Topographie und Kult
anderes Bauwerk, nämlich der als Praetorium gedeutete Bau an der Platei1a Dioikhthri1oy, für die Platzwahl bei der Errichtung des Kaisertempels ausschlaggebend gewesen war. Ist die Deutung der Ausgräber des Bauwerks richtig, dann ist in ihm seit Einrichtung der Provinz (148 v. Chr.) der Sitz des Statthalters der neuen Provinzhauptstadt zu suchen. Daß sich mit der Translozierung des ionischen Tempels zu diesem Sitz des politischen Vertreters der Zentralmacht eine Stätte der sakralen Repräsentation des Imperators gesellte, kann im Hinblick auf die räumliche Nähe der beiden Gebäude zueinander kaum Zufall gewesen sein. Diese Anordnung bildete in der frühen Kaiserzeit ein sakral-administratives Zentrum und nahm damit eine Gruppierung entsprechender Bauten vorweg, die im Baukomplex der Agora des 2. und 3. Jahrhunderts nach Christus erneut, aber nun im Bereich der städtischen Administration entstehen sollte. Ein konkreter Bezug der beiden Bauten läßt sich u.a. in der Abhaltung von Banketten im Rahmen des Kaiserkults vermuten, für die der großzügige, reich ausgestattete Bau des Praetoriums den angemessenen Rahmen bieten konnte.156 Ab dem 2. Jahrhundert nach Christus scheint die neugeschaffene Agora eine gewisse Konkurrenz für den hier als sakral-administratives Zentrum ab der augusteischen Zeit festgestellten Bereich im Westen der Stadt bedeutet zu haben. Entsprechendes läßt das – in einem höchstwahrscheinlich der Kaiserverehrung gewidmeten Bau am Nordrand der Agora gefundene – Kopffragment einer Kolossalstatue des Titus vermuten, das in die Zeit nach dem Tod des Vespasian (79 n. Chr.) datiert wurde und sich folglich vor Errichtung der Agora des 2./3. Jahrhunderts nach Christus an einem anderen Ort befunden haben muß, von dem es dann etwa ab antoninischer Zeit an seinen Fundort verbracht wurde.157 Ob der ursprüngliche Aufstellungsort im Westen der Stadt zu suchen ist, bleibt dabei natürlich unsicher. Ein letztes Augenmerk soll den im Zusammenhang mit dem ionischen Tempel bereits erwähnten, 1939 beziehungsweise 1957 aufgefundenen Statuen des Augustus und des Claudius gelten. Daß ihr Fundort, die Odo1w Strathgoy1 Doympiv1th, mit dem ionischen Tempel aus topographischen Gründen nicht direkt verbunden werden kann, ist oben gezeigt worden. Solange von den Fundorten keine Baubefunde bekannt sind, kann die Annahme einer weiteren Kultstätte nicht zwingend sein, auch wenn die gemeinsame Datierung der Statuen in claudische Zeit einen Zusammenhang im Sinne einer gemeinsamen Aufstellung (Ehrenmonument?) nahelegt. Welcher Art das Umfeld der Statuen auch gewesen sein mag, erscheint es
156 Vgl. hierzu allgemein W. Hoepfner, Zum Typus der Basileia und der königlichen Andrones, in: W. Hoepfner – G. Brands (Hrsg.), Basileia. Die Paläste der hellenistischen Könige. Internationales Symposion in Berlin vom 16.12.1992 bis 20.12.1992 (Mainz 1996) 1–43, hier: 6. 157 STEFANIDOU-TIVERIOU 2001c, 408–411.
2.5. Die Bauinschrift des ȀĮȓıĮȡȠȢ ȞĮȩȢ
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naheliegend, auch hier einen Zusammenhang mit dem nahegelegenen Praetorium anzunehmen.
2.5. Die Bauinschrift des Kai1sarow nao1w (IGThess 31) 2.5. Die Bauinschrift des ȀĮȓıĮȡȠȢ ȞĮȩȢ
Höchstwahrscheinlich ebenfalls ein Zeugnis der augusteischen Zeit ist die oben bereits erwähnte Inschrift IGThess 31. Der nur durch Abschriften überlieferte Text des heute verschollenen Steins lautete wie folgt:158 ------ (ca. 3-4 Zeichen) BOSA ---------a3[n]uy1patow --- (ca. 7-8 Zeichen) ----latomi1aw e3po1hs[en to2n] Kai1sarow na[o1n]. e3p i2 i3ere1vw kai2 a3gvn[oue1toy Ay3]tokra1torow = Kai1sa[row Ueoy9] yi4oy9 Sebas{bas}to[y9 --- (ca. 7-8 Zeichen) ----] vw toy9 Neikopo1l[evw i4ere1vw] de2 tv9n uev9n Dv[-- (ca. 5-6 Zeichen) toy9 -- (ca. 4-5 Zeichen)] poy, 4R v1mhw de2 k[ai1 4R vmai1vn] ey3ergetv9n = Neik[--- (ca. 6-8 Zeichen) ----- toy9] Parano1moy = vacat poleita[rxoy1ntvn] Dioge1noyw to[y9 --- (ca. 9-10 Zeichen) -------], Kle1vnow toy9 P --- (ca. 8-9 Zeichen) ------, Zvpa9 toy9 Kal--- (ca. 9-10 Zeichen) -------, Ey3la1ndroy toy9 --- (ca. 7-8 Zeichen) -----, Prvtoge1noyw toy9 --- (ca. 5-6 Zeichen) ---, toy9 kai prosta[th1santow] toy9 e5r goy = tam[i1oy th9w po1levw] Sv1svnow t[oy9 --- (ca. 11-12 Zeichen) ---------], a3rxitek[toy9ntow] Dionysi1o[y toy9 --- (ca. 6 Zeichen) ---] ----
Die heute meist akzeptierte Datierung in die Zeit zwischen 27 v. Chr. und 14 n. Chr. geht auf Ch. Edson zurück. Sie ergab sich für ihn unter anderem aus dem Umstand, daß der im Text genannte i4erey2w kai2 a3gvnoue1thw Ay3tokra1torow Kai1sarow Ueoy9 yi4oy9 Sebastoy9 Augustus nennt, diesen selbst aber noch nicht als divus bezeichnet: Folglich, so Edson, müsse die Inschrift nach Annahme des Augustustitels, aber noch zu Lebzeiten des 158 Das Fragment ist als ‚Stele‘ überliefert, eine alte Umzeichnung des Textes ist bei EDSON 1940, 125 Abb. 3 abgedruckt. Die dort belegten größeren Buchstaben der ersten drei erhaltenen sowie der letzten Zeile scheinen darauf hinzudeuten, daß der Textumfang im wesentlichen vollständig ist.
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Augustus entstanden sein.159 Ist dieser Schluß, wie H.L. Hendrix zeigte, auch nicht zwingend, da sich der Priestertitel auch noch in einer postumen Inschrift in unveränderter Form nachweisen läßt, 160 so kann aufgrund der Nennung des Prokonsuls als Datierung immerhin ein Zeitraum zwischen 15 n. Chr. und 44 n. Chr. ausgeschlossen werden, da Makedonien in dieser Zeit kaiserliche Provinz war.161 Bei der Entscheidung zwischen einer Datierung zu Lebzeiten oder aber in die Zeit nach 44 n. Chr. könnte wiederum das Fehlen römischer Namen unter den aufgelisteten Priestern und Magistraten, welches Edson an ein Datum „quite early in the imperial period“ denken ließ,162 den Ausschlag für die ältere Datierung geben. Die Wahrscheinlichkeit einer augusteischen Entstehung der Inschrift – und zwar bald nach 27 v. Chr. – könnte sich aber auch aus der oben erschlossenen Datierung der Tempelverpflanzung ergeben, da sich eine Formulierung des Textes darauf zu beziehen scheint, die unten näher besprochen werden soll. Die durch die französischen Reisenden Abbé Duchesne und Ch. Bayet 1874 kopierte Inschrift wurde in den Ruinen des zu dieser Zeit abgetragenen Kalamaria-Tores in Zweitverwendung verbaut aufgefunden163 und ist somit in jedem Fall verschleppt.164 Es ist also unbekannt, ob die Auffindung im Osten des Stadtgebietes allein auf ihre Verwendung als Baumaterial zurückzuführen ist oder ob ihr ursprünglicher Aufstellungsort ebenfalls in diesem Bereich vermutet werden darf.165 Deshalb ist auch nicht zu ent159
EDSON 1940, 129. HENDRIX 1984, 109. 115 mit Verweis auf IGThess 133 (Herkunft aus Thessaloniki trotz der Zweifel des Herausgebers sicher, vgl. L. Robert, RPhil 48, 1971, 182). Die Inschrift wird in der Edition ‚nach 153–154 n. Chr.‘ datiert, wahrscheinlicher ist ein Datum zwischen 35 und 39 n. Chr.: TOURATSOGLOU 1988, 11 Anm. 41 sowie NIGDELHS 1995, 48 Anm. 5. 161 EDSON 1940, 129; vgl. TOURATSOGLOU 1988, 8 Anm. 21. 162 EDSON 1940, 129; vgl. 133: „… a date quite early in Augustus’ reign.“ 163 Vgl. Ch. Bayet – Abbé Duchesne, Mémoire sur une mission au mont Athos … (Paris 1874) 8–11. 164 Zum Fundort vgl. TOURATSOGLOU 1988, 10 Anm. 31; vgl. BOYTYRAS 1996, 1339 Anm. 55. – Die Angabe von ELLIGER 96, die Inschrift sei „1874 zwischen den Fundamentresten eines römischen, offenbar für den Kaiserkult bestimmten Gebäudes im Westen [!] der Stadt gefunden“ worden, scheint ihren Ursprung in einem Mißverstehen des IG-Kommentars zum Fundort („A[nno] 1874 inter rudera muri orientalis urbis a Duchesnio visum ...“) zu haben. Elligers Irrtum findet sich leider übernommen bei VOM BROCKE 139 mit Anm. 146. Zu Recht hingegen kritisiert VOM BROCKE 60 Anm. 179 die zuletzt noch von ELLIGER a.a.O. aufrechterhaltene Lokalisierung des in der Inschrift genannten Tempels in der Oberstadt (vgl. den Kommentar zu IGThess 31). Diese beruhte auf der Verbindung der Angabe ... [----- ] latomi1aw e3po1hs[en to2n] / Kai1sarow na[o1n ... (IGThess 31) mit dem – allerdings erst seit dem 5. Jh. n. Chr. belegten – ehemaligen Kloster Lato1moy, von welchem sich heute nur noch die wegen ihres frühchristlichen Apsismosaiks mit der Darstellung des bartlosen Christus berühmte Kirche des Hosios David erhalten hat. Nur der Vollständigkeit halber sei die topographische Unvereinbarkeit bemerkt, die zwischen Elligers Lokalisierung und seiner falschen Angabe zum Fundort der Inschrift im Westen der Stadt steht. 165 Vgl. zu dieser Möglichkeit hier Anm. 185. 160
2.5. Die Bauinschrift des ȀĮȓıĮȡȠȢ ȞĮȩȢ
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scheiden, ob die Inschrift Beleg für einen weiteren – dann vielleicht im Osten des Stadtgebietes gelegenen – Kaisertempel der augusteischen Zeit ist oder ob der erwähnte Kai1sarow nao1w mit dem translozierten Tempel im Westen der Stadt identisch sein könnte. Selbst in der Frage, wem der inschriftlich benannte Kai1sarow nao1w geweiht war, gab es bislang keine Einigkeit: Seit Ch. Edson, der hierin einem Hinweis von A.D. Nock gefolgt war,166 ist eine Zuschreibung des Tempels an Iulius Caesar weithin akzeptiert.167 Diese Zuschreibung beruht aber weniger auf dem Wortlaut der Inschrift als vielmehr auf deren Verbindung mit einer Münzemission der Jahre 28–27 v. Chr., die auf ihrem Avers den Kopf des Iulius Caesar mit dem Lorbeerkranz und der Beischrift UEOS zeigt.168 Die Inschrift IGThess 31 selbst spricht keineswegs davon, daß der Bau „zunächst nur dem Kult des Divus Iulius gewidmet war“,169 wird doch gleichzeitig allein ein Priester und Agonothet des Augustus genannt: Ein Priester des Iulius Caesar fehlt hingegen in den Zeugnissen aus Thessaloniki völlig. Aus dem Befund, daß die städtische Münzprägung Iulius als theos bezeichnet, für Augustus dieser Titel aber selbst postum zu fehlen scheint, versuchte H.L. Hendrix eine Synthese zu bilden und gelangte zu der Auffassung, die Widmung des Tempels an einen Kai1sar habe Iulius und Octavianus/Augustus gleichermaßen umfassen sollen.170 Die Ambivalenz, die er in der Benennung des Kaisertempels als Kai1sarow nao1w sah, habe daneben auch im Doppelamt des i3erey2w kai2 a3gvnoue1thw Ay3tokra1torow Kai1sarow Ueoy9 yi4oy9 Sebastoy9 bestanden: Hendrix hielt es für möglich, daß dessen priesterliche Aufgaben sich vorrangig an Iulius theos gerichtet, seine Funktion als Agonothet hingegen Ehrungen an Vater und Adoptivsohn beinhaltet habe. Hendrix zog es deshalb vor, den Tempel als ‚honorific monument‘ zu bezeichnen, dessen Errichtung nicht Iulius, sondern Augustus habe ehren sollen.171 Festzuhalten bleibt allerdings, daß das genannte Priesteramt allein Augustus nennt. Eliminiert man die theos-Prägungen mit dem Caesarportrait, die bisher gegen den Wortlaut der Inschrift zu deren Deutung herangezogen worden waren, aus der Diskussion – denn es gibt keinen zwingenden Grund, sie hierin einzubeziehen –, dann kann es kaum Zweifel daran ge166
EDSON 1940, 132: „... as Professor Nock has pointed out to me, this is surely a temple of Julius, not Augustus.“ Vgl. hierzu Hendrix 176 Anm. 1. 167 Vgl. etwa TOURATSOGLOU 1988, 10 (mit Verweis auf Edson) und VOM BROCKE 59 („Caesareum“); 139 („Tempel für den vergöttlichten Caesar“). 168 TOURATSOGLOU 1988, 140 Nr. 1–88 (mit Varianten) Taf. 1–2 (Octavianus). EDSON 1940, 132 ging von einer Datierung ins Jahr 29/28 v. Chr. aus. 169 VOM BROCKE 59 mit – offenkundig mißverstandenem – Verweis auf HENDRIX 296– 299. 170 HENDRIX 1984, 296. 171 HENDRIX 1984, 289f.
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ben, daß der in der Inschrift als Kai1sarow nao1w bezeichnete Bau Augustus gewidmet war. Dem widerspricht nicht, daß in der Bezeichnung des Bauwerks ebenso wie in der Priestertitulatur – vielleicht nicht unbewußt – der Gedanke an die Person seines Adoptivvaters mitschwang. Dem Tempel der Inschrift liegt damit eine vorrangig an Augustus gerichtete Ehrung zugrunde, die daneben aber einen Bezug zu seiner genealogischen Abkunft herstellt. Dies weist Gemeinsamkeiten zur erschlossenen Motivation der Translozierung des ionischen Tempels auf. Im Falle des translozierten Tempels ist die Annahme dieses Motivs freilich eng an die Vermutung gebunden, daß die Stadtgemeinde – und nicht etwa die Provinzialverwaltung – als Auftraggeberin fungierte. Der im Eingangsformular der Inschrift genannte Prokonsul (a3nuy1patow) läßt zwar zunächst an eine von der Provinzverwaltung initiierte Tempelerrichtung – und damit an die Stätte des provinzialen Kaiserkultes – denken, doch sprechen die genannten Politarchen und anderen städtischen Ämter dafür, daß es sich um eine städtische Urkunde handelt. Die Nennung des a3nuy1patow erklärt Hendrix damit, dieser könnte lediglich „a party to the construction or dedication of the building“ gewesen sein.172 Scheint dieser Erklärung zunächst dessen prominente und zudem mit e3po1hsen173 verbundene Erwähnung entgegenzustehen, so kann vielleicht mit einer einst vorausgehenden Nennung der Stadtgemeinde am verlorenen Beginn des Textes gerechnet werden. Die Nennungen des prosta[th1saw toy9 e5rgoy], des tami1[aw th9w po1levw] sowie eines a3rxitek[tv9n] legen jedenfalls eine direkte Beteiligung der Stadt am Tempelbau nahe.174 Aus keiner der oben angestellten Überlegungen läßt sich eine Identität von transloziertem Tempel und dem Kai1sarow nao1w der Inschrift ableiten. 172
HENDRIX 1984, 109. Das Wort e3poi1hsen bezeichnet hier sicher nicht den ausführenden Handwerker oder Architekten, sondern ist wahrscheinlicher im Sinne einer Auftraggeber- oder Geldgeberschaft zu verstehen. Die hier zu erkennende Verwendung von e3poi1hsen erscheint somit als ein verhältnismäßig früher Beleg für die etwa ab der Kaiserzeit häufiger geübte Praxis, das Wort nicht mehr im Sinne der ‚klassischen‘ Begriffspaarung [o4 ta1de] a3ne1uhken – [o4 dei9na] e3poi1hsen als Bezeichnung des Ausführenden / Herstellenden zu verwenden. Zu diesem Bedeutungswandel vgl. P. Ashmakopoy1loy-Atzaka1, Parathrh1seiw sxetika1 me toyw ty1poyw ypografh1w kallitexnv1n kai texnitv1n sthn palaioxristianikh1 epoxh1, sygkritika1 me thn ellhnikh1 kai rvmaQkh1 arxaio1thta, in: AMHTOS. FS für Manolis Andronikos (Thessaloniki 1987) 89–99 bes. 91f. 174 Ein tami1aw th9w po1levw sowie vielleicht ein prostath1saw toy9 e5rgoy erscheinen ebenfalls in der – allerdings stark fragmentierten und zudem nach der Vorlage von IGThess 31 ergänzten – Inschrift IGThess 30 (die Zweifel des Herausgebers an der Herkunft des Steins sind wegen der Namensübereinstimmung mit IGThess 31 unberechtigt); der Anlaß der Textabfassung ist hier nicht mehr zu erkennen. In zwei anderen Inschriften hingegen erscheint das Amt des tami1aw th9w po1levw in gesichertem Zusammenhang mit städtischen Bautenweihungen: IGThess 37 (h4 po1liw to2n nao2n tö9 H 7 [rvi?], 3. Jh. n. Chr.) sowie IGThess 50 (... to2 grammatofyla1kion tü9 po1lei, 39–38 v. Chr.?). 173
2.5. Die Bauinschrift des ȀĮȓıĮȡȠȢ ȞĮȩȢ
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Doch auch wenn sich die Inschrift IGThess 31 nicht direkt auf den translozierten Tempel beziehen sollte, ist in ihrem Text möglicherweise ein Bezug zu diesem enthalten. Die Rede ist von der eigentümlichen und bisher nicht befriedigend erklärten175 Formulierung, der Kai1sarow nao1w sei [e3k?]176 latomi1aw, also ‚aus(?) einem Steinbruch‘,177 geschaffen worden. Da zumindest im vorkaiserzeitlichen Thessaloniki die Herkunft des Materials für einen Tempelbau aus einem Steinbruch von einiger Selbstverständlichkeit gewesen sein dürfte,178 muß die Angabe aus einem bestimmten Grund heraus erfolgt sein, über den man allerdings nur spekulieren kann. Sie könnte sich aber gerade vor dem Hintergrund der Translozierung wiederverwendeter Bauglieder erklären – und wäre dann ein Argument für die Translozierungsthese ebenso wie für eine Abfassung der Inschrift in zeitlicher Nähe zum Wiederaufbau des ionischen Tempels. Zwei Möglichkeiten läßt eine solche Deutung offen: Entweder bezieht sich der Text direkt auf den translozierten ionischen Tempel und soll in seiner Formulierung dann vielleicht den Aspekt der eigenschöpferischen Leistung dieses Tempelbaus betonen.179 Es ist aber auch denkbar, daß sich die Inschrift auf 175
Vgl. VOM BROCKE 60 Anm. 179 sowie hier Anm. 164. Auf die Möglichkeit der Ergänzung [e3k] latomi1aw – „so daß sich eine ganz andere Bedeutung ergäbe“ – weist erstmals VOM BROCKE 60 Anm. 179 hin, verfolgt diesen Gedanken aber leider nicht weiter. 177 Bis in die hohe Kaiserzeit scheinen in der Provinz Macedonia Zeugnisse zur Organisation der Steinbrüche weitgehend zu fehlen. Ob es deshalb möglich ist, im a3nuy1patow – vgl. die in der Edition mit 7–8 Zeichen angegebene Lücke – bereits in frühaugusteischer Zeit einen [e3pi2 th9w] latomi1aw, also einen kaiserlichen Verwalter a lapicidinis, zu vermuten, muß offen bleiben (zum Titel o4 e3pi2 th9w latomi1aw vgl. A. Dworakowska, Quarries in Roman Provinces [Breslau 1983] 110 mit Verweis auf IGRR I Nr. 1138 [83/82 v. Chr., aus dem ägyptischen Tenis]). Selbst wenn man für den Prokonsul ein solches – vermutlich dann eher untergeordnetes – Nebenamt annimmt, wäre dessen Nennung in IGThess 31 eigentlich nur dann erklärlich, wenn dieses für den Tempelbau von direktem Belang gewesen wäre. – Ein mögliches (dann allerdings erst unter Tiberius belegtes) kaiserliches Regal nicht nur auf Steinbrüche, sondern auch auf Depots behauener Steinblöcke (vgl. KORRES 1998, 104 mit Anm. 65) könnte sich immerhin auch auf wiederverwendete Bauglieder erstreckt haben. 178 Die archäologische Gesamtsituation in Thessaloniki macht es schwer, das Aufkommen von Zement- und Ziegelbauten zeitlich zu bestimmen. Die wenigen frühen, d.h. hellenistischen Befunde von Profanbauten, aber auch die ältesten Phasen der Stadtmauer verwenden den lokal anstehenden, in Thessaloniki aber auch bei späteren Bauten allgegenwärtigen grünen Schiefer. Am bisher einzigen mit einiger Sicherheit hellenistisch zu datierenden Sakralbau der Stadt, dem sogenannten Antentempel im Heiligtum der ägyptischen Götter (vgl. Abschnitt 3.1.2.), ist allerdings eine Fundamentierung aus sorgfältig behauenen Steinblöcken belegt (BCH 45, 1921, 540 und Abb. 14). Die mutmaßlich augusteische Fundamentierung des translozierten Tempels besteht hingegen aus Mörtel und Bruchsteinen. Sollte die Formulierung [e3k?] latomi1aw vielleicht darauf hinweisen, daß besonders gutes Material verwendet wurde zu einer Zeit, in der dies für bestimmte Teile eines Bauwerks nicht mehr selbstverständlich war? 179 Geht man davon aus, daß hier gerade das Moment der ‚Verpflanzung‘ eines alten Tempels ein bestimmender Aspekt der Translozierung war, ist es allerdings überraschend, 176
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einen weiteren, unabhängigen Tempelbau bezieht, der dann – in Abgrenzung zum ‚gebraucht erworbenen‘ ionischen Tempel – ausdrücklich als aus neuem Material geschaffen gekennzeichnet werden sollte. Auch im Falle einer solchen Bezugnahme muß die Abfassung der Inschrift zeitnah zur Tempeltranslozierung erfolgt sein. In beiden Fällen kann also die von Ch. Edson favorisierte frühe Datierung von IGThess 31 (also in die Jahre kurz nach 27 v. Chr.)180 die auch anhand anderer Gesichtspunkte erschlossene Datierung der Tempeltranslozierung in die Zeit unmittelbar nach Actium stützen.
2.6. Weitere Denkmäler mit Bezug auf Actium 2.6. Weitere Denkmäler mit Bezug auf Actium
Actium, Ort der entscheidenden Seeschlacht von 31 v. Chr., stellte in Thessaloniki nicht nur für den translozierten Kaisertempel, sondern auch noch für weitere Denkmäler den zentralen Bezugspunkt dar: Nur mehr in Reisebeschreibungen des 19. Jahrhunderts belegt181 ist eine weibliche Kolossalstatue (einer Nike?)182 auf einem Schiffsschnabel, die I. Touratsoglou zu Recht am ehesten mit dem Seesieg von Actium verbinden mochte. Das heute verschwundene Standbild befand sich auf einem Turm der westlichen Stadtbefestigung nahe der späteren Lhtai9a Py1lh, also am westlichen den Bau dann so ausdrücklich als ‚neu‘ bezeichnet zu sehen. Denkbar wäre allerdings auch, daß sich die Formulierung nur auf die am Unterbau nachgewiesenen (TASIA 2000, 232), aus neuem Werkstein ausgeführten Teile des Tempels bezieht – allein schon ihre Herbeischaffung machte sicher einen nicht unerheblichen Teil der Baukosten aus. Wie weit dagegen über die hinzugefügten Säulenplinthen hinaus eine eventuelle Verwendung neuer Bauteile am Oberbau des Tempels reichte, ist bisher unbekannt. 180 EDSON 1940, 129. 181 F. de Beaujour, Tableau de Commerce de la Grèce (1800) 31: „La tour de la Statue, Namasia-Koulé, est dans la partie de l’ouest vis-à-vis d’un petit monastère de dervichs. Elle est ainsi appellée, parce qu’elle porte une statue informe, d’une grandeur colossale, qu’on dit être celle de Thessalonique, représentée sous la figure d’une femme, au pied de laquelle on a sculpté la poupe d’un vaisseau.“ – E. Clarke, Travels in Various Countries of Europe, Asia and Africa Bd. 2 (41818) 448f: „The Turks call this castle Yedi-Koulé, and the Greeks Heptapyrgium ( 4Epatapy1rgion), under which name it is mentioned by Paul Lucas [Verweis auf: Voyage de Turquie, liv. I tom. I p. 50, Amst. 1744], signifying the same in either language; that is to say, the ‚Seven Towers‘. It is the old Greek citadel, or Acropolis; but the towers are said to have been built by the Venetians. Towards the West, opposite to a small monastery of Dervishes, is a tower called Namasia-Koulé ; it has bees thus denominated in consequence of the colosssal Torso of a female statue, said to be that of the sister of Alexander the Great, daughter of Philip Amyntas, and wife of Cassander, from whom the city received its name. The remarkable tradition certainly entitles this Torso to some consideration. At the feet of the figure is represented the stern of a ship.“ 182 LIMC 8.2 (1997) s.v. Thessalonike [Th. Stefanidou-Tiveriou] Nr. 9 nennt – ohne den Bezug auf Actium damit auszuschließen – die verlorene Statue in einer Auflistung möglicher Darstellungen der Stadtgöttin.
2.6. Weitere Denkmäler mit Bezug auf Actium
55
Ende der heutigen Odo1w Agi1oy Dhmhtri1oy, „nach Westen gewandt ... – in Richtung des Schauplatzes der Seeschlacht von Actium also.“183 Ein zweites Denkmal ist das erst vor kurzem bekannt gemachte Fragment einer als Tropaion gestalteten, reliefierten Statuenstütze u.a. mit der Darstellung eines Stadttores. Sie erlaubt aufgrund verschiedener Merkmale kaum eine andere Deutung als einen Bezug auf die Seeschlacht von Actium; die Stadtmauerdarstellung muß folglich Nikopolis meinen.184 Aus Ikonographie und Maßen der Statuenstütze kann überdies ein frühaugusteisches Kolossalbildnis des Octavianus/Augustus mit einer Höhe von 3 bis 3,50 m erschlossen werden.185 Nach seiner frühen Entstehungszeit, die Thea Stefanidou-Tiveriou kurz nach 27 v. Chr. vermutet, wäre dieses Fragment der Überrest einer der ältesten bekannten Augustus-Statuen im griechischen Osten; als sein Auftraggeber ist mit einiger Wahrscheinlichkeit die Stadtgemeinde auszumachen.186 Die beiden genannten, heute verschwundenen beziehungsweise in ihrer Überlieferung sehr beeinträchtigten Belege lassen erahnen, daß sie ein ebenso kleiner wie zufälliger Ausschnitt aus einem einstmals wesentlich umfangreicheren Bestand an Denkmälern sind. Somit wird man im Gefolge von Actium, auch wenn sie uns heute verloren sind, mit einer einst sicherlich größeren Anzahl privat und öffentlich beauftragter Ehrenmonumente rechnen dürfen. Die Loyalitätsbezeugungen in Thessaloniki umfaßten aber nicht nur materielle Denkmäler, sondern auch eine Vielzahl weiterer Ehrungen, die man als von der Stadt initiiert ansehen muß. Hierunter fällt die bereits genannte, nach 31 v. Chr. höchstwahrscheinlich erneuerte Agonothesie für Octavianus/Augustus,187 die Emission von auf den Sieg bezogenen Münzmotiven188 sowie die Abschaffung der antonianischen und
183
TOURATSOGLOU 1988, 10–11. Thessaloniki AM Inv. 11379. – Ausführliche Diskussion bei STEFANIDOU-TIVERIOU 2001b. – SculpThess II Nr. 243 mit Abb. 639–695. 185 Der Fund stammt aus dem Osten der Innenstadt und nur etwa 200 Meter entfernt von dem Ort, an dem die Inschrift IGThess 31 gefunden wurde. Dies ist insofern bedeutsam, als dieser Umstand der Annahme einer weiteren Stätte der Kaiserverehrung in diesem bislang unauffälligen Bereich vielleicht doch eine gewisse Berechtigung verleiht: vgl. STEFANIDOUTIVERIOU 2001b, 187 mit Anm. 110 sowie ähnlich bereits Hendrix 139. – Vor dem Hintergrund der im Westen des Stadtgebietes angenommenen sacred area hat man den in IGThess 31 genannten Kai1sarow nao1w gewöhnlich eher dort gesucht: vorsichtig TOURATSOGLOU 1988, 10 mit Anm. 31; ihm zustimmend, aber mit größerer Zuversicht BOYTYRAS 1996, 1339 mit Anm. 55. 186 STEFANIDOU-TIVERIOU 2001b, 185–187. 187 Vgl. IGThess 31 und 32 (zur Datierung der letztgenannten Inschrift jüngst NIGDELHS 1995, 48 Anm. 5) sowie ein Neufund von der Agora (SEG 46, 1996, 812 = BELENHS 1996b, zwischen 27 v. und 14 n. Chr.). 188 TOURATSOGLOU 1988, 10 mit Anm. 29. 26. 144 und Taf. 2 R 51–52 (Nike auf Prora, ca. 27 v. Chr.). 147 und Taf. 3 R 79–80 (Prora, ca. 21–19 v. Chr.). 184
Kapitel 2: Topographie und Kult
56
Einführung der aktischen Ära.189 Alle diese Zeugnisse – Tempelbau, Denkmälererrichtung, Spiele, Datierung, Münzprägung – zusammengenommen zeigen, daß sich die Stadt in der Zeit nach der Schlacht von Actium geradezu überschlagen hat, den Sieger zu begrüßen. Daß einige der Denkmäler hierbei deutlich erkennbare Bezüge zu Actium herstellen, ist nur folgerichtig: Neben dem im Ortsbezug auf Actium enthaltenen Verweis auf das historische Ereignis stellen sie gleichzeitig eine Akzeptanz der von Octavianus/Augustus selbst betriebenen Stilisierung des Schlachtortes dar und erweisen sich so als eine umfassendere Reverenz an den Herrscher und die mit ihm verbundene Weltordnung. Indem sie in den Rahmen der reichsweit einsetzenden Huldigungen an den Herrscher gestellt werden können, reichen die durch die Ehrungen erzeugten Bezüge somit wesentlich über Actium hinaus.
2.7. Kulte im Bereich der Agora der mittleren Kaiserzeit 2.7. Kulte im Bereich der Agora der mittleren Kaiserzeit
Die ab den 1960er Jahren im Stadtzentrum von Thessaloniki freigelegte Agora entwickelte sich etwa ab dem ersten nachchristlichen Jahrhundert an dieser Stelle. Ihre heute sichtbare Gestalt erreichte sie durch einen massiven Ausbau, der in antoninischer Zeit, also um die Mitte des 2. Jahrhunderts nach Christus, begonnen worden zu sein scheint, sich aber über mehrere Jahrzehnte bis in die 30er Jahre des 3. nachchristlichen Jahrhunderts erstreckt haben muß.190 Das Gelände ist gekennzeichnet durch einen rechteckigen, offenen Platz, der an drei Seiten – von Westen, Süden und Osten her – von doppelten Säulenhallen umgeben war. An freigelegten und identifizierten Gebäuden sind neben einem Odeion an der Mitte der östlichen Platzseite ein Archivgebäude sowie die Münze zu nennen. Die Agora nutzte das nach Norden hin ansteigende Terrain durch die Abfolge übereinanderliegender Terrassen, wobei allerdings jene Bereiche, welche sich oberwie auch unterhalb an das heute archäologisch untersuchte Gelände der Agora anschließen, bisher kaum erforscht sind. Ausnahme bilden hier lediglich zwei Bauten mit mutmaßlicher kultischer Funktion, die sich im unteren, südlichen Bereich der oberen Terrasse befinden, und die im folgenden besprochen werden sollen. 191
189
Vgl. hier Anm. 120 sowie IGThess 124 mit der Rasur des Antoniusnamens. Zur Datierung und der älteren Literatur vgl. BELENHS et al. 1991, 250 mit Anm. 1–5. 191 Zu ihrer Lage innerhalb der Gesamtanlage der Agora vgl. STEFANIDOY-TIBERIOY 2001a bes. 233 mit Abb. 4. 190
2.7. Kulte im Bereich der Agora der mittleren Kaiserzeit
57
2.7.1. Mutmaßliche Kaiserkultstätten an der Nordseite der Agora Mit den für Thessaloniki beinahe charakteristischen Problemen hinsichtlich Grabungsgeschichte, mangelnder Befunddokumentation und heute eingeschränkter Zugänglichkeit der Befunde sind zwei an der Nordseite des heutigen Agorageländes gelegene, einander unmittelbar benachbarte Bauten behaftet, die erstmals 1924 anläßlich einer Neubebauung freigelegt wurden.192 Beim östlichen, größeren der beiden Bauten handelt es sich um einen achsensymmetrisch angelegten Bau mit einer erhöhten halbrunden Wandnische in der Mitte der Rückwand, die beiderseits von je zwei kleineren rechteckigen Wandnischen flankiert wird. Diese Ausgestaltung, die Lage an der Nordseite der Agora sowie die monumentalen Ausmaße (16 x 23 m) legen eine Funktion als öffentliches Gebäude nahe. Ein westlich anschließender kleinerer, annähernd quadratischer Bau (8,50 x 9,20 m) mit nur einem Raum hatte im Innern an der Rückseite und an den beiden Seitenwänden mittig je eine halbrunde Nische – sicherlich wie beim größeren Bau zur Aufnahme von Statuen. Bei der Erstpublikation von 1985 war der östliche Bau zunächst als Bibliothek gedeutet worden, doch beruhte, wie jüngst gezeigt werden konnte, diese Vermutung auf einigen unzutreffenden Grundannahmen: Eine Neuvorlage der Befunde geht nun davon aus, daß es sich bei den beiden gleichzeitig entstandenen Bauten um Gebäude kultischer Funktion gehandelt hat.193 Bereits bei den Grabungen von 1924 war im östlichen Bau eine Anzahl qualitätvoller Skulpturfragmente in späterem Mauerwerk verbaut aufgefunden worden. Maße und Qualität lassen bei einigen dieser Stücke an Überreste von Kultbildern denken. Der mangelhaft überlieferte Befund sowie vor allem die Vermauerung der Statuenfragmente als Spolien erlaubt keine sichere Zuordnung bestimmter Kulte an den einen oder anderen der beiden Bauten, doch kann man annehmen, daß die Statuenfragmente in Bezug zur ursprünglichen Funktion der beiden Bauten stehen.194 Unter den Funden befinden sich u.a. das Statuenfragment einer bärtigen Gottheit195 sowie der Kopf einer wahrscheinlich weiblichen Statue.196 Aufgrund von Übereinstimmungen in Maßen und Stil wurden die beiden Fragmente als Teile einer Kultbildgruppe bezeichnet. Diese wurde wiederum mit drei ebendort aufgefundenen Orthostatenblöcken verbunden, die 192
Der Abriß des 1924 errichteten Wohnhauses zugunsten einer Neubebauung bot 1973 Gelegenheit für eine erneute Untersuchung der Grabungsstelle; eine Publikation der alten Grabungen erfolgte erstmals 1985: KAMPOYRH 1985. 193 STEFANIDOY-TIBERIOY 2001a. – Vgl. STEFANIDOU-TIVERIOU 2001c, 402. 194 STEFANIDOY-TIBERIOY 2001a bes. 232–233. 239. 195 Thessaloniki AM Inv. 886 + 6130. SculpThess I Nr. 89 mit Abb. 234–241. STEFANIDOY-TIBERIOY 2001a, 231f. 196 Thessaloniki AM Inv. 878. Zur Frage des Geschlechts der Dargestellten vgl. SculpThess I Nr. 90 [G. Despinis] mit Abb. 242–245. STEFANIDOY-TIBERIOY 2001a, 231f.
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Kapitel 2: Topographie und Kult
offenbar Teile einer Statuenbasis bildeten und deren Inschriften Mitglieder der makedonischen Königsfamilie nennen.197 Aus den Inschriften zu erschließen sind damit Statuen Alexanders des Großen, seines Sohnes Alexander IV. sowie seiner Schwester Thessalonike. 198 Die Bezeichnung Alexanders als Sohn des Zeus sowie der in einer anderen Inschrift 199 genannte Priester Alexanders legen nahe, daß für die Familie ein Kult eingerichtet war.200 Die Datierung der Skulpturfragmente sowie der Inschriften in die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts nach Christus201 deuten hierbei auf einen Zusammenhang mit der unter den Severern betriebenen Verehrung für Alexander, die etwa in der Alexandernachahmung des Caracalla mit der Annahme des Beinamens Magnus, aber auch unter Alexander Severus ihren Ausdruck fand. Ob der Kult in einer direkteren Beziehung mit mögli-
197 IGThess 275 mit Taf. 12: Dio2w / 3Ale1jandron / basile1a. – Nr. 276: [ 3Ale1ja]ndron / [ 3A]leja1ndroy / toy9 Dio1w. – Nr. 277: Uessaloni1khn / Fili1ppoy / basi1lissan. – RomThess 107–108 mit Abb. 29–30. – Hinzu kommt der Neufund von der Platei1a Bardari1oy (Metaja1) am westlichen Rand der Innenstadt MISAHLIDOY-DESPOTIDOY Nr. 45 = SEG 47, 1997, 960 = EpThess Kap. I Nr. 7 (Ende 2. / Anf. 3. Jh. n. Chr.): [ H 4 ] po1liw / basile1a me1gan Dio2w 3Ale1/jandron. Die Inschrift gehörte wahrscheinlich zu einem anderen Monument, einen kultischen Zusammenhang möchte P. Nigdelis wegen der Bezeichnung me1gaw eher ausschließen: EpThess 60. 63f. 198 Vgl. hierzu auch die Ansicht von G. Despinis (SculpThess I 121 zu Nr. 90): „It would also be easy to justify the presence in this group of a statue of Zeus, father of Alexander the Great and grandfather of the young Alexander.“ Unklar bleibt die Zuordnung des Kopfes des Bärtigen sowie des vermutlich weiblichen Kopfes; die Nähe des letzteren zu Alexanderportraits (vgl. SculpThess I 121 mit Anm. 18) könnte an die inschriftlich genannte Thessalonike denken lassen, wiewohl G. Despinis a.a.O. auf die Wahrscheinlichkeit hinweist, daß die Gruppe auch andere weibliche Familienmitglieder abbildete. 199 IGThess *278 mit Taf. 12 (2./3. Jh. n. Chr.). Die Herkunft dieser Inschrift ist allerdings unsicher: --- / [ca. 17 Zeichen] i4e/rey2w 3Aleja1ndroy toy9 a3/po2 Dio1w hedera fylh2 GnaQa1w hedera. 200 Vgl. auch TOURATSOGLOU 1988, 16 Anm. 70: „In den kultischen Bereich wird man auch die fast mythischen Gestalten der Mitglieder des makedonischen Königshauses einbeziehen müssen; [die Inschriften IGThess Nr. 275–277 sind] keineswegs nur Erinnerungen an eine ruhmreiche Vergangenheit und Zeugnisse von sozusagen musealem Charakter ...“. – Als Zeugnis für den Alexanderkult in Thessaloniki bisher größtenteils unbeachtet geblieben ist die fragmentarische, heute verschollene (Grab-?)Inschrift IGThess 933 (2. oder 3. Jh. n. Chr.) mit der Nennung eines Vereins, welche der Herausgeber Edson [h4 sy]nh1ueia / [tv9n] peri2 3Ale1[jan/dr]on Dio2w [-----]OYAR[-----] ergänzen mochte (vgl. Inschriftenkommentar). Höchst ungewöhnlich wäre hierbei jedoch die Formulierung h4 synh1ueia tv9n peri2 + Götternamen. Ohne auf diese Problematik einzugehen, weist P. Nigdelis jüngst auf eine andere Möglichkeit der Ergänzung hin (EpThess 63 Anm. 79): [h4 sy]nh1ueia / [tv9n] peri2 A 3 le1[jan/dr]on Dios[koyri1d]oy a3r[xisyna1gvgon], bei der jeder Bezug zu Alexander dem Großen entfällt. 201 Nach MISAHLIDOY-DESPOTIDOY 1997 zu Nrn. 46–47. Zur Datierung weiterhin TOURATSOGLOU 1988, 15 Anm. 70 („severisch“); SculpThess I 121 Nr. 90 mit Anm. 17 [G. Despinis] („2. Hälfte des 2. Jhs. n. Chr.“).
2.7. Kulte im Bereich der Agora der mittleren Kaiserzeit
59
chen Aufenthalten dieser Kaiser in der Stadt 202 steht oder das lokale Aufgreifen einer allgemeinen Strömung anzeigt, ob er gar eine Rückbesinnung auf makedonisches Wesen bedeutet, muß offen bleiben. Nachdem jegliche ältere Hinweise für einen Alexanderkult in Thessaloniki jedoch fehlen, scheint es sich bei der Kultbildgruppe immerhin nicht um das späte Zeugnis eines alten, sondern eines erst in der Kaiserzeit entstandenen Kultes zu handeln. Zudem legt die Auffindung ihrer Überreste in einem offenkundig der Kaiserverehrung gewidmeten Bau nahe, daß der Kult für die Alexanderfamilie im Zusammenhang mit der Verehrung römischer Herrscher gesehen werden muß. Bemerkenswert ist hierbei, daß Thessaloniki, wie schon im Falle der Aphrodite von Aineia, aus dem reichen Fundus seiner Vergangenheit erneut einen Anknüpfungspunkt entwickeln konnte, der die unmittelbare Bezugnahme auf aktuelle kaiserliche Propaganda erlaubte. Eines der bedeutendsten Werke des Fundkomplexes vom Nordrand der Agora ist ein in mehreren großen Fragmenten erhaltenes akrolithes Standbild vom Typus der Athena Medici, deren Kopf am Beginn des 3. Jhs. zu einem Portrait der Iulia Domna umgearbeitet wurde.203 Th. StefanidouTiveriou ordnete die überlebensgroße Statue versuchsweise der zentralen Nische des größeren, östlichen Baus zu und gelangte aus der Datierung der Bildnisumarbeitung zu einer entsprechenden zeitlichen Einordnung des Bauwerks. Treffen diese Überlegungen zu, dann wäre das Gebäude, in dem das Bildnis – wohl zusammen mit anderen, heute verlorenen Statuen – gestanden hätte, ein der Kaiserverehrung gewidmeter Bau der Severerzeit gewesen. In seiner erhöhten Lage am Nordrand der Agora weist der Bau damit auffällige Parallelen zur in etwa gleichzeitig entstandenen Agora von Philippi auf, deren Nordseite in einer neueren, wenngleich auch nur zum Teil durch Funde gestützten Rekonstruktion mit einer Reihe von Tempelbauten ergänzt wird:204 In beiden Fällen liegen die Kaiserkultstätten erhöht über 202
Zur Wahrscheinlichkeit der Rückkehr des Septimius Severus und des Caracalla aus dem zweiten Partherfeldzug über die Via Egnatia: F. Papazoglou, BCH 85, 1961, 162–175; vgl. auch TOURATSOGLOU 1988, 18. – Möglicher Marsch des Alexander Severus über die Via Egnatia: TOURATSOGLOU 1988, 18 mit Anm. 88. 203 Thessaloniki AM Inv. 877 = SculpThess I Nr. 72 mit Abb. 158–165 [G. Despinis]. Rekonstruktionszeichnung der akrolithen Statue: ADAM-BELENH 2001, 129 Abb. 103. 204 Die heute sichtbare Gestalt der Agora von Thessaloniki ist Ergebnis einer offenbar mehrere Jahrzehnte dauernden Bautätigkeit, die ab der Mitte des 2. Jhs. n. Chr. einen Vorgänger des 1. nachchristlichen Jhs. großzügig umgestaltete, dabei aber bis in die ersten Jahrzehnte des 3. Jhs. andauerte. Zur Datierung BELENHS et al. 1991, 250 mit Anm. 1–5. – Die Datierung der Agora von Philippi in die Regierungszeit des Marcus Aurelius orientiert sich an der des Tempels der jüngeren Faustina (zwischen 161 und 175 n. Chr.), vgl. COLLART 1937, 329f. 345–346. Zur neueren Rekonstruktion: M. Sève – P. Weber, Le côté nord du forum de Philippes, BCH 110, 1986, 531–581. – L’ espace grec. 150 ans de fouilles de l’École française d’Athènes (Paris 1996) 123 sowie Plan S. 124 [M. Sève]; vgl. STEFANIDOY-TIBERIOY 2001a, 235 mit Plan Abb. 7. Zur Bauabfolge der übrigen Platzseiten: M. Sève, L’œuvre de
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Kapitel 2: Topographie und Kult
der auf drei Seiten von Säulenhallen umgebenen Platzfläche der Agora, von dieser durch eine Straße getrennt.205 Beide Bauten, in Philippi der Faustina-Minor-Tempel, in Thessaloniki der mutmaßlich severische Kaiserkultbau, liegen hierbei nicht direkt oberhalb der – in beiden Fällen wohlgemerkt nicht ausreichend erforschten206 – freien Platzseite, sondern in etwa in der Flucht der flankierenden Platzbebauung. 207 Zwischen den Anlagen in Thessaloniki und Philippi bestehen also offenkundig Abhängigkeiten, auch wenn bei der derzeitigen Unkenntnis des genauen zeitlichen Verhältnisses der beiden Anlagen zueinander über Äbhängigkeitsrichtungen nichts ausgesagt werden kann. Zudem muß berücksichtigt werden, daß von der Agora in Thessaloniki derzeit nicht einmal die Hälfte ihrer ursprünglichen Fläche freigelegt ist, so daß sich das derzeit bietende Bild einer starken Ähnlichkeit durchaus noch ändern kann.208 Schlußfolgerungen zu topographischen Fragen erlaubt schließlich das demselben Fundkomplex angehörende Kopffragment einer Kolossalstatue l’École Française d’Athènes à Philippes pendant la décennie 1987–1996, AErgoMak 10B, 1996, 705–717. 205 STEFANIDOY-TIBERIOY 2001a, 233 mit Plan Abb. 4. 235 mit Plan Abb. 7. 206 In Philippi ist dieser Bereich mit der sogenannten Basilika A des späten 5. Jhs. überbaut, in Thessaloniki hingegen von moderner Wohnbebauung bzw. einer Parkanlage sowie zudem von meterhohen Aufschüttungen eingenommen. 207 Vgl. STEFANIDOY-TIBERIOY 2001a, 233 mit Plan Abb. 4 sowie 235 mit Plan Abb. 7. 208 Die Agora scheint sich auf der tiefer gelegenen Terrasse unmittelbar südlich der heutigen Grabungsfläche fortgesetzt zu haben. Dieses archäologisch bisher noch kaum untersuchte Gelände wird heute von einem Park, der byzantinischen Kirche der ‚Gottesmutter der Kupferschmiede‘ (Panagi1a Xalke1vn) sowie einem türkischen Bad des 15. Jhs. eingenommen. Hinweise auf die Fortsetzung der kaiserzeitlichen Agora in diesem Bereich bietet die Auffindung einer Kryptoporticus im Umfeld der genannten Kirche (X. Mpakirtzh9w, Peri2 toy9 synkroth1matow th9w 3Agora9w th9w Uessaloni1khw, Arxai1a Makedoni1a 2, 1977, 257–269, hier: 258–260), der meist als ‚Exedra‘ bezeichnete, heute unter Straßenniveau liegende Bau (Brunnenanlage?) südlich des türkischen Bades (VITTI 1996, 199 Nr. 85 mit Taf. 52–53. – A. Me1ntzow, AErgoMak 11, 1997, 386) sowie die heute verschwundene, als Incantadas bekanntgewordene Stoa (die Reliefpfeiler heute im Louvre), die in einem östlichen Bereich des unteren Platzes gestanden haben muß: A. Me1ntzow, Pro1tash gia thn ermhnei1a tvn ‚eidv1lvn‘ (Incantadas) thw Uessaloni1khw me aformh1 neo1tera eyrh1mata, AErgoMak 11, 1997, 279–392. Zudem wird hier versuchsweise die Anlage des Gymnasiums sowie von Thermen lokalisiert (A. Me1ntzow, AErgoMak 11, 1997, 391 Plan Abb. 4). Ob sich im Bereich der unteren Agoraterrasse auch Kultbauten befanden, ist unsicher. In der älteren Forschung war gelegentlich die Annahme vertreten worden, die Bauinschrift der Kirche Panagia Chalkeon (erbaut 1028) mit der Angabe, dieser Bau sei an einem pri2n be1bhlow to1pow errichtet worden, sei ein Hinweis auf vormals bestehende ‚heidnische‘ Bauten in diesem Bereich. Zwar ist nicht ausgeschlossen, daß im 11. Jh. immerhin noch eine Erinnerung an solche Bauten bestanden haben könnte, doch deutete J.-M. Spieser die Formulierung zuletzt nicht als Bezeichnung eines vormals ‚unheiligen‘ Ortes, sondern schlicht als „terrain précédemment non bâti, accessible à tous“: J.-M. Spieser, Inscriptions de Thessalonique: Addenda et Corrigenda, Travaux et Mémoires (Supplément) 7, 1979, 333–348, hier: 335 Nr. 13; vgl. SPIESER 1984, 84 Anm. 17; 83 Anm. 38.
2.7. Kulte im Bereich der Agora der mittleren Kaiserzeit
61
des Titus.209 Th. Stefanidou-Tiveriou nennt als mögliche Entstehungszeiten dessen Regierungszeit (79–81 n. Chr.) oder eine postume Anfertigung unter seinem Nachfolger Domitian, also im jedem Falle das spätere 1. Jahrhundert.210 Zieht man in Betracht, daß die Bauten der Agora-Nordseite aller Kenntnis nach erst einer wesentlich späteren Bauphase zuzurechnen sind,211 so kann dies nur bedeuten, daß die zu erschließende Kolossalstatue des Titus zunächst an einem anderen Ort gestanden haben muß. Die Gründe für eine Neuaufstellung der Statue eines nur zwei Jahre regierenden Kaisers rund anderthalb Jahrhunderte nach seinem Tod sind unbekannt; ob sie in einer erneuerten Wertschätzung des Kaisers zu suchen sind, bleibt ungewiß. Da zur Annahme einer förmlichen Aussetzung – wie sie etwa eine memoria damnata dargestellt hätte – bei Titus kein Grund vorliegt, unterlagen sein Andenken und somit auch seine Bildnisse einer potentiell nicht endenden Fürsorge. Somit könnten allein schon bauliche Veränderungen den Grund dafür geboten haben, die Kolossalstatue in einem neuen Rahmen aufzustellen. Dies läßt die Vermutung zu, daß die mit dem Ausbau der Agora im späteren 2. Jh. einhergehende Aufwertung des Stadtbezirkes dazu geführt hat, daß zumindest die Verehrung des Titus von einem anderen Ort innerhalb des Stadtgebietes hierher verlagert wurde. Ob dies auch andere bereits vor dem 2. Jh. etablierte Verehrungsstätten von Kaisern betroffen hat, laßt sich beim heutigen Kenntnisstand nicht sagen. 2.7.2. Der Kultort des ueo2w Foy9lbow Der in Kapitel 3 ausführlicher besprochene, ausschließlich in Thessaloniki belegte Kult des theos Aurelios Fulvos gehört zu den Kulten, die der Ehrung von Angehörigen des Kaiserhauses dienten und dabei höchstwahrscheinlich im Umfeld der Agora angesiedelt waren. Zeugnisse für den Kult sind Inschriften der Jahre 207 bis 269 n. Chr., die überwiegend Ehrungen der Stadtgemeinde darstellen und männlichen ne1oi galten, also Jugendlichen, die nach Ablauf ihrer einjährigen Amtszeit als Priester und Agonothet des Fulvus geehrt wurden. Die Inschriften umfassen achtzehn Ehrenaltäre,212 die in der Innenstadt Thessalonikis als Abdeckung eines Abwasserkanals zweitverwendet aufgefunden wurden,213 sowie das Fragment einer Hermeninschrift. Das Hermenfragment – auch dieses in zweiter Verwendung214 – stammt aus der Demetrios-Basilika, also aus einem Bereich 209 Thessaloniki AM Inv. 882. – STEFANIDOU-TIVERIOU 2001c. – SculpThess II Nr. 252 mit Abb. 739–742 [U. Stefani1doy-Tiberi1oy]. 210 STEFANIDOU-TIVERIOU 2001c. – SculpThess II Nr. 252 [U. Stefani1doy-Tiberi1oy]. 211 Vgl. STEFANIDOU-TIVERIOU 2001c, 410–411. 212 Zur fraglichen Funktion als Statuenbasen vgl. hier Abschnitt 3.2.4. mit Anm. 269. 213 Zu den Fundumständen vgl. hier Abschnitt 3.2.4. Anm. 271. 214 Vgl. den Kommentar zu IGThess 236.
Kapitel 2: Topographie und Kult
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nördlich der Agora. Die gemeinsame Auffindung der achtzehn Ehrenaltäre wiederum läßt kaum einen anderen Schluß zu, als daß diese als Gruppe von einem gemeinsamen ursprünglichen Aufstellungsort herbeigeschafft wurden. Dieser Umstand und die im folgenden angestellten Überlegungen zum Kultort machen es wahrscheinlich, daß sich der Aufstellungsort aller neunzehn bekannten Fulvus-Inschriften im Bereich der Agora bzw. des – nahe der Agora zu vermutenden – Stadions befunden hat. Die vermutlich recht jungen Agonotheten und Priester des Fulvus konnten bis zu ihrer Amtszeit offensichtlich noch keine weitere Ämterlaufbahn vorweisen, woraus sich die gelegentlichen Angaben von Ämtern ihrer Vorfahren erklären. Hierbei sind zum Teil sehr hohe Ämter belegt, unter anderem zweimal ein makedonia1rxhw (IGThess 153. 163), ein polita1rxhw (IGThess 162), schließlich ein a3rxierey1w (IGThess 153) beziehungsweise a3jiologo1tatow a3rxierey1w (IGThess 169), aber auch der Titel eines a3rxierey2w kai2 a3gvnoue1thw th9w lampra9w Uessalonikai1vn mhtropo1levw kai2 kolvnei1aw kai2 tetra1kiw nevko1roy (IGThess 163). Neben dem höchst elitären Charakter, der dem Amt des Fulvuspriesters zweifellos angehaftet hat, ist die durch die Familienzugehörigkeit gegebene, enge Verbindung zu den Priesterämtern des Kaiserkultes auffällig. Im Fulvuskult scheint somit die städtische Jugend der Oberschichten ins gesellschaftliche Leben der Stadt eingeführt und dabei insbesondere mit den politisch-gesellschaftlichen Aspekten des Kaiserkultes vertraut gemacht worden zu sein. Als Ort der Kultausübung zu Ehren des Fulvus ist dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit das Gymnasium anzunehmen.215 Seine Lage im Stadtgebiet ist – nicht zuletzt durch die Fundorte der Inschriften,216 aber auch durch die gelegentliche Assoziierung mit dem in seiner Lage lange diskutierten Stadion217 – bisher nördlich der Agora, im Bereich der späteren Basilika des Hl. Demetrios, vermutet worden. Die in den Jahren 1997–98 erfolgte Freilegung eines aus dem 2. Jahrhundert vor Christus stammenden Schwitzbades vom Typus des durch Vitruv bekannten laconicum läßt jedoch vermuten, daß sich der Komplex des Gymnasiums im bisher unausgegrabenen Bereich südlich der Agora fortgesetzt haben könnte.218 Das vielfrequentierte Umfeld des Gymnasiums wie auch dessen Lage im Stadtzentrum des kaiserzeitlichen Thessaloniki in Nähe zur Agora lassen auf alle Fälle deutlich werden, daß es sich bei der – zudem mit zuschauerreichen Agonen verbundenen – Verehrung des Fulvus um einen Kult mit hoher Publikumswirksamkeit handelte, in dem der Nachwuchs städtischer Führungsschichten erste Möglichkeiten zu öffentlichem Auftreten hatte. 215
So schon ROBERT 1946, 41. VITTI 1996, 91 mit Anm. 29. 98 mit Anm. 92. 217 VITTI 1996, 97–99 mit Literatur sowie zuletzt STEFANIDOY-TIBERIOY 2001a, 238 mit Anm. 33. 218 ADAM-BELENH 1997 bes. 358–359. 216
2.8. Der Mithraskult – ein Kult extra muros?
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2.8. Der Mithraskult – ein Kult extra muros? 2.8. Der Mithraskult – ein Kult extra muros?
Die Verehrung des Gottes Mithras ist in Thessaloniki bisher nur durch einen Einzelfund belegt, an den sich aber interessante topographische Überlegungen knüpfen lassen. Es handelt sich um ein fragmentarisches Relief mit der Stiertötungsszene.219 Der schlechte Erhaltungszustand, vor allem aber seine extrem flache und bestenfalls als handwerklich zu bezeichnende Ausführung machen eine Datierung des Reliefs äußerst schwierig. Seine Rückseite wurde in zweiter Verwendung mit einer Grabinschrift versehen, die nach den Buchstabenformen grob ins 3. nachchristliche Jahrhundert datiert wurde,220 damit aber einen nur sehr ungenügenden terminus ante quem für die Anfertigung des Reliefs bildet, welche wiederum einige Zeit vor der Zweitverwendung gelegen haben wird. Typologische Vergleiche ließen E. Marki eine Entstehung auch des Mithrasreliefs aus Thessaloniki im 3. Jahrhundert nach Christus denkbar erscheinen.221 Es muß dahingestellt bleiben, ob man aus der einfachen Ausführung des Mithrasreliefs auf einen niedrigen sozialen Status des Weihenden schließen darf.222
219 Thessaloniki AM Inv. 6110. – Die beste Aufnahme des Reliefs findet sich bei PACHIS 1994 Abb. 1. – Vgl. daneben MARKH 1987 Abb. 1 (die zeichnerische Wiedergabe ist fehlerhaft) und Taf. 99. – RomThess 256 Abb. 49. 220 MARKH 1987, 487. 221 MARKH 1987, 490; ihr folgend PACHIS 1994, 235. 222 So PACHIS 1994, 248.
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Abb. 2: Das Mithrasrelief aus Thessaloniki. Thessaloniki AM Inv. 6110.
Beim nahezu völligen Fehlen des Kultes im übrigen Makedonien,223 aber auch den äußerst dünn gestreuten Belegen im gesamten ‚griechischen 223
Für den heute griechischen Teil Makedoniens muß – entgegen der Auffassung von MARKH 1987 und PACHIS 1994 – festgestellt werden, daß das Relief aus Thessaloniki bisher der einzige sichere Beleg für den Kult des Mithras ist. Der Weihaltar des 3. Jhs. IGThess *65, vermutlich in der östlichen Stadtbefestigung verbaut gewesen, nennt einen a3rximagarey2w kai2 a3rxinevko1row kai1 path2r sphlle1oy sowie eine galakthfo1row kistoforh1sasa. L. Robert, Les Inscriptions de Thessalonique, RevPhil 48, 1974, 199–215, bes. 202 hatte einen Bezug auf Mithras ausgeschlossen und ihn dem Kult der phrygischen Gottheiten zugerechnet; zum
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Osten‘224 wird man kaum damit rechnen können, daß entsprechende Bildvorlagen in Thessaloniki ohne weiteres verfügbar waren. Somit ist nicht ausgeschlossen, daß eine fehlende Vertrautheit örtlicher Bildhauer mit dem Sujet der Stiertötungsszene zu einer Eigenfertigung durch einen handwerklich begabten Kultanhänger – der auf andernorts Gesehenes zurückgreifen konnte – geführt hat, ohne daß dies dabei für den Status der Kultanhänger etwas aussagen muß. Ob diese aus den Reihen des Militärs stammten, ist ebenfalls völlig unsicher. Nicht zuletzt die Auffassung des Mithraskultes als einer insbesondere unter Soldaten verbreiteten Religion hatte Pachis zu einer entsprechenden Zuordnung des Reliefs geführt. 225 Allerdings ist die Beteiligung von Militärs am Mithraskult in den verschiedenen Provinzen durchaus unterschiedlich: Konnte M. Clauss für die Provinz Britannia in den inschriftlichen Belegen einen ungewöhnlich hohen Gesamtanteil der Ausschluß als Mithrasmonument vgl. auch CLAUSS 293. Die von MARKH 1987, 491 und PACHIS 1994, 235–238 erneut für möglich gehaltene Zuweisung dieser Inschrift zum Kult des Mithras geschieht vor allem angesichts der nun durch das Relief, aber auch durch den Grabfund einer sehr lose ins 2. oder 3. Jh. datierten kleinen Terrakottabüste mit phrygischer Mütze erschlossenen ‚Gemeinde‘ des Mithras: MARKH 1987, 491–492 und Taf. 100–101 sowie PACHIS 1994, 251–254 und Abb. 2; vgl. RomThess 257 Abb. 50. Für die Miniaturbüste kann aber mit der gleichen Berechtigung eine Benennung als Attis vorgebracht werden, der dann nicht zwangsläufig in das Umfeld des Mithras verweist; Attis-Terrakotten sind aus Thessaloniki auch aus Funden (wohl des 1. Jhs. v. sowie n. Chr.) von der Agora bekannt: H. Zvgra1foy, H mhte1ra tvn Uev1n sth Uessaloni1kh, Uessalonike1vn Po1liw 3, Oktober 2000, 81–86, hier: 86f. mit Abb. 5–6; vgl. P. Ada1m-Bele1nh et al., Arxai1a Agora1 Uessaloni1khw: H strvmatografi1a kai ta kinhta1 eyrh1mata, AErgoMak 10B, 1996, 501–531, hier: 519–521 (summarische Erwähnung) und Abb. 17a. – Die gelegentlich in Philippi für den Mithraskult genannten Belege (vgl. MARKH 1987, 491 mit Verweis auf M. J. Vermaseren, Corpus Inscriptionum et monumentorum religionis Mithriacae II [Den Haag 1960] Nr. 2343; entsprechend jüngst RomThess 257 [K. Tzanavari]), ergeben sich allein aus der falschen Lesung zweier Inschriften, hierzu PILHOFER I 40; 92 mit Anm. 1; vgl. PILHOFER II 169/L007 (Weihung an den – vor Ort mehrfach belegten – D[omino] Rinc[aleo] – nicht: D[eo] p[atrio] in[vi]c[to]) und 525/L104 (Eingangsformel einer Grabinschrift D[is] i[nferis] M[anibus] – nicht: D[eo] i[nvicto] M[ithrae]). Für die einst als Mithrasdarstellungen vorgebrachten drei Felsreliefs aus Philippi (Ch. Picard, RHR 86, 1922, 184–188 mit Taf. 6 Y) weist CLAUSS 1992, 237 Anm. 9 zu Recht auf die Ähnlichkeit zu Artemisdarstellungen hin, als sichere Zeugnisse für Mithras scheiden also auch sie aus, auch wenn sie von der Mithras-Ikonographie (auf das zu tötende Tier aufgestütztes Knie, Dolch) beeinflußt sind. – Für das außergriechische Makedonien lediglich noch zu nennen sind (vgl. CLAUSS 1992, 234 [Karte]. 237) die Orte Prilep / MarkoviKuli, FYROM (Mithrasgrotte; Mithras-Relief mit Resten einer griechischen Inschrift) sowie Reussilova / Bulgarien (Reste einer Weihinschrift D(eo) I(nvicto) M(ithrae): L. Heuzey – H. Daumet, Mission archeólogique de Macédoine (Paris 1876) 155 Nr. 88.) 224 CLAUSS 1992 kann für den ‚griechischen Osten‘ – der zudem bei ihm (vgl. seine Karte a.a.O. 234) von der Krim bis nach Ägypten und von Westgriechenland bis in den Nahen Osten reicht – nur 26 Orte aufführen; die meisten hiervon liegen in Anatolien und in der Levante. Auf heute griechischem Gebiet vermerkt seine Karte nur sechs Orte (nahezu alle auf der Peloponnes und in Attika); hierbei ist Philippi (das er selbst nicht ernsthaft in Betracht zieht) zu streichen, Thessaloniki hinzuzufügen. 225 PACHIS 1994, 248f. sowie passim.
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Soldaten von 75 Prozent nachweisen, so sind es in allen anderen Provinzen stets unter zwanzig Prozent, in Dakien gar nur 13 Prozent.226 Für Makedonien und Thrakien lassen sich derartige Zahlenangaben aufgrund fehlender Zeugnisse überhaupt nicht machen, doch selbst wenn solche Zahlen vorlägen, könnten sie keinerlei Beweiskraft für oder wider eine Gruppe von Militärangehörigen als Mithrasanhänger in Thessaloniki beanspruchen. Aus der Isoliertheit des Fundes nicht nur innerhalb des Kultspektrums von Thessaloniki, sondern auch fast ganz Makedoniens geht immerhin deutlich hervor, daß wir es in Thessaloniki bei Mithras mit einem ortsfremden, sicher nicht an einheimische Bevölkerungsgruppen gebundenen Gott zu tun haben. Dies und die durchaus erwägenswerten Überlegungen Pachis’ zum Fundort vor der Stadt eröffnen die Möglichkeit einer – natürlich nicht minder hypothetischen – Verbindung des Mithrasreliefs auch mit anderen stadtfremden, mobilen, gleichzeitig aber zeitweise ortsansässigen Gruppen.227 In Frage kommen könnten hier beispielsweise Beamte, die im Laufe ihrer Amtszeit in verschiedenen Provinzen eingesetzt waren. Unter den inschriftlich bekanntgewordenen Verehrern des Mithras besonders auffällig ist hierbei der Berufsstand der Zollpächter: Allein das Personal und die familiae dreier dieser Zollpächter, die sich den illyrischen Zollbezirk teilten – dieser berührte fast das gesamte Donaugebiet und somit mehrere Provinzen –, finden sich unter Antoninus Pius als Mithrasanhänger an zehn verschiedenen Orten in den Provinzen Dalmatia, Noricum und Pannonia superior belegt. Sie fungierten hier offensichtlich als bedeutendes Netzwerk bei der Rekrutierung von Kultanhängern, aber auch bei der Verbreitung des Kultes.228 Bereits Pachis hatte an der Stelle außerhalb des westlichen Stadteingangs von Thessaloniki, an der er aufgrund des Fundes eines Meilensteines ein Militärlager postulierte, auch eine Zollstation angenommen.229 Obwohl keine direkten Zeugnisse für deren Existenz vorliegen, wäre der Berührungspunkt der Via Egnatia mit dem Stadtgebiet, der – in der Nähe wichtiger Flußübergänge – vermutlich den Übergangspunkt zwischen dem provinzialem Umland und der freien Stadt Thessaloniki mit
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CLAUSS 1992, 207. 268 mit Tabelle. – Ebd. 228 nennt er für Moesia inferior immerhin einen Anteil von 25 Prozent. Es bleibt hierbei leider unklar, ob sich die Ergebnisse seiner Auswertung auf einen Militäranteil unter allen namentlich bekannten Personen beziehen oder auf einen Gesamtanteil an all denen, für die eine Berufsangabe überliefert ist. 227 Mit einem überwiegend durchreisenden Publikum, das an einem außerhalb der Stadt liegenden Straßenposten, einer Herberge oder ähnlichem ein quasi ‚hoteleigenes‘ Mithräum mitbenutzte, wird man angesichts des üblicherweise stark abgeschlossenen Kreises der Mithrasgemeinden wohl eher nicht rechnen dürfen. 228 CLAUSS 1992 bes. 297–299 (Appendix). Die genannten Zahlen beinhalten nur die Zeugnisse zum Mithraskult, die nachgewiesenen Aktivitäten der Zollpächter und ihres Personals umfassen insgesamt zwölf Orte in sechs Provinzen: a.a.O. 298–299 (Tabelle). 229 PACHIS 1994, 244f mit Anm. 89.
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ihrem Hafen bildete, sicherlich ein prädestinierter Ort für ein solches portorium. Darüber, von welchem Ort aus der Kult bis vor die Mauern Thessalonikis gebracht wurde, läßt sich ebenfalls nur spekulieren. Die Ansicht von E. Marki, das Vorbild des Reliefs müsse ‚in einem bisher unlokalisierten, wichtigen Zentrum des Mithraskultes in Makedonien oder Thrakien gesucht werden‘,230 ist haltlos, denn sie beruht auf der falschen Annahme einer ikonographischen Eigenständigkeit des Reliefs. Diese ‚Eigenständigkeit‘ ist aber ganz offensichtlich Ergebnis einer falschen Lesung der Stiertötungsszene, denn Marki scheint ein wesentliches Detail nicht erkannt zu haben, nämlich die Position des Stiers auf dem Relief: Ihrer Beschreibung nach sei dieser nach links gerichtet, das Knie des Mithras drücke seinen Rücken nach unten.231 Dem entspricht die ihrem Aufsatz beigegebene Umzeichnung des Reliefs, welche unterhalb des angewinkelten Knies des Mithras einen nach links gerichteten, miniaturhaften Stier zu zeigen scheint. Die Beschreibung Markis und die Zeichnung (welche offenbar allein auf der Photographie beruht) erweisen sich aber deutlich als fehlerhaft, wenn man die ungleich bessere Tafelabbildung von Pachis zum Vergleich heranzieht:232 Auf seiner photographischen Aufnahme erscheint der ‚Miniaturstier‘ lediglich als gepickte Oberfläche. Hingegen ist links oberhalb des gestreckten rechten Beines des Mithras deutlich das Hinterteil des Stiers mit dem erhobenen Schwanz zu erkennen. Der Stier ist somit um ein Vielfaches größer als von Marki offenbar vermutet und zudem nach rechts gewandt.233 Größe und Stellung des Stiers gehen zudem zwingend aus der Haltung des gestreckten rechten Arms sowie des – im Ansatz eben noch erkennbaren – angewinkelten linken Armes des Mithras hervor: Mit der angewinkelten Linken riß der Gott den Kopf des Tieres in die Höhe, während seine Rechte den Dolch in die Flanke des Halses stieß. Trotz seiner 230 MARKH 1987, 490f.: „To prvto1typo toy anagly1foy maw den ei1nai dynato1 n’ apodouei1 me akri1beia se kane1na apo1 ta parapa1nv e1rga, alla1 pre1pei n' anazhthuei1 se ka1poio, anento1pisto ako1mh, shmantiko1 ke1ntro miuraQkh1w latrei1aw thw Makedoni1aw h1 thw Ura1khw.“ Ganz ähnlich PACHIS 1994, 235 (im Rahmen derselben unhaltbaren ikonographischen Argumentationskette): „We might, perhaps, suppose it to originate from, or to have been dedicated by, members of the faithful who were immigrants into the area from some northern province (…). We ought not, however, to exclude the possibility of its originating from some hitherto unidentified, but important centre of the Mithraic cult in Macedonia or Thrace.“ 231 MARKH 1987, 488. „To aristero1 toy po1di [des Mithras] ka1mptetai me dy1namh sth ra1xh eno1w tay1roy, poy eikoni1zetai hmi1svmow me to kefa1li prow t' aristera1 kai ta po1dia lygisme1na.“ 232 PACHIS 1994 Abb. 1. 233 PACHIS 1994, der weitgehend der Interpretation Markis folgt, äußert a.a.O. 234 Anm. 40 lediglich Schwierigkeiten, den von MARKH 1987, 489f. genannten Hund zu erkennen. Pachis’ Beschreibung der Szene läßt darüber hinaus aber unklar, wie und wo er den Stier gesehen hat.
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eher ungeschickten Darstellung und seiner in Details schwer lesbaren Szene234 folgt das Relief somit sehr getreu einem im römischen Reich weit verbreiteten Typus, zu dessen bekanntesten Vertretern etwa das große Mithrasrelief aus Nida/Heddernheim zählt.235 Das weitgehend sichtbare Hinterteil des Stiers macht dabei deutlich, daß es sich um den Darstellungstypus des ‚laufenden‘ oder aber des ‚sich aufbäumenden‘ Stiers gehandelt haben muß.236 Das weite geographische Vorkommen dieser in zahlreichen Varianten überlieferten Darstellungen (sowie auch des eng verwandten Typus mit niedergezwungenem Stier) macht es nun allerdings unmöglich, auf eine bestimmte Provenienz des Mitrasreliefs und damit vielleicht auch der Mithrasanhänger von Thessaloniki zu schließen.237 Stattdessen könnte vielleicht ein technisches Detail für eine Lokalisierung herangezogen werden: Für die oben vermutete Herstellung durch einen ‚Amateur‘ spricht neben der ungeschickten Machart auch die sehr flache Ausarbeitung des Reliefs, die zudem dadurch bedingt ist, daß es sich bei dem Bildträger um eine auffallend dünne Marmorplatte handelt. Auch daß die Platte trotz ihrer geringen erhaltenen Größe von nur 37 auf 30 cm in mehr als dreißig Fragmente zerbrochen war, ist auf die Materialstärke von nur 4,5 cm zurückzuführen.238 In Anbetracht des mutmaßlich stadtfremden Herstellers 234
Es ist anzunehmen, daß das schwache Relief aus Thessaloniki einst durch farbige Bemalung verdeutlicht war wie beispielsweise ein qualitativ annähernd vergleichbares Stück aus Nida/Heddernheim: I. Huld-Zetsche, Mithras in Nida-Heddernheim: Gesamtkatalog (Frankfurt/Main 1986) 60 zu Nr. 16. Der breite unreliefierte Streifen unterhalb des Reliefs aus Thessaloniki könnte weitere gemalte Darstellungen oder einen mit Farbe aufgebrachten Weihungstext enthalten haben. 235 Wiesbaden, Museum Inv. 239, vgl. LIMC 6.1 s.v. Mithras 598 Nr. 118; 6.2. 236 Ein großflächig sichtbares Hinterteil des Stiers findet sich so nur bei diesen beiden Darstellungstypen; bei bereits niedergezwungenem Stier oder bei einer höher aufgesattelten Figur des Mithras ist das Hinterteil hingegen nur als schmaler Streifen oberhalb des gestreckten Schenkels des Gottes sichtbar: Vgl. die Darstellungstypen LIMC 6.1 s.v. Mithras [R. Vollkommer] III.B.2 (Typ B: sich aufbäumender Stier). 237 Daß von den im LIMC aufgeführten vergleichbaren Stücken auffallend viele aus Germanien stammen, kann seine Ursache in Zufällen der Auswahl bzw. in einer guten Publikationslage haben; vgl. etwa LIMC 6.1 s.v. Mithras Nr. 118 (Wiesbaden, Museum Inv. 329, aus Nida/Heddernheim), 129 (Hanau, Schloß Philippsruhe Inv. A 1973/700, aus dem Mithräum von Rückingen), 127 (Stuttgart, Württ. Landesmuseum Inv. RL 413, aus Fellbach). Vergleichbare, allenfalls in Details abweichende Darstellungen sind aber im gesamten römischen Reich zu finden, z.B. LIMC a.a.O. 120 (Bukarest, Nationalmuseum Inv. 713, aus Romula), 132 (Vatikan, Cortile des Belvedere Inv. 1079, aus der Nähe von Ostia) sowie R. Merkelbach, Mithras. Ein persisch-römischer Mysterienkult (21994) 282 Abb. 22 (aus Secia bei Damaskus). Für den Typus und die ihm nahestehenden Varianten ist somit keine regionale Festlegung möglich. 238 Die Maßangaben bei MARKH 1987, 487. Den Abbildungen zufolge muß das größere Maß die Höhe des Reliefs bezeichnen. Dagegen, daß es sich nur um den oberen Teil einer ursprünglich höheren ‚Stele‘ handelt (so MARKH 1987, 487; ihr folgend PACHIS 1994, 230) spricht die der Photographie nach sehr ebenmäßige untere Kante; die Höhe der Marmortafel scheint also vollständig erhalten zu sein. Die ikonographisch vergleichbaren Stücke zeigen,
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könnte es deshalb von Bedeutung sein, daß die technischen Details des Reliefs aus Thessaloniki – sowie auch der in seiner geringen Dicke begründete Zerstörungsgrad – frappierende Parallelen im aus Dakien überlieferten Material besitzen: Auch dort handelt es sich bei den Mithrasreliefs überwiegend um auffallend kleine Relieftafeln, die meist unter 50 cm Kantenlänge bleiben und hierbei eine sehr geringe Materialstärke von etwa 2 bis 4 cm aufweisen. Ihr in Dakien spezifisches Vorkommen ließ M. Clauss sogar von einem ‚eigenen Stil‘ in dieser Provinz sprechen.239 Es darf deshalb die Vermutung geäußert werden, daß der Bildhauer der Relieftafel aus Thessaloniki diese in Kenntnis der in technischer Hinsicht eng vergleichbaren Reliefs aus Dakien angefertigt hat. Angesichts der geringen Größe und des somit verhältnismäßig geringen Gewichts der Relieftafel ist dabei nicht ausgeschlossen, daß das Stück nicht in Thessaloniki angefertigt, sondern als Ganzes importiert wurde. Unabhängig davon, ob man das Mithrasrelief aus Thessaloniki mit einem Stationierungsort des Militärs oder etwa mit einer Zollstation beziehungsweise den jeweils zugehörigen Personenkreisen verbinden möchte, ist bei seiner Deutung zu berücksichtigen, daß es sich um ein im weiten geographischen Umkreis singuläres Zeugnis handelt. Verbindet man es mit einer stadtfremden, fest umrissenen Gruppe, die zudem durch intensivere Kontakte zu anderen Provinzen charakterisiert ist, so bietet sich eine Erklärungsmöglichkeit für das vollständige Fehlen von Zeugnissen für Mithras in der Stadt: An die außerhalb ihrer Mauern liegenden Stationsanlagen und die zugehörigen Personengruppen gebunden, konnte der Kult seinen Platz nur außerhalb der Stadtgrenze finden.
2.9. Veränderung der Stadtstruktur unter der Tetrarchie 2.9. Veränderung der Stadtstruktur unter der Tetrarchie
Ein Höhepunkt der Stadtentwicklung von Thessaloniki ist mit der Einrichtung der Tetrarchie verbunden, der organisatorischen Umgestaltung des brüchig gewordenen römischen Weltreiches in vier Verwaltungsbezirke. Herrscher über den die griechische Halbinsel umfassenden Bezirk wurde daß der Kopf des Mithras einst genau die Mittelachse der Reliefbreite markierte, somit machen die am unteren Rand gemessenen 30 cm ziemlich genau zwei Drittel der einstigen Breite aus. Das ursprüngliche Maß der Platte muß somit etwa 37 (H.) auf 45 cm (B.) betragen haben. Bei dieser geringen Größe ist nicht ausgeschlossen, daß das Relief nicht in Thessaloniki angefertigt, sondern als Ganzes importiert wurde. 239 Zu den gerade für Dakien typischen dünnen Relieftafeln vgl. CLAUSS 1992 bes. 208 sowie 197–207 passim; den Begriff der ‚dakischen Täfelchen‘ verwendet Clauß a.a.O. 14. – Jüngst wurde der Versuch der Zuweisung dakischer Mithrasreliefs an verschiedene Werkstätten unternommen: G. Dorin Sicoe, Lokalproduktion und Importe – Der Fall der mithraischen Reliefs aus Dakien, in: M. Martens / G. de Boe (Hrsg.), Roman Mithraism: the Evidence of the Small Finds (Brüssel 2004) 285–302.
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Galerius, ein aus Illyrien stammender Militärangehöriger niederer Abkunft, der sich nach einer ebenso schnell wie erfolgreich durchlaufenen Militärkarriere zum Befehlshaber der Prätorianergarde hochgedient hatte. Nach der Heirat mit Valeria, der Tochter des Diocletianus, wurde Galerius 293 zum Caesaren erklärt. Die erfolgreich beendeten Perserkriege ließen ihn mit reicher Kriegsbeute auf die Balkanhalbinsel zurückkehren. Wie die kaiserliche Münzprägung erkennen läßt, wurde Thessaloniki 298/99 zur Residenz des Galerius. Im Jahre 303 verlegte er Residenz und Münzstätte aus strategischen Gründen nach Serdica, Ende 308 – Galerius war zwischenzeitlich (305) zum Augustus geworden – zurück nach Thessaloniki, wo der Kaiser bis kurz vor seinem Tod im Frühjahr 311 lebte.240 2.9.1. Der galerianische Palastkomplex Der um 305 unter Galerius im Osten des ummauerten Stadtgebietes begonnene Palast stellt einen einschneidenden und die Topographie der Stadt grundlegend verändernden Eingriff dar. 241 Der in großen Teilen, aber nicht vollständig freigelegte Baukomplex umfaßt mehrere Hektar im modernen Stadtgebiet. Heute hervorstechendster Bau ist die nach dem Muster des römischen Pantheon errichtete sogenannte Roto1nta (Rotunde), die mit ihrem römischen Vorbild das günstige Schicksal teilt, seit der Antike nahezu vollständig überdauert zu haben. In derselben Baulinie liegt der heute ebenfalls noch sichtbare Triumphbogen, der in seinen Reliefs den Sieg des Galerius über die Perser sowie die Eintracht unter den Tetrarchen darstellt.242 Der heute erhaltene Bogen stellt nur die Hälfte eines ursprünglichen Tetrapylons dar, welches einerseits von West nach Ost im Verlauf des zentralen innerstädtischen Verkehrsweges, der Via Regia, begehbar war, andererseits die Nord-Süd-Verbindung zwischen der Rotunde und den südlich der Via Regia gelegenen Palastteilen schuf. An diesem Bauwerk werden daneben die mit dem Palastbau verbunden Ambitionen besonders deutlich, betonte er doch nicht nur diesen Kreuzungspunkt, sondern auch die Nahtstelle zwischen der alten Stadt und dem neuangefügten Palastviertel. M. Vitti hat zu Recht darauf hingewiesen, daß der Galeriusbogen zumindest in Ansätzen seine Entsprechungen im Athener Hadriansbogen hat, welcher einen eng mit dem Gedanken des kti1sthw verbundenen Verknüpfungspunkt zwischen alter und neuer Stadt darstellt.243 240
Einen guten Überblick über die Stadtgeschichte zur Tetrarchenzeit und die Aufenthalte des Galerius gibt STEFANIDOY-TIBERIOY 1995, 52–54 (mit Literatur). Zu den Verlagerungen der Münzstätten s. P. Bruun, From Polis to Metropolis. Notes on Thessalonica in the Administration of the Late Roman Empire, OpRom 15, 1985, 7–16. 241 Zur Chronologie und Baubefunden VITTI 1996, 105–118. 202–238. 242 Zu den Reliefs grundlegend LAUBSCHER 1975 sowie jüngst KOLB 2001, 158–162 mit neuerer Literatur. 243 VITTI 1996, 107f. mit Anm. 149.
