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German Pages [328] Year 2006
Europäische Geschichtsdarstellungen Herausgegeben von Johannes Laudage Band 12
Rittertum höfische K u l t u r der Stauferzeit
Herausgegeben von
Johannes Laudage und Y v o n n e Leiverkus
§ 2006 B Ö H L A U V E R L A G K Ö L N WEIMAR WIEN
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Universität Düsseldorf
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2006 by Böhlau Verlag G m b H & Cie, Köln Ursulaplatz 1, D-50668 Köln Tel. (0221) 91 39 00, Fax (0221) 91 39 011 [email protected] Alle Rechte vorbehalten Umschlagabbildung aus: Petrus de Ebulo, Liber ad honorem Augusti sive de rebus Siculis. Eine Bilderchronik der Stauferzeit aus der Burgerbibliothek Bern, hgg. von Theo Kölzer / Marlis Stähli, Sigmaringen 1994, S. 215, fd. 145r. Druck und Bindung: MVR-Druck G m b H , Brühl Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany I S B N - 1 0 3-412-34905-4 I S B N 978-3-412-34905-9
INHALTSVERZEICHNIS 7
Vorwort Johannes Laudage Rittertum und höfische Kultur der Stauferzeit "EINE EINFÜHRUNG
11
Knut Görich Die „Ehre des Reichs" (honor imperii) \5berlegungen zu einem Forschungsproblem
36
Johannes Laudage Der Hof Friedrich Barbarossas Eine Skizze
75
Τheo Kölzer Der Königshof im normannisch-staufischen Königreich Sizilien
93
ferner Rösener Die ritterlich-höfische Kultur des Hochmittelalters ihre wirtschaftlichen Grundlagen
und 111
Jens Ullrich Iste sunt curie... Randnotizen zum Ύα/elgüterverzeichnis
136
Alheydis Vlassmann Höfische Kultur in Frankreich Die Sicht von außen
146
Inhaltsverzeichnis
Barbara Haupt Der höfische Ritter in der Literatur
mittelhochdeutschen
170
Yvonne Leiverkus Das äu&ere Erscheinungsbild des staufischen Ritters
193
Jan Ulrich Keupp Verhöfliehte Krieger? Überlegungen zum 'Prozeß der Zivilisation' am Stauf erzeitlichen Hof
217
Gerhard Lubich „Tugendadel" Überlegungen zur Verortung, Entwicklung und Entstehung ethischer Herrschaftsnormen der Stauferzeit
247
Johannes Laudage Rittertum und Rationalismus Friedrich Barbarossa als Feldherr
291
Thomas Xotz Rittertum und höfische Kultur der Stauferzeit Bilanz der Tagung
315
VORWORT Der vorliegende Band geht auf eine Tagung zurück, die am 2. und 3. Juni 2005 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf stattfand. Ihr Ziel war es, die Studierenden auf unkonventionelle Weise an das forschungsorientierte Lernen heranzuführen, und demgemäß steht am Anfang ein Beitrag, der sich weniger an die Spezialisten wendet als an jene Leser, die nach Orientierungswissen suchen. Danach geht es freilich ziemlich rasch medias in res, denn es kam uns ja darauf an, richtungsweisende Impulse zu sammeln, um den aktuellen Stand des wissenschaftlichen Diskurses einzufangen. Die Mischung der Beiträge war dabei freilich nicht allein von rationaler Planung, sondern auch vom Zufall bestimmt. Leider kam es nämlich zu einigen kurzfristigen Absagen, so daß das ursprüngliche Konzept eines gesamteuropäischen Vergleichs mit interdisziplinärer Ausrichtung zugunsten einer eindeutigen Konzentration auf das staufische Reich abgeändert werden mußte. Dadurch ergab sich jedoch eine thematische Geschlossenheit, die sich auf die Diskussion äußerst positiv auswirkte. Wir konnten die Tagung auf zwei Schwerpunkte ausrichten, die sich, grob gesagt, um die Stichwörter „Rittertum" und „höfische Kultur" gruppierten, und knüpften damit an zwei Leitbegriffe an, die sich im deutschsprachigen Bereich vor allem mit den Namen von Joachim Bumke und Josef Fleckenstein verbinden. Beide Forscher haben dazu bekanntlich Gewichtiges publiziert1. Aber erstaunlicherweise hat sich keiner von ihnen bemüht, den Begriff des Hofes (curia) zu definieren2. Statt dessen wurde mit abgeleiteten Wörtern
1 Vgl. vor allem Joachim BUMKE, Studien zum Ritterbegriff im 12. und 13. Jahrhundert (Beihefte zum Euphorion 1), Heidelberg 2 1977; DERS., Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, 2 Bde., München 6 1992 ; Josef FLECKENSTEIN, Ordnungen und formende Kräfte des Mittelalters. Ausgewählte Beiträge, Göttingen 1989; DERS., Vom Rittertum im Mittelalter. Perspektiven und Probleme (Bibliotheca eruditorum 19), Goldbach 1997; DERS., Rittertum und ritterliche Welt, Berlin 2002. 2 Hierzu sind vielmehr grundlegend: Klaus SCHREINER, , H o f (curia) und .höfische Lebensführung' (vita curialis) als Herausforderung an die christliche Theologie und Frömmigkeit, in: Höfische Literatur, Hofgesellschaft, höfische Lebensformen um 1200, hgg. v. Gert KAISER/Jan-Dirk MÜLLER (Studia humaniora 6), Düsseldorf 1986, S. 67-139 und Otto Gerhard OEXLE, Haus und Ökonomie im früheren Mittelalter, in: Person und Gemeinschaft im Mittelalter. Karl Schmid zum 65. Geburtstag, hgg. v. Gerd ALTHOFF/Dieter GEUENICH/Otto Gerhard OEXLE/Joachim WOLLASCH, Sigmaringen 1988, S. 101-122.
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Vorwort
wie hövescheit und curialitas operiert, um die Zugehörigkeit zu einem Hof und die daraus resultierende Lebensart zu charakterisieren. Im Zentrum stand also nicht etwa das rechtlich-soziale Substrat des Rittertums, man interessierte sich vielmehr für seine kulturelle Dimension und wollte zugleich deren Modellierbarkeit zum Ausdruck bringen. In der Tat wurden damit wichtige Impulse gegeben, doch sie reichen nicht aus, um das Gesamtphänomen zu erfassen, denn das Rittertum traf nicht überall auf dieselben Lebensbedingungen. Während es in der kommunalen Welt Ober- und Mittelitaliens eine Gruppe von zu Pferde kämpfenden Menschen bezeichnete, die sich lediglich durch ihren Lehnsbesitz von anderen Gruppen der Bevölkerung abhoben, aber ansonsten eher in der Stadtgemeinde als am H o f eines Herrn ihren Bezugspunkt fanden 3 , waren in den übrigen Regionen die Herrschaftsgebilde der Könige und Fürsten entscheidend, definierte sich der Ritter über seinen Dienst und seine Zuordnung zu einer curia. Allerdings gab es auch dabei gewichtige Unterschiede. So kam es nur in Deutschland zur Ausbildung einer Ministerialität, d.h. zum sozialen Aufstieg einer Schicht von unfreien Panzerreitern, die sich vom übrigen Gesinde durch ihre Burgsässigkeit, ihre Hofdienste und ihre Bewaffnung, mit einem Wort: durch ihren Anteil an der Herrschaft der Fürsten, abhoben. In Frankreich und den normannischen Reichen blieb dagegen der Besitz eines Lehens entscheidend, wurden nur freie Vasallen zum Rittertum zugelassen. Man muß sich klarmachen, was das bedeutet: Jeder Versuch, den Zusammenhang von Rittertum und höfischer Kultur zu erforschen, hat zunächst einmal von den Eigenarten der ins Auge gefaßten Höfe auszugehen, muß deren konkrete Strukturen und Erscheinungsformen vergleichen und nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden fragen. Dabei scheint es ratsam, den Sonderfall der kommunalen Welt Italiens vollständig auszuklammern. Denn nur dort, wo die Ausdrücke curia und militia gemeinsam als Leitbegriffe erscheinen, ohne durch etwas Drittes - die Vgl. dazu einführend: Hagen K e l l e r , Adelsherrschaft und städtische Gesellschaft in Oberitalien. 9.-12. Jahrhundert (Bibliothek des deutschen Historischen Instituts in Rom 5 2 ) , Tübingen 1 9 7 9 ; DERS., Militia. Vasallität und frühes Rittertum im Spiegel oberitalienischer Miles-Belege des 10. und 11. Jahrhunderts, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 6 2 ( 1 9 8 2 ) S. 5 9 - 1 1 8 und Ders., Adel, Rittertum und Ritterstand nach italienischen Zeugnissen des 11.-14. Jahrhunderts, in: Institutionen, Kultur und Gesellschaft im Mittelalter. Festschrift für Josef Fleckenstein zu seinem 65. Geburtstag, hgg. v. Lutz FENSKE/Werner RÖSENER/Thomas Ζ ο τ ζ , Sigmaringen 1 9 8 4 , S. 581-608. 3
Vorwort
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civitas - relativiert zu werden, kann man im eigentlichen Sinn von einem höfischen Rittertum und ritterlicher Hofkultur sprechen. Im Vorfeld unserer Tagung stand daher eine bewußte Entscheidung: Das Untersuchungsfeld wurde von vornherein auf jene Bereiche eingegrenzt, in denen von Hause aus hierarchische (und nicht etwa genossenschaftliche) Bindungen maßgeblich waren. Damit war ein wichtiger gedanklicher Schritt vollzogen, denn die Reduktion des Rittertums auf das Bezugsfeld „Hof" scheint dem Phänomen selbst ja nicht unbedingt vorgegeben. Lediglich in der englischen Bezeichnung knight oder der deutschen Vokabel dienestman klingen die Gedanken der Knechtschaft und des Dienstes für einen Höhergestellten unmittelbar an. Ausdrücke wie chevalier, Caballero und riter (ritter) verweisen dagegen nur auf das Kämpfen zu Pferde, und im lateinischen Begriff des miles manifestiert sich ursprünglich sogar nur der Umstand, daß man es mit einem Krieger zu tun hat, während die Art und Weise seiner Bewaffnung zunächst noch in der Schwebe bleibt. Das hochmittelalterliche Rittertum ist also der Wortgeschichte nach aus dem Kriegertum hervorgegangen. Aber schon seine Vorläufer standen in enger Beziehung zur Haus- und Grundherrschaft, denn bereits für die Karolingerzeit ist nachgewiesen, daß nur derjenige beritten in den Krieg ziehen mußte, der sich im Besitz eines Lehens von vier Hufen (bei voller Ausrüstung sogar von zwölf Hufen) befand. Dieser Umstand ist von Josef Fleckenstein mit Recht mit dem einprägsamen Wort von der „Feudalisierung der militia"' und der „Militarisierung der Vasallität" beschrieben worden4. Doch daneben verdient zweifellos Beachtung, daß man anfangs noch nicht von einer Kaste von Berufskriegern sprechen darf, sondern eher von Grundbesitzern, die auch als Panzerreiter tätig wurden. Dieses gemeinfränkische Phänomen erklärt uns auch, warum das Wort miles erst allmählich Vokabeln wie vassus oder vasallus verdrängte, denn in diesem Vorgang kam eine eindeutige Akzentverschiebung zugunsten des Kriegsdienstes zum Ausdruck. Soweit zu sehen ist, wurde dieser Wechsel im Sprachgebrauch ganz entscheidend dadurch begünstigt, daß man seit dem 11. Jahrhundert immer häufiger zwischen drei Gruppen von Menschen unterschied: den Geistlichen, die für das Seelenheil der übrigen zu sorgen hatten, den Arbeitern Vgl. dazu Josef FLECKENSTEIN, Über den engeren und den weiteren Begriff von Ritter und Rittertum (miles und militia), in: Person und Gemeinschaft (wie Anm. 2) S. 379-392, hier S. 382 f., ND in: ÖERS., Vom Rittertum (wie Anm. 1) S. 13-32, hier S. 17 f.
4
10
Vorwort
und Bauern, die die Lebensmittel bereitstellen sollten, und den Kämpfern oder Kriegern, die die Waffenlosen zu beschützen hatten. Damit ging eine Gewichtsverlagerung vom Besitz zur Funktion der Menschen einher. Aber es ging uns nicht darum, diesen hochinteressanten Prozeß in den Blick zu nehmen - im Vordergrund standen vielmehr seine unmittelbaren Folgen: die Ausprägung eines höfischen Rittertums und einer ritterlichen Hofkultur. Worin bestand ihre materielle Basis? Wie lassen sich die Höfe typologisch beschreiben? Was waren ihre Leitbilder und Organisationsformen? Und wie verhielt sich das Rittertum dazu? Was sind überhaupt seine hervorstechenden Merkmale? Das sind einige der großen Fragen, die uns beschäftigt haben, und erfreulicherweise haben unsere Gäste zur ihrer Beantwortung Wichtiges beigesteuert. Dafür danken wir ihnen herzlich. Es ist nicht selbstverständlich, daß die akademische Lehre so forschungsnah betrieben werden kann wie in diesem Sommersemester 2005. Aber wir fühlen uns durch den starken studentischen Zuspruch ermuntert, ähnliche Tagungen auch in den kommenden Jahren zu veranstalten. Ein weiteres Wort des Dankes gilt natürlich all jenen, die unser Treffen organisatorisch und wissenschaftlich begleitet haben, also in erster Linie Frau Gabriele Rapp, Frau Michaela Leitritz, Herrn Sebastian Pahnke, Herrn Matthias Schrör, Herrn Christian Klein und Herrn Dr. Lars Hageneier. Aber darüber soll nicht vergessen werden, auch für die finanzielle Förderung von Seiten unserer Fakultät und die stets angenehme Zusammenarbeit mit unserem Verlag zu danken. Düsseldorf, im September 2005 Johannes Laudage
Yvonne Leiverkus
RITTERTUM UND HÖFISCHE KULTUR DER STAUFERZEIT EINE EINFÜHRUNG von JOHANNES LAUDAGE Wer sich ein wenig mit mittelhochdeutscher Literatur beschäftigt, hat es schnell heraus: Rittertum und höfische Kultur sind zwei Phänomene, die sich auf das engste mit der Stauferzeit verbinden1. Aber ihr Ausgangspunkt lag bereits im 11. Jahrhundert, denn schon damals verbreitete sich die Vorstellung, daß man die Menschen in drei Gruppen einteilen könne: in solche, die arbeiten und für die übrigen Lebensmittel und andere Produkte bereitstellen (laboratores, agricultures), in solche, die beten und für das Seelenheil der anderen sorgen (oratores), und solche, die kämpfen und für den Schutz der Waffenlosen zuständig sind (bellatores, pugnatores)2. Ein mittelhochdeutscher Dichter sagt uns dazu: „got hat driu leben geschaffen/gebure, ritter unde pfaffen (Gott hat drei Leben geschaffen/ Bauern, Ritter und Pfaffen)"3. Alle drei Stände wurden also von Anfang an in einem Funktionszusammenhang gesehen. Aber natürlich unterschied man auch zwischen Herrschaft und Dienst, höheren und niederen Aufgaben. Diese Distinktion führte relativ rasch zu einer Abwertung der Bauern und Feldarbeiter, doch sie bewirkte zugleich, daß sich die beiden anderen 1 Der folgende Beitrag beabsichtigt nicht, einen umfassenden Forschungsüberblick zu geben. Angestrebt ist vielmehr nur, einige besonders wichtige Grundlinien zu skizzieren; die Anmerkungen sind daher bewußt knapp gehalten. Zur vertiefenden Erfassung der Spezialliteratur seien empfohlen: Franz-Reiner ERKENS, Militia und Ritterschaft. Reflexionen über die Entstehung des Rittertums, Historische Zeitschrift 258 (1994) S. 623659; Werner PARAVICINI, Die ritterlich-höfische Kultur des Mittelalters (Enzyklopädie deutscher Geschichte 32) München 2 1999 und Werner HECHBERGER, Adel, Ministerialität und Rittertum im Mittelalter (Enzyklopädie deutscher Geschichte 72) München 2004. Einen magistralen Uberblick gibt jetzt auch DERS., Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter. Zur Anatomie eines Forschungsproblems (Mittelalter-Forschungen 17) Ostfildern 2005, bes. S. 369-448.
Vgl. dazu einführend Otto Gerhard OEXLE, Die funktionale Dreiteilung der „Gesellschaft" bei Adalbero von Laon. Deutungsschemata der sozialen Wirklichkeit im frühen Mittelalter, Frühmittelalterliche Studien 12 (1978) S. 1-54. 2
3
Fridankes Bescheidenheit, ed. Heinrich Ernst BEZZENBERGER, Halle 1872, 27, Vers 1 f.
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Johannes Laudage
Stände als zur Herrschaft befugt erkannten und ihr Selbstbewußtsein weniger auf den Besitz als auf ihre Funktion gründeten. Vor allem die Könige und Päpste, aber auch der hohe Lehnsadel und die Prälaten der Hochkirchen nahmen für sich das Recht in Anspruch, Oberhaupt einer hierarchisch geordneten Personengemeinschaft zu sein. Es begann ein Wettstreit um Rang und Anerkennung, der sich nicht nur auf Festen und großen Versammlungen manifestierte, sondern auch in Kleidung und Lebensstil zum Ausdruck kam. Nie zuvor gab es im Mittelalter eine solche Anhäufung von Momenten, die nichts mit religiösen Inhalten oder den Attributen einer archaischen Kriegergesellschaft zu tun hatten. Die vermännlichte Gesellschaft des Frühmittelalters begann sich in einen Ort der Geschlechterbegegnung zu verwandeln, der zwar nach wie vor seine Rollenspiele kannte, aber doch eine Veredelung der Umgangsformen, des Auftretens und der Lebensbühne mit sich brachte. I. Hövescheit und dörperheit Die Symptome dieses Wandlungsprozesses sind freilich leichter zu greifen als seine Ursachen. Denn schon im Gefolge des ersten Kreuzzugs hatten sich in Frankreich Moden herausgebildet, die bald auch auf das frühstaufische Reich ausgriffen. Es war üblich geworden, die Pferde mit seidenen Decken zu behängen und die Panzer mit Tüchern zu schmücken. Die Speere, Schilde und Sättel wiesen auf einmal bunte Bemalungen auf. Zügel und Sporen wurden mit Gold und Edelsteinen verziert. Man trug lange, kostspielige Hemden mit wallenden Ärmeln, achtete aber zugleich darauf, daß sie die Körperformen betonten, lenkte den weiblichen Blick durch hochgeschlitzte Kleidung auf das Männerbein und hob andererseits durch Verschnürungen die Taille der Frau hervor. Pelzwerk und kostbare Tuche unterstrichen den sozialen Rang ihrer Träger. Man ließ aufwendige Prunkzelte verfertigen oder importierte sie aus fernen Landen, baute profane Versammlungsräume, die sich gleichermaßen für Beratungen und Festlichkeiten eigneten, schuf Architektur-Landschaften, die vor allem auf Wirkung abzielten, legte sich Tischmanieren zu, die von Rücksichtnahme und Selbstbeherrschung zeugten, und unterhielt sich mit volkssprachlichen Heldenliedern, Romanen und Versen. Musik und Tanz gewannen ebenso an Bedeutung wie Brettspiel und Geschicklichkeitsübungen. Die Septem probitates der Reiterkrieger — also Reiten, Schwimmen,
Rittertum und höfische Kultur der Stauferzeit Bogenschießen,
Faustkampf, Jagd mit Greifvögeln,
13
Schachspielen
und
Verseschmieden — standen auf einmal i m V o r d e r g r u n d und nicht m e h r die sieben freien Künste der Gelehrten 4 . V o r diesem H i n t e r g r u n d ist es k a u m als Zufall zu bezeichnen, daß m a n bereits u m 1150 v o n „höfischen D a m e n " (hovesc frowe) Ritterspielen ritarlich,
und
das uns
Festen schon
zugegen seit
seien . 5
1170
Ahnlich
als S y n o n y m
sprach, die bei
wie für
das
Adjektiv
Ausdrücke
wie
„stattlich, prächtig und s c h ö n " belegt ist und auch auf F r a u e n bezogen w e r d e n konnte 6 , löste sich eben auch die Vokabel „höfisch" (lateinisch: curialis)
aus i h r e m ursprünglichen Bedeutungskontext. M a n dachte nicht
m e h r sooft daran, sie neutral mit „ z u m H o f eines H e r r n gehörig" zu übersetzen,
sondern
assoziierte
bäuerlichen
Lebensform.
Das,
immer was i m
häufiger Bereich
den
Gegensatz
des W o h n e n s
zur
in
der
Burgsässigkeit der h ö h e r e n Schichten z u m A u s d r u c k k a m , schlug sich also auch
in der
Sprache
nieder. Hövescheit
und dörperheit
wurden
zum
unversöhnlichen Gegensatz . 7
Vgl. dazu zusammenfassend Joachim BUMKE, Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter 1, München 61992, S. 137-275 und Thomas ZoTZ, Ritterliche Welt und höfische Lebensformen, in: Rittertum und ritterliche Welt, hg. von Josef 4
FLECKENSTEIN, Berlin 2 0 0 2 , S. 173-229. Speziell zur Lehre v o n den septern probitates,
die
noch im 15. Jahrhundert rezipiert wurde, seien genannt: Die Disciplina Clericalis des Petrus Alfonsi (Das älteste Novellenbuch des Mittelalters) edd. Alfons HLLKA/Werner SÖDERHJELM (Sammlung mittellateinischer Texte 1) Heidelberg 1911, S. 7-10; Petrus Presbyter, Altercatio der vera nobilitate, ed. Monika RENER, Leiden 1988, Strophe 239-265, S. 140 f. sowie Johannes ROTHE, Der Ritterspiegel, ed. Hans NEUMANN (Altdeutsche Textbibliothek 38) Halle 1936, Vers 2693-2724, S. 72 f. Vgl. Die deutsche Kaiserchronik, ed. Edward SCHRÖDER (MGH Deutsche Chroniken I, 1) Hannover 1892, Vers 4351, S. 161. 6 Vgl. dazu Joachim BUMKE, Studien zum Ritterbegriff im 12. und 13. Jahrhundert 5
(Beihefte z u m E u p h o r i o n 1) Heidelberg 2 1 9 7 7 , S. 96-99 und 126-129 sowie den Straßburger
Alexander, ed. Karl KLNZEL (Germanistische Handbibliothek 6) Halle 1885, Vers 60476049.
Vgl. dazu grundlegend Peter GANZ, curialis/hövesch, in: Höfische Literatur, Hofgesellschaft, höfische Lebensformen um 1200, hgg. von Gert KAISER/Jan Dirk MÜLLER 7
(Studia
humaniora
6)
Düsseldorf
1986,
S.
39-56;
DERS.,
,hövesch'/,hövescheit'
im
Mittelhochdeutschen, in: Curialitas. Studien zu Grundfragen der höfischen-ritterlichen Kultur, hg. von Josef FLECKENSTEIN (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 100) Göttingen 1990, S. 39-54; Paul Gerhard SCHMID, Curia und curialitas. Wort und Bedeutung im Spiegel der lateinischen Quellen, ebd. S. 15-26; Ulrich MÖLK, Curia und curialitas - Wort und Bedeutung im Spiegel der romanischen Dichtung: Zu fr.
14
Johannes
Laudage
Dieser Gesichtspunkt läßt es geraten erscheinen, nach den Ursachen zu fragen, denn es bedeutete sicherlich schon eine fortgeschrittene Stufe der Entwicklung, wenn ein Konzil von Reims 1148 allen Klerikern das Tragen von buntem Pelzwerk und hochgeschlitzter Kleidung verbot8, und die etwa gleichzeitig entstandene Deutsche Kaiserchronik folgendes über ein angebliches Gesetz Karls des Großen aus dem Jahre 800 erfand: „Da traf er Bestimmungen über die Gewandung der Bauern; die wurden dann vom Papst sogleich bestätigt. Jetzt will ich Euch sagen, was der Bauer tragen durfte: Nur Schwarz oder Grau, nichts anderes erlaubte der Kaiser. Keilstücke nur an den Seiten, das ist seinem Stand gemäß, und Schuhe aus Rindsleder, sonst nichts. Sieben Ellen Stoff auf Hemd und Hose, und zwar aus grobem Tuch. Wenn er Stoffkeile hinten und vorne trägt, so hat er gegen seinen Stand verstoßen"9. Dieser Text ist ein klares Indiz für die Tatsache, daß sich die Unterschiede zwischen Rittern und Bauern, höfischer und dörflicher Lebensform, um die Mitte des 12. Jahrhunderts herum längst verfestigt hatten10. Nur dem höheren Stand schien es erlaubt, sich mit modischer Kleidung zu schmücken. Es sind also ganz eindeutige Bestrebungen erkennbar, den Bauern gegenüber soziale Barrieren zu errichten. Warum aber war das so? Die Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten, aber sie muß gestellt werden, denn sie greift mitten ins Zentrum eines ganzen Geflechts von Zeiterscheinungen, die das Wesen der höfisch-ritterlichen Kultur bestimmten.
cortois(ie)/pr.
cortes(ia) im 12. Jahrhundert, ebd. S. 27-38 und BUMKE, Höfische Kultur 1, S.
78-82. 8
Vgl. dazu Joannis Saresberiensis Historia Pontificalis, ed. Majorie CHIBNALL (Oxford
Medieval Texts 11) London u.a 1956, c. 3, S. 8. 9
Deutsche Kaiserchronik (wie A n m . 5) Vers 14788-14802, S. 349: do rhit er aver umbe der
buliute gewaete. daz machte der babes do staete. N a wiel ich iu sagen umbe den büman, waz er nach der pfahd solte an tragen: iz si swarz oder gra, niht anders reloubet er da; geren da enneben, daz gezimet sinem leben; sinem rinderinen
scuoch, da mit ist des genouch; siben eine ze hemede
unt ze bruoch, mpfin tuoch. ist dergere binden oder vor, so hat er sin ewerch 10
verlom.
Vgl. dazu grundlegend Werner RÖSENER, Bauer und Ritter im Hochmittelalter. Aspekte
ihrer Lebensform, Standesbildung und sozialen Differenzierung, in: Institutionen, Kultur und Gesellschaft im Mittelalter. Festschrift für Josef Fleckenstein zum 65. Geburtstag, hgg. von Lutz FENSKE/Werner RÖSENER/Thomas Z o T Z , Sigmaringen 1984, S. 664-692.
Rittertum und höfische Kultur der Stauferzeit
J5
II. Lehnswesen und Ministerialität Eine der Hauptwurzeln ist dabei zweifellos im zeitgenössischen Lehnswesen11 zu finden, denn alle Ritter hatten ein Lehen, das sie befähigte, beritten in den Kampf zu ziehen. In Köln gab es im 12. Jahrhundert zum Beispiel die Regel, daß sich nur diejenigen auf die Heerfahrt nach Italien begeben mußten, die aus ihren Lehen mehr als fünf Mark Silber an Jahreseinkünften bezogen; die übrigen indes konnten sich mit einer Heersteuer freikaufen, die aus der Hälfte ihres Jahreseinkommens bestand12. Derweil bestand in Italien der „Ritterstand" (ordo militum) schon des längeren aus Capitanen, die Kronlehen trugen oder zumindest Herren eines größeren Machtkomplexes waren, und einer Fülle von Aftervasallen, sogenannten Valvassoren, deren Zahl in manchen Städten in die Hunderte ging13. In Frankreich wurde das Bild vor allem von der Masse der kleinen Vasallen bestimmt, die zu den Höfen des Königs oder der hohen Lehnsaristokratie gehörten 14 . Im benachbarten regnum Teutonicum aber kamen die Ministerialen dazu, eine Schicht von unfreien Dienstmannen, die wie die Vasallen und Fürsten auf Burgen
Vgl. dazu allgemein Francois Louis GANSHOF, Was ist das Lehnswesen?, Darmstadt 1983; Egon BOSHOF, Lehnswesen, in: Theologische Realenzyklopädie 20, Berlin/New Y o r k 1990, S. 602-608; Susan REYNOLDS, Fiefs and Vassals. The Medieval Evidence Reinterpreteted, Oxford 1994; Karl KROESCHELL, Lehnrecht und Verfassung im deutschen Hochmittelalter, in: forum historiae iuris vom 27. April 1998 ( = http://www.rewi.huberlin.de/online/fhi/zitat/ 9804kroeschell.htm) (19.10.2005); Karl-Heinz SPIEß, Das Lehnswesen in Deutschland im hohen und späten Mittelalter, Idstein 2002. 12 Vgl. dazu das längere Kölner Dienstrecht, ed. Ferdinand FRENSDORFF, Das Recht der Dienstmannen des Erzbischofs von Köln, in: Mitteilungen aus dem Stadtarchiv Köln 1, 2 (1883) S. 2-36, N D in: Quellen zur deutschen Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte bis 1250, hg. von Lorenz WEINRICH (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 32) Darmstadt 1977, S. 266-278, hier c. 4, S. 268/70. 13 Vgl. dazu normativ M G H D K Π. Nr. 244 vom 28. Mai 1037; zur weiteren Entwicklung: Hagen KELLER, Adelsherrschaft und städtische Gesellschaft in Oberitalien. 9.-12. Jahrhundert (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in R o m 52) Tübingen 1979; KELLER, Adel, Rittertum und Ritterstand (wie Anm. 10) S. 581-604 u.v.a. 14 Vgl. dazu grundlegend: Eric BOURNAZEL, Le gouvernement capetien aux X l l e siecle (1108-1180). Structures sociales et mutations institutionelles (Publications de la Faculte de Droit et des Sciences Economiques de l'Universite des Limoges) Paris 1975, bes. S. 29-126; siehe auch die prägnante Zusammenfassung bei Joachim EHLERS, Geschichte Frankreichs im Mittelalter, Stuttgart u.a. 1987, S. 65-71 und 87-94. 11
6
Johannes Laudage
16
saßen, über erbliche Lehen verfügten und ihre Frondienste in Hofämtern ableisteten. Diese Gesellschaftsschicht gilt es nun etwas genauer zu betrachten, denn sie setzte sich aus sozialen Aufsteigern zusammen, die ursprünglich als „Knechte" (servi, servientes) bezeichnet wurden und dem bäuerlichen Milieu entstammten. Seit dem 11. Jahrhundert jedoch glich sich ihr Status mehr und mehr dem der Vasallen an; sie wurden von hofrechtlich gebundenen Dienstmannen zu dienstrechtlich gesicherten Hofleuten 15 . Zwar blieben sie zunächst rechtlich unfrei (und konnten somit von ihren Herren ohne weiteres zusammen mit Land und Gesinde verschenkt werden). Aber es wurden ihnen auch mancherlei Privilegien zuteil. So bestimmte ein Bamberger Dienstrecht, daß auch die Lehen der Ministerialen erblich sein sollten und ihre Inhaber nur zu Diensten als Truchseß, Mundschenk, Kämmerer, Marschall und Jägermeister (nicht aber zur Feldarbeit) herangezogen werden durften16. Ein auf den Namen Karls des Großen gefälschtes Reichsgesetz sah vor, daß sie wie die Vasallen nur dann mit zwei Schildknappen Begleitung am Romzug des künftigen Kaisers teilnehmen mußten, wenn sie von ihren Herren mit zehn Hufen belehnt worden seien und für die Heerfahrt mit fünf Mark Silber belehnt wurden17. Am Hof der Kölner Erzbischöfe wurden darüber hinaus sogar regelrechte „Tarifverträge" ausgehandelt, welche die Rechte und Pflichten von Herren und Rittern genau fixierten 18 . Einer dieser „Tarifverträge", das längere Kölner Dienstrecht aus der Zeit Friedrich Barbarossas, ist in besonderer Weise geeignet, das Leben an einem Fürstenhof des 12. Jahrhunderts detailliert und anschaulich zu beschreiben. Da ist zum Beispiel von einer geschälten Haselrute die Rede,
15
Vgl. dazu grundlegend Thomas ZOTZ, Die Formierung der Ministerialität, in: Die Salier
und das Reich 3, hg. von Stefan WEINFURTER, Sigmaringen 1991, S. 3-50; ergänzend: Jan Ulrich
KEUPP, Dienst
und Verdienst.
Die Ministerialen
Friedrich Barbarossas
und
Heinrichs VI. (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 48) Stuttgart 2002, S. 17-98, bes. S. 30 ff. 16
Vgl.
dazu
Monumenta
Bambergensia,
ed.
Philipp
JAFFE
(Bibliotheca
rerum
Germanicarum 5) Berlin 1869, N r . 25, S. 50-52, N D in: WEINRICH, Quellen (wie A n m . 12) N r . 31, S. 120/122. 17
Vgl. Caroli Magni Constitutio de expeditione Romana, ed. Ludwig WEILAND ( M G H
Const. I) Hannover 1893, N r . 447, S. 661-663, hier c. 4, S. 662. 18 Vgl. dazu zuletzt Wilhelm WEISE, Der H o f der Kölner Erzbischöfe in der Zeit Kaiser Friedrich Barbarossas (Studia humaniora 38) Düsseldorf 2004, S. 38-72, bes. S. 40 ff.
R ittertum und höfische Kultur der Stauferzeit
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die jeder Ritter seinem Herrn und Erzbischof ins Bett legen dürfe, wenn er ihm trotz öffentlicher Ermahnung den Sold auf Italienzügen schuldig bleibe. An anderer Stelle wird uns vom Recht der Ministerialen berichtet, ihrem Herrn nach abgeleistetem Sechswochendienst in einem der fünf Hofämter den Saum des Mantels zu küssen und auch ohne Erlaubnis von dannen zu ziehen. Weitere Bestimmungen erzählen von ausgeklügelten Maßnahmen zur hofinternen Konfliktbereinigung. Wiederum in anderem Zusammenhängen gewinnt man Einblick in die Wirtschaftsstruktur des Hofes oder erfährt von der Möglichkeit nachgeborener Rittersöhne, den Erzbischof vor die Wahl zu stellen, sie entweder in seinen Dienst aufzunehmen oder sie mit Pferd, Schild und Lanze auf Nimmerwiedersehen davonreiten zu lassen. U m die Entscheidungssituation zu symbolisieren, gab es vor dem Portal des Kölner Domes sogar eigens einen Mühlstein, in dessen Loch die Rittersöhne ihre Lanze stecken konnten, um anschließend das Zaumzeug und den Schild bequem zu befestigen19. All diese Bestimmungen bezeugen uns eindrucksvoll, daß der Entzug und die Gewährung von Huld an ganz bestimmte Voraussetzungen gebunden war und daß der ritterliche Dienst zu genau festgelegten Gegenleistungen verpflichtete. Huld war also zweifellos ein zentraler Begriff der höfischen Gesellschaft, aber sie war alles andere als Willkür 20 . Der Standesdünkel der Fürsten hatte längst auch auf ihre höfischen Diener übergegriffen. Wer ein hoher Herr sein wollte, war deshalb gezwungen, seinen Rittern zu Weihnachten flaumige Pelzmäntel mit Marderkehlenstreifen zu schenken und ihre Knechte in Scharlach zu hüllen 21 . Ein Hof behauptete nämlich seinen Rang nicht nur dadurch, daß er gut organisiert war und pfalzartige Versammlungsbauten besaß. Er war auch ganz 19
Der Text des längeren Kölner Dienstrechts wurde bereits in Anm. 12 zitiert; zum
Vergleich sei auf die Edition des kürzeren Dienstrechts bei Heinrich VON LÖSCH, Das kürzere Kölner Dienstmannenrecht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte Germ. Abt. 44 (1924) S. 298-307 verwiesen. 20
Vgl. dazu grundlegend Gerd ALTHOFF, Huld. Überlegungen zu einem Zentralbegriff der
mittelalterlichen Herrschaftsordnung, Frühmittelalterliche Studien 25 (1991) S. 259-282, N D in: DERS., Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997, S. 199-228; ergänzend jetzt: Stefan WEINFURTER, Das Ritual der Investitur und die ,gratiale Herrschaftsordnung' im Mittelalter, in: Inszenierung und Ritual in Mittelalter und Renaissance, hg. von Andrea VON HÜLSEN-ESCH (Studia humaniora 40) Düsseldorf 2005, S. 135-151. 21
Vgl. dazu Dienstrecht (wie Anm. 12) c. 11, S. 276 und c. 4, S. 268. Weitere Zeugnisse
nennt KEUPP, Dienst (wie Anm. 15) S. 88-90.
18
Johannes Laudage
entscheidend auf die Loyalität und Folgebereitschaft seiner Ritter angewiesen, denn im Konfliktfall setzte sich meist derjenige durch, der über den größeren geschlossenen Anhang verfügte. Die Stärke des Kölner Hofes beruhte deshalb nicht zuletzt darauf, daß er über wirksame Mechanismen zur Konsensstiftung und Konfliktregulierung im Inneren verfügte. Allerdings haftete dem Rittertum lange Zeit der Makel der Unterordnung an. Wenn jemand durch Leistung der Mannschaft (hominium oder homagium) zum Ritter eines anderen wurde, dann hatte er seine gefalteten Hände in diejenigen seines Herrn zu legen und anschließend einen Treueid (sacramentum fidelitatis, fidelitas) zu schwören. Es war daher kein Wunder, daß die Fürsten es durchweg vermieden, sich in den Zeugenlisten der Königsurkunden als Ritter (milites) bezeichnen zu lassen. Ritter zu sein — das bedeutete eben, rechtlich gesehen, in einem Abhängigkeitsverhältnis zu einem anderen zu stehen, in dessen Huld bleiben zu müssen, um nicht vogelfrei zu werden. Die vasallitische Bindung an den König zu betonen aber lag kaum im Interesse der Fürsten, kam sie doch demütigend genug im Vorgang der Belehnung und Huldigung zum Ausdruck. Als königlicher Vasall hatte man Ehrendienste und dem Herrscher mit Rat und Tat {consilium et auxilium) zur Seite zu stehen. So sehr man es jedoch als Auszeichnung empfand, der Genossenschaft der „Ersten des Reiches" (principes regni) anzugehören, man hatte keinerlei Ambitionen, das ritterliche Abhängigkeitsverhältnis vom König auch noch in Rechtsdokumenten zur Schau zu tragen22. III. Die Leitgedanken des Rittertums Anders verhielt es sich dagegen, wenn man den militärischen Aspekt des Rittertums betonte, also sein Können als Krieger und Panzerreiter unter Beweis stellte. Die Geschichtswerke sind voll von Erzählungen, die irgendwelche Fürsten als „tapfere und tatkräftige Ritter" {milites fortissimi et strenui) feiern. Selbst ein Kaiser wie Lothar III. (f 1137) ließ sich in seiner Grabinschrift als „unerschrockener Reiterkrieger" (miles imper-
Vgl. dazu grundlegend Franz-Reiner ERKENS, Militia (wie Anm. 1) S. 628-633; ergänzend zuletzt auch Gerd ALTHOFF, Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003, S. 93-97.
22
Rittertum und höfische Kultur der Stauferzeit
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territus) preisen23, und so entstand ein doppelter Ritterbegriff. Miles bezeichnete in den Urkunden zumeist den kleinen Vasallen oder Ministerialen, der sich durch Burgsässigkeit, Herrschaftsaufgaben, Hofdienste und Bewaffnung von der Masse der Bauern und Feldarbeiter abhob, aber keinen eigenen Hof bilden konnte. In den literarischen Texten hingegen wurde die Schranke zwischen Rittern und Fürsten häufig aufgehoben, betonte man die gemeinsame Lebensform und Kampfestechnik aller Reiterkrieger24. Auf der einen Seite war militia also ein Sammelbegriff mit rechtlicher und sozialständischer Grundbedeutung, auf der anderen Seite konnte Rittertum aber auch ein militärisches und kulturelles Phänomen umschreiben und die Gemeinschaft aller zu Pferde kämpfenden Menschen, vom einfachen Ministerialen bis hinauf zum Kaiser, akzentuieren25. Damit wurde eine Ebene angesprochen, die jenseits vasallitischer Abhängigkeitsverhältnisse lag. Ihre entscheidende Legitimation bestand darin, daß miles ursprünglich nichts anderes als „Krieger" bedeutete und die Idee der funktionalen Dreiteilung der Gesellschaft allen Panzerreitern gemeinsam den Schutz der Waffenlosen anvertraute. Schon bald kam freilich hinzu, daß die Verchristlichung des Adelsethos und die Entstehung des Kreuzzugsgedankens aus dem Rittertum eine gottgefällige Aufgabe machten. Ziel des ersten Kreuzzugs war es, den Kampf gegen die Feinde Gottes aufzunehmen und zur Befreiung der Kirche eine Rückeroberung Palästinas zu erreichen. Allen Kreuzfahrern, die nicht auf Geld und Ruhm aus waren, sondern nur aus Frömmigkeit nach Jerusalem aufbrachen, wurde daher auf dem Konzil von Clermont (1095) ein Plenarablaß (iindulgentia) versprochen, d. h. eine vollständige Aufhebung ihrer
23
Vgl. dazu Johannes LAUDAGE, Symbole der Politik - Politik der Symbole. Lothar III. als
Herrscherpersönlichkeit, in: Heinrich der Löwe und seine Zeit 2, hgg. von Jochen LUCKHARDT/Franz NLEHOFF, München 1995, S. 92 mit A n m . 13. 24
Allerdings geschah dies in den volkssprachlichen Texten später als in den lateinischen
Quellen. Vgl. dazu BUMKE, Ritterbegriff (wie Anm. 6) S. 88-118. 25
Vgl. dazu grundlegend Josef FLECKENSTEIN, Über den engeren und weiteren Begriff von
Ritter und Rittertum (miles und militia) in: Person und Gemeinschaft im Mittelalter. Karl Schmid zum 65. Geburtstag, hgg. von Gerd ALTHOFF/Dieter GEUENICH/Otto Gerhard OEXLE/Joachim WOLLASCH, Sigmaringen 1988, S. 379-392, N D in: ÖERS., Vom Rittertum im Mittelalter. Perspektiven und Probleme (Bibliotheca Eruditorum 19) Goldbach 1997, S. 13-31; ergänzend: ERKENS, Militia (wie Anm. 1) S. 623-659.