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Der galerianische Palastkomplex, die wesentliche archäologische Hinterlassenschaft der Tetrarchenzeit in Thessaloniki, bietet eine Vielzahl ungelöster Probleme. Zwar handelt es sich – trotz der äußerst unglücklichen Einzwängung durch Hochhausbauten der 1950er und 1960er Jahre, welche sogar wichtige Teile des Palastes unter sich begraben haben – um eine vergleichsweise großflächig freigelegte Grabungsstelle unter den derartigen Anlagen. Dennoch werden wichtige Fragen der Datierung, der Bauabfolge oder der Funktionsbestimmung bestimmter Palastbestandteile zum Teil seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert und warten nach wie vor auf ihre Klärung. Die Deutungen sind hier in starkem Maße mit Datierungsfragen verwoben, da sie unter anderem die verschiedenen Aufenthalte des Kaisers zu berücksichtigen haben, insbesondere aber auch die wechselhaften Verhältnisse nach dem Tode des Galerius. Uneinigkeiten hinsichtlich ihrer Zweckbestimmung bestehen dabei vor allem bei zwei Bauten, der Rotunde und dem achteckigen Kuppelsaal, dem sogenannten Oktogon. Für diese Bauten wurden einander entsprechende Deutungen in Anspruch genommen, so ist in beiden jeweils Thronsaal,244 Mausoleum245 oder Tempel246 vermutet worden. 2.9.2. Rotunde Die Deutung der Rotunde als für Galerius geplantes Mausoleum könnte ihre Stützung finden in einer baulichen Anordnung, die sich in Felix Romuliana (Gamzigrad) im Osten Serbiens findet. Der mit programmatischem Namen versehene Ort, von Galerius nach Romula, seiner Mutter benannt,247 stellt den Geburtsort des Kaisers und gleichzeitig den Begräbnisort seiner Mutter dar. Hier befindet sich aber auch das Grab des Kaisers selbst, der im Frühjahr 311 in Sirmium (Sremska Mitrovica) starb. Unklar sind hierbei die den Mausoleen in Thessaloniki und Felix Romuliana zugrunde liegenden Planungen: Immerhin hatte Galerius seit 305 beabsichtigt, nach seinem zwanzigjährigen Regierungsjubiläum – das im Jahre 312 stattgefunden hätte – abzudanken;248 mit der Abdankung wäre aber fraglos 244
Rotunde: VON SCHOENEBECK 1937. – Oktogon: K.M. Swoboda, Römische und romanische Paläste. Eine architekturgeschichtliche Untersuchung (Graz 31969) 303 mit Anm. 86. VICKERS 1973, 118–120. SPIESER 1984, 118. 245 Rotunde: H. Grégoire, La Rotonde de S. Georges à Thessalonique est le mausolée de Galère?, Byzantion 14, 1939, 323–324. – Oktogon: Ch. Bouras, Ne1ew parathrh1seiw sto2 3Okta1gvno th9w Uessaloni1khw, in: Actes du Xe congrès international d’Archéologie Chrétienne à Thessalonique 1980 Bd. 2 (Thessaloniki 1984) 33–43 (Mausoleum des Theodosios I. und seiner Familie). MOUTSOPOULOS 1977, 250 (für Galerius geplantes Mausoleum). 246 Rotunde: DYGGVE 1958, 361–362 (Tempel und Mausoleum). – Oktogon: VITTI 1996, 92. 212f. (Pantheon oder Empfangssaal). 247 Zum Namen S5(-29,û 1993, 38f. 248 S5(-29,û 1993, 45. KOLB 2001, 34.
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auch sein Rückzug in seinen Alterssitz Felix Romuliana verbunden gewesen. Die Anlage zweier Mausoleen, der mutmaßlich als solches errichteten Rotunde in Thessaloniki und des dann tatsächlich zur Begräbnisstätte gewordenen in Felix Romuliana, könnte auf eine um 305 geänderte Lebensplanung des Galerius zurückgehen.249 Die beiden Mausoleen in Felix Romuliana, jenes des Galerius sowie das seiner (wohl zwischen 303 und 305 verstorbenen) Mutter Romula, wurden in den Jahren 1989–1993 auf einer Anhöhe in Sichtweite des dortigen Palastes freigelegt.250 Trotz der beträchtlichen räumlichen Entfernung zum Palast bestand ein deutlicher axialer Bezug zwischen den beiden Komplexen, der einst durch ein außerhalb der Stadt gelegenes, 1990 in seinen Resten freigelegtes Tetrapylon betont wurde.251 Stellte die von außen einem ummauerten Militärlager gleichende, im Grunde aber einer römischen Stadt im Kleinformat nachgebildete Anlage mit Palast und zwei Tempeln (vermutlich der diva Romula und des divus Galerius)252 eine Verherrlichungsstätte der zu Lebzeiten errungenen Taten des Kaisers dar, so markierte sein Mausoleum den Konsekrationsort des gottgewordenen Kaisers. Die räumliche Anordnung zeichnete somit sinnreiche Bezüge nach, sie „illustrated in fact Galerius’ life and his elevation from caesar to augustus and to a deity. This is where a link between heaven and earth was established.“253 In einer ganz entsprechenden Anordnung steht, durch das einstige Tetrapylon des Galeriusbogens mit dem Palast verbunden, die Rotunde von Thessaloniki. Geht man davon aus, daß es sich auch bei ihr um einen ursprünglich als Mausoleum des Galerius geplanten – wenngleich möglicherweise schon zu seinen Lebzeiten umgenutzten – Bau handelte, so sind vergleichbare Sinnbezüge auch für die Palastanlage von Thessaloniki zu formulieren. Dem kaiserlichen Palast war somit auch hier die postume Verehrungsstätte planerisch von Anfang an fest zugeordnet. 2.9.3. Oktogon Für das Oktogon steht fest, daß es den Nachfolgebau eines ursprünglich an seiner Stelle gelegenen rechteckigen Saales darstellt, welcher gleichzeitig mit einem südlich davon gelegenen Peristyl entstanden war und mit diesem 249
Diese zeigt sich auch in veränderten Planungen in Felix Romuliana selbst (S5(-29,û 1993, 50f.); sie hängen zeitlich mit dem Persertriumph des Galerius in Rom (Herbst 303), dem Tod seiner Mutter (zwischen 303 und 305) und seiner Proklamation als Augustus (305) zusammen. 250 S5(-29,û 1993, 45–52. 251 S5(-29,û 1993, 45 mit Abb. 20. 51f. 252 S5(-29,û 1993, 52 mit Abb. 44; vgl. ebd. 44 Abb. 8 (Plan). 253 S5(-29,û 1993, 51f.
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einen einheitlichen Komplex gebildet hatte. 254 Das Peristyl wiederum – und somit auch der genannte Vorgängerbau des Oktogons – kann aufgrund des sogenannten ‚kleinen Galeriusbogens‘, der zu seiner wandfesten dekorativen Ausstattung gehörte, mit großer Genauigkeit datiert werden. 255 Dieser Marmorbogen ist monolithisch gearbeitet und bildete einst die architektonische Umfassung einer Statuennische.256 Sein reicher Reliefschmuck besteht neben anderem aus zwei Portraitmedaillons des Galerius sowie einer Tyche mit Stadtkrone. In einer detaillierten Analyse konnte Thea Stefanidou-Tiveriou nachweisen, daß es sich bei der Tyche um ein nachträglich umgearbeitetes Bildnis einer Augusta handelt, für welche aus historischen Gründen allein Valeria, die Gattin des Galerius, angenommen werden kann. Galeria Valeria – die einzige tetrarchische Kaiserin überhaupt – war auf der Konferenz von Carnuntum im Jahre 308 mit dem Augustatitel versehen worden. Ihre Darstellung auf einem an repräsentativer Stelle des Palastes257 aufgestellten Monument kann folglich allein im kurzen Zeitraum zwischen Dezember 308 und Ende April (oder Anfang Mai) 311, dem Zeitpunkt des Todes des Galerius, entstanden sein.258 Somit ist eine Datierung des Vorgängerbaus des Oktogons gewonnen, aus welcher folgt, daß das Oktogon selbst sicher erst nach dem Tode des Galerius entstanden sein kann. Für seine Errichtung nimmt Stefanidou-Tiveriou an, daß diese in den Jahren ab 317, als Konstantin der Große Thessaloniki als Militärsitz im Kampf gegen Licinius wählte, im Rahmen eines umfassenderen Bauprogramms erfolgte.259 Da die aufgefundenen Baubefunde keine Hinweise auf die Zweckbestimmung des Oktogons liefern,260 kann diese allein aus Überlegungen seiner räumlichen Anordnung innerhalb des Palastkomplexes erschlossen werden. Der Bau besaß eine nach Süden, zum Meer hin gerichtete, monumentale Eingangshalle, welche wiederum über das bereits erwähnte, vom Vorgängerbau übernommene, reich ausgestattete Peristyl zugänglich war. An die kaiserlichen Appartements war der Saal gleichzeitig durch schmale Durchgänge angebunden.261 Dies macht deutlich, daß es sich um einen der wenigen Bereiche der Palastanlage handelte, bei denen eine öffentliche 254 STEFANIDOY-TIBERIOY 1995, 17–22 bes. 18 Abb. 2 (erste Phase) und 19 Abb. 3 (zweite Phase). 255 Thessaloniki AM Inv. 2466 = SculpThess I Nr. 141 [Th. Stefanidou-Tiveriou] mit Abb. 359–367. 256 STEFANIDOY-TIBERIOY 1995, 23–29 und Taf. 11 (zeichnerische Rekonstruktion). 257 Zur Erschließungssituation des Peristyls (es bildete den Zugang zum rechteckigen Saal der ersten Bauphase, aber auch zu dessen Nachfolgebau, dem Oktogon) und zu seiner reichen Ausstattung STEFANIDOY-TIBERIOY 1995, 20–22. 258 STEFANIDOY-TIBERIOY 1995, 52–56. 259 STEFANIDOY-TIBERIOY 1995, 102f. 260 Zum Befund VITTI 1996, 210–213 mit Literatur. 261 STEFANIDOY-TIBERIOY 1995, 19 Abb. 3.
Kapitel 2: Topographie und Kult
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Zugänglichkeit und wahrscheinlich zugleich die Möglichkeit des Zusammentreffens mit dem Kaiser gegeben war. Die mehrfach vorgeschlagene Deutung als Thron-, Audienz- oder Empfangssaal steht hiermit im Einklang. Die im Oktogon von Thessaloniki erkennbare monumentale Gestalt und kostbare Ausstattung262 bildet einen geeigneten Rahmen, an dem die sakral überhöhte Gestalt des Kaisers für Außenstehende ‚erreichbar‘ war – wenngleich fraglos in einer streng reglementierten Form und für einen sehr beschränkten und klar definierten Kreis von Personen: Die zeitgenössische Panegyrik bezeichnet Palast und Audienzsaal wiederholt sogar als adyton.263 Den zweiten wichtigen Ort des Aufeinandertreffens von Kaiser und Volk stellt der Hippodrom dar. Dessen Anordnung in unmittelbarer Nähe zum Palast ist dabei keine Zufälligkeit, sondern entspricht einem Schema, das sich in dieser charakteristischen Verbindung an nahezu allen spätantiken Kaiserpalästen findet. Sie alle folgen damit dem Beispiel der Kaiserpaläste auf dem Palatin in Rom und ihrer Nähe zum Circus Maximus:264 Etwa zeitgenössische Vergleichsbeispiele finden sich in Mailand,265 Antiocheia am Orontes,266 Trier,267 Konstantinopel, Aquileia268 und Sirmium.269 In Thessaloniki liegt der Hippodrom parallel zur östlichen Stadtmauer, östlich des großen Peristylgebäudes, welches als kaiserliche Appartements angesprochen werden kann. Leider bleibt die genaue Lage der 1939 von E. Dyggve an der Westseite des Hippodroms aufgefundenen ‚Kaiserloge‘ (ka262
Unklar ist die Datierung der heute noch in Resten sichtbaren polychromen marmornen Wand- und Bodenverkleidung des Oktogons; sie gehört offenbar einer Erneuerung späterer Zeit an: VITTI 1996, 211 zu Kat. Nr. 97. Maße und Form des Bauwerks lassen jedoch keinen Zweifel daran, daß der Bau von Anfang an mit einer kostbaren Ausstattung geplant war. Die Weiternutzung des Peristyls, welches bereits dem Vorgängerbau als Zugang gedient hatte, macht eine funktionale Entsprechung des Oktogons mit dem Vorgängerbau wahrscheinlich. Über die Ausstattung des rechteckigen Vorgängerbaus ist wenig bekannt, Reste der Bodenmosaiken und die Ausstattung des zugehörigen Peristyls lassen aber auch hier auf einen kostbar-repräsentativen Charakter des Bauwerks schließen. 263 Pan. Lat. XI (3) 11,3 (an Maximinianus, für Mailand): aditum uestri. VIII (5) 1,4 (an Constantinus, für Trier): adyta palatii uestri. ALFÖLDI 1970, 36 (vgl. a.a.O. 28) vergleicht den Zutritt zum Kaiser mit der Zulassung zu Mysterienreligionen, weitere Textbelege zur sprachlichen Parallelisierung von Palast und Heiligtum führt er a.a.O. 33 an. – Vgl. KOLB 2001, 41. 264 Zur Baugeschichte jüngst U. Wulf-Rheidt, Die Kaiserpaläste auf dem Palatin in Rom. Von den ‚bescheidenen Anfängen‘ unter Augustus zum urbanistischen Zentrum eines Weltreiches, Nürnberger Blätter zur Archäologie 19, 2002, 121–163. – Vgl. KOLB 2001, 81. 265 MIRABELLA ROBERTI 1984, 63–67. Zur Lage des Palastes zum Hippodrom vgl. SPIESER 1984, 106 mit Abb. 6. 266 HUMPHREY 1986, 631–632. 267 Palastbezirk und Hippodrom liegen hier verhältnismäßig weiter auseinander; HUMPHREY 1986, 603–606 nimmt eine Verbindung der beiden Komplexe durch Bauten und Gärten an. 268 HUMPHREY 1986, 621–625. 269 HUMPHREY 1986, 608–613. – POPOV,û 1993, 23 Abb. 4. 24.
2.9. Veränderung der Stadtstruktur unter der Tetrarchie
75
thisma) unbekannt,270 doch wird deutlich, daß zwischen der kaiserlichen Wohnstätte und dem Hippodrom sehr kurze Wege bestanden haben müssen. Ihren Sinn bezieht die enge Verbindung von Palast und Hippodrom aus dem spätantiken Zeremoniell öffentlicher Auftritte des Kaisers vor dem Volk, die sich zu dieser Zeit nurmehr fast ausschließlich im Rahmen von Wettspielen, also vor allem bei Wagenrennen im Circus oder bei Gladiatorenkämpfen ereignen.271 Die architektonische Anordnung von Palast und Spielstätten – eine weitere in Palastnähe bildete möglicherweise das vor einigen Jahren in geringen Resten archäologisch lokalisierte,272 in den Märtyrerakten des Hl. Demetrios273 literarisch überlieferte Theaterstadion (des 1. Jhs. n. Chr.?) – geht somit unmittelbar aus zeremoniellen Bedürfnissen hervor.274 Hierbei ist die direkte bauliche Verbindung charakteristisch, die zwischen kaiserlichen Appartements und Hippodrom beziehungsweise Stadion als ‚Kontaktstelle‘ des Kaisers zur Bevölkerung geschaffen wird. Insgesamt zeigt der Palast, der über die Spielstätten und den Audienzsaal ‚Zugänglichkeit‘ zur Person des Kaisers unter streng formalisierten Bedingungen bot, dessen Wohnräume aber gleichzeitig durch diese Bauten von der Außenwelt abgeschottet waren, eine deutliche Anpassung seiner Architektur an das Zeremoniell. Zwei Tendenzen werden hierbei gleichermaßen spürbar: Zum einen die streng reglementierte Interaktion des Kaisers mit seinem Volk und seinen Untergebenen, die sich in der Öffnung des Palastes vor allem auf die Spielstätten hin manifestiert, zum anderen
270
DYGGVE 1941, 66; vgl. hierzu VITTI 1996, 115. Vgl. etwa KOLB 2001, 81f. – Wie sehr die zeremoniellen Auftritte im Hippodrom Bestandteil der offiziellen Amtsführung waren, zeigt sich in dem Umstand, daß die Palastanlagen in Spalato / Split (VITTI 1996, 113) und Felix Romuliana / Gamzigrad (S5(-29,û 1993) – beide als Altersruhesitze des Diocletianus bzw. des Galerius geplant – nach heutiger Kenntnis keine Hippodrome besaßen. 272 Sie liegen im Bereich der Odo1w Apelloy1, nordwestlich des Palastes: G. Bele1nhw / P. Ada1m-Bele1nh, RvmaQko1 ue1atro sth Uessaloni1kh, AErgoMak 3, 1989, 241–256. ADAMBELENH 2001, 147–150 mit Abb. 126–129. Kritisch zur Deutung der bisherigen knappen Befunde hingegen VITTI 1996, 116–118 und Kat. Nr. 99, der eher ein Mausoleum in Betracht ziehen möchte. 273 S. Demetrii martyris acta, passio altera, Migne PG 116, S. 1176: e5tyxen [sc. o4 Gale1riow] e3pi2 to2 th9w po1levw ue1atron to2 kaloy1menon sta1dion a3nie1nai ue1aw e7neken tv9n monomaxei9n mello1ntvn kai2 ta2 loipa2 toy9 penta1uloy uea1mata e3pimeloy1ntvn. – Zum Problem des Theaterstadions ausführlich VOM BROCKE 60–64. 274 Zur Lage des Palastes zwischen der Flanke des Hippodroms im Osten und des Koilon des angenommenen Theaterstadions vgl. VITTI 1996 (Kartenband) Karte 8 und ADAM-BELENH 2001, 148 mit Abb. 129. Falls die Deutung der Baureste im Westen des Palastes als Theaterstadion und seine vorgeschlagene Entstehungszeit vor jener des Palastes zuträfen, wäre dies ein Hinweis darauf, daß sich die Lage des Palastes an eben diesem älteren Stadion orientiert hätte. 271
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Kapitel 2: Topographie und Kult
die bauliche Abgeschlossenheit des privaten Palastteils, die den gottgleichen Herrscher von der umgebenden Stadt isolierte. Zusammenfassend ist zu sagen, daß sich die Gesamtanlage des galerianischen Palastkomplexes als von vielfältigen ideologischen Bezügen durchdrungen erweist: Einen zentralen Punkt stellte der Galeriusbogen (errichtet nach 298, wohl vor 303) dar, der im Bildprogramm seines Reliefschmucks – die Eintracht der Tetrarchen sowie der Triumph des Galerius über die Perser – die Grundlagen des tetrarchischen Herrschaftssystems im allgemeinen wie die Grundlagen der Herrschaft des Galerius im speziellen formulierte. Er fungierte als räumliches Bindeglied: In OstWest-Richtung zwischen Palastbezirk und den übrigen Stadtteilen, in Nord-Süd-Richtung zwischen Palast und Rotunde, dem mutmaßlichem Mausoleum. Weitere sinnreiche Bezüge stellten daneben die engen räumlichen Verbindungen zwischen Kaiserappartements und Spielstätten dar. Hierbei ist bemerkenswerterweise eine deutliche Parallelisierung festzustellen: Wurde in Hippodrom und Stadion der Kaiser zu Lebzeiten gefeiert, so stellte das Mausoleum die Stätte seiner postumen Verehrung dar. Diese Bauten, die den eigentlichen Palast, also die um ein Peristyl herum angeordneten Wohnräume des Kaisers, wie ein Kranz umringten, sorgten damit nicht nur für die räumliche Abgeschiedenheit des zum dominus et deus gewordenen Herrschers. Sie stellten vielmehr ein Instrument der Legitimation und Propaganda dar und waren somit der architektonische Ausdruck der sakralen Überhöhung des tetrarchischen Herrschers. 2.9.4. Stadtentwicklung in der Tetrarchenzeit Die Errichtung des Palastkomplexes und der damit verbundene städtebauliche Eingriff markiert einen Wandel sowohl im übergeordneten politischen System wie auch für Thessaloniki selbst, welches nun als Residenzstadt bedeutendes politisches Zentrum wird und gleichzeitig dem unmittelbaren Einfluß höfischen Lebens unterliegt. Seine Errichtung bedeutet nicht nur eine radikale Umgestaltung der Stadtstruktur, sondern sie markiert auch den Beginn der Auflösung alter städtischer Organisationsformen, die sich dann unter Galerius’ Nachfolger Theodosius etwa in der Auflassung der öffentlichen Gebäude im Bereich der Agora vollzieht. Was die verfügbaren epigraphischen Quellen anbelangt, ist die Zeit der Tetrarchenherrschaft in Thessaloniki leider äußerst schlecht belegt: Die Inschriftentexte, welche für die vorangegangenen Phasen der Kaiserzeit die wichtigste Quellengattung dargestellt hatten, gehen ab etwa der Mitte des 3. Jhs. massiv zurück. Für das beginnende vierte Jahrhundert liegen sehr wenige Texte vor, die zudem kaum mehr Auskunft über das sakrale und gesellschaftliche Leben in der Stadt geben. Aus diesem Grunde lassen sich kaum Aussagen etwa über die Frequentierung der bis dato in der Stadt be-
2.9. Veränderung der Stadtstruktur unter der Tetrarchie
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legten Kulte oder über die Aktivitäten der im 2. und 3. Jh. politisch bestimmend gewesenen Schichten treffen. Weite Bereiche des öffentlichen Lebens verschwinden damit aus der Überlieferung; sie sind mangels sicher datierbarer Befunde aus dem übrigen Stadtgebiet, etwa von der Agora, auch kaum aus archäologischen Quellen zu ergänzen. Unbekannt bleiben auch die Auswirkungen, welche die Anwesenheit des Kaisers und seiner Hofhaltung auf das öffentliche Leben der Stadt hatte. Unklar bleibt aber leider auch, inwieweit hier die festgestellten ‚Schnittstellen‘ des Palastes zur Stadtbevölkerung, die sich vor allem in den Institutionen Hippodrom und Audienzsaal greifen lassen, über die Bereiche populärer Freizeitgestaltung für breitere Volksschichten oder der Audienzgewährung für elitäre Kreise hinaus wirksam wurden. Zu den nachvollziehbaren Veränderungen, welche die Erhebung Thessalonikis zur Residenzstadt mit sich brachte, gehört immerhin der Zustrom verschiedener, mit dem Palast verbundener Bevölkerungsschichten. Hierzu ist beispielsweise hochrangiges ziviles und militärisches Verwaltungspersonal zu rechnen, welches sich zum Großteil wohl nicht aus der lokalen Aristokratie rekrutierte, somit in der Stadt keinen Grundbesitz besaß und sich deshalb vermutlich überwiegend in vormals unbebauten Gebieten im Norden und Osten des Stadtkerns niederließ.275 Etwa 10 bisher bekanntgewordene, reich ausgestattete Villen mit apsidialem triclinium, ein für Thessaloniki vormals unbekannter Bautypus, lassen sich mit der neuen Gesellschaftsschicht verbinden.276 Die luxuriöse Ausgestaltung dieser Häuser mit aufwendigen Mosaikböden sowie die Aufnahme des auch im galerianischen Palastkomplex belegten Raumtypus des triclinium277 zeigt die unmittelbare Ausstrahlung der Palastkultur auf die Architektur und die Lebensweise der an den Hof gebundenen Oberschicht. Daß der neue Residenzstatus zur Anwesenheit vieler weiterer Berufsstände in der Stadt führte, kann daneben aus allgemeinen Überlegungen zum personellen Bedarf einer kaiserlichen Hofhaltung erschlossen werden. Konkret zu belegen ist dies für einzelne Berufsgruppen, etwa für die – wahrscheinlich vor allem aus Kleinasien stammenden278 – Angehörigen der kaiserlichen Bildhauerwerkstätten. Ein weiteres Zeugnis ist eine Stelle der Demetriosvita, die sich auf Lyaios, einen bevorzugten Gladiatoren des Galerius bezieht, welcher oy3 mo1non e3n 4Rv1mh polloy2w ei3w th2n loy9don a3nürh1kei, a3lla2 kai2 e3n tö9
275
VITTI 1996, 155. KARYDAS 1996. – ADAM-BELENH 2001, 174–175. – RomThess 160 [P. Adam-Veleni]. 277 Vgl. VITTI 1996, 218–220 (Kat. Nr. 101 mit Abb. 31, dort, mit Fragezeichen versehen, als ‚Tempel‘). Der in der älteren Literatur als Kabeirostempel oder Nymphaeum bezeichnete Bau (Lit. bei VITTI 1996 a.a.O.) wird von KARYDAS 583f. m.E. zu Recht als Triclinium bezeichnet. 278 STEFANIDOY-TIBERIOY 1995, 117f., vgl. ebd. 96. 276
Kapitel 2: Topographie und Kult
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Sermi1ö kai2 e3n tü9 Uessalonike1vn po1lei.279 Da die genannten Orte nicht nur kaiserliche Residenzen sind, sondern Sirmium ebenso wie Thessaloniki eng mit Galerius verbunden ist, legt dies nahe, daß Gladiatoren und Tierkämpfer im Gefolge des Herrscherhofes dem Kaiser an seine jeweiligen Aufenthaltsorte gefolgt sind. Mit großer Sicherheit in den Kreis mit dem Palast verbundener Personen weist ein in Makedonien singuläres Zeugnis für den Kult der keltischen Göttin Epona. Es handelt sich um ein außergewöhnlich qualitätvolles Relief mit der Darstellung der thronenden, von zwei Pferdepaaren flankierten Göttin, das sich stilistisch direkt mit den Werkstätten verbinden läßt, die Anfang des vierten Jahrhunderts für den Hof des Galerius tätig waren.280 Ob man die Anwesenheit des Eponakultes mit dem aus dem Donauraum stammenden Kaiser selbst in Verbindung bringen kann,281 bleibt unsicher. Denkbar ist genauso eine Verehrung durch hohe Militärs oder Beamte aus anderen Reichsteilen, doch könnte letztlich jede Gruppierung im Umfeld des Palastes am Kult beteiligt gewesen sein.282 Die Singularität des Fundes läßt annehmen, daß der Kult der Epona in Thessaloniki keine weitere Verbreitung gefunden hat. Aus der Zugehörigkeit des Reliefs zum personellen Umkreis des Palastes, von der mit hoher Wahrscheinlichkeit auszugehen ist, darf also gleichzeitig eine enge Beschränkung des Eponakultes auf das Umfeld des kaiserlichen Hofes gefolgert werden. Die im übrigen Thessaloniki ausgebliebene Verbreitung des fremden Kultes läßt erkennen, daß dessen ‚Diffusion‘ nicht unabhängig von seiner – in der Stadt offenkundig isolierten stehenden – Trägergruppe erfolgen konnte. Das Beispiel des von außen nach Thessaloniki gebrachten, aber dort ohne jede Verbreitung gebliebenen Eponakultes zeigt somit klar die Grenzen auf, die für die Integration von stadtfremden Kulten bestehen mußte, wenn die Gruppe ihrer Träger von ihrer Außenwelt abgeschottet blieb.
279
Zur Stelle X. Mpakirtzh9w, 4Agi1oy Dhmhtri1oy uay1mata (Thessaloniki 1997) 38d. Thessaloniki AM Inv. 3056. STEFANIDOY-TIBERIOY 1995 bes. 94f. SculpThess I Nr. 148 [Th. Stefanidou-Tiveriou] mit Abb. 372. 281 Diese Möglichkeit spricht Th. Stefanidou-Tiveriou, SculpThess I 196 an. 282 Die Kultbeteiligung ergibt sich hier vielleicht eher durch die Herkunft aus Gegenden, in denen Epona traditionell verehrt wurde, als durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht innerhalb des Palastpersonals. 280
Kapitel 3 Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
Ausgewählte Kulte Thessalonikis 3.1. Das Heiligtum der ägyptischen Götter 3.1. Das Heiligtum der ägyptischen Götter Das Heiligtum der ägyptischen Götter von Thessaloniki wurde in der Literatur wiederholt als eines der bedeutendsten seiner Art im griechischen Raum bezeichnet, in seiner Bedeutung nur den Heiligtümern der ägyptischen Götter der Insel Delos nachstehend.1 Dieser Ruhm gründet sich vor allem auf die über 70 dort aufgefundenen Inschriften, welche die Kulte der ägyptischen Götter zum bestbelegten Kult von Thessaloniki machen. 2 Bedeutend ist dabei der Umstand, daß – im Unterschied zur relativ begrenzten Wirkungsdauer der delischen Heiligtümer – die kultischen Aktivitäten in Thessaloniki durch die inschriftlichen Zeugnisse über fünf Jahrhunderte hinweg belegt werden, vom Beginn des dritten vorchristlichen Jahrhunderts bis mindestens ins dritte nachchristliche Jahrhundert hinein. Die älteste der Inschriften, eine Weihung an Sarapis und Isis,3 wurde vom Herausgeber Charles Edson an das Ende des 3. Jahrhunderts vor Christus datiert; die jüngsten – allerdings vom Herausgeber nur innerhalb großer Spannen datierten – Weihungen reichen ins dritte Jahrhundert hinein;4 eine bauliche Erneuerung des ‚Apsistempels‘ könnte noch am Beginn des vierten Jahrhunderts nach Christus stattgefunden haben. Daneben wurde immer wieder vermutet, daß der Kult bereits kurz nach Gründung der Stadt Thessaloniki 1
Vgl. z.B. EDSON 1948, 182. WILD 1984, 1824 Anm. 216. Mit der Fundortangabe ‚Serapeion‘ versehen sind die Inschriften IGThess 3, 15–16, 33, 37, 51, 53, 59, 61, 73–124 (hiervon 84 und 103 auf demselben Stein in Zweitverwendung; bei IGThess *112 Fundort nur vermutet), 221–222, 244, 254–259 sowie die stark fragmentierten Inschriften 945–950. Den Fundortvermerk prope Serapeum inventa tragen IGThess 27–28 und 67–72 (für IGThess 27–28 vgl. die ergänzenden Angaben von PELEKIDHS 1934, 25). Nicht im Heiligtum aufgefunden, aber inhaltlich mit Kulten der ägyptischen Götter verbunden sind IGThess 58, 192 und *220. Die als Grababdeckung wiederverwendet aufgefundene Inschrift SEG 43, 1993, 458 = TRAKOSOPOYLOY-SALAKIDOY 1993, 1542 war höchstwahrscheinlich ebenfalls ursprünglich im Heiligtum aufgestellt. 3 IGThess 75 (Weihung an Sarapis und Isis). 4 Die Wiederverwendung der Stele mit der Weihinschrift an Isis, TRAKOSOPOYLOYSALAKIDOY 1993, 1542, als Abdeckung eines Grabes könnte zeitlich mit der Auflassung des Heiligtums zusammenzuhängen; das genannte Grab ist jedoch leider nur grob ins 4. Jhs n. Chr. datiert. 2
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
(wohl kurz nach 315 v. Chr.5) eingerichtet worden sei, auch wenn direkte Zeugnisse dafür fehlen.6 Das Verbot Philipps V. aus dem Jahre 187 v. Chr., den Tempelschatz des Sarapis für städtische Zwecke zu verwenden oder zu beleihen, wurde als Hinweis auf einen zu dieser Zeit finanziell etablierten, mithin bereits seit einigen Jahrzehnten bestehenden Kult verstanden.7 Die aufgefundenen Bautenreste hingegen sind leider zu schlecht dokumentiert, als daß sie zur Datierung des Kultbeginns beitragen könnten. Im krassen Gegensatz zur Bedeutung des Heiligtums in Thessaloniki steht die äußerst ungenügende Publikationslage: Mit Ausnahme der Vorlage von vier Inschriften8 unterließ es der Ausgräber Stratis Pelekidis leider, über die Ergebnisse seiner um das Jahr 1920 erfolgten Grabungen zu berichten. Das wenige, was uns über einzelne der freigelegten Bauten überliefert ist, stammt aus diversen, aber kurzen und durchweg kursorisch gehaltenen Abschnitten der jahrgangsmäßig zusammengestellten Fundanzeigen einiger Zeitschriften. Ein einziger Bau nur, der im Jahre 1939 ebenfalls unter der Leitung von Pelekidis freigelegt wurde, wurde von dessen Grabungsassistenten Ch. Makaronas etwas genauer beschrieben, doch auch diese Publikation ist ohne Grundrißplan und mit lediglich zwei Textseiten in ihrem Umfang und ihrer Aussagekraft allenfalls als Vorbericht zu bezeichnen. Weitere knappe Angaben sind über eine Anzahl summarischer Fundanzeigen in verschiedenen Zeitschriften verstreut. Eine gemeinsame Publikation der Grabung und ihrer Funde bleibt somit ein seit Jahrzehnten bestehendes Desiderat.
5 Zum Gründungsdatum M. Zahrnt, Olynth und die Chalkidier. Untersuchungen zur Staatenbildung auf der Chalkidischen Halbinsel im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. (München 1971) 119. 188f. 6 DUNAND 1973, 53f. 182. – FRASER 1960, 39. 7 IGThess 3 mit Taf. 1 (187 v. Chr.): Para2 3Androni1koy. To2 dia1/gramma, o7 ape1sstalka pro2w / y4ma9w, diape1mcanto1w moi toy9 ba/sile1vw peri2 tv9n toy9 Sara1pidow / xrhma1tvn, e5gdote a3nagra1ca[i]/ ei3w sth1lhn liui1nhn kai2 a3nauei9n / e3n tv9i i4erov9i, o7pvw ei3dv9sin oi4 / pro2w toy1toiw o5ntew v4w kri1nei gi1ne/suai. 5Et(oyw) e’ kai2 l’, Daisi1oy ie’. / Dia1gramma, o4 e5uhken basiley2w / Fi1lippow. Tv9n de2 toy9 Sara1pidow / [x]rhma1tvn mhuei2w a3pallotrioy1tv / mhue2n kata2 mhue1na tro1pon mhde2 y4/potiue1tv mhde2 tv9n a5llvn a3nauh/ma1tvn mhde2 grafe1tv peri2 toy1/tvn ch1fhsma mhuei1w. 3Ea2n de1 tiw poi/h1sü ti tv9n a3phgoreyme1nvn, e5noxow / [e5st]v toi9w e3piti1moiw th9w fvra9w kai2 / [to2 a3pa]llotrivue2n e3k tv9n y4parxo1n/[tvn] ay3toy9 praxue2n ei3w to2 i4ero2n / [a3pok]atastauh1tv. 4Omoi1vw de2 mh2 / [oi4 uh]sayroi2 toy9 ueoy9 a3noige1suvsan / [a5ney] toy9 e3pista1toy kai2 tv9n dika/[stv9n] mhde2 ta2 e3k toy1tvn xrh1mata / [a3nali]ske1suvsan a3lo1gvw a3lla2 / [meta2] th9w toy1tvn gnv1mhw. Ei3 de2 mh2, / [o4 poih1]saw ti toy1tvn e5noxow e5stv / [toi9w a]y3toi9w e3piti1moiw. – Vgl. FRASER 1960, 39. 8 PELEKIDHS 1934, 4–5 (Selbstoffenbarung der Isis = IGThess 254) sowie 7–23 (diagramma Philipps V. = IGThess 3). Zwei weitere a.a.O. publizierte Inschriften (IGThess 27. 28) wurde in Zweitverwendung im Heiligtum verbaut gefunden, sie beziehen sich auf den städtischen Dionysoskult.
3.1. Das Heiligtum der ägyptischen Götter
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Die spärlichen und unbefriedigenden Berichte zu den Befunden der alten Grabungen haben dazu geführt, daß die neuere Forschung hieraus zum Teil eigene Interpretationen entwickelt und später als gegebene Befunde hingenommen hat. Es hat sich so im Laufe vieler Jahre ein recht kompliziertes Gespinst aus voneinander abhängigen Deutungs- und Datierungsvorschlägen entwickelt, ohne daß diese Abhängigkeiten den jeweiligen Bearbeitern immer bewußt gewesen zu sein scheinen. Dadurch besteht in der Literatur zum ‚Serapeion‘ heute eine Vielzahl von Mißverständnissen und widersprüchlichen Aussagen, in Einzelfällen haben sich sogar in den Quellen unbelegte Grabungsbefunde eingeschlichen, die man nur als freie Erfindung bezeichnen kann. Es ist somit für unsere Kenntnis des Grabungsplatzes dringend erforderlich, aber auch lohnend, die Überlieferungen zu den Grabungsbefunden ebenso wie die bisherige Forschungsliteratur – zum Teil auch über das im Rahmen dieser Forschungsarbeit unmittelbar notwendige Maß hinaus – kritisch in Augenschein zu nehmen. 3.1.1. Lage des Heiligtums, Befunde und Bauten Die Freilegung von baulichen Überresten des Heiligtums der ägyptischen Götter erfolgte erstmals nach dem verheerenden Stadtbrand von 1917, welcher das gesamte südöstliche Stadtgebiet Thessalonikis eingeäschert hatte. Die Grabungen wurden durch Inschriftenfunde veranlaßt9 und standen im Zusammenhang mit Arbeiten zur Enttrümmerung und zur Neuanlage eines Straßenzuges, der heute diagonal zum rechtwinkligen Straßenraster der Stadt verläuft10 und dabei den im Bereich des ehemaligen ‚Goldenen Tores‘ (und gleichzeitig im Verlauf der heutigen innerstädtischen Odo1w Egnati1a) gelegenen Platz (heute Platei1a Dimokrati1aw beziehungsweise Bardari1oy) mit der Odo1w Agi1oy Dhmhtri1oy im Bereich des Gebäudes des sogenannten ǻȚȠȚțȘIJȒȡȚȠȞ11 verbindet. Die Ausgrabung der mindestens vier Bauwerke,12 die einstmals Teile des Heiligtums der ägyptischen Götter 9
MAKARONAS 1940, 464. Chronique des fouilles, BCH 45, 1921, 540f. MAKARONAS 1940, 464 mit Anm. 3. – Dieser diagonale, im Gelände nach Westen hin ansteigende Straßenzug ist die heutige Odo1w Karaolh1 kai Dhmhtri1oy tvn Kypri1vn, die Einheimischen auch heute noch unter den älteren Benennungen Diagv1niow Bardari1oy beziehungsweise Odo1w Dioikhthri1oy geläufig ist, welche ebenfalls in der Literatur zu finden sind. 11 Das heutige Ministerium für Nordgriechenland, nördlich der Platei1a Kypri1vn Agvnistv11n bzw. Dioikhthri1oy. 12 Diese Zahl beinhaltet nicht die von MAKARONAS 1940, 464 summarisch erwähnten ‚verschiedenen anderen Bauten‘ (įȚȐijȠȡĮ ȐȜȜĮ țIJȓıȝĮIJĮ) aus den Grabungen der 1920er Jahre sowie die ebd. 465 genannten ‚anderen Bauten von geringerer Bedeutung, die aus kleinen Räumen bestanden‘ (ȐȜȜĮ țIJȓıȝĮIJĮ įİȣIJİȡİȣȠȪıȘȢ ıȘȝĮıȓĮȢ, synista1mena e3k mikrv9n dvmati1vn) aus der Grabung von 1939, welche er als ‚dem Heiligtum mit Sicherheit zugehörig‘ bezeichnet (anh1konta bebai1vw ei3w to2 i4ero1n). 10
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
bildeten, wurde in zwei Etappen vollzogen: erstmals in mehreren Kampagnen in den Jahren nach dem Stadtbrand von 191713 in dem Bereich, den heute der eben genannte Straßenzug einnimmt; dann zu Beginn des Jahres 1939,14 wahrscheinlich aus Anlaß der bevorstehenden Neubebauung eines an die erste Fundstelle angrenzenden privaten Grundstückes und nur wenige Meter von jener entfernt, im heute bebauten Bereich unmittelbar südlich der Straße.15 Die in der bisherigen Literatur referierten Angaben zum heute überbauten Fundort weichen zum Teil erheblich voneinander ab.16 Lange Jahre war man auf die Angabe des Ausgräbers Makaronas angewiesen, die Fundstelle 13 Die Angaben in der Literatur über das Datum der ersten Grabung schwanken. Eingegrenzt wird die Zeit der Auffindung durch den Stadtbrand vom 8./15. (julianischer / gregorianischer Kalender) August 1917 (der Plan BCH 45, 1921, 539 Abb. 13 nennt als Branddatum hingegen den 18.–19. August) und die Publikation im BCH von 1921. VITTI 1996, 147f. und passim nennt ‚um 1917‘ bzw. 1917, Edson nennt in IGThess als Funddatum der Inschriften aus der ersten Grabungsetappe vereinzelt das Jahr 1920 (z.B. IGThess 3; 27; 37; 254 u.a.). Der Fundbericht BCH 45, 1921, 540 nennt Anm. 3 eine Zeitungsmeldung der ȀĮșȘȝİȡȚȞȒ vom 22.10./5.11.1921 (welche ein den Grabungen zeitlich nahes Datum wiederspiegeln dürfte) und spricht Anm. 1 von einer möglichen Fortführung der Grabungen im Jahr 1922. Mindestens noch eine weitere Kampagne ist im Jahr 1925 gefolgt, auf die sich W. Wrede, Archäologische Funde des Jahres 1925, AA 41, 1926, Sp. 430 bezieht sowie der nur sechs Zeilen umfassende Bericht BCH 48, 1924, 497, welcher Anm. 5 eine Zeitungsmeldung der ǼșȞȚțȒ ĭȦȞȒ vom 5.3.1925 nennt. 14 Vgl. Otto Walter, Archäologische Funde von Frühjahr 1939 bis Frühjahr 1940, AA 1940, Sp. 260 und 263: „ ... in den ersten Monaten des Jahres 1939 ...“, vgl. auch EDSON 1948, 182: „Early in 1939 ...“. Hans v. Schoenebecks durch seinen Tagebucheintrag belegter Besuch an der Grabungsstelle fand Ende Februar 1939 statt, zu dieser Zeit wurde an der Grabungsstelle noch gearbeitet. Ein Funddatum (für den auf dem besagten VasiloglouGrundstück gefundenen weiblichen Kopf Thessaloniki AM Inv. 1011) von 1938 nennt hingegen NEUMANN 1993, 213 in Übereinstimmung mit den Museumsinventaren (vgl. SculpThess I zu Nrn. 27 und 80). 15 Vgl. MAKARONAS 1940, 465. 16 Zu diesem Problem bislang am ausführlichsten VOM BROCKE 37 Anm. 70: Vgl. etwa den Plan bei TOURATSOGLOU 1995, 84f. Abb. 105, welcher als „Gebiet des Serapeions“ den Bereich nördlich der ȅįȩȢ ȀĮȡĮȠȜȒ țĮȚ ǻȘȝȘIJȡȓȠȣ IJȦȞ ȀȣʌȡȓȦȞ angibt. Die Überlegungen VOM BROCKEs zu der seiner Auffassung nach heute verschwundenen Rue Diagonale (BCH 45, 1921, 540) sind allerdings insofern unzutreffend, als diese erste Veröffentlichung das Heiligtum noch in einen älteren Stadtplan einzeichnet (ebd. 539 Abb. 12, Lage dort mit ‚A‘ bezeichnet, vgl. ebd. 541 Anm. 2), welcher den Zustand des Straßenverlaufs vor der auf den Stadtbrand folgenden Neuordnung darstellt (dort auch die partie incendiée des Stadtgebietes markiert) und daneben davon spricht, die Auffindung des Serapistempels sei erfolgt „en traçant la Rue Diagonale, qui unira [Futur!] le Vardar [= das die heutige Plateia Dimokratias bzw. Vardariou umgebende Stadtviertel] au Konak [= das heutige sogenannte ǻȚȠȚțȘIJȒȡȚȠȞ]“. Der Straßenzug hat also mitnichten „im heutigen Stadtplan keine Entsprechung mehr“ (VOM BROCKE a.a.O.), sondern wurde in den Jahren um 1920 überhaupt erst angelegt und besteht bis heute als die genannte ȅįȩȢ ȀĮȡĮȠȜȒ țĮȚ ǻȘȝȘIJȡȓȠȣ IJȦȞ ȀȣʌȡȓȦȞ. Die von VITTI 1996 publizierten großformatigen Pläne (hier insb. Plan 1 mit den in den modernen Stadtplan eingezeichneten antiken Befunden) scheinen VOM BROCKE noch nicht bekannt gewesen zu sein.
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von 1920 sowie die nur wenige Meter entfernt gelegene von 1939 befinde sich kata2 to2 me1son peri1poy th9w diagvni1oy Bardari1oy, also auf annähernd halben Wege zwischen Dioikhth1tion und Platei1a Bardari1oy.17 Ein topographisch exakter Lageplan der ergrabenen Bauten, der diese in der Art eines Katasterplans in die heutigen Grundstücksgrenzen einfügt, wurde erstmals 1996 von Massimo Vitti publiziert.18 Dieser lokalisiert das Heiligtum im unteren Drittel der genannten Straße, zum Teil genau unter dem Straßenpflaster gelegen,19 zum Teil südlich davon in einem heute von mehrstöckigen Gebäuden bebauten Bereich. Neben dem Fehlen einer topographisch genauen Lokalisierung des Heiligtums im Stadtgebiet hatte die bisherige Publikationslage auch zur Folge, daß Grundrißpläne der ergrabenen Bauten nicht verfügbar waren. Robert A. Wild hatte als Notbehelf einen provisorischen Grundrißplan veröffentlicht, der die aus der Literatur bekannten Gebäude des Heiligtums zumindest versuchsweise anordnet.20 Insbesondere seine Wiedergabe des Apsistempels dürfte dabei auf das bekannte Gipsmodell des Baus im Archäologischen Museum Thessaloniki zurückgehen. Der Vergleich dieses rekonstruierten Grundrißplanes mit den völlig davon abweichenden Gebäudegrundrissen in den Stadtplänen von Vitti zeigt die Unzulänglichkeit dieses 17
MAKARONAS 1940, 464 (= ADAM-BELENH 1985, 344). Diese Publikation bezieht sich auf die Grabung von 1939, welche auf dem ‚nur wenige Meter südöstlich von diesem Tempel [= jenem der ersten Grabung] gelegenen Grundstück des Kaufmanns Sot. Vasiloglou‘ erfolgt sei, also in dem heute von Häusern bestandenen Bereich, der auch auf dem Plan Vittis südöstlich von den unter der heutigen Straße befindlichen Baubefunden eingezeichnet ist. Wie groß die 1939 ergrabene Fläche war, geht aus dieser Angabe Makaronas’ nicht hervor. 18 Vitti scheint sich der Genauigkeit seines Planes 1 (VITTI 1996, Kartenband) in diesem Punkt selbst nicht ganz sicher zu sein; dies zumindest läßt seine Bemerkung S. 50 Anm. 31 vermuten, wo er schreibt, ein für die Lokalisierung des ‚Serapeions‘ seinen eigenen Plänen zugrunde liegender, im Archäologischen Museum von Thessaloniki ausgestellter Plan basiere ‚offensichtlich‘ (ʌȡȠijĮȞȫȢ) auf Unterlagen im Archiv des Museums, und zur Lokalisierung weiterhin auf die heute kaum mehr hilfreichen Angaben von W ITT 1970, 324 verweist. Jener beschreibt einen zweiten Besuch am überbauten Fundort, an den ihn bereits am Vortag der Ausgräber Makaronas persönlich geführt habe, folgendermaßen: „I was standing on the pavement outside the building with its red-lettered name ȈȅǺǿǼȉǿȀǹǿ ǺǿȅȂǾȋǹȃǿǹǿ, half way up the sloping eastern side of Odos Dioiketeriou [= die zum Dioikhth1rion führende heutige Odo1w Karaolh1 kai Dhmhtri1oy tvn Kypri1vn]. […] [Ein Anwohner] was telling me how as a boy he had played amid the ruins which lay two or three metres under the street just were we stood.“ 19 Es handelt sich hierbei um die in den Jahren nach 1917 ergrabenen Bereiche. Schon die Angabe der Fundanzeige BCH 45, 1921, 540, der Fund sei bei Anlage („en traçant“) der Straße erfolgt, weist auf die Lage der Grabungsstelle im Bereich des heutigen Straßenplanums hin. 20 STEIMLE 2004, 295 Abb. 2 Dieser Plan wurde von R.A. Wild zweifach publiziert (W ILD 1981, 187 Abb. 30. – WILD 1984, 1825 Abb. 45), er geht nach seinen Angaben (WILD 1981, S. XII zu Abb. 30. WILD 1984, 1834 Anm. 216) zurück auf einen Rekonstruktionsversuch bei Daniel Fraikin, Note on the Sanctuary of the Egyptian Gods in Thessalonica, Numina Aegaea 1, 1974, 1–6.
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
Provisoriums nur allzu deutlich, ohne daß Vittis kleinformatige Gebäudegrundrisse einen brauchbaren Ersatz darstellen würden. Umgekehrt lassen sich die Grundrisse in den Plänen von Vitti nicht mit dem Wenigen in Einklang bringen, was an Gebäudeplänen aus den Grabungen bekannt geworden ist.21 Vittis ansonsten sehr detaillierter und mit Grundrissen versehener Fundkatalog enthält für das Heiligtum der ägyptischen Götter keine Gebäudepläne und nennt darüber hinaus nicht einmal alle der (wenn auch nur als Erwähnung) bekanntgewordenen Gebäudereste.22 Detailliertere Grundrißpläne konnten vom Verfasser im Archiv des Archäologischen Museums Thessaloniki ausfindig gemacht und erstmals publiziert werden.23 Diese Pläne sind allerdings ohne die zugehörigen Grabungsaufzeichnungen – diese sind offenbar verschollen24 – nur von beschränktem Wert, da Angaben beispielsweise zu Bauphasen, zur Datierung oder zum gleichzeitigen Bestehen von Bauten fehlen. Somit besteht nach wie vor kaum eine Grundlage, um über eventuelle funktionale Beziehungen der Gebäude untereinander und über die Bedeutung der Einzelbauten innerhalb des Heiligtums auch nur zu spekulieren. Über die Bedeutung der bekanntgewordenen Bautenreste sind somit nur sehr eingeschränkte Aussagen möglich. Dies betrifft neben ihrer Funktion etwa die Frage nach ihrer Weihung an eine oder mehrere Gottheiten. Der Ausgräber Ch. Makaronas war sich zwar sicher, daß alle der aufgefundenen Bauten zu einem einzigen Heiligtum gehörten,25 doch sind die Grenzen und die ursprünglichen Ausmaße dieses Heiligtums völlig unbekannt.26 Die geringe Größe der Bauten hatte R.A. Wild sogar zu der Ansicht geführt, der central temple des Heiligtums befinde sich überhaupt nicht unter den bisher aufgefundenen Bauten.27
21 Dies gilt besonders für den mit einer Apsis versehenen Tempel der Grabung von 1939, der sich im heute überbauten Bereich befunden hat; VITTI 1996 (Kartenband) Plan 1 läßt diesen charakteristischen Grundriß nicht erkennen. 22 VITTI 1996, 174f. Nr. 47. 23 STEIMLE 2004, 295 Abb. 1. 301 Abb. 3. 24 Im Archäologischen Museum Thessaloniki befinden sich keine Grabungsdokumentationen der ‚Serapeion‘-Grabungen aus der Zeit bis 1939. 25 MAKARONAS 1940, 464. 26 Eine Grenze des heiligen Bezirks wurde bei den Ausgrabungen offenbar nicht nachgewiesen. VITTI 1996, 82 vertritt die Ansicht, die im Verlauf der heutigen ȅįȩȢ ǹȞIJȚȖȠȞȚįȫȞ archäologisch nachgewiesene Pflasterstraße aus römischer Zeit (vgl. VITTI 1996, 176 Nr. 49 sowie [Kartenband] – seine Pläne mit Nrn. 47 [‚Serapeion‘] und 49) begrenze den Heiligtumsbezirk nach Südosten hin. Als – m.E. mißverstandenen – Beleg hierfür nennt er allerdings die zweimalige inschriftliche Nennung der Weihung eines dromos in Inschriften aus dem Heiligtum (IGThess 111 und 118); zum Problem vgl. hier Anm. 95. 27 WILD 1984, 1825: „It is my own belief that the Thessalonica precinct was quite extensive and that the central temple is not among the stuctures reported to date since none of these appear to have been very large.“
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Abb. 3: Thessaloniki, Heiligtum der ägyptischen Götter. Übersichtsplan. A = der um 1920 freigelegte Antentempel; B = der 1938/1939 freigelegte Apsistempel.
Abb. 4: Marmornes Giebelfragment eines unbekannten Bauwerks aus dem Heiligtum der ägyptischen Götter, (kaiserzeitlich?), vgl. hier Anm. 29. Thessaloniki AM Inv. 858.
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Ob man einen solchen ‚zentralen Tempel‘ jedoch überhaupt und dann als großformatiges Bauwerk voraussetzen muß, ist fraglich; auch das vollständig ergrabene Isisheiligtum in Dion besteht aus kleinteiligen Bauten.28 Das Fehlen einer Publikation macht sich ebenso schmerzhaft bei der Interpretation der Begleitfunde bemerkbar. Kleinfunde und Keramik, von deren Auftreten bei der Freilegung eines Heiligtums man wohl ausgehen darf, sind in den Fundanzeigen nicht einmal erwähnt.29 Neben ihrem Wert für Fragen der Datierung wären erfahrungsgemäß gerade diese Fundgruppen in der Lage, ein umfassenderes Bild über das ‚alltägliche‘ Kultgeschehen zu vermitteln; ihr Fehlen führt somit zum Ausfall ganzer sozialer oder ritueller Gruppen in der Überlieferung. Dies betrifft potentiell solche Fälle, in denen beispielsweise die Aktivität im Heiligtum so ‚gering‘ war, daß sie keinen epigraphischen Niederschlag fand, betrifft aber auch Kultteilnehmer, bei denen etwa mangelndes finanzielles Vermögen die Stiftung einer Inschrift verhinderte. Die an den ägyptischen Kulten in Thessaloniki Beteiligten werden für uns somit fast ausschließlich epigraphisch sichtbar. Die Fundsituation der zahlreichen Skulpturen und Inschriften ist nur in seltenen Ausnahmefällen genau und nachvollziehbar belegt. Meistens sind Zeitpunkt und Ort der Auffindung der Stücke nur über ihre Erwähnung in den Fundanzeigen den einzelnen Grabungskampagnen zuzuordnen, die sich daran anknüpfende räumliche Zuordnung hingegen muß zwangsläufig vage bleiben. Weitergehende Angaben, insbesondere zur Verbindung von Skulpturen mit bestimmten Gebäuden des Heiligtums oder darüber, ob die Auffindungssituation Erkenntnisse zur ursprünglichen Aufstellung vermittelte, fehlen – mit zwei Ausnahmen30 – völlig. Wie der erste Band des Skulpturenkataloges des Archäologischen Museums Thessaloniki zeigt, helfen hier nicht einmal die Museumsinventare weiter: Zusätzlich zur stereotypen und zu allgemein gehaltenen Fundortangabe ‚aus dem Serapeion‘ wird deren Aussagewert dadurch vermindert, daß manche Skulpturenfunde
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PANDERMALIS 1982. Einzige Ausnahme bilden hierbei „nombreuses monnaies romaines“: BCH 45, 1921, 541. Im Magazin des Archäologischen Museums Thessaloniki befindet sich ein kleiner unbearbeiteter Komplex von Münzen mit Fundortangabe ‚Serapeion‘ (freundliche Mitteilung D. Ignatiadou, Thessaloniki). – Der Katalog der Architekturteile des Archäologischen Museums Thessaloniki (KAMThess) verzeichnet ein einziges Stück, Inv. 242 (191) mit Abb. Taf. 29 mit Herkunftsvermerk e3k toy Sarapei1oy, Uessaloni1kh. Es handelt sich um das Fragment eines marmornen Daches (Inv. AM 858); der erhaltene Block bildet die aus einem Stück gefertigten Giebelecke mit Dachfläche, Schräggeison, Sima und traufseitigen Löwenkopfwasserspeiern. Der monolithischen Fertigung und den geringen Maßen (L 1,44 m, H 0,40 m, B 0,85 m) nach muß das Bauteil für ein kleines tempelartiges Gebäude bestimmt gewesen sein; vgl. hier Abb. 4. 30 Es handelt sich um die Statuenbasis der Isis Orgia (vgl. Abschnitt 3.1.5.) sowie die Miniaturherme aus dem unterirdischen Raum (vgl. Abschnitt 3.1.3.). 29
3.1. Das Heiligtum der ägyptischen Götter
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erst Jahre nach Auffindung inventarisiert wurden. 31 Die hinsichtlich dieser Unzulänglichkeit vergleichbare Situation der Inschriftenfunde wird schon darin deutlich, daß zwischen der Anzahl der über 70 Inschriften, die in der Edition von Charles Edson den Vermerk in Serapeo inventa tragen, und den ‚etwa 35 Inschriften‘, die Makaronas 1940 – also nach Abschluß der letzten Grabungskampagne – erwähnt,32 eine auffällige Differenz besteht. Wenn sich Makaronas hierbei allein auf die Funde der Grabungen von 1938/39 beziehen sollte, dann wären in den Fundberichten der 1920er Jahre wiederum die fehlenden Mitteilungen über die andere Hälfte der Inschriften – selbst diese wäre für sich genommen als Menge zweifellos erwähnenswert gewesen – auffallend.33 Fehlende Angaben über die Fundumstände der Inschriften vermißt man auch deshalb ganz besonders, weil man aufgrund ihrer schieren Menge – es handelt sich schließlich um den mit Abstand umfangreichsten Inschriftenkomplex zu einem bestimmten Kult in Thessaloniki – annehmen muß, daß zu ihrer so reichhaltigen Überlieferung besondere, günstige Erhaltungsumstände beigetragen haben. Berücksichtigt man, daß in einer seit ihrer Gründung ununterbrochen besiedelten Stadt wie Thessaloniki Inschriftensteine für nachfolgende Generationen stets willkommenes Baumaterial darstellten, so kann es kaum ein Zufall sein, wenn sich in einem sehr begrenzten Grabungsgebiet eine so große Anzahl von Inschriften erhalten konnte und dies zudem ganz offensichtlich noch im engen räumlichen Zusammenhang mit ihrem ursprünglichen Aufstellungsort.34 Würden wir die Überlieferungsumstände besser kennen, könnten wir die Stellung der Kulte der ägyptischen Götter innerhalb des Gesamtspektrums der Kulte Thessalonikis vielleicht etwas genauer einschätzen. Die von Siegrid Düll geäußerte Auffassung von der „außerordentliche[n] Bedeutung, die die ägyptischen Gottheiten in dieser Stadt vom 3. Jahrhundert v. Chr. bis zum 3. Jahrhundert n. Chr. gehabt haben“, beruht offenbar gerade auf dieser verhältnismäßig großen Menge der Funde, selbst wenn sie in ihrem Urteil lediglich von „mehr als vierzig Kultdenkmälern, von denen der größte Teil aus Weihinschriften besteht“, ausging. 35 Doch können natürlich nicht nur schlechte, sondern fallweise auch besonders günstige Erhaltungsbedingungen von Quellenmaterial dazu führen, daß beim Vergleich mit anderen Quellenkomplexen die antiken Verhältnisse in der Überliefe31
Zu diesem Problem siehe die Kommentare SculpThess I Nrn. 27. 38. 80. MAKARONAS ÄǼȣȡȑșȘıĮȞ įİ țĮIJȐ IJĮȢ ĮȞĮıțĮijȐȢ IJĮȪIJĮȢ ʌİȡȓʌȠȣ İʌȚȖȡĮijĮȓ³ 33 BCH 45, 1921, 541 nennt lediglich trois inscriptions grecques. 34 Außergewöhnlich günstige Erhaltungsumstände sind für das Gros der Inschriften zum Kult des Fulvus überliefert, nach dem hier besprochenen der zweitgrößte Inschriftenkomplex aus Thessaloniki: Achtzehn der neunzehn bekannten Inschriften fanden sich gemeinsam in zweiter Verwendung als Kanalabdeckung verbaut. 35 DÜLL 1977, 151. 32
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rung verzerrt erscheinen. Besonders Ch. Edson warnte mit Verweis auf das fehlende Erscheinen der ägyptischen Götter in der Münzprägung der Stadt davor, „to overemphasize the actual rôle played by the Egyptian gods in the religious life of Thessalonica“.36 Diese Auffassung setzt aber beinahe schon voraus, daß ein ‚tatsächlicher Stellenwert‘ im religiösen Leben einer Stadt von vornherein nur den offiziellen, ‚städtischen‘ Kulten zukäme. Nicht nur angesichts des im konkreten Fall gut belegten, reichen Spektrums der Nutzer sowie vor allem der ungewöhnlich langen Nutzungsdauer des Heiligtums ist dies jedoch stark in Frage zu stellen. Desgleichen muß man fragen, ob der Freiraum zur Entwicklung privater Initiativen, der im Heiligtum der ägyptischen Götter ganz offensichtlich vorhanden war, in den anderen Kulten Thessalonikis ebenso ausgeprägt war. Es stellt sich also die Frage, ob das mengenmäßige Mißverhältnis zwischen den Zeugnissen aus dem Heiligtum der ägyptischen Götter einerseits und den Belegen für andere Kulte andererseits – abgesehen von den Zufällen der Überlieferung – nicht zum Teil auch im Umstand begründet ist, daß von vornherein nicht alle Kulte den qualitativ und quantitativ gleichen epigraphischen Niederschlag gefunden haben. Eine eigene Problematik stellen die – durchweg modernen – Benennungen dar, die sich als Bezeichnungen für das Heiligtum, seine Bauten beziehungsweise für Gebäudeteile eingebürgert haben und die hierbei zum Teil Deutungen ihrer Funktion vorausgreifen. Für die beiden hier behandelten Tempelbauten werden deshalb im folgenden mit ‚Antentempel‘ für den um 1920 freigelegten sowie ‚Apsistempel‘ für den 1938/39 ergrabenen Bau Begriffe verwendet, die von den überlieferten Gebäudegrundrissen abgeleitet sind. 3.1.2. Antentempel In der Diskussion der Baubefunde des Heiligtums beschränkte sich die Forschung bisher notgedrungen auf die Behandlung der beiden einzigen Bauten, die über ihre bloße Erwähnung in den Fundberichten hinaus bekannt geworden sind: Erstens auf einen Bau aus den Grabungen um 1920, den Makaronas in seinem Aufsatz von 1940 als ‚kleinen Tempel in antis oder Prostylos‘ erwähnte37, und zweitens auf den 1938/39 einige Meter südöstlich davon freigelegten Apsistempel. Mangels näherer Hinweise auf die Zweckbestimmung dieser beiden Bauten galt das Augenmerk hierbei fast ausschließlich ihrer Datierung.
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EDSON 1948, 182. MAKARONAS 1940, 464: „... to2 i4ero2n tv9n Ai3gypti1vn uev9n, h5toi mikro2n nao2n ‚e3n parasta9sin‘ h5 pro1stylon, tmh9ma stoa9w kai2 dia1fora a5lla kti1smata.“ Bereits der erste Grabungsvorbericht bezeichnet den Bau als Tempel: BCH 45, 1921, 540f. 37
3.1. Das Heiligtum der ägyptischen Götter
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Abb. 5: Antentempel. Quaderfundament und Aufmauerung. Aufnahme E. Hébrard (nach BCH 45, 1921, 540 Abb. 11). Die Abbildung stellt die einzige publizierte Aufnahme eines Baubefundes der Grabungen im Heiligtum dar.
Der erstgenannte der aufgefundenen Gebäudereste bildete ein im Grundriß rechteckiges Fundament aus sorgfältig gefügten orthostatischen38 Steinblöcken39, auf dessen Nord- und Ostseite sich bei Auffindung eine Aufmauerung aus Ziegeln und Bruchsteinen bis zu 1,5 m hoch erhalten hatte.40 Innerhalb des Fundamentes wird eine Steinpackung angegeben, darüber ein Kieselestrich; Spuren eines Aufgangs fanden sich offenbar nicht.41 Die Länge seiner Schmalseite ist mit etwa fünf Metern überliefert,42 seine Längsachse war in west-östlicher Richtung ausgerichtet (Eingang nach Osten).43 An beweglichen Funden ist neben ‚zahlreichen Skulp38
So W. Wrede, AA 1926 Sp. 430. VITTI 1996, 174 Kat. Nr. 47 spricht von ‚Porosblöcken‘ mit Verweis auf BCH 45, 1921, 540–541, BCH 48, 1924, 497 sowie THESSALONIKI 1986, 29–30. An den genannten Stellen findet sich allerdings kein Hinweis auf das Material. 40 BCH 45, 1921, 540 und Abb. 14. 41 W. Wrede, AA 1926 Sp. 430. 42 BCH 45, 1921, 540. 43 Vgl. den Grabungsplan STEIMLE 2004, 295 Abb. 1 (dort mit A bezeichnet). Auf dem provisorischen Grundrißplan von WILD 1984, 1825 wird der Bau als ‚Sarapis Temple‘ geführt. Daß das Fundament dort teilweise nur gestrichelt eingezeichnet ist, geht vermutlich auf die nur einen Ausschnitt zeigende Photographie BCH 45, 1921, 540 Abb. 14 zurück, denn die Angabe im begleitenden Text le soubassement et une partie des murs [= die Aufmauerung] sont conservés ist m.E. nur so zu verstehen, daß das Fundament im Unterschied zur Aufmaue39
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tur- und Architekturteilen‘ – darunter das Fragment einer kleinen Sphinx aus schwarzem Basalt,44 zwei kopflose Statuen45 und ‚zahlreiche römische Münzen‘ – noch die Auffindung dreier griechischer Inschriften überliefert.46 Unterschiedliche Angaben finden sich zur Datierung des Gebäudes. Der erste Fundbericht nimmt vermutlich auf die ins Jahr 187 v. Chr. datierte Inschrift IGThess 3 sowie auf die offenkundigen Unterschiede von Fundament und Aufmauerung Bezug, wenn er davon spricht, der Bau scheine ins 3. Jahrhundert vor Christus zu datieren und in ‚christlicher Zeit‘ repariert worden zu sein. Im selben Bericht wird die Aufmauerung zudem als ‚byzantinisch‘ bezeichnet.47 Die Erwähnungen von B. Schweizer und A.J.B. Wace hingegen ziehen eine bereits hellenistische Entstehung nicht in Betracht, ihnen zufolge gehörte das Heiligtum, und somit auch der aufgefundene Bau, „nach vorhandenen Inschriften ... dem Ende der vorchristlichen Ära an“.48 W. Wrede schließlich sah das freigelegte Fundament sowie ein weiteres, uns heute noch weniger bekanntes unmittelbar südlich des ersten,49 als „zwei römi-
rung vollständig erhalten war. Aus dem Photo wird nicht klar, welche Seite des Fundamentes im Bildmittelgrund gezeigt wird, es scheint zudem, als würde die erwähnte maçonnerie (byzantine) de briques et de moellons drei Fundamentseiten umfassen (im Bild angeschnitten), der Text spricht jedoch von dieser Aufmauerung nur als auf der Nord- und Südseite des Fundaments befindlich. 44 Thessaloniki AM Inv. 4922 = SculpThess I Nr. 46 Abb. 127–129. 45 BCH 45, 1921, 540f. nennt etwas widersprüchlich zwei Statuen un peu plus grandes que nature, deren eine die Aphrodite vom Typ Fréjus (Thessaloniki AM Inv. 831 = SculpThess I Nr. 75 Abb. 175–181) sei, die andere eine Athena mit Aigis un peu plus petite que nature (vermutlich gemeint: Thessaloniki AM Inv. 833 = SculpThess I Nr. 77 Abb. 186– 189); vgl. zu diesen Funden auch JHS 41, 1921, 274 sowie – sehr summarisch – AA 1926, Sp. 242. – Zu den Funden der darauffolgenden Grabungskampagne s. Anm. 49. 46 BCH 45, 1921, 541. Diese Inschriften (IGThess 3 und 255) führten vermutlich zur ursprünglichen Benennung dieses Bauwerks als temple de Sérapis (ebd. 541) bzw. temple de Sérapis et des dieux égyptiens (ebd. 540), vgl. Anm. 127. 47 BCH 45, 1921, 541: „Le temple semble dater du IIIe siècle, et avoir été reparé à l’époque chrétienne …“ sowie ebd. 540: „… maçonnerie (byzantine) de briques et des moellons …“ . 48 AA 1922, 242f. – Eine ganz entsprechende Formulierung enthält der knappe Bericht von A.J.B. Wace, Archeology in Greece, 1919–1921 (Macedonia), JHS 41, 1921, 274: „… a temple dedicated to Sarapis and other Egyptian divinities, which seems, according to the evidence of an inscription to date from the very end of the pre-Christian era.“ Schweizer scheint also Wace (oder beide einer gemeinsamen Quelle) zu folgen. Welche die von beiden erwähnte Inschrift ist, bleibt unbekannt. 49 Die einzige Beschreibung dieses Baus stammt ebenfalls von W. Wrede (AA 1926, 430): „Der andere [Bau] scheint hinter den Orthostaten eine Gußwerkfüllung zu haben und zeigt auf der Langseite Spuren eines Eingangs.“ Die fondations d’ un nouvel édifice, un peu Sud du premier werden auch BCH 48, 1924, 497 berichtet, dort sind an beweglichen Funden eine Inschrift an Isis Nymphe (= IGThess 105), die lebensgroße Statue des Harpokratesknaben
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sche, rechteckige Bauten mit Orthostatensockel“ an.50 Zur Datierung als ‚römisch‘ führten ihn vermutlich die Aufmauerungen aus Ziegel- und Bruchsteinmauerwerk. M. Vitti wiederum nimmt die Inschriftenstele IGThess 3 als sicheres Indiz für die Datierung einer von ihm angenommenen ersten Bauphase in die Zeit der Tempelgründung, welche er – von der Datierung der Inschrift ausgehend – ‚mehrere Jahrzehnte vor das Jahr 187 v. Chr.‘,51 also wohl mindestens ans Ende des 3. vorchristlichen Jahrhunderts setzt. Interessanterweise nimmt Vitti hierbei das Argument einer engen Verbindung von Inschrift und Bauwerk wieder auf, welches bereits unmittelbar nach Entdekkung zur Benennung als ‚Serapistempel‘ geführt hatte, aber mit der Auffindung weiterer Bauten stillschweigend wieder aufgegeben worden war, ohne daß die damit verbundene Datierung ins dritte Jahrhundert vor Christus in der späteren Literatur hinterfragt worden wäre.52 Die Inschrift kann jedoch allenfalls einen terminus ante quem für das Gründungsdatum des Heiligtums darstellen, keinesfalls aber für die eigentliche Errichtung des Antentempels.53 Es bleibt also festzustellen, daß eine Datierung der anzu(Thessaloniki AM Inv. 844 = SculpThess I Nr. 86 mit Abb. 221–225) sowie weitere statues acéphales de prêtresses d’Isis genannt. 50 AA 1926, 430. 51 VITTI 1996, 174f. mit Anm. 41: 4H prv1th fa1sh a3nh1kei me2 bebaio1thta sth2n peri1odo th9w i7dryshw toy9 naoy9, poy2 a3na1getai merike2w dekaeti1ew pro2 toy9 187 p.X.. 4H dey1terh fa1sh a3nh1kei se2 a3nasth1lvsh th9w rvmaQkh9w perio1doy, poy2 a3na1getai (sy1mfvna me2 to2n tro1po do1mhshw) sto2n 3–4o ai3. m.X.“. 52 Vgl. etwa EDSON 1948, 181. – VIDMAN 48f. – ELLIGER 42 („Der kleine Serapistempel läßt sich mit Sicherheit ins 3. Jahrhundert datieren ...“). – Kritisch erstmals VOM BROCKE 38 Anm. 75. 53 Eine Bemerkung von VICKERS 1972, 164 Anm. 60 schien zunächst für die Datierung der zweiten Bauphase des Antentempels weiterzuführen. Die auf dem Fundamentsockel („substructure of masonry of Hellenistic type“) sitzende Aufmauerung beschreibt er als ‚römische Mauer mit einander abwechselnden Lagen aus Ziegeln und grünem Schiefer‘ („… parts of a Roman wall of alternating bands of brick and green schist …“). Als Quelle für diese Angaben nennt Vickers das Tagebuch H. v. Schoenebecks, das er aber offenbar nicht selbst gesehen hat, sondern dessen Inhalt ihm von H. P. Laubscher, der es für seine Publikation des Galeriusbogens (LAUBSCHER 1975) gesichtet hatte, nur mitgeteilt worden war. Hieraus erklärt sich wohl, daß Vickers in seiner Zuordnung der Tagebuchnotiz dem Irrtum unterliegen konnte, diese auf den um 1920 ergrabenen Bau des Antentempels zu beziehen, nicht jedoch auf den 1938/39 freigelegt gewesenen Apsistempel, den v. Schoenebeck gesehen hatte. Diese Verwechslung durch Vickers hatte insofern Folgen, als sein Aufsatz vermutlich die Quelle ist für die Angabe von Ȃ. Avlonitou-Tsimbidou, das Mauerwerk der jüngeren Phase des Antentempels werde als „ĮȡȖȠȜȚșȠįȠȝȒ ȝİ ȗȫȞİȢ Įʌȩ ʌȜȓȞșȠȣȢ“ beschrieben (UESSALONIKH 1986, 30). Dieser Angabe folgt wiederum VITTI 1996, 174 mit Anm. 40, der die Aufmauerung des Antentempels als opus mixtum bezeichnete und daraus zu ihrer Datierung ins 3.–4. Jh. n. Chr. gelangte. Kurioserweise überträgt VITTI 1996, 175 diese von Vickers dem falschen Bauwerk zugeordnete Datierung schließlich wieder zurück auf den Apsistempel, wenn er davon spricht, daß sich die beiden Bauphasen von Antentempel und Apsistempel ‚aller Wahrscheinlichkeit nach‘ (kata2 pa9sa piuano1thta) zeitlich jeweils entsprächen.
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nehmenden beiden Bauphasen nicht mit Sicherheit vorgenommen werden kann. Allerdings läßt die photographisch belegte Bauweise mit einem aus eng gefügten, sorgfältig behauenen Steinquadern errichteten Fundament, welches ursprünglich einen Oberbau aus Lehmziegeln getragen haben könnte, eine Entstehung des Baus bereits in hellenistischer Zeit durchaus möglich erscheinen. Dies – sowie die Funktion als Kultbau – vorausgesetzt, würde der Bau aus einer frühen Phase des Heiligtums der ägyptischen Götter stammen und könnte einen der bereits hellenistisch belegten Kulte beherbergt haben. 3.1.3. Apsistempel und unterirdischer Raum Die Grabung von 1939 deckte erneut mehrere Gebäude auf, die dem Ausgräber zufolge ‚mit Sicherheit‘ zu ein und demselben Heiligtum gehörten.54 Der bedeutendste – und gleichzeitig der einzige beschriebene – dieser Bauten war ein ungefähr 11 auf 8 m messender kleiner Tempel, der über keine Säulenstellung verfügte55 und im Grundriß aus einer Cella und einem Vorraum bestand. Die Cella schloß an ihrer Rückseite, nach Norden hin, mit einer halbrunden Apsis ab, deren Boden 2 m über dem Bodenniveau des Cellainnenraums lag; dieser Apsis vorgelagert fand sich in der Cella eine gemauerte Bank, welche vermutlich der Aufnahme von Weihgaben diente. Von der inneren Ausstattung des Baus, der aus ‚einfachem Mauerwerk römischer Zeit‘ bestand – aus mit Kalkmörtel vermauertem Bruchsteinmauerwerk, welches von einer Lage aus je drei Lagen Ziegelplatten unterbrochen wurde – hatte sich bei Auffindung ein Bodenbelag aus kleinen, unregelmäßig geformten mehrfarbigen Marmorplatten erhalten, der ‚ein Ornament aus einfachen geometrischen Formen‘ bildete.56 Von diesem Bau sind keine Photographien publiziert, und so macht lediglich das häufig abgebildete, zwar kleinformatige, aber steingetreu nachgebildet erscheinende Gipsmodell im Archäologischen Museum von Thessaloniki, welches offenbar seinen Auffindungszustand wiedergibt und im Bereich des darunterliegenden unterirdischen Raumes als Schnittmodell gearbeitet ist, den 1938/39 freigelegten Zustand dieses Apsistempels anschaulich.57 Dennoch müssen gewisse Zweifel an der Genauigkeit und so54
MAKARONAS Ä ĮȞİȣȡȑșȘıĮȞ țĮȚ ȐȜȜĮ țIJȓıȝĮIJĮ IJĮ ȠʌȠȓĮ ĮıijĮȜȫȢ ĮȞȒțRȞİȚȢIJȠȓįȚȠȞȚİȡȩȞ³ 55 MAKARONAS 1940 nennt ihn „mikro2w nao2w (aedicula)“ (464) bzw. „naQ1skow“ (465). 56 MAKARONAS 1940, 464. 57 Das wahrscheinlich in den Restaurierungswerkstätten des Archäologischen Museums Thessaloniki angefertigte Modell stammt möglicherweise aus den 1950er Jahren. Unbekannt ist bislang, auf welcher Grundlage (Photographien des originalen Baubefundes?) das detailliert nachgebildete Modell beruht. Dieses Modell wiederum diente mangels anderer verfügbarer Planunterlagen als Grundlage der Grundrißskizze von D. Fraikin, Note on the Sanctuary of the Egyptian Gods in Thessalonica, Numina Aegaea (Harvard Divinity School: Newsletter
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mit dem Zeugniswert des Modells für das Aussehen des Originalbauwerkes bestehen bleiben.58 Unter dem Apsistempel, genauer gesagt unter einem Teil seines Vorraumes, befand sich ein unterirdischer, mit einem Tonnengewölbe überdeckter rechteckiger Raum mit den Maßen 1,60 auf 4 m, dessen Längsachse (West-Ost) im Winkel von 90° zur Längsachse des darüberliegenden Tempels (Nord-Süd) lag. In der Mitte der östlichen Schmalseite des unterirdischen Raumes befand sich eine Nische, in der sich eine kaum 40 cm hohe, archaisierende Herme eines bärtigen Gottes59 noch in ihrer ursprünglichen Aufstellung auf einer Marmorbasis befand. Ein überwölbter, etwa einen Meter breiter Zugangskorridor zum unterirdischen Raum mit einer Länge von etwa 10 m verlief in Nord-Süd-Richtung unterirdisch, und innerhalb des Tempelfundaments, parallel zur westlichen Cellawand. Ins Freie gelangte man über eine Treppe, die auf der Rückseite des Tempels westlich neben der Apsis zutage trat. Eine Verbindung zwischen dem Innenraum des Tempels und dem unterirdischen Raum bestand im Inneren des Bauwerks nicht. Beide Räume – der unterirdische Raum mit Nische und der dazugehörige Korridor – wurden von Makaronas als ‚Krypta‘ angesprochen, der Raum mit der Nische aber auch als ‚eigentliche Krypta‘ (țȣȡȓȦȢ țȡȪʌIJȘ) bezeichnet.60 Hinweise auf ein unterschiedliches Alter der einzelnen Gebäudeteile ergaben sich für den Ausgräber aus Unterschieden in der Mauerwerkstechnik. Seinen Angaben zufolge bestand die Ausfugung der ‚eigentlichen Krypta‘ aus ‚einfachem Mörtel ohne Kalk‘,61 was für ihn deutliches Zeichen dafür war, daß der zum unterirdischen Raum führende Korridor sowie der gesamte oberirdische Bau später hinzugefügt worden seien.62 Ähnliche Beobachtungen wie Makaronas, namentlich eine of the Research Team for Religion and Culture of New Testament Lands) 1, 1974, 1–6 mit Abb. 1 (dem Verfasser danke ich für die Zusendung einer Kopie seines Artikels sehr herzlich) sowie des daraus weiterentwickelten Plans WILD 1981, 187 Abb. 30 = WILD 1984, 1825 Abb. 45. – Weitere Abbildungen des Modells bei MARKH 1983, 12 Abb. 2 (geschlossener Zustand) und 3. – UESSALONIKH 1986, Abb. S. 31. – VITTI 1996, 89 Abb. 15. – VOM BROCKE 39 Abb. 2. 58 Kritische Betrachtung verdient der Zeugniswert des Gipsmodells insbesondere durch die Bemerkung im Tagebuch H. von Schoenebecks, bei seinem Besuch an der Grabungsstelle sei der Ausgräber Pelekidis gerade dabeigewesen, „ ... die Cella als nachtheodosianisches Wohnhaus abreissen zu lassen – wie früher schon vier oder fünf ähnliche Bauten!“ (vgl. Abschnitt 3.1.14.). Trifft die Unkenntnis, die v. Schoenebeck Pelekidis vorwirft, tatsächlich zu, so muß man sich fragen, ob es vor dem Abriß der als ‚spät‘ (und somit wohl als wissenschaftlich wertlos) angesehenen Gebäudeteile tatsächlich eine genaue Bauaufnahme gegeben hat, welche der Anfertigung des Gipsmodells später als Grundlage hätte dienen können. 59 Thessaloniki AM Inv. 1074 = SculpThess I Nr. 45 Abb. 125–126. 60 MAKARONAS 1940, 464f. 61 MAKARONASÄțȠȞȓĮȝĮĮʌȜȠȪȞȐȞİȣĮıȕȑıIJȠȣ³ 62 MAKARONAS 1940, 465. Auf die Mauerwerkstechnik des unterirdischen Zugangs geht Makaronas nicht ein, das Mauerwerk des Tempels beschreibt er als mit Kalkmörtel (ĮıȕİıIJȠțȠȞȓĮȝĮ) verfugt. – M. Vitti vermutet, daß die beiden Mauerwerksphasen des ersten
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Baunaht und sowie ein Entlastungsbogen am Durchstich des Korridors durch die Cellawand, enthalten Tagebuchnotizen H. von Schoenebecks;63 sie waren für ihn Indizien für eine Gleichzeitigkeit von Zugangskorridor und oberirdischem Tempelbau einerseits, andererseits aber auch für aufeinanderfolgende Entstehungszeiten von unterirdischem Raum und darüberliegendem Tempelbau. Angaben zur Datierung machte Makaronas nur für die späteren Bauteile, er charakterisierte sie aufgrund der ‚einfachen Mauerwerkstechnik‘ als aus ‚römischer Zeit‘ stammend.64 R.A. Wild erwog mit einiger Vorsicht die Möglichkeit eines etwas genaueren zeitlichen Ansatzes der späteren Bauphase in das 2. Jh. nach Christus.65 Dieser Ansatz beruht auf der nur grob ins 2. Jahrhundert nach Christus datierten Weihinschrift IGThess 111, welche Wild wegen ihrer Nennung eines dem Osiris geweihten dromos mit der Erweiterung des Kryptazugangs verband, und welche damit auch die zeitgleiche Errichtung oder Erneuerung des Apsistempels datieren würde.66 Massimo Vitti hielt es für wahrscheinlich, daß die bei den Grabungen um 1920 festgestellten unterschiedlichen Mauerwerksphasen des Antentempels zeitlich der baulichen Abfolge von ‚Krypta‘ und Apsistempel entsprachen.67 Da Vitti von einer Datierung des Quaderfundaments des ersten aufgefundenen Bauwerks ins dritte vorchristliche Jahrhundert ausging, würde dies in der Konsequenz auch eine hellenistische Datierung des unterirdischen Raumes bedeuten, obwohl hierfür jegliche sonstigen Anhaltspunkte fehlen. Die oberirdischen Bauphasen hingegen benennt er – für den ersten Bau – als ‚römische Phase in opus mixtum‘, für den Apsistempel, ‚nach Ausweis der Mauerwerkstechnik‘, das 3.–4. Jh. nach Christus.
aufgefundenen Baus und die bauliche Abfolge von ‚Krypta‘ und ‚Naiskos‘ einander zeitlich entsprächen: VITTI 1996, 175. 63 Vgl. STEIMLE 2004, 298 mit Anm. 35 sowie hier Abschnitt 3.1.14. mit Abb. 8. 64 MAKARONAS 1940, 464. 65 WILD 1981, 278 Anm. 23. 66 Die Verbindung von IGThess 111 und Zugangskorridor ist Bestandteil von R.A. Wilds Schlußfolgerungen zur Funktion der Krypta und somit stark hypothetisch: WILD 1981, 190– 193. Geht man nicht mit Wild von einer Verbindung des unterirdischen Raumes zum Kult des Osiris aus, so könnte man mit derselben Berechtigung auch die einen dromos nennende Inschrift IGThess 118 ins Spiel bringen (1./2. Jh. n. Chr.), mit der entsprechenden Konsequenz für die Datierung. – Die Datierung ins 2. Jh. n. Chr. nennt auch BOMMAS 2000, 619 ohne Angabe von Gründen, dafür unverständlicherweise mit Verweis auf MAKARONAS 1940. Da er im Zusammenhang davon spricht, daß bei ‚Nachgrabungen im Jahre 1939‘ an der Rückseite des Apsistempels der Zugang zum unterirdischen Dromos aufgedeckt worden sei (vgl. entsprechend auch BOMMAS 2002, 131f.), hat es außerdem den Anschein, daß er den übrigen Apsistempel irrigerweise als bereits in den 1920er Jahren entdeckt ansieht. Für Bauten aus diesen älteren Grabungen ist allerdings m.W. ebenfalls nie eine entsprechende Datierung angeführt worden. 67 VITTI 1996, 175.