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zeitlichen Sündenstrafen26. Ähnliche Äußerungen lassen sich auch im Vorfeld des zweiten Kreuzzugs ausmachen. Auch hier ist immer wieder von Indulgenz die Rede; zugleich wird jedoch betont, daß Gott sein Land verloren habe, also nicht mehr im Besitz jenes Gebietes sei, in dem Christus das Wort seines Vaters lehrte und dreißig Jahre unter den Menschen wandelte27. Diese Gedanken zeigen eindeutig, daß der Kreuzzug mehr war als eine bewaffnete Pilgerreise, daß er auf Eroberung abzielte und nur im Bußwert mit der Wallfahrt (peregrinatio) gleichgestellt wurde28. Wenn Bernhard von Clairvaux (f 1153) predigte: „Du tapferer Ritter, Du Mann des Krieges, jetzt hast Du eine Fehde ohne Gefahr...", dann hatte er dabei im Kopf, daß der Kreuzzug irdischen Ruhm und himmlischen Lohn in Aussicht stelle. Es spricht daher für sich, wenn wir anschließend die Worte lesen: „Bist Du ein kluger Kaufmann, ein Mann des Erwerbs in dieser Welt, so sage ich Dir einen großen Markt voraus. Sieh zu, daß er dir nicht entgeht! Nimm das Zeichen des Kreuzes, und für alles, was Du reuigen Herzens beichtest, wirst Du mit einem Schlag Ablaß erlangen! Die Ware ist billig, wenn man sie kauft; und wenn man fromm für sie bezahlt, ist sie ohne Zweifel das Reich Gottes wert"29. Solche Grundvorstellungen scheinen selbst einen König wie Konrad ΙΠ. (t 1152) beeindruckt zu haben. In Speyer nahm er jedenfalls zu Weihnachten 1146 — gemeinsam mit dem jungen Friedrich Barbarossa und vielen anderen — das Kreuz30 und rückte damit in die Nähe jener geistlichen Ritterorden, die Selbstheiligung und bewaffneten Kampf für die Sache Christi auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Uberhaupt kann man sich den Einfluß des Kreuzzugsgedankens auf die ritterlich-höfische Kultur
26
Vgl. dazu grundlegend Alfons BECKER, Papst Urban II. (1088-1099) 2 (Schriften der
Monumenta Germaniae Historica 19, II) Stuttgart 1988, S. 272-413. 27
Vgl. Bernhard von Clairvaux, Ep. 368, in: MLGNE P L 182, Sp. 566 f. Vgl. auch J L
8796/MLGNE P L 180, Sp. 1064-1066 182 (Kreuzzugsbulle Eugens III. v o m 1. Dez. 1145) und Erich CASPAR, Die Kreuzzugsbullen Eugens III., in: Neues Archiv 45 (1924) S. 285-305. 28
Vgl. dazu auch Ernst-Dieter HEHL, Was ist eigentlich ein Kreuzzug?,
Historische
Zeitschrift 259 (1994) S. 297-335. 29
Bernhard von Clairvaux, Ep. 368 (wie Anm. 27) Sp. 565 f.
30
Vgl. dazu Ottonis episcopi Frisingensis et Rahewini Gesta Frederici seu rectius cronica,
ed. Franz-Josef SCHMALE (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr v o m Stein-Gedächtnisausgabe 17) Darmstadt 1965, lib. I, c. 37, S. 206 und lib. I, c. 41 f., S. 2 0 8 / 2 1 0 .
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gar nicht groß genug vorstellen, denn er führte zwar zu lebhaften Friktionen, was Fragen der Mode und des Kleiderluxus anging; aber er vermittelte doch allen Rittern, die Stoffkreuze auf ihre Kleidung nähten und gegen die Heiden zu Feld zogen, das Gefühl, in der Nachfolge Christi zu stehen. „Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf und folge mir nach! Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es finden" — diese Worte Jesu aus dem Matthäus-Evangelium (16, 24f.) wurden auf einmal als Ansporn zum gerechten Krieg (bellum iustum) verstanden31. Soweit zu sehen ist, hat auch Friedrich Barbarossa diese Aufgabe durchaus ernstgenommen. Jedenfalls ließ er 1188, auf dem „Hoftag Jesu Christi", der am Jahrestag seiner Königskrönung gefeiert wurde, den Thronsitz symbolisch freistehen, um anzudeuten, daß nicht er selbst, sondern Christus der wahre Quell aller Herrschaft sei32. Damit wurde eine Programm verkündet, das mit dem Kreuzzugsgedanken in engster Verbindung stand, und dem entspricht es, daß dem Staufer gerade in dieser Zeit eine Handschrift gewidmet wurde, die ihn nicht nur als höfisch gekleideten „Kaiser der Römer", sondern auch als Kreuzritter zeigt (Abb. 4)33. Mit Krone und Reichsapfel und in körperbetonter Kleidung ist der Herrscher hier zu sehen, aber auch mit dem Schild und Stoffabzeichen des Kreuzritters. Offenbar wollte man damit zum Ausdruck bringen, daß der Kaiser sein Kreuzzugsgelübde bereits geleistet habe und zur militia Christi gehöre34. Was für den Herrscher galt, kann man indes auch für die anderen
31
Vgl. dazu grundlegend Ernst-Dieter HEHL, Kirche und Krieg im 12. Jahrhundert. Studien
zu kanonischem Recht und politischer Wirklichkeit (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 19) Stuttgart 1980; ergänzend: Militia Christi e crociata nei secoli XI-XIII (Miscellanea del Centro di studi medioevali 13) Mailand 1992 und Jean FLORI, Croisade et chevalerie, XI e -XII e siecle (Bibliotheque du Moyen Äge 12) Paris/ Brüssel 1998. 32
Vgl. dazu Chronica regia Coloniensis (Annales maximi Colonienses) zu 1188, rec. Georg
WAITZ ( M G H SS rer. Germ, in us. schol. 18) Hannover 1880, S. 139 und Continuatio Zwetlensis altera, zu 1188, ed. Wilhelm WATTENBACH [ M G H SS 9, Hannover 1851, S. 543]. 33
Gemeint ist R o m , Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. lat. 2001, fol. lr, das
Widmungsbild
einer
Hierosolymitana
des Robert von St-Remi, die den Kaiser auf fol. 58r als Führer des Dritten
für
Friedrich
Barbarossa
hergestellten
Abschrift
der
Historia
Kreuzzugs bezeichnet. 34
Vgl. dazu zuletzt Johannes LAUDAGE, Die Bühne der Macht. Friedrich Barbarossa und
seine Herrschaftsinszenierung, in: VON HÜLSEN-ESCH, Inszenierung (wie Anm. 20) S. 108 f.
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Kreuzritter behaupten: Sie alle waren der Meinung, daß der Heidenkampf ein gottgefälliges Werk sei. Dieses versprach ihnen Nachlaß der zeitlichen Sündenstrafen und ewigen Lohn im Himmel. Der Einfluß Bernhards von Clairvaux und anderer Kreuzzugsprediger ist hier gewissermaßen mit Händen zu greifen. Zwar ging nicht jeder soweit, auf höfischen Prunk und Zeitvertreib zu verzichten. Doch die geistlichen Ritterorden erlebten eine erste Blütezeit35 und nichts, aber auch gar nichts scheint darauf hinzudeuten, daß der ritterliche Kampf als areligiöse Angelegenheit verstanden worden sei. IV. Tier doppelte Ritterbegriff Neben der Kreuzzugsidee wurden aber auch andere Leitvorstellungen wirksam. Die Ritter sollen ihren Herren ergeben und treu sein und zu deren Schutz das eigene Leben nicht schonen, sie sollen weder nach Beute streben noch meineidig werden, wohl aber für das Gemeinwesen und gegen Schismatiker und Ketzer bis zum Tode kämpfen und Arme, Witwen und Waisen beschützen, heißt es schon bei Bonizo von Sutri (f um 1098/99)36, einem Autor, der ganz am Anfang jener Entwicklung steht, die zum Rittertum der Stauferzeit führt. Ritter zu sein, das bedeutete eben nicht nur, als Vasall, Krieger und Heidenkämpfer aufzutreten; es Schloß auch ethische Verpflichtungen zum Schutze der Kirche Gottes und des Gemeinwesens ein. Vor diesem Hintergrund ist es von entscheidender Bedeutung, in Erfahrung zu bringen, worin eigentlich die konstituierenden Elemente des staufischen Rittertums bestanden. Doch die Antwort fällt schwer, denn das Rittertum war auf der einen Seite eine gesamteuropäische Erscheinung, hatte auf der anderen Seite aber gerade auf dem Boden des regnum Teutonicum eine besondere Ausprägung erfahren. Diese Ambivalenz 35
Vgl. dazu einführend den Sammelband: Josef FLECKENSTEIN (Hg.), Die geistlichen
Ritterorden Europas (Vorträge und Forschungen 26) Sigmaringen 1980, sowie Bernhard JÄHNIG, Die drei großen geistlichen Ritterorden in ihrer Frühzeit, Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 21 (1985) S. 85-111; zuletzt auch: Alain DEMURGER, Chevaliers du Christ. Les ordres religieux-militaires au moyen Age, X P - X V P
siecle, Paris 2002 und Nikolaus
JASPERT, Die Kreuzzüge, Darmstadt 2003, S. 138 ff. 36
Vgl. dazu Bonizo von Sutri, Liber de vita Christiana, ed. Ernst PERELS (Texte zur
Geschichte des römischen und kanonischen Rechts im Mittelalter 1) Berlin 1930, lib. VII, c. 28, S. 248 f.
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spiegelte sich nicht zuletzt im Ritterbegriff wider: Es gab ein engeres und ein weiteres Wortverständnis. Im engeren Sinne verstand man unter Rittern nur diejenigen, die zum Hof eines geistlichen oder weltlichen Herrn gehörten und diesem Dienste leisteten. Im weiteren Sinne indes gehörten auch die Könige und Laienfürsten zu den milites, denn sie alle leisteten ihren Kriegsdienst zu Pferde und kämpften mit gleicher Ausrüstung wie ihre Vasallen und Ministerialen37. Jios, schilt, sper, hübe unde swert/diu machent guoten ritter wert (Streitroß, Schild, Speer, Helm und Schwert, die machen den guten Ritter aus)": Diese bekannten Verse des mittelhochdeutschen Dichters Freidank38 markieren den Zusammenhang zwischen Bewaffnung und weiterem Ritterbegriff in unnachahmlicher Kürze. Das Rittertum der Stauferzeit wurde also zunächst einmal als Gemeinschaft aller zu Pferde kämpfenden Menschen definiert, und dem entspricht es, wenn uns der einzelne Ritter bereits in der Vita metrica des Erzbischofs Adalbert II. von Mainz (f 1141) wie folgt entgegentritt: „hoch zu Roß, das Haupt mit einem hohen Helm bedeckt, mit einem mächtigen Schwert umgürtet, durch Schild und Panzer geschützt"39. Diese Beschreibung wirkt freilich noch etwas unscharf. Aber sie wird durch viele andere Quellen ergänzt und bestätigt, und so läßt sich das äußere Erscheinungsbild des staufischen Ritters ziemlich genau festlegen. Seine Ausrüstung bestand demnach im wesentlichen aus drei Teilen: 1. einem mit einer tief herabhängenden Decke, Sattel und Steigbügel geschmückten Streitroß, das zur Zügelung an die Kandare genommen wurde, aber kaum gepanzert war, 2. Speer und Schwert als den beiden wichtigsten Angriffswaffen und 3. Schild, Helm und Kettenhemd, die dem Schutz des Ritters dienten. Die Form der Bewaffnung hatte sich damit grundlegend verändert. Zwar ritt man nach wie vor mit einem unter den Arm geklemmten Speer in die Attacke und benutzte im Nahkampf Schwerter mit kurzem Griff, pilzartigem Knopf, gerader Parierstange und einer Klinge mit breiter Blutrinne und gerundetem Ende. Doch dafür hatte man die Abwehrmittel erheblich verstärkt: Der spitzovale Schild war inzwischen fast mannshoch geworden und wies in der Regel Wappenbilder
37
Wie A n m . 25.
38
Fridankes Bescheidenheit (wie A n m . 3) 93, Vers 6 f.
39
Vita Adalberti II Moguntini, in: Monumenta Moguntina, ed. Philipp JAFFE (Biblioteca
rerum Germanicarum 3) Berlin 1866, S. 565-603, hier S. 577, Vers 290 f.
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oder andere Erkennungszeichen auf. Der alte Kegelhelm mit seinem charakteristischen Naseneisen wurde seit 1170 mehr und mehr durch hohe Helme mit abgerundeter Glocke verdrängt. Vor allem aber veränderte sich das Aussehen des knielangen Ringelpanzers, denn er wurde schon seit dem 11. Jahrhundert am Hals durch den sogenannten halsberc - eine an den Helm angearbeitete Kapuze aus miteinander verflochtenen und genieteten Ringen - verstärkt und erhielt in der Stauferzeit immer häufiger bis zum Handgelenk reichende Ärmel, an die sich bisweilen schon Fausthandschuhe anschlossen40. Damit wurde der Ritter fast bis zur Unkenntlichkeit vermummt, was die Entstehung von Wappen und anderen Wahrzeichen erklärt. Aber das Wesentliche war, daß der miles am wirksamsten in der geschlossenen Reiterformation kämpfte, denn dann konnte man sich gegenseitig mit seinen Schilden vor Pfeilen und Wurfgeschossen decken und zu Fuß kämpfende Krieger im Angriff überreiten. Uberhaupt wird man den weiteren Begriff vom Rittertum während der Stauferzeit in erster Linie als Waffengemeinschaft und nicht als sozialen Stand zu verstehen haben, denn die Unterschiede zwischen „Herren" und „Knechten", Fürsten und Ministerialen wurden dermaßen scharf betont, daß sie selbst im Kampf nicht ganz aufgehoben erschienen41. So heißt es etwa zum Jahr 1184, „Herzog Leopold von Osterreich, ein erprobter und großzügiger Ritter" sei „mit 500 [weiteren] Rittern" zum Turnier geritten42. Es ist also davon auszugehen, daß man die Kampfverbände von vornherein hierarchisch strukturierte und die soziale Rangordnung peinlich genau beachtete. Dieser Befund berechtigt uns nun, die romantische Vorstellung von der bereits unter Friedrich Barbarossa erkennbaren Einheit des Ritterstandes43
40
Vgl. dazu zusammenfassend Ortwin GAMBER, Die Bewaffnung der Stauferzeit, in: Die
Zeit der Staufer. Geschichte - Kunst - Kultur. Katalog der Ausstellung III, Stuttgart 1977, S. 113-118 und BUMKE, Höfische Kultur 1 (wie Anm. 4) S. 210-240. 41
Vgl. dazu BUMKE, Ritterbegriff (wie Anm. 6) S. 61-87 und KEUPP, Dienst (wie Anm. 15)
S. 52-61. 42
Vgl. Chronicon Hanoniense, in: La Chronique de Gislebert de Möns, ed. Leon
VANDERKINDERE, Brüssel 1904, c. 109, S. 156. 43
Vgl. dazu etwa Hans NAUMANN, Deutsche Kultur im Zeitalter des Rittertums
(Handbuch der Kulturgeschichte Abt. 1) Potsdam 1938, S. 11 mit den Worten: „Die Ritter sind bekanntlich ein Kriegerstand zu Pferd, bestehend aus dem alten Adel bis zum Kaiser hinauf und aus Ministerialen, unfreien Dienstmannen. Als Ritter sind sie untereinander trotzdem gleich und bilden den Ritterstand".
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ebenso zu relativieren wie die aufgeklärte Gegenthese: „ritter heißen all die, auf die es nicht ankommt, für deren Schicksal sich niemand interessiert, die man nach Hunderten und Tausenden zählt"44. Was sich hinter solchen Alternativen verbirgt, ist in Wahrheit nicht mehr als ein Wechsel der Perspektive. Betonte man die funktionale Dreiteilung der Gesellschaft und sah die Ritter als diejenigen an, die die Waffenlosen zu beschützen und den Heidenkampf zu führen hatten, so konnte man formulieren: got hat driu leben geschaffen/gebüre, ritter unde pfafferit5. Hielt man sich dagegen an die soziale Rangordnung, dann waren die milites diejenigen, die am Hofe eines Herrn dienten, von diesem durch ein (Dienst-) Lehen unterhalten wurden und niemals zu den Fürsten aufsteigen konnten. Je nachdem, wie der konkrete Erzählkontext beschaffen war, ob es um eine Abgrenzung von ritarlich und dörperlich ging oder der Gegensatz zwischen den Fürsten und ihrem bewaffneten Gefolge akzentuiert werden sollte, ergab sich also ein anderer Ritterbegriff. Die Forschung hat sich mit diesen Zusammenhängen schon seit langem beschäftigt. Aber sie hat dabei viel Zeit mit Wortfelduntersuchungen verloren, die sich eher zu ergänzen als zu widerlegen scheinen, und so dürfte es das Beste sein, den Blick noch einmal auf die (inzwischen unstrittigen) Hauptergebnisse zu lenken. Diese bestehen, kurz gesagt, in einem einfachen Paradoxon: So vielfältig die Ausdrücke in den Volkssprachen auch sein mochten, ob man von ritter, )might, chevalier, cavaliere oder caballero redete - es gab im Mittellateinischen nur eine einzige Vokabel, die diesen Termini in etwa entsprach, und das war miles, der Begriff für den gepanzerten Reiterkrieger. Dieses Wort miles aber konnte sowohl den König oder Fürsten als auch den kleinen Vasallen oder den unfreien Dienstmann bezeichnen. So ergab sich die merkwürdige Tatsache, daß man den Ritterbegriff sowohl inkludierend als auch exkludierend verwenden konnte: Für die einen standen princeps und miles, „Herr" und „Knecht", vri und eigen, vurst und dienestman in scharfem, unversöhnlichem Gegensatz; die anderen hingegen betonten die Einheit ihrer sozialen Funktion und schlossen die milites zu einer riesigen Großgruppe, den pugnatores oder bellatores, zusammen.
BUMKE, Ritterbegriff S. 38. Vgl. allerdings auch ebd. S. Grunde schon wieder zurückgenommen wird. 45 Wie Anm. 3. 44
180 f.,
w o die Zuspitzung im
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Diese Gemeinschaft aber entstand nicht nur, weil man sich einem gemeinsamen Ethos verpflichtet fühlte, ungeschriebene Verhaltensregeln befolgte und eine gleich geartete Ausbildung hinter sich hatte. Identitätsstiftend war auch, daß man in ähnlicher Rüstung ins Feld zog, ein Streitroß und ein Marschpferd besaß und einen Knappen mit sich führte, der das Kettenhemd einzufetten hatte. Eine solche Ausrüstung jedoch bedurfte bestimmter materieller Voraussetzungen, und so nimmt es nicht wunder, wenn wir immer wieder hören, daß nur derjenige beritten in den Krieg ziehen mußte, der mit mindestens fünf Hufen Land oder entsprechenden Einkünften belehnt worden war46. Ärmere Ritter taten sich deshalb häufig zusammen, um wenigstens einen von ihnen auf die Heerfahrt schicken zu können. Das Kämpfen zu Pferde war also ganz entscheidend davon abhängig, daß man sich nicht von seiner Hände Arbeit ernähren mußte und mehr als das Lebensnotwendige besaß. Deshalb sollte man sich schnell von der Vorstellung lösen, das Rittertum hätte auch ohne die Existenz des Lehnswesens funktionieren können. Zwar gab in den lombardischen Städten sogar Handwerker, die den Rittergürtel trugen47. Aber dies war gewissermaßen nur die berühmte Ausnahme von der Regel, denn grundsätzlich wurde der ordo militum auch in Italien von der Gemeinschaft der großen und kleinen Lehnsträger gebildet. Ahnlich verhielt es sich in Frankreich: im Bereich der Krondomäne setzten sich die chevaliers zumeist aus kleinen Vasallen zusammen, die stadtsässig und burgentragend waren; der hohe Adel aber hatte eigene Lehnshöfe gebildet, in denen die sogenannten chätelains, d. h. die Inhaber von Burgvogteien, den Ton angaben. Damit war ein Prinzip formuliert, das auch in England und Deutschland gewisse Analogien besaß: Nur die Teilhabe an der Herrschaft der Könige und Fürsten, im allgemeinen also der Besitz einer oder mehrerer Burgen, qualifizierten zum Rittertum. Wenn sich in Deutschland auch Menschen unfreien Standes, die sogenannten Dienstmannen oder Ministerialen, in berittenen Formationen wiederfanden, so lag dies daran, daß sich ihr Sozialstatus schon weitgehend an den der freien Vasallen angeglichen hatte, denn sie saßen auf Burgen, waren nicht mehr zur Feldarbeit verpflichtet, sondern brauchten ihren Herren nur noch in bestimmten Hofämtern dienen. Vgl. Constitutio Romana (wie Anm. 17) N r . 447, c. 6, S. 662 und Kölner Dienstrecht (wie Anm. 12) c. 4, S. 268.
46
47
Vgl. dazu Otto von Freising, Gesta Frederici (wie Anm. 30) lib. II, c. 14, S. 308.
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V. Die höfische Gesellschaft Uberhaupt war das Rittertum der Stauferzeit nicht zuletzt durch das Wechselverhältnis von Herrschaft und Dienst bestimmt. Jeder, der Herrschaft ausübte, war zum Dienst verpflichtet, konnte aber auch Dienste einfordern. Diese Dienste waren freilich sehr verschieden. Der schollengebundene Bauer leistete seinen Frondienst in Form von Feldarbeit; die Ministerialen hatten ihren Herrn in Krieg und Fehde zu unterstützen oder in einem der vier klassischen Hofämter zu dienen; bei den Vasallen sprach man von der Verpflichtung zu Rat und Tat {consilium et auxilium) und ließ sie die Hofämter oft nur noch ehrenhalber an hohen Festtagen verrichten; der Herrscher selbst hatte Gott zu dienen und dessen Kirche zu schützen. Diese in populären Darstellungen bisweilen etwas unterschätzte Grundtatsache relativiert die landläufige Vorstellung, es sei vor allem um Abenteuer, Ruhm und schöne Frauen gegangen, ganz erheblich. Aber natürlich spielten auch diese Momente eine wichtige Rolle. Das höfische Fest als Ort der Geschlechterbegegnung, der Ruhm hervorragender Waffentaten, die Inszenierung der sozialen Rangordnung, sportlicher Wettkampf und kultureller Zeitvertreib - all dies und vieles mehr hob die Welt der Ritter von der dörperheit der einfachen Menschen und der Heilsangst der Frommen ab. Wenn zum Tanz aufgespielt oder hochgeschlitzte Beinkleidung zur Schau gestellt wurde, dann ging es ganz entschieden um erotische Freuden im Diesseits, und nicht um arbeit oder die Sorge um das Seelenheil. Damit bekommen wir freilich nur eine von vielen Facetten des staufischen Rittertums in den Blick. Denn so zahlreich die literarischkünstlerischen Zeugnisse auch sein mögen, die uns von höfischer Kurzweil und ritterlichen Abenteuern erzählen, im Alltag überwogen doch die Erbstreitigkeiten und Ehrkonflikte, die mit blutigem Ernst ausgefochtenen Fehden und Kriege, der Kampf um politische Ziele oder um die bloße Existenz. Auf einen kurzen Nenner gebracht, bildete das staufische Reich also wie alle seine Nachbarn eine nur oberflächlich befriedete Kriegergesellschaft, die dem Schrecken des Todes nur vorübergehend den Stachel nehmen konnte. Die berühmte Vagantenbeichte des Archipoeta ist daher nicht einfach als Ausdruck eines hedonistischen Lebensgefühls zu bewerten; sie war auch ein Memento mori, eine literarische Warnung vor
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dem Ernst des Sterbens, heißt es doch in parodistischer Anspielung auf das benediktinische Ora et labora: Meum est propositum Iη taberna mori, Ubi vina proxima Morientis ori.
Meine Lebensregel heißt: In der Kneipe sterben. Wo mir Wein die Lippen netzt, Bis sie sich entfärben48.
Diese Verse zeigen mit unmißverständlicher Klarheit, wie schmal der Grat zwischen Leben und Tod für die ritterlich-höfische Kultur gewesen ist. Aber vielleicht war es gerade die trotzige Flucht in den Akohol, was die meisten Ritter einte. Jedenfalls sind uns nicht wenige Berichte erhalten, die die großen Weinvorräte bei höfischen Festen preisen und zumindest andeuten, daß es zu regelrechten Exzessen kam. Im Lippiflorium des Magisters Justinus zum Beispiel ist ausdrücklich von der rekreierenden Kraft des Weines die Rede49, doch natürlich werden nicht nur die Gaben von Ceres und Bacchus gelobt50 - es wird auch das Ritterspiel beschrieben, das dem Festmahl vorausging. „Schilde stoßen mit Schilden, Helme mit Helmen zusammen", heißt es hier, „Zahllos fliegen zugleich Splitter von Lanzen herum. Pfeifen erschallen, die Pauke erdröhnt, es tönen die Flöten. Siehe, die lustige Schar fahrender Männer ist da! Hoch zu Roß und prangend im Schmucke der strahlenden Waffen fliegt jetzt ein Jüngling daher; schneller enteilt kein Pfeil. Goldig erglänzt an der Seite der Schild, in der Rechten die Lanze; Rauten aus leuchtendem Erz zieren den Helm auf dem Haupt. Zügelnd lenkt er das Roß, voll Eifer, die Lanzen zu brechen..."51. Liest man solche Schilderungen, die uns die Existenz der ersten Turniere verbürgen, so wird man sagen dürfen, daß es in der ritterlich-höfischen Gesellschaft nicht zuletzt darauf ankam, die eigene Kampfkraft und Geschicklichkeit in unterhaltsamer Weise zur Schau zu stellen. Aber es kommt zugleich zum Ausdruck, daß das Waffenspiel der Männer nur den
48
Die Gedichte des Archipoeta, kritisch bearbeitet von Heinrich WATENPHUL, hg. von
Heinrich KREFELD, Heidelberg 1958, Text X 12, S. 75. 49
Vgl. dazu Lippiflorium magistri Justini, ed. Hermann ALTHOF, Das Lippiflorium. Ein
westfälisches Heldengedicht aus dem dreizehnten Jahrhundert, Leipzig 1900, Vers 94, S. 26. 50
Vgl. dazu ebd., Vers 101 f., S. 26.
51
Ebd., Vers 77-85, S. 26.
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Auftakt oder Abschluß festlicher Kurzweil bildete. Wiederum ist es das Lippiflorium, das hierzu ein anschauliches Beispiel bietet. „Nach dem Essen", lesen wir dort, „fängt die Schar der Fahrenden wieder mir ihren Kunststücken an. Jeder macht, was er kann, und bemüht sich zu gefallen. Der eine singt und erfreut die Zuhörer durch die Lieblichkeit der Stimme; der andere trägt Lieder von den Taten der Helden vor. Dieser hier schlägt mit den Fingern nach der Regel die verschiedenen Saiten; dieser da läßt mit seiner Kunst die Leier süß ertönen. Die Flöte macht aus tausend Löchern Töne verschiedener Art; der Schlag der Pauken erzeugt schrecklichen Lärm. Der eine springt und vollführt mit seinen Gliedern verschiedene Bewegungen, beugt sich vor und zurück, bewegt sich im Zurückbeugen nach vorn, läßt die Hände anstelle der Füße gehen, streckt die Füße in die Höhe und heißt den Kopf, unten zu sein, wie eine Chimäre. Der andere läßt durch Zauberkunst verschiedene Trugbilder erscheinen und täuscht durch die Geschicklichkeit der Hand die Augen. Dieser führt den Leuten einen jungen Hund oder ein Pferd vor, die er auffordert, sich wie Menschen zu gebärden; dieser dort wirft die Scheibe in hohem Bogen durch die Luft, fängt sie im Fallen auf und wirft sie wieder empor . Diese Beschreibung mag vielleicht den Eindruck evozieren, als seien die höfischen Feste stets von großer Harmonie erfüllt gewesen. Aber es war nicht so. Zwar besaß das Fest in der Tat eine gemeinschaftsbildende Funktion, doch es war auch ein Schauplatz sozialer Spannungen. Vor allem die Sitzordnung lieferte immer wieder Anlaß zu Kränkungen. Dies mußte auch Herr Bernhard von Lippe erfahren, als er 1168 mit prächtig gekleidetem Gefolge den Hoftag von Würzburg besuchte, denn die Herolde des Reiches wiesen ihm nur einen Stehplatz zu. Bernhard befahl daraufhin seinen Rittern, ihre Mäntel auf dem Erdboden auszubreiten und sich darauf niederzulassen. Als sich abends die Menge zerstreute, blieben Ebd., Vers 117-134, S. 28: Facto fine cibis vaga turba recurrit ad artes, Quisque suas repetens, inde placere volens. Hic canet, auditum dulcedine vocis amicans, Ilie refert lyrico carmine gesta ducum, Hie tangit digitis distinctas ordine chordas, Hie facit arte sua dulce sonare lyram. Tibia dat varias per mille foranima bocis, Oant quoque terribilem tympana pulsa sonum. Hie salit et ναήο motu sua membra fatigat, Se plicat et replicat, se replicando plicat, Pro pedibus docet ire manus, pes surgit in altum, Ei caput ima petit: ecce Cbymera patit! Hic profert varias magica velut arte figuras Ac oculos fallit mobilitate manus. Hic catulo vel equo populo spectacula praebet, Quos jubet bumanos gesticulare modos. Hic forti gyro projectat in aera discum, Quem lapsum reeipit buneque remittit item. 52
Johannes Laudage
30
die Mäntel auf dem Festplatz liegen. Vom Kaiser persönlich auf diese „Vergeßlichkeit" angesprochen, erwiderte Bernhard: „In unserer Heimat pflegt ein Mann von Ehre nicht den Stuhl mit sich herumzutragen, auf dem er sich niederläßt". Barbarossa soll die stolze Lektion mit einem Lächeln quittiert und ihm am folgenden Tag einen Sitz unter den Großen des Reiches angewiesen haben53. Die humorvolle Anekdote verdeckt ein wenig den Ernst, der tatsächlich über der Situation lag. Denn das Rangdenken war in der höfischen Gesellschaft so ausgeprägt, daß eine Ehrverletzung schwerwiegende Folgen haben konnte54. So erzählte man sich etwa, der erbitterte Kampf Barbarossas in Oberitalien sei letztlich dadurch ausgelöst worden, daß die Mailänder eine Urkunde mit dem Siegelbild des Kaisers mit Füßen getreten hätten55, und auch wenn man zeigen kann, daß es sich bei dieser Geschichte um eine ätiologische Sage handelt, bleibt die Tatsache bestehen, daß sie plausibel genug klang, um langfristige Zwistigkeiten zu erklären. Damit ist etwas Wesentliches über die ritterliche Gesellschaft gesagt: Sie war insbesondere auf den honor, die persönliche und mit dem Rang verknüpfte Ehre ihrer führenden Mitglieder, gegründet56, und so kam es immer wieder zu Konflikten zwischen Ministerialen und Vasallen, die sich um das Ansehen und die Würde ihrer jeweiligen Herren stritten. Da die soziale Rangordnung nur dadurch realisiert wurde, daß sie auf Versammlungen symbolisch zum Ausdruck kam, waren Hoftage, Konzilien und Heerlager ständige Krisenherde. Man benötigte sie jedoch, um Entscheidungen zu fällen und Standpunkte zu demonstrieren, denn die Stauferzeit war eine mündliche Rechtskultur, in der nicht das
53
Vgl. ebd., Vers 343-400, S. 4 0 / 4 2 ; das Zitat: Vers 397 f., S. 42. Zur Interpretation zuletzt
LAUDAGE, Bühne (wie A n m . 34) S. 121-123. 54
Vgl. dazu allgemein Karl Heinz SPIEß, Rangdenken und Rangstreit im Mittelalter, in:
Zeremoniell und Raum. 4. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften in Göttingen (Residenzenforschung 6) Sigmaringen 1997, S. 39-61. 55
Vgl. dazu Ottonis Morenae eiusdemque continuatorum Libellus de rebus a Frederico
imperatore gestis, in: Fontes Italici de rebus a frederico I. imperatore in Italia gestis et epistola de eiusdem expeditione sacra, ed. Franz-Josef SCHMALE (Ausgewählte Quellen zur deutschen
Geschichte
des
Mittelalters.
Freiherr
vom
Stein-Gedächtnisausgabe
17a)
Darmstadt 1986, S. 34-54. 56
Vgl. dazu grundlegend Knut GÖRICH, Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation,
Konflikt und politisches Handeln im 12. Jahrhundert (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne) Darmstadt 2001.
Rittertum und höfische Kultur der Stauferzeit
31
Bundesgesetzblatt, sondern die große Versammlung das Forum der Veröffentlichung war. VI. Das Rittertum der Stauferzeit Damit wird es Zeit, unsere Beobachtungen noch einmal systematisch aufzufächern. Man trifft dabei auf eine unumstößliche Tatsache: Das Rittertum der Stauferzeit läßt sich von mindestens fünf Aspekten her begreifen57. Der erste dieser Aspekte ist der militärische. Denn man kann es drehen und wenden, wie man will: Das Rittertum ging zunächst einmal aus dem Kriegertum hervor. Die Art und Weise der Bewaffnung und Ausrüstung war daher ein identitätsstiftendes Moment allererster Rangordnung. Jeder Ritter Europas kämpfte zu Pferd mit Schild, Schwert und Ringelpanzer; auch Helm und Speer durften nicht fehlen. Gleichwohl wäre es falsch, im Ritter vor allem den Einzelkämpfer zu sehen, denn die hierarchisch strukturierte Formation, nicht der einzelne Ritter war die normale Kampfeinheit. Außerdem begab sich der Ritter nicht allein auf die Reise, sondern wurde in der Regel von einem Knappen begleitet, der das Streitroß (dextrarius) mit der Rechten am Zügel führte. Derweil saß der Ritter selbst auf einem leichtfüßigen Marschpferd (palefridus). Man wird also in der Regel mir mindestens drei Pferden zu rechnen haben. Reichere Ritter leisteten sich auch zwei Knappen und einen zusätzlichen Klepper, um dem Streitroß nicht das gesamte Gepäck aufzubürden. Um diese Ausrüstung zu beschaffen, bedurfte es freilich einer ausreichenden wirtschaftlichen Grundlage, und damit kommt bereits ein zweites Moment ins Spiel, und das ist das s o z i a l e . Ein einfacher Bauer mit ein oder zwei Hufen (= Hofstellen) wäre nämlich überhaupt nicht in der Lage gewesen, seine Familie zu unterhalten und gleichzeitig beritten in den Krieg zu ziehen. Deshalb hatte bereits Karl der Große einen Grundbesitz von wenigstens vier Hufen, bei voller Ausrüstung von zwölf Hufen, zur Bedingung für die Verpflichtung zum Reiterkampf erhoben. Später war diese Mindestgrenze ein wenig heraufgesetzt worden. Um 1160
57
Vgl. dazu grundlegend Josef FLECKENSTEIN, Das Rittertum der Stauferzeit, in: Die Zeit
der Staufer ΙΠ (wie Anm. 40) S. 103-109, N D in: DERS., V o m Rittertum im Mittelalter. Perspektiven
und Probleme
(Bibliotheca
eruditorum
19)
Goldbach
1997,
S.
77-89;
bestätigend: Werner RÖSENER, Rittertum und höfische Kultur zur Zeit Heinrichs des Löwen, in: Heinrich der L ö w e und seine Zeit 2 (wie A n m . 23) S. 502-510 u.v.a.
32
Johannes
Laudage
verlangte man jedenfalls von den kleinen Vasallen, daß sie für zehn Hufen einen gepanzerten Ritter mit jeweils zwei Knappen zu stellen hatten; bei den Ministerialen war ein Dienstlehen von mindestens fünf Hufen Voraussetzung, um einen Panzerreiter und einen Knappen mit insgesamt drei Pferden auf die Heerfahrt zu schicken58. Diesen Zusammenhang hat man für die Karolingerzeit mit den Schlagwörtern von der „Feudalisierung der militia" und der „Militarisierung der Vasallität" umschrieben59, doch im 12. Jahrhundert waren es nicht nur freie Vasallen, sondern auch unfreie Dienstmannen, die hoch zu Roß in den Krieg zogen. Ihrer Herkunft nach stammten diese Dienstmannen (oder Ministerialen) aus dem Gesinde der Grundherrschaften, aber die Art und Weise ihrer Lebensführung - d.h. ihre Burgsässigkeit, der Verzicht auf Feldarbeit, die Tätigkeit in Hofämtern, der Besitz von Dienstlehen, die Ausübung von Verwaltungsfunktionen und der Kriegsdienst zu Pferde - glichen den Sozialstatus der Ministerialen weitgehend an den der kleinen Vasallen an. Anfangs noch ganz in der Verfügungsgewalt ihrer jeweiligen Herren stehend, ertrotzten sie sich in der Barbarosssa-Zeit regelrechte „Tarifverträge", die ihre Standesprivilegien sicherten und die Fürsten an willkürlichem Huldentzug hinderten. Die Dienstmannen bildeten also schon im 12. Jahrhundert einen ganz wesentlichen Teil der Ritterschaft; allerdings waren sie ein genuin „deutsches" Phänomen. In den übrigen Reichen hatte das Lehnswesen eine etwas andere Entwicklung eingeschlagen. Gleichwohl kann man kaum davon sprechen, daß das Rittertum im regnum Teutonicum etwas völlig Singuläres gewesen sei. Zwar konnte man das Wort ministerialis sogar als Synonym für miles, die mittelateinische Bezeichnung für den Ritter verwenden. Aber dieser eingeengte Begriff von Ritter und Rittertum, der bisweilen auch die nichtfürstlichen Vasallen mit einschließen konnte, konkurrierte eben von Anfang an mit einem zweiten, der sich auf alle zu Pferde kämpfenden Krieger bezog. Dieser zweite (umfassende) Begriff von miles und militia war - bei allen Vorprägungen - wesentlich durch den Siegeszug des funktionsständischen Denkens bestimmt. Seit man sich entschlossen hatte, die Menschen in drei Großgruppen einzuteilen (die laboratores, pugnatores und oratores) und seit Vgl. dazu Constitutio Romana (wie Anm. 17) Nr. 447, cc. 4 und 6, S. 662. ' Vgl. dazu Josef FLECKENSTEIN, Begriff (wie Anm. 25) S. 382 f., N D S. 17 f.