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Abb. 6: Gipsmodell des Apsistempels in geöffnetem Zustand. In Schnitt sichtbar sind der Zugangskorridor und der unterirdische Raum. An der Stirnseite des unterirdischen Raumes sind die Nische sowie Basis und Sockel der aufgefundenen Miniaturherme wiedergegeben. Die einst am Modell mit dargestellt gewesene Herme fehlt.
Abb. 7: Gipsmodell des Apsistempels, geschlossener Zustand. Links ist die Treppe wiedergegeben, die in den unterirdischen Korridor hinunterführte.
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Ausführlichere Angaben zu Baudetails des Apsistempels überliefern als einzige der heute verfügbaren Quellen die Aufzeichnungen Hans von Schoenebecks.68 Die betreffende, mit einer kleinen Skizze69 des Bauwerks versehene Passage seines Tagebuches lautet: „[Pelekides] War gerade dabei, über einer Krypta (2 Bauperioden) die Cella als nachtheodosianisches Wohnhaus abreissen zu lassen – wie schon früher vier oder fünf ähnliche Bauten! [...] Galeriuszeit. [...] Krypta mit Ausgang neben Apsis, an Schnitt Baunaht. An Durchstoßung der Cellawand in dieser Entlastungsbogen: also Erweiterung des Kryptaganges gleichzeitig mit Cella unter Galerius! [...] Datierung der Cella ergibt sich aus Bautechnik. Wechsel 4 Schichten Ziegel – Feldsteinlagen, aussen Verstrich wie an Rotunde, Kamara. Ziegel mit Strichmuster, Maße Galeriuswerke. [...] Als Schwellblock gegenüber Apsis Architrav m. Inschrift früheres 3. Jahrh.“
Aus den knappen Notizen geht hervor, daß von Schoenebeck das Mauerwerk des Apsistempels mit jenem der Rotunde und mit den gemauerten Teilen des Galeriusbogens (‚Kamara‘) vergleicht, also mit zwei Bauten in Thessaloniki, deren Entstehungszeit unter Galerius nach heutigem Forschungsstand als gesichert gilt.70 Als Gemeinsamkeiten nennt er den Wechsel von jeweils vier Schichten Ziegeln und Feldsteinlagen,71 den Fugenverstrich an der Außenseite sowie die Maße und Strichmuster der Ziegel.72 Er gelangt auf diese Weise zu einer Datierung auch der Tempelcella in galerianische Zeit, also an den Übergang des 3. zum 4. nachchristlichen Jahrhundert. Da uns weder der überbaute Apsistempel für Nachuntersuchungen zur Verfügung steht, noch aus den Tagebuchaufzeichnungen hervorgeht, an welchen Teilen der beiden – mehrfach umgebauten – Bauwerke Galeriusbogen73 und Rotunde74 von Schoenebeck seine Vergleiche gewonnen hatte, können die Grundlagen und somit die Zuverlässigkeit dieser Datierung heute leider nicht mehr ohne weiteres überprüft werden. Immerhin haben sich in seinem in Berlin aufbewahrten Nachlaß drei maschinenschriftliche 68
Siehe hierzu ausführlich STEIMLE 2004. Ein kleiner Trennungsstrich im Verlauf des unterirdischen Korridors weist hier möglicherweise auf die Lage der im Tagebuch erwähnten Baunaht hin, s. hier Abschnitt 3.1.14 mit Abb. 8. 70 Zur Datierung des Galeriusbogens LAUBSCHER 1975, 14–17. 107. Zur Rotunde jüngst: A. Mentzos, Reflections of the Interpretation and Dating of the Rotunda of Thessaloniki, ǼȖȞĮIJȓĮ 6, 2001/2002, 57–80. 71 Ähnlich, wenn auch weit weniger ausführlich beschreibt MAKARONAS 1940, 464 das Mauerwerk; die auffallendste Abweichung zu v. Schönebeck ist die Nennung von nur drei Lagen Ziegeln. 72 Strichmuster von Ziegeln der Rotunde abgebildet bei E. Hébrard, Les travaux du Service archéologique de l’Armée d’Orient à l’arc de triomphe de ‚Galère‘ et à l’église SaintGeorges de Salonique, BCH 44, 1920, 5–40, hier 23 Abb. 9. 73 VELENIS 1979. VELENIS 1983. VITTI 1996, 224–226 mit Literatur. 74 Zur Rotunde jüngst A. Mentzos, Reflections of the Interpretation and Dating of the Rotunda of Thessaloniki, ǼȖȞĮIJȓĮ 6, 2001/2002, 57–80. 69
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Manuskripte erhalten, welche die im Tagebuch nur knapp ausgeführten Argumente eingehender behandeln und sich auf Untersuchungen beziehen, die von Schoenebeck und der Architekt Heinz Johannes bereits 1935 an den Substruktionen des Hippodroms vorgenommen hatten, wobei sie ebenfalls zu einer – auch heute noch akzeptierten – Datierung in galerianische Zeit gelangten.75 Zieht man diese Manuskripte zur Verdeutlichung der 1939 im Tagebuch skizzierten Argumentation heran, so geben uns die beiden Forscher – offensichtlich ebenso gute Kenner der Materie im allgemeinen76 wie der genannten Denkmäler im speziellen – erstmals detaillierte und auf sorgfältiger Beobachtung beruhende Auskunft über bautechnische Merkmale des Apsistempels. Unter den Angaben, die zu einer Datierung des Apsistempels beitragen können, dürfte diesen Mitteilungen somit großes Gewicht zukommen, unabhängig davon, ob man letztlich auch die vorgeschlagene Datierung in galerianische Zeit zu akzeptieren bereit ist.77 Nimmt man diese Datierung jedoch als gegeben an, so bedeutet dies, daß der 1938/9 ergrabene Apsistempel erst gegen Ende der jahrhundertelangen Nutzungsdauer des Heiligtums der ägyptischen Götter errichtet wurde.78 Bei der Erklärung dieses Befundes wird möglicherweise der Umstand zu berücksichtigen sein, daß Isis und Sarapis in galerianischer Zeit als Schutzgottheiten der Tetrarchie Bedeutung erlangten, deren dauerhaften 75 DAI Berlin, Nachlaß Hans von Schoenebeck, Kasten 5, Mappe 25. Die betreffenden Manuskriptstellen zitiert bei STEIMLE 2004, 299–300. Eine Aufstellung dieser Manuskripte findet sich daneben bei LAUBSCHER 1975, 1–2. 76 Die intensive Beschäftigung v. Schoenebecks mit bautechnischen Fragen dieser Art geht aus einer fragmentarisch erhaltenen handschriftlichen Bibliographie hervor, die Literaturnachweise vor allem zu Ziegelmaßen und Mauerwerkstechniken verschiedener spätkaiserzeitlicher Bauten, insbesondere von Kaiserpalästen, enthält; sie befindet sich ebenfalls unter den im DAI Berlin aufbewahrten Manuskripten aus dem Nachlaß. 77 Der allein durch das Tagebuch v. Schoenebecks überlieferte „Architrav m. Inschrift früheres 3. Jahrh.“, welcher seinen Angaben zufolge der Cellatüre in Zweitverwendung als Schwelle diente, ist weder unter den mit Fundort ‚Serapeion‘ publizierten Inschriften aus Thessaloniki auszumachen noch unter den mit diesem Fundort versehenen Stücken im Katalog der Architekturglieder des Archäologischen Museums Thessaloniki (KAMThess). Die einzigen beschrifteten Architravblöcke, die nicht mit einer anderweitigen Fundortangabe versehen sind, sind KAMThess 169 (431) = IGThess 25 (Breite 1,50 m, 221–179 v. Chr.; dort als ‚Basis‘ bezeichnet) mit der Inschrift basiley2w Fi1lippow / basile1vw Dhmhtri1oy sowie KAMThess 172 (355) = SEG 45, 1995, 827. Der letztgenannte Block (jüngst mit korrigierter Lesung EpThess Kap. I Nr. 5 mit Abb. 11–13, a.a.O. Anm. 55 auch genaue Beschreibung der Dübellöcher an der Oberseite) trägt die Inschrift [e5toyw] as' hedera h4gemoney1ontow K[-------], die Inschrift datiert vermutlich ins Jahr 169/170 nach Christus. 78 Ein begründetes Urteil darüber, ob die 2. Hälfte des 3. Jhs. n. Chr. durch einen Rückgang der Inschriftenweihungen – und somit möglicherweise der kultischen Aktivitäten – im Heiligtum gekennzeichnet ist, würde eine genauere Datierung einer Anzahl von Inschriften voraussetzen, für die der Herausgeber Ch. Edson teilweise mit sehr weiten Spannen eine entsprechende Datierung für möglich hielt: IGThess 16. 37. 90–92. 104–106. 120–121.
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Fortbestand sie als Sinnbilder der aeternitas und felicitas verkörperten. In dieser Funktion sind sie bekanntlich auf einem der Relieffriese des Galeriusbogens dargestellt79. Ob der Neubau des Apsistempels mit einer Neubelebung des Isis- und Sarapiskultes im Rahmen der kaiserlichen Propaganda der Galeriuszeit in einem Zusammenhang stehen könnte, muß offen bleiben. Die Zweckbestimmung des Apsistempels als Verehrungsstätte einer oder mehrerer Gottheiten darf aufgrund seines Grundrisses mit Vorraum, Cella und rückwärtiger Apsis als gesichert gelten. Unklar bleibt jedoch seine Weihung sowie seine Stellung innerhalb des gesamten Bezirks der ägyptischen Gottheiten. R.A. Wild hatte sich 1984 unter Hinweis auf die geringe Größe der bisher bekannten Bauten, somit eingeschlossen auch des Apsistempels, gegen eine Deutung eines dieser Bauwerke als central temple der Isis- und Sarapisverehrung ausgesprochen.80 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß auch andernorts im griechischen Raum, etwa in Philippi oder auf Delos, Tempelbauten für ägyptische Götter von geringer Größe sind. Der Haupttempel der kaiserzeitlichen Anlage von Dion, der durch seine annähernd symmetrische Stellung innerhalb dieser Anlage durchaus als central temple anzusprechen wäre, scheint über die Maße des Apsistempels von Thessaloniki nicht wesentlich hinausgegangen zu sein.81 Der vermeintlich kleine Apsistempel von Thessaloniki steht also durchaus im Rahmen der geringen Dimensionen, die von Bauten in anderen Heiligtümern ägyptischer Götter im griechischen Raum bekannt ist. Aus diesem Grunde scheint auch eine Funktion als central temple, also eine Weihung an eine der Hauptgottheiten Isis oder Sarapis, nicht ausgeschlossen. 3.1.4. Zur Deutung des unterirdischen Raumes Unklar bleibt die Auffindungssituation des unterirdischen Raumes und seines Inhaltes. Bei Freilegung fand sich der äußere Zugang zum Korridor mit Marmorplatten verschlossen.82 Als einziger Fund, welcher sicher aus dem Raum stammt, ist vom Ausgräber Makaronas die bärtige Herme überliefert. Seine Bemerkung, Zugangskorridor und Krypta seien ‚in ihrem 79
Pfeiler B, Nordostseite (II) Fries B II 21: LAUBSCHER 1975, 78 mit Taf. 58. 59 mit Abb. 1–2. 80 WILD 1984, 1825. 81 Grabungspläne und Maßangaben des Heiligtums in Dion sind, soweit ich sehe, nicht publiziert. Zudem ist die Cellarückseite des zentralen Tempels in Dion durch einen neuzeitlichen Kanal zerstört. Belegt sind in Dion verhältnismäßig kleine flankierende Tempelbauten. 82 MAKARONAS 1940, 465. Ob dies ein Zeichen dafür ist, daß ‚die späteren Christen hier die Denkmäler des alten Kultes respektierten‘ (ebd.), scheint zweifelhaft; der Verschluß dürfte allenfalls (ob durch die Anhänger des alten Kultes oder durch Christen, sei dahingestellt) erfolgt sein, um den Eingang unkenntlich zu machen.
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ursprünglichen Zustand, ungestört und ohne Aufschüttung‘ aufgefunden worden, läßt nicht unbedingt auf weitere bewegliche Funde in diesen Räumen schließen. Weiter reicht schon die Aussage Charles Edsons, der 1948 davon spricht, der Eingang zur Krypta sei glücklicherweise in der Spätantike verschlossen worden und ihr Inhalt („its contents“) deshalb unversehrt geblieben. Edson fährt fort mit der Erwähnung von ‚Skulpturen und anderen Funden‘ sowie von 35 Inschriften, doch läßt seine knappe Formulierung offen, ob er sie nur allgemein als Funde der Grabung von 1939 vorstellen möchte (in Ergänzung zu einigen von ihm kurz vorher erwähnten Funden der Grabungen nach 1917), oder ob er diese Objekte tatsächlich als aus dem unterirdischen Raum stammend beschreiben will – ein mit der Problematik nicht vertrauter Leser könnte die Passage so auffassen.83 Angesichts der wenig eindeutigen Äußerungen in den Beschreibungen Makaronas’ und Edsons verwundert deshalb die Gewißheit von M. Bommas über die Auffindungssituation, wenn dieser von „Zahlreichen Statuen und 45 [!] Inschriften“ spricht, „die in dieser Krypta unversehrt zutage kamen“.84 Die Arbeiten von WILD 1981, SALDITT-TRAPPMANN und WALTER 1940, auf welche Bommas in seinen Anmerkungen außerdem verweist, enthalten neben Erwähnungen der Herme keinerlei Andeutungen auf weitere Funde aus der Krypta. Es ist deshalb anzunehmen, daß es allein die unklare Formulierung Edsons war, die Bommas zu seiner Auffassung gebracht hat.85 83
EDSON 1948, 182: „Early in 1939 a small temple of the Roman period was discovered in the immediate vicinity of the original precinct beneath the narthex of which was a subterranean crypt. The entrance to this crypt had, most fortunately, been sealed in late antiquity, and hence its contents had been preserved intact. In addition to sculptures and other finds, no fewer than thirty-five inscriptions were discovered.“ Es ist anzunehmen, daß Edson, der sich in den 1930er Jahren und danach mehrfach in Griechenland aufgehalten hat, durch persönliche Kontakte zu den Ausgräbern tiefergehenden Einblick in die Funde und Befunde der Grabung besaß und somit mehr wußte, als aus den knappen Publikationen hervorgeht. 84 BOMMAS 2000, 619. Unklar ist das Zustandekommen der hier genannten Zahl von 45 (gegenüber den bei MAKARONAS 1940, 465 genannten 35) Inschriften. – Leider finden sich a.O. auch weitere Ungenauigkeiten oder sonst nirgends belegte Angaben. Hierzu zählen z.B. die Angaben, in der Mitte der Krypta habe ein Altar gestanden (eine Verwechslung mit der Nische mit dem Hermenpfeiler?), oder auch die, der Kultbezirk sei „nach seiner Aufgabe im 4. Jh. n. Chr. in byzantinischer Zeit überbaut“ worden. Weitere seiner Angaben wiederum ließen sich nach Sichtung der von ihm angegebenen Literaturverweise nicht verifizieren. 85 In der Tat ist es zunächst verlockend, sich den unterirdischen, über Jahrhunderte hinweg versiegelten Raum angefüllt mit Skulptur- und Inschriftenfunden vorzustellen. Ein derart geschützter Fundort könnte immerhin den bemerkenswerten Umstand erklären, daß sich eine solch erstaunliche Menge von Funden, wie sie aus dem Heiligtum der ägyptischen Götter in Thessaloniki bekannt ist, im engeren Bereich des ursprünglichen Aufstellungsortes erhalten konnte. Da die in ihren Ausmaßen begrenzte Fläche des unterirdischen Raumes (4 m x 1,60 m) kaum der ursprüngliche Aufstellungsort einer solchen Vielzahl von Gegenständen gewesen sein kann – dies ist ohnehin höchst unwahrscheinlich – müßte man in einem solchen Falle von einer antiken Deponierung dieser Funde ausgehen, möglicherweise kurz vor dem Ver-
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
Der unterirdische Raum ist aufgrund der Aufstellung der Herme in einer Nische an seiner Schmalseite ohne Zweifel als Raum anzusprechen, dessen antike Bestimmung eine kultische Nutzung war. Die von Makaronas eingeführte Benennung als ‚Krypta‘ hat sich in der Forschung durchgesetzt, obwohl sie einer Interpretation des Raumes und seiner Funktion bereits insofern vorausgreift, als sie im Leser Vorstellung von einer Ausübung mystischer Kulte erzeugt, von der bereits der Ausgräber ausgegangen war.86 In einem Anhang zu seinem 1981 erschienenen Buch Water in the Cultic Worship of Isis and Sarapis versuchte Robert A. Wild eine Bestimmung des im unterirdischen Raum ausgeübten Kultes.87 Er gelangte durch das Aneinanderketten verschiedener Indizien zu der Vermutung, die Verehrung habe dem inschriftlich bekannten Zeus Dionysos Gongylos gegolten, einem einheimischen Kult, der später mit jenem des Osiris verbunden worden sei, wodurch letzterer im unterirdischen Raum in einer besonderen, lokalen Ausprägung verehrt wurde. Wilds Überlegungen88 gehen von zwei Inschriften aus, welche auf die Ausübung von Mysterienfeiern hinweisen und aus den Grabungen von 1939 stammen. Zum einen ist dies die Inschrift IGThess107,89 die Weihung eines gewissen Demetrios zum Wohle seiner verstorbenen Eltern an
schluß des Raumes und nach einer vorangegangenen Abräumung der oberirdischen Flächen des Heiligtumsbezirkes. Gegen ein solches Szenario könnten aber auch die Bemerkung Makaronas’ sprechen, er habe die Krypta ‚im ursprünglichen Zustand‘ (MAKARONAS, 1940, 465) aufgefunden, sowie (ebd. Anm. 1) die Schilderung des starken Eindrucks beim ersten Betreten des unterirdischen Raumes, welchen ‚das plötzliche Aufeinandertreffen‘ (IJȠ İȟĮijȞȚțȩȞ ĮȞIJȓțȡȣıȝĮ) mit der Herme im schwachen Schein der Taschenlampe bei ihm hinterlassen habe – ein solch nachhaltiger Eindruck der nicht einmal 40 cm hohen Herme läßt sich in einem mit Inschriftensteinen und Skulpturen angefüllten Depot kaum vorstellen. 86 MAKARONASÄǾțȡȪʌIJȘȒIJȚȢijĮȓȞİIJĮȚȩIJȚȒIJȠIJȩʌȠȢȝȣıIJȚțȒȢȜĮIJȡİȓĮȢ ...“. Vgl. hierzu die Bemerkung von WILD 1981, 191: „Makaronas said that the crypt ‚seems to have been a place for mystery cults.‘ He may simply have said this because he himself was impressed by its eerie and mysterious character and because crypts are supposed to have had such a purpose.“ Wild verweist anschließend aber auf Funde, die auf einen Mysteriencharakter des unterirdischen Raumes weisen. 87 WILD 1981, 190–194. 88 Anlaß zu diesen Überlegungen wiederum ist die von WILD 1981, 191 und 193 – wohlgemerkt mit großer Vorsicht – vorgetragene Hypothese, der Ausgräber Makaronas habe möglicherweise mehr gewußt, als er aufgrund der vom Grabungsleiter Pelekidis reservierten Publikationsrechte (die jener bekanntlich nur äußerst ungenügend ausübte) in seinem knappen Bericht habe sagen können, weswegen man bei einigen Stellen dieses Berichtes versuchen müsse, zwischen den Zeilen zu lesen. Nach Wilds Ansicht könnten somit die durch den Ausgräber Makaronas erfolgten Benennung von Gebäudeteilen Hinweise darauf sein, daß ihn die Fundlage bestimmter Inschriften zu diesen Benennungen veranlaßt hätte, ohne daß er auf diesen Sachverhalt offen habe hinweisen können (‚Krypta‘: Nennung von Mysten in IGThess 244; 259; ‚Dromos‘: IGThess 111; 118). 89 IGThess 107: 3Osei1ridi my1stei 3Ale1jandron Dhmhtri1oy kai2 Ni1kaian / Xarije1noy Dhmh1triow toy2w ay3toy9 gonei9w.
3.1. Das Heiligtum der ägyptischen Götter
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Osiris mystes mit der Reliefdarstellung des auf einen Altar opfernden Osiris (spätes 3. / frühes 2. Jh. v. Chr.).90 Die zweite Inschrift, IGThess 259 (1. Jh. n. Chr.) ist die von einem mit dem Kulttitel bhsarthw bezeichneten gewissen Ioulios veranlaßte inschriftliche Schenkungserklärung eines Weinberges91 zugunsten einer Mystengemeinschaft des Zeus Dionysos Gongylos92 mit der Auflage, dreimal jährlich eine artou hestiasis abzuhalten. Die Inschrift nennt zwei Priester, nämlich L. Fulvius Felix, welcher wohl Priester des Zeus Dionysos Gongylos ist, sowie einen Straton, Sohn des Epikrates, welcher die Aufstellung des Steines genehmigte und in welchem Wild aus diesem Grunde den Priester des Sarapis und der Isis vermutete, in deren Bezirk die Inschrift ja gefunden wurde. Des weiteren schloß Wild, daß aus der Gruppe der männlichen Götternamen, die aus dem Heiligtum inschriftlich überliefert sind, nur Zeus Dionysos Gongylos als Benennung der Herme aus dem unterirdischen Raum in Frage kommen könne, da die Hermengestalt für die Darstellung ägyptischer Gottheiten ansonsten unbelegt, für Dionysos hingegen geläufiger ist. Die Hermenbasis mit ihrer bereits von Makaronas als kaum mehr lesbar beschriebenen Inschrift scheint heute nicht mehr auffindbar zu sein, kann also bei der Benennung nicht weiterhelfen.93 Nimmt man an, daß der Kult des Gongylos in dem unterirdischen Raum beheimatet war, dann findet sich innerhalb des Bezirkes der ägyptischen Götter offenbar ein Kult eines ‚Außenseiters‘, der mit diesen Gottheiten nicht direkt zu tun hatte. Es bestehen dennoch mehrere, gleichwohl eher vage Verbindungslinien zu den ägyptischen Gottheiten, die Wild anführt: Zum ersten ist dies das Wort ȕȘıĮȡIJȘȢ, dessen Bedeutung nicht gesichert ist. Beim Ioulios Besartes aus IGThess 259 erscheint der Begriff zunächst 90
SculpThess I Nr. 67 Abb. 150. – BOKOTOPOYLOY 1996 Abb. S. 67. Zur Ortsbezeichnung Perdyli1a HATZOPOULOS 1996 Bd. 1, 120 Anm. 6 sowie jüngst EpThess 478. 92 Die Gestalt des Zeus Dionysos Gongylos ist auch nach den Ausführungen von G. Daux, CRAI 1972, 478–487 nicht befriedigend erklärt. Zeus Dionysos ist vor allem in Thrakien belegt, zum Beinamen Go1ngylow vgl. STEIMLE 2006, 34. 93 MAKARONAS 1940, 464 Anm. 4. – Bei der Basis handelte es sich, wie allein aus dem Inventarbuch des Archäologischen Museums Thessaloniki hervorgeht (zu Inv. 1000), um den nur mit dem Fundort ‚Serapeion‘ aufgeführten Block mit der völlig disparat wiedergegebenen Inschrift IGThess 948 (im Inventar als ‚Marmor‘, im IG-Band als ‚Poros’ bezeichnet, aber mit übereinstimmenden Maßen). Möglicherweise könnte eine Autopsie des Steines bei der Benennung der Herme weiterführen, denn die genaue Herkunft und somit Bedeutung des Steines scheint dem Herausgeber Ch. Edson nicht bekannt gewesen zu sein, seine auf einzelne Buchstaben beschränkte Lesung wurde nur anhand einer Photographie vorgenommen. G. Despinis (Kommentar zu SculpThess I Nr. 45) scheint die Inschrift auf der heute noch vorhandenen kleinen Plinthe gesucht zu haben, die Zugehörigkeit der Basis Inv. 1000 erwähnt er nicht. Bei der bisherigen Aufstellung der Herme in der rekonstruierten Nische im Museum von Thessaloniki war die Basis durch eine Gipsrekonstruktion ersetzt, vgl. ADAMBELENH 2001, 158 mit Abb. 140. 91
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
wie ein Cognomen. In der einzigen weiteren bekannten Nennung des Wortes in IGThess 244, ebenfalls mit Fundort ‚Serapeion‘, erscheint inmitten einer fragmentarischen Liste von Mitgliedern eines Kollegiums, und zwar vermutlich ebenfalls des Zeus Dionysos Gongylos, ein Alexandros Alexandrou besartes. In gleicher Weise sind in derselben Liste die Begriffe boophoros und archinakoros Personennamen nachgestellt, es handelt sich also auch beim besartes offensichtlich um einen Kultnamen oder um eine Amtsbezeichnung, die möglicherweise mit dem ägyptischen Gott Bes in Verbindung steht,94 dessen Verehrung allerdings aus Thessaloniki bisher nicht bekanntgeworden ist. Neben einer grundsätzlich möglichen Assoziierung des Dionysos mit Osiris waren es für Wild weitere Inschriften, welche auf eine Verbindung des unterirdischen Raumes mit Osiris hindeuten könnten. Die Osirisverehrung im Rahmen eines Mysterienkults wird durch das Weihrelief IGThess 107 nahegelegt. Die Verbindung zum unterirdischen Raum suchte Wild wiederum in zwei stark fragmentierte Bauinschriften, deren eine die Errichtung eines dromos ‚auf eigene Kosten‘ (ek ton idion) überliefert (IGThess 118); die andere Inschrift, IGThess 111, weiht ton dromon dem Osiris. Wild versuchte auch hier, Makaronas’ Bericht zwischen den Zeilen zu lesen: Dieser bezeichnet in seinem auf Griechisch verfaßten Aufsatz den Zugangskorridor zum unterirdischen Raum wiederholt als įȡȩȝȠȢ, weshalb Wild die Möglichkeit sah, daß für Makaronas’ Wortwahl die Auffindung einer oder beider Inschriften in räumlicher Nähe zu diesem Korridor ausschlaggebend gewesen sei.95 Wenn nun der dem Osiris geweihte dromos den Korridor meine, so müsse die Verbindung zu Osiris natürlich auch für den unterirdischen Raum gelten, zu welchem der Korridor führte.96 Wild war der Ansicht, die dort stattfindenden Riten hätten nicht Osiris direkt gegolten; dies schloß er wegen der Herme aus. Vielmehr sei ein älterer Mysterienkult zu Ehren des Zeus Dionysos Gongylos in irgendeiner Weise mit Osiris und den anderen ägyptischen Göttern verbunden worden 94
WILD 1981, 193. WILD 1981, 193. – Wilds Interpretation läßt allerdings unberücksichtigt, daß in der (nicht nur klassischen) Archäologie der Begriff dromos traditionell und zumeist unreflektiert als Bezeichnung für Zugänge verschiedenster Art verwendet wird. M AKARONAS 1940 verwendet auch andere architektonische Begriffe (naQ1skow, aedicula, na1ruhj) kommentarlos und ohne daß diese sich in den Inschriften des Heiligtums wiederfinden würden. – VITTI 1996, 82 versteht den IGThess 111 und 118 genannten dromos in völlig anderer Weise, wenn er im Zusammenhang mit dem Straßenraster der antiken Stadt die Auffindung einer römischen Straße in der Nähe der heutigen Odos Antigonidon nennt, welche das ‚Serapeion‘ von Südosten her begrenzt habe und welche die in diesen Inschriften genannte Straße sei. Obwohl die Pflasterung öffentlicher Straßen hin und wieder auf privaten Spenderwillen zurückgehen konnte (vgl. etwa IBeroia 98 Nr. 117, 1. Jh. n. Chr., hier Abschnitt 3.2.5 mit Anm. 367) läßt eine solche Auffassung des dromos die Weihung an Osiris (IGThess 111) unerklärt. 96 Zum Versuch der Datierung des Zugangskorridors und damit auch des Apsistempels durch die Inschriften s. hier Anm. 66. 95
3.1. Das Heiligtum der ägyptischen Götter
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und habe so in einer modifizierten Form innerhalb des Bezirkes der ägyptischen Götter weiterbestehen können.97 Die Schlußfolgerungen Wilds zum in der sogenannten ‚Krypta‘ lokalisierten Kult sind in ihrer nur auf schwache Indizien gegründeten Argumentation ebensowenig zu beweisen, wie sie beweiskräftig zu widerlegen sind. Folgt man allerdings H. von Schoenebeck in seiner Datierung des Apsistempels in galerianische Zeit – dessen Errichtung unserer Kenntnis nach der Erweiterung des Zugangskorridors zeitlich entsprochen haben muß – dann schließt dies die Inschriften des 1./2. beziehungsweise 2. Jahrhunderts nach Christus aus der Diskussion um den Kryptazugang aus. Mit ihnen aber fehlt ein wichtiges Verbindungsglied in der Argumentationskette Wilds. Als Alternative zur Interpretation des unterirdischen Raumes bietet sich eine andere Hypothese an: In seiner unterirdischen, von außen nicht einzusehenden Lage entspricht der Raum nicht der Disposition eines ‚klassischen‘ Tempels, sondern – etwa den Mithräen vergleichbar – eher der einer Versammlungsstätte einer abgeschlossenen Kultgemeinschaft. Es scheint also, daß in in der relativen Abgeschiedenheit des unterirdischen Raumes ein eher kleiner – und dabei nach außen hin stark abgegrenzter – Personenkreis aktiv war. Als eine solche Nutzergruppe wären Kultvereine denkbar, wie sie aus dem Heiligtum durch mehrere Inschriften bekannt sind.98 3.1.5. Statue und Basis der I5 siw O 3 rgi1a „Wiederverwendeter Altar mit später Weihinschrift an Isis im Innern“ – diese knappe Bemerkung im Tagebuch Hans von Schoenebecks ist die bisher einzige Überlieferung zu einem beweglichen Fund aus der Cella des Apsistempels.99 Daß von Schoenebeck das Innere der Cella – und nicht etwa des Cellavorraums – meint, legt ein im archäologischen Museum Thessaloniki aufbewahrter Detailplan des Bauwerks nahe, auf dem vor der südöstlichen, also der vom Eingang her gesehen rechten, Cellainnenwand 97 In den Überlegungen zum Alter des mit der Herme verbundenen Kultes bzw. zum Beginn seiner Ausübung in der ‚Krypta‘ muß auch der Umstand Berücksichtigung finden, daß sich an der Herme deutliche Spuren einer antiken Umarbeitung finden (nicht zugehöriger Kopf, Kürzung und Neusockelung des Hermenschaftes), die auf eine Neuaufstellung hinweisen: G. Despinis zu SculpThess I Nr. 45 mit Abb. 125–126. Das Alter dieser Umarbeitungen ist unbekannt, ebenso wie die ursprüngliche Entstehungszeit der Herme: Die hierfür von Despinis a.a.O. lediglich referierte Datierung in hellenistische Zeit beruht ausschließlich auf Überlegungen zum möglichen Alter der ‚Krypta‘. 98 Zu einer möglichen Nutzung durch die Mysten des Zeus Dionysos Gongylos siehe STEIMLE 2006, 35f. 99 Die Worte ‚im Innern‘ sind im Manuskript unterstrichen. Diese Betonung erscheint nur sinnvoll, wenn nach Kenntnis v. Schoenebecks der Fundort des Rundaltars seinem ursprünglichen Aufstellungsort entsprach.
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
zwei runde Formen eingezeichnet sind.100 Diese sind, von Maßangaben abgesehen, unbezeichnet, doch dürfte eine von ihnen den genannten Altar darstellen.101 Der Altar ist unter den bekannten Funden identifizierbar, es handelt sich mit großer Sicherheit um den im Archäologischen Museum Thessaloniki befindlichen Rundaltar Inv. ȂĬ 986,102 der ursprünglich etwa 35 v. Chr. geweiht worden war.103 Im Laufe des 2. Jahrhunderts nach Christus erfuhr der Altar eine Erneuerung, die mit seiner Umnutzung zu einer Statuenbasis einherging.104 Seine neue, auf der bisherigen Rückseite angebrachte Inschrift ist eine Weihung des Priesters G. Foloyi1niow Oy3h9row an Isis Orgia.105 Die Nennung des Göttinnennamens zeigt, daß das heute verlorene Bildnis, welches die Basis in ihrer zweiten Verwendung getragen hat, eine Darstellung der Isis gewesen sein muß. In Anbetracht der Maße der Basis scheint eine knapp unterlebensgroße Statue denkbar.106 Der Beiname der Orgia ist bisher ohne Parallele107 und kann so nur allgemein mit der Verbindung der Isis zu Mysterien erklärt werden.108 Wesentlicher als die Bedeutung des Beinamens scheint in unserem Zusammenhang jedoch die Frage nach den Gründen seiner Verwendung zu sein. Sie können vielleicht durch die Positionierung der Statue der Orgia im Tempelinneren erschlossen werden. Da die Umnutzung als Statuenbasis älter ist als die durch die Angaben von Schoenebecks zu erschließende Datierung des Apsistempels, setzen diesbezügliche Überlegungen natürlich die Annahme voraus, daß die aus dem ‚galeriuszeitlichen‘ Bau überlieferte Aufstellung der Erstaufstellung entsprochen hat. Immerhin muß es Gründe gegeben haben, am Beginn des 4. Jahrhunderts eine zu diesem Zeitpunkt bereits mindestens ein Jahrhundert ältere, private Statue (wieder-?)aufzustellen;
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STEIMLE 2004, 301 Abb. 3. Ob die in diesen Plänen für die runden Formen angegebenen Maßangaben von jeweils 40 cm den Rundaltar MĬ 986 (Durchmesser an der Oberseite: 45,5 cm) ausschließen können, muß bei unserer ungenügenden Kenntnis von der Sorgfalt der Planaufnahme offen bleiben. 102 SculpThess I Nr. 47 mit Abb. 121–124. 103 IGThess 84: Po1[pliow] / Sala1riow / Pa1mfilow kai2 / Ma1niow Sala1riow / ueoi9w / e3ntemeni1oiw. 104 Diese Umnutzung war um so leichter möglich, als dieser Typus von Rundaltären formal von Statuenbasen klassischer und hellenistischer Zeit abhängig zu sein scheint: Th. Stefanidou-Tiveriou zu SculpThess I Nr. 47. 105 IGThess 103: Ei5sin = 3Orgi1an = G = Foloyi1niow = Oy3h9row o4 = i4erey2w = e3piskeya1saw e33k tv9n i3di1vn a3ne1uhken. 106 H. 66,5 cm, Dm. (oben) 45,5 cm. 107 Nicht gesichert ist die Verbindung mit Isis bei dem isolierten Wort ȅȇīǿǹ auf einer (möglicherweise fragmentarischen) Inschrift aus Kenchreai, von der R. Scranton ausging: R. Scranton et al., Kenchreai, Eastern Port of Corinth Bd. 1: Topography and Architecture (Leiden 1978), 73 und Taf. 28C; vgl. SEG 28, 1978, 387 sowie L. Bricault, Myrionymi. Les épiclèses grecques et latines d’Isis, de Sarapis et d’Anubis (Leipzig 1996) s.v. o5rgia [sic]. 108 Vgl. DUNAND 1973, 188. 101
3.1. Das Heiligtum der ägyptischen Götter
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somit ist sehr wahrscheinlich, daß es sich um ein bereits im Vorgängerbau aufbewahrtes Bildnis handelt. In der Apsisnische des Tempels hat mit großer Sicherheit ein weiteres Kultbild gestanden. Bei der anhand der Rundbasis zu erschließenden, vor der Cellaseitenwand aufgestellten Statue der Isis Orgia kann es sich somit kaum um das einzige Götterbildnis im Tempel gehandelt haben. Gleichzeitig darf man mit einiger Berechtigung annehmen, daß das in der Apsisnische anzunehmende Bildnis diejenige Gottheit verkörperte, welcher der Tempel geweiht war,109 auch wenn offen bleibt, welche Gottheit dies war: Es könnte beispielsweise ein Bildnis des Sarapis gewesen sein. Die zusätzliche Aufstellung einer Statue seiner Gefährtin Isis wäre hier ohne weiteres denkbar, wie überhaupt die Weihung des Apsistempels an mehrere Gottheiten, etwa an das Götterpaar Isis-Sarapis. Daneben ist nicht auszuschließen, daß auch die in der Apsis aufgestellte Statue ein Bildnis der Isis war, daß im selben Tempel also zwei Isisbildnisse vorhanden waren. Ein solches Nebeneinander mehrerer Bildwerke derselben Gottheit in einem gemeinsamen Tempel ist für die mittlere Kaiserzeit etwa durch Pausanias im Heraion von Argos belegt110 und hat sich dort u.a. aus der Hinzufügung jüngerer Kultbilder ergeben, ohne daß deshalb die älteren Bilder zwangsläufig ihre alte Bedeutung verloren hätten oder gar aus dem Tempel entfernt worden wären.111 Falls man nicht davon ausgehen möchte, daß sich unser Bildnis der Isis Orgia ursprünglich in der Apsisnische befunden hat und erst von einem später hinzugekommenen Bildnis an die Cellaseitenwand verdrängt wurde, so könnte der Ort seiner Aufstellung bedeuten, daß sich zum Zeitpunkt seiner Weihung bereits ein älteres Kultbild in der Tempelcella befunden hat: Schließlich erscheint die Aufstellung einer Statue vor der Seitenwand der axial symmetrischen Cella am ehesten dann nachvollziehbar, wenn der Raum in der Apsisnische bereits durch ein anderes Standbild eingenommen war. Dafür, daß es sich bei der Statue der Isis Orgia nicht um das ‚zentrale‘ Kultbild gehandelt hat, könnte neben der Nutzung eines wiederverwendeten Steines als ihrer Basis vielleicht auch die Weihinschrift sprechen, welche das Standbild so aus109
T. Scheer hat kürzlich darauf hingewiesen, daß bei mehreren Kultbildern derselben Gottheit im selben Tempel deren unterschiedliche Aufstellungsorte innerhalb der Cella nicht als Hinweis auf eine kultische Hierarchie verstanden werden dürfen: So kann beispielsweise allein aus einer Aufstellung in der Hauptachse der Cella kaum abgeleitet werden, daß es sich hier um das ‚eigentliche‘, am meisten verehrte Kultbild dieser Gottheit handeln muß: T. Scheer, Die Gottheit und ihr Bild: Untersuchungen zur Funktion griechischer Kultbilder in Religion und Politik (München 2000) 130–136, hier 132ff. Dieser Auffassung widerspricht aber nicht die Vermutung, daß – im Falle der Aufstellung von Statuen verschiedener Gottheiten – das in der Cella zentral aufgestellte und sichtbare Götterbild wohl in aller Regel derjenigen Gottheit gegolten hat, der dieser Tempel geweiht war. 110 Pausanias 2, 17, 3ff. 111 Vgl. hierzu Scheer a.a.O. (wie hier Anm. 109).
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
drücklich als Weihung einer Einzelperson kennzeichnet. Zudem scheint die Annahme nicht ausgeschlossen, daß die Wahl des Beinamens Orgia zur Bezeichnung einer Sonderform der Göttin diente, die in bewußter Unterscheidung neben eine ältere Isisgestalt trat. Solcherart unterscheidende Beinamen kamen unter anderem dann vor, wenn in einer Stadt dieselbe Gottheit in verschiedenen Erscheinungsformen verehrt wurde.112 Derselbe Fall ist aber grundsätzlich auch innerhalb ein und desselben Heiligtums denkbar – zumal bei Isis, für welche die Vielzahl an Beinamen geradezu ein Charakteristikum darstellt.113 Sollte dem Beinamen Orgia auch in unserem Fall vorrangig die Funktion einer genaueren Spezifizierung der Isis zugekommen sein, so könnte dies im Umkehrschluß bedeuten, daß diese Unterscheidung dem Stifter vielleicht gerade deshalb angebracht erschien, weil der Apsistempel auch schon vor Aufstellung der Statue der Isis Orgia der Göttin Isis geweiht war. 3.1.6. Ein Bauboom unter Antonius? Christian Habicht sprach 1974 in seiner Rezension zum IG-Band der Inschriften Thessalonikis davon, daß die Stadt nach der Verleihung der libertas durch Antonius (nach der Schlacht bei Philippi 42 v. Chr.) „in den folgenden fünf Jahren eine intensive Bautätigkeit entfaltet“ habe, welche „vor allem den ägyptischen Gottheiten zugutekam“. Dies sei „vielleicht nicht ohne Rücksicht auf den Einfluß geschehen, den Kleopatra in diesen Jahren auf Antonius gewann.“114 Habichts Hypothese wurde in der Folgezeit von mehreren Autoren wiederholt.115 Seine knapp formulierte Aufzählung der entsprechenden Zeugnisse ermöglichte jedoch das Mißverständnis, alle von 112
Beispiele bei Scheer a.O. 130–131. Aus Thessaloniki inschriftlich belegten Beinamen sind: Isis Nike IGThess 82 (2. od. 1. Jh. v. Chr.); Isis Tyche Agathe IGThess 95. 96 (beide 2. oder 1. Jh. v. Chr.); Isis Lochia IGThess 97 (32–2 v. Chr); Isis Tyche IGThess 99 (1. Jh. v. od. n. Chr.). 104 (2. od. 3. Jh. n. Chr.); Isis epekoos IGThess 101 (etwa 2. Jh. n. Chr.); Isis Memphitis IGThess 102 (2. Jh. n. Chr.); Isis Orgia IGThess 103 (etwa 2. Jh. n. Chr.); Isis Nymphe IGThess 105 (2. od. 3. Jh. n. Chr.). 114 HABICHT 1974, 489. 115 Vgl. TOURATSOGLOU 1988, 10 Anm. 34: „Die Blüte des Kults ... mag am ehesten auf den Einfluß Kleopatras auf Antonius zurückzuführen sein, der zu dieser Zeit gerade im griechischen Raum weilte.“ Ähnlich V ITTI 1996, 59: „... i3diai1rerh oi3kodomikh2 drasthrio1thta sto2 xv9ro toy9 i4eroy9, h4 o4poi1a i5svw o3fei1letai sth2 mega1lh e3pirroh2 poy1 a3skoy9se h4 Kleopa1tra e3pi2 toy9 3Antvni1oy“ sowie jüngst RIZAKIS 2002, 120: „... ces cultes [nilotiques] dont la vogue n’est pas étrangere à l’influence de Cléopatre“ (jeder der Genannten jeweils mit Verweis auf HABICHT 1974, 489). – VOM BROCKE 40 spricht mit größerer Bestimmtheit davon, die Bautätigkeit habe, „wie es die Inschriften nahelegen“, im Zusammenhang mit dem Auftreten des Antonius im griechischen Osten gestanden (mit Verweis auf TOURATSOGLOU 1988 a.a.O.); entsprechend VOM BROCKE 133f. mit Anm. 111. – TRAKOSOPOYLOY-SALAKIDOY 1993, 1544 spricht hingegen allgemeiner von einer Blüte des Kults der ägyptischen Götter im ersten vorchristlichen Jahrhundert. 113
3.1. Das Heiligtum der ägyptischen Götter
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ihm angeführten Texte auf das Heiligtum der ägyptischen Götter zu beziehen und somit irrigerweise auf eine größere Zahl von Bauwerken im Heiligtum zu kommen.116 Betrachtet man die von Habicht als Belege genannten fünf Inschriften,117 so stellt man fest, daß zwei davon (IGThess 30; 50) nicht aus dem Heiligtum der ägyptischen Götter stammen und sie inhaltlich keinerlei Bezug zu diesem aufweisen; sie nennen lediglich dasselbe Magistratskollegium, welches auch in einer Inschrift aus dem Heiligtum (IGThess 109, 39–38 v. Chr.?) mit der Weihung mehrerer Bauten erwähnt wird. Einen Grund für eine Lokalisierung im Heiligtum gibt es also weder für das grammatofyla1kion (IGThess 50) noch für den unbekannten Bau aus der fragmentierten Inschrift IGThess 30,118 zumal die eigentlichen Weihenden aus IGThess 109, Poplios Salarios Pamphilos und sein Sohn Manios Salarios, in den Inschriften IGThess 30 und 50 überhaupt nicht erscheinen. Das in IGThess 83 (37–36 v. Chr.?) als Stiftung an Isis ‚und alle im temenos wohnenden Götter und Göttinnen‘ benannte y4drh9on geht ebenfalls auf die Großzügigkeit des Poplios Salarios Pamphilos und seines Sohnes Manios Salarios zurück. Seit der Kommentierung durch den Herausgeber Edson wird dieses hydreon als Wasserbecken zur Aufnahme des heiligen Nilwassers aufgefaßt, also als Bauwerk im weitesten Sinne. Dieser Schluß ist jedoch nicht zwingend, denn das Wort erscheint ab nachhellenistischer Zeit auch zur Bezeichnung einer Wasserkanne zur Aufbewahrung eben jener kostbaren Flüssigkeit;119 die von Edson angeführten epigraphischen Vergleiche aus Delos stammen hingegen noch aus hellenistischer Zeit. Als wertvolles, vergoldetes und mit Gemmen besetztes Gefäß erscheint ein hydraeum als Spende an Isis und Serapis in einer wohl kaiserzeitlichen
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Eine Verbindung der in seiner Aufzählung enthaltenen Texte IGThess 30 und IGThess 50 mit dem Heiligtum der ägyptischen Götter war von Habicht sicher nicht beabsichtigt. Allerdings bietet seine Formulierung, die von einer allgemeinen Bautätigkeit der Stadt auf das besonders begünstigte Heiligtum überlenkt und dann alle Belege – also auch die aus der übrigen Stadt – gemeinsam aufführt, die Möglichkeit eines Mißverständnisses, welches Vitti ganz offensichtlich dazu geführt hat, alle genannten Inschriften auf das Heiligtum zu beziehen (vgl. bereits – ebenso leicht mißverständlich – TOURATSOGLOU 1988, 10 Anm. 34 sowie die Entgegnung durch VOM BROCKE 40 Anm. 84). 117 IGThess 30. 50. 83. 109. 124. – Der Herausgeber Ch. Edson hatte die Herkunft von IGThess 30 aus Thessaloniki als unsicher angesehen. Da aber im Text dasselbe Magistratskollegium wie in IGThess 50 und 109 (letztere aus dem Heiligtum der ägyptischen Götter) erscheint, sind Zweifel an der Herkunft nicht angebracht. 118 Diese irrige Meinung vertritt z.B. VITTI 1996, 175. An anderer Stelle (VITTI 1996, 54 Anm. 59) findet sich allerdings sein berechtigter Hinweis, daß das grammatophylakion als Archivgebäude (tabularium) im Bereich der Agora zu vermuten ist. 119 EGELHAAF-GAISER 152. – Plut. mor. 365B: tv9n i4erv9n a3ei2 propompey1ei to2 y4drei9on e3pi2 timh2 toy9 ueoy9.
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
lateinischen Inschrift aus dem latischen Nomentum.120 Auch für unsere Inschrift ist demnach denkbar, daß das y4drh9on ein solches Gefäß und nicht zwangsläufig ein Wasserbecken meint.121 Sicher als Bautenweihungen aufzufassen sind hingegen die im Heiligtum der ägyptischen Götter gefundenen Inschriften IGThess 109 und 124. IGThess 109 (39–38 v. Chr.?) nennt wiederum Poplios Salarios Pamphilos und seinen Sohn Manios Salarios, welche dem Osiris und den übrigen im temenos wohnhaften Göttern und Göttinnen to2 3Osirih9on kai2 to2 e3n ay3tö9 peri1stylon weiht. Hierbei hat man sich das eigentliche Osirieon trotz der Formulierung vielleicht am ehesten als Tempelbau im Innern eines Peristylhofes vorzustellen.122 IGThess 124, ein stark fragmentierter Text aus der Zeit zwischen 42 und 32 v. Chr., nennt ein weiteres Propylon, dessen Lage aber unbekannt bleibt. Ebenfalls in IGThess 109 genannt ist das didymafo1rion, ein Objekt mit Bezug zum Isis- und Osirismythos: In ihm ist die Aufbewahrung der didymai9a, also der abgetrennten Genitalien des Osiris gedacht.123 Daß man sich das didymaphorion, welches als Wort ansonsten offenbar unbelegt ist,124 mit F. Dunand als Bauwerk („une simple chapelle“) vorzustellen hat,125 ist jedoch eher unwahrscheinlich: Wortbildungen auf -fo1rion beziehungsweise -forei9on bezeichnen häufig tragbare Behältnisse für verschiedenste Ge120 Inschrift aus Nomentum ILS 4378 = CIL XIV 3941 = VIDMAN Nr. 531. – WILD 1981, 215. – EGELHAAF-GAISER 152 Anm. 267. 121 Selbst bei einer Deutung als Wasserbecken (Quellfassung?) wird man dieses entgegen der Auffassung von HABICHT 1974, 489 wohl kaum als einen Beleg für eine ‚intensive Bautätigkeit‘ in der Stadt und im Heiligtum zählen dürfen. – Warum, wie M. Bommas im Zusammenhang mit dem auch für die griechischen Heiligtümer bedeutsamen ‚Nilwasser‘ behauptet, in Thessaloniki „diese Rolle dem Delta des Flusses Axios ... , das in gewisser Weise an das Nildelta erinnern konnte und aus dem fiktives Nilwasser als Erscheinungsform des Osiris geschöpft werden konnte“, zugekommen sein soll (BOMMAS 2002, 132f.), bleibt unklar. Dies ist zum einen völlig unbelegt, zum anderen auch aus geographischen Gründen nicht einsichtig: Selbst wenn die antike Entfernung des – im Laufe der Jahrhunderte veränderlichen – Mündungsdeltas zur Stadt unbekannt ist, so mündet zwischen dem Delta des Axios und dem Stadtgebiet von Thessaloniki immerhin noch der nicht unbedeutende Fluß 3Exei1dvrow (heute: Galliko1w) in den thermäischen Golf. 122 Denkbar erscheint aber auch, daß der Begriff Osirieon eine Bezeichnung des gesamten Bezirkes des Osiris darstellt, in welchem sich das Peristyl befindet; die Weihung des Osirieon wäre dann vielleicht nicht zwangsläufig die eines Osiristempels, sondern könnte auch eine Neugestaltung anderer Teile des heiligen Bezirks beinhalten. – Mögliche Parallelen zur hier vermuteten baulichen Anordnung stellen die sogenannten Serapeia A und C auf Delos dar, bei denen sich jeweils kleine Tempel inmitten eines von Säulenhallen flankierten Innenhofes befinden; vgl. die Pläne bei DUNAND 1973, 86 Abb. 4 und 88 Abb. 5. 123 Vgl. den Kommentar Ch. Edsons zu IGThess 109: „Admonet vir doctus H. Engelmann per epist. didymafo1rion esse receptaculum testes dei Osiridis continens ...“ [mit Angabe von Literatur]. 124 LSJ (9. Auflage mit Supplement 1996) führt es nicht. 125 DUNAND 1973, 55 mit Anm. 7; ihr folgend VOM BROCKE 137.
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genstände und Güter oder andere zum Tragen dienende Gerätschaften.126 Für Bauten oder Räume mit sakraler Funktion sind entsprechende Bildungen zwar ebenfalls belegt (z.B. Uesmofo1rion, 3Vsxofo1rion, pastofo1rion, Dafnhforei9on), doch bezeichnen sie diese gerade nicht im Sinne eines Aufbewahrungsortes, sondern sie leiten sich jeweils von anderen Bezeichnungen wie etwa Götterbeinamen oder Kultämtern ab. Würde man das didymaphorion in Analogie zu ähnlich gebildeten Wörtern als Bezeichnung eines Bauwerks annehmen, dann müßte man, wie es die Begriffe v3sxofo1roi, pastofo1roi und viele andere Bezeichnungen für kultische Ämter nahelegen, in Thessaloniki ein – völlig unbelegtes – Amt von didymaphoroi voraussetzen, als dessen Amtslokal es dann gedient hätte: In diesem Sinne wird der Bau wohlgemerkt auch von F. Dunand nicht gedeutet. Es scheint folglich allein möglich, didymaphorion als einen nach dem Muster der Wörter für Behältnisse oder Traggeräte gebildeten Begriff zu deuten und dann als ein – aufgrund seiner Weihung sicherlich kostbares – tragbares Behältnis anzusehen. Betrachtet man die aufgeführten Inschriften zusammenfassend, so verbleiben im Heiligtum der ägyptischen Götter ganze zwei gesicherte Bauweihungen aus der Zeit nach der zugestandenen libertas und zu Lebzeiten des Antonius und der Kleopatra. Eine gesteigerte Bautätigkeit während dieser Zeit, welche Habicht beobachtet zu haben meinte und welche seitdem einen gewissen Status in der Literatur erlangt hat, läßt sich in aus diesen Quellen jedenfalls nicht erschließen. 3.1.7. Im Heiligtum verehrte Götter Für das Heiligtum der ägyptischen Götter in Thessaloniki hat sich in der Literatur die Bezeichnung Serapeion fest eingebürgert. Die Verwendung des Begriffes erfolgt in aller Regel unkommentiert, obwohl er für Thessaloniki nicht antik belegt ist, sondern allein auf die Nennung des Sarapis in den Inschriften IGThess 3 und 255 zurückgeht, welche bereits bei den ersten Grabungen aufgefunden wurden.127 Es handelt sich bei diesen Inschriften um ein Dekret Philipps V. peri2 tv9n toy9 Sara1pidow xrhma1tvn sowie den Bericht über die Aufnahme des Sarapis und der Isis in die lokrische Stadt Opous aus Anlaß einer Traumerscheinung. In welchem Zusammenhang die Fundlage dieser Inschriften (wie auch der anderen Funde) mit
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Zum Beispiel a3rtofo1rion, bibliofo1rion, oi3nofo1rion; nekrofo1rion, skeyofo1rion, skeyoforei9on. 127 BCH 45, 1921, 541: „ … trois inscriptions grecques, parmi lesquelles se trouveraient une lettre de Philippe V de Macédoine, relative au trésor du temple des dieux égyptiens [= IGThess 3], et un ex-voto où le dédicant rappelle les circonstances d’un songe que lui avait envoyé Sérapis [= IGThess 255].“
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dem ersten der freigelegten Gebäudereste stand, bleibt unbekannt.128 Dennoch spricht die genannte Fundanzeige, zweifellos ausgehend von diesen Inschriften,129 von dem Bau als temple de Sérapis beziehungsweise temple de Sérapis et des dieux égyptiens.130 Dem entspricht die Benennung B. Schweitzers von 1922 als „Heiligtum des Serapis und anderer ägyptischer Götter“.131 Nach der Auffindung weiterer Gebäudereste ist 1924 von einem téménos des divinités égyptiens die Rede,132 W. Wrede wiederum spricht 1926 bereits in einer gewissen Selbstverständlichkeit von den „Arbeiten im Serapeion“.133 Dieser Begriff scheint sich somit auf die Gesamtheit der aufgefundenen Bauten im Sinne eines ‚Heiligen Bezirks‘ zu beziehen. Ch. Makaronas nennt diesen Bezirk ‚Heiligtum der ägyptischen Götter‘, versieht seinen Fundbericht zur Grabung von 1939 aber mit der Überschrift ‚Ausgrabungen beim Serapeion‘, als handle es sich dabei um eine Grabung in der Nähe eines einzelnen Gebäudes134 – vermutlich hat Makaronas hiermit den ersten, um 1920 aufgefundenen Bau gemeint. In der Darstellung von W. Elliger findet sich mit dem Notnamen ‚Serapeion‘ als Bezeichnung für einen Einzelbau der schon mit dem Bericht von 1924 überholte Forschungsstand konserviert, was bei ihm mit einer sorglosen Auslegung selbst der wenigen Grabungsberichte einhergeht. Für ihn ist „das 1920 ... im Vardarbezirk entdeckte Serapeion“ „ein kleiner Tempel mit Vorhalle“ – gemeint ist also der erste der aufgedeckten Bauten, den er auch als „kleinen Serapistempel“ bezeichnet.135 Ebenfalls im Sinne eines Einzelgebäudes schreibt M. Vitti, der Sarapistempel habe als ‚Kern‘ fungiert, ‚um den sich die Kulte der Isis, des Osiris, des Harpokrates, des Anubis, des theos Hypsistos und anderer‘ versammelt hätten;136 der Verweis auf seine Abbildung des Gipsmodells im Archäologischen Museum von Thessaloniki läßt vermuten, daß er hierbei das ‚Serapeion‘ (so seine Abbildungslegende) konkret als den im Jahre 1938/9 entdeckten Apsistempel versteht, welcher nach seiner Auffassung dann den ‚Kern‘ des Hei128 Die Angabe von ELLIGER 42, Inschriften wie auch Skulpturenfunde seien im Tempel gefunden worden, hat keinerlei Grundlage in den Fundanzeigen. 129 Neben Sarapis (IGThess 3) sowie Sarapis und ‚seiner Schwester‘ Isis (IGThess 255) belegt das vermutlich 1920 gefundene Fragment IGThess 245 auch den Namen des Osiris. 130 BCH 45, 1921, 540 sowie Legende zu Abb. 14. 131 AA 1922, Sp. 242. 132 BCH 48, 1924, 497. 133 AA 1926, Sp. 430. 134 ‚3Anaskafh2 para2 to2 Sarapei9on‘. Diese Beobachtung auch bei VOM BROCKE 38 Anm. 71. 135 ELLIGER 42. Diese – wie weitere – Ungenauigkeiten Elligers finden sich jüngst leider kritiklos übernommen bei BÖRSCHEL 2001, 66f. 136 VITTI 1996, 89 mit Anm. 6–11 und Abb. 15: „ 4O nao2w toy9 Sara1pidow xrhsimey1ei v4w pyrh1naw gy1rv a3po2 to2 o4poi9o sygkentrv1nontai oi4 latrei9ew th9w 5Isidow, toy9 3Osi1ridow, toy9 4Arpokra1toyw, toy9 3Anoy1bidow, toy9 ueoy9 4Yci1stoy (ei3k. 15), kai2 a5llvn.“
3.1. Das Heiligtum der ägyptischen Götter
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ligtums mit seinen vielfältigen Kulten gebildet hätte.137 Dieselbe durch die Quellen nicht belegte Dominanz gegenüber den anderen ägyptischen Kulten erhält das ‚Serapeion‘ – welches als Bauwerk für einen Einzelkult ohne genauere Kenntnisse der Befunde völlig fiktiv bleiben muß – auch bei I. Touratsoglou, wenn er schreibt, daß diesem „auch die Verehrungsstätten der ägyptischen Gottheiten Isis, Harpokrates, Anubis, Horus u.a. angeschlossen“ gewesen seien.138 Eher als Bezeichnung der gesamten Grabungsstelle ist Serapeum hingegen bei Ch. Edson zu verstehen, der in seiner Edition der Inschriften Thessalonikis (IGThess) rund 70 Inschriften mit dieser Angabe versah und hierbei den Inventaren des Archäologischen Museums Thessaloniki folgte.139 Entgegen der geläufigen Benennung als ‚Serapeion‘ legen die Inschriften nahe, daß in Thessaloniki nicht Sarapis, sondern Isis im Mittelpunkt der Verehrung stand. Von den knapp über 70 Inschriften aus dem Heiligtum ist in insgesamt 30 Isis genannt, davon in 13 Inschriften alleine,140 in 10 gemeinsam mit Sarapis,141 in einer mit Harpokrates,142 in vier Inschriften mit Sarapis und Anubis,143 in zweien mit Sarapis und Harpokrates.144 Sarapis erscheint in 16 Inschriften, aber immer im Verband mit anderen Göttern.145 Ch. vom Brocke hat darauf hingewiesen, daß sich die Reihenfolge der Nennung von Sarapis und Isis etwa um die Zeitenwende verändert: Ist zunächst häufiger Sarapis der Erstgenannte, so ist dies später überwiegend Isis.146 137 Andernorts geht er allerdings davon aus, daß es sich beim ‚Serapeion‘ um einen Gebäudekomplex bzw. um einen Kultbezirk handelte: VITTI 1996, 69 und passim. – Eine gewisse Verwirrung der (freilich modernen) Begriffe ist bei Vitti auch im Falle des um 1920 freigelegten Antentempels festzustellen, den er S. 36 als naiskos benennt, also mit dem Begriff, den MAKARONAS 1940 für den Apsidentempel mit der darunterliegenden Krypta verwendet hatte; letzteren aber wiederum als naos – so hatte Makaronas den zuerst aufgefundenen Antentempel bezeichnet. Genau in umgekehrtem Sinne verwendet Vitti die Begriffe dann in seinem Katalog (VITTI 1996, 174f. zu Nr. 47). 138 TOURATSOGLOU 1988, 10. 139 Unklar bleibt, wie man Edsons Fundortangabe prope Serapeum inventa (für IGThess 67–71) zu verstehen hat – die flächenmäßige Ausdehnung des Heiligtums ist immerhin völlig unbekannt. 140 IGThess 94 (3. Jh. v. Chr.). 95. 96 (beide 2./1. Jh. v. Chr.). 97 (23/22 v. Chr.). 98. 99. (beide 1. Jh. v./n. Chr). 100. 101. 103 (2. Jh. n. Chr.). 104. 105. 106 (alle 2./3. Jh. n. Chr.) sowie der Neufund TRAKOSOPOYLOY-SALAKIDOY 1993, 1542 (um die Zeitenwende, vgl. hier Anm. 163). 141 IGThess 76 (2. Jh. v. Chr.). 82 (2./1. Jh. v. Chr.). 86 (1. Jh. v./n. Chr.). 88 (1. Jh. n. Chr.). 92. 93 (1.–3. Jh. n. Chr.). 89 (2. Jh. n. Chr.). 90. 91 (beide 2.–3. Jh. n. Chr.). 75 (3. Jh. n. Chr.). 142 IGThess 81 (2./1. Jh. v. Chr.). 143 IGThess 77. 78. 79. 80 (1. Jh. n. Chr.) 144 IGThess 85 (15/14 v. Chr.). 87 (1. Jh. n. Chr.) 145 Vgl. die Aufstellung der Belege bei VOM BROCKE 132 Anm. 105. 146 VOM BROCKE 137 mit Anm. 133–134.
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Einmal belegt sind Horus und Apollon (gemeinsam mit Sarapis, Isis und Harpokrates),147 daneben finden sich als namenlose Göttergruppen theoi synnaoi pantes, theoi sebastoi, theoi megaloi, theoi und theoi entemenioi, die zumeist in Weihungen an namentlich genannte Gottheiten eingeschlossen werden.148 Selbständig in Weihungen genannt erscheint hingegen Osiris, bekannt sind vier Inschriften.149 Sein Kult scheint, wie die Nennung des 3Osirih9on (IGThess 109) nahelegt, eine gewisse Eigenständigkeit innerhalb des Heiligtums besessen zu haben. Ein Problem besonderer Art sind die im Heiligtum der ägyptischen Götter zutagegekommenen Inschriften an Dionysos und theos Hypsistos. Allein drei der aus Thessaloniki bekannten Inschriften an Dionysos (IGThess 59; 244; 259) tragen den Fundortvermerk ‚Serapeion‘, eine weitere (IGThess 28) war dort in Zeitverwendung vermauert.150 Ähnliches gilt für sieben Inschriften an theos Hypsistos, für die eine Gemeinsamkeit darüber hinaus in der besonderen Form des Inschriftenträgers besteht: Fast alle sind Marmorsäulen, die in der Mehrzahl den Fundortvermerk prope Serapeum inventa tragen.151 Die sich als relativ geschlossene Fundgruppe darstellenden Inschriften legen die Annahme einer Verehrungsstätte des theos Hypsistos zumindest im Umfeld der Kultorte der ägyptischen Götter nahe, ohne daß das räumliche wie auch sakrale Verhältnis zu letzteren derzeit zu klären wäre. Die Frage nach kultischen Verbindungen in der Verehrung des theos Hypsistos und des Dionysos stellt sich aufgrund mancher Gemeinsamkeiten zu den ägyptischen Kulten. Sie bestehen für theos Hypsistos in dem Beleg für eine Traumsendung (IGThess 67) sowie in den auch aus Weihungen an Isis und Sarapis bekannten Formulierungen kat’ epitagen (IGThess *72) und kat’ euchen (IGThess 73). Dionysos scheint ebenso eng mit der Verehrung der ägyptischen Gottheiten verbunden gewesen zu sein. IGThess 59 verbindet die Weihung akoas kat’ euchen an theos Dionysos mit der Reliefdarstellung von Ohren, die in Thessaloniki im Isiskult mehr147
IGThess 85. IGThess 78. 80 (2./1. Jh. v. Chr.). 88 (1. Jh. n. Chr.). 102 (2. Jh. n. Chr.). 51 (1. v./n. Chr.). 53 (1. Jh. n. Chr.). 84 (35 v. Chr.). 149 IGThess 107. 108. 110. 111. 150 Zum Problem der Herkunft vgl. hier Anm. 435. 151 Als Weihungen an Theos hypsistos erfaßte der Herausgeber Ch. Edson seine Nummern IGThess 67–74. Bei IGThess 69 und 70 ergibt sich der Bezug zum Theos Hypsistos auch ohne dessen explizite Nennung durch die Erwähnung von Kultkollegiaten, die sich übereinstimmend auch in IGThess 68–70 finden. Bei IGThess 73 und 74 (Fundort: in Serapeo, nicht: prope Serapeum) ergibt sich die Weihung an Theos Hypsistos nach Auffassung des Herausgebers v.a. durch die Besonderheit der Säule als Schriftträger. IGThess *72 wiederum nennt Theos Hypsistos, ist aber ein Altfund, der nicht im Heiligtum der ägyptischen Götter oder in dessen Nähe aufgefunden wurde und zudem in der Form des Inschriftenträgers abweicht, es handelt sich um eine Platte. 148
3.1. Das Heiligtum der ägyptischen Götter
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fach belegt ist. Die Inschrift IGThess 259, die als Zeugnis für den Kult des Zeus Dionysos Gongylos in Zusammenhang mit einer vermuteten Kultausübung in der sogenannten ‚Krypta‘ gebracht wurde, sowie die Kollegiatenliste IGThess 244 (mit dem weiteren Beleg für den mutmaßlichen Kulttitel besartes, nach der Gottheit Bes?) zeigt an, daß eine Verbindung des Dionysos zu den ägyptischen Kulten auch in miteinander verschmolzenen Gottheiten vorliegen konnte, deren Existenz vermutlich auf den Gestaltungswillen eines privaten Vereins zurückzuführen ist.152 Weitere Gottheiten sind aus dem Heiligtum nicht inschriftlich, sondern durch Skulpturenfunde bekanntgeworden. Über ihre Verehrung im Heiligtum der ägyptischen Götter und ihre Verbindung zu den ägyptischen Gottheiten kann nur gemutmaßt werden. Der Oberkörpertorso einer Athenastatuette153 kann mit Isis insofern in Bezug gebracht werden, als beide Göttinnen als Erfinderinnen einer Vielzahl zivilisatorischer Gaben auftreten. Für Isis ist die Betonung dieses Aspekts durch einen in Thessaloniki fragmentarisch überlieferten Isishymnus belegt, der in mehreren Exemplaren aus dem Ägäisraum bekannt ist und dessen Text dadurch vollständig wiederhergestellt werden kann.154 In diesem Text findet sich auch der Bezug, der zu einer Verbindung mit Aphrodite weist, wenngleich die Rolle der Isis als Beschützerin ausschließlich der ehelichen Liebe einen engeren Bereich umfaßte als jener der Aphrodite. Zwei Plastiken der Aphrodite sind aus dem Heiligtum bekannt; die Statuette der Aphrodite Homonoia mit einer Weihung aus dem Jahr 182 n. Chr. sowie eine sehr qualitätvolle Statue einer Aphrodite vom sogenannten Typ Fréjus. Betrachtet man die Skulpturenfunde aus dem Heiligtum der ägyptischen Götter, so tritt der hellenistisch-griechische Charakter auch im äußeren Bild hervor. Die Assoziierung der ägyptischen mit griechischen Gottheiten findet ihre bildlichen Entsprechungen in der ikonographischen und stilistischen Angleichung ihrer Darstellungen. Die aus dem Heiligtum bekanntgewordene Plastik ist von griechischer Prägung, Ägyptisches oder auch nur ägyptisierende Elemente fehlen mit der Ausnahme des Fragments einer kleinen Sphinx aus schwarzem Basalt völlig.155 F. Dunand hatte – allerdings bei damals noch fast vollständig unpubliziertem Skulpturenmaterial – allein aufgrund dieses Fragmentes allzu optimistisch eine ägyptische oder ägyptisierende Dekoration des Heiligtums wie in Eretria oder Delos erschlossen und diese Vermutung auf Statuen und Kultobjekte ausgedehnt. 152
STEIMLE 2006, 36f. SculpThess I Nr. 77 Abb. 186–189 (2. Jh. n. Chr.). 154 IGThess 254. 155 Bei dem Stück handelt es sich um eine Darstellung des Gottes Tutu. Es stammt aus einer ägyptischen Werkstätte und datiert wohl in spätptolemäische Zeit, in die ersten Jahrzehnte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts: s. Th. Stefanidou-Tiveriou zu SculpThess I Nr. 46 mit Abb. 127–129. 153
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
Nach der zwischenzeitlich erfolgten Vorlage zumindest eines Teils dieses Materials kann eine ägyptische Ausstattung in diesem Ausmaß aber nicht bestätigt werden. Die Zugehörigkeit des Fragments zu einer ‚Sphingenallee‘, die Dunand in Betracht zog, 156 erscheint angesichts dessen geringer Größe (L. im Erhaltenen 14 cm) eher unwahrscheinlich. 3.1.8. Beteiligung von Römern am Kult An den Kulten der ägyptischen Götter müssen schon bald nach Errichtung der Provinz Makedonien (146 v. Chr.) Römer beteiligt gewesen sein. Interessanterweise lassen sich gerade hier einige der frühesten inschriftlichen Belege für die Anwesenheit von Römern in Thessaloniki ausmachen; möglicherweise handelt es sich bei diesen um Händler, deren Ansiedlung in der Stadt im Zusammenhang mit der Anlage der Via Egnatia (etwa 145–120 v. Chr.) angenommen werden kann. IGThess 79 und 80, beide vom Herausgeber ins ‚2. oder 1. Jh. v. Chr.‘157 datiert, nennen in Weihungen an Isis, Sarapis und Anubis – die sogenannte ‚delische Trias‘ – römische Namensträger. Dennoch fassen auch diese Römer ihre Weihungen fast ausschließlich in griechischer Sprache ab. Der verschwindend geringe Anteil lateinischer Inschriften am gesamten überlieferten Inschriftenmaterial Thessalonikis findet somit im Heiligtum der ägyptischen Götter seine Entsprechung.158 Unter den Kultanhängern treten Römer im allgemeinen nur aufgrund ihres Namens als solche in Erscheinung, beispielsweise bei IGThess 98, der Weihung eines Ohrenreliefs eines Ma1arkow 3Agellh1iow an 5Isiw e3ph1koow (1. Jh. v. Chr.159). Inwieweit diese Personen ‚Römer‘ hinsichtlich ihrer Herkunft oder ihres kulturellen Hintergrundes waren, bleibt im Einzelfall aber meist ebenso unbekannt wie das, was ihr Römertum für ihre soziale Stellung in Thessaloniki, ihre Beteiligung am Kult u.ä. bedeutet haben mag. Gelegentlich enthalten die Inschriften jedoch Angaben, die etwas weitergehende Aussagen über die Identität und das Selbstverständnis römischer Namensträger erlauben. 156
DUNAND 1973, 54 Anm. 1. – Die Vermutung der Zugehörigkeit des Stückes zu einer Sphingenallee findet sich bereits BCH 54, 1921, 540 Anm. 2. 157 RIZAKIS 2002 neigt für IGThess 79 anhand der Buchstabenformen und aus onomastischen Gründen zu einer Datierung „basse dans l’Empire“. 158 Unter den Inschriften mit Fundortangabe ‚Serapeion‘ finden sich nur zwei lateinische, keine von diesen nennt die ägyptischen Götter: IGThess 74 (1. Jh. n. Chr.) mit der Nennung eines Priesters befindet sich auf dem Fragment einer kleinen Säule, die Säule als Schriftträger führte den Herausgeber Edson zur Vermutung, es handle sich um eine Weihung an Zeus Hypsistos. IGThess *112 (Fundort unsicher, nach Edson ‚wahrscheinlich‘ Serapeion) ist eine Weihung an Jupiter Ammon auf einer Statuenbasis. Zur zweisprachigen Weihinschrift der Posilla Avia an Isis s. hier Anm. 163. 159 Zur Neudatierung vgl. NIGDELHS 1995, 61 Anm. 45.
3.1. Das Heiligtum der ägyptischen Götter
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Bei Manios Kortios, Sohn des Manios (IGThess 80; [Statuen-?]Basis mit Weihung an Sarapis, Isis und Anubis des 2. oder 1. Jh. v. Chr.) scheint beispielsweise der Namenszusatz Signios seine Herkunft aus dem oberitalischen Signia anzudeuten. Ob dieser Zusatz damit lediglich die Herkunft seiner Familie bezeichnet, oder ob er selbst in Italien geboren und somit in Thessaloniki ein Übersiedler der ersten Generation ist, ist nicht zu entscheiden. Immerhin ist er aber o4 e3pikaloy1menow Dhmh1triow, er trägt also zusätzlich einen griechischen Rufnamen, unter dem er nicht nur im Kreise seiner Mitmenschen bekannt ist, sondern den er auch selbst zur Bezeichnung seiner Person führt. Dieser Beiname könnte ein Indiz für einen eher niedrigen sozialen Status sein160 – der freilich finanziellen Wohlstand nicht ausschließt –, ein solches Umfeld könnte einen vertraulicheren Umgang, auf den der Beiname hinzuweisen scheint, gefördert haben. Wesentlicher ist der Umstand, daß Manios Kortios zusätzlich zu seiner römischen eine griechische Identität führt und diese in einer von ihm beauftragten Weihung betont. Dies ist sicherlich ein Zeichen für einen gewissen ‚Integrationswillen‘ dieses möglicherweise nach Thessaloniki Zugewanderten in seine griechische Umgebung, die sich mit dem Bewußtsein einer vollständig hier verankerten Lebensführung verbindet. Römische Namen tragen im 1. Jahrhundert vor Christus der gleich aus mehreren Weihungen bekannte Priester Poplios Salarios Pamphilos und sein Sohn Manios Salarios (IGThess 83 [Weihung des y4drh9on]; 84 [Rundaltar]161; 109 [ 3Osirih9on, peri1stylon, didymafo1rion]; – zwischen 39 und 35 v. Chr.). Anzahl und Umfang der Weihungen sind sicherlich ein Hinweis auf ein gewisses finanzielles Vermögen. Etwas weiterreichende Schlüsse zur sozialen Eingebundenheit einer Römerin aus Thessaloniki erlauben zwei der in Thessaloniki sehr seltenen zweisprachigen Weihinschriften, welche die offensichtlich vermögende Posilla Avia, Tochter des Aulus, errichten ließ. Beide wurden erst in den 1980er Jahren aufgefunden.162 Die hier besonders interessierende Inschrift an Isis163 fand sich wiederverwendet als Abdeckung eines Grabes des 4. Jahrhunderts nach Christus in der westlichen Nekropole der Stadt. Als ursprünglicher Aufstellungsort ist wohl das Heiligtum der ägyptischen Götter zu denken. Die Stiftung der Spenderin umfaßte die Erneuerung des Tem160
Die sogenannten agnomina finden sich häufig bei Angehörigen der Plebs sowie bei Freigelassenen: Vgl. I. Kajanto, Supernomina. A Study in Latin Epigraphy (Helsinki 1966) 15. 161 Die Rückseite des Altars trägt die spätere, von einer Zweitverwendung als Statuenbasis stammende Inschrift IGThess 103 (2. Jh. n. Chr.) mit einer Weihung an Isis Orgia. 162 TRAKOSOPOYLOY-SALAKIDOY 1993. 163 SEG 43, 1993, 458 = TRAKOSOPOYLOY-SALAKIDOY 1993, 1542 und 1580 Abb. 1: Isi / Posilla Avia A(uli) f(ilia) / aedem reficiun(dam) / et pronaium faci/undum cur(avit) de suo. / Ei5sidi / Pv1silla Ay3Q1a / Ay5loy uyga1thr to2n / nao2n e3peskey1asen / kai2 to2 prona1ion e3po1/hsen e3k toy9 i3di1oy.
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
pels (aedes / ȞĮȩȢ) der Isis sowie die Erbauung eines ʌȡȠȞȐȧȠȞ (pronaium). Die Datierung um die Zeitenwende ergibt sich durch die andere bekannte Inschrift derselben Stifterin über die Stiftung eines Bades ‚an den Kaiser‘ und an ‚Hercules und die Stadt‘, welche aufgrund der verwendeten Kaisertitulatur aus der Zeit zwischen 12 v. und 14 n. Chr. stammen muß.164 Die Familie der Avii ist aus Thessaloniki aus mehreren Inschriften v.a. des 1. und 2. Jahrhunderts nach Christus bekannt.165 Ein Aulos Aouios Sabeinos ist vielleicht ein Neffe der Posilla;166 die Inschrift IGThess 126 (35– 39 n. Chr.167) nennt ihn als Politarchen. Wirtschaftliches Wohlergehen und gesellschaftlicher Einfluß darf für die Familie also vorausgesetzt werden. Eine andere Verwandte, Polla Avia, wird im 2. Jahrhundert nach Christus zur Stifterin des Ohrenreliefs an Isis epekoos (IGThess 101). Der Umstand, daß die zweite Inschrift der Posilla – jene mit der Weihung des Bades – in der Abfolge ihrer Zweisprachigkeit (erst griechisch, dann lateinisch) von der sonst in aller Regel üblichen168 Reihenfolge abweicht, stellte für den Herausgeber einen Hinweis dar auf eine frühere Entstehung der Weihung an Isis, welche noch dem gemeinhin üblichen Schema (lateinisch – griechisch) folgt. Die Voranstellung der griechischen Fassung bei der nach dieser Überlegung späteren Inschrift ist nach dem Herausgeber Nigdelis Zeichen für den Wunsch der Verfasserin, dadurch ihre Verbundenheit mit ihrer Heimatstadt deutlicher zu machen. Trifft dies zu, dann haben wir nicht nur ein äußerliches Zeugnis für eine aktiv betriebene Assimilierung einer wohlhabenden Römerin in ihrer neuen Heimatstadt, sondern zusätzlich einen Beleg für die wahrscheinlich auch unter dem Aspekt dieser Assimilierung zu betrachtenden Spendefreudigkeit der Posilla Avia. Die Weihung des Bades der Posilla Avia läßt sich mit einer weiteren Inschrift aus dem Heiligtum der ägyptischen Götter in Beziehung setzen.169 Diese ist auch aufgrund eines weiteren Aspektes hier von Interesse, der zunächst behandelt werden soll, bevor anschließend auf die Verbindung der beiden Inschriften zueinander eingegangen wird. Flavia Phila, Tochter des Philippos und der Flavia Kratiso, wird in der Inschrift IGThess 102 (2. Jh. n. Chr.) als Stifterin genannt: Sie weiht ‚den ehrwürdigen Göttern und der Stadt‘ den naos und die stoa der Isis Memphitis sowie ‚das Proplyon dieses Tempels‘ und die darin befindlichen
164
SEG 43, 1993, 457 = NIGDELHS 1995, 52. TRAKOSOPOYLOY-SALAKIDOY 1993, 1543 mit Anm. 20. 166 NIGDELHS 1995, 59. 167 Neudatierung nach TOURATSOGLOU 1988, 10 Anm. 41. 168 NIGDELHS 1995, 58 mit Anm. 33. 169 IGThess 102. 165
3.1. Das Heiligtum der ägyptischen Götter
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steinernen Altäre.170 Wem hier genau welcher Bau geweiht wird, wird durch die Formulierung nicht ganz deutlich.171 Interessanter als diese Frage ist hier aber das für Isis verwendete Epitheton der ‚memphitischen‘ Isis, ein Beiname, welcher auf das ägyptische Memphis als den mythischen Heimatort der Göttin hinweist. Da dieser Beiname in der griechischen Epigraphik ansonsten offenbar unbelegt ist,172 ist hier nach der Bedeutung dieser Formulierung zu fragen. Mangels genauer Entsprechungen muß hier nach zumindest vergleichbaren Benennungen der Isis gesucht werden. Am nächsten kommen dabei dem Sinn der Inschrift aus Thessaloniki lateinische Formulierungen wie Memphidos diva sistrata auf einem lediglich ‚kaiserzeitlich‘ datierten Grabaltar für eine Priesterin aus dem algerischen Cirta173 sowie dea Neilotis beziehungsweise șİȐ ȃİȚȜȫIJȚȢ ǴıȚȢ auf einer zweisprachigen Sarkophaginschrift des 2.–3. Jahrhunderts nach Christus aus Rom.174 In beiden Fällen handelt es sich um im Versmaß abgefaßte Grabgedichte, also um poetische Texte. Daß bei der letztgenannten Inschrift im Lateinischen – im Unterschied zur griechischen Fassung – die Namensnennung der Isis offenbar nicht nötig erschien, läßt vermuten, daß beim Leser der lateinischen Version mit einer gewissen Vertrautheit mit dieser Umschreibung gerechnet wurde. Die fehlenden Belege im Griechischen legen wiederum die Vermutung nahe, daß es sich um ein sprachliches Bild aus dem Lateinischen handelt, welches in Thessaloniki in die griechische Inschrift Eingang fand. Weitere vergleichbare Formulierungen lassen sich in der lateinischen Dichtung nachweisen, von der wiederum die genannten Grabinschriften 170 IGThess 102 (2. Jh. n. Chr.): Ueoi9w sebastoi9w / kai2 tü9 po1lei / Flaoyi1a = Fi1la = Fili1p/_poy = kai2 / Flaoyi1aw = Kratisv9w / uyga1thr = to2n nao2n kai2 th2n / stoa2n = th9w Ei5sidow Memfi1/[t]idow kai2 to2 pro1pylon toy1/[toy] toy9 naoy9 kai2 toy2w e3n ay/[tö9 bv]moy2w liui1noyw = y4po/[sxome1nh] e3k tv9n i3di1vn = e3pi2 i4ere1vw / [-------- Ma]jimianoy9 Me1nvnow. – Eine weitere, stark fragmentierte Inschrift IGThess 57 (aus dem Kunsthandel) ergänzte der Herausgeber Ch. Edson nach dem Text von IGThess 102, gab den Text jedoch ohne die gesamte 4. Zeile wieder. Eine Photographie des Steins findet sich bei D. Papakvnstanti1noyDiamantoy1roy, Epigrafe1w Mygdoni1aw, Krhstvni1aw, Anuemoy1ntow kai Xalkidikh1w – Prv1th paroysi1ash, Meleth1mata 10, 1990, 229–245, hier: 238 und Abb. 3; dort lautet der Text: [Ueoi9w Sebastoi9w k]ai2 tü9 po1le[i] / [Flaoyi1a = Fi1la = Fili1ppoy = kai2 = Flao]yi1aw = Krathsv9[w] / [uyga1thr ---- ca. 20 Zeichen ----]n = kai2 to2 pro1pylon / [-----------------------e3peskey1?]asen = y4posxome1n[h] / [e3pi2 i4ere1vw ---- ca. 10 Zeichen ---- Majimianoy9 Me1]nvnow. Da der Name desselben Priesters wie in IGThess 102 ergänzt werden kann, ist wahrscheinlich, daß sich auch diese Inschrift auf das Heiligtum der ägyptischen Götter bezog, möglicherweise sind sogar dieselben Bauten genannt. 171 Zum Problem der Zuordnung von Tempel, Stoa und Propylon zuletzt VOM BROCKE 135 Anm. 121. 172 Vgl. BRICAULT 1996, 51 s.v. Memfi9tiw. 173 ILAlg II 809 = VIDMAN Nr. 789; vgl. das im Erhaltenen annähernd gleichlautende Fragment einer Basis(?) ILAlg II 810 = VIDMAN Nr. 790. 174 VIDMAN Nr. 433 = IG XIV 1366.
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
aus Cirta und Rom beeinflußt scheinen. Offensichtlich waren also der Spenderin Flavia Phila literarische Formeln geläufig, wie sie auch in den Werken Ovids und Martials zur Umschreibung der Isis und Ihrer Heiligtümer belegt sind.175 Die Nennung der mit einem Beinamen versehenen Isis Memphitis aus Thessaloniki scheint dennoch über eine bloße Umschreibung als ‚memphitische Göttin‘ hinauszugehen. Zwar ist wohl nicht damit zu rechnen, daß hier eine von der sonst in Thessaloniki verehrten Isis abweichende, abgetrennte Sonderform mit einem eigenen Bauwerk bedacht wurde. Dennoch sollte hier ein spezifisch ägyptischer Charakter der Göttin Betonung finden, wie er in Thessaloniki ansonsten in geradezu auffallender Weise fehlt. Die explizite Nennung der Heimat der Isis ist somit vielleicht Ausdruck dafür, daß der Stifterin die exotische Aura, welche in Isisheiligtümern Italiens unter anderem durch ägyptische oder ägyptisierende Ausstattungsstücke geschaffen werden konnte, hier in Thessaloniki fehlte. Die Weihung an Isis Memphitis verdankt sich somit wohl zwei Dingen: Zum einen des lateinisch geprägten literarischen Bildungshorizontes der ansonsten in griechischer Sprache Weihenden, zum anderen dem Bild ägyptischer Heiligtümer, wie es italische Isea der Kaiserzeit darboten, und wie es möglicherweise in der Vorstellung der Flavia Phila durch literarische Schilderungen noch gestützt wurde. Die Weihung der Flavia Phila, die ihre Stiftungen neben der Isis Memphitis auch den theoi Sebastoi und der polis widmet, findet, wie bereits erwähnt, ihre Entsprechung in der Weihung des Bades der Posilla Avia durch die auch dort vorhandene ausdrückliche Weihung an den Kaiser [Augustus], ‚an Hercules und an die Stadt‘. Beide Male treten somit vermögende Stifterinnen mit der Weihung von Bauten in Erscheinung, die sie über ihre reine Zweckbestimmung hinaus jeweils dem Kaiser, einer Gottheit und der Stadt widmen. Dies ist ein deutliches Zeugnis für das Selbstverständnis, das beide Frauen von ihrer Wohltätigkeit haben, welche sie nicht nur auf den eigentlichen, engeren Kreis der Nutzer beschränkt, sondern gleichermaßen auf die Stadt und deren gesamte Bürgerschaft ausgedehnt wie auch zur Ehre des Kaisers getätigt sehen möchten. Vielleicht nicht zufällig bieten beide Inschriften auch Hinweise auf den kulturellen Hintergrund der Spenderinnen: Posilla Avia weiht zweisprachig, ist also vermutlich nicht in Thessaloniki geboren oder aufgewachsen; Flavia Phila erweist sich als offensichtliche Kennerin lateinischer Dichtung; beide verleihen sie ihrer Treue zum römischen Kaiserhaus Ausdruck. Die Bedeutung beider Bauweihungen als Mittel zu einer intensiveren Verbindung zwischen den Stifterinnen mit (tatsächlicher oder empfundener) 175 Isis Niliaca: Mart. 8, 81. – Memphitica templa (Ov. am. 2, 2, 25–26. – Mart. 2, 14, 7– 8); Memphitidos arae (Ov. ars 393).
3.1. Das Heiligtum der ägyptischen Götter
119
römischer Herkunft und ihrer Heimatstadt Thessaloniki wird hier augenscheinlich. 3.1.9. Isis Lochia In der in Thessaloniki einmalig belegten Weihung an Isis Lochia (IGThess 97, ca. 23–2 v. Chr.) deutet sich im Beistand bei der Geburt eine Zuständigkeit an, welche ein traditionelles Aufgabenfeld der Artemis berührt und dabei auch einen althergebrachten Beinamen der Artemis übernimmt.176 Obwohl sie als Beschützerin werdender Mütter und Gebärender im griechisch-römischen Bereich verbreitet Verehrung erfuhr, 177 ist das Epitheton Lochia für Isis bisher allein in Makedonien bezeugt:178 Neben dem Beleg aus Thessaloniki sind Weihungen an Isis Lochia in einer Inschrift aus Beroia179 sowie in mehreren aus Dion bekannt.180 In Dion wird der Übergang dieses Beinamens und der durch ihn bezeichneten Zuständigkeit von Artemis auf Isis besonders deutlich durch eine im dortigen Isis-Heiligtum gefundene, noch hellenistische Statuette mit der inschriftlichen Weihung 3Aristiv2 Me1ntorow 3Arte1midi Ei3leiuyi1ä.181 Dennoch bleibt der Grund für die Beschränkung des Isisbeinamens Lochia auf Makedonien unklar, ist doch die Verehrung der Artemis Lochia auch an Orten außerhalb Makedoniens bezeugt.182 Lochia ist daneben einer der nach S. K. Heyob äußerst seltenen Isisbeinamen, die sich ausschließlich auf deren Funktion als Beschützerin der
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Eine Identifizierung der Isis mit dem jungfräulichen Aspekt der Artemis ebenso wie mit deren fruchtbarer, ‚ephesischer‘ Erscheinungsform vertritt HEYOB 72–74. – Zur Assoziierung von Isis und Artemis vgl. auch DUNAND 1973, 56. 79. 177 Vgl. HEYOB 70–74. 178 BRICAULT 1996 nennt s.v. Loxi1a neben den Belegen aus Thessaloniki, Beroia und Dion als Parallele lediglich noch den unsicheren, weil fragmentarischen P Oxy. XI 1380, 27: a.a.O. s.v. lo[xey1tria?] bzw. lo[xi1a?]. 179 IBeroia 36 (1. Hälfte des 2. Jhs. n. Chr.) = CORMACK 1946, 105–106 Nr. 1 = Vidman Nr. 107: Ei5sidi Loxi1ä / kai2 tü9 po1lei to2n / bvmo2n a3ne1uhkan / L(oy1kiow) Broy1ttiow 3Agauo1/forow hedera kai2 h4 gynh2 / ay3toy9 3Eleyue1rion y4pe2r th9w uygatro2w / Meilhsi1aw ey3ja1me/noi hedera e3pi2 i4ere1vw dia2 bi1oy L(oyki1oy) Broytti1oy / Poplikianoy9 sistrum. 180 Undatiert, wohl kaiserzeitlich: SEG 34, 1984, 622 (‚pessiskos‘ mit Darstellung zweier Fußabdrücke): Ei5sidi Loxi1ä G(a1Qow) 3Ioy1liow Koya1rtow dv9ron. – Nr. 626 (Platte mit Darstellung eines Ohres): 3Ia1svn / i4erey2w / Ei5sidi Loxi1ä. – 627 (Marmorbasis, textidentisch mit Nr. 622); vgl. PANTERMALHS 1989, 19. Der Ausgräber D. Pandermalis dehnt die beiden auf den Podiumsstufen des zentralen Tempels des Isisheiligtums von Dion gefundenen Weihungen an Isis Lochia auf die Benennung des zentralen Altars und somit auf die Weihung des gesamten Tempels aus (a.a.O., passim). 181 PANTERMALHS 1989, 19. – PANDERMALIS 1982, 732. – SEG 34, 1984, 629 (‚3. Jh. v. Chr.‘). 182 Wichtige Kultorte der Artemis Loch[e]ia sind neben dem attischen Brauron z.B. Halos (Phtiotis) und Pergamon.
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
Frauen beziehen.183 Da hier ganz offensichtlich der Aspekt der Fürbitte bedeutend ist,184 überrascht es kaum, daß die betreffenden Weihungen nicht ausschließlich von Frauen, sondern in der Mehrzahl der insgesamt fünf bekannten Inschriften von Männern stammen: In der Inschrift aus Beroia weiht ein L(oy1kiow) Broy1ttiow 3Agauofo1row zusammen mit seiner Frau 3Eleyue1rion für die gemeinsame Tochter. In Dion sind alle drei Inschriften an Isis Lochia durch Männer beauftragt: Eine durch den Priester 3Ia1svn, zwei weitere durch einen G(a1iow) 3Ioy1liow Koy1artow.185 3.1.10. Ohren- und Fußspurenreliefs Eine größere Denkmälergruppe aus dem Heiligtum in Thessaloniki bilden Inschriftenplatten, welche im Relief Darstellungen von Ohren beziehungsweise von vertieft eingearbeiteten Fußabdrücken tragen. Sie erscheinen – mit einer möglichen Ausnahme186 – erst nach der Zeitenwende, ihr zeitlicher Schwerpunkt liegt um das zweite nachchristliche Jahrhundert.187 Die Adressatin der Inschriften mit den Ohrenreliefs ist – sofern genannt, und mit einer Ausnahme188 – stets Isis, zweimal sogar spezifiziert als Isis epekoos, ‚die Erhörende‘. Das Ohr ist das Ohr der Gottheit, welches sie dem Gläubigen zur Erhörung seiner Bitten zuwenden soll beziehungsweise bereits zugewendet hat (IGThess 101: xaristh1rion). Darstellungen von Ohren in dieser Form sind während hellenistischer und römischer Zeit auch andernorts belegt, und zwar vor allem für Isis und Sarapis.189 Eine Reliefplatte ohne Inschrift, aber mit der Darstellung dreier Ohren könnte vielleicht als eine Weihung an drei Gottheiten, etwa an Sarapis, Isis und Harpokrates verstanden werden, wie sie in einem Vergleichsstück aus Italien mit der inschriftlichen Weihung an die ‚alexandrinische Trias‘ belegt ist.190 Mindestens eine Ohrenreliefplatte mit einer inschriftlichen Weihung an Isis Lochia befindet sich wiederum unter den Funden aus Dion.191
183 Neben loxi1a zählt HEYOB 79f. lediglich noch Boybasti1w und puellaria zu dieser Kategorie. 184 Vgl. die Anrufung der Isis durch Ovid in Fürbitte für seine Geliebte Corinna nach deren mißlungenem Abtreibungsversuch: Ov. am. 2, 13, 7–26. 185 Vgl. hier Anm. 180. 186 IGThess 98 (1. Jh. v. Chr.). Zur Neudatierung vgl. hier Anm. 159. 187 Vgl. IGThess 59; 89; 90; 98; 100 (= SculpThess I Nr. 51 und Abb. 133); 101; 104; 105; 115; 119; 120 sowie das inschriftlose Relief SculpThess I Nr. 50 und Abb. 132 mit Darstellung dreier Ohren. 188 IGThess 59 (an Dionysos). 189 E. Voutiras zu SculpThess I Nr. 49 mit Anm. 4. 190 E. Voutiras zu SculpThess I Nr. 50 mit Anm. 2. 191 PANDERMALIS 1982, 731.
3.1. Das Heiligtum der ägyptischen Götter
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Platten mit der Darstellung von eingetieften Fußabdrücken finden sich in Thessaloniki mit Weihungen an Sarapis und Isis192 beziehungsweise an Isis, Isis Nymphe oder Isis Tyche,193 ihre Datierungen nach Ch. Edson liegen zwischen dem ersten und dem dritten nachchristlichen Jahrhundert. In Thessaloniki scheint die dreimal im Verband mit Fußabdrücken erscheinende Formel kat’ e3pitagh1n,194 ‚entsprechend des Auftrages‘, auf Erscheinung der Gottheit hinzudeuten. Dies spricht dafür, daß die Fußspuren hier als Zeichen eben dieser Erscheinung anzusehen sind.195 Die Ansicht von D. Pandermalis, daß es sich bei vergleichbaren Fußspurenreliefs aus dem Heiligtum von Dion um Weihungen von Pilgern handle, wird jedoch aus seinem eigenen Material heraus widerlegt, ist doch eine dieser Platten als Weihung eines Priesters bezeichnet.196 In Thessaloniki erscheinen die Ohren- und Fußabdruckreliefs vermutlich erst in der Kaiserzeit, sie stellen – mit lediglich zwei sicheren Ausnahmen197 – überwiegend Weihungen von Frauen dar; ein Befund, der sich in dieser Deutlichkeit etwa mit den Befunden aus Dion – wo die Geschlechter ausgewogener vertreten sind – nicht deckt, der aber auch in den Zufällen der Überlieferung begründet sein könnte. 3.1.11. Träume Eine weitere wichtige Gruppe von Inschriften aus dem Heiligtum bilden die Weihungen mit den Formeln kau’ o7rama, kat’ o5nar (beziehungsweise kat’ o5neiron) sowie kat’ e3pitagh1n.198 Sie weisen darauf hin, daß die in den Weihungen genannten Götter, zumeist Sarapis und Isis beziehungsweise Isis Nike, aber auch Isis Tyche – und diese dann alleine –, dem Gläubigen in Erscheinungen oder Träumen gegenübertraten; auf diesem Wege ist wohl auch die Übermittlung der obengenannten e3pitagai1 anzunehmen. Diese Inschriften wurden als Indiz für im Heiligtum vorhandene Inkubationsräume angeführt; F. Dunand erschloß aus ihnen zudem die 192
IGThess 89; 90 (beide ca. 2. Jh. n. Chr.). IGThess 115 (1. o. 2. Jh. n. Chr.); 120 (2./3. Jh. n. Chr.), beide ohne Nennung des Götternamens bzw. (IGThess 120) fragmentiert; 104 (2. o. 3. Jh. n. Chr.; Isis Tyche); 105 (2. o. 3. Jh. n. Chr.; Isis Nymphe). 194 IGThess 89. 104. 120. 195 Möglich wäre eine Deutung als Fußspuren des Weihenden dann, wenn man die e3pitagh1 so auffaßt, daß sie dem Weihenden das Aufsuchen des Heiligtums auferlegt, welches durch die Fußspuren dokumentiert wird. 196 Die Reliefs aus Dion sind nur unvollständig in Erwähnungen und Abbildungen publiziert, vgl. aber etwa SEG 34, 1984, 623 = PANDERMALIS 1997 Abb. S. 23 (Fußabdruckrelief mit Weihung eines G(a1iow) 5Ostiow Fi1lvn i4erey2w kat' e3pitagh2n) sowie SEG 34, 1984, 624 = PANTERMALHS 1989 Abb. S. 21 (Fußabdruckrelief mit Weihung des Getiano2w Pasi1filow [nach SEG a.a.O.: pa9si filo2w] i4erv1menow). 197 IGThess 98 (Ohren, an 5Isiw Ny1mfh); 105 (Fußabdrücke, an 5Isiw e3ph1koow). 198 IGThess 82; 88, 89; 91; 92; 99; 104; 120; 121. 193
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
Notwendigkeit des Amtes eines Oneirokriten zu Auslegung der Träume und Visionen.199 Auch diese Gruppe von Inschriften stammt in der Hauptsache aus der Kaiserzeit, ihr Schwerpunkt liegt im zweiten und dritten nachchristlichen Jahrhundert. Eine weitere Inschrift, IGThess 255, stammt in ihrer überlieferten Fassung aus dem ersten Jahrhundert nach Christus, stellt aber nach Ansicht ihres Herausgebers Ch. Edson die Abschrift eines weitaus älteren Textes, möglicherweise des dritten vorchristlichen Jahrhunderts, dar.200 Der im lokrischen Dialekt abgefaßte Text, dessen Anfang und Ende verloren sind, schildert, wie ein gewisser Xenainetos, ein Gesandter aus dem lokrischen Opous, in zwei aufeinanderfolgenden Träumen von Sarapis den Auftrag erhält, für die Aufnahme des Gottes und dessen ‚Schwester‘ Isis in seiner Heimatstadt zu sorgen. Dem weiteren Text zufolge soll die Aufnahme der Götter in Opous durch einen gewissen Eurynomos unterstützt werden, dem ein unter dem Kopfkissen des Träumenden befindlicher Brief übergeben werden soll. Nach anfänglichem Zögern wegen seiner politischen Gegnerschaft zu Eurynomos übergibt Xenainetos nach seiner Rückkehr nach Opous den Brief, der schließlich dazu führt, daß das Götterpaar im Hause einer gewissen Sosineika Aufnahme findet. Der Schluß der Inschrift ist stark zerstört, es folgt offenbar eine Aufzählung der ersten Priesterinnen am neuen Kultort.201
199
DUNAND 1973, 57. Die Gründe Edson für die Datierung ins 3. Jh. v. Chr. (vgl. seinen Kommentar zu IGThess 255) bleiben allerdings ebenso ungenannt wie jene für die Zustimmung Habichts zu dieser Datierung (HABICHT 1974, 490). Zu einer möglichen Identifizierung des Xenainetos siehe HABICHT 1974, 491. 201 Dies nach der bisher weitestreichenden Ergänzung des fragmentierten Textes durch F. Sokolowski (SOKOLOWSKI 1974): ------ilio .... / ---- oaesa ... kata2 ta2n presbei1an / [------] komi1zesuai e3n oi0kon, e5doje kau’ y7pon e3pista1nta / [par’ ay3]to2n Sa1rapin e3pita1jai o7pvw parageno1menow e3n 3Opoy9nta / a3nangei1lü Ey3ryno1mö tö9 Teimasiue1oy y4pode1jasuai ay3to1n te kai2 / ta2n a3delfa2n ay3toy9 Ei0sin, ta2n te e3pistola2n ta2n oy0san y4po2 tv9i poti/kefalai1ö a3nadö9 ay3tö9= to2n de2 e3gerue1nta uayma1jai te to2n / [o5]neiron kai2 diaporei9n ti1 pohte1on e3sti2n dia2 to2 y4parxei ay3tö9 a3ntipo/leitei1an poti2 Ey3ryno1mon= kauypnv1saw de2 pa1lin kai2 ta2 ay3ta2 i3dv1n, / kai2 e3pergeuei2w ta1n te e3pistola2n eyßre y4po2 tö9 potikefalai1ö / kauv2w ay3tö9 e3tekma1ruh= e3paneluv2n de2 a3ne1dvke ta2n e3pistola2n / Ey3ryno1mvi kai2 a3nh1ngeile ta2 y4po2 toy9 ueoy9 e3pitaxue1nta= Ey3ry1nomow de2 / ta2n e3pistola2n labv2n kai2 a3koy1saw ta2 y4po2 Jenaine1toy lego1mena / par’ ay3to2n me2n to2n kairo2n a3po1rvw ei0xe dia2 to2 kauv1w e3pa1nvi / [dias]afei9tai ei0men ay3toi9w a3ntipolitei1an pot’ ay3svtoy1w= a3nagnoy2w de2 / [ta2n e3pist]ola2n kai2 i3dv2n ta2 gegramme1na sy1mfvna toi9w p[ro]/[teron y4p’ ay3t]oy9 ei3rhme1noiw y4pede1jato to2n Sa1rapin kai2 ta2n Ei0sin / [kai2 meta2 to2n jenism]o2n e3n ta9i oi2ki1ai ta9i Svsinei1kaw e3n toy2w oi3k[oy]/[roy2w ueoy2w paralaboy9sa e5]uye Svsinei1ka ta2w uysi1aw xro1n[on tina1=] / [meta2 de2 to2n ay3ta9w ua1naton Ey3n]o1sta a4 Svsibi1oy uygatrida9 p[are]/[di1doy kai2 dieja9ge ta2 mysth1ria tv9]n uev9n e3n toy2w k[ai2] a3meto1[x]oyw / [tv9n i4erv9n= Ey3no1staw de2 y7steron e3n a3rrvst]i1an e3mpeso[y1sa]w proe1uye / [y4pe2r ay3ta2w ta2w uysi1aw ------------------- io.pii..m.. . 200
3.1. Das Heiligtum der ägyptischen Götter
123
Die Inschrift zeigt zum einen, wie die erfolgreiche Errichtung von Kulten für ägyptische Götter von privater Initiative und von der Aufnahme in Privathäuser abhängig sein konnte. Ob der Beginn des Kultes auch in Thessaloniki in gleicher Weise auf die private Initiative Einzelner zurückgeht, ist unbekannt. Setzt man voraus, daß die entsprechende Ergänzung des Textendes durch F. Sokolowski zumindest der Richtung nach zutrifft, dann könnte die Aufnahme unter die oi3koyroi2 ueoi2 der Sosineika in Opous ein Beispiel dafür sein, wie die Aufnahme der ägyptischen Götter an Verehrungsstätten älterer lokaler Gottheiten auch in Thessaloniki vonstatten gegangen sein könnte. Für Thessaloniki wie auch für Dion könnten die vielfältigen Hinweise auf Assoziierungen der ägyptischen Götter mit älteren einheimischen Gottheiten andeuten, daß die Aufnahme der neuen Götter hier möglicherweise in bereits bestehenden Heiligtümern geschah. Obwohl Thessaloniki im erhaltenen Text nicht als Ausgangspunkt des Kulttransfers nach Opous genannt ist, läßt der Auffindungsort der Inschrift kaum Zweifel daran, daß die Gesandtschaft des Xenainetos und somit der erste Teil der Episode, das Traumerlebnis, eben dort zu denken ist. Thessaloniki stellt sich somit – und wenn man die Datierung des Ursprungstextes ins dritte Jahrhundert vor Christus akzeptiert, bereits zu dieser Zeit – als bedeutender, Besucher von außerhalb anziehender und daneben ‚exportfähiger‘ Kultort dar. Fraglich ist hingegen, ob man aufgrund der Inschrift in Thessaloniki mit einem auf Traumdeutungen spezialisierten Kultpersonal in hellenistischer Zeit rechnen muß. Besprechungen der Inschrift gehen in der Regel davon aus, daß Xenainetos im Heiligtum selbst geschlafen habe, was dann wohl auf besondere Schlafräume und das entsprechende Personal hinweisen würde.202 Die Inschrift bietet jedoch keinen Hinweis darauf, daß der Traumschlaf in Thessaloniki nicht auch an anderem Ort als dem Heiligtum, etwa in einem Privathaus oder einer Herberge, stattgefunden haben könnte, zumal die Traumanweisung des Xenainetos offenbar überraschend kam. Als Beleg für ein Vorhandensein von Inkubationsräumen im Heiligtum von Thessaloniki kann der Text somit nicht dienen. 3.1.12. Kultbeteiligung von Seeleuten Auf die Rolle seefahrender Händler bei der Verbreitung der Kulte der ägyptischen Götter im Ägäisraum und auf die bevorzugte Ansiedlung der Kulte in Hafenstädten wurde wiederholt hingewiesen.203 Für Thessaloniki betonte M. Bommas in einem kürzlich erschienenen Aufsatz die Lage des Heiligtums der ägyptischen Götter innerhalb des Stadtgebietes, die sich seiner Auffassung nach aus dessen Errichtung „an bevorzugter Stelle in 202
So bereits schon EDSON 1948, 182; vgl. DUNAND 1973, 183. Zuletzt in diesem Sinne BOMMAS 2000, 620. 203 Vgl. DUNAND 1973, 4. VOM BROCKE 132. BOMMAS 2000, 617.
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
Hafennähe“ ergebe.204 Es soll im folgenden unter anderem betrachtet werden, ob sich aus dem Zeugnis der Inschriften ein besonderer Bezug zum Hafen und insbesondere zu den dort verkehrenden Personenkreisen erweisen läßt. In seiner Lage im Westen des von einer Mauer umschlossenen Stadtgebietes von Thessaloniki lag der Bereich des Heiligtums in der Tat nur etwa 300 m entfernt von einem antiken Hafen der Stadt, welcher in die westliche Ecke der als annähernd regelmäßiges Rechteck angelegten Unterstadt einschnitt.205 Belegt ist der Hafen an dieser Stelle allerdings erst ab der Zeit Konstantins des Großen, der ihn nach dem Zeugnis des Zosimos um 322 als Flottenstützpunkt gegen Licinius ausbauen ließ.206 Das ZosimosZitat darf sicher nicht in dem Sinne verstanden werden, daß es in Thessaloniki vorher überhaupt keinen Hafen gegeben hätte, es bezieht sich lediglich auf die genannte Stelle. Einen bereits älteren und nicht ganz unbedeutenden Hafen macht zum einen die strategische Bedeutung der Stadt als solches wahrscheinlich, zum andern besitzen wir die Mitteilung des Livius, König Perseus habe 148/147 v. Chr. die navalia von Thessaloniki in Brand stecken lassen, damit diese nicht den Römern in die Hände fielen.207 Ihre Anlage ist ohne zugehörigen Hafen kaum vorstellbar, doch ist dieser ältere, vorkonstantinische Hafen wahrscheinlich an anderer Stelle zu suchen: Archäologische Indizien im Südwesten des galerianischen Palastkomplexes lassen vermuten, daß ein Hafen im Bereich zwischen den heutigen Straßen ȂȘIJȡȠʌȠȜȓIJȠȣ ǿȦıȒij, ȉıȚȝȚıțȒ und ǻ. īȠȪȞĮȡȘ gelegen hatte, also im Südosten des ummauerten Stadtgebiets.208 So wie die Auflassung und Aufschüttung dieses mutmaßlichen Hafens möglicherweise mit der Errichtung 204 BOMMAS 2000, 619 sowie Legende zu seiner Abb. 3 (vgl. entsprechend BOMMAS 2002, 131). – Das Argument der Hafennähe wird von Bommas nicht weiter verfolgt, vielmehr rechnet er a.O. 621 in seiner Zuordnung der Kultorte zu küstennahen bzw. eher dem Landesinneren zugewandten Gebieten Thessaloniki aufgrund der dortigen Verehrung der Isis Lochia der letzteren Gruppe zu. 205 In nachbyzantinischer Zeit verlandet (VICKERS 1972, 157 mit Anm. 6. – VITTI 1996, 132 mit Abb. 23.) und heute vollständig überbaut, ist dieser Hafen noch im modernen Stadtplan durch das in diesem Bereich unregelmäßige und von der antiken Rasteranlage abweichende Straßennetz in seinen Ausmaßen nachzuvollziehen: vgl. VITTI 1996 (Kartenband) bes. Karte 1, 2 und 4 sowie hier Abb. 1. 206 Zos. Hist. 2, 22: 3Epi2 th2n Uessaloni1khn e3xv1rei, kai2 to2n e3n toy1tü lime1na pro1teron oy3k o5nta kataskeya1saw e3pi2 to2n Liki1nion ay5uiw pareskeya1zato po1lemon. – In den meisten Plänen des ‚antiken‘ Thessaloniki findet sich dieser Hafen eingezeichnet, so auch bei BOMMAS 2000, Abb. 3. – VICKERS 1972, 161 zeichnet diesen Hafen in seinen ‚Plan to show probable Hellenistic features of Thessaloniki‘ (seine Abb. 4) ein, macht jedoch a.O. 169 deutlich, daß die hellenistischen Gegebenheiten in diesem Bereich durchaus unbekannt sind. 207 Liv. 44,10. 208 Neben Aufschüttungen spätrömischer Zeit und Abweichungen einzelner Bauten vom Straßenraster verbindet VITTI 1996, 132f. eine hellenistische Halle mit dem in diesem Bereich vermuteten Hafen.
3.1. Das Heiligtum der ägyptischen Götter
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des Palastkomplexes gegen Ende des 3. Jahrhunderts nach Christus in Zusammenhang steht,209 wird sich die Notwendigkeit zur Neuerrichtung des konstantinischen Hafens im Westen der Stadt erst mit der Auflassung dieser älteren Anlage ergeben haben. Dies bedeutet aber, daß sich das Heiligtum der ägyptischen Götter bei seiner Errichtung in hellenistischer Zeit weder in der von Bommas als bemerkenswert erachteten Nähe zu einem Hafen befunden hat – denn diese hat sich vermutlich erst ganz am Ende seiner jahrhundertelangen Nutzungsdauer ergeben –, noch daß seine Standortwahl aus einem Bezug zu diesem Hafen heraus motiviert sein kann. Eine der ältesten Inschriften aus dem Heiligtum, IGThess 94 (etwa Ende des 3. Jhs. v. Chr.) stellt die knapp gehaltene Weihung eines Hieromnemon, Sohn des Gouras, an Isis dar.210 Etwa gleichzeitig erscheint in einer delischen Weihung an Sarapis, Isis und Anubis ein Glaukos, Sohn des Gouras, aus Kallatis.211 Ch. Edson vertrat die Ansicht, der in Thessaloniki genannte Hieromnemon und der von Delos überlieferte Glaukos seien wahrscheinlich Brüder, woraus sich ergebe, daß es sich bei Hieromnemon um einen aus der pontischen Thrakerstadt Kallatis stammenden navicularius handle.212 Gleichgültig, ob man die von Edson vermutete Verwandtschaftsbeziehung der beiden akzeptiert, belegt die Inschrift in der Frühzeit des Kultes in Thessaloniki – und somit in der ‚Ausbreitungsphase‘ ägyptischer Kulte im griechischen Raum – interessanterweise einen der wenigen erkennbar nicht-einheimischen Kultanhänger. Die Vermutung, daß es sich bei ihm um einen seefahrenden Kaufmann handelt, ist somit auch ohne die von Edson gezogene Verbindung möglich. Akzeptiert man jedoch Edsons Vermutung, so ist die Weihung des Hieromnemon ein willkommenes, wenngleich isoliertes Indiz für die Beteiligung von Seeleuten an der Kultausübung der frühesten Phase der ägyptischen Kulte in Griechenland und ein mögliches Zeugnis für die Ausbreitung des Kultes über die Seewege. Die Selbstoffenbarung der Göttin Isis (die sogenannte ‚Isis-Aretalogie‘) ist aus Thessaloniki durch ein Inschriftenfragment des 1. oder 2. Jahrhunderts nach Christus überliefert.213 Ihr ursprünglich wohl aus hellenistischer Zeit stammender Text kann durch weitgehend übereinstimmende inschriftliche Parallelen aus Kyme sowie von den Inseln Ios und Andros mit großer Sicherheit wiederhergestellt werden.214 Die als Steininschrift bekanntge209
VITTI 1996, 133 mit Anm. 303. IGThess 94: 4Ieromnh1mvn Goy1ra 5Isidi. – L. Robert hatte den Namen Gouras als thrakisch bezeichnet, vgl. Kommentar zu IGThess 94 mit weiteren Belegen. 211 IG XI 4, 1238. 212 Vgl. den Kommentar zu IGThess 94. 213 IGThess 254 mit Taf. 11. 214 Ein bisher noch unpublizierter Neufund dieses Textes stammt aus Kassandreia / Chalkidiki (freundliche Mitteilung P. Nigdelis, Thessaloniki). 210
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
machte Selbstoffenbarung ist somit ein Ausstattungsstück vieler Isisheiligtümer gewesen. Ihre in einer Aufzählung vieler zivilisatorischer Taten der Isis gemachte Aussage e3gv2 uala1ssia e5rga eyßron (Z. 5) bezieht sich auf die Erfindung der Seefahrt, welche Isis zugeschrieben wird. Diese Zuschreibung hat ihre Wurzeln im Mythos von der Ermordung und Zerstükkelung des Osiris sowie der Wiederauffindung der vom Nil fortgetragenen Teile seines Körpers durch die aufs Meer hinausfahrende Isis. Daß für den Kultort Thessaloniki aus der ‚seefahrenden Isis‘ der Selbstoffenbarung weiterreichende Schlüsse hinsichtlich der Beteiligung von Seeleuten gezogen werden könnten, ist allerdings auszuschließen: Zum einen ist zu bedenken, daß es sich um einen nicht allein auf Thessaloniki bezogenen Text handelt, sondern um dessen an mehreren Orten nahezu wortgleich überlieferte Fassung. Zum anderen ist die ‚seefahrende Isis‘ in diesem Text nur ein Aspekt inmitten von vielen. Auch konzentrieren sich die bisher bekannten Fundorte dieses Textes zwar an den Küsten der Ägäis, doch geht dies mit der Verteilung der Kultorte einher. Ein gewöhnlich als Darstellung der Isis Pelagia bezeichneter Bildnistyp zeigt Isis als Herrin der Seefahrt. Eine solche Darstellung befindet sich als Relief auf der Vorderseite eines kaiserzeitlichen Marmoraltars, der im Vorort Pylaia, etwa zwei Kilometer östlich des Stadtzentrums von Thessaloniki, gefunden wurde.215 Isis wird hier in Schrittstellung nach rechts gezeigt, mit beiden Händen hält sie vor ihrem Körper ein im Wind geblähtes Segel, windbewegt ist auch ihr Schultertuch. Die Benennung der stark verwitterten Darstellung ergibt sich aus der Übereinstimmung mit den wenigen Vergleichsstücken, die bisher aus Delos und Thasos bekannt geworden sind.216 Abgepickte Sockel- und Kranzprofile als Zeichen einer Zweitverwendung könnten darauf hindeuten, daß der Altar von andernorts, möglicherweise aus dem Stadtgebiet, an den späteren Fundort verschleppt wurde. Ein deutliches Argument gegen eine Herkunft aus dem Heiligtum der ägyptischen Götter bildet allerdings der Umstand, daß die vorliegende Altarform – in ihrer Grundform ein aufrecht stehender Marmorblock mit kassettierten Seitenflächen und profiliertem Sockel beziehungsweise oberem Abschluß – eine v.a. im kaiserzeitlichen Makedonien häufige, geradezu typische Denkmalgattung ist, sich aber gerade unter den bekanntgewordenen Funden aus dem Heiligtum der ägyptischen Götter nicht vertreten findet. Weiterhin fehlt unter den zahlreichen Weihungen aus dem Heiligtum jeglicher Hinweis auf eine Anrufung der Isis als Beschützerin der Seefahrer oder auf eine Verehrung in der Erscheinungsform der Isis Pelagia. Es handelt sich beim Altar aus Pylaia also vermutlich um die Stiftung eines 215 Thessaloniki, Inv. AM 6976, 2.–3. Jh. n. Chr.? – Das Relief besprochen von BLANCHAUD 1984. 216 Die Attribute der Isis (Frisur, Sistron) sind am Relief aus Pylaia aufgrund schlechter Erhaltung zwar schwer zu erkennen, aber gesichert.
3.1. Das Heiligtum der ägyptischen Götter
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Privaten an Isis. Für die Aufstellung der Altarweihung scheint deshalb auch jeder andere Ort außerhalb des Heiligtumsbezirkes denkbar, als Beleg für ein besonderes Engagement von Seeleuten im Heiligtum von Thessaloniki kann sie nicht dienen. Schließlich macht auch der Befund der Inschrift IGThess 255,217 welche von der Übertragung des Isis- und Sarapiskultes ins lokrische Opous berichtet, eher unwahrscheinlich, daß es ein ausgesprochener ‚Seemannskult‘ war, welcher von Thessaloniki aus verpflanzt wurde. So hielt sich der durch ein Traumgesicht mit der Überbringung beauftragte Xenainetos als Gesandter in Thessaloniki auf. Sein Mitwirken auf der politischen Bühne seiner Heimatstadt Opous wird zudem durch die im Text geschilderte antipoliteia zu seinem politischen Widersacher Eurynomos belegt. Xenainetos erscheint somit nicht als jemand, der seinen Lebensunterhalt mit der Seefahrt bestritt, die längere und wiederholte Abwesenheit von seiner Heimat bedingte. Gegen ein in der Hauptsache aus Seeleuten bestehendes Spektrum der Kultteilnehmer am neuen Verehrungsort Opous spricht daneben sicher auch der Umstand, daß der Kult dort Aufnahme in das Privathaus einer gewissen Sosineika, einer vermutlich alleinstehenden Frau, gefunden hat. Statt des Ein- und Ausgehens eines vorrangig männlichen, seefahrenden (und damit sicherlich zum Teil stadtfremden) Publikums in diesem Privathaus wird man sich in dessen Umfeld sicher problemloser eine stärker umgrenzte, vor allem aus Einheimischen bestehende Kultanhängerschaft vorstellen können. In denjenigen Fällen, in denen in Thessaloniki die Anlässe der Weihungen – über Dankesbezeugungen allgemeiner Art hinaus – konkreter erkennbar werden, so weisen sie darauf hin, daß der Kult der ägyptischen Götter hier insbesondere durch Traumorakel und mystische Formen der Verehrung charakterisiert war. Es läßt sich zusammenfassend also feststellen, daß sich für das Heiligtum der ägyptischen Götter in Thessaloniki eine Kultbeteiligung von Seeleuten allenfalls in der Frühzeit erkennen läßt. In nachhellenistischer Zeit hingegen ist jedoch ein für eine Hafenstadt auffälliges Fehlen entsprechender Belege zu beobachten. Dies erscheint um so signifikanter, als aus Thessaloniki mehrere Zeugnisse bekannt sind, die zwar in das soziale Milieu von Seeleuten verweisen, dabei aber nicht mit der Isisverehrung in Verbindung stehen, sondern Belege dafür sind, daß die in der Seefahrt und dem damit verbundenen Handel Tätigen sich auch unter dem Schutz anderer Gottheiten sahen: Mit der ins Jahr 74–75 n. Chr. datierten Inschrift IGThess 67218 dankt ein G. 3Ioy1liow 5Vriow ( 7Vriow?219) dem theos Hypsi217
Vgl. hier Abschnitt 3.1.11. IGThess 67: Uev9i 4Yci1stö _ megi1stö svth9ri _ G. I3 oy1liow 5Vriow _ kat' o5neiron xrh_matisuei2w kai2 sv_uei2w e3k mega1loy kin_dy1noy toy9 kata2 ua1_lassan ey3xaristh1rion _ e3pi2 i4ere1vw _ M. Oy3hti1oy Pro1kloy _ e5toyw bks. 218
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
stos, dem ‚größten Retter‘, für die Bewahrung vor Seenot, die hier ungewöhnlicherweise kat’3 o5neiron xrhmatisuei1w erfolgte. Daß der Kult des theos Hypsistos in Seefahrerkreisen eine weitere Verbreitung gehabt hätte, läßt sich anhand der genannten Inschrift allerdings nicht belegen, zumal die hier geschilderte Art und Weise der Errettung aus Seenot eher untypisch sein dürfte: Die Errettung erfolgte durch einen gottgesandten Traum und somit kaum im Augenblick der Gefahr, sondern offenbar schon vor dem Eintreten der gefährlichen Situation. Dies bedeutet wohl, daß der Errettete davor gewarnt wurde, zu einer bestimmten Zeit oder auf einer bestimmten Route zu reisen; ein bestimmtes, dann in Seenot geratenes Schiff zu besteigen oder ähnliches. Das Traumorakel als Aufgabenbereich des Theos Hypsistos macht hingegen mindestens eine weitere Inschrift wahrscheinlich.220 Ein deutlicherer Bezug des Kultes einer Gottheit zu Seeleuten ist hingegen in einer aus Thessaloniki stammenden Grabinschrift enthalten,221 in der ein mit dem (vermutlich phrygischen oder lydischen) Wort doy9mow bezeichneter Berufs- und Kultverein der 3Afrodi1th 3Epiteyjidi1a222 genannt ist.223 Seine Mitglieder sind in den selben Berufen zu vermuten wie der Verstorbene, der durch eine Reliefdarstellung eines Mannes in einem Schiff als seefahrender Händler zu erkennen ist. Legt auch der Beiname eine Zuständigkeit eher im Bereich der geschäftlichen Erfolges nahe, so ist dieser gerade für die seefahrenden Händler untrennbar mit einem Schutz vor Gefahren auf See verbunden. 3.1.13. Nah- und Fernbeziehungen des Heiligtums In einem im Jahr 2000 erschienenen Aufsatz stellte M. Bommas die These auf, Thessaloniki habe als ‚Drehscheibe der Isismission‘ im nordgriechischen Raum gewirkt und diese Aufgabe vor allem entlang der Via Egnatia und ihrer Abzweige erfüllt.224 Zwei Städte, so behauptet Bommas, seien es, welche
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Der Name wird gewöhnlich als 5Vriow wiedergegeben, Ch. Edson vermerkt im Kommentar zu IGThess 67: Cognomen explicare nequeo. Denkbar erscheint allerdings eine Ableitung vom Horusnamen ( 7Vrow). – VOM BROCKE 77 Anm. 25 bringt die Umschrift Gaius Iulius Horius, allerdings ohne weitere Erklärung. 220 IGThess *72 (kat' e3pitagh1n). Unsicher hingegen die Marmorsäule mit der Inschrift IGThess 73 (kat' ey3xh1n), die aus dem Heiligtum der ägyptischen Götter stammt, aber den Adressaten der Weihung nicht nennt. 221 VOUTIRAS 1992 = SEG 42, 1992, 625 (90/91 n. Chr.). 222 Zu e3pitygxa1nv, also etwa: ‚die zum Gelingen verhelfende Aphrodite‘. 223 Vgl. hier Abschnitt 3.3.6. 224 BOMMAS 2000, 620–622.
3.1. Das Heiligtum der ägyptischen Götter
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„nachweislich von Thessaloniki aus missioniert wurden. Zum einen ist dies die Stadt Herakleia auf dem Staatsgebiet der heutigen FYROM,225 die mit Thessaloniki durch die Fortsetzung der sogenannten via Egnatia direkt verbunden war, zum anderen die weiter östlich gelegene Stadt Stobi an der Verbindungsstraße zwischen Thessaloniki und der Donau. Stilistisch lassen sich die ägyptischen Funde dieser beiden Städte mit den im Tempel von Thessaloniki gefundenen Kultobjekten direkt vergleichen.“
Als Beleg hierfür zitiert Bommas die Arbeit von Siegrid Düll.226 Diese äußert zwar für Stobi die Möglichkeit einer Kulteinführung aus Thessaloniki, allerdings bei weitem nicht mit der von Bommas vorgetragenen Bestimmtheit. Zudem sind ihre Belege für diese Auffassung lediglich zwei ikonographisch vergleichbare Fundstücke aus Thessaloniki, welche aber ursprünglich alexandrinische Skulpturtypen darstellen. Eine direkte Abhängigkeit Nordmakedoniens von Thessaloniki im Sinne Bommas’ ist also keinesfalls zu beweisen.227 Eher in die ungekehrte Richtung zu weisen scheint das nach Düll häufige Vorkommen von Statuetten der Isis Tyche in der Gegend um Herakleia. Zwar ist der Statuentyp aus Thessaloniki bisher nicht bekanntgeworden, doch ist Isis Tyche dort aus mehreren Weihungen bekannt (IGThess 95; 96; 104). In Dion hingegen ist sogar ein eigenständiger kleiner Tempel (der sogenannte ‚naiskos III‘) mit erhaltenem Kultbild bekannt. Die Beantwortung der Frage, in welcher Richtung diese Abhängigkeit gewirkt haben könnte, wäre u.a. vor allem von einer Datierung der größtenteils unveröffentlichten nordmakedonischen Statuetten abhängig. Allerdings muß auch hier bedacht werden, daß leicht transportable Medien, wie sie Bronzestatuetten darstellen, anderen Verbreitungsmechanismen unterliegen können als die Verehrung einer Gottheit unter einem bestimmten Beinamen. Zudem zwingt die Benennung eines Statuettentypus keinesfalls zur Annahme, daß für den Besitzer oder Weihenden der Statuette genau dieser Name auch als Kultbeiname von Bedeutung war. Eine Verbindung von Statuettentyp und Kultbeinamen könnte deshalb allenfalls in einer um225
FYROM = die ehemalige jugoslawische Teilrepublik Mazedonien (Former Yugoslavian Republic of Macedonia). 226 DÜLL 1977. 227 Düll beruft sich für ihre Auffassung von einer Kulteinführung aus Thessaloniki wiederum auf die knappen Äußerungen von PERC 1968. Diese schreibt a.a.O. 111: „Der Kult [der ägyptischen Götter] ist nach Stobi wahrscheinlich aus dem nahe gelegenen Thessalonike eingeführt worden“ sowie 113 (Zusammenfassung): „Im nördlichen Makedonien verbreitet sich der Kult der ägyptischen Götter im 2. Jahrhundert unter dem Einfluß aus Thessaloniki.“ Einen Beleg für diese Ansicht nennt sie leider nicht. – Interessanterweise bezieht DÜLL einen Sarapiskopf aus Thessaloniki in diese Überlegungen zur Abhängigkeit der Kultorte ein. Dieser Gedanke scheint wiederum auf den kurzen und in seiner Abfolge nicht besonders schlüssigen Text Perc’ zurückzugehen, wo die Erwähnung eines Sarapiskopfes aus Stobi unmittelbar vor der Behauptung der Kulteinführung aus Thessaloniki erfolgt, aber – anders als dies DÜLL möglicherweise verstanden hat – argumentativ kaum an diese gebunden ist, denn ein Sarapiskopf aus Thessaloniki ist bei PERC nicht erwähnt.
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
fassenderen Zusammenschau mit epigraphischen Zeugnissen Nordmakedoniens geleistet werden, für welche die Vorarbeiten aber weitgehend fehlen. Bemerkenswerte Bezüge sind zwischen Thessaloniki und Dion erkennbar, welche sowohl in Besonderheiten der Weihungspraxis (z.B. den Ohrund Fußabdruckreliefs), in gemeinsam vorkommenden Beinamen sowie auch in der Übernahme althergebrachter Aufgabenbereiche durch Isis liegen. Bedeutend scheint hier vor allem der Isisbeiname Lochia, der nicht nur den drei makedonischen Orten Thessaloniki, Dion und Beroia gemeinsam, sondern bisher ausschließlich dort bezeugt ist. In ihm verbindet sich offensichtlich eine gemeinsame Entstehungsgeschichte im Übergang einer traditionellen Aufgabe der Artemis auf Isis, die in Thessaloniki gleichermaßen wie in Dion zu erkennen ist. Schließlich deutet sich ein möglicher Weg von der Insel Delos nach Thessaloniki an.228 Vier Weihungen, darunter zwei römischer Namensträger (IGThess 77–80, alle 2. oder 1. Jh. v. Chr.), nennen Isis, Sarapis und Anubis, eine Verbindung, die aufgrund ihres häufigen Vorkommens auf Delos auch als ‚delische Trias‘ (im Unterschied zur ‚alexandrinischen‘ mit Harpokrates) bezeichnet wird. Die threskeutai kai sekobatai Hermanoubidos aus IGThess *220 (3. Jh. n. Chr.) wiederum verehren einen Gott, der im gesamten griechischen Raum sonst ausschließlich auf Delos inschriftlich genannt ist.229 Beachtet werden muß hierbei allerdings der große zeitliche Abstand zwischen der delischen Weihung (102/1 v. Chr.) und dem Beleg aus Thessaloniki, somit dürften im Thessaloniki des 3. Jahrhunderts bei der Auswahl der Gottheit eher Abgrenzungstendenzen der Vereinigung eine Rolle gespielt haben.230 Aussagekräftiger im Hinblick auf eine Herleitung der ‚delischen Trias‘ aus Delos könnte der Umstand sein, daß die vier bekannten Weihungen an Anubis (IGThess 77–80) auf das 2./1. vorchristliche Jahrhundert beschränkt bleiben und somit in einem möglichen zeitlichen Zusammenhang mit einer Zuwanderung von Römern aus Delos nach Thessaloniki stehen. Eine solche Zuwanderung ist unabhängig von diesen Überlegungen am Namenmaterial erschlossen worden und wird mit der Zerstörung der Insel in der Mitte des 1. Jahrhunderts vor Christus verbunden. Zu den gleicher228 Zur möglichen Verbindung des Hieromnemon – Auftraggeber der hellenistischen Weihinschrift IGThess 94 – zum Stifter einer delischen Weihung vgl. hier Anm. 212. 229 ROUSSEL Nr. 156 (102/1 v. Chr.): [Sa]ra1pid[i] ------- = [ 4Er]manoy1[bidi n]ikhfo1rvi = [Sp]o1riow Stert[i1]niow Spori1o[y] = [ 4R]vmai9ow xaristh1rion, = [e3pi2 i4]ere1vw Dra1kontow, = [kan]hforoy1shw Kosmoy9w th9w Dra1[kon]to[w] = Flye1vw uygatr[o1w], = [za]korey1ontow 3Isidv1r[oy]. = [Mhno1]dvrow Fain[a1ndroy Mallv1thw e3poi1ei]. – Vgl. auch DUNAND 1973, 184. – Eine bisher undatierte Inschrift mit Fußspurenrelief aus dem Isisheiligtum von Dion nennt als Vater der Stifterin einen Hermanoubios: 3Ignati1a 4Erenni1a = 4Ermanoybei1oy = kat' e3pitagh1n: SEG 34, 1984, 625. 230 STEIMLE 2006, 36f.
3.1. Das Heiligtum der ägyptischen Götter
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maßen in Delos wie in Thessaloniki bekannten gentilicia gehören deshalb vielleicht nicht zufällig auch die Avii, also ein Name, der uns im Zusammenhang mit den Stiftungen der reichen Wohltäterin Posilla Avia begegnet ist.231 Eine delische Zuwanderung nach Thessaloniki könnte demnach sowohl Ursache für die Besonderheit der Weihungen IGThess 77–80 sein, als auch allgemeineren Anteil gehabt haben an der Blüte des Kultes, welche seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. zu der außergewöhnlichen Fülle der Weihinschriften aus dem Heiligtum der ägyptischen Götter in Thessaloniki beigetragen hat. 3.1.14. Anhang: Auszug aus dem Tagebuch Hans von Schoenebecks Orangefarbenes Notizbuch aus dem Nachlaß von Hans Ulrich von Schönebeck (*19.12.1904, gefallen 17.8.1944), ca. 20 x 13,5 cm (Hochformat). Deutsches Archäologisches Institut Berlin, Archiv, Kasten 5, Mappe 25. Die hier wiedergegebenen Streichungen und Unterstreichungen entsprechen dem Original.
Abb. 8: Grundrißskizze des Apsistempels im Tagebuch. Der kurze horizontale Strich im Verlauf des eingezeichneten unterirdischen Korridors markiert möglicherweise die durch von Schoenebeck beobachtete Baunaht.232
[Titelblatt]
Tagebuch Saloniki Palastgrabung v. Schönebeck März 1939.
[Seite 1]
Saloniki
Eingetroffen am 28.II. morgens mit dem Nachtzug aus Athen. [...] In Salonik wieder im Kosmopolit Wohn[un]g genommen. Morgens Kotzias233 aufgesucht, und mit ihm „Serapeion“-grabung von Pelekides besucht. War gerade dabei, über einer Krypta (2 Bauperioden) die Cella als nachtheodosianisches Wohnhaus abreissen zu lassen – wie schon 231
RIZAKHS 1986, 511–515. Vgl. hier Abschnitt 3.1.3. 233 Nikolaos Kotzias (1885–1977), damals DzijȠȡȠȢ ǹȡȤĮȚȠIJȒIJȦȞ von Thessaloniki und Umland. 232
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
früher vier oder fünf ähnliche Bauten! Schwerlich ein Serapeion, wohl Heiligtum aegypt. Gottheiten. Galeriuszeit. [hier Grundrißskizze in den Text eingefügt] Apsis mit Nische für Bildwerk. Davor Podest. Die Nische nur nach Angabe von P.[elekides], nicht selbst gesehen. Krypta mit Ausgang neben Apsis, an Schnitt Baunaht. An Durchstoßung der Cellawand in dieser Entlastungsbogen: also Erweiterung des Kryptaganges gleichzeitig mit Cella unter Galerius! Am Ende der Krypta Nische mit Statuette des Hermes. Datierung der Cella ergibt sich aus Bautechnik. Wechsel 4 Schichten Ziegel – Feldsteinlagen [Seite 2a] aussen Verstrich wie an Rotunde, Kamara. Ziegel mit Strichmuster, Maße Galeriuswerke[?, undeutlich]. In der Nähe gefunden Köpfe Serapis – weibl. Gottheit (Aphrodite – Kybele), späteres 3. Jahrh. Monumental. Bohrtechnik = Kosmeten nach 240/50. Wiederverwendeter Altar mit [hier nachträglich eingefügt: später] Weihinschrift an Isis im Innern. Als Schwellblock gegenüber Apsis Architrav m. Inschrift früheres 3. Jahrh. Alles jetzt im Museum. Pelekides, d.h. für Forschung verloren. Am „Serapeion“ Pelekides getroffen, mit ihm und Kotzias zur Odos Eirene, Fundort des neuen Amazonensarkophags: L. 3.10 m T 1.30 H 1.40 Klinendeckel, Köpfe fehlen. 2 m (Oberkante S.[arkophag]) unter Boden e. Fabrik234 bei Niederbringung e. Brunnens nach 8 Jahren nach Bau der Fabrik (damals verheimlicht) wiedergefunden. Wohl das Kostbarste heute in S. befindliche Stück. Herrlich durchgearbeitete Köpfe. Datierung um 225. Am 1. III. Abends Ankunft von Dyggve und Frau. 2. Tag über Besprechungen, Besuche. Er nimmt im Ritz Woh[nun]g. Freitag den 3.III. Morgens 8 Uhr Arbeitsbeginn in Anwesenheit von Dyggve, Kotzias [Seite 2b] und mir. Vorarbeiter wieder Pavlos. Zunächst 8 Arbeiter. Entgegen meinen Bedenken Beginn ausschließlich am Rundbau. Erfolg: Heute, nach 6 Arbeitstagen, zwar aufschlußreiche Klärung zur Baugeschichte der byz. Periode, aber nicht zur Hauptfrage. Nach Ankunft von Radnoti 235 werde ich an der Via Egnatia als Basis selbständig vorgehen. Klärung der restierenden Bogenprobleme später und beiläufig als eigene Privataufgabe. [...]
3.2. Ehrungen für Römer und Kulte im Umfeld der Kaiserverehrung 3.2. Ehrungen für Römer
Die Ehrung römischer Kaiser ist in Thessaloniki eng mit einer schon in republikanische Zeit zurückreichenden Tradition von Ehrungen für Römer verbunden. Dies bringt mit sich, daß der Kaiserkult – für den in Thessaloniki die Zeugnisse im übrigen auffallend knapp sind – nicht isoliert und für sich untersucht werden kann, sondern im weiteren Rahmen der Ehrungen römischer Amtsträger betrachtet werden muß. In dieser Perspektive zeigt sich trotz teilweise großer chronologischer Lücken im Quellenmaterial, daß die Ehrungen von Römern in Thessaloniki über die Zeiten hinweg große Konsequenz in 234 Ein dem Tagebuch beigehefteter, undatierter Zeitungsausschnitt, vermutlich aus einer örtlichen Tageszeitung, nennt als Fundort ein ǼȡȖȠıIJȐıȚȠȞ ĭȜȠȖİȞȓįȘȢ. 235 Es handelt sich um Dr. Aladár Radnoti, gest. 1972 (freundliche Auskunft der Witwe, Prof. Dr. M. Radnoti-Alföldi, Frankfurt / M.).
3.2. Ehrungen für Römer
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ihrer Entwicklung aufweist. Die Betrachtung dessen, was uns als Verehrung römischer Herrscher entgegentritt, soll deshalb ihren Ausgangspunkt bereits an den ältesten uns überlieferten Zeugnissen für Ehrungen von Römern durch die Stadt und ihre Bürger nehmen.236 3.2.1. Ehrungen der ‚Römischen Wohltäter‘ durch Stadt und Gymnasium Das früheste der hier interessierenden Zeugnisse ist ein heute verlorenes Inschriftenfragment, das vermutlich zu einer Statuenbasis gehörte: 237 Koi1nton Kaike1[lion Koi1ntoy Me1t ellon] strathgo2n a3[nuy1paton 4Rvmai1vn] to2n ay3t h9w sv[th9r a kai2 ey3erge1t hn] h4 p[o1liw]
Quintus Caecilius Metellus wurde von der Stadt Thessaloniki offiziell als ihr ‚Retter‘, abhängig von der Wiederherstellung der dritten Zeile238 vielleicht auch als ‚Retter und Wohltäter‘ geehrt. Bei dem Geehrten handelt es sich um den bekannten Praetor, der 148 v. Chr. erfolgreich den Aufstand des Thronprätendenten Andriskos niedergeschlagen hatte; die ‚Errettung‘ der Stadt bezieht sich ohne Zweifel auf dieses Ereignis. Metellus hatte anschließend bis 147/146 v. Chr. das Amt des Prokonsuls (oder Propraetors?239) der Provinz inne, beide Daten setzen den zeitlichen Rahmen für die Abfassung der Inschrift. Der Anlaß einer späteren, vergleichbaren Ehrung eines römischen Amtsträgers durch die Stadt bleibt hingegen unbekannt. Der Geehrte ist Gnaeus Servilius Caepio, der auch aus anderen Quellen bekannte Quaestor des makedonischen Prokonsuls im Jahre 105 vor Christus,240 die Ehrung befand sich auf dem heute verschollenen Epistylfragment IGThess 135 (105 v. Chr.?): h4 po1liw Gnai9on Seroyi1lion Gnai1oy yi4o2n Kaipi1vna tami1an 4Rvmai1vn gymnasiarxoy1ntvn Dvsiue1oy toy9 Poseidvni1oy, 3Aristofi1loy toy9 --e3fhbarxoy9ntow Fila1rxoy toy9 Dionys---. 236 Grundlegend zu den pro-römischen Kulten der republikanischen Zeit: MELLOR 1975. CLAUSS 1999. 237 IGThess 134 (148–146 v. Chr.) mit Taf. 2 (Umzeichnung). 238 Die vom Herausgeber Edson vorgenommene Ergänzung des Textes gründet auf der Symmetrie der Textanordnung. Ebenfalls möglich wäre eine Wiederherstellung Koi1nton Kaike1[lion Me1tellon] / strathgo2n a3[nuy1paton] / to2n ay3th9w sv[th9ra] / h4 p[o1liw] (vgl. den Inschriftenkommentar), doch ließe eine solche die auffällige Einrückung der größer geschriebenen Worte h4 p[o1liw] unberücksichtigt (s. die Umzeichnung des verschollenen Fragments IGThess Taf. 2). 239 Sein genauer Titel ist unklar, vgl. BROUGHTON Bd. 2, 539. 240 BROUGHTON Bd. 1, 556.
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
Während als Auftraggeber wiederum die Stadt auftritt, ist die Ehrung erstmals mit der Nennung der Ämter zweier Gymnasiarchen sowie eines Ephebarchen verbunden. Dies könnte zunächst so zu deuten sein, daß sich die Verdienste des Cn. Servilius Caepio speziell an das Gymnasium gerichtet hatten, welches deshalb in die Ehrung miteinbezogen wurde.241 Die Entwicklungen der Folgezeit lassen jedoch erkennen, daß Ehrungen von Römern zum festen Bestandteil des Aufgabenrepertoires des Gymnasiums geworden waren und mindestens bis in die zweite Hälfte des 3. nachchristlichen Jahrhunderts hinein blieben. In einer rund zehn Jahre später entstandenen, ins Jahr 95 v. Chr. datierten Inschrift242 nimmt eine Gruppe von ne1oi die Ehrung eines einheimischen Gymnasiarchen, eines gewissen Paramonos, vor und zählt dabei als eines seiner Verdienste auf, er habe die ‚üblichen Ehren für die Götter und die Römischen Wohltäter gesteigert‘ (Zeile 10–11: kai2 ta2w h3uisme1naw teima9w G------ / toi9w te Ueoi9w kai2 4Rvmai1oiw ey3erge1taiw e3pay1jvn).243 Da die Inschrift sonst ausschließlich mit dem Gymnasium verbundene Verdienste nennt, ist anzunehmen, daß auch die – zudem inmitten der übrigen gymnasialen Aufgaben genannte – Erbringung der teimai1 für die ‚Götter und die Römischen Wohltäter‘ dem Gymnasium fest zugeordnet war. Es läßt sich zum einen vermuten, daß die Ehrungen hierbei auch das finanzielle Engagement des jeweiligen Gymnasiarchen bedingten, zum anderen, daß die Gesamtheit der a3po2 toy9 gymnasi1oy (Zeile 20) – also unter anderem die ne1oi – auch an den Ehrungen für die ‚Götter und Wohltäter‘ beteiligt war. Waren die ‚römischen Wohltäter‘ zweifellos Patrone der gesamten Stadt, so trug das Gymnasium die Ehrungen offenbar im Auftrag der Stadt stellvertretend aus. Die genannten Inschriften sind deutliche Belege für die im 2. und 1. Jahrhundert vor Christus zunehmende Bedeutung römischer Patronate. Sie lassen erkennen, daß sich am Beginn des 1. Jahrhunderts in der Ehrung von Römern durch die Stadt Thessaloniki mehrere bedeutende Entwicklungen vollzogen haben: Zum einen scheinen die ‚Römischen Wohltäter‘ nun als Gruppe relevant zu sein und als solche verehrt zu werden,244 zum anderen ist ihre Ehrung mit dem Kult der ‚Götter‘ verbunden worden. Schließlich fand die bereits in der Ehreninschrift für Gnaeus Servilius Caepio von etwa 105 v. Chr. erkennbare Verbindung mit Amtsträgern des 241
HENDRIX 1984, 266–268. IGThess 4. Zum Text vgl. Abschnitt 3.3.1. mit Anm. 412. 243 Die Passage enthält eine Textlücke, die der Herausgeber mit 5–6 Zeichen angibt. 244 HENDRIX 1984, 103 hat zu Recht darauf hingewiesen, daß der 95 v. Chr. datierte Text die Annahme Ch. Edsons (EDSON 1940, 133) widerlegt, die Einführung des Kultes der 4Rvmai9oi ey3erge1tai sei erst 42–41 v. Chr. nach der Schlacht von Philippi aus Anlaß der historisch belegten Verschonung Thessalonikis vor Plünderung erfolgt. 242
3.2. Ehrungen für Römer
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Gymnasiums nun zu einer fest institutionalisierten Form, in der nicht nur die administrativen Spitzen des Gymnasiums, sondern auch die dort vertretene Jugend beteiligt war. Eine andere inschriftliche Nennung ‚Römischer Wohltäter‘ bezeugt eine weitere Entwicklung in den Ehrungen von Römern in der Stadt. Es handelt sich um die bereits im Zusammenhang mit dem augusteischen Kaisertempel besprochene Inschrift IGThess 31, die vom Herausgeber in augusteische Zeit, zwischen 27 v. Chr. und 14 n. Chr. datiert wurde.245 In der Bauinschrift für einen Kai1sarow nao1w ist am Ende einer Abfolge von Priesterämtern erstmals ein [i4erey2w] 4Rv1mhw de2 kai2 4Rvmai1vn ey3ergetv9n belegt. Daß die Einführung des Roma-Kultes hierbei keine Innovation der augusteischen Zeit ist, sondern älter sein muß, legt zum einen der Umstand nahe, daß das Priesteramt ihres Kultes nicht mit jenem des Augustus verbunden ist. Zum anderen erscheint Roma bereits auf Münzprägungen zur Feier der städtischen Eleutheria nach der Schlacht von Philippi (42 v. Chr.).246 Unklar lassen die erhaltenen Zeugnisse, ob ein bereits bestehendes Priesteramt für die römischen Wohltäter um den Kult der Roma erweitert wurde – IGThess 4 von 95 v. Chr. nennt kein Priesteramt der ‚Götter und Römischen Wohltäter‘ – oder ob ein solches erst im Augenblick der Verbindung der Roma mit den ‚Römischen Wohltätern‘ geschaffen wurde. Erkennbar wird hingegen, daß der Kult der Roma und der ‚Römischen Wohltäter‘ nach Schaffung des Kultes für Augustus jenem untergeordnet wurde: Dies wird in der gemeinsamen Nennung wie auch in der sicherlich nicht willkürlichen Abfolge der Priesterschaften deutlich, bei denen dem Priester und Agonotheten des Augustus ein Priester der ‚Götter‘ und erst an dritter Stelle jener der Roma und der ‚Römischen Wohltäter‘ folgt. Eine Weihung aus dem ersten Drittel des ersten Jahrhunderts nach Christus gibt weitere Aufschlüsse zur Verbindung von Kaiserkult, ‚Römischen Wohltätern‘ und den ne1oi.247 Die Inschrift scheint die Weihung eines Bau245 IGThess 31 (zwischen 27 v. und 14 n. Chr.): [--- (mindestens zwei Zeilen)] / a3[n]uy1patow -------- / latomi1aw e3po1hs[en to2n] / Kai1sarow na[o1n. / e3pi2 i3ere1vw kai2 a3gvnoue1toy Ay2]/tokra1torow Kai1sa[row Ueoy9] / yi4oy9 Sebas{bas}to[y9 -------]/vw toy9 Neikopo1l[evw i4ere1vw] de2 tv9n uev9n Dv[------ toy9 -----]/poy, R 4 v1mhw de2 k[ai1 R 4 vmai1vn] / ey3ergetv9n Neik[-------- toy9] / Parano1moy vacat / poleita[rxoy1ntvn (es folgen 5 Namen)] toy9 kai prosta[th1santow] / toy9 e5rgoy tam[i1oy th9w po1levw] / Sv1svnow t[oy9 ------------], / a3rxitek[toy1ntow] / Dionysi1o[y toy9 ------] / ----. 246 BMC Macedonia 115 Nr. 62. GAEBLER 121–122 Nr. 24 mit Anm. 1 – Vgl. auch TOURATSOGLOU 1988, 6 mit Anm. 10. 247 IGThess 133 (Herkunft aus Thessaloniki entgegen der Annahme der Herausgebers sicher, vgl. L. Robert, RPhil 48, 1974, 48), Abbildung bei HORSLEY 1995 Taf. 10, 1: [v e5toyw v.v kai2 v.v. kai2 v.] v Sebastoy9. v / [kata2 to2 do1jan tü9 boylü9?] kai2 toi9w ne1oiw P Ker-/[---(ca. 16 Zeichen) ---- d]ia2 diauh1khn i4ere1vw kai2 a3gv/[noue1toy Ay3tokra1]torow Kai1sarow ueoy9 yi4oy9 Sebastoy9 / [G. Ei3oyli1oy 4Roimh]ta1lkoy dyna1stoy a3ntagvnoue/[toy9ntow ? 4Hliodv1]roy toy9 4Hliodv1roy i4ere1vw uev9n / [--- (ca. 8 Zeichen) toy9 F[i1l]vnow 4Rv1mhw de3
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werks zu sein, dessen Errichtung durch einen testamentarischen Nachlaß ermöglicht wurde; als Auftraggeber der Inschrift fungieren ein städtisches Gremium (die boule?) und die ne1oi. Der Datierung dienen die – verlorene – Angabe der aktischen Ära sowie die Nennung des Priesters und Agonotheten des Ay3tokra1tvr Kai1sar ueoy9 yi4oy9 Sebastoy9, eines i4erey2w uev9n sowie eines [i4erey2w] 4Rv1mhw de2 kai2 4Rvmai1vn ey3ergetv9n .248 Wiederum wird die enge Verbindung der drei genannten Priesterämter deutlich, auch hier ist wieder die aktive Beteiligung der ne1oi im Komplex offizieller städtischer Ehrungen sichtbar.249 Eine Auflösung der engen Verbindung zwischen dem Priester und Agonotheten des Augustus, dem Priester der Götter und jenem der Roma und der ‚Römischen Wohltäter‘ scheint sich schließlich in einer lose in das 2. kai2 4Rvmai1vn ey3ergetv9n / -------now to[y9] Dionysi1oy poleitarxoy1ntvn / ----dv1roy toy9 [N]eika1ndroy A 3 sklhpiodv1roy toy9 / A 3 sklhpiodv1roy [Sv]sipa1troy toy9 Ei3sidv1roy ZvQ1loy / toy9 ZvQ1loy toy9 Lysipo1noy A 3 uhnoge1noyw toy9 / Ploysi1aw gymnasiarxoy9ntow Menela1oy / toy9 3Antigo1no[y] e3fhbarxoy9ntow Neikola1oy / toy9 3Epime1no[y]w tami1oy th9w po1levw G. 3Agil/lhi1oy Potei1toy a3rxite1ktonow L. Ei3oylei1oy Fy1rmoy, / tamieyo1ntvn tv9n / ne1vn [[----- (ca. 13 Zeichen) ---Y]] / T. Memmi1oy Zvsi1moy / --- . – Die Datierung der Inschrift hängt von der Identifizierung des genannten [Rhoime]talkes ab. Ch. Edson hatte ihn ihm Tiberius Iulius Rhoimetalkes vermutet (und in der Edition die Inschrift entsprechend ergänzt); dies führte ihn aufgrund der genannten diauh1kh zu einer Datierung der Inschrift kurz nach dessen Tode im Jahre 154 n. Chr. – L. Robert wies darauf hin, daß der Rhoimetalkes der Inschrift mit dem Priester und Agonotheten des Augustus identisch sein müsse und schlug darüber hinaus eine Identifizierung mit Gaius Iulius Rhoimetalkes, Sohn des Thrakerkönigs Rheskouporis, vor; hieraus folgt eine Datierung in das erste Drittel des 1. Jhs. n. Chr. (L. Robert, RPhil 48, 1974, 215.) – TOURATSOGLOU 1988, 11 Anm. 41 meinte über die Person des genannten T. Memmius Zosimos das Datum auf prosopographischem Wege auf die Jahre 35–39 n. Chr. eingrenzen zu können und favorisierte Rhoimetalkes III., Sohn des Kotys VII. In diesem Falle wäre die Datierung wohl noch genauer einzugrenzen, da der Rhoimetalkes der Inschrift noch als dyna1sthw genannt ist, Rhoimetalkes III. seit 38 König war. – Zur Datierung auch NIGDELHS 1995, 48 Anm. 5. 248 Die Nennung eines ‚Vize-Agonotheten‘ (a3ntagvnoue1thw) hängt möglicherweise mit der Amtsausübung in absentia des Rhoimetalkes zusammen, vgl. HENDRIX 1984, 313. 249 Ein weiterer Beleg für diese Konstellation der drei Priesterämter ist möglicherweise die stark fragmentierte Inschrift IGThess 32, die von HENDRIX 1984, 119–120 in einer zeichnerischen Neuanordnung der Fragmente um das Priesteramt der Roma und der ‚Römischen Wohltäter‘ (Z. 8–9) ergänzt wurde, der ebenfalls ergänzte Name des Ioulios [Rhoimetalkes] (Z. 5) ließe dann auf eine weitere Amtszeit des Dynasten schließen. Den Text ergänzte 4 vmai9o[i, e3pi2 HENDRIX 1984, 385 wie folgt: h4 po1liw k[ai2 oi4 synpragmateyo1menoi] / R i4ere1vw kai2 a3gvnoue1]/toy Ay3t[okra1torow Kai1sarow ue]/oy9 yi4oy9 [Sebastoy9 dyna1stoy?] GaQ1oy I3 oyli1oy [ R 4 oimhta1lkoy?, i3ere1]vw Dio2w / E 3 leyue[ri1oy ZvQ1loy? toy9 Z[vQ1loy / fy1sei d[e2 Lysipo1noy?, tv9n uev9n 3Anti/do1to[y toy9 --- (ca. 9–11 Zeichen) ---]w, R 4 v1mhw / kai2 4Rv[mai1vn ey3ergetv9n Ue]odv1roy / toy9 I[--- (ca. 7–9 Zeichen) --- politarx]oy1ntvn / 3Epik[th1toy? toy9 --- (ca. 8–10 Zeichen) ---]dow, Sv-/ (Fortsetzung auf weiterer, verlorener Platte; zur Schreibweise syn- s. hier Anm. 417). Trotz der Kritik an einigen der Ergänzungen durch NIGDELHS 1995, 49 Anm. 5 – insbesondere an der Ergänzung der Namen – gelingt es Hendrix, in der Wiederherstellung der Priesterschaften einige Unhaltbarkeiten der Edson’schen Textrekonstruktion aufzuzeigen.
3.2. Ehrungen für Römer
137
Jahrhundert nach Christus datierten Ehreninschrift (IGThess 226 250) anzuzeigen. Trotz des insgesamt stark fragmentierten Zustandes, der den genauen Anlaß der Abfassung unklar läßt (Restaurierung eines Bauwerks?), ist die fehlende Nennung des Priesters des Augustus gesichert. Das Amt des Agonotheten, welches neben dem Priester der Götter und jenem der Roma und der ‚Römischen Wohltäter‘ genannt wird, scheint hier selbständig und nicht mehr an das Priesteramt des Augustus gebunden zu sein. Die Inschrift stellt gleichzeitig den wohl spätesten Beleg für Ehrungen für Roma und die ‚Römischen Wohltäter‘ in Thessaloniki dar; das Fehlen eindeutig später zu datierender Inschriften deutet ein Ende der Ehrungen in dieser Form an. In den Zeugnissen zu Ehrungen der ‚Wohltäter‘ spiegelt sich die in republikanischer Zeit zunehmende – ebenso wie die in der Kaiserzeit dann wieder verblassende – Bedeutung dieser Personengruppe wider. Wie die Ehreninschrift für Cn. Servilius Caepio zeigt, scheint die offizielle Ehrung von Römern durch die Stadt spätestens am Ende des 2. Jahrhunderts vor Christus in den Aufgabenbereich des Gymnasiums übertragen worden zu sein. Ließe seine Ehrung ohne weitere Quellen vermuten, daß diese in einer individuellen, speziell dem Gymnasium zugutegekommenen Wohltat begründet lag, so macht die in der Folgezeit fest institutionalisierte Verbindung mit dem Gymnasium und seinen Ämtern dessen generelle Zuständigkeit für Ehrungen der ‚Römischen Wohltäter‘ und der mit ihnen verbundenen Göttern wahrscheinlich. Wie die Einbeziehung seiner Amtsinhaber zeigt, ist das Gymnasium, also seine Institutionen und seine Nutzer, am Beginn des 1. Jahrhunderts vor Christus zur zentralen Instanz für die Ehrung von Römern geworden. Dabei bot die Einbindung der städtischen Jugend eine Möglichkeit, die Ehrungen beispielsweise durch die Abhaltung von Agonen ebenso repräsentativ wie öffentlichkeitswirksam auszugestalten. Unter den veränderten Bedingungen der Kaiserzeit boten dann die Kulte für Antinoos und Fulvus den Rahmen, in welchem die aristokratische Jugend Loyalität zum Kaiserhaus demonstrieren und gleichzeitig einen Grundstein für eine höhere städtische Ämterlaufbahn legen konnte. Hierbei erscheint sie in den Quellen bezeichnenderweise nicht mehr als eine einheitliche Gruppe von ne1oi, sondern nun als Einzelpersonen, die deutlich vor ihrem familiären Hintergrund dargestellt wurden.
250 Der vom Herausgeber für IGThess 226 hinsichtlich der Herkunft aus Thessaloniki geäußerte Vorbehalt wird durch den Fundortvermerk des Archäologischen Museums Thessaloniki (AM Inv. 2339) ausgeräumt: „Ues[salo]ni1kh, plhsi1on toy9 i3eroy9 tv9n Ai3gypti1vn uev9n“.
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
3.2.2. Ehrungen ja, Kult nein? Aus den erhaltenen Inschriften geht die Art der Ehrungen für die ‚Römischen Wohltäter‘ nicht direkt hervor. Ihr offizieller Charakter wird immerhin in der Verbindung zu städtischen Ämtern deutlich, die seit frühester Zeit in den Inschriften zu erkennen ist. Sowohl die als Einzelpersonen geehrten Römer des 2. Jahrhunderts vor Christus als auch die Gruppe der ‚Römischen Wohltäter‘ sind in den Inschriften stets gemeinsam mit städtischen Amtsträgern oder mit dem Priester des städtischen Kults der ‚Götter‘ beziehungsweise dem Priester der Roma genannt. Der für Quintus Caecilius Metellus gewählte, in den städtischen Ehrungen Thessalonikis ansonsten unbelegte Ehrentitel svth1r (beziehungsweise, je nach Ergänzung der Inschrift, svth2r kai2 ey3erge1thw) entspricht den Bezeichnungen, die besonders in der Alexandernachfolge mit der Tradition heroisierter oder vergöttlichter Herrscher verbunden sind. Der im konkreten Fall bekannte historische Hintergrund läßt jedoch vermuten, daß sich die Wortwahl hier ganz real auf die ‚Rettung‘ im Andriskosaufstand (sowie vielleicht auf weitere ‚Wohltaten‘) bezog.251 Ein sakraler Charakter der Ehrung kann aus den Begriffen also nicht zwingend abgeleitet werden. Gleiches gilt für die Ehrung des Cn. Servilius Caepio; hier verwendet die Inschrift keinerlei Ehrentitel.252 Der Umfang der Ehrung muß auch hier ungewiß bleiben, die Anbringung der Inschrift auf dem Epistyl eines Bauwerks läßt die Möglichkeit einer Stiftung durch den Quaestor, aber auch eine Ehrung mit einem ihm gewidmeten Bau offen.253 Schwieriger zu beantworten ist die Frage, wie genau man sich die ‚üblichen Ehrungen‘ (h3uisme1naw teima2w) der ‚Römischen Wohltäter‘ in ihrer 251
Ein Parallelzeugnis für die dem Metellus entgegengebrachte Dankbarkeit besteht in einer Statuenweihung aus Olympia, die durch einen Privatmann aus Thessaloniki vorgenommen wurde: IGThess 1031 = SIG3 680 (vor 143 v. Chr. oder kurz danach: Da1mvn Nika1norow Makedv2n a3po2 / Uessaloni1khw Ko1Qnton Kaike1lion / KoQ1ntoy Me1tellon, strathgo2n y7paton / 4Rvmai1vn, Dii2 3Olympi1vi / a3reth9w e7neken kai2 ey3noi1aw hßw e5xvn diate/lei9 ei3w te ay3to2n kai2 th2n patri1da / kai2 toy2w loipoy2w / Makedo1naw kai2 toy2w a5lloyw 7Ellhnaw. Daß hier – im Gegensatz zur Inschrift aus Thessaloniki – der Ehrentitel des soter fehlt, deutet nach HENDRIX 1984, 261 darauf hin, daß der Titel nicht ein „regularized epithet used of the proconsul in Thessalonica“ darstellte, sondern vielmehr eine direkte Bezugnahme auf einen konkreten Gunsterweis. 252 Zur Art der möglichen Verdienste des Quaestors um Thessaloniki zieht HENDRIX 1984, 203 (vgl. ebd. 266) als Vergleich eine Ehrung aus dem 18 km nordöstlich gelegenen Ort Lhth1 heran (SIG3 700, 120/119 v. Chr.): Hier wird ein siegreicher Quaestor dafür geehrt, daß er auf Aushebungen und Besteuerung verzichtet hat. 253 Angesichts der in der Folgezeit fest etablierten Verbindung zwischen städtischen Ehrungen und dem Gymnasium ist dessen Beteiligung hier kein zwingendes Indiz dafür, daß der Bau als Teil seiner Anlagen speziell dieser Institution zugute gekommen wäre. HENDRIX 1984, 268 denkt an die Möglichkeit, daß in diesem Bau die Ehrungen einiger der kurz darauf als Gruppe genannten Wohltäter öffentlich gemacht wurden („were publicized“).