58 5
Rittertum und höfische Kultur der Stauferzeit
33
der Heidenkampf zur Befreiung des Orients ebenso wie die Reconquista auf der Iberischen Halbinsel als ablaßwürdige Tat galt, gewann also ein dritter Gesichtspunkt an Bedeutung, den man den ideologischen 60 nennen möchte . Er speiste sich ganz wesentlich aus christlichen Vorstellungen von der gottgewollten Ordnung der Menschheit. Trotz gewisser Friktionen über die luxurielle Lebensführung der Ritter, die vor allem mit dem Namen Bernhards von Clairvaux verbunden sind61, wird man deshalb sagen dürfen, daß die Einheit des Rittertums nicht allein aus militärischen Gründen, sondern auch aus religiösen zur einer wünschenswerten Größe wurde. Allerdings waren es nicht nur christliche Leitbilder, die den Reiterkrieger in den Augen der Zeitgenossen vom „Räuber" zum „Ritter" werden ließen, um ein bekanntes Wort aus der Kreuzzugspredigt Papst Urbans II. (t 1099) aufzugreifen. Sein berühmter Satz: „Nun sollen diejenigen zu Rittern werden, die bislang nur als Räuber erschienen - nunc fiant milites, qui dudum extiterunt raptoresabl zeigt uns nämlich nur die eine Seite der Medaille, die andere aber wurde ganz wesentlich von der Entstehung der höfischen Kultur geprägt. Über diesen vierten Aspekt des Rittertums, den k u 11 u r e 11 e n, ist noch weit mehr zu sagen, als dies bereits geschehen ist. Er war nämlich entscheidend dafür verantwortlich, daß sich die ritterliche Lebensform veredelte und in den Höfen der Fürsten und Könige einen festen Bezugspunkt fand. In aphoristischer Weise kann man
60
Vgl.
dazu
immer
noch
grundlegend
Carl
ERDMANN,
Die
Entstehung
des
Kreuzzugsgedankens (Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte 6) Stuttgart 1935; zum heutigen Forschungsstand vgl. oben, A n m . 31 und 35. 61
Vgl. dazu Josef FLECKENSTEIN, Die Rechtfertigung der geistlichen Ritterorden nach der
Schrift „De laude novae militiae" Bernhards von Clairvaux, in: DERS., Ritterorden (wie A n m . 35) S. 9-22, N D in: DERS., Ordnungen und formende Kräfte des Mittelalters. Ausgewählte Beiträge, Göttingen 1989, S. 377-392. 62
Fulcheri Carnotensis Historia Hierosolymitana (1095-1127), ed. Heinrich HAGENMEYER,
Heidelberg 1913, lib. I, c. 3, S. 7. Vgl. dazu vor allem Dana CARLTON MUNRO, The Speech of Pope Urban Π at Clermont, American Historical Review 11 (1906) S. 231-242, Alfons BECKER, Papst Urban II. (1088-1099) Bd. 1 ( M G H Schriften 19, 1) Stuttgart 1964, S. 213226; Herbert Edward J o h n COWDREY, Pope Urbans II's Preaching of the first Crusade, History 55 (1970) S. 177-188; Gerd ALTHOFF, N u n c fiant christi milites, qui dudum extiterunt raptores. Zur Entstehung von Rittertum und Ritterethos, Saeculum 32 (1981) S. 317-333; ergänzend: Josef SEMMLER, Facti sunt milites domni Ildebrandi omnibus ... in stuporem,
in: Das Ritterbild in Mittelalter
Düsseldorf 1985, S. 11-35 u.v.a
und Renaissance
(Studia humaniora
1)
34
Johannes Laudage
formulieren, daß nicht etwa das Alltagsleben auf der Burg, sondern das feierliche Abhalten einer Hofversammlung, das curiam celebrare, zum Inbegriff und Wahrzeichen der ritterlichen Kultur geworden ist. Dieser Umstand unterstreicht den Offentlichkeits- und Aufführungscharakter des Rittertums. Ein Ritter im Badezuber, noch geschwärzt von den Eisenringen seines Ringelpanzers - das war kein Bild, das man sehen wollte. Er hatte vielmehr eine gesellschaftliche Funktion und Rangordnung zu repräsentieren, den Frauen zu gefallen und seinem Herrn mit Rat und Tat (consilium und auxilium) zur Seite zu stehen. Nur bedingt richtig scheint es daher zu sein, den Ritter nach der Beschaffenheit seiner Wohnung zu definieren. Gewiß war die steinerne Höhenburg mit Bergfried und Palas, Kemenate und Mauerring ein wichtiges Statussymbol, und es wird auch nicht dadurch relativiert, daß die Ritter in der Lombardei meist stadtsässig waren und sich in Wohntürmen aufhielten. Aber es war für den kleinen Vasallen oder Ministerialen von mindestens genauso hoher Bedeutung, auf Festmählern und Hoftagen in kostbarer Kleidung zu erscheinen und das Amt eines Kämmerers, Marschalls, Truchsessen, Schenken oder Bannerträgers zu versehen, denn dadurch demonstrierte er seine Zugehörigkeit zur höfischen Gesellschaft. Uberhaupt wird man sich mit dem Hof als Zentrum der sozialen und politischen Ordnung noch etwas näher beschäftigen müssen, denn nur in der kommunalen Welt Italiens war die Ritterschaft nicht einem bestimmten Herrn, sondern der Stadtgemeinde mit ihren wechselnden Konsuln zugeordnet. Diese persönliche Bindung an einen dominus, konstituiert durch die Leistung von Handgang und Treueid, ließ einen Ritter zum Lehnsmann (homo) werden, und der Handgang wurde deshalb auch hominium oder homagium (d.h. „Mannschaft") genannt. Als Gegenleistung war der Herr zur Ausgabe eines Lehens (feudum oder beneficium) verpflichtet, das den Ritter in die Lage versetzen sollte, ihm auch wirksam zu dienen. Von Anfang an war das Rittertum also mit dem Lehnswesen verknüpft und an die Huld eines Herrn gebunden. Entzog dieser die Huld (gratia) oder kam es gar nicht erst zur Huldigung (d.h. zur Leistung von Mannschaft und Treueid), so war die Ordnung des Hofes empfindlich gestört - im Extremfall konnte sogar der ganze Hof zusammenbrechen. Nur von hierher ist es zu verstehen, was es eigentlich zu bedeuten hatte, wenn ein Fürst wie Heinrich der Löwe der Acht verfiel: Da er als Herzog
Rittertum und höfische Kultur der Stauferzeit
35
ein Vasall und Ritter des Kaisers war, von dem er ja auch mit den Lehnsfahnen investiert worden war, befand er sich nun im Zustand des Huldentzugs63. Jeder Ritter wußte, daß er damit aus der Gemeinschaft des Hofes ausgestoßen war. Die ritterlichen Dienstrechte legten daher für den Huldentzug genaue Verfahrensregeln fest. Aus Köln ist uns zum Beispiel eine Hofordnung erhalten, nach welcher ein mit Huldentzug bestrafter Dienstmann seinem Herrn ein Jahr lang nicht von sich aus unter die Augen treten durfte. Gelang es ihm während dieser Frist nicht, die Huld seines Fürsten durch die Fürsprache Dritter zurückzuerlangen, wurde er für weitgehend rechtlos erklärt und mit einer Art Stubenarrest belegt64. Solche Bestimmungen zeigen eindeutig, daß sich das Rittertum nicht im rechtsfreien Raum bewegte, sondern fünftens und letztens eine r e c h t l i c h e Komponente besaß. Sie war eindeutig mit dem Gedanken des Hofs verknüpft und erfuhr im Lehn- und Dienstrecht ihre konkrete Ausgestaltung. Dabei galt als oberster Grundsatz, daß ein Ritter sich weder der Felonie, d.h. der Untreue gegenüber seinem Herrn, noch irgendwelcher Kapitalverbrechen schuldig machen durfte. Tat er es doch, so ging er eines Großteils seiner Rechte verlustig und lief Gefahr, auf Dauer vom Hof ausgestoßen zu werden.
63
Vgl. dazu vor allem Stefan WEINFURTER, Erzbischof Philipp von Köln und der Sturz
Heinrichs des Löwen, in: Köln. Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters. Festschrift für Odilo Engels zum 65. Geburtstag, hgg. von Hanna VOLLRATH/Stefan WEINFURTER (Kölner Historische Abhandlungen 39) Köln 1993, S. 455-481, N D in: DERS., Gelebte Ordnung - Gedachte Ordnung. Ausgewählte Beiträge zu König, Kirche und Reich, hgg. von Helmuth KLUGER/Hubertus SEIBERT/Werner BOMM, Ostfildern 2005, S. 335-359. 64
Vgl. dazu Kölner Dienstrecht (wie Anm. 12) c. 7, S. 270-274.
DIE „EHRE DES REICHS" (honor imperii) ÜBERLEGUNGEN ZU EINEM FORSCHUNGSPROBLEM von KNUT GÖRICH
Seit August 1160 eskalierte der Streit zwischen Barbarossa und Erzbischof Eberhard I. von Salzburg um die Erfüllung klassischer Lehnsdienste: Barbarossa verlangte von Eberhard, persönlich mit seiner Mannschaft an der Belagerung Mailands teilzunehmen und sich zur Beratung am Hof einzufinden. Zu beidem war Eberhard nicht bereit: Die persönliche Heerfahrtspflicht wollte er mit einer Geldsumme ablösen, für sein Fernbleiben vom Hof bemühte er verschiedene Gründe - Krankheit, Unruhen in seiner Kirchenprovinz oder körperliche Schwäche und sein Mönchsgelübde. Hintergrund dieser Verweigerungshaltung war Eberhards strikt reformerische Gesinnung, aber auch seine Parteinahme für Papst Alexander III., an der er trotz der Entscheidung Barbarossas zu Gunsten Viktors IV. auf dem Konzil von Pavia festhielt. Insgesamt drei Aufforderungen des Kaisers, sich „uns und unserem Hof zu zeigen, ließ Eberhard verstreichen, Barbarossas vierter Brief enthielt die unmißverständliche Drohung, ihn im Falle erneuten Ungehorsams wegen Verletzung seiner Lehnspflichten durch ein Fürstenurteil absetzen zu lassen. Überbringer des Briefs war der kaiserliche Kapellan Burchard: Ihm sollte der Erzbischof in die Hand versprechen, mit seiner Mannschaft persönlich Heerfolge zu leisten. Dazu kam es aber nicht: Burchard setzte sich zwar nach Kräften zu Gunsten des honor imperatoris ein und verlas einen Brief Barbarossas, in dem Ministerialen und Vasallen der Salzburger Kirche befohlen wurde, ihren Erzbischof zu ermahnen, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist. Solcherart öffentlich herausgefordert, bekräftigte Eberhard aber nur seine alte Position. Er stieg auf einen Stein, bekreuzigte sich, sprach zu Gunsten Alexanders ΠΙ. und sagte, daß er dem Reich gerne diene, aber nicht an der Heerfahrt teilnehmen könne und sich deshalb mit Geld ablösen wolle. Nach seiner Rückkehr an den Hof berichtete Burchard dem Kaiser und den versammelten principes curiae. Barbarossa geriet in helle Empörung, lehnte nach Beratung mit den Fürsten das von Eberhard angebotene Geld mit der Begründung ab, das imperium sei verletzt, aber Eberhard könne an den
Die Ehre des Reichs (honor
imperii)
37
Hof kommen und Genugtuung dafür leisten; wenn es der honor imperii dann dulde, werde er, der Kaiser, dessen Dienst wieder annehmen. Barbarossas Reaktion kennen wir so genau, weil Burchard als Augenzeuge des Geschehens den Abt Nikolaus von Siegburg brieflich von der Beratung am Hof informierte1. Als Parallelüberlieferung steht außerdem ein Brief Barbarossas an den Erzbischof zur Verfügung, in dem die Beratung mit den Fürsten ebenfalls erwähnt wird; in einer mit Burchards Brief nahezu identischen Passage heißt es, der Kaiser habe das Geld cum honore nicht annehmen können, da es nicht seine Art sei, Geld von jemandem anzunehmen und Haß gegen ihn im Sinn zu behalten2. Anders als bei Burchard wird aber weder der honor imperii noch die Genugtuungsforderung explizit angesprochen, sondern lediglich die Erwartung formuliert, daß Eberhard am Hof erscheinen solle, „wie es der kaiserlichen Hoheit zukommt", und Freude des Kaisers über sein künftiges Kommen in Aussicht gestellt3. Dennoch verstand Eberhard sehr gut: In einem Brief an den Abt von Admont erwähnte er den „Donner" und die „Drohungen, die die Briefe des Herrn Kaiser über uns krachen ließen"*.
Die Edition des Briefes bei Ferdinand GÜTERBOCK, Le lettere del notaio imperiale Burcardo intorno alia politica del Barbarossa nello scisma ed alla distruzione di Milano, Bullettino dell'istituto storico italiano per il medio evo 61 (1949) S. 1-65, S. 54-56. Zur Aufnahme der Briefe Burchards in die Kölner Königschronik vgl. Manfred GROTEN, Klösterliche Geschichtsschreibung: Siegburg und die Kölner Königschronik, Rheinische Vierteljahrsblätter 61 (1997) S. 50-78, S. 56-60. 2 Die Urkunden Friedrichs I., hg. von Heinrich APPELT u.a. (MGH Diplomata regum et imperatorum Germaniae 10.1-5) Hannover 1975-1990 (künftig zitiert als MGH DF.I.) Nr. 346, S. 185 Z., 23-26: Sane cum legationis tue nuncius ad nos venisset et servitium pecuniae tuae pro redemptione expeditionis nobis obtulisset, nos communicato cum principibus nostris consilio pecuniam tuam cum honore non potuimus accipere, quia nostre consuetudinis non est alicuius pecuniam accipere et odium contra eum in mente retinere. 3 MGH DF.I. 346, S. 185, Z. 26-30: Cum autem, sicut decet imperialem excellentiam, nobis personam tuam exhibueris, tunc nos magis de tuo adventu gaudere poterimus et de instand necessitate imperii et ecclesiae tecum et cum ceteris imperii principibus tuo consilio salubris tractare poterimus et ordinäre. 4 Admonter Briefsammlung nebst ergänzenden Briefen, hgg. von Günther HÖDL/Peter CLASSEN (MGH Briefe der deutschen Kaiserzeit 6) München 1986, Nr. 62, S. 115, Z. 28 f.: Vos audistis, quanta tonitrua et quales comminationes littere domini imperatoris super nos insonuerunt... Zur Auseinandersetzung zwischen Barbarossa und Eberhard I. von Salzburg vgl. Knut GÖRICH, Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation, Konflikt und politisches Handeln im 12. Jahrhundert, Darmstadt 2001, S. 58-73. 1
38
Knut Görich
Der honor imperii spielt in dieser Episode eine zentrale Rolle. O h n e eine Aussage über die Bedeutung der Formel zu treffen, lassen sich doch drei allgemeine Beobachtungen festhalten. Erstens: Mit den Worten honor imperii ist offenbar eine bestimmte Ordnungsvorstellung angesprochen, die verletzt werden kann. Zweitens: Der Feststellung ihrer Verletzung geht ein Kommunikationsvorgang voraus - Barbarossas Beratung mit den principes curiae. Drittens: Die verletzte Ordnung kann mit einer Genugtuungsleistung wieder hergestellt, der verletzte honor imperii wieder geheilt werden. In Texten der Stauferzeit wird der honor imperii immer wieder erwähnt - und zwar sowohl in erzählenden Quellen wie auch in urkundlichen. Bereits die Häufigkeit der Erwähnungen läßt darauf schließen, daß die Bedeutung der formelhaften Wendung, die nie erklärt wird, den Zeitgenossen vertraut war. Die Grundbedeutung des lateinischen Wortes honor ist Ehre. In der Forschungsdiskussion über den honor imperii hat diese Grundbedeutung indessen lange Zeit keine Rolle gespielt. In einem ersten Abschnitt skizziere ich die bisherigen Deutungsvorschläge; sie reichen von einer engeren, auf .Recht' bezogenen, zu einer weiteren, auf ,Ehre' bezogenen Auffassung der formelhaften Wendung. Ein zweiter Abschnitt gilt der Einordnung dieser weiteren Auffassung in eine Reihe von Themenkomplexen, die das Verständnis von Barbarossas Herrschaft erhellen können. Im dritten Abschnitt wird Bezug und Bedeutung des spezifizierenden Zusatzes zu honor - also des Wortes imperium - erörtert.
/. Erstmals widmete Peter Rassow in einem 1930 gehaltenen, dann 1940 publizierten Vortrag der Formel honor imperii besondere Aufmerksamkeit, und zwar am Beispiel einer Bestimmung des Konstanzer Vertrags von 1153; sie verpflichtete den Papst, Barbarossa bei Wahrung und Mehrung des honor imperii nach den Möglichkeiten seines Amtes zu behilflich zu sein5. Das Wort honor übersetzte Rassow mit ,Recht', und als konkreten 5
Peter RASSOW, Honor Imperii. Die neue Politik Friedrich Barbarossas 1151-1159. Durch den Text des Konstanzer Vertrages ergänzte Neuausgabe (erstmals München/Berlin 1940) Darmstadt 1961. M G H DF.I. 52, S. 89, Z. 11-15: Dominus vero papa apostolice auctoritatis verbo una cum predictis cardinalibus in prescriptorum legatorum domini regis promisit et
Die Ehre des Reichs (honor imperii)
39
Bezug der Formel „Recht des Reichs" dachte er sich kaiserliche Ansprüche in Süd-, Mittel- und Oberitalien, wie sie sich aus der beanspruchten Zugehörigkeit des Normannenreichs und der Mathildischen Güter zum Imperium sowie aus den Reichsrechten in Oberitalien ergaben. Nach Rassows Deutung verpflichtete sich der Papst, indem er den honor imperii zu wahren versprach, implizit zur Anerkennung der kaiserlichen Rechte und Ansprüche in all diesen strittigen Fragen. Die Formel vom honor imperii erscheint daher als „juristischer Zentralbegriff" in der Reichspolitik Barbarossas, die im Vertrag mit dem Papst „rechtlich zu verankern" seine erste politische Tat war. Problematisch an dieser Deutung ist eine Vorstellung von „Recht", „Juristifizierung" oder „juristisch", die offenkundig der modernen Rechtsordnung näher steht als den mittelalterlichen Verhältnissen: Vor welcher Instanz hätte Barbarossa seine an den „juristischen Zentralbegriff" geknüpften Ansprüche einklagen können? In welchem Verfahren? Unter Bezug auf welche Rechtsordnung? Welchen Stellenwert hatten Ansprüche, von denen der Papst bei Vertragsabschluß nichts wußte, und die nach Manier eines Winkeladvokaten in der Formel vom honor imperii versteckt gewesen sein sollen? Daß der Kaiser damit über keine „brauchbare Handhabe" verfügte, um den Papst in künftigen Auseinandersetzungen über etwaigen Vertragsbruch „ins Unrecht zu setzen", bemerkte Herbert Grundmann schon 19416. Ein weiteres Problem ist die Ubersetzung von honor mit ,Recht'; Rassow sah sie durch ältere Untersuchungen von Dietrich Schäfer ge-
observabit, quod eum ... ad manutenendum
atque augendum
ac dilatandum
honorem
imperii
pro debito officii sui iuvabit. Zur Interpretation des Konstanzer Vertrags vgl. jetzt Johannes LAUDAGE, Alexander
III.
und Friedrich
Barbarossa
(Forschungen
zur Kaiser-
und
Papstgeschichte des Mittelalters, Beihefte zu Johann Friedrich Böhmer, Regesta Imperii 16) Köln/Weimar/Wien
1997,
S.
33-62;
Jürgen
MLETHKE,
Rituelle
Symbolik
und
Rechtswissenschaft im Kampf zwischen Kaiser und Papst. Friedrich Barbarossa und der Konflikt um die Bedeutung von Ritualen, in: Ein gefüllter Willkomm. Festschrift für Knut Schulz, hgg. von Franz J. FELTEN/Stefanie IRRGANG/Kurt WESOLY, Aachen 2002, S. 91125, S. 96-98. 6
Herbert
GRUNDMANN,
Rezension
von
RASSOW,
Honor
imperii
(wie
Anm.
5),
wiedergedruckt in: Friedrich Barbarossa, hg. von Gunther WOLF (Wege der Forschung 390) Darmstadt 1975, S. 26-32, S. 31.
Knut Görich
40
deckt 7 , deren Ergebnisse „die Übersetzung von honor mit Recht, Besitz, Hoheit ganz unzweifelhaft" gemacht hatten 8 . Allerdings hielten diese Ergebnisse einer Uberprüfung durch Wolfgang Stürner 1968 nicht stand: Unter Rückgriff auf Begriffserklärungen des Lexikographen Papias (um 1050) konnte er nachweisen, daß „keines" der von Schäfer angeführten Beispiele zur Ubersetzung von honor mit ,Recht' zwinge, mehr noch, daß sie nicht einmal besonders naheliege9. Das Ubersetzungsproblem hatte ebenfalls bereits Grundmann unter Hinweis auf das breite Bedeutungsspektrum des Wortes angesprochen; ein Begriff, der „alles mögliche bedeuten konnte", eigne sich nicht als Kern des Vertrags, weshalb man „in diesen vieldeutig unbestimmten Begriff schwerlich alles das hineinlesen (dürfe), was Friedrich I. unter der Parole einer Wiederherstellung des Reichs' verfocht." 10 . Damit waren Rassows Überlegungen zum Begriff honor imperii ganz grundsätzlich in Frage gestellt. Heinrich Appelt wies dann 1967 ausdrücklich auf den Beziehungsreichtum der Formel hin: „Geboren aus dem ritterlichen Geist des Feudalismus, bezeichnet der Ausdruck nicht nur die Ehre des Reichs, sondern auch den Rang und die Würde, den äußeren Glanz und die Machtentfaltung, das Amt und die mit ihm verbundene innere Verpflichtung des Kaisers, keine Minderung seiner Gerechtsame zu dulden"11. Appelt kam damit auf ,Ehre' als die Grundbedeutung des lateinischen Wortes honor zurück, und er unterstrich, wie „fern uns Heutigen jene Denkungsart" liegt; auch betonte er die vielschichtigen Vorstellungen, die die Formel von der „Ehre des Reichs" wachrief - Macht und Prestige, ritterlicher Ehrbegriff und ausgeprägtes Standesbewußtsein - und bezeichnete sie als „Schlagwort", das sich „in allen führenden Schichten des 12. Jahrhunderts
7
Dietrich SCHÄFER, Honor,
citra, cis im mittelalterlichen Latein, in: Sitzungsberichte der
Berliner Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Kl. 23, Berlin 1921, S. 372-381, insb. S. 375. 8 9
RASSOW, Honor imperii (wie Anm. 5) S. 103, Anm. 137. Wolfgang
STÜRNER,
Salvo
debito
honore
et reverentia.