3.2. Ehrungen für Römer
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Verbindung zu den ‚Göttern‘ vorzustellen hat, ob diese also möglicherweise kultische Ehrungen lebender Personen umfaßten. Da im Jahre 95 v. Chr. als ein Verdienst des Gymnasiarchen Paramonos die ‚Steigerung‘ (e3pay1jvn) dieser Ehrungen genannt wird,254 könnte man etwa an außergewöhnlich umfangreiche, über das bisher Übliche hinausgehende Opfer denken. Hierbei fällt auf, daß die Wortwahl sich auf die allgemeinere Angabe von teimai1 beschränkt, also vielleicht bewußt einen Begriff verwendet, der in der Lage ist, unterschiedlich geartete Ehrungen der Götter und der ‚Wohltäter‘ gleichermaßen zu umfassen. Daneben ist ein Priesteramt für die ‚Wohltäter‘ erst dann nachweisbar, als dieses sich in augusteischer Zeit mit dem Kult der Dea Roma verbunden findet. Signifikant ist in den inschriftlichen Belegen aus Thessaloniki auch das völlige Fehlen von Hinweisen auf Opfer an die ‚Römischen Wohltäter‘. Denkbar ist bei der Paramonos-Inschrift eine Einbindung der Ehrungen für die ‚Römischen Wohltäter‘ in jene der Götter in einer Weise, wie sie aus anderen, privat initiierten Zeugnissen belegt sind, welche nicht direkt aus Thessaloniki stammen, aber durch die Person ihrer Auftraggeber beziehungsweise Verfasser mit Thessaloniki verbunden sind. Das erste Zeugnis ist die bereits oben erwähnte,255 in Olympia errichtete Weihung des Damon, eines ‚Makedonen aus Thessaloniki‘, der dem Metellus eine Statue errichtete und diese gleichzeitig dem olympischen Zeus weihte. Die in der zugehörigen Inschrift durch unterschiedliche Kasus deutlich gemachte sprachliche Unterscheidung zwischen Ehrung des lebenden Wohltäters einerseits und Weihung an Zeus andererseits setzt den Metellus ausdrücklich von göttlichen Ehren ab und unterstellt ihn vielmehr dem Schutz des Gottes. Eine ähnliche Auffassung wird in Gedichten des Antipatros von Thessaloniki, einem Vertrauten und Klienten des kaiserlichen Legaten L. Calpurnius Piso, deutlich: Eines seiner dem Piso gewidmeten Epigramme ist als Gebet abgefaßt und an den ‚Kephallinischen Phoibos‘ gerichtet, der um eine sichere Überfahrt des Freundes und Patrons angerufen wird.256 Auch in diesem Werk – welches im Zusammenhang der übrigen deutlich enko-
254 IGThess 4, Zeile 10–11: kai2 ta2w h3uisme1naw teima2w G------ / toi9w te Ueoi9w kai2 4Rvmai1oiw ey3erge1taiw e3pay1jvn= ... / . 255 Vgl. hier Anm. 251. 256 Anth. Gr. 10, 25. Nach C. Cichorius, Römische Studien: Historisches, Epigraphisches, Literaturgeschichtliches aus vier Jahrhunderten Roms (Stuttgart 1922, ND Darmstadt 1961) 326–328 macht die dort genannte navis longa (dolixh9i nhi2) den amtlichen Charakter der Reise deutlich. Als ihr Anlaß scheint deshalb ein ansonsten unbelegter Amtsantritt Pisos als Provinzstatthalter der Provinz Asia in der Zeit nach 11 v. Chr. und eine entsprechende Datierung des Gedichtes denkbar. Weitere ‚Fürbitten‘ des Antipatros finden sich in Gedichten an den Adoptivsohn des Augustus, Gaius Iulius Caesar (Anth. Gr. 9, 59) sowie an Kotys, Sohn des thrakischen Klientelkönigs Rhoimetalkes I. (Anth. Plan. 75).
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
miastisch gestimmten Dichtung des Antipatros gesehen werden muß257 – ist der römische Patron also jemand, der göttlichen Schutzes bedarf, um seine wohlbringende Tätigkeit ausüben und fortsetzen zu können. Während im Falle des ansonsten unbekannten Damon unklar bleibt, inwieweit die von ihm gewählte Form der in Thessaloniki herrschenden offiziellen Auffassung entsprach, kann Antipatros aufgrund seiner persönlichen Vertrautheit selbst mit Mitgliedern des Herrscherhauses258 vielleicht eher als Gewährsmann für eine Form der Ehrung dienen, die in der Stadt als angemessen betrachtet wurde. Bei aller durch die Spärlichkeit der Quellen nötigen Vorsicht hat es den Anschein, daß die durch das Gymnasium von Thessaloniki und seine Vertreter erbrachten Ehrungen die ‚Römischen Wohltäter‘ in dem Sinne in die Verehrung der Götter mit einbezogen, daß diese göttlichem Schutz anbefohlen, aber selbst nicht kultisch verehrt wurden.259 3.2.3. Kult für Augustus – Kult für Iulius Caesar? Offene Fragen bestehen auch bei den Kulten des für Augustus und für Iulius Caesar. Für Augustus ist eine kultische Verehrung gesichert, sie erfolgte vermutlich bereits zu Lebzeiten: Erstmals erscheint der Titel des i4erey2w kai2 a3gvnoue1thw Ay3tokra1torow Kai1sarow ueoy9 yi4oy9 Sebastoy9 in der im Abschnitt 2.5. ausführlicher besprochenen Bauinschrift eines Kai1sarow nao1w (IGThess 31). Die Agonothesie für Augustus erscheint in der Bauinschrift mit einem Priesteramt verbunden, das möglicherweise erst im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Tempelbau eingerichtet wurde.260 Die 257
Die übrigen Widmungsgedichte des Antipatros werden vor dem Hintergrund der Ehrungen von Römern eingehend von HENDRIX 1984, 64–97 behandelt. 258 Auf eine persönliche Bekanntschaft zu Gaius Iulius Caesar läßt die Schilderung eines Deckengemäldes in dessen Hause schließen, das in Anth. Gr. 5, 59 thematisiert wird. 259 Auf diese aus den Quellen nicht eindeutig zu beantwortende Frage ging Hendrix in eher undeutlichen Formulierungen ein: Vertrat er einerseits die Ansicht, die Verbindung der ‚römischen Wohltäter‘ mit den ‚Göttern‘ habe ‚zweifellos mehr beinhaltet als göttliche Unterstützung der Ehrungen von Ausländern (HENDRIX 1984, 273: „... the association of Roman benefactors with ‚the gods‘ certainly entailed more than divine sanction of honors awarded foreigners ...“), so wies er mehrfach darauf hin, daß zwischen den Ehrungen der Götter und jenen der Wohltäter offenbar eine Unterscheidung bestand und aufrechterhalten werden sollte (z.B. a.a.O 278: mehrdeutiger Begriff der teimai; in republikanischer Zeit nicht belegtes Priesteramt für die ‚Wohltäter‘). Die Verbindung von ‚Wohltätern‘ und Kult der Götter charakterisierte er darüber hinaus aber nur sehr allgemein: (a.a.O. 275: „... Roman benefactors were coordinated with the city’s divine Patrons …“; „were acknowledged in concert with its [= Thessalonikis] divine sustainers“.) – Eine gegenteilige Auffassung (ohne Bezugnahme auf HENDRIX) vertritt ERSKINE 80 mit Anm. 39, der gerade die Inschriften aus Thessaloniki als Belege für die Möglichkeit eines ‚collective cult of the Romans‘ anführt. 260 HENDRIX 1984, 175 mit Anm. 1 weist zu Recht darauf hin, daß Priesteramt und Agonothesie nicht zwangsläufig schon auf die Zeit nach Actium zurückgehen müssen, wie dies EDSON 1940, 133 vermutet hatte. Somit braucht man aber mit Edson und Hendrix auch nicht
3.2. Ehrungen für Römer
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Inschrift wurde – eben aufgrund der Priestertitulatur – in die Jahre nach 27 v. Chr. datiert und stammt dabei möglicherweise noch aus der Lebenszeit des Augustus.261 Für letztere Vermutung könnte der Umstand sprechen, daß Augustus in der Priestertitulatur nicht als divus gekennzeichnet ist, wenngleich der Priestertitel in einer gesichert postumen Inschrift in ebendieser Form belegt ist.262 Dies wiederum könnte dadurch erklärt werden, daß das Priesteramt für die Stadt vor allem zu Lebzeiten des Augustus von Bedeutung gewesen war: Die Notwendigkeit einer späteren Aktualisierung, also einer Erweiterung des Augustusnamens um theos, wurde in Thessaloniki offenbar nicht gesehen. Die Forschung hat sich daneben unter Berufung auf die eben genannte Inschrift auch für einen Kult des Iulius Caesar ausgesprochen, als dessen Verehrungsstätte sie den inschriftlich belegten Kai1sarow nao1w ansah: Die bisherige Zuweisung an Iulius beruht allein auf der Verbindung der Inschrift mit einer Münzemission der Jahre 28–27 v. Chr., die auf ihrem Avers den Kopf des Iulius Caesar mit dem Lorbeerkranz und der Beischrift UEOS sowie auf ihrer Rückseite den Kopf des Octavianus mit der Umschrift UESSALONIKEVN zeigt.263 Es ist hier bereits im Zusammenhang mit dem Befund des Wandertempels darauf hingewiesen worden, daß die Bauweihung selbst nur einen Priester und Agonotheten des Augustus nennt. Ein Priester des Iulius Caesar ist in den Quellen aus Thessaloniki nicht belegt, auch wenn mit dem Titel des Augustuspriesters für den verstorbenen Iulius möglicherweise Göttlichkeit akzeptiert wurde.264 In der nachaugusteischen Zeit fehlen Hinweise auf die kultische Verehrung lebender Kaiser oder ihrer Angehöriger. Die in Thessaloniki für Kaiser oder ihre Angehörigen ohnehin nur äußerst selten belegte Bezeichnung theos findet sich – für Iulius Caesar (auf den genannten Prägungen) sowie für den theos Fulvos – ausschließlich in postumen Zusammenhängen bezeugt.265 Man mag dies kaum den Zufällen der Überlieferung zuschreiben, anzunehmen, daß dieses Priesteramt erst nachträglich 27 v. Chr. um den Titel Sebasto1w erweitert worden sei, denn das Amt könnte im Zusammenhang mit dem in IGThess 31 genannten Tempelbau überhaupt erst geschaffen worden sein. 261 Zu den Argumenten der Datierung vgl. Abschnitt 2.5. 262 IGThess 133 (zwischen 35 und 39 n. Chr.?), zur Datierung vgl. Abschnitt 2.5. Anm. 160. 263 TOURATSOGLOU 1988, 140–144 (Octavianus/Augustus, 1. Emission, ca. 28–27 v. Chr.). 264 Zum Problem der unscharfen Übertragung des lateinischen divus ins griechische theos (Bedeutungsgleichheit mit deus) PRICE 1984b, bes. 84f. 265 Die postume Nennung weiterer theoi erfolgt im Filiationsformular eines inschriftlichen Votums für Septimius Severus, dessen Herkunft aus Thessaloniki allerdings nicht gesichert ist: IGThess *138 (195–211 n. Chr.), vgl. Hendrix 1984, 293 mit Anm. 1. Der Name des Septimius Severus ist hier fragmentiert, jener der Iulia Domna jedoch eindeutig nicht als thea bezeichnet. Zum Text jüngst EPThess Kap. I Nr. 6.
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
um so weniger, als der ‚Agonothet und Priester des Augustus, des GottesSohnes‘ in insgesamt fünf Inschriften, darunter auch postumen, überliefert ist. Vielmehr macht es nach derzeitiger Quellenlage den Anschein, als sei die kultische Verehrung des lebenden Kaisers, wie sie gemeinhin für griechische Städte als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt wird, in Thessaloniki auf Augustus beschränkt geblieben. Auch scheint es, als habe sich der Kult des lebenden Kaisers hier weder aus einem vorausgehenden Magistratskult entwickeln können, noch in nachaugusteischer Zeit eine Fortsetzung erfahren. Vielmehr ist in späterer Zeit eine Verfahrensweise auszumachen, nach der eine dem jeweiligen Herrscher nahestehende, verstorbene Person mit kultischer Verehrung bedacht wird, und dies vielleicht gerade in der Absicht, eine kultische Verehrung des lebenden Herrschers zu umgehen. Die Tradition einer Ehrung, die in Thessaloniki schon in republikanischer Zeit auf die Einrichtung von Magistratskulten verzichtet hat, findet so – nach einer bis ins 3. nachchristliche Jahrhundert hineinreichenden Beleglücke – ihre Fortführung in den im folgenden anzusprechenden Kulten des Antinoos und des Fulvus. Daß beide Male eine Beteiligung der gymnasialen Jugend wesentlich war, dürfte ein Hinweis darauf sein, daß diese Kulte sich einander funktional entsprachen und somit auch einer vergleichbaren Motivation verdankten. 3.2.4. Der Ephebenkult des ueo1w Foy9lbow Der Kult des ueo1w Foy9lbow beziehungsweise ueo1w Ay3rh1liow Foy9lbow266 ist ausschließlich in Thessaloniki belegt.267 Bezeugt wird er durch das 206/207 nach Christus datierte Fragment einer Hermeninschrift mit dem Eingangsformular einer Ephebenliste268 sowie durch eine Gruppe von achtzehn in die Jahre 219 bis 269 n. Chr. datierten Ehrenaltären (oder Statuenbasen?269), die 1927 in der Innenstadt von Thessaloniki zusammen mit 266 Die übliche Namensform lautet in 18 der 19 bekannten Inschriften ueo2w Foy9lbow, die Form ueo2w Ay3rh1liow Foy9lbow erscheint allein auf dem spätesten der Altäre, IGThess 170 (169–170 n. Chr.). 267 Zu Inschriften und Kult PELEKIDHS 1934, 56–72. – EDSON 1940, 135–136. – ROBERT 1948. – LESCHHORN 1998a, 408. – RomThess 108–109 [V. Allamani-Souri]. 268 IGThess 236. 269 Es ist unklar, in wie weit es sich bei den Inschriftenträgern, die dem in Thessaloniki verbreiteten Typus des pfeilerförmigen ‚makedonischen‘ Altars folgen, tatsächlich um „a series of statue bases“ (BURRELL 2004, 199f.) handelte. Die Altäre wurden für ihre Wiederverwendung größtenteils umgearbeitet, dadurch scheinen sich die ursprünglichen Oberseiten, an denen eventuelle Einarbeitungen zur Befestigung einer Staue zu erkennen wären, nur bei IGThess 153, 154, 159, 164, 165 und 170 erhalten zu haben. Allerdings schweigen sich sowohl der Erstherausgeber Pelekidis wie auch der Kommentar des IG-Bandes (IGThess) über solche Einarbeitungen aus. Pelekidis spricht zwar davon, es handle sich bei allen Altären um die ‚Basen von Ehrenmonumenten oder um die Ehrenmonumente selbst‘ („Ei0nai o7loi toyw
3.2. Ehrungen für Römer
143
weiteren Inschriften270 in Zweitverwendung als Abdeckung eines Abwasserkanals vermutlich byzantinischer Zeit aufgefunden wurden.271 In ihrer Anzahl stellen die insgesamt neunzehn Fulvus-Inschriften nach jenen mit Bezug zu den ägyptischen Göttern den größten Inschriftenkomplex zu einem bestimmten Kult in Thessaloniki dar. Die belegten Daten für die Kultausübung, nämlich die Jahre zwischen 206 und 269, repräsentieren hierbei sicher nur einen zufälligen Ausschnitt. Die neunzehn Inschriften werden hier in chronologischer Reihenfolge wiedergegeben, dazwischen eingeschoben sind die Familienstammbäume der in ihnen genannten Personen, soweit diese epigraphisch zu erschließen sind. IGThess 236 (206/207 n. Chr.):272 a3gauh9i ty1xhi. / [oi4 e3fhb]ey1santew e3n tö9 hls’ / [Seb(astö9) tö9] kai2 dnt’ etei, e3pei2 / [i4ere1v]w kai2 a3gvnoue1toy / [ueoy9 F]oy1lboy Ay3Q1oy Ay3rhl[i1]/[oy Kla]ydianoy9 ne1oy, e3fh/[barxo]y9ntow 3Alei1oy Niki-/[.... B]a1ssoy, e3pimeloyme1/[noy tv9]n e3fh1bvn, 4Erm... / [... toy9] Maji1moy, P---(ca. 5 Zeichen)-- / ---IGThess 153 (219 n. Chr.):273 4H patri2w / to2n i4ere1a / ke2 a3gvnoue1/thn ueoy9 / Foy1lboy / Mareiniano2n / Fi1lippon ne1/on, Mareinia/noy9 Fili1ppoy / toy9 Makedoni/a1rxoy kai1 Flabianh9w / Nepvtianh9w Makedoniarxi1s/shw yi4o2n, e5k/gonon de2 Fla/bianoy9 Ma1gnoy toy9 / a3rxiere1vw kai2 / Flabianoy9 3An/tigo1noy toy9 / a3rxiere1vw a3delfidh9. / e3n tö9 ans’ seb(astö9) / e5tei. IGThess 154 (221/222 n. Chr.):274 4H patri2w / M. Kani1ni/on Do1ki/mon, i4erh9 / ueoy9 Foy1l/boy kai2 / a3gvno/ue1thn e3n tö9 gns’ / seb(astö9) e5tei hedera / [g]eroysi / --IGThess 155 (233/234 n. Chr.):275 4H patri2w / M. Oy3a/le1rion / 3Ioy9ston / i4ere1a kai2 / a3gvno/ue1thn / ueoy9 Foy9l/boy, yi4o2n / M. Oy3aleri1/oy Oy3a1len/tow a3po2 / strateiv9n / kai2 Kornh/li1aw Poly/xarmi1dow, / i4erasa1me/non / e3n tö9 ejs e5tei.
oi4 ba1seiw timhtikv9n mnhmei1vn, h6 kai2 ta2 i5dia ta2 timhtika2 mnhmei9a ... “: PELEKIDHS 1934, 56), macht hierzu jedoch keine genaueren Angaben. 270 Zu den übrigen dort aufgefundenen Inschriften siehe PELEKIDHS 1934, 48–56. 271 Zum 1927 anläßlich von Kanalisationsarbeiten gemachten Fund in der Odo1w Kassa1ndroy, zwischen Odo1w Ag. Nikola1oy und Odo1w Ag. Sofi1aw: PELEKIDHS 1934, 48 mit Anm. 3. Zu den Ehrenaltären der Fulvuspriester ebd. 56–72 und Abb. 18–33. – IGThess 153– 170 mit Abb. Taf. 5 (Nr. 153). 272 Es handelt sich um das Fragment eines Hermenschaftes, der Stein fand sich verbaut in der nördlich der Agora gelegenen Kirche des Hl. Demetrios. 273 PELEKIDHS 1934, 106 Abb. 18. – IGThess Taf. 5. – RomThess 109 Abb. 31. 274 PELEKIDHS 1934, 107 Abb. 19. Laut Inventareintrag des Archäologischen Museums Thessaloniki (zu Inv. 1699) ist dem Stein die Bekrönung (‚e3pi1kranon‘) PELEKIDHS 1934, 53 Nr. 5 mit Abb. 15 zugehörig. 275 PELEKIDHS 1934, 108 Abb. 20.
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
IGThess 156 (229 –233 oder 234–238 n. Chr.):276 --- / Petrv1nion 4Roy/fei9non yi4o2[n] / Petrvni1oy 4Royfei1/noy i4erh9 kai2 a3/gvnoue1thn / ueoy9 Foy1lboy / i4ereiteysa1/menon e3n tö9 / .js e5tei. / [ey3t]yxv9w. IGThess 157 (238/239 n. Chr.):277 [h4 patri2w] / 3Isidvria/no2n Ay3rh1/lion 3Isi1dv/ron, 3Isidv/rianoy9 Ay3/rh1lioy 3Ioy1/stoy boy/leytoy9 y/i4o1n, i4erasa1/menon kai2 / a3gvnoueth1/santa ueoy9 Foy1l/boy e3n tö9 os Se/bastv9 e5tei. / ey3tyxv9w. IGThess 158 (239/240 n. Chr.):278 h4 patri2w / Ti1ton Sta/ti1lion Ue/o1dvron, / Ti1toy Sta/tili1oy Oy3/alenti1v/now toy9 / kai2 Jystoy9 / kai2 Ay3rhli1/aw 3Isidv1/raw yi4o1n, i4erasa1/menon kai2 a3/gvnoue/th1santa / ueoy9 Foy1l/boy e3n tö9 / aos Se/bastv9 e5tei hedera / ey3tyxv9w. Stemma: Ti1tow Stati1liow Oy3alenti1vn o4 kai2 Jysto1w 279 ӳ Ay3rhli1a 3Isidv1ra280
Domi1tiow ӳ Statili1a Diony1siow282 3Aleja1ndra283 Domi1tiow Stati1liow Diony1siow285 sacerdos et a3gvnoue1thw divi Fulvi a. 253/254 p.
Ti1tow Stati1liow Ueo1dvrow281 sacerdos et a3gvnoue1thw divi Fulvi a. 239/240 p.
Ay3rh1liow Stati1liow Ueo1dvrow o4 kai2 4Acima1xiow284 a3po2 froymentari1vn boyleyth2w no1mimow
IGThess 159 (240 –241 n. Chr.):286 a3gauh9i ty1xhi. / h4 patri2w / Fla1bion Ai3/liano2n Sen/prv1nion Dra1/konta, to2n i4/ere1a kai2 a3gv/noue1thn ue/oy9 Foy1lboy, yi3o2n / Flabi1oy Sen/prvni1oy Ai3lianoy9 / kai2 Flabi1aw Ai3lianh9w Sen/prvni1aw 3Ar/temidv1raw, / i4erasa1menon / e3n tö9 bos Se/bastö9 e5tei. / ey3tyxv9w.
276
PELEKIDHS 1934, 108 Abb. 21. PELEKIDHS 1934, 109 Abb. 22. 278 PELEKIDHS 1934, 110 Abb. 23. 279 IGThess 158 Z. 5–9. 280 IGThess 158 Z. 10–12. IGThess 207 Z. 12. 281 IGThess 158. 282 IGThess 167 Z. 12–13. 283 IGThess 167 Z. 13–15. 284 IGThess 207. 285 IGThess 167. 286 PELEKIDHS 1934, 111 Abb. 24. 277
3.2. Ehrungen für Römer
145
IGThess 160 (242/243 n. Chr.):287 ---- / /...ca. 5-6 Zeichen… /tion [Mi]/noykki/ano2n 4Er/mh9n, y4o2n / Ai3li1oy / Maji1moy, / i4erasa1me/non kai2 / a3gvno/ueth1san/ta ueoy9 / Foy1lboy / e3n tö9 / dos Seba/stö9 e5ti. IGThess 161 (243/244 n. Chr.):288 ---- / Ey3tyx[ia]/no2n, i4ere1/a kai2 a3gv/noue1thn / ueoy9 Foy1l/boy yi4o2n / Pa/ramo1noy, / i4erasa1me/non e3n tö9 / eos Seba/stö9 e5tei. / ey3tyxv9w.
3Ioyli1oy
IGThess 162 (246/247 n. Chr.):289 [a3gauh9i ty1xhi]. / [h4 Ues]s[alo]/[nei]kai1vn mh/tro1poliw / kai2 kolvnei1/a kai2 D’ nev/ko1r ow, h4 patri1w, / [M]a1r kion Dio/skoyri1dhn, i4ere1a kai2 a3gv/noue1thn ue/oy9 Foy1lboy, / yi4o2n Marki1oy / 3Auhnago1roy / poleitarxikoy9 / kai2 3Ioyni1aw Bv/tianh9w, i3era/sa1menon e3n / tö9 hos Seba/stoö9 e5tei. / ey3tyxei9te. Stemma: Ma1rkiow 3Auhnago1raw290 ӳ boyleyth1w292 politarxiko1w293 Ma1rkiow Dioskoyri1dhw294 sacerdos et a3gvnoue1thw divi Fulvi a. 246/247 p. boyleyth1w297
3Ioyni1a Bvtianh1291
Ma1rkiow 3Auhnago1raw II295 politarxiko1w
Marki1a 3Ioyni1a Pay1la296
IGThess 163 (248/249 n. Chr.):298 [ 4H patri2w] / [to2n i4ere1a kai2] / [a3gvnoue1thn] / [ueoy9 Foy1lboy] / [Mareiniano2n] / Fi1lippon / ne1on, i4erasa1/menon e3n tö9 ps / Sbastö9 e5tei / kai2 e3fh1barxon / geno1menon e3n / tö9 ay3tö9 e5tei kai2 / poleita1rxhn aps (249-250 n. Chr.) / yi3o2n Mareinianoy9 / Fili1ppoy toy9 a3r/xiere1vw kai2 a3/gvnoue1toy th9w / lampra9w Uessalonikai1vn / mhtropo1levw / kai2 kolvnei1/aw kai2 etra1kiw / nevko1roy / kai2 e5kgonon / Mareinianoy9 / Fili1ppoy toy9 / Makedonia1rxoy / kai2 a3rxiere1vw. / Ay3r h1liow 3Isi1/dvrow a3rxierey2w / kai2 a3rxiatro2w / to2n e5kgonon. / eytyxei9te.
287 Zum Textbeginn schlägt der Inschriftenkommentar A[y0lon Po1n]tion vor, die linke Schräghaste des A ist auf dem Stein noch erkennbar: PELEKIDHS 1934, 112 Abb. 25. 288 PELEKIDHS 1934, 113 Abb. 26. 289 PELEKIDHS 1934, 114 Abb. 27. – HORSLEY 1995, Taf. 14,2. 290 IGThess 162 Z. 13–15. IGThess 197 Z. 5–7. 291 IGThess 162 Z. 16–17. 292 IGThess 197 Z. 7. 293 IGThess 162 Z. 15. 294 IGThess 162. 295 IGThess 197 Z. 9–10; 12–14. 296 IGThess 197. 297 IGThess 197 Z. 11–12. 298 PELEKIDHS 1934, 115 Abb. 28.
146 Stemma: Flabiano2w Ma1gnow299 a3rxierey1w municipalis Flabiano2w 3Anti1gonow302 a3rxierey1w municipalis
Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
Ayrh1liow I3 si1dvrow 300 bis a3rxierey1w municipalis a3rxiatro1w
ӳ Ay3rhli1a
Filvte1ra301 a3rxie1reia
ӳ Mareiniano2w Flabianh2 Nepvtianh1303 Fi1lippow I304 Makedonia1rxissa Makedonia1rxhw
Mareiniano1w Fi1lippow II ne1ow I305 ӳ filia sacerdos et a3gvnoue1thw divi Fulvi a. 219/220 p. Mareiniano2w Fi1lippow III ne1ow II306 a3rxierey1w municipalis sacerdos et a3gvnoue1thw divi Fulvi et a3gvnoue1thw et e3fh1barxow a. 248/249 p. polita1rxhw a. 249/250 p. IGThess 164 (249/250 n. Chr.): a3gauh9i ty1xhi. / h4 Uessa/lonikai1/vn mhtro1/poliw kai2 / kolvni1a kai2 / D’ nevko1row, / h4 patri1w, Fla1b(ion) / Ai3liano2n Sem/prv1nion 3Artemi1dv/ron, to2n i4erh9 kai2 / a3gvnoue1thn ueoy9 / Foy1lboy, yi4o2n Fl(abi1oy) Sempr(vni1oy) / Ai3lianoy9 kai2 Fl(abi1aw) Ai3lia/nh9w Semprvni1aw 3Artemidv1/raw, i4erasa1menon e3n tö9 / aps Seb(astö9) e5tei. ey3tyxv9w.
Stemma: Fla1biow Semprv1niow Ai3liano1w307 ӳ Flabi1a Ai3lianh2 Semprvni1a A 3 rtemidv1ra 308 Fla1biow Ai3liano2w Semprv1niow Dra1kvn309 Fla1biow Ai3liano2w Semprv1niow 3Artemi1dvrow310 sacerdos et a3gvnoue1thw divi Fulvi sacerdos et a3gvnoue1thw divi Fulvi a. 240/241 p. a. 249/250 p. IGThess 165 (250/251 n. Chr.):311 a3gauh9i ty1xh[i]. / h4 Uessaloni/kai1vn mhtro1/poliw kai2 ko/lvne[i1]a kai2 te/t[r]a1k[i]w nev[ko1]/row, h4 patri2w, / Ko[r]nh1lion 3Epa1gauon ne1on, / i4erh9 kai2 a3gvno/ue1thn ueoy9 Foy1[l]/boy, yi4o2n Kornh/li1oy 3Epaga1uoy / kai2 Ay3r hli1aw Zv/si1mhw, i4erasa1me/non e3n tö9 bps’ / Sebastö9 e5tei. ey3t yxv9w. 299
IGThess 153 Z. 13–16. IGThess 149 Z. 9–10. IGThess 163 Z. 24–26. IGThess 176 Z. 8–11. 301 IGThess 176. 302 IGThess 153 Z. 16–20. 303 IGThess 153, Z. 11–12. 304 IGThess 153 Z. 8–11. IGThess 163 Z. 19–23. 305 IGThess 153. IGThess 163 Z. 9–18. 306 IGThess 163. 307 IGThess 159 Z. 10–11. IGThess 164 Z. 13–14. 308 IGThess 159 Z. 12–15. 309 IGThess 159. 310 IGThess 164. 311 PELEKIDHS 1934, 117 Abb. 29a. 300
3.2. Ehrungen für Römer
147
IGThess 166 (252/253 n. Chr.):312 --- / [....ca. 7-8 Zeichen....i4]ere1a ka[i2] / [a3gvn]oue1thn ueoy9 / Foy1lboy yi3o2n Klay/i1oy 4Ermoy9 kai2 Petrv/ni1aw 3Afrodeitv9w, / i4erasa1menon / e3n tö9 dps Seba/stö9 e5tei. / ey3tyxv9w. IGThess 167 (253/254 n. Chr.):313 a3gauh9i ty1xhi. / h4 Uessalonikai1/vn mhtro1poliw / kai2 kolvnei1a kai2 / di2w nevko1row, / h4 patri1w, Domi1/tion Statei1li/on Diony1sion, / to2n i4ere1a kai2 a3/gvnoue1thn ue/oy9 Foy1lboy, yi4o2n / Domiti1oy Diony/si1oy kai2 Statei/li1aw 3Aleja1n/draw, i3erasa1/menon e3n tö9 / eps Seb(astö9) e5tei. / hedera hedera (vgl. Stemma zu IGThess 158) IGThess 168 (258/259 n. Chr.):314 h4 patri2w / Fla1bion / Kl(ay1dion) Me1nvna / to2n kai2 / Strymo1nin, / i4erasa1/menon kai2 / a3gvnoueth1/santa kai2 / e3fhbarxh1/santa / tö9 e3nenh/kostö9 dia/kosiastö9 / Seb(astö9) e5ti.
Stemma: K. Oy3ale1riow 4Roy1friow 3Ioy9stow315 o4 kra1tistow a3nuy1patow, y41patow (y4patiko1w) filia316 ӳKlay1diow Me1nvn I317 a3rxierey1w municipalis Makedonia1rxhw318 i4erofa1nthw provincialis Klay1diow R 4 oyfri1a Klaydi1a Me1nvn II ne1ow319 Ey3boy1lh320
(Klay1diow 4Roy1friow) 3Ioy1stow321 o4 kra1tistow ?
Fla1biow Klay1diow Me1nvn o4 kai2 Strymo1niow323 sacerdos et a3gvnoue1thw divi Fulvi a. 258/259 p.
312
Klay1diow 4Roy1friow Plvtei9now322
Flabi1a Klaydi1a Silbanh1324 a3rxie1reia, geroysia1rxissa
PELEKIDHS 1934, 117 Abb. 29b. PELEKIDHS 1934, 118 Abb. 30. 314 PELEKIDHS 1934, 119 Abb. 31. 315 IGThess 143. 144. 173 Z. 9–13. 316 Nach NIGDELIS 1996b, 136 handelt es sich bei Klaudios Menon I um den Schwiegersohn des Valerios Rufrios Ioustos. 317 IGThess 183. 184. 185. 142 Z. 11–12. 143 Z. 10–11. 173 Z. 5–8. 318 EDSON 1948, 197 Anm. 46. 319 IGThess 183 Z. 5–6. 184 Z. 5–6. 185 Z. 5–6. 209 Z. 6. 320 IGThess 209. 183 Z. 5; 7. 184 Z. 5; 7. 185 Z. 5; 7. 321 IGThess 209 Z. 4–5. 322 IGThess 173. EDSON 1948, 197 Anm. 46. 323 IGThess 168. 324 IGThess 177. 313
148
Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
IGThess 169 (262/263 n. Chr.):325 h4 patri2w / Kornh1lion Fh1/lika Ma1rkellon / ne1on, i4erh9 ueoy9 Foy1l/boy kai2 a3gvnoue1/thn, yi4o2n Kornhli1/o[y] Fh1likow Marke1lloy / [toy9] a3jiologvta1/[toy] a3rxiere1vw, / [e3n] tö9 dqw Seb(astö9) / e5tei. IGThess 170 (269/270 n. Chr.):326 a3gauh9i ty1xü. / Ay3rh1lion 3Ioy/lion ne1on to2n / kai2 Pantro1/pin, i4e rasa1me/non ueoy9 Ay3/rhli1oy Foy1l/boy kai2 a3gv/noueth1san/ta kai2 e3fh/barxh1santa / e3n tö9 at / Sebastö9 e5/tei 3Anue/stianh2 Mi/noykkianh2 / Proko1ph, h3 / mh1thr to2n / yi3o1n. / ey3tyxv9w.
3.2.4.1. Die Fulvuspriester Die meisten der Inschriften, durch welche uns der Fulvuskult überliefert ist, stellen von der Stadtgemeinde beauftragte Ehreninschriften dar.327 Geehrt wurden männliche Jugendliche (ne1oi) nach Ablauf ihrer einjährigen Amtszeit als Priester und Agonothet des Fulvus. In drei Fällen (IGThess 163. 168. 170) sind diese Ämter mit jenem des Ephebarchats verbunden. Die Amtsinhaber waren also zweifellos recht jung, zwei Texte nennen noch den Großvater.328 Daß die Geehrten aufgrund ihres geringen Alters noch keine eigene Ämterlaufbahnen vorweisen, kann die in sechs Inschriften329 vorkommende Nennung der Ämter der Vorfahren erklären. Hierbei sind durchgehend hohe bis höchste Ämter vertreten. Zum einen sind dies städtische (polita1rxhw330 und boyleyth1w331) oder militärische (a3po2 strateiv9n332 [= a militiis]) Funktionen, daneben aber mehrfach auch solche, die im Dienste des städtischen oder provinzialen Kaiserkultes standen. Als städtisch ist sicherlich der innerhalb einer Familie mehrmals ohne weiteren Zusatz genannte Titel des a3rxierey1w aufzufassen;333 ein städtisches Amt ist ebenfalls für den a3jiologo1tatow a3rxierey1w anzunehmen.334 Gesichert ist das städtische Amt schließlich für den überschwenglichen
325
PELEKIDHS 1934, 120 Abb. 32. PELEKIDHS 1934, 120 Abb. 33. 327 Als Ehrende tritt zumeist die patri1w auf. Soweit durch den Erhaltungszustand der Steine erkennbar, weichen hiervon nur die älteste (IGThess 236 [206–207 n. Chr.]: Ehrung durch die [e3fhb]ey1santew; Herme, nicht Pfeileraltar) sowie die jüngste (IGThess 170 [269–270 n. Chr.], Ehrung durch die Mutter) der Inschriften ab. 328 IGThess 153. 163. 329 IGThess 153. 155. 157. 162. 163. 169. 330 IGThess 162. 163. Zum Amt ausführlich HORSLEY 1995. 331 IGThess 157. 332 IGThess 155. 333 Vgl. den Kommentar zu IGThess 153 (Ch. Edson); entsprechend schon PELEKIDHS 1934, 78f. 334 IGThess 169. 326
3.2. Ehrungen für Römer
149
Titel des a3rxierey2w kai2 a3gvnoue1thw th9w lampra9w Uessalonikai1vn mhtropo1levw kai2 kolvnei1aw kai2 tetra1kiw nevko1roy.335 Das auf provinzialer Ebene ausgeübte Kultamt liegt hingegen in dem zweimal innerhalb derselben Familie vertretenen Titel des Makedonia1rxhw vor.336 Dieses Amt war mit jenem des a3rxierey1w des Provinziallandtages in Beroia identisch, hatte jedoch im 3. Jahrhundert nach Christus diesen letztgenannten Titel, der im 1. und 2. Jh. im Gebrauch gewesen war, zurückgedrängt.337 Beim Titel der als Gattin eines der Makedoniarchen genannten Makedonia1rxissa handelt es sich um ein Ehrenamt, das vom Provinziallandtag in Entsprechung verliehen und vermutlich dem Kult der weiblichen Mitglieder des Kaiserhauses gewidmet war.338 Die politischen und religiösen Amtsinhaberschaften der Familien der Fulvuspriester lassen sich über bis zu vier Generationen hinweg verfolgen.339 Im Falle der Flabianoi1, Mareinianoi1 und Ayrh1lioi (siehe Stemma zu IGThess 163) sowie der Vorfahren des Fla1biow Klay1diow Me1nvn (IGThess 168 und Stemma) zeigt sich besonders deutlich, daß hierbei städtische und provinziale Ämter über Generationen hinweg in den Händen einer Anzahl elitärer, zudem durch Einheirat miteinander verbundener Familien lagen. Zugleich wird der Anteil führender, mit dem städtischen Kaiserkult verbundener Familien Thessalonikis am provinzialen Kaiserkult in Beroia sichtbar. Es ist für das hohe Ansehen der Priesterschaft und Agonothesie des Fulvus bezeichnend, daß in fast jeder derjenigen Familien Thessalonikis, für die sich – vor allem aus Ehreninschriften – umfangreichere Stemmata erstellen lassen, auch Träger dieses Amtes belegt sind. Damit stellte das Amt der Fulvuspriesters für die jugendlichen Amtsinhaber offenkundig eine gute Grundlage dar, den Karrieren der Väter nachzufolgen: Der Fulvuspriester des Jahres 219/220 etwa, Mareiniano2w Fi1lippow, Sohn des gleichnamigen Makedoniarchen (IGThess 153) und der Makedoniarchissa Flabianh1 Nepvtianh1, ist dreißig Jahre später als städtischer Priester und Agonothet belegt (IGThess 163, 248/249 n. Chr.); zu dieser Zeit hat sein Sohn – wiederum gleichen Namens – die Priesterschaft des Fulvus und das Ephebarchat inne, um dann bereits im Folgejahr Politarch zu sein. Politarch war auch der Vater des in IGThess 162 genannten Fulvuspriesters Ma1rkiow Dioskoyri1dhw; daß der Sohn später das Amt des bouleutes inne335
IGThess 163. IGThess 153. 163. 337 Zur Identität der Ämter des 3Arxierey2w tv9n Sebastv9n kai2 a3gvnoue1thw toy9 Koinoy9 Makedo1nvn und des Makedonia1rxhw: NIGDELIS 1995, 8 mit Verweis auf KANATSOYLHS 1956, 67–69; vgl. jüngst EpThess 58 mit Anm. 67. 338 Zum Amt BELENHS 1999, 1323f. – Vgl. auf städtischer Ebene entsprechend die a3rxie1reia aus IGThess 176. 339 Vgl. das Stemma zu IGThess 163. 336
150
Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
hatte, geht aus einer Inschrift zu Ehren seiner Schwester hervor.340 Eine über mehrere Generationen ausgeübte Fulvuspriesterschaft in derselben Familie ist für den Fulvuspriester des Jahres 253/254 (IGThess 167) belegt, dessen Onkel rund 15 Jahre vor ihm (IGThess 158) ebenfalls Priester war. In den Ämtern der Vorfahren der Fulvuspriester, aber vor allem in den nachfolgend belegten Karrieren der jugendlichen Priester zeigt sich eine wichtige Funktion des Priesteramtes, nämlich die Vorbereitung auf zivile oder kultische Ämter im Erwachsenenalter. War das Gymnasium und die dort angesiedelte Institution der Ephebie ohnehin schon ein Anziehungspunkt für die wohlhabenden Eliten, so fügte dem der Fulvuskult nun noch den Aspekt der Loyalitätsbezeugung zum Kaiserhaus hinzu. Im Fulvuskult wurde die aristokratisch-städtische Jugend bereits in eine vollwertige Ordnung von Priesteramt und Agonothesie nach dem Vorbild des städtischen und des provinzialen Kaiserkultes einbezogen. Durch diese Einbindung in einen ‚Kaiserkult en miniature‘ wurde sie auf die spätere Teilnahme an kultisch-gesellschaftlicher Repräsentation vorbereitet. Der Fulvuskult stellte also gewissermaßen ein Mittel zur Sozialisation der städtischen Jugend der Oberschichten dar, durch welches diese bereits früh an die politischgesellschaftlichen Dimensionen des ‚erwachsenen‘ Kaiserkultes herangeführt wurde. Die fraglos hohen finanziellen Aufwendungen, die vermutlich von den vermögenden Familien der jugendlichen Fulvuspriester und Agonotheten zu tragen waren, sorgten zum einen für eine Exklusivität des Kultes im Kreise sozial hochstehender, elitärer Familien. Eine Wirkung von Kult und Spielen zu Ehren des heroisierten Fulvus in breitere gesellschaftliche Kreise war freilich durch die athletische Teilnahme vieler,341 vor allem aber durch den öffentlichen Rahmen der Agone gegeben.
340 IGThess 197 (nach 246–247 n. Chr.): C B D / Marki1an 3Ioy/ni1an = Pay1lan / uygate1ra / Marki1oy 3Auh/nago1roy hedera / boyleytoy9 / kai2 = 3I=oyni1aw / Bvtianh9w, Ma1r/kioi Dioskoyri1dhw boyley/th2w kai2 3Auh/nago1raw po/litarxiko2w / oi4 a3delfoi1. 341 Den Zeugnissen aus dem Umfeld des Fulvuskultes sind – mit aller Vorsicht – vielleicht noch zwei weitere Denkmäler hinzuzufügen. Zum einen ist dies die heute verschollene, ebenfalls fragmentierte Inschrift IGThess 262 (2./3. Jh.) mit der Nennung eines a3gv2n e3pita1fiow o4 uematiko2w, den der Herausgeber Edson mit dem Fulvuskult verbinden mochte. Der Text enthält daneben eine Auflistung von palaistai1 und pankratiastai1 in den Kategorien der pai9dew, a3ge1neioi und a5ndrew. Mit dem Fulvuskult in Verbindung steht vielleicht auch der marmorne Ephebenkopf Thessaloniki AM Inv. 880, der aus dem westlichen der als Kaiserkultstätten angesprochenen Bauten am Nordrand der Agora stammt und von G. Despinis in das 2. Viertel des 2. Jhs. n. Chr. datiert wurde. Der Kopf trägt eine wulstförmige Binde und darunter eine Einarbeitung offenbar zur Anbringung einer realen Binde oder eines Kranzes; Binde oder Kranz verweisen auf den agonal-athletischen, vielleicht auch auf den priesterlichen Bereich: SculpThess II Nr. 197 [G. Despi1nhw] mit Abb. 551–554.
3.2. Ehrungen für Römer
151
3.2.4.2. Die Person des Fulvus Der in den Inschriften genannte Aurelius Fulvus war vom Erstherausgeber zunächst mit der Person des Antoninus Pius identifiziert worden,342 der diesen Namen343 – wie schon sein Vater344 und Großvater345 – bis zu seiner Adoption durch Hadrian getragen hatte. Ch. Edson und L. Robert wiesen jedoch unabhängig voneinander auf die Unmöglichkeit hin, daß der Kaiser unter der vor seiner Adoption gültigen Namensform verehrt worden sein könnte.346 Beide machten zudem aufgrund der als Priester genannten Epheben wahrscheinlich, Fulvus müsse „… young or in some way connected with youth“ gewesen sein.347 Edson und Robert wiesen deshalb auf zwei weitere Träger des Namens Aurelius Fulvus hin: Zum einen auf den noch vor dem Jahr 138 jung verstorbenen M. Aurelius Fulvus Antoninus,348 Sohn des Antoninus Pius und der Annia Galeria, zum anderen auf T. Aurelius Fulvus Antoninus, den im Jahr 165 im Alter von vier Jahren verstorbenen Sohn des Marcus Aurelius, den Zwillingsbruder des Commodus.349 Edson sah den Sohn des Antoninus Pius als „obvious candidate“;350 Robert hingegen nahm mit einer etwas höheren Wahrscheinlichkeit den Sohn des Marcus Aurelius an, war dieser doch – anders als der Sohn des Antoninus Pius – ein Porphyrogennetos, ein während der Amtszeit des Vaters Geborener. Roberts Identifizierung des Fulvus mit dem Commoduszwilling ist vom überwiegenden Teil der nachfolgenden Forschung ohne weitere Diskussion akzeptiert worden,351 ohne daß jedoch für einen Ausschluß des Sohnes des Antoninus Pius zwingende Argumente vorliegen.
342 343
PELEKIDHS 1934, 69–72. Der volle Name vor der Adoption lautete T. Aurelius Fulvus Boionius Arrius Antoni-
nus. 344
T. Aurelius Fulvus, PIR2 A 1509; vgl. NP 2 (1997) 707 s.v. Aurelius [15] [A.R. Bir-
ley]. 345
T. Aurelius Fulvus, PIR2 A 1510; vgl. NP 2 (1997) 707 s.v. Aurelius [14] [A.R. Bir-
ley]. 346
Vgl. hierzu ROBERT 1946, 41–42 mit Anm. 6. – EDSON 1940, 136. EDSON 1940, 136; vgl. ROBERT 1946, 41: „ … cette particularité – des prêtres adolescents – ... se comprend bien … si le personnage divinisé à Thessalonique était un adolescent ou un enfant.“ 348 PIR2 A 1511, vgl. NP 2 (1997) 707 s.v. Aurelius [16] [A.R. Birley]. 349 PIR2 A 1512. 350 Edsons Schwanken in der Frage der Identifizierung läßt sich an seiner einige Jahre später geäußerten Akzeptanz der Ansicht L. Roberts erkennen: „Robert ... rightly suggests as a more plausible possibility ... the son of Marcus Aurelius ...“ (EDSON 1948, 204 [Nachtrag zu seiner Anm. 30]); im Inschriftenkommentar des IG-Bandes 1972 (zu IGThess 35) vertrat er hingegen wieder die aus der Antinoos-Nachfolge erschlossene Identifizierung als Sohn des Antoninus Pius. 351 Etwa VITTI 1996, 91 Anm. 31 (unter Berufung auf ROBERT 1946), vgl. LESCHHORN 1998a, 408: „… Spiele für Divus Fulvius [sic], den früh verstorbenen Sohn des Kaisers Mar347
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
3.2.4.3. Fulvus und Antinoos Anhand der uns vorliegenden Quellen läßt sich die Frage der Identifizierung des Fulvus nicht abschließend beantworten. Somit ist eine Entscheidung für den einen oder den anderen Kaisersohn gleichermaßen möglich. Die Annahme, daß es der Sohn des Antoninus Pius war, der in Thessaloniki kultische Verehrung erfuhr, gestattet allerdings eine Reihe weitergehender Überlegungen, die einige der mit dem Fulvuskult verbundene Fragen beantworten können. So läßt eine Identifizierung als Sohn des Antoninus Pius unter anderem die Hypothese zu, daß sein Kult einen vorangegangenen Kult für Antinoos abgelöst hat. Sucht man nach Gründen für die Einrichtung des offensichtlich nur in Thessaloniki ausgeübten Fulvuskultes, so lassen sich bei dieser Annahme Erklärungsmöglichkeiten aus dem vorangegangenen Antinooskult ableiten. Für den Beginn des Kultes des ueo2w Foy9lbow in Thessaloniki lassen sich – abhängig vom präferierten Kandidaten – zwei Zeitpunkte annehmen: Bei einer Entscheidung für den Sohn des Antoninus Pius wäre dies kurz nach dem Herrschaftsantritt des Vaters im Jahr 138, bei einer Entscheidung für den verstorbenen Sohn des Marcus Aurelius hingegen ein Zeitpunkt ab dessen Tod im Jahr 165. Die Annahme eines Kultbeginns für Fulvus ab 165 stellt uns allerdings vor Schwierigkeiten, denn sie läßt zum einen unbeantwortet, wieso die Person eines vierjährig verstorbenen Kaisersohnes in Thessaloniki gerade zu diesem Zeitpunkt einen nur hier belegten Kult erhalten hätte. Zum anderen läßt sie das Schicksal des AntinoosKultes ungeklärt, von dem man in diesem Falle ein Fortleben während der Regierungszeit des Antoninus Pius ebenso annehmen müßte wie eine dann nur schwer zu begründende, erst nach jahrzehntelanger Kultausübung erfolgte Abschaffung. Nimmt man hingegen den Sohn des Antoninus Pius als ueo2w Foy9lbow und somit einem Kultbeginn nach 138 n. Chr. an, so lassen sich die hier angesprochenen Fragen wesentlich schlüssiger beantworten. Einen Abbruch des Antinoos-Kultes bei gleichzeitigem Ersatz durch jenen des (von Edson als Antoninus-Sohn identifizierten) ueo2w Foy9lbow hatte erstmals Charles Edson vermutet.352 Dieser bezog zwei äußerst fragmentarisch erhaltene Inschriftentexte aus Thessaloniki auf Antinoos: Bei dem einen (IGThess 14353) handelt es sich offenbar um eine Beschlußfassung der ne1oi und eines boyleyth1w, in dem ein [presbey]sa1menow e3n 3Alejand[rei1ä] cus Aurelius, der nach seinem Tode divinisiert worden war.“ Unklar bleibt, ob Leschhorn von einer Konsekration in Rom ausgeht, für eine solche gibt es m. W. keine Belege. 352 EDSON 1940, 136 (vgl. hier Anm. 362) sowie die Kommentare zu IGThess 14 und 35. 353 Die Inschrift wurde vom Herausgeber mit * für ‚unsicherem Fundort‘ versehen, doch ist ihre Herkunft aus Thessaloniki textlich gesichert, vgl. auch – am Ende des Kommentars – die Kirche des Hl. Demetrios als Fundortangabe.
3.2. Ehrungen für Römer
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genannt ist, der bei dem dort weilenden Kaiser die Erlaubnis penteterischer Spiele (?),354 dann wohl sepulkralen Charakters, eingeholt zu haben scheint. Der Text bezieht sich also mit einiger Wahrscheinlichkeit auf eine Gesandschaft an Hadrian und auf die Einrichtung von Spielen für den (wohl im Oktober des Jahres) 130 n. Chr. in Ägypten ertrunkenen Antinoos; die Inschrift datiert folglich etwa in das Jahr 131. Ein zweiter Text (IGThess 35355), gleichermaßen stark fragmentiert, nennt den Namen des [ 3Ant]i1noow, einen i4erv1menow to2 prv9ton sowie einen tami1aw; die fragmentierte Datumsangabe läßt sich mit dem Herausgeber am sinnvollsten auf das Jahr 132/133 n. Chr. beziehen. Trotz der lückenhaften Überlieferung der Texte, die manche Fragen offen läßt, lassen sich aus ihnen – im Verband mit den Zeugnissen zum Fulvuskult – einige Überlegungen zu Dauer, Gestalt und Motivation des Antinooskultes in Thessaloniki anstellen. Die Stadt Thessaloniki hat offenbar sehr bald nach Eintreffen der Todesnachricht nach Alexandria gesandt356 und bei dem sich noch in Ägypten aufhaltenden Hadrian um die Erlaubnis zur Einführung des Kultes des Antinoos nachgesucht; in Thessaloniki wurde der Kult dann in die Obhut der Stadt und des Gymnasiums gestellt.357 In seiner monographischen Untersuchung der Antinooszeugnisse nennt Hugo Meyer Thessaloniki als besonders frühes Beispiel für die Kulteinführung durch die Städte im Reich.358 Legt man eine Identifizierung des ueo2w Foy9lbow mit dem Sohn des Antoninus Pius zugrunde, dann heißt dies gleichzeitig, daß der Kult des Antinoos nur von sehr kurzer Dauer gewesen sein kann: In Thessaloniki hat man es dann „mit der Abschaffung beziehungsweise Umweihung des An354
IGThess 14, Fragment D, Z. 2: pen/[taethrik--] sowie Herausgeberkommentar. Auch die vier Fragmente dieser Inschrift stammen aus der Kirche des Hl. Demetrius. 356 MEYER 1991, 195 spricht von einem Eintreffen der Gesandtschaft in Alexandria „noch am Ende d.J. 130 oder gleich zu Anfang des Jahres 131“. Zur Gesandtschaft vgl. EpThess Kap. I Nr. 4 bes. S. 51. 357 Dies legt das Eingangsformular von IGThess 14 o[i4 ne1oi kai2] o4 boyleyth1w nahe. 358 Nach MEYER 1991, 195 traf die Gesandtschaft „noch am Ende d.J. 130 oder gleich zu Anfang des Jahres 131 ... beim Kaiser in Alexandria ein“. – Daß „die schnelle Entscheidung von Seiten Thessalonikes“ zur Einrichtung des Antinooskultes „durch die alte Tradition der dortigen ägyptischen Kulte mitbestimmt“ gewesen ist, wie es Meyer a.a.O. Anm. 9 für möglich hält, ist allerdings trotz der in Ägypten deutlich vor dem Hintergrund einheimischer Vorstellungen erfolgten Apotheose des Antinoos (‚apotheosis by drowning‘, Osiriswerdung: MEYER 1991, 186; Erhebung zur Gaugottheit von Antinoopolis: ebd. 187) wenig wahrscheinlich: Das Heiligtum der ägyptischen Götter in Thessaloniki läßt zu keiner Zeit ein besonderes Interesse am ‚Herkunftsland‘ der in ihm verehrten Gottheiten erkennen. Affinitäten oder gar direkte Kontakte zu Ägypten können bestenfalls in der – zur Zeit Hadrians schon gut vierhundert Jahre zurückliegenden – Gründungsphase vermutet werden, sind aber selbst zu dieser Zeit nicht belegt. Zudem ist der Kult des Antinoos in Thessaloniki nach seiner Einrichtung dann an das Gymnasium gebunden und dort in den Rahmen der Kaiserverehrung gestellt, ein wie auch immer geartetes ägyptisches Lokalkolorit ist hier nicht auszumachen (vgl. zudem MEYER 1991, 189–193 bes. 191f. zur deutlichen Trennung zwischen ägyptischem und griechisch-römischem Antinooskult). 355
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
tinooskultes nach Hadrians Tod ebenso eilig gehabt ... wie mit seiner Einführung“; dem Kult des Antinoos folgte die „schlagartige Ersetzung“ durch jenen des ueo2w Foy9lbow. Dies zeigt, wie es Meyer formuliert, „mit krassester Deutlichkeit, daß die Thessalonikeer mit ihrer Hommage für Antinoos im Grunde allein Hadrian als den damals regierenden Kaiser gemeint hatten, um dessen Wohlwollen es ihnen zweifellos zu tun gewesen ist“.359 Dies war vermutlich auch an anderen Orten der Fall, doch scheint Thessaloniki in seinem derart frühen Ende des Antinooskultes ohne Parallele zu sein.360 Trifft diese Vermutung zu, dann heißt dies, daß der Kult des jungverstorbenen Kaisersohnes Fulvus jenen des Antinoos beerbt hat361 und ihm dann wohl auch zeitlich unmittelbar gefolgt ist. Über M. Aurelius Fulvus Antoninus, der zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt, aber wohl in jungem Alter – noch vor der Adoption seines Vaters durch Hadrian – verstarb, ist lediglich bekannt, daß er nach 139 in das Mausoleum des Hadrian umgebettet wurde.362 Gerade diese Aufmerksamkeit, die dem Verstorbenen in diesem Zusammenhang in Rom zuteil wurde, könnte dazu geführt haben, daß der tote Kaisersohn nun in Thessaloniki als Objekt kultischer Verehrung wahrgenommen wurde. Dies macht es wahrscheinlich, daß gerade zu diesem Zeitpunkt – also nur kurz nach dem Tod Hadrians bzw. nach der Herrschaftsübernahme des Antoninus Pius – die Einführung des Fulvuskultes für das Ende des Antinooskultes gesorgt hat. Als Charaktergestalt wird der neue Gott den Einwohnern Thessalonikis vermutlich weniger Assoziationsmöglichkeiten geboten haben als Antinoos: Ließ sich vom jenem immerhin durch seine allgegenwärtigen Bildnisse und das aus dem Mythos wohlvertraute Motiv des toten Jünglings eine Vorstellung gewinnen, so hatte der noch vor Thronbesteigung seines Vaters – und dazu möglicherweise bereits als Kind – verstorbene Fulvus zu Lebzeiten wohl kaum Gelegenheit dazu gehabt, gesellschaftlich in Erscheinung zu treten und dabei für die Stadt Thessaloniki in irgendeiner Weise relevant oder auch nur bildhaft zu werden. Es stellt sich dabei die Frage, warum dem Antinooskult in Thessaloniki eine nur so kurze Lebensdauer beschieden war – die penteterischen Spiele können hier bis zum To-
359
MEYER 1991, 205. MEYER 1991, 243. 361 So bereits Ch. Edson im Kommentar zu IGThess 35. 362 Dies geht aus der nur in Abschrift überlieferten Inschrift vom Mausoleum des Hadrian CIL VI 988 = ILS 350 hervor: M(arcus) Aurelius Fulvus / Antoninus / Filius Imp(eratoris) Caesaris T(iti) Aelii / Hadriani Antonini Aug(usti) Pii P(atris) P(atriae). Die Datierung ab 139 ergibt sich aus der Annahme des Titels des pater patriae. Einen Kultbeginn „soon after the accession of Antoninus Pius, probably at the time of the burial of Fulvus in the mausoleum“ hatte erstmals EDSON 1940, 136 vermutet. 360
3.2. Ehrungen für Römer
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de Hadrians nur zwei, allenfalls drei Mal363 ausgetragen worden sein –, wohingegen der als Ersatz gefundene Fulvuskult mindestens 130 Jahre lang bezeugt ist. Die Ablösung des Antinoos durch Fulvus scheint zunächst nicht nachvollziehbar, schließlich hat sein Kult an verschiedenen anderen Orten im römischen Reich bis weit ins dritte Jahrhundert hinein überdauert.364 Somit gibt die um das Jahr 139 in Thessaloniki getroffene Entscheidung, den Kult des Antinoos nicht fortzuführen, vermutlich eine momentane Stimmung nach dem Tode Hadrians wieder, die in späteren Jahren in dieser Form kaum mehr gefallen wäre. Legt man allerdings als das Motiv der Antinoosverehrung in Thessaloniki eine durch den Ephebenkult beabsichtigte Ehrung des jeweils amtierenden Kaisers zugrunde, dann erscheint der rasche Ersatz des Antinooskultes durch jenen des Fulvus als folgerichtiger Schritt: Antinoos war fest mit der Person des Hadrian verbunden, durch seinen Kult ließen sich nach dessen Tod kaum mehr hochoffizielle Ehrungen der nachfolgenden Kaiser vertreten.365 Fulvus hingegen blieb – auch wenn seine Auswahl als Objekt eines Kultes offenbar ebenso aus dem Moment heraus getätigt wurde wie im Falle des Antinoos – über die Amtszeit seines Vaters hinweg akzeptabel: Im Unterschied zu Antinoos handelte es sich bei ihm um einen Angehörigen des Kaiserhauses, zudem um den Sohn eines ‚guten Kaisers‘, der über die Zeiten hinweg als Teil einer respektablen Ahnenreihe unstrittig war. Mit dieser dynastischen Qualität war der Kult des Fulvus zur Ehrung eines jeden Kaisers, der sich in der Tradition der antoninischen Herrscherreihe sah, geeignet. So, wie im Antinooskult ganz offensichtlich Hadrian der eigentliche Adressat der Ehrung war, sollte ab dem Jahre 139 zunächst auch Antoninus Pius durch den Kult für seinen toten Sohn geehrt werden. Somit wird es kaum Zufall sein, daß auch in den äußeren Formen beider Kulte auffällige Übereinstimmungen bestehen: Beide haben in Thessaloniki einen Jungverstorbenen aus dem Umfeld eines Kaisers zum Objekt, bei beiden beinhaltet die Kultausübung somit Leichenspiele; beide werden durch Epheben und neoi im Umfeld des Gymnasiums getragen. Nach dem Tode des Antoninus Pius war ein neuerlicher Ersatz des Ephebenkultes – er wäre ohne Gesichtsverlust der Stadt wohl ohnehin kaum zu bewerkstelligen gewesen – nicht notwendig; im Gegenteil: Gerade die fast abstrakte Person, die ‚Unanstößigkeit‘ und die zu vermutende 363 Denkbar wäre 131 (ein Jahr nach dem Tode des Antinoos), 135 und eventuell nochmals 139 (vor der Umbettung des Fulvus in Rom). 364 MEYER 1991, 248. 365 Unter den von MEYER 1991 zusammengestellten Zeugnissen finden sich, soweit ich sehe, keine Belege für eine Verehrung des Antinoos im Rahmen von Kulten nachhadrianischer Kaiser. Auf Thessaloniki übertragen – wo der Kult des Antinoos allem Anschein nach in den Rahmen des durch die gymnasiale Jugend getragenen Kaiserkultes gestellt war – bietet dieser Umstand ein weiteres Argument für ein Ende des Antinooskultes unmittelbar nach dem Tode des Hadrian.
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‚Gesichtslosigkeit‘ des heroisierten Knaben Fulvus waren es, welche beste Voraussetzungen für eine alle Regierungswechsel überdauernde Verbindung des Kultes mit der Ehrungen des jeweils regierenden Kaisers boten und damit für die bemerkenswert lange Bestandsdauer seines Kultes in Thessaloniki sorgten. Damit ist allerdings nicht gesagt, daß der Kult von Beginn an schon jene gesellschaftliche Bedeutung besessen haben muß, die uns aus dem zufälligen Ausschnitt der Zeugnisse des 3. Jahrhunderts nach Christus überliefert ist. 3.2.5. Neokorien Als einzige Städte in der Provinz Macedonia, überhaupt als einzige Städte des griechischen Festlandes, besaßen Beroia und Thessaloniki das Recht, sich als neokoros zu bezeichnen, also den durch den Kaiser verliehenen Titel der ‚Tempelwärterin‘ im Kaiserkult zu führen.366 Beroia, Sitz des makedonischen Koinon, erwarb diesen Titel schon lange Zeit vor Thessaloniki, erstmals belegt ist er dort unter Nerva (96–98) durch eine Ehrung eines Oberpriesters der Augusti und Agonotheten des makedonischen Koinon. Als dessen Verdienst wird genannt, er habe durch eine Gesandtschaft an Nerva erreicht, daß ‚nur Beroia die neokoria der Augusti und den Rang der Metropolis haben solle‘.367 Als Grund für die Gesandtschaft, die der Stadt die Exklusivität ihrer Rechte sichern sollte, können Begehrlichkeiten anderer Städte angenommen werden; wahrscheinlichster Konkurrent dürfte hierbei Thessaloniki gewesen sein. Die Neokorie Beroias wird unter Elagabalus (218–222) um eine zweite erweitert,368 die unter Severus Alexander (222–235) wieder kassiert wird.369 Eine Wiederverleihung einer zweiten Neokorie unter Gordianus III. (238–244) an Beroia370 geht schließlich
366
BURRELL 2004, 191–204 und S. XIX (Karte). IBeroia 117 (Ende d. 1. Jhs. n. Chr.): To2n dia2 bi1oy a3rxierh9 tv9n Sebastv9n / kai2 a3gvnoue1thn toy9 Koinoy9 M(a)ke/do1nvn K(o1inton) Popi1llion Py1uvna pres/bey1santa y4pe2r th9w patri1dow Beroi1/aw e3pi2 ueo2n Ne1royan y3pe2r toy9 mo1/nhn ay3th2n e5xein th2n nevkori1an tv9n Se/bastv9n kai2 to2 th9w mhtropo1levw a3ji1v/ma kai2 e3pityxo1nta kai2 do1nta e3n tö9 / th9w a3rxiervsy1nhw xro1nö to2 e3pike/fa1lion y4pe2r th9w e3parxi1aw kai2 o4/doy2w e3k tv9n i3di1vn e3piskeya1san/ta kai2 katangei1lanta kai2 a3gago1nta / ei3sakti1oyw a3gv9naw, talantiai1oyw, / uymelikoy2w kai2 gymnikoy2w, do1n/ta uhriomaxi1aw dia2 pantoi1vn zö1vn, / e3ntopi1vn kai2 jenikv9n, kai2 monomaxi1/aw, poihsa1menon de2 k(a)i2 sei1tvn parapra1/seiw k(a)i2 e3peyvni1santa e3n kairoi9w a3nank(a)i1oiw / k(a)i2 diado1masin par' o7lvn to2n th9w arxiairv/sy1nhw xro1non pandh1moiw kata2 pa9san sy1/nodon y4podeja1menon th2n e3parxei1an kai2 / gymnasiarxi1aiw koinü9 pa9sin e4ayto2n ey5xrh/ston e3n panti2 xro1nö parasxo1menon k(a)i2 ka/t' i3di1an proshnh9 polei1thn fylh2 Peykasti/kh2 to2n ey3erge1thn. 3Epemelh1uh Dioskoyri1dhw / Aleja1ndroy. – Vgl. ebd. IBeroia 63 (Dank der Polis an Nerva für die Gewährung des Metropolistitels). 368 BURRELL 2004, 192f. 369 BURRELL 2004, 194f. 370 BURRELL 2004, 195f. 367
3.2. Ehrungen für Römer
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zeitlich einher mit der erstmaligen Neokorieverleihung an Thessaloniki.371 Der Anlaß der Verleihung ist in beiden Fällen unsicher, doch berücksichtigt die Verleihung an Thessaloniki möglicherweise die strategische Bedeutung der Stadt. Daß dies ein Kriterium für die Neokorieverleihung darstellen konnte, kann aus nachfolgenden Verleihungen erschlossen werden. So erscheint die Stadt unter Traianus Decius (249–251) schlagartig als ‚metropolis, koloneia und vierfache neokoros‘372 – eine solche Anhäufung von Neokorien hatte vorher allein Ephesos erreicht, sie blieb auch später höchst selten. Die Zuordnung der drei hinzugekommenen Neokorien bleibt unsicher (Traianus Decius und seine beiden Söhne?), doch kann immerhin ein Anlaß für die außergewöhnlich umfangreichen Ehrungen ausgemacht werden: Zur Zeit des Traianus Decius wurden die Provinzen nördlich von Makedonien von Goteneinfällen heimgesucht, in deren Gefolge sich zudem ein Provinzstatthalter namens Priscus zum Imperator erklärt hatte.373 In dieser Situation war die kaisertreue Haltung Thessalonikis angesichts seiner strategischen Rolle von essentieller Bedeutung, eine aus Dank für bewiesene Loyalität erfolgte Neokorieverleihung besitzt also einige Wahrscheinlichkeit. Allzu lange konnte sich Thessaloniki freilich nicht seiner vier Neokorien erfreuen: Unter Valerianus (253–259) und Gallienus (253– 268) findet sich auf Prägungen des Jahres 253/54 die Neokorieangabe auf zwei Neokorien reduziert.374 Ein Grund für diese Zurückstufung scheint nicht allein in der politisch verworrenen Situation nach dem Tode des Traianus Decius – und dessen möglicherweise ausgesprochene Damnatio – gelegen zu haben, da immerhin eine der von ihm verliehenen Neokorien 371
BURRELL 2004, 198f. IGThess 162–165; vgl. BURRELL 2004, 199–202. – Colonia- und Metropolistitel sowie die vierfache Neokorie erscheinen erstmalig auf Münzen des Traianus Decius (TOURATSOGLOU 1988 Nrn. 3. 5. 8. 11). Daß die Titel metropolis, koloneia und vierfache neokoros spätestens ab dem Jahr 246/247 n. Chr., also bereits zwei Jahre vor dem Herrschaftsantritt des Traianus Decius, erstmals inschriftlich belegt sind (IGThess 162; die Stadttitulaturen der zeitlich vorangehenden Fulvusinschriften IGThess 160 und 161 [242–243 bzw. 243–244 n. Chr.] sind leider verloren), führt BURRELL 2004, 200 darauf zurück, daß die Fulvusinschriften in ihren Datierungen die Amtszeiten der Fulvuspriester nennen, die Texte selbst aber erst nach Ablauf der Amtszeiten – und möglicherweise nicht sofort danach – erstellt wurden. Somit könnte sich eine scheinbare zeitliche Überschneidung ergeben haben; eine Verleihung bereits unter dem Vorgänger Philippus Arabs hält sie hingegen für weniger wahrscheinlich. 373 BURRELL 2004, 200. Zu Priscus s. PIR2 P 971 (möglicherweise identisch mit dem thrakischen Statthalter T. Iulius Priscus PIR2 I 489, vgl. NP 10 (2001) 342 s.v. Priscus [Th. Franke]). 374 TOURATSOGLOU 1988, 77. Vgl. die Fulvusinschrift IGThess 167: h4 Uessalonikai1vn mhtro1poliw kai2 kolvnei1a kai2 di2w nevko1row, h4 patri1w ... . Die in den zeitlich folgenden Inschriften IGThess 168 und 169 (258–259 bzw. 262–263 n. Chr.) auf h4 patri1w reduzierte Nennung erklärt BURRELL 2004, 202 als Anzeichen für „a certain unwillingness to boast of titles that had lately been decreased.“ 372
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fortbestanden hat. Möglicherweise haben sich die im Übermaß verliehenen Ehren im nachhinein als übertrieben und vor allem dem Verhältnis der beiden Städte Beroia und Thessaloniki abträglich erwiesen, so daß Thessaloniki auf ein übliches Maß zurückgeführt wurde, welches immer noch den mutmaßlich zwei Neokorien Beroias zu dieser Zeit entsprach. 375 Eine dritte Neokorie bekam Thessaloniki allerdings wieder unter Gallienus (253–268) zugesprochen, wie Prägungen belegen.376 Auch hier ist sind wieder äußere Anlässe erkennbar: Thessaloniki konnte 254 den erneut einfallenden Goten nicht nur Widerstand bieten, sondern auch ihr Vorgreifen auf Südgriechenland abwenden. Zudem ist vor dem Hintergrund eines Usurpationsversuchs des abtrünnigen Statthalters Valens, genannt Thessalonicus, wiederum ein Fall erwiesener und belohnter Kaisertreue denkbar. 3.2.6. Einladungen zu Spielen Zu den Zeugnissen für Neokorieverleihungen in Beroia und Thessaloniki gesellt sich eine Gruppe dreier erst vor wenigen Jahren aufgefundener Inschriften hinzu, die ‚Einladungsplakate‘ zu Spielen darstellen. Sie befinden sich auf sehr dünnen Marmortafeln, welche, mit der Schriftseite nach unten, in Zweitverwendung als Bodenplatten der Orchestra des kleinen Odeions an der Ostseite der Agora dienten.377 Die Anordnung der Texte ließ auf den großformatigen Platten einen breiten Rand, der in mindestens einem Fall (Inschrift B) zur Anbringung werbewirksamer, gemalter Dekorationen inklusive erklärender Beischriften verwendet wurde. 378 Die drei Inschriften – von einer vierten379 ist nur ein kleines Fragment erhalten – sind in die Jahre 252, 259 und 260 n. Chr. datierbar. Ihre Texte sind im folgenden wiedergegeben: Inschrift A (252 n. Chr.) :380 3Agauü9 ty1xü / 4Ype2r y4gei1aw kai2 svthri1aw kai2 ni1khw kai2 ai3vni1oy diamo[nh9w t]v9n kyri1vn h4mv9n megi1stvn kai2 ueiota1tvn / vacat dhmarxikh9w ejoysi1[aw to2 dey1ter]on pate1rvn pa375
So die Vermutung von BURRELL 2004, 202f. TOURATSOGLOU 1988, Nrn. 3. 4. 27. 59. 60. 377 Die Entdeckung der Inschriften erfolgte 1994 im Zuge geplanter Restaurierungsarbeiten an den Bodenplatten, die in viele Stücke zerbrochen waren und zum Teil aus über zweitausend Fragmenten zusammengesetzt werden mußten. Aufgrund der dadurch sehr erschwerten Lesung ist die Erstpublikation der Texte vom Herausgeber als vorläufig bezeichnet worden: BELENHS 1999, 1317 mit Anm. *. Zu den Auffindungsumständen und zum Zustand der Platten BELENHS 1999 a.a.O. mit Abb. 1–2 und Umzeichnungen 1–4. – Abbildungen der restaurierten Platten G und A bei ADAM-BELENH 2001, 121 mit Abb. 93–94. 378 Die größte der Platten (Inschrift G) mißt 2,40 m (B) auf 0,90 m (H) bei einer Dicke von nur 2 cm. 379 Inschrift D: BELENHS 1999, 1323 = SEG 49, 1999, 818 und Umzeichnung 4: [ 3Agauü9 ty1xü] / 4Ype2r y4gei1aw kai2 svth[ri1aw kai2 --- / kai2 ueiot[a1tvn --- . 380 BELENHS 1999, Inschrift A = SEG 49, 1999, 815. Lesung nach EpThess Kap. I Nr. 10. 376
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tri1dow a3nuyp[a1]tvn kai2 y4pe2r toy9 / sy1mpantow uei1oy oi5koy ay3tv9n kai2 tv9n diashmot[a1tvn e3pa1rxvn] toy9 i4eroy9 praitvri1oy kai2 i4era9w [sy]nklh1toy kai2 i4erv9n / strateyma1tvn kai2 dh1moy toy9 [ 4R]vmai1vn. hedera [ 4O a3rxierey2w t]v9n Sebastv9n kai2 a3gvnoue1thw toy9 koinoy9 tv9n / Makedo1nvn a3gv9now i4eroy9, oi3koymen[ik]oy9, ei3selasti[koy9, i3sakt]i1oy 3Alejandrei1oy vacat Kl(ay1diow) 4Roy1fr(iow) Me1nvn o4 a3j(iologv1tatow) / makedonia1rxhw kai2 Baibi1a Ma1gna h4 a3j(iologvta1th), h4 gyn[h2 ay3toy9 k(ai2)] a3rxie1reia syntele1soysin e3n tü9 lamprä9 mhtropo1lei Beroi1ä kai2 = b' = nevko1rö kynhgesi1vn kai2 m[onomax]iv9n h4me1raw = g' = ei3sa1gontew zyga2 to2n a3riumo2n / ih' peri2 cyxh9w a4tv9n [a3gvnioy1m]ena kai2 zv9a e3nxv1ria [a3posfa1z]ontew e4no2w e4ka1stoy ei5doyw ih'. A 5 rjontai de2 tv9n filo/teimiv9n tü9 pr(o2) =z= kal(andv9n) 3Ioyli1v[n] = Oy3ibi1ö Trebvnianö9 Ga1llö [Sebast]ö9 Kai1sari = G(aQ1ö) = Oy3ib(i1ö) 3Afeini1 Deldoymnianö9 Oy3oloysianö9, e4llhnikü9 de2 e5toyw = gps' = Seb(astoy9) toy9 kai2 uqt' = / Pan[h1]moy = kh'. [Ey3tyxei9te].
Inschrift B (259 n. Chr.):381 3Agauü9 [ty1xü] / 4Ype2r y4gei1aw kai2 svthri1aw kai2 nei1khw kai2 ai3vni1oy d[iamonh9w tv9n megi1stvn kai2 ueiota1tvn kyri1vn h4mv9n] a3htth1tvn / ay3tokrato1rv[n] rasura ey3seb[oy9w, ey3tyxoy9w, Sebastoy9 rasura sebas]toy9 hedera / rasura ey3seboy9w, ey3tyxoy9w, Sebastoy9 kai2 rasura toy9 [e3pifa]ne[st]a1toy Kai1sarow kai2 / rasura th9w Sebasth9w hedera kai2 toy9 sy1m[pantow uei1oy oi5koy ay3tv9n kai2 i4era9w synklh1toy kai2 i4erv9n str]ateyma1tvn kai2 dh1moy / toy9 4Rvmai1vn kai2 tv9n e3joxota1tvn e3pa1rxvn toy9 i3eroy9 p[raitvri1oy hedera Klay1diow 4Roy1friow Me1nvn ------] kai2 makedonia1rxhw / kai2 a3rxierey2w tv9n Sebastv9n kai2 a3gvnoue1thw a3gv9now i4e[ro]y9, oi3k[oymenikoy9, ei3selastikoy9 tv9n A 3 kti1vn, Kabeiri1]vn, Kaisari1vn / Pyui1vn kai2 Baibi1a Ma1gna h4 a3jiologvta1th a3rxie1rei[a e3pitele1soysin e3n tü9 lamprota1tü Uessalon]ikai1vn mhtropo1lei / kai2 kolvnei1ä kai2 di2w nevko1rö kynhgesi1vn kai2 mono[maxiv9n h4me1ran mi1an a5rjontai de2 th9w filotimi1aw tü9 pro2 --- kalandv9n] / 3Oktvbri1vn Ai3milianö9 kai2 Ba1ssö y4pa1to[iw, e4llh]ni[kü9 de2 e5toyw = qs' = Sebastoy9 toy9 kai2 = wy' = 4Yperberetai1oy ---]. / [Ey3tyxei9te].
Inschrift G (260 n. Chr.):382 3Agauü9 ty1xü / 4Ype2r y4gei1aw kai2 svthri1aw kai2 nei1khw kai2 ai3vni1oy diamonh9w tv9n megi1stv[n] kai2 ueiot[a1tvn] kyri1vn h4mv9n a3h[tth1tvn ay3]/tokrato1rvn rasura ey3seboy9w, ey3tyxoy9w, Sebastoy9 kai2 rasura [ey3seboy9w], / ey3tyxoy9w, Sebastoy9 ka[i2] rasura toy9 e3pifanesta1toy Kai1[sa]row vacat / kai2 toy9 sy1mpantow uei1oy oi0koy ay3tv9n kai2 i4era9w synklh1toy kai2 i4erv9n strateyma1tvn kai2 dh1moy 4Rvmai1vn kai2 tv9n e3joxota1tvn e3pa1[rxvn toy9 i4eroy9 praitvri1oy] / Tib(e1riow) Kl(ay1diow) 4Roy1friow Me1nvn o4 kr(a1tistow) i4erof1anthw toy9 a4givta1toy ueoy9 Kabei1roy kai2 dia2 bi1oy a3gvnoue1thw [toy9 koinoy9 tv9n Makedo1nvn] / kai2 makedonia1rxhw kai2 b' arxierey2w tv9n Sebastv9n kai2 a3gvnoue1thw th9w lampra9w Uessaloneikai1vn mhtropo1levw kai2 kolvnei1aw kai2 b' [ne]vko1roy a3g[v9now 381
BELENHS 1999, Inschrift B = SEG 49, 1999, 816. Lesung nach EpThess Kap. I Nr. 10. Auf Inschrift B befindet sich neben dem eingemeißelten Inschriftentext in roter Farbe aufgemalt links oben das Wort lhnoba1tiw, links unten ti1griw. Das Wort ti1griw wird von der gemalten Darstellung einer mit kurzem Chiton bekleideten männlichen Figur in kämpferischer Haltung begleitet, wahrscheinlich der Rest einer Tierkampfszene. Beim Wort lhnoba1tiw vermutet G. Velenis entsprechend eine einst vorhandene Darstellung des Weintretens. Die angekündigten Spiele fanden in der zweiten Septemberhälfte, also zur Zeit der Weinlese, statt. – Die aus Anlaß der memoria damnata entfernten Namen sind diejenigen der Familie des Gallienus. 382 BELENHS 1999, Inschrift G = SEG 49, 1999, 817. Lesung nach EpThess Kap. I Nr. 10. Die aus Anlaß der memoria damnata entfernten Namen sind wie bei der Inschrift B jene der Familie des Gallienus.