Der
Königsparagraph
im
Papstwahldekret von 1059, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtgeschichte, Kan. Abt. 85 (1968) S. 1-56, S. 18. 10
GRUNDMANN, Rezension (wie Anm. 6) S. 30.
11
Heinrich APPELT, Die Kaiseridee Friedrich Barbarossas (erstmals 1967) wiedergedruckt
in: WOLF, Friedrich Barbarossa (wie Anm. 6) S. 208-244, S. 241.
Die Ehre des Reichs (honor imperii)
41
großer Beliebtheit erfreute" 12 . In seiner konkreten Untersuchung der Quellenstellen beschränkte er sich allerdings auf die Erwähnung des honor imperii in den Vorbehaltsformeln von Barbarossas italienischen Diplomen 13 und sah ihre Bedeutung daher in dessen Absicht konkretisiert, die Regalien im Süden zu wahren. Entsprechend eng schien die Formel mit dem allgemeinen politischen Konzept des Staufers verbunden zu sein. Man dürfe sie, so Appelt, „geradezu als das Kernstück der persönlichen Kaiseridee des Herrschers auffassen" 14 . Anders als bei Rassow, aber im Prinzip doch vergleichbar, war der honor imperii auch hier lesbar als programmatische Verkürzung ganz konkreter politischer Ziele in Italien. In seinen 1968 in Ost-Berlin fertiggestellten, 1972 publizierten „Studien zur ideologischen Herrschaftsbegründung der deutschen Zentralgewalt im 11. und 12. Jahrhundert" übernahm Gottfried Koch diese Deutung und integrierte sie in seine Theorie, daß Barbarossas auf Italien gerichtete „imperiale Politik" eine besondere ideologische Begründung verlangt und der Terminus honor imperii dabei eine besondere Rolle gespielt habe 15 . Im Begriff imperium sei die fürstliche Gemeinschaft gleichsam als transpersonale Größe anerkannt und eine „Staatsvorstellung" gespiegelt, „in der die Person des Herrschers nicht mehr unbedingt als Schlüsselfigur existent war"; diese „für die Zentralgewalt nicht ungefährliche Theorie" soll Barbarossa verbreitet haben, um die Fürsten in seine expansive Politik einbinden zu können; das „Schlagwort vom honor imperii" sollte den Fürsten „begreiflich" machen, „daß die imperiale Politik angeblich mit ihren ureigensten Interessen identisch sei" 16 . Kochs Interpretation stand unter der ausdrücklichen Prämisse, daß es ein „beliebter ,Propagandatrick' der Zentralgewalt war, die Fürsten mit den Reichsinteressen zu identifizieren,
12
Heinrich APPELT, Privilegium minus. Das staufische Kaisertum und die Babenberger in
Österreich, Wien/Köln/Graz 2 1976, S. 50. 13
Heinrich APPELT, Der Vorbehalt kaiserlicher Rechte in den Diplomen Friedrich
Barbarossas (erstmals 1960), erweitert wiedergedruckt in: WOLF, Friedrich Barbarossa (wie Anm. 6) S. 33-57, insb. S. 37-39. 14
APPELT, Kaiseridee (wie Anm. 11) S. 241.
15
Gottfried KOCH, Auf dem Wege zum Sacrum Imperium. Studien zur ideologischen Herr-
schaftsbegründung der deutschen Zentralgewalt im 11. und 12. Jahrhundert (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 20) Wien/Köln/Graz 1972, S. 246. 16
Die Zitate bei KOCH, Sacrum imperium (wie Anm. 15) S. 251; zu den politischen Zielen
ζ. B. S. 198, S. 250 und S. 258.
42
Knut Görich
um sie für die eigenen Ziele zu gewinnen" 17 . Entspringt die Vorstellung vom „Einsatz propagandistisch-ideologischer Mittel", von „staufischer Ideologie" 18 und „Propaganda" in Form von „Schlagworten" zur wirksamen Legitimation politischer Ziele aber nicht eher den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts mit der effizienten Kombination aus öffentlich-politischer Propaganda und modern-totalitärer Staatsgewalt als den Verhältnissen des 12. Jahrhunderts 19 ? Mit dieser Frage will ich nicht polemisieren, sondern einerseits die politischen Rahmenbedingungen streifen, unter denen Kochs Untersuchung in der D D R entstand, und deren möglichen Einfluß auf sein Geschichtsbild zu bedenken geben; andererseits bleibt auf die Leerstelle aufmerksam zu machen, die die Annahme von „Propagandatricks" ohne Erklärung ihrer Wirkungsweise hinterläßt. Kochs machtfunktionalistische Deutung akzentuiert die „geschickte Politik" 20 des Herrschers, der zum Zweck eigener Machterweiterung mit der Formel des honor imperii die Fürsten gegen ihre eigenen Interessen für die Unterstützung der imperialen Kaiserpolitik gewonnen habe; den Fürsten wird dabei eine nur passive Statistenrolle zugemessen. Unter ausdrücklicher Anknüpfung an Kochs Überlegungen meinte jüngst Jutta Schlick, der honor imperii sei ein „neuer Gedanke", eine „Idee", mit der Konrad III., dann aber vor allem Barbarossa die Fürsten für seine Politik „instrumentalisiert" habe21. Auch hier bleiben manche Fragen offen: Waren die Fürsten nicht in der Lage, die ,wahren Motive' hinter Barbarossas Worten zu erkennen? Worin bestand ihr Vorteil - ihr Nutzen, ihre Gewinnchance - , wenn sie sich durch eine schlagwortartige Anerkennung ihrer ja schon seit ottonischer Zeit unbestrittenen und seit spätsalischer Zeit intensivierten Teilhabe am Reich von Barbarossa „instrumentalisieren", also im Wortsinn: für seine Zwecke als Instrument benutzen ließen?
KOCH, Sacrum Imperium (wie Anm. 15) S. 18; vgl. auch S. 198. Gegen die Anwendbarkeit des Begriffs „Ideologie" auf das Mittelalter plädiert Otto Gerhard OEXLE, Die funktionale Dreiteilung der .Gesellschaft' bei Adalbero von Laon. Deutungsschemata der sozialen Wirklichkeit im früheren Mittelalter, Frühmittelalterliche Studien 12 (1978) S. 1-54, S. 53 f. 19 Dazu: Le forme della propaganda politica nel due e nel trecento, a cura di Paolo CAMMAROSANO (Collection de l'Ecole frangaise de Rome) Rome 1994. 20 KOCH, Sacrum Imperium (wie Anm. 15) S. 246. 21 Jutta SCHLICK, König, Fürsten und Reich 1056-1159. Herrschaftsverständnis im Wandel (Mittelalter-Forschungen 7) Stuttgart 2001, S. 144 und S. 189 f. 17 18
Die Ehre des Reichs (honor imperii)
43
Mit all diesen Deutungen ist stets auch eine besondere Akzentuierung der Modernisierungstendenzen in Barbarossas Königsherrschaft verbunden. Je enger die Verknüpfung der Formel vom honor imperii mit .Recht' ausfällt, um so klarer läßt sich das mit ihr begründete politische Handeln in den breiten Strom der Verrechtlichung als eine der markantesten Modernisierungstendenzen des 12. Jahrhunderts einordnen. In Rassows These, Barbarossa habe „als moderner (!) Mensch seiner Zeit gerade in der Juristifizierung seiner Politik den entscheidenden Vorteil" gesehen22, kommt die zugrundeliegende Modernisierungsannahme besonders deutlich zum Vorschein. Die rechtliche Dimension ist auch noch für Jutta Schlick zentral, die für Barbarossa einen „stärker juristisch-rechtlich geprägten ^oraor-Begriff"23 in Anspruch nimmt; diese These gründet freilich auf die ältere, von Dietrich Schäfer vorgenommene Einengung der Begriffsbedeutung auf ,Recht' 24 , die, wie schon erwähnt, auch Peter Rassow übernahm, der aber Wolfgang Stürner die Grundlage entzog25. Die bisher referierten Deutungsvorschläge haben also zweierlei gemeinsam: Zum einen spielt in ihnen ,Ehre' als Grundbedeutung von honor keine Rolle, zum anderen akzentuieren sie unter Rückgriff auf das Recht besonders nachdrücklich Modernisierungstendenzen - ohne sich freilich mit den Gefahren einer ebenso unausgesprochenen wie ahistorischen Rechtstheorie auseinanderzusetzen, die den Verhältnissen des 12. Jahrhunderts heutige Vorstellungen von Rechtssetzung, Rechtsgeltung und Rechtszwang überstülpt und damit einem sowohl unter Juristen wie unter
22
RASSOW, Honor imperii (wie Anm. 5) S. 91
23
SCHLICK, König (wie Anm. 21) S. 144.
24
In Grundmanns Rezension, auf die sich SCHLICK, König (wie Anm. 21) S. 143, Anm. 73
ausdrücklich bezieht, wird dem damaligen Kenntnisstand entsprechend auf Schäfers Untersuchung Bezug genommen. 25
STÜRNER, Salvo debito honore (wie Anm. 9) S. 11: „Überall, wo er (Schäfer) honor mit
Recht übersetzt, erweisen sich die allgemeineren Ausdrücke ,Stellung', ,Rang' oder .Würde' zumindest als ebenso sinnvoll." - Die von Grundmann an Rassow sowie von Stürner an Schäfer kritisierte Bedeutungsverengung des Begriffs übersieht auch Peter SCHUSTER, Ehre und Recht. Überlegungen zu einer Begriffs- und Sozialgeschichte zweier Grundbegriffe der mittelalterlichen Gesellschaft, in: Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit. Identitäten und Abgrenzungen,
hgg. von Sibylle BACKMANN/Hans-Jörg
KÜNAST/Sabine
Beverly Ann TLUSTY (Colloquia Augustana 8) Berlin 1998, S. 40-66, S. 51 f.
ULLMANN/
44
Knut Göricb
Historikern „allgemein verbreiteten Laienverständnis vom Recht" 26 erliegt. Ehre ist natürlich keine Kategorie, unter der sich Modernisierung von Herrschaft beschreiben ließe, sondern ein schillernder Begriff, der allerlei, auch undeutliche Assoziationen weckt. Taugt er zur Erklärung politischen Handelns? Sicher um so weniger, je mehr das Interesse an jenen Tendenzen mittelalterlicher Königsherrschaft dominiert, die als Vorläufer moderner Staatlichkeit gedeutet werden können. Eine solche Deutungsperspektive hat eine lange Tradition und hängt nicht zuletzt mit einem in der deutschen historischen Mediävistik seit dem 19. Jahrhundert immer wieder erörterten Problem zusammen - der Frage nach den Ursachen für die Schwäche des deutschen Königtums und für sein im Vergleich zu den westlichen Königreichen hervorstechendes Modernisierungsdefizit27. Diese Frage gewann ihre drängende Kraft aus dem Erkenntnisinteresse einer Geschichtsschreibung, die unter dem Eindruck der nationalen Bewegung auf die verzögerte Entstehung, den schwierigen Aufstieg und den Triumph der Nation in der Entstehung des Nationalstaats ausgerichtet war und
Jürgen WEITZEL, Gewohnheitsrecht und fränkisch-deutsches Gerichtsverfahren, in: Gewohnheitsrecht und Rechtsgewohnheit im Mittelalter, hg. von Gerhard DLLCHER (Schriften zur europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 6) Berlin 1992, S. 67-86, S. 76; auch ÜERS., Relatives Recht und unvollkommene Rechtsgeltung im westlichen Mittelalter. Versuch einer vergleichenden Synthese zum mittelalterlichen Rechtsbegriff, in: Rechtsbegriffe im Mittelalter, hgg. von Albrecht CORDES/Bernd KANNOWSKI, Frankfurt am Main 2002, S. 43-62, S. 47. Grundlegend die Bestandsaufnahme der aktuellen Diskussion von Bernd KANNOWSKI, Rechtsbegriffe im Mittelalter. Stand der Diskussion, in: ebd., S. 127. 26
Vgl. dazu Gerd ALTHOFF, Das Mittelalterbild der Deutschen vor und nach 1945. Eine Skizze, in: Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, hgg. von Paul-Joachim HEINIG U. a. (Historische Forschungen 67) Berlin 2000, S. 731-749; Bernd SCHNEIDMÜLLER, Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter, in: ebd., S. 53-87, S. 61 f., S. 65 und S. 86; DERS., Zwischen Gott und den Getreuen. Vier Skizzen zu den Fundamenten der mittelalterlichen Monarchie, Frühmittelalterliche Studien 36 (2002) S. 193-224, S. 219-223; Timothy REUTER, Nur im Westen was Neues? Das Werden prämoderner Staatsformen im europäischen Hochmittelalter, in: Deutschland und der Westen Europas im Mittelalter, hg. von Joachim EHLERS (Vorträge und Forschungen 56) Stuttgart 2002 S. 327-351, S. 327-330; Rudolf SCHIEFFER, Weltgeltung und nationale Verführung. Die deutschsprachige Mediävistik vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis 1918, in: Die deutschsprachige Mediävistik im 20. Jahrhundert, hgg. von Peter MORAW/Rudolf SCHIEFFER (Vorträge und Forschungen 62) Darmstadt 2005, S. 30-61. 27
Die Ehre des Reichs (honor imperii)
45
daraus eine dominante, mit eindeutiger Perspektive ausgestattete Erzählweise des Vergangenen entwickelte 28 . In dieser forschungsgeschichtlichen Tradition wurzeln viele bedauernde Urteile über Versäumnisse des Königtums im Modernisierungsprozeß von Herrschaft und Verwaltung, aber auch um so nachdrücklicher ausgefallene Akzentuierungen einzelner Phänomene moderner Staatlichkeit und monarchischer Effizienz. Einem englischen Historiker können sie wie „verbliebene Reste einer wilhelminischen Weltanschauung in der Berufssozialisierung deutscher Mediävisten" erscheinen 29 . Das Interesse an der Entstehung des Bestehenden lenkt den Blick immer wieder auf das, was als Vorausdeutung auf das schließlich Gewordene verstanden werden kann. V o r der unwillkürlichen und stillschweigenden Rückprojektion von Vorstellungen moderner Staatlichkeit auf das Mittelalter ist sicher kein Historiker gefeit. Die Versuchung war und ist also groß, „den Königen und Fürsten in der wissenschaftlichen Analyse nur allzu oft Zweckrationalität im Verfolg der schließlich siegreichen strukturellen Entwicklungen" zuzuschreiben 30 ; aber die vorrangige Akzentuierung von Elementen moderner Staatlichkeit deckt sich nicht mit „den Intentionen und der Praxis der damaligen politischen Führungsschichten" 31 . Die Einbettung in die moderne, d. h. vor allem: In die vertraute Rationalität von Politik und Herrschaft kann leicht dazu führen, daß „aus einem mittelalterlichen König ein stets kühl kalkulierender Kabinettspolitiker" 32 wird. Das Gegenteil dieser Rationalität ist aber nicht Irrationalität, sondern eben eine andere Rationalität, die sich aus strukturell anderen Voraussetzungen der Herrschaftsausübung ergeben, also besonders aus der für die mittelalterliche Staatlichkeit charakteristischen
28
Vgl. dazu Konrad H . JARAUSCH/Martin SABROW (Hgg.), „Meistererzählung" -
Zur
Karriere eines Begriffs, in: Die historische Meistererzählung. Deutungslinien der deutschen Nationalgeschichte nach 1945, Göttingen 2002, S. 9-32. 29 30
REUTER, N u r im Westen (wie Anm. 27) S. 349. Hanna VOLLRATH, Politische Ordnungsvorstellungen und politisches Handeln im
Vergleich. Philipp II. August von Frankreich und Friedrich Barbarossa im Konflikt mit ihren mächtigsten Fürsten, in: Political Thought and the Realities of Power in the Middle Ages. Politisches Denken und die Wirklichkeit der Macht im Mittelalter, hgg. von Joseph CANNING/Otto
Gerhard
OEXLE
(Veröffentlichungen
Geschichte 147) Göttingen 1998, S. 33-51, S. 46. 31
REUTER, N u r im Westen (wie Anm. 27) S. 348.
32
VOLLRATH, Ordnungsvorstellungen (wie Anm. 30) S. 46.
des
Max-Planck-Instituts
für
46
Knut
Görich
personenbezogenen Herrschaftspraxis. Das damit verbundene Fremdartige, Andersartige stand lange Zeit im Schatten des Interesses. Das läßt sich gut an der gewandelten Aufmerksamkeit veranschaulichen, die die Forschung seit einiger Zeit den mittelalterlichen Ritualen entgegenbringt: Wurden die Nachrichten über symbolische Handlungen früher meist nur als anekdotisches Beiwerk verstanden, ist mittlerweile ihre Qualität als Aussagen über charakteristische Funktionsweisen mittelalterlicher Herrschaft erkannt, die „völlig neue Blicke auf längst bekannte und seit 150 Jahren hin und her gewendete Quellen" 33 ermöglichen. Fremdartig und andersartig erscheinen die mit der Formel vom honor imperii verbundenen Vorstellungen und die mit ihr begründeten Handlungen auch, wenn honor nicht mit ,Recht', sondern mit ,Ehre' übersetzt wird: Nicht die Modernisierung von Herrschaft tritt in den Vordergrund, sondern die Erklärungsbedürftigkeit einer politischen Praxis, in der die Ehre - nach Ausweis ihrer überaus häufigen Erwähnung in allen Quellen der Zeit - von offenkundig zentraler Bedeutung war. Diesbezüglich notwendige Überlegungen versuchte Gunther Wolf 1969 anzustoßen, indem er auf die Bedeutungsmöglichkeiten von honor aufmerksam machte, die über den Bereich von ,Recht' hinausführen. Schon Grundmanns Einwände, so Wolf, hätten Rassows Ausführungen zum honor imperii grundsätzlich in Frage gestellt, und es hätte eigentlich eine „eingehende Diskussion dieses wichtigen Begriffs folgen müssen. Sie fand bis heute nicht statt" 34. Auf ein breites Fundament von Belegen aus urkundlichen und erzählenden Quellen gestützt meinte Wolf in expliziter Abgrenzung von Appelts auf konkrete Rechte zielender Auffassung, daß die formelhafte Wendung „recht alt (sei) und deren konkrete Auswertung für die Erkenntnis geschichtlicher, vor allem rechtsgeschichtlicher Sachverhalte nur mit großer Vorsicht vorgenommen werden kann, wofern sie sich dem nicht überhaupt entzieht." 35 Wolf rückte die Formel in die Nähe von gloria und dignitas, wies auf mittelhochdeutsche Entsprechungen wie Frank REXROTH, Rituale und Ritualismus in der historischen Mittelalterforschung. Eine Skizze, in: Mediävistik im 21. Jahrhundert. Stand und Perspektiven der internationalen und interdisziplinären Mittelalterforschung, hgg. von Hans-Werner GOETZ/Jörg JARNUT, München 2003, S. 391-406, S. 403. 34 Gunther WOLF, Der Honor imperii als Spannungsfeld von lex und sacramentum im Hochmittelalter, in: WOLF, Friedrich Barbarossa (wie Anm. 6) S. 297-322, S. 299. 35 WOLF, Honor imperii (wie Anm. 34) S. 309. 33
Die Ehre des Reichs (honor imperii)
47
ere oder keisers eren bei Walther von der Vogelweide hin, bezog die religiöse Dimension der Gott geschuldeten Ehre ein und erkannte so eine „in die Sphäre des Religiösen und Sakralen hineinragende Bedeutung, die vielleicht sogar die ursprüngliche ist"36. Unter Akzentuierung dieses Bedeutungsspektrums beanspruchte er die Formel - unter Übernahme der Terminologie von Ernst Kantorowicz - als Zeichen eines nicht auf das Recht bezogenen (law-centered), sondern auf Christus bezogenen Königtums (Christ-centered kingship)37. Dieter von der Nahmer hat am Beispiel der Herrschaft Barbarossas 1974 nachdrücklich für eine Ubersetzung von honor mit Ehre plädiert. „Das Wort scheint aber zu bedeuten, daß für Herrscher und Reich ein bestimmtes Ansehen, eine Ehrerbietung beansprucht wurde. Beanspruchte das Reich Ehre, so verlangte das von den Gliedern des Reiches, daß man dem Kaiser gemäß seinem höheren Rang begegnete und seine Rechte aus ehrerbietiger Haltung beachtete"38. Von der Nahmer untersuchte die Verwendung der Formel honor imperii in urkundlichen und erzählenden Quellen, und erschloß über den jeweiligen Kontext ganz unterschiedliche Bereiche der Herrschaftsausübung, in der die Ehre von Kaiser und Reich eine Rolle spielte. Für das Verständnis der Formel ist die Einsicht zentral, daß Öffentlichkeit der für Ehre konstitutive Raum war, mit den Worten von der Nahmers: daß „Ehre nur in der Öffentlichkeit besteht"39, „daß es ein Forum gab, vor dem man sich zu bewähren hatte"40 - eine Einsicht, die von der Soziologie schon lange zuvor gründlich abgesichert und auch in der germanistischen Mediävistik seit langem fruchtbar gemacht worden war41. Die Ehre war also in allen Zusammenhängen tangiert, in denen
36
WOLF, Honor imperii (wie Anm. 34) S. 320.
37
WOLF, Honor imperii (wie Anm. 34) S. 322; vgl. auch S. 298. Zur Terminologie Ernst H .
KANTOROWICZ, The King's T w o Bodies, Princeton 1957, in deutscher Übersetzung: Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 1990. 38
Dieter VON DER NAHMER, Zur Herrschaft Friedrich Barbarossas in Italien, Studi
Medievali 15.2 (1974) S. 587-703, S. 677. 39
VON DER NAHMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 688.
40
VON DER NAHMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 697, Anm. 242.
41
Von der Nahmer erwähnte die soziologische Forschung nicht, aber S. 691, Anm. 229 die
germanistische Arbeit von Friedrich MAURER, Leid. Studien zur Bedeutungs- und Problemgeschichte, besonders in den großen Epen der staufischen Zeit, Bern/München 1951.
48
Knut Görich
erwartet wurde, „daß dem Reich Ehre gegeben, des Reiches Ansehen gefestigt werde dadurch, daß man ihm bzw. dem Kaiser mit geschuldeter Ehrerbietung begegnet"42. Das betrifft die Wahrnehmung und Beurteilung der mit der Herrschaftsausübung verbundenen Aufgaben ebenso wie die verschiedenen Formen, in denen Herrschaft und Rang repräsentiert, d. h. ganz buchstäblich vor Augen gestellt wurden: Also etwa die vom Kaiser sicherzustellende Rechtsprechung; die Formen des Zeremoniells, der Begrüßung oder des Empfangs43; sogar die Wahrnehmung von Bauwerken 44 , wie im Fall der nach Mailands Unterwerfung 1158 ad honorem imperii erbauten Kaiserpfalz oder des von Barbarossa angeordneten Wiederaufbaus von Lodi, den der Geschichtsschreiber Otto Morena ausdrücklich als eine Tat ad honorem imperii feierte. Von der Nahmer machte außerdem auf Handlungszwänge aufmerksam, die sich für den Kaiser aus dem Wissen um die öffentliche Beurteilung seines Handelns unter dem Gesichtspunkt der Ehre ergaben - etwa auf die Verpflichtung zur Rache im Falle erlittener Ehrverletzung 45 , aber auch auf die Verpflichtung zur Belohung erwiesener Treue und geleisteter Dienste 46 . Schließlich wandte er sich gegen die Ubersetzung von honor mit einem rechtlich eindeutigen Terminus und hielt an der Grundbedeutung ,Ehre' fest, weil er Rechtsverletzung und Ehrverletzung nicht für deckungsgleich hielt: Der honor erscheine in den Quellen nie als juristisch präziser Begriff und sei daher auch keine in einem juristischen Verfahren einklagbare Größe 47 , vielmehr zeige der Hinweis auf den verletzten honor „das Gewicht des geschehenen Unrechts, das Ausmaß der zugefügten Kränkung", zeige, „daß das Reich, die kaiserliche Herrschaft als eine gottgegebene Ordnung überhaupt betroffen war" 48 , „daß die Mißachtung eines einzelnen Reichsrechtes, daß ein ungebührliches Auftreten gegenüber dem König, oder
42
VON DER NAHMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 679.
43
VON DER NAHMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 687 und S. 698.
44
VON DER NAHMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 680; dazu jetzt auch Günther BINDING,
Friedrich Barbarossa als Bauherr ad regni decorem,
in: Von Sacerdotium und Regnum.
Geistliche und weltliche Gewalt im frühen und hohen Mittelalter, hgg. von Franz-Reiner ERKENS/Hartmut WOLFF (Passauer Historische Forschungen 12) Köln 2002, S. 461-470. 45
VON DER NAHMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 690 f.
46
VON DER NAHMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 682.
47
VON DER NAHMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 694.
48
VON DER NAHMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 695.
Die Ehre des Reichs (honor imperii)
49
gegenüber denen, die ihn vertraten, das Gesamte betraf"49. Also begründete nicht der materielle Nachteil, der beispielsweise aus der Entfremdung eines kaiserlichen Rechts entstand, den Vorwurf einer Verletzung des honor imperii, sondern die in der Entfremdung offenkundig gewordene Mißachtung der ganzen, in der Person des Kaisers vor Augen tretenden, gottgewollten Ordnung50. Von der Nahmers Position fand in den Siebziger Jahren und lange Zeit danach keinerlei Echo51. Die Frage nach den Gründen ist letztlich wieder eine forschungsgeschichtliche Frage, und eine Antwort darauf besteht in der Einsicht, daß die Fragen des Historikers immer auch mit den Einflüssen seiner Gegenwart zusammenhängen. Von der Nahmer hatte seine Position in Abgrenzung von Alfred Haverkamp formuliert, der die Formel honor imperii in seinen Untersuchungen zu den Herrschaftsformen der Frühstaufer in Reichsitalien nicht weiter problematisiert hatte52. In einer weit ausholenden Auseinandersetzung mit Haverkamps Buch wandte sich von der Nahmer gegen aus seiner Sicht moderne Forschungskonzepte „strukturologisch-ökonomistischer Art" und gegen „plumpe Materialisierung"53 des Ehrbegriffs. Das ist eine aus heutiger Perspektive wohl differenzierungsbedürftige Verortung in der damaligen wissenschaftlichen Diskussion54 - aber die Frage nach der Ehre hatte in den Siebziger Jahren gewiß keine Konjunktur. Daß sie erst seit den
49
VON DER NAHMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 690.
50
VON DER NAHMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 689 und S. 698.
51
Vgl. die Rezension von Hans Martin SCHALLER, Deutsches Archiv für Erforschung des
Mittelalters 33 (1977) S. 274 f. Knapp ablehnend Alfred HAVERKAMP, Italien im Mittelalter. Neuerscheinungen von 1959-1975 (Historische Zeitschrift Sonderheft 7) München 1980, S. 146; Helmut MAURER, Chiavenna und die „Ehre"
des Herzogtums Schwaben,
in:
Festschrift Friedrich Hausmann, hg. von Herwig EBNER, Graz 1977, S. 339-353, S. 350 f. mit Anm. 48; vgl. auch DERS, Der Herzog von Schwaben. Grundlagen, Wirkungen und Wesen seiner Herrschaft in ottonischer, salischer und staufischer Zeit, Sigmaringen 1978, S. 258-267. 52
Alfred HAVERKAMP, Herrschaftsformen der Frühstaufer in Reichsitalien, 2 Bde. (Mono-
graphien zur Geschichte des Mittelalters 1.1 und 1.2) Stuttgart 1970-1971; die erörterten honor-Belege sind über das Sachregister S. 800 leicht zu erschließen. 53 54
VON DER NAHMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 588 und S. 699. Dazu der Uberblick bei Hans-Werner
GOETZ, Moderne Mediävistik.
Perspektiven der Mittelalterforschung, Darmstadt 1999, S. 84-101.
Stand und
Knut Görich
50
Neunziger Jahren auch von Historikern verstärkt thematisiert wird 55 , ist ein weiteres Beispiel für gegenwartsabhängige Konjunkturen historischer Fragestellungen; die auch in der historischen Mediävistik folgenreiche kulturwissenschaftliche Wende bildet den aktuellen Hintergrund dafür. Insoweit ist es vielleicht auch kein Zufall, daß Heinz Krieg 56 und ich 57 nahezu zeitgleich und unabhängig voneinander viele Überlegungen von der Nahmers zum honor imperii aufzunehmen und weiterzuführen versucht haben. II.
Die Deutung des Begriffs honor im Horizont ,Ehre' öffnet die einschlägigen Quellenaussagen für einige in der jüngeren Forschung erörterten Fragestellungen, die sich auch auf das Verständnis von Barbarossas Herrschaft erstrecken; neun Themenkomplexe seien angesprochen. Erstens: Das Verhältnis zwischen Geschichtsschreibung und Literatur. Mittlerweile ist offenkundig, daß die Grenzziehung zwischen Geschichtsschreibung und Literatur, die in Folge der universitären Fachzuständigkei-
55 Genannt seien Ludgera VOGT/Arnold ZLNGERLE (Hgg.), Ehre. Archaische Momente in der Moderne, Frankfun am Main 1994; Klaus SCHREINER/Gerd SCHWERHOFF (Hgg.), Verletzte Ehre. Ehrkonflikte in Gesellschaften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit (Norm und Struktur 5) Köln/Weimar/Wien 1995; BACKMANN/KÜNAST/ULLMANN/ TLUSTY , Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 25). 56 Heinz KRIEG, Herrscherdarstellung in der Stauferzeit. Friedrich Barbarossa im Spiegel seiner Urkunden und der staufischen Geschichtsschreibung (Vorträge und Forschungen
Sonderband 50) Ostfildern 2 0 0 3 , insb. S. 175-263.
GÖRICH, Ehre (wie Anm. 4); ferner DERS., Die Ehre des Erzbischofs. Arnold von Selenhofen (1153-1160) im Konflikt mit Mainz, Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 53 (2001) S. 93-123; DERS., Verletzte Ehre. König Richard Löwenherz 57
als Gefangener Kaiser H e i n r i c h s V I . , Historisches J a h r b u c h 123 (2003) S. 65-91; DERS.,
Wahrung des honor. Ein Grundsatz im politischen Handeln König Konrads III., in: Grafen, Herzöge, Könige. Der Aufstieg der frühen Staufer und das Reich, hgg. von Hubertus SEIBERT/Jürgen
DENDORFER
(Mittelalter-Forschungen
18) Stuttgart
2005,
S.
267-298;
DERS., Ehre als Ordnungsfaktor. Anerkennung und Stabilisierung von Herrschaft unter Friedrich Barbarossa und Friedrich II., in: Ordnungskonfigurationen im hohen Mittelalter, hgg. v o n B e r n d SCHNEID MÜLLER/Stefan WEINFURTER (Vorträge und F o r s c h u n g e n 64) Ostfildern 2 0 0 6 , S. 59-92.
Die Ehre des Reichs (honor imperii)
51
ten lange Zeit recht strikt beachtet wurde, fragwürdig ist58. Zwar unterscheiden sich historisches und fiktionales Erzählen in Hinblick auf den beanspruchten Wirklichkeitsbezug, aber sie stimmen in der vorausgesetzten Kenntnis jener sozialen Normen beim Leser überein, mit denen die Handlungen der Personen motiviert werden. Nur dadurch konnten die Erzählungen verständlich sein. Die Übersetzung von honor mit ,Ehre' gewinnt für das Verständnis von Barbarossas politischem Handeln eine soziale Verhaltensnorm zurück, die die mittelalterliche Dichtung ihrem Personal ganz selbstverständlich zugesteht59, und sie erschließt dem Verständnis von Barbarossas Handeln eine Fülle zwar nicht neuer, aber eben unter dem Aspekt ,Ehre' erneut zu lesender Quellen. Zweitens: Barbarossa und die ritterliche Welt. Dieses Thema ist mit dem Hinweis auf Barbarossa als Ausrichter des großen Mainzer Hoffestes von 1184 60 , auf die Schwertleite der Kaisersöhne, auf Turnier und Sängerlob sicher nicht erschöpft. Es handelt sich vielmehr um die generelle Frage nach den Auswirkungen laienadliger Wertvorstellungen auf Barbarossas politisches Handeln; daß sie die Darstellung des Kaisers sowohl in den Urkunden wie auch in der Geschichtsschreibung prägen, läßt sich gerade
58 Dazu Peter JOHANEK, Mittelalterforschung in Deutschland um 2000, in: GoETZ/jANUT, Mediävistik im 21. Jahrhundert (wie Anm. 33) S. 21-33, S. 28. 59 Genannt seien nur Hubertus FISCHER, Ehre, Hof und Abenteuer in Hartmanns „Iwein". Vorarbeiten zu einer historischen Poetik des höfischen Epos, München 1983; Wolfgang HAUBRICHS, Ehre und Konflikt. Zur intersubjektiven Konstitution der adligen Persönlichkeit im früheren Mittelalter, in: Spannungen und Konflikte menschlichen Zusammenlebens in der deutschen Literatur des Mittelalters, hgg. von Kurt GÄRTNER/ Ingrid KASTEN/Frank SHAW, Tübingen 1996, S. 35-58; Jan-Dirk MÜLLER, Spielregeln für den Untergang. Die Welt des Nibelungenliedes, Tübingen 1998, S. 360-362.
Zum Mainzer Hoffest vgl. Josef FLECKENSTEIN, Das Turnier als höfisches Fest im hochmittelalterlichen Deutschland, in: Das ritterliche Turnier im Mittelalter. Beiträge zu einer vergleichenden Formen- und Verhaltensgeschichte des Rittertums, hg. von Josef FLECKENSTEIN (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 80) Göttingen 1985, S. 229-256, S. 236-239; Peter MORAW, Die Hoffeste Kaiser Friedrich Barbarossas von 1184 und 1188, in: Das Fest. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, hg. von Uwe SCHULZE, München 1988, S. 70-83 und S. 425-428; Heinz WOLTER, Der Mainzer Hoftag von 1184 als politisches Fest, in: Feste und Feiern im Mittelalter, hgg. von Detlef ALTENBURG/Jörg JARNUT/Hans-Hugo STEINHOFF, Sigmaringen 1991, S. 193-199. 60
52
Knut
Görich
am Beispiel der Ehre zeigen61. Deutlich wird allerdings die Schwierigkeit, spezifisch ritterliche Werte von denen des Kriegeradels abzugrenzen62. Drittens: Adlige Memoria. Auf die zentrale Bedeutung, die Ehre und Ruhm für die adlige Memoria haben, hat Otto Gerhard Oexle hingewiesen. Adlige Herrschaft ist immer auch durch Erinnerung begründet. Deshalb ist der Wunsch, „von den Mitlebenden und erst recht von der Nachwelt gerühmt zu werden, ein vitales Motiv adliger Existenz und ein Kennzeichen jeglicher Adelskultur"63. Aus dem Prinzip der Ehre ergab sich zugleich die „für die adlige Existenz charakteristische aemulatio, die Konkurrenz um den eigenen Rang im Vergleich zu dem der Standesgenossen"64, die Verpflichtung, sich vor den anderen einen Namen zu machen. Das galt für jeden Adligen ebenso wie für den Kaiser selbst65. Mit Ruhm und Ansehen ist Ehre eng verbunden; Ehre als Zeichen sozialer Schätzung ist eines der Elemente, die Adel konstituieren66. Die Erinnerung an die historische Leistung der Vorfahren hat hier ihren Anknüpfungspunkt, und deshalb hat die Behauptung der Ehre in der Gegenwart stets auch einen zukunftsorientierten Aspekt, denn nicht nur die gegenwärtige Öffentlichkeit richtete über Gewinn oder Verlust an Ehre, sondern auch die zukünftige. Diese Einsicht teilte der Kaiser mit jedem anderen Adligen. Barbarossa begründete seine Entschlossenheit zum militärischen Konflikt häufi-
KRIEG, Herrscherdarstellung (wie Anm. 56) S. 238-259. Dazu schon VON DER NAHMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 700 f.; vgl. jetzt Werner HECHBERGER, Adel, Ministerialität und Rittertum im Mittelalter, München 2004, S. 100. 63 Otto Gerhard OEXLE, Aspekte der Geschichte des Adels im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Europäischer Adel 1750-1950, hg. von Hans-Ulrich WEHLER, Göttingen 1990, S. 19-56, S. 24. 64 OEXLE, Aspekte (wie Anm. 63) S. 25. 65 Dazu unten, S. 61 f. 66 OEXLE, Aspekte (wie Anm. 63) S. 23; vgl. auch DERS., Weifische Memoria. Zugleich ein Beitrag über adlige Hausüberlieferung und die Kriterien ihrer Erforschung, in: Die Weifen und ihr Braunschweiger Hof im hohen Mittelalter, hg. von Bernd SCHNEIDMÜLLER, Wiesbaden 1995, S. 61-94, S. 62 f.; DERS., Fama und Memoria Heinrichs des Löwen: Kunst im Kontext der Sozialgeschichte. Mit einem Ausblick auf die Gegenwart, in: Der Weifenschatz und sein Umkreis, hgg. von Joachim EHLERS/Dietrich KÖTZSCHE, Mainz 1998, S. 1-25, S. 7-10.
61
62
Die Ehre des Reichs (honor imperii)
53
ger damit, sich lieber in Todesgefahr zu begeben als eine Schmach zu ertragen, unter der noch seine Nachfolger zu leiden hätten 67 . Viertens: Ehre als Bezugspunkt symbolischer Verhaltensweisen. Auf die Bedeutung symbolischer Verhaltensweisen in der Praxis mittelalterlicher Herrschaftsausübung hat Gerd Althoff in einer Fülle von Untersuchungen aufmerksam gemacht68. Die Verbindung zwischen Ehre und symbolischen Handlungen ist im Akt der deditio besonders anschaulich: Die demütigenden Formen der öffentlichen Unterwerfung heilten die verletzte Ehre des Herrschers und waren daher als Bestandteil eines Friedensschlusses unerläßlich. Bei der Unterwerfung der Stadt Tortona 1155 ließ Barbarossa den Bürgern mitteilen, ihre deditio sei unerläßlich „um des Ruhms und der Ehre des Königs und des Reiches willen" - ob regis et sacri imperii gloriam et honorem69. N u r angemerkt sei, daß Ehre auch im Mittelpunkt der vielen Rangstreitigkeiten etwa um Gruß, Sitzplatz oder andere Rangsymbole stand70. Fünftens: Konsensuale Herrschaft. Bernd Schneidmüller hat dafür plädiert, „die konsensuale Fundamentierung der mittelalterlichen Monarchie" verstärkt zu berücksichtigen 71 . Eine charakteristische Schwierigkeit der Konsenssuche ergab sich daraus, „daß die Partner Angehörige der hohen Aristokratie waren, äußerst empfindlich auf ihren Rang und ihr Ansehen bedacht, ihren honor, um dessentwillen sie manches taten, was
67
Anläßlich der Forderungen der Römer vor der Kaiserkrönung 1155, vgl. Otto von Freising und Rahewin, Gesta Frederici seu rectius Cronica III 13, übers, von Adolf SCHMIDT, hg. von Franz-Josef SCHMALE (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 17) Darmstadt 1965, S. 421, Z. 2130; nach der päpstlichen Herausforderung auf dem Hoftag von Besan^on 1157, vgl. M G H DF.I. 186, S. 315, Z. 17-21; nach der Gründung des lombardischen Städtebundes 1167, vgl. M G H DF.I. 5 3 8 , S. 4 8 6 , Z. 7-9. 68 Zusammenfassend nunmehr Gerd ALTHOFF, Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003. 69 Adolf HOFMEISTER, Eine neue Quelle zur Geschichte Friedrich Barbarossas, Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 43 (1922) S. 87-157, S. 156; z u m G e s c h e h e n v g l . GÖRICH, E h r e ( w i e A n m . 4) S. 1 8 7 - 2 1 4 . 70
Karl-Heinz SPIEß, Rangdenken und Rangstreit im Mittelalter, in: Zeremoniell und Raum, hg. von Werner PARAVICINI (Residenzenforschung 6) Sigmaringen 1997, S. 39-61, insb. S. 53. 71
SCHNEIDMÜLLER, Gott (wie Anm 27) S. 223; vgl. außerdem DERS., Konsensuale Herrschaft (wie Anm. 27).