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
i4er]oy9 oi3koyme/nikoy9, ei3selastikoy9 tv9n mega1lvn Kaisarei1vn, 3Epineiki1vn, Kabei1rivn, Pyui1vn. Kai2 Baibi1a Ma1gna h4 gynh2 ay3toy9 h4 a3j(iologvta1th) m[akedonia1rxi]ssa kai2 b' a3rxie1reia e3pitele1soysin [filotimi1]an e3n tü9 lam/prota1tü Uessalonik[e1]vn mhtropo1lei kai2 kolvnei1ä kai2 b' nevko1rö e3k uei1aw dvrea9w [k(ai2) ei3w?] mnh1mhn Sebastv9n kynhgesi1vn te k[ai2 monomaxiv9n] h4me1ran mi1an, ei3sa1go[nte]w kai2 zv9a a7p[anta] to2n a3riumo2n e7j / leopa1rdoy, y4ai1nhw, kai2 lak[a]i1naw.383 Kai2 a3posfa1zontew tv9n e3nxvri1vn zv1vn e4ka1stoy ei5doyw te1ssara. 4Omoi1vw hedera vacat ei3sa1gontew [kai2 ze]y1gh dy1o [mono]ma1xvn peri2 / cyxh9w a3gvnioy1mena = A 5 rjontai de2 th9w filoteimi1aw = Sekoylari1ö tö9 b' kai2 Dona1tö tö9 = b' = y4pa1t(oiw) vacat tü9 pro2 ib' kalandv9n 3Oktvbri1vn, / e4llhnikü9 de2 e5toyw =a=q=s'= Sebastoy9 toy9 kai2 zy' / = 4Yperbereta[i1]oy =k'. / Ey3tyx[ei9]te.
Bei den drei Texten A, B und G handelt es sich um Einladungen zu Spielen, die alle durch den Makedoniarches Tibe1riow Klay1diow 4Roy1friow Me1nvn und seine Frau, die Makedoniarchissa Bai1bia Ma1gna ausgerichtet wurden. Die Nennung seiner Titel erweitert sich im Laufe der Zeit, wobei unklar ist, ob dies einem tatsächlichen Zuwachs seiner Ämter entspricht oder ob die weniger umfangreichen Titelnennungen der beiden älteren Inschriften A und B (252 und 259 n. Chr.) schlicht sparsamere Wiedergaben von überwiegend schon damals in dieser Form gültigen Titulaturen darstellen.384 Auf die letztgenannte Möglichkeit könnte vielleicht der Umstand hindeuten, daß bei der Inschrift mit den umfangreichsten Titeln (Inschrift G von 260 n. Chr.) deren Nennung in enger geschriebenen, vom übrigen Inschriftentext abweichenden Zeilen erfolgt. Sie wurden folglich, wahrscheinlich auf Verlangen des Auftraggebers, nachträglich an Stelle eines ursprünglich kürzeren Textes – mit offensichtlich weniger Titeln – eingefügt.385 In ihrer umfangreichsten Nennung von 260 n. Chr. lauten die Titel des Claudius Rufrius Menon wie folgt: 1) kra1tistow i4erofa1nthw toy9 a4givta1toy ueoy9 Kabei1roy, 2) dia2 bi1oy a3gvnoue1thw toy9 koinoy9 tv9n Makedo1nvn, 3) makedonia1rxhw, 4) zweimaliger a3rxierey2w tv9n sebastv9n sowie 5) a3gvnoue1thw a3gv9now i4eroy9 oi3koymenikoy9 ei3selastikoy9 tv9n mega1lvn Kaisarei1vn 3Epineiki1vn kai2 Kabeiri1vn Pyui1vn. Bemerkenswerterweise wird das Amt des makedoniarches in Inschrift A (Spiele in Beroia) zusätzlich in seiner Funktion als archiereus ton sebaston kai agonothetes tou koinou ton Makedonon aufgeführt, die im Begriff des makedoniarches ja eigentlich bereits enthalten wäre.386 Eine spätere Doppelnennung (Inschrift B, Spiele in Thessaloniki) nennt ihn makedoniarches kai archiereus ton sebaston kai agonothetes, wobei die fehlende Nennung des Koinon sogar die Möglichkeit einer städtischen Priesterschaft erkennen
383
Zur la1kaina, einer lakonischen Hunderasse, s. den Kommentar EpThess 90f. Zu dieser Auffassung tendiert BELENHS 1999, 1322. 385 BELENHS 1999, 1322f. 386 Vgl. hier Anm. 337. 384
3.2. Ehrungen für Römer
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läßt.387 Die in Inschrift G anzutreffende Reihung dia biou agonothetes [tou koinou ton Makedonon] kai makedoniarches kai b’ archiereus ton sebaston kai aionoiotates lampras Thessalonikaion metropoleos kai koloneias kai b’ neokorou agonothetes führt erneut Makedoniarchen- und provinziales Priesteramt auf. In der getrennten Aufzählung von Agonothesie und Priesteramt läßt sich hier ein konkreter Grund für die eigentlich redundante Nennung – nämlich die Berücksichtigung der unterschiedlichen Amtszeiten – erkennen, doch ist gleichzeitig das offenbar städtische Amt des Agonotheten der neokoros Thessaloniki belegt. Deutlich wird hierin die Personalunion von makedoniarches und städtischem agonothetes. Die Neokoriespiele Thessalonikis stehen also unter der Leitung des Makedoniarchen. Die Ausrichtenden der Spiele, das Ehepaar Tibe1riow Klay1diow 4Roy1friow Me1nvn und seiner Frau Bai1bia Ma1gna waren fraglos Mitglieder einer der einflußreichsten makedonischen Familien ihrer Zeit: 388 Sie verfügten über ein Vermögen, das ihnen innerhalb eines Jahrzehntes die Ausrichtung mindestens dreier kostspieliger Agone ermöglichte. Zudem gehörten sie einer Familie an,389 in deren Reihen hohe und höchste städtische und provinziale Ämter vertreten waren: Neben den durch inschriftliche Zeugnisse bekannten Positionen gehörte hierzu mit Klay1diow 4Roy1friow 3Ioy9stow o4 kra1tistow (dem Bruder des Tibe1riow?) vermutlich sogar einer der ganz wenigen bekannten Angehörigen des römischen Senats, die aus Makedonien stammten.390
387
Die (gleichzeitige oder aufeinanderfolgende?) Inhaberschaft sowohl des städtischen wie auch des provinzialen Priesteramtes ist für Klay1diow Me1nvn I (s. Kommentar zu IGThess 185 mit Stemma) belegt. 388 Der Tibe1riow Klay1diow R 4 oy1friow Me1nvn der Spielankündigungen läßt sich entweder mit Klay1diow Me1nvn dem Älteren, einem städtischen archiereus, makedoniarches, hierophantes und Sohn des Konsuls und Provinzstatthalters K. Oy3ale1riow 4Roy1friow 3Ioy9stow, identifizieren oder aber mit einem von dessen Söhnen, dem mehrfach inschriftlich belegten (IGThess 183. 184. 185. 209) Klay1diow Me1nvn dem Jüngeren (s. das Stemma zu IGThess 185 mit Anm. 4, vgl. hier zur Fulvusinschrift IGThess 168). Würde es sich um das jüngere Familienmitglied handeln, so hieße dies, daß dieser genau jene Ämter bekleidete, die aus anderen Quellen auch für seinen Vater belegt sind. – NIGDELIS 1996b, 135 vertritt für einen Klay1diow 4Roy1friow Me1nvn o4 i4erofa1nthw, welcher in einer weiteren, von ihm a.a.O. 130f. vorgestellten Inschrift genannt wird, dieser müsse aufgrund der Nennung des Hierophantenamtes mit Klay1diow Me1nvn d.Ä. identisch sein. Für den in Inschrift G überlieferten i4erofa1nthw toy9 a4givta1toy ueoy9 Kabei1roy nimmt er jedoch a.a.O. 140 mit Anm. 49 an, hier bekleide „einer der Nachfahren des Claudius Menon [d.Ä.] das Amt des Hierophanten“. Als dieser kommt von den bekannten Mitgliedern der Familie wohl nur Claudius Menon d.J. in Frage, da dessen Sohn Flavius Claudius Menon gen. Strymonios im Jahre 258/259 bereits wieder als Fulvuspriester genannt wird. Zur Familie jüngst auch EpThess 76f. 389 Ein anhand eines Inschriftenneufundes um die Verwandtschaft der Mutterseite des Claudius Menon d.Ä. erweitertes Stemma findet sich bei NIGDELIS 1996b, 138. 390 Zur wahrscheinlichen Senatszugehörigkeit NIGDELIS 1996b, 136 mit Anm. 35.
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
Bei allen der im Odeion von Thessaloniki wiederverwendet aufgefundenen Inschriftentafeln kann mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß sich auch ihr ursprünglicher – wenngleich angesichts der Textgattung sicher recht kurzzeitiger – Aufstellungsort auf der dortigen Agora befunden hat.391 Um so interessanter ist es, daß die älteste der Inschriften (Inschrift A) zu Spielen einlädt, die in Beroia, der Hauptstadt des Koinon, abgehalten wurden. Es handelt sich also um die Ankündigung von Spielen in einer anderen Stadt, wie es sie sicherlich in allen Mitgliedsstädten des Koinon – und wohl auch darüber hinaus – gegeben hat. Entsprechende Werbung an anderen Orten ist auch für Spiele anzunehmen, die – wie die in den Inschriften B und G angekündigten Agone – in Thessaloniki stattfanden, bedeutete das Erscheinen stadtfremden Publikums, vor allem aber offizieller Abordnungen anderer Städte, doch eine Anerkennung des von diesen Spielen beanspruchten Status.392 Claudius Rufrius Menon und seine Gattin haben in ihrer Eigenschaft als Makedoniarchen also Spiele in beiden Städten organisiert und finanziert. Die durch die Inschriften belegte Reihenfolge sowie die Verteilung der Spiele (ein Agon in Beroia, zwei in Thessaloniki) sind dabei wohl den Zufällen der Überlieferung zuzuschreiben, und man darf vielleicht annehmen, daß noch weitere Agone in den beiden Städten dem Spenderwillen des Ehepaares zu verdanken waren. Im Falle von Beroia und Thessaloniki wurde bereits seit langem vermutet, daß sich im Umfeld der erstmaligen Neokorieverleihung an Thessaloniki unter Gordianus III. – zeitgleich mit der Wiederverleihung der zweiten Neokorie an Beroia – eine Konkurrenzsituation ergeben hat, in welcher der Wiedereinführung von Pythia durch Thessaloniki (240 n. Chr.) zwei Jahre später in Beroia mit der Einführung von Olympien begegnet wurde.393 Setzt man hierzu die von Claudius Rufrius Menon abgehaltenen Spiele in Beziehung, so ist zu bemerken, daß im Jahr 252 n. Chr., in dem er erstmals in Beroia als Spielegeber erscheint, in Thessaloniki annähernd gleichzeitig die vierte Abhaltung394 der Pythia belegt ist. In Beroia fanden hierbei allerdings nicht die als ‚Konkurrenzveranstaltung‘ zu den Pythien vermuteten Olympien statt, sondern die bereits seit 229 n. Chr. dort belegten Alexandreia. In der Folgezeit ist nicht ausgeschlossen – wenngleich die wahrscheinlich nur bruchstückhafte Überlieferung der von ihm abgehaltenen Spiele keine sichere Aussage darüber gestattet –, daß die Ausrichtung der Spiele durch Claudius Menon auch dem Aspekt einer ‚gerechten Verteilung‘ zwischen den beiden Städten gefolgt ist. Auf die Beurteilung der Städtekonkurrenz zwischen Thessaloniki und Beroia wirft dies neues 391
Zum vermuteten Anbringungsort an den Interkolumniumsschranken der flankierenden Säulenhallen der Agora BELENHS 1999, 1318 mit Anm. 5. 392 PRICE 1984, 127f mit Anm. 145. 393 EDSON 1948, 191 mit Anm. 25. 196. 394 IGThess 38.
3.2. Ehrungen für Römer
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Licht, da hier die Rolle einer – aus Thessaloniki stammenden, in ihrer Eigenschaft als Makedoniarches beziehungsweise Makedoniarchissa aber auch dem Koinon verpflichteten – Einzelperson für die Ausrichtung der Agone in beiden Städten deutlich wird. Die Bedeutung der privaten Initiative für die Spiele sowie auch der dem Initiator zur Verfügung stehende Gestaltungsspielraum kann noch an einem weiteren Beispiel erahnt werden. Bei der Benennung der 259 und 260 n. Chr. in Thessaloniki im Jahresabstand abgehaltenen Agone scheint es, daß diese von Austragung zu Austragung unterschiedlich gewählt sein konnte. Pythia sind in Thessaloniki im Jahre 240 n. Chr. eingerichtet worden und erscheinen zunächst als ein allein dem Apollon Pythios geweihtes Fest.395 In den Spielankündigungen von 259 und 260 n. Chr. sind die Spiele als Aktia, Kabeiria, Kaisareia, Pythia396 (Inschrift B) beziehungsweise als megala Kaisareia Epinikia kai Kabeiria Pythia (Inschrift G) angegeben. Aufgrund des Charakters der drei epigraphischen Zeugnisse – Siegerliste beziehungsweise Festankündigung – darf man erwarten, daß der Name des Festes hier jeweils in seiner korrekten und vollständigen Form wiedergegeben ist und daß die Unterschiede der Benennungen somit auf einer tatsächlichen Erweiterung seiner Widmung beruhen.397 Vielleicht ist der Grund hierfür in der Karriere des Spielleiters zu suchen, der möglicherweise erst nach den Spielen von 259 n. Chr. zum hierophantes des Kabeiros geworden ist.398 Einer solchen Annahme steht auch nicht der Umstand entgegen, daß Pythia Kabeiria bereits vereinzelt in Prägungen unter Gordianus III. und Philippus Arabs399 belegt sind: Sie spiegeln den jeweiligen Festnamen wider, der, wie die Zeugnisse vermuten lassen, ‚private‘, in der Person des Spielegebers begründete Ursachen haben konnte. Das Vorkommen der Kabeiria bereits in älteren Zeugnissen könnte sich ohne weiteres dadurch erklären, daß bereits der Makedoniarches Claudius Menon d.Ä. – falls er der Vater unseres Menon und nicht identisch mit diesem ist – die selben Ämter wie sein vermuteter Sohn besessen hatte. 395
Die ins Jahr 252/253 n. Chr. datierte Siegerliste IGThess 38 belegt die vierte Austragung des penteterischen Festes, daraus ergibt sich eine erstmalige Abhaltung im Jahre 240/241. 396 Zu den möglichen Rekonstruktionen des Spielenamens – mit Präferenz der hier wiedergegebenen Form – EpThess 81–89. 397 Auf die Kurzlebigkeit mancher kleinasiatischer Festnamen weist PRICE 1984, 105 mit Anm. 14 hin. 398 Die fehlende Nennung in einer auf Spiele in Beroia bezogenen Inschrift A bräuchte nicht verwundern, selbst wenn Claudius Rufrius Menon das Amt zu dieser Zeit schon innegehabt hätte. Auch für Inschrift B ist immerhin denkbar, daß er das Amt zur Zeit ihrer Abfassung bereits besaß, aber daß die Pythia des Jahres 259 nicht mit Kabeiros verbunden waren und die Nennung seines Priesteramtes in diesem Zusammenhang somit nicht von Interesse war. Zum Problem des städtischen und provinzialen Status des Hierophantenamtes N IGDELIS 1996b, 139–141. 399 Vgl. hierzu die Zusammenstellung von TOURATSOGLOU 1988, 71 Anm. 148.
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
3.2.7. Die städtische Festkultur des 3. Jahrhunderts nach Christus Die Zeugnisse für die hochkaiserzeitliche Herrscherverehrung in Thessaloniki, also für den Komplex aus Fulvuskult, Neokorien und Agonen, zeichnen sich durch große Lückenhaftigkeit aus. In allen der genannten Bereiche sind uns nur bruchstückhafte Ausschnitte überliefert, die zudem meist nur einen kleinen Zeitraum abdecken. Empfindliche Kenntnislücken bestehen dabei insbesondere zur Institution des makedonischen Koinon: Hier ist weder der Zeitpunkt seiner Einrichtung noch die Anzahl seiner Mitgliedsstädte bekannt; auch ist unklar, wann Beroia zu seinem Sitz wurde. Die personelle Organisation des Koinon und die Aufgabenbereiche der Makedoniarchen sind in weiten Teilen ungeklärt.400 Ebensowenig kann mangels weiterer Quellen die Frage nach einer eventuellen organisatorischen Zugehörigkeit der aus den Neokorietiteln zu erschließenden Neokorietempel von Thessaloniki zum Koinon beantwortet werden. Auch wichtige Punkte zu den Neokorien Thessalonikis bleiben in den Quellen unklar. Dies trifft beispielsweise bei den drei unter Traianus Decius vergebenen Neokorietiteln zu, deren Zuordnung zu Ehrungen bestimmter Kaiser oder zu bestimmten Spielen Fragen aufwirft: Zunächst wäre naheliegend, die drei Neokorien dem Traianus Decius und seinen beiden Söhnen zuzuordnen. Hierzu im Widerspruch steht jedoch, daß nach deren Tod 251 nur zwei dieser drei Neokorien wieder entzogen wurden, eine anzunehmende memoria damnata aber eigentlich alle drei Neokorien betroffen haben müßte.401 Daneben besteht das damit verbundene Problem, wie diesen drei schlagartig hinzugekommenen Neokorien in den Krisenzeiten des 3. Jahrhunderts mit Tempelneubauten entsprochen worden sein könnte. Möglich ist hier vielleicht eine Zuordnung zu bereits bestehenden Tempeln.402 Einen außergewöhnlichen Fall bilden die Neokorieprägungen Beroias. Sie stellen ein reichsweit einmaliges Phänomen dar, da sie den Neokorostitel nicht wie die Prägungen aller anderen Neokoriestädte mit dem jeweiligen Ethnikon im Genitiv, sondern schlicht mit dem Begriff koino1n beziehungsweise koino2n Makedo1nvn verbinden.403 Eine Erklärung hierfür sah B. Burrell darin, Beroia und das Koinon seien „so strongly identified with one another that they could share both the title ‚neokoros‘ and the coinage
400 Zum makedonischen Koinon grundlegend KANATSOYLHS 1956 sowie DEININGER 1965, 91–96. Zu den Defiziten im Wissen um das Koinon vgl. NIGDELIS 1995, 170f sowie passim. 401 Denkbar wäre allerdings, daß ein Entzug aller drei durch Traianus Decius verliehenen Neokorien als allzu harte Maßnahme verworfen wurde, die verbliebene Neokorie müßte dann aber wohl umgewidmet worden sein. 402 BURRELL 2004, 202. 403 BURRELL 2004, 191 sowie 191–197 passim mit Belegen.
3.2. Ehrungen für Römer
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on which it appears.“404 Doch selbst wenn diese von Burrell beschriebene Gleichsetzung teilweise zugetroffen haben mag, ist es schwer nachzuvollziehen, wieso die Beroier ohne erkennbaren gewichtigen Grund darauf verzichtet haben sollten, ihr Ethnikon mit dem ehrenvollen Titel der neokoros verbunden zumindest in einigen der unterschiedlichen Prägeserien in Umlauf zu bringen. Zudem bleibt der Umstand unerklärt, wieso hier eine Praxis geübt wird, welche in den Prägungen der Koina Kleinasiens völlig unbekannt ist. Die in den Münzlegenden überlieferte Formulierung steht in auffälligem Widerspruch zu einem Konkurrenzstreben, welches den beiden Städten Thessaloniki und Beroia regelmäßig auf Grundlage der oben wiedergegebenen Ehreninschrift aus Beroia unterstellt wurde.405 Doch eine solche Rivalität kann – zumindest für den in der Inschrift genannten Neokorietitel – allenfalls für sehr kurze Zeit bestanden haben,406 denn anders ist kaum zu erklären, daß zwischen der Neokorieerteilung an Beroia und derjenigen an Thessaloniki schließlich rund 140 Jahre vergehen sollten: Personen mit großem Einfluß in Rom waren in Thessaloniki wohl zu allen Zeiten ansässig, somit kann das lange Ausbleiben des Titels kaum etwas anderes bedeuten, als daß die Stadt keine allzu großen Energien in dessen Erlangung investiert hat. Das eben Gesagte erlaubt die Hypothese, daß die unter Nerva erworbene und lange Zeit in Makedonien singuläre Neokorie Beroias zwar der Stadt verliehen worden war, aufgrund einer wie auch immer gearteten Regelung zwischen den Mitgliedsstädten aber als eine durch das Koinon getragene Neokorie behandelt wurde. Dies könnte auf Initiative einer kurz zuvor mit einem ebensolchen Antrag auf Titelgewährung gescheiterten 407 Mitglieds404
BURRELL 2004, 191. Vgl. ebd. aber auch: „... the title ‚neokoros‘, which properly described the city of Beroia, was extended, at least on the coins, to include all the Macedonians of the koinon.“ 405 IBeroia 117 Z. 5–8: ... y3pe2r toy9 mo1/nhn ay3th2n e5xein th2n nevkori1an tv9n Se/bastv9n kai2 to2 th9w mhtropo1levw a3ji1v/ma kai2 e3pityxo1nta... . Zur Inschrift vgl. hier Anm. 367. Das Konkurrenzverhältnis zwischen Beroia und Thessaloniki wird in aller Regel mit Verweis auf TOURATSOGLOU 1988, 18 mit Anm. 84, der Bezug auf diese Inschrift nimmt, angeführt. Der hier zu erschließende Rivale Beroias ist in der Inschrift nicht genannt, wird aber meist – und sicher zu Recht – in der Stadt Thessaloniki vermutet. 406 Anders TOURATSOGLOU 1988, 17f.: „ ... den Ehrentitel einer Metropolis, um den sie [Thessaloniki] sich immer bemüht hatte ...“ (mit Verweis auf die vorgenannte Inschrift IBeroia 117). 407 Ein gescheitertes Ansinnen einer anderen Stadt (Thessaloniki?) scheint der Formulierung von IBeroia 117 zugrunde liegen, die sicher kurz nach der Titelverleihung an Beroia abgefaßt wurde. Möglicherweise hat zu dieser Zeit die hier erschlossene Übertragung des Neokorietitels an das Koinon noch nicht bestanden, doch läßt sich die Formulierung der Inschrift selbst parallel zu dieser ohne weiteres in einem ‚Lokalpatriotismus‘ erklären, der auf offizielle Sprachregelungen des Koinon keine Rücksicht nahm. Auftraggeber der Ehreninschift war eine der städtischen Phylen Beroias.
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
stadt erfolgt sein und würde zum einen die in den Münzprägungen Beroias vertretene Zuweisung der Neokorie an das Koinon begründen, die auffälligerweise erst dann gelegentlich um Beroie1v(n) ergänzt wurde, als Thessaloniki unter Gordianus III. schließlich seine erste eigene Neokorie verliehen worden war.408 Zum anderen würde dies erklären, daß Thessaloniki eben deshalb so lange Zeit kein Streben nach der Verleihung eines eigenen Neokorietitels erkennen ließ, weil es über seine Mitgliedschaft im Koinon an der ursprünglich Beroia verliehenen Neokorie – die nun zu einer des Koinon geworden war – teilhatte. Die näheren Umstände der postulierten Übertragung der Neokorie Beroias an das Koinon sind aus den Quellen nicht zu erschließen. Insbesondere ist deren Datum unbekannt, das zwischen der Verleihung unter Nerva (96–98 n. Chr.) und dem ersten datierbaren Münzbeleg aus dem Jahre 217 n. Chr. gelegen haben muß. Allein das offenkundig unterbliebene Streben Thessalonikis nach einem eigenen Neokorietitel kann vermuten lassen, daß die Übertragung der Neokorie an das Koinon nicht allzulange nach deren Verleihung an Beroia erfolgt ist. Träfe dies zu, dann hätte Thessaloniki bereits seit dem frühen 2. Jahrhundert am provinzialen Kaiserkult in Beroia teilgehabt. Es ist völlig unsicher, ob dies in irgendeiner Form an Einbringungs- oder gar Exklusivitätsklauseln geknüpft war409 und welche Auswirkungen solche Abmachungen auf den in Thessaloniki ausgeübten Kaiserkult hatten. Eine Homonoia-Vereinbarung, wie sie gerade in Kleinasien häufiges Mittel zur Beilegung von Rivalitäten zwischen den Städten war,410 könnte solche Regelungen beinhaltet haben. War der Preis für den Anteil Thessalonikis an der Neokorie Beroias eine Monopolisierung des Kaiserkultes an diesem Ort? Betraf dies auch den städtischen Kaiserkult Thessalonikis? Wir wissen es nicht. Eine aus der gemeinsamen Neokorie zu erschließende verstärkte Teilnahme an Kaiserkultfeiern am Koinonssitz in Beroia könnte aber durchaus zur Verlagerung kultischer Funktionen aus Thessaloniki heraus nach Beroia geführt haben. Dies wiederum könnte eine Erklärung für den auffallenden Mangel an Zeugnissen für den städtischen Kaiserkult sein, der das gesamte zweite Jahrhundert hindurch in Thessaloniki zu beobachten ist. Um so plötzlicher setzen die Zeugnisse etwa am Beginn des 3. Jahrhunderts nach Christus – verstärkt dann etwa ab der Jahrhundertmitte – wieder 408
BURRELL 2004, 195 (Typ 9). In einem ähnlichen Fall der von ihm vermuteten Übernahme des Kabeiroskultes durch das Koinon, welches er anhand von Homonoia-Prägungen des Jahres 231 n. Chr. erschloß, vertrat NIGDELIS 1996b, 139–141 die Ansicht, Beroia habe als Dank für die Unterstützung, die Thessaloniki bei der Wiedererlangung der nach dem Tode des Elagabalus verlorenen Neokorie Beroias geleistet habe, die Übernahme des Kabeiroskultes aus Thessaloniki als Provinzialkult akzeptiert. 410 PRICE 1984, 126. 409
3.2. Ehrungen für Römer
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ein. Städtische archiereis sind erst im 3. Jahrhundert nach Christus wieder sicher belegt.411 Keines der Zeugnisse bezieht sich jedoch direkt auf die Amtsausübung dieser Priester, vielmehr erscheinen deren Titel durchweg als Ämternennung in repräsentativen Ehreninschriften. Das konzentrierte, nahezu schlagartige Auftreten dieser Texte fällt kaum zufällig in eine Zeit, in der auch die von Epheben ausgeübte Fulvuspriesterschaft in den inschriftlichen Zeugnissen erscheint und in diesen als ein mit exklusivsten gesellschaftlichen Kreisen und somit mit höchstem Ansehen verbundenes Amt betont wird. Bei dem komplexen und vielgestaltigen, stark auf Repräsentation ausgerichteten System aus Fulvuskult (und der Ehrung seiner Priester), Neokorien und Spielen dürfte es sich damit um das Ergebnis einer tiefgreifenden Umgestaltung und Neufassung handeln, die den städtischen – und entsprechend wohl auch den provinzialen – Kaiserkult im 3. Jahrhundert nach Christus betroffen hat. Die eigenen Neokorietitel, über die Thessaloniki ab dem Jahre 244 n. Chr. verfügte, haben die Entwicklung und Ausgestaltung dieses Systems fraglos weiter gefördert. Die genauen Gründe für das plötzliche Aufblühen des Kaiserkultes in der Stadt sind unbekannt, zumal über Organisation und Mechanismen des makedonischen Koinon und eventuelle dortige Änderungen weitgehende Unkenntnis besteht. Offenkundig ist allerdings, daß im dritten Jahrhundert ein besonderes Bedürfnis städtischer Eliten bestanden hat, sich der Instrumentarien der Selbstdarstellung zu bedienen, die im Umkreis des Kaiserkultes in reichem Maße vorhanden waren. Die Aufteilung des Reiches in tetrarchische Verwaltungsbezirke läßt uns das Ende des Koinon und seiner Kultausübung erschließen. Über ein Fortleben der blühenden städtischen Festkultur des dritten Jahrhunderts geben die späteren Zeugnisse keinerlei Auskünfte. Zu Beginn des vierten Jahrhunderts gelangt mit der kaiserlichen Residenz jedoch ein neues Sinnsystem kaiserlicher Agone in die Stadt: Ist die Lage seines Palastes zunächst am alten Theaterstadion der Stadt orientiert, macht sich der nun in der Stadt anwesende Kaiser mit dem neuerbauten Hippodrom des vierten Jahrhunderts die ihm zugeordneten Spielstätten als untrennbaren Bestandteil des kaiserlichen Zeremoniells und der Herrscherverehrung zueigen.
411
Wahrscheinlich städtische archiereis nennen: IGThess 153 (219/220 n. Chr.). 163 (248/249 n. Chr.). 174 (vor der Mitte des 3. Jhs. n. Chr.). 176 (etwa Mitte des 3. Jhs. n. Chr.). 177 (um 250 n. Chr.). 178 (240/241 oder später). 180 (nach der Mitte des 3. Jhs. n. Chr.). 183–185 (alle um die Mitte des 3. Jhs. n. Chr.). 200 (261/262 n. Chr.). 201–202 (beide vor der Mitte des 3. Jhs. n. Chr.). – Früher, wenngleich nur ungenau ins 2./3. Jh. datiert, ist allein IGThess *171 (Herkunft aus Thessaloniki nicht gesichert).
Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
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3.3. Religiöse Aktivitäten von Gruppen und Vereinigungen 3.3. Religiöse Aktivitäten von Gruppen und Vereinigungen
Als Vereinigungen werden hier sämtliche Zusammenschlüsse von Personen betrachtet, die als Gruppe in Erscheinung treten, unabhängig davon, ob ihrer Verbindung die Organisationsform eines Vereins zugrunde liegt oder ob es sich um auf anderer Grundlage formierte Gemeinschaften handelt. Quellen für die Existenz und das Wirken von Vereinen und Gruppierungen, deren bekannte Anzahl etwa im zweistelligen Bereich liegt, stellen in Thessaloniki ausschließlich Inschriften dar. Sie alle stammen aus der Kaiserzeit, Belege für Vereine aus hellenistischer Zeit sind für Thessaloniki bislang nicht bekanntgeworden. Im folgenden soll eine Anzahl von Gruppen besprochen werden, für die aussagekräftige Quellen vorliegen und die gleichzeitig religiöse Aktivität, gleich welcher Form und Intensität, erkennen lassen. 3.3.1. Zusammenschluß der ne1oi Die älteste der zu besprechenden Inschriften, IGThess 4, ist in das Jahr 95 v. Chr. datiert.412 Es handelt sich um eine Marmorstele mit dem Ehrenbeschluß sechs namentlich genannter ne1oi zugunsten eines jährlich gewählten Gymnasiarchen, eines gewissen Paramonos, Sohn des Antigonos, der mit dieser Inschrift, einem Kranz sowie einem gemalten und einem bronzenen Bildnis für seine Amtsführung geehrt wurde. Zu den an prominenter Stelle aufgelisteten Verdiensten des Paramonos gehört, die h3uisme1nai teimai1, also ‚die üblichen‘ Ehren für die Götter und die Römischen Wohltäter
412
IGThess 4 mit Taf. 2. Die ersten drei Silben hoi ne-oi sind um einen im Relief dargestellten Lorbeerkranz gruppiert: Oi4 ne1oi / 3Auhnago1raw 3Apollodv1roy, Py1rrow Kleitoma1xo[y], / Neiko1stratow N[e]ikoma1xoy, Dioge1nhw 3Epige1noy, / Stra1tvn Je1nvnow, N[e]ikh1ratow 3Androkle1oyw / ei5pan= / e3pei2 Para1monow A 3 ntigo1noy ai4reuei2w gymnasi1ar[xow] / ei3w to2 tri1ton kai2 pentikosto2n e5tow pollh2n p[rosh]/ne1gkato prouymi1an [e]i3w to2 prostath9sai th9w a3rxh9w ey3[sxh]/mo1nvw, e5n te toi9w xorhgoyme1noiw a7pasin e3ktenh9 p[ara]/skeya1zvn e3ayto2n kai2 ta2w h3uisme1naw teima9w G------ / toi9w te Ueoi9w kai2 4Rvmai1oiw ey3erge1taiw e3pay1jvn= p[rono]/oy1menow de2 kai2 th9w e3n tv9i to1pvi k[ai2 ka]/uo1loy stoxazo1[m]enow e3m pa9si toy9 pre1pontow oy3 t[h2n da]/pnhn th2n prosh1koysan parale1loipen, a3lla2 t[o2n] / xro1non th9w a3rxh9w [Buchstabenreste, ca. 16 Zeichen] tiuei2w to2 a5le[imma di]/ateleken= di1kaion de1 e3stin toy2w filodo1jö proa[ire1]/sei xrvme1noyw tv9n kauhkoysv9n tomv9n tynxa1ne[in}, / i7na kai2 e7teroi, uevroy9ntew ta2w ginome1naw tima2w / y4po2 tv9n ne1vn, tv9n o4moi1vn zhlvtai2 gi1nvntai= / e5dojen toi9w a3po2 toy9 gymnasi1oy e3pai1nesai t[e] / to2n Para1monon e3pi2 th9i proaire1sei kai2 stefanv9s[ai] / ualloy9 stefa1nvi kai2 ei3ko1ni xalkü9 kai2 grapth9i t[e]/lei1ai, to2 de2 ch1fisma a3nagrafe2n ei3sth1lhn [sic] liui1nh[n] / teuh9nai profane2w e3n tv9i gynasi1vi, xorhghue1[n]/tow y4po2 tv9n tamiv9n kata2 to2 paro2n toy9 te ei3w th2[n] / grapth2n ei3ko1na kai2 sth1lhn a3nalv1matow. / e3pexeirotonh1uh e5toyw g' kai n', / [ 4Yp]erbertai1oy deka1thi [[E]] a3pio1ntow. – Eine englische Übersetzung des Textes bei HENDRIX 1984, 101–102.
3.3. Religiöse Aktivitäten von Gruppen und Vereinigungen
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erhöht zu haben.413 Die fehlende Nennung anderer Gottheiten läßt annehmen, daß die ueoi2 kai2 4Rvmai9oi ey3erge1tai eine Funktion als ‚Patrone‘ des Gymnasiums einnahmen, und daß deren Ehrung somit zu den regulären Aufgaben des Gymnasiarchen zählte. Interessanterweise ist eine ähnliche Konstellation bereits in einer älteren, heute verschollenen Architravinschrift (IGThess 135, um 105 v. Chr.?) überliefert:414 In der knapp formulierten415 Ehrung des Quaestors Gnaeus Servilius Caepio treten neben der Polis auch zwei Gymnasiarchen sowie ein Ephebarch auf, die somit zweifellos die Mitverantwortung für die Erbringung der Ehrung hatten. Der Grund für die Ehrung des Cn. Servilius Caepio bleibt ungenannt, doch ist anzunehmen, daß er sich in irgendeiner Weise für das Wohl der Stadt und ihrer Bürger verdient gemacht hatte, also ebenfalls zum euergetes geworden war.416 Die beiden Inschriften und die in ihnen zu erkennenden Ehrungen von Wohltätern sind deutliche Hinweise auf die im Thessaloniki des 2. und 1. Jahrhunderts vor Christus zunehmende Bedeutung römischer Patronate: Rund zehn Jahre nach der Ehrung des Servilius Caepio erscheinen diese Wohltäter in der Inschrift der ne1oi schon als signifikante Gruppe der Rhomaioi euergetai zusammengefaßt. Indem beide Inschriften neben dem städtischen Magistrat mit dem Gymnasium verbundene Amtsinhaber einbeziehen, scheint das Gymnasium am Beginn des 1. Jahrhunderts vor Christus zur festen Institution für die Ehrung von Römern geworden zu sein. Daß die Initiative zur Ehrung einzelner Römer als ‚Wohltäter‘ hierbei ausschließlich auf die im Gymnasium anzutreffende Jugend zurückging, scheint eher fraglich. Wahrscheinlicher ist wohl, daß die politisch Maßgeblichen gerade die Einbeziehung der städtischen Jugend als ein Mittel begriffen, den Ehrungen – etwa mit der Austragung von Wettspielen – einen besonders öffentlichkeitswirksamen, repräsentativen Hintergrund zu verleihen. Das spätere Entwicklungspotential dieser Ehrungen unter den veränderten Vorzeichen der Kaiserzeit ist in den Kulten für Antinoos und Fulvus zu erkennen, in 413
Die Stelle ist nicht vollständig lesbar: ... ta2w h3uisme1naw teima2w G------ toi9w te Ueoi9w kai2 4Rvmai1oiw ey3erge1taiw e3pay1jvn ... . HENDRIX 1984, 269–270 dachte bei der ‚Erhöhung der gewöhnlichen Ehren‘ u.a. an die Einbeziehung weiterer, zuvor unbedachter Wohltäter, an die Finanzierung zusätzlicher Spiele zu Ehren der Patronatsgötter und/oder der Wohltäter oder an die Errichtung von Ehrenmonumenten. 414 4H po1liw Gnai9on Seroyi1lion / Gnai1oy yi4o2n Kaipi1vna / tami1an 4Rvmai1vn / gymnasiarxoy1ntvn Dvsiue1oy toy9 Poseidvni1oy, A 3 ristofi1loy toy9 ---, / e3fhbarxoy1ntow Filia1rxoy toy9 Dionys---. Die Datierung ergibt sich aus der Gleichsetzung des Geehrten mit dem Konsul des Jahres 141, der 104 v. Chr. bei einem Schiffbruch ums Leben kam, doch ist auch eine Identifizierung mit dessen Sohn möglich: RE II A,2 (1923) 1782 s.v. Servius (Caepio) Nr. 47 [Münzer]; vgl. BROUGHTON Bd. 1, 556. 415 Als Architravinschrift bezog der Text seinen Sinn sicherlich vor allem aus seinem ursprünglichen architektonischen Zusammenhang, hierzu auch HENDRIX 1984, 268. 416 Zu den möglichen Gründen vgl. HENDRIX 1984, 266; 280.
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
denen der aristokratische Nachwuchs Ergebenheit zum Kaiserhaus demonstrieren, sich gleichzeitig aber auf die Übernahme hoher städtischer Ämter vorbereiten konnte. Hierbei tritt er folgerichtig nicht mehr als Gruppe der ne1oi in Erscheinung, sondern nun als in ihrer Individualität und ihrer familiären Abstammung betonte, durch aufwendige Ehrungen herausgehobene Amtsträger. 3.3.2. Die synpragmateyo1menoi R 4 vmai9oi Ein Zusammenschluß der ‚handeltreibenden Römer‘, der synpragmateyo1menoi417 4Rvmai9oi, ist aus Thessaloniki durch drei Inschriften der augusteischen (?)418 Zeit bekannt. IGThess 32 und 33 sind so stark fragmentiert, daß unklar bleibt, ob es sich um Weihungen (dann vermutlich im Kaiserkult) oder um Ehreninschriften handelte.419 Als Neufund von der Agora ist vor einigen Jahren eine besser erhaltene Statuenbasis bekannt geworden, deren Text mit großer Sicherheit ergänzt werden kann. Hier handelt es sich um eine Ehreninschrift zugunsten eines Trägers der tria nomina, möglicherweise eines italischen Einwanderers.420 417 Inschriftlich belegt ist in Thessaloniki durch IGThess 33 allein die Schreibung synpragma[teyo1menoi]. Die Wiedergabe sym- im IG-Band beruht, wie eine Autopsie des Steins zeigte, auf falscher Lesung, diente dem Herausgeber Ch. Edson aber zur Ergänzung des verlorenen Textes von IG 32 (h4 po1liw k[ai2 oi4 sympragmateyo1menoi] 4Rvmai9o]i) sowie G. Velenis zur Ergänzung der neuaufgefundenen Inschrift von der Agora ([ 4H po1liw kai oi4 sympr]agmateyo1me[noi R 4 vmai9]oi). 418 Der Herausgeber Ch. Edson hatte die Inschriften IGThess 32 und 33 vor das Ende des 1. Jhs. n. Chr. datiert, wohingegen PAPAZOGLOU 1979, 328 wohl aufgrund der Nennung des Priesters und Agonotheten des Augustus in IGThess 32, eine frühaugusteische Datierung annehmen wollte. NIGDELHS 1995, 48 Anm. 5 wies – mit Verweis auf IGThess 133 – allerdings darauf hin, daß die Priesterschaft auch nach dem Tode des Augustus bestanden hat. Für die Inschrift von der Agora nimmt BELENHS 1996b ein Datum zwischen Annahme des Augustustitels und dem Tod, also zwischen 27 v. Chr. und 14 n. Chr., an. 419 IGThess 32 (vier Fragmente einer Platte): 4H po1liw k[ai2 oi4 synpragmateyo1menoi] / 4Rvmai9o[i, e3pi2 i4ere1vw kai2 a3gvnoue1]/toy Ay3t[okra1torow Kai1sarow Ue]/oy9 yi4oy9 [Ueoy9 Sebastoy9] GaQ1oy 3Ioyli1oy [---- (ca. 8 Zeichen) ----, i4ere1]vw Dio2w / 3Eleyue[ri1oy kai2 4Rv1mhw Z]vQ1loy, / fy1sei d[e2 ---- (ca. 8 Zeichen) ----, uev9]n 3Anti/do1to[y toy9 ---- (ca. 8–9 Zeichen) ----]w, R 4 v1mhw / kai2 R 4 v[mai1vn ?Dionys]odv1roy / toy9 I3 l[a1roy?, politarx]oy1ntvn / 3Epik[th1toy toy9 ---- (ca. 4–5 Zeichen) ----]dow, Sv- / --- (der Text setzte sich auf mindestens einer weiteren, verlorenen Platte fort). – IGThess 33: [---------- kai2 oi4] synpragmateyo1menoi] / [ 4R]vmai1oi ---------- / [----- Kai1s]ari [e]y3erge1[tü ----] (Ergänzungen nach IGThess). Da ein Adressat einzig in IGThess 33 ergänzt werden kann, hängt die Einordnung beider Inschriften unter Dedicationes, soweit ich sehe, allein von der möglichen Dativendung [kai1s]ari ab, selbst die drei erhaltenen Buchstaben sind aber schwer lesbar und vom Herausgeber mit Punkten versehen. Nach dem Neufund von der Agora ist wohl mit ebenso hoher Wahrscheinlichkeit von Ehreninschriften auszugehen. 420 SEG 46, 1996, 812 = BELENHS 1996b, 9–10: [ H 4 po1liw kai2 oi4 synpr]agmateyo1me/[noi 4Rvmai9]oi Ma9rkon Pa1pion Ma1r/[koy yi4]o2n Ma1jimon e3pi2 i4ere1vw / [k]ai2 a3gvnoue1toy Kai1sarow Ueoy9 / yi4oy9 Sebastoy9 Nikola1oy toy9 Dh/mhtri1oy toy9 kai1 Klitoma1xoy.
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Zusammenschlüsse römischer Händler (synpragmateyo1menoi / negotiatores) sind aus der Zeit der späten Republik und der frühen Kaiserzeit auch aus anderen griechischen Städten überliefert.421 Ihre Tätigkeiten umfaßten hierbei ein breites Spektrum, das nicht nur Handel, sondern auch Bankgeschäfte beinhalten konnte.422 In Thessaloniki – wie auch in anderen Städten, auch Makedoniens423 – lassen die Inschriften erkennen, daß ihr Verband zusammen mit städtischen Organen Beschlüsse über öffentliche Ehrungen – und wohl auch Weihungen – fassen konnte. In mindestens zwei, möglicherweise allen drei Inschriften ist zudem der Kaiserkult durch die Datierung präsent: IGThess 32 sowie der Neufund von der Agora nennen in ähnlicher Weise einen i4erey2w kai2 a3gvnoue1thw (Ay3tokra1tvrow) Kai1sarow Ueoy9 yi4oy9 Ueoy9 Sebastoy9; IGThess 32 darüber hinaus noch einen i4erey2w Dio2w 3Eleyueri1oy kai1 4Rv1mhw, einen i4erey2w tv9n uev9n sowie möglicherweise 4Rv1mhw kai2 4Rv[mai1vn ey3erge1tvn].424 Die umfangreiche Aufzählung von Priesterämtern in IGThess 33 geht weit über die Erfordernisse einer Datierung des Dokuments hinaus, somit ist anzunehmen, daß auch der Anlaß der Textabfassung in einem Zusammenhang mit den Ehrungen des Kaiserhauses stand. Auch in der neuen Ehreninschrift von der Agora läßt die Nennung des umfangreichen Priestertitels – etwa anstelle der sonst üblichen Politarchen – einen Zusammenhang der Ehrung des Marcus Papius Maximus mit dem weiteren Rahmen des Kaiserkultes vermuten. Auf alle Fälle wird offensichtlich, daß die synpragmateyo1menoi 4Rvmai9oi durch die gemeinsame Nennung mit der polis nicht nur politische Mitsprache demonstrieren, sondern den – mutmaßlich von ihnen initiierten – Beschlüssen durch die Verbindung mit Kultämtern des Kaiserkultes auch einen hochoffiziellen Charakter verleihen wollten. Hinzu tritt möglicherweise eine Einbindung dieser Ehrungen in den Rahmen der Feierlichkeiten im Kaiserkult. Die von der Gruppe der ‚handeltreibenden Römer‘ angestrebte Öffentlichkeit macht daneben der Fundort der neuentdeckten Inschrift, die Agora, deutlich.425
421
RIZAKHS 1996 mit Literatur. Grundlegend hierzu J. Hatzfeld, Les trafiquants italiens dans L’orient hellénique (Paris 1919) 55–56. 148. 423 Eine Zusammenstellung der aus Makedonien bekannten Inschriften bei PAPAZOGLOU 1979, 356–357 Anm. 239–244. 424 Diese Ergänzung nach HENDRIX 1984, 385. Unter anderem in einer zeichnerischen Vervollständigung der vier Fragmente (a.a.O. 385 mit Abb. II.3) zeigt Hendrix Unzulänglichkeiten der Edson’schen Textergänzungen von IGThess 32 auf; zur Kritik an einem Teil der Ergänzungen durch Hendrix vgl. wiederum NIGDELHS 1995, 49 Anm. 5. 425 Die vier Fragmente von IGThess 32 hatte Ch. Edson 1938 in der nach dem Stadtbrand von 1917 noch nicht wieder aufgebauten Ruine der Basilika des Hl. Demetrios gesehen; vgl. EDSON 1940, 129. Der damalige Aufbewahrungsort erlaubt den Schluß, daß auch sie ursprünglich von der nahegelegenen Agora stammen. 422
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
In Thessaloniki treten die synpragmateuomenoi somit als eine Gruppe in Erscheinung, die sich ihrer griechischen Umwelt gegenüber ausdrücklich als Rhomaioi kennzeichnet und gleichzeitig am politischen Leben der Stadt selbstbewußt Anteil hat. Obwohl es sich zweifellos um einen Verband mit vorrangig merkantilen und politischen Interessen handelt, bietet gerade Religion eine Möglichkeit, seine Aktivitäten in der Öffentlichkeit darzustellen. Mit seiner ausdrücklichen Selbstbezeichnung als ‚Römer‘ nimmt der Zusammenschluß der römischen Händler im Quellenmaterial aus Thessaloniki eine Sonderstellung ein. Um so bemerkenswerter ist, daß auch die Kulte, welche im Zusammenhang mit den Ehrungen der synpragmateuomenoi Rhomaioi genannt werden, jene sind, durch die ‚Rom‘ in Thessaloniki eine wahrnehmbare Präsenz besitzt. Religion wird hier also zur Positionierung der synpragmateuomenoi als eine in ethnischer, aber auch gesellschaftlicher Hinsicht von der übrigen Stadtbevölkerung abgehobene Gruppe eingesetzt und nimmt hierbei eine grundlegend andere Form an, als sie – etwa zeitgleich – in der eher ‚integrativen‘ Funktion der Kulte der ägyptischen Götter sichtbar wird: Engagieren sich dort römische Neubürger der ersten Einwanderergeneration als Privatpersonen und setzen sich dabei in einen betonten Einklang mit ihrer griechischen Umwelt, so handeln die synpragmateuomenoi zwar ebenfalls im Interesse einer Mitwirkung am Stadtgeschehen, doch tun sie dies als eine Gruppierung, die sich zwar bemerkenswerterweise in griechischer Sprache äußert, sich aber durch ihre gewählte Selbstdefinition gleichzeitig erkennbar – und für ihre griechische Umwelt lesbar – abgrenzt. 3.3.3. Dionysische Thiasoi Dionysos scheint in Thessaloniki seit früher Zeit, vermutlich bereits seit Stadtgründung, verehrt worden zu sein. Auch wenn der Kult hier – vor allem in der Diskussion um den archaischen ‚Tempel von Therme‘ sowie mit Verweis auf die thrako-makedonische Herkunft des Gottes – häufig als 426 ‚uralt‘ bezeichnet wurde, dürfte der am weitesten in die Vergangenheit reichende Beleg eine Ehreninschrift (IGThess 185) mit der Nennung der fy1lh Dionysia1w sein: Zwar ist dieser Textbeleg erst kaiserzeitlich, doch läßt die Nennung einer fy1lh 3Antigoni1w in der gleichzeitig entstandenen 426
Die in der Forschung meist abgelehnte Verbindung des Namens Ue1rmh mit warmen Quellen wie auch mit dem heutigen, seit 1928 so benannten Ort (dem vormaligen Se1dew) erhielt jüngst Stützung durch die im wenig davon entfernten, bisher für frühestens türkenzeitlich gehaltenen Badeort Loytra1 Se1dew aufgefundene augusteische Stiftungsinschrift eines Bades: NIGDELHS 1995, 51; 61–63 (Appendix). Die Erklärung des Ortsnamens Ue1rmh aus der ‚Wärme‘ enthusiastischer Kultausübung zu Ehren des Dionysos, die gleichzeitig das hohe Alter und die Stellung der Dionysosverehrung in der ‚Vorgängersiedlung‘ belegen würde (MPAKALAKHS 1953 – MPAKALAKHS 1983, bes. 35–39), wird dadurch zur bloßen forschungsgeschichtlichen Anekdote.
3.3. Religiöse Aktivitäten von Gruppen und Vereinigungen
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und ansonsten textidentischen Inschrift IGThess 184 annehmen, daß es sich in beiden Fällen um Phylennamen der hellenistischen Zeit handelt.427 Es ist hierbei nicht ausgeschlossen, daß der Phylenname Dionysia1w auf einen Dionysoskult zurückgeht, der bereits in einer der in den Synoikismos einbezogenen Vorgängersiedlungen bestand. 428 Die Stellung des Dionysoskultes als städtischer Kult ist durch mehrere Münzemissionen Thessalonikis aus der Zeit der letzten makedonischen Könige (187–168 v. Chr.)429 mit dem Haupt des jugendlichen Dionysos sowie durch inschriftliche Ehrungen der polis belegt,430 wobei entsprechende Zeugnisse nach der Zeitenwende auffälligerweise fehlen: Zumindest in der Münzprägung kann dieser Ausfall kaum durch Zufälle der Überlieferung bedingt sein. Der Befund zum städtischen Dionysoskult Thessalonikis bleibt somit zwiespältig: Während ein anhand des noch kaiserzeitlich belegten Phylennamens Dionysias zu vermutender Phylenkult offiziell-städtischen Charakter besessen haben müßte, erweckt der Befund der Münzprägung hingegen den Anschein, als habe der Dionysoskult seine Stellung als städtischer Kult irgendwann in nachhellenistischer Zeit verloren. Eine Verehrungsstätte des Dionysos konnte in Thessaloniki archäologisch bisher nicht nachgewiesen werden. Neben der Lokalisierung am ‚Tempel von Therme‘ hatte die Auffindung dreier dionysischer Inschriften im Umfeld der Acheiropoietos-Basilika zeitweise zur Vermutung eines Kultes auch an dieser Stelle geführt.431 Andererseits stammen vier Inschriften – zwei Belege für eine Mystengemeinschaft des Zeus Dionysos Gongylos,432 eine private Weihung eines weinlaubverzierten Ohrenreliefs433 sowie ein Orthostat einer Statuenbasis(?) mit der Weihung der polis434 – von 427 Vgl. EDSON 1948, 160 Anm. 4, der dies auch auf den Phylennamen Asklhpia1w (IGThess 183, ansonsten gleichlautend wie IGThess 184 und 185) ausweitet. Möglicherweise hellenistisch ist auch der von Steph. Byz. s.v. Boykefa1leia für Thessaloniki genannten Demosnamen der Boykefali9tai (nach dem Pferd Alexanders des Großen?), Steph Byz. nennt s.v. außerdem einen dh9mow Kekropi1w. – Daneben hat es aber mit der fy1lh GnaQa1w (IGThess *278, 2./3. Jh. n. Chr.) auch eindeutig jüngere Phylennamen gegeben; bei der Inschrift ist die Herkunft aus Thessaloniki allerdings nicht gesichert. TOURATSOGLOU 1988, 6 Anm. 9 möchte den Phylennamen mit dem Aufenthalt des Gnaeus Pompeius in der Stadt verbinden; VOM BROCKE 160–161 hält einen Zusammenhang mit dem Prokonsul Gnaeus Egnatius für wahrscheinlicher, weist aber auch auf philologische Probleme der Namensbildung hin. 428 Zu einem vergleichbaren Fall beim Synoikismos von Nikopolis HOEPFNER 1987. 429 Zur Datierung: TOURATSOGLOU 1987, 53–78, hier 55 Anm. 16. 430 IGThess 5 (60 v. Chr.) und *12 (1. Jh. v. oder n. Chr.): Ehrbeschlüsse mit Verleihung der Prohedrie bei den Dionysieia; IGThess 28 (‚kurz nach 167 v. Chr.‘, vgl. hier Anm. 434): Statuenbasis(?) mit Weihung der polis an Dionysos. 431 Vgl. hierzu unten Anm. 466. 432 IGThess 259 (1. Jh. n. Chr.) sowie IGThess 244 (nach der Mitte des 2. Jhs. n. Chr.). 433 IGThess 59 (etwa 2. Jh. n. Chr.). 434 IGThess 28 (kurz nach 167 v. Chr., Neudatierung nach HORSLEY 1995, 106 Anm. 42 mit Verweis auf E. Voutiras, BCH 110, 1986, 354).
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einem gemeinsamen Ort, nämlich dem Heiligtum der ägyptischen Götter,435 ohne daß hierbei topographisch genauere Spezifizierungen innerhalb des Heiligtums möglich sind. Die kaiserzeitlichen Inschriften mit Bezug zu Dionysos bieten zahlreiche Hinweise auf seine Verehrung durch Vereine. Den ältesten, aber auch unsicheren Beleg für eine dionysische Vereinigung bildet das vor wenigen Jahren am Rande des ummauerten Stadtgebietes gefundene, leider kurz nach Auffindung verschollene Fragment einer Reliefstele – das Relief selbst ist weggebrochen – mit einer Grabinschrift etwa aus der Mitte des 2. nachchristlichen Jahrhunderts.436 Genannt sind die synh1ueiw Peritiastv9n [oi4] peri2 Ko1tyn Ei3rh1nhw, die neben den Angehörigen den Stein errichtet haben. Der Name der Peritiastai leitet sich von einem Wortstamm ab, der neben der Benennung eines makedonischen Monatsnamens (Peri1tiow) auch in der Bezeichnung eines Festes Peri1tia belegt ist, bei dem aber unklar ist, ob es mit dem Kult des Dionysos oder dem des Hermes verbunden ist.437 Auch bleibt undeutlich, in welchem Maße der Vereinszweck der synh1ueia der Peiritiasten kultische Interessen verfolgte. Franz Poland war für Vereine mit der Bezeichnung synh1ueia noch von reinen Berufsverbänden ausgegangen.438 E. Trakosopoulou-Salakidou hält an einer Unterscheidbarkeit von Berufs- und Kultvereinen im Grunde fest, möchte aber für diejenigen synh1ueiai Thessalonikis, die ohne Berufsbezeichnung genannt werden, die Möglichkeit religiöser Vereinigungen nicht ausschließen.439 Auch wenn der Inschriftentext den Stellenwert des Kultes für die Peritiastai unklar läßt, so wird doch erkennbar, daß es auch hier Religions435 IGThess 28 ist dort allerdings bereits antik als Baumaterial wiederverwendet worden: Der Stein stammt nach PELEKIDHS 1934, 25 (zu Nr. 1) aus einer Mauer, „... i5svw toy9 pi1sv toi1xoy th9w mikrh9w rvmaQkh9w stoa9w ...“. Aus „nev1teroyw toi1xoyw e3pi1shw th9w perioxh9w toy9 Sarapei1oy“ (a.a.O. zu Nr. 2) stammt auch die Statuenbasis IGThess 27. Da beide Inschriften Politarchen erwähnen, ist denkbar, daß beide Steine als Baumaterial von einem gemeinsamen Ort herbeigeschafft wurden. 436 SEG 43, 1993, 462 = TRAKOSOPOYLOY-SALAKIDOY 1993, 1569f: [O]i4 synh1ueiw Peritiastv9n / Kassi1ö A 3 sklhpia1dü / peri2 Ko1tyn Ei3rh1nhw / grammateyv1ntvn Baibi1oy / Ey3fra9 kai2 Levna9 Katti1a 3Elpi2w h4 mh1thr / kai2 Ko1intow 4Ere1nniow Sabei9now o4 path2[r] / kat' ey5noian kai2 Kassi1a 4Erenni1a h4 m[a1mmh] / mnh1mhw xa1rin. – Der Fundort ist das Grundstück Odo1w Filikh1w Etairei1aw 15 im östlichen Altstadtgebiet. Die Datierung ergibt sich aus der weiteren Nennung des Vorsitzenden Kotys, Sohn der Eirene in der auf das Jahr 154 datierten Inschrift IGThess 288. 437 Die Belege zusammengestellt bei J.N. Kalléris, Les anciens Macédoniens. Étude linguistique et historique Bd. 1 (Athen 1954) 247; Bd. 2 (Athen 1976), 553 Anm. 1; 554 Anm. 5; 563; 572 Anm. 1. – Der Name Perei1[taw] erscheint in Thessaloniki u.a. als Patronym in der Inschrift EpThess Kap. II Nr. 5, vgl. a.a.O. S. 155. 438 POLAND 1909, 51–52. Vgl. RE 2 IV (1932) 1367 s.v. synh1ueia [Poland]. 439 Sie wies aber auch auf die Fälle von ‚Händlervereinigungen‘ hin, die etwa auf Delos als Apolloniastai, Poseidoniastai oder Hermaistai bekannt sind: TRAKOSOPOYLOY-SALAKIDOY 1993, 1571.
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ausübung war, welche die Formen gemeinsamer Feiern ebenso wie der öffentlicher Selbstdarstellung vorgegeben hat. Unter den Namen der Inschrift erscheint als aus Thessaloniki bereits bekannte Person ein gewisser Ko1tyw, Sohn der Eirene. Der in Makedonien an sich häufige Name wird in zwei weiteren Grabinschriften aus Thessaloniki als a3rxisyna1gvgow einer Gruppe von synh1ueiw toy9 4Hrakle1oyw 440 genannt, wobei die personelle Übereinstimmung durch die seltene Nennung des Mutternamens als gesichert gelten kann.441 Auch hier sind, von der Mitwirkung an der Bestattung des verstorbenen Mitgliedes abgesehen, keine Hinweise auf das Wesen der Vereinigung gegeben. Interessant ist allerdings, daß der genannte Kotys (gleichzeitig?) Amtsträger in zwei ähnlich strukturierten Vereinigungen sein konnte.442 Dies könnte ein Hinweis darauf sein, daß man es bei den Vereinen ‚des Herakles‘ und der (dionysischen?) Peritiasten weniger mit Berufsverbänden, als eher mit Vereinen von vorrangig kultischem Interesse zu tun hat. Immerhin stellen sich die übrigen Vereinigung, für die in Thessaloniki Fälle von Doppelmitgliedschaften bekannt sind443 – die Gleichzeitigkeit ist hierbei nicht immer gesichert444 – deutlich als Kultvereine dar. Als eine wesentliche Funktion der beiden Vereine lassen die überlieferten Inschriften die Fürsorge bei der Bestattung445 verstorbener Mitglieder erkennen. Im Falle der Peritiasten sind die Mitglieder sogar vor den Angehörigen des Verstorbenen genannt. Das Motiv für die Mitgliedschaft wird sich für den mit der Inschrift genannten Kassios Asklepiades dennoch 440 IGThess 288 (154 n. Chr.) und 289. Die inhaltlichen Parallelen von IGThess 289 zu IGThess 288 sowie zur neuaufgefundenen Inschrift zeigen zweifelsfrei, daß auch IGThess 289 aus Thessaloniki stammt; der vom Herausgeber als Zeichen der nicht gesicherten Herkunft gesetzten Asteriskus ist somit zu streichen. 441 Zum mutmaßlich thrakischen Namen und zur Nennung mit dem Metronymion TRAKOSOPOYLOY-SALAKIDOY 1993, 1572–1573. 442 P. Nigdelis hingegen sieht die synh1ueiw tv9n Peritiastv9n und die synh1ueiw toy9 4Hrakle1oyw aus IGThess 288 und 289 als ein und denselben Verein an, der unter verschiedenen Namen erscheint: EpThess 141 Anm. 121 mit Verweisen auf M.B. Hatzopoulos, BullEp 1995, 422 sowie auf M.B. Hatzopoulos, Epigraphie et Philologie: récentes découvertes épigraphiques et glosses macédoniennes d’Hésychius, CRAI 1998, 1202f (non vidi). 443 EpThess Kap. II Nr. 5 (117/118 n. Chr., Mitgliedschaft bei den [synh1ueiw peri2] Dhma9 Perei1[ta] sowie der [synh1ueia vel synh1ueiw 3Arte1]midow 3Akrai1aw). – IGThess 506 (i4erasame1nö uia1svn Diony1soy, 209/210 n. Chr.). – IGThess 480 (Neulesung nach EpThess Kap. II Nr. 3: Grabinschrift der Asklepiastai und des bakcheion der Asianoi, 237/238 n. Chr.; vgl. hier Anm. 454) 444 Gesichert dürfte eine Gleichzeitigkeit der Mitgliedschaft dann sein, wenn die Vereine die Inschrift gemeinsam abfassen, so in IGThess 480 und EpThess Kap. II Nr. 5. 445 Daß eine der Inschriften der synh1ueiw toy9 H 4 rakle1oyw (IGThess 288; die andere, IGThess 289, ist stark fragmentiert) ausgerechnet im Monat Peri1tiow datiert ist, könnte daran denken lassen, daß das Fest der Peritia auch für den Herakles-Verein mit dem Totengedenken verbunden war. Die Inschrift wäre dann nicht unbedingt im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Bestattung, sondern vielmehr mit einer jährlichen Totenfeier zu sehen.
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nicht in der Fürsorge seiner Bestattung erschöpft haben: Hiergegen spricht, daß der Verstorbene zum einen noch Angehörige besaß, daneben aber auch noch recht jung gewesen zu sein scheint, denn seine Großmutter lebte bei seinem Tode noch. Somit kann vermutet werden, daß es eher andere – wenngleich uns unbekannte – Vereinszwecke waren, die den Verstorbenen zu einer Mitgliedschaft bei den Peritiastai bewogen haben. Mit einer hohen Wahrscheinlichkeit mit dem Dionysoskult verbunden ist der ui1asow der 3Asianoi1.446 Neben der Nennung eines thiasos, einer besonders häufig mit Dionysos verbundenen Organisationsform,447 läßt auch der Titel des synmy1sthw an eine dionysische Vereinigung denken.448 Vereinigungen von Asianoi, die – vermutlich als Händler – aus Kleinasien kamen und sich ihrer neuen Heimat zu Verbänden zusammenschlossen,449 sind auch aus anderen Orten des weiteren Balkanraumes bekannt, nämlich aus Herakleia/Perinthos, aus dem bulgarischen Kutlovica-Ferdanovo sowie aus ClujNapoca.450 Auch hier handelt es sich gesichert beziehungsweise (Napoca) mit großer Wahrscheinlichkeit um dionysische Vereine. 451 In Thessaloniki stand der Vereinigung mit dem genannten P. Aelius Alexander offensichtlich ein Dionysospriester (i4erhtey1vn) vor. Die Möglichkeit, daß es sich bei ihm um einen römischen Bürger gehandelt haben könnte, ließ Ch. Edson vermuten, die Mitglieder hätten, zumindest teilweise, einen etwas gehobenen sozialen Stand besessen.452 Der Vorsitz eines Priesters legt nahe, daß kultische Aktivitäten eine zentrale Stellung im Vereinszweck der Asianoi von Thessaloniki einnahmen. Der in Thessaloniki genannte Name des Verstorbenen, Makedv1n, ist in Kleinasien, aber häufig auch in Makedonien belegt.453 Somit besteht die Möglichkeit, daß die Mitgliedschaft im Verein der Asianoi in Thessaloniki nicht nur auf Personen asiatischer Herkunft beschränkt war, sondern – vielleicht erst einige Zeit nach Vereinsgründung – auch Einheimischen offen446 IGThess 309 (2. o. 3. Jh. n. Chr.; frühestens hadrianisch, aber vor 212?): Makedo1ni / 3 sianv9n o4 ui1/asow tö9 syn/my1stü i4eritey1on/tow P. Ai3li1oy / 3Aleja1ndroy. Vgl. EDSON A 1948 Abb S. 154/155. Zur Datierung ebd. 155; 157. 447 POLAND 1909, 24. 448 EDSON 1948, 157 sah daneben gerade auch die fehlende Nennung einer bestimmten Gottheit als starkes Indiz für einen dionysischen Verein an. Für eine dionysische Vereinigung hat sich jüngst auch wieder P. Nigdelis ausgesprochen: EpThess 101 mit Anm. 4; vgl. a.a.O. 139 Anm. 117. 449 Den Begriff als Zeichen – einer zumindest ursprünglichen – geographischen Herkunft der Vereinsmitglieder verteidigt jüngst P. Nigdelis (EpThess 138 Anm. 116) gegen die Zweifel von A.-F. Jaccottet (JACCOTTET 2003 Bd. 2 zu Nr. 53), die den Begriff als Ausdruck einer durch die Vereinigungen beanspruchten asiatischen Herkunft dionysischer Glaubensinhalte sehen möchte. 450 POLAND 1909 Index IV s.v. 3Asianoi1. 451 Besprechung der Fälle bei EDSON 1948, 155. 452 Vgl. Edson 1948, 157: „…, the social standing of some at least of the members of the thiasos was more than that of laborers or small tradesmen.“ 453 EDSON 1948, 154f.
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stand. Unsicher bleibt leider der Zusammenhang einer weiteren, fragmentierten Grabinschrift mit der Nennung eines bakcheion tv9n 3Asianv9n454 mit dem hier belegten thiasos der Asianoi.455 Auch hier ist neben einem Verein noch eine Angehörige des Verstorbenen angegeben. Gleich im Plural spricht die Grabinschrift des Isidoros, Sohn des Sabeinos, von thiasoi Dionysou.456 Wie bei den Asianoi, so ist auch hier ein Priester genannt, doch erweckt die Formulierung – die diesen eben nicht dem Dionysos, sondern ‚thiasoi des Dionysos‘ zuordnet – den Anschein, als sei das genannte Priesteramt nur in Bezug auf die Thiasoi, nicht aber selbständig denkbar: Hätte es sich um ein städtisches oder zumindest im weitesten Sinne ‚öffentliches‘ Priesteramt gehandelt, wäre dies zudem neben der Nennung der Mitgliedschaft in der boule vermutlich vorrangig genannt worden. Es dürfte sich also um Vereinigungen handeln, die ihren Kult ‚exklusiv‘ betrieben, also nur im Kreise der eigenen Mitglieder, an einem vereinseigenen Kultort und mit eigenem Priester. Unbekannt bleibt, ob die Priesterfunktion für die (offenbar ja verschiedenen) dionysischen thiasoi zeitgleich oder nacheinander bestand. Die fehlende Beteiligung der thiasoi an der Totenehrung, in der sie nur als Bestandteil der Ämterlaufbahn erscheinen, könnte vermuten lassen, daß das Amt des Isidoros bereits vor seinem Tode wieder geendet hatte. Auch der gesellschaftliche Stand der genannten Vereinigungen bleibt undeutlich: Ch. Edson hatte wegen der bescheidenen Ämternennung des Isidoros sowie aufgrund der materiellen Beschaffenheit des Denkmals – Grabaltar anstatt Sarkophag – angenommen, es habe sich beim Verstorbenen um ein „minor member of the local oligarchy“ gehandelt.457 Ein geringeres gesellschaftliches Prestige könnte vielleicht aus der nur summarischen Nennung der thiasoi erschlossen werden. Sie könnte aber auch schlicht darauf hindeuten, daß deren Identität, bedingt durch den mutmaßlichen Aufstellungsort – auf den sogleich eingegangen werden soll –, dem Leser selbstverständlich war. 454
Der bisher verschollene Stein IGThess 480 ist jüngst mit einer Neulesung und -datierung publiziert: EpThess Kap. II Nr. 3 mit Abb. 27–28 (237/238 n. Chr.): [U]rhski1a tv9n 3Asklhpiastv9n kai2 b[ak]/[x(e)]i1oy 3Asianv9n Beie1ntorow Me1mn[oni] / [tö9] kalamay1lü mni1aw xa1rin. / Kassi1a / A 3 ntigo1na / Me1mnoni / [e5toy]w ept’ / --- ? ----. Zu einer weiteren Grabinschrift aus dem 12 km von Thessaloniki entfernten Dorf Lagina1 (SEG 35, 1985, 751), die einen 3Asianv9n o4 ui1asow nennt und möglicherweise ursprünglich aus Thessaloniki stammt, EpThess 139f. mit Anm. 118–119. 455 Als Möglichkeiten sind denkbar, daß es sich um den selben Verein handelt, der unter verschiedenen Benennungen erscheint, daß es sich um zwei verschiedene, gleichzeitig bestehende Vereine handelt oder daß es sich um zwei Vereine handelt, die zu unterschiedlichen Zeiten Bestand hatten; vgl. EpThess 140f. 456 IGThess 506 (209–210 n. Chr.): 3Arte1mein Ma1rkoy / h4 gynh2 kai2 3Isi1dvrow / 3Isidv1roy kai2 3Ioyni1a / 3Isidv1roy 3Isidv1rö / Sabei1noy tö9 patri2 / zh1santi kalv9w boy/ley1santi i4erasame1/nö uia1svn Diony1soy / e3k tv9n e3kei1noy e3kei1/nö mnei1aw kai2 ey3noi1/aw xa1rin / tö9 znt e5tei. 457 EDSON 1948, 160.
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
Charles Edsons Ansicht über das ‚bescheidene‘ Grabdenkmal verdient kritische Betrachtung, da sich hieran Überlegungen weniger vielleicht zum sozialen Stand der Vereinigungen als vielmehr zum Ort ihres Wirkens knüpfen lassen: Angesichts der Auffindung gleich dreier auf Dionysos bezogener Inschriften (IGThess 260, 503, 506) im unmittelbaren Umkreis der frühbyzantinischen Acheiropoietos-Basilika hatte Edson dort auf einen Kultort des Dionysos geschlossen.458 Geht man von den beiden Inschriften IGThess 503 und 506 als Grabinschriften aus,459 dann ist die Annahme eines Ursprungsortes der Steine inmitten des ummauerten Stadtgebietes – und somit auch der daran geknüpfte Rückschluß auf ein Heiligtum – sicher unzulässig. Die Inschriften bieten jedoch auch die Möglichkeit einer Interpretation als ‚Gedenkinschriften‘, die, unabhängig vom eigentlichen Grabmal, an einer Wirkungsstätte des Verstorbenen, in diesem Fall im Bereich eines Heiligtums, errichtet worden sein könnten. 460 In diesem Falle wäre Edsons Argument des bescheidenen Denkmals und sein Rückschluß auf die gesellschaftliche Position des Verstorbenen Isidoros (IGThess 506)461 – sofern man ihr überhaupt folgen will – teilweise entkräftet, da man dann mit einem zusätzlichen Inschriftenstein, nämlich dem eigentlichen Grabdenkmal, zu rechnen hätte. Argumente für eine Funktion als ‚Gedenkinschriften‘ abseits des eigentlichen Grabes lassen sich in den Texten aller drei Inschriften finden. IGThess 503462 – Nennung eines Prie458
EDSON 1948, 178–180. Edson selbst nahm dies für IGThess 506 an, vgl. EDSON 1948, 159: „A large funerary bomos ... with a circular incision on the top, presumably for the insertion of an osteotheke“. 460 Eine solche Interpretation ist zugegebenermaßen problembehaftet, würde sie doch voraussetzen, daß der ursprüngliche Aufstellungsort der genannten Inschriften sicher als außerhalb einer Nekropole gelegen bestimmt werden kann. Es sei jedoch daran erinnert, daß sich auch die Deutung entsprechender Texte als Grabinschriften nur selten aus einer tatsächlichen Auffindung im Grabzusammenhang ergibt; somit werden auch außerhalb der Nekropolen aufgefundene Steine in aller Regel stillschweigend als von dort verschleppt betrachtet. Ohne gesicherte Fund- bzw. Aufstellungszusammenhänge können letztlich nur textliche Auffälligkeiten Hinweise auf den Charakter des Denkmals geben. Für postume Ehreninschriften scheint es in Thessaloniki immerhin Parallelen zu geben. So ist eine weitere Inschrift des 3. Jhs. n. Chr. von der Agora entsprechend gedeutet worden: ADAMBELENH 1996, 35 (zu ihrer Nr. 135); die Inschrift in neuer Lesung bei HEIL 2004, 243, zur Deutung bes. ebd. 244 Anm. 4: „Um ein eigentliches Grabmonument handelt es sich aber nicht; dieses wäre wohl auch von der Familie errichtet worden. Dazu paßt auch der Fundort des Steins (sofern er nicht sekundär verschleppt worden ist).“ Als weitere Parallelen führt Heil IGThess 173 und 207 (beide 3. Jh. n. Chr.) an. 461 EDSON 1948, 160: „His cursus honorum as given in his epitaph is modest, and it is possibly significant for the economic status of his family that he was commemorated by a funerary bomos rather than by a much more expensive sarcophagus. Isidore was a minor member of the local oligarchy.“ 462 132 n. Chr.: 5Etoyw djr’ 3Apollv/ni1ö 3Artema9 tö9 kai2 Ma/ji1mö Uessalonikei9 / Ey5tyxow Maji1moy kai2 / Sekoy9nda oi4 ureptoi2 / to2n bvmo2n mnei1aw xa1/rin y4droskoph1santa / kai2 i4erhtey1santa Diony1/soy kai2 e4te1raw y4phresi1/aw y4phreth1santa 459
3.3. Religiöse Aktivitäten von Gruppen und Vereinigungen
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sters, aber ohne Nennung von thiasoi – erwähnt neben ‚Hydroskopie und Priesterschaft des Dionysos‘ die ‚anderen Ämter‘ (e7terai y4phresi1ai) auffallend summarisch, scheint also vor allem für eine Leserschaft von Dionysosanhängern abgefaßt zu sein: Dies könnte dafür sprechen, daß der Aufstellungsort des Steins nur einer solchen – beschränkten – Öffentlichkeit zugänglich war. IGThess 506, das Denkmal des thiasos-Priesters Isidoros, könnte seine Aufstellung einem letzten Willen des Verstorbenen verdanken, ist es doch e3k tv9n e3kei1noy, also wohl in Vorausverfügung errichtet, nicht aus dem Vermögen der Hinterbliebenen, von denen man die Sorge für einen nicht allzu aufwendigen Grabstein eigentlich erwarten würde. Dies könnte wiederum bedeuten, daß der Verstorbene zusätzlich zu seinem eigentlichen Grabmonument auch im räumlichen Umkreis seiner thiasoi einen Erinnerungsort errichtet wissen wollte.463 Die gleich im Anschluß zu besprechende Inschrift IGThess 260 schließlich ist das in der ersten Person abgefaßte ‚Testament einer Priesterin‘ mit der Stiftungsverfügung jährlicher Totenopfer: Es bezieht, wenn seine Einhaltung den beteiligten Personen nahegelegt werden soll, seinen Sinn am ehesten aus einem Publikationsort im Umfeld der mit der Ausführung bedachten thiasoi – also am Vereinssitz und/oder Kultort dieser Vereinigungen.464 Ausgehend von diesen Überlegungen scheint denkbar, daß im Bereich der heutigen Acheiropoietos-Basilika, im ehemaligen Umfeld des dort nachgewiesenen kaiserzeitlichen Bades, tatsächlich ein Kultort des Dionysos existiert hat. Die andernorts aufgeführte,465 wenn auch nicht archäologisch gesicherte Lokalisierung eines Dionysos-Heiligtums nordwestlich des modernen Dioikhth1rion bedeutet lediglich, daß das DionysosHeiligtum im Bereich des römischen Bades nicht das einzige in der Stadt gewesen sein wird, schließt es aber dort keinesfalls aus.466 Daneben sind
zh1/santa e5th nz. Zum Fehler des Schreibers (Ämternennung im Akkusativ statt im Dativ) EDSON 1948, 163. 463 Auch für den wegen seiner Formulierung e5jv teleyth1santa als Kenotaphinschrift anzunehmenden Gedenkstein des doy9mow 3Afrodei1thw 3Epiteyjidi1aw (vgl. hier Abschnitt 3.3.6.) ist denkbar, daß er nicht auf einem Friedhof, sondern im Umfeld des Vereinslokals aufgestellt war, zumal der Verstorbene als aus Amastris stammend bezeichnet wird und somit vielleicht keine Grabstätte in Thessaloniki besaß. 464 In diesem Zusammenhang sei auf die inhaltlich sehr ähnliche Schenkungserklärung IGThess 259 zugunsten der Mysten des Zeus Dionysos Gongylos hingewiesen, die aus dem Heiligtum der ägyptischen Götter stammt. 465 Siehe hier Abschnitt 2.4. Anm. 62. 466 Die Vermutung Edsons zum Dionysosheiligtum wird heute zumeist mit Verweis auf die Identifizierung des Vorgängerbaus der Acheiropoietos als Badeanlage (MPAKIRTZHS 1983) abgelehnt, vgl. etwa VITTI 1996, 30–91. Es spricht aber nichts gegen eine Vermutung im Umfeld der Kirche, die auch EDSON 1948, 179 als Möglichkeit in Betracht gezogen hatte („ ... at or near the site of the Theodosian church of the Akheiropoietos“). Seine Verbindung mit dem Vorgängerbau der Kirche beruhte vor allem auf den seit 1927 freigelegten, im Innern
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
die Zeugnisse aus dem Bereich des Heiligtums der ägyptischen Götter zu nennen, wo Zeus Dionysos Gongylos ebenfalls durch eine Kultgemeinschaft verehrt wurde: Sie belegen, daß besondere Formen des Dionysoskultes in Thessaloniki durchaus ihre Orte abseits eines ‚zentralen‘ Heiligtums hatten. Für das Heiligtum im Umfeld der Thermenanlage könnte es sich um eine ursprünglich vielleicht privat gegründete467 Kultanlage gehandelt haben, die zu Beginn des 3. Jhs. (Datierung von IGThess 506) unter der Obhut möglicherweise mehrerer thiasoi gestanden hat. Noch ein weiteres epigraphisches Zeugnis verbindet ein Priesteramt im Dionysoskult mit zwei thiasoi: Es handelt sich um den unter den Funden der Acheiropoietos bereits genannten Marmoraltar IGThess 260.468 Das darauf verzeichnete Testament der mit dem dionysischen Kulttitel Ey3ei1a versehenen Priesterin Euphrosyne, Nichte des Dioskous, bestimmt zur Erfüllung eines (wohl jährlich) aus dem Ertrag eines hinterlassenen Weinberges auszuführenden Totenopfers einen thiasos der Prinophoroi.469 Im Falle der Nichtbefolgung soll der Ertrag des Erbes an einen weiteren thia-
der Kirche sichtbaren antiken Bodenmosaiken, deren Zugehörigkeit zur Thermenanlage damals noch unbekannt war. 467 Ch. Edsons Verbindung der dionysischen thiasos-Inschriften mit dem städtischen Kult (‚municipal cult‘) des Dionysos beruhte unter anderem auf seiner stillschweigenden Annahme, das von ihm an der Acheiropoietos-Kirche erschlossene Heiligtum sei der einzige Dionysos-Tempel in der Stadt („ ... the temple of Dionysos in Roman Thessalonica ...“) gewesen: EDSON 1948, 177–179. 468 Der hohe, pfeilerförmige Altar ist auf drei Seiten bearbeitet: Die Front (Seite A) ist mit dem Namen der Auftraggeberin sowie mit einem (für eine Zweitverwendung teilweise abgemeißelten) Relief einer weiblichen Figur versehen; die überwiegenden Teile der Inschrift befinden sich auf der rechten (B) und linken (C) Seitenfläche, vgl. EDSON 1948 Abb. 4–5. Daß, wie MERKELBACH 1988, 116 angibt, auf einem „verlorenen Teil der Inschrift ... zweifellos gestanden [hat], daß auch eine Festmahlzeit vorgesehen war“, trifft nicht zu, denn der Textumfang ist im wesentlichen vollständig. Die Lesung von (A) nach EDSON 1948, 172– 175, bes. 174: (A) Ey3fro[sy1]nh Diosko[y] / [a3]delfidh9 i4[e1r]e[i]a Ey3ei1[a] (B) i3e1reia oy0sa / Ey3ei1a Prino/fo1roy kata/lei1pv ei3w mni1/aw xa1rin ai3v/ni1aw a3npe1lvn / ple1ura dy1v / sy2n te9w ta1froiw, / o7pvw a3po/ke1htai1 moi a3po2 a3go/ra9w mh2 e5la/ton * e' hedera (C) kai2 oi4 my1ste / mikro2w me1/gaw e7kastow / ste1fanon r4o1/dinon. 4O de2 mh2 e3/ne1nkaw mh2 mete/xe1tv moy th9w / dvrea9w. ai3a2n / de2 mh2 poih1sv/sin, ei0ne ay3ta2 / toy Droiofo1/rvn ueia1soy e3/pi2 toi9w ay3toi9w / prosti1moiw. / ei3 de2 mhde2 o4 e7/terow ui1asow / poiü9, ei0nai ay3/ta2 th9w po1le/vw hedera. – “(A) Ich, Euphrosyne, Nichte des Dioskous, die Priesterin Eueia, (B) die ich Priesterin bin, die Eueia des Prinophoros, hinterlasse zum immerwährenden Andenken zwei plethra vom Weinberg mit den Bewässerungsgräben, damit mir aus dem Verkauf[serlös] verbrannt werde nicht weniger als im Wert von fünf Denaren, (C) und jeder der mystai, groß und klein, [sollen] einen Kranz aus Rosen [mitbringen o.ä.]. Wer aber keinen mitbringt, der soll nicht an meiner Schenkung teilhaben. Wenn sie es aber nicht tun, dann geht die Schenkung zu den selben Maßregeln an die Droiophoroi. Wenn es aber auch der andere thisaos nicht tut, dann geht die Schenkung an die Stadt.“ 469 Zum Bezug sowohl des Kultnamens der Eueia wie auch des Beinamens Prinophoros zu Dionysos s. EDSON 1948, 168.