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nach neuzeitlichen Vorstellungen von Staatsräson unvernünftig war" 72 . Barbarossas enges Zusammenwirken mit den Fürsten betrachtet die Forschung ganz einhellig als typisches Kennzeichen seiner Herrschaft73. Die Uberwindung der Theorie vom staufisch-welfischen Gegensatz gibt zunehmend den Blick frei auf das Ausmaß fürstlicher, gerade auch weifischer Unterstützung von Barbarossas Herrschaftsantritt74. Der König gewordene Herzog von Schwaben, der ursprünglich keinerlei Aussicht auf den Thron hatte75, mußte diese Erhöhung seinen früheren Standesgenossen erträglich machen. Barbarossas weitgehend konfliktfreie Nähe zu den Fürsten dürfte auch eine Funktion seiner verläßlichen Orientierung an der Norm der Ehre sein: Sie verband ihn mit den Fürsten in einem Bündel gegenseitiger Handlungserwartungen und in einer gemeinsamen Vorstellung von ihrer jeweiligen Rolle im Reich. Damit hängt eng zusammen: Sechstens: Interaktion zwischen Kaiser und Fürsten. Peter Moraw betonte kürzlich, daß ihm die Frage nach dem aristokratischen Habitus, also nach Rang und Würde der Fürsten und nach dem Streit um Ehrenrechte wesentlicher erscheine als verwaltungs- oder gar bürokratieanaloge
Joachim EHLERS, Friedrich I. Barbarossa (1152-1190), in: Die deutschen Herrscher des Mittelalters, hgg. von Bernd SCHNEIDMÜLLER/Stefan WEINFURTER, München 2003, S. 23272
2 5 7 , S. 2 3 3 .
Einschlägige Literatur verzeichnet Werner HECHBERGER, Staufer und Weifen 1125-1190. Zur Verwendung von Theorien in der Geschichtswissenschaft (Passauer Historische Forschungen 10) Köln/Weimar/Wien 1996, S. 252-257. 74 Dazu HECHBERGER, Staufer und Weifen (wie Anm. 73) S. 239-269; die Konsequenzen aus der jüngsten Debatte um das Verhältnis zwischen Friedrich von Rothenburg und Friedrich Barbarossa zieht jetzt Stefanie DICK, Die Königserhebung Friedrich Barbarossas im Spiegel der Quellen - Kritische Anmerkungen zu den Gesta Friderici Ottos von Freising, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germ. Abt. 121 (2004) S. 200-237. 75 Neuerdings wird freilich die Existenz eines Hausvertrags zwischen Herzog Friedrich II. und Konrad III. erörtert, wonach Konrad für seine Königserhebung seinen eigenen Sohn von der Nachfolge im Königsamt habe ausschließen müssen, vgl. Hansmartin SCHWARZMAIER, Pater imperatoris. Herzog Friedrich II. von Schwaben, der gescheiterte König, in: Mediaevalia Augiensia. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters, hg. von Jürgen PETERSOHN (Vorträge und Forschungen 54) Stuttgart 2001, S. 247-284; Odilo ENGELS, Beiträge zur Geschichte der Staufer im 12. Jahrhundert (II), in: ERKENS/WOLF, Von Sacerdotium und Regnum (wie Anm. 44) S. 423-459, insb. S. 445 f. und S. 459. 73
Die Ehre des Reichs (honor
imperii)
55
Fragestellungen76. Ganz ähnlich wies Jean-Marie Moeglin auf die „realpolitische Bedeutung der fürstlichen Beziehungspflege" hin und favorisierte zum „besseren Verständnis der Ereignisse und der politischen Strukturen" eine Sicht, die die Ehre als Handlungsnorm berücksichtigt77. Was in beiden Fällen mit Blick auf das Spätmittelalter gesagt wurde, gilt auch für die staufische Zeit. Wer mit Barbarossa zusammentraf oder kommunizierte, war „in dessen Ausstrahlung", also „in einem Kodex zahlreicher ungeschriebener Verhaltensnormen gefangen"78, die ihre Ursache im traditionellen Anspruch des Kaisers auf besondere Ehrerweisung hatten. Aber auch die Fürsten hatten ihren honor - anstelle vieler Beispiele sei nur das Motiv erwähnt, mit dem Barbarossa die Erhöhung der Markgrafschaft Osterreich zum Herzogtum 1156 begründete: „Ehre und Ruhm" seines Onkels sollten „nicht irgendwie vermindert" erscheinen79. Die Interaktion war in beiden Richtungen von der Rücksicht auf die Ehre bestimmt. Das zeigt sich in der begrifflichen Unterscheidung zwischen colloquium familiare und colloquium publicum mit ihrem unterschiedlichen Grad an ehrrelevanter Öffentlichkeit80; das zeigt sich auch in scheinbaren Neben-
Peter MORAW, Fürsten am spätmittelalterlichen deutschen Königshof, in: Principes. Dynastien und Höfe im späten Mittelalter, hgg. von Cordula NOLTE/Karl-Heinz SPlEß/Ralf-Gunnar WERLICH (Residenzenforschung 14) Stuttgart 2002, S. 17-32, S. 19. 77 Jean-Marie MOEGLIN, Fürstliche Ehre und verletzte Ehre der Fürsten im spätmittelalterlichen Deutschen Reich, in: SCHREINER/SCHWERHOFF, Verletzte Ehre (wie Anm. 55) S. 77-91, S. 78 f. 78 Diese Formulierung benutzt mit Blick auf Friedrich III. Paul-Joachim HEINIG, Verhaltensformen und zeremonielle Aspekte des deutschen Herrscherhofes am Ausgang des Mittelalters, in: Höfe und Hofordnungen 1200-1600, hgg. von Holger KRUSE/Werner PARAVICINI (Residenzenforschung 10) Sigmaringen 1999, S. 63-82, S. 77. 79 M G H DF.I. 151, S. 259, Z. 18-23: Ne autem in hoc facto aliquatenus inminui videretur honor et gloria dilectissimi patrui nostri ... marchiam Austrie in ducatum commutavimus et eundem ducatum cum omni iure prefato patruo nostro Heinrico ... in beneficium concessimus. Dazu Hanna VOLLRATH, Fürstenurteile im staufisch-welfischen Konflikt von 1138 bis zum Privilegium Minus. Recht und Gericht in der oralen Rechtswelt des früheren Mittelalters, in: Funktion und Form. Quellen und Methodenprobleme der mittelalterlichen Rechtsgeschichte, hgg. von Karl KROESCHELL/Albrecht CORDES (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 18) Berlin 1996, S. 39-62, S. 60-62. 80 Gerd ALTHOFF, Colloquium familiare - colloquium secretum - colloquium publicum. Beratung im politischen Leben des früheren Mittelalters, in: Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, hg. von Gerd ALTHOFF, Darmstadt 1997, S. 157-184. 76
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56
sächlichkeiten des Ausdrucks, daß sich Barbarossa beispielsweise über fürstlichen Ungehorsam nur „wundert" oder auch „ziemlich wundert" oder sogar „nicht genug wundern kann" - wie im einleitend erwähnten Fall des Erzbischofs Eberhard I. von Salzburg oder am Beispiel des Herzogs Sobieslaw II. von Böhmen, die beide trotz Aufforderung nicht am Hof erschienen81. Verglichen damit hatte die Äußerung kaiserlichen Mißfallens etwa gegenüber einem bloßen Domkapitel eine ganz andere Windstärke82. Das Reich war, um eine Formulierung von Joachim Ehlers aufzugreifen, ein „unaufhörlicher Kommunikations- und Integrationsprozeß", das Reich existierte „eigentlich nur in diesen Beratungen tatsächlich"83. Angesichts der unmittelbar politischen Bedeutung der Wahrung oder Verletzung von Ehre, Rang und Würde, wie sie sich in der „fürstlichen Beziehungspflege" niederschlug, verdient die Rekonstruktion der ranggeordneten Kommunikation mit dem Hof und natürlich auch am Hof gewiß besondere Aufmerksamkeit. Die vielen in der Historiographie überlieferten Szenen direkter Rede sind für diese Frage ebenso noch nicht hinreichend erschlossene ,Schlüsselquellen' wie die Briefe an und von Barbarossa. Briefe waren eine Möglichkeit, „die unmittelbare Kommunikationskonstellation von Angesicht zu Angesicht fiktiv herzustellen"84; die im besonderen Sprachgebrauch „simulierte Präsenz" des Adressaten, sei es des Kaisers, sei es eines Fürsten, ist gewissermaßen ein „Uberrest", ein Schatten von tatsächlichen, der Rangordnung verpflichteten Kommunikationsvorgangen 85 .
81
Z u Eberhard vgl. GÖRICH, Ehre (wie Anm. 4) S. 61; zu Sobieslaw II. vgl. M G H DF.I.
636, S. 133, Z. 26. 82
Vgl. Barbarossas Brief an das Domkapitel von Halberstadt M G H DF.I. 313, S. 134, Z. 17-
21; vgl. auch die scharfe Ermahnung Konrads III. an den Abt von Tegernsee, zitiert bei SCHLICK, König (wie A n m . 21) S. 140 f.; Werner RÖSENER, Die Hoftage Kaiser Friedrichs I. Barbarossa im Regnum
Teutonicum,
in: Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im
späten Mittelalter, hg. von Peter MORAW (Vorträge und Forschungen 48) Stuttgart 2002, S. 359-386, S. 371. 83
Protokoll des Konstanzer Arbeitskreises für Mittelalterliche Geschichte N r . 312, 1990, S.
112. 84
Gerhard FOUQUET, Fürsten unter sich - Privatheit und Öffentlichkeit, Emotionalität
und Zeremoniell im Medium des Briefes, in: NOLTE/SPlEß/WERLICH, Principes (wie Anm. 76) S. 171-198, S. 171 und S.192 („Schlüsselquellen"). 85
Vgl. FOUQUET, Fürsten (wie A n m . 84) S. 172.
Die Ehre des Reichs (honor imperii) Siebtens: E h r e u n d Recht.
57
D i e neuere rechtshistorische
Diskussion
n i m m t a u s d r ü c k l i c h A b s t a n d v o n der M o d e r n i s i e r u n g s t h e s e , die i m m e h r oder m i n d e r linearen Verlauf einer rational ausdifferenzierten
Rechts-
g e s t a l t u n g ein c h a r a k t e r i s t i s c h e s M e r k m a l des 12. u n d 13. J a h r h u n d e r t s 8 6 e r k a n n t e . A u c h die l a n g e Z e i t als f ü r B a r b a r o s s a p r o g r a m m a t i s c h v e r s t a n d e n e F o r m e l v o m rigor iustitiae e r w e i s t s i c h b e i g e n a u e r e r A n a l y s e n i c h t als H i n w e i s auf ein n e u e s V e r s t ä n d n i s v o m R e c h t , s o n d e r n als v o r a l l e m situationsbedingt
legitimierendes
Argument87.
Jüngste
s i e r u n g e n des R e c h t s b e g r i f f s e r ö r t e r n die S c h w i e r i g k e i t ,
Problematizwischen
Gültigkeit rechtlicher u n d sozialer N o r m e n trennscharf z u
der
unterschei-
den 8 8 . D a b e i zeigt sich z u n e h m e n d die P r a k t i k a b i l i t ä t eines f u n k t i o n a l erweiterten Rechtsbegriffs: E r n i m m t A b s t a n d v o n der Vorstellung v o m R e c h t als G e f ü g e a l l g e m e i n g e l t e n d e r , v e r s c h r i f t l i c h t e r N o r m e n u n d d e h n t sich auf eine „ a l l g e m e i n e V o r s t e l l u n g v o n N o r m a t i v i t ä t i m S i n n e
von
E r w a r t u n g s s i c h e r u n g u n d V e r h a l t e n s s t e u e r u n g " aus 8 9 . E i n s o l c h e r erwei-
Dies in Anlehnung an Heinz DUCHARDT/Gert MELVILLE, Vorwort, in: Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation im Mittelalter und früher Neuzeit, hgg. von Heinz DUCHARDT/Gert MELVILLE (Norm und Struktur 7) Köln/Weimar/Wien 1997, S. V-VIII, S. VII: „Am wichtigsten ist wohl die Feststellung, daß einer Modernisierungsthese im Sinne eines mehr oder minder linearen Verlaufs von archaisch kompakter Ritualität zu rational ausdifferenzierter Rechtsgestaltung in mehrfacher Hinsicht keineswegs das Wort geredet werden kann." Charakteristisch sei vielmehr das Nebeneinander von einem „langen Mittelalter" und einer „früh einsetzenden Neuzeit". 87 Dazu Theo BROEKMANN, Rigor iustitiae. Herrschaft, Recht und Terror im normannischstaufischen Süden (1050-1250) Darmstadt 2005, S. 94-113, insb. S. 108-113. 88 CORDES/KANNOWSKI, Rechtsbegriffe (wie Anm. 26); dazu meine Rezension in der Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germ. Abt. 123 (2006). 89 Dieter SIMON, Auf der Suche nach dem Gegenstand, Rechtshistorisches Journal 3 (1983) S. 9-13, S. 13; dazu auch Gerhard DlLCHER, Mittelalterliche Rechtsgewohnheit als methodisch-theoretisches Problem, in: Gewohnheitsrecht und Rechtsgewohnheit im Mittelalter, hg. von Gerhard DlLCHER (Schriften zur europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 6) Berlin 1992, S. 21-65, S. 47-52; Dietmar WlLLOWElT, Vom guten alten Recht. Normensuche zwischen Erfahrungswissen und Ursprungslegenden, in: Jahrbuch des Historischen Kollegs 1997, München 1998, S. 23-52, bes. S. 41-44. Einem auf Verhaltenserwartung basierenden, soziologischen Rechtsbegriff folgt Stefan ESDERS, Rechtsdenken und Traditionsbewußtsein in der gallischen Kirche zwischen Spätantike und Frühmittelalter. Zur Anwendbarkeit soziologischer Rechtsbegriffe am Beispiel des kirchlichen Asylrechts im 6. Jahrhundert, Francia 20.1 (1993) S. 97-125. Kritisch gegenüber 86
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terter, soziologischer Rechtsbegriff kann auch die Ehre integrieren, weil sie bei der Konfliktbeilegung innerhalb des Adels eine höchst sensibel beachtete Richtschnur war, außerdem als sozialer Steuerungsfaktor fungierte - Stichwort Habitus - und bestimmte Verhaltenserwartungen schuf. Verhandlungen und Entscheidungen von Barbarossas Königsgericht nahmen Rücksicht auf den honor der Adligen90, Barbarossa begründete bestimmte Erwartungen mit der Ehre des Reichs, und umgekehrt wurden an ihn Erwartungen herangetragen, die ebenfalls mit dem honor imperii begründet wurden91. Festzuhalten bleibt, daß sich eine diesem erweiterten Rechtsbegriff zugeordnete Ehre kaum in das Modell einer modernisierenden Verrechtlichung im 12. und 13. Jahrhundert integrieren läßt: Denn die dem honor geschuldeten Verfahrensweisen vor dem Königsgericht wurzelten in einer adligen Gruppenidentität, und die auf den honor imperii gegründeten Forderungen des Kaisers betrafen nicht zuletzt die symbolische Seite der Wiedergutmachung einer Rechtsverletzung als Form demonstrativer Anerkennung der zuvor verletzten Ordnung. Insbesondere dieser Bereich der symbolischen Verhaltensweisen entzog sich der Verschriftlichung von Recht, die nicht zuletzt Vereindeutigung zum Schutz vor Mißbrauch war; die aus dem Anspruch auf Wiederherstellung des verletzten honor imperii fließenden Forderungen waren in diesem Sinne aber nicht zu vereindeutigen, weil einer solchen Festlegung der
einem funktionalen Rechtsbegriff WEITZEL, Relatives Recht (wie Anm. 26) S. 43-62, S. 45 und S. 57. 90
Dazu Gerd ALTHOFF, Recht nach Ansehen der Person. Zum Verhältnis rechtlicher und
außerrechtlicher
Verfahren
der
Konfliktbeilegung
im
Mittelalter,
in:
CORDES/
KANNOWSKI, Rechtsbegriffe (wie Anm. 26) S. 79-92; Knut GÖRICH, Rex iustus et pacificus. Der Herrscher als schlichtender Richter und als interessierte Partei in staufischer Zeit, in: Geschichte des Mittelalters für unsere Zeit, hg. von Rolf BALLOF, Stuttgart 2003, S. 249261. WEITZEL, Relatives Recht (wie Anm. 26), hält das Phänomen des schichtspezifisch, also nach Ansehen der Person unterschiedlichen Strafens auf S. 61 für keine Konsequenz unvollkommener Rechtsgeltung und weist auf offene Fragen hin. 91
Dazu Beispiele bei GÖRICH, Ehre (wie Anm. 4) S. 22-34; auch Papst Viktor IV.
begründete seine Position mit dem honor imperii (ebenda, S. 132 f.). Selbst Alexander ΠΙ. betonte nach dem Frieden von Venedig in fast wörtlicher Ubereinstimmung mit dem Konstanzer Vertrag von 1153 (imperatoris)
(vgl. den Text oben in A n m . 5), quod honori
et imperii pro nostri officii debito, quantum
Deus dederit,
intendemus,
ipsius vgl.
Samuel LOEWENFELD, Epistolae Pontificum Romanorum ineditae, Leipzig 1885, N r . 266, S. 151; ähnlich N r . 268, S. 153.
Die Ehre des Reichs (honor imperii)
59
grundsätzliche Anspruch des Kaisers auf uneingeschränkte Darstellung seiner herrscherlichen Autorität entgegenstand92. Achtens: Qualität sozialer Gruppenbindung als Merkmal der mittelalterlichen Gesellschaft. Die soziologische Theorie der Ehre hat gesellschaftsdifferenzierende, machtgenerierende und gruppenintegrierende Funktionen der Ehre beschrieben93. Den sozialen Funktionsmechanismus der Ehre hat Max Weber vor allem mit Blick auf die differenzierenden Funktionen in Verbindung mit Hierarchisierung und sozialen Machtkonstellationen aufgezeigt; aus dieser Perspektive wird besonders die Abgrenzung einer durch gemeinsame Ehrvorstellung verbundenen Gruppe durch Distanz und Exklusivität zugänglich94. Georg Simmel nahm vor allem die integrierenden Funktionen der Ehre in den Blick und maß die Integration einer Gruppe an ihrer Ubereinstimmung hinsichtlich Wertvorstellungen, Sinndeutungen und gemeinsamen Zielen, also am Ausmaß intersubjektiv geteilter Werte, das bestimmte Handlungen der Gruppe erwartbar macht und für ihren Zusammenhalt sorgt95. Pierre Bourdieu schließlich unterstellte der Ehre eine ökonomische Funktionslogik und deutete sie analog zum ökonomischen als symbolisches Kapital, das angesammelt, aber auch verloren werden kann96. Damit steht von soziologischer Seite ein breites Deutungsangebot zum Verständnis jener Handlungen bereit, die in den Quellen mit dem honor oder dem honor imperii begründet werden. Neuntens: Adel und Fürsten am Hof Barbarossas. Die Frage nach der Zusammensetzung jener Gruppe von Fürsten, die beim Kaiser erschienen und mit ihm und dem engeren Hof, der egregia familia imperialis in sacratissima curia domini Ffrederici) serenissimi et invictissimi Romanorumv, im jeweiligen Fall das Reich darstellten, hat die Erkenntnis ihrer
92
Dieser Aspekt spielt insbesondere im Konflikt Friedrichs II. mit dem Lombardenbund
eine Rolle, dazu Knut GÖRICH, Mißtrauen aus Erfahrung: Mailand und Friedrich II., Frühmittelalterliche Studien 39 (2005) (im Druck). 93
Dazu Ludgera VOGT, Zur Logik der Ehre in der Gegenwartsgesellschaft, Frankfurt am
Main 1997, S. 11-60. 94
VOGT, Logik der Ehre (wie A n m . 93) S. 65-76.
95
VOGT, Logik der Ehre (wie A n m . 93) S. 156 f.
%
VOGT, Logik der Ehre (wie A n m . 93) S. 121-143.
97
Admonter Briefsammlung (wie Anm. 4) N r . 44, S. 89, Z. 16-18.
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„amöbenhaften personellen Struktur"98 zur Antwort. Unbeschadet grundsätzlicher, aber weder kontinuierlich geleisteter noch strikt erzwingbarer Vasallenpflichten wie Hof- und Heerfahrt muß sich auch die Antwort auf die Frage nach den Gründen für die Präsenz einzelner Fürsten stets am Einzelfall orientieren. Die materiellen Belastungen der Hoffahrt waren hoch"; und auf der Heerfahrt für die „Ehre des Reichs" tätig zu sein, konnte darüber hinaus für die Getreuen konkret bedeuten, „die Substanz ihres Vermögens durch Ausgaben und Aufwendungen aufzuzehren"l0°, „sich selbst und das Ihre täglich dem Tod auszusetzentaÄÜOu-tä"fi'!iarc cum