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sos, jenen der Droiophoroi (Dryophoroi470), weitergereicht werden. Kommt auch dieser der Erfüllung des Testaments nicht nach, soll das Erbe an die Stadt fallen. Der Inschrift – deren Formulierung einige Auslassungen und textliche Ungenauigkeiten aufweist – ist zur Organisation der genannten thiasoi zu entnehmen, daß die Priesterin des [Dionysos] Prinophoros offenbar einem gleichnamigen ui1asow Prinofo1rvn zugeordnet war. Entsprechend ist für den e7terow ui1asow – also für jenen der Droiofo1roi – wohl anzunehmen, daß für diesen ein weiterer Priester beziehungsweise eine Priesterin vorgesehen war. Die vorgesehene Weiterreichung des Erbes wie auch die von der Wortbildung her übereinstimmende Bezeichnung der thiasoi läßt gleichzeitig aber vermuten, daß beide Vereinigungen im Rahmen desselben Kultes agierten. Dies erlaubt den Schluß, daß man es mit einer personell eher umfangreichen Gruppe zu tun hat, die mindestens zwei Priester beschäftigte und daneben über eine größere Anzahl von aktiv in das Ritual eingebundenen Personen verfügte. Unklar bleibt, ob hier mehrere bestehende Vereine zu gemeinsamer Kultausübung zusammengefunden haben, oder ob sich die mindestens zwei thiasoi aus einem bereits vorhandenen Kreis von Kultanhängern des Dionysos Prinophoros rekrutierten. Die Reihenfolge der Nennung der thiasoi beruht wohl vor allem auf der Verbundenheit der Euphrosyne mit ‚ihrem‘ thiasos, doch ist dessen mutmaßliche Namensgleichheit mit dem Dionysosbeinamen Prinophoros vielleicht ein Indiz für einen wie auch immer gearteten Vorrang vor den Droiophoroi. Die Angehörigen zumindest der Prinophoroi werden als my1stai bezeichnet, wobei der Begriff zur Entstehungszeit der Inschrift (3. Jh. n. Chr.) vielleicht nicht mehr wörtlich zu nehmen ist, sondern schlicht zur Bezeichnung von ‚Mitgliedern‘ dient.471 Wie die Nennung der my1ste mikro2w kai2 me1gaw e7kastow im Zusammenhang mit einem möglichen Weihegrad zu deuten ist, läßt sich kaum entscheiden: Sie könnte auf die Teilnahme von Kindern hindeuten, wurde aber auch als „forceful expression for ‚all‘“ angesehen.472 Die Inschrift bietet gewisse Hinweise auf die Organisation von Ämtern im Dionysoskult, die im übrigen epigraphischen Material aus Thessaloniki bisher kaum Entsprechungen besitzen. So sind zu Zeiten der Euphrosyne höchstwahrscheinlich in ein und demselben Heiligtum, aber auch im Rahmen ein und desselben Kultes (der offenbar eine Sonderform der Dionysosverehrung in Thessaloniki darstellt) mehrere thiasoi und mehrere Priester tätig. Der Fall des Isidoros vom Beginn des 3. Jhs. (IGThess 506), der 470
Belege zu dryophoroi zusammengestellt bei EDSON 1948, 170. Vgl. den von MERKELBACH 1988, 25 zitierten Fall. 472 So EDSON 1948, 169f. mit Verweis auf Apg. 26, 22: e5sthka martyro1menow mikrö9 te kai2 mega1lö. 471
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
als Priester gleich mehreren thiasoi diente, läßt leider offen, welche dies waren, ob dies gleichzeitig oder nacheinander stattfand und ob möglicherweise sogar in verschiedenen Dionysosheiligtümern der Stadt tätige thiasoi gemeint sind. Somit bleibt auch unbekannt, ob man in dem im Bereich der Acheiropoietos-Kirche zu vermutenden Heiligtum an eine gleichzeitige Nutzung durch mehrere, organisatorisch unabhängige Vereine denken darf.473 Die hier zu erkennende Aufsplitterung macht deutlich, daß die Teilnahme am ‚Kult des Dionysos‘ – ebenso wie potentiell jeder anderen Gottheit – keine sinnvolle soziologische, gruppendefinierende Kategorie mehr darstellen kann, vielmehr muß mit in ihrer Zusammensetzung stark unterschiedlichen Gruppierungen gerechnet werden. Völlig unbekannt bleibt zudem die Bestandsdauer der Vereinigungen: Erscheint die Verfügung der Euphrosyne, daß der zum Unterhalt ihres Totenopfers bestimmte Weinberg bei Ausfall auch des zweiten thiasos an die Stadt fallen solle, auf den ersten Blick als Sorge um die Zuverlässigkeit der mystai, so könnte sich darin ebenso die Erfahrung widerspiegeln, daß sich solche Vereinigungen nach einer gewissen Zeit auch wieder auflösen konnten, daß also zur Aufrechterhaltung der ai3v1nia mni1a dann am ehesten die Stadt in der Lage war. 474 Zum anderen ist diese Verfügung wohl auch ein Hinweis darauf, daß das Bestehen des Heiligtums existentiell an das der Vereine gebunden war: Eine Möglichkeit, das Erbe an Dionysos, also an das ‚Heiligtum an sich‘, weiterzureichen, wird bezeichnenderweise nicht gewählt. Eine letzte Betrachtung soll dem Verhältnis des Kultes des Dionysos Prinophoros zum städtisch-öffentlichen Dionysoskult beziehungsweise zu munizipalen Institutionen gelten. Auf das nach der Zeitenwende völlige Fehlen von Zeugnissen städtischen Engagements im Dionysoskult – von besonderer Signifikanz ist das Fehlen des Gottes unter den Motiven der kaiserzeitlichen Münzprägung – ist bereits an anderer Stelle hingewiesen worden.475 Ob in der mittleren Kaiserzeit ein städtischer Kult des Dionysos überhaupt noch bestanden hat, ist also durchaus nicht gesichert, auch wenn – abgesehen vom nun besonderen Engagement dionysischer Vereine – keine Gründe für dessen Ende greifbar sind. Unter anderem ausgehend von der Verfügung der Euphrosyne, daß das Erbe bei Ausfall beider thiasoi an die Stadt fallen solle, hatte Ch. Edson auf eine Verbindung dieser Körper473 Im Falle einer gleichzeitigen Nutzung durch mehrere Vereine würde man in den Inschriften allerdings eine deutlichere Spezifizierung der verschiedenen Zusammenschlüsse erwarten. 474 Der genaue Wille wird hier nicht erkennbar: Einerseits hätte der Weinberg der Stadt zur freien Verfügung allein deshalb zufallen können, um Streitigkeiten bei Auflösung der thiasoi zu vermeiden, andererseits wäre auch denkbar, daß toi9w ay3toi9w prosti1moiw auf die po1liw auszudehnen ist, der dann das Totenopfer zur Verpflichtung geworden wäre. 475 Vgl. hier Abschnitt 3.3.3.
3.3. Religiöse Aktivitäten von Gruppen und Vereinigungen
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schaften mit dem ‚Staatskult‘ („state cult“) des Dionysos geschlossen:476 Daß die Verfügung jedoch auch andere Gründe gehabt haben könnte, konnte oben gezeigt werden. Ein weiteres Argument für einen offiziellen Status der Kultstätte war für Edson die Annahme gewesen, an der Acheiropoietos-Kirche den einzigen Dionysos-Tempel der Stadt lokalisiert zu haben – auch dies kann heute ausgeschlossen werden. Eine dritte Verbindung der thiasoi mit dem städtischen Kult hatte Edson im Falle des Priesters Isidoros in dem Umstand gesehen, daß dieser ‚bouleutes und Priester von thiasoi des Dionysos‘ war.477 Die Inschrift belegt jedoch allenfalls eine Teilnahme des Isidoros an öffentlich-gesellschaftlicher Mitwirkung, zwingt jedoch nicht zur Annahme, daß diese Aktivitäten stets auch auf munizipaler Ebene erfolgen mußten. Die von Edson angeführten Beispiele von Ämterverbindungen aus anderen Städten478 können zudem kaum etwas über die Verhältnisse im kaiserzeitlichen Thessaloniki aussagen, solange hier die Bedeutung oder gar Existenz eines ‚offiziellen‘ Dionysoskultes derart obskur bleibt. Die aus Thessaloniki überlieferten Zeugnisse für dionysische thiasoi können von sich aus jedenfalls nichts zur Annahme beitragen, daß es sich bei ihnen um städtische Verbände gehandelt haben muß. 3.3.4. Mysten des Zeus Dionysos Gongylos Eine weitere Inschrift mit der Nennung einer Kultgemeinschaft weist durch eine Stiftung gewisse Parallelen zum Testament der Euphrosyne auf. Es handelt sich um die bereits im Abschnitt 3.1.4. angesprochene Inschrift IGThess 259479 des 1. Jahrhunderts nach Christus, in der ein Mitglied (der Vorsitzende?) einer Mystenvereinigung des Zey2w Dio1nysow Go1ngylow für die Abhaltung dreimal jährlich zu veranstaltender e4stia1seiw ein Weinberggrundstück außerhalb der Stadt480 einbringt, deren Erträge der Vereinigung offenbar auch nach seinem Tode zur Verfügung stehen sollen. In wie weit der Kult dem sonst in Thessaloniki bestehenden Kult des Dionysos nahesteht, ist nicht zuletzt wegen der nur hier belegten Gottheit nicht zu bestimmten. Die Nennung einer Anzahl von Kultfunktionären, von Mysten, mitternächtlichen Mahlzeiten sowie auch die Überlassung des Erbes an eine bestimmte Gruppe namentlich Genannter läßt jedoch vermuten, daß wir es hier mit einer nach außen hin stark abgegrenzten – wenn auch 476
EDSON 1948, 177f. IGThess 506: ... boy/ley1santi i4erasame1/nö uia1svn Diony1soy … . 478 EDSON 1948, 177 mit Verweis u.a. auf OGIS 529 (aus Sebastopolis) und CIG 3112 (aus Teos). 479 IGThess 259 (1. Jh. n. Chr.) und Taf. 10 sowie korrigierte Lesung nach SEG 30, 1980, 622. – Zum Text mit Übersetzung vgl. STEIMLE 2006. bes. 32–35. 480 Zur Ortsbezeichnung Perdyli1a jüngst HATZOPOULOS 1996 Bd. 1, 120 Anm. 6. 477
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
für künftige Neuzugänge zugänglichen – Gruppe zu tun haben. Dazu kommt, daß die Kultgemeinschaft Aufnahme in einem offenbar ‚fremden‘ Heiligtum, jenem der ägyptischen Götter, gefunden hat, also in einem Umfeld, über welches demnach eine andere Priesterschaft die Verfügungsrechte besitzt: Dies kann aus der am Ende der Inschrift verzeichneten Erlaubnis zur Aufstellung des Steins durch einen Stra1tvn toy9 3Epikra1toyw ... i4erhtey1vn erschlossen werden, in dem R.A. Wild einen Priester des gastgebenden Heiligtums der ägyptischen Götter sah.481 Hier liegt also eine Kultgemeinschaft vor, die ihre Zusammenkünfte nicht in einem bestehenden Dionysosheiligtum abhielt, sondern – aus welchen Gründen auch immer – verfügbare Räumlichkeiten eines in kultischer Hinsicht allem Anschein nach ‚unbeteiligten‘ Heiligtums nutzte. 3.3.5. Vereine der Kultteilnehmer ägyptischen Götter Neben Zeugnissen aus dem Bereich dionysischer Vereine sind in Thessaloniki umfangreichere Inschriften zu Kollegien aus dem Umfeld der ägyptischen Götter bekannt.482 Sie sind Zeichen für den großen Zuspruch, den das Heiligtum im 2. und 3. nachchristlichen Jahrhundert genossen hat, doch ist umgekehrt auch ihr Beitrag zur Verbreitung der ägyptischen Religion unter den Einwohnern der Stadt hervorgehoben worden. 483 Deutlicher als im Bereich dionysischer Thiasoi läßt sich in den Inschriften der ägyptischen Kollegien ein sozial differenziertes Spektrum von Mitgliedern erkennen. Ein grob in das 2. Jahrhundert nach Christus datierter Gesimsblock (IGThess 258) bezeichnet mit der knappen Nennung oi4 i4erafo1roi eine Gruppe von Personen, deren Aufgabe, vermutlich im Rahmen von Mysterienfeierlichkeiten, das Tragen heiliger Gegenstände war. 484 Möglicherweise sind es eben diese i4erafo1roi, welche auch in einer Grabinschrift (IGThess 58) aus der Zeit zwischen etwa 50 v. Chr. und 50 n. Chr. genannt werden und dort gleichzeitig als synkli1tai, also als Mitglieder einer privaten Vereinigung auftreten.485 Hier liegt also offenbar eine Überschnei481
WILD 1981, 190–194. Zu den im Umfeld des Heiligtums angesiedelten Vereinen vgl. STEIMLE 2006. 483 DUNAND II 184. 484 EDSON 1948, 185. 485 IGThess 58: Ay5lvi / Papi1vi = Xei1lvni / katasth1santi to2n / oi0kon = oi4 = i4erafo1roi / synkli1tai / Ska1niow = Fh9lij / Sala1riow = Nikhfo1row / Loykei1liow = Ba1ssow hedera / Pri1amow = 3Apollvni1o(y) / Pri9mow = 3Arxepo1le(vw) / Dose1niow = Ba1kxiow / 3Ioy1liow = Sekoy9ndow / 5Anniow = Sekoy9ndow / Bih1siow = Fh9lij / Sekoy9ndow = Ey3fa1ntoy / Me1nandrow = Nika1ndroy / 3Apolh1iow = Loy1k{i}olow / Kali1stratow = o4 kai2 5Arxvn. – Lesung nach SculpThess I Nr. 111 (mit Ergänzung der dort fehlenden Zeile 13) und ebd. Abb. 313. Die von einem kleinen Giebel bekrönte Stele zeigt oberhalb der Inschrift im Relief, von einem Lorbeerkranz umgeben, eine stehende, manteltragende Figur mit Anubismaske (vermutlich 482
3.3. Religiöse Aktivitäten von Gruppen und Vereinigungen
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dung von zwei verschiedenen, wenn auch nicht voneinander unabhängigen Organisationsformen vor: Die eine ist das religiöse Amt der hieraphoroi, welches sicher nur an einen Kult angeschlossen denkbar ist;486 die zweite der Verein der synklitai, den die hieraphoroi daneben ‚im Privaten‘ gebildet haben. Die synklitai stellen also eine Teilmenge und somit eine ‚Untereinheit‘ der hieraphoroi dar. Es muß unbekannt bleiben, ob sich hierbei alle der im Kult tätigen hieraphoroi auch im Verband der synklitai organisiert hatten. Die namentlich aufgeführten i4erafo1roi synkli1tai ehren gemeinsam den Verstorbenen Aulus Papius Cheilon, welcher entweder Gründer ihrer Gemeinschaft oder Erbauer ihres Vereinslokals war – die Formulierung katasth1santi to2n oi0kon läßt beide Auffassungen zu.487 Ch. Edson hatte den oikos als ein Vereinslokal verstanden, welches er in Entsprechung zum Fundort der Inschrift – die er zudem als Ehreninschrift auffaßte – westlich außerhalb der Stadtmauern vermutete. Die jüngst sicher zu Recht geäußerte Deutung als Grabinschrift, welche sich mit dem Fundort durchaus vereinen läßt, ermöglicht hingegen die Überlegung, ob sich – sollte tatsächlich ein Vereinsgebäude gemeint sein – dieses nicht in der näheren Umgebung des Heiligtums der ägyptischen Götter befunden hat. Auch wenn die hieraphoroi offenkundig eng mit dem Kult des Heiligtums verbunden sind, so macht es doch den Eindruck, als habe das ihren Zusammenschluß zu einem Verein bestimmende Interesse eher im Bereich gesellschaftlicher als religiöser Zugehörigkeiten gelegen: Neun der vierzehn auf der Stele verzeichneten Personen tragen römische Namen. Obgleich nicht erkennbar ist, ob es sich bei ihnen um römische Bürger oder Freigelassene handelt, scheint hier doch eine Gruppe vorzuliegen, die in ihrer sozialen Zusammensetzung relativ einheitlich ist. Daraus wird man vielleicht folgern dürfen, daß sich die synklitai zwar als eine Untereinheit der hieraphoroi präsentieren, daß es faktisch aber wohl ethnische oder gesellschaftliche Zugehörigkeitskriterien zu den synklitai waren, welche überhaupt erst die Voraussetzung für eine Aufnahme in den Kreis der hieraphoroi schufen. Einer Mitwirkung an einem gemeinsamen Kult steht hier also ein mindestens ebenso starkes Interesse an sozialer Differenzierung innerhalb der Gesamtheit der Kultteilnehmer zur Seite. Die Annahme, es habe sich bei den neun römischen Namensträgern überwiegend um freigeborene römische Bürger gehandelt, hatte Ch. Edson veranlaßt, für die Mitglieder der Gruppe ‚einen gewissen sozialen Ander verstorbene Aulus Papius Cheilon als Maskenträger), wobei das dargestellte niedrige Podium vielleicht auf die Weihung einer entsprechenden Ehrenstatue verweist, vgl. Kommentar zu SculpThess I Nr. 111 [E. Voutiras ], ebd. auch zur Neudatierung der Reliefstele (1. Jh. v. Chr. bis 1. Hälfte 1. Jhs. n. Chr.); Ch. Edson hatte die Inschrift in das 2. Jh. n. Chr. datiert. 486 EDSON 1948, 186. 487 Vgl. Kommentar SculpThess I Nr. 111. – L. Robert, AEphem 1969, 8–14.
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spruch‘ zu vermuten.488 Ist der rechtliche Stand dieser Personen auch keineswegs sicher, könnte die Vermutung materiellen Wohlergehens der Mitglieder durch den Umstand gestützt werden, daß der in der Inschrift genannte (Koyi1ntow) 5Anniow Sekoy9ndow489 (dieser sicher ein freier römischer Bürger) gemeinsam mit Gattin und Sohn in der aus dem Heiligtum stammenden Inschrift IGThess 114 als Stifter kostbarer goldener, edelsteinbesetzter Ohrringe auftritt, vermutlich zur Ausstattung einer Göttinnenstatue.490 Mit größerer Sicherheit in hohe gesellschaftliche Schichten weist IGThess 192, ein vor die Mitte des 3. Jahrhunderts nach Christus datierter Altar mit der Inschrift eines Ehrenbeschlusses zugunsten des Poplios Ailios Nikanor, welcher als prostates der synurhskeytai2 klei1nhw ueoy9 mega1loy Sara1pidow genannt wird, also einer Vereinigung, in welcher bei der ausdrücklichen Erwähnung der klei1nh offenbar das Beisammensein im Rahmen von Banketten im Vordergrund stand.491 Poplios Ailios Nikanor ist axiologotatos Makedoniarches, also Vorsitzender der makedonischen Provinzialversammlung und Hohepriester im provinzialen Kaiserkult. Man wird vielleicht nicht fehlgehen, sich die – in der Inschrift nicht genannten – Mitglieder der klei1nh, die unter seinem ‚Schutz‘ standen, als Angehörige der Lokalaristokratie Thessalonikis vorzustellen, wie dies Ch. Edson vorgeschlagen hat.492 Für den hohen Anspruch der Vereinigung der synthreskeutai spricht zudem, daß zur Aufstellung des Ehrenaltars die Zustimmung der krati1sth boylh1 und des i4ero1tatow dh9mow eingeholt wurde, wie dies in Thessaloniki in einer ganzen Reihe von Ehreninschriften für hohe städtische und provinziale Amtsinhaber oder deren Angehörige seine zeitgenössischen Parallelen findet.493 Dies bietet einen Hinweis darauf, daß die Inschrift nicht auf dem Gelände des Heiligtums aufgestellt wurde,494 sondern auf städtischem Grund, für dessen Wahl vor allem der Wille nach einer hohen Publizität der Ehrung ausschlaggebend gewesen sein wird.
488
EDSON 1948, 188: „some social pretension“. Ausgerechnet seine Nennung fehlt in der Wiedergabe der Inschrift im Katalogtext zu SculpThess Nr. 111 durch die versehentliche Auslassung von Zeile 13; der Katalogtext spricht in Weiterführung dieses Fehlers auch nur von ‚13 Namen‘ anstatt 14. 490 DUNAND II 185. – Vgl. EDSON 1948, 185. 491 IGThess 192 (vor der Mitte des 3. Jhs. n. Chr.): 3Agauh9=i ty1xh=i / do1gmati th9w krati1sthw / boylh9w kai2 xei/rotoni1ä toy9 i4erv/ta1toy dh1moy Po1plion / Ai5lion Neika1nora / to2n a3jiologv1taton / Makedonia1rxhn / oi4 synurhskeytai2 / klei1nhw ueoy9 me/ga1loy Sara1pidow / to2n prosta1thn. / Ey3tyxei9te. 492 EDSON 1948, 187. 493 Vgl. IGThess 146. 149. 150. 182. 187–191. 194. 198. Die Texte sind ausnahmslos in das 3. Jh. n. Chr. datiert. 494 Der Stein wurde 1906 in der östlichen Stadtmauer verbaut aufgefunden. Zum Fehlen der Altarform im Fundmaterial aus dem Heiligtum vgl. hier S. 126. 489
3.3. Religiöse Aktivitäten von Gruppen und Vereinigungen
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Eine ebenfalls ins dritte nachchristliche Jahrhundert datierte Statuenbasis macht hingegen einen äußerlich eher bescheidenen Eindruck,495 auch ihre textliche Abfassung läßt zu wünschen übrig.496 Seit ihrer Beurteilung durch Charles Edson wird diese Inschrift deshalb als Zeichen dafür angesehen, daß das wirtschaftliche Vermögen und somit die gesellschaftliche Stellung der hier genannten threskeutai kai sekobatai theou Hermanoubidos nicht gerade bedeutend gewesen sein könne.497 Aufgrund der in der Textabfassung vorhandenen Mängel ist zudem nicht ohne weiteres erkennbar, wer hier wen ehrt.498 Gegen die Deutung der threskeutai kai sekobatai als einen vor allem durch Angehörige niederer Volksschichten bestimmten Verband spricht aber möglicherweise eine weitere Inschrift (IGThess 16), die Hinweise auf die gesellschaftliche Sphäre zu geben vermag, mit deren Beteiligung hier vielleicht zu rechnen ist.499 Es handelt sich um die Ehrung einer uns namenlos bleiben495 So das Urteil von EDSON 1948, 187: „In so far as it is permissible to argue from the physical appearance of a monument, this association was not one of social distinction.“ 496 IGThess *220: [P]onpv1nion E 7 lenon ke2 Ka1ssion / [p]rosta1tew urhskeytv9n kai2 tv9n shkobatv9n / ueoy9 E 4 rmanoy1bidow Klay1dion Ay5jimon / to2n kai2 Pie1rin th2 pro2w to2n [[pat[e1]ra]] / pate1ra teimh2n Klay1dion Ga1Qon teimh9w xa1rin / a3rxinakoroy9ntow Ma1r(koy) Ay3rhli1oy 3Ioy1stoy. 497 Daß zwischen der äußeren Erscheinung eines Monuments und dem finanziellen Vermögen des Auftraggebers nicht zwingend ein uns heute ersichtlicher Zusammenhang besteht, zeigt in Thessaloniki beispielsweise der Umstand, daß selbst für die Stiftungsinschrift der zweifellos sehr vermögenden Posilla Avia ein wiederverwendeter Stein gewählt wurde: TRAKOSOPOYLOY-SALAKIDOY 1993, 1542. 498 Der Herausgeber Ch. Edson hatte im Inschriftenkommentar (zu IGThess *220) folgende Textverbesserung vorgeschlagen: Ponpv1nioi 7Elenow kai2 Ka1ssiow, prosta1tai urhskeytv9n kai2 shkobatv9n ueoy9 4Ermanoy1bidow, Klay1dion Ay5jimon to2n kai2 Pie1rion dia2 th2n pro2w to2n pate1ra Klay1dion Ga1Qon timh1n, a3rxinakoroy9ntow Ma1r. Ay3r. 3Ioy1stoy. Mit wesentlich weniger Eingriffen in den Inschriftentext kommt man allerdings aus, wenn man eine Ehrung mehrerer Personen annimmt, wobei dann die Auftraggeber nicht namentlich genannt werden, sondern vielmehr in den threskeutai kai sekobatai theou Hermanoubidos vermutet werden müssen: [P]onpv1nion E 7 lenon ke2 Ka1ssion / [p]rosta1taw urhskeytv9n kai2 tv9n shkobatv9n / ueoy9 4Ermanoy1bidow= Klay1dion Ay5jimon / to2n kai2 Pie1rin th2 pro2w to2n [[pat[e1]ra]] / pate1ra teimh2n= Klay1dion Ga1Qon teimh9w xa1rin= / a3rxinakoroy9ntow Ma1r(koy) Ay3r(hli1oy) 3Ioy1stoy. – „[Die threskeutai kai sekobatai? ehren] den Helenos Pomponius und den Cassius [Pomponius], die Beschützer der threskeutai und sekobatai des Gottes Hermanubis; [sowie] den Claudius Auximos, den auch Pieris genannten, in Anerkennung der dem Vater erwiesenen Ehre; [sowie] den Claudius Gaius der Ehre halber, während Marcus Aurelius Iustus Priester war.“ Zum Text vgl. auch STEIMLE 2006, 31. 499 IGThess 16, mit weitergehenden Ergänzungen nach EpThess Kap. II Nr. 16: ---------------------------------------------------------vn uev9n e3ch[fis--- e3peidh2 vel dei9na nomina diete1l]ei ge1noyw a5nvuen kai2 a3jiv1ma[tow --------- gynh2 me1n ----------------]ni1oy Ba1ssoy a3ndro2w i4ppikoy9 kai2 gy[mnasia1rxoy -- trisi1 te i4ppikai9?]w stratei1aiw kekosmhme1noy, mh1 [th2r de2 ---ni1oy nomina --- a3rxiere1v]w toy9 koinoy9 Makedo1nvn, e5ti de2 kai2 [--ni1oy nomina a3ndr]o2w ey3sebesta1thw kai2 eygenesta1thw uygatro2w Ka[- nomina ----- ge1noyw t]v9n 4Hrakleidv9n a3po2 Thme1noy diadejame1 [nhw? toy9 patro2w], andro2w a3jiolo1goy kai2 i4erafo1roy kai2 shkoba1-
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den Frau aus prominenter Familie.500 Die Inschrift stammt wohl vom Beginn des 3. nachchristlichen Jahrhunderts, womit sie dem vorgenannten Text *IGThess 220 zeitlich nahestehen würde. Der leider stark verstümmelte Text nennt für den Schwiegervater des zweiten Sohnes der Geehrten das Amt des hieraphoros und sekobates, zudem ist von einer umfangreichen Ausschmükkung eines Heiligtums die Rede, zu der auch das agalma (des Sarapis?) gehörte. Erkennbar sind daneben Hinweise auf hohe militärische Ämter, auf eine Verbindung zum makedonischen koinon sowie auch zur Familie der Herakleiden, also den Nachkommen des makedonischen Königshauses. 501 Die Aufzählungen der Ämter, Verdienste und Qualitäten betreffen hierbei die nächsten Verwandten der Geehrten.502 Da die Ämter der hieraphoroi und sekobatai in Thessaloniki nur im Kult der ägyptischen Götter belegt sind, die Inschrift aus der Nähe des Heiligtums der ägyptischen Götter stammt503 und zudem vermutlich eine Sarapisstatue genannt war, 504 kann der Bezug zum Kult der ägyptischen Götter als sehr wahrscheinlich gelten – auch wenn dadurch nicht ausgeschlossen ist, daß es sich bei den sekobatai des Hermanubis und dem hier genannten Kollegium um zwei völlig unterschiedliche Verbände gehandelt hat. Immerhin wird deutlich, daß der Schwiegervater des Sohnes der Geehrten das Amt eines hieraphoros und sekobates inne hatte – die Zusammensetzung von deren Vereinigung ist angesichts seines familiären Hin[toy ------------- diafe1rontow o4m]oi1vw tö9 ge1nei kai2 tö9 a3jiv1mati zhsen [---------------------fi1landro]w kai2 filo1teknow, keko1smhke1n te to2 i4e[ro2n ----------, v7ste -- filodoji1]an mhdemi1an a3polipei9n, th2n te -------------------------------------- ey3]prepe1staton e3n tö9 kalli1stö9 [to1pö toy9 teme1noyw vel i4eroy9? ---------]y o7te to2 a5galma toy9 S[a[ra1pidow? -------------------------------------------------------------„... (der?) Götter abgestimmt ... / .... höchster Abkunft und Standes / ... Frau des ....-nius Bassus, eines Angehörigen der Reiterei und Gy/mnasiarchen / ... der in ... Feldzügen Auszeichnungen erhalten hat, und Mu/tter des -nius, des archiereus des koinon der Makedonen, sowie auch / des -nius, des Gatten der frömmsten und edelsten Tochter [des?] Ka-.... / aus dem Geschlecht der von Temenos abstammenden Herakleiden, die(?) in Fortführung [sc. der Tätigkeit o.ä.] ihres Vaters, / eines überaus bedeutenden Mannes und hieraphoros und sekoba/tes ... der Abkunft und des Standes entsprechend gelebt / ... ihren Mann und ihre Kinder liebend, und hat das Heiligtum ausgeschmückt ... / .... so daß es nicht möglich war, dies zu übertreffen, und die / ... das äußerst prächtige .... am schönsten / [Platz des Heiligtums (?) aufgestellt o.ä.] ... als die Statue des S[a/rapis?] ...“. 500 P. Nigdelis [EpThess Kap. II Nr. 16] erweist das Textfragment als Ehreninschrift für eine Frau. Für die STEIMLE 2006, 31f. geäußerten Schlußfolgerungen ergeben sich hieraus keine grundlegenden Veränderungen. 501 Noch unter der Annahme einer Ehreninschrift für einen Mann hatte der Herausgeber Edson im Inschriftenkommentar als diesen 3Anti1gonow Fili1ppoy (PIR2 A 736, vgl. RE XIX,2 [1938] 2338 s.v. Philippos Nr. 32 [Stein]) vorgeschlagen, einen Freund des Kaisers Caracalla. 502 Vgl. den Kommentar EpThess 212–215. 503 Laut Inventareintrag des Archäologischen Museums Thessaloniki (zu Inv. 1949) von einem Grundstück am Zusammentreffen der Straßen Dioikhthri1oy und Ele1nhw Sborv1noy, etwas südlich von dessen Grabungsstelle. 504 Vgl. den Kommentar zu IGThess 16.
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tergrundes in deutlich anderem Licht zu sehen als Edsons Einschätzung der threskeutai und hieraphoroi des Hermanubis. Die Herkunft der Inschrift von einem bisher nicht zum Heiligtum der ägyptischen Götter gezählten, aber nicht allzu weit davon entfernten Grundstück muß daneben offen lassen, ob das Engagement des Geehrten auch der Schaffung beziehungsweise Ausschmückung eines Bereiches gegolten haben könnte, der in der Umgebung des eigentlichen Heiligtums lag und vielleicht allein der Vereinigung der hieraphoroi und sekobatai vorbehalten war. Die Inschriften zu Vereinigungen im Umfeld der Kulte der ägyptischen Götter zeichnen ein umfassenderes Bild von deren sozialer Struktur als dies etwa die Quellen zu den dionysischen Vereinen in der Stadt tun. Hierbei läßt sich – bei in allen Fällen deutlichen kultischen Interessen der Gemeinschaften – erkennen, daß der Wille zum Zusammenschluß mit sozial gleichgestellten Personen oder aber die Bindung an höhergestellte Patrone ein nicht minder wichtiges Kriterium war. Im Falle der hieraphoroi synklitai ist es wahrscheinlich, daß eine recht homogene Gruppe von ‚Römern‘ am Kult teilnahm, sich daneben aber zu einem eigenen Verein zusammengeschlossen hat, der wiederum direkten Einfluß auf die Zusammensetzung der mit Kultämtern betrauten Personengruppen gehabt haben könnte. Daneben verweisen die Zeugnisse auf das Engagement mutmaßlich vermögender (IGThess 114; IGThess 258), aber auch gesellschaftlich herausragender Personen oder Personenkreise. Bemerkenswert und für die soziale Funktion der Vereinigung, aber auch für das Selbstverständnis ihrer gesellschaftlichen Relevanz von hoher Aussagekraft ist der Umstand, daß im Falle der synurhskeytai2 klei1nhw ueoy9 mega1loy Sara1pidow (IGThess 192) das Interesse an öffentlichkeitswirksamer Selbstdarstellung soweit reichte, daß die durch diesen Verein errichtete Ehrung ihres Vorstandes nicht nur mit Zustimmung der höchsten Magistratsbehörden erfolgte, sondern höchstwahrscheinlich auch außerhalb des Heiligtums der ägyptischen Götter, sehr wahrscheinlich im Bereich der Agora oder an einem anderen hoch öffentlichen Ort publiziert wurde. Im Wirkungsbereich ihrer Außendarstellung konnten diese Vereinigungen also weit über die Grenzen des Heiligtums hinaus reichen. Beispielhaft für die auch in anderen Fällen bestehenden Schwierigkeiten, die gesellschaftliche Stellung der Kollegien und ihrer Mitglieder zu bestimmen, stehen die beiden Inschriften mit der Nennung von sekobatai und threskeutai (IGThess *220; IGThess 16): Hier bleibt zum einen unbekannt, ob es sich beide Male um jene des Hermanubis, also um dasselbe Kollegium handelt. Läßt die eine Inschrift vordergründig eine Vereinigung mit sehr bescheidenem sozialen Status erschließen, verweist die zweite trotz ihres fragmentarischen Zustandes auf eine mit höchsten Ämtern verbundene und zugleich vermögende Angehörige der Oberschicht.
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
Auch wenn die soziale Stellung der in den Kollegien organisierten Personen teilweise nur erahnt werden kann, wird doch sichtbar, daß sich im Gesamtspektrum der Kultteilnehmer sehr unterschiedliche Gruppen präsentieren, welche sich etwa hinsichtlich ihrer Herkunft, ihrer gesellschaftlichen Stellung oder ihrer Klientelverhältnisse stark unterscheiden. Dabei lassen die im Heiligtum der ägyptischen Götter tätigen Vereinigungen erkennen, daß sie außerhalb des engeren Rahmens des Kultes eine weitere Bezugsebene schufen, die eine Möglichkeit zur sozialen Differenzierung der Kultteilnehmer darstellte. 3.3.6. Doy9mow der Aphrodite Epiteuxidia und synh1ueia der Purpurfärber Am Ende dieses Kapitels sollen zwei unterschiedliche Vereinigungen betrachtet werden, deren Zusammenschluß zunächst vorrangig beruflich motiviert erscheint. Auch hier lassen die überlieferten Zeugnisse jedoch – wenngleich in beiden Fällen in sehr unterschiedlicher Weise – religiöse Aktivität erkennen. Den ersten zu besprechenden Text bildet eine im Stadtgebiet gefundene und erstmals 1992 publizierte postume Ehreninschrift.505 Sie ist ins Jahr 90/91 n. Chr. datiert und trägt unterhalb des Textes in flachem Relief eine Darstellung eines Steuermannes auf seinem Schiff.506 Dem Text zufolge wurde das Denkmal von einem Verein, dem Doy9mow 3Afrodei1thw 3Epiteyjidi1aw, errichtet. Das vermutlich phrygische oder lydische Wort doy9mow ist hierbei in Griechenland erstmals inschriftlich überliefert, findet sich aber neben seinem hauptsächlichen Verbreitungsgebiet in Kleinasien vereinzelt im Balkanraum belegt.507 Bezeichnet es in seinem Ursprungsgebiet offenbar ausschließlich Kultvereine, sind durch griechische Autoren Gleichsetzungen mit dem Begriff der symbi1vsiw überliefert, die nach Voutiras darauf hinweisen, daß das Wort „außerhalb seines engeren Ursprungsbereiches als generelle Vereinsbezeichnung verwendet“ wurde und hierbei auch Berufsvereine kennzeichnen konnte.508 Die Schiffsdarstellung mit dem Steuermann bezieht sich zweifellos auf den Beruf des Verstorbenen und ist ein Hinweis darauf, daß sich der Verein aus Schiffseignern oder seefahrenden Kaufleuten zusammensetzte.509 505
Zur Vermutung einer Kenotaphinschrift vgl. oben Anm. 463. Die Stele und das Relief sind abgebildet bei VOUTIRAS 1992 Taf. 16 Abb. a–b = SEG 42, 1992, 625. Der Text der Inschrift lautet: Doy9mow 3Afro/dei1thw 3Epitey/jidi1aw a3rxisy(hedera)/nagvgoy9ntow / G(aQ1oy) Ay3trvni1oy Lei1/berow toy9 kai2 Gly1kvnow, grammatey1/ontvw K(oQ1ntoy) Poypi1oy Ka1storow, (hedera)/ e3jetastoy9 E 4 rmoge1noyw toy9 Di/oge1noyw, A 3 uhni1vna Prajite1loyw 3Amastri/ano2n e5jv teleyth1santa mnei1aw e7neken / di' e3pimelhtv9n tv9n ay3tv9n (hedera) xai9re= kai2 sy2 ti1w pot' ei5. bkr' [= Jahr 122 der aktischen Ära; 90/91 n. Chr.]. 507 Zum Begriff VOUTIRAS 1992, 88–89 mit Literatur. 508 VOUTIRAS 1992, 90. 509 Zum Bezug der Aphrodite zur Seefahrt VOUTIRAS 1992, 91–93 mit Literatur. 506
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Zudem stammt der Verstorbene aus der Stadt Amastris an der Südküste des Schwarzen Meeres, hat sich also vielleicht zusammen mit anderen ausländischen Kaufleuten, vielleicht auch mit Einheimischen, zu einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossen.510 Daß hierbei der Zusammenschluß in seiner Benennung jeden Hinweis auf den Beruf vermied, sondern die Vereinigung entweder als Kultverein oder als Landsmannschaft erscheinen ließ, ist gerade für Thessaloniki durch den Verband der Asianoi – die ja eben nicht nur Orientalen umfaßten – (IGThess 309) belegt und findet auch außerhalb Thessalonikis zahlreiche Entsprechungen.511 Die als Inhaber der Vereinsämter Genannten tragen in zwei Fällen (a3rxisyna1gvgow, grammatey1w) römische Namen. Auch hier wird, wie zumeist, nicht klar, ob es sich um Nachkommen oder um Freigelassene von Römern handelt, die sich seit der späten Republik in verstärktem Maße als Händler in der Stadt niedergelassen hatten.512 Daneben ist das seltene, hier nachrangig genannte und somit vielleicht mit geringerem Ansehen verbundene Vereinsamt des e3jetasth1w513 durch einen Peregrinen belegt. Der Verein umfaßt also Menschen verschiedener Herkunft, Abstammung und sozialer Stellung, deren verbindendes Interesse zunächst in ihrer Berufstätigkeit gelegen haben dürfte. Die Besetzung der Hauptämter mit Personen, die mutmaßlich das römische Bürgerrecht besaßen und somit die wohl einflußreichsten unter den Vereinsmitgliedern waren, hat E. Voutiras besonders hervorgehoben. Gleichzeitig wies er darauf hin, daß deren Mitgliedschaft in einem ansonsten gleichermaßen aus Einheimischen wie ortsansässigen Fremden gebildeten Verein Zeugnis „der allmählichen Eingliederung der ‚römischen‘ negotiatiores, beziehungsweise ihrer Nachkommen und Freigelassenen, in die lokale Gesellschaft“ sei.514 Die Vorteile seien dabei beiderseitig gewesen: Einerseits konnten die Peregrini durch ihre Mitgliedschaft in den Vereinen auf die Hilfe der zuweilen einflußreichen magistri rechnen, andererseits war für jene die Mitgliedschaft in den Vereinen ein 510
VOUTIRAS 1992, 90–91. POLAND 1909, 107. 512 RIZAKHS 1986. RIZAKIS 2002. 513 3Ejetastai1 als Vereinsämter sind in Griechenland – im Gegensatz zum recht häufig belegten städtischen Amt – offenbar selten (VOUTIRAS 1992, 94, vgl. EpThess 199 mit Anm. 309). In Thessaloniki hingegen – wo umgekehrt der e3jetasth1w als städtisches Amt bisher unbekannt ist – ist dieser als Vereinsamt gleich mehrfach belegt, vgl. neben der Inschrift zum doumos auch die Texte EpThess Kap. II Nrn. 8 und 14–15. Die nachrangige Nennung des Amtes findet sich hierbei in allen der genannten Texte. Das Amt beinhaltete offenbar die Verantwortlichkeit für die Durchführung der Bestattung (zusätzlich zu einem genannten e3jetasth1w führt EpThess Kap. II Nr. 14 in dieser Funktion drei e3pimelitai1 an). Dem e3jetasth1w oblag möglicherweise auch die Überwachung der anfallenden Kosten, er erfüllte dann also die Funktion des sonst häufig genannten – in Thessaloniki als Vereinsamt aber unbelegten – tami1aw: Vgl. EpThess 200 mit Anm. 313. 514 VOUTIRAS 1992, 94. 511
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Mittel zur Sicherung ihrer gesellschaftlichen Stellung. Zeigen sich im eben Genannten deutlich pragmatische Gründe für eine Mitgliedschaft im doy9mow, so kann selbst der Beiname der Aphrodite Epiteuxidia – vom Verb e3pitygxa1nv abgeleitet, etwa: ‚zum Gelingen verhelfend‘ – in besonderem Maße auf beruflichen Erfolg bezogen werden. All dies darf aber nicht dazu verleiten, den Verband – wie dies Voutiras vorschlägt – als einen reinen Berufsverein zu deuten. Die prominente Nennung des Göttinnennamens in der Vereinsbezeichnung weist zunächst auf deren zentrale Stellung bei Kultfeiern hin, die wir als einen wesentlichen Bestandteil des Vereinslebens sicher nicht ausschließen können. Daneben sprechen die im doy9mow vertretenen Ämter sogar für einen überwiegend kultisch ausgerichteten Charakter der Vereinigung, finden sich die genannten Amtsbezeichnungen im epigraphischen Material aus Thessaloniki doch sämtlich bei Vereinigungen belegt, die sich als Gruppierungen mit deutlich kultischem Interessenschwerpunkt präsentieren515 oder – im Falle zweier fragmentierter Texte516 – zumindest nicht als solche auszuschließen sind. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, daß man für die Vereinigung mit dem Begriff doy9mow eine Bezeichnung gewählt hat, die für einen Kleinasiaten wie den aus Amastris stammenden Athenion mit einer deutlichen Konnotation von ‚Kultverein‘ verbunden sein mußte. Nicht minder interessant ist der Umstand, daß die vom Verein gewählte Epiklese der Epiteuxidia eine bisher weder in Thessaloniki noch andernorts belegte Form darstellt. Auch dies ist unter den Kultvereinen der Stadt nicht ohne Beispiel: Als Parallele zu nennen ist die Mystenvereinigung des Zeus Dionysos Gongylos (IGThess 259), bei der erkennbar wird, daß die Verehrung einer Gottheit, die vom Spektrum der in der Stadt traditionell verehrten Gottheiten deutlich abgesetzt ist, auch ein Mittel der sozialen Abgrenzung der Mitglieder der Gemeinschaft nach außen hin darstellt.517 Als ein ähnlicher Fall einer in der Stadt sonst nicht vertretenen und damit wohl bewußt als ‚besonders‘ ausgewählten Gottheit kann die Artemis Gourasia der gleichnamigen Vereinigung angenommen werden: Auch hier ist die Epiklese bisher singulär, ihre Herleitung unklar.518 515 a3rxisyna1gvgow: EpThess Kap. II Nr. 4 (synh1ueiw Goyrasi1aw [ A 3 ]rte1mid[ow], Ende 1. Jh./1. Hälfte 2. Jh. n. Chr.). 6 ([synh1uei]w H 4 rakle1[oyw], 2. Jh. n. Chr.). 15 (synh1ueia h7rvow Ai3nei1a, 125/126 n. Chr.). – grammatey1vn: IGThess 288. 289 (synh1ue[iw] toy9 4Hrakle1ow, ca. 155 n. Chr.). EpThess Kap. II Nr. 4 (s.o.). 5 ([synh1ueiw vel synh1ueia 3Arte1]midow 3Akrai1aw, 117/118 n. Chr.). 8 (synkli1tai des ueo2w 7Ycistow, 2. Hälfte 1. Jh. n. Chr./Anf. 2. Jh. n. Chr.). 14 (unbekannter Verein, 234 n. Chr.). – e3jetasth1w: EpThess Kap. II Nr. 4 (s.o.). 5 (s.o.). 13 (unbekannter Verein, 1. Hälfte 3. Jh. n. Chr.). – e3pimelhth1w (zum Amt vgl. EpThess 203): IGThess 288. 289. EpThess Kap II Nr. 14 (s.o.). 516 EpThess Kap. II Nr. 13. 14. 517 Vgl. oben Abschnitt 3.3.4. sowie STEIMLE 2006 bes. 34 und 37. 518 EpThess Kap. II Nr. 4 (s. hier Anm. 515). Zum Beinamen s. EpThess 148f. Die Vereinsmitglieder spezifizieren sich als synh1ueiw [th9w] Goyrasi1aw 3Arte1midow ... th9w pro2w tü9
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Auch im Falle der Epiteuxidia sollte in der Verehrung einer Sonderform der Aphrodite vermutlich eine Abgrenzung zum übrigen Kult der Aphrodite in der Stadt geschaffen werden. Somit dürfte der Beiname eigens für den Vereinszweck gewählt, vielleicht sogar ‚entwickelt‘ worden sein, um dabei auch einer Unterscheidbarkeit des doumos gegenüber anderen Vereinen zu dienen. Dies bedeutet dann, daß ein Kult der Epiteuxidia in Thessaloniki nur von den Mitgliedern des doumos ausgeübt wurde. Da eine Teilnahme an diesem ‚Sonder‘-Kult somit die Mitgliedschaft im doumos und damit zunächst gleichgerichtete soziale oder berufliche Interessen erforderte, wird hier de facto ein exklusiver Kult einer sozial definierten Personengruppe geschaffen. Die im doumos der Aphrodite Epiteuxidia zu erkennende beruflichgesellschaftliche Motivierung der Mitgliedschaft in einer als überwiegend kultisch charakterisierten Organisationsform zeigt, daß eine Kategorisierung dieser Vereinigung als ‚reiner Berufsverein‘ oder ‚reiner Kultverein‘ kaum möglich, eine Unterscheidbarkeit vielmehr illusorisch ist. Auch wenn nicht zu klären sein wird, welchen Anteil der Kult beziehungsweise die beruflich-gesellschaftliche Interessenvertretung jeweils am Vereinsleben hatten, so muß doch festgehalten werden, daß sich hier ein Verein – mit deutlich erkennbaren pragmatischen Interessen – in einer Form organisiert hat, die sich eindeutig nach dem Muster eines Kultvereins organisiert hat: Um sich als ‚Lobbygruppe‘ zusammenzuschließen, hat der doy9mow der Aphrodite Epiteuxidia den Weg gewählt, einen Kult zu gründen und sich unter dessen Mantel zu versammeln. Ein weiterer in Thessaloniki belegter Verein ist durch die Grabinschrift für einen gewissen Menippos, Sohn des Amias, des auch Severus Genannten, überliefert.519 Ihren knappen Text hat die synh1ueia tv9n porfyroba1fvn th9w o3ktvkaideka1thw verfaßt, also ein Berufsverband der Purpurfärber, die sich nach dem Stadtbezirk benannt haben, in dem sie ihr Gewerbe ausübten, und die sich damit möglicherweise von anderen Purpurfärbern in der Stadt unterscheidbar machen wollten.520 Über den Umstand der Bestattung eines Mitglieds hinaus läßt die Inschrift nichts über den 3Axe1rdö9, womit offenbar auf ein Heiligtum an einem – bisher nicht lokalisierten – Ort 5Axerdow Bezug genommen wird (zu einer möglichen Identifizierung mit dem zwischen Beroia und Aloros angesiedelten Acerdos der Tabula Peutingeriana s. EpThess 149 mit Anm. 150f.). 519 IGThess 291 (ca. Ende des 2. Jhs. n. Chr.): 4H synh1ueia tv9/n porfyroba1f/vn th9w o3ktv/kaideka1thw / Me1nippon 3Ami1oy / to2n kai1 Sebh9ron / Uyateirhno2n mnh1mhw / xa1rin. Die heute in Istanbul aufbewahrte Marmorstele trägt neben der Inschrift ein Relief mit der Darstellung des Thrakischen Reiters. 520 Als das zu o3ktvkaideka1th zu ergänzende Wort ist platei1a, a5mfodow o.ä. vermutet worden (s. den Inschriftenkommentar); die Inschrift wurde gelegentlich als Beleg für eine Numerierung der insulae (vgl. TOURATSOGLOU 1988, 8 Anm. 23) oder aber der Straßenzüge (so VITTI 1996, 56 Anm. 65; 78 mit Anm. 192) herangezogen.
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
Inhalt des Vereinslebens erkennen. Was die Inschrift für die Religionsgeschichte Thessalonikis dennoch interessant macht, ist nicht nur der Beruf des Verstorbenen, sondern auch seine Herkunft aus der lydischen Stadt Thyateira. Bereits der Herausgeber Ch. Edson hatte dem Inschriftentext das Zitat der Apostelgeschichte zur Seite gestellt, nach dem Paulus und seine Begleiter in Philippi im Hause einer ‚Frau namens Lydia‘, einer ‚Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira‘ untergekommen seien.521 Daß die Lydia der Apostelgeschichte den inschriftlich genannten Menippos gekannt haben kann, schließt schon der zeitliche Abstand der Paulusreise zu der an das Ende des 2. Jahrhunderts nach Christus datierten Inschrift aus. Dennoch ist es nicht unwahrscheinlich, daß es auch zur Zeit des Paulus zwischen Lydia und einigen Purpurfärbern aus Thessaloniki Verbindungen gegeben hat: Purpurstoffe sind als Funde der hellenistischen Zeit schon aus den makedonischen Königsgräbern bekannt; Thessaloniki war spätestens bei Niederlassung italischer Händler in spätrepublikanischer Zeit von Hafen und Handel wesentlich mitbestimmt. Somit wäre es eher ungewöhnlich, wenn das für das 2. Jh. belegte Gewerbe der Purpurfärber hier nicht auch schon zu Zeiten der Paulusmission bestanden hätte. Die Grabinschrift legt sogar nahe, daß es zur Zeit ihrer Abfassung so viele Purpurfärber in der Stadt gab, daß sie sich getrennt nach Stadtbezirken organisierten: Dies kann nur bedeuten, daß sich das Gewerbe dort nicht binnen kurzer Zeit angesiedelt hatte, sondern auf eine gewisse Tradition zurückblicken und somit ohne weiteres ins erste Jahrhundert zurückreichen konnte. Gleichzeitig waren purpurgefärbte Artikel zu allen Zeiten Luxusprodukte, für die – wie auch für den Färberohstoff – ein einigermaßen beschränktes Vertriebsnetz vorausgesetzt werden muß. Rohstoffhändler und -verarbeitende der Region dürften sich also auch über weitere Entfernungen hinweg gekannt haben. Hinzu kommt, daß zu den beiden Belegen für in Makedonien tätige, aus Thyateira stammende Purpurhändler noch ein dritter in Form einer Ehreninschrift aus Philippi tritt.522 521
Apg. 16, 13–15: … kai2 kaui1santew e3laloy9men tai9w syneluoy1saiw gynaiji1n. kai1 tiw gynh2 o3no1mati Lydi1a, porfyro1pvliw po1levw Uyati1rvn, sebome1nh to2n ueo1n, h5koyen, hßw o4 ky1riow dih1noijen th2n kardi1an prose1xein toi9w laloyme1noiw y4po2 Pay1loy. v4w de2 e3bapti1suh kai2 o4 oi0kow ay3th9w, pareka1lesen le1goysa= ei3 kekri1kate1 me pisth2n tö9 kyri1ö ei0nai, ei3seluo1ntew ei3w to2n oi0kon moy me1nete= kai2 parebia1sato h4ma9w. – Da die Anwesenheit des Paulus in Philippi h3me1raw tina1w (Apg. 16, 12) währte, kann man dies auch für seinen Aufenthalt im Hause der Lydia annehmen. 522 PILHOFER II 697/M580: To2n prv9ton e3k tv9n por/fyroba1f[vn 3An]ti1oxon Ly1koy / Uyateir[hn]o2n ey3erge1t[hn] / kai2 [...] h4 po1liw e3t[i1mhse]. – Bei der heute verschollenen Inschrift liegt die besondere Situation vor, daß ihr Text ausschließlich durch den Ende des 19. Jhs. tätigen Stay1row Mertzi1dhw überliefert ist. Mertzidis wurde durch Louis Robert (Hellenica V: Inscriptions des Philippes publieés par Mertzidès, RevPhil 13, 1939, 136–150) zwar als Fälscher mehrerer Inschriftentexte entlarvt, bringt daneben aber auch echtes Material. In einem längeren Exkurs kann Pilhofer die Echtheit der Inschrift wahrscheinlich machen. Für
3.3. Religiöse Aktivitäten von Gruppen und Vereinigungen
195
Auch Ch. vom Brocke hatte die von Edson gezogene Verbindung aufgegriffen und darüber spekuliert, ob der für Thessaloniki überlieferte Aufenthalt des Paulus im Hause eines gewissen Iason nicht auf eine Empfehlung der Lydia hin erfolgt sein könnte. Immerhin kann vom Brocke wahrscheinlich machen, daß es sich bei Iason wohl nicht um einen völlig Fremden handelte, der, wie es bei Lydia der Fall gewesen war, dem Paulus erst nach seiner Hinwendung zum Christentum Unterkunft angeboten hätte, sondern um jemanden, den Paulus bereits kannte oder der ihm empfohlen worden war. Es wäre also denkbar, daß Lydia angesichts der geplanten Weiterreise des Paulus nach Thessaloniki diesem dort die Aufnahme in das Haus eines ihr bekannten Geschäftspartners vermittelte. Ähnliche Vermittlungen sind auch für andere Stationen der apostolischen Reisen belegt oder zu erschließen.523 Die angestellten Mutmaßungen über die Verbindungen der Purpurhändlerin aus Philippi zu zeitgenössischen Berufskollegen in Thessaloniki sind selbstverständlich völlig hypothetisch. Die in Makedonien gleich mehrfach belegte Herkunft von Purpurfärbern und -händlern aus Thyateira läßt annehmen, daß Lyder hier einen wesentlichen Anteil an diesem Gewerbezweig hatten. Die gemeinsame Herkunft macht dabei wahrscheinlich, daß deren örtlichen Zusammenschlüssen ebenso wie ihren überörtlichen Kontakten – neben den beruflichen Interessen – auch landsmannschaftliche und zum Teil vielleicht sogar verwandtschaftliche Bindungen zugrunde lagen: Fern der gemeinsamen Heimat kommt solchen Beziehungen erfahrungsgemäß häufig eine besondere Bedeutung zu. Dies zeigt, daß im Umfeld von Berufsverbänden stets auch mit Faktoren zu rechnen ist, welche Netzwerke persönlicher Verbindungen entstehen lassen können, die in den Quellen üblicherweise völlig unsichtbar bleiben. Im speziellen, besonders prominenten Fall der Purpurhändlerin Lydia wäre diese Verbindung über die Stadtgrenzen Philippis hinaus nach Thessaloniki wirksam gewesen und hätte dabei dort zur Verbreitung religiöser Neuerungen beigetragen. So, wie sich der doumos der Seefahrer Aphrodite wählte, könnten die Purpurhändler über den Christus- oder Jahwe-Kult enger zusammengefunden haben, auch wenn uns weitergehende Zeugnisse hierfür fehlen. 3.3.7. Das Wirken von Vereinigungen im städtischen Umfeld Die in Thessaloniki belegten Vereine und sonstigen Zusammenschlüsse weisen hinsichtlich der Rolle, welche Religion in ihren Aktivitäten spielt, große Unterschiede auf. Sie zeigen somit ein breites Spektrum von Motivationen, diese könnte zudem sprechen, daß eine andere, unverdächtige Quelle möglicherweise ein Fragment dieser Inschrift in einem späteren, stärker zerstörten Zustand überliefert; vgl. PILHOFER I, 10f. 523 VOM BROCKE 236 mit Quellen.
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Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
die einer Formierung als Gruppe oder der Mitgliedschaft in ihr zugrunde liegen konnten. Eine städtische Initiative läßt sich für den Zusammenschluß der neoi vermuten, dem die Verantwortlichkeit für Ehrungen stadtfremder Wohltäter übertragen wurde. Die Ausschmückung dieser Ehrungen mit gymnasialen Wettspielen läßt hierbei weniger ein Eigeninteresse der Mitglieder erkennen als vielmehr eine von festlicher Repräsentation geprägte Aufgabe, welche die neoi für die Stadt zu leisten hatten. Betont repräsentatives Auftreten und Ehrungen in hochgradig öffentlichem Rahmen sind auch für die Aktivitäten der synpragmateuomenoi Rhomaioi kennzeichnend. Dabei berühren die Rhomaioi eben jenen Zwischenbereich zwischen kultischer Ehrung und der Ehrung verdienter Wohltäter, den die Stadtgemeinde durch die gymnasialen neoi bedienen läßt. Obwohl auch die Rhomaioi in den Inschriften ausschließlich als Gruppe in Erscheinung treten – und hierbei noch namenloser bleiben als die neoi – handeln sie nicht im Auftrag der Stadt, sondern in eigener Sache. Die Bezugnahme auf Ämter des Kaiserkultes beziehungsweise auf die in dessen Umkreis angesiedelten Kulte erscheint im Sinne einer Repräsentation instrumentalisiert, die bewußt auf politischen Einfluß zielt. Neben einer ausdrücklichen ethnischen Definition der Gruppe stellt ihre Beteiligung an Kulten, die eine unmittelbare Verbindung zur herrschenden Situation der römischen Dominanz herstellen, einen Versuch dar, sich im politischen Gefüge der Stadt – und somit als ‚dazugehörig‘ – an einflußreicher Stelle zu positionieren. Mitgliedschaften in Vereinigungen zum Zwecke der Sicherung einer gesellschaftlichen Stellung lassen sich bei mehreren der behandelten Zusammenschlüsse wahrscheinlich machen. Im Falle der Dionysosvereine und der Kultfunktionäre der ägyptischen Götter sind solche gesellschaftlichen Gruppenbildungen und Rangordnungen, die wohl teilweise sogar für die Besetzung von Kultämtern bestimmend werden, deutlich erkennbar. Zum Teil dürften die aus der Mitgliedschaft zu erwartenden Vorteile eher bescheiden gewesen sein und im hohen Maße auf dem gesellschaftlichen Ansehen, vor allem aber wohl auf dem wirtschaftlichen Vermögen des prostates beruht haben. Dennoch wird das Vereinssystem in jedem Falle für beide Seiten, für die Mitglieder ebenso wie für die tendenziell ‚höherrangig‘ mit römischen Bürgern besetzten Vereinsvorsitze, Vorteile geboten haben. Nutznießer auf Mitgliederseite waren hierbei zum Teil Zugewanderte, wie sie in Thessaloniki gleich mehrfach belegt sind (die ‚römischen Handeltreibenden‘, der Zusammenschluß – von Händlern? – der Asianoi; der Seemann aus Amastris aus dem doumos der Aphrodite Epiteuxidia; der Purpurfärber aus Thyateira): Dies unterstreicht deutlich die gesellschaftlich integrative Funktion der Vereinsmitgliedschaften. Im Falle der Berufsverbände herrscht aber gleichzeitig eine Vermischung von beruflich-korporativen und kultischen Interessen vor. Erschei-
3.3. Religiöse Aktivitäten von Gruppen und Vereinigungen
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nen sie vordergründig als Berufsverbände – und sind in ihrer Entstehung vielleicht sogar vorrangig so motiviert –, so treten die überlieferten Vereine dann in der Form überwiegend religiös bestimmter Gruppen an die Öffentlichkeit. Dies betrifft ihre Benennung – die häufig, wie im Falle der Aphrodite Epiteuxidia, keinen äußeren Hinweis auf eine berufliche Gruppierung bietet – ebenso wie ihre Organisationsform, die sie mit einer Anzahl vergleichbarer Vereine im Thessaloniki teilt. Die Interessenlage der Mitglieder kann in den entsprechenden Vereinigungen ebenso kultisch wie beruflich-sozial bestimmt sein. Was im Einzelfall zutraf oder was eventuell den ‚Hauptzweck‘ der Vereinigung ausmachte, muß uns zwar in aller Regel unbekannt bleiben. Eine Klassifizierung der Vereinigungen als ‚reine Berufsvereine‘ läßt sich aber nicht treffen. Eine klare Trennung beruflichsozialer und kultischer Interessen ist in den Zusammenschlüssen nicht erkennbar: Die Grenzen zwischen profanem Trinken und dionysischem Gelage waren im geselligen Beisammensein der Kollegiaten mindestens fließend, vielleicht nicht einmal existent; auch gibt es keinen Grund daran zu zweifeln, daß die Verehrung der göttlichen Vereinspatrone – die nach außen hin als Etikett zur Unterscheidung der Vereine voneinander auch einen ganz profanen Zweck erfüllten – im Rahmen der Zusammenkünfte einen wichtigen Stellenwert besessen hat. Große Unterschiede sind beim Vergleich der Aktionsräume festzustellen, in denen die untersuchten Vereinigungen in Erscheinung treten. Hier ist gerade bei elitären, gesellschaftlich herausragenden Gruppen zu erkennen, daß ein Anspruch auf Selbstdarstellung im öffentlichen Raum erhoben wird. Die neoi verfügen mit dem Gymnasium über einen eigenen Wirkungsort mit großer Öffentlichkeitswirkung, in anderen Fällen ist es die Agora, die etwa von den synpragmateuomenoi Rhomaioi als diejenige Stelle genutzt wird, an der sie als Gruppe in Erscheinung treten. Dort wird man auch den Publikationsort der Ehreninschrift der synthreskeutai kleines megalou theou Sarapidos (IGThess 192), einer der exklusivsten in Thessaloniki belegten Vereinigungen, für ihren Vorsitzenden vermuten dürfen, für deren Aufstellung eigens die Zustimmung der höchsten Stadtbehörden eingeholt wurde. Bei den meisten anderen Vereinigungen kann über etwaige Aktionsräume außerhalb ihrer eigentlichen Vereinslokale wenig ausgesagt werden. Bei den Grabinschriften, welche einen wesentlichen Teil der Überlieferung von Vereinen darstellt, dürfte die beabsichtigte ebenso wie die erzielte Öffentlichkeit in der Regel eher gering gewesen sein. Neben den Nekropolen sind als Aufstellungsorte postumer Ehren- oder Gedenkinschriften, wie sie in Thessaloniki innerhalb des ummauerten Stadtgebietes mehrfach erschlossen werden können, auch Vereinslokale zu denken. Für diese als Aufstellungsort spricht insbesondere die bei einigen der Inschriften dionysischer Vereinigungen recht knappe Formulierung, die als Leserschaft am ehesten an einen Kreis von ‚Insidern‘ denken läßt. Ein gemein-
Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
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samer Grabbezirk, an den man unter anderen Umständen denken könnte, scheidet hier angesichts des gemeinsamen innerstädtischen Fundortes aus. Über Lage und Gestalt von Vereinslokalen können in Thessaloniki aufgrund der Quellensituation nur wenige und eher vage Aussagen gemacht werden. Die Fundortangaben der meisten Inschriften ermöglichen keine Rückschlüsse auf die Lage der Vereinslokale: Falls die Fundorte überhaupt bekannt sind, so lassen diese auf eine Verschleppung schließen (z.B. aus der spätantiken Stadtmauer) oder sich – bei Grabsteinen – allenfalls bestimmten Nekropolen zuordnen. Archäologische Befunde von Vereinshäusern sind in Thessaloniki bisher nicht bekannt. Der einzige in seinen Überresten bekannte Kultort eines Vereins könnte der unterirdische Raum des Apsistempels im Heiligtum der ägyptischen Götter sein, eine Verbindung mit der Mystenvereinigung des Zeus Dionysos Gongylos (IGThess 259) ist jedoch hypothetisch.524 Daß diese im Heiligtum ansässig war, wird allerdings durch den Fundort der Inschrift sehr wahrscheinlich gemacht; dies bedeutet, daß das Heiligtum auch solchen Vereinen räumliche Unterkunft bot, die sich anderen Gottheiten als den ägyptischen widmeten. Auf eine Gruppe von Amtsträgern im Kult einer ägyptischen Gottheit verweist wiederum das Textfragment IGThess 16 mit der Erwähnung der Weihung eines agalma (des Sarapis?). Der Fundort dieser Inschrift etwas südlich der Grabungsstelle des Heiligtums der ägyptischen Götter könnte an die Möglichkeit denken lassen, daß dort, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft, aber dennoch räumlich von ihm abgesetzt, ein Vereinsraum mit kultischer Funktion zur exklusiven Nutzung durch eine Gruppe von Amtsträgern geschaffen wurde, denen ein einflußreicher Patron vorstand. Die weitestreichenden Schlüsse zu Vereinsstätten können aus einer Anzahl von Zeugnissen zu dionysischen Vereinigungen gezogen werden. Der Befund der Inschriften aus dem Umkreis der Acheiropoietos-Basilika erlaubt trotz der Bedenken der jüngeren Forschung das Festhalten an einer bereits 1948 geäußerten Vermutung eines Dionysos-Heiligtums in diesem Bereich. Allerdings kann es sich hier nicht um das ‚zentrale‘ Dionysosheiligtum der Stadt gehandelt haben. Vielmehr hat man es hier sehr wahrscheinlich mit einem Heiligtum zu tun, dessen Bestand untrennbar an seine Nutzung durch Vereine gebunden war und das somit nicht als ‚eigenständiges‘ Heiligtum fungierte. Diese Nutzung scheint durch verschiedene thiasoi erfolgt zu sein, wobei nicht deutlich wird, ob dies teilweise auch zeitgleich oder ausschließlich nacheinander geschah. Für ein zeitliches Nacheinander könnte die fehlende Differenzierung der thiasoi in den Inschriften sprechen: Agierte jeweils nur ein Verband gleichzeitig, war eine solche Unterscheidung nicht nötig. Daß die zu erschließende Anlage somit offenbar über einen längeren Zeitraum hinweg immer wieder von thiasoi 524
Steimle 2006, 35f.
3.3. Religiöse Aktivitäten von Gruppen und Vereinigungen
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genutzt wurde, läßt gleichzeitig vermuten, daß ihr baulicher Charakter eher einem Heiligtum als einem funktional beliebig nutzbaren Vereinsheim entsprochen hat: Immerhin scheint es Gründe für die offenkundige Präferenz der Vereine gerade für diesen Ort gegeben zu haben. Die Überlegungen zu einer Abfolge verschiedener dionysischer thiasoi an einem Ort führt zur Frage nach der Bestandsdauer der in Thessaloniki belegten Vereinigungen. Eindeutige Antworten hierauf lassen sich angesichts der dünnen Materialbasis und der zumeist nur einmaligen Nennung der Zusammenschlüsse nicht finden. Einzig das Testament der Priesterin Euphrosyne (IGThess 260) bietet in seiner Verfügung der Weiterreichung des Erbes bei Ausfall des erstbegünstigten thiasos einen Hinweis darauf, daß durchaus auch mit einer begrenzten Lebensdauer der Vereinigungen gerechnet wurde. Eine wesentliche Funktion der mit Heiligtümern verbundenen Kultvereine bestand darin, daß diese gesellschaftliche Konstellationen innerhalb der Mauern des Heiligtums reproduzierten oder sogar neu formierten, unabhängig davon, ob damit eine tatsächliche oder fiktive Ordnung abgebildet wurde. Diese Funktion von Kultvereinen ist in Thessaloniki besonders deutlich zu machen am Beispiel der hieraphoroi synklitai, bei denen sich die Überlagerung sakraler und gesellschaftlicher Funktionen bereits im zweigeteilten Vereinsnamen andeutet. Hier scheint es, als habe der formal dem eigentlichen Kultamt untergeordnete Verein faktisch die Bedingungen für die Teilnahme am übergeordneten Kultamt der hieraphoroi vorgegeben. Erkennbar ist also auch ‚nahe am Kult‘, innerhalb der Amtsträger eines Kultes, ein Bedürfnis nach sozialer Differenzierung. In der Bildung der Vereine zeigen sich bestimmte Grundschemata, die im überlieferten Material mehrfach zu beobachten sind. So treten uns die Vereine wiederholt in betonter Abgrenzung zu etablierten Kulten entgegen: Dies kann zum einen durch eine räumliche Trennung des Vereinsheims von der etablierten Kultstätte der verehrten Gottheit geschehen, wie wir es im Falle des Dionysos annehmen dürfen. Sind Vereine hingegen – wie im Falle des Heiligtums der ägyptischen Götter – räumlich an bestehende Heiligtümer angeschlossen, so lassen sich Fälle der Verehrung von ‚Sondergottheiten‘ beobachten, die im Götterspektrum der Stadt keine Entsprechung haben und den Vereinskult auf diese Weise deutlich vom öffentlichen Kult abgrenzen. In Ansätzen sind solche Tendenzen der Aufgliederung bestehender Kulte bereits in den singulären Anrufungen der Isis Memphitis525 (um die Zeitenwende) oder der Isis Orgia526 (2. Jh. n. Chr.) zu sehen, die als Initiative Einzelner vermutlich nur kurzen Bestand hatten. Lassen sich die frühen Belege zum Teil als Innovationen von Einwanderern der ersten Generation 525 526
Vgl. hier Abschnitt 3.1.8. Vgl. hier Abschnitt 3.1.5.
200
Kapitel 3: Ausgewählte Kulte Thessalonikis
verstehen – einen ähnlichen Fall bilden bereits die Weihungen an die ‚delische Trias‘ im 2./1. Jahrhundert vor Christus527 –, so betreffen spätere, vor allem kaiserzeitliche Belege den Integrationswillen hinzugekommener Neubürger vermutlich ebenso wie die Differenzierungsbestrebungen etablierter Einwohnerschichten. Mit Initiativen zur Schaffung von solchen ‚Kulträumen‘ – von sicher sehr unterschiedlicher zeitlicher oder räumlicher Wirksamkeit – muß also zu allen Zeiten gerechnet werden. Zum verbreiteten Phänomen wird die Auflösung der klassischen Kulte dann im Aufkommen des kaiserzeitlichen Vereinswesens, als dessen Orte der Religionsausübung eigene, vom traditionellen Kultort in der Stadt abgegrenzte Vereinskultorte der Regelfall werden. In ihren Bestrebungen zur Differenzierung schaffen sich die Kultteilnehmer die sozialen Rahmenbedingungen ‚ihres‘ Kultes also selbst oder wählen diese durch ihre Mitgliedschaft in einer Vereinigung aus. Diese Aufspaltungstendenzen zeigen, daß sich die Teilnehmer am Kult einer bestimmten Gottheit nicht mehr als eine mehr oder weniger einheitliche Gruppe bestimmen lassen: Mit ‚Teilnehmern am Dionysoskult‘ beispielsweise eine bestimmte soziale Gruppe umgrenzen zu wollen, wäre im Thessaloniki der Kaiserzeit völlig fiktiv. Die Verehrung der Polisgottheiten löst sich vielmehr zugunsten eines ganzen Spektrums von Verehrungsformen auf, die von sehr unterschiedlichen Vereinigungen getragen werden, welche wiederum in einer Vielzahl sozialer Räume agieren. Ein Kultbegriff als soziologische, eine Gruppe von Kultteilnehmern definierende Kategorie ist demzufolge nur noch dann anwendbar, wenn er diese Aufsplitterung berücksichtigt.
527
Vgl. hier Abschnitt 3.1.8.
Kapitel 4 Kapitel 4: Die Religion Thessalonikis
Die Religion Thessalonikis – die Religion einer provinzialen Großstadt Als Abschluß der Arbeit sollen die im Verlauf der Untersuchung festgestellten Befunde systematischen Betrachtungen unterzogen werden. Hierbei sind Faktoren aufzuzeigen, die im Zuge der Einbindung Thessalonikis ins römische Reich im städtischen Spektrum von Religion, und dort vor allem in Veränderungen, Brüchen, aber auch Neuformierungen sichtbar werden. Nach den Motoren des Wandels ist zu fragen: Dies können zum einen ‚Zeitumstände‘ sein, also allgemeinere und in breiterem Rahmen wirkende geschichtliche Prozesse. Daneben sind dies, wie mehrfach zu zeigen sein wird, konkret zu benennende Personen oder Personenkreise. Gerade ihre Beispiele zeigen, daß Veränderungen kaum je das Ergebnis einer abstrakten ‚Diffusion‘ sind, als welche sozialgeschichtliche Entwicklungen mangels Quellen zu ihren Ursachen, ihren Ausbreitungswegen und –richtungen sowie ihren personellen Trägern aus heutiger Sicht allzuoft wahrgenommen werden. Vielmehr stellen sich soziale Gruppen, bemerkenswert häufig jedoch auch einzelne Personen, als diejenigen Akteure dar, die in meist aktivem Handeln den Anstoß zu Innovationen geben. Eine Betrachtungsweise, so macht dies deutlich, welche das religiöse Spektrum eines Ortes allein als das kumulierte Ergebnis der dort bestehenden Traditionen – quasi als Ansammlung kultischer Überbleibsel aus älteren Zeiten – zu erklären versucht, kann den Befunden kaum gerecht werden. Indem Religion von denen, die sich ihres Instrumentariums bedienen, stets auch auf sehr pragmatische Aspekte hin überprüft wird, ist sie immer auch aus dem Moment heraus erklärbar. Sie ist aus diesem Grunde als ein sich ständig neu formierendes Ergebnis jeweils ‚augenblicklich‘ und lokal wirksamer Umstände zu betrachten. Daß nicht allein Aspekte eines ‚Glaubens‘ ausschlaggebend dafür wurden, sich an einem Kult zu beteiligen, ist kaum überraschend. In Thessaloniki machen dies verschiedene Beispiele deutlich, bei denen vor allem das Moment einer Gruppenzugehörigkeit bei der Auswahl eines Kultes bestimmend erscheint. Hierbei ist der soziale Ort der Kultausübung – sei es der engere Kreis eines Vereins, sei es, daß die Kultausübung mit einem gehörigen Maß an Selbstdarstellung in breitester Öffentlichkeit verbunden
Kapitel 4: Die Religion Thessalonikis
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war – nicht entscheidend. Auch spielt keine Rolle, ob – und in welcher Form – die Gruppe als solche organisiert ist. Wenn die Absicht einer Integration in das griechische Umfeld in der Kultausübung greifbar wird, zeigt dies, daß als ‚Gruppe‘ gelegentlich sogar die Gesamtheit der kulturell griechisch geprägten Bewohner der Stadt aufgefaßt werden kann. Explizit belegt sind solche Fälle nur vereinzelt, in universeller Weise ist der Fall jedoch allgegenwärtig: Die Rede ist von dem Phänomen, daß bei der Erstellung von Inschriften in der Stadt die griechische Sprache über alle Zeiten hinweg beherrschend blieb. Ausnahmen lateinischer Textabfassung liegen im Promillebereich. Dies macht offenkundig, daß das griechische Umfeld der Stadt über eine nicht zu unterschätzende normative Wirkung für Neuankömmlinge verfügte. Daß diese Leitfunktion des Griechischen über den Bereich der Sprache hinaus wirksam war, bestätigen besonders die im Heiligtum der ägyptischen Göttern gut belegten Italiker – die zum Teil erkennbar der ersten Einwanderergeneration angehören – mit ihrem ‚gut griechischem‘ Verhalten im dortigen Kult, aber auch die relative Kurzlebigkeit ihres Importgutes der ‚delischen Trias‘.
4.1. Rahmenbedingungen der Religion in Thessaloniki 4.1. Rahmenbedingungen der Religion in Thessaloniki
Wie groß war das römische Thessaloniki? Zu den antiken Bevölkerungszahlen der Stadt können allenfalls Vermutungen geäußert werden. Ch. vom Brocke hatte vorsichtige Schätzungen angestellt und war für das 1. Jahrhundert nach Christus zu einer Einwohnerzahl von 20.000 bis 40.000 Einwohnern gelangt, für das 3. und 4. Jh. dann von einer stark gestiegenen Einwohnerzahl, die dennoch deutlich unter 100.000 Einwohnern gelegen habe.1 Wenngleich diese Zahlenangaben mangels eindeutiger Quellen größten Unsicherheiten unterworfen sind, so steht außer Zweifel, daß die Stadt im Laufe der römischen Kaiserzeit ein massives Anwachsen ihrer Bevölkerung erlebt hat. Ein Anzeichen hierfür ist das flächenmäßige Wachstum der Stadt, das zu mehrfachen Erweiterungen des Mauerrings geführt hat, auch wenn sich diese Erweiterungen und die damit verbundenen Phasen des Wachstums zeitlich nicht sicher festlegen lassen. Für die Frühzeit unter römischer Herrschaft, in der (bis in augusteische Zeit?) eine erste Erweiterung des flächenmäßig noch sehr begrenzten hellenistischen Stadtumfangs stattgefunden haben muß, ist dessen genauere Datierung bisher überhaupt nicht möglich. Die Bevölkerungszahlen dürften daneben geschwankt haben, erinnert sei an die Pestwellen des 2. und 3. Jahrhunderts. Allerdings wird man die Bauprogramme aus antoninisch-severischer sowie aus galerianischer Zeit als Hinweise auf ein Anwachsen der Stadt 1
VOM BROCKE 71–73.
4.1. Rahmenbedingungen der Religion in Thessaloniki
203
ansehen dürfen. Doch lassen auch sie unklar, ob dieser Bevölkerungszuwachs über die Kaiserzeit hinweg mehr oder weniger stetig erfolgte oder ob dies in deutlicher ausgeprägten Wellen geschah, die mit bestimmten Epochen zu verbinden sind. Trotz aller Unsicherheiten, welche die Größe und Wachstumsphasen der antiken Stadt betreffen, steht fest, daß sich Thessaloniki bis zur Spätantike von einer verhältnismäßig kleinen Provinzstadt zu einer der wichtigsten Metropolen im griechischen Raum entwickelt hat. Ihr bedeutender Hafen ist zu nennen sowie daneben ihre Lage am Kreuzungspunkt der Via Egnatia – der nach der Einrichtung der Provinz neu geschaffenen Ost-WestVerbindung – mit der alten, nordwärts führenden Handelsroute durch das Axios-(Vardar-)Tal. Sie machten die Stadt zu einem wichtigen Stationspunkt auf Reisen zwischen Ägäis und den Donauprovinzen, zwischen Italien und Kleinasien. Ihre Bedeutung und ihr Anwachsen verdankte die Stadt somit zum Gutteil ihrer Eingliederung ins römische Reich: Die Schaffung neuer Verkehrswege und eines übergreifenden politischen Raumes, der Thessaloniki ab der Mitte des 1. Jahrhunderts nach Christus durch die Einrichtung der Donauprovinzen zudem aus seiner Randlage befreite und mit einem bis weit in den Balkanraum hineinreichenden Hinterland ausstattete, hatte wesentlichen Anteil an der wirtschaftlichen, politischen, aber auch kulturellen Entwicklung der Stadt. Die historische Situation der Stadt am Beginn der römischen Herrschaft über Makedonien war über weite Strecken hinweg von wechselnden Krisen geprägt.2 Nach dem Ende des Makedonenreiches in der Folge des dritten römisch-makedonischen Krieges (171–168 v. Chr.) folgte eine zwanzig Jahre andauernde Zeit fortwährender Unruhen, die ihren Höhepunkt in dem 148 v. Chr. niedergeschlagenen Aufstand des Thronprätendenten Andriskos fand. Neben der Abwehr der unmittelbaren Gefahren der Belagerung und Plünderung, die der Stadt in solchen kriegerischen Auseinandersetzungen drohten, sollte sich für Thessaloniki oft auch die Positionierung auf Seiten einer der gegnerischen Parteien als existentiell wichtig erweisen: So könnte eine im Andriskosaufstand gezeigte Loyalität3 Thessalonikis zu Rom zur Auswahl der Stadt als Sitz von Statthalter und Provinzialverwaltung geführt zu haben. Eine vergleichbare Situation ergab sich nach der Ermordung Iulius Caesars, als die nach Makedonien geflohenen Caesarmörder in der Schlacht von Philippi (42 v. Chr.) besiegt wurden: Treue zur schließlich siegreichen Partei des Antonius und des Octavianus war hier wohl der Anlaß für die Erhebung Thessalonikis zur civitas libera. Auf der historisch gesehen falschen Seite stand Thessaloniki hingegen rund zehn Jahre später: Im Herrschaftsbereich des Antonius gelegen, fühlte sich 2
Einen umfassenden Überblick über die Geschichte der Stadt in der Anfangszeit der römischen Herrschaft gibt VOM BROCKE 12–20. 3 Zu dieser oftmals vermuteten Loyalität kritisch VOM BROCKE 14 Anm. 19.
Kapitel 4: Die Religion Thessalonikis
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Thessaloniki nach der Schlacht von Actium zu einer Kompensation durch eine Vielzahl von Ehrbezeugungen für Augustus veranlaßt, deren umfangreichste wohl die Translozierung eines Tempels war. Eine Reihe von Krisenzeiten betraf die Stadt daneben immer wieder in allgemeinerer Weise, etwa während der Invasion des Mithradates von Pontus in Makedonien (87–85 v. Chr.), in den wiederholten Barbareneinfällen im griechischen Raum seit dem 2. Jahrhundert vor Christus oder im Bürgerkrieg gegen Caesar, in dem Thessaloniki ab 49 v. Chr. Sitz des Exilsenats unter Pompeius wurde. In den Jahren nach dem Sieg von Actium führte die Einrichtung der Provinzen Dalmatien (unter Augustus), Moesien (16 n. Chr.) und Thrakien (45/46 n. Chr.) zu Zeiten der Prosperität, die durch nun regelmäßige Münzprägungen belegt werden: Makedonien war nun keine Grenzprovinz mehr, sondern lag im Innern des römischen Reiches und damit wirksam vor Barbareneinfällen geschützt. Ein vorher nicht gekanntes Maß an Frieden und Sicherheit bildete in den folgenden anderthalb Jahrhunderten die Grundlage für die Entwicklung Thessalonikis zu einer der wichtigsten Städte im Ägäisraum. In diese Zeit fällt eine kulturelle Blüte, die sich neben vielem anderen in den Literaten zeigt, welche die Stadt beispielsweise mit dem Epigrammdichter der augusteischen Zeit, Antipatros von Thessaloniki, oder dem etwas später lebenden Philippos, Verfasser des Stephanos, hervorgebracht hat. Vom kulturellen Rang der Stadt zeugt aber auch das im Eselsroman gelobte anspruchsvolle Publikum.4 Krisenzeiten traten erneut ab dem dritten Jahrhundert ein, als die sich mehrenden Einfälle von Karpen, Goten und Herulern Stadt und Provinz vor wiederholte Bewährungsproben stellte. Die in rascher Folge wechselnden Kaiser und häufige Usurpationsversuche taten ihr übriges zur Destabilisierung der allgemeinen Lage, der sich die Stadt in einer Rückbesinnung auf die eigene Vergangenheit, aber offenbar auch in einer umfangreichen Neuorientierung ihres kultischen Lebens entgegenzustellen versucht. Bereits diese kurze historische Skizze macht deutlich, daß für Thessaloniki im Laufe seiner Geschichte als Teil des römischen Reiches die Notwendigkeit eines Reagierens auf tagesaktuelle politische Entwicklungen allgegenwärtig war. Die für uns als solche nachvollziehbaren Reaktionen sind durchweg an Römer – zunächst an Militärs und Provinzialverwalter, später an die Kaiser – gerichtete Äußerungen, die Dank für erwiesenen Schutz, aber stets auch die Hoffnung auf dessen Fortbestehen dokumentieren. Sie zeigen sich dabei in einem ausgeprägten Instrumentarium von Unterwerfungs-, Dankes- und Loyalitätsbezeugungen, aber auch in einem umfangreichen und besonders im dritten Jahrhundert zunehmend prächtig
4
Ps.-Lukian. onos 46.
4.1. Rahmenbedingungen der Religion in Thessaloniki
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ausgestalteten Formenkanon von Ehrerweisungen an den Herrscher in Rom. 4.1.1. Die gesichtslose Großstadt: Profillosigkeit und Gegenmaßnahmen konstruierter Identität Thessaloniki stellt unter den kaiserzeitlichen Städten des griechischen Festlandes eine Besonderheit dar: Die Stadt, die als Provinzhauptstadt und später als Tetrarchensitz zu einer der bedeutendsten Metropolen ihrer Zeit werden sollte, liegt in einem Bereich, der in vorrömischer Zeit bestenfalls als Randgebiet der griechischen Welt wahrgenommen worden war. Auch handelte es sich, erst 315 v. Chr. gegründet, nicht um eine der alten, traditionsreichen griechischen Städte, die wie etwa Korinth oder Athen ihren alten Ruhm und damit verbundene kultische Überlieferungen in römischer Zeit erneuern konnten, sondern um eine beinahe geschichts- und gesichtslose Stadt, die in vorrömischer Zeit allenfalls als strategischer Punkt bei Militäraktionen in Erscheinung getreten war: Der Parvenu unter den Griechenstädten des Festlandes verfügte nach unserer Kenntnis über nur wenige kulturelle und dabei auch religiöse Traditionen. Zum Teil ist dieser Mangel sicherlich in einem Quellenproblem begründet, welches sich jüngst durch den Wegfall des frühkaiserzeitlichen – nun als Wandertempel erwiesenen – ‚archaischen Dionysostempels‘ als eines Hinweises auf einen örtlich vorhandenen ‚uralten‘ Dionysoskult eher noch verschärft hat. Doch selbst erkennbar hellenistische Traditionen – etwa eines städtischen Dionysoskultes – fanden in späterer Zeit keine Fortführung, was im konkreten Fall vielleicht in einer gewandelten organisatorischen Grundlage des Kultes (kaiserzeitliches Vereinswesen) begründet ist. Hierin wird offensichtlich, daß selbst in einer Stadt von äußerlich ungebrochenem Fortbestand mit Umschichtungen und Verschiebungen in der Einbettung ihrer Kulte ins städtische Leben zu rechnen ist. Zudem erscheint das überlieferte Kultspektrum, selbst Einzelbelege und bildliche Darstellungen mitgerechnet, relativ schmal für eine Großstadt, die als durch Synoikismos gegründete Einheit eine Vielzahl von kultischen Traditionslinien erwarten lassen könnte5 und überdies im Laufe ihres vor allem kaiserzeitlichen Anwachsens den Stamm ihrer Einwohner in großem Maße noch um Zuwanderer erweitert hat. Religion erscheint darüber hinaus an keiner Stelle im Belegmaterial Thessalonikis als Identitätsträger großer Gruppen. Hieraus könnte sich etwa die Instabilität des städtischen Dionysoskultes erklären. Instabil in diesem Sinne sind höchstwahrscheinlich auch die zahlreichen thisaoi für Dionysos, die sich – dies ist anzunehmen – als Gruppierungen immer wie5 Vgl. die wohl bereits hellenistischen Phylennamen Asklepias (IGThess 183) und Dionysias (IGThess 185).
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der neu gründeten und somit nur durch ständige Neuformation für Kontinuität gesorgt haben. Stabilität in Form außergewöhnlich langer Bestandsdauer findet sich hingegen ausgerechnet dort, wo sich – wie im Heiligtum der ägyptischen Götter – Kult durch eine starke Diversifizierung und große gestalterische Freiräume Einzelner auszeichnet. Im Quellenmaterial auffällig ist die ungleichmäßige Dichte der epigraphischen Zeugnisse für Kulte in der Stadt, die sich – im rein zahlenmäßigen Vergleich – von etwa 70 Belegstücken aus dem Heiligtum der ägyptischen Götter über die neunzehn Fulvusinschriften auf eine Zahl von je unter zehn Texten für Dionysos und theos Hypsistos reduzieren: Gefolgt werden sie von bemerkenswert wenigen und zumeist disparaten Einzelzeugnissen für andere Kulte. Dieser Befund ist von Umständen der Quellenentstehung sicher ebenso beeinflußt wie von Zufällen der Quellenüberlieferung, somit lassen sich hieran kaum Rückschlüsse etwa auf eine Genügsamkeit ziehen, die man den Bewohnern Thessalonikis hinsichtlich der von ihnen verehrten Gottheiten auf den ersten Blick unterstellen könnte. Die griechische Polis, als Institution das Grundmuster griechischer Kultur schlechthin, vereinte die in ihrem Begriff enthaltene politische Organisationsform in fast schon sinnbildhafter Weise mit einer entwickelten Stadtkultur, für die unter anderem Tempel, Märkte, Theater und die Tagungsstätten der städtischen Verfassungsorgane als ein inner- und außerhalb der Stadt aufmerksam registrierter Anzeiger für das Maß ihrer Kultur galten. Inwieweit das Thessaloniki der spätrepublikanischen Zeit solchen – von anderen Griechenstädten im Laufe von Jahrhunderten entwickelten – Maßstäben entsprechen konnte, bleibt angesichts unserer weitgehenden Unkenntnis seiner architektonischen und stadtplanerischen Gestalt unklar, zumal in dieser Zeit selbst über seine Ausdehnung bisher keine Sicherheit zu erlangen ist. Ob die Stadt in hellenistischer Zeit einen prächtigen Ausbau erfahren hatte und wieviel nach den krisengeschüttelten Zeiten der letzten beiden vorchristlichen Jahrhunderte davon noch übriggeblieben war, wissen wir nicht. In ihrem architektonischem Grundplan der rasterförmigen Anlage hat sie vielleicht nicht allzu viele glanzvolle Blickpunkte geboten, als ihr Mitte des 2. Jahrhunderts vor Christus – wohl vor allem aus lagestrategischen Überlegungen heraus – der Status einer Provinzhauptstadt zuteil wurde. Eine vergleichbare Grundsituation ist noch in augusteischer Zeit anzunehmen, als mit der Translozierung eines ursprünglich archaischen, in Thessaloniki dann als Kaiserverehrungsstätte genutzten Tempels ein Bauwerk in die Stadt kam, auf das jede griechische Stadt hätte stolz sein können. Mit seinem Neuaufbau in Thessaloniki ging unstrittig eine bedeutende Aufwertung des Stadtbildes einher, mit dem sich die Stadt zugleich eine weit über das eigene Gründungsdatum zurückreichende Vergangenheit
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konstruierte: Nicht zufällig hat der archaische Tempel in der hellenistischen Stadt die Forschung bis in jüngste Zeit hinein in die Irre geführt. Daneben sind zwei Blickrichtungen festzustellen, mit denen sich die Stadt in der neuen augusteischen Weltordnung positionierte: Zum einen ist dies der Blick nach Südgriechenland, wo die Praxis der Tempeltranslozierungen vor allem das Stadtbild von Athen bereichert hat, in einer ähnlichen Form der Bautenumnutzung aber auch in Olympia festzustellen ist. Das makedonische Thessaloniki, römisch geworden, nimmt also nochmals deutlich auf Orte Bezug, die wie wenige sonst in der Lage waren, ‚Griechenland‘ ideell zu verkörpern. Die zweite Blickrichtung betrifft Rom, betrifft Augustus, ist doch für den Bau festzustellen, daß seine Versetzung nach Thessaloniki die Venusabstammung des iulischen Hauses zum Programm machte. Zudem nimmt der Tempel in seiner wahrscheinlichen Herkunft aus dem seit alters her mit Aeneas verbundenen Ort Aineia direkten Bezug auf den Abstammungsmythos Roms. Es läßt sich damit kaum ein Bauwerk vorstellen, das der Situation Thessalonikis inmitten eines Beziehungsgeflechtes zweier Kulturen, aber auch zwischen Herrschern und Beherrschten, besser Ausdruck verliehen hätte. Solcherart explizite Selbstdarstellungen, die eine konstruierte Vergangenheit mit bewußt ausgewählten Aspekten von Griechentum und seiner mit Rom gemeinsamen Geschichte würzten, blieben auch in Thessaloniki sicherlich ein Ausnahmefall. Sie erklären sich in den besonderen Konstellationen der augusteischen Zeit, der Situation der Stadt nach der Schlacht von Actium – auf die sich in Thessaloniki auch eine Vielzahl weiterer Zeugnisse bezieht –, auf den augusteischen Philhellenismus im allgemeinen sowie vor allem aber auf die augusteische Herrschaftspropaganda im speziellen. In nachaugusteischer Zeit finden sich eine solche Instrumentalisierung des Griechischen – in einer nach Ausweis der Inschriften ja fast ausnahmslos griechisch sprechenden Stadt – nicht belegt. Ihr bewußter Einsatz erweist sich somit als ein Mittel in Momenten akuter Auseinandersetzung zwischen Griechenland und Rom. Die Thematisierung des Gegensatzes Griechenland-Rom verliert im Laufe der Konsolidierung der Provinz als Teil des römischen Reiches zunehmend an Bedeutung. Bis sich die Stadt erneut ihrer Vergangenheit versicherte, sollten lange Jahre vergehen. Thessaloniki hatte seinem Stadtbild durch den großzügigen Ausbau seiner Agora in antoninisch-severischer Zeit einen deutlich großstädtischen Charakter gegeben, dem im dritten Jahrhundert vermutlich noch die Anlage von viae colonnatae entlang der Hauptachsen gefolgt ist.6 Andere Städte Makedoniens, namentlich Dion, Beroia, Edessa, Stobi und Philippi, scheinen sich in der hohen Kaiserzeit ebenfalls monumentale Bauprogramme auferlegt zu haben. Massimo Vitti suchte die gestalteri6
Zu den Säulenstraßen VITTI 1996, 68f. 152. – VITTI 2001, 486.
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schen Vorbilder hierfür in den Großstädten in Kleinasien und im Nahen Osten, beispielsweise in Syrien, für welche gerade die genannten Säulenstraßen charakteristisch erscheinen,7 also dasjenige Merkmal, das offenbar auch den genannten makedonischen Städten verpflichtendes Beispiel wurde. Die Auswahl dieser Vorbilder ist hierbei wohl kein Zufall, denn auch dort handelte es sich häufig um planmäßig nach hellenistischem Muster angelegte Stadtanlagen, die einen vergleichbaren, von Straßenachsen durchzogenen baulichen Grundbestand boten. Bei dem Wetteifer, den sich nicht nur makedonische Städte in ihrer monumentalen Umgestaltung lieferten, konnte es aber nicht ausbleiben, daß dabei recht gleichförmige Stadtbilder entstanden. Auch Thessaloniki mit seiner Agora und den von Säulenhallen begleiteten Hauptstraßen unterschied sich also wohl kaum von einer im gesamten östlichen Mittelmeerraum anzutreffenden Einheitsarchitektur. Es wird damit vielleicht dem nahegekommen sein, was Ulrich Kahrstedt im Jahre 1925 für Städte im Osten des Reiches formuliere, deren Stadtbild der Antoninenzeit „genau so monoton“ gewesen sein müsse „wie heute das von Denver oder Winnipeg“.8 Interessanterweise fallen in diese Zeiten zu vermutender architektonischer Monotonität in Thessaloniki die Belege für zwei Kulte, die deutlich identitätsstiftende Aspekte aufweisen und die somit vielleicht als Versuche verstanden werden dürfen, einen Gegenpol zu einer empfundenen kulturellen Gleichförmigkeit zu errichten. Dies ist zum einen der Kult für Alexander den Großen und seine Familie, der durch Teile einer Kultbildbasis mit Weihinschrift sowie durch zugehörige Statuenfragmente belegt ist. Da die umgebenden Baubefunde vom Nordrand der Agora als ein Ort der Herrscherverehrung bestimmt werden konnten und die Inschriften und Skulpturen in die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts nach Christus datiert werden, wird in der Forschung zumeist eine Verbindung dieses Kultes mit der Alexanderverehrung unter den Severern gezogen. Bedeutungsvoll ist hierbei, daß der Kult auf makedonischem Boden stattfand, daß also – in einer auf Rom zielenden Perspektive – darauf hingewiesen wurde, wo sich die geographischen Wurzeln des Makedonenkönigs befanden. Der Kult geht außerdem einher mit einer Konstruktion einer ‚makedonischen Identität‘, die sich etwa ab severischer Zeit besonders in Familien der Oberschicht im Aufkommen makedonischer Personnamen – nicht nur der Alexanderzeit – äußert.9 Die Zeugnisse für 7
VITTI 1996 bes. 82–83. U. Kahrstedt, Die Kultur der Antoninenzeit (= Neue Wege zur Antike 3) (1925) 62: „Kein Mensch, der plötzlich vom Himmel, sagen wir auf die Straße von Damaskus gefallen wäre, hätte sagen können, ob er nicht etwa in Philadelpheia oder Bostra oder Antiochia war. Das Stadtbild von Lambaesis, Sufetula, Ucubis usw. muß genau so monoton gewesen sein, wie heute das von Denver oder Winnipeg.“ 9 Zu diesem Phänomen J. Touloumakos, Historische Personennamen in Makedonien, ZAnt 47, 1997, 222. 8
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die Thematisierung des Makedonischen im zweiten und dritten Jahrhundert sind somit nicht ausschließlich vor dem Hintergrund einer empfundenen Identitätslosigkeit zu sehen, denn sie stellt ebenso eine deutliche Reverenz an die aktuellen Herrscher dar. Gleichzeitig geht diese Identitätskonstruktion aber über die Herrscherverehrung hinaus und präsentiert die eigene Provinz als den Erben einer ruhmreichen Vergangenheit. Ein Monopol auf Alexander war Thessaloniki freilich nicht gegeben: So führte Beroia 229 n. Chr. unter Severus Alexander einen a3gv2n 3Aleja1ndreiow ein. Dieser Agon galt mit größter Wahrscheinlichkeit dem makedonischen König, nicht dem Kaiser;10 gleichzeitig bildete er das Medium, in dem die Verbindung Alexanders zum Austragungsort Tausenden von Zuschauern kommuniziert wurde. Noch ein zweiter Kult kann mit dem Willen einer Identitätsstiftung verbunden werden: Es handelt sich um den für Thessaloniki eigentümlichen Kabeiros, der im Unterschied zu den Kabiren aus anderen Teilen Griechenlands hier in seiner Einzahl verehrt wurde. Eine literarische Überlieferung verbindet den Gott mit einem blutigen Einführungsmythos, aus dem bisher stets auf ein hohes Alter des Kultes geschlossen wurde. Daß dem Kabeiros – dem einzigem literarisch überlieferten Gott Thessalonikis – die Aufmerksamkeit gleich zweier christlicher Autoren zuteil wird, läßt jedoch vor allem auf seine spätantike Bedeutung schließen, die auch aus anderen Zeugnissen hervorgeht: Neben einem Epiphaniewunder während eines Gotenangriffes im Jahre 254 n. Chr. sind hier seine Darstellung auf einem Pilasterkapitell aus dem (konstantinischen?) Oktogon des galerianischen Palastkomplexes zu nennen, vor allem aber seine Verbindung zu Spielen, die sich in der gelegentlichen Benennung der Pythia als Pythia Kabeiria äußert. Die ältesten Zeugnisse sind jedoch Münzbilder der flavischen Zeit, die erst unter Commodus an Regelmäßigkeit zunehmen. Im starken Gegensatz zur daraus erschlossenen Eigenschaft als ‚Stadtgottheit schlechthin‘ steht sein äußerst spärliches Auftreten in den Inschriften der Stadt. Dies erlaubt den Schluß, daß es sich bei Kabeiros nicht um einen Gott gehandelt hat, der im Bewußtsein der Stadtbewohner kontinuierlich und seit alters her fest verwurzelt war, sondern um eine erst in der Kaiserzeit neu oder allenfalls nach deutlichen Brüchen wieder eingeführte Gestalt. Dabei ist aufschlußreich, daß gerade dieser Gott in der fragmentarischen Inschrift eines Ehrenaltars von der Mitte des 3. Jahrhunderts nach Christus (IGThess 199) als a4giv1tatow pa1triow ueo2w Ka1beirow erscheint, als ‚heiligster angestammter Gott Kabeiros‘. Der Ehrenaltar wurde gemeinsam mit der Reihe der Fulvusinschriften gefunden, auch er nennt einen Jugendlichen aus besten familiären Kreisen, der als nevko1row des Kabeiros fungierte. Möglicherweise gab es Berührungen bei diesen Ämtern, gewisse Ver10
IBeroia 68. – BURRELL 2004, 196.
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bindungen zum Kaiserkult lassen sich auch in den genannten Spieleweihungen erkennen. Es ist durchaus denkbar, daß der nur in spätantiker Wiedergabe überlieferte Gründungsmythos auf alte Zeit zurückgeht und daß ihm in Thessaloniki einst auch ein alter Kult entsprochen hatte. Die vorliegenden Zeugnisse lassen aber selbst in diesem hypothetischen Fall kaum einen anderen Schluß zu, als daß ein solcher Kult irgendwann abgebrochen war und in einem völlig neuen Kontext – jenem der Herrscherverehrung – wieder aufgenommen wurde. Die Betonung als ‚heiligstem Gott der Vorväter‘ scheint hierbei zu bestätigen, daß Kabeiros in Thessaloniki ganz bewußt als Teil einer ungebrochen fortgeführten Verehrungstradition dargestellt werden sollte, die es so kaum gegeben haben kann. Gerade das ‚Verwischen‘ solcher Brüche (der ‚gebraucht‘ erworbene archaische Tempel, der ‚Kabeiros der Vorväter‘) konnte dazu beitragen, Innovationen den Anstrich der Altehrwürdigkeit, des schon immer Dagewesenen zu verleihen – der Erfolg solcher Praxis wirkt sich bis in die moderne Forschung aus, die hier überwiegend Kontinuitäten erkennen wollte. Die Bedeutung, die solche ‚identitätsstiftenden‘ Kulte für ihre Zeitgenossen besaßen, ist aus den verfügbaren Zeugnissen sicher nur in Ansätzen zu erschließen. Deutlich wird jedoch, daß es über die Zeiten hinweg immer wieder Bedarf nach erkennbaren ‚Spezialitäten‘ und ‚Traditionen‘ gegeben hat. Wie lange diese Besonderheiten dann als solche relevant blieben, ist aus den zumeist punktuellen Belegen in aller Regel nicht zu ermitteln. Der Umstand, daß sich die meisten der genannten Beispiele auf konkrete Ausgangssituationen zurückführen lassen, könnte an eine überwiegend begrenzte, eng vom Fortbestehen der Gründungsbedingungen abhängige Bestandsdauer denken lassen. Auch scheinen sie tendenziell eher auf die Bedürfnisse enger gefaßter Schichten abgestimmt und somit weniger ‚Massenphänomene‘ gewesen zu sein. Es ist also sicherlich kein Zufall, daß sich gerade Kulte ohne allzu deutlich hervortretende Charakteristika als die wahren Erfolgsmodelle in Thessaloniki erweisen. Erkennbar wird dies vor allem im Kult der Isis, einer in Thessaloniki von jeglicher Exotik befreiten Gestalt, die als Göttin mit vielen Gesichtern zudem vielfache Anforderungen erfüllen konnte: Gerade diese Wandlungsfähigkeit – und damit Universalität – läßt Isis über fünfhundert Jahre lang Ziel der Anbetung sein. Eine nicht der Vielfalt an, sondern dem Fehlen von Details verdankte Gesichtslosigkeit zeigt sich im Kult des Fulvus. Im dritten Jahrhundert nach Christus, aus dem uns die beeindruckende Reihe von Ehreninschriften seiner jugendlichen Priester und Agonotheten überliefert ist, hätte vermutlich selbst in Rom nur noch eine äußerst gut informierte Person den Namen des Fulvus einer Position im Stammbaum der kaiserlichen Familie zuweisen können. Daß man in Thessaloniki besser über die Person des heroisierten Toten Bescheid wußte, darf angenommen werden, auch wenn sich selbst mit diesem Wissen wohl kein ‚Charakterbild‘ des Fulvus entwerfen
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ließ. So sind es in der Farblosigkeit der Fulvusgestalt vor allem zwei Merkmale – toter Sohn eines Kaisers plus Angehöriger der antoninischen Ahnenreihe – welche die Ausführung seines Kultes langfristig gesichert haben: Mittels eines so dauerhaft Unstrittigen ließ sich jeder Kaiser ehren. Daneben lassen die in ein entwickeltes soziales System eingebundenen Priesterschaften vermuten, daß es sich hierbei um eine Praxis handelte, die sich speziell aus der hochentwickelten Festkultur ihrer Zeit erklärt. Somit müssen sich während der teils aus historischen Überlegungen gewonnenen, teils epigraphisch gesicherten Bestandsdauer des Fulvuskultes, also von etwa 139 n. Chr. bis ins spätere dritte Jahrhundert, deutliche Veränderungen ergeben haben, die etwa in den zwischenzeitlichen Neokorieverleihungen zu lokalisieren sind. Auch mit diesen Brüchen zurechtzukommen und Umdeutungen zu erlauben, war ein Vorteil seiner Beliebigkeit. 4.1.2. Was ist römisch am römischen Thessaloniki? Das Horazwort von der Graecia capta, die ihre Sieger besiegt habe,11 illustriert die kulturellen Konflikte, die von der Herrschaft Roms über Griechenland ausgingen. Besonders die Frühzeit des römischen Thessaloniki ist durch eine Phase offenkundigen Experimentierens und durch ein Abstekken von Möglichkeiten hinsichtlich der Umgangsformen gekennzeichnet. Die Kategorien ‚griechisch‘ oder ‚römisch‘ werden hierbei in einer stark formalisierten Weise – die in vielen zeitgenössischen Griechenstädten zu beobachten ist, auch wenn im Detail lokale Varianten bestanden haben – etwa durch den Kult der Dea Roma oder durch die Ehrungen für Römische Wohltäter zur Anwendung gebracht. Griechisches wird hierbei eher unterschwellig gehandhabt, ist aber in der seit dem Ende des 2. Jahrhunderts vor Christus auf das Gymnasium bezogenen Ehrungspraxis für römische Amtsträger zu erahnen: Hier wird immerhin eine Form gewählt, die sich in vorrömischer Zeit als eine Antwort auf die betont auf Förderung griechischer Kultur gerichteten Euergesien (Bautenweihungen, Ölspenden) hellenistischer Könige etabliert hatte. Das etwa ab dem ersten nachchristlichen Jahrhundert erkennbare Ausbleiben von Belegen für den Kult der Dea Roma oder für die Ehrungen von als ‚Römern‘ definierten Personen zeigt an, daß die von diesen Ehrungen vorausgesetzte – und dabei von Thessaloniki ausgehende – Unterscheidung zwischen Griechen und Römern zunehmend an Bedeutung verlor. Eine Herkunftsbehauptung ließ sich daneben kaum über einen längeren Zeitraum hinweg konservieren: Die Nennungen der synpragmateuomenoi Rhomaioi bleiben auf die augusteische Zeit beschränkt; im Falle der dionysischen Händler(?)vereinigung der Asianoi – also eines Zusammenschlusses von Personen, die aus Kleinasien in Thessa11
Hor. epist. 2, 1, 156–157.
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loniki eingewandert waren – scheint sich im 2. oder 3. Jahrhundert schon die Aufnahme von Mitgliedern abzuzeichnen, die nicht zur Landsmannschaft gehören. Auf Seiten der in Thessaloniki wirkenden oder dort ansässigen Römer ist eine Thematisierung des Römischen äußerst selten. Den einzig greifbaren Beleg hierfür bilden die Weihungen der eben genannten synpragmateuomenoi Rhomaioi der augusteischen Zeit: Hier stellt sich die Händlervereinigung selbstbewußt als zugewanderte Gruppe dar, gleichzeitig lassen die gemeinsam mit der Stadt getätigten Ehrungen und deren Publikation im Umfeld der Agora das Maß politischer Relevanz erkennen, das sie in Thessaloniki für sich in Anspruch nahm. Neben ihrer ausdrücklichen Eigenbezeichnung als Römer – was auch immer dies ethnisch heißen mag, vielleicht waren es Italiker aus Delos – nehmen sie Bezug auf die Kaiserverehrung, also einen für die Bewohner Thessalonikis deutlich als ‚römisch‘ wahrnehmbaren Bereich. Interessanterweise liegt gerade in dieser ungewöhnlich deutlichen ethnischen Abgrenzung auch ein unverkennbar integrierender Aspekt: Daß die Rhomaioi auf ‚ihren‘ Kaiser mittels des städtischen Kaiserkults von Thessaloniki – der ja in seiner Motivation als ein Medium der Kommunikation der Stadt mit dem Herrscher in Rom entstanden ist – Bezug nehmen, macht die Entwicklung dieses Kultes hin zu einem Teil einer Reichsreligion sichtbar, welche nun nicht mehr an ethnische oder politische Zugehörigkeiten gebunden war, sondern, unabhängig von deren Herkunft, für alle Bewohner der Provinz akzeptabel sein konnte. Als Gruppe werden zugewanderte römische Händler in Makedonien bereits im zweiten vorchristlichen Jahrhundert signifikant. Ihre Herkunft kann auf onomastischem Wege zum einen in verschiedenen Gegenden Italiens bestimmt werden, daneben müssen Römer aber auch nach der Zerstörung des Handelsstützpunktes Delos von dort nach Thessaloniki gekommen sein. Ihre kultischen Aktivitäten werden – sicher auch bedingt durch dessen reiche epigraphische Überlieferung – zuerst im Heiligtum der ägyptischen Götter greifbar. Daß ihre Anwesenheit Wirkung auf den dort ausgeübten Kult hatte, zeigt sich im Beispiel der Weihungen an die ‚delische‘ Trias aus Sarapis, Isis und Anubis, die im griechischen Raum neben Thessaloniki allein auf Delos belegt ist. Es ist hier allerdings gerade kein römischer Kult, für dessen Verbreitung Römer gesorgt haben – also kein Kultimport ‚aus Rom‘ –, sondern der innergriechisch erfolgte Transport der lokalen Variante eines vollständig griechisch gewordenen ägyptischen Kultes. Entscheidend für dessen Aufnahme in Thessaloniki war also nicht die ethnische Herkunft der betreffenden Akteure, sondern die in ihrem rechtlichen Status als römische Bürger und in ihrer beruflichen Tätigkeit begründete Mobilität der Gruppe. Auch die ‚makedonische Koine‘, die sich in den Kulten der ägyptischen Götter in Thessaloniki, Beroia und Dion unter anderem in gemeinsamen
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Beinamen, Weiheformeln und Darstellungstypen äußert, dürfte mit dem Auftreten der genannten Schicht römischer Händler – aber auch hier ausschließlich mit deren Mobilität im Umland von Thessaloniki – zusammenhängen. Bei den Merkmalen dieser ‚makedonischen Koine‘ handelt es sich um einen rein griechisch geprägten Formenkanon. Daß an dessen Herausbildung gerade römische Einwanderer beteiligt waren, können deshalb allein die auf Makedonien beschränkten Eigenheiten dieser Heiligtümer zeigen: Sie lassen erahnen, daß es hier die Provinzgrenzen des 2. und 1. Jahrhunderts vor Christus waren, welche die Beweglichkeit der – damit mutmaßlich römischen – Trägerschicht bestimmt hat. Die zu erschließende ‚makedonische Koine‘ der ägyptischen Kulte geht somit nicht primär auf lokal verwurzelte Kultformen zurück, sondern könnte ab republikanischer Zeit vor allem durch Beziehungsnetze regional aktiver italischer Einwandererfamilien geprägt worden sein. Auch in einem weiteren Fall vermeintlich ‚römischen‘ Kultimports im Heiligtum der ägyptischen Götter zeigt sich, daß hier nicht das Kriterium der ethnischen Zugehörigkeit entscheidend war. In der Weihung einer vermögenden Spenderin an eine in der griechischen Epigraphik ansonsten unbelegte Isis Memphitis zeigt sich deutlich ein Einfluß lateinischer Literatur. Obwohl der ethnische Status der Weihenden unbekannt bleibt, erweist sich somit ein lateinisch geprägter Bildungshintergrund der Frau, die möglicherweise in erster Einwanderergeneration in die Stadt gekommen war, als hierfür ausschlaggebend. Die für Isisheiligtümer Italiens oft charakteristische Exotisierung zeigt sich in Thessaloniki aber nicht als Ausdrucksmittel einer hier realen Kultgestaltung, sondern als eine Bildungsangelegenheit, die deutlich in eine literarische Sphäre verweist. Daß die Weihende ihre Auswahl aus dem Repertoire lateinischer Dichtung traf, beruhte dabei wohl allein auf ihrer Vertrautheit mit dieser Sprache. Als Gebildete, die sie war, hätte sie ohne Zweifel auch als Griechin – und dann in Anlehnung an griechische Dichtung – Aspekte der Isis in ihre Weihung einbringen können, die nicht zum ‚Standardrepertoire‘ der Kultpraxis in Thessaloniki gehörten. Insgesamt zeigt sich in den Zeugnissen aus Thessaloniki – und diese betreffen aufgrund der Quellensituation wiederum fast ausschließlich das Heiligtum der ägyptischen Götter –, daß sich als Römer erkennbare Personen in stark integrierender, an das örtlich vorhandene Repertoire kultischer Äußerungen stark angepaßter Weise betätigten. Konnten, wie im Falle der delischen Trias, Innovationen erfolgreich eingeführt werden, dann war gerade hierzu eine rasche Integration beziehungsweise gute Integriertheit nötig, um eine Akzeptanz dieser Neuerungen über die importierende Gruppe hinaus zu gewährleisten. Trotz der Offenheit des römischen Reichs als territoriale Organisationsform und trotz seiner Lage als Hafenstadt an wichtigen Verkehrsachsen
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wurde Thessaloniki kein Sammelbecken sogenannter Fremdkulte: Begründet werden kann dies in der eben angesprochenen Voraussetzung, daß Kultimporte nur in solchen Fällen wirksam werden können, in denen die potentiellen Importeure in die lokal bestehenden Gemeinschaften – die nicht ausschließlich als kultische Gemeinschaften zu denken sind – integriert sind. Die ‚Unzugänglichkeit für Fremdkulte‘, die man in Thessaloniki zu bemerken glaubt, besitzt somit Ursachen, die eben nicht in jener Kategorisierung als ‚fremd‘ liegen, sondern die deutlich im Verhältnis der Trägerschichten, an welche diese Kulte gebunden sind, zur übrigen Stadtbevölkerung bedingt sind. Beispielhaft für die relative Erfolglosigkeit von – im Wortsinne ‚an die Stadt herangetragenen‘ – Kulten sind jene des Mithras und der Epona, die, beide als Kultbelege in Makedonien völlig isoliert, sich nur in der Anwesenheit stadtfremder Anhängergruppen erklären können. Die Qualität der beiden Weihreliefs lassen bei allen Vorbehalten eher auf schlichte Klientel im Falle des Mithras schießen, im Falle der Epona hingegen auf einen direkten Bezug zu Kreisen, die unmittelbar mit dem Hofe des Galerius verbunden und in seinem Gefolge in die Stadt gekommen sind. Nicht zufällig ist die Isoliertheit der Kultanhänger zur übrigen Stadtbevölkerung beide Male auch topographisch markiert: Im Falle des Mithras liegt sie wohl außerhalb der Stadtmauern im Bereich eines anzunehmenden Militär- oder Zollstützpunktes, im Falle der Epona in der ‚Stadt in der Stadt‘, also im höfischen Umfeld des Galeriuspalastes. Das Fehlen ‚fremder‘ Religion in Thessaloniki läßt danach fragen, wie ‚griechisch‘ oder wie ‚römisch‘ denn die übrigen in der Stadt belegten Kulte sind. Als Beispiele enchorischer, vorgriechisch-thrakischer Kulte sind in der Vergangenheit gerne die ‚weit in die Vergangenheit reichenden‘ Kulte des Dionysos und des Kabeiros angeführt worden – doch sind gerade in diesen beiden Fällen deutliche Brüche der jeweiligen Traditionen festzustellen. Beide sind in ihren kaiserzeitlichen Erscheinungsformen etwas, was sie in einer anzunehmenden ‚Ursprungszeit‘ niemals gewesen sein könnten: vorrangiger Vereinsgott auf der einen, mit dem Kaiserkult verbundener Gott auf der anderen Seite. Für die Klärung der Frage nach griechischen Kulten in der römerzeitlichen Stadt ist wiederum die Überlieferungssituation problematisch, vielleicht aber auch symptomatisch: So erscheinen als ‚griechischste‘ der Kulte ausgerechnet jene der ägyptischen Götter. Die – beim Heiligtum in Thessaloniki sicherlich mittelbare – ägyptische Herkunft macht klar, daß auch die hier ‚auf gut griechisch‘ praktizierte Religion einst das Ergebnis bedeutender Transformationsprozesse gewesen ist. Zudem werden als diejenigen, die zu diesem griechischen Bild sowie zur Entstehung einer griechisch geprägten Koine in Makedonien beigetragen haben, auch und gerade Römer sichtbar.
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4.1.3. Gestaltungsmöglichkeiten von Religion Integration in das städtische und dabei zwangsläufig auch in das religiöse Leben Thessalonikis war, wie in den vorangegangenen Abschnitten gezeigt werden konnte, in vielerlei Weise präsent. Integrative Qualitäten von Religion bildeten in Thessaloniki aber offenkundig nur einen von vielen Aspekten, die bei der Entscheidung, an einem Kult mitzuwirken, von Bedeutung waren. In vielen Fällen kann ein geradezu gegenläufiger Beweggrund ausgemacht werden: Nicht Integration war hier gefragt, sondern eine Abhebung vom Umfeld, eine Zuordnung zu einer kleineren Einheit von im Kult verbundenen Personen. Als Formen solcher Abgrenzung kommen vor allem Zusammenschlüsse zu Gruppen in Frage, sei es im Kreise von gleichgesonnenen Anhängern eines bestimmten, sonst in der Stadt nicht vertretenen Kultes, sei es in der Anlehnung an einen einflußreichen ‚Beschützer‘, den prostates. In einer Großstadt mit vielen Zugewanderten, für die Vereinigungen Gleichgesonnener teilweise Familienersatz darstellen mußten, scheinen Vereine für weite Bevölkerungsteile somit grundlegende Bedürfnisse zu erfüllen. Im Kult der ägyptischen Götter ist der Fall anzutreffen, daß sich eine Gruppe von hieraphoroi synklitai gebildet und einem Patron unterstellt hatte. Die zweigliedrige Bezeichnung legt nahe, daß die Gruppe als hieraphoroi ein Amt im Kult des Sarapis oder der Isis besaßen, sich daneben aber eine Organisationsform als synklitai unter der Obhut des Patrons verliehen hatte. Die überwiegend römischen Namen der nur grob zwischen 50 v. Chr. und 50 n. Chr. zu datierenden Inschrift können vermuten lassen, daß es eben solche außerhalb der Kultteilnehmerschaft liegenden Gemeinsamkeiten waren, die den Zusammenschluß als synklitai begründet hatte. Umgekehrt läßt sich aber vermuten, daß gerade dieser außerhalb der eigentlichen Kultausübung liegende Verband auf die Besetzung der Kultämter Einfluß gehabt hat. Das im Heiligtum der ägyptischen Götter so deutlich zu beobachtende Moment der Integration ist hier also in eine abgrenzende Gegenbewegung übergegangen. Das Begriffspaar Integration und Abgrenzung bildet dabei aber keinen Gegensatz, vielmehr kann in den hieraphoroi synklitai eine Organisationsform ausgemacht werden, innerhalb derer sich beide Aspekte miteinander verbunden haben. Eine andere Form der Ausgestaltung von Religion weist das Modell einer Mystenvereinigung des Zeus Dionysos Gongylos (IGThess 259, 1. Jh. n. Chr.) auf. Sein Kult, zu dessen Treffen mitternächtliche Speisungen gehören, ist ansonsten unbekannt. Der Tatsache, daß der Gott im Kultspektrum der Stadt ansonsten nicht vertreten war, begegnete die Vereinigung mit der Einrichtung eines Vereinsheiligtums, das im Kultbezirk der ägyptischen Götter, möglicherweise in der sogenannten ‚Krypta‘ des Apsistempels, seinen Platz gefunden hat. Es liegt hier also ein ‚Heiligtum zur Miete‘
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vor, welches aufzeigt, daß in einem neuen Modell der ‚Religion ohne Tempel‘ auch eine begrenzte Interessengruppe die Möglichkeit hatte, in einem finanziell kalkulierbaren und selbstbestimmbaren Rahmen Religion auszuüben. Sehr ähnlich hierzu ist die Situation in einem anzunehmenden Vereinslokal im Bereich der Acheiropoietos-Basilika. Was hier erschlossen werden kann, ist die Anwesenheit mehrerer Dionysosvereine, die als ‚Mietparteien‘ an diesem Ort zeitlich aufeinander gefolgt zu sein scheinen: Auch hier fand also ‚Religion ohne Tempel‘ statt, was nichts über die architektonische Ausgestaltung des Ortes aussagt, sondern vielmehr das Fehlen eines Heiligtums als eine Organisationsform betrifft, welche auch unabhängig von der Vereinigung hätte bestehen können. Ein solcher Kult war existentiell an seine finanzielle Ausstattung gebunden, die insbesondere nach dem Tod des Vorsitzenden akut wurde. Im Falle der GongylosVereinigung ebenso wie durch das bekannte Testament der Dionysospriesterin Euphrosyne (IGThess 260, 3. Jh. n. Chr.) wurde ein Fortbestand der Vereinigungen aus den Erträgen vererbter Weinberggrundstücke gesichert. Eine Weiterreichungsverfügung im Testament der Dionysospriesterin zeigt dabei, daß mit einem Erlöschen solcher Vereinigungen durchaus gerechnet werden mußte. 4.1.4. Was ist das Besondere an der Religion Thessalonikis? In einer Gesamtbetrachtung fällt auf, daß Thessaloniki in seinen Kulten mit vielen außergewöhnlichen, ja singulären Erscheinungen aufwarten kann. Viel Zufälliges ist darunter, vieles allein aus heutiger Sicht bedeutsam. Anderes ist in der Antike hingegen bewußt ausgewählt worden: Manches, um sich ‚besonders‘ zu machen, wie etwa der Alexanderkult; manches ist aber auch Ergebnis einer freien Umgestaltung dessen, was anderswo entlehnt wurde. Weitergehende Besonderheiten, die Thessaloniki von zeitgenössischen Städten Griechenlands abheben, liegen hingegen in einem umfassenderen Bereich: So war es ihr als einziger der in hellenistischer Zeit gegründeten Städte des griechischen Festlandes vergönnt, zu einer Bedeutung zu gelangen, die spätestens in der hohen Kaiserzeit jene Athens oder Korinths zu erreichen, später sogar zu überflügeln begann. Gleichzeitig aber – und der Befund des augusteischen Wandertempels deutet an, daß dies so empfunden wurde – herrschten in der jungen Großstadt kulturelle Defizite. Dies mag zu Teil damit zusammenhängen, daß sie, als königliche Gründung und in hellenistischer Zeit mit einem Statthalter versehen, nur eine beschränkte Autonomie hatte entwickeln können. Als Orientierungspunkte dafür, wie solche Defizite auszugleichen waren, kamen die alten Orte des klassischen Griechentums in ihrem grundlegend anderen Charakter aber kaum in Fra-
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ge, zumal sich keine von ihnen zu einem wirtschaftlichen und politischen Zentrum von der Bedeutung Thessalonikis entwickelt hatte. Orte von vergleichbarer Größe und Bedeutung waren eher im Osten der Ägäis zu finden. Als Vorbilder einer jungen Großstadt, die sich ihrer wachsenden Bedeutung bewußt war und die sich mit großzügigen baulichen Anlagen und einer aufwendigen Festkultur ein repräsentatives Auftreten sichern wollte, kamen deshalb vor allem Großstädte des Ostens in Frage. Zufällig war dies kaum, standen jene doch – zuweilen ebenfalls hellenistische Gründungen – in ähnlich kurzen Traditionslinien und zugleich, in einer veränderten Weltordnung, gewandelten städtebaulichen, aber auch kulturellen Aufgaben gegenüber, für die zum Teil gemeinsame Lösungen gefunden werden konnten. Immer wieder fällt so in verschiedensten Bereichen die gezielte Orientierung an Gepflogenheiten kleinasiatischer Städte auf. Das dort Entlehnte war jedoch deutlichen Umwandlungen unterworfen. Aufschlußreich hierbei ist das Beispiel der Neokorien: Für Griechenland völlig singulär, wird hier durch Beroia und Thessaloniki eine Institution übernommen, die ansonsten einzig für kleinasiatische Städte Bedeutung hatte. Sie war dort bekanntlich ein wichtiges Instrument eines Konkurrenzsystems gewesen, dessen wesentliche Bestandteile neben dem Neokorietitel und den damit verbundenen Kulten die zugehörigen Spiele umfaßte, welches sich darüber hinaus aber auch im Wetteifern der architektonischen Ausgestaltung der Städte mit Thermenanlangen, Bibliotheken, Theatern und vielem mehr äußerte. In der makedonischen Übernahme der Neokorie zeigt sich dabei eine gründliche Umformung des kleinasiatischen Vorbilds: Bedeutendster, sich in einer im römischen Reich einzigartigen Münzserie äußernder Unterschied ist der ganz offensichtlich auf das makedonische koinon übertragene Neokorietitel Beroias. Fernab der kleinasiatischen Vorbilder konnte man also eigene Modalitäten entwickeln, und dabei hebt sich der Konkurrenzgedanke, der den kleinasiatischen Neokorien meist zugeschrieben wird, deutlich von diesen ab. Er zeigt dabei durchaus ambivalente Züge in einem Spannungsfeld zwischen Rivalität und Homonoia: Hinsichtlich des Neokorietitels herrscht nach anfänglichen Begehrlichkeiten Thessalonikis offenbar Einigung über dessen Aufteilung unter den Mitgliedern des Koinon. Ein Wetteifern herrschte somit offenbar weniger innermakedonisch, sondern vielmehr – Rom immer im Blick – den kleinasiatischen Städten gegenüber.
4.2. Welche Religion gibt sich Thessaloniki? 4.2. Welche Religion gibt sich Thessaloniki?
Worauf bereits am Beginn dieses Kapitels hingewiesen wurde, hat sich im Verlauf dieser Betrachtung bestätigt: Die Religion Thessalonikis ist unmittelbar am Ort entstanden, unter vielfältigsten Einflüssen und Bezugsrich-
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tungen, aber immer auch aus den Gegebenheiten des Ortes und der Zeit erklärbar. Thessaloniki, eine kulturell schöpferische Stadt mit kosmopolitischer, im Wortsinne weltoffener Bevölkerung ist somit als Urheberin all dessen anzusehen, was uns in den unterschiedlichsten Quellen als Äußerungen ihrer Religion entgegentritt. Wesentliche Charakteristika dieser Religion sollen abschließend thesenhaft resümiert werden: Erstens: Religion wird nicht vom Reichszentrum aus über die Provinz verteilt – die Provinz schafft sich ihre Religion. Die Bezugspunkte sind hierbei vielfältig: Sie befinden sich durchaus in Rom, daneben aber auch in anderen Zentren, die im Falle von Thessaloniki sehr oft in Kleinasien zu suchen sind. Doch auch der nach Rom gerichtete Blick bringt nicht ‚römische Religion‘ hervor: Der auf Rom, auf den Herrscher bezogene Kult bleibt stets Hervorbringung der Provinz und ist dabei in deren Abhängigkeit vom Zentrum Rom bedingt. Selbst ‚Direktimporte‘ wie die in Thessaloniki jahrhundertelang perpetuierten Leichenspiele für den toten Kaisersohn Fulvus sind kein Kult, der sich im dritten Jahrhundert in Rom wiedergefunden hätte. Die Formen der Kaiserverehrung, der Agone und Feste sind, wenngleich zeitgemäß um ‚römische‘ Tier- und Gladiatorenkämpfe erweitert, Teil griechischer Festkultur; sind im Osten, in Kleinasien, nicht im Westen abgeschaut. Die Bezugnahmen auf Rom und römischer Einfluß allenthalben führen nicht zum Entstehen von ‚römischer Religion‘. Damit ist die Religion Thessalonikis kaiserzeitliche Reichsreligion im beispielhaftesten Sinne: Sie erklärt sich aus der Auseinandersetzung der Provinz mit dem Reich. Bei ihrer Herausbildung werden gleichzeitig die eben durch dieses Reich erst geschaffenen Auswahlmöglichkeiten aus Formenrepertoires eines breiteren geographischen und kulturellen Rahmens genutzt. Zweitens: Die gängigen und vielfach verlockenden Etikettierungen ‚römisch‘ und ‚griechisch‘ stellen zunehmend keine geeigneten Kriterien für die Beschreibung von provinzialer Religion mehr dar. Ethnische Kategorien verwischen. Werden sie in der Anfangszeit griechisch-römischer Konfrontation noch kalkuliert eingesetzt, sind saubere Trennungslinien schon zu dieser Zeit nicht mehr möglich: Römische Wohltäter werden in den Formen für hellenistische Philhellenen geehrt, der Wandertempel präsentiert sich nach außen gut griechisch, beherbergt unter seinem Dach hingegen primär für Rom bedeutsame Gedanken. Schon früh liegen also deutliche Vermischungen und Neuinterpretationen römischer ebenso wie griechischer Kontexte vor. Waren vom Beginn römischer Einwanderung an deutlich integrative Bestrebungen der in Thessaloniki Zugewanderten in das griechischsprachige Umfeld auszumachen, sind begleitende Abgrenzungstendenzen charakteristischerweise nun nicht mehr ethnisch, sondern überwiegend sozial definiert. Auffallend wird ein im zweiten und dritten nachchristlichen Jahrhundert thematisiertes Makedonentum, das in
4.2. Welche Religion gibt sich Thessaloniki?
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einen Zusammenhang mit der Kaiserverehrung gestellt wird und dort wohl kaum mehr realen Abstammungslinien der Kultbeteiligten zuzuordnen war. Als verbindlich griechisch erweist sich immerhin die Sprache, die zur raschen und offenbar unausweichlichen Anpassung eines jeden Neuankömmlings geführt zu haben scheint. Doch selbst dann, wenn sich frisch angekommene Römer in den Quellen noch als solche zu erkennen geben, ist dies im Grunde ohne Belang: Das, was die römischen Händler aus Delos in die Kulte der ägyptischen Götter in Thessaloniki einbringen, ist kein römischer, sondern griechisch umgeformter ‚ägyptischer‘ Kult. Drittens: Die in Thessaloniki ausgeübte Religion ist ‚Zweckreligion‘: Nicht, weil sie vorrangig pragmatische Beweggründe bedient hätte, sondern weil bei ihr deutlich Gestaltungsmöglichkeiten angewandt wurden, mit denen sie bestimmten Bedürfnissen angepaßt werden konnte. Innerhalb öffentlicher Kulte ist hierfür in der Regel Finanzkraft und Einfluß nötig; sind diese gegeben, können selbst Einzelne wie der aus den Einladungsplakaten von der Agora bekannte Spielegeber Claudius Rufrius Menon auf die Gestaltung auch sakraler Aspekte Einfluß nehmen. Weniger einflußreiche Kreise finden Gestaltungsfreiheiten in privaten Weihungen, wobei die Bestandsdauer solcher Innovationen zumeist gering gewesen sein dürfte. In personell umfangreicherem Rahmen bieten sich Vereine an, um besondere, andernorts in der Stadt nicht abgedeckte kultische Bedürfnisse zu versorgen. Daß auch die Bestandsdauer der Vereine beschränkt sein konnte, macht deren unmittelbare personelle Abhängigkeit von prostatai oder Stiftern deutlich. Diese Abhängigkeit zeigt aber auch, wie umfangreich die Ausgestaltungsmöglichkeiten auf der Ebene von Einzelpersonen sein konnten. Viertens: Nur wandlungsfähige Religion ist beständig. Wandlungsfähigkeit und Offenheit für Umdeutungen erweist sich als wichtige Voraussetzung für den Bestand von Kulten, wie sich gerade an den bestbelegten – und somit offenkundig erfolgreichen – Kulten in Thessaloniki erweist. Dies gilt für Isis ebenso wie für den in seiner reichsweiten Singularität scheinbar so exzeptionellen Fulvus: Während letzterer gerade nicht über eine spezifische personelle Bindung wie jene seines Vorgängers Antinoos verfügte und sein Kult darum langandauernden Bestand haben sollte, zeigt Isis in den ihr zuteil gewordenen Weihungen eine universelle, vielen Bedürfnissen gerecht werdende Ansprechbarkeit. Wandlungsfähigkeit zeigt sich daneben nicht nur im einzelnen Kult: Im Vereinswesen beweist diese sich allerdings gerade nicht im Fortbestand einzelner Vereine, sondern im Gesamtsystem des Vereinswesens, das mit Auflösung und Neuformierung einzelner Einheiten auf aktuellste Bildungen und Auflösungen etwa von Patronatsverhältnissen reagieren konnte. In dieser Beweglichkeit ist der Grund dafür zu suchen, daß, wie dies für Dionysos angenommen werden kann, an Tempel gebundene Kulte tendenziell von kleineren Ein-
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Kapitel 4: Die Religion Thessalonikis
heiten abgelöst werden, die ihre Kultformen und -orte selbst gestalten können. Fünftens: Tabula rasa – was nicht bestehen kann, weicht. Thessaloniki zeigt sich als junge, fast traditionslose und sich in Abständen neu erfindende Stadt. Es ist bezeichnend, daß sich seine ältesten in der Kaiserzeit noch nachweisbaren Kulte den flexiblen Nachzüglern des griechischen Pantheons, nämlich Isis und Sarapis, widmen. Das Schicksal der Kulte folgt zuweilen recht pragmatischen Gründen: Ein seltener Befund des Erlöschens eines Kultes, jenes des Antinoos nach dem Tode des Hadrian, läßt sich in Thessaloniki ganz konkret mit mangelnder Bestandsfähigkeit in veränderter Situation verbinden. Seine ‚Wandlungsfähigkeit‘ besteht hier also allenfalls darin, daß er scheinbar ohne Zögern durch den mutmaßlich funktionell gleichartigen Kult des Fulvus ersetzen wurde. Andere, aus unbekannten Gründen weniger beständige Kulte werden bei Bedarf neu erfunden, etwa jener des Kabeiros, der sein Wiederaufleben offenbar einem Beschluß der Stadt verdankt; der einst städtisch verehrte Dionysos hingegen findet sich in organisatorisch gewandelter Form in der Obhut privater Vereine wieder. Bei den von der Forschung gewöhnlich als ‚alt‘ aufgefaßten – zum Teil auch früh in Thessaloniki belegten – Kulten dominieren in ihrer kaiserzeitlichen Überlieferung also deutliche Brüche, die gerade auch in der beanspruchten Tradition des Kabeiros als ‚vorväterlicher‘ Gott deutlich werden. Die Religion Thessalonikis zeigt durchwegs ein buntes, vielgestaltiges Bild. Sie ist keineswegs monoton und läßt zudem viele herausstechende Besonderheiten erkennen. Als durchgängiges Merkmal erscheint dabei ihre Wandlungsfähigkeit, auf welche die vielfach vorhandenen Gestaltungsmöglichkeiten und dabei auch die in den vielfältigsten Bereichen mitgestaltenden Personen hindeuten. Stadtreligion bedeutet hier nicht eine einheitliche Polisreligion, sondern ein stetig sich veränderndes Ensemble von Kulten, die Orte wechseln oder gegenseitig abtreten konnten und dabei nicht mit den – etwa in der Münzprägung – nach außen hin konstruierten Vergangenheitsbildern wie Kabeiros, Alexander und Aphrodite in Konflikt gerieten. Diese Wandlungsfähigkeit stellt die Voraussetzung dar, welche die Stadtreligion Thessalonikis zu einem über Jahrhunderte lang in sich stabilen, bestandsfähigen Modell für eine ständig wandelnden Bedingungen gegenübergestellte Gesellschaft hat werden lassen. In ihrer großen, untrennbar mit ihrem Lebensumfeld verwachsenen, aber gleichzeitig kosmopolitisch ausgerichteten Gestaltungskraft besteht das, was die imperiale Großstadtreligion Thessalonikis ausmacht.
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1 Die Einordnung der Titel in das griechische oder lateinische Alphabet des Literaturverzeichnisses richtet sich nach der in der jeweiligen Publikation gebrauchten Schreibung des Verfassernamens. Unterschiede der lateinischen Schreibung griechischer Verfassernamen wurden beibehalten (z.B. Voutiras, Vutiras).
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Stellenregister Register Stellenregister Der Asteriskus (*) verweist auf die Fußnoten der genannten Seitenzahl. Bei den Nummern der Inschriften nach IG X 2.1 (im Text zitiert als IGThess) bezeichnet er eine nicht gesicherte Herkunft aus Thessaloniki. Kursivdruck gibt bei Verweisen auf Inschriften die Wiedergabe des Textes an.
Antike Autoren Anthologia Graeca 5, 59 140* 9, 59 139* 10, 25 139 Anthologia Planudea 75 139* Apostelgeschichte 16, 12 194* 16, 13–15 194 26, 22 181* Cassius Dio 45, 7, 1
38*
Cicero in L. Pisonem 34, 84 23*, 40* de provinciis consularibus 2, 4 23*, 40* Diodorus Siculus 30, 11, 1 32, 15
16* 19*
Dionysios von Halikarnassos antiquitates Romanae 1, 45 36* 1, 49, 4 37* 1, 50, 4 37*
Konon FGrHist 26 F 1 XLVI
37*
Livius 40, 4, 9 42, 3, 2 44, 6 44, 10 44, 32 45, 30, 4 54, 10, 5–7
36 44* 16* 16*, 124 16* 43* 14
Macrobius saturnalia 1, 8, 4
39
Martialis 8, 81 2, 14, 7–8
118 118
Ovidius amores 2, 2, 25–26 2, 13, 7–26 ars amatoria 393 Pausanias 1, 8, 4 5, 20, 9
118 120* 118
45 46
Register
232 Plutarchos moralia 365B Ps.-Lucianus Onos 46
Zosimos historia nea 2, 22
107*
124
204
Inschriften CIL VI 988 XIV 3941
154* 108*
5 *12 14 15 16
EpThess Kap. I Nr. 7 Kap. I Nr. 5 Kap. I Nr. 6 Kap. I Nr. 10 Kap. II Nr. 3 Kap. II Nr. 4 Kap. II Nr. 5 Kap. II Nr. 6 Kap. II Nr. 8 Kap. II Nr. 13 Kap. II Nr. 14 Kap. II Nr. 15 Kap. II Nr. 16
58* 97* 141* 158f. 175*, 177* 192* 174*, 175*, 192* 192* 191*, 192* 192* 191*, 192* 37*, 191*, 192* 187f.*
IBeroia 17 36 63 68 117
40* 119* 156* 209 102*, 156, 165*
IG II 2 2953 IV2 I 94 Ib 10 XI 4, 1238 XIV 1366
45* 43* 125* 117*
IGThess (= IG X 2.1) 3 4
79*, 80*, 82*, 90, 91, 109, 110 134, 135, 139, 168
25 *26 27 28 30 31 32 33 35 37 38 50 51 53 57 58 59 61 *65 67 68 69 70 71 *72 73 74 75 76 77 78 79
173* 173* 152, 153* 79* 79*, 97*, 187, 188, 189, 198 40*, 97* 42* 79*, 80*, 82*, 174* 79*, 80*, 112, 173*, 174* 52*, 107 31, 49–54, 55*, 135, 140 55*, 136*, 170, 171 79*, 170, 171 151*, 152*, 153, 154* 52*, 79*, 82*, 97* 162*, 163* 52*, 107 79*, 112* 79*, 112* 117* 79*, 184 79*, 112, 120*, 173* 42*, 79* 64* 79*, 111*, 112, 127, 128* 79*, 111*, 112* 79*, 111*, 112* 79*, 111*, 112* 79*, 111*, 112* 79*, 112, 112*, 128* 79*, 112, 112*, 128* 79*, 112*, 114* 79*, 111* 79*, 111* 79*, 111*, 130f. 79*, 111*, 112*, 130f. 79*, 111*, 114, 130f.
Stellenregister 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111 *112 113 114 115 116 117 118 119 120 121
79*, 111*, 112*, 114, 115, 130f. 79*, 111* 79*, 106*, 111*, 121* 79*, 107, 115 79*, 104*, 112*, 115 79*, 111*, 112* 79*, 111* 79*, 111* 79*, 111*, 112*, 121* 79*, 111*, 120*, 121* 79*, 97*, 111*, 120*, 121* 79*, 97*, 111* 79*, 97*, 111*, 121* 79*, 111* 79*, 111*, 125, 130* 79*, 106*, 111*, 129 79*, 106*, 111*, 129 79*, 106*, 111*, 119 79*, 111*, 114, 120*, 121* 79*, 106*, 111*, 121* 79*, 111*, 120* 79*, 106*, 111*, 116, 120* 79*, 106*, 111*, 112*, 116, 117* 79*, 104*, 106*, 111*, 115* 79*, 97*, 106*, 111*, 120*, 121*, 129 79*, 90*, 97*, 106*, 111*, 120*, 121* 79*, 97*, 111* 79*, 100, 102, 112* 79*, 112* 79*, 107, 108, 112, 115 79*, 112* 79*, 84*, 94, 100*, 102, 112* 79*, 114* 79* 79*, 186, 189 79*, 120*, 121* 79* 79* 79*, 84*, 94*, 100*, 102 79*, 120* 79*, 97*, 120*, 121* 79*, 97*, 121*
124 126 133 134 135 *138 142 143 144 146 149 150 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162 163 164 165 166 167 168 169 170 *171 173 174 176 177 178 180 182 183 184 185 187 188 189
233 56*, 79*, 107*, 108 116 50*, 135*, 141, 170 133 40*, 133, 169 141* 147* 147* 147* 186* 146*, 186* 186* 62, 142*, 143, 146*, 148, 149, 167* 142*, 143 143, 148, 148* 144 144, 148 144, 147, 150 142*, 144, 146* 143*, 145, 157* 143*, 145, 157* 62, 143*, 145, 148, 149, 157* 62, 143*, 145, 146*, 148, 149, 157*, 167* 142*,143*, 146, 157* 142*, 143*, 146, 157* 143*, 147 143*, 144*, 147, 150, 157* 143*, 147, 148, 149, 157*, 161* 62, 143*, 148, 157* 142*, 143*, 148 167* 147*, 147*, 178* 167* 146*, 149*, 167* 147*, 167* 167* 167* 186* 147*, 161*, 167*, 173*, 205 27*, 147*, 161*, 167*, 173 27*, 147*, 161*, 167*, 172, 205 186* 186* 186*
Register
234 190 191 192 194 197 198 200 201 202 207 209 *220 221 222 226 236 244 245 254 255 256 257 258 259
260 262 275 276 277 *278 288 289 291 309 480 503 506 933 948 954 955 956 957
186* 186* 79*, 186, 189, 197 186* 145*, 150* 186* 167* 167* 167* 144, 178* 147*, 161* 79, 130, 187, 188, 189 79* 79* 137 61*, 142*, 143, 148* 79*, 100*, 102, 112, 113, 173* 110* 79*, 80*, 82*, 110*, 113*, 125 79*, 90*, 109, 110*, 122, 127 79* 79* 79*, 184, 189 79*, 100*, 101, 112, 113, 173*, 179*, 183, 192, 198, 215 178, 179, 180, 199, 216 150* 58* 58* 58* 58*, 173* 174*, 175*, 192* 175*, 192* 193* 176*, 191 175*, 177 178, 179 175*, 177*, 178, 179, 180, 183* 58* 101 79* 79* 79* 79*
958 959 950 *965/966 1031
79* 79* 79* 38, 42* 138*
PILHOFER II 169/L007 525/L104 697/M580
65* 65* 194*
ROUSSEL Nr. 156
130*
SEG SEG 28, 1978, 387 SEG 30, 1980, 622 SEG 34, 1984, 622 SEG 34, 1984, 623 SEG 34, 1984, 624 SEG 34, 1984, 625 SEG 34, 1984, 626 SEG 34, 1984, 627 SEG 34, 1984, 629 SEG 35, 1985, 751 SEG 42, 1992, 625 SEG 43, 1993, 457 SEG 43, 1993, 458 SEG 43, 1993, 462 SEG 45, 1995, 827 SEG 46, 1996, 812 SEG 47, 1997, 960 SEG 49, 1999, 815 SEG 49, 1999, 816 SEG 49, 1999, 817 SEG 49, 1999, 818
104* 183* 119* 121* 121* 130* 119* 119* 119 177* 128*, 190 116* 79*, 115* 174* 97* 55*, 170* 58* 158f. 159 159f. 158*
VIDMAN Nr. 107 Nr. 433 Nr. 531 Nr. 789 Nr. 790
119* 117 108* 117* 117*
Stellenregister
235
Inventarnummern des Archäologischen Museums Thessaloniki (= Thessaloniki AM) 257 831 833 844 858 877 878 880 882 886/6130 986 996 997 1000 1011 1065 1074 1123
42 42, 90* 90* 91* 85 Abb. 4, 86* 59 58* 150* 61 57 86*, 103–106, 115 42 100 101 82* 24, 28*, 30*, 31* 86*, 93, 98–101, 103 31*
1254 1526 1527/1529 1528 1530 1699 2299 2339 2466 2467/2468 3056 4922 6110 6676 6976 11379 11449 11472
184* 30 30 30 31* 143* 42* 137* 73 24, 28* 78 90 63, 64 Abb. 2, 67–69 31* 126 55 24*, 31* 37*
Register der Namen, Orte und Sachen Register der Namen, Orte und Sachen Register Abgrenzung s. Differenzierung Apollon 47, 112, 163, 174* Acheiropoietos s. Kirchen Apsistempel 79, 83, 85 Abb. 3, 88, 91*, Actium, s. auch Aktia 37, 39–41, 54–56, 92–94, 95 Abb. 6–7, 96–98, 102*, 103– 140*, 204, 207 106, 110, 131 Abb. 8, 198, 215 Aeneas 36, 37, 47, 192*, 207 archiereus 62, 143, 145–149, 156, 158– Agone s. Spiele 161, 167, 187*, 188* Agonothet Aristokratie 77, 137, 150, 170, 186 – des Augustus 51, 55, 135–137, 140–142, Artemis 65*, 119, 130, 192 156, 170* Artemis Eileithyia 119 – des Fulvus 61, 62, 143–150, 210 Asianoi 175*, 176, 177, 191, 196, 211 Agora 3, 6, 10, 13*, 17*, 24*, 48, 56–62, Athen 32*, 34*, 35*, 38, 41, 44–46, 47*, 65*, 76, 77, 107*, 143*, 150*, 158, 162, 70, 205, 207, 216 170, 171, 178*, 189, 197, 207, 208, 212, Attis 65* 219 Audienzsaal 74, 75, 77 Aineia 36–38, 42–44, 47, 59, 207 Augustus 24, 28*, 29*, 30, 31, 38–41, 45– Akropolis 14*, 15, 21 52, 55, 56, 118, 135–142, 170*, 203, Aktia 47*, 159 (B), 163 204, 207 Aktionsräume 100–103, 179, 180, 185, Axios 108*, 203 197–199, 201 aktische Ära 56, 136, 190* Badeanlagen 13*, 60*, 62, 116, 118, 172*, Alexander d. Gr., Alexanderkult 58, 59, 179 138, 173*, 208, 209, 216, 220 Beroia 7, 8, 40*, 102*, 119, 120, 130, 149, Alexandria 152, 153 156–166, 207, 209, 212, 217 ‚alexandrinische Trias‘ 120, 130 Berufe 42, 66, 77, 128, 174, 175, 190–195 Altar, ‚makedonischer‘ 126, 142*, 177, besartes 101, 102, 113 180, 186, 209 Bestattung 175, 176, 179, 191*, 193 Andriskos, -aufstand 19*, 133, 138, 203 Bibliothek 57 Antentempel 53*, 85 Abb. 3, 88–92, 94, boule, bouleutes 135*, 136, 144, 145, 148, 111* 149, 150*, 152, 153*, 177, 183, 186 Antigonos II. Gonatas 14, 20, 27* Antinoos 137, 142, 151*, 152–155, 169, Caecilius Metellus, Quintus 133, 138, 139 219, 220 Caracalla 58, 188* Antipatros von Thessaloniki 139, 140, 204 Christen, Christentum 98*, 194, 195 Antoninus Pius 151–155 civitas libera 39*, 106, 203 Antonius 39, 56*, 106–109, 203 Commodus 151, 209 Anubis 110, 111, 114, 115, 125, 130, 184*, 212 Dakien 66, 69 Aphrodite, s. auch Venus 36–47, 59, 90*, Datierung 39*, 56, 157*, 171 113, 128, 220 Dea Roma 28*, 30, 139, 211 Aphrodite Epiteuxidia 42, 128, 179*, 190– ‚delische Trias‘ 114, 130, 200, 202, 212 197 Delos 79, 98, 107, 108*, 113, 125, 126, Aphrodite Homonoia 41, 42, 113 130, 131, 174*, 212, 219
Register der Namen, Orte und Sachen
237
Demetrias 20 Hl. Demetrios 75 Demetrios I. Poliorketes 20 Demetrios-Basilika s. Kirchen didymaphorion 108, 109, 115 Differenzierung, -sbedürfnis 130, 172, 184, 185, 190, 192, 193, 199, 200, 212, 215, 218 Dion 7–9, 16*, 19*, 86, 98, 119–121, 123, 129, 130, 207, 212 Dionysos, -heiligtum, -kult 25*, 27, 33, 34, 80*, 112, 113, 172–184, 189, 196–200, 205, 206, 211, 214, 216, 219, 220 Doura Europos 20
Götterbeinamen, s. auch Aphrodite, Artemis, Isis, Osiris, Zeus 37, 101*, 104–106, 106*, 109, 116–120, 129, 130, 180*, 181, 192, 193, 213 Gordianus III. 156, 162, 163, 166 Goritsa 16* Goten, -einfälle 157, 158, 204, 209 grammatophylakion 52*, 107 griechische Sprache 114–118, 141*, 172, 202, 213, 219 Gymnasiarch 133, 134, 136*, 139, 156*, 168, 169 Gymnasium 60*, 62, 133–140, 142, 150, 153, 155, 168, 169, 196, 197, 211
Echeidoros 108* Edessa 16*, 207 Einladungsplakate zu Spielen 158–163, 219 Einwanderer 115, 130, 131, 170, 172, 196, 199, 202, 212, 213, 215, 218, 219 Einwohnerzahl 202 Elagabalus 156, 166* Ephebarch 133, 148, 149, 169 Epheben, s. auch neoi 142–151, 155, 167 Epiklesen s. Götterbeinamen epistates s. Statthalter Epona 78, 214 Euphrosyne (Dionysospriesterin) 180–183, 199, 216 Exotik, Exotisierung 113, 118, 210, 213
Hadrian 28*, 29, 30, 70, 151, 153–155, 220 Hadriansbogen (Athen) 70 Händler 7, 37*, 42, 114, 123, 125, 127, 128, 170–172, 174, 176, 190, 191, 194– 196, 211–213, 219 Hafen 14*, 16*, 67, 123–127, 194, 203, 213 Harpokrates 90*, 110–112, 120 Heiligtum – der ägyptischen Götter 10, 25, 26, 27, 42, 53*, 79–132, 153*, 174, 180, 189, 190, 198, 202, 206, 212, 213, 215 – der Demeter/Kore? der Nymphen? 27 – des Dionysos s. Dionysos hellenistische Funde 9, 13–27, 40, 53*, 90, 91*, 92, 94, 103*, 124* Hermanubis 130, 187–189 Herme 61, 86*, 93, 95, 98–103, 132, 142, 143*, 148* Hermes 174 hieraphoroi 184–189, 199, 215 Hippodrom 74–77, 97, 167 Horus 111, 112, 128* hydreon 107
Felix Romuliana (Gamzigrad) 71, 72, 75* Fläche des Stadtgebietes 14–16 Friedhof s. Nekropole Fulvus (Person) 151–156, 210, 211 Fulvuskult, s. auch Priester des F. 61–62, 87*, 137, 142–156, 164, 167, 169, 209– 211, 218–220 Fußspurenreliefs 119*, 120, 121, 130 Gaius Caesar 38, 139* Galeria Valeria 70, 73 Galerius 70–73, 75*, 76–78, 214 Galeriusbogen 70, 72, 76, 91*, 96, 98, 132 ‚kleiner Galeriusbogen‘ 73 Galeriuspalast s. Palastkomplex Gallienus 157–159* Gallikos (Fluß) 108* Gipsmodell des Apsistempels 83, 92, 93*, 95 Abb. 6–7, 110 Gladiatoren, -spiele 75, 77, 78, 218
Incantadas 60* Inschriften, epigraphische Quellen 5, 8, 9, 76, 86–88, 143, 206 Inschriften, lateinische 114, 116, 141*, 202, 213 Inschriften, postume Ehren- 178, 179*, 190, 197 Inschriften, zweisprachige 114*, 115–118 insulae s. Staßenraster Integration 78, 115, 172, 196, 200, 202, 213, 215, 218 Isis, -kult 9, 26*, 79, 97, 98, 103–130, 132, 199, 210, 212, 213, 215, 219, 220
238 Isis Epekoos 106*, 116, 120 Isis Lochia 106*, 119, 120, 124*, 130 Isis Memphitis 106*, 116–118, 199, 213 Isis Nike 106*, 121 Isis Nymphe 90*, 106*, 121 Isis Orgia 86*, 103–106, 115*, 199 Isis Pelagia 42, 126 Isis Tyche 106*, 121, 129 Isis Tyche Agathe 106* ‘Isis-Aretalogie‘ 80*, 113, 125, 126 Isisbeinamen 106, 117–120, 129, 130 Iulia Domna 59, 141* Iulius Caesar 31*, 37–40, 47, 51, 52, 140– 141, 193, 203 Iulius Rhoimetalkes, Gaius 136* Iulius Rhoimetalkes, Tiberius 136* Johannes, Heinz 97 Kabeiria 159, 160, 163, 209 Kabeiros 77*, 159, 166*, 209, 210, 214, 220 Kaiserstatuen 21, 24, 26, 28–31, 39, 45, 46, 48, 55, 57, 59–61 Kaisertempel, Kaiserkult, -kultstätten 10, 18–54, 55*, 59, 60, 135, 141, 150*, 164, 205–208, 210, 216, 218 Kassope 16*, 43* Kelten 14* Kirchen – Acheiropoietos 17, 27, 28*, 173, 178– 183, 198, 216 – des Hl. Demetrios 18, 23*, 27, 62, 143*, 152*, 171* – Panagia Chalkeon 60* Kleinasien, Kleinasiaten 3, 77, 163*, 165, 166, 176, 190, 192, 203, 208, 211, 217, 218 Kleopatra 106, 109 koinon s. makedonisches Koinon Konstantin d. Gr. 73, 124 Konstantinopel 2, 74 Kotzias, Nikolaos 29*, 131, 132 Kourotrophos 27* Kult, -begriff 2, 7–10, 182, 190, 193, 196, 197, 199–202, 205, 206, 210, 213–216, 219, 220 Kultbild 31, 44*, 45, 46, 57–59, 105, 218 Licinius 73, 124 Lydia 194, 195
Register Makaronas, Charalampos 80, 82, 83*, 100*, 102 makedoniarches, makedoniarchissa 62, 143, 145–147, 149, 159–164, 186 Makedonien, Makedonier, Makedonisches 1–9, 20, 21, 50, 58, 59, 64–68, 119, 126, 129, 130, 142*, 161, 171, 173–176, 188, 194, 195, 203, 204, 207–209, 212, 214, 217, 218 makedonisch-römische Kriege 14, 37, 53* 203 ‚makedonische Koine‘ 212–214 makedonischer Altar s. Altar makedonisches Koinon 8, 156, 160, 162– 167, 188, 217 Marcus Aurelius 59*, 151, 152 Marmor, -architektur 6, 24, 31*, 32*, 35, 38, 40, 44*, 85 Abb. 4, 86*, 112 Mausoleum 71, 72, 75*, 76, 154 Metallschmelzofen 17 Militär 7, 65, 66, 69, 70, 72, 73, 77, 78, 148, 188, 204, 205, 214 Mithradates von Pontos 204 Mithras 63–69, 214 Münzprägung 37*, 41, 47, 51, 55, 56, 70, 86*, 88, 90, 135, 141, 157, 165, 166, 173, 182, 204, 209, 217, 220 Munatius Plancus, L. 39 Mysten, Mysterien 74*, 100–104, 122*, 127, 173, 176, 179*, 180–184, 192, 198, 215 Nekropole 13*, 37*, 115, 178*, 179*, 197 neoi 152, 153*, 155, 168–170, 196, 197 Neokorie, neokoros 156–158, 161, 162, 164–167, 211, 217 Nerva 156, 165, 166 Nike 54, 55* Nikopolis 43*, 47*, 55, 173* Nil, Nilwasser 107, 108*, 126 Octavianus s. Augustus Odeion 56, 158, 162 Odos Egnatia (moderner Straßenname), s. auch Via Egnatia 81, 132 Ohrenreliefs 112, 114, 116, 120, 121, 173 Olympia 41, 45–47, 138, 139, 207 Olympia, Metroon 41, 45–47 Opous 109, 122, 123, 127 Osirieon 108 Osiris 94, 100–102, 108, 110, 112, 126, 153*
Register der Namen, Orte und Sachen Osiris Mystes 101 Osmanen, osmanische Zeit 2, 5, 20*, 28 Palastkomplex 3, 10, 13*, 15, 16*, 17, 70– 78, 124, 125, 131, 167, 209, 214 Pallene (attischer Demos) 45 Pantheon (Rom) 70 Patron, Patronat 134, 139, 140, 169, 189, 198, 215, 219 Pelekidis, Stratis 80, 93*, 96, 100*, 131, 132 Pella 16, 21 Peristyl 19, 21, 72–74, 76 peristylon 108, 115 Perseus, König von Makedonien 16*, 19*, 124 Philipp V. 40*, 80, 109 Philippi 8, 9, 15*, 19*, 59, 60, 65*, 98, 194, 195, 207 Philippi, Schlacht bei 39, 106, 134*, 135, 203 Phylen 27*, 58*, 156*, 165*, 173, 205 polis s. Stadt Politarch 52, 116, 136*, 145, 149, 170*, 171, 174* Pompeius, Cn. 173*, 204 praetorium 6, 18–23, 48 Priester, Priesterinnen – der ägyptischen Götter 91*, 101, 104, 115, 117*, 119*, 120, 121, 122, 184 – Alexanders des Großen 58 – des Augustus 50–52, 135–142, 170*, 171 – des Dionysos 176, 177, 179–183, 199, 216 – des Fulvus 61, 62, 142–151, 157*, 161*, 167, 210, 211 – ‚der Götter‘ 135–139, 171 – des Kabeiros 163 – im Kaiserkult 62, 145, 146, 148, 149, 150, 156, 158, 159, 160, 161, 167, 186 – der Dea Roma und der ‚römischen Wohl-täter‘ 135, 136, 138, 139, 140*, 171 – des Zeus Dionysos Gongylos 101 – des Zeus Eleutherios und der Roma 171 – des Zeus Hypsistos? 114* – sonstige / Zuordnung unklar 42*, 121*, 187* prinophoroi 180–182 Prokonsul 50, 52, 53*, 133, 138*, 173 propylon 108, 117*
239
Provinz, -grenzen, -werdung Makedoniens 1, 7–10, 13, 48, 50, 53*, 66, 114, 133, 149, 156, 203–205, 207, 209, 212, 213, 218 Provinziallandtag, -versammlung, s. auch makedonisches Koinon 149, 186 Purpurfärber 193–195 Pyrrhos 14 Pythia (Festname) 159, 160, 162, 163, 209 Quellenproblematik 1–10, 76, 77, 80, 87, 205, 206 Rhoimetalkes, s. auch Iulius Rhoimetalkes Rhoimetalkes I. 136*, 139* Rhoimetalkes III. 136* Römer, römische Bürger, römische Namensträger 38, 40, 50, 114–119, 130, 132–172, 176, 185, 189, 191, 196, 197, 204, 211–214, 218, 219 Rotunde 6, 17, 70–72, 76, 96, 132 ‚sacred area‘ 23–28, 29, 47, 55* Sarapis, -kult 26*, 79, 80, 97, 98, 105, 107, 109–112, 114, 115, 120–122, 125, 127, 129*, 130, 132, 188, 198, 212, 215, 220 von Schoenebeck, Hans 82*, 91*, 93*, 94, 96, 97, 103, 104, 131 Schwitzbad 13*, 62 Seeleute 42, 123–128, 190, 195, 196 Seleukos I. Nikanor 20 ‚Serapeion‘ 79*, 82*, 86, 109-112, 132 Serapis s. Sarapis Servilius Caepio, Gnaeus 133, 134, 137, 138, 169 Severus Alexander 156, 209 Sirmium 71, 74, 78 Sosius, C. 39 Sounion 32*, 34*, 44, 47* Sphinx 90, 113, 114 Spiele, s. auch Gladiatorenspiele 56, 62, 75, 137, 150, 151*, 153–155, 158–164, 167, 169, 196, 209, 210, 217–219 Stadion, s.auch Theaterstadion 62, 75, 76 Stadt, -gemeinde, -behörden von Thessaloniki 39–42, 52, 55, 56, 61–63, 76–79, 88, 106, 116, 118, 133–141, 148, 149, 153–157, 161, 162, 165–172, 173, 179, 180*, 181, 182, 184, 186, 196, 197, 205– 207, 220 Stadtbrand von 1917 3, 18, 23, 81, 82, 171*
240 Stadtgründung 5, 13, 14, 18, 25, 26*, 27*, 43*, 44*, 79, 172, 206, 216 Stadtmauer 12 Abb. 1, 13–23, 40*, 43*, 53*, 55, 69, 70, 74, 185, 186*, 198, 202, 214 Städtekonkurrenz 156, 162, 165, 217 Statthalter 6, 19–23, 48, 139*, 157, 158, 161*, 203, 216 Statthalterpalast, s. auch praetorium 18–23 Straßenraster, -netz 18, 20–24, 81, 102*, 124*, 193*, 206 synklitai 184, 185, 189, 192*, 199, 215 Synoikismos 43*, 44*, 173, 205 synpragmateuomenoi Rhomaioi 136*, 170– 172, 196, 197, 211, 212 Tempel s. auch Heiligtum Tempel, ionischer s. Kaisertempel ‚Tempel von Therme‘ s. Therme Tetrapylon 70, 72 Tetrarchie 69–77, 97, 167, 205 Thasos 126 Theaterstadion 75, 167 theoi (div. Beinamen), theoi Sebastoi 104*, 112, 123, 134, 139*, 168, 169 theoi sebastoi 117*, 118 theos Hypsistos 110, 112, 114*, 127, 128, 192*, 206 Therme (Ort) 25, 26*, 33, 172, 173 Thermen s. Badeanlagen, Schwitzbad Thessalonike (Stadtgöttin) 54* Thessalonike (Schwester Alexanders d. Gr.) 54*, 58 Thorikos 32*, 34*, 35, 44
Register Thraker, Thrakien, Thrakisches 9, 27*, 66, 67, 101*, 125, 136*, 139*, 157*, 172, 175*, 204, 214 thrakischer Reiter 193* Thyateira 194–196 Titus 48, 61 Träume 28*, 109, 112, 121–123, 127, 128 Traianus Decius 157, 164 Translozierung 21, 33–44, 48, 51–54, 141, 204–207, 216, 218 triclinium 77 Tyche, s. auch Isis Tyche 73 Venus, Venus Genetrix, s. auch Aphrodite 38, 43, 47, 207 Verein, -swesen VIII, 42, 58*, 103, 113, 128, 130, 168, 174–202, 205, 211–216, 219 Vereinslokal 179*, 185, 197–199, 216 Versatzmarken 26, 32, 33 Via Egnatia, s. auch Odos Egnatia 7, 59*, 66, 114, 128, 129, 203 Villen 77 Wandertempel s. Translozierung Weinberg 101, 180, 182, 183, 216 Werftanlagen 14*, 16*, 124 Zeus Aigiochos 29 Zeus Dionysos Gongylos 100–103, 113, 173, 179*, 180, 183, 184, 192, 198, 215, 216 Ziegel, -maße, -muster, -stempel 19*, 21, 32*, 53*, 89, 91, 92, 96, 97*, 132 Zoll, -pächter, -station 66, 69, 214